Europäisches Zivilverfahrensrecht und Gewerblicher Rechtsschutz: Habilitationsschrift 9783161539336, 9783161539343, 3161539338

Die fortschreitende Harmonisierung des Privatrechts innerhalb der Europäischen Union wirft die Frage auf, ob auch die Du

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German Pages 920 [963] Year 2016

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Titel
Vorwort
Inhaltsübersicht
Inhaltsverzeichnis
1. Teil. Grundlagen
§ 1 Der Gewerbliche Rechtsschutz und das Europäische Zivilverfahrensrecht
A. Zielsetzung
B. Ubiquität und Territorialität gewerblicher Schutzrechte
I. Gewerbliche Schutzrechte im Spannungsfeld zwischen Territorialität und Globalität
II. Die Harmonisierung des Gewerblichen Rechtsschutzes innerhalb der EU
C. Die Harmonisierung des Zivilverfahrensrechts
I. Das Internationale Zivilverfahrensrecht
II. Das Zivilverfahrensrecht ohne grenzüberschreitenden Bezug
III. Informationsaustausch und Vernetzung
IV. Wissenschaftliche Initiativen
D. Begrenzung des Untersuchungsgegenstands
I. Berücksichtigte Regelungstexte
II. Besonders berücksichtigte nationale Verfahrensordnungen
III. Begriff des Gewerblichen Rechtsschutzes
E. Untersuchungsverlauf
§ 2 Primärrechtliche Rahmenbedingungen
A. Rechtsetzungskompetenzen der Europäischen Union
I. Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen
II. Europäische Rechtstitel zum Schutz des geistigen Eigentums
III. Rechtsangleichung im Binnenmarkt
IV. Gestaltung der gemeinsamen Handelspolitik
V. Konkurrenzen
VI. Fazit
B. Das zweispurige Rechtsschutzsystem der Union
I. Rechtsschutz durch die Gerichte der Mitgliedstaaten
II. Das Vorabentscheidungsersuchen
C. Menschenrechtliche Garantien
I. Vielschichtigkeit des Grundrechtsschutzes innerhalb der Union
II. Die menschenrechtlichen Verfahrensgarantien
III. Der menschenrechtliche Schutz des geistigen Eigentums
D. Auslegung des Europäischen Zivilverfahrensrechts
I. Das Prinzip der autonomen Auslegung
II. Der Methodenkanon des Unionsrechts
III. Die Bedeutung von Präjudizien
E. Die Implikationen loyaler Zusammenarbeit für das nationale Zivilverfahrensrecht
I. Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit
II. Der Anwendungsvorrang des Unionsrechts
III. Das Gebot unionsrechtskonformer Auslegung
IV. Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz
2. Teil. Harmonisierung des Zivilverfahrensrechts ohne grenzüberschreitenden Bezug
§ 3 Die Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums
A. Einführung
I. Rechtstatsächliche Ausgangslage
II. Das TRIPS-Übereinkommen
III. Die Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums
1. Überblick
2. Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands
B. Rechtsetzungskompetenz der Union
C. Anwendungsbereich, Begriffsbestimmungen und allgemeine Vorgaben
I. Anwendungsbereich der Richtlinie
II. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
III. Aktivlegitimation und Prozessführungsbefugnis
IV. Passivlegitimation
V. Prozesskosten
D. Zuständigkeit
I. Zuweisung durch das Unionsrecht
II. Deutsches Zuständigkeitsrecht
III. Englisches Zuständigkeitsrecht
§ 4 Einstweilige Maßnahmen zur Sicherung des Status Quo
A. Die Vorgaben der Richtlinie
I. Grundzüge der Regelung des Art. 9 DRL
II. Interpretationsbedarf und Umsetzungsspielräume
1. Weiter Umsetzungsspielraum der Mitgliedstaaten
2. Zwingender Charakter der Schutzmaßnahmen zugunsten des Antragsgegners
3. Maßnahmen gegenüber Mittelspersonen
a) Weiter Spielraum der Mitgliedstaaten
b) Sperrverfügungen gegenüber Access Providern
c) Haftungsprivilegierung von Diensteanbietern der Informationsgesellschaft
4. Schutzrechtsverletzungen in gewerblichem Ausmaß
5. Beginn der Frist zur Einleitung des Hauptsacheverfahrens
III. Verlauf der Analyse
B. Bewahrung des Status Quo im englischen Recht
I. Das Rechtsgebiet der injunctions
II. Unterlassung, Stellung einer Sicherheit und Sicherstellung verdächtigen Materials
1. Verfügbare Maßnahmentypen
2. Die Bedeutung der materiellen Rechtslage: American Cyanamid
3. Die Abwägung der Parteiinteressen: balance of convenience
4. Anordnungen gegenüber Unbekannt
5. Maßnahmen gegenüber Mittelspersonen
6. Zusammenfassung zu Unterlassungsverfügungen
III. Die Freezing injunction
1. Das Institut der freezing injunction
2. Anordnungsvoraussetzungen der freezing injunction
3. Verfügungsinhalt: Verbot der Verfügung über betroffenes Vermögen
4. Anordnungen mit weltweiter Wirkung
5. Anordnungen zwecks Sicherung der Vollstreckung eines künftigen Urteils ausländischer Gerichte
IV. Offenlegung der Vermögensbestandteile
V. Formale Vorgaben und zulässige Beweismittel
VI. Ex parte-Anordnungen
1. Gründe, die zur Verweigerung des rechtlichen Gehörs berechtigen
2. Schutzvorkehrungen zugunsten der nicht gehörten Partei
VII. Schutzvorkehrungen zugunsten des Antragsgegners
1. Das Instrument der Verpflichtungserklärung
2. Mittelbarer Zwang zur Einleitung des Hauptsacheverfahrens
3. Kompensation und Absicherung des Antragsgegners
4. Besondere Schutzvorkehrungen bei Erlass einer freezing injunction
VIII. Durchsetzung der Maßnahme
1. Contempt of Court
2. Striking out a case
IX. Fazit
C. Bewahrung des Status Quo im deutschen Recht
I. Unterlassungsanordnung, Stellung einer Sicherheit und Sicherstellung verdächtigen Materials
1. Die Bedeutung der materiellen Rechtslage: der Verfügungsanspruch
2. Die Abwägung der Parteiinteressen: der Verfügungsgrund
a) Keine Vermutung für das Bestehen eines Verfügungsgrundes
b) Fehlende Dringlichkeit wegen Zeitablauf
c) Abwägung weiterer Faktoren
3. Anordnungen gegenüber Unbekannt
4. Maßnahmen gegenüber Mittelspersonen
a) Mittelspersonen, die keinen Dienst der Informationsgesellschaft betreiben
b) Unterlassungsverfügungen gegenüber Host Service Providern
c) Sperrverfügungen gegenüber Access Providern
II. Der dingliche Arrest
III. Zugang zu Finanzdokumenten
1. Die immaterialgüterrechtlichen Vorlageansprüche
a) Anspruchsinhalt und -voraussetzungen
b) Durchsetzung im einstweiligen Verfahren
c) Bezeichnung des Vorlagegegenstands
2. Bewertung
IV. Glaubhaftmachung
V. Ex parte-Anordnungen
1. Unterlassungs- und Sicherungsverfügungen
2. Arrestverfahren
3. Wahrheitspflicht des Antragstellers
4. Information des Antragsgegners
VI. Schutzvorkehrungen zugunsten des Antragsgegners
1. Mittelbarer Zwang zur Einleitung des Hauptsacheverfahrens
2. Kompensation und Absicherung des Antragsgegners
VII. Vollstreckung der einstweiligen Verfügung und des Arrests
VIII. Fazit
D. Rechtsvergleichende Würdigung
I. Richtliniengetreue Umsetzung
II. Angemessene Berücksichtigung der beidseitigen prozessualen Interessen
1. Unterlassungs- und Sicherungsverfügungen
a) Die Bedeutung der materiellen Rechtslage
b) Unterlassungsanordnungen gegen Unbekannt und gegen Mittelspersonen
2. Sicherung des Vermögensbestands
3. Informationen über das Vermögen des Antragsgegners
4. Ex parte-Anordnungen
5. Schutzvorkehrungen zugunsten des Antragstellers
III. Stand der Harmonisierung und Reformimpulse
1. Die Problematik der sektoriellen Prozessrechtsvereinheitlichung
2. Einführung einer höheren Regelungsdichte
3. Präzisierung des Fristbeginns zur Einleitung des Hauptsacheverfahrens
4. Präzisierung der Passivlegitimation von Mittelspersonen
5. Bessere Definition des Regelungskorridors
§ 5 Anordnung der Beweismittelvorlage
A. Die Vorgaben der Richtlinie
I. Grundzüge der Regelung des Art. 6 DRL
II. Interpretationsbedarf und Umsetzungsspielräume
1. Weiter Umsetzungsspielraum
2. Begünstigte einer Anordnung nach Art. 6 Abs. 1 DRL
3. Durchsetzung der Vorlageanordnung
III. Besichtigung von Waren nach der ProduktpiraterieVO
B. Umsetzung in England
I. Disclosure: Offenbarung und Besichtigung von Dokumenten
1. Begriff und Funktion der disclosure
2. Absehen von der disclosure in Verfahren des gewerblichen Rechtsschutzes
3. Voraussetzungen und Inhalt der Standard Disclosure
4. Das Einsichtsrecht: inspection
5. Specific Disclosure
II. Offenbarung und Besichtigung anderer Beweismittel
III. Exkurs: Beweismittelvorlage durch dritte Personen
IV. Der Schutz vertraulicher Interessen
1. Geheimnisse der Gegenpartei
2. Daten dritter Personen
a) Bruch einer Vertraulichkeitsvereinbarung
b) Persönliche Daten Dritter, die dem Datenschutz unterliegen
V. Durchsetzung der Offenlegungs- und Einsichtsgewährungspflicht
VI. Grenzen der Verwertung
VII. Unterstützung ausländischer Prozesse
VIII. Fazit
C. Umsetzung in Deutschland
I. Skepsis gegenüber prozessualen Anordnungen zur Beweismittelvorlage
II. Die immaterialgüterrechtlichen Vorlage- und Besichtigungsansprüche
1. Grundzüge
2. Voraussetzungen des Vorlage- bzw. Besichtigungsanspruchs
a) Hinreichende Wahrscheinlichkeit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit
b) Bezeichnung des Besichtigungs- bzw. Vorlagegegenstands
c) Verfügungsgewalt über den Besichtigungsgegenstand
d) Bank-, Finanz- und Handelsunterlagen
3. Inhalt und Durchsetzung des Vorlage- bzw. Besichtigungsanspruchs
III. § 809 BGB
IV. Der Schutz vertraulicher Informationen
1. Inhaltliche Begrenzung des Vorlage- bzw. Besichtigungsanspruchs
2. In camera-Verfahren
3. Die „Düsseldorfer Praxis“
V. Grenzen der Verwertung und Unterstützung ausländischer Verfahren
VI. Schadensersatz
VII. Exkurs: Anordnungsbefugnis gemäß §§ 142, 144 ZPO
1. Vorlage von Augenscheinsobjekten, Urkunden und sonstigen Unterlagen
2. Konsequenzen der Nichtbefolgung
VIII. Fazit
D. Rechtsvergleichende Würdigung
I. Richtliniengetreue Umsetzung
II. Angemessene Berücksichtigung der beteiligten Interessen
1. Zugang zu Informationen aus der Sphäre der gegnerischen Partei
a) Allgemeine vs. konkrete Vorlagepflicht
b) Vorlage und Besichtigung
c) Materiellrechtliche vs. prozessuale Ausgestaltung der Vorlagepflicht
2. Zugang zu Informationen aus der Sphäre dritter Personen
3. Ausgestaltung des Geheimnisschutzes
III. Stand der Harmonisierung und Reformimpulse
§ 6 Beweissicherungsmaßnahmen
A. Die Vorgaben der Richtlinie
I. Grundzüge der Regelung des Art. 7 DRL
II. Interpretationsbedarf und Umsetzungsspielräume
1. Passivlegitimation
2. Erfasste Beweismittel
3. Beweisermittlung, Beweismittelvorlage, Beweissicherung
4. Schutzmaßnahmen zugunsten des Antragsgegners
B. Umsetzung in England
I. Search Order (Anton Piller Order)
1. Entwicklung der Search Order
2. Erfolgsaussichten in der Hauptsache und Dringlichkeit
3. Formale Vorgaben und zulässige Beweismittel
4. Verfügungsinhalt
5. Im Ausland belegene Räumlichkeiten
6. Schutzvorkehrungen zugunsten des Antragsgegners
7. Aufhebung der search order
8. Unterstützung ausländischer Verfahren
9. Kritik an der search order
II. Sicherstellung von Beweismitteln ohne Durchsuchung
III. Pre-action Disclosure
IV. Sicherstellung von Zeugenaussagen
V. Fazit
C. Umsetzung in Deutschland
I. Das selbständige Beweisverfahren
II. Beweismittelsicherung im Wege der einstweiligen Verfügung
1. Verfügungsanspruch
2. Verfügungsgrund
3. Vorwegnahme der Hauptsache
4. Inhalt und Durchsetzung der Verfügung
III. Verfahrenskombination in der „Düsseldorfer Praxis“
1. Grundzüge des Düsseldorfer einstweiligen Besichtigungsverfahrens
2. Kritik des Düsseldorfer einstweiligen Besichtigungsverfahrens
IV. Ex parte-Anordnungen
1. Beweissicherung ohne Anhörung des Antragsgegners
2. Schutz des nicht gehörten Antragsgegners
V. Schutzmaßnahmen zugunsten des Antragsgegners
1. Mittelbarer Zwang zur Klageerhebung
2. Schadensersatz und Sicherheitsleistung
VI. Grenzen der Verwertung und Unterstützung ausländischer Verfahren
VII. Fazit
D. Rechtsvergleichende Würdigung
I. Richtliniengetreue Umsetzung
II. Angemessene Berücksichtigung der beidseitigen prozessualen Interessen
1. Beweisermittlung, Beweismittelvorlage, Beweissicherung
2. Ex parte-Anordnungen
3. Schutzvorkehrungen zugunsten des Antragstellers
4. Durchführung der Durchsuchung
5. Beweissicherung zugunsten ausländischer Hauptsacheverfahren
III. Stand der Harmonisierung und Reformimpulse
§ 7 Auskunft über Ursprung, Vertriebswege und Vertriebsdetails
A. Die Vorgaben der Richtlinie
I. Grundzüge der Regelung des Art. 8 DRL
II. Interpretationsbedarf und Umsetzungsspielräume
1. In Zusammenhang mit einem Verfahren
2. Ziel und Inhalt der Auskunftspflicht
3. Auskunftspflicht Dritter nur bei Handlung in gewerblichem Ausmaß
4. Die Koordination mit den Datenschutznormen des Unionsrechts
B. Auskunftsanordnungen im englischen Recht
I. Offenbarungspflichten im Rahmen eines anhängigen oder anvisierten Verfahrens
II. Auskunftspflichten im Rahmen der search order
III. Norwich Pharmacal Order
1. Entwicklung der Norwich Pharmacal Order
2. Voraussetzungen und Inhalt der Verfügung
3. Die Koordination mit datenschutzrechtlichen Belangen
4. Anderweitiger Vertraulichkeitsschutz
5. Kosten- und Schadensersatz
IV. Durchsetzung mittels contempt of court
V. Fazit
C. Die Auskunftsansprüche des deutschen Rechts
I. Kumulation allgemeiner und spezifischer Auskunftsansprüche
II. Die immaterialgüterrechtlichen Auskunftsansprüche
1. Passivlegitimation
a) Täter und Teilnehmer einer Schutzrechtsverletzung
b) Auskunftspflichten von Mittelspersonen
c) Der Störer als Auskunftspflichtiger
2. Voraussetzungen und Inhalt der Auskunftspflicht
3. Die Koordination mit datenschutzrechtlichen Belangen
a) Der Konflikt zwischen Auskunftsanspruch und Datenschutzrecht
b) Der Erlaubnistatbestand des § 28 BDSG
c) Datenübermittlung unter Verwendung von Verkehrsdaten
aa) Rechtliche Voraussetzungen
bb) Tatsächliche Voraussetzungen
d) Datenübermittlung ohne Verwendung von Verkehrsdaten
aa) Spezialität der §§ 91 ff. TKG, §§ 11 ff. TMG
bb) Übermittlung von Bestandsdaten
cc) Inhaltsdaten
e) Zwischenergebnis
4. Anderweitiger Vertraulichkeitsschutz
5. Kosten
6. Durchsetzung im Wege des einstweiligen Verfügungsverfahrens
III. Unselbständiger Auskunfts- und Rechnungslegungsanspruch
IV. Vollstreckung der Auskunftsansprüche
V. Akteneinsicht im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren
VI. Fazit
D. Rechtsvergleichende Würdigung
I. Richtliniengetreue Umsetzung
II. Angemessene Berücksichtigung der beteiligten Interessen
1. Kategorisierung
2. Konnex mit einem Verletzungsverfahren
3. Inhalt der Auskunft
4. Schutz vertraulicher Informationen
5. Koordination mit dem Datenschutzrecht
6. Auskunft im einstweiligen Rechtsschutz
7. Verfahrenskosten der Mittelsperson
III. Stand der Harmonisierung und Reformimpulse
1. Stand der Harmonisierung
2. Reformimpulse
a) Zusammenhang mit einem Verfahren wegen Schutzrechtsverletzung
b) Inhalt der Auskunft
c) Koordination mit dem Datenschutzrecht
e) Drittauskunft im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes
f) Kosten
§ 8 Bewertung der Richtlinie zur Durchsetzung des geistigen Eigentums
A. Bewertungsparameter
B. Harmonisierungswirkung der Richtlinie
I. Stand vor Umsetzung der Durchsetzungsrichtlinie
1. Patentstreitverfahren
2. Verfahren zur Durchsetzung anderer gewerblicher Schutzrechte
II. Das Maßnahmenpaket der Durchsetzungsrichtlinie
III. Bewirkte Harmonisierung im deutschen und englischen Recht
IV. Zwischenfazit Harmonisierungserfolg
C. Stärkung gewerblicher Schutzrechte
I. Prozessuale Besonderheiten der Durchsetzung gewerblicher Schutzrechte
II. Die Instrumente der Durchsetzungsrichtlinie
1. Schnelle Streitregelung
2. Zugang zur Informationen aus der Sphäre anderer Personen
3. Der Schutz vertraulicher Informationen
4. Fachkunde des Gerichts
5. Internationaler Bezug
6. Einstweilige Vermögensauskunft und Sicherung des Vermögensbestands
D. Position des angeblichen Schutzrechtsverletzers
E. Systemstörende Eingriffe in das nationale Verfahrensrecht
F. Ergebnis
G. Lehren für eine künftige Angleichung des Prozessrechts
I. Die fehlende Rechtsetzungsbefugnis der Union
II. Die Option der Vollharmonisierung
III. Die Materialisierung des Prozessrechts
IV. Verfahrensrechtliche Mindeststandards
V. Die Vorbildwirkung der Durchsetzungsrichtlinie
VI. Die Harmonisierungskraft der Rechtsprechung
VII. Ergebnis
§ 9 Exkurs: Qualifikation der Instrumente der Durchsetzungsrichtlinie
A. Erforderlichkeit einer unionsautonomen Qualifikation
B. Verweisungsumfang des Art. 8 Rom II-VO
C. Bedeutung des durch die DRL gesetzten Mindeststandards
3. Teil. Das Europäische Internationale Zivilverfahrensrecht
§ 10 Internationale Zuständigkeit für das Hauptsacheverfahren
A. Das Territorialitätsprinzip im Anwendungsbereich der EuGVO
I. Das Territorialitätsprinzip im internationalen Zuständigkeitsrecht
II. Auslegungskontinuität vom EuGVÜ bis zur EuGVO (2012)
III. Anwendungsbereich und zuständigkeitsrechtliche Grundentscheidungen
B. Gerichtsstände für die Verletzungsklage
I. Der ausschließliche Gerichtsstand für Bestandsklagen
II. Der allgemeine Gerichtsstand des Beklagten
III. Der Gerichtsstand der Niederlassung
IV. Der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung
1. Anwendungsbereich
2. Der Ort des schädigenden Ereignisses
a) Zwischen Ubiquitätsprinzip und restriktiver Auslegung
b) Zur Geltung des Ubiquitätsprinzips im gewerblichen Rechtsschutz
c) Der Ort des ursächlichen Geschehens
aa) Erforderlichkeit der Schwerpunktbildung
bb) Schutzrechtsverletzung durch Kommunikation und Publikation
cc) Herstellung oder Vertrieb schutzrechtsverletzender Ware
dd) Zusammenwirken mehrerer Beteiligter
d) Der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolges
aa) Bedeutung des Territorialitätsprinzips
bb) Zusammenwirken mehrerer Beteiligter
cc) Einschränkungen bei Streudelikten
aaa) Erforderlichkeit einer einschränkenden Auslegung
bbb) Einschränkung der Kognitionsbefugnis
ccc) Schwerpunktbildung bei Rechtsverletzungen im Internet
ddd) Ausrichtung der Kommunikation bzw. commercial effect
eee) Stellungnahme
dd) Konsolidierung der örtlichen Zuständigkeit
3. Prüfung der unerlaubten Handlung auf der Ebene der Zuständigkeit
4. Zwischenergebnis
V. Der Gerichtsstand des Erfüllungsorts und die Forumswahl
1. Der Gerichtsstand des Erfüllungsorts
2. Verhältnis zum Gerichtsstand der unerlaubten Handlung
3. Gerichtsstandsvereinbarungen
4. Zwischenergebnis
VI. Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft
1. Vorzüge und Risiken des Gerichtsstands der Streitgenossenschaft
2. Konkretisierung des Art. 8 Nr. 1 EuGVO durch den EuGH
a) Einheitliche Sachlage
b) Einheitliche Rechtslage
c) Vorhersehbarkeit
d) Unzulässigkeit der Klage gegen den Ankerbeklagten
e) Missbrauchskontrolle
3. Stellungnahme
a) Grundwertungen
b) Legitimes Interesse des Klägers an einer Verfahrensverbindung
aa) Unzulässige Klage gegen den Ankerbeklagten
bb) Offensichtlich unbegründete Klage gegen den Ankerbeklagten
cc) Verfahrensökonomie durch Deckungsgleichheit
c) Grenzziehung durch die zuständigkeitsrechtlichen Interessen des Beklagten
aa) Subjektive Verbindung der Streitgenossen bzw. „gleiche Sachlage“
bb) Einheitliche Rechtslage
d) Intensität der Konnexitätsprüfung
e) Missbrauchsvorbehalt
f) Schwerpunktbildung: die „Spinne im Netz“
4. Zwischenergebnis
C. Nichtigkeitswiderklage und Einwand der Ungültigkeit
I. Dichotomie der internationalen Zuständigkeit im gewerblichen Rechtsschutz
II. Die Nichtigkeitswiderklage
III. Der Einwand der Ungültigkeit des Schutzrechts
1. Optionen zur Behandlung des Nichtigkeitseinwands
a) Inzidente Entscheidungsbefugnis des Verletzungsgerichts
b) Wegfall der Zuständigkeit des Verletzungsgerichts
c) Aussetzung des Verletzungsverfahrens
2. Das Urteil GAT/LuK und die Reaktion des Verordnungsgebers
3. Die praktische Bewältigung der Entscheidung GAT/LuK
a) Handlungsalternativen des angerufenen Gerichts
b) Erklärung der Unzuständigkeit
c) Perpetuatio Fori
aa) Koordination der nationalen Schutzrechtssysteme mit der EuGVO
bb) Entscheidung ohne Berücksichtigung des Nichtigkeitseinwands
aaa) Irrelevanz der Bestandsfrage
bbb) Bindungswirkung der Schutzrechtserteilung
ccc) Vertragliche Nichtangriffspflicht
ddd) Nationale Präklusionsregeln
eee) Betreibung des Bestandsverfahrens
fff) Substantiierung bzw. Wahrscheinlichkeit des Nichtigkeitseinwands
cc) Aussetzung des Verfahrens nach autonomem Verfahrensrecht
d) Einstweiliger Rechtsschutz
IV. Zwischenergebnis
D. Zuständigkeit für Begehren auf Auskunft und Beweismittelzugang
I. Verfahren gegen den behaupteten Verletzer
II. Isolierte Auskunfts- und Beweismittelzugangsklagen
E. Würdigung
I. Angemessene Berücksichtigung der prozessualen Interessen
II. Reform
1. Erkenntnisse aus der Reform der EuGVO
2. Vorschläge de lege ferenda
a) Der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung
b) Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft
c) Der Einwand der Ungültigkeit des Schutzrechts
§ 11 Internationale Zuständigkeit für Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes
A. Bedeutung der internationalen Zuständigkeit im einstweiligen Rechtsschutz
B. Die rudimentäre Regelung des einstweiligen Rechtsschutzes in der EuGVO
C. Einstweiliger Rechtsschutz auf Basis einer Zuständigkeitsnorm der EuGVO
I. Verfahrenshandlungen mit zuständigkeitsrechtlichem Effekt
II. Zuständigkeit eines potentiellen Hauptsachegerichts
III. Inhalt der Maßnahmen
D. Einstweilige Maßnahmen i. S. d. Art. 31 EuGVO (2001)
I. Definition der einstweiligen Maßnahme
II. Einschränkung des Art. 31 EuGVO (2001) bei vorläufigen Zahlungsanordnungen
1. Die Rechtssachen van Uden und Mietz
2. Reale Verknüpfung
3. Sicherstellung des vorläufigen Charakters der Maßnahme
4. Feststellung der internationalen Zuständigkeit in der Entscheidungsbegründung
5. Stellungnahme
III. Übertragung auf andere Verfügungstypen
1. Übertragbarkeit auf andere Verfügungstypen
2. Dinglicher Arrest und andere dingliche Vermögenssicherungsmaßnahmen
3. Unterlassungsverfügungen
4. Freezing injunction und persönlich wirkender Arrest
5. Beschlagnahme schutzrechtsverletzender Gegenstände
6. Beweissicherungs- und Beweiszugangsinstrumente
a) Zuständigkeit der Hauptsachegerichte nicht durchweg ausreichend
b) Anwendbarkeit des Art. 31 EuGVO (2001)
c) Die Entscheidung St. Paul Dairy und ihre Konsequenzen
d) Stellungnahme
7. Auskunftspflichten
8. Fazit
E. Rechtslage unter Geltung der EuGVO (2012)
I. Anordnungen zur Informationsgewinnung und Beweissicherung
II. Ausschluss der Anerkennung und Vollstreckung
III. Auswirkung auf die Bestimmung der Zuständigkeit
F. Zuständigkeit nach autonomem Recht
G. Die Europäische Kontenpfändungsverordnung
I. Anwendungsbereich und praktische Bedeutung
II. Zuständigkeit
H. Würdigung
I. Angemessene Berücksichtigung der prozessualen Interessen
1. Einstweiliger Rechtsschutz vor den Gerichten der Hauptsache
2. Rechtsfortbildende Rechtsprechung zu Art. 31 EuGVO (2001)
3. Instrumente zu Informationsgewinnung, Beweismittelzugang und -sicherung
4. Fehlende Rechtssicherheit
5. Babylonische Maßnahmenverwirrung
6. Zeitliche Verzögerung durch das Vorabentscheidungsersuchen
II. Reform
§ 12 Verfahrenskoordination im europäischen Rechtsraum
A. Potentielle Verfahrensmultiplikation im gewerblichen Rechtsschutz
B. Koordination zeitlich paralleler Verfahren
I. Motive für Parallelverfahren und Ziele der Verfahrenskoordination
II. Die Litispendenzregel in Art. 29 EuGVO
1. Die Sperrwirkung des Art. 29 EuGVO
2. Die Aufhebung der Sperrwirkung bei Gerichtsstandsvereinbarungen
3. Voraussetzungen der Litispendenzsperre
a) Parteiidentität
b) Identität von Gegenstand und Grundlage der Rechtssachen
c) Begriff der Klage
d) Beurteilungszeitpunkt der Priorität
4. Torpedos und Strategien zu ihrer Vermeidung
a) Die Torpedoproblematik
b) Prämissen der Torpedoabwehr
c) Torpedoabwehr durch Auslegung oder Neuregelung der Litispendenz
aa) Begrenzung der Forumswahl des „natürlichen Beklagten“
bb) Außerachtlassen der Litispendenzsperre bei überlanger Verfahrensdauer
cc) Lösung der Rechtshängigkeitssperre aufgrund Rechtsmissbrauchs
dd) Vorrangige Prüfungsbefugnis des ausschließlich zuständigen Gerichts
ee) Nachrang der negativen Feststellungsklage
ff) Beschleunigung der Entscheidung über die internationale Zuständigkeit
aaa) Lösung auf Ebene des nationalen, unvereinheitlichten Verfahrensrechts
bbb) Aufhebung der Litispendenzsperre nach Zeitüberschreitung
ccc) Art. 29 Abs. 2 Kommissionsvorschlag zur Reform der EuGVO
d) Rechtspraktische Strategien zur Torpedoabwehr
aa) Anti-suit injunctions
bb) Einstweiliger Rechtsschutz
cc) Aufhebung der Parteiidentität
dd) Wettrennen zu Gericht
III. Aussetzung des Verfahrens gemäß Art. 30 EuGVO
1. Grundzüge
2. Erfasste Verfahrensarten
3. Natur des Klagezusammenhangs
4. Ermessensentscheidung des Zweitgerichts
5. Bedeutung für Verfahren betreffend gewerblicher Schutzrechte
IV. Verfahrenskoordination nach nationalem Verfahrensrecht
V. Parallele Verfahren in einem Drittstaat
C. Res Iudicata
I. Keine explizite Regelung innerhalb der EuGVO
II. Das Institut der materiellen Rechtskraft in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten
III. Koordination nationaler und unionsautonomer Rechtskraftkonzepte
1. Die Rechtskraft als von Amts wegen zu berücksichtigende negative Prozessvoraussetzung
2. Berücksichtigung präjudizieller Feststellungen zur Zuständigkeit
3. Umfang und Grenzen der Präjudizialität im Übrigen
4. Reichweite der negativen Wirkung der Rechtskraft
5. Abhängigkeit der materiellen Rechtskraft von der formellen Rechtskraft
6. Anerkennungsversagung wegen abweichender Entscheidung
7. Fazit
D. Die Koordination einstweiliger Maßnahmen
I. Keine Litispendenzsperre
II. Anerkennung der Rechtskraftwirkung
III. Versagung der Anerkennung unvereinbarer Entscheidungen
IV. Praktische Folgen
V. Entsprechende Anwendung der Verfahrenskoordinationsregeln
VI. Koordinationsbefugnis des Gerichts der Hauptsache
VII. Flexibilität des mitgliedstaatlichen einstweiligen Rechtsschutzes
E. Würdigung
I. Angemessene Berücksichtigung der prozessualen Interessen
1. Rechtshängigkeit und zusammenhängende Verfahren
2. Torpedoklagen
3. Koordination von Bestands- und Verletzungsverfahren
4. Res Iudicata
5. Abweichende Streitgegenstandsbegriffe bei Rechtshängigkeit und Rechtskraft
6. Die Koordination einstweiliger Maßnahmen
II. Reform
1. Erkenntnisse aus dem Reformprozess
2. Vorschläge de lege ferenda
§ 13 Sonderregeln in den Verordnungen über die Gemeinschaftsschutzrechte
A. Einheitliche Schutzrechte für das Territorium der Europäischen Union
B. Gemeinschaftsmarke und Gemeinschaftsgeschmacksmuster
I. Gemeinschaftsmarken- und Gemeinschaftsgeschmacksmustergerichte
II. Internationale Zuständigkeit für das Hauptsacheverfahren
1. Erweiterter Anwendungsbereich gegenüber der EuGVO
2. Zuständigkeit der Zentralgerichte
3. Zuständigkeit der Gerichte am Verletzungsort
a) Anklänge an Art. 7 Nr. 2 EuGVO
b) Ausschluss negativer Feststellungsklagen
c) Vertragliche Ansprüche
d) Ort der Verletzungshandlung
4. Gerichtsstandsvereinbarung und rügelose Einlassung
5. Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft
a) Subsidiäre Anwendung der Zuständigkeitsordnung der EuGVO
b) Räumlich-persönliche Anwendungsvoraussetzungen
c) Konnexität der Klagen
6. Behauptung des Nichtbestands des Gemeinschaftsschutzrechts
a) Grundsätzlicher Ausschluss der Nichtigkeitseinrede
b) (Wider-)Klage auf Erklärung des Verfalls oder der Nichtigkeit
7. Der Gerichtsstand der Widerklage
8. Fehlende Verweisungskompetenz
III. Zuständigkeit im einstweiligen Rechtsschutz
IV. Koordination zeitlich paralleler Verfahren
1. Parallele Verfahren wegen Verletzung eines Gemeinschaftsschutzrechts
2. Koordination zeitgleicher Bestandsangriffe
3. Aussetzung des Verletzungsverfahrens zwecks Klärung der Bestandsfrage
a) Vorrangige Klärung der Bestandsfrage
b) Prioritätsprinzip
V. Res Iudicata
1. Löschung des Gemeinschaftsschutzrechts
2. Anerkennung der Rechtskraftwirkung gemäß der EuGVO
3. Bindung an die Abweisung eines Bestandsangriffs
4. Ausschluss der Restitution
VI. Identische oder ähnliche nationale Schutzrechte
1. Grundsatz der Koexistenz
2. Identität der Schutzrechte, Identität der Waren- bzw. Dienstleistungsklasse
a) Erweiterung der Rechtshängigkeits- und Rechtskraftregeln
b) Eigenständiger Streitgegenstandsbegriff
c) Territoriale Reichweite der (angestrebten) Entscheidung
d) Abschneiden von Sanktionen
3. Ähnlichkeit der Schutzrechte oder der Waren- bzw. Dienstleistungsklasse
C. Das gemeinschaftliche Sortenschutzrecht
I. Subsidiäre Anwendung des Luganer Übereinkommens
II. Zuständigkeit
III. Verfahrenskoordination
D. Würdigung
I. Angemessene Berücksichtigung der prozessualen Interessen
1. Rechtsschutz durch ein dezentrales Unionsgericht
2. Ausschließliche sachliche Zuständigkeit spezialisierter Gerichte
3. Ungleichbehandlung des negativen Feststellungsklägers
4. Internationale Zuständigkeit für einstweilige Maßnahmen
5. Koordination zeitlich paralleler Verfahren
6. Trennungs- bzw. Verbundprinzip
7. Rechtskraft
8. Die Gefahr widersprechender Entscheidungen
II. Reform
1. Kleinere Korrekturen
2. Zentrale Unionsgerichte
§ 14 Die internationale Zustellung
A. Einführung
B. Auslandszustellungen gemäß der EuZVO
I. Anwendungsbereich und Regelungsgegenstand der EuZVO
II. Vorgesehene Übermittlungswege
1. Der Rechtshilfeverkehr
2. Zustellung auf dem Postweg
3. Die unmittelbare Zustellung im Parteibetrieb
III. Zurückweisung des Schriftstücks wegen Sprachunkundigkeit
1. Die Regelung in Art. 8 EuZVO
2. Anforderungen an Sprachniveau und Übersetzungsqualität
a) Maßgebliches Sprachniveau
b) Zu übersetzende Inhalte
c) Qualitativ unzureichende Übersetzungen
3. Kritik der Sprachenregelung
a) Bevorzugung der Interessen des Absenders
b) Rechtsunsicherheit
c) Stärkung der Position des Zustellungsadressaten de lege lata
aa) Die Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache Leffler
bb) Missbräuchliches Verhalten des Zustellungsveranlassers
cc) Fristwahrung und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
dd) Frist für die Nachsendung der Übersetzung
IV. Die Bestimmung des Zustellungszeitpunkts
V. Anhängigkeit des Verfahrens
C. Effektive und fiktive Inlandszustellungen
I. Anwendungsbereich der Verordnung und Effektivitätsgrundsatz des Unionsrechts
II. Fiktive Inlandszustellung bei bekanntem Wohnsitz des Adressaten
III. Effektive Inlandszustellung bei bekanntem Auslandswohnsitz
IV. Fiktive Inlandszustellung bei unbekannter Adresse
D. Die Heilung von Zustellungsmängeln
I. Die prinzipielle Möglichkeit der Heilung von Verstößen gegen die EuZVO
II. Autonomer Europäischer Heilungsgrundsatz
III. Bestimmung des für die Heilung anwendbaren Rechts
1. Recht des Urteils-, Übermittlungs- oder Empfangsstaates?
2. Unmaßgeblichkeit von Zustellungsfehlern aufgrund anderer Ereignisse
3. Heilung von Zustellungsfehlern durch tatsächliche Kenntnisnahme
IV. Nichteinlassung des Beklagten
V. Fazit
E. Vereinheitlichung der Zustellungsmodalitäten in anderen Verordnungen
I. Die Verordnungen der zweiten Generation
II. Die Verordnung über den Europäischen Vollstreckungstitel
1. Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel durch das Erstgericht
2. Inhalt der Mindestvorschriften
3. Die Heilung von Zustellungsfehlern
4. Das Verhältnis zwischen EuZVO und EuVTVO
III. Das Europäische Mahnverfahren
IV. Das Europäische Verfahren für geringfügige Forderungen
V. Fazit
F. Würdigung
I. Angemessene Berücksichtigung der prozessualen Interessen
1. Zustellung an im Ausland ansässige Personen
a) Fakultativer Rechtshilfeverkehr
b) Notwendigkeit einer Auslandszustellung
c) Das Sprachrisiko
d) Zustellungszeitpunkt
e) Die Heilung von Zustellungsfehlern
f) Der Europäische Gerichtsatlas
2. Vereinheitlichung der Zustellungsformen
II. Reform
1. Änderungen der EuZVO
a) Abgrenzung von Inlands- und Auslandszustellung
b) Verbesserung der Übermittlungswege
c) Das Zurückweisungsrecht wegen Sprachunkundigkeit
d) Das Problem der Sprachenvielfalt
e) Heilung von Zustellungsfehlern
2. Änderungen in EuVTVO, EuMahnVO und EuGFVO
3. Perspektiven
§ 15 Zugang zu im Ausland belegenen Beweismitteln
A. Beweisaufnahme und Beweismittelzugang in grenzüberschreitenden Verfahren
B. Aktive und passive Rechtshilfe gemäß der EuBVO
I. Anwendungsbereich der EuBVO
1. Rechtshilfeersuchen zwischen mitgliedstaatlichen Gerichten
2. Definition des Begriffs „Beweisaufnahme“
3. Beschaffung und Sicherstellung eines Beweismittels
II. Adressat, Form und Inhalt des Rechtshilfeersuchens
III. Unmittelbare Beweisaufnahme des Prozessgerichts im Ausland
IV. Ersuchen um aktive Rechtshilfe durch ein ausländisches Gericht
1. Ersuchen
2. Erledigung des Beweisersuchens
a) Anwendbares Verfahrensrecht
b) Anwesenheitsrechte der Parteien und Parteibeteiligung
c) Beteiligung des ersuchenden Gerichts
d) Erledigungsfrist und Übersendung des Ergebnisses der Beweisaufnahme
3. Gründe, die zur Nichterledigung des Ersuchens berechtigen
a) Aussage- und sonstige Verweigerungsrechte
b) Formale Ablehnungsgründe
4. Dem Rechtshilfegericht unbekannte Verfahrensinstitute
a) Problemstellung
b) Erledigung des Ersuchens fällt nicht in den Bereich der Gerichtsgewalt
c) Unvereinbarkeit der Verfahrensform mit dem Recht des Rechtshilfestaates
aa) Anwendbarer Maßstab
bb) Beispiele für Vereinbarkeit ausländischer Formen mit dem deutschen Recht
cc) Beispiele für Vereinbarkeit ausländischer Formen mit dem englischen Recht
d) Entgegenstehende tatsächliche Schwierigkeiten
e) Modifizierte Ausführung des Rechtshilfeersuchens
5. Allgemeine Beweisbeschaffungspflichten
V. Maßnahmen im Vorfeld der Verfahrenseinleitung
VI. Rechtsschutz gegen rechtswidrige Ablehnungsentscheidungen
C. Beweisaufnahme und Beweismittelimport außerhalb der EuBVO
I. Keine Exklusivität der EuBVO
II. Einzelbeispiele
1. Anordnungen an die Parteien zur extraterritorialen Beweisbeschaffung
a) Materiellrechtliche Editionspflichten
b) Prozessuale Vorlagepflichten
2. Befunderhebungen im Ausland durch gerichtlich beauftragte Sachverständige
a) Aus der EuBVO ableitbares Souveränitätsverständnis der Mitgliedstaaten
b) Die Rechtssache ProRail
c) Erzwingung des Zugangs zu ausländischen Räumlichkeiten
d) Konsequenzen für die unmittelbare Beweisaufnahme des Gerichts
3. Zeugen- oder Parteivernahme im Wege der Videokonferenz
4. Aufforderung einer im Ausland ansässigen Aussagepersonen zur Aussage
5. An Dritte gerichtete Anordnungen zur Beweismittelvorlage
D. Würdigung
I. Angemessene Berücksichtigung der prozessualen Interessen
1. Effektivität der Rechtshilfe und Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme
2. Beweissicherung
3. Schutz der zur Aussage bzw. Beweismittelvorlage verpflichteten Person
4. Schutz vor der Offenbarung von Geschäftsgeheimnissen
5. Keine Regelung des Beweismittelimports
6. Erzwingung des Zugangs zu im Ausland belegenen Räumlichkeiten
7. Zweckbindung der erlangten Informationen
II. Reform
1. Stärkung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes
2. Regelung des Beweismittelimports
3. Durchsuchung und Besichtigung von Räumlichkeiten
§ 16 Urteilsfreizügigkeit
A. Die Urteilsfreizügigkeit als Motor der Harmonisierung
B. Bedürfnis der Vollstreckung im Ausland
C. Die Urteilsfreizügigkeit im System der EuGVO
I. Anerkennung der Entscheidungen von Gerichten anderer Mitgliedstaaten
1. Prinzip der ipso iure-Anerkennung
2. Definition des Gerichts
3. Die Möglichkeit kontradiktorischer Erörterung
a) Rechtsprechung des EuGH zum EuGVÜ
b) Übertragung der Denilauler-Prinzipien auf die Auslegung der EuGVO (2001)
c) Rechtslage unter Geltung der EuGVO (2012)
d) Urteilswirkungen gegenüber nicht gehörten Dritten
4. Einstweilige Maßnahmen eines in der Hauptsache nicht zuständigen Gerichts
a) Freizügigkeit einstweiliger Entscheidungen des Eilgerichts in der EuGVO (2001)
b) Aberkennung der Freizügigkeit durch Art. 2 lit. a EuGVO (2012)
5. Entscheidungsinhalt
6. Wirkung der Anerkennung
II. Das Exequaturverfahren der EuGVO (2001)
III. Verzicht auf das Exequaturverfahren in der EuGVO (2012)
1. Unmittelbare Vollstreckbarkeit in anderen EU-Mitgliedstaaten
2. Recht des Schuldners auf Vorlage einer Übersetzung
3. Vollstreckung von Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes
4. Zulässigkeit eines mitgliedstaatlichen Klauselerfordernisses
IV. Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
1. Schwierigkeiten bei der Vollstreckung ausländischer Entscheidungen
2. Vollstreckbarkeit nach dem Recht des Ursprungsstaates
3. Konkretisierung des Titels
4. Anpassung der Entscheidung an das Recht des Vollstreckungsstaates
5. Maßgeblichkeit der lex loci executionis
V. Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Zwangsgelder
1. Zwangsgeld zugunsten des Gläubigers
2. Zwangsgeld zugunsten der Staatskasse
3. Kumulation der Zwangsgelder
4. Akzessorietät der Zwangsgeldanordnung
5. Unionsweite Wirkung ausländischer Zwangsmaßnahmen
VI. Versagung der Anerkennung und Vollstreckung
1. Enumeration der Anerkennungsversagungsgründe
2. Sicherung der ausschließlichen und halbzwingenden Gerichtsstände
3. Fehler bei der Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks
a) Praktische Bedeutung
b) Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks
c) Nichteinlassung des Beklagten
d) Vorrang der Überprüfung im Ursprungsstaat
4. Verstoß gegen den ordre public
a) Die Bedeutung des ordre public-Vorbehalts im Rahmen der EuGVO
b) Leitlinien des EuGH zur Versagung des rechtlichen Gehörs bei contempt of court
c) Verletzung des deutschen ordre publics
aa) Beurteilungsmaßstab
bb) Legitimes Ziel der Verfahrensförderung
cc) Ordre public-Verstoß bei reiner Beugemaßnahme
5. Titelkollision
VII. Fazit
D. Die Freizügigkeit Europäischer Vollstreckungstitel
I. Systemwechsel gegenüber der EuGVO (2001)
II. Entscheidungen über unbestrittene Geldforderungen in Zivilund Handelssachen
III. Anerkennung
IV. Verlagerung der Vollstreckbarerklärung auf die Gerichte des Ursprungsstaates
1. Verfahren
2. Inhaltliche Voraussetzungen für die Erteilung der Bestätigung
V. Vollstreckung im Zweitstaat
VI. Alternativität der Anerkennungs- und Vollstreckbarerklärungssysteme
VII. Fazit
1. Verlagerung und Verwässerung der Entscheidungskontrolle
2. Konsequenzen für die einheitliche Auslegung des Unionsrechts
E. Der Europäische Beschluss zur vorläufigen Kontenpfändung
I. Erleichterte Freizügigkeit gegenüber der EuGVO
II. Verfahren
III. Der Zugang zu Kontoinformationen
IV. Anerkennung und Vollstreckung
V. Rechtsbehelfe und Haftung des Gläubigers
VI. Fazit
F. Würdigung der Regelungen zur Urteilsfreizügigkeit
I. Angemessene Berücksichtigung der prozessualen Interessen
1. Urteilsfreizügigkeit
2. Überprüfung der Zuständigkeit
3. Sicherung des rechtlichen Gehörs
a) Überprüfung des im Erkenntnisverfahren gewährten rechtlichen Gehörs
b) Zustellung einer Übersetzung vor einer Auslandsvollstreckung
4. Materiellrechtlicher ordre public
5. Unvereinbarkeit von Entscheidungen
6. Die Option der Systemwahl
a) Die Wahl zwischen EuGVO und EuVTVO
b) Die Wahl zwischen EuGVO und EuKtPVO
7. Das Risiko der Doppelvollstreckung
II. Reform
1. Erkenntnisse aus der Reform der EuGVO
2. Vorschläge de lege ferenda
a) Nicht auf Geldleistung gerichtete Titel
b) Stärkung des rechtlichen Gehörs im Rahmen der EuVTVO
c) Das Risiko der Doppelvollstreckung
§ 17 Bewertung des Europäischen Internationalen Zivilverfahrensrechts
A. Effektivität des Rechtsverkehrs innerhalb der Europäischen Union
B. Das Verhältnis zwischen Effektivität und Parteienschutz
C. Die Einführung von Mindeststandards
D. Systemstörende Eingriffe in das nationale Verfahrensrecht
E. Unklare völkerrechtliche Schranken
F. Lost in Translation
G. Kohärenz der Rechtsakte
H. Regelungsscheu des Verordnungsgebers
I. Das Vorabentscheidungsersuchen im Zivilprozess
I. Herausforderungen der Entscheidungsfindung
II. Der Entscheidungsstil des EuGH
III. Natur des Vorabentscheidungsersuchens
1. Zwischenstreit im Ausgangsverfahren
2. Objektives Normauslegungsverfahren
3. Mittelbares Kassationsverfahren
IV. Förderung des Gerichtsdialogs durch ein System doppelter Kontrolle
J. Ergebnis
K. Perspektiven
I. Die Justizagenda 2020
II. Perspektiverweiterung
III. Die Kodifikation des Europäischen Zivilverfahrensrechts
IV. Die Organisation der zentralen Unionsgerichtsbarkeit
4. Teil. Ein einheitlicher Streitregelungsmechanismus für Europäische Patente
§ 18 Der Unified Patent Court
A. Das Ziel eines einheitlichen Streitregelungsmechanismus
B. Der lange Weg zum Einheitspatent und zum UPCA
I. Das Übereinkommen über die Erteilung europäischer Patente
II. Das gescheiterte Übereinkommen über das europäische Patent für den Gemeinsamen Markt
III. Halt auf halber Strecke: das European Patent Litigation Agreement
IV. Der Vorschlag für eine Verordnung über das Gemeinschaftspatent aus dem Jahr 2000
V. Neuaufnahme des Projekts Einheitspatent und Vorschlag eines EUUPC-Übereinkommens
VI. Das Verfahren der Verstärkten Zusammenarbeit und das UPCA
C. Überblick über das Patentpaket
I. Die Verordnung über das Einheitspatent
II. Die Verordnung über die anzuwendenden Übersetzungsregelungen
III. Das Übereinkommen über ein einheitliches Patentgericht
1. Gerichtsorganisation und grundlegendes Zuständigkeitskonzept
2. Weitere Regelungsgegenstände
IV. Inkrafttreten des Patentpakets und ungeregelte Aspekte
V. Vereinbarkeit des Patentpakets mit dem Primärrecht
D. Die Zuständigkeit des Unified Patent Court
I. Aufnahme der Arbeit durch den UPC
II. Internationale Zuständigkeit
III. Sachliche Zuständigkeit
IV. Zeitlicher Anwendungsbereich
V. Interne Zuständigkeit in erster Instanz
1. Die Kammern der ersten Instanz
2. Prorogationsfreiheit
3. Verletzungsverfahren, einstweilige Maßnahmen und Verfügungen
a) Wahlrecht des Klägers
b) Wahlrecht des Beklagten
4. Bestandsverfahren und negative Feststellungsklage
5. Nichtigkeitswiderklage
a) Ermessensfreiheit zwischen Einheits- und Trennungsprinzip
b) Drittwiderklage im Verletzungsverfahren
c) Der Einwand der Nichtigkeit
6. Klageerhebung vor einer unzuständigen Kammer
7. Koordination zeitlich paralleler Verfahren
a) Grundsätzliche Verfahrensbündelung bei einer Kammer
b) Geduldete Verfahrensparallelität
8. Kritik
E. Das Verfahrensrecht des Unified Patent Court
I. Leitziele und allgemeine Verfahrensgrundsätze
II. Die Parteien und ihre Vertreter
1. Partei- und Prozessfähigkeit, Prozessführungsbefugnis und Postulationsfähigkeit
2. Streitgenossenschaft, Parteierweiterung und -wechsel, Intervention
3. Kritik
III. Überblick über das Verfahren vor der ersten Instanz
1. Konzentrationsmaxime
2. Das schriftliche Verfahren
3. Das Zwischenverfahren
4. Das mündliche Verfahren
5. Das Höheverfahren
6. Das Kostenverfahren
7. Beweislast und Beweisaufnahme
8. Kritik
IV. Beendigung des Verfahrens erster Instanz
V. Berufung und Wiederaufnahme
VI. Bewahrung des Status Quo im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes
1. Verfügbare Maßnahmen
2. Ablauf des Verfahrens
3. Entscheidung des Gerichts
a) Bedeutung der materiellen Rechtslage und Abwägung der Parteiinteressen
b) Maßnahmen gegenüber Mittelspersonen
4. Schutz des Antragsgegners und dritter Personen
5. Beschleunigung der Bestandswiderklage vor der Zentralkammer
6. Kritik
VII. Zugang zur Informationen aus der Sphäre der gegnerischen Partei
1. Beweismittelvorlage im Prozess
2. Bucheinsichtsrecht
3. Auskunft
a) Unklare Qualifikation der Verpflichtung zur Auskunft
b) Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Art. 67 UPCA
c) Voraussetzungen und Rechtsfolgen der r. 191 VerfO17
d) Anordnungen gegenüber dritten Personen
4. Beweismittelsicherung und Inspektion von Räumlichkeiten
5. Kritik
VIII. Zustellung
1. Vorrang der elektronischen Übermittlung
2. Kritik
IX. Die Sprachproblematik
X. Vollstreckung
XI. Sonstiges
F. Würdigung
I. Errichtung eines einheitlichen Gerichts außerhalb der Strukturen der Europäischen Union
II. Effizientes Handelsverfahren
III. Schnittstellen zwischen staatlicher und überstaatlicher Justizgewähr
IV. Spaltung der Verfahrensregeln
V. Lücken
VI. Breiter Ermessensspielraum der Kammern
VII. Die fehlende Parteigerechtigkeit
VIII. Fazit
5. Teil. Thesen
§ 19 Thesen
Anhang
Das englische Zivilverfahrensrecht
A. Rechtsquellen
B. Leitbild der Civil Procedure Rules
C. Zuständigkeit der Gerichte
D. Vorprozessuales Verhalten
E. Ablauf des Hauptsacheverfahrens in erster Instanz
I. Einleitung des Verfahrens
II. Das Vorverfahren
1. Verfahrenssteuerung durch das Gericht
2. Informationsaustausch zwischen den Parteien
3. Zusammenstellung der Prozessakte
III. Die Hauptverhandlung
1. Grundsätze und Ablauf der Hauptverhandlung
2. Die Vernehmung von Zeugen
3. Die Anhörung von Sachverständigen
4. Beweisbedürftigkeit ausländischen Rechts
5. Verpflichtungserklärungen der Parteien
IV. Das Höheverfahren
F. Das stromlinienförmige Verfahren
G. Der small claims track im Intellectual Property Enterprise Court
H. Besondere Verfahrensarten
I. Einstweiliger Rechtsschutz
II. Mahnverfahren
III. Säumnis einer Partei
IV. Summary Judgment
V. Striking out a case
I. Rechtsmittel
J. Verfahrensdauer und Kosten
K. Urteilsvollstreckung
Abkürzungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
Datenbanken
Sachregister
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Europäisches Zivilverfahrensrecht und Gewerblicher Rechtsschutz: Habilitationsschrift
 9783161539336, 9783161539343, 3161539338

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JUS PRIVATUM Beiträge zum Privatrecht Band 199

Ruth M. Janal

Europäisches Zivilverfahrensrecht und Gewerblicher Rechtsschutz

Mohr Siebeck

Ruth M. Janal, geboren 1974; Studium der Rechtswissenschaften an der AlbertLudwigs-Universität Freiburg; Master of Laws in Media, Communication and Information Technology Law an der University of New South Wales (Australien); Rechtsreferendariat am Kammergericht; 2003 Promotion; 2014 Habilitation; seit 2014 Professorin am Fachbereich Rechtswissenschaft der Freien Universität Berlin für Bürgerliches Recht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung, Gewerblichen Rechtsschutz und Informationsrecht.

ISBN 978-3-16-153933-6 / eISBN 978-3-16-153934-3 ISSN 0940-9610 (Jus Privatum) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http:// dnb.dnb.de abrufbar. © 2015 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von epline in Kirchheim/Teck gesetzt, von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Spinner in Ottersweiher gebunden.

Vorwort »When it comes to matters with a European element, the Treaty of Rome is like an incoming tide. It flows into the rivers and estuaries. It cannot be held back.«

Als Lord Denning mit diesen berühmten Worten im Jahr 1974 die Römischen Verträge mit der auflaufenden Flut verglich, war das Zivilverfahrensrecht der Mitgliedstaaten von unionsrechtlichen Einflüssen noch nahezu unbehelligt. Die Ratssitzung in Tampere im Jahr 1999 sollte diesen Zustand der Unberührtheit schlagartig beenden. Einer Springflut gleich entwickelte sich das (internationale) Zivilverfahrensrecht innerhalb weniger Jahre zu einem der dynamischsten Gebiete des Unionsrechts. Gut 15 Jahre nach »Tampere« ist der Prozess der Harmonisierung zwar noch nicht abgeschlossen, aber mit der EU-Justizagenda 2020 in eine Phase der Konsolidierung eingetreten. Gleichzeitig befinden wir uns in einer Zeit des Aufbruchs: Mit der Errichtung des Einheitlichen Patentgerichts und dem Erlass der zugehörigen Verfahrensordnung wird erstmals ein genuin eigenständiges europäisches Zivilgericht und Zivilverfahrensrecht geschaffen. Das vorliegende Buch versteht sich als Diskussionsbeitrag sowohl zur Konsolidierung als auch zum Aufbruch. Die Arbeit wurde vom Fachbereich Rechtswissenschaft der Freien Universität Berlin im Wintersemester 2014 als Habilitationsschrift angenommen. Rechtsprechung und Schrifttum befinden sich auf dem Stand vom März 2015. Die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs vom 5. Mai 2015, mit ­denen die Klagen Spaniens gegen das „Patentpaket“ abgewiesen wurden, fanden im Zuge der Fahnenkorrektur noch knappe Berücksichtigung. Herrn Prof. Dr. Helmut Grothe danke ich von Herzen für die Betreuung der Arbeit sowie für seine weit über die Betreuung hinausreichende Unterstützung. Danken möchte ich ihm zudem für die wissenschaftlich anregende, ebenso ­vertrauens- wie humorvolle Zusammenarbeit an dem von ihm geleiteten Institut. Herrn Prof. Dr. Martin Schwab gilt mein vielfacher Dank für die intensive Auseinandersetzung mit der Schrift in seinem zügig erstellten Zweitgutachten. Beiden Voten konnte ich wichtige Anregungen entnehmen. Ein Forschungsaufenthalt an der University of Bristol Law School im Herbst 2010 hat zum Gelingen der Arbeit wesentlich beigetragen. Für die herzliche Aufnahme an der dortigen Fakultät danke ich insbesondere Herrn Prof. Steven Greer. Mein Dank gilt ferner den gegenwärtigen und früheren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern am Institut für Internationales Privatrecht,

VI

Vorwort

Internationales Zivilverfahrensrecht und Rechtsvergleichung der Freien Universität Berlin, insbesondere Frau Dr. Eva Schäper, Frau Constanze Hartmann und Frau Dr. Maximiliane Kimmerle. Meine Mutter Magdalena Janal hat Teile des Manuskripts korrekturgelesen. Bei der für die Drucklegung erforderlichen Aktualisierung hat meine wissenschaftliche Mitarbeiterin Frau Corinna Marschner wertvolle Dienste geleistet. Die Drucklegung der Schrift wurde unterstützt durch großzügige Druckkostenzuschüsse der Deutschen Vereinigung für Gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht e. V. (GRUR) und meines Vaters Heinz Janal, für die ich mich vielmals bedanke. Was wäre das Leben ohne die Liebe? Mein größter Dank gilt deshalb meiner Familie: Philipp Öhlinger für Nähe und Halt in jeder Lebenslage, meinen Eltern Magdalena und Heinz Janal für ihre lebenslange Unterstützung sowie meinen Kindern Luan und Bela, die mich jeden Tag zum Lachen bringen. Ihnen allen ist die Arbeit gewidmet. Berlin, im Oktober 2015

Ruth Janal

Inhaltsübersicht 1. Teil Grundlagen § 1 Der Gewerbliche Rechtsschutz und das Europäische Zivilverfahrensrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 § 2 Primärrechtliche Rahmenbedingungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

2. Teil Harmonisierung des Zivilverfahrensrechts ohne grenzüberschreitenden Bezug § 3 Die Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 § 4 Einstweilige Maßnahmen zur Sicherung des Status Quo  . . . . . 63 § 5 Anordnung der Beweismittelvorlage  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 § 6 Beweissicherungsmaßnahmen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 § 7 Auskunft über Ursprung, Vertriebswege und Vertriebsdetails  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 § 8 Bewertung der Richtlinie zur Durchsetzung des geistigen Eigentums  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 § 9 Exkurs: Qualifikation der Instrumente der Durchsetzungsrichtlinie  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309

3. Teil Das Europäische Internationale Zivilverfahrensrecht § 10 Internationale Zuständigkeit für das Hauptsacheverfahren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317

VIII

Inhaltsübersicht

§ 11 Internationale Zuständigkeit für Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 § 12 Verfahrenskoordination im europäischen Rechtsraum  . . . . . . . 435 § 13 Sonderregeln in den Verordnungen über die Gemeinschaftsschutzrechte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490 § 14 Die internationale Zustellung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 527 § 15 Zugang zu im Ausland belegenen Beweismitteln  . . . . . . . . . . . . . 582 § 16 Urteilsfreizügigkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 631 § 17 Bewertung des europäischen Internationalen Zivilverfahrensrechts  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 723

4. Teil Ein einheitlicher Streitregelungsmechanismus für Europäische Patente § 18 Der Unified Patent Court  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 747

5. Teil Thesen § 19 Thesen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 827 Anhang Das englische Zivilverfahrensrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 837 Abkürzungsverzeichnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 857 Literaturverzeichnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 863 Datenbanken  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 909

Inhaltsverzeichnis 1. Teil Grundlagen § 1 Der Gewerbliche Rechtsschutz und das Europäische Zivilverfahrensrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 A. Zielsetzung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 B. Ubiquität und Territorialität gewerblicher Schutzrechte  . . . . . . . . . . . 5 I.

Gewerbliche Schutzrechte im Spannungsfeld zwischen Territorialität und Globalität  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

II. Die Harmonisierung des Gewerblichen Rechtsschutzes innerhalb der EU  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6

C. Die Harmonisierung des Zivilverfahrensrechts  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 I.

Das Internationale Zivilverfahrensrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

II. Das Zivilverfahrensrecht ohne grenzüberschreitenden Bezug  . . . . . 12 III. Informationsaustausch und Vernetzung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 IV. Wissenschaftliche Initiativen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14

D. Begrenzung des Untersuchungsgegenstands  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 I.

Berücksichtigte Regelungstexte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

II. Besonders berücksichtigte nationale Verfahrensordnungen  . . . . . . . 16 III. Begriff des Gewerblichen Rechtsschutzes  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

E. Untersuchungsverlauf  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

§ 2 Primärrechtliche Rahmenbedingungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 A. Rechtsetzungskompetenzen der Europäischen Union  . . . . . . . . . . . . . 19 I.

Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

II. Europäische Rechtstitel zum Schutz des geistigen Eigentums  . . . . . 22 III. Rechtsangleichung im Binnenmarkt  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

X

Inhaltsverzeichnis

IV. Gestaltung der gemeinsamen Handelspolitik  . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 V. Konkurrenzen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 VI. Fazit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26

B. Das zweispurige Rechtsschutzsystem der Union  . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 I.

Rechtsschutz durch die Gerichte der Mitgliedstaaten  . . . . . . . . . . . 27

II. Das Vorabentscheidungsersuchen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28

C. Menschenrechtliche Garantien  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 I.

Vielschichtigkeit des Grundrechtsschutzes innerhalb der Union  . . . 31

II. Die menschenrechtlichen Verfahrensgarantien  . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 III. Der menschenrechtliche Schutz des geistigen Eigentums  . . . . . . . . . 35

D. Auslegung des Europäischen Zivilverfahrensrechts  . . . . . . . . . . . . . . . 36 I.

Das Prinzip der autonomen Auslegung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36

II. Der Methodenkanon des Unionsrechts  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 III. Die Bedeutung von Präjudizien  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40

E. Die Implikationen loyaler Zusammenarbeit für das nationale Zivilverfahrensrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 I.

Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

II. Der Anwendungsvorrang des Unionsrechts  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 III. Das Gebot unionsrechtskonformer Auslegung  . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 IV. Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42

2. Teil Harmonisierung des Zivilverfahrensrechts ohne grenzüberschreitenden Bezug § 3 Die Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 A. Einführung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 I.

Rechtstatsächliche Ausgangslage  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49

II. Das TRIPS-Übereinkommen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 III. Die Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 1. Überblick  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 2. Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands  . . . . . . . . . . . . . . . 55

Inhaltsverzeichnis

XI

B. Rechtsetzungskompetenz der Union  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 C. Anwendungsbereich, Begriffsbestimmungen und allgemeine Vorgaben  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 I.

Anwendungsbereich der Richtlinie  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57

II. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 III. Aktivlegitimation und Prozessführungsbefugnis  . . . . . . . . . . . . . . . 59 IV. Passivlegitimation  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 V. Prozesskosten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59

D. Zuständigkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 I.

Zuweisung durch das Unionsrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60

II. Deutsches Zuständigkeitsrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 III. Englisches Zuständigkeitsrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61

§ 4 Einstweilige Maßnahmen zur Sicherung des Status Quo  . . . . . 63 A. Die Vorgaben der Richtlinie  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 I.

Grundzüge der Regelung des Art. 9 DRL  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63

II. Interpretationsbedarf und Umsetzungsspielräume  . . . . . . . . . . . . . 65 1. Weiter Umsetzungsspielraum der Mitgliedstaaten  . . . . . . . . . . . 65 2. Zwingender Charakter der Schutzmaßnahmen zugunsten des Antragsgegners  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 3. Maßnahmen gegenüber Mittelspersonen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 a) Weiter Spielraum der Mitgliedstaaten  . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 b) Sperrverfügungen gegenüber Access Providern  . . . . . . . . . . 69 c) Haftungsprivilegierung von Diensteanbietern der Informationsgesellschaft  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 4. Schutzrechtsverletzungen in gewerblichem Ausmaß  . . . . . . . . . . 73 5. Beginn der Frist zur Einleitung des Hauptsacheverfahrens  . . . . 75 III. Verlauf der Analyse  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76

B. Bewahrung des Status Quo im englischen Recht  . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 I.

Das Rechtsgebiet der injunctions  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76

II. Unterlassung, Stellung einer Sicherheit und Sicherstellung verdächtigen Materials  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 1. Verfügbare Maßnahmentypen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 2. Die Bedeutung der materiellen Rechtslage: American Cyanamid  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 3. Die Abwägung der Parteiinteressen: balance of convenience  . . 81 4. Anordnungen gegenüber Unbekannt  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83

XII

Inhaltsverzeichnis

5. Maßnahmen gegenüber Mittelspersonen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 6. Zusammenfassung zu Unterlassungsverfügungen  . . . . . . . . . . . 87 III. Die Freezing injunction  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 1. Das Institut der freezing injunction  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 2. Anordnungsvoraussetzungen der freezing injunction  . . . . . . . . 89 3. Verfügungsinhalt: Verbot der Verfügung über betroffenes Vermögen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 4. Anordnungen mit weltweiter Wirkung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 5. Anordnungen zwecks Sicherung der Vollstreckung eines künftigen Urteils ausländischer Gerichte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 IV. Offenlegung der Vermögensbestandteile  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 V.

Formale Vorgaben und zulässige Beweismittel  . . . . . . . . . . . . . . . . . 100

VI. Ex parte-Anordnungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 1. Gründe, die zur Verweigerung des rechtlichen Gehörs berechtigen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 2. Schutzvorkehrungen zugunsten der nicht gehörten Partei  . . . . . 102 VII. Schutzvorkehrungen zugunsten des Antragsgegners  . . . . . . . . . . . . 103 1. Das Instrument der Verpflichtungserklärung  . . . . . . . . . . . . . . . 103 2. Mittelbarer Zwang zur Einleitung des Hauptsacheverfahrens  . . 104 3. Kompensation und Absicherung des Antragsgegners  . . . . . . . . 104 4. Besondere Schutzvorkehrungen bei Erlass einer freezing injunction  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 VIII. Durchsetzung der Maßnahme  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 1. Contempt of Court  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 2. Striking out a case  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 IX. Fazit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111

C. Bewahrung des Status Quo im deutschen Recht  . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 I.

Unterlassungsanordnung, Stellung einer Sicherheit und Sicherstellung verdächtigen Materials  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 1. Die Bedeutung der materiellen Rechtslage: der Verfügungsanspruch  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 2. Die Abwägung der Parteiinteressen: der Verfügungsgrund  . . . . 115 a) Keine Vermutung für das Bestehen eines Verfügungsgrundes  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 b) Fehlende Dringlichkeit wegen Zeitablauf  . . . . . . . . . . . . . . . 116 c) Abwägung weiterer Faktoren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 3. Anordnungen gegenüber Unbekannt  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 4. Maßnahmen gegenüber Mittelspersonen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 a) Mittelspersonen, die keinen Dienst der Informationsgesellschaft betreiben  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121

Inhaltsverzeichnis

XIII

b) Unterlassungsverfügungen gegenüber Host Service Providern  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 c) Sperrverfügungen gegenüber Access Providern  . . . . . . . . . . 124 II. Der dingliche Arrest  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 III. Zugang zu Finanzdokumenten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 1. Die immaterialgüterrechtlichen Vorlageansprüche  . . . . . . . . . . 127 a) Anspruchsinhalt und -voraussetzungen  . . . . . . . . . . . . . . . . 127 b) Durchsetzung im einstweiligen Verfahren  . . . . . . . . . . . . . . 130 c) Bezeichnung des Vorlagegegenstands  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 2. Bewertung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 IV. Glaubhaftmachung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 V. Ex parte-Anordnungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 1. Unterlassungs- und Sicherungsverfügungen  . . . . . . . . . . . . . . . . 133 2. Arrestverfahren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 3. Wahrheitspflicht des Antragstellers  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 4. Information des Antragsgegners  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 VI. Schutzvorkehrungen zugunsten des Antragsgegners  . . . . . . . . . . . . 135 1. Mittelbarer Zwang zur Einleitung des Hauptsacheverfahrens  . . 135 2. Kompensation und Absicherung des Antragsgegners  . . . . . . . . 136 VII. Vollstreckung der einstweiligen Verfügung und des Arrests  . . . . . . . 137 VIII. Fazit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138

D. Rechtsvergleichende Würdigung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 I.

Richtliniengetreue Umsetzung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139

II. Angemessene Berücksichtigung der beidseitigen prozessualen Interessen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 1. Unterlassungs- und Sicherungsverfügungen  . . . . . . . . . . . . . . . . 140 a) Die Bedeutung der materiellen Rechtslage  . . . . . . . . . . . . . . 140 b) Unterlassungsanordnungen gegen Unbekannt und gegen Mittelspersonen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 2. Sicherung des Vermögensbestands  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 3. Informationen über das Vermögen des Antragsgegners  . . . . . . . 143 4. Ex parte-Anordnungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 5. Schutzvorkehrungen zugunsten des Antragstellers  . . . . . . . . . . . 145 III. Stand der Harmonisierung und Reformimpulse  . . . . . . . . . . . . . . . 146 1. Die Problematik der sektoriellen Prozessrechtsvereinheitlichung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 2. Einführung einer höheren Regelungsdichte  . . . . . . . . . . . . . . . . 147 3. Präzisierung des Fristbeginns zur Einleitung des Hauptsacheverfahrens  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 4. Präzisierung der Passivlegitimation von Mittelspersonen  . . . . . 148

XIV

Inhaltsverzeichnis

5. Bessere Definition des Regelungskorridors  . . . . . . . . . . . . . . . . 148

§ 5 Anordnung der Beweismittelvorlage  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 A. Die Vorgaben der Richtlinie  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 I.

Grundzüge der Regelung des Art. 6 DRL  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150

II. Interpretationsbedarf und Umsetzungsspielräume  . . . . . . . . . . . . . 152 1. Weiter Umsetzungsspielraum  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 2. Begünstigte einer Anordnung nach Art. 6 Abs. 1 DRL  . . . . . . . . 152 3. Durchsetzung der Vorlageanordnung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 III. Besichtigung von Waren nach der ProduktpiraterieVO  . . . . . . . . . . 154

B. Umsetzung in England  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 I.

Disclosure: Offenbarung und Besichtigung von Dokumenten  . . . . . 155 1. Begriff und Funktion der disclosure  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 2. Absehen von der disclosure in Verfahren des gewerblichen Rechtsschutzes  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 3. Voraussetzungen und Inhalt der Standard Disclosure  . . . . . . . . 157 4. Das Einsichtsrecht: inspection  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 5. Specific Disclosure  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160

II. Offenbarung und Besichtigung anderer Beweismittel  . . . . . . . . . . . 161 III. Exkurs: Beweismittelvorlage durch dritte Personen  . . . . . . . . . . . . . 162 IV. Der Schutz vertraulicher Interessen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 1. Geheimnisse der Gegenpartei  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 2. Daten dritter Personen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 a) Bruch einer Vertraulichkeitsvereinbarung  . . . . . . . . . . . . . . 166 b) Persönliche Daten Dritter, die dem Datenschutz unterliegen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 V.

Durchsetzung der Offenlegungs- und Einsichtsgewährungspflicht  . 167

VI. Grenzen der Verwertung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 VII. Unterstützung ausländischer Prozesse  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 VIII. Fazit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171

C. Umsetzung in Deutschland  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 I.

Skepsis gegenüber prozessualen Anordnungen zur Beweismittelvorlage  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172

II. Die immaterialgüterrechtlichen Vorlage- und Besichtigungsansprüche  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 1. Grundzüge  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 2. Voraussetzungen des Vorlage- bzw. Besichtigungsanspruchs  . . . 175

Inhaltsverzeichnis

XV

a) Hinreichende Wahrscheinlichkeit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 b) Bezeichnung des Besichtigungs- bzw. Vorlagegegenstands  . . 177 c) Verfügungsgewalt über den Besichtigungsgegenstand  . . . . . 178 d) Bank-, Finanz- und Handelsunterlagen  . . . . . . . . . . . . . . . . 179 3. Inhalt und Durchsetzung des Vorlage- bzw. Besichtigungsanspruchs  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 III. § 809 BGB  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 IV. Der Schutz vertraulicher Informationen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 1. Inhaltliche Begrenzung des Vorlage- bzw. Besichtigungsanspruchs  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 2. In camera-Verfahren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 3. Die „Düsseldorfer Praxis“  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 V.

Grenzen der Verwertung und Unterstützung ausländischer Verfahren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187

VI. Schadensersatz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 VII. Exkurs: Anordnungsbefugnis gemäß §§ 142, 144 ZPO  . . . . . . . . . . 190 1. Vorlage von Augenscheinsobjekten, Urkunden und sonstigen Unterlagen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 2. Konsequenzen der Nichtbefolgung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 VIII. Fazit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193

D. Rechtsvergleichende Würdigung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 I.

Richtliniengetreue Umsetzung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195

II. Angemessene Berücksichtigung der beteiligten Interessen  . . . . . . . . 196 1. Zugang zu Informationen aus der Sphäre der gegnerischen Partei  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 a) Allgemeine vs. konkrete Vorlagepflicht  . . . . . . . . . . . . . . . . 196 b) Vorlage und Besichtigung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 c) Materiellrechtliche vs. prozessuale Ausgestaltung der Vorlagepflicht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 2. Zugang zu Informationen aus der Sphäre dritter Personen  . . . . 199 3. Ausgestaltung des Geheimnisschutzes  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 III. Stand der Harmonisierung und Reformimpulse  . . . . . . . . . . . . . . . 200

§ 6 Beweissicherungsmaßnahmen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 A. Die Vorgaben der Richtlinie  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 I.

Grundzüge der Regelung des Art. 7 DRL  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202

II. Interpretationsbedarf und Umsetzungsspielräume  . . . . . . . . . . . . . 203 1. Passivlegitimation  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203

XVI

Inhaltsverzeichnis

2. Erfasste Beweismittel  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 3. Beweisermittlung, Beweismittelvorlage, Beweissicherung  . . . . . 204 4. Schutzmaßnahmen zugunsten des Antragsgegners  . . . . . . . . . . 207

B. Umsetzung in England  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 I.

Search Order (Anton Piller Order)  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 1. Entwicklung der Search Order  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 2. Erfolgsaussichten in der Hauptsache und Dringlichkeit  . . . . . . 209 3. Formale Vorgaben und zulässige Beweismittel  . . . . . . . . . . . . . . 210 4. Verfügungsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 5. Im Ausland belegene Räumlichkeiten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 6. Schutzvorkehrungen zugunsten des Antragsgegners  . . . . . . . . . 213 7. Aufhebung der search order  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 8. Unterstützung ausländischer Verfahren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 9. Kritik an der search order  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217

II. Sicherstellung von Beweismitteln ohne Durchsuchung  . . . . . . . . . . 218 III. Pre-action Disclosure  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 IV. Sicherstellung von Zeugenaussagen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 V. Fazit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220

C. Umsetzung in Deutschland  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 I.

Das selbständige Beweisverfahren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222

II. Beweismittelsicherung im Wege der einstweiligen Verfügung  . . . . . 223 1. Verfügungsanspruch  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 2. Verfügungsgrund  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 3. Vorwegnahme der Hauptsache  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 4. Inhalt und Durchsetzung der Verfügung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 III. Verfahrenskombination in der „Düsseldorfer Praxis“  . . . . . . . . . . . 229 1. Grundzüge des Düsseldorfer einstweiligen Besichtigungsverfahrens  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 2. Kritik des Düsseldorfer einstweiligen Besichtigungsverfahrens  . 230 IV. Ex parte-Anordnungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 1. Beweissicherung ohne Anhörung des Antragsgegners  . . . . . . . . 232 2. Schutz des nicht gehörten Antragsgegners  . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 V.

Schutzmaßnahmen zugunsten des Antragsgegners  . . . . . . . . . . . . . 234 1. Mittelbarer Zwang zur Klageerhebung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 2. Schadensersatz und Sicherheitsleistung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235

VI. Grenzen der Verwertung und Unterstützung ausländischer Verfahren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 VII. Fazit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237

Inhaltsverzeichnis

XVII

D. Rechtsvergleichende Würdigung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 I.

Richtliniengetreue Umsetzung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238

II. Angemessene Berücksichtigung der beidseitigen prozessualen Interessen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 1. Beweisermittlung, Beweismittelvorlage, Beweissicherung  . . . . . 239 2. Ex parte-Anordnungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 3. Schutzvorkehrungen zugunsten des Antragstellers  . . . . . . . . . . . 240 4. Durchführung der Durchsuchung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 5. Beweissicherung zugunsten ausländischer Hauptsacheverfahren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 III. Stand der Harmonisierung und Reformimpulse  . . . . . . . . . . . . . . . 241

§ 7 Auskunft über Ursprung, Vertriebswege und Vertriebsdetails  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 A. Die Vorgaben der Richtlinie  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 I.

Grundzüge der Regelung des Art. 8 DRL  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243

II. Interpretationsbedarf und Umsetzungsspielräume  . . . . . . . . . . . . . 244 1. In Zusammenhang mit einem Verfahren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 2. Ziel und Inhalt der Auskunftspflicht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 3. Auskunftspflicht Dritter nur bei Handlung in gewerblichem Ausmaß  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 4. Die Koordination mit den Datenschutznormen des Unionsrechts  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247

B. Auskunftsanordnungen im englischen Recht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 I.

Offenbarungspflichten im Rahmen eines anhängigen oder anvisierten Verfahrens  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250

II. Auskunftspflichten im Rahmen der search order  . . . . . . . . . . . . . . . 250 III. Norwich Pharmacal Order  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 1. Entwicklung der Norwich Pharmacal Order  . . . . . . . . . . . . . . . 251 2. Voraussetzungen und Inhalt der Verfügung  . . . . . . . . . . . . . . . . 252 3. Die Koordination mit datenschutzrechtlichen Belangen  . . . . . . 255 4. Anderweitiger Vertraulichkeitsschutz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 5. Kosten- und Schadensersatz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 IV. Durchsetzung mittels contempt of court  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 V. Fazit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256

C. Die Auskunftsansprüche des deutschen Rechts  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 I.

Kumulation allgemeiner und spezifischer Auskunftsansprüche  . . . . 258

II. Die immaterialgüterrechtlichen Auskunftsansprüche  . . . . . . . . . . . 258

XVIII

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1. Passivlegitimation  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 a) Täter und Teilnehmer einer Schutzrechtsverletzung  . . . . . . . 258 b) Auskunftspflichten von Mittelspersonen  . . . . . . . . . . . . . . . 258 c) Der Störer als Auskunftspflichtiger  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 2. Voraussetzungen und Inhalt der Auskunftspflicht  . . . . . . . . . . . 261 3. Die Koordination mit datenschutzrechtlichen Belangen  . . . . . . 263 a) Der Konflikt zwischen Auskunftsanspruch und Datenschutzrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 b) Der Erlaubnistatbestand des § 28 BDSG  . . . . . . . . . . . . . . . . 264 c) Datenübermittlung unter Verwendung von Verkehrsdaten  . 265 aa) Rechtliche Voraussetzungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 bb) Tatsächliche Voraussetzungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 d) Datenübermittlung ohne Verwendung von Verkehrsdaten  . . 267 aa) Spezialität der §§ 91 ff. TKG, §§ 11 ff. TMG  . . . . . . . . . 267 bb) Übermittlung von Bestandsdaten  . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 cc) Inhaltsdaten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 e) Zwischenergebnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 4. Anderweitiger Vertraulichkeitsschutz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 5. Kosten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 6. Durchsetzung im Wege des einstweiligen Verfügungsverfahrens  272 III. Unselbständiger Auskunfts- und Rechnungslegungsanspruch  . . . . . 273 IV. Vollstreckung der Auskunftsansprüche  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 V.

Akteneinsicht im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren  . . . . . . . . . 275

VI. Fazit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276

D. Rechtsvergleichende Würdigung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 I.

Richtliniengetreue Umsetzung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276

II. Angemessene Berücksichtigung der beteiligten Interessen  . . . . . . . . 277 1. Kategorisierung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 2. Konnex mit einem Verletzungsverfahren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 3. Inhalt der Auskunft  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 4. Schutz vertraulicher Informationen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 5. Koordination mit dem Datenschutzrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 6. Auskunft im einstweiligen Rechtsschutz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 7. Verfahrenskosten der Mittelsperson  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 III. Stand der Harmonisierung und Reformimpulse  . . . . . . . . . . . . . . . 281 1. Stand der Harmonisierung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 2. Reformimpulse  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 a) Zusammenhang mit einem Verfahren wegen Schutzrechtsverletzung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 b) Inhalt der Auskunft  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 c) Koordination mit dem Datenschutzrecht  . . . . . . . . . . . . . . . 282

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XIX

e) Drittauskunft im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes  . . 284 f) Kosten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284

§ 8 Bewertung der Richtlinie zur Durchsetzung des geistigen Eigentums  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 A. Bewertungsparameter  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 B. Harmonisierungswirkung der Richtlinie  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 I.

Stand vor Umsetzung der Durchsetzungsrichtlinie  . . . . . . . . . . . . . 286 1. Patentstreitverfahren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 2. Verfahren zur Durchsetzung anderer gewerblicher Schutzrechte 288

II. Das Maßnahmenpaket der Durchsetzungsrichtlinie  . . . . . . . . . . . . 289 III. Bewirkte Harmonisierung im deutschen und englischen Recht  . . . . 289 IV. Zwischenfazit Harmonisierungserfolg  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291

C. Stärkung gewerblicher Schutzrechte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 I.

Prozessuale Besonderheiten der Durchsetzung gewerblicher Schutzrechte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292

II. Die Instrumente der Durchsetzungsrichtlinie  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 1. Schnelle Streitregelung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 2. Zugang zur Informationen aus der Sphäre anderer Personen  . . 293 3. Der Schutz vertraulicher Informationen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 4. Fachkunde des Gerichts  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 5. Internationaler Bezug  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 6. Einstweilige Vermögensauskunft und Sicherung des Vermögensbestands  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295

D. Position des angeblichen Schutzrechtsverletzers  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 E. Systemstörende Eingriffe in das nationale Verfahrensrecht  . . . . . . . . . 297 F. Ergebnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 G. Lehren für eine künftige Angleichung des Prozessrechts  . . . . . . . . . . . 299 I.

Die fehlende Rechtsetzungsbefugnis der Union  . . . . . . . . . . . . . . . . 299

II. Die Option der Vollharmonisierung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 III. Die Materialisierung des Prozessrechts  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 IV. Verfahrensrechtliche Mindeststandards  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 V.

Die Vorbildwirkung der Durchsetzungsrichtlinie  . . . . . . . . . . . . . . . 304

VI. Die Harmonisierungskraft der Rechtsprechung  . . . . . . . . . . . . . . . . 304 VII. Ergebnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307

XX

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§ 9 Exkurs: Qualifikation der Instrumente der Durchsetzungsrichtlinie  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 A. Erforderlichkeit einer unionsautonomen Qualifikation  . . . . . . . . . . . 309 B. Verweisungsumfang des Art. 8 Rom II-VO  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 C. Bedeutung des durch die DRL gesetzten Mindeststandards  . . . . . . . . 313

3. Teil Das Europäische Internationale Zivilverfahrensrecht § 10 Internationale Zuständigkeit für das Hauptsacheverfahren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 A. Das Territorialitätsprinzip im Anwendungsbereich der EuGVO  . . . . 317 I.

Das Territorialitätsprinzip im internationalen Zuständigkeitsrecht 317

II. Auslegungskontinuität vom EuGVÜ bis zur EuGVO (2012)  . . . . . . 319 III. Anwendungsbereich und zuständigkeitsrechtliche Grundentscheidungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319

B. Gerichtsstände für die Verletzungsklage  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 I.

Der ausschließliche Gerichtsstand für Bestandsklagen  . . . . . . . . . . 321

II. Der allgemeine Gerichtsstand des Beklagten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 III. Der Gerichtsstand der Niederlassung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 IV. Der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung  . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 1. Anwendungsbereich  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 2. Der Ort des schädigenden Ereignisses  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 a) Zwischen Ubiquitätsprinzip und restriktiver Auslegung  . . . 326 b) Zur Geltung des Ubiquitätsprinzips im gewerblichen Rechtsschutz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 c) Der Ort des ursächlichen Geschehens  . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 aa) Erforderlichkeit der Schwerpunktbildung  . . . . . . . . . . 329 bb) Schutzrechtsverletzung durch Kommunikation und Publikation  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 cc) Herstellung oder Vertrieb schutzrechtsverletzender Ware  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 dd) Zusammenwirken mehrerer Beteiligter  . . . . . . . . . . . . 331 d) Der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolges  . . . . . . . . 331 aa) Bedeutung des Territorialitätsprinzips  . . . . . . . . . . . . . 331 bb) Zusammenwirken mehrerer Beteiligter  . . . . . . . . . . . . 332

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cc) Einschränkungen bei Streudelikten  . . . . . . . . . . . . . . . 333 aaa) Erforderlichkeit einer einschränkenden Auslegung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 bbb) Einschränkung der Kognitionsbefugnis  . . . . . . . 335 ccc) Schwerpunktbildung bei Rechtsverletzungen im Internet  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 ddd) Ausrichtung der Kommunikation bzw. commercial effect  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 eee) Stellungnahme  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 dd) Konsolidierung der örtlichen Zuständigkeit  . . . . . . . . 341 3. Prüfung der unerlaubten Handlung auf der Ebene der Zuständigkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 4. Zwischenergebnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 V.

Der Gerichtsstand des Erfüllungsorts und die Forumswahl  . . . . . . . 346 1. Der Gerichtsstand des Erfüllungsorts  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 2. Verhältnis zum Gerichtsstand der unerlaubten Handlung  . . . . . 347 3. Gerichtsstandsvereinbarungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 4. Zwischenergebnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349

VI. Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 1. Vorzüge und Risiken des Gerichtsstands der Streitgenossenschaft  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 2. Konkretisierung des Art. 8 Nr. 1 EuGVO durch den EuGH  . . . . 351 a) Einheitliche Sachlage  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351 b) Einheitliche Rechtslage  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 c) Vorhersehbarkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 d) Unzulässigkeit der Klage gegen den Ankerbeklagten  . . . . . . 353 e) Missbrauchskontrolle  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 3. Stellungnahme  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 a) Grundwertungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 b) Legitimes Interesse des Klägers an einer Verfahrensverbindung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 aa) Unzulässige Klage gegen den Ankerbeklagten  . . . . . . . 356 bb) Offensichtlich unbegründete Klage gegen den Ankerbeklagten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 cc) Verfahrensökonomie durch Deckungsgleichheit  . . . . . 357 c) Grenzziehung durch die zuständigkeitsrechtlichen Interessen des Beklagten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 aa) Subjektive Verbindung der Streitgenossen bzw. „gleiche Sachlage“  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 bb) Einheitliche Rechtslage  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 d) Intensität der Konnexitätsprüfung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 e) Missbrauchsvorbehalt  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 361 f) Schwerpunktbildung: die „Spinne im Netz“  . . . . . . . . . . . . . 362

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4. Zwischenergebnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364

C. Nichtigkeitswiderklage und Einwand der Ungültigkeit  . . . . . . . . . . . . 365 I.

Dichotomie der internationalen Zuständigkeit im gewerblichen Rechtsschutz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365

II. Die Nichtigkeitswiderklage  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 III. Der Einwand der Ungültigkeit des Schutzrechts  . . . . . . . . . . . . . . . . 367 1. Optionen zur Behandlung des Nichtigkeitseinwands  . . . . . . . . . 367 a) Inzidente Entscheidungsbefugnis des Verletzungsgerichts  . . 367 b) Wegfall der Zuständigkeit des Verletzungsgerichts  . . . . . . . 370 c) Aussetzung des Verletzungsverfahrens  . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 2. Das Urteil GAT/LuK und die Reaktion des Verordnungsgebers  372 3. Die praktische Bewältigung der Entscheidung GAT/LuK  . . . . . 372 a) Handlungsalternativen des angerufenen Gerichts  . . . . . . . . 372 b) Erklärung der Unzuständigkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 c) Perpetuatio Fori  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 aa) Koordination der nationalen Schutzrechtssysteme mit der EuGVO  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 bb) Entscheidung ohne Berücksichtigung des Nichtigkeitseinwands  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 aaa) Irrelevanz der Bestandsfrage  . . . . . . . . . . . . . . . . 378 bbb) Bindungswirkung der Schutzrechtserteilung  . . . . 379 ccc) Vertragliche Nichtangriffspflicht  . . . . . . . . . . . . . 382 ddd) Nationale Präklusionsregeln  . . . . . . . . . . . . . . . . 382 eee) Betreibung des Bestandsverfahrens  . . . . . . . . . . . 383 fff) Substantiierung bzw. Wahrscheinlichkeit des Nichtigkeitseinwands  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 cc) Aussetzung des Verfahrens nach autonomem Verfahrensrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 d) Einstweiliger Rechtsschutz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 IV. Zwischenergebnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386

D. Zuständigkeit für Begehren auf Auskunft und Beweismittelzugang  . 387 I.

Verfahren gegen den behaupteten Verletzer  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387

II. Isolierte Auskunfts- und Beweismittelzugangsklagen  . . . . . . . . . . . 388

E. Würdigung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 I.

Angemessene Berücksichtigung der prozessualen Interessen  . . . . . . 389

II. Reform  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 1. Erkenntnisse aus der Reform der EuGVO  . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 2. Vorschläge de lege ferenda  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 a) Der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung  . . . . . . . . . . . 393 b) Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft  . . . . . . . . . . . . . 393 c) Der Einwand der Ungültigkeit des Schutzrechts  . . . . . . . . . . 393

Inhaltsverzeichnis

XXIII

§ 11 Internationale Zuständigkeit für Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 A. Bedeutung der internationalen Zuständigkeit im einstweiligen Rechtsschutz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 B. Die rudimentäre Regelung des einstweiligen Rechtsschutzes in der EuGVO  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 C. Einstweiliger Rechtsschutz auf Basis einer Zuständigkeitsnorm der EuGVO  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 I.

Verfahrenshandlungen mit zuständigkeitsrechtlichem Effekt  . . . . . 399

II. Zuständigkeit eines potentiellen Hauptsachegerichts  . . . . . . . . . . . 400 III. Inhalt der Maßnahmen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402

D. Einstweilige Maßnahmen i. S. d. Art. 31 EuGVO (2001)  . . . . . . . . . . . 403 I.

Definition der einstweiligen Maßnahme  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403

II. Einschränkung des Art. 31 EuGVO (2001) bei vorläufigen Zahlungsanordnungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 1. Die Rechtssachen van Uden und Mietz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 2. Reale Verknüpfung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 3. Sicherstellung des vorläufigen Charakters der Maßnahme  . . . . 407 4. Feststellung der internationalen Zuständigkeit in der Entscheidungsbegründung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408 5. Stellungnahme  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408 III. Übertragung auf andere Verfügungstypen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 1. Übertragbarkeit auf andere Verfügungstypen  . . . . . . . . . . . . . . 409 2. Dinglicher Arrest und andere dingliche Vermögenssicherungsmaßnahmen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 3. Unterlassungsverfügungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 4. Freezing injunction und persönlich wirkender Arrest  . . . . . . . . 413 5. Beschlagnahme schutzrechtsverletzender Gegenstände  . . . . . . . 415 6. Beweissicherungs- und Beweiszugangsinstrumente  . . . . . . . . . . 415 a) Zuständigkeit der Hauptsachegerichte nicht durchweg ausreichend  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 b) Anwendbarkeit des Art. 31 EuGVO (2001)  . . . . . . . . . . . . . . 416 c) Die Entscheidung St. Paul Dairy und ihre Konsequenzen  . . . 417 d) Stellungnahme  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 7. Auskunftspflichten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421 8. Fazit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423

E. Rechtslage unter Geltung der EuGVO (2012)  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423 I.

Anordnungen zur Informationsgewinnung und Beweissicherung  . . 423

II. Ausschluss der Anerkennung und Vollstreckung  . . . . . . . . . . . . . . . 424

XXIV

Inhaltsverzeichnis

III. Auswirkung auf die Bestimmung der Zuständigkeit  . . . . . . . . . . . . 424

F.

Zuständigkeit nach autonomem Recht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425

G. Die Europäische Kontenpfändungsverordnung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427 I.

Anwendungsbereich und praktische Bedeutung  . . . . . . . . . . . . . . . . 427

II. Zuständigkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 428

H. Würdigung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 428 I.

Angemessene Berücksichtigung der prozessualen Interessen  . . . . . . 428 1. Einstweiliger Rechtsschutz vor den Gerichten der Hauptsache  . 428 2. Rechtsfortbildende Rechtsprechung zu Art. 31 EuGVO (2001)  . 429 3. Instrumente zu Informationsgewinnung, Beweismittelzugang und -sicherung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431 4. Fehlende Rechtssicherheit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431 5. Babylonische Maßnahmenverwirrung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432 6. Zeitliche Verzögerung durch das Vorabentscheidungsersuchen  . 432

II. Reform  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433

§ 12 Verfahrenskoordination im europäischen Rechtsraum  . . . . . . . 435 A. Potentielle Verfahrensmultiplikation im gewerblichen Rechtsschutz  . 435 B. Koordination zeitlich paralleler Verfahren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436 I.

Motive für Parallelverfahren und Ziele der Verfahrenskoordination  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436

II. Die Litispendenzregel in Art. 29 EuGVO  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 1. Die Sperrwirkung des Art. 29 EuGVO  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 437 2. Die Aufhebung der Sperrwirkung bei Gerichtsstandsvereinbarungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438 3. Voraussetzungen der Litispendenzsperre  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438 a) Parteiidentität  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 b) Identität von Gegenstand und Grundlage der Rechtssachen 441 c) Begriff der Klage  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443 d) Beurteilungszeitpunkt der Priorität  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444 4. Torpedos und Strategien zu ihrer Vermeidung  . . . . . . . . . . . . . . 445 a) Die Torpedoproblematik  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445 b) Prämissen der Torpedoabwehr  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446 c) Torpedoabwehr durch Auslegung oder Neuregelung der Litispendenz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448 aa) Begrenzung der Forumswahl des „natürlichen Beklagten“  . . 448 bb) Außerachtlassen der Litispendenzsperre bei überlanger Verfahrensdauer  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450

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XXV

cc) Lösung der Rechtshängigkeitssperre aufgrund Rechtsmissbrauchs  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451 dd) Vorrangige Prüfungsbefugnis des ausschließlich zuständigen Gerichts  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452 ee) Nachrang der negativen Feststellungsklage  . . . . . . . . . 454 ff) Beschleunigung der Entscheidung über die internationale Zuständigkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455 aaa) Lösung auf Ebene des nationalen, unvereinheitlichten Verfahrensrechts  . . . . . . . . . . 455 bbb) Aufhebung der Litispendenzsperre nach Zeitüberschreitung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456 ccc) Art. 29 Abs. 2 Kommissionsvorschlag zur Reform der EuGVO  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457 d) Rechtspraktische Strategien zur Torpedoabwehr  . . . . . . . . . 457 aa) Anti-suit injunctions  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 bb) Einstweiliger Rechtsschutz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 cc) Aufhebung der Parteiidentität  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 460 dd) Wettrennen zu Gericht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461 III. Aussetzung des Verfahrens gemäß Art. 30 EuGVO  . . . . . . . . . . . . . 461 1. Grundzüge  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461 2. Erfasste Verfahrensarten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461 3. Natur des Klagezusammenhangs  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462 4. Ermessensentscheidung des Zweitgerichts  . . . . . . . . . . . . . . . . . 463 5. Bedeutung für Verfahren betreffend gewerblicher Schutzrechte  . 465 IV. Verfahrenskoordination nach nationalem Verfahrensrecht  . . . . . . . 466 V.

Parallele Verfahren in einem Drittstaat  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467

C. Res Iudicata  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468 I.

Keine explizite Regelung innerhalb der EuGVO  . . . . . . . . . . . . . . . 468

II. Das Institut der materiellen Rechtskraft in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 469 III. Koordination nationaler und unionsautonomer Rechtskraftkonzepte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470 1. Die Rechtskraft als von Amts wegen zu berücksichtigende negative Prozessvoraussetzung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470 2. Berücksichtigung präjudizieller Feststellungen zur Zuständigkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 471 3. Umfang und Grenzen der Präjudizialität im Übrigen  . . . . . . . . 472 4. Reichweite der negativen Wirkung der Rechtskraft  . . . . . . . . . . 473 5. Abhängigkeit der materiellen Rechtskraft von der formellen Rechtskraft  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474 6. Anerkennungsversagung wegen abweichender Entscheidung  . . 475 7. Fazit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475

XXVI

Inhaltsverzeichnis

D. Die Koordination einstweiliger Maßnahmen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 476 I.

Keine Litispendenzsperre  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 476

II. Anerkennung der Rechtskraftwirkung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 478 III. Versagung der Anerkennung unvereinbarer Entscheidungen  . . . . . . 478 IV. Praktische Folgen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479 V.

Entsprechende Anwendung der Verfahrenskoordinationsregeln  . . . 480

VI. Koordinationsbefugnis des Gerichts der Hauptsache  . . . . . . . . . . . 482 VII. Flexibilität des mitgliedstaatlichen einstweiligen Rechtsschutzes  . . 482

E. Würdigung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 484 I.

Angemessene Berücksichtigung der prozessualen Interessen  . . . . . . 484 1. Rechtshängigkeit und zusammenhängende Verfahren  . . . . . . . . 484 2. Torpedoklagen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 484 3. Koordination von Bestands- und Verletzungsverfahren  . . . . . . . 485 4. Res Iudicata  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485 5. Abweichende Streitgegenstandsbegriffe bei Rechtshängigkeit und Rechtskraft  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 486 6. Die Koordination einstweiliger Maßnahmen  . . . . . . . . . . . . . . . 486

II. Reform  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487 1. Erkenntnisse aus dem Reformprozess  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487 2. Vorschläge de lege ferenda  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488

§ 13 Sonderregeln in den Verordnungen über die Gemeinschaftsschutzrechte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490 A. Einheitliche Schutzrechte für das Territorium der Europäischen Union  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490 B. Gemeinschaftsmarke und Gemeinschaftsgeschmacksmuster  . . . . . . . 491 I.

Gemeinschaftsmarken- und Gemeinschaftsgeschmacksmustergerichte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491

II. Internationale Zuständigkeit für das Hauptsacheverfahren  . . . . . . 492 1. Erweiterter Anwendungsbereich gegenüber der EuGVO  . . . . . . 492 2. Zuständigkeit der Zentralgerichte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493 3. Zuständigkeit der Gerichte am Verletzungsort  . . . . . . . . . . . . . 495 a) Anklänge an Art. 7 Nr. 2 EuGVO  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495 b) Ausschluss negativer Feststellungsklagen  . . . . . . . . . . . . . . . 496 c) Vertragliche Ansprüche  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496 d) Ort der Verletzungshandlung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496 4. Gerichtsstandsvereinbarung und rügelose Einlassung  . . . . . . . . 498 5. Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft  . . . . . . . . . . . . . . . . 500

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XXVII

a) Subsidiäre Anwendung der Zuständigkeitsordnung der EuGVO  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 500 b) Räumlich-persönliche Anwendungsvoraussetzungen  . . . . . . 500 c) Konnexität der Klagen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 501 6. Behauptung des Nichtbestands des Gemeinschaftsschutzrechts  502 a) Grundsätzlicher Ausschluss der Nichtigkeitseinrede  . . . . . . 502 b) (Wider-)Klage auf Erklärung des Verfalls oder der Nichtigkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 502 7. Der Gerichtsstand der Widerklage  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503 8. Fehlende Verweisungskompetenz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 504 III. Zuständigkeit im einstweiligen Rechtsschutz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 504 IV. Koordination zeitlich paralleler Verfahren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505 1. Parallele Verfahren wegen Verletzung eines Gemeinschaftsschutzrechts  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 506 2. Koordination zeitgleicher Bestandsangriffe  . . . . . . . . . . . . . . . . 506 3. Aussetzung des Verletzungsverfahrens zwecks Klärung der Bestandsfrage  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 508 a) Vorrangige Klärung der Bestandsfrage  . . . . . . . . . . . . . . . . . 508 b) Prioritätsprinzip  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 508 V. Res Iudicata  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 510 1. Löschung des Gemeinschaftsschutzrechts  . . . . . . . . . . . . . . . . . 510 2. Anerkennung der Rechtskraftwirkung gemäß der EuGVO  . . . . 510 3. Bindung an die Abweisung eines Bestandsangriffs  . . . . . . . . . . . 510 4. Ausschluss der Restitution  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 512 VI. Identische oder ähnliche nationale Schutzrechte  . . . . . . . . . . . . . . . 513 1. Grundsatz der Koexistenz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 513 2. Identität der Schutzrechte, Identität der Waren- bzw. Dienstleistungsklasse  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 513 a) Erweiterung der Rechtshängigkeits- und Rechtskraftregeln  . 513 b) Eigenständiger Streitgegenstandsbegriff  . . . . . . . . . . . . . . . 514 c) Territoriale Reichweite der (angestrebten) Entscheidung  . . . 515 d) Abschneiden von Sanktionen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 516 3. Ähnlichkeit der Schutzrechte oder der Waren- bzw. Dienstleistungsklasse  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 517

C. Das gemeinschaftliche Sortenschutzrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 517 I.

Subsidiäre Anwendung des Luganer Übereinkommens  . . . . . . . . . . 517

II. Zuständigkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 517 III. Verfahrenskoordination  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 518

D. Würdigung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519 I.

Angemessene Berücksichtigung der prozessualen Interessen  . . . . . . 519 1. Rechtsschutz durch ein dezentrales Unionsgericht  . . . . . . . . . . . 519

XXVIII

Inhaltsverzeichnis

2. Ausschließliche sachliche Zuständigkeit spezialisierter Gerichte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519 3. Ungleichbehandlung des negativen Feststellungsklägers  . . . . . . 520 4. Internationale Zuständigkeit für einstweilige Maßnahmen  . . . . 521 5. Koordination zeitlich paralleler Verfahren  . . . . . . . . . . . . . . . . . 521 6. Trennungs- bzw. Verbundprinzip  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 521 7. Rechtskraft  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 522 8. Die Gefahr widersprechender Entscheidungen  . . . . . . . . . . . . . 523 II. Reform  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 524 1. Kleinere Korrekturen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 524 2. Zentrale Unionsgerichte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 525

§ 14 Die internationale Zustellung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 527 A. Einführung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 527 B. Auslandszustellungen gemäß der EuZVO  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 528 I.

Anwendungsbereich und Regelungsgegenstand der EuZVO  . . . . . . 528

II. Vorgesehene Übermittlungswege  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 530 1. Der Rechtshilfeverkehr  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 530 2. Zustellung auf dem Postweg  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 531 3. Die unmittelbare Zustellung im Parteibetrieb  . . . . . . . . . . . . . . 532 III. Zurückweisung des Schriftstücks wegen Sprachunkundigkeit  . . . . . 533 1. Die Regelung in Art. 8 EuZVO  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533 2. Anforderungen an Sprachniveau und Übersetzungsqualität  . . . 536 a) Maßgebliches Sprachniveau  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 536 b) Zu übersetzende Inhalte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 538 c) Qualitativ unzureichende Übersetzungen  . . . . . . . . . . . . . . . 539 3. Kritik der Sprachenregelung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 540 a) Bevorzugung der Interessen des Absenders  . . . . . . . . . . . . . 540 b) Rechtsunsicherheit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 542 c) Stärkung der Position des Zustellungsadressaten de lege lata  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 543 aa) Die Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache Leffler  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 543 bb) Missbräuchliches Verhalten des Zustellungsveranlassers  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 543 cc) Fristwahrung und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 544 dd) Frist für die Nachsendung der Übersetzung  . . . . . . . . . 545 IV. Die Bestimmung des Zustellungszeitpunkts  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 545 V.

Anhängigkeit des Verfahrens  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 546

Inhaltsverzeichnis

XXIX

C. Effektive und fiktive Inlandszustellungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 547 I.

Anwendungsbereich der Verordnung und Effektivitätsgrundsatz des Unionsrechts  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 547

II. Fiktive Inlandszustellung bei bekanntem Wohnsitz des Adressaten  548 III. Effektive Inlandszustellung bei bekanntem Auslandswohnsitz  . . . . 550 IV. Fiktive Inlandszustellung bei unbekannter Adresse  . . . . . . . . . . . . . 552

D. Die Heilung von Zustellungsmängeln  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 553 I.

Die prinzipielle Möglichkeit der Heilung von Verstößen gegen die EuZVO  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 553

II. Autonomer Europäischer Heilungsgrundsatz  . . . . . . . . . . . . . . . . . 554 III. Bestimmung des für die Heilung anwendbaren Rechts  . . . . . . . . . . 555 1. Recht des Urteils-, Übermittlungs- oder Empfangsstaates?  . . . . 555 2. Unmaßgeblichkeit von Zustellungsfehlern aufgrund anderer Ereignisse  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 556 3. Heilung von Zustellungsfehlern durch tatsächliche Kenntnisnahme  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 556 IV. Nichteinlassung des Beklagten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 558 V. Fazit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 560

E. Vereinheitlichung der Zustellungsmodalitäten in anderen Verordnungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 561 I.

Die Verordnungen der zweiten Generation  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 561

II. Die Verordnung über den Europäischen Vollstreckungstitel  . . . . . . 562 1. Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel durch das Erstgericht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 562 2. Inhalt der Mindestvorschriften  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 563 3. Die Heilung von Zustellungsfehlern  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 565 4. Das Verhältnis zwischen EuZVO und EuVTVO  . . . . . . . . . . . . 565 III. Das Europäische Mahnverfahren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 566 IV. Das Europäische Verfahren für geringfügige Forderungen  . . . . . . . 568 V. Fazit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 570

F. Würdigung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 571 I.

Angemessene Berücksichtigung der prozessualen Interessen  . . . . . . 571 1. Zustellung an im Ausland ansässige Personen  . . . . . . . . . . . . . . 571 a) Fakultativer Rechtshilfeverkehr  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 572 b) Notwendigkeit einer Auslandszustellung  . . . . . . . . . . . . . . . 572 c) Das Sprachrisiko  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 573 d) Zustellungszeitpunkt  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 574 e) Die Heilung von Zustellungsfehlern  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 574

XXX

Inhaltsverzeichnis

f) Der Europäische Gerichtsatlas  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 574 2. Vereinheitlichung der Zustellungsformen  . . . . . . . . . . . . . . . . . 575 II. Reform  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 576 1. Änderungen der EuZVO  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 576 a) Abgrenzung von Inlands- und Auslandszustellung  . . . . . . . . 576 b) Verbesserung der Übermittlungswege  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 576 c) Das Zurückweisungsrecht wegen Sprachunkundigkeit  . . . . 577 d) Das Problem der Sprachenvielfalt  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 578 e) Heilung von Zustellungsfehlern  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 579 2. Änderungen in EuVTVO, EuMahnVO und EuGFVO  . . . . . . . . 580 3. Perspektiven  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 580

§ 15 Zugang zu im Ausland belegenen Beweismitteln  . . . . . . . . . . . . . 582 A. Beweisaufnahme und Beweismittelzugang in grenzüberschreitenden Verfahren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 582 B. Aktive und passive Rechtshilfe gemäß der EuBVO  . . . . . . . . . . . . . . . 584 I.

Anwendungsbereich der EuBVO  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 584 1. Rechtshilfeersuchen zwischen mitgliedstaatlichen Gerichten  . . 584 2. Definition des Begriffs „Beweisaufnahme“  . . . . . . . . . . . . . . . . . 585 3. Beschaffung und Sicherstellung eines Beweismittels  . . . . . . . . . . 586

II. Adressat, Form und Inhalt des Rechtshilfeersuchens  . . . . . . . . . . . . 588 III. Unmittelbare Beweisaufnahme des Prozessgerichts im Ausland  . . . 590 IV. Ersuchen um aktive Rechtshilfe durch ein ausländisches Gericht  . . 593 1. Ersuchen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 593 2. Erledigung des Beweisersuchens  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 594 a) Anwendbares Verfahrensrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 594 b) Anwesenheitsrechte der Parteien und Parteibeteiligung  . . . . 595 c) Beteiligung des ersuchenden Gerichts  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 596 d) Erledigungsfrist und Übersendung des Ergebnisses der Beweisaufnahme  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 597 3. Gründe, die zur Nichterledigung des Ersuchens berechtigen  . . . 598 a) Aussage- und sonstige Verweigerungsrechte  . . . . . . . . . . . . . 598 b) Formale Ablehnungsgründe  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 599 4. Dem Rechtshilfegericht unbekannte Verfahrensinstitute  . . . . . . 600 a) Problemstellung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 600 b) Erledigung des Ersuchens fällt nicht in den Bereich der Gerichtsgewalt  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 601 c) Unvereinbarkeit der Verfahrensform mit dem Recht des Rechtshilfestaates  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 602 aa) Anwendbarer Maßstab  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 602

Inhaltsverzeichnis

XXXI

bb) Beispiele für Vereinbarkeit ausländischer Formen mit dem deutschen Recht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 603 cc) Beispiele für Vereinbarkeit ausländischer Formen mit dem englischen Recht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 605 d) Entgegenstehende tatsächliche Schwierigkeiten  . . . . . . . . . . 606 e) Modifizierte Ausführung des Rechtshilfeersuchens  . . . . . . . 608 5. Allgemeine Beweisbeschaffungspflichten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 609 V.

Maßnahmen im Vorfeld der Verfahrenseinleitung  . . . . . . . . . . . . . . 611

VI. Rechtsschutz gegen rechtswidrige Ablehnungsentscheidungen  . . . . 612

C. Beweisaufnahme und Beweismittelimport außerhalb der EuBVO  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 613 I.

Keine Exklusivität der EuBVO  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 613

II. Einzelbeispiele  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 614 1. Anordnungen an die Parteien zur extraterritorialen Beweisbeschaffung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 614 a) Materiellrechtliche Editionspflichten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 614 b) Prozessuale Vorlagepflichten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 615 2. Befunderhebungen im Ausland durch gerichtlich beauftragte Sachverständige  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 617 a) Aus der EuBVO ableitbares Souveränitätsverständnis der Mitgliedstaaten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 617 b) Die Rechtssache ProRail  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 618 c) Erzwingung des Zugangs zu ausländischen Räumlichkeiten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 619 d) Konsequenzen für die unmittelbare Beweisaufnahme des Gerichts  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 620 3. Zeugen- oder Parteivernahme im Wege der Videokonferenz  . . . 620 4. Aufforderung einer im Ausland ansässigen Aussagepersonen zur Aussage  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 621 5. An Dritte gerichtete Anordnungen zur Beweismittelvorlage  . . . 622

D. Würdigung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 623 I.

Angemessene Berücksichtigung der prozessualen Interessen  . . . . . . 623 1. Effektivität der Rechtshilfe und Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 623 2. Beweissicherung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 624 3. Schutz der zur Aussage bzw. Beweismittelvorlage verpflichteten Person  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 624 4. Schutz vor der Offenbarung von Geschäftsgeheimnissen  . . . . . . 625 5. Keine Regelung des Beweismittelimports  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 625 6. Erzwingung des Zugangs zu im Ausland belegenen Räumlichkeiten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 626

XXXII

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7. Zweckbindung der erlangten Informationen  . . . . . . . . . . . . . . . 627 II. Reform  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 628 1. Stärkung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes  . . . . . . . . . . . . . . . . 628 2. Regelung des Beweismittelimports  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 629 3. Durchsuchung und Besichtigung von Räumlichkeiten  . . . . . . . . 630

§ 16 Urteilsfreizügigkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 631 A. Die Urteilsfreizügigkeit als Motor der Harmonisierung  . . . . . . . . . . . 631 B. Bedürfnis der Vollstreckung im Ausland  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 633 C. Die Urteilsfreizügigkeit im System der EuGVO  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 635 I.

Anerkennung der Entscheidungen von Gerichten anderer Mitgliedstaaten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 635 1. Prinzip der ipso iure-Anerkennung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 635 2. Definition des Gerichts  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 635 3. Die Möglichkeit kontradiktorischer Erörterung  . . . . . . . . . . . . 636 a) Rechtsprechung des EuGH zum EuGVÜ  . . . . . . . . . . . . . . . 636 b) Übertragung der Denilauler-Prinzipien auf die Auslegung der EuGVO (2001)  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 638 c) Rechtslage unter Geltung der EuGVO (2012)  . . . . . . . . . . . . 639 d) Urteilswirkungen gegenüber nicht gehörten Dritten  . . . . . . 640 4. Einstweilige Maßnahmen eines in der Hauptsache nicht zuständigen Gerichts  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 641 a) Freizügigkeit einstweiliger Entscheidungen des Eilgerichts in der EuGVO (2001)  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 641 b) Aberkennung der Freizügigkeit durch Art. 2 lit. a EuGVO (2012)  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 642 5. Entscheidungsinhalt  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 643 6. Wirkung der Anerkennung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 645

II. Das Exequaturverfahren der EuGVO (2001)  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 646 III. Verzicht auf das Exequaturverfahren in der EuGVO (2012)  . . . . . . 647 1. Unmittelbare Vollstreckbarkeit in anderen EU-Mitgliedstaaten  647 2. Recht des Schuldners auf Vorlage einer Übersetzung  . . . . . . . . . 647 3. Vollstreckung von Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 648 4. Zulässigkeit eines mitgliedstaatlichen Klauselerfordernisses  . . . 649 IV. Vollstreckung ausländischer Entscheidungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 649 1. Schwierigkeiten bei der Vollstreckung ausländischer Entscheidungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 649 2. Vollstreckbarkeit nach dem Recht des Ursprungsstaates  . . . . . . 650 3. Konkretisierung des Titels  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 652

Inhaltsverzeichnis

XXXIII

4. Anpassung der Entscheidung an das Recht des Vollstreckungsstaates  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 654 5. Maßgeblichkeit der lex loci executionis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 656 V.

Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Zwangsgelder  . . . . 657 1. Zwangsgeld zugunsten des Gläubigers  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 657 2. Zwangsgeld zugunsten der Staatskasse  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 659 3. Kumulation der Zwangsgelder  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 661 4. Akzessorietät der Zwangsgeldanordnung  . . . . . . . . . . . . . . . . . 662 5. Unionsweite Wirkung ausländischer Zwangsmaßnahmen  . . . . . 663

VI. Versagung der Anerkennung und Vollstreckung  . . . . . . . . . . . . . . . 665 1. Enumeration der Anerkennungsversagungsgründe  . . . . . . . . . . 665 2. Sicherung der ausschließlichen und halbzwingenden Gerichtsstände  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 666 3. Fehler bei der Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 668 a) Praktische Bedeutung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 668 b) Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks  . . . . . . 669 c) Nichteinlassung des Beklagten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 671 d) Vorrang der Überprüfung im Ursprungsstaat  . . . . . . . . . . . . 672 4. Verstoß gegen den ordre public  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 673 a) Die Bedeutung des ordre public-Vorbehalts im Rahmen der EuGVO  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 673 b) Leitlinien des EuGH zur Versagung des rechtlichen Gehörs bei contempt of court  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 675 c) Verletzung des deutschen ordre publics  . . . . . . . . . . . . . . . . 678 aa) Beurteilungsmaßstab  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 678 bb) Legitimes Ziel der Verfahrensförderung  . . . . . . . . . . . . 679 cc) Ordre public-Verstoß bei reiner Beugemaßnahme  . . . . 681 5. Titelkollision  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 682 VII. Fazit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 684

D. Die Freizügigkeit Europäischer Vollstreckungstitel  . . . . . . . . . . . . . . . 686 I.

Systemwechsel gegenüber der EuGVO (2001)  . . . . . . . . . . . . . . . . . 686

II. Entscheidungen über unbestrittene Geldforderungen in Zivilund Handelssachen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 687 III. Anerkennung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 689 IV. Verlagerung der Vollstreckbarerklärung auf die Gerichte des Ursprungsstaates  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 690 1. Verfahren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 690 2. Inhaltliche Voraussetzungen für die Erteilung der Bestätigung  . 690 V.

Vollstreckung im Zweitstaat  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 693

XXXIV

Inhaltsverzeichnis

VI. Alternativität der Anerkennungs- und Vollstreckbarerklärungssysteme  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 694 VII. Fazit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 696 1. Verlagerung und Verwässerung der Entscheidungskontrolle  . . . 696 2. Konsequenzen für die einheitliche Auslegung des Unionsrechts  699

E. Der Europäische Beschluss zur vorläufigen Kontenpfändung  . . . . . . . 700 I.

Erleichterte Freizügigkeit gegenüber der EuGVO  . . . . . . . . . . . . . . 700

II. Verfahren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 701 III. Der Zugang zu Kontoinformationen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 702 IV. Anerkennung und Vollstreckung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 703 V.

Rechtsbehelfe und Haftung des Gläubigers  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 704

VI. Fazit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 705

F.

Würdigung der Regelungen zur Urteilsfreizügigkeit  . . . . . . . . . . . . . . 708 I.

Angemessene Berücksichtigung der prozessualen Interessen  . . . . . . 708 1. Urteilsfreizügigkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 708 2. Überprüfung der Zuständigkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 710 3. Sicherung des rechtlichen Gehörs  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 712 a) Überprüfung des im Erkenntnisverfahren gewährten rechtlichen Gehörs  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 712 b) Zustellung einer Übersetzung vor einer Auslandsvollstreckung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 714 4. Materiellrechtlicher ordre public  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 714 5. Unvereinbarkeit von Entscheidungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 715 6. Die Option der Systemwahl  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 716 a) Die Wahl zwischen EuGVO und EuVTVO  . . . . . . . . . . . . . 716 b) Die Wahl zwischen EuGVO und EuKtPVO  . . . . . . . . . . . . . 718 7. Das Risiko der Doppelvollstreckung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 718

II. Reform  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 719 1. Erkenntnisse aus der Reform der EuGVO  . . . . . . . . . . . . . . . . . 719 2. Vorschläge de lege ferenda  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 721 a) Nicht auf Geldleistung gerichtete Titel  . . . . . . . . . . . . . . . . 721 b) Stärkung des rechtlichen Gehörs im Rahmen der EuVTVO  721 c) Das Risiko der Doppelvollstreckung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 721

§ 17 Bewertung des Europäischen Internationalen Zivilverfahrensrechts  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 723 A. Effektivität des Rechtsverkehrs innerhalb der Europäischen Union  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 723

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XXXV

B. Das Verhältnis zwischen Effektivität und Parteienschutz  . . . . . . . . . . 724 C. Die Einführung von Mindeststandards  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 727 D. Systemstörende Eingriffe in das nationale Verfahrensrecht  . . . . . . . . . 727 E. Unklare völkerrechtliche Schranken  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 728 F.

Lost in Translation  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 729

G. Kohärenz der Rechtsakte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 729 H. Regelungsscheu des Verordnungsgebers  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 732 I.

Das Vorabentscheidungsersuchen im Zivilprozess  . . . . . . . . . . . . . . . . 733 I.

Herausforderungen der Entscheidungsfindung  . . . . . . . . . . . . . . . . 733

II. Der Entscheidungsstil des EuGH  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 734 III. Natur des Vorabentscheidungsersuchens  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 736 1. Zwischenstreit im Ausgangsverfahren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 736 2. Objektives Normauslegungsverfahren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 736 3. Mittelbares Kassationsverfahren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 738 IV. Förderung des Gerichtsdialogs durch ein System doppelter Kontrolle  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 739

J. Ergebnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 739 K. Perspektiven  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 739 I.

Die Justizagenda 2020  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 739

II. Perspektiverweiterung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 740 III. Die Kodifikation des Europäischen Zivilverfahrensrechts  . . . . . . . . 741 IV. Die Organisation der zentralen Unionsgerichtsbarkeit  . . . . . . . . . . 742

4. Teil Ein einheitlicher Streitregelungsmechanismus für Europäische Patente § 18 Der Unified Patent Court  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 747 A. Das Ziel eines einheitlichen Streitregelungsmechanismus  . . . . . . . . . . 747 B. Der lange Weg zum Einheitspatent und zum UPCA  . . . . . . . . . . . . . . 748 I.

Das Übereinkommen über die Erteilung europäischer Patente  . . . . 748

II. Das gescheiterte Übereinkommen über das europäische Patent für den Gemeinsamen Markt  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 749

XXXVI

Inhaltsverzeichnis

III. Halt auf halber Strecke: das European Patent Litigation Agreement  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 750 IV. Der Vorschlag für eine Verordnung über das Gemeinschaftspatent aus dem Jahr 2000  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 751 V.

Neuaufnahme des Projekts Einheitspatent und Vorschlag eines EUUPC-Übereinkommens  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 751

VI. Das Verfahren der Verstärkten Zusammenarbeit und das UPCA  . . 752

C. Überblick über das Patentpaket  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 753 I.

Die Verordnung über das Einheitspatent  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 753

II. Die Verordnung über die anzuwendenden Übersetzungsregelungen 755 III. Das Übereinkommen über ein einheitliches Patentgericht  . . . . . . . . 757 1. Gerichtsorganisation und grundlegendes Zuständigkeitskonzept  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 757 2. Weitere Regelungsgegenstände  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 759 IV. Inkrafttreten des Patentpakets und ungeregelte Aspekte  . . . . . . . . . 760 V.

Vereinbarkeit des Patentpakets mit dem Primärrecht  . . . . . . . . . . . . 761

D. Die Zuständigkeit des Unified Patent Court  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 764 I.

Aufnahme der Arbeit durch den UPC  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 764

II. Internationale Zuständigkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 764 III. Sachliche Zuständigkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 766 IV. Zeitlicher Anwendungsbereich  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 767 V.

Interne Zuständigkeit in erster Instanz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 768 1. Die Kammern der ersten Instanz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 768 2. Prorogationsfreiheit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 770 3. Verletzungsverfahren, einstweilige Maßnahmen und Verfügungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 770 a) Wahlrecht des Klägers  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 770 b) Wahlrecht des Beklagten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 772 4. Bestandsverfahren und negative Feststellungsklage  . . . . . . . . . . 772 5. Nichtigkeitswiderklage  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 773 a) Ermessensfreiheit zwischen Einheits- und Trennungsprinzip  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 773 b) Drittwiderklage im Verletzungsverfahren  . . . . . . . . . . . . . . . 774 c) Der Einwand der Nichtigkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 774 6. Klageerhebung vor einer unzuständigen Kammer  . . . . . . . . . . . 774 7. Koordination zeitlich paralleler Verfahren  . . . . . . . . . . . . . . . . . 775 a) Grundsätzliche Verfahrensbündelung bei einer Kammer  . . . 775 b) Geduldete Verfahrensparallelität  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 776 8. Kritik  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 777

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E. Das Verfahrensrecht des Unified Patent Court  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 779 I.

Leitziele und allgemeine Verfahrensgrundsätze  . . . . . . . . . . . . . . . . 779

II. Die Parteien und ihre Vertreter  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 780 1. Partei- und Prozessfähigkeit, Prozessführungsbefugnis und Postulationsfähigkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 780 2. Streitgenossenschaft, Parteierweiterung und -wechsel, Intervention  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 780 3. Kritik  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 782 III. Überblick über das Verfahren vor der ersten Instanz  . . . . . . . . . . . . 783 1. Konzentrationsmaxime  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 783 2. Das schriftliche Verfahren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 784 3. Das Zwischenverfahren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 785 4. Das mündliche Verfahren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 786 5. Das Höheverfahren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 787 6. Das Kostenverfahren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 787 7. Beweislast und Beweisaufnahme  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 787 8. Kritik  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 789 IV. Beendigung des Verfahrens erster Instanz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 790 V.

Berufung und Wiederaufnahme  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 791

VI. Bewahrung des Status Quo im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 792 1. Verfügbare Maßnahmen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 792 2. Ablauf des Verfahrens  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 794 3. Entscheidung des Gerichts  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 795 a) Bedeutung der materiellen Rechtslage und Abwägung der Parteiinteressen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 795 b) Maßnahmen gegenüber Mittelspersonen  . . . . . . . . . . . . . . . 796 4. Schutz des Antragsgegners und dritter Personen  . . . . . . . . . . . . 796 5. Beschleunigung der Bestandswiderklage vor der Zentralkammer  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 798 6. Kritik  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 798 VII. Zugang zur Informationen aus der Sphäre der gegnerischen Partei  800 1. Beweismittelvorlage im Prozess  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 800 2. Bucheinsichtsrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 801 3. Auskunft  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 802 a) Unklare Qualifikation der Verpflichtung zur Auskunft  . . . . 802 b) Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Art. 67 UPCA  . . . . . 802 c) Voraussetzungen und Rechtsfolgen der r. 191 VerfO17  . . . . . 803 d) Anordnungen gegenüber dritten Personen  . . . . . . . . . . . . . . 803 4. Beweismittelsicherung und Inspektion von Räumlichkeiten  . . . 804 5. Kritik  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 805

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VIII. Zustellung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 807 1. Vorrang der elektronischen Übermittlung  . . . . . . . . . . . . . . . . . 807 2. Kritik  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 809 IX. Die Sprachproblematik  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 810 X. Vollstreckung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 811 XI. Sonstiges  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 813

F. Würdigung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 813 I.

Errichtung eines einheitlichen Gerichts außerhalb der Strukturen der Europäischen Union  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 813

II. Effizientes Handelsverfahren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 815 III. Schnittstellen zwischen staatlicher und überstaatlicher Justizgewähr  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 816 IV. Spaltung der Verfahrensregeln  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 817 V. Lücken  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 819 VI. Breiter Ermessensspielraum der Kammern  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 820 VII. Die fehlende Parteigerechtigkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 821 VIII. Fazit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 821

5. Teil Thesen § 19 Thesen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 827 Anhang Das englische Zivilverfahrensrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 837 A. Rechtsquellen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 837 B. Leitbild der Civil Procedure Rules  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 838 C. Zuständigkeit der Gerichte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 839 D. Vorprozessuales Verhalten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 841 E. Ablauf des Hauptsacheverfahrens in erster Instanz  . . . . . . . . . . . . . . 842 I.

Einleitung des Verfahrens  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 842

II. Das Vorverfahren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 843 1. Verfahrenssteuerung durch das Gericht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 843

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XXXIX

2. Informationsaustausch zwischen den Parteien  . . . . . . . . . . . . . . 844 3. Zusammenstellung der Prozessakte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 845 III. Die Hauptverhandlung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 845 1. Grundsätze und Ablauf der Hauptverhandlung  . . . . . . . . . . . . 845 2. Die Vernehmung von Zeugen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 847 3. Die Anhörung von Sachverständigen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 847 4. Beweisbedürftigkeit ausländischen Rechts  . . . . . . . . . . . . . . . . . 848 5. Verpflichtungserklärungen der Parteien  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 849 IV. Das Höheverfahren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 849

F.

Das stromlinienförmige Verfahren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 850

G. Der small claims track im Intellectual Property Enterprise Court  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 850 H. Besondere Verfahrensarten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 851 I.

Einstweiliger Rechtsschutz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 851

II. Mahnverfahren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 851 III. Säumnis einer Partei  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 851 IV. Summary Judgment  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 852 V. Striking out a case  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 853

I. Rechtsmittel  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 853 J.

Verfahrensdauer und Kosten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 854

K. Urteilsvollstreckung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 856

Abkürzungsverzeichnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 857 Literaturverzeichnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 863 Datenbanken  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 909

1. Teil

Grundlagen

§ 1  Der Gewerbliche Rechtsschutz und das Europäische Zivilverfahrensrecht A. Zielsetzung Der Zivilprozess dient der Feststellung und Durchsetzung subjektiver Rechte, übt eine wichtige Funktion bei der Erhaltung des Rechtsfriedens aus und gewährleistet über den einzelnen Rechtsstreit hinausgehend die Einheit der Rechtsordnung. In einer Staatengemeinschaft mit einheitlichem Binnenmarkt und zunehmender Harmonisierung des Privatrechts liegt die Frage auf der Hand, ob auch die Durchsetzungsbedingungen des harmonisierten materiellen Rechts vereinheitlicht werden sollten bzw. ob der einheitliche Wirtschaftsraum von einem einheitlichen Streitregelungsmechanismus profitieren könnte. Aus unionspolitischer Sicht scheint die Antwort klar: Seit der Sondertagung des Europäischen Rates in Tampere im Jahr 1999 hat sich das Internationale Zivilverfahrensrecht zu einem wesentlichen Politikfeld der Europäischen Union entwickelt, die Verordnungsvorschläge der Europäischen Kommission zielen regelmäßig auf eine Regelung des Zivilverfahrensrechts mit und ohne grenzüberschreitenden Bezug, und die Errichtung eines einheitlichen, gemeinsamen Patentgerichts nahezu aller Mitgliedstaaten befindet sich in Vorbereitung. Im Rahmen dieser Arbeit soll drei zentralen Fragen der Harmonisierung nachgegangen werden: Inwieweit erstreckt sich die Rechtssetzungsbefugnis der Europäischen Union auf Rechtsakte zur Vereinheitlichung des Zivilverfahrensrechts? Wiegen die Vorteile der Harmonisierung die systemstörenden Auswirkungen auf, welche aus punktuellen Eingriffen in die mitgliedstaatlichen Verfahrensordnungen resultieren? Und schließlich: Auf welchem Wege sollte eine Vereinheitlichung gegebenenfalls vorangetrieben werden? Das Sachgebiet des Gewerblichen Rechtsschutzes eignet sich aufgrund seiner Vorreiterstellung in besonderem Maße zur Untersuchung der Materie. Erstens war die sektorspezifische Richtlinie 2004/48/EG zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (DRL) der erste Rechtsakt des Unionsrechts, welcher in seinem Kernbestand Vorgaben zur Ausgestaltung des Zivilverfahrensrechts der Mitgliedstaaten ohne grenzüberschreitende Bezüge enthielt.1 Die Richtlinie 1 Erst deutlich später erlassen wurden die Richtlinie 2009/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 über Unterlassungsklagen zum Schutz der

1

2

3

4

§ 1  Der Gewerbliche Rechtsschutz und das Europäische Zivilverfahrensrecht

zu Schadensersatzklagen im Kartellrecht2 sowie der Richtlinienvorschlag der Europäischen Kommission über den Schutz vertraulichen Know-hows3 lassen erkennen, dass der Durchsetzungsrichtlinie eine Vorbildfunktion für künftige zivilverfahrensrechtliche Bestimmungen des Unionsrechts zukommen dürfte.4 Zweitens eignen sich Streitigkeiten zur Durchsetzung gewerblicher Schutzrechte in besonderem Maße zur Illustration bestimmter Anwendungsprobleme auf dem Gebiet des Internationalen Zivilverfahrensrechts, auf welchem das Unionsrecht bereits eine deutlich höhere Regelungsdichte aufweist. Bei der jüngst erfolgten Revision der Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsverordnung in Zivil- und Handelssachen (EuGVO)5 hat das Gebiet des Gewerblichen Rechtsschutzes als einzige sachrechtliche Materie Hervorhebung in den Vorbereitungsarbeiten der Europäischen Kommission gefunden.6 Drittens soll mit dem Übereinkommen über ein einheitliches Patentgericht (Unified Patent Court  – UPC)7 erstmals ein eigenständiges europäisches Fachgericht auf dem Gebiet des Zivilrechts geschaffen werden. Die Errichtung des UPC beruht zwar nicht auf einem Rechtsakt der Europäischen Union,8 doch wird der UPC als gemeinsames Gericht der durch das Übereinkommen gebundenen Mitgliedstaaten errichtet, fungiert somit als dezentrales Unionsgericht und ist verpflichtet, bei Zweifeln über die Auslegung des Unionsrechts Vorabentscheidungsersuchen an den Europäischen Gerichtshof zu richten. Verbraucherinteressen, ABl. Nr. L 110/30 v.  01. 05. 2009 sowie die Richtlinie  2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. November 2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union, ABl. Nr. L 349/1 v. 05. 12. 2014. 2  Art. 5 der Richtlinie über Schadensersatzklagen bei Verstößen gegen das Kartellrecht (vorige Fn.). 3  Insbesondere Art. 5, 9 bis 14 des Vorschlags der Europäischen Kommission für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Schutz vertraulichen Knowhows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung v. 28. 11. 2013, KOM (2013) 813. Zu Forderungen einer weiteren Angleichung an die Durchsetzungsrichtlinie siehe Kunz-Hallstein/Loschelder, Stellungnahme der GRUR v.  19. 03. 2014, S. 12; MPI für Innovation und Wettbewerb, Stellungnahme v. 12. 05. 2014, Rn. 56 f. 4  Heinze, JZ 2011, 709 (715); Hess, EuZPR, § 11 Rn. 27, 43. 5 Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Neufassung), ABl. Nr. L 351/1 v. 20. 12. 2012. 6  Grünbuch der Europäischen Kommission v. 21. 04. 2009: Überprüfung der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, KOM (2009) 175, S. 6; siehe auch Schlosser in Hess/Pfeiffer/Schlosser-Bericht, Rn. 791 ff. Zur prominenten Rolle des gewerblichen Rechtsschutzes im europäischen IZVR auch Bittmann, IPRax 2012, 414. 7  Übereinkommen über ein einheitliches Patentgericht, ABl. Nr. C 175/1 v. 20. 06. 2013. 8  Zu den Gründen siehe § 18 Rn. 24.



B.  Ubiquität und Territorialität gewerblicher Schutzrechte

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B.  Ubiquität und Territorialität gewerblicher Schutzrechte I.  Gewerbliche Schutzrechte im Spannungsfeld zwischen Territorialität und Globalität Gewerbliche Schutzrechte sind Immaterialgüterrechte, die auf technischem oder nicht-technischem Gebiet einer Person zur gewerblichen Nutzung zugeordnet werden. Immaterialgüter sind von Natur aus ubiquitär, d. h. sie können von verschiedenen Personen zu unterschiedlichen Zeiten und an unterschiedlichen Orten entwickelt und genutzt werden.9 Rechtscharakter und Schutz wird ihnen erst durch staatliche Zuordnung bzw. (bei Registerrechten) Erteilung gewährt, welche überwiegend nach dem Prinzip zeitlicher Priorität erfolgt und auf das Gebiet des Schutzrechtsstaates beschränkt ist.10 Außerhalb des Territoriums des Schutzrechtsstaates entfaltet das gewerbliche Schutzrecht keine Wirkung (sog. Territorialitätsprinzip).11 Als Folge des Territorialitätsprinzips ist eine Verletzung des Schutzrechts prinzipiell nur durch Handlungen im Schutzrechtsstaat möglich.12 Identische Schutzrechte in verschiedenen Schutzrechtsstaaten existieren unabhängig voneinander und können verschiedenen Inhabern zugeordnet sein. Die negativen Auswirkungen des Territorialitätsprinzips auf den weltweiten Handels- und Dienstleistungsverkehr haben bereits Ende des 19. Jahrhunderts zu einer staatsvertraglichen Kooperation im Wege der Pariser Verbandsübereinkunft (PVÜ) geführt,13 weitere internationale Abkommen folgten.14 Diese Staatsverträge mildern die negativen Konsequenzen des Territorialitäts9 

Schönherr in FS Troller, S. 62 f.; Schack, UrhR, Rn. 20 f. Troller, Immaterialgüterrecht, S. 49 ff. Zur Entwicklung des Immaterialgüterrechts siehe Troller a. a. O., S. 15 ff. 11  Zu Ursprung und Kritik des Territorialitätsprinzips siehe Schack, UrhR, Rn. 905 ff. 12  EuGH v. 22. 06. 1994 – C-9/93 – Slg. 1994, I-2789 (Ideal Standard II), Rn. 22; EuGH v. 14. 07. 2005 – C-192/04 – Slg. 2005, I-7199 (Lagardère), Rn. 46; BGH v. 25. 04. 2012 – I ZR 235/10 – GRUR 2012, 1263 (1264) (Clinique Happy); Grabinski, GRUR Int. 2001, 199 (204); Hye-Knudsen, S. 70 f.; Nagel/Gottwald, IZPR, § 3 Rn. 85; jeweils m. w. N. 13  Pariser Verbandsübereinkunft v. 20. 03. 1883, . Auf dem Gebiet des Urheberrechts stellt die (Revidierte) Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst v. 09. 09. 1886 das Gegenstück zum PVÜ dar. 14  Madrider Abkommen über die internationale Registrierung von Marken v. 14. 04. 1891 (MMA) sowie Protokoll zum Madrider Markenabkommen v. 17. 06. 1989 (MMP); Haager Abkommen über die internationale Hinterlegung gewerblicher Muster und Modelle v.  06. 11. 1925 (HMA); Vertrag über die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Patentwesens v. 19. 06. 1976 (Patent Cooperation Treaty, PCT); Internationales Übereinkommen zum Schutz von Pflanzenzüchtungen v.  02. 12. 1961 (PflZÜ)). Text und Ratifikationsstatus dieser Staatsverträge sind zugänglich unter . Mindeststandards des materiellen Schutzes und der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums enthält schließlich das Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights (TRIPS). 10 

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§ 1  Der Gewerbliche Rechtsschutz und das Europäische Zivilverfahrensrecht

prinzips, zementieren das Prinzip dadurch aber auch: Nationale Schutzrechte werden als voneinander unabhängig deklariert,15 und den Staatsbürgern und Ansässigen anderer Verbandsländer wird Inländergleichbehandlung gewährt.16 Ferner verpflichten sich die Verbandsländer zur Einhaltung gewisser schutzrechtlicher Mindeststandards,17 zudem wird eine Identität der Schutzrechtsinhaber in verschiedenen Verbundstaaten durch das Prioritätsrecht des Art. 4 PVÜ18 sowie durch eine Möglichkeit der internationalen Registrierung gefördert.19 Sind die rechtlichen Probleme, welche das Territorialitätsprinzip für den weltweiten Handel- und Dienstleistungsverkehr aufwirft, somit altbekannt, so haben sie sich doch in den vergangenen Jahrzehnten potenziert. Dies lässt sich einerseits auf die zunehmende Globalisierung der Märkte, andererseits auf die zunehmend ubiquitäre Natur der Kommunikationsmittel zurückführen. Für den europäischen Binnenmarkt stellen gewerbliche Schutzrechte deshalb eine besondere Herausforderung dar.

II.  Die Harmonisierung des Gewerblichen Rechtsschutzes innerhalb der EU 7

Gewerbliche Schutzrechte sind Hemmnis und Motor des Binnenmarkts zugleich. Aufgrund der soeben beschriebenen territorialen Beschränkung gewerblicher Schutzrechte wirken diese einerseits als „Störenfriede“ im gemeinsamen Markt und lassen den Binnenmarkt aus immaterialgüterrechtlicher Sicht in die einzelnen Märkte der Mitgliedstaaten zerfallen.20 Das mit der Erteilung eines gewerblichen Schutzrechts verbundene Ausschließlichkeitsrecht begründet zudem eine Monopolstellung, die über den spezifischen Gegenstand des Schutzrechts hinausgehend genutzt werden kann, um den Wettbewerb im Binnenmarkt zu behindern.21 Andererseits wird der durch gewerbliche Schutzrechte bewirkte Innovations- und Investitionsschutz als wichtiger Faktor angesehen, um die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen zu sichern,

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Art. 4bis Abs. 1 PVÜ. Art. 2 Abs. 1, 3 PVÜ; Art. 3 Abs. 1 TRIPS. 17  Art. 1 bis 12, 19 PVÜ, Art. 9 bis 27 TRIPS. 18  Der Anmelder eines Schutzrechts in einem Verbandsstaat genießt danach in einem anderen Verbandsstaat ein sechs- bzw. zwölfmonatiges Prioritätsrecht für die Erteilung weiterer Schutzrechte. 19  Art. 1 Abs. 2 MMA; Art. 4 Abs. 1 HMA; Art. 3 PCT (Fn. 14). 20  Ohly, ZEuP 2004, 296; Ullrich in Behrens, Stand und Perspektiven, S. 41 ff. 21  EuGH v. 13. 07. 1966 – 56/64 – Slg. 1966, 321 (Grundig), S. 393 f.; EuGH v. 14. 09. 1982 – 144/81 – Slg. 1982, 2853 (Keurkoop), Rn. 28; EuGH v. 05. 10. 1988 – 238/87 – Slg. 1988, 6211 (Volvo), Rn. 9; Weiß in Callies/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 101 AEUV Rn. 228 ff., Art. 102 AEUV Rn. 38 ff. m. w. N. 16 



B.  Ubiquität und Territorialität gewerblicher Schutzrechte

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eine positive Entwicklung des Arbeitsmarkts zu fördern und so den Erfolg des Binnenmarkts zu gewährleisten.22 Diese Doppelnatur gewerblicher Schutzrechte im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf den Binnenmarkt ist Ausgangspunkt für den Regulierungsansatz der Europäischen Union, welcher durch zwei Ziele geprägt ist: Erstens der Einführung eines möglichst hohen Schutzniveaus; zweitens der Überwindung des Territorialitätsprinzips durch Angleichung der nationalen Rechtsnormen auf der einen Seite und Zurverfügungstellung einheitlicher, unionsweiter Schutzrechte auf der anderen Seite. Flankiert wird diese Rechtsetzung durch eine kartellrechtliche Kontrolle solcher Wettbewerbsbeschränkungen, die über den spezifischen Gegenstand des Schutzrechts hinausgehen.23 Die erste Kategorie der Rechtssetzungsakte zum materiellen gewerblichen Rechtsschutz der Union hat die Vereinheitlichung der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten durch Richtlinienrecht zum Ziel. Je nach Rechtsakt werden die Erteilungsvoraussetzungen, der Schutzumfang und/oder die Rechtswirkungen der nationalen Ausschließlichkeitsrechte harmonisiert. Zu nennen sind die Biotechnologie-Richtlinie,24 die Halbleiterschutzrichtlinie,25 die Markenrechtsrichtlinie26 sowie die Design- bzw. Geschmacksmuster-Richtlinie.27 22  Erwägungsgrund 1 DRL; EuGH v. 17. 10. 1990 – C-10/89 – Slg. 1990, I-03711, Rn. 13; Tattay, GRUR Int. 2013, 1012 (1013 f.); McGuire in Gebauer/Wiedmann, Kap. 23 Rn. 4; Stieper in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, Art. 118 AEUV Rn. 6; Ullrich in Behrens, Stand und Perspektiven, S. 47 mit Kritik auf S. 49 f. Zur ökonomischen Bedeutung schutzrechtsintensiver Wirtschaftszweige siehe die gemeinsame Studie von EPA und HABM, IP rights intensive industries, S. 6 ff. 23  Zur Kontrolle wettbewerbswidriger Praktiken in vertraglichen Lizenzen siehe EuGH v.  25. 02. 1986  – 193/83  – Slg. 1986, 611 (Windsurfing International), Rn. 37 ff.; EuGH v. 19. 04. 1988 – 27/87 – Slg. 1988, 1919, (Erauw-Jacquery), Rn. 15 sowie Verordnung (EG) Nr. 772/2004 der Kommission vom 27. April 2004 über die Anwendung von Artikel 81 Absatz 3 EG-Vertrag auf Gruppen von Technologietransfer-Vereinbarungen (GVO-TT), ABl. Nr. L 123/11 v. 27. 04. 2004. Zum Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung mit der Folge einer Zwangslizensierung siehe EuGH v. 29. 04. 2004 – C-418/01 – Slg. 2009, 5039 (IMS Health), Rn. 37 ff.; EuG v. 17. 09. 2007 – T-201/04 – Slg. 2007, II-3601 (Microsoft), Rn. 647 ff.; ferner die Pressemitteilungen der Europäischen Kommission v.  21. 12. 2012  – IP/12/1448, v. 06. 05. 2013 – IP/13/406, v. 29. 04. 2014 – IP/14/490 und die Schlussanträge von GA Wathelet v.  20. 11. 2014  – C-170/13 (Huawei Technologies), Rn. 60 ff. Zur missbräuchlichen Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung durch fehlerhafte Angaben gegenüber Patentbehörden siehe EuGH v. 06. 12. 2012 – C-457/10 P (Astra Zeneca). 24  Richtlinie 98/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 1998 über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen, ABl. Nr. L 213/13 v. 30. 07. 1998. 25  Richtlinie 87/54/EWG des Rates vom 16. Dezember 1986 über den Rechtsschutz der Topographien von Halbleitererzeugnissen, ABl. Nr. L 24/36 v. 27. 01. 1987. 26  Richtlinie 2008/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (kodifizierte Fassung), ABl. Nr. L 299/25 v. 08. 11. 2008. Es liegt ein Vorschlag der Kommission zur Überarbeitung der Markenrichtlinie vom 17. 03. 2013 vor, KOM (2013) 162. 27  Richtlinie 98/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 1998 über den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellen, ABl. Nr. L 289/28 v. 28. 10. 1998.

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§ 1  Der Gewerbliche Rechtsschutz und das Europäische Zivilverfahrensrecht

Im November 2013 hat die Europäische Kommission ferner einen Richtlinienvorschlag über den Schutz vertraulichen Know-hows vorgelegt,28 der auch Aspekte der Rechtsdurchsetzung behandelt. Auf dem Gebiet des Patentrechts fehlt es an einem entsprechenden unionsrechtlichen Harmonisierungsakt. Diese Funktion hat in gewisser Hinsicht das Übereinkommen über die Erteilung europäischer Patente (EPÜ) übernommen,29 zu dessen Mitgliederkreis alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union zählen. Als zweite Spur der Rechtsvereinheitlichung stellt die Union alternativ bzw. kumulativ zu den tradierten, nationalen Schutzrechten einheitliche, genuin europäische Schutzrechte nach Maßgabe europäischer Verordnungen zur Verfügung:30 die Gemeinschaftsmarke,31 der einheitliche Schutz geographischer Herkunftsangaben und Ursprungsbezeichnungen,32 das einheitliche Sortenschutzrecht,33 das Gemeinschaftsgeschmacksmuster,34 sowie (in Kürze) das Einheitspatent.35 Keinen einheitlichen Schutz begründen die Verordnungen über ergänzende Schutzzertifikate, sie verlängern de facto die Laufzeit nationaler Patente.36 Der besseren Durchsetzung gewerblicher Schutzrechte dienen schließlich die Produktpiraterie-Verordnung,37 welche den schnellen Zugriff auf schutzrechtsverletzende Waren durch die Zollbehörden ermöglichen soll, sowie die 28  Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung v. 28. 11. 2013, KOM (2013) 813. 29 Näher Ullrich in Behrens, Stand und Perspektiven, S. 19 f. 30  Kein politischer Erfolg war dem Kommissionsvorschlag zur Einführung eines Gemeinschaftsgebrauchsmusters, KOM (1997) 691, beschieden. 31 Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Gemeinschaftsmarke, ABl. Nr. L 78/1 v. 24. 03. 2009. Ein Vorschlag der Kommission zur Überarbeitung der Gemeinschaftsmarkenverordnung datiert vom 27. 03. 2013, KOM (2013) 161 32  Verordnung (EG) Nr. 510/2006 des Rates vom 20. 03. 2006 zum Schutz von geografischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel, ABl. Nr. L 93/12 v. 31. 03. 2006. 33  Verordnung (EG) Nr. 2100/94 des Rates vom 27. Juli 1994 über den gemeinschaftlichen Sortenschutz, ABl. Nr. L 227/1 v. 01. 09. 1994. 34 Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates vom 12. Dezember 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster, ABl. Nr. L 3/1 v.  05. 01. 2002, berichtigt ABl. Nr. L 179/31 v. 09. 07. 2002. 35 Verordnung (EU) Nr. 1257/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2012 über die Umsetzung der Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes, ABl. Nr. L 361/1 v. 31. 12. 2012. 36 Verordnung (EG) Nr. 1610/96 des Europäischen Parlaments und des Rats über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Pflanzenschutzmittel, ABl. Nr. L 198/30 v. 08. 08. 1996 sowie Verordnung (EG) Nr. 1768/92 des Rates vom 18. Juni 1992 über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Arzneimittel, ABl. Nr. L 182/1 v. 02. 07. 1992. Zu Rechtsnatur und Wirkungsweise siehe McGuire in Gebauer/Wiedmann, Kap. 23 Rn. 59 f. sowie Ullrich in Behrens, Stand und Perspektiven, S. 21, 48 f. 37 Verordnung (EU) Nr. 608/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom



C.  Die Harmonisierung des Zivilverfahrensrechts

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bereits erwähnte Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (DRL).38

C.  Die Harmonisierung des Zivilverfahrensrechts I.  Das Internationale Zivilverfahrensrecht Die justizielle Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten im Internationalen Zivilverfahrensrecht, d. h. bei der Regelung von Verfahrensaspekten mit grenzüberschreitendem Bezug, war mangels einer Gemeinschaftskompetenz zur Harmonisierung des Zivilverfahrensrechts über lange Zeit der Domäne der Staatsverträge überantwortet. Die Mitgliedstaaten bedienten sich des  – exklusiv nur Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften offen stehenden  – Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommens in Zivil- und Handelssachen (EuGVÜ)39 sowie anderweitiger multilateraler Übereinkommen, insbesondere solcher, die unter dem Dach der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht ausgehandelt worden waren.40 Erst im Vertrag von Amsterdam (in Kraft getreten im Jahr 1999) fand das politische Ziel, dem offenen Binnenmarkt einen noch aufzubauenden „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ zur Seite zu stellen, für das Zivilrecht Niederklang in einer Rechtsetzungskompetenz zur justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen (Art. 61 lit. c, 65 EGV). Die sich im Oktober 1999 in Tampere anschließende Sondertagung zur Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts41 bot den Auftakt einer höchst aktiven Gesetz12. Juni 2013 zur Durchsetzung der Rechte geistigen Eigentums durch die Zollbehörden und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1383/2003 des Rates, ABl. Nr. L 181/15 v. 29. 06. 2013. 38  Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums, ABl. Nr. L 195/16 v. 02. 06. 2004. 39 Übereinkommen von Brüssel über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen von 1968 (konsolidierte Fassung), ABl. Nr. C 27/1 v. 26. 01. 1998. Im Rahmen der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres (so genannte „Dritte Säule“) nach Art. K. 1 Nr. 6 des EUV von Maastricht wurden ferner drei Konventionsentwürfe ausgearbeitet, die nach Inkrafttreten des Vertrags von Amsterdam stattdessen in das Instrument einer Verordnung gegossen wurden und zum Erlass der EuInsVO, der EuZVO sowie der EheVO-I führten. Näher Hess, EuZPR, § 2 Rn. 5. 40 Aufgrund ihrer besonderen praktischen Bedeutung und ihrer Vorbildfunktion für späteres Gemeinschaftsrecht sind vor allem das Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- und Handelssachen v.  15. 11. 1965 (HZÜ) sowie das Übereinkommen über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- oder Handelssachen v. 18. 03. 1970 (HBÜ) zu nennen. 41 Schlussfolgerungen des Vorsitzes der Tagung des Europäischen Rats in Tampere v. 15. und 16. Oktober 1999, Rn. 33 ff., abgedruckt in Europäische Kommission, Sammlung, S. 27 f. Im Folgenden wurde die Agenda gesetzt durch das Haager Programm zur Stärkung von Freiheit, Sicherheit und Recht in der Europäischen Union, ABl Nr. C 53/1 v. 03. 03. 2005,

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§ 1  Der Gewerbliche Rechtsschutz und das Europäische Zivilverfahrensrecht

gebung im Bereich des Internationalen Zivilverfahrensrechts.42 Nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon setzt sich diese Dynamik ungemindert fort. Seit der Überführung des Internationalen Zivilverfahrensrechts in den Kompetenzbereich der Europäischen Union lassen sich vier grobe Entwicklungslinien identifizieren. Die ersten Rechtsetzungsmaßnahmen bezweckten eine Verbesserung und Ergänzung der in den existierenden Staatsverträgen enthaltenen Regelungen für die klassischen Bereiche internationale Zuständigkeit, Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen sowie Rechtshilfe (EuGVO, EuEheVO, EuInsVO, EuZVO, EuBVO).43 Das Novum der so genannten „Verordnungen der zweiten Generation“ (EuVTVO44, EuMahnVO45, EuGFVO46) bestand in der Streichung bestimmter Anerkennungsversagungsgründe und dem Verzicht auf ein Exequaturverfahren im Nr. 3.4. Hierauf folgte das Stockholmer Programm  – Ein offenes und sicheres Europa im Dienste und zum Schutz der Bürger, ABl. Nr. C 115/1 v. 04. 05. 2010, Nr. 3.1.2., siehe hierzu den Aktionsplan der Kommission, KOM (2010) 171, S. 20 ff. 42  Storskrubb, Civil Procedure, S. 270 „unprecedented dynamic approach“; Hess in FS Leipold, S. 234: „atemberaubende Geschwindigkeit“; Stadler, RIW 2004, 801 (802); Rauscher, IPRax 2012, 40 (43) schlägt mit einem Augenzwinkern die Umbenennung der IPR- und IZVR-Verordnungen in „Tampere I, II, III […]-VOen“ vor. Zur durch die Sonderkonferenz in Tampere bewirkten Zäsur siehe auch Kennett, Enforcement, S. 51 ff.; Hess, EuZPR, § 2 Rn. 36 m. w. N. 43 Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. Nr. L 12/1 v. 16. 01. 2001, revidiert durch Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Neufassung), ABl. Nr. L 351/1 v. 20. 12. 2012 (EuGVO); Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren, ABl. Nr. L 160/1 v.  30. 06. 2000 (EuInsVO); Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung für die gemeinsamen Kinder der Ehegatten, ABl. Nr. L 160/19 v. 30. 06. 2000, revidiert und ersetzt durch Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003, ABl. Nr. 338/1 v.  23. 12. 2003 (EuEheVO); Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, ABl. Nr. 160/37 L v. 30. 06. 2000, revidiert und ersetzt durch Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 vom 13. November 2007, ABl. Nr. L 324/79 v. 10. 12. 2007 (EuZVO); Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 des Rates vom 28. 05. 2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- und Handelssachen, ABl. Nr. L 174/1 v. 27. 06. 2001 (EuBVO). 44 Verordnung (EG) Nr. 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen, ABl. 143/15 v. 30. 04. 2004. 45 Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens, ABl. Nr. L 399/32 v. 30. 12. 2006. 46 Verordnung (EG) Nr. 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen, ABl. Nr. L 199/22 v. 31. 07. 2007; .



C.  Die Harmonisierung des Zivilverfahrensrechts

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Anerkennungs- bzw. Vollstreckungsstaat, verbunden mit der Einführung von Mindeststandards bei der Zustellung und der Rechtsbelehrung des Beklagten. EuMahnVO und EuGFVO schaffen ferner erstmalig einheitliche Verfahrenstypen, deren Ausgestaltung primär unionsrechtlich erfolgt; nur subsidiär wird auf das autonome nationale Recht verwiesen. Die dritte Rechtsetzungsphase ist gekennzeichnet durch Maßnahmen im Bereich des Familien- und Erbrechts, welche das IPR und das IZVR einer koordinierten Regelung zuführen (EuErbVO47, EuUnthVO48). Noch in Vorbereitung sind entsprechende Instrumente auf dem Gebiet des internationalen Güterrechts für Ehegatten und registrierte Lebenspartnerschaften.49 Als vierter Komplex ist die Europäische Kontenpfändungsverordnung (EuKtPVO) zu nennen, die der erleichterten vorläufigen, grenzüberschreitenden Kontenpfändung und der Transparenz des Schuldnervermögens dient.50 Ergänzende Funktion kommt der Richtlinie über Mindestvorschriften für die Prozesskostenhilfe in Streitigkeiten mit grenzüberschreitendem Bezug zu.51 In einem breiteren Kontext zum Schutz der Opfer von Straftaten steht die im Jahr 2013 erlassene Verordnung über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Zivilsachen.52 47  Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses, ABl. Nr. L 201/107 v. 27. 07. 2012. 48  Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates vom 18. Dezember 2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen, ABl. Nr. L 7/01 v. 10. 01. 2009. Die Koordination mit dem Kollisionsrecht erfolgte durch Abstimmung mit dem Haager Unterhaltsprotokoll. 49  Vorschlag v. 16. 03. 2011 für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen im Bereich des Ehegüterrechts, KOM (2011) 126; Vorschlag v. 16. 03. 2011 für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und die Vollstreckung von Entscheidungen im Bereich des Güterrechts eingetragener Partnerschaften, KOM (2011) 127. 50  Verordnung EU Nr. 655/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Einführung eines Verfahrens für einen Europäischen Beschluss zur vorläufigen Kontenpfändung im Hinblick auf die Erleichterung der grenzüberschreitenden Eintreibung von Forderungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. Nr. L 189/59 v.  27. 06. 2014. Zur umfassenderen Transparenz des Schuldnervermögens siehe auch Grünbuch der Europäischen Kommission vom 6. März 2008: Effiziente Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in der Europäischen Union: Transparenz des Schuldnervermögens, KOM(2008) 128. 51  Richtlinie 2003/8/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur Verbesserung des Zugangs zum Recht bei Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug durch Festlegung gemeinsamer Mindestvorschriften für die Prozesskostenhilfe in derartigen Streitsachen, ABl. L 26/41 v. 31. 01. 2003, berichtigt in ABl. Nr. L 32/15 v. 07. 02. 2003. 52 Verordnung (EU) Nr. 606/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juni 2013 über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Zivilsachen, ABl. Nr. L 181/4 v. 29. 06. 2013; zum Kontext siehe Pressemitteilung des Rates vom 06. 06. 2013, 10412/13 sowie Mansel/Thorn/Wager, IPRax 2014, 1 (2 f.).

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§ 1  Der Gewerbliche Rechtsschutz und das Europäische Zivilverfahrensrecht

Zeitgleich zu den hier dargestellten Entwicklungslinien erfolgten Revisionen einiger der genannten Rechtsakte (EuEheVO, EuZVO, EuGVO).53 Die EU-Justizagenda für 2020 sieht primär eine Konsolidierung, gegebenenfalls auch eine Kodifikation, des bisher Erreichten vor.54

II.  Das Zivilverfahrensrecht ohne grenzüberschreitenden Bezug 14

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In deutlichem Kontrast zu der Fülle internationalzivilverfahrensrechtlicher Rechtsakte ist das Zivilverfahrensrecht ohne grenzüberschreitenden Bezug nur in begrenztem Maße Gegenstand europäischer Rechtssetzung. Augenfällig ist insoweit der Zusammenhang zwischen der Vereinheitlichung des materiellen Rechts und des Zivilverfahrensrechts. Rechtsakte zur Vereinheitlichung sektoriellen Verfahrensrechts finden sich in jenen Bereichen des Zivilrechts, in denen die materielle Rechtsangleichung durch Sekundärrecht weit fortgeschritten ist, d. h. in den Bereichen des Verbraucherrechts,55 des geistigen Eigentums und des Kartellrechts.56 Ferner existieren vereinzelt zivilverfahrensrechtliche Bestimmungen mit geringer Regelungstiefe als Annexregelungen in Sekundärrechtsakten, welche der materiellrechtlichen Rechtsangleichung gewidmet sind oder originäre Rechtstitel unionsrechtlichen Ursprungs kreieren.57 Es lässt sich demnach eine Tendenz zur Materialisierung des Verfahrensrechts unionsrechtlicher Natur konstatieren,58 d. h. zur sektorspezifischen Harmonisierung des Verfahrensrechts aus der Perspektive bestimmter, als schutzbedürftig identifizierter Inhaber materieller Rechte unionsrechtlichen Ursprungs.59 Ganz deutlich tritt dies zutage in dem im Sommer 2013 von der Europäischen Kommission vorgelegten Maßnahmenpaket zu Kollektivklagen, welches neben dem Vorschlag zu der bereits angesprochenen Richtlinie über 53 Supra Fn. 43. Zur Änderung der EuInsVO hat die Europäische Kommission am 12. 12. 2012 einen Vorschlag unterbreitet, KOM (2012) 744; zur Revision der EuGFVO wurde am 19. 11. 2013 ein Revisionsvorschlag vorgelegt, KOM (2013) 794. 54  Mitteilung der Europäischen Kommission, Die EU-Justizagenda für 2020 – Stärkung von Vertrauen, Mobilität und Wachstum in der Union, KOM(2014)144, S. 6, 9. 55 Richtlinie 2009/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen, ABl. Nr. L 110/30 v. 01. 05. 2009. 56  Richtlinie über Schadensersatzklagen bei Verstößen gegen das Kartellrecht, ABl. Nr. L 349/1 v. 05. 12. 2014. 57 Art. 5 der Richtlinie 2000/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. Juni 2000 zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr ABl. Nr. L 200/35 v. 08. 08. 2000; Art. 94 ff. GMV; Art. 79 ff. GGV; Art. 101 ff. GSVO. 58  Heinze, JZ 2011, 709 (715 f.); Hess, EuZPR, § 11 Rn. 41. 59 Bände spricht beispielsweise der Einleitungssatz des Berichts der Europäischen Kommission zur Anwendung der Richtlinie 2004/48/EG zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums, KOM (2010) 779, S. 3: „Es müssen unbedingt wirkungsvolle Mittel gefunden werden, um die Rechte des geistigen Eigentums durchzusetzen und Innovation und kreatives Schaffen zu fördern.“



C.  Die Harmonisierung des Zivilverfahrensrechts

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Schadensersatzklagen bei Verstößen gegen das Kartellrecht auch eine an die Mitgliedstaaten gerichtete Empfehlung für „Gemeinsame Grundsätze für kollektive Unterlassungs- und Schadensersatzverfahren in den Mitgliedstaaten bei Verletzung von durch Unionsrecht garantierten Rechten“ beinhaltet.60

III.  Informationsaustausch und Vernetzung Dem Informationsaustausch und der Vernetzung zwischen den Gerichten und Justizbehörden der Mitgliedstaaten dient das Europäische Justizielle Netz für Zivil- und Handelssachen (EJN).61 Ziel des Netzes ist es erstens, Informationen über das europäische Internationale Zivilverfahrensrecht und die Gerichtsorganisation und Verfahrensordnungen der Mitgliedstaaten zur Verfügung zu stellen. Maßgebliches Instrument sind zwei Webseiten der Europäischen Kommission, der sogenannte Europäische Gerichtsatlas für Zivilsachen62 sowie das Europäische Justizportal.63 Zweitens soll die Kooperation zwischen den Gerichten und Justizbehörden der Mitgliedstaaten durch nationale Kontaktstellen und Verbindungsrichter gestärkt werden.64 Neben der Unterstützung klassischer Rechtshilfemaßnahmen können die Kontaktstellen des EJN als Erkenntnisquellen für die Ermittlung des ausländischen Rechts genutzt werden.65 Als von der Europäischen Kommission geförderte Netzwerke sind ferner zu nennen das Netzwerk der Präsidenten der obersten Gerichte der Europäischen Union66 und das European Judicial Training Network, ein Zusammenschluss der in den Mitgliedstaaten für die Fortbildung von Richtern und Staatsanwälten zuständigen Institutionen, welcher europaweite Fortbildungsangebote sowie Kurzzeithospitationen und Studienbesuche bei Institutionen der Europäischen Union anbietet.67 Hierzu zählt auch eine 60  ABl. Nr. L 201/60 v. 26. 07. 2013; siehe ferner Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: „Auf dem Weg zu einem allgemeinen europäischen Rahmen für den kollektiven Rechtsschutz“, KOM (2013) 401. 61 Entscheidung Nr. 2001/470/EG des Rates über die Einrichtung eines Europäischen Justiziellen Netzes für Zivil- und Handelssachen, ABl. Nr. L 174/25 v. 27. 06. 2001 sowie Entscheidung Nr. 568/2009/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 zur Änderung der Entscheidung 2001/470/EG des Rates über die Einrichtung eines Europäischen Justiziellen Netzes für Zivil- und Handelssachen, ABl. Nr. L 168/35 ff. v. 30. 06. 2009. Näher Hess, EuZPR, § 3 Rn. 78 ff.; Carl/Menne, NJW 2009, 3537 ff. sowie die Website des EJN, . 62 . 63 . 64  Art. 2 Abs. 2 der Entscheidung. Zu den Schwierigkeiten der Kooperation über Verbindungsrichter im Einzelfall siehe Sickerling in Gsell/Hau, Zivilgerichtsbarkeit, S. 67 f. 65  Art. 5 Abs. 2 lit. a der Entscheidung. 66 . 67 .

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§ 1  Der Gewerbliche Rechtsschutz und das Europäische Zivilverfahrensrecht

spezifisch auf die Anforderungen des Europäischen Internationalen Zivilverfahrensrechts zugeschnittene Sprachvermittlung.68

IV.  Wissenschaftliche Initiativen 17

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Einige wissenschaftliche Initiativen haben es sich zum Ziel gesetzt, Prinzipien des Europäischen Zivilverfahrensrechts zu erarbeiten. Ein bereits im Jahr 1994 vorgelegter Entwurf einer Verfahrensordnung wurde von der von Marcel Storme geleiteten „Kommission für ein europäisches Zivilprozessgesetzbuch“ erarbeitet.69 Ziel der Kommission war es, gemeinsame Regeln für alle Stadien des Zivilverfahrens niederzulegen.70 Der aus 126 Artikeln bestehende und in 14 Abschnitte untergliederte Entwurfstext weist deutlich fragmentarischen Charakter auf: Jene Materien, die in besonderem Maße nationalen Spezifika unterliegen, wurden von vorneherein aus der Beratung ausgeklammert.71 Eine Konsequenz dieser Selbstbeschränkung war der Verzicht auf die Formulierung von Prozessmaximen,72 die als Fundament und Gerüst des Entwurfs hätten dienen können. Eine die rechtspolitische Diskussion anregende Strahlkraft wie den „Principles of European Contract Law“ der Lando-Kommission war den Arbeiten der Storme-Kommission nicht beschieden.73 Die aus einer Kooperation des American Law Institute (ALI)74 und dem International Institute for the Unification of Private Law (UNIDROIT) hervorgegangenen „Principles of Transnational Civil Procedure“ formulieren 31 allgemein gehaltene Regelungen bzw. Prinzipien, mittels derer ein Brückenschlag zwischen den unterschiedlichen Verfahrensordnungen der Welt, ins68 .

69  Abgedruckt in ZZP 109 (1996), 337, 345–371. Zur (verhaltenen bis ablehnenden) Rezeption in der Wissenschaft siehe Hess, EuZPR, § 13 Rn. 4 ff. m. w. N. sowie den Diskussionsbericht von Lemken, ZZP 109 (1996), 337 ff. 70 Die Storme-Kommission ging aus einem autonomen Zusammenschluss europäischer Wissenschafter im Jahr 1987 hervor. Die finanzielle Förderung durch die Europäischen Gemeinschaften war an zeitliche Vorgaben sowie an die Forderung nach einem Entwurf in Richtlinienform gebunden, vgl. Diskussionsbeitrag von Prütting auf der Tagung der Vereinigung der Zivilprozessrechtslehrer 1996, berichtet bei Lemken, ZZP 109 (1996), 337 (338 f.). 71  Diskussionsbeitrag von Kerameus auf der Tagung der Vereinigung der Zivilprozessrechtslehrer 1996, berichtet bei Lemken, ZZP 109 (1996), 337. 72  Kerameus a. a. O. 73 Kritisch Hess, EuZPR, § 13 Rn. 7. 74  Das American Law Institute ist eine im Jahr 1923 gegründete unabhängige, gemeinnützige Organisation, deren Ziel die Systematisierung und Vereinfachung des Common Law ist. Am bekanntesten ist das ALI für seine Restatements of the Law, d. h. für unverbindliche, aber einflussreiche Darstellungen des amerikanischen Common Law de lege lata. Ferner entwickelt das ALI Modellgesetze für einzelstaatliche Kodifikationen in den USA, als besonders erfolgreich hat sich der Uniform Commercial Code erwiesen. Seit der Milleniumswende publiziert das ALI auch Principles, welche Reformvorschläge für ausgewählte Rechtsgebiete enthalten.



D.  Begrenzung des Untersuchungsgegenstands

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besondere zwischen den Rechtsordnungen des Common Law und des Civil Law, vorgenommen werden soll.75 Eine Initiative des European Law Institute (ELI)76 in Kooperation mit UNIDROIT aus dem Jahr 2013 hat sich die Adaption der ALI/UNIDROIT Principles an das Unionsrecht und die Entwicklung von „European Rules of Civil Procedure“ zum Ziel gesetzt.77 Aus zweierlei Gründen verdienen schließlich die Arbeiten der Max-PlanckGesellschaft Erwähnung. Aus einer Kooperation des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht mit dem Max-Planck-Institut für Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht ist die internationale Arbeitsgruppe Max Planck Group on Conflict of Laws in Intellectual Property (CLIP) hervorgegangen, die sich die Entwicklung von Regelungen des internationalen Privat- und Zivilverfahrensrechts auf dem Gebiet des geistigen Eigentums zum Ziel gesetzt hat, in deutlicher Anlehnung an das bestehende EU-Recht.78 Das im Mai 2013 eröffnete Max Planck Institut für Internationales, Europäisches und Regulatorisches Verfahrensrecht in Luxemburg soll als institutionelle Basis für weitere wissenschaftliche Kooperationen zur Entwicklung der Justizstruktur innerhalb der Europäischen Union dienen.79

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D.  Begrenzung des Untersuchungsgegenstands I.  Berücksichtigte Regelungstexte Am Ziel dieser Arbeit ausgerichtet, die Harmonisierung des Zivilverfahrensrechts innerhalb der Europäischen Union zu untersuchen, werden im Folgenden lediglich Bestimmungen des Unionsrechts oder solche unionsrechtlicher Provenienz (Umsetzung von Richtlinienrecht, staatsvertragliche Übereinkommen zwischen EU-Mitgliedstaaten) untersucht, die für die Durchsetzung gewerb75  .

Siehe ferner American Law Institute, Principles on Jurisdiction and Choice of Law in Transborder Disputes. Eine Einführung aus deutscher Sicht bietet Stürner, RabelsZ 69 (2005), 201 ff. 76 Das European Law Institute ist eine unabhängige gemeinnützige Organisation mit Sitz in Wien, die im Jahr 2011 in Anlehnung an das Vorbild des American Law Institute gegründet wurde. Das ELI will zu einer qualitativ hochwertigen Rechtsvereinheitlichung innerhalb der Europäischen Union beitragen und als Diskussionsforum zwischen Rechtswissenschaft, Rechtspolitik und Rechtspraxis dienen. 77  Zielsetzung ist es, die ALI Principles weiterzuentwickeln unter Berücksichtigung der EMRK, des Sekundärrechts der Union, der Rechtstraditionen der Mitgliedstaaten und der Ergebnisse der Storme-Kommission, vgl. . 78 . Regelungsvorschläge samt Kommentar sind publiziert in dem Band Conflict of laws in intellectual property: the CLIP principles and commentary, Oxford 2013. 79  Hess, ZEuP 2013, 229 (234).

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§ 1  Der Gewerbliche Rechtsschutz und das Europäische Zivilverfahrensrecht

licher Schutzrechte von Bedeutung sind. Ausgeklammert bleiben Regelungstexte, denen für das Rechtsgebiet des Gewerblichen Rechtsschutzes keine oder nur höchst geringe Relevanz zukommt. Dies betrifft naturgemäß Verfahrensbestimmungen im Bereich des Familien- und Erbrechts (EuEheVO, EuUnthVO, EuErbVO), aber auch die Verordnungen zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens80 und zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen81 sowie die Richtlinie über Mindestvorschriften für die Prozesskostenhilfe in Streitigkeiten mit grenzüberschreitendem Bezug.82 Ferner wird die Gesamtvollstreckung (EuInsVO) von der Untersuchung ausgenommen. Da die Arbeit der Vereinheitlichung des Zivilverfahrensrechts gewidmet ist, finden schließlich die unionsrechtlichen Administrativverfahren,83 die Initiativen der Europäischen Union auf dem Gebiet der alternativen Streitbeilegung84 und das – unionsrechtlich nicht geregelte – außergerichtliche Verfahren (Abmahnung und strafbewehrte Unterlassungserklärung) keine Berücksichtigung.

II.  Besonders berücksichtigte nationale Verfahrensordnungen 21

Soweit die Umsetzung von Richtlinienrecht in das nationale Recht bzw. das Zusammenspiel von unionsrechtlichen Bestimmungen mit dem autonomen Zivilverfahrensrecht Gegenstand der Untersuchung ist, werden primär die 80  Aufgrund ihrer Komplexität eignen sich Rechtssachen des gewerblichen Rechtsschutzes regelmäßig nicht für Mahnverfahren, zumal sich das Rechtsschutzbegehren des Klägers meist nicht auf die Zahlung einer Geldforderung beschränkt. Darüber hinaus sind Ansprüche aus außervertraglichen Schuldverhältnissen vom Anwendungsbereich der EuMahnVO nicht erfasst. 81  Nach Art. 2 Abs. 1 EuGFVO gilt diese nur für Streitwerte bis zu 2.000 EUR, ein Betrag, der bei Rechtssachen des gewerblichen Rechtsschutzes regelmäßig überschritten wird. 82  Der in der PKH-Richtlinie vorgegebene Anspruch auf Prozesskostenhilfe steht nur unbemittelten natürlichen Personen zu und ist deshalb in Verfahren über die Durchsetzung gewerblicher Schutzrechte selten gegeben. 83  Siehe hierzu Jaeger, System einer Europäischen Gerichtsbarkeit, S. 161 ff. 84 Richtlinie 2008/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2008 über bestimmte Aspekte der Mediation in Zivil- und Handelssachen, ABl. Nr. L 136/3 v. 24. 05. 2008; Art. 4 Abs. 2 lit. d der Verordnung (EG) Nr. 733/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. April 2002 zur Einführung der Domäne oberster Stufe „.eu“, ABl. Nr. L 113/1 v. 30. 04. 2002. Verordnung (EU) Nr. 524/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2013 über die Online-Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2009/22/ EG, ABl. Nr. L 165/1 v. 18. 06. 2013; Richtlinie 2013/11/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2013 über die alternative Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2009/22/EG ABl. Nr. L 165/13 v. 18. 06. 2012. Zu Schiedsgerichtsbarkeit und Mediation im gewerblichen Rechtsschutz siehe Schäfer, Mitt. 2001, 109 ff.; Labes/Lörcher in Hasselblatt, MAH GewRS, § 7 Rn. 50. Zur Mediation vor dem Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt Stürmann, JIPlP 2013, 708 ff.



D.  Begrenzung des Untersuchungsgegenstands

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deutsche Zivilprozessordnung und das Verfahrensrecht von England und Wales85 berücksichtigt. Dies hat vielfältige Gründe: Beide Rechtsordnungen verfügen über eine lange Tradition der Prozessführung und einen großen gerichtlichen Erfahrungsschatz auf dem Gebiet des Gewerblichen Rechtsschutzes, weshalb die autonomen Regelungen in Teilbereichen Pate für Bestimmungen der Durchsetzungsrichtlinie sowie für die Verfahrensregeln vor dem Unified Patent Court gestanden haben. Es handelt sich jeweils um einen Vertreter einer Common Law- und einer Civil Law-Rechtsordnung sowie um jeweils eine Rechtsordnung, welche die Frage der Verletzung und des Bestands eines gewerblichen Schutzrechts in einem einheitlichen Verfahren zu klären sucht (Verbundsystem) bzw. hierfür separate Verfahren vorsieht (Trennungssystem/ bifurcation). Zum besseren Verständnis der im Rahmen dieser Arbeit erörterten Regelungen des englischen Rechts enthält der Anhang einen kurzen Überblick über das allgemeine Zivilverfahrensrecht von England und Wales. Ausgerichtet an einer besseren Lesbarkeit wird künftig nur vom „englischen“ Zivilverfahrensrecht gesprochen, während das kleinere Wales – zumindest sprachlich – hinter seinem großen Nachbarn zurückstecken muss.

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III.  Begriff des Gewerblichen Rechtsschutzes Der Untersuchung wird eine enge Bedeutung des Begriffs des Gewerblichen Rechtsschutzes zu Grunde gelegt. Als gewerbliche Schutzrechte verstanden werden vorliegend immaterielle Güter, die auf technischem oder nicht-technischem Gebiet einer Person zur gewerblichen Nutzung nach dem Prioritätsprinzip ausschließlich zugeordnet werden. Die Verleihung des Ausschlussrechts erfolgt in der Regel zeitlich befristet durch einen hoheitlichen Erteilungsakt, der in einer Registereintragung Ausdruck findet und prinzipiell territorial auf das Hoheitsgebiet des verleihenden Staates begrenzt ist. Zu nennen sind Patente, Kennzeichen, Designs (früher als Geschmacksmuster bezeichnet)86, das Sortenschutzrecht für neue Pflanzensorten, das Topographienschutzrecht für Halbleitererzeugnisse sowie das Gebrauchsmusterrecht, welches freilich nicht in allen Mitgliedstaaten der Union bekannt ist. Nicht behandelt wird die zivilprozessuale Durchsetzung von (kulturelle Leistungen schützenden) Urheberrechten, auch wenn die gewerbliche Aus85  Innerhalb Großbritanniens ist die Verfahrensordnung von England und Wales im Hinblick auf den Gewerblichen Rechtsschutz die prägende Teilrechtsordnung. Den Gerichten Schottlands, Nordirlands und der Isle of Man liegen nur höchst selten Verfahren vor, die gewerbliche Schutzrechte betreffen, vgl. Luginbühl, European PatL, S. 32 m. w. N. 86  Zur Abkopplung von der urheberrechtlichen Wurzel des Design- bzw. Geschmacksmusterrechts siehe Götting, GewRS, § 39 Rn. 2; Ensthaler, GewRS, S. 206. Auch Art. 1 Abs. 2 PVÜ zählt gewerbliche Muster oder Modelle zum Begriff des gewerblichen Eigentums.

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§ 1  Der Gewerbliche Rechtsschutz und das Europäische Zivilverfahrensrecht

beutung von Urheberrechten und ergänzenden Schutzrechten in heutiger Zeit ebenso wenig geleugnet werden kann wie gewisse Konvergenzen zwischen den Rechtsgebieten des Gewerblichem Rechtsschutzes und des Urheberrechts.87 Auch das Lauterkeitsrecht88 und der Schutz geographischer Herkunftsangaben89 werden aus der Untersuchung ausgeklammert, da sie keine absoluten Rechtspositionen begründen.

E. Untersuchungsverlauf 25

Die Analyse beginnt mit einer Erläuterung wichtiger primärrechtlicher Rahmenbedingungen des europäischen Zivilverfahrensrechts, die durch den EUVertrag und den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union gesetzt werden. Im anschließenden zweiten Teil der Arbeit wird die Umsetzung der Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums in das deutsche und englische Recht erläutert, der Harmonisierungserfolg bewertet und Reformbedarf aufgezeigt. Der dritte Teil der Arbeit widmet sich dem Internationalen Zivilverfahrensrecht unionsrechtlicher Prägung unter besonderer Berücksichtigung spezifischer Probleme der Prozessführung im gewerblichen Rechtsschutz; hierbei wird auch auf zivilverfahrensrechtliche Besonderheiten in den Verordnungen über die Gemeinschaftsschutzrechte eingegangen. Im Focus des vierten Teils der Arbeit steht die Errichtung des Einheitlichen Patentgerichts (UPC) und dessen Verfahrensordnung.

87  Zu Konvergenzen und weiterhin bestehenden Differenzen siehe Götting, GewRS, § 1 Rn. 8 f. sowie Jaeger, System einer Europäischen Gerichtsbarkeit, S. 46, 54. 88  Obgleich etwa Art. 1 Abs. 2 PVÜ das Lauterkeitsrecht zum Gegenstand des gewerblichen Eigentums zählt. Nach EuGH v. 14. 12. 2000 – C-300/98 – Slg. 2000, I-11307 (Dior), Rn. 63, bleibt es den Mitgliedstaaten überlassen, ob sie das Lauterkeitsrecht als „Recht des Geistigen Eigentums“ i. S. d. Art. 50 Abs. 1 TRIPs qualifizieren. 89  Der Schutz geographischer Herkunftsangaben ist im deutschen Recht als besonderer Irreführungstatbestand ausgestaltet, die Verordnung (EG) 510/2006 steht freilich in der Tradition des französischen Rechts, welches den Schutz von Herkunftsangaben als echtes Immaterialgüterrecht ansieht, vgl. McGuire in Gebauer/Wiedmann, Kap 23 Rn. 101.

§ 2  Primärrechtliche Rahmenbedingungen A.  Rechtsetzungskompetenzen der Europäischen Union I.  Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen Der Erlass zivilverfahrensrechtlicher Regelungen auf dem Gebiet des Gewerblichen Rechtsschutzes lässt sich auf verschiedene Kompetenztitel stützen. Der Vertrag von Lissabon proklamiert für das Gebiet der Union einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in dem die Grundrechte der Bürger sowie die verschiedenen Rechtsordnungen und Rechtstraditionen der Mitgliedstaaten Beachtung finden sollen.1 Die konkurrierende2 Rechtsetzungskompetenz der Union nach Art. 81 AEUV ist in ihrem Kern wesensgleich zu Art. 61 lit. c), 65 EGV.3 Sie ermächtigt die Union zur Gesetzgebung im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen mit grenzüberschreitendem Bezug, wobei der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher und außergerichtlicher Entscheidungen besondere Hervorhebung findet. Ergänzend kommt der Erlass von Maßnahmen zur Harmonisierung der mitgliedsstaatlichen Rechtsvorschriften in Betracht,4 insbesondere der Erlass prozessualer Mindeststandards, die geeignet sind, eine erleichterte Urteilsfreizügigkeit zu befördern.5 Ein Binnenmarktsbezug der Rechtsetzung ist nicht erforderlich.6

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Art. 67 Abs. 1 AEUV. Art. 4 Abs. 2 lit. j, Art. 2 Abs. 2 AEUV. 3  Zu den – in der Anwendungspraxis marginalen – Unterschieden vgl. Rossi in Callies/ Ruffert, EUV/AEUV, Art. 81 AEUV Rn. 6, 7, 13; Leible in Streinz, EUV/AEUV, Art. 81 Rn. 11 f., 19. 4  Art. 81 Abs. 1 S. 2 AEUV. Der ergänzende bzw. subsidiäre Charakter von Harmonisierungsmaßnahmen wird in Art. 81 Abs. 2 lit. f („erforderlichenfalls“) betont. Wie hier Stumpf in Schwarze, EU-Kommentar, Art. 81 AEUV Rn. 21; Rossi in Callies/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 81 AEUV Rn. 28 (mit Hinweis auf die fehlende Justiziabilität dieser Beschränkung). 5  Leible in Streinz, EUV/AEUV, Art. 81 Rn. 18; Rossi in Callies/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 81 AEUV Rn. 6. 6  Art. 81 Abs. 2 nennt den Binnenmarktsbezug lediglich als Regelbeispiel. Wie hier Rossi in Callies/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 81 AEUV Rn. 1, 13; Kretschmer in Vedder/Heintschel von Heinegg, EVV, Art. III-269 Rn. 2; Stumpf in Schwarze, EU-Kommentar, Art. 81 AEUV Rn. 10; Hoppe in Lenz/Borchardt, EU-Verträge, Art. 81 AEUV Rn. 3. 2 

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§ 2  Primärrechtliche Rahmenbedingungen

Art. 81 Abs. 2 AEUV enthält acht abschließend7 zu verstehende Kompetenztitel, die teilweise sehr weitläufig formuliert sind.8 Dies gilt neben Abs. 2 lit. f (Beseitigung von Hindernissen für die reibungslose Abwicklung von Zivilverfahren, erforderlichenfalls durch Förderung der Vereinbarkeit der in den Mitgliedstaaten geltenden zivilrechtlichen Verfahrensvorschriften) insbesondere für Abs. 2 lit. e (Sicherstellung eines effektiven Zugangs zum Recht).9 Der Justizgewähranspruch des Klägers ist von dieser Formulierung ebenso erfasst wie die Verteidigungsrechte des Beklagten10 und somit letztlich jedweder Bereich des Zivilverfahrensrechts.11 Ein solch weites Verständnis wird auch durch Art. 67 Abs. 4 AEUV nahegelegt.12 Dort fungiert die Wendung „Zugang zum Recht“ als Chiffre für die politische Zielsetzung, den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts im Bereich der Zivilsachen zu verwirklichen; folgerichtig wird beispielsweise die Anerkennung zivilrechtlicher Entscheidungen in Art. 67 Abs. 4 AEUV als Unterfalls des Zugangs zum Recht bezeichnet. Kontur erhält die Rechtsetzungskompetenz für die justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen deshalb maßgeblich durch das in Art. 81 Abs. 1 AEUV verwendete Merkmal des „grenzüberschreitender Bezugs“. Ein grenzüberschreitender Bezug ist zu bejahen, sofern der Rechtsetzungsakt Verfahren betrifft, die im Anwendungszeitraum Anknüpfungspunkte zu mindestens zwei Staaten aufweisen.13 Abweichend hiervon vertrat die Europäische Kommission wiederholt die Auffassung, aufgrund der potentiellen Vollstreckung eines Urteils im Ausland wohne jedwedem Zivilverfahren ein grenzüberschreitender Bezug inne. Die mehrfachen Vorschläge der Kommission, die Gesetzgebung der Union im Zivilverfahrensrecht auf reine Inlandssachverhalte zu erstre7  Kretschmer in Vedder/Heintschel von Heinegg, EVV, Art. III-269 Rn. 2; Rossi in Callies/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 81 AEUV Rn. 7; Hoppe in Lenz/Borchardt, EU-Verträge, Art. 81 AEUV Rn. 3. 8  Näher zu den einzelnen Kompetenztiteln Leible in Streinz, EUV/AEUV, Art. 81 Rn. 19 ff. m. w. N. 9  Rossi in Callies/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 81 AEUV Rn. 7; Kretschmer in Vedder/ Heintschel von Heinegg, EVV, Art. III-269 Rn. 8. 10  Siehe (in anderem Kontext) auch Nuyts in Nuyts/Watté, International Civil Litigation, S. 179. 11 Ähnlich Rossi in Callies/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 81 AEUV Rn. 26 sowie Hess, EuZPR, § 2 Rn. 36 („Koordinierung und Standardisierung nationaler Prozesse“). 12  Art. 67 Abs. 4 AEUV lautet: „Die Union erleichtert den Zugang zum Recht, insbesondere durch den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher und außergerichtlicher Entscheidungen in Zivilsachen.“ 13  Leible in Streinz, EUV/AEUV, Art. 81 AEUV Rn. 8 f.; Stumpf in Schwarze, EU-Kommentar, Art. 81 AEUV Rn. 12; Rossi in Callies/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 81 AEUV Rn. 12; Staudinger in Rauscher, EuZPR, Einl. Brüssel I-VO Rn. 19 m. w. N. A.A. Frattini, ZEuP 2006, 225 (231 f.): zukünftig potentieller grenzüberschreitender Bezug ausreichend; differenzierend Hess, EuZPR, § 2 Rn. 12: zumindest typischerweise grenzüberschreitender Bezug; unklar Hoppe in Lenz/Borchardt, EU-Verträge, Art. 81 AEUV Rn. 2: der grenzüberschreitende Bezug sei „tendenziell weit zu verstehen“.



A.  Rechtsetzungskompetenzen der Europäischen Union

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cken,14 hat der Rat ebenso konsequent wie zutreffend zurückgewiesen.15 Die von der Kommission präferierte Interpretation des Begriffs „grenzüberschreitend“ würde das Tatbestandsmerkmal der Grenzüberschreitung zur Bedeutungslosigkeit verdammen und dem Unionsgesetzgeber eine Befugnis zur Harmonisierung der nationalen Prozessordnungen zugestehen, welche ihre Grenze lediglich in der Subsidiaritätsklausel des Art. 5 Abs. 3 EUV fände.16 Diese Auslegung missachtet die politische Maßgabe des Art. 67 Abs. 1 AEUV, die verschiedenen Rechtsordnungen und -traditionen der Mitgliedstaaten zu wahren.17 Als Kompetenzgrundlage für eine einheitliche europäische Zivilprozessordnung vermag Art. 81 AEUV deshalb nicht zu dienen.18 Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts erstreckt sich nicht auf das gesamte Gebiet der Union, sondern ist fragmentiert. Bereits unter dem Vertrag von Amsterdam hatten das Vereinigte Königreich, Irland und Dänemark erklärt, sich grundsätzlich nicht an der Annahme diesbe­züglicher Maßnahmen durch den Rat zu beteiligen.19 Während das Vereinigte Königreich und Irland sich die Option einer rechtsaktbezogenen Beteiligung offengehalten und diese für viele Akte der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen ergriffen hatten,20 ließ sich eine Teilnahme Dänemarks nur über bilaterale Abkommen erzielen.21 Unter dem Vertrag von Lissabon 14  Art. 1 des Vorschlags der Europäischen Kommission zur Einführung einer Richtlinie zur Verbesserung des Zugangs zum Recht bei Streitsachen mit grenzübergreifendem Bezug durch die Festlegung gemeinsamer Mindestvorschriften für die Prozesskostenhilfe und für andere mit Zivilverfahren verbundene finanzielle Aspekte v.  18. 01. 2002, KOM (2002) 13. Art. 2 Abs. 1 des Vorschlags der Europäischen Kommission zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen vom 15. 03. 2005, KOM (2005) 87, vgl. insbesondere die dortige Begründung auf S. 6 f. Art. 1 Abs. 1 des Vorschlags der Europäischen Kommission für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens v. 25. 05. 2004, KOM (2004) 173, vgl. insbesondere die dortige Begründung auf S. 7 ff. Nähere Erläuterungen bei Frattini, ZEuP 2006, 225 (231 f.). 15  Nachweise bei Hess, EuZPR, § 2 Rn. 11 ff. 16 Ebenso Hess, EuZPR, § 2 Rn. 12; Kropholler/v.  Hein, EuZPR, Einl EuGFVO Rn. 6 m. w. N. 17 Näher Kretschmer in Vedder/Heintschel von Heinegg, EVV, Art. III-269 Rn. 4. 18  Rossi in Callies/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 81 AEUV Rn. 12; Leible in Streinz, EUV/ AEUV, Art. 81 AEUV Rn. 6. 19  Art. 69 EGV. 20  Art. 3 Protokoll (Nr. 4) zum Vertrag von Amsterdam über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands; siehe nunmehr Art. 3 Protokoll (Nr. 21) zum Vertrag von Lissabon über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands hinsichtlch des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. 21 Der EuGVO (2001) wurde für Dänemark Geltung verliehen über das Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem Königreich Dänemark über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivilund Handelssachen, ABl Nr. L 299/62 v. 16. 11. 2005. Nach der Erklärung Dänemarks vom 20. 12. 2012 finden auch die Bestimmungen der EuGVO (2012) auf Dänemark Anwendung, siehe ABl. 2013 Nr: L 79/4 v.  21. 03. 2013. Die EuZVO findet auf Dänemark Anwendung nach Maßgabe des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem König-

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§ 2  Primärrechtliche Rahmenbedingungen

verfügt nunmehr auch Dänemark über die Möglichkeit eines singulären opt-in.22

II.  Europäische Rechtstitel zum Schutz des geistigen Eigentums 5

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Art. 118 AEUV verleiht der Union die (konkurrierende) Rechtsetzungsbefugnis zum Erlass von Maßnahmen zur Schaffung einheitlicher europäischer Rechtstitel zum Schutz des geistigen Eigentums sowie zur Einführung zentralisierter Zulassungs-, Koordinierungs- und Kontrollregelungen. Ein solch originär unionsrechtlicher Rechtstitel liegt vor, wenn das aus dem Rechtstitel resultierende Schutzrecht nur für das gesamte Gebiet der Union erteilt, beschränkt, übertragen bzw. in seinem Bestand vernichtet werden kann.23 Der nach Art. 118 AEUV erforderliche Binnenmarktbezug ist aufgrund der Territorialität nationaler Schutzrechte stets gegeben.24 Vor dem Vertrag von Lissabon musste zur Einführung der Gemeinschaftsschutzrechte (Gemeinschaftsmarke, Gemeinschaftsgeschmacksmuster, gemeinschaftliches Sortenschutzrecht) mangels einer speziellen Kompetenznorm auf die Flexibilitätsklausel des Art. 308 EGV zurückgegriffen werden, d. h. die entsprechenden Verordnungen wurden in alleiniger Zuständigkeit des Rates erlassen.25 Gemäß Art. 118 AEUV erfolgt der Erlass derartiger Maßnahmen nunmehr im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren. Allein die – politisch besonders umstrittene – Sprachenregelung für ein zu schaffendes einheitliches Schutzrecht erfolgt im besonderen Gesetzgebungsverfahren, d. h. durch einstimmigen Beschluss des Rates nach Anhörung des Parlaments im Wege einer Verordnung.26 Maßnahmen zur Harmonisierung der nationalen mitgliedstaatlichen Schutzrechte durch Richtlinien können hingegen nicht auf Art. 118 AEUV gestützt werden.27 Die Einrichtung einer Unionsgerichtsbarkeit für Gemeinschaftsschutzrechte wird durch Art. 262 AEUV ermöglicht. Danach kann die Zuständigkeit für Rechtsstreitigkeiten bezüglich einheitlicher Rechtstitel zum Schutz des geistigen Eigentums auf den Gerichtshof der Europäischen Union übertragen werden. Die Übertragung muss im besonderen Gesetzgebungsverfahren nach Art. 289 Abs. 2 AEUV erfolgen und bedarf der Ratifikation durch die Mitreich Dänemark über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen, ABl 2005 Nr. L 300/55 v. 17. 11. 2005 sowie ABl 2008 L 331/21 v. 10. 12. 2008. 22  Art. 3 f. Anhang zum Protokoll (Nr. 22) zum Vertrag von Lissabon über die Position Dänemarks. 23  Wichard in Callies/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 118 AEUV Rn. 9. 24  Holzmüller in Schwarze, EU-Kommentar, Art. 118 AEUV Rn. 21. 25 Näher Stieper in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, Art. 118 AEUV Rn. 2. 26  Art. 118 S. 2, 289 Abs. 2 AEUV; näher Bings in Streinz, EUV/AEUV, Art. 118 AEUV Rn. 13 f. 27  Stieper in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, Art. 118 AEUV Rn. 21.



A.  Rechtsetzungskompetenzen der Europäischen Union

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gliedstaaten. Einer weiteren Übertragung der Zuständigkeit auf dem Gericht (EuG) beigeordnete (noch zu kreierende) Fachgerichte gemäß Art. 257 AEUV stünde nichts im Wege.28

III.  Rechtsangleichung im Binnenmarkt Art. 114 Abs. 1 AEUV enthält eine umfassende Querschnittskompetenz für die Rechtsangleichung zwecks Verwirklichung und Verbesserung des Binnenmarktes. Aufgrund des in Art. 5 Abs. 2 EUV niedergelegten Prinzips der Einzelermächtigung verleiht Art. 114 Abs. 1 AEUV dem Unionsgesetzgeber zwar keine umfassende Befugnis zur Regelung der Verhältnisse im Binnenmarkt.29 Doch ist die Union befugt, durch Maßnahmen zur Rechtsangleichung Unterschiede zwischen den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten zu beseitigen bzw. eine Annäherung herbeizuführen, sofern diese Divergenzen geeignet sind, eine Beeinträchtigung der Grundfreiheiten oder spürbare Verzerrungen des Wettbewerbs hervorzurufen und sich auf diese Weise unmittelbar auf das Funktionieren des Binnenmarkts auszuwirken.30 Die bloße Feststellung von Unterschieden in den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten, welche eine abstrakte Gefahr der Wettbewerbsverzerrung oder nur geringfügige Wettbewerbsverzerrungen begründen, ist nicht ausreichend.31 Nachprüfbares Ziel der Maßnahme muss es sein, die Voraussetzungen für das Funktionieren des Binnenmarktes tatsächlich zu verbessern;32 eine rein reflexive Harmonisierung

28  Ehricke in Streinz, EUV/AEUV, Art. 263 AEUV Rn. 3; Stieper in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, Art. 118 AEUV Rn. 2. Die Errichtung einer außerhalb der bestehenden Unionsgerichtsbarkeit institutionell verselbständigten Gerichtsbarkeit, wie sie mit dem Unified Patent Court vorgesehen ist (hierzu § 18) lässt sich weder auf Art. 262, noch auf Art. 118 AEUV stützen; wie hier Holzmüller in Schwarze, EU-Kommentar, Art. 118 AEUV Rn. 13; a. A. Stieper in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, Art. 118 AEUV Rn. 26. 29  EuGH v. 05. 10. 2000 – C-376/98 – Slg. 2000, I-8419 (Deutschland/Parlament und Rat – Tabakwerbung I), Rn. 83, 107. 30  EuGH v. 05. 10. 2000 – C-376/98 – Slg. 2000, I-8419 (Deutschland/Parlament und Rat – Tabakwerbung I), Rn. 167 f.; EuGH v. 12. 12. 2006 – C-380/03 – Slg. 2006, I-11573 (Deutschland/Parlament und Rat – Tabakwerbung II), Rn. 37; EuGH v. 08. 06. 2010 – C-58/08 – Slg. 2010, I-4999 (Vodafone), Rn. 32 m. w. N. Durch Rechtsangleichung zu beseitigende Hindernisse können auch in einer uneinheitlichen Auslegung eines völkerrechtlichen Übereinkommens bestehen, an das alle Mitgliedstaaten gebunden sind, vgl. EuGH v. 09. 10. 2001 – C-377/98 – Slg. 2001, I-7079 (Niederlande/Parlament und Rat – BiotechnologieRL), Rn. 20. 31 EuGH v.  05. 10. 2000  – C-376/98  – Slg. 2000, I-8419 (Deutschland/Parlament und Rat – Tabakwerbung I), Rn. 84; EuGH v. 14. 12. 2004 – C-434/02 – Slg. 2004, I-11825 (Arnold André), Rn. 30; EuGH v. 08. 06. 2010 – C-58/08 – Slg. 2010, I-4999 (Vodafone), Rn. 32; für die Literatur siehe statt aller Kahl in Callies/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 114 AEUV Rn. 23 m. w. N. 32  EuGH v. 05. 10. 2000 – C-376/98 – Slg. 2000, I-8419 (Deutschland/Parlament und Rat – Tabakwerbung I), Rn. 84; EuGH v. 06. 12. 2005 – C-66/04 – Slg. 2005, I-10533 (Vereinigtes Königreich/Europäisches Parlament und Rat – Raucharomen), Rn. 44.

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§ 2  Primärrechtliche Rahmenbedingungen

der Marktbedingungen genügt nicht.33 Die Ausübung der Rechtssetzungskompetenz des Art. 114 AEUV steht unter dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit: Die eingesetzten Mittel müssen zur Zielerreichung geeignet sein und nicht über das Erforderliche hinausgehen, wobei dem Unionsgesetzgeber insoweit eine breite Einschätzungsprärogative zukommt.34 Sind die genannten Voraussetzungen erfüllt, kann sich eine auf Art. 114 Abs. 1 AEUV gestützte Maßnahme prinzipiell auf jede Sachmaterie erstrecken.35 So entfaltet etwa die Maßgabe des Art. 67 Abs. 1 AEUV zur Achtung der Rechtsordnungen und -traditionen der Mitgliedstaaten bei der Errichtung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts keinerlei Sperrwirkung, sofern eine Angleichung dieser Rechtsordnungen der Verwirklichung und Verbesserung des Binnenmarktes zu dienen geeignet ist.36 Angesichts der hemmenden Auswirkungen des Territorialitätsprinzips auf den Binnenmarkt lassen sich Maßnahmen zur Angleichung des materiellen Rechts des gewerblichen Rechtsschutzes unschwer auf Art. 114 AEUV stützen.37 Auch zivilverfahrensrechtliche Regelungen können prinzipiell geeignet sein, den Binnenmarkt zu beeinträchtigen. Außerhalb des Fremdenrechts lässt sich eine Beeinträchtigung der Grundfreiheiten bzw. eine spürbare Wettbewerbsverzerrung, die sich unmittelbar auf den Binnenmarkt auswirkt, durch die primär zweckorientierten Regelungen des mitgliedstaatlichen Zivilverfahrensrechts freilich schwer nachweisen.38 Dies erklärt, weshalb das Unionsrecht bislang vorrangig punktuelle Maßnahmen zur Harmonisierung des Zivilverfahrensrechts kennt, soweit grenzüberschreitende Bezüge fehlen. Die bislang39 be33  EuGH v. 18. 11. 1999 – C-209/97 – Slg. 1999, I-8067 (KOM/Rat – Amtshilfe), Rn. 35 m. w. N. 34  EuGH v. 08. 06. 2010 – C-58/08 – Slg. 2010, I-4999 (Vodafone), Rn. 51 ff. 35  Statt aller Fischer in Lenz/Borchardt, EU-Verträge, Art. 81 AEUV Rn. 9. 36 Siehe die allgemeiner formulierten Erwägungen von Tietje in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, Art. 114 AEUV Rn. 126. 37  Stieper in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, Art. 118 AEUV Rn. 7. 38  Siehe EuGH v. 22. 06. 1999 – C-412/97 – Slg. 1999, I-3845 (Italo Fenocchio), Rn. 11, zur fehlenden Verfügbarkeit des italienischen Mahnverfahrens bei Erforderlichkeit der Zustellung in einem anderen Mitgliedstaat; EuGH v. 07. 04. 2011 – C-291/09 – Slg. 2011, 2685 (Guarnieri), Rn. 17 zu einer nationalen Vorschrift, welche die Stellung von Prozesskostensicherheit durch ausländische Staatsangehörige vorsieht; ähnlich EuGH v.  07. 03. 1990  – C-69/88 – Slg. 1990, I-583 (Krantz), Rn. 11, zur Befugnis des Fiskus zur Pfändung von unter Eigentumsvorbehalt verkauften Sachen. Ein unveröffentlichtes Gutachten des juristischen Diensts des Europaparlaments geht davon aus, dass Art. 94 EGV (Vorläufer des Art. 114 AEUV) keine adäquate Rechtsetzungskompetenz für die Regelung von Kollektivklagen im Verbraucherrecht bereithält, berichtet bei Hess, EuZPR, § 11 Rn. 48. Zur Bedeutung des in Art. 5 Abs. 3 EUV niedergelegten Subsidiäritätsgrundsatzes siehe die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 2. Februar 2012: Kollektiver Rechtsschutz: Hin zu einem kohärenten europäischen Ansatz, 2011/2089(INI), Rn. 4, 8, 19. 39  Bis zum 27. Dezember 2016 umzusetzen ist die Richtlinie über Schadensersatzklagen bei Verstößen gegen das Kartellrecht, ABl. Nr. L 349/1 v. 05. 12. 2014.



A.  Rechtsetzungskompetenzen der Europäischen Union

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deutendste Ausnahme stellt die Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des Geistigen Eigentums dar.

IV.  Gestaltung der gemeinsamen Handelspolitik Die Außenkompetenz der Europäischen Union zur Gestaltung der gemeinsamen Handelspolitik und damit zum Abschluss entsprechender internationaler Übereinkommen umfasst nach Art. 207 Abs. 1, Abs. 5 AEUV auch die „Handelsaspekte des geistigen Eigentums“. Die Genese des Art. 207 Abs. 1 AEUV zeigt, dass durch die Formulierung „Handelsaspekte des geistigen Eigentums“ die Zuständigkeit der Union für Änderungen des Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (TRIPS) begründet werden sollte,40 einem Anhang des WTO-Übereinkommens. Entsprechend wird in der Literatur zur Bestimmung der „Handelsaspekte des geistigen Eigentums“ der Rückbezug auf das TRIPS empfohlen,41 welches unter anderem Regelungen zur zivilrechtlichen Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums enthält. Die Union hat es deshalb in der Hand, die Binnenharmonisierung im Bereich der zivilrechtlichen Durchsetzung gewerblicher Schutzrechte im Wege des Abschlusses völkerrechtlicher Übereinkommen voranzutreiben, ohne sich dem Vorwurf einer Umgehung des Art. 114 AEUV aussetzen zu müssen.42 Ergänzt wird die Außenkompetenz für gemeinsame Handelspolitik durch die implizite Vertragsschlusskompetenz des Art. 216 AEUV für den Abschluss von Übereinkünften, die gemeinschaftliche Vorschriften beeinträchtigen oder deren Anwendungsbereich ändern könnten. Angesichts des weitreichenden acquis communautaire im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes in der Union verfügt die Union insoweit über umfangreiche Außenzuständigkeiten.43

40  Nach

EuGH v.  15. 11. 1994  – Gutachten 1/94  – Slg. 1994, I-5267 (WTO), Rn. 56 ff., 99 ff. erstreckte sich die Außenkompetenz der Europäischen Gemeinschaften gemäß Art. 113 des Vertrags von Amsterdam nur auf Grenzmaßnahmen zur Abwehr von Produktpiraterie, nicht auf die sonstigen Bestimmungen des TRIPS; näher Weiß in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, Art. 207 AEUV Rn. 35 f. In der Entscheidung v. 18. 07. 2013 – C-414/11 (Daiichi Sankyo), Rn. 49 ff., bekräftigt der EuGH, dass alle Regelungsbereich des TRIPS-Übereinkommens unter Art. 207 AEUV zu fassen sind. 41  Weiß in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, Art. 207 AEUV Rn. 35 f.; Hahn in Callies/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 207 AEUV Rn. 15; Osteneck in Schwarze, EU-Kommentar, Art. 207 AEUV Rn. 12. 42 Anders noch unter Geltung des Vertrags von Amsterdam, siehe hierzu EuGH v. 15. 11. 1994 – Gutachten 1/94 – Slg. 1994, I-5267 (WTO), Rn. 60. 43  Weiß in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, Art. 207 AEUV Rn. 37; Osteneck in Schwarze, EU-Kommentar, Art. 207 AEUV Rn. 12; abweichend aufgrund des damals noch geringeren acquis communautaire EuGH 15. 11. 1994 – Gutachten 1/94 – Slg. 1994, I-5267 (WTO), Rn. 100 ff.

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§ 2  Primärrechtliche Rahmenbedingungen

Die genannten Außenkompetenzen implizieren jedoch keine entsprechende Binnenkompetenz der Union. Art. 207 Abs. 6 AEUV verdeutlicht die Unterscheidung zwischen Abschlusszuständigkeit und Umsetzungszuständigkeit.44 In Umsetzung völkerrechtlicher Verpflichtungen erfolgende Harmonisierungsmaßnahmen innerhalb der Union können gegebenenfalls auf Art. 114 AEUV gestützt werden.45 Anderenfalls verbleibt die Durchführungszuständigkeit bei den Mitgliedstaaten.46

V. Konkurrenzen 12

Die Kompetenznorm für einen Rechtsetzungsakt ist gemäß der Rechtsprechung des EuGH nach dem Schwerpunkt der beabsichtigten Maßnahme auszuwählen.47 Liegt der Focus einer Maßnahme zur Harmonisierung des Zivilverfahrensrechts in der Union auf der Regelung grenzüberschreitender Bezüge, ist die Spezialkompetenz des Art. 81 AEUV heranzuziehen.48 Kommt der zivilverfahrensrechtlichen Regelung lediglich eine untergeordnete Bedeutung zu, wie etwa in den Verordnungen über die Gemeinschaftsschutzrechte, die als Nebenaspekt einige Fragen des internationalen Zivilverfahrensrechts klären, sind ggf. Art. 114, 118 AEUV einschlägig; ein zusätzliches Abstützen auf Art. 81 AEUV ist nicht geboten.49

VI. Fazit 13

Art. 81 AEUV bietet eine breite Kompetenzgrundlage für Rechtsetzungsakte der Europäischen Union auf dem Gebiet des Internationalen Zivilverfahrensrechts. Die Harmonisierung des Zivilverfahrensrechts ohne grenzüberschreitenden Bezug kann hingegen nicht auf Art. 81 AEUV gestützt werden.

44 Näher Herrmann, EuZW 2010, 207 (2010); siehe auch EuGH v.  12.  12. 2002  – C-281/01 – Slg. 2002, I-12049 (Kommission/Rat – Energy Star), Rn. 46. Der „Grundsatz der Parallelität“ von Außen- und Innenkompetenz gilt lediglich im Rahmen des Art. 216 AEUV. 45  Herrmann, EuZW 2010, 207 (2010); EuGH v.  12. 12. 2002  – C-281/01  – Slg. 2002, I-12049 (Kommission/Rat – Energy Star), Rn. 46. 46  Herrmann, EuZW 2010, 207 (2010). 47  EuGH v. 23. 02. 1999 – C-42/97 – Slg. 1999, I-869 (Parlament/Rat – Sprachenvielfalt), Rn. 39 f.; EuGH v. 30. 01. 2001 – C-36/98 – Slg. 2001, I-779 (Spanien/Rat – Donau), Rn. 59; Leible/Schröder in Streinz, EUV/AEUV, Art. 114 AEUV Rn. 129 m. w. N. 48  Herrnfeld in Schwarze, EU-Kommentar, Art. 114 AEUV Rn. 15; Leible/Schröder in Streinz, EUV/AEUV, Art. 114 AEUV Rn. 133; Hess, JZ 2001, 573 (574); Schmidt, EuZPR, Rn. 10. 49  Sind die in einem Rechtsakt verfolgten Ziele bzw. enthaltenen Komponenten gleichgewichtig, kann der Rechtsakt ausnahmsweise auch auf zwei Kompentenzgrundlagen gestützt werden, EuGH v.  08. 09. 2009  – C-411/06  – Slg. 2009, I-7585 (Kommission/Parlament und Rat – Verbringung von Abfällen), Rn. 47.



B.  Das zweispurige Rechtsschutzsystem der Union

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Als Kompetenzgrundlage kommt maßgeblich Art. 114 AEUV in Betracht; erforderlich ist allerdings, dass die Maßnahme der Förderung des Binnenmarktes dient. Soweit zivilverfahrensrechtliche Bestimmungen als Annex zu Regelungen über Unionsschutzrechte erlassen werden, können diese auch auf Art. 118 AEUV gestützt werden. Die Union verfügt ferner nach Maßgabe der Art. 207, 216 EUV über weitreichende Außenkompetenzen auf dem Gebiet des Gewerblichen Rechtsschutzes und kann im Wege des Abschlusses internationaler Übereinkünfte völkerrechtlich bindende Rahmenbedingungen für die zivilprozessuale Durchsetzung gewerblicher Schutzrechte gestalten.

B.  Das zweispurige Rechtsschutzsystem der Union I.  Rechtsschutz durch die Gerichte der Mitgliedstaaten Der zivilprozessuale Rechtsschutz gewerblicher Schutzrechte erfolgt trotz der starken unionsrechtlichen Prägung der Materie primär durch die Gerichte der Mitgliedstaaten. Die Bemühungen zur Schaffung einer Unionsgerichtsbarkeit für einheitliche Rechtstitel waren bislang nicht von Erfolg gekrönt, und auch die außerhalb der Institutionen der Europäischen Union vorgesehene eigenständige Patentgerichtsbarkeit auf Basis des UPC-Übereinkommens muss erst errichtet werden.50 Im Rahmen des zweispurigen Rechtsschutzsystems der Union obliegt es nach Art. 4 Abs. 3 EUV zunächst den nationalen Gerichten, einen umfassenden und effektiven Rechtsschutz zu gewähren, mit dessen Hilfe die Rechte, die dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsen, praktische Wirksamkeit entfalten.51 In diesem Sinne fungieren die mitgliedstaatlichen Gerichte als dezentrale Unionsgerichte52 und wenden prinzipiell ihr eigenes Verfahrensrecht an.53 Dies gilt auch für die nach Art. 95 Abs. 1 GMV, Art. 80 Abs. 1 GGV von den Mitgliedstaaten zu benennenden Gemeinschaftsmarkenbzw. Gemeinschaftsgeschmacksmustergerichte.54 Mitgliedstaatliche Gerichte und Europäischer Gerichtshof stehen in einem durch das Vorabentscheidungsverfahren gemäß Art. 267 AEUV begründeten Kooperationsverhältnis.55 Der

50 

Hierzu ausführlich § 18. v.  14. 12. 1995  – C-312/93  – Slg. 1995, I-4599 (Peterbroeck), Rn. 12 m. w. N.; EuGH v. 13. 03. 2007 – C-432/05 – Slg. 2007, 2271 (Unibet), Rn. 38; Kahl in Ruffert/Callies, EUV/AEUV, Art. 4 EUV Rn. 77 m. w. N. 52  Kahl in Ruffert/Callies, EUV/AEUV, Art. 4 EUV Rn. 76; Hess, EuZPR, § 11 Rn. 1. 53  EuGH v. 21. 02. 1991 – C-143/88 – Slg. 1991, I-415 (Zuckerfabrik Süderdithmarschen), Rn. 25. 54  Siehe infra § 13 Rn. 3. 55  Eingehend EuGH v. 08. 03. 2011 – Gutachten 1/2009 – Slg. 2009, I-1137 (Europäische Patentgerichtsbarkeit), Rn. 64 ff., 83 ff. 51  EuGH

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§ 2  Primärrechtliche Rahmenbedingungen

EuGH betont in ständiger Rechtsprechung das Prinzip der Gleichwertigkeit und des Vertrauens in die Justizsysteme der Mitgliedstaaten56

II.  Das Vorabentscheidungsersuchen 15

Art. 19 EUV weist dem EuGH die Position des Hüters der Verträge und Bewahrers einer einheitlichen Auslegung des Unionsrechts zu. Die einheitliche Auslegung des Unionsrechts wird primär durch das Vorabentscheidungsverfahren gemäß Art. 267 AEUV gesichert.57 Jedes mitgliedstaatliche Gericht, das zwecks Klärung einer entscheidungserheblichen Frage zur Auslegung des Unionsrechts berufen ist, kann in einen Dialog mit dem Gerichtshof der Europäischen Union treten und diesen um die Vorabentscheidung einer unionsrechtlichen Frage ersuchen.58 Eine Pflicht zur Vorlage an den Gerichtshof besteht, sofern gegen die Entscheidung des mit dem Ausgangsrechtsstreit befassten mitgliedstaatlichen Gerichts kein ordentliches Rechtsmittel gegeben ist.59 Im Rahmen des gerichtlichen Kooperationsverhältnisses zwischen den nationalen Gerichten und dem EuGH gibt der Gerichtshof Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts; die Anwendung des dergestalt interpretierten Unionsrechts auf die konkret zur Entscheidung stehende Rechtssache bleibt Aufgabe des mitgliedstaatlichen Gerichts.60 Das Vorabentscheidungsersuchen ist Zwischenverfahren des beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreits. Die Antwort des Gerichtshofs bindet das vorlegende Gericht ebenso wie alle

56 Siehe nur EuGH v.  09. 12. 2003  – C-116/02  – Slg. 2003, I-14693 (Gasser), Rn. 72; EuGH v.  27. 04. 2004  – C-159/02  – Slg. 2004, I-3565 (Turner/Grovit), Rn. 24 f.; ferner Erwägungsgründe 16 f. EuGVO (2001); Erwägungsgrund 26 EuGVO (2012); Erwägungsgrund 27 EuMahnVO; Erwägungsgrund 18 EuVTVO. Im Jahr 2013 wurde erstmals ein EU-Justizindex erstellt, siehe Europäische Kommission, EU Justice Scoreboard 2013, der verschiedene Parameter der Justizgewähr innerhalb der Union vergleicht. 57  Vorabentscheidungsersuchen stellen etwa 60 % aller Rechtssachen vor dem EuGH dar, vgl. EuGH, Jahresbericht 2011, S. 104. Zu weiteren Funktionen des Vorabentscheidungsersuchens siehe Hess, EuZPR, § 11 Rn. 5. 58  Zur Ausgestaltung dieses Dialogverhältnisses aus Sicht eines erstinstanzlichen Richters vgl. Sickerling in Gsell/Hau, Zivilgerichtsbarkeit, S. 63 ff. Art. 68 EGV sah eine (heftig kritisierte) Beschränkung der Vorlagebefugnis auf letztinstanzliche Spruchkörper vor, soweit der auslegungsbedürftige Rechtsakt als Maßnahme der justiziellen Zusammenarbeit erlassen wurde; hierzu Hess, EuZPR, § 12 Rn. 58 ff. m. w. N. Diese Beschränkung ist mit dem Vertrag von Lissabon entfallen. 59  Art. 267 Abs. 3 AEUV; näher EuGH v. 04. 06. 2002 – C-99/00 – Slg. 2002, I-4839 (Lyckeskog), Rn. 15; Ehricke in Streinz, EUV/AEUV, Art. 267 AEUV Rn. 41; Wegener in Callies/ Ruffert, EUV/AEUV, Art. 267 AEUV Rn. 27 m. w. N. 60  EuGH v. 16. 07. 1992 – C-343/90 – Slg. 1992, I-4673 (Lourenço Dias), Rn. 14 ff.; EuGH v. 30. 09. 2003 – C-167/01 – Slg. 2003, I-10155 (Inspire Art), Rn. 42 ff.; EuGH v. 22. 11. 2005 – C-144/04 – Slg. 2005, I-9981 (Mangold), Rn. 33 ff.; EuGH v. 30. 04. 1998 – C-37/96 – Slg. 1998, I-2039 (Sodiprem), Rn. 22.



B.  Das zweispurige Rechtsschutzsystem der Union

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weiteren mit der Rechtssache befassten Gerichte.61 Für andere Rechtssachen kommt Entscheidungen des Gerichtshofs keine formelle, aber eine faktische Bindungswirkung zu, da jede abweichende Sachentscheidung mitgliedstaatlicher Gerichte eine erneute Vorlage erfordern würde.62 Der Europäische Gerichtshof legt an das Kriterium der Entscheidungserheblichkeit der Rechtsfrage für den Ausgangsrechtsstreit keine hohen Maßstäbe an und agiert mit einer Vermutung für die Erforderlichkeit des Vorabentscheidungsersuchens.63 Bei Entscheidungsvorlagen zu zivilverfahrensrechtlichen Regelungen oder Rechtshilfebestimmungen verfolgt der Gerichtshof einen pragmatischen Ansatz. Die Auslegung von Verfahrensvorschriften hat für die Entscheidung in der Hauptsache häufig nur mittelbare Bedeutung,64 während die Details der Kooperation der Gerichte der Mitgliedstaaten im Wege der Rechtshilfe regelmäßig für die Entscheidungsfindung irrelevant sind. Der Gerichtshof versteht deshalb unter dem in Art. 267 Abs. 2 AUEV enthaltenen Begriff „Erlass des Urteils“ das gesamte Verfahren zur Schaffung des Urteils, einschließlich aller Fragen, die sich auf eine eventuell erforderliche Kooperation der mitgliedstaatlichen Gerichte beziehen. Auf diesem Wege wird die Auslegungshoheit des EuGH über die zivilverfahrensrechtlichen Normen des Unionsrechts gewährleistet.65 Ein zur Vorlage verpflichtender Auslegungsbedarf besteht nicht, sofern bereits eine gesicherte Rechtsprechung des Gerichtshofs zu der betreffenden Rechtsfrage existiert.66 Von einer Vorlage kann ferner in Fällen eines sogenannten acte clair abgesehen werden, d. h. wenn die richtige Auslegung des Unionsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt.67 Die Rechtspraxis kennt zahlreiche Beispiele, in denen die Gerichte der Mitgliedstaaten irrigerweise einen acte clair angenommen haben.68 Die Gründe hierfür sind vielfältig und reichen von Fahrlässigkeit bis 61 Ständige Rechtsprechung, siehe nur EuGH v.  24. 06. 1969  – 29/68  – Slg. 1969, 165 (Milch-, Fett- u. Eierkontor), Rn. 2 f.; aus dem Schrifttum Althammer in Gsell/Hau, Zivilgerichtsbarkeit, S. 40 f.; Karpenstein in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, Art. 257 AEUV Rn. 99; Hess, EuZPR, § 12 Rn. 4, 50. 62 Näher Althammer in Gsell/Hau, Zivilgerichtsbarkeit, S. 43 ff.; Rösler, Gerichtsbarkeit, S. 447 ff. 63  EuGH v. 16. 12. 2008 – C-210/06 – Slg. 2008, I-9641 (CARTESIO), Rn. 67 m. w. N. 64  EuGH v. 17. 02. 2011 – Rs. C-283/09 (Weryński), Rn. 39. 65  EuGH v. 17. 02. 2011 – Rs. C-283/09 (Weryński), Rn. 39 ff. 66 EuGH v.  06.  10. 1982  – 284/81  – Slg. 1982, 3415 (C. I. L. F. I. T.), Rn. 14; EuGH v. 11. 09. 2008 – C-428/06 – Slg. 2008, I-6747 (UGT-Rioja), Rn. 42. 67 EuGH v.  06.  10. 1982  – 284/81  – Slg. 1982, 3415 (C. I. L. F. I. T.), Rn. 16; EuGH v. 11. 09. 2008 – C-428/06 – Slg. 2008, I-6747 (UGT-Rioja), Rn. 42. 68  Siehe etwa BGH v. 28. 11. 2002 –III ZR 102/02 – NJW 2003, 426 (428 f.) zur Auslegung des Art. 5 Nr. 1 EuGVO (2001) entgegen der späteren Entscheidung des EuGH v. 20. 01. 2005 – C-27/02  – Slg. 2005, I-481 (Engler), Rn. 45 ff.; Cassaz v.  19. 12. 2003  – Nr. 19550  – GRUR Int. 2005, 264 (265) (BL Macchine Automatiche) zur Auslegung des Art. 5 Nr. 3 EuGVO (2001) entgegen der späteren Entscheidung EuGH v. 25. 10. 2012 – C-133/11 (Folien Fischer),

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§ 2  Primärrechtliche Rahmenbedingungen

hin zu offenem Kalkül. Angesichts der weiten Durchdringung vieler Rechtsgebiete durch das Unionsrecht und der niedrigen personellen Besetzung des Gerichtshofs wird eine Nichtvorlage oftmals als Entlastung des Gerichtshofs ebenso wie der Parteien betrachtet.69 Aus dem ersten Zivilsenat des BGH etwa wird angesichts der strikten Vorgaben der Markenrichtlinie für das nationale Markenrecht kolportiert, ein strenges Verständnis der Vorlagepflicht führte dazu, dass der Senat in nahezu jedem markenrechtlichen Verfahren eine Vorabentscheidung des EuGH einholen müsste. In Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes besteht keine Vorlagepflicht, sofern sich auf Initiative der Parteien ein Hauptverfahren anschließen kann, in dessen Rahmen sich die Möglichkeit zur Überprüfung der vorläufig entschiedenen Frage und gegebenenfalls zur Vorlage an den EuGH besteht.70 Angesichts der durchschnittlichen Dauer eines Vorabentscheidungsverfahren von 16 Monaten ist eine Vorlage im Rahmen eines einstweiligen Verfahrens nicht dienlich.71 Art. 104a, 104b VerfO-EuGH sehen ein beschleunigtes Vorabentscheidungsverfahren bzw. ein Eilvorlageverfahren bei außerordentlicher Dringlichkeit der Vorlagefrage vor. Primär erfasst sind Verfahren in den Bereichen Asyl, Einwanderung, elterliches Sorgerecht und Freiheitsentzug.72 Art. 256 Abs. 3 AEUV ermöglicht eine Übertragung der Zuständigkeit für Entscheidungen über Vorabentscheidungsersuchen auf das Gericht (EuG) in besonderen, in der Satzung festgelegten Bereichen. Der gewerbliche Rechts-

Rn. 47 f.; ferner Sickerling in Gsell/Hau, Zivilgerichtsbarkeit, S. 73 f. zur Verletzung der Vorlagepflicht durch das spanische Berufungsgericht in der Rechtssache Purrucker II und das daraufhin erfolgende Vorabentscheidungsersuchen des LG Stuttgart, welches zu der Entscheidung des EuGH v. 09. 11. 2010 – C-296/10 (Purrucker II) führte. Zweifel am Vorliegen eines acte clair in den Internet-Versteigerung I/II/III-Entscheidungen des BGH zur Auslegung des Art. 14 eCommerce-RL äußert GA Jääskinen in seinen Schlussanträgen v. 09. 12. 2010 – C-324/09  – Slg. 2010, (L’Oréal/eBay), Rn. 182, Fn. 82. Zur abweichenden Vorlagehäufigkeit der Gerichte verschiedener Mitgliedstaaten und potentiellen Ursachen siehe Rösler, Gerichtsbarkeit, S. 165 ff.; zum Vorlageverhalten des House of Lords siehe Arnull, E. L. Rev 2010 (35), 57 (82). 69  Ungewöhnlich offen OFT v Abbey National, [2009] UKSC 6 (SC), Rn. 47 ff.: „Neither side showed any enthusiasm for a reference, because of the further delay that would be occasioned in a very large number of claims at present stayed. […] There is a strong public interest in resolving the matter without further delay.“ Vom Luxemburg-Torpedo spricht Dickinson, Blogeintrag v.  10. 01. 2008 . Siehe ferner Ehricke in Streinz, EUV/AEUV, Art. 267 AEUV Rn. 10; kritisch zur mangelnden Vorlagefreude der Gerichte Hess, RabelsZ 66 (2002), 470 (477 ff.). Zu den Rechtsfolgen einer Verletzung der Vorlagepflicht Wegener in Ruffert/Callies, EUV/AEUV, Art. 267 AEUV Rn. 33 ff. 70  EuGH v. 24. 05. 1977 – 107/76 – Slg. 1977, 957 (Hoffmann-La Roche), Rn. 5 f. 71  Die durchschnittliche Dauer eines Vorabentscheidungsersuchens betrug im Jahr 2009 17,1 Monate, 2010 16,1 Monate, 2011 16,4 Monate, vgl. EuGH, Jahresbericht 2011, S. 114. 72  Schwarze in Schwarze, EU-Kommentar, Art. 267 AEUV Rn. 63. Diese Verfahren werden regelmäßig innerhalb von zwei oder drei Monaten abgeschlossen, ibid, Rn. 60.



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schutz wurde verschiedentlich als hierfür geeigneter Bereich identifiziert,73 doch sind bislang keinerlei Zuständigkeiten für Vorabentscheidungsersuchen auf das EuG übertragen worden.74

C.  Menschenrechtliche Garantien I.  Vielschichtigkeit des Grundrechtsschutzes innerhalb der Union Der Grundrechtsschutz innerhalb der europäischen Union lässt sich vereinfachend als Bild dreier sich überschneidender Kreise beschreiben. Erstens bindet die über Art. 6 Abs. 1 EUV in den Rang einer Primärquelle gehobene Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) die Organe und Einrichtungen der Europäischen Union und die Mitgliedstaaten der EU, letztere allerdings ausschließlich bei der Umsetzung und Durchführung des Rechts der Union.75 Um eine Durchführung des Unionsrechts handelt es sich, wenn die Mitgliedsstaaten im Anwendungsbereich des Unionsrechts tätig werden, d. h. soweit sie europarechtlich veranlasst oder determiniert handeln, selbst wenn ihnen insoweit ein Spielraum eingeräumt wird. Für den hier interessierenden Bereich des Internationalen Zivilverfahrensrechts bedeutet dies eine Bindung der Mitgliedsstaaten an die Grundrechtecharta bei der Umsetzung von Richtlinien sowie bei der Auslegung und Anwendung von Verordnungen und umgesetztem Richtlinienrecht.76 Alle Mitgliedstaaten der Union haben zweitens die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) ratifiziert, welcher Vorbildcharakter für zahlreiche der in der Grundrechtecharta enthaltenen Grundrechte zukam. Ein Beitritt der Europäischen Union zur EMRK ist in Art. 6 Abs. 2 EUV, Art. 59 Abs. 2 EMRK vorgesehen. Der im Jahr 2013 ausgehandelte Entwurf eines Beitrittsübereinkommens wurde allerdings vom EuGH wegen Unvereinbarkeit mit dem Primärrecht negativ begutachtet und kann deshalb

73  Hakenberg, ZEuP 2000, 860 (867); Hess in Gsell/Hau, Zivilgerichtsbarkeit, S. 191; Wegener in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 257 AEUV Rn. 6. 74 Näher Hess in Gsell/Hau, Zivilgerichtsbarkeit, S. 191 ff.; Karpenstein in Grabitz/Hilf/ Nettesheim, Recht der EU, Art. 256 AEUV Rn. 68 m. w. N. 75  Art. 51 Abs. 1, 52 Abs. 5 GRCh. Zur Sonderstellung des Vereinigten Königreichs und Polens siehe Kingreen in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 6 EUV Rn. 14 m. w. N. Nach Art. 6 Abs. 3 EUV sind darüber hinaus auch die Grundrechte, wie sie in der EMRK und den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten gewährleistet sind, als allgemeine Grundsätze Teil des Primärrechts. Dieser Verweis auf einen nicht kodifizierten Grundrechtskatalog lässt sich nur historisch verstehen; das Verhältnis von Art. 6 Abs. 1 zu Abs. 3 EUV ist noch nicht vollständig geklärt, näher Kingreen in Calliess/Ruffert, EUV/ AEUV, Art. 6 EUV Rn. 15 ff. m. w. N. 76  Zur Abgrenzung siehe Jarass, GRCh, Art. 47 Rn. 11 ff.; Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2013, 1 (20) sowie EuGH v. 13. 06. 2012 – C-156/12 (GREP).

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nicht ratifiziert werden.77 Drittens sind die staatlichen Institutionen der Mitgliedstaaten auch an die Grundrechtsordnung des jeweiligen Mitgliedstaates gebunden. Jede dieser Rechtsquellen menschenrechtlicher Standards beansprucht innerhalb ihres Anwendungsbereichs grundsätzlich unangefochtene Geltung. Im Hinblick auf die menschenrechtliche Kontrolle des Unionsrechts haben die nationalen Verfassungsgerichte freilich ebenso wie der zur Auslegung der EMRK berufene Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ihren Kontrollanspruch partiell zurückgenommen.78 Normen des Unionsrechts werden somit primär an den Gewährleistungen der Grundrechtecharta gemessen bzw. sind in ihrem Lichte auszulegen. Soweit Rechte der Charta bestimmten, in der EMRK verbürgten, Garantien entsprechen, soll ihnen eine identische Tragweite und Bedeutung zukommen, wobei die Grundrechtecharta einen höheren Schutzstandard vorsehen kann.79 Im Rahmen der hiesigen Untersuchung wird deshalb vorrangig auf die Gewährleistungen der Grundrechtecharta Bezug genommen und gegebenenfalls unterstützend auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zur EMRK verwiesen.

77 

EuGH v. 18. 12. 2014 – Gutachten 2/2013 (EMRK). der Entscheidung des EGMR v.  30. 06. 2005  – 45036/98 (Bosphorus), Rn. 155 ff. bewertete der EGMR den Grundrechtsschutz durch die EU als materiellrechtlich und verfahrensrechtlich äquivalent zu den Gewährleistungen der EMRK. Aus dieser Gleichwertigkeit des Menschenrechtsschutzes folge eine Vermutung der Konventionskonformität des Gemeinschaftsrechts, die der Antragsteller widerlegen könne, indem er nachweise, dass das gemeinschaftsrechtliche Schutzniveau des betroffenen Menschenrechts im konkreten Fall offensichtlich unzulänglich gegenüber dem Standard der EMRK sei. Diese Prinzipien wurden in der Entscheidung des EGMR v. 18. 06. 2013 – 3890/11 (Povse) auch auf das Europäische Internationale Zivilverfahrensrecht übertragen. In der Entscheidung des BVerfG v. 22. 10. 1986 – 2 BvR 197/83 – BVerfGE 73, 339 (387) (Solange II) führte das BVerfG aus, es werde seine Gerichtsbarkeit über abgeleitetes Gemeinschaftsrecht nicht mehr ausüben, solange die Rechtsprechung des EuGH einen wirksamen Schutz der Grundrechte generell gewährleiste. Nachweise zur Rechtsprechung der Verfassungsgerichtshöfe anderer Mitgliedstaaten bei Arnull, E. L. Rev 2010 (35), 57 (82) sowie Hatje in Schwarze, EU-Kommentar, Art. 4 EUV Rn. 43. Zur Problematik des limitierten Individualrechtsschutzes vor dem EuGH siehe Gemeinsames Votum der EGMR-Richter Rozakis, Tulkens, Traja, Botoucharova, Zagrebelsky und Garlicki in der Rechtssache Bosphorus, a. a. O., Rn. 3; Votum des EGMRRichters Ress in der Rechtssache Bosphorus, a. a. O., Rn. 2. 79  Art. 52 Abs. 3 GRCh. Ein Beispiel für einen höheren Schutzstandard bietet die Garantie von Prozesskostenhilfe für Zivilverfahren nach Art. 47 Abs. 3 GRCh. Dagegen folgt aus Art. 6 EMRK nach der Rechtsprechung des EGMR zwar eine Pflicht der Konventionsstaaten, ihr Justizsystem so zu gestalten, dass der Zugang zu Gericht auch unbemittelten Personen offen steht; ein Anspruch auf Prozesskostenhilfe in Zivilverfahren lasse sich hieraus aber nicht zwingend ableiten; vgl. EGMR v. 15. 02. 2005 – 68416/01 (Steel & Morris/Vereinigtes Königreich), Rn. 59 ff. 78 In



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II.  Die menschenrechtlichen Verfahrensgarantien Art. 47 Abs. 2 und Abs. 3 GRCh bündeln die für das Zivilverfahren wesentlichen menschenrechtlichen Verfahrensgarantien, welche natürlichen wie juristischen Personen des Privatrechts und des öffentlichen Rechts zustehen, unabhängig davon, ob es sich bei ihnen um Unionsbürger oder Angehörige eines Drittstaates handelt.80 Verbürgt ist der Zugang zu Gericht, die Institution unabhängiger, unparteiischer und auf Gesetz beruhender Gerichte81 sowie die Durchführung eines fairen und öffentlichen Verfahrens, das innerhalb angemessener Frist seinen Abschluss findet. Den Parteien steht das Recht zu, sich beraten, verteidigen und vertreten lassen. Unbemittelte Personen haben einen Anspruch auf Prozesskostenhilfe, sofern dies erforderlich ist, um den Zugang zu Gericht wirksam zu gewährleisten.82 Da Art. 47 Abs. 2 und 3 GRCh auf dem Vorbild des Art. 6 Abs. 1 EMRK aufbauen, kann zur Ermittlung der verfahrensrechtlichen Schutzstandards auf die Rechtsprechung des EGMR zurückgegriffen werden. Nach dieser Rechtsprechung besteht ein Anspruch auf Justizgewähr, welcher freilich nicht uneingeschränkt gewährleistet wird. Eine Beschränkung des Zugangs zu Gericht durch nationale Verfahrensvorschriften ist zulässig, sofern die Einschränkung einem legitimen Ziel dient, verhältnismäßig ist und den Kern des Zugangsrechts nicht antastet.83 So sind Form- und Fristbestimmungen ebenso wie Anforderungen an die Substantiierung der Klage, der Anwaltszwang oder Gerichtskostenvorschüsse grundsätzlich zulässig. Das in Art. 47 Abs. 3 GRCh bzw. in Art. 6 Abs. 1 EMRK enthaltene Fairnessgebot umfasst die Gewährleistung rechtlichen Gehörs,84 das Prinzip der

80  Rengeling/Szczekalla, Grundrechte in der EU, §  4 Rn.  370, 389, 393; Jarass, GRCh, Art. 47 Rn. 12; vgl. zu juristischen Personen des öffentlichen Rechts ferner EuGH v. 12. 02. 1992 – C-48/90 – Slg. 1992, I-13 (Niederlande/Kommission), Rn. 44. 81 Näher Jarass, GRCh, Art. 47 Rn. 17 ff. Nach der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 Abs. 1 EMRK bedürfen sowohl die Gerichtsorganisation als auch die Zuweisung der Zuständigkeit an einzelne Gerichte einer abstrakt-generellen Regelung durch den parlamentarischen Gesetzgeber und können nicht zur Disposition der Exekutive oder der Judikative gestellt werden, siehe EGMR v. 18. 10. 2000 – 32492/96 (Coëme/Belgien), Rn. 98, 107 m. w. N. 82  Zum Gewährleistungsumfang des Art. 47 Abs. 3 GRCh im Hinblick auf juristische Personen siehe EuGH v. 22. 12. 2010 – C-279/09 – Slg. 2010, I-13849 (DEB), Rn. 39 ff. 83  EGMR v. 28. 05. 1985 – 8225/78 (Ashingdane/Vereinigtes Königreich), Rn. 57; EGMR v. 08. 07. 1986 – 9006/80 (Lithgow/Vereinigtes Königreich), Rn. 194; EGMR v. 27. 08. 1991 – 12750/87 (Philis/Griechenland), Rn. 59; dem folgend EuGH v. 28. 02. 2013 – C-334/12 RX-II (Jaramillo), Rn. 43. 84  Hierzu EuGH v. 07. 06. 1983 – 100/80 – Slg. 1983, 1825 (Musique Diffusion), Rn. 9 f.; EuGH v.  10. 07. 1986  – 234/84  – Slg. 1986, 2263 (Meura), Rn. 27; Jarass, GRCh, Art. 47 Rn. 32 ff.

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§ 2  Primärrechtliche Rahmenbedingungen

Waffengleichheit,85 den Grundsatz der Rechtssicherheit86 sowie das Recht auf eine Vollstreckung des erwirkten Urteils.87 Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst eine Garantie auf Information durch das Gericht: Die Eröffnung des Verfahrens, Ladungen, Termine, Stellungnahmen der Gegenpartei und Beweismittel müssen den Parteien in angemessener Frist zu Kenntnis gegeben werden.88 Die Gerichte sind gehalten, jeder Partei den gleichen Zugang zu relevanten Dokumenten sowie eine angemessene Gelegenheit zur Äußerung und zur Präsentation von Beweismitteln zu eröffnen, und zwar unter im Wesentlichen gleichen Bedingungen wie ihrer Gegenpartei.89 Das Gericht hat das Vorbringen der Parteien zu berücksichtigen90 und seine Entscheidung zu begründen, wobei zwar nicht auf jeden Parteivortrag, aber doch zumindest auf die Hauptargumente einzugehen ist.91 Beherrschen die Parteien eines Zivilprozesses die Gerichtssprache nicht, so haben sie grundsätzlich selbst für die Übersetzung Sorge zu tragen, doch kann es bei einem im Ausland lebenden Beklagten erforderlich sein, zumindest gewisse Gerichtsdokumente, etwa die Ladung, mit einer Übersetzung zu versehen.92 Schließlich gewährleistet Art. 47 Abs. 2 GRCh die Öffentlichkeit der Verhandlung93 ebenso wie deren Durchführung innerhalb einer angemessenen 85 EGMR v.  18.  02.  1997  – 18990/91 (Nideröst-Huber/Schweiz), Rn.  23; EGMR v.  24. 02. 1995  – A307-B (McMichael/Vereinigtes Königreich), Rn.  82  ff.; EGMR v. 22. 02. 1996 – 17358/90 (Bulut/Österreich), Rn. 47; EGMR v. 27. 10. 1993 – 14448/88 (Dombo Beheer), Rn. 33; Jarass, GRCh, Art. 47 Rn. 37. 86  Der EGMR verankert deshalb in Art. 6 Abs. 1 EMRK ein subjektives Recht auf Beachtung des res iudicata-Grundsatzes, vgl. EGMR v. 28. 10. 1999 – 28342/95 (Brumarescu/ Rumänien), Rn. 62; EGMR v.  24. 7. 2003  – 52854/99 (Ryabykh/Russland), Rn. 52; EGMR v. 25. 07. 2002 – 48553/99 (Sovtransavto/Ukraine), Rn. 72. 87  EGMR v. 19. 03. 1997 – 18357/91 (Hornsy/Griechenland), Rn. 40 m. w. N. 88  EGMR v.  16. 12. 1992  – 12129/86 (Hennings/Deutschland), Rn. 25 ff. Die öffentliche Zustellung der Klageschrift hindert den Erlass eines Versäumnisurteils nicht, sofern das angerufene Gericht zuvor geprüft hat, ob alle Nachforschungen, die der Sorgfaltsgrundsatz und der Grundsatz von Treu und Glauben gebieten, vorgenomen worden sind, um eine ladungsfähige Anschrift des Beklagten zu ermitteln, vgl. EuGH v. 17. 11. 2011 – C-327/10 (Lindner), Rn. 52 f.; EuGH v.  15. 03. 2012  – C-292/10 (de Visser), Rn. 55 f.; EGMR v.  10. 04. 2003  – 2672/03 (Nunes Dias/Portugal). 89 EGMR v.  18.  02.  1997  – 18990/91 (Nideröst-Huber/Schweiz), Rn.  23  f.; EGMR v.  24. 02. 1995  – A307-B (McMichael/Vereinigtes Königreich), Rn.  82  ff.; EGMR v. 22. 02. 1996 – 17358/90 (Bulut/Österreich), Rn. 47; EGMR v. 27. 10. 1993 – 14448/88 (Dombo Beheer), Rn. 33. 90 EGMR v.  19.  04.  1994  – 16034/90 (Van de Hurk/Niederlande), Rn. 59; EGMR v. 02. 06. 2005 – 50372/99 (Goktepe/Belgien), Rn. 25; EGMR v. 24. 05. 2005 – 61302/00 (Buzescu/Rumänien), Rn. 63 m. w. N. 91  EGMR v. 24. 05. 2005 – 61302/00 (Buzescu/Rumänien), Rn. 63 ff. m. w. N. Hierbei ist die jeweilige Verfahrenssituation sowie die Rechtstradition des Vertragsstaats zu berücksichtigen, vgl. EGMR v. 09. 12. 1994 – 18064/91 (Hiro Balani/Spanien), Rn. 27. 92  EGMR v. 09. 12. 1981 – 9099/80 (X u. Y./Österreich). 93 Zumindest einmal im Instanzenzug ist eine umfassende öffentliche Verhandlung durchzuführen, vgl. EGMR v. 22. 02. 1996 – 17358/90 (Bulut/Österreich), Rn. 41 m. w. N.



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Verfahrensdauer. Die Beurteilung, welche Zeiteinheit zwischen Klageerhebung und letztinstanzlicher Entscheidung als „angemessene Verfahrensdauer“ anzusehen ist, entzieht sich einer abstrakten Festlegung.94 Maßgebliche Kriterien sind die Komplexität des Falles, die Bedeutung der Sache für die Parteien, das Prozessverhalten des Beschwerdeführers sowie die Behandlung der Sache durch die nationalen Gerichte oder Behörden.95

III.  Der menschenrechtliche Schutz des geistigen Eigentums Art. 17 Abs. 2 GRCh formuliert: „Geistiges Eigentum wird geschützt“. Erfasst sind neben dem literarischen und dem künstlerischen Eigentum das Patentund Markenrecht sowie die verwandten Schutzrechte.96 Die vermögensrechtlichen Aspekte der Immaterialgüterrechte werden explizit als Unterfall des grundrechtlichen Schutzes des Eigentums verstanden, unterliegen aber gemäß Art. 17 Abs. 1 S. 2 GRCh gesetzlichen Regelungen „soweit dies für das Wohl der Allgemeinheit erforderlich ist.“97 Schranken für die verfassungsrechtliche Gewährleistung gewerblicher Schutzrechte ergeben sich insbesondere aus anderen Grundrechten, etwa dem Recht auf Achtung der Privatsphäre (Art. 7 GRCh), der Informationsfreiheit und Freiheit der Meinungsäußerung (Art. 11 GRCh) und der unternehmerischen Freiheit (Art. 16 GRCh).98 Bei Erlass, Umsetzung und Auslegung des Unionsrechts sind die Organe der Union und der Mitgliedstaaten gehalten, ein angemessenes Gleichgewicht zwischen diesen Grundrechten unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes herzustellen.99

94 

Vgl. die Übersicht bei Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 6 Abs. 1 Rn. 207 f. v.  17. 12. 1998  – C-185/95 P  – Slg. 1998, I-8417 (Baustahlgewerbe), Rn. 29 m. w. N.; EGMR v.  27. 11. 1992  – 13441/87 (Olsson/Schweden (Nr. 2)), Rn. 98 ff.; EGMR v.  28. 06. 1978  – 6232/73 (König/BRD), Rn. 97 ff.; EGMR v.  22. 04. 1998  – 32217/96 (Pailot/ Frankreich), Rn. 66 ff. 96  Siehe die Erläuterungen des GRCh-Entwurfs in CHARTE 4473/00, CONVENT 49 v. 11. 10. 2000, S. 20. 97 Näher Geiger in Ohly, EU IP Law, S. 231 f. m. w. N. Zum Schutz des geistigen Eigentums im Rahmen der EMRK siehe EGMR v. 11. 07. 2007 – 73049/01 (Anheuser Busch/ Portugal), Rn. 66 ff., 72 m. w. N. 98  EuGH v. – C-275/06 – Slg. 2008, I-271 (Promusicae), Rn. 62 f.; EuGH v. 24. 11. 2011 – C-70/10 (Scarlet Extended), Rn. 43, 46, 50; EuGH v. 16. 02. 2012 – C-360/10 (SABAM/Netlog), Rn. 41, 44, 48; Geiger in Ohly, EU IP Law, S. 234; Norrgård in Ohly, EU IP Law, S. 215. 99  EuGH v. 29. 01. 2008 – C-275/06 – Slg. 2008, I-271 (Promusicae), Rn. 70. 95 EuGH

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§ 2  Primärrechtliche Rahmenbedingungen

D.  Auslegung des Europäischen Zivilverfahrensrechts I.  Das Prinzip der autonomen Auslegung 27

Rechtsakte zur Harmonisierung mitgliedstaatlichen Rechts oder zur Herstellung von Rechtseinheit können die gewünschte Wirkung nur erzielen, sofern die betreffenden Regelungen in allen Mitgliedstaaten der Union einheitlich, d. h. ohne Rückgriff auf die lex fori oder die lex causae ausgelegt werden. Das Prinzip der autonomen Auslegung des Unionsrechts findet auch auf die Interpretation der zivilverfahrensrechtlichen Verordnungen und Richtlinien Anwendung.100 Ausnahmen erkennt der EuGH erstens in jenen Konstellationen an, in denen der Gesetzgeber ausdrücklich oder stillschweigend auf das innerstaatliche Recht der Mitgliedstaaten verwiesen hat.101 Zweitens verzichtet der EuGH in seltenen Fällen auf eine autonome Begriffsbildung, sofern sich dem Rechtsakt selbst keine Anhaltspunkte zur Begriffskonkretisierung entnehmen lassen und die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten erhebliche Divergenzen bei der Begriffsbestimmung aufweisen.102

II.  Der Methodenkanon des Unionsrechts 28

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Die Auslegung des sekundären Unionsrechts durch den Europäischen Gerichtshof orientiert sich an den klassischen kontinentaleuropäischen Auslegungskanones:103 Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Systematik und Telos. Ausgangspunkt des Interpretationsvorgangs in der Praxis des EuGH ist der Wortlaut der Norm.104 Praktische Schwierigkeiten bereitet insoweit die mangelnde Präzision der Rechtsbegriffe im Unionsrecht. Bereits in ihrer Urfassung weisen die Rechtsakte der Union keine hohe begriffliche Präzision auf,105 da der Rechtsetzungsprozess notwendigerweise in ein bis drei Ausgangssprachen 100  Hess, EuZPR, § 4 Rn. 47 m. w. N. Zu Grenzen der rechtsaktübergreifenden autonomen Begriffsbildung Lüttringhaus, RabelsZ 77 (2013), 31 ff. 101 Z. B. Art. 59 EuGVO (2001) / Art. 62 EuGVO (2012), Art. 4 lit. b, c, d DRL. Zur Möglichkeit des stillschweigenden Verweises auf das mitgliedstaatliche Recht siehe Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 479 ff. 102 Bekanntestes Beispiel im Rahmen des Europäischen Zivilverfahrensrechts ist die Bestimmung des Erfüllungsortes i. S. d. Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ, Art. 5 Nr. 1 lit. a EuGVO (2001), welcher nach der Rechtsprechung des EuGH grundsätzlich durch Rückgriff auf die lex causae zu ermitteln ist, hierzu EuGH v. 06. 10. 1976 – 12/76 – Slg. 1976, 1473 (Tessili), Rn. 13 ff.; EuGH v. 23. 04. 2009 – C-533/07 – Slg. 2009, I-3327 (Falco Privatstiftung), Rn. 47 ff. m. w. N. Siehe allgemein zum Regel-/Ausnahmeverhältnis der autonomen Auslegung Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 475 ff., 484 ff. 103  Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 445 m. w. N. 104  Dederichs, Methodik, S. 77 f.; siehe ebenda S. 79 f. zur praktischen Bedeutung der grammatischen Auslegung; Riesenhuber in Riesenhuber, Methodenlehre, § 11 Rn. 14. 105 Zur mangelnden begrifflichen Präzision eindrücklich Rauscher, IPRax 2012, 40 (43 ff.).



D.  Auslegung des Europäischen Zivilverfahrensrechts

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gestaltet und durch Akteure aus allen Mitgliedstaaten beeinflusst wird. Diese Akteure verfügen nicht durchgängig über Kenntnisse der Implikationen vorgeschlagener Rechtstermini in einer Sprache, welche nicht ihrer Rechtskultur entstammt.106 Die anschließende Übersetzung in alle Amtssprachen der Union birgt Raum für Übersetzungsfehler, divergierende Wortlautnuancen und die Benennung nur scheinbar mit den Ursprungsbegriffen korrespondierender Rechtsinstitute.107 Die offiziellen Richtlinien für das Verfassen von Unionsrechtsakten fordern deshalb die Verwendung einfacher, der Umgangssprache entlehnter Begriffe.108 Der Europäische Gerichtshof betont in ständiger Rechtsprechung zwar die Gleichwertigkeit aller Sprachfassungen im Rahmen der grammatikalischen Auslegung,109 eine vorrangige Berücksichtigung der Ausgangssprache erfolgt nicht. Doch lässt sich ein faktischer Vorrang der französischen Sprache bei der Wortlautinterpretation durch den Gerichtshof nicht leugnen,110 da selbige dessen inoffizielle Arbeitssprache darstellt und eine Berücksichtigung verschiedener Sprachfassungen nur in einem geringen Teil der EuGH-Urteile nachzuweisen ist.111 Die historische Auslegung hat in der Auslegungspraxis des EuGH eine eher geringe Bedeutung.112 Dieser Befund ist für das Internationale Zivilverfahrensrecht insoweit zu relativieren, als das Europäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen von 1968 (EuGVÜ) sowie spätere Beitritts106  Die Entwürfe der Europäischen Kommission werden auf Englisch, Französisch oder Deutsch verfasst, mit zunehmender Präferenz für die englische Sprache (geschätzt 90 %), vgl. Pozzo, ERPL 20 (2012), 1185 (1186, 1195). Das europäische Parlament setzt die Brückensprachen deutsch, englisch, französisch, italienisch, spanisch und polnisch ein, siehe Pozzo, a. a. O., S. 1186. Ausführlich zur Schwierigkeit eines Diskurses ohne gemeinsame Rechtssprache Glanert, Er. L. Rev., 5 (2012) 135 (137) m. w. N.; zur Einordnung des europäischen Rechtsenglischs als „neues Genre“ Robertson, CRPL 20 (2012), 1215 ff., Pozzo, a. a. O., S. 1196 f. 107  Statt aller Pozzo, ERPL 20 (2012), 1185 (1187 ff.) und die weiteren Beiträge dem genannten Band. 108  Gemeinsamer Leitfaden des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission für Personen, die in den Gemeinschaftsorganen an der Abfassung von Rechtstexten mitwirken, , Nr. 1.4, 5.2, 5.3. 109  EuGH v.  20. 11. 2003  – C-152/01  – Slg. 2003, I-13821 (Kyocera Electronics), Rn. 32 m. w. N. 110  Colneric, ZEuP 2005, 225 (227); Riesenhuber in Riesenhuber, Methodenlehre, § 11 Rn. 15, Fn. 35; a. A. Stotz in Riesenhuber, Methodenlehre, § 22 Rn. 14. 111 Siehe Dederichs, Methodik, S. 71 mit Zahlen für das Jahr 1999: Berücksichtigung verschiedener Sprachfassungen in sieben von 259 Entscheidungen. Andere Sprachfassungen als das Französische werden laut Colneric, ZEuP 2005, 225 (227) nur berücksichtigt, sofern Verfahrensbeteiligte, der Generalanwalt oder das vorlegende Gericht auf die Divergenzen hinweisen. 112  Dederichs, Methodik, S. 122; Stotz in Riesenhuber, Methodenlehre, § 22 Rn. 15; a. A. Riesenhuber in Riesenhuber, Methodenlehre, § 11 Rn. 30, der freilich in Rn. 36 die „begrenzte Bedeutung“ der Erwägungsgründe konzediert, welche von ihm als „zentral“ für die Ermittlung des Gesetzgeberwillens bezeichnet werden.

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§ 2  Primärrechtliche Rahmenbedingungen

übereinkommen mit erläuternden Berichten versehen waren,113 auf welche der EuGH auch zur Interpretation von Nachfolgebestimmungen in der EuGVO noch rekurriert.114 Das Unionsrecht selbst kennt derart umfangreiche Rechtsetzungsmaterialien nicht.115 Maßgebliche Bedeutung zur Ermittlung des historischen Willens des europäischen Gesetzgebers kommt den Erwägungsgründen zu, die Rechtsakten des Sekundärrechts vorangestellt sind.116 Auch Protokollerklärungen des Rates und der Kommission können Aufschluss über die Willensbildung der Gesetzgebungsorgane vermitteln. Sofern die in den Erwägungsgründen oder einer Protokollerklärung erklärte Regelungsabsicht keinen Niederschlag im normativen Teil des Rechtsaktes gefunden hat, erwächst daraus freilich keine Bindungswirkung.117 Die Bezugnahme auf Gesetzesmaterialien erfolgt in der Auslegungspraxis des EuGH regelmäßig nur, um ein anderweitig gefundenes Ergebnis argumentativ abzustützen.118 Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist „jede Vorschrift des Unionsrechts in ihrem Zusammenhang zu sehen und im Lichte des gesamten Unionsrechts auszulegen“.119 Die Auslegung einer Norm erfolgt nicht allein unter Berücksichtigung der Strukturmerkmale des betreffenden Rechtsaktes, sondern kann auch weitere Rechtsakte, insbesondere Parallelrechtsakte des Europäischen Zivilverfahrensrechts einbeziehen.120 Ist eine Norm des sekundären Unionsrechts unterschiedlichen Interpretationen zugänglich, so darf nur eine Auslegung gewählt werden, welche mit den Prinzipien des primären Unionsrechts vereinbar ist.121 Als wichtigster Bezugspunkt 113  Jenard-Bericht zum EuGVÜ, ABl. Nr. C 59/1 ff. v.  05. 03. 1979; Schlosser-Bericht zum Beitrittsübereinkommen mit Dänemark, Irland und Großbritannien, ABl. a. a. O., S. 71 ff.; Evrigenis/Kerameus-Bericht zum Beitrittsübereinkommen mit Griechenland, ABl. Nr. C 208/1 ff. v. 24. 11. 1986; Almeida Cruz/Desantes Real/Jenard-Bericht zum Beitrittsübereinkommen mit Portugal und Spanien, ABl. Nr. C 189/35 ff. v. 28. 07. 1990. Siehe ferner den Jenard/Möller-Bericht zum LugÜ, ABL. Nr. C 189/57 ff. v. 28. 07. 1990. 114  EuGH v. 15. 11. 2012 – C-456/11 (Gothaer Allgemeine Versicherung), Rn. 34; EuGH v. 12. 05. 2011 – C-144/10 – Slg. 2011–3961 (BVG), Rn. 43, EuGH v. 28. 04. 2009 – C-420/07 – Slg. 2009, I-3571 (Apostolides), Rn. 66. Zur Interpretation der EuBVO anhand der Entstehungsgeschichte des HBÜ EuGH vom 17. 02. 2011 – Rs. C-283/09 (Weryński), Rn. 65 ff. 115 Bedauernd Schlosser, EU-ZPR, Einl. Rn. 27; Mankowski in Leible/Ohly, IP and PIL, S. 56. 116  Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 450; zu weiteren Quellen und deren Bedeutung ibid, S. 450 ff. 117  Siehe beispielhaft EuGH v. 07. 10. 2012 – verb. RS C-585/08 und C-144/09 – Slg. 2010, I-12527 (Pammer/Hotel Alpenhof), Rn. 84; EuGH v.  01. 04. 2008  – C-267/06  – Slg. 2008, I-1757 (Maruko), Rn. 58 f.; allgemein Riesenhuber in Riesenhuber, Methodenlehre, § 11 Rn. 37. 118  Colneric, ZEuP 2005, 225 (228). 119  EuGH v. 06. 10. 1982 – 284/81 – Slg. 1982, 3415 (C. I. L. F. I. T.), Rn. 20. 120  Hess, EuZPR, § 4 Rn. 59 ff. 121 EuGH v.  01.  04. 2004  – C-1/02  – Slg. 2004, I-3219 (Borgmann), Rn. 30; EuGH v. 09. 03. 2006 – C-499/04 – Slg. 2006, I-2397 (Werhoff), Rn. 32 m. w. N.; näher Leible/Domröse in Riesenhuber, Methodenlehre, Rn. 27 f.



D.  Auslegung des Europäischen Zivilverfahrensrechts

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der primärrechtskonformen Auslegung des europäischen Zivilverfahrensrechts sind die in der Grundrechtecharta verbürgten Grundrechte, allen voran Art. 47 GRCh, zu nennen. Bedeutende Anhaltspunkte für die teleologische Auslegung des Europäischen Zivilverfahrensrechts stellen die Erwägungsgründe des jeweiligen Sekundärrechtsakts dar. Insbesondere die EuGVO postuliert in ihren Erwägungsgründen allgemeine Prinzipien, welche teilweise auf die Rechtsprechung des EuGH zum EuGVÜ zurückgehen.122 Hierzu zählen die Urteilsfreizügigkeit,123 der Grundsatz der Rechtssicherheit (insbesondere die Vorhersehbarkeit der internationalen Zuständigkeit),124 das Interesse an einer geordneten Rechtspflege,125 die Wahrung der Verteidigungsrechte126 sowie das gegenseitige Vertrauen in die Justiz der Mitgliedstaaten.127 Der Abwägungsprozess, mittels dessen der Gerichtshof diese im Einzelfall gegenläufigen Prinzipien miteinander in Einklang setzt, ist naturgemäß nur begrenzt prognostizierbar. Besondere Bedeutung kommt im Rahmen der teleologischen Auslegung schließlich dem Prinzip des effet utile zu, d. h. dem Gebot, Bestimmungen des Unionsrechts dergestalt auszulegen, dass ihnen praktische Wirksamkeit verliehen wird.128 Dieser ursprünglich für die Interpretation des Primärrechts entwickelten Auslegungsmaxime129 entnimmt der Europäische Gerichtshof bei privat- bzw. zivilprozessrechtsangleichenden Richtlinien das Gebot, zwischen mehreren möglichen Interpretationen jene zu wählen, welche dem Schutzzweck der auszulegenden Norm besondere Wirkung verleiht.130 Dies ist angesichts des sektoriellen Harmonisierungsansatzes des Unionsrechts im Privat- und Zivilverfahrensrecht nicht unproblematisch.131 Die Vereinheitlichung des nationalen Sachrechts durch das Unionsrecht erfolgt durchgängig fragmentarisch aus der Perspektive einer als schutzbedürftig identifizierten 122  Ausführlich zur prinzipienorientierten Rechtsfindung des EuGH Hess, EuZPR, § 4 Rn. 77 ff. m. w. N. 123  EuGH v.  16. 02. 2006  – C-3/05  – Slg. 2006, I-1579 (Verdoliva), Rn. 27 m. w. N.; Erwägungsgründe 1, 6, 12, 33 EuGVO (2012). 124  EuGH v. 13. 07. 2007 – C-4/03 – Slg. 2006, I-6509 (GAT), Rn. 28 m. w. N.; Erwägungsgrund 15 EuGVO (2012). 125  EuGH v. 13. 07. 2007 – C-4/03 – Slg. 2006, I-6509 (GAT), Rn. 22; EuGH v. 14. 10. 2004 – C-39/02 – Slg. 2004, I-9657 (Mærsk), Rn. 32 m. w. N.; Erwägungsgrund 16 EuGVO (2012). 126  EuGH v. 28. 03. 2000 – C-7/98 – Slg. 2000, I-1935 (Krombach), Rn. 42 m. w. N.; Erwägungsgrund 29 EuGVO (2012). 127  EuGH v. 27. 04. 2004 – C-159/02 – Slg. 2004, I-3565 (Turner/Grovit), Rn. 24 f. m. w. N.; Erwägungsgrund 26 EuGVO (2012). 128 EuGH v.  04.  12.  1974  – 41/74  – Slg. 1974, 1337 (van Duyn), Rn. 12; EuGH v. 08. 04. 1976 – 48/75 – Slg. 1976, 497 (Royer), Rn. 69 ff.; EuGH v. 10. 11. 1998 – C-360/96 – Slg. 1998, I-6821 (BFI-Holding), Rn. 62. 129  Zur Entwicklung Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 453. 130  EuGH v. 13. 12. 2012 – C-215/11 (Szyrocka), Rn. 47. 131  Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 461 ff.; Heinze, JZ 2011, 709 (716).

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§ 2  Primärrechtliche Rahmenbedingungen

Personengruppe, z. B. aus Perspektive der Verbraucher, Arbeitnehmer oder Schutzrechtsinhaber. Es bleibt den Mitgliedstaaten überantwortet, Kohärenz innerhalb ihres nationalen Rechtssystems herzustellen, und zwar einerseits durch Berücksichtigung der Belange aller weiteren, am Interessenkonflikt beteiligten Personen, andererseits durch geschickte Einpassung der Umsetzungsmaßnahme in das Gefüge nationaler Rechtsbehelfe und Sanktionen zugunsten anderer schutzbedürftiger Personengruppen.132 Eine allein am Schutzzweck einer Harmonisierungsrichtlinie orientierte Auslegung läuft Gefahr, sich dem Vorwurf der Eindimensionalität auszusetzen und die Kohärenz des nationalen Rechts zu zerstören.133 Die Rechtsvergleichung spielt in den Entscheidungsbegründungen des Gerichtshofs überraschenderweise kaum eine Rolle;134 lediglich die Stellungnahmen der Generalanwälte zeichnen sich gelegentlich durch Ausführungen zur Rechtslage in den Mitgliedstaaten aus.135

III.  Die Bedeutung von Präjudizien 35

Eine Selbstbindung des EuGH an eigene Entscheidungen sieht das Unionsrecht nicht vor. Der Gerichtshof ist bemüht, Rechtssicherheit und Rechtsanwendungsgleichheit erstens durch seltene Abweichungen von früheren Entscheidungen und zweitens durch formelhafte Wiederholungen einmal gefundener Formulierungen herzustellen.136 Im Gegensatz zur angloamerikanischen Tradition des stare decisis orientiert sich der EuGH weniger an den rationes decidendi früherer Präjudizien, sondern an den in früheren Entscheidungen wiedergegebenen Formeln. Diese Vorgehensweise führt gelegentlich zu einem nominellen Festhalten an einem Präjudiz bei dessen tatsächlicher Aufgabe, was der Rechtsklarheit keineswegs zuträglich ist.137

132 

Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 461 ff. Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 461 ff. m. w. N. 134  Zur Beauftragung interner, rechtsvergleichender Forschungsberichte, die u. a. in den Schlussanträgen der Generanwälte verwendet werden siehe Ahlt, in Gsell/Hau, Zivilgerichtsbarkeit, S. 33 f.; Colneric, ZEuP 2005, 225 (229); Timmermans, RabelsZ 77 (2013), 368 (374). 135 Näher Hess, EuZPR, § 4 Rn. 49; Franzen, Privatrechtsangleichung, S. 454 f. m. w. N.; Schwartze in Riesenhuber, Methodenlehre, § 4 Rn. 29, jeweils m. w. N. 136  Colneric, ZEuP 2005, 225 (229); Rösler, Gerichtsbarkeit, S. 449 f., 457 m. w. N. 137  Siehe die Beispiele in § 10 Rn. 65 ff.; kritisch auch Rösler, Gerichtsbarkeit, S. 455 ff. m. w. N. 133 



E.  Die Implikationen loyaler Zusammenarbeit

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E.  Die Implikationen loyaler Zusammenarbeit für das nationale Zivilverfahrensrecht I.  Der Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit Art. 4 Abs. 3 EUV verpflichtet die Union und die Mitgliedstaaten, sich gegenseitig bei der Erfüllung der Aufgaben, die sich aus dem Vertrag über die Europäische Union und dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union ergeben, zu achten und zu unterstützen. Den Mitgliedstaaten obliegt es, die Union bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zu unterstützen und geeignete Maßnahmen zwecks Erfüllung der Verpflichtungen zu ergreifen, welche sich aus dem primären oder sekundären Unionsrecht ergeben. Aus diesem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit hat der Europäische Gerichtshof eine Reihe von Prinzipien entwickelt, welche unmittelbare Auswirkung auf die Anwendung und Auslegung des nationalen Zivilverfahrensrechts zeitigen.

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II.  Der Anwendungsvorrang des Unionsrechts Eine explizite Aussage über das Verhältnis des Unionsrechts zum autonomen Recht der Mitgliedstaaten sucht man im Primärrecht der Union vergeblich. Der EuGH leitet in ständiger – und politisch gebilligter138 – Rechtsprechung den Anwendungsvorrang des Unionsrechts gegenüber dem Recht der Mitgliedstaaten aus dem Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit ab:139 Im Kollisionsfall verdrängt das Unionsrecht die Regelungen des nationalen Rechts.140 So ist etwa das autonome internationale Zivilverfahrensrecht für die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit einer Zivil- und Handelssache insoweit unmaßgeblich, als die Rechtssache in den Anwendungsbereich der EuGVO, EuEheVO oder EuUnthVO fällt.

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III.  Das Gebot unionsrechtskonformer Auslegung Soweit ein Rechtsbereich unionsrechtlichen Vorgaben unterliegt, sind die nationalen Gerichte verpflichtet, eine unionsrechtskonforme Rechtsauslegung zu betreiben. Besondere Bedeutung erlangt diese Pflicht bei der Interpretation nationaler Bestimmungen, die zur Implementierung von Richtlinien erlassen 138 Erklärungen zur Schlussakte der Regierungskonferenz zum Vertrag von Lissabon, Erklärung A Nr. 17 zum Vorrang, ABl. Nr. C 83/344 v. 30. 03. 2010. 139  EuGH v. 15. 07. 1964 – 4/64 – Slg. 1964, 1253 (Costa/ENEL); EuGH v. 9. 03. 1978 – 106/77 – Slg. 1978, 629 (Simmenthal II), Rn. 17 f. Zur Herleitung des Anwendungsvorrangs sowie zur Reaktion nationaler Verfassungsgerichte siehe Hatje in Schwarze, EU-Kommentar, Art. 4 AEUV Rn. 40 ff. 140  Streinz in Streinz, EUV/AEUV, Art. 4 EUV Rn. 37.

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§ 2  Primärrechtliche Rahmenbedingungen

wurden. Nationale Umsetzungsbestimmungen sind im Lichte des Wortlauts und des Zwecks der Richtlinie auszulegen, um deren Ziele zu erreichen.141 Die unmittelbare Wirkung einer Richtlinienbestimmung scheidet im Bereich des Zivilverfahrensrechts zwar prinzipiell ebenso aus142 wie eine Gesetzesauslegung contra legem,143 doch umfasst das Gebot unionsrechtskonformer Auslegung auch die Pflicht zur richtlinienkonformen Rechtsfortbildung, soweit das nationale Gericht nach seinem Methodenkanon zur Rechtsfortbildung befugt ist.144

IV.  Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz 39

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Einfluss auf das nationale Verfahrensrecht nehmen ferner die unionsrechtlichen Gebote der Äquivalenz und Effektivität. In dem zweispurig angelegten Rechtsschutzsystem der Union obliegt es primär den Gerichten der Mitgliedstaaten, einen effektiven Rechtsschutz der Bürger im Hinblick auf diejenigen Rechte zu bewirken, die ihnen aus dem Unionsrecht erwachsen. Soweit keine unionsrechtlichen Verfahrensregelungen existieren, ist auf die innerstaatlichen Rechtsordnungen der einzelnen Mitgliedstaaten zurückzugreifen. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH haben die Mitgliedstaaten dabei den Grundsatz der Gleichbehandlung (Äquivalenz) zu beachten: Die verfahrensrechtlichen Bedingungen für die Ausübung der aus dem Unionsrecht fließenden Rechtspositionen dürfen nicht weniger günstig ausgestaltet sein als die Bedingungen, die lediglich das autonome Recht betreffen.145 Auf den Bereich der gewerblichen Schutzrechte übertragen bedeutet dies, dass der verfahrensrechtliche Schutz nationaler Schutzrechte nicht günstiger ausgestaltet werden darf als der Schutz einheitlicher Rechtstitel des Unionsrechts. Flankiert wird der Äquivalenzgrundsatz durch das Effektivitätsgebot. Unter diesem Stichwort behält sich der EuGH eine Kontrolle nationaler Verfahrensregelungen vor, welche die Ausübung der durch das Unionsrecht verliehenen Rechtspositionen praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren.146 Dies hat in zweierlei Hinsicht Einfluss auf die Anwendung des mitgliedstaatlichen Verfahrensrechts: 141  Ständige Rechtsprechung, siehe grundlegend EuGH v. 10. 04. 1984 – 14/83 – Slg. 1984, 1891 (Von Colson und Kamman), Rn. 28. 142 Zur fehlenden unmittelbaren Wirkung von Richtlinien im Verhältnis Privater zueinander siehe EuGH v. 14. 07. 1994 – C-91/92 – Slg. 1994, I-3325 (Faccini Dori), Rn. 24 f. 143  EuGH v. 04. 07. 2006 – C-212/04 – Slg. 2006, I-6057 (Adeneler), Rn. 110. 144 EuGH v.  05. 04. 2004  – C-397/01  – Slg. 2004, I-8835 (Pfeiffer), Rn. 115 f.; EuGH v. 04. 07. 2006 – C-212/04 – Slg. 2006, I-6057 (Adeneler), Rn. 111. 145 EuGH v.  14. 12. 1995  – C-312/93  – Slg. 1995, I-4599 (Peterbroeck), Rn. 12; EuGH v. 14. 12. 1995 – C-430/93 – Slg. 1995, I-4705 (van Schijndel), Rn. 17. 146 EuGH v.  14. 12. 1995  – C-312/93  – Slg. 1995, I-4599 (Peterbroeck), Rn. 12; EuGH v. 14. 12. 1995 – C-430/93 – Slg. 1995, I-4705 (van Schijndel), Rn. 17.



E.  Die Implikationen loyaler Zusammenarbeit

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Erstens darf die praktische Wirksamkeit der zivilverfahrensrechtlichen Verordnungen des Unionsrechts nicht durch die Anwendung nicht vereinheitlichter Regelungen des autonomen Zivilverfahrensrechts beeinträchtigt werden, selbst wenn letztere einen anderen Regelungsgegenstand haben.147 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs sind die nationalen Gerichte gehalten, innerstaatliche Verfahrensregelungen nur insoweit anzuwenden, als sie die Existenzberechtigung und die Zielsetzung einer unionsrechtlichen Verfahrensregelung nicht in Frage stellen.148 Zweitens soll das Verfahrensrecht der Mitgliedstaaten den materiellen Rechtspositionen, die den Parteien aus dem Unionsrecht erwachsen, zur Wirksamkeit verhelfen. Im Zuge der Prüfung, ob eine mitgliedstaatliche Verfahrensvorschrift die Anwendung des Unionsrechts übermäßig erschwert, berücksichtigt der Gerichtshof die Stellung und Funktion der betreffenden Regelung im gesamten Verfahren unter Berücksichtigung der Verfahrensrechte beider Parteien, der Notwendigkeit eines geordneten Verfahrensablaufs und der Rechtssicherheit.149 Dieser Abwägungsprozess hat sich als schwer prognostizierbar erwiesen.150 Trotz der prinzipiell geäußerten Akzeptanz des EuGH für die in allen Mitgliedstaaten in unterschiedlicher Ausprägung vertretenen Prinzipien der Dispositions- und Parteimaxime im Zivilprozess151 gibt es im Bereich des Verbraucherprivatrechts eine sich zunehmend festigende Rechtsprechung, welche die Gerichte der Mitgliedstaaten zur amtswegigen Prüfung der Rechte der Verbraucher verpflichtet. So soll sich aus Art. 6 Abs. 1 AGB-Richtlinie eine Verpflichtung der Gerichte der Mitgliedstaaten zur Prüfung der Wirksamkeit einer Gerichtsstandsklausel ex officio ergeben, obgleich die Prozessordnung des betreffenden Mitgliedstaates eine Begründung der örtlichen Zuständigkeit durch rügelose Einlassung kennt.152 Ebenfalls sollen die Gerichte der Mitgliedstaaten trotz einer entgegenstehenden nationalen Regelung zur Überprüfung 147 EuGH v.  15. 05. 1990  – C-365/88  – Sgl. 1990, I-1845 (Kongress Agentur Hagen), Rn. 20: Die praktische Wirksamkeit der Zuständigkeit für die Gewährleistungsklage nach Art. 6 Nr. 2 EuGVÜ (= Art. 8 Nr. 2 EuGVO (2012)) wäre beeinträchtigt, wenn die Ablehnung der Zulassung einer Gewährleistungsklage ausdrücklich oder implizit darauf gestützt würde, dass der wegen Gewährleistung in Anspruch genommene Dritte seinen Aufenthalt oder Wohnsitz außerhalb des Mitgliedstaates hat, in dem der Hauptprozess geführt wird. 148  Hierzu zutreffend Storskrubb, Civil Procedure, S. 273: „de facto the levels [supranational and domestic procedures] are not easily distinguishable or separable“. 149 EuGH v.  14. 12. 1995  – C-312/93  – Slg. 1995, I-4599 (Peterbroeck), Rn. 14; EuGH v. 14. 12. 1995 – C-430/93 – Slg. 1995, I-4705 (van Schijndel), Rn. 19; EuGH v. 06. 10. 2009 – C-40/08 – Slg. 2009, I-9579 (Asturcom Telecomunicaciones), Rn. 39. 150  Siehe zur Überprüfung unwirksamer, in AGB enthaltener Schiedsklauseln einerseits EuGH v. 26. 10. 2006 – C-168/05 – Slg. 2006, I-10421 (Mostaza Claro), Rn. 33 ff., andererseits EuGH v. 06. 10. 2009 – C-40/08 – Slg. 2009, I-9579 (Asturcom Telecomunicaciones), Rn. 33 ff. 151  EuGH v. 14. 12. 1995 – C-430/93 – Slg. 1995, I-4705 (van Schijndel), Rn. 20 ff. 152  EuGH v. 27. 06. 2000 – C-240/98 – Slg. 2000, I-4941 (Océano Grupo), Rn. 25 ff., 32; EuGH v. 04. 06. 2009 – C-243/08 – Slg. 2009, I-4713 (Pannon GSM), Rn. 32.

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§ 2  Primärrechtliche Rahmenbedingungen

missbräuchlicher Klauseln innerhalb des Mahnverfahrens verpflichtet sein, obgleich der Verbraucher keinen Widerspruch eingelegt hat – jedenfalls soweit das Gericht über sämtliche hierzu erforderlichen rechtlichen und sachlichen Grundlagen verfügt.153 Pikant sind diese Entscheidungen zumal deshalb, weil das europäische Zivilverfahrensrecht für Sachverhalte mit grenzüberschreitendem Bezug die Zuständigkeitsbegründung durch rügelose Einlassung in Verbrauchersachen ebenso vorsieht154 wie ein Mahnverfahren ohne eingehende Begründetheitprüfung.155 Logische Konsequenz der genannten Rechtsprechung wäre eine „Materialisierung“ des europäischen Zivilverfahrensrechts in dem Sinne, dass auch Verfahrensbestimmungen unionsrechtlicher Natur zwecks Effektuierung materieller Rechtspositionen die Anwendung versagt werden könnte. Die Alternative bestünde darin, an die autonomen zivilverfahrensrechtsrechtlichen Regelungen einen höheren Maßstab der Effektivität anzulegen als an das Zivilverfahrensrecht unionsrechtlicher Provenienz. Keine dieser Optionen erscheint attraktiv.156 Für die vorliegende Untersuchung dürfte der hier beschriebenen Materialisierung des Zivilverfahrensrechts im Wege des Effektivitätsgebots jedoch keine praktische Relevanz zukommen. Wiederkehrender Begründungstopos des EuGH für die von ihm vorgenommenen Eingriffe in das autonome Zivilverfahrensrecht der Mitgliedstaaten sind die mangelnden Rechtskenntnisse der Verbraucher und die auf jene potentiell abschreckend wirkende Höhe 153  EuGH v. 14. 06. 2012 – C-618/10 (Banco Español de Crédito), Rn. 53 ff., Rn. 79; zur fehlenden Einwendungsmöglichkeit missbräuchlicher Klauseln im spanischen Hypothekenvollstreckungsverfahren siehe ferner EuGH v. 14. 03. 2013 – C-415/11 (Aziz), Rn. 53 ff. 154  Art. 24 EuGVO (2001), auf den Art. 17 EuGVO (2001) keine Anwendung findet, vgl. EuGH v. 20. 05. 2010 – C-111/09 – Slg. 2010, I-4545 (Vienna Insurance Group), Rn. 30 ff. Im Anwendungsbereich der EuGVO (2012) führt eine rügelose Einlassung von Verbrauchern nur dann zur Begründung der internationalen Zuständigkeit, wenn das Gericht den Beklagten über die Folgen der Einlassung auf das Verfahren belehrt hat, Art. 26 Abs. 2 EuGVO (2012). 155 Zur Interpretation des Art. 8, Art. 11 Abs. 1 lit. b EuMahnVO siehe Kropholler/v.  Hein, EuZPR, Art. 8 EuMahnVO Rn. 6 ff. m. w. N. Zu den im deutschen und europäischen Mahnverfahren geringen praktischen Konsequenzen der Entscheidung Banco Español de Crédito (oben Fn. 153), da das Mahngericht regelmäßig nicht über „sämtliche erforderliche rechtliche und sachliche Grundlagen“ zur Durchführung der AGB-Kontrolle verfügt, siehe Schlosser, IPRax 2012, 507 (508 f.); Stürner, ZEuP 2013, 667 (676). 156 Gegen eine Materialisierung des europäischen Zivilverfahrensrechts spricht die in Art. 17, 24 EuGVO (2001) bzw. Art. 26 Abs. 2 EuGVO (2012) und in Art. 11 Abs. 1 lit. b EuMahnVO ausgeübte Prärogative des Unionsgesetzgebers. An das autonome Zivilverfahrensrecht einen höheren Effektivitätsmaßstab anzulegen als an das europäische Zivilverfahrensrecht würde angesichts der Anwendungsbeschränkung des europäischen Zivilverfahrensrechts auf grenzüberschreitende Bezüge eine Schlechterstellung derjenigen Verbraucher implizieren, die in Ausnutzung des Binnenmarktes Verträge mit in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Verkäufern oder Dienstleistern geschlossen haben. Kritisch auch Stürner, ZEuP 2013, 667 (675); Himsworth, EL Rev 22 (1997), 291 (308 f.).



E.  Die Implikationen loyaler Zusammenarbeit

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der Verfahrenskosten.157 Mit dieser verallgemeinerten Position natürlicher Personen, die zu rein privaten Zwecken agieren, lässt sich die Situation der Inhaber gewerblicher Schutzrechte nicht vergleichen.

157  EuGH v. 27. 06. 2000 – C-240/98 – Slg. 2000, I-4941 (Océano Grupo), Rn. 26; EuGH v. 04. 06. 2009 – C-243/08 – Slg. 2009, I-4713 (Pannon GSM), Rn. 30; EuGH v. 14. 06. 2012 – C-618/10 (Banco Español de Crédito), Rn. 54.

2. Teil

Harmonisierung des Zivilverfahrensrechts ohne grenzüberschreitenden Bezug

§ 3  Die Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums A. Einführung I.  Rechtstatsächliche Ausgangslage Die weltweite Mindestharmonisierung zivilprozessualer Instrumente zur Durchsetzung gewerblicher Schutzrechte hat Konjunktur. Hinter den Kürzeln TRIPS1, ACTA2, TPP3 und CETA4 verbergen sich (teils noch im Verhandlungsstadium befindliche) internationale Übereinkommen, die (nebst anderen Bestimmungen) eine Verpflichtung der Vertragsstaaten zur Einführung eines hohen verfahrensrechtlichen Schutzniveaus zugunsten der Inhaber gewerblicher Schutzrechte vorsehen.5 Auf europäischer Ebene soll die Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums6 (DRL) Unterschiede in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Durchsetzung gewerblicher Schutzrechte beseitigen und auf diesem Wege Innovation, die Entwicklung des Arbeitsmarkts und die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen fördern.7 1  Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights, BGBl. 1994, II1730. 2  Das Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA) wurde zwischen der Europäischen Union, Australien, Kanada, Japan, Südkorea, Mexiko, Marokko, Neuseeland, Singapur, der Schweiz und den USA ausgehandelt, letztlich jedoch vom Europäischen Parlament nach einer umfassenden gesellschaftlichen Debatte abgelehnt. Siehe Pressemitteilung v. 04. 12. 2012, Europäisches Parlament lehnt ACTA ab, < http://www.europarl.europa.eu>, REF 20120703IPR48247. 3  Das Freihandelsübereinkommen Trans-Pacific Partnership (TPP) wird zwischen den Staaten Australien, Brunei, Chile, Malaysien, Neuseeland, Peru, Singapur, Vietnam und den USA verhandelt. Zum Stand der Verhandlungen siehe . 4  Die Europäische Union verhandelt derzeit das Comprehensive Economic and Trade Agreement (CETA) mit Kanada. 5 Zielsetzung der Europäischen Kommission ist es, „ambitionierte Kapitel zu den Rechten des geistigen Eigentums“ in diesen Übereinkünften zu implementieren, vgl. Europäische Kommission, Bericht zur Anwendung der Richtlinie 2004/48/EG zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums, KOM (2010) 779, S. 4. 6  Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums ABl. Nr. L 195/16 v. 02. 06. 2004. 7  Erwägungsgrund 1, 7 ff. DRL.

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§ 3  Die Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums

Erklärtes Ziel all dieser Maßnahmen ist die Bekämpfung der Produktpiraterie, d. h. der systematischen Nachahmung von Produktentwicklungen unter Verletzung gewerblicher Schutzrechte. Der Begriff der Produktpiraterie umfasst diverse Wirtschaftsstraftaten, die häufig in Strukturen organisierter Kriminalität begangen werden8 und jährliche volkswirtschaftliche Schäden in Milliardenhöhe verursachen.9 Zahlreiche gesellschaftliche und technische Entwicklungen haben in den letzten drei Jahrzehnten als Katalysator der Produktpiraterie fungiert: Der technische Fortschritt begünstigt durch hochentwickelte Reproduktions- und Spionagetechniken die aufwendungsarme Imitation ebenso wie die Industriespionage. Die Verlagerung von Produktions- und Entwicklungszentren in Staaten mit zwar günstigen Produktionsbedingungen, aber auch geringem Interesse am Schutz gewerblicher Schutzrechte, fördert die technische Kompetenz potentieller Nachahmer.10 Eine zunehmende Tendenz, die Produktion von Produktkomponenten und Ersatzteilen an Fremdbetriebe auszulagern, erschwert die Geheimhaltung wesentlicher Geschäftsinterna.11 Schließlich eröffnet das Internet vollkommen neue Vertriebs- und Produktionswege12 und erleichtert den weltweiten Vertrieb schutzrechtsverletzender Produkte ausgehend von Staaten mit niedrigem Schutzniveau. Dabei erlauben der Handel über Plattformen von Drittanbietern sowie anderweitige Anonymisierungstechniken eine Verschleierung sowohl der Identität des Schutzrechtsverletzers als auch dessen Handeln im geschäftlichen Verkehr.13 Es wäre dennoch zu kurz gegriffen, den Diskurs über die zivile Rechtsdurchsetzung gewerblicher Schutzrechte allein aus dem Blickwinkel der Produktpiraterie zu führen. Der weitaus größte Teil zivilrechtlicher Streitigkeiten im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes betrifft nicht Fälle der Produktpiraterie, sondern Rechtssachen, in denen sich seriöse Wettbewerber über Existenz und Umfang der durch ein gewerbliches Schutzrecht verliehenen Monopolstellung streiten.14 Bei Patenten ergibt sich ein oft zweifelhafter Rechtsbestand aus den 8 

UNICRI, Updates to Counterfeiting Report, Rn. 3 f. der hohen Dunkelziffer liegen lediglich Schätzungen der Schadenshöhe vor, die je nach Bericht divergieren. Nach einem Bericht der OECD aus dem Jahr 2009 beläuft sich der jährliche weltweite Schaden aufgrund der Produktpiraterie an körperlichen Gegenständen auf 250 Milliarden US-Dollar, vgl. OECD, Magnitude of Counterfeiting, S. 1. 10  Heide, BB 2012, 2831. 11  Heide, BB 2012, 2831 (2832). 12  Stichwort 3D-Druck. 13  Heide, BB 2012, 2831 (2832). 14 Siehe Laddie J in Coflexip v Stolt, [1999] FSR 473 (486): „[The] general proposition that all infringers of intellectual property rights are to be treated as devious and that plaintiffs need much wider orders in intellectual property cases to protect them against future ingenious, but yet unthought of, acts of infringement is unjustified. It comes close to assuming class guilt. Most losing defendants are perfectly respectable and honest traders. […] If I consider patents alone, in 30 years experience of litigation in this area, I have never come across a defendant who engaged in infringement knowing that what he was doing was wrong. They 9  Aufgrund



A. Einführung

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Schwierigkeiten bei der Ermittlung des (weltweiten) relevanten Stands der Technik im Zeitpunkt der Patentanmeldung sowie aus einer zunehmenden Tendenz der Rechtsprechung, insbesondere bei computerimplementierten Erfindungen das Kriterium der Erfindungshöhe strikter zu handhaben.15 Daten für das Jahr 2011 zeigen, dass in Einspruchsverfahren vor dem Europäischen Patentamt bzw. in Nichtigkeitsklagen vor dem Bundespatentgericht nur ca. ein Drittel aller Patente ohne Einschränkung aufrechterhalten wird.16 Solange das Patent Bestand hat, wird die Prozessführung wegen Schutzrechtsverletzung von vielen Wettbewerbern nicht als notwendiges Übel, sondern als Geschäftsstrategie beim Kampf um wertvolle Marktanteile begriffen.17 Als gegenläufiger Trend zur Produktpiraterie lässt sich in den letzten Jahrzehnten ferner eine wachsende Bedeutung des Behinderungswettbewerbs durch Eintragung gewerblicher Schutzrechte konstatieren. Im Patentrecht hat sich für Unternehmen, die vornehmlich Patente aufkaufen und verwerten, ohne selbst am Innovationsprozess teilzunehmen, der Begriff „Patent-Troll“ eingebürgert (oder „non-practising entities“).18 Auch im Markenrecht sind bösgläubige Markenanmeldungen zwecks Störung eines schutzwürdigen Besitzstands anderer Wettbewerber keine Unbekanntheit.19 Ebenso wie es Aufgabe des materiellen Rechts des gewerblichen Rechtsschutzes ist, eine angemessene Balance zwischen wettbewerbsfördernden und wettbewerbshemmenden Wirkungen des Investitionsschutzes zu finden, muss es demnach das Ziel jeglicher zivilprozessualer Instrumente zur Durchsetzung gewerblicher Schutzrechte sein, ein Gleichgewicht zwischen den Belangen des

all thought that they either did not infringe or the patent was invalid or both. […] It cannot be right to simply treat all patent infringers as bad apples.“ 15  Osterrieth, GRUR 2009, 540 (541). 16 Hierzu Kühnen/Claessen, GRUR 2013, 592 (593). Daten des EPA für das Jahr 2011: Widerruf des Patents 32 %; beschränkte Aufrechterhaltung 39 %; Zurückweisung des Einspruchs 29 %. Daten des BPatG für 2010: Nichtigkeit 48 %; teilweise Nichtigkeit 24 %; Klageabweisung 28 %. Daten des BPatG für 2011: Nichtigkeit 48 %; teilweise Nichtigkeit 33 %; Klageabweisung 19 %. 17  Kawano in Stürner/Kawano, Cross Border Insolvency, S. 224 f.; Hansen in FS v. Meibom, S. 119, 121; Osterrieth, GRUR 2009, 540 (541). Eindrückliches Beispiel ist der weltweite „Prozesskrieg“ zwischen den Technologieunternehmen Apple und Samsung, siehe bspw. ; . 18 Siehe Osterrieth, GRUR 2009, 540 (541 ff.), Ohly, GRUR Int. 2008, 787 f., 791 ff.; v.  Meibom/Nack in Liber Amicorum Straus, S. 495 ff. (auch zu den Erscheinungsformen Patent Hold-up und Patent Ambush); kritisch Ann in Liber Amicorum Straus, S. 355 ff. 19  Bekannte Beispiele sind EuGH v. 11. 06. 2012 – C-529/07 – Slg. 2009, I-4893 (Lindt & Sprüngli), Rn. 41 ff.; BGH v. 23. 11. 2000 – I ZR 93/98 – GRUR 2001, 242 (244) (Classe E); BPatG v. 16. 02. 2004 – 30 W (pat) 199/02 – MMR 2004, 405 (Symicron Explorer); weitere Nachweise bei Fezer, MarkenG, § 8 Rn. 667 ff. sowie in dem umfassenden Werk von Tsoutsanis, Trade Mark Registrations in Bad Faith, Oxford 2011.

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§ 3  Die Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums

Schutzrechtsinhabers und des angeblichen Schutzrechtsverletzers herzustellen und zu wahren.

II.  Das TRIPS-Übereinkommen 6

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Das am 1. Januar 1995 in Kraft getretene Agreement on Trade Related Aspects of Intellectual Property (TRIPS) ist als Anhang 1C verbindlicher Bestandteil des Übereinkommens zur Errichtung der Welthandelsorganisation (WTO). Aufgrund dieser Verknüpfung hat es sich innerhalb weniger Jahre zu einem der bedeutendsten internationalen Verträge auf dem Gebiet des geistigen Eigentums entwickelt.20 Das TRIPS gibt Mindeststandards zum Schutz des geistigen Eigentums vor21 und bindet die Vertragsstaaten an den Grundsatz der Inländerbehandlung22 sowie an das Meistbegünstigungsprinzip23. Das Übereinkommen baut insoweit auf der Pariser Verbandsübereinkunft (PVÜ) und der Revidierten Berner Übereinkunft (RBÜ) auf,24 verpflichtet die Mitgliedstaaten freilich über diese Übereinkünfte hinausgehend auch zur Einführung zivilrechtlicher, strafrechtlicher und administrativer Maßnahmen zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums. Zu den zivilrechtlichen Vorgaben des TRIPS zählen Bestimmungen zur Bereithaltung gerichtlicher Anordnungen auf Unterlassung und Schadensersatz sowie Rückruf und Vernichtung schutzrechtsverletzender Gegenstände und der zu deren Herstellung verwendeten Materialien. Weiterhin sieht das Übereinkommen ein Recht auf Zugang zu Beweisgegenständen in der Sphäre der gegnerischen Partei25 sowie einen Anspruch des Schutzrechtsinhabers auf Auskunft gegenüber dem Schutzrechtsverletzer26 vor. Auch einstweilige Verfahren zur Unterbindung der Schutzrechtsverletzung oder zur Sicherung von Beweismitteln sind bereitzustellen.27 Flankiert werden diese Regelungen 20 

Die WTO verfügt über 159 Mitgliedstaaten (Stand Januar 2014). Art. 1 Abs. 1 TRIPS. 22  Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, die Staatsangehörigen der anderen Vertragsstaaten in Bezug auf den Schutz geistigen Eigentums seinen eigenen Staatsangehörigen gleichzustellen, Art. 3 Abs. 1 TRIPS. 23  Vorteile und Privilegien, die den Staatsangehörigen eines anderen Staates im Hinblick auf den Schutz des geistigen Eigentums zugebilligt werden, sind auf die Staatsangehörigen aller anderen TRIPS-Vertragsstaaten zu erstrecken, Art. 4 TRIPS. Zu dem daraus resultierenden Dominoeffekt bilateraler Handelsübereinkommen siehe Vaver/Basheer, EIPR 2006, 286 (288). 24  Art. 2, Art. 9 Abs. 1 TRIPS erklären die Bestimmung des PVÜ und des RBÜ für verbindlich. Auch inhaltlich orientiert sich das Schutzniveau des TRIPS an den Übereinkünften, verpflichtet die Vertragsstaaten jedoch in Teilbereichen auf einen höheren Schutzstandard, vgl. Götting, GewRS, § 7 Rn. 26. 25  Art. 43 TRIPS. 26  Art. 47 TRIPS. 27  Art. 50 TRIPS. 21 



A. Einführung

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von einem Entschädigungsanspruch des vorgeblichen Schutzrechtsverletzers im Falle missbräuchlich erwirkter gerichtlicher Anordnungen28 sowie von Bestimmungen zum rechtlichen Gehör, die grundrechtsähnlichen Charakter aufweisen29. Ein über die Vorgaben des TRIPS hinausgehender Schutz ist nach Art. 1 Abs. 1 TRIPS zulässig, soweit hierdurch nicht die Bestimmungen des Übereinkommens verletzt werden. Hinsichtlich der Wirkungen des TRIPS in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten ist zu differenzieren: Soweit der Unionsgesetzgeber in einem vom TRIPS erfassten Regelungsbereich kein oder nur punktuelles Sekundärrecht geschaffen hat, bleibt es nach der Rechtsprechung des EuGH den Gerichten der Mitgliedstaaten überlassen, über die unmittelbare Wirkung des TRIPS in dem betreffenden Mitgliedstaat zu entscheiden.30 Eine unmittelbare Wirkung des TRIPS lehnt der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung hinsichtlich solcher Regelungsbereiche des TRIPS ab, die Gegenstand unionsrechtlichen Sekundärrechts sind,31 wie dies bei der zivilrechtlichen Durchsetzung gewerblicher Schutzrechte der Fall ist. Die Gerichte der Mitgliedstaaten seien jedoch gehalten, bei ihrer Interpretation der nationalen Regelungen so weit wie möglich Wortlaut und Zweck der maßgeblichen TRIPS-Bestimmungen zu berücksichtigen.32 Dabei sei allen Umständen der Rechtssache Rechnung zu tragen, um einen angemessenen Ausgleich zwischen den widerstreitenden Rechten und Pflichten der Schutzrechtsinhaber und der gegnerischen Partei zu gewährleisten.33 Der EuGH erklärt sich in diesen Bereichen befugt zur vorrangigen Auslegung des TRIPS.34

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III.  Die Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums 1. Überblick Nach Auffassung der Europäischen Kommission hat das TRIPS im Bereich der zivilrechtlichen Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums keinen ausreichenden Anpassungsdruck auf die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten 28 

Art. 48 TRIPS. Art. 41 Abs. 2, 3, 4, Art. 42 TRIPS. 30 EuGH v.  14.  12.  2000  – C-300/98  – Slg. 2000, I-11307 (Dior), Rn. 48; EuGH v. 11. 09. 2007 – C-431/05 – Slg. 2007, I-7001 (Merck), Rn. 34. 31 EuGH v.  14.  12. 2000  – C-300/98  – Slg. 2000, I-11307 (Dior), Rn. 43 f.; EuGH v. 25. 10. 2007 – C-238/06 P – Slg. 2007, I-9376 (Develey), Rn. 38 f. m. w. N. 32 EuGH v.  16.  06. 1998  – C-53/96  – Slg. 1998, I-3603 (Hermès), Rn. 28; EuGH v. 14. 12. 2000 – C-300/98 – Slg. 2000, I-11307 (Dior), Rn. 47; EuGH v. 13. 09. 2001 – C-89/99 – Slg. 2001, I-5851 (Schieving-Nijstad), Rn. 35. 33  EuGH v. 13. 09. 2001 – C-89/99 – Slg. 2001, I-5851 (Schieving-Nijstad), Rn. 38, 55. 34 EuGH v.  16.  06. 1998  – C-53/96  – Slg. 1998, I-3603 (Hermès), Rn. 29; EuGH v. 15. 11. 2012 – C-180/11 (Bericap), Rn. 67. 29 

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§ 3  Die Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums

entfaltet.35 Dies veranlasste die Kommission, eine eigenständige europäische Gesetzgebung auf diesem Gebiet zu initiieren, welche in die Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums mündete.36 Die Richtlinie ist als detailliertere und wirkungsmächtigere TRIPS-plus Version angelegt, die ihre Herkunft angesichts zahlreicher wörtlicher Übereinstimmungen mit dem TRIPS-Übereinkommen nicht verleugnen kann. Ebenso wie das TRIPS sieht die Durchsetzungsrichtlinie lediglich eine Mindestharmonisierung vor und erlaubt den Mitgliedstaaten die Einführung oder Beibehaltung von Instrumenten, welche für den Rechteinhaber günstiger sind.37 Der Titel der Richtlinie 2004/48/EG „zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums“ impliziert eine Beschränkung auf prozessuale Vorgaben. Doch ist dies nicht zutreffend. Die Kernbestimmungen der DRL können in zwei unterschiedliche, nicht ausschließlich prozessuale Kategorien gefasst werden: Die erste Kategorie umfasst Maßnahmen, welche die zivilgerichtliche Feststellung und Sicherung von Ansprüchen erleichtern, die auf gewerblichen Schutzrechten beruhen. Nach Art. 6 bis 8 DRL sind die Mitgliedstaaten gehalten, bei Verdacht einer Schutzrechtsverletzung Instrumente zur Beweismittelvorlage und Beweismittelsicherung bereitzuhalten sowie Auskunftspflichten des Verletzers vorzusehen, um dem Schutzrechtsinhaber eine rasche und umfassende Sachaufklärung und die Einleitung weiterer rechtlicher Schritte zu ermöglichen. Art. 9 DRL verpflichtet die Mitgliedstaaten, Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes gegenüber dem angeblichen Verletzer und dritten Personen vorzusehen, um die Schutzrechtsverletzung zeitnah zu unterbinden sowie den Vermögensbestand des Schutzrechtsverletzers zwecks späterem Vollstreckungszugriff zu sichern. Die zweite Kategorie von Maßnahmen, enthalten in Art. 10 bis 13 DRL, umfasst die Rechtsfolgen einer festgestellten Schutzrechtsverletzung. Genannt sind neben Unterlassungs- und Schadensersatzansprüchen der Schutzrechtsinhaber auch die Instrumente der Vernichtung schutzrechtsverletzender Ware oder deren Rückruf bzw. Entfernen aus den Vertriebswegen sowie die öffentlichkeitswirksame Publikation von Urteilen. Flankiert werden diese Bestimmungen einerseits durch eher rudimentäre Vorgaben zur Aktivlegitimation bzw. Prozessführungsbefugnis (Art. 4 DRL) und den Prozesskosten (Art. 14 DRL), andererseits durch die Zielvorgabe, effektive und abschreckende, aber verhältnismäßige Instrumente und Sanktionen zu schaffen (Art. 3, 16 DRL). Schließlich enthält die Richtlinie noch ein Kapitel IV zu Verhaltenskodizes und Verwaltungszusammenarbeit. 35 

Erwägungsgrund 7 DRL. Zur Entstehungsgeschichte der Durchsetzungsrichtlinie sieh Kur, IPC 2004, 822 ff. 37  Art. 2 Abs. 1 DRL. 36 



A. Einführung

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2.  Eingrenzung des Untersuchungsgegenstands Die Durchsetzungsrichtlinie differenziert weder in ihrer Struktur noch in den Formulierungen zwischen prozessualen Instrumenten und materiellrechtlichen Ansprüchen. Abgesehen von den einleitenden und den abschließenden Bestimmungen enthalten die Artikel der Richtlinie nahezu durchweg den Wortlaut „Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die zuständigen Gerichte auf Antrag einer Partei […] anordnen können“. Diese Formulierung geht zurück auf Bemühungen bei der Verhandlung des TRIPS-Übereinkommens, den Vertragstext angesichts der Unterschiede zwischen den kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen und den Common Law Rechtsordnungen möglichst begriffsneutral zu fassen.38 Zwar legen einige Bestimmungen der Richtlinie aufgrund ihrer Tatbestandsvoraussetzungen oder Rechtsfolgen eine prozessuale bzw. materiellrechtliche Einordnung nahe. Mangels einer expliziten Umsetzungsvorgabe bleibt die Qualifikation gleichwohl den Mitgliedstaaten überlassen.39 Dies erleichtert die systemwahrende Integration der Richtlinienvorgaben in das nationale Recht, mindert freilich den Harmonisierungseffekt und ruft gegebenenfalls Anpassungsprobleme hervor.40 Für die vorliegende Untersuchung, die den prozessualen Aspekten der Durchsetzung gewerblicher Schutzrechte gewidmet ist, bedarf es einer Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes unabhängig von der materiellrechtlichen oder prozessualen Einordnung nationaler Umsetzungsmaßnahmen. Als Differenzierungskriterium wurde die bereits oben skizzierte, der Richtlinie eigene Unterscheidung gewählt: Die Arbeit widmet sich all jenen Maßnahmen, die der Vorbereitung und Sicherung einer Entscheidung in der Hauptsache bzw. ihrer Durchsetzung dienen oder die sich doch zumindest regelmäßig in deren Vorfeld abspielen, auch wenn der nationale Gesetzgeber die betreffende Umsetzungsmaßnahmen dem materiellen Recht zugeordnet haben mag. Es handelt sich um Maßnahmen zur vorprozessualen Informationsgewinnung, zur Beweissicherung und Beweismittelvorlage sowie um Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes. Nicht behandelt werden Maßnahmen aufgrund einer Entscheidung in der Hauptsache nach Kapitel II, Abschnitt 5 bis 7 DRL. Die Vorgaben der Richtlinie zur Aktivlegitimation bzw. Prozessführungsbefugnis (Art. 4 DRL) sowie zu den Prozesskosten (Art. 14 DRL) werden im 38 

Weber, Enforcement-RL, S. 22 f. m. w. N. Art. 249 Abs. 3 EG erklärt Richtlinien nur hinsichtlich ihres Ziels für verbindlich und überlässt den Mitgliedstaaten die Wahl der Form und Mittel. Wie hier Bornkamm in FS Ullmann, S. 896; Amschewitz, DRL, S. 115; Weber, Enforcement-RL, S. 23 f. (s. aber auch a. a. O., S. 110); Wiebe in Büllesbach/Büchner, IT, S. 161; Hess, EuZPR, § 11 Rn. 26 m. Fn. 120; a. A. McGuire, GRUR Int. 2005, 15 (21). Zur prozessualen Einordnung der Schadensfeststellung (quantification of damages) im englischen Recht siehe Fentiman, Rn. 5.06. 40 Näher McGuire, GRUR Int. 2005, 15 (17); zu Vorlagepflichten Coester-Waltjen in FS Schlosser, S. 149. 39 

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§ 3  Die Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums

Folgenden kurz erläutert, eine rechtsvergleichende Untersuchung der Umsetzungsmaßnahmen erfolgt jedoch nicht. Diese Bestimmungen sind durch einen großzügigen Verweis auf die innerstaatlichen Bestimmungen der Mitgliedstaaten gekennzeichnet bzw. so allgemein formuliert, dass ihnen ein harmonisierender Gehalt nicht entnommen werden kann.

B.  Rechtsetzungskompetenz der Union 17

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Die Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums wurde gestützt auf die Binnenmarktkompetenz der Europäischen Gemeinschaften gemäß Art. 95 EGV, welche heute in Art. 114 AEUV niedergelegt ist. Der Gemeinschaftsgesetzgeber argumentierte, dass trotz der Bindung aller Mitgliedstaaten an das TRIPS-Übereinkommen beträchtliche Unterschiede zwischen den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten bei der Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums bestünden, welche das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts verhinderten.41 Diese Unterschiede schwächten das bereits weitgehend harmonisierte materielle Recht auf dem Gebiet des geistigen Eigentums und untergrüben das Vertrauen der Wirtschaft in den dergestalt fragmentierten Binnenmarkt.42 Ob den in Art. 6 bis 9 DRL enthaltenen Regelungen mit prozessualem Bezug tatsächlich eine solche Bedeutung für den Binnenmarkt attestiert werden kann, ist indes zweifelhaft.43 In seinem Gutachten zur Zuständigkeit der Europäischen Gemeinschaft für den Abschluss des WTO-Abkommens und der beigefügten Übereinkommen (GATS und TRIPS) hielt der EuGH per obiter dictum fest, die Europäische Gemeinschaft verfüge „mit Sicherheit“ über eine Zuständigkeit für die Harmonisierung der nationalen Vorschriften zur Gewährleistung eines wirksamen Schutzes der Rechte an geistigem Eigentum in den Bereichen, die durch das TRIPS-Übereinkommen vorgegeben werden, soweit sich diese unmittelbar auf die Errichtung oder das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes auswirkten.44 Doch hat der Gerichtshof in anderen Verfahren darauf hingewiesen, der Einfluss nationaler Verfahrensvorschriften auf die 41  Erwägungsgrund

7 f. DRL. Nach Rechtsprechung des EuGH können durch Rechtsangleichung zu beseitigende Hemmnisse des Binnenmarkts auch auf einer uneinheitlichen Auslegung völkerrechtlicher Verträge beruhen, vgl. EuGH v. 09. 10. 2001 – C-377/98 – Slg. 2001, I-7079 (Niederlande/Parlament und Rat  – Schutz biotechnologischer Erfindungen), Rn. 20. 42  Erwägungsgrund 9 DRL. Zu einer potentiellen Annexkompetenz im Hinblick auf die im Bereich des materiellen Immaterialgüterrechts bestehenden Zuständigkeiten siehe Weber, Enforcement-RL, S. 16 f. 43  Cornish/Drexl/Hilty/Kur, EIPR 2003, 447 f. (mit weiteren Unterzeichnern); Metzger/ Wurmnest, ZUM 2003, 925. 44  EuGH v. 15. 11. 1994 – Gutachten 1/94 – Slg. 1994, I-5267 (WTO), Rn. 104.



C.  Anwendungsbereich, Begriffsbestimmungen und allgemeine Vorgaben 

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Durchsetzung privater Rechtspositionen sei „zu ungewiss und zu mittelbar, als dass die fragliche nationale Vorschrift als geeignet angesehen werden könnte, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu behindern“.45 Darüber hinausgehend ist fraglich, ob der begrenzte Regelungsansatz der Richtlinie und der gemäß Art. 2 Abs. 1 DRL verfolgte Mindestharmonisierungsansatz geeignet sind, eine existierende Fragmentierung des Binnenmarktes aufzuheben, da die Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten über einen Kernbestand gemeinsamer Regelungen hinaus bestehen bleiben.46

C.  Anwendungsbereich, Begriffsbestimmungen und allgemeine Vorgaben I.  Anwendungsbereich der Richtlinie Die Durchsetzungsrichtlinie findet nach ihrem Art. 2 Abs. 1 auf jede Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums Anwendung, unabhängig davon, ob es sich um ein Gemeinschaftsschutzrecht handelt oder ob das Schutzrecht der Rechtsordnung des betreffenden Mitgliedstaates entspringt.47 Eine Definition des Begriffs der Rechte des geistigen Eigentums gibt die Richtlinie nicht vor,48 auch den Erwägungsgründen lässt sich wenig entnehmen.49 Die Europäische Kommission hat ca. ein Jahr nach Erlass der Richtlinie eine ergänzende Stellung45  Siehe EuGH v. 22. 06. 1999 – C-412/97 – Slg. 1999, I-3845 (Italo Fenocchio), Rn. 11, zur fehlenden Verfügbarkeit des italienischen Mahnverfahrens bei Erforderlichkeit der Zustellung in einem anderen Mitgliedstaat; EuGH v. 07. 04. 2011 – C-291/09 – Slg. 2011, 2685 (Guarnieri), Rn. 17 zu einer nationalen Vorschrift, welche die Stellung von Prozesskostensicherheit durch ausländische Staatsangehörige vorsieht; ähnlich EuGH v.  07. 03. 1990  – C-69/88 – Slg. 1990, I-583 (Krantz), Rn. 11, zur Befugnis des Fiskus zur Pfändung von unter Eigentumsvorbehalt verkauften Sachen. Ein unveröffentlichtes Gutachten des juristischen Diensts des Europaparlaments geht davon aus, dass sich aus der Binnenmarktkompetenz gemäß Art. 94, 95 EGV (Vorläufer des Art. 114 AEUV) keine adäquate Rechtsetzungsbefugnis für die Regelung von Kollektivklagen im Verbraucherrecht ableiten lässt, berichtet bei Hess, EuZPR, § 11 Rn. 48. 46  Der Unionsgesetzgeber hat aus diesem Grund auf dem Gebiet des Verbraucherprivatrechts den Harmonisierungsansatz gewechselt und ist in jüngeren Rechtsakten zum Prinzip der Vollharmonisierung übergegangen. Zur Frage, ob der Vollharmonisierungsansatz im Verfahrensrecht empfehlenswert wäre siehe § 8 Rn. 43 ff. 47 Eine Pflicht zur Gleichbehandlung ausländischer Schutzrechte mit inländischen Schutzrechten lässt sich dem Wortlaut des Art. 2 Abs. 1 DRL nicht entnehmen. 48  Art. 1 S. 2 DRL stellt lediglich klar, dass gewerbliche Schutzrechte vom Begriff des „geistigen Eigentums“ umfasst sind. Siehe umfassend zur Unschärfe des unionsrechtlichen Immaterialgüterbegriffs Jaeger, System einer Europäischen Gerichtsbarkeit, S. 51 ff. 49  A. A. Beyerlein, WRP 2005, 1354 (1356) unter Hinweis auf Erwägungsgrund 2 und 13 DRL. Erwägungsgrund 13 begründet freilich lediglich, weshalb die Richtlinie im Gegensatz zum ursprünglichen Vorschlag der Kommission (Art. 2 Ziff. 1) nicht nur Gemeinschaftsschutzrechte, sondern auch auf nationalem Recht basierende Schutzrechte erfasst.

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§ 3  Die Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums

nahme zu Art. 2 DRL abgegeben, in der die ihrer Auffassung nach vom Begriff des geistigen Eigentums mindestens umfassten Rechte aufgezählt werden.50 Neben Urheberrechten und verwandten Schutzrechten51 sind als gewerbliche Schutzrechte genannt: Patent-, Gebrauchsmuster- und Sortenschutzrechte, Marken- und Geschmacksmusterrechte, geographische Herkunftsangaben sowie Handelsnamen, soweit es sich dabei nach dem Recht des betreffenden Mitgliedstaates um ausschließliche Rechte handelt. In Übereinstimmung mit dieser Stellungnahme ist davon auszugehen, dass Art. 2 Abs. 1 DRL jedenfalls diesen Grundkanon staatsvertraglich und gemeinschaftsrechtlich anerkannter Schutzrechte umfasst,52 während hinsichtlich anderer Rechte nationalen Ursprungs die Einordnung der betreffenden mitgliedstaatlichen Rechtsordnung entscheidend ist.53 Erwägungsgrund 13 S. 2 DRL stellt klar, dass es den Mitgliedstaaten unbenommen ist, die in der Richtlinie spezifizierten Maßnahmen auch für andere Rechtsverletzungen, etwa unlautere Wettbewerbshandlungen, vorzusehen.

II. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 20

Art. 3 DRL ist die einzige Bestimmung der Richtlinie, welche die Interessen des Antragsgegners oder Beklagten – wenn auch in vagen Umschreibungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes – in den Mittelpunkt rückt.54 Die nationalen Umsetzungsakte seien „fair und gerecht“ zu gestalten; die Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe müssten verhältnismäßig sein und so angewandt werden, dass die Einrichtung von Schranken für den rechtmäßigen Handel vermieden werde und die Gewähr gegen einen etwaigen Missbrauch gegeben sei.55 Andererseits verpflichtet Art. 3 DRL die Mitgliedstaaten, in Umsetzung der Richtlinie schnelle, effektive, kostengünstige und abschreckende Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe zugunsten der Schutzrechtsinhaber bereitzustellen. Interessanterweise legt der Europäische Gerichtshof die in Art. 3 50 Erklärung der Kommission zu Artikel 2 der Richtlinie 2004/48/EG, ABl. Nr. L 94 v. 13. 04. 2005, S. 37. 51  Sowie den Schutzrechten sui generis der Datenbankhersteller und der Schöpfer der Topografien von Halbleitererzeugnissen. 52  Zweifelnd hinsichtlich der geographischen Herkunftsangaben Seichter, WRP 2006, 391 (392). Erwägungsgrund 28 des Richtlinienvorschlags der Europäischen Kommission über den Schutz vertraulichen Know-hows, KOM (2013) 813, geht von der Möglichkeit einer Überschneidung des Anwendungsbereichs beider Rechtsakte aus; kritisch hierzu MPI für Innovation und Wettbewerb, Stellungnahme v. 12. 05. 2014, Rn. 16. 53  Bericht der Europäischen Kommission zur Anwendung der Richtlinie 2004/48/EG zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums, KOM(2010)779, S. 6; ebenso im Hinblick auf den Begriff des geistigen Eigentums in TRIPS EuGH v.  14. 12. 2000  – C-300/98  – Slg. 2000, I-11307 (Dior), Rn. 56 ff., 60; a. A. Beyerlein, WRP 2005, 1354 (1357). 54  Art. 3 DRL enthält wörtliche Übernahmen aus Art. 41 Abs. 1 und 2 TRIPS. 55  Siehe zu diesen Prinzipien näher Norrgård in Ohly, EU IP Law, S. 206 ff.

C.  Anwendungsbereich, Begriffsbestimmungen und allgemeine Vorgaben 



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Abs. 1 DRL enthaltene Maßgabe, die von den Mitgliedstaaten vorzusehenden Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe dürften nicht unnötig kompliziert oder kostspielig sein, nicht allein zugunsten der Schutzrechtsinhaber, sondern auch zugunsten der von derlei Maßnahmen betroffenen Personen aus.56

III.  Aktivlegitimation und Prozessführungsbefugnis Art. 4 lit. a DRL verpflichtet die Mitgliedstaaten, den Inhabern von Rechten des geistigen Eigentums das Recht einzuräumen, die in der Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe im Einklang mit den Bestimmungen des anwendbaren Rechts einzuräumen. Nach Art. 4 lit. b bis d DRL gilt dies vice versa für Lizenznehmer, Verwertungsgesellschaften und Berufsorganisationen, soweit dies nach den Bestimmungen des anwendbaren Rechts zulässig ist und mit ihnen im Einklang steht. Ob die Antragsmöglichkeit nach Art. 4 lit. b bis d aus der Aktivlegitimation oder aus einer Regelung der Prozessführungsbefugnis resultiert, liegt im Umsetzungsermessen der Mitgliedstaaten. Zwecks besserer Lesbarkeit werden die Begriffe „Rechteinhaber“ bzw. „Inhaber gewerblicher Schutzrechte“ im Rahmen dieser Arbeit stellvertretend für alle Personen genannt, denen eine Aktivlegitimation bzw. Prozessführungsbefugnis nach dem Recht des entsprechenden Mitgliedstaates zukommt.

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IV. Passivlegitimation Die Maßnahmen der Richtlinie richten sich gegen „den Verletzer“ sowie teilweise gegen „Mittelspersonen, deren Dienste von einem Dritten zwecks Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums in Anspruch genommen werden“. Eine weitergehende Legaldefinition unternimmt die Richtlinie nicht; insoweit besteht ein weiter Umsetzungsspielraum der Mitgliedstaaten.

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V. Prozesskosten Art. 14 DRL hält den in den Mitgliedstaaten der Union allgemein anerkannten57 zivilprozessualen Grundsatz fest, dass die Prozess- und anderweitig ent56 

EuGH v. 24. 11. 2011 – C-70/10 (Scarlet Extended), Rn. 48. Staff Working Document Document accompanying COM (2010) 779, SEC (2010) 1589, S. 24, mit Hinweisen zu abweichenden Erfahrungen in der Praxis; Heinze, ZEuP 2009, 282 (309). In der Anfang 2013 von der Europäischen Kommission durchgeführten Konsulation zur Wirksamkeit der Verfahren und Zugänglichkeit von Maßnahmen bei der zivilrechtlichen Durchsetzung geistiger Eigentumsrechte bezogen ca. 33 % der eingegangenen Stellungnahmen die Position, das generelle Kostentragungsprinzip des Art. 14 DRL werde von den Gerichten nicht angewandt, vgl. Synthesis oft he Responses, July 2013 unter . Zur Kostenverteilung in Patentstreitverfahren 57  Commission

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§ 3  Die Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums

standene Kosten von der unterlegenen Partei zu tragen sind. Die Kostenpflicht der unterlegenen Partei soll sich nur auf zumutbare und angemessene Rechtsverfolgungskosten beziehen und unterliegt dem Vorbehalt der Billigkeit.

D. Zuständigkeit I.  Zuweisung durch das Unionsrecht 24

Das Unionsrecht regelt die internationale, sowie teilweise die örtliche58 Zuständigkeit für Klagen zur Durchsetzung gewerblicher Schutzrechte (näher § 10) und verpflichtet die Mitgliedstaaten, für ihr Gebiet eine möglichst geringe Anzahl Gemeinschaftsmarken- bzw. Gemeinschaftsgeschmacksmustergerichte erster und zweiter Instanz zu benennen (näher § 13 Rn. 3 f.).59 Die Gerichtsorganisation sowie die Bestimmung der sachlichen und – teilweise – der örtlichen Zuständigkeit bleiben den Mitgliedstaaten überlassen. Zum besseren Verständnis der im Folgenden diskutierten Maßnahmen des deutschen und englischen Rechts werden die entsprechenden Zuständigkeitsregeln des autonomen Rechts hier kurz erläutert.

II.  Deutsches Zuständigkeitsrecht 25

In §§ 143 PatG, 140 MarkenG, 27 GebrMG, 52 DesignG, 38 SortSchG weist das deutsche Recht die sachliche Zuständigkeit für Rechtssachen zur Durchsetzung gewerblicher Schutzrechte den Landgerichten zu. Zwecks Gewährleistung einer besonderen Sachkunde und Erfahrung sind die Länder befugt, diese Rechtssachen für mehrere Gerichtsbezirke einem bestimmten Landgericht zuzuweisen, gegebenenfalls auch länderübergreifend im Wege eines Staatsvertrages.60 Die örtliche Zuständigkeit folgt aus §§ 12 ff. ZPO, wobei in der Praxis der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung gemäß § 32 ZPO eine herausragende Bedeutung einnimmt. Da sich Schutzrechtsverletzungen häufig nicht auf einen bestimmten Ort beschränken, eröffnen §§ 32, 35 ZPO dem in Deutschland und England siehe Fischmann, JIPlP 2015, 98 ff. und Rojahn/Rektorschek, Mitt. 2014, 1 ff. Das vor dem englischen Intellectual Property Enterprise Court im Oktober 2012 neu eingeführte Verfahren im small claims track sieht prinzipiell keine Kostenerstattung durch die unterlegene Partei vor, was angesichts der Höhe der Rechtsverfolgungskosten einer Rechtsschutzverweigerung nahekommt, vgl. die Eingaben von Nokia zum Bericht von Hargreaves, Digital Opportunity, vor Rn. 8.59. 58  Art. 7 Nr. 2 EuGVO (2012). 59 Vgl. die Liste auf . 60  Eine aktuelle Übersicht findet sich unter .



D. Zuständigkeit

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Kläger bzw. Antragsteller die Wahl zwischen zahlreichen Gerichtsständen (sogenannter „fliegender Gerichtsstand“).61 Im Verletzungsverfahren ist es dem Beklagten nicht möglich, den Nichtbestand eines Patents oder einer Marke einzuwenden bzw. Nichtigkeitswiderklage zu erheben, soweit das Vorliegen von Schutzrechtsvoraussetzungen angezweifelt wird, welche das Deutsche Patent- und Markenamt (DPMA) oder das Europäische Patentamt (EPA) bereits im Eintragungs- bzw. Erteilungsverfahren geprüft haben.62 Vielmehr ist der Beklagte in diesem Fall gehalten, ein Einspruchsverfahren vor dem Patentamt oder ein separates Nichtigkeitsverfahren vor dem Bundespatentgericht anzustrengen, woraufhin das Verletzungsverfahren bei hoher Erfolgswahrscheinlichkeit des Nichtigkeitsklage gemäß § 148 ZPO ausgesetzt werden kann (sog. Trennungsprinzip bzw. bifurcation).63

III.  Englisches Zuständigkeitsrecht In England verfügt der Kläger bzw. Antragssteller über weniger Optionen (siehe ausführlicher zur Gerichtsorganisation den Anhang, Rn. 7 ff.). Verfahren, die Patente und registrierte Geschmacksmuster betreffen oder hiermit im Zusammenhang stehen, sind entweder vor dem Intellectual Property Enterprise Court in London zu verhandeln oder vor dem Patents Court, d. h. vor einer Unterabteilung der Chancery Division des High Court.64 Verfahren, die andere gewerbliche Schutzrechte betreffen, können darüber hinaus zwar in ausgewählten County Courts eingeleitet werden.65 Die Befugnis zum Erlass von search orders und freezing injunctions, d. h. von besonders eingriffsintensiven einstweiligen Anordnungen, die der Umsetzung von Art. 9 Abs. 2 und Art. 7 DRL dienen, steht freilich nur dem High Court und dem Intellectual 61  Das Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken, BGBl. 2013, I-3714, schränkt den fliegenden Gerichtsstands für das Urheberrecht ein (§ 104a Abs. 1 UrhG). Hinsichtlich gewerblicher Schutzrechte erging lediglich ein Prüfauftrag des Bundestags an die Bundesregierung. Zur Verteilung von Patent- und Gebrauchsmustersachen auf die verschiedenen deutschen Patentstreitkammern siehe Kühnen/Claessen, GRUR 2013, 592 (597). 62 BGH v.  12. 11. 2002  – X ZR 176/01  – GRUR 2003, 550 (Richterablehnung); BGH v.  06. 04. 2004  – X ZR 272/04  – BGHZ 158, 372, 375 (Druckmaschinen-Temperierungssystem). Die Nichtigkeit eines Gebrauchs- oder Geschmacksmusters bzw. die bösgläubige Anmeldung einer Marke oder die widerrechtliche Entnahme eines Patents können hingegen im Verletzungsprozess einredeweise geltend gemacht werden. Siehe zu § 21 Abs. 1 Ziff. 3 PatG: BGH v. 1. 2. 2005 – X ZR 214/02 – GRUR 2005, 567 (568) (Schweißbrennerreinigung); Scharen in Benkard, § 9 PatG Rn. 63 m. w. N. Zu § 8 Abs. 2 Ziff. 10 MarkenG bzw. § 50 Abs. 1 Ziff. 4 MarkenG a. F.: BGH v. 3. 2. 2005 – I ZR 45/03 – GRUR 2005, 414 (417) (Russisches Schaumgebäck); BGH v.  28. 9. 1979  – I ZR 125/75  – GRUR 1980, 110 (111 f) (TORCH); Hacker in Ströbele/Hacker, MarkenG, § 14 Rn. 21; Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 50 Rn. 1. 63 Eine Aussetzung erfolgt freilich nur in ca. 10 % aller Verletzungsverfahren, siehe Kühnen/Claessen, GRUR 2013, 592 (594). 64  S. 61 Abs. 1, 130 Abs. 1 Patents Act 1977; s. 27 Registered Designs Act 1949. 65  CPR 63.13, 63 PD 16; näher Bently/Sherman, IP Law, Kap. 47 Rn. 7.2 ff.

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§ 3  Die Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums

Property Enterprise Court zu.66 Der Einwand des Nichtbestands eines Schutzrechts oder die Erhebung einer Nichtigkeitswiderklage in einem Verletzungsverfahren ist nach englischem Recht zulässig.67 Nach verbreiteter Auffassung sind die Beurteilung der Schutzrechtsverletzung und die Bestandsfrage gar untrennbar miteinander verbunden.68

66  R. 3 County Courts Remedies Regulations 1991. Dieser Kompetenzregel wird ein gewisser Abschreckungsfaktor als positiver Nebeneffekt zugeschrieben, vgl. Schmidt v Wong, [2006] 1 WLR 561 (567) (CA). 67  Sec. 74 Patents Act 1977 68  Bently/Sherman, IP Law, Kap. 47 Rn. 9.1.1; s. a. die beim EuGH eingereichte Erklärung der britischen Regierung in der Rechtssache GAT/LuK, berichtet in den Schlussanträgen des Generalanwalts Geelhoed v. 16. 09. 2004 – C-4/03 – Slg. 2006, I-6509, Rn. 19.

§ 4  Einstweilige Maßnahmen zur Sicherung des Status Quo A.  Die Vorgaben der Richtlinie I.  Grundzüge der Regelung des Art. 9 DRL Der einstweilige Rechtsschutz ist für die Durchsetzung gewerblicher Schutzrechte von herausragender praktischer Bedeutung.1 Eine schnelle Unterbindung der Schutzrechtsverletzung ist von eminenter Wichtigkeit, da Schutzrechtsverletzungen langfristige Auswirkungen auf die Wettbewerbslage sowohl des Schutzrechtsinhabers als auch des Schutzrechtsverletzers haben können2 und die Monopolstellung, welche ein gewerbliches Schutzrecht verleiht, zumeist zeitlich befristet ist.3 Die durch Marktverwirrungen, Kundenabwanderungen und Reputationsverlust bewirkten Schäden sind nur schwer mess- und bezifferbar, weshalb sich Schadensersatzansprüche zur Wahrung der Interessen des Schutzrechtsinhabers nur begrenzt eignen4 (dies gilt freilich auch für den Ersatzanspruch der Gegenseite, sofern eine einstweilige Verfügung erlassen wird). Der Entscheidung im Eilrechtsschutz kommt häufig wegweisender Charakter für das endgültige Schicksal des Rechtsstreits zu, weil sie als Grundlage für eine außergerichtliche Einigung zwischen den Parteien dient, weil sie die Markteinführung eines Produkts endgültig vereitelt5 oder (im Falle der Versagung einer Anordnung) weil sie den Antragsteller davon 1  Statt

aller siehe Commission Staff Working Document zum Bericht der Europäischen Kommission über die Anwendung der Richtlinie 2004/48/EG, SEC (2010) 1589, S. 14 sowie den Bericht von Bastian/Knaak, GRUR Int. 1993, 515 (521 f.). 2  Kawano in Stürner/Kawano, Cross Border Insolvency, S. 225. 3  Die Laufzeit eines Patents beträgt in den meisten Ländern grundsätzlich 20 Jahre ab dem Anmeldetag (vgl. z. B. Art. 63 Abs. 1 EPÜ; § 16 Abs. 1 PatG; sec. 25 Abs. 1 Patents Act 1977). Die Schutzdauer von Geschmacks- oder Gebrauchsmustern sind unterschiedlich und können bis zu 25 Jahren betragen (vgl. Art. 11 ff. GGV; §§ 27 Abs. 2, 28 DesignG; § 23 GebrMG; s. 269 (1) “8(2) CDPA 1988). Demgegenüber kann die Schutzdauer einer Marke beliebig oft verlängert werden (vgl. z. B. Art. 47 GMV; § 47 MarkenG; s. 43 Trade Marks Act 1994; Art. 6, 7 MMA) 4  Pansch, Einstweilige Verfügung, S. 84; Aplin/Davis, IP Law, Rn. 13.5.1. Gleiches gilt freilich für den im Wege einstweiliger Verfügung unterbundenen Markteintritt des Antragsgegners; hierzu instruktiv Astrazeneca AB v KRKA, [2014] EWHC 84 (Pat). 5  LG Düsseldorf v. 08. 07. 1999 – 4 O 187/99 – GRUR- 2000, 692 (695) (NMR-Kontrastmittel); Aplin/Davis, IP Law, Rn. 13.5.1; 13.5.2.3.

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§ 4  Einstweilige Maßnahmen zur Sicherung des Status Quo

abhält, das Verfahren in der Hauptsache weiter zu betreiben.6 Das Abwarten einer Entscheidung in der Hauptsache ist für die Parteien angesichts schneller technologischer und wirtschaftlicher Entwicklungen häufig nicht interessant.7 Art. 9 DRL verpflichtet die Mitgliedstaaten zur Bereithaltung diverser Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes, welche primär den status quo erhalten sollen. Die in Art. 9 DRL genannten Verfügungen sollen entweder den verletzungsfreien Zustand des Schutzrechts bewahren oder den Vermögensbestand des Antragsgegners sichern, um die Vollstreckung eines künftigen Titels zugunsten des Schutzrechtsinhabers zu ermöglichen. Entgegen der Chronologie der Richtlinie werden diese Maßnahmen hier vorrangig erörtert, einerseits aufgrund ihrer hohen praktischen Bedeutung, andererseits, weil die Umsetzung des Art. 9 Abs. 1 DRL sowohl in Deutschland als auch in England den Grundtypus für die spezielleren Anordnungen nach Art. 7 und 8 DRL darstellt. Art. 9 DRL gibt vier verschiedene Verfügungstypen vor: 1. Von größter praktischer Bedeutung ist die in Art. 9 Abs. 1 lit. a DRL genannte einstweilige Unterlassungsanordnung bei drohender erstmaliger oder fortgesetzter Schutzrechtsverletzung, welche sowohl gegen den behaupteten Verletzer als auch gegen Mittelspersonen zur Verfügung stehen soll. Alternativ kann auch die Fortsetzung einer behaupteten Schutzrechtsverletzung an die Stellung einer Sicherheit durch den angeblichen Verletzer geknüpft werden. 2. Nach Art. 9 Abs. 1 lit. b DRL haben die Mitgliedstaaten einstweilige Anordnungen zur Beschlagnahme bzw. Herausgabe verdächtiger Ware zu gewährleisten, um deren rechtsverletzenden Vertrieb zu verhindern. 3. Nach Art. 9 Abs. 2 S. 1 DRL sollen die Mitgliedstaaten ein Verfahren zur einstweiligen Beschlagnahme des Vermögens des angeblichen Verletzers bereithalten. 4. Um diese Vermögensbeschlagnahme zu erleichtern, sind die zuständigen Gerichte8 gem. Art. 9 Abs. 2 S. 2 DRL in den Stand zu setzen, die Übermittlung von oder einen geeigneten Zugang zu Bank-, Finanz- oder Handelsunterlagen des angeblichen Schutzrechtsverletzers anzuordnen. Art. 9 Abs. 3 DRL stellt klar, dass die genannten Maßnahmen von der Voraussetzung abhängig gemacht werden können, dass der Antragsteller alle vernünftigerweise verfügbaren Beweise vorlegt, um das Gericht mit ausreichender Sicherheit von seiner Rechtsinhaberschaft sowie von der Schutzrechtsverlet6  Wüstenberg, WRP 2010, 1237 (1240); Andrews, Civil Procedure, Rn. 18.02; Kerly on Trademarks, Rn. 19–094. 7  Deutsch, JIPLP 2013, 136 (145). 8  Die Anordnungsbefugnis liegt gemäß des Wortlauts des Art. 9 Abs. 2 S. 2 DRL in den Händen der „zuständigen Behörden“, doch handelt es sich hierbei um ein Redaktionsversehen. Näher Amschewitz, DRL, S. 180; Weber, Enforcement-RL, S. 149.



A.  Die Vorgaben der Richtlinie

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zung oder einer Verletzungsgefahr zu überzeugen. Ferner verpflichtet Art. 9 Abs. 4 DRL die Mitgliedstaaten, in geeigneten Fällen den Erlass einstweiliger Anordnungen ohne Anhörung der betroffenen Partei vorzusehen. Dies kommt insbesondere in Betracht, wenn durch die Anhörung ein irreparabler Schaden des Rechtsinhabers droht. Zum Schutz des Antragsgegners ist jener unmittelbar nach Vollziehung einer ex parte ergangenen Anordnung von der Anordnung in Kenntnis zu setzen und die Anordnung auf seinen Antrag hin in einem kontradiktorischen Verfahren zu überprüfen.9 Art. 9 Abs. 5 bis 7 DRL enthalten weitere Schutzmaßnahmen zugunsten des Antragsgegners: Die einstweilige Anordnung ist auf Antrag des Antragsgegners aufzuheben, sofern der Antragsteller nicht innerhalb einer vom Gericht zu bestimmenden Frist (hilfsweise 20 Arbeitstage oder 31 Kalendertage) das Hauptsacheverfahren einleitet.10 Nicht geregelt ist der Zeitpunkt des Fristbeginns. Die Aufhebung oder Hinfälligkeit der einstweiligen Anordnung bzw. die Feststellung des Fehlens einer (drohenden) Rechtsverletzung löst einen Schadensersatzanspruch des Antragsgegners aus. Um die Durchsetzung dieses Ersatzanspruchs zu sichern, kann der Erlass der einstweiligen Anordnung an die Stellung einer Sicherheit geknüpft werden. Bevor die Ausgestaltung dieser Maßnahmen im englischen und deutschen Recht erörtert werden, sollen die durch Art. 9 DRL geschaffenen Umsetzungsspielräume sowie die im Zusammenhang mit dieser Norm entstandenen Auslegungsschwierigkeiten kurz erläutert werden.

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II.  Interpretationsbedarf und Umsetzungsspielräume 1.  Weiter Umsetzungsspielraum der Mitgliedstaaten Einstweilige Maßnahmen stellen zwar einen zentralen Bestandteil des Schutzes gewerblicher Schutzrechte dar. Dennoch sind Eilverfahren in vielen Mitgliedstaaten übergreifend für alle zivilrechtlichen Sachgebiete in der jeweiligen Zivilprozessordnung geregelt. Um störenden Eingriffen in die nationalen Prozessrechte vorzubeugen, benennt Art. 9 DRL lediglich die bereitzuhaltenden Maßnahmen, ohne deren Voraussetzungen und Rechtsfolgen detailliert zu regeln. Den Mitgliedstaaten verbleibt in vielfältiger Hinsicht ein weiter Regelungsspielraum. So überlässt es die Richtlinie prinzipiell den Mitgliedstaaten, den für die Anordnung einer einstweiligen Maßnahme erforderlichen Überzeugungsgrad des Gerichts von dem Bestand des Schutzrechts und der Existenz 9 

Art. 9 Abs. 4 S. 2 und 3 DRL. Zur Funktion dieser Fristbestimmung insbesondere in internationalen Disputen siehe Hartley, E. L. Rev. 1999, 674 ff.; Pörnbacher in Geimer/Schütze, Int. RV, Art. 31 B Vor I 10 b Rn. 7. 10 

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§ 4  Einstweilige Maßnahmen zur Sicherung des Status Quo

der (drohenden) Rechtsverletzung zu bestimmen. Zwar vermögen die Gerichte nach Art. 9 Abs. 3 DRL dem Antragsteller die Vorlage aller „vernünftigerweise verfügbaren“ Beweismittel auferlegen, um sich „mit ausreichender Sicherheit“ von der Rechtsverletzung zu „überzeugen“.11 Eine verallgemeinernde und für die Mitgliedstaaten verbindliche Konkretisierung des erforderlichen Überzeugungsgrades lässt sich aus diesen unbestimmten Rechtsbegriffen nicht ableiten, zumal die Mitgliedstaaten befugt sind, innerhalb der Grenzen der Verhältnismäßigkeit (Art. 3 DRL) zugunsten der Schutzrechtsinhaber einen niedrigeren Überzeugungsgrad ausreichen zu lassen. Der Grundsatz des effet utile hindert die Organe der Mitgliedstaaten allerdings daran, den Überzeugungsgrad der „ausreichenden Sicherheit“ mit „an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit“ zu übersetzen, denn damit wäre den nach Art. 9 Abs. 1 und 2 DRL vorzusehenden einstweiligen Maßnahmen ihre praktische Wirksamkeit genommen. Auch hinsichtlich einer etwaig erforderlichen Eilbedürftigkeit der einzuführenden Maßnahmen gibt die Richtlinie den Mitgliedstaaten freie Hand: Art. 9 Abs. 1 DRL stellt die Anordnung einer einstweiligen Maßnahme zwar nicht explizit unter den Vorbehalt der Eilbedürftigkeit. Doch ergibt sich aus dem allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 2 DRL ebenso wie aus dem erläuternden Erwägungsgrund 22 DRL,12 dass die Mitgliedstaaten befugt sind, den einstweiligen Rechtsschutz auf Fälle der Dringlichkeit zu beschränken.13 Eine Regelungsprärogative gewährt die Richtlinie den Mitgliedstaaten ferner in Bezug auf die in Art. 9 Abs. 2 DRL vorgesehene Vermögensbeschlagnahme einschließlich der Sperrung von Bankkonten, sofern die Erfüllung eventueller Ersatzansprüche des Rechteinhabers gefährdet ist. Diese Bestimmung, welche nicht auf ein Vorbild in TRIPS zurückgeht, bietet ein Paradebeispiel für mangelnde Sorgfalt bei Abfassung des Richtlinientextes: Die freezing injunction des englischen Rechts diente zwar unstreitig als maßgebliches Vorbild für 11  Im deutschen Schrifttum besteht ein Disput, ob der erforderliche Überzeugungsgrad des Gerichts gemäß Art. 9 Abs. 3 DRL (Überzeugung des Gerichts von der Rechtsverletzung „mit ausreichender Sicherheit“) von dem durch Art. 6 Abs. 1 DRL aufgestellten Maßstab („hinreichende Begründung“ der Behauptungen des Klägers) divergiert, vgl. befürwortend BT-Drucks. 16/5048, S. 42; Heinze, Einstweiliger Rechtsschutz, S. 321 f.; Wiebe in Büllesbach/ Büchner, S. 163; a. A. Amschewitz, DRL, S. 170. Es handelt sich um einen Sturm im Wasserglas, d. h. um eine Ungenauigkeit der Übersetzung, denn die anderen Sprachfassungen der Richtlinie enthalten keine Divergenz zwischen Art. 6 und Art. 9. Der englische, französische, italienische und spanische Richtlinientext verwendet jeweils das Adjektiv „sufficient“, „suffisante“, „sufficiente“, „suficiente“. 12  Erwägungsgrund 22 S. 2 DRL konstatiert: „Diese Maßnahmen sind vor allem dann gerechtfertigt, wenn jegliche Verzögerung nachweislich einen nicht wieder gutzumachenden Schaden für den Inhaber eines Rechts des geistigen Eigentums mit sich bringen würde.“ 13  OLG Düsseldorf v. 22. 08. 2008 – I-2 W 35/08 – InstGE 10, 60 (61 ff.) (Olanzipin II); Heinze, ZEuP 2009, 283 (300); Ingerl/Rohnke, MarkenG, Vor §§ 14–19d Rn. 193; siehe zu Art. 50 TRIPS auch EuGH v. 16. Juni 1998 – C-53/96 – 1998 I-03603 (Hermès), Rn. 36 f.



A.  Die Vorgaben der Richtlinie

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Art. 9 Abs. 2 DRL,14 ist aber keineswegs eine Vermögensbeschlagnahme oder „seizure“ (so der englische Richtlinientext). Vielmehr wirkt sie in personam gegen den Antragsgegner und weitere Personen, die Zugriffsmöglichkeiten auf das Vermögen des Antragsgegners haben. Aus der historischen Analyse folgt deshalb wohl, dass den Mitgliedstaaten die Wahl zwischen einer dinglich wirkenden Beschlagnahme und persönlich wirkenden Alternativen zukommt.15 Keine Hinweise enthält die Richtlinie dahingehend, wann von einer Gefährdung der Erfüllung der Schadensersatzansprüche des Rechteinhabers auszugehen ist.16 Es sollte den Mitgliedstaaten unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes möglich sein, Risiken auszuklammern, die allein aus dem gewöhnlichen Geschäftsbetrieb des Antragsgegners resultieren17 – wie dies dem Vorbild der freezing injunction entspricht. Der Zugang zu Informationen über den Finanzstatus des Antragsgegners gemäß Art. 9 Abs. 2 S. 2 DRL dient allein dem Zweck, Vermögensgegenstände des Antragsgegners zu identifizieren, um diese für einen späteren Vollstreckungszugriff zu sichern.18 Die Mitgliedstaaten sind somit befugt, die Übermittlung bzw. den Zugang zu Bank-, Finanz- und Handelsunterlagen auf diese Funktion zu beschränken, sei es durch Bestimmungen zum Schutz vertraulicher Informationen, sei es durch eine Versagung der Anordnung, soweit dem Antragsteller Vermögensgegenstände des Antragsgegners bekannt sind, die zur Deckung des angeblichen Anspruchs ausreichen.19 Eine nähere Definition der Bank-, Finanz- und Handelsunterlagen nimmt die Richtlinie nicht vor, doch dürften hierunter auch unverkörperte Gegenstände, insbesondere elektronische Daten, zu fassen sein.20

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2.  Zwingender Charakter der Schutzmaßnahmen zugunsten des Antragsgegners Ob sich der in Art. 9 Abs. 1 und 2 DRL zum Ausdruck kommende weite Umsetzungsspielraum der Mitgliedstaaten auch auf die in Art. 9 Abs. 4 S. 2, Abs. 5 bis 7 DRL genannten Schutzmaßnahmen zugunsten des Antragsgeg14 

Vgl. die Erläuterungen zum Richtlinienvorschlag, KOM (2003) 46, S. 15, 24. Götz, Informationsbeschaffung, S. 97. 16  Der deutschen Richtlinientext (Erfüllung der Ersatzansprüche „fraglich“) ist ungenau; die anderen Sprachfassungen verwenden den Begriff „gefährdet“. 17  Wie hier Heinze, Einstweiliger Rechtsschutz, S. 311 f.; Weber, Enforcement-RL, S. 147. 18  Dies ergibt sich aus der Formulierung des Art. 9 Abs. 2 S. 2 DRL („zu diesem Zweck“) ebenso wie aus der Genese der Norm, welche der auf Vermögensoffenbarung gerichteten Annexanordung zur freezing injunction nachgebildet ist (zu dieser ancillary order siehe unten Rn. 66 ff.). Wie hier Weber, Enforcement-RL, S. 148 ff. 19 Ähnlich Weber, Enforcement-RL, S. 149 f. 20  Kühnen, Mitt. 2009, 211 (214) zählt beispielhaft auf: Kontoauszüge, Buchführungsunterlagen, Buchungsbelege, Kreditverträge, Kosten- und Gewinnkalkulationen. 15 Ebenso

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§ 4  Einstweilige Maßnahmen zur Sicherung des Status Quo

ners erstreckt, erscheint fraglich. Die Durchsetzungsrichtlinie definiert zwar grundsätzlich nur Mindeststandards zugunsten der Inhaber von Rechten des geistigen Eigentums und stellt es den Mitgliedstaaten frei, über die Richtlinie hinausgehende, für Schutzrechtsinhaber vorteilhaftere Instrumente vorzusehen (Art. 2 Abs. 1, Art. 16 DRL). Tatbestandsvoraussetzungen, die dem Schutz des behaupteten Rechtsverletzers dienen, sind grundsätzlich nicht zwingend, sondern zeigen lediglich die nach der Richtlinie zulässigen Einschränkungen zu Lasten der Schutzrechtsinhaber auf. Dennoch sprechen viele Argumente dafür, den in Art. 9 Abs. 4 S. 2 und 3, Abs. 5 bis 7 DRL explizit normierten Schutzmaßnahmen zugunsten des Antragsgegners Verbindlichkeit zuzusprechen (siehe auch die Parallelregelung in Art. 7 Abs. 1 S. 4, Abs. 2 und 3 DRL). Der Normwortlaut lässt keinen Zweifel daran, dass diese Schutzmaßnahmen für die Mitgliedstaaten verpflichtend sind („Die Parteien sind in Kenntnis zu setzen“; „auf Antrag des Antragsgegners findet eine Prüfung statt“; „Die Mitgliedstaaten stellen sicher“; „so sind die Gerichte befugt“).21 Auch die Detailverliebtheit von Art. 9 Abs. 5 bis 7 DRL (z. B. hinsichtlich der dem Antragsteller bis zur Klageerhebung in der Hauptsache zur Verfügung stehenden Zeit)22 spricht nicht dafür, dass es sich um Vorgaben handelt, die von den Mitgliedstaaten ignoriert werden könnten.23 Ferner hat der EuGH die mit Art. 9 Abs. 5 DRL nahezu wortidentische Bestimmung des Art. 50 Abs. 6 TRIPs als Ausgleichsmechanismus von „besonders großer Bedeutung“ gewürdigt und ihr trotz der Mindeststandardklausel des Art. 1 Abs. 1 TRIPs eine bindende Wirkung zuerkannt.24 Dies überzeugt, weil Art. 1 Abs. 1 TRIPS den Mitgliedstaaten explizit nur insoweit eine Befugnis zur Implementierung höheren Schutzstandards zubilligt, als dieser Schutz den Bestimmungen des Übereinkommens nicht widerspricht. Da Mitgliedstaaten der Europäischen Union als Mitglieder der Welthandelsorganisation ohnehin an das TRIPS-Übereinkommen gebunden sind, verfügen sie über keinen Spielraum für eine Abweichung von Art. 9 Abs. 4 S. 2, Abs. 5 bis 7 DRL25 – auch wenn dies zu Verwerfungen im nationalen Prozessrecht führen mag, weil die 21  In deutlichem Kontrast hierzu formuliert beispielsweise die zugunsten der Rechtsverletzer eingefügte Bestimmung des Art. 12 DRL lediglich eine Option der Mitgliedstaaten („können vorsehen“). 22  „[…] innerhalb einer angemessenen Frist  – die entweder von dem die Maßnahmen anordnenden Gericht festgelegt wird, sofern dies nach dem Recht des Mitgliedstaats zulässig ist, oder, wenn es nicht zu einer solchen Festlegung kommt, 20 Arbeitstage oder 31 Kalendertage, wobei der längere der beiden Zeiträume gilt, nicht überschreitet – […]“ 23  Art. 7 Abs. 2 bis 4 DRL stehen in deutlichem Kontrast zu den pauschalen Hinweisen zum Schutz vertraulicher Informationen in Art. 6 und Art. 7 Abs. 1 DRL. 24  EuGH v. 13. 09. 2001 – C-89/99 – Slg. 2001 I-5851 (Route 66), Rn. 40 ff., 54. 25  Wie hier v. Hartz, ZUM 2005, 376 (382); Götz, Informationsbeschaffung, S. 98, 67 ff.; Amschewitz, DRL, S. 138 f. Als nicht bindend werden die Schutzvorkehrungen zugunsten des Antragsgegners angesehen von BT-Drucks. 16/5048, S. 28; Seichter, WRP 2006, 391 (396, Fn. 40).



A.  Die Vorgaben der Richtlinie

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Schutzvorkehrungen zugunsten des Antragsgegners im (allgemein geregelten) einstweiligen Rechtsschutz des betreffenden Mitgliedstaates weniger stark ausprägt sind.

3.  Maßnahmen gegenüber Mittelspersonen a)  Weiter Spielraum der Mitgliedstaaten

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Die Richtlinie unternimmt von vorneherein keinen Versuch, die rechtspolitisch besonders umstrittenen Unterlassungsanordnungen gegen Mittelspersonen näher zu konkretisieren.26 Bei Mittelspersonen handelt es sich um Personen, deren Dienste von einem Dritten dazu genutzt werden, das gewerbliche Schutzrecht des Rechtsinhabers zu verletzen,27 soweit diese Personen nicht ohnehin bereits nach dem anwendbaren Recht als Täter oder Teilnehmer der Schutzrechtsverletzung anzusehen sind. Gemäß Erwägungsgrund 23 bleiben Voraussetzungen und Verfahren für Anordnungen gegenüber Mittelspersonen dem Recht der Mitgliedstaaten überlassen, d. h. diese entscheiden darüber, welcher Zurechnungsgrund zur Qualifikation als „Mittelsperson“ ausreicht und eine einstweilige Unterlassungsanordnung legitimiert.28 Allein bezüglich Anordnungen gegenüber Diensteanbietern der Informationsgesellschaft lässt sich aus dem Unionsrecht eine nähere Konkretisierung ableiten.

b)  Sperrverfügungen gegenüber Access Providern Zunächst stellt sich die Frage, ob die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache UPC Telekabel zu Sperrverfügungen gegenüber Internet Access Providern auf die Durchsetzungsrichtlinie zu übertragen ist. In dieser Entscheidung bejahte der Gerichtshof eine Pflicht der Mitgliedstaaten, auf Basis des Art. 8 Abs. 3 InfoSoc-Richtlinie29, Verfügungen vorzusehen, mittels derer die Anbieter von Internetzugangsdiensten angehalten werden, den Zugang ihrer Nutzer zu bestimmten urheberrechtsverletzenden Webseiten zu sperren.30 Es handelt sich um eine ausweitende Interpretation des Begriffs der Mittelsperson gemäß Art. 8 Abs. 3 InfoSoc-RL, weil die Dienste des Access Providers nicht etwa von einem das Urheberrecht verletzenden Webseitenbetreiber, sondern von den 26 

Erwägungsgrund 23 DRL. Art. 9 Abs. 1 lit. a, Art. 11, Erwägungsgrund 23 DRL. 28  Haedicke in FS Schricker, S.  29 f.; Götz, Informationsbeschaffung, S. 90; Weber, Enforcement-RL, S. 139 f., 295 f.; Leistner in Ohly, EU IP Law, S. 136 f.; a. A. – jeweils allein auf Internet Service Provider bezogen – Nordemann, GRUR 2011, 977 (979, 981); Lehment, WRP 2012, 149 (156); auf den Effektivitätsgrundsatz abstellend Leistner, JIPlP 2013, 75 (76). 29  Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft, ABl. Nr. L 167/10 v. 22. 06. 2001. 30 Technisch lässt sich dies durch DNS-Sperren, IP-Sperren und/oder URL-Sperren realisieren. 27 

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§ 4  Einstweilige Maßnahmen zur Sicherung des Status Quo

Nutzern des Internetzugangsdienstes in Anspruch genommen werden. Da Art. 8 Abs. 3 InfosSoc-RL und Art. 9 Abs. 1 lit. a DRL ähnliche Formulierungen aufweisen, könnte eine entsprechende Auslegung der Durchsetzungsrichtlinie naheliegen. Doch gibt es auch gewichtige Argumente gegen eine simple Übertragung dieser Rechtsprechung. Die InfoSoc-RL dient dem Schutz des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft und hat folglich einen deutlich engeren Anwendungsbereich als die Durchsetzungsrichtlinie, mit hierzu korrespondierenden, detaillierteren Regelungen. Erwägungsgrund 59 InfoSoc-RL hält explizit fest, dass zu den Vermittlern i. S. d. InfoSoc-RL jede Person zählt, welche die Rechtsverletzung eines Dritten in Bezug auf ein geschütztes Werk in einem Netz überträgt. In der Durchsetzungsrichtlinie fehlt es an einer äquivalenten Erläuterung; im Gegenteil sollen die Voraussetzungen und Verfahren für Anordnungen gegenüber Mittelspersonen gemäß Erwägungsgrund 23 DRL dem Recht der Mitgliedstaaten überlassen bleiben. Zudem erklärt Art. 9 Abs. 1 lit.  a DRL für Urheberrechtsverletzungen explizit den Vorrang der InfoSocRL, d. h. der Unionsgesetzgeber scheint davon ausgegangen zu sein, dass die beiden Bestimmungen nicht deckungsgleich konzipiert sind. Es gibt sicherlich gute Argumente dafür, Sperrverfügungen gegenüber Access Providern wegen Urheberrechtsverletzungen und wegen Verletzungen gewerblicher Schutzrechte gleich zu behandeln.31 Doch überlässt Art. 9 Abs. 1 lit.  a DRL ausweislich des Erwägungsgrunds 23 DRL die nähere Konkretisierung von Maßnahmen gegenüber Mittelspersonen den Mitgliedstaaten. Allein die Existenz der InfoSoc-RL ist keine ausreichende Begründung dafür, hinsichtlich des singulären Einzelfalls der Sperrverfügungen eine unionsautonome Prägung der Unterlassungsanordnungen gegenüber Mittelspersonen anzunehmen.32

c)  Haftungsprivilegierung von Diensteanbietern der Informationsgesellschaft 17

Eine gewisse Harmonisierung der Inanspruchnahme von Diensteanbietern der Informationsgesellschaft auf Unterlassung wird allerdings durch Art. 12 ff. eCommerce-Richtlinie ECLR) bewirkt.33 Art. 12 ff. ECRL berücksichtigen 31 So

Hofmann, GRUR 2015, 123 (125). Implizit a. A. Arnold J in Cartier International v British Sky Broadcasting, [2014] EWHC 3354 (Ch), Rn. 129 ff.; ferner Hofmann, GRUR 2015, 123 (130). 33  Der Begriff „Dienst der Informationsgesellschaft“ bezieht sich auf Dienstleistungen, die im Fernabsatz mittels Geräten für die elektronische Verarbeitung und Speicherung von Daten auf individuellen Abruf eines Empfängers und in der Regel gegen Entgelt erbracht werden, vgl. Art. 2 lit. a eCommerce-Richtlinie (Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt) sowie EuGH v. 23. 03. 2010 – C-236/08 – Slg. 2010, I-2417 (Google France), Rn. 110. 32 



A.  Die Vorgaben der Richtlinie

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die ökonomischen Interessen der Internet Service-Provider, indem sie die Provider von einer nach dem anwendbaren Recht bestehenden Haftung für schutzrechtsverletzende Inhalte ihrer Kunden freistellen, sofern die Provider die Inhalte der Kunden lediglich speichern oder den Zugang zu ihnen vermitteln, ohne eine über diesen Funktionszusammenhang hinausgehende Hilfestellung zu leisten.34 Die Haftungsfreistellung eines Host Service-Providers setzt darüber hinausgehend voraus, dass der Diensteanbieter nach Kenntnis des rechtsverletzenden Inhalts sofort tätig wird, um den Inhalt zu entfernen bzw. zu sperren. Gemäß Art. 2 Abs. 3 lit. a DRL bleiben die Haftungsprivilegien der eCommerce-RL von der Durchsetzungsrichtlinie unberührt und begrenzen somit die Befugnisse der Mitgliedstaaten zur freien Ausgestaltung der einstweiligen Unterlassungsanordnungen gegenüber Diensteanbietern der Informationsgesellschaft. Zwar beziehen sich die Privilegien der eCommerce-Richtlinie primär auf die Freistellung der Diensteanbieter der Informationsgesellschaft von einer Haftung auf Schadensersatz. So bleibt explizit „die Möglichkeit unberührt, dass ein Gericht oder eine Verwaltungsbehörde nach den Rechtssystemen der Mitgliedstaaten vom Diensteanbieter verlangt, die Rechtsverletzung abzustellen oder zu verhindern, oder dass die Mitgliedstaaten Verfahren für die Entfernung einer Information oder die Sperrung des Zugangs zu ihr festlegen.“35 Doch ist umstritten, ob sich diese Ausnahme lediglich auf gerichtliche Anordnungen zur Unterbindung einer konkret beanstandeten Rechtsverletzung bezieht oder auch auf Anordnungen, welche den Diensteanbieter zur Verhinderung künftiger, kerngleicher Rechtsverletzungen verpflichtet.36 Diese Zweifel ergeben sich aus dem systematischen Zusammenhang zu Art. 15 eCommerce-RL. Art. 15 eCommerce-RL verbietet den Mitgliedstaaten, den Anbietern von Diensten der Informationsgesellschaft eine allgemeine Verpflichtung aufzuerlegen, die von ihnen übermittelten oder gespeicherten Informationen zu überwachen oder aktiv nach Rechtsverletzungen Dritter im Rahmen ihres Angebots zu forschen. Eine Unterlassungsanordnung gegenüber einem Diensteanbieter, aufgrund derer dieser verpflichtet wird, künftige kerngleiche Schutzrechtsverletzungen all seiner Nutzer zu verhindern, lässt sich praktisch nur durch die Überprüfung des gesamten verfügbaren Datenbestands realisieren und kommt einer allgemeinen Überwachungspflicht nach Art. 15 eCommerce-RL gefährlich nahe. Eine solche Anordnung beeinträchtigt zudem die ökonomischen 34  EuGH v. 12. 07. 2011 – C-324/09 (L’Oréal/eBay), Rn. 116 nennt als haftungsauslösende Hilfestellung beispielsweise das Optimieren der von Kunden eingestellten Angebote sowie die Bewerbung dieser Angebote. 35  Art. 14 Abs. 3 eCommerce-RL, ähnlich Art. 12 Abs. 3, Art. 13 Abs. 3 eCommerce-RL. 36 Ausführlich Berger/Janal, CR 2004, 917 ff.

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§ 4  Einstweilige Maßnahmen zur Sicherung des Status Quo

Interessen des Diensteanbieters in erheblichem Maße,37 da sie nur durch ausgereifte Filtertechniken in Verbindung mit einer manuellen Nachkontrolle befolgt werden kann. In der Entscheidung L’Oréal/eBay sowie in zwei Rechtssachen, welche die belgische Verwertungsgesellschaft Sabam betrafen, hatte der Europäische Gerichtshof Gelegenheit, sich zu dem Zusammenspiel zwischen Art. 15 eCommerce-RL und Art. 9 Abs. 1 lit. a HS 2 DRL zu äußern. Der Gerichtshof hielt hierbei fest, die Mitgliedstaaten müssten nach der Durchsetzungsrichtlinie den Inhabern gewerblicher Schutzrechte die Möglichkeit eröffnen, gegenüber Mittelspersonen sowohl Unterlassungsanordnungen zwecks Beendigung bereits eingetretener Schutzrechtsverletzungen, als auch Maßnahmen zur Unterbindung künftiger Schutzrechtsverletzungen zu erwirken.38 Eine Unterlassungsanordnung, die zur Folge hätte, dass der betroffene Diensteanbieter nahezu sämtliche Daten aller seiner Kunden auf bestimmte Schutzrechtsverletzungen überprüfen müsse, sei allerdings weder mit Art. 15 eCommerce-RL noch mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz des Art. 3 DRL zu vereinbaren.39 Auch komme es nicht in Betracht, den Handel mit Waren bestimmter Marken oder bestimmter Warengattungen auf einer Internetplattform zu verbieten.40 Wirksame und zugleich verhältnismäßige Unterlassungsanordnungen seien deshalb aber nicht ausgeschlossen.41 Beispielsweise könne der Diensteanbieter gerichtlich dazu gezwungen werden, den Urheber der Schutzrechtsverletzung von der Nutzung seines Dienstes auszuschließen, um zu vermeiden, dass derartige Verletzungen derselben Marken durch denselben Händler erneut aufträten.42 Der Gerichtshof bezog sich hierbei explizit auf eine Passage der Schlussanträge des Generalanwalts Jääskinen, in welcher dieser ausführte, eine angemessene Beschränkung des Anordnungsumfangs könne durch ein doppeltes Identitätserfordernis erreicht werden.43 Es sei dem Diensteanbieter zuzumuten, eine neuerliche Verletzung eines bestimmten Schutzrechts durch einen bestimmten Kunden zu unterbinden, beispielsweise durch Löschung des entsprechenden Kundenkontos.44 37  Stellungnahme von Yahoo! in Europäische Kommission, Public Hearing on Directive 2004/48/EC and the challenges posed by the digital environment v.  07. 06. 2011, MARKT/ ZH D (2011). 38  EuGH v.  12. 07. 2011  – C-324/09 (L’Oréal/eBay), Rn. 131 ff.; EuGH v.  24. 11. 2011  – C-70/10 (Scarlet Extended), Rn. 31; EuGH v.  16. 02. 2012  – C-360/10 (SABAM/Netlog), Rn. 29. 39 EuGH v.  12. 07. 2011  – C-324/09 (L’Oréal/eBay), Rn. 139; EuGH v.  24. 11. 2011  – C-70/10 (Scarlet Extended), Rn. 34 ff.; EuGH v.  16. 02. 2012  – C-360/10 (SABAM/Netlog), Rn. 36 ff. 40  EuGH v. 12. 07. 2011 – C-324/09 (L’Oréal/eBay), Rn. 140. 41  EuGH v. 12. 07. 2011 – C-324/09 (L’Oréal/eBay), Rn. 141. 42  Ibid. 43 GA Jääskinen, Schlussanträge v. 09. 12. 2010 – C-324/09 (L’Oréal/eBay), Rn. 182. 44  Ibid. Die Kündigung des Nutzungsvertrags steht freilich unter dem Vorbehalt ihrer



A.  Die Vorgaben der Richtlinie

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Diese Rechtsprechung überzeugt, da sie die Interessen der betroffenen Parteien unter ausdrücklicher Berücksichtigung der betroffenen Grundrechtspositionen45 in einen angemessenen Ausgleich bringt und sowohl das Verbot einer allgemeinen Überwachungspflicht gemäß Art. 15 eCommerce-RL als auch die Verfügbarkeit von Unterlassungsanordnungen gegenüber Mittelspersonen gemäß der Durchsetzungsrichtlinie aufrechterhält. Im Hinblick auf Mittelspersonen, die Dienste der Informationsgesellschaft betreiben, ist das unionsrechtlich zulässige Ausmaß einer Unterlassungsanordnung somit durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs abgesteckt. Weitergehende Pflichten von Internetplattformbetreibern können sich aus einer von bedeutenden Diensteanbietern unterzeichneten Selbstverpflichtung ergeben, dem Memorandum of Understanding über den Internethandel mit gefälschten Waren,46 welches unter Moderation der Europäischen Kommission zwischen Rechteanbietern und Internetplattformbetreibern ausgehandelt wurde.

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4.  Schutzrechtsverletzungen in gewerblichem Ausmaß Instrumente zur vorsorglichen Beschlagnahme des Vermögens des angeblichen Schutzrechtsverletzers und zur Übermittlung von Bank-, Finanz- oder Handelsunterlagen haben die Mitgliedstaaten nach Art. 9 Abs. 2 DRL nur „im Falle von Rechtsverletzungen im gewerblichen Ausmaß“ bereitzuhalten. Da der Verletzungstatbestand bei gewerblichen Schutzrechten ohnehin ein Handeln im geschäftlichen Verkehr47 oder zu gewerblichen Zwecken48 voraussetzt, steht die Frage im Raum, ob dem Tatbestandsmerkmal der Rechtsverletzung im gewerblichen Ausmaß bei der Durchsetzung gewerblicher Schutzrechte eine eigenständige Bedeutung zukommt oder ob sich die Relevanz dieses Merkmals auf das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte beschränkt.49 vertraglichen Zulässigkeit, in deren Prüfung grundrechtliche Aspekte (unternehmerische Freiheit des Kunden) miteinfliessen können, siehe hierzu Brömmekamp, WRP 2011, 306 (315 f.). 45  EuGH v. 24. 11. 2011 – C-70/10 (Scarlet Extended), Rn. 43, 46, 50; EuGH v. 16. 02. 2012 – C-360/10 (SABAM/Netlog), Rn. 41, 44, 48. 46 ; vgl. näher Europäische Kommission, Bericht über die Wirkungsweise des Memorandum of Understandung (MoU) über den Internethandel mit gefälschten Waren, KOM (2013) 209. Zu den partizipierenden Unternehmen zählen beispielsweise Amazon, eBay, Adidas, LEGO und die LVMH Gruppe. 47  Z. B. Art. 5 Abs. 1 S. 2 MarkenRL, Art. 9 Abs. 1 S. 2 GMV. 48  Z. B. Art. 20 Abs. 1 lit. a GGV; Art. 15 lit. a GSVO. 49 Die Unbestimmtheit dieses Kriteriums wurde bereits im Fourtou-Bericht gerügt (Stellungnahme des Ausschusses für Recht und Binnenmarkt des Europäischen Parlaments), A5–0468/2003, S. 47. Zur divergierenden Umsetzung in den Mitgliedstaaten siehe Commission Staff Working Document zu Bericht der Kommission über die Anwendung der Richtlinie 2004/48/EG, SEC (2010) 1589, S. 9 f.

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§ 4  Einstweilige Maßnahmen zur Sicherung des Status Quo

Für eine eigenständige Bedeutung spricht der Wortlaut zahlreicher Sprachfassungen der Richtlinie, in denen sich das Merkmal des „gewerblichen Ausmaßes“ auf die Rechtsverletzung an sich bezieht,50 also nicht lediglich auf eine allgemein kommerzielle Betätigung des Verletzers. Von einer Schutzrechtsverletzung in gewerblichem Ausmaß könnte etwa gesprochen werden, wenn sich der Verletzer die „Nachahmung zum Geschäft“ gemacht hat.51 Doch sprechen die besseren Argumente dafür, jede Rechtsverletzung im Rahmen einer kommerziellen Betätigung als „Rechtsverletzung in gewerblichem Ausmaß“ i. S. d. Richtlinie anzusehen.52 Diese Interpretation lässt sich auf die Genese der Richtlinie stützen: Nach der Konzeption des Richtlinienvorschlags der Europäischen Kommission sollten die darin enthaltenen Maßnahmen nur auf Rechtsverletzungen, die „zu gewerblichen Zwecken“ begangen wurden, Anwendung finden.53 Eine kommerzielle Betätigung des Verletzers wurde als ausreichend erachtet. Im weiteren Gesetzesgebungsvorhaben plädierte der Parlamentsausschuss für Recht und Binnenmarkt dafür, die Anwendungsbeschränkung auf kommerzielle Tätigkeiten vollkommen zu streichen.54 Als Kompromiss wurde in Art. 6 Abs. 2, Art. 9 Abs. 2 DRL das Merkmal der Rechtsverletzung in gewerblichem Ausmaß eingeführt bzw. beibehalten, eine höhere Hürde für die Schutzrechtsinhaber gegenüber dem ursprünglichen Richtlinienvorschlag war damit nicht intendiert. Ihren Ausdruck hat diese Regelungsabsicht in Erwägungsgrund 14 S. 3 DRL gefunden. Darin heißt es: „In gewerblichem Ausmaß vorgenommene Rechtsverletzungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie zwecks Erlangung eines unmittelbaren oder mittelbaren wirtschaftlichen oder kommerziellen Vorteils vorgenommen werden; dies schließt in der Regel Handlungen aus, die in gutem Glauben von Endverbrauchern vorgenommen werden.“ Rechtsverletzungen, die kein gewerbliches Ausmaß annehmen, sind somit lediglich im Urheberrecht und den verwandten Schutzrechten vorstellbar, da die dortigen Verletzungstatbestände nicht bereits tatbestandlich ein Handeln im geschäftlichen Verkehr bzw. zu gewerblichen Zwecken erfordern.

50  So auch die Auslegung des BGH v. 19. 4. 2012 − I ZB 80/11 – NJW 2012, 2958 (2960) (Alles kann besser werden), mit Hinweis auf den höheren Schutzstandard der deutschen Umsetzungsmaßnahmen. 51  Tilmann in FS Ullmann, S. 1018 f. 52  Frey/Rudolph, ZUM 2004, 522 (524); Seichter, WRP 2006, 391 (392 f.); Nägele/Nitsche, WRP 2007, 1047 (1048); Amschewitz, DRL, S. 351; Dörre/Maaßen, GRUR-RR 2008, 217 (219); Wilhelmi, ZUM 2008, 942 (948); a. A. Tilmann in FS Ullmann, S. 1018 f. 53  Art. 2 Abs. 1 des Richtlinienvorschlags, KOM(2003) 46. 54  Fourtou-Bericht (Stellungnahme des Ausschusses für Recht und Binnenmarkt des Europäischen Parlaments), A5–0468/2003, S. 44.



A.  Die Vorgaben der Richtlinie

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5.  Beginn der Frist zur Einleitung des Hauptsacheverfahrens Abschließend soll erörtert werden, ob die in Art. 9 Abs. 5 DRL enthaltene Regelungslücke hinsichtlich des Fristbeginns für die Einleitung eines Hauptsacheverfahrens richtlinienautonom geschlossen werden kann. Nach Art. 9 Abs. 5 DRL vermag das Gericht eine einstweilige Maßnahme aufzuheben, sofern der Antragsteller nicht innerhalb angemessener Frist das Hauptsacheverfahren einleitet. Die Bestimmung der Fristlänge obliegt dem anordnenden Gericht. Fehlt es an einer gerichtlichen Bestimmung, so soll die Fristlänge 20 Arbeitstage bzw. 31 Kalendertage betragen, maßgeblich ist die im Einzelfall längere Periode. In Kontrast zu dieser ausgefeilten Regelung der Fristlänge steht das Schweigen der Richtlinie zum Zeitpunkt des Fristbeginns. Dieses Schweigen überrascht, weil sowohl der Richtlinienvorschlag der Kommission als auch der Änderungsvorschlag des Parlamentsausschusses für Recht und Binnenmarkt den Fristbeginn definierten: Nach ersterem sollte die Kenntnis des Antragstellers von der Rechtsverletzung,55 nach letzterem die Benachrichtigung des Antragsgegners über die Verfügung maßgeblich sein.56 Die Frist könnte auch an dem Tag des Antrags, des Erlasses oder der Unanfechtbarkeit der einstweiligen Anordnung beginnen. Ob die Richtlinie durch ihr Schweigen den Mitgliedstaaten einen Spielraum eröffnet, den Zeitpunkt des Fristbeginns eigenständig festzulegen, ist unklar. Zwar hat der EuGH zu der nahezu wortgleichen Bestimmung des Art. 50 Abs. 6 TRIPs die Auffassung vertreten, es sei den einzelnen Vertragsstaaten überlassen, den Zeitpunkt des Fristbeginns zu bestimmen.57 Doch begründete der Gerichtshof diese Zurückhaltung u. a. mit der Tatsache, dass zum damaligen Zeitpunkt keine gemeinschaftsrechtliche Regelung auf dem Gebiet der Durchsetzung von Rechten des Geistigen Eigentums existierte.58 Nachdem eine solche Regelung durch Art. 9 Abs. 3 DRL eingeführt wurde, ist nicht auszuschließen, dass der Gerichtshof die Regelungslücke durch eine autonome Definition des Fristbeginns schließen könnte.59 Vorzugswürdig wäre eine solche Lösung angesichts der mit der Richtlinie intendierten Harmonisierung allemal. Einen belastbaren Anhaltspunkt für die Festlegung des Fristbeginns bietet die Richtlinie jedoch nicht.

55  Vgl. Art. 10 Abs. 3 sowie die korrespondierende Begründung auf S. 24 des Richtlinienvorschlags, KOM (2003) 46 endg. 56  Fourtou-Bericht (Stellungnahme des Ausschusses für Recht und Binnenmarkt des Europäischen Parlaments), A5–0468/2003, S. 26. 57  EuGH v. 13. 09. 2001 – C-89/99 – Slg. 2001 I-5851 (Route 66), Rn. 63, 34. 58  A. a. O., Rn. 68. 59  Eine Fortgeltung der in der Entscheidung Route 66 geäußerten Grundsätze wird angenommen von Knaak, GRUR Int. 2004, 745 (750); Ahrens in FS Kaissis, S. 20 f.

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§ 4  Einstweilige Maßnahmen zur Sicherung des Status Quo

III.  Verlauf der Analyse 27

Art. 9 DRL gibt vier verschiedene Verfügungstypen vor, deren wichtigste die vorläufige Unterlassungsanordnung sowie die einstweilige Beschlagnahme des Vermögens des behaupteten Schutzrechtsverletzers sind. Bei der Ausgestaltung dieser Verfügungstypen wird den Mitgliedstaaten eine weite Regelungsprärogative eingeräumt. Im Folgenden wird untersucht, wie das deutsche und das englische Recht diesen Spielraum nutzen, und welche Lehren hieraus für die weitere Rechtsetzung auf nationaler wie europäischer Ebene gezogen werden können. Dabei werden auch gewisse Spezifika von Verfahren mit Auslandsbezug erörtert, die für das Verständnis des Zusammenspiels von Unionsrecht und nationalem Recht in Teil III der Arbeit von Bedeutung sind. In jedem Teil des Länderberichts wird zunächst die Ausgestaltung der vier von der Richtlinie benannten Verfügungstypen dargelegt, bevor formale Anforderungen, Verfahren ohne Beteiligung des Antragsgegners, Schutzvorkehrungen zugunsten des Antragsgegners und die Vollstreckung einstweiliger Maßnahmen erörtert werden.

B.  Bewahrung des Status Quo im englischen Recht I.  Das Rechtsgebiet der injunctions 28

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Der englische Gesetzgeber sah kaum Notwendigkeit zur Umsetzung der in Art. 9 DRL enthaltenen Maßnahmen, zumal die dem englischen Recht entstammende freezing injunction in den Kommissionsdokumenten explizit als Vorbild für Art. 9 Abs. 2 DRL genannt worden war. Einzig CPR  25.1(1)(p) wurde im Hinblick auf die Durchsetzungsrichtlinie hinzugefügt: Nach dieser „order under Article 9 of Council Directive (EC) 2004/48“ kann die Erlaubnis zur Fortsetzung einer Handlung, die vom Schutzrechtsinhaber als Verletzungshandlung bezeichnet wird, an die Stellung einer Sicherheit geknüpft werden. Einstweiliger Rechtsschutz in Zivilsachen wird im englischen Recht durch sogenannte injunctions verwirklicht. Das dem Rechtsgebiet der equity entstammende Instrument der injunction ist eine gerichtliche Anordnung, mit der einer Partei oder dritten Personen ein Tun oder Unterlassen auferlegt wird.60 Gemäß s. 37 Abs. 1 SCA ist der High Court befugt, eine injunction in allen

60  Vgl. das Glossar der CPR „A court order prohibiting a person from doing something or requiring a person to do something“. Grundsätzlich lässt sich differenzieren zwischen prohibitory und mandatory injunctions (Unterlassungs- bzw. Handlungsanordnungen) sowie interim (früher interlocutory) und perpetual injunctions (einstweilige bzw. endgültige Anordnungen).



B.  Bewahrung des Status Quo im englischen Recht

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Fällen zu erlassen, „in which it appears to be just and convenient to do so”.61 Teil 25 der englischen CPR widmet sich den interim remedies, einer ganzen Bandbreite einstweiliger Anordnungen, unter denen sich sowohl einstweilige Unterlassungs- und Herausgabeverfügungen befinden, als auch die sehr einschneidende Maßnahme der freezing injunction, welche der einstweiligen Sicherung des Vermögensbestands des Antragsgegners dient. Die Regelungen in CPR 25 und der ergänzenden Practice Direction enthalten im Wesentlichen Anforderungen an die Antragstellung und Hinweise auf den Inhalt diverser Verfügungstypen, schweigen jedoch zu den Anordnungsvoraussetzungen. Diese sind allein richterrechtlich geprägt.

II.  Unterlassung, Stellung einer Sicherheit und Sicherstellung verdächtigen Materials 1.  Verfügbare Maßnahmentypen Einstweilige Unterlassungsverfügungen sind eine klassische Kategorie der in CPR 25.1(a) angesprochenen interim injunctions. Nach CPR 25.1(1)(c)(i) können die Gerichte auch die Beschlagnahme rechtsverletzenden Materials anordnen.62 Zudem stellt die neu eingefügte Regelung in CPR  25.1(1)(p) klar, dass das Gericht dem Antragsgegner die Fortsetzung der vermeintlichen Rechtsverletzung gegen Stellung einer Sicherheit erlauben kann. Diese Befugnis bestand zwar bereits nach früherem Recht,63 wurde aber von den Gerichten kaum wahrgenommen.64 Der Erlass einstweiliger Verfügungen wird von den englischen Gerichten grundsätzlich mittels eines zweistufigen Tests geprüft, 61 Es

ist unstreitig, dass eine injunction grundsätzlich nur erlassen wird, sofern der Antragsgegner bzw. Beklagte in die Rechte des Antragstellers bzw. Klägers eingreift oder einzugreifen droht oder sich sittenwidrig verhält, vgl. Channel Tunnel Group v Balfour Beatty Construction, [1993] AC 334 (361 f.) (HL). Doch ist die Befugnis zur Anordnung einer injunction nach der Rechtsprechung des House of Lords nicht auf bereits von der Rechtsprechung entwickelte Kategorien beschränkt, vgl. Kirkless Metropolitan Borough Council v Wickes Building Supplies, [1993] AC 227 (271) (HL); näher Bean/Parry/Burns, Injunctions, Rn. 1–11 ff. 62  Universal City Studios v Mukhtar, [1976] 1 WLR 568 (570 f.) (Ch); Miller Brewing v. Mersey Docks and Harbour, [2004] FSR 81 (90) (Ch); Patent Office, Consultation Paper, S. 32. Die Sicherstellung schutzrechtsverletzender Gegenstände ist ferner regelmäßige Folge einer search order, hierzu § 6 Rn. 12 ff. 63  Bean/Parry/Burns, Injunctions, Rn. 6–16 ff. In Patentsachen kann eine injunction ggf. abgewendet werden, sofern sich der behauptete Rechtsverletzer bereit erklärt, nach und nach einen bestimmten Prozentsatz des Produkterlöses als Sicherheit für eine eventuelle Schadensersatzforderung beiseite zu legen, vgl. Brupat v Sandford Marine Products, [1983] RPC 61 (65 f.) (CA); Vernon & Co (Pulp Products) v Universal Pulp Containers, [1980] FSR 179 (191) (Ch); Gee, Injunctions, Rn. 2.017. 64  Siehe aber Brupat v Sandford Marine Products, [1983] RPC 61 (65 f.) (CA); Vernon & Co (Pulp Products) v Universal Pulp Containers, [1980] FSR 179 (191) (Ch); Gee, Injunctions, Rn. 2.017; White Book, Vol. I, Rn. 25. 1. 37.

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§ 4  Einstweilige Maßnahmen zur Sicherung des Status Quo

der aus einer materiellrechtlichen Beurteilung des Unterlassungsanspruchs des Antragstellers65 und einer Abwägung der Parteiinteressen besteht. Von maßgebender Bedeutung sind ferner so genannte undertakings, d. h. Verpflichtungserklärungen des Antragstellers gegenüber dem Gericht, die dem Schutze des Antragsgegners dienen.

2.  Die Bedeutung der materiellen Rechtslage: American Cyanamid 31

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Unklar und umstritten ist, mit welcher Intensität die materiellrechtliche Prüfung zu erfolgen hat. Als maßgebliches Präjudiz gilt die Entscheidung des House of Lords in der Rechtssache American Cyanamid, bei der die Parteien über hochkomplexe Fragen des Patentschutzes einer medizinischen Substanz stritten. Der Court of Appeal hatte in Übereinstimmung mit der bisherigen gerichtlichen Praxis66 geprüft, ob der Antragsteller einen prima facie case on the merits besaß, also eine überwiegende Erfolgsaussicht darlegen konnte.67 Demgegenüber befand Lord Diplock in der alleinigen Begründung der aufhebenden Entscheidung des House of Lords, das Gericht könne sich auf die Feststellung beschränken, dass der Antragsteller eine serious question to be tried dargelegt habe, d. h. dass das Begehren weder frivolous noch vexatious, weder mutwillig noch missbräuchlich sei.68 Lord Diplock betonte, das Gericht könne im einstweiligen Verfahren weder den Sachverhalt bei uneindeutiger Beweislage aufklären noch über schwierige Rechtsfragen entscheiden, die eingehender Argumentation und Erwägung bedürften.69 Auslegung und Reichweite der Entscheidung American Cyanamid sind seither umstritten. Zunächst wurde dem Präjudiz der Grundsatz entnommen, die Entscheidung über die interim injunction habe sich allein an einer Abwägung der Parteiinteressen zu orientieren, sofern der Antragsteller eine hinreichende Erfolgsaussicht dargelegt habe.70 Es dauerte nicht lange, bis die Gerichte Ausnahmen von diesem Prinzip entwickelten (hierzu sogleich).71 Der wohl ein65  Auch vorbeugende Unterlassungsanordnungen, so genannte quia timet injunctions, sind möglich, sofern eine hohe Wahrscheinlichkeit der Rechtsverletzung besteht, siehe Attorney-General for Canada v Ritchie Contracting Supply, [1919] AC 999 (1005) (PC); Coflexip v Stolt Comex Seaway, [1999] FSR 473 (479) (CA); Microsoft v Plato Technology, [1999] FSR 834 (843) (CA); Gee, Injunctions, Rn. 2.209 f. 66  Ein Abriss der früheren Rechtsprechung findet sich in Fellowes & Son v Fisher, [1976] QB 122 (130 ff.) (CA) sowie in Alfred Dunhill Ltd v Sunoptic, [1979] FSR 337 (363 f.) (CA). 67  American Cyanamid Co v Ethicon, [1974] FSR 312 (330 ff.) (CA). 68  American Cyanamid Co v. Ethicon, [1975] FSR 101 (107) (HL). Näher zum Kriterium der „serious question to be tried“ Bently/Sherman, IP Law, Kap. 48 Rn. 1.1 m. w. N. 69  A. a. O. 70  Hubbard v Pitt, [1976] QB 142 (184 f.) (CA); andere Tendenz bereits in Fellowes & Son v Fisher, [1976] QB 122 (132 f.) (CA). 71  Überblick bei Keay, CJQ 2004, 133 (137 ff.). Nach Fellowes & Son v Fisher, [1976] QB 122 (133) (CA) lassen sich diese Ausnahmen auf einen Satz der Entscheidungsbegründung in American Cyanamid stützen: „There may be many other special factors to be taken into



B.  Bewahrung des Status Quo im englischen Recht

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flussreichste Interpretationsvorschlag entstammt der Entscheidungsbegründung von Laddie J in der Rechtssache Series 5 Software aus dem Jahr 199672 und misst der Beurteilung der materiellen Rechtslage eine höhere Bedeutung bei: Die durch eine interim injunction eröffnete Abhilfemaßnahme sei zwar flexibel zu halten und ihre Anordnung liege im Ermessen des Gerichts. Auch solle das Gericht im Regelfall nicht versuchen, schwierige Tat- oder Rechtsfragen im einstweiligen Verfahren zu klären. Soweit sich das Gericht jedoch einen klaren Eindruck von der Rechtslage zu verschaffen vermöge, hätten diese Erwägungen durchaus in die Entscheidung einzufließen. In der Tat dürfte es für das befasste Gericht häufig einfacher sein, die Erfolgsaussichten der Parteien in der Hauptsache abzuschätzen, als eine Abwägung der Parteiinteressen anhand der drohenden Langzeitschäden vorzunehmen.73 Während einige Gerichte die Interpretation von Laddie J in Series 5 Software rezipierten, wurde die Entscheidung von anderen Gerichten ignoriert.74 Der Court of Appeal hat im Jahr 2000 die Auffassung bekundet, das Präjudiz aus American Cyanamid halte das Gericht nicht davon ab, seiner eindeutigen Auffassung über den Ausgang der Hauptsache eine angemessene Bedeutung zukommen zu lassen; dies zumal wenn sich die Entscheidung auf den Wettbewerb auswirke.75 Es gibt ferner einige etablierte Ausnahmen von dem Prinzip, dass die Anordnung der interim injunction lediglich eine hinreichende Erfolgsaussicht des Begehrens des Antragstellers voraussetzt. Für Streitigkeiten aus dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes relevant sind folgende Ausnahmekategorien: consideration in the particular circumstances of individual cases“ ([1975] FSR 101 (109)), doch bezieht sich dieser Entscheidungsteil auf die Bestimmung der balance of convenience, d. h. die Abwägung der Parteiinteressen, vgl. zutreffend Hubbard v Pitt, [1976] QB 142 (188) (CA). 72  Series 5 Software v Clarke, [1996] FSR 273 (286 f.) (Ch). Als möglichen Faktor erwähnt Laddie J zudem die Erhaltung des Status Quo, dessen Bedeutung auch in vielen anderen Präjudizien hervorgehoben wird. Es handelt sich hierbei freilich um ein äußerst schwammiges Kriterium, da keine Einstimmigkeit über den relevanten Zeitpunkt für die Bewahrung des Status Quo existiert. Vgl. die eingehende Kritik in Alfred Dunhill v Sunoptic, [1979] FSR 337 (376) (CA) sowie bei Zuckerman, Civil Procedure, Rn. 10.12 ff; ferner Kerly on Trademarks, Rn. 19–089 f. m. w. N. 73  Zuckerman, Civil Procedure, Rn. 10.35. 74  Zur Rezeption Bently/Sherman, IP Law, Kap. 49 Rn. 1.2.3; Zuckerman, Civil Procedure, Rn. 10.43; Andrews, Civil Procedure, Rn. 18.66 f., Keay, CJQ 2004, 133 (142 f.) jeweils mit weiteren Nachweisen. Siehe ferner aus dem Nachruf auf Sir Hugh Laddie in The Times v. 05. 12. 2008: „In one of his first judgments, he revolutionised the approach to the grant of interlocutory injunctions by a reinterpretation of principles thought to be writ in stone by the House of Lords, thereby giving voice to what everyone thought but dared not say: the merits matter.“, . 75  Guardian Media Group v Associated Newspapers, Rn. 18 (CA) [Westlaw], unter ausdrücklichem Vorbehalt einer Bewertung des Interpretationsvorschlags in Series 5 Software.

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§ 4  Einstweilige Maßnahmen zur Sicherung des Status Quo

yy Verfahren, in denen die Sachlage klar und im Wesentlichen unstrittig und die Rechtslage nicht übermäßig komplex ist.76 yy Einschränkungen des Rechts auf freie Meinungsäußerung77 (dies mag in Einzelfällen bei Verfügungen wegen behaupteter Markenrechtsverletzung relevant sein). yy Verfahren, bei denen die Verfügung faktisch einem endgültigen Urteil gleichkommt,78 etwa aufgrund des voraussichtlichen Ablaufs des Patentschutzes bis zur Entscheidung in der Hauptsache, der voraussichtlichen endgültigen Aufgabe einer erst kürzlich eingeführten Marke bei Erlass einer Unterlassungsverfügung oder der durch die Verfügung mitverursachten Insolvenz einer der Parteien. Dieser Grundsatz kommt in IP-Verfahren recht häufig zur Anwendung,79 doch lässt sich wohl allgemein konstatieren, dass eine einstweilige Verfügung bereits aus rein praktischen Erwägungen der Parteien in vielen Fällen das Ende des Rechtsstreits darstellt.80 yy Verfügungen, die die Vornahme einer Handlung gebieten (mandatory injunctions);81 deshalb ist bei Herausgabeanordnungen eine ausgiebigere Prüfung der materiellen Rechtslage geboten.82 yy Schließlich kommt der Beurteilung der Erfolgsaussicht bei freezing injunctions und search orders eine höhere Bedeutung zu (hierzu infra Rn. 51 f. sowie § 6 Rn. 15). 35

Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass das der Entscheidung American Cyanamid entnommene Prinzip bereits im Zeitpunkt seiner Begründung schwach konturiert war und in der Folgezeit stetig verwässert wurde, während 76  Alfred Dunhill v Sunoptic, [1979] FSR 337 (363) (CA); Lawrence David Ltd v Ashton, [1991] 1 FSR 87 (95) (CA); Zuckerman, Civil Procedure, Rn. 10.37; Bean/Parry/Burns, Injunctions, Rn. 3–18; Kerly on Trademarks, Rn. 19–088 m. w. N.; Gee, Injunctions, 2.016 m. w. N. 77  S. 12(3) Human Rights Act 1998; siehe näher Keay, CJQ 2004, 133 (134 ff.) m. w. N. 78  NWL v Woods (The Nawala), [1979] 1 WLR 1294 (1307) (HL); Hadmore Productions v Hamilton, [1983] 1 AC 191 (223) (HL); ENTEC (Pollution Control) v Abacus Mouldings, [1992] FSR 332 (349) (CA); Kerly on Trademarks, Rn. 19–087; Zuckerman, Civil Procedure, Rn. 10.38, jeweils m. w. N. 79  Teils wird dies nicht als Ausnahme von der geringen Bedeutung der materiellen Rechtslage angesehen, sondern als im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigender Faktor. Siehe zu dieser Fallgruppe Athletes Foot Marketing Associates v Cobra Sports, [1980] RPC 343 (348 f.) (Ch); Rizla v Bryant & May, [1986] RPC 389 (391) (Ch); Mirage Studios v Counter-feat Clothing, [1991] FSR 145 (154) (Ch); Barnsley Brewery Company v RBNB, [1997] FSR 462 (472 f.) (Ch); Bently/Sherman, IP Law, Kap. 48 Rn. 1. 80 Zutreffend Keay, CJQ 2004, 133 (139); Aplin/Davis, IP Law, Rn. 13.5.2.3. 81  Hounslow v Twickenham Garden Developments, [1971] Ch 233 (268) (Ch); Nottingham Building Society v Eurodynamics Systems, [1993] FSR 468 (472 ff.) (Ch) m. w. N.; kritisch hinsichtlich der Differenzierung zwischen mandatory und prohibitive injunctions Zuckerman, Civil Procedure, Rn. 10.102 ff., der dafür plädiert, der materiellen Rechtslage stets einen hohen Stellenwert einzuräumen. 82  Diese orientiert sich an den Kriterien für die search order, vgl. Universal City Studios v Mukhtar, [1976] 1 WLR 568 (570 f.) (Ch); Barron, EIPR 1996, 183 (184).



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in der Literatur offen zu seiner Korrektur aufgerufen wird.83 Was bleibt, ist eine hohe Rechtsunsicherheit über die Bedeutung der materiellen Rechtslage im Recht der interim injunctions.84

3.  Die Abwägung der Parteiinteressen: balance of convenience Das mit dem Begriff balance of convenience umschriebene, zweite Kriterium für den Erlass einer einstweiligen Verfügung besteht in einer sorgfältigen Abwägung der Parteiinteressen. Der Erlass einer einstweiligen Verfügung kommt nur bei necessity in Betracht, sofern der Antragsteller anderenfalls einen irreparablen Schaden (irreparable harm) erleiden würde.85 Vice versa ist derjenige nicht ersetzbare Schaden zu berücksichtigen, der dem Antragsgegner durch den Erlass einer Verfügung entstehen würde, die sich ex post als falsch herausstellt.86 In der Sache geht es freilich nicht um irreparable Schäden, sondern darum, ob die Hinnahme der behaupteten Rechtsverletzung und deren spätere Kompensation durch Schadensersatz dem Antragsteller in Anbetracht der Interessen des Antragsgegners zugemutet werden kann.87 Zu berücksichtigen ist sowohl die Wahrscheinlichkeit der Schadensentstehung als auch das potentielle Ausmaß des Schadens.88 Die Rechtsprechung zieht eine Reihe von Faktoren heran. Relevant ist u. a., wie schnell der Antragsteller gehandelt hat (dogmatisch eingeordnet als laches, d. h. als fahrlässiger Verzug).89 Hat das Zuwarten mit dem Antrag dazu geführt, dass der Antragsgegner zwischenzeitlich Ressourcen in ein Geschäftsmodell bzw. eine Produkteinführung investiert hat, wird der Antrag zumeist abgelehnt.90 Ähnlich wie von deutschen Gerichten wird eine Zeitspanne von

83  Zuckerman, Civil Procedure, Rn. 10.35 ff.; Andrews, Civil Procedure, Rn. 18.82; Lubbock, EIPR 1997, 385 (387); weitere Nachweise bei Bently/Sherman, IP Law, Kap. 48 Rn. 1. 84  Keay, CJQ 2004, 133 (148 f.). 85  American Cyanamid Co v. Ethicon Ltd, [1975] FSR 101 (108) (HL). 86 Ibid. 87 Siehe Zuckerman, Civil Procedure, Rn. 10.35 ff., der einräumt, dass das Konzept des irreparable harm äußerst flexibel ist. 88  Zuckerman, Civil Procedure, Rn. 10.25 ff. m. w. N. In Patentsachen kann eine injunction ggf. abgewendet werden, sofern sich der behauptete Rechtsverletzer bereit erklärt, einen bestimmten Prozentsatz des Erlöses als Sicherheit für eine eventuelle Schadensersatzforderung beiseite zu legen, vgl. Brupat v Sandford Marine Products, [1983] RPC 61 (65 f.) (CA); Vernon & Co (Pulp Products) v Universal Pulp Containers, [1980] FSR 179 (191) (Ch); Gee, Injunctions, Rn. 2.017. 89  Zu Kriterien in Marken- und Patentsachen siehe Kerly on Trademarks, Rn. 19–06; Bently/Sherman, IP Law, Kap. 48 Rn. 1.2.1; vgl. ferner Gee, Injunctions, Rn. 2.019 m. w. N. 90  Quaker Oats v Alltrades Distributors, [1981] FSR 9 (12) (CA); Sirdar v Les Fils de Louis Mulliez, [1975] FSR 309 (312) (Ch); Financial Times v Evening Standard, [1991] FSR 7 (12) (Ch); Mirage Studios v Counter-feat Clothing, [1991] FSR 145 (153) (Ch); Silicon Graphics v Indigo Graphic Systems, [1994] FSR 403 (419) (Ch).

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§ 4  Einstweilige Maßnahmen zur Sicherung des Status Quo

vier bis sechs Wochen ab Kenntnis der Rechtsverletzung meist noch als angemessen angesehen.91 Zu berücksichtigen sind ferner vorherzusehende Beweisprobleme hinsichtlich einer Quantifizierung des drohenden Schadens.92 Dies ist für Rechtsstreitigkeiten im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes von Bedeutung, weil durch die Anordnung der einstweiligen Verfügung häufig wirtschaftliche Chancen eröffnet oder vereitelt werden, deren Bezifferung im Nachhinein schwierig oder unmöglich ist.93 Doch haben sich keine einheitlichen Maßstäbe herausgebildet, in welchen Situationen der Schaden bei drohender Schutzrechtsverletzung für bezifferbar erachtet wird. Da die Frage der Quantifizierung eines eventuellen Ersatzanspruchs regelmäßig sowohl auf Seiten des Antragstellers als auch auf Seiten des Antragsgegners eine Rolle spielt, ist eine Prognose der gerichtlichen Entscheidung äußerst schwierig.94 In die Erwägung werden auch die Erfolgsaussichten der Durchsetzung eines später titulierten Schadensersatzanspruchs einbezogen. Hierbei wird sowohl der Schadensersatzanspruch wegen Rechtsverletzung als auch der Ersatzanspruch wegen Veranlassung einer ungerechtfertigten einstweiligen Verfügung berücksichtigt. Den Gerichten ist die in diesem Kriterium mitschwingende Gefahr unterschiedlicher Rechtsschutzstandards für wohlhabende und für mittellose Parteien bewusst. Deshalb wird stets betont, es handele sich hierbei nur um einen von mehreren Faktoren.95 Zieht der Antragsgegner die Rechtsbeständigkeit des Schutzrechts in Zweifel, ist zu berücksichtigen, ob er Schritte unternommen hat, die Rechtslage vor Markteintritt durch Einleitung eines Bestandsverfahren zu klären oder den Schutzrechtsinhaber rechtzeitig auf den geplanten Markteintritt hingewiesen hat, um diesem eine Klärung der Rechtslage zu ermöglichen („clear the path“).96 91  Wadlow, Enforcement, Rn. 1–40 m. Fn. 55; Rechtsprechungsnachweise in Blackstone’s Civil Practice, Rn. 37.53. 92  Kaye v Robertson, [1991] FSR 62 (68) (CA); ENTEC (Pollution Control) v Abacus Mouldings, [1992] FSR 332 (349) (CA); Waterlow Directories v Reed Information Services, [1992] FSR 409 (418) (Ch); Alfa Laval Cheese Systems v Wincanton Engineering, [1990] FSR 583 (593) (Ch); Management Publications v Blenheim Exhibitions Group, [1991] FSR 348 (353) (Ch); Gala of London v Chandler, [1991] FSR 294 (301 ff.) (Ch); Leo Pharma v Sandoz, [2008] EWCA Civ 850 (CA). 93 Näher Bently/Sherman, IP Law, Kap. 48 Rn. 1.2.1. 94  Zuckerman, Civil Procedure, Rn. 10.48 „Long term losses in disputes concerning trade marks, brand names, patents and the like are particuarly difficult to assess, leaving the court with considerable room for open ended discretion”. 95  Potters-Ballotini v Weston-Baker, [1977] RPC 202 (211) (CA); Alfred Dunhill v Sunoptic, [1979] FSR 337 (365, 374 f.) (CA); Apple v Lingasong, [1977] FSR 345 (351) (Ch); Vernon & Co (Pulp Products) v Universal Pulp Containers, [1980] FSR 179 (191) (Ch); Bently/ Sherman, IP Law, Kap. 48 Rn. 1.2.1; Zuckerman, Civil Procedure, Rn. 10.96 ff. 96  SmithKline Beecham v Generics, (2002) 25(1) IPD 25005 (Pat); SmithKline Beecham v Apotex, [2003] EWHC 127 (Pat).



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Führen diese Kriterien nicht zu einem eindeutigen Ergebnis, wird schließlich im Rahmen der Interessenabwägung die Erfolgsaussicht der Klage als zusätzliches Kriterium herangezogen.97 In der Rechtspraxis lässt sich beobachten, dass die materielle Rechtslage auf diesem Wege häufig doch einen maßgeblichen Faktor bei der Entscheidung darstellt, ihre Berücksichtigung aber letztlich im Ermessen des Gerichts steht.98 Eine Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung durch den Court of Appeal allein aufgrund einer mangelnden Berücksichtigung der materiellen Rechtslage ist somit selten.

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4.  Anordnungen gegenüber Unbekannt Die Identität des vermuteten Schutzrechtsverletzers lässt sich in Einzelfällen schwer feststellen, etwa wenn die betreffende Person unter dem Schutz der Anonymität des Internets schutzrechtsrelevante Handlungen vornimmt. Im Vergleich zu anderen Common Law-Ländern wurden Klagen bzw. Anträge gegen Unbekannt („John Doe“/„Jane Doe“) in England erst sehr spät entwickelt. Erste Beispiele gab es bereits vor Einführung der CPR im Jahr 1999, doch wurde es stets als erforderlich erachtet, dass zumindest ein Antragsgegner bekannt war, der stellvertretend für eine miteinander verbundene Gruppe an dem Verfahren teilnehmen konnte.99 Diese Vorgehensweise scheiterte, sofern ein Interessenskonflikt zwischen den verschiedenen Beteiligten der repräsentierten Gruppe bestand100 oder kein Antragsgegner identifiziert werden konnte.101 Ferner bedurfte es zur Vollstreckung gegenüber einer Person, die nicht an dem Verfahren teilgenommen hatte, der Erlaubnis des Gerichts.102 Seit Einführung der CPR  werden einstweilige Verfügungen gegen Unbekannt als zulässig angesehen,103 wenn die Beschreibung des Antragsgegners die von der Verfügung betroffenen Personen ausreichend identifiziert.104 Auf97  National Commercial Bank Jamaica v Olint, [2009] 1 WLR 1405 (1409) (PC); Constable v Clarkson, [1980] FSR 123 (128) (CA); Quaker Oats v Alltrades Distributors, [1981] FSR 9 (14) (CA); Bently/Sherman, IP Law, Kap. 48 Rn. 1.2.3. 98  Bean/Parry/Burns, Injunctions, Rn. 3–16. 99  EMI Records Ltd v Kudhail, [1985] FSR 36 (37) (CA); Oxford University v Webb, [2006] EWHC 2490 (QB), Rn. 42 ff. m. w. N.; siehe ferner CPR 19.6. 100  United Kingdom NIREX v Barton (unveröffentlicht), zitiert nach Oxford University v Webb, [2006] EWHC 2490 (QB), Rn. 52 ff.; kritisch zum Kriterium des einheitlichen Interesses Seymour, CLJ 2007, 605 (609 ff.). 101  EDO MBM Technology v Campaign to Smash EDO, [2005] EWHC 837 (QB), Rn. 43. 102  CPR  19.6(4)(b). Zu den Rechtsschutzmöglichkeiten repräsentierter Personen siehe Seymour, CLJ 2007, 605 (614 ff.). 103  Bloomsbury Publishing v News Group Newspapers, [2003] FSR 45 (Ch), Rn. 21. Zu den Gründen für die Rechtsprechungsänderung a. a. O. Rn. 19 sowie Blackstone’s Civil Practice, Rn. 37.18. Die Praxis wurde gebilligt durch den Court of Appeal in South Cambridgeshire District Council v Persons Unknown, [2004] EWCA Civ 1280 (CA), Rn. 8 f. 104  Zur Identifikation des Antragsgegners siehe X and Y v The Person or Persons who have offered and/or provided to the publishers of the Mail on Sunday, Mirror and Sun

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§ 4  Einstweilige Maßnahmen zur Sicherung des Status Quo

grund der fehlenden Beteiligung des Antragsgegners bestellt das Gericht einen amicus curiae, der die Position des Antragsgegners vertreten kann, sofern diese Maßnahme nicht aufgrund der Eilbedürftigkeit der Verfügung ausscheidet.105 Der Antragsteller sollte sich bemühen, die Anordnung dem unbekannten Antragsgegner durch geeignete Mittel zu Kenntnis zu bringen,106 etwa per eMail an einen nur durch Benutzerkennung identifizierten Antragsgegner. Vorteil einer solchen Anordnung gegen Unbekannt ist die sofortige Wirkung und Vollstreckbarkeit der Maßnahme nach Identifikation und Veranlassung der Zustellung an den Antragsgegner durch den Antragsteller. Ferner kann die Anordnung eine Bindungswirkung gegenüber Dritten entfalten, wenn diesen der Inhalt der injunction bekannt ist und durch einen Verstoß gegen die Maßnahme der spätere Ablauf des Hauptsacheverfahrens gestört wird.107 Dies ist insbesondere im Presserecht relevant, sofern der Antragsteller die Publikation einer Information in beliebigen Medien zu unterbinden sucht. Eine besondere praktische Bedeutung in Verfahren, die gewerbliche Schutzrechte betreffen, kommt dieser Drittwirkung derzeit nicht zu.108

5.  Maßnahmen gegenüber Mittelspersonen 43

Die Rechtsprechung zu Anordnungen gegenüber Mittelspersonen, deren Dienste von einem Dritten zwecks Verletzung eines gewerblichen Schutzrechts genutzt werden, ist in England noch im Fluss. Wie bereits erwähnt, ist der High Court gemäß s. 37 Abs. 1 SCA befugt, eine vorläufige oder endgültige injunction in jenen Situation zu erlassen, „in which it appears to be just and convenient to do so“. In den klassischen Kategorien der injunction nimmt der Antragsgegner selbst einen Eingriff in die Rechte des Antragstellers vor.

newspapers information about the state of the Claimants’ marriage, [2006] EWHC 2783 (QB), Rn. 69 f. Ausreichend ist beispielsweise auch eine Identifikation per Foto, vgl. Bloomsbury Publishing v News Group Newspapers, [2003] EWHC 1078 (Ch), Rn. 21. Siehe ferner Seymour, CLJ 2007, 605 (610 f.), die zutreffend darauf hinweist, dass eine Verfügung gegenüber einem stellvertretenden Antragsgegner gemäß CPR 19.6 nichts anderes ist als eine ausreichende Beschreibung der unbekannten Antragsgegner durch Spezifikation einer Gruppe. 105  Bloomsbury Publishing v News Group Newspapers: Im ersten und zweiten Termin war kein amicus curiae präsent ([2003] EWHC 1078 (Ch); [2003] EWHC 1150 (Ch)), bei der dritten Anhörung (zwei Wochen nach dem ersten Termin) wurde das Gericht von einem advocate to the court beraten, [2003] FSR 45 (Ch). 106  X and Y v The Person or Persons who have offered and/or provided to the publishers of the Mail on Sunday, Mirror and Sun newspapers information about the state of the Claimants’ marriage, [2006] EWHC 2783 (QB), Rn. 73 ff.; ferner Seymour, CLJ 2007, 605 (618 f.) m. w. N. 107  So genannte spycatcher doctrine nach Attorney-General v Newspaper Publishing, [1988] Ch 333 (380) (CA), hierzu infra Rn. 82 m. Fn. 268. 108  Dies mag daran liegen, dass mit der Norwich Pharmacal Order ein Verfahren zur Verfügung steht, um unbekannte Schutzrechtsverletzer zu identifizieren, siehe näher § 7 Rn. 18 ff.



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Mittelspersonen kommen nach englischem Recht als Schutzrechtsverletzer nur in Betracht, sofern sie auf Basis eines gemeinsamen Tatplans mit dem eigentlichen Schutzrechtsverletzer agieren bzw. diesen zu seiner Handlung anstiften.109 Allerdings lässt sich der englischen Rechtsprechung eine Tendenz entnehmen, das Instrument der injunction flexibel zu handhaben, d. h. die Kompetenz zum Erlass einer injunction gemäß s. 37 Abs. 1 SCA grundsätzlich zu bejahen und erst im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigen, ob eine der etablierten Kategorien der injunction vorliegt110 oder es gegebenenfalls einer Rechtsfortbildung bedarf. Unterlassungsanordnungen gegenüber Mittelspersonen, die nicht selbst ein gewerbliches Schutzrecht verletzen, lassen sich zwar keiner der tradierten Kategorien zuordnen. Auch bei der Implementierung der Durchsetzungsrichtlinie hat sich der englische Gesetzgeber nicht mit der Thematik der Mittelspersonen auseinander gesetzt.111 Doch gibt es Präjudizien, nach denen eine injunction gegenüber Personen erlassen werden kann, die zwar das Schutzrecht nicht selbst verletzen, aber sich im Besitz von schutzrechtsverletzenden Waren befinden oder Kontrolle über diese ausüben können (z. B. Frachtführer, Spediteur und Lagerhalter). Dies wird mit dem Argument begründet, die Mittelsperson dürfe ab dem Zeitpunkt, zu dem sie von der Schutzrechtsverletzung in Kenntnis gesetzt werde, die Ware nicht mehr in den Verkehr gelangen lassen (anderenfalls leiste sie Beihilfe zur Verletzungshandlung).112 Diese Unterscheidung zwischen Verletzern und Mittelspersonen erinnert an die deutsche Unterscheidung zwischen Täter bzw. Teilnehmer und Störer. Im Gegensatz zur Störerhaftung sind jedoch nur solche Handlungen erfasst, die dazu beitragen, schutzrechtsverletzende Ware in den Geschäftsverkehr zu entlassen.113 Hinsichtlich Mittelspersonen, die nicht über den Besitz oder die Kontrolle über schutzrechtsverletzende Waren verfügen, hat sich unter dem Einfluss der Durchsetzungsrichtlinie eine neue Rechtsprechungslinie entwickelt. Vor dem 109  Participation in a common design bzw procurement, siehe Amstrad Consumer Electronics v The British Phonographic Industry, [1986] FSR 159 (205 f.) (CA); Unilever v Gillette (UK), [1989] RPC 583 (608 ff.) (Ch); L’Oréal v eBay International, [2009] RPC 21 (Ch), Rn. 453 110  Kirkless Metropolitan Borough Council v Wickes Building Supplies, [1993] AC 227 (271) (HL); siehe ferner die Analyse in L’Oréal v eBay International, [2009] RPC 21 (Ch), Rn. 447 ff.; Bean/Parry/Burns, Injunctions, Rn. 1.11 ff., jeweils m. w. N. 111  Das Patent Office Consultation Paper befasst sich ebenfalls nicht mit dieser Problematik, vgl. S. 27 ff., 37 sowie Fn. 11 (auf S. 28), in der lediglich s. 97A Copyright and Related Rights Regulations 2003 erwähnt wird, der injunctions gegenüber Diensteanbietern bei Urheberrechtsverstößen ermöglicht. 112  Hunt v Maniere, 55 ER 594 (596 f.); Upmann v Elkan, (1871) LR 12 Eq 140 (146 ff.); Norwich Pharmacal v Customs and Excise Commissioners, [1974] AC 133 (145 f.) (CA). 113  L’Oréal v eBay International, [2009] RPC 21 (Ch), Rn. 453 unter Verweis auf Amstrad Consumer Electronics v The British Phonographic Industry, [1986] FSR 159 (214) (CA).

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Hintergrund des Art. 9 Abs. 1 lit. a DRL wird die weitreichende Kompetenz des s. 37 Abs. 1 SCA zur richtlinienkonformen Auslegung genutzt: Soweit das Unionsrecht dies erfordert, können einstweilige Anordnungen gegenüber Mittelspersonen auf s. 37 Abs. 1 SCA gestützt werden.114 Praktische Bedeutung hat dies bislang lediglich für Anordnungen gegenüber Diensteanbietern der Informationsgesellschaft. So sind Maßnahmen gegenüber Host Service Providern zur Unterbindung gehosteten Materials gemäß dem Vorabentscheidungsersuchen des High Court an den EuGH in der Rechtssache L‘Oréal v eBay International grundsätzlich möglich.115 Konkretere Leitlinien wurden durch die englische Rechtsprechung bislang nicht entwickelt, da die Parteien nach der Entscheidung des EuGH116 einen Vergleich schlossen.117 Durch diverse Entscheidungen näher definiert sind hingegen website blocking injunctions gegenüber Internetzugangsanbietern, d. h. Verfügungen, mit denen Access Providern aufgegeben wird, den Zugang ihrer Nutzer zu bestimmten Webseiten zu sperren.118 Entwickelt wurden blocking injunctions auf Basis von s. 97A CDPA, einer spezifisch auf Urheberrechtsverletzungen zugeschnittenen Umsetzung des Art. 8 Abs. 3 InfoSoc-RL (supra Rn. 14). In der Rechtssache Cartier International v British Sky Broadcasting wurden entsprechende website blocking injunctions auf Basis der generellen jurisdiction aus s. 37 Abs. 1 SCA erstmals auch zur Verhinderung von Markenverletzungen anerkannt. Eine website blocking injunction ist unter vier Voraussetzungen zu erlangen:119 Erstens bedarf es einer Schutzrechtsverletzung durch die Nutzer des Dienstes oder einer über den Dienst zugänglichen Webseite. Zweitens muss der Dienst entweder im Zuge der Rechtsverletzung oder im Zuge der Kenntniserlangung durch die Nutzer des Dienstes eingesetzt werden. Drittens bedarf es tatsächlicher Kenntnis des Diensteanbieters von der Schutzrechtsverletzung. Und viertens erfolgt eine Sperrverfügung erst nach einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung, bei der die Effektivität der Maßnahme gegenüber ihren Kosten und den Folgen für eine rechtmäßige Nutzung des Inter-

114  L’ Oréal v eBay International, [2009] RPC 21 (Ch), Rn. 454; Cartier International v British Sky Broadcasting, [2014] EWHC 3354 (Ch), Rn. 129 ff. 115  L’ Oréal v eBay International, [2009] RPC 21 (Ch), Rn. 454. 116  Supra Rn. 20. 117 L’Oreal and eBay end six-year feud, The Telegraph v.  15. 01. 2014 . 118 Zur Unterbindung von Urheberrechtsverstößen: Twentieth Century Fox v British Telecom; [2011] EWHC 1981 (Ch), Rn. 98 ff.; EMI v. Sky, [2013] EWHC 379 (Ch), Rn. 22 ff.; zur Unterbindung von Markenverletzungen: Cartier International v British Sky Broadcasting, [2014] EWHC 3354 (Ch), Rn. 129 ff. 119  Cartier International v British Sky Broadcasting, [2014] EWHC 3354 (Ch), Rn. 141, 184.



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nets abzuwägen ist.120 Hierbei kann es u. a. eine Rolle spielen, ob Sperrverfügungen gegenüber allen wesentlichen Access Providern beantragt wurden, um eine übermäßige Belastung einzelner Access Provider und ein Ausweichen der Nutzer auf andere Anbieter zu vermeiden.121 Die Sperrverfügung bezieht sich nicht allein auf die konkret beanstandeten Webseiten, sondern auch auf Nachfolgewebseiten, die von den Betreibern der gesperrten Seiten zwecks Umgehung der Sperrverfügung errichtet und von den Rechteinhabern identifiziert werden.122 Die blocking injunction wird befristet.123 Zudem können Rechteinhaber, Access Provider und Nutzer des Internetzugangsdienstes jederzeit einen Antrag auf Aufhebung oder Änderung der Anordnung stellen.124 Dem Access Provider wird auferlegt, anstelle der blockierten Webseite eine Seite einzublenden, auf der die Nutzer über die Sperrverfügung und die Möglichkeit informiert werden, einen Rechtsbehelf einzulegen.125 Die Kosten für das Gerichtsverfahren trägt der Antragsteller, soweit nicht durch den Widerstand des Antragsgegners höhere Verfahrenskosten verursacht wurden.126

6.  Zusammenfassung zu Unterlassungsverfügungen Den englischen Gerichten kommt nach dem Präjudiz in American Cyanamid ein breites Ermessen beim Erlass einer vorläufigen Unterlassungsanordnung zu, welches eine Vorhersage des Entscheidungsergebnisses für die Parteien deutlich erschwert. Die Verfügung kann sich nicht nur gegen namentlich bekannte Täter oder Teilnehmer der Schutzrechtsverletzung richten, sondern auch gegen Unbekannte, die mittels Beschreibung ausreichend identifiziert werden können, sowie gegen Mittelspersonen, soweit die Durchsetzungsrichtlinie eine entsprechende Anordnung gebietet. Kombiniert werden kann die Unterlassungsverfügung mit einer Anordnung bestimmter Handlungspflichten, z. B. der Information der Nutzer eines Internetzugangsdienstes, wenn die von ihm aufgerufene Webseite aufgrund gerichtlicher Anordnung durch den Internet Access Provider gesperrt wurde.

120  Siehe ausführlich Cartier International v British Sky Broadcasting, [2014] EWHC 3354 (Ch), Rn. 184 ff., 254 ff., 261; zu Urheberrechtsverletzungen ferner Twentieth Century Fox v British Telecom; [2011] EWHC 1981 (Ch), Rn. 192 ff.; EMI v. Sky, [2013] EWHC 379 (Ch), Rn. 90 ff. 121  Cartier International v British Sky Broadcasting, [2014] EWHC 3354 (Ch), Rn. 252. 122  Cartier International v British Sky Broadcasting, [2014] EWHC 3354 (Ch), Rn. 239. 123  Cartier International v British Sky Broadcasting, [2014] EWHC 3354 (Ch), Rn. 265. Dort wurde von Arnold J. eine Frist von zwei Jahren anvisiert, wobei die Anhörung der Parteien zu dieser Frage noch ausstand. 124  Cartier International v British Sky Broadcasting, [2014] EWHC 3354 (Ch), Rn. 263 ff. 125  Cartier International v British Sky Broadcasting, [2014] EWHC 3354 (Ch), Rn. 265. 126  Cartier International v British Sky Broadcasting, [2014] EWHC 3354 (Ch), Rn. 239.

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III.  Die Freezing injunction 1.  Das Institut der freezing injunction 48

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Über Jahrhunderte hinweg war es nach englischem Recht nicht möglich, mittels einer gerichtlichen Anordnung Sicherheit für einen behaupteten Anspruch auf Geldzahlung vor Erlass des Endurteils zu erlangen.127 Angesichts der zunehmenden Globalisierung der Finanzwelt wurde dieser Standpunkt im Jahr 1975 aufgegeben: Die Mareva injunction erblickte das Licht der Justizwelt.128 Mittels dieser Anordnung wird dem Antragsgegner aufgegeben, Verfügungen über sein Vermögen zu unterlassen, um die Vollstreckung eines noch zu erlassenden Urteils zu gewährleisten. Die Verfügung ist primär an den Schuldner gerichtet, kann aber auch gegenüber jeder anderen Person Wirksamkeit entfalten, die Vermögensbestandteile des Schuldners zu beherrschen vermag (insbesondere Banken). Ursprünglich wurde die Mareva injunction eingesetzt, um im Ausland ansässige Schuldner davon abzuhalten, ihre Vermögensgegenstände vom englischen Territorium abzuziehen und somit die Vollstreckung eines englischen Gerichtsurteils zu hintertreiben. Es dauerte nicht lange, bis das Instrument auch auf im Inland ansässige Beklagte bzw. auf im Ausland belegenes Vermögen angewandt und die ursprünglich hohen Anordnungsvoraussetzungen verwässert wurden.129 Unter Geltung der CPR  wurde die Maßnahme in freezing injunction umbenannt. Der Anhang von Practice Direction 25A enthält ein Muster für eine Anordnung. CPR 25.1(1)(g) stellt klar, dass eine ergänzende Verfügung (ancillary order) ergehen kann, mittels derer der Antragsgegner zur Auskunft über seine Vermögensgegenstände und deren Lage verpflichtet wird. Nach CPR 25.1(1)(c)(i) und (l) ist es dem Gericht ferner möglich, die Beschlagnahme eines Vermögenswertes anzuordnen oder eine Partei zur Hinterlegung eines bestimmten Geldbetrags bei Gericht zu verpflichten. Doch ist diese Bestimmung nur anwendbar, wenn der Antragsteller behauptet, ein Eigentumsrecht an dem Vermögensgegenstand oder eine Berechtigung an einer 127  Lister & Co v Stubbs, (1890) LR 45 Ch D 1 (13): „I know of no case where, because it was highly probable that if the action were brought to a hearing the plaintiff could establish that a debt was due to him from the defendant, the defendant has been ordered to give security until that has been established by the judgment or decree.” 128  Zunächst in Nippon Kaisha v Karageorgis, [1975] 1 WLR 1093 (CA) unter Hinweis auf die anderweitige Praxis in Kontinentaleuropa; sodann in der namensgebenden Entscheidung Mareva Compania Naviera v International Bulkcarriers, [1980] 1 All ER 213 (215 f.) (CA). 129  Ursprünglich kam die Anordnung einer Mareva injunction nur in „the clearest of cases“ in Betracht. Zum Teil wurden auch Anzeichen für eine absichtliche Vermögensverschleuderung oder -verschleierung durch den Schuldner als erforderlich angesehen; vgl. den Überblick in Ninemia Maritime v Trave Schiffahrtsgesellschaft (The Niedersachsen), [1983] 1 WLR 1412 (1422) (CA) sowie Mercedes-Benz v Leiduck, [1996] AC 284 (299 f.) (PC).



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bestimmten Geldsumme zu besitzen (beispielsweise, weil eine Treuhandvereinbarung zwischen Antragsteller und Antragsgegner bestehe).130 Für Inhaber gewerblicher Schutzrechte ist deshalb die freezing injunction das einzige Mittel zur Erhaltung des Schuldnervermögens zwecks Ermöglichung einer späteren Urteilsvollstreckung. Freezing injunctions können nur vom High Court bzw. dem Intellectual Property Enterprise Court erlassen werden.131

2.  Anordnungsvoraussetzungen der freezing injunction Eine freezing injunction kann bereits vor Einleitung des Verfahrens und bis zur Vollstreckung des Endurteils erlassen werden. Die oben referierten Grundsätze aus der Entscheidung American Cyanamid132 sind für die Anordnung einer freezing injunction unstreitig nicht von Bedeutung. Soweit die Anordnung vor Urteilserlass beantragt wird, bedarf es der Erfüllung von vier Voraussetzungen, die ein Ermessen des Gerichts auslösen:133

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1. Der vom Antragsteller behauptete materiell-rechtliche Anspruch ist gut vertretbar (good arguable case). 2. Der Antragsgegner verfügt über tatsächliche Vermögensgegenstände. 3. Es besteht ein tatsächliches Risiko, dass diese Vermögensgegenstände aufgebraucht oder ihre Existenz verschleiert werden und ein eventuell zugunsten des Antragstellers ergehendes Urteil nicht vollstreckt werden könnte. 4. Der Antragsteller verpflichtet sich zur Einhaltung gewisser Schutzvorkehrungen gegenüber dem Antragsgegner und betroffenen Dritten. Die Anforderungen an die Erfolgsaussichten der Hauptsacheklage sind auch bei der freezing injunction nicht eindeutig. Zwar hat es sich eingebürgert, den Maßstab eines good arguable case statt jenen einer serious question to be tried anzuwenden.134 Auch dieser Maßstab erfordert freilich nicht, dass der Antragsteller eine überwiegende Erfolgschance in der Hauptsache darlegt.135 130  Myers v Design Inc (International), [2003] 1 WLR 1642 (1645) (Ch); siehe auch Sports Network v Joe Calzaghe, [2008] EWHC 2566 (QB), Rn. 55. 131  R. 3 County Courts Remedies Regulations 1991, s. 7(8) Civil Procedure Act 1997. Wurde der Antrag bei einem County Court gestellt, so wird der Verweisungsantrag an den High Court fingiert, vgl. r. 4 County Court Remedies Regulations 1991. Nach 25A PD 7.10 sind Anträge in IP Verfahren vor der Chancery Division zu stellen. 132  Supra § 4 Rn. 31 ff. 133  Derby & Co v Weldon (Nos 3 & 4), [1990] Ch 48 (57) (CA). 134  Ninemia Maritime v Trave Schiffahrtsgesellschaft (The Niedersachsen), [1983] 1 WLR 1412 (1422) (CA); Derby & Co v Weldon (Nos 3 & 4), [1990] Ch 48 (51) (CA). 135 In seiner häufig zitierten Entscheidungsbegründung in der Rechtssache Ninemia Maritime v Trave Schiffahrtsgesellschaft (The Niedersachsen), [1983] 2 Lloyd’s Rep 600 (605) (QB) definiert Mustill J einen „good arguable case” als „one which is more than barely capable of serious argument, but not necessarily one which the judge considers would have a better than 50 per cent chance of success.” Siehe auch SEC v Manterfield, [2008] EWHC

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Nach allgemeiner Auffassung liegt die Schwelle der darzulegenden Erfolgsaussicht für eine freezing injunction etwas höher als bei einer Unterlassungsverfügung,136 doch erklären selbst Richter am Court of Appeal, der Unterschied sei nicht definierbar.137 Immerhin besteht im Gegensatz zu der unklaren Bedeutung des Präjudizes aus American Cyanamid bei der freezing injunction kein Zweifel, dass die Erfolgsaussichten in der Hauptsache maßgeblich für die Entscheidung des Gerichts sind.138 Das Gericht hat zudem die Möglichkeit, die freezing injunction in Abhängigkeit von den jeweiligen Erfolgsaussichten in der Höhe zu begrenzen.139 Das zweite Kriterium, die Existenz tatsächlicher Vermögenswerte auf Seiten des Antragsgegners, stellt keine bedeutsame Hürde dar140 und ist eher ein Relikt aus Zeiten, in denen die Anordnung der Mareva injunction die Sicherung des Verbleibs von Vermögensgegenständen auf englischem Territorium bezweckte. Mittlerweile dient diese Voraussetzung dem Grundsatz der Verfahrenseffizienz, da eine freezing injunction sinnlos ist, sofern der Antragsgegner nicht über einigermaßen substantielle Vermögensgegenstände verfügt.141 Ferner lässt sich anhand dieses Kriteriums eine Abgrenzung zwischen der innerstaatlichen (domestic) und der weltweiten (worldwide) freezing injunction vornehmen:142 Letztere kommt vor Beendigung des Hauptsacheverfahrens nur in Betracht, sofern die Vermögensgegenstände innerhalb der englischen Jurisdiktion nicht ausreichen, um den (behaupteten) Anspruch des Antragstellers zu befriedigen143 und unterliegt den nachfolgend unter Rn. 60 ff. erörterten Besonderheiten. Schließlich würdigt das Gericht das so genannte risk of dissipation. Hierfür bedarf es zwar nicht des Nachweises, dass der Antragsgegner seine Vermögenswerte absichtlich verschleudert oder beiseite schafft. Doch darf die freezing injunction auch nicht als Mittel verwendet werden, um eine Sicherheit für eine ungesicherte Forderung zu erlangen oder den Beklagten zum Abschluss eines 1349 (QB), Rn. 8: „[t]he fact that a defendant has a strong arguable case does not mean that the claimant does not have a good arguable case.” 136  Vgl. die Nachweise in der vorherigen Fußnote sowie White Book, Vol. II, Rn. 15–23; Patent Office, Consultation Paper, S. 32; Suen/Cheung, Const. L. J. 23 (2007), 117 (121). 137  Parker LJ in Derby & Co v Weldon (Nos 3 & 4), [1990] Ch 48 (57) (CA). 138  Finurba Corporate Finance v Sipp, [2011] EWCA Civ 465 (CA), Rn. 31; Flightwise Travel Service v Gill, [2003] EWHC 3082 (Ch); Zuckerman, Civil Procedure, Rn. 10.215 f. 139  Ocean Software v Kay, [1992] QB 583 (590) (CA); Zuckerman, Civil Procedure, Rn. 10.216. 140  Third Chandris Shipping v Unimarine, [1979] 1 QB 645 (668) (CA): Existenz eines überzogenen Girokontos in England ausreichend. 141  Zuckerman, Civil Procedure, Rn. 10.217. 142  White Book, Vol. II, Rn. 15–65, 15–83; Blackstone’s Civil Practice, Rn. 38.8. 143  Derby & Co Ltd v Weldon (Nos 3 & 4), [1990] Ch 48 (56) (CA); Zuckerman, Civil Procedure, Rn. 10.238; White Book, Vol. II, Rn. 15–86; Suen/Cheung, Const. L. J. 23 (2007), 117 (125).



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Vergleichs zu bewegen.144 Eine freezing injunction kommt nicht in Betracht, sofern das Risiko, dass ein eventuell zugunsten des Antragsgegners ergehendes Urteil nicht vollstreckt werden könnte, allein aus dem gewöhnlichen Geschäftsbetrieb oder den – gegebenenfalls gewagten – betriebswirtschaftlichen Entscheidungen des Antragsgegners resultiert.145 Relevant sind beispielsweise Anzeichen, dass der Antragsgegner bereits begonnen hat, die Existenz von Vermögensgegenständen zu verschleiern, oder frühere Versäumnisse des Antragsgegners, seine Schulden zu begleichen bzw. gerichtlichen Anordnungen keine Folge zu leisten.146 Demgegenüber kann selbst die Ankündigung, bestimmte Vermögenswerte aus Großbritannien abzuziehen und in andere Gesellschaften der Unternehmensgruppe des Antragsgegners zu investieren, unschädlich sein, wenn es sich um eine Unternehmensgruppe von guter Reputation handelt.147 Sofern der Anspruch des Antragstellers bereits gerichtlich festgestellt ist, werden an das vom Antragsteller darzulegende Risiko geringere Anforderungen gestellt: Hier hat der Antragsteller lediglich nachzuweisen, dass ein reales Risiko des Scheiterns der Zwangsvollstreckung besteht.148 Das Gericht entscheidet bei Vorliegen der jeweiligen Voraussetzungen nach seinem Ermessen, ob es just and convenient ist, die Anordnung zu erlassen.149 Hierbei sind die Auswirkungen der Anordnung auf den Antragsgegner und dritte Personen ebenso wie das Verhalten des Antragstellers zu berücksichtigen.150 Wartet der Antragsteller nach Kenntnis der Sachlage mit dem Antrag auf Erlass der freezing injunction zu, kann dies als Indiz dafür gewertet werden, dass ein wesentliches Ziel des Antrags darin besteht, unzulässigen Druck auf den Antragsgegner auszuüben.151 Angesichts der mit einer freezing 144  Ninemia Maritime v Trave Schiffahrtsgesellschaft (The Niedersachsen), [1983] 1 WLR 1412 (1422) (CA); Z Ltd v A-Z, [1982] QB 558 (585) (CA). 145  TTMI Ltd of England v ASM Shipping Ltd of India, [2005] EWHC 2666 (Comm); Customs & Excise Commissioners v Anchor Foods, [1999] 1 WLR 1139 (1148) (Ch); Mobil Cerro Negro v Petroleos de Venezuela, [2008] EWHC 532 (Comm), Rn. 36; White Book, Vol. II, Rn. 15–69; Zuckerman, Civil Procedure, Rn. 10.220. 146  Third Chandris Shipping v Unimarine, [1979] QB 645 (672); Suen/Cheung, Const. L. J. 23 (2007), 117 (121). Zu weiteren Kriterien siehe Gee, Injunctions, Rn. 12.032 ff. m. w. N.; Blackstone’s Civil Practice, Rn. 38.13. 147  Ninemia Maritime v Trave Schiffahrtsgesellschaft (The Niedersachsen), [1983] 1 WLR 1412 (1425) (CA). 148  Ketchum International v Group Public Relations Holdings, [1997] 1 WLR 4 (13) (CA) m. w. N.; Masri v Consolidated Contractors International (UK) (No 2), [2009] 2 WLR 621 (653) (CA); Zuckerman, Civil Procedure, Rn. 10.221. 149  S. 37(1) SCA; Ninemia Maritime v Trave Schiffahrtsgesellschaft (The Niedersachsen), [1983] 1 WLR 1412 (1426) (CA); Thane Investsments v Tomlinson (No. 1), [2003] EWCA Civ 1272 (CA). 150  Ibid; White Book, Vol. II, Rn. 15–60. 151  Gee, Injunctions, Rn. 8.006.

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injunction verbundenen Verfahrenskosten wird deren Erlass bei kleineren Beträgen regelmäßig wegen Unverhältnismäßigkeit verweigert.152

3.  Verfügungsinhalt: Verbot der Verfügung über betroffenes Vermögen 56

Die Anordnung einer freezing injunction bewirkt keine Beschlagnahme des Vermögens des Antragsgegners, sondern stellt ein an den Antragsgegner in personam gerichtetes Verfügungsverbot dar,153 das im Regelfall auf einen bestimmten Maximalbetrag beschränkt wird.154 Dieses Verfügungsverbot bezieht sich auch auf Vermögensbestandteile, die im Miteigentum Dritter stehen oder von Dritten treuhänderisch für den Antragsgegner gehalten werden.155 Soweit das lastenfreie Vermögen des Antragsgegners den in der Anordnung festgesetzten Betrag übersteigt, wird es vom Verfügungsverbot nicht umfasst. Von dem Verfügungsverbot ausgenommen sind zudem Vorgänge, die im Rahmen der gewöhnlichen Betriebsführung erfolgen, sowie gerichtlich festgesetzte Beträge zur Lebensführung und gerichtlichen wie außergerichtlichen Streitbeilegung.156 Oftmals wird dem Antragsgegner beispielsweise aufgegeben, die Disposition über Vermögenswerte ab einer bestimmten Höhe dem Antragsteller anzuzeigen, so dass dieser gegebenenfalls dagegen protestieren kann.157 Davon abgesehen kann das Gericht dem Antragsgegner auf eigenen Antrag oder auf Antrag seiner Gläubiger erlauben, seine Schulden zu begleichen.158 Jeder Verstoß gegen das Verfügungsverbot kann mit contempt of court be152 Vgl. Sions v Ruscoe-Price (1988), zitiert nach Blackstone’s Civil Practice, Rn. 38.14: freezing injunction bei einem Klagebetrag von 2.000 Pfund verweigert. Siehe ferner Gee, Injunctions, Rn. 12.051. 153  Fourie v Le Roux, [2007] 1 WLR 320 (332) (HL); Cretanor Maritime v Irish Maritime (The Cretan Harmony), [1978] 1 WLR 966 (973 f.) (CA); Babanaft International v Bassatne, [1990] 1 Ch. 13 (35 ff.) (CA); Suen/Cheung, Const. L. J. 23 (2007), 117 (118). 154  Klagebetrag plus eine bestimmte Summe für Zinsen und Verfahrenskosten. Möglich ist auch ein generelles Verfügungsverbot oder ein Verfügungsverbot hinsichtlich konkreter Vermögensgegenstände, vgl. Gee, Injunctions, Rn. 4.009 ff.; Andoh, Bus LR 2010, 28 (29); Blackstone’s Civil Practice, Rn. 38.17. 155  TSB Private Bank International v Chabra, [1992] 1 WLR 231 (242) (Ch); Dadourian Group International v Azuri, [2005] EWHC 1768 (Ch), Rn. 30; ausführlich Gee, Injunctions, Kapitel 13; White Book, Vol. II, Rn. 15–63; Suen/Cheung, Const. L. J. 23 (2007), 117 (121 f.) m. w. N. Die freezing injunction erstreckt sich nicht auf Gegenstände, die der Antragsgegner treuhänderisch für Dritte hält, vgl. White Book, Vol. I, Rn. 25. 1. 25.6. Zu Anordnungen gegenüber Tochtergesellschaften und Ehepartnern siehe Gee, Injunctions, a. a. O.; Bean/Parry/ Burns, Injunctions, Rn. 7–18 m. w. N. 156  Polly Peck International v Nadir (No. 2), [1992] 4 All ER 769 (785) (CA); PCW (Underwriting Agencies) v Dixon, [1983] 2 All ER 158 (162) (QB); Blackstone’s Civil Practice, Rn. 38.22 ff.; White Book, Vol. II, Rn. 15–70 ff. m. w. N. In Bezug auf Rechtsverfolgungskosten ist allerdings vieles unklar, näher White Book, Vol. II, Rn. 15–73. 157  Zuckerman, Civil Procedure, Rn. 10.262 f. 158  Iraqi Ministry of Defence v Arcepey Shipping (The Angel Bell), [1981] QB 65 (71 ff.) (Ch); TDK Tape Distributor (UK) v Videochoice, [1985] 3 All ER 345 (349 f.) (QB). Zu den maßgeblichen Kriterien siehe Gee, Injunctions, Rn. 3.006, 20.042 ff.



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straft werden (näher infra Rn. 80 ff.). Neben einem Verfügungsverbot kann mit der freezing injunction auch die Anordnung der Zwangsverwaltung bestimmter Einkommensteile159 oder die Sicherstellung besonders werthaltigen beweglichen Vermögens160 angeordnet werden; es handelt sich hierbei aber um Ausnahmefälle. Schließlich soll es sogar möglich sein, den Antragsgegner zum Transfer seiner Vermögensgegenstände in ein Land zu verpflichten, in dem die Durchsetzung der freezing injunction möglich erscheint.161 Besondere Schlagkraft erhält die freezing injunction dadurch, dass auch jeder Dritte, der von der Anordnung Kenntnis erlangt, unter Androhung einer Bestrafung wegen contempt of court verpflichtet wird, alles zu unterlassen, was den Erfolg der Maßnahme unterminiert. Verstößt ein Dritter wissentlich gegen die freezing injunction, haftet er aus contempt of court.162 Praktisch relevant ist die Drittbezogenheit insbesondere im Hinblick auf Banken, bei denen der Antragsgegner Konten unterhält.163 Diese dürfen Gelder nur freigeben, wenn dies in der freezing injunction oder einer separaten gerichtlichen Anordnung erlaubt wird (bspw. monatliche Freibeträge für Lebenshaltungskosten). Eventuelle Kosten Dritter sind vom Antragsteller zu ersetzen, bspw. die Kosten der Identifikation unbekannter Konten.164 Gegenüber einer Inanspruchnahme aus Vertragsverletzung durch den Antragsgegner kann die Bank die Rechtmäßigkeit ihres Verhaltens einwenden; Ersatzansprüche des Antragsgegners scheiden somit aus.165 Da eine Notifikation der Bank regelmäßig die Vergabe weiterer Kredite an den Antragsgegner unterbindet, führt die freezing injunction häufig zu einer immensen Beeinträchtigung der Liquidität des Antragsgegners. Die freezing injunction tritt mit ihrer Verkündung in Kraft, d. h. unabhängig von Entscheidungsbegründung oder Zustellung.166 Contempt of court wegen Verstoßes gegen die Anordnung kommt ab Kenntnis von der Existenz der 159 CPR  69.2(1); Masri v Consolidated Contractors International (UK) Ltd (No 2), [2009] 2 WLR 621 (637 ff.) (CA) m. w. N., siehe a. a. O. S. 665 für ein Beispiel einer solchen Anordnung; Gee, Injunctions, Kapitel 16; Fentiman, Litigation, Rn. 17.09. 160  CBS United Kingdom v Lambert, [1983] Ch 37 (43  f.) (CA); Gee, Injunctions, Rn. 22.035 ff. 161  Vgl. die divergierenden Entscheidungsbegründungen in Derby&Co v Weldon (No. 6), [1990] 1 WLR 1139 (CA); ferner Gee, Injunctions, Rn. 4.019. 162  Z Ltd v A-Z, [1982] 1 QB 558 (572) (CA); Zuckerman, Civil Procedure, Rn. 10.235. Eine zivilrechtliche Haftung aus negligence scheidet mangels einer duty of care gegenüber dem Antragsteller aus, vgl. Customs and Excise Commissioners v Barclays Bank, [2006] 3 WLR 1 (11 f.; 23 f.) (HL). 163  Zu den Details siehe White Book, Vol. II, Rn. 15–60 ff. 164  Searose v Seatrain UK, [1981] 1 WLR 894 (895 f.) (QB); zum Erfordernis einer entsprechenden Verpflichtungserklärung des Antragstellers ebenda sowie infra Rn. 79. 165  Zu diesem Prinzip siehe Denny, Mott & Dickson v Fraser & Co, [1944] AC 265 (272) (HL). Zu den Besonderheiten bei im Ausland belegenem Vermögen infra Rn. 62. 166  Z Ltd v A-Z, [1982] 1 QB 558 (572) (CA); White Book, Vol. I, Rn. 25. 1. 25.8.

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Anordnung in Betracht, deshalb werden der Antragsgegner und weitere betroffene Personen regelmäßig telefonisch von den Anwälten des Antragstellers unterrichtet.167 Häufig wird mit der Bekanntgabe gegenüber dem Betroffenen gewartet, bis dessen Banken informiert sind. Die Wirksamkeit der Anordnung erlischt, sofern der Antragsgegner einen in der Anordnung bestimmten Betrag bei Gericht hinterlegt oder mit den Anwälten der Gegenseite eine andere Sicherungsform vereinbart.168 Obgleich die freezing injunction auf Initiative des Antragstellers hin ergeht und in ihrer Höhe durch den vom Antragsteller behaupteten Anspruch begrenzt wird, bewirkt sie keine vorrangige Befriedigungsmöglichkeit des Antragstellers gegenüber anderen Gläubigern.169 Dies gilt auch in jenen Fällen, in denen der Antragsgegner eine Sicherheit stellt, um eine Aufhebung der freezing injunction zu bewirken.170

4.  Anordnungen mit weltweiter Wirkung 60

Soll die freezing injunction weltweite Wirkung entfalten, treten nach der englischen Rechtsprechung weitere Voraussetzungen hinzu.171 Wie bereits erwähnt, kommt eine worldwide freezing injunction nur in Betracht, wenn die Vermögenswerte des Antragsgegners in England und Wales nicht ausreichend sind, um die Vollstreckung des Urteils zu gewährleisten, der Antragsgegner aber über Vermögenswerte außerhalb dieses Territoriums verfügt. Vor Erlass des zu sichernden Urteils erfolgt eine weltweite freezing injunction nur in Ausnahmefällen.172 Das Gericht hat durch entsprechende Maßgaben oder das Einholen von Verpflichtungserklärungen sicher zu stellen, dass keine unver167 

Zuckerman, Civil Procedure, Rn. 10.234. Nr. 11(4) des Musters in 25A PD; Ocean Software v Kay, [1992] QB 583 (590) (CA). 169  Cretanor Maritime v Irish Maritime (The Cretan Harmony), [1978] 1 WLR 966 (979) (CA); Iraqi Ministry of Defence v Arcepey Shipping (The Angel Bell), [1981] QB 65 (71) (Ch); A. J. Bekhor & Co. v Bilton, [1981] QB 923 (942) (CA); Capital Cameras v Harold Lines, [1991] 1 WLR 54 (57) (Ch); Suen/Cheung, Const. L. J. 23 (2007), 117 (118); White Book, Vol. II, Rn. 15–55; Zuckerman, Civil Procedure, Rn. 10.206; Andrews, Civil Procedure, Rn. 17.08; Hartley, Litigation, S. 404. Zum Zusammenspiel von freezing injunction und Insolvenz des Antragsgegners Gee, Injunctions, Rn. 20.078 ff. 170  Flightline v Edwards, [2003] 1 WLR 1200 (1212) (CA); Technocrats International v Fredic, [2004] EWHC 2674, Rn. 13, 22 (QB); Gee, Injunctions, Rn. 23.006; Zuckerman, Civil Procedure, Rn. 10.206; White Book, Vol. II, Rn. 15–55; anders noch obiter Lord Donaldson in Polly Peck International v Nadir (No. 2), [1992] 4 All ER 769 (785) (CA); dem folgend Fentiman, Litigation, Rn. 17.27. 171  Die Tatsache, dass s. 37(3) SCA 1981 nur freezing injunctions erwähnt, die sich auf in England oder Wales befindliche Vermögensgegenstände beziehen, wird generell nicht als Absage an eine weltweite freezing injunction verstanden, da diese Bestimmung die Anordnungsbefugnis des Gerichts lediglich bestätige, nicht begründe. Statt aller Dicey/Morris/ Collins, Rn. 8–006 m. w. N. 172  Derby & Co v Weldon (Nos 3 & 4), [1990] Ch 48 (55 f.) (CA); Republic of Haiti v Duvalier, [1990] 1 QB 202 (215) (CA); White Book, Vol. II, Rn. 15–86; Blackstone’s Civil 168 



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hältnismäßige Belastung des Antragsgegners durch eine Verfahrenshäufung in unterschiedlichen Jurisdiktionen erfolgt, die im Rahmen der Hilfsanordnung zur Vermögensoffenbarung erhaltenen Informationen nicht missbräuchlich verwendet werden und die Interessen dritter Personen gewahrt bleiben.173 Das Gericht fordert deshalb vom Antragsteller vor Erlass einer weltweiten freezing injunction meist die Zusicherung, eine Vollstreckung der Anordnung im Ausland nur nach Einholung einer gerichtlichen Erlaubnis zu veranlassen. Diese Erlaubnis wird regelmäßig nur in einem separaten Verfahren nach Anhörung des Antragsgegners erteilt, in welchem der Antragsteller hinreichende Nachweise über das relevante ausländische Recht beibringen muss.174 Die sogenannten Dadourian Guidelines des Court of Appeal zur Ermessensausübung hinsichtlich der Erlaubnis zur Vollstreckung im Ausland enthalten insbesondere den Hinweis, dass die Erlaubnis im Regelfall versagt werden soll, wenn der Antragsteller durch die Vollstreckung im Ausland mehr erreichen würde als ihm im Inland gestattet wäre.175 Eine Umwandlung der in personam wirkenden freezing injunction in eine Beschlagnahme bestimmter Vermögenswerte durch ein ausländisches Gericht soll nur unter der Kontrolle des Erstgerichts möglich sein.176 Im Anwendungsbereich der EuGVO, d. h. bei Vollstreckung einer freezing injunction im EU-Ausland, scheidet eine solche Transformation ohnehin aus (näher infra § 16 Rn. 46 ff.). Aus unionsrechtlicher Perspektive begegnet der Erlaubnisvorbehalt hinsichtlich der Vollstreckung im Ausland keinen Bedenken.177 Das Unionsrecht trifft lediglich Aussagen darüber, welche Wirkungen einer Entscheidung in einem anderen Mitgliedstaat anzuerkennen sind. Dies hindert das Ausgangsgericht nicht daran, die

Practice, Rn. 39.09. Hierzu zählen insbesondere Betrugsfälle großen Ausmaßes oder auf Vermögensverschleierung angelegte Firmenstrukturen. 173  Derby & Co v Weldon (Nos 3 & 4), [1990] Ch 48 (57) (CA). 174  Dadourian Group International v Simms, [2006] 1 WLR 2499 (2502) (CA), Richtlinie Nr. 5. 175  Dadourian Group International v Simms, [2006] 1 WLR 2499 (2502) (CA), Richtlinie Nr. 4. Die Aussage betrifft die Vollstreckung der freezing injunction im Ausland, nicht hingegen Parallelverfahren vor ausländischen Gerichten. 176  Dadourian Group International v Simms, [2006] 1 WLR 2499 (2505 f.) (CA): „In principle the permission given to the applicant should not enable him to obtain relief in the foreign proceedings unless it is equivalent to the relief obtained in the English proceedings, and no more. […] The order should not give the applicant permission to obtain a superior form of protection in the foreign court without good reason. If the only form of relief available in the foreign court is one which is more extensive than the worldwide freezing order, the court may be less willing to grant its permission to take proceedings abroad. In an appropriate case, however, it may do so.“ Fentiman, Litigation, Rn. 17.66 erwägt, ein Antragsteller könne dem ggf. entgegenwirken, indem er sich verpflichte, die Sicherheit nicht zu realisieren. 177 Zweifelnd Schlosser in Hess/Pfeiffer/Schlosser-Bericht, Rn. 747 ff.; Dickinson, IPRax 2010, 203 (210) (jedenfalls soweit die freezing injunction vom Hauptsachegericht erlassen wird).

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§ 4  Einstweilige Maßnahmen zur Sicherung des Status Quo

territoriale Reichweite einer Entscheidung zu begrenzen bzw. die Bedingungen ihrer Vollstreckbarkeit festzulegen.178 Im Falle einer weltweiten freezing injunction sieht das Gericht besondere Schutzmaßnahmen zugunsten dritter Personen vor. Vorschläge für einen angemessenen Verfügungsinhalt enthält das Muster in 25A PD.179 Vereinfachend dargestellt soll die Maßnahme gegenüber Dritten, die weder in England noch in Wales ansässig sind, keine Wirkung entfalten, es sei denn, sie wurde im Wohnsitzstaat der betreffenden Person für vollstreckbar erklärt.180 Wie sich diese Rechtsprechung in Anbetracht der Abschaffung des Exequaturverfahrens durch die EuGVO (2012)181 entwickelt, bleibt abzuwarten. Eine weitere Maßgabe der Musteranordnung dient insbesondere dem Schutz weltweit agierender Banken, die aufgrund einer englischen Niederlassung der dortigen Gerichtsbarkeit unterliegen: Befindet sich der Vermögensgegenstand im Ausland, so sind dritte Personen befugt, den ihrer Auffassung nach dort maßgeblichen vertraglichen und gesetzlichen Pflichten nachzukommen und Anordnungen eines Gerichts am Belegenheitsort des Vermögens zu befolgen.182 Im Klartext bedeutet dies, dass die Bank durch die freezing injunction nicht gehindert ist, der nach ausländischem Vertragsrecht bestehenden Verpflichtung zur Auszahlung des Kundenvermögens nachzukommen. Die Kombination dieser Schutzvorkehrungen führt dazu, dass dritte Personen hinsichtlich im Ausland belegener Vermögensgegenstände regelmäßig immun gegen eine Verurteilung wegen contempt of court sind. Eine Vollstreckbarerklärung im EU-Ausland ist zwar nicht von vorneherein ausgeschlossen, aber mit Schwierigkeiten behaftet, die in § 16 Rn. 46 ff. näher erörtert werden. Die Effektivität weltweiter freezing injunctions wird hierdurch deutlich gemindert.183

178  EuGH v. 12. 04. 2011 – C-235/09 – Slg. 2011, I-2801 (DHL Express France), Rn. 47; Schlosser, EU-ZPR, Art. 32 EuGVVO Rn. 5, Art. 38 EuGVVO Rn. 2. 179  Nr. 19 der Musteranordnung in 25A PD geht auf die durch die Rechtsprechung entwickelte Babanaft proviso zurück, vgl. grundlegend Babanaft International v Bassatne, [1990] 1 Ch. 13 (35 ff.) (CA); Derby & Co v Weldon (Nos 3 & 4), [1990] Ch 48 (59) (CA). 180  Nr. 19(2) des Musters in 25A PD. Dieser Verfügungsinhalt dient der Rechtssicherheit und Information betroffener Personen, da den englischen Gerichte regelmäßig keine Gerichtsbarkeit zukommt, um im Ausland ansässige Personen zur Befolgung der freezing injunction zu zwingen, vgl. Zuckerman, Civil Procedure, Rn. 10.240. 181  Hierzu § 16 Rn. 33. 182  Nr. 20 des Musters in 25A PD, zurückgehend auf die Baltic proviso, siehe grundlegend Baltic Shipping v Translink Shipping, [1995] 1 Lloyd’s Rep. 673 (QB) sowie Bank of China v NBM, [2002] 1 WLR 844 (851 f.) (CA); hierzu Andrews, Civil Procedure, Rn. 17.72; Hill/Chong, Int’l Disputes, Rn. 10. 4. 27 ff. 183  Fentiman, Litigation, Rn. 17.67 ff.



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5.  Anordnungen zwecks Sicherung der Vollstreckung eines künftigen Urteils ausländischer Gerichte Gemäß s. 25 des Civil Jurisdiction and Judgments Act 1982 ist der High Court befugt, einstweiligen Rechtsschutz auch dann zu gewähren, wenn die englischen Gerichte in der Hauptsache nicht zuständig sind oder das Hauptsacheverfahren bereits in einem anderen Mitgliedstaat der EU anhängig ist. Diese Bestimmung wurde zur Korrektur eines gegenteiligen Präjudizes des House of Lords speziell im Hinblick auf Art. 24 EuGVÜ (= Art. 31 EuGVO (2001), Art. 35 EuGVO (2012)) geschaffen,184 wonach die Gerichte der Mitgliedstaaten trotz fehlender internationaler Zuständigkeit in Hauptsache grundsätzlich befugt sind, Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes vorzusehen. Zwischenzeitlich hat der EuGH den Anwendungsbereich des Art. 24 EuGVÜ bzw. Art. 31 EuGVO (2001), Art. 35 EuGVO (2012) durch eine einschränkende Interpretation beschnitten, wobei die Bedeutung dieser Eingrenzung für die in personam wirkende freezing injunction hoch umstritten ist (näher infra § 11 Rn. 37 ff.). Die autonome Spezialregel der internationalen Zuständigkeit für den einstweiligen Rechtsschutz in s. 25 des Civil Jurisdiction and Judgments Act 1982 enthält keine inhaltlichen Voraussetzungen. Doch ist der High Court befugt, die Ausübung seiner Zuständigkeit abzulehnen, soweit dies angesichts der fehlenden Hauptsachezuständigkeit unzweckmäßig (inexpedient) wäre. Als zweckmäßig wird ergänzender einstweiliger Rechtsschutz durch die englischen Gerichte regelmäßig nur dann angesehen, wenn ein gewisser Bezug der Rechtssache zum englischen Territorium bzw. ein dortiger Wohnsitz des Antragsgegners vorliegt185 sowie eine erkennbare Möglichkeit der tatsächlichen Bestrafung mittels contempt of court besteht.186 Von Letzterem kann nur ausgegangen werden, wenn der Antragsgegner entweder selbst in England präsent ist187 oder dort über Vermögensgegenstände verfügt.188

184  Statt aller Babanaft International v Bassatne, [1990] 1 Ch. 13 (30) (CA). Der Gesetzgeber hat damit die entgegenstehende Regel aus der Entscheidung The Siskina (Owners of Cargo Lately Laden on Board) v Distos Compania Naviera, [1979] AC 210 (257) (HL) aufgehoben. 185 Näher Fentiman, Litigation, Rn. 17.85 ff.; Johnson, CJQ 2008, 433 (439 ff.), jeweils m. w. N. Ein Grenzfall war die Rechtssache Republic of Haiti v Duvalier, [1990] 1 QB 202 (CA), in der lediglich die Anwälte des Antragsgegners über ihren Sitz in England verfügten, aber starke Anhaltspunkte dafür bestanden, dass diese Vermögensgegenstände des Antragsgegners verwalteten. 186  Motorola Credit v Uzan (No 2), [2004] 1 WLR 113 (147 ff.) (CA). 187  Insoweit ist es sogar möglich, den Antragsgegner durch Einziehung seines Passes am Verlassen des Landes zu hindern, vgl. Bayer v Winter (No 1), [1986] 1 WLR 497 (CA); Re Oriental Credit, [1988] Ch 204 (Ch); Bean/Parry/Burns, Rn. 7–59 f. 188  Motorola Credit v Uzan (No 2), [2004] 1 WLR 113 (149) (CA).

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§ 4  Einstweilige Maßnahmen zur Sicherung des Status Quo

Die englischen Gerichte legen großen Wert darauf, den Ablauf des ausländischen Hauptsacheverfahrens nicht zu behindern, sondern zu unterstützen. Als eine solche Unterstützung wird es auch begriffen, wenn dem ausländischen Gericht aufgrund des dortigen Verfahrensrechts keine Möglichkeit zum Erlass einer entsprechenden Maßnahme oder einer Vermögensbeschlagnahme zukommt.189 Konsequenz ist ein deutliches forum shopping zugunsten englischer Gerichte, sofern im Staat des Hauptsacheverfahrens die Voraussetzungen für eine vorläufige Vermögensbeschlagnahme nicht gegeben sind.190

IV.  Offenlegung der Vermögensbestandteile 66

Die freezing injunction wird regelmäßig mit einer disclosure order verbunden, d. h. mit der Verpflichtung, dem Antragsteller die Existenz, den Wert und die Lage sämtlicher Vermögensgegenstände unverzüglich zu offenbaren.191 Diese Anordnung kommt nicht als eigenständige Maßnahme, sondern nur als Ergänzung zwecks Kontrolle und Durchsetzung des Verfügungsverbots in Betracht und wird deshalb auch ancillary order genannt. Eine Ausforschung des Antragsgegners zwecks Ermittlung der für den Erlass einer freezing order erforderlichen Tatsachen soll über CPR  25 nicht ermöglicht werden.192 Auch bedarf es keiner entsprechenden Anordnung, wenn dem Antragsteller hinreichende Vermögensgegenstände des Antragsgegners bekannt sind, um die Klageforderung zu decken.193 Aufgrund der Abhängigkeit der Offenbarungsanordnung von der freezing injunction setzt die Offenbarung weltweiter Vermögensbestandteile grundsätzlich die Anordnung eines weltweiten Verfügungsverbots voraus.194 Eine Ausnahme besteht in jenen Situationen, in denen die Anordnung nach Erlass des Hauptsacheurteils erfolgt,195 da der Schuldner in diesem Fall ohnehin zur Auskunft über sein Vermögen gemäß 189  Crédit Suisse Fides Trust v Cuoghi, [1998] QB 818 (831 f.); ausführlich Fentiman, Litigation, Rn. 17.101 ff. m. w. N. 190  Sehr kritisch Hartley, Litigation, S. 423 f.: „[The English courts] seem to think they have the right to act as policemen of the world.“ 191  Dies erfolgt grundsätzlich schriftlich, in Ausnahmefällen kann auch ein Kreuzverhör des Betroffenen über seine Vermögenslage angeordnet werden, vgl. Gee, Injunctions, Rn. 22.023; Blackstone’s Civil Practice, Rn. 38.17; Bean/Parry/Burns, Injunctions, Rn. 7–37 ff. m. w. N. Zu disclosure-Anordnungen gegenüber Dritten, welche gegebenenfalls Vermögen des Antragsgegners treuhänderisch halten siehe MacLachlan, ICLQ 1989, 3 (22 f.). 192  Parker v CS Structured Credit Fund, [2003] 1 WLR 1680 (1683 f.). 193  A. J. Bekhor & Co. v Bilton, [1981] QB 923 (944) (CA); Suen/Cheung, Const. L. J. 23 (2007), 117 (128). 194  Ashtiani v Kashi, [1987] QB 888 (905) (CA); Derby v Weldon (Nos 3 & 4), [1990] Ch 65 (94 f.) (CA); kritisch Kaye, CJQ 1990, 12 (15); a. A. Gee, Injunctions, Rn. 22.005. S. 25 Abs. 7 des Civil Jurisdiction and Judgments Acts 1982 hindert die Anordnung der Vermögensoffenbarung nicht, vgl. Gee, Injunctions, Rn. 6.053. 195  The Naftilos, [1995] 1 WLR 299 (310 ff.) (QB); Fentiman, Litigation, Rn. 17.06.



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CPR  71.1 verpflichtet ist.196 Die Vermögensoffenbarung ist unverzüglich zu erfüllen, d. h. bevor dem Antragsgegner rechtliches Gehör gewährt wird.197 Zwar verpflichtet sich der Antragsteller, die Informationen ohne anderweitige Erlaubnis des Gerichts nur zum Zwecke der Durchsetzung des Verfügungsverbots zu verwenden,198 gleichwohl ist dieser Eingriff in das Finanzgeheimnis des Antragsgegners ohne dessen Anhörung höchst problematisch. Insbesondere bei weltweiten freezing injunctions wird die Vermögensoffenbarung häufig als der wertvollere Bestandteil der Anordnung angesehen.199 Der High Court wird vornehmlich bemüht, um dem Antragsteller die Option zu eröffnen, mittels der im Zuge der freezing injunction gewonnenen Informationen Sicherungsmaßnahmen vor ausländischen Gerichten nach dem dortigen Recht zu beantragen.200 Dies ist regelmäßig praktikabler, als die freezing injunction im Ausland zu vollstrecken.201 Die freezing injunction selbst bewirkt höchstens eine zeitweilige Sicherung, bis entsprechende Maßnahmen von den Gerichten am Belegenheitsort der Vermögenswerte 196  Zur Befragung eines im Ausland ansässigen Organs einer juristischen Person gemäß CPR  72.2 siehe Masri v Consolidated Contractors International (UK) Ltd (No 4), [2010] 1 A. C. 90 (HL). Zum begrenzten Erfolg der Maßnahmen gemäß CPR  71 vgl. Baldwin/ Cunnington, CJQ 2010, 159 (165 ff.). 197  Eine Aussetzung der Verpflichtung zur disclosure bis zur endgültigen Entscheidung über das Schicksal der freezing injunction ist möglich, wird aber im Regelfall verneint, Motorola Credit v Uzan (No 1), [2002] C P Rep 69, Rn. 29; Raja v Van Hoogstraten, [2004] EWCA Civ 968, Rn. 104 f. (CA); siehe aber Mobil Cerro Negro v Petroleos de Venezuela, [2008] EWHC 532 (Comm), Rn. 162; ferner Gee, Injunctions, Rn. 6.011. 198  Der Antragsteller gibt ein entsprechendes undertaking ab, bzw. dieses wird impliziert, vgl. Babanaft International v Bassatne, [1990] 1 Ch. 13 (47) (CA); Bank of Crete v Koskotas (No 2), [1992] 1 WLR 919 (924); Ashtiani v Kashi, [1987] QB 888 (903) (CA); McClean, Cooperation, S. 124. Ein Verstoß gegen die Verpflichtungserklärung kann nicht nur eine Kompensation des Antragsgegners, sondern auch eine Bestrafung wegen contempt of court auslösen, vgl. Capper, CJQ 2008, 168 (170) m. w. N. Sofern die freezing injunction zur Sicherung der Vollstreckung eines bereits ergangenen Hauptsacheurteils ergeht, können die offenbarten Informationen auch zur Urteilsvollstreckung verwendet werden, siehe Vitol v Capri Marine (No 2), [2010] EWHC 458 (Comm), Rn. 37. 199  Crédit Suisse Fides Trust v Cuoghi, [1998] QB 818 (829); Collins, LQR 1989, 262 (297); Andrews, Civil Procedure, Rn. 17.95; Fentiman, Litigation, Rn. 17.16; Merrett, LMCLQ 2008, 71 (84); Dicey/Morris/Collins, Rn. 8–020. Vgl. auch die Beobachtung von McLachlan in Meessen, Extraterritorial jurisdiction, S. 58, dass die Erweiterung des territorialen Anwendungsbereichs der freezing injunction nicht um des Verfügungsverbotes willen, sondern zwecks Erleichterung der Vermögensverfolgung erfolgte. Interessant auch die Beobachtung von Collins, LQR 1989, 262 (297): „The practical consequence is that it is really the Mareva injunction which is ancillary to the disclosure order, rather than the traditional relationship in which it was the disclosure order which was ancillary to the Mareva injunction.”. 200  Collins, LQR 1989, 262 (297); ferner McClean, Co-operation, S. 124, der dies als eine „jurisdiction-fishing expedition“ bezeichnet. 201  Babanaft International v Bassatne, [1990] 1 Ch. 13 (43) (CA); Miller LJ in Crédit Suisse Fides Trust v Cuoghi, [1998] QB 818 (829) (CA); McLachlan in Meessen, Extraterritorial jurisdiction, S. 49 f.; Zuckerman, Civil Procedure, Rn. 10.238, 10.254. Zu den Hindernissen, die einer Vollstreckung im Ausland entgegen stehen, siehe § 16 Rn. 46 ff.

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erlassen werden.202 Zwar gibt der Antragsteller eine Verpflichtungserklärung dahingehend ab, die Informationen nicht ohne Zustimmung des Gerichts zum Zwecke ausländischer Verfahren zu verwenden.203 Doch wird diese Erlaubnis einerseits häufig erteilt, andererseits mag es schwierig sein, einen Verstoß zu sanktionieren, wenn das Hauptsacheverfahren nicht in England geführt wird und der Antragsteller keinen Bezug zum englischen Territorium aufweist.204 Ob die ancillary order den Vorgaben des Art. 9 Abs. 2 S. 2 DRL entspricht, ist in höchstem Maße unklar. Unzweifelhaft begründet die der freezing injunction beigefügte disclosure order eine Auskunftspflicht des Antragsgegners, keine Pflicht zur Vorlage oder zur Bereitstellung des Zugangs zu Bank-, Finanz- und Handelsunterlagen. Andererseits hat die Europäische Kommission in ihrem Vorschlag zum Erlass des Art. 9 Abs. 2 DRL explizit auf das Modell der freezing injunction Bezug genommen, welches – entgegen dem Wortlaut der Richtlinie – lediglich eine Offenbarungspflicht vorsieht. Letztlich ließe sich eine solche Vorlagepflicht im englischen Recht mittels einer inspection oder search order205 zwecks Aushändigung von Bank-, Finanz- und Handelsunterlagen realisieren. Die Rechtspraxis hat diesen Weg bislang nicht beschritten.206

V.  Formale Vorgaben und zulässige Beweismittel 69

Unabhängig von dem begehrten Verfügungstypus kommen als Beweismittel im einstweiligen Verfahren nach CPR 32.6(1), (2) grundsätzlich nur schriftliche Zeugenaussagen in Betracht; ferner kann sich der Antragsteller auch auf seine Angaben in der Antragsschrift beziehen, sofern diese durch eine eidesstattliche Versicherung bekräftigt werden.207 Theoretisch kann das Gericht zwar ein Kreuzverhör hinsichtlich der schriftlichen Stellungnahmen anordnen, doch erfolgt dies selten.208 Dem Antrag beizufügen ist ein Entwurf der begehrten einstweiligen Verfügung (schriftlich sowie auf einer Datei), wobei die Anwälte des Antragstellers auf jegliche Abweichung von den standardisierten Klauseln

202 

Babanaft International v Bassatne, [1990] 1 Ch. 13 (43) (CA); Fentiman, Litigation, Rn. 17.16. 203  Nr. 9 Schedule B des Musters einer freezing injunction in 25A PD. 204  Die Sanktionierung eines Verstoßes gegen ein undertaking erfolgt durch contempt of court, vgl. § 4 Rn. 76 ff. 205  Infra § 6 Rn. 12 ff. 206  Der Court of Appeal hat freilich ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Ehegatten eine search order beantragen können, um die Einhaltung der Vermögensoffenbarungspflichten in Scheidungsfolgesachen zu kontrollieren, vgl. Imerman v Tchenguiz, [2011] 2 WLR 592 (634 ff.) (CA). 207  CPR 22.1(3), 32.6(2). 208  Ein dahingehender Antrag wird abgelehnt, sofern dies eine Vertagung einer eilbedürftigen Sache erfordern würde, vgl. Bean/Parry/Burns, Injunctions, Rn. 5–32.



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einer freezing order hinweisen müssen.209 Schließlich bedarf es der Erklärung der Bereitschaft zur Abgabe eines cross-undertaking in damages, bekräftigt durch Hinweise zur finanziellen Leistungsfähigkeit.210 Das cross-undertaking in damages ist eine Verpflichtungserklärung gegenüber dem Gericht, mittels derer sich der Antragsteller bereit erklärt, für sämtliche Schäden des Antragsgegners gerade zu stehen, deren Ersatz das Gericht für angemessen erachtet (näher infra Rn. 75 ff.).

VI.  Ex parte-Anordnungen 1.  Gründe, die zur Verweigerung des rechtlichen Gehörs berechtigen In der englischen Rechtsprechung sind zwei Fallkonstellationen etabliert, in denen eine Verfügung without notice, d. h. ohne Anhörung des Antragsgegners, als angemessen erachtet wird.211 Die erste Konstellation betrifft Situationen außergewöhnlicher Eilbedürftigkeit, d. h. sofern eine ordnungsgemäße Ladung des Antragsgegners (drei Tage vor dem Termin) aufgrund der zeitlichen Anforderungen unmöglich ist.212 Hier hat der Antragsteller den Antragsgegner zumindest informell über den Verhandlungstermin zu benachrichtigen, um diesem eine Teilnahme zu ermöglichen.213 Nimmt der Antragsgegner an dem kurzfristig anberaumten Verhandlungstermin teil, wird gleichwohl eine erneute Anhörung einberaumt, um dem Antragsgegner eine ordnungsgemäß vorbereitete Stellungnahme zu ermöglichen.214 Die zweite Konstellation, in der auf die Anhörung des Antragsgegners verzichtet wird, sind Verfahren mit Geheimhaltungsbedarf. Hierzu zählt insbesondere die freezing injunction sowie die später noch zu erörternde search order (siehe § 6 Rn. 12 ff.), für deren Erfolg jeweils ein Überraschungsmoment essentiell ist.215 209  Der Hinweis muss ferner protokolliert werden, vgl. Finurba Corporate Finance v Sipp, [2011] EWCA Civ 465 (CA), Rn. 30. 210  25A PD 2.4; 23A PD 12.1. 211  Näher 23A PD 3. Der Antrag hat nach CPR 25.3(3) den Grund für den Verzicht auf die Ladung des Antragsgegners zu benennen. Die außergewöhnliche Natur der Anordnung einer injunction ohne Anhörung des Antragsgegners wird u. a. betont in Moat Housing Group South v Harris, [2006] QB 606 (625 ff.) (CA). 212  CPR 23.7(1)(b); 23A PD 3.1. 213  25A PD 4.3(3). Die Bedeutung der informellen Benachrichtigung wird hervorgehoben in Jain v Trent Strategic Health Authority, [2009] 2 WLR 248 (266) (HL); National Commercial Bank Jamaica v Olint Corp, [2009] 1 WLR 1405 (1408) (PC) („literally no time); CEF Holdings v Mundey, [2012] EWHC 1524 (QB); O’Farrell v O’Farrell, [2012] EWHC 123 (QB) „In these days of mobiles phones and email it is almost always possible to give at least informal notice of an application“. 214  Fenwick v East London Railway, (1875) LR 20 Eq 544 (547); Pickwick International v Multiple Sound Distributors, [1972] FSR 427 (433 f.) (Ch). 215  Einen Ausschluss der Öffentlichkeit ermöglicht CPR 39.2(3).

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§ 4  Einstweilige Maßnahmen zur Sicherung des Status Quo

2.  Schutzvorkehrungen zugunsten der nicht gehörten Partei 71

Um die Verweigerung des rechtlichen Gehörs in der ersten Stufe des Verfahrens abzumildern, ist der Antragsteller verpflichtet, alle für die Entscheidung des Gerichts relevanten Tatsachen und rechtlichen Argumente in einer eidesstattlichen Versicherung zu offenbaren, auch wenn diese für die eigene Sache nachteilig sind (full and frank disclosure).216 Die Auskunftspflicht bezieht sich nicht nur auf die wesentlichen Fakten und rechtlichen Erwägungen für die Beurteilung der Anspruchsberechtigung,217 sondern auch auf äußere Umstände, etwa die finanzielle Fähigkeit des Antragstellers, den Antragsgegner im Falle eines Aufhebens der Verfügung oder des Verlusts des Hauptsacheverfahrens für den entstandenen Schaden zu kompensieren.218 Dabei genügt es keineswegs, dass der Antragsteller über den derzeitigen Kenntnisstand berichtet. Er ist vielmehr verpflichtet, entsprechende Erkundigungen einzuziehen219 und auch neue Erkenntnisse nach Erlass der Verfügung an das Gericht zu übermitteln.220 Soweit einem früheren Antrag kein Erfolg beschieden war und der Antragsteller aufgrund neuer Erkenntnisse einen neuerlichen Antrag vor einem anderen Richter einreicht, ist über die frühere Verhandlung detailliert Auskunft zu erteilen.221 Stellt sich zu einem späteren Zeitpunkt heraus, dass der Antragsteller der Pflicht zur Offenlegung aller wesentlichen Umstände nicht nachgekommen ist, kommt eine Aufhebung der Verfügung,222 eine nachteilige 216  25A PD 3.1, 7.3(2); vgl. Mummery LJ in Memory Corp v Sidhu, [2000] 1 WLR 1443 (1459) (CA): „It cannot be emphasised too strongly that at an urgent without notice hearing for a freezing injunction, as well as for a search order or any other form of interim injunction, there is a high duty to make full, fair and accurate disclosure of material information to the court and to draw the court’s attention to significant factual, legal and procedural aspects of the case.“ Näher Zuckerman, Civil Procedure, Rn. 10.185 ff. m. w. N.; Gee, Injunctions, Kapitel 9. 217  Dem Anwalt des Antragstellers obliegt es bspw. auch, für seinen Mandanten nachteilige Präjudizien zu berichten oder geeignete Verpflichtungserklärungen seines Mandanten vorzuschlagen, um eine Gefahr der Selbstbezichtigung des Antragsgegners abzuwenden, siehe als gutes Beispiel Bloomsbury Publishing v News Group Newspapers, [2003] EWHC 1150 (Ch), Rn. 14, 18; Memory Corp v Sidhu, [2000] 1 WLR 1443 (1460) (CA). 218  Manor Electronics v Dickson, [1988] RPC 618 (623) (QB); Staines v Walsh, [2003] EWHC 1486 (Ch); Zuckerman, Civil Procedure, Rn. 10.187; Bean/Parry/Burns, Injunctions, Rn. 7–08. 219  Brink’s-MAT v Elcombe, [1988] 1 WLR 1350 (1356 f.) (CA); Zuckerman, Civil Procedure, Rn. 10.189. 220  Staines v Walsh, [2003] EWHC 1486 (Ch); Zuckerman, Civil Procedure, Rn. 10.190, 10.193; Suen/Cheung, Const. L. J. 23 (2007), 117 (128). 221  Bean/Parry/Burns, Injunctions, Rn. 5–23. 222  Die Gerichte berücksichtigen bei der Entscheidung, ob die injunction trotz unvollständiger disclosure aufrecht erhalten wird, die Bedeutung der nicht offenbarten Tatsache für die Entscheidung des Gerichts sowie ein eventuelles Verschulden des Antragstellers. Vgl. Brink’s-MAT v Elcombe, [1988] 1 WLR 1350 (1356 f.) (CA); Memory Corp v Sidhu, [2000] 1 WLR 1443 (1458 f.) (CA); Knauf UK v British Gypsum, [2002] 1 WLR 907 (925 ff.) (CA)



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Kostenfolge,223 das Gewähren von Kompensation an den Antragsgegner224 oder eine Verurteilung wegen contempt of court225 in Betracht. Eine ohne Anhörung des Antragsgegners ergangene Verfügung enthält nach 25A PD 5.1(2) eine Verpflichtungserklärung des Antragstellers, dem Antragsgegner die Klage, den Antrag, die den Antrag unterstützenden Beweismittel, ein wörtliches Protokoll der Anhörung und die Verfügung so bald als möglich zuzustellen.226 Im Regelfall wird in einer ohne Anhörung des Antragsgegners erlassenen Verfügung ein Termin für eine neuerliche Anhörung in Anwesenheit beider Parteien festgesetzt, das sogenannte return date.227 Zumeist ist die Verfügung nur bis zu diesem Zeitpunkt wirksam.228 Dem Antragsgegner ist es bei freezing injunctions und search orders unbenommen, bereits vor dem return date ein Abänderung oder Aufhebung der Verfügung zu beantragen.229 Bei komplexeren Rechtsstreitigkeiten ist die regelmäßige Terminierung des return dates innerhalb von sieben Tagen meist zu kurz bemessen, um dem Antragsgegner volles rechtliches Gehör zu gewähren. In diesen Fällen wird ein weiterer Termin bestimmt.230

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VII.  Schutzvorkehrungen zugunsten des Antragsgegners 1.  Das Instrument der Verpflichtungserklärung Die in Art. 9 Abs. 5 bis 7 DRL vorgesehenen Schutzvorkehrungen zugunsten des Antragsgegners werden im englischen Recht vornehmlich durch Verpflichtungserklärungen des Antragstellers gegenüber dem Gericht, sog.

sowie den Überblick bei Zuckerman, Civil Procedure, Rn. 10.194 ff., welcher kritisiert, dass die Möglichkeit der Aufhebung der Verfügung letztlich keine zureichende Sanktion darstelle. 223  Bir v Sharma (Ch) [Westlaw]; Zuckerman, Civil Procedure, Rn. 9.138. Es kommt auch in Betracht, den Anwälten des Antragstellers die Verfahrenskosten aufzuerlegen, siehe Brown v Bennett (No 2), [2002] 1 WLR 713 (Ch); Andrews, Civil Procedure, Rn. 1743 ff. 224  Grundlage ist entweder das undertaking in damages oder (selten) ein deliktischer Anspruch aus der action for abuse of process, hierzu Zuckerman, Civil Procedure, Rn. 10.200. 225  Infra § 4 Rn. 80 ff.; Apted v Apted, [1930] P 246 (262 f.) (PDAD); Zuckerman, Civil Procedure, Rn. 10.200. 226  Siehe auch Interoute Telecommunications (UK) v Fashion Gossip (QB) [Westlaw]; Flightwise Travel Service v Gill, [2003] EWHC 3082 (Ch); White Book, Vol. I, Rn. 25. 1. 25.4. 227  25A PD 5.1(3). 228  R (Casey) v Restormel Borough Council, [2007] EWHC 2554 (Admin), Rn. 38; Gee, Injunctions, Rn. 23.001 ff.; Bean/Parry/Burns, Injunctions, Rn. 5–34. Siehe ferner Nr. 5 des Musters der freezing injunction in 25A PD. Soweit die Wirksamkeit der Verfügung nicht befristet wurde, hat der Antragsgegner gemäß CPR 23.10 sieben Tage Zeit, um eine Aufhebung oder Änderung zu beantragen. 229  25A PD, Muster der freezing injunction Nr. 13, Muster der search order Nr. 27; Andrews, Civil Procedure, Rn. 17.129 230  Fentiman, Litigation, Rn. 17.18.

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§ 4  Einstweilige Maßnahmen zur Sicherung des Status Quo

undertakings, bewirkt.231 Neben der Verpflichtung zur Einleitung des Hauptsacheverfahrens und zur Schadloshaltung des Antragsgegners für den Fall, dass die Verfügung aufgehoben wird, treten je nach Verfügungstyp und den Besonderheiten des Verfahrens zusätzliche Erklärungen.

2.  Mittelbarer Zwang zur Einleitung des Hauptsacheverfahrens 74

Vorläufiger Rechtsschutz vor Einleitung des Hauptsacheverfahrens ist nach CPR  25.2(2)(b)(i) prinzipiell nur zu gewähren, sofern die Sache eilbedürftig ist.232 Soweit das Gericht keine anderweitige Bestimmung trifft, muss sich der Antragsteller verpflichten, die Klage unverzüglich, d. h. spätestens am nächsten Werktag nach Erlass der Entscheidung, einzureichen.233 Kommt der Antragsteller dieser Pflicht nicht nach oder verfolgt er das anschließende Hauptsacheverfahren nicht mit ausreichender Stringenz, kann die Verfügung aufgehoben,234 eine nachteilige Kostenfolge angeordnet und der zuständige solicitor mittels contempt of court sanktioniert werden.235

3.  Kompensation und Absicherung des Antragsgegners 75

Sofern das Gericht keine anderweitige Regelung trifft,236 beinhaltet eine interim injunction stets eine Verpflichtungserklärung des Antragstellers gegenüber dem Gericht, mittels derer sich der Antragsteller bereit erklärt, für sämtliche Schäden des Antragsgegners gerade zu stehen, deren Ersatz das Gericht für angemessen erachtet (sog. cross-undertaking in damages).237 Diese Verpflichtungserklärung ist zwar freiwillig, und eine entsprechende Pflicht kann dem Antragsteller nicht im Nachhinein vom Gericht auferlegt werden.238 231  25A PD 5.1(1) bis (5); vgl. die im Anhang beigefügten Muster einer freezing injunction, schedule B, und der search order, schedule C. 232  CPR 25.2(2)(b)(ii) erlaubt den Erlass einer einstweiligen Verfügung vor Einleitung des Hauptsacheverfahrens auch, sofern dies „otherwise in the interest of justice“ ist. 233  CPR 25.2(3), 25A PD 4.4(1), 5.1(5). Zur besonderen Bedeutung dieser Maßgabe bei freezing injunctions siehe Fourie v Le Roux, [2007] 1 WLR 320 (HL). Bei Erlass einer search order kann mit der Klageerhebung bis nach der Durchführung der Durchsuchung gewartet werden, vgl. 25A PD 4.4(1), (2), 5.1(5); Muster-Anordnung, Schedule C (2); Gee, Injunctions, Rn. 23.027. 234  Walsh v Deloitte & Touche, [Westlaw] (PC), Rn. 26; Lloyd’s Bowmaker v Britannia Arrow Holdings, [1988] 1 WLR 1337 (1349 f.) (CA); Hytrac Conveyors v Conveyors International, [1983] 1 WLR 44 (47) (CA); Gee, Injunctions, Rn. 23.059 ff. m. w. N. 235  Refson & Co v Saggers, [1984] 1 WLR 1025 (1029 f.) (Ch). 236 Ein Absehen vom Erfordernis einer Verpflichtungserklärung kann nur erfolgen, sofern der Antragsteller eine Person des öffentlichen Rechts ist und der Rechtsstreit nicht der Durchsetzung privatrechtlicher Interessen dient, vgl. Hoffmann-La Roche & Co v Secretary of State for Trade and Industry, [1975] AC 295 (341, 350 ff., 364 ) (HL). 237  Ausführlich zu Geschichte und Praxis dieses Instruments Gee, (2006) LMCLQ 181 ff. 238  Smithkline Beecham v Apotex Europe, [2006] 1 WLR 872 (890 ff.) (Ch); näher Gee, (2006) LMCLQ 181 (199 f.).



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Doch gilt die Abgabe der Verpflichtungserklärung nach 25A PD 5.1(1) grundsätzlich als Bedingung für den Erlass der einstweiligen Verfügung, weshalb die Verpflichtungserklärung zugunsten des Antragsgegners regelmäßig impliziert wird.239 Das Gericht kann ferner die Abgabe einer Verpflichtungserklärung fordern, die sich auf potentielle Schäden dritter Personen erstreckt,240 sofern diese von der Verfügung betroffen sind, was insbesondere bei freezing injunctions praktische Bedeutung erlangt.241 Das Gericht hat sicherzustellen, dass das Kompensationsversprechen des Antragstellers eine tatsächliche Sicherheit bietet, d. h. wirtschaftlichen Wert besitzt.242 Obgleich eine Ungleichbehandlung der Parteien auf der Basis ihrer finanziellen Situation nach Möglichkeit vermieden werden soll, stellt die Durchsetzbarkeit der Verpflichtungserklärung einen Faktor bei der Ermessensausübung hinsichtlich der Anordnung der injunction dar.243 Deshalb unterliegt der Antragsteller nach Anordnung einer freezing injunction einer fortwährenden Pflicht, dem Antragsgegner eine deutliche Verschlechterung seiner finanziellen Verhältnisse anzuzeigen. Dem Antragsgegner wird auf diese Weise ermöglicht, ggf. die Aufhebung der Verfügung zu erwirken.244 Bei Zweifeln über die Durchsetzbarkeit der Verpflichtungserklärung kann das Gericht die Stellung einer Sicherheit oder die Hinterlegung eines Betrags bei Gericht verlangen.245 Da die Verpflichtungserklärung gegenüber dem Gericht erklärt wird, hat der Antragsgegner weder einen vertraglichen noch einen deliktischen Anspruch auf Kompensation. Vielmehr stellt eine fehlende Bereitschaft zur Ersatzleistung einen contempt of court dar (hierzu sogleich unter Rn. 80 ff.).246 Im Regelfall verpflichtet sich der Antragsteller, den Antragsgegner so zu kompensieren, wie es das Gericht als angemessen erachtet.247 Die Gerichte 239 

Zuckerman, Civil Procedure, Rn. 10.115; Gee, (2006) LMCLQ 181 (199). PD 5.1A. Gee, (2006) LMCLQ 181 (199 f.), tritt mit beachtlichen Gründen für eine stillschweigende Verpflichtungserklärung bzw. Fiktion zugunsten betroffener Dritter ein. 241 Der betroffene Dritte kann die Aufhebung der Verfügung beantragen, sofern sich der Antragsteller nicht zur ausreichenden Kompensation des Dritten verpflichtet hat, siehe Smithkline Beecham v Apotex Europe, [2006] 1 WLR 872 (890) (Ch). 242  Bei nicht allgemein bekannten Unternehmen können deshalb Dokumente über die finanzielle Lage das Antragstellers verlangt werden, siehe Vapormatic v Sparex, [1976] 1 WLR 939 (940 f.) (Ch). 243  Vgl. einerseits Belize Alliance of Conservation Non-Governmental Organisations v Department of the Environment, [2003] 1 WLR 2839 (PC), Rn. 39; andererseits Allen v Jambo Holdings, [1980] 1 WLR 1252 (1256 f.) (CA). 244  Staines v Walsh, [2003] EWHC 1486 (Ch); Bean/Parry/Burns, Injunctions, Rn. 3–04. 245  Jones v Pacaya Rubber and Produce Co, [1911] 1 KB 455 (459) (CA); Gee, Injunctions, Rn. 11.004; Suen/Cheung, Const. L. J. 23 (2007), 117 (123 f.); Zuckerman, Civil Procedure, Rn. 10.122. 246  Hoffmann-La Roche v Secretary of State for Trade and Industry, [1975] AC 295 (361) (HL); Gee, (2006) LMCLQ 181 (198). 247  25A PD 5.1(1); näher Bean/Parry/Burns, Injunctions, Rn. 6–06 ff. 240  25A

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gewähren in ständiger Praxis dem Antragsgegner Ersatz für die aufgrund der Verfügung erlittenen Schäden, sofern nicht der Schaden unwesentlich ist oder der Antragsgegner es unterlassen hat, den Schaden zu mindern (beispielsweise durch einen frühzeitigen Antrag auf Aufhebung der Verfügung).248 Auf die Quantifizierung des Ersatzanspruchs und die Beweislast finden vertragsrechtliche Grundsätze entsprechende Anwendung.249 Als Auslöser für den Ersatzanspruch kommt nicht allein die Aufhebung der Verfügung in Betracht. Haftungsgrund kann auch das Verschweigen einer offenbarungspflichtigen Tatsache bei Beantragung einer ex parte-Verfügung darstellen250 oder die Tatsache, dass die Rechtsposition des Antragstellers mangels Durchführung eines Hauptsacheverfahrens nicht bestätigt werden konnte.251

4.  Besondere Schutzvorkehrungen bei Erlass einer freezing injunction 78

Anträge auf den Erlass einer freezing injunction werden stets in einem Verfahren ohne Anhörung des Antragsgegners und unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt.252 Die soeben erörterten Schutzvorkehrungen zugunsten des Antragsgegners bei einstweiligen Anordnungen allgemein sowie bei ex parte-Verfahren im Besonderen finden deshalb uneingeschränkt Anwendung. Insbesondere wird der Verpflichtung zur full and frank disclosure eine hohe Bedeutung beigemessen.253 Als Beweismittel sind einfache eidesstattliche Erklärungen nicht ausreichend, vielmehr müssen die Beweise in einem affidavit enthalten sein, d. h. in Stellungnahmen, die vor einem solicitor mittels Eid bekräftigt werden.254 Soweit der Antrag vor Einleitung des Hauptsacheverfahrens gestellt wird, muss sich der Antragsteller zur Klageerhebung verpflichten und verdeutlichen, vor welchen Gerichten dies geschehen soll.255 Die Verpflichtung, das Hauptsacheverfahren baldmöglichst zu initiieren, findet auch dann Anwendung, wenn die Klageerhebung im Ausland erfolgen soll. 248  Hoffmann-La Roche & Co v Secretary of State for Trade and Industry, [1975] AC 295 (361) (HL); Triodos Bank NV v Dobbs, [2005] EWHC 108 (Ch). 249  Hoffmann-La Roche & Co v Secretary of State for Trade and Industry, [1975] AC 295 (361) (HL); Triodos Bank v Dobbs, [2005] EWHC 108 (Ch); Zuckerman, Civil Procedure, Rn. 10.131 ff. m. w. N.; Bean/Parry/Burns, Injunctions, Rn. 6–07 f. Siehe beispielhaft AlRawas v Pegasus Energy, [2008] EWHC 617 (QB). 250  Zuckerman, Civil Procedure, Rn. 10.142 m. w. N. zu aggravated und exemplary damages. 251  Lloyds Bowmaker Ltd v Britannia Arrow Holdings, [1988] 1 WLR 1337 (1350) (CA); Zuckerman, Civil Procedure, Rn. 10.129. 252  Bean/Parry/Burns, Injunctions, Rn. 7–06. 253  Zu Verstößen, die eine Aufhebung der freezing injunction auslösen können, siehe den Rechtsprechungsüberblick in Blackstone’s Civil Practice, Rn. 38.35 ff.. 254  25A PD 3.1. 255  Fourie v Le Roux, [2007] 1 WLR 320 (334) (HL); Blackstone’s Civil Practice, Rn. 38.3; Capper, CJQ 2007, 181 (183 f.).



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Die im Anhang zu 25A PD publizierte Musteranordnung der freezing injunction enthält darüber hinaus spezielle Schutzvorkehrungen in Form besonderer Verpflichtungserklärungen des Antragstellers. Dieser verpflichtet sich: yy zur Sicherung des Kompensationsanspruchs in einer vom Gericht festzusetzenden Höhe ein Bankaval eines in England oder Wales ansässigen Instituts abzuschließen (fakultativ), yy die im Rahmen der freezing injunction gewonnenen Informationen nicht ohne Zustimmung des Gerichts in anderen Gerichtsverfahren zu verwenden, yy die freezing injunction nicht ohne Zustimmung des Gerichts außerhalb von England oder Wales zu vollstrecken, yy dritten Personen, die von der gerichtlichen Anordnung in Kenntnis gesetzt werden, eine Kopie der Anordnung zukommen zu lassen und diese von einer gegebenenfalls erfolgenden Aufhebung der Anordnung zu informieren sowie die diesen Dritten entstandenen Kosten zu ersetzen.

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VIII.  Durchsetzung der Maßnahme 1.  Contempt of Court Die Durchsetzung von Handlungs- und Unterlassungsanordnungen, prozessualen Zwischenverfügungen sowie gegenüber dem Gericht abgegebenen Verpflichtungserklärungen erfolgt durch die Androhung bzw. Verhängung von civil contempt of court.256 Ferner kann das Gericht in geeigneten Fällen eine nachteilige Prozess- oder Kostenfolgen ziehen. Primärer Zweck der möglichen Sanktionen ist die zivilprozessuale Vollstreckung.257 Die Stärkung des Rechtsstaats stellt trotz der nominellen Sanktionierung wegen „Missachtung des Gerichts“ lediglich einen willkommenen Reflex dar.258 Die Feststellung des contempt of court sowie die Verhängung einer Beugemaßnahme erfolgt auf einen Antrag der interessierten Partei, welcher 256  CPR 81.4, zu Verpflichtungserklärungen siehe CPR 81.4(4); Biba v Stratford Investments, [1973] Ch 28 (Ch); Borrie & Lowe, Contempt, Rn. 6.18; Blackstone’s Civil Practice, Rn. 78.19. 257  Ansah v Ansah, [1977] Fam 138 (144) (CA); Blackstone’s Civil Practice, Rn. 78.1. Zur zivilprozessualen Natur des contempt-Verfahrens siehe Daltel Europe Ltd v Makki, [2006] 1 WLR 2704 (2714 ff.) (CA). 258  Nach CPR 81.10 bedarf es grundsätzlich eines Antrags der interessierten Partei. Von Amts wegen ist die Einleitung eines Verfahrens nach CPR 81.2(3) zwar möglich, sollte jedoch grundsätzlich unterbleiben, vgl. Attorney-General v Times Newspapers Ltd, [1974] AC 273 (307 f.) (HL). Ist ein Verfahren bereits eingeleitet, kann ein Wunsch des Antragstellers nach einem Absehen von Strafe berücksichtigt werden, vgl. Borrie & Lowe, Contempt, Rn. 6.73; stärkere Betonung des Strafcharakters des civil contempt bei Crifo, C. J. Q. 2013, 14 (16).

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detaillierte Hinweise auf Zeitpunkt und Art des Verstoßes enthalten muss.259 Das Verfahren bedarf zunächst der Zulassung durch das Gericht.260 Es wird bei Rechtssachen des gewerblichen Rechtsschutzes in der Chancery Division des High Court geführt und setzt eine Anhörung des Betroffenen voraus.261 Die Anordnung einer Beugemaßnahme kommt nur in Betracht, wenn die missachtete Anordnung samt einer deutlich auf ihrer Vorderseite abgedruckten Strafandrohung dem Betroffenen persönlich zugestellt worden ist.262 Die Feststellung des civil contempt setzt einen bewussten Verstoß263 gegen die gerichtliche Anordnung oder die Verpflichtungserklärung voraus; das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit ist nicht erforderlich.264 Obgleich es sich um ein Zivilverfahren handelt, findet das strafprozessuale Beweismaß des proof beyond reasonable doubt Anwendung; die Beweislast trägt der Antragsteller.265 Auch dritte Personen, denen die Verfügung zwar bekannt ist, die in der Verfügung aber weder namentlich genannt noch am Verfügungsverfahren beteiligt waren, können bei Verstoß gegen die injunction mit contempt of court bestraft werden. Voraussetzung ist entweder, dass sie zum contempt of court des Antragsgegners angestiftet oder Beihilfe geleistet haben,266 oder dass sie durch ihre Handlung wissentlich den Gang der Rechtspflege behindert haben. Letzteres ist bspw. der Fall, wenn eine Bank eine freezing injunction unberücksichtigt lässt267 oder eine Person Informationen publiziert, deren Preisgabe an 259 CPR  81.10. Zu den formalen Anforderungen siehe Borrie & Lowe, Contempt, Rn. 6.50; Blackstone’s Civil Practice, Rn. 78.6. 260 Näher Hollander, Evidence, Rn. 11–31 m. w. N. 261  Zu den Details siehe Borrie & Lowe, Contempt, Rn. 6.52. 262  CPR  81.5 ff.; näher Borrie & Lowe, Contempt, Rn. 6.7; Bean/Parry/Burns, Injunctions, Rn. 9–11 ff. Kenntniserlangung des Betroffenen genügt, soweit die persönliche Zustellung der injunction bereits in die Wege geleitet ist. 263  In re A (A Child) (Removal from Jurisdiction: Contempt of Court), [2009] 1 WLR 1482 (1485 ff.) (CA); näher Borrie & Lowe, Contempt, Rn. 6.10 m. w. N. Unbeabsichtigte, zufällige Verstöße ziehen nie die strikten Sanktionen des Bußgelds oder der Haft nach sich, sondern werden durch eine nachteilige Kostenfolge ausreichend sanktioniert. 264  Spectravest v Aperknit, [1988] FSR 161 (173 f.) m. w. N. In geeigneten Fällen kann bei Gericht die Feststellung beantragt werden, dass ein bestimmtes Verhalten die gerichtliche Anordnung nicht verletzt, siehe näher Bean/Parry/Burns, Rn. 9–47. Juristische Personen haften für bewusste Verstöße ihrer Angestellten selbst dann, wenn diese anweisungswidrig erfolgen, vgl. Director General of Fair Trading v Pioneer Concrete (UK), [1995] 1 AC 456 (480 f.) (HL). Organe einer juristischen Person können persönlich Beugemaßnahmen unterworfen werden, sofern sie nicht dafür Sorge tragen, dass die gerichtliche Order oder die Verpflichtungserklärung innerhalb des Unternehmens kommuniziert und kontrolliert wird, siehe AttorneyGeneral for Tuvalu v Philatelic Distribution, [1990] 1 WLR 926 (938) (CA). 265  In re A (A Child) (Removal from Jurisdiction: Contempt of Court), [2009] 1 WLR 1482, Rn. 6 (CA) m. w. N. Nach Raja v Van Hoogstraten, [2004] EWCA Civ 968 (CA), Rn. 91, findet Art. 6 Abs. 3 EMRK Anwendung. 266  Lord Wellesley v Earl of Mornington, 50 ER 785 (787); Seaward v Paterson, [1897] 1 Ch 545 (554 ff.). 267  Z Ltd. v A-Z, [1982] Q. B. 558 (578) (CA). Sofern der Bankkunde von der freezing



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die Öffentlichkeit umstritten und Gegenstand einer gegenüber einer anderen Person erlassenen Unterlassungsverfügung ist.268 Wird das Vorliegen eines contempt of court bejaht, kann das Gericht Ordnungsgeld oder Ordnungshaft verhängen bzw. die Zwangsverwaltung über das Vermögen des Antragsgegners anordnen.269 Für die Ordnungshaft ist eine Höchstfrist von 2 Jahren vorgesehen, wobei eine vorzeitige Aufhebung der Maßnahme jederzeit auf Antrag des Betroffenen möglich ist.270 Das Ordnungsgeld fließt in die Staatskasse und kommt somit nicht dem Gläubiger zugute; insbesondere mindert es bei bestehender freezing injunction den für die Vollstreckung des Endurteils zur Verfügung stehenden Betrag.271 Das Gericht ist jedoch befugt, im Rahmen des contempt-Verfahrens dem Antragsteller „additional damages“ zuzusprechen, sofern der Antragsgegner gegen eine einstweilige Verfügung zur Unterlassung von Schutzrechtsverletzungen verstoßen hat.272 Die Anordnung der Zwangsverwaltung über das Vermögen des Schuldners wird insbesondere bei juristischen sowie bei im Ausland ansässigen Personen gewählt.273

injunction noch nicht in Kenntnis gesetzt wurde, handelt es sich nicht um Beihilfe der Bank zu dessen contempt of court. Die Haftung für Angestellte und Beauftragte ist bei betroffenen Dritten laxer ausgestaltet als beim Antragsgegner selbst, vgl. Z Ltd. v A-Z, [1982] Q. B. 558 (579 ff.) (CA); Gee, Injunctions, Rn. 19.032 f. 268  So genannte spycatcher doctrine nach Attorney-General v Newspaper Publishing, [1988] Ch 333 (380) (CA): „The third party would be liable for contempt, subject to proof of mens rea, not because he is in breach of the order, but because he has prevented the court from conducting the proceedings in accordance with its intention.” Hierzu näher Borrie & Lowe, Contempt, Rn. 6.17. Dritte Parteien können gegen eine Anordnung, die ihnen gegenüber bekannt gegeben wurde, Rechtsmittel einlegen, vgl. CPR  19.2(2) sowie Blackstone’s Civil Practice, Rn. 38.31 und X and Y v The Person or Persons who have offered and/or provided to the publishers of the Mail on Sunday, Mirror and Sun newspapers information about the state of the Claimants’ marriage, [2006] EWHC 2783 (QB), Rn. 11. 269  CPR  81.1(2), 81.20, 81.30. Die Sanktionen können kumulativ angeordnet werden, vgl. Borrie & Lowe, Contempt, Rn. 6.38. Zu den Beurteilungskriterien Gee, Injunctions, Rn. 19.070. Das Drohpotential einer Feststellung von contempt of court wird bezweifelt von Kerly on Trademarks, Rn. 19–098. 270  S. 14(1) Contempt of Court Act 1981; CPR  81.31. Zur Strafzumessung bei einem Verstoß gegen eine freezing injunction siehe Ablyazov v JSC BTA Bank, [2012] EWCA Civ 1411 (CA) mit zahlreichen weiteren Nachweisen. Im konkreten Fall wurde der Antragsgegner zu 22 Monate Haft verurteilt. 271  Siehe den Diskussionsbeitrag von McLachlan in Meessen, Extraterritorial jurisdiction, S. 53. 272  Phonographic Performance v Reader, [2005] FSR 42, Rn. 11 ff. (Ch); Independiente v Music Trading On-line (HK), [2007] FSR 21 (Ch), Rn. 35 ff. 273  Hospital for Sick Children v Walt Disney, [1968] Ch 52 (69) (CA); Andrews, Civil Procedure, Rn. 17.66.

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2.  Striking out a case 84

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Ist das Hauptsacheverfahren in England anhängig, können sich an einen Verstoß gegen eine injunction, gegen eine anderweitige gerichtliche Anordnung oder gegen eine Verpflichtungserklärung gegenüber dem Gericht auch nachteilige Prozessfolgen knüpfen.274 Insbesondere in Fällen, in denen der Betroffene den Anordnungen des Gerichts wiederholt keine Folge leistet, ist es möglich, die Klage oder Verteidigung im Prozess zu streichen (strike out) und den Beklagten von der Verteidigung auszuschließen (debarment from defending). Es ergeht ein Urteil ohne Schlüssigkeitsprüfung, welches je nach Prozessverlauf nicht unbedingt von einem Judge, sondern auch von einem Master erlassen werden kann.275 Auch die Zulassung der Berufung kann bei solchen Verstößen versagt werden.276 In den letzten Jahrzehnten hat sich freilich die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Durchsetzung gerichtlicher Anordnungen keinen Selbstzweck darstellt und jeder Ausschluss prozessualer Rechte nur unter Berücksichtigung des Rechts auf ein faires Verfahren (Art. 6 EMRK) erfolgen kann.277 Für die Abwägung des Gerichts ist entscheidend, ob das Verhalten des Beklagten eine ernstzunehmende Gefahr für einen fairen und gerechten Prozessfortgang, einschließlich der Vollstreckung des letztlich zu erlassenden Urteils bedeutet.278 So kann die Zerstörung oder konsequente Verweigerung der Offenbarung bestimmter Dokumente oder die Nichtbefolgung einer search order Indiz für einen intendierten Prozessbetrug sein, in den sich das Gericht nicht verwickeln lassen muss.279 Gleichfalls vermag die Missachtung einer freezing injunction gegebenenfalls eine Streichung der Verteidigung rechtfertigen, sofern hierdurch die Vollstreckung des letztlich zu erlassenden Urteils in Frage gestellt wird.280 Doch hat das Gericht auch zu berücksichtigen, dass 274  Im Gegensatz zu einer Verurteilung wegen contempt of court findet hierfür nicht das strafrechtliche, sondern das zivilrechtliche Beweismaß Anwendung, siehe Logicrose v Southend United Football Club (No 1), zitiert nach Arrow Nominees v Blackledge, [2001] BCC 591 (599) (CA). 275  Cuniberti, IPRax 2010, 148 (150). 276  CIBC Mellon Trust v Stolzenberg (Sanctions: Non-compliance), [2004] EWCA Civ 827, Rn. 156 ff. (CA); Raja v Van Hoogstraten, [2004] EWCA Civ 968, Rn. 82 (CA). 277  Polanski v Condé Nast Publications, [2005] 1 WLR 637 (641) (HL); Motorola Credit v Uzan (No 2), [2004] 1 WLR 113 (127 ff.) (CA) m. w. N.; Fentiman, Litigation, Rn. 17.32; Gee, Injunctions, Rn. 19.076 ff., 19.080. 278  Hadkinson v Hadkinson, [1952] P 285 (298) (dort findet sich auch ein historischer Überblick); Arrow Nominees v Blackledge, [2001] BCC 591 (640) (CA); Raja v Van Hoogstraten, [2004] EWCA Civ 968, Rn. 112 (CA), jeweils m. w. N. 279  Siehe zur Fälschung von Dokumenten Arrow Nominees v Blackledge, [2001] BCC 591 (640) (CA). 280  Canada Trust v Stolzenberg (No.2) (Mareva Injunction) (Ch) [Westlaw]; Fentiman, Litigation, Rn. 17.36. Voraussetzung ist freilich, dass eine ex parte ergangene freezing injunction nach Anhörung des Antragsgegners bestätigt wurde, siehe Raja v Van Hoogstraten, [2004] EWCA Civ 968, Rn. 113 (CA).



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ihm mit den Beugemaßnahmen wegen contempt of court grundsätzlich effektive Sanktionen zur Verfügung stehen – und dass der Verlust der Hauptsache einen deutlich höheren finanziellen Verlust darstellen kann als der gemeinhin als Ordnungsgeld verhängte Betrag.281 Schließlich gilt der Grundsatz, dass Rechtsmittel gegen die vom Antragsgegner missachtete Anordnung zugelassen werden.282 So hindert etwa die Nichtbefolgung einer freezing injunction den Antragsgegner nicht, gegen die Anordnung der freezing injunction Berufung einzulegen, kann aber zum Ausschluss des contemnor im Hauptsacheverfahren führen. Die Beschränkung der Gehörsrechte einer Partei im Hauptsacheverfahren scheint letztlich besonders dann attraktiv, wenn die Partei weder in England ansässig ist noch über dortiges Vermögen verfügt.283 Für die Gegenseite kann sich dies freilich als Pyrrhussieg herausstellen, da die Anerkennung und Vollstreckung der Entscheidung im Ausland aufgrund der Gehörsverletzung am ordre public des Anerkennungsstaates scheitern kann (näher infra § 16 Rn. 87 ff.).

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IX. Fazit Der einstweilige Rechtsschutz ist im englischen Recht stark richterrechtlich geprägt. CPR  25 und die ergänzende Practice Direction benennen zwar bestimmte, durch die Rechtsprechung entwickelte Verfügungstypen sowie formale Anforderungen an die Antragstellung. Doch handelt es sich bei CPR 25 um eine Kodifikation des bisherigen case law, die einer Weiterentwicklung durch die Judikatur auf Basis der breiten Kompetenz des s. 37 Abs. 1 SCA („all cases in which it appears to be just and convenient to do so”) nicht entgegensteht. Angesichts der durch das case law etablierten breiten richterlichen Befugnisse zur Anordnung von interim injunctions hat der englische Gesetzgeber keine Veranlassung gesehen, im Zuge der Umsetzung der Durchsetzungsrichtlinie in das existierende System der injunctions einzugreifen. Lediglich hinsichtlich der Möglichkeit, die Fortsetzung einer angeblichen Schutzrechts281  Hadkinson v Hadkinson, [1952] P 285 (298); Re Swaptronics Ltd, zitiert nach Arrow Nominees v Blackledge, [2001] BCC 591 (602 f.) (CA). Im Verfahren Canada Trust v Stolzenberg, das Anlass zu der Entscheidung des EuGH v. 02. 04. 2009 – C-394/07 – Slg. 2009, I-2563 (Gambazzi) gab, wurden die Beklagten aufgrund der Missachtung der gegen sie gerichteten freezing injunctions von der Verteidigung in der Hauptsache ausgeschlossen und zur Zahlung von 400 Millionen EUR verurteilt. 282  Motorola Credit v Uzan (No 2), [2004] 1 WLR 113 (128 f.) (CA); Fentiman, Litigation, Rn. 17.37; näher Crifo, C. J. Q. 2013, 14 (17 ff.) m. w. N. 283  Siehe das berüchtigte Verfahren Canada Trust v Stolzenberg (No.2) (Mareva Injunction) [Westlaw], das zu einer Kaskade weltweiter Entscheidungen, inklusive des EuGH und des EGMR geführt hat (näher § 16 Rn. 88 ff.); vgl. ferner Fentiman, Litigation, Rn. 17.31 f.

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verletzung von der Stellung einer Sicherheit abhängig zu machen, wurde in CPR  25.1(1)(p) eine Klarstellung eingefügt. Auch die im englischen Verfahrensrecht bekannten Schutzvorkehrungen zugunsten des Antragsgegners entsprechen den Regelungen in Art. 9 Abs. 4 bis 7 DRL. Die Gerichte zeigen sich ferner bereit, die Rechtsanwendung und Rechtsentwicklung an Vorgaben der Durchsetzungsrichtlinie zu orientieren, wie das Vorabentscheidungsersuchen des High Court in der Rechtssache L’Oréal/eBay zu Unterlassungsanordnungen gegenüber Mittelspersonen belegt. Besonders interessant ist der Vergleich zwischen der englischen freezing injunction samt beigefügter disclosure order und Art. 9 Abs. 2 DRL. Über die Gründe, weshalb die Europäische Kommission die freezing injunction als Vorbild für Art. 9 Abs. 2 DRL genannt hat, lässt sich nur spekulieren. Es mag sein, dass der Ruf der freezing injunction als besonders scharfes prozessuales Schwert zu dieser Referenz geführt hat. Immerhin wurde die freezing injunction aufgrund ihrer einschneidenden Wirkungen vom früheren Master of the Rolls, Lord Donaldson, als eine der zwei Nuklearwaffen des englischen Zivilverfahrensrechts gewürdigt,284 und der US-amerikanische Supreme Court hat die Übernahme dieser Rechtsfigur in das amerikanische Recht aufgrund ihrer drakonischen Natur abgelehnt.285 Die durch die beigefügte disclosure order begründete Verpflichtung des Antragsgegners, bereits vor Feststellung einer Rechtsverletzung Auskunft über seine Vermögensverhältnisse zu erteilen, trägt zur besonderen Schlagkraft der freezing injunction bei. An der „Nachahmung“ in Art. 9 Abs. 2 DRL überrascht die vollkommen anderweitige Ausgestaltung. Aus dem mit der freezing injunction ausgesprochenen Verfügungsverbot wird eine Beschlagnahme des Vermögens des Antragsgegners; aus der Auskunftspflicht des Antragsgegners über sein Vermögen eine Pflicht zur Vorlage von Dokumenten mit Vermögensbezug. Die hohen Schutzvorkehrungen, unter denen eine freezing injunction erlassen wird, werden im Richtlinientext nicht reflektiert. Die Richtlinie enthält keine Vorgaben zur full and frank disclosure durch den Antragsteller, zur Verwendungsbeschränkung der erlangten Informationen oder zu Vorkehrungen, welche dem Antragsgegner die Aufrechterhaltung seines üblichen Geschäftsbetriebs und seiner normalen Lebenshaltung ermöglichen sollen. Ob sich diese Emanzipation vom Vorbild der freezing injunction auf fundierte Erwägungen stützt oder lediglich fehlender redaktioneller Umsicht zuzuschreiben ist, bleibt offen. Sicher ist, dass Art. 9 Abs. 2 DRL in den Umsetzungsbestimmungen der Mitgliedstaaten und in der Rechtsprechung des EuGH eine erhebliche Ei-

284  285 

Bank Mellat v Nikpour, [1985] FSR 87 (92) (CA). Grupo Mexicano v. Alliance Bond Fund, 527 U. S. 308 (1999).



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gendynamik entwickeln dürfte, die gegebenenfalls auch das englische Recht zu einer Anpassung zwingen könnte.286

C.  Bewahrung des Status Quo im deutschen Recht Vor Umsetzung der Durchsetzungsrichtlinie gelangte der deutsche Gesetzgeber mit Blick auf Art. 9 DRL zu einem ähnlichen Befund wie sein englisches Pendant und erachtete die Ziele des Art. 9 DRL als weitgehend durch die allgemeinen Bestimmungen des zivilprozessualen einstweiligen Rechtsschutzes verwirklicht. Ein Umsetzungsbedarf wurde lediglich erkannt hinsichtlich des in Art. 9 Abs. 2 S. 2 DRL vorgesehenen Zugangs zu Unterlagen, die Hinweise auf das Vermögen des Antragsgegners vermitteln können.

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I.  Unterlassungsanordnung, Stellung einer Sicherheit und Sicherstellung verdächtigen Materials Die Befugnis zum Erlass der in Art. 9 Abs. 1 DRL genannten Maßnahmen der Unterlassungsanordnung, der Fortsetzungserlaubnis unter Vorbehalt des Stellen einer Sicherheit sowie der Beschlagnahme verdächtiger Waren steht deutschen Gerichten jeweils im Wege der Unterlassungs- bzw. Sicherungsverfügung gem. §§ 935, 940 ZPO zu. Voraussetzung ist die Glaubhaftmachung eines Verfügungsanspruchs sowie eines Verfügungsgrunds, d. h. auch hier erfolgen eine materiellrechtliche Beurteilung und eine Abwägung der Parteiinteressen. In der Praxis ergeben sich je nach Schutzrechtsart erhebliche Divergenzen.

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1.  Die Bedeutung der materiellen Rechtslage: der Verfügungsanspruch Im Gegensatz zum englischen Recht besteht hinsichtlich der Bedeutung der materiellen Rechtslage im deutschen Recht kein Zweifel: Der Erlass einer einstweiligen Verfügung setzt die Glaubhaftmachung eines Verfügungsanspruchs voraus. Hierbei kommen dem Antragsteller Erleichterungen beim Beweis der tatsächlichen Voraussetzungen des Verfügungsanspruchs zugute; eine Erleichterung der rechtlichen Darlegungslast erfolgt hingegen nicht.287 Allein soweit eine Klärung besonders schwieriger Rechtsfragen erforderlich wäre, wird teilweise vertreten, das Gericht könne sich mit einer summarischen Schlüssig286 

A. A. Aplin/Davis, IP Law, Rn. 15.4.5: Die Vorgaben der Durchsetzungsrichtlinie seien „entirely compatible“ mit der englischen freezing order. 287  Grunsky in Stein/Jonas, ZPO, § 935 Rn. 6 m. w. N.; Drescher in MüKo ZPO, § 935 Rn. 12 m. w. N.; a. A. Leipold, ZZP 90 (1977), 258 (266 ff.).

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§ 4  Einstweilige Maßnahmen zur Sicherung des Status Quo

keitsprüfung begnügen.288 Den Verfügungsanspruch für Unterlassungsverfügungen bzw. Verfügungen zur Sicherstellung verdächtigen Materials bilden die Unterlassungs- bzw. Vernichtungsansprüche der immaterialgüterrechtlichen Spezialgesetze.289 Der Antragsteller hat jeweils den Rechtsbestand des Schutzrechts als auch den Verletzungstatbestand darzulegen. Der Rechtsbestand geprüfter Schutzrechte folgt hierbei ohne weiteres aus der Bindungswirkung der Verletzungsgerichte an die Schutzrechtserteilung. Wird der Verfügungsanspruch hingegen auf ein ungeprüftes Schutzrecht, etwa ein Geschmacks- oder Gebrauchsmuster gestützt, bedarf es einer detaillierten Darlegung und Glaubhaftmachung der Schutzfähigkeit.290 Weitere Unterschiede ergeben sich hinsichtlich der summarischen Prüfung des Verletzungstatbestands. In Marken- und Geschmacksmustersachen liegt der Schwerpunkt dieser Prüfung auf rechtlichen Fragen, die vom Gericht auch im Rahmen eines Eilverfahrens grundsätzlich zu beantworten sind. In den technisch oft hoch komplexen patent- oder gebrauchsmusterrechtlichen Verfahren setzt die Ermittlung des Sachverhalts durch das selbst nicht fachkundige Gericht regelmäßig eingehenden beidseitigen Parteivortrag sowie die Einholung eines Sachverständigengutachtens voraus, weshalb die Glaubhaftmachung des Verletzungstatbestands in dem durch das Eilverfahren vorgegebenen Rahmen meist schwierig ist.291

288  Grunsky in Stein/Jonas, ZPO, § 935 Rn. 6, Rn. 10 m. w. N.; dagegen Drescher in MüKo ZPO, § 935 Rn. 12 m. w. N. Für eine allgemeine Abwägung der Wahrscheinlichkeit des behaupteten Anspruchs und der Dringlichkeit der beantragten Maßnahme Vollkommer in Zöller, § 922 ZPO Rn. 6 m. w. N. 289  §§ 139, 140a PatG, §§ 24, 24a GebrMG, §§ 15, 18 MarkenG, § 43 DesignG. Das freie Ermessen des Gerichts gemäß § 938 ZPO umfasst auch das gegenüber der Unterlassungsverfügung mildere Mittel der Anordnung einer Sicherheitsleistung, vgl. Amschewitz, DRL, S. 276; Oldekop in Schramm, Patentverletzungsprozess, Kap. 11 Rn. 20. Zu Beschlagnahmebzw. Herausgabeverfügungen siehe OLG Hamburg v.  11. 02. 1999  – 3 U 184/98  – NJWEWettbR 2000, 19; OLG Karlsruhe v.  02. 04. 2002  – 6 W 24/02  – GRUR-RR 2002, 278 f. (DVD-Player); OLG Frankfurt v. 30. 12. 2002 – 6 W 108/02 – GRUR-RR 2003, 96 (Uhrennachbildungen); Knaak, GRUR Int. 2004, 745 (749); Spindler/Weber, ZUM 2007, 257 (265); Amschewitz, DRL, S. 280; Rogge/Grabinski in Benkard, § 140a PatG Rn. 10. Die Sicherung der Vernichtungsansprüche erfolgt durch Herausgabe zur Verwahrung an einen Gerichtsvollzieher bzw., sofern eine Verwaltung der angeblich schutzrechtsverletzenden Waren erforderlich ist, an einen Sequester (§ 938 Abs. 2 ZPO). 290  OLG Braunschweig v.  22. 03. 1993  – 2 W 11/93  – GRUR 1993, 669 f. (Stoffmuster); OLG Düsseldorf v.  08. 12. 2011  – 2 U 79/11  – GRUR-Prax 2012, 222; Rogge/Grabinski in Benkard, § 139 PatG Rn. 152 m. w. N. 291  Böhler, GRUR 2011, 965 (967); Kühnen, HdB PatV, Rn. 1738; Rogge/Grabinski in Benkard, PatG, § 139 Rn. 151; Kraßer, PatF, § 36 IX, jeweils m. w. N. Etwas ältere Zahlenangaben finden sich bei v.  Falck, Mitt 2002, 429: Immerhin Erfolgquote von über 50 %. Zugunsten der Schutzrechtsinhaber wirkt sich der zunehmende technische Sachverstand der mit Patent- und Gebrauchsmustersachen befassten, spezialisierten Kammern und Senate aus, vgl. Böhler, a. a. O., 965.



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2.  Die Abwägung der Parteiinteressen: der Verfügungsgrund a)  Keine Vermutung für das Bestehen eines Verfügungsgrundes Neben der materiellen Rechtslage spielt für den Erlass einer Unterlassungsverfügung auch im deutschen Recht die Abwägung der Parteiinteressen eine bedeutende Rolle.292 Eine einstweilige Verfügung wird grundsätzlich nur erlassen, sofern eine objektive Gefahr besteht, dass durch eine bereits erfolgte oder drohende Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung des Anspruchs vereitelt oder erschwert werden könnte (Eilbedürftigkeit). Da der Schutzrechtsinhaber mit der Unterlassung der behaupteten Schutzrechtsverletzung eine vorläufige Befriedigung des Verfügungsanspruchs begehrt, hat der Antragsteller ferner schlüssig darzulegen, dass sein Interesse an der Durchsetzung seiner Rechtsposition das Interesse des Antragsgegners an der Fortführung dessen eventuell berechtigter wirtschaftlicher Betätigung überwiegt.293 Auch hinsichtlich des Verfügungsgrundes lassen sich Divergenzen zwischen den einzelnen Arten gewerblicher Schutzrechte identifizieren. Nach früher herrschender Auffassung fand in Markensachen § 12 Abs. 2 UWG analoge Anwendung, mit der für den Antragsteller günstigen Folge, dass das Bestehen eines Verfügungsgrunds, einschließlich einer Interessenabwägung zugunsten des Antragstellers, widerleglich vermutet wurde.294 Die Berechtigung einer solchen Analogie wird mangels Vorliegens einer Regelungslücke zunehmend bezweifelt;295 die Rechtsprechung der Obergerichte ist ob dieser Frage gespalten.296 Für das Patent-, Geschmacksmuster- und Gebrauchsmusterrecht wird eine Analogie zu § 12 Abs. 2 UWG nach ganz überwiegender Meinung abgelehnt.297 Richtigerweise dürfte auch in Markensachen angesichts feh292 Zu divergierenden Anforderungen an die Glaubhaftmachung des Verfügungsanspruchs je nach Interessenlage der Parteien siehe Grunsky in Stein/Jonas, ZPO, § 935 Rn. 9 m. w. N. 293  Meier-Beck, GRUR 1999, 379; Holzapfel, GRUR 2003, 287 (290). 294  Nachweise bei Ingerl/Rohnke, MarkenG, Vor §§ 14–19d Rn. 194 f.; Singer in Ahrens, WettbewProz, Kap. 45 Rn. 66 f. 295  Köhler in Köhler/Bornkamm, § 12 UWG Rn. 3.14; Teplitzky, WettbewerbsR, Kap. 54 Rn. 20d m. w. N. 296  Eine Analogie befürwortend: KG v. 04. 04. 2008 – 5 W 51/08 – MarkenR 2008, 219 (220); OLG Stuttgart v. 21. 02. 2002 – 2 U 206/01 – GRUR-RR 2002, 381 (383); OLG Nürnberg v.  27. 11. 2001  – 3 U 3017/01  – GRUR 2002, 98 (99) (NIKE-Sportschuhe); OLG Köln 12. 01. 2001  – 6 U 98/00  – GRUR 2001, 424 (425); eine Analogie ablehnend: OLG Düsseldorf v.  07. 06. 2011  – I-20 U 1/11  – GRUR-RR 2012, 146 (147) (E-Sky); OLG Hamburg, 16. 11. 2009  – 3 W 120/09  – GRUR-RR 2010, 201 (Springender Pudel); OLG München, 24. 8. 2006 – 6 U 4455/05 – GRUR 2007, 174 (Wettenvermittlung); OLG Frankfurt 9. 8. 2002 – 6 W 103/02 – GRUR 2002, 1096. 297  Für das Patentrecht: OLG Düsseldorf 21. 10. 1982 – 2 U 67/82 – GRUR 1983, 79 (80); OLG Düsseldorf v. 22. 12. 1993 – 2 W 97/93 – GRUR 1994, 508 f. (Dringlichkeit); v. Falck, Mitt. 2002, 429 (431); Köhler in Köhler/Bornkamm, § 12 UWG Rn. 3.14; a. A. OLG Karls-

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lender Regelungslücke und mangelnder Vergleichbarkeit der Interessenlage kein Raum für eine Analogie bestehen.298 In der Praxis werden freilich an die Darlegung der Dringlichkeit in Markensachen keine hohen Anforderungen gestellt, sondern die von jeder Markenverletzung ausgehende Gefährdung der geschützten Marke als ausreichend erachtet, um ein berechtigtes Interesse des Markeninhabers an der sofortigen Unterbindung der Schutzrechtsverletzung zu bejahen.299 In Patentsachen kommt der Abwägung der Parteiinteressen eine höhere Bedeutung zu, insbesondere, sofern der Antragsgegner den Bestand des Patents angegriffen hat oder dies beabsichtigt.

b)  Fehlende Dringlichkeit wegen Zeitablauf 97

Angesichts der in Deutschland grundsätzlich zügig voranschreitenden erstinstanzlichen Verfahren wird die Eilbedürftigkeit einer einstweiligen Verfügung verneint, sofern der Rechtsinhaber das verletzende Verhalten in Kenntnis der maßgeblichen Umstände über längere Zeit hinnimmt.300 Starre Fristen existieren zwar grundsätzlich nicht, doch ist nach der Rechtsprechung einiger Obergerichte ein Zuwarten von mehr als einem Monat bereits als bedenklich anzusehen.301 Ist vor Stellung des Verfügungsantrags eine Untersuchung der angeblich schutzrechtsverletzenden Ware oder die Beschaffung von Glaubhaftmachungsmitteln, z. B. eines Sachverständigengutachtens, erforderlich, steht dies der Dringlichkeit nicht entgegen, doch muss der Verletzte hierbei mit der gebotenen Eile vorgehen.302 Auch das ruhe v. 25. 11. 1981 – 6 U 190/81 – GRUR 1982, 169 (171) (Einhebel-Mischarmatur). Für das Geschmacksmusterrecht: OLG Düsseldorf v. 08. 07. 2008 – I-20 U 43/08 – GRUR-RR 2009, 142 (144) (Crocs); OLG Hamm v. 02. 06. 1992 – 4 U 74/92 – NJW-RR 1993, 366 (367); siehe allgemein Teplitzky, Kap. 54 Rn. 20b, 20e m. w. N. 298 Ausführlich Tepliztky, WRP 2005, 654 (659  ff.); ders., WettbewerbsR, Kap. 54 Rn. 20 ff. m. w. N. 299  OLG Frankfurt v. 09. 08. 2002 – 6 W 103/02 – GRUR-RR 2002, 1096 (Dringlichkeit im Markenrechtsstreit); vgl. ferner die Kommentierung bei Teplitzky, WettbewerbsR, Kap. 54 Rn. 22 ff.; Fezer, MarkenR, § 14 MarkenG Rn. 1081 ff. 300 In Nuancen umstritten ist, in welchem Umfang dem Rechteinhaber Marktbeobachtungspflichten auferlegt werden können und – damit korrespondierend – ob (aus Indizien ableitbare) positive Kenntnis des Rechteinhabers erforderlich ist oder seine grobfahrlässige Unkenntnis genügt. Näher Hirsch in Fezer, HdB Markenpraxis, Bd. I Kap. 4 Rn. 365 f.; Teplitzky, WettbewerbsR, Kap. 54 Rn. 28 ff., jeweils m. w. N. 301  OLG München v.  22. 04. 2008  – 29 W 1211/08  – GRUR-RR 2008, 310 (312) (Jackpot-Werbung); OLG Nürnberg v. 13. 11. 2001 – 3 U 3189/01 – MDR 2002, 533 (534); OLG Karlsruhe v. 25. 04. 2007 – 6 U 43/07 – WRP 2007, 822 (823); OLG Hamm v. 14. 07. 2009 – 4 U 86/09 – MMR 2009, 628 (Internetvertrieb von Bundesligakarten). Nachweise zu weiterer Rechtsprechung bei Hirsch in Fezer, HdB Markenpraxis, Bd. I Kap. 4 Rn. 367. 302  OLG München v. 24. 09. 1992 – 29 U 3969/92 – NJW-RR 1993, 227 f. (Fahrpreiserstattung); OLG Hamburg, 03. 09. 1987 – 3 U 83/87 – GRUR 1987, 899 (Verbandsmaterial); LG Düsseldorf v. 05. 02. 1980 – 4 O 286/79 – GRUR 1980, 989 (993) (Sulfaveridin); Ingerl/Rohnke, MarkenG, Vor §§ 14–19d Rn. 201. Entscheidet sich der Schutzrechtsinhaber, mit dem Verfügungsantrag abzuwarten, bis das Patent im Einspruchsverfahren aufrechterhalten worden



C.  Bewahrung des Status Quo im deutschen Recht

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zögerliche Betreiben des Verfügungsverfahrens kann gegen die Dringlichkeit der Verfügung sprechen.303 Da der Antragsteller in Markensachen meist über die Möglichkeit verfügt, den Verfügungsantrag vor mehreren konkurrierenden deutschen Gerichtsständen zu stellen,304 wird ferner diskutiert, inwieweit ein vom Antragsteller betriebenes forum shopping dem Erlass einer einstweiligen Verfügung entgegensteht. Breite Möglichkeiten des forum shopping sind vor allem deshalb bedenklich, weil im einstweiligen Rechtsschutz mangels einer Revision zum BGH keine Rechtseinheit zwischen der Rechtsprechung der verschiedenen Obergerichten hergestellt werden kann. Sofern der Verfügungsantrag bereits von einem Gericht abschlägig beschieden wurde und der Antragsteller den Antrag erneut bei einem anderen Gericht stellt, anstatt ein Rechtsmittel gegen die erste Entscheidung einzulegen, entfällt nach herrschender Auffassung die Dringlichkeit305 oder das Rechtsschutzbedürfnis306 für den Antrag; teils steht dem zweiten Antrag auch die Rechtskraft der Erstentscheidung entgegen.307 Eine Rücknahme des Antrags auf Hinweis des Gerichts, dass es nicht im Sinne des Antragstellers zu entscheiden beabsichtige, führt nach einer im Vordringen

ist, hindert dies die Dringlichkeit ebenfalls nicht, vgl. OLG Düsseldorf v. 13. 11. 2008 – I-2 U 35/08 – InstGE 10, 124 (125) (Inhalator). 303  OLG Hamm v. 31. 8. 2006 – 4 U 124/06 – GRUR 2007, 173 (174) (interoptik.de); OLG Düsseldorf v.  15. 07. 2002  – 20 U 74/02  – GRUR-RR 2003, 31 (Taxi Duisburg); Teplitzky, WettbewerbsR, Kapt. 54 Rn. 24. 304  Bei Streitigkeiten zur Durchsetzung gewerblicher Schutzrechte kann sich der Antragsteller regelmäßig auf den fliegenden Gerichtsstand des § 32 ZPO (oder Art. 7 Nr. 2 EuGVO (2012)) stützen und seinen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vor jeder der spezialisierten Zivilkammern erheben, soweit die Schutzrechtsverletzungen über die ganzen Republik verteilt erfolgt sind. Einschränkungen des fliegenden Gerichtsstands durch das Gesetz gegen unseriöse Geschäftspraktiken, BGBl. 2013, I-3714, betreffen das Urheberrecht (§ 104a Abs. 1 UrhG). Hinsichtlich gewerblicher Schutzrechte erging lediglich ein Prüfauftrag des Bundestags an die Bundesregierung. Gelegentliche Versuche unterinstanzlicher Gerichte, Anträge mit geringem Bezug zum Gerichtsort unter Hinweis auf einen vorliegenden Rechtsmissbrauch für unzulässig zu erklären, haben sich nicht durchsetzen können (als Beispiel siehe AG Frankfurt v. 13. 2. 2009 – 32 C 2323/08 – MMR 2009, 490 (491) m. w. N.). 305  OLG Karlsruhe v. 12. 11. 1992 – 4 U 144/92 – GRUR 1993, 135 (Neuer Verfügungsantrag); OLG Frankfurt v. 14. 7. 2005 – 16 U 23/05 – GRUR 2005, 972 (Forum Shopping); OLG Hamburg v. 06.12 2006 – 5 U 67/06 – GRUR 2007, 614 f. (Forum Shopping); Ahrens in Ahrens, WettbewProz, Kap. 55 Rn. 20; kritisch Danckwerts, GRUR 2008, 763 (767): Ein per Telefax eingereichter Eilantrag bei einer anderen Wettbewerbskammer dürfte schneller zum Erfolg führen als eine Beschwerde beim OLG, dem die Akten auf dem Dienstweg zuzuleiten sind. 306  OLG München v. 27. 12. 2010 – 6 U 4816/10 – WRP 2011, 364 (365 f.) (LIGA Total!); Teplitzky, WettbewerbsR, Kap. 54 Rn. 24b. 307  Zur Bedeutung der Rechtskraft für Ablehnungsentscheidungen im einstweiligen Verfahren siehe Stürner, ZZP 2012, 3 (7 ff.) m. w. N.; Ahrens in Ahrens, WettbewProz, Kap. 55 Rn. 17 ff.;

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befindlichen Auffassung zum gleichen Resultat.308 Problematisch ist, dass Zweitgericht und Antragsgegner in der Praxis meist nichts von dem erfolglosen Erstverfahren erfahren. Forderungen, der Antragsteller müsse glaubhaft machen, dass er denselben Antrag nicht bereits zuvor bei einem anderen Gericht gestellt habe,309 ist der Gesetzgeber bislang nicht gefolgt. Im Hinblick auf eine andere Form des forum shopping wird erwogen, laxere Maßstäbe an die Bejahung der Eilbedürftigkeit anzuwenden: Ist zwischen den Parteien bereits in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union ein Rechtsstreit anhängig, in dessen Rahmen der Antragsgegner des deutschen einstweiligen Verfügungsverfahrens die Feststellung der Nichtverletzung des Schutzrechts begehrt, so sperrt diese negative Feststellungsklage nach der „Kernpunkte“-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine spätere Leistungsklage. Die Erhebung einer negativen Feststellungsklage vor einem bekannt langsamen Gericht hat somit das Potential, effektiven Rechtsschutz für den Schutzrechtsinhaber zu torpedieren (näher § 12 Rn. 18 ff.). Lässt die anhängige negative Feststellungsklage trotz der Möglichkeit einer Widerklage auf Leistung nach Art. 8 Nr. 3 EuGVO (2012) eine deutliche Verzögerung der Durchsetzung des Schutzrechts befürchten, kann der Erlass einer einstweiligen Verfügung gegebenenfalls als dringlich eingestuft werden, obgleich dies nach gängiger Rechtsprechung angesichts der schnellen deutschen Hauptsacheverfahren zu verneinen wäre.310 Nicht ausreichend ist hierbei der pauschale Verweis auf die Langsamkeit der ausländischen Justiz, vielmehr ist die konkrete Gefahr einer langfristigen oder dauerhaften Vereitelung der Schutzrechtsdurchsetzung glaubhaft zu machen.311 Schließlich können bei einem Antrag auf Sicherung der immaterialgüterrechtlichen Vernichtungsansprüche durch Herausgabe des angeblich rechtsverletzenden Materials an einen Gerichtsvollzieher oder Sequester gegebenenfalls

308 

OLG Frankfurt v. 14. 7. 2005 – 16 U 23/05 – GRUR 2005, 972 (Forum Shopping); OLG Hamburg v. 06.12 2006 – 5 U 67/06 – GRUR 2007, 614 f. (Forum Shopping); OLG München v. 27. 12. 2010 – 6 U 4816/10 – WRP 2011, 364 (365 f.) (LIGA Total!); Teplitzky, WettbewerbsR, Kap. 54 Rn. 24 b.; Köhler in Köhler/Bornkamm, § 12 UWG Rn. 3.16a m. w. N.; verneinend für eine Rücknahme vor der mündlichen Verhandlung OLG Düsseldorf v. 13. 04. 2006 – U (Kart) 23/05 – GRUR 2006, 782 (785) (Lottofonds); Singer in Ahrens, WettbewProz, Kap. 45 Rn. 50; Kühnen, HdB PatV, Rn. 1822; allgemein verneinend Singer in Ahrens, WettbewProz, Kap. 45 Rn. 50 m. w. N. 309  BMI, Bericht der Kommission für das Zivilprozessrecht, 1977, S. 217, 292; Danckwerts, GRUR 2008, 763 (767); Ahrens in Ahrens, WettbewProz, Kap. 55 Rn. 20. 310  LG Düsseldorf v.  08. 07. 1999  – 4 O 187/99  – GRUR 2000, 692 (697) (NMR-Kontrastmittel); LG Düsseldorf v.  24. 09. 2001  – 4a O 162/01  – GRUR Int. 2002, 157 (161 ff.) (HIV-Immunoassay); LG Hamburg v.  22. 04. 2002  – 315 O 64/02  – GRUR Int. 2002, 1025 (1028) (Seifenverpackung). 311  LG Düsseldorf v. 08. 07. 1999 – 4 O 187/99 – GRUR- 2000, 692 (697) (NMR-Kontrastmittel); Kropholler/v. Hein, EuZPR, Art. 27 EuGVO Rn. 11; Grothe, IPRax 2004, 83 (89).



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großzügigere Maßstäbe an den Zeitablauf seit Kenntniserlangung angelegt werden, sofern angesichts der Umstände des konkreten Einzelfalls ein solcher Antrag erst sinnvoll und erfolgversprechend war, nachdem das Gericht im Laufe des Verletzungsverfahrens Gelegenheit hatte, die Sach- und Rechtslage weitgehend zu klären.312

c)  Abwägung weiterer Faktoren Die Abwägung, ob das Interesse des Antragstellers an der Durchsetzung seiner Rechtsposition das Interesse des Antragsgegners an der Fortführung dessen eventuell berechtigter wirtschaftlicher Betätigung überwiegt, steht im Patentrecht maßgeblich im Zeichen der Zweifel am Rechtsbestand des Verfügungspatents. Einigkeit besteht dahingehend, dass ein Verfügungsgrund zu verneinen ist, wenn die Zweifel an der Gültigkeit des Patents die Aussetzung des Hauptsacheverfahrens nach § 148 ZPO rechtfertigen würde, d. h. sofern eine relativ hohe Erfolgsaussicht einer Bestandsklage besteht.313 Darüber hinausgehend erachtet das OLG Düsseldorf bereits die Möglichkeit der Vernichtung des Patents als ausreichend und geht prinzipiell erst nach erfolgtem erstinstanzlichem Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren von einem hinreichend gesicherten Rechtsbestand aus.314 Voraussetzung ist selbstredend, dass gegen das Patent ein Nichtigkeits- oder Einspruchsverfahren anhängig ist oder zumindest zweifelsfrei absehbar ist, dass der Bestand des Schutzrechts innerhalb angemessener Zeit angegriffen werden wird.315 Entscheidend ist, ob dem Antragsgegner ein Angriff auf den Bestand des Schutzrechts im Zeitraum zwischen seiner Kenntnis vom Verfügungsantrag und der mündlichen Verhandlung in Anbetracht der Komplexität der Materie zumutbar war. In Markenverletzungsverfahren ist der Angriff auf den Bestand des Schutzrechts eine deutlich seltenere Verteidigungsstrategie als in Patentverletzungs312 Näher

v.der Osten/Pross in FS Meibom, S. 492. OLG Frankfurt v. 13. 08. 1981 – 6 U 83/81 – GRUR 1981, 905 (907) (Schleifwerkzeug); OLG Hamburg v. 29. 09. 1983 – 3 U 134/83 – GRUR 1984, 105 (106) (Früchteschneidemaschine); OLG Karlsruhe v. 08. 07. 2009 – 6 U 61/09 (Vorläufiger Rechtsschutz); OLG München v.  26. 06. 2008  – 6 U 5592/07  – InstGE 10, 127 (128) (negativer Zwischenbescheid); OLG Braunschweig v. 21. 12. 2011 – 2 U 61/11 – GRUR-RR 2012, 97 (98) (Scharniere auf Hannovermesse); Kraßer, PatR, § 36 IX 2. Von Bedeutung für die Aussetzungsentscheidung kann auch der Zeitpunkt der Erhebung der Nichtigkeitsklage sein, vgl. BGH v. 28. 09. 2011 – X ZR 68/10 – GRUR 2012, 93 (94) (Klimaschrank). Zu einstweiligen Verfügungen in Gebrauchsmustersachen siehe v. Falck, Mitt 2002, 429 (433). 314  OLG Düsseldorf v. 29. 05. 2008 – 2 W 47/07 – GRUR-RR 2008, 329 (331) (Olanzipin); OLG Düsseldorf v. 29. 04. 2010 – I-2 U 126/09 – InstGE 12, 114 (118 ff.) (Harnkatheterset); zu Ausnahmefällen siehe Kühnen, HdB PatV, Rn. 1747 m. w. N.; kritisch Böhler, GRUR 2011, 965 (969). 315  OLG Düsseldorf v. 29. 04. 2010 – I-2 U 126/09 – InstGE 12, 114 (119 f.) (Harnkatheterset); OLG Düsseldorf v. 30. 09. 2010 – I-2 U 47/10 – GRUR-RR 2011, 81 (82 f.) (Gleitsattelscheibenbremse II); Rechtsprechungsüberblick bei Böhler, GRUR 2011, 965 (968). 313 

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§ 4  Einstweilige Maßnahmen zur Sicherung des Status Quo

verfahren, gleichzeitig ist die Beurteilung der Schutzfähigkeit einer Marke von deutlich geringerer Komplexität. Die Rechtsprechung verneint deshalb das Vorliegen eines Verfügungsgrundes nur in jenen Fällen, in denen eine hohe Wahrscheinlichkeit für die Löschung der Marke besteht.316 Weitere Faktoren, die der Abwägung der beiderseitigen Interessen eine Rolle spielen können, sind die (beidseitig) betroffenen Marktanteile, die Möglichkeiten des Antragsgegners, auf andere Gegenstände und Produktionsweisen auszuweichen, sowie die Realisierungschancen von Schadensersatzansprüchen aufgrund der Schutzrechtsverletzung einerseits und aufgrund § 945 ZPO andererseits.317 So mag die Durchsetzung eines Schadensersatzanspruchs gegenüber ausländischen Unternehmen, die auf einer Messe ausstellen, fraglich erscheinen und eine Unterlassungsverfügung eher rechtfertigen,318 während ein Schutzrechtsinhaber, der das Schutzrecht ohnehin nur durch Lizenzvergabe verwertet, zumindest prinzipiell auf einen Schadensersatzanspruch verwiesen werden kann.319 Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Verfügbarkeit einstweiliger Unterlassungsanordnungen je nach Schutzrecht stark divergiert. Während eine einstweilige Verfügung in Markensachen leicht zu erlangen ist, sind einstweilige Verfügungen in Patentverletzungssachen angesichts der technischen und rechtlichen Komplexität eher selten, wenn sich auch vor dem Hintergrund der Durchsetzungsrichtlinie eine gewisse steigende Tendenz konstatieren lässt.320

3.  Anordnungen gegenüber Unbekannt 105

Anders als das englische Recht sieht das deutsche Verfahrensrecht einstweilige Verfügungen gegenüber unbekannten Personen nicht vor.

316  OLG Hamburg v. 21. 06. 2007 – 3 U 252/06 – GRUR-RR 2008, 293 (294) (Rotkoffer); OLG Frankfurt v.  15. 10. 2009  – 6 U 106/09  – BeckRS 2009, 88691 (Princess-Schliff); OLG Düsseldorf v. 13. 11. 2001 – 20 U 114/01 – GRUR-RR 2002, 212 (TopTicket); a. A. OLG Köln v. 18. 03. 2005 – 6 U 203/04 – GRUR 2005, 1070 (Instanzenfortschritt): eingeleitetes Bestandsverfahren unerheblich für das Verfügungsverfahren; sehr restriktiv auch Ingerl/Rohnke, MarkenG, Vor §§ 14–19d Rn. 209. 317  Rogge/Grabinski in Benkard, § 139 PatG Rn. 152 ff.; Meier-Beck, GRUR 1999, 379 ff.; Holzapfel, GRUR 2003, 287 (290); Ohly, GRUR Int. 2008, 787 (797). 318  Harguth/Carlson, Patents, S. 166. Allerdings ist zu beachten, dass sich aus dem Ausstellen eines Produkts auf einer Messe noch keine Vermutung für ein Anbieten des Produkts im Inland ableiten lässt, siehe BGH v. 22. 4. 2010 – I ZR 17/05 – GRUR 2010, 1103 (1104 f.) (Pralinenform II); LG Mannheim v. 29. 10. 2010 – 7 O 214/10 – GRUR 2011, 83 (84) (Sauggreifer). 319  OLG Karlsruhe v. 08. 07. 2009 – 6 U 61/09 – GRUR-RR 2009, 442 (443) (Vorläufiger Rechtsschutz); LG Düsseldorf v. 08. 07. 1999 – 4 O 187/99 – GRUR 2000, 692 (697) (NMRKontrastmittel); Osterrieth, GRUR 2009, 540 (544). 320  Böhler, GRUR 2011, 965 (966).



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4.  Maßnahmen gegenüber Mittelspersonen a)  Mittelspersonen, die keinen Dienst der Informationsgesellschaft betreiben Soweit Art. 9 Abs. 1 lit. a DRL die Anordnung von Maßnahmen gegen Mittelspersonen fordert, die nicht ohnehin Täter oder Teilnehmer der Schutzrechtsverletzung sind, hängt die Verfügbarkeit vorläufigen Rechtsschutzes im deutschen Recht davon ab, ob ein Verfügungsanspruch aus den Grundsätzen der Störerhaftung abgeleitet werden kann. In diesem Kontext bedarf es des Hinweises, dass die deutsche Rechtsprechung den Kreis der fahrlässigen Schutzrechtsverletzer aufgrund einer divergierenden Beurteilung der jeweils zuständigen Senate des BGH je nach Schutzrecht unterschiedlich weit zieht.321 Der für technische Schutzrechte zuständige X. Senat des Bundesgerichtshofs bejaht eine fahrlässige Verwirklichung des Tatbestands der Patentverletzung bereits dann, wenn eine Person durch ihr vorwerfbares Verhalten einen Verursachungsbeitrag zu dem vorsätzlichen Rechtsverstoß eines Dritten gesetzt hat.322 Um einer uferlosen Haftung entgegenzuwirken, setze die Zurechnung der fremden Rechtsgutsverletzung die Verletzung einer Rechtspflicht voraus, die dem Schutz des gewerblichen Schutzrechtes diene.323 So treffe etwa einen Spediteur erst dann eine Pflicht zur Prüfung der transportierten Ware auf Schutzrechtsverletzungen, wenn er (v. a. durch Hinweise Dritter) einen konkreten Anhaltspunkt für das Vorliegen einer Schutzrechtsverletzung erhalte.324 Angesichts dieses weiten Täterschaftsbegriffs ist für die Rechtsfigur der Störerhaftung im Patent- und Gebrauchsmusterrecht kein Raum. In Marken- und Geschmacksmustersachen vertritt der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs seit jeher ein engeres Verständnis der Täterschaft. Angesichts der im Markenrecht weit fortgeschrittenen Harmonisierung durch die Markenrichtlinie und die Gemeinschaftsmarkenverordnung liegt die Auslegungshoheit über die Definition einer Verletzungshandlung mittlerweile beim Europäischen Gerichtshof. Nach dessen Rechtsprechung setzt die „Benutzung“ eines mit der Marke des Inhabers identischen oder ihr ähnlichen Zeichens i. S. v. Art. 5 MarkenRL bzw. Art. 9 GMV zumindest voraus, dass der Dritte das Zeichen im Rahmen seiner eigenen kommerziellen Kommuni321  Konziser Überblick in BGH v. 17. 09. 2009 – Xa ZR 2/08 – GRUR 2009, 1142 (1142 f.) (MP3-Player) m. w. N. 322  BGH v.  30. 01. 2007  – X ZR 53/04  – GRUR 2007, 313 (314 f.) (Funkuhr II); BGH v. 17. 09. 2009 – Xa ZR 2/08 – GRUR 2009, 1142 (1144 ff.) (MP3-Player) m. w. N.; LG Mannheim, Urt. v. 8. 3. 2013 – 7 O 139/12 – GRUR-RR 2013, 449 (451 f.); Pitz, GRUR 2009, 805 ff. Zum Tatbestand der mittelbaren Patentverletzung siehe ferner § 10 PatG. 323  Ibid. 324  BGH v. 15. 01. 1957 – I ZR 56/55 – GRUR 1957, 352 (354) (Taeschner/Pertussin II); BGH v. 17. 09. 2009 – Xa ZR 2/08 – GRUR 2009, 1142 (1145 f.) (MP3-Player).

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§ 4  Einstweilige Maßnahmen zur Sicherung des Status Quo

kation benutzt.325 Reine Verursachungsbeiträge können danach eine mittäterschaftliche Haftung nicht begründen, während eine Gehilfenhaftung gemäß der Rechtsprechung in Anwendung des § 830 BGB Vorsatz in Bezug auf die Haupttat sowie das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit voraussetzt.326 Nach ständiger Rechtsprechung des I. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs kann jedoch jede Person als Störer auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, die willentlich und kausal an der rechtswidrigen Beeinträchtigung mitgewirkt hat, ohne Täter oder Teilnehmer zu sein (insbesondere bei fehlendem Verletzungsvorsatz bzw. fehlendem Bewusstsein der Rechtswidrigkeit). Als Mitwirkung wird auch das Unterstützen oder Ausnutzen der Handlung eines eigenverantwortlich handelnden Dritten gewertet, sofern der in Anspruch Genommene die rechtliche Möglichkeit zur Verhinderung dieser Handlung hatte.327 Um eine übermäßige Ausdehnung der Störerhaftung zu vermeiden, fordert die neuere Rechtsprechung ferner eine Verletzung von Prüfungspflichten, deren Umfang durch das Kriterium der Zumutbarkeit begrenzt wird.328 Der Grad der Zumutbarkeit wird mittels diverser Faktoren bestimmt. Zu berücksichtigen ist etwa, ob die als Störer in Anspruch genommene Person eigene erwerbswirtschaftliche Zwecke verfolgt sowie ob die Rechtsverletzung des Dritten offenkundig oder erst nach intensiver rechtlicher oder tatsächlicher Prüfung erkennbar ist.329 Da die Durchsetzungsrichtlinie den Mitgliedstaaten einen weiten Umsetzungsspielraum im Hinblick auf einstweilige Anordnungen gegen Mittelspersonen gewährt330 und der deutsche Gesetzgeber die Störerhaftung keiner näheren gesetzlichen Regelung zuführen wollte,331 bleibt die Fortentwicklung dieses Instituts weiterhin der Rechtsprechung überantwortet.332 325  EuGH v. 23. 03. 2010 – C-236/08 – Slg. 2010, I-2417 (Google France), Rn. 56 f.; EuGH v. 12. 07. 2011 – C-324/09 – Slg. 2009, (L’ Oréal/eBay), Rn. 102. 326  BGH v.  22. 07. 2010  – I ZR 139/08  – GRUR 2011, 152 (154) (Kinderhochstühle im Internet). Zur Kritik der strafrechtsakzessorischen Interpretation des § 830 BGB siehe die Nachweise bei Wagner in MüKo BGB, § 830 Rn. 4. 327  BGH v. 03. 02. 1994 – I ZR 321/91 – GRUR 1994, 441 (443) (Kosmetikstudio); BGH v. 02. 05. 1991 – I ZR 227/89 – GRUR 1991, 769 (770) (Honoraranfrage) m. w. N.; kritisch zu dieser Rechtsprechung Köhler in Köhler/Bornkamm, § 8 UWG Rn. 2.15 ff. 328  BGH v. 10. 10. 1996 – I ZR 129/94 – GRUR 1997, 313 (315) (Architektenwettbewerb); BGH v. 15. 10. 1998 – I ZR 120/96 – GRUR 1999, 418 (420) (Möbelklassiker); BGH v. 17. 05. 2001 – I ZR 251/99– NJW 2001, 3265 (3266 f.) (ambiente.de); BGH v. 11. 03. 2004 – I ZR 304/01 – NJW 2004, 3102 (3105) (Internet-Versteigerung I). 329  BGH v. 17. 08. 2011 – I ZR 57/09 – GRUR 2011, 1038 (1039) (Stiftparfum) m. w. N. 330  Erwägungsgrund 23 DRL. 331  BT-Drucks. 16/5048, S. 30 f. 332  Vgl. zur Abkehr von der Störerhaftung im Lauterkeitsrecht die Entscheidungen BGH v.  12. 07. 2007  – I ZR 18/04  – CR  2007, 728 ff. (Jugendgefährdende Medien bei eBay) und BGH v. 22. 07. 2010 – I ZR 139/08 – GRUR 2011, 152 (156) (Kinderhochstühle im Internet), in denen eine neue Figur der „Haftung wegen Verletzung einer Verkehrspflicht“ eingeführt wir. Die Übertragung dieser Rechtsprechung auf das Markenrecht hat der I. Zivilsenat



C.  Bewahrung des Status Quo im deutschen Recht

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b)  Unterlassungsverfügungen gegenüber Host Service Providern Die Rechtsprechung des I. Zivilsenats zu Unterlassungsanordnungen gegenüber Host Service Providern orientiert sich an den oben genannten Grundsätzen der Störerhaftung. Mit den Haftungsprivilegien der eCommerce-Richtlinie (supra Rn. 17 ff.) hat sich der Senat in Bezug auf Unterlassungsanordnungen ursprünglich kaum befasst. In ständiger Rechtsprechung befand der Senat, diese Privilegien fänden keine Anwendung auf Unterlassungsansprüche.333 Zwar sei es den Betreibern von Internethandelsplattformen grundsätzlich nicht zuzumuten, jedes Angebot vor Veröffentlichung im Internet auf eine mögliche Rechtsverletzung hin zu untersuchen. Sofern der Diensteanbieter allerdings auf eine klare Rechtsverletzung hingewiesen werde, müsse er nicht nur das konkrete Angebot unverzüglich sperren, sondern auch Vorsorge treffen, dass es möglichst nicht zu weiteren kerngleichen Markenverletzungen komme – unabhängig davon, welcher Nutzer diese verursache.334 Dabei setzte sich der Senat nicht mit der Tatsache auseinander, dass eine Identifikation kerngleicher Verletzungshandlungen auf Seiten des Diensteanbieters nur möglich ist, indem sämtliche auf Veranlassung der Kunden gespeicherten Daten nach kerngleichen Markenverletzungen gefiltert werden. Folglich wird eine allgemeine Überwachungspflicht in Bezug auf jede jemals an den Provider gemeldete Rechtsverletzung instituiert, welche durch Art. 15 eCommerce-Richtlinie gerade verboten wird.335 In seinen Schlussanträgen in der Rechtssache L’Oréal/eBay nahm Generalanwalt Jääskinen explizit auf die genannte Rechtsprechung des BGH Bezug und äußerte die Auffassung, der BGH habe für den Erlass von Anordnungen gegen den Diensteanbieter extensive Voraussetzungen formuliert, deren Vereinbarkeit mit der eCommerceRichtlinie aufgrund ihres Umfangs in mehrfacher Hinsicht fraglich seien.336 Wie bereits in Rn. 20 berichtet, nahm der EuGH explizit auf diese Passage der Schlussanträge Bezug, in welcher der Generalanwalt letztlich für eine an-

a. a. O. S. 154 explizit offen gelassen, befürwortend Köhler, GRUR 2008, 1 (6 f.); Spindler, GRUR 2011, 101 (102 f.) m. w. N.; zur zeitlichen Entwicklung Teplitzky, WettbewerbsR, Kap 14 Rn. 10 ff. 333  BGH v. 11. 03. 2004 – I ZR 304/01 – NJW 2004, 3102 (3103 ff.) (Internet-Versteigerung I); BGH v. 22. 07. 2010 – I ZR 139/08 – GRUR 2011, 152 (153) (Kinderhochstühle im Internet) m. w. N. 334  Siehe aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung BGH v. 30. 04. 2008 – I ZR 73/05– CR 2008, 579 (581 f.) (Internet-Versteigerung III); BGH v. 11. 03. 2004 – I ZR 304/01 – NJW 2004, 3102 (3105) (Internet-Versteigerung I); BGH v. 12. 07. 2007 – I ZR 18/04 – CR 2007, 728 (723) (Jugendgefährdende Medien bei eBay). 335  Kritisch auch Peifer, jurisPR-WettbR 3/2013, Nr. 1; Rauer, GRUR-Prax 2013, 93. 336 GA Jääskinen, Schlussanträge v. 09. 12. 2010 – C-324/09 (L’ Oréal/eBay), Rn. 182 m. Fn. 82.

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gemessene Beschränkung des Anordnungsumfangs durch ein doppeltes Identitätserfordernis plädierte (bzgl. des Schutzrechts wie des Nutzers).337 Es ist höchst befremdlich, dass der Bundesgerichtshof in seiner späteren Entscheidung Stiftparfum keinen Anlass zu einer näheren Auseinandersetzung mit diesen Ausführungen des EuGH sah, sondern lediglich konstatierte, seine Rechtsprechung stehe im Einklang mit den Maßstäben, die der Europäische Gerichtshof aufgestellt habe.338 In starkem Kontrast hierzu hat die französische Cour de Cassation eine unbeschränkte Anordnung, kerngleiche Rechtsverletzungen künftig zu unterbinden, als Verstoß gegen das Verbot einer allgemeinen Überwachungspflicht gemäß Art. 15 eCommerce-Richtlinie gewertet.339 Es ist deshalb zweifelhaft, ob die durch den Bundesgerichtshof vorgenommene Koordination zwischen Art. 9 Abs. 1 DRL und den Haftungsprivilegien der eCommerce-Richtlinie den Maßgaben des Unionsrechts entspricht.

c)  Sperrverfügungen gegenüber Access Providern 113

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Keine Aufmerksamkeit hat in der deutschen Rechtsprechung bislang die Frage gefunden, ob Access Providern mittels einstweiliger Verfügungen aufgegeben werden kann, den Zugangs ihrer Nutzer zu Webseiten zu sperren, die gewerbliche Schutzrechte verletzen (sog. Sperrverfügung). Anders ist dies für den Bereich der Urheberrechtsverletzungen: In der Rechtssache UPC Telekabel erklärte der EuGH, Art. 8 Abs. 3 InfoSoc-RL gebiete Sperrverfügungen gegenüber Access Providern zwecks Vermeidung des Zugangs ihrer Nutzer zu urheberrechtsverletzenden Webseiten (supra Rn. 14).340 Die deutsche Rechtsprechung steht nunmehr vor der Aufgabe, diese Maßgabe mittels einer richtlinienkonformen Rechtsfortbildung umzusetzen.341 Die klassischen Voraussetzungen der Störerhaftung liegen bei Sperrverfügungen gegen Access Provider nicht vor: Die Vermittlung des Zugangs zum Internet an einzelne Nutzer ist weder kausal für die Rechtsverletzung eines bestimmten 337  EuGH

v.  12. 07. 2011  – C-324/09 (L’Oréal/eBay), Rn. 141. Dieser Unterschied zwischen der Rechtsprechung des BGH und des EuGH wird auch hervorgehoben von Hacker, GRUR-Prax 2011, 391 (392). 338  BGH v. 17. 08. 2011 – I ZR 57/09 – GRUR 2011, 1038 (1040) (Stiftparfum); siehe auch BGH v. 12. 07. 2012 – I ZR 18/11 – WRP 2013, 332 (334 f.) (Alone in the Dark): „Solche gleichartigen Rechtsverletzungen sind nicht nur Angebote, die mit den bekannt gewordenen Fällen identisch sind, die also das Zugänglichmachen desselben Computerspiels durch denselben Nutzer betreffen. Vielmehr hat es die Beklagte im Rahmen des technisch und wirtschaftlich Zumutbaren zu verhindern, dass weder der für die angezeigte Verletzung verantwortliche Nutzer noch andere Nutzer über ihre Server das ihr konkret benannte urheberrechtlich geschützte Computerspiel Dritten anbieten“. 339  Cass 1re civ. v. 12. 07. 2012 – 11–15.165 – Arrêt 827; Cass 1re civ. v. 12. 07. 2012 – 11– 13.666 – Arrêt 828; Cass 1re civ. v. 12. 07. 2012 – 11–13.669 – Arrêt 831. 340  EuGH v. 27. 03. 2014 – C-314/12 (UPC Telekabel), Rn. 26 ff. 341  BGH I ZR 174/14 (Vorinstanz: OLG Köln, GRUR 2014, 1081 (Goldesel)) und BGH I ZR 3/14 (Vorinstanz OLG Hamburg, GRUR-RR 2014, 140 (3dl.am))



C.  Bewahrung des Status Quo im deutschen Recht

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Webseiten-Betreibers, noch verfügt der Access Provider über die Möglichkeit zur Verhinderung der Handlungen des Schutzrechtsverletzers.342 Die Möglichkeiten des Access Providers erschöpfen sich vielmehr darin, den Zugang seiner Nutzer zu Webseiten mit schutzrechtsverletzenden Inhalten zu erschweren. Bei genauer Betrachtung liegt der Schwerpunkt des von den Access Providern geforderten Verhaltens ohnehin nicht auf einer Unterlassung, sondern auf einem Tätigwerden im Sinne der Einrichtung einer IP-, DNS- oder/oder URLSperre.343 Auch der Rechtsschutz der Nutzer bleibt hinter den Vorgaben des EuGH in der Rechtssache UPC Telekabel zurück: Der Gerichtshof verlangt zwecks Wahrung der Grundrechte der Nutzer eine Rechtsschutzmöglichkeit der Nutzer des Access Providers gegen die Sperrverfügung.344 Da das deutsche Recht keine Beteiligung der Nutzer am Verfahren zwischen Schutzrechtsinhaber und Access Provider vorsieht, können die Nutzer die Entscheidung nach deutschem Recht nicht anfechten.345 Unabhängig davon, wie die Rechtsprechung die Konformität des deutschen Rechts im Hinblick auf die InfoSoc-RL herstellen wird, sollte nach hier vertretener Ansicht der betreffende Lösungsansatz nicht auf den gewerblichen Rechtsschutz übertragen werden. Mangels einer entsprechenden Vorgabe des Art. 9 Abs. 1 lit. a DRL (supra Rn. 15 f.) bedarf es keiner richtlinienkonformen Interpretation oder Rechtsfortbildung. Vielmehr ist der deutsche Gesetzgeber aufgerufen, die Entscheidung über Erforderlichkeit und Ausgestaltung von Sperrverfügungen aufgrund gewerblicher Schutzrechtsverletzungen selbst zu treffen.346 Hierbei sind gegebenenfalls auch Fragen der konkreten Handlungsanforderungen (Art der Sperre, Information der Nutzer), der Subsidiarität (insbesondere gegenüber einem Vorgehen gegen den Host Service Provider)347 sowie des Rechtsschutzes Dritter (Nutzer des Access Providers) zu adressieren.

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II.  Der dingliche Arrest Die vorsorgliche Beschlagnahme des Vermögens des angeblichen Rechtsverletzers erfolgt nach deutschem Recht durch dinglichen Arrest. Neben der 342 

Hofmann, GRUR 2015, 123 (126 f.) m. w. N. auch GA Cruz Villalón, Schlussanträge v. 26. 11. 2013 – C-413/12 (UPC Telekabel), Rn. 25, 86 ff.; Angelopoulos, JIPlP 2014, 812 (822). 344  EuGH v. 27. 03. 2014 – C-314/12 (UPC Telekabel), Rn. 57. 345 Wenig überzeugend erachtet die Abschlussentscheidung des OGH in der Rechtssache UPC Telekabel den Rechtsschutz der Nutzers deswegen als gesichert, weil die Kunden ihren Provider auf vertraglicher Grundlage in Anspruch nehmen könnten, vgl. OGH v. 24. 06. 2014 – 4 Ob 71/14s – GRUR Int. 2014, 1074 (1079). 346 Für eine Orientierung am Auskunftsanspruch gegenüber Mittelspersonen (§ 140b Abs. 2 PatG, § 19 Abs. 2 MarkenG et al.) plädiert Hofmann, GRUR 2015, 123 (129). 347  Zu alternativen Optionen siehe umfassend Cartier International v British Sky Broadcasting, [2014] EWHC 3354 (Ch), Rn. 197 ff. 343  Siehe

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behaupteten Schadensersatzforderung wegen der Schutzrechtsverletzung (Arrestanspruch) ist als Arrestgrund gemäß § 917 Abs. 1 ZPO die Besorgnis glaubhaft zu machen, dass anderenfalls die Vollstreckung eines auf eine Geldzahlung gerichteten Urteils vereitelt oder wesentlich erschwert würde. Die Vollziehung erfolgt durch Pfändung (bewegliches Vermögen) oder Eintragung einer Sicherungshypothek (Immobilien), §§ 930 ff. ZPO. Die von Art. 9 Abs. 2 S. 1 DRL explizit geforderte „Sperrung der Bankkonten“ wird durch die Pfändung des Bankguthabens nach §§ 828 ff. ZPO bewirkt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 917 Abs. 1 ZPO kann von einer wesentlichen Erschwerung der Urteilsvollstreckung nicht ausgegangen werden, wenn lediglich die Gefahr des Zugriffs konkurrierender Gläubiger besteht oder die Vermögenslage des Schuldners prekär ist, ohne dass eine weitere Verschlechterung seiner Vermögenslage droht.348 Erfasst sind somit vorwiegend Fälle der Vermögensverschleuderung oder -verschleierung. Im Zuge der Richtlinienumsetzung ist deshalb die Frage entstanden, ob die Anordnungsvoraussetzungen des Arrests bei einer befürchteten Verletzung gewerblicher Schutzrechte zu lockern sind, da Art. 9 Abs. 2 S. 1 DRL die Möglichkeit einer Vermögensbeschlagnahme bereits dann fordert, wenn die Erfüllung der Schadensersatzforderung des Rechteinhabers gefährdet ist.349 Der deutsche Gesetzgeber hat die Beibehaltung der allgemeinen Vorgaben des § 917 Abs. 1 ZPO mit dem Argument gerechtfertigt, Art. 9 Abs. 2 DRL könne die Mitgliedstaaten nicht zwingen, die Inhaber gewerblicher Schutzrechte in gleichheitswidriger Weise gegenüber anderen Gläubigern in der Insolvenz zu bevorzugen.350 Daran ist sicherlich richtig, dass eine solche Bevorzugung gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz verstoßen würde, dem auch im Unionsrecht ein wichtiger Stellenwert zukommt.351 Angesichts der fehlenden Kompetenz der Europäischen Union zur Harmonisierung der vorsorglichen Vermögensbeschlagnahme käme auch eine mittelbare Verpflichtung des deutschen Gesetzgebers zur Änderung des § 917 ZPO nicht in Betracht. Doch zwingt Art. 9 Abs. 2 DRL die Mitgliedstaaten nicht zu einer Besserstellung von Schutzrechtsinhabern in der Insolvenz des Rechtsverletzers, wie einerseits die 348  Hiermit soll ein Gläubigerwettlauf und eine dadurch ggf. künstlich herbeigeführte Illiquidität des Schuldners vermieden werden, vgl. BGH v. 19. 10. 1995 – IX ZR 82/94 – NJW 1996, 321 (324) m. w. N.; BGH v.  01. 03. 2007  – IX ZR 261/03  – NJW 2007, 2485 (2487); Drescher in MüKo ZPO, § 917 Rn. 12, jeweils m. w. N.; a. A. Grunsky in Stein/Jonas, ZPO, § 917 Rn. 1, 5. 349  Der deutsche Richtlinientext verwendet das Wort „fraglich“, weicht aber insoweit von den anderen Sprachfassungen ab, die auf eine Gefährdung der Durchsetzung des Ersatzanspruchs abstellen. 350  BT-Drucks. 16/5048, S. 31; zustimmend Seichter, WRP 2006, 391 (399). 351  EuGH v.  05. 10. 1994  – C-280/93  – Slg. 1994, I-4973 (Deutschland/Rat  – Bananenmarktordnung), Rn. 67; EuGH v. 19. 10. 1977 – 117/76 – Slg. 1977, 1753 (Ruckdeschel/Hauptzollamt Hamburg), Rn. 7 sowie Art. 20 der Grundrechte-Charta.



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als Vorbild für Art. 9 Abs. 2 DRL fungierende freezing injunction,352 andererseits die auf dem Ausgleichsprinzip basierende Pfändung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes nach italienischem Recht353 belegen. Die Einführung eines vergleichbaren Instruments im deutschen Recht käme allen Gläubigern zugute, wiewohl sie nur von Schutzrechtsinhabern beantragt werden könnte. Doch bedarf es solcher Konstruktionen nicht. Angesichts des weiten Umsetzungsspielraums der Mitgliedstaaten im Rahmen des Art. 9 Abs. 1 und 2 DRL dürfte das Ziel des deutschen Rechts, ein Wettrennen der Gläubiger um einen Arrestbefehl zu vermeiden, mit der Richtlinie zu vereinbaren sein.354 In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die freezing injunction, welche als Inspiration für die Einführung des Art. 9 Abs. 1 und 2 DRL diente, ebenfalls Risiken als unbeachtlich ansieht, die sich allein aus dem gewöhnlichen Geschäftsbetrieb oder den betriebswirtschaftlichen Entscheidungen des Antragsgegners ergeben. Darüber hinaus können deutsche Gerichte nach § 921 ZPO von der Glaubhaftmachung des Arrestgrunds absehen, sofern der Antragsteller wegen der dem Gegner aus dem Arrest drohenden Nachteile Sicherheit leistet.355 Art. 9 Abs. 6 DRL wiederum erkennt den Gerichten der Mitgliedstaaten explizit die Befugnis zu, die Anordnung der Vermögensbeschlagnahme von einer Sicherheitsleistung für eventuell aus der einstweiligen Maßnahme resultierende Schadensersatzforderungen abhängig zu machen.

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III.  Zugang zu Finanzdokumenten 1.  Die immaterialgüterrechtlichen Vorlageansprüche a)  Anspruchsinhalt und -voraussetzungen Das deutsche Zivilprozessrecht sieht eine Auskunft des Schuldners über seine Vermögensbestandteile erst nach Titulierung der Forderung vor, § 802c Abs. 1 ZPO. Diese Regelung erfüllt nicht die Vorgabe des Art. 9 Abs. 2 S. 2 DRL, wonach dem Schutzrechtsinhaber zum Zwecke der vorsorglichen Vermögensbeschlagnahme der Zugang zu vermögensrelevanten Dokumenten zu eröffnen ist. Der deutsche Gesetzgeber hat deshalb spezifisch immaterialgüterrechtliche Vorlageansprüche in § 140d PatG, § 24c GebrMG, §§ 19b, 128 Abs. 2 S. 3, 135 Abs. 2 MarkenG, § 101b UrhG, § 46b DesignG, § 37d SortenschutzG, § 9 352 

Supra § 4 Rn. 48 ff. Fohrer/Mattil, WM 2002, 840 (846). 354 Wie hier Heinze, Einstweiliger Rechtsschutz, S.  311 f.; Weber, Enforcement-RL, S. 147; a. A. Dörre/Maaßen, GRUR-RR 2008, 217 (221). 355 Nach herrschender Auffassung stellt die Sicherheitsleistung kein vollkommenes Äquivalent der Glaubhaftmachung dar, sondern soll lediglich das Beweismaß reduzieren, vgl. Huber in Musielak, § 921 ZPO Rn. 7; Grunsky in Stein/Jonas, ZPO, § 921 Rn. 5 m. w. N. 353 

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HalbleiterschutzG geschaffen. Ein Anspruch auf Vorlage von bzw. Zugang zu Bank-, Finanz- und Handelsunterlagen setzt gem. § 140d Abs. 1 PatG et al. neben einer in gewerblichem Ausmaß begangenen Rechtsverletzung voraus, dass sich die Dokumente in der Verfügungsgewalt des Verletzers befinden, für die Durchsetzung des Schadensersatzanspruchs erforderlich sind und ohne deren Vorlage die Erfüllung des Schadensersatzanspruchs fraglich wäre. Der Anspruch steht unter dem Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit (Abs. 2), und eine Befriedigungsverfügung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes ist nur möglich, sofern ein Schadensersatzanspruch offensichtlich besteht (Abs. 3). Schließlich soll das angerufene Gericht angemessene Maßnahmen zum Schutz vertraulicher Daten des Antragsgegners treffen (Abs. 1 S. 2, Abs. 3 S. 2). Ein Anspruch auf Vorlage von Bank-, Finanz- und Handelsunterlagen setzt folglich zunächst die Feststellung einer Schadensersatzpflicht des Rechtsverletzers voraus, wobei das Tatbestandsmerkmal einer Rechtsverletzung im gewerblichen Ausmaß keine eigenständige Bedeutung entfaltet.356 Die Erfüllung dieses Ersatzanspruches ist nicht bereits dann fraglich, wenn es an der Bereitschaft des Schuldners zur freiwilligen Leistung fehlt. Vielmehr bedarf es einer Gefährdung der bevorstehenden Zwangsvollstreckung, d. h. einer gesicherten Prognose eines zumindest teilweise bevorstehenden Scheiterns der Zwangsvollstreckung in Deutschland.357 Hiervon kann nicht ausgegangen werden, sofern die bereits bekannten inländischen Vermögenswerte des Schuldners zur Befriedigung des Gläubigers ausreichen.358 Für die Einschätzung der Gefährdungslage relevant sind das Verhältnis zwischen der Forderungshöhe und dem bekannten Vermögen des Schutzrechtsverletzers sowie eventuell erkennbare Vermögensverschiebungen oder -verschleierungen.359 Der Begriff der Bank-, Finanz- oder Handelsunterlagen umfasst alle Unterlagen, die sich in der Verfügungsgewalt des Schuldners befinden360 und geeignet sind, Aufschluss über die in- oder ausländischen Vermögenswerte des 356  Aus

der Begründung des Regierungsentwurfs ergibt sich an verschiedenen Stellen, dass das in der Richtlinie enthaltene Kriterium der Rechtsverletzung in gewerblichem Ausmaß in Übereinstimmung mit Erwägungsgrund 14 S. 3 DRL als Äquivalent zu dem Begriff des Handelns im geschäftlichen Verkehr bzw. zu gewerblichen Zwecken angesehen wurde, vgl. BT-Drucks. 16/5048, S. 38, 44 (kritisch hinsichtlich der Einführung dieses Tatbestandsmerkmals der Bundesrat a. a. O., S. 55; letztlich war die Bemühung ausschlaggebend, eine richtlinienkonforme Umsetzung zu gewährleisten, hierzu näher Götz, Informationsbeschaffung, S. 218 ff.). Wie hier Fezer, MarkenR, § 19b MarkenG Rn. 6 f.; Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 19b Rn. 4. Zu unionsrechtlichen Vorgaben supra § 4 Rn. 22 ff. 357  Begründung RegE, BT-Drucks. 16/5048, S. 41; Kühnen, HdB PatV, Rn. 446, Ingerl/ Rohnke, MarkenG, § 19b Rn. 5; Hacker in Ströbele/Hacker, MarkenG, § 19a Rn. 6. 358  Kühnen, HdB PatV, Rn. 445; Voß in Fitzner/Lutz/Bodewig, PatR, § 140d PatG Rn. 6, Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 19b Rn. 5. 359  Voß in Fitzner/Lutz/Bodewig, PatR, § 140d PatG Rn. 6. 360 Kritisch Fezer, MarkenR, § 19 MarkenG Rn. 9, da Art. 9 Abs. 2 S. 2 DRL das Kriterium der Verfügungsgewalt nicht explizit nennt.



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Schuldners zu vermitteln.361 Der Vorlage- bzw. Zugangsanspruch beschränkt sich freilich auf erforderliche Unterlagen. Die Unterlagen müssen somit einerseits objektiv geeignet sein, Aufschlüsse über die Vermögenswerte des Schuldners zuzulassen, und andererseits zur Aufdeckung dieser Vermögensgegenstände notwendig sein.362 Dem Gläubiger ist es zuzumuten, zunächst alle öffentlichen bzw. ohne Schwierigkeiten zugänglichen Informationsquellen über das Vermögen des Schuldners auszuloten. Erst wenn sich diese Mittel als fruchtlos erweisen, ist die Vorlage der Unterlagen durch den Schuldner erforderlich.363 Die genannten Unterlagen erlauben sowohl eine Einschätzung der finanziellen Kapazitäten und als auch einen Einblick in die Handelsbeziehungen des Schuldners. Es handelt sich folglich um vertrauliche Informationen, an deren Nichtverbreitung der Schuldner ein berechtigtes Interesse hat.364 Das Gesetz erlaubt den Gerichten zwar, die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz vertraulicher Informationen zu treffen, doch darf hierdurch der Vorlage- bzw. Zugangsanspruch des Schutzrechtsinhabers nicht vereitelt werden.365 Vertrauliche Informationen sind somit nur zu schwärzen, soweit dies ohne Funktionsverlust möglich ist.366 Da der Informationswert regelmäßig mit vertraulichen Daten verquickt ist, beispielsweise bei Kreditorenkonten, die pfändbare Forderungen gegenüber Kunden ausweisen, kommt dem Vertraulichkeitsschutz in der Praxis nur eine geringe Bedeutung zu. Im Einzelfall kann sich der Schuldner ggf. unter Berufung auf die spezielle Verhältnismäßigkeitsklausel des § 140d Abs. 2 PatG et al. gegen die Herausgabe vertraulicher Daten wehren.367 Die Vorlage der Unterlagen erfolgt durch vorübergehende Überlassung zwecks Anfertigung von Kopien. Kommt dies aufgrund des Zustands der Unterlagen (z. B. Datenbank) nicht in Betracht, ist Zugang zum Unterlageninhalt zu gewähren.368 Die Zwangsvollstreckung erfolgt nach § 883 ZPO. 361 Begründung RegE, BT-Drucks. 16/5048, S. 41. Erfasst sind neben Urkunden auch Augenscheinsobjekte, Beispiele bei Voß in Fitzner/Lutz/Bodewig, PatR, § 140d PatG Rn. 8. 362  Kühnen, HdB PatV, Rn. 448; Voß in Fitzner/Lutz/Bodewig, PatR, § 140d PatG Rn. 7. 363  Voß in Fitzner/Lutz/Bodewig, PatR, § 140d PatG Rn. 7; Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 19b Rn. 6. 364  Näher zum Begriff der vertraulichen Information BGH v. 16. 11. 2009 – X ZB 37/08 – GRUR 2010, 318 (320) (Lichtbogenschnürung); Voß in Fitzner/Lutz/Bodewig, PatR, § 140d PatG Rn. 18. 365  Begründung RegE, BT-Drucks. 16/5048, S. 42. 366  Im Einzelfall mag auch eine Auswertung durch einen unabhängigen Sachverständen praktikabel sein, hierzu Voß in Fitzner/Lutz/Bodewig, PatR, § 140d PatG Rn. 19; Weber, Enforcement-RL, S. 302. 367  Im Übrigen kommt der Verhältnismäßigkeitsklausel nur geringe praktische Relevanz zu, da Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkte bereits im Rahmen der Erforderlichkeit der Unterlagenvorlage zu berücksichtigen sind. Siehe zu berücksichtigenswerten Faktoren Voß in Fitzner/Lutz/Bodewig, PatR, § 140d PatG Rn. 10, Kühnen, HdB PatV, Rn. 450 ff. 368  Kühnen, HdB PatV, Rn. 453 f.

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b)  Durchsetzung im einstweiligen Verfahren 126

Eine vorläufige Befriedigung des Vorlageanspruchs369 im einstweiligen Verfahren ist nach dem Wortlaut des Gesetzes nur in Fällen offensichtlicher Rechtsverletzung zulässig, d. h. sofern die rechtliche und tatsächliche Situation so eindeutig geklärt erscheint, dass eine Fehlentscheidung nahezu ausgeschlossen ist.370 Diese Voraussetzung soll nach der Rechtsprechung des OLG Frankfurt selbst nach Erlass eines erstinstanzlichen, nicht rechtskräftigen Schadensersatztitels nicht erfüllt sein, sofern die Beurteilung des Erstgerichts angreifbar ist.371

c)  Bezeichnung des Vorlagegegenstands 127

Die vom Antragsteller begehrten Unterlagen sind ausreichend bestimmt zu bezeichnen, um den vom Gericht zu entscheidenden Streitgegenstand zu klären und eine Vollstreckung des Herausgabeanspruchs zu ermöglichen.372 Sofern die betreffenden Unterlagen nicht aufgrund spezieller Dokumentations-, Buchführungs- oder Aufbewahrungspflichten beim Verletzer vorhanden sein müssen, wird dem Schutzrechtsinhaber eine ausreichende konkrete Bezeichnung der Unterlagen oft schwer fallen. In der Literatur wird vorgeschlagen, als Minus zum Vorlageanspruch könne der Schutzrechtsinhaber Auskunft, beispielsweise über die Bankverbindungen des Schuldners (Kontonummer, Bankleitzahl), verlangen.373 Dies erscheint zweifelhaft: Erstens ist ein Auskunftsanspruch kein Minus, sondern ein Aliud zu einem Vorlageanspruch. Einen Auskunftsanspruch über die Vermögensverhältnisse des Verletzers hat der Gesetzgeber in §§ 140d PatG et al. nicht geregelt. Zweitens würde sich auf diesem Weg die Katze in den Schwanz beißen: Die Auskunft über das Bestehen eines Vermögensgegenstands diente zur Vorbereitung des Vorlageanspruchs, welcher doch seinerseits eigentlich die Identifikation von Vermögensgegenständen zwecks Vollziehung des Arrests ermöglichen sollte.

369  Soweit sich der Wortlauts des § 140d Abs. 3 PatG et al. auf Urkunden beschränkt, handelt es sich um ein Redaktionsversehen. Ebenso wie nach Abs. 1 kann sich die Vorlage auch auf Augenscheinsobjekte beziehen, vgl. zutreffend Voß in Fitzner/Lutz/Bodewig, PatR, § 140d PatG Rn. 24. 370  OLG Frankfurt v. 25. 08. 2011 – 11 W 29/11 – GRUR-RR 2012, 197 (198) (Vorlage von Bankunterlagen); OLG Hamburg v. 29. 03. 2007 – 3 U 298/06 – InstGE 8, 11 (13 f.) (Transglutaminase); Kühnen, HdB PatV, Rn. 456; Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 19b Rn. 11, § 19 Rn. 52 m. w. N. 371  OLG Frankfurt v. 25. 08. 2011 – 11 W 29/11 – GRUR-RR 2012, 197 (198) (Vorlage von Bankunterlagen); dem folgend Kühnen, HdB PatV, Rn. 456. 372  Voß in Fitzner/Lutz/Bodewig, PatR, § 140d PatG Rn. 23; Kühnen, HdB PatV, Rn. 457. 373  Kühnen, HdB PatV, Rn. 457.



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2. Bewertung Die Umsetzung des Art. 9 Abs. 2 S. 2 DRL in das deutsche Recht ist im Schrifttum zu Recht kritisiert worden.374 Die Maßnahme nach Art. 9 Abs. 2 S. 2 DRL ergänzt die Vermögensbeschlagnahme im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes. Ziel ist es, Vermögensbestandteile schnell zu identifizieren, um durch deren Beschlagnahme eine spätere Urteilsvollstreckung zu sichern. Voraussetzung ist folglich allein, dass die vorsorgliche Beschlagnahme des Vermögens aufgrund der existierenden Gefahr einer späteren Vollstreckungsvereitelung zulässig ist. Das deutsche Recht bleibt einerseits hinter diesen Vorgaben zurück und geht andererseits weit über diese hinaus. Seiner Funktion, die Vollziehung des Arrests durch Identifizierung von Vermögensgegenständen zu ermöglichen, wird der Vorlageanspruch beraubt, wenn er im einstweiligen Verfahren nur unter strikteren Voraussetzungen gewährt wird als der Arrest selbst. Die Bestrebungen des deutschen Gesetzgebers, den Inhabern von Schutzrechten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes nur dann Einblick in die Finanzlage angeblicher Schutzrechtsverletzer zu gewähren, wenn die Rechtsverletzung offensichtlich ist, ist zwar unter dem Gesichtspunkt des Beklagtenschutzes löblich, fällt aber hinter die Vorgaben der Richtlinie zurück.375 Nach Art. 9 Abs. 3 DRL sind die Gerichte der Mitgliedstaaten lediglich befugt, eine Vorlageanordnung von einem mit ausreichend Sicherheit festgestellten Verdacht der Rechtsverletzung abhängig zu machen, wobei dem Antragsteller auferlegt werden kann, alle vernünftigerweise verfügbaren Beweise vorzulegen. Hinsichtlich des Wahrscheinlichkeitsgrads der Rechtsverletzung kommt den Mitgliedstaaten ein gewisser Umsetzungsspielraum zu, doch besteht bereits sprachlich ein deutlicher Unterschied zwischen „Offensichtlichkeit“ und „ausreichender Sicherheit“. Da sich vorprozessual eine offensichtliche Rechtsverletzung nur selten etablieren lässt, wird die deutsche Umsetzung dem Anspruch, Art. 9 Abs. 2 S. 2 DRL praktische Wirkung zu verleihen, nicht gerecht.376 Die Durchsetzung des Vorlageanspruchs im Hauptsacheverfahren eignet sich aufgrund der Verfahrensdauer nicht, eine Verschleierung und Verbringung von Vermögenswerten zu verhindern.377 Im Sinne einer unionsrechtskonformen 374  Peukert/Kur, GRUR Int. 2006, 292 (302); GRUR-Stellungnahme, GRUR 2006, 393 (394); Spindler/Weber, ZUM 2007, 257 (266); wohlwollender Seichter, WRP 2006, 391 (399): „dürfte richtlinienkonform sein“. 375 GRUR-Stellungnahme, GRUR 2006, 393 (394); Spindler/Weber, ZUM 2007, 257 (266); siehe zum Parallelfall des Art. 8 DRL ferner Bruns in Stürner/Kawano, Cross Border Insolvency, S. 259. 376 GRUR-Stellungnahme, GRUR 2006, 393 (394); Spindler/Weber, ZUM 2007, 257 (266); a. A. Begründung RegE, BT-Drucks. 16/5048, S. 41; OLG Frankfurt v. 25. 08. 2011 – 11 W 29/11 – GRUR-RR 2012, 197 (198) (Vorlage von Bankunterlagen); Fezer, MarkenR, § 19b MarkenG Rn. 15. 377  So auch – in anderem Kontext – OLG Frankfurt v. 02. 12. 1998 – 13 U 175/98 – OLGR Frankfurt 1999, 74 (76).

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§ 4  Einstweilige Maßnahmen zur Sicherung des Status Quo

Auslegung ist das Tatbestandsmerkmal der Offensichtlichkeit möglichst weit auszulegen378 bzw. teleologisch zu reduzieren.379 Andererseits gehen die Vorlageansprüche des deutschen Rechts insoweit über Art. 9 Abs. 2 S. 2 DRL hinaus, als sie nicht auf den Konnex einer vorläufigen Beschlagnahme des Schuldnervermögens beschränkt sind. Vielmehr erlauben sie dem Inhaber einer bereits gerichtlich festgestellten Schutzrechtsverletzung entgegen §§ 807, 836, 883, 899 ff. ZPO, bereits vor Beginn der Zwangsvollstreckung Einblick in die Vermögensverhältnisse des Schuldners zu nehmen. Zu einer solchen Besserstellung der Schutzrechtsinhaber gegenüber den Gläubigern anderer gerichtlich festgestellter Forderungen nötigt die Richtlinie die Mitgliedstaaten nicht.380

IV. Glaubhaftmachung 131

Unabhängig von der Art des begehrten einstweiligen Rechtsschutzes sind Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund bzw. Arrestanspruch und Arrestgrund vom Antragsgegner glaubhaft zu machen.381 Gegenüber dem Hauptsacheverfahren bedeutet dies zum einen eine Beschränkung auf präsente Beweismittel unter Einschluss der eidesstattlichen Versicherung gemäß § 294 ZPO, zum anderen eine Reduktion des Beweismaßes: Es genügt, wenn das Gericht die tatsächlichen Voraussetzungen von Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund für überwiegend wahrscheinlich hält.382 Dieser Überzeugungsgrad dürfte der nach Art. 9 Abs. 3 DRL geforderten Überzeugung mit „ausreichenden Sicherheit“ entsprechen; er weicht jedenfalls nicht zum Nachteil der Schutzrechtsinhaber von dem Maßstab der Richtlinie ab.

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Nordemann im Nordemann/Fromm, UrhR, § 101b UrhG Rn. 23. berücksichtigen ist hierbei, dass der deutsche Gesetzgeber bei Erlass des § 140d PatG et al. explizit von einer Vereinbarkeit der Regelung mit Art. 9 Abs. 3 DRL ausging (BT-Drucks. 16/5048, S. 42) und diese Auffassung irrigerweise mit einer sprachlichen Differenzierung zwischen Art. 9 und Art. 6, 7 DRL begründete, welche durch die anderen Sprachfassungen der Richtlinie nicht gestützt wird (hierzu bereits § 4 Rn. 7, Fn. 11). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist bei einer solchen fehlergeleiteten Regelungsabsicht von einer verdeckten Regelungslücke auszugehen, die eine richtlinienkonforme Rechtsfortbildung im Wege der teleologische Reduktion erlaubt, vgl. BGH v. 26. 11. 2008 – VIII ZR 200/05 – NJW 2009, 427 (429). 380  Kritisch auch Seichter, WRP 2006, 391 (399); Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 19b Rn. 1. 381  §§ 936, 920 Abs. 2 ZPO. Umstritten ist, ob auch unstreitige Tatsachen glaubhaft zu machen sind, soweit eine Anhörung des Antragsgegners im Verfügungsverfahren erfolgt. Siehe (bejahend) OLG Stuttgart v.  18. 11. 2009  – 3 W 63/09  – NZI 2010, 277 (278); (verneinend) KG v. 02. 03. 2011 – 5 W 21/11 – WRP 2011, 611 (612) (Hotel ohne Pool); Kühnen, HdB PatV, Rn. 1737. 382  BGH v. 11. 09. 2003 – IX ZB 37/03 – NJW 2003, 3558; BGH v. 21. 10. 2010 – V ZB 210/09 – NJW-RR 2011, 136 (137). 379  Zu



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V.  Ex parte-Anordnungen 1.  Unterlassungs- und Sicherungsverfügungen Gemäß § 937 Abs. 2 ZPO kann die Entscheidung über eine einstweilige Verfügung in dringenden Fällen oder bei Zurückweisung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss ergehen. Angesprochen ist hier eine über den Verfügungsgrund der Eilbedürftigkeit hinausgehende, besondere Dringlichkeit.383 Ausschlaggebend ist, ob durch die mit der Anberaumung eines kurzfristigen Verhandlungstermins verbundene Verzögerung der Zweck der Verfügung gefährdet wird384 oder eine Überraschung des Antragsgegners aufgrund drohender Vereitelungshandlungen erforderlich ist.385 In Patent- und Gebrauchsmustersachen wird aufgrund der erforderlichen Klärung technischer Fragen zumeist eine mündliche Verhandlung angeordnet.386 Ausnahmen bestätigen die Regel, sofern eine besondere Eilbedürftigkeit aufgrund ablaufenden Patentschutzes oder Messesachen besteht.387 In Markensachen wird die Voraussetzung der Dringlichkeit von den Gerichten deutlich laxer gehandhabt, wie bereits das gewohnheitsrechtlich anerkannte Instrument der Schutzschrift belegt. Durch Einreichung der Schutzschrift versucht eine Person, die sich zu Unrecht einer Rechtsverletzung bezichtigt glaubt, sich bereits im Beschlussverfahren Gehör zu verschaffen, um sich gegen den Erlass einer einstweiligen Verfügung ohne mündliche Anhörung vorbeugend zu verteidigen.388 Das Gericht ist verpflichtet, den Schriftsatz zu berücksichtigen,389 doch ist dies aus Sicht des Antragsgegners keine wirklich befriedigende Option, da er sich keineswegs sicher sein kann, vor welchem Gericht die Gegenseite den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung einzureichen gedenkt.390 383 

Statt aller Vollkommer in Zöller, § 937 ZPO Rn. 2 m. w. N. v.  05. 05. 1987  – 1 BvR 1113/85  – NJW 1987, 2500 (2502); OLG Karlsruhe v.  15. 04. 1987  – 6 W 30/87  – NJW-RR 1987, 1206; Huber in Musielak, § 937 ZPO Rn. 4; Drescher in MüKo ZPO, § 937 Rn. 5. 385  Huber in Musielak, § 921 ZPO Rn. 2; Drescher in MüKo ZPO, § 937 Rn. 5. 386  Krasser, §  36 IX; Mes, PatG/GebrMG, § 139 PatG Rn. 486; Kühnen, HdB PatV, Rn. 1828. 387  Kühnen, HdB PatG, Rn. 1830; Harguth/Carlson, Patents, S. 167 f. 388 Näher Hirsch in Fezer, HdB Markenpraxis, I 4 K. (Rn. 425 ff.); Teplitzky, Wettbewerbsrecht, Kap. 55 Rn. 52 ff.; auch im Patentrecht ist die Schutzschrift freilich nicht vollkommen unbekannt, siehe Kühnen, HdB PatV, Rn. 1876 ff. 389  BGH, NJW 2003, 1257; Drescher in MüKo ZPO, § 937 Rn. 9; Huber in Musielak, § 937 ZPO Rn. 7; regelmäßig werden Schutzschriften bei den Gerichten für ca. sechs Monate lang gespeichert. 390  Der ab dem 01. 01. 2016 anwendbare § 945a ZPO sieht die Schaffung eines Schutzschriftenregisters vor, das von den Ländern zu führen ist; § 49c BRAO komplementiert diese Bestimmung um einen Benutzungszwang für die Anwaltschaft ab 01. 01. 2017. Zum derzeitigen Zeitpunkt ist unter ein auf Privatinitiative 384  BVerfG

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§ 4  Einstweilige Maßnahmen zur Sicherung des Status Quo

Bei Lichte besehen spricht in einer Konstellation, in der beide Seiten bereits schriftliche Stellungnahmen vorbereitet haben, wenig für eine besondere Dringlichkeit, die eine Anhörung des Antragsgegners verzichtbar erscheinen lässt.391 Im Regelfall ging dem Antrag auf einstweilige Verfügung bereits eine Abmahnung des Antragsgegners voraus, so dass weder ein Überraschungsmoment genutzt werden kann, noch eine kurzfristig anberaumte Verhandlung in Anwesenheit beider Parteien zu einer entscheidenden Verzögerung führt.392 Der von der Rechtsprechung teilweise beschrittene Weg, den Antragsgegner vor der Entscheidung im Beschlussverfahren schriftlich – bei Eilbedarf möglichst per Telefax – anzuhören, ist deshalb als Schritt in die richtige Richtung zu begrüßen.393

2. Arrestverfahren 135

Im Arrestverfahren entscheidet das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen, ob es den Antragsgegner vor Erlass der Entscheidung anhört. Dabei streitet der Anspruch auf rechtliches Gehör für die Durchführung eines Verhandlungstermins, sofern nicht aufgrund drohender Vereitelungsmaßnahmen ein Überraschungsmoment essentiell ist.394

3.  Wahrheitspflicht des Antragstellers 136

Unterbleibt die Anhörung des Antragsgegners, so unterliegt der Antragsteller zwar der prozessualen Wahrheitspflicht des § 138 Abs. 1 ZPO, er darf also keine Erklärungen ins Blaue hinein oder Halbwahrheiten vortragen. Doch erstreckt sich diese Vollständigkeitspflicht nur auf die dem Antrag zugrunde liegenden Tatsachen. Der Antragsteller ist nicht verpflichtet, Gesichtspunkte zu benennen, die aus Sicht des Antragsgegners gegen den Erlass einer Anordnung sprechen könnten.

4.  Information des Antragsgegners 137

Die durch Art. 9 Abs. 4 S. 2 DRL geforderte Information des nicht gehörten Antragsgegners erfolgt im deutschen Recht durch Parteizustellung des Arrestbasierendes zentrales Schutzschriftregister verfügbar, welches nicht von allen Gerichten genutzt wird. 391  Siehe zum englischen Recht Jain v Trent Strategic Health Authority, [2009] 2 WLR 248 (266) (HL). 392  Nach anderer Auffassung soll der Nebenzweck einer Abmahnung in der privatisierten Gewährung rechtlichen Gehörs vor Erlass einer Beschlussverfügung bestehen, siehe OLG Frankfurt v. 31. 05. 2010 – 6 W 50/10 – GRUR-RR 2011, 66 (Sequestrationsanspruch); Klein, GRUR 2012, 882 (883) m. w. N. Dem Anspruch auf rechtliches Gehör durch staatliche Gerichte werden solche Privatisierungsversuche freilich nicht gerecht. 393 Näher Danckwerts, GRUR 2008, 763 (765) m. w. N. 394  Huber in Musielak, Rn. § 921 ZPO Rn. 2; Drescher in MüKo ZPO, § 937 Rn. 2 f.



C.  Bewahrung des Status Quo im deutschen Recht

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befehls bzw. Verfügungsbeschlusses, §§ 922 Abs. 2, 936 ZPO. Während die Beschlusszustellung bei Unterlassungsverfügungen einen notwendigen Bestandteil der Vollstreckung darstellt, ist die Vollziehung eines Arrestbefehls oder einer Herausgabeverfügung vor der Zustellung des Beschlusses an den Schuldner zulässig. Das deutsche Recht ist insoweit deutlich großzügiger als die Vorgaben der Richtlinie: Nach §§ 929 Abs. 3, 936 ZPO muss die Zustellung innerhalb einer Woche nach der Vollziehung der Maßnahme erfolgen, während die Richtlinie eine unverzügliche Kenntnisgabe nach Vollziehung fordert. Im Gegensatz zum englischen Recht sind ohne Anhörung des Antragsgegners ergangene Beschlüsse, mit denen der Arrest oder eine einstweilige Verfügung angeordnet werden, in ihrer Wirksamkeit nicht bis zu einem Anhörungstermin befristet. Vielmehr bleibt es dem Antragsgegner überlassen, ob er gegen den Beschluss den formfreien und grundsätzlich unbefristeten Rechtsbehelf des Widerspruchs einlegt, der zu einer neuerlichen Prüfung nach mündlicher Verhandlung führt, §§ 924, 925, 936 ZPO.

VI.  Schutzvorkehrungen zugunsten des Antragsgegners 1.  Mittelbarer Zwang zur Einleitung des Hauptsacheverfahrens Gemäß §§ 936, 926 ZPO ist auf Antrag des Verfügungsbeklagten die einstweilige Verfügung bzw. der Arrest aufzuheben, sofern der Verfügungskläger nicht binnen einer vom Gericht  – gleichfalls nur auf Antrag  – zu bestimmenden Frist Klage in der Hauptsache erhebt. Im Gegensatz zu Art. 9 Abs. 5 DRL sieht das deutsche Recht keine Aufhebung der einstweiligen Maßnahme ex lege vor, sofern der Schutzrechtsinhaber es versäumt, innerhalb einer angemessenen Frist das Verletzungsverfahren einzuleiten. Es ist zweifelhaft, ob diese Regelung eine ordnungsgemäße Umsetzung des Art. 9 Abs. 5 DRL darstellt. Der Gesetzgeber ging davon aus, dass Art. 9 Abs. 5 DRL lediglich eine Mindestharmonisierung enthält, von der zu Gunsten der Schutzrechtsinhaber abgewichen werden kann.395 Allerdings entspricht diese Interpretation nicht der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 50 TRIPS (supra, Rn. 12).396 Angesichts der Tatsache, dass Art. 9 Abs. 5 DRL den Zeitpunkt des Fristbeginns für die Erhebung der Verletzungsklage nicht definiert, ließe sich argumentieren, dass nach deutschem Recht die Frist für die Einleitung des Hauptsacheverfahrens erst mit Antrag des Antragsgegners auf Aufhebung der einstweiligen Verfügung bzw. des Arrests in Lauf gesetzt wird. Es steht freilich

395  396 

Begründung RegE, BT-Drucks. 16/5048, S. 28. EuGH v. 13. 09. 2001 – C-89/99 – Slg. 2001 I-5851 (Route 66), Rn. 40 ff., 54.

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§ 4  Einstweilige Maßnahmen zur Sicherung des Status Quo

in den Sternen, ob der EuGH dieser – der Regelungsintention der Richtlinie offensichtlich widersprechenden – Argumentation folgen würde.397

2.  Kompensation und Absicherung des Antragsgegners 140

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§ 945 ZPO gewährt dem Antragsgegner einen verschuldensunabhängigen Schadensersatzanspruch, soweit der Arrestbefehl oder die einstweilige Verfügung mangels Anordnungsgrund von Anfang an ungerechtfertigt war oder gemäß §§ 926 Abs. 2, 936 ZPO wegen Versäumung der Frist zur Erhebung der Hauptsacheklage aufgehoben wurde. Auch eine Aufhebung der Anordnung aufgrund nachträglicher Bestandsvernichtung des Schutzrechts löst die Schadensersatzhaftung aus.398 Nach dem Wortlaut der Norm und der Rechtsprechung des BGH ist freilich nur der aus der Vollziehung der Maßnahme resultierende Schaden zu ersetzen. Eine freiwillige Unterwerfung zwecks Abwehr der Vollstreckung löse keinen Schadensersatzanspruch aus, sofern nicht das im einstweiligen Verfahren ergangene Urteil bereits eine Ordnungsmittelfestsetzung enthalte oder der Gläubiger nicht bereits mit der Vollziehung begonnen habe.399 Art. 9 Abs. 7 DRL bietet hier Anlass zur richtlinienkonformen Interpretation, da nach dieser Bestimmung allgemein der durch die einstweilige Maßnahme entstandene Schaden zu kompensieren ist. Zur Bemessung des Schadens gelten die allgemeinen Grundsätze der §§ 249 ff. BGB.400 Vermögenseinbußen Dritter sind nach § 945 ZPO grundsätzlich nicht ersatzfähig;401 nur in Einzelfällen wird ein Ersatz nach den Grundsätzen der Drittschadensliquidation erwogen.402 Die Vollziehung einer einstweiligen Verfügung wird von den deutschen Gerichten regelmäßig von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht, wenn die Unterlassungsverfügung in der Sache zur Unterbindung der Produktion oder des Vertriebs einer Ware führt.403 397  Vgl. EuGH v. 13. 09. 2001 – C-89/99 – Slg. 2001 I-5851 (Route 66), Rn. 40 ff., 54, 63 sowie die Diskussion dieser Entscheidung supra § 4 Rn. 12 ff., 25 f. 398  BGH v. 21. 12. 2005 – X ZR 72/04 – GRUR 2006, 219 (222) (Detektionseinrichtung II) m. w. N. 399  BGH v. 13. 04. 1989 – IX ZR 148/88 – NJW 1990, 122 (123 f.); BGH v. 22. 01. 2009 – I ZB 115/07 – GRUR 2009, 890 (891) (Ordnungsmittelandrohung); kritisch mit beachtlichen Gründen Drescher in MüKo, § 945 ZPO Rn. 7. 400  Statt aller Huber in Musielak, § 945 ZPO Rn. 8. 401  BGH v. 25. 11. 1993 – IX ZR 32/93 – NJW 2004, 1413 (1416); BGH v. 09. 09. 1997 – IX ZR 62/96; OLG Brandenburg v. 01. 07. 2008 – 2 U 20/05; Drescher in MüKo ZPO, § 945 Rn. 20 m. w. N. 402  Befürwortend OLG Frankfurt v. 07. 05. 2009 – 6 U 185/07 (Schaden der Muttergesellschaft wegen Ergebnisübernahmevertrag ersatzfähig); Seiler in Thomas/Putzo, ZPO, § 945 Rdn. 13; ablehnend Drescher in MüKo ZPO, § 945 Rn. 20 m. w. N. 403  KG v. 06. 11. 1998 – 5 U 5466/98 – MD 1999, 157 (160); OLG Düsseldorf v. 28. 05. 2009 – I-2 U 111/08 [juris]; Kühnen, HdB PatV, Rn. 1759.



C.  Bewahrung des Status Quo im deutschen Recht

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VII.  Vollstreckung der einstweiligen Verfügung und des Arrests Eine Vollziehung des Arrestbefehls oder der einstweiligen Verfügung ist nach §§ 929 Abs. 2, 936 ZPO unwirksam, sofern diese nicht innerhalb eines Monats nach Verkündung des Endurteils oder Zustellung des ex parte ergangenen Beschlusses an den Antragsteller erfolgt. Soweit die Vollziehung zwecks Wahrung eines Überraschungseffekts vor der Zustellung der Anordnung an den Schuldner durchgeführt wurde, ist die Zustellung an den Antragsgegner innerhalb einer Woche nach der Vollziehung eine weitere Wirksamkeitsvoraussetzung.404 Die Zustellung erfolgt im Parteibetrieb, §§ 922 Abs. 2, 936 ZPO.405 Ist die Zustellung im Ausland erforderlich, bedarf es der Einhaltung der Vollziehungsfrist nicht, soweit die Verzögerung aus der bei einer Auslandszustellung erforderlichen Mitwirkung staatlicher Stellen resultiert.406 Zur Vollziehung einer auf Unterlassung gerichteten einstweiligen Verfügung genügt die Zustellung der gerichtlichen Entscheidung im Parteibetrieb, sofern der Titel eine Ordnungsmittelandrohung nach § 890 ZPO enthält. Zu berücksichtigen ist insofern, dass eine nach Anhörung des Schuldners als Endurteil ergangene Verbotsverfügung mit Ordnungsmittelandrohung bereits mit der Urteilsverkündung Wirksamkeit entfaltet und eine schuldhafte Zuwiderhandlung des Schuldners eine spätere Ordnungsmittelfestsetzung ermöglicht, sofern die Verbotsverfügung im Zeitpunkt der Ordnungsmittelfestsetzung bereits vollzogen (d. h. dem Schuldner im Parteibetrieb zugestellt) ist.407 Bei auf Herausgabe oder Sequestration gerichteten Verfügungen setzt die Vollziehung ebenso wie beim Arrestbefehl die Einleitung einer Vollziehungsmaßnahme gemäß §§ 883, 930 ff. ZPO beim zuständigen Vollstreckungsorgan voraus.408 Die Vollstreckung einer auf Unterlassung oder Herausgabe gerichteten einstweiligen Verfügung erfolgt prinzipiell wie bei entsprechenden Hauptsacheurteilen, d. h. nach §§ 883, 890 ZPO. Die Vollstreckung des Arrests be404 

§§ 936, 929 Abs. 3 ZPO. Zum Erfordernis der Parteizustellung bei verkündeten und von Amts wegen zugestellten Endurteilen kritisch Wüstenberg, WRP 2010, 1237 (1239 f.) m. w. N. 406  § 167 ZPO, vgl. OLG Köln v.  19. 06. 1998  – 6 U 212 / 97, GRUR 1999, 66 (67); KG v. 04. 09. 1998 – 25 U 266/98 – IPRax 2001, 236; zu weiteren Besonderheiten der Zustellung eines Arrestbefehls im Ausland siehe Fohrer/Mattil, WM 2002, 840 (843 f., 846). 407  BGH v. 22. 01. 2009 – I ZB 115/07 – GRUR 2009, 890 (891) (Ordnungsmittelandrohung); dazu Vohwinkel, GRUR 2010, 977 ff. m. w. N. auch zur Gegenauffassung. 408  Dies ergibt sich beim Arrestbefehl aus einem Gegenschluss aus § 929 Abs. 3 S. 1 ZPO, siehe statt aller BGH v. 25. 10. 1990 – IX ZR 211/89 – NJW 1991, 496 (497). Bei auf Herausgabe oder Sequestration gerichteten Verfügungen ist eine Ersetzung echter Vollstreckungsmaßnahmen durch die bloße Zustellung des Titels nicht möglich, da der Titel (im Gegensatz zu Unterlassungsverfügungen, § 888 Abs. 2 ZPO) keine Zwangsmittelandrohung enthält und somit der Vollziehungswille des Gläubigers in der Zustellung nicht hinreichend zum Ausdruck kommt. Vgl. m. w. N. Huber in Musielak, § 936 ZPO Rn. 5; Teplitzky, WettbewerbsR, Kap. 55 Rn. 40a, jeweils m. w. N. auch zur Gegenauffassung. 405 

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§ 4  Einstweilige Maßnahmen zur Sicherung des Status Quo

schränkt sich auf die Pfändung des Schuldnervermögens;409 eine Verwertung scheidet aufgrund der reinen Sicherungsfunktion des Arrestes aus.

VIII. Fazit 145

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Angesichts des weiten Umsetzungsspielraums, welchen Art. 9 DRL den Mitgliedstaaten einräumt, entsprach die Regelung des einstweiligen Rechtsschutzes in den §§ 916 ff. ZPO bereits weitgehend den Anforderungen der Richtlinie. Im Schrifttum wurden zwar verschiedentlich Zweifel geäußert, ob bestimmte Anordnungsvoraussetzungen des deutschen Rechts angesichts der Richtlinie aufrecht erhalten werden können – etwa die Besorgnis einer Vollstreckungsvereitelung über die Gefahr des Zugriffs konkurrierender Gläubiger hinaus410 oder die Verletzung einer Prüfungspflicht bei Anordnungen gegenüber Mittelspersonen.411 Im Ergebnis zutreffend hat der deutsche Gesetzgeber insoweit auf das in Art. 3 DRL zum Ausdruck kommende Gebot hingewiesen, auch in Verfahren zur Durchsetzung gewerblicher Schutzrechte eine angemessene Balance zwischen den berechtigten Interessen der Parteien herzustellen. Bedenken an der Vereinbarkeit des deutschen Rechts mit den Bestimmungen der Richtlinie bestehen hinsichtlich der Schutzmaßnahmen zugunsten des Antragsgegners. Dies betrifft einerseits die fehlende Aufhebung einstweiliger Maßnahme ex lege, sofern der Antragsteller es versäumt, ein Hauptsacheverfahren einzuleiten. Andererseits ist entgegen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Zuge richtlinienkonformer Interpretation ein Ersatzanspruch nach Aufhebung einer einstweiligen Maßnahme auch dann zu gewähren, wenn es einer Vollstreckung aufgrund der freiwilligen Befolgung der Maßnahme nicht bedurfte. Schließlich kann die Umsetzung des Art. 9 Abs. 2 S. 2 DRL nicht überzeugen: Die Beschränkung der Vorlageanordnung im einstweiligen Rechtsschutz auf offensichtliche Rechtsverletzungen beeinträchtigt die praktische Wirksamkeit des Art. 9 Abs. 2 S. 2 DRL. Diese Abweichungen des deutschen Rechts von der Durchsetzungsrichtlinie beleuchten die generelle Problematik sektorieller Prozessrechtsangleichung: Aus Perspektive der deutschen Rechtsordnung ist es schwer vermittelbar, weshalb Inhaber gewerblicher Schutzrechte im einstweiligen Rechtsschutz Zugang zu Informationen über das Vermögen des behaupteten Rechtsverletzers erhalten sollten, während andere Gläubiger erst die Titulierung der Forderung abwarten müssen. Auch wäre es schwer zu rechtfertigen, wenn einstweilige Verfügungen zur Durchsetzung gewerblicher Schutzrechte ihre Wirkung mangels Initiierung eines Hauptsacheverfahrens ex lege verlören, während in anderen 409 

§§ 930 ff. ZPO. Dörre/Maaßen, GRUR-RR 2008, 217 (221). 411  Nordemann, GRUR 2011, 977 (979, 981). 410 



D.  Rechtsvergleichende Würdigung

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Rechtssachen ein Antrag des Verfügungsbeklagten nach § 926 Abs. 1 ZPO erforderlich wäre. Selbstverständlich ist der nationale Gesetzgeber befugt, einer solchen Ungleichbehandlung durch überschießende Umsetzung vorzubeugen. Auf diesem Wege wandelt sich die sektorielle Verfahrensrechtsangleichung durch die Europäische Union zu einem Hebel für eine allgemeine Prozessrechtsharmonisierung. Schließlich ist zu konstatieren, dass der Bundesgerichtshof in Bezug auf die Störerhaftung von Diensteanbietern der Informationsgesellschaft nicht zu einem Dialog mit dem Europäischen Gerichtshof bereit war. Weder hat der I. Zivilsenat  – trotz abweichender Auffassungen in Literatur und unterinstanzlicher Rechtsprechung – ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gerichtet, um das Verhältnis zwischen Art. 9 Abs. 1 DRL und Art. 15 eCom­ merce-Richtlinie zu klären. Noch wurden die Entscheidungen des EuGH in den Rechtssachen L’Oréal/eBay, Scarlet Extended und Sabam/Netlog als Anlass zu einer Überprüfung der eigenen Rechtsprechung genutzt.

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D.  Rechtsvergleichende Würdigung I.  Richtliniengetreue Umsetzung Art. 9 DRL belässt den Mitgliedstaaten einen weiten Umsetzungsspielraum. Es verwundert deshalb nicht, dass die Regelungen des englischen und den deutschen Rechts weitgehend den Vorgaben der Richtlinie entsprechen, obgleich sowohl der deutsche als auch der englische Gesetzgeber bemüht waren, nur geringe Eingriffe in das jeweilige System des einstweiligen Rechtsschutzes vorzunehmen. Der englische High Court hat freilich eine Notwendigkeit zur Rechtsfortbildung im Bereich einstweiliger Anordnungen gegenüber Mittelspersonen identifiziert und sich der Aufgabe gestellt, das englische Recht insoweit an die Erfordernisse des Art. 9 Abs. 1 DRL anzupassen. Gewisse Zweifel bestehen auch insoweit, als freezing injunction und die beigefügte disclosure order weder eine echte Vermögensbeschlagnahme noch eine Vorlage von Bank-, Finanz- und Handelsunterlagen erlauben, wie dies Art. 9 Abs. 2 DRL vorsieht. Da die Kommission in ihrer Begründung des Richtlinienvorschlags explizit auf das Vorbild der freezing injunction Bezug genommen hat, verwundert es jedoch nicht, dass der englische Gesetzgeber bei Umsetzung der Richtlinie keinen Anpassungsbedarf gesehen hat. Ob der EuGH diese Einschätzung teilt, bleibt abzuwarten. An der deutschen Umsetzung ist vor allem der fehlende Konnex des Vorlageanspruchs über Bank-, Finanz- und Handelsunterlagen zum Arrest zu kritisieren. Die Realisierung des Vorlageanspruchs im Wege des einstweiligen

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§ 4  Einstweilige Maßnahmen zur Sicherung des Status Quo

Rechtsschutzes bleibt hinter den Vorgaben der Richtlinie zurück. Bedenken bestehen auch hinsichtlich der fehlenden Aufhebung einer einstweiligen Maßnahmen ex lege, wenn der Schutzrechtsinhaber eine Einleitung des Hauptsacheverfahrens unterlässt.

II.  Angemessene Berücksichtigung der beidseitigen prozessualen Interessen 152

Unabhängig von der Richtlinienkonformität stellt sich die Frage, ob die Regelungen des deutschen und englischen Rechts die beidseitigen prozessualen Interessen angemessen berücksichtigen und welche Schlüsse sich aus den Erfahrungen dieser Rechtsordnungen für künftige Rechtsetzungsmaßnahmen ziehen lassen.

1.  Unterlassungs- und Sicherungsverfügungen a)  Die Bedeutung der materiellen Rechtslage 153

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Sowohl im deutschen als auch im englischen Recht hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass der materiellen Rechtslage bei Erlass einer einstweiligen Verfügung entscheidende Bedeutung zukommt. Im englischen Recht steht der Realisierung dieser Einsicht freilich weiterhin das Präjudiz aus der Rechtssache American Cyanamid entgegen. In der Praxis legen die englischen Gerichte zwar ein Lippenbekenntnis zur Berücksichtigung dieses Präjudizes ab, doch hat die Rechtsprechung zahlreiche Schlupflöcher entwickelt, um die Beurteilung der materiellen Rechtslage in die Entscheidung einfließen zu lassen. Unter dieser Vorgehensweise leidet die Rechtssicherheit, zumal die Berufung vor dem Court of Appeal lediglich eine Überprüfung erlaubt, ob der erkennende Richter die Grenzen des ihm eingeräumten Ermessens überschritten hat. Aus rechtsvergleichender Perspektive betrachtet erweist sich die Entscheidung in American Cyanamid als Paradebeispiel für das Sprichwort hard cases make bad law. Die deutsche Erfahrung zeigt, dass der Erlass einstweiliger Unterlassungsverfügungen in Patentstreitsachen eine seltene Ausnahme darstellt, wenn von dem Patentinhaber erwartet wird, sowohl den Bestand des Schutzrechts als auch den Verletzungstatbestand glaubhaft zu machen. Die technische und rechtliche Komplexität der Materie steht einer Klärung der materiellen Rechtslage im Eilverfahren regelmäßig entgegen. Angesichts dessen weiß die Reaktion des House of Lords in der Entscheidung American Cyanamid, der Abwägung der Parteiinteressen eine höhere Bedeutung beizumessen als der materiellen Rechtslage, durchaus zu überzeugen. Denn das vorrangige Abstellen auf die Glaubhaftmachung des Verfügungsanspruchs weckt in Patentsachen die Gefahr einer Rechtsschutzverweigerung. Eine Verallgemeinerung des Prinzips aus American Cyanamid auf andere Materien,



D.  Rechtsvergleichende Würdigung

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die keine vergleichbare Komplexität aufweisen, ist hingegen nicht angezeigt. Grundsätzlich ist die Orientierung an der materiellen Rechtslage, ergänzt um das Kriterium der Eilbedürftigkeit, ein überzeugender Maßstab für die Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz.

b)  Unterlassungsanordnungen gegen Unbekannt und gegen Mittelspersonen Die Entwicklung der einstweiligen Verfügungen gegenüber Mittelspersonen ist in beiden Rechtsordnungen noch im Fluss. Im deutschen Recht besteht aufgrund des weiten Täterschaftsbegriffs im Patent- und Gebrauchsmusterrecht kein Bedarf an Verfügungen gegenüber Mittelspersonen, während die Rechtsprechung im Marken- und Geschmacksmusterrecht die Haftung von Mittelspersonen von der Verwirklichung eines Kausalbeitrags und der Verletzung von Prüfungspflichten (sog. Störerhaftung) abhängig macht. Im englischen Recht kommen interim injunctions gegenüber Mittelspersonen traditionell nur in Betracht, wenn die Mittelsperson dazu beiträgt, schutzrechtsverletzende Ware in den Verkehr zu bringen. Der High Court hat jedoch die Bereitschaft erkennen lassen, interim injunctions gegenüber Mittelspersonen zu erlassen, sofern die Durchsetzungsrichtlinie dies gebietet. Praxisrelevant ist dies bislang vorrangig auf dem Gebiet injunctions gegenüber Diensteanbietern der Informationsgesellschaft. Aufgrund der Entwicklung neuer Vertriebs- und Kooperationsformen über das Internet werden seit Ende des letzten Jahrtausends insbesondere die Bedingungen diskutiert, unter denen Unterlassungsverfügungen gegenüber Diensteanbietern der Informationsgesellschaft erlassen werden können. Das Unionsrecht enthält nur hinsichtlich dieser Mittelspersonen in Art. 12 ff. eCommerce-Richtlinie konkrete Regelungen. Es handelt sich um einheitliche Haftungsprivilegierungen, die lediglich bestimmen, welche Art von Unterlassungsverfügungen gegenüber Diensteanbietern der Informationsgesellschaft, die als Mittelspersonen agieren, nicht erlassen werden können. Von besonderer Bedeutung für die Durchsetzung gewerblicher Schutzrechte sind die Haftungsprivilegierungen von Host Service Providern. Hier hat die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache L’Oréal/eBay erste Auslegungshinweis geliefert. Angesichts der weiterhin divergierenden Interpretation durch die mitgliedstaatlichen Gerichte bleibt die nähere Klärung in künftigen Entscheidungen des EuGH abzuwarten. Die durch moderne Vertriebstechniken beförderten Optionen von Schutzrechtsverletzern, im Schutze der Anonymität zu agieren, lässt Unterlassungsverfügungen gegen „Unbekannt“, d. h. gegen nicht namentlich (sondern bspw. nur über einen Nutzernamen) identifizierte Antragsgegner, als attraktive Option erscheinen. Im englischen Recht sind solche Verfügungen seit Einführung der CPR im Jahr 1999 zulässig, wobei zur Wahrung der rechtlichen Belange des Antragsgegners ein amicus curiae bestellt wird. Das deutsche Recht kennt

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§ 4  Einstweilige Maßnahmen zur Sicherung des Status Quo

Unterlassungsverfügungen gegen nicht namentlich benannte Personen (noch) nicht.

2.  Sicherung des Vermögensbestands 158

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Das deutsche und das englische Recht verwirklichen die von Art. 9 Abs. 2 S. 2 DRL geforderte einstweilige Anordnung zur Sicherung eines behaupteten Anspruchs auf Geldzahlung auf sehr unterschiedlichem Wege. Dennoch kann hinsichtlich der Anordnungsvoraussetzungen ein gemeinsamer Kernbestand identifiziert werden. Erstens sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache ein maßgeblicher Faktor für die Anordnung der Maßnahme. Zweitens steht der einstweilige Rechtsschutz nicht zur Verfügung, um generell für eine ungesicherte Forderung eine Sicherheit zu erlangen oder im Wettrennen mit anderen Gläubigern eine vorrangige Durchsetzung der eigenen Forderung zu erzielen. Es ist folglich nicht ausreichend, dass die Erfüllung des Schadensersatzanspruchs lediglich gefährdet ist, wie Art. 9 Abs. 2 S. 1 DRL dies ausdrückt. Vielmehr sind prinzipiell Hinweise auf eine über den regulären Geschäftsbetrieb hinausgehende, vom Antragsgegner vorgenommene Verschleierung oder Verschleuderung seines Vermögens erforderlich. Sowohl freezing injunction als auch Arrest beschränken sind nicht auf die inländischen Vermögenswerte des Antragsgegners. Der dingliche Arrest ermöglicht dem Antragsteller eine Pfändung des Vermögens des Antragsgegners, welche nach gerichtlicher Feststellung des Anspruchs eine vorrangige Befriedigung des Gläubigers erlaubt. Die freezing injunction enthält ein in personam wirkendes Verfügungsverbot, das nicht allein gegenüber dem Antragsgegner wirkt, sondern auch allen anderen Personen, die von der Anordnung Kenntnis erlangen, Unterstützungshandlungen verbietet. Sie bewirkt keine Priorität des Antragstellers in der späteren Zwangsvollstreckung, setzt den Antragsgegner jedoch angesichts der mit der Bekanntgabe an Banken verbundenen Rufschädigung und Liquiditätsengpässe unter hohen Vergleichsdruck. Als Plus für den Antragsgegner lässt sich verbuchen, dass Vorgänge im Rahmen der gewöhnlichen Betriebs-, Lebens- und Prozessführung von der freezing injunction ausgenommen sind und die Tilgung von Schulden auf Antrag gerichtlich erlaubt werden kann. Dem Gericht wird durch diese Annexverfahren (sog. satellite litigation) allerdings eine Verwalterrolle zugewiesen, und es entstehen erhebliche Compliance-Kosten auf Seiten der betroffenen Dritten. Die hohen Verfahrenskosten sowie die Verpflichtung, bei Dritten entstehenden Kosten zu kompensieren, lassen die freezing injunction nur bei höheren Streitwerten attraktiv erscheinen. Es lässt sich somit keine generalisierende Aussage treffen, ob der dingliche Arrest oder die freezing injunction eine effektivere Maßnahme darstellt bzw. den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit besser berücksichtigt. Unabhängig



D.  Rechtsvergleichende Würdigung

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vom jeweiligen Einzelfall kann lediglich festgehalten werden, dass die Kosten für den Antragsteller und die Risiken für den Antragsgegner bei der freezing injunction deutlich höher sind.

3.  Informationen über das Vermögen des Antragsgegners Auch die Information über den finanziellen Status des Antragsgegners wird durch das deutsche und das englische Recht auf unterschiedlichem Wege verwirklicht. Die der freezing injunction beigefügte disclosure order zwingt den Antragsgegner nicht zur Vorlage von Dokumenten, sondern zur Offenbarung seiner Vermögensbestandteile. Im Gegensatz zum englischen Recht enthält das deutsche Recht keine querschnittsartige Regelung, mittels derer der Antragsteller noch vor Erlass einer Entscheidung in der Hauptsache Einblick in den Finanzstatus des Antragsgegners nehmen könnte. Vielmehr wurden in § 140d PatG et al. spezifisch immaterialgüterrechtliche Ansprüche auf die Vorlage von Bank-, Finanz- und Handelsunterlagen geschaffen, deren Durchsetzung im einstweiligen Rechtsschutz bei Vorliegen einer offensichtlichen Rechtsverletzung möglich ist. Beide Gestaltungsvarianten haben ihre Stärken und Schwächen. Die Auskunft über Vermögensbestandteile vermittelt dem Antragsteller sofortigen Einblick in die Finanzlage des Antragsgegners und ermöglicht es, weitere Sicherungsmaßnahmen bzw. spätere Vollstreckungsmaßnahmen zu initiieren. Die Überprüfung der erfolgten Auskunft ist mangels Zugriff auf Unterlagen des Antragsstellers jedoch schwierig; der Antragsteller muss hierbei auf das Drohpotential einer Sanktionierung durch contempt of court vertrauen. Der immaterialgüterrechtliche Vorlageanspruch nach deutschem Recht stellt den Antragsteller vor die schwierige Aufgabe, die vorzulegenden Dokumente ausreichend konkret zu bezeichnen. Soweit der Vorlageanspruch erfüllt oder durchgesetzt wird, erlauben die vorgelegten Dokumente jedoch gegebenenfalls Rückschlüsse auf die Existenz weiterer Vermögensbestandteile bzw. erfolgte Vermögensverschleierungen. Aus Sicht des Antragsgegners fällt auf, dass diesen mit der disclosure order eine weite Auskunftspflicht über sein Vermögen trifft, während die Durchsetzung des Vorlageanspruchs ihn gegebenenfalls zwingt, dem Antragsteller Einblick in gewisse Details seiner Finanz- und Organisationsstruktur zu gewähren (z. B. Einblick in Kundendatenbanken). Eine sektorielle Spezialregelung, wie sie die Vorlageansprüche nach § 140d PatG et. al. enthalten, ist wenig überzeugend. Nicht von ungefähr wurde die freezing injunction mit beigefügter disclosure order geprägt und entwickelt im Commercial Court (Teil der Queen’s Bench Division des High Court) und nicht in der für gewerbliche Schutzrechte zuständigen Chancery Division.412 Typische Anwendungsgebiete sind (u. a. aufgrund der hohen Verfahrens412 

Zur Genese der freezing injunction siehe Tamaruya, CJQ 2010, 350 (355 ff.).

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§ 4  Einstweilige Maßnahmen zur Sicherung des Status Quo

kosten) große internationale Betrugsfälle, Finanzskandale sowie Rechtssachen aus dem Schiffs- und Logistikrecht.413 Unter Gesichtspunkten der Gläubigergleichberechtigung ist es wenig überzeugend, wenn das deutsche Recht die über Art. 9 Abs. 2 S. 2 DRL aus dem englischen Recht importierte Regelung nur denjenigen Gläubigern zugesteht, die Ansprüche aus einer Verletzung gewerblicher Schutzrechte geltend machen. Dass es sich hierbei um ein aus Sicht des deutschen Gesetzgebers unerbetenes legal transplant handelt, zeigt die richtlinienwidrige Beschränkung der Durchsetzung des immaterialgüterrechtlichen Vorlageanspruchs im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes auf Fälle offensichtlicher Rechtsverletzung.

4.  Ex parte-Anordnungen 165

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Einstweiliger Rechtsschutz ohne Anhörung des Antragsgegners ist im allgemeinen Verfahrensrecht sowohl des englischen als auch des deutschen Rechts vorgesehen, sofern eine Anordnung besonders eilbedürftig oder ein Überraschungsmoment essentiell ist. Der Rechtsvergleich offenbart deutlich höhere Schutzvorkehrungen zugunsten des nicht gehörten Antragsgegners im englischen Recht. Soweit kein Geheimhaltungsbedarf besteht, wird eine Versagung des rechtlichen Gehörs im englischen Verfahrensrecht nur in jenen Fällen akzeptiert, in denen eine ordnungsgemäße Ladung des Antragsgegners unmöglich ist und der Antragsteller den Antragsgegner zumindest informell über das Verfahren informiert hat. Das Gericht setzt standardmäßig ein return date fest und befristet die zeitliche Wirksamkeit der Anordnung zumeist bis zu diesem Termin, um jeden Eindruck einer Voreingenommenheit zu verhindern.414 Ferner ist der Antragsteller im Rahmen der Pflicht zur full and frank disclosure gehalten, auch alle gegen den Erlass des Antrags sprechenden Gesichtspunkte vorzutragen. Dies ist selbstverständlich kein vollkommenes Äquivalent zur Anhörung des Antragsgegners, da die Form der Präsentation einen Rechtsstreit entscheidend beeinflussen kann.415 Dennoch erhält das Gericht auf diese Weise ein umfassenderes Bild des Rechtsstreits. Für das deutsche Verfahrensrecht lassen sich aus dem Rechtsvergleich zahlreiche Impulse gewinnen. Auf das präventive Einreichen von Schutzschriften, deren Aufbewahrung bei Gericht und die Einrichtung eines Schutzschriften413 

Chatterjee/Lefcovitch, 8 JBR (2007), 244 (245); Tamaruya, CJQ 2010, 350 (359). avoided everyone falling into the trap of thinking that it is for the injuncted defendant to demonstrate that the injunction ought to be discharged when it is surely for the applicant to demonstrate that an injunction granted ex parte should be extended.“, R (Casey) v Restormel Borough Council, [2007] EWHC 2554 (Admin), Rn. 38. 415  Columbia Picture Industries v Robinson, [1987] Ch 38 (75); Laddie/Dockray, LQR 1990, 601 (606); Andrews, Civil Procedure, Rn. 17.39, nennt die Pflicht zur full and frank disclosure „a demanding instance of forensic schizophrenia”. 414  „[This]



D.  Rechtsvergleichende Würdigung

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registers416 könnte verzichtet werden, wenn der Antragssteller verpflichtet wäre, den Antragsgegner in Fällen fehlenden Geheimhaltungsbedarfs zumindest informell über die Antragstellung zu unterrichten. Soweit der fliegende Gerichtsstand des § 32 ZPO / Art. 7 Nr. 2 EuGVO (2012) ein forum shopping bei einstweiligen Verfügungen im Gewerblichen Rechtsschutz ermöglicht, ließe sich das „Austesten“ einzelner Kammern vermeiden, wenn den Antragsteller die Pflicht träfe, einen zuvor gescheiterten Versuch, ein anderes Gericht zum Erlass derselben einstweiligen Verfügung zu bewegen, zu offenbaren (oder wenn abgelehnte bzw. zurückgewiesene Anträge dem Antragsgegner zugestellt würden). Auch die Befristung einstweiliger Maßnahmen bis zu einem gerichtlich festgesetzten Anhörungstermin hat einen gewissen Charme, sucht sie doch die dem Antragssteller unter Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gewährten Vorteile zeitlich zu begrenzen. Kehrseite dieser Medaille ist selbstverständlich, dass ein solcher automatischer Anschlusstermin Verfahrenskosten verursacht, die anderenfalls mangels Erhebung eines Widerspruchs unter Umständen nicht entstanden wären.

5.  Schutzvorkehrungen zugunsten des Antragstellers Nicht nur im Hinblick auf den Termin zur Überprüfung einer ex parte-Anordnung, sondern auch bezüglich der Einleitung des Hauptsacheverfahrens nach Erlass einer Maßnahme des einstweiligen Rechtsschutzes bedarf es im deutschen Recht einer Initiative des Antragsgegners. Erst auf dessen Antrag hin ordnet das Gericht nach §§ 926, 936 ZPO die Klageerhebung in der Hauptsache an. Auf die Zweifel, ob diese allgemeine Regelung den Vorgaben der Richtlinie genügt, wurde bereits oben hingewiesen (Rn. 138 f.). Auch insoweit sind die Schutzvorkehrungen zugunsten des Antragsgegners im englischen Recht umfassender ausgestaltet. Eine Entscheidung des einstweiligen Rechtsschutzes ergeht prinzipiell nur, sofern sich der Antragsteller verpflichtet, das Hauptsacheverfahren unverzüglich einzuleiten, und die interim injunction kann auch dann aufgehoben werden, wenn der Antragsteller das Hauptsacheverfahren ungebührlich verschleppt. Sehr unterschiedlich ausgestaltet ist die Umsetzung der Kompensationspflicht im Falle der Aufhebung einer einstweiligen Maßnahme nach Art. 9 Abs. 7 DRL. Während das deutsche Recht in § 945 ZPO einen verschuldensunabhängigen Schadensersatzanspruch kennt, fehlt es an einem solchen im englischen Recht. Der Erlass einer einstweiligen Verfügung steht nach der Rechtsprechung der englischen Gerichte regelmäßig unter der Bedingung, dass sich der Antragsteller gegenüber dem Gericht verpflichtet, eventuelle Vermögensschäden des Antragsgegners auf Grund einer zu Unrecht ergangenen Verfügung nach dem Ermessen des Gerichts zu ersetzen. Aus kontinentaleuropäischer Perspektive 416 

Supra § 4 Rn. 133 Fn. 390.

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§ 4  Einstweilige Maßnahmen zur Sicherung des Status Quo

erscheint eine gesetzliche Regelung des Schadensersatzanspruchs vorzugswürdig, zumal auf diesem Wege auf das Hilfskonstrukt einer „implizit“ abgegebenen Verpflichtungserklärung zugunsten des Antragsgegners verzichtet werden kann. Vorteil der Ausgestaltung als Verpflichtungserklärung ist die Möglichkeit des Gerichts, ohne die Entwicklung abstrakter Zurechnungskriterien flexibel diejenigen Personen in den Schutzbereich der Verpflichtungserklärung einzubeziehen, die aufgrund der injunction einen Schaden erleiden könnten. In der Praxis bleibt hier freilich vieles dem Zufall bzw. der Vorstellungskraft des Gerichts überlassen, da die englische Rechtsprechung das Schweigen des Antragstellers nicht als stillschweigende Verpflichtungserklärung zugunsten von der Verfügung betroffener Dritter interpretiert und die Dritten weder vor Erlass der Entscheidung gehört, noch zwingend über deren Inhalt informiert werden (freezing injunctions ausgenommen).417 Vor diesem Hintergrund erscheint eine gesetzliche Haftungsnorm und die Entwicklung abstrakter Maßstäbe, wann von einer Einbeziehung dritter Personen in den Schutzbereich der Norm auszugehen ist, vorzugswürdig. Letztlich stellt die Beweislast des Verfügungsbeklagten (oder des Dritten) für den aus der Verfügung resultierenden Schaden sowohl im Rahmen des § 945 ZPO als auch im Falle eines undertaking in damages eine hohe Hürde dar, weshalb in der Praxis eine Inanspruchnahme des Antragstellers eher selten erfolgt.418

III.  Stand der Harmonisierung und Reformimpulse 171

Die Harmonisierungswirkung der Richtlinie zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums ist auf dem Gebiet der einstweiligen Unterlassungsanordnungen und Sicherheitsmaßnahmen gering. Sowohl der deutsche als auch der englische Gesetzgeber haben an tradierten Konzepten festgehalten; allein hinsichtlich der vorprozessualen Offenlegung von Vermögensbestandteilen nähert sich das deutsche Recht zögerlich dem englischen Richtlinienvorbild an.

1.  Die Problematik der sektoriellen Prozessrechtsvereinheitlichung 172

An Art. 9 DRL lassen sich vortrefflich die Schwierigkeiten einer sektoriellen Prozessrechtsvereinheitlichung zugunsten einer materiellrechtlich differenzierten Personengruppe illustrieren. Soweit Art. 9 Abs. 1 DRL lediglich bestimmte, im Verfahrensrecht der Mitgliedstaaten allgemein bekannte Verfügungstypen vorgibt und den Mitgliedstaaten zu deren Umsetzung einen weiten Spielraum 417 Näher 418  Ein

m. w. N.

Gee, (2006) LMCLQ 181 (199 f.). instruktives Gegenbeispiel ist Astrazeneca AB v KRKA, [2014] EWHC 84 (Pat)



D.  Rechtsvergleichende Würdigung

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belässt, kann von einer durch die Richtlinie bewirkten Vereinheitlichung nicht gesprochen werden. Soweit die Richtlinie jedoch ein bislang im Verfahrensrecht der Mitgliedstaaten unbekanntes Instrument einführt (z. B. Vorlage von Bank-, Finanz- und Handelsunterlagen im einstweiligen Rechtsschutz), wird die Frage aufgeworfen, welche Gründe für diese prozessuale Bevorzugung ausgerechnet der Inhaber gewerblicher Schutzrechte streiten. Eine Antwort auf diese Frage liefern weder die Erwägungsgründe der Durchsetzungsrichtlinie, noch der vorangegangene Rechtsetzungsprozess. Sicherlich sind einstweilige Unterlassungsverfügungen im gewerblichen Rechtsschutz aus diversen Gründen von herausragender Bedeutung.419 Dieser Befund trifft aber erstens auch auf andere Rechtsmaterien zu (z. B. das Lauterkeitsrecht). Zweitens lässt sich eine besondere Bedeutung der einstweiligen Sicherung des Vermögensbestands des vorgeblichen Schuldners bzw. des hierzu korrespondierenden Einblicks in dessen Vermögenslage nicht konstatieren.420 Im Gegenteil sind Schadensersatzverfahren im gewerblichen Rechtsschutz aufgrund der hohen Bedeutung von Unterlassungsanordnungen eher selten, weshalb auch eine Vollstreckungssicherung weniger relevant erscheint.

173

2.  Einführung einer höheren Regelungsdichte Eine engmaschigere Formulierung des Art. 9 DRL, welche die Regelungsprärogative der Mitgliedstaaten einschränkt, erscheint aus der Perspektive der Rechtsvereinheitlichung durchaus wünschenswert. Doch ist mit einer weitergehenden Rechtsvereinheitlichung ein stärkerer Eingriff in die nationalen Prozessrechtsordnungen verbunden, der die Mitgliedstaaten zu einer stärkeren Differenzierung zwischen dem allgemeinem einstweiligen Rechtsschutz und dem einstweiligen Rechtsschutz zur Durchsetzung gewerblicher Schutzrechte nötigen würde. Da eine spezifische prozessuale Sonderstellung der Inhaber gewerblicher Schutzrechte in Bezug auf den einstweiligen Rechtsschutz nicht identifiziert werden kann, erscheint eine höhere Regelungsdichte des Art. 9 DRL nicht empfehlenswert. Im Gegenteil ließe sich erwägen, Art. 9 Abs. 2 DRL offener zu formulieren, so dass die freezing injunction samt disclosure order den wörtlichen Vorgaben der Richtlinie genügt.

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3.  Präzisierung des Fristbeginns zur Einleitung des Hauptsacheverfahrens Eine Ausnahme zu der soeben ausgesprochenen Empfehlung, die Regelungsdichte der Richtlinie nicht zu erhöhen, stellt Art. 9 Abs. 5 DRL dar. Die detailverliebte Bestimmung der Fristlänge bis zur Einleitung des Hauptsachever419 

Hierzu bereits supra § 4 Rn. 1. Kritisch gegenüber der Regelung deshalb auch Seichter, WRP 2006, 391 (399); Ingerl/ Rohnke, MarkenG, § 19b Rn. 1. 420 

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§ 4  Einstweilige Maßnahmen zur Sicherung des Status Quo

fahrens sollte ergänzt werden um einen Hinweis, zu welchem Zeitpunkt diese Frist zu laufen beginnt.

4.  Präzisierung der Passivlegitimation von Mittelspersonen 176

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Auch der Begriff der Mittelspersonen, gegen die eine einstweilige Unterlassungsverfügung zur Verfügung stehen muss, könnte präzisiert werden. Angesichts der unterschiedlichen Täterschaftskonzepte in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten (und teilweise innerhalb einzelner Mitgliedstaaten, siehe nur die in Rn. 107 ff. angesprochene divergierende Rechtsprechung des I. und X. Zivilsenats des BGH) kommt eine Definition von Kriterien in Betracht, welche die Inanspruchnahme zumindest als Mittelsperson (wenn nicht gar als Täter) legitimiert. Hierfür scheint die Zeit allerdings mangels belastbarer rechtsvergleichender Erkenntnisse noch nicht reif.421 Um eine tatsächliche Harmonisierung zu erzielen, bedarf es einer präzisen Definition von Zurechnungskriterien.422 Vage Standards wie das im Rahmen der deutschen Störerhaftung verwandte Merkmal der „Verletzung zumutbarer Prüfungspflichten“ sind nicht geeignet, tatsächliche Rechtseinheit innerhalb der Union herzustellen – jedenfalls nicht ohne zahlreiche, zeitraubende Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH, bis zu deren Erlass erhebliche Rechtsunsicherheit herrschte. Eine potentielle künftige Bestimmung sollte auch die Reichweite der Unterlassungsverfügung (konkrete oder kerngleiche Verletzung, Definition der Kerngleichheit) sowie einen evtl. bestehenden Vorrang des Vorgehens gegenüber dem unmittelbaren Verletzer regeln, wobei letzteres effektive Auskunftsrechte des Verletzten gegenüber der Mittelsperson voraussetzt (hierzu § 7 Rn. 18 ff., 33 ff.). Meines Erachtens ist es sinnvoll, zunächst die weitere Konsolidierung der Rechtsprechung zu den Haftungsprivilegierungen der Diensteanbieter nach der eCommerce-Richtlinie abzuwarten, ggf. auch deren Reform durch den Richtliniengeber, und erst auf Basis der so gewonnenen Erkenntnisse sowie weiterer rechtsvergleichender Forschung zur Inanspruchnahme von Mittelspersonen in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten eine Legaldefinition in die Durchsetzungsrichtlinie aufzunehmen.

5.  Bessere Definition des Regelungskorridors 178

Sinnvoll wäre es schließlich, wenn die prozessualen Interessen des vorgeblichen Schutzrechtsverletzers eine stärkere Beachtung fänden. Geboten er421 

Leistner in Ohly, EU IP Law, S. 144 f. Leistner in Ohly, EU IP Law, S. 144 f. nennt als potentielle Kritieren die aktive bzw. passive Rolle der Mittelsperson, das Ausmaß ihrer Kontrolle über die Rechtsverletzung, die Bedeutung ihrer Handlung für den Rechtsverletzer sowie den Gesichtspunkt des cheapest cost avoider. 422 



D.  Rechtsvergleichende Würdigung

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scheint zunächst eine Klarstellung, dass die in Art. 9 Abs. 4 S. 2, Abs. 5 bis 7 DRL genannten Schutzmaßnahmen zugunsten des Antragsgegners eine Umsetzungspflicht begründen und trotz des in Art. 2 Abs. 1, Art. 16 DRL niedergelegten Mindestharmonisierungsprinzips nicht zur Disposition der nationalen Gesetzgeber stehen. Der Rechtssicherheit wäre es ferner zuträglich, wenn die Richtlinie detaillierter verdeutlichen würde, inwieweit die Mitgliedstaaten berechtigt sind, die Belange des behaupteten Schutzrechtsverletzers zu berücksichtigen, ohne richtlinienwidrig zu handeln. Dies betrifft etwa die Klarstellung, dass Risiken auf Basis des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs des vorgeblichen Schutzrechtsverletzers nicht zwingend als „Gefährdung“ eines behaupteten Schadensersatzanspruchs angesehen werden müssen.

§ 5  Anordnung der Beweismittelvorlage A.  Die Vorgaben der Richtlinie I.  Grundzüge der Regelung des Art. 6 DRL 1

2

Die alte Weisheit, dass „Recht haben“ und „Recht bekommen“ zwei Paar Schuhe sind, ist eng mit den Schwierigkeiten und Unwägbarkeiten der Beweisführung verknüpft.1 Besondere Probleme der Beweisführung entstehen für den Kläger, wenn sich entscheidende Beweismittel in der Sphäre des Beklagten befinden und auch seit jeher dort befunden haben. Die Rechtsordnungen des Common Law und des Civil Law unterscheiden sich deutlich in ihrer tradierten Herangehensweise an die Beschaffung von Beweismitteln aus der Sphäre der gegnerischen Partei. Zwar ist das in der deutschen Rechtsprechung und Literatur häufig geäußerte Postulat, niemand sei gehalten, seinem Gegner die Waffen in die Hand zu geben bzw. das Material für seinen Prozesserfolg zu verschaffen,2 nicht repräsentativ für Kontinentaleuropa. Doch sehen die kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen grundsätzlich nur gerichtliche Anordnungen zur Vorlage spezifizierter Beweismittel vor, keine generellen Pflichten zur Offenbarung eventuell verfahrensrelevanter Beweismittel.3 Die gegenläufige angloamerikanische Position wird treffend durch folgendes Zitat verdeutlicht: „In plain language, they ask, ‘should I be expected to provide my opponent with the means of defeating me?’ The answer, of course, is that litigation is not a war or even a game. It is designed to do real justice between opposing parties and, if the court does not have all the relevant information, it cannot achieve this object”.4

3

Art. 43 Abs. 1 TRIPS und der nach dessen Vorbild formulierte Art. 6 Abs. 1 DRL nehmen eine vermittelnde Position ein. Beide Bestimmungen verpflichten 1 

Wagner, ZEuP 2001, 441 (447). BGH v. 26. 06. 1958 – II ZR 66/57 – NJW 1958, 1491 (1492); BGH v. 11. 06. 1990 – II ZR 159/89 – NJW 1990, 3151; BGH v. 7. 12. 1999 – XI ZR 67/99 – NJW 2000, 1108 (1109); Leipold in Stein/Jonas, ZPO, § 138 Rn. 26 ff., Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, Einf § 284 Rn. 29. 3 Nachweise bei Stürner, RabelsZ 69 (2005), 201 (233) und Gottwald in FS Stürner, S. 306 ff.; zum dänischen Recht ferner Müller, Beweisaufnahme, S. 49 f. 4  Sir Donaldson MR in Davies v. Eli Lilly & Co., [1987] 1 WLR 428 (431) (CA). 2 



A.  Die Vorgaben der Richtlinie

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die Vertrags- bzw. Mitgliedstaaten, in ihren Rechtsordnungen gerichtliche Anordnungen auf Beweismittelvorlage bereitzuhalten, ohne deren konkreten Ausgestaltung vorzugeben. Explizit sind die Vertrags- bzw. Mitgliedstaaten befugt, eine solche Vorlageanordnung von der Bezeichnung des Beweismittels sowie einer hinreichenden Begründung der Behauptungen des Antragsstellers abhängig zu machen. Insoweit besteht ein deutlicher Unterschied zu den weitreichenden Dokumentenoffenbarungs- und Einsichtsrechten des Common Law, die nicht auf vom Gegner bezeichnete Dokumente beschränkt sind und ohne Rücksicht auf die Wahrscheinlichkeit eines Erfolgs in der Hauptsache angeordnet werden. Die Gerichte der Mitgliedstaaten sollen nach Art. 6 Abs. 1 DRL mit der Befugnis ausgestattet werden, auf Antrag einer Partei die Vorlage bestimmter Beweismittel durch die gegnerische Partei anzuordnen, sofern der Antragsteller alle vernünftigerweise verfügbaren Beweismittel zur hinreichenden Begründung seiner Behauptungen vorgelegt hat, sich die durch ihn bezeichneten Beweismittel in der Verfügungsgewalt der gegnerischen Partei befinden und der Schutz vertraulicher Informationen gewährleistet wird. Art. 6 Abs. 1 DRL beschränkt sich auf Vorlageanordnungen im Rahmen eines anhängigen Verfahrens;5 die Beweismittelsicherung vor Klageerhebung ist in Art. 7 DRL geregelt. Art. 6 Abs. 2 DRL sieht „im Falle einer in gewerblichem Ausmaß begangenen Rechtsverletzung“ eine Anordnung zur Übermittlung von Bank-, Finanzund Handelsunterlagen vor, die sich in der Verfügungsgewalt der gegnerischen Partei befinden. Im Gegensatz zu Art. 6 Abs. 1 DRL können die Maßnahmen nach Abs. 2 auf „geeignete Fälle“ festgestellter Rechtsverletzungen beschränkt werden;6 dem Merkmal des gewerblichen Ausmaßes kommt für den Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes keine gesonderte Funktion zu (supra § 4 Rn. 22 ff.).

5  Die Voraussetzung eines anhängigen Verfahrens ergibt sich aus dem Gegenschluss zu Art. 7 DRL, einer Spezialvorschrift für Maßnahmen der Beweismittelvorlage- und -sicherung im Vorfeld der Verfahrenseinleitung. Art. 6 DRL beansprucht grundsätzlich Anwendung auch in Eilverfahren, vgl. Heinze, ZEuP 2009, 282 (289); Metzger/Wurmnest, ZUM 2003, 922 (929); Wiebe in Büllesbach/Büchner, S. 160; a. A. Amschewitz, DRL, S. 110. Die Frage ist akademischer Natur, sofern das nationale Eilverfahren ähnlich wie das deutsche Recht eine Glaubhaftmachung durch sofortige Beweisaufnahme voraussetzt (§ 294 Abs. 2 ZPO), da erst vorzulegende Beweismittel nicht präsent sind. 6 Legitimes Ziel eines Vorlagebegehrens bezüglich dieser sensitiven Dokumente ist entweder die Bestimmung der Schadensersatzhöhe oder die Identifikation weiterer Verletzer. Dem Antragsteller ist es deshalb zuzumuten, vor einem Zugang zu diesen Dokumenten das Vorliegen einer Schutzrechtsverletzung nachzuweisen, vgl. Gniadek, Beweisermittlung, S. 333.

4

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§ 5  Anordnung der Beweismittelvorlage

II.  Interpretationsbedarf und Umsetzungsspielräume 1.  Weiter Umsetzungsspielraum 6

Art. 6 DRL gibt lediglich einen Rahmen für die Beweismittelvorlage vor und überantwortet deren konkrete Ausgestaltung den Mitgliedstaaten. Die Umsetzung als allgemeine Pflicht zur Offenbarung und Vorlage potentieller Beweismittel steht den Mitgliedstaaten ebenso offen wie eine deutlich engere Maßnahme, die unter der Voraussetzung einer Bezeichnung des Beweismittels und Darlegung einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit der Parteibehauptungen steht. Die Anforderungen an die Bezeichnung des Beweismittels bleiben den Mitgliedstaaten überlassen;7 auch die unbestimmte Formulierung „alle vernünftigerweise verfügbaren Beweismittel zur hinreichenden Begründung ihrer Ansprüche“ lässt den Mitgliedstaaten weiten Spielraum. Hinweise darauf, wann von einer Verfügungsgewalt über Beweismittel auszugehen ist, enthält die Richtlinie nicht.8 Die Mitgliedstaaten verfügen ferner über breiten Gestaltungsspielraum dahingehend, welche Inhalte als „vertrauliche Informationen“ schützenswert sind und wie der Vertraulichkeitsschutz zu realisieren ist. Den Mitgliedstaaten bleibt überlassen, ob sie die Vorlagepflicht als gebundene Entscheidung oder Ermessensentscheidung des Gerichts realisieren.9 Schließlich ist die Ausgestaltung als prozessuales Instrument durch Art. 6 DRL nicht zwingend vorgezeichnet.10

2.  Begünstigte einer Anordnung nach Art. 6 Abs. 1 DRL 7

Nicht eindeutig beantworten lässt sich die Frage, ob Art. 6 Abs. 1 DRL lediglich dem Inhaber gewerblicher Schutzrechte oder auch der gegnerischen Partei ein Recht auf Beweismittelvorlage zugesteht. Der Wortlaut der deutschen Sprachfassung, welche eine hinreichende Begründung der Ansprüche einer Partei voraussetzt und demnach den Rechteinhaber favorisiert, ist irreführend. Die englische Sprachfassung knüpft die Dokumentenvorlagepflicht an die Maßgabe, dass eine Partei alle vernünftigerweise verfügbaren Beweismittel „sufficient to 7  Zu Unterschieden der Umsetzung in den Mitgliedstaaten siehe Commission Staff Working Document zum Bericht der Kommission über die Anwendung der Richtlinie 2004/48/EG, SEC (2010) 1589, S. 9. 8  Zur Umsetzung in den Mitgliedstaaten siehe Commission Staff Working Document a. a. O., S. 9. 9  A. A. Gniadek, Beweisermittlung, S. 326, mit wenig überzeugendem Hinweis auf das in Art. 3 Abs. 2 DRL enthaltene Gebot, wirksame Instrumente zum Schutz des Geistigen Eigentums einzuführen. Das ebenfalls in Art. 3 Abs. 2 DRL enthaltene Gebot der Verhältnismäßigkeit impliziert eine Interessenabwägung im Einzelfall, welche auf der Tatbestands- ebenso wie auf der Rechtsfolgenseite realisiert werden kann. Welche dieser Varianten gewählt wird, ist eine Frage der Rechtstradition ebenso wie der Entscheidung des Gesetzgebers im Einzelfall. 10  Supra § 3 Rn. 14.



A.  Die Vorgaben der Richtlinie

153

support its claims“ vorgelegt hat, wobei der englische Begriff „claim“ sowohl Klage als auch Anspruch oder Behauptung bedeuten kann. Die französische, spanische, italienische und schwedische Fassung lassen eine hinreichende Begründung der Behauptungen einer Partei genügen (allégations, alegaciones, affermazioni, grund). Ein Blick auf den ähnlich formulierten Art. 7 Abs. 1 DRL belegt, dass die Wahl des Wortes „Anspruch“ statt „Behauptung“ im deutschen Recht auf einem Übersetzungsfehler beruht (dort heißt es fälschlicherweise: „zur Begründung ihrer Ansprüche, dass ihre Rechte an geistigem Eigentum verletzt worden sind oder verletzt zu werden drohen“). Sieht also Art. 6 Abs. 1 DRL die Dokumentenvorlage auf Antrag einer Partei vor, die ihre Behauptungen hinreichend begründet hat, könnte die Bestimmung die Mitgliedstaaten verpflichten, eine Beweismittelvorlage auch auf Antrag des angeblichen Rechtsverletzers zu beantragen. Für die Gegenpartei des Rechteinhabers mag ein solcher Antrag durchaus interessant sein. Die englische standard disclosure gilt beispielsweise als ein Faktor, der zur hohen Zahl erfolgreicher Nichtigkeitsklagen bzw. Nichtigkeitseinreden vor englischen Gerichten beiträgt, da mittels der disclosure nähere Erkenntnisse über den zum Anmeldetag eines Patents existierenden Stand der Technik gewonnen werden können.11 Ferner kann nach englischem Recht selbst nach Feststellung einer Schutzrechtsverletzung dem Beklagten Zugang zu Finanzdokumenten des Klägers gewährt werden, um dem Beklagten ein Bestreiten der beanspruchten Schadensersatzhöhe und angemessene Vergleichsverhandlungen zu ermöglichen.12 Art. 6 Abs. 1 DRL ist ebenso wie Art. 43 Abs. 1 TRIPS neutral formuliert – im Gegensatz zu anderen Bestimmungen dieser Regelwerke, welche explizit nur dem Rechteinhaber bzw. nur gegen den vorgeblichen Schutzrechtsverletzer zur Verfügung stehen.13 Der Wortlaut dieser Bestimmungen legt ebenso wie der menschenrechtliche Grundsatz der Waffengleichheit nahe, dass die Mitgliedstaaten eine Beweismittelvorlageanordnung auch zugunsten des vorgeblichen Schutzrechtsverletzers ermöglichen müssen. Andererseits begünstigt Art. 6 Abs. 2 DRL lediglich den Schutzrechtsinhaber (Vorlage von Bank-, Finanz- und Handelsunterlagen im Falle einer in gewerblichem Ausmaß begangenen Schutzrechtsverletzung). Die Binnensystematik des Art. 6 DRL erlaubt somit die Schlussfolgerung, dass Art. 6 DRL nur dem Schutz des Rechteinhabers dient.14 Eine solche Auslegung steht im Einklang mit dem generellen Richtlinienziel, Instrumente zu einer effektiveren Durchsetzung 11  Siehe Interview mit Justice Hugh Laddie in De Ranitz, EIPR 2003, 528 (531). Zu einem konkreten (US-amerikanischen) Verfahren siehe Murray in Stürner/Kawano, Cross Border Insolvency, S. 238 f. 12  Dyson Appliances v Hoover (No.3), [2002] RPC 42 (46 ff.) (Pat). 13  Bspw. Art. 7 Abs. 1, 8 Abs. 1 DRL sowie Art. 42 S. 1, 44 Abs. 1, 45 Abs. 1 TRIPS. 14 So ohne nähere Begründung Bruns in Stürner/Kawano, Cross Border Insolvency, S. 257.

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§ 5  Anordnung der Beweismittelvorlage

gewerblicher Schutzrechte in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten zu implementieren.15 Über die Interpretation des – für die Mitgliedstaaten ebenfalls verbindlichen – Art. 43 TRIPS lassen sich aus Art. 6 Abs. 2 DRL zwar keine Rückschlüsse ziehen, doch hat auch das Übereinkommen primär die Interessen der Schutzrechtsinhaber im Blick.

3.  Durchsetzung der Vorlageanordnung 10

Gemäß Art. 43 Abs. 2 TRIPS kann das Gericht die Behauptungen der beweisbelasteten Partei als zugestanden ansehen, sofern sich die Gegenpartei grundlos einer Anordnung widersetzt, Beweismittel vorzulegen oder deren Besichtigung zu ermöglichen. Die Bestimmung wird allgemein dergestalt interpretiert, dass die Vertragsstaaten des TRIPS nicht verpflichtet sind, eine Durchsetzung der Beweismittelanordnung vorzusehen.16 Art. 6 DRL enthält keine zu Art. 43 Abs. 2 TRIPS korrespondierende Bestimmung, obgleich Art. 6 Abs. 1 DRL den Inhalt des Art. 43 Abs. 1 TRIPS nahezu wortlautgemäß abbildet. Dieser Unterschied sowie das in Art. 3 DRL enthaltene Gebot zur Bereithaltung effektiver Instrumente zum Schutz des Geistigen Eigentums bilden ein starkes Indiz dafür, dass die Mitgliedstaaten aus Art. 6 DRL verpflichtet sind, Möglichkeiten zur Durchsetzung der Vorlage- bzw. Besichtigungsanordnung bereitzuhalten.17 Die freie Beweiswürdigung entsprechend Art. 43 Abs. 2 TRIPS ist eine ineffektive Sanktion, sofern der Schutzrechtsinhaber – wie dies regelmäßig der Fall ist – mangels Kenntnis des vorzulegenden Beweismittels an einem substantiierten Vortrag der Schutzrechtsverletzung gehindert ist.18

III.  Besichtigung von Waren nach der ProduktpiraterieVO 11

Erwähnung soll an dieser Stelle ferner finden, dass den Schutzrechtsinhabern nach Art. 17 Abs. 4, 18 Abs. 5 der Produktpiraterie-Verordnung19 die Möglich15 

Siehe auch EuGH v. 15. 11. 2012 – C-180/11 (Bericap), Rn. 77 ff.: Die Maßnahmen der Durchsetzungsrichtlinie finden in Bestandsverfahren über eingetragene Schutzrechte keine Anwendung. 16  Dreier, GRUR Int. 1996, 205 (211); Götz, Informationsbeschaffung, S. 30; Gniadek, Beweisermittlung, S. 328. 17 Ebenso McGuire, GRUR Int. 2005, 15 (19); Gniadek, Beweisermittlung, S. 328 ff.; Götz, Informationsbeschaffung, S. 31; Knaak, GRUR Int. 2004, 745 (747 f.); a. A. Weber, Enforcement-RL, S. 52 f. 18  Tilmann, GRUR 2005, 737; Wiebe in Büllesbach/Büchner, S. 162; Amschewitz, DRL, S. 114; Gniadek, Beweisermittlung, S. 172 ff., 234; a. A. Götz, Informationsbeschaffung, S. 346, unter Hinweis auf die sekundäre Darlegungslast des Beklagten (die Schwächen dieser Auffassung werden ebenda, S. 342, zwar angesprochen, allerdings ohne Berücksichtigung von BGH v. 30. 3. 2005 – X ZR 126/01 – GRUR 2005, 569 (572) (Blasfolienherstellung)). 19  Verordnung (EU) Nr. 608/2013 des europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juni 2013 zur Durchsetzung der Rechte geistigen Eigentums durch die Zollbehörden und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1383/2003 des Rates, ABl. Nr. L 181/15 v. 29. 06. 2013.



B.  Umsetzung in England

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keit zukommt, bei den Zollbehörden die Besichtigung von Waren oder Übergabe von Proben oder Mustern zu beantragen, sofern diese Waren aufgrund des Verdachts der Schutzrechtsverletzung von den Zollbehörden zurückgehalten werden oder ihre Überlassung ausgesetzt ist.20

B.  Umsetzung in England Das englische Prozessrecht enthält weitreichende Bestimmungen zur Offenlegung von Dokumenten (disclosure, CPR 31) und Besichtigung sonstigen Eigentums der Gegenseite (inspection of property, CPR 25.1(1)(c)(ii)). Maßnahmen zur Umsetzung des Art. 6 DRL waren im englischen Recht deshalb nicht erforderlich.21 Einblicke in Beweismittel im Besitz der Gegenseite können ferner im Wege einer search order gewonnen werden, die aber zwecks Überraschung des Antragsgegners meist vor Einleitung des Hauptsacheverfahrens beantragt wird und deshalb in § 6 Rn. 12 ff. näher erörtert wird.

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I.  Disclosure: Offenbarung und Besichtigung von Dokumenten 1.  Begriff und Funktion der disclosure Der Begriff der disclosure im weiteren Sinne umfasst die Verpflichtung zur Suche und Offenbarung der Existenz von Dokumenten, die für den Rechtsstreit von Bedeutung sind und sich in der Kontrolle einer Partei befinden sowie den weiteren Schritt der inspection, d. h. des Gewährens von Zugang zu diesen Dokumenten an die gegnerische Partei. Der Prozess der disclosure wird im englischen Verfahrensrecht als Ausprägung des Rechts auf Waffengleichheit verstanden.22 Ihm kommt gleichzeitig die Funktion zu, Überraschungen in der mündlichen Verhandlung zu vermeiden und die Vergleichsbereitschaft der Parteien bereits im vorprozessualen bzw. frühen prozessualen Stadium zu erhöhen, indem die „Karten auf den Tisch gelegt“ werden.23 Deshalb gewähren sich gegnerische Parteien teilweise bereits vor Anhängigkeit eines Rechtsstreits Zugang zu den jeweils relevanten Dokumenten.24 Doch besteht keine 20 Die Grenzbeschlagnahmeverordnung regelt das Tätigwerden der Zollbehörden an den Außengrenzen der Union beim Warenverkehr mit Drittstaaten; zum Warenverkehr im Binnenmarkt siehe § 146 Abs. 1 S. 2 MarkenG. 21  Patent Office Consultation Paper, S. 21 ff. 22  Zuckerman, Civil Procedure, Rn. 152. 23  Zuckerman, Civil Procedure, Rn. 15.2 f. Andrews, Civil Procedure, Rn. 26.03 f. Andrews präsentiert a. a. O. auch eine zynischere Betrachtungsweise: Disclosure helfe den Anwälten beim Geldverdienen sowie den Parteien, das Verfahren zu verzögern, und halte zudem von der Prozessführung in schwierigen Verfahren ab. 24 Soweit für die Art des Rechtsstreits ein pre-action protocol, d. h. eine empfohlene

13

156

§ 5  Anordnung der Beweismittelvorlage

generelle Pflicht zur Vornahme einer disclosure, vielmehr bedarf es hierfür stets einer Anordnung des Gerichts.25 Wichtig ist ferner, dass bei Prozessen wegen Schutzrechtsverletzungen die Klage zumindest eine behauptete Verletzungshandlung spezifizieren muss; ansonsten kann die Klage auf Antrag des Beklagten mangels Substantiierung gestrichen werden (strike out), mit der Folge, dass keine disclosure stattfindet.26

2.  Absehen von der disclosure in Verfahren des gewerblichen Rechtsschutzes 14

In Verfahren betreffend gewerbliche Schutzrechte hat jede Partei die Möglichkeit, zwecks Minimierung der Verfahrenskosten ein sogenanntes stromlinienförmiges Verfahren zu beantragen.27 Hierbei sind flexible Abweichungen vom Standard-Verfahren, beispielsweise der Verzicht auf die Durchführung der disclosure, möglich.28 Ferner nennt 63 PD 6.1 für Verfahren vor dem High Court bestimmte Ausnahmen von der Verpflichtung zur disclosure in Patentstreitigkeiten. So muss der Beklagte keine Dokumente bezüglich eines angeblich patentverletzenden Gegenstands oder Prozesses offenbaren, sofern er diesen Gegenstand bzw. Prozess innerhalb einer bestimmten Frist vollumfänglich beschreibt und gegebenenfalls erforderliche Illustrationen beifügt.29 Auch die Offenbarungs- und Vorlagepflichten des Patentinhabers unterliegen gewissen Beschränkungen.30 Auf weitere Aspekte des Patentverletzungsprozesses sowie auf Verfahren, die andere Schutzrechtsverletzungen zum Gegenstand haben,

vorprozessuale Verfahrensweise besteht, kann sich hieraus die Angemessenheit einer vorprozessualen disclosure ergeben, vgl. Loughlin/Gerlis, Civil Procedure, S. 77. Für Verfahren betreffend gewerbliche Schutzrechte gibt es keine entsprechenden Vorgaben. Es existiert jedoch ein Entwurf, der in der Praxis Beachtung findet. Siehe Code of Practice for Pre-Action Conduct in Intellectual Property Disputes, verfügbar unter . 25  Zuckerman, Civil Procedure, Rn. 15.17; White Book, Vol. I, 31.0.2. 26  CPR 63.6, 63 PD 4.1(1); Autogene Aluminium Schweissung v London Aluminium Co, [1919] 2 Ch. 67 (77) (CA); Terrell on Patents, Rn. 18–70; Cornish/Llewelyn/Aplin, Intellectual Property, Rn. 2–58. 27  Patents Court and Patents County Court Guide, Rn. 8.6; näher Moore, JIPlP 2001, 113 ff. 28  Siehe ferner CPR 63.24 für Verfahren vor dem Intellectual Property Enterprise Court. 29  63 PD 6.1(1)(a). Die Stellungnahme muss durch eine schriftliche Zeugenaussage einer im Prozess aussagebereiten Person bekräftigt werden, vgl. 63 PD 6.2. Siehe näher zu dieser Produkt- bzw. Prozessbeschreibung sowie zur Möglichkeit weiterer Befragung der Gegenpartei White Book, Vol. II, 2F-10.2; Terrell on Patents, Rn. 18–142 f., jeweils m. w. N. 30  63 PD 6.1 6.3: Erstens beschränkt sich die Offenbarungspflicht auf Dokumente, die zwei Jahre vor oder nach des frühesten beanspruchten Prioritätsdatums entstanden sind (eine Erweiterung dieses Zeitfensters kann beantragt werden). Zweitens finden Beschränkungen Anwendung, sofern sich ein Patentinhaber im Einspruchsverfahren wegen behaupteter Offensichtlichkeit der Erfindung mit dem Hinweis auf deren kommerziellen Erfolg verteidigt. Zum Hintergrund siehe White Book, Vol. II, 2F-10.3.



B.  Umsetzung in England

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finden die im allgemeinen Prozessrecht enthaltenen Bestimmungen der disclosure Anwendung.31

3.  Voraussetzungen und Inhalt der Standard Disclosure Die Anordnung der disclosure stellt einen Teil der gerichtlichen Verfahrensleitung dar und unterliegt als solche einem weiten richterlichen Ermessen unter Berücksichtigung des „überragenden Prinzips“ einer gerechten Verfahrensgestaltung (CPR 1). Im multi-track-Verfahren32 ordnet das Gericht regelmäßig die sogenannte standard disclosure an, doch kann es diese auch begrenzen, eine dem Verfahrensstadium entsprechende stufenweise disclosure anordnen (CPR 31.13)33 oder gänzlich von einer Anordnung absehen (CPR 31.5(2)). Die Verpflichtung zur Offenlegung der Existenz von Dokumenten im Rahmen der standard disclosure erstreckt sich auf sämtliche Dokumente in der (vormaligen) Kontrolle der jeweiligen Partei, die für das Verfahren von Relevanz sind. Hierzu korrespondierend besteht die Pflicht, diese Dokumente zu erhalten.34 Der Dokumentenbegriff umfasst „anything in which information of any description is recorded“ (CPR 31.4). Er erstreckt sich über den deutschen Urkundenbegriff hinaus auch auf zahlreiche Gegenstände, die nach deutschem Verständnis Augenscheinsobjekte darstellen, insbesondere Pläne, Ton- und Bildaufnahmen sowie elektronische Dokumente und Datenbanken.35 Nicht vom Dokumentenbegriff umfasst sind Gegenstände, auf denen keine Informationen gespeichert werden, sondern aus denen sich lediglich Schlüsse ziehen lassen (z. B. eine patentverletzende Maschine).36 Die Parteien sind gehalten, zwecks Ermittlung der prozessrelevanten Dokumente eine angemessene Suche durchzuführen.37 Bei elektronischen Dokumenten regt 31B PD eine Überein31  Siehe aber Rothstein/Holderman/Flloyd/Pickard in Ng/Bently/D’Agostino, Common Law of IP, S. 106: „The UK Patents Court has adopted a firm line towards disclosure in order to make significant time and cost savings. The scope of disclosure has been radically reduced, which has not only shortened the disclosure process but ultimately the trial process [and costs] as well”. 32  Siehe näher zu den Verfahrenstypen des englischen Rechts die Ausführungen im Anhang, Rn. 15. 33  Insbesondere ist es möglich, zunächst eine Offenlegung der für die Behauptung der Rechtsverletzung maßgeblichen Dokumente anzuordnen und erst nach Feststellung eines Haftungsgrundes disclosure hinsichtlich der für die Schadensersatzberechnung maßgeblichen Dokumente zu gewähren, vgl. Baldock v Addison, [1995] 1 WLR 158 (164) (Ch); White Book, Vol. I, 31.13.1. 34  31B PD 7; Infabrics v Jaytex, [1985] FSR 75 (79) (Ch) m. w. N.; ausführlich zum Beginn der Aufbewahrungspflicht Hollander, Evidence, Rn. 11–07 ff. 35  Derby & Co Ltd v Weldon (No. 9), [1991] 1 WLR 652 (657 f.) (Ch); White Book, Vol. I, 31.4.1; Zuckerman, Civil Procedure, Rn. 15.16. 36  Andrews, Civil Procedure, Rn. 26.14. 37 CPR  31.7(2) nennt als Kriterien die Anzahl der Dokumente, die Komplexität des Rechtsstreits, die Bedeutung der Dokumente für den Ausgang des Rechtsstreits sowie den

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§ 5  Anordnung der Beweismittelvorlage

kunft der Parteien hinsichtlich Vorgehensweise und Ausmaßes der Suche an38 und stellt gleichzeitig klar, dass sich die Suchverpflichtung selbst auf Metadaten39 und gelöschte, aber wieder herstellbare Dateien erstreckt.40 Eine Kontrolle oder frühere Kontrolle des Dokuments durch eine Partei besteht gemäß CPR 31.8(2), sofern sich das Dokument in deren unmittelbaren Besitz befindet oder befunden hat,41 dieser ein Besitzrecht zukommt oder vormals zukam oder diese ein Recht zur Besichtigung des Dokuments bzw. zur Anfertigung von Kopien innehat. Im Falle gesellschaftsrechtlicher Verflechtungen zwischen einer Partei und der Person, in deren Besitz sich das Dokument befindet, ist nach dem in der Entscheidung Lonrho aufgestellten Maßstab danach zu differenzieren, ob auf Basis der gesellschaftsrechtlichen ebenso wie der tatsächlichen Einflussnahme der Prozesspartei davon ausgegangen werden kann, dass die das Dokument besitzende Person den Anweisungen der Prozesspartei Folge leisten wird.42 Im Gegensatz zu der vor Einführung der CPR existierenden pre-trial discovery bezieht sich die Offenlegungspflicht nicht mehr auf sämtliche Dokumente, die irgendeine Bedeutung für den Rechtsstreit haben könnten  – und sei es nur, indem sie die Gegenpartei auf eine Fährte führen, die wiederum relevantes Material zu Tage fördert (sog. train of enquiry).43 Im Rahmen der standard disclosure werden vielmehr nur solche Dokumente als relevant angesehen, welche nachweislich brauchbar sind, d. h. die Position der betreffenden Partei oder einer anderen Partei stützen oder negativ beeinflussen können oder für das Wiederauffinden des Dokuments erforderlichen zeitlichen und finanziellen Aufwand. Für die Suche nach elektronischen Dokumenten enthält 31B PD 21 weitergehende Kriterien. 38  31B PD 8, 9; näher Mason, CTRL 2010, 83 ff. Ein Versäumnis kann kostspielig werden: In der Entscheidung Digicel (St Lucia) v Cable and Wireless, [2008] EWHC 2522 (Ch) hatte der Beklagte sich vor Durchführung der e-disclosure nicht mit dem Kläger auf relevante Suchwörter geeinigt. Obgleich den Beklagten im Zuge der Durchführung der e-disclosure bereits 2.000.000 £ an Anwaltskosten entstanden waren, ordnete das Gericht eine neuerliche Suche mittels der vom Kläger benannten Suchwörter an. Siehe zu dieser Entscheidung Sautter/Church, NLJ 2009, 111 f.; Loughlin, S. L. Rev. 2009, 9 f. 39  Etwa hinsichtlich Verfasser des Dokuments, Erstellungsdatum, vorgenommene Änderungen etc. Zu den insoweit bei der disclosure auftretenden Problemen siehe Seat Devey, Arbitration 2008, 369 (375 ff.). 40  Z. B. die Wiederherstellung gelöschter eMail-Konten ehemaliger Angestellter mithilfe von Backup-Daten, vgl. Digicel (St Lucia) v Cable and Wireless, [2008] EWHC 2522 (Ch), Rn. 54 ff. 41  Unabhängig davon, ob ein Besitzrecht existiert oder ob einer anderen Person Mitbesitz zukommt, vgl. White Book, Vol. I, 31.8.2. 42  Lonrho v Shell Petroleum Co, [1980] QB 358 (376 f.) (CA); Three Rivers DC v Bank of England (No 4), [2003] 1 WLR 210 (232 f.) (CA); White Book, Vol. I, 31.8.3; Hollander, Evidence, Rn. 7–32 f. 43  So der Peruvian Guano test, aufgestellt in der Entscheidung Compagnie Financière et Commerciale du Pacifique v Peruvian Guanao Co (1882) 11 QBD 55 per Brett LJ at 63. Die Unterschiede zwischen pre-trial discovery und disclosure werden ausführlich dargelegt in Nichita Corp v Argos, [2007] FSR 38 (CA).



B.  Umsetzung in England

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nach einer einschlägigen Practice Direction offen gelegt werden müssen.44 Ferner steht die Offenlegungspflicht unter dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in Bezug auf Kosten und Aufwand, insbesondere in Bezug auf die Suche nach relevanten Dokumenten und deren Auffindung und Bereitstellung.45 Die Offenlegung hat mittels einer der anderen Partei zuzustellenden Dokumentenliste zu erfolgen, in der die einzelnen Dokumente sinnvoll gegliedert und bezeichnet werden, um der Gegenpartei die Entscheidung zu ermöglichen, ob sie diese besichtigen möchte.46 Dabei ist zu kennzeichnen, welche Dokumente sich nicht mehr in der Kontrolle der Partei befinden und was mit diesen passiert ist. Sofern eine Partei behauptet, zur Vorenthaltung des Dokuments berechtigt oder verpflichtet zu sein,47 ist die Existenz des Dokuments zwar offen zu legen, die Beschreibung kann aber allgemeiner Natur sein. Derartige Vorenthaltungsrechte und -pflichten haben ihren Ursprung insbesondere48 im Mandatsgeheimnis49 oder dienen dem Schutz öffentlicher Interessen50 bzw. dem Schutz der Privatsphäre und wirtschaftlicher Geheimnisse.51 Bei sehr umfangreichem Dokumentenmaterial besteht ferner die Möglichkeit, eine bestimmte Dokumentenkategorie von der nachfolgenden Besichtigung durch die Gegenpartei mit der Begründung auszunehmen, dass dies unverhältnismäßig sei.52 Auf den grundsätzlich im englischen Recht verankerten Schutz vor Selbstbezichtigung kann sich ein Beklagter in Zivilverfahren betreffend die Verletzung von Schutzrechten des Geistigen Eigentums nicht berufen.53 44 CPR 31.6;

Nichita Corp v Argos, [2007] FSR 38, Rn. 45 ff., 72 (CA). Zuckerman, Civil Procedure, Rn. 15.57. 46  CPR 31. 10. 31A PD 3 gibt nähere Erläuterungen und ordnet die Benutzung eines bestimmten Musters an. Die Bezeichnung muss den Inhalt des Dokuments nicht wiedergeben, vgl. White Book, Vol. I, 31.10.2. 47  Die Dokumentenliste ist in diesem Fall um eine Stellungnahme zu ergänzen, dass und aus welchem Grund eine Einsichtnahme dieser Dokumente verweigert werden, 31A PD 4.5 und 4.6. 48 Von Bedeutung ist ferner das Privileg der without prejudice communication, d. h. derjenigen Kommunikation, die zwischen den Parteien im Zuge ernsthafter Vergleichsbemühungen erfolgte. Siehe hierzu Hollander, Evidence, Kapitel 20; White Book, Vol. I, 31. 3. 40. 49  Legal professional privilege, siehe Hollander, Evidence, Kapitel 14, 17, 18; White Book, Vol. I, 31.3.5 ff.; Andrews, Civil Procedure, Rn. 27.01 ff. 50  Public interest immunity, siehe Hollander, Evidence, Kapitel 22; White Book, Vol. I, 31. 3. 33 f.; Andrews, Civil Procedure, Rn. 30.01 ff. 51  Näher infra Rn. 29 ff.; White Book, Vol. I, 31. 3. 36 ff. 52 CPR  31.3(2). Zu Zweifeln an der praktischen Relevanz dieser Bestimmung siehe Blackstone’s Civil Practice, Rn. 48.25, da die Kosten der Besichtigung an sich im Vergleich zu den Kosten der Suche gering sind. Einen Zugang zu diesen Dokumenten vermag das Gericht auf Antrag der Gegenpartei anordnen, 31A PD 6.1. 53  Das Zeugnisverweigerungsrecht des privilege against self-incrimination findet aus historischen Gründen grundsätzlich auch auf die disclosure Anwendung. Für die Verletzung von Schutzrechten des Geistigen Eigentums enhält s. 72 SCA 1981 eine gesetzliche Ausnahme: Das privilege against self-incrimination schützt nicht vor der Pflicht, den Anordnungen des Gerichts in einem Zivilverfahren nachzukommen. Allerdings können die hieraus resultieren45 CPR 31.3(2);

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§ 5  Anordnung der Beweismittelvorlage

Zu ergänzen ist die Dokumentenliste um ein disclosure statement, in dem das Ausmaß der Dokumentensuche beschrieben und bestätigt wird, dass die Offenlegungspflicht verstanden und nach bestem Wissen und Gewissen ausgeführt wurde (CPR 31.10(5),(6)).54 Die Offenlegungspflicht erlischt nicht mit Übergabe der Dokumentenliste samt disclosure statement, sondern dauert bis zum Abschluss des Verfahrens an.55 Folglich ist die Gegenpartei gem. CPR  31.11(2) über nach Übermittlung der Dokumentenliste auftauchende Dokumente unverzüglich zu benachrichtigen.

4.  Das Einsichtsrecht: inspection 21

Eine Partei, der die Existenz eines Dokuments offenbart wurde, ist grundsätzlich berechtigt, dieses einzusehen.56 Die offenlegende Partei hat die Einsichtsmöglichkeit innerhalb von sieben Tagen nach Erhalt einer entsprechenden Benachrichtigung durch die interessierte Partei zu gewähren, und hierbei auch eventuelle Hilfsmittel wie Computer bereitzustellen sowie gegen Kostenerstattung Kopien57 – nicht aber Übersetzungen58 – anzufertigen. Die Möglichkeit zur Besichtigung erstreckt sich gemäß CPR 31.14 auf Dokumente, die in den Schriftsätzen einer Partei, in einer schriftlichen Zeugenaussage oder einem Sachverständigengutachten ausdrücklich erwähnt wurden.59 Ein Einsichtsrecht ist nach CPR 31.3(1) ausgeschlossen, sofern sich das Dokument nicht mehr in der Kontrolle der offenlegenden Partei befindet, diese die Einsichtnahme in die betreffende Dokumentenkategorie für unverhältnismäßig erklärt hat oder ein Recht oder eine Pflicht der offenlegenden Partei besteht, das Dokument der Gegenpartei vorzuenthalten.

5.  Specific Disclosure 22

Auf einen begründeten und gegebenenfalls durch Beweismittel gestützten Parteiantrag hin ist das Gericht gemäß CPR  31.12 befugt, nach seinem Ermessen eine über die standard disclosure hinaus gehende specific disclosure

den Aussagen oder Geständnisse einer Partei in einem nachfolgenden Strafverfahren nicht verwertet werden. Zur Auslegung der Bestimmung siehe Philipps v Mulcaire, [2012] UKSC 28 (SC). 54  Der Annex zu 31A PD enthält ein Muster für das disclosure statement. 55  Vernon v Bosley (No 2), [1999] QB 18 (33 ff.) (CA); näher Hollander, Evidence, Rn. 7–29. 56  CPR 31.3(1). Der Zugang zu einer kompletten elektronischen Datenbank muss nicht bereitgestellt werden, sofern darin auch vertrauliche Dokumente enthalten sind, siehe Derby & Co Ltd v Weldon (No. 9), [1991] 1 WLR 652 (658) (Ch); White Book, Vol. I, 31.15.8. 57  CPR 31.15(c); White Book, Vol. I, 31.15.5. 58  Bayer v Harris Pharmaceuticals, [1991] FSR 170 (Ch); White Book, Vol. I, 31.15.7. 59  Näher White Book, Vol. I, 31.14.1 ff.



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anzuordnen.60 Hierdurch wird eine Partei verpflichtet, nach in der Anordnung näher bezeichneten Dokumenten oder einer Dokumentenkategorie zu suchen und deren Existenz zu offenbaren. In Betracht kommt die Anordnung der specific disclosure etwa, sofern der Verdacht besteht, dass die Partei den aus der standard disclosure resultierenden Verpflichtungen nicht ordnungsgemäß nachgekommen ist, oder wenn das Gericht ursprünglich den Focus der standard disclosure begrenzt hatte. Soweit eine Partei hinsichtlich einer bestimmten Dokumentenkategorie erklärt hat, der Gegenpartei die Einsichtnahme aus Gründen der Unverhältnismäßigkeit verweigern zu wollen, kann das Gericht auf Antrag der Gegenpartei die Einsichtnahme durch Anordnung einer specific inspection erlauben, CPR 31.12(3).

II.  Offenbarung und Besichtigung anderer Beweismittel Gegenstände, die nicht dem in CPR  31.4 definierten Dokumentenbegriff unterfallen,61 können auf Basis einer Verfügung nach CPR 25.1(1)(c) gesichert oder besichtigt werden. Eine solche Anordnung kann beispielsweise einer Partei aufgeben, die Durchführung von Untersuchungen eines von der Gegenpartei bestimmten Sachverständigen auf ihrem Gelände zu dulden.62 Unklar ist freilich, ob sich die Befugnis auch auf die Anordnung der Besichtigung von Prozessen, bspw. dem Herstellungsverfahren innerhalb eines Unternehmens bezieht, oder in wörtlicher Auslegung der CPR  auf Objekte beschränkt.63 Unterstützend kann bestimmten Personen die Befugnis erteilt werden, das Gelände der betreffenden Prozesspartei zu betreten.64 Entsprechend der englischen Maxime, dass das Verfahren „mit offenen Karten” zu betreiben ist, wird eine solche Anordnung zur Sicherung bzw. Offenbarung von Beweismitteln regelmäßig erteilt, sofern der Antragsteller einen prima facie case on the merits darlegt.65 Soweit erforderlich, erstreckt sich die Anordnung auch 60  Das Gericht hat hierbei die Umstände des Einzelfalls sowie das overriding objective nach CPR 1.1 zu berücksichtigen, ordnet aber im Regelfall specific disclosure an, sofern Anzeichen dafür vorliegen, dass eine Partei ihren aus der standard disclosure resultierenden Pflichten nicht nachgekommen ist, vgl. 31A PD 5.4; zu weiteren Faktoren siehe Hollander, Evidence, Rn. 8–14 f.; White Book, Vol. I, 31.12.2 m. w. N. 61 In Bezug auf Dokumente kommt CPR  31 abschließender Charakter zu, vgl. Hollander, Rn. 5–14 m. w. N. 62  CPR 25.1(1)(c)(iii) und (iv); Terrell on Patents, Rn. 18–168 ff.; Blackstone’s Civil Practice, Rn. 41.1. 63  Siehe befürwortend Ash v Buxted Poultry Ltd, The Times v. 29. 11. 1989 (QB); Blackstone’s Civil Practice, Rn. 41.3; ablehnend die frühere Rechtsprechung, etwa Unilever v Pearce, [1985] FSR 475 (480 ff.) (Pat) m. w. N. 64 CPR 25.1(1)(d). 65  British Xylonite v Fibrenyle, [1959] RPC 252 (258) (CA); Terrell on Patents, Rn. 18– 169; siehe ferner Unilever v Pearce, [1985] FSR 475 (480 ff.) (Pat): es kann auch genügen, dass

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§ 5  Anordnung der Beweismittelvorlage

auf die Befugnis, Muster gefertigter Produkte mitzunehmen.66 Zu berücksichtigen ist allerdings, dass der Kläger in all jenen Fällen, in denen es keines Überraschungsmoments bedarf, ausreichende Informationen über die Beschaffenheit des vermeintlich patentverletzenden Gegenstands bereits im Wege der disclosure oder der zwecks Abwendung der disclosure erfolgenden Beschreibung des Gegenstands oder Prozesses (supra Rn. 14) erlangt. Gemäß 25A PD 8.2 soll das Gericht in geeigneten Fällen Schutzvorkehrungen entsprechend jenen einer search order vorsehen (näher infra § 6 Rn. 22 ff.). In Betracht kommt etwa das Erfordernis der Abgabe einer Verpflichtungserklärung zur Leistung von Schadensersatz bei fehlender Rechtsverletzung, die Durchführung der Maßnahme durch neutrale Personen, Regelungen zum Schutz von Betriebsgeheimnissen sowie zur Inventarisierung, Verwahrung und Versicherung des einbehaltenen Materials.67

III.  Exkurs: Beweismittelvorlage durch dritte Personen 25

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Das englische Recht sieht im Falle eines anhängigen Verfahrens drei unterschiedliche Instrumente vor, um Personen, die nicht am Rechtsstreit beteiligt sind, zur Vorlage von Beweismitteln zu verpflichten. Die erste Möglichkeit besteht darin, eine Dokumentenvorlage durch witness summons, d. h. durch Zeugenvorladung zu erwirken. Soweit der Zeuge nach dem maßgeblichen case law verpflichtet werden kann, die Dokumente bei seiner Vernehmung vorzulegen, ist das Gericht nach CPR 34.2(4)(b) befugt, die Vorlage bereits im Vorfeld der mündlichen Verhandlung anzuordnen.68 Im Gegensatz zu einer disclosure-Anordnung beschränkt sich die Anordnung im Rahmen einer witness summons auf spezifische, eindeutig identifizierbare Unterlagen.69 Den Zeugen trifft keine Pflicht, nach Dokumenten zu suchen, die für den Rechtsstreit von Relevanz sein könnten.70 Sind die begehrten Dokumente für den Rechtsstreit von Bedeutung, trifft das Gericht eine Ermessensentscheidung darüber, ob es deren Vorlage anordnet. Hierbei können

der Antragsteller ein real and substantial issue to tried vorträgt. Zu den Unterschieden dieser Wahrscheinlichkeitsgrade supra § 4 Rn. 51. 66  Terrell on Patents, 16. Aufl., Rn. 12–178. 67  Blackstone’s Civil Practice, Rn. 41.1. 68 Eine Vorlagepflicht im Vorfeld der mündlichen Verhandlung wurde erstmals ausgesprochen in der Entscheidung Khanna v Lovell White Durrant, [1995] 1 WLR 121 (124 ff.) (Ch) unter Hinweis auf die Entwicklung seit Williams v Williams, [1988] QB 161 (169) (CA). 69  Re Howglen Ltd, [2001], BCC 245 (252) (Ch); Tajik Aluminium Plant v Hydro Aluminium, [2006] 1 WLR 767 (773) (CA); South Tyneside MBC v Wickes Building Supplies, [2004] EWHC 2428 (Comm); Zuckerman, Civil Procedure, Rn. 15.134; kritisch zu dieser Unterscheidung Hollander, Evidence, Rn. 3–36 f.. 70  Zuckerman, Civil Procedure, Rn. 14.134.



B.  Umsetzung in England

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Vertraulichkeitsgesichtspunkte ebenso eine Rolle spielen wie die Möglichkeit, auf anderem Wege Zugang zu den betreffenden Informationen zu erlangen.71 Alternativ besteht auch die Option, mittels eines durch Beweismittel gestützten Antrags nach s. 34 SCA (s. 53 CCA) i. V. m. CPR 25.1(1)(j), CPR 31.17 eine Zwischenverfügung in Form einer disclosure-Anordnung gegen eine am Rechtsstreit nicht beteiligte Person zu erwirken. Die disclosure-Anordnung geht deutlich weiter als die Dokumentenvorlagepflicht eines Zeugen, da der Dritte hierdurch verpflichtet wird, in seinen Unterlagen nach relevantem Material zu suchen. Eine solche Verpflichtung dritter Personen steht im Ermessen des Gerichts und ist eher die Ausnahme denn die Regel.72 In die Erwägung des Gerichts werden insbesondere Geheimhaltungsinteressen des Dritten oder anderer Personen einbezogen,73 wobei auch eine Einsichtnahme der Dokumente durch das Gericht vor Anordnung der disclosure oder andere Geheimhaltungsmaßnahmen erfolgen können.74 Schließlich kann gemäß s. 34(3) SCA 1981, CPR  25.5(1)(b) eine Besichtigungs- und Sicherungsanordnung auch gegenüber dritten Personen erfolgen, sofern das Verfahren bereits eingeleitet ist. Unklar ist freilich, ob der Dritte auch verpflichtet werden kann, bestimmten Personen Zugang zu seinen Räumlichkeiten zu gewähren. CPR  25.1(1)(d) bezieht sich lediglich auf die Räumlichkeiten einer Partei; angesichts des Beispielscharakters der in CPR 25 genannten Anordnungen folgt hieraus jedoch nicht zwingend, dass eine entsprechende Anordnung gegenüber einem Dritten ausgeschlossen wäre.75

71  South Tyneside MBC v Wickes Building Supplies, [2004] EWHC 2428 (Comm). Sofern dem Zeugen im Zusammenhang mit der Dokumentenvorlage Kosten entstehen, können diese nach s. 51 SCA dem Antragsteller auferlegt werden, vgl. Zuckerman, Civil Procedure, Rn. 15.136. 72  Frankson v Secretary of State for the Home Department, [2003] 1 WLR 1952 (1956) (CA). 73  Frankson v Secretary of State for the Home Department, [2003] 1 WLR 1952 (1957) (CA); Hollander, Evidence, Rn. 3–20 ff. 74  Frankson v Secretary of State for the Home Department, [2003] 1 WLR 1952 (1968) (CA). Ergeht die Vorlageanordnung, so ist sie auf das Maß der standard disclosure beschränkt, vgl. Three Rivers District Council v Bank of England (Disclosure) (No. 4), [2003] 1 WLR 210 (223 f.) (CA). Da dem Dritten regelmäßig nicht bekannt ist, welche Dokumente für den Rechtsstreit zwischen ihm fremden Parteien von Relevanz sein könnten, muss die Anordnung so gefasst sein, dass keine Zweifel darüber bestehen, welche Unterlagen offen zu legen sind, näher Re Howglen Ltd, [2001], BCC 245 (251) (Ch); Zuckerman, Civil Procedure, Rn. 15.145; Hollander, Evidence, Rn. 3–14. 75 CPR 25.1(3).

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§ 5  Anordnung der Beweismittelvorlage

IV.  Der Schutz vertraulicher Interessen 1.  Geheimnisse der Gegenpartei 29

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Das Erkenntnis- und Beweisinteresse des Schutzrechtsinhabers kollidiert zumeist mit einem Interesse der Gegenpartei am Schutz ihrer Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse. Legitime Geheimhaltungsinteressen können beispielsweise bestehen hinsichtlich der Konstruktions- bzw. Funktionsweise eingesetzter Maschinen und Verfahren, sonstigem firmeninternen Know-how, besonderer betriebsinterner Arbeitsabläufe, der Identität von Geschäftspartnern und den diesen gegenüber verwandten Vertragsbedingungen sowie hinsichtlich Produktionskosten, Gewinnmargen und der allgemeinen finanziellen Lage des Unternehmens.76 Aufgrund des wettbewerblichen Konkurrenzverhältnisses zwischen den Parteien sind der Ausschluss der Öffentlichkeit77 sowie eine modifizierte Publikation des Urteils78 zum Schutz der Geheimhaltungsinteressen in Verfahren zur Durchsetzung gewerblicher Schutzrechte nicht ausreichend. Angesichts der weitreichenden Offenbarungs- und Vorlagepflichten im Rahmen der disclosure hat die englische Rechtsprechung ein über diese Maßnahmen hinausgehendes, ausgefeiltes System zum Schutz vertraulicher Informationen entwickelt. Wie bereits oben dargelegt, kann der Beklagte die Offenlegung von Dokumenten bezüglich eines angeblich patentverletzenden Gegenstands oder Prozesses vermeiden, sofern er diesen Gegenstand bzw. Prozess innerhalb einer bestimmten Frist vollumfänglich beschreibt und gegebenenfalls erforderliche Illustrationen beifügt.79 Jeder Partei steht es ferner offen, im Rahmen ihres disclosure statement die Einsichtnahme in bestimmte Dokumente aufgrund eines Geheimhaltungsbedürfnisses zu verweigern. Es ist sodann Sache der Gegenpartei, bei Gericht die Gewährung der Einsichtnahme zu beantragen.80 Gleiches gilt für eine verweigerte Besichtigung von Maschinen und Betriebsgeländen.81 Auf Antrag der interessierten Partei kann das Gericht eine gesteuerte disclosure anordnen, doch im Regelfall versuchen die Parteien zunächst 76  Dyson Appliances v Hoover (No.3), [2002] RPC 42 (47) (Pat); Geschke in FS Schilling, S. 132; Spindler/Weber, MMR 2006, 711. 77  Badische Anilin und Soda Fabrik v Levinstein, [1885] RPC 73 (HL); Bank Mellat v Her Majesty’s Treasury (No. 1), [2013] UKSC 38 (SC), Rn. 2; Bonzel v Intervention (No.3), [1991] RPC 553 (Pat). 78  SmithKline Beecham v Apotex Europe, [2004] FSR 26. 79  63 PD 6.1(1)(a). Die Stellungnahme muss durch eine schriftliche Zeugenaussage einer im Prozess aussagebereiten Person bekräftigt werden, vgl. 63 PD 6.2. Siehe näher zu dieser Produkt- bzw. Prozessbeschreibung sowie zur Möglichkeit weiterer Befragungen der Gegenpartei White Book, Vol. II, 2F-10.2; Terrell on Patents, 16. Aufl., Rn. 12–140, 12–165, jeweils m. w. N. 80  31A PD 6.1. 81  Grapha Holdings v Quebecor Printing, [1996] FSR 711 (714 f.) (Ch); Dendron v Regents of the University of California, [2005] 1 WLR 200 (209 f.) (Ch).



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untereinander, eine Verständigung über den Zugang zu bestimmten Dokumenten bzw. Dokumentenklassen zu erzielen. Die Einsichtnahmebefugnis wird zumeist auf bestimmte Personen begrenzt (manchmal als confidentiality club bezeichnet). „Clubmitglieder“ sind ausgewählte Organe und Mitarbeiter der einsichtsberechtigten Partei (bspw. Vorstandsvorsitzender, Leiter der Rechtsabteilung, Leiter der Forschungsabteilung) nebst Sachverständigen und Anwälten.82 Zusätzlich oder alternativ besteht die Möglichkeit, Dokumententeile sinnerhaltend zu schwärzen bzw. zu anonymisieren.83 In Betracht kommt schließlich, den Zugang zu besonders sensiblen Dokumenten den Sachverständigen und Anwälten der Gegenpartei vorzubehalten. Angesichts der damit verbundenen Beeinträchtigung des Grundsatzes des fairen Verfahrens erfolgen solche Zugangsbeschränkungen aber nur in Ausnahmefällen – und dann auf den jeweiligen Verfahrenszeitpunkt begrenzt.84 Häufiger scheinen derartige Beschränkungen bei der Besichtigung von Maschinen und Betrieben angeordnet zu werden.85 Die maßgeblichen Präjudizien zu dieser Thematik betonen, dass beiden Parteien grundsätzlich Zugang zu sämtlichem Material gewährt werden müsse, auf welches das Gericht seine Entscheidungsfindung stütze.86 Ausnahmen kämen in Betracht, wenn eine Partei das zu sichtende Material ohnehin nicht ohne Unterstützung eines Sachverständigen verstehen könnte.87 Gerade im Hinblick auf Schutzrechtsverletzungen verfügten die Parteien freilich zumeist selbst über die beste Expertise und seien gegebenenfalls die einzigen, die sämtliche Implikationen der zu inspizierenden Beweismittel erfassen könnten.88 Davon unabhängig werde jede Partei ihres Vorrechts beraubt, über Verfahrensstrategien und eventuelle Vergleichsangebote zu entscheiden, wenn sie den Rat des von ihr beauftragten Anwalts oder Sachverständigen mangels Tatsachenkenntnis nicht ausreichend würdigen könne.89

82  Als Beispiel siehe Black & Decker Inc v Flymo Ltd, [1991] 1 WLR 753 (Ch) sowie die Rechtsprechungsnachweise in den folgenden Fußnoten und bei Hollander, Evidence, Rn. 10–13 ff.; White Book, Vol. II, 2F-10.11. 83  Atari v Philips Electronics and Associated Industries, [1988] FSR 416 (Ch); Hollander, Rn. 10–16 ff.; Andrews, Civil Procedure, Rn. 26.36. 84  Zu einem der seltenen publizierten Ausnahmefälle zählt Sport Universal v Prozone Holdings, [2003] EWHC 204 (Ch). 85  Nachweise bei Terrell on Patents, Rn. 18–170. 86  Warner-Lambert Co v Glaxo Laboratories, [1975] RPC 354 (CA); Roussel Uclaf v ICI (No. 2), [1990] RPC 45 (49) (CA); Dyson Appliances Ltd v Hoover Ltd (No.3), [2002] RPC 42 (48 f.) (Ch). 87  Warner-Lambert Co v Glaxo Laboratories Ltd, [1975] RPC 354 (CA). 88  Centri-Spray v Cera International, [1979] FSR 175 (179 f.) (Ch); Atari v Philips Electronics Industries, [1988] FSR 416 (421) (Ch); Zuckerman, Civil Procedure, Rn. 15.107. 89  Roussel Uclaf v ICI (No. 2), [1990] RPC 45 (50 f.) (CA); Dyson Appliances Ltd v Hoover Ltd (No.3), [2002] RPC 42 (48) (Ch).

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§ 5  Anordnung der Beweismittelvorlage

Ergibt sich aus den Dokumenten die Identität von Geschäftspartnern, wird deren Offenbarung vor Feststellung der Schutzrechtsverletzung nur zögerlich gewährt,90 insbesondere, soweit Kundendaten betroffen sind.91 Informationen zu Kundendaten und Vertriebszahlen sind regelmäßig erst dann relevant und zu offenbaren, wenn das Bestehen der Schutzrechtsverletzung bereits festgestellt wurde.92 Der Interessenausgleich im konkreten Einzelfall liegt im Ermessen des Gerichts und ist nicht anfechtbar.93 Als Schutzvorkehrung zugunsten der offenbarungspflichtigen Partei werden auch hier Verpflichtungserklärungen gegenüber dem Gericht eingesetzt: Erstens, die Erklärung des einsichtsberechtigten Individuums, Verschwiegenheit zu bewahren – auch gegenüber Vorgesetzten oder anderen Mitarbeitern des gleichen Unternehmens bzw. bei Anwälten oder Sachverständigen gegenüber der sie beauftragenden Partei.94 Zweitens, eine Verpflichtungserklärung der einsichtsberechtigten Partei, die offenlegungspflichtige Partei zu entschädigen, sofern die offengelegten Informationen unberechtigterweise für Zwecke außerhalb des Prozesses verwendet werden.95

2.  Daten dritter Personen a)  Bruch einer Vertraulichkeitsvereinbarung 34

Die Einsichtnahme kann im Ausnahmefall abgelehnt werden, sofern die Dokumente Einblick in vertrauliche Daten dritter Personen bieten und deren Offenbarung einen breach of confidence darstellen, d. h. einen zivilrechtlichen Haftungstatbestand erfüllen würde. Hier kann das Gericht zunächst die betreffenden Dokumente sichten, um zu entscheiden, ob die in den Dokumenten enthaltenen Informationen essentiell für das Verfahren sind bzw. auf anderem Wege erlangt werden könnten.96 Sodann sind Maßnahmen wie Schwärzun90 

Sega Enterprises v Alca Electronics, [1982] FSR 516 (521, 524 f.) (CA); Kerly on Trademarks, Rn. 19–186; Terrell on Patents, Rn. 18–159; ausgeschlossen ist eine solche Anordnung freilich nicht, vgl. Lagenes v It’s At (UK), [1991] FSR 492 (504 f.) (Ch). 91  Sega Enterprises v Alca Electronics, [1982] FSR 516 (521) (CA); Jade Engineering v Antiference Window Systems, [1996] FSR 461 (466 f.) (Ch); Kerly on Trademarks, Rn. 19–186; angeordnet wurde die Offenlegung von Kundendaten in Eli Lilly v Neolab, [2008] EWHC 415 (Pat), Rn. 39 ff. 92  Benbow v Low, (1880) LR 16 ChD 93 (95 ff.) (CA); Saccharin v Chemicals and Drugs, [1900] 2 Ch 556 (558 ff.) (CA); Kerly on Trademarks, Rn. 19–185. Für den Sonderfall einer Ablehnung der disclosure selbst nach Feststellung der Schutzrechtsverletzung siehe Smith, Kline & French Laboratories v Doncaster Pharmaceuticals, [1989] FSR 401 (405 f.) (Pat) m. w. N. 93  Roussel Uclaf v ICI (No.2), [1990] RPC 45 (57) (CA). 94  Atari v Philips Electronics and Associated Industries, [1988] FSR 416 (421) (Ch); Roussel Uclaf v ICI (No.2), [1990] RPC 45 (51) (CA). 95  Roussel Uclaf v ICI (No.2), [1990] RPC 45 (51). 96 CPR 31.19(6)(a); Science Research Council Respondents v Nasse Appellant Leyland Cars, [1980] AC 1028 (1066) (HL); Andrews, Civil Procedure, Rn. 26.36; diese Vorgehens-



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gen, Anonymisierungen oder eine Einsichtnahme nur durch bestimmte Personen zu erwägen.97 Schließlich kommt eine Versagung der Einsichtnahme in Betracht.98

b)  Persönliche Daten Dritter, die dem Datenschutz unterliegen S. 55(2) Data Protection Act 1998 erlaubt die Übermittlung persönlicher Daten Dritter, soweit dies erforderlich ist, um einer gesetzliche Regel oder einer gerichtlichen Anordnung nachzukommen. Soweit die von der disclosure-Anordnung betroffene Person dem britischen Datenschutzrecht unterliegt, d. h. sich die relevante Niederlassung innerhalb des Vereinigten Königreichs befindet, stellt die Offenbarung persönlicher Daten Dritter an die gegnerische Partei keinen Verstoß gegen das Datenschutzrecht dar.99 Richtet sich die disclosureAnordnung gegen eine Partei des Rechtsstreits, so wird die Tatsache, dass sich Dokumente in einem anderen Staat befinden und gegebenenfalls dortigen Datenschutzbestimmungen unterliegen, lediglich unter Ermessensgesichtspunkten berücksichtigt.100 Selbst die Strafbarkeit der Preisgabe von Informationen nach ausländischen Strafvorschriften hindert die disclosure-Anordnung nicht.101 Anders ist dies nur, wenn sich die Anordnung zur Dokumentenvorlage an eine dritte Person richtet: Hier ist der Einwand, das Rechtsverhältnis zwischen dem Dritten und dem Datensubjekt unterliege ausländischem Recht, zulässig und hindert eine Anordnung der Dokumentenvorlage.102

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V.  Durchsetzung der Offenlegungs- und Einsichtsgewährungspflicht Ein Verstoß gegen gerichtliche Anordnung zur Offenlegung und Einsichtsgewährung in Dokumente oder andere Beweismittel kann sowohl mit innerprozessualen Maßnahmen als auch mit contempt of court sanktioniert werden. Kommt eine Partei ihren Verpflichtungen im Rahmen der standard disclosure nicht nach, kann das Gericht auf Antrag der Gegenpartei specific disclosure beantragen.103 Ferner ordnet CPR 31.21 die wenig einschneidende weise wird zunehmend kritisch gesehen, vgl. Atos Consulting v Avis, [2007] EWHC 323 (QB), Rn. 37; Hollander, Evidence, Rn. 3–31; Zuckerman, Civil Procedure, Rn. 15.166 f. 97  Science Research Council Respondents v Nasse Appellant Leyland Cars, [1980] AC 1028 (1066) (HL); Wallace Smith Trust Co (In Liquidation) v Deloitte Haskins & Sells, [1997] 1 WLR 257 (272) (CA). 98  South Tyneside MBC v Wickes Building Supplies Ltd, [2004] EWHC 2428 (Comm). 99  Blackstone’s Civil Practice, Rn. 48.17. 100  MacKinnon v Donaldson Lufkin & Jenrette Services, [1986] Ch 482 (495 f.) (Ch) m. w. N.; Hollander, Evidence, Rn. 28–17; Hartley, LQR 2010, 194 (201 f.); MacLachlan, ICLQ 1989, 3 (46 f.). 101  Hollander, Evidence, Rn. 28–17; Hartley, LQR 2010, 194 (201). 102  MacKinnon v Donaldson Lufkin & Jenrette Services, [1986] Ch 482 (493 f., 499) (Ch); Hollander, Evidence, Rn. 28–17; Hartley, LQR 2010, 194 (203 ff.). 103  31A PD 5.4.

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§ 5  Anordnung der Beweismittelvorlage

Sanktion an, dass eine Partei sich auf im Rahmen der disclosure nicht offenbarte Dokumente nicht berufen darf. Daneben vermag  – insbesondere bei Verstößen gegen die Pflicht zur Dokumentenaufbewahrung – regelmäßig eine plausible Behauptung der Gegenpartei als erwiesen angesehen und eine negative Kostenfolge gezogen werden.104 Ein Verstoß gegen die Verpflichtung zur disclosure kann aber auch zur Streichung der Klage bzw. Verteidigung führen, mit der Konsequenz, dass der Rechtsstreit verloren geht (striking out, siehe bereits oben § 4 Rn. 84 ff.). Dies ist einerseits möglich, wenn das Gericht eine sogenannte unless order getroffen hat, d. h. die Partei ultimativ zur Befolgung der disclosure-Bestimmungen aufgefordert hat.105 Andererseits kommt eine Streichung in Betracht, wenn aufgrund der Pflichtverletzung der Partei ein faires Verfahren nicht mehr möglich erscheint.106 Schließlich kann ein bewusster Verstoß gegen eine Anordnung der disclosure oder inspection of property eine Haftung aus contempt of court auslösen.107

VI.  Grenzen der Verwertung 37

Das englische Prozessrecht zwingt die Parteien im Interesse eines effektiven Justizsystems, das Verfahren mit offenen Karten zu bestreiten. Dies bedeutet aber nicht, dass die Karten daraufhin offen auf dem Tisch liegen bleiben. Eine Partei, die im Rahmen der disclosure Informationen erlangt hat, darf diese nach CPR 31.22 grundsätzlich nur für die Ziele des Ausgangsverfahrens verwenden. Selbiges gilt für Prozessvertreter und Dritte.108 Die CPR erhalten die umstrittene109 Entscheidung des Court of Appeal in der Rechtssache Riddick v Thames Board Mills Ltd aufrecht, wonach die mittels disclosure in einem Verfahren erlangten Informationen prinzipiell nicht als Erkenntnisquelle für ein weiteres Verfahren verwendet werden dürfen, selbst wenn der Kläger die betreffenden Dokumente nicht als Beweismittel einführt.110 Dieses Prinzip 104  Infabrics v Jaytex, [1985] FSR 75 (79) (Ch); Eli Lilly v Neolab, [2009] FSR 25 (Pat), Rn. 40; Hollander, Evidence, Rn. 11–2410–07 ff.; Cornish/Llewelyn/Aplin, Intellectual Property, Rn. 6–24. Diese Sanktion wird von Hartley, LQR 2010, 194 (202 f.) befürwortet, sofern die Dokumente im Ausland belegen sind. 105 CPR 3.9; Marcan Shipping v Kefalas, [2007] 1 WLR 1864 (1876 f.) (CA); Zuckerman, CJQ 2008, 1 ff.; Hollander, Evidence, Rn. 11–02 f. m. w. N. 106  Arrow Nominees v Blackledge [2001] BCC 591 (640 ff.) (CA); Hollander, Evidence, Rn. 11–16 f.; Mason, CTLR 2010, 83 (86 f.). 107 CPR  31.23; Borrie & Lowe, Contempt, Rn. 6.22; Hollander, Evidence, Rn. 10–31. Das privilege against self-incrimination schützt im Falle der Verletzung von Schutzrechten des geistigen Eigentums nicht davor, wegen contempt of court verurteilt zu werden, vgl. s. 74(4) SCA 1981. 108  Andrews, Civil Procedure, Rn. 26.45. 109  Zur Kritik vgl. Zuckerman, Civil Procedure, Rn. 15.191 ff. 110  Riddick v Thames Board Mills Ltd, [1977] QB 881 (CA); siehe auch Miller v Scorey, [1996] All ER 18 (Ch).



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findet auch Anwendung, wenn der Beklagte zur Duldung einer Besichtigung verpflichtet wurde oder der Gegenseite eine freiwillige Beschreibung des patentierten Gegenstandes bzw. Prozesses gemäß 63 PD 6.1 hat zukommen lassen.111 Ziel ist es unter anderem, der vorlagepflichtigen Partei durch die strikte Verwertungsbeschränkung einen Anreiz zur Offenbarung der Beweismittel zu setzen.112 Eine eindeutige Identifizierung derjenigen Konstellationen, in denen eine Verwendung der erlangten Informationen zulässig ist, weil das Folgeverfahren die Ziele des Ausgangsverfahrens weiter verfolgt, scheint der englischen Rechtsprechung noch nicht gelungen zu sein.113 Hatte das Ursprungsverfahren eine Auskunft über den Verbleib von Vermögensgegenständen oder die Identität eines Täters zum Ziel, ist allerdings geklärt, dass die offengelegten Informationen zur weiteren Rechtsverfolgung zwecks Erlangung der Vermögensgegenstände oder der Feststellung von Schadensersatzansprüchen gegenüber dem Täter verwendet werden können.114 Das Prinzip der strikten Verwertungsbeschränkung erhält in CPR 31.22(1) zwei praktisch bedeutsame Ausnahmen:115 Unbeschränkt verwertet werden dürfen Dokumente, die Gegenstand einer öffentlichen mündlichen Verhandlung waren, sei es, indem sie dem Gericht vorgelesen oder durch dieses (auch vor der Verhandlung) gelesen wurden, oder weil auf die Dokumente in der Verhandlung oder in einer schriftlichen Zeugenaussage Bezug genommen wurde.116 Das Gericht vermag auf Antrag freilich auch die weitere Verwertung dieser Dokumente begrenzen oder verbieten.117 111  Grapha Holdings v Quebecor Printing, [1996] FSR 711 (714 f.) (Ch); Chiron v Evans Medial, [1997] FSR 268 (269 f.) (Ch). 112  Riddick v Thames Board Mills, [1977] QB 881 (912) (CA); Halcon International v The Shell Transport and Trading Co, [1979] RPC 97 (121) (CA); Bourns v Raychem, [1999] FSR 641 (681) (CA). 113  Siehe den Überblick bei Zuckerman, Civil Procedure, Rn. 15.178 ff. 114  Zuckerman, Civil Procedure, Rn. 14.180; White Book, Vol. I, 31.22.1 115  CPR 31.22(1)(c) dient der Klarstellung einer Selbstverständlichkeit: Eine Verwertung ist zulässig, wenn der Eigentümer des Dokuments und die Partei, die dieses Dokument offen gelegt hat, zustimmen. 116  CPR 31.22(1)(a); zur Historie siehe Borrie & Lowe, Contempt, Rn. 6.32 f. m. w. N. Diejenige Partei, die eine weitere Verwendung der Dokumente zu unterbinden sucht, trägt nach einer Entscheidung des Court of Appeal die Beweislast dafür, dass die im trial bundle enthaltenen Dokumente nicht in die öffentliche Sphäre gelangt sind, Barings v Coopers & Lybrand, 1 WLR 2353 (2367) (CA). Dieser Beweis ist schwer zu führen, vgl. Hollander, Evidence, Rn. 6–05. 117  CPR  31.22(2). Abzuwägen sind dabei die Bedeutung des Dokuments für die Entscheidung des Rechtsstreits, die Geheimhaltungsinteressen der betroffenen Partei oder eines Dritten, das Bedürfnis der Gegenpartei, sich in einem weiteren Rechtsstreit auf das Dokument zu beziehen sowie die Frage, ob durch Einführung der Verwertungsbeschränkung ein Ausschluss der Öffentlichkeit aus der Gerichtsverhandlung vermieden werden konnte, siehe Lilly ICOS v Pfizer (No 2), [2002] 1 WLR 2253 (2261 f.) (CA); Smith & Nephew v Convatec

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§ 5  Anordnung der Beweismittelvorlage

Das Gericht kann darüber hinaus die Verwertungsbeschränkung für Dokumente, die nicht Gegenstand der öffentlichen Verhandlung waren, aufheben. Hierbei erfolgt stets nur eine begrenzte Verwertungserlaubnis, etwa für konkrete Zivil- oder Strafverfahren (auch bei fehlender Identität der Beteiligten) oder zwecks Weiterleitung an die Straf- oder Steuerbehörden.118 Die Entscheidung erfolgt unter genauer Abwägung der involvierten privaten und öffentlichen Interessen,119 doch fällt zumindest bei gleichen Beteiligten der aus Art. 6 EMRK fließende Justizgewähranspruch stark in die Waagschale für eine Verwertungsmöglichkeit in einem weiteren Prozess.120 Etwas anderes gilt freilich, sofern die Beweismittel in einem Parallelprozess im Ausland oder vor dem Europäischen Patentamt verwendet werden sollen: Die Entscheidung der anderen Verfahrensordnung, kein Äquivalent zur disclosure bereitzuhalten, wird grundsätzlich respektiert.121 Eine unbefugte Verwertung ohne Zustimmung des Gerichts kann eine Unterlassungsverfügung, eine Verurteilung wegen contempt of court oder ein Streichen (striking out) der Prozessführung im Folgeprozess nach sich ziehen,122 selbst dann, wenn das Gericht die Verwertung vermutlich genehmigt hätte.123

VII.  Unterstützung ausländischer Prozesse 42

Eine Unterstützung ausländischer Prozesse durch disclosure-Anordnungen englischer Gerichte ist nicht möglich. Im Gegenteil führt die Tatsache anhängiger Parallelverfahren in anderen Staaten, die keine disclosure kennen, zu Technologies, [2014] EWHC 146 (Pat), Rn. 16 ff.; Zuckerman, Civil Procedure, Rn. 15.205 ff.; Hollander, Evidence, Rn. 27–37. 118  Siehe die Nachweise bei Zuckerman, Civil Procedure, Rn. 14.183 ff. 119  Crest Homes v Marks, [1987] AC 829 (860) (HL). 120  Zuckerman, Civil Procedure, Rn. 15.208; siehe auch SmithKline Beecham v Generics (UK), [2004] 1 WLR 1479 (1492 f.): Verwertungsbeschränkung aufgehoben, da identische Fragen hinsichtlich des Schutzrechtsbestands in einem Prozess mit einem Dritten entstanden und disclosure gegenüber dritten Personen nach CPR 31.17 möglich gewesen wäre. 121  Halcon International v The Shell Transport and Trading Co, [1979] RPC 97 (121 ff.) (CA); Bourns v Raychem, [1999] FSR 641 (681) (CA); Tassilo Bonzel & Schneider (Europe) v Intervention, [1991] RPC 43 (49) (Pat); siehe aber Apple Corps v Apple Computer, [1992] FSR 389 (390) (Ch): Genehmigung zur Verwendung in einem Kartellverfahren vor der Europäischen Kommission erteilt. Zur Verwertungsfreigabe einer vertraulichen sachverständigen Zeugenaussage, die auch vor dem ausländischen Gericht hätte getätigt werden können vgl. Dendron v Regents of the University of California, [2005] 1 WLR 200 (212 f.) (Ch); hierzu Schlosser in FG Vollkommer, S. 217 ff. 122  Riddick v Thames Board Mills, [1977] QB 881 (902) (CA); Miller v Scorey, [1996] 3 All ER 18 (26 f.) (Ch); Watkins v Wright (Electrical), [1996] 3 All ER 31 (43 f.) (Ch); Hollander, Evidence, Rn. 27–35; Borrie & Lowe, Contempt, Rn. 6.31; White Book, Vol. I, 31.22.1; Gee, Injunctions, Rn. 24.043 ff. 123  Miller v Scorey, [1996] 3 All ER 18 (26) (Ch).



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besonderen Schutzvorkehrungen, um eine Zweitverwertung im ausländischen Prozess zu verhindern.124

VIII. Fazit Die Dokumentenoffenbarungspflichten und Einsichtsrechte des englischen Rechts reichen weit über die Anforderungen des Art. 6 DRL hinaus. Ausgangspunkt der Einsichtsrechte in die Dokumente der Gegenpartei nach englischem Recht ist die Maxime, jede Partei habe das Verfahren mit offenen Karten zu betreiben. Der Schutzrechtsinhaber muss von ihm begehrte Dokumente nicht, wie in Art. 6 DRL vorgesehen, vorab bezeichnen, sondern kann auf Basis der Dokumentenoffenbarung der Gegenpartei die Einsichtnahme in bestimmte Dokumente verlangen. Auch die Darlegung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit einer Schutzrechtsverletzung ist nicht erforderlich, solange die Klage zumindest eine behauptete Verletzungshandlung spezifiziert.125 Eine Offenbarungspflicht besteht schließlich nicht allein im Hinblick auf Dokumente in der Verfügungsgewalt der Parteien, sondern auch auf Dokumente, die sich früher in der Verfügungsgewalt der Parteien befunden haben; dies schließt eine Verpflichtung zur Wiederherstellung gelöschter elektronischer Dokumente ein.126 Nach englischem Verständnis ist Waffengleichheit zwischen den Parteien in Bezug auf die disclosure unabdingbar, es handelt sich nicht um Rechte, die lediglich dem Schutzrechtsinhaber oder anderen Aktivlegitimierten zu Gute kommen. Die Suche nach relevanten Dokumenten, die Wiederherstellung gelöschter elektronischer Dokumente, die Erstellung einer sinnvollen Kategorisierung sowie die Realisierung des Einsichtsrechts sind ebenso aufwändig wie kostenträchtig. In der englischen Verfahrenspraxis lässt sich deshalb ein Trend zur Einschränkung der Offenbarungspflichten ausmachen, insbesondere auch für Verfahren zur Durchsetzung gewerblicher Schutzrechte. Im Gegensatz zu der vor Einführung der CPR im Jahr 1999 praktizierten pre-trial discovery sind im Rahmen der disclosure nur noch nachweislich brauchbare Dokumente offenzulegen. Darüber hinaus sind nach 63 PD 6.1 in Patentverletzungsprozessen keine Dokumente hinsichtlich des angeblich patentverletzenden Gegenstands oder Verfahrens zu offenbaren, sofern der vermeintliche Schutzrechtsverletzer den Gegenstand oder Prozess vollumfänglich beschreibt. Schließlich kann jede 124 Vgl. Roussel Uclaf v ICI (No.2), [1990] RPC 45 (51) (CA): Derjenige Mitarbeiter des Klägers, der Zutritt zum confidentiality club erhielt, musste von der Betreuung des Parallelverfahrens in Frankreich abgezogen werden. Siehe ferner MacLachlan, ICLQ 1989, 3 (21 f.) m. w. N. 125  Anderenfalls kann die Klage gestrichen werden, siehe CPR 63.6, 63 PD 4.1(1) i. V. m. CPR 3.4(2) sowie supra § 4 Rn. 84 ff. 126  Hollander, Evidence, Rn. 9–10.

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§ 5  Anordnung der Beweismittelvorlage

Partei eines Verletzungsprozesses die Durchführung des stromlinienförmigen Verfahrens beantragen, in dessen Rahmen weitere Einschränkungen der disclosure vorgenommen werden können. Die Einsichtnahme in Dokumente zur Entwicklung eines vermeintlich schutzrechtsverletzenden Gegenstands oder Verfahrens bzw. die gemäß 63 PD 6.1 vorgenommene Beschreibung vermitteln dem Kläger einen umfassenden Einblick in den Gegenstand respektive das Verfahren. Die Anordnung der Vorlage eines konkreten Augenscheinsobjekts ist deshalb verfahrensrechtlich zwar möglich, erfolgt praktisch jedoch außerhalb der in § 6 Rn. 12 ff., 29 f. behandelten Situationen der Verdunkelungsgefahr eher selten. In Verfahren zur Durchsetzung gewerblicher Schutzrechte stehen sich häufig Parteien gegenüber, die unmittelbare Konkurrenten auf den Absatzmärkten sind. Angesichts des der disclosure innewohnenden Potentials zur Ausspähung vertraulicher Informationen der Gegenpartei hat die englische Justiz ein differenziertes System zum Schutz vertraulicher Informationen im Zivilverfahren entwickelt, das sowohl Zugangs- als auch Verwertungsbeschränkungen beinhaltet.

C.  Umsetzung in Deutschland I.  Skepsis gegenüber prozessualen Anordnungen zur Beweismittelvorlage 47

Wie zuvor bereits angedeutet, verhält sich das deutsche Verfahrensrecht gänzlich anders als das englische Recht zur Offenbarung und Vorlage dem Gegner günstiger Beweismittel. Seit der ZPO-Reform im Jahr 2001 erlauben §§ 142, 144 ZPO zwar prozessuale Anordnungen zur Vorlage von Beweismitteln, auf die sich lediglich der Prozessgegner bezogen hat; doch kann das Gericht die Vorlage nicht erzwingen.127 Hinter dieser Beschränkung steht das tradierte Postulat, niemand brauche seinem Gegner die Waffen in die Hand zu geben (Verbot des Ausforschungsbeweises).128 Doch bezieht sich dieser Grundsatz nur auf das Prozessrecht: Materiellrechtliche Auskunfts- und Vorlagepflichten stoßen nicht auf eine vergleichbare Skepsis und lösen nach §§ 371 Abs. 2, 422

127 

Siehe zu §§ 142, 144 ZPO Wagner, JZ 2007, 706 ff. BGH v. 26. 06. 1958 – II ZR 66/57 – NJW 1958, 1491 (1492); BGH v. 11. 06. 1990 – II ZR 159/89 – NJW 1990, 3151; BGH v. 7. 12. 1999 – XI ZR 67/99 – NJW 2000, 1108 (1109); Leipold in Stein/Jonas, ZPO, § 138 Rn. 26 ff., Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, Einf § 284 Rn. 29; kritisch Stürner, ZZP 104 (1991), 208 ff.; Wagner, JZ 2007, 706 (711) sowie Stadler in Musielak, § 142 ZPO Rn. 4, nach deren Auffassung dieser Satz der Mottenkiste überantwortet werden sollte. 128 



C.  Umsetzung in Deutschland

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ZPO eine prozessuale Vorlagepflicht aus.129 Soweit sich Tatsachen außerhalb der Sphäre der darlegungs- und beweispflichtigen Partei abgespielt haben, stehen mit der Beweislastumkehr und der sekundären Behauptungslast ferner gewisse funktionale Äquivalente zu prozessualen Aufklärungspflichten bereit.130 Diese allgemeinen Beweismittelvorlagepflichten erschienen dem deutschen Gesetzgeber nicht ausreichend, um der Umsetzungsverpflichtung aus Art. 6 DRL zu genügen. Zwar hatte der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in der Entscheidung Faxkarte unter Hinweis auf Art. 43 TRIPS eine Auslegung des § 809 BGB präferiert, welche den Vorgaben des Art. 6 DRL zu entsprechen schien.131 Doch war unklar, ob sich der X. Zivilsenat dieser Rechtsprechung anschließen würde, nachdem der Senat die Voraussetzungen des § 809 BGB in der (deutlich früher ergangenen) Druckbalken-Entscheidung für das Patentrecht sehr restriktiv interpretiert hatte.132 Die Wahl des Gesetzgebers fiel auf eine Implementierung des Art. 6 DRL durch Einführung materiellrechlicher Vorlage- und Besichtigungsansprüche in den Sondergesetzen des Gewerblichen Rechtsschutzes,133 obgleich der Gesetzgeber davon ausging, dass es sich bei Art. 6 DRL um ein prozessuales Instrument handele.134 Ausschlaggebend für diese Entscheidung war neben dem Gesichtspunkt der Kontinuitätswahrung die Tatsache, dass eine Erzwingung materiellrechtlicher Vorlage- und Besichtigungsansprüche nach deutschem Recht ohne weiteres möglich ist, während eine Verletzung prozessualer Vorlageanordnungen herkömmlich allein die freie Beweiswürdigung durch das Gericht gem. § 286 ZPO nach sich zieht.135 129 

BGH v. 11. 06. 1990 – II ZR 159/89 – NJW 1990, 3151 (3152); BGH v. 02. 05. 2002 – I ZR 45/01 – NJW-RR 2002, 1617 (1619) (Faxkarte); Wagner, ZEuP 2001, 441 (465 ff.); Seichter, WRP 2006, 391 (394); Stürner in FG Vollkommer, S. 205 f. Siehe aber zur Berücksichtigung des Verbots des Ausforschungsbeweises im Rahmen materiellrechtlicher Auskunftsansprüche BGH v.  17. 5. 2001  – I ZR 291/98  – GRUR 2001, 841 (844) (Entfernung der Herstellungsnummer II); BGH v.  23. 2. 2006  – I ZR 27/03  – GRUR 2006, 504 (506) (Parfümtestkäufe), jeweils zu § 19 MarkenG, sowie die (zwischenzeitlich aufgegebene) Rechtsprechung zu § 809 BGB in BGH v. 08. 01. 1985 – X ZR 18/84 – GRUR 1985, 512 (514) (Druckbalken). 130  Zur Beweislastumkehr im Patentrecht siehe § 139 Abs. 3 PatG; zur sekundären Darlegungslast vgl. BGH v.  30. 09. 2003  – X ZR 114/00  – GRUR 2004, 268 (269) (Blasenfreie Gummibahn II); BGH v. 22. 11. 2005 – X ZR 81/01 – GRUR 2006, 313 (315) (Stapeltrockner); BGH v. 17. 09. 2009 – Xa ZR 2/08 – GRUR 2009, 1142 (1143) (MP3-Player); Gniadek, Beweisermittlung, S. 168 ff.; Götz, Informationsbeschaffung, S. 320 ff. Kritisch Gottwald in FS Stürner, S. 305 m. w. N.: „in der Alltagspraxis der Gerichte gänzlich unkalkulierbar“. 131  BGH v. 02. 05. 2002 – I ZR 45/01 – GRUR 2002, 1046 ff. (Faxkarte). 132  BGH v. 08. 01. 1985 – X ZR 18/84 – GRUR 1985, 512 (515 ff.) (Druckbalken): Vorlageanspruch nur bei erheblicher Wahrscheinlichkeit einer Schutzrechtsverletzung; keine Substanzeingriffe im Zuge der Besichtigung; keine Feststellung und Beschreibung von möglichen Schutzrechtsverletzungen im Äquivalenzbereich durch den Sachverständigen. 133  § 140c PatG, § 24cGebrMG, §§ 19a, 128, 135 MarkenG, 46a DesignG, § 37c SortenschutzG, § 9 Abs. 2 HalblSchG. 134  BT-Drucks. 16/5048, S. 27. 135  BT-Drucks. 16/5048, S. 28.

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§ 5  Anordnung der Beweismittelvorlage

Die konkrete Ausgestaltung der immaterialgüterrechtlichen Vorlageansprüche orientiert sich stark an der Faxkarten-Entscheidung des I. Zivilsenats zu § 809 BGB.136 Im Folgenden werden neben diesen neu eingeführten Ansprüchen auch der Vorlage- und Besichtigungsanspruch gemäß § 809 BGB kurz erläutert sowie die Kompetenzen des Gerichts nach §§ 142, 144 ZPO dargelegt. Auf eine Erläuterung des § 810 BGB wird hingegen verzichtet, da dessen Tatbestandsvoraussetzungen in Fällen der Schutzrechtsverletzung regelmäßig nicht erfüllt sind.

II.  Die immaterialgüterrechtlichen Vorlage- und Besichtigungsansprüche 1. Grundzüge 50

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Ein Anspruch des Rechteinhabers auf Vorlage einer Urkunde oder Besichtigung einer Sache oder eines patentierten Verfahrens besteht gemäß § 140c PatG, § 24cGebrMG, §§ 19a, 128, 135 MarkenG, 46a DesignG, § 37c SortenschutzG, § 9 Abs. 2 HalblSchG, sofern eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für eine Rechtsverletzung vorliegt und die Vorlage von Urkunden oder die Besichtigung von Sachen bzw. Verfahren in der Verfügungsgewalt des behaupteten Verletzers zur Begründung von Ansprüchen des Anspruchsstellers erforderlich ist. Vertrauliche Informationen des Beklagten sollen durch vom Gericht zu treffende „erforderliche Maßnahmen“ geschützt werden. Einen Hinweis auf deren mögliche Ausgestaltung gibt das Gesetz nicht. Abs. 2 der genannten Bestimmungen stellt den Anspruch unter den Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit. In der Praxis dürfte der Vorlageanspruch entweder zum Zwecke der Beweissicherung und Prozessvorbereitung im Wege des einstweiligen Verfahrens (hierzu § 6 Rn. 41 ff.) oder als Stufenklage im Rahmen des Verletzungsverfahrens erhoben werden,137 doch ist eine isolierte Geltendmachung des Anspruchs nicht ausgeschlossen.138

136 

BT-Drucks. 16/5048, S. 40 f. ZPO umfasst über den zu engen Gesetzeswortlaut hinaus auf der ersten Stufe jegliche Informationsansprüche, vgl. Roth in Stein/Jonas, ZPO, § 254 Rn. 11; siehe auch Schlosser in FS Großfeld, S. 998; Gniadek, Beweisermittlung, S. 111; Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 19a Rn. 22; Oldekop in Schramm, Patentverletzungsprozess, Kap. 9 Rn. 152. 138  Stadler in FS Leipold, S. 208 übt zu Recht Kritik an der hierdurch entstehenden Verfahrensdopplung. 137  § 254



C.  Umsetzung in Deutschland

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2.  Voraussetzungen des Vorlage- bzw. Besichtigungsanspruchs a)  Hinreichende Wahrscheinlichkeit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit Im Gegensatz zu Art. 6 DRL setzen die deutschen Umsetzungsbestimmungen nicht die Anhängigkeit eines Verletzungsverfahrens voraus. Entscheidendes Kriterium ist deshalb nicht, ob der Kläger bereits „alle vernünftigerweise verfügbaren Beweismittel zur hinreichenden Begründung“ seiner Behauptung vorgelegt hat, sondern ob die „hinreichende Wahrscheinlichkeit“ einer bereits erfolgten oder drohenden Rechtsverletzung besteht.139 Einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit der Schutzrechtsverletzung bedarf es nicht, vielmehr genügen konkrete Anhaltspunkte, welche die Möglichkeit einer Schutzrechtsverletzung mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit nahe legen,140 und denen mithilfe der Besichtigung nachgegangen werden soll. Der Wahrscheinlichkeitsgrad der Rechtsverletzung ist freilich nur ein Aspekt innerhalb eines beweglichen Systems der Interessenabwägung, zu dessen anderen Kriterien die Beweisnot des Klägers (d. h. das Fehlen anderer zumutbarer Möglichkeiten, die Rechtsverletzung zu beweisen141), die Schwere der behaupteten Rechtsverletzung, erhebliche Zweifel am Rechtsbestand des Schutzrechts,142 die Intensität des Eingriffs, die Geheimhaltungsinteressen des Beklagten sowie deren Berück-

139  Das Merkmal der „hinreichenden Wahrscheinlichkeit“ entspricht dem Merkmal der „hinreichenden Begründung“ durch Vorlage aller „vernünftigerweise verfügbaren Beweismittel“, vgl. Amschewitz, S. 349; Seichter, WRP 2006, 391 (394); Hacker in Ströbele/Hacker, MarkenG, § 19a Rn. 7; a. A. Tilmann, GRUR 2005, 737 (739): hinreichender Verdacht ausreichend; Fezer, MarkenG, § 19a MarkenG Rn. 20: Bezeichnung von Beweismitteln und substantiierte Darlegung ihrer Erforderlichkeit zur Anspruchsbegründung ausreichend. 140 OLG Düsseldorf v.  15.  12. 2011  – I-2 U 13/09 (Rohrmuffe); OLG Düsseldorf v.  08. 11. 2012  – I-2 U 108/10; Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 19a Rn. 8; Kühnen, HdB PatV, Rn. 310; Kreye in FS Meibom, S. 257. A. A. Pitz in Fitzner/Lutz/Bodewig, PatR, § 140c PatG Rn. 11: Wahrscheinlichkeitsgrad von mehr als 50 %. Beispiele für entsprechende Anhaltspunkte: Hinweise, dass der Besichtigungsschuldner von Verletzern Ware bezieht; Beschaffenheit im Ausland vertriebener Parallelprodukte; Bestehen eines allgemein eingehaltenen Industriestandards; Vermutungswirkung des § 139 Abs. 3 PatG. Weitergehend OLG Düsseldorf v. 20. 02. 2010 – I-2 W 62/09 – InstGE 11, 298 (Weißmacher): Bedarf es zur Klärung der Rechtsverletzung der Einholung eines Sachverständigengutachtens, so ist die Wahrscheinlichkeit einer Schutzrechtsverletzung regelmäßig gegeben. 141  Zumutbar sind bspw. Nachforschungen im Internet und in Werbematerial oder Gebrauchsanweisungen des vermeintlichen Verletzers, Nachforschungen bei dessen Zulieferern oder Abnehmern sowie – je nach Kostenaufwand – Testkäufe. Darüber hinaus kommt auch ein Besichtigungsantrag gegenüber den Zollbehörden nach Art. 3 ff., 19 der GrenzbeschlagnahmeVO (Verordnung EU (Nr.) 608/2013/EU) in Betracht. 142  OLG München v. 03. 01. 2011 – 6 W 2007/10 – InstGE 13, 286 (292) (Lesevorrichtung für Reliefmarkierungen II); OLG Düsseldorf v.  08. 11. 2012  – I-2 U 108/10; Kühnen, HdB PatV, Rn. 411 (wenn aufgrund einer Bestandsklage die Aussetzung des Verletzungsprozesses nach § 148 ZPO angezeigt wäre).

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§ 5  Anordnung der Beweismittelvorlage

sichtigung durch Geheimhaltungsmaßnahmen zählen.143 Der Klärungsbedarf vermag sich sowohl auf Tatsachen (z. B. Konstruktion des vermeintlich patentverletzenden Gegenstands) als auch auf Rechtsfragen (z. B. Äquivalenz der angegriffenen Ausführungsform) beziehen.144 Nur wenn bereits feststeht, dass eine Schutzrechtsverletzung ausscheidet, hat die Klage auf Beweismittelvorlage keinerlei Aussicht auf Erfolg.145 Prozessuale Anordnungen der Beweismittelvorlage im Rahmen eines anhängigen Verletzungsverfahrens können vom Gericht komplikationslos auf die für den Prozess erheblichen Beweisthemen und Beweismittel beschränkt werden,146 weshalb der Inhalt des Art. 6 DRL einer knappen und recht umfassend formulierte Regelung zugänglich war. Materiellrechtliche Vorlage- und Besichtigungsansprüche, die isoliert von einem Verletzungsverfahren erhoben werden können, unterstehen hingegen nicht der natürlichen Schranke der Beweiserheblichkeit bzw. -bedürftigkeit und bedürfen einer materiellrechtlichen Begrenzung, um das ihnen innewohnende Potential als Ausspähungsinstrument zu reduzieren.147 Der deutsche Gesetzgeber hat die Ansprüche aus § 140c Abs. 1 PatG et al. deshalb erstens davon abhängig gemacht, dass die Vorlage bzw. die Besichtigung zur Begründung von Ansprüchen des Klägers erforderlich ist148 und diese zweitens unter den Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit gestellt. In richtlinienkonformer Auslegung sollte es als ausreichend erachtet werden, wenn die potentiellen Beweismittel lediglich zur Bestimmung der Anspruchshöhe erforderlich sind und der Ersatzanspruch dem Grund nach bereits feststeht.149 Im Rahmen eines selbständigen Verfahrens über den Vorlage- und Besichtigungsanspruch wird das Gericht freilich die Frage der „Erforderlichkeit“ der 143  BGH v. 02. 05. 2002 – I ZR 45/01 – GRUR 2002, 1046 (1049) (Faxkarte) zu § 809 BGB; BGH v.  01. 08. 2006  – X ZR 114/03  – GRUR  2006, 962 (966 f.) (Restschadstoffentfernung) zu § 142 ZPO; OLG Frankfurt v. 04. 05. 2011 – 6 W 36/11 – InstGE 13, 254 (255) (komplexes Herstellungsverfahren); Tilmann in FS Ullmann, S. 1016; v. Hartz, ZUM 2005, 376 (380); Kreye in FS Meibom, S. 248 f. Zu Beispielen siehe Zöllner, GRUR-Prax 2010, 74. 144 OLG Düsseldorf v.  20. 02. 2010  – I-2 W 62/09  – InstGE 11, 298 (Weißmacher); Kühnen, HdB PatV, Rn. 317; Gniadek, Beweisermittlung, S. 410; nach der m. M. von Götz, Informationsbeschaffung, S. 218, bezieht sich der Besichtigungsanspruch von vorneherein nicht auf äquivalente Ausführungsformen. 145  OLG Düsseldorf v. 20. 02. 2010 – I-2 W 62/09 – InstGE 11, 298 (299) (Weißmacher); OLG Düsseldorf v. 30. 06. 2011 – I-2 U 50/10 . 146  McGuire, GPR 2007, 34 (36). 147  BT-Drucks. 16/5048, S. 40. 148  Nach der Begründung des Regierungsentwurfs ist der Anspruch nicht auf potentielle Beweismittel beschränkt, sondern soll es dem Anspruchsinhaber auch ermöglichen, Informationen zu erlangen, auf deren Basis er einen substantiierten Vortrag stützen kann, vgl. BT-Drucks. 16/5048, S. 40; hierzu ferner Tillmann, GRUR 2005, 737 (738). 149  Siehe zur inkorrekten deutschen Übersetzung supra § 5 Rn. 7. I. E. wie hier Kühnen, HdB PatV, Rn. 320; zweifelnd Stjerna, GRUR 2011, 789 (793) m. w. N.; unklar Pitz in Fitzner/ Lutz/Bodewig, PatR, § 140c PatG Rn. 5 einerseits, Rn. 15 andererseits.



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Beweise für einen späteren Verletzungsprozess allenfalls summarisch prüfen können. Der Ausschluss des Anspruchs wegen Unverhältnismäßigkeit kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht;150 insbesondere ist vorrangig zu prüfen, ob die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme durch angemessene Vorkehrungen zum Schutz der Vertraulichkeit hergestellt werden kann. Im Schrifttum sind Zweifel geäußert worden, ob die in Art. 6 DRL nicht genannten Kriterien der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit eine Abweichung von der Richtlinie zu Lasten des Schutzrechtsinhabers bedeuten.151 Diese Bedenken sind nicht berechtigt: Art. 6 DRL zwingt nicht zur Einführung einer gebundenen Entscheidung des anordnenden Gerichts, sondern erlaubt den Mitgliedstaaten, ihren Gerichten eine Entscheidungsprärogative dahingehend einzuräumen, ob die Vorlage oder Besichtigung angeordnet wird. Es spricht nichts dagegen, wenn der Gesetzgeber diese Entscheidung vorzeichnet, sofern dies im Einklang mit den Vorgaben der Richtlinie geschieht, faire und verhältnismäßige Maßnahmen und Rechtsbehelfe zur Verfügung zu stellen.152 Auch die Beschränkung der deutschen Ansprüche auf die Urkundenvorlage und die Besichtigung einer Sache bzw. eines Verfahrens sind richtlinienkonform. Zwar spezifiziert Art. 6 DRL die Art der vorzulegenden Beweismittel nicht, doch müssen diese sich „in der Verfügungsgewalt der gegnerischen Partei“ befinden, eine Vorgabe, die weder für den Zeugen- noch für den Sachverständigenbeweis sachgerecht ist.

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b)  Bezeichnung des Besichtigungs- bzw. Vorlagegegenstands Im Gegensatz zu Art. 6 Abs. 1 DRL verlangen die Umsetzungsbestimmungen des deutschen Rechts nicht explizit eine Bezeichnung des Vorlage- bzw. Besichtigungsgegenstands durch den Kläger. In der Sache ist auch nach deutschem Recht eine Konkretisierung des vorzulegenden Beweismittels unerlässlich,153 da ein pauschales Vorlagebegehren nicht geeignet ist, die „Erforderlichkeit“ der Beweise für die Begründung des Hauptanspruchs darzutun. Sofern der Vortrag des Klägers hinreichend substantiiert ist, bedarf es keiner detaillierten Beschreibung des Beweismittels, etwa im Hinblick auf Datum und Titel eines Vertragsdokuments. Es reicht aus, wenn dem Beklagten bzw. dem Gerichts150 Näher

Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 19a Rn. 20 f. Zu den im Einzelfall abzuwägenden Gesichtspunkten siehe Kühnen, HdB PatV, Rn. 328 ff. 151  McGuire, GRP 2007, 34 (37); 152  Vgl. Art. 3 DRL. Wie hier Amschewitz, DRL, S. 348; auch laut Knaak, GRUR Int. 2004, 745 (747) ist das allgemeine Verhältnismäßigkeitsgebot des Art. 3 Abs. 1 insbesondere bei der Umsetzung von Art. 6 und Art. 7 DRL zu berücksichtigen. A. A. McGuire, GPR 2007, 34 (37), nach deren Auffassung der deutsche Gesetzestext den Vorlagegegner begünstigt. 153  Die Begründung des Regierungsentwurfs konstatiert: „Entsprechend dem Wortlaut von Art. 6 Abs. 1 DRL ist ferner Voraussetzung, dass der Rechtsinhaber oder ein anderer Berechtigter die Urkunde oder die Sache genau bezeichnet hat […]“, BT-Drucks. 16/5048, S. 40; siehe ferner a. a. O., S. 28.

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§ 5  Anordnung der Beweismittelvorlage

vollzieher anhand der Beschreibung des Klägers (Gattung, Aussteller, vermuteter Inhalt des Papiers) eine Individualisierung ermöglicht wird.154 Schließlich muss der Kläger schlüssig vortragen, dass sich der begehrte Gegenstand in der Verfügungsgewalt des Beklagten befindet.155 Ein Recht zur Besichtigung von Räumlichkeiten des Beklagten zwecks Feststellung, ob sich bestimmte Gegenstände dort befinden, lässt sich aus § 140c PatG et al. nicht ableiten.156

c)  Verfügungsgewalt über den Besichtigungsgegenstand 58

Als Anspruchsgegner kommt nach § 140c Abs. 1 PatG et al. nur eine Person in Betracht, in deren Verfügungsgewalt sich der Vorlage- bzw. der Besichtigungsgegenstand befindet. Der Begriff der Verfügungsgewalt wurde ohne Versuch einer Definition aus der Richtlinie übernommen, vermutlich, um einer richtlinienwidrigen Umsetzung vorzubeugen. Da sich der Gesetzgeber bei der Gestaltung der immaterialgüterrechtlichen Vorlageansprüche an der Auslegung des § 809 BGB in der Rechtssache Faxkarte orientiert hat, bietet es sich an, ebenso wie im Rahmen des § 809 BGB auf den Besitz des Vorlagegegenstandes abzustellen und neben dem unmittelbaren Besitzer auch den mittelbaren Besitzer als Anspruchsschuldner anzusehen, sofern dieser aufgrund seines Rechtsverhältnisses zum unmittelbaren Besitzer berechtigt ist, eine Vorlage oder Besichtigung zu ermöglichen.157

154  Vgl.

LG Düsseldorf v. 05. 03. 2009 – 4b O 242/07 (zu § 142 ZPO): Antrag auf Vorlage von „Vereinbarungen, Vereinbarungsentwürfen und Korrespondenz mit ausgewählten deutschen Vertriebspartnern“ nicht ausreichend konkretisiert; gegebenenfalls ausreichend hingegen die Formulierung „ein Dokument, aus dem sich eine strategische Allianz der Beklagten mit der Firma X ergibt.“ Siehe ferner OLG Karlsruhe v. 18. 05. 2010 – 6 W 28/10 – BeckRS 2011, 18386 sowie Pitz in Fitzner/Lutz/Bodewig, PatR, § 140c PatG Rn. 28. Deutlich restriktiver allerdings BGH v. 27. 05. 2014 – XI ZR 264/13 – NJW 2014, 3312 (3313) zu § 810 ZPO. 155  Tillmann, GRUR 2005, 737 (739). 156  BGH v. 13. 11. 2003 – I ZR 187/01 – GRUR 2004, 420 (421) (Kontrollbesuch) zu § 809 BGB; Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 19a Rn. 14; v. Hartz, ZUM 2005, 376 (378); Koch, ITRB 2006, 40 (42); Nägele/Nitsche, WRP 2007, 1047 (1053); Zöllner, GRUR-Prax 2010, 74 (75); für eine richtlinienkonforme Interpretation Müller-Stoy, Mitt. 2009, 361 (365); eine Änderung halten für erforderlich Knaak, GRUR-Int. 2004, 745 (748 f.); Ahrens, GRUR 2005, 837 (838 f.); Gniadek, Beweisermittlung, S. 414. 157  LG Nürnberg v. 23. 02. 2005 – 3 O 4156/04 – InstGE 5, 153 (154 ff.) (Betriebsspionage) (zu § 809 BGB); Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 19a Rn. 11; Fezer, MarkenR, § 19a MarkenG Rn. 24; Kühnen, HdB PatV, Rn. 318; Pitz in Fitzner/Lutz/Bodewig, PatR, § 140c PatG Rn. 13; a. A. Hacker in Ströbele/Hacker, MarkenG, § 19a Rn. 11: jede rechtliche oder tatsächliche Möglichkeit, der Urkunde oder Sache habhaft zu werden; wohl ebenso Zöllner, GRUR-Prax 2010, 74 (75).



C.  Umsetzung in Deutschland

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d)  Bank-, Finanz- und Handelsunterlagen Der Anspruch soll sich gem. § 140c Abs. 2 S. 2 PatG et al. nur auf Bank-, Finanz- und Handelsunterlagen erstrecken, sofern die hinreichende Wahrscheinlichkeit einer in gewerblichem Ausmaß begangenen Rechtsverletzung besteht. Angesichts des für den Tatbestand einer gewerblichen Schutzrechtsverletzung erforderlichen Handels im geschäftlichen Verkehr oder zu gewerblichen Zwecken ist Satz 2 redundant, denn ein Anspruch auf Vorlage dieser Dokumente besteht ohnehin bereits nach Satz 1.158 Soweit die betreffenden Dokumente nicht der Aufklärung der Schutzrechtsverletzung, sondern lediglich der Ermittlung des Verletzergewinns dienen, dürfte eine Einsicht des Schutzrechtsinhabers regelmäßig erst nach Feststellung der Schutzrechtsverletzung als verhältnismäßig anzusehen sein.159 Nach Feststellung der Schutzrechtsverletzung ist es für den Schutzrechtsinhaber freilich zumeist komfortabler, einen Anspruch auf Auskunft und Rechnungslegung geltend zu machen (infra § 7 Rn. 31 ff.), anstatt den Versuch zu unternehmen, einzelne Unterlagen zu konkretisieren, aus denen sich der Verletzergewinn ergeben könnte, und den Verletzergewinn sodann selbständig zu ermitteln. Der Vorlageanspruch dürfte deshalb regelmäßig erst zwecks Überprüfung der Rechnungslegung gestellt werden. Ist dies der Fall, bleibt dem Gericht im Einzelfall zu prüfen, ob die Richtigkeit der Auskunftserteilung bereits ausreichend durch die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung gemäß § 259 Abs. 2 BGB gesichert ist und eine Beweismittelvorlage deshalb unverhältnismäßig erscheint.

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3.  Inhalt und Durchsetzung des Vorlage- bzw. Besichtigungsanspruchs Der Schuldner wird zur Vorlage des potentiellen Beweismittels bzw. zur Duldung dessen Besichtigung verpflichtet. Soweit der Besichtigungsgegenstand in den Betriebsräumen des Schuldners eingebaut ist oder sich aufgrund Größe oder Masse nicht oder nur bedingt transportieren lässt, wird dem Schuldner ferner die Duldung eines Betretens seiner Räumlichkeiten zwecks Durchführung der Besichtigung aufgegeben.160 Die Besichtigung ist nicht darauf beschränkt, den vorzulegenden Gegenstands äußerlich zu betrachten. Umfasst ist auch eine intensive Untersuchung, die beispielsweise das Vermessen, Wiegen, die Inbetriebnahme sowie  – entgegen der früheren, zu restriktiven Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs161  – dem Besichtigungsschuldner 158  Dörre/Maaßen, GRUR-RR 2008, 217 (221); Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 19a Rn. 16; Hacker in Ströbele/Hacker, MarkenG, § 19a Rn. 21. 159 Ebenso Kühnen, HdB PatV, Rn. 356. 160 Näher Grabinski in FS Mes, S. 135 ff. 161  BGH v. 08. 01. 1985 – X ZR 18/84 – GRUR 1985, 512 (515 f.) (Druckbalken).

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§ 5  Anordnung der Beweismittelvorlage

zumutbare Substanzeingriffe beinhalten kann.162 Ferner ist die Anfertigung von Photographien, Screenshots163 und Kopien,164 insbesondere auch elektronischer Art,165 zulässig. Vorlageort ist der Standort der vorzulegenden Sache, Gefahr und Kosten der Besichtigung trägt der Besichtigungsgläubiger (§ 140c Abs. 4 PatG et al., § 811 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 BGB). Die Intensität der Mitwirkungspflichten des Antragsgegners – etwa hinsichtlich der Mitteilung von Passwörtern, der Bedienungseinweisung von Maschinen und der Mitteilung des Lage- bzw. Standorts des Besichtigungsgegenstands auf einem Betriebsgelände  – ist noch nicht höchstrichterlich geklärt.166 Eine Auskunftsplicht über die Ausgestaltung des vermeintlich schutzrechtsverletzenden Gegenstands oder Verfahrens begründen § 140c PatG et al. nicht.167 Der Besichtigungsschuldner kann die Vorlage verweigern, sofern die andere Partei nicht einen Kostenvorschuss sowie eine Sicherheit für die mit der Besichtigung verbundenen Gefahren leistet.168 Dieses Verweigerungsrecht ist nicht in Art. 6 DRL erwähnt, dürfte aber aufgrund des in Art. 3 Abs. 2 DRL festgehaltenen allgemeinen Verhältnismäßigkeitsprinzips mit der Richtlinie vereinbar sein.169 Die Vollstreckung titulierter Vorlageansprüche erfolgt nach § 883 ZPO analog,170 die Duldung der Besichtigung einschließlich des Betretens von 162 BGH v.  18. 12. 2012  – X ZR 7/12  – GRUR 2013, 316 (318) (Rohrmuffe); BGH v. 02. 05. 2002 – I ZR 45/01 – GRUR 2002, 1046 (1049) (Faxkarte); GRUR-Stellungnahme, GRUR 2005, 747; Nägele/Nitsche, WRP 2007, 1047 (1052); Berlit, WRP 2007, 732 (737); Kitz,, NJW 2008, 2374 (2376); Dörre/Maaßen, GRUR-RR 2008, 217 (220). 163  Müller-Stoy, Mitt. 2009, 361 (364). 164  Dörre/Maaßen, GRUR-RR 2008, 217 (220); Tilmann in FS Ullmann, S. 1018. 165  Frank/Wiegand, CR 2007, 481 (482). 166  Zur Mitteilung von Passwörtern siehe bspw. KG v. 11. 08. 2000 – 5 U 3069/90 – NJW 2001, 233 (234). Ob der Besichtigungsanspruch auch die Verpflichtung zur Benennung des Standorts eines vermeintlich patentverletzenden Gegenstands umfasst, wird offen gelassen in OLG Düsseldorf v. 30. 01. 2003 – 2 U 71/99 – GRUR-RR 2003, 327 (Raumkühlgerät). Für weitgehende Mitwirkungspflichten Gniadek, Beweisermittlung, S. 123 f. m. w. N.; Binder, ZZP 122 (2009), 187 (213 f.); dagegen Kühnen, HdB PatV, Rn. 378 m. Fn. 396; siehe ferner Oldekop in Schramm, Patentverletzungsprozess, Rn. 132, 163; Kather/Fitzner, Mitt. 2010, 325 (326 f.). 167  Pitz in Fitzner/Lutz/Bodewig, PatR, § 140c PatG Rn. 20. 168  § 140c IV PatG et al., § 811 BGB; Dörre/Maaßen, GRUR-RR 2008, 217 (221). 169  Insbesondere ergibt sich aus Art. 7 Abs. 2, Art. 9 Abs. 6 DRL kein argumentum e contrario, da § 811 keine Sicherheit für den Fall des Nichtbestehens der Rechtsverletzung vorsieht, sondern lediglich eine Sicherheit für eventuell mit der Besichtigung verbundene Sachbeeinträchtigungen. 170  Czychowski, GRUR-RR 2008, 265 (268); Amschewitz, DRL, S. 237, 350; Gniadek, Beweisermittlung, S. 125 f. m. w. N. Siehe entsprechend zur Vollstreckung von Vorlage- bzw. Besichtigungsverpflichtungen aufgrund anderer Bestimmungen OLG Köln v. 21. 09. 1995 – 18 W 33/95 – NJW-RR 1996, 382; OLG Frankfurt v. 17. 07. 1991 – 20 W 43/91 – NJW-RR 1992, 171 m. w. N.; Lackmann in Musielak, ZPO, § 883 ZPO Rn. 3, 7; Gehrlein in Bamberger/Roth, § 809 BGB Rn. 7; Marburger in Staudinger, Vor § 809 Rn. 10; a. A. Habersack in MüKo BGB, § 809 Rn 17: Vollstreckung nach §§ 887, 888 ZPO.



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Räumlichkeiten ist nach § 890 bzw. §§ 892, 758 Abs. 3 ZPO zu vollstrecken.171 Oftmals bedarf es einer ziel- und zweckgerichteten Suche, um den vorzulegenden bzw. zur Besichtigung freizugebenden Gegenstand aufzufinden.172 Diese ist nur zulässig, sofern eine richterliche Durchsuchungsanordnung vorliegt oder Gefahr im Verzug besteht.173

III.  § 809 BGB Ein materiellrechtlicher Anspruch auf die Vorlage und Besichtigung einer Sache kann sich auch aus § 809 BGB ergeben, sofern sich der Anspruchsteller Gewissheit verschaffen will, ob ihm in Ansehung der Sache ein Anspruch gegen den Besitzer der Sache zusteht. Der Bundesgerichtshof hat § 809 BGB zunächst unter Hinweis auf Art. 43 TRIPS, später unter Bezugnahme auf die Bestimmungen der Durchsetzungsrichtlinie dergestalt interpretiert, dass ein Vorlage- und Besichtigungsanspruch beim Verdacht einer Verletzung gewerblicher Schutzrechte bereits dann besteht, wenn ein gewisser Grad von Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer Rechtsverletzung spricht und die Zuerkennung des Vorlageanspruchs unter Gesamtabwägung aller Umstände angemessen erscheint. Da diese Rechtsprechung als Folie für den Entwurf der immaterialgüterrechtlichen Vorlage- und Besichtigungsansprüche diente, legen Rechtsprechung und Literatur § 809 BGB und §§ 140c PatG et al. beim Verdacht einer Schutzrechtsverletzung deckungsgleich aus.174 Auf die obenstehenden Ausführungen kann somit verwiesen werden. Relevanz kommt § 809 BGB weiterhin zu, soweit der Immaterialgüterrechtsschutz im deutschen Recht nicht durch ein Sondergesetz verwirklicht wird und das TRIPS oder die Durchsetzungsrichtlinie eine Anordnung der Beweismittelvorlage gebietet, etwa auf dem Gebiet des Know-how-Schutzes.175

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IV.  Der Schutz vertraulicher Informationen Der Schutz vertraulicher Informationen ist in das Ermessen des Gerichts gestellt. § 140c Abs. 1 S. 3 PatG und dessen Parallelbestimmungen erklären 171 

Grabinski in FS Mes, S. 135 ff. Kühnen, HdB PatV, Rn. 379; Grabinski in FS Mes, S. 137 ff. 173  § 758a ZPO, siehe Ahrens, GRUR 2005, 837 (838 f.); Tilmann, GRUR 2005, 737 (739); Zöllner, GRUR-Prax 2010, 74 (75); Gniadek, Beweisermittlung, S. 126 ff. 174  Statt aller BGH v. 16. 11. 2009 – X ZB 37/08 – GRUR 2010, 318 (319) (Lichtbogenschnürung). Zur Anwendung der §§ 809, 810 BGB auf elektronische gespeicherte Informationen siehe Binder, ZZP 122 (2009), 187 (201 ff.). 175 Siehe Art. 39 TRIPS; zum unklaren sachlichen Anwendungsbereich der Durchsetzungsrichtlinie supra § 3 Rn. 19. Zur Anwendung des § 809 BGB auf dem Gebiet des ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes siehe OLG Frankfurt v. 10. 06. 2010 – 15 U 192/09 – BeckRS 2011, 18385. 172 

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lapidar, sofern der vermeintliche Verletzer die Vertraulichkeit der betroffenen Informationen geltend mache, treffe das Gericht „die erforderlichen Maßnahmen, um den im Einzelfall gebotenen Schutz zu gewährleisten“. Zu § 809 BGB entspricht dies ständiger Rechtsprechung. Unter den Begriff der vertraulichen Informationen sind neben Geschäfts- oder Betriebsgeheimnissen i. S. d. § 203 StGB176 auch personenbezogene Daten natürlicher Personen zu fassen, zu deren Schutz der Besichtigungsschuldner nach § 3 Abs. 1 BDSG verpflichtet ist.177

1.  Inhaltliche Begrenzung des Vorlage- bzw. Besichtigungsanspruchs 66

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Lassen sich die Informationen, die im Beweisinteresse des Vorlagegläubigers liegen und diejenigen Inhalte, an deren Geheimhaltung der Vorlageschuldner ein Interesse hat, klar trennen, so stellt eine Redaktion der herauszugebenden Unterlagen (Schwärzung bestimmter Dokumententeile) eine simple Maßnahme zur Gewährleistung des Geheimnisschutzes dar.178 Zumeist spiegelt freilich das Informationsinteresse des Vorlagegläubigers das Geheimhaltungsinteresse des Vorlageschuldners wider, so dass eine Redaktion nicht zielführend bzw. durchführbar ist. Selbiges gilt für die Besichtigung eines Gegenstands. Dem Gesetzgeber schwebte für diese Sachverhalte eine Einschränkung des Vorlageanspruchs auf Urkundenvorlage an bzw. Sachbesichtigung durch einen zur Verschwiegenheit verpflichteten Dritten vor. Unter dem Terminus „Wirtschaftsprüfervorbehalt“ ist diese Vorgehensweise im Rahmen von Auskunfts- und Rechnungslegungsansprüchen wohlbekannt.179 Die Funktion des Wirtschaftsprüfers besteht darin, im Auftrag des Gläubigers anhand der vom Schuldner vorgelegten Belege zu prüfen, ob der Schuldner den Auskunfts- bzw. Rechnungslegungsanspruch ordnungsgemäß erfüllt hat. Mit dieser Konstellation ist der im Rahmen des § 140c Abs. 1 PatG et al. bestehende Zielkonflikt allerdings nicht vergleichbar. Erstens bedarf der Schutzrechtsinhaber präziser Informationen, um die Verletzungsform im Klageantrag zu beschreiben.180 Zweitens sollen die immaterialgüterrechtlichen Vorlage- und Besichtigungsansprüche nicht allein ein Informationsinteresse des Schutzrechtsinhabers befriedigen, sondern darüber hinaus eine gericht176  Zu den vertraulichen Informationen zählen bspw. Umsätze, Ertragslage, Geschäftsbücher, Kundenlisten, Bezugsquellen, Marktstrategien, Unterlagen zur Kreditwürdigkeit, Kalkulationsunterlagen, Patentanmeldungen, Entwicklungs- und Forschungsprojekte, geheimes Know How. Näher Voß in Fitz/Lutz/Bodewig, PatR, Vor §§ 139 ff. PatG Rn. 132. 177  Näher zu den datenschutzrechtlichen Erlaubnistatbeständen infra § 7 Rn. 46 ff. Zu den Besonderheiten, die aus der zunehmenden Kommunikation per eMail resultieren siehe Binder, ZZP 122 (2009), 187 (224 f.). 178  Dörre/Maaßen, GRUR-RR 2008, 217 (221); Frank/Wiegand, CR 2007, 481 (486). 179  BGH v. 07. 12. 1979 – I ZR 157/77 – GRUR 1980, 227 (233) (Monumenta Germaniae Historica); BGH v.  13. 02. 1981  – I ZR 111/78  – GRUR 1981, 535 (Wirtschaftsprüfervorbehalt). 180  Stadler in FS Leipold, S. 211.



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liche Verwertung der vorgelegten Beweise ermöglichen. Der Einsatz eines zur Verschwiegenheit verpflichteten Dritten beeinträchtigt in diesem Kontext nicht nur den zivilprozessualen Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme, sondern auch das Rechtsstaatsprinzip. Wird der Anspruch auf die Vorlage an einen zur Verschwiegenheit verpflichteten Dritten beschränkt, vermag der Schutzrechtsinhaber den Beweis nicht durch die Urkunde bzw. das Augenscheinsobjekt selbst, sondern allein durch das Angebot der Vernehmung eines sachverständigen Zeugen zu führen. Der Beweisführer wird somit gezwungen, auf ein mittelbares Beweismittel zurückzugreifen, obgleich Art. 6 Abs. 1 DRL auf die Vorlage unmittelbarer Beweismittel bei Gericht zielt. Eine Beweisführung durch Zeugenaussage eines zur Verschwiegenheit verpflichteten Dritten kommt aufgrund des Rechtsstaatsprinzips ferner nicht in Betracht, sofern es einer Würdigung der vorzulegenden Urkunde bzw. der besichtigten Sache oder des besichtigten Verfahrens bedarf (z. B. um das streitige Vorliegen einer Rechtsverletzung oder die streitige Höhe des Verletzergewinns zu beurteilen). Es zählt zu den originären Aufgaben des Gerichts, sich hinsichtlich des Sachverhalts und der Ergebnisse sachverständiger Gutachten eine eigene Überzeugung zu bilden.181 Auch gutachterliche Erkenntnisse eines Dritten, zumal solche aus Parteigutachten, dürfen nicht ungeprüft der gerichtlichen Entscheidung zugrunde gelegt werden.182 Entgegen den Vorstelllungen des Gesetzgebers lässt sich der Schutz vertraulicher Informationen somit nur in geringem Maße auf materiellem Wege, d. h. durch eine inhaltliche Begrenzung des Vorlage- oder Besichtigungsanspruchs, verwirklichen.

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2.  In camera-Verfahren In der Literatur wurde deshalb bereits lange vor Erlass der Durchsetzungsrichtlinie eine prozessuale Einbettung des Geheimnisschutzes durch ein sogenanntes in camera-Verfahren gefordert, in dessen Rahmen potentiellen Beweismittel  – gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines Sachverständigen  – gegenüber dem Gericht offen gelegt werden und der Zugang des Schutzrechtsinhabers zu den relevanten Teilen des Verfahrens und der Gerichtsdokumente beschränkt wird.183 Verfassungsrechtlich ist ein derartiges in camera-Verfahren trotz der damit verbundenen Einschränkung des rechtlichen Gehörs und des 181  BVerfG v. 14. 03. 2006 – 1 BvR 2087/03 – MMR 2006, 375 (378); BGH v. 12. 11. 1991 – KZR 18/90 – GRUR 1992, 191 (194) (Amtsanzeiger); Bornkamm in FS Ullmann, S. 899 ff.; Osterloh-Konrad in Schön, Rechnungslegung, S. 29. 182  BVerfG v. 14. 03. 2006 – 1 BvR 2087/03 – MMR 2006, 375 (378). 183 Siehe exemplarisch Leppin, GRUR 1984, 695 ff.; Stürner/Stadler, JZ 1985, 1101 (1104); Götting, GRUR Int. 1988, 729 (739 f.); Wagner, ZEuP 2001, 441 (476); GRUR-Stellungnahme, GRUR 2005, 747 (748); ablehnend z. B. Prütting/Weth, NJW 1993, 576 (577); Lachmann, NJW 1987, 2206 (2210).

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Grundsatzes aus § 357 ZPO nicht zwingend zu beanstanden, da der effektive Rechtsschutz gerade durch die Beschränkung des rechtlichen Gehörs gefördert wird.184 Ein kameralistisches Verfahrens unter dem Hinweis auf das rechtliche Gehör des Klägers abzulehnen, hieße, dem Schutzrechtsinhaber Steine statt Brot zu geben, wenn ein öffentliches Verfahren unter Berücksichtigung der Geheimhaltungsinteressen des Beklagten nicht durchführbar ist. Die konkrete Ausgestaltung eines solchen Verfahrens sollte die Beschränkung des rechtlichen Gehörs allerdings auf ein Minimum begrenzen. Eine gesetzliche Grundlage für ein kameralistisches Verfahren existiert im deutschen Recht derzeit nur in § 99 Abs. 2 VwGO. Danach kann das Oberverwaltungsgericht in einem geheimen Verfahren darüber entscheiden, ob die unter Hinweis auf den notwendigen Geheimnisschutz erfolgte Verweigerung einer Informationserbringung durch eine Behörde rechtmäßig ist. Für den Zivilprozess sieht das Gesetz lediglich die Möglichkeit des Ausschlusses der Öffentlichkeit nach § 172 Ziff. 2 GVG und die Anordnung einer Geheimhaltungspflicht nach § 174 Abs. 3 GVG vor. Ob die Entwicklung eines zivilprozessualen in camera-Verfahrens allein durch richterliche Rechtsfortbildung möglich ist, erscheint zweifelhaft.185 Allenfalls kann – entsprechend § 99 Abs. 2 VwGO – die Entscheidung, ob ein Anspruch auf Vorlage bzw. Besichtigung potentieller Beweismittel trotz der Offenlegung vertraulicher Informationen besteht, in camera erfolgen. Eine in camera-Verwertung von Beweismitteln ist dem deutschen Rechtssystem vollkommen fremd und dessen richterliche Entwicklung sowohl vor dem Hintergrund des Parlamentsvorbehalts als auch im Interesse der Rechtssicherheit abzulehnen.186 Angesichts des Fehlens einer gesetzlichen Ermächtigung kann die Entscheidung über einen Vorlage- bzw. Besichtigungsanspruch nur dann in camera gefällt werden, wenn der Vorlage- bzw. Besichtigungsgläubiger freiwillig auf seine Partizipationsrechte verzichtet187 und seinen Prozessbevollmächtigten von der aus § 11 BORA resultierenden Pflicht entbindet, ihn über alle für den Fortgang der Sache wesentlichen Vorgänge und Maßnahmen unverzüglich zu unterrichten. Fehlt es an dieser Einschränkung, darf ein kameralistisches 184  BVerfG v. 27. 10. 1999 – 1 BvR 385/90 – NJW 2000, 1175 (1178); Bornkamm in FS Ullmann, S. 906; Stürner in FG Vollkommer, S. 214; Stadler, ZZP 123 (2010), 261 (267 f.); Gniadek, Beweisermittlung, S. 416; Spindler/Weber, MMR 2006, 711 (712 f.); Kreye in FS Meibom, S. 251 ff. m. w. N. Siehe zu Art. 6 EMRK ferner EuGH v. 14. 02. 2008 – C-450/06 – Slg. 2008, I-0581 (Varec), Rn. 44 ff. 185  BGH v. 1. 8. 2006 – X ZR 114/03 – GRUR 2006, 962 (967) (Restschadstoffentfernung): „jedenfalls nicht ohne weiteres“; ablehnend Heinrich in MüKo ZPO, § 357 Rn. 9; Gniadek, Beweisermittlung, S. 139; Spindler/Weber, MMR 2006, 711 (714); Kitz, NJW 2008, 2374 (2376); Prütting/Weth, NJW 1993, 576 (577). 186  Osterloh-Konrad in Schön, Rechnungslegung, S. 39 ff.; a. A. wohl Bornkamm in FS Ullmann, S. 911; v. Hartz, ZUM 2005, 376 (382); Stadler in FS Leipold, S. 217 f., 219. 187  Zur Möglichkeit des antizipierten freiwilligen Gehörsverzichts Leppin, GRUR 1984, 695 (697); Spindler/Weber, MMR 2006, 711 (713).



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Verfahren nicht stattfinden.188 Der Antrag bzw. die Klage auf Vorlage oder Besichtigung ist in diesem Fall abzuweisen, sofern die gegnerische Partei eine beachtenswerte Beeinträchtigung ihrer Geheimhaltungsinteressen darlegt.

3.  Die „Düsseldorfer Praxis“ Erprobt werden Zivilverfahren mit beschränkten Beteiligungsrechten des Antragstellers insbesondere in der als „Düsseldorfer Praxis“189 bekannt gewordenen Verfahrenspraxis zur Realisierung der sachverständigen Besichtigung eines angeblich patentverletzenden Gegenstands oder Verfahrens. Der Charme der „Düsseldorfer Praxis“ besteht in einer Spaltung des Verfahrens in zwei Abschnitte: Erfolgt die Durchsetzung des Besichtigungsanspruchs im Klagewege, so wird dem Beklagten zunächst durch Teil- und Grundurteil die Duldung der Besichtigung des Gegenstands bzw. Verfahrens durch einen vom Gericht bestellten Sachverständigen zuerkannt und durch nachfolgendes Schlussurteil über die Aushändigung des nach Besichtigung erstellten Sachverständigengutachtens an den Kläger entschieden.190 Zur vorprozessualen Durchsetzung siehe die Ausführungen in § 6 Rn. 41 ff. Die eigentliche Besichtigung erfolgt somit nicht durch den Anspruchsteller, sondern durch einen gerichtlich beauftragten Sachverständigen. Bei dieser Besichtigung wird die Anwesenheit der anwaltlichen und patentanwaltlichen Vertreter des Anspruchstellers erlaubt, soweit diese sich zur Verschwiegenheit gegenüber ihrem Mandanten verpflichtet haben,191 da der Besichtigungsschuldner und dessen Rechtsbeistand regelmäßig bei der Besichtigung präsent

188  BGH v. 16. 11. 2009 – X ZB 37/08 – GRUR 2010, 318 (322) (Lichtbogenschnürung); a. A. wohl Gniadek, Beweisermittlung, S. 141, der die Beratung über die Freigabe des Berichts im Zuge der „Düsseldorfer Praxis“ als Teil der nichtöffentlichen Beratung der Entscheidung nach § 309 ZPO, § 193 GVG einstuft; Gniadek a. a. O. übersieht, dass die Freigabeentscheidung implizit auf einer Entscheidung über das Vorliegen einer Rechtsverletzung beruht, zu deren Aufklärung die Parteien anhand des Sachverständigengutachtens durchaus beitragen können. 189  Hierzu umfassend Kühnen, HdB PatV, Rn. 357 ff. mit Musteranordnung bei Rn. 378; ders., GRUR 2005, 185 ff. Grundsätzlich befürwortend Ahrens, GRUR 2005, 837 (838); Czychowski, GRUR-RR 2008, 265 (268); Tilmann in FS Ullmann, S. 1020; Eck/Dombrowski, GRUR 2008, 387. 190  Vgl. LG Düsseldorf v. 08. 03. 2007 – 4b O 230/04 – InstGE 8, 103 (107) (Etikettiermaschine); Kühnen, HdB PatV, Rn. 357; Pitz in Fitzner/Lutz/Bodewig, PatR, § 140c PatG Rn. 34. 191  Von Amts wegen ist eine Verpflichtung des Prozessvertreters zur Verschwiegenheit und eine Aushändigung des Gutachtens nur an diesen nicht zulässig, siehe BGH v. 16. 11. 2009 – X ZB 37/08  – GRUR 2010, 318 (322) (Lichtbogenschnürung). Zweifel an der richtlinienkonformen Umsetzung des Art. 6 DRL aufgrund der Verkürzung der Gehörsrechte des Antragstellers äußert Hess, EuZPR, § 11 Rn. 23 m. Fn. 109.

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ist und ihm somit Einflussmöglichkeiten auf den Sachverständigen zukommen.192 Der Anspruchsteller kann die Aushändigung des Sachverständigengutachtens an sich selbst verlangen oder aber (was erfolgsversprechender ist) eine Übermittlung an seine zur Verschwiegenheit verpflichteten Anwälte beantragen. Der Anspruchsgegner erhält nun die Gelegenheit, seine Geheimhaltungsinteressen und die aus deren Offenbarung erwachsenden Nachteile darzulegen.193 Im zweiten Verfahrensabschnitt entscheidet das Gericht unter Ausschluss des Schutzrechtsinhabers,194 aber in Anwesenheit seines Prozessbevollmächtigten, über die Offenlegung der Urkunden bzw. die Freigabe des Sachverständigengutachtens gegenüber dem Schutzrechtsinhaber (sogenanntes Freigabeverfahren). Die in camera-Erörterung bezieht sich auf die Frage, ob die Beweismittel an den Antragsteller ausgehändigt werden können, obgleich sie zwingend Sachverhalte offen legen, an deren Geheimhaltung der Besichtigungsschuldner ein beachtenswertes Interesse hat. Ist eine sinnvolle Schwärzung vertraulicher Gutachtenteile nicht möglich, erfolgt die Entscheidung über die Freigabe des Gutachtens unter Würdigung der beiderseitigen prozessualen und wettbewerblichen Interessen.195 Das Gutachten kann auch stufenweise, d. h. zunächst in Teilen geschwärzt, freigegeben werden.196 Bei gleichgelagerter Interessenverteilung treffen die Düsseldorfer Richter ihre Entscheidung in Abhängigkeit von dem Vorliegen einer Schutzrechtsverletzung.197 Wird das Gutachten an den Antragsteller ausgehändigt, entfällt die auf das Gutachten bezogene Verschwiegenheitsverpflichtung der Anwälte. Sind den Anwälten im Zuge der Besichtigung (d. h. bei Betreten des Betriebsgeländes des Antragsgegners) andere geheimhaltungsbedürftige Tatsachen zur Kenntnis gelangt, wirkt die 192  GRUR-Stellungnahme, GRUR 2005, 747 (748); Bornkamm in FS Ullmann, S. 910 f.; Tilmann in FS Ullmann, S. 1022; Rogge/Grabinski in Benkard, § 139 PatG Rn. 123; Czychowski, GRUR-RR 2008, 265 (268). Für die Einsetzung eines gerichtlich bestellten rechtlichen Beistands Ahrens, GRUR 2005, 837 (839). 193  Näher BGH v. 16. 11. 2009 – X ZB 37/08 – GRUR 2010, 318 (322) (Lichtbogenschnürung); Kühnen, HdB PatV, Rn. 395 ff.; Voß in Fitzner/Lutz/Bodewig, PatR, Vor §§ 139 ff. PatG Rn. 134. 194  Auch insoweit bedarf es allerdings einer entsprechenden Bereitschaft des Anspruchstellers, da eine Partei nach den §§ 172 ff. GVG nicht von der Anwesenheit in der mündlichen Verhandlung ausgeschlossen werden kann, vgl. Gniadek, Beweisermittlung, S. 417 m. w. N. 195  BGH v. 16. 11. 2009 – X ZB 37/08 – GRUR 2010, 318 (322) (Lichtbogenschnürung). 196  Kitz, NJW 2008, 2374 (2376); Fezer, MarkenR, § 19a MarkenG Rn. 38. 197  OLG Düsseldorf v.  19. 09. 2007  – I-2 W 21/07  – InstGE 8, 186 (191) (Klinkerriemchen II); OLG Düsseldorf v. 14. 01. 2009 – I-2 W 56/08 – InstGE 10, 198 ff.; LG Düsseldorf v. 09. 03. 2006 – 4b O 550/05 – InstGE 6, 189 (190 f.) (Walzen-Formgebungsmaschine I). Zur Beschreibung von möglicherweise äquivalenten Ausführungsformen siehe Gniadek, Beweisermittlung, S. 410. Nach Angaben von Bardehle/Pagenberg, Broschüre Beweissicherung durch Besichtigung in Patentverfahren, , S. 10, dauert das Freigabeverfahren typischerweise drei bis sechs Monate.



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Verschwiegenheitspflicht fort.198 Die Kosten orientieren sich am Erfolg des Vorlage- bzw. Besichtigungsantrags.199

V.  Grenzen der Verwertung und Unterstützung ausländischer Verfahren Wird der Anspruch auf Beweismittelvorlage durch Freigabe eines erstellten Gutachtens oder durch Vorlage des Besichtigungsgegenstands selbst erfüllt, sind der Verwertung der erlangten Informationen durch den Besichtigungsgläubiger prinzipiell keine Grenzen gesetzt. § 140c Abs. 4 i. V. m. § 140b Abs. 8 PatG et al. stellen lediglich sicher, dass die erlangten Erkenntnisse in Strafverfahren gegen den Besichtigungsschuldner oder dessen Angehörigen nicht ohne dessen Zustimmung verwertet werden können. In der Faxkarten-Entscheidung hat der I. Zivilsenat des BGH ferner ausgeführt, das Gericht habe dafür Sorge zu tragen, dass die aus der Besichtigung gewonnenen Erkenntnisse nur zu den vorgesehenen Zwecken eingesetzt würden.200 Die Implikationen dieser Aussage sind jedoch unklar. Im Schrifttum wird erwogen, der Vorlageanspruch könne unter Berücksichtigung von Treu und Glauben eingeschränkt werden, indem das Gericht dem Gläubiger (angelehnt an § 926 ZPO) das Erheben einer Verletzungsklage innerhalb einer bestimmten Frist aufgebe und bei Fristversäumnis die Rückgabe der gezogenen Erkenntnisse anordne.201 Abgesehen davon, dass der Erkenntnisgewinn an sich einer Rückgabe nicht zugänglich ist, führt diese Konstruktion die Ausgestaltung des § 140c PatG et al. als materiellrechtlichen Anspruch ad absurdum. Kern der vom Gesetzgeber gewählten Ausgestaltung ist der fehlende Bezug zu einem konkreten Prozessrechtsverhältnis.202 Allenfalls soweit der Schutzrechtsinhaber die erlangten Erkenntnisse auf einem Wege nutzt, der nicht „zur Begründung von dessen Ansprüchen erforderlich ist“, ließe sich dieser Ausübung der Grundsatz 198  OLG

Düsseldorf v. 14. 01. 2009 – I-2 W 56/08 – InstGE 10, 198 (199) (zeitversetztes Fernsehen). 199  Die Kostentragung hinsichtlich des Besichtigungsverfahrens selbst – einschließlich der Kosten des gerichtlich bestellten Sachverständigen  – richtet sich nach § 91 ZPO und wird in der Praxis unter Berücksichtigung des Ergebnisses der Besichtigung getroffen, vgl. OLG München v. 19. 03. 2010 – 6 W 832/10 – InstGE 12, 186 (189) (Presseur) m. w. N. Die Kosten der Vorlage bzw. Durchführung der Besichtigung hat zunächst der Anspruchssteller nach § 140c Abs. 4 PatG et al. i. V. m. § 811 Abs. 2 BGB zu tragen; eine Kompensation kann auf Basis des Schadensersatzanspruchs wegen Schutzrechtsverletzung verlangt werden, vgl. OLG München v. 31. 10. 1986 – 11 W 1282/86 – GRUR 1987, 33 (Besichtigungskosten); Habersack in MüKo BGB, § 811 Rn. 5. 200  BGH v. 02. 05. 2002 – I ZR 45/01 – GRUR 2002, 1046 (1049) (Faxkarte). 201  Gniadek, Beweisermittlung, S. 142. 202 Zutreffend Gottwald in FS Stürner, S. 311: gegen einen materiellrechtlich ausgestalteten Informationsanspruch spreche vor allem „dass [der Gläubiger] damit wie ein Eigentümer machen kann, was er will.“

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von Treu und Glauben entgegenhalten. Dies wäre beispielsweise zu bejahen, wenn die gewonnenen Erkenntnisse für eine Änderung der Beschreibung, des Patentanspruchs oder der Zeichnungen im Einspruchsverfahren vor dem Europäischen Patentamt genutzt werden.203 Die Verwertung in ausländischen Parallelverfahren dürfte hingegen nicht gegen Treu und Glauben verstoßen, obgleich § 140c PatG et al. grundsätzlich lediglich Ansprüche auf Basis der deutschen Sondergesetze des gewerblichen Rechtsschutzes in Bezug nehmen. Auch die Anspruchsdurchsetzung gegenüber Dritten, etwa dem Hersteller des schutzrechtsverletzenden Gegenstands, kann ein legitimes Ziel sein.204 Erwägungen in der Literatur, einen verbesserten Geheimnisschutz mittels Prozessvereinbarungen der Parteien zu erzielen,205 dürften in der Praxis am fehlenden Interesse des Vorlagegläubigers scheitern.206 Da § 140c PatG et al. einen materiellrechtlichen Anspruch enthalten, kann das Gericht seine Entscheidung nicht von dem Abschluss einer entsprechenden Vereinbarung abhängig machen. Die Weitergabe der mittels § 140c PatG et al. erlangten Informationen an interessierte Dritte mag einen Schadensersatzanspruch nach § 826 BGB begründen, ist aber nicht gemäß § 17 UWG oder § 203 StGB strafbewehrt. Ein Bruch der Geheimhaltungsverpflichtung durch den Prozessbevollmächtigten des Schutzrechtsinhabers ist nicht, wie dies sachgerecht wäre, nach § 353d Ziff. 2 StGB strafbar.207 Immerhin ist der Straftatbestand des § 203 Abs. 1 Ziff. 3 StGB einschlägig, sofern der Prozessbevollmächtigte ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis des Prozessgegners offenbart.208

VI. Schadensersatz 79

Wurde der Vorlage- bzw. Besichtigungsanspruch gewährt und stellt sich im Folgenden heraus, dass eine Schutzrechtsverletzung nicht bestand oder drohte, ist der Anspruchsgläubiger gemäß § 140c Abs. 5 PatG et al. verschuldens203 Zur Abänderung im Einspruchsverfahren siehe Art. 80 der Ausführungsordnung zum Europäischen Patentübereinkommen. Zu entsprechenden Verwertungsbeschränkungen durch die belgischen Gerichte instruktiv Vandermeulen in FS Meibom, S. 479 f. 204  Kühnen, HdB PatV, Rn. 326; Pitz in Fitzner/Lutz/Bodewig, PatR, § 140c PatG Rn. 16. 205 Siehe Schlosser in FG Vollkommer, S. 225 ff. m. w. N. 206  Stadler in FS Leipold, S. 220. 207 Für die Einführung einer nachhaltig wirkenden Sanktion GRUR-Stellungnahme, GRUR 2005, 747 (748); Seichter, WRP 2006, 391 (395); Ahrens, GRUR 2005, 837 (839); Spindler/Weber, MMR 2006, 711 (714). 208  BGH v. 16. 11. 2009 – X ZB 37/08 – GRUR 2010, 318 (321) (Lichtbogenschnürung); siehe a. a. O., S. 320, zum Unterschied zwischen einer pauschalen Geheimhaltungspflicht und der Pflicht, Betriebsgeheimnisse nicht zu offenbaren. Der Straftatbestand des § 203 StGB setzt nach h. M. nicht voraus, dass der betreffende Rechtsanwalt das Geheimnis im Rahmen eines Mandatsverhältnisses erfährt. Es genügt, wenn die Kenntnis im Zuge der Berufsausübung erworben wurde, vgl. Fischer, § 203 StGB Rn. 9 m. w. N.; a. A. Gniadek, Beweisermittlung, S. 418 m. w. N.



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unabhängig zum Ersatz des entstandenen Schadens verpflichtet.209 Neben einem Informationsverwertungsverbot kann hier gegebenenfalls der Ersatz für entstandene Betriebs- und Gewinnausfälle sowie Imageschäden verlangt werden.210 Das Haftungsrisiko ist relativ gering angesichts der Tatsache, dass die deutschen Gerichte die Freigabe von Erkenntnisquellen, welche Betriebsinterna des Anspruchsschuldners betreffen, in der Praxis zumeist von der in camera festgestellten Bejahung einer Schutzrechtsverletzung abhängig machen211 und die Freigabe erst nach rechtskräftiger Entscheidung erfolgt.212 Die Richtlinie enthält für den Fall der Vorlage- und Besichtigungsanordnung im Prozess gemäß Art. 6 DRL keine Schadensersatzregelung, sondern gibt eine solche lediglich für vorprozessuale Anordnungen der Beweismittelsicherung gemäß Art. 7 DRL vor. Da die materiellrechtliche Umsetzung nach § 140c PatG et al. eine Abkopplung der Vorlageanordnung vom Hauptsacheverfahren ermöglicht, ist der gegenüber der Richtlinie breitere Anwendungsbereich des Schadensersatzanspruchs nach § 140c Abs. 5 PatG zu begrüßen. Angesichts der oben dargestellten Parallelität des § 809 BGB zu den immaterialgüterrechtlichen Vorlage- und Besichtigungsansprüchen liegt eine analoge Anwendung der Ersatzpflicht auch im Falle eines Schäden verursachenden Zuspruchs gemäß § 809 BGB nahe, anderenfalls könnte der Anspruchsteller das Entstehen einer Ersatzpflicht umgehen, indem er sein Begehren auf § 809 BGB stützt. Zweifelhaft ist insoweit das Bestehen einer Regelungslücke – eine Schadensersatzregelung im Rahmen des § 809 BGB wurde offenbar in den mehr als 100 Jahren der Existenz dieser Norm nicht vermisst. Argumentieren ließe sich in insoweit allenfalls mit der Tatsache, dass § 809 BGB unter Einfluss des TRIPS und der Durchsetzungsrichtlinie eine erhebliche Absenkung des Tatbestandsvoraussetzung in jenen Fällen erfahren hat, in denen der Anspruchsteller das Vorliegen einer Schutzrechtsverletzung behauptet.

209  § 140c Abs. 5 PatG et al. gewährt einen Schutz (über §§ 717 Abs. 2, 945 ZPO hinausgehend) auch in jenen Fällen, in denen der Besichtigungsanspruch aufgrund einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit der Schutzrechtsverletzung bestand, aber die Besichtigung den Verdacht der Rechtsverletzung nicht erhärten konnte. 210  Tilmann, GRUR 2005, 737 (739); Eck/Dombrowski, GRUR 2008, 387 (388); Gniadek, Beweisermittlung, S. 421. 211  Obsiegt der Schutzrechtsinhaber im Vorlageverfahren, unterlässt aber die Einleitung eines Verletzungsverfahrens, geht er ebenfalls ein geringes Risiko ein. Um eventuelle Schäden geltend zu machen, müsste der vermeintliche Verletzer im Schadensersatzprozess das Nichtbestehen einer Schutzrechtsverletzung beweisen und hierbei gegebenenfalls seine Betriebsgeheimnisse offenbaren. Geheimnisschutz im Wege des freiwilligen Verzichts auf rechtliches Gehör wäre im Schadensersatzprozess nicht realisierbar, da der nicht beweisbelaste Beklagte an einem freiwilligen Gehörsverzicht keinerlei Interesse hätte. 212  Kühnen, HdB PatV, Rn. 400.

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VII.  Exkurs: Anordnungsbefugnis gemäß §§ 142, 144 ZPO 81

Im Rahmen eines anhängigen Rechtsstreits kann das Gericht die Vorlage von Urkunden oder Augenscheinsobjekten auch auf Basis der §§ 142, 144 ZPO anordnen. Für den Schutzrechtsinhaber sind diese Maßnahmen neben den immaterialgüterrechtlichen Vorlageansprüchen vor allem deshalb interessant, weil sich die Anordnung nicht nur gegen die andere Prozesspartei, sondern auch gegen dritte Personen richten kann.

1.  Vorlage von Augenscheinsobjekten, Urkunden und sonstigen Unterlagen 82

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§§ 142, 144 ZPO erlauben dem Gericht, die Vorlage von Urkunden oder sonstigen Unterlagen213 sowie Augenscheinsobjekten einschließlich elektronischen Dokumenten214 durch eine Partei oder einen Dritten anzuordnen. Voraussetzung ist, dass diese Person unmittelbarer oder mittelbarer Besitzer des Gegenstands ist215 und dass sich eine Partei auf den Gegenstand bezogen hat. Zum Zweck der Einsichtnahme kann auch die Duldung der Besichtigung schwer oder nicht beweglicher Gegenstände angeordnet werden, sofern keine Betriebsgelände oder Privaträumlichkeiten betroffen sind.216 §§ 142, 144 ZPO sollen keine Ausforschung des Gegenübers ermöglichen. Deshalb darf die Anordnung nur im Rahmen des von den Parteien substantiiert vorgetragenen, streitigen und streiterheblichen Tatsachenstoffes ergehen.217 Zu der Frage, wie konkret die Bezugnahme auf den gewünschten Vorlagegegenstand erfolgen muss, gibt es kaum klärende Rechtsprechung.218 Sicher ist jedoch, dass die Beschreibung des Beweismittels dem Gericht die Prüfung der Entscheidungserheblichkeit und der vorlagepflichtigen Person die Identifikation des Beweismittels ermöglichen muss.219 Eine Pflicht zur Vorlage

213  Zu den „sonstigen Unterlagen“ zählen bspw. Pläne, technische Grafiken oder Handelsbücher eines Kaufmanns, vgl. Gniadek, Beweisermittlung, S. 203. 214  § 371 Abs. 1 S. 2 ZPO. 215  Stadler in Musielak, § 142 ZPO Rn. 4. 216  Der Begriff der Wohnung in § 144 Abs. 1 S. 3 ZPO ist in Anlehnung an Art. 13 GG auszulegen, vgl. BGH v. 17. 7. 2009 – V ZR 95/08 – NJW-RR 2009, 1393 (1394) m. w. N. 217  Stadler in Musielak, § 142 ZPO Rn. 1. 218  Siehe BGH v. 27. 05. 2014 – XI ZR 264/13 – NJW 2014, 3312 (3313): „konkret zu bezeichnende Urkunde“; LG Düsseldorf v. 05. 03. 2009 – 4b O 242/07: Antrag auf Vorlage von „Vereinbarungen, Vereinbarungsentwürfen und Korrespondenz mit ausgewählten deutschen Vertriebspartnern“ nicht ausreichend konkretisiert; gegebenenfalls ausreichend hingegen die Formulierung „ein Dokument, aus dem sich eine strategische Allianz der Beklagten mit der Firma X ergibt. 219  LG Düsseldorf v. 05. 03. 2009 – 4b O 242/07; Wagner, JZ 2007, 706 (712 f.); Stadler in Musielak, § 142 ZPO Rn. 4.



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nur höchst allgemein beschriebener Dokumente bzw. Akten, die der englischen disclosure nahe kommt, lässt sich nicht auf § 142 ZPO stützen.220 Über die Anordnung entscheidet das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen, sofern sich eine der Parteien auf das Beweismittel bezogen hat. Die Interessen der potentiell vorlagepflichtigen Partei an Geheimnisschutz sind zu berücksichtigen, wobei auch eine Schwärzung bestimmter Dokumententeile in Betracht kommt.221 Im Übrigen bietet sich dem entscheidenden Gericht lediglich die Möglichkeit, die Vorlage bzw. Besichtigung anzuordnen oder abzulehnen.222 Da die ZPO ein in camera-Verfahren nicht kennt, scheidet eine gestufte Vorlage bzw. Besichtigung, wie sie durch Einschränkung der materiellrechtlichen Vorlage- und Besichtigungsansprüche realisiert wird, bei den prozessualen Vorlageanordnungen nach §§ 142, 144 ZPO aus.223 Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung Restschadstoffentfernung festgehalten, dass eine differenzierte Anwendung des § 142 ZPO je nach betroffenem Rechtsgebiet möglich sei. In Bezug auf gewerbliche Schutzrechte hat der BGH auf die Notwendigkeit der Kohärenz des nationalen Rechts zur Durchsetzungsrichtlinie und zu TRIPS hingewiesen. Eine Vorlageanordnung könne ergehen, wenn diese „zur Aufklärung des Sachverhalts geeignet und erforderlich, […] verhältnismäßig und angemessen […] ist“.224 Entsprechend den Voraussetzungen der materiellrechtlichen Vorlageansprüche sei es ausreichend, wenn zumindest ein gewisser Grad der Wahrscheinlichkeit der Rechtsverletzung bestehe. In Rechtssachen betreffend gewerblicher Schutzrechte ist das Gericht nach der Rechtsprechung des BGH nicht zur Anordnung einer Beweismittelvorlage gemäß §§ 142, 144 ZPO verpflichtet, wenn kein Anspruch aus den immaterialgüterrechtlichen Vorlageansprüchen besteht.225 Für Schutzrechtsinhaber ist der Rückgriff auf §§ 142, 144 ZPO deshalb vor allem interessant, sofern dritte Personen zur Beweismittelvorlage herangezogen werden sollen. §§ 142 Abs. 2, 144 Abs. 2 ZPO betonen freilich, dass ein Dritter 220  BGH v.  27. 05. 2014  – XI ZR 264/13  – NJW 2014, 3312 (3313); Gniadek, Beweisermittlung, S. 206 m. w. N.; kritisch Stadler in Musielak, § 142 ZPO Rn. 4. 221  Zur Ermessenausübung BGH v. 01. 08. 2006 – X ZR 114/03 – GRUR 2006, 962 (966 f.) (Restschadstoffentfernung); Gniadek, Beweisermittlung, S. 210 ff., 223 ff. m. w. N. 222  Stadler, ZZP 123 (2010) 261 (268); Gniadek, Beweisermittlung, S. 211. 223  Zur Konstruktion einer in camera-Vorlage im Wege der Prozessvereinbarung siehe Stürner, JZ 1985, 453 (458); Stadler, NJW 1989, 1202 (1203 f.); Schlosser in FS Großfeld, S. 1005 ff. 224  BGH v.  01. 08. 2006  – X ZR 114/03  – GRUR 2006, 962 (966 f.) (Restschadstoffentfernung). 225  BGH v. 18. 12. 2012 – X ZR 7/12 – GRUR 2013, 316 (318) (Rohrmuffe); generell zum Verhältnis materiellrechtlicher Editionspflichten zu §§ 142, 144 ZPO Binder, ZZP 122 (2009), 187 (216 ff.) m. w. N. Zudem ist § 144 ZPO insoweit limitiert, als das Betreten einer Wohnung i. S. d. Art. 13 GG zwecks Einnahme des Augenscheins nicht zulässig ist; zum Weg über § 371 ZPO siehe Gniadek, Beweisermittlung, S. 221 f.

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§ 5  Anordnung der Beweismittelvorlage

nicht zur Vorlage verpflichtet ist, sofern ihm die Vorlage nicht zuzumuten ist oder er über ein Zeugnisverweigerungsrecht nach §§ 383 ff. ZPO verfügt. Angesichts der oben226 aufgeworfenen Frage, ob Art. 6 Abs. 1 DRL Beweismittelvorlagen nur zugunsten des Schutzrechtsinhabers oder auch zugunsten der in Anspruch genommenen Partei vorsieht, ist hier darauf hinzuweisen, dass sich auch der angebliche Schutzrechtsverletzer theoretisch auf §§ 142, 144 ZPO berufen könnte. Aus verschiedenen Gründen kann der Beklagte des Verletzungsverfahrens hiervon – im Gegensatz zum englischen Verfahren der disclosure – nicht profitieren. Erstens ist dem angeblichen Verletzer eine Bezeichnung derjenigen Dokumente im Besitz des Schutzrechtsinhabers, die Aufschluss über eine Unwirksamkeit des Schutzrechts geben könnten, regelmäßig nicht möglich. Zweitens ist das Gericht im Verletzungsverfahren an die Erteilung eines geprüften Schutzrechts durch das DPMA gebunden. Dokumente, welche Hinweise auf den Nichtbestand eines geprüften Schutzrechts geben können, sind für die Entscheidung des Verletzungsverfahrens nicht entscheidungserheblich. Schließlich finden §§ 142, 144 ZPO für Bestandsverfahren vor dem Bundespatentamt keine Anwendung.227

2.  Konsequenzen der Nichtbefolgung 87

Gegenüber den immaterialgüterrechtlichen Besichtigungsansprüchen weisen die prozessualen Vorlagepflichten nach §§ 142, 144 ZPO deutliche Schwächen im Sanktionsmechanismus auf: Das Gericht kann die Vorlage bzw. das Ermöglichen einer Besichtigung durch die Gegenpartei nicht erzwingen. Kommt eine Partei ihrer Vorlagepflicht nicht nach, ist das Gericht lediglich befugt, die Behauptungen der Gegenseite über den Inhalt des Beweismittels im Rahmen der freien Beweiswürdigung als bewiesen anzusehen. Diese Sanktion erweist sich als zahnloser Tiger, sofern der Anspruchssteller mangels Kenntnis des Beweismittels nicht zu einem substantiierten Vortrag der Schutzrechtsverletzung in der Lage ist.228 Richtet sich die Vorlageanordnung hingegen an einen am Rechtsstreit nicht beteiligte Dritten, so ist das Erzwingen der Vorlage durch Ordnungsgeld bzw. Ordnungshaft gemäß §§ 142 Abs. 2, 144 Abs. 2, 390 ZPO eine Option.

226 

Supra § 5 Rn. 7 ff. Die Verfahrensregeln ergeben sich aus §§ 73 ff. PatG, §§ 56 ff. MarkenG. 228  Tilmann, GRUR 2005, 737; Wiebe in Büllesbach/Büchner, IT, S. 162; Amschewitz, DRL, S. 114; Gniadek, Beweisermittlung, S. 172 ff., 234; a. A. Götz, Informationsbeschaffung, S. 346 unter Hinweis auf die sekundäre Darlegungslast des Beklagten (die Schwächen dieser Auffassung werden ebenda, S. 342, zwar angesprochen, allerdings ohne Berücksichtigung von BGH v. 30. 03. 2005 – X ZR 126/01 – GRUR 2005, 569 (572) (Blasfolienherstellung)). 227 



C.  Umsetzung in Deutschland

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VIII. Fazit Der deutsche Gesetzgeber hat die Umsetzung des Art. 6 DRL in das deutsche Recht auf sehr konservative Weise vorgenommen, d. h. durch Einführung materiellrechtlicher Vorlage- und Besichtigungsansprüche, die sich deutlich an der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in der Entscheidung Faxkarte zu § 809 BGB sowie an der vom LG Düsseldorf entwickelten „Düsseldorfer Praxis“ orientieren. Im Vordergrund stand hierbei die Erwägung, dass die Erzwingbarkeit prozessualer Anordnungen gegenüber einer Partei im deutschen Zivilverfahrensrecht eine Ausnahme darstellt. Dieses Argument entbehrt nicht einer gewissen Überzeugungskraft; auch stößt die Umsetzung durch einen materiellrechtlichen Anspruch nicht auf durchgreifende unionsrechtliche Bedenken,229 zumal in Anbetracht der §§ 371 Abs. 2, 422 ZPO. Gleichwohl wäre eine verfahrensrechtliche Umsetzung des Art. 6 DRL sowohl unter dem Gesichtspunkt der mit der Richtlinie intendierten Harmonisierung als auch aus Gründen der Praktikabilität sinnvoller gewesen.230 Mit der lapidaren Regelung, das entscheidende Gericht treffe die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz vertraulicher Informationen, hat sich der deutsche Gesetzgeber zudem der diffizilen Aufgabe entzogen, die Rahmenbedingungen für den Ausgleich zwischen den Beweisinteressen des Schutzrechtsinhabers und dem Vertraulichkeitsinteresse der gegnerischen Partei zu formulieren231 und diese vollumfänglich der Rechtsprechung überantwortet. So kreativ sich die deutschen Gerichte bei der Fortentwicklung der §§ 809 BGB, 140c PatG et al. im Lichte des TRIPS-Übereinkommens und der Durchsetzungsrichtlinie gezeigt haben, gelingt es der Rechtsprechung nicht, alle mit § 140c PatG et al. verbundenen Schwierigkeiten zu lösen. Zunächst ist festzustellen, dass die „Düsseldorfer Praxis“ die Entscheidung über die Freigabe des Sachverständigengutachtens in Abhängigkeit von der richterlichen Beurteilung des Vorliegens einer Rechtsverletzung entscheidet und damit dem Ver229  Seichter, WRP 2006, 391 (394); Eisenkolb, GRUR 2007, 387 (392); Heinze, ZEuP 2009, 282 (293). A. A. Stadler, ZZP 123 (2010), 261 (278), nach deren Auffassung dem Gebot des Art. 3 Abs. 1 DRL zur Schaffung nicht unnötig komplizierter und kostenspieliger Maßnahmen verletzt ist, da der Schutzrechtsinhaber zwecks Durchsetzung der Vorlageansprüche ein zweites Verfahren (neben dem eigentlichen Verletzungsverfahren) anstrengen muss; in diesem Sinne auch Götz, Informationsbeschaffung, S. 247; als nicht richtlinienkonform erachten die Umsetzung ferner McGuire, GRUR Int 2005, 15 (21); Adolphsen in Marauhn/ Adolphsen, Bausteine, S. 15 f. 230  Ausweislich der §§ 390, 142 Abs. 2 S. 2, 144 Abs. 2 S. 2, 372a Abs. 2 ZPO ist die Erzwingbarkeit prozessualer Anordnungen auch der ZPO nicht fremd. Wie hier Stadler in FS Leipold, S. 208 ff. mit Gestaltungshinweisen auf S. 216 f.; ferner McGuire, GPR 2007, 34 (36); dies., GRUR Int. 2005, 15 (17); Wagner, JZ 2007, 706 (707); Peukert/Kur, GRUR Int. 2006, 292 (299 m. Fn. 36); Hess, EuZPR, § 11 Rn. 26; a. A. GRUR-Stellungnahme, GRUR 2005, 747; Tilmann, GRUR 2005, 737 f.; Amschewitz, DRL, S. 347; wohl auch Bornkamm in FS Ullmann, S. 896. 231  Textvorschlag bei Ahrens, GRUR 2005, 837 (839 f.).

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§ 5  Anordnung der Beweismittelvorlage

letzungsverfahren vorgreift.232 Der Vorlageanspruch wird grundsätzlich nur bei Überzeugung der Richter von der Rechtsverletzung gewährt und erst nach Rechtskraft der Entscheidung vollständig erfüllt, womit das in § 140c PatG et al. enthaltene Tatbestandsmerkmal der „hinreichenden Wahrscheinlichkeit“ ad absurdum geführt wird. Im Freigabeverfahren wird implizit über das Schicksal des Verletzungsanspruchs entschieden, unter Ausschluss derjenigen Personen, die mit dem Inhalt des Schutzrechts am besten befasst sind: Schutzrechtsinhaber und/oder dessen Mitarbeiter.233 Die Rechtsprechung behilft sich mit der Konstruktion eines freiwilligen Verzichts des Schutzrechtsinhabers auf seinen Anspruch auf rechtliches Gehör. Tatsächlich kann von einer Handlung aus freien Stücken kaum die Rede sein, läuft der Schutzrechtsinhaber doch anderenfalls Gefahr, sein Begehren abgewiesen zu sehen. Eine gesetzliche Regelung des Grundrechtskonflikts zwischen den Gehörsrechten des Schutzrechtsinhabers und dem Geheimnisschutz des vermeintlichen Schutzrechtsverletzers wäre eindeutig vorzugswürdig.234 Angesichts der wesentlichen Bedeutung der Verfahrensgestaltung sowohl für die Gehörsrechte des Klägers als auch für die konkurrierenden Freiheitsrechte der Parteien, über die im Verfahren entschieden werden soll, ist ein Handeln des Gesetzgebers zudem rechtsstaatlich geboten.235 Den Vorgaben der Richtlinie dürfte das durch die Rechtsprechung entwickelte Abwägungssystem dennoch entsprechen, denn die Richtlinie stellt die Beweismittelvorlage unter den allgemeinen Vorbehalt des Geheimnisschutzes und ermöglicht den Mitgliedstaaten auf diesem Wege eine eigenständige Abwägung der beteiligten Interessen.236 Die Zurückhaltung der deutschen Gerichte bei der Freigabe sensitiver Informationen korreliert mit der unzureichenden Ausgestaltung von Verwertungsbeschränkungen im deutschen Recht. Durch die materiellrechtliche 232 Vgl. bspw. die ausführliche Beurteilung der behaupteten Patentverletzung im Beschluss des OLG Düsseldorf v. 14. 01. 2009 – I-2 W 56/08 (zeitversetztes Fernsehen) . Wie hier Stadler in FS Leipold, S. 213; Kather/Fitzner, Mitt. 2010, 325 (327); ähnlich auch Gottwald in FS Stürner, S. 312. 233 Entgegen Gniadek, Beweisermittlung, S. 107, wird dieses Manko durch das Vertrauen des Schutzrechtsinhabers in die fachlichen Kompentenzen seines Prozessvertreters nicht aufgewogen. 234 Kritik hinsichtlich der fehlenden gesetzlichen Regelung eines Geheimnisschutzes äußern auch Ahrens, GRUR 2005, 837; Peukert/Kur, GRUR Int. 2006, 292 (302); Spindler/ Weber, MMR 2006, 711 (713); Bornkamm in FS Ullmann, S. 912; Klein in Brandi-Dohrn/ Heckmann, S. 133; Stadler, ZZP 123 (2010), 261 (282); Kreye in FS Meibom, S. 255; Amschewitz, DRL, S. 350; Gniadek, Beweisermittlung, S. 419; Hess, EuZPR, § 11 Rn. 27. Ein Regelungsvorschlag findet sich in Buch 1, § 62 des von Ahrens/McGuire vorgelegten Modellgesetzes für Geistiges Eigentum. 235  Zur Wesentlichkeitsdoktrin siehe BVerfGE 83, 130 (151 f.); BVerfGE 95, 267 (307 f.) m. w. N. 236  Zweifelnd demgegenüber Hess, EuZPR, § 11 Rn. 23 m. Fn. 109.



D.  Rechtsvergleichende Würdigung

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Ausgestaltung des Vorlage- und Besichtigungsanspruchs hat sich der deutsche Gesetzgeber der Option beraubt, die Verwertbarkeit der vorgelegten Beweismittel und daraus ableitbaren Informationen auf den jeweils anhängigen Rechtsstreit zu beschränken. Sobald der Schutzrechtsinhaber im Besitz der Informationen ist, kann deren Verwertung nur unterbunden werden, wenn entweder die Voraussetzungen des § 826 BGB gegeben sind oder der Anspruchsschuldner in einem späteren Verletzungsprozess obsiegt (§ 140c Abs. 5 PatG et al.). Eine Verwertungsbeschränkung auf ein konkretes Verfahren hätte durch eine prozessuale Ausgestaltung der Vorlagepflicht besser gestaltet werden können. Dies gilt auch für den Schutz vertraulicher Informationen aus der Sphäre der beweisbelasteten Partei, welcher nach derzeitiger Gesetzeslage keinerlei Berücksichtigung findet.237 Praktische Bedeutung kommt dem Vorlage- und Besichtigungsanspruch vor allem im Patent- und Gebrauchsmusterrecht sowie im – hier nicht behandelten – Urheberrecht zu. Kennzeichenrechtsverletzungen lassen sich im Regelfall mittels der Werbemittel des Verletzers oder durch in Testkäufen erworbene Musterexemplare nachweisen; ein Rückgriff auf § 19a MarkenG ist zumeist entbehrlich.238 Keine Berichte finden sich bislang über Anordnungen der Vorlage von Bank-, Finanz- und Handelsunterlagen zur Substantiierung des Verletzergewinns; hier scheint die Praxis eher auf die Ansprüche zur Auskunftsund Rechnungslegung nach § 140b PatG et al., § 259 BGB zurückzugreifen (hierzu § 7 Rn. 31 ff.).

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D.  Rechtsvergleichende Würdigung I.  Richtliniengetreue Umsetzung Ausgangspunkt der englischen Verfahrenspraxis ist die Vorstellung, ein Prozess sei mit offenen Karten zu spielen, während das deutsche Prozessrecht einen Zugang zu Informationen aus der Sphäre des Gegners nur zögerlich gewährt. Es überrascht deshalb nicht, dass Art. 6 DRL im deutschen Recht ein Anpassungsbedürfnis auslöste, während die englische disclosure weit über das Anforderungsmaß des Art. 6 DRL hinausgeht. Im Zuge der Umsetzung griff der deutsche Gesetzgeber auf die Vorarbeiten der deutschen Rechtsprechung zurück, welche mangels prozessualer Ansatzmöglichkeiten den Vorlage- und Besichtigungsanspruch des § 809 BGB zum Werkzeug der Rechtsfortbildung erwählt hatte (um den völkerrechtlichen Pflichten aus Art. 43 TRIPS genüge 237 Kritisch

Stadler, ZZP 123 (2010), 261 (276). Fezer, MarkenR, § 19a MarkenG Rn. 60; Hacker in Ströbele/Hacker, MarkenG, § 19a Rn. 2, welcher zudem auf die Besichtigungsrechte nach der GrenzbeschlagnahmeVO (Verordnung EU (Nr.) 608/2013/EU) verweist. 238 

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§ 5  Anordnung der Beweismittelvorlage

zu tun). Die materiellrechtliche Ausgestaltung des deutschen Rechts ist zwar richtliniengemäß, aber mit diversen Schwierigkeiten behaftet und wenig praktikabel.

II.  Angemessene Berücksichtigung der beteiligten Interessen 1.  Zugang zu Informationen aus der Sphäre der gegnerischen Partei a)  Allgemeine vs. konkrete Vorlagepflicht 94

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Angesichts der diametral entgegengesetzten Ausgangspositionen, welche das deutsche und das englische Recht zum Zugang zu Informationen aus der Sphäre der gegnerischen Partei einnehmen, fällt eine rechtsvergleichende Bewertung nicht leicht. Die englische disclosure erlaubt den Parteien grundsätzlich weitgehenden Einblick in die Belange der gegnerischen Partei. Als problematisch kann es sich allerdings erweisen, aus der Fülle der allein durch Bezeichnung kategorisierten Dokumente die für die individuelle Prozessführung relevanten Unterlagen herauszufiltern. Kosten und Aufwand der disclosure sind immens, zumal angesichts der Fülle gespeicherter Informationen im digitalen Zeitalter und der von der Rechtsprechung bejahten Pflicht zur Wiederherstellung bereits gelöschter Dateien. Interessanterweise sind insbesondere in Verfahren betreffend gewerblicher Schutzrechte Einschränkungen der disclosure durch das sogenannte stromlinienförmige Verfahren sowie durch 63 PD 6.1 vorgesehen, um Prozesskosten und Verfahrensdauer zu reduzieren. Demgegenüber boten im deutschen Recht Art. 43 TRIPS und Art. 6 DRL den Impuls für eine großzügigere Auslegung der §§ 809 BGB, 142, 144 ZPO bei Vorlage- und Besichtigungsbegehren von Schutzrechtsinhabern. Darauf aufbauend wurden vom Gesetzgeber spezifisch immaterialgüterrechtliche Vorlage- und Besichtigungsansprüche geschaffen. Inwieweit diese Rechtsprechung und Gesetzgebung Vorbildwirkung auch für andere Rechtsbereiche entfalten wird, bleibt abzuwarten.239 Die typischerweise bestehende Informationsnot des Inhabers technischer Schutzrechte ist zwar strukturell angelegt, aber kein Alleinstellungsmerkmal gegenüber anderen Bereichen. Problematisch aus Sicht des Rechtsschutzsuchenden ist bei der deutschen Ausgestaltung die erforderliche Spezifizierung des begehrten Vorlagegegenstands.240 Bildlich ausgedrückt steht eine Partei bei der englischen disclosure vor der Herausforderung, die Nadel im frei zugänglichen Heuhaufen zu finden, während die 239  Für

eine weitgehende Rechtsanalogie, um willkürliche Ungleichbehandlungen von Rechtsschutzsuchenden zu vermeiden Stadler, ZZP 123 (2010), 261 (282). 240  Hansen in FS v. Meibom, S. 126 f., beschreibt deshalb die immaterialgüterrechtlichen Vorlageansprüche als „stumpfe Waffen“.



D.  Rechtsvergleichende Würdigung

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deutschen Gerichte von dem Rechtsschutzsuchenden erwarten, ohne nähere Kenntnis des Heuhaufens die Farbe des Stecknadelkopfes zu benennen. Eine naheliegende Lösung für diese Problematik bieten Auskunftspflichten der gegnerischen Partei. Im Rahmen der Feststellung einer Rechtsverletzung erlaubt das englische Recht dem vermeintlichen Verletzer, den angeblich patentverletzenden Gegenstand oder Prozess innerhalb einer bestimmten Frist zu beschreiben sowie ggf. erforderliche Illustrationen beizufügen und auf diese Weise die disclosure abzuwenden. Die Vorlage eines einheitlichen Dokuments wird für die Prozessführung beider Parteien als deutlich vorzugswürdiger beurteilt als die im Rahmen der disclosure übliche Flut verschiedenster Unterlagen.241 Im deutschen Recht kann sich eine ähnliche Auskunftspflicht des Beklagten unter dem Gesichtspunkt der sekundären Behauptungslast ergeben, soweit die Darlegung der Schutzrechtsverletzung dem Schutzrechtsinhaber nicht möglich ist, während dem Beklagten die Offenbarung möglich und zumutbar ist. In der gerichtlichen Praxis wird dies vorwiegend erst bejaht, wenn der Verletzungsvorgang bereits im Wesentlich substantiiert ist und lediglich noch entscheidende Details zu klären sind.242 Hilfreich ist eine  – wie auch immer gestaltete – Auskunftspflicht über die Beschaffenheit des vermeintlich schutzrechtsverletzenden Gegenstands oder Verfahrens ferner nur, wenn der Beklagte überhaupt über diese Informationen verfügt, d. h. insbesondere wenn er der Hersteller ist. Soweit die Rechtsverletzung bereits geklärt ist, ergibt sich eine Auskunftspflicht über die Mengen und Preise der schutzrechtsverletzenden Gegenstände aus Art. 8 Abs. 2 lit. b DRL.

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b)  Vorlage und Besichtigung Art. 6 DRL spricht lediglich die Anordnung der Vorlage von Beweismitteln in der Verfügungsgewalt der gegnerischen Partei an. Bei Dokumenten und einfachen Augenscheinsobjekten ist die Vorlage ausreichend, um dem Antragsteller eine Besichtigung im Sinne einer optischen Wahrnehmung zu ermöglichen. Für die Besichtigung einer vermeintlich patentverletzenden Maschine oder eines Verfahrens, das Gegenstands eines Patents ist, ist die reine Vorlage hingegen nicht ausreichend. So ist im englischen Recht umstritten, ob sich die Besichtigungsanordnung gemäß CPR 25.1(1)(c)(ii) auf Objekte beschränkt oder

241  Rothstein/Holderman/Flloyd/Pickard in Ng/Bently/D’Agostino, Common Law of IP, S. 107. 242  BGH v. 30. 09. 2003 – X ZR 114/00 – GRUR 2004, 268 (269) (Blasenfreie Gummibahn II): Eine sekundäre Darlegungslast des Beklagten wurde bejaht, weil dieser eingeräumt hatte, es würden die im Patentanspruch der Klägerin vorgesehenen Maßnahmen durchgeführt, gleichwohl aber behauptete, die Blasenfreiheit ergebe sich nicht aus den im Patentanspruch vorgesehen, sondern aus anderen (nicht näher benannten) Maßnahmen. Siehe ferner Gniadek, Beweisermittlung, S. 169, 172.

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§ 5  Anordnung der Beweismittelvorlage

auch die Besichtigung von Prozessen und Herstellungsverfahren umfassen kann. Eine positive Klarstellung in Art. 6 DRL wäre zu begrüßen.

c)  Materiellrechtliche vs. prozessuale Ausgestaltung der Vorlagepflicht 99

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Im Vergleich der deutschen und englischen Vorlagepflichten und Einsichtsrechte weiß die prozessuale Ausgestaltung des englischen Rechts eher zu überzeugen. Die prozessuale Einbettung erlaubt die Beschränkung der Vorlagepflicht auf Gegenstände, die geeignet sind, den Beweis für entscheidungserhebliche Tatsachen zu erbringen. Ein Vorprozess über die Informationsbeschaffung wird zumindest in jenen Situationen entbehrlich, in denen eine vorprozessuale Beweissicherung nicht erforderlich ist. Die Verwertung kann auf das konkrete Verfahren beschränkt und der Geheimnisschutz entsprechend zugeschnitten werden. Eine prozessuale Ausgestaltung ist darüber hinaus unter dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit zu präferieren. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte sind die Gerichte gehalten, jeder Partei den gleichen Zugang zu relevanten Dokumenten sowie eine angemessene Gelegenheit zur Äußerung und zur Präsentation von Beweismitteln zu eröffnen, und zwar unter im Wesentlichen gleichen Bedingungen wie ihrer Gegenpartei.243 Hieraus lassen sich zwar keine Vorgaben für die Ausgestaltung des Beweismittelzugangs ableiten. Ist die Tatbestandsvoraussetzung eines materiellen Vorlage- und Besichtigungsanspruchs – wie im deutschen Recht – jedoch die intendierte Klärung des Bestehens eines Anspruchs, kommt allein ein (potentieller) Anspruchsteller in den Genuss von Informationen aus der gegnerischen Sphäre. Für die Verteidigung können Informationen aus der Sphäre des Klägers freilich von ebenso entscheidender Bedeutung sein wie für den Rechtsschutzsuchenden Informationen aus der Sphäre des Beklagten. Beispielhaft lassen sich aufführen (1) der Zeitpunkt der Kenntnis des Schutzrechtsinhabers von der Schutzrechtsverletzung, welcher für eine Verwirkung, Verjährung oder fehlende Dringlichkeit maßgeblich sein kann; (2) Hinweise auf den zweifelhaften Rechtsbestand des Schutzrechts oder (3) Hinweise auf ein Mitverschulden des Rechtsschutzsuchenden. Da diese Verteidigung eines individuellen Zuschnitts auf den klägerischen Angriff bedarf, ist ein prozessualer Informationszugang besser geeignet als ein Auskunftsanspruch, um Waffengleichheit zwischen den Parteien herzustellen.

243 EGMR v.  18.  02.  1997  – 18990/91 (Nideröst-Huber/Schweiz), Rn. 23  f.; EGMR v.  24. 02. 1995  – A307-B (McMichael/Vereinigtes Königreich), Rn.  82  ff.; EGMR v. 22. 02. 1996 – 17358/90 (Bulut/Österreich), Rn. 47; EGMR v. 27. 10. 1993 – 14448/88 (Dombo Beheer), Rn. 33.



D.  Rechtsvergleichende Würdigung

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2.  Zugang zu Informationen aus der Sphäre dritter Personen Über die Anforderungen des Art. 6 DRL hinaus enthalten sowohl das deutsche als auch das englische Recht Instrumente, um der Partei eines Rechtsstreits Zugang zu Informationen aus der Sphäre dritter Personen zu ermöglichen. In beiden Rechtsordnungen beschränkt sich die Verpflichtung zur Dokumentenvorlage oder Duldung einer Besichtigung prinzipiell auf spezifische, eindeutig identifizierbare Beweismittel,244 wobei das Gericht unter Berücksichtigung der Erforderlichkeit des Beweismittels und den Vertraulichkeitsinteressen des Dritten eine Ermessensentscheidung zu treffen hat. Nach deutschem Recht muss der Dritte keinen Zugang zu seinen Räumlichkeiten gewähren; in England ist die Rechtslage noch nicht geklärt. Nur in Ausnahmefällen sieht das englische Recht eine disclosure-Anordnung gegenüber Dritten vor, welche den Dritten verpflichtet, nach Material zu suchen, das für den Rechtsstreit von Relevanz ist.

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3.  Ausgestaltung des Geheimnisschutzes Auf den ersten Blick weisen das englische und das deutsche Recht sehr ähnliche Konzepte zur Realisierung des Geheimnisschutzes auf, sofern sich die Parteien nicht nur als Gegner im Prozess, sondern auch als Wettbewerber auf dem Markt gegenüber stehen. Angesichts der weitreichenden Einsichtsmöglichkeiten in vertrauliche Interna der Gegenpartei im Rahmen der disclosure liegt das Bedürfnis für den Schutz vertraulicher Interessen im englischen Recht auf der Hand; die pragmatische englische Rechtspraxis hat mit der Zeit eine differenzierte Ausgestaltung des Geheimnisschutzes entwickelt. Im deutschen Schrifttum geäußerte Forderungen nach einem besseren Zugang zu Informationen aus der Sphäre der gegnerischen Partei werden häufig mit einem Hinweis auf Maßnahmen zum Schutz vertraulicher Informationen nach englischem Vorbild verbunden. Es überrascht deshalb nicht, dass die von der deutschen Rechtsprechung entwickelten Maßnahmen der Redaktion, der gestuften Einsichtsrechte und eines Ausschlusses der Partei unter fortwährender Beteiligung ihrer anwaltlichen Vertreter an die englischen confidentiality clubs erinnert. Interessanterweise spiegeln sich aber die Forderungen der deutschen Literatur nach Einführung eines in camera-Verfahrens unter Ausschluss des Klägers in der englischen Rechtspraxis kaum wider: Dort gilt der Ausschluss einer Partei (jedenfalls im Rahmen der disclosure) als absoluter Ausnahmefall. Die Düsseldorfer Praxis, welche den Antragsteller vom Zugang zum Sachverständigengutachten im Freigabeverfahren ausschließt (auf dessen eigenen, notgedrungenen Antrag hin), geht über das englische Vorbild hinaus.

244 

CPR 34.2(4)(b), CPR 25.5, §§ 142, 144 ZPO.

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§ 5  Anordnung der Beweismittelvorlage

Insgesamt sind der Kreativität der deutschen Justiz deutlich engere Grenzen gesteckt als ihrem englischen Pendant. Während der deutsche Richter an die engmaschigen Regelungen der ZPO gebunden ist und der deutsche Gesetzgeber verfassungsrechtlich gehalten ist, alle wesentlichen Fragen des Gemeinwesens autonom zu entscheiden,245 ist das englische Zivilverfahrensrecht nur in sehr geringem Maße von Parlamentsgesetzen geprägt. Die Civil Procedure Rules werden von einem Komitee aus Praktikern erlassen und fassen regelmäßig wichtige Präjudizien in Gesetzesform. Das System der undertakings gegenüber dem Gericht und die Sanktionierung eines Verstoßes gegen die Verpflichtungserklärung mittels contempt of court ermöglichen den englischen Richtern, die Rahmenbedingungen des Prozessrechtsverhältnisses auf das konkrete Verfahren zuzuschneiden. Impulse für eine bessere Ausgestaltung des Geheimnisschutzes sowie eine verbesserte Regelung der Verwertungsbeschränkungen im deutschen Recht können der englischen Rechtsprechung durchaus entnommen werden, doch bedarf es hierzu eines Tätigwerdens des deutschen Gesetzgebers. Durch richterliche Rechtsfortbildung allein lassen sich diese Ansätze nicht in das deutsche Verfahrensrecht implementieren. Eine passende Gelegenheit zur Gesetzesänderung wird sich bei Umsetzung der (noch im Entwurfsstadium befindlichen) Richtlinie über den Schutz vertraulichen Know-hows bieten: Art. 8 des Richtlinienvorschlags246 behandelt die Wahrung der Vertraulichkeit von Geschäftsgeheimnissen im Verlauf von Gerichtsverfahren. Zwar beschränkt sich der Richtlinienvorschlag auf Gerichtsverfahren, die den Schutz von Geschäftsgeheimnissen zum Gegenstand haben. Die Umsetzungsverpflichtung könnte jedoch den willkommenen Anlass für die Einführung einer verbesserten generellen Regelung des Vertraulichkeitsschutzes in deutschen Gerichtsverfahren bieten.

III.  Stand der Harmonisierung und Reformimpulse 106

Der Rechtsvergleich offenbart eine geringe Harmonisierungswirkung des Art. 6 DRL. Zwar wurde im deutschen Verfahrensrecht der Zugang zu Beweismitteln aus der Sphäre der gegnerischen Partei angesichts der Verpflichtungen aus Art. 43 TRIPS und Art. 6 DRL verbessert, von Offenbarungs- und Vorlagepflichten im Sinne der englischen disclosure ist das deutsche Recht weiterhin meilenweit entfernt. 245  Zur Bedeutung der Wesentlichkeitstheorie für das Verhältnis zwischen Exekutive und Judikative siehe Hergenröder, Zivilprozessuale Grundlagen, S. 201 ff. 246 Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung v. 28. 11. 2013, KOM (2013) 813.



D.  Rechtsvergleichende Würdigung

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Dennoch lassen sich dem Rechtsvergleich gewisse Impulse für künftige Rechtsetzungsmaßnahmen entnehmen. Mit Einführung der CPR  wurde im englischen Verfahrensrecht die pre-trial discovery durch die enger konzipierte disclosure abgelöst.247 Trotz dieses Systemwechsels gehen auch mit der disclosure Kostenexplosionen und Verfahrensverzögerungen einher, weshalb in Verfahren betreffend gewerbliche Schutzrechte versucht wurde, die disclosure weiter einzuschränken. Als Vorbild für eine intensivere Harmonisierung des Verfahrensrechts innerhalb der Europäischen Union taugt die disclosure deshalb kaum. Der kontinentaleuropäische Ansatz, wonach die beweisbelastete Partei eine Bezeichnung des im Besitz der Gegenpartei befindlichen vorzulegenden Gegenstandes vorzunehmen hat, stellt diese Partei jedoch oftmals vor hohe Herausforderungen. Es ist deshalb durchaus erwägenswert, in gewissem Umfang Offenbarungspflichten der nicht beweisbelasteten Partei einzuführen, die sich nicht  – wie bei der disclosure  – auf eine formale Bezeichnung des Beweismittels beschränken, sondern dessen Inhalt preisgeben. Zu denken ist v. a. an eine Beschreibung samt Illustrationen des vermeintlich schutzrechtsverletzenden Gegenstandes. Dies kann gegenüber der erzwungenen Besichtigung durch einen Sachverständigen in bestimmten Situationen ein ebenso effektives, aber milderes Mittel darstellen. Ein weiteres Augenmerk sollte künftig darauf liegen, die Position des vermeintlichen Schutzrechtsverletzers zu stärken. Dies betrifft zum einen eine konkretere Ausgestaltung des Geheimnisschutzes und eventueller Verwertungsbeschränkungen, zum anderen die Klarstellung, dass nach dem Grundsatz der Waffengleichheit in geeigneten Situationen auch dem Beklagten Zugang zu Informationen aus der Sphäre des Klägers zu gewähren ist, wiederum bei möglichst optimaler Ausgestaltung des Geheimnisschutzes. Sofern die Ausgestaltung des Geheimnisschutzes einen höheren Augenmerk innerhalb der Richtlinie erfährt, sollte dieser Schutz allgemein ausgestaltet werden, d. h. sich ggf. auch auf solche Details erstrecken, die der Beweisführer aus seiner eigenen Sphäre in den Prozess einbringt. Schließlich bietet es sich an, gewisse Merkmale des Art. 6 DRL klarer zu fassen, etwa den Begriff der Verfügungsgewalt oder die im Rahmen der Bezeichnung des Beweismittels erforderliche Konkretisierung.

247 Näher

Nichita Corp v Argos, [2007] FSR 38, Rn. 45 ff., 72 (CA).

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§ 6  Beweissicherungsmaßnahmen A.  Die Vorgaben der Richtlinie I.  Grundzüge der Regelung des Art. 7 DRL 1

2

Art. 7 Abs. 1 DRL verpflichtet die Mitgliedstaaten, bereits vor Einleitung eines Verletzungsverfahrens schnelle und wirksame Maßnahmen zur einstweiligen Sicherung rechtserheblicher Beweismittel hinsichtlich der behaupteten Schutzrechtsverletzung bereitzustellen. Als Beispiel nennt Art. 7 DRL die ausführliche Beschreibung oder dingliche Beschlagnahme der rechtsverletzenden Ware und/ oder der für ihren Vertrieb notwendigen Werkstoffe und Geräte. Entsprechend Art. 6 DRL kann die Anordnung von der Maßgabe abhängig gemacht werden, dass der Antragsteller alle vernünftigerweise verfügbaren Beweismittel zur Begründung der behaupteten (oder angeblich drohenden) Schutzrechtsverletzung vorgelegt hat und der Schutz vertraulicher Informationen gewährleistet wird.1 Nach Art. 7 Abs. 5 DRL sind die Mitgliedstaaten ferner befugt, Maßnahmen zum Schutz von Zeugen zu ergreifen. Die weitere Ausgestaltung dieser Bestimmung weist deutliche Parallelen zu Art. 9 DRL Abs. 3 bis 7 (einstweilige Maßnahmen) auf: So garantiert Art. 7 Abs. 1 S. 3 DRL eine gerichtliche Anordnung ohne Anhörung der Gegenpartei, sofern nachweislich die Gefahr der Beweisvereitelung besteht oder eine Verzögerung einen irreparablen Schaden auf Seiten des Antragsstellers befürchten ließe. Ist die Anordnung der Beweissicherungsmaßnahme im Rahmen eines ex parte-Verfahrens erfolgt, gebietet Art. 7 Abs. 1 S. 4 DRL eine gerichtliche 1 Im Gegensatz zu Art. 6 Abs. 1 enthält Art. 7 Abs. 1 DRL nicht das qualifizierende Adjektiv der „hinreichenden“ Begründung. Aufgrund der Unbestimmtheit des Begriffs „hinreichend“ und dem in Art. 7 Abs. 1 anvisierten Ermessenspielraum des entscheidenden Gerichts folgt hieraus in der Sache jedoch kein wesentlicher Unterschied. Vermutlich handelt es sich um einen Redaktionsfehler, da die Vorläuferbestimmung des Art. 7 Abs. 1 noch im Richtlinienentwurf gänzlich anders formuliert war und zu einem späteren Zeitpunkt der Formulierung des Art. 6 Abs. 1 angeglichen wurde. Einen breiten Ermessensspielraum hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit der Rechtsverletzung sehen auch Knaak, GRUR Int. 2004, 745 (748); Götz, Informationsbeschaffung, S. 58; Weber, Enforcement-RL, S. 85 f. Anderen, im Schrifttum vorgeschlagenen Nuancen lässt sich kein näherer Erkenntniswert entnehmen, letztlich handelt es sich um Worthülsen, vgl. Amschewitz, DRL, S. 131: „begründeter Verdacht“; Tilmann, GRUR 2005, 737 (739): „hinreichender Verdacht“; Gniadek, Beweisermittlung, S. 345 f.: „gesteigerte Möglichkeit“ bzw. „Plausibilität“.



A.  Die Vorgaben der Richtlinie

203

Überprüfung auf Antrag der nicht gehörten Partei. Art. 7 Abs. 2 bis 4 DRL sichern die Interessen des Anordnungsgegners weiter ab: Leitet der Antragssteller nicht innerhalb einer angemessenen und vom Gericht zu bestimmenden Frist (hilfsweise 20 Arbeitstage oder 31 Kalendertage das Verletzungsverfahren ein, sind die Beweissicherungsmaßnahmen aufzuheben bzw. außer Kraft zu setzen. Lässt sich in dem nachfolgenden Verletzungsprozess die Behauptung der Rechtsverletzung nicht erweisen oder wurde die Beweissicherungsmaßnahme aufgehoben oder ist sie hinfällig,2 so ist der Antragssteller zum Ersatz des aus den Maßnahmen resultierenden Schadens verpflichtet. Zwecks Sicherung dieses Ersatzanspruchs kann der Antragssteller vor Einleitung der Beweissicherungsmaßnahmen zur Stellung einer Sicherheit verpflichtet werden.

II.  Interpretationsbedarf und Umsetzungsspielräume 1. Passivlegitimation Der Antragsgegner der Beweissicherungsanordnung wird in Art. 7 Abs. 1 DRL im Gegensatz zu Art. 6 Abs. 1 DRL („die gegnerische Partei“ des Verletzungsprozesses) und Art. 9 Abs. 1 DRL („gegen den angeblichen Verletzer“) nicht näher spezifiziert. Doch greift es zu kurz, hieraus ohne weiteres zu folgern, Art. 7 Abs. 1 DRL verpflichte die Mitgliedstaaten generell zur Bereithaltung von Beweissicherungsmaßnahmen gegenüber Dritten.3 Die Schutzmaßnahmen zugunsten des Anordnungsgegners (Pflicht zur Erhebung einer Verletzungsklage, Schadensersatzanspruch im Falle der Aufhebung der Beweissicherungsmaßnahme) legen nahe, dass in Art. 7 DRL Anordnungen gegenüber dem angeblichen Schutzrechtsverletzer anvisiert werden. Für diese Interpretation sprechen zudem systematische Erwägungen: Soweit Art. 8 Abs. 1 DRL und Art. 9 Abs. 1 lit. a DRL die Mitgliedstaaten verpflichten, Unterlassungs- und Auskunftsverfügungen gegenüber Dritten einzuführen, werden diese dritten Personen näher spezifiziert.

3

2.  Erfasste Beweismittel Ziel der gerichtlichen Anordnung ist die Sicherung der „rechtserheblichen Beweismittel hinsichtlich der behaupteten Verletzung“. Unklarheit besteht darüber, ob sich Art. 7 Abs. 1 DRL auf alle Beweismittelarten erstreckt oder entsprechend Art. 6 Abs. 1 DRL auf Augenscheinsobjekte und Urkunden be2 Eine Hinfälligkeit der Beweismittelsicherung kommt in Betracht, wenn die spätere Verletzungsklage zurückgenommen wird oder der durch die Verletzung begründete Schadensersatzanspruch verjährt ist, vgl. Meyer/Linnenborn, K&R 2003, 313 (315); Metzger/ Wurmnest, ZUM 2003, 922 (929). 3  Seichter, WRP 2006, 391 (395); Götz, Informationsbeschaffung, S. 236; Weber, Enforcement-RL, S. 83 f.; a. A. Ahrens, GRUR 2005 , 837 (839); Eisenkolb, GRUR 2007, 387 (392).

4

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§ 6  Beweissicherungsmaßnahmen

grenzt ist.4 Die besseren Argumente sprechen für ein umfassendes Verständnis des in Art. 7 Abs. 1 DRL verwandten Beweismittelbegriffs. Während im Rahmen eines (von Art. 6 DRL vorausgesetzten) anhängigen Verletzungsprozesses ein Erfordernis des Beweismittelzugangs nur für jene Beweismittel in Betracht kommt, die sich in der Verfügungsgewalt der gegnerischen Partei befinden, kann ein Bedürfnis der Beweismittelsicherung vor Einleitung des Verletzungsprozesses ohne weiteres im Hinblick auf jedes Beweismittel bestehen. Hierauf deuten auch die in Art. 7 Abs. 5 DRL erwähnten Maßnahmen zum Zeugenschutz hin,5 welche entbehrlich wären, würde der Zeugenbeweis von Art. 7 DRL nicht erfasst.

3.  Beweisermittlung, Beweismittelvorlage, Beweissicherung 5

Sinn und Zweck des Art. 7 DRL und – damit verbunden – der konkret erforderliche Inhalt der zu treffenden Anordnung sind ebenfalls nicht eindeutig. Der Wortlaut der Bestimmung erfordert „einstweilige Maßnahmen zur Sicherung der rechtserheblichen Beweismittel hinsichtlich der behaupteten Verletzung“. Die Mitgliedstaaten sind deshalb jedenfalls gehalten, im Falle einer drohenden Beweismittelvernichtung oder -verdunkelung Instrumente zur Verfügung zu stellen, welche potentielle Beweismittel für ein künftiges Hauptsacheverfahren sichern. Nach einer Auffassung in der Literatur soll Art. 7 DRL die Mitgliedstaaten darüber hinausgehend verpflichten, unabhängig von der Gefahr einer Beweismittelvernichtung vorprozessuale Anordnungen zum Zwecke der Beweisgewinnung aus der gegnerischen Sphäre einzuführen, um dem Antragsteller eine Prüfung des Verletzungsanspruchs und die Vorbereitung des Hauptsacheverfahrens zu ermöglichen.6 Noch weitergehend fordern einige Stimmen im Schrifttum, Art. 7 Abs. 1 DRL verpflichte zur Einführung einer

4  Für Deckungsgleichheit plädieren BT-Drucks. 14/5048, S. 28; Amschewitz, DRL, S. 134; Götz, Informationsbeschaffung, S. 61. 5  Nach Auffassung von Amschewitz, DRL, S. 144 und Götz, Informationsbeschaffung, S. 75, folgt aus dem Fourtou-Bericht, dass durch Art. 7 Abs. 5 DRL kein Zeugen-, sondern lediglich ein Informantenschutz beabsichtigt gewesen sei. Die entsprechende Passage lautet: „Deshalb sollte es möglich sein, einem Gericht die Beweise vorzulegen, ohne dass der betreffende Zeuge dem Gericht, oder zumindest dem Rechtsverletzer bzw. Antragsgegner seine Identität preisgeben muss.“, vgl. Fourtou-Bericht (Stellungnahme des Parlamentausschusses für Recht und Binnenmarkt), A5–0468/2003, S. 22. Da bspw. nach englischem Recht einem Zeugen aufgegeben werden kann, im Zuge seiner Vernehmung Dokumente vorzulegen, ist die Annahme, der Bericht a. a. O. verwende irrtümlich den Begriff „Zeuge“, nicht zwingend. 6  Spindler/Weber, ZUM 2007, 257 (264); Tilmann, GRUR 2005, 737 (738); Ahrens, GRUR 2005, 837 (838); Nägele/Nitsche, WRP 2007, 1047 (1052); Koch, ITRB 2006, 40 (41); Amschewitz, DRL, S. 358 f.; Götz, Informationsbeschaffung, S 60 f.; Weber, EnforcementRL, S. 98 ff.; Wiebe in Büllesbach/Büchner, IT, S. 162; Tilmann in FS Ullmann, S. 1020.



A.  Die Vorgaben der Richtlinie

205

Durchsuchungsanordnung zwecks Ermittlung bis dato unbekannter Beweismittel.7 Für jede dieser Interpretationen gibt es Anhaltspunkte. Laut Überschrift und Wortlaut des Art. 7 DRL betrifft die Bestimmung Maßnahmen zur Beweissicherung, scheint also keine Vorlagepflichten unabhängig von einer Gefahr des Beweismittelverlusts begründen zu wollen. Befürworter einer vorprozessualen Beweismittelvorlagepflicht weisen demgegenüber darauf hin, dass Art. 7 Abs. 1 S. 1 DRL die Gefahr des Beweismittelverlusts nicht als Tatbestandsmerkmal nennt; im Gegenteil wird die Gefahr der Beweismittelvernichtung in Art. 7 Abs. 1 S. 3 DRL lediglich exemplarisch für eine Situation aufgeführt, in der eine Entscheidung ohne Anhörung des Antragsgegners geboten erscheint.8 Soweit im Schrifttum behauptet wird, Art. 7 DRL verpflichte die Mitgliedstaaten zur Einführung vorprozessualer Beweisermittlungsmaßnahmen, wird dies einerseits auf die Begründung des Richtlinienvorschlags gestützt, die Regelung orientiere sich an der französischen saisie contrefaçon und der englischen search order, beides Maßnahmen der Beweisermittlung im Wege der Durchsuchung.9 Weiter wird argumentiert, im Gegensatz zu Art. 6 DRL verlange Art. 7 DRL vom Antragsteller keine Bezeichnung des Beweismittels, die Anordnung könne sich deshalb auch auf die Ermittlung bislang unbekannter Beweismittel erstrecken.10 Aus der Entstehungsgeschichte des Art. 7 DRL lassen sich keine zwingenden Schlüsse ziehen.11 Der Richtlinienvorschlag der Kommission knüpfte Beweissicherungsmaßnahmen explizit an das Erfordernis einer nachweislichen Gefahr der Beweismittelvernichtung und nahm in seinen Formulierungen auf das französische Institut der saisie contrefaçon Bezug.12 Der Änderungsvorschlag des Parlaments zielte darauf ab, das vorgeschlagene Instrument zu einer von einem drohenden Beweismittelverlust unabhängigen Maßnahme der Beweismittelvorlage auszubauen.13 Im Vorschlag des Ausschusses der 7  Gniadek, Beweisermittlung, S. 347 ff.; Kreye in FS Meibom, S. 243; Knaak, GRUR Int. 2004, 745 (748 f.). 8  Spindler/Weber, ZUM 2007, 257 (264); Götz, Informationsbeschaffung, S 60 f.; Wiebe in Büllesbach/Büchner, S. 162; Tilmann in FS Ullmann, S. 1020. 9  Gniadek, Beweisermittlung, S. 271 f.; Weber, Enforcement-RL, S. 80 ff.; Kreye in FS Meibom, S. 243. Die entsprechende Passage findet sich in der Begründung des Richtlinienvorschlags, KOM (2003) 46, S. 22. 10  Knaak, GRUR Int. 2004, 745 (748 f.); Wiebe in Büllesbach/Büchner, S. 164; Gniadek, Beweisermittlung, S. 349 f., der ferner aus dem Begriff „rechtserheblich“ gewisse Folgerungen zu ziehen versucht, hierbei aber übersieht, dass dieser Begriff gleichfalls im Kommissionsvorschlag zu Art. 6 DRL enthalten war. 11  Für eine diametral entgegengesetzte Würdigung der Entstehungsgeschichte vgl. einerseits Peukert/Kur, GRUR 2006, 292 (300); andererseits Spindler/Weber, ZUM 2007, 257 (264). 12 Zutreffend Knaak, GRUR Int. 2004, 745 (749). 13  Änderungsantrag 27 des Fourtou-Berichts (Stellungnahme des Parlamentsausschusses für Recht und Binnenmarkt), A5–0468/2003.

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§ 6  Beweissicherungsmaßnahmen

ständigen Vertreter wurde der Wortlaut des Art. 7 Abs. 1 DRL an Art. 6 Abs. 1 DRL angepasst; die an die saisie contrefaçon erinnernde Formulierung verlor damit ihre zentrale Stellung innerhalb des Art. 7 Abs. 1 und ist nur noch als fakultatives Beispiel einer möglichen Anordnung in Art. 7 Abs. 1 S. 2 DRL enthalten. Auch Erwägungen zum Normzweck sind unergiebig. Sicherlich bedeutet es für den Schutzrechtsinhaber einen Vorteil, unabhängig von der Gefahr des Beweismittelverlusts bereits vorprozessual einen Zugang zu Beweismitteln in der Sphäre des vermuteten Rechtsverletzers zu erhalten, um die Risiken eines Verletzungsprozesses abschätzen zu können.14 Umso besser, wenn im Wege dergleicher Anordnungen bislang unbekannte Beweisstücke ermittelt werden können. Ob es verhältnismäßig ist, allein zu diesem Zweck Eingriffe in die Betriebsabläufe und Durchsuchungen des Betriebsgeländes des Antragsgegners anzuordnen und die auf diesem Wege erlangten Informationen noch vor Verfahrenseinleitung offen zu legen, steht auf einem anderen Blatt. Da weder die Wortlautanalyse noch die Entstehungsgeschichte oder teleologische Erwägungen eine eindeutige Interpretation des Art. 7 DRL erlauben, spricht viel dafür, den Mitgliedstaaten einen Umsetzungsspielraum bei der Implementierung des Art. 7 DRL zuzugestehen.15 Versuche, aus dem Fehlen eines einzelnen Begriffs („bezeichnet“) eine mitgliedstaatliche Pflicht zur Einführung von Beweisermittlungsmaßnahmen abzuleiten, werden der wechselvollen Entstehungsgeschichte des Art. 7 DRL nicht gerecht. Begriffsjurisprudenz kann man dem Unionsgesetzgeber wahrlich nicht vorhalten. Soweit die Europäische Kommission in ihrem Richtlinienvorschlag die Instrumente der search order bzw. der saisie contrefaçon als Vorbilder für Art. 7 DRL bezeichnet hat, hat diese Regelungsabsicht keinen Niederschlag in Art. 7 Abs. 1 S. 1 DRL gefunden und entfaltet folglich auch keine bindende Wirkung.16 Nach Wortlaut und Überschrift gebietet Art. 7 DRL lediglich die Bereithaltung von Beweissicherungsmaßnahmen. Mit der Einführung entsprechender Maßnahmen für den Fall eines Beweismittelverlusts werden die Mitgliedstaaten ihrer Umsetzungsverpflichtung gerecht.17 14 Diesen Aspekt betonen GRUR-Stellungnahme, GRUR 2003, 682 (683); Spindler/ Weber, ZUM 2007, 257 (264); Knaak, GRUR Int. 2004, 745 (748). 15  Peukert/Kur, GRUR Int. 2006, 292 (300); Eck/Dombrowski, GRUR 2008, 387 (392); Seichter, WRP 2006, 391 (395); Bruns in Stürner/Kawano, Cross Border Insolvency, S. 259. 16  Siehe zur fehlenden Bindungswirkung der Erwägungsgründe EuGH v. 07. 10. 2012 – verb. RS C‑585/08 und C‑144/09  – Slg. 2010, I-12527 (Pammer/Hotel Alpenhof), Rn. 84; EuGH v. 01. 04. 2008 – C-267/06 – Slg. 2008, I-1757 (Maruko), Rn. 58 f. Im Übrigen divergieren Anordnungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen der search order und der saisie contrefaçon stark, weshalb sich aus der Bezugnahme auf diese Instrumente wenig ableiten lässt. Siehe zur search order die Ausführungen in § 6 Rn. 12 ff., zur saisie contrefaçon vgl. Götz, Informationsbeschaffung, S. 47 ff.; Gniadek, Beweisermittlung, S. 203 ff. 17  In der Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 16/5048, S. 28, wird ferner zutreffend darauf verwiesen, dass sich Beweisgewinnungsmaßnahmen, die Eingriffe in die



B.  Umsetzung in England

207

4.  Schutzmaßnahmen zugunsten des Antragsgegners Hinsichtlich der in Art. 7 DRL normierten Schutzmaßnahmen im Interesse des Antragsgegners stellt sich ebenso wie bei den parallel gefassten Schutzmaßnahmen des Art. 9 Abs. 4 bis 7 DRL die Frage, ob diese zur Disposition der Mitgliedstaaten stehen. Nach hier vertretener Auffassung folgt aus dem Wortlaut und der Detailverliebtheit dieses Regelungskomplexes, dass es sich um eine Ausprägung des in Art. 3 Abs. 2 DRL niedergelegten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes handelt, an den die Mitgliedstaaten gebunden sind (supra § 4 Rn. 12).18 Ebenso wie Art. 9 Abs. 5 DRL versäumt auch Art. 7 Abs. 3 DRL, den Beginn der Frist zur Einleitung des Hauptsacheverfahrens zu definieren. Auch insoweit sei auf die Ausführungen in § 4 Rn. 25 f. verwiesen.

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B.  Umsetzung in England Die Implementierung des Art. 7 DRL erfolgt im englischen Recht durch verschiedene, seit Jahrzehnten etablierte Instrumente. Das Mittel der Wahl bei drohender Beweismittelvernichtung oder -verdunkelung durch einen vermeintlichen Schutzrechtsverletzer ist die so genannte search order. Daneben besteht gemäß CPR 31.16 die Möglichkeit, bereits vor Einleitung eines Verfahrens einen Austausch von Dokumenten im Wege der disclosure anzuordnen, und CPR  34.8 ermöglicht die Sicherung von Zeugenaussagen im Wege der deposition.

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I.  Search Order (Anton Piller Order) 1.  Entwicklung der Search Order Die search order ist eine Verfügung, mittels derer der Antragsgegner zur Duldung der Durchsuchung seiner Räumlichkeiten oder seines Grundstücks durch einen unabhängigen, aber vom Antragsteller instruierten Anwalt (dem so genannten supervising solicitor) verpflichtet wird. Häufig wird der Antragsgegner gleichzeitig verpflichtet, Beweismaterial, das sich nicht in den besichtigten Räumlichkeiten befindet, herauszugeben und bestimmte Auskünfte unter Eid zu erteilen.19 Die Anordnung kann vor Beginn, während oder Rechtssphäre des Antragsgegners beinhalten, als unverhältnismäßig darstellen können, wenn es an einer Gefahr des Beweismittelverlusts fehlt. 18  Wie hier v. Hartz, ZUM 2005, 376 (382); Götz, Informationsbeschaffung, S. 98, 67 ff.; Amschewitz, DRL, S. 138 f.; a. A. BT-Drucks. 16/5048, S. 28; Seichter, WRP 2006, 391 (396, Fn. 40). 19  Blackstone’s Civil Practice, Rn. 39.1.

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§ 6  Beweissicherungsmaßnahmen

nach Abschluss eines Zivilverfahrens erfolgen.20 Ziel der Durchsuchung ist die Sicherstellung von Beweismitteln, die in einem anschließenden Hauptsacheverfahren Bedeutung erlangen könnten. Die search order geht auf eine Reihe von Entscheidungen des High Court betreffend Verletzungen von Schutzrechten des geistigen Eigentums im Jahre 1974 zurück. Da der in diesen Entscheidungen entwickelte Verfügungstyp in der Entscheidung Anton Piller v Manufacturing Processes erstmals den Segen des Court of Appeal erhielt,21 wurde das Instrument fürderhin als Anton Piller order bezeichnet und schließlich in s. 7 Civil Procedure Act 1997, CPR  25.1(1)(h), 25A PD 7 unter dem Begriff der search order kodifiziert. Unter der Lupe der Rechtsstaatlichkeit betrachtet, sind search orders aus mehreren Gründen bedenklich:22 Sie werden aufgrund des erwünschten Überraschungseffekts stets in Verfahren ohne Beteiligung des Antragsgegners erlassen. Sie verpflichten diesen, eine Durchsuchung seiner Räumlichkeiten durch den Antragsteller zu dulden und stellen somit eine Beeinträchtigung eines besonders schützenswerten Grundrechts dar.23 Schließlich können im Zuge der search order die Warenbestände des Antragsgegners in Gewahrsam genommen und dessen geschäftliche Reputation beschädigt werden.24 In frühen Entscheidungen betonte der Court of Appeal, eine search order komme nur in Ausnahmefällen in Betracht, wenn keine andere Möglichkeit ersichtlich sei, Gerechtigkeit zu walten zu lassen.25 In der Folgezeit etablierte sich die Anton Piller order als Massen-Verfügung, die aufgrund mangelnder Schutzvorkehrungen zugunsten des Antragsgegners häufig als Druckmittel benutzt wurde und den Geschäftsbetrieb des Antragsgegners lahmlegte.26 Mittlerweile zählen search orders zum allgemeinen Instrumentarium der Civil 20 

Andrews, Civil Procedure, Rn. 17.109 m. w. N. [1976] 1 Ch 55 (CA). 22 Vgl. Zuckerman, Civil Procedure, Rn. 15.229: „on the very borderline of due process“; Andrews, Civil Procedure, Rn. 17.111: “search orders come within a whisker of infringing the constitutional prohibition upon speculative search warrants of premises”. Das Instrument ist mit der EMRK vereinbar, vgl. EGMR v. 30. 03. 1989 – 10461/83 (Chappell/UK). 23 Zur Erstreckung des Schutzbereichs von Art. 8 EMRK auf Geschäftsräume vgl. EGMR v. 16. 04. 2002 – 37971/97 (Colas Est), Rn. 41 f.; EuGH v. 22. 10. 2002 – C-94/00 – Slg. 2002, I-09011 (Roquette Frères), Rn. 29. 24  Blackstone’s Civil Practice, Rn. 39.8. 25  Anton Piller v Manufacturing Processes, [1976] 1 Ch 55 (62) (CA); Lock International. v Beswick, [1989] 1 W. L. R. 1268 (1281) (Ch). 26 Siehe Columbia Picture Industries v Robinson, [1987] Ch 38 (73 f.) (Ch): Die Anwälte der Kläger hatten in vorherigen Verfahren ca. 300 Anton Piller orders beantragt. Keiner dieser Anträge wurde zurückgewiesen, in keinem Fall kam es zur Durchführung eines Hauptsacheverfahrens. Zahlreiche Missstände der frühen Praxis werden beleuchtet in Laddie/Dockray, LQR 1990, 601 (605 ff.). Laddie, der als Anwalt die Einführung der Anton Piller order bei den Gerichten durchsetzte, kritisiert darin: „The changes [to the practice] have been so great that an exceptional device to avoid injustice has become almost a routine method of creating it.“ 21 



B.  Umsetzung in England

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Procedure Rules,27 doch interpretieren die Gerichte die Anordnungsvoraussetzungen wieder restriktiver und haben zahlreiche Schutzvorkehrungen zugunsten des Antragsgegners eingeführt.28 Search orders können nur vom High Court bzw. dem Intellectual Property Enterprise Court erlassen werden.29

2.  Erfolgsaussichten in der Hauptsache und Dringlichkeit Der Erlass einer search order erfolgt nur dann, wenn diese als absolut erforderlich angesehen wird.30 Das Gericht prüft hierfür zunächst die Schlüssigkeit und Erfolgsaussicht der zu erhebenden Klage (strong prima facie case). Die search order dient dem Zweck der Beweisgewinnung, nicht der Informationsgewinnung zwecks Vorbereitung einer Klageschrift.31 Das behauptete Verhalten des Antragstellers muss eine deutliche Rechtsverletzung oder -gefährdung darstellen. Es bedarf ferner eindeutiger Hinweise, dass der Antragsteller inkriminierende Dokumente oder Gegenstände in Besitz hat, denen in einem nachfolgenden Prozess eine hohe, wenn nicht sogar überragende Bedeutung als Beweismittel zukommen wird. Darüber hinaus muss eine hinreichende Wahrscheinlichkeit bestehen, dass der Antragsteller diese Beweismittel vernichten oder beiseite schaffen wird. Die Vermutung, dass der Antragsgegner einer gerichtlichen Anordnung zur Vorlage eines Beweismittels oder Duldung einer Besichtigung gemäß CPR 25.1(1)(c)(ii)32 Folge leisten würde, ist daher zunächst zu erschüttern.33 Ferner scheidet eine search order regelmäßig aus, wenn Beweismaterial auf anderem Wege, beispielsweise durch Testkäufe in etablierten Geschäftsbetrieben erlangt werden kann.34 Schließlich darf der voraussichtlich aufgrund der search order beim Antragsgegner verursachte Schaden nicht exzessiv oder unverhältnismäßig sein. Zu berücksichtigen sind dabei auch die durch die Durchführung der search order verursachten Ver27 

White Book, Vol. II, Rn. 15–91. Beitrag zu dieser Entwicklung hatten die Entscheidungen Columbia Picture Industries v Robinson, [1987] Ch 38 (76 ff.) (Ch) und Universal Thermosensors v Hibben, [1992] 1 WLR 840 (859 ff.) (Ch), deren Vorgaben nunmehr im 25 PD enthalten sind. 29 R. 3 County Courts Remedies Regulations 1991, s. 7(8) Civil Procedure Act 1997. Wurde der Antrag bei einem County Court gestellt, so wird der Verweisungsantrag an den High Court fingiert, vgl. r. 4 County Court Remedies Regulations 1991. Nach 25A PD 7.10 sind Anträge in IP-Verfahren vor der Chancery Division zu stellen. 30  Siehe zu den folgenden Voraussetzungen Gee, Injunctions, Rn. 17.017 ff.; White Book, Vol. II, Rn. 15–91; Andrews, Civil Procedure, Rn. 17.114 ff., Blackstone’s Civil Practice, Rn. 39.7 f., jeweils m. w. N. 31  Hytrac Conveyors v Conveyors International, [1983] 1 WLR 44 (47) (CA). 32  Hierzu infra § 6 Rn. 29 f. 33  Booker McConnell v Plascow, [1985] RPC 425 (441) (CA); Lock International v Beswick, [1989] 1 WLR 1268 (1281) (Ch). 34  Systematica v London Computer Centre, [1983] FSR 313 (316) (Ch); NAF NAF v Dickens, [1993] FSR 424 (426 f.) (Ch); Bainbridge, IP Law, S. 767. 28  Maßgeblichen

15

210

§ 6  Beweissicherungsmaßnahmen

fahrenskosten.35 Schutzvorkehrungen zugunsten des Antragsgegners werden mittels zahlreicher Verpflichtungserklärungen (undertakings) des Antragstellers, seiner Anwälte und des die Durchsuchung beaufsichtigenden supervising solicitors realisiert, ohne deren Abgabe der Erlass der Verfügung abgelehnt wird.

3.  Formale Vorgaben und zulässige Beweismittel 16

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Es gelten zunächst dieselben formalen Vorgaben an die Antragstellung wie bei anderen interim injunctions, insbesondere ist dem Antrag ein Entwurf der begehrten Anordnung und ein Entwurf der Klageschrift sowie ein undertaking in damages beizufügen.36 Nach 25A PD 5.1A kann das Gericht auch ein undertaking zugunsten Dritten Personen (bspw. der Lieferanten des betroffenen Betriebs) zur Bedingung der Anordnung machen; in der Praxis wird diese Option bei der search order nicht genutzt.37 Der Antrag muss darüber hinaus eine Liste der zu suchenden Gegenstände enthalten (ausreichend ist die Angabe von Sach- / Dokumentenkategorien) und einen geeigneten Kandidaten für die Position des supervising solicitor benennen. Hierbei handelt es sich um einen in der Durchführung von search orders erfahrenen Anwalt, der die Durchsuchung beaufsichtigt und nicht der Kanzlei des Prozessvertreters des Antragstellers angehört.38 Als Beweismittel für die im Antrag behaupteten Tatsachen sind ebenso wie bei der freezing injunction einfache eidesstattliche Erklärungen nicht ausreichend. Die Beweise müssen in einem affidavit enthalten sein, d. h. in einer Stellungnahme, die vor einem solicitor mittels Eid bekräftigt wurde.39

4. Verfügungsinhalt 18

Dogmatisch stellt die search order keinen Durchsuchungsbefehl dar, sondern eine an den Antragsgegner gerichtete Verfügung zur Duldung der Durchsuchung seiner Räumlichkeiten.40 In der praktischen Ausführung verwischen 35 

Northey/Willoughby, JIPLP 2007, 1 (4). PD 2, 4.4, 5.1. Ein Zuwarten mit dem Einreichen der Klageschrift, um zunächst die im Rahmen der Durchsuchung gesicherten Beweismittel zu sichten, ist nicht zulässig, vgl. Hytrac Conveyors v Conveyors Intl, [1983] 1 WLR 44 (47) (CA). 37  Sehr kritisch Gee, (2006) LMCLQ 181 (195). 38  25A PD 7.3(1), 7.6; Andrews, Civil Procedure, Rn. 17.123. Eine Liste geeigneter, d. h. entsprechend erfahrener Anwälte wird von der Law Society bzw der London Solicitors’ Litigation Association geführt, vgl. 25A PD 7.2. 39  25A PD 3.1. 40  Lord Denning MR in der Entscheidung Anton Piller v Manufacturing Processes, [1976] 1 Ch 55 (60) (CA): „Let me say at once that no court in this land has any power to issue a search warrant to enter a man’s house so as to see if there are papers or documents there which are of an incriminating nature, whether libels or infringements of copyrights or 36  25A



B.  Umsetzung in England

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freilich die Grenzen zwischen search order und Durchsuchungsbefehl:41 Erstens kann die Besichtigung und Durchsuchung der Räumlichkeiten des Antragsgegners zwar nicht zwangsweise durchgesetzt werden, doch ist die drohende Sanktion der Nichtbefolgung mit einer Bestrafung wegen contempt of court derart gravierend, dass eine Kooperation des Antragsgegners im Regelfall erfolgt. Zweitens richtet sich die Verfügung nicht allein an den Antragsgegner, sondern bindet jegliche Person, die zum relevanten Zeitpunkt zur Wahrung des Hausrechts berufen ist.42 Drittens wird die Durchsuchung unter der Ägide eines supervising solicitors als unabhängigem Organ der Rechtspflege (officer of the court)43 durchgeführt. Komplementiert wird die Duldungsverfügung durch eine an den Antragsgegner gerichtete Verfügung, den Aufbewahrungsort der gesuchten Gegenstände zu offenbaren und diese den Anwälten des Antragstellers zu überreichen sowie durch das Verbot, die aufgelisteten Gegenstände zu zerstören bzw. aus dem Besitz zu geben.44 Ferner wird der Antragsgegner dazu verpflichtet, in beeideter Form Auskunft zu geben über Name und Adresse von Zulieferern und Abnehmern der in der Verfügung benannten Gegenstände sowie über Daten und Mengen der betreffenden Lieferungen.45 Schließlich wird ihm untersagt, andere Personen von der search order zu informieren (i. d. R. bis zum Abend der vorab angesetzten mündlichen Verhandlung), um den Zugriff auf eventuelle Mittäter nicht zu vereiteln.46 Die Durchführung der Durchsuchung erfolgt durch Suchmannschaften des Antragstellers47 unter Aufsicht des unabhängigen supervising solicitor, der allerdings ebenfalls vom Antragsteller benannt, instruiert und bezahlt anything else of the kind. No constable or bailiff can knock at the door and demand entry so as to inspect papers or documents.“ 41 Sie wurde deshalb bereits in der Anton Piller-Entscheidung als getarnter Durchsuchungsbefehl bezeichnet, vgl. Lord Denning MR a. a. O. 42 25A PD 7.5(2); Muster der search order, Nr. 5; Kritik an der Unbestimmtheit des Adressatenkreises bei Torremans, IP Law, S. 591; kritisch auch Laddie/Dockray, LQR 1990, 601 (610 ff.) und Willoughby, EIPR 1994, 550, die darauf hinweisen, dass die search order hierdurch ihre personenbezogene Natur verliere. Doch muss jedenfalls die Person des Antragsgegners benannt sein, eine search order gegen Unbekannt oder gegenüber einem Repräsentaten ist nicht möglich, vgl. Barron, EIPR 1996, 183 (185); anders wohl Gee, Injunctions, Rn. 17.022. 43  Zu den Pflichten eines solicitors siehe r. 2.5–2.7 SRA Principles 2011, verfügbar unter . 44  S. 7(5)(a) Civil Procedure Act 1997; 25A PD, Muster-Anordnung Nr. 16 f., 21. Dieser Verfügungsteil ist häufig praktisch bedeutsamer als die tatsächliche Durchsuchung, siehe Sony v Anand, [1981] FSR 398 (402) (Ch); Willoughby, CJQ 1999, 103 (109). 45  S. 7(5)(a) Civil Procedure Act 1997; 25A PD, Muster-Anordnung Nr. 18 f. 46  25A PD, Muster-Anordnung Nr. 20. 47  Sind Antragsteller und Antragsgegner direkte Wettbewerber, werden bestimmte Angestellte des Antragstellers von der Partizipation ausgeschlossen, vgl. Hollander, Evidence, Rn. 2–20.

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§ 6  Beweissicherungsmaßnahmen

wird.48 Besondere Herausforderungen wirft auch bei der search order die Suche nach digitalisierten Inhalten auf.49 Der Antragsgegner ist verpflichtet, die erforderlichen Passwörter zu offenbaren und den Anwälten des Antragstellers die Suche innerhalb seiner Computersysteme zu erlauben, sofern diese über ausreichende Expertise verfügen, um eine Schädigung der Systeme zu vermeiden.50 Im Regelfall werden deshalb unabhängige IT-Experten in die Durchsuchung mit einbezogen, die gleichfalls in der Verfügung benannt werden und eigene Verpflichtungserklärungen gegenüber dem Gericht abgeben.51 Bei großen Datenmengen bzw. sofern mehrere Computer durchsucht werden sollen, wird zumeist eine Spiegelung der Inhalte (d. h. Kopie des gesamten Speichers) vorgenommen.

5.  Im Ausland belegene Räumlichkeiten 21

S. 7(3)(a) Civil Procedure Act 1997 erlaubt die Anordnung einer Duldungsverfügung für die Durchsuchung von Räumlichkeiten in England und Wales. Doch hat diese Bestimmung nach genereller Auffassung die gerichtliche Kompetenz zum Erlass einer search order lediglich bestätigt, nicht begründet.52 Es wird deshalb grundsätzlich für zulässig erachtet, search orders auch im Hinblick auf ausländische Grundstücke anzuordnen,53 sofern das Gericht in der Hauptsache zuständig ist.54 Da die Verfügung in personam wirkt, soll dies trotz des territorialen Bezugs die Souveränität des betreffenden ausländischen Staates nicht beeinträchtigen.55 Gleichwohl sind die Präjudizien für search or48  Vorbehalte gegenüber der Objektivität des supervising solicitors werden deshalb geäußert von Zuckerman, Civil Procedure, Rn. 15.237. Für eine Schilderung aus Sicht eines supervising solicitors siehe Willoughby, CJQ 1999, 103 (105 ff.). 49  Vgl. zum Folgenden ausführlich Northey/Willoughby, JIPLP 2007, 1 ff. 50  25A PD 7.5(8)-(10). 51  Bean/Parry/Burns, Rn. 8–13. 52  Statt aller Gee, Injunctions, Rn. 6.006, 17.002 f. m. w. N. 53  Dicey/Morris/Collins, Rn. 8–014 m. Fn. 42; Hill/Chong, Int’l Disputes, Rn. 10. 1. 28, 10.4.1; Rushworth, LMCLQ 2009, 196 (199 m. Fn. 31); zweifelnd Hollander, Evidence, Rn. 2–19. 54  Altertext v Advanced Data Communications, [1985] 1 WLR 457 (461 ff.) (Ch). Angesichts der Erweiterung der internationalen Zuständigkeit im einstweiligen Rechtsschutz durch s. 25 Civil Jurisdiction and Judgments Act (supra § 4 Rn. 63 ff.), kommt aus Sicht des englischen Rechts auch ein Erlass ohne Zuständigkeit in der Hauptsache in Betracht, vgl. Hollander, Evidence, Rn. 2–20. Doch fehlt es insoweit an der nach Art. 35 EuGVO (2012) erforderlichen „realen Verknüpfung“, vgl. näher § 11 Rn. 42 ff., 55. 55  Cook Industries v Galliher, [1979] Ch 439 (444) (Ch); Briggs/Rees, Civil Jurisdiction, Rn. 6.04; zweifelnd Hollander, Evidence, Rn. 2–20; a. A. Gee, Injunctions, Rn. 6.007; MacLachlan, ICLQ 1989, 3 (20 f.); Kennett, MLR 56 (1993), 342 (353). Auch Collins LJ in Masri v Consolidated Contractors Intl (No 2), [2009] 2 WLR 621 (631) (CA) weist darauf hin, dass die Souveränität eines anderen Staates beeinträchtigt sein kann, obgleich einer Verfügung lediglich eine Wirkung in personam zukommt.



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ders bezüglich ausländischer Grundstücke rar gesät,56 und seit Erlass des Civil Procedure Acts 1997 und der CPR wurde keine entsprechende Entscheidung publiziert. Das Unbehagen, solche Duldungsverfügungen im Hinblick auf im Ausland belegene Grundstücke anzuordnen, gründet sich zum einen auf das Gebot der comitas gentium,57 zum anderen auf die Schwierigkeiten, die mit der search order verbundenen Schutzvorkehrungen bei Verfügungen mit Auslandsbezug wirksam zu gestalten.58

6.  Schutzvorkehrungen zugunsten des Antragsgegners Die überraschende Durchsuchung der Räumlichkeiten des Antragsgegners durch Beauftragte des Antragstellers bedeutet einen intensiven Eingriff in die Rechtspositionen des Antragsgegners. Da die Verfügung ohne Anhörung des Antragsgegners ergeht, wird bereits bei Erlass der Verfügung eine mündliche Verhandlung (return date) terminiert59 und der Pflicht des Antragstellers zur umfassenden Information des Gerichts über Sach- und Streitstand (full and frank disclosure) besondere Bedeutung beigemessen.60 Die Auskunftspflicht erstreckt sich über die bereits oben genannten Umstände61 hinaus auch auf Anzahl, Größe und Natur der zu durchsuchenden Räumlichkeiten und das voraussichtliche Ausmaß der Suche.62 Verabsäumt der Antragsteller eine umfassende Information des Gerichts, kann ihm untersagt werden, die im Rahmen der search order gewonnenen Beweise vor Gericht zu verwenden.63

56  Eine entsprechende Anordnung wurde erlassen in Cook Industries v Galliher, [1979] Ch 439 (444) (Ch), jedoch angesichts der Umstände des konkreten Einzelfalls abgelehnt in Altertext v Advanced Data Communications, [1985] 1 WLR 457 (461 ff.) (Ch) und Protector Alarms v Maxim Alarms, [1978] FSR 442 (446) (Ch). 57  Protector Alarms v Maxim Alarms, [1978] FSR 442 (446) (Ch); Hollander, Evidence, Rn. 2–20. Siehe hierzu ferner die Ausführungen infra § 15 Rn. 71 ff. 58  Briggs/Rees, Civil Jurisdiction, Rn. 6.04. 59  Der Antragsgegner muss nicht bis zum return date mit Rechtsmitteln gegen die Anordnung zuwarten, sondern kann deren Aufhebung unmittelbar nach Zustellung durch den supervising solicitor beantragen. Supervising solicitor und Anwälte des Antragstellers verbleiben jedoch bis zur Eilentscheidung des Gerichts auf dem Gelände des Antragsgegners, um einer potentiellen Beweismittelvernichtung zu vorzubeugen, vgl. Bhimji v Chatwani, [1991] 1 WLR 989 (1001 f.) (Ch); Willoughby, CJQ 1999, 103 (107); Blackstone’s Civil Practice, Rn. 39.12. Zu den geringen Erfolgschancen eines unmittelbaren Aufhebungsantrags siehe Hollander, Evidence, Rn. 2–22. 60  25A PD 3.1, 7.3(2). 61  Supra § 4 Rn. 67. 62  Üblicherweise besichtigt der Antragsteller oder ein von ihm beauftragter Ermittler zu diesem Zweck vor Antragstellung das Anwesen des Antragsgegners, vgl. Northey/Willoughby, JIPLP 2007, 1 (4). 63  NAF NAF v Dickens, [1993] FSR 424 (427 ff.) (Ch) m. w. N.; Blackstone’s Civil Practice, Rn. 39.18; Hollander, Evidence, Rn. 2–24 m. w. N.

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§ 6  Beweissicherungsmaßnahmen

Der Schutz des Antragsgegners soll ferner durch zahlreiche Verpflichtungserklärungen gegenüber dem Gericht realisiert werden.64 Neben der üblichen Zusage zur Kompensation des Antragsgegners im Falle einer Aufhebung der Verfügung und der Hinterlegung einer Sicherheit verpflichtet sich der Antragsteller zur unverzüglichen Einleitung des Hauptsacheverfahrens (die Klage ist dem Antragsgegner möglichst zeitgleich mit der search order durch den supervising solicitor zuzustellen).65 Ebenso wird zugesichert, die gewonnenen Informationen zumindest bis zum return date vertraulich zu behandeln und eine Verwertung für andere Verfahren von einer Zustimmung des Gerichts abhängig zu machen.66 Die Anwälte des Antragstellers bzw. der supervising solicitor verpflichten sich zur verantwortungsvollen Inobhutnahme aller übergebener Gegenstände, ggf. unter Abschluss einer Versicherung.67 Der supervising solicitor verpflichtet sich zur ordnungsgemäßen Zustellung der Verfügung samt Klage(entwurf) an den Antragsgegner, zur Belehrung des Antragsgegners über seine Rechte, zur Vertraulichkeit sowie zur Übermittlung eines Durchsuchungsberichts an das Gericht und die Parteien innerhalb von 48 Stunden nach Abschluss der Durchsuchung. Sofern ein Computerspezialist benannt wird, hat sich auch dieser gegenüber dem Gericht zu Vertraulichkeit und Neutralität zu verpflichten.68 Im Laufe der Jahre hat die Rechtsprechung ferner spezifische Vorgaben für die Durchführung der Durchsuchung entwickelt, welche in 25A PD 7 zusammengestellt sind. Der Anhang dieser Practice Direction enthält ferner ein Muster einer search order. Entscheidendes Kriterium ist die Durchführung der Suche unter der Aufsicht eines unabhängigen supervising solicitors, der nur von den in der Verfügung namentlich genannten Personen begleitet werden darf, 69 d. h. von einer Durchsuchungsmannschaft des Antragstellers inklusive dessen Anwalt. Als Nebeneffekt tragen die mit dem Einsatz eines supervising solicitors verbundenen Kosten dazu bei, den klägerischen Enthusiasmus für

64 

Vgl. das 25A PD beigefügte Muster einer search order, schedule C, D, E. 25A PD 4.4(1), (2), 5.1(5); Muster-Anordnung, Schedule C (2), Schedule D (1)(ii); Gee, Injunctions, Rn. 23.027. 66  Diese Verpflichtungserklärung wird impliziert, vgl. Crest Homes v Marks, [1987] AC 829 (853 f.) (HL); Cornish/Llewelyn/Aplin, IP, Rn. 2–59 m. w. N. in Fn. 294. Ausgenommen von der Verwertungsbeschränkung sind Verfahren gegen Mittäter, soweit die search order deren Identifikation dient, vgl. Sony Corp v Anand, [1981] FSR 398 (Ch) (401 f.); siehe aber Hollander, Evidence, Rn. 2–18 zu Zweifeln, ob diese Rechtsprechung unter Geltung der CPR aufrecht erhalten werden kann. Nach Twentieth Century Film v Tryrare, [1991] FSR 58 (60) (Ch) können Informationen, die der Kläger oder sein Anwalt während der Durchsuchung zufällig zu Gesicht bekommen haben, unbeschränkt verwendet werden. 67  25A PD 7.5(5). 68  Bean/Parry/Burns, Injunctions, Rn. 8–13. 69  25A PD 7.4(3). 65 



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den Antrag auf Erlass einer search order zu dämpfen.70 Der supervising solicitor hat dem Antragsgegner die Verfügung und im Verfügungsantrag enthaltenen kopierbaren Beweismittel zuzustellen.71 Rechtsbelehrungen,72 das Recht zur Beiziehung eines Anwalts,73 Bestimmungen zu Zeitpunkt und Modalitäten der Maßnahme74 ähneln jenen bei polizeilichen Durchsuchungen. Die Suche ist auf den vom Gericht definierten Rahmen und die in der Verfügung bezeichneten Gegenstände beschränkt. Sind Antragsteller und Antragsgegner unmittelbare Konkurrenten, werden bestimmte Angestellte des Antragstellers von der Partizipation ausgeschlossen.75 Um die Belastung des Antragsgegners gering zu halten, sollen zu kopierende Dokumente nach spätestens zwei Tagen an den Antragsgegner zurückerstattet werden, sofern die Anwälte des Antragstellers nicht – was meist der Fall ist – ein tragbares Kopiergerät bei sich führen. Andere sichergestellte Gegenstände sind gemäß 25A PD 7.5(4) von den Anwälten des Antragstellers in die Obhut der Anwälte des Antragsgegners zu übergeben (gegen eine Verpflichtungserklärung, diese Objekte aufzubewahren und zum gegebenen Zeitpunkt dem Gericht vorzulegen).

7.  Aufhebung der search order Sowohl ein Verstoß gegen die Verpflichtung zur full and frank disclosure im Rahmen der Antragstellung als auch ein Verstoß gegen die erforderlichen Schutzvorkehrungen bei Durchführung der search order oder die fehlende Einleitung und Betreibung des Hauptsacheverfahrens kann die Aufhebung der Verfügung rechtfertigen.76 Das Gericht muss dabei auf die Herstellung von Gerechtigkeit zwischen den Parteien bedacht sein,77 d. h. es wiegt die Schwere des Verstoßes gegenüber der Bedeutung der im Rahmen der search 70  Hollander, Evidence, Rn. 2–06. Rentabel sei eine search order erst ab einer vermuteten Schädenshöhe von mehreren 100.000 Pfund berichtet Parnell, Birmingham Post v. 27. 01. 2011, S. 5. 71  25A PD 7.4(1). 72  25A PD 7.4(4). Das in dieser Bestimmung genannte privilege against self-incrimination ist bei IP-Streitigkeiten ohne Bedeutung, vgl. 25A PD 7.9(1), s. 72 SCA 1981. 73  Bhimji v Chatwani, [1991] 1 WLR 989 (1002 f.) (Ch). Wünscht der Antragsgegner anwaltlichen Rat, muss eine angemessene Zeit gewartet werden. Nr. 10 des Musters in 25A PD nennt einen Zeitraum von zwei Stunden, doch wird in der Praxis durchaus länger gewartet, vgl. Willoughby, CJQ 1999, 103 (107). 74  25A PD 7.4(5) und (6) 75  Hollander, Evidence, Rn. 2–20; Blackstone’s Civil Practice, Rn. 39.13. 76  Gadget Shop v Bug.Com, [2001] FSR 383 (416 f.) (Ch). Wurde die Durchsuchung bereits durchgeführt, kann die Aufhebungsentscheidung sowohl im einstweiligen Verfahren erfolgen, als auch bis zur mündlichen Verhandlung in der Hauptsache aufgeschoben werden. Zu den Gesichtspunkten, die für die jeweilige Vorgehensweise sprechen, siehe Gee, Injunctions, Rn. 23.025 m. w. N. 77  Lock International v Beswick, [1989] 1 WLR 1268 (1284) (Ch); Hoechst UK v Chemiculture, [1993] FSR 270 (279 f.) (Ch).

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§ 6  Beweissicherungsmaßnahmen

order erlangten Beweismittel ab.78 Die Aufhebung der Verfügung ist relevant für eine eventuelle Rückgabe des gesicherten Materials sowie eine Kompensation des Antragsgegners, zieht aber nicht zwingend den Ausschluss der erlangten Beweismittel im Hauptsacheverfahren nach sich. Diese Entscheidung über die Verwertung der erlangten Beweismittel trifft das Hauptsachegericht unter Berücksichtigung des in CPR 1 niedergelegten overriding principle einer gerechten Verfahrenserledigung.79 Maßgebliches Kriterium ist neben der Bedeutung der Beweisstücke die Frage, ob die erlangten Informationen ohnehin im Rahmen der standard disclosure hätten offenbart werden müssen.80

8.  Unterstützung ausländischer Verfahren 26

S. 25 des Civil Jurisdiction and Judgments Act 1982 erlaubt dem High Court, sich nach eigenem Ermessen für ein einstweiliges Verfahren für zuständig zu erklären, auch wenn das Hauptsacheverfahren in einem anderen Mitgliedstaat der Union anhängig ist oder erhoben werden soll81 (zur Einschränkung durch Art. 35 EuGVO (2012) siehe § 11 Rn. 42 ff.). Die Zuständigkeit erstreckt sich nach s. 25(7)(b) nicht auf „provision for obtaining evidence“. Dies hindert nach h. M. die Anordnung einer search order nicht, da die search order die Beweismittelsicherung, nicht die Beweismittelerlangung zum Gegenstand habe.82 An veröffentlichten Entscheidungen, in denen eine search order zugunsten eines ausländischen Verfahrens angeordnet wurde, fehlt es allerdings. Beweismittel oder Erkenntnisse, die im Zuge einer search order für ein Hauptsacheverfahren vor dem High Court gewonnen wurden, dürfen nur mit Zustimmung des Gerichts in ausländische Verfahren eingeführt werden.83 Ein undertaking des Antragstellers sichert die diesbezügliche Entscheidungshoheit des Gerichts. 78  NAF NAF v Dickens, [1993] FSR 424 (427 ff.) (Ch) m. w. N.; Gadget Shop v Bug.Com, [2001] FSR 383 (416 f.) (Ch); Hollander, Evidence, Rn. 2–24. 79 CPR 32.1(2); Jones v University of Warwick, [2003] EWCA Civ 151 (CA), Rn. 28; Silversafe v Hood, [2006] EWHC 1849 (Ch), Rn. 52; Grevling in Dwyer, S. 258 ff.; Blackstone’s Civil Practice, Rn. 39.19; White Book, Vol. I, 32.1.4 m. w. N.; anders noch im früheren Recht Helliwell v Piggott-Sims, [1980] FSR 356 (357) (CA); Auch eine Verfügung, den Gebrauch der erlangten Informationen zu unterlassen ist möglich, vgl. NAF NAF v Dickens, [1993] FSR 424 (427 ff.) (Ch). 80  Gee, Injunctions, Rn. 17.067. 81  Der englische Gesetzgeber hat damit die entgegenstehende Regel aus der Entscheidung The Siskina (Owners of Cargo Lately Laden on Board) v Distos Compania Naviera S. A, [1979] A. C. 210 (257) (HL) aufgehoben. 82  Gee, Injunctions, Rn. 6.053. Auch MacLachlan, ICLQ (37) 1989, 3 (16 ff.) und Hollander, 2–19, scheinen nicht davon auszugehen, dass eine search order unter s. 25(7)(b) zu subsumieren ist. Für eine Subsumtion hingegen Matthews, CJQ 1995, 190 (198). 83  Diese Verpflichtungserklärung wird impliziert, vgl. Crest Homes v Marks, [1987] AC 829 (853 f.) (HL); Cornish/Llewelyn/Aplin, IP, Rn. 2–59 m. w. N. in Fn. 294. In Bayer v Winter (No. 2), [1986] FSR 357 (363 ff.) (Ch) erlaubte das Gericht dem Antragsteller, die im Zuge der search order erlangten Informationen für Arrestverfahren in anderen Jurisdiktionen zu verwenden, welche wiederum der Sicherung einer eventuellen Vollstreckung des englischen



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9.  Kritik an der search order Kritik an der search order entzündet sich vornehmlich an deren dogmatischer Herleitung. Um nicht mit alten Präjudizien in Konflikt zu geraten, wurde die search order als Duldungsverfügung konzipiert, deren Missachtung mit contempt of court geahndet werden kann. Letztlich handelt es sich um Augenwischerei,84 denn die Zustimmung des Antragsgegners ist nicht allein aufgrund der drohenden Sanktion eine Fiktion, sondern auch deshalb, weil sich die Anordnung an jede Person richtet, die zum relevanten Zeitpunkt zur Wahrung des Hausrechts berufen ist. Zwecks Wahrung der alten Präjudizien wurde der Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben: Es wurde eine Anordnung geschaffen, die nicht etwa neutralem Justizpersonal, sondern dem Gegner einer Partei erlaubt, besonders geschützte Räumlichkeiten, u. a. auch Privatwohnungen zu durchsuchen.85 Zwar wird die Suche seit Mitte der 90er Jahre unter Aufsicht eines neutralen solicitors durchgeführt. Doch stimmt der Antragsgegner meist zwecks Abkürzung der Prozedur zu, dass die Suchmannschaften mehrere Räume parallel durchsuchen, weshalb eine konstante Beaufsichtigung durch den supervising solicitor scheitert.86 Auch ändert die Anwesenheit des supervising solicitors nichts daran, dass Antragsgegner und Anwalt der Gegenseite im Verlaufe der mehrstündigen Suche häufig ins Plaudern geraten und der Antragsgegner auf diesem Wege wichtige Informationen preisgibt.87 Sofern der Antragsgegner kurzfristig anwaltlichen Beistand hinzuzieht, ist dieser nicht zwingend mit der hochspezialisierten Materie der search order vertraut.88 Die Maßnahme ist ferner zeit- und kostenintensiv. Während die Durchsuchung vor Anbruch des elektronischen Zeitalters zumeist innerhalb von ein oder zwei Tagen abgeschlossen werden konnte,89 vermag die Inspektion

Hauptsacheurteils dienen sollten. Ausgenommen von der Verwertungsbeschränkung sind Verfahren gegen Mittäter, soweit die search order deren Identifikation dient, vgl. Sony Corp v Anand, [1981] FSR 398 (Ch) (401 f.); siehe aber Hollander, Evidence, Rn. 2–18 zu Zweifeln, ob diese Rechtsprechung unter Geltung der CPR aufrecht erhalten werden kann. Nach Twentieth Century Film v Tryrare, [1991] FSR 58 (60) (Ch) können Informationen, die der Kläger oder sein Anwalt während der Durchsuchung zufällig zu Gesicht bekommen haben, unbeschränkt verwendet werden. 84  Bhimji v Chatwani, [1991] 1 WLR 989 (1001) (Ch); ähnlich Laddie/Dockray, LQR 1990, 601 (610 ff.); Willoughby, EIPR 1994, 550; ferner Lord Mackay LC, berichtet bei Andrews, Civil Procedure, Rn. 17.113. 85  Zu den Implikationen höchst kritisch Cornish/Llewelyn/Aplin, IP, Rn. 2–48. Tendenziell für Einführung eines Durchsuchungsbefehls deshalb Laddie/Dockray, LQR 1990, 601 (609 ff.). 86  Willoughby, CJQ 1999, 103 (108 f.). 87  Willoughby, CJQ 1999, 103 (110). 88  Willoughby, CJQ 1999, 103 (107). 89  Northey/Willoughby, JIPLP 2007, 1.

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§ 6  Beweissicherungsmaßnahmen

digitaler Daten deutlich längere Zeit in Anspruch nehmen.90 Sowohl der supervising solicitor als auch der eigene Anwalt des Antragstellers sind meist hoch qualifiziert und verlangen entsprechende Stundensätze;91 hinzu kommen die Kosten für Durchsuchungsmannschaft und Computerspezialisten sowie eventuelle Kopier- und Transportkosten.

II.  Sicherstellung von Beweismitteln ohne Durchsuchung 29

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Anordnungen zum Zwecke der Sicherung und Besichtigung von Augenscheinsobjekten können nach s. 33(1) SCA 1981, CPR 25.1(1)(c), (4) gleichfalls bereits vor Einleitung eines Verfahrens in der Hauptsache getroffen werden. Siehe zu dieser Verfügungsart bereits supra, § 5 Rn. 23 f. Die Anordnung außerhalb eines anhängigen Verfahrens steht im Ermessen des Gerichts, sofern der Antragsteller einen prima facie case on the merits darlegt und Hinweise darauf bestehen, dass der Antragsgegner im Besitz eines für ein nachfolgendes Hauptsacheverfahren beweiserheblichen Gegenstands ist. Möglich ist auch eine Anordnung ohne Anhörung des Antragsgegners, welche den Antragsgegner verpflichtet, im Zeitpunkt der Zustellung der Verfügung die betreffenden Gegenstände herauszugeben bzw. deren Besichtigung zu dulden (so genannte doorstep Piller; der Unterschied zur search order besteht in der fehlenden Durchsuchung der Räumlichkeiten des Antragsgegners).92 Die Durchsetzung der Anordnung erfolgt mittels contempt of court. 25A PD 8.2 regt an, dass das Gericht in geeigneten Fällen Schutzvorkehrungen zugunsten des Antragsgegners entsprechend jenen einer search order vorsieht.93 Ein wesentlicher Unterschied zur search order ergibt sich freilich aus CPR 25.2(4): Danach muss das Gericht keine Regelung für eine Einleitung des Hauptsacheverfahrens treffen, sondern kann unter Ausübung pflichtgemäßen Ermessens dem Antragsteller die Entscheidung über die Klageerhebung in Anbetracht der vorgelegten Beweise überlassen. Wurde die Besichtigung im Hinblick auf ein bestimmtes Verfahren gewährt, so ist die Verwendung der erlangten Informationen für andere Zwecke nur mit Erlaubnis des Gerichts 90  Die Spiegelung der Daten kann je nach Speichergröße bis zu 15 Stunden dauern. Sind mehrere Maschinen betroffen, wird gegebenenfalls der Geschäftsbetrieb des Antragsgegners für mehrere Tage lahm gelegt. Auch die anschließende Inspektion unter Beteiligung des supervising solicitors kann einen Zeitaufwand von mehreren Tagen, wenn nicht gar Wochen, erfordern. Northey/Willoughby, JIPLP 2007, 1 (5) berichten von einem Fall, in dem die Besichtigung drei Wochen dauerte. 91 Siehe Northey/Willoughby, JIPLP 2007, 1 (6): Kosten von 5.000 bis 10.000 Pfund pro beteiligtem Anwalt für die Durchsuchung zuzüglich 40.000 Pfund für eine anschließende Besichtigung der gesicherten Dateien. Laut Parnell 92  Universal City Studios v Mukhtar, [1976] 1 WLR 568 (571) (Ch); Adam Phones v Goldschmidt, [2000] FSR 163 (166); Hollander, Evidence, Rn. 2–11; Barron, EIPR 1996, 183 (184 m. Fn. 9). 93  So bereits Adam Phones v Goldschmidt, [2000] FSR 163 (166 f.) (Ch).



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zulässig (ebenso wie bei der search order und der disclosure).94 Die Durchsetzung der Anordnung erfolgt mittels contempt of court. An dritte Personen gerichtete Vorlage- und Besichtigungsanordnungen sind gemäß s. 34(3) SCA 1981, CPR 25.5 nur im Rahmen eines eingeleiteten Verfahrens zulässig.

III.  Pre-action Disclosure Zu den erklärten Zielen der disclosure unter den CPR zählt eine frühe Streitbeilegung, möglichst bereits im vorprozessualen Stadium. CPR 31.16 i. V. m. s,  33 SCA 1981 bzw. s 52 CCA 1984 erlauben deshalb eine gerichtliche Anordnung der pre-action disclosure. Im Gegensatz zur standard disclosure nach Klageerhebung bedarf es hierfür eines durch Beweismittel gestützten Antrags eines potentiellen Klägers, aus dem sich die voraussichtlich streitigen Fragen eines späteren Prozesses entnehmen lassen,95 und in dem die gewünschten Dokumente oder eine Dokumentenklasse spezifiziert werden.96 CPR  31.16 erlaubt dem Gericht unter recht niedrigschwelligen Voraussetzungen97 den Erlass einer entsprechenden Anordnung nach pflichtgemäßem Ermessen.98 Die Anordnung einer Klageerhebung in der Hauptsache steht ebenfalls im Ermessen des Gerichts,99 für die Verwertung der erlangten Informationen gelten die allgemeinen Grundsätze der disclosure.100 Die Durchsetzung der Maßnahme erfolgt durch contempt of court. Angesichts der außerhalb eines Prozessrechtsverhältnisses erhöhten Gefahren des Missbrauchs der disclosure sind die Gerichte bei der Ausübung ihres 94 

Grapha Holdings v Quebecor Printing, [1996] FSR 711 (714 f.) (Ch). Bermuda International Securities v KPMG, [2001] EWCA Civ 269 (CA), Rn. 26; Black v Sumitomo Corpn, [2002] 1 WLR 1562 (CA), Rn. 76. 96 CPR 31.16(4)(a). 97 Erstens muss eine gewisse Möglichkeit bestehen, dass Antragsteller und Antragsgegner Parteien eines später zu initiierenden Hauptsacheverfahrens werden, sofern ein solches eingeleitet wird. Dies setzt voraus, dass das Begehren in der Hauptsache zumindest eine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Zweitens kann sich pre-action disclosure nur auf Dokumente beziehen, deren Existenz im Rahmen einer standard disclosure offen zu legen wäre. Schließlich ist erforderlich, dass sich die Anordnung als sinnvoll darstellt, entweder um eine faire Durchführung des zukünftigen Prozesses zu gewährleisten, den Rechtsstreit ohne Prozess beizulegen oder um Kosten zu sparen. Näher CPR 31.16(3)(a)-(d) sowie Rose v Lynx Express, [2004] BCC 714 (723) (CA). 98  Zu den Faktoren der Ermessensausübung zählen die Typik des behaupteten Schadens, Art und Umfang der gewünschten Dokumente, die schlüssige Darlegung der Rechtsverletzung durch den Antragsteller, die Relevanz und Vertraulichkeit der Dokumente sowie die Möglichkeiten des Antragstellers, eine Klage ohne Zugang zu diesen Dokumenten zu substantiieren. Näher Black v Sumitomo, [2002] 1 WLR 1562 (CA), Rn. 88 ff., 96 ff; Hollander, Evidence, Rn. 1–10 ff.; White Book, Vol. I, Rn. 31.16.4 m. w. N. Nach Snowstar Shipping v Graig Shipping, [2003] EWHC 1367 (Comm), Rn. 35 sollte sich der Antrag auf diejenigen Dokumente beschränken, die „strictly necessary“ sind. 99 CPR 25.2(3), (4). 100  Supra § 5 Rn. 25 ff., 34 ff. 95 

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§ 6  Beweissicherungsmaßnahmen

Ermessens eher vorsichtig. Pre-action disclosure stellt in den meisten Rechtsgebieten die Ausnahme von der Regel dar.101 Dort, wo sie gewährt wird, ist ihr primäres Ziel der Zugang zu Dokumenten; die Beweismittelsicherung ist allenfalls ein Rechtsreflex.102 Gegenüber dritten Personen ist die Anordnung der disclosure vor Einleitung des Verfahrens in der Hauptsache nicht möglich.103

IV.  Sicherstellung von Zeugenaussagen 33

Gemäß CPR  34.8 kann jede Partei einen Antrag auf Zeugenvernehmung außerhalb der mündlichen Verhandlung stellen, welche durch einen Richter oder Beauftragten des Gerichts durchzuführen ist. Ebenso wie bei einer Zeugenvernehmung während der mündlichen Verhandlung kann dem Zeugen aufgegeben werden, vor oder bei seiner Vernehmung bestimmte Dokumente vorzulegen, die neben der Zeugenaussage (deposition) als Beweise in das Verfahren eingeführt werden können.

V. Fazit 34

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Das englische Recht kennt diverse Mechanismen zur vorprozessualen Beweisermittlung, Beweismittelvorlage und Beweismittelsicherung. Besonders gewinnbringend aus Sicht der Schutzrechtsinhaber ist die search order, in deren Rahmen der Antragsgegner verpflichtet werden kann, die Durchsuchung seiner Räumlichkeiten sowie die Ingewahrsamnahme von Dokumenten und Augenscheinsobjekten durch den Antragsgegner bzw. den supervising solicitor zu dulden und Auskünfte über den Verbleib weiterer Beweismittel, das Ausmaß seiner Vertriebsaktivitäten und die Identität seiner Vertriebspartner zu erteilen. Als milderes Mittel kommt eine Herausgabe- bzw. Besichtigungsanordnung nach CPR 25.1(1)(c) in Betracht; ferner ist die Anordnung der preaction disclosure eine Option. Für die Sicherung von Zeugenaussagen stehen depositions gemäß CPR 34.8 zur Verfügung. Auf Basis der in dieser Arbeit vertretenen Interpretation genügt das englische Recht zweifellos den Vorgaben des Art. 7 Abs. 1 DRL, erlaubt die Auswahl zwischen den genannten Maßnahmen dem Rechtsschutzsuchenden doch einen maßgeschneiderten Antrag auf Beweismittelsicherung. Allerdings darf 101  South Carolina Insurance v Assurantie Maatschappij ‚De Zeven Provincien’ NV, [1987] AC 24 (35) (HL); Black v Sumitomo, [2001] EWCA Civ 1819 (CA), Rn. 85; Andrews, Civil Procedure, Rn. 26.62, 26.91; Blackstone’s Civil Practice, Rn. 48.73. Auch die Kostenregel in CPR 48.1(2) soll einen abschreckenden Effekt auslösen: Grundsätzlich trägt der Antragsteller sowohl die Verfahrenskosten des Antragsgegners als auch die Kosten der vorprozessualen disclosure, vgl. SES Contracting v UK Coal, [2007] EWCA Civ 791 (CA), Rn. 19 ff.; Hollander, Evidence, Rn. 1–32 f. 102  Andrews, Civil Procedure, Rn. 26.57 m. w. N. 103  CPR 31.16 (3)(a), s. 34 SCA 1981.



B.  Umsetzung in England

221

nicht verschwiegen werden, dass die search order aus diversen Gründen ein sehr teures Vergnügen ist.104 Im Schrifttum werden deshalb Zweifel geäußert, ob sich das englische Recht mit der allgemeinen Verpflichtung aus Art. 3 Abs. 1 DRL vereinbaren lässt, Maßnahmen und Verfahren vorzusehen, die nicht unnötig kostspielig sind.105 Vorlage- und Besichtigungsanordnungen gegenüber Dritten sind erst im Rahmen eines anhängigen Verfahrens möglich, was nach der vorliegend vertretenen Auffassung nicht gegen die Vorgaben der Richtlinie verstößt. Folgte man der im Schrifttum vertretenen Ansicht, Art. 7 DRL erfordere eine Vorlageanordnung unabhängig von der Voraussetzung eines Beweismittelverlusts, um dem Schutzrechtsinhaber eine Beurteilung seiner Prozesschancen zu ermöglichen, so erwiese sich die search order freilich als ungeeignet zur richtlinienkonformen Umsetzung des Art. 7 DRL. Die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Beweismittelverlusts ist ebenso Voraussetzung des Erlasses wie die Zusicherung des Antragstellers, dem supervising solicitor die Klage (oder zumindest einen Klageentwurf) zwecks Zustellung an den Antragsgegner zukommen zu lassen. Eine Beweismittelvorlage bei fehlender Gefahr des Beweismittelverlusts lässt sich im englischen Recht lediglich durch eine Anordnung gemäß CPR 25.1(1)(c)(i) realisieren oder im Wege der pre-action disclosure. Die erste dieser Maßnahmen hat den Nachteil, dass sich mangels Durchsuchung der behauptete Besitz des Antragsgegners nicht verifizieren lässt, die zweite Maßnahme wird von den Gerichten nur sehr zögerlich gewährt. Aus der Perspektive des Antragsgegners gehen die im Rahmen der search order gewährten Schutzvorkehrungen über das nach Art. 7 DRL erforderliche Maß hinaus, insbesondere deshalb, weil den Antragsteller bei Entscheidungen ohne Anhörung des Antragsgegners eine Pflicht zur full and frank disclosure trifft. Demgegenüber bestehen Zweifel an der Vereinbarkeit mit Art. 7 Abs. 3 DRL bei Anordnungen der pre-action disclosure sowie gemäß CPR 25.1(1)(c) (i), da die Anordnung der Klageerhebung in der Hauptsache in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, CPR  25.2(4). Der Schutz vertraulicher Interessen wird bei ex parte-Maßnahmen einerseits durch Verpflichtungserklärungen zur Vertraulichkeit realisiert, andererseits durch den Ausschluss bestimmter Personen auf Seiten des Antragstellers von der Teilnahme an der Durchführung einer search order. Bei Anordnungen, die unter Partizipation des Antragsgegners ergehen (z. B. zur pre-action disclosure), ist die Bildung eines confidentiality club möglich. Die Verwertung der erlangten Informationen wird zunächst auf das bei Beantragung der Beweissicherungsmaßnahme anvisierte Hauptverfahren beschränkt. Der Schutz vertraulicher Informationen des An104  Kosten

der Antragstellung, insbesondere zwecks Erfüllung der full and frank disclosure; Kosten des supervising solicitors; zwingende Anordnung eines return dates; all dies bei generell hohen Anwaltsgebühren. 105  Cumming in Cumming/Freudenthal/Janal, Enforcement, S. 195 ff., 212.

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222

§ 6  Beweissicherungsmaßnahmen

tragsgegners lässt sich folglich flexibel in Abhängigkeit von der Bestätigung des Verdachts der Schutzrechtsverletzung gestalten.

C.  Umsetzung in Deutschland I.  Das selbständige Beweisverfahren 38

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Das traditionelle Instrument der Beweissicherung im deutschen Prozessrecht ist das selbständige Beweisverfahren. § 485 ZPO bietet die Grundlage für eine Zeugenvernahme, eine Einnahme des Augenscheins oder eine Begutachtung durch einen Sachverständigen vor Eröffnung des Hauptverfahrens bzw. während eines bereits anhängigen Verfahrens. Voraussetzung ist die Gefahr des Beweismittelverlusts bzw. der Erschwerung der Benutzung des Beweismittels. Fehlt es an einer solchen Gefahr, etwa weil der Antragsgegner ein hohes Eigeninteresse daran hat, die Dokumente für die Korrespondenz mit Behörden aufzubewahren,106 kann bei Vorliegen eines rechtlichen Interesses vor Einleitung eines Hauptverfahrens Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens erhoben werden, beispielsweise zur Abschätzung der Rechtslage und des Prozessrisikos. Die Beweiserheblichkeit für das spätere Hauptsacheverfahren oder die Erfolgsaussichten in der Sache sind für die Anordnung irrelevant. Der Antrag auf Beweisaufnahme im selbständigen Beweisverfahren muss den Antragsgegner, die zu beweisenden Tatsachen und die jeweiligen Beweismittel benennen.107 Auf die Angabe des Antragsgegners kann verzichtet werden, sofern der Antragsteller trotz der ihm zumutbaren Nachforschungen außerstande war, den Antragsgegner zu bezeichnen.108 Tatsachen, die die Zulässigkeit des Antrags belegen sollen, sind glaubhaft zu machen, §§ 487 Nr. 4, 494 I ZPO. Die Beweisaufnahme erfolgt nach den für das jeweilige Beweismittel geltenden Vorschriften. Der Antragsgegner soll hierzu geladen werden, und das Protokoll über die Beweisaufnahme wird bei Gericht aufbewahrt. Das Gesetz geht davon aus, dass die Beweise dem Gericht zugänglich sind; spezielle Vorlage- oder Duldungspflichten kennt das selbständige Beweisverfahren nicht. Kommt es zum Prozess in der Hauptsache, entfaltet die Beweisaufnahme im selbständigen Beweisverfahren die gleiche Wirkung wie eine 106  OLG Düsseldorf v. 21. 07. 2011 – I-2 W 23/11: Zulassungsunterlagen, an deren Aufbewahrung der Antragsgegner für weitere Korrespondenz mit der Zulassungsbehörde ein hohes Eigeninteresse hat; anders für gesetzliche Aufbewahrungspflichten LG München v. 20. 10. 2010 – 21 O 7563/10 – InstGE 13, 181 (186) (Arzneimittelherstellung). 107 §  487 Nr. 1–3 ZPO. Zur Substantiierung im Immaterialgüterrechtsprozess siehe Gniadek, Beweisermittlung, S. 154 ff. 108  § 494 ZPO. An die Zumutbarkeit der Nachforschung werden hohe Anforderungen gestellt, vgl. Huber in Musielak, ZPO, § 494 Rn. 1; Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Albers, § 494 Rn. 2, 4; Schreiber in MüKo ZPO, § 494 Rn. 1,



C.  Umsetzung in Deutschland

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Beweisaufnahme im Prozess.109 Dies bedeutet erstens, dass die wiederholte Vernehmung eines Zeugens oder eine erneute Beauftragung eines Sachverständigen nur unter den Voraussetzungen der §§ 398, 412 ZPO möglich ist.110 Zweitens lehnen deutsche Gerichte die Durchführung eines Beweissicherungsverfahrens gegebenenfalls ab, wenn sie nicht über die Zuständigkeit in der Hauptsache verfügen (näher infra Rn. 70).111 Angesichts der traditionell schwach ausgeprägten prozessualen Vorlagepflichten des deutschen Verfahrensrechts verwundert es nicht, dass die Bestimmungen über das selbständige Beweisverfahren keine Handhabe bieten, einen späteren Urkundenbeweis durch eine Vorlagepflicht des (späteren) Prozessgegners zu sichern oder die gerichtliche Inaugenscheinnahme eines in der Verfügungsgewalt des (späteren) Prozessgegners befindlichen Objekts mittels einer Duldungspflicht zu gewährleisten. Darüber hinaus setzt § 493 Abs. 2 ZPO eine Ladung des Gegners zum Beweistermin voraus, sofern das Ergebnis des Beweisverfahrens in einem anschließenden Prozess verwertet werden soll. Zur Umsetzung des Art. 7 Abs. 1 DRL ist das selbständige Beweisverfahren gem. §§ 485 ff. ZPO allein nicht geeignet.

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II.  Beweismittelsicherung im Wege der einstweiligen Verfügung Das Ziel, ein Beweismittel aus der Sphäre des späteren Prozessgegners vor der Vernichtung zu bewahren, lässt sich im Wege der einstweiligen Sicherung eines materiellrechtlichen Vorlage- bzw. Besichtigungsanspruchs verfolgen.

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1. Verfügungsanspruch Der Verfügungsanspruch ergibt sich aus den bereits in § 5 Rn. 50 ff. behandelten immaterialgüterrechtlichen Vorlageansprüchen (§  140c PatG, § 24cGebrMG, §§ 19a, 128, 135 MarkenG, 46a DesignG, § 37c SortenschutzG, § 9 Abs. 2 HalblSchG) oder aus § 809 BGB. Im Gegensatz zu § 809 BGB sprechen § 140c Abs. 3 PatG et al. explizit aus, dass die Vorlagepflicht im Wege der einstweiligen Verfügung angeordnet werden kann und das Gericht hierbei den Schutz vertraulicher Informationen zu gewährleisten habe. Im Rahmen der immaterialgüterrechtlichen Vorlage- und Besichtigungsansprüche bedarf es allerdings der Konkretisierung eines bestimmten Vorlage- oder Besichtigungsgegenstands. Eine Durchsuchung der Räumlichkeiten des Antragsgegners 109  Eine Verwertung ist auch möglich, sofern die Anordnungsvoraussetzungen der selbständigen Beweisaufnahme nicht vorlagen, vgl. Schreiber in MüKo ZPO, § 493 Rn. 2 m. w. N. 110  Huber in Musielak, ZPO, § 493 Rn. 4. 111  OLG Düsseldorf v. 07. 02. 2008 – I-20 W 152/07 – InstGE 9, 41 (45 ff.) (Schaumstoffherstellung); OLG Köln v. 12. 04. 2011 – 5 W 11/11 – MedR 2012, 125 (126); ebenso Kühnen, HdB PatV, Rn. 374.

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§ 6  Beweissicherungsmaßnahmen

nach nicht näher spezifizierten, inkriminierenden Gegenständen, wie dies im Rahmen der search order möglich ist, erlaubt das deutsche Recht nicht.112 Da der Anspruch auf Besichtigung keine Überzeugung des Gerichts vom Vorliegen der Schutzrechtsverletzung voraussetzt, sondern lediglich einen gewissen Grad an hierfür sprechender Wahrscheinlichkeit, bedarf es auch im einstweiligen Verfügungsverfahren lediglich der Glaubhaftmachung eines gewissen Wahrscheinlichkeitsgrades.113

2. Verfügungsgrund 43

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Eine gesetzliche Vermutung für das Vorliegen eines Verfügungsgrundes enthalten § 140c Abs. 3 PatG et al. nicht. Der Antragsteller hat deshalb glaubhaft zu machen, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Realisierung der Beweismittelvorlage vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Im Gegensatz zu Unterlassungsverfügungen hindert ein Zuwarten mit dem Besichtigungsantrag in Kenntnis des Verletzungsverdachts das Vorliegen eines Verfügungsgrundes nicht.114 Für die Interessenabwägung bei der einstweiligen Vorlage- oder Besichtigungsverfügung ist es nicht entscheidend, ob es dem Antragsteller angesichts seiner ohnehin zögerlichen Rechtsverfolgung zuzumuten ist, auf das Hauptsacheverfahren verwiesen zu werden. Vielmehr ist maßgeblich, ob Hinweise auf einen drohenden Beweismittelverlust bestehen, insbesondere ob eine Gefahr der Beweismittelvernichtung oder -verschleierung durch den Antragsgegner existiert, welcher durch eine ex parte ergehende einstweilige Verfügung auf Vorlage oder Besichtigung des betreffenden Gegenstands begegnet werden kann.115 In Rechtsprechung und Schrifttum wird vielfach argumentiert, es sei grundsätzlich von einer bestehenden Gefahr der Beweismittelvernichtung auszugehen, da Manipulationen am Vorlage- bzw. Besichtigungsgegenstand nie ausgeschlossen werden könnten.116 Teils wird auch vertreten, im Sinne einer 112 

BGH v. 13. 11. 2003 – I ZR 187/01 – GRUR 2004, 420 (421) (Kontrollbesuch), zu § 809 BGB; siehe ferner § 5 Rn. 57 m. w. N. 113  OLG Frankfurt v. 10. 06. 2010 – 15 U 192/09 – BeckRS 2011, 18385. Zur Frage, ob eine ex parte-Verfügung angesichts der Komplexität des technischen Sachverhalts und der mangelnden Expertise des angerufenen Gerichts auf dem betreffenden Sachgebiet abgelehnt werden kann, siehe bejahend OLG Frankfurt v. 04. 05. 2011 – 6 W 36/11 – InstGE 13, 254 (255) (komplexes Herstellungsverfahren); verneinend Kühnen, HdB PatV, Rn. 316. 114 OLG Düsseldorf v.  30. 03. 2010  – I-20 W 32/10  – Mitt. 2011, 151 (Zuwarten mit Besichtigungsantrag); OLG Frankfurt v.  10. 06. 2010  – 15 U 192/09  – BeckRS 2011, 18385; Müller-Stoy, jurisPR-WettbR 10/2010 Anm. 5; a. A. OLG Hamm v.  20. 08. 2009  – I-4 W 107/09 – ZUM-RD 2010, 27 f.; Eck/Dombrowski, GRUR 2008, 387 (393). 115  BT-Drucks. 16/5048, S. 28; OLG Düsseldorf v.  30. 03. 2010  – I-20 W 32/10  – Mitt. 2011, 151 (Zuwarten mit Besichtigungsantrag); Müller-Stoy, jurisPR-WettbR 10/2010 Anm. 5. 116  OLG Düsseldorf v. 30. 03. 2010 – I-20 W 32/10 – Mitt. 2011, 151 (Zuwarten mit Besichtigungsantrag); OLG Düsseldorf v. 17. 03. 2011 – I-2 W 5/11 – GRUR-RR 2011, 289 (290)



C.  Umsetzung in Deutschland

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richtlinienkonformen Auslegung des § 140c PatG et al. sei das Vorliegen eines Verfügungsgrundes zu fingieren.117 Diese Auffassung vermag nicht zu überzeugen. Eine widerlegliche Vermutung des Verfügungsgrundes ist im Wortlaut des § 140c Abs. 3 PatG et al. nicht angelegt, denn dieser verweist allgemein auf §§ 935 bis 945 ZPO, ohne einen Verzicht auf die Glaubhaftmachung des Verfügungsgrundes entsprechend § 12 Abs. 2 UWG anzuordnen.118 Aus der Begründung des Gesetzesentwurfs ergibt sich, dass der Gesetzgeber am Erfordernis einer Glaubhaftmachung des Verfügungsgrundes festhalten wollte.119 Nach hier vertretener Auffassung bedarf es der Fiktion eines Verfügungsgrundes auch nicht, um die Richtlinienkonformität des § 140c Abs. 3 PatG et al. herzustellen, da Art. 7 Abs. 1 DRL die Mitgliedstaaten nur zur Bereithaltung von Beweissicherungsmaßnahmen im Falle eines Beweismittelverlusts verpflichtet.120 Schließlich entspricht die Vermutung, bei jeder Behauptung einer Schutzrechtsverletzung drohe ein Beweismittelverlust, nicht der Realität.121 Es gibt zahlreiche publizierte Entscheidungen, bei denen über das Bestehen eines Vorlage- bzw. Besichtigungsanspruchs im Hauptsacheverfahren entschieden wurde.122 Das Risiko einer Beweismittelvernichtung liegt in zahlreichen Fällen eher fern – etwa wenn es sich bei dem Antragsgegner um ein Unternehmen (Später Besichtigungsantrag); LG Kassel v. 10. 09. 2009 – 1 O 527/09 (unveröffentlicht), zustimmend berichtet bei Kreye in FS Meibom, S. 247; wohl auch LG München v. 20. 10. 2010 – 21 O 7563/10 – InstGE 13, 181 (187) (Arzneimittelherstellung); Oldekop in Schramm, Patentverletzungsprozess, Kap. 9 Rn. 148. 117  Fezer, MarkenR, §  19a MarkenG Rn. 43: „Richtlinienoptimierende Auslegung“; ebenso Kühnen, HdB PatV, Rn. 359 unter Bezugnahme auf dens., GRUR 2005, 185 (194). 118  OLG Köln v. 09. 01. 2009 – 6 W 3/09 – CR 2009, 289 (Besichtigungsanspruch im Eilverfahren); OLG Karlsruhe v.  18. 05. 2010  – 6 W 28/10  – BeckRS 2011, 18386; Hacker in Ströbele/Hacker, MarkenG, § 19a Rn. 30. Ebenso, wenn auch mit rechtspolitischer Kritik verbunden, Fezer, MarkenR, § 19a MarkenG Rn. 41. 119  BT-Drucks. 16/5048, S. 28. 120  Supra § 6 Rn. 5 ff. Wie hier OLG Köln v. 09. 01. 2009 – 6 W 3/09 – CR 2009, 289 (Besichtigungsanspruch im Eilverfahren); BT-Drucks. 16/5048, S. 28; Stadler in FS Leipold, S. 207; Amschewitz, DRL, S. 131, 356 f.; Peukert/Kur, GRUR Int. 2006, 292 (300); Dörre/Maaßen, GRUR-RR 2008, 217 (221); Eck/Dombrowski, GRUR 2008, 387 (393); a. A. Kühnen, GRUR 2005, 185 (194); Tilmann, GRUR 2005, 737 (738); Spindler/Weber, ZUM 2007, 257 (264); Koch, ITRB 2006, 40 (41); Götz, Informationsbeschaffung, S. 249. 121  Zutreffend OLG Köln v.  09. 01. 2009  – 6 W 3/09  – CR 2009, 289 f. (Besichtigungsanspruch im Eilverfahren). 122  Siehe beispielhaft die Entscheidungen BGH v. 02. 05. 2002 – I ZR 45/01 – GRUR 2002, 1046 (1049) (Faxkarte); BGH v. 01. 08. 2006 – X ZR 114/03 – GRUR 2006, 962 (966 f.) (Restschadstoffentfernung); BGH v. 18. 12. 2012 – X ZR 7/12 – GRUR 2013, 316 (318) (Rohrmuffe); OLG München v. 20. 09. 2007 – 6 U 3231/00 ; LG Düsseldorf v. 08. 03. 2007 – 4b O 230/04 – InstGE 8, 103 (107) (Etikettiermaschine). Auch die englischen Erfahrungen mit einer im Rahmen der disclosure erfolgenden Beschreibung des vermeintlich schutzrechtsverletzenden Gegenstands gemäß 63 PD 6.1(1)(a) sind positiv, vgl. hierzu Rothstein/Holderman/ Flloyd/Pickard in Ng/Bently/D’Agostino, Common Law of IP, S. 107.

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§ 6  Beweissicherungsmaßnahmen

mit hoher Reputation handelt oder wenn die Besichtigung einer angeblich patentverletzenden Maschine beantragt wurde, die aufgrund ihrer Größe oder Betriebswesentlichkeit nicht einfach beiseite geschafft werden kann. Wenig überzeugend ist auch das Argument, der Besichtigungsschuldner könne das Ziel der Besichtigung vereiteln, indem er die zu besichtigende Vorrichtung bzw. das zu besichtigende Verfahren abändere.123 Wüsste der Antragsgegner um eine alternative, nicht schutzrechtsverletzende Konstruktion bzw. ein solches Verfahren, so würde er dieses regelmäßig nicht erst zur Vertuschung einer erfolgten Verletzungshandlung einsetzen, sondern von vorneherein auf die Schutzrechtsverletzung verzichten. Der Antragsteller hat deshalb den Verfügungsgrund der drohenden Beweismittelvernichtung glaubhaft zu machen.

3.  Vorwegnahme der Hauptsache 47

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Gemäß § 140c Abs. 3 PatG et al. kann die Vorlage oder Besichtigung im Wege der einstweiligen Verfügung angeordnet werden. Die Vorwegnahme der Hauptsache steht der Anordnung im einstweiligen Rechtsschutz somit nicht grundsätzlich entgegen.124 Rechtspolitisch ist dies nicht unumstritten, denn soweit Art. 7 Abs. 1 DRL als reine Beweissicherungsmaßnahme verstanden wird, gebietet die Richtlinie diese Abkehr von einem tragenden Grundsatz des einstweiligen Rechtsschutzes nicht.125 Das entscheidende Gericht ist allerdings durch § 140c Abs. 3 PatG et. al. nicht gebunden, eine Erfüllung des Vorlage- bzw. Besichtigungsanspruchs bereits im Eilverfahren anzuordnen.126 Vielmehr erlaubt § 938 Abs. 1 ZPO eine Ermessensentscheidung anhand der Parteiinteressen im Einzelfall. Zu berücksichtigen ist hierbei, dass die Freigabe der Informationen an den Schutzrechtsinhaber sowohl die Entscheidung des Schutzrechtsinhabers über die Klageerhebung als auch eine substantiierte Klagebegründung durch den Schutzrechtsinhaber im nachfolgenden Verletzungsprozess erleichtert.127 Sie unterstützt gegebenenfalls auch Bemühungen der Parteien, vor Anhängigkeit 123  So aber LG Kassel v.  10. 09. 2009  – 1 O 527/09 (unveröffentlicht), zustimmend berichtet bei Kreye in FS Meibom, S. 247; Mes, PatG/GebrMG, § 140c PatG Rn. 32. 124  BT-Drucks. 16/5048, S. 28 125  Supra Rn. 5 ff.; kritisch z. B. Peuckert/Kur, GRUR Int. 2006, 292 (301 f.). 126 Beispiele zur fehlenden Erforderlichkeit einer Vorwegnahme der Hauptsache bei Peukert/Kur, GRUR Int. 2006, 292 (301). Der Gesetzgeber ist den verschiedentlich im Schrifttum geäußerten Forderungen, das Hauptsacheverfahren entsprechend des presserechtlichen Gegendarstellungsanspruchs in den Gesetzen der Länder auszuschließen, nicht gefolgt (für einen Ausschluss des Hauptsacheverfahrens GRUR-Stellungnahme, GRUR 2005, 747; Ahrens, GRUR 2005, 837 (838); Tilmann in FS Ullmann, S. 1015; a. A. Spindler/Weber,, ZUM 2007, 257 (266)). 127  Spindler/Wiebe, MMR 2006, 711; Tilmann, GRUR 2005, 737 (738); Ahrens, GRUR 2005, 837 (838); Nägele/Nitsche, WRP 2007, 1047 (1052); Koch, ITRB 2006, 40 (41); Amschewitz, DRL, S. 358 f.; v. Hartz, ZUM 2005, 376 (377).



C.  Umsetzung in Deutschland

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bzw. in einem frühen Stadium des Verletzungsprozesses eine gütliche Einigung zu erzielen. Schließlich können die dergestalt erlangten Beweismittel Grundlage einer auf die behauptete Rechtsverletzung gestützten Unterlassungsverfügung sein. Andererseits hat das Gericht zu bedenken, dass eine Erfüllungsverfügung, deren Rechtsbewährung im ordentlichen Prozess noch aussteht, im Hinblick auf sensible Daten einen deutlichen Eingriff in die durch Art. 12 GG geschützten Geschäftsinteressen des Antragsgegners bedeutet – zumal das Gesetz keine Vorkehrungen für den Fall trifft, dass die vertraulichen Informationen vom Antragsteller zu Unrecht erlangt werden.128 Nicht überzeugen kann in diesem Kontext das häufig geäußerte Argument, aufgrund des vorbereitenden Charakters des Vorlage- bzw. Besichtigungsanspruchs sei die Vorwegnahme der Hauptsache zu vernachlässigen, da jedenfalls der Hauptanspruch nicht vorweggenommen werde.129 Für den Besichtigungsschuldner, dessen geheimes Know-how im Wege der Erfüllungsverfügung an einen Konkurrenten offenbart wurde, ist es ein schwacher Trost, dass er im Verletzungsprozess nicht zu Schadensersatz verurteilt wird. Wird die Vorlage- oder Besichtigungsanordnung auf § 809 BGB gestützt, ist nach wohl herrschender Auffassung das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache aufrecht zu erhalten. Eine Herausgabe des Sachverständigen-Gutachtens oder gegebenenfalls kopierter Dokumente erfolgt erst nach Zuspruch des Vorlageanspruchs in der Hauptsache.130

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4.  Inhalt und Durchsetzung der Verfügung Das Gericht bestimmt gemäß § 938 Abs. 1 ZPO nach freiem Ermessen, welche Maßnahme zum Ziel der Beweismittelsicherung erforderlich ist. Einzeln oder in Kombination kommen v. a. folgende Inhalte der Verfügung in Betracht:131 1. Ein an den Besichtigungsschuldner gerichtetes Verbot, die Vorlage- bzw. Besichtigungsgegenstände eigenmächtig zu verändern.

128 

Peukert/Kur , GRUR Int. 2006 , 292 (301); Frank/Wiegand, CR 2007, 481 (485). aber LG Nürnberg-Fürth v. 26. 5. 2004 – 3 O 2524/04 – MMR 2004, 627 (628 f.); Tilmann, GRUR 2005, 737 (738); v. Hartz, ZUM 2005, 376 (381); Nägele/Nitsche, WRP 2007, 1047 (1053). 130 KG v.  11. 08. 2000  – 5 U 3069/00  – GRUR-RR 2001, 118 (119); OLG Frankfurt v.  17. 01. 2006  – 11 W 21/05  – GRUR-RR 2006, 295 (296 f.); Spindler/Weber, MMR 2006, 711 (712); Stadler, ZZP 123 (2010), 261 (269 m. Fn. 39); Huber in Musielak, ZPO, § 940 Rn. 21; Gniadek, Beweisermittlung, S. 113 ff., 116 m. w. N., auch zur Gegenauffassung. A. A. LG Nürnberg-Fürth v. 26. 5. 2004 – 3 O 2524/04 – MMR 2004, 627 (628 f.); Tilmann, GRUR 2005, 737 (738); Fezer, MarkenR, § 19a MarkenG Rn. 55. 131  Vgl. die Musteranordnung bei Kühnen, HdB PatV, Rn. 378. 129  So

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§ 6  Beweissicherungsmaßnahmen

2. Die Sicherstellung von Urkunden, angeblich schutzrechtsverletzenden Gegenständen bzw. Hilfsmitteln zu deren Herstellung durch Verwahrung durch den Gerichtsvollzieher, nötigenfalls auch durch Sequestration.132 3. Die Anordnung der Herausgabe des Beweismittels an den Besichtigungsgläubiger. 4. Die Anordnung der Duldung der Besichtigung eines Gegenstands in den Räumlichkeiten des Besichtigungsschuldners durch einen zur Verschwiegenheit verpflichteten Dritten (insbesondere eines Parteigutachters), ggf. in Anwesenheit eines (patent)anwaltlichen Vertreters des Besichtigungsgläubigers. 5. Die Anordnung, während der Dauer der Besichtigung keine Veränderungen vorzunehmen. 6. Beschränkungen zwecks Realisierung des Geheimnisschutzes.133 52

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Einen Anspruch auf Besichtigung durch einen gerichtlich bestellten Sachverständigen vermitteln § 140c PatG et al. als solche nicht.134 Für den Antragsteller ist dies misslich, können die Wahrnehmungen und die Expertise eines Parteigutachters doch allenfalls als qualifizierter Parteivortrag bzw. als Aussage eines sachverständigen Zeugens in den Prozess eingeführt werden. Anordnungen gegenüber einem nicht passivlegitimierten Dritten kommen vorprozessual nicht in Betracht. Verpflichtet die einstweilige Verfügung den Schuldner vorläufig zur Vorlage oder Duldung, erfolgt die Vollstreckung der Verfügung nach § 883 ZPO analog bzw. nach §§ 890, 892, 758 Abs. 3 ZPO.135 Dem Antragsteller ist zu raten, vorsorglich eine Durchsuchungsanordnung gemäß § 758a ZPO beim Amtsgericht am Ort der zu durchsuchenden Räumlichkeiten zu beantragen.136 Nur in Ausnahmefällen dürfte die durch den Antrag auf Erlass der Durchsuchungsanordnung bewirkte Verzögerung den Erfolg der Durchsuchung gefährden137 und aufgrund von Gefahr im Verzug eine Durchsuchungsanordnung entbehrlich 132  Zur Abgrenzung zwischen Verwahrung und Sequestration siehe KG v. 30. 05. 1986 – 1 W 6170/85 – NJW-RR 1987, 574; Grunsky in Stein/Jonas, ZPO, § 938 Rn. 21; Drescher in MüKo ZPO, § 938 Rn. 29 f. 133  Ausführlich supra § 5 Rn. 65 ff. 134  Pitz in Fitzner/Lutz/Bodewig, PatR, § 140c PatG Rn. 52. 135  Supra § 5 Rn. 63 m. w. N. 136  §§ 758a Abs. 1 S. 1, 802 ZPO. Einer Durchsuchungsanordnung bedarf es nicht, soweit die Anordnung den Schuldner verpflichtet, dem Gläubiger Zutritt zu seinen Räumlichkeiten zu verschaffen und dort die Vornahme der Besichtigung zu dulden, ohne dass eine ziel- und zweckgerichtete Suche nach dem Besichtigungsgegenstand erforderlich wäre, vgl. Gniadek, Beweisermittlung, S. 128; Heßler in MüKo ZPO, § 758a Rn. 47. Dies dürfte freilich die Ausnahme darstellen, siehe Kühnen, HdB PatV, Rn. 379; Grabinski in FS Mes, S. 137 ff. Zur Taktik bei der Koordination der Anträge siehe Oldekop in Schramm, Patentverletzungsprozess, Kap. 9 Rn. 170. 137  BVerfG v. 03. 04. 1979 – 1 BvR 994/76 – NJW 1979, 1539 (1540).



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machen.138 Der Vorschlag im Schrifttum, die Zuständigkeit des Verfügungsgerichts für eine ergänzende Durchsuchungsanordnung gemäß § 758a ZPO zu begründen,139 fand im Gesetzgebungsprozess kein Gehör.

III.  Verfahrenskombination in der „Düsseldorfer Praxis“ 1.  Grundzüge des Düsseldorfer einstweiligen Besichtigungsverfahrens Das selbständige Beweisverfahren ermöglicht eine vorprozessuale Beweisaufnahme, vermittelt aber keinen Zugang zu Beweismitteln in der Sphäre des Antragsgegners. Demgegenüber gewährt eine einstweilige Verfügung auf Befriedigung eines Vorlage- oder Besichtigungsanspruchs den vorprozessualen Zugang zu Beweismitteln aus der Sphäre der gegnerischen Partei, ohne die Verwertung eines im Zuge der Besichtigung erstellten Sachverständigengutachtens sicherzustellen. Die so genannte „Düsseldorfer Praxis“ sucht die Stärken der beiden Verfahrensarten zu vereinen, indem in zwei getrennten, aber sachlich aufeinander bezogenen Verfahren140 1. im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes eine Anordnung auf Vorlage eines Beweismittels bzw. Duldung der Besichtigung durch einen namentlich bezeichneten Sachverständigen ergeht sowie 2. die Beweiserhebung durch Einholung des Gutachtens desselben Sachverständigen im Wege des selbständigen Beweisverfahrens angeordnet wird.

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Diese Vorgehensweise gewährleistet, dass die Erkenntnisse des zur Verschwiegenheit verpflichteten Dritten im späteren Verletzungsprozess als Sachverständigenbeweis verwertbar sind und nicht lediglich als Parteigutachten gewürdigt werden.141 Der Gutachter wird regelmäßig durch den Antragsteller benannt und vom Gericht für die Durchführung der Besichtigung und die anschließende Begutachtung bestellt.142 Der Schutz vertraulicher Interessen wird durch eine zweistufige Vorgehensweise realisiert, d. h. erstens einer ex parte erfolgenden Anordnung der Besichtigung durch den Sachverständigen sowie

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138  Kather/Fitzner, Mitt. 2010, 325 (328); a. A. Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 18 Rn. 38. Laut Kather/Fitzner, Mitt. 2010, 325 (328) unterliegen Gerichtsvollzieher in der Praxis oftmals dem Irrtum, dass mit dem Besichtigungsbeschluss des Landgerichts bereits eine Durchsuchungsanordnung vorliege. 139  Tilmann, GRUR 2005, 737 (739). 140  BGH v. 16. 11. 2009 – X ZB 37/08 – GRUR 2010, 318 (319) (Lichtbogenschnürung); OLG Frankfurt v.  10. 06. 2010  – 15 U 192/09  – BeckRS 2011, 18385; OLG Frankfurt v.  04. 05. 2011  – 6 W 36/11  – InstGE  13, 254 f. (komplexes Herstellungsverfahren); OLG Düsseldorf v. 21. 07. 2011 – I-2 W 23/11. 141 Ohne Kombination mit dem selbständigen Beweisverfahren ist eine Sachverständigenbestellung nicht zulässig, da die Schutzrechtsverletzung im Rahmen eines isolierten Rechtsstreits über den Vorlage- bzw. Besichtigungsanspruch nicht beweiserheblich ist. 142 Näher Kather/Fitzner, Mitt. 2010, 325 (329 ff.).

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zweitens einem späteren Verfahrensabschnitt (sog. Freigabeverfahren), in dem über die Freigabe des Sachverständigengutachtens gegenüber dem Antragsteller entschieden wird.143 Die Durchführung der Besichtigung erfolgt unter der Ägide des Gutachters.144 Er weist den Antragsgegner auf die Möglichkeit hin, einen anwaltlichen Vertreter hinzuzuziehen, wofür ihm nach der Praxis des LG Düsseldorf regelmäßig ein Zeitraum von zwei Stunden eingeräumt wird. Soweit der Gerichtsbeschluss dies vorsieht, sind (patent)anwaltliche Vertreters des Besichtigungsgläubigers zur Anwesenheit berechtigt und dem Gutachter die Benutzung von Fotoapparaten und/oder Diktiergerät erlaubt. Der Gerichtsvollzieher ist lediglich für die Zustellung der beiden Beschlüsse (im selbständigen Beweisverfahren / der einstweiligen Verfügung präsent.

2.  Kritik des Düsseldorfer einstweiligen Besichtigungsverfahrens 56

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Die Verquickung von selbständigem Beweisverfahren und einstweiligen Verfahren über den Besichtigungsanspruch ist angesichts der beiden Verfahren innewohnenden Beschränkungen grundsätzlich zu begrüßen,145 wirft aber – neben den bereits in § 5 Rn. 65 ff. angesprochenen Schwächen der Gestaltung des Geheimnisschutzes – eine Reihe von Fragen auf. Dies betrifft zum einen die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts für beide Verfahren. Für die Anordnung des selbständigen Beweisverfahrens ist nach § 486 Abs. 2 ZPO das Gericht der Hauptsache, d. h. des Verletzungsprozesses, zuständig. Für Schutzrechtsverletzungen kann hierbei auf den Gerichtsstand der unerlaubten Handlung gemäß § 32 ZPO bzw. Art. 7 Nr. 2 EuGVO (2012) zurückgegriffen werden. Bei einer Mehrzahl von behaupteten Verletzungshandlungen an verschiedenen Orten wird dem Kläger eine Auswahl zwischen verschiedenen Gerichtsständen eröffnet. Nach § 937 Abs. 1 ZPO ist für den Erlass der Vorlage- bzw. Besichtigungsanordnung zwar gleichfalls das Gericht der Hauptsache zuständig, doch handelt es sich hierbei nicht um das Gericht des Verletzungsprozesses, sondern um das Gericht, welches in der Hauptsache über den Vorlage- bzw. Besichtigungsanspruch zu entscheiden hätte.146 Eine regelmäßige Zuständigkeitsidentität für beide Verfahren besteht nur, sofern die Klage auf Vorlage bzw. Besichtigung als eine Klage aus unerlaubter Hand143 

Näher supra § 5 Rn. 72 ff. Siehe zum Folgenden ausführlich Kather/Fitzner, Mitt. 2010, 325 (329 ff.). 145  Kritisch hingegen Gniadek, Beweisermittlung, S. 145 f.: Die Neuschöpfung entbehre einer gesetzlichen Eingriffsgrundlage und kombiniere isoliert die Vorzüge der jeweiligen Verfahren unter Missachtung der nach dem Willen des Gesetzgebers vorgesehenen Sicherungsmittel. 146  A. A. Kühnen, HdB PatV, Rn. 368 ff.; Kather/Fitzner, Mitt. 2010, 325 (328): „Hauptsache“ meine den Anspruch wegen mutmaßlicher Patentverletzung, der mit der Beweismaßnahme geklärt werden solle; ebenso wohl Mes, PatG/GebrMG, § 140c PatG Rn. 29. 144 



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lung i. S. d. § 32 ZPO qualifiziert wird, was in Rechtsprechung und Literatur kaum thematisiert wird,147 aber wohl zu bejahen ist.148 Gleichfalls ist nicht ausreichend beleuchtet, welche Rechtsschutzmöglichkeiten gegen Maßnahmen eines Düsseldorfer Besichtigungsverfahrens bestehen. Der Beschluss über einen Antrag auf ein selbständiges Beweisverfahren ist gem. § 490 Abs. 2 S. 2 ZPO grundsätzlich nicht anfechtbar; gegenüber einer im Beschlusswege ergangenen einstweiligen Verfügung ist der Rechtsbehelf des Widerspruchs gegeben, §§ 936, 924 ZPO. Bei Kombination beider Verfahrensarten erachtet die Rechtsprechung den Antrag auf Duldung der Besichtigung nach Durchführung der Besichtigung durch den Sachverständigen für erledigt, und zwar unabhängig von der Freigabe des Sachverständigengutachtens.149 Demgegenüber soll der Beschluss über die Freigabe des Sachverständigengutachtens trotz § 490 Abs. 2 S. 2 ZPO der sofortigen Beschwerde gemäß § 567 Abs. 1 Ziff. 2 ZPO unterliegen.150 Diese Betrachtungsweise ist wenig überzeugend. Die Entscheidung über die Freigabe des Sachverständigengutachtens ist eine Entscheidung über die Art der Beschränkung des Besichtigungsanspruchs,151 die endgültig im Hauptsacheverfahren über den Besichtigungsanspruch zu fällen wäre.152 Sofern der Besichtigungsanspruch nicht im einstweiligen Verfügungsverfahren, sondern im Klagewege geltend gemacht wird, wird die Duldung der Besichtigung des Gegenstands bzw. Verfahrens durch einen vom Gericht bestellten Sachverständigen durch Teil- und Grundurteil zugesprochen und durch nachfolgendes Schlussurteil über die Aushändigung des nach Besichtigung erstellten Sachverständigengutachtens entschieden.153 Es widerspricht der materiellrechtlichen Konzeption des Besichtigungsanspruchs, die Freigabe des Sachverständigen147 Knapp

Mes, PatG/GebrMG, § 140c PatG Rn. 28 Zu Art. 7 Nr. 2 EuGVO (2012) siehe § 10 Rn. 138. 149  OLG Frankfurt v. 10. 06. 2010 – 15 U 192/09 – BeckRS 2011, 18385; Kühnen, Mitt. 2009, 211 (217); ders., HdB PatV, Rn. 418. 150  BGH v. 16. 11. 2009 – X ZB 37/08 – GRUR 2010, 318 (319) (Lichtbogenschnürung); OLG Düsseldorf v. 19. 09. 2007 – I-2 W 21/07 – BeckRS 2008, 07989; Kühnen, GRUR 2005, 185 (193); ders., HdB PatV, Rn. 413. 151  So etwa OLG München v. 03. 01. 2011 – 6 W 2007/10 (Lesevorrichtung für Reliefmarkierungen II) . Gegen eine Erledigung des Besichtigungsantrags spricht ferner, dass der Gesetzgeber die Durchführung des Hauptsacheverfahrens nach Vollstreckung einer Besichtigungsverfügung nicht ausgeschlossen hat. Siehe für einen Ausschluss entsprechend des presserechtlichen Gegendarstellungsanspruchs in den Gesetzen der Länder GRUR-Stellungnahme, GRUR 2005, 747; Ahrens, GRUR 2005, 837 (838); Tilmann in FS Ullmann, S. 1015; a. A. Spindler/Weber,, ZUM 2007, 257 (266) 152 Zu Rechtsschutzfragen siehe ausführlich Eck/Dombrowski, GRUR 2008, 387  ff.; Zöllner, GRUR-Prax 2010, 74 (77 ff.); Oldekop in Schramm, Patentverletzungsprozess, Kap. 9 Rn. 175 ff.; ferner Stadler, ZZP 123 (2010), 261 (271); Gniadek, Beweisermittlung, S. 146. 153  Vgl. LG Düsseldorf v. 08. 03. 2007 – 4b O 230/04 – InstGE 8, 103 (107) (Etikettiermaschine); Kühnen, HdB PatV, Rn. 357; Pitz in Fitzner/Lutz/Bodewig, PatR, § 140c PatG Rn. 34. 148 

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§ 6  Beweissicherungsmaßnahmen

gutachtens bei einer Kombination von einstweiliger Besichtigungsverfügung und selbständigem Beweisverfahren als prozessualen Streitpunkt einzuordnen, der mittels einer Beschwerde anzufechten ist. Zuzugestehen ist freilich, dass die von der Rechtsprechung favorisierte Lösung den Vorteil eines dreistufigen Instanzenzugs für sich hat, während im einstweiligen Verfügungsverfahren gegen das Verfügungsurteil nur die Berufung gegeben ist.

IV.  Ex parte-Anordnungen 1.  Beweissicherung ohne Anhörung des Antragsgegners 60

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Sowohl das selbständige Beweisverfahren als auch die Vorlage bzw. Besichtigung potentieller Beweismittel im Wege der einstweiligen Verfügung können ohne Beteiligung des Antragsgegners angeordnet werden. Soweit ein Verfügungsgrund wegen drohender Beweismittelvernichtung oder -verschleierung besteht, kann auf die mündliche Verhandlung im einstweiligen Verfügungsverfahren gemäß § 937 Abs. 2 ZPO verzichtet werden, da Maßnahmen zur Vorbeugung einer Beweismittelvereitelung ohne Überraschungseffekt sinnlos wären.154 Erfordert die Besichtigung das Betreten eines Betriebsgeländes, ist aufgrund des Eingriffs in den Schutzbereich des Art. 13 GG eine fehlende Anhörung des Anordnungsgegners nur bei Gefahr im Verzug vertretbar.155 Nach der Rechtsprechung des OLG Frankfurt muss der Antragsteller bei fehlender Anhörung des Antragsgegners zudem das Risiko hinnehmen, dass das Gericht aufgrund des komplexen technischen Sachverhalts und fehlender eigener Expertise eine hinreichende Verletzungswahrscheinlichkeit als nicht glaubhaft gemacht ansieht.156 Auch der Durchführung eines selbständigen Beweisverfahren steht nach § 491 Abs. 2 ZPO die fehlende Präsenz der anderen Partei nicht entgegen, doch ist eine Verwertung der Ergebnisse des selbständigen Beweisverfahrens im anschließenden Verletzungsprozess nur zulässig, wenn der Gegner entweder beim Termin präsent oder rechtzeitig geladen war, § 493 Abs. 2 ZPO. Eine überraschende Einnahme des Augenscheins durch das Gericht ohne Beteiligung des Gegners kann aufgrund des Prinzips der Parteiöffentlichkeit nicht verwertet werden, sofern der Gegner den Verfahrensfehler rügt.157 Dem Rech154  Leppin, GRUR 1984, 695 (707); Amschewitz, DRL, S. 243; Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 19a Rn. 22. 155 Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit des (erzwungenen) Wohnungseintritts eines Sachverständigen zu zivilprozessualen Zwecken siehe BVerfG v.  05. 05. 1987  – 1 BvR 1113/85 – NJW 1987, 2500 (2501); ferner BVerfG v. 21. 08. 2009 – 1 BvR 2104/06 – FamRZ 2009, 1814 (1816). 156  OLG Frankfurt v. 04. 05. 2011 – 6 W 36/11 – InstGE 13, 254 (255) (komplexes Herstellungsverfahren); hierzu kritisch Kühnen, HdB PatV, Rn. 316. 157  §§ 357 Abs. 1, 295 ZPO.



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teinhaber bleibt nur das Ausweichen auf den Beweis durch die Aussage eines (sachverständigen) Zeugen, der den Gegenstand gleichfalls besichtigt hat. Da Art. 7 Abs. 1 DRL die zu ergreifenden Beweissicherungsmaßnahmen nicht genau definiert, dürfte diese Option den Anforderungen der Richtlinie genügen, obgleich sie in Anbetracht des deutschen Prozessgrundsatzes der Unmittelbarkeit nicht zufriedenstellend ist. Für die vorliegende Untersuchung von höherem Interesse ist die Frage, ob die fehlende Ladung des Antragsgegners zu dem (überraschenden) Besichtigungstermin des gerichtlich bestellten Sachverständigen einer Verwertung des Sachverständigengutachtens im Prozess entgegensteht, wenn der Antragsgegner nicht zufällig präsent war. Nach herrschender Auffassung findet der Grundsatz der Parteiöffentlichkeit gemäß § 357 ZPO auf außergerichtliche Tatsachenfeststellungen eines Sachverständigen prinzipiell analoge Anwendung.158 Wie sich aus § 404a Abs. 4 ZPO ergibt, gilt dieses Prinzip freilich nicht absolut.159 Eine Relativierung erscheint aus verschiedenen Gründen angemessen, sofern der gewünschte Überraschungseffekt durch die Ladung des Antragsgegners vereitelt würde.160 Erstens vermögen die Parteien ihre Interessen während der Beweisaufnahme vor Gericht wahrzunehmen: Einem Antrag auf mündliche Erläuterung des Gutachtens durch den Sachverständigen hat das Gericht stets zu entsprechen, auch wenn das Gutachten in einem vorangegangenen selbständigen Beweisverfahren erstattet wurde.161 Zweitens besteht die Möglichkeit einer erneuten Begutachtung durch einen anderen Sachverständigen gemäß § 412 ZPO, sofern der Antragsgegner die Beweisobjekte nicht zerstört hat und die erste Begutachtung ungenügend erscheint. Schließlich bleibt der Grundsatz der Waffengleichheit selbst dann gewahrt, wenn der Besichtigungsschuldner an der überraschenden Besichtigung nicht teilnimmt, da der Antragsteller auf seine Partizipationsrechte präventiv verzichtet.162 158 OLG

München v.  03. 11. 1983  – 24 U 185/83  – NJW 1984, 807 f.; OLG Köln v.  03. 05. 1995  – 19 U 153/93  – NJW-RR 1996, 1277; Gniadek, Beweisermittlung, S. 159 f.; Berger in Stein/Jonas, ZPO, § 357 Rn. 9; Huber in Musielak, ZPO, § 404a Rn. 6; Heinrich in MüKo ZPO, § 357 Rn. 8; Greger in Zöller, ZPO, § 402 Rn. 5a „nach Sachlage“; a. A. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, § 493 ZPO Rn. 2. 159  Vgl. BVerwG v. 12. 04. 2006 – 8 B 91/05 – NJW 2006, 2058: Wegen des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs und des fairen Verfahrens kann das Gericht im Regelfall sein Ermessen nur dadurch ordnungsgemäß ausüben, dass es dem Sachverständigen aufgibt, die Teilnahme der Beteiligten zu gestatten. 160  Zur möglichen Einschränkung der Anwesenheitsrechte der Parteien siehe Berger in Stein/Jonas, ZPO, § 357 Rn. 9; Huber in Musielak, ZPO, § 404a Rn. 6; nach a. A. kann das Beweisergebnis nicht gemäß § 493 Abs. 1 ZPO, sondern nur als Parteigutachten verwertet werden, vgl. Pitz in Fitzner/Lutz/Bodewig, PatR, § 140c PatG Rn. 48. 161  BGH v. 22. 05. 2007 – VI ZR 233/06 – BauR 2007, 1610 m. w. N. 162 Problematisch erscheint insoweit die nach der ‚Düsseldorfer Praxis’ regelmäßig gewährten Beteiligung eines (Patent-)Anwalts des Antragsstellers; doch kann dies zumindest

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§ 6  Beweissicherungsmaßnahmen

Nach hier vertretener Auffassung steht die fehlende Präsenz und Ladung des Antragsgegners bei der Besichtigung des Sachverständigen im Rahmen der Düsseldorfer Praxis einer Verwertung des Gutachtens im Prozess deshalb nicht entgegen. Dennoch sollte das Gericht in Anbetracht der grundsätzlichen Partizipationsrechte des Antragsgegners stets prüfen, ob nicht die Herausgabe des zu begutachtenden Gegenstands an einen Gerichtsvollzieher und die anschließende Begutachtung durch einen Sachverständigen in Anwesenheit der anwaltlichen Vertreter beider Parteien sowie des Antragsgegners ein milderes Mittel darstellt.

2.  Schutz des nicht gehörten Antragsgegners 66

§ 140c Abs. 3 S. 3 PatG et al. stellen klar, dass das Gericht bei Anordnungen ohne Anhörung des Antragsgegners die erforderlichen Maßnahmen zum Vertraulichkeitsschutz zu treffen hat (zu möglichen Maßnahmen siehe bereits § 5 Rn. 66 ff.). Ex parte ergangene Besichtigungsanordnungen enthalten ferner regelmäßig die Maßgabe, dass dem Besichtigungsschuldner Gelegenheit zu geben ist, vor Durchführung der Besichtigungsmaßnahme innerhalb eines gewissen Zeitraums (etwa zwei Stunden) einen anwaltlichen Beistand beizuziehen.163 Zum Rechtsschutz gegenüber einer ex parte ergangenen Anordnung der Beweissicherung siehe bereits supra § 4 Rn. 137.

V.  Schutzmaßnahmen zugunsten des Antragsgegners 1.  Mittelbarer Zwang zur Klageerhebung 67

§§ 936, 926 ZPO sehen auf Antrag des Verfügungsbeklagten die Aufhebung der einstweiligen Verfügung vor, sofern der Verfügungskläger nicht binnen einer vom Gericht  – gleichfalls auf Antrag  – zu bestimmenden Frist Klage in der Hauptsache erhebt. Der deutsche Gesetzgeber ging irrtümlich davon aus,164 diese Regelung könne der Umsetzung des Art. 7 Abs. 3 DRL dienen, welcher die Mitgliedsstaaten verpflichtet, eine Aufhebung der Beweissicherungsmaßnahmen ex lege vorzusehen, sofern der Schutzrechtsinhaber nicht innerhalb einer angemessenen Frist den Verletzungsprozess einleitet.165 Doch bezieht sich die in §§ 936, 926 Abs. 2 ZPO vorgesehene Anordnung der Klageerhebung teilweise kompensiert werden, indem mit der Besichtigung zugewartet wird, um dem Antragsgegner das Hinzuziehen eines Rechtsbeistands zu ermöglichen. 163  Vgl. Ziff. II.4. der Musteranordnung bei Kühnen, HdB PatV, Rn. 378. 164  BT-Drucks. 16/5048, S. 28. 165  Nach Art. 7 Abs. 3 DRL ist der Antragsteller gehalten, „das Verfahren [einzuleiten], das zu einer Sachentscheidung führt.“ Aus dem Zusammenhang mit Abs. 1 ergibt sich eindeutig, dass sich der Terminus „Sachentscheidung“ auf die Entscheidung über die behauptete Rechtsverletzung bezieht.



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in der Hauptsache auf den durch das Verfügungsverfahren zu sichernden Anspruch. Dies ist bei einstweiligen Beweissicherungsmaßnahmen nicht etwa der Anspruch wegen Verletzung des Schutzrechts, sondern der in § 140c Abs. 1 PatG et al. normierte Vorlage- und Besichtigungsanspruch.166 Bereits in Rn. 10 wurde dargelegt, dass nach hier vertretener Auffassung die Schutzmaßnahme des Art. 7 Abs. 3 DRL nicht zur Disposition der Mitgliedstaaten steht, sondern eine bindende Ausprägung des in Art. 3 Abs. 2 DRL niedergelegten Verhältnismäßigkeitsprinzips darstellt. Darüber hinaus bestand eine offenkundige Intention des deutschen Gesetzgebers, im deutschen Recht eine Entsprechung zu Art. 7 Abs. 3 DRL vorzusehen.167 Diese verdeckte, planwidrige Regelungslücke lässt sich durch eine richtlinienkonforme Rechtsfortbildung in Anlehnung an §§ 936, 926 Abs. 1 ZPO schließen,168 durch die das Gericht befugt wird, die Verfügung aufzuheben, sofern der Antragsteller einer gerichtlichen Anordnung zur Erhebung der Verletzungsklage nicht nachkommt. Ob dies ausreicht, um eine ordnungsgemäße Umsetzung des Art. 7 Abs. 3 DRL zu bewirken, ist unklar, da § 926 ZPO im Gegensatz zu der Richtlinienbestimmung keine Aufhebung ex lege, sondern eine Aufhebung auf Antrag des Verfügungsgegners vorsieht. Nach hier vertretener Auffassung stellt das deutsche Recht nur dann eine richtlinienkonforme Umsetzung des Art. 7 Abs. 3 DRL dar, wenn man davon ausgeht, dass die Richtlinie den Beginn der Frist für die Erhebung der Verletzungsklage nicht autonom festlegt, sondern dies den Mitgliedstaaten überlässt.169

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2.  Schadensersatz und Sicherheitsleistung Die in Art. 7 Abs. 4 DRL vorgesehene Schadensersatzverpflichtung des Schutzrechtsinhabers ergibt sich aus § 140c Abs. 5 PatG et al., sofern eine Schutzrechtsverletzung weder vorlag noch drohte, sowie aus § 945 ZPO, soweit die einstweilige Verfügung mangels Verfügungsgrund von Anfang an ungerechtfertigt war oder gemäß §§ 936, 926 Abs. 2 ZPO (analog) aufgehoben wurde.170 Zu ersetzen ist der durch die Vollziehung der einstweiligen Verfügung adäquat verursachte unmittelbare und mittelbare Schaden, insbesondere der durch die Besichtigung, 166  Spindler/Weber, ZUM 2007, 257 (265); Götz, Informationsbeschaffung, S. 240 f.; a. A. Kühnen, HdB PatV, Rn. 417. Wurde die einstweilige Verfügung mit der Anordnung eines selbständigen Beweisverfahrens verbunden, ermöglicht zwar § 494a ZPO eine gerichtliche Fristsetzung zur Erhebung einer Verletzungsklage, doch beschränkt sich die Sanktion, sofern der Antragsteller die Frist verstreichen lässt, auf das Tragen der dem Gegner entstandenen Kosten. 167  BT-Drucks. 16/5048, S. 28. 168 Ähnlich Gniadek, Beweisermittlung, S. 412. Spindler/Weber, ZUM 2007, 257 (265) sprechen von der Übertragung des Rechtsgedankens aus §§ 494a, 926 Abs. 2 ZPO. 169  Hierzu bereits § 4 Rn. 138 f. 170  Es handelt sich um eine Risikohaftung, vgl. GRUR-Stellungnahme, GRUR 2003, 682 (684); Kitz,, NJW 2008, 2374 (2377).

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§ 6  Beweissicherungsmaßnahmen

Begutachtung oder Verwahrung entstandene Nutzungsausfallschaden.171 Aus dem Grundsatz der Naturalrestitution ergibt sich ferner die Verpflichtung zur Herausgabe zu Unrecht erlangter Beweismittel sowie ein Informationsverwertungsverbot;172 die bedeutsame Kenntniserlangung kritischer vertraulicher Informationen lässt sich auf diesem Wege freilich nicht rückgängig machen.173 Nach §§ 936, 921 ZPO kann – und sollte – die Anordnung der Besichtigungsverfügung an die Stellung einer Sicherheit geknüpft werden.

VI.  Grenzen der Verwertung und Unterstützung ausländischer Verfahren 70

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Die Hilfsfunktion des selbständigen Beweisverfahrens für ein vorgedachtes (deutsches) Hauptsacheverfahren steht nach der Rechtsprechung der Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens entgegen, wenn die deutschen Gerichte nicht für die Entscheidung in der Hauptsache zuständig sind.174 Im Schrifttum wird überzeugend dafür plädiert, ein selbständige Beweisverfahren bei Belegenheit der Beweismittel im Inland zumindest dann durchzuführen, wenn das Hauptsacheverfahren in einem anderen Mitgliedstaat der Union durchgeführt werden soll und ein Beweismittelverlust droht.175 Grundsätzlich sind die deutschen Gerichte verpflichtet, den Gerichten anderer Mitgliedstaaten nach Maßgabe der Europäischen Beweisverordnung Rechtshilfe zu leisten (zur EuBVO siehe § 15). Bei einem drohenden Beweismittelverlust fehlt es an der für die Beantragung und Durchführung eines Rechtshilfeersuchens erforderlichen Zeit. Die aus Art. 4 Abs. 3 EUV fließende Pflicht zur gegenseitigen mitgliedstaatlichen Loyalität ebenso wie der Justizgewähranspruch gebieten meines Erachtens in diesen Situationen die Vornahme einer Beweissicherung durch deutsche Gerichte. Als problematisch erweist sich bei einem „Düsseldorfer Besichtigungsverfahren“ zugunsten eines ausländischen Hauptsacheverfahrens zweierlei: 171 

Amschewitz, DRL, S. 248. Tilmann, GRUR 2005, 737 (739 f.). 173  In der Literatur wird vertreten, das Gericht müsse dem Rechteinhaber als Ausfluss des Schadensersatzanspruchs ordnungsgeldbewehrt untersagen, die erlangten Informationen zu verwerten, vgl. Kitz, NJW 2008, 2374 (2377); Frank/Wiegand, CR 2007, 481 (486). Abgesehen davon, dass ein derartiger Inhalt dem deutschen Schadensrecht fremd ist, liegt die praktische Schwierigkeit für den Betroffenen darin, die Verwendung der im Prozess erlangten Informationen nachzuweisen. 174  OLG Düsseldorf v. 07. 02. 2008 – I-20 W 152/07 – InstGE 9, 41 (45 ff.) (Schaumstoffherstellung); OLG Köln v. 12. 04. 2011 – 5 W 11/11 – MedR 2012, 125 (126); ebenso Kühnen, HdB PatV, Rn. 374. 175  Ahrens in FS Schütze, S. 11 m. w. N.; großzügiger Leipold in Stein/Jonas, ZPO, § 486 Rn. 12 m. Fn. 23: Selbständiges Beweisverfahren durch ein deutsches Gericht zugunsten eines ausländischen Prozesses nur bei offensichtlicher Zwecklosigkeit unzulässig; ähnlich wohl AG Frankfurt v. 07. 03. 1960 – 37 H 1/60 – JZ 1960, 541. 172 



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Erstens setzen die immaterialgüterrechtlichen Vorlage- und Besichtigungsansprüche die behauptete Verletzung eines deutschen Schutzrechts voraus. Handelt es sich bei dem angeblich verletzten Schutzrecht um ein ausländisches Schutzrecht und verwirklicht die Rechtsordnung des Schutzrechtsstaates die Beweissicherung auf prozessualem Wege, so ist der hieraus resultierende Normenmangel durch eine analoge Anwendung der deutschen Vorlage- und Besichtigungsansprüche zu beheben.176 Zweitens weist § 486 Abs. 2 ZPO die Zuständigkeit für das selbständige Beweisverfahren dem in der Hauptsache zuständigen Gericht zu. Fehlt es an einer Hauptsachezuständigkeit deutscher Gerichte, so könnte prinzipiell auf die Zuständigkeit der Amtsgerichte in Fällen dringender Gefahr gemäß § 486 Abs. 3 ZPO zurückgegriffen werden.177 Doch verfügen die Amtsgerichte weder über die sachliche Zuständigkeit178 noch über die erforderliche Expertise zur Anordnung der Vorlage bzw. Besichtigung im Wege der einstweiligen Verfügung (inklusive der schwierigen Interessenabwägung im Rahmen des Freigabeverfahrens). Sachgerecht wäre die Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens bei demjenigen Landgericht, welchem für den Gerichtsbezirk, in dem das Beweismittel belegen ist, die Zuständigkeit für die betreffenden Rechtssachen des gewerblichen Rechtsschutzes zugewiesen ist.179 Hierzu müsste freilich der Weg der Rechtsauslegung verlassen und der Pfad der Rechtsfortbildung beschritten werden. Wurde ein „Düsseldorfer Besichtigungsverfahren“ zur Sicherung von Beweisen zugunsten eines Hauptsacheverfahrens vor deutschen Gerichten durchgeführt und das Gutachten an den Antragsteller freigegeben, so lässt sich die Verwertung der hieraus gezogenen Erkenntnisse kaum beschränken (vgl. hierzu bereits § 5 Rn. 76 ff.). Jedenfalls insoweit ist eine Unterstützung ausländischer Verfahren unproblematisch möglich.

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VII. Fazit Das traditionelle Instrument der Beweissicherung im deutschen Verfahrensrecht, das selbständige Beweisverfahren, erlaubt keinen Zugang zu Gegenständen in der Sphäre des Antragsgegners, d. h. des vermeintlichen Schutzrechtsinhabers. Der deutsche Gesetzgeber hat deshalb in § 140c Abs. 3 PatG et al. angeordnet, dass eine einstweilige Verfügung zwecks Sicherung und Befriedigung der immaterialgüterrechtlichen Vorlage- und Besichtigungsansprüche zulässig ist, sofern eine Gefahr des Beweismittelverlusts besteht. Nach 176  Allgemeiner

zur Anpassung von Beweismittelvorlagepflichten Coester-Waltjen in FS Schlosser, S. 147 ff. 177  Hierfür plädiert Ahrens in FS Schütze, S. 11. 178  §§ 143 PatG, 140 MarkenG, 27 GebrMG, 52 DesignG, 38 SortSchG. 179  Siehe den Überblick unter .

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§ 6  Beweissicherungsmaßnahmen

hier vertretener Auffassung lässt sich diese Beschränkung auf Situationen des Beweismittelverlusts mit den Vorgaben der Richtlinie vereinbaren; selbiges gilt für die Beschränkung auf bestimmte, vom Antragsteller zu spezifizierende Beweisgegenstände. Vorlage- und Besichtigungsanordnungen gegenüber Dritten sind erst im Rahmen eines anhängigen Verfahrens möglich, was nach der vorliegend vertretenen Auffassung ebenfalls richtliniengemäß ist. Überzeugen kann die deutsche Umsetzung des Art. 7 DRL allerdings nicht. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass Art. 3 DRL die Einführung wirksamer, verhältnismäßiger und nicht unnötig komplizierter Maßnahmen verlangt. Die deutschen Gerichte sind zwar bemüht, angesichts der spärlichen Vorgaben des Gesetzgebers eine tragfähige vorprozessuale Sicherung von Beweisen aus der Sphäre des vermeintlichen Verletzers zu entwickeln. Im Düsseldorfer Besichtigungsverfahren ist der Schutzrechtsinhaber jedoch gehalten, erstens eine einstweilige Verfügung auf Vorlage oder Besichtigung des Gegenstands zu initiieren, zweitens die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens zu beantragen und gegebenenfalls drittens vorsorglich vor einem anderen Gericht einen Antrag auf Durchsuchung der Räumlichkeiten des Besichtigungsschuldners zu stellen. Der Rechtsschutz gegen diese Maßnahmen ist umstritten, und die Verwertung eines im Zuge eines Düsseldorfer Besichtigungsverfahrens erstellten Sachverständigengutachtens im Prozess ist nicht gesichert, sofern der Besichtigungsschuldner zum Zeitpunkt der überraschenden Besichtigung nicht zufällig präsent war. Beschränkungen hinsichtlich der Verwertung vertraulicher Informationen lassen sich nur schlecht realisieren, und die Regelung zur zwingenden Klageerhebung im Verletzungsverfahren ist missglückt. Das Prädikat einer verhältnismäßigen und nicht unnötig komplizierten Umsetzung kann § 140c Abs. 3 PatG et al. deshalb nicht verliehen werden. Ein eigenständig geregeltes Verfahren, welches vor oder begleitend zu einem Hauptsacheverfahren durchgeführt werden könnte, wäre eindeutig vorzuziehen.180

D.  Rechtsvergleichende Würdigung I.  Richtliniengetreue Umsetzung 75

Unter Zugrundelegung der oben in Rn. 9 befürworteten Interpretation von Art. 7 Abs. 1 DRL erweist sich sowohl die deutsche als auch die englische Ausgestaltung der zivilrechtlichen Beweissicherungsmaßnahmen richtlinienkonform. Auch Art. 7 Abs. 2 und 4 DRL finden ausreichend Beachtung. Zweifel ergeben sich bei beiden Rechtsordnungen allerdings, ob der nach Art. 7 Abs. 3 180  Stadler in FS Leipold, S. 216 ff.; Haedicke in FS Schricker, S. 27 m. Fn. 46; Gniadek, Beweisermittlung, S. 395;



D.  Rechtsvergleichende Würdigung

239

DRL vorzusehende mittelbare Zwang zur Klageerhebung ausreichend implementiert ist.

II.  Angemessene Berücksichtigung der beidseitigen prozessualen Interessen 1.  Beweisermittlung, Beweismittelvorlage, Beweissicherung Der Richtlinienvorschlag der Europäischen Kommission benannte die search order neben der französischen saisie contrefaçon als ein Best Practice-Beispiel für vorprozessuale Beweisermittlungsmaßnahmen im Wege der Durchsuchung.181 Neben der search order, welche die Gefahr eines Beweismittelverlusts voraussetzt, kennt das englische Recht mit der pre-action disclosure und CPR 25.1(1)(c)(i) auch vorprozessuale Anordnungen der Beweismittelvorlage, die unabhängig von einer Gefahr des Beweismittelverlusts eingreifen, aber nicht zur Durchsuchung der Räumlichkeiten des Antragsgegners berechtigen. Das deutsche Recht enthält keine zivilrechtlichen Maßnahmen zwecks Ermittlung von Beweismitteln in der Sphäre des vermeintlichen Schutzrechtsverletzers, doch wurden im Zuge der Richtlinienumsetzung die Pflicht zur Vorlage bestimmter Beweisgegenstände auf Basis einer einstweiligen Verfügung erweitert. Eine Durchsuchung ist zulässig zum Auffinden dieser Gegenstände, nicht aber zwecks Ermittlung bislang noch unbekannter Beweismittel. Ebenso wie im Rahmen prozessualer Vorlagepflichten liegt der Focus des englischen Rechts auf der Ermittlung der Wahrheit, während das deutsche Recht die Freiheitsrechte des Antragsgegners stärker betont. Aus der Perspektive der Schutzrechtsinhaber bietet das englische Modell sicherlich die geeigneteren Waffen; ob es sich um das bessere Modell handelt, ist eine Frage der grundsätzlichen rechtspolitischen Prärogative. In diesem Zusammenhang dürfen auch die mit der search order verbundenen hohen Kosten nicht unerwähnt bleiben. Einen vorprozessualen Zugang zu potentiellen Beweismitteln in der Sphäre unbeteiligter dritter Personen sehen weder das deutsche noch das englisch Recht vor.

76

77

2.  Ex parte-Anordnungen Soweit die Gefahr einer Beweismittelvernichtung oder -verschleierung durch den vermeintlichen Schutzrechtsverletzer droht, ist die Verfügbarkeit eines ex parte-Verfahrens für den Erfolg einer Beweissicherungsmaßnahme unabdingbar. Zentral für den Schutz des nicht gehörten Antragsgegners ist im englischen Recht die Pflicht des Antragstellers zur full and frank disclosure, 181  Gniadek, Beweisermittlung, S. 270 f.; Kreye in FS v. Meibom, S. 243. Die entsprechende Passage findet sich in der Begründung des Richtlinienvorschlags, KOM (2003) 46, S. 22.

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240

§ 6  Beweissicherungsmaßnahmen

d. h. zur umfassenden und vollständigen Information des Gerichts. In der deutschen Rechtsprechung und Literatur besteht bedauerlicherweise eine Tendenz, eine Gefahr der Beweismittelvernichtung im Falle eines Antrags auf einstweilige Vorlage bzw. Besichtigung potentieller Beweismittel pauschal zu bejahen und auf eine Glaubhaftmachung sowohl des Verfügungsgrunds als auch der besonderen Dringlichkeit gemäß § 937 Abs. 2 ZPO zu verzichten. Hierbei wird teilweise ignoriert, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein Verzicht auf die Anhörung des Betroffenen nur unter strikten Voraussetzungen zulässig ist, sofern eine Duldung der Besichtigung von Wohnungen oder Betriebsräumen verfügt oder eine Durchsuchung angeordnet wird.

3.  Schutzvorkehrungen zugunsten des Antragstellers 79

80

Hinsichtlich der Ausgestaltung des Geheimnisschutzes und potentieller Verwertungsbeschränkungen kann auf die Erörterung zu Art. 6 DRL verwiesen werden (§ 5 Rn. 103 ff.). Das englische Recht erweist sich insoweit als deutlich flexibler. Dem deutschen Gesetzgeber ist vorzuhalten, dass er sich mit dem Schutz vertraulicher Informationen und Grenzen der Verwertung der erlangten Informationen nicht näher befasst hat. Die Kompensation des Antragsgegners, sofern die Beweissicherungsmaßnahme aufgehoben wird oder sich der Verdacht der Schutzrechtsverletzung nicht bestätigt, erfolgt im deutschen Recht mittels verschuldensunabhängiger Schadensersatzansprüche, im englischen Recht mittels Verpflichtungserklärungen. Auf die Erörterung zu Art. 9 DRL sei hier verwiesen (§ 4 Rn. 161 f.). Auch hinsichtlich des Zwangs zur Einleitung eines Hauptsacheverfahrens setzt das englische Recht auf undertakings des Antragstellers. Die deutsche Regelung ist aus den in Rn. 67 f. genannten Gründen missglückt.

4.  Durchführung der Durchsuchung 81

Ist zwecks Vollstreckung der Beweissicherungsanordnung eine Durchsuchung oder Anwendung von Gewalt erforderlich, so wird diese im deutschen Vollstreckungsverfahren durch den Gerichtsvollzieher vorgenommen, gegebenenfalls mit Unterstützung der polizeilichen Vollzugsorgane. Die englische search order operiert demgegenüber mit einer fingierten Zustimmung des Antragsgegners zur Durchsuchung, weil nur auf diesem Wege an alten Präjudizien festgehalten werden konnte, die eine Durchsuchung von Privaträumen durch Justizbedienstete mit dem Ziel der Beweisermittlung ausschlossen. Der Preis für das Festhalten an diesen alten Präjudizien ist hoch: Die Durchsuchung der Räumlichkeiten des Betroffen durch Suchmannschaften des Prozessgegners schürt Aggressionen und Zweifel an der neutralen Durchführung der Durchsuchung. Die Einführung der Funktion des supervising solicitors mildert



D.  Rechtsvergleichende Würdigung

241

diese Probleme – zu einem Preis: Da zum supervising solicitor nur ein Anwalt mit großer Expertise bestellt werden kann, steigert diese Vorgehensweise die ohnehin hohen Kosten der search order. Als Vorbild für eine weitergehende Rechtsvereinheitlichung taugt die englische Ausgestaltung der search order deshalb nicht.

5.  Beweissicherung zugunsten ausländischer Hauptsacheverfahren Zur Sicherung von Beweisen zugunsten eines im Ausland geführten oder zu führenden Hauptsacheverfahrens verhält sich Art. 7 DRL nicht explizit. Ziel der Richtlinie ist, es die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums zu harmonisieren. Die Verbesserung der justiziellen Zusammenarbeit steht nicht im Focus der Richtlinie.182 Immerhin aber setzt Art. 7 Abs. 3 DRL keine Erhebung der Hauptsacheklage vor demjenigen Gericht voraus, welches die Beweissicherung angeordnet hat. Die Zuständigkeit des High Court zur Anordnung einer search order zugunsten ausländischer Verfahren begegnet gewissen Zweifeln, obzwar sie von der herrschenden Auffassung befürwortet wird. Die Zuständigkeit deutscher Landgerichte zur Durchführung eines „Düsseldorfer Besichtigungsverfahrens“ zugunsten ausländischer Hauptsacheverfahren lässt sich nur im Wege der Rechtsfortbildung begründen. Da die Sicherung im Ausland belegener Beweismittel durch das Hauptsachegericht mit Schwierigkeiten behaftet ist, wie noch in § 15 Rn. 48, 71 ff. erörtert wird, ist die Rechtsunsicherheit bezüglich Beweissicherungsmaßnahmen durch Gerichte des Belegenheitsstaates zugunsten ausländischer Hauptsacheverfahren zu beklagen.

82

III.  Stand der Harmonisierung und Reformimpulse Auch im Hinblick auf die Implementierung des Art. 7 DRL offenbart der Rechtsvergleich eine geringe Harmonisierungswirkung der Durchsetzungsrichtlinie. Die search order, welche in der Begründung des Richtlinienvorschlags als Vorbild für andere Rechtsordnungen dargestellt wurde, findet im deutschen Recht ebenso wenig ein Äquivalent wie die pre-action disclosure. Am ehesten lässt sich die deutsche Vorlage- oder Besichtigungsverfügung mit der englischen doorstep Piller gemäß CPR 25.1(1)(c)(i) vergleichen (Rn. 29). Künftige Reformen sollten zunächst die Tatbestandsmerkmale und Rechtsfolgen des Art. 7 DRL deutlich klarer fassen. Die Mitgliedstaaten sollten keinen Zweifeln ausgesetzt sein, ob sie lediglich verpflichtet sind, Beweissicherungsmaßnahmen vorzusehen oder von der Gefahr des Beweismittelverlusts unabhängige vorprozessuale Beweismittelvorlagepflichten schaffen müssen bzw. 182 

Erwägungsgrund 11 DRL.

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§ 6  Beweissicherungsmaßnahmen

gar Beweisermittlungsmaßnahmen im Wege der Durchsuchung. Konkretere Angaben dahingehend, welche Beweismittel von Art. 7 DRL erfasst sind und gegen welche Personen diese Maßnahmen zur Verfügung stehen sollen, wären gleichfalls empfehlenswert. Soweit Durchsuchungen zum Auffinden und zur Ermittlung von Beweisen vorgegeben werden, wäre es ratsam, deren Durchführung durch Justizbedienstete vorzusehen. Die Schutzvorkehrungen zugunsten des Antragsgegners könnten sodann konkret auf die vorgesehenen Maßnahmen zugeschnitten werden. So ist bei Einführung einer Durchsuchungsanordnung zwecks Ermittlung noch unbekannter Beweismittel die Gefahr des Reputationsverlustes und der dauerhaften Geschäftsschädigung des Antragsgegners ernst zu nehmen.183 Es bedarf auf Tatbestands- wie Rechtsfolgenseite Sicherheitsvorkehrungen, die dieses Risiko minimieren.184 Die Maßnahmen zum Geheimnisschutz sind entsprechend anzupassen. Ferner ist der Zeitpunkt des Fristbeginns für die Frist zur Klageerhebung in der Hauptsache zu definieren. Aufgrund der praktischen Schwierigkeiten grenzüberschreitender Rechtshilfe mit dem Ziel der Beweismittelsicherung sollte die Richtlinie die Mitgliedstaaten ferner explizit zur Bereithaltung von Beweissicherungsmaßnahmen zugunsten von Verfahren im europäischen Ausland verpflichten.

183 Zur

search order Gee, Injunctions, Rn. 17.020. demgegenüber zu den geringen Schutzvorkehrung bei Erlass einer saisie contrefaçon Götz, Informationsbeschaffung, S. 47 ff.; Gniadek, Beweisermittlung, S. 203 ff. 184  Siehe

§ 7  Auskunft über Ursprung, Vertriebswege und Vertriebsdetails A.  Die Vorgaben der Richtlinie I.  Grundzüge der Regelung des Art. 8 DRL Ein Schutzrechtsverletzer kommt selten allein. Hat sich der Verdacht einer Schutzrechtsverletzung bestätigt, so ist der Schutzrechtsinhaber selbstverständlich daran interessiert, Mittäter bzw. weitere Verletzer auf anderen Vertriebsstufen zu identifizieren, um die Quellen der schutzrechtsverletzenden Waren und Dienstleistungen vollständig zum Versiegen zu bringen. Zwecks Bezifferung der Schadenshöhe bedarf der Schutzrechtsverletzer ferner Informationen über den Umfang der Verletzungshandlungen, gegebenenfalls auch über die vom Schutzrechtsverletzer erzielten Einnahmen. Dieser Informationsbedarf kann einerseits durch Zugang zu Dokumenten in der Sphäre des Schutzrechtsverletzers (Art. 6 und 7 DRL), andererseits im Wege der Auskunft, d. h. einer Zusammenfassung des Sachverhalts durch den Verletzer, gedeckt werden. Art. 8 DRL sieht eine Auskunftsanordnung hinsichtlich des Ursprungs und der Vertriebswege von schutzrechtsverletzenden Waren oder Dienstleistungen vor, welche die Maßnahmen gemäß Art. 6 und 7 DRL komplementiert. Danach stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass die zuständigen Gerichte im Zusammenhang mit einem Verfahren wegen Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums auf einen begründeten und die Verhältnismäßigkeit wahrenden Antrag des Klägers hin eine Auskunftserteilung über den Ursprung und die Vertriebswege schutzrechtsverletzender Waren und Dienstleistungen anordnen können. In Kontrast zu Art. 6 und Art. 7 DRL wird die in Art. 8 Abs. 1 DRL vorgesehene Auskunftspflicht nicht bereits durch den Verdacht, sondern erst durch die Feststellung einer Schutzrechtsverletzung ausgelöst.1 Zur Auskunft verpflichtet ist nicht allein der Verletzer, sondern gemäß Art. 8 Abs. 1 lit. a bis c DRL auch jede andere Person, die entweder nach1 Nach Wortlaut des Art. 8 Abs. 1 DRL ist die Auskunftsanordnung nur hinsichtlich solcher Waren oder Dienstleistungen vorgesehen, „die ein Recht des geistigen Eigentums verletzen“, s. a. Art. 8 Abs. 1 lit. a bis c DRL („nachweislich rechtsverletzend“). A. A. Amschewitz, DRL, S. 148: Verdacht der Schutzrechtsverletzung ausreichend.

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§ 7  Auskunft über Ursprung, Vertriebswege und Vertriebsdetails

weislich rechtsverletzende Waren oder Dienstleistungen in gewerblichem Ausmaß in Besitz hatte bzw. in Anspruch nahm oder aber Dienstleistungen in gewerblichem Ausmaß erbrachte, die für rechtsverletzende Tätigkeiten genutzt wurden. Zu diesem Kreis zählen beispielsweise Spediteure, die schutzrechtsverletzende Ware transportieren, oder Betreiber von Internetdienstleistungen, auf deren Plattformen schutzrechtsverletzende Waren angeboten werden.2 Art. 8 Abs. 1 lit. d DRL erweitert den Kreis der Auskunftspflichtigen in bedenklicher Weise auf Personen, die lediglich nach den Angaben der in lit. a, b oder c genannten Personen an der Herstellung, Erzeugung oder am Vertrieb dieser Waren bzw. an der Erbringung dieser Dienstleistungen beteiligt waren (sogenannte Denunziantenklausel).3 Art. 8 Abs. 2 DRL spezifiziert die preiszugebenden Details: Offenzulegen sind erstens die Identitäten und Adressen anderer Personen in der Lieferkette, um die Rechtsdurchsetzung gegenüber diesen Personen zu ermöglichen. Auskünfte über die Identität privater Endabnehmer sind nicht erforderlich.4 Zweitens erstreckt sich die Auskunftspflicht auf Mengen- und Preisangaben. Art. 8 Abs. 3 DRL stellt klar, dass weitergehende Auskunftsansprüche, Bestimmungen über die Verwertung der erlangten Informationen und die Haftung für den Missbrauch des Auskunftsrechts ebenso unberührt bleiben wie Normen des Datenschutzrechts und Auskunftsverweigerungsrechte zum Schutz vor Selbstbezichtung oder der Bezichtigung enger Verwandter. Für die mit der Richtlinie intendierte Harmonisierung ist die unterlassene Koordination der Auskunftspflicht mit dem Datenschutzrecht, das zu weiten Teilen ebenfalls unionsrechtlich geprägt ist,5 besonders kritisch.

II.  Interpretationsbedarf und Umsetzungsspielräume 6

Auch Art. 8 DRL räumt den Mitgliedstaaten eine gewisse Regelungsprärogative ein und wirft bestimmte Auslegungsfragen auf.

2 

Seichter in FS Ullmann, S. 986; Dörre/Maaßen, GRUR-RR 2008, 217 (220). Bestimmung wird in der Literatur zu Recht kritisiert, da die bloße Behauptung einer ihrerseits auskunftspflichtigen Person die Auskunftspflicht auslöst, vgl. Knaak, GRUR Int. 2004, 745 (749); Seichter in FS Ullmann, S. 986; Amschewitz, DRL, S. 153. Nach dem Wortlaut des Art. 8 Abs. 1 DRL begründet die Personenbezeichnung durch den Verletzer selbst allerdings keine Auskunftspflicht. 4  Art. 8 Abs. 2 lit. a DRL: „gewerbliche Abnehmer und Verkaufsstellen“. 5  Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr, ABl Nr. L 281/31 v. 23. 11. 1995; Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation), ABl. Nr. L 201/37 v. 31. 07. 2002. 3  Die



A.  Die Vorgaben der Richtlinie

245

1.  In Zusammenhang mit einem Verfahren Als Vorbild für Art. 8 DRL haben die materiellrechtlichen Auskunftsrechte des deutschen Rechts und der Beneluxstaaten gedient,6 doch zwingt die Richtlinie nicht zu einer bestimmten Art der Umsetzung.7 Angesichts der Tatsache, dass das Umsetzungsgebot auf Anordnungen im Zusammenhang mit einem Verletzungsverfahren beschränkt ist, steht den Mitgliedstaaten auch eine verfahrensrechtliche Gestaltung offen. Aus dem Kriterium des Zusammenhangs mit einem Verletzungsverfahren lässt sich nicht der Schluss ziehen, die Richtlinie sehe einen zwingenden Richtervorbehalt für die Erteilung der Auskunft vor8 oder verpflichte die Mitgliedstaaten zur Einführung eines Klageverfahrens gegen Unbekannt (sog. John Doe-Verfahren).9 Vielmehr stellt Art. 8 Abs. 1 DRL klar, dass die Mitgliedstaaten befugt sind, das Auskunftsrecht zwecks Prävention eines Missbrauchs an die Einleitung des Verletzungsprozesses zu koppeln.

7

2.  Ziel und Inhalt der Auskunftspflicht Ziel und Inhalt der in Art. 8 DRL vorgesehenen Auskunftspflicht sind nicht ganz eindeutig. Gemäß Abs. 1 sollen die Mitgliedstaaten Auskunftsansprüche über den Ursprung und die Vertriebswege schutzrechtsverletzender Waren oder Dienstleistungen, d. h. die sogenannte Drittauskunft, gewährleisten. Es überrascht deshalb, dass nach Abs. 2 lit. b „soweit angebracht“ auch Informationen über die Preise zu offenbaren sind, welche für die betreffenden Waren oder Dienstleistungen gezahlt wurden. Im Gegensatz zu den Auskünften über Mengen sowie Name und Adresse anderer Personen in der Vertriebskette handelt es sich bei Preisangaben nicht um Informationen, die zur Aufdeckung von Ursprung und Vertriebswegen erforderlich sind.10 Vielmehr handelt es sich um 6  Der Richtlinienvorschlag nennt § 19a MarkenG und Art. 13 Abs. 4 des Einheitlichen Benelux-Markengesetzes als Vorbilder, vgl. KOM (2003) 46 endg., S. 16. 7  Wie hier Knaak, GRUR 2004, 745 (749); Seichter in FS Ullmann, S. 988 f.; Amschewitz, DRL, S. 146; Götz, Informationsbeschaffung, S. 76 f.; für eine materiellrechtliche Einordnung McGuire, GRUR Int. 2005, 15 (18, 21); Czychowski, MMR 2004, 514 (515); eine verfahrensrechtliche Einordnung propagieren Weber, Enforcement-RL, S. 110; Spindler/Weber, ZUM 2007, 257 (262) m. w. N. 8 Dagegen spricht neben dem grundsätzlichen Mindestharmonisierungsansatz der Richtlinie die Spezialvorschrift des Art. 8 Abs. 3 lit. a DRL, nach welcher weitergehende Auskunftsrechte des Schutzrechtsinhabers unberührt bleiben. A. A. Peukert/Kur, GRUR Int. 2006, 292 (297); Weber, Enforcement-RL, S. 115 f. 9 Für eine solche Interpretation fehlt jeglicher Anhaltspunkt in Wortlaut und Entstehungsgeschichte. Wie hier BT-Drucks. 16/5048, S. 38 f.; Eisenkolb, GRUR 2007, 387 (392); Seichter, VuR 2007, 291 (294); Weber, Enforcement-RL, S. 114 f.; Amschewitz, DRL, S. 148 f.; a. A. Frey/Rudolph, ZUM 2004, 522 (525). 10  BGH v. 14. 2. 2008 – I ZR 55/05 – GRUR 2008, 796 (797 f.) (Hollister); Fezer, MarkenR, § 19 MarkenG Rn. 49 f.; Ann/Hauck/Maute, Auskunftsanspruch, Rn. 215 ff.; a. A. Amschewitz, WRP 2011, 301 (304 f.): der Nennung der Preise komme eine Kontrollfunktion zu.

8

246

§ 7  Auskunft über Ursprung, Vertriebswege und Vertriebsdetails

Angaben, die – verknüpft mit Auskünften zur Menge der vertriebenen Ware – zur Bezifferung eines eventuellen Schadensersatzanspruchs hilfreich sein können (nach Art. 13 Abs. 1 lit. a DRL sind bei Bemessung des Ersatzanspruchs alle in Frage kommenden Aspekte zu berücksichtigen, u. a. der Verletzergewinn). Weitere, für die Bezifferung des Schadensersatzes sinnvolle Auskünfte11 erfordert Art. 8 Abs. 2 DRL jedoch nicht.12 Auch die Gesetzgebungsgeschichte gibt keinen Hinweis zur Auflösung des Paradoxons.

3.  Auskunftspflicht Dritter nur bei Handlung in gewerblichem Ausmaß 9

Die Auskunftspflicht der in Art. 8 Abs. 1 lit. a bis c DRL genannten Personen entsteht nur, soweit die betreffende Person rechtsverletzende Ware in gewerblichem Ausmaß in ihrem Besitz hatte, rechtsverletzende Dienstleistungen in gewerblichem Ausmaß in Anspruch nahm oder für rechtsverletzende Tätigkeiten Dienstleistungen in gewerblichem Ausmaß erbrachte (bzw. nach der „Denunziantenklausel“ der lit. d). Der Begriff des gewerblichen Ausmaßes wird in der Richtlinie selbst nicht legal definiert. Erwägungsgrund 18 weist darauf hin, in gewerblichem Ausmaß vorgenommene Handlungen zeichneten sich dadurch aus, dass sie zur Erlangung eines unmittelbaren oder mittelbaren wirtschaftlichen oder kommerziellen Vorteils vorgenommen würden, was in der Regel Handlungen ausschließe, die in gutem Glauben von Endverbrauchern vorgenommen würden. Hieraus lässt sich der Gegenschluss ziehen, jede bösgläubige Handlung eines Endverbrauchers (etwa der Kauf eines Plagiats) stelle eine Handlung in gewerblichem Ausmaß dar.13 Der Wortsinn des Begriffs „gewerbliches Ausmaß“ würde durch eine solche Interpretation freilich überschritten.14 Eine Auskunftspflicht bösgläubiger Endverbraucher über Identität und Anschrift des Verkäufers mag im Einzelfall sinnvoll sein,15 scheint aber insgesamt kaum praxisrelevant. Letztlich kann nur eine Entscheidung des EuGH Klärung bringen.16 11 

Z. B. über Gewinn und Gestehungskosten. Auffallend ist ferner eine fehlende Abstimmung zwischen Art. 8 Abs. 1 lit. c und Abs. 2 lit. a DRL. Gemäß Abs. 1 lit. c sind Diensteanbieter auskunftspflichtig, deren gewerblich erbrachte Dienstleistungen für rechtsverletzende Tätigkeiten genutzt wurden. Abs. 2 lit. a sieht jedoch keine Auskunftspflicht über die Nutzer dieser Dienstleistungen vor, sondern nur Auskunftspflichten über Personen in der Vertriebskette. Entscheidend ist diese Differenzierung v. a. im Urheberrecht. 13  Ann/Hauck/Maute, Auskunftsanspruch, Rn. 244; Hacker in Ströbele/Hacker, MarkenG, § 19 Rn. 21; Fezer, MarkenG, § 19 Rn. 27, 34. 14  Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 19 Rn. 17. 15  Hacker in Ströbele/Hacker, MarkenG, § 19 Rn. 21. 16  Die im Urheberrecht geführte Diskussion, ob es im Rahmen des Art. 8 Abs. 1 DRL eines „doppelten Gewerbsmäßigkeitserfordernisses“ bedürfe, lässt sich auf einen Übersetzungsfehler in der deutschen Richtlinienfassung zurückführen und ist im Gewerblichen Rechtsschutz ohne Bedeutung. Zur Auslegung des § 101 UrhG siehe BGH v. 19. 04. 2012 – I ZB 80/11 – GRUR 2012, 1026 (1027 f.) (Alles kann besser werden) m. w. N. 12 



A.  Die Vorgaben der Richtlinie

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4.  Die Koordination mit den Datenschutznormen des Unionsrechts Wie bereits erwähnt, lässt Art. 8 Abs. 3 DRL gesetzliche Bestimmungen unberührt, welche die Verarbeitung personenbezogener Daten regeln. Das Datenschutzrecht kann folglich einer Auskunftspflicht über potentielle Schutzrechtsverletzer nach Art. 8 Abs. 1 DRL entgegenstehen. Ziel des europäischen Datenschutzrechts ist es, die Privatsphäre natürlicher Personen bei der Übermittlung personenbezogener Daten zu schützen.17 Primärrechtlich verankert ist das Recht auf den Schutz persönlicher Daten sowohl in Art. 8 GRCh als auch in Art. 16 Abs. 1 AEUV. Angesichts fehlender Bemühungen des Gemeinschaftsgesetzgebers, das Spannungsfeld zwischen dem Auskunftsrecht nach Art. 8 Abs. 1 DRL und den gemeinschaftsrechtlichen Datenschutzbestimmungen zu regeln, war es allein eine Frage der Zeit, bis der EuGH zu dem Verhältnis dieser beiden Normenkomplexe konsultiert wurde. Grundsätzlich gestattet Art. 13 Abs. 1 lit. g der europäischen Datenschutzrichtlinie den Mitgliedstaaten, Rechtsvorschriften für die Übermittlung personenbezogener Daten mit dem Ziel des Schutzes der Rechte und Freiheiten dritter Personen vorzusehen. In der Entscheidung Promusicae befand der Gerichtshof, da sowohl Art. 13 Abs. 1 lit. g der europäischen Datenschutzrichtlinie als auch Art. 8 Abs. 3 lit. e DRL den Mitgliedstaaten einen Umsetzungsspielraum eröffneten, seien die Mitgliedstaaten im Rahmen der Umsetzung verpflichtet, „ein angemessenes Gleichgewicht zwischen den verschiedenen durch die Gemeinschaftsrechtsordnung geschützten Grundrechten sicherzustellen.“18 Eine Durchführung entsprechender Maßnahmen durch die Gerichte und Behörden der Mitgliedstaaten habe sich ebenso an diesen Grundrechten, insbesondere am Eigentumsrecht, dem Recht auf Privatsphäre bzw. auf Datenschutz, wie an dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu orientieren.19 Der Gerichtshof hat ferner in der Rechtssache L’Oréal/eBay erkennen lassen, dass der Schutz personenbezogener Daten gegebenenfalls in jenen Fällen zurückstehen muss, in denen der von der Datenübermittlung Betroffene aufgrund unionsrechtlicher Bestimmungen ohnehin verpflichtet 17  Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr, ABl. Nr. L 281/31 ff. v.  23. 11. 1995. Zur Reform des europäischen Datenschutzrechts siehe den Richtlinien- und Verordnungvorschlag der Europäischen Kommission, KOM (2012) 10 bzw. KOM (2012) 11. 18 EuGH v.  29. 01. 2008  – C-275/06  – Slg. 2008, I-271 (Promusicae), Rn. 70; EuGH v. 19. 04. 2012 − C-461/10 (Bonnier Audio), Rn. 56; ähnlich EuGH v. 12. 02. 2009 – C-557/07 – Slg. 2009, I-1227 (LSG/Tele 2), Rn. 28 f. Zur Abwägung zwischen dem Schutz der Privatsphäre und der Meinungsfreiheit EuGH v. 06. 11. 2003 – Slg. 2003, I-12971 – C-101/01 (Lindqvist), Rn. 84 ff. 19 EuGH v.  29. 01. 2008  – C-275/06  – Slg. 2008, I-271 (Promusicae), Rn. 70; EuGH v. 19. 04. 2012 − C-461/10 (Bonnier Audio), Rn. 56.

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§ 7  Auskunft über Ursprung, Vertriebswege und Vertriebsdetails

ist, seine Identität im Rahmen seiner kommerziellen Kommunikation preiszugeben.20 Der grundsätzliche Abwägungsspielraum zwischen Rechtsdurchsetzung und Datenschutz gebührt den Mitgliedstaaten nach Auffassung des EuGH auch dann, wenn Verkehrsdaten betroffen sind, d. h. Daten, die zum Zwecke der Weiterleitung einer Nachricht an ein elektronisches Kommunikationsnetz oder zum Zwecke der Fakturierung dieses Vorgangs erforderlich sind.21 Problematisch ist dies, weil für die Übermittlung von Verkehrsdaten ein eigenständiges Regelwerk einschlägig ist, die Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation.22 Im Gegensatz zu Art. 13 der europäischen Datenschutzrichtlinie enthält die Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation keine Bestimmung, die es den Mitgliedstaaten erlaubt, zum Schutz der Rechte und Freiheiten dritter Personen eine Übermittlung personenbezogener Daten zu erlauben. Vielmehr sind gemäß Art. 15 Abs. 1 der Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation lediglich solche Beschränkungen zulässig, die „gemäß Artikel 13 Absatz 1 der [europäischen Datenschutzrichtlinie] für die nationale Sicherheit, die Landesverteidigung, die öffentliche Sicherheit sowie die Verhütung, Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten oder des unzulässigen Gebrauchs von elektronischen Kommunikationssystemen in einer demokratischen Gesellschaft notwendig, angemessen und verhältnismäßig“ sind. Trotz dieses eindeutigen Wortlauts, der keine Datenübermittlung zum Schutz privater Rechte Dritter erlaubt und die Intention des historischen Gesetzgebers reflektiert,23 erklärte der EuGH in der PromusicaeEntscheidung, der Erlaubnistatbestand des Art. 13 Abs. 1 der europäischen Datenschutzrichtlinie sei vollumfänglich auf die Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation zu erstrecken.24 Die Entscheidung ist ein Beispiel für die mitunter sehr pragmatische, rechtsfortbildende Rechtsprechung des EuGH, in der die Grenzen des Wort20 

EuGH v. 12. 07. 2011 – C-324/09 (L’Oréal/eBay), Rn. 142: Dem Betreiber eines OnlineMarktplatzes könne aufgegeben werden, Maßnahmen zu ergreifen, die die Identifizierung seiner als Verkäufer auftretenden Kunden erleichtern. Zwar sei es erforderlich, den Schutz der personenbezogenen Daten zu beachten. Doch müsse der Urheber einer Schutzrechtsverletzung, sofern er im geschäftlichen Verkehr und nicht als Privatmann tätig werde, gleichwohl klar identifizierbar sein, wie sich auch aus Art. 6 eCommerce-Richtlinie ergebe. 21  Art. 2 lit. b RL 2002/58/EG Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation, ABl. Nr. L 201/37 v.  31. 07. 2002 (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation), geändert durch Richtlinie 2009/136/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2009, ABl. Nr. L 337/11 ff. v. 18. 12. 2009. 22  Siehe vorige Fn. 23  Hierzu näher Generalanwältin Kokott, Schlussanträge v. 18. 07. 2007 – C-275/06 – Slg. 2008, I-271 (Promusicae), Rn. 87. 24  EuGH v. 29. 01. 2008 – C-275/06 – Slg. 2008, I-271 (Promusicae), Rn. 52 ff.



A.  Die Vorgaben der Richtlinie

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lauts einer Norm ohne weitere Erörterung hinweggefegt werden, um den Weg zu einer als sachgerecht empfundenen Regelung zu ebnen. Methodisch zweifellos fragwürdig,25 lassen sich die praktischen Vorzüge dieser „Auslegung“ im vorliegenden Fall nicht verleugnen. Nationale Bestimmungen, die Auskunftsanordnungen über Verkehrsdaten zwecks Ermittlung von Schutzrechtsverletzern vorsehen (sei es auf Basis des Art. 8 Abs. 1 DRL oder darüber hinausgehend), scheitern angesichts der rechtsfortbildenden Interpretation des EuGH nicht an den speziellen datenschutzrechtlichen Bestimmungen für elektronische Kommunikation. Die dadurch bewirkte Gleichstellung mit dem Datenschutz für andere Übermittlungswege und der elektronischen Übermittlung von Bestandsdaten ist grundsätzlich zu begrüßen. Ebenso verhindert die Rechtsfortbildung des EuGH eine faktische Rechtlosstellung der Schutzrechtsinhaber (und anderer Verletzter) gegenüber Rechtsverletzungen in elektronischen Kommunikationsnetzen. Da Schadensersatzansprüche gegenüber Diensteanbietern der Informationsgesellschaft häufig an den Haftungsprivilegierungen nach Art. 12 ff. ECRL scheitern, ist es für Rechteinhaber von elementarer Bedeutung, die Identität des unmittelbaren Verletzers zu ermitteln und diesem gegenüber rechtlich vorzugehen. Abschließend kann somit festgehalten werden, dass die für die Harmonisierung der Auskunftsansprüche maßgebliche Koordination mit den Normen des Datenschutzrechts im pflichtgemäßen Ermessen der Mitgliedstaaten steht,26 welche hierbei die betroffenen Grundrechtspositionen abzuwägen haben. Zu erinnern bleibt freilich daran, dass das europäische Datenschutzrecht allein den Schutz natürlicher Personen bezweckt.27 Auskünfte über juristische Personen oder Personengesellschaften können nicht mit Hinweis auf den zu gewährenden Datenschutz zurückgehalten werden.

25  A. A. deshalb GA Kokott, Schlussanträge v. 18. 07. 2007, a. a. O., Rn. 85 ff.; Spindler, GRUR 2008, 574 (575 f.); Spindler/Dorschel, CR 2006, 341 (346); Seichter, WRP 2006, 391 (398); zweifelnd an der Richtigkeit des Promusicae-Urteils auch Coudert/Werkers, IJL & IT 2010, 50 (64). 26  Zur Ausübung dieses Ermessens siehe EuGH v. 19. 04. 2012 − C-461/10 (Bonnier Audio), Rn. 57 ff. Für einen Überblick über die Rechtslage in sechs Mitgliedstaaten der Union (zu Urheberrechtsverletzungen) siehe Kuner/Burton, Online Copyright Enforcement. 27 Art. 1 Abs. 1 Europäische Datenschutzrichtlinie. Verwirrung stiftet in diesem Zusammenhang die bereits supra (§ 7 Fn. 20) erwähnte Bemerkung des EuGH in der Rechtssache L’Oréal/eBay: Zwar sei es erforderlich, den Schutz der personenbezogenen Daten zu beachten, doch müsse der Urheber der Verletzung, sofern er im geschäftlichen Verkehr und nicht als Privatmann tätig werde, gleichwohl klar identifizierbar sein, wie sich auch aus Art. 6 eCommerce-Richtlinie ergebe. Ob dies bedeutet, dass der Betreiber eines Online-Marktplatzes zur Preisgabe personenbezogener Daten verpflichtet ist, sofern sein Kunde den Kommunikationspflichten aus Art. 5 und 6 eCommerce-Richtlinie nicht nachkommt, ist unklar. Siehe auch Hoeren, WRP 2012, 508 (512).

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§ 7  Auskunft über Ursprung, Vertriebswege und Vertriebsdetails

B.  Auskunftsanordnungen im englischen Recht I.  Offenbarungspflichten im Rahmen eines anhängigen oder anvisierten Verfahrens 15

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Die Ziele des Art. 8 DRL werden im englischen Recht durch diverse disclosureAnordnungen erreicht. Ist ein Rechtsstreit bereits anhängig, so können die gewünschten Informationen im Zuge der standard oder specific disclosure, der third-party disclosure oder der Dokumentenvorlagepflicht eines Zeugens offenbart werden (hierzu oben § 5 Rn. 13 ff., 25 ff.).28 Vor Einleitung eines Verfahrens kann sich die Verpflichtung eines potentiellen Prozessgegners aus der Anordnung der pre-action disclosure ergeben.29 Anordnungen, die zu einer Offenlegung der Identität von Geschäftspartnern oder Vertriebszahlen führen, erfolgen im Vorfeld der Feststellung einer Schutzrechtsverletzung allerdings höchst selten, weil der Einblick in die Geschäftsgeheimnisse des behaupteten Schutzrechtsverletzers nicht rückgängig gemacht werden kann.30 Zumeist ist somit die disclosure im Verfahren zur Bezifferung der Schadenshöhe (inquiry as to damages) entscheidend, wobei auch hier die in § 5 Rn. 29 ff. beschriebenen Mittel zum Schutz von Betriebsgeheimnissen zur Verfügung stehen. Obgleich die disclosure denselben Zielen dient wie Art. 8 DRL, ist sie zur ordnungsgemäßen Umsetzung des Art. 8 DRL nicht ausreichend. Die Verpflichtung zur disclosure beschränkt sich auf die Auflistung und Offenlegung existierender Dokumente,31 wohingegen Art. 8 Abs. 1 und 2 DRL eine Auskunft, d. h. eine konzise Zusammenstellung der begehrten Information erfordert.

II.  Auskunftspflichten im Rahmen der search order 17

Wie bereits in § 6 Rn. 12 ff. ausgiebig dargelegt, verpflichtet das Instrument der search order den Antragsgegner dazu, eine Durchsuchung seiner Räumlichkeiten zu dulden und spezifizierte Gegenstände herauszugeben. Typischerweise wird der Antragsgegner im Rahmen der search order ferner dazu verpflichtet, in beeideter Form Auskunft zu geben über Name und Adresse von Zulieferern 28  Norwich Pharmacal v Customs and Excise Commissioners, [1974] AC 133 (139) (CA) mit Verweis auf Murray v Clayton, (1872–73) L. R. 15 Eq. 115 (118) sowie Saccharin Corporation v Chemicals and Drugs Company, [1900] 2 Ch. 556 (558). 29  CPR 31.16, supra § 6 Rn. 31 f. 30  Sega Enterprises v Alca Electronics, [1982] FSR 516 (521, 524 f.) (CA); Jade Engineering v Antiference Window Systems, [1996] FSR 461 (466 f.) (Ch); Kerly, Rn. 19–185 f.; Terrell on Patents, Rn. 18–159; ausgeschlossen ist eine solche Anordnung freilich nicht, vgl. Lagenes v It’s At (UK), [1991] FSR 492 (504 f.) (Ch); Eli Lilly v Neolab, [2008] EWHC 415 (Pat), Rn. 39 ff. 31  Mitsui & Co v Nexen Petroleum UK, [2005] EWHC 625 (Ch), Rn. 34.



B.  Auskunftsanordnungen im englischen Recht

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und Abnehmern der in der Verfügung benannten Gegenstände sowie über Daten und Mengen der betreffenden Lieferungen,32 gegebenenfalls auch vorprozessual. Auch insoweit gilt zwar der Vorbehalt, dass sich die Auskunft über Geschäftspartner nicht rückgängig machen lässt. Doch wird dies – neben den höheren Anordnungsvoraussetzungen der search order – damit gerechtfertigt, dass durch die mit der search order verbundene Auskunft regelmäßig ein illegales Vertriebsnetz stillgelegt werden soll.33 Ein Aussageverweigerungsrecht zum Schutz vor Selbstbezichtigung steht dem Antragsgegner in Rechtssachen, die gewerbliche Schutzrechte betreffen, nach s. 72 SCA 1981 nicht zu.34 Bestehen konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsgegner unzutreffende Auskünfte gegeben hat, so kann in Ausnahmefällen auch ein Kreuzverhör beantragt werden.35

III.  Norwich Pharmacal Order 1.  Entwicklung der Norwich Pharmacal Order Sofern die oben genannten Instrumente nicht zum Ziel führen, besteht die Befugnis des Gerichts zum Erlass einer sogenannten Norwich Pharmacal Order.36 Die Anordnung kann vor, während oder nach einem Prozess erfolgen.37 Ursprünglich wurde dieser Anordnungstyp im Jahr 1974 entwickelt, um von einer unschuldigen Mittelsperson Informationen über die Identität und Adresse des Verletzers zu erlangen. Eine solche Mittelsperson steht regelmäßig zwischen den Fronten: Auf der einen Seite pocht ein Schutzrechtsinhaber auf Auskunft, auf der anderen Seite ist die Mittelsperson häufig aufgrund vertraglicher Beziehungen dem behaupteten Rechtsverletzer zur Vertraulichkeit verpflichtet. Deshalb bedarf es einer gerichtlichen Anordnung zur Preisgabe

32  EMI v Sarwar, [1977] FSR 146 (147) (CA); s. 7(5)(a) Civil Procedure Act 1997; 25 PD, Muster-Anordnung Nr. 18 f. Die Auskunftspflicht wird als Hauptgrund für die Beantragung vieler search orders bezeichnet in Sony v Anand, [1981] FSR 398 (402) (Ch); ähnlich Willoughby, CJQ 1999, 103 (109). In ausgewählten Fällen kommt sogar ein Kreuzverhör des Antragsgegners in Betracht, hierzu Bean/Parry/Burns, Rn. 8–17. 33  Gleichwohl zur Vorsicht mahnend Sega Enterprises v Alca Electronics, [1982] FSR 516 (525) (CA); Gee, Injunctions, Rn. 17–026 ff. 34  S. 72 SCA 1981 hebt die gegenteilige frühere Rechtsprechung des House of Lords in Rank Film Distributors v Video Information Centre, [1982] AC 380 für IP-Verfahren auf. 35  CBS UK v Perry, [1985] FSR 421 (424 ff.) (Ch). 36  Zurückgehend auf Norwich Pharmacal v Customs and Excise Commissioners, [1974] AC 133 (176, 199) (HL). CPR 31.18 stellt klar, dass die in CPR 31 enthaltenen Bestimmungen zur disclosure die Befugnis des Gerichts zum Erlass einer Norwich Pharmacal Order nicht beeinträchtigen. 37  Paterson/Fitzherbert, CJQ 2010, 38.

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§ 7  Auskunft über Ursprung, Vertriebswege und Vertriebsdetails

der Information, und die Mittelsperson ist berechtigt, Ersatz ihrer Kosten vom Antragsteller zu verlangen.38 Im Zuge der Informationsgewährung über Identität und Adresse des Verletzers sind auch Auskünfte zu Mengen, Daten und weiteren Details von Lieferungen schutzrechtsverletzender Waren bzw. dem Vertrieb schutzrechtsverletzender Dienstleistungen zu erteilen.39 Neuere Entscheidungen betonen, die Maßnahme sei flexibel zu handhaben.40 So können mittlerweile auch andere Auskünfte begehrt werden, bspw. die Offenbarung einer Quelle, die wiederum den Täter zu benennen vermag,41 die Identität des Zulieferers42 oder Hinweise, die geeignet sind, die Rechtsverletzung selbst nachzuweisen.43 Ebenso ist es möglich, Auskunft von einem derzeitigen oder prospektiven Beklagten zu verlangen.44 Stellt sich heraus, dass der Antragsgegner selbst Täter oder Teilnehmer der Schutzrechtsverletzung ist, so hat er selbstverständlich keinen Anspruch auf Kostenerstattung.45

2.  Voraussetzungen und Inhalt der Verfügung 20

Voraussetzung des Verfügungserlasses ist zunächst, dass die behauptete Rechtsverletzung des (ggf. erst zu ermittelnden) Täters plausibel dargelegt wurde bzw. hinreichende Gründe bestehen, eine solche Rechtsverletzung anzunehmen (arguable case).46 Eine Anordnung setzt ferner voraus, dass die vom Antragsteller begehrte Information erforderlich ist, um die Rechtsverfolgung gegenüber dem Täter zu ermöglichen, wobei auch die Rechtsverfolgung im 38  Norwich Pharmacal v Customs and Excise Commissioners, [1974] AC 133 (176, 199) (HL); White Book, Vol. I, Rn. 31. 18. 11. Der Schutzrechtsinhaber kann seinerseits Kompensation dieser Kosten vom Verletzer verlangen, vgl. Morton Norwich Products v Intercen (No.2), [1981] FSR 337 (348 ff.) (Pat); White Book, Vol. I, Rn. 31. 18. 11. 39  RCA v Reddingtons Rare Records, [1974] 1 WLR 1445 (1446) (Ch); Hollander, Evidence, Rn. 4–14 m. w. N. 40  Ashworth Hospital Authority v MGN, [2002] HRLR 41 (HL), Rn. 57. 41  Ashworth Hospital Authority v MGN, [2002] HRLR 41 (HL), Rn. 31 ff. 42  Jade Engineering (Coventry) v Antiference Window Systems, [1996] FSR 461 (466 ff.) (Ch). 43  Carlton Film Distributors v VCI, [2003] EWHC 616 (Ch): Auskunft eines Dritten über die Anzahl der vom intendierten Beklagten in Auftrag gegebenen Vervielfältigungsstücke; siehe ferner P v T, [1997] 1 WLR 1309 (1316 ff.) (CA); Hollander, Evidence, Rn. 4–15 ff. Zu einer weiteren Fallgruppe vgl. CHC Software Care v Hopkins & Wood, [1993] FSR 241 (250) (Ch): Offenbarung der Daten derjenigen Kunden, gegenüber denen sich der Rechtsverletzer herabsetzend über den Antragsteller geäußert hatte. Ziel des Klägers war es, gegenüber diesen Kunden eine Richtigstellung zu veranlassen. 44  CHC Software Care v Hopkins & Wood, [1993] FSR 241 (250) (Ch); Jade Engineering (Coventry) v Antiference Window Systems, [1996] FSR 461 (466 ff.) (Ch); Mitsui & Co v Nexen Petroleum UK, [2005] EWHC 625 (Ch), Rn. 19. 45  Totalise v The Motley Fool, [2002] 1 WLR 1233 (1241) (CA). 46 Näher P v T, [1997] 1 WLR 1309 (1316 ff.) (CA); Paterson/Fitzherbert, CJQ 2010, 38 (40 f.); Hollander, Evidence, Rn. 4–05, 4–11.; Paterson/Fitzherbert, CJQ 2010, 38 f.



B.  Auskunftsanordnungen im englischen Recht

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Ausland unterstützt wird.47 Dem Antragsteller dürfen keine anderweitigen zumutbaren Informationsquellen oder Verfahrensformen zur Verfügung stehen.48 Insbesondere kann ein Antrag auf pre-action disclosure gegenüber dem behaupteten Täter vorrangig vor einem Antrag auf Erlass einer Norwich Pharmacal Order gegenüber einem Dritten sein.49 Nach neuerer Rechtsprechung unterliegt der Antragsteller grundsätzlich einer Pflicht zur full and frank disclosure.50 Zur Auskunft verpflichtet werden kann jede Person, die in die Rechtsverletzung einer anderen Person involviert war bzw. diese erleichtert hat.51 Eine eigenständige Haftung des Auskunftsverpflichteten oder dessen Kenntnis von der Rechtsverletzung ist keine Voraussetzung für die Auskunftspflicht, doch bedarf es irgendeines Beitrags zum Tatgeschehen, sei dieser auch noch so gering.52 Die in Art. 8 Abs. 1 lit. a bis c DRL genannten Beiträge sind zweifellos ausreichend. Auch eine Anordnung gegenüber den in Art. 8 Abs. 1 lit. d DRL genannten Personen erscheint möglich, soweit ein hinreichender Verdacht der Beteiligung des Dritten besteht.53 Gegenüber reinen Beobachtern bzw. Zeugen kann eine Norwich Pharmacal order nicht erlassen werden.54 Die Einleitung 47 

United Company Rusal v HSBC Bank, [2011] EWHC 404 (QB), Rn. 53 ff. m. w. N. Mitsui & Co v Nexen Petroleum UK, [2005] EWHC 625 (Ch), Rn. 24; großzügiger Regina (Mohamed) v Secretary of State (No 1), [2009] 1 WLR 2579 (2615 f.) (Admin); siehe ferner Hollander, Evidence, Rn. 4–19 f.; Paterson/Fitzherbert, CJQ 2010, 38 (40 f.). 49  Mitsui & Co v Nexen Petroleum UK, [2005] EWHC 625 (Ch), Rn. 25 ff.; Nikitin v Richards Butler LLP, [2007] EWHC 173 (QB), Rn. 29 ff. 50  Golden Eye (International) v Telefónica UK, [2012] EWHC 723 Ch, Rn. 84 ff. 51  Norwich Pharmacal v Customs and Excise Commissioners, [1974] AC 133 (175, 188) (HL); British Steel Corp v Granada Television, [1981] AC 1096 (1171, 1196 f.) (HL); Mitsui & Co v Nexen Petroleum UK, [2005] EWHC 625 (Ch), Rn. 21; zur Abgrenzung Hollander, Evidence, Rn. 4–07 ff. 52  In der Entscheidung Norwich Pharmacal bestand die „Verwicklung“ der beklagten Zollbehörde darin, dass sie das rechtsverletzende Material nicht an der Grenze konfisziert hatte, obgleich sie hierzu berechtigt gewesen wäre. Kenntnis von der Rechtsverletzung hatte die Zollbehörde nicht. In The Coca-Cola Company v British Telecommunications, [1999] FSR 518 (523 f.) (Ch), bestand der Verdacht, die illegalen Geschäfte des Rechtsverletzers seien jedenfalls teilweise über sein Mobiltelefon abgewickelt worden, weshalb der Mobilfunkbetreiber zur Herausgabe der Bestandsdaten verpflichtet wurde. In Ashworth Hospital Authority v MGN Ltd, [2002] HRLR 41 (HL), Rn. 57 betont Lord Woolf LJ, dass einer Weiterentwicklung der Norwich Pharmacal Order auf bislang noch nicht behandelte Fallkonstellationen nichts im Wege stehe: „New situations are inevitably going to arise where it will be appropriate for the [Norwich Pharmacal] jurisdiction to be exercised where it has not been exercised previously.” 53  Vgl.  – jeweils zu anderen Rechtsgebieten  – Ashworth Hospital Authority v MGN, [2002] HRLR 41 (HL), Rn. 31 ff.; Koo Golden East Mongolia v Bank of Nova Scotia, [2008] 2 WLR 1160 (1176 f.) (CA); Arab Satellite Communication Organisation v Saal Al Faqih, [2008] EWHC 2568 (QB), Rn. 24 f.; Paterson/Fitzherbert, CJQ 2010, 38 (44). 54  Ashworth Hospital Authority v MGN Ltd, [2002] HRLR 41 (HL), Rn. 35; Mitsui & Co v Nexen Petroleum UK, [2005] EWHC 625 (Ch), Rn. 39; White Book, Vol. I, Rn. 31.18.2; zur Abgrenzung siehe Hollander, Evidence, Rn. 4–07 ff. 48 

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§ 7  Auskunft über Ursprung, Vertriebswege und Vertriebsdetails

eines Hauptsacheverfahrens vor oder nach Erlass der Verfügung ist hingegen keine Voraussetzung für die Anordnung.55 Steht fest, dass der Antragsgegner in das Geschehen verwickelt und die Auskunftserteilung zur weiteren Rechtsverfolgung erforderlich ist, trifft das Gericht die Anordnung nach seinem Ermessen.56 Im Rahmen der Interessenabwägung können unterschiedliche Faktoren eine Rolle spielen,57 z. B. der mit der Auskunftserteilung verbundene Aufwand, der Abschreckungseffekt gegenüber weiteren Verletzern, die Stärke des behaupteten Anspruchs gegenüber dem angeblichen Rechtsverletzer,58 der Schutz journalistischer Quellen,59 allgemeine Datenschutzverpflichtungen60 und die in der EMRK festgehaltenen Menschenrechte.61 Eine Anordnung zur Preisgabe der Identität von Kundendaten wird nur zögerlich erteilt, sofern der Antragsteller ein Konkurrenzunternehmen ist.62 Auch die Art der Informationsübermittlung steht im Ermessen des Gerichts. Üblicherweise wird die Offenlegung bestimmter Dokumente angeordnet, doch kommt auch die Abgabe beeideter schriftlicher Stellungnahmen oder eine mündliche Befragung in Betracht.63 Von besonderem Interesse ist die Norwich Pharmacal Order in jenen Fällen, in denen die Einsichtnahme in Dokumente nicht ausreicht, sondern eine Auskunft begehrt wird.64

55  British Steel Corp v Granada Television, [1981] AC 1096 (1200) (HL); Ashworth Hospital Authority v MGN, [2002] HRLR 41 (HL), Rn. 19. Auch eine Auskunftserteilung zugunsten eines ausländischen Verfahrens kommt deshalb in Betracht, siehe Hollander, Evidence, Rn. 4–13. 56  British Steel Corp v Granada Television, [1981] AC 1096 (1174, 1184) (HL); Ashworth Hospital Authority v MGN, [2002] HRLR 41 (HL), Rn. 36; Hollander, CJQ 458 (464 f.). 57  Siehe zusammenfassend m. w. N. Rugby Football Union v Viagogo, [2012] UKSC 55 (SC), Rn. 17. 58  Sheffield Wednesday Football Club v Hargreaves, [2007] EWHC 2375 (QB), Rn. 17. 59  British Steel Corp v Granada Television, [1981] AC 1096 (1173 f.) (HL); Ashworth Hospital Authority v MGN, [2002] HRLR 41 (HL), Rn. 37 ff. 60  Norwich Pharmacal v Customs and Excise Commissioners, [1974] AC 133 (176, 199) (HL). 61  Rugby Football Union v Viagogo, [2012] UKSC 55 (SC), Rn. 44 f.; Totalise v The Motley Fool, [2002] 1 WLR 1233 (1239 f.) (CA); 62  Jade Engineering (Coventry) v Antiference Window Systems, [1996] FSR 461 (466 f.) (Ch). 63  Mitsui & Co v Nexen Petroleum UK, [2005] EWHC 625 (Ch), Rn. 18. Ist unklar, ob der Antragsgegner eventuell als Partei in den Prozess einbezogen werden könnte, kann sich die Anordnung in Analogie zu CPR 31.16 (pre-action disclosure) auf die Offenlegung von Dokumenten beschränken, vgl. BNP Paribas v TH Global, [2009] EWHC 37 (Ch), Rn. 51. 64  Mitsui & Co v Nexen Petroleum UK, [2005] EWHC 625 (Ch), Rn. 34; Andrews, Civil Procedure, Rn. 26.97.



B.  Auskunftsanordnungen im englischen Recht

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3.  Die Koordination mit datenschutzrechtlichen Belangen Die obigen Grundsätze finden auch dann Anwendung, wenn die Auskunft die Preisgabe persönlicher Daten im Sinne des Data Protection Act 1998 und der Privacy and Electronic Communications (EC Directive) Regulations 2003 betrifft.65 Von Bedeutung ist dies insbesondere für Telemediendienste. S. 35 des Data Protection Act und r. 29 der Regulations erlauben die Preisgabe persönlicher Informationen zwecks Durchführung eines Gerichtsverfahrens. Doch sind hierbei im Rahmen einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung die Rechte und berechtigten Interessen des Datensubjekts zu berücksichtigen.66 Da der Antragsgegner bei Preisgabe der Daten gegebenenfalls eine Vertragsverletzung begeht bzw. sich gegenüber dem Datensubjekt haftbar macht, ist er berechtigt, die Daten erst auf gerichtliche Anordnung hin zu offenbaren. Damit das gerichtliche Verfahren mangels inhaltlicher Stellungnahme der Mittelsperson nicht zu einer Farce gerät,67 erwägt der Court of Appeal in der Entscheidung Totalise v Motley Fool, die Mittelsperson könne in geeigneten Fällen den Betroffenen von dem Antrag berichten und eventuelle Stellungnahmen dem Betroffenen – unter Wahrung seiner Anonymität – an das Gericht weiterleiten.68 Diese Regelung wahrt die berechtigten Belange aller Parteien, gestaltet sich im Einzelfall jedoch sehr kostenintensiv für den Antragsteller.69 In Golden Eye v Telefónica UK hat Arnold J einen anderen Weg gewählt und eine Verbraucherschutzorganisation als Repräsentantin der unbekannten, vermeintlichen Rechtsverletzer zur Intervention aufgefordert.70

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4.  Anderweitiger Vertraulichkeitsschutz Auch wenn datenschutzrechtliche Normen nicht einschlägig sind, z. B. weil Auskunft über eine juristische Person begehrt wird, kann der Auskunftspflichtige vertraglich zur Geheimhaltung verpflichtet oder an der Wahrung eigener Geschäftsgeheimnisse interessiert sein. Das Gericht beschränkt des65  Totalise v The Motley Fool, [2002] 1 WLR 1233 (1239 ff.) (CA); Paterson/Fitzherbert, CJQ 2010, 38 (45); zweifelnd Hetherington, Ent. L. R. 2009, 60 (61). 66  Schedule 2 Abs. 6 (1) Data Protection Act 1998; The Rugby Football Union v Consolidated Information Service, [2012] UKSC 55 (SC), Rn. 17, 25; Totalise plc v Motley Fool, [2001] EWCA Civ 1897, Rn. 79. 67  Im Regelfall ist die Mittelsperson lediglich daran interessiert, ihre rechtliche Position zu sichern und weder dem Rechteinhaber noch dem Datensubjekt gegenüber schadensersatzpflichtig zu werden, vgl. Totalise v The Motley Fool, [2002] 1 WLR 1233 (1239 f.) (CA); Caddick/Tomlinson, NLJ 2010, 211. 68  Totalise v The Motley Fool, [2002] 1 WLR 1233 (1240) (CA). 69  In der Entscheidung Totalise v The Motley Fool, [2002] 1 WLR 1233 (CA) betrugen allein die Anwaltskosten des Antragstellers £ 15.000; in der Entscheidung Sheffield Wednesday Football Club v Hargreaves, [2007] EWHC 2375 (QB) wurden dem Antragsgegner £ 9.000 zugebilligt. 70  Golden Eye v Telefónica UK and Consumer Focus, [2012] EWHC 723 (Ch), Rn. 7 ff.

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§ 7  Auskunft über Ursprung, Vertriebswege und Vertriebsdetails

halb im Rahmen der Norwich Pharmacal Order ähnlich wie bei der disclosure und search order die Verwendung der Information71 und verlangt zur Absicherung die Abgabe eines undertaking in damages zugunsten des Auskunftspflichtigen.72 Wie bereits erwähnt, steht dem Antragsgegner in Rechtssachen, die gewerbliche Schutzrechte betreffen, kein Aussageverweigerungsrecht zum Schutz vor Selbstbezichtigung zu.73

5.  Kosten- und Schadensersatz 26

Die Kosten des Verfahrens und der Auskunftserteilung trägt der Antragsteller.74

IV.  Durchsetzung mittels contempt of court 27

Ein Verstoß gegen jede der in diesem Abschnitt genannten Anordnungen wird als contempt of court geahndet, löst also eine Geld- oder Haftstrafe aus bzw. kann zur Streichung des schriftsätzlichen Vortrags führen (näher § 4 Rn. 80 ff.).

V. Fazit 28

Informationsdefizite des Schutzrechtsinhabers werden im englischen Recht primär durch die Pflicht des Gegners zur Offenbarung von Dokumenten behoben. In Dokumente, aus denen sich Informationen zu Vertriebspartnern und -zahlen ergeben, wird zumeist erst nach Feststellung einer Schutzrechtsverletzung Einsicht gewährt.75 Auskunftsanordnungen spielen zur Befriedigung dieses Informationsbedürfnisses im englischen Recht traditionell keine Rolle. Angesichts der Gleichstellung von Dokumentenvorlagepflichten und Auskunftsrechten durch die Durchsetzungsrichtlinie dürfte es allerdings den Vorgaben der Richtlinie widersprechen, sollte ein Antrag auf den Erlass einer Auskunftsanordnung von einem englischen Gericht pauschal mit dem Hinweis abgelehnt werden, die Auskunftserteilung sei angesichts der erfolgten disclosure nicht erforderlich. Die flexible Handhabung der Norwich Pharmacal 71 

Ashworth Hospital Authority v MGN, [2002] HRLR 41 (HL), Rn. 60. Bankers Trust Co. v Shapira, [1980] 1 W. L. R. 1274 (1282) (CA); Christopher/Sheeley, NLJ 2009, 1026. Zum cross-undertaking in damages supra § 4 Rn. 75 ff. 73  S. 72 SCA 1981 hebt die gegenteilige frühere Rechtsprechung des House of Lords in Rank Film Distributors v Video Information Centre, [1982] AC 380 für IP-Verfahren auf. 74  Norwich Pharmacal v Customs and Excise Commissioners, [1974] AC 133 (176, 199) (HL); White Book, Vol. I, Rn. 31. 18. 11. Der Schutzrechtsinhaber kann seinerseits Kompensation dieser Kosten vom Verletzer verlangen, vgl. Morton Norwich Products v Intercen (No.2), [1981] FSR 337 (348 ff.) (Pat); White Book, Vol. I, Rn. 31. 18. 11. 75  Benbow v Low, (1880) LR 16 ChD 93 (95 ff.) (CA); Saccharin v Chemicals and Drugs, [1900] 2 Ch 556 (558 ff.) (CA); Kerly on Trademarks, Rn. 19–185. 72 



B.  Auskunftsanordnungen im englischen Recht

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Order ermöglicht den Erlass einer Auskunftsanordnung in diesen Situationen. Die Richtlinienkonformität des englischen Rechts ist damit gesichert. Von hoher praktischer Bedeutung sind Auskunftsanordnungen im vorprozessualen Stadium. Zwar können sowohl die search order als auch die Norwich Pharmacal Order prozessbegleitend erlassen werden, doch sind diese Anordnungen regelmäßig vor Einleitung eines Verletzungsprozesses besonders hilfreich. Im Rahmen einer vorprozessualen search order kann beispielsweise eine Auskunftsanordnung gegenüber dem vermeintlichen Schutzrechtsverletzer erlassen werden, um ein zeitnahes Vorgehen gegenüber dessen Komplizen bzw. Zulieferern und Abnehmern zu ermöglichen. Der Antragsgegner hat hierbei auch über Daten und Mengen der erfolgten Lieferungen Auskunft zu geben, und die insoweit erlangten Erkenntnisse sind zur Verwertung in einem späteren Prozess geeignet. Mit Hilfe der Norwich Pharmacal Order können ebenfalls Informationen über die Identität von Mittätern, anderen Personen in der Vertriebskette sowie Liefermengen und Preise gewonnen werden, wenn auch nicht zwingend stets im Wege der Auskunft. Einen angemessenen Interessenausgleich bewirkt die Norwich Pharmacal Order bei Anordnungen gegenüber dritten Personen, die an der Verletzung nicht beteiligt, aber doch auf irgendeine Weise in das Geschehen verwickelt sind. Die Anordnung kann unabhängig von einem anhängigen Verletzungsverfahren erlassen werden und erlaubt die Identifikation des vermeintlichen Schutzrechtsverletzers, um eine Klärung des Vorwurfs der Schutzrechtsverletzung in einer separaten Klage zu ermöglichen. Die Abwägung zwischen dem Auskunftsbegehren des Schutzrechtsinhabers und der (datenschutz- oder vertraglichen) Pflicht zur Geheimhaltung von Daten des angeblichen Schutzrechtsverletzers muss der betroffene Dritte nicht auf eigenes Risiko vornehmen. Vielmehr ist er berechtigt, eine gerichtliche Anordnung abzuwarten, wobei seine Verfahrenskosten vom Antragsteller zu begleichen sind. Hierbei steht auch die Möglichkeit im Raum, dass der Antragsgegner quasi als Bote für die rechtlichen Stellungnahmen derjenigen Person agiert, deren Identität aufgedeckt werden soll bzw. ein Repräsentant zur Wahrung deren rechtlicher Interessen bestimmt wird. Der Pferdefuß dieser – im Übrigen sehr ausgewogenen  – Verfahrensgestaltung liegt in den hohen Verfahrenskosten für den Schutzrechtsinhaber.

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§ 7  Auskunft über Ursprung, Vertriebswege und Vertriebsdetails

C.  Die Auskunftsansprüche des deutschen Rechts I.  Kumulation allgemeiner und spezifischer Auskunftsansprüche 31

Im Jahr 1990 hatte der deutsche Gesetzgeber mit dem Produktpirateriegesetz76 verschuldensunabhängige Ansprüche auf Drittauskunft in die immaterialgüterrechtlichen Spezialgesetze eingeführt. In Anlehnung an diese spezifischen Auskunftsansprüche des deutschen Rechts (sowie jene der Beneluxstaaten) wurde Art. 8 DRL konzipiert, 77 wobei sowohl der Umfang der Auskunftspflicht als auch die Passivlegitimation gegenüber dem deutschen Vorbild eine Erweiterung fanden. Der deutsche Gesetzgeber hat § 140b PatG, § 24b GebrMG, §§ 19, 128 Abs. 1, 135 Abs. 1 MarkenG, § 9 Abs. 2 HalblSchG, § 46 DesignG, § 37b SortSchG an die Erfordernisse der Richtlinie angepasst. Ergänzend neben diese Spezialregelungen tritt der gewohnheitsrechtlich aus § 242 BGB abgeleitete Hilfsanspruch auf Auskunft und Rechnungslegung zwecks Bezifferung der Höhe des Schadensersatzanspruchs.

II.  Die immaterialgüterrechtlichen Auskunftsansprüche 1. Passivlegitimation a)  Täter und Teilnehmer einer Schutzrechtsverletzung 32

Zur Auskunft verpflichtet ist jeder Täter oder Teilnehmer, d. h. der „Verletzer“ (§ 19 MarkenG, § 46 DesignG, § 37b SortSchG) bzw. derjenige, welcher entgegen den immaterialgüterrechtlichen Verbotstatbeständen ein technisches Schutzrecht benutzt (§ 140b Abs. 1 PatG, § 24b Abs. 1 GebrMG, § 9 Abs. 2 HalblSchG).

b)  Auskunftspflichten von Mittelspersonen 33

§ 140b Abs. 2 S. 1 PatG et al. erweitert den Kreis der Auskunftspflichtigen um die in Art. 8 Abs. 1 DRL genannten Dritten unter der Voraussetzung, dass der Schutzrechtsinhaber gegen den Verletzer Klage erhoben hat oder ein Fall offensichtlicher Rechtsverletzung vorliegt. Das Kriterium der Klageerhebung soll nach Intention des Gesetzgebers sicherstellen, dass die begehrten Auskünfte tatsächlich der Rechtsverfolgung dienen.78 Dennoch wird vom Erfordernis eines anhängigen Verletzungsverfahrens in Fällen offensichtlicher Schutzrechtsverletzung abgesehen. Dies ist grundsätzlich sinnvoll, weil die Auskunftspflicht 76  Gesetz zur Stärkung des Schutzes des geistigen Eigentums und zur Bekämpfung der Produktpiraterie v. 07. 05. 1990, BGBl I S. 422. 77  Der Richtlinienvorschlag nennt § 19a MarkenG und Art. 13 Abs. 4 des Einheitlichen Benelux-Markengesetzes als Vorbilder, vgl. KOM (2003) 46 endg., S. 16. 78  BT-Drucks. 16/5048, S. 39.



C.  Die Auskunftsansprüche des deutschen Rechts

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der in Art. 8 Abs. 1 lit. a bis c genannten Dritten die Identität des Verletzers offenbaren soll.79 Da das deutsche Prozessrecht die Möglichkeit eines Verfahrens gegen Unbekannt nicht vorsieht, liefe der Auskunftsanspruch leer, wäre er an ein bereits eingeleitetes Verfahren gegen den Verletzer geknüpft. Doch ist zweifelhaft, ob den Interessen der Schutzrechtsinhaber an der Ermittlung der Identität von Rechtsverletzern durch die Auskunftspflicht bei offensichtlichen Rechtsverletzungen ausreichend genüge getan ist.80 ­Offensichtlichkeit ist nur anzunehmen, wenn die Rechtsverletzung so eindeutig ist, dass eine Fehlentscheidung oder eine andere rechtliche Beurteilung kaum möglich ist und eine ungerechtfertigte Belastung des Auskunftsschuldners ausgeschlossen erscheint.81 Ist die Tatsachenbasis unklar oder die Rechtslage streitig, scheidet eine Offenbarung der Identität des Dritten aus – und damit auch eine Verfolgung der potentiellen Schutzrechtsverletzung, sofern sich die Identität des vermeintlichen Verletzers nicht anderweitig ermitteln lässt.82 An der richtliniengetreuen Umsetzung des Art. 8 Abs. 1 DRL bestehen trotz dieser praktischen Schwierigkeiten keine Zweifel.83 Wie bereits erwähnt, enthalten § 140b Abs. 2 PatG et al. neben der Offensichtlichkeit der Rechtsverletzung die alternative Tatbestandsvoraussetzung einer Klageerhebung gegenüber dem Verletzer. Dies genügt den Anforderungen der Richtlinie vollauf, da eine Auskunftsanordnung nach Art. 8 Abs. 1 DRL nur „im Zusammenhang mit einem Verfahren wegen Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums“ zu gewährleisten ist.

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c)  Der Störer als Auskunftspflichtiger Nicht eindeutig geregelt ist, ob ein Störer Auskunft als Verletzer nach § 140b Abs. 1 PatG et al. schuldet oder als Mittelsperson einzuordnen ist und deshalb nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen des Abs. 2 zur Auskunft verpflichtet ist (Klageerhebung gegenüber dem Verletzer oder Offensichtlichkeit der Rechtsverletzung). Der Wortlaut der einzelnen immaterialgüterrechtlichen 79 

Seichter, VuR 2007, 291 (294). Paukert/Kur, GRUR Int. 2006, 292 (297); Spindler/Weber, ZUM 2007, 257 (262); a. A. Heymann, CR 2008, 568 (570). 81  BT-Drucks. 16/5048, S. 39; LG Berlin v. 06. 10. 2011 – 16 O 417/10; Pitz, GRUR 2009, 805 (807); Ann/Hauck/Maute, Auskunftsanspruch, Rn. 326 ff.; Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 19 Rn. 23, 52 m. w. N. Nach Kühnen, HdB PatV, Rn. 1061, muss deshalb mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen: (1) die patentverletzende Ausgestaltung des Erzeugnisses, (2) die Zuordnung zu einer Person, in deren Hand die Benutzung rechtswidrig ist, (3) die rechtliche Schlussfolgerung, dass mit dem Erzeugnis eine Patentverletzung begangen wurde. Ferner dürfen keine Zweifel am Bestand des Klagepatents vorliegen. 82 Beispielsweise durch Testkäufe, sofern scheinbar markenverletzende Produkte auf Internet-Plattformen zum Verkauf angeboten werden. 83  LG Berlin v.  15. 06. 2010  – 16 O 237/09; Hacker in Ströbele/Hacker, MarkenG, § 19 Rn. 26; Seichter, VuR 2007, 291 (294); a. A. Spindler/Weber, ZUM 2007, 257 (262); Peukert/ Kur, GRUR Int. 2006, 292 (297); Bruns in Stürner/Kawano, Cross Border Insolvency, S. 259. 80 

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§ 7  Auskunft über Ursprung, Vertriebswege und Vertriebsdetails

Auskunftsansprüche divergiert ebenso wie die Täterschaftsbegriffe, welche der I. und der X. Zivilsenat für ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereich zu Grunde legen. Von der Formulierung des § 140b Abs. 1 PatG („wer entgegen §§ 9 bis 13 eine patentierte Erfindung benutzt“) ist angesichts des Tatbestands der mittelbaren Patentverletzung gemäß § 10 PatG und des weiten Täterschaftsbegriffs des X. Zivilsenats84 auch jede Person umfasst, die unter Verletzung von Prüfungspflichten einen Verursachungsbeitrag zur Rechtsgutsverletzung gesetzt hat.85 Demgegenüber ist nach § 19 Abs. 1 MarkenG nur „der Verletzer“ geeigneter Anspruchsgegner, weshalb aufgrund des vom I. Zivilsenats verwendeten engeren Täterschaftsbegriff eine Passivlegitimation des Störers ausscheidet,86 sofern man nicht den Begriff des Störers unter den Begriff des Verletzers subsumiert, weil der immaterialgüterrechtliche Auskunftsanspruch verschuldensunabhängig entsteht.87 Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber die Auskunftspflichten in den verschiedenen immaterialgüterrechtlichen Spezialgesetzen unterschiedlich regeln wollte, liegen nicht vor. In den Gesetzgebungsmaterialien wurde allein auf § 140b PatG Bezug genommen und davon ausgegangen, dass ein Auskunftsanspruch gegenüber einem Störer auch bereits auf Basis des Abs. 1 entstehen kann.88 Die Richtlinie, deren Struktur § 140b PatG et  al. nachempfindet, differenziert nur zwischen dem unmittelbaren Verletzer auf der einen Seite und involvierten Dritten auf der anderen Seite.89 Dies spricht dafür, den Auskunftsanspruch gegen eine Person, die unter Verletzung von Prüfungspflichten lediglich einen Verursachungsbeitrag gesetzt hat, auch in den deutschen Implementierungsnormen unter Abs. 2 zu fassen.90 In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass der deutsche Gesetzgeber in § 140b Abs. 2 PatG et al. das Ziel verfolgte, dem Dritten den Entscheidungskonflikt zwischen Auskunftsrecht des Schutzrechtsinhabers und Schutz der Identität seiner Geschäftspartner zu erleichtern, indem er den Auskunftsanspruch an die Erhebung der Verletzungsklage bzw. die Offensichtlichkeit der Rechtsverletzung knüpfte.91

84 BGH v.  30. 01. 2007  – X ZR 53/04  – GRUR 2007, 313 (314 f.) (Funkuhr II); BGH v. 17. 09. 2009 – Xa ZR 2/08 – GRUR 2009, 1142 (1144 ff.) (MP3-Player) m. w. N.; näher supra § 4 Rn. 107. 85  BT-Drucks. 16/5048, S. 38; Mes, PatG/GebrMG, § 140b PatG Rn. 16. 86  Siehe zu § 101a UrhG a. F. OLG Frankfurt v.  25. 01. 2005  – 11 U 51/04  – GRUR-RR 2005, 147 (148); OLG Hamburg v. 28. 04. 2005 – 5 U 156/04 – CR 2005, 512 (516); Sieber/ Höfinger, MMR 2004, 575 (579 f.); Linke, MMR 2005, 456 (457). 87  So OLG München v. 17. 11. 2011 – 29 U 3496/11 – GRUR 2012, 115 (117) zu § 101a UrhG; Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 19 Rn. 8. 88  BT-Drucks. 16/5048, S. 38. 89  Wiebe in Büllesbach/Büchner, S. 167. 90  So wohl auch Haedicke in FS Schricker, S. 39 (noch vor Richtlinienumsetzung). 91  BT-Drucks. 16/5048, S. 39.



C.  Die Auskunftsansprüche des deutschen Rechts

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Es spricht viel dafür, dem Störer diese Erleichterung gleichfalls zuzubilligen. An einem praktischen Beispiel illustriert: Wurden dem Betreiber eines Internet-Marktplatzes Markenrechtsverletzungen eines seiner Nutzer gemeldet, so begründet der erstmalige Hinweis auf die Rechtsverletzung keine Störerhaftung und verpflichtet den Diensteanbieter nicht zur Preisgabe der Identität des Nutzers, soweit keine offensichtliche Rechtsverletzung vorliegt. Nach der Rechtsprechung des BGH löst die erstmalige Meldung der Rechtsverletzung jedoch Prüfungspflichten des Marktplatzbetreibers aus, weshalb jede weitere Rechtsverletzung eines (beliebigen) Nutzers die Störerhaftung des Diensteanbieters begründet.92 Es besteht kein überzeugender Grund, den Auskunftsanspruch im ersten Fall an das Kriterium der Offensichtlichkeit der Rechtsverletzung zu knüpfen und in der zweiten Konstellation eine Auskunftsplicht des Diensteanbieters auch bei unklarer Rechtslage zu bejahen. Der Hinweis auf den Normzweck, dem Rechtsinhaber ein Vorgehen gegen weitere Verletzer in der Vertriebskette zu ermöglichen, ändert hieran nichts,93 denn dieser Normzweck liegt sowohl Abs. 1 als auch Abs. 2 zu Grunde. Nach hier vertretener  – freilich in der Minderheit befindlicher94 – Auffassung entsteht ein Auskunftsanspruch gegenüber einem Störer deshalb nur unter den Voraussetzungen des § 19 Abs. 2 MarkenG, § 46 DesignG, § 37b Abs. 2 SortSchG. Angesichts des weiten Täterschaftsbegriffs im Patent- und Gebrauchsmusterrecht, der einen Rückgriff auf die Figur des Störers entbehrlich macht, würde der Normzweck es gebieten, auch im Patentrecht Personen, die lediglich Verursachungsbeiträge gesetzt haben, die Privilegierung des § 140b Abs. 2 PatG zuzubilligen. Dies bedürfte aufgrund des Tatbestands der mittelbaren Patentverletzung allerdings einer teleologischen Reduktion.

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2.  Voraussetzungen und Inhalt der Auskunftspflicht Voraussetzung des Auskunftsanspruchs ist neben der soeben beschriebenen Passivlegitimation lediglich das Vorliegen einer Schutzrechtsverletzung. Preiszugeben sind zunächst Namen und Anschrift der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer der Waren oder Dienstleistungen sowie der gewerblichen Abnehmer und Verkaufsstellen, für die sie bestimmt waren. Nicht erfasst sind andere Daten, die für die Ermittlung der Identität der (weiteren)

92 

Siehe ausführlich § 4 Rn. 109 ff. A. A. Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 19 Rn. 8. 94  a. A. Hacker in Ströbele/Hacker, MarkenG, § 19 Rn. 17; Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 19 Rn. 8; Mes, PatG/GebrMG, § 140b PatG Rn. 16; Kühnen, HdB PatV, Rn. 1058. 93 

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§ 7  Auskunft über Ursprung, Vertriebswege und Vertriebsdetails

Schutzrechtsverletzer hilfreich wären, wie etwa die eMail-Adresse,95 Telefonnummer oder Bankverbindung der genannten Personen.96 Der Inhalt der Auskunftspflicht erstreckt sich außerdem gemäß § 140b Abs. 3 PatG, § 24b Abs. 3 GebrMG und § 9 Abs. 2 HalblSchG – sowie im hier nicht behandelten § 101 UrhG  – nicht nur auf die Identität von Personen in der Vertriebskette, sondern über Art. 8 Abs. 2 lit. a DRL hinausgehend auch auf die Identität von Nutzern von Dienstleistungen. Demgegenüber fehlt eine entsprechende Passage in § 19 Abs. 3 MarkenG, § 46 Abs. 3 DesignG und § 37b SortSchG. Hierbei dürfte es sich um ein Redaktionsversehen halten, da sich den Gesetzgebungsmaterialien keine Anhaltspunkte für eine Absicht entnehmen lassen, den Inhalt der immaterialgüterrechtlichen Auskunftspflicht schutzrechtsspezifisch zu regeln. Ferner ist Auskunft zu erteilen über Mengen und Einkaufs- bzw. Verkaufspreise der rechtsverletzenden Waren bzw. Dienstleistungen, die der festgestellten oder einer kerngleichen Verletzungsform zugeordnet werden können.97 Umstritten ist, ob entsprechend dem früheren Gesetzeswortlaut auch Auskünfte über weitere widerrechtlich gekennzeichnet Gegenstände (z. B. Geschäftspapiere, Werbemittel, Aufmachungen, Verpackungen und Kennzeichnungsmittel) zu erteilen sind, oder ob die Anpassung des Gesetzeswortlauts an Art. 8 Abs. 2 DRL einer solchen erweiternden Auslegung entgegensteht.98 Der Anspruch steht unter dem Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit, welcher jedoch nur in Einzelfällen zum Tragen kommt,99 insbesondere etwa bei mittelbaren Schutzrechtsverletzungen.100 Die Informationsübermittlung erfolgt im Wege einer schriftlichen Wissenserklärung,101 die auf Basis aller dem Aus95  Nach a. A. soll die eMail-Adresse von dem Begriff „Anschrift“ umfasst sein, siehe OLG Köln v. 25. 03. 2011 – 6 U 87/10 – GRUR-RR 2011, 305 (308) (Schweizer Sharehoster). 96  OLG Köln v. 25. 03. 2011 – 6 U 87/10 – GRUR-RR 2011, 305 (307) (Schweizer Sharehoster). 97  BGH v. 23. 02. 2006 – I ZR 27/03 – GRUR 2006, 504 (506) (Parfümtestkäufe); BGH v. 14. 02. 2008 – I ZR 55/05 – GRUR 2008, 796 (797) (Hollister); Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 19 Rn. 29; Hacker in Ströbele/Hacker, MarkenG, § 19 Rn. 36. Weitergehend sind nach Auffassung von Fezer, MarkenR, § 19 MarkenG Rn. 51 auch Gestehungskosten sowie sonstige Herstellungs- und Lieferdaten erfasst; dagegen zutreffend Ann/Hauck/Maute, Auskunftsanspruch, Rn. 220 ff.; Amschewitz, WRP 2011, 301 (302 f.) 98  Nach der Begründung des Regierungsentwurfs (BT-Drucks. 16/5048, S. 39) war mit der Anpassung an die Richtlinie keine inhaltliche Änderung der Auskunftspflicht intendiert. Für eine erweiternde Auslegung siehe Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 19 Rn. 9; a. A. Hacker in Ströbele/Hacker, MarkenG, § 19 Rn. 11 ff. m. w. N. 99  Zum Kriterium der Verhältnismäßigkeit näher OLG Düsseldorf v. 21. 07. 2010 – I-2 U 47/10  – InstGE 12, 210 (211 f.) (Gleitsattelscheibenbremse); Hacker in Ströbele/Hacker, MarkenG, § 19 Rn. 39 ff.; Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 19 Rn. 37 ff.; Mes, PatG/GebrMG, § 140b Rn. 39 ff.; Kühnen, HdB PatV, Rn. 1082 ff. 100 Näher Geschke in FS Schilling, S. 131 ff. 101  Näher BGH v. 28. 11. 2007 – XII ZB 225/05 – NJW 2008, 917 ff. m. w. N.



C.  Die Auskunftsansprüche des deutschen Rechts

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kunftsschuldner zugänglichen Informationen beruht. Der Auskunftsschulder muss nicht nur seine eigenen Geschäftsunterlagen durchsehen bzw. seine Mitarbeiter befragen, sondern sich gegebenenfalls auch bei seinen Vertragspartnern oder verbundenen Unternehmen um weitere Auskünfte bemühen.102 Ein Wirtschaftsprüfervorbehalt kommt nur in Ausnahmefällen – etwa zwecks Wahrung der Verhältnismäßigkeit  – in Betracht, da der Auskunftsanspruch dem Ziel dient, dem Schutzrechtsinhaber die Prüfung etwaiger Ansprüche gegenüber den zu benennenden Personen zu ermöglichen.103 Die Vorlage von Belegen zwecks Überprüfung der Richtigkeit der Auskunft lässt sich nach der Rechtsprechung des BGH auf den Auskunftsanspruch stützen.104 Hierfür besteht nach Erlass der Beweismittelvorlagepflichten gemäß § 140c PatG et al. freilich kein Bedarf mehr, soweit sich der Anspruch gegen den Täter oder Teilnehmer einer Schutzrechtsverletzung richtet.105 Liegt ein begründeter Verdacht dafür vor, dass die Auskunft nicht mit der erforderlichen Sorgfalt erteilt wurde, so kann der Auskunftsberechtigte die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung verlangen.106

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3.  Die Koordination mit datenschutzrechtlichen Belangen a)  Der Konflikt zwischen Auskunftsanspruch und Datenschutzrecht Die nach den immaterialgüterrechtlichen Auskunftsansprüchen erforderliche Auskunft über Identität und Anschrift von Personen in der Vertriebskette und über die Nutzer von Dienstleistungen sowie über Mengen und Preise der schutzrechtsverletzenden Erzeugnisse bzw. Dienstleistungen kann mit dem Datenschutzrecht in Konflikt geraten. Tangiert sind datenschutzrechtliche Grundsätze, sofern sich die Auskunft auf personenbezogene Daten, d. h. auf Einzelangaben über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer natürlichen 102  BGH v.  23. 2. 2006  – I ZR 27/03  – GRUR 2006, 504 (507) (Parfümtestkäufe); BGH v. 18. 12. 2008 – I ZB 68/08 – GRUR 2009, 794 (796) (Auskunft über Tintenpatronen); Ingerl/ Rohnke, MarkenG, § 19 Rn. 10. 103  BGH v.  20. 12. 1994  – X ZR 56/93  – GRUR 1995, 338 (341 f.) (Kleiderbügel); BGH v. 21. 02. 2002 – I ZR 140/99 – GRUR 2002, 709 (713) (Entfernung der Herstellungsnummer III); siehe auch Geschke in FS Schilling, S. 132 f. Da § 140b Abs. 3 keinen Anspruch auf Benennung nicht gewerblicher Abnehmer begründet, kann zwecks Schutzes der Anonymität dieser Personen ein Wirtschaftsprüfervorbehalt gewährt werden, vgl. OLG Düsseldorf v. 09. 01. 2003 – 2 U 94/01 – InstGE 3, 176 (179) (Glasscheiben-Befestiger); OLG Düsseldorf v. 08. 04. 2010 – I-2 U 108/06 . 104  BGH v. 23. 02. 2006 – I ZR 27/03 – GRUR 2006, 504 (507) (Parfümtestkäufe); BGH v. 21. 02. 2002 – I ZR 140/99 – GRUR 2002, 709 (712) (Entfernung der Herstellungsnummer III). 105  Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 19 Rn. 56; zweifelnd Stjerna, GRUR 2011, 789 (793). 106  §§ 259 Abs. 2, 260 Abs. 2 BGB analog; BGH v. 24. 03. 1994 – I ZR 42/93 – GRUR 1994, 630 (633) (Cartier-Armreif); BGH v. 17. 05. 2001 – I ZR 291/98 – GRUR 2001, 841 (845) (Entfernung der Herstellungsnummer II).

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§ 7  Auskunft über Ursprung, Vertriebswege und Vertriebsdetails

Person bezieht (§ 3 Abs. 1 BDSG). Eine Übermittlung derartiger Daten ist gemäß § 4 Abs. 1 BDSG nur mit Einwilligung des Betroffenen oder aufgrund eines gesetzlichen Erlaubnistatbestands zulässig. Das Verhältnis der immaterialgüterrechtlichen Auskunftsansprüche zum Datenschutzrecht wird in § 140b Abs. 9 PatG et al. nur kursorisch geregelt. Einen Erlaubnistatbestand107 enthalten diese Regelungen lediglich für die unter Richtervorbehalt stehende Auskunftserteilung unter Verwendung von Verkehrsdaten, d. h. von Daten, die bei der Erbringung eines Telekommunikationsdienstes erhoben, verarbeitet oder genutzt werden.108 Im Übrigen bleiben die allgemeinen Vorschriften zum Schutz personenbezogener Daten unberührt,109 weshalb bei einer Auskunftserteilung, die nicht unter Verwendung von Verkehrsdaten erfolgt, auf andere datenschutzrechtliche Erlaubnistatbestände zurückgegriffen werden muss.110

b)  Der Erlaubnistatbestand des § 28 BDSG 48

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Erfolgt die Auskunftserteilung nicht unter Verwendung von Verkehrsdaten und fehlt es an einer einschlägigen Sondergesetzgebung, so richtet sich die datenschutzrechtliche Zulässigkeit einer Auskunftserteilung nach den Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes. Einen allgemeinen Erlaubnistatbestand enthält § 28 Abs. 2 Ziff. 2 BDSG, welcher die Übermittlung zwecks Wahrung der berechtigten Interessen Dritter erlaubt, sofern kein Grund zu der Annahme besteht, dass schutzwürdige Interessen des Betroffenen entgegenstehen.111 Aus Sicht des Auskunftspflichtigen besteht kein Grund zur Annahme schutzwürdiger Interessen des Betroffenen an der Geheimhaltung seiner personenbezogenen Daten, sofern die Schutzrechtsverletzung gerichtlich festgestellt wurde oder offensichtlich ist. Begehrt der Schutzrechtsinhaber freilich Auskunft von einem Dritten über personenbezogene Daten des vermeintlichen Verletzers in jenen Fällen, in denen der Schutzrechtsinhaber gegen den Verletzer Klage erhoben hat, so ist es für den Auskunftspflichtigen schwierig 107  Statt aller BT-Drucks. 16/5048, S. 40; bezweifelt wird die Funktion der § 140b Abs. 9 PatG et al. als datenschutzrechtlicher Erlaubnistatbestand soweit ersichtlich lediglich von Spindler/Dorschel, CR 2006, 341 (344), Spindler, ZUM 2008, 640 (645 f.). 108  § 3 Nr. 30 TKG. 109  § 140b Abs. 9 S. 9 PatG et al. 110  BT-Drucks. 16/5048, S. 40; Mes, PatG/GebrMG, § 140b PatG Rn. 56. 111  Im Gegensatz zu § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BDSG sieht der Wortlaut des § 28 Abs. 2 Nr. 1 BDSG keine Interessenabwägung vor; nach herrschender Auffassung ist diese gleichwohl vorzunehmen, siehe Wedde in Däubler/Klebe/Wedde/Weichert, BDSG, § 28 Rn. 75, 80 ff.; Taeger in Taeger/Gabel, BDSG, § 28 BDSG Rn. 136; Wolff in Wolff/Brink, DatenschutzR, § 28 BDSG Rn. 100 f.; a. A. Simitis in Simitis, BDSG, § 28 Rn. 182. Bei Vorliegen einer offensichtlichen Rechtsverletzung wird es an einem schutzwürdigen Interesse des Datensubjekts an Geheimhaltung ohnehin fehlen.



C.  Die Auskunftsansprüche des deutschen Rechts

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abzuschätzen, ob schutzwürdige Interessen des Betroffenen einer Auskunftserteilung entgegenstehen. Ein schutzwürdiges Interesse an der Nichtübermittlung der Daten ist sicherlich abzulehnen, soweit der Betroffene selbst auf Basis gesetzlicher Vorschriften zur Angabe bestimmter Informationen verpflichtet ist (etwa auf Basis des § 5 TMG). Hinsichtlich anderer Daten aber kann die Auskunftserteilung an § 28 BDSG scheitern.

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c)  Datenübermittlung unter Verwendung von Verkehrsdaten aa)  Rechtliche Voraussetzungen Soweit die Auskunftserteilung nur unter Verwendung von Verkehrsdaten erfolgen kann, bedarf es nach § 140b Abs. 9 S. 1 PatG et al. einer richterlichen Anordnung über die Zulässigkeit der Verwendung der Verkehrsdaten, die auf Antrag des Verletzten ergeht. Der Begriff der Verkehrsdaten umfasst gemäß § 3 Nr. 30 TKG alle Daten, die bei der Erbringung eines Telekommunikationsdienstes erhoben, verarbeitet oder genutzt werden. Praktisch relevant sind vor allem an einen Access Provider gerichtete Auskunftsbegehren über die Identität eines Konteninhabers, dem von dem jeweiligen Access Provider zu einem bestimmten Zeitpunkt eine dynamische IP-Adresse zugewiesen war.112 Dabei liegt der Schwerpunkt der gerichtlichen Praxis auf dem Urheberrecht; Anwendungsbeispiele aus dem gewerblichen Rechtsschutz sind bislang nicht bekannt.113 § 140b Abs. 9 PatG et al. weisen das Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit zu, begründen die Zuständigkeit der landgerichtlichen Zivilkammern am allgemeinen Gerichtsstand des Auskunftspflichtigen und sehen als einziges Rechtsmittel die Beschwerde zum Oberlandesgericht vor. Die Verfahrenskosten in Höhe von 200,- EUR trägt der Schutzrechtsinhaber.114

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bb)  Tatsächliche Voraussetzungen Der Anspruch auf die Preisgabe von Informationen ist selbstredend wenig effektiv, sofern der Auskunftsverpflichtete seine ursprüngliche Zugriffsmöglichkeit auf die für die Auskunftserteilung relevanten Daten verloren hat. Die Speicherung von Verkehrsdaten ist deshalb für eine Auskunftserteilung nach 112  Bei dynamischen IP-Adressen handelt es sich um personenbezogene Daten, da sich der Bezug zu einer natürlichen Person zumindest vom Access Provider stets herstellen lässt, vgl. EuGH v. 29. 01. 2008 – C-275/06 – Slg. 2008, I-271 (Promusicae), Rn. 45 ff.; siehe ferner das um Konkretisierung ersuchende Vorabentscheidungsersuchen des BGH v. 28. 10. 2014 – VI ZR 135/13; zum Streitstand in der deutschen Rechtsprechung und Literatur siehe Spindler/ Nink in Spindler/Schuster, Elektronische Medien, § 11 TMG Rn. 5 ff. sowie BGH a. a. O., Rn. 22 ff. 113  S. a. Mes, PatG/GebrMG, § 140b PatG Rn. 53. 114  § 140b Abs. 9 S. 5 PatG et al., § 128e KostO.

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§ 7  Auskunft über Ursprung, Vertriebswege und Vertriebsdetails

§ 140b Abs. 9 S. 1 PatG et al. essentiell. Doch sind gemäß § 96 Abs. 1 TKG personenbezogene Verkehrsdaten, d. h. auch eine dynamische IP-Adresse, nach Beendigung der Verbindung unverzüglich zu löschen, soweit ihre Speicherung nicht für die in dieser Bestimmung genannten Zwecke, insbesondere die Entgeltabrechnung, erforderlich ist.115 Da die Abrechnung heutzutage vornehmlich über Flatrates erfolgt, bedarf es der Speicherung verkehrsbezogener Daten für die Verbindungsabrechnung nicht.116 Zur Einführung einer nicht anlassbezogenen Speicherung von Verkehrsdaten zwecks Durchsetzung eventueller zivilrechtlicher Ansprüche ist der deutsche Gesetzgeber nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht befugt,117 und der Europäische Gerichtshof hat die europäische Richtlinie über die Vorratsdatenspeicherung118 wegen Unvereinbarkeit mit der Grunderechte-Charta für ungültig erklärt.119. Um ein Leerlaufen des Auskunftsanspruchs mangels Speicherpflicht des Access Providers zu vermeiden, hat die 8. Zivilkammer des LG Hamburg zeitweise in rechtsfortbildender Auslegung vertreten, ein Access Provider sei „auf Zuruf“ eines Schutzrechtsinhabers gehalten, nach Darlegung der übrigen Voraussetzungen des Auskunftsanspruchs die Verkehrsdaten bis zur Beendigung des Auskunftsverfahrens zu speichern sowie die organisatorischen Voraussetzungen für eine solche Speicherung auf Zuruf zu schaffen.120 Diese Rechtsprechung konnte sich freilich bei anderen Instanzgerichten nicht durchsetzen121 und wurde vom LG Hamburg zu einem späteren Zeitpunkt aufgegeben.122

115  Daneben bleibt eine kurzfristige Speicherung nach § 100 TKG zum Erkennen, Eingrenzen oder Beseitigen von Störungen oder Fehlern an Telekommunikationsanlagen zulässig. 116 Zur Löschungspflicht von Verbindungsdaten bei Flatrate-Tarifen vgl. BGH v. 13. 01. 2011 – III ZR 146/10 – NJW 2011, 1509 (1511 ff.); Breyer, MMR 2011, 573 ff. m. w. N. 117  BVerfG v.  02. 03. 2010  – 1 BvR 256/08  – NJW 2010, 833 (841). Deshalb bedarf die relativ weite Bezugnahme des § 96 Abs. 1 TKG auf die Zulässigkeit einer Datenspeicherung im Hinblick auf „durch andere Vorschriften begründete Zwecke“ einer einschränkenden Auslegung, vgl. BT-Drucks. 16/2581, S. 28; Braun in BeckTKG-Komm, § 96 TKG Rn. 12; Klesczewski in Säcker, BK TKG, § 96 TKG Rn. 13. 118 Richtlinie 2006/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über die Vorratsspeicherung von Daten, die bei der Bereitstellung öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste oder öffentlicher Kommunikationsnetze erzeugt oder verarbeitet werden, ABl. Nr. L 105/54 v. 13. 4. 2006. 119  EuGH v. 08. 04. 2014 – C-293/12 und C-594/12 (Digital Rights Ireland). 120  LG Hamburg, Urteil vom 11. 03. 2009 – 308 O 75/09 – MMR 2009, 570 ff.; s. a. OLG Hamburg v. 17. 02. 2010 – 5 U 60/09 – MMR 2010, 338 (339 ff.). 121  Siehe OLG Frankfurt v. 12. 11. 2009 – 11 W 41/09 – MMR 2010, 62 f.; OLG Hamm v.  02. 11. 2010  – I-4 W 119/10  – MMR 2011, 193 f.; OLG München v.  21. 11. 2011  – 29 W 1939/11 – MMR 2012, 764; OLG Düsseldorf v. 07. 03. 2013 – I-20 W 121/12 – BeckRS 2013, 05001. 122  LG Hamburg v. 20. 10. 2010 – 308 O 320/10 – MMR 2011, 475 f.



C.  Die Auskunftsansprüche des deutschen Rechts

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Entscheidet sich der Access Provider, die Verkehrsdaten nicht zu speichern, bringt der Auskunftsanspruch dem Schutzrechtsinhaber keinen Gewinn.123

d)  Datenübermittlung ohne Verwendung von Verkehrsdaten aa)  Spezialität der §§ 91 ff. TKG, §§ 11 ff. TMG Auch soweit die Datenübermittlung ohne Verwendung von Verkehrsdaten erfolgen kann, stehen Auskunftsbegehren gegenüber Anbietern von Telekommunikations- oder Telemediendiensten124 gewisse Hürden entgegen. Sind die vom Auskunftsberechtigten begehrten Daten im Zusammenhang mit der vertraglichen Bereitstellung von Telekommunikations- oder Telemediendiensten erhoben worden, kann aufgrund der spezielleren Regelungen des Telekommunikations- bzw. des Telemediengesetzes nicht auf § 28 BDSG zurückgegriffen werden.125 Hierbei ist zwischen Bestandsdaten und Inhaltsdaten zu unterscheiden.

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bb)  Übermittlung von Bestandsdaten Bestandsdaten sind Daten, die für die Begründung, inhaltliche Ausgestaltung, Änderung, oder Beendigung eines Vertragsverhältnisses erhoben wurden,126 insbesondere die Identität und Anschrift eines Nutzers. Nach § 95 Abs. 1 TKG darf eine Übermittlung der Bestandsdaten eines Nutzers nur mit dessen Einwilligung erfolgen, sofern nicht §§ 91 ff. TKG oder ein anderes Gesetz die Übermittlung zulassen. Da das TKG keinen für die Zwecke des § 140b Abs. 9 PatG et al. zugeschnittenen Erlaubnistatbestand enthält und § 28 BDSG keine Anwendung findet, scheidet eine Übermittlung der Bestandsdaten im Rahmen des Auskunftsanspruchs aus, soweit nicht § 140b Abs. 9 PatG et al. einschlägig sind, weil das Auskunftsbegehren unter Verwendung von Verkehrsdaten zu erfüllen ist.127 123 

OLG Düsseldorf v. 07. 03. 2013 – I-20 W 121/12 – BeckRS 2013, 05001. sind gemäß der Legaldefinition des § 3 Nr. 24 TKG Dienste, die ganz oder überwiegend in der Übertragung von Signalen über Telekommunikationsnetze bestehen, d. h. beispielsweise Sprachtelefonie oder Vermittlung des Zugangs zum Internet. Dem Regime des TMG unterfallen alle Informations- und Kommunikationsdienste, die nicht gänzlich in der Übertragung von Signalen über Telekommunikationsnetze bestehen oder telekommunikationsgestützten Dienste sind, § 1 Abs. 1 TMG. Die Anwendungsbereiche von TMG und TKG überschneiden sich also, doch löst § 11 Abs. 3 TMG den datenschutzrechtlichen Normenkonflikt im Wesentlichen zugunsten der Bestimmungen des TKG. Siehe näher Spindler/Nink in Spindler/Schuster, Elektronische Medien, § 11 TMG Rn. 14 m. w. N. 125  Für Telemediendienste folgt dies explizit aus § 12 Abs. 1 TMG; für das Verhältnis der Vorschriften des TKG zum BDSG siehe Klesczewski in Säcker, BK TKG, § 91 TKG Rn. 15 f. 126  So die Legaldefinition in § 3 Nr. 3 TKG; ähnlich § 14 Abs. 1 TMG. 127  Bedeutung könnte der fehlende Erlaubnistatbestand für die Übermittlung von Bestandsdaten bspw. erlangen, sofern Bestandsdaten anhand einer statischen IP-Adresse ermittelt werden sollen. Hierbei ist aufgrund der dauerhaften Zuweisung der IP-Adresse an eine bestimmte natürliche Person kein Rückgriff auf Verkehrsdaten erforderlich ist. 124 Telekommunikationsdienste

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§ 7  Auskunft über Ursprung, Vertriebswege und Vertriebsdetails

Richtet sich der Auskunftsanspruch hinsichtlich von Bestandsdaten gegen einen Telemediendiensteanbieter (z. B. gegen den Betreiber einer Internetplattform), kommt eine Datenübermittlung gemäß § 12 TMG nur in Betracht, sofern eine Einwilligung des Betroffenen vorliegt oder eine Bestimmung des TMG bzw. einer anderen Rechtsvorschrift, die sich ausdrücklich auf Telemedien bezieht, die Übermittlung erlauben. Eine Auskunft über Bestandsdaten, d. h. über die Identität und Anschrift eines Nutzers, darf gemäß § 14 Abs. 2 TMG „auf Anordnung der zuständigen Stellen“ erfolgen, sofern dies „zur Durchsetzung der Rechte am geistigen Eigentum erforderlich ist“. Dieser im Zuge einer grundlegenden Reform des Telemedienrechts und vor Umsetzung der Durchsetzungsrichtlinie eingeführte Erlaubnistatbestand wurde in der offensichtlichen Annahme verfasst, dass das später zu regelnde Auskunftsrecht zwingend eine gerichtliche Anordnung der Datenübermittlung vorsehen würde.128 Mangels der Einführung eines generellen Richtervorbehalts definieren nunmehr weder das TMG noch die immaterialgüterrechtlichen Sondergesetze die für die Anordnung der Datenübermittlung zuständige Stelle.129 Eine Anordnung durch ein Gericht als „zuständige Stelle“ erscheint nur denkbar, sofern der Anbieter des Telemediendienstes eine Erfüllung des Auskunftsanspruchs trotz vorliegender Offensichtlichkeit der Rechtsverletzung verweigert130 – beispielsweise unter Hinweis auf die fehlende datenschutzrechtliche Zulässigkeit der Informationspreisgabe gemäß § 12 TMG. Ordnet das Gericht daraufhin die Erteilung der Auskunft an, liegt zwar eine Anordnung nach § 14 Abs. 2 TMG vor, doch wäre der Diensteanbieter trotz fehlender Verletzereigenschaft mit den Kosten des Rechtsstreits zu belasten – ein absurdes Resultat. Ähnlich absurd sind Versuche des Schrifttums, die Bestimmung zu retten, indem die Auskunft begehrende Privatperson als „zuständige Stelle“ bezeichnet wird, welche befugt sei, die Auskunftserteilung i. S. d. § 14 Abs. 2 TMG gegenüber dem Diensteanbieter „anzuordnen“.131 Auch eine Analogie zum Richtervorbehalt des § 140b Abs. 9 S. 1 PatG et al. (oder auch nur der in 128  BT-Drucks. 16/3078, S. 16: „Da die Daten auf Grund einer Anordnung einer öffentlichen Stelle erfolgen [sic], liegt die datenschutzrechtliche Verantwortung für die Zulässigkeit der Datenübermittlung nach allgemeinen datenschutzrechtlichen Grundsätzen bei der öffentlichen Stelle, die die Übermittlung angeordnet hat. Entsprechendes gilt für die Durchsetzung der Rechte an geistigem Eigentum. Nach der Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums haben die Mitgliedstaaten bestimmte Auskunftsrechte sicherzustellen.“ 129  Spindler/Dorschel, CR 2006, 341 (343); Seichter, WRP 2006, 391 (398); Spindler/Weber, ZUM 2007, 257 (261). Spindler/Nink in Spindler/Schuster, Elektronische Medien, § 14 TMG Rn. 9 sehen das die Auskunftserteilung anordnende Gericht als „zuständige Stelle“ an. 130 Hierauf abzielend Spindler/Nink in Spindler/Schuster, Elektronische Medien, § 14 TMG Rn. 9. 131  Hullen/Roggenkamp in Plath, BDSG, § 14 TMG Rn. 24; Zscherpe in Taeger/Gabel, BDSG, § 14 TMG Rn. 55. Zu Folgeproblemen (unter welchen Voraussetzungen ist der „Anordnung“ einer Privatperson Folge zu leisten?) s. Hullen/Roggenkamp a. a. O., Rn. 26;



C.  Die Auskunftsansprüche des deutschen Rechts

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Abs. 9 S. 5 enthaltenen Kostenregel) kommt mangels Existenz einer planwidrigen Regelungslücke nicht in Betracht, denn der Gesetzgeber hat im Zuge der Umsetzung der Durchsetzungsrichtlinie einen weitergehenden Richtervorbehalt ebenso abgelehnt132 wie die vom Bundesrat geforderte stärkere Verzahnung mit dem Datenschutzrecht.133 Der Übermittlung von Bestandsdaten durch Telekommunikations- oder Telemediendienste zwecks Erfüllung des immaterialgüterrechtlichen Auskunftsanspruchs stehen damit erhebliche Hindernisse im Weg.

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cc) Inhaltsdaten Begehrt der Auskunftsberechtigte von einem Telemediendiensteanbieter Auskunft über Mengen und Preise der vertriebenen Erzeugnisse bzw. Dienstleistungen, so bedarf es der Übermittlung sogenannter Inhaltsdaten. Dies sind Daten, die mit Hilfe eines Telemediendienstes übermittelt werden, um anderweitige Vertragsverhältnisse zu begründen oder zu erfüllen.134 Zu Inhaltsdaten zählen beispielsweise die bei einem Internet-Plattformbetreiber gespeicherten Informationen über die Anzahl der mittels der Plattform veräußerten rechtsverletzenden Gegenstände und der erzielten Erlöse. Es handelt sich hierbei nicht um Daten zur Bereitstellung von Telemediendiensten i. S. d. § 12 Abs. 1 TMG, da die Daten nicht auf die elektronische Übermittlung bezogen sind, sondern auf ein anderes Vertragsverhältnis (bspw. einen Kaufvertrag).135 Inhaltsdaten unterfallen nicht dem Anwendungsvorrang der §§ 11 ff. TMG und können bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 28 BDDSG übermittelt werden.136

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e) Zwischenergebnis Der Realisierung immaterialgüterrechtlicher Auskunftsansprüche stehen deutliche datenschutzrechtliche Hürden entgehen. Bei der Auskunftserteilung unter Verwendung von Verkehrsdaten ist die Pflicht der Telekommunikationsdienste zur Datenlöschung problematisch, bei der Übermittlung von Bestands- und Inhaltsdaten kann ein Auskunftsanspruch nach § 28 BDSG am Zscherpe a. a. O. Rn. 57. Wie hier Heckmann in jurisPK-Internetrecht, Kap. 9 Rn. 322, 327, 35. 132  BT-Drucks. 16/5048, S. 38. 133  Zur Prüfbitte des Bundesrats siehe BT-Drucks. 16/5048, S. 57; zur Gegenäußerung der Bundesregierung ibid, S. 63. 134  Spindler/Nink in Spindler/Schuster, Elektronische Medien, § 15 TMG Rn. 3; Hullen/ Roggenkamp in Plath, BDSG, § 14 TMG Rn. 5. 135  Spindler/Nink in Spindler/Schuster, Elektronische Medien, §  15 TMG Rn.  3 m. w. N. Abzugrenzen sind Inhaltsdaten von Nutzungsdaten i. S. d. § 15 TMG, d. h. von Daten, die für die Inanspruchnahme und Abrechnung von Telemediendiensten erforderlich sind. § 15 Abs. 5 S. 5 TMG verweist für die Übermittlung von Nutzungsdaten an Dritte auf den Erlaubnistatbestand des § 14 Abs. 2 TMG. 136  Spindler/Nink in Spindler/Schuster, Elektronische Medien, § 15 TMG Rn. 3.

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§ 7  Auskunft über Ursprung, Vertriebswege und Vertriebsdetails

entgegenstehenden Interesse des Betroffenen scheitern, und die Übermittlung von Bestandsdaten durch Telekommunikations- bzw. Telemediendienste ohne Verwendung von Verkehrsdaten krankt an einem fehlenden bzw. unzureichend gestalteten Erlaubnistatbestand. Der Gesetzgeber, der durch das Kriterium der Offensichtlichkeit der Rechtsverletzung den zur Auskunft verpflichteten Dritten von tiefgehenden rechtlichen Prüfungen befreien wollte, ohne einen allgemeinen Richtervorbehalt einzuführen,137 hat es verfehlt, Rechtssicherheit herzustellen. Nochmals ist freilich zu betonen, dass die datenschutzrechtlichen Bestimmungen einer Auskunftserteilung nur entgegenstehen, sofern die Übermittlung personenbezogener Daten natürlicher Personen begehrt wird.

4.  Anderweitiger Vertraulichkeitsschutz 62

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Soweit nicht der Verletzer, sondern eine Mittelsperson auskunftspflichtig ist, wird der Schutz vertraulicher Informationen über die datenschutzrechtlichen Tatbestände hinaus auch durch eine entsprechende Anwendung der Zeugnisverweigerungsrechte der §§ 383 bis 385 ZPO gewährleistet. In seiner Pauschalität ist dieser Verweis mit den Vorgaben der Richtlinie freilich schwer zu vereinbaren. Art. 8 Abs. 3 lit. d DRL erlaubt Einschränkungen des Auskunftsanspruchs nur durch gesetzliche Regelungen, die den Auskunftspflichtigen oder dessen enge Verwandte vor der Offenbarung einer Beteiligung an einer Schutzrechtsverletzung schützen bzw. den Schutz der Vertraulichkeit von Informationsquellen gewährleisten.138 Dieser Spielraum wird insbesondere durch den Verweis auf § 384 Nr. 3 ZPO (Zeugnisverweigerungsrecht zum Schutze eines Gewerbegeheimnisses) sowie durch § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO (Zeugnisverweigerungsrecht kraft Amtes, Standes und Gewerbes) überschritten. Da das Zeugnisverweigerungsrecht zum Schutze eines Gewerbegeheimnisses nach h. M. auch Kundenlisten, Bezugsquellen, Einkaufs- und Verkaufspreise umfasst, an denen typischerweise ein Geheimhaltungswille und -interesse besteht,139 ist der Verweis des § 140b Abs. 2 PatG et al. auf § 384 Nr. 3 ZPO teleologisch zu reduzieren.140 Anderenfalls könnte der Auskunftsschuldner im Regelfall die begehrte Auskunft verweigern. Eine solche perplexe, zumal richtlinienwidrige Regelung lag ganz offensichtlich nicht in der Intention des Gesetzgebers. 137 

BT-Drucks. 16/5048, S. 38 f. Kartellrechtlichen Bedenken siehe Ann/Hauck/Maute, Auskunftsanspruch, Rn. 371 ff. 139  Berger in Stein/Jonas, ZPO, § 384 Rn. 10; Huber in Musielak, ZPO, § 384 Rn. 5. 140 Wie hier Ingerl/Rohnke, MarkenG, §  19 Rn. 26; Götz, Informationsbeschaffung, S. 259 f.; Gielen in Liber Amicorum Straus, S. 399 (zur DRL). Anders wohl Amschewitz, DRL, S. 364 f.; Dörre/Maaßen, GRUR-RR 2008, 217 (220), die davon ausgehen, der Auskunftsanspruch gehe aufgrund von § 384 Ziff. 3 ZPO häufig ins Leere. 138 Zu



C.  Die Auskunftsansprüche des deutschen Rechts

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Demgegenüber soll nach mehrheitlicher Auffassung der deutschen Instanzgerichte eine Bank nicht zur Auskunft über Identität und Adressen der Inhaber einer Bankverbindung verpflichtet sein, da es sich hierbei um Tatsachen handelt, die ihnen kraft ihres Gewerbes anvertraut wurden und deren Geheimhaltung durch ihre Natur oder durch gesetzliche Vorschrift geboten sind (§ 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO).141 Diese Rechtsprechung begegnet Zweifeln, weil der Richtliniengeber in Art. 8 Abs. 3 lit. e DRL nicht etwa den Schutz vertraulicher Informationen allgemein in das Ermessen der Mitgliedstaaten gestellt hat, sondern lediglich den Schutz der Vertraulichkeit von Informationsquellen.142 Mag der Begriff der Informationsquelle in der Richtlinie auch nicht näher definiert sein, so werden doch allgemein darunter Personen oder Gegenstände verstanden, die Informationen liefern. Auskünfte über die Identität eines Kontoinhabers sind keine Informationsquellen, sondern lediglich eine Information.143 Auch der Verweis darauf, dass nach Art. 6 Abs. 2 DRL nur solche Bankunterlagen herauszugeben seien, die sich in der Verfügungsgewalt des behaupteten Verletzers befinden,144 lässt sich nicht zur Rettung des Bankgeheimnisses instrumentalisieren, da es sich bei Auskunftsanspruch und Vorlagepflicht um einander komplementierende Regelungen mit unterschiedlichen Inhalten handelt. Es spricht deshalb viel dafür, auch den Verweis auf § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO in Anbetracht der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung bzw. Rechtsfortbildung teleologisch zu reduzieren.145 Der BGH hat zur Klärung dieser Frage ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gerichtet.146 Zu beachten bleibt, dass die Richtlinie ein effektives Auskunftsrecht gegenüber einem Dritten nur nach Feststellung einer Schutzrechtsverletzung und im Zusammenhang mit einem Verfahren wegen einer Schutzrechtsverletzung gebietet. Eine richtlinienkonforme Auslegung des deutschen Rechts ist deshalb nicht erforderlich, wenn der Auskunftsanspruch gegenüber dem Dritten unabhängig von einem Verletzungsverfahren wegen Offensichtlichkeit der Rechtsverletzung entsteht. Eine gespaltene Anwendung der Zeugnisverweigerungsrechte je nach Fallkonstellation der § 140b Abs. 2 PatG et al. (Klageerhebung 141  OLG Stuttgart v. 23. 11. 2011 – 2 W 56/11 – GRUR-RR 2012, 73 (75); OLG Naumburg v. 15. 03. 2012 – 9 U 208/11 – GRUR-RR 2012, 388 (390); LG Hamburg v. 19. 08. 2011 – 408 HKO 3/11 – BeckRS 2012, 03871; a. A. LG Magdeburg v. 28. 09. 2011 – 7 O 545/11 – ZD 2012, 39 (aufgehoben v. OLG Naumburg a. a. O.). 142  A. A. OLG Stuttgart v. 23. 11. 2011 – 2 W 56/11 – GRUR-RR 2012, 73 (75). 143  A. A. OLG Naumburg v. 15. 03. 2012 – 9 U 208/11 – GRUR-RR 2012, 388 (390); die unter dem Aktenzeichen I ZR 51/12 geführte Revision beim BGH ruht bis zur Antwort auf das von diesem gestellte Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH. 144  OLG Stuttgart v. 23. 11. 2011 – 2 W 56/11 – GRUR-RR 2012, 73 (75); OLG Naumburg v. 15. 03. 2012 – 9 U 208/11 – GRUR-RR 2012, 388 (390). 145  Ann/Maute, GRUR-Prax 2012, 249 (252); Czychowski, GRUR-Prax 2012, 63 146  BGH v. 17. 10. 2013 – I ZR 51/12 – GRUR 2013, 1237 ff. (Davidoff Hot Water).

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§ 7  Auskunft über Ursprung, Vertriebswege und Vertriebsdetails

oder offensichtliche Rechtsverletzung) kann allerdings keinerlei Vorzüge für sich behaupten. Die hier propagierte richtlinienkonforme Reduktion des Verweises auf §§ 383 bis 385 ZPO dergestalt, dass §§ 383 Abs. 1 Nr. 6, 384 Nr. 3 ZPO keine Anwendung finden, sollte deshalb für alle Anwendungsgebiete der §§ 140b Abs. 2 PatG et al. gelten.

5. Kosten 66

Es bleibt zu erwähnen, dass der jeweilige Abs. 2 der immaterialgüterrechtlichen Auskunftsansprüche eine Kostenregel enthält, wonach der Schutzrechtsinhaber dem nicht als Verletzer handelnden Auskunftspflichtigen zum Ersatz der für die Auskunftserteilung erforderlichen Auslagen verpflichtet ist. Die Kosten der Rechtsverteidigung sind hiervon nicht umfasst.147 Dies ist wenig sachgerecht: Wird die Auskunftspflicht der Mittelsperson durch die Klageerhebung gegenüber dem Verletzer ausgelöst, so ist es legitim, wenn die Mittelsperson bis zur Klärung der Schutzrechtsverletzung Auskünfte zurückhält und das Bestehen des Auskunftsanspruchs bestreitet.148 Wird die Auskunftspflicht durch die Offensichtlichkeit der Schutzrechtsverletzung ausgelöst, ist die fehlende Erstattung der Rechtsverteidigungskosten verständlicher. Auch hier mag jedoch im Einzelfall ein legitimer Disput darüber entstehen, ob es sich um eine offensichtliche Rechtsverletzung handelt. Wie soeben gezeigt, ist Rechtsverteidigung der Mittelsperson häufig auch deshalb legitim, weil die datenschutzrechtliche Zulässigkeit der Datenübermittlung in einigen Konstellationen schwer zu beurteilen ist.

6.  Durchsetzung im Wege des einstweiligen Verfügungsverfahrens 67

Liegt eine offensichtliche Rechtsverletzung vor, so steht das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache nach § 140b Abs. 7 PatG et al. einer Durchsetzung des Auskunftsanspruchs im einstweiligen Verfahren nicht entgegen.149 Dies befreit den Antragsteller nicht von der Darlegung eines Verfügungsgrunds.150 Das Verfahren nach §§ 935 ff. ZPO kommt deshalb vornehmlich für die Ermittlung der Identität des Verletzers oder weiterer Personen in der Vertriebskette in Betracht, ggf. auch hinsichtlich der gelieferten oder bezogenen Mengen. 147 

Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 19 Rn. 27. Götz, Informationsbeschaffung, S. 258. 149  Hacker in Ströbele/Hacker, MarkenG, § 19 Rn. 48; Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 19 Rn. 54, Kühnen, HdB PatG, Rn. 1112; kritsch Peukert/Kur, GRUR Int. 2006, 292 (298); a. A. OLG Köln v. 21. 10. 2008 – 6 Wx 2/08 – MMR 2008, 820 (821). 150  OLG Köln v.  12. 06. 2003  – 6 W 35/03  – GRUR-RR 2003, 296 (Dringlichkeitsvermutung); Ann/Hauck/Maute, Auskunftsanspruch, Rn. 355 ff.; Hacker in Ströbele/Hacker, MarkenG, § 19 Rn. 48; ebenso Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 19 Rn. 54, die allerdings davon ausgehen, dass die Dringlichkeit regelmäßig gegeben sei. A. A. Kühnen, HdB PatG, Rn. 1112: die Dringlichkeit werde gesetzlich fingiert. 148 



C.  Die Auskunftsansprüche des deutschen Rechts

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Das Ziel, möglich schnell ein rechtliches Vorgehen gegenüber diesen Personen zu ermöglichen, ist Basis des Verfügungsgrunds. Anders ist die Sachlage bei Auskünften über Einkaufs- und Verkaufspreise. Da diese lediglich zur Ermittlung der Schadensersatzhöhe erforderlich sind, wird es regelmäßig an dem Verfügungsgrund der Eilbedürftigkeit fehlen.151

III.  Unselbständiger Auskunfts- und Rechnungslegungsanspruch Unberührt von den spezialgesetzlichen, immaterialgüterrechtlichen Auskunftsansprüchen steht dem Schutzrechtsinhaber gegenüber dem Verletzer ein auf gewohnheitsrechtlicher Anwendung des § 242 BGB fußender Auskunftsanspruch zu bzw. ein inhaltlich über die reine Unterrichtung hinausgehender Anspruch auf Rechnungslegung durch Vorlage einer geordneten Aufstellung von Einnahmen und Ausgaben. Ziel dieses Hilfsanspruchs ist es, die Durchsetzung eines Hauptanspruchs zu erleichtern, d. h. dem Verletzten die Entscheidung zwischen den drei im gewerblichen Rechtsschutz verfügbaren Arten der Schadensberechnung (Vermögenseinbuße, Verletzergewinn, Lizenzanalogie) und eine Bezifferung der Schadenshöhe zu ermöglichen.152 Voraussetzung des gewohnheitsrechtlichen Anspruchs auf Auskunftserteilung bzw. Rechnungslegung ist die Existenz einer Sonderrechtsbeziehung, welche durch die Schutzrechtsverletzung begründet wird. Auskunftsansprüche gegenüber Störern oder anderen Dritten auf Basis des § 242 BGB scheiden aus. Ferner muss der Verletzte in entschuldbarer Weise über den Umfang seines Schadensersatzanspruchs im Unklaren sein,153 während der Verletzer die Auskunft unschwer erteilen kann. Dies ist bei einer Schutzrechtsverletzung regelmäßig der Fall. Der Umfang der Auskunfts- bzw. Rechnungslegungspflicht ist abhängig vom Hauptanspruch, d. h. von der konkreten Fallgestaltung und der vom Berechtigten gewählten Methode der Schadensberechnung.154 Grundsätzlich erstreckt sich die Auskunfts- und Rechnungslegungspflicht auf alle Angaben, die den Berechtigten in den Stand setzen, sich zwischen einer der drei Methoden zur Schadensberechnung zu entscheiden, die Schadenshöhe nach der gewählten Methode zu ermitteln sowie die Auskunft auf ihre Richtigkeit hin zu 151  Siehe hierzu die Erwägungen des BGH v. 14. 2. 2008 – I ZR 55/05 – GRUR 2008, 796 (797 f.) (Hollister); a. A. LG Düsseldorf v. 30. 03. 2010 – 4a O 4/10 – BeckRS 01856 (Gleitsattelscheibenbremse); Böhler, GRUR 2011, 9065 (966). 152  Mes, PatG/GebrMG, § 140b PatG Rn. 59. Kritisch gegenüber der formelhaften Anordnung von Auskunft und Rechnungslegung bei mittelbarer Schutzrechtsverletzung Geschke in FS Schilling, S. 129 ff. 153  Ganz h. M., vgl. allerdings die Kritik bei Osterloh-Konrad, in Schön, Rechnungslegung, S. 21 f. m. w. N. 154 BGH v.  06.  10. 2005  – I ZR 322/02  – GRUR 2006, 419 (420) (Noblesse); BGH v. 20. 05. 2008 – X ZR 180/05 – GRUR 2008, 896 (899) (Tintenpatrone).

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§ 7  Auskunft über Ursprung, Vertriebswege und Vertriebsdetails

überprüfen (sog. Kontrolltatsachen).155 Dies beinhaltet die Rechnungslegung über Herstellung, Lieferungen, Angebote und Werbung sowie über Gewinn und Gestehungskosten, aufgeschlüsselt nach Zeitabschnitten, Mengen und Preisen.156 Bedarf es ohnehin einer Schadensschätzung, mag allerdings eine schriftliche Auskunft über die Höhe des mittels der schutzrechtsverletzenden Gegenstände erzielten Gewinns genügen,157 während bei einer Schadensberechnung im Wege der Lizenzanalogie Informationen über Liefermengen und -preise grundsätzlich ausreichen.158 Die Auskunft erstreckt sich auch auf kerngleiche Verletzungshandlungen, die zeitlich vor der festgestellten Schutzrechtsverletzung erfolgt sind.159 Auskunft über andere rechtsverletzende Handlungen oder die Verletzung anderer Schutzrechte kann jedoch nur in Sonderfällen begehrt werden, soweit über die konkrete Schutzrechtsverletzung hinaus eine rechtliche Beziehung zwischen den Beteiligten besteht.160 Schutzwürdige Geheimhaltungsbelange des Schuldners sind gegenüber dem Informationsinteresse des Gläubigers abzuwägen, weshalb auch die Anordnung eines Wirtschaftsprüfervorbehalts in Betracht kommt.161 Ob auf Basis der §§ 242, 259 BGB die Vorlage von Belegen gefordert werden kann, die über Hinweise auf die Identität anderer potentieller Verletzer hinausgehen, ist umstritten,162 aber wegen der spezi-

155  BGH v. 20. 05. 2008 – X ZR 180/05 – GRUR 2008, 896 (899) (Tintenpatrone); Stjerna, GRUR 2011, 789 (790); Kühnen, HdB PatV, Rn. 1177. 156 Statt aller Kühnen, HdB PatV, Rn. 1177 ff. m. w. N.; zu Patentverletzungen ferner BGH v. 16. 09. 1982 – X ZR 54/81 – GRUR 1982, 723 (725) (Dampffrisierstab I). 157 Bei bestimmten Schutzrechtsverletzungen (vielen Markenverletzungen, aber auch Patentverletzungen hinsichtlich unwesentlicher Bauteile eines im Übrigen rechtmäßigen Produkts) lässt sich der geschäftliche Erfolg häufig nicht ausschließlich oder gar überwiegend auf die Schutzrechtsverletzung zurückführen; der Schaden kann deshalb lediglich in Form einer Quote des vom Schutzrechtsverletzer erzielten Gewinns geschätzt werden. Kommt ohnehin nur eine Schätzung des entstandenen Schadens in Betracht, so ist eine konkrete Auskunft über die Berechnung des Verletzergewinns, die eine Offenbarung von Betriebsinterna erfordern würde (Kalkulation, Gewinnspannen etc.), dem Auskunftspflichtigen nicht zuzumuten. Näher BGH v.  06. 10. 2005  – I ZR 322/02  – GRUR 2006, 419 (420 f.) (Noblesse) m. w. N.; Geschke in FS Schilling, S. 136 ff. 158  BGH v. 20. 05. 2008 – X ZR 180/05 – GRUR 2008, 896 (899) (Tintenpatrone); Stjerna, GRUR 2011, 789. 159  BGH v.  19. 07. 2007  – I ZR 93/04  – GRUR 2005, 877 ff. (Windsor Estate) m. w. N.; BGH v. 29. 04. 2010 – I ZR 68/08 – GRUR 2010, 623 (627) (Restwertbörse). 160  BGH v.  29. 04. 2010  – I ZR 68/08  – GRUR 2010, 623 (627) (Restwertbörse); BGH v.  23. 02. 2006  – I ZR 27/03  – GRUR 2006, 504 (506) (Parfümtestkäufe); Teplitzky, WettbewerbsR, Kap. 38 Rn. 7b m. w. N. 161  BGH v. 06. 10. 2005 – I ZR 322/02 – GRUR 2006, 419 (420) (Noblesse); OLG Düsseldorf v. 09. 01. 2003 – 2 U 94/01 – InstGE 3, 176 (179) (Glasscheiben-Befestiger); LG Düsseldorf v. 23. 02. 2012 – 4b O 284/10; Kühnen, HdB PatV, Rn. 1190 ff.; Ann/Hauck/Maute, Auskunftsanspruch, Rn. 121 ff. 162  Zahlreiche Nachweise bei Stjerna, GRUR 2011, 789 (792 ff.).



C.  Die Auskunftsansprüche des deutschen Rechts

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fischen immaterialgüterrechtlichen Beweismittelvorlagepflichten aus § 140c PatG et al. ohne Belang.163 Der Auskunfts- und Rechnungslegungsanspruch nach § 242, 259 BGB weist gegenüber den Auskunftsansprüchen in den immaterialgüterrechtlichen Spezialgesetzen den Vorteil auf, dass die zu erteilende Information je nach Sachlage und Begehren des Schutzrechtsinhabers einen deutlich größeren Umfang annehmen kann (z. B. detaillierte Aufschlüsselung von Gestehungskosten und erzielter Gewinne). Aus der Natur des Anspruchs als Hilfsanspruch zur Bestimmung der Schadensersatzhöhe ergeben sich jedoch gewisse Limitationen. Erstens sind Art und Umfang der geschuldeten Auskunft durch das Schadensersatzbegehren begrenzt, zweitens setzt der Anspruch das Vorliegen einer Sonderrechtsbeziehung voraus und wird deshalb nicht gegenüber schuldlos handelnden Dritten gewährt, und drittens kommt eine Vorwegnahme der Hauptsache im einstweiligen Verfügungsverfahren nicht in Betracht.164

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IV.  Vollstreckung der Auskunftsansprüche Die Vollstreckung des Auskunftsanspruchs erfolgt durch Zwangsgeld oder Zwangshaft gemäß § 888 ZPO, die Vollstreckung des Anspruchs auf Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung nach § 889 ZPO. Umstritten ist, ob zur Vollziehung von einstweiligen Auskunftsverfügungen die Parteizustellung ausreicht oder innerhalb der Frist des § 929 Abs. 2 ZPO ein Vollstreckungsantrag nach § 888 ZPO auf Verhängung von Zwangsmitteln erfolgen muss.165

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V.  Akteneinsicht im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren Führen die immaterialgüterrechtlichen Auskunftsansprüche nicht zur Ermittlung der Identität des Schutzrechtsverletzers, bleibt dem Schutzrechtsinhaber die Möglichkeit, Strafantrag wegen vorsätzlicher Schutzrechtsverletzung zu stellen und nach § 406e StPO Akteneinsicht in die Ermittlungsakten zu beantragen. Diese Strategie wurde vor Umsetzung der Durchsetzungsrichtlinie von der Musikindustrie in Massenverfahren genutzt, um die Schwächen des § 101 UrhG a. F. zu umgehen.166 Die Bereitschaft der deutschen Staatsanwaltschaften, die Defizite zivilrechtlicher Auskunftsansprüche im Wege der Durch163 Zweifelnd Stjerna, GRUR 2011, 789 (793) m. w. N., auf Basis des unzureichend übersetzten Wortlauts der deutschen Textfassung (die deutsche Fassung des Art. 6 DRL lautet „Begründung ihrer Ansprüche“, während die anderen Sprachfassungen zutreffend „Begründung ihrer Behauptungen“ formulieren; s. hierzu bereits supra § 5 Rn. 7. 164  OLG Hamburg v. 14. 06. 2006 – 5 U 21/06 – GRUR-RR 2007, 29 f. (Cerebro Card); Ann/Maute, GRUR-Prax 2012, 249 (252). 165  Teplitzky, Wettbewerbsrecht, Kap. 55 Rn. 40a m. w. N.; Kühnen, HdB PatV, Rn. 1854 f. 166  Hoeren, NJW 2008, 3099 f.

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§ 7  Auskunft über Ursprung, Vertriebswege und Vertriebsdetails

führung strafrechtlicher Ermittlungsverfahren auszubügeln, ist freilich nicht allzu groß. Je nach Sachlage werden die Ermittlungsverfahren eingestellt oder das berechtigte Interesse an der Akteneinsicht verneint.167

VI. Fazit 75

Als Leitbild für die Gestaltung des Art. 8 DRL fungierten unter anderem die im Zuge des deutschen Produktpirateriegesetzes eingeführten immaterialgüterrechtlichen Ansprüche auf Drittauskunft. Es verwundert deshalb nicht, dass das deutsche Recht den Anforderungen des Art. 8 DRL weitgehend gerecht wird. Schwierigkeiten bereiten die im Zuge der Richtlinienumsetzung eingeführten Verweise auf die Zeugnisverweigerungsrechte der ZPO. Hier ist eine richtlinienkonforme teleologische Reduktion angezeigt, soweit der Gesetzgeber übersehen hat, dass der Schutz von Gewerbegeheimnissen nach § 383 Abs. 1 Nr. 6 bzw. von in Rahmen vertraglicher Beziehungen anvertrauter Geheimnisse nach § 384 Nr. 3 ZPO einer Auskunft üblicherweise entgegensteht. Zu kritisieren ist ferner das Fehlen eindeutiger datenschutzrechtlicher Erlaubnisnormen, wenn im Zuge der Auskunft personenbezogene Daten zu übermitteln sind. Konkrete Vorgaben zum Verhältnis zwischen Auskunftsanspruch und Datenschutzrecht lassen sich dem Unionsrecht zwar nicht entnehmen. Doch sind die Mitgliedstaaten im Zuge der Richtlinienumsetzung verpflichtet, ein angemessenes Gleichgewicht zwischen den Belangen der Schutzrechtsinhaber und den Interessen der von der Datenübermittlung Betroffenen herzustellen. Wie oben gezeigt wurde, ist der deutsche Gesetzgeber dieser Anforderung für den Telekommunikations- und Telemediensektor nicht gerecht geworden, weil es außerhalb des § 140b Abs. 9 PatG et al. an einer eindeutigen Abstimmung der betroffenen Normkomplexe fehlt.

D.  Rechtsvergleichende Würdigung I.  Richtliniengetreue Umsetzung 76

Unter Berücksichtigung des Grundsatzes richtlinienkonformer Auslegung setzen sowohl das englische auch das deutsche Recht die Richtlinie ordnungsgemäß um. Im englischen Recht ist eine Anordnung der Auskunftserteilung im Rahmen einer search order oder einer Norwich Pharmacal order zulässig, doch wird aus historischen Gründen die Informationsübermittlung im Wege der Dokumentenoffenbarung als vorrangig angesehen. Begehrt der Informationssuchende Auskunft an Stelle der disclosure, so ist die Auskunftserteilung 167 

Hoeren, NJW 2008, 3099 (3100) m. w. N.



D.  Rechtsvergleichende Würdigung

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unter Berücksichtigung der Gleichordnung des Art. 8 DRL zu Art. 6 und 7 DRL nunmehr auch im englischen Recht anzuordnen. Im deutschen Recht bedarf es einer teleologischen Reduktion der §§ 383 Abs. 1 Nr. 6, 384 Nr. 3 ZPO, um Richtlinienkonformität herzustellen.

II.  Angemessene Berücksichtigung der beteiligten Interessen 1. Kategorisierung Der Vergleich beider Rechtsordnungen gibt Anlass zu einer Kategorisierung. Die in Art. 8 DRL angesprochenen Auskunftsanordnungen lassen sich drei unterschiedlichen Fallkonstellationen zuordnen. a) Beide Rechtsordnungen sehen Instrumente vor, mit denen ein Schutzrechtsverletzer nach Feststellung der Schutzrechtsverletzung zur Offenbarung von Informationen verpflichtet wird, die eine Bezifferung der Höhe des Ersatzanspruchs sowie eine Identifikation weiterer Schutzrechtsverletzer ermöglichen. Im deutschen Recht handelt es sich um die Ansprüche aus § 140b Abs. 1 PatG et al. sowie den unselbständigen Auskunftsanspruch aus § 242 BGB. Im englischen Recht werden diese Informationen im Rahmen der disclosure offenbart, doch kann ggf. auch eine Norwich Pharmacal Order in dieser Hinsicht fruchtbar gemacht werden. b) Weiterhin ist es sowohl im deutschen als auch im englischen Recht möglich, von einem vermeintlichen Schutzrechtsverletzer bereits vor Feststellung der Schutzrechtsverletzung Auskünfte über Ursprung und Vertriebswege schutzrechtsverletzender Ware oder Dienstleistungen zu erhalten (§ 140b Abs. 1, Abs. 7 PatG et al., search order und Norwich Pharmacal Order). c) Schließlich erlauben beide Rechtsordnungen Auskunftsanordnungen gegenüber dritten Personen, die in bestimmter Hinsicht in die Schutzrechtsverletzung involviert sind. Hierbei stehen Auskunftsanordnungen zur Ermittlung der Identität des vermeintlichen Schutzrechtsverletzers im Vordergrund, welche im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes erfolgen (§ 140b Abs. 2, Abs. 7 PatG et al., Norwich Pharmacal Order).

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2.  Konnex mit einem Verletzungsverfahren Der Zusammenhang mit einem Verletzungsverfahren ist bei Fallgruppe (a) offensichtlich – die Offenbarung der betreffenden Informationen erfolgt sowohl im deutschen als auch im englischen Recht regelmäßig auf die gerichtliche Feststellung der Schutzrechtsverletzung hin. Hingegen bedarf es bei Fallgruppe (b) im deutschen Recht keines Zusammenhangs mit einem Verletzungsverfahren. Im englischen Recht besteht ein Konnex insoweit, als sich der Antragsteller bei Beantragung einer search order

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§ 7  Auskunft über Ursprung, Vertriebswege und Vertriebsdetails

zur Klageerhebung verpflichtet. Das Erfordernis der Klageerhebung resultiert hierbei jedoch aus der Eingriffsintensität der search order, nicht aus der mit der search order ausgesprochenen Auskunftspflicht. Soweit die Verpflichtung zur Auskunft im Rahmen einer Norwich Pharmacal Order ausgesprochen wird, besteht keine Pflicht zur Einleitung eines Verletzungsverfahrens. Ein Zusammenhang mit einem Verletzungsverfahren erscheint in diesen Fällen auch entbehrlich. Es ist durchaus vorstellbar, dass ein Schutzrechtsinhaber seine Prozessführung auf die Hauptverantwortlichen einer Schutzrechtsverletzung beschränkt und von den „kleinen Fischen“ in der Vertriebskette lediglich Auskunft über Ursprung und Vertriebswege begehrt. Ebenso ist denkbar, dass ein Schutzrechtsverletzer auf eine einstweilige Verfügung hin eine Abschlusserklärung unterzeichnet, eine freiwillige Auskunft über seine Vertriebspartner jedoch verweigert. Vorläufige Auskunftsanordnungen gegenüber einer Person, die in die Schutzrechtsverletzung involviert ist, ohne Täter oder Teilnehmer zu sein, setzen nach englischem Recht ebenfalls keinen Zusammenhang mit einer Klageerhebung gegenüber dem Verletzer voraus. Die Drittauskunftsansprüche des § 140b Abs. 2 PatG et al. spiegeln demgegenüber den Richtlinientext wider: Die Klageerhebung gegenüber dem Verletzer ist eine anspruchsbegründende Tatbestandsvoraussetzung des Auskunftsanspruchs, sofern die Schutzrechtsverletzung nicht offensichtlich ist. Dies ist angesichts der fehlenden Klagemöglichkeit gegen Unbekannt im deutschen Recht wenig überzeugend. Die Drittauskunft der Mittelsperson dient der Identifikation des Schutzrechtsverletzers und ist häufig eine notwendige Bedingung der Rechtsverfolgung gegenüber diesem. Die deutsche Rechtsprechung und h. L. erreichen freilich eine Ausweitung des Drittauskunftsanspruchs, indem sie Störer und mittelbare Patentverletzer vorsätzlichen Schutzrechtsverletzern gleichstellen.

3.  Inhalt der Auskunft 81

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Der Inhalt der Auskunft variiert ebenfalls je nach Fallgruppe. Der unselbständige Auskunftsanspruch gemäß § 242 BGB zur Bezifferung des Schadensersatzanspruchs orientiert sich am Hauptanspruch, soll also dem Geschädigten die Wahl zwischen den verschiedenen Methoden der Schadensberechnung und die Bestimmung der Schadenshöhe nach der gewählten Methode ermöglichen. Gleiches gilt für die disclosure im Rahmen der inquiry as to damages bzw. für einen evtl. Auskunftsanspruch zur Schadensbezifferung auf Basis der Norwich Pharmacal Order. Sowohl im deutschen als auch im englischen Recht weisen Fallgruppe (b) und (c) hinsichtlich ihres Inhalts starke Ähnlichkeiten auf. Die deutschen Ansprüche auf Drittauskunft gegen den Verletzer oder eine Mittelsperson orientieren sich stark am Text des Art. 8 Abs. 2 DRL. Die Auskunftspflicht



D.  Rechtsvergleichende Würdigung

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beschränkt sich grundsätzlich auf Identität und Adresse der Personen in der Vertriebskette sowie auf Mengen- und Preisangaben. Über die Richtlinie hinausgehend sind allerdings Auskünfte über die Nutzer von Dienstleistungen zu erteilen, welche nachweislich für rechtsverletzende Tätigkeiten genutzt wurden. Im englischen Recht wird der vermeintliche Schutzrechtsverletzer mittels der search order verpflichtet, Auskunft über Name und Adresse anderer Personen in der Vertriebskette sowie Daten und Mengen der Lieferungen zu geben. Außerhalb der search order steht mit der Norwich Pharmacal Order ein äußerst flexibles Instrument bereit, mittels dessen die Offenbarung zahlreicher Details verlangt werden kann, die geeignet erscheinen, ein Vorgehen gegenüber vermeintlichen Schutzrechtsverletzern zu ermöglichen. Positiv hervorzuheben ist, dass nach beiden Rechtsordnungen auch Auskunft über die sich rechtswidrig verhaltenden Nutzer von Dienstleistungen zu erteilen ist. Im Übrigen überzeugt die Flexibilität der Norwich Pharmacal Order deshalb, weil insbesondere Mittelspersonen in einer durch zunehmende Anonymisierung geprägten Vertriebswelt gegebenenfalls keine zuverlässigen Auskünfte über Identität und Adresse ihrer Geschäftspartner erteilen können (z. B., wenn sich der Schutzrechtsverletzer mittels falscher Adressangaben bei einem OnlinePortal angemeldet hat). Hier können Informationen, die der Ermittlung von Identität und Adresse dienen  – z. B. die Mitteilung einer Bankverbindung  – hilfreich sein.

4.  Schutz vertraulicher Informationen Sehr unterschiedliche Wege beschreiten das deutsche und das englische Recht im Hinblick auf den Schutz vertraulicher Informationen. Auskünfte des Schutzrechtsverletzers zur Bezifferung des Schadensersatzanspruchs unterliegen im deutschen Recht weder Vorkehrungen zur Sicherung der Vertraulichkeit noch Verwendungsbeschränkungen. Nur in Ausnahmefällen kommt die Anordnung eines Wirtschaftsprüfervorbehalts in Betracht. Ganz anders die englischen Schutzvorkehrungen im Rahmen der disclosure, welche auch bei Norwich Pharmacal Orders entsprechende Anwendung finden können. Derselbe Befund gilt für Anordnungen auf Drittauskunft gegenüber dem Schutzrechtsverletzer bzw. gegenüber einem vermeintlichen Schutzrechtsverletzer im Wege des einstweiligen Verfahrens. Bei Auskunftsanordnungen gegenüber Mittelspersonen hat der deutsche Gesetzgeber den Konflikt zwischen Auskunftspflicht und Vertraulichkeitsschutz durch eine Beschränkung des Drittauskunftsanspruch gegenüber Mittelspersonen auf Fälle offensichtlicher Rechtsverletzung bzw. Klageerhebung gegenüber dem Verletzer zu lösen versucht (wobei Störer und mittelbare Patentverletzer nach Rechtsprechung und h. L. nicht in den Genuss dieser Ausgleichsregelung kommen). Vorzug dieser Gestaltung ist der Verzicht auf einen

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§ 7  Auskunft über Ursprung, Vertriebswege und Vertriebsdetails

kostenträchtigen Richtervorbehalt sowie eine Verminderung des Interessenskonflikts der Mittelsperson durch Handreichung verhältnismäßig eindeutiger Kriterien. Nachteilig ist die hiermit verbundene Rechtsschutzverweigerung für den Schutzrechtsinhaber, sofern die Rechtsverletzung nicht offensichtlich ist, aber mangels Identifikation des potentiellen Schutzrechtsverletzers eine gerichtliche Klärung der Frage der Rechtsverletzung ausscheidet. Schließlich gewährt der Verweis auf §§ 383 Abs. 1 Nr. 6, 384 Nr. 3 ZPO der Mittelsperson ein unangemessenes Auskunftsverweigerungsrecht, sofern diese Referenz nicht – wie hier befürwortet – in richtlinienkonformer Weise teleologisch reduziert wird. Die Interessen der Beteiligten werden im englischen Recht mittels der Norwich Pharmacal Order besser austariert, da das Gericht die Auskunftsanordnung in Abhängigkeit von der Wahrscheinlichkeit der Rechtsverletzung und einer umfassenden Interessenabwägung trifft. Auch werden Wege erörtert, um dem vermeintlichen Schutzrechtsverletzer rechtliches Gehör zu verschaffen, ohne ihn zur Aufgabe seiner Anonymität zu zwingen. Sind danach Informationen zu offenbaren, kommen ebenfalls Maßnahmen zum Schutz der Vertraulichkeit bzw. zur Verwendungsbeschränkung in Betracht. Erkauft wird diese ausgewogene Lösung jedoch mit immensen Verfahrenskosten, welche die Attraktivität der Maßnahme für den Schutzrechtsinhaber verringern.

5.  Koordination mit dem Datenschutzrecht 87

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Im deutschen Recht ist die Abstimmung zwischen Auskunftsansprüchen und datenschutzrechtlichen Erlaubnistatbeständen für den Telekommunikationsund Telemediensektor missglückt. Allein für Auskünfte unter Verwendung von Verkehrsdaten enthalten § 140b Abs. 9 PatG et al. einen eindeutigen Erlaubnistatbestand mit Richtervorbehalt. Problematisch im Hinblick auf Verkehrsdaten ist freilich, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein Zugriff auf im Rahmen der Vorratsdatenspeicherung gespeicherte Daten zu Zwecken privater Rechtsdurchsetzung nicht in Betracht kommt. Außerhalb des Anwendungsbereichs von TKG und TMG kann auf den Erlaubnistatbestand des § 28 BDSG zurückgegriffen werden, sofern keine schutzwürdigen Interessen des Datensubjekts entgegenstehen. Das englische Recht arbeitet auch im Rahmen des Datenschutzrechts durchgängig mit einem Richtervorbehalt. Der Court of Appeal hat zudem erwogen, die datenspeichernde Stelle als Boten für rechtliche Stellungnahmen des bislang anonymen Datensubjekts einzusetzen. Der Preis für diese Ausgestaltung sind die hohen Verfahrenskosten.



D.  Rechtsvergleichende Würdigung

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6.  Auskunft im einstweiligen Rechtsschutz Sowohl das deutsche als auch das englische Recht tragen der Tatsache Rechnung, dass Anträge auf Drittauskunft (Fallgruppen (b) und (c)) zumeist eilbedürftig sind. Aufgrund der mit der Auskunftserteilung verbundenen Vorwegnahme der Hauptsache soll eine auf Drittauskunft gerichtete einstweilige Anordnung gemäß § 140b Abs. 7 PatG et al. jedoch nur in Fällen offensichtlicher Rechtsverletzung zulässig sein. Angesichts der Portalfunktion, die der Auskunftserteilung für eine Verfolgung der Schutzrechtsverletzung zukommt, vermag diese Verschärfung der Interessenabwägung gegenüber Unterlassungsverfügungen nicht zu überzeugen. Die im Rahmen der Norwich Pharmacal Order vorgenommene umfassende Interessenabwägung ist sachgerechter. Selbiges gilt (aufgrund der notwendigen Vorwegnahme der Hauptsache) für den Verzicht auf ein nachfolgendes Hauptsacheverfahren. Bei Auskünften zwecks Bezifferung des Schadensersatzanspruchs (Fallgruppe a)) bedarf es einer Durchsetzung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes hingegen nicht, wie beide Rechtsordnungen zutreffend anerkennen.

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7.  Verfahrenskosten der Mittelsperson Die eventuell zur Drittauskunft verpflichtete Mittelsperson bewegt sich im Spannungsfeld zwischen Auskunftsbegehren des Schutzrechtsinhabers und datenschutzrechtlicher bzw. vertraglicher Verpflichtung zum Vertraulichkeitsschutz. Das englische Recht schützt die Mittelsperson auf vorbildliche Weise mit einem standardmäßig vorgesehenen Richtervorbehalt und einer Kostentragungspflicht des Schutzrechtsinhabers. Das deutsche Recht sieht einen entsprechenden Schutz nur für die Auskunfterteilung unter Verwendung von Verkehrsdaten vor (§ 140b Abs. 9 PatG et al.). Für alle anderen Fälle nährt das deutsche Recht angesichts des erheblichen Kostenrisikos, welcher ein Rechtsstreit über das Bestehen bzw. den Umfang eines Drittauskunftsanspruchs für die Mittelsperson begründet, die Gefahr, dass Mittelspersonen den Weg des geringsten Widerstands beschreiten und Auskunftsbegehren von Schutzrechtsinhabern ohne nähere Prüfung der vertraglichen bzw. datenschutzrechtlichen Schranken erfüllen.

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III.  Stand der Harmonisierung und Reformimpulse 1.  Stand der Harmonisierung Der Befund zur Umsetzung des Art. 8 DRL ähnelt den Untersuchungsergebnissen der vorhergehenden Kapitel: Ein entscheidender Harmonisierungsschub durch die Richtlinie lässt sich nicht feststellen. Der deutsche Gesetzgeber griff lediglich korrigierend ein, um die bestehenden Drittauskunftsansprüche in

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§ 7  Auskunft über Ursprung, Vertriebswege und Vertriebsdetails

Passivlegitimation und Umfang an den Richtlinientext anzupassen. Der englische Gesetzgeber sah keinen Handlungsbedarf, und in der englischen Rechtspraxis stehen nach wie vor Anordnungen zur Offenbarung von Dokumenten im Vordergrund gegenüber den Auskunftsanordnungen. Das Instrument der Norwich Pharmacal Order ist freilich ausreichend flexibel, um die Richtlinienkonformität sicherzustellen.

2. Reformimpulse 93

Dem Vergleich beider Rechtsordnungen lassen sich diverse Impulse zur Reform des Art. 8 DRL entnehmen.

a)  Zusammenhang mit einem Verfahren wegen Schutzrechtsverletzung 94

Die Koppelung der Anordnungen auf Drittauskunft an ein Verfahren wegen einer Schutzrechtsverletzung sollte aufgegeben werden. Mangels Kenntnis der Identität des Schutzrechtsverletzers kann ein Verfahren gegenüber diesem nicht eingeleitet werden, sofern die betreffende Prozessordnung keine Verfahren gegen Unbekannt zulässt. Eine Klageerhebung wegen Schutzrechtsverletzung gegenüber der Mittelsperson ist nur dann sinnvoll, wenn die Mittelsperson zumindest auf Unterlassung haftet. Im deutschen und englischen Recht sind die Zurechnungskriterien für eine Unterlassungshaftung jedoch (überzeugenderweise) strikter als die Kriterien, welche eine Auskunftspflicht begründen.

b)  Inhalt der Auskunft 95

Die unklare Zielsetzung des Art. 8 DRL sollte präzisiert werden. Neben Auskünften zur Identifikation des oder weiterer Schutzrechtsverletzer sind auch Auskünfte zur Bezifferung des Schadensersatzanspruchs in den Anwendungsbereich des Art. 8 DRL aufzunehmen. Der Inhalt der Auskunft sollte sich an der Erforderlichkeit der Auskunft orientieren, einem Katalog des Auskunftsinhalts sollte lediglich beispielhafter, kein abschließender Charakter zukommen. Konkret ist zu gewährleisten, dass Auskünfte über die Nutzer von Dienstleistungen ebenso erteilt werden können wie Auskünfte über Daten, die zur Ermittlung der Identität des Schutzrechtsverletzers führen können.

c)  Koordination mit dem Datenschutzrecht 96

Raum für Reform besteht hinsichtlich der Koordination mit den Bestimmungen des Datenschutzrechts.168 Angesichts der weitgehenden Prägung der Auskunftsanordnungen wie des Datenschutzrechts durch das Unionsrecht mutet es merkwürdig an, dass die Herstellung einer praktischen Konkordanz zwischen 168  Bericht der Europäischen Kommission zur Anwendung der Richtlinie 2004/48/EG zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums, KOM(2010)779, S. 7 f.; Kuner, EIPR 2008, 199 (202).



D.  Rechtsvergleichende Würdigung

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den betroffenen Grundrechten den Mitgliedstaaten überlassen bleibt. Positiv formuliert wird den Mitgliedstaaten hier eine Regelungsprärogative gewährt, welche Raum für die Berücksichtigung der jeweiligen Verfassungstradition belässt.169 Bei weniger wohlwollender Betrachtung ist dem europäischen Gesetzgeber wie dem EuGH die Weigerung anzulasten, das „heiße Eisen“ Auskunftspflicht vs. Datenschutz zu schmieden. Für die Harmonisierung der Auskunftsanordnungen innerhalb der Europäischen Union ist die Befugnis der Mitgliedstaaten, das Verhältnis zum Datenschutzrecht eigenständig zu regeln, ein großer Hemmschuh. Die Herausforderung besteht darin, eine Regelung zu schaffen, welche eine effiziente Auskunftserteilung gewährleistet und gleichzeitig die Interessen der Mittelsperson sowie des behaupteten Schutzrechtsverletzers wahrt. Hier ist von drei Prämissen auszugehen: Erstens stellt der Datenschutz ein hohes Gut dar, aber keinen Schild, welches unbedingten Schutz für rechtswidrige Handlungen gewährt. Zweitens ist es nicht gerechtfertigt, Mittelspersonen die Verfahrenskosten für die Klärung des Konflikts zwischen Auskunftsbegehren und Datenschutz aufzubürden. Drittens stehen hohe Anordnungsvoraussetzungen ebenso wie hohe Verfahrenskosten einem effektiven Rechtsschutz entgegen. Eine künftige unionsrechtliche Regelung könnte sich einer Kombination des deutschen und des englischen Rechts sowie Erscheinungsformen der Rechtspraxis bedienen. In einfach gelagerten Fällen wäre der Datenschutz unter Verzicht auf einen Richtervorbehalt zu lockern, während die Mittelsperson in schwieriger gelagerten Fällen berechtigt wäre, ohne Kostenrisiko eine richterliche Erlaubnis einzuholen. Als einfach gelagerte Fälle können bspw. identifiziert werden: yy Situationen, in denen das Datensubjekt gegen Vorschriften zur Publikation seines Namens und seiner Adresse verstößt (z. B. auf Basis des Art. 5 eCommerce-RL oder auf Basis verbraucherrechtlicher Bestimmungen). yy Fälle offensichtlicher Schutzrechtsverletzung (unter Berücksichtigung des objektiven Empfängerhorizonts einer durchschnittlichen Mittelsperson). yy Auskunftsbegehren des Schutzrechtsinhabers auf Basis von Verhaltenskodizes, die zwischen den beteiligten Wirtschaftskreisen entwickelt worden sind,170 verbunden mit einer Zusicherung des Schutzrechtsinhabers, dass es sich um eine für ihn offensichtliche Schutzrechtsverletzung handelt. Das Gefälle zwischen der Produktkenntnis des Schutzrechtsinhabers und einer typischen Mittelsperson ist enorm, weshalb zahlreiche Produktnachahmungen für den Schutzrechtsinhaber offensichtlich sind, aber von dritten Personen kaum nachvollziehbar beurteilt werden können. Es ist sicher169 

Norrgård in Ohly, Common Principles, S. 218. Siehe etwa das Verifizierte Rechteinhaber-Programm (VeRI) von eBay, . 170 

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§ 7  Auskunft über Ursprung, Vertriebswege und Vertriebsdetails

zustellen, dass der Schutzrechtsinhaber im Falle einer Fehlmitteilung zur Zahlung von Bußgeld und Schadensersatz verpflichtet wird. 100

Ein höherer Harmonisierungsgrad könnte auch durch Bestimmungen zur Dauer der Datenspeicherung erzielt werden.171 Wie die Diskussion über die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung zeigt, ist dies freilich eine politisch wie verfassungsrechtlich hoch explosive Thematik. Eine Einigung über die Verwendung von Vorratsdaten zur Verfolgung privatnütziger Ziele erscheint derzeit ausgeschlossen.

e)  Drittauskunft im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes 101

Eine künftige Reform sollte Auskunftsanordnungen zur Identifikation des Schutzrechtsverletzers im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes unter Verzicht auf ein nachfolgendes Hauptsacheverfahren vorsehen.

f) Kosten 102

Es ist klarzustellen, dass bei Streitigkeiten über den Umfang einer Drittauskunftspflicht der Schutzrechtsinhaber die Verfahrenskosten der Mittelsperson trägt.

171 

Commission Staff Working Document zu KOM(2010)779, SEC (2010) 1589, S. 13 f.

§ 8  Bewertung der Richtlinie zur Durchsetzung des geistigen Eigentums A. Bewertungsparameter Es liegt nahe, eine Bewertung des Erfolgs der Durchsetzungsrichtlinie anhand der erklärten Ziele des Richtliniengebers vorzunehmen. Erwägungsgründe 8 bis 10 DRL heben die Unterschiede zwischen den Regelungen der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums hervor, welche zu einer Fragmentierung des Binnenmarkts führten und das materielle Recht des geistigen Eigentums schwächten. Ziel der Richtlinie sei eine Annäherung nationaler Rechtsvorschriften, um ein hohes, gleichwertiges und homogenes Schutzniveau für geistiges Eigentum im Binnenmarkt zu gewährleisten. Im Folgenden wird deshalb betrachtet, ob die Richtlinie der in ihren Erwägungsgründen behaupteten Fragmentierung des Binnenmarkts entgegenwirkt (B.) und ob sie zur Stärkung der Rechte des geistigen Eigentums beiträgt (C). Angesichts des auf die Maßnahmen nach Art. 6 bis 9 DRL beschränkten Untersuchungsgegenstands kann eine Aussage selbstverständlich nur im Hinblick auf diese Instrumente getroffen werden. Auch im gerichtlichen Verfahren gilt der Grundsatz „it takes two to tango“. Die Verfahrensrechte des Beklagten freilich finden in der Durchsetzungsrichtlinie nur punktuell Berücksichtigung. Immerhin postuliert Art. 3 Abs. 1 DRL den Grundsatz, die in der Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe müssten durch die Mitgliedstaaten fair und gerecht ausgestaltet werden. Unter D. wird im Folgenden bewertet, ob die prozessuale Position des angeblichen Schutzrechtsverletzers eine angemessene Berücksichtigung gefunden hat. Schließlich werden unter E. die systemstörenden Auswirkungen auf die nationalen Prozessordnungen betrachtet.

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§ 8  Bewertung der Richtlinie zur Durchsetzung des geistigen Eigentums

B. Harmonisierungswirkung der Richtlinie I.  Stand vor Umsetzung der Durchsetzungsrichtlinie 1. Patentstreitverfahren 4

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Unter dem Blickwinkel der gerichtlichen Durchsetzung gewerblicher Schutzrechte bot der europäische Justizraum vor Umsetzung der Durchsetzungsrichtlinie in der Tat ein fragmentiertes Bild. Empirische Daten stehen vor allem für Patentverletzungsverfahren zur Verfügung. Laut einer Studie aus dem Jahr 2007 gab es zum damaligen Zeitpunkt lediglich vier Mitgliedstaaten,1 in denen die jährliche Anzahl der Patentstreitigkeiten 100 Verfahren überstieg. Dem standen 14 Mitgliedstaaten gegenüber, in denen pro Jahr weniger als 10 Patentstreitigkeiten anhängig gemacht wurden (darunter neun Staaten, die im Laufe mehrerer Jahre kein einziges Verfahren aufweisen konnten).2 In Deutschland, Italien, Frankreich, England und den Niederlanden wurden 90 % aller Patentstreitverfahren geführt.3 Deutschland nahm eine unangefochtene Spitzenreiterposition ein.4 Diese äußerst ungleiche Verteilung lässt sich einerseits auf justizielle, andererseits auf außerrechtliche Faktoren zurückführen. Die Richter an den deutschen Patentstreitkammern gelten aufgrund ihrer hohen Spezialisierung und großen Erfahrung als rechtlich wie technisch besonders fachkundig und effizient.5 Aufgrund der hohen gerichtlichen Fachkunde wird von einer Einholung von Sachverständigengutachten in der Eingangsinstanz  – zumindest am LG Düsseldorf  – regelmäßig abgesehen.6 Die Kosten eines Patentstreitverfahrens vor deutschen Gerichten sind überschaubar.7 Im deutschen Patentverletzungsverfahren ist ferner der Einwand der Nichtigkeit des Schutzrechts unbeachtlich und eine Nichtigkeitswiderklage ausgeschlossen (sog. Trennungsprinzip), was eine zügige Durchführung des Verletzungsverfahrens innerhalb eines Jahres ermöglicht.8 Ein Angriff auf den Rechtsbestand des Patents vor dem EPA, DPMA oder dem Bundespatentgericht erfolgt in etwa der Hälfte aller Fälle, doch nur in ca. 10 % aller Verlet1 

AIPPI, Report Q165, S. 2. Ibid; Pagenberg, GRUR 2012, 582 (585). 3  Mitteilung der Kommission v.  03. 04. 2007 über die Vertiefung des Patentsystems in Europa, KOM (2007) 165, Nr. 2.2.2. 4  Kühnen/Claessen, GRUR 2013, 592 (593) (Daten für das Jahr 2011). 5  Kühnen/Claessen, GRUR 2013, 592 (593); Feldges in FS Schilling, S. 113; Mes in Liber Amicorum Straus, S. 403. S. a. Laddie, im Interview mit de Ranitz, EIPR 2003, 528 (531): „I hope it is not treading on anybody’s toes to say, for example, that there are no judges in Europe who have a greater experience on patent litigation than the German judges. They are at the top of the tree in experience from my point of view.“ 6  Kühnen/Claessen, GRUR 2013, 592 (595). 7  Kühnen/Claessen, GRUR 2013, 592 (593); EPO, EPLA Impact Assessment, S. 10. 8  Feldges in FS Schilling, S. 113; Mes in Liber Amicorum Straus, S. 401. 2 



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zungsverfahren setzt das mit der Verletzungsklage befasste Gericht das Verfahren aus, um (zumindest) die erstinstanzliche Entscheidung des laufenden Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahrens abzuwarten.9 Betrifft die behauptete Verletzung eines Europäischen Bündelpatents mehrere Staaten, so kann eine schnelle Entscheidung eines deutschen Gerichts über den deutschen Teil des Bündelpatents als Basis für eine außergerichtliche Streitbeilegung hinsichtlich der anderen Teile dienen. Die Vorzüge Londons als Patentstreitort liegen auf anderen Gebieten. Das englische Recht folgt wie die meisten Rechtsordnungen der Europäischen Union dem Verbundsystem,10 d. h. es ermöglicht eine Klärung der Patentverletzung wie des behaupteten Nichtbestands des Patents in einem einheitlichen Verfahren. Das englische Verfahrensrecht erlaubt zudem mit den Instrumenten der disclosure, dem Kreuzverhör mehrerer Sachverständiger und der Durchführung von Experimenten vor Gericht eine besonders umfassende Ermittlung des Sachverhalts, die in wirtschaftlich bedeutenden Streitigkeiten lohnenswert erscheinen kann.11 Angriffen gegen den Bestand eines Schutzrechts werden in der Wahrnehmung von Rechtspraktikern größere Erfolgschancen vor englischen Gerichten zugeschrieben,12 was damit zusammenhängen mag, dass im Zuge des Verfahrens Zugang zu den Dokumenten des Patentinhabers im Wege der disclosure gewährt wird.13 Zugunsten des Schutzrechtsinhabers wirken sich die flexiblen einstweiligen Maßnahmen, insbesondere die Verfügbarkeit der search order und der Norwich Pharmacal order aus.14 Schließlich wurde mit der sogenannten streamlined procedure eine Option zur vereinfachten, schnellen Verfahrensdurchführung geschaffen.15 Die Kosten eines Patentstreitverfahrens vor englischen Gerichten gelten freilich als prohibitiv.16 9 

Kühnen/Claessen, GRUR 2013, 592 (594). dem deutschen Recht folgen lediglich Österreich, Bulgarien, Polen, Portugal, Rumänien, die Slowakei und die Tschechische Republik dem Trennungssystem, siehe Luginbühl, European PatL, S. 29 Fn. 107. Zu Vorzügen und Nachteilen des Trennungsprinzips vgl. Kunz-Hallstein/Loschelder, GRUR 2008, 498; Pagenberg GRUR Int 2010, 195 (196); Bolte, Rechtsbehelfe, S. 116; Hetmank in Götting/Vall/Röder-Hitschke, Enforcing IP, S. 125 ff.; Mes in Liber Amicorum Straus, S. 403 ff.; Schröer, GRUR Int. 2013, 1102 (1109); Luginbühl, European PatL, S. 28 f. 11  Laddie im Interview mit de Ranitz, EIPR 2003, 528 (531 f.); Thambisetty, EIPR 2010, 238 (241); Feldges in FS Schilling, S. 113. 12 Empirische Daten von Helmers/McDonagh, Patent Litigation, S.  27, stützen die These, dass in der Mehrzahl aller Bestandsverfahren bzw. Bestandswiderklagen von den englischen Gerichten das streitgegenständliche Patent für nichtig erklärt wird; allerdings wird dieser Befund durch die hohe Vergleichsquote ggf. verfälscht. S. a. Laddie im Interview mit de Ranitz, EIPR 2003, 528 (531). 13  Laddie im Interview mit de Ranitz, EIPR 2003, 528 (531 f.). 14  Hierzu § 6 Rn. 12 ff., § 7 Rn. 18 ff. 15  Moore, 2006 JIPLP 113 (115); s. a. die Ausführungen im Anhang Rn. 26. 16  Siehe die Nachweise im Anhang Rn. 37. 10  Außer

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§ 8  Bewertung der Richtlinie zur Durchsetzung des geistigen Eigentums

Für den Schutzrechtsinhaber interessant ist schließlich eine Vorgehen vor französischen Gerichten aufgrund der effektiven Beweissicherungsmaßnahme der saisie contrefaçon;17 die niederländischen Gerichte erfreuten sich zeitweise angesichts ihrer hohen Bereitschaft zum Erlass einer grenzüberschreitenden einstweiligen Verfügung großer Beliebtheit.18 Zu den außerrechtlichen Faktoren, welche die Anrufung der Gerichte bestimmter Mitgliedstaaten beeinflussen, zählen insbesondere der Sitz des Schutzrechtsinhabers und/oder der Sitz des behaupteten Schutzrechtsverletzers sowie die Bedeutung des jeweiligen Marktes. Deutschland verfügt nicht allein über den größten und wichtigsten Markt innerhalb der europäischen Union, es führt auch die Statistik der Anmeldezahlen aus EPO-Staaten beim Europäischen Patentamt an (vor Frankreich, der Schweiz, Großbritannien und den Niederlanden).19 Spanien kommt u. a. aufgrund des Sitzes zahlreicher Hersteller von Generika eine gewisse Bedeutung auf der patentrechtlichen Landkarte zu,20 in den Niederlanden haben (aus steuerrechtlichen Gründen) viele außereuropäische Unternehmen ihre europäische Zentrale angesiedelt.21

2.  Verfahren zur Durchsetzung anderer gewerblicher Schutzrechte 9

Hinsichtlich der Durchsetzung anderer gewerblicher Schutzrechte fehlt es an einer gesicherten Datenlage.22 Aus verschiedenen Gründen ist zu vermuten, dass die Fragmentierung des europäischen Justizraums bei anderen Schutzrechten nicht so prononciert ausfällt wie im Patentrecht. Kennzeichen sind teilweise stärker auf einzelne nationale Märkte mit ihren sprachlichen und kulturellen Besonderheiten zugeschnitten als technische Schutzrechte; in diesen Fällen bietet sich eine internationale Rechtsverfolgungsstrategie nicht an. Die Häufigkeit eines Angriffs auf den Rechtsbestand des Schutzrechts im oder parallel zum Verletzungsprozess ist bei Marken geringer als bei Patenten. Die Unterschiede zwischen Trennungs- und Verbundsystem fallen deshalb bei Marken nicht so deutlich ins Gewicht. Im Gebrauchsmuster- und Designrecht 17 

Harmeling/Duclos et al., MIP 2008, 69 f.; Feldges in FS Schilling, S. 113. Feldges in FS Schilling, S. 113. 19 . 20  Feldges in FS Schilling, S. 113. 21  Hansen in FS v. Meibom, S. 126. 22 Das HABM verfügt über eine öffentlich zugängliche Datenbank, welche mitgliedstaatliche Verfahren zu Gemeinschaftsmarken und Gemeinschaftsgeschmacksmustern erfasst . Der Datenbestand ist leider wenig aussagekräftig. Die für Deutschland angegebene Ziffer von 57 Entscheidungen beispielsweise wird bei einer Recherche in deutschen Datenbanken um ein Vielfaches überstiegen. Gleichwohl seien die Entscheidungszahlen hier wiedergegeben: Frankreich: 226, Spanien: 138, Niederlande: 78, UK: 65, Deutschland: 57, Polen: 53, Österreich: 34, Belgien: 34. Von allen anderen Mitgliedstaaten ist entweder keine oder jeweils nur eine Entscheidung in der Datenbank verzeichnet. 18 



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folgt auch das deutsche Recht dem Verbundprinzip, d. h. die Bestandswiderklage bzw. Einrede des Nichtbestands ist im Verletzungsprozess zulässig. Unbeeinflusst von der Art des Schutzrechts bleiben außerrechtliche Faktoren wie die Größe und Bedeutung des nationalen Marktes23 und allgemeine justizielle Faktoren (Effektivität des Rechtsschutzes, Kosten der Justizgewähr, Verfügbarkeit spezialisierter Gerichte / Kammern).

10

II.  Das Maßnahmenpaket der Durchsetzungsrichtlinie Ist das Maßnahmenpaket der Durchsetzungsrichtlinie geeignet, die Präferenzen der Parteien für die Klage vor den Gerichten bestimmter Mitgliedstaaten zu beeinflussen? In Teilbereichen lässt sich diese Frage mit „ja“ beantworten. Sofern Schutzrechtsinhaber die Wahl eines bestimmten Forums anhand der Verfügbarkeit von Beweiszugangs- und Beweissicherungsinstrumenten oder Auskunftsanordnungen treffen, ist eine Harmonisierung dieser Maßnahmen durchaus geeignet, einer Fragmentierung des Justizraums zu begegnen. Die oben benannten, wesentlichen Gründe für die Bevorzugung bestimmter Foren durch die Parteien wurzeln freilich in der allgemeinen Organisation und Ausstattung mitgliedstaatlicher Gerichte (oder in außerrechtlichen Faktoren) und werden durch die Regelungen der Durchsetzungsrichtlinie nicht beeinflusst. Dies betrifft insbesondere die Spezialisierung der befassten Richter, die durchschnittliche Dauer der Verfahren und die Prozesskosten. In Patent- und Markenverletzungsverfahren stellt die Entscheidung für das Verbund- oder Trennungssystem den offensichtlichsten Unterschied zwischen den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten dar. Zur Beliebtheit der deutschen Patentgerichtsbarkeit bei Schutzrechtsinhabern trägt das Trennungssystem des deutschen Rechts nicht unerheblich bei. Auch dieser Aspekt bleibt in der Durchsetzungsrichtlinie unberücksichtigt.

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III.  Bewirkte Harmonisierung im deutschen und englischen Recht Art. 6 bis 9 DRL sichern einen Grundbestand verfügbarer Instrumente zur Durchsetzung gewerblicher Schutzrechte in den Mitgliedstaaten. Im deutschen Recht hat die Richtlinie zur Einführung eines Anspruchs auf Vorlage und Besichtigung von Beweismitteln24 bzw. von Bank-, Finanz- und Handelsunterlagen geführt, welcher im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes durch23  Auch hinsichtlich der jährlichen Anmeldungen von Gemeinschaftsmarke und Gemeinschaftsgeschmacksmuster führt Deutschland die Reige der EU-Mitgliedstaaten an, vgl. die Daten auf . 24  Hier war der Weg bereits durch Art. 43 TRIPS vorgezeichnet, vgl. die Entscheidung des BGH v. 02. 05. 2002 – I ZR 45/01 – GRUR 2002, 1046 (1049) (Faxkarte).

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§ 8  Bewertung der Richtlinie zur Durchsetzung des geistigen Eigentums

gesetzt werden kann. Über diesen Grundbestand verfügbarer Instrumente hinausgehend liefert die im Rahmen dieser Arbeit vorgenommene Analyse einen ernüchternden Befund. In Art. 9 Abs. 1 DRL werden weder die materiellen, noch die formellen Voraussetzungen an den Erlass einer einstweiligen Verfügung zur Unterbindung einer Schutzrechtsverletzung vorgegeben. Aus Art. 9 Abs. 3 DRL lässt sich lediglich ablesen, dass das anordnende Gericht befugt (nicht verpflichtet!) ist, die Glaubhaftmachung einer Schutzrechtsverletzung zu prüfen. Nicht definiert ist der Begriff der Mittelsperson, gegen die Unterlassungsanordnungen zur Verfügung stehen sollen. Art. 9 Abs. 2 DRL soll laut dem erklärten Willen der Europäischen Kommission der unionsweiten Einführung der freezing injunction dienen  – obgleich die freezing injunction bei einer wortlautgetreuen Auslegung des Richtlinientextes schwerlich als richtlinienkonforme Umsetzung des Art. 9 Abs. 2 DRL bezeichnet werden kann, weil sie keine Vermögensbeschlagnahme beinhaltet. Die Schutzmaßnahmen zugunsten des Antragsgegners werden in Art. 9 Abs. 4 bis 7 DRL lediglich umrissen; ob eine Umsetzungspflicht der Mitgliedstaaten besteht, ist unklar. Es verwundert somit nicht, dass die Regelung des Art. 9 Abs. 1 DRL keinen nennenswerten Einfluss auf das Recht der Unterlassungsverfügung in den hier untersuchten Rechtsordnungen nehmen konnte. Insbesondere zur Bedeutung der materiellen Rechtslage für den Erlass einer Unterlassungsverfügung nehmen das englische und das deutsche Recht unterschiedliche Ausgangspositionen ein, auch wenn sich in der Rechtspraxis gewisse Konvergenzen feststellen lassen. Die Rechtsprechung zur Haftung von Mittelspersonen ist in beiden Rechtsordnungen noch im Fluss. Neue Vertriebsmethoden, insbesondere über das Internet, spielen hierbei eine gewisse Rolle. Freezing injunction und dinglicher Arrest könnten in ihrer Ausgestaltung nicht unterschiedlicher sein. Gleiches gilt für die ancillary (disclosure) order und § 140d PatG et al. (prozessuales, auf Auskunft gerichtetes Instrument einerseits; materiellrechtlicher Anspruch auf Vorlage von Urkunden andererseits). Auch die Kompensation des Antragsgegners im Falle der Aufhebung der einstweiligen Maßnahme ist sehr unterschiedlich geregelt (undertaking gegenüber dem Gericht einerseits, Ersatzanspruch gemäß § 945 ZPO andererseits). Der Schutz des Antragsgegners vor oder in ex parte-Verfahren ist im englischen Recht zudem durchweg intensiver ausgestaltet als im deutschen Recht. Die in Art. 6 DRL enthaltene Regelung der Beweismittelvorlage weist einen höheren Konkretisierungsgrad auf als Art. 9 Abs. 1 DRL. Eine Anordnung des Gerichts setzt eine hinreichende Begründung der Behauptungen des Antragstellers sowie eine Bezeichnung des begehrten Beweismittels voraus. Es bleibt freilich im Unklaren, ob die Bestimmung auch zugunsten des behaupteten Schutzrechtsverletzers Anwendung findet, und welche Maßnahmen zum Schutz vertraulicher Informationen zu ergreifen sind. Als Hemmschuh



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einer tatsächlichen Harmonisierung erweist sich im Kontext des Art. 6 DRL ferner der Mindestharmonisierungsansatz. Während sich das deutsche Recht auf eine möglichst enge Umsetzung des Art. 6 DRL im Wege materiellrechtlicher Vorlageansprüche zugunsten des Schutzrechtsinhabers beschränkt, sieht das englische Recht eine allgemeine prozessuale Dokumentenoffenbarung im Rahmen der disclosure vor, die über Art. 6 DRL weit hinausgeht und beide Parteien berechtigt und verpflichtet. Das englische Recht verfügt zudem über ausgefeilte Methoden des Geheimnisschutzes, das deutsche Recht befindet sich diesbezüglich noch im Entwicklungsstadium. Ähnlich wie mit den Vorlagepflichten nach Art. 6 DRL verhält es sich mit den Beweissicherungsmaßnahmen gemäß Art. 7 DRL. Aus englischer Perspektive wird Art. 7 DRL durch die search order umgesetzt, welche eine Durchsuchung der Räumlichkeiten des vorgeblichen Schutzrechtsverletzers nach Beweismitteln ermöglicht, wobei die zu suchenden Gegenstände im Antrag lediglich durch allgemeine Kategorien zu umschreiben sind. Das deutsche Recht kennt nichts Vergleichbares. Möglich ist allein die Durchsetzung eines Anspruchs auf Vorlage oder Besichtigung gemäß § 140c PatG et al. im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes. Die wenigen bislang publizierten Entscheidungen beziehen sich vor allem auf eine einstweilige Besichtigung angeblich patentverletzender Gegenstände durch einen gerichtlich bestellten Sachverständigen, wobei meist auf eine Glaubhaftmachung einer Gefahr des Beweismittelverlusts verzichtet wird. Die hierbei erlangten Informationen gehen regelmäßig nicht über jene hinaus, welche in englischen Verfahren ohnehin im Wege der disclosure offenbart werden. Der Harmonisierungseffekt des Art. 7 DRL ist somit denkbar gering. Was schließlich das Recht auf Auskunft betrifft, so sind dessen Voraussetzungen in Art. 8 DRL recht spezifisch und konzise definiert. Fallstrick der Harmonisierung ist neben dem Mindestharmonisierungsansatz hier die fehlende Koordination mit dem ebenfalls unionsrechtlich geprägten Datenschutzrecht der Mitgliedstaaten. Der EuGH billigt den Mitgliedstaaten bei der Abwägung der beteiligten Grundrechtspositionen ein pflichtgemäßes Ermessen zu, dessen unterschiedliche Ausübung einer unionsweit einheitlichen Rechtslage entgegensteht.

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IV.  Zwischenfazit Harmonisierungserfolg Die hier vorgenommene, eher zurückhaltende Bewertung des Harmonisierungseffekts der Richtlinie ist naturgemäß durch die Perspektive der Untersuchung begrenzt: Sowohl Deutschland als auch England sind traditionell bedeutende Foren für die Durchsetzung gewerblicher Schutzrechte. Beide Rechtsordnungen verfügten bereits vor Erlass der Richtlinie über ein hochentwickeltes System zur Durchsetzung gewerblicher Schutzrechte. Es ist zumin-

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§ 8  Bewertung der Richtlinie zur Durchsetzung des geistigen Eigentums

dest denkbar, dass die Durchsetzungsrichtlinie in Mitgliedstaaten mit weniger gefestigten Strukturen eine zuvor fehlende rechtliche Basis legen konnte. Dass sich der Harmonisierungsertrag auf diese gemeinsame Basis reduziert, ist erstens dem Mindestharmonisierungsansatz, zweitens den unklaren Regelungen und unbestimmten Rechtsbegriffen der Richtlinie geschuldet sowie drittens auf die Bemühungen der Mitgliedstaaten zurückzuführen, die Neuerungen möglichst systemschonend in das nationale Recht zu integrieren. Die wesentlichen justiziellen Faktoren für die Bevorzugung bestimmter Foren durch die Parteien eines Schutzrechtsstreits werden durch die Bestimmungen der Durchsetzungsrichtlinie ohnehin nicht beeinflusst. Zur Aufhebung der Fragmentierung des Justizraums innerhalb der Union taugt die Durchsetzungsrichtlinie nicht. Ob eine Aufhebung dieser Fragmentierung überhaupt geeignet wäre, unmittelbar positive Effekte für das Funktionieren des Binnenmarkts zu setzen, kann somit dahingestellt bleiben.25 Die Datenlage nach Umsetzung der Durchsetzungsrichtlinie (Jahr 2011) zeichnet zumindest hinsichtlich europäischer Patentstreitverfahren ein unverändertes Bild:26 Lediglich in Deutschland, Italien, Frankreich, England und den Niederlanden werden jährlich mehr als zehn Verfahren geführt.27 Deutschland ist mit 1250 Verfahren weiterhin der beliebteste Gerichtsstandort Europas. Allein am Landgericht Düsseldorf werden etwa 20 bis 25 % aller europaweiten Verletzungsklagen erhoben.28

C.  Stärkung gewerblicher Schutzrechte I.  Prozessuale Besonderheiten der Durchsetzung gewerblicher Schutzrechte 22

Fällt somit die Bewertung des Harmonisierungseffekts der Richtlinie eher zurückhaltend aus, lässt sich hinsichtlich der Stärkung gewerblicher Schutzrechte ein etwas positiveres Bild zeichnen. Verfahren zur Durchsetzung gewerblicher Schutzrechte zeichnen sich gegenüber anderen Verfahren durch verschiedene Besonderheiten aus.29 Erstens besteht aufgrund der Schnelligkeit des tech25 Es ist zweifelhaft, ob der unterschiedliche prozedurale Schutz Auswirkungen auf die Wettbewerbsposition der Schutzrechtsinhaber nimmt, da Sitzstaat des Wettbewerbers, Schutzrechtsstaat und Staat der Justizgewähr nicht miteinander übereinstimmen müssen. Sicherlich hat die Fragmentierung des Justizraums aber Einwirkung auf die Wettbewerbsposition der Rechtsanwälte. 26  Zum Fortbestand des forum shopping s. a. Harmeling/Duclos et al., MIP 2008, 69 ff. 27  Kühnen/Claessen, GRUR 2013, 592 (593). 28  Kühnen/Claessen, GRUR 2013, 592 (593). 29  Siehe zum Folgenden statt aller Kawano in Stürner/Kawano, Cross Border Insolvency, S. 225 f.



C.  Stärkung gewerblicher Schutzrechte

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nischen Fortschritts, der steten Veränderung von Marktverhältnissen sowie der zeitlich begrenzten Verleihung gewerblicher Schutzrechte ein besonderer Bedarf nach einer schnellen Streitregelung, zunächst im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes, aber auch zwecks endgültiger Beilegung des Rechtsstreits. Zweitens ist der Zugang zu Informationen aus der Sphäre des Verfahrensgegners gegebenenfalls elementar, um das Vorliegen einer Schutzrechtsverletzung zu beweisen (insbes. bei technischen Schutzrechten), den Ersatzanspruch zu beziffern und (v. a. bei der Produktpiraterie) weitere Verletzer zu identifizieren. Drittens muss der Schutz vertraulicher Informationen gewährleistet werden, sofern das Verfahren  – wie häufig  – zwischen unmittelbaren Konkurrenten im Wettbewerb geführt wird. Sind technische Schutzrechte betroffen, so ist viertens technische Sachkunde des Gerichts vorteilhaft, auch wenn der Sachverhalt durch Sachverständige näher erläutert werden kann. Fünftens weisen Rechtsstreitigkeiten auf dem Gebiet des Gewerblichen Rechtsschutzes häufig einen internationalen Bezug auf. Die Durchsetzungsrichtlinie adressiert die genannten prozessualen Besonderheiten teilweise.

II.  Die Instrumente der Durchsetzungsrichtlinie 1.  Schnelle Streitregelung Art. 9 Abs. 1 lit. a DRL verpflichtet die Mitgliedstaaten, im Interesse der Schutzrechtsinhaber die Option einstweiliger Unterlassungsverfügungen bzw. Beschlagnahmeanordnungen bereitzuhalten, um eine vorliegende oder drohende Schutzrechtsverletzung zu beenden bzw. zu verhindern. Ein zügiges oder überraschendes Vorgehen soll durch ex parte-Verfahren ermöglicht werden. Zur Verfahrensdauer enthält Art. 3 Abs. 1 DRL lediglich die allgemeine Vorgabe, die von den Mitgliedstaaten zur Verfügung gestellten Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe dürften keine ungerechtfertigten Verzögerungen mit sich bringen. Schneller Rechtsschutz (sowohl in einstweiligen Verfahren, als auch in Verletzungs- und Bestandsverfahren) bleibt damit abhängig von der Effektivität der Justiz des jeweiligen Mitgliedstaats.

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2.  Zugang zur Informationen aus der Sphäre anderer Personen Art. 6 bis 8 DRL verpflichten die Mitgliedstaaten zur Bereithaltung von Instrumenten, die den Zugang zu Informationen aus der gegnerischen Sphäre eröffnen. Art. 6 und 7 DRL sind grundsätzlich geeignet, dem Schutzrechtsinhaber die Beweisführung über das Vorliegen einer Schutzrechtsverletzung zu erleichtern; die Maßnahmen gemäß Art. 6 und 8 DRL ermöglichen die Bezifferung des Ersatzanspruchs; das Auskunftsrecht nach Art. 8 DRL dient der Ermittlung des Täters bzw. weiterer Verletzer. Die Durchschlagkraft verschiedener Durchsuchungsmaßnahmen in den Rechtsordnungen der Mit-

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gliedstaaten, etwa der search order oder der saisie contrefaçon, erreicht die Regelung zur Beweissicherung in Art. 7 DRL allerdings nicht. Die Auskunftspflicht nach Art. 8 Abs. 1 lit. b DRL erstreckt sich zwar auf Herstellungs-, Vertriebs- und Liefermengen bzw. -preise, nicht aber für die zur Bestimmung des Ersatzanspruchs ggf. erforderlichen Gestehungskosten und den erzielten Gewinn.30 Das Recht auf Drittauskunft ist wichtig, und war vor Erlass der Durchsetzungsrichtlinie in nicht wenigen Mitgliedstaaten der Union unbekannt.31 Bei wortgetreuer Umsetzung des Art. 8 DRL durch die Mitgliedstaaten ist das Recht auf Drittauskunft allerdings ineffektiv, da es nur bei nachweislichem Vorliegen einer Rechtsverletzung besteht und den Zusammenhang mit einem Verfahren voraussetzt. Ohne Kenntnis der Identität des vorgeblichen Schutzrechtsverletzers kann ein Schutzrechtsinhaber kein Verfahren einleiten (es sei denn, die Prozessordnung sieht ein Verfahren gegen Unbekannt vor), und auch der Nachweis der Rechtsverletzung fällt ggf. schwer. Die Effektivität der Regelungen zur Informationsgewinnung hängt im Übrigen von der Feinjustierung der in der Richtlinie enthaltenen Tatbestandsmerkmale durch die Mitgliedstaaten ab. Die Mitgliedstaaten bzw. deren Gerichte verfügen über eine große Einschätzungsprärogative, wann von der Vorlage „vernünftigerweise verfügbarer Beweismittel zur hinreichenden Begründung der Ansprüche“ des Schutzrechtsinhabers auszugehen ist, wie konkret die Bezeichnung eines begehrten Beweismittels zu erfolgen hat und wann eine Beweismittelvorlage oder Beweissicherung zum Scheitern verurteilt ist, weil der Schutz vertraulicher Interessen nicht gewährleistet werden kann. Schließlich bleibt den Mitgliedstaaten im Rahmen des Auskunftsrechts nach Art. 8 DRL die Abwägung mit dem Schutz personenbezogener Daten überlassen.

3.  Der Schutz vertraulicher Informationen 27

Der Schutz vertraulicher Informationen aus der Sphäre des Verfahrensgegners wird in Art. 6 Abs. 1 und 2, Art. 7 Abs. 1 DRL angesprochen, dessen Ausgestaltung aber dem nationalen Recht überlassen. Der Schutz vertraulicher Informationen, die eine Partei im Zuge ihrer eigenen Beweisführung offenbart, findet in der Richtlinie keine Berücksichtigung.

30  Siehe Art. 13 Abs. 1 DRL zur Berechnung des Ersatzanspruchs unter Einbeziehung aller in Frage kommenden Aspekte, einschließlich des zu Unrecht vom Verletzer erzielten Gewinns. 31 Siehe die Begründung des Richtlinienvorschlags der Europäischen Kommission v. 30. 01. 2003, KOM(2003) 46, S. 16.



D.  Position des angeblichen Schutzrechtsverletzers

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4.  Fachkunde des Gerichts Ebenfalls nicht adressiert wird die Vermittlung technischer Sachkunde an das Gericht bzw. die Einrichtung von Spezialkammern und/oder Gerichten für den gewerblichen Rechtsschutz, welche auf Dauer zu einer erhöhten technischen und rechtlichen Fachkunde führen könnte.

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5.  Internationaler Bezug Der internationale Bezug von Schutzrechtsverfahren bleibt aufgrund der Existenz spezieller Unionsrechtsakte auf dem Gebiet des Internationalen Zivilverfahrensrechts unberücksichtigt. Dies führt zu unbefriedigenden Lücken, z. B. hinsichtlich der Verfügbarkeit von Beweissicherungsinstrumenten zugunsten ausländischer Verfahren.

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6.  Einstweilige Vermögensauskunft und Sicherung des Vermögensbestands Nicht zugeschnitten auf spezifische Bedürfnisse von Schutzrechtsinhabern ist die Bestimmung des Art. 9 Abs. 2 DRL, welche die Mitgliedstaaten verpflichtet, einstweilige Maßnahmen zur Sicherung des Vermögens des behaupteten Schutzrechtsverletzers bereitzuhalten.

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D.  Position des angeblichen Schutzrechtsverletzers Die Position des angeblichen Schutzrechtsverletzers findet in der Richtlinie in dreifacher Weise Berücksichtigung. Erstens durch bestimmte Tatbestandsmerkmale (hinreichende Begründung der Behauptung der Schutzrechtsverletzung durch den Antragsteller, Schutz vertraulicher Interessen32), die aufgrund des Mindestharmonisierungsansatzes gemäß Art. 2 Abs. 1 DRL für die Mitgliedstaaten nicht verbindlich sind; zweitens durch die Statuierung von Schutzmaßnahmen zugunsten des Antragsgegners im einstweiligen Rechtsschutz,33 von denen unklar ist, ob sie verbindlich sind oder zur Disposition der Mitgliedstaaten stehen;34 drittens durch die in Art. 3 DRL enthaltene allgemeine Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe fair, gerecht und verhältnismäßig auszugestalten und einer eventuellen Gefahr des Missbrauchs zu begegnen. Insgesamt ist der Schutz des vorgeblichen Schutzrechtsverletzers damit eher schwach konturiert: In der Sache sind die in Art. 7 und Art. 9 DRL enthaltenen Maßnahmen zum Schutz des Antragsgegners im einstweiligen Rechtsschutz 32 

Art. 6 Abs. 1, 7 Abs. 1, 8 Abs. 1 und 3, 9 Abs. 2 DRL. Art. 7 Abs. 1 UAbs. 2, Abs. 2 bis 4; Art. 9 Abs. 4 bis 7 DRL. 34  Supra § 4 Rn. 11 f. 33 

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§ 8  Bewertung der Richtlinie zur Durchsetzung des geistigen Eigentums

zwar durchaus angemessen. Bis zu einer Klärung ihrer Verbindlichkeit durch den EuGH stehen sie jedoch de facto zur Disposition der Mitgliedstaaten, wie das deutsche Beispiel des fehlenden Zwangs zur Klageerhebung zeigt. Für Rechtsunsicherheit sorgt darüber hinaus die fehlende Definition des Fristbeginns für die Erhebung der Hauptsacheklage nach Art. 7 Abs. 3, Art. 9 Abs. 5 DRL.35 Am Beispiel des englischen Rechts lässt sich gut illustrieren, wie der Unionsgesetzgeber eingriffsintensive Instrumente einer Rechtsordnung entnimmt (search order, freezing injunction), die dortigen Rahmenbedingungen zur Prävention eines Missbrauchs jedoch ignoriert (full and frank disclosure, return date, alleinige Zuständigkeit des High Court, hohe Verfahrenskosten).36 Auch der Zugang zu Beweismitteln aus der gegnerischen Sphäre – in vielen Rechtsordnungen der Union als prozessuales Recht beider Parteien ausgestaltet – ist trotz der neutralen Formulierung in Art. 6 DRL wohl allein als Maßnahme zugunsten des Schutzrechtsinhabers konzipiert.37 Aus dem in Art. 3 DRL niedergelegten allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz lässt sich im Regelfall kein konkreter Schutz des vorgeblichen Verletzers ableiten.38 Zu berücksichtigen ist ein weiterer Aspekt, der sich anhand der Umsetzung der Durchsetzungsrichtlinie in das deutsche Recht gut illustrieren lässt. Die unpräzise Formulierung zahlreicher Richtlinienbestimmungen mehrt in Verbindung mit dem Mindestharmonisierungsansatz die Forderungen nach einer möglichst schutzrechtsintensiven Umsetzung. So wurde im Zuge des deutschen Umsetzungsprozesses gefordert bzw. behauptet, der nationale Gesetzgeber sei gehalten, unabhängig von Zurechnungsgesichtspunkten einstweilige Anordnungen gegen jede Person zu erlassen, die einen Verursachungsbeitrag zu einer Schutzrechtsverletzung gesetzt habe;39 einzuführen seien Klagen gegen Unbekannt;40 die Richtlinie erfordere eine Durchsuchung zwecks Ermittlung inkriminierender Beweisstücke;41 eine Beweisvorlage im einstweiligen Rechts-

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Supra § 4 Rn. 25 f. Vorbild für Art. 7 DRL diente neben der search order allerdings auch die saisie contrefaçon, welche den Schutz des Antragsgegners weniger intensiv gestaltet. 37  Supra § 5 Rn. 7 ff. 38 Zutreffend Stadler, GPR 2013, 281 (285): „Wer wollte da ernsthaft widersprechen? Es wäre jedoch Aufgabe des europäischen Gesetzgebers gewesen, politischen Konsens gerade zur konkreten Ausgestaltung und Umsetzung herbeizuführen. [Es wäre] illusorisch zu glauben, ein solcher Appell könne die unterschiedlichen nationalen Vorstellungen überwinden.“ (zu einer ähnlichen Formulierung in der Empfehlung der Kommission vom 11. Juni 2013: Gemeinsame Grundsätze für kollektive Unterlassungs- und Schadensersatzverfahren in den Mitgliedstaaten bei Verletzung von durch Unionsrecht garantierten Rechten, (2013/396/EU), ABl. Nr. L 201/60 v. 26. 07. 2013). 39  Nordemann, GRUR 2011, 977 (979, 981). 40  Frey/Rudolph, ZUM 2004, 522 (525). 41  Gniadek, Beweisermittlung, S. 347 ff.; Kreye in FS Meibom, S. 243; Knaak, GRUR Int. 2004, 745 (748 f.). 36  Als



E.  Systemstörende Eingriffe in das nationale Verfahrensrecht

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schutz sei ohne Prüfung eines Beweismittelverlusts geboten;42 die Gefahr des Zugriffs konkurrierender Gläubiger genüge als Besorgnis der Vollstreckungsvereitelung bei der Anordnung des Arrests;43 ein Vorlageanspruch hinsichtlich Bank-, Finanz- und Handelsunterlagen zwecks Durchführung der vorläufigen Vermögensbeschlagnahme bestehe auch gegenüber dritten Personen,44 das Recht auf Drittauskunft bestehe auch gegenüber privaten Endabnehmern.45 Mit dem Ziel, die systemstörenden Einflüsse der Durchsetzungsrichtlinie auf das deutsche Recht zu minimieren, hat der deutsche Gesetzgeber der Versuchung widerstanden, die Richtlinie stets im Zweifel zugunsten des Rechteinhabers umzusetzen. Als Reaktion hierauf wird in Rechtsprechung und Schrifttum für eine ausweitende, „richtlinienkonforme“ Interpretation plädiert.46 Eine deutlichere Formulierung derjenigen Tatbestandsmerkmale, welche dem Schutz des behaupteten Schutzrechtsverletzers dienen, hätte diesem Phänomen vorbeugen können.

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E.  Systemstörende Eingriffe in das nationale Verfahrensrecht Systemstörende Eingriffe in das nationale Verfahrensrecht ließen sich im Rahmen dieser Untersuchung nur mit Blick auf das deutsche Recht identifizieren. Der Grund ist simpel: Das englische Verfahrensrecht hält die in der Richtlinie vorgegebenen Maßnahmen und Verfahren ohnehin als Querschnittsmaterien bereit. Instrumente wie die search order und die Norwich Pharmacal order wurden zwar in Entscheidungen entwickelt, die der Durchsetzung gewerblicher Schutzrechte dienten, stehen aber unstreitig auch zur Durchsetzung andere Rechtsgüter zur Verfügung.47 Im deutschen Recht sind die durch die Richtlinie bewirkten Disharmonien beträchtlich. Insbesondere Art. 9 Abs. 2 S. 2 DRL bewirkt eine schwer nachzuvollziehende Bevorzugung der Inhaber gewerblicher Schutzrechte gegenüber anderen Gläubigern. Nach § 140d Abs. 1, Abs. 3 PatG et al. ist es einem Schutz42  Kühnen, GRUR 2005, 185 (194); Tilmann, GRUR 2005, 737 (738); Spindler/Weber, ZUM 2007, 257 (264); Koch, ITRB 2006, 40 (41); Götz, Informationsbeschaffung, S. 249; Fezer, MarkenR, § 19a MarkenG Rn. 43. 43  Dörre/Maaßen, GRUR-RR 2008, 217 (221). 44  Fezer, MarkenR, § 19 MarkenG Rn. 9. 45  Hacker in Ströbele/Hacker, MarkenG, § 19 Rn. 21. 46  Siehe die Nachweise in den vorigen Fußnoten. 47  Abgesehen vom Immaterialgüterrecht werden search orders insbesondere in Betrugsfällen und bei behauptetem breach of confidence erlassen, vgl. Parnell, Birmingham Post v. 27. 01. 2011, S. 5. Siehe aber auch Imerman v Tchenguiz, [2011] 2 WLR 592 (634 ff.) (CA): search order zwecks Kontrolle der Einhaltung der Vermögensoffenbarungspflichten in Scheidungsfolgesachen zulässig (per obiter dictum). Zu den vielgestaltigen Konstellationen der Norwich Pharmacal Order vgl. White Book, Vol. I, Rn. 31.18.5 m. w. N.

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§ 8  Bewertung der Richtlinie zur Durchsetzung des geistigen Eigentums

rechtsinhaber bereits vor der gerichtlichen Feststellung einer Schutzrechtsverletzung möglich, Einblick in die Vermögensverhältnisse des vorgeblichen Schutzrechtsverletzers zu nehmen, obgleich das deutsche Zivilprozessrecht eine Auskunft des Schuldners über seine Vermögensbestandteile prinzipiell erst nach Titulierung der Forderung vorsieht.48 Um diese Besserstellung der Schutzrechtsinhaber gegenüber gerichtlich bestätigten Gläubigern des vorgeblichen Schutzrechtsverletzers zu minimieren, hat der deutsche Gesetzgeber die Durchsetzung des Vorlageanspruchs aus § 140d Abs. 1 PatG et al. im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes an die – richtlinienwidrige – Vorgabe geknüpft, die Schutzrechtsverletzung müsse offensichtlich sein.49 Das Störpotential einer Richtlinienbestimmung korreliert mit seiner Passung zu den prozessualen Besonderheiten im Schutzrechtsprozess. Gerade weil ein besonderes Bedürfnis der Schutzrechtsinhaber zum Einblick in die Vermögensverhältnisse des vorgeblichen Schutzrechtsverletzers fehlt, lässt sich ihre Besserstellung gegenüber anderen (potentiellen) Gläubigern durch § 140d PatG et al. kaum legitimieren. Soweit die Maßnahmen der Durchsetzungsrichtlinie einem spezifischen Schutzbedürfnis der Verfahrensbeteiligten in Schutzrechtsstreitigkeiten begegnen, wirkt sich der Eingriff in die nationale Prozessordnung zwar ebenfalls systemstörend aus, weil es durchaus ähnliche Bedürfnisse anderer Prozessparteien gibt. Immerhin aber könnte der nationale Gesetzgeber diesen Eingriff als Impuls begreifen, eine Querschnittsregelung für entsprechende Bedarfslagen einzuführen. Konkret hätte beispielsweise Art. 8 DRL den Anstoß zu einem allgemeinen Drittauskunftsanspruch gegenüber Diensteanbietern der Informationsgesellschaft geben können.

F. Ergebnis 38

Das Ziel, einer Fragmentierung des Binnenmarkts durch Harmonisierung des nationalen Rechts zu begegnen, haben die analysierten Bestimmungen der Durchsetzungsrichtlinie nicht erreicht. Über einen gemeinsamen Grundbestand bestimmter Instrumente hinausgehend fallen die Lösungen der hier untersuchten Rechtsordnungen sehr unterschiedlich aus  – dabei wurden lediglich zwei der insgesamt 28 Rechtsordnungen der Europäischen Union betrachtet. Positiver ist die Bilanz aus dem Blickwinkel des Schutzes des Rechte des geistigen Eigentums. Einige der in der Richtlinie genannten Instrumente adressieren spezifische Bedürfnisse der Schutzrechtsinhaber im Schutzrechtsprozess; andere Instrumente stellen den Schutzrechtsinhaber trotz des Fehlens solcher spezifischen Bedürfnisse besser. Der Preis für diesen Schutz ist hoch: 48  § 802c 49 

Abs.1 ZPO. Näher supra § 4 Rn. 129.



G.  Lehren für eine künftige Angleichung des Prozessrechts

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Einerseits wird die Position des vorgeblichen Schutzrechtsverletzers nur unzureichend berücksichtigt, andererseits sind die systemstörenden Auswirkungen auf die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten erheblich, sofern sich der nationale Gesetzgeber nicht zu einer überschießenden Umsetzung entschieden hat. An der Eignung der Durchsetzungsrichtlinie zur Förderung des Binnenmarkts bestanden bereits vor deren Erlass erhebliche Zweifel:50 Erstens konnten justizielle Makrofaktoren und außerrechtliche Gründe für die unterschiedliche Rechtsschutzgewähr vor mitgliedstaatlichen Gerichten durch die Durchsetzungsrichtlinie nicht beeinflusst werden. Zweitens war bereits im Erlasszeitpunkt der Richtlinie die große Einschätzungsprärogative der Mitgliedstaaten offenkundig, welche aus unbestimmten Begriffen, Ermessensspielräumen und dem Mindestharmonisierungsansatz resultiert. Drittens war jedenfalls hinsichtlich der verfahrensrechtlich konnotierten Richtlinienbestimmungen klar, dass diese allenfalls einen mittelbaren und ungewissen positiven Effekt für die Förderung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten zeitigen würden. Diese Aspekte wurden vom Unionsgesetzgeber nicht abgewogen. Wie so oft51 wurde Art. 95 EGV (= Art. 114 AEUV) instrumentalisiert, um eine Gesetzgebungskompetenz für Maßnahmen herzuleiten, die nicht primär der Harmonisierung im Binnenmarkt, sondern anderen Zwecken dienen. Bezeichnenderweise wird die Fragmentierung des Binnenmarktes im Bericht der Europäischen Kommission über die Implementierung der Durchsetzungsrichtlinie mit keinem Wort erwähnt. Vielmehr wird die Richtlinie als solides Fundament für die Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums bewertet;52 allein im Hinblick auf die neuen Herausforderungen durch das Internet bestehe Handlungsbedarf.53

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G.  Lehren für eine künftige Angleichung des Prozessrechts I.  Die fehlende Rechtsetzungsbefugnis der Union Welche Lehren und Erkenntnisse ergeben sich aus der Erfahrung der Durchsetzungsrichtlinie für künftige Angleichungen des europäischen Prozessrechts? An vorderster Stelle steht die Bestätigung der bereits am Anfang dieser Untersuchung54 geäußerten Vermutung, dass eine positive Auswirkung der Harmo50  Cornish/Drexl/Hilty/Kur, EIPR 2003, 447 f. (mit weiteren Unterzeichnern); Metzger/ Wurmnest, ZUM 2003, 925. 51  Siehe zum competence creep im Verbraucherprivatrecht nur Weatherill, EU Consumer Law, S. 10 ff. 52  Bericht der Europäischen Kommission zur Anwendung der Richtlinie 2004/48/EG zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums, KOM (2010) 779, S. 5. 53  Ibid, S. 10. 54  § 3 Rn. 17 f.

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§ 8  Bewertung der Richtlinie zur Durchsetzung des geistigen Eigentums

nisierung zivilprozessualer Regelungen ohne grenzüberschreitenden Bezug auf das Funktionieren des Binnenmarkts nicht zu erwarten ist. In jenen Rechtsgebieten, die ein fragmentiertes Bild der Rechtsverfolgung im Binnenmarkt bieten, lässt sich diese Fragmentierung nicht eindeutig auf bestimmte prozessuale Normen zurückführen. Wie oben anhand der Verteilung der Patentstreitigkeiten innerhalb der Union dargelegt wurde, lassen sich Differenzen in der Rechtsschutzgewähr vorrangig auf justizielle Makrofaktoren ebenso wie auf außerrechtliche Aspekte zurückführen. Die allgemeine BinnenmarktKompetenz des Art. 114 AEUV bietet deshalb regelmäßig keine ausreichende Grundlage für den Erlass von Unionsrechtsakten, welche die Harmonisierung des Zivilverfahrens ohne grenzüberschreitenden Bezug bezwecken. Es griffe zu kurz, die Frage nach den Lehren der Durchsetzungsrichtlinie für die künftige Prozessrechtsharmonisierung hiermit für beendet zu erklären. Erstens können Rechtsetzungsbefugnisse modifiziert werden, zweitens ist die Europäische Kommission stets interessiert, die Grenzen der Unionskompetenzen auszuloten55 und drittens bezieht sich die Kompetenz der Union auf dem Gebiet der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen mit grenzüberschreitendem Bezug auch auf die Beseitigung von Hindernissen für die reibungslose Abwicklung von Zivilverfahren, erforderlichenfalls durch Förderung der Vereinbarkeit der in den Mitgliedstaaten geltenden zivilrechtlichen Verfahrensvorschriften (Art. 81 Abs. 2 lit. f AEUV).56

II.  Die Option der Vollharmonisierung 42

43

Auf dem Gebiet des Verbraucherprivatrechts hat die Erkenntnis, dass der Mindestharmonisierungsansatz nicht geeignet ist, eine tatsächliche Harmonisierung des Rechts der Mitgliedstaaten herbeizuführen, den europäischen Gesetzgeber dazu bewogen, von der Mindestharmonisierung Abstand zu nehmen und eine Strategie der Vollharmonisierung zu verfolgen. Ob eine solche Strategie im Prozessrecht sinnvoll wäre, darf mit Fug und Recht bezweifelt werden. Hierbei spielen verschiedene Aspekte eine Rolle: Erstens steigt parallel zum Harmonisierungsgrad des Unionsrechts die Disharmonie im nationalen Recht, d. h. die Einheit des Prozessrechts wird beeinträchtigt. Ein in seinen Teilbereichen aufeinander abgestimmtes Verfahrensrecht aber ist notwendige

55 

Supra § 2 Rn. 3 m. w. N. Die Vorschrift kann zwar nicht für die flächendeckende Vereinheitlichung des nationalen Zivilverfahrensrechts herangezogen werden, setzt sie doch einen grenzüberschreitenden Bezug und den Nachweis der Erforderlichkeit voraus, doch ist der Erforderlichkeitsklausel kaum ein justitiable Begrenzung zu entnehmen, vgl. näher Leible in Streinz, EUV/AEUV, Art. 81 AEUV Rn. 36; Rossi in Callies/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 81 AEUV Rn. 28. 56 



G.  Lehren für eine künftige Angleichung des Prozessrechts

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Bedingung für einen effektiven Prozessablauf.57 Zweitens ist das Verfahrensrecht eng mit der Gerichtsorganisation, der Rechtspflege insgesamt, aber auch den Verfassungstraditionen eines Staates verbunden.58 Deutlich zeigt sich dies an der Umsetzung des Art. 7 DRL in das deutsche und englische Recht, welche aufgrund der unterschiedlichen Befugnisse der Gerichtsvollzieher, der divergierenden Möglichkeiten zur Sanktionierung von Prozessparteien bzw. Rechtsanwälten sowie unterschiedlicher Verfassungsprinzipien auf ganz unterschiedlichem Wege erfolgt ist. Drittens schließlich bedarf es im Prozessrecht in besonderem Maße der Rechtsklarheit,59 welche im Zuge einer Richtlinienumsetzung oftmals verloren geht. Die Vollharmonisierung nimmt dem nationalen Gesetzgeber Spielraum zur rechtsklaren Einpassung unionsrechtlicher Bestimmungen in das nationale Verfahrensrecht, da sie beidseitig zwingende Vorgaben erteilt. Das unionsrechtliche Instrument zur Wahrung der Rechtseinheit und Sicherung der Rechtsklarheit – das Vorabentscheidungsersuchen – ist nicht zugeschnitten auf den Auslegungskontext verfahrensrechtlicher Normen. Die mit einem Vorabentscheidungsersuchen zum materiellen Recht verbundene Verzögerung der Streitbeilegung erscheint zum Zwecke der Wahrung der Einheit des Unionsrechts hinnehmbar, weil das vorlegende Gericht die Möglichkeit hat, den Sachverhalt umfassend aufzuklären und auf die streitentscheidenden Rechtsfragen hin zuzuspitzen.60 Idealerweise kann das vorlegende Gericht den Rechtsstreit nach Beantwortung der Vorlagefrage durch den EuGH schnell entscheiden. Aufgrund der dienenden Funktion des Prozessrechts ist eine schnelle Streitbeendigung nach einer Entscheidung des EuGH zu prozessualen Fragen Illusion (dies gilt auch für präparatorische Auskunfts- und Vorlageansprüche). Ein Vorabentscheidungsersuchen zu verfahrensrechtlichen Fragen betrifft den Prozess der Sachverhaltsermittlung, und erst nach Entscheidung des EuGH 57 Siehe Leipold, Lex fori, S. 28 f.; Basedow in Schlosser, Materielles Recht und Prozessrecht, S. 138 f., jeweils zum Grundsatz forum regit processum. 58  Leipold, Lex fori, S. 28 f.; Basedow in Schlosser, Materielles Recht und Prozessrecht, S. 138 f.; zur Funktion des Prozessrechts als „angewandtes Verfassungsrecht“ siehe Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit, S. 288 ff. m. w. N. 59  Basedow in Schlosser, Materielles Recht und Prozessrecht, S. 138: „Das Gericht muss in jeder Phase des Verfahrens wissen, wie es auf die Wendungen der Parteien, auf neue Angriffe, neue Einreden, neue Beweisanträge, neues Bestreiten und Geständnisse zu reagieren hat.“ 60  In den vom EuGH erteilen Hinweisen zur Vorlage von Vorabentscheidungsersuchen durch die nationalen Gerichte, ABl. Nr. C 297/1 v. 05. 12. 2009, heißt es in Nr. 19, es sei „wünschenswert, dass die Vorlage erst in einem Verfahrensstadium erfolgt, in dem das Gericht in der Lage ist, den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen des Problems zu bestimmen, damit der Gerichtshof über alle Informationen verfügt, die er benötigt, um gegebenenfalls prüfen zu können, ob das Unionsrecht auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbar ist.“ Es könne außerdem im Interesse einer geordneten Rechtspflege liegen, die Vorabentscheidungsfrage erst nach streitiger Verhandlung vorzulegen.

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kann das vorlegende Gericht den Sachverhalt vollständig ermitteln und sodann eine Entscheidung in der Sache treffen. Soweit auch das materielle Recht durch das Unionsrecht geprägt ist (wie dies im Gewerblichen Rechtsschutz der Fall ist), bedarf es im Zuge der Entscheidung in der Sache gegebenenfalls einer erneuten Vorlage an den EuGH. Eine solche Verzögerung der Justizgewähr allein zum Zwecke der Wahrung der Einheit des Unionsrechts ist den Parteien kaum zuzumuten. Werden gar Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes durch das Unionsrecht vorgegeben (wie in Art. 7 und 9 DRL), kann trotz der zügigen Durchführung eines beschleunigten Vorabentscheidungsverfahrens bzw. eines Eilvorlageverfahrens gemäß 105, 107 VerfO-EuGH61 die Gewähr effektiven Rechtsschutzes durch nationale Gerichte an der mit einer Vorlage verbundenen Zeitverzögerung scheitern. Als Alternative zur Vollharmonisierung eignet sich gegebenenfalls die Vorgabe eines Regelungskorridors, der die Interessen aller Parteien des Prozessrechtsverhältnisses berücksichtigt. Auch hier sind freilich erhebliche Systemstörungen vorprogrammiert – beispielsweise wäre eine allgemeine Beschränkung der englischen disclosure in Verfahren des gewerblichen Rechtsschutzes in England schwerlich vermittelbar.

III.  Die Materialisierung des Prozessrechts 46

Wenig überzeugend ist das mit der Durchsetzungsrichtlinie verfolgte Konzept einer sektorspezifischen Harmonisierung des Verfahrensrechts aus der Perspektive bestimmter, als schutzbedürftig identifizierter Inhaber materieller Rechtspositionen. Die dienende Funktion des Prozessrechts gegenüber dem materiellen Recht darf nicht den Blick auf den eigenständigen Gerechtigkeitsund Zweckmäßigkeitsgehalt des Verfahrensrechts verstellen.62 Grundsätzlich ist das Verfahrensrecht gegenüber dem materiellen Recht abstrakt.63 Zugegebenermaßen erschwert die unterschiedliche Charakterisierung bestimmter Instrumente in den Mitgliedstaaten als materiell- oder verfahrensrechtlich eine Trennung von Sach- und Prozessrecht. Dennoch: Eine Harmonisierung des Verfahrensrechts sollte aus der Perspektive der allgemeinen Rechtsdurchsetzung erfolgen. Mit Blick durch das materiellrechtliche Fernrohr entworfene Insellösungen im Verfahrensrecht provozieren Systemstörungen in den nationalen Prozessordnungen. Sie führen zu einer unangemessenen Differenzierung zwischen Parteien, die mit identischen Problemen der Rechtsdurchsetzung konfrontiert sind, wenn auch zwecks Durchsetzung unterschiedlicher Rechtsgüter. 61  Zu grundsätzlich positiven Erfahrungen mit dem Eilverfahren siehe Sickerling in Gsell/ Hau, Zivilgerichtsbarkeit, S. 78. 62  Siehe nur Beys in FS Henckel, S. 17 m. w. N. 63  Leipold, Lex fori, S. 29.



G.  Lehren für eine künftige Angleichung des Prozessrechts

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Das im Sommer 2013 von der Europäischen Kommission vorgelegte Maßnahmenpaket zu Kollektivklagen64 verfolgt die Materialisierung des Verfahrensrechts weiter. Die Einführung von Kollektivklagen in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten wird in einer Empfehlung der Europäischen Kommission – unabhängig von einer Bedarfsprüfung – allgemein gefordert für die Durchsetzung der durch das Unionsrecht garantierten Rechte.65 Art. 5 der Richtlinie über Schadensersatzklagen bei Verstößen gegen das Kartellrecht66 enthält eine Weiterentwicklung des Art. 6 DRL, d. h. einseitige Beweismittelvorlagepflichten des Beklagten und (dazu korrespondierend) einseitigen Vertraulichkeitsschutz.

47

IV.  Verfahrensrechtliche Mindeststandards Eine Abkehr von einem System materiellrechtlich geprägter Insellösungen hätte das von der Europäischen Kommission im Stockholmer Programm bereits für das Jahr 2013 angekündigte Grünbuch über Mindestnormen für Zivilverfahren bedeutet.67 Dieser Ansatz hätte den Vorteil, prozeduralen Bedürfnissen der Parteien durch passend zugeschnittene Maßnahmen zu begegnen. Querschnittsartige Regelung könnten in verschiedenen Bereichen (z. B. Auskunftsrechte, Zustellungen etc.) entwickelt werden. Als Kompetenzgrundlage käme nicht die allgemeine Binnenmarkt-Kompetenz des Art. 114 AEUV, sondern allenfalls Art. 81 Abs. 2 lit. f AEUV in Betracht. Die Bindung aller Mitgliedstaaten an ihre nationalen Grundrechtsordnungen, an Art. 6 EMRK sowie (bei der Umsetzung und Durchführung des Rechts der Union) an Art. 47 GRCh weckt allerdings Zweifel, ob die tatsächlichen Probleme der Justizgewähr in den Mitgliedstaaten wirklich in fehlenden Mindeststandards der nationalen Verfahrensordnungen wurzeln. Makrofaktoren wie die sachliche und personelle Ausstattung der Justiz, eine effektive Gerichtsorganisation, auf guter Ausbildung und einem großen Erfahrungsschatz basierende Fachkunde des Gerichts und der Anwaltschaft, die tatsächliche Unabhängigkeit der Richterschaft sowie niedrige formale und finanzielle Hürden der Justizgewähr sind in der Praxis eher für eventuelle Rechtsschutz-

64 

Näher m. w. N. Stadler, GPR 2013, 281 ff. Empfehlung der Kommission vom 11. Juni 2013: Gemeinsame Grundsätze für kollektive Unterlassungs- und Schadensersatzverfahren in den Mitgliedstaaten bei Verletzung von durch Unionsrecht garantierten Rechten, ABl. Nr. L 201/60 v. 26. 07. 2013, Erwägungsgrund 7 und Begründung I. 1. 66  ABl. Nr. L 349/1 v. 05. 12. 2014.. 67  KOM (2010) 171, S. 24. Das Grünbuch war bereits in der Mitteilung der Europäischen Kommission zum Haager Programm für das Jahr 2008 angekündigt worden, vgl. KOM (2005) 184, S. 31 (Nr. 326). 65 

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verweigerungen und die rechtstatsächlichen Unterschiede zwischen der Ziviljustiz der Mitgliedstaaten verantwortlich.68

V.  Die Vorbildwirkung der Durchsetzungsrichtlinie 50

Die Durchsetzungsrichtlinie hat  – wenig überraschend  – als Vorbild für einige Regelungen des Übereinkommens über ein einheitliches Patentgerichts gedient (hierzu näher § 18 Rn. 112 ff., 134 ff.); selbiges gilt für Bestimmungen des Vorschlags der Europäischen Kommission für eine Richtlinie über den Schutz vertraulichen Know-hows.69 Wie bereits erwähnt, wurde auch Art. 5 der Richtlinie über Schadensersatzklagen wegen Verstößen gegen das Kartellrecht von der Durchsetzungsrichtlinie beeinflusst. Als Vorbild für eine weitere Rechtsvereinheitlichung taugen die Maßnahmen der Richtlinie meines Erachtens nur bedingt. Dies ist erstens den zahlreichen Kritikpunkten im Detail, insbesondere den vagen Formulierungen und Ungenauigkeiten der Richtlinienbestimmungen geschuldet. Zweitens ist nach hier vertretener Auffassung eine Vereinheitlichung des Verfahrensrechts aus der Perspektive bestimmter, als schutzbedürftig identifizierter Inhaber materieller Rechte abzulehnen, weil solche Insellösungen eine einseitige Regelung des Prozessrechtsverhältnisses bedingen und unnötige Disharmonien im nationalen Prozessrecht hervorrufen. Drittens wurzeln Art. 6 bis 9 DRL zu wesentlichen Teilen in dem völkerrechtlichen Agreement on Trade Related Aspects of Intellectual Property (TRIPS). Eine simple Fortschreibung des TRIPS ohne Reflexion in der Sache zeugt nicht von umsichtiger Rechtsetzung, zumal der Unionsgesetzgeber im Zuge der Rechtsetzung aus dem reichhaltigen Fundus der Prozessrechtstraditionen der Mitgliedstaaten schöpfen könnte.

VI.  Die Harmonisierungskraft der Rechtsprechung 51

Einheitliche Normen können lediglich das Ende der Rechtszersplitterung initiieren, die Vollendung der Harmonisierung ist Aufgabe der Gerichte.70 Auch eindeutiger gefasste Bestimmungen als jene der Durchsetzungsrichtlinie lassen gerichtlichen Klärungsbedarf entstehen, wenn ihre korrekte Umsetzung in mitgliedstaatliches Recht und ihre zutreffende, unionsautonome Auslegung 68 Zutreffend Stadler in Stürner/Kawano, Comparative Studies, S. 133 m. w. N. Zu einem unionsübergreifenden Vergleich verschiedener Indikatoren siehe Europäische Kommission, EU Justice Scoreboard 2013. 69  Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über den Schutz vertraulichen Know-hows und vertraulicher Geschäftsinformationen (Geschäftsgeheimnisse) vor rechtswidrigem Erwerb sowie rechtswidriger Nutzung und Offenlegung v. 28. 11. 2013, KOM (2013) 813. 70  Vgl. nur Norrgård in Ohly, Common Principles, S. 220; Hess/Bittmann, IPRax 2008, 305 (314).



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in Rede steht. In den zehn Jahren seit Erlass der Durchsetzungsrichtlinie hatte der Europäische Gerichtshof mangels Vorabentscheidungsersuchen wenig Gelegenheit, zu den zahlreichen Unklarheiten bei der Interpretation der verfahrensrechtlich konnotierten Bestimmungen der Richtlinie Stellung zu beziehen.71 Dies mag mit der fehlenden Vorlagefreude nationaler Gericht zusammenhängen oder daran liegen, dass das nationale Recht den durch die Richtlinie gesetzten Mindeststandard vielfach überschreitet. Meines Erachtens sind die fehlenden EuGH-Vorlagen auch ein Indiz dafür, dass das Vorabentscheidungsersuchen vor dem EuGH die ihm zugedachte Funktion mit Blick auf die Harmonisierung des Zivilverfahrensrechts nur begrenzt erfüllen kann. Vorabentscheidungsersuchen einerseits und der Zivilprozess andererseits dienen unterschiedlichen Zwecken.72 Die primäre Funktion des Vorabentscheidungsersuchens besteht in der Wahrung der einheitlichen Auslegung und der Rechtsfortbildung des Unionsrechts,73 während der Zivilprozess vorrangig auf die Durchsetzung privater subjektiver Rechte ausgerichtet ist.74 Zwar kommt dem Vorabentscheidungsverfahren mangels eines Individualzugangs der Parteien zum EuGH auch eine bedeutende Funktion des Individualrechtsschutzes zu.75 Doch stehen diese beiden Funktionen in einem erheblichen Spannungsverhältnis zueinander. Im Schrifttum wird dieses Spannungsverhältnis insbesondere aus der Perspektive der Ausgestaltung des Vorabentscheidungsverfahrens vor dem EuGH beleuchtet. Zum EuGH besteht kein Individualzugang, und das Vorlageverfahren ist kein kontradiktorisches Verfahren. Im Vorabentscheidungsverfahren 71  Eine Reihe von Entscheidungen betraf das Verhältnis zwischen dem Auskunftsrecht nach Art. 8 DRL und den unionsrechtlichen Datenschutzbestimmungen. Der Gerichtshof wies den Mitgliedstaaten die Befugnis zur Abwägung zwischen den betroffenen Grundrechtspositionen zu, vgl. EuGH v. 29. 01. 2008 – C-275/06 – Slg. 2008, I-271 (Promusicae), Rn. 70; EuGH v.  19. 04. 2012 − C-461/10 (Bonnier Audio), Rn. 56; ähnlich EuGH v.  12. 02. 2009  – C-557/07  – Slg. 2009, I-1227 (LSG/Tele 2), Rn. 28 f. In einer weiteren Reihe von Entscheidungen wurde über die Anordnung dauerhafter Unterlassungsverfügungen im Kontext der Haftungsprivilegierungen für Diensteanbieter der Informationsgesellschaft nach der eCommerce-Richtlinie gestritten, vgl. EuGH v. 12. 07. 2011 – C-324/09 (L’Oréal/eBay), Rn. 128 ff.; EuGH v. 24. 11. 2011 – C-70/10 (Scarlet Extended), Rn. 31; EuGH v. 16. 02. 2012 – C-360/10 (SABAM/Netlog), Rn. 29. In der Entscheidung Realchemie erklärte der Gerichtshof, die Kostenregel in Art. 14 DRL finde auch im Exequaturverfahren Anwendung vgl. EuGH v. 18. 10. 2011 – C-406/09 (Realchemie), Rn. 48 ff. 72  Gsell/Hau in Gsell/Hau, Zivilgerichtsbarkeit, S. 1, 8; Hess in Gsell/Hau, Zivilgerichtsbarkeit, S. 186 f., 200 f. 73  Näher zur Funktion des Vorabentscheidungsersuchens im Zivilprozess Hess in Gsell/ Hau, Zivilgerichtsbarkeit, S. 186 ff. m. w. N., der als weitere Funktionen den Individualrechtsschutz, die Kontrolle des dezentralen Vollzug des Unionsrechts und rechtsstaatliche Gültigkeitskontrolle von Sekundärrecht nennt. 74 Zum öffentlichen Interesse am Zivilprozess siehe Hergenröder, Zivilprozessuale Grundlagen, S. 218 ff., 222 ff. m. w. N. 75  Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 267 Rn. 1; Karpenstein in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der EU, Art. 267 AEUV Rn. 3 m. w. N.

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sind die Parteien des Ausgangsverfahrens lediglich Beteiligte – ebenso wie die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten. Sie verfügen zwar über ein Recht zur schriftlichen Stellungnahme und zur Äußerung in der mündlichen Verhandlung,76 nicht aber über eine Möglichkeit zur Replik oder Duplik bzw. zu einer Stellungnahme nach Erlass der Schlussanträge des Generalanwalts.77 Diese Defizite können nur teilweise durch eine Gehörsgewährung vor dem Ausgangsgericht vor Erlass des Vorabentscheidungsersuchens aufgefangen werden.78 Bei Vorabentscheidungsersuchen, welche die korrekte Auslegung harmonisierten Prozessrechts betreffen, ist das Spannungsverhältnis zwischen der Wahrung der Einheit des Unionsrechts und dem Individualrechtsschutz auch inhaltlicher Natur. Nach Art. 267 AEUV ist ein Vorabentscheidungsersuchen zulässig, sofern das vorlegende Gericht eine Entscheidung über die Auslegung eines Rechtsakts der Union zum Erlass seines Urteils für erforderlich hält. Der Auslegung von Verfahrensvorschriften kommt für die Entscheidung in der Sache jedoch oft nur mittelbare Bedeutung zu.79 Um seine Aufgabe als „Hüter des Unionsrechts“ hinsichtlich des zivilverfahrensrechtlichen Sekundärrechts zu sichern, hat der EuGH Art. 267 AUEV in der Rechtssache Weryński weit ausgelegt. Eine Erheblichkeit der Rechtsfrage für die Sachentscheidung sei nicht erforderlich, vielmehr sei unter der Wendung „Erforderlichkeit für den Erlass des Urteils“ das gesamte Verfahren zur Schaffung des Urteils zu verstehen.80 Die Option eines Vorabentscheidungsersuchens betreffend zivilprozessuale Fragestellungen ist damit gewährleistet. Auf Seiten der vorlageberechtigten mitgliedstaatlichen Instanzgerichte dürften gleichwohl erhebliche Vorbehalte dagegen bestehen, die Parteien und das Gericht mit den Mühen eines Vorabentscheidungsersuchens und der damit verbundenen Verfahrensverzögerung zu belasten, wenn keineswegs als gesichert gelten kann, ob die Interpretation einer bestimmten Verfahrensnorm tatsächlich Auswirkung auf die Entscheidung in der Sache nimmt. Die nach Art. 267 Abs. 3 AEUV vorlageverpflichteten letztinstanzlichen Gerichte andererseits nehmen regelmäßig nur eine begrenzte Kontrolle der Anwendung von Verfahrensvorschriften durch unterinstanzliche Gerichte vor,81 legen das 76 Art. 20, 23 Satzung der Gerichtshofs der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83/210 v. 30. 03. 2010. 77  EuGH v. 04. 02. 2000 – C-17/98 – Sgl. 2000, I-665 (Emesa Sugar), Rn. 17 f. 78 Näher Hess in Gsell/Hau, Zivilgerichtsbarkeit, S. 200 f. 79  EuGH v. 17. 02. 2011 – Rs. C-283/09 (Weryński), Rn. 39. 80  EuGH v. 17. 02. 2011 – Rs. C-283/09 (Weryński), Rn. 39 ff. 81 Nach deutschem Recht kann die Revision (vorbehaltlich der absoluten Revisionsgründe des § 547 ZPO) nur auf Verfahrensfehler gestützt werden, auf denen die Entscheidung zumindest möglicherweise beruht (ausgenommen sind sachliche oder örtliche Zuständigkeitsverletzungen), vgl. § 545 ZPO, BGH v.  20. 03. 1995  – II ZR 198/94  – NJW 1995, 1841 (1842). Im englischen Recht wird die Überprüfung einer ordnungsgemäßen Verfahrens-



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umgesetzte Recht folglich oft selbst nicht aus. Hinzu kommt, dass die mit einem Vorabentscheidungsverfahren verbundene Verfahrensverzögerung das Interesse der rechtsschutzsuchenden Partei an der Durchführung des Verfahrens versiegen lassen kann, insbesondere soweit die Auslegung Regelungen zur Harmonisierung des einstweiligen Rechtsschutzes betrifft (z. B. Art. 7, 9 DRL). Die Dispositionsbefugnis der Parteien über das Ausgangsverfahren ermöglicht ihnen die Beendigung des Ausgangsverfahrens, welche die Streichung der Rechtssache im Register des Gerichtshofs durch Beschluss des EuGH nach sich zieht. Die soeben beschriebenen Aspekte lassen eine reduzierte Vorlageintensität zwecks Auslegung prozessualer Harmonisierungsnormen vermuten, sofern diesen Normen nur mittelbare Bedeutung für die Entscheidung in der Sache zukommt. Dies bereitet insoweit Bedenken, als der Europäische Gerichtshof einer Rechtzersplitterung in den Mitgliedstaaten trotz der Existenz harmonisierenden Unionsrechts nur begegnen kann, wenn ihm die nationalen Gerichte im Wege des Vorabentscheidungsersuchens die Gelegenheit eröffnen, zur Auslegung des Unionsrechts Stellung zu beziehen.

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VII. Ergebnis Das Europäische Primärrecht bietet für die Harmonisierung des Zivilverfahrensrechts ohne grenzüberschreitenden Bezug durch den Unionsgesetzgeber keine tragfähige Grundlage. Ganz unabhängig von der Kompetenzgrundlage sind weitere Harmonisierungsmaßnahmen im Stil der Durchsetzungsrichtlinie nicht ratsam. Die Mindestharmonisierung einzelner Verfahrensbereiche ist nicht geeignet, eine eventuell bestehende Fragmentierung des europäischen Justizraums aufzuheben, während eine Vollharmonisierung aufgrund der Organisationsbezogenheit des Prozessrechts erhebliche Systemstörungen im nationalen Recht provoziert. Unabhängig vom Harmonisierungsansatz beeinträchtigt der unionsrechtliche Einfluss die Einheit des nationalen Prozessrechts und wirkt der effektiven Justizgewähr entgegen. Diese Beeinträchtigung des nationalen Verfahrensrechts wird auch nicht durch die Vorzüge einer staatenübergreifenden Verfahrenseinheit aufgewogen: Die unionsweit einheitliche Anwendung zivilverfahrensrechtlicher Normen kann nur schwer durch den EuGH gewährleistet werden, da die Auslegung des Verfahrensrechts die Entscheidung in der Sache nicht zwingend oder stets unmittelbar beeinflusst. Schließlich ist der von der Union eingeschlagene Weg der Materialisierung des Verfahrensdurchführung gemeinhin als Domäne des Court of Appeal angesehen, siehe Callery v Gray, [2002] 1 WLR 2000 (2006) (HL); Brooke in Dwyer, CPR, S. 453 f. m. w. N. Siehe ferner EuGH v. 06. 09. 2012 – C-96/11 (Storck/HABM – Schokoladenmaus), Rn. 74 ff.: Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs führt nur zur Aufhebung einer Entscheidung des EuG, wenn das Verfahren ohne die Verletzung zu einem anderen Ergebnis hätte führen können.

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§ 8  Bewertung der Richtlinie zur Durchsetzung des geistigen Eigentums

rechts abzulehnen, weil hierdurch die Abstraktheit des Prozessrechts vom materiellen Recht ignoriert und der Blick für verfahrensimmanente Gerechtigkeitsaspekte verstellt wird. Soweit der Unionsgesetzgeber diesen Pfad weiter verfolgt, bedarf es bereits zum Zeitpunkt der sektoriellen Rechtsangleichung einer umfassenden Reflektion der prozessualen Grundentscheidung, welche auch Aspekte außerhalb des jeweils zu regelnden Sektors einbezieht und die Interessen beider Prozessparteien gleichermaßen berücksichtigt.

§ 9  Exkurs: Qualifikation der Instrumente der Durchsetzungsrichtlinie A.  Erforderlichkeit einer unionsautonomen Qualifikation In grenzüberschreitenden Verfahren stellt sich, sofern es an einer Vollharmonisierung der beteiligten Rechtsordnungen fehlt, stets die Frage nach dem anwendbaren Sach- und Verfahrensrecht. Das anwendbare materielle Recht ist gemäß den Kollisionsnormen der lex fori zu ermitteln; das Verfahren unterliegt nach dem tradierten Grundsatz forum regit processum der Verfahrensordnung des entscheidenden Gerichts.1 Wie in § 3 Rn. 14 erörtert, lassen sich der Durchsetzungsrichtlinie keine zwingenden Vorgaben über die materiellrechtliche oder prozessuale Ausgestaltung der Umsetzungsmaßnahmen der Mitgliedstaaten entnehmen. In Streitsachen ohne Auslandsbezug ist der den Mitgliedstaaten gewährte Spielraum unproblematisch,2 in Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug stellt sich die Frage nach der prozessualen oder materiellrechtlichen Qualifikation der in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten vorgesehenen Instrumente. Zwar ist das Kollisionsrecht prinzipiell nicht Gegenstand der vorliegenden Untersuchung. Angesichts der in §§ 5 bis 7 identifizierten, erheblichen Unterschiede zwischen der Richtlinienumsetzung in England und Deutschland soll hier dennoch im Wege eines kurzen Exkurses auf das anwendbare Recht eingegangen werden.

1  Zu Ursprung und Berechtigung des lex fori-Prinzips siehe Leipold, Lex fori, S. 25 ff.; Schack, IZVR, Rn. 45 ff. m. w. N.; Basedow in Schlosser, Materielles Recht und Prozessrecht, S. 138 ff. 2  Vorbehaltlich unnötig komplizierter nationaler Umsetzungsmaßnahmen; dazu supra § 5 Rn. 88, Fn. 229.

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§ 9  Exkurs: Qualifikation der Instrumente der Durchsetzungsrichtlinie

B.  Verweisungsumfang des Art. 8 Rom II-VO 2

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Das Internationale Privatrecht der außervertraglichen Schuldverhältnisse ist für die Mitgliedstaaten der Union (mit Ausnahme Dänemarks3) einheitlich in der sogenannten Rom II-Verordnung geregelt,4 deren Art. 8 auf außervertragliche Schuldverhältnisse aus der Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums das Recht des Schutzstaates zur Anwendung beruft.5 Art. 1 Abs. 3 Rom II-VO bekräftigt das Prinzip forum regit processum. Doch erstreckt sich die nach Art. 8 Rom II-Verordnung ermittelte lex causae gemäß Art. 15 lit. d Rom II-VO auch auf „die Maßnahmen, die ein Gericht innerhalb der Grenzen seiner verfahrensrechtlichen Befugnisse zur Vorbeugung, zur Beendigung oder zum Ersatz des Schadens anordnen kann“. Art. 15 lit. d Rom II-VO nimmt folglich eine verordnungsautonome Abgrenzung zwischen lex causae und lex fori vor.6 Das entscheidende Gericht ist zwar nicht verpflichtet, die Grenzen seiner verfahrensrechtlichen Befugnisse zu überschreiten, muss sich jedoch bemühen, das ausländische Instrument mit den Mitteln seines Verfahrensrechts umzusetzen.7 Bei der Bestimmung des von Art. 15 lit. d Rom II-VO umschriebenen Verweisungsumfangs ist zunächst der Präzisionsmangel der deutschen Sprachfassung gegenüber den anderen Sprachfassungen des Art. 15 lit. d Rom II-VO hervorzuheben. Richtigerweise bezieht sich der Verweis auf die lex causae auf Maßnahmen zur Vorbeugung bzw. Beendigung des Schadens oder zur

3 

Art. 1 Abs. 4, Erwägungsgrund 40 Rom II-VO. Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rats vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, ABl. Nr. L 199/40 v. 31. 07. 2007. 5 Art. 8 Abs. 1 Rom II-VO regelt das traditionelle und allgemein anerkannte Schutzlandprinzip. Umstritten ist einerseits die Reichweite der in Art. 8 Abs. 1 ausgesprochenen Verweisung, andererseits die Frage, ob es bereits auf kollisionsrechtlicher Ebene einer (autonomen) Lokalisierung der Verletzungshandlung bedarf. Siehe hierzu Leistner in Leible/Ohly, IP & PIL, S. 99 ff.; Schack in Leible/Ohly, IP & PIL, S. 82 ff.; Ahrens, WRP 20011, 945 ff.; Bariatti in Bariatti, Litigating IP, S. 69, 80; Dickinson, Rome II, Rn. 8.25 ff.; Unberath/Cziupka in Rauscher, EuZPR, Art. 8 Rom II-VO Rn. 8 ff., Rn. 20 ff. m. w. N. Zum Zusammenspiel zwischen Art. 8 Abs. 2 Rom II-VO und den Kollisionsnormen in den Verordnungen über die Gemeinschaftsschutzrechte siehe BGH v. 16. 08. 2012 – I ZR 74/10 – GRUR 2012, 1253 (1257) (Gartenpavillon); Dickinson, Rome II, Rn. 8.30 ff.; Bariatti in Bariatti, Litigating IP, S. 78 ff.; Schack in Leible/Ohly, IP & PIL, S. 84 ff.; Knaak in Bastian/Knaak/Schricker, Gemeinschaftsmarke, Rn. 345; Kur, GRUR Int. 2014, 749 (758 f.); stillschweigend von einem Vorrang des Art. 8 Abs. 2 Rom II-VO scheinen Unberath/Cziupka auszugehen in Rauscher, EuZPR, Art. 8 Rom II-VO Rn. 23 ff. 6  v. Hein, ZEuP 2009, 6 (14); Dickinson, Rome II, Rn. 14.34 f., 14.57 ff.; Jakob/Picht in Rauscher, EuZPR, Art. 15 Rom II-VO Rn. 13. 7  Dickinson, Rome II, Rn. 14.34 f., 14.57 ff.; Jakob/Picht in Rauscher, EuZPR, Art. 15 Rom II-VO Rn. 13. 4 



B.  Verweisungsumfang des Art. 8 Rom II-VO

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Sicherung des Ersatzes des Schadens.8 Erfasst sind somit Rechtsinstitute, die geeignet sind, einem Schaden vorzubeugen, eine Rechtsgutsverletzung zu beenden bzw. ihr Fortwirken zu unterbinden sowie die Durchsetzung eines Schadensersatzanspruchs rechtlich oder tatsächlich zu erleichtern.9 Ausgehend von der deutschen Rechtskultur liegt der Ansatzpunkt nahe, nur die materiellen Rechtsfolgen (Unterlassungs-, Beseitigungs-, Vernichtungs-, Besichtigungs- und Auskunftsansprüche) von dem Verweis des Art. 15 Abs. 1 lit. d Rom II-VO auf die lex causae erfasst zu sehen und deren prozessuale Durchsetzung, welche häufig im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes erfolgt, nach Art. 3 Abs. 1 Rom II-VO der lex fori zu überlassen.10 Daran ist sicherlich richtig, dass Art. 15 lit. d Rom II-VO auch in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes die Anwendung des Sachrechts der lex causae, nicht etwa der lex fori gebietet, soweit die Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu beurteilen sind. Doch reicht das Gebot des Art. 15 lit. d Rom II-VO über diesen Befund hinaus. Erstens legt bereits der Wortlaut der Bestimmung nahe, dass sich ihre Wirkung nicht allein auf materielle Rechtsfolgen, sondern auch auf die Ermächtigung des Gerichts zur Anordnung bestimmter Maßnahmen bezieht. Zweitens kennen die Rechtsordnungen anderer Mitgliedstaaten eine Trennung materiellrechtlicher und prozessualer Materien im einstweiligen Rechtsschutz mitunter nicht, sondern erzielen äquivalente Ergebnisse mittels rein prozessual ausgestalteter Instrumente (so z. B. die search order). Schließlich erläutert die Begründung des Kommissionsvorschlags zur Rom II-VO, Art. 15 lit. d erfasse „die Art der Schadensverhütung oder -beendigung, z. B. durch eine einstweilige Anordnung, ohne dass das Gericht jedoch verpflichtet wäre, Maßnahmen zu ergreifen, die seinem Prozessrecht fremd sind.“11 Scheint somit eindeutig, dass das entscheidende Gericht über Art. 15 lit. d Rom II-VO verpflichtet ist, auch prozessualen Instrumenten der lex causae 8  Die entsprechende Formulierung lautet in der englischen Fassung: „the measures which a court may take to prevent or terminate injury or damage or to ensure the provision of compensation“; in der französischen Fassung: „les mesures que ce tribunal peut prendre pour assurer la prévention, la cessation du dommage ou sa réparation“; in der italienischen Fassung: „i provvedimenti che possono essere presi da un giudice per prevenire o inibire lesioni o danni ovvero per fissare le modalità di risarcimento“; in der spanischen Fassung: „las medidas que puede adoptar un tribunal para garantizar la prevención, el cese y la reparación del daño”. Fragen der Art und der Quantifizierung des Schadensersatzes werden bereits nach Art. 15 lit. c der lex causae zugewiesen; der verfahrensrechtlichen Qualifikation der Schadensbemessung (inquiry as to damages), wie sie im englischen Recht erfolgt, wird damit eine Absage erteilt, vgl. v. Hein, ZEuP 2009, 6 (14). 9 Ähnlich Jakob/Picht in Rauscher, EuZPR, Art. 15 Rom II-VO Rn. 13; Spickhoff in BeckOK BGB, Art. 15 VO (EG) 864/2007 Rn. 7; Juncker in MüKo BGB, Art. 15 VO (EG) 864/2007 Rn. 20, welche jeweils Ansprüche auf Unterlassung, Beseitigung und Auskunft nennen. 10  So wohl Spickhoff in BeckOK BGB, Art. 15 VO (EG) 864/2007 Rn. 7. 11  Begründung zu Art. 11 lit d des Kommissionsvorschlags, KOM (2003) 427, S. 26, Hervorhebung hinzugefügt.

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§ 9  Exkurs: Qualifikation der Instrumente der Durchsetzungsrichtlinie

zur Geltung zu verhelfen, bleibt die Schnittstelle zwischen Prozessrecht der lex causae und Verfahrensrecht der lex fori gleichwohl im Vagen. Während einige Stimmen im Schrifttum aus Art. 15 Rom II-VO den Grundsatz eines weiten Anwendungsbereichs der lex causae ableiten,12 wollen andere Stimmen der lex causae nur die Verfügbarkeit bestimmter Maßnahmen entnehmen und deren konkrete prozessuale Voraussetzungen im Einzelfall weiterhin der lex fori unterstellen.13 Die Formulierung des Art. 15 Abs. 1 lit. d Rom II-VO legt eine weite Auslegung nahe, und in der Tat erscheint es angemessen, den Ausspruch des Gerichts in der Hauptsache stets über die lex causae zu ermitteln, selbst wenn die Rechtsordnung des entscheidenden Gerichts einen Teilbereich prozessual einordnet (z. B. permanent injunctions, d. h. dauerhafte Unterlassungsanordnungen nach englischem Recht14). Andererseits ist darauf hinzuweisen, dass viele der in Art. 15 lit. d Rom II-VO erwähnten Maßnahmen regelmäßig in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes angeordnet werden. Die Voraussetzungen einer Anordnung im einstweiligen Rechtsschutz sind  – soweit sie nicht die Erfolgschancen im Hauptsacheverfahren betreffen  – in allen Mitgliedstaaten stark prozessual geprägt. Für eine zeitintensive Ermittlung des ausländischen Prozessrechts und der Erwägung, inwieweit dieses in den durch die lex fori aufgezeigten Grenzen umgesetzt werden könnte, bleibt im Eilverfahren kein Raum.15 Erfahrungen aus der Vergangenheit zeigen, dass die mitgliedstaatlichen Gerichte aus diesem Grund selbst bei Beurteilung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache häufig ihr eigenes Sachrecht zu Grunde legen.16 Ist letztgenannter Praxis zwar durch die Rom II-VO ein Riegel vorgeschoben, so sollten die Gerichte nicht über eine weite Auslegung des Art. 15 lit. d Rom II-VO vor zusätzliche Herausforderungen gestellt werden. Soweit eine bestimmte einstweilige Maßnahme nach der lex causae abstrakt verfüg12  Actavis UK v Eli Lilly & Co, [2014] EWHC 1511 (Pat), Rn. 228; Dickinson, Rome II, Rn. 14.34, 14.57 ff.; Jakob/Picht in Rauscher, EuZPR, Art. 15 Rom II-VO Rn. 13. 13  Leistner in Leible/Ohly, IP and PIL, S. 105; vorsichtig auch OJSC TNK-BP v Lazurenko, [2012] EWHC 2781 (Ch), Rn. 20. 14  Zu deren prozessualer Einordnung siehe s. 37(1) SCA 1981. 15  Im Schrifttum werden Zweifel geäußert, ob die Gerichte der Mitgliedstaaten von der Anordnung einstweiliger Maßnahmen absehen werden, wenn diese nach der lex fori geboten, nach der lex causae im konkreten Fall jedoch nicht vorgesehen sind, vgl. Jakob/Picht in Rauscher, EuZPR, Art. 15 Rom II-VO Rn. 13. 16  Vgl. zur Gerichtspraxis in Deutschland OLG Karlsruhe v. 06. 03. 1984 – 16 UF 46/84 – IPRax 1985, 106; OLG Düsseldorf v.  12. 05. 1975  – 8 W 51/75  – FamRZ 1975, 634; KG v. 16. 10. 2006 – 10 U 286/05 sowie Schack, IZVR, Rn. 704. Zum französischen Recht siehe Meyer/Heuzé, Droit int. Privé, Rn. 197 f.; Kimmerle, Befriedigungsverfügungen, S. 108 m. Fn. 539. In England sind im Rahmen einstweiliger Verfahren schriftliche Sachverständigenaussagen zur Bestimmung des ausländischen Rechts zugelassen. Wird das ausländische Recht hierdurch nicht hinreichend dargelegt, findet englisches Recht Anwendung; siehe näher Fentiman, Litigation, Rn. 6.90; 6.98 ff.



C.  Bedeutung des durch die DRL gesetzten Mindeststandards

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bar ist, sind die konkreten Anordnungsvoraussetzungen deshalb der lex fori zu entnehmen.

C.  Bedeutung des durch die DRL gesetzten Mindeststandards Die Durchsetzungsrichtlinie gibt in den Mitgliedstaaten der Union einen gemeinschaftlichen Standard von Maßnahmen zur Vorbeugung bzw. Beendigung des Schadens sowie zur Sicherung des Ersatz des Schadens in Fällen bevorstehender oder bereits eingetretener (vermuteter) Schutzrechtsverletzung vor. Die Verfügbarkeit dieser Maßnahmen ist somit prinzipiell gesichert, sofern das Sachrecht eines Mitgliedstaates Anwendung findet; die Ausgestaltung der einstweiligen Maßnahme im Einzelfall unterliegt nach hier vertretener Auffassung der lex fori. Differenzen können sich allerdings ergeben, wenn der Anwendungsbereich der durch die DRL vorgegebenen Maßnahmen aufgrund einer unterschiedlichen Definition des Begriffs „geistiges Eigentum“ in den Mitgliedstaaten divergiert oder die lex causae intensivere Maßnahmen als die Durchsetzungsrichtlinie bzw. die lex fori enthält (z. B. eine search order). In letzterem Fall muss das angerufene Gericht beurteilen, ob eine Umsetzung der ausländischen Maßnahme innerhalb der Grenzen seiner verfahrensrechtlichen Befugnisse in Betracht kommt. Schließlich erhält Art. 15 lit. d Rom II-VO praktische Bedeutung, sofern es sich bei der lex causae um das Recht eines Drittstaates handelt.17

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Zur universellen Anwendung der Rom II-VO vgl. deren Art. 3.

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3. Teil

Das Europäische Internationale Zivilverfahrensrecht

§ 10  Internationale Zuständigkeit für das Hauptsacheverfahren A.  Das Territorialitätsprinzip im Anwendungsbereich der EuGVO I.  Das Territorialitätsprinzip im internationalen Zuständigkeitsrecht Der Wunsch zur Prozessführung an einem bestimmten Forum kann auf den unterschiedlichsten Motiven beruhen: Kosten und Schnelligkeit des Gerichtsverfahrens, Qualität der Rechtsfindung, zulässige Beweismittel und Zugang zu Informationen aus der gegnerischen Sphäre, Schärfe der verfügbaren vorprozessualen Instrumente, Möglichkeit der Inanspruchnahme mehrerer Streitgenossen in einem Verfahren, anwendbares Recht und dessen prognostizierte Anwendung durch das Gericht, Vertrautheit mit dem Gerichtssystem und der Gerichtssprache  – sowie der Eignung all dieser Faktoren, den Gegner unter Druck zu setzen und zu einem Vergleich bzw. zur Kapitulation zu bewegen.1 Die territoriale Wirkung gewerblicher Schutzrechte stand dem forum shopping, d. h. der gezielten Wahl des für den jeweiligen Kläger idealen Gerichtsstands, in Verfahren betreffend gewerbliche Schutzrechte lange entgegen. Da die Verleihung bzw. Registrierung eines gewerblichen Schutzrechts einen Hoheitsakt darstellt, verbietet sich eine erga omnes wirkende Entscheidung über den Bestand bzw. die Vernichtung eines ausländischen gewerblichen Schutzrechts von vorneherein. Auch im Verletzungsverfahren kommt das Gericht freilich häufig nicht umhin, den Rechtsbestand eines Schutzrechts zu prüfen, wenn sich die beklagte Partei mit dem Einwand der Nichtigkeit des Schutzrechts verteidigt. Traditionell lehnten die Gerichte der EU-Mitgliedstaaten es deshalb zumeist ab, über Ansprüche zu entscheiden, die im Ausland

1  Knaak, IIC 1998, 754 (763); Tilmann/v. Falck, GRUR 2000, 579 (584 f.); Rohnke, GRUR Int. 2002, 979 (987); Davies, Forum Shopping, S. 38 ff.; Thole, AG 2013, 73; Widd/Lundegård, Patent Litigation, S. 67; Fentiman, Litigation, Rn. 7.25 ff. Schröer, GRUR Int. 2013, 1102 (1109) verweist auf die Attraktivität des im deutschen Patentverletzungsverfahrens praktizierten Trennungsprinzips (Ausschluss des Nichtigkeitseinwands und der Nichtigkeitswiderklage im Prozess), welche es dem Patentinhaber erlaubt, nach Zuerkennung eines Unterlassungsanspruchs und vor Entscheidung des BPatG über den Bestand des Schutzrechts „aus einer Position der Stärke heraus“ einen Vergleich zu verhandeln.

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§ 10  Internationale Zuständigkeit für das Hauptsacheverfahren

geschützte Immaterialgüterrechte betrafen.2 In Deutschland löste sich zwar bereits das Reichsgericht vom strikten Einfluss des Territorialitätsprinzips auf das Internationale Zivilverfahrensrecht.3 Unionsweit lässt sich eine solche Entwicklung allerdings erst in den neunziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts ausmachen.4 Befördert wurde diese Entwicklung durch die Regelungen der internationalen Zuständigkeit im Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen (EuGVÜ)5 bzw. der Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVO).6 Innerhalb des Anwendungsbereichs des EuGVÜ bzw. der EuGVO ist den Gerichten der Mitgliedstaaten eine Entscheidung über die Durchsetzung ausländischer Immaterialgüterrechte ohne weiteres möglich, ja sogar geboten.7 Dies bedeutet freilich nicht, dass dem Territorialitätsprinzip im europäischen Zuständigkeitssystem keine Bedeutung mehr zukäme. Im Gegenteil werfen die Auswirkungen des Territorialitätsprinzips schwierige Auslegungsfragen bei der Bestimmung des international zuständigen Gerichts auf, wie im Rahmen dieses Kapitels näher erläutert wird.

2  Zum französischen Recht Treichel, Sanktionen, S. 12 ff.; zum niederländischen Recht Brinkhof, EIPR 1994, 360; zur Entwicklung in England siehe Lucasfilm v Ainsworth, [2011] UKSC 39 (SC), Rn. 54 ff.; Wadlow, Enforcement, Kapitel 6; Dutson, ICLQ 1997, 918 ff. 3  RG v. 08. 07. 1930 – II 542/99 – RGZ 129, 385 (388); s. a. BGH v. 02. 10. 1956 – I ZR 9/54 – BGHZ 22, 1 (13). 4 Vgl. die Darstellung bei Brinkhof, GRUR Int. 1997, 489 ff.; Wadlow, Enforcement, Rn. 1–28 bis 1–50; Hye-Knudsen, S. 9 ff. 5  Übereinkommen von Brüssel über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen von 1968 (konsolidierte Fassung), ABl. Nr. C 27/1 v. 26. 01. 1998. 6  Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. Nr. L 12/1 v. 16. 01. 2001; Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. Nr. L 351/1 v. 20. 12. 2012. 7  Siehe die Ausführungen in Rn. 11 ff. Dies gilt auch, soweit das nationale Prozessrecht die Einschränkung der Entscheidungsbefugnis betreffend ausländischer Schutzrechte dogmatisch nicht als Zuständigkeitsfrage einordnet. So ist innerhalb des Anwendungsbereichs der EuGVO beispielsweise kein Raum für die englische Moçambique rule, vgl. Lucasfilm v Ainsworth, [2011] UKSC 39 (SC), Rn. 89 f., bzw. die (mit dem Private International Law (Miscellaneous Provisions) Act 1995 abgeschaffte) frühere double actionability rule. Zur Historie sowohl der Moçambique rule als auch der double actionability rule ausführlich Wadlow, Enforcement, Kapitel 6; zur Anwendung außerhalb Englands siehe Ubertazzi, Exclusive Jurisdiction, S. 207 ff.



A.  Das Territorialitätsprinzip im Anwendungsbereich der EuGVO

319

II.  Auslegungskontinuität vom EuGVÜ bis zur EuGVO (2012) Die Vereinheitlichung des Systems der internationalen Zuständigkeit innerhalb der Europäischen Union geht zurück auf das Europäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen in Zivil- und Handelssachen (EuGVÜ) aus dem Jahr 1968, welches nur Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften zur Zeichnung offen stand. Nachdem mit dem Vertrag von Amsterdam im Jahr 1999 eine Kompetenzgrundlage für die justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen geschaffen worden war, wurde das EuGVÜ rasch in ein Instrument des Gemeinschaftsrechts, die EuGVO (2001), überführt. Die im Jahr 2012 erlassene, revidierte EuGVO (2012) findet ab dem 10. Januar 2015 Anwendung.8 EuGVÜ, EuGVO (2001) und EuGVO (2012) unterliegen dem Prinzip der Auslegungskontinuität.9 Die folgenden Ausführungen nehmen zwecks besserer Lesbarkeit allein auf Bestimmungen der EuGVO (2012) Bezug, soweit nicht Abweichungen in Wortlaut oder Systematik eine Differenzierung zwischen den verschiedenen Regelungstexten erfordern.

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III.  Anwendungsbereich und zuständigkeitsrechtliche Grundentscheidungen Verfahren zur Durchsetzung nationaler gewerblicher Schutzrechte unterliegen als Zivil- und Handelssachen dem sachlichen Anwendungsbereich der EuGVO. In räumlich-persönlicher Hinsicht setzt eine auf die Zuständigkeitsbestimmungen der EuGVO gestützte Klage grundsätzlich voraus, dass einer der Beklagten seinen Wohnsitz bzw. Sitz in einem Mitgliedstaat innehat und ein internationaler Bezug des Rechtsstreits vorliegt.10 Bezugspunkte zu einem weiteren Mitgliedstaat der Europäischen Union sind nach der Rechtsprechung des EuGH nicht erforderlich.11 Abweichend hiervon ist der räumlich-persönliche Anwendungsbereich der Verordnung auch eröffnet, wenn sich die Zuständigkeit eines Gerichts der Mitgliedstaaten aus den ausschließlichen Gerichtsständen nach Art. 24 EuGVO ergibt oder die Parteien eine Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten eines mitgliedstaatlichen Gerichts getroffen haben und zumindest eine der Parteien über einen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat verfügt, Art. 25 EuGVO.12 8 

Art. 81 EuGVO (2012). 19 EuGVO (2001); Erwägungsgrund  34 EuGVO (2012); EuGH v. 12. 07. 2012 – C-616/10 (Solvay), Rn. 42 m. w. N. 10  Art. 4 Abs. 1, 62 f. EuGVO. 11  EuGH v. 01. 03. 2005 – C-281/02 – Slg. 2005, I-1383 (Owusu), Rn. 26 (zum EuGVÜ); s. a. Erwägungsgrund 13 EuGVO. 12  Besonderheiten bestehen ferner für Klagen von Versicherungsnehmern, Verbrauchern oder Arbeitnehmern gemäß Art. 11 Abs. 2, 18 Abs. 1, 20 Abs. 2, 21 Abs. 2 EuGVO. 9 Erwägungsgrund

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§ 10  Internationale Zuständigkeit für das Hauptsacheverfahren

Das Zuständigkeitssystem der EuGVO basiert auf dem Grundsatz actor sequitur forum rei, d. h. der Beklagte ist – vorbehaltlich einer Gerichtsstandsvereinbarung oder eines ausschließlichen Gerichtsstands – vor den Gerichten desjenigen Staates zu verklagen, in welchem er seinen Wohnsitz hat. Neben dem allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten enthält das gemeineuropäische Zuständigkeitssystem besondere Gerichtsstände, die auf der Erwägung einer abstrakt-generellen besonderen Verbindung zwischen einem Rechtsstreit und dem berufenen Gericht (Art. 7 EuGVO) oder dem Prinzip der Prozessökonomie (Art. 8 EuGVO) basieren. Schließlich gibt es einige halbzwingende Gerichtsstände, deren Ziel es ist, als schutzwürdig identifizierte Personengruppen zuständigkeitsrechtlich zu privilegieren (Art.  10  ff., 17  ff., 20  ff. EuGVO). Für Verfahren zur Durchsetzung gewerblicher Schutzrechte sind die letztgenannten Gerichtsstände ohne Bedeutung. Liegen die Voraussetzungen eines oder mehrerer besonderer Gerichtsstände vor, bleibt die Wahl zwischen diesen und dem allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten dem Kläger überlassen. Doch ist der Europäische Gerichtshof bemüht, die besonderen Gerichtsstände der EuGVO eng auszulegen. Hierdurch sollen die Möglichkeiten des Klägers, forum shopping zu Gunsten eines bestimmten anwendbaren Sach- oder Verfahrensrechts zu betreiben, beschränkt und das auf Rechtssicherheit und objektive Vorherbestimmtheit zielende System der EuGVO gestärkt werden.13 Im rechtspolitischen Diskurs werden die Bemühungen zur Einschränkung des Gerichtsstands der unerlaubten Handlung teilweise als Schwächung des Opferschutzes kritisiert, da sie die Möglichkeiten des Leistungsklägers begrenzen, an einem ihm genehmen Gerichtsstand Klage zu erheben.14 Die besonderen Gerichtsstände sind freilich rollenneutral; ihnen liegt anders als den halbzwingenden Zuständigkeitsnormen der EuGVO keine rechtspolitische Privilegierung bestimmter Personenkreise zu Grunde.15 Es verbietet sich, bei der Auslegung dieser Bestimmungen auf materielle Wertungen zurückzugreifen, etwa indem der Schutzrechtsinhaber bereits auf der Zuständigkeitsebene als „der Verletzte“ bezeichnet wird und hieraus bestimmte Implikationen abgeleitet werden. Ob es tatsächlich einen „Täter“ und einen „Verletzten“ gibt, muss sich im Prozess erst erweisen. 13  Ständige Rspr., vgl. nur EuGH v. 11. 10. 2007 – C‑98/06 – Slg. 2007, I-8319 (Freeport), Rn. 35; EuGH v. 13. 07. 2006 – C-103/05 – Slg. 2006, I-6827 (Reisch Montage), Rn. 23; EuGH v. 10. 06. 2004 – C-168/02 – Slg. 2004, I-6009 (Kronhofer), Rn. 14 m. w. N. 14  Schack, UFITA 108 (1988), 51 (70); ders., IZVR, Rn. 343; v.  Hein, RIW 2011, 811 (812). 15  EuGH v.  25. 10. 2012  – C-133/11 (Folien Fischer), Rn. 45 f.; Schlussanträge des Generalanwalts Léger v. 15. 01. 2004 – C-168/02 – Slg. 2004, I-6009, (Kronhofer), Rn. 34; Wurmnest, GRUR Int 2005, 265 (268); Kühnen, HdB PatV, Rn. 772; Weller, LMK 2011, 318709; weitere Nachweise bei Schröder, Internationale Zuständigkeit, S. 264; a. A. Geimer, IZPR, Rn. 1497 f.; Schack, UFITA 108 (1988), 51 (70) sowie ders. IZVR, Rn. 330, 334, 343 (mit etwas anderem Akzent).



B.  Gerichtsstände für die Verletzungsklage

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B.  Gerichtsstände für die Verletzungsklage I.  Der ausschließliche Gerichtsstand für Bestandsklagen Art. 24 Nr. 4 EuGVO weist „Klagen, welche die Eintragung oder die Gültigkeit von Patenten, Marken, Mustern und Modellen sowie ähnlicher Rechte, die einer Hinterlegung oder Registrierung bedürfen, zum Gegenstand haben“16 ausschließlich den Gerichten desjenigen Mitgliedstaates zu, in welchem die Hinterlegung oder Registrierung beantragt oder vorgenommen wurde bzw. als vorgenommen gilt. Hiervon erfasst sind Anmelde- und Erteilungs-, Einspruchs- und Nichtigkeitsverfahren17 ebenso wie Klagen auf Löschung des Schutzrechts18 und Verfahren, welche die Priorität auf Grund früherer Anmeldung19 oder das Auslaufen eines Rechts zum Gegenstand haben.20 Es ist umstritten, ob Bestandsklagen hinsichtlich in Drittstaaten registrierter Schutzrechte in den Gerichtsständen der Art. 4 ff. EuGVO erhoben werden können oder ob eine spiegelbildliche Anwendung des Art. 24 Nr. 4 EuGVO eine Klage vor den Unionsgerichten ausschließt.21 Erwägungsgrund 24 S. 3 EuGVO spricht gegen die Annahme eines effet réflexe, vielmehr haben die mitgliedstaatlichen Gerichte in solchen Fällen zu prüfen, ob sie das Verfahren zugunsten eines konkurrierenden Rechtsstreits im Registerstaat gemäß Art. 33, 34 EuGVO aussetzen. Nicht von Art. 24 Nr. 4 EuGVO erfasst sind Klagen aufgrund der Verletzung eines Schutzrechts, Verfahren über die Inhaberschaft an einem bestehenden Schutzrecht oder lizenzvertragliche Streitigkeiten.22 Zur prozessualen 16  Die englische Fassung des Verordnungstextes ist weiter formuliert und bezieht sich auf „proceedings concerned with the registration or validity“. Diese Fassung geht zurück auf einen Übersetzungsfehler im Zeitpunkt des EuGVÜ-Beitritts Großbritanniens, siehe Generalanwalt Geelhoed, Schlussanträge v. 16. 09. 2004 – C-4/03 – Slg. 2006, I-6509 (GAT/LuK), Rn. 33; CLIP, Suggestions, S. 8. 17  Kropholler/v. Hein, EuZPR, Art. 22 EuGVO Rn. 47; Mankowski in Rauscher, EuZPR, Art. 22 Brüssel I-VO Rn 42. Klagen auf Feststellung der Unwirksamkeit sind von Art. 22 Nr. 4 erfasst, soweit die Möglichkeit der Nichtigkeitsklage oder der Klage auf Einwilligung in die Löschung des Schutzrechts nicht besteht, vgl. OLG München v. 15. 05. 2003 – 29 U 1977/03 – GRUR-RR 2004, 94 (95); Mankowski a. a. O. Rn 42; 18  OLG Stuttgart v. 26. 05. 2000 – 2 U 256/99 – RIW 2001, 141 (142). 19  Cour d’appel Parisv. 13. 02. 1980 – RC 71 (1982) 135 (138 ). 20  EuGH v. 15. 11. 1983 – C-288/82 – Slg. 1983, 3663 (Duijnstee), Rn. 24; Mankowski in Rauscher, EuZPR, Art. 22 Brüssel I-VO Rn 42. 21  Zu Art. 2, 22 Nr. 4 EuGVO befürworten eine Nichtanwendung des Wohnsitzgerichtsstands und die alleinige Zuständigkeit der Gerichte des Registerstaates Lucasfilm v Ainsworth, [2010] 3 WLR 333 (360) (CA); Cornish/Llewelyn/Aplin, IP, Rn. 2–84; Kropholler/v. Hein, EuZPR, Art. 22 EuGVO Rn. 7; a. A. Mankowski in Rauscher, EuZPR, Art. 22 Brüssel I-VO Rn. 2b ff., jeweils mit zahlreichen Nachweisen. 22  EuGH v.  15. 11. 1983  – C-288/82  – Slg. 1983, 3663 (Duijnstee), Rn. 25 f.; Jenard-Bericht, ABl. Nr. C 59/36 v.  5. 3. 1979; Kropholler/v.  Hein, EuZPR, Art. 22 EuGVO Rn. 50; Fezer, Markenrecht, Einl. Rn. 226; Kieninger, GRUR Int. 1998, 280 (281). Auch Art. 24

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§ 10  Internationale Zuständigkeit für das Hauptsacheverfahren

Durchsetzung gewerblicher Schutzrechte kann der Kläger sich neben dem allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten auf die besonderen Gerichtsstände der Art. 7 und 8 EuGVO berufen, wobei insbesondere die Gerichtsstände der unerlaubten Handlung und der Streitgenossenschaft interessant sind. Der Focus der folgenden Untersuchung liegt auf der Erörterung dieser beiden Gerichtsstände, bevor ich auf die überaus umstrittene Frage eingehe, welchen Einfluss der Einwand der Ungültigkeit des Schutzrechts auf die Zuständigkeit und Kognitionsbefugnis des Verletzungsgerichts nimmt. Die internationale Zuständigkeit für Klagen bezüglich Gemeinschaftsschutzrechten unterliegt Sonderbestimmungen,23 die in § 13 Rn. 6 ff., 65 ff. dargelegt werden.

II.  Der allgemeine Gerichtsstand des Beklagten 11

Gemäß Art. 4 Abs. 1 EuGVO sind Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, ohne Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedstaates zu verklagen. Der Wohnsitz wird für Gesellschaften und juristische Personen in Art. 63 EuGVO autonom definiert (Sitz, Hauptniederlassung oder Hauptverwaltung), während er für natürliche Personen gem. Art. 62 EuGVO nach dem autonomen Recht des fraglichen Mitgliedstaates zu bestimmen ist. Die Gerichte im Wohnsitzstaat sind mit einer umfassenden Kognitionsbefugnis ausgestattet, d. h. sie vermögen über die Verletzung von in- wie ausländischen Schutzrechten im Forumstaat und anderen Staaten zu entscheiden.24

III.  Der Gerichtsstand der Niederlassung 12

In Bezug auf Streitigkeiten, die aus dem Betrieb einer ausländischen Zweigniederlassung, Agentur oder sonstigen Niederlassung rühren, kann gegen Nr. 1 EuGVO ist nicht einschlägig. Immaterialgüterrechte werden zwar durch das Case Law (nicht aber durch das kodifizierte Recht) der Länder des Commonwealth den immovables unterstellt. Der verordnungsautonom auszulegende Begriff der unbeweglichen Sache erlaubt jedoch keine Subsumtion der gewerblichen Schutzrechte unter Art. 24 Nr. 1 EuGVO, wie sich sowohl aus der Entstehungsgeschichte der Verordnung als auch aus der Existenz des Art. 24 Nr. 4 EuGVO ergibt, vgl. Kieninger, GRUR Int. 1998, 280 (283); Wadlow, Enforcement, Rn. 2–109; Hye-Knudsen, S. 62. 23 Art. 94 ff. Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Gemeinschaftsmarke (kodifizierte Fassung), ABl. Nr. L 78/1 v. 24. 03. 2009; Art. 97 ff. Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates vom 12. Dezember 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster, ABl. Nr. L 3/1 v. 05. 01. 2002; Art. 101 ff. Verordnung (EG) Nr. 2100/94 des Rates vom 27. Juli 1994 über den gemeinschaftlichen Sortenschutz, ABl. Nr. L 227/1 v.  01. 09. 1994. Diese Bestimmungen gehen als speziellere Regelungen der EuGVO vor, vgl. Art. 67 EuGVO. 24  Lundstedt, GRUR Int. 2001, 103 (105); Véron, JDI 2001, 805 (826); Hye-Knudsen, S. 20. Dies umfasst auch negative Feststellungsklagen, siehe Döring/van Velsen, 2006 JIPLP 858 (859); Franzosi, 2009 JIPLP 247 (252).



B.  Gerichtsstände für die Verletzungsklage

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einen Beklagten mit Sitz innerhalb der Union auch außerhalb seines Wohnsitzstaates Klage erhoben werden. Art. 7 Nr. 5 EuGVO begründet die örtliche und internationale Zuständigkeit des Gerichts, an dem sich die betreffende Niederlassung befindet. Der EuGH definiert den Begriff der Niederlassung autonom als dauerhafte Außenstelle des Stammhauses, die eine Geschäftsführung hat und für den eigenständigen Geschäftsbetrieb mit Dritten eingerichtet ist, gleichwohl aber unter Aufsicht und Leitung des Stammhauses steht.25 Ausreichend ist es, wenn das Stammhaus gegenüber Dritten einen entsprechenden Rechtsschein gesetzt hat.26 Werden von einer Niederlassung im Schutzrechtsstaat aus schutzrechtsverletzende Handlungen vorgenommen, erlaubt Art. 7 Nr. 5 EuGVO dem Rechteinhaber folglich eine Klageerhebung im Schutzrechtsstaat,27 wobei die Klagemöglichkeit am Ort der Niederlassung sich nicht auf Schäden beschränkt, die im Gerichtsstaat entstanden sind.28

IV.  Der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung 1. Anwendungsbereich Dem Gerichtsstand der unerlaubten Handlung kommt im Hinblick auf die Durchsetzung gewerblicher Schutzrechte eine herausragende Bedeutung zu.29 Nach Art. 7 Nr. 2 EuGVO kann eine Person vor den Gerichten des Ortes, an dem ein schädigendes Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht, verklagt werden, sofern eine unerlaubte Handlung bzw. eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden. Art. 7 Nr. 2 EuGVO regelt somit nicht allein die internationale, sondern auch die örtliche Zuständigkeit, 25 EuGH v.  06.  10. 1976  – 14/76  – Slg. 1976, 1497 (de Bloos), Rn. 20 ff.; EuGH v. 22. 11. 1978 – 33/78 – Slg. 1978, 2183 (Somafer), Rn. 12. 26  EuGH v.  09. 12. 1987  – 218/86  – Slg. 1987, 4905 (SAR Schotte), Rn. 15 ff.; Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 5 Brüssel I-VO Rn. 104; Kropholler/v. Hein, EuZPR, Art. 5 EuGVO Rn. 108 m. w. N. 27  Nach EuGH v. 22. 11. 1978 – 33/78 – Slg. 1978, 2183 (Somafer), Rn. 13, zählen zu den Streitigkeiten aus dem Betrieb einer Niederlassung auch Rechtsstreitigkeiten über die außervertragliche Haftung des Stammhauses aufgrund von Tätigkeiten, welche die Niederlassung für Rechnung des Stammhauses ausgeübt hat. Wie hier Pertegás Sender, Cross-border Enforcement, Rn. 3.60 f. 28  Vgl. EuGH v. 06. 04. 1995 – C-439/93 – Slg. 1995, I-971 (Lloyd’s Register of Shipping), Rn. 17. 29  Nach einer schon etwas älteren Untersuchung von Bastian/Knaak, GRUR Int. 1993, 515 (521) werden Markenverletzungsprozesse in Deutschland in 67 % der Fälle am Gerichtsstand der unerlaubten Handlung geführt, für Frankreich und Belgien liegt die Quote bei 25 % und für die Niederlande bei 10 %. Die Bedeutung des Gerichtsstands aus Art. 7 Nr. 2 EuGVO ist durch die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache GAT/LuK deutlich gestiegen, da eine Klage am Erfolgsort zumeist nicht durch die Erhebung des Nichtigkeitseinwands torpediert werden kann, hierzu näher Rn. 113 ff.

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§ 10  Internationale Zuständigkeit für das Hauptsacheverfahren

findet allerdings nur dann Anwendung, wenn die Klageerhebung außerhalb des Wohnsitzstaats des Beklagten erfolgt.30 Sinn des Wahlrechts des Klägers zugunsten des Gerichtsstands am Ort des schädigenden Ereignisses ist die enge Verbindung zwischen dem Rechtsstreit und dem entscheidenden Gericht, d. h. eine typischerweise vorhandene Sachbzw. Beweis- und/oder Rechtsnähe.31 Der EuGH interpretiert den Begriff der „unerlaubten Handlung“ verordnungsautonom. Entscheidend ist, dass die Klage eine Handlung zum Gegenstand hat, welche geeignet ist, außervertragliche Schadensersatzansprüche auszulösen, auch wenn der Kläger in concreto keinen Schadensersatz, sondern eine andere Rechtsfolge (z. B. Unterlassung) begehrt.32 Keine Anwendung findet Art. 7 Nr. 2 EuGVO demnach auf Haftungskonstrukte, die nur Ansprüche auf Beseitigung oder Unterlassung hervorrufen, wie etwa die deutsche Störerhaftung. Die Kognitionsbefugnis des entscheidenden Gerichts ist auf außervertragliche Aspekte begrenzt,33 doch verfügt das Gericht über die Befugnis, Vorfragen aus dem Bereich des Vertragsrechts zu beantworten (z. B. die Frage, ob eine Lizenzierung einen Anspruch aus unerlaubter Handlung ausschließt).34 Umstritten ist die Anwendung des Art. 7 Nr. 2 EuGVO auf negative Feststellungsklagen. Sowohl der Wortlaut als auch der Normzweck des Art. 7 Nr. 2 sprechen für die Bereitstellung des Gerichtsstands der unerlaubten Handlung auch für negative Feststellungsklagen. Das Verfahren betrifft eine – bestrittene – unerlaubte Handlung, und es besteht eine enge Verbindung des Rechtsstreits zum Gericht am Ort des vorgeblich schädigenden Ereignisses.35 30  „Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden […]“. 31  Jenard-Bericht, ABl. Nr. C 59/22 v. 05. 03. 1979; EuGH v. 30. 11. 1976 – C-21/76 – Slg. 1976, 1735 (Mines de Potasse d’Alsace), Rn. 11; EuGH v. 11. 01. 1990 – C-220/88 – Slg. 1990, I-49 (Dumez/HeLaBa), Rn. 17; EuGH v. 27. 10. 1998 – C-51/97 – Slg. 1998, I-6511 (Réunion européenne), Rn. 27; EuGH v. 06. 10. 2004 – C-168/02 – Slg. 2004, I-6009 (Kronhofer), Rn. 15; Mankowski in Magnus/Mankowski, Brussels I, Art. 5 Rn. 1; Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 5 Brüssel I-VO Rn. 74; Wurmnest, GRUR Int 2005, 265 (267 f.); a. A. Geimer, IZPR, Rn. 1497 f.; Schack, UFITA 108 (1988), 51 (70) sowie ders. IZVR, Rn. 330, 334, 343 (mit etwas anderem Akzent). 32 EuGH v.  27.  9.  1988  – C-189/87  – Slg. 1988, 5565 (Kalfelis), Rn. 16  f.; EuGH v. 01. 10. 2002 – C-167/00 – Slg. 2002, I-8111 (Henkel), Rn. 36, 46 ff. m. w. N. Als außervertragliche Haftung wird dabei jede Haftung angesehen, die nicht auf dem freiwilligen Eingehen einer Verbindlichkeit gründet. 33 EuGH v.  27.  09. 1988  – C-189/87  – Slg. 1988, 5565 (Kalfelis), Rn. 16 f.; EuGH v. 13. 03. 2013 – C-548/12 (Brogsitter), Rn. 20. 34  BGH v.  11. 02. 1988  – I ZR 211/86  – IPRax 1989, 98 (99) (AGIAV); Mansel, IPRax 1989, 84 (86); Kropholler/v.  Hein, EuZPR, Art. 5 EuGVO Rn. 80; Hye-Knudsen, S. 64 f.; Kubis, Internationale Zuständigkeit, S. 217. 35  Vorabentscheidungsersuchen des BGH in der Rechtssache Folien Fischer v. 01. 02. 2011 – KZR 8/10 – GRUR 2011, 554 (555 f.) (Trägermaterial für Kartenformulare); Knorr-Bremse Systems for Commercial Vehicles v Haldex Brake Products, [2008] FSR 30 (Pat); wohl auch BG v. 23. 10. 2006 – 4C. 210/2006 – GRUR Int. 2007, 534 (535) (zu Art. 5



B.  Gerichtsstände für die Verletzungsklage

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Einen anderen Standpunkt nehmen diverse mitgliedstaatliche Gerichte ein: Da eine Partei, die eine negative Feststellungsklage erhebe, das Vorliegen eines deliktischen Verhaltens bestreite, könne sie sich nicht auf den Gerichtsstand der unerlaubten Handlung berufen.36 Zielsetzung dieser Rechtsprechung ist teilweise, so genannte Torpedo-Klagen abzuwehren,37 d. h. negative Feststellungsklagen vor bekanntermaßen langsamen Gerichten zu unterbinden (hierzu näher § 12 Rn. 18 ff.). Der EuGH hat sich diesem Standpunkt in der Entscheidung Folien Fischer nicht angeschlossen, sondern zutreffend betont, dass die Zuständigkeit des Gerichts am Ort der unerlaubten Handlung nicht davon abhängt, welche Partei aktiv die gerichtliche Klärung einer Rechtsstreitigkeit betreibt.38 Spezifisch in Disputen über die Verletzung gewerblicher Schutzrechte erfüllt eine negative Feststellungsklage die Funktion, die Schutzrechtslage vor Markteinführung eines neuen Produkts zu klären (clear the path).39 Der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung stellt für den negativen Feststellungskläger gegebenenfalls die einzige Option dar, die Feststellung der Nichtverletzung durch die Gerichte des Schutzrechtsstaates klären zu lassen.40 Sofern der angebliche Rechtsverletzer im Rahmen der negativen Feststellungsklage den Nr. 3 LugÜ); Jenard-Bericht, ABl. Nr. C 59/22 v.  05. 03. 1979; Grabinski, GRUR Int 2001, 199 (203); Wurmnest, GRUR Int 2005, 265 (267 f.); Franzosi, 2009 JIPLP 247 (252); Holzer/ Josi, GRUR Int. 2009, 577 (581); Thole, AG 2013, 73 (76); Pertegás Sender, Cross-border Enforcement, Rn. 34.96 ff.; Briggs/Rees, Civil Jurisdiction, Rn. 2.171; Hill/Chong, Int’l Disputes, Rn. 9. 1. 22; Cornish/Llewelyn/Aplin, IP, Rn. 2–75 m. Fn. 347; Fawcett/Torremans, IP & PIL, Rn. 5.37 f.; Kropholler/v. Hein, EuZPR, Art. 5 EuGVO Rn. 78; Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 5 Brüssel I-VO Rn. 85 m. w. N. 36  Cassaz v. 19. 12. 2003 – Nr. 19550 – GRUR Int. 2005, 264 (265) (BL Macchine Automatiche); Högsta Domstolen v. 14. 06. 2000 – GRUR Int 2001, 178 (Flootek) (zu Art. 5 Nr. 3 LugÜ); OLG München v. 25. 10. 2001 – 6 U 5508/00– InstGE 2, 61 (69 ff.) (Leit- und Informationssystem II); OLG München v. 23. 10. 2008 – 7 O 17209/07 – InstGE 10, 178 (181) ff. (Klebstoffadditiv) m. w. N.; RB Brüssel v. 12. 05. 2000 – GRUR Int 2001, 170 (171) (Röhm Enzyme); ebenso Schlussanträge des GA Jääskinen v. 19. 04. 2012 – C-133/11 (Folien Fischer), Rn. 43 ff. m. w. N.; Stauder in FS Schricker, S. 928; Schlosser, EU-ZPR, Art. 5 EuGVVO Rn. 15. 37  OLG München v. 25. 10. 2001 – 6 U 5508/00 – InstGE 2, 61 (70) (Leit- und Informationssystem II). 38 EuGH v.  25. 10. 2012  – C-133/11 (Folien Fischer), Rn. 47 f.; dem folgend Cassaz. v.  10. 06. 2013  – 14508/2013 (The General Hospital Corporation/Asclepion Laser Technologies). Siehe ebenso zur negativen Feststellungsklage im Gerichtsstand des Erfüllungsortes, Art. 7 Nr. 2 EuGVO: EuGH v.  04. 03. 1982  – 38/81  – Slg. 1982, 825 (Effer), Rn. 7. Diese Interpretation steht im Einklang mit der „Kernpunkte“-Rechtsprechung des EuGH, nach welcher eine Leistungsklage und eine korrespondierende negative Feststellungsklage Verfahren „wegen desselben Anspruchs“ i. S. d. Art. 29 ABs.  1 EuGVO darstellen, vgl. EuGH v. 08. 12. 1987 – 144/86 – Slg. 1987, 4861 (Gubisch), Rn. 16 ff. 39  Hierzu § 4 Rn. 39. 40  Der Gerichtsstand des Art. 24 Nr. 4 EuGVO steht nur für die Feststellung des Nichtbestands des Schutzrechts zur Verfügung; der allgemeine Gerichtsstand des Schutzrechtsinhabers liegt ggf. in einem anderen Mitgliedstaat. Vgl. z. B. den Sachverhalt der Entscheidung Högsta Domstolen v. 14. 06. 2000 – GRUR Int 2001, 178 (Flootek).

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§ 10  Internationale Zuständigkeit für das Hauptsacheverfahren

Bestand eines registrierten Schutzrechts in Frage stellt, besteht ohnehin eine ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte des Registerstaates (siehe Rn. 9 f., Rn. 98 ff.).41 Eine ökonomische Verfahrensgestaltung steht dem angeblichen Rechtsverletzer deshalb nur im Gerichtsstand der unerlaubten Handlung offen. Die Torpedo-Problematik muss systemgerecht durch Interpretation bzw. Reform der Litispendenzregeln gelöst werden. Eine restriktive Interpretation der Gerichtsstandsregelungen ist nicht der der richtige Weg.42

2.  Der Ort des schädigenden Ereignisses a)  Zwischen Ubiquitätsprinzip und restriktiver Auslegung 17

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Der EuGH interpretiert die Verweisung des Art. 7 Nr. 2 EuGVO auf den „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht“ verordnungsautonom und erlaubt dem Kläger bei Distanzdelikten die Wahl zwischen einer Klage am Ort des ursächlichen Geschehens und einer Klageerhebung am Ort des Erstschadens, an dem sich sämtliche Tatbestandsmerkmale der Haftung verwirklicht haben (sog. Ubiquitätsprinzip).43 Gleichzeitig ist der Gerichtshof bemüht, einer Nutzung des Art. 7 Nr. 2 EuGVO zum Zwecke exzessiven forum shoppings vorzubeugen. Zuständigkeitsrechtlich ohne Relevanz ist deshalb derjenige Ort, an dem nach vollendetem Delikt weitere Folgeschäden oder mittelbare Schäden eintreten.44 Auch soweit ein Delikt mehrere Anknüpfungspunkte für den Ort des ursächlichen Geschehens oder den Ort des Erstschadens aufweist, versucht der Gerichtshof durch Schwerpunktbildung oder Einschränkungen der Kognitionsbefugnis die Vorhersehbarkeit des Gerichtsstands für den Beklagten zu gewährleisten. Bevor diese Methoden näher erörtert werden, bedarf es einiger Worte zur Geltung des Ubiquitätsprinzips im gewerblichen Rechtsschutz. 41 

EuGH v. 13. 07. 2006 – C-4/03 – Slg. 2006, I-6509 (GAT/LuK), Rn. 26, 31. BGH v. 01. 02. 2011 – KZR 8/10 – GRUR 2011, 554 (556) (Trägermaterial für Kartenformulare); Weller, LMK 2011, 318709; Gebauer, ZEuP 2013, 874 (878). 43  Das Ubiquitätsprinzip gründet zum einen auf der Erwägung, dass sich der Ort des ursächlichen Geschehens häufig im Wohnsitzstaat des Verletzers befinden dürfte, folglich nur ein Abstellen auf den Ort der Schadensverwirklichung Art. 7 Nr. 2 EuGVO eine praktische Relevanz zu bescheren vermag. Entscheidend ist ferner, dass bei abstrahierender Betrachtung sowohl die Gerichte am Ort des schadensstiftenden Ereignisses als auch jene am Ort der Schadensverwirklichung über eine besondere Sach- und Beweisnähe verfügen, die ihre Entscheidungsbefugnis im Sinne einer geordneten Rechtspflege sachgerecht erscheinen lassen. Siehe EuGH v.  30. 11. 1976  – Rs. C-21/76  – Slg. 1976, 1735 (Mines de Potasse d’Alsace), Rn. 15 ff.; EuGH v.  19. 09. 1995  – C-364/93  – Slg. 1995, I-2719 (Marinari), Rn. 14; EuGH v. 06. 10. 2004 – C-168/02 – Slg. 2004, I-6009 (Kronhofer), Rn. 18. 44 EuGH v.  19.  09. 1995  – C-364/93  – Slg. 1995, I-2719 (Marinari), Rn. 14; EuGH v. 06. 10. 2004 – C-168/02 – Slg. 2004, I-6009 (Kronhofer), Rn. 18; Modus Vivendi v The British Products Sanmex Co, [1996] FSR 790 (802 f.) (Ch); Geimer/Schütze, A. 1, EuZVR, Art. 5 Rn. 254; Kropholler/v. Hein, EuZPR, Art. 5 EuGVO Rn. 87 f.; Kühnen, HdB PatV, Rn. 771. 42 



B.  Gerichtsstände für die Verletzungsklage

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b)  Zur Geltung des Ubiquitätsprinzips im gewerblichen Rechtsschutz Gewerbliche Schutzrechte sind unkörperlich und territorial begrenzt. Die Bestimmung des Orts des schädigenden Ereignisses ist deshalb im Falle ihrer Verletzung komplex: Einerseits lässt sich das Verletzungsunrecht nicht adäquat durch den Verletzungserfolg, sondern nur durch rechtliche Spezifikation der Verletzungshandlung umschreiben. Andererseits setzt die Verletzung des immaterialgüterrechtlichen Ausschließlichkeitsrechts grundsätzlich eine unberechtigte Eingriffshandlung auf dem Territorium des Schutzstaates voraus.45 Hieraus wird im deutschen Schrifttum verbreitet gefolgert, das Ubiquitätsprinzip des Art. 7 Nr. 2 EuGVO finde im Falle der Verletzung gewerblicher Schutzrechte keine Anwendung, da es keinen vom Handlungsort verschiedenen Erfolgsort gebe.46 Teils wird der Begriff des Handlungs-47, teils jener des Erfolgsortes48 für entbehrlich gehalten. Nach anderer Auffassung soll der Ort des schädigenden Ereignisses nach der lex causae bestimmt werden: Da der Begehungsort Implikationen für die Zuständigkeit, für das anzuwendende Recht sowie für die Beurteilung der Tatbestandsmäßigkeit nach dem berufenen Sachrecht zeitige, sei eine Anlegung unterschiedlicher Maßstäbe auf den diversen Prüfungsebenen impraktikabel.49 Dem Gebot der Normenklarheit in einem vereinheitlichten Zuständigkeitssystem50 wird diese Vermengung materiellrechtlicher, kollisionsrechtlicher und zuständigkeitsrechtlicher Fragen nicht gerecht.51 Die Gleichsetzung des Orts 45  EuGH

v. 22. 06. 1994 – C-9/93 – Slg. 1994, I-2789 (Ideal Standard II), Rn. 22; EuGH v. 14. 07. 2005 – C-192/04 – Slg. 2005, I-7199 (Lagardère), Rn. 46; BGH v. 25. 04. 2012 – I ZR 235/10 – GRUR 2012, 1263 (1264) (Clinique Happy); Grabinski, GRUR Int. 2001, 199 (204); Hye-Knudsen, S. 70 f.; Nagel/Gottwald, IZPR, § 3 Rn. 85; jeweils m. w. N. 46  Schack, MMR 2000, 135 (137); Grabinski, GRUR Int. 2001, 199 (204); Lehmann/ Stieper, JZ 2012, 1016 (1017); Peifer, IPRax 2013, 228 f.; Kubis, Internationale Zuständigkeit, S. 121 f., 228, 248; Kur in CLIP, Rn. 2:202.C07; Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 5 Brüssel I-VO Rn. 85a, jeweils m. w. N. 47  Grabinski, GRUR Int. 2001, 199 (204); Treichel, Sanktionen, S. 24. 48  Kubis, Internationale Zuständigkeit, S. 121 f., 228; Schack, MMR 2000, 135 (139). 49  Ingerl/Rohnke, MarkenG, Einl. Rn. 30 f., 48 f. 50  Der EuGH betont zu Recht – wenn auch stets etwas floskelhaft – der Grundsatz der Rechtssicherheit erfordere es, die besonderen Gerichtsstände der EuGVO dergestalt auszulegen, dass ein informierter, verständiger Beklagter ein potentielles Forum vorhersehen könne. EuGH v. 01. 03. 2005 – C-281/02 – Slg. 2005, I-1383 (Owusu), Rn. 40; EuGH v. 19. 02. 2002 – C-256/00 – Slg. 2002, I-1691 (Besix), Rn. 26. 51 Im Ergebnis wie hier EuGH v.  19.  04. 2012  – C-523/10 (Wintersteiger), Rn. 27, 34 f.; Modus Vivendi v The British Products Sanmex Co, [1996] FSR 790 (Ch); Sandisk v Koninklijke Philips Electronics, [2007] FSR 22 (Pat); Mankowski, IPRax 2006, 454 (459); Adolphsen, ZZP Int. 11 (2006), 137 (156 f.); Lange, MarkenR, Rn. 6127 ff.; Pertegás Sender, Cross-border Enforcement, Rn. 3.94 ff.; Fawcett/Torremans, IP & PIL, Rn. 5.48; Wadlow, Enforcement, Rn. 2–92 ff.; Cornish/Llewelyn/Aplin, IP, Rn. 2–75; Mankowski in Magnus/ Mankowski, Brussels I, Art. 5 Rn. 226; Pansch, Einstweilige Verfügung, S. 274 f.; Gottwald in MüKo ZPO, Art. 5 EuGVO Rn. 65; McGuire, ZEuP 2014, 160 (166); Nagel/Gottwald, IZPR, § 3 Rn. 85 m. w. N.

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§ 10  Internationale Zuständigkeit für das Hauptsacheverfahren

des ursächlichen Geschehens mit dem sachrechtlichen Handlungsort verkennt das (berechtigte) Bestreben des EuGH, Art. 7 Nr. 2 EuGVO unabhängig von nationalen Haftungsstrukturen autonom auszulegen. Der EuGH meidet den Begriff des Handlungsorts demnach auch peinlich.52 Der Ort des ursächlichen Geschehens i. S. d. Art. 7 Nr. 2 EuGVO ist nicht zwingend mit dem Ort identisch, an dem die vom Recht des Schutzlands missbilligte Verletzungshandlung erfolgt. Räumlich wie zeitlich gestreckte Vorgänge lassen sich durchaus bei der Verletzung gewerblicher Schutzrechte antreffen, so insbesondere bei den Verletzungshandlungen der Herstellung,53 der Anwendung eines Verfahrens54 oder des Angebots schutzrechtsverletzender Waren bzw. Dienstleistungen55. Entscheidend ist, ob die betreffenden Aktivitäten auf Basis eines autonomen Handlungsverständnisses als Teilakte einer einheitlichen Handlung angesehen werden können. So ist das Absenden eines schriftlichen Angebots, nicht aber die Herstellung eines schutzrechtsverletzenden Gegenstands, Teilakt des Vertriebs.56 Auch bei arbeitsteiligem Vorgehen mehrerer Personen können einzelne Verursachungsbeiträge im Ausland zur Schutzrechtsverletzung im Inland beitragen (hierzu näher infra Rn. 28 f.). Besonders augenfällig ist das Auseinanderfallen von Ort des ursächlichen Geschehens und dem sachrechtlichen Handlungsort bei Fernkommunikationsvorgängen,57 z. B. bei Kennzeichenverstößen im Internet: Das ursächliche Geschehen besteht im der Veranlassung (z. B. dem Upload) der beanstandeten 52  Unzutreffend ist die Behauptung von Kur, GRUR Int. 2014, 749 (753), der EuGH verwende diesen Begriff als Synonym für die Umschreibung „Ort des ursächlichen Geschehen“. In den wenigen EuGH-Entscheidungen, deren Begründung den Begriff des Handlungsorts enthält, ist er von den vorlegenden Gerichten eingebracht worden. 53  Z. B. BGH v. 14. 07. 1970 – X ZR 4/65 – GRUR 1971, 78 (80) (Dia-Rähmchen V): Herstellung einzelner Komponenten, welche vom Endverbraucher zum schutzrechtsverletzenden Gegenstand zusammengesetzt werden. 54  Siehe beispielhaft LG Düsseldorf v. 07. 11. 2000 – 4 O 425/99 – GRUR-RR 2001, 201 ff. (Cam-Carpet); Research in Motion UK v Motorola, [2010] EWHC 118 (Pat), Rn. 135 ff.; OLG Düssseldorf v. 10. 12. 2009 – 2 U 51/08 – InstGE 11, 203 ff. (Prepaid-Karten II). Ausführlich zu Fragen der Extraterritorialität im Patentrecht mit zahlreichen Beispielen Moufang in Liber Amicorum Straus, S. 601 ff.; Romandini/Klicznik, IIC 2013, 524 (527 ff.). 55  Vgl. BGH v.  16. 05. 2006  – X ZR 169/04  – GRUR 2006, 927 (Kunststoffbügel): Anbieten i. S. v. § 11 GebrMG durch Vorstellung von Kleiderbügeln zur Aufnahme in die Listung einer ausländischen Konzernzentrale, wenn die Warenlieferanten vertraglich verpflichtet sind, Kleider auf gelistete Kleiderbügel zu hängen, um einzelne Warenhäuser des Konzerns im Inland zu beliefern. Weitere Beispiele bei Kühnen, HdB PatV, Rn. 749 ff. 56  OLG München v.  15. 02. 1990  – 29 U 5500/89  – NJW 1990, 3097 (3098); Kubis, Internationale Zuständigkeit, S. 207 f.; a. A. Nuyts in Nuyts, Int’l Litigation, S. 120 m. w. N. 57 Ein weiteres prominentes Beispiel für Schutzrechtsverletzungen durch Fernkommunikationsvorgänge ist die Verletzung eines Verfahrenspatents durch zusammenwirkende, in unterschiedlichen Staaten angesiedelte Computer. Siehe hierzu Research in Motion UK v Motorola, [2010] EWHC 118 (Pat), Rn. 135 ff.; OLG Düssseldorf v.  10. 12. 2009  – 2 U 51/08 – InstGE 11, 203 ff. (Prepaid-Karten II); Moufang in Liber Amicorum Straus, S. 601 ff.; Romandini/Klicznik, IIC 2013, 524 (527 ff.).



B.  Gerichtsstände für die Verletzungsklage

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Kommunikation. Die das Kennzeichenrecht verletzende Benutzungshandlung liegt in der Werbung bzw. dem Anbieten von gekennzeichneten Waren und Dienstleistungen im Schutzstaat über das Internet. Hierbei muss der Ort der ursächlichen Kommunikationshandlung nicht mit dem Staat, in dem das Angebot erfolgt, identisch sein.58 An dem genannten Beispiel zeigt sich ferner, dass kein Anlass besteht, aufgrund der fehlenden Körperlichkeit gewerblicher Schutzrechte an der Existenz eines Orts des Verletzungserfolgs zu zweifeln: Mag das Schutzrecht auch nicht an einem bestimmten Ort „belegen“ sein,59 so führt die Handlung des Beklagten doch nur im Schutzland zu unfreiwilligen Einbußen an einem Rechtsgut des Klägers. Das Territorialitätsprinzip steht somit der Anwendung des Ubiquitätsprinzips im Rahmen des Art. 7 Nr. 2 EuGVO nicht entgegen. Vielmehr ist eine Unterscheidung zwischen Ort des ursächlichen Geschehens und Erfolgsort auch im gewerblichen Rechtsschutz möglich, wobei sich die Sach- und Beweisnähe des Gerichts am ursächlichen Geschehen aus Tatsachenstreitigkeiten über das Verhalten des Beklagten ergeben kann.60 In der Entscheidung Wintersteiger hat der EuGH folgerichtig das Ubiquitätsprinzip ohne nähere Erörterung auf eine Streitsache bezüglich einer behaupteten Kennzeichenverletzung im Internet angewandt.61

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c)  Der Ort des ursächlichen Geschehens aa)  Erforderlichkeit der Schwerpunktbildung Die autonome Bestimmung des Orts des ursächlichen Geschehens ist der Rechtsklarheit nur dann zuträglich, wenn dieser Ort durch Rechtsprechung und Literatur näher konkretisiert wird. Kennzeichnend für Schutzrechtsverletzungen ist eine Realisierung der Tathandlung in mehreren Teilakten an unterschiedlichen Lokalitäten, weshalb häufig kein einheitlicher Ort des ursächlichen Geschehens identifiziert werden kann. Um einer Inflation von Gerichtsständen vorzubeugen, verfolgt der EuGH – ebenso wie bei anderen besonderen Gerichtsständen62 – eine Strategie der Schwerpunktbildung: Der Ort des ursächlichen Geschehens ist konzentriert zu bestimmen, selbst wenn

58 Siehe z. B. den Sachverhalt der Entscheidungen EuGH v.  19. 04. 2012  – C-523/10 (Wintersteiger); BGH v. 13. 10. 2004 – I ZR 163/02 – GRUR 2005, 431 ff. (Hotel Maritime). 59  So das Gegenargument von Kubis, Internationale Zuständigkeit, S. 228. 60 Entgegen Kur, GRUR Int. 2014, 749 (753); ähnlich wie hier Müller, EuZW 2014, 434. 61  EuGH v.  19. 04. 2012  – C-523/10 (Wintersteiger), Rn. 27, 34 f.; implizit auch EuGH v. 18. 10. 2012 – C-173/11 (Football Dataco), Rn. 29 f.; zustimmend McGuire, ZEuP 2014, 160 (166); kritisch Lehmann/Stieper, JZ 2012, 1016 (1017, 1019). 62 Zum Gerichtsstand des Erfüllungsorts (Art.  7 Nr.  1 EuGVO) siehe EuGH v. 03. 05. 2007 – C-386/05 – Slg. 2007, I-3699 (Color Drack), Rn. 40; EuGH v. 11. 03. 2011 – C-19/09 (Wood Floor Solutions), Rn. 36 ff.

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§ 10  Internationale Zuständigkeit für das Hauptsacheverfahren

gewisse Teilakte an anderen Orten ausgeführt worden sind.63 Die Gerichte an dem so bestimmten Ort des ursächlichen Geschehens sind hinsichtlich der unerlaubten Handlung mit einer umfassenden Kognitionsbefugnis ausgestattet.64

bb)  Schutzrechtsverletzung durch Kommunikation und Publikation 24

Besteht das beanstandete Verhalten in einer Kommunikation bzw. Publikation des Beklagten, so ist nach der Rechtsprechung des EuGH in den Entscheidungen Shevill und Wintersteiger der Ort des ursächlichen Geschehens gleichzusetzen mit demjenigen Ort, von dem aus die Verbreitung veranlasst bzw. gesteuert wurde.65 Im Interesse der Rechtssicherheit geht der Gerichtshof davon aus, dass es sich hierbei regelmäßig um den Ort der Niederlassung des betreffenden Veranlassers handelt, weil an diesem Ort die Kommunikation bzw. Publikation ihren Ausgang nahm.66 Irrelevant ist es, wenn der technische Kommunikationsvorgang an einem anderen Ort ausgelöst wird (z. B. der Standort des Servers, auf den eine angeblich schutzrechtsverletzende Werbung hochgeladen wird). Diese Art der Bestimmung des Orts des ursächlichen Geschehens ist sicherlich nicht logisch zwingend, kann aber den Vorzug der Rechtsklarheit für sich verbuchen. Konsequenz ist freilich, dass der Ort des ursächlichen Geschehens regelmäßig mit dem allgemeinen Wohnsitz des Be63 

EuGH, 07. 03. 1995 – C-281/02 – Slg. 1995, I-415 (Shevill), Rn. 24; Modus Vivendi v The British Products Sanmex, [1996] FSR 790 (803 f.) (Ch); nach a. A. soll die Schwerpunktbildung auf Persönlichkeitsrechtsverletzungen beschränkt sein, vgl. LG Kiel v. 30. 01. 2008 – 14 O 90/05 – NZG 2008, 346 (347 f.); Schlosser, EU-ZPR, Art. 5 EuGVVO Rn. 20a; Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 5 Brüssel I-VO Rn. 120; Ten Wolde/Knot/Weller in unalex, Art. 5 Nr. 3 Brüssel I-VO Rn. 40. 64  EuGH v.  07. 03. 1995  – C-68/93  – Slg. 1995, I-415 (Shevill), Rn. 25; (zu Unrecht) zweifelnd an der Übertragbarkeit dieser Rechtsprechung auf Schutzrechtsverletzungen Schauwecker, Patentverletzungsjurisdiktion, S. 161 m. w. N. 65  EuGH v. 07. 03. 1995 – C-68/93 – Slg. 1995, I-415 (Shevill), Rn. 25; EuGH v. 19. 04. 2012 – C-523/10 (Wintersteiger), Rn. 36 f.; ebenso EuGH v. 22. 01. 2015 – C-441/13 (Hejduk), Rn. 25; EuGH v.  28. 01. 2015  – C-375/13 (Kolassa); Wadlow, Enforcement, Rn. 2–93; Thorn in FS v.  Hoffmann, S. 748 f.; differenzierend Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 5 Brüssel I-VO Rn. 88c, 88e m. w. N.: bei Print- und Rundfunk soll das Steuerungszentrum, bei Delikten im Internet der Ort der Einspeisung relevant sein; differenzierend auch Ten Wolde/Knot/ Weller in unalex, Art. 5 Nr. 3 Brüssel I-VO Rn. 37 ff.: für Klagen gegen den Betreiber einer Website sei dessen Niederlassung relevant, hinsichtlich einzelner Autoren der Ort des Uploads; allgemein für ein Abstellen auf den Ort des Uploads Berger, GRUR Int. 2005, 465 (467); Metzger in Leible/Ohly, IP & PIL, S. 259 f.; Kropholler/v. Hein, EuZPR, Art. 5 EuGVO Rn. 83a; Mankowski in Magnus/Mankowski, Brussels I, Art. 5 Rn. 226; Nagel/Gottwald, IZPR, § 3 Rn. 86. 66  EuGH v.  07. 03. 1995  – C-281/02  – Slg. 1995, I-415 (Shevill), Rn.  24; EuGH v.  19. 04. 2012  – C-523/10 (Wintersteiger), Rn. 36 f.; m. zust. Anm. Picht, GRUR Int. 2013, 19 (24); kritisch hingegen Lehmann/Stiepe, JZ 2012, 1016 (1019). Zur „Regelmäßigkeit“ der Identität des Orts des ursächlichen Geschehens mit dem Sitz des Beklagten siehe Nuyts in Nuyts, Int’l Litigation, S. 118 ff.



B.  Gerichtsstände für die Verletzungsklage

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klagten (oder dem der Zweigniederlassung) übereinstimmt und neben diesem nicht zum Tragen kommt.67

cc)  Herstellung oder Vertrieb schutzrechtsverletzender Ware Noch nicht durch die Rechtsprechung des EuGH geklärt ist die Identifikation eines einheitlichen Orts des ursächlichen Geschehens im Hinblick auf verschiedene Teilakte bei der Herstellung oder dem Vertrieb schutzrechtsverletzender Ware. Hier sollte auf den ersten Teilakt des Gesamtprozesses abgestellt werden, z. B. auf das Absenden eines Angebots oder den Beginn des Herstellungsprozesses.68 Alternativ käme eine Anknüpfung an das Steuerungszentrum der Aktivitäten in Betracht, wobei es sich regelmäßig um eine Niederlassung des Beklagten handeln dürfte.

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dd)  Zusammenwirken mehrerer Beteiligter Sind verschiedene Personen als Mittäter oder Teilnehmer in die behauptete Schutzrechtsverletzung involviert, so ist der Ort des ursächlichen Geschehens für jede von ihnen unabhängig zu bestimmen.69 Eine gegenseitige Zurechnung der Orte des ursächlichen Geschehens führt zu einer weder wünschenswerten noch erforderlichen Multiplikation der Gerichtsstände unter Art. 7 Nr. 2 EuGVO. Die Verfahrenskonzentration gegen mehrere Beklagten ist am Gerichtsstand des Erfolgsorts70 ebenso wie am Gerichtsstand der Streitgenossenschaft gem. Art. 8 Nr. 1 EuGVO möglich. Einer weiteren Konsolidierungsoption bedarf es nicht.71

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d)  Der Ort der Verwirklichung des Schadenserfolges aa)  Bedeutung des Territorialitätsprinzips Wie bereits erwähnt, hat der Kläger nach dem Ubiquitätsprinzip prinzipiell die Wahl zwischen einer Klageerhebung vor den Gerichten am Ort des ursächlichen Geschehens72 und den Gerichten am Erfolgsort. Bei Schutzrechts67 Art. 7 EuGVO findet nur auf Klagen außerhalb des Wohnsitzstaates Anwendung: „[…]kann in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden.“ 68  A. A. Pertegás Sender, Cross-border Enforcement, Rn. 3.98 Ort des intendierten Vertriebs. 69  EuGH v. 16. 05. 2013 – C-228/11 (Melzer), Rn. 30 ff.; Leible in Rauscher, EuZPR Art. 5 Brüssel I-VO Rn. 88 f.; Schlosser, EuZPR, Art. 5 EuGVVO Rn. 20; Weller, IPRax 2000, 202 (207 f.); a. A. v. Hein, IPRax 2006, 460 (461); ders. IPRax 2013, 505 (508 ff.); Geimer/Schütze, EuZVR, A. 1, Art. 5 Rn. 250; Mankowski in Magnus/Mankowski, Brüssels I, Art. 5 Rn. 221. 70  Infra Rn. 28. 71 EuGH v.  16. 05. 2013  – C-228/11 (Melzer), Rn. 39; Weller, IPRax 2000, 202 (207); a. A. v. Hein, IPRax 2006, 460 (461); ders., RIW 2011, 811 (812); wohl auch Wagner, EuZW 2013, 546 (547). 72  Häufig befindet sich der Ort des ursächlichen Geschehens im Wohnsitzstaat des Beklagten; in diesen Fällen kommt Art. 4 Abs. 1 EuGVO zum Tragen, da Art. 7 EuGVO nur auf Klagen außerhalb des Wohnsitzstaates Anwendung findet.

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§ 10  Internationale Zuständigkeit für das Hauptsacheverfahren

verletzungen kommt als Ort der tatbestandsmäßigen Deliktsvollendung allein ein Ort im Schutzland in Betracht.73 Hier erfolgt die unfreiwillige Einbuße an einem Rechtsgut des Klägers, die den „Erstschaden“ im Sinne der EuGHRechtsprechung darstellt. Andere Orte, etwa der Ort, an dem die maßgebliche Vermögenseinbuße des Klägers eingetreten ist, sind als Orte mittelbarer Folgeschäden zuständigkeitsrechtlich belanglos.74 Eine Klage am Erfolgsort hat mehrere Vorzüge: Erstens den Gleichlauf von internationaler Zuständigkeit für Verletzungs- und Bestandsfrage, zweitens den Gleichlauf von internationaler Zuständigkeit und anwendbarem Recht (vgl. Art. 8 Rom II-VO), kombiniert mit drittens einer besonderen Sachkompetenz der Spezialkammern für den gewerblichen Rechtsschutz in zahlreichen Mitgliedstaaten.

bb)  Zusammenwirken mehrerer Beteiligter 28

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Sind mehrere Personen an der Schutzrechtsverletzung beteiligt, so begründen deren Tatbeiträge einen einheitlichen Erfolgsort, mögen sie auch ihren Verursachungsbeitrag in unterschiedlichen Staaten gesetzt haben.75 Als problematisch erweist sich eine autonome Konkretisierung der Beteiligung im Rahmen des Art. 7 Nr. 2 EuGVO. Der EuGH lässt in einigen Entscheidungen die Ursächlichkeit des Verhaltens eines Beklagten für die beanstandete Verletzungshandlung ausreichen, ohne nähere Zurechnungskriterien zu entwickeln.76 Ebenso wie nach der derzeitigen Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Art. 8 Nr. 1 EuGVO (hierzu infra Rn. 68 ff.) ist es somit für den Kläger ein Leichtes, einen Beklagten unter Vorwurf einer Tatbeteiligung vor einem wohnsitzfernen Gericht in Anspruch zu nehmen. Die Zuständigkeitsgerechtigkeit und die Vorhersehbarkeit der Gerichtspflichtigkeit leiden entsprechend.77 Im Wesentlichen gibt es zwei Alternativen: Erstens die Bestimmung der Beteiligung dem natio-

73  Schlussanträge des Generalanwalts Cruz Villalón v. 16. 02. 2012 – C-523/10 (Wintersteiger), Rn. 25. 74 EuGH v.  19. 09. 1995  – C-364/95 (Marinari), Rn. 14; OGH v.  13. 07. 1999  – 4 Ob 347 / 98 – GRUR Int. 2000, 795 (796) (Thousand Clowns); OLG Düsseldorf v. 22. 7. 1999 – 2 U 127/98 – IPRax 2001, 336 (337) (Schussfadengreifer); Neuhaus, Mitt. 1996, 257 (264); Hess, EuZPR, § 6 Rn. 72; Hye-Knudsen, S. 76 ff.; Kühnen, HdB PatV, Rn. 771; a. A. Otte, IPRax 2001, 315 (319), der auf den Ort der Marktsättigung abstellt; Nuyts in Nuyts, Int’l Litigation, S. 123 ff.: Ort der Vermögenseinbuße. 75  EuGH v.  03. 04. 2014  – C-387/12 (Hi Hotel), Rn. 37 ff.; OGH v.  08. 07. 2003  – 4 Ob 122/03z – ZfRV 2003, 226; BGH v. 15. 11. 2011 – XI ZR 54/09 – BKR 2012, 78 (80 f.); BGH v. 28. 06. 2012 – I ZR 35/11 – GRUR 2012, 1069 (Hi Hotel), OLG Düsseldorf v. 05. 05. 2011 – I-2U 10/10 (Klammerdrahtbögen), Rn. 65; Pertegás Sender, Cross-border Enforcement, Rn. 3.104; Stöber, EWiR 2012, 790 (791). 76  EuGH v. 03. 10. 2013 – C-170/12 (Pinkney), Rn. 29 ff.; EuGH v. 03. 04. 2014 – C-387/12 (Hi Hotel), Rn. 37; unklar ist, wie sich die Entscheidung des EuGH v. 05. 06. 2014 – C-360/12 (Coty Germany), Rn. 57 f. hierzu verhält. 77  Müller, EuZW 2014, 434; v. Hein, EuZW 2014, 667 (668).



B.  Gerichtsstände für die Verletzungsklage

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nalen Sachrecht zu überlassen;78 zweitens ein autonomes Kriterium der Beteiligung zu entwerfen, das notwendigerweise relativ kursorisch wäre. Anbieten würde sich beispielsweise der Begriff des gewillkürten Zusammenwirkens. Da die Frage der Beteiligung regelmäßig eine doppelrelevante Tatsache darstellt,79 welche auf der Ebene der Zuständigkeitsprüfung keines vollständigen Beweises bedarf (näher Rn. 50 ff.), wäre meines Erachtens die Entwicklung eines autonomen Kriteriums vorzuziehen.80 Der Rückgriff auf nationales Recht bedeutet aber kein schwerwiegendes Defizit, da die praktischen Unterschiede zwischen den beiden Lösungen gering sein dürften.

cc)  Einschränkungen bei Streudelikten aaa)  Erforderlichkeit einer einschränkenden Auslegung Es ist umstritten, ob der Gerichtsstand am Ort der Schadensrealisierung einer Begrenzung bei so genannten Streudelikten bedarf, d. h. in Konstellationen, in denen eine unerlaubte Handlung Schäden in mehreren Staaten verursacht. Das Ubiquitätsprinzip, dessen Überzeugungskraft für „einfache“ Distanzdelikte nicht abzustreiten ist, führt bei Streudelikten zu einer Multiplikation potentieller Gerichtsstände und folglich zu einer starken Abweichung von dem der EuGVO zugrunde liegenden Ausgangssatz actor sequitur forum rei. Besonders bedeutsam ist die Frage bei Schutzrechtsverletzungen über das Internet, da Internet-Kommunikationen prinzipiell weltweit zugänglich sind. Nach einer verbreiteten Auffassung müssen Personen, die grenzüberschreitende Medien nutzen, damit rechnen, an jedem Verbreitungsort wegen der Verletzung von Schutzrechten in Anspruch genommen zu werden.81 Ziel ist es, den Schutzrechtsinhabern eine möglichst breite Palette an Gerichtsständen zur Verfügung zu stellen, an denen sie den gesamten entstandenen Schaden liquidieren können. Diese Stimmen verkennen nicht, dass es den Nutzern grenzüberschreitender Medien praktisch nicht möglich ist, die Rechtslage aller Länder, in denen die Kommunikation verbreitet wird, zu berücksichtigen. Sie sind der Ansicht, wenn überhaupt sei dieses Problem auf der materiellrecht-

78  So wohl EuGH v. 05. 06. 2014 – C-360/12 (Coty Germany), Rn. 57 f.; s. a. LG Mannheim v. 08. 03. 2013 – 7 O 139/12 – GRUR-RR 2013, 449 (451). Kritisch zum Rückgriff auf nationales Sachrecht (im Kontext der Bestimmung des Orts des ursächlichen Geschehens) EuGH v. 16. 05. 2013 – C-228/11 (Melzer), Rn. 32 ff. 79  EuGH v. 16. 05. 2013 – C-228/11 (Melzer), Rn. 31. 80 Ebenso v. Hein, EuZW 2014, 667 (668). 81  Cass. Civ. v. 09. 12. 2003 – 01–03225 – RC 93 (2004), 632; OGH v. 24. 4. 2001 – 4 Ob 81/01– GRUR Int. 2002, 265 (266) (Red Bull, zum anwendbaren Recht); OLG Karlsruhe v. 10. 07. 2002 – 6 U 9/02 – MMR 2002, 814 (815) (Intel); Schack, MMR 2000, 135 (138); Kur, WRP 2000, 935 (938); Bettinger/Thum, GRUR Int. 1999, 659 (667 ff.).

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lichen Ebene zu beachten,82 etwa in Form einer normativen Beschränkung der aus dem Schutzrecht abgeleiteten Verbotsfunktion.83 Die Vertreter dieser Auffassung übersehen freilich, dass dem Zuständigkeitssystem der EuGVO eine eigene, wohlerwogene Gerechtigkeits- und Ausgleichsfunktion innewohnt, die durch das pauschale Abstellen auf die materiellrechtliche Ebene negiert wird.84 Der Aufwand, die finanziellen Belastungen sowie die Risiken einer Verteidigung in einem entfernten Forum mit unbekanntem Rechts- und Gerichtssystem können allein auf der zuständigkeitsrechtlichen Ebene Berücksichtigung finden.85 In der heutigen Geschäftswelt lässt sich zudem auf die Nutzung des Internets selbst bei rein regionaler geschäftlicher bzw. publizistischer Tätigkeit kaum verzichten. Eine einschränkende Auslegung des Art. 7 Nr. 2 EuGVO ist deshalb bei Streudelikten geboten. Im Wesentlichen gibt es vier Methoden, um die Multiplikation potentieller Gerichtsstände bei Streudelikten zu unterbinden: Erstens eine Beschränkung der Kognitionsbefugnis der Gerichte des Erfolgsortes auf Auswirkungen im Forumstaat. Zweitens eine Konzentration auf einen besonderes relevanten Gerichtsstand im Wege der Schwerpunktbildung. Drittens die Einführung zusätzlicher, ungeschriebener Tatbestandsmerkmale, wie etwa dem Merkmal des commercial effect eines Internet-Auftritts. Viertens den Verzicht auf den Gerichtsstand am Erfolgsort. Einem fünften, insbesondere von englischen Stimmen favorisierten Weg, nämlich der Einrede des forum non conveniens,86 hat der EuGH bereits in anderem Kontext zu Recht den Riegel vorgeschoben: Die Grundsätze dieser Lehre, wonach einem prinzipiell zuständigen Gericht ein Ermessen eingeräumt wird, seine Zuständigkeit unter Hinweis auf die bessere Eignung eines ausländischen Forums nicht auszuüben, konterkarieren das der EuGVO zugrunde liegenden Ziel der Vorhersehbarkeit des Forums.87

82 OLG Karlsruhe v.  10. 07. 2002  – 6 U 9/02  – MMR 2002, 814 (815) (Intel); Ingerl/ Rohnke, MarkenG, Einl. Rn. 48 f.; wohl auch Bettinger/Thum, GRUR Int. 1999, 659 (668 f.). 83  Siehe hierzu BGH v. 13. 10. 2004 – I ZR 163/02 – NJW 2005, 1435 (1436) (Hotel Maritime); BGH v. 08. 03. 2012 – I ZR 75/10 – GRUR 2012, 621 (624) (Oscar); OGH v. 10. 07. 2012 – 4 Ob 82/12f – GRUR Int. 2013, 59 (61) (Wintersteiger III). 84  Mankowski, MMR 2002, 817 (818); Hye-Knudsen, S. 93 ff.; a. A. Leible in Rauscher, Art. 5 Brüssel I-VO Rn. 77a m. w. N. 85 Entgegen Kur, 3 JWIP (2000), 307 (310) ist es für den Beklagten nicht ohne Relevanz, ob begrenzende Kriterien im Rahmen der Zuständigkeit oder der Begründetheit in die rechtliche Beurteilung einbezogen werden. Die Erhebung der Zuständigkeitsrüge verursacht für den Beklagten deutlich geringeren zeitlichen und finanziellen Aufwand als die Verteidigung in materieller Hinsicht. Wie hier Hye-Knudsen, S. 95. 86 Zur forum non conveniens-Doktrin siehe Airbus Industries v Patel, [1999] 1 AC 119 (131 f.) (HL). 87  EuGH v. 01. 03. 2005 – C-281/02 – Slg. 2005, I-1383 (Owusu), Rn. 37 ff.



B.  Gerichtsstände für die Verletzungsklage

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bbb)  Einschränkung der Kognitionsbefugnis In dem Bestreben, die Bestimmtheit und Vorhersehbarkeit des entscheidungsbefugten Gerichts zu gewährleisten, hat der EuGH in der Rechtssache Shevill den Gerichtsstand des Erfolgsorts bei Streudelikten in Bezug auf Persönlichkeitsrechtsverletzungen näher konkretisiert. Danach steht es dem Kläger offen, nach seiner Wahl an jedem Erfolgsort Klage zu erheben, doch ist die Kognitionsbefugnis der Gerichte des Erfolgsorts auf den im jeweiligen Gerichtsstaat entstandenen Schaden beschränkt (sog. Mosaikbetrachtung).88 Will der Kläger, wie dies meist seinen Interessen entsprechen wird, den gesamten Schaden in einem einheitlichen Verfahren liquidieren, bleibt ihm nur die Klage am Gerichtsstand des ursächlichen Geschehens bzw. am allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten, wobei diese Gerichtsstände häufig identisch sein dürften.89 Die Shevill-Entscheidung ist im Schrifttum teilweise heftig kritisiert worden,90 überzeugt jedoch:91 Dem Kläger wird der sachnahe besondere Gerichtsstand erhalten, ohne ihm eine erhöhte Möglichkeit des forum shoppings zu eröffnen und den Beklagten zuständigkeitsrechtlich unbillig zu belasten. Die damit verbundene Entwertung des Gerichtsstands des Erfolgsorts für den Kläger ist in der Natur der Sache begründet: Für den gesamten Schaden besteht keine besondere Sach- oder Rechtsnähe der Gerichte eines jeden beliebigen Erfolgsorts. Die Übertragbarkeit des vom EuGH für Persönlichkeitsrechtsverletzungen entwickelten Ansatzes auf gewerbliche Schutzrechte ist evident.92 Da gewerbliche Schutzrechte ohnehin einer territorialen Beschränkung unterliegen, ist die begrenzte Kognitionsbefugnis am Ort der Schadensrealisierung ohne Abstriche zu befürworten: Eine besondere Sach- und Rechtsnähe des Gerichts am Erfolgsort besteht allein im Hinblick auf die Verletzung des jeweiligen nationalen Schutzrechts, nicht im Hinblick auf parallele ausländische 88  EuGH v. 07. 03. 1995 – C-281/02 – Slg. 1995, I-415 (Shevill), Rn. 30; der EuGH folgt insoweit dem französischen Vorbild, vgl. Huber, ZEuP 1996, 295 (303); Kreuzer/Klötgen, IPRax 1997, 90 (92). 89  EuGH v. 07. 03. 1995 – C-281/02 – Slg. 1995, I-415 (Shevill), Rn. 26, 32. 90  Siehe nur Kreuzer/Klötgen, IPRax 1997, 90 (93 ff.); Schack, MMR 2000, 135 (139); Kubis, Internationale Zuständigkeit, S. 232 ff., 134 ff.; Thiede, GPR 2012, 219 (220). Ein Überblick über die Kritikpunkte findet sich bei Pfeiffer in Hess/Pfeiffer/Schlosser-Bericht, Rn. 212 ff. 91  Keiner der Länderberichte im Zuge der Revision der EuGVO hat sich für eine Änderung der Shevill-Grundsätze ausgesprochen, vgl. Pfeiffer in Hess/Pfeiffer/Schlosser-Bericht, Rn. 215. 92  Nach allgemeiner Auffassung sind die Shevill-Prinzipien auf die Verletzung anderer Rechtsgüter zu übertragen, vgl. Pfeiffer in Hess/Pfeiffer/Schlosser-Bericht, Rn. 212; Berger, GRUR Int. 2005, 465 (468); Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 5 Brüssel I-VO Rn. 92; Grabinski, GRUR Int 2001, 199 (205); Wadlow, Enforcement, Rn. 2–88; Wurmnest, GRUR Int 2005, 265 (266 m. Fn. 13); Nuyts in Nuyts, Int’l Litigation, S. 129; Fawcett/Torremans, IP & PIL, Rn. 5.43 ff., 558.

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Schutzrechte. Hierfür spricht ferner, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber die Beschränkung der Kognitionsbefugnis in Art. 94 Abs. 2 der Verordnung über die Gemeinschaftsmarke und Art. 93 Abs. 2 der Verordnung über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster festgeschrieben hat (infra § 13 Rn. 11).93 Es wäre nicht überzeugend, das Mosaikprinzip bei den Einheitsschutzrechten zur Anwendung zu bringen, es bei der Verletzung nationaler Schutzrechte hingegen außer Betracht zu lassen. Soweit der Kläger keinen Schadensersatz, sondern eine Unterlassung unerlaubter Handlungen begehrt, zeitigen die vom EuGH in der Rechtssache Shevill entwickelten Grundsätze prinzipiell ebenfalls tragfähige Ergebnisse.94 Das nur eingeschränkt kognitionsbefugte Gericht hat den Unterlassungstenor auf das Gebiet des Gerichtsstaats zu beschränken.95 Eine Notwendigkeit oder Rechtfertigung dafür, dem Unterlassungskläger eine günstigere zuständigkeitsrechtliche Position zuzubilligen als einem Schadensersatzkläger, indem die gemeinschaftsweite Unterlassung durch ein Gericht an einem beliebigen Erfolgsort angeordnet werden könnte, besteht nicht. Problematisch sind indes jene Konstellationen, in denen es dem Beklagten nicht möglich ist, die Auswirkungen seiner Handlung lokal zu beschränken. Paradigmatisch hierfür sind Publikationen im Internet. Zwar sind auch hier gebietsbezogene Beschränkungen teilweise möglich.96 So kann das Verbot, für markengebundene Waren gegenüber Nutzern mit Wohnsitz in einem bestimmten Mitgliedstaat zu werben, realisiert werden, indem Kunden auf diesem Markt nicht beliefert werden.97 Auch das Verbot der Nutzung einer Domain mit der country-code Top Level Domain (ccTLD) des Forumstaates ist geographisch beschränkt. Beim Keywordadvertising kann der Werbende festlegen, dass die Werbung nur Nutzern angezeigt wird, die Suchanfragen aus einer spezifischen geographischen Region stellen. 93  Anders Art. 34 des Übereinkommens über ein einheitliches Patentgericht, näher § 18 Rn. 53. 94  BGH v. 09. 07. 2009 – Xa ZR 19/08 – NJW 2009, 3371 (3375); Stauder, IPRax 1998, 317 (321); Schlosser, EU-ZPR, Art. 5 EuGVVO Rn. 20; offen Mecklermedia v. D. C. Congress, [1998] Ch 40 (52) (Ch); zweifelnd Gottwald in MüKo ZPO, Art. 5 EuGVO Rn. 62. 95  BGH v. 09. 07. 2009 – Xa ZR 19/08 – NJW 2009, 3371 (3375); Cornish/Llewelyn/Aplin, IP, Rn. 2–75. 96  Kerly on Trademarks, Rn. 23–057 ff.; Ubber, WRP 1997, 497 (503); a. A. Kubis, Internationale Zuständigkeit, S. 139 f. 97  Vgl. OGH v. 11. 12. 2007 – 17 Ob 22/07w – GRUR Int. 2009, 74 (77) (Personal Shop). Der dortige Sachverhalt (Linksammlung) zeigt freilich, dass mitunter auch eine solche Begrenzung schwer realisierbar sein kann. Ob vom Schutzrechtsinhaber vorgenommene Testbestellungen ausreichend für die Begründung des Gerichtsstands der unerlaubten Handlung sind, ist umstritten, vgl. zutreffend bejahend BGH v.  21. 08. 2012  – X ZR 33/10  – GRUR 2012, 1230 (1232) (DVD-Herstellung mittels patentiertem Videobildkodierungsverfahren); Cass. civ. v. 25. 03. 2009 – 08. 14. 199 – unalex FR-1066; Mes, GRUR 2013, 767 ff.; Reinmüller/ Bücken, IPRax 2013, 185 (187 f.); ablehnend aufgrund der spezifischen Umstände des Einzelfalls hingegen Cass. civ. v. 12. 02. 2013 – 11–25914 – unalex FR-2350.



B.  Gerichtsstände für die Verletzungsklage

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In zahlreichen Fallkonstellationen lässt sich der Rechtsstreit allerdings nicht geographisch segmentieren, d. h. das Befolgen einer auf einen Mitgliedstaat beschränkten Verbotsverfügung würde ein globales Unterlassen der beanstandeten Handlung voraussetzen. Beispiele sind das Angebot zum Download digitaler Waren oder die Nutzung einer Domain mit einer generischen TLD (.com, .biz, .travel etc.). Geo-Lokalisierungstechnologien, die den Nutzerkreis einer Website durch Ermittlung des Nutzerstandorts einschränken, sind teuer und noch nicht hinreichend ausgereift, um rechtliche Implikationen daraus abzuleiten.98 Und selbst die ausgereifteste Lokalisierungstechnologie könnte bei Kennzeichenkonflikten über Domainnamen keine „Teilung“ der Domain bewirken. Mit Blick auf diese Fallgestaltungen bedarf die Shevill-Rechtsprechung folglich der Konkretisierung bzw. Ergänzung.

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ccc)  Schwerpunktbildung bei Rechtsverletzungen im Internet Der EuGH erhielt in den Rechtssachen eDate Advertising, Wintersteiger, ­Pinkney und Hejduk Gelegenheit, sich mit der Anwendung der Shevill-Prinzipien auf Rechtsverletzungen im Internet zu befassen. In eDate Advertising hielt der Gerichtshof zwar grundsätzlich an der Shevill-Rechtsprechung fest, erklärte aber für behauptete Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet zusätzlich die Gerichte am Ort des Mittelpunkts der Interessen der betroffenen Person für uneingeschränkt kognitionsbefugt.99 Die Gerichte am Interessensmittelpunkt des vorgeblich Verletzten können danach Ersatz für den gesamten, d. h. in allen Mitgliedstaaten entstandenen Schaden sowie Unterlassungsgebote für alle Mitgliedstaaten der Union aussprechen. In der Entscheidung Wintersteiger übertrug der EuGH die Rechtsprechung in eDate ohne nähere Erwägungen auf Verletzungen gewerblicher Schutzrechte im Internet, wobei an die Stelle der Gerichte am Ort des Interessenmittelpunkts die Gerichte des Schutzrechtstaates gerückt wurden. In einem Fall „wie dem des Ausgangsverfahrens“ seien die Gerichte des Registerstaates befugt, über den „gesamten Schaden, der dem Inhaber des geschützten Rechts durch dessen Beeinträchtigung entstanden sein soll und über einen Antrag 98  Hoeren, MMR 2007, 3, 6 m. Fn. 48. Zwar versprechen diverse Anbieter von GeoLokalisierungs-Software im Hinblick auf die Ermittlung des Staates, in dem sich der Nutzer befindet, eine Genauigkeit von 99 %. Unabhängig von der Korrektheit dieser Angabe ist umstritten, welchen Einfluss die derzeit stattfindende Umstellung des für die IP-Adressierung bedeutsamen Internet-Protokolls IPv4 auf IPv6 auf die Genauigkeit von Geo-Lokalisierungstechniken haben wird. Darüber hinaus besteht auf Nutzerseite die Möglichkeit, eine Begrenzung mittels Lokalisierungssoftware durch die Nutzung anonymer Proxy-Server oder Rewebber-Dienste zu überlisten. 99  EuGH v. 25. 10. 2011 – verb. Rs C-509/09 und C-161/10 (eDate Advertising und Martinez), Rn. 48 ff. mit zust. Anm. Spindler, AfP 2012, 114 ff.; Hess, JZ 2012, 189 ff.; Roth, IPRax 2013, 215 (219 ff.); und abl. Anm. Heinze, EuZW 2011, 947 ff.; Thiede, GPR 2012, 219 (221); Carpi in FS Stürner, S. 1192 ff.; Dickinson, v. 24.20.2012.

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auf Untersagung jeglicher Beeinträchtigung dieses Rechts zu entscheiden.“100 Da es sich bei gewerblichen Schutzrechten im Gegensatz zu Persönlichkeitsrechten nicht um universelle Rechte handelt, ist der aus der Verletzung des „geschützten Rechts“ entstandene Schaden naturgemäß auf Schäden im Gebiet des Schutzrechtsstaats begrenzt. Von einer Kognitionsbefugnis über den „gesamten Schaden“, der etwa aus der Verletzung paralleler Schutzrechte in anderen Schutzländern entstanden ist, ist deshalb nicht auszugehen,101 wie sich auch aus den späteren, zum Urheberrecht ergangenen Entscheidungen Pinkney und Hejduk ergibt.102 Hinsichtlich der Liquidation von Schadensersatz dürfte Wintersteiger für Verfahren des gewerblichen Rechtsschutzes somit keine Veränderung gegenüber der Shevill-Rechtsprechung bedeuten. Glasklar ist hingegen die Aufgabe der Shevill-Rechtsprechung in Bezug auf Unterlassungsbegehren: Jedes Gericht eines Schutzrechtsstaates vermag eine weltweite Unterlassungsverpflichtung des Beklagten für das Internet auszusprechen.103 Verfügt der Schutzrechtsinhaber über mehrere, parallele nationale Schutzrechte, kommt ihm eine Wahl zwischen diversen Gerichtsständen zu.104

ddd)  Ausrichtung der Kommunikation bzw. commercial effect 42

In den Empfehlungen der World Intellectual Property Organization (WIPO) betreffend Regelungen für den Schutz von Marken und anderen Kennzeichenrechten im Internet wird das Vorliegen eines commercial effect, also einer wirtschaftlichen Auswirkung im Forumstaat, als Maßstab für eine nähere territoriale Zuordnung vorgeschlagen.105 In Rechtsprechung und Schrifttum wird deshalb verbreitet gefordert, für die Inanspruchnahme des Gerichtsstands am Ort der unerlaubten Handlung bedürfe es einer bestimmungsgemäßen Auswirkung oder Ausrichtung des beanstandeten Internet-Auftritts auf den 100  EuGH v. 19. 04. 2012 – C-523/10 (Wintersteiger), Rn. 28. Die Beklagte des Ausgangsverfahrens hatte google-Adwords mit dem Kennzeichen der Klägerin gebucht. Die Klägerin erhob aufgrund der Abrufbarkeit dieser Website in Österreich Klage, obgleich die Anzeige auf die länderspezifische Website google.de beschränkt war und nicht unter google.at erschien. 101  Lehmann/Stiepe, JZ 2012, 1016 (1019); Picht, GRUR Int. 2013, 19 (25); Kur, GRUR Int. 2014, 749 (750). 102  EuGH v. 03. 10. 2012 – C‑170/12 (Pinkney), Rn. 45 f.; EuGH v. 22. 01. 2015 – C-441/13 (Hejduk), Rn. 36 ff. 103  EuGH a. a. O. 104  Picht, GRUR Int. 2013, 19 (25); kritisch Dietze, EuZW 2012, 515 (516). 105  Es handelt sich um eine allgemeine Empfehlung der WIPO zu der Frage, wann von der Benutzung eines Kennzeichenrechts im Internet auszugehen ist, siehe Assembly of the Paris Union for the Protection of Industrial Property and General Assembly of the World Intellectual Property Organization, Joint Recommendation (Publication 845) concerning provisions on the protection of marks and other industrial property rights in signs, on the internet, Oktober 2001, .



B.  Gerichtsstände für die Verletzungsklage

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Forumstaat – oder zumindest eine dahingehende schlüssige Behauptung des Klägers.106 In seinem Vorabentscheidungsersuchen in der Rechtssache Wintersteiger hatte der vorlegende Österreichische Gerichtshof explizit nach dem Erfordernis einer solchen Ausrichtung der beanstandeten Website auf den Forumstaat gefragt. Laut der Antwort des EuGH sind diese Gesichtspunkte allein im Rahmen der Begründetheit der Klage zu prüfen.107 Ob den Gerichten der Mitgliedstaaten dennoch Raum bleibt, die Zuständigkeitsprüfung anhand der schlüssigen Behauptung einer inländischen Rechtsverletzung vorzunehmen und insoweit den Aspekt der Ausrichtung auf den Forumstaat einfließen zu lassen,108 ist unklar (siehe hierzu noch Rn. 50 f.).

eee) Stellungnahme Die Prinzipien der Shevill-Entscheidung stellen eine angemessene Einschränkung der Kognitionsbefugnis der Gerichte am Erfolgsort eines Streudelikts dar, welche nicht nur für Schadensersatz-, sondern auch für Unterlassungsbegehren praktikable Ergebnisse zeitigt. Problematisch sind allein jene Situationen, in denen eine territorial begrenzte Umsetzung eines Unterlassungstenors ausscheidet. Für Rechtsverletzungen im Internet hat der EuGH die Anwendung der Shevill-Rechtsprechung auf Unterlassungsansprüche mit der Entscheidung Wintersteiger außer Kraft gesetzt: Den Gerichten eines jeden Registerstaates soll eine vollumfängliche Kognitionsbefugnis über den (weltweiten) Unterlassungsausspruch zukommen. Um die Implikationen der Wintersteiger-Rechtsprechung zu verstehen, sollte man sich vergegenwärtigen, dass der Territorialitätsgrundsatz eine Parallelität gewerblicher Schutzrechte in verschiedenen Staaten der Welt bedingt. Bedeutende Schutzrechte bzw. europäische Bündelpatente erfahren parallelen Schutz in zahlreichen Staaten. Andererseits kommt es insbesondere bei Kennzeichen durchaus vor, dass identische Schutzrechte in verschiedenen Registerstaaten für unterschiedliche Rechteinhaber eingetragen sind und in der „realen Welt“ friedlich koexistieren, während im Internet eine Kennzeichenkollision entsteht. Personen, die das Internet gewerblich nutzen, müssen in Folge der Wintersteiger-Rechtsprechung 106  BGH v. 30. 03. 2006 – I ZR 24/03 – GRUR 2006, 513 (515) (Arzneimittelwerbung im Internet); OGH v. 05. 10. 2010 – 17 Ob 8/10s – BeckRS 2011, 81861 (Wintersteiger I); Cass. civ. v. 20. 03. 2012 – 11–10600 – unalex FR-1387; Cass. civ. v. 12. 02. 2013 – 11–25914 – unalex FR-2315; Bonnier Media v Smith, [2002] ETMR 86 (OHCS). Siehe ferner Art. 2:202 CLIP und dazu Kur in CLIP, Rn. 2:202.C13 ff.; Diederichsen, RIW 2008, 52 (56); Joubert, ICLQ 2009, 476 (483); Heinze, EuZW 2011, 947 (948 f.); Lehmann/Stiepe, JZ 2012, 1016 (1018); Roth, IPRax 2013, 215 (223 f.); Fawcett/Torremans, IP & PIL, Rn. 10.72; Hess, EuZPR, § 6 Rn. 73; Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 5 Brüssel I-VO Rn. 86h f.; Nagel/Gottwald, IZPR, § 3 Rn. 86, jeweils m. w. N. Differenzierend Metzger in Leible/Ohly, IP & PIL, S. 259 f. 107  EuGH v. 19. 04. 2012 – C-523/10 (Wintersteiger), Rn. 26 ff.; EuGH v. v. 03. 10. 2012 – C‑170/12 (Pinkney), Rn. 42; zustimmend McGuire, ZEuP 2014, 160 (167 ff.). 108 Befürwortend Lehmann/Stiepe, JZ 2012, 1016 (1018 f.).

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mit einer gerichtlichen Inanspruchnahme auf Unterlassung in allen Mitgliedstaaten der Union rechnen – auch dann, wenn sie selbst über eine Berechtigung an dem von ihnen verwandten Schutzrecht in einem anderen Staat als dem Forumstaat verfügen. Diese Rechtsprechung vermag nicht zu überzeugen. Erstens besteht keine besondere Sach-, Beweis- und Rechtsnähe der Gerichte eines Schutzstaates hinsichtlich der Schutzrechtslage in allen Mitgliedstaaten der Union. Zweitens wird der in Art. 4 Abs. 1 EuGVO niedergelegte Grundsatz actor sequitur forum rei für Schutzrechtsverletzungen im Internet vollkommen zur Disposition gestellt. Drittens ist nicht ersichtlich, weshalb in jenen Fällen, in denen der Beklagte eine geographische Beschränkung des Unterlassungstenors praktisch realisieren kann, eine Rechtsverletzung im Internet andere Auswirkungen auf die internationale Zuständigkeit zeitigen soll als eine identische Rechtsverletzung in anderen Medien (zumal im Zuge zunehmender Medienkonvergenz).109 Viertens lässt sich diese Rechtsprechung schwer vereinbaren mit den vom EuGH immer wieder hervorgehobenen Grundsätzen der Rechtssicherheit110 und der Vermeidung einer Häufung von Gerichtsständen,111 insbesondere werden dem Inhaber mehrerer paralleler Schutzrechte umfangreiche Möglichkeiten des forum shoppings eröffnet. Soweit eine geographische Differenzierung des beanstandeten Verhaltens möglich ist, sollte auch für Unterlassungsbegehren, die Rechtsverletzungen im Internet zum Gegenstand haben, an der Shevill-Rechtsprechung festgehalten werden.112 Ein abweichender Lösungsansatz ist nur erforderlich, sofern es an der Möglichkeit einer geographischen Segmentierung fehlt (z. B. bei allgemeiner Werbung, Software-Download, Verwendung einer generischen Top Level Domain). Das verbreitet befürwortete Kriterium des commercial effect ist bei diesen Fallkonstellationen wenig leistungsfähig. Denn die herangezogenen Indizien (ccTLD, Sprache, Währung, Leistungsspektrum)113 lassen sich leicht bejahen angesichts der Währungsunion innerhalb der Eurozone sowie einer 109  Kritisch auch Thiede, GPR 2012, 219 (221); Thorn in FS v. Hoffmann, S. 757; Dickinson, v. 24.20.2012. Im Übrigen ist die fehlende Möglichkeit der territorialen Begrenzung kein Alleinstellungsmerkmal des Internets, sondern trifft auch auf andere Übertragungsmedien zu; siehe zur Satellitenausstrahlung BGH v. 08. 03. 2012 – I ZR 75/10 – GRUR 2012, 621 (624 f.) (Oscar). 110  EuGH v. 19. 02. 2002 – C-256/00 – Slg. 2002, I-1699 (Besix), Rn. 26 m. w. N. 111  EuGH v. 06. 10. 1976 – 14/76 – Slg. 1976, 1497 (De Bloos), Rn. 9; EuGH v. 15. 01. 1987 – 266/85 – Slg. 1987, 239 (Shenavai), Rn. 19; EuGH v. 19. 02. 2002 – C-256/00 – Slg. 2002, I-1699 (Besix), Rn. 27. 112  Im Prinzip ebenso Art. 2:203 CLIP, mit Kommentierung von Kur in CLIP, Rn. 2:203. C03 ff. 113  Diskutiert wird ferner der Einsatz von Disclaimern, d. h. der Ausschluss von Kunden aus bestimmten Ländern, siehe hierzu BGH v. 30. 03. 2006 – I ZR 24/03 – GRUR 2006, 513 (515) (Arzneimittelwerbung im Internet). Bei dieser Fallgruppe ist meist eine geographische Segmentierung möglich, so dass die Anwendung der Shevill-Grundsätze ausreicht.



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global orientierten Nutzerschicht, die sich durch Sprach- und ccTLD-Grenzen nicht behindern lässt.114 Auch beweist die Erfahrung mit Art. 17 Abs. 1 lit. c EuGVO, dass das Tatbestandsmerkmal des „Ausrichtens auf einen Mitgliedstaat“ nicht geeignet ist, Rechtssicherheit herbeizuführen.115 Die Lösung liegt meines Erachtens in einer Rückkehr zum Prinzip actor sequitur forum rei. Scheidet die Realisierung eines auf einen Forumstaat begrenzten Unterlassungstenors aus, so liegt hinsichtlich des weltweiten Unterlassungsanspruchs keine besondere Sach-, Beweis- und Rechtsnähe der Gerichte eines beliebigen Schutzstaates vor.116 Es besteht eine deutliche Parallele zu der Sachlage in der EuGH-Entscheidung Besix, in welcher sich der Gerichtshof mit dem Gerichtsstand des Erfüllungsorts für eine vertragliche Unterlassungspflicht mit geographisch unbegrenzter Geltung befasste.117 Der EuGH erläuterte, die Verpflichtung, eine Handlung an jedem Ort der Welt zu unterlassen, weise definitionsgemäß keine besonders enge Verknüpfung mit einem bestimmten Gericht auf und erklärte Art. 5 Nr. 1 EuGVÜ (= Art. 7 Nr. 1 EuGVO) für nicht anwendbar.118 Nichts anderes sollte für den Gerichtsstand der unerlaubten Handlung gelten. Die Rechteinhaber werden hierdurch nicht schutzlos gestellt, da die Anwendung der EuGVO den Wohnsitz des Beklagten in einem Mitgliedstaat voraussetzt, weshalb nach Art. 4 Abs. 1 EuGVO stets ein mitgliedstaatliches Gericht zur Entscheidung des Rechtsstreits berufen ist.119

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dd)  Konsolidierung der örtlichen Zuständigkeit Art. 7 Nr. 2 EuGVO regelt nicht nur die internationale, sondern auch die örtliche Zuständigkeit für unerlaubte Handlungen. Kennzeichnend für Schutzrechtsverletzungen sind einerseits die verschiedenartigen Verletzungshandlungen (Herstellung, Werbung, Angebot, Verkehrseinführung etc.), andererseits die Tatsache, dass einige dieser Verletzungshandlungen regelmäßig mehrere Tatorte innerhalb des Schutzstaates begründen. 114  Siehe beispielhaft OLG Düsseldorf v. 13. 10. 2011 – I-2 U 75/10; BGH v. 08. 03. 2012 – I ZR 75/10 – GRUR 2012, 621 (624 f.) (Oscar) zur Satellitenausstrahlung sowie die Ausführungen von Kühnen, HdB PatV, Rn. 757. 115  EuGH v. 07. 12. 2010 – verb. RS C‑585/08 und C‑144/09 (Pammer und Hotel Alpenhof), Rn. 63 ff., 76 ff. m. Anm. Berg, RIW 2011, 248 ff.; Cachard, RC 100 (2011), 429 ff.; Pilich, GRP 2011, 178 ff.; Mankowski, IPRax 2012, 144 ff., jeweils m. w. N. 116  Nuyts in Nuyts, Int’l Litigation, S. 129 (in Bezug auf Schadensersatzansprüche). 117 Ebenso Dickinson, v. 24.20.2012. 118  EuGH v.  19. 02. 2002  – C-256/00  – Slg. 2002, I-1699 (Besix), Rn. 48 ff.; näher infra, Rn. 59. 119  Es bedarf daher keiner Ausweichklausel entsprechend Art. 2:203 (2) CLIP (nach dem Auswirkungsprinzip) oder § 204 (3) ALI-Principles (nach letzteren kommt die Zuständigkeit der Gerichte eines Schutzstaates für den gesamten Rechtsstreit unter bestimmten Voraussetzungen in Betracht, sofern der angebliche Schutzrechtsverletzer seinen Sitz in einem NichtWTO Staat inne hat).

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§ 10  Internationale Zuständigkeit für das Hauptsacheverfahren

Die Bedeutung dieser Charakteristika für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit gemäß Art. 7 Nr. 2 EuGVO hat bislang wenig Beachtung gefunden. Denkbar wäre es, die örtliche Zuständigkeit an einem der Erfolgsorte innerhalb eines Mitgliedstaates zu konzentrieren. So geht der EuGH bspw. bei der Bestimmung des Gerichtsstands des Erfüllungsorts gemäß Art. 7 Nr. 1 lit. b EuGVO von der Erforderlichkeit einer Schwerpunktbildung aus, sofern der Vertrag mehrere Lieferorte i. S. d. innerhalb eines Mitgliedstaates vorsieht.120 Meines Erachtens spricht viel dafür, im Rahmen des Art. 7 Nr. 2 EuGVO – zumindest im Hinblick auf die Verletzung gewerblicher Schutzrechte – jedem Gericht am Ort des Eintritts des schädigenden Ereignisses die örtliche Zuständigkeit für alle Verletzungshandlungen innerhalb dieses Mitgliedstaats zuzubilligen. Auf den Gerichtsstand am Ort des Eintritts des schädigenden Ereignisses gemäß Art. 7 Nr. 2 EuGVO kann sich der Kläger nur berufen, wenn sich der Sitz des Beklagten nicht im Schutzstaat befindet. Will der Kläger alle beanstandeten Verletzungshandlungen vor einem Gericht des Schutzrechtstaates zur Entscheidung bringen, ist er auf eine Konsolidierung der örtlichen Zuständigkeit angewiesen, sofern sich nicht aus Art. 2 Abs. 1 ein einheitlicher Gerichtsstand im Schutzstaat ergibt. Eine Übertragung der vom EuGH bei Art. 7 Nr. 1 lit. b EuGVO praktizierten Schwerpunktbildung auf Schutzrechtsverletzungen wäre angesichts der Vielzahl von Verletzungshandlungen und Tatorten innerhalb eines Schutzstaates mit einer hohen Rechtsunsicherheit behaftet. Viele Mitgliedstaaten haben die Zuständigkeit für Schutzrechtsstreitsachen bei bestimmten Gerichten konzentriert,121 so dass ein übermäßiges forum shopping ausscheidet  – zumal für einen Beklagten, der in einem anderen Staat als seinem Wohnsitzstaat gerichtlich in Anspruch genommen wird, die örtliche Zuständigkeit von geringer Bedeutung sein dürfte. 120  EuGH v.  03. 05. 2007  – C-386/05  – Slg. 2007, I-3699 (Color Drack), Rn. 40; EuGH v. 11. 03. 2011 – C-19/09 (Wood Floor Solutions), Rn. 36 ff. 121 In Frankreich sind Verletzungs- und Nichtigkeitsverfahren betreffend technischer Schutzrechte per décret no. 2009–1205 v. 09. 10. 2009 ausschließlich dem tribunal de grande instance in Paris zugewiesen. In den Niederlanden kommt der Rechtbank te’s-Gravenhage (den Haag) die ausschließliche Zuständigkeit für Verletzungs- und Nichtigkeitsklagen in Patentsachen zu, vgl. Art. 80 Rijksoctrooiwet 1995. In England und Wales sind Verfahren, die Patente und registrierte Geschmacksmuster betreffen oder hiermit im Zusammenhang stehen, entweder vor dem Intellectual Property Enterprise Court in London oder vor dem Patents Court zu verhandeln (beides Abteilungen des High Court, s. 61 Abs. 1, 130 Abs. 1 Patents Act 1977; s. 27 Registered Designs Act 1949); Klagen betreffend anderer gewerblicher Schutzrechte können in ausgewählten County Courts erhoben werden, CPR 63.13, 63 PD 16. In Deutschland liegt die Zuständigkeit für Nichtigkeitsverfahren betreffend Patente und Marken beim BPatG, für Verletzungsverfahren gibt es lediglich bundeslandsinterne Zuständigkeitskonzentrationen gemäß §§ 143 PatG, 140 MarkenG, 27 GebrMG, 52 DesignG, 38 SortSchG (faktisch führend sind die Landgerichte Düsseldorf, Mannheim, München und Hamburg). Zu weiteren Mitgliedstaaten der Union siehe Rat der Europäischen Union, Working Document, 11622/07, Annex.



B.  Gerichtsstände für die Verletzungsklage

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3.  Prüfung der unerlaubten Handlung auf der Ebene der Zuständigkeit Der Verordnung lassen sich keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, ob der Kläger bereits auf Zuständigkeitsebene eine gewisse Wahrscheinlichkeit der Rechtsverletzung darzulegen hat. Die Rechtsprechung des EuGH zu dieser Frage ist uneinheitlich. In einem obiter dictum in der Rechtssache Effer befand der Gerichtshof, die Gerichte der Mitgliedstaaten seien befugt, die wesentlichen Voraussetzungen ihrer Zuständigkeit anhand des schlüssigen und erheblichen Vortrags einer Partei zu prüfen.122 In der Rechtssache Shevill äußerte der Gerichtshof, das europäische Zuständigkeitsrecht verhalte sich nicht zur Prüfungsintensität auf Zuständigkeitsebene; maßgeblich sei das nationale Verfahrensrecht sowie das nach den Kollisionsregeln des Forums anwendbare Sachrecht.123 Ganz anders die Entscheidung in der Rechtssache Folien Fischer, derzufolge das angerufene Gericht ohne Rückgriff auf das anwendbare nationale Recht prüfen soll, ob angesichts der schlüssig vorgetragenen Umstände des Rechtsstreits die Realisierung eines Schadensereignisses am Gerichtsort in Betracht kommt, welches nicht auf dem freiwilligen Eingehen einer Verbindlichkeit beruht.124 Perplex ist schließlich die Stellungnahme des Gerichtshofs in der Rechtssache Pinkney, im Stadium der Zuständigkeitsprüfung sei die Frage einer Urheberrechtsverletzung bzw. der Zurechnung einer Rechtsverletzung nicht zu prüfen, da Art. 7 Nr. 2 EuGVO als einzige Voraussetzung den (ggf. drohenden) Eintritt eines Schadens enthalte.125 Diese Feststellung ignoriert, dass der Eintritt eines Schadens bei Schutzrechtsverletzungen nur bei Vorliegen einer Rechtsverletzung in Betracht kommt. Ziel dieser neueren Rechtsprechung ist eine autonome Bestimmung der internationalen Zuständigkeit gemäß Art. 7 Nr. 2 EuGVO ohne Rückgriff auf die Haftungskategorien des jeweils anwendbaren Sachrechts.126 Gleichzeitig berücksichtigt die Entscheidungsbegründung in der Rechtssache Folien Fischer, dass Art. 7 Nr. 2 EuGVO nicht die Existenz einer unerlaubten Handlung voraussetzt, sondern lediglich einen Rechtsstreit über das Vorliegen einer unerlaubten Handlung. Allerdings lässt sich der Ort des Erstschadens bei Tätigkeitsdelikten wie Schutzrechtsverletzungen kaum ohne Rückbezug auf das anwendbare Sachrecht bestimmen, wie der EuGH an anderer Stelle zutreffend konzediert.127 In der Entscheidung Kolassa versucht der Gerichtshof, die verschiedenen Argumentationsstränge aus mehreren Präjudizien zu vereinen und 122  EuGH v.  04. 03. 1982  – 38/81  – Slg. 1982, 825 (Effer), Rn. 7. So auch Thole, IPRax 2013, 136 (139); Wagner in Stein/Jonas, ZPO, Einl. vor Art. 2 Rn. 26. 123  EuGH v. 07. 03. 1995 – C-68/93 – Slg. 1995, I-415 (Shevill), Rn. 34 ff. 124 EuGH v.  25.  10. 2012  – C-133/11 (Folien Fischer), Rn. 50, 52 f.; ähnlich EuGH v. 03. 04. 2014 – C-387/12 (Hi Hotel), Rn. 20 f. 125  EuGH v. 03. 10. 2012 – C‑170/12 (Pinkney), Rn. 40 f. 126  EuGH v. 25. 10. 2012 – C-133/11 (Folien Fischer), Rn. 50, 52 f. 127  EuGH v. 18. 10. 2012 – C-173/11 (Football Dataco), Rn. 29 f.

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§ 10  Internationale Zuständigkeit für das Hauptsacheverfahren

konstatiert abschließend, zwar sei das nationale Gericht nicht verpflichtet, im Stadium der Zuständigkeitsermittlung ein Beweisverfahren durchzuführen, es dürfe aber seine Zuständigkeit im Lichte aller ihm vorliegender Informationen prüfen, wozu gegebenenfalls auch die Einwände des Beklagten gehörten.128 Die hier erörterten Urteile lassen sich nicht widerspruchsfrei in Einklang bringen. Meines Erachtens ist eine Rückkehr zu den Prinzipien der ShevillEntscheidung angezeigt: Die Intensität der Prüfung der Rechtsverletzung auf Zuständigkeitsebene wird durch das mitgliedstaatliche Verfahrensrecht bestimmt. Das nationale Recht kann erfordern, dass eine der Parteien das Vorliegen eines Haftungstatbestands gemäß dem anwendbaren Recht behauptet,129 welcher geeignet ist, Schadensersatzansprüche auszulösen, die nicht auf dem freiwilligen Eingehen einer Verbindlichkeit beruhen. Die im Rahmen dieser Arbeit untersuchten Rechtsordnungen gehen entsprechend vor: Die deutschen Gerichte fordern einen schlüssigen Vortrag im Rahmen der so genannte Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen;130 die englischen Gerichte fragen, ob der Kläger nach Würdigung der schriftlichen Beweismittel über einen good arguable case für das Bestehen eines Gerichtsstands verfügt.131

4. Zwischenergebnis 53

Der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung bietet dem Kläger eine Alternative zur Klage am allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten, welche mit dem Argument der besonderen Sach- und Rechtsnähe des Gerichts am Ort des schädigenden Ereignisses gerechtfertigt wird. Ausgehend von diesem Regelungszweck überzeugt die Rechtsprechung des EuGH, wonach sowohl den Gerichten am Ort des ursächlichen Geschehens als auch den Gerichten am Ort der Verwirklichung des Schadenserfolgs die Entscheidungskompetenz über unerlaubte Handlungen zugebilligt wird. Bei Streudelikten sowie bei unerlaubten Handlungen, die durch mehrere Teilakte gekennzeichnet sind (wie 128 

EuGH v. 28. 01. 2015 – C-375/13 (Kolassa), Rn. 58 ff., 64 f. muss es auch, wenn sich aus dem Vortrag des negativen Feststellungsklägers ergibt, dass der Feststellungsbeklagte vorprozessual den Eintritt einer Rechtsverletzung am Gerichtsort behauptet hat oder wenn er anderweitige Umstände für eine solche Möglichkeit vorträgt. 130  Danach soll es bei Tatsachen, die sowohl für die Zuständigkeit als auch für die Begründetheit von Bedeutung sind, auf Ebene der Zuständigkeitsprüfung genügen, dass der Kläger schlüssig Tatsachen behauptet, die eine unerlaubte Handlung begründen können und einen Tatort im Forumsstaat nahelegen, vgl. BGH v. 13. 10. 2004 – I ZR 163/02 – NJW 2005, 1435 (1436) m. w. N.; v. Hein, IPRax 2006, 460 (461); Stürner, IPRax 2006, 450 (451); Leible in Rauscher, Art. 5 Brüssel I-VO Rn. 77; s. a. für Österreich OGH v. 19. 11. 2008 – 3 Ob 182/08y – unalex AT-583; ähnlich für Frankreich Cass. civ. v. 17. 01. 2006 – 02–12.745 – unalex FR-319. 131  Canada Trust Company v Stolzenberg (No. 2), [1998] 1 WLR 547 (555) (CA); Sandisk v Koninklijke Philips Electronics, [2007] FSR 22 (Pat), Rn. 41; Wadlow, Enforcement, Rn. 3–13; Fentiman, Litigation, Rn. 8.11 ff. m. w. N. 129  Ausreichen



B.  Gerichtsstände für die Verletzungsklage

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dies bei Verletzungen gewerblicher Schutzrechte häufig der Fall ist), führen die zahlreichen Anknüpfungspunkte freilich zu breiten Möglichkeiten des forum shoppings sowie zu einer Beeinträchtigung der Vorhersehbarkeit des zuständigen Gerichts. Um eine Aushöhlung des Grundsatzes actor sequitur forum rei zu vermeiden, behilft sich der EuGH mit einer Schwerpunktbildung zur Ermittlung des Ortes des ursächlichen Geschehens sowie mit einer Mosaikbetrachtung hinsichtlich des Erfolgsorts. Trotz nominellen Festhaltens an der ShevillDoktrin hat sich der Gerichtshof in seiner jüngeren Rechtsprechung von der Mosaikbetrachtung gelöst und diese in Bezug auf Rechtsverletzungen im Internet durch eine Schwerpunktbetrachtung ergänzt (Entscheidungen eDate Advertising und Wintersteiger). Die Schwerpunktsetzung erfolgt mit Blick auf den vermeintlich Verletzten (Mittelpunkt der Interessen bei behaupteten Persönlichkeitsrechtsverletzungen, Registerort bei behaupteten Schutzrechtsverletzungen) und führt so zu einem Wandel des Art. 7 Nr. 2 EuGVO von einem sach- und rechtsnahen Gerichtsstand hin zu einem Klägergerichtsstand. Die Bemühungen des Gerichtshofs, einer Ausuferung des Gerichtsstands der unerlaubten Handlung vorzubeugen, sind grundsätzlich zu begrüßen. Da eine Mosaikbetrachtung bei der Bestimmung des Orts des ursächlichen Geschehens ausscheidet, überzeugt insoweit das Abstellen auf den Schwerpunkt des ursächlichen Geschehens. Kehrseite der Medaille ist freilich bei mehraktigen Handlungen die fehlende Rechtssicherheit, solange es an konkretisierender Kasuistik des EuGH zur Bestimmung des Schwerpunkts fehlt. Die Mosaikbetrachtung der Shevill-Doktrin berücksichtigt konsequent das der EuGVO zugrunde liegende Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen dem allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten und dem sach- und rechtsnahen Gerichtsstand des Art. 7 Nr. 2 EuGVO. Gleichzeitig trägt die Mosaikbetrachtung dem Territorialitätsprinzip Rechnung. Der jüngst in der Rechtsprechung angedeutete Wandel des Art. 7 Nr. 2 EuGVO von einem parteineutralen sach- und rechtsnahen Gerichtsstand hin in Richtung Verletztengerichtsstand lässt sich hingegen weder mit dem System der EuGVO noch mit dem Territorialitätsprinzip leicht in Einklang bringen. Zu kritisieren ist an der Entscheidung Wintersteiger die fehlende Auseinandersetzung mit den Besonderheiten, die aus der territorialen Beschränkung gewerblicher Schutzrechte resultieren (insbesondere Parallelität von Schutzrechten, Kennzeichenkollision). Die Tragweite dieser Entscheidung wird erheblich dadurch verschärft, dass gemäß der Entscheidung Pinkney auf der Zuständigkeitsebene keine Prüfung der Stichhaltigkeit des klägerischen Vortrags der unerlaubten Handlung erfolgen soll. Zu bemerken bleibt ferner, dass sich die Wintersteiger-Entscheidung zunächst auf Verfahren über Markenverletzungen „wie dem des Ausgangsverfahrens“ beschränkt, ohne dass geklärt wäre, welche Gegebenheiten nach Auffassung des Gerichtshofs kennzeichnend

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§ 10  Internationale Zuständigkeit für das Hauptsacheverfahren

für das Ausgangsverfahren sind. Die klaren Grundsätze der Shevill-Rechtsprechung wurden somit preisgegeben für ein Präjudiz, dessen Reichweite und Rechtsfolgen noch weitgehend unbestimmt sind.

V.  Der Gerichtsstand des Erfüllungsorts und die Forumswahl 1.  Der Gerichtsstand des Erfüllungsorts 57

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Sind die Parteien vertraglich miteinander verbunden, ist eine Klageerhebung am Gerichtsstand des Erfüllungsorts bzw. in einem prorogierten Forum möglich. In dem hier interessierenden Kontext sind zwei Konstellationen relevant. Erstens, der Schutzrechtsinhaber behauptet, sein Lizenznehmer habe gegen die Beschränkungen der Lizenzerteilung verstoßen.132 Zweitens, der angebliche Schutzrechtsverletzer gibt nach erfolgter Abmahnung eine mit einem Vertragsstrafeversprechen verbundene Unterlassungserklärung ab. Bilden ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag den Gegenstand des Verfahrens, so besteht gemäß Art. 7 Nr. 1 lit. a EuGVO eine Zuständigkeit der Gerichte des Ortes außerhalb des Wohnsitzstaats des Beklagten, an dem die Verpflichtung erfüllt worden ist oder zu erfüllen wäre. Da die in Art. 7 Nr. 1 lit. b EuGVO enthaltene autonome Definition des Erfüllungsortes für Kaufoder Dienstleistungsverträge im Hinblick auf die hier interessierenden Konstellationen nicht relevant ist,133 ist der Erfüllungsort für die jeweils streitige Verpflichtung nach der über das Kollisionsrecht des Forums zu ermittelnden lex causae zu bestimmen,134 sofern die Parteien den Erfüllungsort nicht vertraglich festgelegt haben.135 Eine Ausnahme von diesem Grundsatz hat der EuGH in der bereits angesprochenen Rechtssache Besix konstatiert: Soweit der Vertrag eine geographisch unbegrenzte Unterlassungspflicht vorsehe, scheide eine Klage am Gerichtsstand des Erfüllungsorts aufgrund der Vielzahl der Erfüllungsorte aus.136 Diese Rechtsprechung stimmt grundsätzlich überein mit der hier prä132  Siehe etwa den Sachverhalt der Rechtssache EuGH v.  06. 06. 2002  – C-80/00  – Slg. 2002, I-4995 (Italian Leather). 133  EuGH v. 23. 04. 2009 – C‑533/07 – Slg. 2009, I-3327 (Falco Privatstiftung), Rn. 29 ff.; zustimmend Ubertazzi, IIC 2009, 912 (926 ff.). 134 EuGH v.  06.  10.  1976  – 12/76  – Slg. 1976, I-1473 (Tessili), Rn.  13  f.; EuGH v. 23. 04. 2009 – C-533/07 – Slg. 2009, I-3327 (Falco Privatstiftung), Rn. 47 ff. 135 Aufgrund der mittelbaren Gerichtsstandswirkung einer Erfüllungsortvereinbarung unterwirft der EuGH abstrakte Erfüllungsortvereinbarungen, bei denen der Erfüllungsort keinen Zusammenhang mit der Vertragswirklichkeit aufweist, den Formerfordernissen des Art. 23 EuGVO, vgl. EuGH v. 20. 02. 1997 – C-106/95 – Slg. 1997, I-911 (MSG), Rn. 33; EuGH v. 28. 09. 1999 – C-440/97 – Slg. 1999, I-6307 (Concorde), Rn. 28. Zur Kritik dieser Rechtsprechung siehe Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 5 Brüssel I-VO Rn. 44 f. 136 EuGH v.  19. 02. 2002  – 256/00  – Slg. 2002, I-1699 (Besix), Rn. 28 ff.; zustimmend Briggs/Rees, Civil Jurisdiction, Rn. 2.163. Das Urteil war überraschend, weil nach der vom



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ferierten Auslegung des Art. 7 Nr. 2 EuGVO. Doch lässt sich die Entscheidung nicht unbesehen auf die Verletzung eines beschränkten Lizenzvertrags über ein gewerbliches Schutzrecht übertragen. Aufgrund des Territorialitätsprinzips handelt es sich selbst bei weltweiten geltenden vertraglichen Nutzungsbeschränkungen nicht um eine einzige geographisch unbeschränkte Unterlassungspflicht, sondern um eine Vielzahl geographisch auf diverse Schutzstaaten bezogene Unterlassungsgebote. Es lassen sich somit grundsätzlich für jeden Schutzstaat mehrere separate Erfüllungsorte identifizieren,137 sofern eine geographische Segmentierung der Unterlassungsverpflichtung möglich ist (hierzu Rn. 37 ff., 43 ff.). Fehlt es an Letzterem, scheidet freilich in Folge der Besix-Rechtsprechung eine Klage am Gerichtsstand des Erfüllungsortes aus. Stützt sich der Kläger auf ein mit einer vertraglichen Unterlassungserklärung verbundenes Vertragsstrafeversprechen, so ist zur Bestimmung des Erfüllungsortes auf die streitige Verpflichtung, d. h. das Vertragsstrafeversprechen abzustellen.138

2.  Verhältnis zum Gerichtsstand der unerlaubten Handlung Die Verletzung einer Lizenzvereinbarung oder einer Unterlassungserklärung konkurriert regelmäßig mit einem Anspruch aus unerlaubter Handlung wegen Verletzung des gewerblichen Schutzrechts. Nach der Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache Brogsitter ist das Gericht am Erfüllungsort unabhängig von der materiellrechtlichen Qualifikation potentieller Ansprüche zuständig für die Entscheidung über all jene Verhaltensweisen, die als Verstoß gegen das vertraglich eingegangene Pflichtenprogramm angesehen werden können.139 Dies sei der Fall, wenn eine Auslegung des Vertrags unerlässlich erscheine, um die Rechtmäßigkeit des beanstandeten Verhaltens zu prüfen.140 Eine Klage am EuGH auch in der Besix-Entscheidung (Rn. 36) bekräftigten Tessili-Formel der Erfüllungsort gem. Art. 5 Nr. 1 (anders als der Erfolgsort gem. Art. 5 Nr. 3) nicht autonom, sondern unter Rückgriff auf die lex causae zu bestimmen ist. Dies hätte in der Sache Besix durchaus die Ermittlung eines konkreten Erfüllungsortes erlaubt, vgl. kritisch Hess, IPRax 2002, 376 (377 f.). 137 Bei vertraglich gleichrangigen Pflichten begründet Art. 5 Nr. 1 lit. a EuGVO keinen einheitlichen Gerichtsstand, vgl. EuGH v.  05. 10. 1999  – C-420/97  – Slg. 1999, I-6747 (Leathertex), Rn. 37 ff.; BGH v. 27. 04. 2010 – IX ZR 108/09 – NJW 2010, 2442 (2444). 138  Entgegen Art. 7 Nr. 1 lit. b EuGVO enthält lit. a keine Konzentrationsmaxime, siehe nur EuGH v.  23. 04. 2009  – C-533/07  – Slg. 2009, I-3327 (Falco Privatstiftung), Rn. 47 ff. unter Bezugnahme auf EuGH v.  06. 10. 1976  – 12/76  – Slg. 1976, I-1473 (Tessili), Rn. 13. Anders freilich, sofern sich die Klage auf mehrere Verpflichtungen gründet, von denen eine als Hauptverpflichtung identifiziert werden kann, in concreto: sofern die Klage auch auf die Unterlassungspflicht gestützt wird, vgl. EuGH v. 15. 01. 1987 – 166/85 – Slg. 1987, 239 (Shenavai), Rn. 19. Zu § 29 ZPO siehe LG München v. 21. 02. 2007 – 21 O 10626/06 – ZUMRD 2008, 310 (311) m. w. N. 139  EuGH v. 13. 03. 2013 – C-548/12 (Brogsitter), Rn. 24. 140  EuGH v. 13. 03. 2013 – C-548/12 (Brogsitter), Rn. 25. Für eine klare Abgrenzung der beiden Gerichtsstände auch Mankowski in Magnus/Mankowski, Brussels I, Art. 5 Rn. 18 ff.;

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§ 10  Internationale Zuständigkeit für das Hauptsacheverfahren

Gerichtsstand der unerlaubten Handlung scheide in diesen Konstellationen aus.141 Konsequenz dieser Rechtsprechung ist es, dass konkurrierende Ansprüche, die sich aus der Überschreitung einer lizenzvertraglichen Nutzungsbefugnis ergeben, unabhängig von ihrer Einordnung nach nationalem Recht sämtlich im Gerichtsstand des Erfüllungsorts eingeklagt werden können. Im Falle einer mit einem Vertragsstrafeversprechen verbundenen Unterlassungserklärung dürfte der Kläger demgegenüber die Wahl haben, ob er das Vertragsstrafenversprechen vor dem Gericht des Erfüllungsortes durchsetzen oder die Gerichte am Ort der unerlaubten Handlung wegen Verletzung des Schutzrechts anrufen möchte.

3. Gerichtsstandsvereinbarungen 61

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Wollen die Parteien den Unwägbarkeiten entgehen, die aus der Bestimmung des Erfüllungsorts im Wege der lex causae resultieren, so können sie unter den formalen Vorgaben des Art. 25 Abs. 1 EuGVO eine Gerichtsstandsvereinbarung treffen.142 Ob mit vertraglichen Ansprüchen konkurrierende deliktische Ansprüche von der Gerichtsstandsvereinbarung umfasst sind, hängt von deren konkreter Formulierung ab, dürfte aber im Rahmen des Art. 25 EuGVO im Regelfall zu bejahen sein.143 Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang das Haager Gerichtsstandsübereinkommen (HGÜ)144 welches von der Europäischen Union bereits ratifiziert ist, und am 1. Oktober 2015 in Kraft tritt.145 Nach seinem Inkrafttreten findet das Übereinkommen bei internationalen Sachverhalten auf ausschließliche Gerichtsstandsvereinbarungen zugunsten eines oder mehrerer Gerichte eines Konventionsstaats Anwendung.146 Das HGÜ geht Art. 25 EuGVO in jenen Fällen vor, in denen eine der Parteien ihren Aufenthalt in einem KonGottwald in MüKo ZPO, Art. 5 EuGVO Rn. 13 und Zogg, 9 JPIL (2013), 39 (49 ff.). Für eine umfassende Kognitionsbefugnis am Gerichtsstand des Erfüllungsorts plädieren demgegenüber Metzger in Leible/Ohly, IP & PIL, S. 266; Heinze in CLIP, Rn. 2:201.C09; Kropholler/v. Hein, EuZPR, Art. 5 EuGVO Rn. 79; ders. IRPrax 2013, 505 (512); Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 5 Brüssel I-VO Rn. 59a, jeweils m. w. N. 141 Ebenso Dornis, GPR 2014, 352 142  Zur Wahl eines Gerichts, das nach der Gerichtsorganisation des betreffenden Mitgliedstaates nicht zur Entscheidung über gewerbliche Schutzrechte befugt ist siehe Adolphsen, EZPR in Patentsachen, Rn. 615. 143  Metzger in CLIP, Rn. 2:301.C02; Mankowski in Rauscher, EuZPR, Art. 23 Brüssel I-VO Rn. 62a m. w. N. 144 Haager Übereinkommen vom 30. Juni 2005 über Gerichtsstandsvereinbarungen, . 145 Siehe Rat der Europäischen Union, Beschluss vom 4. Dezember 2014 über die Genehmigung – im Namen der Europäischen Union – des Haager Übereinkommens über Gerichtsstandsvereinbarungen vom 30. Juni 2005, ABl. Nr. L 353/3 v. 10. 12. 2014. 146  Art. 1, 3 HGÜ.



B.  Gerichtsstände für die Verletzungsklage

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ventionsstaat hat, der nicht Mitgliedstaat der Europäischen Union ist.147 Das Übereinkommen findet insoweit Anwendung auf Schutzrechtsverletzungen, als vertragliche Ansprüche oder mit diesen konkurrierende Ansprüche in Streit stehen.148 Eine Besonderheit gegenüber der EuGVO liegt darin, dass das prorogierte Gericht gemäß Art. 2 Abs. 3, 10 Abs. 1 HGÜ zur inzidenten Entscheidung über den Bestand des angeblich verletzten Schutzrechts befugt ist.

4. Zwischenergebnis Klagen aus der Verletzung einer beschränkten Lizenzvereinbarung oder einer Unterlassungserklärung können auch am Gerichtsstand des Erfüllungsorts i. S. d. Art. 7 Nr. 1 lit.  a EuGVO erhoben werden, wobei der Erfüllungsort für jede streitgegenständliche Verpflichtung nach dem Vertragsstatut zu bestimmen ist. Der Gerichtsstand des Erfüllungsorts steht allerdings nicht zur Verfügung, soweit vertragliche Unterlassungsgebote, die sich nicht auf ein bestimmtes Staatsterritorium beziehen, in Streit stehen. Insbesondere in Bezug auf Unterlassungspflichten ergeben sich somit deutliche Divergenzen zwischen der Bestimmung des Gerichtsstands des Erfüllungsorts und dem Gerichtsstand der unerlaubten Handlung. Dies vermag nicht uneingeschränkt zu überzeugen, da die praktisch relevanten vertraglichen Unterlassungspflichten im gewerblichen Rechtsschutz der Sache nach die deliktsrechtlichen Unterlassungspflichten substituieren.149 Doch bleibt immerhin die Option, im Wege der Prorogation die Zuständigkeit eines dem Schutzrechtsinhaber genehmen Gerichts zu begründen.

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VI.  Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft 1.  Vorzüge und Risiken des Gerichtsstands der Streitgenossenschaft Für Schutzrechtsinhaber interessant ist auch der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft gemäß Art. 8 Nr. 1 EuGVO. Sofern sich die Klage gegen mehrere Personen richtet, kann eine Person mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat150 vor den Gerichten desjenigen Ortes in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden, an dem einer der Mitbeklagten (der sog. Ankerbeklagte) seinen Sitz hat. Ebenso wie Art. 7 Nr. 1, 2 und 5 EuGVO regelt Art. 8 Nr. 1 EuGVO neben der internationalen auch die örtliche Zuständigkeit. 147 

Art. 26 Abs. 6 HGÜ. lit. o HGÜ; Hartley/Dogauchi-Report, Rn. 39. Den Vertragsstaaten steht es frei, diesbezüglich einen Vorbehalt nach Art. 21 HGÜ zu erklären. 149 Dazu Hess, IPRax 2002, 376 (378). 150  Art. 6 Nr. 1 ist nicht erweiternd oder analog auf Personen mit Wohnsitz in Drittstaaten anzuwenden, siehe EuGH v. 11. 04. 2013 – C-645/11 (Sapir), Rn. 52 ff. 148  Art. 2

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§ 10  Internationale Zuständigkeit für das Hauptsacheverfahren

Die Zuständigkeit auf Basis der Streitgenossenschaft setzt nach dem Wortlaut des Art. 8 Nr. 1 EuGVO lediglich Konnexität voraus, welche mit der Formulierung umschrieben wird, es bedürfe einer so engen Beziehung zwischen den Klagen, „dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen könnten.“ Dieser Konnexitätsbegriff geht auf die Rechtsprechung des EuGH zu Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ zurück,151 wobei der EuGH seinerseits eine im Jenard-Bericht152 bzw. in Art. 22 Abs. 3 EuGVÜ (= Art. 30 Abs. 3 EuGVO) enthaltene Formulierung übernahm.153 Die Vorzüge einer Konzentration der internationalen Zuständigkeit für Verfahren gegen mehrere Beklagte liegen in der Vermeidung inkonsistenter Entscheidungen, der Erleichterung der Justizgewähr für den Kläger sowie der Optimierung der Prozessökonomie, beispielsweise durch die Vermeidung mehrmaliger Beweisaufnahmen.154 Nicht zuletzt ermöglicht Art. 8 Nr. 1 EuGVO dem Kläger bei Einbeziehung mehrerer Beklagter eine Wahl zwischen diversen Foren, welche gerade bei Immaterialgüterrechtsverletzungen aufgrund voneinander abweichender Verfahrensvorschriften unterschiedlich attraktiv sein mögen. Aus Perspektive der Beklagten korrespondieren hiermit nicht von der Hand zu weisende Gefahren: Für den Ankerbeklagten besteht das Risiko, einer bloß vorgeschobenen Klage ausgesetzt zu werden, welche allein zu dem Zweck erhoben wurde, die Gerichtspflichtigkeit des Streitgenossen zu begründen.155 Der Zweitbeklagte hingegen sieht sich gegebenenfalls einem Prozess an einem für ihn ungünstigen Forum ausgesetzt, obgleich der Rechtsstreit wenig Bezugspunkte zum Gerichtsstaat aufweist.156 Da es sich bei Art. 6 Nr. 1 nicht um einen streitgegenstandsbezogenen Gerichtsstand handelt,157 birgt die Bestimmung ein erhöhtes Potential, den 151 

EuGH v. 27. 9. 1988 – 189/87 – Slg. 1988, 5583 (Kalfelis), Rn. 12; EuGH, 27. 10. 1998 – C-51/97 – Slg. 1998, I-6511 (Réunion Européenne), Rn. 48; Dietze/Schnichels, EuZW 1999, 549 (550). 152  Jenard-Bericht, ABl. EG Nr. C 59/26 v. 05. 03. 1979. 153  Angesichts der unterschiedlichen Zwecksetzungen von Art. 8 Nr. 1 und Art. 30 Abs. 3 EuGVO bestehen Bedenken gegen die Übernahme dieser Formulierung (gerechte Zuweisung der internationalen Zuständigkeit einerseits, Vermeidung widersprechender Entscheidungen bei parallel geführten Verfahren andererseits) vgl. Adolphsen, ZZP Int. 11 (2006), 137 (159); Otte, Streitentscheidung, S. 652 ff. Eine unterschiedliche Auslegung der Formulierung im entsprechenden Normkontext wird bspw. befürwortet in den Schlussanträgen von GA Léger v.  08. 12. 2009  – C-539/03  – Slg. 2009, I-6535 (Roche Nederland), Rn. 79 ff.; Heinze, Einstweiliger Rechtsschutz, S. 274; Hill/Chong, Int’l Disputes, Rn. 9. 1. 49; Fentiman in Magnus/ Mankowski, Art. 28 Brussels I Rn. 26; Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 6 Brüssel I-VO Rn. 8. 154  BGH v. 30. 11. 2009 – II ZR 55/09 – NZG 2010, 391 (392); Fawcett, ICLQ 1995, 744 (746); Brandes, Gerichtsstand, S. 33 ff. 155  Fawcett, ICLQ 1995, 744 (747); Schack, IZVR, Rn. 409. 156  Fawcett, ICLQ 1995, 744 (747). 157  Siehe generell zu Art. 8 EuGVO Schurig in: FS Musielak, S. 493 (498 ff.).



B.  Gerichtsstände für die Verletzungsklage

351

Grundsatz actor sequitur forum rei auszuhöhlen.158 Als Beispiel für das Potential des Art. 8 Nr. 1 EuGVO mag das Verfahren Gambazzi dienen: Aufgrund der Tatsache, dass einer der Beklagten neben diversen Anwesen in anderen Staaten zeitweilig ein Haus in London besaß, wurden über 30 Streitgenossen in London in Anspruch genommen, ohne dass das Verfahren im Sonstigen einen Bezug zum Gerichtsstandort Großbritannien aufgewiesen hätte.159 Die Herausforderung für eine sachgerechte Interpretation des Gerichtsstands der Streitgenossenschaft besteht somit darin, das in Art. 8 Nr. 1 EuGVO enthaltene Tatbestandsmerkmal der Konnexität so auszulegen, dass die gegenläufigen Kläger- und Beklagteninteressen angemessen austariert werden.

2.  Konkretisierung des Art. 8 Nr. 1 EuGVO durch den EuGH Wie bereits erwähnt, stellt Art. 8 Nr. 1 einen einheitlichen Gerichtsstand für Streitgenossen bereit, sofern „zwischen den Klagen eine so enge Beziehung gegeben ist, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen könnten“. Wie im Folgenden gezeigt wird, ist es dem EuGH in seinen Entscheidungen zu Art. 8 Nr. 1 EuGVO bislang nicht gelungen, eine widerspruchsfreie Konkretisierung dieses ebenso flexiblen wie unpräzisen Konnexitätserfordernisses vorzunehmen.

68

a)  Einheitliche Sachlage Festhalten lässt sich allerdings die vom EuGH betonte Prämisse, eine Gefahr widersprechender Entscheidungen bei Klagen gegen verschiedene Streitgenossen vor unterschiedlichen Gerichten setze voraus, dass die Klagen auf eine einheitliche Sachlage gestützt werden.160

158 EuGH v.  27.  09. 1988  – C-189/87  – Slg. 1988, 5565 (Kalfelis), Rn. 8 f.; EuGH v. 27. 10. 1998 – C-51/97 – Slg. 1998, I-6511 (Réunion Européenne), Rn. 47. Der Gerichtsstand steht insbesondere in der deutschen Literatur unter scharfer Kritik, siehe Pfeiffer, Internationale Zuständigkeit, S. 592, 608 ff.; Brandes, Gerichtsstand, S. 156 ff.; Schlosser, EU-ZPR, Art. 6 EuGVO Rn. 2; Banniza von Bazan, S. 170 f.; Brand/Scherber, IPRax 2002, 500 (501). Dies mag daran liegen, dass das autonome deutschen Recht kein allgemeines Äquivalent zu Art. 8 Nr. 1 EuGVO kennt, während zahlreiche Verfahrensordnungen anderer Mitgliedstaaten ein nationales Pendant bereithalten, vgl. Schack, IZVR, Rn. 407; rechtsvergleichende Nachweise bei Schröder, Internationale Zuständigkeit, S. 558 ff.; Otte, Streitentscheidung, S. 654 ff.; Spellenberg, ZVglRWiss 79 (1980), 89 ff. 159  Cuniberti, IPRax 2010, 148 (149). 160  EuGH v. 13. 07. 06 – C-539/03 – Slg. 2006, I‑6535 (Roche Nederland), Rn. 26 ff.; EuGH v. 11. 10. 2007 – C‑98/06 – Slg. 2007, I-8319 (Freeport), Rn. 40.

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352

§ 10  Internationale Zuständigkeit für das Hauptsacheverfahren

b)  Einheitliche Rechtslage 70

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72

Ob Konnexität besteht, sofern die Klagen auf unterschiedliche Rechtsgrundlagen gestützt werden, wird vom EuGH nicht widerspruchsfrei beantwortet. So hat der Gerichtshof in einem obiter dictum in der Entscheidung Réunion européenne zunächst festgestellt, an der nach Art. 8 Nr. 1 erforderlichen Konnexität zwischen zwei Klagen fehle es, sofern die Klage gegen den einen Streitgenossen vertraglicher, die Klage gegen den anderen Streitgenossen deliktischer Natur sei.161 In der Entscheidung Roche Nederland vertrat der Gerichtshof ferner die Auffassung, die Gefahr widersprechender Entscheidungen könne nicht entstehen, wenn das anwendbare Sachrecht divergiere, und verneinte deshalb die Konnexität bei einer Klage gegen verschiedene konzernverbundene Unternehmen, denen die Verletzung der jeweiligen nationalen Teile eines europäischen Bündelpatents ihres jeweiligen Sitzstaates vorgeworfen wurde.162 Gegenläufige Tendenzen lassen sich in zwei späteren Entscheidungen konstatieren. So wich der Gerichtshof in der Entscheidung Freeport von seinem obiter dictum in der Sache Réunion européenne ab und betonte, dass es bei gleichem Sachrecht für die Konnexität i. S. d. Art. 8 Nr. 1 EuGVO grundsätzlich unschädlich sei, wenn die Klagen auf unterschiedlichen Anspruchsgrundlagen beruhten.163 In der Entscheidung Painer nahm der Gerichtshof auch vom Erfordernis einer Identität des anwendbaren Rechts Abstand. Die identische Rechtslage sei nur einer von mehreren Faktoren, die das nationale Gericht zu prüfen habe, und stehe einer Anwendung des Art. 8 Nr. 1 EuGVO insbesondere dann nicht entgegen, wenn die nationalen Rechtsvorschriften in den Grundzügen übereinstimmten (etwa aufgrund einer Vereinheitlichung durch Richtlinienrecht).164 Es sei Sache des nationalen Gerichts, auf Basis des gesamten Akteninhalts die Gefahr widersprechender Entscheidungen zu prüfen, die entstünde, wenn die Verfahren getrennt durchgeführt würden.165 Diese Abkehr von den in der Rechtssache Roche Nederland ausgesprochenen Grundsätzen erfuhr in der Entscheidung Solvay wiederum eine Kehrtwende. Der Gerichtshof bekräftigte per obiter dictum, auf die nationalen Teile eines 161 

EuGH v. 27. 10. 1998 – C-51/97 – Slg. 1998, I-6511 (Réunion Européenne), Rn. 50. v. 13. 07. 06 – C-539/03 – Slg. 2006, I‑6535 (Roche Nederland), Rn. 35 ff. Gegenstand des Verfahrens waren behauptete Verletzungen verschiedener nationaler Bestandteile eines Europäischen Patents durch identische Verletzungshandlungen, vorgenommen von neun Gesellschaften des Roche-Konzerns jeweils in einem anderen Schutzstaat. Nach Art. 64 Abs. 3 EPÜ gilt für Klagen wegen der Verletzung eines Europäischen Patents das Schutzlandprinzip, d. h. die Klagen gegen die Streitgenossen unterstanden jeweils einem anderen Statut. 163  EuGH v. 11. 10. 2007 – C‑98/06 – Slg. 2007, I-8319 (Freeport), Rn. 38 ff. 164 EuGH v.  01. 12. 2011  – C-145/11 (Painer), Rn. 80 ff.; zustimmend Mansel/Thorn/ Wagner, IPRax 2013, 1 (16); EuGH v. 11. 04. 2013 – C-645/11 (Sapir), Rn. 44. 165 EuGH v.  11.  10. 2007  – C‑98/06  – Slg. 2007, I-8319 (Freeport), Rn. 41; EuGH v. 01. 12. 2011 – C-145/11 (Painer), Rn. 83. 162  EuGH



B.  Gerichtsstände für die Verletzungsklage

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europäischen Bündelpatent sei unterschiedliches Sachrecht anwendbar, weshalb trotz der Vereinheitlichung der nationalen Rechtsvorschriften durch das EPÜ166 eine Anwendung des Art. 8 Nr. 1 EuGVO mangels gleicher Rechtslage ausscheide, wenn den Streitgenossen jeweils nur die Verletzung unterschiedlicher nationaler Teile eines Bündelpatents vorgeworfen werde.167 Bevor hier zur Konkretisierung der Konnexität Stellung bezogen wird, sollen kurz drei weitere Aspekte aus der EuGH-Rechtsprechung angeschnitten werden.

c) Vorhersehbarkeit In Entscheidung Painer, in welcher auf das Vorliegen einer identischen Rechtslage verzichtet wurde, betonte der Gerichtshof den Aspekt der Vorhersehbarkeit. Für den Zweitbeklagten müsse vorhersehbar gewesen sein, dass er in dem Mitgliedstaat, in dem der Ankerbeklagte seinen Wohnsitz habe, verklagt werden könne.168 Deshalb könne erheblich sein, ob die Beklagten unabhängig voneinander gehandelt hätten oder nicht.169

73

d)  Unzulässigkeit der Klage gegen den Ankerbeklagten Mit einer unzulässigen Klage gegen den Ankerbeklagten hatte sich der EuGH in der Entscheidung Reisch Montage auseinanderzusetzen. Bereits zum Zeitpunkt der Klageerhebung war über das Vermögen des Ankerbeklagten ein Konkursverfahren eröffnet worden, weshalb die Klage gegen ihn als unzulässig abgewiesen wurde. Das Ziel der gemeinsamen Verhandlung zwecks Vermeidung widersprechender Entscheidungen in getrennten Verfahren war in dieser Konstellation von vorneherein nicht erreichbar. Dies focht den EuGH freilich nicht an: Mit der Begründung, die Anwendbarkeit des Art. 8 Nr. 1 EuGVO könne nicht von der Wirkung nationaler Vorschriften abhängig sein, erklärte der Gerichtshof, dass der Kläger den Zweitbeklagten auch am Gerichtsstand des insolventen Ankerbeklagten in Anspruch nehmen könne.170

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e) Missbrauchskontrolle Die Begründung der Entscheidung Reisch Montage enthält einen ergänzenden Absatz, in dem es heißt, Art. 8 Nr. 1 EuGVO könne nicht so ausgelegt werden, dass es einem Kläger erlaubt wäre, eine Klage gegen mehrere Beklagten allein zu dem Zweck zu erheben, einen von diesen der Zuständigkeit der Gerichte seines Wohnsitzstaates zu entziehen.171 Diese Aussage lässt sich als Einführung einer Missbrauchsklausel, d. h. als Begründung eines zum objektiven 166 

Zum EPÜ siehe § 18 Rn. 4 ff. EuGH v. 12. 07. 2012 – C-616/10 (Solvay), Rn. 24 ff. 168  EuGH v. 01. 12. 2011 – C-145/11 (Painer), Rn. 81. 169  EuGH v. 01. 12. 2011 – C-145/11 (Painer), Rn. 83. 170  EuGH v. 13. 07. 2006 – C-103/05 – Slg. 2006, I-6827 (Reisch Montage), Rn. 27 ff. 171  EuGH v. 13. 07. 2006 – C-103/05 – Slg. 2006, I-6827 (Reisch Montage), Rn. 32. 167 

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354

§ 10  Internationale Zuständigkeit für das Hauptsacheverfahren

Kriterium der Konnexität hinzutretenden subjektiven Test interpretieren.172 Sie wurde allerdings in der Entscheidung Freeport wiederum relativiert. Dort konstatierte der EuGH, bei Vorliegen eines Zusammenhangs zwischen den Klagen müsse das entscheidende Gericht nicht gesondert ausschließen, dass die Einbeziehung eines zusätzlichen Streitgenossen den alleinigen Zweck habe, den anderen Streitgenossen den Gerichten seines Wohnsitzstaates zu entziehen.173

3. Stellungnahme a) Grundwertungen 76

77

Die Rechtsprechung des Gerichthofs mäandert zwischen dem Versuch, den Gerichten der Mitgliedstaaten klare Richtlinien zur Interpretation des Art. 8 Nr. 1 EuGVO an die Hand zu geben und einer weitgehenden Freigabe der Auslegungshoheit durch Benennung einzelner Konnexitätsfaktoren. Der zweite Ansatz überlässt es den Gerichten der Mitgliedstaaten, den Gerichtsstand der Streitgenossenschaft im Sinne eines „broad common sense approach“ (so die englische Rechtsprechung174) auszulegen. Meines Erachtens ist es durchaus möglich, klare Kriterien für eine autonome Interpretation des Art. 8 Nr. 1 EuGVO zu entwickeln. Hierfür ist eine Rückbesinnung auf den Art. 8 Nr. 1 EuGVO zugrunde liegenden, zuständigkeitsrechtlichen Interessenskonflikt hilfreich. Art. 8 Nr. 1 EuGVO soll es dem Kläger ermöglichen, einheitliche Lebenssachverhalte im Sinne der Prozessökonomie konzentriert in einem Forum zur Klärung zu bringen.175 Diese Verfahrenskonzentration ist allen nationalen Prozessordnungen der EU-Mitgliedstaaten bekannt, sei es über einen Gerichtsstand der Streitgenossenschaft oder eine gerichtliche Bestimmung der Zuständigkeit (z. B. § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO). Bei grenzüberschreitenden Sachverhalten findet die Berücksichtigung der prozessökonomischen Interessen des Klägers freilich ihre Grenze in den besonderen zuständigkeitsrechtlichen Interessen des Beklagten, insbesondere dem Grundsatz der Vorhersehbarkeit und den Vorzügen des Heimatforums. Aus den geschilderten Interessen der 172 

Eine explizite Missbrauchsklausel enthält Art. 8 Nr. 2 EuGVO: „[…] es sei denn, dass die Klage nur erhoben worden ist, um diese Person dem für sie zuständigen Gericht zu entziehen“. 173  EuGH v.  11. 10. 2007  – C‑98/06  – Slg. 2007, I-8319 (Freeport), Rn. 54; zustimmend Briggs/Rees, Civil Jurisdiction, Rn. 2.204; zur Interpretation der zitierten Passage des Urteils Freeport siehe Schlussanträge GA Jääskinen v. 11. 12. 2014 – C-352/13 (CDC Cartel Damage Claims), Rn. 84 ff. 174  Casio Computer Co v Sayo (No.3), [2001] EWCA Civ 661 (CA), Rn. 32 ff.; Et Plus SA v Welter, [2005] EWHC 2115 (Comm), Rn. 59; Sibir Energy Ltd v Tchigirinski, [2012] EWHC 1844 (QB); White Book, Vol. I, Rn. 6.33.12. 175  BGH v. 30. 11. 2009 – II ZR 55/09 – NZG 2010, 391 (392).



B.  Gerichtsstände für die Verletzungsklage

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Parteien lassen sich zwei Prämissen ableiten: Erstens besteht ein legitimes Interesse für die Klage am Gerichtsstand der Streitgenossenschaft nur, wenn eine gemeinsame Verhandlung möglich ist und geeignet erscheint, verfahrensökonomische Vorteile zu realisieren. Zweitens braucht der Zweitbeklagte die Inanspruchnahme am Gerichtsstand des Ankerbeklagten, d. h. die Abweichung vom Grundsatz actor sequitur forum rei, nur hinzunehmen, wenn zwischen ihm und dem Streitgenossen eine hinreichende Verbindung besteht, die über die rein zufällige Existenz gemeinsamer Vorfragen hinausgeht. Die in Art. 8 Nr. 1 EuGVO enthaltene Formel des Erfordernisses einer gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung zwecks Vermeidung widersprechender Ergebnisse ist letztlich wenig zweckdienlich,176 da sie weder das Kläger-, noch das Beklagteninteresse reflektiert und deshalb keine zuständigkeitsrechtliche Interessenbalance erzielen kann. Ziel der Formel ist es auch nicht, eine widerspruchsfreie Vollstreckung zu ermöglichen, d. h. die Gefahr unterschiedlicher Entscheidungen mit sich gegenseitig ausschließenden Rechtsfolgen zu bannen. Eine derartige Gefahr wäre bei Urteilen gegen verschiedene Beklagte allein in jenen seltenen Ausnahmefällen gegeben, die einer notwendigen Streitgenossenschaft im Sinne des § 62 ZPO gleichstehen.177 Letztlich ergibt nur die Umkehrung der Formel einen Sinn: Widersprechende Entscheidungen setzen einen zumindest teilidentischen Tatsachenstoff oder sich deckende Rechtsfragen voraus.178 Im Falle einer solchen Deckungsgleichheit dient eine Verfahrenskonzentration der Prozessökonomie. Eine Konkretisierung des Konnexitätsbegriffs lässt sich daher nicht unmittelbar aus der in Art. 8 Nr. 1 EuGVO enthaltenen Formel ableiten, sondern muss sich am Telos der Bestimmung orientieren.

176 Ebenso Adolphsen, IPRax 2007, 1 (20); Roth in FS Kropholler, S. 890 f.; a. A. Corneloup/Althammer in unalex, Art. 6 Brüssel I-VO Rn. 5, 18 sowie Althammer, IPRax 2006, 558 (560), unter Hinweis auf das Erfordernis einer geordneten Rechtspflege. Bezeichnenderweise übernimmt Art. 33 Abs. 1 lit. b UPCA das Kriterium widersprechender Entscheidungen nicht, sondern stellt auf die Identität der Verletzungshandlung und eine zwischen den Parteien existierende Geschäftsbeziehung ab. 177 Zutreffend Mäsch, IPRax 2005, 509 (512). In ihren Schlussanträgen in der Rechtssache Painer spricht GA Trstenjak von einer „abstrakten Gefahr“, vgl. Anträge v.  12. 04. 2011  – C-145/10 (Painer), Rn. 101; ebenso Roth in FS Kropholler, S. 892 f. Mit der Schaffung des Art. 8 Nr. 1 war offensichtlich eine deutlich über die Fälle des § 62 ZPO hinausgehende Konzentrationsmöglichkeit intendiert: Der Jenard-Bericht nennt etwa die Gesamtschuldnerschaft als Anwendungsfall, vgl. ABl. Nr. C 59/26 v. 05. 03. 1979. Zu den historischen Vorläufern des Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ siehe Otte, Streitentscheidung, S. 665 ff.; Brandes, Gerichtsstand, S. 72 ff.; Albicker, Streitgenossenschaft, S. 34 ff. 178  Ähnlich Schlussanträge GA Trstenjak v. 12. 04. 2011 – C-145/10 (Painer), Rn. 101 f.; Briggs/Rees, Civil Jurisdiction, Rn. 2.203.

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356

§ 10  Internationale Zuständigkeit für das Hauptsacheverfahren

b)  Legitimes Interesse des Klägers an einer Verfahrensverbindung 79

Das prozessökonomische Interesse des Klägers wird lediglich in jenen Fällen aktiviert, in denen überhaupt die sinnvolle Möglichkeit einer einheitlichen Verhandlung besteht.

aa)  Unzulässige Klage gegen den Ankerbeklagten 80

An einer solchen Möglichkeit fehlt es, wenn die Klage gegen den Ankerbeklagten von vorneherein kraft Gesetzes unzulässig ist.179 Entgegen der Behauptung des EuGH in der Entscheidung Reisch Montage180 wird die Zuständigkeitsbestimmung des Art. 8 Nr. 1 EuGVO hierdurch nicht unter den Vorbehalt nationaler Bestimmungen gestellt. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH sind hinsichtlich der allgemeinen Zulässigkeitsregeln die nationalen Rechtsvorschriften anzuwenden, sofern diese nicht die praktische Wirksamkeit des Unionsrechts beeinträchtigen. Allgemeine nationale Verfahrensvoraussetzungen, die nicht die Zulässigkeit der Streitgenossenschaft an sich betreffen, stellen keine zusätzlichen Voraussetzungen zu Art. 8 Nr. 1 auf, sondern verleihen dem in Art. 8 Nr. 1 normierten Kriterium der „gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung“ nähere Kontur.181

bb)  Offensichtlich unbegründete Klage gegen den Ankerbeklagten 81

Ein legitimes Interesse des Klägers an der Verfahrensverbindung fehlt auch in jenen Fällen, in denen die Klage gegen den Ankerbeklagten zwar zulässig, doch offensichtlich unbegründet ist. Im Regelfall wirkt das mit der Klageerhebung verbundene Kostenrisiko zuverlässig als Abschreckungsmittel gegen offensichtlich unbegründete Zivilklagen. Im Einzelfall mag jedoch das Interesse des Klägers, eine Partei im Wohnsitzstaat des Ankerbeklagten in Anspruch zu nehmen, so groß sein, dass er bereit ist, die mit der Klageabweisung gegen den Ankerbeklagten verbundenen Kosten in Kauf zu nehmen.182 In der Rechts179 

Schlussanträge des Generalanwalts Ruiz-Jarabo Colomer v. 14. 03. 2006 – C-103/05 – Slg. 2006, I-6827 (Reisch Montage), Rn. 50; BG v.  09. 10. 2007  – 4A_155/2007  – BGE 134 III 27 (zu Art. 6 Nr. 1 LugÜ, allerdings unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs); Althammer, IPRax 2006, 558 ff.; Grothe in FS Kerameus, S. 473 ff.; Briggs, LMCLQ 2006, 447 (451 f.); Coester-Waltjen in FS Kropholler, S. 756 f.; Briggs/Rees, Civil Jurisdiction, Rn. 2.205; Hartley, Int’l Litigation, S. 65; Leible in Rauscher, Art. 6 Brüssel I-VO Rn. 10e. A. A. EuGH v. 13. 07. 2006 – C-103/05 – Slg. 2006, I-6827 (Reisch Montage), Rn. 27 ff.; Cass. civ. v. 08. 01. 2002 – 00–12.993 – unalex FR-22; Roth in FS Kropholler, S. 899 f.; Geimer/Schütze, A. 1, EuZVR, Art. 6 Rn. 25; Kropholler/v.  Hein, EuZPR, Art. 6 EuGVO Rn. 16; Gebauer, ZEuP 2013, 874 (885) (sofern eine Klage gegen den Ankerbeklagten an der anderweitigen Rechtshängigkeit scheitert). 180  EuGH v. 13. 07. 2006 – C-103/05 – Slg. 2006, I-6827 (Reisch Montage), Rn. 27 ff. 181  Althammer, IPRax 2006, 558 (560 f.). 182  Brandes, Gerichtsstand, S. 123; Althammer, IPRax 2006, 558 (562). Die Rücknahme der Ankerklage aufgrund einer außergerichtlichen Einigung mit dem Ankerbeklagten hat nach Auffassung des EuGH keine Auswirkung auf die gerichtliche Zuständigkeit, sofern die



B.  Gerichtsstände für die Verletzungsklage

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sache Freeport hatte der schwedische Högsta domstol den EuGH um Klärung ersucht, ob bei der Beurteilung der Gefahr widersprechender Entscheidungen im Sinne von Art. 8 Nr. 1 die Erfolgsaussicht der Klage gegen Ankerbeklagten zu prüfen ist. Der EuGH meinte leider, diese Frage unbeantwortet lassen zu können.183 Demgegenüber ist in Rechtsprechung und Literatur der Mitgliedstaaten zu Recht eine deutliche Forderung nach der Prüfung der Erfolgsaussicht der Ankerklage zu erkennen. Sympathien für diese Vorgehensweise offenbaren sich nicht nur im Vorabentscheidungsersuchen in der Rechtssache Freeport durch den Högsta domstol. Auch der englische Court of Appeal geht in der bekannten Entscheidung The ‚Rewia‘ davon aus, im Rahmen des europäischen Zuständigkeitsrechts sei ebenso wie nach Common Law zu prüfen, ob ein serious issue to be tried gegen den Ankerbeklagten vorliege.184 In der deutschsprachigen Literatur wird ebenfalls gefordert, die Erfolgsaussichten der Klage seien summarisch zu prüfen185 (etwa in Anlehnung an den für die Gewährung von Prozesskostenhilfe in § 114 ZPO vorgesehenen Standard). Angesichts der Entscheidungsbegründung des EuGH in der Rechtssache Reisch Montage erscheint es allerdings zweifelhaft, ob der Gerichtshof diesen Stimmen folgen wird.

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cc)  Verfahrensökonomie durch Deckungsgleichheit Vorausgesetzt, die Klage gegen den Ankerbeklagten ist weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet, kann sich eine ökonomischere Gestaltung aufgrund der Verfahrenskonzentration nur entfalten, sofern sich entweder der den Klagen zugrunde liegende Tatsachenstoff oder die aufgeworfenen Rechtsfragen decken. Die Klagen müssen also auf demselben rechtlichen Grund beruhen, sich auf denselben tatsächlichen Gegenstand beziehen oder inhaltlich von der Entscheidung derselben Frage abhängen.186 Einer IdenParteien nicht kollusiv zusammengewirkt haben, um den Zeitpunkt des Vergleichs künstlich hinter den Zeitpunkt der Klageerhebung zu verlegen, vgl. EuGH v. 21. 05. 2015 – C-352/13 (CDC Cartel Damage Claims), Rn. 29 ff. 183  EuGH v. 11. 10. 2007 – C‑98/06 – Slg. 2007, I-8319 (Freeport), Rn. 55 ff. 184  FKI Engineering v Dewind Holdings, [2008] EWCA Civ 316 (CA), Rn. 18; ET Plus v Welter, [2005] EWHC 2115 (Comm), Rn. 59 m. w. N.; 6B PD 3.1(3)(a); ähnlich Fentiman, Litigation, Rn. 9.84; Dicey/Morris/Collins, Rn. 11–320; Tang, ELR 2009, 80 (101) plädiert für das Kriterium eines real claim. 185  Mäsch, IPRax 2005, 509 (513 f.); Althammer, IPRax 2006, 558 (562); Grothe, FS Karameus, S. 480; ähnlich Brandes, Gerichtsstand, S. 122 f.; gewisse Sympathien auch bei Coester-Waltjen in FS Kropholler, S. 756 f.; siehe ferner BG v. 09. 10. 2007 – 4A_155/2007 – BGE 134 III 27 (zu Art. 6 Nr. 1 LugÜ, allerdings unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs); eine Schlüssigkeitsprüfung für ausreichend erachtend OGH v. 11. 03. 2010 – 4 Ob 173/09h – unalex AT-663; BAG v. 23. 01. 2008 – 5 AZR 60/07 – NJW 2008, 2797 (2799); Leible in Rauscher, Art. 6 Brüssel I-VO Rn. 10d; für jeglichen Verzicht auf die Prüfung der Begründetheit Roth in FS Kropholler, S. 900; Kropholler/v. Hein, EuZPR, Art. 6 EuGVO Rn. 16. 186  OGH v. 11. 03. 2010 – 4 b173/09h – unalex AT-663; Schurig in FS Musielak, S. 513, mit Ausführungen zur rechtsvergleichend-historischen Auslegung auf S. 507 ff.; Mäsch,

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§ 10  Internationale Zuständigkeit für das Hauptsacheverfahren

tität der Verletzungshandlung bedarf es deshalb nicht, vielmehr ist auch die Realisierung verschiedener, gleichartiger Verletzungshandlungen bei ähnlicher Ausführungsform ausreichend.187 Ebenso ist keine absolute Identität des betroffenen Schutzrechts bzw. des angeblich schutzrechtsverletzenden Gegenstands zu fordern.188 Die Übernahme der Schutzrechtsverletzung in eine neue Produktreihe ändert an einer bestehenden Deckungsgleichheit ebenso wenig wie die Kennzeichnung der Ware durch verschiedene Bestandteile einer Markenfamilie.189 Liegt allerdings in keinerlei Hinsicht Kongruenz vor, so besteht auch kein legitimer Bedarf nach einer Inanspruchnahme des Gerichtsstands der Streitgenossenschaft.

c)  Grenzziehung durch die zuständigkeitsrechtlichen Interessen des Beklagten aa)  Subjektive Verbindung der Streitgenossen bzw. „gleiche Sachlage“ 84

Dient die Verfahrenskonzentration der Prozessökonomie im oben beschriebenen Sinne, stellt sich die Frage, unter welchen Voraussetzungen es dem Beklagten zuzumuten ist, sich im Gerichtsstand der Streitgenossenschaft zu verantworten. Eine Abweichung vom Grundsatz actor sequitur forum rei bzw. den in der EuGVO geregelten sachnahen Gerichtsständen lässt sich nur durch eine hinreichende subjektive Verbindung jedes Zweitbeklagten mit dem Ankerbeklagten begründen, die über die rein zufällige Existenz gemeinsamer Vorfragen hinausgeht.190 Nicht ausreichend ist eine reine Parallelität der Sachverhalte wie die unabhängig voneinander vorgenommene Verletzung eines Schutzrechts durch verschiedene Personen.191 Vielmehr bedarf es entweder einer gemeinschaftlichen Verletzungshandlung,192 der stufenmäßigen VerletIPRax 2005, 509 (512); ähnlich Geimer/Schütze, EuZVR, A. 1, Art. 6 Rn. 20 f.; Schack, IZVR, Rn. 409; Otte, Streitentscheidung, S. 715; Albicker, Streitgenossenschaft, S. 142. 187  Lange, GRUR 2007, 108 (111); ders., MarkenR, Rn. 6188. 188  A. A. Heinze in CLIP, Rn. 2:206.C09. 189  Z. B. Wortmarke „Adidas“ mit den bekanntesten Bildmarken „drei Streifen“ sowie „gestreiftes Dreiblatt“ und zahlreichen weiteren Kennzeichen der Markenfamilie. 190  Molnlycke v Procter & Gamble, [1992] 1 WLR 1112 (1122 f.) (CA); Grabinski, GRUR Int. 2001, 199 (206 f.); Tang, ELR 2009, 80 (89 f.).; Wadlow, Enforcement, Rn. 3–11; Heinze in CLIP, Rn. 2:206.C05, 2:206.C10; wohl auch Jaeger in Hilty/Jaeger/Kitz, Herausforderung Durchsetzung, S. 169 f. A. A. (Gleichartigkeit des Tatsachenstoffs ausreichend): Kieninger, GRUR Int. 1998, 280 (282); Franzosi/Tilmann, Mitt. 2005, 55 (57). 191  Wie hier Schlussanträge GA Trstenjak v.  12. 04. 2011  – C-145/10 (Painer), Rn. 92 f.; Hof den Haag v. 23. 08. 2007 – 05/913 (Bacardi v. Mad Bat), verfügbar unter < http://www. boek9.nl/files/2007/IEPT20070823_Hof_Den_Haag_Bacardi_v_Mad_Bat.pdf>; Rößler, IIC 2007, 380 (393 f.); Norrgård in Leible/Ohly, IP & PIL, S. 228; teilweise a. A. (Kenntnis ausreichend) Schacht, GRUR 2012, 1110 (1113); a. A. Kieninger, GRUR Int. 1998, 280 (282); Franzosi/Tilmann, Mitt. 2005, 55 (57). 192  Cass. v. 22. 03. 2012 – 11–12964 – unalex FR-1389; Hye-Knudsen, S. 122; Brinkhof, GRUR Int. 1997, 489 (492); Kubis, Internationale Zuständigkeit, S. 239.



B.  Gerichtsstände für die Verletzungsklage

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zung eines Schutzrechtes im Rahmen einer Verletzerkette193 oder identischer, parallel verlaufender Verletzungshandlungen auf Basis einer gemeinsamen Geschäftspolitik.194. Das vom EuGH betonte Kriterium der „einheitlichen Sachlage“ sollte auch in diesem Sinne verstanden werden.195

bb)  Einheitliche Rechtslage Das vom EuGH in der Entscheidung Roche Nederland aufgestellte Erfordernis einer „einheitlichen Rechtslage“, d. h. der Anwendbarkeit gleichen Sachrechts, ist demgegenüber weder sachdienlich noch konsequent. Auch bei Anwendung unterschiedlichen Sachrechts können durch eine einheitliche Klärung identischer Tatsachen- oder Rechtsfragen immense prozessökonomische Vorteile erwachsen – z. B., wenn umstritten ist, ob ein durch identische nationale Patente geschütztes Verfahren zum Einsatz in einer Maschine kommt, die in verschiedenen Mitgliedstaaten vertrieben wird, oder ob eine bestimmte, in verschiedenen Mitgliedstaaten vorgenommene Bezugnahme auf ein Kennzeichen eine Benutzung i. S. d. Art. 5 Abs. 1 lit. a der Markenrichtlinie196 darstellt. Auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes ist die Identität von Rechtsfragen trotz divergierendem Sachrecht besonders hoch: Die Harmonisierung durch die Marken- und Geschmacksmuster-Richtlinie sowie die Vorbildfunktion des EPÜ trägt ihre Früchte.197 Für die Beklagten stellt es keinen Nachteil, 193  Pearce v Ove Arup Partnership, [1999] 1 All ER 769 (CA): Behauptete Verletzung einer Urheberrechts durch Erstellung von Konstruktionszeichnungen (Beklagter Nr. 1) und Errichtung des Gebäudes (Beklagter Nr. 2); BGH v. 14. 12. 2006 – I ZR 11/04 – GRUR Int. 2007, 864 (866) (Aufarbeitung von Fahrzeugkomponenten) m. w. N.; OGH v. 15. 01. 2013 – 4Ob221/12x – unalex AT-861 (Red Bull). Richtigerweise ist von einer ausreichenden Verbindung zwischen den einzelnen Gliedern einer Verletzerkette nur dann auszugehen, wenn eine individuelle Verbindung zwischen Ankerbeklagtem und Streitgenossen besteht, näher Heinze in CLIP, Rn. 2:206.C13 f.; Rößler, IIC 2007, 380 (393 f.); Schauwecker, Patentverletzungsjurisdiktion, S. 83 f. m. w. N.; in anderem Kontext auch OLG Frankfurt v. 17. 09. 2008 – 23 U 165/07 – IPRspr 2009, Nr 168, 437 f.; a. A. wohl Knaak, GRUR 2001, 21 (25); Hye-Knudsen, S. 121 ff. 194  EuGH v.  12. 07. 2012  – C-616/10 (Solvay), Rn. 28 ff.; Cass. civ. v.  26. 02. 2013  – 11– 27139 – unalex FR-2354; a. A. Gerechtshof Den Haag v. 23. 04. 1998 – [1999] FSR 352 (Expandable Grafts): nur bei Konzernverbindung der Beklagten und gemeinschaftlicher Aktion auf Basis einer gemeinsamen Geschäftsstrategie. 195  So wohl EuGH v. 13. 07. 06 – C-539/03 – Slg. 2006, I‑6535 (Roche Nederland), Rn. 37; Schlussanträge GA Trstenjak v. 12. 04. 2011 – C-145/10 (Painer), Rn. 93; BGH v. 14. 12. 2006 – I ZR 11/04 – GRUR Int. 2007, 864 (866) (Aufarbeitung von Fahrzeugkomponenten). 196  Richtlinie 2008/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (kodifizierte Fassung), ABl. Nr. L 299/25 v. 08. 11. 2008. 197  CLIP, Suggestions, S. 11 f.; Cook, Rn. 10.13. Mit Blick auf Art. 69 EPÜ ausführlich Franzosi/Tilmann, Mitt. 2005, 55 ff.; ferner Bently/Sherman, IP Law, Kap. 47 Rn. 9.1.1; Stauder, IPRax 1998, 317 (320); Briggs, LMCLQ 2006, 447 (450 f.); Kur, IIC 2006, 844 (850); Torremans in Leible/Ohly, IP & PIL, S. 195; Lange, GRUR 2007, 107 (112); Norrgård in Leible/Ohly, IP & PIL, S. 219; Schlosser in Hess/Pfeiffer/Schlosser-Bericht, Rn. 833. Dutson, 46 ICLQ 1997, 918 (923 f.) geht von einer einheitlichen Rechtslage nur im Falle eines Euro-

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§ 10  Internationale Zuständigkeit für das Hauptsacheverfahren

sondern lediglich eine kollisionsrechtliche Zufälligkeit dar, ob die Klage gegen die Streitgenossen auf einem identischen Statut fußt. Über die zuständigkeitsrechtlichen Interessen der Beklagten besagt die Identität des anwendbaren Rechts nichts. Das Erfordernis einer „einheitlichen Rechtslage“ beeinträchtigt darüber hinaus die Klarheit und Vorhersehbarkeit der Zuständigkeitsnorm des Art. 8 Nr. 1 EuGVO, da es die Klärung möglicherweise komplizierter internationalprivatrechtlicher Vorfragen im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung voraussetzt. Zwar wurde das Kollisionsrecht durch die Rom-Verordnungen198 weitgehend harmonisiert, doch fehlt es bislang an konkretisierender Rechtsprechung zu zahlreichen Auslegungsfragen. Außerhalb des Anwendungsbereichs der RomVerordnungen ist das anwendbare Recht nach den internationalprivatrechtlichen Bestimmungen des Forums zu bestimmen. Als Folge wäre es dem Kläger bei divergierenden Verweisungen des Kollisionsrecht in den Wohnsitzstaaten der Beklagten gegebenenfalls möglich, ein Verfahren gegen alle Streitgenossen im Wohnsitzstaat eines Beklagten anzustrengen (sofern das Kollisionsrecht dort ein einheitliches Sachrecht zur Anwendung beruft), während die Gerichte in den Wohnsitzstaaten der anderen Streitgenossen gegebenenfalls nur für die Klage gegen den in ihrem Staate ansässigen Beklagten zuständig wären (weil das dortige Kollisionsrecht unterschiedliche Statute beruft). Der Gerichtsstand des Art. 8 Nr. 1 EuGVO würde somit unter den Vorbehalt nationaler Bestimmungen gestellt, eine Konsequenz, die der EuGH in der Entscheidung Reisch Montage als inakzeptabel bezeichnet hatte. Im Falle von Anspruchskonkurrenzen oder einer objektiven Klagehäufung stellte sich zudem die Frage, ob es ausreicht, wenn das den Klagen gegen die verschiedenen Streitgenossen zugrunde liegende Sachrecht teilidentisch ist. Aus all diesen Gründen ist es zu begrüßen, dass der EuGH in der Rechtssache Painer den Aspekt der einheitlichen Rechtslage lediglich als eines von mehreren zu erwägenden Kriterien bezeichnet hat.199 Wünschenswert und der Rechtssicherheit zuträglich wäre eine offene Aufgabe des dictums aus Roche Nederland gewesen. Stattdessen hat der Gerichtshof die Entscheidung Roche päischen Patents aus, das keine eigenständigen Änderungen in den verschiedenen Schutzländern erfahren hat; Lange, MarkenR, Rn. 6173 ff. plädiert für eine Differenzierung je nach Harmonisierungsgrad im Einzelfall. Die europäischen Harmonisierungsmaßnahmen für unbeachtlich haltend Franzosi, 2009 JIPLP, 247 (255); Grabinski, GRUR Int. 2001, 199 (207); Dietze/Schnichels, EuZW 2007, 687 (688); nicht eindeutig Geimer in FS Kropholler, S. 786. 198 Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom I“), ABl. Nr. L 177/6 v. 04. 07. 2008; Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht („Rom II“), ABl. L 199/40 Nr. 31. 07. 2007. 199 Die Gerichte der Mitgliedstaaten haben sich schnell an der Entscheidung Painer orientiert, vgl. Cass. civ. v.  26. 09. 2012  – 11–26022  – unalex FR-1391 sowie Alfa Laval v. Separator Spares Int’l, [2012] EWHC 1155 (Ch), Rn. 32 ff.



B.  Gerichtsstände für die Verletzungsklage

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Nederland in der Rechtssache Painer mit keinem Wort gewürdigt und in der Rechtssache Solvay per obiter dictum dem Präjudiz aus Roche Nederland Referenz erwiesen.

d)  Intensität der Konnexitätsprüfung Es ist für den Kläger ein Leichtes, die Identität entscheidungserheblicher Sachund Rechtsfragen sowie die Existenz einer subjektiven Verbindung zwischen den Streitgenossen schlüssig, aber unzutreffend vorzutragen, um sich die Zuständigkeit des Gerichtsstands gemäß Art. 8 Nr. 1 EuGVO zu erschleichen. Eine Überprüfung der Konnexität im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung durch das Gericht ist deshalb zwingend erforderlich.200 Zu dem anzulegenden Prüfungsmaßstab hat sich der EuGH in der Entscheidung Roche Nederland sybillinisch geäußert.201 Angesichts der zahlreichen Relativierungen und Widersprüche, die die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Art. 8 Nr. 1 EuGVO auszeichnet, sollten diese Worte nicht im Wege einer intensiven Exegese auf die Goldwaage gelegt werden. Es gilt, einen Weg zu finden, der einerseits eine Überfrachtung der Zuständigkeitsprüfung durch eine zeit- und kostenintensive Analyse der Konnexität vermeidet, andererseits den Gerichtsstand der Streitgenossenschaft nicht in das Belieben des Klägers stellt.202 Geeignet erscheint eine summarische Prüfung des Zusammenhangs der Klagen, welche bspw. die englischen Gerichte im autonomen Zuständigkeitsrecht durchführen, wenn sie die Frage stellen, ob der Zweitbeklagte a necessary or proper party to the action against the first defendant sei.203

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e) Missbrauchsvorbehalt Existiert zwischen den Klagen ein Zusammenhang im oben erörterten Sinne, bedarf es keiner weiteren Prüfung, ob der Kläger durch die Einbeziehung 200 

Terrell on Patents, 16. Aufl., Rn. 12–31. Zur Ablehnung der spider in the web-Theorie führte der Gerichtshof aus: „Im Rahmen der Prüfung der Frage, ob die betreffenden Kriterien erfüllt sind, wofür der Kläger die Beweislast trägt, wäre das angerufene Gericht verpflichtet, in der Sache zu entscheiden, bevor es seine Zuständigkeit feststellen könnte. Aus dieser Vorprüfung könnten sich zusätzliche Kosten und eine Verlängerung der Verfahrensdauer ergeben, falls dieses Gericht mangels Vorliegens derselben Sachlage und damit eines ausreichenden Zusammenhangs zwischen den Klagen seine Zuständigkeit verneinen müsste und deshalb eine neue Klage bei einem Gericht eines anderen Staates erhoben werden müsste.“ Gleichzeitig betont der Gerichtshof, der Gerichtsstand des Art. 8 Nr. 1 EuGVO setze das Vorliegen derselben Sachlage voraus, siehe EuGH v. 13. 07. 06 – C-539/03 – Slg. 2006, I‑6535 (Roche Nederland), Rn. 26, 39. 202  Ein Abstellen auf die Lehre von den doppelrelevanten Tatsachen hilft nicht weiter, da die Konnexität zwischen den Beklagten nicht zwingend für die Begründetheit der Klagen relevant ist. Die Klage gegen den Zweitbeklagten mag wegen fehlender Konnexität unzulässig, aber gleichwohl begründet sein, siehe Mäsch, IPRax 2005, 509 (513); Grothe in FS Karameus, S. 480. 203  Multinational Gas v Multinational Gas Services, [1983] Ch. 258 (273  ff.) (CA) m. w. N.; ausführlich Fawcett, ICLQ 1995, 744 (757); ferner Fentiman, Litigation, Rn. 9.83. 201 

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§ 10  Internationale Zuständigkeit für das Hauptsacheverfahren

des Ankerbeklagten allein den Zweitbeklagten seines allgemeinen Gerichtsstands berauben wollte.204 Den Beweis dieser subjektiven Tatsache könnte der beweispflichtige Beklagte regelmäßig allein durch den Verweis auf fehlende Indizien für einen sinnvollen Grund der Klageerhebung gegen mehrere Streitgenossen erbringen. Eine klare Konturierung des Konnexitätsbegriffs macht den Rückgriff auf eine Missbrauchsklausel entbehrlich, da bei Konnexität der Grundsatz der Prozessökonomie stets für ein Interesse des Klägers an der Klageverbindung streitet.

f)  Schwerpunktbildung: die „Spinne im Netz“ 90

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Schutzrechtsverletzungen im Wege eines koordinierten Vorgehens konzernverbundener Unternehmen mit Sitz in verschiedenen europäischen Staaten sind keine Seltenheit.205 Dies hat in der Praxis die Frage aufgeworfen, ob dem Kläger tatsächlich eine freie Auswahl zwischen den Gerichten am Sitz der einzelnen beklagten Akteure zukommen sollte oder ob der Effekt des Art. 8 Nr. 1 EuGVO durch eine Schwerpunktbildung zu beschränken ist. Bei näherer Betrachtung lassen sich deutliche Parallelen zwischen der konzertierten Verletzung identischer Schutzrechte durch mehrere Personen und den vom EuGH in der Rechtssache Shevill behandelten Streudelikten ziehen. Während Streudelikte durch eine einheitliche Handlung verursacht werden, die sich in unterschiedlichen Staaten auswirkt, wird der Eintritt des Verletzungserfolgs bei der hier behandelten Konstellation durch mehrere, im Rahmen einer konzertierten Aktion handelnde Personen verwirklicht. Eine konsequente Übertragung der in der Rechtssache Shevill entwickelten Einschränkung der Kognitionsbefugnis der Gerichte des Erfolgsstaates hätte zur Folge, dass auch im Anwendungsbereich des Art. 8 Nr. 1 EuGVO bei identischen Verletzungshandlungen mehrerer untereinander verbundener Konzerntöchter die Kognitionsbefugnis der Gerichte der Erfolgsstaaten, welche im Regelfall mit den Sitzstaaten der jeweiligen Konzerntochter korrespondieren, auf die Schäden im Forumstaat beschränkt wäre. Insoweit gilt es freilich, einen wesentlichen Unterschied zu berücksichtigen: Bei Streudelikten kann nach der Rechtsprechung des EuGH der gesamte Schadensumfang sowohl vor den Gerichten im Wohnsitzstaat des Beklagten als auch vor dem Gericht am Ort des ursächlichen Geschehens geltend gemacht 204 

Mäsch, IPRax 2005, 509 (513); Althammer, IPRax 2006, 558 (563); Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 6 Brüssel I-VO Rn. 9; Schack, IZVR, Rn. 409; Jaeger in Hilty/Jaeger/Kitz, Herausforderung Durchsetzung, S. 170; Brandes, Gerichtsstand, S. 147 f., 158 f.; Gottwald in MüKo ZPO, Art. 6 EuGVO Rn. 14; a. A. Kropholler/v. Hein, EuZPR, Art. 6 EuGVO Rn. 15 (mit Hinweis auf die abweichende Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Freeport); Droz, Compétence, Rn. 88; Geimer/Schütze, EuZVR, A. 1, Art. 6 Rn. 23 (Missbrauchsklausel subsidiär). 205 Siehe allein aus der Rechtsprechung des EuGH die Entscheidungen v.  13. 07. 06  – C-539/03 – Slg. 2006, I‑6535 (Roche Nederland) und v. 12. 07. 2012 – C-616/10 (Solvay).



B.  Gerichtsstände für die Verletzungsklage

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werden. Im Falle der Verletzung nationaler Schutzrechtsbestandteile durch unterschiedliche Personen fehlt es an einem solchen einheitlichen allgemeinen Beklagtenwohnsitz bzw. Handlungsort. Die niederländische Rechtsprechung hat dieses Dilemma in eleganter Weise und folgerichtiger Ableitung der Shevill-Rechtsprechung dahingehend zu lösen versucht, dass allein den Gerichten am Sitz des Konzernteils mit Führungsfunktion, der „Spinne im Netz“, nach Art. 6 Nr. 1 eine Zuständigkeit für die Klage gegenüber allen Streitgenossen zukomme.206 Daran überzeugt, dass der Wohnsitz des steuernden Konzernteiles bei bewusst geplantem Zusammenwirken mehrerer Konzerntöchter dem Handlungsort eines einzelnen Verletzers bei Streudelikten durchaus gleichgesetzt werden kann. Gleichwohl weist dieses Konstrukt zu deutliche Schwächen auf, um als Interpretationsmaßstab für Art. 8 Nr. 1 zu dienen.207 Erstens widerspricht diese teleologische Reduktion dem klaren Wortlaut der Bestimmung. Zudem versagt die einschränkende Auslegung, sofern sich der Sitz des steuernden Konzernteils nicht in einem Mitgliedstaat der EU, sondern im außereuropäischen Ausland befindet.208 Schließlich sind die konzerninternen Strukturen für den Kläger regelmäßig nicht einfach zu erkennen;209 er ginge mit der Berufung auf Art. 8 Nr. 1 EuGVO ein erhebliches Prozessrisiko ein. Diese Unsicherheit würde die Norm faktisch entwerten; das durch Art. 8 Nr. 1 EuGVO bezweckte Ziel der Prozessökonomie könnte nicht erreicht werden. Das Konstrukt der „Spinne im Netz“ ist deshalb abzulehnen. Zwar trifft es zu, dass hierdurch dem Kläger die Wahl zwischen mehreren Gerichtsständen eröffnet wird. Doch lässt sich ein prozesstaktisches Vorgehen des Klägers ohnehin nicht vermeiden, da dieser nicht gezwungen ist, von dem Gerichtsstand des Art. 8 Nr. 1 EuGVO Gebrauch zu machen. Es steht dem Kläger ohne weiteres offen, mehrere Klagen vor verschiedenen Gerichten zu erheben oder zunächst ein „Musterverfahren“ gegen einen einzelnen Beklagten in einem opportun erscheinenden Forum durchzuführen und auf eine gütliche Einigung 206 Gerechtshof Den Haag v.  23. 04. 1998  – [1999] FSR 352 (Expandable Grafts); zustimmend Véron, RDPI 95 (1999), 37 (41); Grabinski, GRUR Int. 2001, 199 (207). 207  Wie hier Cass. civ. v. 26. 02. 2013 – 11–27139 – unalex FR-2354; EPLAW, Comments, III.5. A. A. CLIP, Suggestions, S. 13 f.; Tilmann/Falck, GRUR 2000, 579 (586); Grabinski, GRUR Int. 2001, 199 (207); Kur, IIC 2006, 844 (850); Tang, ELR 2009, 80 (92 f.); Pitz in FS Meibom, S. 343. 208  Auch in den Niederlanden scheiterte eine konsistente Anwendung der Spider in the Web-Theorie an Aufweichungen, welche im Hinblick auf Konzernzentralen mit Sitz im nichteuropäischen Ausland sowie intransparente Firmen- und Leitungsstrukturen der beklagten Konzerne vorgenommen wurden, vgl. RB Den Haag v. 26. 11. 1998 – 98/870 (Chiron v Roche), zitiert nach Tilmann/Falck, GRUR 2000, 579 (582); ebenso Rößler, IIC 2007, 380 (397). 209  Rößler, IIC 2007, 380 (397); auch Kur, IIC 2006, 844 (850) gesteht ein, dass eine gewisse Unsicherheit mit dieser Lösung verknüpft sei. Der Regelungsvorschlag des Art. 2:206 (3) CLIP-Principles berücksichtigt diese Unsicherheiten, kann aber aus Art. 8 Nr. 1 EuGVO nicht abgeleitet werden.

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§ 10  Internationale Zuständigkeit für das Hauptsacheverfahren

mit den anderen Beklagten im Erfolgsfalle zu hoffen.210 Auch bei einem solchen Vorgehen unterliegen konzernverbundene Beklagte dem praktischen Zwang, zumindest hinter den Kulissen ihre Verteidigungsstrategie zu koordinieren.

4. Zwischenergebnis 95

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Die Rechtsprechung des EuGH zu Art. 8 Nr. 1 EuGVO ist mit der Formulierung „un peu chaotique“211 noch recht freundlich umschrieben. Es fehlt an der Erarbeitung eines klaren Konnexitätsbegriffs, der den Gerichten der Mitgliedstaaten an die Hand gegeben werden könnte. Stattdessen beeinträchtigt der Gerichtshof die Rechtssicherheit durch divergierende Präjudizien, deren Widerspruch zueinander weder angesprochen, noch aufgelöst wird. Nach dem hier vorgeschlagenen Konnexitätsbegriff ist von einem Zusammenhang zwischen den Klagen gegen mehrere Streitgenossen auszugehen ist, sofern (1) die sinnvolle Möglichkeit einer gemeinsamen Verhandlung besteht, d. h. die Klage gegen den Ankerbeklagten nicht offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist (2) eine Teilidentität entscheidungserheblicher Tatsachen- oder Rechtsfragen vorliegt und (3) eine innere Verbindung zwischen den Beklagten besteht, aufgrund derer die Inanspruchnahme am Wohnsitz des Ankerbeklagten dem Zweitbeklagten zugemutet werden kann. Bei Eingriffen in Immaterialgüterrechte kommt nach den obigen Kriterien eine Berufung auf Art. 6 Nr. 1 in Fällen einer gemeinschaftlichen Verletzungshandlung, der stufenmäßigen Verletzung eines Schutzrechtes (z. B. im Wege einer Vertriebskette) sowie identischer, parallel verlaufender Verletzungshandlungen auf Basis einer gemeinsamen Geschäftspolitik in Betracht. Nicht ausreichend ist eine Parallelität der Schutzrechtsverletzungen ohne innere Verbindung zwischen den Beklagten. Einer zusätzliche Missbrauchskontrolle bedarf es nicht. Auch eine Einschränkung des forum shoppings des Klägers durch Beschränkung der Klagemöglichkeit am Sitz der „Spinne im Netz“ ist abzulehnen.

210  EPLAW, Comments, III.5.; Norrgård in Leible/Ohly, IP & PIL, S. 222; siehe ferner Moore, JIPLP 2006, 113 (115) zur streamlined lititgation procedure vor dem Patents Court, die den Vorzug für den Kläger hat, ggf. in einem kurzen Verfahren eine persuasive authority für Prozesse in anderen Mitgliedstaaten zu bewirken. 211  Gaudemet-Tallon, Compétence, Rn. 248. Schärfer Briggs, LMCLQ 2006, 447: der EuGH zeige „a regrettable predisposition to be unhelpful“.



C.  Nichtigkeitswiderklage und Einwand der Ungültigkeit

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C.  Nichtigkeitswiderklage und Einwand der Ungültigkeit I.  Dichotomie der internationalen Zuständigkeit im gewerblichen Rechtsschutz Wie gesehen, stehen zur Durchsetzung gewerblicher Schutzrechte die Gerichte des Sitzstaates oder der Zweigniederlassung des Beklagten bzw. am Ort der unerlaubten Handlung zur Verfügung. In Ausnahmefällen mag ferner der hier nicht näher erörterte Gerichtsstand des Strafverfahrens von Belang sein.212 Bei vertraglicher Verbindung der Parteien kann sich die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts auch aus einer Gerichtsstandsvereinbarung oder aus Art. 7 Nr. 1 EuGVO (Gerichtsstand des Erfüllungsorts) ergeben. Will der Kläger gegen mehrere Beklagte vorgehen, so ist eine Verfahrenskonsolidierung bei den Gerichten am Wohnsitz des Ankerbeklagten gemäß Art. 8 Nr. 1 EuGVO möglich. Der Vollständigkeit halber sei schließlich erwähnt, dass die internationale Zuständigkeit eines an sich unzuständigen Gerichts auch gemäß Art. 26 EuGVO durch rügelose Einlassung begründet werden kann. Der Kläger verfügt somit über einige Optionen zur Wahl des geeigneten Forums, zumal aufgrund der häufig anzutreffenden Vielzahl der Akteure in Rechtssachen betreffend gewerbliche Schutzrechte meist eine Klage gegen mehrere Streitgenossen möglich ist. In deutlichem Kontrast hierzu weist Art. 24 Nr. 4 EuGVO Verfahren, die die Eintragung oder Gültigkeit von registrierten Schutzrechten zum Gegenstand haben, den Gerichten desjenigen Mitgliedstaates zu, in dem das Schutzrecht erteilt wurde oder als erteilt gilt bzw. für welchen eine Erteilung beantragt wurde. Die ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte des Registerstaates für Bestandsklagen trägt dem Umstand Rechnung, dass registrierte Schutzrechte originär durch hoheitliche Erteilung begründet werden und zur Eintragung und Löschung eines registrierten Schutzrechts ein Handeln der Verwaltung des Registerstaats erforderlich ist.213 Eine Prorogation ist deshalb nicht möglich.214 Die scheinbar klare Differenzierung zwischen der internationalen Zuständigkeit für das Verletzungs- und das Bestandsverfahren gerät ins Wanken, sobald der Beklagte den Bestand des registrierten Schutzrechts im Verletzungsverfahren in Zweifel zieht – eine klassische Verteidigungsstrategie insbesondere in Patentverletzungsverfahren.215 212 

Siehe hierzu Kur in CLIP, Rn. 2:204.C01 ff. Nr. 4 EuGVO bezweckt die Sicherung der nationalen Souveränität des erteilenden Staates, vgl. Jenard-Bericht, ABl. EG Nr. C 59/36 v. 05. 03. 1979; Wadlow, Enforcement, Rn. 2–117 ff.; näher Schauwecker, Patentverletzungsjurisdiktion, S. 355 ff. 214  Art. 25 Abs. 4 EuGVO. 215  Die Häufigkeit des Einwands der Nichtigkeit divergiert je nach Schutzrecht und Mitgliedstaat. Nähere Ausführungen bei Bastian/Götting/Knaak/Stauder, Markenverletzungsprozess, S. 22, 71, 106 f., 152 f., 189, 224; Brinkhof, GRUR Int 1997, 489 (492); Mousseron/ 213 Art. 24

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§ 10  Internationale Zuständigkeit für das Hauptsacheverfahren

Es ist höchst umstritten, welche Konsequenzen dieses prozessuale Verhalten des Beklagten für die internationale Zuständigkeit des im Verletzungsprozess angerufenen Gerichts hat, wenn das betreffende Schutzrecht ein ausländisches Schutzrecht ist. Der Disput resultiert einerseits aus unterschiedlichen Ansichten, in welchem Ausmaß dem Territorialitätsprinzip im Rahmen der EuGVO noch Bedeutung zugemessen werden sollte.216 Andererseits hat er seine Ursache in der unterschiedlichen Behandlung des Nichtigkeitseinwands bzw. der Nichtigkeitswiderklage im nationalen Recht: Die Rechtsordnungen einiger Mitgliedstaaten der Union sehen für bestimmte Schutzrechte getrennte Verletzungs- und Nichtigkeitsverfahren vor und schließen deshalb die Nichtigkeitswiderklage ebenso wie den Einwand der Nichtigkeit des Schutzrechts im Verletzungsverfahren aus (sog. Trennungsprinzip oder bifurcation).217 Die Rechtsordnungen der meisten Mitgliedstaaten schlagen einen anderen Weg ein und erlauben dem Beklagten eines Verletzungsprozesses, den Einwand der Nichtigkeit des registrierten Schutzrechtes bzw. eine Nichtigkeitswiderklage zu erheben (sog. Verbundsystem). So ist die Beurteilung der Schutzrechtsverletzung und der Gültigkeit des Schutzrechts nach französischer und englischer Auffassung gar untrennbar miteinander verbunden.218 Der Bestand des Schutzrechts stellt in diesen Rechtsordnungen eine Vorfrage im Verletzungsprozess dar, und die Entscheidung über diese Vorfrage mag – je nach Prozessrecht – Rechtskraft inter partes oder erga omnes entfalten.219

Raynard/Véron, IIC 1998, 884 (899 f.); Stauder/Luginbühl in Contributions in Honour of Hanns Ullrich, S. 296 ff.; Wadlow, Enforcement, Rn. 3–89; Kerly on Trademarks, Rn. 19–039; Bently/Sherman, IP Law, Kap. 47 Rn. 9.1.1 m. Fn. 188. 216  Siehe stellvertretend Ubertazzi, Exclusive Jurisdiction, S. 295 ff.; Torremans in Leible/ Ohly, IP & PIL, S. 195 f., die dem Territorialitätsprinzips nur noch eine geringe Bedeutung beimessen; ganz anders hingegen Aldous J in Plastus Kreativ AB v Minnesota Mining and Manufacturing Co, [1995] RPC 438 (447). 217  Deutschland, Österreich, Kroatien, Bulgarien, Polen, Portugal, Rumänien, Slowakei und Tschechische Republik, vgl. Luginbühl, European PatL, S. 29 Fn. 107; Jaeger, System einer Europäischen Gerichtsbarkeit, S. 456 ff. Zu Vorzügen und Nachteilen des Trennungsprinzips siehe Kunz-Hallstein/Loschelder, GRUR 2008, 498; Pagenberg GRUR Int. 2010, 195 (196); McGuire, WRP 2011, 983 (990); Bolte, Rechtsbehelfe, S. 116; Hetmank in Götting/ Vall/Röder-Hitschke, Enforcing IP, S. 125 ff.; Luginbühl, European PatL, S. 28 f.; Cremers/ Gaessler/Harhoff/Helmers, S. 2 ff.; Jaeger a. a. O., S. 464 ff. mit Nachweisen zu den historischen Hintergründen auf S. 454 f. 218  Siehe die beim EuGH eingereichte Erklärung der französischen und britischen Regierung in der Rechtssache GAT/LuK, berichtet in den Schlussanträgen des Generalanwalts Geelhoed v. 16. 09. 2004 – C-4/03 – Slg. 2006, I-6509, Rn. 19. 219 Letzteres nach herrschender Rechtsauffassung in Frankreich, Spanien und Italien, siehe die Nachweise bei Schauwecker, Patentverletzungsjurisdiktion, S. 434.



C.  Nichtigkeitswiderklage und Einwand der Ungültigkeit

367

II.  Die Nichtigkeitswiderklage Die EuGVO enthält in Art. 8 Nr. 3 einen Gerichtsstand der Widerklage am Gericht der Klage. Diese Zuständigkeit wird für Widerklagen, die den Bestand des Schutzrechts zum Inhalt haben, durch den ausschließlichen Gerichtsstand des Art. 24 Nr. 4 EuGVO verdrängt. Eine Nichtigkeitswiderklage ist dem Beklagten unstreitig nur möglich, wenn die Verletzungsklage im Schutzland erhoben wurde und eine funktionale Zuständigkeit des mit der Verletzungsfrage befassten Gerichts besteht.220

102

III.  Der Einwand der Ungültigkeit des Schutzrechts 1.  Optionen zur Behandlung des Nichtigkeitseinwands Äußerst kontrovers beurteilt wird hingegen die Folge eines Einwands des Nichtbestands des Schutzrechts durch den Beklagten.221 Angesichts der grundsätzlichen Dichotomie des Zuständigkeitssystems der EuGVO in Schutzrechtsstreitsachen gibt es grundsätzlich drei Möglichkeiten zur Behandlung des Nichtigkeitseinwands. Jede dieser Optionen kann Vorzüge und Nachteile für sich verbuchen.222

103

a)  Inzidente Entscheidungsbefugnis des Verletzungsgerichts Die erste Option besteht darin, die Einrede des Nichtbestands des Schutzrechts wie jede andere Einrede zu behandeln, d. h. dem Verletzungsgericht die Entscheidungsbefugnis über die Nichtigkeitseinrede zuzubilligen. Prinzipiell vermag eine Einrede des Beklagten die einmal begründete internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts nicht zu verändern, denn im Rahmen der

220  Implizit vorausgesetzt in EuGH v. 09. 06. 1994 – C-292/93 – Slg. 1994, I-2535 (Lieber). Siehe auch Wadlow, Enforcement, Rn. 2–67; Mankowski in Rauscher, EuZPR, Art. 22 Brüssel I-VO Rn. 1; Kropholler/v. Hein, EuZPR, Art. 22 EuGVO Rn. 2. 221 Einen Überblick über die Rechtsprechung vor der Entscheidung des EuGH v. 13. 07. 2006 – C-4/03 – Slg. 2006, I-6509 (GAT/LuK) bieten Fawcett/Torremans, IP & PIL, Rn. 7.70 ff. Siehe aus dem Schrifttum u. a. Dutson, ICLQ 1997, 918 ff.; Mousseron/Raynard/ Véron, IIC 1998, 884 (897); Franzosi/Tilmann, Mitt. 2005, 55 (57); Wilderspin, RC 95 (2006), 777 ff.; Heinze/Roffael, GRUR Int. 2006, 787 ff.; van Brinkhof, BIE 2006, 319 f.; Briggs, LMCLQ 2006, 447 (450 f.); Stauder/Luginbühl, sic! 2006, 876 ff.; Gonzáles Beilfuss, AEDIP 2006, 269 ff.; Adolphsen, ZZP Int. 11 (2006), 137 ff.; Torremans, EIPR 2007, 195 ff.; Kubis, Mitt. 2007, 220 ff.; Gottschalk, JZ 2007, 300 f.; Reichardt, GRUR Int. 2008, 574 ff.; Bukow in FS Schilling, S. 59 ff.; Schack in FS Leipold, S. 330 ff.; Torremans in Leible/Ohly, IP & PIL, S. 191 ff.; ders. in CLIP, Rn. 2:401.C08 ff.; Sujecki, GRUR Int. 2013, 201 (208 ff.); Schauwecker, Patentverletzungsjurisdiktion, S. 214 ff., 416 ff.; Ebner, Markenschutz, S. 211 ff.; HyeKnudsen, S. 42 ff.; Briggs/Rees, Civil Jurisdiction, Rn. 2.70; Fawcett/Torremans, IP & PIL, Rn. 7.01 ff.; Mankowski in Rauscher, EuZPR, Art. 22 Brüssel I-VO Rn. 46 ff. 222  Siehe auch die konzise Zusammenstellung bei Wadlow, Enforcement, S. 211.

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§ 10  Internationale Zuständigkeit für das Hauptsacheverfahren

EuGVO findet der Grundsatz perpetuatio fori Anwendung.223 Auch werden die besonderen und ausschließlichen Zuständigkeiten der EuGVO grundsätzlich nicht aktiviert, sofern die betreffende Rechtsfrage (z. B. die Existenz eines Vertrags oder des Eigentums an einer unbeweglichen Sache) nicht den Gegenstand des Verfahrens bildet, sondern lediglich als Vorfrage zu beurteilen ist.224 Darüber hinaus bietet eine einheitliche Behandlung von Bestands- und Verletzungsfrage den Vorteil der Prozessökonomie, und eine ungerechtfertigte Verurteilung aufgrund der Verletzung eines nicht rechtsbeständigen Schutzrechts wird auf diesem Wege vermieden.225 Nachteil der inzidenten Entscheidung über ein ausländisches Schutzrecht ist die Entwertung des ausschließlichen Gerichtsstands. Denn ein Angriff auf den Bestand eines Schutzrechts erfolgt regelmäßig nur dann, wenn dieser Bestand den wirtschaftlichen Aktivitäten des Bestandsklägers entgegensteht, zumeist im Zusammenhang mit einem Verletzungsvorwurf des Schutzrechtsinhabers. In Staaten, die nicht dem Trennungsprinzip folgen, ist die Einrede der Nichtigkeit des Schutzrechts eine Grundform des Angriffs auf den Bestand des Schutzrechts. In Frankreich, Italien und Spanien entfaltet eine inzidente Nichtigkeitsentscheidung nach herrschender Auffassung gar Wirkung erga omnes.226 Selbst wenn das Verletzungsgericht dem Schutzrecht lediglich im Verhältnis der Parteien des Verletzungsprozesses die Wirkung abspricht,227 223  Der Grundsatz perpetuatio fori ist in der Verordnung nicht ausdrücklich geregelt, liegt ihr aber unausgesprochen zu Grunde. Die Zuständigkeit wird durch das Beklagtenverhalten prinzipiell nicht beeinflusst, vgl. EuGH v. 08. 05. 2003 – C-111/01 – Slg. 2003, I-4207 (Gantner Electronic), Rn. 30; EuGH v.  05. 02. 2004  – C-18/02  – Slg. 2004, I-1417 (DFDS Torline), Rn. 37. Siehe ferner Wadlow, Enforcement, Rn. 3–98; Reichardt, GRUR Int. 2008, 574 (576); Kropholler/v. Hein, EuZPR, vor Art. 2 EuGVO Rn. 14; Zur EuInsVO siehe EuGH v. 17. 01. 2006 – C-1/04 – Slg. 2006, I-701 (Staubitz-Schreiber), Rn. 23 ff . 224  Jenard-Bericht, ABl. EG Nr. C 59/34 v. 05. 03. 1979; zur Wirkung des Einwands der Nichtigkeit auf eine Patentverletzungsklage in den sechs Ursprungsmitgliedstaaten des EuGVÜ siehe Wadlow, Enforcement, Rn. 3–137 ff. Für Art. 24 Nr. 1 EuGVO siehe EuGH v. 18. 05. 2006 – C-343/04 – Slg. 2006, I-4557 (ČEZ), Rn. 34; für Art. 24 Nr. 2 EuGVO siehe EuGH v. 12. 05. 2011 – C-144/10 – Slg. 2011–3961 (BVG), Rn. 44 ff. 225  Kühnen/Claessen, GRUR 2013, 592 (594), kommen nach einer Analyse deutscher Statistiken zu Aussetzungsverhalten der Verletzungsgerichte und Erfolgsquoten der Einspruchs- bzw. Nichtigkeitsverfahren zu dem Schluss, im deutschen Trennungssytem komme es „mehr als nur vereinzelt zu einer (wenigstens in der Reichweite des Urteilsausspruchs) ungerechtfertigten Verurteilung des Beklagten“. 226  Nachweise bei Schauwecker, Patentverletzungsjurisdiktion, S. 434. 227  Im Schrifttum wird erwogen, eine Zuständigkeit des Verletzungsgerichts davon abhängig zu machen, ob die inzidente Entscheidung über den Nichtbestand des Schutzrechts Wirkung inter partes oder erga omnes entfaltet (wobei teils auf die lex fori, teils auf die lex causae abgestellt wird), siehe Briggs/Rees, Civil Jurisdiction, Rn. 2.70; Bukow in FS Schilling, S. 67; Mousseron/Raynard/Véron, IIC 1998, 884 (897); Mankowski in Rauscher, Art. 22 Brüssel-I VO Rn. 47c; Wadlow, Enforcement, Rn. 3–132 ff. Der EuGH hat diesen Vorschlag geprüft und aufgrund entstehender Verwerfungen des Zuständigkeitssystems abgelehnt, v. EuGH v. 13. 07. 2006 – C-4/03 – Slg. 2006, I-6509 (GAT/LuK), Rn. 30; zustimmend McGuire, WRP 2001, 983 (989); kritisch Adolphsen, EZPR in Patentsachen, Rn. 449, mit Hinweis



C.  Nichtigkeitswiderklage und Einwand der Ungültigkeit

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d. h. den Bestand des Schutzrechts nicht antastet, wird das Schutzrecht faktisch entwertet. Die beanstandeten Handlungen dürfen von der beklagten Partei ungeachtet des Fortbestands des Schutzrechts im Schutzrechtsstaat weitergeführt werden228 – auch wenn eine Feststellungsklage oder ein späteres Bestandsverfahren im Schutzrechtsstaat die Gültigkeit des Schutzrechts erneut bestätigt.229 Umgekehrt wäre der im Verletzungsverfahren unterlegene Beklagte auch dann an die Verletzungsentscheidung eines ausländischen Gerichts gebunden, wenn es ihm gelänge, das Schutzrecht in einem nachfolgenden Bestandsverfahren im Schutzrechtsstaat zu Fall zu bringen,230 denn im Gegensatz zum deutschen Recht sehen die Rechtsordnungen der meisten Mitgliedstaaten für diese Situation keine Restitutionsklage vor.231 Da der Einwand des Nichtbestands des Schutzrechts in einigen Rechtsordnungen der Union generell als unzulässig angesehen wird (Trennungsprinzip), führt diese Lösungsvariante ferner zu einem uneinheitlichen Anwendungsbereich des ausschließlichen Gerichtsstands für die Bestandsklage. Schutzrechte derjenigen Registerstaaten, die dem Trennungsprinzip folgen, könnten weiterhin nur im Schutzrechtsstaat angegriffen werden232 – es sei denn, man wollte unionsautonom den Verletzungsgerichten außerhalb des Schutzrechtsstaates zubilligen, was das nationale Recht den Verletzungsgerichten versagt: eine Entscheidung über den Bestand des Schutzrechts. Schließlich würde die darauf, dass eine erga omnes wirkende Entscheidung über ein ausländisches Schutzrecht in keinem Mitgliedstaat der Union erfolge. Für die autonome Entwicklung eines Rechtskraftbegriffs fehlt es an Anhaltspunkten in der Verordnung, dennoch wird im Schrifttum als Alternative vorgeschlagen, die Urteilswirkungen kraft autonomen Rechts auf die Prozessparteien zu beschränken Heinze/Roffael, GRUR Int 2006, 787 (796); Gonzáles Beilfuss, AEDIP 2006, 269 (277); Ebner, Markenschutz, S. 211 ff.; von einer „Einschränkung der Kognitionsbefugnis“ spricht Kubis, Mitt. 2007, 220 (223); für eine inter partes-Wirkung de lege ferenda Art. 2:401 Abs. 1 CLIP mit Kommentierung v. Torremans in CLIP, Rn. 2:401. C01 ff.; Schauwecker, Patentverletzungsjurisdiktion, S. 438 ff.; Schlosser in Hess/Pfeiffer/ Schlosser-Bericht, Rn. 819. 228  OLG Düsseldorf v.  5. 12. 2002  – 2 U 104/01  – GRUR Int 2003, 1030 (1032) (GAT/ LuK); Schauwecker, Patentverletzungsjurisdiktion, S. 421; zur negativen Vorbildfunktion für andere Wettbewerber siehe Dreyfuss, U. Ill. L. Rev. 2001, 421 (425). 229 Eine Anerkennungsversagung nach Art. 45 Abs. 1 lit.  c EuGVO (wegen Unvereinbarkeit mit dem Urteil eines Gerichts des Anerkennungsstaates) ist nur möglich, sofern das spätere Bestandsverfahren zwischen denselben Parteien wie der Verletzungsprozess geführt wird. Zur Erhebung der Bestandsklage ist der Beklagte des Verletzungsverfahrens jedoch nicht verpflichtet; einer positiven Feststellungsklage kann – abhängig von der Rechtskraftwirkung der Verletzungsentscheidung – die Rechtskraft des Ersturteils entgegenstehen. 230  Der Verletzungsentscheidung gemäß Art. 45 Abs. 1 lit. c EuGVO die Anerkennung zu versagen wäre nur im Schutzrechtsstaat möglich, in allen anderen Staaten der Union müsste gemäß Art. 45 Abs. 1 lit.  d EuGVO der prioritätsjüngeren Bestandsentscheidung die Anerkennung versagt werden. Hierzu McGuire, WRP 2011, 983 (989). 231  Näher infra § 10 Rn. 127. 232  Zu materiellen Qualifikation der Bindungswirkung an die Bestandserteilung infra Rn. § 10 Rn. 125 ff.

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370

§ 10  Internationale Zuständigkeit für das Hauptsacheverfahren

Entscheidung zahlreicher Mitgliedstaaten, die Zuständigkeit für die Bestandsklage besonders spezialisierten Kammern bzw. Gerichten zuzuweisen,233 konterkariert, wenn die Verletzungsgerichte anderer Mitgliedstaaten die Kognitionsbefugnis über die Einrede der Nichtigkeit erhielten.234

b)  Wegfall der Zuständigkeit des Verletzungsgerichts 107

108

Eine zweite Option besteht in der Zuweisung des gesamten Rechtsstreits an die Gerichte des Schutzrechtsstaates, verbunden mit einem Wegfall der Zuständigkeit des zuerst angerufenen Verletzungsgerichts. Dieser Lösungsansatz bewahrt die ausschließliche Zuständigkeit gemäß Art. 24 Nr. 4 EuGVO und kann den Vorteil einer einheitlichen Behandlung von Bestands- und Verletzungsfrage für sich verbuchen. Soweit der Schutzrechtsstaat die Zuständigkeit für Bestandsverfahren spezialisierten Gerichten oder Behörden zugewiesen hat, kommt deren Kompetenz zum Einsatz. Doch weitet dieser Lösungsweg den Anwendungsbereich des Art. 24 Nr. 4 EuGVO über dessen Wortlaut hinweg aus. Die in der Verordnung angelegte Dichotomie der Zuständigkeit für das Verletzungsverfahren einerseits und für das Bestandsverfahren andererseits würde hinweggeblasen, sobald der Verletzungsbeklagte den Nichtbestand des Schutzrechts einwendet. Nachteilig ist ferner der Verstoß gegen den Grundsatz perpetuatio fori: Die Prozessergebnisse des zuerst eingeleiteten Verletzungsverfahrens könnten nicht verwertet werden, die Parteien müssten Anwälte im neuen Gerichtsstaat beauftragen, sämtliche Schriftsätze wären zu übersetzen und den Formerfordernissen des neuen Forums anzupassen. Prozessökonomie sieht anders aus. Darüber hinaus können aus dem Wegfall der Zuständigkeit der Gerichte im Wohnsitzstaat des Beklagten Vollstreckungsprobleme resultieren, da die grenzüberschreitende Vollstreckung von Unterlassungsgeboten, denen im gewerblichen Rechtsschutz eine besondere Bedeutung zukommt, mit Schwierigkeiten behaftet ist.235

c)  Aussetzung des Verletzungsverfahrens 109

Als letzte Variante verbleibt die Aussetzung des Verletzungsverfahrens bis zur Klärung der Bestandsfrage im Schutzrechtsstaat. Vorteil dieses Lösungsweges ist die Wahrung des Grundsatzes perpetuatio fori sowie die wortgetreue Anwendung des Art. 24 Nr. 4 EuGVO. Die Bedeutung des allgemeinen Gerichtsstands des Beklagten und der besonderen Gerichtsstände bliebe für das Verletzungsverfahren erhalten. 233 

Supra § 10 Rn. 49 mit Fn. 121. v.  13. 07. 2006  – C-4/03  – Slg. 2006, I-6509 (GAT/LuK), Rn. 22. Allerdings streitet dieses Argument insgesamt gegen die Zuständigkeit für Verfahren über ausländische Schutzrechte, auch soweit lediglich Fragen der Schutzrechtsverletzung streitig sind. 235  Schlosser in Hess/Pfeiffer/Schlosser-Bericht, Rn.  801. Zur grenzüberschreitenden Vollstreckung eines gerichtlichen Unterlassungsgebots § 16 Rn. 42 ff., 52 ff. 234 EuGH



C.  Nichtigkeitswiderklage und Einwand der Ungültigkeit

371

Problematisch an diesem Lösungsweg ist zunächst das Fehlen einer passenden Aussetzungsregel innerhalb der EuGVO. Ferner besteht neben der zeitund kostenintensiven Verfahrensduplikation durch unabhängige Verhandlung der Bestands- und Verletzungsfrage die Gefahr, dass das über die Gültigkeit des Schutzrechts entscheidende Gericht den Patentanspruch eng interpretiert, um das Schutzrecht zu halten, während das Verletzungsgericht seiner Entscheidung eine weite Auslegung des Patentanspruchs zu Grunde legt.236 Mario Franzosi vergleicht den Patentinhaber plakativ mit einer Angorakatze:

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„When validity is challenged, the patentee says his patent is very small: the cat with its fur smoothed down, cuddly and sleepy. But when the patentee goes on the attack, the fur bristles, the cat is twice the size with teeth bared and eyes ablaze.“237

In Staaten, die dem Trennungsprinzip folgen, werden diese Nachteile in Kauf genommen, um eine schnelle Durchführung des Verletzungsverfahrens zu ermöglichen.238 Über den Bestand des Schutzrechts wird im Verletzungsverfahren nicht verhandelt, eine Aussetzung des Verletzungsverfahrens bis zur Entscheidung im Bestandsverfahren unterbleibt zumeist. Erfolgt eine Aussetzung des Verletzungsverfahrens, so besteht – zumindest im deutschen Recht – eine faktische Bindung des Verletzungsgerichts an die Auslegung des Patentanspruchs im Bestandsverfahren.239 Divergiert die internationale Zuständigkeit für Verletzungs- und Bestandsverfahren, so ist das Risiko einer uneinheitlichen Auslegung des Schutzrechts in Bestands- und Verletzungsverfahren deutlich erhöht.240 Gleichzeitig lässt sich der verfahrensökonomische Vorteil der Bindungswirkung an die Schutzrechtserteilung im Verletzungsverfahren nicht realisieren, weil die meisten Mitgliedstaaten eine solche Bindungswirkung im Verletzungsverfahren nicht anerkennen. Im Gegenteil wird eine Aussetzung des Verletzungsfahrens zwecks Klärung der präjudiziellen Bestandsfrage im Registerstaat erforderlich, welche den Rechtsschutz für den Rechteinhaber verzögert.

236 Siehe nur OLG Düsseldorf v.  09. 08. 2007  – I-2 U 49/06 (Spundfass II) [juris]. In Deutschland führt 237 Zitiert nach European Central Bank v Document Security Systems Incorporated, [2008] EWCA Civ 192 (CA), Rn. 5. 238 Siehe Kühnen/Claessen, GRUR 2013, 592 und Köllner/Weber, Mitt. 2014, (430 ff., 435 ff.) zur mehr als nur vereinzelten ungerechtfertigten Verurteilung des Beklagten im Verletzungsverfahren: Aussetzungsquote im deutschen Verletzungsverfahren i. H. v. 10 %; vollständige Abweisung der Nichtigkeitsklage / Zurückweisung des Einspruchs nur in Höhe von 20–30 % (nicht berücksichtigt sind durch Vergleich oder Klagerücknahme beendete Verfahren). 239  OLG Düsseldorf v. 08. 08. 2013 – I-2 U 22/12 (Schiebewagen), Rn. 109 ; s. a. BGH v. 29. 06. 2010 – X ZR 193/03 – GRUR 2010, 858 (859) (Crimpwerkzeug). 240 Rechtsvergleichend zur Auslegung des Schutzbereichs des Art. 69 EPÜ Grabinski, GRUR 1998, 857 ff.; Laddie, IIC 2009, 3 ff.

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§ 10  Internationale Zuständigkeit für das Hauptsacheverfahren

2.  Das Urteil GAT/LuK und die Reaktion des Verordnungsgebers 113

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Der EuGH nutzte das Vorabentscheidungsersuchen in der Rechtssache GAT/ LuK zu einem klärenden obiter dictum über die Reichweite des Art. 16 Nr. 4 EuGVÜ (= Art. 24 Nr. 4 EuGVO).241 Die ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte des Registerstaates habe „unabhängig davon zu gelten, wie der verfahrensrechtliche Rahmen beschaffen ist, in dem sich die Frage der Gültigkeit eines Patents stellt, also unabhängig davon, ob dies klage- oder einredeweise geschieht, bei Klageerhebung oder in einem späteren Verfahrensstadium.“242 Zu den praktischen Konsequenzen dieser Interpretation für die Zuständigkeit im Verletzungsverfahren verlor der Gerichtshof kein Wort243 Das vorlegende Gericht hatte aufgrund einer prozessualen Ausgangssituation, die von der hier interessierenden abweicht, keine entsprechenden Vorlagefragen gestellt.244 Trotz heftiger Kritik im Schrifttum245 wurde angelehnt an dieses obiter dictum der Wortlaut des Gerichtsstands für Bestandsklagen zunächst im revidierten Luganer Übereinkommen und später in Art. 24 Nr. 4 EuGVO (2012) angepasst. Hierbei wurde darauf geachtet, den exakten Wortlaut der entsprechenden Passage in der GAT/LuK-Entscheidung zu übernehmen.246 Zu einer Regelung der hieraus resultierenden Konsequenzen sah sich der Verordnungsgeber außerstande.

3.  Die praktische Bewältigung der Entscheidung GAT/LuK a)  Handlungsalternativen des angerufenen Gerichts 115

Aus der Entscheidung des EuGH in GAT/LuK ergeben sich keine Handhabungsrichtlinien für ein Gericht, das nach Art. 4 ff. EuGVO für ein Verletzungsverfahren über ein registriertes Schutzrecht zuständig ist und sich mit der Einrede des Nichtbestands des Schutzrechts konfrontiert sieht. Fest steht 241 Zuvor waren zwei Vorabentscheidungsersuchen des Court of Appeal (Boston Scientific v Cordis und Fort Dodge Animal Health v Akzo Nobel) wegen Vergleichs der Parteien wieder zurückgezogen bzw. gar nicht erst beim EuGH eingereicht worden, näher Tilmann/v. Falck, GRUR 2000, 579 (580 m. Fn. 6). 242  EuGH v. 13. 07. 2006 – C-4/03 – Slg. 2006, I-6509 (GAT/LuK), Rn. 25. 243 Kritisch Briggs, LMCLQ 2006, 447 (449). Entgegen Franzosi, 2009 JIPLP 247 ff. hat das Inkrafttreten der Rom II-Verordnung keinen Einfluss auf die Auswirkung des GAT/LuKUrteils. 244 Siehe das Vorabentscheidungsersuchen des OLG Düsseldorf v.  05. 12. 2002  – 2 U 104/01 – GRUR Int. 2003, 1030 ff. (GAT/LuK). 245 Siehe etwa die Reformvorschläge bei Schlosser im Hess/Pfeiffer/Schlosser-Bericht, Rn. 818 ff.; Art. 2:401 Abs. 2 CLIP mit Kommentierung von Torremans in CLIP, Rn. 2:401. C08 ff. 246  Die englischsprachige Ursprungsfassung des Kommissionsvorschlags zur Reform der EuGVO v. 14. 12. 2010, COM (2010) 748, enthält auf S. 32, Fn. 25, den expliziten Hinweis an die Übersetzer, insbesondere der deutschen und französischen Fassung, den genauen Wortlaut der Entscheidung GAT/LuK zu übernehmen.



C.  Nichtigkeitswiderklage und Einwand der Ungültigkeit

373

lediglich, dass dem mit der Verletzungsklage befassten Gericht keine Kognitionsbefugnis über die Gültigkeit des Schutzrechts zukommt. Muss es sich insgesamt für unzuständig erklären, hat es das Verfahren bis zur Entscheidung der Gerichte des Registrierungsstaates über die Gültigkeit des Schutzrechts auszusetzen oder kann es den Einwand in bestimmten Konstellationen gar als unbeachtlich behandeln? In seinen Schlussanträgen in der Rechtssache GAT/LuK benannte Generalanwalt Geelhoed die folgenden Optionen:247

116

„Das Gericht […] kann die Rechtssache ganz abgeben, es kann ein Verfahren aussetzen […] und es kann die Rechtssache – im Fall eines treuwidrig handelnden Beklagten – selbst abschließend entscheiden.“

Die von Generalanwalt Geelhoed benannten Möglichkeiten lassen sich nicht alle durch eine wortgetreue Auslegung der EuGVO herleiten. Eine „Abgabe“ der Rechtssache im Sinne einer Verweisung an die Gerichte eines anderen Mitgliedstaates kommt mangels entsprechender Verweisungsvorschriften nicht in Betracht;248 das mit der Verletzungsfrage befasste Gericht kann sich lediglich für unzuständig erklären.249 Eine Aussetzung des Verletzungsverfahrens gemäß Art. 30 Abs. 1, Abs. 2 EuGVO scheitert regelmäßig an der nach dieser Bestimmung erforderlichen zeitlichen Priorität des Bestandsverfahrens.250 Allein eine Aussetzung des Verletzungsverfahrens nach unvereinheitlichtem Prozessrecht lässt sich erwägen. Schließlich ist völlig offen, unter welchen Voraussetzungen der Einwand der Schutzrechtsungültigkeit als unbeachtlich angesehen werden kann.

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b)  Erklärung der Unzuständigkeit Insbesondere in der englischen Rechtsprechung und im dortigen Schrifttum wird vertreten, der Einwand des Nichtbestands des Schutzrechts lasse die 247  Schlussanträge des Generalanwalts Gelhoed v. 16. 09. 2004 – C-4/03 – Slg. 2006, I-6509 (GAT/LuK), Rn. 46. 248  OLG Köln v.  16. 03. 1988  – 24 U 182/87  – NJW 1988, 2182 (2183); OLG Koblenz v. 08. 09. 2000 – 11 U 288/00 – NJW-RR 2001, 490. De lege ferenda wird eine grenzüberschreitende Verweisungsmöglichkeit als wünschenswert erachtet von Hau, LMK 2013, 341521; Hess, EuZPR, § 6 Rn. 153; Leible in Rauscher, EuZPR, Art 28 Brüssel I-VO Rn. 1a; dagegen Schack, IZVR, Rn. 459; zu Recht an der Praktikabilität zweifelnd McGuire, ZfRV 2005, 83 (90); Sander/Breßler, ZZP 122 (2009), 157 (180 f.). 249  Die Anerkennung einer Klageabweisung wegen Unzuständigkeit entfaltet nach Auffassung des EuGH unabhängig von der lex fori des Erlass- oder Anerkennungsstaates Bindungswirkung sowohl hinsichtlich des Tenors als auch hinsichtlich der den Tenor tragenden Gründe. Ruft der Kläger nach Klageabweisung wegen Unzuständigkeit die Gerichte eines anderen Mitgliedstaates an, sind diese ggf. aufgrund des abweisenden Prozessurteils verpflichtet, ihre Zuständigkeit zu bejahen, selbst wenn sie die Rechtsauffassung des Erstgerichts nicht teilen. Vgl. EuGH v. 15. 11. 2012 – C-456/11 (Gothaer Allgemeine Versicherung), Rn. 33 ff. mit zutreffend kritischer Anmerkung von Hau, LMK 2013, 341521; näher § 12 Rn. 75 f. 250  Zur Analogiebildung infra § 10 Rn. 132.

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§ 10  Internationale Zuständigkeit für das Hauptsacheverfahren

Zuständigkeit des mit der Verletzungsfrage befassten Gerichts entfallen, woraufhin dieses sich für unzuständig zu erklären habe.251 Aus der Perspektive des nationalen Schutzrechtssystems ist diese Auffassung überzeugend: Wenn Bestands- und Verletzungsfrage als „untrennbar“ miteinander verbunden angesehen werden, muss auch die Verletzungsfrage dem Gericht des Bestandsverfahrens überlassen bleiben. Dem angeblichen Verletzer bleiben sogenannte squeeze arguments erhalten, d. h. er kann behaupten, bei einer weiten Auslegung des Patentanspruchs sei das Patent ungültig, bei einer strikten Interpretation sei die beanstandete Handlung nicht vom Patentanspruch umfasst.252 Unbestreitbarer Vorteil dieser Auslegung ist ferner die Klärung der Bestands251 

Knorr-Bremse Systems for Commercial Vehicles v Haldex Brake Products, [2008] FSR 30 (Pat) (nach dieser Entscheidung soll bereits die Möglichkeit der Erhebung einer Nichtigkeitseinrede die Zuständigkeit ausschließen); per obiter dictum auch Lucasfilm v. Ainsworth, [2009] EWCA Civ 1328 (CA), Rn. 107 und Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) v JP Morgan Chase Bank, [2010] EWCA 390 (CA), Rn. 67 ff.; siehe ferner (zeitlich vor der GATEntscheidung) Fort Dodge Animal Health v Akzo Nobel, [1998] FSR 222 (244 f.) (CA); Coin Controls v Suzo International (UK), [1999] Ch. 33 (51) (Ch); aus dem Schrifttum Stauder/ Luginbühl, sic! 2006, 876 (878); Bently/Sherman, IP Law, Kap. 47 Rn. 9.1.1; Bainbridge, IP Law, S. 893, 897 f.; Terrell on Patents, 16. Aufl., Rn. 12–45; Kühnen, HdB PatV, Rn. 765; unklar Kubis, Mitt 2007, 220 (223 f.); differenzierend Grabinski in Liber Amicorum Straus, S. 572: Erklärung der Unzuständigkeit, sofern der Schutzrechtsstaat dem Verbundsystem folgt, Aussetzung oder Fortsetzung des Verletzungsverfahrens, sofern der Schutzrechtsstaat das Trennungssystem vorsieht. 252  Das bekannteste squeeze argument ist die sog. Gillette Defence: Gegen eine weite Auslegung des Patentanspruchs im Verletzungsprozess kann der Beklagte einwenden, dass die konkret beanstandete Ausführungsform bereits am Anmelde- bzw. Prioritätstag des Patents durch den Stand der Technik bekannt war. Er bringt hierdurch den Kläger in eine Zwickmühle: Bei einer weiten Auslegung des Patentanspruchs erfasst dieser zwar die beanstandete Ausführungsform, doch ist das Patent ungültig, weil die Erfindung zum Erteilungszeitpunkt bereits zum Stand der Technik gehörte. Bei einer engen Auslegung des Patentanspruchs hat das Patent zwar Bestand, doch fehlt es an einer Rechtsverletzung (nach Gillette Safety Razor Co v Anglo-American Trading Co, (1913) 30 RPC 465 (480)). Gegen die Einordnung als Verteidigung und für eine Einordnung als Angriff auf den Rechtsbestand des Patents Terrell on Patents, Rn. 14–130, 18–105 m. w. N. Weiteres Beispiel bei Rothstein/Holderman/Floyd/Pickard in Ng/Bently/D’Agostino, Common Law of IP, S. 115. Zur geringeren Verknüpfung der zu beurteilenden Fragen im Markenrecht siehe einerseits Hasbro v 123 Nahrmittel, [2011] EWHC 199 (Ch), Rn. 182 sowie Kerly on Trademarks, Rn. 19–09; andererseits Starbucks (HK) v British Sky Broadcasting, [2012] EWHC 3074 (Ch), Rn. 120. Auch im deutschen Recht sind squeeze arguments nicht vollkommen unbekannt. Nach BGH v.  29. 04. 1986  – X ZR 28/85 – GRUR 1986, 803 (805 f.) (Formstein) kann Ansprüchen aus der Verletzung des Patents durch eine äquivalente Ausführungsform grundsätzlich der Einwand des freien Stands der Technik (Formstein-Einwand) entgegen gehalten werden, sofern hieraus nicht zwingend die Folgerung gezogen werden müsste, dass das Patent nicht schutzrechtsfähig ist. Eine auf den freien Stand der Technik gestützte Verteidigung ist allerdings nicht erfolgversprechend, wenn die angegriffene Ausführungsform von den Merkmalen des Patentanspruchs in identischer (wortsinngemäßer) Form Gebrauch macht, denn dies würde eine inzidente Feststellung der Nichtigkeit des Patents bedeuten, vgl. BGH v. 17. 02. 1999 – X ZR 22/97 – GRUR 1999, 914 (916) (Kontaktfederblock). Zur Kritik in der Literatur ausführlich Kraßer, PatR, S. 736 ff. m. w. N.



C.  Nichtigkeitswiderklage und Einwand der Ungültigkeit

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und Verletzungsfrage in einem Prozess.253 Zwingend ist die Auffassung der untrennbaren Verknüpfung von Bestands- und Verletzungsfrage freilich auch aus englischer Perspektive nicht, wie jüngere Entscheidungen sowohl des High Court als auch des UK Supreme Court belegen.254 Mit dem System der EuGVO ist eine Erklärung der Unzuständigkeit aufgrund eines Nichtigkeitseinwands nicht vereinbar. Es fehlt bereits an einer passenden Norm, auf deren Basis sich das an sich zuständige Verletzungsgericht für unzuständig erklären könnte.255 Zwar erlaubt Art. 27 EuGVO einem Gericht, sich von Amts wegen für unzuständig zu erklären, wenn es wegen einer Streitigkeit angerufen wird, für die die Gerichte eines anderen Mitgliedstaates ausschließlich zuständig sind. Doch ist diese Bestimmung nicht einschlägig, weil Art. 24 Nr. 4 EuGVO keine Zuständigkeit für das Verletzungsverfahren begründet und das Erheben des Nichtigkeitseinwands kein Anrufen eines Gerichts bedeutet.256 Darüber hinaus wären die Konsequenzen für den vom EuGH stets betonten Grundsatz der Rechtssicherheit in Form der Vorhersehbarkeit der Zuständigkeitsregeln257 fatal. Nicht nur würde die internationale Zuständigkeit der Gerichte eines Mitgliedstaates entgegen dem der EuGVO zu Grunde liegenden Grundsatz perpetuatio fori258 nachträglich und gegebenenfalls in einem weit fortgeschrittenen Prozessstadium entfallen. 253 

Wadlow, Enforcement, Rn. 3–125. der Entscheidung Virgin Atlantic Airways v Zodiac Seats, [2013] UKSC 46, Rn. 38, 69, votierten die Mitglieder des UK Supreme Court per obiter dictum einheitlich dafür, Verfahren wegen der Verletzung des englischen Teils eines europäischen Bündelpatents tendenziell bis zum Abschluss des Einspruchsverfahrens vor dem Europäischen Patentamt auszusetzen (deutlich vorsichtiger IPCom v HTD, [2013] EWCA Civ 1496 (CA), Rn. 30 ff.). In der Entscheidung Actavis Group v Eli Lilly, [2012] EWHC 3316 (Pat) verpflichtete sich die Klägerin, den Bestand des Schutzrechts nicht in Frage zu stellen; der High Court entscheid deshalb über die Verletzung mehrerer nationaler Bestandteile eines europäischen Bündelpatents. 255  Franzosi, 2009 JIPLP 247 (251); Torremans in Leible/Ohly, IP & PIL, S. 202; a. A. (Art. 27 EuGVO) Kubis, Mitt. 2007, 220 (223); Schlosser in Hess/Pfeiffer/Schlosser-Bericht, Rn. 809; de Lange, BIE 2008, 231; Briggs/Rees, Civil Jurisdiction, Rn. 2.70. Allenfalls ließe sich an eine entsprechende Anwendung des Art. 30 Abs. 2 EuGVO dergestalt denken, dass das zuerst angerufene Gericht sich zugunsten des mit der Bestandsfrage befassten Gerichts für unzuständig erklärt. Dies würde allerdings voraussetzen, dass die Klagen in erster Instanz anhängig sind und eine Verfahrensverbindung vor dem mit der Bestandsfrage befassten Gericht möglich ist. 256  Vgl. auch den englischen Wortlaut des Art. 27 EuGVO: „where a court of a Member State is seized of a claim which is principally concerned with a matter over which the courts of another Member State have exclusive jurisdiction […]”. Wie hier Heinze/Roffael, GRUR Int. 2006, 787 (790); Fawcett/Torremans, IP & PIL, Rn. 7.89. 257 EuGH v.  13.  07. 2006  – C-4/03  – Slg. 2006, I-6509 (GAT/LuK), Rn. 28; EuGH v. 13. 07. 06 – C-539/03 – Slg. 2006, I‑6535 (Roche Nederland), Rn. 37; EuGH v. 19. 2. 2002 – C-256/00 – Slg. 2002, I-1699 (Besix), Rn. 24 ff.; EuGH v. 01. 03. 2005 – C-281/02 – Slg. 2005, I-1383 (Owusu), Rn. 41. 258 Zur Geltung des Grundsatzes perpetuatio fori siehe bereits supra §  10 Rn. 104, Fn. 215. 254 In

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§ 10  Internationale Zuständigkeit für das Hauptsacheverfahren

Der Beklagte hätte es auch in der Hand, die dem Kläger durch die Verordnung gewährte Wahl zwischen dem allgemeinem Gerichtsstand des Beklagten und den besonderen Gerichtsständen zu entziehen259 (eine Art umgekehrtes forum shopping260). Ebenso stünden wirksame Gerichtsstandsvereinbarungen zur Disposition einer Partei,261 und der Beklagte hätte die Möglichkeit, eine rügelose Einlassung gemäß Art. 26 EuGVO rückgängig zu machen. Die Wortschöpfung „Supertorpedo“262 erscheint hierfür nicht übertrieben.263 Auch der Grundsatz der Prozessökonomie spricht gegen das Entfallen der internationalen Zuständigkeit in einem bereits fortgeschrittenen Verfahrensstand, denn die gegebenenfalls erheblichen Zwischenergebnisse des Erstprozesses gingen verloren. Darüber hinaus werden Klagen wegen der Verletzung registrierter Schutzrechte häufig auf zusätzliche Anspruchsgrundlagen (z. B. auf ergänzenden lauterkeitsrechtlichen Leistungsschutz oder auf passing off) gestützt, für welche die Zuständigkeit beim angerufenen Verletzungsgericht verbliebe.264 Schließlich ist das Gericht, bei dem der vorgebliche Verletzer die Bestandsklage erhebt, nicht zwingend auch für die Verletzungsklage des Rechteinhabers zuständig. Zwar deckt sich die internationale Zuständigkeit für die Bestandsfrage gem. Art. 24 Nr. 4 EuGVO mit der internationalen Zuständigkeit für die Verletzungsklage am Erfolgsort (Art. 7 Nr. 2 EuGVO), doch können die sachliche, örtliche und funktionelle Zuständigkeit nach nationalem Recht divergieren. Gegebenenfalls müsste neben dem Gericht, bei dem die Bestandsklage erhoben wird, noch ein weiteres Gericht im Schutzrechtsstaat mit der Verletzungsfrage befasst werden – beispielsweise in Deutschland, wo 259  Bei Streudelikten würde z. B. eine einheitliche Erledigung des Rechtsstreits am allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten scheitern. Der Kläger wäre gezwungen, in jedem betroffenen Land ein Verfahren am Gerichtsstand der unerlaubten Handlung einzuleiten. 260 So Dutson, ICLQ 1997, 918 (925); ähnlich Heinze/Roffael, GRUR Int. 2006, 787 (792). 261  CLIP, Suggestions, S. 9; Kur, IIC 2006, 844 (852); Heinze/Roffael, GRUR Int. 2006, 787 (798). Vgl. bspw. Knorr-Bremse Systems for Commercial Vehicles v Haldex Brake Products, [2008] FSR 30 (Pat); dort allerdings bestand nach Auffassung von Lewison J keine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung. 262  Schlosser in Hess/Pfeiffer/Schlosser-Bericht, Rn. 798, 818. Zum Begriff der Torpedoklagen siehe § 12 Rn. 18. 263  Dabei muss der verspätete Einwand des Nichtbestands des Schutzrechts nicht einmal in missbräuchlicher Absicht erfolgen, sondern kann auf einer legitimen Änderung der Prozesstaktik des Beklagten beruhen, siehe das instruktive Beispiel bei Wadlow, Enforcement, Rn. 3–89 ff. Die Entscheidung Knorr-Bremse Systems for Commercial Vehicles v Haldex Brake Products, [2008] FSR 30 (Pat) sucht das Torpedo-Problem zu umgehen: Bereits die Möglichkeit der Erhebung einer Nichtigkeitseinrede soll die Zuständigkeit des Verletzungsgerichts ausschließen und die Zuständigkeit der Gerichte des Registerorts begründen. Hierdurch wird die ausschließliche Zuständigkeit des Art. 24 Nr. 4 EuGVO übermäßig ausgedehnt, denn die Möglichkeit, dass der Verletzungsbeklagte den Einwand des Nichtbestands des Schutzrechts erhebt, kann in den seltensten Fällen ausgeschlossen werden. 264  Coin Controls v Suzo International (UK), [1999] Ch. 33 (52) (Ch); Wadlow, Enforcement, Rn. 3–68 ff.; Bainbridge, IP Law, S. 902; Fawcett/Torremans, IP & PIL, Rn. 7.67.



C.  Nichtigkeitswiderklage und Einwand der Ungültigkeit

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das Bundespatentgericht nur über die Zuständigkeit für Bestandsklagen, nicht über die Entscheidungsbefugnis für Fragen der Schutzrechtsverletzung verfügt.

c)  Perpetuatio Fori aa)  Koordination der nationalen Schutzrechtssysteme mit der EuGVO Eine sinnvolle Koordination der nationalen Schutzrechtssysteme mit dem europäischen Zuständigkeitsrecht sollte m.  E. Art.  24 Nr.  4 EuGVO als Ausgangspunkt wählen. Die Bestimmung setzt abstrakt voraus, dass eine Trennungsmöglichkeit zwischen Bestands- und Verletzungsfrage besteht. Die Zuständigkeit und Kognitionsbefugnis des mit der Verletzungsklage befassten Gerichts bleibt deshalb für sämtliche Fragen erhalten, die nicht die Gültigkeit des Schutzrechts zum Gegenstand haben.265 Implizit scheint diese Auffassung auch der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Roche Nederland zugrunde zu liegen, welche am selben Tag wie die GAT-Entscheidung ergangen ist.266 Es ist das Recht des Registerortes zu befragen, ob im Hinblick auf die konkrete Argumentation des Beklagten eine getrennte Behandlung der Verletzungs- und Bestandsfrage möglich ist. Dabei ist ein strikter Maßstab anzulegen, Praktikabilitätserwägungen dürfen nicht den Ausschlag geben. In den meisten Fällen wird eine Trennung möglich sein.267 Ist dies nicht der Fall, 265 Ebenso Bericht der Kommission über die Anwendung der EuGVO, KOM (2009) 174, S. 7 f.; Schlussanträge von Generalanwalt Léger v.  08. 12. 2005  – C-539/03  – Sl. 2006, I-6535 (Roche Nederland), Rn. 137; Gerechtshof Den Haag v. 23. 04. 1998 – [1999] FSR 352 (Expandable Grafts); Hoge Raad, Urt. v.  30. 11. 2007  – C02/228 HR (Roche Nederland), Rn. 2.5.3 ff. ; RB s‘Gravenhage v.  18. 6. 2008  – HA ZA 07–2964 (Fort Vale/Pelican), Rn. 4.3 f. ; HG Zürich v. 16. 10. 2006 – GRUR Int 2007, 258 (zu Art. 16 Nr. 4 LugÜ); Torremans in Leible/Ohly, IP & PIL, S. 202 f.; McGuire, WRP 2011, 983 (989 ff.); Schaper, Gemeinschaftsmarke, S. 51; Fawcett/Torremans, IP & PIL, Rn. 7.78; wohl auch Hess, EuZPR, § 6 Rn. 124. 266 In Roche Nederland erteilte der Gerichtshof der Inanspruchnahme des Gerichtsstands der Streitgenossenschaft eine Absage, soweit den jeweiligen Streitgenossen die Verletzung unterschiedlicher Teile eines europäischen Bündelpatents vorgeworfen wurde. Als unterstützendes Argument wies der Gerichtshof darauf hin, im Falle der Erhebung der Nichtigkeitseinrede könne auch die Inanspruchnahme des Art. 8 Nr. 1 EuGVO eine „zumindest teilweise Zersplitterung“ der patentrechtlichen Streitigkeiten nicht verhindern, vgl. EuGH v. 13. 07. 06 – C-539/03 – Slg. 2006, I‑6535 (Roche Nederland), Rn. 40. Wäre der EuGH vom Fortfall der Zuständigkeit des Verletzungsgerichts bei Erhebung der Nichtigkeitseinrede ausgegangen, hätte es der Einschränkung „zumindest teilweise” nicht bedurft. 267  Der englische Standpunkt, dass ein ungültiges Schutzrecht nicht verletzt werden könne, bedeutet auch nach dortiger Rechtsauffassung nicht, dass die Gültigkeit des Schutzrechts unabhängig von einer Einrede des Beklagten geprüft wird. Sofern sich der Beklagte jedoch auf die Ungültigkeit des Schutzrechts berufe, sei es praktikabler, die Bestandsfrage und die Verletzungsfrage gemeinsam zu klären, vgl. Laddie J. in Coin Controls v Suzo International (UK), [1999] Ch. 33 (51) (Ch). Siehe auch die Aussage in Fort Dodge Animal Health v Akzo Nobel, [1998] FSR 222 (244) (CA): „It follows that the split contemplated in the Jenard Report between actions for infringement and proceedings concerned with validity cannot always be made.” (Hervorhebung hinzugefügt). Schließlich steht es den englischen Gerichten

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§ 10  Internationale Zuständigkeit für das Hauptsacheverfahren

handelt es sich primär um eine Gültigkeitsfrage, für deren Entscheidung allein die Gerichte im Registerstaat zuständig sind.268 Das mit der Verletzungsfrage befasste Gericht muss sich bei der Auslegung der Patentansprüche an der Vorgehensweise der Gerichte im Schutzstaat orientieren.269 Stellen sich die Argumente des Beklagten als Einwand gegen den Bestand des Schutzrechts dar, so hat das mit der Schutzrechtsverletzung befasste Gericht entweder das Verfahren bis zum Abschluss des Bestandsverfahrens auszusetzen270 oder den Ungültigkeitseinwand als unbeachtlich anzusehen und die Wirksamkeit des Schutzrechts zu unterstellen.271 Richtlinien für eine praktische Umsetzung werden im Folgenden entwickelt.

bb)  Entscheidung ohne Berücksichtigung des Nichtigkeitseinwands 123

Zunächst ist zu untersuchen, in welchen Situationen das Verletzungsgericht den Einwand des fehlenden Schutzrechtsbestands unberücksichtigt lassen kann. Offenkundig betrifft dies Verfahrenskonstellationen, in denen die Frage des Schutzrechtsbestands nicht entscheidungserheblich ist. Interessant ist ferner, ob der Nichtigkeitseinwand unter Bezugnahme auf autonome Bestimmungen des Rechts der Mitgliedstaaten als unbeachtlich angesehen werden kann, ohne die praktische Wirksamkeit des Art. 24 Nr. 4 EuGVO zu beeinträchtigen.

aaa)  Irrelevanz der Bestandsfrage 124

Eine Aussetzung des Verfahrens ist nicht erforderlich, wenn die Bestandsfrage für die Entscheidung des Gerichts irrelevant ist. Das angerufene Gericht kann die Gültigkeit des Schutzrechts unterstellen und die Klage wegen fehlender

im Zuge des case managements offen, einen split trial anzuordnen, bei dem Rechtsverletzung und Rechtsbeständigkeit des Schutzrechts getrennt betrachtet werden, vgl. Canady v Erbe Electromedizin, [2006] FSR 10 (Pat). 268  RB s‘Gravenhage v. 18. 6. 2008 – HA ZA 07–2964 (Fort Vale/Pelican), Rn. 4.3 f. ; zweifelnd de Lange, BIE 2008, 231 (233). Siehe auch Terrell on Patents, Rn. 14–130 m. w. N., der die Gillette-Defence des englischen Rechts (supra § 10 Fn. 252) nicht als Verteidigung, sondern als Angriff auf die Rechtsbeständigkeit des Patents einordnet. 269  Auch dann, wenn Einheitsrecht ein Harmonisierungsgebot enthält, vgl. Grabinski, GRUR 1998, 857 (864 f.). 270 Hoge Raad, Urt. v.  30.  11. 2007  – C02/228 HR (Roche Nederland), Rn. 2.5.3 ff. ; RB s‘Gravenhage v. 18. 6. 2008 – HA ZA 07–2964 (Fort Vale/Pelican), Rn. 4.3 f. ; HG Zürich v. 16. 10. 2006 – GRUR Int 2007, 258 (zu Art. 16 Nr. 4 LugÜ); Schweizer Bundesrat, Botschaft zum Bundesbeschluss über die Genehmigung und die Umsetzung des revidierten Übereinkommens von Lugano, Bundesblatt 2009, S. 1799 f.; Dutson, ICLQ 1997, 918 (923); Briggs, LMCLQ 2006, 447 (449); Herr, Mitt. 2006, 481 (482); Hess, EuZPR, § 6 Rn. 124; Dietze/Schnichels, EuZW 2007, 687 (690); Holzer/Josi, GRUR Int. 2009, 577 (581). 271  Franzosi, 2009 JIPLP 247 (251); Kubis, Mitt. 2007, 220 (224); Adolphsen, IPRax 2007, 15 (19); Schack in FS Leipold, S. 331; Fawcett/Torremans, IP & PIL, Rn. 7.123 f.



C.  Nichtigkeitswiderklage und Einwand der Ungültigkeit

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Rechtsverletzung abweisen272 oder (abhängig von Klageantrag und Streitgegenstandsbegriff der lex fori273) die Nichtigkeit des Schutzrechts unterstellen und die vom Kläger begehrte Rechtsfolge auf Basis anderer Anspruchsgrundlagen zusprechen.

bbb)  Bindungswirkung der Schutzrechtserteilung In Mitgliedstaaten, die dem Trennungsprinzip folgen, ist der Einwand des Nichtbestands des Schutzrechts im Verletzungsprozess in Bezug auf bestimmte Schutzrechte bzw. im Fall der Behauptung bestimmter Nichtigkeitsgründe unbeachtlich. So geht z. B. in Deutschland das mit der Schutzrechtsverletzung befasste Gericht grundsätzlich von der Wirksamkeit einer eingetragenen Marke bzw. eines Patents aus. Nur bei hinreichender Erfolgsaussicht einer bereits eingereichten Nichtigkeitsklage kann das Verfahren nach § 148 ZPO ausgesetzt werden.274 Zwingt Art. 24 Nr. 4 EuGVO das mit der Verletzungsfrage befasste Gericht auch dann zur Aussetzung des Verfahrens, wenn der Einwand des Nichtbestands des Schutzrechts im Verletzungsverfahren nach seiner lex fori bzw. nach dem Recht des Registerstaats unbeachtlich ist? Als erste Erkenntnis kann festgehalten werden, dass die lex fori des Verletzungsgerichts keinen Einfluss auf die Beachtlichkeit eines nationalen Einredeverbots nimmt, da es sich um eine materiellrechtlich zu qualifizierende Frage handelt.275 Dies ergibt sich für Rechtsordnungen, die den Ungültigkeitseinwand im Verletzungsprozess zulassen, bereits aus der Vorstellung einer 272  Pitz in FS v.  Meibom, S. 341; Schauwecker, Patentverletzungsjurisdiktion, S. 288; Mankowski in Rauscher, Art. 22 Brüssel-I VO Rn. 47i. 273 Zum Streitgegenstandsbegriff im deutschen Markenrecht und der Unzulässigkeit einer alternativen Klagebegründung siehe BGH v. 24. 03. 2011 – I ZR 108/09 – GRUR 2011, 521 ff. (TÜV); BGH v.  08. 03. 2012  – I ZR 75/10  – GRUR 2012, 621 (623) (Oscar); ferner Teplitzky, WettbewerbsR, Kap. 46 Rn. 1, Büscher in Büscher/Dittmer/Schiwy, GewRS, § 14 MarkenG Rn. 704 ff. jeweils m. w. N. 274 BGH v.  08. 10. 1957  – I ZR 164/56  – GRUR 1958, 75 (76) (Tonfilmwand); BGH v.  11. 11. 1986  – X ZR 56/85  – GRUR 87, 284 (Transportfahrzeug); OLG Düsseldorf v. 31. 08. 2006 – I-2 U 49/05 [juris]; Scharen in Benkard, PatG, § 9 Rn. 61. Selbst ein (noch nicht rechtskräftiger) Löschungsbeschluss des DPMA zwingt nicht zur Aussetzung eines Markenverletzungsprozesses, vgl. OLG Hamburg v. 23. 10. 2003 – 5 U 167/02 – GRUR-RR 2004, 71 (72) (Salatfix). Zur Anordnung einer einstweiligen Unterlassungsverfügung trotz Nichtigerklärung des Patents durch das BPatG siehe OLG Düsseldorf v. 29. 05. 2008 – I-2 W 47/07 – GRUR-RR 2008, 329 (331) (Olanzapin). Zu den Folgen einer Einschränkung eines Patents im Einspruchs- bzw. Nichtigkeitsverfahren für die Aussetzung des Verletzungsprozesses siehe Augenstein/Roderburg, GRUR 2008, 457 ff. 275  LG Düsseldorf v.  22. 9. 1998  – 4 O 377/95  – GRUR Int. 1999, 458 (460) (Sonnenblende II); LG Düsseldorf v. 31. 05. 2001 – 4 O 128/00 – GRUR Int. 2001, 983 (GAT/LuK); Stauder, GRUR Int. 1976, 510, 514; Grabisnki, GRUR Int 2001, 199 (208); ders. in Liber Amicorum Straus, S. 572; Kubis, Internationale Zuständigkeit, S. 225; ders., Mitt. 2007, 220 (221); Kühnen, HdB PatV, Rn. 765; Schauwecker, Patentverletzungsjurisdiktion, S. 250. A. A. Ahrens, GRUR 2009, 196 (198 f.); Adolphsen, EZPR in Patentsachen, Rn. 435; Mankowski in Rauscher, EuZPR, Art. 22 Brüssel I-VO Rn. 47; wohl auch de Lange, BIE 2008, 231 (232);

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untrennbaren Verbindung der materiellrechtlichen Beurteilung von Gültigkeit und Verletzungstatbestand. Auch Rechtsordnungen mit Trennungssystem betrachten die Trennung von Bestands- und Verletzungsverfahren nicht als reine Zuständigkeitsfrage, wie das deutsche Recht belegt: Der tiefere Grund für die Kompetenzverteilung zwischen DPMA bzw. Bundespatentgericht und den Verletzungsgerichten wurzelt in der Bindung der ordentlichen Gerichte an den Erteilungsbeschluss über das Patent bzw. die Eintragung der Marke durch das DPMA,276 welche als drittbelastende Verwaltungsakte das Schutzrecht seinem Inhalt nach festlegen. Folglich sind keineswegs alle Bestandsverfahren über registrierte Schutzrechte in Deutschland dem DPMA bzw. Bundespatentgericht zugewiesen, sondern grundsätzlich allein jene, welche eine Überprüfung derjenigen Schutzrechtsvoraussetzungen erfordern, die das DPMA bereits im Eintragungs- bzw. Erteilungsverfahren geprüft hat.277 Aus der materiellrechtlichen Qualifikation folgt, dass ein ausländisches Verletzungsgericht prinzipiell ebenfalls an die Schutzrechtserteilung gebunden ist, da Art. 8 Rom II-VO das Recht des Schutzstaates zur Anwendung beruft. Dennoch sprechen gewichtige Argumente dafür, auf Basis einer autonomen Auslegung der EuGVO die Nichtigkeitseinrede vor einem ausländischen Verletzungsgericht für zulässig zu erachten: Erstens zeitigt die Berücksichtigung des nationalen Einredeverbots Auswirkungen auf die praktische Wirksamkeit des Art. 24 Nr. 4 EuGVO. Das Verletzungsgericht würde seiner Entscheidung die Wirksamkeit des Schutzrechts zugrunde legen, obgleich der Verletzungsbeklagte den Nichtbestand des Schutzrechts behauptet hat und die Frage der Nichtigkeit von den Gerichten des Schutzrechtsstaates hätte beurteilt werden müssen.278 Zweitens würde die Bindungswirkung an die Schutzrechtserteilung zu einer Verzerrung des Zuständigkeitssystems der EuGVO führen, untentschieden Kur, GRUR Int. 2001, 908 (913) mit Nachweisen zu einer AIPPI-Befragung verschiedener Landesgruppen in Fn. 30. 276  BGH v.  12. 11. 2002  – X ZR 176/01  – GRUR 2003, 550 (Richterablehnung); BGH v. 06. 04. 2004 – X ZR 272/04 – BGHZ 158, 372, 375 (Druckmaschinen-Temperierungssystem); ausführlich Ströbele, Bindung, S. 43 ff.; ferner Scharen in Benkard, § 9 Rn. 61 m. w. N. 277  Die Behandlung der Ausnahmen zu diesem Grundsatz liefert ein weiteres Argument für die materiellrechtliche Qualifikation: Obgleich gemäß §§ 54 Abs. 1, 50 Abs. 1, 8 Abs. 2 Nr. 10 MarkenG (bösgläubige Anmeldung einer Marke) und §§ 81 Abs. 4, 22 Abs. 1, 21 Abs. 1 Nr. 3 PatG (widerrechtliche Entnahme eines Patents) das Patentamt bzw. das Patentgericht für die Nichtigkeitsklage zuständig sind, ist nach Auffassung von Rechtsprechung und Literatur aufgrund der insoweit fehlenden Bindungswirkung des Schutzrechts eine einredeweise Geltendmachung im Verletzungsprozess beachtlich. Siehe für § 21 Abs. 1 Nr. 3 PatG: BGH v. 01. 02. 2005 – X ZR 214/02 – GRUR 2005, 567 (568) (Schweißbrennerreinigung); Scharen in Benkard, § 9 PatG Rn. 63 m. w. N. Für § 8 Abs. 2 Nr. 10 MarkenG bzw. § 50 Abs. 1 Nr. 4 MarkenG a. F.: BGH v. 03. 02. 2005 – I ZR 45/03 – GRUR 2005, 414 (417) (Russisches Schaumgebäck); BGH v. 28. 09. 1979 – I ZR 125/75 – GRUR 1980, 110 (111 f.) (TORCH); Hacker in Ströbele/Hacker, § 14 MarkenG Rn. 21; Ingerl/Rohnke, MarkenG, § 50 Rn. 1. 278  A. A. Schauwecker, Patentverletzungsjurisdiktion, S. 253 ff.: Der Effet utile des Art. 24 Nr. 4 EuGVO sei nicht beeinträchtigt, weil bei Unzulässigkeit des Nichtigkeitseinwands das



C.  Nichtigkeitswiderklage und Einwand der Ungültigkeit

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da Art. 24 Nr. 4 EuGVO in Abhängigkeit vom Recht des Schutzrechtsstaats eine unterschiedlich hohe Bedeutung beigemessen würde. Drittens weckt die Anwendung eines nationalen Einredeverbots vor einem ausländischen Verletzungsgericht die Gefahr einer empfindlichen Rechtsschutzlücke zu Lasten des behaupteten Rechtsverletzers.279 So kann etwa in Deutschland die rechtskräftige Entscheidung über die Verletzung eines geprüften Schutzrechts binnen Monatsfrist mittels einer Restitutionsklage in entsprechender Anwendung des § 580 Nr. 6 ZPO angegriffen werden, wenn ein vom DPMA geprüftes Schutzrecht im Bestandsverfahren für ungültig erklärt wurde.280 Die Rechtsordnungen anderer Mitgliedstaaten sehen mangels Trennung zwischen Bestands- und Verletzungsverfahren eine solche Rechtsschutzmöglichkeit teilweise nicht vor.281 Das Verletzungsverfahren vor einem Gericht außerhalb des Registerstaates sollte deshalb auch dann ausgesetzt werden, wenn der ReVerletzungsverfahren nicht die Ungültigkeit des Patents betreffe. Schauwecker geht a. a. O. stattdessen von einer Beeinträchtigung des effet utile der EuGVO im Ganzen aus. 279  Dies für irrelevant haltend Schauwecker, Patentverletzungsjurisdiktion, S. 424 f.: Es könne nicht Aufgabe des internationalen Zuständigkeitsrechts sein, derart unstimmige Urteile zu verhindern. 280  BPatG v. 01. 02. 1980 – 5 W (pat) 440/78 – GRUR 1980, 852 f. (Rotationssymmetrische Behälter); OLG Düsseldorf v. 11. 05. 2006 – I-2 U 86/05 (Restitutionsklage III) [juris]; OLG Düsseldorf v. 09. 08. 2007 – I-2 U 49/06 (Spundfass II) [juris]; LG Düsseldorf v. 24. 06. 1986 – 4 O 16/86 – GRUR 1987, 628 (629) (Restitutionsklage); näher Kühnen, HdB PatV, Rn. 1917 ff.; Krasser, § 36 VIII m. w. N. Gegen die Vollstreckung kann sich der zu Unrecht in Anspruch genommene mittels der Vollstreckungsgegenklage gem. § 767 ZPO schützen. Angesichts der fehlenden Bindungswirkung von Gebrauchs- und Geschmacksmustern für das Verletzungsgericht ist die analoge Anwendung des § 580 Nr. 6 ZPO nach Löschung eines Gebrauchs- oder Geschmacksmusters umstritten, siehe (pro) BPatG v. 01. 02. 1980 – 5 W (pat) 440/78 – GRUR 1980, 852 f. (Rotationssymmetrische Behälter); Eisenrauch in Fitzner/Lutz/Bodewig, PatR, § 15 GebrMG Rn. 29; (contra) Krasser, § 36 VIII. 5. 281  In jüngster Zeit lässt sich hier ein gewisser Wandel konstatieren. So geht die französische Cour de Cassation in neuerer Rechtsprechung davon aus, dass der Grundsatz res iudicata die Aufhebung eines Urteils auf Schadensersatzzahlung nicht hindert, wenn das Patent nachträglich vernichtet wurde, vgl. Cass. v.  12. 06. 2007  – IIC 2008, 354 (Scherer/ Newmat); zur gegenteiligen früheren französischer Rechtsprechung siehe die Nachweise bei Heath, IIC 2008, 307 (317). Zu der etwas anders gelagerten Fallkonstellation eines erfolgreichen Einspruchs beim Europäischen Patentamt gemäß Art. 99 EPÜ befand der englische Supreme Court in Virgin Atlantic Airways v Zodiac Seats, [2013] UKSC 46, der Grundsatz res iudicata stehe einer Aufhebung der Verurteilung zum Schadensersatz nicht entgegen und verwarf damit das Präjudiz aus Unilin Beheer v Berry Floor, [2007] Bus. L. R. 1140 (1154) (CA); kritisch hierzu Moss, JIPlP 2013, 110 113 ff. Mangels Relevanz für den konkreten Fall hat der Supreme Court nicht geklärt, ob bereits vollstreckte Beträge zurückzuerstatten sind. Nach italienischem und spanischem Recht hat die Entscheidung über die Nichtigkeit eines Patents rückwirkenden Effekt, berührt aber nicht die bereits erfolgte Vollstreckung einer rechtskräftigen Entscheidung, vgl. Art. 77 ital. Gesetz über das Geistige Eigentum, Art. 114 span. PatG. Zur Rechtslage in Polen siehe Ożegalska-Trybalska in Götting/Vall/ Röder-Hitschke, Enforcing IP, S. 120 f. Das Anerkennungshindernis des Art. 34 Nr. 3 EuGVO (2001) bzw. Art. 45 Abs. 1 lit. c EuGVO (2012) bietet einen gewissen Schutz vor der Vollstreckung im Registerstaat, wird aber erst nach der Vollstreckbarerklärung auf Rechtsbehelf des Schuldners hin geprüft.

382

§ 10  Internationale Zuständigkeit für das Hauptsacheverfahren

gisterstaat die Bindungswirkung der Verletzungsgerichte an die Schutzrechtserteilung vorsieht.282

ccc)  Vertragliche Nichtangriffspflicht 128

Sind die Parteien einander vertraglich verbunden, kann sich die Bindungswirkung an den Erteilungsakt nicht allein aus Gesetz, sondern auch aus einer vertraglich vereinbarten Nichtangriffspflicht ergeben. Auch im Hinblick auf die prozessuale Wirkung einer solchen Vereinbarung erweist sich das Recht der Mitgliedstaaten als variantenreich. Während in einigen Staaten Nichtangriffsvereinbarungen prozessrechtlich als unbeachtlich angesehen werden, entfalten sie in anderen Rechtsordnungen durchaus Wirkung, wenn auch nicht zwingend hinsichtlich jeder Art von Bestandsverfahren.283 Gegen eine Berücksichtigung der Nichtangriffspflicht sprechen neben den soeben in Rn. 125 ff. angestellten Überlegungen auch praktische Erwägungen: Jedwede Beachtung einer Nichtangriffspflicht zwänge das Verletzungsgericht dazu, im Rahmen der Entscheidung über die Aussetzung des Verfahrens die prozessuale Wirkung sowie die zivil- und kartellrechtliche Wirksamkeit284 der Vereinbarung nach dem Recht des Schutzstaates zu prüfen. Eine Nichtangriffsklausel sollte deshalb nicht zur Unbeachtlichkeit des Nichtigkeitseinwands im Verletzungsverfahren führen, wenn das Verletzungsverfahren außerhalb des Schutzstaates geführt wird.285

ddd)  Nationale Präklusionsregeln 129

Scheitert somit der Rückgriff auf gesetzliche oder vertragliche Bestimmungen, die den Nichtigkeitseinwand absolut für unbeachtlich erklären, bleibt zu prüfen, ob die Verletzungsgerichte befugt sind, den Nichtigkeitseinwand einzelfallabhängig auf Basis des autonomen Rechts unberücksichtigt zu lassen. Interessant sind v. a. nationale Präklusionsregeln. Diese beeinträchtigen grundsätzlich die praktische Wirkung der EuGVO nicht, da zeitliche Schranken für die Erhebung von Einreden nicht zum Regelungsbereich der Verordnung zählen. Problematisch ist freilich, dass der EuGH in der Entscheidung GAT/LuK die Auffassung vertreten hat, die ausschließliche Zuständigkeit nach Art. 24 Nr. 4 EuGVO habe unabhängig davon zu gelten, ob die Frage der Gültigkeit des Schutzrechts klage- oder einredeweise aufgeworfen werde, bei Klageerhebung oder in einem späteren Verfahrensstadium. Im Hinblick auf 282  Coin Controls v Suzo International (UK), [1999] Ch. 33 (52) (Ch) (allerdings mit der Konsequenz der Verfahrensabweisung wegen Unzuständigkeit); wie hier Schauwecker, Patentverletzungsjurisdiktion, S. 253 ff.; a. A. Stauder, IIC 1998, 497 (501); Kubis, Internationale Zuständigkeit, S. 225. 283  Nachweise bei Schauwecker, Patentverletzungsjurisdiktion, S. 260 f. 284 Näher Ulmer-Eilfort/Boulware, IIC 2007, 759 (764 ff.). 285 Ausführlich Schauwecker, Patentverletzungsjurisdiktion, S. 255.



C.  Nichtigkeitswiderklage und Einwand der Ungültigkeit

383

diese zuständigkeitsrechtliche Komponente des Nichtigkeitseinwands würden nationale Präklusionsvorschriften die Funktion des Art. 26 EuGVO (rügelose Einlassung) einnehmen, obgleich eine rügelose Einlassung nicht geeignet ist, die Zuständigkeit der Gerichte eines Mitgliedstaats zu begründen, wenn die internationale Zuständigkeit den Gerichten eines anderes Mitgliedstaats nach Art. 24 EuGVO ausschließlich zugewiesen ist. Auch wenn es sicherlich wünschenswert wäre, nationale Präklusionsvorschriften auf den prozessualen Vortrag der Ungültigkeit anzuwenden,286 bestehen erhebliche Zweifel, ob der EuGH diese Vorgehensweise billigen würde.287

eee)  Betreibung des Bestandsverfahrens Die ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte des Schutzrechtsstaats kann nur aktiviert werden, wenn der Beklagte des Verletzungsverfahrens tatsächlich ein Bestandsverfahren im Schutzrechtsstaat initiiert und dieses auch betreibt.288 Soweit der Verletzungsprozess Schutzrechte verschiedener Mitgliedstaaten betrifft, ist in jedem Registerstaat eine Bestandsklage zu erheben.289 Mangels einer abweichenden Vereinbarung der Parteien entfaltet ein Bestandsverfahren in einem Mitgliedstaat keinerlei Bindung für die Beurteilung des Bestands eines Parallelschutzrechts. Selbst hinsichtlich des Bestands einzelner Teile Europäischer Bündelpatente fallen die Entscheidungen der Gerichte der Mitgliedstaaten durchaus konträr aus.290 Gegebenenfalls hat das mit der Verletzungssache befasste Gericht dem Beklagten zur Erhebung der Bestandsklage eine gerichtliche Frist einzuräumen.291 In diesem Sinne lässt sich die 286  Adolphsen, IPRax 2007, 15 (19); Stauder/Luginbühl, sic! 2006, 876 (878); Schauwecker, Patentverletzungsjurisdiktion, S. 265 ff. 287  Kühnen, HdB PatV, Rn. 765. 288  Franzosi, 2009 JIPLP 247 (251); de Lange, BIE 2008, 231 (232); ähnlich Kubis, Mitt. 2007, 220 (224); Pitz in FS Meibom, S. 341. (Nur) de lege ferenda befürwortet von Schlosser in Hess/Pfeiffer/Schlosser-Bericht, Rn. 818; Hess, EuZPR, § 6 Rn. 124; a. A. Knorr-Bremse Systems for Commercial Vehicles v Haldex Brake Products, [2008] FSR 30 (Pat): kein förmliches Erheben der Einrede erforderlich, um eine Klageabweisung wegen des Vorrangs des Art. 24 Nr. 4 EuGVO zu erzielen. 289  A. A. Franzosi, 2009 JIPLP 247 (251 m. Fn. 23), der eine Klageerhebung in den „wichtigsten“ Staaten für ausreichend hält, d. h. in denjenen Staaten, in denen der Großteil der behaupteten Rechtsverletzungen stattfindet. 290  Siehe exemplarisch den Fall Leo Pharma/Sandoz (hierzu Roy, EIPR 2010, 178 ff.), die Rechtssachen ECB/DSS (hierzu de Ranitz in FS v. Meibom, S. 44) sowie die Entscheidungsreihen Epilady, Spannschraube und Occluder, berichtet bei Mes, PatG/GebrMG, Anh § 14 PatG Rn. 168 ff. m. w. N. Instruktiv ferner Grabinski, GRUR 1998, 857 ff.; Franzosi/Tilmann, Mitt. 2005, 55 ff. und Laddie, IIC 2009, 3 ff. Zur Berücksichtigung ausländischer Entscheidungen bezüglich desselben Bündelpatents in der gerichtlichen Praxis verschiedener europäischer Staaten siehe Hansen in FS v. Meibom, S. 128 ff. 291  HG Zürich v. 16. 10. 2006 – GRUR Int 2007, 258 (zu Art. 16 Nr. 4 LugÜ); Franzosi, 2009 JIPLP 247 (251); Hess, EuZPR, § 6 Rn. 124; Schauwecker, Patentverletzungsjurisdiktion, S. 311 f.; Fawcett/Torremans, IP & PIL, Rn. 7.181.

130

384

§ 10  Internationale Zuständigkeit für das Hauptsacheverfahren

Aussage von Generalanwalt Geelhoed in den Schlussanträgen der Rechtssache GAT deuten, das Verletzungsgericht könne im Fall eines treuwidrig handelnden Beklagten selbst abschließend entscheiden.292 Für die Realisierung dieser Vorgaben muss das nationale Verfahrensrecht bemüht werden, da es an einer Stütze in der Verordnung selbst fehlt.293

fff)  Substantiierung bzw. Wahrscheinlichkeit des Nichtigkeitseinwands 131

Im Schrifttum wird teils eine Substantiierung des Nichtigkeitseinwands,294 teils eine Wahrscheinlichkeit der Nichtigkeit des Schutzrechts gefordert,295 um einem rechtsmissbräuchlichen Prozessverhalten des angeblichen Schutzrechtsverletzers vorzubeugen. Doch hat der EuGH in der Rechtssache GAT/LuK nicht nur die Entscheidung über, sondern auch die Befassung mit der (Un-) gültigkeit des Schutzrechts explizit den Gerichten des Schutzrechtsstaates zugewiesen.296 Es muss deshalb ausreichen, wenn der Beklagte des Verletzungsverfahrens die Bestandsklage im Schutzrechtsstaat erhoben hat.297

cc)  Aussetzung des Verfahrens nach autonomem Verfahrensrecht 132

Stellt sich der Einwand des fehlenden Schutzrechtsbestands als beachtlich dar, ist das mit dem Verletzungsverfahren befasste Gericht nach hier vertretener Auffassung verpflichtet, den Prozess bis zum Abschluss des Bestandsverfahrens auszusetzen. Wie bereits oben erläutert wurde, hält die EuGVO unglücklicherweise keine passende Aussetzungsregel bereit. Art. 30 Abs. 1 EuGVO hat zwar grundsätzlich das Ziel, miteinander in Zusammenhang stehende Verfahren im Wege der Aussetzung zu koordinieren, um widersprechende Entscheidungen zu vermeiden. Die Bestimmung erlaubt bei Gefahr eines Entscheidungswiderspruchs aber nur demjenigen Gericht die Aussetzung seines Verfahrens nach pflichtgemäßem Ermessen, welches später angerufen wurde  – und dies ist bei den hier untersuchten Konstellationen regelmäßig das Gericht, welches das Bestandsverfahren durchführt. Eine entsprechende oder erweiternde Anwendung des Art. 30 EuGVO – wie sie im Schrifttum teilweise erwogen wird298 – scheitert daran, dass Art. 30 EuGVO explizit auf die 292  Schlussanträge des Generalanwalts Gelhoed v. 16. 09. 2004 – C-4/03 – Sg. 2006, I-6509 (GAT/Luk), Rn. 46. 293  Hess, EuZPR, § 6 Rn. 124. 294  Adolphsen, IPRax 2007, 15 (19); Kubis, Mitt. 2007, 220 (222); Schack in FS Leipold, S. 331; Fawcett/Torremans, IP & PIL, Rn. 7.123 f.; wohl auch Mankowski in Rauscher, EuZPR, Art. 22 Brüssel I-VO Rn. 47; ähnlich (vor der GAT-Entscheidung) Gerechtshof Den Haag v. 23. 04. 1998 – [1999] FSR 352 (Expandable Grafts). 295  Holzer/Josi, GRUR Int. 2009, 577 (581). 296 Näher Schauwecker, Patentverletzungsjurisdiktion, S. 272 ff., 277 ff.; s. a. Fawcett/ Torremans, IP & PIL, Rn. 7.34. 297  So (selbst de lege ferenda) McGuire, WRP 2011, 983 (992 f.). 298  Treichel, Sanktionen, S. 41; Pertegás Sender, Cross-border Enforcement, Rn. 4.134.



C.  Nichtigkeitswiderklage und Einwand der Ungültigkeit

385

zeitliche Priorität der Verfahren, nicht auf die Präjudizialität abstellt.299 Vorschlägen zur Entwicklung eines passenden Aussetzungstatbestands zugunsten eines Bestandsverfahrens im Schutzrechtsstaat300 ist der Verordnungsgeber bei Erlass der EuGVO (2012) nicht gefolgt. Doch schließt Art. 30 Abs. 3 EuGVO nach herrschender Auffassung eine Aussetzung des Verfahrens nach nationalem Prozessrecht nicht aus.301 Dem ist fraglos zuzustimmen, sofern die Aussetzung auf anderweitigen Gründen als dem Zusammenhang der Klagen basiert, beispielsweise für die Möglichkeit nach englischem Recht, ein Verfahren wegen abuse of process auszusetzen. Knüpft auch die nationale Aussetzungsregel an einen Zusammenhang zwischen den Verfahren und die Gefahr widersprechender Entscheidungen an,302 beeinträchtigt der Rückgriff auf das nationale Recht prinzipiell den effet utile des Art. 30 EuGVO. Das hier diskutierte Verhältnis von Bestands- und Verletzungsfrage stellt die sprichwörtliche Ausnahme von der Regel dar:303 Da das zuerst angerufene, mit der Verletzungsfrage befasste Gericht über die vom Zweitgericht zu beantwortende Frage nicht entscheidungsbefugt ist, und zwar nicht einmal als Vorfrage, ist die Beachtung des Prioritätsprinzips nicht geeignet, einander widersprechende Entscheidungen zu vermeiden. Die praktische Wirksamkeit des Art. 30 Abs. 1 EuGVO wird in diesem zuständigkeitsrechtlichen Ausnahmefall durch einen Rückgriff auf nationales Recht nicht tangiert.

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d)  Einstweiliger Rechtsschutz Abschließend ist bereits an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass der Einwand der Ungültigkeit des Schutzrechts einer einstweiligen Maßnahme der Gerichte außerhalb des Registerstaates nicht entgegensteht, weil das Gericht im einstweiligen Rechtsschutz lediglich eine vorläufige Entscheidung trifft (siehe zu einstweiligen Maßnahmen § 11).304 299  Briggs, LMCLQ 2006, 447 (449); Reichardt, GRUR Int. 2008, 574 (578); Tang, ELR 2009, 80 (98); Schauwecker, Patentverletzungsjurisdiktion, S. 298 ff.; Wadlow, Enforcement, Rn. 3–126. 300  McGuire, WRP 2011, 983 (993); Schauwecker, Patentverletzungsjurisdiktion, S. 443; siehe auch eine entsprechende Forderung von Reichardt, GRUR Int. 2008, 574 (578). 301  Mousseron/Raynard/Véron, IIC 1998, 884 (897); Grabinski, GRUR Int. 2001, 199 (208); Hess, EuZPR, § 6 Rn. 124; Adolphsen IPRax 2007, 15 (19); Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 28 Brüssel I-VO Rn. 5a; Schlosser, EU-ZPR, Art. 28 EuGVVO Rn. 7; Gottwald in MüKo ZPO, Art. 28 EuGVO Rn. 1, 5; zweifelnd Bukow in FS Schilling, S. 70. 302  So die hier interessierenden Aussetzungsregeln, z. B. § 148 dZPO, Art. 56 Abs. 3 nl PatG; § 156 Abs. 3 S. 2 öst PatG; Art. 277 § 1 (3) poln. ZPO; zum englischen Recht vgl. Reichhold Norway v Goldman Sachs International, [2001] 1 WLR 173 (CA). Zur prozessualen Qualifikation der Aussetzungsregel siehe Schauwecker, Patentverletzungsjurisdiktion, S. 302 m. w. N. auch zur Gegenauffassung. 303 Ebenso Schauwecker, Patentverletzungsjurisdiktion, S. 303. Für eine (ggf. analoge) Anwendung des § 148 ZPO auch Adolphsen IPRax 2007, 15 (19); Schack in FS Leipold, S. 331. 304  EuGH v.  12. 07. 2012  – C-616/10 (Solvay), Rn. 49 f.; Coin Controls v Suzo International (UK), [1999] Ch. 33 (53) (Ch); Torremans in Leible/Ohly, IP & PIL, S. 203; Pitz in FS

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386

§ 10  Internationale Zuständigkeit für das Hauptsacheverfahren

IV. Zwischenergebnis 135

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Wie die Erörterung in Rn. 103 ff. gezeigt hat, gibt es keinen Stein der Weisen zur Behandlung des Nichtigkeitseinwands im Verletzungsverfahren im Anwendungsbereich der EuGVO. Es ist eine rechtspolitische Frage, welcher der drei oben genannten Lösungsvarianten der Vorzug zu gewähren ist. Eine politische Einigung zwischen den Mitgliedstaaten gestaltet sich schwierig, weil a) eine inzidente Entscheidung des Verletzungsgerichts über die Bestandsfrage mit dem in einigen Mitgliedstaaten praktizierten Trennungsprinzip nicht vereinbar ist, b) unabhängig von Trennungs- und Verbundsystem das Territorialitätsprinzip nachwirkt und viele Staaten inzidente Entscheidungen ausländischer Gerichte über den Bestand ihrer Schutzrechte nicht hinnehmen wollen, c) eine nachträgliche Zuweisung des Verletzungsverfahrens an die Gerichte des Registerstaates dem Grundsatz perpetuatio fori zuwiderläuft und d) die Aussetzungslösung de facto das Trennungsprinzip einführt, ohne dessen Vorteile (Schnelligkeit des Verletzungsverfahrens aufgrund der Bindungswirkung an die Schutzrechtserteilung) für sich verbuchen zu können. Die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache GAT/LuK enthält zwar neben stichhaltigen Erwägungen auch einige weniger überzeugende Argumente,305 ist aber zweifellos gut vertretbar. Wenn dem EuGH ein Vorwurf zu machen ist, so ist es der Vorwurf, diese zentrale Problematik ohne Not in einem obiter dictum anzusprechen und den praktischen Konsequenzen keinerlei Aufmerksamkeit zu zollen. Vom Verordnungsgeber hingegen wäre zu erwarten gewesen, die Entscheidung GAT/LuK rechtspolitisch zu überprüfen und  – angesichts des Festhaltens an dieser Entscheidung  – die praktischen Konsequenzen zu regeln. Diese Erwartung wurde hinlänglich enttäuscht. Folge der Untätigkeit des Gesetzgebers ist die Fortgeltung einer Rechtslage, über die der ehemalige High Court-Richter Hugh Laddie das Bonmot prägte „a less sensible system could not have been dreamt up by Kafka“.306 In der Praxis dürfte die fehlende Rechtssicherheit zu einer Re-Territorialisierung insbesondere im Hinblick auf die Verletzung technischer Schutzrechte führen. Meibom, S. 340; Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2013, 1 (17); Briggs/Rees, Civil Jurisdiction, Rn. 2.71 m. Fn. 1; Borrás/Hausmann in unalex, Art. 22 Brüssel I-VO Rn. 77. 305  Dies betrifft etwa den Hinweis auf die größere Rechtsnähe der Gerichte des Registerstaates, denn die EuGVO nimmt in Verletzungsverfahren die Entscheidung rechtsfremder Gerichte bewusst in Kauf. Auch die Behauptung des EuGH, die inzidente Prüfung der Gültigkeit von Schutzrechten berge die Gefahr der Umgehung des Art. 22 Nr. 4 EuGVO (2001) durch Formulierung des Klageantrags, verfängt nicht. Eine Umgehung setzt erstens die Anwendbarkeit des Art. 22 Nr. 4 EuGVO (2001) auf Einreden voraus. Zweitens formuliert der Beklagte im Verletzungsverfahren nicht den Klageantrag. Zur Detailkritik siehe stellvertretend für das gesamte Schrifttum Mankowski in Rauscher, EuZPR, Art. 22 Brüssel-I VO Rn. 47a ff. m. w. N. 306  Sepracor v. Hoechst Marion Roussel (Telfast), [1999] FSR 746 (Pat), deutsche Übersetzung in GRUR Int. 1999, 784 (785).



D.  Zuständigkeit für Begehren auf Auskunft und Beweismittelzugang

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Der Schutzrechtsinhaber wird es aufgrund der Gefahr eines Nichtigkeitseinwands und der unabsehbaren Folgen (u. a. des Risikos eines verfahrensverzögernden Vorabentscheidungsersuchens an den EuGH) regelmäßig vorziehen, am Gerichtsstand der unerlaubten Handlung zu klagen, um die internationale Zuständigkeit der Gerichte des Schutzlands zu begründen.307 Von den hier aufgezeigten Wahlmöglichkeiten zwischen allgemeinem und besonderen Gerichtsständen der EuGVO kann paradoxerweise vorwiegend ein negativer Feststellungskläger profitieren, der in seiner Klage den Bestand des Schutzrechts nicht in Zweifel zieht.308

D.  Zuständigkeit für Begehren auf Auskunft und Beweismittelzugang I.  Verfahren gegen den behaupteten Verletzer Begehrt der Schutzrechtsinhaber von dem angeblichen Verletzer Auskunft oder Zugang zu Beweismitteln, so folgt die Zuständigkeit für diese Hilfsbegehren der Zuständigkeit für die Verletzungsklage. Dies ist selbsterklärend, soweit es sich um prozessuale Instrumente der lex fori handelt, z. B. die standard disclosure.309 Soweit das nationale Recht diese Instrumente materiellrechtlich qualifiziert (etwa hinsichtlich der Auskunfts- und Vorlageansprüche des deutschen Rechts), wird von der deutschen Rechtsprechung und Literatur vertreten, die EuGVO sei so auszulegen, dass nicht nur Haupt-, sondern auch Hilfsansprüche in ihren Anwendungsbereich fallen, sog. Annexzuständigkeit.310 Vorteil dieser Auslegung ist die einheitliche Zuständigkeit des Verletzungsgerichts 307  Herr, Mitt. 2006, 481 (482); Mankowski in Rauscher, Art. 22 Brüssel-I VO Rn. 47d; Kühnen, HdB PatV, Rn. 766. Denkbar ist auch eine Rücknahme der außerhalb des Schutzrechtsstaats erhobenen Verletzungsklage nach Nichtigkeitseinrede, um nicht durch die Litispendenzbestimmung des Art. 29 EuGVO an einer Konsolidierung des Prozesses in den jeweiligen Schutzländern gehindert zu werden, vgl. de Lange, BIE 2008, 231 (233). 308 Siehe Actavis Group v Eli Lilly, [2012] EWHC 3316 (Pat): Die negative Feststellungsklägerin Actavis hatte sich per undertaking verpflichtet, den Bestand des betroffenen Patents im Laufe des Verfahrens nicht anzugreifenen. 309  Zutreffend entnimmt der Court of Appeal der Aussage des EuGH v. 17. 11. 1989 – C-391/95 – Slg. 1989, I-7091 (van Uden), Rn. 19, dass das Hauptsachegericht auch für einstweilige und sichernde Maßnahmen zuständig sei, ein verallgemeinerungsfähiges Prinzip, vgl. Masri v Consolidated Contractors International, [2008] EWCA Civ 303 (CA), Rn. 92 ff.; Masri v Consolidated Contractors International (re: anti-suit injunction), [2008] EWCA Civ 625 (CA), Rn. 60 ff. 310  LG Köln v. 05. 05. 2010 – 28 O 826/09 – IPRspr 2010, Nr 222, S. 565 f.; Coester-Waltjen in FS Schlosser, S. 152; Lange, WRP 2000, 940, (946); Schlosser, EuZPR, Art. 5 EuGVVO Rn. 16; Hye-Knudsen, S. 64; a. A. Tsikrikas in FS Simotta, S. 642 f.: der deliktsrechtliche Anspruch, dessen Durchsetzung der Vorlage- oder Auskunftsanspruch diene, stelle lediglich eine präjudizielle Vorfrage des Vorlage- oder Auskunftsanspruchs dar und sei nicht in der

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388

§ 10  Internationale Zuständigkeit für das Hauptsacheverfahren

für Haupt- und Hilfsansprüche, etwa im Rahmen einer Stufenklage.311 Wird das Hilfsbegehren im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verfolgt, kann sich neben dem bzw. den für die Verletzungsklage zuständigen Gericht(en) die Zuständigkeit anderer Gerichte über Art. 35 EuGVO i. V. m. dem nationalen Recht ergeben, vgl. hierzu näher § 11 Rn. 18 ff.

II.  Isolierte Auskunfts- und Beweismittelzugangsklagen 139

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Begehrt der Rechteinhaber Auskunft oder Zugang zu Beweismitteln von einem Dritten, gegenüber dem kein Verletzungsvorwurf erhoben wird, so kann diese Klage grundsätzlich nur am allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten oder am Gerichtsstand der betreffenden Niederlassung gemäß Art. 4 Abs. 1, 7 Nr. 5 EuGVO erhoben werden. Ein Rückgriff auf Art. 7 Nr. 2 EuGVO scheidet aus,312 da dieser Gerichtsstand nur zur Verfügung steht, wenn eine Handlung Gegenstand des Verfahrens ist, die geeignet ist, außervertragliche Schadensersatzansprüche auszulösen.313 Behauptet der Kläger eine Teilnahme des potentiellen Informanten lediglich, um die Gerichtspflichtigkeit am Ort der unerlaubten Handlung herbeizuführen, so scheitert die Klage wegen fehlender Begründetheit, soweit sie auf eine materiellrechtliche Grundlage gestützt ist. Prozessuale Instrumente wie die disclosure können hingegen zum Erfolg führen. Die englische Rechtsprechung berücksichtigt das daraus resultierende Risiko für den Beklagten durch eine entsprechend enge Steuerung der disclosure.314 Im Einzelfall mag auch eine Inanspruchnahme des potentiellen Informanten am Gerichtsstand der Streitgenossenschaft in Betracht kommen. Dies setzt freilich voraus, dass Identität und Wohnsitz des Schutzrechtsverletzers bekannt sind und die erforderliche Konnexität gegeben ist (regelmäßig zweifelhaft). Häufiger dürfte eine rügelose Einlassung i. S. d. Art. 26 EuGVO erfolgen, da insbesondere Diensteanbieter der Informationsgesellschaft der Datenweiter-

Lage, den notwendigen Bezug zum Gerichtsstand des Art. 7 Nr. 2 EuGVO zu begründen. Bei Stufenklagen sei an eine analoge Anwendung des Art. 8 EuGVO zu denken. 311  Mansel, IPRax 1989, 84. 312  A. A. LG Köln v. 05. 05. 2010 – 28 O 826/09 – IPRspr 2010, Nr 222, 565 ff. zu Art. 5 Nr. 3 LugÜ. Zum Gestattungsantrag nach § 101 Abs. 9 UrhG (entspricht § 140b Abs. 9 PatG, § 24b Abs. 9 GebrMG, §§ 19 Abs. 9 MarkenG, § 46 Abs. 9 DesignG et. al.) siehe die Entscheidung des OLG München v. 12. 09. 2011 – 29 W 1634/11 – K&R 2011, 739 f., in der bereits der Anwendungsbereich der EuGVO verneint wird (m. E. zweifelhaft). 313 EuGH v.  27.  9. 1988  – C-189/87  – Slg. 1988, 5565 (Kalfelis), Rn. 16 f.; EuGH v. 01. 10. 2002 – C-167/00 – Slg. 2002, I-8111 (Henkel), Rn. 36, 46 ff. m. w. N. 314 Siehe Molnlycke v Procter & Gamble, [1992] 1 WLR 1112 (1123 f.) (CA); näher Fawcett/Torremans, IP & PIL, Rn. 5.352 ff.



E. Würdigung

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gabe nicht per se entgegenstehen, sondern einen Gerichtsbeschluss zu deren Legitimation wünschen.315

E. Würdigung I.  Angemessene Berücksichtigung der prozessualen Interessen Das Zuständigkeitssystem der EuGVO erlaubt dem Kläger in der Tradition kontinentaleuropäischer Zuständigkeitssysteme die Wahl zwischen der Klageerhebung am allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten oder an besonders sachnahen bzw. prozessökonomischen Gerichtsständen. Für Verfahren zur Durchsetzung gewerblicher Schutzrechte kommen primär der allgemeine Gerichtsstand des Beklagten, der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung sowie der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft in Betracht. Das immaterialgüterrechtliche Territorialitätsprinzip entfaltet keine Auswirkung auf die internationale Zuständigkeit für den Verletzungsprozess, wird aber insoweit respektiert, als den Gerichten des Schutzrechtsstaates die ausschließliche Zuständigkeit über die Gültigkeit eines registrierten Schutzrechts zugewiesen wird. Die internationale Zuständigkeit ist unabhängig von der Rolle, welche die Parteien im Prozess einnehmen. Diese Grundwertungen werden den zuständigkeitsrechtlichen Interessen der Parteien gerecht. Der Grundsatz actor sequitur forum rei ist universell akzeptiert,316 der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung erlaubt eine Verhandlung der Rechtssache vor den sach- und rechtsnahen Gerichten des Schutzrechtsstaats, und der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft bietet dem Kläger die Option einer koordinierten Rechtsverfolgung gegenüber mehreren Beklagten. Die Möglichkeiten des Klägers, eine Klage außerhalb des Heimatforums des Beklagten zu erheben, sind aufgrund dessen Handlungen außerhalb des Heimatforums bzw. des Zusammenwirkens mit anderen Personen ebenso zumutbar wie vorhersehbar. Angesichts der Vereinheitlichung des Binnenmarkts und des Rechts der gewerblichen Schutzrechte innerhalb der Union sowie der Existenz grenzüberschreitender Medien wäre die Ablehnung einer extraterritorialen Jurisdiktion in Verletzungsverfahren über gewerbliche Schutzrechte anachronistisch, weil sie einer einheitlichen prozessualen Bewältigung von Rechtsverletzungen mit internationalem Bezug entgegen stünde. Gleichzeitig gewährleistet die ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte des Schutzrechtsstaats für Bestandsverfahren über Registerrechte, dass die Entscheidung über die Wirksamkeit des Erteilungsakts den Gerichten des 315 Hierzu 316 

Caddick/Tomlinson, NLJ 2010, 211 f. Kono, IP & PIL, S. 5 ff. m. w. N.

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§ 10  Internationale Zuständigkeit für das Hauptsacheverfahren

Schutzrechtsstaats vorbehalten und somit die Souveränität des Schutzrechtsstaat gewahrt bleibt. Die Rollenneutralität der Zuständigkeitsordnung sichert die zuständigkeitsrechtliche Gleichbehandlung der Parteien. Kritik bleibt somit den  – wichtigen  – Details vorbehalten. Der EuGH befürwortet im Rahmen des Art. 7 Nr. 2 EuGVO zwar die Anwendung des Ubiquitätsprinzips, sucht den besonderen Gerichtsstand der unerlaubten Handlung aber im Übrigen eng auszulegen, um die Vorhersehbarkeit der Zuständigkeit für den Beklagten zu wahren und ein übermäßiges forum shopping des Klägers zu unterbinden. Bei der Bestimmung des Orts des ursächlichen Geschehens resultiert hieraus eine Schwerpunktbildung, was grundsätzlich zu begrüßen ist, aber Rechtsunsicherheit hervorruft, solange es an konkretisierender Rechtsprechung fehlt. Bei der Bestimmung des Orts der Realisierung des Schadenserfolges sorgte bislang die Shevill-Doktrin für klare Richtlinien, indem die Entscheidungsbefugnis des Gerichts am jeweiligen Erfolgsort auf die in dem betreffenden Mitgliedstaat entstandenen oder drohenden Schäden beschränkt wurden. Die Entscheidung Wintersteiger relativiert ohne Not die Grundsätze der Shevill-Rechtsprechung, soweit Unterlassungsbegehren wie jene des dortigen Ausgangsverfahrens betroffen sind, und gewährt den Gerichten eines beliebigen Schutzrechtsstaates die Kognitionsbefugnis für sachwie rechtsfremde Sachverhalte. Die Reichweite dieses Präjudizes und dessen Implikationen für Schadensersatzklagen sind unklar. Unangemessen ist ferner das in Art. 8 Nr. 1 EuGVO enthaltene Kriterium der „widersprechenden Entscheidungen“, um die erforderliche Konnexität zwischen den Streitgenossen zwecks Inanspruchnahme des Gerichtsstands der Streitgenossenschaft zu bestimmen. Die Rechtsprechung des EuGH zu Art. 8 Nr. 1 EuGVO hat die Sicht auf die zuständigkeitsrechtlichen Interessen der Parteien eher vernebelt denn geklärt. Jedes neue Vorabentscheidungsersuchen führte zu einer Relativierung früherer Entscheidungen, ohne Rechtsklarheit für die Gerichte der Mitgliedstaaten und die Parteien zu bewirken. Fehlende Rechtssicherheit ist auch im Hinblick auf den Einfluss einer Nichtigkeitseinrede im Verletzungsverfahren zu beklagen. Das Territorialitätsprinzip sowie die fortbestehenden Unterschiede in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten (Stichwort Trennungs-/Verbundsystem) stehen einer vollständig befriedigenden Regelung entgegen. Dennoch wäre jegliche Regelung dem gegenwärtige Stand der Rechtsunsicherheit vorzuziehen. In besonderem Maße betrifft dies Patentverletzungsverfahren, weil dort der Einrede der Nichtigkeit eine höhere praktische Relevanz zukommt als z. B. im Markenrecht, und weil es an Möglichkeiten fehlt, die negativen Einflüsse des Territorialitätsprinzips durch Erwerb eines unionsweiten Schutzrechts zu umgehen (zum künftig zur Verfügung stehenden Einheitspatent siehe § 18).



E. Würdigung

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II. Reform 1.  Erkenntnisse aus der Reform der EuGVO Im Dezember 2012 haben Parlament und Rat die revidierte EuGVO (2012) erlassen, welche ab Januar 2015 die Regelungen der EuGVO (2001) ersetzt. Das Fenster für Reformen der EuGVO hat sich damit auf absehbare Zeit geschlossen. Bevor die hier befürworteten Reformimpulse vorgestellt werden, bietet sich eine kurze Betrachtung der Erkenntnisse an, die aus dem Prozess der EuGVO-Reform gewonnen werden können. In dem von der Kommission beauftragten vorbereitenden Bericht der Professoren Hess, Pfeiffer und Schlosser wurde den Verfahren über Schutzrechte des geistigen Eigentums ein eigenständiger Abschnitt gewidmet, in dem insbesondere die aus den Entscheidungen Roche Nederland und GAT/LuK resultierenden Probleme eingehend dargestellt und Regelungsvorschläge entworfen wurden.317 Auch das nachfolgende Grünbuch der Kommission suchte den Diskussionsprozess um angemessene Regelungen für den gewerblichen Rechtsschutz anzuregen.318 Die einzige vom Verordnungsgeber vorgenommene Änderung an den hier behandelten Vorschriften betrifft freilich Art. 22 Nr. 4 EuGVO (2001) bzw. Art. 24 Nr. 4 EuGVO (2012). Dort wurde die vom EuGH in der Rechtssache GAT/LuK geprägte Formulierung übernommen, die ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte des Registerstaates für Bestandsfragen gelte „unabhängig davon, ob die Frage im Wege der Klage oder der Einrede aufgeworfen wird“. Dies ist mehr als ernüchternd.319 Zwar mag es sich aus Gründen der Kontinuität durchaus anbieten, das Ergebnis bewährter Rechtsprechung zu kodifizieren. Die ungeklärten Rechtsfolgen der GAT-Entscheidung waren jedoch im Hess/Pfeiffer/Schlosser-Bericht320 und im Schrifttum deutlich hervorgehoben worden. Es wäre deshalb vom Verordnungsgeber zumindest zu erwarten gewesen, entweder eine Regelung zur Erklärung der Unzuständigkeit des bereits angerufenen Verletzungsgerichts oder eine Bestimmung zur Aussetzung des Verletzungsverfahrens in Anbetracht einer erhobenen Bestandsklage einzuführen, verbunden jeweils mit einer Präklusionsvorschrift, die dem Nichtigkeitseinwand den Charakter des „Super-Torpedos“ nimmt. Ein Vor-

317 

Schlosser in Hess/Pfeiffer/Schlosser-Bericht, Rn. 815 ff., 825 ff., 918 ff. Europäische Kommission, Grünbuch Überprüfung der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handessachen v. 21. 04. 2009, KOM (2009) 175, S. 8. 319  Kritisch auch Torremans in CLIP, Rn. 2:401.N10. 320  Schlosser in Hess/Pfeiffer/Schlosser-Bericht, Rn. 815 ff. 318 

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bild für eine passende Aussetzungsregelung findet sich im Unionsrecht bereits in Art. 100 Abs. 7 GMV.321 Der in Art. 8 Nr. 1 EuGVO (2012) enthaltene Konnexitätsbegriff der „gemeinsamen Verhandlung zwecks Vermeidung widersprechender Entscheidungen“ geht ebenfalls auf eine Kodifikation der EuGH-Rechtsprechung (bei Erlass der EuGVO (2001)) zurück. Die Übernahme dieser Formulierung hat sich, wie oben gezeigt wurde, nicht als glücklich erwiesen, da die Gefahr widersprechender Entscheidungen kein geeignetes Kriterium für die zuständigkeitsrechtliche Interessenabwägung darstellt. Die nachteiligen Auswirkungen der Roche Nederland-Entscheidung des EuGH wurden im Hess/ Pfeiffer/Schlosser-Bericht322 und im Grünbuch der Kommission323 erwähnt. Das zeitgleich mit der Reform der EuGVO entworfene Übereinkommen über ein einheitliches Patentgericht (UPCA) übernimmt deshalb den in Art. 8 Nr. 1 EuGVO enthaltenen Konnexitätsbegriff nicht, sondern stellt den Gerichtsstand der Streitgenossenschaft zur Verfügung, wenn „zwischen den Beklagten eine Geschäftsbeziehung besteht und die Klage denselben Verletzungsvorwurf betrifft“.324 Als Impuls für eine inhaltliche Änderung des Gerichtsstands der Streitgenossenschaft in der EuGVO wurden die Verhandlungsergebnisse des UPCA nicht genutzt. Unbestreitbar handelt es sich hierbei nur um einen Ausschnitt aus dem Reformprojekt EuGVO, der nicht über Gebühr verallgemeinert werden sollte.325 Dennoch lässt sich allgemein eine Tendenz des Verordnungsgebers identifizieren, die Rechtsprechung des EuGH zu kodifizieren und nur in jenen Bereichen gestaltend tätig zu werden, in denen der Gerichtshof die aktuelle Rechtslage als unbefriedigend bezeichnet hat.326 Unabhängig von dem bedauerlichen Licht, welches dieses Vorgehen auf die gelebte Gewaltenteilung innerhalb der Europäischen Union wirft, erscheint diese Vorgehensweise bedenklich, weil die Entwicklung verallgemeinerungsfähiger Prinzipien auf der Basis von case law der Zeit bedarf. Die oben beschriebenen Schwankungen in der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 8 Nr. 1 EuGVO wecken die Besorgnis, dass die 321  „Das mit einer Widerklage auf Erklärung des Verfalls oder der Nichtigkeit befasste Gemeinschaftsmarkengericht kann auf Antrag des Inhabers der Gemeinschaftsmarke nach Anhörung der anderen Parteien das Verfahren aussetzen und den Beklagten auffordern, innerhalb einer zu bestimmenden Frist beim Amt die Erklärung des Verfalls oder der Nichtigkeit zu beantragen. Wird der Antrag nicht innerhalb der Frist gestellt, wird das Verfahren fortgesetzt; die Widerklage gilt als zurückgenommen.“ Näher hierzu § 13 Rn. 41. 322  Schlosser in Hess/Pfeiffer/Schlosser-Bericht, Rn. 825 ff. 323  Europäische Kommission, Grünbuch Überprüfung der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handessachen v. 21. 04. 2009, KOM (2009) 175, S. 8. 324  Infra § 18 Rn. 53. 325  Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2013, 1 (8) vertreten die Auffassung, die Überarbeitung der EuGVO habe zu mehr Änderungen geführt als zu erwarten gewesen sei. 326 Ausführlich Stapper/Lenaerts, RabelsZ 78 (2014), 252 (253 ff.).



E. Würdigung

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Kodifikation einer aus einer Entscheidung übernommenen Formulierung des EuGH zu einem prinzipiell beliebigen Zeitpunkt (d. h. dem jeweiligen Reformzeitpunkt der Verordnung) künftigen Fortentwicklungen der Rechtsprechung im Wege stehen könnte.

2. Vorschläge de lege ferenda a)  Der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung Trotz der oben verschiedentlich geäußerten Kritik an der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 7 Nr. 2 EuGVO scheint es sinnvoll, die nähere Konturierung dieses Gerichtsstands und dessen Abstimmung mit Art. 7 Nr. 1 EuGVO weiterhin der Rechtsprechung zu überlassen. Angesichts der Vielgestaltigkeit unerlaubter Handlungen und der unterschiedlichen Haftungskonzepte in den Mitgliedstaaten der Union würde eine konkretere Formulierung des Gerichtsstands vermutlich mehr Fragen aufwerfen als beantworten.

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b)  Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft De lege ferenda wäre es sinnvoll, den Gerichtsstand der Streitgenossenschaft näher zu konturieren und insbesondere den verhängnisvollen Hinweis auf die gebotene Vermeidung widersprechender Entscheidungen in getrennten Verfahren zu streichen. Eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung erscheint geboten, sofern die Klage gegen den Beklagten, an dessen Wohnsitz die Klage erhoben wird, nicht unzulässig oder offensichtlich unbegründet ist, die Klagen auf einen einheitlichen oder ähnlichen Lebenssachverhalt gestützt werden und eine innere Verbindung zwischen den Beklagten besteht.

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c)  Der Einwand der Ungültigkeit des Schutzrechts Reformvorschläge für die Regelung des Verhältnisses eines Bestandsverfahrens zum Verletzungsverfahren sollten ihren Ausgangspunkt an der Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache GAT/LuK sowie der Regelung des Art. 24 Nr. 4 EuGVO (2012) nehmen. Erstens ist angesichts der Richtungsentscheidung des Verordnungsgebers in absehbarer Zeit nicht mit einem politischen Mandat zu rechnen, die inzidente Entscheidungsbefugnis über die Bestandsfrage den mit der Verletzungsfrage befassten Gerichten zuzuweisen. Zweitens stellt die Nichtigkeitseinrede in Rechtsstaaten, die dem Verbundsystem folgen, den typischen Angriff auf den Bestand des Schutzrechts dar.327 Die ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte des Schutzrechtsstaates über die Bestandsfrage würde konterkariert, billigte man den Verletzungsgerichten eine grundsätzliche Befugnis zur inzidenten Entscheidung über die Bestandsfrage zu.

327 

Stauder/Luginbühl in Contributions in Honour of Hanns Ullrich, S. 302 f.

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Ausgehend von dieser Grundsatzentscheidung bedarf es einer Aussetzungsregel, die dem Verletzungsgericht eine Aussetzung des Verfahrens bis zur Klärung der Bestandsfrage vor den später angerufenen Gerichten des Schutzrechtsstaats erlaubt. Als Vorbild mag Art. 104 Abs. 7 Gemeinschaftsmarkenverordnung dienen (hierzu § 13 Rn. 40). Empfehlenswert wären ferner rechtliche Vorkehrungen, um einer missbräuchlichen Instrumentalisierung des Nichtigkeitseinwands vorzubeugen. Erstens sollte die Einrede des Nichtbestands nur dann zugelassen werden, wenn der Beklagte des Verletzungsverfahrens (ggf. innerhalb einer vom Gericht zu bestimmenden Frist) tatsächlich die Bestandsklage vor den Gerichten des Schutzrechtsstaats erhebt.328 Zweitens sollte der Angriff auf den Bestand des Schutzrechts in der ersten Einlassung des Beklagten ankündigt werden. Drittens wäre es sinnvoll, wenn das Verletzungsgericht die Nichtigkeitseinrede bei offensichtlicher Unbegründetheit unberücksichtigt lassen könnte.329 Bei technischen Schutzrechten dürfte eine offensichtliche Unbegründetheit selten in Betracht kommen, im Kennzeichenrecht ist dies aber durchaus denkbar (z. B. Behauptung der Nichtigkeit einer notorisch bekannten Marke). Wird dem Verletzungsgericht eine summarische Beurteilung der Begründetheit des Nichtigkeitseinrede erlaubt, liegt es nahe, auch eine unionsautonome Rechtskraftdurchbrechung für den Fall einzuführen, dass die Bestandsklage im Schutzrechtsstaat erfolgreich ist. Soweit diese Vorschläge über die Einführung einer Aussetzungsregel hinausgehen, verlassen sie deutlich den durch die EuGVO gezogenen Rahmen der Zuständigkeit, Anerkennung und Vollstreckbarkeit und sind mit weitgehenden Eingriffen in das autonome Verfahrensrecht der Mitgliedstaaten verbunden. Um ihre politische Realisierbarkeit ist es vermutlich schlecht bestellt.

328 

McGuire, WRP 2011, 983 (993). Schlosser in Hess/Pfeiffer/Schlosser-Bericht, Rn. 822, 857; wohl a. A. McGuire, WRP 2011, 983 (993). 329 

§ 11  Internationale Zuständigkeit für Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes A.  Bedeutung der internationalen Zuständigkeit im einstweiligen Rechtsschutz Zivilprozesse mit grenzüberschreitendem Bezug weisen regelmäßig längere Verfahrenszeiten auf als rein nationale Verfahren und erfordern gegebenenfalls eine (langwierigere) Vollstreckung außerhalb des Urteilsstaates. Das ohnehin große praktische Bedürfnis nach der Verfügbarkeit einstweiliger Verfahren im gewerblichen Rechtsschutz1 wird deshalb in Rechtssachen mit internationalem Bezug noch einmal gesteigert.2 Auch im einstweiligen Rechtsschutz ringen die Parteien um ein möglichst vorteilhaftes Forum, zumal nach Abschluss des einstweiligen Verfahrens auf eine Durchführung des Hauptsacheverfahrens häufig verzichtet wird.3 Der Inhalt der einstweiligen Verfügung wirkt prägend für einen im Anschluss verhandelten Vergleich,4 und der Druck, sich bereits im Stadium des einstweiligen Verfahrens zu vergleichen oder einen Anspruch anzuerkennen, erhöht sich, sofern eine der Parteien über eine schwächere Beziehung zum Forumstaat verfügt als die Gegenseite.5

1 

Supra § 4 Rn. 1. allgemein zu einstweiligen Verfahren EuGH v. 28. 4. 2005 – Rs. C-104/03 – Slg. 2005, I-3481 (St. Paul Dairy), Rn. 12; Spellenberg/Leible, ZZPInt 4 (1999), 221 f.; Stadler, JZ 1999, 1089 (1093). Die Europäische Kommission verzeichnet eine „stark zunehmende Tendenz“ zu grenzüberschreitenden einstweiligen Verfahren, vgl. Mitteilung der Europäischen Kommission, Wege zu einer effizienteren Erwirkung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen in der Europäischen Union, ABl. EG Nr. C 33/3 v. 31. 01. 1998, Rn. 22; keine hohe Relevanz wurde dem einstweiligen Rechtsschutz hingen in der Studie zur Anwendung der EuGVO beigemessen, vgl. Hess in Hess/Pfeiffer/Schlosser-Bericht, Rn. 641. 3  Siehe nur Fentiman, Litigation, S. XI: „International commercial disputes are almost invariably interlocutory, converning the two principal matters in any multistate dispute  – venue, and the preservation of assets pending judgment. Such disputes are likely to be hard fought, because their outcome is invariably decisive. But their effect is to normally prompt settlement, so ensuring that few disputes migrate to a trial on the merits.“ Ferner Andrews, Civil Procedure, Rn. 18.02; Dickinson, IPRax 2010, 203 (210). 4  Maher/Rodger, ICLQ 48 (1999), 302 f.; Andrews, Civil Procedure, Rn. 18.02; Dickinson, IPRax 2010, 203 (210). 5  Maher/Rodger, ICLQ 48 (1999), 302 f. 2  Siehe

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Der einstweilige Rechtsschutz bietet zudem ein wunderbares Spielfeld für prozesstaktische Erwägungen, da sich die Besonderheiten des nationalen Verfahrensrechts im einstweiligen Rechtsschutz besonders deutlich auswirken. Die Unterschiede zwischen den Prozessordnungen der Mitgliedstaaten beginnen bei der Verfügbarkeit bestimmter einstweiliger Maßnahmen sowie den Voraussetzungen eines Verfügungserlasses und setzen sich fort im Hinblick auf die im Verfügungsverfahren zulässigen Beweismittel, die erforderliche Partizipation des Antragsgegners, die Verfahrensdauer sowie die anfallenden Kosten.6 Schließlich wird einer Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz häufig ohne Umweg über das Kollisionsrecht das Sachrecht der lex fori zugrunde gelegt,7 obgleich der Anwendungsbereich der Rom-Verordnungen auch in einstweiligen Verfahren eröffnet ist.8 Der Versuch, mittels der Durchsetzungsrichtlinie zumindest den „grünen Bereich“ des einstweiligen Rechtsschutzes zu harmonisieren, war, wie die Analyse in Teil II gezeigt hat, nur begrenzt erfolgreich. Angesichts dieser Unterschiede in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten ist es für den Antragsteller grundsätzlich vorteilhaft, wenn die begehrte einstweilige Maßnahme in demjenigen Mitgliedstaat beantragt werden kann, in dem sie Wirkung entfalten bzw. vollstreckt werden soll. Die Wahl eines Forums aufgrund der dort verfügbaren besonders scharfen einstweiligen Maßnahmen kann demgegenüber von Interesse sein, wenn der Antragsteller eine Drohkulisse gegenüber dem Antragsgegner aufbauen will oder der einstweiligen Anordnung im Vollstreckungsstaat in ähnlicher Form Wirkung verliehen werden kann (hierzu näher § 17 Rn. 39 ff.).9

6 

Überblick bei Hess, Study JAI/A3/2002/02, S. 119 ff. zur Gerichtspraxis in Deutschland OLG Karlsruhe v.  06. 03. 1984  – 16 UF 46/84 – IPRax 1985, 106; OLG Düsseldorf v. 12. 05. 1975 – 8 W 51/75 – FamRZ 1975, 634; KG v. 16. 10. 2006 – 10 U 286/05 sowie Schack, IZVR, Rn. 704. Zum französischen référé-Verfahren sind keine Fälle berichtet, in denen das Gericht ausländisches Sachrecht angewendet hätte, siehe näher Meyer/Heuzé, Droit int. Privé, Rn. 197 f.; Kimmerle, Befriedigungsverfügungen, S. 91 m. Fn. 378. In England sind im Rahmen einstweiliger Verfahren schriftliche Sachverständigenaussagen zur Bestimmung des ausländischen Rechts zugelassen. Wird das ausländische Recht hierdurch nicht hinreichend dargelegt, findet englisches Recht Anwendung; näher Fentiman, Litigation, Rn. 6.90; 6.98 ff. Siehe generell zur Nichtanwendung ausländischen Rechts Schweizerisches Institut für Rechtsvergleichung, Application of Foreign Law, S. 38, 49 ff. 8  Vgl. Erwägungsgrund 7 Rom II-VO; Art. 15 Abs. 1 lit. d Rom II-VO; Art. 12 Abs. 1 lit. c Rom I-VO. 9  Maher/Rodgers, ICLQ 48 (1999), 302 (310). 7 Vgl.



B.  Die rudimentäre Regelung des einstweiligen Rechtsschutzes in der EuGVO 397

B.  Die rudimentäre Regelung des einstweiligen Rechtsschutzes in der EuGVO Die EuGVO regelt die internationale Zuständigkeit für Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes nur sehr stiefmütterlich in Art. 31 EuGVO (2001) bzw. Art. 35 EuGVO (2012).10 Zum Zwecke besserer Lesbarkeit wird auch in diesem Kapitel allein auf die Regelungen der EuGVO (2012) Bezug genommen, soweit nicht Abweichungen zwischen den beiden Verordnungen bestehen. Gemäß Art. 35 EuGVO können die im Recht eines Mitgliedstaats vorgesehenen einstweiligen Maßnahmen, einschließlich Sicherungsmaßnahmen, bei den Gerichten dieses Staates auch dann beantragt werden, wenn für die Entscheidung in der Hauptsache das Gericht eines anderen Mitgliedstaats zuständig ist. Weder wird der Begriff „einstweilige Maßnahme“ durch die EuGVO definiert, noch bestimmt die Verordnung die Zuständigkeit für den einstweiligen Rechtsschutz autonom. Nach herrschender  – und vom EuGH geteilter  – Auffassung folgt aus Art. 35 EuGVO zweierlei: Erstens sind diejenigen Gerichte, welche für die Entscheidung des Rechtsstreits in der Hauptsache zuständig sind, auch befugt, einstweilige oder sichernde Maßnahmen anzuordnen.11 Zweitens sind die Gerichte anderer Mitgliedstaaten (ergänzend) befugt, einstweilige Maßnahmen zu veranlassen, sofern das autonome internationale Zivilverfahrensrecht des betreffenden Mitgliedstaats ihnen eine entsprechende Zuständigkeit verleiht.12 Die ergänzende Zuständigkeit an sich unzuständiger mitgliedstaatlicher Gerichte nach Maßgabe der autonomen lex fori erlaubt die Entscheidung durch ein besonders wirkungs- und/oder vollstreckungsnahes Gericht und dient so der Vermeidung von Rechtsschutzlücken.13 Hintergrund sind die erheblichen Zeitverzögerungen, die durch die Beweisaufnahme und/oder Vollstreckung im Ausland entstehen14 sowie die Tatsache, dass eine aufgrund 10  Darüber

hinaus ist Art. 47 Abs. 1 EuGVO (2001) zu erwähnen, welcher einstweilige Maßnahmen im Vollstreckungsstaat in der Phase zwischen Erlass des Erkenntnisurteils und Exequatur betrifft. 11  EuGH v. 17. 11. 1998 – C-391/95 – Slg. 1998, I-7091 (van Uden), Rn. 19; hierzu näher infra Rn. 14 ff. 12 EuGH v.  27.  04. 1999  – C-99/96  – Slg. 1999, I-2277 (Mietz), Rn. 46, 54; OGH v.  16. 07. 2008  – 16 Ok 3/08 08  – , Rn. 3.12; Schack, IZVR, Rn. 484; Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 31 Brüssel I-VO Rn. 2. Weitere Nachweise, auch zur Gegenauffassung, bei Kimmerle, Befriedigungsverfügungen, S. 18 ff. 13 Eingehend Kimmerle, Befriedigungsverfügungen, S.  209 ff. mit zahlreichen Nachweisen. 14 Auch nach Wegfall des Exequaturverfahrens mit der EuGVO (2012) bestehen angesichts der unterschiedlichen Tenorierungspraktiken in den Mitgliedstaaten der Union Auslegungs- und Anpassungsfragen bei der Vollstreckung ausländischer Unterlassungsgebote sowie Unklarheiten hinsichtlich der grenzüberschreitenden Vollstreckung von Zwangs- und Ordnungsgeldern. Siehe näher § 16 Rn. 42 ff., 52 ff.

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Überraschungseffekts ex parte erlassene einstweilige Maßnahme erst nach Zustellung der Entscheidung an den Antragsgegner die Vorteile der Urteilsfreizügigkeit genießt und der Vollstreckung im Ausland zugänglich ist.15 Doch eröffnet eine wortgetreue Auslegung des Art. 35 EuGVO dem Antragsteller Tür und Tor zum forum shopping. Je nach Ausgestaltung der Zuständigkeit für den einstweiligen Rechtsschutz im autonomen Recht vermag der Antragsteller auf die in der „Giftliste“ des Art. 5 Abs. 2 EuGVO enthaltenen exorbitanten nationalen Zuständigkeitsregelungen zurückzugreifen.16 Exemplarisch genannt sei hier nur das englische Recht, wonach der High Court befugt ist, nach seinem Ermessen einstweiligen Rechtsschutz auch dann zu gewähren, wenn die Klage in einem anderen Mitgliedstaat der Union anhängig ist oder erhoben werden soll.17 Die dem Antragsteller hierdurch eröffneten Wahlmöglichkeiten sind misslich genug und führen zu Verzerrungen im Zuständigkeitssystem der EuGVO.18 Das Problem wird durch die Diversität des einstweiligen Rechtsschutzes in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten verschärft. So stehen einige Rechtsordnungen Befriedigungsverfügungen großzügig gegenüber oder setzen nicht zwingend eine Dringlichkeit für die Anordnung einer einstweiligen Maßnahme voraus,19 während andere Rechtsordnungen besonders eingriffsintensive einstweilige Maßnahmen wie die freezing injunction, die search order oder die saisie contrefaçon bereithalten. Art. 35 EuGVO kann hier als Hebel genutzt werden, um das Zuständigkeitssystem der Verordnung zu umgehen. Die Herausforderung bei der Auslegung des Art. 35 EuGVO besteht folglich darin, eine angemessene Balance zwischen den Interessen der Parteien herzustellen, indem einerseits zwecks Gewähr effektiven einstweiligen Rechtsschutzes der Zugang zu einem in der Hauptsache nicht zuständigen Gericht eröffnet wird, ohne es andererseits dem Antragsteller zu erlauben, die Vielgestaltigkeit des einstweiligen Rechtsschutzes innerhalb der Union im Wege übermäßigen 15 EuGH

v.  21. 05. 1980  – 125/79  – Slg. 1980, 1553 (Denilauler), Rn. 13 ff.; EuGH v.  13. 07. 1995  – C-474/93  – Slg. 1995, I-2113 (Hengst Import), Rn. 14 f.; Art. 2 lit. a S. 3 EuGVO (2012); vgl. näher § 16 Rn. 12 ff. 16  EuGH v. 17. 11. 1998 – C-391/95 – Slg. 1998, I-7091 (van Uden), Rn. 42. 17  S. 25 des Civil Jurisdiction and Judgments Act 1982. Der englische Gesetzgeber hat damit die entgegenstehende Regel aus der Entscheidung The Siskina (Owners of Cargo Lately Laden on Board) v Distos Compania Naviera S. A, [1979] A. C. 210 (257) (HL) aufgehoben. 18  So kennt bspw. das französischen Recht eine autonome internationale Zuständigkeit auf Basis der französischen Staatsangehörigkeit des Klägers (Art. 14 Code civil), während das deutsche Zuständigkeitsrecht keine Parallele bereithält. 19  Von hoher praktischer Relevanz sind das niederländische kort geding und das französische référé provision-Verfahren. Siehe zum französischen Recht umfassend Kimmerle, Befriedigungsverfügungen, S. 30 ff. Ein Überblick über die Einstellung der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten zur vorläufigen Befriedigung von Zahlungsansprüchen findet sich bei Hess, Study JAI/A3/2002/02, S. 122 ff.



C.  Einstweiliger Rechtsschutz auf Basis einer Zuständigkeitsnorm der EuGVO  399

forum shoppings für seine Zwecke zu nutzen. Die Mechanismen, welche der EuGH im zeitlichen Anwendungsbereich des EuGVÜ und der EuGVO (2001) entwickelt hat, um einer Entwertung des Zuständigkeitssystems der EuGVO vorzubeugen, werden unter D. näher betrachtet. In Abschnitt E. wird erörtert, ob von einer Fortgeltung dieser Mechanismen im zeitlichen Anwendungsbereich der EuGVO (2012) auszugehen ist. Zuvor sind einige Worte angezeigt zur Zuständigkeit des (potentiellen) Hauptsachegerichts für Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes.

C.  Einstweiliger Rechtsschutz auf Basis einer Zuständigkeitsnorm der EuGVO Jedes Gericht, das nach Art. 4 ff. EuGVO zur Entscheidung der Hauptsache berufen ist, verfügt grundsätzlich über die Kompetenz für den Erlass einstweiliger Maßnahmen ohne die Beschränkungen, welche der EuGH für einstweilige und sichernde Maßnahmen i. S. d. Art. 31 EuGVO (2001) entwickelt hat.20 Da die Zuständigkeit des Hauptsachegerichts von Verfahrenshandlungen der Parteien abhängt, bedarf diese Aussage der Konkretisierung.

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I.  Verfahrenshandlungen mit zuständigkeitsrechtlichem Effekt Es lassen sich drei relevante Szenarien identifizieren, in denen Verfahrenshandlungen der Parteien die Bestimmung des in der Hauptsache zuständigen Gerichts beeinflussen: Die rügelose Einlassung, die Klageerhebung gegen mehrere Beklagte am Gerichtsstand der Streitgenossenschaft sowie die Erhebung der Einrede der Ungültigkeit eines Schutzrechts im Verletzungsprozess. Die rügelose Einlassung des Beklagten auf eine Klageerhebung vor einem unzuständigen Gericht begründet gemäß Art. 26 EuGVO die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts, soweit keine ausschließliche Zuständigkeit eines anderen Gerichts nach Art. 24 EuGVO besteht. Hat sich der Beklagte rügelos auf das Hauptsacheverfahren eingelassen, verfügt das nunmehr zuständige Hauptsachegericht über die Kompetenz, einstweilige Verfügungen ohne Beachtung der vom EuGH in Bezug auf Art. 31 EuGVO (2001) entwickelten Beschränkungen zu erlassen.21 Dagegen genügt nach zutreffender Rechtspre20 EuGH v.  17. 11. 1998  – C-391/95  – Slg. 1998, I-7091 (van Uden), Rn. 19; EuGH v. 27. 04. 1999 – C-99/96 – Slg. 1999, I-2277 (Mietz), Rn. 50 ff.; BG v. 30. 07. 2003 – 4P. 88/2003 – unalex CH-2 (Uzan/Motorola Credit); Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR, A. 1, Art. 31 Rn. 3; Kropholler/v. Hein, EuZPR, Art. 31 EuGVO Rn. 12; Gebauer in Gebauer/Wiedmann, Kap. 27 Rn. 153. 21  EuGH v. 27. 04. 1999 – C-99/96 – Slg. 1999, I-2277 (Mietz), Rn. 52.

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400 § 11  Internationale Zuständigkeit für Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes

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chung des EuGH die rügelose Einlassung auf das einstweilige Verfahren nicht zur Begründung der internationalen Zuständigkeit.22 Die Zuständigkeit des Gerichts am Wohnsitz des Ankerbeklagten für dessen passive Streitgenossen wird gemäß Art. 8 Nr. 1 EuGVO erst durch die Klageerhebung aktiviert. In konsequenter Fortführung der Rechtsprechung des EuGH zur rügelosen Einlassung ist davon auszugehen, dass der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft erst ab Einleitung des Hauptsacheverfahrens die Kompetenz zum Erlass einstweiliger Verfügungen in Bezug auf alle Streitgenossen vermittelt. Nicht ausreichend ist ein alleiniger Antrag auf Gewähr einstweiligen Rechtsschutzes gegenüber allen Streitgenossen. Die Behauptung der Ungültigkeit des Schutzrechts steht dem Erlass einer einstweiligen oder sichernden Maßnahme durch Gerichte außerhalb des Schutzrechtsstaats nicht entgegen, da im einstweiligen Verfahren nicht inzident über den Bestand des Schutzrechts entschieden wird.23

II.  Zuständigkeit eines potentiellen Hauptsachegerichts 14

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Ist noch keine Klageerhebung in der Hauptsache erfolgt, so ist jedes potentielle Hauptsachegericht unabhängig von den Voraussetzungen des Art. 35 EuGVO zur Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz befugt. Disput besteht allerdings darüber, ob diese umfassende Entscheidungskompetenz durch ein nach der Verordnung grundsätzlich zuständiges Gericht bestehen bleibt, wenn wegen desselben Anspruchs bereits ein anderes Gericht in der Hauptsache angerufen wurde.24 Sind bei den Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten Klagen wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien anhängig, so setzt gemäß Art. 29 22  EuGH v. 27. 04. 1999 – C-99/96 – Slg. 1999, I-2277 (Mietz), Rn. 57; BG v. 18. 12. 2002 – 5P. 402/2002/min  – unalex CH-259; Staudinger in Rauscher, EuZPR, Art. 24 Brüssel I-VO Rn. 10 m. w. N. 23  EuGH v. 12. 07. 2012 – C-616/10 (Solvay), Rn. 49 f.; Coin Controls v Suzo International (UK), [1999] Ch. 33 (53) (Ch); RB s’Gravenhage v. 21. 09. 2006 – 266720/KG ZA 06–694 – Mitt. 2007, 285 (Bettacare v H3); de Lange, BIE 2008, 231 (233); Torremans in Leible/Ohly, IP & PIL, S. 203; Pitz in FS v. Meibom, S. 340; Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2013, 1 (17); Briggs/Rees, Civil Jurisdiction, Rn. 2.71 m. Fn. 1; Cook, EU IP, Rn. 10.14; Borrás/Hausmann in unalex, Art. 22 Brüssel I-VO Rn. 77. 24  Für eine Fortgeltung der umfassenden Entscheidungskompetenz BG v. 30. 07. 2003 – 4P. 88/2003 ; Stadler, JZ 1999, 1089 (1094); Micklitz/Rott, EuZW 2002, 15 (23); Heinze, RIW 2003, 922 (926); Ebner, Markenschutz, S. 229; Hess, EuZPR, § 6 Rn. 248; Schlosser, EU-ZPR, Art. 31 EuGVVO Rn. 10, 19; Pörnbacher in Geimer/Schütze, Int. RV, Art. 31 B Vor I 10 b Rn. 9; Leible in Rauscher, Art. 31 Brüssel I-VO Rn. 17; Geimer in Geimer/ Schütze, EuZVR, A. 1, Art. 31 Rn. 3. A. A. (Maßnahme nur noch in den Grenzen des Art. 31 EuGVO (2001) / Art. 35 (2012) zulässig): Wolf, EWS 2000, 11 (14); Schulz, ZEuP 2001, 805 (814); Garber, Einstweiliger Rechtsschutz, S. 100; Kimmerle, Befriedigungsverfügungen, S. 27 ff., 202 f.; Kropholler/v.  Hein, EuZPR, Art. 31 Rn. 11; Briggs/Rees, Civil Jurisdiction, Rn. 6.09 ff.; Hartley, Int’l Litigation, S. 446 f.; Merrett, LMCLQ 2008, 71 (73).



C.  Einstweiliger Rechtsschutz auf Basis einer Zuständigkeitsnorm der EuGVO  401

Abs. 1 EuGVO das später angerufene Gericht das Verfahren von Amts wegen aus, bis das zuerst angerufene Gericht über seine Zuständigkeit entscheidet.25 Die Litispendenzvorschriften finden zwar im Verhältnis zwischen Hauptsacheverfahren und Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes mangels Identität der Verfahrensgegenstände keine Anwendung.26 Ist der Rechtsstreit jedoch in der Hauptsache bereits bei einem zuständigen Gericht anhängig, so ist die Zuständigkeit eines anderen, potentiellen Hauptsachegerichts letztlich nur fiktiv, weshalb nach verbreiteter Auffassung diesen fiktiven Hauptsachegerichten eine Entscheidungskompetenz im einstweiligen Rechtsschutz nur unter den Voraussetzungen des Art. 35 EuGVO zuzubilligen ist.27 Gestützt wird diese Argumentation u. a. auf Art. 29 Abs. 3 EuGVO, wonach sich ein prinzipiell zuständiges Gericht aufgrund einer bestehenden anderweitigen Rechtshängigkeit für unzuständig zu erklären hat.28 Ein praktisches Bedürfnis für einstweiligen Rechtsschutz besteht freilich vor allem in der Zeitspanne vor Feststellung der internationalen Zuständigkeit durch das zuerst angerufene Gericht (häufig genug erfolgt diese Feststellung erst im Endurteil29). Während dieser Phase besteht die Zuständigkeit des später angerufenen Gerichts fort, zumal die Sperrwirkung des Art. 29 Abs. 1 EuGVO gänzlich unabhängig davon eintritt, ob das zuerst angerufene Gericht tatsächlich über die internationale Zuständigkeit zur Entscheidung über die Hauptsache verfügt.30 Jedenfalls bis zu dem Zeitpunkt, zu dem das zuerst angerufene Gericht seine Zuständigkeit in der Hauptsache bejaht, sind deshalb auch alle anderen potentiellen Hauptsachegerichte zur umfassenden Ent-

25  Eine Ausnahme gilt nach Art. 30 Abs. 2 und 3 EuGVO (2012) bei Vorliegen einer Gerichtsstandsvereinbarung. Hier kommt der Zuständigkeitsentscheidung des (vermeintlich) prorogierten Gerichts Vorrang zu. 26  Republic of Haiti v Duvalier, [1990] 1 QB 202 (211 f.) (CA); OGH v. 27. 11. 2001 – 4 Ob 273/01  – GRUR Int. 2002, 936 (937) (Universal-Stein); Hill/Chong, Int’l Disputes, Rn. 10. 3. 14; Wadlow, Enforcement, Rn. 8–30; Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR, A. 1, Art. 27 Rn. 47; Kropholler/v. Hein, EuZPR, Art. 27 EuGVO Rn. 14 m. w. N. 27  Kropholler/v.  Hein, EuZPR, Art. 31 EuGVO Rn. 11, 19; Wolf, EWS 2000, 11 (14, 18); Muir Watt, RC 91 (2002), 372 (373); Trocker in Stürner/Kawano, Comparative Studies, S. 284; Pansch, Einstweilige Verfügung, S.  69  f.; Kimmerle, Befriedigungsverfügungen, S. 28 f. m. w. N. und beachtlichen historischen Argumenten. 28  Kimmerle, Befriedigungsverfügungen, S. 28, 202. Der Wortlaut des Art. 29 Abs. 3 EuGVO reflektiert das autonome französische Verfahrensrecht in Art. 100 CPC. Zur EuGVO vertreten Lüke in GS Arens, S. 275, 277 und McGuire, Verfahrenskoordination, S. 159 die Auffassung, die Zuständigkeit des später angerufenen Gerichts werde konsumiert. A. A. Geimer in Geimer/Schütze, A. 1, Art. 27 Rn. 67 m. w. N.: Es handele sich um zwei selbständige Rechtsinstitute und die These, dass die Zuständigkeit entfalle, sei „nicht tragfähig“. 29  Einen Überblick über die unterschiedliche Praxis bzw. Rechtslage in den Mitgliedstaaten bietet Pfeiffer in Hess/Pfeiffer/Schlosser-Bericht, Rn. 178. 30  EuGH v.  09. 12. 2003  – C-116/02  – Slg. 2003, I-14693 (Gasser), Rn. 51 ff.; näher § 12 Rn. 18 ff.

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402 § 11  Internationale Zuständigkeit für Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes scheidung im einstweiligen Rechtsschutz befugt.31 Durch Bewahrung dieser Zuständigkeit werden empfindliche Rechtsschutzlücken vermieden, z. B., sofern der Antragsgegner bereits eine Torpedoklage im Wege der negativen Feststellungsklage erhoben hat (hierzu ausführlich § 12 Rn. 18 ff.).32

III.  Inhalt der Maßnahmen 17

Die Zuständigkeit des (potentiellen) Hauptsachegerichts erstreckt sich auf alle denkbaren Typen einstweiligen Rechtsschutzes, einschließlich Beweissicherungsmaßnahmen und selbständigen Untersuchungsmaßnahmen, deren Durchführung im Ausland einer gerichtlichen Kooperation im Wege der EuBVO bedarf. Im Schrifttum wird gelegentlich bezweifelt, ob solche Maßnahmen in den Anwendungsbereich der Verordnung fallen.33 Der EuGH hingegen geht wie selbstverständlich von der Anwendung der EuGVO aus.34 Dies ist auch überzeugend: Soweit Beweissicherungsmaßnahmen während eines Prozesses beantragt werden, handelt es sich regelmäßig um Zwischenentscheidungen des nach Maßgabe der EuGVO zu bestimmenden Hauptsachegerichts.35 Vorprozessuale Maßnahmen dieser Art sind in den Mitgliedstaaten ganz unterschiedlich ausgeprägt: Sie können nach autonomem Recht als einstweilige 31  JP Morgan Europe v Primacom, [2005] 1 CLC 493 (511  f.) (Comm); OGH v 27. 11. 2001  – 4 Ob 273/01  – GRUR Int. 2002, 936 (937) (Universal-Stein); Grothe, IPRax 2004, 83 (88); grundsätzlich ebenso, aber eine Sperre für einstweilige Leistungsanordnungen annehmend Hoge Raad v. 21. 06. 2002 – C01/241HR – [2004] I. L.Pr. 33 (Spray Network v Telenor Venture); ähnlich Hess/Vollkommer, IPRax 1999, 220 (224, Fn. 57). Für Verfügungen auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes stellt auch Art. 9 Abs. 5 DRL kein Hindernis dar. Diese Bestimmung fordert zwar, dass die einstweilige Verfügung außer Kraft gesetzt wird, sofern das Hauptsacheverfahren nicht innerhalb einer bestimmten Frist eingeleitet wird. Hierfür ist jedoch eine Klageerhebung bei einem beliebigen in der Hauptsache zuständigen Gericht ausreichend. Bei der Fristbemessung muss dem Umstand der Klageerhebung im Ausland selbstverständlich Rechnung getragen werden. I. E. ebenso zu Art. 50 Abs. 6 TRIPs LG Hamburg v. 22. 04. 2002 – 315 O 64/02 – GRUR Int 2002, 1025 (1027); zweifelnd hingegen Franzosi, JIPLP 2009, 247 (252 f.). 32  LG Hamburg v. 22. 04. 2002 – 315 O 64/02 – GRUR Int 2002, 1025 (1027) (Seifenverpackung). 33  Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR, A. 1, Art. 2 Rn. 92, Art. 31 Rn. 32 f. (mangels streitiger Entscheidung); Schack, IZVR, Rn. 491; v. Hein in Rauscher, EuZPR, Art. 1 EGBewVO Rn. 52 m. w. N.; ferner LG Hamburg v. 15. 09. 1998 – 410 O 44/95 – IPRax 2001, 45 (47) m. krit. Anm. Spickhoff, IPRax 2001, 37 (39). 34  EuGH v. 28. 04. 2005 – C-104/03 – Slg. 2005, I-3481 (St. Paul Dairy), Rn. 9 ff.; EuGH v. 06. 09. 2012 – C-170/11 (Lippens), Rn. 36; siehe ferner Masri v Consolidated Contractors International (UK) (No 2), [2009] 2 WLR 621 (644 f.) (CA). Befürwortend auch alle Stimmen, die Beweissicherungsmaßnahmen unter Art. 31 EuGVO (2001) / Art. 35 EuGVO (2012) subsumieren, hierzu infra Rn. 42 ff. 35 Der Schlosser-Bericht, ABl. EG Nr. C 59/127 v. 05. 03. 1979 weist lediglich darauf hin, dass diese Maßnahmen vom Anwendungsbereich des 3. Titels des EuGVÜ (Anerkennung und Vollstreckung) ausgenommen sind.



D.  Einstweilige Maßnahmen i. S. d. Art. 31 EuGVO (2001)

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Maßnahme oder als eigenständiges Verfahren ausgestaltet sein; einige haben einen anerkennungs- und vollstreckungsfähigen Inhalt, bei anderen kommt eine Vollstreckung nicht in Betracht. Eine Differenzierung nach Zeitpunkt der Veranlassung der Maßnahme sowie nach der Ausgestaltung im betreffenden Mitgliedstaat würde einer autonomen Auslegung des Anwendungsbereichs der Verordnung entgegen stehen und den Anwendungsbereich von den Besonderheiten nationaler Prozessrechte abhängig machen  – ein Konsequenz, die es zu vermeiden gilt.

D.  Einstweilige Maßnahmen i. S. d. Art. 31 EuGVO (2001) Neben den potentiellen Hauptsachegerichten sind gemäß Art. 31 EuGVO (2001) bzw. Art. 35 EuGVO (2012) auch diejenigen Gerichte für den Erlass einstweiliger Maßnahmen, einschließlich Sicherungsmaßnahmen, zuständig, denen diese Befugnis nach ihrem nationalen Kompetenzrecht zukommt. Im Folgenden stelle ich zunächst die Rechtslage unter Geltung der EuGVO (2001) dar und komme unter E. auf die Änderungen zu sprechen, welche die EuGVOReform mit sich bringt.

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I.  Definition der einstweiligen Maßnahme Unter einstweiligen Maßnahmen i. S. d. Art. 31 EuGVO (2001) versteht der EuGH Maßnahmen, die „eine Veränderung der Sach- und Rechtslage verhindern sollen, um Rechte zu sichern, deren Anerkennung im Übrigen bei dem in der Hauptsache zuständigen Gericht beantragt wird“.36 Die Eilbedürftigkeit der Maßnahme zieht der Gerichtshof nicht als Differenzierungskriterium heran,37 was angesichts der Unterschiede bei der Interpretation dieses Begriffes in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten nicht übermäßig verwundert.38 36 EuGH v.  26.  03. 1992  – C-261/90  – Slg. 1992, I-2149 (Reichert), Rn. 34; EuGH v.  17. 11. 1998  – C-391/95  – Slg. 1998, I-7091 (van Uden), Rn. 37; EuGH v.  28. 04. 2005  – C-104/03 – Slg. 2005, I-3481 (St. Paul Dairy), Rn. 13. 37  Entgegen der Eingabe der deutschen Regierung in der Rechtssache van Uden, vgl. EuGH v. EuGH v. 17. 11. 1998 – C-391/95 – Slg. 1998, I-7091 (van Uden), Rn. 36. Wie hier Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 31 Brüssel I-VO Rn. 10; Schlosser, Eu-ZPR, Art. 31 EuGVVO Rn. 6, 22; Kimmerle, Befriedigungsverfügungen, S. 197 ff. m. w. N. Nach a. A. lässt sich diese Folgerung nicht aus der van Uden-Entscheidung ableiten, da das autonome niederländische Recht für den Erlass eines kort geding die Dringlichkeit der Maßnahme erfordert, vgl. Garber, Einstweiliger Rechtsschutz, S. 130; Eisermann, Einstweilige Maßnahmen, S. 174. 38  Stadler, JZ 1999, 1089 (1096). Siehe beispielhaft die Entscheidung des EuGH v. 06. 06. 2002 – C-80/00 – Slg. 2002, I-4995 (Italian Leather): Eilbedürftigkeit durch das OLG Koblenz verneint, durch das Tribunale Bari bejaht; ferner Franzosi, JIPLP 2009, 247 (250): „Urgent matters are not so urgent in Italy“, d. h. einstweilige Maßnahmen werden selbst 12 bis 24 Monate nach Kenntnis des Rechteinhabers von der Rechtsverletzung gewährt. Zum

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404 § 11  Internationale Zuständigkeit für Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes

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Neben Sicherungs- und Regelungsverfügungen erkennt der EuGH auch Verfahren, die einer vorläufigen Befriedigung von Zahlungsansprüchen des Klägers dienen und von den Parteien in der Praxis häufig als endgültig angesehen werden, als einstweilige Verfahren im Sinne des Art. 31 EuGVO (2001) an.39 Unproblematisch erfasst von dieser Definition der einstweiligen Maßnahme sind die für die Durchsetzung gewerblicher Schutzrechte besonders relevanten und in Art. 9 DRL angesprochenen Maßnahmen der einstweiligen Unterlassungsverfügung, der einstweiligen Beschlagnahme von vermeintlich schutzrechtsverletzenden Gegenständen sowie der Maßnahmen zur Sicherung etwaiger Schadensersatzansprüche mittels Arrest, freezing injunction oder ähnlicher Institute. Zweifelhaft ist hingegen, ob Maßnahmen der Beweissicherung und -gewinnung sowie Anordnungen zur Auskunft im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes unter Art. 31 EuGVO (2001) fallen. Auf diese Verfügungstypen wird in Rn. 42 ff. näher eingegangen. Im Regelfall wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung i. S. d. Art. 9 DRL am Sitz des Antragsgegners, am Ort des ursächlichen Geschehens oder am Erfolgsort sinnvoll sein, so dass einstweiliger Rechtsschutz bei den nach Art. 4 oder nach Art. 7 Nr. 2 EuGVO für die Streiterledigung in der Hauptsache zuständigen Gerichten beantragt werden kann (soweit nicht eine zwischen den Parteien existierende Gerichtsstandsvereinbarung auch den einstweiligen Rechtsschutz erfasst40). In Ausnahmefällen mag aber auch ein über Art. 31 EuGVO (2001) eröffneter Gerichtsstand für den Antragsteller interessant sein, etwa um das einschneidende Mittel der englischen freezing injunction für seine Zwecke nutzbar zu machen oder um außerhalb des potentiellen Gerichtsstaats belegene Beweise zu sichern.

unterschiedlichen Stellenwert der Eilbedürftigkeit in Patentsachen in verschiedenen Mitgliedstaaten siehe Schlosser in Hess/Pfeiffer/Schlosser-Bericht, Rn. 836. Zur Entwicklung eines autonomen Begriffs der Eilbedürftigkeit für Befriedigungsverfügungen von Zahlungsansprüchen siehe Kimmerle, Befriedigungsverfügungen, S. 266 ff. 39 So für das kort geding-Verfahren EuGH v.  27.  04. 1999  – C-99/96  – Slg. 1999, I-2277 (Mietz), Rn. 34 ff. A. A. hingegen das luxemburgische Tribunal d’arrondissement v. 21. 03. 2008 – 112023 – unalex LU-179, für Verfahren nach Art. 933 Nr. 2 der luxemburgischen ZPO. 40 Zur Frage, ob sich die Vereinbarung eines ausschließlichen Gerichtsstands für die Hauptsache im Regelfall auf Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes erstreckt vgl. (ablehnend) Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 31 Brüssel I-VO Rn. 33; (befürwortend) Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR, A. 1, Art. 23 Rn. 192, jeweils m. w. N. Nach Auffassung von Geimer a. a. O. soll selbst die Inanspruchnahme des Eilgerichtsstands nach Art. 31 EuGVO (2001) im Falle einer Prorogation ausgeschlossen sein.



D.  Einstweilige Maßnahmen i. S. d. Art. 31 EuGVO (2001)

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II.  Einschränkung des Art. 31 EuGVO (2001) bei vorläufigen Zahlungsanordnungen 1.  Die Rechtssachen van Uden und Mietz Der EuGH hat in den – noch zum EuGVÜ ergangenen – Entscheidungen van Uden und Mietz versucht, der Gefahr der Umgehung der Zuständigkeitsordnung der EuGVO durch eine einschränkende Auslegung des Art. 31 EuGVO (2001) zu begegnen.41 Eine besondere Betonung erhalten diese einschränkenden Kriterien dadurch, dass der EuGH dem Exequaturgericht erlaubt, entgegen Art. 35 Abs. 3 EuGVO (2001) nachzuprüfen, ob das Erstgericht befugt war, die einstweilige Maßnahme zu erlassen. Beide Entscheidungen betreffen vorläufige Befriedigungsverfügungen vertraglicher Zahlungsansprüche und werfen eine Fülle von Interpretationsfragen auf, die im Folgenden nur angerissen werden können.42

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2.  Reale Verknüpfung Der Gerichtshof fordert zunächst eine territoriale Verbindung zwischen angerufenem Gericht und beantragten Maßnahmen, die als „reale Verknüpfung“ bezeichnet wird.43 Die nähere Ausgestaltung dieses Begriffs bleibt im Vagen. Im Hinblick auf Verfügungen zur vorläufigen Erfüllung vertraglicher Hauptleistungen konkretisiert44 der EuGH das Kriterium der „realen Verknüpfung“ näher durch die Aussage, die beantragte Maßnahme dürfe „nur bestimmte Vermögensgegenstände des Antragsgegners“ betreffen, „die sich im [territorialen] Zuständigkeitsbereich des angerufenen Gerichts befinden oder befinden müssten“.45 41 EuGH v.  17. 11. 1998  – C-391/95  – Slg. 1998, I-7091 (van Uden), Rn. 38 ff.; EuGH v. 27. 04. 1999 – C-99/96 – Slg. 1999, I-2277 (Mietz), Rn. 34 ff. 42  Siehe nur Hartley, EL Rev 1999, 674 (678): „This judgment raises almost as many questions as it answers.“ Die Datenbank weist zu der Rechtssache van Uden allein 40 Entscheidungsanmerkungen auf. Eingehend zu den Entscheidungen van Uden und Mietz sowie zu deren Rezeption im Schrifttum Heinze, Einstweiliger Rechtsschutz, S. 244 ff.; Garber, Einstweiliger Rechtsschutz, S. 153 ff.; Kimmerle, Befriedigungsverfügungen, S. 102 ff. 43  EuGH v. 17. 11. 1998 – C-391/95 – Slg. 1998, I-7091 (van Uden), Rn. 40. 44  Die Belegenheit der betroffenen Vermögensgegenstände ist eine Unterkategorie des Kriteriums der „realen Verknüpfung“; es handelt sich hierbei nicht um separate Kriterien. Dies folgt einerseits aus der Bezugnahme der Rn. 40 auf Rn. 39 in der Rechtssache van Uden, andererseits aus der Zusammenfassung der Entscheidung van Uden in der Rechtssache Mietz, dortige Rn. 42. Wie hier Hess/Vollkommer, IPRax 1999, 220 (224); Dickinson, IPRax 2010, 203 (209); Schlosser in Hess/Pfeiffer/Schlosser-Bericht, Rn. 731 ff., 737 ff.; Kennett, Enforcement, S. 139 f.; a. A. Dedek, EWS 2000, 246 (251 f.); Kimmerle, Befriedigungsverfügungen, S. 178 ff. m. w. N. 45  EuGH v. 17. 11. 1998 – C-391/95 – Slg. 1998, I-7091 (van Uden), Rn. 47. Die deutsche Urteilsfassung spricht zwar vom „örtlichen“ Zuständigkeitsbereich des angerufenen Gerichts, doch handelt es sich hierbei um einen Übersetzungsfehler. Die anderen Sprachfassungen der

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406 § 11  Internationale Zuständigkeit für Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes 24

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Die Deutung dieser Passagen ist schwierig, weil der EuGH sich in den Entscheidungen van Uden und Mietz nicht etwa mit einstweiligen Maßnahmen zur Pfändung von Vermögensgegenständen befasst, sondern mit vorläufigen Zahlungsanordnungen im Wege eines niederländischen kort geding, die zunächst überhaupt keinen Bezug zu bestimmten Vermögensgegenständen aufweisen.46 Bezogen auf Zahlungsanordnungen lässt sich das Erfordernis der „realen Verknüpfung“ zwischen dem Gegenstand der beantragten Maßnahme und der gebietsbezogenen Zuständigkeit des angerufenen Gerichts nur als Kriterium der Vollstreckungsnähe deuten.47 Hierfür spricht, dass der EuGH sowohl den mit dem Ausgangsverfahren van Uden in zweiter Instanz befassten Gerechtshof Den Haag als auch die Stellungnahme der deutschen Regierung im Verfahren vor dem EuGH zitiert, welche beide für die Zuständigkeit nach Art. 31 EuGVO (2001) die Existenz einer realen Verknüpfung forderten, die sich durch die Möglichkeit einer Vollstreckung im Gerichtsstaat äußere.48 Bei vorläufigen Zahlungsanordnungen bedarf es folglich konkreter Hinweise auf die Existenz hinreichenden Vermögens, die eine Zwangsvollstreckung im Erlassstaat zumindest teilweise ermöglichen.49 Die seltsame Bezugnahme des EuGH auf Vermögensgegenstände, die sich im jeweiligen Zuständigkeitsbereich des Erlassgerichts „befinden müssten“, mag sich dadurch erklären, dass die Gerichtsentscheidung regelmäßig auf unsicherer Tatsachenbasis erfolgt.50 Entscheidung fordern lediglich einen „territorialen Zuständigkeitsbereich“ des angerufenen Gerichts, vgl. die niederländische Fassung (Verfahrenssprache in der Rechtssache van Uden) sowie die französische Fassung (interne Arbeitssprache des EuGH). Auch im deutschen Schrifttum wird weitgehend davon ausgegangen, dass sich die Wendung „örtlicher Zuständigkeitsbereich“ auf das gesamte Staatsterritorium bezieht, vgl. Hess/Vollkommer, IPRax 1999, 220 (224); Stadler, JZ 1999, 1089 (1098); Dedek, EWS 2000, 246 (251); Heinze, RIW 2003, 922 (926); Wolf, EuZW 2000, 11 (14); Kimmerle, Befriedigungsverfügungen, S. 177 f. 46  Statt aller Schlosser in Hess/Pfeiffer/Schlosser-Bericht, Rn. 734 ff. 47  Cass. civ. v. 13. 04. 1999 – 97–17.626 – unalex FR-29; Wolf/Lange, RIW 2003, 55 (57); Treichel, GRUR Int. 2001, 690 (702); Spellenberg/Leible, ZZPInt 4 (1999), 221 (229); Dedek, EWS 2000, 246 (252); Stadler, JZ 1999, 1089 (1093 f.); Gebauer in Gebauer/Wiedmann, Kap. 27 Rn. 155; Kimmerle, Befriedigungsverfügungen, S. 122 ff.; a. A. Kruger in Nuyts/Watté, Int’l Litigation, S. 329: Abwägung der Interessen im Einzelfall. 48  Rn. 16 und 36 der Entscheidung van Uden (supra Fn. 45) (die wörtliche Bezugnahme tritt in der französischen, englischen und niederländischen Urteilsfassung besser hervor). Demgegenüber ist der Gerichtshof nicht den Vorschlag von Generalanwalt Léger gefolgt, der sich in seinen Schlussanträgen explizit gegen eine einschränkende Auslegung des Art. 24 EuGVÜ gewandt hatte, vgl. dortige Rn. 137 ff. 49  Hess/Vollkommer, IPRax 1999, 220 (224 f.); Stadler, JZ 1999, 1089 (1098); Consolo, ZZPInt 6 (2001), 49 (55); Pörnbacher in Geimer/Schütze, Int. RV, Art. 31 B Vor I 10 b Rn. 6; Gebauer in Gebauer/Wiedmann, Kap. 27 Rn. 155. 50  Hess/Vollkommer, IPRax 1999, 220 (224); Heinze, Einstweiliger Rechtsschutz, S. 249; Leible in Rauscher, Art. 31 Brüssel I-VO Rn. 25a. Nach anderer Deutung soll die Formulierung die Möglichkeit eines Vermögenstransfers in das Ausland zwischen Antragstellung und Vollstreckung berücksichtigen. Schließlich ließe sich diese Passage auch als Hinweis auf eine zukünftige Belegenheit von Vermögensgegenständen lesen (Prognose), vgl. die englische Fassung „specific assets […] to be located“. Zu den verschiedenen Deutungsmöglichkeiten



D.  Einstweilige Maßnahmen i. S. d. Art. 31 EuGVO (2001)

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Gleichwohl muss die Vollstreckung nicht tatsächlich im Erlassstaat erfolgen;51 auch eine Beschränkung von Zahlungsanordnungen auf einen im Inland vollstreckbaren Teil ist nicht geboten.52 Wie der EuGH in der Entscheidung Mietz klarstellt, kommt eine Vollstreckung im Ausland durchaus in Betracht.53

3.  Sicherstellung des vorläufigen Charakters der Maßnahme Nach Auffassung des Gerichtshofs setzt die Anordnung einstweiliger und sichernder Maßnahmen gemäß Art. 31 EuGVO (2001) ferner voraus, dass das Verfügungsgericht die Anordnung von Maßnahmen prüft, um die Vorläufigkeit der Verfügung sicherzustellen.54 Für die vorläufige Erbringung einer vertraglichen Hauptpflicht sei insoweit kennzeichnend, dass „die Rückzahlung des zugesprochenen Betrages an den Antragsgegner in dem Fall, dass der Antragsteller nicht in der Hauptsache obsiegt, gewährleistet ist.“55 Nicht ausreichen dürfte ein rechtlicher Rückzahlungsanspruch in Umsetzung des Art. 9 Abs. 7 DRL, bspw. § 945 ZPO. Vielmehr sollte die „Gewährleistung der Rückzahlung“ als Erfordernis einer Sicherheitsleistung des Antragstellers verstanden werden (vgl. Art. 9 Abs. 6 DRL),56 da diese einen Anreiz für den Antragsteller bietet, das Hauptverfahren tatsächlich einzuleiten.57

siehe Kimmerle, Befriedigungsverfügungen, S. 137 ff., 192 ff., zu den divergierenden Übersetzungen dieses Entscheidungsteils Consolo, ZZPInt 6 (2001), 49 (53 f.). 51  Consolo, ZZPInt 6 (2001), 49 (55); Garber, Einstweiliger Rechtsschutz, S.  161; Kimmerle, Befriedigungsverfügungen, S. 187 ff. m. w. N.; a. A. Stadler, JZ 1999, 1089 (1094); Dedek, EWS 2000, 246 (252); Hess/Vollkommer, IPRax 1999, 220 (223); Leible in Rauscher, Art. 31 Brüssel I-VO Rn. 25; Schlosser in Hess/Pfeiffer/Schlosser-Bericht, Rn. 731; Hartley, Int’l Litigation, S. 438. Eine Anerkennung ebenso wie die Vollstreckung im Ausland soll nach einem Teil dieser Stimmen möglich bleiben, sofern die Zwangsvollstreckung im Erlassstaat wider Erwarten scheitert. 52  Consolo, ZZPInt 6 (2001), 49 (55); Schulz, EuP 2001, 805 (816 f.); Schlosser, EU-ZPR Art. 31 EuGVVO Rn. 22; a. A. Kimmerle, Befriedigungsverfügungen, S. 192 ff. m. w. N. 53  EuGH v. 27. 04. 1999 – C-99/96 – Slg. 1999, I-2277 (Mietz), Rn. 55 f. 54  EuGH v. 17. 11. 1998 – C-391/95 – Slg. 1998, I-7091 (van Uden), Rn. 41. 55  A. a. O., Rn. 47. 56  BG v. 17. 9. 1999, BGE 125 III 451 (458) (Soda Stream, zum LugÜ); Comet Group v Unika Computer, [2003] I. L.Pr. 1 (20) (QB); Stadler, JZ 1999, 1089 (1097); Lange, NJB 1999, 157 (158); Cuniberti, Dalloz 2000, Jurispr. 379 (382); Hess, EuZPR, § 6 Rn. 246; Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR, A. 1, Art. 31 Rn. 49; Garber, Einstweiliger Rechtsschutz, S. 164 ff.; Pörnbacher in Geimer/Schütze, Int. RV, Art. 31 B Vor I 10 b Rn. 7; Kropholler/von Hein, EuZPR, Art. 31 EuGVO Rn. 7; Schlosser in Hess/Pfeiffer/Schlosser-Bericht, Rn. 781 f.; Kimmerle, Befriedigungsverfügungen, S. 159 f. m. w. N.; a. A. Huet, JDI 127 (2000), 75 (84); Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, Art. 31 EuGVVO Rn. 3. 57  Zu diesem Aspekt siehe Hartley, Int’l Litigation, S. 438 f.

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408 § 11  Internationale Zuständigkeit für Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes 4.  Feststellung der internationalen Zuständigkeit in der Entscheidungsbegründung 27

Ergibt sich aus den Erwägungsgründen des Beschlusses oder Urteils nicht, dass das im einstweiligen Rechtsschutz angerufene Gericht für die Entscheidung in der Hauptsache zuständig wäre bzw. seine Zuständigkeit legitimerweise auf Art. 31 EuGVO (2001) i. V. m. der nationalen Kompetenzordnung stützt, und dass die Rückzahlung im Falle einer abweichenden Hauptsacheentscheidung gewährleistet ist, so kann die Entscheidung nicht nach den Bestimmungen der EuGVO vollstreckt werden.58

5. Stellungnahme 28

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Es ist zu begrüßen, dass der Gerichtshof in den Entscheidungen van Uden und Mietz die Chance wahrgenommen hat, Art. 31 EuGVO (2001) einer Beschränkung zuzuführen. Prinzipiell erscheint auch das Erfordernis eines territorialen Bezugs der einstweiligen Maßnahme zum Gerichtsort als angemessenes Tatbestandsmerkmal. Allein im Hinblick auf vorläufige Zahlungsanordnungen, welche Gegenstand der Entscheidung van Uden und Mietz waren, kann das Kriterium der „realen Verknüpfung“ mangels territorialen Bezugs einer Zahlungsanordnung zu einem bestimmten Staat nicht überzeugen. Hier hätte durchaus die Einführung eines autonomen Dringlichkeitsbegriffs erwogen werden können.59 Interpretiert man das Merkmal der realen Verknüpfung in Bezug auf vorläufige Zahlungsanordnungen als Vollstreckungsnähe, so hindert es immerhin den Antragsteller an ungezügeltem forum shopping. Es bietet aber für sich noch keine Gewähr gegen eine Umgehung der Zuständigkeitsordnung, sofern der Antragsgegner in einem Mitgliedstaat über Vermögen verfügt, der freizügige Befriedigungsverfügungen kennt. Das zusätzliche Erfordernis einer Sicherheitsleistung ist ein probates Mittel, um die Vorläufigkeit einer Entscheidung im Gerichtsstand des Art. 31 EuGVO (2001) zu garantieren und die Durchführung des Hauptsacheverfahrens vor den zuständigen Gerichten zu gewährleisten.60 Die Vollstreckungsmöglichkeit im Ausland ist insbesondere hilfreich, 58  EuGH v.  27. 04. 1999  – C-99/96  – Slg. 1999, I-2277 (Mietz), Rn. 53, 56 f. Es bedarf bspw. bei Leistungsverfügungen der Festsetzung einer Sicherheitsleistung und der Angabe inländischer Vermögensgegenstände, vgl. Cass. v. 13. 04. 1999 – Clunet 2000, 83 (Belbetoes Fundacoes e Betones Especias); Hess, IPRax 2000, 370 (371 ff.); Leible in Rauscher, Art. 31 Brüssel I-VO Rn. 38; Gebauer in Gebauer/Wiedmann, Kap. 27 Rn. 156. 59  Kimmerle, Befriedigungsverfügungen, S.  262 ff. 266 ff.; Gaudemet-Tallon, Compétence, Rn. 310. 60  Schlosser in Hess/Pfeiffer/Schlosser-Bericht, Rn. 741; Pörnbacher in Geimer/Schütze, Int. RV, Art. 31 B Vor I 10 b Rn. 7. Problematisch erweist sich das Erfordernis einer Sicherheitsleistung bei finanziellen Notlagen des Antragstellers. Die praktisch bedeutendste Fallgruppe des akuten Unterhaltsbedarfs unterfällt freilich ohnehin der EuUnthVO, näher



D.  Einstweilige Maßnahmen i. S. d. Art. 31 EuGVO (2001)

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wenn der Vollstreckungsschuldner versucht, sich durch Vermögenstransfer der Vollstreckung zu entziehen. Die dem Exequaturgericht gewährte Erlaubnis, die Zuständigkeit des Erstgerichts für den Verfügungserlass entgegen Art. 35 Abs. 3 EuGVO (2001) zu überprüfen, trägt dazu bei, einer Umgehung der Zuständigkeitsordnung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes vorzubeugen. Kritik verdient eher die Form der Entscheidungen van Uden und Mietz denn ihr Inhalt. Aufgrund zahlreicher unklarer Formulierungen sind die Entscheidungen nicht geeignet, zur Rechtsklarheit beizutragen. So lässt sich etwa der unglückliche Hinweis auf „bestimmte Vermögensgegenstände des Antragsgegners, die sich im territorialen Zuständigkeitsbereich des angerufenen Gerichts befinden“ nur durch die unreflektierte Übernahme einer Formulierung aus der Entscheidung Denilauler erklären, die in der dortigen Entscheidung in einem gänzlich anderen, sinnstiftenden Kontext steht (Anordnung der Sicherungspfändung eines Bankguthabens durch das Hauptsachegericht).61 Der Rechtsklarheit wäre es zudem zuträglich gewesen, hätte sich der Gerichtshof zu seiner rechtsfortbildenden Tätigkeit offen bekannt. Dann hätte es des – dogmatisch kritikwürdigen62  – Kunstgriffs nicht bedurft, die Inanspruchnahme der internationalen Zuständigkeit gemäß Art. 31 EuGVO (2001) für den Erlass einer vorläufigen Zahlungsanordnung von der Gewährleistung der Rückzahlung des zugesprochenen Betrages abhängig zu machen. Auch soweit der EuGH dem Exequaturgericht – entgegen Art. 35 Abs. 3 EuGVO (2001) – die Befugnis zuerkennt, die Inanspruchnahme der Zuständigkeit für den einstweiligen Rechtsschutz durch das Erstgericht zu überprüfen, versucht er dies zu verschleiern, anstatt seine Rechtsfortbildung hervorzuheben.63

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III.  Übertragung auf andere Verfügungstypen 1.  Übertragbarkeit auf andere Verfügungstypen Der Gerichtshof hat die vorstehenden Grundsätze in den Entscheidungen van Uden sowie Mietz aufgestellt, welche beide die vorläufige Erfüllung einer vertraglichen Zahlungspflicht betrafen. Eine Übertragung der vom Gerichtshof Kimmerle, Befriedigungsverfügungen, S. 243 ff. Das Kriterium der Sicherheitsleistung für verzichtbar hält Hess, IPRax 2000, 370 (373), nach dessen Auffassung eine Sicherheitsleistung durch das Zweitgericht bei Klauselerteilung nach Art. 46 Abs. 3 EuGVO (2001) ausreichend ist; hierbei wird übersehen, dass die Sicherheitsleistung im Anerkennungsstaat einer Umgehung der Zuständigkeitsordnung durch Vollstreckung im Erststaat nicht vorbeugt. 61  Die Bezugnahme auf die Äußerungen in der Denilauler-Entscheidung war aus verschiedenen Gründen nicht sehr glücklich, näher Dickinson, IPRax 2010, 203 (204). 62  Schulz, ZEuP 2001, 805 (823); Kimmerle, Befriedigungsverfügungen, S. 161. 63  Siehe stellvertretend für viele Stellungnahmen in der Literatur Jayme/Kohler, IPRax 1999, 401 (408): „Systembruch, der über die mit der Denilauler-Entscheidung geschaffene Ausnahme weit hinausgeht“.

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410 § 11  Internationale Zuständigkeit für Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes

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aufgestellten Grundsätze auf andere Verfügungstypen ist zu befürworten64 und wurde vom Gerichtshof in der Rechtssache Italian Leather, die einen vertraglichen Unterlassungsanspruch betraf, ohne nähere Erörterung vorgenommen.65 Die Gefahr der Umgehung der Zuständigkeitsordnung im Wege des Art. 31 EuGVO (2001) ist nicht nur vorläufigen Zahlungsanordnungen immanent, sondern allgemein kennzeichnend für Verfügungen, die der (teiloder zeitweisen) Befriedigung dienen. Auch rein sichernde Anordnungen, wie etwa die Beschlagnahme angeblich schutzrechtsverletzenden Materials oder die freezing injunction des englischen Rechts können einen solch hohen Druck auf den Antragsgegner aufbauen, dass es im Anschluss nicht mehr zu einem Hauptsacheverfahren kommt und der einstweilige Rechtsschutz endgültigen Charakter annimmt.66 Die Übertragung auf andere einstweilige Maßnahmen kann freilich nicht eins zu eins erfolgen. So bedarf es keiner näheren Erörterung, dass eine Sicherheitsleistung zwecks Gewährleistung der Rückzahlung beglichener oder vollstreckter Beträge nur bei vorläufigen Zahlungsanordnungen sinnvoll ist.67 Andere Maßnahmen sind entweder nicht auf Befriedigung gerichtet (Arrest, freezing injunction, Maßnahmen der reinen Beweissicherung) oder sind aufgrund der Natur der Sache irreversibel (Unterlassungs-, Auskunfts- und Beweiszugangsanordnungen). Anstelle der Gewährleistung der Rückzahlung des zugesprochenen Betrags rückt hier die Sicherheitsleistung für eine Entschädigung des Antragsgegners, sollte sich der Verletzungsvorwurf als unzutreffend herausstellen. Auch das Kriterium der „realen Verknüpfung“ mag je nach Verfügungstyp einer anderen Ausformung bedürfen als dem territorialen Bezug zu potentiellen Vollstreckungsgegenständen. Wie bereits erörtert, fällt eine räumliche Zuordnung von Zahlungsanordnungen zu einem bestimmten Staatsgebiet schwer. Bei anderen einstweiligen Maßnahmen lässt sich eine territoriale Verknüpfung zwischen Anordnung und Staatsgebiet einfacher herleiten. Zu berücksichtigen 64  Pertegás Sender, Cross-border Enforcement, Rn.  3.166 ff.; OGH v.  28. 02. 2012 – 4Ob2/12s – unalex AT-784 (hinsichtlich der realen Verknüpfung). Im Hinblick auf alle Leistungsverfügungen ferner bejahend Stadler, JZ 1999, 1089 (1097); Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR, A. 1, Art. 31 Rn. 50; Pansch, Einstweilige Verfügung, S. 40. 65 EuGH v.  06. 06. 2002  – C-80/00  – Slg. 2002, I-4995 (Italian Leather), Rn. 39; siehe auch Nike European Operations Netherlands v. Rosicky, [2007] EWHC 1967 (Ch), Rn. 32. Zweifelnd hingegen OGH v. 16. 07. 2008 – 16 Ok 3/08 , Rn. 3.14; OLG München v. 23. 08. 2010 – 25 W 1207/10 – GRUR-RR 2011, 78 (79) m. zust. Anm. Bittmann, IPRax 2012, 414 (416) in Bezug auf die Anordnung einer Sicherheitsleistung. 66 Zu den oppressiven Folgen einer freezing injunction siehe Fentiman, Litigation, Rn. 17.03 f. Wie hier BG v. 30. 07. 2003 – 4P. 88/2003 ; a. A. hinsichtlich des deutschen Arrests OLG München v. 05. 04. 2000 – 25 W 1067/00 – RIW 2000, 464 (465); Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, Art. 31 EuGVVO Rn. 3; grundsätzlich a. A. Trocker in Stürner/ Kawano, Comparative Studies, S. 282 f.: „hardly room for such concern“. 67  Kimmerle, Befriedigungsverfügungen, S. 247 f.



D.  Einstweilige Maßnahmen i. S. d. Art. 31 EuGVO (2001)

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ist insoweit die Aussage des Europäischen Gerichtshofs in den Entscheidungen Denilauler und van Uden, der Erlass einstweiliger Maßnahmen verlange vom angerufenen Gericht „besondere Umsicht und genaue Kenntnis der konkreten Umstände, in deren Rahmen die beantragten Maßnahmen wirken soll. Je nach Lage des Falles, namentlich nach den Gebräuchen des Handels, muss es die Anwendung befristen, im Hinblick auf die Art der Vermögensgegenstände oder der Waren, die von den beabsichtigten Maßnahmen betroffen sind, Bankbürgschaften verlangen oder einen Sequester bestellen […].“68 Nicht ausreichend ist danach eine in Bezug auf den Einzelfall begründete Sachnähe des Rechtsstreits zu dem angerufenen Gericht, da die Zuständigkeitsordnung der EuGVO bereits abschließend abstrakt sachnahe Gerichtsstände definiert. Demgegenüber kommt dem (potentiellen) Vollstreckungsort sowie dem Wirkungsort einer beantragten Maßnahme prinzipiell Eignung zu, eine reale Verknüpfung zu begründen. Im Folgenden soll anhand einiger Verfügungstypen erörtert werden, ob eine Anknüpfung an den Wirkungs- und/oder Vollstreckungsort sinnvoll erscheint.

2.  Dinglicher Arrest und andere dingliche Vermögenssicherungsmaßnahmen So kryptisch die Aussagen des EuGH in der Entscheidung van Uden in Bezug auf Leistungsverfügungen anmuten, so einfach ist die Anwendung dieser Prinzipien im Hinblick auf den dinglichen Arrest und andere dinglich wirkende Maßnahmen zur Vermögenssicherung. Eine auf Art. 31 EuGVO (2001) gestützte Anordnung kommt nur in Betracht, sofern sie sich auf Vermögensgegenstände bezieht, die sich im Territorium des Gerichtsstaats befinden.69 Die reale Verknüpfung folgt aus der Zugriffsmöglichkeit auf die betreffenden Vermögensgegenstände, d. h. aus dem Wirkungs- und Vollstreckungsort der Maßnahme. Die territoriale Verknüpfung ist hier deutlich enger als bei vorläufigen Zahlungsanordnungen, weshalb eine Vollstreckung im Ausland von vorneherein ausscheidet.

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3. Unterlassungsverfügungen Unterlassungsverfügungen werden nicht durch Beschlagnahme des Schuldnervermögens, sondern durch Zwangs- bzw. Ordnungsgeld zu Gunsten der Gläubigers oder der Staatskasse bzw. durch Haft vollstreckt. Das englische Recht verfügt ferner über die einschneidende Sanktion des debarment from defending in der Hauptsache, sollte der Antragsgegner einer Anordnung im 68 EuGH v.  21.  05.  1980  – 125/79  – Slg. 1980, 1553 (Denilauler), Rn. 15; EuGH v. 17. 11. 1998 – C-391/95 – Slg. 1998, I-7091 (van Uden), Rn. 38. 69  Stadler, JZ 1999, 1089 (1093); Spellenberg/Leible, ZZP Int. 1999, 221 (230 f.); Schulz ZEuP 2001, 805 (818); Schlosser in Hess/Pfeiffer/Schlosser-Bericht, Rn. 731; Heinze, Einstweiliger Rechtsschutz, S. 248 f. m. w. N.

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Verfügungsverfahren nicht nachkommen.70 Angesichts dieser Vollstreckungsvarianten bedarf das Kriterium der realen Verknüpfung zwischen angerufenem Gericht und beantragter Maßnahmen bei Unterlassungsanordnungen einer anderen Ausformung als der in der van Uden-Entscheidung betonten Realexekution.71 Im Schrifttum ist ein vollstreckungsrechtliches Verständnis der realen Verknüpfung verbreitet.72 Je nach Vollstreckungsrecht des ersuchten Gerichts ergäbe sich die reale Verknüpfung aus der Existenz von Vermögensgegenständen zur Vollstreckung von Zwangsgeldern, aus dem Wohnsitz bzw. Aufenthaltsort des Antragsgegners sowie aus der gerichtlichen Inanspruchnahme des Antragsgegners im Forumstaat. Durch den Rückbezug auf das nationale Vollstreckungsrecht verliert das Kriterium der realen Verknüpfung somit seine autonome Abgrenzungskraft. Zudem ist die territoriale Verbindung zwischen den Gerichten am Belegenheitsort von Vermögensgegenständen des Antragsgegners und einer Unterlassungsverfügung eher dünn: Ziel der beantragten Maßnahme ist die Willensbeugung, nicht aber die Zwangsvollstreckung in das Vermögen des Schuldners. Alternativ oder kumulativ ließe sich auf den Ort abstellen, an dem die einstweilige Unterlassungsverfügung ihre Wirkung entfalten soll.73 Wird die Unterlassungsverfügung auf den Vorwurf der Verletzung eines gewerblichen Schutzrechts gestützt, wäre von einer realen Verknüpfung zum Schutzrechtsstaat auszugehen. Bei Streudelikten hinge die Existenz einer realen Verknüpfung von den Möglichkeiten des Antragsgegners ab, die Auswirkungen seines Verhaltens geographisch zu segmentieren.74 Als Wirkungsort käme darüber hinaus auch der Ort der Beeinflussung des Schuldnerwillens in Betracht, womit eine reale Verknüpfung zu den Gerichten am Wohnsitz des Unterlassungsschuldners bejaht werden könnte.75 Würde die reale Verknüpfung allein zu den 70 

Supra § 4 Rn. 84 ff. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR, A. 1, Art. 31 Rn. 13. 72  Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR, A. 1, Art. 31 Rn. 14; Diller/Wilske, DB 2007, 1866 (1869); Pertegás Sender in Magnus/Mankowski, Brussels I, Art. 31 Rn. 29; unklar Schlussanträge des Generalanwalts Cruz Villalón v.  29. 03. 2012  – C-616/10 (Solvay), Rn. 54: nur, wenn die Unterlassungsanordnung Wirkungen im Gebiet des betreffenden Mitgliedstaats entfalte und dort vollstreckt werden könne. 73  Für ein Abstellen auf den Wirkungsort Meier-Beck, GRUR 1999, 379 (382); Schlosser in Hess/Pfeiffer/Schlosser-Bericht, Rn. 733; Hess/Vollkommer, IPRax 1999, 220 (225); Leible in Rauscher, Art. 31 Brüssel I-VO Rn. 25; Kropholler/v.  Hein, EuZPR, Art. 31 EuGVO Rn. 15. Für eine alternative Anwendung beider Ansätze Heinze, Einstweilige Verfügung, S. 255 ff.; so auch Art. 2:501 Abs. 2 CLIP; wohl auch Pertegás Sender, Cross-border Enforcement, Rn. 3.177, 3.159 ff. 74  Näher § 10 Rn. 34 ff.; ähnlich Hess/Vollkommer, IPRax 1999, 220 (225): reale Verknüpfung nur bei „örtlich gebundenen Handlungen“; für eine Übertragung der zu Streudelikten ergangenen Rechtsprechung zu Art. 7 Nr. 2 EuGVO Sujecki, GRUR Int. 2013, 201 (213 f.); deutlich über diesen Ansatz hinausgehend OGH v. 16. 07. 2008 – 16 Ok 3/08 , Rn. 3.14. 75  LG Utrecht v. 15. 08. 2012 – KG ZA 12–559 – GRURPrax 2012, 498. 71 



D.  Einstweilige Maßnahmen i. S. d. Art. 31 EuGVO (2001)

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Gerichten am Wirkungsort der Unterlassungsanordnung bejaht, so bestünde angesichts der Zuständigkeiten in der Hauptsache gemäß Art. 4, Art. 7 Nr. 2 EuGVO (vorbehaltlich einer Gerichtsstandsvereinbarung) kein praktisches Bedürfnis für einen Rückgriff auf Art. 31 EuGVO (2001).76

4.  Freezing injunction und persönlich wirkender Arrest Ähnliche Fragen stellen sich bei Instrumenten wie der freezing injunction nach CPR 25.1(1)(f) und dem persönlich wirkenden Arrest gemäß § 918 ZPO. Auch hier impliziert ein vollstreckungsrechtliches Verständnis der realen Verknüpfung einen Rückbezug auf das nationale Vollstreckungsrecht. Angesichts der Möglichkeit einer persönlichen Inanspruchnahme des Schuldners an seinem Wohnsitz läge eine reale Verknüpfung zu den dortigen Gerichten vor. Überzeugender erscheint es freilich, auf den Wirkungsort der einstweiligen Maßnahme abzustellen, denn im Gegensatz zu Unterlassungsanordnungen besteht das Fernziel dieser Instrumente im Sicherungszugriff auf Vermögensgegenstände des Antragsgegners. In der englischen Rechtsprechung und Literatur wird dem eine Passage aus den Entscheidungen Denilauler und van Uden entgegen gehalten, in denen der EuGH begründet, der Erlass einstweiliger Sicherungsmaßnahmen verlange „vom angerufenen Gericht besondere Umsicht und genaue Kenntnis der konkreten Umstände, in deren Rahmen die beantragten Maßnahmen wirken sollen.“77 Soweit eine Maßnahme in personam wirke, bestehe deshalb die territoriale Verknüpfung zu dem Ort, in dem die betroffene Person ansässig sei.78 Teils wird es auch für ausreichend erachtet, dass nach englischem autonomem Recht jurisdiction besteht79 oder eine Geldstrafe wegen contempt of court anhand des in England belegenen Vermögens vollstreckbar ist.80 76  OGH v. 05. 10. 2010 – 17 Ob 8/10s – GRUR Int. 2011, 354 (357) (Wintersteiger); Sujecki, GRUR Int. 2013, 201 (213 f.); Heinze, Einstweiliger Rechtsschutz, S. 256. 77 EuGH v.  21.  05.  1980  – 125/79  – Slg. 1980, 1553 (Denilauler), Rn. 15; EuGH v. 17. 11. 1998 – C-391/95 – Slg. 1998, I-7091 (van Uden), Rn. 38. 78  Johnson, CJQ 2008, 433 (443 f.); Merrett, LMCLQ 2008, 71 (79 f.); Trocker in Stürner/Kawano, Comparative Studies, S. 283; Gee, Injunctions, Rn. 6.058; Briggs/Rees, Civil Jurisdiction, Rn. 6.03, 6.10; Dicey/Morris/Collins, Rn. 8–037 ff.; unklar Hill/Chong, Int’l Disputes, Rn. 10. 4. 13 ff.; zweifelnd Hartley, LQR 2010, 194 (221). Offengelassen in Banco Nacional de Comercio Exterior v Empresa de Telecommunicationes de Cuba, [2008] 1 WLR 1936 (1944) (CA); Belletti v. Morici, [2009] 2 CLC 525 (545) (Comm). Zum in personamArgument vgl. zutreffend die Kritik von McLachlan in Meessen, S. 45: „valuable though it may be as a justification, the in personam labels hides a multitude of long-arm effects. “ 79  So ist wohl das obiter dictum in Masri v Consolidated Contractors International (UK) (No 2), [2009] 2 WLR 621 (647) (CA) zu verstehen. 80  Motorola Credit Corpn v Uzan, [2004] 1 WLR 113 (150) (CA), allerdings in einem Fall, in dem die EuGVO keine Anwendung fand; dazu höchst kritisch Hartley, LQR 2010, 194 (217 ff.). Für eine entsprechende Auslegung des Art. 31 EuGVO (2001): Consolo, ZZPInt 6 (2001), 49 (53 f.); Heinze, RIW 2003, 922 (928); Stadler, JZ 1999, 1089 (1094); Geimer

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Doch belegen bereits die umfangreichen Sicherungsvorkehrungen, mit welchen die englischen Gerichte versuchen, einer unzumutbaren Inanspruchnahme Dritter aufgrund einer weltweiten freezing injunction vorzubeugen (beispielsweise der Vorbehalt vermeintlicher Rechtspflichten nach ausländischem Recht oder die Vollstreckbarkeitserklärung durch ein ausländisches Gericht),81 dass die behauptete genaue Kenntnis der Gerichte am Sitz des Antragsgegners eine Fiktion ist.82 Das nationale Recht bestätigt die hier vertretene These einer territorialen Verknüpfung zu den Vermögensgegenständen, auf die letztlich zugegriffen werden soll: Nicht umsonst wird die freezing injunction von den englischen Gerichten grundsätzlich auf in England und Wales belegene Vermögensgegenstände begrenzt und gemeinhin als extraterritorial bezeichnet, sofern sie sich auf Vermögen in anderen Staaten erstreckt. Gleichfalls kann ein persönlicher Arrest nach § 918 ZPO nicht angeordnet werden, um den Schuldner zur Herbeischaffung von im Ausland belegenen Vermögensgegenständen zu zwingen.83 Begründet somit allein die intendierte Sicherung der Vollstreckung in das inländische Vermögen des Antragsgegners eine reale Verknüpfung, so ist die entsprechende Maßnahme auf die Vermögensgegenstände des Antragsgegners im Erlassstaat zu begrenzen.84 Nach hier vertretener Auffassung bleiben allerdings die potentiellen Hauptsachegerichte für einstweilige Maßnahmen zuständig, solange noch kein anderes Gericht eines Mitgliedstaats seine Zuständigkeit in der Hauptsache festgestellt hat (supra Rn. 15 f.). Bis zu diesem Zeitpunkt sind die Gerichte im Wohnsitzstaat des Antragsgegners auf Basis des Art. 4 Abs. 1 EuGVO befugt, Sicherungsmaßnahmen wie die weltweite freezing injunction anzuordnen.85 Die potentielle Vollstreckbarkeit einer contempt of court-Strafe reicht hingegen nicht aus.

in Geimer/Schütze, EuZVR, A. 1, Art. 31 Rn. 14; wohl auch Fentiman, Litigation, Rn. 1.86; 17.143 ff., 17.155. A. A. Banco Nacional de Comercio Exterior v Empresa de Telecommunicationes de Cuba, [2008] 1 WLR 1936 (1944) (CA) zu Art. 47 EuGVO (2001), unter Berücksichtigung der EuGH-Rechtsprechung in van Uden. 81  Supra § 4 Rn. 60 ff. 82  Dies betrifft bspw. auch die Frage, welche im Ausland belegenen Vermögensgegenstände dem Antragsgegner zugeordnet werden können, sofern dieser aufgrund von Treuhandsverhältnissen nicht der rechtliche Eigentümer oder nicht der tatsächlich Berechtigte ist. 83  OLG Bamberg v. 03. 07. 2003 – 2 UF 48/03 ; LG Frankfurt v. 31. 03. 1960 – 2/2 Q 6/60 – NJW 1960, 2006; Huber in Musielak, § 918 ZPO Rn. 3; Drescher in MüKo ZPO, § 918 Rn. 2 m. w. N. 84  Hartley, Int’l Litigation, S. 445; Kaye, CJQ 1990, 12 (15); wohl auch Hill/Chong, Int’l Disputes, Rn. 10. 4. 13; McLachlan in Meessen, S. 51. 85  Heinze, RIW 2003, 922 (927); a. A. Hartley, Int’l Litigation, S. 446 f.



D.  Einstweilige Maßnahmen i. S. d. Art. 31 EuGVO (2001)

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5.  Beschlagnahme schutzrechtsverletzender Gegenstände Die Beschlagnahme schutzrechtsverletzender Ware (oder der zu ihrer Herstellung erforderlichen Materialien und Geräte) kann der Sicherung von Vernichtungsansprüchen dienen und ist als solche eine einstweilige Maßnahme gemäß Art. 31 EuGVO (2001).86 Der territoriale Bezug entsteht durch die Belegenheit der zu beschlagnahmenden Gegenstände im Gerichtsstaat. Die Beschlagnahme zum Zwecke der Beweissicherung unterliegt anderen, sogleich zu erörternden Kriterien.87

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6.  Beweissicherungs- und Beweiszugangsinstrumente Ob und in welchem Ausmaß die Gerichte der Mitgliedstaaten befugt sind, über Art. 31 EuGVO (2001) Maßnahmen zur Beweissicherung sowie zum Zugang zu Beweisen in der gegnerischen Sphäre bzw. der Sphäre eines Dritten anzuordnen, ohne über die Zuständigkeit in der Hauptsache zu verfügen, ist sehr umstritten. Im Folgenden wird zunächst das praktische Bedürfnis für eine solche Befugnis erläutert, bevor die Anwendung des Art. 31 EuGVO (2001) auf Beweissicherungs- und Beweiszugangsinstrumente erörtert wird.

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a)  Zuständigkeit der Hauptsachegerichte nicht durchweg ausreichend Die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten kennen diverse Instrumente, mit denen vorprozessual Beweise gesichert, Beweise ermittelt oder der Zugang zu Beweisen in der Sphäre des Gegners oder eines Dritten eröffnet wird. Spezifisch verpflichtet Art. 7 DRL die Mitgliedstaaten zur Bereithaltung von Beweissicherungsinstrumenten zugunsten der Inhaber gewerblicher Schutzrechte. Bei Sachverhalten mit Auslandsbezug liegt die Zuständigkeit für eine Anordnung von Beweissicherungsmaßnahmen bei den Gerichten, die nach Art. 4 ff. EuGVO zur Entscheidung über die Hauptsache berufen sind. Dies ist nicht immer ausreichend. Zwar werden sich die für eine behauptete Schutzrechtsverletzung relevanten Beweise häufig im Sitzstaat des Beklagten, am Ort des ursächlichen Geschehens oder im Schutzland befinden. Doch kann es durchaus vorkommen, dass ein Rückgriff auf Art. 31 EuGVO (2001) interessant ist, weil sich eine leichtere Zugriffsmöglichkeit auf Beweise am Herstellungs- oder Lagerort schutzrechtsverletzender Ware bietet.88 86 Generalanwältin Kokott, Schlussanträge v. 18. 07. 2007 – C-175/06 – Slg. 2007, I-7929 (Tedesco), Rn. 81 f.; Pertegás Sender in Magnus/Mankowski, Art. 31 Brussels I, Rn. 24; Lange, NJB 1999, 157 (162). 87  Zutreffend Generalanwältin Kokott, Schlussanträge v.  18. 07. 2007  – C-175/06  – Slg. 2007, I-7929 (Tedesco), Rn. 84, allerdings unter falscher Charakterisierung des Art. 7 DRL und Außerachtlassung des Art. 9 Abs. 1 lit. b DRL. 88 Von deutlich größerer Bedeutung dürften selbständige Beweisverfahren in Staaten, denen die internationale Zuständigkeit für die Entscheidung in der Hauptsache fehlt, bei internationalen Handelsgeschäften und Bauprojekten sein. Hierzu Mankowski, JZ 2005, 1144.

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416 § 11  Internationale Zuständigkeit für Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes 44

Die Verordnung über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen (EuBVO)89 bietet keine ausreichende Handhabe für eine Beweissicherung außerhalb des Staates, dessen Gerichte gemäß der EuGVO zur Entscheidung in der Hauptsache berufen sind. Zwar ist ein Ersuchen des (potentiellen) Hauptsachegerichts an das Gericht eines anderen Mitgliedstaats nach Art. 1 Abs. 2 EuBVO zulässig, wenn die Beweise zur Verwendung in einem „zu eröffnenden Verfahren“ bestimmt sind. Doch ist der Rechtshilfeweg der EuBVO langwierig und nicht ausreichend, um das Bedürfnis des Antragsgegners an rascher Beweissicherung bzw. an dem Zugang zu Beweismitteln zwecks Vorbereitung weiteren prozessualen Vorgehens zu befriedigen (siehe § 15 Rn. 58).90

b)  Anwendbarkeit des Art. 31 EuGVO (2001) 45

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Die Ausgestaltung von Beweissicherungs- und Beweiszugangsinstrumen­ten in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten differiert stark. In zahlreichen Mitgliedstaaten werden Beweissicherungs- und -zugangsinstrumente dem einstweiligen Rechtsschutz zugeordnet (so die englische search order und die französische saisie contrefaçon).91 In anderen Mitgliedstaaten erfolgt die Beweissicherung in einem Verfahren eigener Art ähnlich dem selbständigen Beweisverfahren des § 485 ZPO.92 Der für die Beweissicherung erforderlich Zugang zu Beweismitteln kann ferner materiellrechtlich geregelt sein, wie §§ 809, 810 BGB, § 140c PatG et al. zeigen. Eine Anwendung des Art. 31 EuGVO (2001) auf Beweissicherungs- und -zugangsinstrumente liegt deshalb nicht von vorneherein auf der Hand. Auch eine Einordnung dieser Instrumente unter die vom EuGH in ständiger Rechtsprechung angewandte Definition einstweiliger Maßnahmen i. S. d. Art. 31 EuGVO (2001) fällt schwer, da ihr Ziel nicht darin besteht, eine Veränderung der Sach- und Rechtslage zu verhindern,93 sondern einer (potentiellen) Verschlechterung der Beweislage zu begegnen bzw. den Zugang zu Beweismitteln zu ebnen. Die Maßnahmen erfolgen somit nicht, um „Rechte zu sichern, deren Anerkennung im Übrigen bei dem in der Hauptsache zu-

89  Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 des Rates vom 28. Mai 2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen (EuBVO), ABl EG Nr. L 174/1 v. 27. 06. 2001. 90  Grabinski in FS Schilling, S. 195; Hess/Zhou, IPRax 2007, 183 (188 f.); Mankowski, JZ 2005, 1144 (1147); v. Hein, ELF 2008, 34. 91  Ferner in Belgien, Dänemark, Griechenland, Irland, Italien, Luxemburg und Schweden, siehe Hess, Study JAI A3/02/2002, S. 126 sowie die begleitenden Nationalberichte. 92  Deutschland, Finnland, Niederlande, Portugal, Schottland und Spanien, siehe Hess, Study JAI A3/02/2002, S. 127, sowie die begleitenden Nationalberichte. 93  Maher/Rodger, ICLQ 48 (1999), 302 (305); a. A. Treichel, GRUR Int. 2001, 690 (698); Hess, Study JAI A3/02/2002, S. 127; wohl auch Grabinski in FS Schilling, S. 195.



D.  Einstweilige Maßnahmen i. S. d. Art. 31 EuGVO (2001)

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ständigen Gericht beantragt wird“,94 sondern um Beweismittel zu sichern, deren Verwertung durch das in der Hauptsache zuständige Gericht erfolgen soll. Schließlich legt es die Systematik der EuGVO nicht zwingend nahe, Beweissicherungsverfahren unter Art. 31 EuGVO (2001) zu fassen.95 Aufgrund ihrer Historie als convention double regelt die Verordnung die internationale Zuständigkeit für den Erlass anerkennungs- und vollstreckungsfähiger Entscheidungen.96 Dies spricht nicht dafür, dem Prozess vorgelagerte Beweisaufnahmen, bei denen eine Anerkennung und Vollstreckung im Ausland nicht anvisiert ist, unter die besondere Zuständigkeitsnorm des Art. 31 EuGVO (2001) zu subsumieren.

c)  Die Entscheidung St. Paul Dairy und ihre Konsequenzen Die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache St. Paul Dairy betraf einen Teilbereich der hier interessierenden Maßnahmen. Der EuGH wurde mit der Frage befasst, ob ein in der Hauptsache nicht zuständiges Gericht nach Art. 31 EuGVO (2001) seine Zuständigkeit für eine vorgezogene Zeugenvernahme vor Anhängigkeit der Sache nach niederländischem Recht bejahen könne, welche dem Antragsteller die Beurteilung seiner Prozesschancen ermöglichen solle. Der EuGH verneinte diese Frage und hielt fest, eine Maßnahme, deren einzige Rechtfertigung in dem Interesse des Antragstellers an der Beurteilung der Zweckmäßigkeit eines Verfahrens in der Hauptsache bestehe, könne nicht unter Berufung auf Art. 31 EuGVO (2001) erlassen werden. Der Gerichtshof stützte sich dabei entscheidend auf das Argument, der Erlass einer solchen Maßnahme könne dazu dienen, erstens die Zuständigkeitsordnung der EuGVO im Stadium der Beweisaufnahme und zweitens die Regeln der Europäischen Beweisverordnung zu umgehen.97 Zu reinen Beweissicherungs- bzw. Beweiszugangsmaßnahmen hat sich der EuGH nicht geäußert. Von den Gerichten der Mitgliedstaaten sowie im Schrifttum wird eine Subsumtion unter den Begriff der einstweiligen Maßnahme i. S. d. Art. 31 EuGVO (2001) überwiegend befürwortet.98 Um nicht 94 EuGH v.  26.  03. 1992  – C-261/90  – Slg. 1992, I-2149 (Reichert), Rn. 34; EuGH v.  17. 11. 1998  – C-391/95  – Slg. 1998, I-7091 (van Uden), Rn. 37; EuGH v.  28. 04. 2005  – C-104/03 – Slg. 2005, I-3481 (St. Paul Dairy), Rn. 13. 95  Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR, A. 1, Art. 2 Rn. 90 ff., Art. 31 Rn. 32 f. 96 Ursprünglich sollte das EuGVÜ lediglich die Anerkennungszuständigkeit erfassen, bevor durch die Überzeugungsarbeit von Weser auch die internationale Zuständigkeit als Regelungsgegenstand Eingang in das Übereinkommens fand, vgl. Bülow, RabelsZ 29 (1975), 473 (519). Heutzutage wird man die Zuständigkeitsordnung der EuGVO nicht mehr als reines Mittel zum Zweck betrachten können, vgl. Mankowski, JZ 2005, 1144 (1149). 97  EuGH v. 28. 04. 2005 – C-104/03 – Slg. 2005, I-3481 (St. Paul Dairy), Rn. 18, 23. 98  Cass. civ. v. 04. 05. 2011 – 10–13712 – unalex FR-2238; Miles Platt v. Townroe, [2003] EWCA Civ 145 (CA), Rn. 23 ff.; belg. Cass. v. 03. 09. 2000 – GRUR Int. 2001, 73; OLG Hamburg v. 29. 09. 1999 – 8 W 235/99 – IPRax 2000, 530 f.; Cour d’appel Lyon v. 15. 06. 2004 – 2003/01944  – unalex FR-339; Tribunale Venezia v.  28. 02. 2003  – unalex IT-266; aus dem

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418 § 11  Internationale Zuständigkeit für Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes

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in Konflikt mit der Entscheidung St. Paul Dairy zu geraten, wird seit dieser Entscheidung in Anlehnung an die Schlussanträge des Generalanwalts99 die Möglichkeit erörtert, nach der Zielsetzung bei der Beantragung der Maßnahme zu unterscheiden: Diene der Antrag der Beurteilung der Prozesschancen, bestehe keine Befugnis zum Erlass einer Maßnahme gem. Art. 31 EuGVO (2001). Sei dem Antragsteller an der Beweissicherung gelegen, könne über Art. 31 EuGVO (2001) auf Befugnisse nach nationalem Recht zurückgegriffen werden.100 Tatsächlich sind diese Motivationen (nicht nur) im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes regelmäßig eng miteinander verknüpft, so dass eine Trennung nach der Zielsetzung des Antragstellers schwer möglich und der Rechtssicherheit nicht zuträglich wäre.101 Da sich die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache St. Paul Dairy jedenfalls nominell auf Maßnahmen beschränkt, bei denen es an „jeglicher anderen Rechtfertigung außer dem Interesse des Antragstellers an der Beurteilung der Zweckmäßigkeit eines Verfahrens in der Sache fehlt“, besteht kein Grund, die Motivation des Antragstellers genauestens zu sezieren.102 Andere Stimmen verabschieden sich von einer autonomen Interpretation der einstweiligen Maßnahme und schlagen eine Differenzierung anhand der Qualifikation des nationalen Rechts103 oder anhand des Kriteriums der Anerkennungs- und Vollstreckungsfähigkeit vor.104 Angesichts der Vielgestaltigkeit der Beweissicherungsmaßnahmen in den Mitgliedstaaten führt dies zu willkürlich anmutenden Resultaten, die aus dogmatischen Zufälligkeiten des nationalen Rechts rühren. Beispielsweise wäre ein deutsches Gericht im Rahmen des „Düsseldorfer Besichtigungsverfahrens“105 befugt, den Antragsgegner zur Duldung der Besichtigung eines angeblich schutzrechtsverletzenden Gegenstands durch einen privaten Sachverständigen zu verpflichten (vollstreSchrifttum siehe Schlosser, EU-ZPR, Art. 31 EuGVVO Rn. 27; Gottwald in MüKo ZPO, Art. 31 EuGVO Rn. 5; Mankowski, JZ 2005, 1144 ff. m. w. N.; Pertegás Sender, Cross-border Enforcement, Rn. 3.167 f.; a. A. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR, A. 1, Art. 2 Rn. 90 ff., Art. 31 Rn. 32 f. 99  Schlussanträge des Generalanwalts Ruiz-Jarabo Colomer v. 09. 09. 2004 – C-104/03 – Slg. 2005, I-3481 (St. Paul Dairy), Rn. 57. 100  Belgische Cass. v. 03. 09. 2009 – C. 08.0480.N – unalex BE-603; Schlosser, IPRax 2012, 88 (89); ders. in Hess/Pfeiffer/Schlosser-Bericht, Rn. 768. 101  So der zutreffende Einwand der Europäischen Kommission, berichtet in den Schlussanträgen des Generalanwalts Ruiz-Jarabo Colomer v.  09. 09. 2004  – C-104/03  – Slg. 2005, I-3481 (St. Paul Dairy), Rn. 56; ferner Hess/Zhou, IPRax 2007, 183 (185); Heinze, IPRax 2008, 480 (481). 102  So auch Heinze, Einstw. RS, S. 111 ff. 103  Hess/Zhou, IPRax 2007, 183 (189); Stadler in FS Geimer, S. 1302; wohl auch Pertegás Sender in Magnus/Mankowski, Art. 31 Brussels-I Rn. 24 sowie stillschweigend Cass v. 04. 05. 2011 – 10–13712 – unalex FR-2238. 104  Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 31 Brüssel I-VO Rn. 13a; v. Hein in Rauscher, EuZPR, Art. 1 EG-BewVO Rn. 51; Coester-Waltjen in FS Schlosser, S. 150 f.; Hess, EuZPR, § 8 Rn. 85. 105  Supra § 6 Rn. 54 f.



D.  Einstweilige Maßnahmen i. S. d. Art. 31 EuGVO (2001)

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ckungsfähiger Inhalt aufgrund der materiellrechtlichen Ausgestaltung der Besichtigungsansprüche); eine Begutachtung durch einen gerichtlich bestellten Sachverständigen könnte mangels Vollstreckungsfähigkeit der Entscheidung nach § 485 ZPO jedoch nicht angeordnet werden. Erwägenswert ist schließlich eine Abgrenzung anhand der Eilbedürftigkeit der Maßnahme.106 Hierdurch ließe sich der vom EuGH in der Rechtssache St. Paul Dairy propagierte Vorrang der EuBVO wahren, da nach Art. 10 Abs. 1 EuBVO das ersuchte Gericht das Ersuchen spätestens innerhalb von 90 Tagen erledigen soll.107 Der Rückbezug auf die EuBVO ermöglicht somit die Entwicklung eines autonomen Begriffs der Eilbedürftigkeit für Beweissicherungs- und -zugangsanordnungen im Rahmen des Art. 31 EuGVO (2001): Eilbedürftigkeit läge vor, wenn die Maßnahme eine dringlichere Erledigung erfordert, als dies ein Rechtshilfeersuchen gemäß der EuBVO gewährleisten könnte. Angesichts der ablehnenden Haltung des EuGH zu einem Tatbestandsmerkmal der Eilbedürftigkeit im Rahmen einstweiliger Zahlungsanordnungen108 ist jedoch höchst zweifelhaft, ob sich der EuGH dieser Auslegung anschließen würde.

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d) Stellungnahme Die in Art. 31 EuGVO (2001) verwendete Formulierung „einstweilige Maßnahmen, einschließlich solcher, die auf eine Sicherung gerichtet sind“, ist weit genug, um Instrumente, die der Beweissicherung, Beweisermittlung und dem Zugang zu Beweisen dienen, zu umfassen. All diese Instrumente erfüllen ihren Zweck vorwiegend im Vorfeld eines Hauptsacheverfahrens, und Beweissicherungs­ maßnahmen sind zweifellos auf eine Sicherung der Beweislage, wenn auch nicht auf eine Sicherung der Sach- und Rechtslage, gerichtet. Eine internationale Zuständigkeit am Ort der Belegenheit des Beweismittels für außerhalb des Hauptsacheverfahrens erfolgende Beweisaufnahmen erscheint sinnvoll. Nicht umsonst kennt das autonome Recht vieler Mit­gliedstaaten eine solche Zuständigkeit am Ort der Belegenheit des Beweismittels. Die Systematik der EuGVO steht einer solchen Zuständigkeit nicht entgegen, denn mit der Entscheidung Denilauler109 und spätestens mit Ein106 

OLG Dresden v. 15. 09. 2011 – 10 W 0376/11 – unalex DE-2252; wohl auch Gerechtshof Arnhem v. 01. 06. 2006, zitiert nach Gielen in Liber Amicorum Straus, S. 398; Grabinski in FS Schilling, S. 195; Schlosser, IPRax 2012, 88 (89). 107  Die Entscheidung über die Bewilligung einer unmittelbaren Beweisaufnahme durch das beantragende Gericht hat zwar innerhalb der kürzeren Frist von 30 Tagen zu erfolgen, vgl. Art. 17 Abs. 4 EuBVO. Doch bedarf es zur Organisation einer unmittelbaren Beweisaufnahme im Ausland regelmäßig längerer Vorbereitungszeit. Eine unmittelbare Beweisaufnahme muss darüber hinaus ohne Zwangsmaßnahmen erfolgen (Art. 17 Abs. 2 EuBVO) und ist deshalb häufig nicht ausreichend. 108  EuGH v. 17. 11. 1998 – C-391/95 – Slg. 1998, I-7091 (van Uden), Rn. 36. 109  EuGH v. 21. 05. 1980 – 125/79 – Slg. 1980, 1568 (Denilauler), Rn. 13.

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führung des Art. 2 lit. a EuGVO (2012)110 hat sich die Verordnung von ihren historischen Wurzeln als convention double insoweit emanzipiert, als sie auch in jenen Fällen die internationale Zuständigkeit regelt, in denen eine Anerkennung und Vollstreckung in anderen Mitgliedstaaten absehbar ausgeschlossen ist.111 Das Bedürfnis für eine lokale Beweisaufnahme besteht unabhängig davon, ob es sich bei der beantragten Maßnahme um eine Beweissicherungsmaßnahme handelt oder ob dem Antragsteller lediglich daran gelegen ist, die Erfolgschancen eines zukünftigen Prozesses auszuloten: Sie ist regelmäßig schneller und kostengünstiger durchzuführen. Schließlich sind die Mitgliedstaaten der Union durch Art. 50 Abs. 1 lit. b) TRIPs völkerrechtlich verpflichtet, im Hinblick auf die Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums eine Möglichkeit zur Sicherung einschlägiger Beweise hinsichtlich der behaupteten Rechtsverletzung vorzusehen. Einen Vorrang der EuBVO gilt es hierbei nicht zu wahren. Die Beweisverordnung beinhaltet Bestimmungen für die Beweisaufnahme des Hauptsachegerichts im Ausland,112 regelt aber nicht die Zuständigkeit für vom Hauptsacheverfahren separate Beweisverfahren in anderen Mitgliedstaaten.113 In den nach der Entscheidung St. Paul Dairy ergangenen Urteilen ProRail114 und Lippens115 hob der EuGH zutreffend hervor, die EuBVO solle die gegenseitige Kooperation der mitgliedstaatlichen Gerichte bei der grenzüberschreitenden Beweisaufnahme verbessern, nicht jedoch nach nationalem Verfahrensrecht bestehende Optionen im Rahmen der Beweisaufnahme einschränken. Nichts anderes kann für das Verhältnis der EuBVO zur EuGVO gelten. Berechtigt sind allerdings die Bedenken des EuGH, dass durch die Einschaltung eines in der Hauptsache nicht zuständigen Gerichts dem forum shopping des Antragstellers Vorschub geleistet werden und die Zuständigkeitsordnung der EuGVO umgangen werden könnte. Konkret könnten im Wege des Art. 31 EuGVO (2001) Informationen gesammelt werden, deren 110 

Näher § 16 Rn. 17 ff., 23 f. Mankowski, JZ 2005, 1144 (1148 f.); Trocker in Stürner/Kawano, Comparative Studies, S. 287 m. Fn. 42. 112 Siehe EuGH v.  21.  02.  2013  – C-332/11 (ProRail), Rn.  42: „die Verordnung Nr. 1206/2001 [ist] grundsätzlich nur dann anwendbar […], wenn das Gericht eines Mitgliedstaats beschließt, die Beweisaufnahme gemäß eines der von dieser Verordnung vorgesehenen Verfahrens durchzuführen.“ 113  OLG Dresden v. 15. 09. 2011 – 10 W 0376/11 – unalex DE-2252; Mankowski, JZ 2005, 1144 (1147); Huber in Gebauer/Wiedmann, Kap. 31 Rn. 30; Hess, EuZPR, § 8 Rn. 87; Heinze, IPRax 2008, 480 (483 f.); Knöfel, EuZW 2008, 267 (268); v. Hein, ELF 2008, 34; Nordmeier, MedR 2012, 126 (127); Schlosser in Hess/Pfeiffer/Schlosser-Bericht, Rn. 768. An einem Vorrang der EuBVO zweifelnd ferner Generalanwältin Kokott, Schlussanträge v. 18. 07. 2007 – C-175/06 – Slg. 2007, I-7929 (Tedesco), Rn. 93 Fn. 42. 114  EuGH v. 21. 02. 2013 – C-332/11 (ProRail), Rn. 42 f. 115  EuGH v. 06. 09. 2012 – C-170/11 (Lippens), Rn. 29 f., allerdings mit Lippenbekenntnis zur Entscheidung St. Paul Dairy auf Rn. 34 ff. 111 



D.  Einstweilige Maßnahmen i. S. d. Art. 31 EuGVO (2001)

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Erhebung im Gerichtsstaat des Erkenntnisverfahrens nicht zulässig wäre. Dies betrifft insbesondere Maßnahmen, bei denen der Antragsgegner oder mit ihm verbundene Personen mittelbar oder unmittelbar zur Preisgabe von Beweisen gezwungen werden. Als Regulativ dient zunächst die gegebenenfalls begrenzte Verwertbarkeit dieser Beweise im nachfolgenden Erkenntnisverfahren.116 Die Bedeutung vorprozessualer Beweisgewinnung für eventuelle Vergleiche oder Anerkenntnisse sollte jedoch nicht unterschätzt werden. Hier kann die Rechtsprechung des EuGH in van Uden fruchtbar gemacht werden: Über die gemäß Art. 31 EuGVO (2001) erforderliche internationalen Zuständigkeit nach autonomem Prozessrecht hinaus bedarf es einer realen Verknüpfung zum Territorium des Gerichtsstaats, die in der Belegenheit desjenigen Beweismittels besteht, welches gesichert werden soll bzw. zu dem Zugang begehrt wird.117 Das Verfügungsgericht hat ferner die Anordnung von Maßnahmen zu prüfen, um die Vorläufigkeit der Verfügung sicherzustellen. In jenen Verfahren, in denen mittels der einstweiligen Maßnahme ein Zugriff auf Beweismittel in der Sphäre des Antragsgegners ermöglicht wird, kann dies bedeuten, die Beweise lediglich zu sichern und die Entscheidung über die Freigabe der Beweise in die Entscheidungsbefugnis des Gerichts des Hauptsacheverfahrens zu stellen.118 Das spätere Ob und Wie der Beweisverwertung bleibt ohnehin der lex fori des Hauptsachegerichts überlassen, eine „Anerkennung“ des Beweisergebnisses über Art. 36 ff. EuGVO erfolgt nicht.119

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7. Auskunftspflichten Es ist noch weitgehend ungeklärt, inwieweit eine Verpflichtung zur Auskunft auf der Basis des Art. 31 EuGVO (2001) von einem Gericht erlassen werden kann, das zur Entscheidung in der Hauptsache nicht berufen ist. Viele Auskunftsverfügungen lassen sich in einem weiten Sinne unter die vom EuGH verwendete Definition einstweiliger Maßnahmen (Sicherung der Sach- und Rechtslage) fassen: So dient beispielsweise die einer freezing injunction beige-

116 

Dies für ausreichend erachtend Mankowski, JZ 2005, 1144 (1147). OLG Dresden v. 15. 09. 2011 – 10 W 0376/11 – unalex DE-2252. 118  Siehe auch Cour d’appel Paris v. 26. 07. 1999, RDPI 2000, 23: Verwertung der im Zuge einer saisie contrefaçon gewonnenen geheimen Informationen zum Zwecke eines Auslandsverfahrens erst zulässig, wenn die die Verletzung feststellende inländische Gerichtsentscheidung Rechtskraft erlangt hat. 119  OLG Hamburg v. 29. 09. 1999 – 8 W 235/99 – IPRax 2000, 530; Schlosser-Bericht, ABl. Nr. C 59/127 v. 05. 03. 1979; Ahrens in FS Schütze, S. 12 f.; Grabinski in FS Schilling, S. 196; Stadler in FS Geimer, S. 1303 f.; Mankowski, JZ 2005, 1144 (1147); Knöfel in FS Simotta, S. 341; Schack, IZVR, Rn. 492; Schütze, Rechtsverfolgung, Rn. 308 f.; Nagel/Gottwald, IZPR, § 17 Rn. 88; Huber in Gebauer/Wiedmann, Kap. 31 Rn. 31 m. w. N.; a. A. (Anerkennung des Beweisergebnisses über Art. 33 EuGVO (2001) möglich) Treichel, GRUR Int. 2001, 690 (698); wohl auch Schlosser in Hess/Pfeiffer/Schlosser-Bericht, Rn. 773. 117 

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422 § 11  Internationale Zuständigkeit für Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes

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fügte disclosure order der Prävention einer Vermögensverschleuderung.120 Andererseits kann die von einem Dritten begehrte Auskunft der Ermittlung der Prozesschancen gegenüber einem vermeintlichen Rechtsverletzer oder der Ermittlung des Rechtsverletzers selbst dienen und damit funktional eine äquivalente Rolle einnehmen wie die vorgezogene Zeugenbefragung,121 welcher der EuGH in der Entscheidung St. Paul Dairy die Eigenschaft als einstweilige Maßnahme i. S. d. Art. 31 EuGVO (2001) abgesprochen hat. Zumindest in letzterem Falle, in dem der spätere Beklagte noch nicht bekannt ist, dürfte sowohl die Auskunftsverpflichtung als auch die vorgezogene Zeugenbefragung als zulässige einstweilige Maßnahme i. S. d. Art. 31 EuGVO (2001) anzusehen sein.122 Es fällt nicht allzu schwer, den Begriff der realen Verknüpfung bei Auskunftspflichten mit Leben zu füllen, indem an den Wirkungsort der Auskunftsanordnung angeknüpft wird. In Einzelfällen kann aus dem Inhalt der geforderten Auskunft ein territorialer Bezug abgeleitet werden, z. B., soweit Auskunft über in einem bestimmten Staat belegene Vermögensgegenstände begehrt wird, wie etwa bei der zur freezing injunction akzessorischen disclosure order.123 Im Übrigen ist es naheliegend, an den Sitz der auskunftspflichtigen Person anzuknüpfen, weil deren Wille an diesem Ort zu beeinflussen ist.124 Ebenso wie bei Unterlassungsverfügungen (supra Rn. 35 f.) ließe sich alternativ auf den Vollstreckungsort abstellen, insbesondere auf die Möglichkeit der Vollstreckung des Zwangsgelds im Erlassstaat. Die territoriale Verbindung ist hierbei freilich dünn, da das Ziel der Maßnahme in der Auskunftserteilung, nicht in der Zwangsvollstreckung in das Vermögen des Schuldners besteht. Die Vorläufigkeit der Auskunftserteilung sicherzustellen, ist hingegen schlechthin unmöglich. Jede Auskunftserteilung im einstweiligen Verfahren bedeutet eine Vorwegnahme der Hauptsache. Das anordnende Gericht kann allein Verwertungsbeschränkungen sowie die Stellung einer Sicherheit für eine gegebenenfalls später erfolgende Entschädigung in Betracht ziehen.

120 

Matthews, CJQ 1995, 190 (197); Merrett, LMCLQ 2008, 71 (85). Das Institut der vorgezogenen Zeugenbefragung nach Art. 186 ff. niederländische Rv dient u. a. dazu, zu ermitteln, gegen wen der Rechtsstreit zu führen ist. 122  Das Urteil St. Paul Dairy ist hier nicht einschlägig, da es sich nicht um einen Sachverhalt handelt, in dem „es an jeglicher anderen Rechtfertigung außer dem Interesse des Antragstellers an der Beurteilung der Zweckmäßigkeit eines Verfahrens in der Sache fehlt“ (EuGH v. 28. 4. 2005 – C-104/03 – Slg. 2005, I-3481 (St. Paul Dairy), Rn. 17), sondern im Gegenteil ein besonders hohes Interesse an der Informationsgewinnung besteht. 123  MacLachlan, ICLQ 1989, 3 (47). 124 Siehe Merrett, LMCLQ 2008, 71 (84); MacLachlan, ICLQ 1989, 3 (47); gegen jegliche Einschränkung Andrews, Civil Procedure, Rn. 17.91. 121 



E.  Rechtslage unter Geltung der EuGVO (2012)

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8. Fazit Die Interpretation des Kriteriums der realen Verknüpfung als Vollstreckungsnähe bei vorläufigen Zahlungsanordnungen legt es grundsätzlich nahe, auch hinsichtlich anderer einstweiliger Maßnahmen zwecks Ermittlung der territorialen Verbindung auf den Vollstreckungsort abzustellen. Eine nähere Betrachtung ergibt allerdings, dass der notwendige Rückbezug auf das nationale Vollstreckungsrecht keine autonome Auslegung des Begriffs der realen Verknüpfung erlaubt. Bei vorläufigen Zahlungsanordnungen ist dies angesichts der unionsweit relativ einheitlichen Vollstreckung von Geldforderungen unproblematisch, zumal ein Wirkungsort einer vorläufigen Zahlungsanordnung nicht identifiziert werden kann. Hinsichtlich anderer einstweiliger Maßnahmen erscheint es angemessener, eine reale Verknüpfung nur zu den Gerichten desjenigen Mitgliedstaates zu bejahen, in denen die Maßnahme ihre Wirkung entfalten soll.

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E.  Rechtslage unter Geltung der EuGVO (2012) Die Regelung des Art. 31 EuGVO (2001) wurde in die EuGVO (2012) mit lediglich marginalen Änderungen in der Formulierung übernommen und findet sich nun in Art. 35 wieder. Größeren Einfluss nehmen zwei Änderungen an anderen Stellen der Verordnung.

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I.  Anordnungen zur Informationsgewinnung und Beweissicherung Die Verordnung enthält in ihrer revidierten Form einen neuen Erwägungsgrund 25, welcher die Subsumtion von Beweissicherungs- und Beweiszugangsinstrumenten unter den Begriff der einstweiligen Maßnahme i. S. d. Art. 35 EuGVO (2012) adressiert. Dort heißt es: Unter den Begriff einstweilige Maßnahmen „sollten zum Beispiel Anordnungen zur Beweiserhebung oder Beweissicherung im Sinne der Artikel 6 und 7 [DRL] fallen. Nicht mit eingeschlossen sein sollten Maßnahmen, die nicht auf Sicherung gerichtet sind, wie Anordnungen zur Zeugenvernehmung.“ Dieser Hinweis sucht die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache St. Paul Dairy aufrechtzuerhalten125 und gleichzeitig die Tür für vorprozessuale Instrumente der Beweissicherung zu öffnen. Der ursprüngliche Vorschlag der Kommission, eine explizite Regelung in Art. 2 EuGVO (2012) aufzunehmen,126 konnte sich nicht durchsetzen. Eventuell sollten der Recht125 Kritisch

Knöfel, IPRax 2013, 231 (233); v. Hein, RIW 2013, 97 (108). befürwortend hingegen Heinze, RabelsZ 75 (2011), 581 (605). 126  Art. 2 lit. b des Kommissionsvorschlags vom 14. 12. 2010, KOM (2010) 748: „[Für die Zwecke dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck] einstweilige Maßnahmen einschließlich

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424 § 11  Internationale Zuständigkeit für Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes

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sprechung durch die Aufnahme in die – nicht bindenden – Erwägungsgründe Spielräume für die weitere Rechtsgestaltung offengehalten werden. Inhaltlich ist die gewählte Formulierung wenig überzeugend. Hier ist zunächst auf einen Übersetzungsfehler der deutschen Verordnungsfassung hinzuweisen. Im englischen Verordnungstext (d. h. der Ausgangsfassung) ist ebenso wie in anderen Sprachfassungen von Anordnungen zur Informationsgewinnung und Beweissicherung die Rede, nicht von Anordnungen zur Beweiserhebung. Gänzlich unpassend ist der Verweis auf Art. 6 DRL, welcher keineswegs die vorprozessuale Beweisgewinnung oder -sicherung zum Gegenstand hat (supra § 5). Demgegenüber bleibt Art. 8 DRL, der zur vorprozessualen Informationsgewinnung dienen kann, unerwähnt. Schließlich überrascht die Behauptung, Anordnungen zur Zeugenvernehmung könnten nicht auf eine Sicherung von Beweisen gerichtet sein.

II.  Ausschluss der Anerkennung und Vollstreckung 63

Die zweite bedeutende Änderung gegenüber der Rechtslage unter der EuGVO (2001) ist die Absage an die Verkehrsfähigkeit einstweiliger Maßnahmen, die nicht von einem in der Hauptsache zuständigen Gericht erlassen wurden. In Abkehr von der Entscheidung des EuGH in den Rechtssachen van Uden und Mietz werden einstweilige Maßnahmen gemäß Art. 35 EuGVO (2012) künftig nicht mehr im EU-Ausland anerkannt und vollstreckt. Ziel dieser Einschränkung war es, forum shopping durch den Antragsteller zu begrenzen.127

III.  Auswirkung auf die Bestimmung der Zuständigkeit 64

Unklar ist, welche Auswirkung die genannte Änderung der Rechtsfolge auf die vom EuGH in der Entscheidung van Uden entwickelten ungeschriebenen Tatbestandsvoraussetzungen der realen Verknüpfung und der Sicherstellung des vorläufigen Charakters der Maßnahme hat. Mit Blick allein auf vorläufige Zahlungsanordnungen besteht angesichts der fehlenden Verkehrsfähigkeit einstweiliger Verfügungen kein Bedarf für ein Festhalten an dem ungeschriebenen Tatbestandsmerkmal der realen Verknüpfung, interpretiert im Sinne einer Vollstreckungsnähe.128 Einen Antrag auf einstweilige Befriedigung eines Zahlungsanspruchs wird ein Gläubiger angesichts der fehlenden Verkehrsfähigkeit der Maßnahme ohnehin nur in einem Forum stellen, in dem die Vollstreckung realisierbar scheint. Doch kommt nach hier vertretener Auffassung Sicherungsmaßnahmen“ auch solche Anordnungen, die der Beweiserhebung und Beweissicherung dienen“. 127  KOM (2010) 748, S. 10. 128  Kimmerle, Befriedigungsverfügungen, S. 344.



F.  Zuständigkeit nach autonomem Recht

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dem Kriterium der realen Verknüpfung je nach Verfügungstyp eine andere Bedeutung zu. Insbesondere bei Unterlassungs-, Auskunfts- und Beweiszugangsanordnungen ist die reale Verknüpfung nicht mit dem Vorhandensein einer Vollstreckungsmöglichkeit im Erlassstaat gleichzusetzen, weshalb der Ausschluss der Verkehrsfähigkeit auf der Rechtsfolgenseite es nicht rechtfertigt, auf das Tatbestandsmerkmal der realen Verknüpfung zu verzichten.129 Soweit der Gerichtshof für den Erlass einer einstweiligen Maßnahme im Gerichtsstand des Art. 31 EuGVO (2001) die Sicherstellung des vorläufigen Charakters der Maßnahme fordert, deutet nichts im Reformprozess oder der reformierten Verordnung darauf hin, dass dieses Kriterium künftig verzichtbar sein könnte. Im Gegenteil spricht das Bemühen der Kommission, durch Ausschluss der Verkehrsfähigkeit einem unangemessenen forum shopping des Antragstellers vorzubeugen, dafür, einer Umgehung der Zuständigkeit der Hauptsachegerichte weiterhin durch das Erfordernis einer Sicherheitsleistung zu begegnen.130

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F.  Zuständigkeit nach autonomem Recht Sind die durch den EuGH definierten Voraussetzungen des Art. 31 EuGVO (2001) bzw. Art. 35 EuGVO (2012) erfüllt, kann die Zuständigkeit auf Kompetenznormen des autonomen Rechts gestützt werden. Die Bestimmungen der kontinentaleuropäischen Mitgliedstaaten sehen für Eilsachen regelmäßig eine Zuständigkeit an dem Ort vor, an dem sich der Streitgegenstand, der Vollstreckungsgegenstand oder die mit der Maßnahme zu belegende Person befindet. Alternativ oder kumulativ wird meist die Zuständigkeit des Gerichts der Hauptsache angeordnet.131 Im Kontext des Art. 31 EuGVO (2001) / Art. 35 EuGVO (2012) bedeutet dies keinen Verweis auf die Zuständigkeitsordnung der EuGVO, sondern stellt einen Verweis auf diejenigen Gerichte dar, die fiktiv nach dem nationalen, unvereinheitlichten Kompetenzrecht für die Ent-

129  I. E. ebenso Heinze, RabelsZ 75 (2011), 581 (613 m. Fn. 145); v. Hein, RIW 2013, 97 (107); Weller, GPR 2012, 34 (43 f.); a. A. Domej, RabelsZ 78 (2014), 508 (544). 130 Ebenso Garber, Einstweiliger Rechtsschutz, S. 166; Domej, RabelsZ 78 (2014), 508 (544 f.); sowie Kimmerle, Befriedigungsverfügungen, S. 280, die zutreffend darauf hinweist, dass im Bericht der Kommission über die Anwendung der EuGVO (2001) sowie im Grünbuch zur Reform lediglich Detailfragen der Sicherheitsleistung angesprochen, nicht jedoch die Sicherheitsleistung als solche in Frage gestellt wurde, vgl. KOM (2009) 174, S. 9; KOM (2009) 175 , S. 9. 131  Nachweise bei Stadler, JZ 1999, 1089 (1091 f.) (für die Niederlande und Frankreich); Yessiou-Faltsi in FS Schlosser, S. 1143 ff. (Griechenland); Möller in FS Geimer, S. 717 (Finnland).

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426 § 11  Internationale Zuständigkeit für Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes

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scheidung zuständig wären.132 Auch auf explizit gemäß Art. 3 Abs. 2 EuGVO (2001) bzw. Art. 5 Abs. 2 EuGVO (2012) ausgeschlossene exorbitante Gerichtsstände kann zurückgegriffen werden.133 In England besteht kein Konnex zwischen Eil- und Hauptsachezuständigkeit. Vielmehr ist der High Court nach s. 25 des Civil Jurisdiction and Judgments Act 1982 befugt, einstweiligen Rechtsschutz auch dann zu gewähren, wenn die Klage in einem anderen Mitgliedstaat der Union anhängig ist oder erhoben werden soll.134 Es handelt sich um eine auf einstweilige Verfahren beschränkte exorbitante Zuständigkeitsnorm par excellence, deren Ausübung in das Ermessen des High Court gestellt ist.135 Fehlt es an einer Hauptsachezuständigkeit englischer Gerichte nach der EuGVO, so ist das Gericht nach s. 25(2) befugt, den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit der Erwägung abzulehnen, diese erscheine nicht sachgerecht.136 Von den englischen Gerichten wird meist ein gewisser Nexus zum englischen Territorium gefordert.137 Ferner wird geprüft, ob eine englische Verfügung das ausländische Hauptsacheverfahren unterstützt oder eher behindert.138 132  Sonst wäre das Ziel des Art. 31 EuGVO (2001) / Art. 35 EuGVO (2012), Rechtsschutzlücken vorzubeugen, nicht erreichbar, vgl. OLG Karlsruhe v. 02. 10. 2001 – 9 W 88/01 – MDR 2002, 231; ); Garber, Einstweiliger Rechtsschutz, S. 115 f.; Kropholler/v.  Hein, EuZPR, Art. 31 Rn. 18; Schlosser, EU-ZPR, Art. 31 EuGVVO Rn. 17; Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR, A. 1, Art. 31 Rn. 66 ff.; Leible in Rauscher, Art. 31 Brüssel I-VO Rn. 27; Pörnbacher in Geimer/Schütze, Int. RV, Art. 31 B Vor I 10 b Rn. 13; a. A. OLG Koblenz v. 23. 02. 1990 – 2 U 1795/89 – RIW 1990, 316 (318 f.). 133  EuGH v. 17. 11. 1998 – C-391/95 – Slg. 1998, I-7091 (van Uden), Rn. 42. 134  Der englische Gesetzgeber hat damit die entgegenstehende Regel aus der Entscheidung The Siskina (Owners of Cargo Lately Laden on Board) v Distos Compania Naviera S. A, [1979] AC 210 (257) (HL) aufgehoben. 135  Die Zuständigkeit erstreckt sich nach s. 25(7)(b) nicht auf „provision for obtaining evidence“. Dies hindert nach h. M. die Anordnung einer search order nicht, da diese die Beweismittelsicherung, nicht die Beweismittelerlangung zum Gegenstand habe, siehe bspw. Gee, Injunctions, Rn. 6.053. Auch MacLachlan, ICLQ (37) 1989, 3 (16 ff.) und Hollander, Rn. 2–19, scheinen nicht davon auszugehen, dass eine search order unter s. 25(7)(b) zu subsumieren ist. Für eine Anwendung hingegen Matthews, CJQ 1995, 190 (198). 136  Im Schrifttum wird teilweise bezweifelt, ob dieses Ermessen unionsrechtskonform ist, vgl. Fentiman, Litigation, Rn. 17.166 f. Diese Bedenken teile ich nicht, da Art. 31 EuGVO (2001) / Art. 35 EuGVO (2012) im Gegensatz zu den Gerichtsständen der Art. 4, 7 ff. EuGVO keine Verpflichtung zur Ausübung einer Zuständigkeit vorsieht, sondern im Gegenteil das autonome Recht des betreffenden Mitgliedstaates explizit berücksichtigt. Eine Parallele zur Ablehnung der forum non conveniens-Doktrin in der Entscheidung EuGH-Entscheidung v.  01. 03. 2005  – C-281/02  – Slg. 2005, 1383 (Owusu), Rn. 37 ff. besteht nicht. Wie hier i. E. Hill/Chong, Int’l Disputes, Rn. 10.3.9. 137  Zusammenfassung bei Merrett, LMCLQ 2008, 71 (77 f.); Gee, Injunctions,Rn. 6.055 ff. Zum Erfordernis der Erlaubnis der Zustellung außerhalb Englands und Wales siehe Briggs/ Rees, Civil Jurisdiction, Rn. 6.11; Gee, Injunctions,Rn. 6.051. 138  Crédit Suisse Fides Trust v Cuoghi, [1997] 3 WLR 818 (827 ff.) (CA); Motorola Credit Corp v Uzan (No 2), [2004] 1 WLR 113 (147) (CA); JP Morgan Europe v Primacom, [2005] 1 CLC 493 (512 f.) (Comm).



G.  Die Europäische Kontenpfändungsverordnung

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Der Rückgriff auf nationale Kompetenznormen im Rahmen des Art. 35 EuGVO (2012) führt angesichts solch unterschiedlicher Regelungen der internationalen Zuständigkeit zu einer Verzerrung der Zuständigkeitsordnung der EuGVO. Immerhin aber wird der Verzerrungseffekt durch die vom EuGH formulierte Voraussetzung der realen Verknüpfung stark reduziert.

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G.  Die Europäische Kontenpfändungsverordnung I.  Anwendungsbereich und praktische Bedeutung Als Alternative zu einstweiligen Maßnahmen des nationalen Rechts steht Gläubigern einer Geldforderung künftig eine unionsautonome einstweilige Maßnahme zur Verfügung, der so genannte Europäische Beschluss zur vorläufigen Kontenpfändung. Die Europäische Kontenpfändungsverordnung (EuKtPVO)139 findet ab dem 18. Januar 2017 in Zivil- und Handelssachen Anwendung,140 sofern die Rechtssache grenzüberschreitenden Bezug hat. Grenzüberschreitend ist eine Rechtssache gemäß Art. 3 EuKtPVO, wenn das vorläufig zu pfändende Bankkonto in einem anderen Mitgliedstaat geführt wird als dem Mitgliedstaat des angerufenen Gerichts oder dem Mitgliedstaat, in dem der Gläubiger seinen Wohnsitz hat. Implizit definiert Art. 3 EuKtPVO auch den räumlich-persönlichen Anwendungsbereich der Verordnung: Ein Europäischer Kontenpfändungsbeschluss steht nur zur Verfügung, wenn sowohl das zu pfändende Bankkonto in einem Mitgliedstaat im Sinne der Verordnung geführt wird, als auch der Gläubiger seinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat innehat.141 Insbesondere die letztgenannte Voraussetzung überrascht, da dem Europäischen Zivilverfahrensrecht die Diskriminierung von Gläubigern aus Drittstaaten bislang fremd ist. Die Diskriminierung betrifft auch Gläubiger mit Wohnsitz im Vereinigten Königreich und Dänemark, da sich diese Mitgliedstaaten nicht an der Europäischen Kontenpfändungsverordnung beteiligen.142 Ein Europäischer Kontenpfändungsbeschluss kann sowohl vor der Einleitung eines Hauptsacheverfahrens als auch in jedem Stadium des Rechtsstreits bzw. zur Vollstreckungssicherung nach Erlangen eines Titels beantragt werden.143 Die praktische Bedeutung des Europäischen Beschlusses zur vor139  Verordnung EU Nr. 655/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Einführung eines Verfahrens für einen Europäischen Beschluss zur vorläufigen Kontenpfändung im Hinblick auf die Erleichterung der grenzüberschreitenden Eintreibung von Forderungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. Nr. L 189/59 v. 27. 06. 2014. 140  Art. 2, 54 EuKtPVO 141  Siehe auch Erwägungsgrund 48 EuKtPVO. 142  Erwägungsgründe 50 und 51 EuKtPVO. 143  Art. 5 EuKtPVO.

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428 § 11  Internationale Zuständigkeit für Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes läufigen Kontenpfändung liegt in der im Vergleich zur EuGVO erleichterten Auslandsvollstreckung. Insbesondere bedarf es vor der vorläufigen Kontenpfändung keiner Zustellung der Entscheidung an den Schuldner, d. h. der Überraschungseffekt eines ohne Anhörung des Schuldners erlassenen Kontenpfändungsbeschlusses bleibt gewahrt (hierzu näher § 16 Rn. 133 f.).

II. Zuständigkeit 71

Die Zuständigkeit für den Erlass eines Europäischen Kontenpfändungsbeschlusses liegt nach Art. 6 EuKtPVO beim Gericht der Hauptsache. Die EuKtPVO enthält keine Parallelnorm zu Art. 31 EuGVO (2001) / Art. 35 EUGVO (2012), sieht also keine Zuständigkeitserweiterung aufgrund der Vorläufigkeit der Maßnahme vor und gibt dem Antragsteller keine Gelegenheit zum erweiterten forum shopping.144 Besteht eine konkurrierende Zuständigkeit mehrerer Hauptsachegerichte, hat der Antragsteller allerdings die Wahl, bei welchem Gericht er den Kontenpfändungsbeschluss beantragt. Dies gilt auch dann, wenn das Hauptsacheverfahren bereits bei einem anderen Gericht anhängig ist.145

H. Würdigung I.  Angemessene Berücksichtigung der prozessualen Interessen 1.  Einstweiliger Rechtsschutz vor den Gerichten der Hauptsache 72

Einstweiliger Rechtsschutz wird unter der EuGVO primär von den Gerichten gewährt, die über eine Zuständigkeit für die Entscheidung in der Hauptsache verfügen. Die Zuständigkeit für den einstweiligen Rechtsschutz baut auf den grundsätzlich sachgerechten Gerichtsständen der Art. 4 ff. EuGVO auf. Angesichts der bereits in § 10 beschriebenen Möglichkeiten eines Schutzrechtsinhabers zur Wahl zwischen verschiedenen Foren stehen im Hinblick auf Verletzungen gewerblicher Schutzrechte regelmäßig ausreichende Optionen 144  Im Gegenteil enthält Art. 6 Abs. 2 EuKtPVO eine Zuständigkeitsrestriktion insoweit, als die Zuständigkeit für Beschlüsse, die der Sicherung von Forderungen aus Verbraucherverträgen dienen, unabhängig von den Voraussetzungen der Art. 17 ff. EuGVO den Gerichten im Wohnsitzstaat des Verbrauchers zugewiesen werden. 145  Die Erwägungen supra § 11 Rn. 15 und infra § 12 Rn. 95 gelten entsprechend. Siehe auch Art. 8 Abs. 2 lit. h (iii), Art. 10 Abs. 1 S. 1 EuKtPVO. Nach Art. 6 Abs. 2 S. 2 des Vorschlags der Europäischen Kommission zur Einführung eines Europäischen Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung, KOM (2011) 445, sollte für den Erlass des Europäischen Kontenpfändungsbeschlusses nur das Gericht zuständig sein, bei dem das Hauptsacheverfahren anhängig war bzw. vom Gläubiger als Hauptsachgericht intendiert war. Diese Restriktion wurde nicht in Art. 6 EuKtPVO übernommen.



H. Würdigung

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auch für den einstweiligen Rechtsschutz zur Verfügung. Besonderer Hervorhebung bedarf, dass das Aufwerfen von Zweifeln am Bestand des Schutzrechts keinerlei Einfluss auf die internationale Zuständigkeit im Eilverfahren nimmt. Allerdings kann nach hier vertretener Auffassung auf den Gerichtsstand der Streitgenossenschaft i. S. d. Art. 8 Nr. 1 EuGVO nur dann zurückgegriffen werden, wenn der Antragsteller tatsächlich auch das Hauptsacheverfahren gegen die Streitgenossen vor dem Eilgericht eingeleitet hat.

2.  Rechtsfortbildende Rechtsprechung zu Art. 31 EuGVO (2001) Darüber hinaus trägt die Regelung des Art. 31 EuGVO (2001) / Art. 35 EuGVO (2012) einem eventuell bestehenden Bedürfnis nach effektivem einstweiligen Rechtsschutz außerhalb des zuständigen Forums Rechnung. Angesichts ihrer offenen Formulierung auf Tatbestands- wie auf Rechtsfolgenseite bietet die Bestimmung dem Rechtsschutzsuchenden einen starken Anreiz, unter den zahlreichen Optionen, die der einstweilige Rechtsschutz in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten bereithält, die für ihn günstigste Variante auszusuchen. Der Rückgriff auf nationale Kompetenznormen im Rahmen des Art. 31 EuGVO (2001) / Art. 35 EuGVO (2012) führt ferner zu einer Verzerrung der Zuständigkeitsordnung der EuGVO. Der EuGH hat die Gefahren, die aus Art. 31 EuGVO (2001) für den Beklagten ebenso wie für die Zuständigkeitsordnung der EuGVO resultieren, erkannt und in rechtsfortbildender Rechtsprechung erstens zwei grundsätzlich geeignete ungeschriebene Tatbestandsmerkmale entwickelt (reale Verknüpfung sowie das Erfordernis einer Sicherheitsleistung) sowie zweitens den Gerichten des Exequaturstaates erlaubt, das Vorliegen dieser Tatbestandsmerkmale entgegen Art. 35 Abs. 3 EuGVO (2001) nachzuprüfen. Diese Maßnahmen sind grundsätzlich geeignet, einer Umgehung der Zuständigkeitsordnung der Verordnung vorzubeugen. Zu Recht wird zwar kritisiert, dass im Hinblick auf vorläufige Zahlungsanordnungen, die Gegenstand der Entscheidungen van Uden und Mietz waren, ein autonomer Dringlichkeitsbegriff hätte entwickelt werden können,146 der sich an der Dauer des Exequaturverfahrens bis zum Eintritt der formellen Rechtskraft der Vollstreckbarerklärung bemisst.147 Doch sind im Hinblick auf andere Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes zeitliche Faktoren von geringerer Relevanz. Dies gilt etwa, wenn Maßnahmen zur Sicherung von Vermögensgegenständen 146  Art. 20 EuEheVO setzt für die Vornahme einstweilige Maßnahmen außerhalb des Gerichts der Hauptsache Dringlichkeit voraus, vgl. hierzu EuGH v. 23. 12. 2009 – C-403/09 PPU  – Slg. 2009, I-12193 (Detiček), Rn. 42. Zum eher geringen Anwendungsbereich des Art. 20 EheVO siehe Rauscher in Rauscher, EuZPR, Art. 20 Brüssel IIa-VO, Rn. 13. 147  Kimmerle, Befriedigungsverfügungen, S. 266 ff. Diese Auffassung setzt freilich voraus, dass im Gerichtsstand der Hauptsache effektiver einstweiliger Rechtsschutz zur Verfügung steht, was innerhalb der Union nicht in allen Mitgliedstaaten gewährleistet sein mag.

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430 § 11  Internationale Zuständigkeit für Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes

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oder Beweismitteln zwecks Wahrung eines Überraschungseffekts ex parte beantragt werden (müssen), und eine Vollstreckung der einstweiligen Maßnahme eines auswärtigen Hauptsachegerichts deshalb im Belegenheitsstaat ausscheidet, oder wenn es einer effektiven Vollstreckung einer einstweiligen Unterlassungsanordnung bedarf, da sich die grenzüberschreitende Vollstreckung von Unterlassungsanordnungen schwierig gestalten kann (näher § 16 Rn. 39 ff., 52 ff.). Auch hier wäre es zwar grundsätzlich möglich, zu prüfen, ob im Einzelfall eine praktische Möglichkeit für den Antragsteller besteht, angemessenen Rechtsschutz vor den Gerichten der Hauptsache zu erlangen.148 Die Zuständigkeitsprüfung im einstweiligen Rechtsschutz würde jedoch durch die Prüfung unklarer Auslandssachverhalte überfrachtet.149 Schließlich eignet sich der im Hess/Pfeiffer/Schlosser-Bericht150 sowie im Grünbuch zur EuGVO-Reform151 erwogene Vorschlag, dem Hauptsachegericht die Befugnis einzuräumen, einstweilige Maßnahmen, die von einem nach Art. 31 EuGVO 2001 / Art. 35 EuGVO (2012) zuständigen Gericht angeordnet wurden, aufzuheben, zu ändern oder anzupassen, nicht, um die van UdenKriterien zu ersetzen. Zu berücksichtigen ist insbesondere, dass sich an das einstweilige Verfahren kein Hauptsacheverfahren anschließen muss, sofern es an Vorkehrungen zur Sicherstellung der Vorläufigkeit der angeordneten Maßnahmen fehlt. Ferner ist der durch eine einstweilige Maßnahme bewirkte Vergleichsdruck nicht zu unterschätzen. Und schließlich stünde es dem Antragsteller offen, aus dem Instrumentenkasten des einstweiligen Rechtsschutzes innerhalb der Union auszuwählen und auf das billigende Ermessen des Hauptsachegerichts zu hoffen. Der Umgehung der Zuständigkeitsordnung

148  Siehe die Legaldefinition einstweiliger Maßnahmen in Art. 18a des Vorschlags des Rates für eine Revision des EuGVÜ, ABl. Nr. C 33/20 v. 31. 01. 1998: „dringende Maßnahmen, die es ermöglichen sollen, eine Untersuchung in einem Rechtsstreit durchzuführen, Beweismaterial oder Vermögen im Hinblick auf die Entscheidung oder die Zwangsvollstreckung zu sichern, eine tatsächliche oder rechtlich bestehende Lage aufrechtzuerhalten oder zu regeln, um Rechte zu wahren, deren Anerkennung bei dem mit der Hauptsache befaßten Gericht beantragt wird oder beantragt werden kann“. Zu Art. 20 EheVO vgl. EuGH v. 23. 12. 2009 – C-403/09 PPU  – Slg. 2009, I-12193 (Detiček), Rn. 43. Danach bezieht sich der Begriff der Dringlichkeit „sowohl auf die Lage, in der sich das Kind befindet, als auch auf die praktische Unmöglichkeit, den die elterliche Verantwortung betreffenden Antrag vor dem Gericht zu stellen, das für die Entscheidung in der Hauptsache zuständig ist.“ 149  Z. B. die Prüfung, ob im Territorium derjenigen Mitgliedstaaten, deren Gerichte über die Zuständigkeit in der Hauptsache verfügen, weitere Vermögensgegenstände des Antragsgegners belegen sind, in die ein Zwangs- oder Ordnungsgeld vollstreckt werden könnte. 150  Schlosser in Hess/Pfeiffer/Schlosser-Bericht, Rn. 785 ff. 151  Grünbuch Überprüfung der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivilund Handelssachen, KOM (2009) 175 , S. 8 f.



H. Würdigung

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der EuGVO wäre durch diesen Vorschlag Tür und Tor geöffnet; politisch hat er sich ohnehin als nicht vermittelbar erwiesen.152

3.  Instrumente zu Informationsgewinnung, Beweismittelzugang und -sicherung Nicht überzeugen kann demgegenüber die in der Entscheidung St. Paul Dairy sowie in Erwägungsgrund 25 EuGVO (2012) vorgenommene Differenzierung bei der Einordnung von Instrumenten zur Informationsgewinnung sowie zu Beweismittelzugang und Beweismittelsicherung als einstweilige Maßnahmen. Der EuGH ging in der Rechtssache St. Paul Dairy unzutreffend von einem Vorrang der Bestimmungen der EuBVO gegenüber jenen der EuGVO aus und erklärte vorgezogene Zeugenvernahmen als nur im Gerichtsstand der Hauptsache zulässig. Erwägungsgrund 25 EuGVO (2012) hält an der Entscheidung in St. Paul Dairy fest; gleichzeitig sollen Instrumente der Beweissicherung unter den Begriff der einstweiligen Maßnahme i. S. d. Art. 35 EuGVO (2012) subsumiert werden. Hierbei wird erstens übersehen, dass die jeweiligen Instrumente in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten regelmäßig sowohl einem Sicherungs- als auch einen Erkenntniszweck dienen. Zweitens wird eine autonome Auslegung des Begriffs der einstweiligen Maßnahme vereitelt: Der Ausschluss bestimmter prozessualer Instrumente weist der nationalen Ausgestaltung funktionsäquivalenter Instrumente (als prozessuale Pflicht zur vorgezogenen Zeugenaussage oder als materiellrechtliche Auskunftspflicht) entscheidende Bedeutung für die Einordnung als einstweilige Maßnahme i. S. d. Art. 35 EuGVO (2012) zu. Nach hier vertretener Auffassung sollten Maßnahmen zur Informationsgewinnung und Beweismittelsicherung bzw. -zugang unter Art. 31 EuGVO (2001) / Art. 35 EuGVO (2012) gefasst werden. Eine Entwertung der Zuständigkeitsordnung der EuGVO kann durch die Anwendung der van UdenKriterien vermieden werden: Eine Anordnung kommt danach nur in Betracht, sofern das Beweismittel im Erlassstaat belegen ist bzw. der Zeuge oder Auskunftspflichtige sich dort aufhält. Weiterhin hat das Gericht zu prüfen, ob eine reine Sicherung prospektiver Beweismittel anstatt deren Herausgabe an den Antragsteller im konkreten Fall angezeigt ist.

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4.  Fehlende Rechtssicherheit Als größtes Manko der Regelung des einstweiligen Rechtsschutzes sowohl in der EuGVO (2001) als in der EuGVO (2012) ist die fehlende Rechtssicherheit 152 Siehe die Antworten auf das Grünbuch der britischen (S. 32), deutschen (S. 14), griechischen (S. 20) und slowenischen (S. 10), Regierung, verfügbar unter ; ferner Dickinson, IPRax 2010, 203 (210 f.).

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432 § 11  Internationale Zuständigkeit für Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes zu beklagen. Die Aussagen des EuGH in den Rechtssache van Uden und Mietz sind zu weiten Teilen unverständlich, und die im Rahmen dieser Arbeit vorgeschlagene Interpretation ist keinesfalls die einzig denkbare.153 Inwieweit den Vorgaben dieser Entscheidungen im zeitlichen Anwendungsbereich der EuGVO (2012) weiterhin Geltung zukommen soll, ergibt sich aus den Gesetzgebungsmaterialien nicht. Auch die Differenzierung zwischen im Gerichtsstand des Art. 35 EuGVO (2012) zulässigen Beweissicherungsmaßnahmen und Instrumenten zur Informationsgewinnung, die nur im Gerichtsstand der Hauptsache verfügbar sind, bleibt weitgehend unklar.

5.  Babylonische Maßnahmenverwirrung 80

Der EuGVO lassen sich weder in ihrer ursprünglichen, noch in ihrer revidierten Form Anhaltspunkte dazu entnehmen, wie die Entscheidungen der diversen, im einstweiligen Rechtsschutz zuständigen Gerichte, miteinander zu koordinieren sind. Dieser Aspekt wird unter § 12 Rn. 87 ff. näher betrachtet.

6.  Zeitliche Verzögerung durch das Vorabentscheidungsersuchen 81

Bedenklich ist schließlich die zeitliche Verzögerung, welche das Vorabentscheidungsersuchen vor dem EuGH für das Ausgangsverfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bedeutet. Beispielsweise betrug die Verfahrensdauer in der Rechtssache van Uden insgesamt fünf,154 in der Rechtssache Roche Nederland zehn Jahre  – jeweils in einem niederländischen kort geding-Verfahren. In der Rechtssache Solvay vergingen vom Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Unterlassungsverfügung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs über zweieinhalb Jahre. Andere Vorabentscheidungsersuchen, die im Zuge des einstweiligen Rechtsschutzes ergangen sind, wurden (wenig verwunderlich) wegen Erledigung des Ausgangsverfahrens vom vorlegenden Gericht zurückgezogen.155 Zwar besteht in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes keine Vorlagepflicht, sofern sich auf Initiative der Parteien ein Hauptverfahren anschließen kann, in dessen Rahmen sich die Möglichkeit zur Überprüfung der vorläufig entschiedenen Frage und gegebenenfalls zur Vorlage an den EuGH besteht.156 Doch sind Auslegungsfragen hinsichtlich Art. 31 EuGVO (2001) / Art. 35 EuGVO (2012) 153 Zutreffend Kruger in Nuyts/Watté, Int’l Litigation, S. 329: „Many pages have been written on the van Uden judgement, but the uncertainty has remained.“ Für eine Aufgabe des Kriteriums der realen Verknüpfung deshalb Dickinson, IPRax 2010, 203 (210); Schlosser in Hess/Pfeiffer/Schlosser-Bericht, Rn. 783. 154  Zwischenzeitlich fiel Deco-Line, der Verfahrensgegner, in die Insolvenz, vgl. Dietze/ Schnichels, EuZW 1999, 549 (553). 155 Beschluss des Präsidenten der vierten Kammer des Gerichtshofs v.  27. 09. 2007  – C-175/06 – Slg. 2007 (Tedesco), I-7929. 156  EuGH v. 24. 05. 1977 – 107/76 – Slg. 1977, 957 (Hoffmann-La Roche), Rn. 5 f.



H. Würdigung

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auf den einstweiligen Rechtsschutz beschränkt und stellen sich nicht mehr im anschließenden Hauptsacheverfahren.157 Es ist deshalb zu begrüßen, dass den Gerichten der Mitgliedstaaten mittlerweile die Möglichkeit zukommt, eine Erledigung ihres Vorabentscheidungsersuchen als Eilverfahren gemäß Art. 104b der Verfahrensordnung des EuGH zu beantragen.

II. Reform Nach hier vertretener Auffassung etabliert die derzeitige Rechtslage durchaus adäquat eine Balance der Interessen der Verfahrensbeteiligten, solange die ungeschriebenen Tatbestandsmerkmale der van Uden-Grundsätze weiterhin angewandt werden und Instrumente zur Informationsgewinnung sowie zu Beweissicherung und -zugang unter den Begriff der einstweiligen Maßnahmen gefasst werden. Erwägungsgrund 25 EuGVO (2012) steht einer solchen Interpretation nicht entgegen, da die darin enthaltenen Erwägungen in keiner Weise Niederschlag im Text der Verordnung finden.158 Kritikwürdig ist jedoch das gesetzgeberische Festhalten an der inhaltsleeren Formulierung des Art. 31 EuGVO (2001). Bereits bei den Vorarbeiten zur Reform des EuGVÜ im Jahr 1997, die letztlich in die Überführung des Übereinkommens in die EuGVO mündeten, enthielt der Reformvorschlag der Kommission sowohl eine Legaldefinition des Begriffs „einstweilige Maßnahme“ als auch das zusätzliche Tatbestandsmerkmal der Vollstreckungsnähe.159 Der Vorschlag zur Reform der EuGVO im Jahr 2010 blieb bereits deutlich hinter diesem Ansatz zurück, sah aber immerhin noch eine Teildefinition des Begriffs einstweilige Maßnahme im Hinblick auf Maßnahmen zur Informationsgewinnung und Beweissicherung vor und bekräftigte in einem eigenen Artikel die Zuständigkeit der Hauptsachegerichte für den Erlass einstweiliger Maßnahmen. Sowohl eine Legaldefinition des Begriffs einstweilige Maßnahme160 als auch eine gesetzliche Verankerung der vom EuGH entwickelten ungeschriebenen Tatbestandsmerkmale hätten der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit 157  Eine vorläufige Entscheidung ohne Vorabentscheidungsersuchen dennoch für möglich haltend Hess/Vollkommer, IPRax 1999, 220 (225). 158  Zur Bedeutung der Erwägungsgründe bei Interpretation eines Rechtsakts der Union siehe EuGH v. 07. 10. 2012 – verb. RS C‑585/08 und C‑144/09 – Slg. 2010, I-12527 (Pammer/ Hotel Alpenhof), Rn. 84; EuGH v.  01. 04. 2008  – C‑267/06  – Slg. 2008, I-1757 (Maruko), Rn. 58 f. 159  Art. 18a des Vorschlags der Europäischen Kommission für einen Rechtsakt des Rates über die Ausarbeitung des Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit, die Anerkennung und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, KOM (2007) 609. 160  Definitionsvorschläge z. B. bei Hess, Study JAI/A3/2002/02, S. 140 sowie in Art. 2:501 Abs. 3 CLIP.

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434 § 11  Internationale Zuständigkeit für Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes gedient. Wie bereits erläutert, kann aus der Abschaffung der Verkehrsfähigkeit einstweiliger Maßnahmen, die nicht vom Hauptsachegericht erlassen wurden, nicht gefolgert werden, dass es künftig des Erfordernisses einer realen Verknüpfung sowie einer Sicherstellung der Vorläufigkeit der Maßnahme nicht mehr bedürfte. Es wäre vor dem Hintergrund der Rechtsklarheit überaus wünschenswert gewesen, hätten diese Kriterien in Art. 35 EuGVO (2012) Eingang gefunden. Dabei hätte man die Gelegenheit beim Schopfe ergreifen und die Eilzuständigkeit ohne Rückbezug auf die nationale Zuständigkeitsordnung regeln können.161 Zugleich hätte das Kriterium der realen Verknüpfung in Bezug auf bestimmte Verfügungstypen näher konkretisiert werden können.162 Aus dogmatischen Gründen wäre es schließlich begrüßenswert gewesen, die internationale Zuständigkeit des Eilgerichts von dem Erfordernis einer Sicherheitsleistung des Antragstellers zu lösen und stattdessen dem Eilgericht die Ausübung seiner internationalen Zuständigkeit nur unter der Bedingung zu erlauben, dass es Vorkehrungen zur Gewährleistung der Vorläufigkeit der einstweiligen Maßnahme trifft.

161  Für eine autonome Regelung Leible in Rauscher, Art. 31 Brüssel I-VO Rn. 3; Pörnbacher in Geimer/Schütze, Int. RV, Art. 31 B Vor I 10 b Rn. 17; Hess, IPRax 2000, 370 (374); Gaudement-Tallon, Compétence, Rn. 312; wohl auch Kropholler/v.  Hein, EuZPR, Art. 31 EuGVO Rn. 1; a. A. Wolf, EWS 2000, 11 (16). 162  Fentiman, Litigation, Rn. 1.87

§ 12  Verfahrenskoordination im europäischen Rechtsraum A.  Potentielle Verfahrensmultiplikation im gewerblichen Rechtsschutz Parteien, die über die Verletzung gewerblicher Schutzrechte streiten, verfügen über zahlreiche Möglichkeiten zur Gestaltung der Prozessführung. Diese Möglichkeiten resultieren aus einem wohl einmaligen Zusammenspiel der Pluralität von beteiligten Personen, einheitlichen und parallelen nationalen Schutzrechten, Verletzungshandlungen, Produkttypen und Klage- bzw. Antragsarten.1 Neben dem Schutzrechtsinhaber können nach dem Recht des Schutzrechtsstaats auch andere Personen zur Vornahme gerichtlicher Schritte berechtigt sein; Art. 4 lit. b bis d DRL erwähnt als Optionen die Lizenznehmer, Verwertungsgesellschaften und Berufsorganisationen. Da sich auf der Seite der behaupteten Schutzrechtsverletzer regelmäßig mehrere Glieder einer Herstellungs- bzw. Vertriebskette befinden, wird über die Auswahl des konkreten Beklagten bzw. über den Gerichtsstand der Streitgenossenschaft eine unüblich große Wahl an Gerichtsständen eröffnet. Parallele Schutzrechte auf nationaler Ebene wie auf Unionsebene ermöglichen zudem eine taktische Prozessführung, sofern der angebliche Verletzer seine Aktivitäten nicht allein in einem Mitgliedstaat ausübt, sondern eine unionsweite Vertriebsstrategie verfolgt. Die beanstandete Benutzungshandlung erfolgt regelmäßig nicht allein bei einem einzelnen Produkt; vielmehr tangieren mehrere Produktreihen häufig dasselbe Schutzrecht. Schließlich streiten die Parteien oft auf mehreren Ebenen: Neben Anträgen auf einstweiligen Rechtsschutz wegen der behaupteten Schutzrechtsverletzung und dem in zeitlichem Zusammenhang initiierten Hauptsacheverfahren können separate Angriffe 1  Siehe beispielhaft Sepracor v. Hoechst Marion Roussel (Telfast), [1999] FSR 746 (Pat), deutsche Übersetzung in GRUR Int. 1999, 784 ff.; Research in Motion UK v. Visto, [2008] EWCA Civ 153 sowie den Rechtsstreit zwischen Apple und Samsung über das Galaxy Tab, Samsung v Apple, [2012] EWCA Civ 1339 (CA); OLG Düsseldorf v.  31. 01. 2012  – I-20 U 175/11 – GRUR-RR 2012, 200 ff. (Galaxy Tab I), OLG Düsseldorf v. 24. 07. 2012 – I-20 U 35/12 – GRUR-RR 2012, 352 ff. (Galaxy Tab II); OLG Düsseldorf v. 24. 07. 2012 – I-20 W 141/11 (Galaxy Tab III). Zum Rechtsstreit Apple/Samsung vor niederländischen Gerichten siehe Hoge Raad v. 31. 05. 2013 – CPG 12/01766; Gerechtshof s’Gravenhage v. 16. 01. 2013 – C/09/404787, jeweils verfügbar unter m. Anm. Barazza, JIPlP, 2013, 435 ff.

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§ 12  Verfahrenskoordination im europäischen Rechtsraum

auf den Bestand des Schutzrechts vor Gerichten oder den Registerbehörden treten. Daneben kommt der negativen Feststellungsklage aus wirtschaftlichen ebenso wie aus prozesstaktischen Gründen eine besondere Relevanz zu. Die soeben skizzierte, potentielle Multiplikation von IP-Streitigkeiten wirft in besonderem Maße die Frage nach einer sinnvollen Verfahrenskoordination auf. Angesprochen ist zum einen die von einem bereits abgeschlossenen Verfahren ausgehende Bindungswirkung (res iudicata), zum anderen die Abstimmung zeitlich parallel anhängiger Verfahren (lis alibi pendens und sonstiger Koordinationsbedarf). Die EuGVO und die Verordnungen über die Gemeinschaftsschutzrechte (zu letzteren siehe § 13 Rn. 34 ff., 69) regeln wesentliche Komponenten der Verfahrenskoordination autonom. Andere Aspekte finden keine – oder jedenfalls keine explizite – Berücksichtigung. Im Folgenden soll geklärt werden, wie die Bestimmungen der EuGVO zur Verfahrenskoordination bei IP-Streitigkeiten auszulegen sind und welcher Anwendungsbereich für das autonome nationale Recht verbleibt.

B.  Koordination zeitlich paralleler Verfahren I.  Motive für Parallelverfahren und Ziele der Verfahrenskoordination 4

Das Bonmot „if one lawsuit is bad, two are worse“2 leuchtet aus unbefangener Sicht unmittelbar ein. Für die Parteien eines Rechtsstreits gibt es gleichwohl zahlreiche Motive, mehrere Gerichte zeitgleich mit einer Streitsache zu befassen, anstatt eine zentrale Streitlösung anzuvisieren. Soweit die Parteien in umgekehrten Parteirollen vor verschiedenen Gerichten agieren, versuchen sie regelmäßig, eine Entscheidung durch das für sie günstigere Forum herbeizuführen.3 Initiiert dieselbe Partei Verfahren vor den Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten, kann dies aus der Unzufriedenheit mit dem Erstverfahren resultieren, der Absicherung dienen, eine Kombination verschiedener prozes-

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Juenger, AmJCompL 36 (1988), 1 (3). paradigmatisch den Fall Sepracor v. Hoechst Marion Roussel (Telfast), [1999] FSR 746 (Pat), deutsche Übersetzung in GRUR Int. 1999, 784 ff. Siehe ferner die trockene Urteilsbegründung von Lord Justice Collins zu Parallelklagen zwischen denselben Parteien in Kolden Holdings v Rodette Commerce, [2008] EWCA Civ 10 (CA), Rn. 896: „I would therefore dismiss the appeal, and express the hope that the parties (having wasted some £400,000 on this sterile exercise) will now turn their attention to dealing with the substance of their dispute.” Diese Hoffnung erwies sich als unbegründet, denn die Parteien führten den Rechtsstreit vor deutschen Gerichten weiter, vgl. BGH v.  19. 02. 2013  – X ZR 70/12  – Mitt. 2013, 860 f. (Wundverband) samt Vorinstanzen. Zu den Gründen für die Bevorzugung eines bestimmten Gerichtsstands siehe § 10 Rn. 1; Hau, Kompetenzkonflikte, S. 29 ff., 34 ff.; McGuire, Verfahrenskoordination, S. 21 ff., jeweils m. w. N. 3 Vgl.



B.  Koordination zeitlich paralleler Verfahren

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sualer Instrumente oder die absichtliche Schädigung des Prozessgegners bezwecken.4 Art. 27 und 28 EuGVO (2001) bzw. Art. 29 ff. EuGVO (2012) koordinieren solche zeitlich parallel anhängigen Verfahren. Ziel ist es, den Erlass miteinander unvereinbarer Entscheidungen, deren Anerkennung an Art. 34 Nr. 3 und 4 EuGVO (2001) / Art. 45 Abs. 1 lit. c und d EuGVO (2012) scheitern würde,5 im europäischen Justizraum zu vermeiden.6 Auch bei Fehlen von Unvereinbarkeit im strikten Sinne7 wäre der Erlass sich inhaltlich widersprechender Entscheidungen der Rechtssicherheit im europäischen Justizraum nicht zuträglich.8 Die Konzentration auf ein Verfahren schont darüber hinaus Ressourcen der Justiz und der Parteien.9 Im Folgenden wird im Interesse der besseren Lesbarkeit erneut grundsätzlich auf die Bestimmungen der EuGVO (2012) Bezug genommen.

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II.  Die Litispendenzregel in Art. 29 EuGVO 1.  Die Sperrwirkung des Art. 29 EuGVO Zeitlich parallel verlaufende Doppelprozesse, d. h. Klagen wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien, welche vor den Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten anhängig sind, werden durch Art. 29 EuGVO nach dem Grundsatz zeitlicher Priorität geregelt. Das später angerufene Gericht hat sein Verfahren zunächst auszusetzen, bis das zuerst angerufene Gericht über seine Zuständigkeit entscheidet. Den Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit bestimmt Art. 32 EuGVO autonom. Steht die Zuständigkeit des früher angerufenen Gerichts aufgrund gerichtlicher Feststellung oder rügeloser Ein-

4 Ausführlich Hau, Kompetenzkonflikte, S.  40 ff.; McGuire, Verfahrenskoordination, S. 22 ff. 5  Gemäß Art. 34 Nr. 3 und 4 EuGVO (2001) / Art. 45 Abs. 1 lit. c und d EuGVO (2012) wird die Anerkennung versagt, sofern die anzuerkennende Entscheidung mit einer Entscheidung unvereinbar ist, die zwischen denselben Parteien im Anerkennungsstaat ergangen ist oder wenn die anzuerkennende Entscheidung mit einer früher ergangenen Entscheidung eines anderen Mitgliedstaats bzw. einer früher ergangenen anerkennungsfähigen Entscheidung eines Drittstaats unvereinbar ist. 6  EuGH v. 08. 12. 1987 – 144/86 – Slg. 1987, 4861 (Gubisch), Rn. 8; EuGH v. 09. 12. 2003 – C-116/02  – Slg. 2003, I-14693 (Gasser), Rn. 41; Kropholler/v.  Hein, EuZPR, vor Art. 27 EuGVO Rn. 1; Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 27 Brüssel I-VO Rn. 1 m. w. N. 7 Nach der Rechtsprechung des EuGH sind zwei Entscheidungen miteinander nicht vereinbar, wenn sich ihre Rechtsfolgen gegenseitig ausschließen, EuGH v.  04. 02. 1988  – 145/86 – Slg. 1988, 645 (Hoffmann/Krieg), Rn. 22; EuGH v. 06. 06. 2000 – C-80/00 – Slg. 2000, I-4995 (Italian Leather), Rn. 44. 8 Erwägungsgrund 21 EuGVO betont das Ziel einer zwischen den Mitgliedstaaten abgestimmten Rechtspflege. 9  McGuire, Verfahrenskoordination, S. 49 f. m. w. N. Zu weiteren Gründen ibid, S. 43 ff.

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§ 12  Verfahrenskoordination im europäischen Rechtsraum

lassung der Parteien fest, muss sich jedes später angerufene Gericht für unzuständig erklären.10

2.  Die Aufhebung der Sperrwirkung bei Gerichtsstandsvereinbarungen 7

Die Sperrwirkung des Art. 27 EuGVO (2001) erfasste nach der  – vor allem im englischen Schrifttum – heftig kritisierten Gasser-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs11 auch prioritätsjüngere Klagen vor einem prorogierten Gericht und gab der Partei einer Gerichtsstandsvereinbarung damit die Option, das Verfahren vor dem prorogierten Gericht zu verzögern. Art. 31 Abs. 2, Abs. 3 EuGVO (2012) adressieren diesen Missstand. Wird ein Gericht angerufen, das aufgrund einer (behaupteten) Gerichtsstandsvereinbarung gemäß Art. 25 EuGVO ausschließlich zuständig ist, so hat ein früher angerufenes Gericht das Verfahren bis zur Entscheidung des (angeblich) prorogierten Gerichts über seine Zuständigkeit auszusetzen und sich nach dessen Bejahung der Zuständigkeit zugunsten des prorogierten Gerichts für unzuständig zu erklären.12 Art. 31 Abs. 2 und 3 EuGVO (2012) enthalten somit eine Vermutung für die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung und weisen deren Prüfung vorrangig dem (vorgeblich) prorogierten Gericht zu. Inwieweit dem zuerst angerufenen Gericht zumindest eine prima facie-Überprüfung der Gerichtsstandsvereinbarung gestattet bleibt, ist im Schrifttum umstritten.13 Jedenfalls ist das zuerst angerufene Gericht nach Art. 31 Abs. 4 zur Prüfung befugt, ob die Gerichtsstandsvereinbarung gegen Art. 15, 19 oder 23 EuGVO verstößt. Für Verfahren zur Durchsetzung gewerblicher Schutzrechte ist angesichts der Seltenheit einer Gerichtsstandsvereinbarung die allgemeine Litispendenzregel des Art. 29 EuGVO von größerem Interesse.

3.  Voraussetzungen der Litispendenzsperre 8

Die Sperrwirkung des Art. 29 EuGVO tritt ein, wenn bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten Klagen wegen desselben Anspruchs zwischen denselben 10  Siehe EuGH v. 27. 02. 2014 – C-1/13 (Cartier parfums – lunettes), Rn. 34 ff. zur rügelosen Einlassung. Zur Frage, durch welche Instanz und in welcher Form die Feststellung der Zuständigkeit mangels rügeloser Einlassung zu erfolgen hat siehe McGuire, Verfahrenskoordination, S. 144 ff. m. w. N. 11 EuGH v.  09. 12. 2003  – C-116/02  – Slg. 2003, I-14693 (Gasser), Rn. 47 ff.; kritisch z. B. Fentiman, CLJ (63) 2004, 312 ff.; Mance, LQR 120 (2004), 357 (360 ff.); Hartley, ICLQ 54 (2005), 813 (817 ff.). In einer vor dem Gasser-Urteil ergangenen Entscheidung hatte der Court of Appeal der Gerichtsstandsvereinbarung Vorrang beigemessen, vgl. Continental Bank v Aeakos Compania Naviera, [1994] 1 WLR 588 (595 f.) (CA). 12  Die Reform befürwortend Fentiman in Vareilles-Sommières, Forum Shopping, S. 34 ff., 40 f.; vorsichtig befürwortend auch McGuire in FS Kaissis, S. 675 f., 681; zweifelnd Heinze, RabelsZ 75 (2011), 581 (590 ff.). 13 Näher Domej, RabelsZ 78 (2014), 508 (533 ff.) m. w. N.



B.  Koordination zeitlich paralleler Verfahren

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Parteien anhängig gemacht werden. Diese Voraussetzungen sind nach der Rechtsprechung des EuGH autonom zu interpretieren.14

a) Parteiidentität Die Verfahren werden zwischen denselben Parteien geführt, sofern dieselben Personen an ihnen beteiligt sind,15 wobei es unerheblich ist, ob die Parteirollen identisch oder vertauscht sind.16 Besteht nur Teilidentität der Parteien, findet Art  29 EuGVO insoweit Anwendung, als die Parteien identisch sind.17 Eine Aufspaltung des Rechtsstreits kann gegebenenfalls durch eine Aussetzung oder Unzuständigkeitserklärung nach Art. 30 Abs. 1 und 2 EuGVO hinsichtlich der lediglich im späteren Verfahren beteiligten Parteien vermieden werden (infra Rn. 53 ff.).18 In der Rechtssache Drouot assurances führte der EuGH aus, abweichend vom formalen Parteibegriff könne auch dann Parteiidentität i. S. d. Art. 29 EuGVO vorliegen, wenn die Interessen eines Versicherers und seines Versicherungsnehmers hinsichtlich des Gegenstands zweier Rechtsstreitigkeiten so weit übereinstimmten, dass ein Urteil, das gegen den einen ergehe, Rechtskraft gegenüber dem anderen entfalte.19 Den insgesamt vagen Aussagen des EuGH in dieser Entscheidung lässt sich nicht entnehmen, welches Kriterium ausschlaggebend sein soll: die Interessensübereinstimmung, die Rechtskrafterstreckung oder eine Kumulation dieser Kriterien. Ebenfalls ist offen, nach welchem Recht gegebenenfalls die Rechtskrafterstreckung zu beurteilen wäre. Angesichts des unklaren Gehalts der Entscheidung Drouot assurances haben mitgliedstaatliche Gerichte Parteiidentität auch zwischen Konzernmutter und

14  EuGH v. 08. 12. 1987 – 144/86 – Slg. 1987, 4861 (Gubisch), Rn. 11; EuGH v. 06. 12. 1994 – C-406/92, Slg. 1994, I-5439 (Tatry), Rn. 30; Kropholler/v.  Hein, EuZPR, Art. 27 EuGVO Rn. 3; Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 27 Brüssel I-VO Rn. 6, 8; McGuire, Verfahrenskoordination, S. 78 ff. m. w. N. auch zur Gegenansicht. Kritisch aus jüngerer Zeit Tsikrikas in FS Leipold, S. 351 ff. Der europäische Gesetzgeber hat durch Übernahme des Art. 21 EuGVÜ in Art. 27 EuGVO (2001) bzw. Art. 29 EuGVO (2012) seinen Willen bekräftigt, an der Rechtshängigkeitsregel in ihrer Auslegung durch den EuGH festzuhalten (wie hier Lupoi, ZZP Int. 7 (2002), 149 (162)). 15  EuGH v. 19. 05. 1998 – C-351/96 – Slg. 1998, I-3075 (Drouot assurances), Rn. 15. 16  Statt aller EuGH v. 06. 12. 1994 – C-406/92 – Slg. 1994, I-5439 (Tatry), Rn. 31. 17  EuGH v. 06. 12. 1994 – C-406/92, Slg. 1994, I-5439 (Tatry), Rn. 34; Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 33 Brüssel I-VO Rn. 7; Kropholler/v. Hein, EuZPR, Art. 27 EuGVO Rn. 5; Hess, EuZVR, § 6 Rn. 159. 18  EuGH v.  06. 12. 1994  – C-406/92, Slg. 1994, I-5439 (Tatry), Rn. 35; OLG Frankfurt v. 29. 06. 2006 – 12 U 195/05 – IPRspr. 2006, Nr. 163, 352 (357); Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 33 Brüssel I-VO Rn. 7; Kropholler/v. Hein, EuZPR, Art. 27 EuGVO Rn. 5; Hess, EuZVR, § 6 Rn. 159. 19  EuGH v. 19. 05. 1998 – C-351/96 – Slg. 1998, I-3075 (Drouot assurances), Rn. 19.

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§ 12  Verfahrenskoordination im europäischen Rechtsraum

Tochtergesellschaft,20 zwischen Schutzrechtsinhaber und Lizenznehmer,21 zwischen Zedent und Zessionar22 sowie zwischen verschiedenen angeblich schutzrechtsverletzenden Gliedern einer Herstellungskette23 angenommen. Vor dem Hintergrund des Justizgewähranspruchs24 sollte eine Ausweitung des Parteibegriffs nur in jenen Fällen erfolgen, in denen sich die Rechtskraft auch gegenüber der in dem anderen Verfahren beteiligten Person entfaltet.25 Bei der Bestimmung der subjektiven Grenzen der Rechtskraft sind die Rechtsordnungen beider angerufener Gerichte zu befragen.26 Der Erlass miteinander unvereinbarer Entscheidungen lässt sich nur ausschließen, wenn die Rechtskraftwirkung nach keiner der relevanten Rechtsordnungen auf die in dem anderen Verfahren beteiligte Person zu erstrecken ist. Nicht ausreichend ist es, mit der herrschenden Ansicht allein auf die lex fori des zuerst angerufenen 20  Für eine wirtschaftliche Betrachtungsweise Samsung v Apple, [2012] EWCA Civ. 1339, Rn. 60; Mecklermedia v. DC Congress, [1998] Ch. 40 (53) (Ch) (per obiter dictum); Dicey/ Morris/Collins, Rn. 12–062; zweifelnd LAG Rheinland-Pfalz v. 25. 01. 2008 – 9 Sa 604/07 – IPRspr 2008, Nr. 160, 513; a. A. Fentiman in Magnus/Mankowski, Art. 27 Brussels I Rn. 9; Weller in Hess/Pfeiffer/Schlosser-Bericht, Rn. 422; Hess, EuZPR, § 6 Rn. 159 m. Fn. 757; Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 27 Brüssel I-VO Rn. 6b. Parteiidentität hinsichtlich mehrerer konzernangehöriger Tochtergesellschaften verneinend Rechtbank’s-Gravenhage v.  16. 01. 2013  – C/09/404787 (Galaxy Tab), Rn. 4.3 ; ebenso (nach differenzierter Betrachtung) Mölnlycke Health Care v BSN Medical, [2009] EWHC 3370 (Pat), Rn. 24 ff. 21  Erwogen in OLG Düsseldorf v. 30. 09. 1999 – 2 W 60/98 – GRUR Int. 2000, 776 (778) (Impfstoff III) und befürwortet von LG Düsseldorf v. 05. 06. 2008 – 4a O 27/07 – GRUR Int. 2008, 756 (758) (Mehrschichtiges Verschlusssystem), jeweils für den Fall einer gewillkürten Prozessstandschaft; so auch Meier-Beck, GRUR 1999, 379 (382); Grabinski, GRUR Int. 2001, 210; Hartmann, Verletzungsverfahren, S. 164; Ebner, Markenschutz, S. 217 f. Ablehnend (jedenfalls bei fehlender Prozessstandschaft) Mecklermedia v. DC Congress, [1998] Ch 40 (53); OLG KA v. 12. 12. 2007 – 6 U 63/07 – ZUM 2008, 516 (517 f.); Dicey/Morris/Collins, Rn. 12–062; Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 27 Brüssel I-VO Rn. 6b; Fentiman in Magnus/ Mankowski, Art. 27 Brussels I Rn. 8; differenzierend anhand der konkreten wirtschaftlichen Interessen Mölnlycke Health Care v BSN Medical, [2009] EWHC 3370 (Pat), Rn. 24 ff. 22  Kolden Holdings v Rodette Commerce, [2008] EWCA Civ 10 (CA), Rn. 85 ff.; OLG Köln v.  08. 09. 2003  – 16 U 110/02  – IPRax 2004, 521 (524). Zur Folge eines Wechsels des Schutzrechtsinhabers siehe LG Düsseldorf v. 05. 06. 2008 – 4a O 27/07 – GRUR Int. 2008, 757 (758 f.) (Mehrschichtiges Verschlusssystem). 23  OGH v. 28. 09. 2006 – Ob 118/06s – GRUR Int. 2007, 433 (435) (Red Bull). 24  Hess, EuZPR, § 6 Rn. 158. 25  OGH v.  06. 04. 2006  – 6Ob64/06i ; Kolden Holdings v Rodette Commerce, [2008] EWCA Civ 10 (CA), Rn. 85 ff.; OLG Karlsruhe v.  12. 12. 2008  – 6 U 63/07 – ZUM 2008, 516 (518); Henssler/Dedek, EWiR 1998, 499 (500); Adolphsen, ZZP Int. 3 (1998), 249 (253); Hess, EuZPR, § 6 Rn. 158; noch restriktiver Pitz, GRUR Int. 2001, 32 (34); a. A. Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 27 Brüssel I-VO Rn. 6b, der für Anwendung des Art. 30 EuGVO plädiert. 26  OLG Köln v.  08. 09. 2003  – 16 U 110/02  – IPRax 2004, 521 (524). Zur Rechtskrafterstreckung zwischen Patentinhaber, Rechtsnachfolger und Lizenznehmer siehe BGH v.  19. 02. 2013  – X ZR 70/12  – Mitt. 2013, 860 f. (Wundverband); Kühnen, HdB PatV, Rn. 1356 ff. m. w. N.



B.  Koordination zeitlich paralleler Verfahren

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Gerichts abzustellen,27 da sich in Anbetracht der stark divergierenden Verfahrensdauer innerhalb der Europäischen Union nicht absehen lässt, welche Gerichtsentscheidung zuerst Rechtskraft erlangt. Ist eine Rechtskrafterstreckung ausgeschlossen, obgleich eine Verfahrenskoordination erforderlich erscheint, kann ein Vorgehen nach Art. 30 EuGVO erwogen werden.28

b)  Identität von Gegenstand und Grundlage der Rechtssachen Hinsichtlich der neben der Parteiidentität erforderlichen Anspruchsidentität orientiert sich der EuGH am Wortlaut der nichtdeutschen Fassungen der EuGVO, welche in überwiegender Zahl eine Übereinstimmung von Gegenstand und Grundlage der jeweiligen Rechtsstreitigkeiten voraussetzen.29 Beide Tatbestandsmerkmale legt der EuGH (aus deutscher Perspektive betrachtet) eher weit aus. Unter „Gegenstand“ versteht er – über den Klageantrag hinausgehend  – den Zweck der Klage.30 Als „Grundlage“ bezeichnet er den maßgeblichen Lebenssachverhalt sowie den funktionellen Regelungsbereich, auf welchen die Klage gestützt wird.31 Hierbei genügt es, wenn sich der Gegenstand der beiden Klagen im Kern deckt.32 Ausschlaggebend für die Beurteilung sind allein die verfahrenseinleitenden Schriftstücke; tatsächliche oder

27  So aber OLG KA v. 12. 12. 2007 – 6 U 63/07 – ZUM 2008, 516 (518); OLG Karlsruhe v. 12. 12. 2008 – 6 U 63/07 – ZUM 2008, 516 (518); Geimer, IPRax 2004, 505 (506); Kühnen, HdB PatV, Rn. 1355. 28  Eine enge Auslegung der Parteiidentität unter Hinweis auf bestehende Möglichkeiten zur Verfahrensaussetzung befürworten auch v. Eechoud/Peukert in CLIP, Rn. 2:701.C15. 29 EuGH v.  08. 12. 1987  – 144/86  – Slg. 1987, 4861 (Gubisch), Rn. 14; vgl. statt aller anderen die französische Version des Art. 29 Abs. 1 EuGVO: „demandes ayant le même objet et la même cause“. Ausnahme ist neben der deutschen Fassung auch die englische: „the same cause of action“. 30 EuGH v.  06. 12. 1994  – C-406/92  – Slg. 1995, I-5439 (Tatry), Rn. 41; OGH EuLF 2010, II-45; zur Kritik am Streitgegenstandsbegriff des EuGH siehe den Überblick bei McGuire, Verfahrenskoordination, S. 87 ff. m. w. N.; Sepperer, Rechtskrafteinwand, S. 134 ff. m. w. N. Übernommen wird der vom EuGH geprägte Streitgegenstandsbegriff in Art. 2:701 CLIP, hierzu v. Eechoud/Paukert in CLIP, Rn. 2:701.C04 ff. 31 EuGH v.  06.  12.  1994  – C‑406/92  – Slg. 1994, I‑5439 (Tatry), Rn. 39; EuGH v. 14. 10. 2004 – C-39/02 – Slg. 2004, I-9657 (Mærsk), Rn. 38. Entgegen der missverständlichen Formulierung in der Rechtssache Tatry („dieselbe Rechtsvorschrift“) ist eine Übereinstimmung des anwendbaren Sachrechts nicht erforderlich, wie sich aus der Mærsk-Entscheidung ablesen lässt. Ansonsten wäre Art. 29 EuGVO angesichts divergierendem Sach- und Kollisionsrecht in den Mitgliedstaaten der Union nicht geeignet, einander widersprechende Urteile zu vermeiden. I. E. ebenso Rauscher in Leible, EuZPR, Art. 27 EuGVO Rn. 8; McGuire, Verfahrenskoordination, S. 85. Die formelle Rechtsquelle hingegen als maßgeblich erachtend OGH v. 28. 09. 2006 – Ob 118/06s – GRUR Int. 2007, 433 (436) (Red Bull). 32  EuGH v. 08. 12. 1987 – 144/86 – Slg. 1987, 4861 (Gubisch), Rn. 16; EuGH v. 06. 12. 1994 – C-406/92 – Slg. 1994, I‑5439 (Tatry), Rn. 43.

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§ 12  Verfahrenskoordination im europäischen Rechtsraum

potentielle Einwendungen des Beklagten bleiben ebenso wie spätere Klageerweiterungen außer Betracht.33 Nach dieser „Kernpunkttheorie“ dürfte Anspruchsidentität zwischen zwei Klagen bestehen, die sich mit verschiedenen Verletzungshandlungen hinsichtlich derselben Verletzungsform befassen, wie etwa dem Herstellen und Anbieten oder Inverkehrbringen eines bestimmten schutzrechtsverletzenden Gegenstands.34 Eine Deckung im Kern liegt auch vor zwischen einer Klage wegen Schutzrechtsverletzung auf der einen Seite und wegen Wettbewerbsverstoßes auf dem Markt des Schutzrechtsstaats auf der anderen Seite. Ferner betreffen nach der Rechtsprechung des EuGH eine Klage wegen Schutzrechtsverletzung und eine auf die Feststellung der Nichtverletzung des Schutzrechts gerichtete negative Feststellungsklage „denselben Anspruch“.35 Ebenso existiert ein maßgeblicher Überschneidungsbereich, soweit eine Klage wegen Verletzung eines nicht eingetragenen Schutzrechts zeitgleich anhängig ist mit einer negativen Feststellungsklage, die den Nichtbestand des nicht eingetragenen Schutzrechts behauptet. Keine Anspruchsidentität besteht hingegen zwischen einer Verletzungsklage und einer Klage, mit welcher der Bestand eines eingetragenen Schutzrechts angegriffen wird.36 Im Gegensatz zu dem Inhaber eines nicht eingetragenen Schutzrechts ist der Inhaber eines eingetragenen Schutzrechts nicht gehalten, im Rahmen der Klageerhebung die materielle Schutzfähigkeit seines Rechtes vorzutragen: Er kann sich insoweit auf den Erteilungsakt berufen.37 Deshalb unterscheiden sich sowohl der Gegenstand (Vernichtung des Schutzrechts einerseits, Haftung für Schutzrechtsverletzung andererseits) als auch die Grundlage der Verletzungs- und Bestandsklage (behördliche Erteilung des Schutzrechts und Voraussetzungen der materiellen Schutzfähigkeit einerseits, 33  EuGH v. 08. 05. 2003 – C‑111/01 – Slg. 2003, I‑4207 (Gantner Electronic), Rn. 26 ff.; EuGH v. 14. 10. 2004 – C-39/02 – Slg. 2004, I-9657 (Mærsk), Rn. 36; OGH v. 28. 09. 2006 – Ob 118/06s – GRUR Int. 2007, 433 (435) (Red Bull); OLG Düsseldorf v. 20. 7. 2009 – I-2 W 35/09– GRUR-RR 2009, 401. Dies gebietet bereits der Grundsatz der perpetuatio fori, siehe nur Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 27 Brüssel I-VO Rn. 8b. 34  Zum abweichenden Streitgegenstandsbegriff im deutschen gewerblichen Rechtsschutz siehe Teplitzky, WettbewerbsR, Kap. 46 Rn. 2 ff., 5a m. w. N.; Gottwald in FS Kaissis, S. 303 ff. mit einigen rechtsvergleichenden Hinweisen auf S. 306. 35  OGH vom 16. 12. 2003  – 4 Ob 58/03p  – GRUR Int. 2005, 1039 (1041) (BOSS-Zigaretten V); OLG Düsseldorf v. 30. 09. 1999 – 2 W 60/98 – GRUR Int. 2000, 776 (778) (Impfstoff III); Grabinski, GRUR Int. 2001, 199 (209); Leitzen, GRUR Int. 2004, 1010 (1012); Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 27 Brüssel I-VO Rn. 10; Ebner, Markenschutz, S. 226 f. A. A. TGI Paris v. 28. 04. 2000 – GR 99/4574 – GRUR Int. 2001, 173 (174) m. abl. Anm. Treichel. 36  Symbol Technologies v Opticon Sensors Europe (No 1), [1993] RPC 211 (214); McGuire, WRP 2011, 983 (991); Wadlow, Enforcement, Rn. 3–146; Fawcett/Torremans, IP & PIL, Rn. 7.147; Borrás/Hausmann in unalex, Art. 22 Brüssel I-VO Rn. 77; Adolphsen, EZPR in Patentsachen, Rn. 456. A. A. Carl, Torpedoklagen, S. 112; Holzer/Josi, GRUR Int. 2009, 577 (586) (für Art. 27 LugÜ). 37  Terrell on Patents, Rn. 18–68; McGuire, WRP 2011, 983 (991).



B.  Koordination zeitlich paralleler Verfahren

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privatautonome Verletzung des Schutzrechts und Recht der außervertraglichen Haftung auf der anderen Seite). Eine eventuelle Nichtigkeitseinrede des Beklagten im Verletzungsverfahren ist für die Bestimmung der Anspruchsidentität unmaßgeblich. Ferner handelt es sich aufgrund des territorial begrenzten Schutzumfangs nicht um „denselben Anspruch“, soweit die Verfahren nationale Parallelschutzrechte verschiedener Mitgliedstaaten oder die verschiedenen Teile eines europäischen Bündelpatents betreffen; hier kommt allenfalls eine Aussetzung nach Art. 30 EuGVO in Betracht.38 Das Gesagte gilt auch für das Verhältnis einer Klage wegen Schutzrechtsverletzung zu einer Klage wegen Verstoßes gegen lauterkeitsrechtliche Bestimmungen in einem anderen Staat als dem Schutzrechtsstaat.39 Sonderregeln gelten für Parallelverfahren betreffend ein Gemeinschaftsschutzrecht auf der einen und ein paralleles nationales Schutzrecht auf der anderen Seite (hierzu § 13 Rn. 54 ff.).

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c)  Begriff der Klage Die Befassung der Gerichte verschiedener Mitgliedstaaten mit demselben Anspruch muss klageweise oder im Wege einer anderen Prozesshandlung erfolgen, welche geeignet ist, die Rechtshängigkeit nach der betreffenden lex fori zu begründen.40 Nach herrschender Auffassung findet die Litispendenzregel des Art. 29 EuGVO keine Anwendung auf Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes41 und Beweissicherungsverfahren.42 Unstreitig ist ohnehin, 38 BGH v.  24.  03. 2011  – I ZR 211/08  – GRUR 2011, 1112 (1114) (Schreibgeräte); OLG Düsseldorf v.  29. 06. 2000  – 2 U 76/99  – IPRspr. 2000 Nr. 128, 271; LG Düsseldorf v.  27. 01. 1998  – 4 O 418/97  – GRUR Int. 1998, 803 (804) (Kondensatorspeicherzellen); Grabinski, GRUR Int. 2001, 199 (209 f.); Leitzen, GRUR Int. 2004, 1010 (1012); Cornish/ Llewelyn/Aplin, IP, Rn. 2–80; Kropholler/v. Hein, EuZPR, Art. 27 EuGVO Rn. 11; Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 27 Brüssel I-VO Rn. 10; Ebner, Markenschutz, S. 216; zweifelnd Otte, IPRax 1999, 440 (442 f.). Zu Teilpatenten sowie unterschiedlichen Verletzungsformen siehe Haertel, GRUR-RR 2009, 373 (374 f.). 39  Mecklermedia v. DC Congress, [1998] Ch. 40 (53) (Ch); Fentiman in Magnus/Mankowski, Art. 27 Brussels I Rn. 20; Hill/Chong, Int’l Disputes, Rn. 9. 1. 23. 40 EuGH v.  14.  10. 2004  – C-39/02  – Slg. 2004, I-9657 (Mærsk), Rn. 32, 34; BGH v. 09. 10. 1985 – IVb ZR 36/84 – NJW 1986, 662; OLG Celle v. 14. 10. 2008 – 17 WF 130/08 – FamRZ 2009, 359; OLG Frankfurt v. 15. 06. 1989 – 16 U 138/88 – IPRspr 1989, Nr 210, 473; Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR; A. 1, Art. 27 Rn. 19; Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 27 Brüssel I-VO Rn. 4; Kropholler/v. Hein, EuZPR, Art. 27 EuGVO Rn. 2. 41  BGH v. 09. 10. 1985 – IVb ZR 36/84 – NJW 1986, 662 (663 f.); BGH v. 09. 10. 1985 – IVb ZR 36/84 – NJW 1986, 662 (663 f.); TGI Paris v. 09. 03. 2001 – 00/04083 – IIC 2002, 225 (226) (Schaerer Schweiter Mettler v. Fadis); Kropholler/v. Hein, EuZPR, Art. 27 Brüssel I-VO Rn. 14; Schlosser, EU-ZPR, Art. 27 EuGVVO Rn. 5. 42  OLG Hamm v. 14. 05. 1992 – 2 U 227/90 unalex DE-47; Miles Platt v Townroe, [2003] EWCA Civ 145 (CA), Rn. 20 ff.; LG Hamburg v. 13. 03. 2008 – 413 O 92/06 – IPRspr 2008, Nr 125, 425; implizit auch OLG Köln v. 12. 04. 2011 – 5 W 11/11 – MedR 2012, 125 (126); ferner Nordmeier, MedR 2012, 126 (127); Kropholler/v. Hein, EuZPR, Art. 27 Brüssel I-VO Rn. 14; Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 27 Brüssel I-VO, Rn. 13.

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§ 12  Verfahrenskoordination im europäischen Rechtsraum

dass Hauptsacheverfahren und einstweiliges Verfahren nicht denselben Gegenstand betreffen, weil das einstweilige Verfahren lediglich der Sicherung der gegebenenfalls im Hauptverfahren durchzusetzenden Ansprüche dient.43 Zur Koordination paralleler Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes siehe Rn. 87 ff.

d)  Beurteilungszeitpunkt der Priorität 17

Ein Gericht gilt gemäß Art. 32 Abs. 1 EuGVO als angerufen, wenn die Übergabe des verfahrenseinleitenden Schriftstücks an das Gericht oder den Beklagten erfolgt ist und zwar in Abhängigkeit davon, an welche Stelle nach der jeweiligen lex fori die Zustellung zuerst zu bewirken ist. Der Kläger darf es ferner nicht versäumen, alle weiteren ihm obliegenden Maßnahmen vorzunehmen, um die Zustellung des Schriftstücks an den Beklagten zu bewirken; hierzu zählt u. U. die Zustellung einer Übersetzung.44 Auch Hilfsanträge werden unmittelbar rechtshängig, obgleich sie unter einer innerprozessualen Bedingung stehen und deshalb nicht absehbar ist, ob sie vom Erstgericht überhaupt entschieden werden.45 Hat der behauptete Schutzrechtsverletzer die Feststellung der Nichtigkeit des Schutzrechts und hilfsweise die Feststellung der Nichtverletzung des Schutzrechts beantragt, steht Art. 29 EuGVO folglich der Erhebung einer Verletzungsklage in einem anderen Mitgliedstaat entgegen. Das Verletzungsverfahren wird gleichwohl nicht unbillig blockiert, da sich das Abwarten der Bestandsentscheidung der Gerichte des Schutzrechtsstaates angesichts der Wertungen des Art. 24 Nr. 4, 30 EuGVO ohnehin gebieten würde.46 Eine teleologische Reduktion des Art. 32 EuGVO im Hinblick 43  Statt

aller OGH v. 28. 09. 2006 – Ob 118/06s – GRUR Int. 2007, 433 (435) (Red Bull) m. w. N.; grundsätzlich ebenso zu Art. 19 Abs. 2 EuEheVO EuGH v. 09. 11. 2010 – C-296/10 (Purrucker II), Rn. 69. Der EuGH weist a. a. O., Rn. 72 ff., allerdings darauf hin, dass in Verfahren zur Regelung der elterlichen Verantwortung ein einstweiliges Verfahren vor dem (potentiellen) Hauptsache­gericht und das Hauptsacheverfahren gegebenenfalls eine Verfahrenseinheit bilden können. Die unterschiedlichen Regelungskontexte des einstweiligen Rechtsschutzes in EuGVO und EuEheVO lassen den Sinn einer rechtsaktübergreifenden Auslegung zweifelhaft erscheinen, vgl. die in der Entscheidung des EuGH a. a. O. Rn. 62, berichteten Stellungnahmen der Verfahrensbeteiligten. 44  Näher infra § 14 Rn. 12 ff. 45  OLG Köln v. 31. 03. 2004 – 6 U 135/03 – GRUR-RR 2005, 36 (39) (Fußballwetten); LG Düsseldorf v. 27. 02. 1998 – 4 O 127/97 – GRUR Int. 1998, 804 (805) (Impfstoff); Kropholler/v. Hein, EuZPR, Art. 27 EuGVO Rn. 22; Nagel/Gottwald, IZVR, § 5 Rn. 204; a. A. Ebner, Markenschutz, S. 223 f. 46  Zweifelnd das Vorabentscheidungsersuchen zu Art. 21 EuGVÜ des OLG Düsseldorf v. 30. 09. 1999 – 2 W 60/98 – GRUR Int. 2000, 776 (777 f.) (Impfstoff III), welches aufgrund eines Vergleichs der Parteien zurückgenommen wurde. Im dort zu entscheidenden Sonderfall hatte die Klägerin des Erstverfahrens vor belgischen Gerichten Klage auf Feststellung der Nichtigkeit des belgischen Teils eines europäischen Patents erhoben und mit einem Hilfsantrag die Feststellung begehrt, dass sie das Patent in keinem der Vertragsstaaten verletze. Wie die Kommission in ihrer Stellungnahme (wiedergegeben bei Pitz, GRUR Int. 2001, 32



B.  Koordination zeitlich paralleler Verfahren

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auf Hilfsanträge empfiehlt sich deshalb für den hier interessierenden Bereich nicht.

4.  Torpedos und Strategien zu ihrer Vermeidung a)  Die Torpedoproblematik Zitterrochen lähmen ihre Beutefische mit elektrischen Schlägen. Die wissenschaftliche Bezeichnung für diese Fischgattung  – „Torpedo“  – ist nicht nur namensstiftend für zerstörerische Unterwasserwaffen, sondern auch für ein prozesstaktisches Verhalten, das lähmenden Effekt auf die gerichtliche Rechtsdurchsetzung zeitigt.47 Die Strategie besteht darin, der Unterlassungs- oder Leistungsklage des Gläubigers zuvorzukommen und negative Feststellungsklage vor den Gerichten eines Mitgliedstaates mit bekannt langsamer Gerichtsbarkeit zu erheben. Aufgrund des vom EuGH zu Art. 29 EuGVO vertretenen weiten Streitgegenstandsbegriffs und des strikten Grundsatzes zeitlicher Priorität sperrt die negative Feststellungsklage eine später erhobene Unterlassungs- oder Leistungsklage selbst in jenen Fällen, in denen die Unzuständigkeit des mit der negativen Feststellungsklage befassten Gerichts offensichtlich ist. Die Torpedoklage ist folglich gekennzeichnet durch eine in Blockadeabsicht erfolgte Verfahrenseinleitung vor einem langsamen und/oder unzuständigen Gericht.48 Es gibt vielfältige Motive für die Erhebung einer Torpedoklage. Die Prozessverschleppung kann beispielsweise erwünscht sein, um die Vergleichsbereitschaft der Gegenseite zu erhöhen49 oder um Zeit für die Verschleierung der Vermögensverhältnisse der Schuldnerseite zu gewinnen.50 Gegenüber der Rechtsdurchsetzung gewerblicher Schutzrechte wirken Torpedos aus verschiedenen Gründen besonders schlagkräftig. Zum einen bietet die bei Schutzrechtsverletzungen gebräuchliche und aus Kostengesichtspunkten sinn(33)) zutreffend bemerkte, handelte es sich jedoch bei dem als „Hilfsantrag“ bezeichneten Antrag in technischem Sinne um einen weiteren Hauptantrag, da die Feststellung der Nichtigkeit des belgischen Teils des Patentes keine Auswirkung auf die für die anderen Vertragsstaaten bestehende Schutzwirkung gehabt hätte. 47 Der Begriff Torpedo für diese Prozesstaktik wurde in Anlehnung an die maritime Kriegsführung geprägt von Franzosi, EIPR 1997, 382 ff. Zur Typologie siehe Carl, Torpedoklagen, S. 75 ff.; Sander/Breßler, ZZP 122 (2009), 157 (160 ff.). Empirische Daten zur Relevanz von Torpedoklagen fehlen; es gibt jedoch Hinweise darauf, dass ihre Häufigkeit abgenommen hat, vgl. Schlosser in Hess/Pfeiffer/Schlosser-Bericht, Rn. 814. 48  Franzosi, EIPR 1997, 382 (385); Sander/Breßler, ZZP 122 (2009), 157 (162); weitergehend Thole, AG 2013, 73 (81), der unter dem Begriff Torpedoklage sämtliche negative Feststellungsklagen versteht, die erhoben werden, um einer Leistungsklage zuvorzukommen. 49  Konkret in Bezug auf den Fall JP Morgan v Primacom Fentiman in Magnus/Mankowski, Introduction to Art. 27–30 Brussels I Rn. 54; allgemein Geimer, NJW 1984, 527 (529); Sander/Breßler, ZZP 122 (2009), 157 (162); Schmehl, Parallelverfahren, S. 215 m. w. N. 50  McGuire, Verfahrenskoordination, S. 141; Schmehl, Parallelverfahren, S. 215.

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§ 12  Verfahrenskoordination im europäischen Rechtsraum

volle Schutzrechtsverwarnung (Abmahnung) einen optimalen Anlass für die Erhebung einer negativen Feststellungsklage. Zum anderen liegt das Rechtsschutzziel einer Verletzungsklage regelmäßig primär in der Unterbindung der Schutzrechtsverletzung. Der durch die Torpedoklage gewonnene Zeitraum kann genutzt werden, um ein schutzrechtsverletzendes Erzeugnis abzusetzen51 (insbesondere zu wichtigen Zeitpunkten, etwa bei Markteinführung oder im Saisongeschäft) oder um die Produktions- oder Vertriebsstrukturen zu verändern.52 Da die Phase der wirtschaftlichen Ausbeutung bestimmter Schutzrechte (insbes. Patente) aus rechtlichen wie technologischen Gründen zeitlich begrenzt ist, trifft den Schutzrechtsinhaber eine Verzögerung des Unterlassungsurteils besonders hart. Eine vollständige Kompensation verlorener Marktanteile ist häufig schwierig.

b)  Prämissen der Torpedoabwehr 20

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Seit die „italienischen Torpedos“53 zum ersten Mal in der Literatur beschrieben wurden, haben Gerichte, Parteien und das Schrifttum verschiedenste „Torpedo-Abwehrsysteme“ entwickelt. Auch im Zuge der EuGVO-Reform wurde diskutiert, wie die im Einzelfall als unbefriedigend empfundene strikte Prioritätsregel des Art. 27 EuGVO (2001) modifiziert werden könnte.54 Bevor ich die verschiedenen Strategien zur Torpedoabwehr vorstelle und bewerte, sollen kurz die Prämissen, auf denen die Bewertung beruht, erläutert werden. (1) Vermeidung paralleler Verfahren Jegliche Lösung muss sich an dem begrüßenswerten Ziel der EuGVO messen lassen, zwecks Gewährleistung von Rechtssicherheit und Prozessökonomie eine Durchführung paralleler Verfahren weitgehend zu vermeiden. (2) Gleichwertigkeit der Justizsysteme der Mitgliedstaaten Der EuGVO liegt das Axiom der Gleichwertigkeit der Justizsysteme der Mitgliedstaaten und das Prinzip gegenseitigen Vertrauens zugrunde.55 Gleichwertigkeit darf nicht mit Gleichartigkeit verwechselt werden:56 Die durchschnittliche Verfahrensdauer unterscheidet sich innerhalb der Europäischen Union57 ebenso wie innerhalb einzelner Mitgliedstaaten (regio51 

Schmehl, Parallelverfahren, S. 214. Pitz, Patentverletzungsverfahren, Rn. 241. 53  Franzosi, EIPR 1997, 382–385. 54 Siehe nur Schlosser in Hess/Pfeiffer/Schlosser-Bericht, Rn. 423 ff.; Europäische Kommission, Grünbuch: Überprüfung der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, KOM (2009) 175, Nr. 3–5. 55  Erwägungsgründe 16 f. EuGVO (2001), 26 EuGVO (2012). 56 Zutreffend McGuire, Verfahrenskoordination, S. 93. 57 Siehe die Statistik in Europäische Kommission, EU Justice Scoreboard 2013, S. 6. Auch Gerichte aus Gerichtsstaaten, die nicht im schlechten Ruf überlanger Verfahrensdauer stehen, agieren manchmal aus Sicht anderweitig beteiligter Gerichte zu langsam. Siehe nur 52 



B.  Koordination zeitlich paralleler Verfahren

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nal58 wie verfahrensbezogen59) sehr deutlich. Doch setzen sich die Vorzüge bzw. Nachteile von Justizsytemen aus zahlreichen, ineinander greifenden Faktoren zusammen.60 Als singuläres Differenzierungskritierium, an deren Hand die „Wertigkeit“ der Justizsysteme der Mitgliedstaaten beurteilt werden könnte, taugt die Verfahrensdauer nicht. (3) Eigenständige Berechtigung negativer Feststellungsklagen Eine negative Feststellungsklage ist auch im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes keine an sich zu beanstandende Klageform.61 Im Gegenteil handelt es sich um eine ebenso praktische wie sinnvolle Option, beispielsweise um die komplikationsfreie Markteinführung eines neuen Produkts sicherzustellen. Treffend konstatiert der englische Court of Appeal: „It is a way of making a potential patentee put up or shut up“.62 Im grenzüberschreitenden Kontext kann die negative Feststellungsklage dazu genutzt werden, eine Rechtsfrage forenübergreifend im allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten zu klären oder durch Klage im Schutzrechtsstaat die Rechtsnähe des entscheidenden Gerichts zu sichern.63 Unberührt bleibt die Befugnis des nationalen Prozessrechts, die Erhebung einer negativen Feststellungsklage an die Voraussetzung eines Feststellungsinteresses zu koppeln,64 solange hierdurch die praktische Wirksamkeit der OLG Düsseldorf v. 29. 06. 2000 – 2 U 76/99 – IPRspr. 2000 Nr. 128, 271 (275): Nahezu zeitgleiche Verfahrenseröffnung in Deutschland und in Frankreich, noch keine erstinstanzliche Entscheidung in Frankreich, während das Verfahren in Deutschland bereits in zweiter Instanz abgeschlossen ist. Vgl. ferner bzw. LG Mainz v. 13. 09. 2005 – 10 HK.O 112/04 – WM 2005, 2319 ff.: Die neunmonatige Verfahrensdauer des LG Mainz bis zu dessen Feststellung der Unzuständigkeit trotz Existenz einer Gerichtsstandsklausel und Rechtshängigkeit eines Parallelverfahrens in England (siehe JP Morgan Europe v Primacom, [2005] EWHC 508 (Comm)) wurde in englischen Praktikerkreisen stark kritisiert, hierzu Weller in Hess/Pfeiffer/ Schlosser-Bericht, Rn. 427 f. 58  Zur Verfahrensdauer in verschiedenen Regionen Italiens siehe Grothe, IPRax 2004, 205 (212). 59  Während Patentverletzungsverfahren vor deutschen Gerichten im internationalen Vergleich als ungemein zügig gelten, ist die Dauer der Nichtigkeitsverfahren vor dem BPatG deutlich höher, vgl. Kühnen/Claessen, GRUR 2013, 592 (595 f.). Vor Gründung des schweizerischen Bundespatentgerichts im Jahr 2012 führte die Unerfahrenheit kantonaler Gerichte zu einer deutlichen Verschleppung von Patentverletzungsverfahren und einer daraus folgenden Nutzung der ansonsten insoweit unverdächtigen Schweiz als Forum für Torpedoklagen, vgl. Rigamonti, ZvglRWiss 112 (2013), 293 ff. m. w. N. 60  Für eine Auswahl an Indikatoren vgl. Europäische Kommission, EU Justice Scoreboard 2013. 61  v. Falck, Mitt 2002, 429 (434); Wadlow, Enforcement, Rn. 8–28 f.; allgemein siehe Hill/ Chong, Int’l Disputes, Rn. 9. 1. 22; Bell, (1995) 111 LQR 674 (686); Dicey/Morris/Collins, Rn. 12–050; Domej, IPRax 2008, 550 (552) m. w. N. 62  Research in Motion UK v Visto, [2008] EWCA Civ 153 (CA), Rn. 7. 63  Actavis Group v Eli Lilly, [2012] EWHC 3316 (Pat); Wadlow, Enforcement, Rn. 8–28 f.; Franzosi, EIPR 2000, 142; Bell, (1995) 111 LQR 674 (687). 64  Franzosi, IIC 2002, 154 (156); Bell, (1995) 111 LQR 674 (693).

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§ 12  Verfahrenskoordination im europäischen Rechtsraum

EuGVO nicht beeinträchtigt wird.65 Ein Feststellungsinteresse lässt sich beispielsweise nicht mit dem Argument verneinen, dass eine gerichtliche Inanspruchnahme des Feststellungsklägers nur im Ausland, nicht aber im Forumstaat der negativen Feststellungsklage drohe.66 Auch aus einer später erhobenen gegenläufigen Leistungsklage lässt sich der Wegfall des Feststellungsinteresses nicht ableiten.67 (4) Umfassende Perspektive Die Suche nach einer Lösung der Torpedoproblematik darf nicht dazu führen, die Regelungen der Verfahrenskoordination einseitig aus dem Blickwinkel der Torpedoabwehr zu betrachten. Jeglicher Lösungsansatz muss auch in anderen Verfahrenskonstellationen zu angemessenen Ergebnissen führen.

c)  Torpedoabwehr durch Auslegung oder Neuregelung der Litispendenz aa)  Begrenzung der Forumswahl des „natürlichen Beklagten“ 26

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Eine mögliche Reaktion auf Torpedoklagen besteht in der Forderung nach einer restriktiven Auslegung der Zuständigkeitsnormen der EuGVO, insbesondere des Art. 7 Nr. 2 und des Art. 8 Nr. 1 EuGVO. Nur der Schutzrechtsinhaber als „natürlicher Kläger“ solle von einer Wahl zwischen mehreren Gerichtsständen profitieren.68 Alternativ wird gefordert, das Erstgericht könne seine auf Art. 7 Nr. 2 oder Art. 8 Nr. 1 basierende Zuständigkeit ablehnen, sofern sich die Inanspruchnahme des betreffenden Gerichtsstands als missbräuchlich darstelle.69 Gegen das Konzept des „natürlichen Klägers“ spricht, dass die genannten Gerichtsstände auf abstrakten Erwägungen der Sach- und Beweisnähe sowie 65  Allgemein zu Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Klage nach nationalen Verfahrensbestimmungen EuGH v. 1505.1990 – C-365/88 – Slg. 1990, I-1845 (Kongress Agentur Hagen), Rn. 20. 66  Bell, (1995) 111 LQR 674 (693 m. Fn. 105). 67  Anderenfalls würde die praktische Wirksamkeit des Art. 29 EuGVO in seiner Auslegung durch den EuGH beeinträchtigt, siehe Hau, Kompetenzkonflikte, S. 152 f. m. w. N.; Thole, AG 2013, 73 (79). 68  Cassaz v. 19. 12. 2003 – Nr. 19550 – GRUR Int. 2005, 264 (265) (BL Macchine Automatiche); Högsta Domstolen, Urt. v. 14. 06. 2000 – GRUR Int 2001, 178 (Flootek) (zu Art. 5 Nr. 3 LugÜ); OLG München v. 25. 10. 2001 – 6 U 5508/00– InstGE 2, 61 (69 ff.) (Leit- und Informationssystem II); OLG München v. 23. 10. 2008 – 7 O 17209/07 – InstGE 10, 178 (181) ff. (Klebstoffadditiv); ebenso Schlussanträge des GA Jääskinen v.  19. 04. 2012  – C-133/11 (Folien Fischer), Rn. 43 ff. m. w. N.; Stauder in FS Schricker, S. 928; Schlosser, EU-ZPR, Art. 5 EuGVVO Rn. 15; v. Mehren in FS Drobnig, S. 413 f., 423 f.; Leipold in GS Arens, S. 243 f. Zur Figur des „natürlichen Klägers“ siehe die zutreffende Kritik von Bell, (1995) 111 LQR 674; Domej, IPRax 2008, 550 (553). 69  RB Brüssel v. 08. 06. 2000 – 99/6.600/A, zitiert nach Pitz, GRUR Int. 2001, 32 (36)); RB Brüssel v. 12. 05. 2000 – 2000/857/A – GRUR Int 2001, 170 (171) (Röhm Enzyme); i. E. auch BG v. 13. 03. 2007 – 4C. 318/2006 – IPRax 2008, 544 (546 ff.) m. abl. Anm. Domej, 550 ff. zu Art. 5 Nr. 3 LugÜ.



B.  Koordination zeitlich paralleler Verfahren

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des Sachzusammenhangs beruhen; sie bezwecken keine Bevorzugung des angeblichen Gläubigers.70 So bietet sich beispielsweise die Erhebung einer negativen Feststellungsklage im Gerichtsstand der unerlaubten Handlung an, wenn der behauptete Schutzrechtsverletzer Klarheit über die Rechtmäßigkeit seines Marktverhaltens erzielen möchte und der Schutzrechtsinhaber seinen Sitz nicht im Schutzrechtsstaat innehat.71 In einer solchen Konstellation lässt sich lediglich über Art. 7 Nr. 2 EuGVO die internationale Zuständigkeit der besonders kompetenten Gerichte des Schutzrechtsstaates herleiten. Zutreffend hat der Europäische Gerichtshof deshalb im Hinblick auf Art. 7 Nr. 2 EuGVO die Rollenneutralität der besonderen Gerichtsstände der EuGVO hervorgehoben.72 Es bleibt die Möglichkeit, die Klageerhebung in den Gerichtsständen der Art. 7 Nr. 2, Art. 8 Nr. 1 EuGVO unter einen Missbrauchsvorbehalt zu stellen. Wie bereits in § 10 Rn. 75 erläutert wurde, lässt sich die Urteilsbegründung in der Entscheidung Reisch Montage als Plädoyer für die Einführung einer Missbrauchsklausel in Art. 8 Nr. 1 EuGVO verstehen.73 Allerdings hat der EuGH diesen Gedanken in der späteren Entscheidung Freeport wieder verworfen.74 Dem Ziel der Klarheit der europäischen Zuständigkeitsordnung wäre ein solcher Vorbehalt nicht zuträglich, lässt sich doch über Indizien für einen Rechtsmissbrauch trefflich streiten.75 Von der typisierten Sach- und Beweisnähe der Gerichte am Handlungs- und Erfolgsort sollte deshalb nicht zu Gunsten einer konkreten Nachprüfung der Sach- und Beweisnähe abgewichen werden.76 70 EuGH v.  25. 10. 2012  – C-133/11 (Folien Fischer), Rn. 47 f.; BGH v.  01. 02. 2011  – KZR 8/10 – GRUR 2011, 554 (555 f.) (Trägermaterial für Kartenformulare); Knorr-Bremse Systems for Commercial Vehicles v Haldex Brake Products, [2008] FSR 30 (Pat); wohl auch BG v. 23. 10. 2006 – 4C. 210/2006 – GRUR Int. 2007, 534 (535) (zu Art. 5 Nr. 3 LugÜ); JenardBericht, ABl. Nr. C 59/22 v. 05. 03. 1979; Grabinski, GRUR Int 2001, 199 (203); Wurmnest, GRUR Int 2005, 265 (267 f.); Franzosi, 2009 JIPLP 247 (252); Holzer/Josi, GRUR Int. 2009, 577 (581); Thole, AG 2013, 73 (76); Briggs/Rees, Civil Jurisdiction, Rn. 2.171; Cornish/ Llewelyn/Aplin, IP, Rn. 2–75 m. Fn. 347; Fawcett/Torremans, IP & PIL, Rn. 5.37 f.; Kropholler/v. Hein, EuZPR, Art. 5 EuGVO Rn. 78; Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 5 Brüssel I-VO Rn. 85 m. w. N. 71  Wadlow, Enforcement, Rn. 8–29; Meier-Beck, GRUR 2000, 355. 72 EuGH v.  25. 10. 2012  – C-133/11 (Folien Fischer), Rn. 47 f. Ebenso zur negativen Feststellungsklage im Gerichtsstand des Erfüllungsortes (Art. 7 Nr. 2 EuGVO): EuGH v. 04. 03. 1982 – 38/81 – Slg. 1982, 825 (Effer), Rn. 7. 73  EuGH v.  13. 07. 2006  – C-103/05  – Slg. 2006, I-6827 (Reisch Montage), Rn. 32. Obgleich sich der Verdacht eines Rechtsmissbrauch in der Rechtssache Reisch Montage aufdrängte, da das Verfahren gegen den Ankerbeklagten aufgrund von Insolvenz unzulässig war, sah der EuGH keinen näheren Anlass zur Prüfung. 74  EuGH v.  11. 10. 2007  – C‑98/06  – Slg. 2007, I-8319 (Freeport), Rn. 54; zustimmend Briggs/Rees, Civil Jurisdiction, Rn. 2.204. 75  Siehe nur BG v. 13. 03. 2007 – 4C. 318/2006 – IPRax 2008, 544 (547 f.) und die ablehnende Anmerkung von Domej, ebenda, 551 f. sowie Ebner, Markenschutz, S. 226 f. 76  Domej, IPRax 2008, 550 (553 ff.); a. A. für Art. 5 Nr. 3 LugÜ, soweit sich der angebliche Schadensverursacher auf diesen beruft BG v. 13. 03. 2007 – 4C. 318/2006 – IPRax 2008, 544

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§ 12  Verfahrenskoordination im europäischen Rechtsraum

Ebenso macht eine klare Konturierung des Konnexitätsbegriffs des Art. 8 Nr. 1 EuGVO einen Missbrauchsvorbehalt entbehrlich.77 Ein wesentlicher Gewinn ließe sich durch die selektive Einschränkung der besonderen Gerichtsstände ohnehin nicht erzielen, da sie keine Gewähr bietet gegen die Erhebung einer Torpedoklage in einem unzuständigen Forum, dessen Gerichte bereits für die Prüfung der Zuständigkeit eine übermäßig lange Zeit beanspruchen.78 Diese Torpedoabwehr-Strategie kann nicht überzeugen.79 Sowohl de lege lata als auch de lege ferenda werden deshalb verschiedene Korrekturen der Koordinationsregel des Art. 29 EuGVO vorgeschlagen, um der Torpedo-Problematik Herr zu werden.

bb)  Außerachtlassen der Litispendenzsperre bei überlanger Verfahrensdauer 30

Der europäische Grundrechtekatalog enthält ein Verbot überlanger Verfahrensdauer (Art. 6 EMRK) bzw. die Garantie eines Verfahrens innerhalb angemessener Frist (Art. 47 Abs. 2 GRCh).80 Eine Auslegung des Art. 29 EuGVO im Lichte dieser übergeordneter Rechtsprinzipien erlaubt es nach weit verbreiteter Meinung, von einer Anwendung der Rechtshängigkeitssperre abzusehen, sofern das Verfahren vor dem zuerst angerufenen Gericht bereits eine überlange Verfahrensdauer aufweist.81 Nicht ausreichend sei hingegen der Hinweis auf die allgemein unvertretbar lange Dauer von Gerichtsverfahren im Mitgliedstaat des Erstverfahrens.82 Ein tragfähiger Torpedoabwehrmechanismus lässt sich hieraus nicht ableiten.83 Der von Art. 6 EMRK, Art. 47 Abs. 2 GRCh verbürgte menschenrechtliche Minimalstandard greift nur in seltenen Ausnahmefällen und entzieht sich einer abstrakten Definition mittels absoluter (547 f.). 77  Supra § 10 Rn. 89. 78 Unrühmliches Beispiel ist der Rechtsstreit Trasporti Castelletti / Hugo Trumpy, in welchem es zehn Jahre dauerte, bis die italienischen Gerichte ihre Zuständigkeit ablehnten, inklusive eines zweijährigen Vorabentscheidungsersuchens beim EuGH (C-159/97), vgl. Hartley, ICLQ 2005, 813 (816). 79 Wie hier Franzosi, IIC 2002, 154 (157 ff.); Hill/Chong, Int’l Disputes, Rn. 9. 1. 22 m. w. N.; Domej, IPRax 2008, 550 (552); Schmehl, Parallelverfahren, S. 215; Sujecki, GRUR Int. 2012, 18 (20 ff.), jeweils m. w. N. 80  Siehe oben § 2 Rn. 22 ff. 81  Althammer/Löhnig, ZZP Int. 9 (2004), 37; Grothe, IPRax 2004, 205 (208 ff.); Schilling, IPRax 2004, 294 (297); Hartley, Int’l Litigation, S. 259 m. Fn. 41; Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 27 Brüssel I-VO Rn. 18; Stadler in Musielak, Art. 27 VO (EG) 44/2001 Rn. 5; Schlosser, EuZPR, Art. 27 EuGVVO Rn. 11; Ebner, Markenschutz, S. 224 f.; zweifelnd BGH v. 6. 2. 2002 – VIII ZR 106/01 – NJW 2002, 2795 (2796); a. A. OLG München v. 02. 06. 1998 – 7 W 1461/98  – RIW 1998, 631; Thiele, RIW 2004, 285 (288); McGuire, Verfahrenskoordination, S. 134 ff. 82  EuGH v. 09. 12. 2003 – C-116/02 – Slg. 2003, I-14693 (Gasser), Rn. 70; Grothe, IPRax 2004, 205 (211 f.); Schilling, IPRax 2004, 294 (298); Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 27 Brüssel I-VO Rn. 18. 83  Sander/Breßler, ZZP 122 (2009), 157 (169).



B.  Koordination zeitlich paralleler Verfahren

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Zeitgrenzen.84 Nicht allein deshalb mangelt es an Praktikabilität: Bei einer Auslegung des Art. 29 EuGVO unter Beachtung der Verfahrensgrundrechte erfolgte eine Lösung der Rechtshängigkeitssperre erst, wenn der Erstprozess bereits eine überlange Dauer in Anspruch genommen hätte,85 d. h. nachdem das Kind bereits in den Brunnen gefallen wäre.

cc)  Lösung der Rechtshängigkeitssperre aufgrund Rechtsmissbrauchs Weiterhin wird diskutiert, ob das Zweitgericht de lega lata berechtigt ist, aufgrund des Einwands des Rechtsmissbrauchs die Litispendenzregel unberücksichtigt zu lassen oder ob de lege ferenda eine Missbrauchsklausel in Art. 29 EuGVO eingeführt werden sollte.86 Gegen eine Berücksichtigung des Einwands des Rechtsmissbrauchs de lege lata hat sich der EuGH explizit in der Rechtssache Gasser ausgesprochen.87 De lege ferenda könnte eine einzuführende Missbrauchsklausel in Anlehnung an Art. 8 Nr. 2 HS 2 EuGVO wie folgt formuliert werden: „es sei denn, dass die Klage vor dem zuerst angerufenen Gericht nur erhoben wurde, um das Verfahren vor dem später angerufenen Gericht zu verzögern.“ Das Potential einer solchen Klausel ist ebenso wie ein allgemeiner Einwand des Rechtsmissbrauchs angesichts des erforderlichen Nachweises subjektiver Tatsachen begrenzt.88 Nicht ohne Grund führt die Missbrauchsklausel des Art. 8 Nr. 2 HS 2 EuGVO ein Schattendasein. Die Klageerhebung vor einem evident unzuständigen Gericht ist zwar ein Indiz für die missbräuchliche Verschleppungsabsicht,89 doch kann ein geschickter Kläger leicht valide Argumente für die Inanspruchnahme eines bestimmten Forums finden, beispielsweise durch Einbeziehung eines Ankerbeklagten gemäß Art. 8 Nr. 1 84  Meyer-Ladewig, EMRK, Art. 6 EMRK Rn. 199 ff.; Sander/Breßler, ZZP 122 (2009), 157 (169 f.); Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 27 Brüssel I-VO Rn. 18. 85  Tilmann/v. Falck, GRUR 2000, 579 (584). 86  Befürwortend TGI Paris v.  09. 03. 2001  – 00/04083  – IIC 2002, 225 (226) (Schaerer Schweiter Mettler v. Fadis); LG Düsseldorf v.  19. 12. 2002  – 4a O 4/00  – InstGE 3, 8 (14) (Cholesterin-Test); s. a. Stellungnahme des Vereinigten Königreichs in der Rechtssache Gasser, vgl. EuGH v. 09. 12. 2003 – C-116/02 – Slg. 2003, I-14693 (Gasser), Rn. 63; Franzosi, IIC 2002, 154 (160 f.); Grothe, IPRax 2004, 205 (2010); Nuyts in Vareilles-Sommières, Forum Shopping, S. 69 ff.; Stauder in FS Schricker, S. 928. Zur Herleitung eines unionsrechtlichen Missbrauchsverbots und dessen Anwendung auf die EuGVO Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 27 Brüssel I-VO Rn. 18a m. w. N.; Thole, ZZP 122 (2009), 423 (433 ff.); zur Herleitung aus Art. 6 EMRK Grothe, IPRax 2004, 205 (209). 87  EuGH v. 09. 12. 2003 – C-116/02 – Slg. 2003, I-14693 (Gasser), Rn. 53. 88  Sander/Breßler, ZZP 122 (2009), 157 (163); Schmehl, Parallelverfahren, S. 216. Angesichts der Schwierigkeiten, die Blockadeabsicht des Torpedoklägers zu beweisen, scheitert regelmäßig auch ein Schadensersatzanspruch, dessen Abschreckungseffekt ohnehin gegen Null tendiert. Es zeichnet die Torpedostrategie gerade aus, dass der Schuldner die Rechtsdurchsetzung unter billigender Inkaufnahme eines anwachsenden Schadens des Gläubigers verschleppt. 89  Grothe, IPRax 2004, 205 (210).

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§ 12  Verfahrenskoordination im europäischen Rechtsraum

EuGVO.90 Bejaht das später angerufene Gericht eine missbräuchliche Klageerhebung, während sich das zuerst angerufene Gericht für zuständig hält und eine Blockadeabsicht verneint, erfolgt eine doppelte Verfahrensdurchführung, deren Vermeidung die mechanische Wirkungsweise des Art. 29 EuGVO gerade bezweckt.91 Eine Korrektur des Art. 29 EuGVO über den Weg eines vom Zweitgericht anzuwendenden Missbrauchsverbots ist deshalb abzulehnen.92

dd)  Vorrangige Prüfungsbefugnis des ausschließlich zuständigen Gerichts 33

Nach anderer Auffassung soll die Prioritätsregel keine Anwendung in jenen Fällen finden, in denen das später angerufene Gericht für die Entscheidung der Sache ausschließlich zuständig ist.93 Hält sich das später angerufene Gericht für ausschließlich zuständig i. S. d. Art. 24 Nr. 4 EuGVO, wäre es folglich nicht verpflichtet, sein Verfahren auszusetzen. Die Rechtsprechung des EuGH ist diesbezüglich uneinheitlich. Zunächst erklärte der Gerichtshof in der Rechtssache Overseas Union per obiter dictum, die Prioritätsregel finde „vorbehaltlich [einer] ausschließlichen Zuständigkeit“ des später angerufenen Gerichts Anwendung.94 In der späteren Entscheidung Gasser hielt der EuGH demgegenüber selbst bei Bestand einer Gerichtsstandsvereinbarung zu Gunsten des Zweitgerichts an der wörtlichen Auslegung des Art. 27 Abs. 1 EuGVO (2001) fest und deutete an, auch bei ausschließlicher Zuständigkeit des Zweitgerichts so verfahren zu wollen.95 In der jüngsten Entscheidung in der Rechtssache Weber erklärte der Gerichtshof dagegen die Litispendenzregel für unbe90  Vgl. etwa den Beklagtenvortrag in der Entscheidung OLG Karlsruhe v. 12. 12. 2008 – 6 U 63/07  – ZUM 2008, 516 (517 f.): Negative Feststellungsklage gegen den Schutzrechtsinhaber und eine italienische Verwertungsgesellschaft in Italien; behauptete Intention der Produkteinführung in Italien. Ein instruktives Beispiel zu Art. 7 Nr. 2 EuGVO findet sich bei Thole, AG 2013, 73 (74 f.). 91  OLG München v. 02. 06. 1998 – 7 W 1461/98 – RIW 1998, 631 (632); McGuire, Verfahrenskoordination, S. 103; Sander/Breßler, ZZP 122 (2009), 157 (163). 92  Siehe die Nachweise in vorheriger Fußnote; ambivalent Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 27 Brüssel I-VO Rn. 18a. 93 Cass. v.  21. 09. 2005  – 03–20.102  – unalex FR-92; Speed Investments v. Formula One Holdings, [2005] 1 W. L. R. 1936 (1945) (CA); Juzgado de Primera Instancia Madrid v. 27. 07. 1999 – 351/1999 – unalex ES-61; Koch, Unvereinbare Entscheidungen, S. 83; Hau, Kompetenzkonflikte, S. 157 f.; Lüke in GS Arens, S. 280 f.; Gaudemet-Tallon, Rn. 338–1; Fentiman in Magnus/Mankowski, Introduction to Art. 27–30 Brussels I Rn. 57; Dicey/Morris/ Collins, Rn. 12–059; Hill/Chong, Int’l Disputes, Rn. 9. 1. 37. 94  EuGH v. 27. 06. 1991 – C-351/89 – Slg. 1991, I-03317 (Overseas Union), Rn. 26. Aus Rn. 20 der Entscheidung lässt sich ablesen, dass der Gerichtshof keine Aussage über die Wirkungsweise der Rechtshängigkeitssperre bei ausschließlicher Zuständigkeit des Zweitgerichts treffen, sondern diese Frage offen lassen wollte. 95  EuGH v.  09. 12. 2003  – C-116/02  – Slg. 2003, I-14693 (Gasser), Rn. 48: „in keinem Fall“. Ebenso McGuire, Verfahrenskoordination, S. 126 ff.; Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 27 Brüssel I-VO Rn. 16b; Kropholler/v. Hein, EuZPR, Art. 27 EuGVO Rn. 19; Geimer in Geimer/Schütze, A. 1, Art. 27 Rn. 18. Nach anderer Interpretation differenziert der EuGH in Gasser zwischen und Gerichtsstandsvereinbarungen und ausschließlicher Zuständigkeit des



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achtlich, sofern sich das Zweitgericht auf eine ausschließliche Zuständigkeit i. S. d. Art. 22 EuGVO (2001) / Art. 24 EuGVO (2012) stützen könne.96 Auf den ersten Blick erscheint die letztgenannte Lösung naheliegend und überzeugend, doch die Tücken stecken im Detail. Wie die in § 10 Rn. 98 ff. beschriebenen Auslegungsschwierigkeiten hinsichtlich Art. 24 Nr. 4 EuGVO (2012) illustrieren, ist es keineswegs in jedem Falle eindeutig, ob die vor dem Zweitgericht behauptete ausschließliche Zuständigkeit besteht. Ist das Eingreifen eines ausschließlichen Gerichtsstands zweifelhaft, so ist das Zweitgericht nicht in einer besseren Position als das Erstgericht, über die Auslegung der EuGVO zu entscheiden.97 Die EuGVO basiert auf dem Axiom der Gleichwertigkeit der Justiz der Mitgliedstaaten und der gleichen Sachkenntnis ihrer Gerichte; gegebenenfalls ist zwecks der korrekten Interpretation des Unionsrechts ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH zu richten. Im Zuge der Reform der EuGVO wurde die Litispendenzregel überdies nur hinsichtlich der Gerichtsstands­vereinbarungen modifiziert. Für eine Ausdehnung der Ausnahme des Art. 31 Abs. 2 und 3 EuGVO im Wege der erweiternden Auslegung auf sämtliche ausschließlichen Gerichtsstände gibt es keine Grundlage.98 In Fällen, in denen die ausschließliche Zuständigkeit des Zweitgerichts evident ist, führt die Anrufung des Erstgerichts aufgrund der Aussetzungspflicht gemäß Art. 29 Abs. 1 EuGVO unbestreitbar zu einer Verfahrensverzögerung. Dies ist freilich eine allgemeine Konsequenz der Klageerhebung vor einem unzuständigen Gericht. Eine Besonderheit im Hinblick auf ausschließliche Gerichtsstände, die eine Abweichung von der Rechtshängigkeitssperre rechtfertigen könnte, lässt sich nicht erkennen. Schließlich trifft es zwar zu, dass die Verletzung der ausschließlichen Zuständigkeit des Zweitstaats gemäß Art. 35 Abs. 1 EuGVO (2001) / Art. 45 Abs. 1 lit. e (ii) EuGVO (2012) einen Anerkennungsversagungsgrund darstellt.99 Doch ist das Zweitgericht bei der Prüfung des Anerkennungshindernisses nach Art. 35 Abs. 1 EuGVO (2001) / Art. 45 Abs. 1 lit.  e (ii) EuGVO (2012) an die tatsächlichen Feststellungen des Erst-

Zweitgerichts, so bspw. Fentiman, CLJ 2004, 312; das Urteil aufgrund Rn. 52 als ambivalent bezeichnend Mance, LQR 2004, 357 (360 f.). 96 EuGH v.  03. 04. 2014  – C-438/12 (Weber), Rn. 53 ff.; BGH v.  13. 08. 2014  – V ZB 163/12 – RIW 2014, 690 f. 97  McGuire, Verfahrenskoordination, S.  127 f.; Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 27 Brüssel I-VO Rn. 16b; Nordmeier, IPRax 2015, 120 (124). 98 Ebenso Thole, NJW 2013, 1192 (1194). Von einer Übertragung auf die anderen Gerichtsstände des Art. 24 EuGVO (2012) ausgehend (kritisch) Müller, EuZW 2011, 480 (481) und (befürwortend) Nordmeier, IPRax 2015, 120 (125 f.). 99 Darauf maßgeblich abstellend Dicey/Morris/Collins, Rn. 12–059; Fentiman, CLJ 2004, 312.

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§ 12  Verfahrenskoordination im europäischen Rechtsraum

gerichts gebunden. Hieraus folgt implizit, dass eine Entscheidung des Erstgerichts zunächst abzuwarten ist.100

ee)  Nachrang der negativen Feststellungsklage 36

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Torpedoklagen sind in der derzeitigen Praxis meist negative Feststellungsklagen. Eine zunächst einleuchtende Lösung besteht folglich darin, den negativen Feststellungsklagen keine Sperrwirkung im Rahmen des Art. 29 EuGVO zuzubilligen. Ein später mittels einer Leistungs- oder Unterlassungsklage angerufenes Gericht wäre nicht zur Aussetzung verpflichtet, vielmehr könnte das Erstgericht auf Antrag einer Partei das Verfahren aussetzen, soweit das Zweitgericht inzident auch über den Gegenstand der negativen Feststellungsklage zu entscheiden hätte.101 Dieser Weg der Problembehebung orientiert sich an der Behandlung des Konkurrenzverhältnisses zwischen Leistungsklage und negativer Feststellungsklage in den deutschsprachigen Rechtsordnungen.102 Bereits im nationalen Kontext widerspricht diese Konfliktlösung den Grundsätzen der Prozessökonomie, weil die Prozessergebnisse des Erstprozesses verloren gehen.103 Im Kontext eines grenzüberschreitenden Rechtsstreits verschärft sich dieser Effekt, da die Schriftsätze übersetzt sowie an das anderweitige Prozess- und ggf. auch Sachrecht angepasst und neue Prozessvertreter beauftragt werden müssen.104 Der Vorschlag birgt weiterhin selbst dann Potential für einander widersprechende Entscheidungen, wenn das zuerst angerufene Gericht den Rechtsstreit abweist.105 Nach Beendigung des Erstprozesses muss das zuerst angerufene Gericht eine Entscheidung über die Verfahrenskosten treffen, welche jedenfalls nach deutschem Recht106 in Abhängigkeit vom bisherigen Sach- und Streitstand erfolgt. Erkauft würde die Torpedoabwehr zudem durch einen erheblichen Eingriff in die prozessuale 100  I. E. ebenso McGuire, Verfahrenskoordination, S. 124. De lege ferenda für eine vorrangige Entscheidungsbefugnis des ausschließlich zuständigen Gerichts Art. 2:701 (1)(a) CLIP. 101 So Art. 21 Abs. 6 der Preliminary Draft Convention on Jurisdiction and Foreign Judgments in Civil and Commercial Matters der Haager Konferenz für IPR . Aus dem Schrifttum sieheh Leipold in GS Arens , S. 244 ff.; de Vecchi Lajolo, MMR 2013, 422 (426); Ebner, Markenschutz, S. 228 (beschränkt auf „Extremfälle“). 102  Rechtsdogmatisch wird der Nachrang der Feststellungsklage durch Ablehnung des Rechtsschutzbedürfnisses realisiert. Siehe für Deutschland BGH v. 21. 12. 2005 – X ZR 17/0 – NJW 2006, 515 m. w. N.; für die Schweiz BG v. 03. 02. 2005 – 4C. 335/2004. Zu Vorbehalten der englischen Rechtsprechung gegenüber der Zulässigkeit negativer Feststellungsklagen bei Sachverhalten mit grenzüberschreitenden Bezügen siehe Bell, (1995) 111 LQR 674 (679 ff.); Lupoi, ZZP Int. 7 (2002), 149 (161 m. Fn. 29). 103 Kritisch Thole, NJW 2013, 1192 (1195); Riemer, Forum-Shopping, S. 74 ff.; BeckerEberhard in MüKo ZPO, § 256 Rn. 62; Althammer, Streitgegenstand, S. 464 ff., jeweils m. w. N. 104 Siehe hierzu im Kontext einer innereuropäischen Verweisungsbefugnis McGuire, ZfRV 2005, 83 (90); Sander/Breßler, ZZP 122 (2009), 157 (180 f.). 105  Riemer, Forum-Shopping, S. 74 ff.; Franzosi, IIC 2002, 154 (160). 106  § 91a ZPO.



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Waffengleichheit der Parteien,107 welche das Recht des Feststellungsklägers zur Forumswahl beschneidet. Auch die Effektivität einer solchen Lösung darf bezweifelt werden. Die negative Feststellungsklage ist zwar derzeit die gebräuchlichste Form der Torpedoklage, doch sind der Phantasie findiger Torpedokläger keine Grenzen gesetzt. Andere Antragsarten lassen sich gleichfalls als Torpedoklage nutzen,108 etwa ein behaupteter Schadensersatzanspruch wegen unberechtigter Schutzrechtsverwarnung.109 Ein Vorrang der Leistungsklage lässt sich nicht mit dem Argument bewirken, nach Erhebung der Leistungsklage sei das nach der lex fori erforderliche Rechtsschutzbedürfnis für die negative Feststellungsklage entfallen. Zwar verhält sich die EuGVO nicht zur Sachentscheidungsvoraussetzung des Rechtsschutzbedürfnisses und lässt die lex fori insoweit unberührt. Doch würde die praktische Wirksamkeit der Sperrwirkung des Art. 29 EuGVO beeinträchtigt, wenn der später erhobenen Leistungsklage ein Vorrang zukäme, weil das Rechtsschutzbedürfnis für die zuvor erhobene negative Feststellungsklage nachträglich verneint wurde.110

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ff)  Beschleunigung der Entscheidung über die internationale Zuständigkeit aaa)  Lösung auf Ebene des nationalen, unvereinheitlichten Verfahrensrechts Eine Beschleunigung der Verfahrensdauer ist die theoretisch einfachste Lösung der Torpedo-Problematik. Zwei klassische Torpedo-Staaten, Italien und Belgien, haben um die Jahrtausendwende entsprechende Maßnahmen ergriffen: Italien durch die gesetzliche Errichtung spezialisierter Kammern für den gewerblichen Rechtsschutz, die belgischen Gerichte dadurch, dass sie entgegen 107 

Lord Woolfe in Messier-Dowty v Sabena, [2000] 1 W. L. R. 2040 (2048) (CA): „The commencement of proceedings to obtain a jurisdictional advantage can be categorised as forum shopping. The use of this term is designed to suggest that there is something objectionable in itself in a claimant starting proceedings for this collateral purpose. However, in view of the primacy which the Convention gives to the jurisdiction which is first seised of proceedings, it is not proper to criticise a claimant, who is in a position to bring perfectly appropriate proceedings, for commencing those proceedings earlier than he would otherwise do, so as to obtain an advantage under the Convention“; s. a. Bell, (1995) 111 LQR 674 (695); Hau, Kompetenzkonflikte, S. 137 f., 152; Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 27 Brüssel I-VO Rn. 5a; Kropholler/v.  Hein, EuZPR, Art. 27 EuGVO Rn. 10; v.  Eechoud/Peukert in CLIP, Rn. 2:701.N08; McGuire, Verfahrenskoordination, S. 98 ff. m. w. N. A.A. Leipold in GS Arens, S. 242 f.; v. Mehren in FS Drobnig, S. 413 f., 423 f. 108  Carl, Torpedoklagen, S. 112 f.; Sander/Breßler, ZZP 122 (2009), 157 (175 f.). 109 Zutreffend Stauder in FS Schricker, S. 928; Auch eine Klage wegen unberechtigter Schutzrechtsverwarnung betrifft „im Kern“ denselben Gegenstand und Grund wie die Verletzungsklage. Auf Fälle präjudizieller Rechtskraftwirkung einer gemeinsamen Vorfrage ist die Anwendung des Art. 29 EuGVO nicht beschränkt, siehe OGH v. 26. 04. 2005 – 4 Ob 60/05k – IPRax 2007, 134 (135 f.); Kropholler/v. Hein, EuZPR, Art. 27 EuGVO Rn. 8 m. w. N.; a. A. BGH v. 04. 04. 2001 – VIII ZR 121/00; Kondring, IPRax 2007, 138 (145). 110  Hau, Kompetenzkonflikte, S. 152 f.; Thole, AG 2013, 73 (79). Zum Effektivitätsgebot allgemein siehe § 2 Rn. 40 ff.

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456

§ 12  Verfahrenskoordination im europäischen Rechtsraum

früherer Praxis vorab über ihre Zuständigkeit entscheiden.111 Hilfreich unterstützt werden könnten diese nationalen Bemühungen zur Verfahrensbeschleunigung durch die Einführung unionsweiter Fristen für die Entscheidung über die internationale Zuständigkeit.

bbb)  Aufhebung der Litispendenzsperre nach Zeitüberschreitung 40

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In der Literatur wird diskutiert, nach Ablauf einer bestimmten Frist, welche dem Erstgericht zur Entscheidung über seine Zuständigkeit zugebilligt wird, einem später angerufenen Gericht zu erlauben, das Verfahren aufzunehmen.112 Für das Verfahren vor dem Erstgericht kämen sodann zweierlei Konsequenzen in Betracht: Entweder das Erstgericht wird befugt, das Verfahren fortzusetzen, mit der Folge zweier Parallelverfahren;113 oder dem Erstgericht wird aufgrund seiner langsamen Vorgehensweise die Zuständigkeit entzogen.114 Keine dieser Rechtsfolgen kann überzeugen. Eine gleichzeitige Fortführung beider Verfahren widerspricht dem Ziel der EuGVO, Parallelverfahren im Interesse der Rechtssicherheit und Prozessökonomie zu vermeiden.115 Das Entfallen der Zuständigkeit des Erstgerichts beeinträchtigt das Zuständigkeitssystem der EuGVO empfindlich und entzieht dem Kläger des Erstverfahrens einen Gerichtsstand aufgrund von Umständen, die außerhalb seines Einflussbereichs liegen.116 Die Perspektive der Torpedoabwehr darf nicht dazu verführen, den Kläger aufgrund der Verfahrenseinleitung in einem bestimmten Forum mittelbar für die Mängel staatlicher Justizgewähr haftbar 111  Leitzen, GRUR Int. 2004, 1010 (1012); Schlosser in Hess/Pfeiffer/Schlosser-Bericht, Rn. 814. 112 § 221(5) ALI Principles on Intellectual Property; ferner Sander/Breßler, ZZP 122 (2009), 157 (181 ff., 185); Heinze, RabelsZ 75 (2011), 581 (599 f.); Carl, Torpedoklagen, S. 206 f.; Stadler in Musielak, Art. 27 VO (EG) 44/2001 Rn. 5; McGuire, ZfRV 2005, 83 (92 f.) hält diesen Vorschlag für typisierte „besonders dringliche“ Verfahren, zu welchen sie auch Patentrechtsstreitigkeiten zählt, für erwägenswert. 113  So Art. 21 Abs. 3 des Entwurfs der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht für ein Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und ausländische Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ; ebenso Art. 2:701(2)(a) CLIP und Art. 2.6 ALI/UNIDROIT-Principles of Transnational Civil Procedure ; aus dem Schrifttum Stadler in Musielak, Art. 27 VO (EG) 44/2001 Rn. 5; Heinze, RabelsZ 75 (2011), 581 (599 f.); McGuire, ZfRV 2005, 83 (92 f.). 114 So Sander/Breßler, ZZP 122 (2009), 157 (182); Heinze, RabelsZ 75 (2011), 581 (599 ff.); Carl, Torpedoklagen, S. 206 f. 115  Im Schrifttum wird konsequent eine Anerkennungsversagung der Entscheidung des zuerst angerufenen Gerichts vorgeschlagen, vgl. Heinze, RabelsZ 75 (2011), 581 (599 ff.); freilich besteht keine Garantie, dass das als zweites angerufene Gericht sein Verfahren schneller abschließt. 116 Kritisch McGuire, ZfRV 2005, 83 (92); Europäische Kommission, Grünbuch: Überprüfung der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, KOM(2009) 175 endg., Nr. 3.



B.  Koordination zeitlich paralleler Verfahren

457

zu machen.117 Die Wahlmöglichkeiten des Klägers zwischen verschiedenen Foren sind in der Mehrzahl aller Verfahrenskonstellationen begrenzt; häufig genug ist eine Klageerhebung ohnehin nur am allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten möglich. Außerhalb von Torpedosituationen triebe man durch eine solche Regelung den Teufel mit dem Beelzebub aus: Im Erstverfahren bereits erzielte Prozessergebnisse gingen verloren, während es an einer Garantie dafür mangelte, dass das später initiierte Zweitverfahren tatsächlich früher abgeschlossen werden könnte als das bereits fortgeschrittene Erstverfahren. Der Beklagte des Erstverfahrens erhielte somit gegebenenfalls die Möglichkeit, durch Erhebung einer Klage in einem anderen Mitgliedstaat das Verfahren nicht nur zu verteuern, sondern auch zu verzögern.

ccc)  Art. 29 Abs. 2 Kommissionsvorschlag zur Reform der EuGVO Art. 29 Abs. 2 des Kommissionsvorschlags zur Reform der EuGVO enthielt eine Regelung, nach welcher das zuerst angerufene Gericht seine Zuständigkeit grundsätzlich innerhalb von sechs Monaten feststellen und auf Anfrage eines später angerufenen Gerichts jenes über den Fortschritt des Verfahrens informieren sollte.118 Obgleich der Regelungsvorschlag keine Rechtsfolge für den Fall der Fristüberschreitung benannte,119 wurde er im Schrifttum als künftige Ausnahme von der Litispendenzsperre interpretiert.120 Der Vorschlag hat keinen Eingang in Art. 29 EuGVO (2012) gefunden, was angesichts der vorprogrammierten Unsicherheit über die Rechtsfolge einer Fristüberschreitung nicht zu bedauern ist.

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d)  Rechtspraktische Strategien zur Torpedoabwehr Da nach hier vertretener Auffassung die in Literatur und Rechtsprechung vertretenen Vorschläge zur einschränkenden Auslegung des Art. 29 EuGVO nicht überzeugen können und der Verordnungsgeber die Einführung eines Fristenmodells bei der Revision der EuGVO abgelehnt hat, bleibt einem Rechteinhaber de lege lata der Versuch, ein Eingreifen des Art. 29 EuGVO durch geschickte Verfahrensgestaltung zu vermeiden.

117 

a. A. Sander/Breßler, ZZP 122 (2009), 157 (182). KOM (2010) 748. 119  Heinze, RabelsZ 75 (2011), 581 (599); Weller, GPR 2012, 328 (332). 120  Teixeira de Sousa in FS Kaissis, S. 1023 f. Gegen diese Auslegung spricht neben den soeben in Rn. 40 f. erwähnten systematischen Erwägungen die fehlende Anordnung der Aufhebung der Litispendenzsperre. Gemäß Art. 29 Abs. 2 S. 2 des Kommissionsvorschlags sollte das zuerst angerufene Gericht auf Anfrage jedes später angerufenen Gerichts eine Information über den voraussichtlichen Entscheidungszeitpunkt über die Zuständigkeit erteilen. Dies legt eher die Ausübung sanften Drucks auf das zuerst angerufene Gericht denn eine Aufhebung der Litispendenzsperre nahe. 118 

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§ 12  Verfahrenskoordination im europäischen Rechtsraum

aa)  Anti-suit injunctions 44

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Ein im Common Law verbreiteter Weg, prozessverschleppende Verfahren in als unangemessen empfundenen Foren zu unterbinden, sind gegen den Kläger persönlich gerichtete Prozessführungsverbote. In der englischen Rechtsprechung wurde die unionsrechtliche Zulässigkeit einer anti-suit injunction, die ein Prozessführungsverbot vor den Gerichten eines anderen EU-Mitgliedstaats ausspricht, mit dem Argument begründet, die Verfügung wirke nicht gegenüber anderen mitgliedstaatlichen Gerichten, sondern allein gegenüber der Partei (in personam-Wirkung).121 Diese habe die Wahl, ob sie der injunction Folge leiste oder (gegen Inkaufnahme einer Verurteilung wegen contempt of court) das ausländische Verfahren weiter betreibe. Mit der mechanischen Lösung von Kompetenzkonflikten nach dem Kriterium zeitlicher Priorität gemäß Art. 29 EuGVO sind anti-suit injunctions freilich nicht zu vereinbaren.122 Die englischen Gerichte schwingen sich bei Erlass eines solchen Prozessführungsverbots entgegen des der EuGVO zugrunde liegenden Vertrauensprinzips zum vorrangigen Richter über die Frage auf, welches Gericht international für die Entscheidung des Rechtsstreits zuständig ist. Wenig überraschend hat der EuGH den anti-suit injunctions deshalb im Anwendungsbereich der EuGVO eine Absage erteilt.123 Zur Torpedoabwehr sind diese Verfügungen nicht geeignet.

bb)  Einstweiliger Rechtsschutz 46

Als aussichtsreichste Torpedo-Abwehrstrategie wird von vielen Stimmen die Einleitung eines Verfahrens im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes angesehen,124 welcher Art. 29 EuGVO nicht entgegensteht. Die Rechtshängigkeitssperre findet nur auf Prozesshandlungen Anwendung, die geeignet sind, die Rechtshängigkeit nach der betreffenden lex fori zu begründen.125 Hauptsacheverfahren und einstweiliges Verfahren betreffen zudem nicht denselben Gegenstand.126 121 

Turner v. Grovit, [2001] UKHL 65 (HL), Rn. 34 ff. herrschende Auffassung in Kontinentaleuropa, soweit mit der anti-suit injunction das zuerst anhängige Verfahren unterbunden werden soll und eine Gerichtsstandsvereinbarung zwischen den Parteien nicht besteht. Statt aller Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 27 Brüssel I-VO Rn. 17 ff.; Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR, A. 1, Art. 27 Rn. 57, jeweils m. w. N. 123  EuGH v. 27. 04. 2004 – C-159/02 – Slg. 2004, I-3565 (Turner/Grovit), Rn. 27 ff.; EuGH v. 10. 02. 2009 – C-185/07 – Slg. 2009, I-663 (West Tankers), Rn. 26 ff. 124  Hartley, ICLQ 2005, 813 (820 m. Fn. 34); McGuire, Verfahrenskoordination, S. 140 ff. m. w. N. 125  BGH v. 09. 10. 1985 – IVb ZR 36/84 – NJW 1986, 662 (663 f.); TGI Paris v. 09. 03. 2001 – 00/04083 – IIC 2002, 225 (226) (Schaerer Schweiter Mettler v. Fadis). 126  Statt aller OGH v. 28. 09. 2006 – Ob 118/06s – GRUR Int. 2007, 433 (435) m. w. N. (Red Bull). 122  Ganz



B.  Koordination zeitlich paralleler Verfahren

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Einstweilige Verfügungen sind klassische und sehr gebräuchliche Rechtsschutzmechanismen, um die Verletzung eines gewerblichen Schutzrechts zeitnah zu unterbinden. Auch Auskunfts-, Beschlagnahme- und Beweissicherungsbzw. Beweiszugangsverfahren können aus Abschreckungsgesichtspunkten für den Schutzrechtsinhaber dienlich sein und bleiben von Art. 29 unbeeinträchtigt.127 Im europäischen Kontext verlieren diese Instrumente aufgrund gewisser Grenzen der Urteilsfreizügigkeit und fehlender Rechtssicherheit bei der Auslegung der EuGVO (§ 11 Rn. 42 ff., § 16 Rn. 12 ff., 21 ff., 36 ff., 52 ff.) allerdings an Schärfe.128 Immerhin bleibt es dem Schutzrechtsinhaber möglich, separat für jeden betroffenen Schutzrechtsstaat einstweilige Verfügungen zu beantragen. Nicht zu unterschätzen ist bei finanzkräftigen Schutzrechtsinhabern ferner die Option, den angeblichen Verletzer mittels mehrfacher einstweiliger Verfügungsverfahren finanziell unter Druck zu setzen. Die Bereitschaft der Gerichte der Mitgliedstaaten, bei der Entscheidung über den Erlass einer einstweiligen Verfügung die Tatsache einer im Ausland anhängigen negativen Feststellungsklage zu berücksichtigen, dürfte sich unterscheiden. Aus Sicht des deutschen Rechts ist die Tatsache der Anhängigkeit einer negativen Feststellungsklage, welche zur Aussetzung der Leistungsklage zwingt, bei der Beurteilung des Verfügungsgrundes zu berücksichtigen. Lässt die anhängige Torpedoklage eine deutliche Verzögerung der Durchsetzung des Schutzrechts befürchten, kann der Erlass einer einstweiligen Verfügung gegebenenfalls als „dringlich“ eingestuft werden, obgleich das Vorliegen dieser Voraussetzung nach gängiger Rechtsprechung zu verneinen wäre.129 Hierfür ist weder der Hinweis auf eine im Ausland anhängige negative Feststellungsklage noch der pauschale Verweis auf die durchschnittlich überlange Verfahrensdauer im dortigen Gerichtsstaat ausreichend.130 Wird die Gefahr einer langfristigen oder dauerhaften Vereitelung der Schutzrechtsdurchsetzung glaubhaft gemacht,131 so besteht bei den deutschen Gerichten eine gewisse 127  OLG Hamm v. 14. 05. 1992 – 2 U 227/90 unalex DE-47; Miles Platt v Townroe, [2003] EWCA Civ 145 (CA), Rn. 19 ff.; LG Hamburg v. 13. 03. 2008 – 413 O 92/06 – IPRspr 2008, Nr 125, 425; implizit auch OLG Köln v. 12. 04. 2011 – 5 W 11/11 – MedR 2012, 125 (126); ferner Nordmeier, MedR 2012, 126 (127); Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 27 Brüssel I-VO, Rn. 13. 128  Grothe, IPRax 2004, 205 (211); Leitzen, GRUR Int. 2004, 1010 (1015). 129  LG Düsseldorf v. 08. 07. 1999 – 4 O 187/99 – GRUR 2000, 692 (697) (NMR-Kontrastmittel); LG Hamburg v. 22. 04. 2002 – 315 O 64/02 – GRUR Int. 2002, 1025 (1028) (Seifenverpackung). 130  LG Düsseldorf v. 08. 07. 1999 – 4 O 187/99 – GRUR 2000, 692 (697) (NMR-Kontrastmittel); Meier-Beck, GRUR 2000, 355 (357); Grabinski, GRUR Int. 2001, 199 (212); Ebner, Markenschutz, S. 229; Grothe, IPRax 2004, 83 (89); a. A. LG Hamburg v. 22. 04. 2002 – 315 O 64/02 – GRUR Int. 2002, 1025 (1028) (Seifenverpackung). 131  Hierzu LG Düsseldorf v. 08. 07. 1999 – 4 O 187/99 – GRUR 2000, 692 (697) (NMRKontrastmittel); Kropholler/v. Hein, EuZPR, Art. 27 EuGVO Rn. 11; Grothe, IPRax 2004, 83 (89).

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§ 12  Verfahrenskoordination im europäischen Rechtsraum

Bereitschaft, das Verfügungsverfahren durch eine großzügige Terminierung einem Hauptsacheverfahren anzunähern.132 Aus Sicht der englischen Gerichte dürfte der Tatsache einer rechtshängigen Torpedoklage bei der Beurteilung des Verfügungserlasses eine höhere Bedeutung zugemessen werden. Dies zum einen, weil die englischen Gerichte negativen Feststellungsklagen im grenzüberschreitenden Kontext seit jeher eher skeptisch gegenüberstehen,133 zum anderen, weil eine pragmatische Berücksichtigung der Parteiinteressen der Rechtskultur des Common Law entspricht.134 Nicht zuletzt bietet die American Cyanamid-Formel135 ausreichend Raum für Ermessenserwägungen des Gerichts.

cc)  Aufhebung der Parteiidentität 50

51

Besteht das Rechtsschutzziel in der Unterbindung einer Verletzung gewerblicher Schutzrechte, kann sich der Schutzrechtsinhaber die Tatsache zu Nutze machen, dass Art. 29 Abs. 1 EuGVO Parteiidentität voraussetzt. Eine Abweichung vom formellen Parteibegriff ist nach hier vertretener Auffassung nur in jenen Fällen zu befürworten, in denen die Rechtskraft des Erstprozesses auch die Partei des Zweitprozesses erfasst oder vice versa.136 Unter den verschiedenen Gliedern einer Herstellungs- bzw. Vertriebskette fehlt es meist an einer Rechtskrafterstreckung, so dass Art. 29 EuGVO das Vorgehen gegen einen anderen Täter bzw. Störer nicht sperrt.137 In diesen Fällen kommt lediglich eine Aussetzung des Verfahrens nach Art. 30 EuGVO in Betracht, wobei Art. 30 die Aussetzungsentscheidung in das Ermessen des Zweitgerichts stellt, welches bei seiner Entscheidung die Effektivität des Rechtsschutzes durch das Erstgericht berücksichtigen kann. Gleichermaßen bleibt die Rechtsdurchsetzung durch einen Lizenznehmer möglich,138 soweit eine Aktivlegitimation des Lizenznehmers besteht bzw. die betreffende Prozessordnung dessen Prozessführungsbefugnis vorsieht, und eine gegenseitige Rechtskrafterstreckung nach keiner der beteiligten Rechtsordnungen erfolgt. Auch eine Übertragung der Rechtsinhaberschaft kann dazu dienen, die Rechtshängigkeitsblockade aufzulösen, sofern die Verletzungshandlungen nach Rechtsübertragung fortdauern.139

132 

Kühnen, HdB PatV, Rn. 1826. Nachweise bei Bell, (1995) 111 LQR 674 (679); Lupoi, ZZP Int. 7 (2002), 149 (161). 134  Hartley, ICLQ 2005, 813 (814). 135  Supra § 4 Rn. 31 ff. 136  Supra Rn. 10 f. 137  Wadlow, Enforcement, Rn. 8–30. 138  Illustrativ OLG Karlsruhe v. 12. 12. 2008 – 6 U 63/07 – ZUM 2008, 516 (517 f.). 139  LG Düsseldorf v.  05. 06. 2008  – 4a O 27/07  – GRUR Int. 2008, 756 (758 f.) (Mehrschichtiges Verschlusssystem); Mes, PatG/GebrMG, § 139 PatG Rn. 262. 133 



B.  Koordination zeitlich paralleler Verfahren

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dd)  Wettrennen zu Gericht Schließlich bleibt dem Schutzrechtsinhaber die Möglichkeit, der Torpedoklage durch eine frühzeitige Unterlassungsklage ohne vorherige Abmahnung vorzubeugen.140 Dies setzt die Bereitschaft voraus, das resultierende Kostenrisiko zu tragen.141 Um Zeit zu sparen, empfiehlt es sich, auf eine Übersetzung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks zunächst zu verzichten, auch wenn der Kläger weiß, dass der Beklagte nicht der Gerichtssprache mächtig ist (hierzu näher supra Rn. 17 sowie § 14 Rn. 41 f.).

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III.  Aussetzung des Verfahrens gemäß Art. 30 EuGVO 1. Grundzüge Neben Art. 29 kennt die EuGVO in Art. 30 eine weitere Regelung zur Verfahrenskoordination. Während Art. 29 EuGVO der Vermeidung miteinander unvereinbarer Entscheidungen dient, soll Art. 30 inkohärenten Entscheidungen vorbeugen und damit zu einer koordinierten, geordneten Rechtspflege innerhalb der Union beitragen.142 Wenn vor den Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten Verfahren anhängig sind, die im Zusammenhang stehen, kann jedes später angerufene Gericht a) das Verfahren aussetzen oder b) sich für unzuständig erklären, sofern eine Verbindung der Verfahren vor dem zuerst angerufenen Gericht nach dessen lex fori zulässig ist. Im Gegensatz zu Art. 29 EuGVO setzt Art. 30 EuGVO das Ziel der geordneten Rechtspflege in Abwägung zu anderen Gesichtspunkten, insbesondere dem Justizgewähranspruch des Klägers,143 und führt deshalb nicht zwingend zu einer Aussetzung oder Abweisung des Zweitverfahrens. Dieser Interessenausgleich lässt sich auf unterschiedliche Weise steuern: Einerseits auf der Tatbestandsseite durch enge oder weite Auslegung des Merkmals „Verfahrenszusammenhang“, andererseits auf der Rechtsfolgenseite durch die gerichtliche Ermessenausübung.144

53

2.  Erfasste Verfahrensarten Während Art. 28 Abs. 1 EuGVO (2001) von „Klagen, die im Zusammenhang stehen“ sprach, ist die Nachfolgebestimmung Art. 30 Abs. 1 EuGVO (2012) stärker an die anderssprachigen Verordnungsfassungen angelehnt und setzt 140  Stauder, GRUR Int. 2000, 1021 (1022); Tilmann/v.  Falck, GRUR 2000, 579 (584); Carl, Torpedoklagen, S. 167 f. 141  Carl, Torpedoklagen, S. 167 f.; Sander/Breßler, ZZP 122 (2009), 157 (173). 142  Jenard-Bericht, ABl. Nr. C 49/41 v. 05. 03. 1979; EuGH v. 06. 12. 1994 – C-406/92 – Slg. 1994, I-5439 (Tatry), Rn. 55; Kropholler/v. Hein, EuZPR, Art. 28 EuGVO Rn. 1; Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR, A. 1, Art. 28 Rn. 1. 143  Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR, A. 1, Art. 28 Rn. 3. 144  Fentiman in Magnus/Mankowski, Art. 28 Brussels I Rn. 19.

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§ 12  Verfahrenskoordination im europäischen Rechtsraum

lediglich in Zusammenhang stehende „Verfahren“ voraus. Angesichts des expliziten Ziels der Regelung, einander widersprechende Entscheidungen zu vermeiden (Art. 30 Abs. 3 EuGVO) und der fehlenden Anordnung einer bindenden Rechtsfolge dürfte es zulässig,145 in der Regel aber wenig praktikabel146 sein, die Bestimmung auch auf Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes anzuwenden.

3.  Natur des Klagezusammenhangs 55

Der Anwendungsbereich des Art. 30 EuGVO ist deutlich weiter als jener des Art. 29. Weder bedarf es einer Partei- oder Anspruchsidentität,147 noch ist Voraussetzung, dass aufgrund einer Unvereinbarkeit der möglichen Entscheidungen ein Anerkennungshindernis entstehen könnte. Entscheidend ist allein der bestehende Zusammenhang zwischen den Verfahren. Dieser wird in Art. 30 Abs. 3 EuGVO definiert als enge Beziehung, die eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheinen lässt, um einander widersprechende Entscheidungen in getrennten Verfahren zu vermeiden. Obgleich Art. 8 Nr. 1 EuGVO eine identische Formulierung enthält, lässt sich die Rechtsprechung zu dieser Zuständigkeitsnorm nicht unbesehen auf Art. 30 übertragen, da sich die Ziele der Bestimmungen ebenso wie ihre Rechtsfolgen unterscheiden.148 Art. 8 Nr. 1 EuGVO weicht zu Lasten des Beklagten vom allgemeinen Gerichtsstand des Art. 4 Abs. 1 EuGVO ab und eröffnet dem Gericht keinen Ermessensspielraum. Der EuGH ist deshalb bemüht, die Auslegung des Klagezusammenhangs bei Art. 8 Nr. 1 in Abwägung zu den Zuständigkeitsinteressen des Beklagten zu setzen.149 Im Rahmen des Art. 30 EuGVO tendiert der EuGH zutreffenderweise zu einer weiten Auslegung des Klagezusammenhangs.150 So ist im Rahmen des Art. 30 EuGVO unstreitig, dass im Gegensatz 145  Fentiman in Magnus/Mankowski, Art. 28 Brussels I Rn. 22; Geimer in Geimer/ Schütze, EuZVR, A. 1, Art. 27 Rn. 47; Garber, Einstw. RS, S. 211; a. A. Kropholler/v. Hein, EuZPR, Art. 28 EuGVO Rn. 5 m. w. N.; Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 28 Brüssel I-VO Rn. 2; offen OGH v. 28. 09. 2006 – Ob 118/06s – GRUR Int. 2007, 433 (436) (Red Bull); unklar Schlussanträge GA Lenz v. 16. 09. 1993 – C-129/92 – Slg. 1994, 117 (Owens Bank), Rn. 77. 146  Heinze, Einstweiliger Rechtsschutz, S. 275 f. 147  Statt aller EuGH v. 14. 10. 2004 – C-39/02 – Slg. 2004, I-9657 (Mærsk), Rn. 40. 148  Offen gelassen in EuGH v. 13. 07. 2006 – C-539/03 – Slg. 2006, I-6535 (Roche Nederland), Rn. 25; wie hier Schlussanträge GA Léger v. 08. 12. 2005 – C-539/03 – Slg. 2006, I-6535 (Roche Nederland), Rn. 80 ff.; Wolf, EuZW 1995, 365 (367); Lange, GRUR 2007, 107 (109); Heinze, Einstweiliger Rechtsschutz, S. 274; Hill/Chong, Int’l Disputes, Rn. 9. 1. 49; Schlosser, EU-ZPR, Art. 28 EuGVVO Rn. 3; Fentiman in Magnus/Mankowski, Art. 28 Brussels I Rn. 26; Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 6 Brüssel I-VO Rn. 8; a. A. Cornish/Llewelyn/Aplin, IP, Rn. 2–80. 149  Supra § 10 Rn. 68 ff. 150  EuGH v. 06. 12. 1994 – C-406/92 – Slg. 1994, I‑5439 (Tatry), Rn. 53. Die dortige Erwägung, die Auslegung des Art. 30 Abs. 3 EuGVO müsse weit sein, erfolgt allerdings in Abgrenzung zu Art. 29 bzw. 45 Abs. 1 lit. c EuGVO.



B.  Koordination zeitlich paralleler Verfahren

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zu Art. 29 EuGVO auch das Verteidigungsvorbringen einer der Parteien in einem der Verfahren ausreichend ist, um einen Zusammenhang herzustellen.151 Der Verfahrenszusammenhang kann sich beispielsweise ergeben aus einem einheitlichen Lebenssachverhalt152 oder der Möglichkeit, Ergebnisse des Erstverfahrens im Zweitverfahren zu verwerten.153 Die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen bedarf einer gewissen Substanz;154 das Risiko sollte nicht rein hypothetisch sein. Zwar ist der Nachweis eines drohenden Konflikts in den urteilstragenden Erwägungen nicht erforderlich,155 doch reicht auch nicht jede vorstellbare Möglichkeit einander widersprechender Entscheidungen aus, um einen Zusammenhang zu bejahen.156 Abweichende Entscheidungen in unwesentlichen Rechts- und Tatsachenfragen können hingenommen werden, ohne die geordnete Rechtspflege innerhalb der Union zu beeinträchtigen. Ob ein Risiko einander widersprechender Entscheidungen besteht, ist vom Zweitgericht ohne intensive Ermittlung potentieller Konfliktherde zu beurteilen.157 Das Zweitgericht sollte nicht zu Spekulationen darüber genötigt werden, von welchen Argumenten und Schlussfolgerungen sich das Erstgericht bei seiner Entscheidung möglicherweise leiten lässt.158

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4.  Ermessensentscheidung des Zweitgerichts Bejaht das Zweitgericht einen Zusammenhang zwischen den Klagen, kann es nach seinem Ermessen das Zweitverfahren aussetzen oder sich für unzuständig erklären,159 sofern sich das Verfahren bei dem zuerst angerufenen 151  Research in Motion v Visto, [2008] EWCA Civ. 153 (CA); OGH v. 25. 05. 1999 – 1 Ob 115/99i – unalex AT-220; Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 28 Brüssel I-VO Rn. 3a; Stadler in Musielak, ZPO, VO (EG) 44/2001 Artikel 28 Rn. 2; Schlosser, EU-ZPR, Art. 28 EuGVVO Rn. 5. 152 OLG Frankfurt v.  19. 06. 2000  – 22 W 5/00216  – NJW-RR 2001, 215; Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR, A. 1, Art. 28 Rn. 11; Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 28 Brüssel I-VO Rn. 4. 153  LAG Rheinland-Pfalz v. 25. 01. 2008 – 9 Sa 604/07 – IPRspr 2008, Nr 160, 513 (518); Wolf, EuZW 1995, 365 (367); Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 28 Brüssel I-VO Rn. 4 154  Centro Internationale Handelsbank v Morgan Grenfell Trade Finance, [1997] CLC 870 (891) (QB). 155  Sarrio v Kuwait Investment Authority, [1999] 1 AC 32 (39 ff.) (HL). 156  Research in Motion v Visto, [2008] EWCA Civ.  153 (CA); Trademark Licensing v Leofelis, [2009] EWHC 3285 (Ch), Rn. 38; ebenso Fentiman in Magnus/Mankowski, Art. 28 Brussels I Rn. 18, der allerdings auf das obiter dictum des EuGH in der Rechtssache Tatry, Rn. 53, hinweist: „alle Fälle […], in denen die Gefahr einander widersprechender Entscheidungen besteht“. 157  Sarrio v Kuwait Investment Authority, [1999] 1 AC 32 (41) (HL): „broad common sense approach“. 158  Fentiman in Magnus/Mankowski, Art. 28 Brussels I Rn. 18. 159  Auch die Wahl zwischen Aussetzung und Unzuständigkeitserklärung liegt im Ermessen des Gerichts. Siehe Fentiman in Magnus/Mankowski, Art. 28 Brussels I Rn. 42; Geimer

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§ 12  Verfahrenskoordination im europäischen Rechtsraum

Gericht noch in erster Instanz befindet und eine Verfahrensverbindung nach dem Recht des Erstgerichts möglich ist. Art. 28 Abs. 2 EuGVO (2001) forderte darüber hinaus, dass sich auch das Verfahren vor dem als zweites angerufenen Gericht noch in erster Instanz befindet; auf diese Voraussetzung wurde in Art. 30 Abs. 2 EuGVO (2012) verzichtet. Der Umfang des Ermessens zur Aussetzung bzw. zur Erklärung der Unzuständigkeit wird in der Verordnung nicht umschrieben. Während die deutschsprachige Rechtsprechung und Literatur lediglich ein pflichtgemäßes Ermessen des Zweitgerichts sehen,160 gehen diverse englische Entscheidungen im Anschluss an den Jenard-Bericht161 von einem gebundenen Ermessen dahingehend aus, das Verfahren im Zweifel auszusetzen.162 Angesichts der weiten Tatbestandsauslegung durch den EuGH und des fehlenden Hinweises auf eine Ermessensbeschränkung im Wortlaut der Norm sprechen freilich die besseren Gründe dafür, lediglich eine pflichtgemäße Ermessensausübung des Zweitgerichts zu fordern.163 Hierdurch ist es möglich, das Maß der Verfahrensüberschneidung flexibel auf der Rechtsfolgenseite zu berücksichtigen und den Interessen des Zweitklägers Rechnung zu tragen. Maßgebliche Kriterien für die Ermessensausübung sind die Intensität des Klagezusammenhangs (und, damit einhergehend, die Höhe des Risikos widersprechender Entscheidungen), die Prozessökonomie sowie der Justizgewähranspruch des Zweitklägers.164 Die Angemessenheit der jeweiligen Foren stellt demgegenüber keinen relevanten Faktor dar,165 da der EuGVO das Prinzip des forum non conveniens fremd ist. Eine Aussetzung oder Unzuständigkeitserklärung zu Gunsten einer Verfahrensverbindung sind unbefriedigende Optionen, wenn der Zweitprozess voraussichtlich deutlich schneller beendet in Geimer/Schütze, EuZVR, A. 1, Art. 28 Rn. 18. 160  OGH v. 28. 09. 2006 – Ob 118/06s – GRUR Int. 2007, 433 (436) (Red Bull); LG Düsseldorf v. 05. 06. 2008 – 4a O 27/07 – GRUR Int. 2008, 757 (759) (Mehrschichtiges Verschlusssystem); LG Düsseldorf v. 27. 01. 1998 – 4 O 418/97 – GRUR Int. 1998, 803 (804) (Kondensatorspeicherzellen); Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 28 Brüssel I-VO Rn. 7; Kropholler/v. Hein, EuZPR, Art. 28 EuGVO Rn. 10; Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR, A. 1, Art. 28 Rn. 20. 161  Jenard-Bericht, ABl. EG Nr. C 49/41 v. 05. 03. 1979. 162  Assurances Generales de France v Chiyoda Fire and Marin (UK), [1992] 1 Lloyd’s Rep. 325 (QB); Virgin Aviation Services v CAD Aviation Services, [1991] I. L.Pr. 79 (88 ff.) (QB). 163  Centro Internationale Handelsbank v Morgan Grenfell Trade Finance, [1997] CLC 870 (891 f.) (QB); Trademark Licensing Co v Leofelis, [2009] EWHC 3285 (Ch), Rn. 43; Hill/ Chong, Int’l Disputes, Rn. 9. 1. 51 f. 164  Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 28 Brüssel I-VO Rn. 7; Kropholler/v. Hein, EuZPR, Art. 28 EuGVO Rn. 10; Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR, A. 1, Art. 28 Rn. 20 ff.; Fentiman in Magnus/Mankowski, Art. 28 Brussels I Rn. 36 ff. m. w. N. 165  Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR, A. 1, Art. 28 Rn. 21; a. A. Schlussanträge GA Lenz v. 16. 09. 1993 – C-129/92 – Slg. 1994, 117 (Owens Bank), Rn. 79 m. w. N.; Mecklermedia v. D. C. Congress, [1998] Ch 40 (56); OLG Düsseldorf v. 29. 06. 2000 – 2 U 76/99 – IPRspr. 2000 Nr. 128, 271; Rauscher in Leible, EuZPR, Art. 28 Brüssel I-VO Rn. 7.



B.  Koordination zeitlich paralleler Verfahren

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wird als der Erstprozess,166 wenn nach Auffassung des Zweitgerichts davon auszugehen ist, dass das Erstgericht seine Zuständigkeit ablehnen wird oder wenn dem Zweitkläger aufgrund der fehlenden Nähe zu einer Partei des Erstprozesses ein Abwarten des Erstprozesses nicht zugemutet werden kann.167 Aus der geringen Anzahl der zu Art. 28 EuGVO (2001) berichteten Entscheidungen lässt sich folgern, dass die Gerichte der Mitgliedstaaten von ihrer Befugnis zur Verfahrensaussetzung eher zurückhaltend Gebrauch machen.168 Die Regelung kann aber beispielsweise genutzt werden, um Art. 29 EuGVO zu ergänzen und eine Aussetzung des gesamten Rechtsstreits zu ermöglichen, wenn Art. 29 EuGVO aufgrund einer Teilidentität der Parteien nur eine Teilaussetzung ermöglicht.169

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5.  Bedeutung für Verfahren betreffend gewerblicher Schutzrechte Ein offensichtlicher Zusammenhang i. S. d. Art. 30 EuGVO liegt vor zwischen einer Bestandsklage und einer Verletzungsklage, die jeweils dasselbe Schutzrecht betreffen. Die Entscheidung im Bestandsverfahren präjudiziert die Entscheidung über die Verletzungsklage.170 Davon abgesehen steht eine Anwendung des Art. 30 EuGVO bei Verfahren betreffend gewerblicher Schutzrechte insbesondere dann im Raum, wenn die Parteien über Benutzungshandlungen in verschiedenen Staaten streiten oder nur Teilidentität der Parteien in den zwei anhängigen Verfahren besteht (z. B. weil in dem einen Verfahren der Schutzrechtsinhaber, in dem anderen Verfahren ein Lizenznehmer beteiligt ist). Angesichts sich überschneidender Tatsachen- oder Rechtsfragen ist ein Zusammenhang regelmäßig zu bejahen, wenn die Gerichte verschiedener Mitgliedstaaten über die Frage zu befinden haben, ob im Grunde gleichgelagerte Benutzungshandlungen durch identische oder miteinander verbundene Personen die jeweiligen nationalen Schutzrechte verletzen.171 166  OLG Düsseldorf v. 29. 06. 2000 – 2 U 76/99 – IPRspr. 2000 Nr. 128, 271; OLG Düsseldorf v. 20. 7. 2009 – I-2 W 35/09– GRUR-RR 2009, 401 f.; LG Düsseldorf v. 27. 01. 1998 – 4 O 418/97 – GRUR Int. 1998, 803 (804) (Kondensatorspeicherzellen). 167  Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR, A. 1, Art. 28 Rn. 21 ff. 168  Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR, A. 1, Art. 28 Rn. 3; befürwortend Kühnen, HdB PatV, Rn. 1373: Aussetzungsbefugnis sollte nur in den seltensten Fällen genutzt werden. 169  OLG Frankfurt v. 29. 06. 2006 – 12 U 195/05 – IPRspr. 2006, Nr. 163, 352 (357); Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 28 Brüssel I-VO Rn. 4. 170  Schauwecker, Patentverletzungsjurisdiktion, S. 298; Hölder, Durchsetzung, S. 173 f. 171  OLG Düsseldorf v. 29. 06. 2000 – 2 U 76/99 – IPRspr. 2000 Nr. 128, 271; LG Düsseldorf v. 27. 01. 1998 – 4 O 418/97 – GRUR Int. 1998, 803 (804) (Kondensatorspeicherzellen); i. E. auch Schlosser, EU-ZPR, Art. 28 EuGVVO Rn. 3; siehe ferner die Nachweise supra § 10 Rn. 68 ff. zum enger zu definierenden Zusammenhang gemäß Art. 8 Nr. 1 EuGVO, insbes. EuGH v. 01. 12. 2011 – C-145/11 (Painer), Rn. 80 ff. A. A. LG Düsseldorf v. 05. 06. 2008 – 4a O 27/07 – GRUR Int. 2008, 757 (759) (Mehrschichtiges Verschlusssystem); Kropholler/v. Hein, EuZPR, Art. 28 EuGVO Rn. 4; Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 28 Brüssel I-VO Rn. 4a; zu

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§ 12  Verfahrenskoordination im europäischen Rechtsraum

Soweit ein Zusammenhang wegen der Verletzung paralleler Schutzrechte vorliegt, sind die Gerichte der Mitgliedstaaten freilich wenig geneigt, eine einheitliche gerichtliche Entscheidung der Verletzungsfrage durch Aussetzung zu ermöglichen – das Territorialitätsprinzip trägt zu dieser Entscheidung ersichtlich bei.172 Demgegenüber wäre eine Aussetzung des Verletzungsverfahrens zwecks vorrangiger Klärung der Bestandsfrage vor den Gerichten des Schutzrechtsstaates zweifellos sinnvoll. Die Anwendung des Art. 30 EuGVO scheitert hier regelmäßig am Prioritätsprinzip: Zumeist wird das Bestandsverfahren erst nach dem Verletzungsverfahren eingeleitet.

IV.  Verfahrenskoordination nach nationalem Verfahrensrecht 63

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Ist eine Abweisung wegen anderweitiger Rechtshängigkeit oder eine Aussetzung des Verfahrens weder nach Art. 29 noch nach Art. 30 EuGVO möglich, bleibt die Option einer Koordination nach nationalem Verfahrensrecht. Ein solcher Rückgriff kommt nur in Betracht, wenn die betreffende nationale Koordinationsregel die praktische Wirksamkeit der Zuständigkeits- und Rechtshängigkeitsregeln der EuGVO nicht beeinträchtigt. Finden die Parallelverfahren in zwei verschiedenen Mitgliedstaaten statt, regeln Art. 29 Abs. 3, 30 Abs. 2 die Abweisung des Verfahrens wegen anderweitiger Rechtshängigkeit oder zwecks Verfahrenskonsolidierung abschließend. Die Heranziehung nationaler Bestimmungen würde die praktische Wirksamkeit des Zuständigkeitssystems und der Koordinationsregeln der EuGVO beeinträchtigen. Eine Aussetzung des Verfahrens tangiert das Zuständigkeitssystem der Verordnung grundsätzlich nicht, da das Gericht die Wahrnehmung seiner Zuständigkeit nicht ablehnt, sondern lediglich aufschiebt. Zu prüfen bleibt, ob Art. 30 Abs. 1 EuGVO eine Ausschlussfunktion zukommt. Nach allgemeiner Auffassung schließt die Regelung eine Aussetzung des Verfahrens nach nationalen Bestimmungen nicht grundsätzlich aus.173 Dem kann nur für jene autonomen Aussetzungsregeln beigepflichtet werden, deren Ziel nicht in einer Koordination miteinander zusammenhängender Verfahren in verschiedenen Mitgliedstaaten besteht, beispielsweise der Aussetzung zugunsten von Vergleichsverhandlungen der Parteien oder der Möglichkeit nach englischem Recht, ein Verfahren wegen abuse of process auszusetzen. Eine Aussetzung Art. 8 Nr. 1 EuGVO a. A. EuGH v. 13. 07. 2006 – C-539/03 – Slg. 2006, I-6535 (Roche Nederland), Rn. 25. 172  Siehe etwa Affymetrix v Multilyte, [2004] EWHC 291 (Pat), Rn. 11 ff., sowie exemplarisch OLG Düsseldorf v. 29. 06. 2000 – 2 U 76/99 – IPRspr. 2000 Nr. 128, 271: Der Wunsch der Klägerin, dass über die Verletzung des deutschen Teils eines europäischen Bündelpatents ein deutsches Gericht entscheide, sei zu respektieren. 173  Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 28 Brüssel I-VO Rn. 5a; Schlosser, EU-ZPR, Art. 28 EuGVVO Rn. 7; Gottwald in MüKo ZPO, Art. 28 EuGVO Rn. 1, 5.



B.  Koordination zeitlich paralleler Verfahren

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des Verfahrens vor dem zuerst angerufenen Gericht zugunsten der Verfahrensdurchführung vor einem anderen Gericht der Union auf der Basis autonomen Prozessrechts beeinträchtigt hingegen die praktische Wirksamkeit der Zuständigkeits- und Litispendenzregeln der EuGVO. Eine Ausnahme ist nach hier vertretener Auffassung für jene Situationen zu befürworten, in denen die Beachtung des Prioritätsprinzips von vorneherein nicht geeignet ist, einander widersprechende Entscheidungen zu vermeiden, weil das Erstgericht über die vom Zweitgericht zu beantwortende Frage nicht entscheidungsbefugt ist, und zwar nicht einmal als Vorfrage. Konkret bedeutet dies, dass eine Aussetzung des außerhalb des Schutzrechtsstaats geführten Verletzungsverfahrens zwecks Abwartens der Klärung der Bestandsfrage durch die Gerichte des Schutzrechtsstaates nach autonomem Recht zulässig ist (hierzu bereits § 10 Rn. 132 f.).

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V.  Parallele Verfahren in einem Drittstaat Die Koordination zeitlich parallel verlaufenden Verfahren vor den Gerichten eines EU-Mitgliedstaats auf der einen und eines Drittstaats auf der anderen Seite wird in der EuGVO (2001) nicht geregelt. Mit der Revision der EuGVO wurde eine Aussetzungsbefugnis in Art. 33, 34 EuGVO (2012) eingeführt. Die in Art. 33, 34 EuGVO enthaltenen Regeln zur Verfahrensaussetzung zugunsten der Prozessführung in einem Drittstaat orientieren sich prinzipiell an den Koordinationsvorschriften der Art. 29, 30 EuGVO. Art. 33 EuGVO betrifft Verfahren, die zwischen denselben Parteien wegen desselben Anspruchs geführt werden. Art. 34 EuGVO gewährt dem Gericht eine Option zur Aussetzung eines Verfahrens, das im Zusammenhang mit einem in einem Drittstaat geführten Prozess steht. Da hinsichtlich solcher Drittstaaten weder von einer spiegelbildlichen Anwendung der Zuständigkeitsbestimmungen noch von einer Gleichwertigkeit der Justizsysteme ausgegangen werden kann und die Anerkennung und Vollstreckbarkeit der ausländischen Entscheidung nicht durchweg gewährleistet ist, ergeben sich im Vergleich zu den Regelungsvorbildern deutliche Unterschiede. So ist die Aussetzung zugunsten des in einem Drittstaat geführten Verfahrens nicht möglich, wenn die Zuständigkeit des mitgliedstaatlichen Gerichts auf einem halbzwingenden oder ausschließlichen Gerichtsstand beruht.174 Ferner bedarf es einer positiven Anerkennungs- und Vollstreckungsprognose sowie der Überzeugung des Gerichts, dass eine Aussetzung des Verfahrens im Interesse einer geordneten Rechtspflege erforderlich ist.175 Eine Fortsetzung des Verfahrens ist jederzeit möglich, wenn dies im Interesse der geordneten 174  175 

Art. 33 Abs. 1, 34 Abs. 1 EuGVO. Art. 33 Abs. 1, 34 Abs. 1 EuGVO.

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§ 12  Verfahrenskoordination im europäischen Rechtsraum

Rechtspflege erforderlich erscheint, etwa wenn zeitliche Verzögerungen des drittstaatlichen Verfahrens die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes in dem betroffenen Drittstaat fraglich erscheinen lassen.176 Eine Erklärung der Unzuständigkeit wegen anderweitiger Rechtshängigkeit in einem Drittstaat sehen die Bestimmungen nicht vor, doch ist das Verfahren einzustellen, wenn in einem Drittstaat zwischen denselben Parteien betreffend desselben Anspruchs bereits eine anerkennungs- und vollstreckungsfähige Entscheidung ergangen ist.177 Bei lediglich miteinander in Zusammenhang stehenden Verfahren steht die Verfahrenseinstellung im Ermessen des Gerichts.178 Die Berücksichtigung des ausländischen Verfahrens erfolgt nach Maßgabe der lex fori von Amts wegen oder auf Antrag der Parteien.179

C.  Res Iudicata I.  Keine explizite Regelung innerhalb der EuGVO 68

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Die Koordination zeitlich parallel verlaufender internationaler Verfahren wird in der EuGVO zwar nicht vollständig, aber doch weitgehend geregelt. Keine explizite Berücksichtigung findet das Verhältnis einander zeitlich nachfolgender Doppelprozesse, d. h. die Frage, ob, in welchem Umfang und auf welchem Wege das rechtskräftige Urteil eines mitgliedstaatlichen Gerichts von den Gerichten eines anderen Mitgliedstaates zu berücksichtigen ist. Grundstein jeder Erörterung ist die Regelung des Art. 36 Abs. 1 EuGVO, wonach die in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen vorbehaltlich eines Anerkennungshindernisses ipso iure in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt werden. Fest steht somit, dass die materielle Rechtskraft – als eine der bedeutendsten Urteilswirkungen180 – von den Gerichten anderer Mitgliedstaaten zu berücksichtigen ist. Nach einem kurzen Überblick über die unterschiedliche Regelung der entgegenstehenden Rechtskraft in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union wird im Folgenden erörtert, inwieweit sich der EuGVO über Art. 36 Abs. 1 hinausgehend implizite Wertungen zur materiellen Rechtskraft entnehmen lassen und in welchem Ausmaß sowie auf welche Weise ein Rückgriff auf das nationale Recht geboten ist.

176 

Art. 33 Abs. 2, 34 Abs. 2 EuGVO. Art. 33 Abs. 3 EuGVO. 178  Art. 34 Abs. 3 EuGVO. 179  Art. 33 Abs. 4, 34 Abs. 4 EuGVO. 180  Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 33 Brüssel I-VO Rn. 4; Kropholler/v. Hein, EuZPR, vor Art. 33 EuGVO Rn. 11; Sepperer, Rechtskrafteinwand, S. 58 ff., jeweils m. w. N. 177 



C.  Res Iudicata

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II.  Das Institut der materiellen Rechtskraft in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten Staatliche Justizgewähr dient der Herstellung des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit.181 Diese Ziele lassen sich nur erreichen, sofern der richterlichen Entscheidung in einer Streitsache ab einem gewissen Zeitpunkt Endgültigkeit beigemessen wird.182 Die Endlichkeit einer gerichtlichen Auseinandersetzung dient ferner der Schonung finanzieller und anderer Ressourcen, sowohl auf Seiten des Staates als auch auf Seiten der Parteien. Stellt ein Staat gegen ein Urteil keine weiteren ordentlichen Rechtsmittel zur Verfügung, tritt formelle Rechtskraft ein: Das individuelle Verfahren kommt zu seinem Abschluss. Dies allein schützt freilich nicht vor der Eröffnung eines neuen Verfahrens durch eine der beteiligten Prozessparteien. In allen europäischen Staaten ist deshalb das Institut der materiellen Rechtskraft anerkannt, d. h. die inhaltliche Bindung nachfolgender Gerichtsentscheidungen an eine zu einem früheren Zeitpunkt erlassene Entscheidung über den Streitgegenstand (res iudicata). Während nach den Rechtsordnungen der meisten Mitgliedstaaten wie auch Deutschlands die materielle Rechtskraft vom Eintritt der formellen Rechtskraft abhängig ist,183 tritt nach englischem Recht die materielle Rechtskraft bereits mit Erlass der Entscheidung ein und wird auch nicht durch das Einlegen eines Rechtsmittels suspendiert.184 Mag die dogmatische Herleitung der materiellen Rechtskraft in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten auch divergieren,185 so ist doch anerkannt, dass eine gerichtliche Entscheidung Bindungswirkung für nachfolgende Prozesse mit abweichendem Streitgegenstand entfaltet (Präjudizialität) und ein zweites Verfahren über den denselben Streitgegenstand oder eines Teils desselben als unzulässig abzuweisen ist (negative Wirkung).186 Keine Einigkeit besteht hinsichtlich der Frage, ob der „Einwand“ der entgegenstehenden Rechtskraft zur

181 

Rauscher in MüKo ZPO, Einl. Rn. 9; Ferrand in FS Gottwald, S. 145. BGH v. 14. 02. 1962 – IV ZR 156/61 – NJW 1962, 1109; Smith v Brough, [2005] EWCA Civ 261 (CA); Stürner in FS Schütze, S. 912. 183  Überblick bei Sepperer, Rechtskrafteinwand, S. 7. Nach französischem Recht erlangt zwar ein noch nicht formell rechtskräftiges Urteil autorité de la chose jugée, doch wird diese mit Einlegung eines ordentlichen Rechtsmittels suspendiert, Art. 539 CPC. Erst ein formell rechtskräftiges Urteil entfaltet gemäß Art. 500 CPC volle Rechtskraft. 184  Scott v. Pilkington, 121 ER 978 (989) (QB); s. a. CPR 40.7(1) „A judgment or order ­takes effect from the day when it is given or made, or such later date as the court may specify.”; näher Peiffer, Titelgeltung, Rn. 727 ff. 185 Näher Peiffer, Titelgeltung, Rn. 159 ff.; Sepperer, Rechtskrafteinwand, S. 9 ff. 186  Für Deutschland: BGH v. 17. 02. 1983 – III ZR 184/81 – NJW 1983, 2032; Gottwald in MüKo ZPO, § 322 Rn. 38 m. w. N.; für England: Thoday v Thoday, [1964] P. 181 (197 f.) (CA); Zuckerman, Civil Procedure, Rn. 25.64 f. Nachweise zu weiteren europäischen Rechtsordnungen bei Otte, a. a. O., S. 95 ff.; Sepperer, Rechtskrafteinwand, S. 14 ff. 182 

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§ 12  Verfahrenskoordination im europäischen Rechtsraum

Disposition der Parteien steht187 oder ob die materielle Rechtskraft von Amts wegen zu berücksichtigen ist.188 Ebenso uneinheitlich erfolgt die Bestimmung des Streitgegenstands und damit die Bestimmung der Reichweite der negativen Funktion der materiellen Rechtskraft:189 Kontinentaleuropäische Rechtsordnungen fordern für die Streitgegenstandsidentität eine Übereinstimmung zwischen Parteien, Klageantrag und Klagegrund, wobei der Klagegrund entweder durch den materiellrechtlichen Anspruch oder durch den dem Klageantrag zugrunde liegenden Lebenssachverhalt bestimmt wird. Im Common Law ist neben Parteiidentität lediglich ein bestimmter Sachverhaltskomplex für die Bestimmung des Streitgegenstands maßgeblich. Auf die jeweilige Definition des Streitgegenstands abgestimmt sind Präklusionsvorschriften im Nachfolgeprozess. Schließlich fehlt es an einer einheitlichen Linie dahingehend, in welchem Umfang Präjudizialität eintritt, d. h. welche Urteilsteile in Rechtskraft erwachsen (Tenor / Entscheidungsgründe).190

III.  Koordination nationaler und unionsautonomer Rechtskraftkonzepte 1.  Die Rechtskraft als von Amts wegen zu berücksichtigende negative Prozessvoraussetzung 73

Mangels expliziter Regelung des Instituts der materiellen Rechtskraft bietet der Wortlaut der EuGVO keine Anhaltspunkte dafür, auf welchem Wege die materielle Rechtskraft eines ausländisches Urteil im Anerkennungsstaat zu berücksichtigen ist.191 Der systematische Zusammenhang mit dem in Art. 29 ff. 187  Im

englischen Recht wird die Rechtskraft grds. nur auf Einrede berücksichtigt, vgl. McIlkenny v Chief Constable of West Midlands Police Force, [1980] 2 All ER 227 (CA); nach Auffassung von Zuckerman, Civil Procedure, Rn. 25.80, soll unter Geltung der CPR eine Beachtung von Amts wegen zulässig sein, sofern hierdurch dem overriding objective i. S. d. r. 1.1(2)(e) gedient werde. Nach Art. 125 des französischen CPC ist das Gericht befugt, aber nicht verpflichtet, die Einrede der Rechtskraft von Amts wegen zu berücksichtigen. Nachweise zu weiteren Rechtsordnungen bei Ferrand in FS Gottwald, S. 144 ff. 188  In Deutschland (statt aller BGH v. 14. 02. 1962 – IV ZR 156/61 – NJW 1962, 1109) und zahlreichen weiteren Mitgliedstaaten der Europäischen Union, vgl. die Nachweise bei Sepperer, Rechtskrafteinwand, S. 25. 189  Weiterführend mit zahlreichen Nachweisen Sepperer, Rechtskrafteinwand, S. 29 ff.; Peiffer, Titelgeltung, Rn. 160 ff.; Ferrand in FS Gottwald, S. 148 ff. 190  Am einen Ende des Spektrums befinden sich dabei Rechtsordnungen wie die deutsche, in welchen lediglich dem Urteilstenor Rechtskraftwirkung beigemessen wird. Nach den Rechtsordnungen anderer Mitgliedstaaten, etwa Frankreichs, erwachsen auch Entscheidungsgründe in Rechtskraft, soweit sie der Feststellung präjudizieller Rechtsverhältnisse dienen. Sehr weit gezogen ist die objektive Reichweite der issue estoppel nach englischem Recht, welche Vorfragen rechtlicher wie tatsächlicher Art umfasst. Vgl. ausführlich rechtsvergleichend Otte, Umfassende Streitentscheidung, S. 95 ff., 133; Stürner in FS Schütze, S. 920 ff.; Ferrand in FS Gottwald, S. 148 ff. 191  Sepperer, Rechtskrafteinwand, S. 97.



C.  Res Iudicata

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EuGVO geregelten Institut der Rechtshängigkeit erlaubt jedoch den  – vom EuGH geteilten – Schluss, dass die entgegenstehende Rechtskraft eine negative Prozessvoraussetzung darstellt.192 Ist eine Klage gemäß Art. 29 Abs. 3 EuGVO bereits aufgrund anderweitiger Rechtshängigkeit abzuweisen, so gibt es keine überzeugenden Gründe, eine Klage zuzulassen, obgleich in der Sache bereits ein rechtskräftiges Urteil vorliegt. Diese Auslegung wird gestützt durch das allgemeine Ziel der EuGVO, Doppelprozesse zu vermeiden und die Prozessökonomie zu fördern.193 Aus Art. 29 Abs. 3, 36 EuGVO lässt sich ferner eine amtswegige Berücksichtigung der materiellen Rechtskraft ableiten.194 Wie sich aus diesen Bestimmungen ergibt, steht weder die Anerkennung einer ausländischen Entscheidung noch das Führen von Doppelprozessen zur Disposition der Parteien. Die Praxis mag anders aussehen: Mangels eines entsprechenden Hinweises der Parteien wird dem Gericht die Existenz einer anzuerkennenden früheren Entscheidung der Gerichte eines anderen Staates regelmäßig verborgen bleiben.195

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2.  Berücksichtigung präjudizieller Feststellungen zur Zuständigkeit Nach Auffassung des EuGH lässt sich ferner aus Art. 45 Abs. 3 EuGVO der Grundsatz ableiten, dass die Gerichte der Mitgliedstaaten an die Zuständigkeitsentscheidung des Gerichts eines anderen Mitgliedstaats sowohl in Bezug auf den Entscheidungstenor als auch hinsichtlich der den Tenor tragenden Gründe gebunden sind.196 Der Entscheidung in der Rechtssache Gothaer Allgemeine Versicherung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Obgleich das Konnossement eines Transportvertrags zwischen Spediteur und Auftraggeber eine Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten der isländischen Gerichte enthielt, rief der Auftraggeber wegen angeblich am Transportgut entstandener Schäden die belgischen Gerichte an. Nachdem diese unter Hinweis auf die Gerichtsstandsklausel ihre Zuständigkeit verneint hatten, versuchte der Kläger erneut 192 

EuGH v. 30. 11. 1976 – 42/76 – Slg. 1976, 1759 (de Wolf), Rn. 7 ff. v. 30. 11. 1976 – 42/76 – Slg. 1976, 1759 (de Wolf), Rn. 12; Sepperer, Rechtskrafteinwand, S. 112 ff. Zu Vorgaben aus Art. 36, 45 Abs. 1 EuGVO siehe Sepperer, Rechtskrafteinwand, S. 100 ff. 194  Koch, Unvereinbare Entscheidungen, S. 160  f.; Hau, Kompetenzkonflikte, S. 81 f.; Sepperer, Rechtskrafteinwand, S. 119 f.; Teixeira de Sousa in FS Kaissis, S. 1019; a. A. (Recht des Anerkennungsstaates maßgeblich) Peiffer, Titelgeltung, Rn. 237; Kropholler/v.  Hein, EuZPR, vor Art. 33 EuGVO Rn. 12; Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 33 Brüssel I-VO Rn. 4b; Schlosser, EU-ZPR, Art. 33 EuGVVO Rn. 3. Für die Maßgeblichkeit des Rechts des Ursprungslands Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR, A. 1, Art. 33 Rn. 35. 195  Sepperer, Rechtskrafteinwand, S. 119. Dies spricht nicht gegen eine amtswegige Berücksichtigung, wie Art. 29 Abs. 2 EuGVO bezeugt. 196  EuGH v.  15. 11. 2012  – C-456/11 (Gothaer Allgemeine Versicherung), Rn. 40 f. Zur Entwicklung des Rechtskraftbegriffs knüpft der EuGH an den Rechtskraftbegriff an, welchen der Gerichtshof im Hinblick auf seine eigenen Entscheidungen anwendet, vgl. die Verweise a. a. O. 193  EuGH

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§ 12  Verfahrenskoordination im europäischen Rechtsraum

sein Glück vor einem mitgliedstaatlichen Gericht, dem Landgericht Bremen. Dieses wandte sich mit der Frage an den EuGH, ob es an die Feststellung der Unzuständigkeit durch die belgischen Gerichte, insbesondere an die Feststellung der Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung gebunden sei. In seiner bejahenden Antwort nahm der Gerichtshof einen Umkehrschluss zu dem in Art. 45 Abs. 3 EuGVO geregelten Verbot der Überprüfung der (positiven) Zuständigkeitsentscheidung des Gerichts des Ursprungsmitgliedstaats vor: Auch soweit sich das Gericht eines anderen Mitgliedstaates für unzuständig erklärt habe, stehe eine Überprüfung dieser Entscheidung den Gerichten des Anerkennungsstaates nicht zu. Das LG Bremen sei deshalb an die Feststellung der Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung gebunden – dies gebiete das System der gemeinsamen Zuständigkeitsregeln. Der hierbei aus dem Hut gezauberte unionsautonome Umfang der Präjudizialität (Tenor und tragende Entscheidungsgründe) soll ersichtlich lediglich auf die Anwendung der Zuständigkeitsbestimmungen der EuGVO beschränkt sein.197

3.  Umfang und Grenzen der Präjudizialität im Übrigen 77

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Die ipso-iure Anerkennung gemäß Art. 36 Abs. 1 EuGVO bedeutet nach der Rechtsprechung des EuGH und nach herrschender Auffassung in der Literatur, dass eine in den Anwendungsbereich der EuGVO fallende Entscheidung eines Mitgliedstaates grundsätzlich in jedem anderen Mitgliedstaat dieselben Wirkungen entfaltet wie im Urteilsstaat.198 Umfang und Grenzen der Präjudizialität werden somit durch das Recht des Urteilsstaates bestimmt, selbst wenn nach dem Recht des Anerkennungsstaates nicht von einer Bindungswirkung auszugehen wäre.199 Für die aus einer Streitverkündung resultierende Interventionswirkung nach deutschem, österreichischem oder ungarischem Prozessrecht, welche der materiellen Rechtskraft verwandt ist, konstatiert Art. 65 Abs. 2 S. 2 EuGVO dies explizit. Abweichend hiervon könnte die Entscheidung Gothaer Allgemeine Versicherung als Ausgangspunkt für die Entwicklung eines allgemeinen, unions197  EuGH v. 15. 11. 2012 – C-456/11 (Gothaer Allgemeine Versicherung), Rn. 39; wie hier Bach, EuZW 2013, 56 (58); auch Hau, LMK 2013, 341521 misst der Entscheidung lediglich zuständigkeitsrechtliche Bedeutung zu; zweifelnd Roth, IPRax 2014, 136 (139). 198 EuGH v.  04. 02. 1988  – 145/86  – Slg. 1988, 645 (Hoffmann/Krieg), Rn. 11; EuGH v.  28. 04. 2009  – C-420/07  – Slg. 2009, I-3571 (Apostolides), Rn. 66; Kropholler/v.  Hein, EuZPR, vor Art. 33 EuGVO Rn. 9; Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 33 Brüssel I-VO Rn. 3 f.; Peiffer, Titelgeltung, Rn. 65 ff., 148 ff. m. w. N. auch zur Gegenauffassung. Gestützt wird die Theorie von der Wirkungserstreckung durch entsprechende Aussagen im Jenard-Bericht, ABl. Nr. C 49/43 v.  05. 03. 1979. Zur Bindungswirkung eines prozessualen Verzichts auf Ansprüche aus der Verletzung bestimmter Teile eines Bündelpatents siehe LG Düsseldorf v. 10. 02. 2009 – 4b O 211/07 – InstGE 11, 44 (47 ff.) (Eingriffskatheter). 199 Zur ordre public-Kontrolle der Bindung an rechtliche und tatsächliche Vorfragen aus deutscher Sicht siehe Peiffer, Titelgeltung, Rn. 242 ff. m. w. N.



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autonomen Rechtskraftbegriffs verstanden werden.200 Zwar soll sich die Entscheidung offensichtlich auf Feststellungen zur internationalen Zuständigkeit nach Maßgabe der EuGVO bzw. des Parallelübereinkommens von Lugano beschränken. Doch decken sich präjudizielle Feststellungen im Rahmen der Zuständigkeit häufig mit erforderlichen Feststellungen im Rahmen der Begründetheit, was für eine Verallgemeinerung sprechen würde.201 Zudem würde dies die Gerichte des Anerkennungsstaates von der Bürde entbinden, die Rechtskraftwirkungen im Erlassstaat zu ermitteln.202 Da ein solcher autonomer Rechtskraftbegriff lediglich im Rahmen der Urteilsanerkennung Wirkung entfalten könnte,203 wären freilich erhebliche Verwerfungen vorprogrammiert. Feststellungen, denen weder nach dem Recht des Erlass- noch nach dem Recht des Anerkennungsstaates Rechtskraft beizumessen wären, erwüchsen allein durch den Prozess der grenzüberschreitenden Anerkennung in Rechtskraft. Erneute Klagen im Erlassstaat des Ersturteils (z. B. Deutschland) hätten aufgrund eines dortigen geringeren Umfangs der Präjudizialität gegebenenfalls Aussicht auf Erfolg, während erneute Klagen in allen anderen Mitgliedstaat auf Basis des weiteren, autonomen Rechtskraftbegriffs zwangsläufig zum Scheitern verurteilt wären. Berücksichtigt man, dass sich Umfang und Sorgfalt des Parteivortrags am Rechtskraftbegriff des jeweiligen Gerichtsstaates orientieren, erscheint diese Konsequenz nicht angemessen.

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4.  Reichweite der negativen Wirkung der Rechtskraft Nach allen europäischen Rechtsordnungen kommt der Rechtskraft nur in streitgegenstandsidentischen Verfahren eine negative Funktion zu. Aus einer konsequenten Anwendung des Grundsatzes der Wirkungserstreckung folgt, dass auch für die Bestimmung der Rechtskraftsperre der Streitgegenstandsbegriff des Erlassstaates heranzuziehen ist. Angesichts der vom EuGH entwickelten autonomen Bestimmung des Streitgegenstands im Rahmen der Art. 27 ff. und der systematischen Nähe zwischen Rechtshängigkeit und Rechtskraft ließe sich allerdings auch eine Übertragung der Kernpunktetheorie auf die negative Prozessvoraussetzung der entgegenstehenden Rechtskraft erwägen.204 Abgesehen von der Frage, ob 200  Bach, EuZW 2013, 56 (59): „ganz oder gar nicht“, verbunden mit einer sehr kritischen Würdigung der Entscheidung Gothaer Allgemeine Versicherung. Die Entwicklung eines autonomen Rechtskraftbegriffs befürwortend Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2013, 1 (19); dagegen Roth, IPRax 2014, 136 (138 f.). 201 Näher Bach, EuZW 2013, 56 (58). 202  Bach, EuZW 2013, 56 (59). 203  Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2013, 1 (19); Bach, EuZW 2013, 56 (59). 204 Befürwortend Oberhammer, IPRax 2002, 424 (431).

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§ 12  Verfahrenskoordination im europäischen Rechtsraum

ein derart weites Rechtskraftkonzept in der Sache angemessen wäre,205 würde ein autonomer Rechtskraftbegriff mangels Harmonisierung der nationalen Rechtskraftkonzepte auch hier zu unerwünschten Verwerfungen führen.206 Einer rechtskräftigen Entscheidung würden entgegen Art. 36 Abs. 1 EuGVO unterschiedliche Wirkungen beigemessen, abhängig davon, ob der Nachfolgeprozess im Urteilsstaat selbst oder in einem anderen Mitgliedstaat der Union geführt würde.207 Auch das Zuständigkeitssystem der EuGVO bliebe hiervon nicht unberührt. So wäre beispielsweise bei zusprechender Leistungsklage in Deutschland eine zeitlich nachfolgende negative Feststellungsklage in Italien unter Zugrundelegung der Kernpunktetheorie als unzulässig abzuweisen. Einer zeitlich nachfolgenden negativen Feststellungsklage in Deutschland stünde hingegen § 322 ZPO nicht entgegen. Die dem Kläger prinzipiell zustehende Wahl zwischen allgemeinem und besonderem Gerichtsstand würde vereitelt.208 Eine autonome Bestimmung des Streitgegenstands im Rahmen der res iudicata ist somit nicht zu befürworten. Ob der Streitgegenstand eines anhängigen Verfahrens identisch mit jenem eines früheren, nach Art. 36 EuGVO anzuerkennenden ausländischen Verfahrens ist, muss auf Basis des Streitgegenstandsbegriffs des Erlassstaates beurteilt werden.209

5.  Abhängigkeit der materiellen Rechtskraft von der formellen Rechtskraft 83

Das Recht des Erlassstaates befindet schließlich darüber, ob die materielle Rechtskraft durch den Eintritt der formellen Rechtskraft bedingt ist.210 Art. 29 Abs. 1, 30 Abs. 1 EuGVO bieten den Gerichten des Anerkennungsstaates ein adäquates Instrumentarium, um auf diesbezügliche Diskrepanzen zwischen den beteiligten Rechtsordnungen zu reagieren. Befindet sich ein nach der Kernpunktetheorie des EuGH streitgegenstandsidentisches ausländisches Verfahren in einer höheren Instanz, so ist der Nachfolgeprozess zwingend nach Art. 29 Abs. 1 EuGVO auszusetzen. Fehlt es an „demselben Anspruch“, bleibt den Gerichten des Anerkennungsstaates die Möglichkeit, das Verfahren nach Art. 30 Abs. 1 EuGVO auszusetzen. Dies ist sowohl ratsam, wenn die mate205 

Mit überzeugenden Gründen verneinend Althammer, Streitgegenstand, S. 643 ff. Sepperer, Rechtskrafteinwand, S. 145 ff.; ablehnend auch Althammer, Streitgegenstand, S. 643; Peiffer, Titelgeltung, Rn. 281 ff. 207  So allgemein zur Entwicklung eines europäischen Rechtskraftbegriffs Bach, EuZW 2013, 56 (57 f.). 208  Im Rahmen des Art. 29 Abs. 2 EuGVO entsteht ein solches Dilemma nicht in gleichem Maße. Zum einen ist die Rechtshängigkeitssperre im Gegensatz zur Rechtskraftsperre temporär auf den Zeitraum der Durchführung des Erstverfahrens beschränkt. Zum anderen gibt die Verordnung das obige Ergebnis mittelbar über Art. 8 Nr. 3 EuGVO vor. 209 Ebenso Sepperer, Rechtskrafteinwand, S. 155 ff. 210  Auch dies ist Ausfluss der nach h. A. geltenden Theorie der Wirkungserstreckung. S. a. McGuire, Verfahrenskoordination, S. 170. 206 Näher



C.  Res Iudicata

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rielle Rechtkraft des Ersturteils trotz Einlegung von Rechtsmitteln bereits eingetreten ist (so im Common Law) als auch dann, wenn es an einer Bindungswirkung des Ersturteils bislang fehlt, weil die materielle Rechtskraft nach dem Recht des Urteilsstaats abhängig ist vom Eintritt der formellen Rechtskraft. In beiden Situationen gebietet es das Ziel einer abgestimmten Rechtspflege211 prinzipiell, das Ausschöpfen der Rechtsmittel im Staat des Erstverfahrens abzuwarten.

6.  Anerkennungsversagung wegen abweichender Entscheidung Gelingt es trotz der Litispendenzsperre und der von Amts wegen zu berücksichtigenden negativen Prozessvoraussetzung der entgegenstehenden Rechtskraft nicht, den Erlass miteinander unvereinbarer Entscheidungen, d. h. sich gegenseitig ausschließende Rechtsfolgen,212 zu vermeiden, wird der Konflikt auf Anerkennungsebene durch den Grundsatz zeitlicher Priorität gelöst: Der später ergangenen Entscheidung ist nach Art. 34 Nr. 4 die Anerkennung und damit die Erstreckung der Rechtskraftwirkung auf das Gebiet des Anerkennungsstaates zu versagen. Besteht der Konflikt allerdings zwischen einer Entscheidung des Anerkennungsstaates und der Entscheidung eines anderen Mitgliedstaats, so setzt sich die inländische Entscheidung nach Art. 45 Abs. 1 lit. c EuGVO unabhängig von ihrem Erlasszeitpunkt durch. Der Verzicht auf dieses Nationalitätsprinzip wird im Schrifttum gefordert213 und in den Verordnungen der zweiten Generation praktiziert;214 ließ sich bei Erlass der EuGVO (2012) jedoch nicht politisch durchsetzen (näher § 16 Rn. 103 ff., 168 ff.).

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7. Fazit Art. 29 Abs. 3, 36 EuGVO bezeugen einerseits die Maßgeblichkeit entgegenstehender ausländischer Rechtskraft im Rahmen der EuGVO und erlauben andererseits den Rückschluss, dass die entgegenstehende Rechtskraft als negative Prozessvoraussetzung von Amts wegen zu berücksichtigen ist. Ein Konflikt divergierender Entscheidungen im Stadium der Anerkennung ist nach dem Prinzip der zeitlichen Priorität des Entscheidungserlasses zu lösen; nach Art. 34 Nr. 3 setzt sich allerdings eine Entscheidung des Anerkennungsstaates unabhängig von ihrem Erlasszeitpunkt gegen eine frühere Entscheidung durch. 211 

Zu diesem Ziel siehe Erwägungsgrund 21 EuGVO. v. 04. 02. 1988 – 145/86 – Slg. 1986, 645 (Hoffmann/Krieg), Rn. 22 ff.; EuGH v. 06. 06. 2002 – C-80/00 – Slg. 2002, I-4995 (Italian Leather), Rn. 40. 213  Althammer in FS Kaissis, S. 30 f.; Teixeira de Sousa in FS Kaissis, S. 1017 ff.. Hess in Hess/Pfeiffer/Schlosser-Bericht, Rn. 564 f. Hess a. a. O. plädiert darüber hinausgehend für eine Abkehr vom Zeitpunkt des Entscheidungserlasses und ein Abstellen auf den Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts i. S. d. Art. 32 EuGVO. 214  Art. 21 Abs. 1 EuVTVO, Art. 22 Abs. 1 EuMahnVO, Art. 22 Abs. 1 EuGFVO. 212  EuGH

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§ 12  Verfahrenskoordination im europäischen Rechtsraum

Ein darüber hinausgehendes, vollständiges Rechtskraft-Konzept lässt sich der EuGVO nicht entnehmen.215 Dies betrifft den Umfang der Präjudizialität und die Reichweite der negativen Funktion der Rechtskraft ebenso wie die Frage, ob die materielle Rechtskraft durch den Eintritt der formellen Rechtskraft bedingt ist. Die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Gothaer Allgemeine Versicherung, welche für Feststellungen zur Zuständigkeit eine Bindungswirkung an den Tenor nebst den tragenden Entscheidungsgründen konstatiert, überrascht deshalb. Ob die Entscheidung den Grundstein der Entwicklung eines europäischen Rechtskraftbegriffs darstellen wird, bleibt abzuwarten. Nach hier vertretener Auffassung überwiegen die Nachteile, welche aus den Verwerfungen zwischen einem solchen autonomen Rechtskraftbegriff und den nationalen Rechtskraftbegriffen resultieren, eventuelle Vorteile der Entwicklung eines autonomen Rechtskraftbegriffs.

D.  Die Koordination einstweiliger Maßnahmen I.  Keine Litispendenzsperre 87

In Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes stehen dem Antragsteller neben den potentiellen Hauptsachegerichten auch die vollstreckungs- bzw. wirkungsnahen Gerichte i. S. d. Art. 35 EuGVO zur Verfügung (näher § 11 Rn. 22 ff., 31 ff.). Der Bedarf nach einer Koordination potentieller Parallelverfahren ist offensichtlich, denn auch im einstweiligen Rechtsschutz gilt das Sprichwort „viele Köche verderben den Brei“. Ein klassischer Lösungsweg wäre eine Litispendenzregel, doch findet Art. 29 EuGVO nach herrschender Auffassung keine Anwendung auf einstweilige Verfahren.216 215 Ausführlich Sepperer, Rechtskrafteinwand, S. 140 ff.; zum historischen Hintergrund siehe Schlosser-Bericht, Abl. EG Nr. C 59/127 f. v. 05. 03. 1979. 216  BGH v. 09. 10. 1985 – IVb ZR 36/84 – NJW 1986, 662 (663 f.); TGI Paris v. 09. 03. 2001 – 00/04083  – IIC 2002, 225 (226) (Schaerer Schweiter Mettler v. Fadis); Garber, Einstw. RS, S. 208  ff.; einschränkend für Zahlungsverfügungen ohne Anordnung einer Sicherheitsleistung Hess/Vollkommer, IPRax 1999, 220 (224 m. Fn. 57); Albrecht, Einstw. RS, S. 177. A. A. v.  Falck, Mitt 2002, 429 (438); ebenso wohl Kruger in Nuyts/Watté, Int’l Litigation, S. 334, die angesichts der Unterschiede in den Rechtsschutzsystemen der Mitgliedstaaten davon ausgeht, dass selten Anspruchsidentität vorliegen werde. Zu Art. 19 Abs. 2 EuEheVO vertritt der EuGH allerdings die Auffassung, ein einstweiliges Verfahren zur Regelung der elterlichen Verantwortung vor dem (potentiellen) Hauptsachegericht könne gegebenenfalls mit dem Hauptsacheverfahren eine Verfahrenseinheit bilden und folglich eine Litispendenzsperre begründen, vgl. EuGH v. 09. 11. 2010 – C-296/10 (Purrucker II), Rn. 72 ff. Eine Übertragung dieser Rechtsprechung auf die EuGVO ist abzulehnen (s. a. die Stellungnahmen der Verfahrensbeteiligten a. a. O., Rn. 62), zumal sie erhebliche praktische Schwierigkeiten impliziert, vgl. die Ausführungen des vorlegenden Richters Sickerling in der Rechtssache Purrucker in Gsell/Hau, Zivilgerichtsbarkeit, S. 75 f.



D.  Die Koordination einstweiliger Maßnahmen

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Dies lässt sich einerseits aus dem Wortlaut des Art. 29 Abs. 1 EuGVO („Kla­gen“), andererseits aus der Überschrift zu Abschnitt 9 („Anhängigkeit“; englisch: „lis pendens“) folgern.217 Es sprechen zudem teleologische Argumente dafür, Art. 29 EuGVO nicht auf einstweiligen Verfahren anzuwenden. Erstens würde die zuständigkeitsrechtliche Öffnungsklausel zu Gunsten eines vollstreckungsnahen Gerichts in Art. 35 EuGVO deutlich entwertet, ließe man sie an einer Litispendenzregelung scheitern.218 Zweitens kann der einstweilige Rechtsschutz einem Torpedo in Gestalt einer negativen Feststellungsklage zumindest teilweise die Schlagkraft nehmen.219 Drittens vermag die Verordnung die Beachtung einer ausländischen Rechtshängigkeit deshalb bedingungslos anzuordnen, weil die Anerkennung und Vollstreckung einer ausländischen Hauptsacheentscheidung im System der EuGVO bis auf sehr wenige Ausnahmen gewährleistet ist. Demgegenüber ist die Anerkennung einer ausländischen einstweiligen Maßnahme nicht gesichert, wenn die Maßnahme in einem ex parte-Verfahren ergangen sind oder das mit der Maßnahme befasste Gericht nicht zur Entscheidung der Hauptsache befugt ist.220 Darüber hinaus werfen die mitgliedstaatlichen Divergenzen zwischen den verfügbaren Instrumenten des einstweiligen Rechtsschutzes und deren Vollstreckung regelmäßig diffizile, rechtsschutzverzögernde Fragen bei der Auslandsvollstreckung auf.221 Kommt die Litispendenzsperre des Art. 29 EuGVO somit nicht zur Anwendung, verbleibt dem angerufenen Gericht die Möglichkeit, ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes wegen des Zusammenhangs mit einem anderen Rechtsschutzverfahrens in einem anderen Mitgliedstaat gemäß Art. 30 auszusetzen.222 Im einstweiligen Rechtsschutz liegt eine Aussetzung des Verfah217 Der Begriff der Rechtshängigkeit ist auch in den nichtdeutschen Fassungen der EuGVO enthalten, der Begriff der Klage ist in den anderssprachigen Varianten meist weiter formuliert, vgl. die französische („des demandes“), italienische („proposte domande“) und niederländische Fassung („vorderingen“). 218  Wolf/Lange, RIW 2003, 55 (60); Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR, A. 1, Art. 27 Rn. 46; Pansch, Einstweilige Verfügung, S. 71; Heinze, Einstw. RS, S. 266; zu Art. 19 Abs. 2 EheVO hat der EuGH klargestellt, dass ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung im Eilgerichtsstand, d. h. vor einem in der Hauptsache nicht zuständigen Gericht, keine Rechtshängigkeit gegenüber einem später eingeleiteten Hauptsacheverfahren begründet, vgl. EuGH v. 09. 11. 2010 – C-296/10 (Purrucker II), Rn. 69. 219  Hess/Vollkommer, IPRax 1999, 220 (224). 220  Art. 2 lit. a EuGVO (2012). Zur EuGVO (2001) vgl. EuGH v. 21. 05. 1980 – 125/79 – Slg. 1980, 1553 (Denilauler), Rn. 17 sowie EuGH v. 27. 04. 1999 – C-99/96 – Slg. 1999, I-2277 (Mietz), Rn. 53, 56 f. (danach ist eine einstweilige Maßnahme nur anerkennungsfähig, wenn sich der Entscheidungsbegründung der Zuständigkeitsgrund und die Sicherstellung der Vorläufigkeit der Maßnahme entnehmen lassen). 221  Hierzu infra § 16 Rn. 42 ff., 52 ff. 222  Fentiman in Magnus/Mankowski, Art. 28 Brussels I Rn. 22; Geimer in Geimer/ Schütze, EuZVR, A. 1, Art. 27 Rn. 47; Garber, Einstw. RS, S. 211; a. A. Kropholler/v. Hein, EuZPR, Art. 28 EuGVO Rn. 5 m. w. N.; Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 28 Brüssel I-VO Rn. 2; offen OGH v. 28. 09. 2006 – Ob 118/06s – GRUR Int. 2007, 433 (436) (Red Bull); unklar

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§ 12  Verfahrenskoordination im europäischen Rechtsraum

rens aufgrund der regelmäßig gegebenen Eilbedürftigkeit freilich eher fern,223 zumal das Gericht bei einem ex parte-Verfahren gegebenenfalls nicht vom Antragsteller über die Existenz eines Parallelverfahrens aufgeklärt wird.

II.  Anerkennung der Rechtskraftwirkung 90

Liegt bereits eine einstweilige Entscheidung eines mitgliedstaatlichen Gerichts in derselben Rechtssache vor, so ist zu prüfen, ob dieser nach dem Recht des Ursprungsmitgliedstaats materielle Rechtskraft zukommt. Bejahendenfalls ist die Rechtskraftwirkung anzuerkennen und das weitere einstweilige Verfahren unzulässig (oben Rn. 73).224 Allerdings dürfte in einstweiligen Verfahren regelmäßig kaum ausreichend Zeit für das Gericht bestehen, sich über die Rechtskraftwirkungen einstweiliger Entscheidungen nach Maßgabe des Rechts des Ursprungsmitgliedstaats zu informieren. Hier wird es des Öfteren zu Fehlurteilen kommen.

III.  Versagung der Anerkennung unvereinbarer Entscheidungen 91

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Angesichts der fehlenden Koordination durch Art. 29 EuGVO und der Häufigkeit von ex parte-Verfahren besteht bei Entscheidungen, die im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes ergangen sind, ein höheres Risiko der Entscheidungskollision und somit des Eingreifens der Anerkennungs­versagungsgründe des Art. 45 Abs. 1 lit.  c und d EuGVO.225 Unvereinbarkeit zwischen zwei Entscheidungen des einstweiligen Rechtsschutzes ist freilich nur zu bejahen, wenn die Beurteilung der Interessenlage bei gleichem Sachverhalt erfolgt ist, sprich, wenn sich die Gefährdungslage nicht zwischen den beiden Eilverfahren verändert hat226 und wenn sich die Wirkungsorte der Maßnahmen territorial überschneiden.227 Angesichts der geringeren Bedeutung der materiellen Rechtslage im vorläufigen Rechtsschutz resultieren einander widersprechende einstweilige Entscheidungen unter anderem auch aus einer divergierenden Gewichtung der Parteiinteressen. Die Verfahrensordnungen der Mitgliedstaaten setzen hier sehr unterschiedliche Akzente, beispielsweise hinsichtlich der Verfügbarkeit Schlussanträge GA Lenz v. 16. 09. 1993 – C-129/92 – Slg. 1994, 117 (Owens Bank), Rn. 77. Art. 30 Abs. 1 EuGVO (2012) ersetzt den in der deutschen Sprachfassung des Art. 28 Abs. 1 EuGVO (2001) enthaltenen Begriff der „Klage“ durch den weiteren Begriff „Verfahren“. 223  Ablehnend deshalb Heinze, Einstweiliger Rechtsschutz, S. 275 f. 224  Stürner, ZZP 125 (2012), 3 (23). 225  EuGH v. 06. 06. 2002 – C-80/00 – Slg. 2002, I-4995 (Italian Leather), Rn. 42 ff.; Hess, IPRax 2005, 23 (24). 226 Ähnlich Hess, EuZPR, § 6 Rn. 157. 227 Zweifelnd Briggs/Rees, Civil Jurisdiction, Rn. 6.21 m. Fn. 1.



D.  Die Koordination einstweiliger Maßnahmen

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von Leistungsanordnungen228 oder in der Interpretation des Kriteriums der „Eilbedürftigkeit“ (meist angepasst an die Schnelligkeit der erstinstanzlichen Verfahren in der Hauptsache in dem jeweiligen Forum).229 Nach zutreffender Auffassung des EuGH ist es für die Bestimmung der Unvereinbarkeit i. S. d. Art. 45 Abs. 1 EuGVO irrelevant, ob die gegenläufige Entscheidung aus einer abweichenden Beurteilung der materiellen Rechtslage folgt oder aus abweichenden Ansichten zur Herstellung der optimalen Interessenbalance.230 Siehe hierzu auch § 16 Rn. 104 ff.

IV.  Praktische Folgen Die fehlende Existenz einer Koordinationsregel zeitigt somit zwei gegenläufige Konsequenzen: Einerseits wird dem Antragsteller erlaubt, parallele Verfahren vor den Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten einzuleiten, d. h. den Rechtsschutz vor verschiedenen Gerichten zu kombinieren und auszutesten.231 Andererseits muss der Antragsteller damit rechnen, dass einer für ihn positiven Entscheidung die Anerkennung versagt wird, weil eine hiermit unvereinbare ablehnende Entscheidung im Anerkennungsstaat ergangen ist.232 Misslich ist dies zumal dann, wenn der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz zunächst wegen einer strikten Beurteilung des Kriteriums der Eilbedürftigkeit versagt wird, die an die schnelle Durchführung erstinstanzlicher Verfahren in dem betreffenden Mitgliedstaat angepasst ist, das Hauptsachverfahren jedoch in einem anderen Mitgliedstaat mit prinzipiell längerer Verfahrensdauer durchgeführt wird (so geschehen in der vom EuGH entschiedenen Rechtssache ­Italian Leather).233 228 

Siehe den Überblick bei Hess, Study JAI/A3/2002/02, S. 122 ff. Franzosi, JIPLP 2009, 247 (250): „Urgent matters are not so urgent in Italy“, d. h. einstweilige Maßnahmen werden selbst 12 bis 24 Monate nach Kenntnis des Rechteinhabers von der Rechtsverletzung gewährt. Zum unterschiedlichen Stellenwert der Eilbedürftigkeit in Patentsachen in verschiedenen Mitgliedstaaten Schlosser in Hess/Pfeiffer/Schlosser-Bericht, Rn. 836. 230  EuGH v. 06. 06. 2002 – C-80/00 – Slg. 2002, I-4995 (Italian Leather), Rn. 42 ff.; Fritzsche, ZZP Int. 7 (2002), 250 (252 f.); a. A. de Cristofaro in Stürner/Kawano, Comparative Studies, S. 353: keine Unvereinbarkeit zwischen einer einstweiligen Unterlassungsverfügung und einer den Verfügungsantrag abweisenden Entscheidung, da keine sich gegenseitig ausschließenden Rechtsfolgen vorlägen. 231  Hierbei ist es eine Frage der Perspektive, ob es positiv zu bewerten ist, wenn der Antragsteller die Möglichkeit erhält, ein zweites Gericht bei sich abzeichnenden geringen Erfolgschancen oder langsamem Verfahrensfortschritt anzurufen, vgl. kritisch Wolf/Lange, RIW 2003, 55 (60 f.); befürwortend Garber, Einstw. RS, S. 209. 232  Im Rahmen des Art. 45 Abs. 1 lit. c EuGVO ist allein der Entscheidungserlass relevant, vgl. Stürner, ZZP 125 (2012), 3 (22); a. A. Schlosser, EU-ZPR, Art. 34–36 EuGVVO Rn. 24: nur materiell rechtskräftige Entscheidungen bilden ein Anerkennungshindernis. 233  EuGH v.  06. 06. 2002  – C-80/00  – Slg. 2002, I-4995 (Italian Leather): Eilbedürftig229 

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§ 12  Verfahrenskoordination im europäischen Rechtsraum

Kann der Antragsteller diese Effekte bei kluger Rechtsberatung zumindest teilweise steuern, so ist der Antragsgegner dem forum shopping des Antragstellers hilflos ausgesetzt. Soweit es dem Antragsteller gelingt, die angerufenen Gerichte von einer Durchführung des Verfahrens ex parte zu überzeugen, erfährt der Antragsgegner zunächst nichts von der parallelen Verfahrensdurchführung. Er kann weder einem Zurückziehen des Antrags entgegenwirken, wenn sich für den Antragsteller abzeichnet, dass einstweiliger Rechtsschutz in einem bestimmten Forum versagt wird, noch ein später in einem zweiten Forum angerufenes Gericht auf das forum shopping des Antragstellers hinweisen. Wird die Sicherung von Vermögensgegenständen in Parallelverfahren verfolgt, ist er der Gefahr einer Übersicherung ausgesetzt.234

V.  Entsprechende Anwendung der Verfahrenskoordinationsregeln 95

Von Stimmen in der Literatur wird deshalb vorgeschlagen, jedenfalls zwischen zwei potentiellen Hauptsachegerichten stets demjenigen den Vorrang einzuräumen, welches zuerst um vorläufigen Rechtsschutz gebeten bzw. bei dem das Hauptsacheverfahren bereits eingeleitet wurde.235 Dies hätte die wenig akzeptable Konsequenz, dass einstweilige Maßnahmen nach Art. 35 EuGVO privilegiert würden236 gegenüber vorläufigem Rechtsschutz, der in einem von der EuGVO als sachnah angesehenen Gerichtsstand beantragt wird.237 Ferner wäre es einem verwarnten Schutzrechtsverletzer durch Erhebung einer negativen Feststellungsklage möglich, den Gerichtsstand für den einstweiligen Rechtsschutz in einem langsamen Forum zu fixieren und somit nicht nur das Hauptsacheverfahren, sondern ggf. auch den Erlass einer einstweiligen Verfügung zu verzögern.238 Rechtsunsicherheit bestünde außerdem, soweit die keit durch das OLG Koblenz verneint, durch das für die Entscheidung in der Hauptsache zuständige Tribunale Bari bejaht. 234 Deutlich Fentiman, Litigation, Rn. 17.04 235  Wolf/Lange, RIW 2003, 55 (60); Kropholler/v. Hein, EuZPR, Art. 31 EuGVO Rn. 19; Pansch, Einstweilige Verfügung, S. 69; zumindest de lege ferenda auch Dickinson, IPRax 2010, 203 (208); i. E. auch diejenigen Stimmen, die eine Zuständigkeit eines potentiellen Hauptsachegerichts für den einstweiligen Rechtsschutz ablehnen, weil die Hauptsachezuständigkeit nach Art. 29 Abs. 3 EuGVO entfalle, supra § 11 Rn. 15, Fn. 27 f. Art. 2:705 CLIP enthält eine Koordinationsregel, die dem später angerufenen Gericht Ermessen über eine Verfahrensaussetzung einräumt. 236  Zur Entwertung des Art. 35 EuGVO durch eine Rechtshängigkeitssperre siehe bereits supra § 12 Rn. 88. 237  Wie hier Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 31 Brüssel I-VO Rn. 17. Soweit ein nach Art. 4 ff. zuständiges Gericht gleichzeitig vollstreckungs- bzw. wirkungsnah i. S. d. Art. 35 EuGVO wäre, müsste es nach der hier abgelehnten Konzeption in seiner Entscheidungsbegründung wohl zusätzlich belegen, weshalb eine Zuständigkeit nach Art. 35 EuGVO besteht. 238  Siehe beispielhaft den von de Vecchi Lajolo, MMR 2013, 422 (425) geschilderten



D.  Die Koordination einstweiliger Maßnahmen

481

Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts zwischen den Parteien umstritten wäre. Ein anderer Vorschlag besteht darin, Art. 29 EuGVO auf einstweilige Verfahren anzuwenden, sofern eine positive Anerkennungs- und Vollstreckungsprognose besteht und sich die zu erlassenden Entscheidungen in ihrer territorialen Wirkungskraft überschneiden.239 Für eine solche Interpretation bietet Art. 29 EuGVO freilich keinen Anhaltspunkt. Sie scheint angesichts der im einstweiligen Rechtsschutz häufig vorliegenden Dringlichkeit auch kaum praktikabel. Das später angerufene Gericht müsste zwecks Durchführung der Vollstreckungsprognose zuerst die Anordnung des als erstes angerufenen Gerichts abwarten, um prüfen zu können, auf welchen Zuständigkeitsgrund sich jenes Gericht stützt, und gegebenenfalls schwierige vollstreckungsrechtliche Fragen beurteilen. Grundsätzlich sollte es dem Antragsteller im Sinne eines effektiven Rechtsschutzes zugestanden werden, parallele einstweilige Verfahren anzustrengen, anstatt die schwierige Vollstreckung eines im Vollstreckungsstaat unbekannten Rechtsinstituts zu betreiben. So wird in der englischen Literatur zu Recht empfohlen, trotz Vorliegens einer extraterritorialen freezing injunction keine Vollstreckung der Anordnung im Ausland zu versuchen, sondern sich um lokale Arrestanordnungen zu bemühen.240 Schließlich wird erwogen, mittels einer entsprechenden Anwendung des Art. 30 Abs. 2 EuGVO den Eilgerichten nach Art. 35 zu erlauben, sich zugunsten des Hauptsachegerichts für unzuständig zu erklären, sofern wirksamer einstweiliger Rechtsschutz durch das Hauptsachegericht gesichert ist.241 Dies löst die Problematik allenfalls teilweise, da Art. 30 Abs. 2 EuGVO lediglich dem später angerufenen Gericht die Nichtausübung seiner Zuständigkeit erlaubt. Wird der Rechtsschutz über Art. 35 EuGVO ohnehin erst nach Befassung des Hauptsachegerichts nachgesucht, bedarf es eines Rückgriffs auf Art. 30 Abs. 2 EuGVO nicht, da das später angerufene Eilgericht die einstweilige Entscheidung des Hauptsachegerichts im Wege der Interessenabwägung berücksichtigen kann.

Sachverhalt zu LG Berlin v. 24. 5. 2012 – 27 O 864/11 – MMR 2012, 706 f. (allerdings im Hinblick auf die einer langsamen Verfahrensdurchführung unverdächtigen finnischen Gerichte). 239  Pörnbacher in Geimer/Schütze, Int. RV, Art. 31 B Vor I 10 b Rn. 15; Heinze, Einstw. RS, S. 264 ff.; ähnlich wohl Tsikrikras in Gottwald, Litigation, S. 129 f.; auch Pansch, Einstweilige Verfügung, S. 72 plädiert für eine Anwendung des Art. 29 EuGVO, soweit es sich um eine nicht-sichernde anerkennungsfähige einstweilige Maßnahme handelt. 240  Zuckerman, Civil Procedure, Rn.  10.239, 10.254; Andrews, Civil Procedure, Rn. 17.73. 241  Heinze, Einstweiliger Rechtsschutz, S. 276 f.

96

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§ 12  Verfahrenskoordination im europäischen Rechtsraum

VI.  Koordinationsbefugnis des Gerichts der Hauptsache 98

Nach Art. 20 Abs. 2 EuEheVO treten die Maßnahmen eines Eilgerichts i. S. d. Art. 20 Abs. 1 EuEheVO außer Kraft, sobald das Hauptsachegericht diejenigen Maßnahmen getroffen hat, die es für angemessen hält. Erfasst sind hiervon vor allem vorläufige Anordnungen zu Sorge- und Umgangsrecht für ein minderjähriges Kind.242 Ein Transfer dieser Regelung in das System der EuGVO wäre in seiner Generalität wenig gewinnbringend, weil er das Ziel torpedieren würde, effektiven Rechtsschutz durch territorial begrenzte Maßnahmen zwecks Sicherung späterer Vollstreckungsmasse zu erlangen.243 Im Hess/Pfeiffer/Schlosser-Bericht244 sowie im Grünbuch zur EuGVO-Reform245 wurde stattdessen erwogen, dem Hauptsachegericht die Befugnis einzuräumen, einstweilige Maßnahmen anderer Gerichte aufzuheben, zu ändern oder an das eigene Rechtssystem anzupassen. Zu einem derartigen Souveränititätsverzicht waren die Mitgliedstaaten nicht bereit.246

VII.  Flexibilität des mitgliedstaatlichen einstweiligen Rechtsschutzes 99

De lege lata bleibt der Appell an die betroffenen Gerichte, die im nationalen Verfahrensrecht im Rahmen eines einstweiligen Verfahrens stets verfügbaren Abwägungsspielräume zu nutzen, um ausländische Verfahren zu berücksichtigen und gegebenenfalls richterliche Selbstbeschränkung zu üben.247 Ein 242 

Rauscher in Rauscher, EuZPR, Art. 20 Brüssel IIa-VO, Rn. 13. eine Übertragung dagegen Tribunale die Venezia v. 28. 08. 2003, Riv.dir.int.priv. proc. 2004, 688 (689 ff.). 244  Schlosser in Hess/Pfeiffer/Schlosser-Bericht, Rn. 760, 777, 788; s. a. International Law Association, The Helsinki-Principles on Provisional and Protective Measures in International Litigation, Nr. 14, RabelZ 62 (1998), 128 (129): „There may be scope for the court exercising substantive jurisdiction to play a supervisory role, on the application of the defendant, over provisional and protective measures granted in other countries, considering in particular whether in aggregate those measures are justifiable in the light of the action as a whole, and the amount claimed in it.“, dazu Kennett, Enforcement, S. 152 ff. 245  Grünbuch Überprüfung der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivilund Handelssachen, KOM (2009) 175 , S. 8 f. 246 Siehe die Antworten auf das Grünbuch der britischen (S. 32), deutschen (S. 14), griechischen (S. 20) und slowenischen (S. 10), Regierung, verfügbar unter ; zu den praktischen Schwierigkeiten einer solchen Regelung Dickinson, IPRax 2010, 203 (210 f.) mit dem Fazit: „more trouble than it is worth“. 247  Hess/Vollkommer, IPRax 1999, 220 (224); Stadler, JZ 1999, 1089 (1095); Heinze, RIW 2003, 922 (926); Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR, A. 1, Art. 27 Rn. 47; Wolf, EWS 2000, 11 (17). Art. 31 des Kommissionsvorschlags zur Änderung der EuGVO enthielt eine Regelung, welche die im einstweiligen Rechtsschutz befassten Gerichte zur Kooperation und zum gegenseitigen Informationsaustausch aufforderte. In den Verordnungstext wurde dieser Vorschlag nicht übernommen. Dies dürfte darauf zurückzuführen sein dürfte, dass die Be243  Für



D.  Die Koordination einstweiliger Maßnahmen

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Vorbild sind die englischen Gerichte, welche bei Anordnung einer extraterritorialen freezing order stets erwägen, ob eine solche Anordnung den Hauptprozess beeinträchtigen würde, ob das Gericht der Hauptsache einen Antrag auf ähnliche Anordnungen abschlägig beschieden hat und ob die Gefahr sich widersprechender oder überschneidender Anordnungen besteht.248 Auch im deutschen Recht mag die Existenz paralleler ausländischer Sicherungsmaßnahmen249 bzw. das Vorliegen eines klageabweisenden ausländischen Urteils bei Parteiähnlichkeit250 den Arrest- oder Verfügungsgrund entfallen lassen. In ähnlicher Weise lässt sich bei der Abwägung der Parteiinteressen berücksichtigen, ob die Eilbedürftigkeit einer Maßnahme entgegen der üblichen Praxis des Gerichts zu bejahen ist, weil das Verfahren vor dem ausländischen Hauptsachegericht sich absehbar über einen längeren Zeitraum hinziehen wird. Realisieren lässt sich das hier befürwortete Kooperationsmodell freilich nur, wenn die Gerichte eine aktive Informationspolitik des Antragstellers über laufende oder geplante ausländische Verfahren einfordern.251 Liegt noch keine Entscheidung des Hauptsachegerichts vor oder steht das Hauptsachegericht noch nicht fest, können angesichts der leichten Abänderbarkeit und allenfalls beschränkten Rechtskraft der Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes252 die Optionen der lex fori genutzt werden, um die stimmung erstens reinen Appellcharakter hatte und zweitens die Befürchtung bestand, die Durchführung von Eilverfahren könnte durch das Erfordernis des Informationsaustauschs verzögert werden (zu letzterem Aspekt Heinze, RabelsZ 75 (2011), 581 (602). 248  Crédit Suisse Fides Trust v Cuoghi, [1997] 3 WLR 818 (827 ff.) (CA); Motorola Credit v Uzan (No 2), [2004] 1 WLR 113 (147) (CA); JP Morgan Europe v Primacom, [2005] 1 CLC 493 (512 f.) (Comm). Diese Rechtsprechung differenziert freilich wenig überzeugend zwischen Fällen, in denen dem Gericht der Hauptsache die rechtliche Kompetenz zum Erlass einer entsprechenden Anordnung fehlt und Situationen, in denen das Gericht der Hauptsache den Erlass einer korrespondierenden Entscheidung abgelehnt hat. Vgl. die zutreffende Kritik bei Briggs/Rees, Civil Jurisdiction, Rn. 6.12 und Merrett, LMCLQ 2008, 71 (86). Nicht allein die Entscheidung der ausländischen Richterkollegen, sondern auch die Entscheidung des ausländischen Gesetzgebers gebietet Respekt. So auch Sandisk v Koninklijke Philips, [2007] EWHC 332 (Ch), Rn. 54 “[O]ne should be cautious before substituting one’s perception of what is and is not appropriate for the safeguards actually in existence in other jurisdictions.” A. A. Schlosser in Hess/Pfeiffer/Schlosser-Bericht, Rn. 783; Dickinson, IPRax 2010, 203 (207). 249  OLG Frankfurt v. 02. 12. 1998 – 13 U 175/98 – OLGR Frankfurt 1999, 74 (75); Heinze, Einstweiliger Rechtsschutz, S. 275 f. 250  Ein Negativbeispiel bildet die Entscheidung des OLG Düsseldorf v.  24. 07. 2012  – I-20 W 141/11 (Galaxy Tab III), Rn. 80: Erlass einer unionsweiten Unterlassungsverfügung gegenüber der Konzernmutter wegen Verletzung eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters, nachdem der englische High Court die Verletzungsklage gegenüber der englischen Konzerntochter abgewiesen hatte. Vgl. die harsche Kritik per Sir Robin Jacob in Samsung v Apple, [2012] EWCA Civ. 1339 (CA), Rn. 55 ff. 251 Hierzu Kofmel Ehrenzeller, SZIER 1998, 200; Garber, Einstw. RS, S. 211. Zu den Schwierigkeiten einer solchen Kooperation in der Praxis siehe Sickerling in Gsell/Hau, Zivilgerichtsbarkeit, S. 67 f. 252  Zur deutschen Rechtslage OLG Frankfurt v. 16. 07. 2002 – 5 U 250/01 – BauR 2003, 287 f.; Stürner, ZEuP 2013, 3 (7 ff.); Heiderhoff in Berger, Einstweiliger Rechtsschutz, Kap. 7

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§ 12  Verfahrenskoordination im europäischen Rechtsraum

Wirksamkeit der angeordneten Maßnahmen bis zur Entscheidung des Hauptsachegerichts zu befristen oder wieder aufzuheben, wenn das Hauptsachegericht den Erlass einstweiliger Maßnahmen ablehnt.253

E. Würdigung I.  Angemessene Berücksichtigung der prozessualen Interessen 1.  Rechtshängigkeit und zusammenhängende Verfahren 101

In kontinentaleuropäischer Rechtstradition stehend löst die EuGVO den Konflikt zwischen potentiell gleichzeitig verlaufenden Verfahren durch eine Litispendenzregel. Sowohl der Zeitpunkt der Rechtshängigkeit als auch der Begriff des Streitgegenstands werden hierbei sinnvollerweise autonom definiert. Für die Bestimmung der Parteiidentität ist nach hier vertretener Auffassung allerdings ein Rückgriff auf die Konzepte der Rechtskrafterstreckung nach der lex fori beider involvierter Gerichte erforderlich. Erscheint eine Verfahrenskoordination in anderen Situationen geboten, etwa aufgrund nur teilweiser Parteiidentität, erlaubt Art. 30 EuGVO dem später angerufenen Gericht Aussetzung des Verfahrens. Diese Koordination nach dem Prioritätsprinzip schont Ressourcen der Parteien wie der Mitgliedstaaten, verhindert unvereinbare Entscheidungen im einheitlichen Zuständigkeitssystem und hat sich grundsätzlich bewährt. Als problematisch erweisen sich die Koordinationsregeln im Hinblick auf zwei Gesichtspunkte: den sogenannten Torpedoklagen sowie der Koordination von Verletzungs- und Bestandsverfahren in Bezug auf registrierte Schutzrechte.

2. Torpedoklagen 102

Eine effektive Rechtsverfolgung kann durch den prospektiven Beklagten verhindert werden, wenn dieser die Unterschiede in den Gerichtssystemen der Mitgliedstaaten ausnutzt, um eine negative Feststellungsklage in einem bekanntermaßen langsamen Forum zu erheben. Die Problematik solcher Torpedoklagen tritt im gewerblichen Rechtsschutz aufgrund der Warnfunktion der typischerweise erfolgenden Abmahnungen und der begrenzten Schutzdauer bestimmter Schutzrechte besonders zu Tage. Dies bietet freilich keinen grundRn. 41 ff. m. w. N.; zur Rechtslage in England Zuckerman, Civil Procedure, Rn. 25.93, 10.247. 253  Nike European Operations Netherlands v. Rosicky, [2007] EWHC 1967 (Ch), Rn. 49; BG v. 30. 07. 2003 – 4P. 86/2003 – BGE 129 III 626 (635) (Uzan/Motorola); Wolf, EWS 2000, 11 (17); Schlosser in Hess/Pfeiffer/Schlosser-Bericht, Rn. 760 mit kurzem Hinweis zum irischen Recht. Im deutschen Recht kann die Entscheidung des Hauptsachegerichts im Verfügungsverfahren als veränderter Umstand i. S. d. § 927 Abs. 1 ZPO angesehen werden, der zur Aufhebung der einstweiligen Maßnahme berechtigt.



E. Würdigung

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sätzlichen Anlass zur Kritik an der Litispendenzregel des Art. 29 EuGVO oder zur Bevorzugung von Leistungsklagen gegenüber negativen Feststellungsklagen. Die Auswahlmöglichkeit des Klägers zwischen dem allgemeinen und den besonderen Gerichtsständen ist dem System der EuGVO immanent. Grundsätzlich ist es auch für den „natürlichen Beklagten“ legitim, aus den zur Wahl stehenden Foren das für ihn günstigste auszusuchen. Als missbräuchlich kann deshalb nur eine Blockade der Rechtsverfolgung durch Klageerhebung des vermeintlichen Verletzers vor einem unzuständigen Forum bezeichnet werden, und für diese Fallkonstellation bedarf es geeigneter Lösungsansätze. Art. 31 Abs. 2 EuGVO enthält eine Abweichung vom Prioritätsprinzip, indem es demjenigen Gericht eine vorrangige Prüfung der Zuständigkeit erlaubt, welchem die Parteien auf Basis einer privatautonomen Vereinbarung die Zuständigkeit (vermeintlich) zugewiesen haben. Für anderweitige Zuständigkeitskonflikte fehlt es bislang an einer angemessenen Lösung. Rechtsschutzsuchende finden hier durch Inanspruchnahme einstweiligen Rechtsschutzes, geschickte Auswahl des Beklagten oder Rechtsübertragung einen gewissen Schutz.

103

3.  Koordination von Bestands- und Verletzungsverfahren Ein Versagen der Verordnung ist bei der Koordination zwischen Bestands- und Verletzungsverfahren registrierter Schutzrechte zu konstatieren. Eine Aussetzung des Verletzungsverfahrens zugunsten der Durchführung des Bestandsverfahrens vor den ausschließlich zuständigen Gerichten des Schutzrechtsstaats erlaubt die Verordnung nur in den (seltenen) Situationen, in denen das Bestandsverfahren vor dem Verletzungsverfahren eingeleitet wurde. Art. 24 Nr. 4 EuGVO ist der einzige ausschließliche Gerichtsstand, welcher nach der Rechtsprechung des EuGVO auch dann aktiviert wird, wenn sein Anwendungsbereich lediglich als Vorfrage tangiert ist. Wie bereits in § 9 ausführlich erörtert wurde, bedarf es deshalb einer eigenständigen Aussetzungsregel.

104

4.  Res Iudicata Die Rechtskraft der Entscheidung eines anderen Mitgliedstaates ist – vorbe­ halt­lich des Eingreifens eines Anerkennungsversagungsgrunds – als Entschei­ dungswirkung in allen anderen Staaten der Union anzuerkennen. Die Partei­ interessen des Rechtsfriedens, der Rechtssicherheit und der Ressourcenschonung werden berücksichtigt. Präjudizialität und negative Wirkung der Rechtskraft orientieren sich an der lex fori des Erlassstaates, was den Parteien erlaubt, ihren Vortrag vor dem Ausgangsgericht an der Rechtskraftwirkung der lex fori auszurichten und bei nachfolgenden Rechtsstreitigkeiten die volle Bandbreite der von der EuGVO zur Verfügung gestellten Gerichtsstände zu nutzen.

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§ 12  Verfahrenskoordination im europäischen Rechtsraum

5.  Abweichende Streitgegenstandsbegriffe bei Rechtshängigkeit und Rechtskraft 106

Während der EuGH für die Zwecke des Art. 29 EuGVO einen autonomen Streitgegenstandsbegriff geprägt hat, bedarf es im Zusammenhang mit der Rechtskraftwirkung einer Entscheidung weiterhin des Rückgriffs auf unvereinheitlichtes nationales Recht. Als Folge dieser Entkoppelung des Streitgegenstandsbegriffs in den Parallelinstituten der Rechtshängigkeit und der Rechtskraft können gegebenenfalls Zweitverfahren im Wege des Art. 29 EuGVO gesperrt werden, obgleich der Erstprozess nach keiner der beiden beteiligten Rechtsordnungen Bindungswirkung für den Zweitprozess entfaltet. Für den Beklagten des Erstverfahrens und Kläger des Zweitverfahrens bedeutet dies eine empfindliche Einbuße, denn er muss mit einem von ihm initiierten Verfahren abwarten, ohne von der Rechtskraft des Erstprozesses zu profitieren. Doch kompensiert der Gerichtsstand der Widerklage diesen Nachteil zumindest teilweise. Soweit Anspruchsidentität im Sinne der Kernpunktetheorie des EuGH existiert, sind Widerklagebegehren auf „denselben Sachverhalt“ i. S. d. Art. 8 Nr. 3 EuGVO gestützt. Dem Beklagten des Erstprozesses bleibt folglich die Wahl, ob er eine umfassende Entscheidung durch Erhebung der Widerklage im Erstprozess herbeiführt oder mit der Klageerhebung im Gerichtsstand seiner Wahl bis zum Abschluss des Erstverfahrens abwartet. Ein dringendes Bedürfnis, die Kernpunktetheorie des EuGH aufgrund der divergierenden Streitgegenstandsbegriffe in den Rechtskrafttheorien der Mitgliedstaaten zu revidieren, besteht deshalb nicht.254

6.  Die Koordination einstweiliger Maßnahmen 107

Die Regeln zur Verfahrenskoordination finden auf Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes keine, auch keine entsprechende Anwendung. Die ohnehin diffizile Abwägung der Parteiinteressen im einstweiligen Rechtsschutz wird durch den grenzüberschreitenden Bezug somit um eine zusätzliche Komponente erweitert. Einerseits ist eine grenzüberschreitende Vollstreckung einstweiliger Anordnungen mit besonderen Schwierigkeiten verbunden und das Interesse des Antragstellers an der Beantragung verschiedener einstweiliger Maßnahmen in diversen Mitgliedstaaten nur allzu verständlich. Andererseits bestehen aufgrund der Verschiedenartigkeit der einstweiligen Maßnahmen in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten und der ergänzenden Zuständigkeit nach Art. 35 EuGVO besondere Anreize für taktische Verhaltensweisen des Antragstellers, vor denen der Beklagte geschützt werden sollte. Einen Stein der Weisen für die Lösung dieses Interessenkonflikts auf Ebene der EuGVO gibt es 254 Ebenso Roth, IPRax 2014, 136 (139); a.  A.  Sepperer, Rechtskrafteinwand, S. 166 f. m. w. N. auf S. 138 f.



E. Würdigung

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nicht; vielmehr bedarf es hier der konstruktiven Kooperation der angerufenen Gerichte unter Ausnutzung der Flexibilität des einstweiligen Rechtsschutzes nach nationalem Recht.

II. Reform 1.  Erkenntnisse aus dem Reformprozess Der Verordnungsgeber hat bei der Reform der EuGVO auf die heftige Kritik reagiert, mit der die Anwendung der Litispendenzsperre auf Verfahren vor einem prorogierten Gericht bedacht wurde. Es wird sich zeigen, ob diese Regelung langfristig geeignet ist, Zuständigkeitskonflikte schneller zu bereinigen, oder ob neue Torpedostrategien durch das Berufen auf offenkundig unwirksame bzw. fingierte Gerichtsstandsvereinbarungen entwickelt werden. Die im Kommissionsvorschlag enthaltene Fristenregelung für die Feststellung der Zuständigkeit durch das zuerst angerufene Gericht hat hingegen keinen Eingang in die EuGVO (2012) gefunden. Dies ist einerseits zu begrüßen, da der Regelungsvorschlag mangels Anordnung einer Rechtsfolge zu Rechtsunsicherheit geführt hätte und der Versuchung widerstanden wurde, Parallelverfahren zuzulassen. Andererseits hätte eine Fristenregelung durchaus Potential zur allgemeinen Verfahrensbeschleunigung entwickeln können (hierzu sogleich). Sinnvoll ist die Einführung einer Litispendenz- und Koordinationsregel mit Blick auf in Drittstaaten anhängige Verfahren, welche die Frage nach der Zulässigkeit des Rückgriffs auf autonomes Rechts entbehrlich macht. In deutlichem Kontrast hierzu steht das schwerwiegende Versäumnis des Verordnungsgebers, eine Koordinationsregel für Bestands- und Verletzungsverfahren in Bezug auf registrierte Schutzrechte einzuführen, welches bereits in § 10 Rn. 146 ff. moniert wurde. Politisch nicht vermittelbar war der Vorschlag, das Gericht in der Hauptsache mit der Befugnis zur Aufhebung der von Gerichten anderer Mitgliedstaaten angeordneten einstweiligen Maßnahmen auszustatten. Zu einem entsprechenden Souveränitätsverzicht waren die Mitgliedstaaten nicht bereit. Angesichts der ungeklärten praktischen Folgefragen, insbesondere zum anwendbaren Recht, war die Zeit für eine solche Regelung vielleicht nicht allein aus politischen Gründen noch nicht reif.255 Die Bilanz der Reformaktivitäten des Verordnungsgebers im Bereich der Verfahrenskoordination fällt somit gemischt aus.

255  Dickinson, IPRax 2010, 203 (2011) weist  – neben anderen Bedenken  – zutreffend auf die ungeklärte Frage des anwendbaren Rechts auf Aufhebbarkeit, Inhaltsänderung, aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs, Kosten, Kompensation des Antragsgegners und dem prozeduralen Schutz Dritter hin. Bedenken auch bei Fentiman, Litigation, Rn. 1.87: „introduces uncertainty and potentially destabilizes the relief granted by the secondary court.“

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§ 12  Verfahrenskoordination im europäischen Rechtsraum

2. Vorschläge de lege ferenda 110

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Neben der in § 10 Rn. 154 f. befürworteten Aussetzungsregel für Verletzungsverfahren zugunsten eines im Schutzrechtsstaat durchgeführten Bestandsverfahrens würde es sich empfehlen, durch eine unionsrechtliche Regelung zur Beschleunigung der Zuständigkeitsentscheidung beizutragen. Zu präferieren ist ein Kooperationsmodell der Zusammenarbeit zwischen den Gerichten. Dieses könnte auf zwei Säulen basieren: Erstens der unionsweiten Einführung einer mit Rechtsmitteln anfechtbaren Zwischenentscheidung über die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts und zweitens einer (sanktionslosen) Fristsetzung. Nicht alle Zivilprozessordnungen der Mitgliedstaaten kennen die Möglichkeit eines separat anfechtbaren Zwischenurteils über die internationale Zuständigkeit.256 Viele Verfahrensordnungen stellen die Durchführung eines solchen Zwischenverfahrens in das Ermessen des Gerichts,257 um einer Prozessverschleppung durch Erhebung der Zuständigkeitsrüge vorzubeugen. Hier könnte das Unionsrecht ansetzen, indem es eine Zwischenentscheidung über die internationale Zuständigkeit binnen einer bestimmten Frist vorsieht. Um den Eingriff in die nationalen Prozessordnungen und die Justizorganisation der Mitgliedstaaten gering zu halten, sollte die Regelung nur dann eingreifen, wenn die Gerichte eines anderen Mitgliedstaates um die Klärung der Zuständigkeitsfrage ersuchen.258 Ein solches Ersuchen ist nur in jenen Fällen sinnvoll, in denen das Zweitgericht die Zweifel des Erstbeklagten an der Zuständigkeit des Erstgerichts teilt. Die Gefahr einer reinen Prozessverschleppung durch Erhebung der Zuständigkeitsrüge wird somit eingedämmt. Als Vorbild für eine sanktionslose Fristsetzung können Art. 10 Abs. 1, Art. 15 EuBVO dienen, wonach das ersuchte Gericht das Ersuchen innerhalb von 90 Tagen erledigt und das ersuchende Gericht gegebenenfalls über Verzögerungen und deren Gründe unterrichtet. Die Bestimmung hätte Appellcharakter, d. h. das ersuchte Gericht könnte das betreffende Verfahren vorrangig vor anderen bei ihm anhängigen Verfahren durchführen, müsste aber nicht den Verlust seiner Zuständigkeit befürchten. Eine Fristlänge von 90 Tagen

256  Art. 1050 S. 2 des belgischen Code Procedure Civil: „Contre une décision rendue sur la compétence, un appel ne peut être formé qu’avec l’appel contre le jugement definitive”. Siehe auch öst. § 261 Abs. 2 ZPO. 257  Siehe etwa dt. § 280 ZPO, öst. § 261 Abs. 3 ZPO. 258  A. A. Heinze, RabelsZ 75 (2011) 581 (598), der in Anbetracht der Verfahrensgrundrechte des Beklagten für eine allgemeine Feststellung der Zuständigkeit innerhalb von sechs Monaten plädiert. Es ist zweifelhaft, ob die Union über die Kompetenz für einen derart weitreichenden Eingriff in die Verfahrensordnungen der Mitgliedstaaten verfügt, zumal die praktische Wirksamkeit einer entsprechenden Regelung mit der Gerichtsorganisation und Finanzierung der Justiz steht und fällt.



E. Würdigung

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mag auf den ersten Blick ambitioniert erscheinen.259 In der Praxis stünde dem Erstgericht ein deutlich längerer Zeitraum zur Verfügung, da bis zu Erlass und Zugang eines Ersuchens durch das Zweitgericht im Regelfall bereits eine beträchtliche Zeit verstrichen sein dürfte. Wird das Zwischenurteil des Erstgerichts angefochten, sollte ein erneutes Ersuchen gegenüber der übergeordneten Instanz ergehen können.

259  Siehe die Wertung bei McGuire, ZfRV 2005, 83 (92 f.): binnen eines Jahres bei typisierten „besonders dringlichen“ Streitigkeiten; vgl. ferner Grothe, IPRax 2004, 205 (212): ERMK-Verstoß naheliegend, sofern Zuständigkeitsentscheidung nicht binnen 18 Monaten.

§ 13  Sonderregeln in den Verordnungen über die ­Gemeinschaftsschutzrechte A.  Einheitliche Schutzrechte für das Territorium der Europäischen Union 1

Territoriale, auf das Gebiet einzelner Mitgliedstaaten begrenzte Schutzrechte und der einheitliche Binnenmarkt passen zueinander wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge. Das Unionsrecht zielt deshalb nicht allein auf die Vereinheitlichung des gewerblichen Rechtsschutzes der Mitgliedstaaten, sondern stellt auch einheitliche, auf dem gesamten Territorium der Union wirkende Schutzrechte zur Verfügung. Die Gemeinschaftsmarke,1 das Gemeinschaftsgeschmacksmuster2 und der gemeinschaftliche Sortenschutz3 können nur für das gesamte Gebiet der Union eingetragen, übertragen oder für nichtig erklärt werden.4 Die Wahl zwischen einer Anmeldung auf nationalen Ebene oder der Inanspruchnahme unionsweiten Schutzes steht dem Anmelder frei,5 die Verordnungen über die Gemeinschaftsmarke und das Gemeinschaftsgeschmacksmuster erlauben sogar einen kumulativen Schutz.

1  Ursprünglich geschaffen durch die Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates vom 20. Dezember 1993 über die Gemeinschaftsmarke, ABl EG Nr. L 11 v. 14. 01. 1994 S. 1 ff.; derzeit findet Anwendung die kodifizierte Fassung in der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. 02. 2009 über die Gemeinschaftsmarke, ABl EG Nr. L 78 v. 24. 03. 2009, S. 1 ff. 2  Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates vom 12. Dezember 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster, ABl. Nr. L 3/1 v. 05. 01. 2002, berichtigt ABl. Nr. L 179/31 v. 09. 07. 2002. 3  Verordnung (EG) Nr. 2100/94 des Rates vom 27. Juli 1994 über den gemeinschaftlichen Sortenschutz, ABl. Nr. L 227/1 v. 01. 09. 1994. 4  Einheitlicher Schutz wird ferner begründet durch die Verordnung (EG) Nr. 510/2006 des Rates vom 20. 03. 2006 zum Schutz von geografischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel, ABl. Nr. L 93/12 v. 31. 03. 2006, welche nicht zum Gegenstand der hiesigen Untersuchung zählt, vgl. § 1 Rn. 24. Kein politischer Erfolg war dem Kommissionsvorschlag zur Einführung eines Gemeinschaftsgebrauchsmusters, KOM (1997) 691, beschieden. 5 Eine Studie des Münchner Max-Planck-Instituts für Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht hat gezeigt, dass insbesondere Anmelder aus Drittstaaten und größere Unternehmen zur Anmeldung der Gemeinschaftsmarke tendieren, während kleine und mittlere Unternehmen häufiger auf nationale Markenanmeldungen zurückgreifen, vgl. MPI, Trade Mark System, S. 234.



B.  Gemeinschaftsmarke und Gemeinschaftsgeschmacksmuster

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Die Verordnungen über das gemeinschaftliche Sortenschutzrecht (GSVO), über die Gemeinschaftsmarke (GMV) und das Gemeinschaftsgeschmacksmuster (GGV) enthalten von der EuGVO abweichende Sonderregeln zur internationalen Zuständigkeit und zur Verfahrenskoordination, welche in diesem Kapitel vorgestellt werden. Aufgrund der höheren praktischen Bedeutung und der größeren Regelungsdichte werden zunächst die weitgehend inhaltsgleichen Bestimmungen der GMV und der GGV erläutert, bevor auf das Zuständigkeitskonzept der GSVO eingegangen wird. Für das neueste einheitliche Schutzrecht, das Einheitspatent6, ist mit dem Übereinkommen über ein einheitliches Patentgericht7 ein eigenständiger Streitregelungsmechanismus geschaffen worden, der in § 18 näher betrachtet wird.

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B.  Gemeinschaftsmarke und Gemeinschaftsgeschmacksmuster I.  Gemeinschaftsmarken- und Gemeinschaftsgeschmacksmustergerichte Die Verordnungen über die Gemeinschaftsmarke und das Gemeinschafts­ geschmacks­muster regeln den Erwerb, den Inhalt, die Erlöschensgründe und die Verletzungs­ handlungen des jeweiligen gewerblichen Schutzrechts einheitlich für das Gebiet der Europäischen Union. Eine zentrale Gerichtsbarkeit für die Streitregelung ist nicht vorgesehen, vielmehr fungieren die Gerichte der Mitgliedstaaten – wie allgemein im Unionsrecht üblich8 – als dezentrale Unionsgerichte. Doch gibt es einen bedeutenden Unterschied: Art. 95 Abs. 1 GMV, Art. 80 Abs. 1 GGV verpflichten die Mitgliedstaaten, für ihr Gebiet eine möglichst geringe Anzahl sogenannte Gemeinschaftsmarken- bzw. Gemeinschaftsgeschmacksmustergerichte erster und zweiter Instanz zu benennen,9 d. h. sie fordern die Bildung spezialisierter Instanzen in den Gerichtssystemen der Mitgliedstaaten (im Folgenden zwecks besserer Lesbarkeit als Gemeinschaftsgerichte bezeichnet). Diese Gerichte sind für „Streitigkeiten über die Verletzung und Rechtsgültigkeit“ der Gemeinschaftsschutzrechte in der Hauptsache ausschließlich 6 Verordnung (EU) Nr. 1257/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2012 über die Umsetzung der Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes, ABl. Nr. L 361/1 v. 31. 12. 2012. 7 Verfügbar unter . 8  Kahl in Ruffert/Callies, EUV/AEUV, Art. 4 EUV Rn. 76; Hess, EuZPR, § 11 Rn. 1. 9  Vgl. die Liste auf . Das Ziel der hohen Konzentration bei wenigen zuständigen Gerichten wurde in Italien und Deutschland verfehlt (letzteres aufgrund der Zuständigkeit der Länder für die Gerichtsorganisation).

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zuständig,10 d. h. für Verletzungsklagen und Klagen zur Feststellung der Nichtverletzung sowie für Klagen und Widerklagen auf Erklärung der Nichtigkeit eines Gemeinschaftsschutzrechts. Nach herrschender Auffassung sind auch auf Vertragsverletzung gestützte Begehren erfasst, mit denen die Rechte aus dem Schutzrecht i. S. v. Art. 9 GMV, Art. 19 GGV geltend gemacht werden, etwa wegen Überschreitung der Lizenzbefugnis, Verletzung einer Abgrenzungsvereinbarung oder Verstoß gegen eine Unterlassungserklärung.11 Es erscheint sinnvoll auch für diese Ansprüche, welche regelmäßig mit den deliktischen Ansprüchen konkurrieren, Rechtsschutz vor den besonders spezialisierten Gemeinschaftsmarken- und Gemeinschaftsgeschmacks­ mustergerichten zu eröffnen. Andererseits wird hierdurch die Klärung einheitlicher vertraglicher Konflikte vor einem zuständigen Gericht versagt, denn für andere Streitigkeiten, etwa über die Erfüllung von Lizenzverträgen oder die Berechtigung an einem Gemeinschaftsschutzrecht, erklären Art. 106 GMV, Art. 93 GGV diejenigen nationalen Gerichte für zuständig, welche bei einem Rechtsstreit über ein nationales Schutzrecht örtlich und sachlich zuständig wären.12 Das Verfahrensrecht der Gemeinschaftsmarken- bzw. Gemeinschaftsgeschmacksmustergerichte bestimmt sich nach der (für nationale Schutzrechte anwendbaren) lex fori.13

II.  Internationale Zuständigkeit für das Hauptsacheverfahren 1.  Erweiterter Anwendungsbereich gegenüber der EuGVO 6

Für Streitigkeiten über die Verletzung und Rechtsgültigkeit einer Gemeinschaftsmarke bzw. eines Gemeinschaftsgeschmackmusters enthalten die Abschnitte zur internationalen Zuständigkeit der GMV und GGV weitgehend abschließende Sonderregeln gegenüber der Zuständigkeitsordnung der EuGVO und verweisen nur subsidiär auf deren Geltung. Eine einleuchtende Be10 

Art. 96 GMV, Art. 81 GGV. Eisenführ in Eisenführ/Schennen, GMV, Art. 96 Rn. 5; ebenda Schennen, Art. 106 Rn. 6; Ruhl, GGV, Art. 82 Rn. 36; a. A. Jaeger in Hilty/Jaeger/Kitz, Herausforderung Durchsetzung, S. 163 f. Der Verordnungstext bietet keine Indizien für die Auslegung in die eine oder andere Richtung. Eisenführ a. a. O. stützt seine Auffassung auf die Formulierung des Art. 22 Abs. 2 GMV („Der Inhaber einer Gemeinschaftsmarke kann die Rechte aus der Gemeinschaftsmarke gegen einen Lizenznehmer geltend machen […]“), doch spricht Art. 32 Abs. 2 GGV eine andere Sprache („Unbeschadet etwaiger vertraglicher Ansprüche kann der Rechtsinhaber gegenüber dem Lizenznehmer die Rechte aus dem Gemeinschaftsgeschmacksmuster geltend machen […]“). 12 Näher Schennen in Eisenführ/Schennen, GMV, Art. 106 Rn. 6. Ferner bleibt nach Art. 14 Abs. 3 GMV, Art. 96 Abs. 1 GGV das Recht unberührt, Klagen in Bezug auf ein Gemeinschaftsschutzrecht auf Bestimmungen des unlauteren Wettbewerbs zu stützen und vor anderen Gerichten als den designierten Gemeinschaftsmarken- bzw. Gemeinschaftsgeschmacksmustergerichten zu erheben. 13  Art. 101 Abs. 3 GMV, Art. 88 Abs. 3 GGV. 11 



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sonderheit gegenüber der EuGVO enthält zunächst der räumlich-persönliche Anwendungsbereich der internationalen Zuständigkeitsbestimmungen für Verletzungs- und Bestandsklagen. Die Anwendung dieser Bestimmungen setzt nach Art. 97 Abs. 3 GMV, 82 Abs. 3 GGV nicht voraus, dass der Beklagte einen Wohnsitz (oder auch nur eine Niederlassung) innerhalb der Europäischen Union innehat. Dem Kläger soll in jedem Fall die Anrufung eines Unionsgerichts ermöglicht werden.14 Denn vor dem Hintergrund des Territorialitätsprinzips kann es keineswegs als gesichert gelten, dass Staaten außerhalb der Europäischen Union ihre Gerichte zur Regelung von Streitigkeiten über Gemeinschaftsschutzrechte zur Verfügung stellen.15

2.  Zuständigkeit der Zentralgerichte Die Zuständigkeitsordnung der Spezialverordnungen zu den Gemeinschaftsschutzrechten folgt ebenso wie die EuGVO zunächst dem Grundsatz actor sequitur forum rei. Für Klagen oder Widerklagen i. S. d. Art. 96 GMV, Art. 81 GGV sind die Gerichte desjenigen Mitgliedstaats international zuständig, in dem der Beklagten seinen (Wohn-)Sitz innehat. Fehlt es an einem Sitz innerhalb der Europäischen Union, ist eine dortige Niederlassung maßgeblich.16 Für die Definition der Begriffe des Wohnsitzes17 und der Niederlassung18 kann auf die Auslegung der EuGVO zurückgegriffen werden. Ergeben sich aus Art. 62 f. EuGVO mehrere Anknüpfungspunkte oder verfügt der Beklagte über mehrere 14 

Ruhl, GGV, Art. 82 Rn. 4; Kropholler/v. Hein, EuZPR, Art. 22 EuGVO Rn. 58. Eine Verletzungsklage betreffend ein Gemeinschaftsschutzrecht in einem Drittstaat ist dadurch nicht ausgeschlossen. Siehe für die Schweiz bspw. HG Zürich v. 13. 10. 2006 – GRUR Int. 2007, 258 f.; dort auch zur Aussetzung des Verfahrens zwecks Klärung der Bestandsfrage aufgrund Art. 16 Ziff. 4 LugÜ a. F. GMV und GGV gehen dem rev. LugÜ gemäß dessen Art. 67 Abs. 1 i. V. m. Nr. 1 Protokoll Nr. 3 vor. 16  Art. 97 Abs. 1 GMV, Art. 82 Abs. 1 GGV. 17  Schulte-Beckhausen, WRP 1999, 300 (301); Knaak in Bastian/Knaak/Schricker, Gemeinschaftsmarke, Rn. 245; Schaper, Gemeinschaftsmarke, S. 17; Hartmann, Gemeinschaftsmarke, S. 49; Ruhl, GGV, Art. 82 Rn. 6 ff. 18  Im Gegensatz zu Art. 7 Nr. 5 EuGVO (2001) stellen Art. 97 Abs. 1 GMV, 82 Abs. 1 GGV nicht auf einen Nexus zwischen der Streitigkeit und dem Betrieb der Niederlassung ab. Dies leuchtet angesichts der unterschiedlichen Funktion der jeweiligen Regelungen ein: Art. 7 Nr. 5 EuGVO eröffnet zu Lasten des Beklagten einen von dessen allgemeinen Gerichtsstand abweichenden, sachnahen Gerichtsstand. In Art. 97 Abs. 1 GMV, 82 Abs. 1 GGV fungiert der Gerichtsstand der Niederlassung hingegen dazu, einen Beklagtengerichtsstand in jenen Situationen zu eröffnen, in denen es an einem Beklagten(wohn)sitz innerhalb der EU mangelt, um dem Beklagten die Notwendigkeit einer Verteidigung am Gerichtsstand des Klägers oder in Alicante zu ersparen. Verfügt der Beklagte indes über mehrere Niederlassungen innerhalb der EU, erlaubt dies dem Kläger eine Auswahl des Gerichtsstands. Siehe umfassend OLG Düsseldorf v. 24. 07. 2012 – I-20 W 141/11 (Galaxy Tab II), Rn. 23 ff.; ferner Hartmann, Gemeinschaftsmarke, S. 52; Ruhl, GGV, Art. 82 Rn. 9. Abweichend plädieren für eine teleologische Reduktion in Anlehnung an Art. 7 Nr. 5 EuGVO Knaak in Bastian/Knaak/Schricker, Gemeinschaftsmarke, Rn. 245; Schaper, Gemeinschaftsmarke, S. 18. 15 

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Niederlassungen innerhalb der EU, so hat der Kläger die Wahl zwischen mehreren Foren. Bekanntlich gibt es auch Wirtschaftsteilnehmer, die weder über einen Sitz noch über eine Niederlassung im Territorium der EU verfügen. Da für die in Art. 96 GMV, Art. 81 GGV genannten Verfahren auf jeden Fall die Anrufung eines Gemeinschaftsgerichts ermöglicht werden soll, sehen Art. 97 Abs. 2, 3 GMV, Art. 82 Abs. 2, 3 GGV subsidiäre Anknüpfungen vor: In Ermangelung eines Wohnsitzes oder einer Niederlassung des Beklagten in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union sind die Gerichte des Wohnsitzstaates der Klägers, hilfsweise die Gerichte am Ort der Niederlassung des Klägers innerhalb der EU zuständig. Verfügen weder Beklagter noch Kläger über einen Sitz oder eine Niederlassung innerhalb der Union, so ist das Gemeinschaftsmarkengericht in Alicante, Spanien, anzurufen.19 Die Gerichte am so ermittelten Gerichtsstand sind über die in Art. 96 GMV, 81 GGV genannten Verfahren uneingeschränkt kognitionsbefugt20 und können deshalb als „Zentralgerichte“ bezeichnet werden.21 Sie sind zuständig für Bestandswiderklagen, dürfen aber nicht inzident über den Bestand des betroffenen Schutzrechts entscheiden, auch nicht im Rahmen einer negativen Feststellungsklage.22 Die Erhebung einer negativen Feststellungsklage steht darüber hinaus unter dem Vorbehalt der Zulässigkeit nach nationalem Prozessrecht.23 Die uneingeschränkte Kognitionsbefugnis des Zentralgerichts bedeutet zudem nicht, dass ein durch dieses ausgesprochenes Verletzungsverbot sich stets auf das gesamte Territorium der Europäischen Union beziehen müsste. Erstens vermag der Kläger die territoriale Reichweite seiner Klage zu beschränken.24 Zweitens kann sich eine territoriale Beschränkung des Unterlassungstenors aus dem materiellen Recht ergeben. Neben dem in Art. 110, 111 Abs. 1 GMV25 geregelten Konflikt mit älteren Rechten von örtlicher Bedeutung ist dies der Fall, wenn die Benutzung eines Zeichens aus sprachlichen Gründen 19  Art. 97 Abs. 3 GMV, Art. 82 Abs. 3 GGV. Das am Sitz des HABM befindliche Juzgados de lo Mercantil de Alicante ist das einzige Gemeinschaftsmarkengerichts Spaniens. 20  Art. 98 Abs. 1 GMV. 21  Der Begriff wurde geprägt von Tilmann, GRUR Int. 2001, 673 (674). 22  Art. 99 Abs. 1, 2 GMV, Art. 84 Abs. 4 GGV. 23  Art. 96 lit. b GMV, 81 lit. b GGV. 24  EuGH v. 12. 04. 2011 – C-235/09 – Slg. 2011, I-2801 (DHL Express France), Rn. 48; OGH v. 20. 04. 2006 – 4 Ob 5/06y – GRUR 2007, 256 (258) (Lucky Strike); OGH v. 28. 09. 2006 – 4 Ob 118/06s  – GRUR Int. 2007, 433 (434) (Red Bull); Knaak in Bastian/Knaak/Schricker, Gemeinschaftsmarke, Rn. 307; Rohnke, GRUR Int. 2002, 979 (986); Kochendörfer, GRURPrax 2010, 503. Ohne eine solche Beschränkung ist entgegen andersläufigen Tendenzen in der Rechtsprechung (Nachweise bei Knaak a. a. O. Fn. 407) das Verbot im Zweifel auf die gesamte Union zu erstrecken, vgl. BGH v.  16. 08. 2012  – I ZR 74/10  – GRUR 2012, 1253 (1257) (Gartenpavillon). 25  Wichard, ZEuP 2002, 23 (52 f.); Hartmann, Gemeinschaftsmarke, S. 67.



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nur in einigen Mitgliedstaaten die Funktionen der Marke beeinträchtigt. An einer Beeinträchtigung fehlt es beispielsweise, wenn in den Amtssprachen einiger Mitgliedstaaten keine Verwechslungsgefahr der betroffenen Zeichen besteht26 oder wenn eine Beeinträchtigung oder Ausnutzung der Wertschätzung oder der Unterscheidungskraft einer bekannten Gemeinschaftsmarke sich auf einen oder mehrere Mitgliedstaaten beschränkt, weil der Marke ohnehin nur in diesem/n Mitgliedstaat(en) Bekanntheit zukommt.27 Eine tatsächliche Segmentierung ergibt sich schließlich, wenn es sich bei der Beklagten um die Vertriebstochter eines Konzerns handelt, der für mehrere europäische Staaten eigene Tochtergesellschaften gegründet hat. Der unionsweite Verbotsausspruch entfaltet aufgrund der gebietsbezogenen Aktivitäten der jeweiligen Konzerntöchter de facto nur im Erlassstaat seine Wirkung.28

3.  Zuständigkeit der Gerichte am Verletzungsort a)  Anklänge an Art. 7 Nr. 2 EuGVO Art. 97 Abs. 5 GMV, 82 Abs. 5 GGV enthalten einen Gerichtsstand am Verletzungsort. Dem Kläger wird alternativ zur Klageerhebung vor dem Zentralgericht die Option der Klageerhebung vor den Gerichten desjenigen Mitgliedstaates eröffnet, in dem eine Verletzungshandlung droht oder begangen worden ist.29 Diese Formulierung erinnert an den Wortlaut des Art. 7 Nr. 2 EuGVO, ist aber nicht mit jenem identisch.30 Ferner enthalten Art. 98 Abs. 2 GMV, Art. 83 Abs. 3 GGV eine ausdrückliche Beschränkung der Kognitionsbefugnis auf im Gerichtsstaat begangene oder drohende Handlungen,31 wel-

26  EuGH v. 12. 04. 2011 – C-235/09 – Slg. 2011, I-2801 (DHL Express France), Rn. 47 f.; Hartmann, S. 68 ff. m. w. N. Zu sprachlichen, kulturellen und sozialen Unterschieden der Wahrnehmung einer Marke siehe EuGH v. 26. 11. 1996 – C-313/94 – Slg. 1996, I-6039 (Graffione), Rn. 22; zu Konsequenzen für die Darlegungs- und Beweislast Sosnitza, GRUR 2011, 465 (469); Hartmann, Gemeinschaftsmarke, S. 114. 27  Offen gelassen in EuGH v. 6. 10. 2009 – C-301/07 – Slg. 2009, I-9429 (Pago), Rn. 31; für eine territoriale Begrenzung des Unterlassungstenors Sosnitza, GRUR 2001, 465 (468); Hartmann, Gemeinschaftsmarke, S. 111 ff.; a. A. Rohnke, GRUR Int. 2002, 979 (983); offen Knaak, GRUR 2001, 21 (23). 28  OLG Düsseldorf v. 24. 07. 2012 – I-20 W 141/11 (Galaxy Tab III), Rn. 80; kritisch zu dieser Entscheidung Sir Robin Jacob in Samsung v Apple, [2012] EWCA Civ.  1339 (CA), Rn. 55 ff. 29  Dies gilt auch für Klagen, mit denen eine Entschädigung für Handlungen verlangt wird, die zwischen Anmeldung und Veröffentlichung der Gemeinschaftsmarke vorgenommen wurden (Art. 9 Abs. 3 S. 2 GMV). 30  Dies betont zu Recht OGH v. 11. 12. 2007 – 17 Ob 22/07w – GRUR Int. 2009, 74 (75) (Personal Shop). 31  Art. 98 Abs. 2 GMV; Art. 83 Abs. 2 GGV.

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che wiederum Erinnerungen an die Shevill-Rechtsprechung des EuGH (supra § 10 Rn. 34 ff.) weckt.32

b)  Ausschluss negativer Feststellungsklagen 12

Diese Ähnlichkeiten dürfen nicht dazu verleiten, die Unterschiede zwischen Art. 7 Nr. 2 EuGVO und Art. 97 Abs. 5 GMV, Art. 82 Abs. 5 GGV zu ignorieren. Im Gegensatz zu Art. 7 Nr. 2 EuGVO33 erfasst der Gerichtsstand am Ort der Verletzungshandlung in GMV und GGV negative Feststellungsklagen explizit nicht.34 Ein außergerichtlich in Anspruch genommener vermeintlicher Verletzer muss entweder beim Zentralgericht Klage erheben oder die Klageerhebung durch den Verwarnenden am Ort der Verletzungshandlung abwarten.

c)  Vertragliche Ansprüche 13

Sieht man mit der h. M. vertragliche Ansprüche wegen Überschreitung der Lizenz als Klagen wegen Verletzung des Gemeinschaftsschutzrechts an, so umfasst die Kognitionsbefugnis der Gerichte am Ort der Verletzungshandlung entgegen der Rechtsprechung zu Art. 7 Nr. 2 EuGVO35 nicht allein deliktische, sondern auch vertragliche Ansprüche.36 Art. 97 Abs. 5 GMV, Art. 82 Abs. 5 GGV verzichten auf den Begriff der unerlaubten Handlung und ersetzen diesen durch die Formulierung „Verletzungshandlung“. Ferner steht der Gerichtsstand des Erfüllungsorts gemäß Art. 94 Abs. 2 lit. a GMV, Art. 79 Abs. 3 lit. a GGV dem Kläger nicht zur Verfügung, weshalb einerseits die Gerichte am Ort der Verletzungshandlung die einzigen Gerichte sind, welche sachnahen Rechtsschutz anbieten können und andererseits ein übermäßiges forum shopping ausgeschlossen wird.

d)  Ort der Verletzungshandlung 14

Zur Bestimmung des Orts der Begehung der Verletzung i. S. d. Art. 97 Abs. 5 GMV, Art. 82 Abs. 5 GGV wird trotz des von Art. 7 Nr. 2 EuGVO abweichenden Wortlauts37 in Literatur und Rechtsprechung überwiegend vorgeschlagen, 32  Die Übereinstimmung ist kein Zufall, da die Lösung des EuGH in der Rechtssache Shevill ebenso wie Art. 97 Abs. 5 GMV, Art. 82 Abs. 5 GGV von Art. 69 des Gemeinschaftspatentübereinkommens 1989 inspiriert waren, vgl. näher Schaper, Gemeinschaftsmarke, S. 131. 33  Siehe § 10 Rn. 15 f. 34 Art. 97 Abs. 5 GMV: „ausgenommen Klagen auf Feststellung der Nichtverletzung einer Gemeinschaftsmarke“; in der Verordnung über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster enthält Art. 82 Abs. 5 GGV keinen Verweis auf Art. 81 lit. b. 35  EuGH v. 27. 09. 1988 – C-189/87 – Slg. 1988, 5565 (Kalfelis), Rn. 16 f. 36  Ruhl, GGV, Art. 82 Rn. 36. 37  Art. 7 Nr. 2 EuGVO (2001) verweist auf die Gerichte des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht. Zu den Gründen für die Wortlautabweichung siehe Schaper, Gemeinschaftsmarke, S. 89 ff.



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an die Rechtsprechung des EuGH zu Art. 7 Nr. 2 EuGVO anzuknüpfen.38 Es wird also dafür plädiert, eine Klage sowohl am Ort des ursächlichen Geschehens als auch am Ort der Verwirklichung des Schadenserfolges zuzulassen, nicht hingegen an denjenigen Orten, an denen weitere Schadensfolgen eingetreten sind. Der EuGH ist diesem Vorschlag zu Recht nicht gefolgt.39 Da Art. 9 GMV, Art. 19 GGV eine verordnungsautonome Beschreibung der schutzrechtsverletzenden Handlungen vornehmen, lässt sich abweichend von dem Art. 7 Nr. 2 EuGVO zugrundeliegenden Ubiquitätsprinzip auch allein auf den Ort der Tatbestandsvollendung abstellen.40 Anders als bei Art. 7 Nr. 2 EuGVO bedarf es keiner „naturalistischen“ Handlungsbetrachtung, um den Gerichtsstand der Verletzungshandlung verordnungsautonom und unabhängig von den Haftungsstrukturen des anwendbaren nationalen Rechts auszulegen. Der EuGH sieht dies freilich anders und stellt den Ort der Verletzungshandlung i. S. d. Art. 97 Abs. 5 GMV in der Rechtssache Coty Germany mit dem Ort des ursächlichen Geschehens i. S. d. Art. 7 Nr. 2 EuGVO gleich.41 Aufgrund dieser Gleichsetzung lehnt der Gerichtshof zudem die Möglichkeit ab, einen Mittäter oder Gehilfen im Gerichtsstand des Art. 97 Abs. 5 GMV gerichtlich in Anspruch zu nehmen.42 Hierbei übersieht der Gerichtshof die Besonderheit der Beschränkung der Kognitionsbefugnis gemäß Art. 98 Abs. 2 GMV. Während die mit der ShevillRechtsprechung begründete Einschränkung der Kognitionsbefugnis nur die Gerichte am Erfolgsort betrifft und die Kognitionsbefugnis der Gerichte am Ort des ursächlichen Geschehens unberührt lässt, bezieht sich die Einschränkung der Kognitionsbefugnis in Art. 98 Abs. 2 GMV, Art. 83 Abs. 3 GGV insgesamt auf den Gerichtsstand der Verletzungshandlung. Die dort angerufenen Gerichte dürfen Schadensersatz und Unterlassungsgebote nur begrenzt auf ihr jeweiliges Staatsgebiet aussprechen.43 Folge der Rechtsprechung des Gerichts38  Vorabentscheidungsersuchen des BGH v. 28. 06. 2012 − I ZR 1/11 – GRUR 2012, 1065 (1067) (Coty Prestige) m. w. N.; Fayaz, GRUR Int. 2009, 459 (463); Schulte-Beckhausen, WRP 1999, 300 (301); Picht, GRUR Int. 2013, 19 (26); Eisenführ in Eisenführ/Schennen, Art. 97 GMV Rn. 11; Schaper, Gemeinschaftsmarke, S. 99 ff., 118 ff.; Hartmann, Gemeinschaftsmarke, S. 57; a. A. (Beschränkung auf den Handlungsort) Kohler in FS Everling, S. 659 ff.; Ruhl, GGV, Art. 82 Rn. 35; v. Hein, LMK 2012, 338414; offen gelassen von OGH v. 11. 12. 2007 – 17 Ob 22/07w – GRUR Int. 2009, 74 (Personal Shop). 39  EuGH v. 05. 06. 2014 – C-360/12 (Coty Germany), Rn. 32 ff.; zustimmend Hackbarth, GRUR-Prax 2014, 320 (321). 40  Wohl ebenso Kohler in FS Everling, S. 659 ff.; Ruhl, GGV, Art. 82 Rn. 29. 41  EuGH v. 05. 06. 2014 – C-360/12 (Coty Germany), Rn. 34. 42  EuGH v.  05. 06. 2014  – C-360/12 (Coty Germany), Rn. 38; kritisch v.  Hein, EuZW 2014, 667; Kur, GRUR Int. 2014, 749 (755). 43  EuGH v. 12. 04. 2011 – C-235/09 – Slg. 2011, I-2801 (DHL Express France), Rn. 36 ff.; OGH v. 11. 12. 2007 – 17 Ob 22/07w – GRUR Int. 2009, 74 (77) (Personal Shop); näher Sosnitza, GRUR 2011, 465 (467 f.) m. w. N.; Rohnke, GRUR Int. 2002, 979 (980); Knaak, GRUR Int. 2007, 386 (388); Fayaz, GRUR Int. 2009, 459 (464); kritisch Schack in FS Stürner, S. 1346.

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hofs in der Entscheidung Coty Germany ist es, dass bei gestreckten Vorgängen eine Zuständigkeit am Ort der Vornahme eines ursächlichen Teilakts bejaht wird (z. B. Absenden einer an einen anderen Staat gerichteten eMail), das betreffende Gericht jedoch nicht mit Kognitionsbefugnis ausgestattet ist, da im Gerichtsstaat keine tatbestandsmäßige Verletzungshandlung erfolgt ist (Anbieten schutzrechtsverletzender Ware im Empfangsstaat der eMail) und somit auch kein Schaden eingetreten ist. Nach hier vertretener Auffassung sind deshalb im Rahmen des Art. 97 Abs. 5 GMV, Art. 82 Abs. 5 GGV nur die Gerichte im Staat der tatbestandsmäßigen Deliktsvollendung entscheidungsbefugt.44 Da der Ort des ursächlichen Geschehens i. S. d. Art. 7 Nr. 2 EuGVO regelmäßig mit dem allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten nach Art. 97 Abs. 1 GMV, Art. 82 Abs. 1 GGV identisch ist, ergibt sich in der Sache kaum eine Abweichung zur Rechtslage unter der EuGVO. Eines Rückgriffs auf lauterkeitsrechtliche Ausweichtatbestände, wie sie die Entscheidung Coty Germany zur Folge hat,45 bedarf es unter Zugrundelegung der hier vertretenen Auffassung nicht. Lässt sich die anzuordnende Unterlassung nicht geographisch segmentieren, wie bei bestimmten Verletzungshandlungen unter Nutzung grenzüberschreitender Medien, so scheidet eine Klage am Begehungsort der Verletzungshandlung aus.46 Eine Übertragung der (m. E. ohnehin abzulehnenden) Wintersteiger-Entscheidung47 auf Gemeinschaftsschutzrechte kommt aus zweierlei Gründen nicht in Betracht: Erstens verstößt die dort propagierte Schwerpunktbildung gegen Art. 98 Abs. 2 GMV, Art. 83 Abs. 3 GGV. Zweitens scheidet ein Verweis auf die Gerichte des Schutzlandes aus, weil sich die Gemeinschaftsschutzrechte überterritorial auf das gesamte Gebiet der Union erstrecken.

4.  Gerichtsstandsvereinbarung und rügelose Einlassung 19

Art. 97 Abs. 4 GMV, Art. 82 Abs. 4 GGV verweisen hinsichtlich der Bedeutung einer Gerichtsstandsvereinbarung oder rügelosen Einlassung auf Art. 25, 26 EuGVO, verbunden mit wichtigen Modifikationen. Sowohl durch Prorogation als auch durch rügelose Einlassung kann lediglich die Zuständigkeit eines anderen Gemeinschaftsmarken- oder Gemeinschaftsgeschmacksmustergerichts als Zentralgericht begründet werden. Die ausschließliche sachliche Zuständigkeit dieser Gerichte bleibt folglich gewahrt.48 Unklar ist angesichts der 44  Wohl a. A. Schack in FS Stürner, S. 1345: Zuständigkeit am bloßen Erfolgsort sollte ausgeschlossen werden. 45 Näher Kur, GRUR Int. 2014, 749 (755). 46  A. A. Lorenz, jurisPR-ITR 11/2012: bestimmungsgemäße Ausrichtung. 47  Zur Diskussion siehe § 9 Rn. 39 ff. 48  Bumiller, ZIP 2002, 115 (116); Fayaz, GRUR Int. 2009, 459 (462 f.); Eisenführ in Eisenführ/Schennen, Art. 97 GMV Rn. 6.



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systematischen Stellung und des Wortlauts von Art. 97 Abs. 4 GMV, Art. 82 Abs. 4 GGV („ungeachtet der Absätze 1, 2 und 3“), ob auch die Zuständigkeit der Verletzungsgerichte nach Art. 97 Abs. 5 GMV, Art. 82 Abs. 5 GGV einer Derogation unterliegen; dies dürfte zu bejahen sein.49 Eine weitere Modifikation gegenüber der EuGVO lässt sich aus Art. 94 Abs. 2 lit. c GMV, Art. 79 Abs. 3 lit. c GGV ableiten: Danach sind die Zuständigkeitsvorschriften der EuGVO, welche einen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat der EU voraussetzen, auch auf Personen anzuwenden, die lediglich über eine Niederlassung innerhalb der EU verfügen. Für den Abschluss einer Gerichtsstandsvereinbarung nach Art. 97 Abs. 4 GMV, Art. 82 Abs. 4 GGV i. V. m. Art. 25 EuGVO reicht es somit aus, wenn zumindest eine der Parteien über eine Niederlassung innerhalb der EU verfügt. Zu beachten ist künftig auch in diesem Kontext ein potentieller Vorrang des Haager Gerichtsstandsübereinkommens (hierzu § 10 Rn. 62), wobei die spezielle sachliche Zuständigkeit der Gemeinschaftsmarken- und Gemeinschaftsgeschmacksmustergerichte im HGÜ nicht abgesichert ist. Verfügt keine der Parteien über einen Sitz oder eine Niederlassung innerhalb der Union (bzw. – künftig – über einen Aufenthalt in einem Konventionsstaat des HGÜ), wird das Verfahren zwingend dem Gemeinschaftsgericht in Alicante zugewiesen. Aufgrund des gegenüber der EuGVO erweiterten räumlich-persönlichen Anwendungsbereichs der Art. 95 ff. GMV, Art. 80 ff. GGV (Wohnsitz der Parteien irrelevant) scheidet eine Prorogation nach autonomem nationalen IZVR aus.50 Sachliche Gründe für den Ausschluss einer Gerichtsstandsvereinbarung zwischen Parteien, die weder über einen Sitz noch über eine Niederlassung innerhalb der Union verfügen, gibt es nicht.51 In der Praxis dürfte es wenige dieser Fälle geben. Sind sich die Parteien nach Streitentstehung über den gewünschten Gerichtsort einig, gibt es zudem einen Ausweg: Die entsprechende Wirkung lässt sich durch ein rügeloses Einlassen des Beklagten erzielen.52 49  Wie hier Heinig, GPR 2010, 36 (39); Hartmann, Gemeinschaftsmarke, S. 55 f., Schack in FS Stürner, S. 1345 f. sowie Ruhl, GGV Art. 82 Rn. 22, mit dem zutreffenden Hinweis, dass anderenfalls auch die über 94 Abs. 1 GMV, Art. 79 Abs. 1 GGV berufenen Gerichtsstände der EuGVO Derogationsfestigkeit erlangten. Es wäre wenig sachgerecht, wenn ein Kläger den Beklagten trotz bestehender Gerichtsstandsvereinbarung auf Basis des Art. 8 Nr. 1 EuGVO am Wohnsitz des Streitgenossen in Anspruch nehmen könnte. A. A. (Derogation nur in Bezug auf Art. 97 Abs. 1 bis 3 GMV, Art. 82 Abs. 1 bis 3 GGV) Bumiller, Gemeinschaftsmarke, Rn. 68. 70; Schaper, Gemeinschaftsmarke, S. 20 m. w. N. 50  A. A. Ruhl, GGV Art. 82 Rn. 15. 51  De lege ferenda für die Einführung einer Forumswahl Bumiller, ZIP 2002, 115 (116). 52  Zwar wird auch für Art. 26 EuGVO vielfach gefordert, die Bestimmung könne nur Anwendung finden, wenn zumindest eine der Parteien innerhalb der EU beheimatet sei (Nachweise bei Staudinger in Rauscher, EuZPR, Art. 24 Brüssel I-VO Rn. 2). Doch ist diese teleologische Reduktion dem Anwendungsbereich der EuGVO geschuldet, welcher deutlich

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§ 13  Sonderregeln in den Verordnungen über die ­Gemeinschaftsschutzrechte

5.  Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft a)  Subsidiäre Anwendung der Zuständigkeitsordnung der EuGVO 22

Hinsichtlich weiterer Zuständigkeiten verweisen Art. 94 GMV, Art. 79 GGV auf die Geltung der EuGVO und schließen gleichzeitig die für den Gewerblichen Rechtsschutz bedeutenden Gerichtsstände der Art. 4, Art. 7 Nr. 1, 2, 3 und 5 sowie Art. 35 EuGVO von der Anwendung aus.53 Nicht zum Tragen kommt ferner Art. 24 Nr. 4 EuGVO, da Streitigkeiten über die Verletzung und die Rechtsgültigkeit von Gemeinschaftsschutzrechten keine Streitigkeiten über den Bestand nationaler Schutzrechte sind.54 Der Verweis auf das Zuständigkeitsrecht der EuGVO ist damit nur für den Gerichtsstand der Streitgenossenschaft nach Art. 8 Nr. 1 EuGVO praktisch relevant.

b)  Räumlich-persönliche Anwendungsvoraussetzungen 23

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Konnexe Verfahren gegen verschiedene Beklagte können gemäß Art. 94 GMV, 79 GGV, 8 Nr. 1 EuGVO grundsätzlich vor einem einheitlichen Gericht geführt werden. Das für den Erstbeklagten nach Art. 97 Abs. 1, 98 Abs. 1 GMV bzw. Art. 82 Abs. 1, 83 Abs. 1 GGV vollumfänglich kognitionsbefugte Gericht ist auch hinsichtlich des Zweitbeklagten mit gemeinschaftsweiter Wirkung sachentscheidungsbefugt.55 Soweit nach Art. 8 Nr. 1 EuGVO ein Wohnsitz sowohl des Erst-, als auch des Zweitbeklagten in einem Mitgliedstaat erforderlich ist, gilt die Maßgabe der Art. 94 Abs. 2 lit. c GMV, 79 Abs. 3 lit. c GGV, dass der Ort der Niederlassung einer Partei innerhalb der Union an die Stelle des Wohnsitzes tritt, wenn die Partei nicht über einen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat verfügt. Dennoch führt die fehlende Kongruenz der Anwendungsbereiche der EuGVO auf der einen Seite und des Zuständigkeitssystems der GMV bzw. GGV auf der anderen Seite zu inadäquaten Ergebnissen: Vorbehaltlich einer Gerichtsstandsvereinbarung ist eine Klageverbindung ausgeschlossen, wenn nur einer der Beklagten seinen Wohnsitz oder eine Niederlassung in einem Mitgliedstaat hat.56 Die Klage gegenüber dem Zweitbeklagten muss nach enger ist als jener der Verordnungen über die Gemeinschaftsschutzrechte. Wie hier Ruhl, GGV, Art. 82 Rn. 24; a. A. Schaper, Gemeinschaftsmarke, S. 19. 53 Der Verweis von Art. 94 GMV, Art. 79 GMV auf die Bestimmungen der EuGVO (2001) ist gemäß Art. 80 S. 2 EuGVO (2012) als Bezugnahme auf die EuGVO (2012) zu lesen. 54 Art. 79 Abs. 3 lit. a GGV. Zur GMV ebenso Knaak, GRUR Int. 2007, 386 (391); Fayaz, GRUR Int. 2009, 459 (468); Heinig, GPR 2010, 36 (40); Schaper, Gemeinschaftsmarke, S. 144 ff.; Schack in FS Stürner, S. 1345; Hess, EuZPR, § 11 Rn. 32 m. w. N.; a. A. OGH v. 28. 09. 2006 – 4 Ob 118/06s – GRUR Int. 2007, 433 (434 f.) (Red Bull). 55  Schennen in Eisenführ/Schennen, GMV, Art. 94 Rn. 9; Schaper, Gemeinschaftsmarke, S. 144; Ruhl, GGV, Art. 83 Rn. 10 f. 56  Teilweise a. A. Schennen in Eisenführ/Schennen, Art. 94 GMV Rn. 10, der allerdings verkennt, dass Art. 8 Nr. 1 EuGVO eine Klage am Wohnsitz des Erstbeklagten erfordert.



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Art. 97 Abs. 3, Abs. 5 GMV, Art. 82 Abs. 3, Abs. 5 GGV zwingend am Klägergerichtsstand (subsidiär in Alicante) oder am Ort der Verletzungshandlung erfolgen. Verfügt keiner der Beklagten über Wohnsitz oder Niederlassung innerhalb der Union, ist eine subjektive Klagehäufung wiederum möglich, da für beide Beklagte eine Zuständigkeit am Klägergerichtsstand oder in Alicante besteht. Die Beschränkung des Gerichtsstands der Streitgenossenschaft auf Konstellationen, in denen alle Beklagten ihren Wohnsitz in einem Mitgliedstaat innehaben, sichert im Kontext der EuGVO die Wahrung des räumlich-persönlichen Anwendungsbereichs der Verordnung. Außerhalb dieses Anwendungsbereichs kann auf das autonome Zuständigkeitssystem des Forums zurückgegriffen werden. Im Kontext des breiteren Anwendungsbereichs der GMV und GGV, der einen Rückgriff auf das autonome Recht verbietet, überzeugt dieses Ergebnis hingegen nicht. Hier wäre die Option einer Verfahrenskonsolidierung vor einem der jeweils zuständigen Zentralgerichte sinnvoll.57

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c)  Konnexität der Klagen Hinsichtlich der im Rahmen des Art. 8 Nr. 1 EuGVO erforderlichen Konnexität sei auf die ausführlichen Erörterungen in § 10 Rn. 64 ff. verwiesen. Nach hier vertretener Auffassung ist von einem ausreichenden Zusammenhang zwischen den Verfahren gegen verschiedene Beklagte auszugehen, wenn die sinnvolle Möglichkeit einer gemeinsamen Verhandlung besteht (d. h. wenn die Klage gegen den Ankerbeklagten nicht offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist), eine Teilidentität entscheidungserheblicher Tatsachenfragen vorliegt und eine innere Verbindung zwischen den Beklagten besteht, aufgrund derer die Inanspruchnahme am Wohnsitz des Ankerbeklagten dem Zweitbeklagten zugemutet werden kann. Wird den Beklagten die Verletzung desselben Gemeinschaftsschutzrechts vorgeworfen, so scheitert eine Klagenverbindung auch bei Zugrundelegung des – m. E. abzulehnenden – strengen Konnexitätsmaßstabs aus dem Urteil Roche Nederland nicht am Fehlen einer einheitlichen Rechtslage. Sowohl GMV als auch GGV führen nicht nur zur Erteilung eines einheitlichen, gemeinschaftsweiten Schutzrechts, sondern regeln auch die Verletzungshandlungen und das Unterlassungsgebot einheitlich.58 Die aus dieser Rechtsidentität folgende Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen wird nicht 57  Angesichts des Vorliegens einer unbeabsichtigten Regelungslücke spricht sich Schaper, Gemeinschaftsmarke, S. 139 für eine Analogie (sic!) aus. 58  Art. 102 GMV regelt das Unterlassungsgebot und die grundsätzlich zwingende Festsetzung einer Zwangsmaßnahme, vgl. EuGH v. 14. 12. 2006 – C-316/05 – Slg. 2006, I-12083 (Nokia), Rn. 30, 36, 45; hinsichtlich der übrigen Sanktionen verweist die Bestimmung auf das nach Art. 8 Abs. 2 Rom II-VO zu ermittelnde Sachrecht. Art. 89 GGV ist Art. 102 GMV nachgebildet und enthält neben dem Verbot der Verletzungshandlung die weitere verordnungsautonome Sanktion der Beschlagnahme.

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§ 13  Sonderregeln in den Verordnungen über die ­Gemeinschaftsschutzrechte

dadurch relativiert, dass hinsichtlich der weiteren Folgeansprüche gemäß Art. 102 Abs. 2 GMV, Art. 88 Abs. 2 GGV unterschiedliches Sachrecht zur Anwendung gelangen kann.59

6.  Behauptung des Nichtbestands des Gemeinschaftsschutzrechts a)  Grundsätzlicher Ausschluss der Nichtigkeitseinrede 27

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Die Gemeinschaftsgerichte gehen im Rahmen einer Verletzungsklage grundsätzlich von der Rechtsgültigkeit eines Gemeinschaftsschutzrechts aus.60 Auch im Kontext einer negativen Feststellungsklage kann die Wirksamkeit des Schutzrechts nicht in Frage gestellt werden.61 Will sich der Beklagte mit der Behauptung des Nichtbestands des Gemeinschaftsschutzrechts wehren, so ist er gehalten, Widerklage auf Erklärung des Verfalls oder der Nichtigkeit des Schutzrechts zu erheben. Nur in Ausnahmefällen ist der Einwand des Nichtbestands des Schutzrechts zulässig: Nach Art. 99 Abs. 3 GMV ist der Beklagte befugt, im Verletzungsverfahren den Einwand der mangelnden Benutzung der Klagemarke zu erheben sowie sich einredeweise auf ein älteres Recht zu berufen (letzteres gilt auch für das Gemeinschaftsgeschmacksmuster, Art. 85 Abs. 1 S. 3 GGV). Folgt das Gericht dem Vortrag des Beklagten, entfaltet die Entscheidung über den Bestand des Gemeinschaftsschutzrechts lediglich Wirkung inter partes. Andere Einreden hinsichtlich der Rechtsgültigkeit des Schutzrechts sind nicht zulässig.62

b)  (Wider-)Klage auf Erklärung des Verfalls oder der Nichtigkeit 29

Ein Gemeinschaftsschutzrecht kann aus den in Art. 51 bis 53 GMV, Art. 25 GGV abschließend geregelten Gründen für verfallen oder für nichtig erklärt werden. Grundsätzlich ist hierfür das Antragsverfahren vor dem Harmonisierungsamt nach Art. 56 GMV, 52 GGV vorgesehen.63 Der Beklagte in einem Verletzungsverfahren hat gemäß Art. 100 GMV, 84 GGV zusätzlich die Möglichkeit, Widerklage auf Erklärung des Verfalls oder der Nichtigkeit eines 59  BGH v. 14. 12. 2006 – I ZR 11/04 – GRUR Int. 2007, 864 (866) (Aufarbeitung von Fahrzeugkomponenten); RB s‘Gravenhagev. 23. 08. 2007 – 05/913 (Bacardi & Co v. Bat Beverage) ; Knaak, GRUR Int. 2007, 386 (391); Norrgård in Leible/Ohly, IP & IPR, S. 224; Bittmann, IPRax 2012, 414 (416); Eisenführ in Eisenführ/Schennen, Art. 97 Rn. 13; Fayaz, GRUR Int. 2009, 459 (463); Schaper, Gemeinschaftsmarke, S. 69 f.; Hartmann, Gemeinschaftsmarke, S. 60 f.; a. A. Bumiller, Gemeinschaftsmarke Rn. 72; Lange, GRUR 2007, 107 (112), die jeweils auf eine Betrachtung des konkreten Begehrens abstellen. 60  Art. 99 Abs. 1 GMV; Art. 85 Abs. 1 GGV. 61  Art. 99 Abs. 2 GMV. Will der vermeintliche Verletzer die Wirksamkeit des Schutzrechts aktiv in Frage stellen, muss er das Antragsverfahren beim Harmonisierungsamt nutzen. 62  Art. 99 Abs. 1 GMV, Art. 85 Abs. 1 GGV. 63  Entscheidungen des HABM sind mit der Beschwerde anfechtbar, Art. 58 GMV. Gegenüber der Zurückweisung der Beschwerde steht die Klage vor dem EuG sowie gegebenenfalls der weitere Rechtsweg zum EuGH zur Verfügung, Art. 65 GMV.



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eingetragenen Gemeinschaftsschutzrechts zu erheben.64 Ist der Schutzrechtsinhaber am Rechtsstreit noch nicht beteiligt, erhält er auf die Widerklage hin die Option, zwecks Wahrung seiner Interessen dem Verfahren beizutreten.65 Nicht eingetragene Geschmackmuster können auch per Klage auf Erklärung der Nichtigkeit vor einem Gemeinschaftsgeschmacksmustergericht zu Fall gebracht werden.66 Das zentrale Bestandsverfahren vor dem Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (HABM)67 wird also durch eine dezentrale Entscheidungsbefugnis der im Verletzungsverfahren angerufenen Gerichte komplementiert. Erklärt das mit der Bestandswiderklage befasste Gericht das Gemeinschaftsschutzrecht für verfallen oder nichtig, so entfaltet die Entscheidung ebenfalls erga omnes-Wirkung.68 Der hierdurch entstehende Kompetenzkonflikt wird durch spezielle Prioritäts- und Aussetzungsvorschriften gelöst (siehe Rn. 38 ff.).

7.  Der Gerichtsstand der Widerklage Widerklagen, die nicht auf Erklärung des Verfalls oder der Nichtigkeit des Gemeinschaftsschutzrechts gerichtet sind, können nach Art. 94 Abs. 1 GMV, Art. 79 Abs. 1 GGV im Gerichtsstand der Widerklage gemäß Art. 8 Nr. 3 EuGVO erhoben werden, sofern sie auf denselben Sachverhalt wie die Klage gestützt werden.69 Beschränkt der Schutzrechtsinhaber seinen Klageantrag auf bestimmte Mitgliedstaaten der Union oder erhebt er Klage vor den Gerichten am Ort der Verletzungshandlung, sollte es dem Beklagten durch eine weite Auslegung des Begriffs „Sachverhalt“ erlaubt werden, mittels der Widerklage eine negative Feststellung auch hinsichtlich identischer, in anderen Mitgliedstaaten vorgenommener strittiger Handlungen zu erwirken. Hierdurch wird 64  Diese Kompetenz kommt auch dem Gericht am Ort der Verletzungshandlung zu, vgl. Schulte-Beckhausen, WRP 1999, 300 (302). 65  Art. 100 Abs. 3 GMV, Art. 84 Abs. 3 GGV i. V. m. den Bestimmungen der lex fori. 66  Art. 81 lit. c, d GGV. 67  Art. 56 GMV, Art. 52 GGV. 68  Art. 100 Abs. 5, 57 Abs. 5 GMV, Art. 87, 26 GGV. Kritisch hinsichtlich dieser Befugnis nationaler Gerichte, die Handlung eines Amtes der Europäischen Union für ungültig zu erklären Jung in FS Everling, 1995, 611 (617 f.). 69  Nach dem Wortlaut des Art. 8 Nr. 3 EuGVO steht der Gerichtsstand der Widerklage nicht zur Verfügung, wenn der Kläger und Widerbeklagte nicht über einen Wohnsitz innerhalb der Union verfügt. Im Schrifttum wird teilweise für eine erweiternde oder analoge Anwendung des Art. 8 Nr. 3 EuGVO plädiert, sofern es hieran fehlt, vgl. Geimer in Geimer/ Schütze, EuZPR m. w. N., auch zur Gegenauffassung. Zu Art. 8 Nr. 1 EuGVO hat der EuGH freilich eine solche erweiternde/analoge Auslegung abgelehnt, vgl. EuGH v.  11. 04. 2013  – C-645/11 (Sapir), Rn. 52 ff. Da im Anwendungsbereich von GMV und GGV ein Rückgriff auf die Widerklagezuständigkeit nach autonomem Recht in Abweichung von Art. 79 GMV, Art. 82 GGV ausscheidet, sollte auf das Erfordernis des Wohnsitzes oder der Niederlassung des Widerbeklagten in der EU im Rahmen der Verordnungen über die Gemeinschaftsschutzrechte verzichtet werden.

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eine einheitliche Klärung des Rechtsstreits begünstigt und prozesstaktischen Spielchen des Schutzrechtsinhabers vorgebeugt. Für eine parteierweiternde Widerklage steht der Gerichtsstand des Art. 8 Nr. 3 EuGVO nach herrschender Auffassung nicht zur Verfügung.70 Eine solche Widerklage kann aber nach Maßgabe des autonomen Rechts zulässig sein, sofern das Gericht auf Basis einer anderen Zuständigkeitsnorm der GMV bzw. GGV i. V. m. der EuGVO zur Entscheidung über die Widerklage berufen ist.71

8.  Fehlende Verweisungskompetenz 32

GMV und GGV sehen keine Verweisungsmöglichkeit eines international unzuständigen Gerichts an die Gerichte eines anderen Mitgliedstaats vor.72 Die Bezeichnung der nach Art. 95 ff. GMV und Art. 80 ff. GGV zuständigen Gerichte als Gemeinschaftsgerichte ist eine interessante Schöpfung, darf aber nicht den Blick darauf verschleiern, dass es sich nach wie vor um Gerichte der Mitgliedstaaten handelt.73 Soweit sich das Gericht eines Mitgliedstaates gemäß den Regelungen der EuGVO für unzuständig erklärt, sind freilich nach der Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache Gothaer Allgemeine Versicherung alle anderen Gerichte der Mitgliedstaaten an die tragenden Entscheidungsgründe gebunden, d. h. sie sind in ihrer Zuständigkeitsprüfung nicht frei (vgl. § 12 Rn. 75 f.).74 Dies dürfte auch dann gelten, wenn die Erklärung der Unzuständigkeit auf Zuständigkeitsnormen der Verordnungen über die Gemeinschaftsschutzrechte gestützt wird.

III.  Zuständigkeit im einstweiligen Rechtsschutz 33

Die nach Art. 97 Abs. 1 bis 4 GMV, Art. 82 Abs. 1 bis 4 GGV zuständigen Gemeinschaftsgerichte sind selbstverständlich befugt, auch Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes anzuordnen.75 Diese einstweiligen Anordnungen sind der Anerkennung und Vollstreckung nach der EuGVO zugänglich. 70  Jordan Grand Prix v Baltic Insurance Group, [1999] 2 AC 127 (134 f.) (HL) zu Art. 11 Abs. 2 EuGVÜ; BayObLG v. 10. 11. 2004 – 1Z AR 137/04 – IPRspr. 2004, Nr. 128, S. 280 f.; Kropholler/v. Hein, EuZPR, Art. 6 EuGVO Rn. 40; Geimer in Geimer/Schütze, A. 1, Art. 6 Rn. 65; Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 5 Brüssel I-VO Rn. 23a, 28; Schlosser, EU-ZPR, Art. 6 EuGVVO Rn. 9. 71  Kropholler/v.  Hein, EuZPR, Art. 6 Rn. 40; Geimer in Geimer/Schütze, A. 1, Art. 6 Rn. 65 m. w. N. 72  Rohnke, GRUR Int. 2002, 979 (989); Schulte-Beckhausen, WRP 1999, 300 (302 f.); Hartmann, Gemeinschaftsmarke, S. 62; Ruhl, GGV, Art. 82 Rn. 13; a. A. Fayaz, GRUR Int. 2009, 459 (466). 73 Anders Hartmann, Gemeinschaftsmarke, S. 62; Fayaz, GRUR Int. 2009, 459 (466). 74  EuGH v. 15. 11. 2012 – C-456/11 (Gothaer Allgemeine Versicherung), Rn. 40 f. 75  Art. 103 Abs. 2 GMV, Art. 90 Abs. 3 GGV.



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Daneben tritt eine sekundäre Zuständigkeit aller anderer Gerichte, die nach dem Recht des jeweiligen Mitgliedstaats für einen entsprechenden Antrag in Bezug auf eine nationale Marke zuständig wären (Art. 103 Abs. 1 GMV, Art. 90 Abs. 3 GGV).76 Die ausschließliche sachliche Zuständigkeit der Gemeinschaftsmarken­ gerichte bzw. der Gemeinschaftsgeschmacksmuster­ gerichte wird folglich für den einstweiligen Rechtsschutz gelockert. Die Sinnhaftigkeit dieser Regel kann bezweifelt werden, denn gerade im auf Schnelligkeit angelegten einstweiligen Rechtsschutz ist ein fachkundiges Gericht Gold wert. Die Reichweite der durch Art. 103 Abs. 1 GMV, Art. 90 Abs. 3 GGV vermittelten internationalen Zuständigkeit im einstweiligen Rechtsschutz, insbesondere die Übertragbarkeit der van Uden-Prinzipien,77 war bislang – wohl mangels Praxisrelevanz – kein Gegenstand der Rechtsprechung.78 Gemäß Art. 103 Abs. 2 S. 2 GMV, Art. 90 Abs. 3 S. 2 GGV sind lediglich die Eilentscheidungen der nach Art. 97 Abs. 1 bis 4 GMV, Art. 82 Abs. 1 bis 4 GGV zuständigen Gerichte der Anerkennung und Vollstreckung im EUAusland zugänglich. Für Entscheidungen der Eilgerichte nach Art. 103 Abs. 1 GMV, Art. 90 Abs. 1 GGV lässt sich die Versagung der Anerkennung und Vollstreckung wohl darauf zurückführen, dass einer Umgehung der Hauptsachegerichte vorgebeugt werden soll. Der Ausschluss der Urteilsfreizügigkeit erstreckt sich jedoch auch auf Eilanordnungen, die von den Gerichten am Ort der Verletzungshandlung oder den Gerichten der Streitgenossenschaft als zuständigen Hauptsachegerichten erlassen wurden. Dies kann nicht überzeugen, ist es doch naheliegend, einstweiligen und endgültigen Rechtsschutz bei demselben Gericht zu suchen.

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IV.  Koordination zeitlich paralleler Verfahren GMV und GGV enthalten nicht nur konkurrierende Zuständigkeiten für die Verletzungsklage, sondern auch konkurrierende Zuständigkeiten für Bestandsverfahren (vor dem HABM) und Bestandswiderklagen (vor dem Verletzungsgericht). Die Verordnungen enthalten deshalb spezifische Koordinationsregeln, die neben Art. 29 ff. EuGVO treten. 76  OGH v. 11. 12. 2007 – 17 Ob 22/07w – GRUR Int. 2009, 74 (76) (Personal Shop); Rohnke, GRUR Int. 2002, 979 (988); Knaak in Bastian/Knaak/Schricker, Gemeinschaftsmarke, Rn. 250, Fayaz, GRUR Int. 2009, 459 (469); Sosnitza, GRUR 2011, 465 (467). Der Verweis auf das nationale Zuständigkeitsrecht geht aus dem Wortlaut der Norm zwar nicht eindeutig hervor, doch sprechen sowohl Art. 106 Abs. 1 GMV, 93 Abs. 1 GGV als auch die Sachdienlichkeit für eine solche Auslegung. 77  Hierzu § 11 Rn. 22 ff. 78  Für eine Auslegung entsprechend Art. 35 EuGVO Hess, EuZPR, § 11 Rn. 33; Bittmann, IPRax 2012, 414 (415 f.); Ruhl, GGV, Art. 90 Rn. 2 („zumindest im Grundsatz“); ebenso Sujecki, GRUR Int. 2013, 201 (213), der freilich von einer „realen Verknüpfung“ zum Territorium jedes Mitgliedstaats ausgeht.

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1.  Parallele Verfahren wegen Verletzung eines Gemeinschaftsschutzrechts 37

Soweit mehrere Verfahren aufgrund einer Verletzung desselben Gemeinschaftsschutzrechts geführt werden, finden die in Art. 29 ff. EuGVO enthaltenen Grundsätze zur Verfahrenskoordination (vgl. § 12 Rn. 6 ff.) uneingeschränkt Anwendung.79 Eine Aussetzung ist bei Partei- und Streitgegenstandsidentität erforderlich. Von „demselben Anspruch“ i. S. d. Art. 29 EuGVO lässt sich im Verletzungsverfahren allerdings nur dann sprechen, wenn eine territoriale Überschneidung der jeweils begehrten Rechtsfolge vorliegt.80 Wird das nur eingeschränkt kognitionsbefugte Verletzungsgericht gem. Art. 97 Abs. 5 GMV, Art. 82 Abs. 5 GGV angerufen oder begrenzt der Kläger sein Begehren auf einen Teil des Unionsgebiets, steht die Rechtshängigkeit der Anrufung eines weiteren Gerichts nicht entgegen, wenn Gegenstand des Zweitverfahrens Rechtsfolgen in anderen Mitgliedstaaten sind.81 Eine Verfahrenskoordination ist ferner über Art. 30 EuGVO möglich, sofern die Verfahren im Zusammenhang stehen. Jedes später angerufene Gericht hat die Option, das Verfahren auszusetzen. Auch eine Erklärung der Unzuständigkeit kommt in Betracht, wenn die zuerst erhobene Klage noch in erster Instanz vor einem nach Art. 97 GMV, Art. 82 GMV zuständigen Gericht anhängig ist und eine Klageverbindung nach dessen lex fori zulässig ist.82

2.  Koordination zeitgleicher Bestandsangriffe 38

Angriffe auf den Bestand eines registrierten Gemeinschaftsschutzrechts können einerseits per Antrag auf Erklärung des Verfalls oder der Nichtigkeit vor dem Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt nach Art. 56 GMV, 52 GGV geführt werden,83 andererseits durch Widerklage im Verletzungsverfahren erfolgen.84 GMV und GGV koordinieren zeitgleich geführte Bestandsangriffe

79  Art. 94 Abs. 1 GMV, Art. 97 Abs. 1 GGV; OGH v. 16. 12. 2003 – 4 Ob 58/03p – GRUR Int. 2005, 1039 (1040 f.) (Boss Zigaretten V); Knaak, GRUR Int. 2007, 386 (388); Heinig, GPR 2010, 36 (40); Sosnitza, GRUR 2011, 465 (470); Hartmann, Gemeinschaftsmarke, S. 167. 80  OLG Düsseldorf v. 08. 11. 2005 – I-20 U 110/04 – InstGE 6, 214 (216) (Rodeo). (Rodeo), hierzu auch Cour d’appel de Paris v. 02. 12. 2005 – 04/22431 (Rodeo) Knaak, GRUR Int. 2007, 386 (389). 81  Hartmann, Gemeinschaftsmarke, S. 104; Sosnitza, GRUR 2001, 465 (470). 82  Nach Art. 28 Abs. 2 EuGVO (2001) besteht diese Option nur, soweit die Klage vor dem später angerufenen Gericht ebenfalls noch in erster Instanz anhängig ist. Auf diese Voraussetzung verzichtet Art. 30 Abs. 2 EuGVO (2012). 83  Entscheidungen des HABM sind mit der Beschwerde anfechtbar, Art. 58 GMV, 55 GGV. Gegenüber der Zurückweisung der Beschwerde steht die Klage vor dem EuG sowie gegebenenfalls der weitere Rechtsweg zum EuGH zur Verfügung, Art. 65 GMV, Art. 61 GGV. 84  Diese Kompetenz kommt auch dem Gericht am Ort der Verletzungshandlung zu, vgl. Schulte-Beckhausen, WRP 1999, 300 (302).



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nach einem modifizierten Prioritätssystem. Das Vorliegen von Parteiidentität ist hierbei keine Voraussetzung.85 Gemäß Art. 104 Abs. 1 GMV, Art. 91 Abs. 1 GGV setzt ein mit einem Angriff auf die Rechtsgültigkeit des Schutzrechts befasstes Gericht das Verfahren nach Anhörung der Parteien aus, wenn bereits vor dem Harmonisierungsamt ein Antrag auf Erklärung des Verfalls bzw. der Nichtigkeit gestellt worden ist oder der Bestand des Schutzrechts bereits mittels Widerklage vor einem anderen Gemeinschaftsgericht in Frage gestellt wurde und keine besonderen Gründe für die Fortsetzung des Verfahrens bestehen. Die Berücksichtigung anderweitiger Bestandsangriffe wird durch deren Eintragung im Register erleichtert.86 In Fällen der Parteiidentität ergibt sich das Prioritätsprinzip für konkurrierende Widerklagen bereits aus der über Art. 94 Abs. 1 GMV, 79 Abs. 1 GGV anwendbaren Litispendenzbestimmung des Art. 29 EuGVO.87 Eine Abweichung aufgrund des Vorliegens besonderer Umstände kommt hier nicht in Betracht. Liegt keine Parteiidentität vor, sollten besondere Gründe für die Fortsetzung des später initiierten Angriffs nur in Ausnahmefällen bejaht werden. Dies mag etwa der Fall sein, wenn sich die in den jeweiligen Verfahren vorgetragenen Verfalls- bzw. Nichtigkeitsgründe deutlich unterscheiden und es keine Möglichkeit der Parteien im jüngeren Verfahren zur Beteiligung im Erstverfahren gibt. Auch das Amt setzt grundsätzlich ein bei ihm eingeleitetes Bestandsverfahren aus, wenn der Bestand des Schutzrechts bereits vor einem zuständigen Gericht im Wege der Widerklage in Zweifel gezogen wurde.88 Das Prioritätsprinzip wird aufgelockert, um dem HABM als besonders sachkundiger Instanz eine vorrangige Prüfung zu ermöglichen: Auf Antrag einer Partei hat das zuerst mit der Widerklage befasste Gericht die Option, das Verletzungsverfahren samt Widerklage auszusetzen, um eine Entscheidung des später angerufenen HABM abzuwarten.89 Ist beim HABM noch kein Antrag auf Erklärung des Verfalls bzw. der Nichtigkeit eingegangen, so kann das mit der Widerklage befasste Gericht auf Antrag des Inhabers des Gemeinschaftsschutzrechts90 das Verletzungsverfahren aussetzen und den Widerkläger auffordern, innerhalb einer bestimmten Frist beim Amt einen entsprechenden Antrag zu stellen.91 85 

Ruhl, GGV, Art. 91 Rn. 8. Art. 100 Abs. 4 GMV, Art. 86 Abs. 2 GGV. 87  Art. 29 EuGVO findet nur Anwendung, wenn der Angriff auf die Rechtsgültigkeit des Schutzrechts vor den Gerichten unterschiedlicher Mitgliedstaaten erfolgt ist; für Anträge beim HABM ist die Bestimmung nicht einschlägig. 88  Art. 104 Abs. 2 GMV, 91 Abs. 2 GGV. 89  Eine Auseinandersetzung mit möglichen Gründen für eine Aussetzung findet sich in Kitfix v Great Gizmos, [2008] FSR 9 (Ch). 90  Kritisch zu dieser einseitigen Antragsbefugnis Bolte, Streitregelung, S. 119. 91  Art. 100 Abs. 7 GMV, 86 Abs. 3 GGV. Kriterien zur Ermessensausübung bei Hartmann, Gemeinschaftsmarke, S. 140 f. 86 

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§ 13  Sonderregeln in den Verordnungen über die ­Gemeinschaftsschutzrechte

Die Widerklage gilt als zurückgenommen, wenn der Widerkläger dieser Aufforderung nicht fristgemäß nachkommt.

3.  Aussetzung des Verletzungsverfahrens zwecks Klärung der Bestandsfrage a)  Vorrangige Klärung der Bestandsfrage 41

42

Aus Art. 104 Abs. 1 GMV, Art. 91 Abs. 1 GGV ergibt sich ferner die grundsätzliche Pflicht eines mit einem Verletzungsverfahren befassten Gerichts, das Verfahren nach Anhörung der Parteien auszusetzen, wenn bereits vor dem HABM ein Antrag auf Erklärung des Verfalls bzw. der Nichtigkeit gestellt worden ist oder der Bestand des Schutzrechts bereits mittels Widerklage vor einem anderen Gemeinschaftsmarkengericht in Frage gestellt wurde. Parteiidentität oder eine Übereinstimmung der geltend gemachten Verfalls- bzw. Nichtigkeitsverfahren sind keine Voraussetzung.92 Der grundsätzliche Vorrang der Klärung der Bestandsfrage soll dem Erlass von Entscheidungen vorbeugen, die durch nachträgliche Nichtig- oder Verfallserklärung des Schutzrechts hinfällig werden.93 Das Vorliegen besonderer Gründe für die Fortsetzung des Verfahrens erlaubt eine Abweichung vom Prinzip der Aussetzung. Hierzu zählen Konstellationen, in denen der Bestand des Schutzrechts nicht entscheidungserheblich ist, weil das Gericht das Vorliegen einer Verletzungshandlung ablehnt, oder in denen das Begehren in vollem Umfang auf eine nationale Marke gestützt werden kann.94 Ferner kann die Prozessökonomie den Fortgang des Verfahrens nahelegen, etwa wenn das Löschungsverfahren offensichtlich aussichtslos ist oder mit einer Entscheidung über die Bestandsfrage nicht in vertretbarer Zeit zu rechnen ist.95 Bei letzterer Fallgruppe sollte das Gericht allerdings prüfen, ob nicht der Erlass einstweiliger Maßnahmen für den Zeitraum der Aussetzung des Rechtsstreits den Rechtsschutzinteressen des Klägers ausreichend Rechnung trägt.96

b) Prioritätsprinzip 43

Nach dem Wortlaut der Art. 104 Abs. 1 GMV, Art. 91 Abs. 1 GGV unterliegt auch die Aussetzung des Verletzungsverfahrens zugunsten der Klärung der Be-

92 

Kitfix v Great Gizmos, [2008] FSR 9 (Ch); Schaper, Gemeinschaftsmarke, S. 13. Hartmann, Gemeinschaftsmarke, S. 159. 94  OLG Düsseldorf v. 28. 11. 2006 – I-20 U 73/06 – GRUR-RR 2007, 147 (professionalnails); Kitfix Swallow Group v. Great Gizmos, [2007] EWHC 2668 (Ch), Rn. 14; Hye-Knudsen, S. 192; Hartmann, Gemeinschaftsmarke, S. 160. 95  Hartmann, Gemeinschaftsmarke, S. 159; v.  Mühlendahl/Ohlgart/Bomhard, Gemeinschaftsmarke, § 26 Rn. 34; Kohler in FS Everling, S. 664 ff. 96  Siehe Art. 104 Abs. 3 GMV, 91 Abs. 3 GGV. 93 



B.  Gemeinschaftsmarke und Gemeinschaftsgeschmacksmuster

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standsfrage dem Prinzip zeitlicher Priorität.97 Rechtsprechung und Literatur gehen folgerichtig davon aus, dass eine Aussetzung des Verletzungsverfahrens nur geboten ist, wenn die Verletzungsklage dem Angriff auf den Bestand des Schutzrechts zeitlich nachfolgt.98 Doch ist diese Betrachtung zu simplifizierend, wie ein einfaches, praxisnahes Beispiel offenbart: Der Inhaber eines Gemeinschaftsschutzrechts erhebt zunächst in Mitgliedstaat A eine Verletzungsklage gegen A, anschließend klagt er gegen B wegen Schutzrechtsverletzung in Mitgliedstaat B. Sowohl A als auch B greifen den Bestand des Schutzrechts mit einer Widerklage an. Die zuerst erhobene Widerklage sperrt  – unabhängig vom Zeitpunkt der Erhebung der Verletzungsklage  – nach Art. 104 Abs. 1 GMV, Art. 91 Abs. 1 GGV die Entscheidung über die präjudizielle Widerklage im anderen Verfahren, sofern keine besonderen Gründe für die Fortführung des Verfahrens streiten. Gleiches gilt für einen nach der Erhebung der Verletzungsklage gestellten Antrag auf Erklärung des Verfalls oder der Nichtigkeit vor dem HABM. Eine Entscheidung über die Verletzungsklage ohne Berücksichtigung der (gesperrten) Widerklage ist nach der Konzeption der Verordnungen über die Gemeinschaftsschutzrechte prinzipiell ausgeschlossen. Es ist somit durchaus möglich, dass einem nach Einleitung des Verletzungsverfahrens erfolgten Bestandsangriff eine Sperrwirkung zukommt. Hätte B. in dem genannten Beispiel zuerst Bestandswiderklage erhoben, so wäre die Bestandswiderklage des A. gesperrt, und das Verletzungsverfahren gegenüber A. könnte (vorbehaltlich des Vorliegens besonderer Gründe) erst nach der Entscheidung über die Bestandswiderklage des B. fortgesetzt werden. Erhebt der Beklagte des Verletzungsverfahrens keine Widerklage, so geht das Gemeinschaftsgericht gemäß Art. 99 Abs. 1 GMV, Art. 85 Abs. 1 GGV ungeachtet eines gegebenenfalls in einem späteren Verfahren erhobenen Angriffs auf den Bestand des Schutzrechts von dessen Rechtsgültigkeit aus. Eine Aussetzung nach autonomem Recht kommt nicht in Betracht.99 97  „Ist […] eine Klage […] erhoben worden, so setzt [das Gericht] das Verfahren […] aus, wenn die Rechtsgültigkeit der Gemeinschaftsmarke bereits vor einem anderen Gemeinschaftsmarkengericht im Wege der Widerklage angefochten worden ist oder wenn beim Amt bereits ein Antrag auf Erklärung des Verfalls oder der Nichtigkeit gestellt worden ist.“ 98  OGH v. 20. 08. 2002 – 4 Ob 120/02w – GRUR Int. 2003, 861 (863) (Manpower); BGH v. 06. 02. 2013 – I ZR 106/11 – GRUR 2013, 925 (926) (VOODOO); BGH v. 28. 09. 2011 – I ZR 23/10 – GRUR 2012, 512 (516 ff.) (Kinderwagen); OLG München 28. 04. 2005 – 29 U 4868/04 – GRUR-RR 2006, 89 (91 f.) (DSI); OLG Hamburg v. 27. 01. 2005 – 5 U 36/04, 152/04 – GRURRR 2005, 251 (Home Depot); Hartmann, Gemeinschaftsmarke, S. 160; Schaper, Gemeinschaftsmarke, S. 13; v. Mühlendahl/Ohlgart/Bomhard, Gemeinschaftsmarke, § 26 Rn. 35. 99  A. A. (Aussetzung nach autonomem Zivilverfahrensrecht zulässig, aber im Einzelfall stets abgelehnt) BGH v. 06. 02. 2013 – I ZR 106/11 – GRUR 2013, 925 (926) (VOODOO); BGH v. 28. 09. 2011 – I ZR 23/10 – GRUR 2012, 512 (516 ff.) (Kinderwagen); OLG Hamburg v. 27. 01. 2003 – 5 W 81/02 – GRUR-RR 2003, 356 f. (TAE BO); OLG Hamburg v. 27. 01. 2005 –

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§ 13  Sonderregeln in den Verordnungen über die ­Gemeinschaftsschutzrechte

V.  Res Iudicata 1.  Löschung des Gemeinschaftsschutzrechts 46

Hat das HABM oder ein Gemeinschaftsgericht das Schutzrecht unanfechtbar für verfallen oder für nichtig erklärt, wird diese Entscheidung in das Gemeinschaftsmarken- bzw. Gemeinschaftsgeschmacksmusterregister eingetragen und das Schutzrecht mit Wirkung erga omnes gelöscht.100

2.  Anerkennung der Rechtskraftwirkung gemäß der EuGVO 47

Entscheidungen der Gemeinschaftsgerichte sind nach Art. 36 EuGVO ipso iure in jedem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union anzuerkennen.101 Der subjektive wie objektive Umfang der Rechtskraftwirkung bemisst sich nach der lex fori des Erlassstaates (siehe näher § 12 Rn. 68 ff.).102

3.  Bindung an die Abweisung eines Bestandsangriffs 48

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Im Verhältnis zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten und dem Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt erfolgt keine Entscheidungsanerkennung im Wege der EuGVO. Nach den Sonderbestimmungen der Verordnungen über die Gemeinschaftsrechte ist ein Bestandsangriff vor dem Harmonisierungsamt präkludiert, wenn ein mitgliedstaatliches Gericht über einen entsprechenden Antrag wegen desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien bereits formell rechtskräftig entschieden hat, Art. 56 Abs. 3 GMV, Art. 52 Abs. 2 GGV. Unter denselben Voraussetzungen weist ein Gemeinschaftsgericht eine Widerklage auf Erklärung des Verfalls oder der Nichtigkeit ab, wenn aus einem Rechtsstreit zwischen denselben Parteien bereits eine unanfechtbare Entscheidung des HABM vorliegt.103 Unklar ist die genauere Bestimmung des Streitgegenstands. Aus der in Art. 56 Abs. 3 GMV, Art. 52 Abs. 2 GGV vorgenommenen Differenzierung zwischen „Antrag“ und „Anspruch“ lässt sich jedenfalls ableiten, dass nicht jede frühere Abweisung eines Antrags auf Erklärung des Verfalls oder der 5 U 36/04, 152/04 – GRUR-RR 2005, 251 (252) (Home Depot); Hartmann, Gemeinschaftsmarke, S. 161; Ruhl, GGV, Art. 91 Rn. 12. 100  Art. 57 Abs. 6, 100 Abs. 6 GMV, Art. 53 Abs. 3, 86 Abs. 4 GGV. 101  Auch eine Widerklage auf Erklärung des Verfalls bzw. der Nichtigkeit unterliegt dem sachlichen Anwendungsbereich der EuGVO (Zivil- und Handelssache), wie sie aus Art. 24 Nr. 4 EuGVO ergibt. Rechtskraft entfaltet die Entscheidung eines Gemeinschaftsmarkenbzw. Gemeinschaftsgeschmacks­mustergerichts nur innerhalb der territorialen Reichweite der Entscheidung, vgl. OLG Düsseldorf v.  08. 11. 2005  – I-20 U 110/04  – InstGE 6, 214 (216) (Rodeo). 102  Rechtbank’s-Gravenhage v.  16. 01. 2013  – C/09/404787, Rn. 4.6 . 103  Art. 100 Abs. 2 GMV, Art. 86 Abs. 5 GGV.



B.  Gemeinschaftsmarke und Gemeinschaftsgeschmacksmuster

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Nichtigkeit einem späteren Bestandsangriff entgegensteht. Um einer Salamitaktik der Bestandsangriffe vorzubeugen, scheint es angemessen, zwischen Anträgen auf Erklärung der Nichtigkeit sowie Anträgen auf Erklärung des Verfalls zu differenzieren und als „Anspruch“ den zum Zeitpunkt des Bestandsangriffs vortragbaren Lebenssachverhalt104 zu verstehen.105 Eine Differenzierung zwischen den einzelnen Verfalls- bzw. Nichtigkeitsgründen i. S. d. Art. 51 ff. GMV, Art. 25 Abs. 1 GGV wäre nicht geeignet, Rechtsfrieden herbeizuführen. Schließlich erscheint es ratsam, diesen autonomen Streitgegenstandsbegriff in Analogie zu Art. 100 Abs. 2 GMV, Art. 86 Abs. 5 GGV auch dann anzuwenden, wenn die Bindung eines mit einer Bestandswiderklage angerufenen Gemeinschaftsgerichts an eine frühere, eine Bestandswiderklage abweisende Entscheidung eines anderen Gemeinschaftsgerichts zu beurteilen ist. Es ist wenig sinnvoll, für die Rechtskraftwirkungen zwischen HABM und Gemeinschaftsgerichten einen eigenständigen Streitgegenstandsbegriff zu entwickeln, während die negative Wirkung einer die Bestandswiderklage abweisenden Entscheidung im Verhältnis zu den Gemeinschaftsgerichten anderer Mitgliedstaaten über Art. 36 EuGVO nach der lex fori des Erlassstaates bestimmt wird. Keinerlei Bindungswirkung entfalten jene Entscheidungen, die im Rahmen des Widerspruchsverfahrens gegen die Eintragung einer Gemeinschaftsmarke ergehen.106 Dies betrifft Entscheidungen der Widerspruchsabteilungen und Beschwerdekammern des HABM ebenso wie Urteile des EuG und EuGH.107 Konsequenz ist eine nicht unerhebliche Gefahr widersprechender Entscheidungen.108 Ist bei einem Gemeinschaftsmarkengericht eine Klage wegen Verletzung einer Gemeinschaftsmarke erhoben worden, so ergibt sich aus 104  Z. B. wenn die Verfallsgründe der Nichtbenutzung oder der Umwandlung in eine gebräuchliche Bezeichnung, Art. 51 Abs. 1 lit. a und b GMV erst nach Abweisung des ersten Bestandsangriffs eintreten. 105  A. A. Ruhl, GGV, Art. 86 Rn. 8: Der Streitgegenstand werde durch den vorgetragenen Ungültigkeitsgrund sowie die zugrunde liegenden Entgegenhaltungen bestimmt. In diese Richtung tendierend wohl auch Eisenführ in Eisenführ/Schennen, Art. 56 Rn. 20. 106  Gemäß Art. 41 GMV kann gegen die Eintragung einer Gemeinschaftsmarke innerhalb einer Frist von drei Monaten nach Veröffentlichung der Anmeldung Widerspruch mit der Begründung erhoben werden, dass die Marke nach Artikel 8 GMV von der Eintragung auszuschließen ist. 107 Schlussanträge GA Ruiz-Jarabo Colomer v.  10. 11. 2005  – C-206/04 P  – Slg 2006, I-2717 (Muelhens/HABM), Rn. 70; Special Effects v L’Oreal, [2007] EWCA Civ 1, Rn. 41; Seichter, MarkenR 2007, 405 ff.; Hartmann, Gemeinschaftsmarke, S. 169; Carr in Ng/Bently/ D’Agostino, S. 97 f. 108  Siehe das Verfahren Sir/Zirh zur Verwechslungsgefahr: EuGH v. 23. 03. 2006 – C 206/04 P – Slg. 2006, I-2717 (Muelhens/HABM) einerseits; andererseits LG Hamburg v. 06. 05. 2004 – 315 O 168/03 . Vgl. ferner die Rechtssache EVIAN/REVIAN’s zur Frage der Warenähnlichkeit von Wasser und Wein (allerdings war das deutsche Verletzungsverfahren auf eine nationale Marke gestützt): 4. Beschwerdekammer des HABM v. 22. 07. 2005 – R-82/2002–4 einerseits (aufgehoben aus formalen Gründen durch die Entscheidung des EuG

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§ 13  Sonderregeln in den Verordnungen über die ­Gemeinschaftsschutzrechte

Art. 4 Abs. 3 EU selbstverständlich die Pflicht des Gerichts, sich mit den Entscheidungen des HABM, EuG und EuGH im Widerspruchsverfahren gegen die Anmeldung der Marke auseinander zu setzen.109 Gegebenenfalls kann ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH geboten sein,110 welches freilich nicht geeignet ist, sämtliche Divergenzen auszuschließen. Da der EuGH nur über die Auslegung der Bestimmungen der GMV entscheidet, kann deren konkrete Anwendung sowie eine divergierende Tatsachenfeststellung durch HABM und nationale Gerichte im Einzelfall durchaus zu unterschiedlichen Entscheidungen führen.

4.  Ausschluss der Restitution 51

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Die Bestimmungen zur Verfahrenskoordination und Präklusion in den Verordnungen über die Gemeinschaftsschutzrechte und in der EuGVO sollen dem Erlass einer Unterlassungsanordnung bzw. eines Schadensersatzurteils vorbeugen, welchem durch eine spätere Nichtig- oder Verfallserklärung des Schutzrechts die Grundlage entzogen wird. Trotz dieser Präventionsmaßnahmen kommen die folgenden drei Konstellationen in Betracht: (1) Ein Verletzungsgericht führt sein Verfahren aufgrund des Vorliegens „besonderer Umstände“ trotz eines zeitlich prioritären Bestandsverfahrens fort. (2) Nach Klageerhebung im Verletzungsverfahren wird der Bestand des Schutzrechts in einem anderen Verfahren (ob mit oder ohne Parteiidentität) angezweifelt, ohne dass der Beklagte des Verletzungsverfahrens Widerklage erhoben hätte. (3) Nach Abschluss des Verletzungsverfahrens wird in einem anderen Verfahren (ob mit oder ohne Parteiidentität) die Nichtigkeit oder der Verfall des Schutzrechts erklärt. Gemäß Art. 55 Abs. 3 lit. a GMV, Art. 26 Abs. 2 lit. a GGV berührt die Nichtigkeit oder der Verfall des Schutzrechts jene Entscheidungen nicht, die vor der Entscheidung über den Verfall oder die Nichtigkeit rechtskräftig geworden und vollstreckt worden sind. Eine Restitutionsklage unter Rückgriff auf die Bestimmungen der lex fori scheidet somit zumindest in jenen Situationen aus, in denen eine Vollstreckung bereits stattgefunden hat. Ist eine Vollstreckung noch nicht erfolgt, erscheint der Rückgriff auf Restitutionsmöglichkeiten der lex fori, zumindest aber auf Vollstreckungsabwehrmöglichkeiten der lex loci executionis zulässig.

v. 06. 11. 2007 – T 407/05 – Slg. 2007, II-4385); andererseits OLG Hamburg v. 03. 03. 2006 – 5 U 1/05 – GRUR-RR 2006, 219 ff. 109 Schlussanträge GA Ruiz-Jarabo Colomer v.  10. 11. 2005  – C-206/04 P  – Slg 2006, I-2717 (Muelhens/HABM), Rn. 71 ff. 110  Ibid.



B.  Gemeinschaftsmarke und Gemeinschaftsgeschmacksmuster

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VI.  Identische oder ähnliche nationale Schutzrechte 1.  Grundsatz der Koexistenz Es zählt zur gängigen Strategie von Schutzrechtsinhabern, neben einer Eintragung eines Gemeinschaftsschutzrechts auch eine Eintragung paralleler, nationaler Schutzrechte zu beantragen.111 GMV und GGV schließen eine solche Strategie des Doppelschutzes nicht aus, vielmehr enthalten Art. 109 GMV, 95 GGV spezielle Regeln zur Koordination paralleler Verletzungsklagen, die zwischen denselben Parteien wegen derselben Handlung bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten anhängig sind und einerseits ein Gemeinschaftsschutzrecht, andererseits ein identisches oder ähnliches nationales Schutzrecht betreffen.

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2.  Identität der Schutzrechte, Identität der Waren- bzw. Dienstleistungsklasse a)  Erweiterung der Rechtshängigkeits- und Rechtskraftregeln Erhebt der Kläger in zwei unterschiedlichen Mitgliedstaaten wegen derselben Handlung Verletzungsklage gegen denselben Beklagten,112 wobei er sich einmal auf sein Gemeinschaftsschutzrecht und einmal auf ein identisches nationales Schutzrecht stützt, das für identische Waren bzw. Dienstleistungen gilt, so hat sich das später angerufene Gericht gemäß Art. 109 Abs. 1 lit. a GMV, Art. 95 Abs. 1 GGV für unzuständig zu erklären.113 Bestreitet der Kläger die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts, kann das später angerufene Gericht das Verfahren aussetzen.114 Ferner muss ein wegen Verletzung eines Gemeinschaftsschutzrechts angerufenes Gericht die Klage abweisen, falls wegen derselben Handlung ein rechtskräftiges Urteil in der Sache aufgrund eines identischen nationalen Schutzrechts ergangen ist, das für identische Waren und Dienstleistungen eingetragen wurde (und umgekehrt).115 Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bleiben hiervon unbehelligt.116 Hinsichtlich der Rechtshängigkeitssperre enthalten Art. 109 Abs. 1 lit. a GMV, Art. 95 Abs. 1 GGV einerseits eine Klarstellung, dass Verletzungsklagen, 111  Zu Vorzügen und Nachteilen des Vorgehens aus einer nationalen Marke versus einer Gemeinschaftsmarke Rohnke, GRUR Int. 2002, 979 ff.; Ebert-Weidenfeller, EuZW 2013, 232 (233). 112 Hinsichtlich Parteiidentität und Streitgegenstandsidentität kann auf die Rechtsprechung des EuGH zu Art. 27 EuGVO (2001) bzw. Art. 21 EuGVÜ (siehe § 12 Rn. 9 ff., 12 ff.) zurückgegriffen werden, siehe Prudential Assurance Co v Prudential Assurance Co of America (no. 1), [2003] 1 WLR 2295 (2312) (CA); Hartmann, Gemeinschaftsmarke, S. 163. 113  Der Zeitpunkt der Anrufung des Gerichts ist nach Art. 32 EuGVO zu bestimmen, vgl. Hartmann, Gemeinschaftsmarke, S. 166. 114  Art. 109 Abs. 1 lit. a S. 2 GMV, Art. 95 Abs. 1 S. 2 GGV. 115  Art. 109 Abs. 2 und 3 GMV, Art. 95 Abs. 2 und 3 GGV. 116  Art. 109 Abs. 4 GMV, Art. 95 Abs. 4 GGV.

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§ 13  Sonderregeln in den Verordnungen über die ­Gemeinschaftsschutzrechte

die einmal auf das nationale, einmal auf ein identisches gemeinschaftsweites Schutzrecht gestützt werden, im Sinne der Kernpunktetheorie des EuGH denselben Gegenstand und dieselbe Grundlage haben. Andererseits enthalten die Spezialregelungen einen gegenüber Art. 29 EuGVO engeren Streitgegenstandsbegriff, d. h. die Litispendenzsperre wird eingeschränkt.117 Unabhängig von den Rechtskraftwirkungen einer Entscheidung nach dem Recht des Erlassstaates erfasst die Rechtskraft einer Entscheidung über die Verletzung eines nationalen Schutzrechts auch einen späteren Streit über die Verletzung eines parallelen Gemeinschaftsschutzrechts (und umgekehrt).118 Die Regelung vermeidet unökonomische Parallelprozesse und einander widersprechende Entscheidungen über im Wesentlichen gleich gelagerte Schutzrechtskonflikte.119 Wurde dem Rechteinhaber bereits Schadensersatz aus dem nationalen Schutzrecht zugesprochen oder dem Verletzer die Nutzung des nationalen Schutzrechts untersagt, so zieht er (bei territorialer Deckungsgleichheit) aus einem zusätzlichen Vorgehen aus dem Gemeinschaftsschutzrecht in der überwiegenden Anzahl der Fälle keinen Vorteil. Die Rechtskrafterweiterung leistet dem fehlenden Rechtsschutzbedürfnis Tribut.

b)  Eigenständiger Streitgegenstandsbegriff 57

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Art. 109 Abs. 1 GMV, Art. 95 Abs. 1 GGV operieren mit einem eigenständigen Streitgegenstandsbegriff, der enger ist als jener des Art. 29 EuGVO. Nach der Rechtsprechung des EuGH bedarf es für Anspruchsidentität i. S. d. Art. 29 EuGVO eine im Kern bestehende Übereinstimmung zwischen Gegenstand und Grund der Klage, d. h. zwischen deren Zweck und dem maßgeblichen Lebenssachverhalt sowie dem funktionellen Regelungsbereich, auf welchen die Klage gestützt wird. Von Art. 109 Abs. 1 GMV, Art. 95 Abs. 1 GGV sind nur Verletzungsklagen erfasst, die Klage muss folglich auf Unterbindung oder Kompensation einer Schutzrechtsverletzung gerichtet sein. Negative Feststellungsklagen entfalten weder eine Sperrwirkung, noch sind sie durch eine zuvor erhobene Verletzungsklage gesperrt. Der maßgebliche Sachverhalt wird eingegrenzt auf dieselbe Handlung, welche angeblich ein doppelgeschütztes Geschmacksmuster oder eine doppelgeschützte Marke tangiert, die für dieselben Waren oder Dienstleistungen 117  Bekanntheits- und Verwechslungsschutz i. S. d. Art. 9 Abs. 1 lit. b und c GMV dürften nach der Kernpunktetheorie auch dann streitgegenstandsidentisch mit der identischen Zeichenverwendung gemäß Art. 9 Abs. 1 lit. a GMV sein, wenn sie auf eine nationale Marke einerseits, eine Gemeinschaftsmarke andererseits gestützt werden. Nach Art. 109 Abs. 1 lit. b GMV greift die Litispendenzsperre hier gleichwohl nicht. Im Gegensatz zur Kernpunktetheorie liegt ferner zwischen Leistungs- und negativer Feststellungsklage keine Streitgegenstandsidentität vor, da Art. 109 Abs. 1 GMV, Art. 95 Abs. 1 GGV nur Verletzungsklagen erfassen. 118  Schulte-Beckhausen, WRP 1999, 300 (306). 119  Erwägungsgrund 17 GMV.



B.  Gemeinschaftsmarke und Gemeinschaftsgeschmacksmuster

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eingetragen ist. Die nähere Konkretisierung des Handlungsbegriffs ist v. a. in Bezug auf Unterlassungsklagen schwierig. Angesichts des grundsätzlich eher eng angelegten Streitgegenstandsbegriffs des Art. 109 Abs. 1 GMV, Art. 95 Abs. 1 GGV dürfte eine Identität der Verletzungsform ebenso zu fordern sein wie eine Identität der Verletzungshandlungen im Sinne der Kategorisierung in Art. 9 Abs. 2 GMV, Art. 19 Abs. 1 GGV. Demgegenüber dürfte ein Verständnis „derselben Handlung“ als rein historischer Sachverhalt zu kurz greifen, da ein solches Verständnis nur in äußerst geringem Umfang Doppelverfahren vermeidet. Vielmehr sollten auch im Wesentlichen gleiche Verletzungshandlungen erfasst sein. Die nähere Definition der Wesensgleichheit ist freilich äußerst schwierig, wie die in den letzten Jahren verstärkt geführte Diskussion um den Streitgegenstandsbegriff im deutschen Wettbewerbsrecht und gewerblichen Rechtsschutz belegt.120 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass es dem Streitgegenstandsbegriff in Art. 109 Abs. 1 GMV, Art. 95 Abs. 1 GGV (bislang) an Kontur fehlt. Gleichwohl soll im Folgenden auf die Erforderlichkeit einer teleologischen Reduktion sowie auf nachteilige Konsequenzen der Regelung hingewiesen werden.

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c)  Territoriale Reichweite der (angestrebten) Entscheidung Unterschiede zwischen dem Streitgegenstandsbegriff des Art. 29 EuGVO und jenem in den Verordnungen über die Gemeinschaftsschutzrechte ergeben sich im Hinblick auf die territoriale Reichweite der angestrebten Entscheidung. Eine Klageabweisung wegen anderweitiger Rechtshängigkeit bzw. entgegenstehender Rechtskraft ist nur sinnvoll und interessengerecht, soweit sich die territoriale Reichweite des angestrebten bzw. bereits erlassenen Urteils überschneidet. Im Rahmen des Gegenstandsbegriffs des Art. 29 EuGVO kann dieser Aspekt zwanglos berücksichtigt werden. Der Wortlaut des Art. 109 Abs. 1 GMV, Art. 95 Abs. 1 GGV (Verletzungsklage wegen derselben Handlung) lässt für eine solche Berücksichtigung keinen Raum, soweit ubiquitäre Handlungen in Streit stehen, die keinen Bezug zu einem spezifischen Mitgliedstaat aufweisen. Dies ist nicht angemessen: Aufgrund des Territorialitätsprinzips hat eine Entscheidung über die Verletzung eines nationalen Schutzrechts allein die Verletzungshandlung im Schutzrechtsstaat zum Gegenstand. Selbiges gilt für Entscheidungen von Gemeinschaftsgerichten am Ort der Verletzungshandlung, die gemäß Art. 97 Abs. 5 GMV, Art. 82 Abs. 5 GGV nur beschränkt kognitionsbefugt sind. Entscheidungen der 120 Näher BGH v.  24.  03. 2011  – I ZR 108/09  – GRUR 2011, 521 ff. (TÜV); BGH v. 13. 09. 2012 – I ZR 230/11 – GRUR 2013, 401 (402 f.) (Biomineralwasser); Büscher in Büscher/Dittmer/Schiwy, GewRS, § 14 MarkenR Rn. 704 ff.; ders., GRUR 2013, 969 (985 f.); Teplitzky, WettbewerbsR, Kap. 46 Rn. 2 ff., 5a; s. a. Gottwald in FS Kaissis, S. 303 ff., jeweils m. w. N.

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§ 13  Sonderregeln in den Verordnungen über die ­Gemeinschaftsschutzrechte

als Zentralgerichte fungierenden Gemeinschaftsgerichte beziehen sich zwar grundsätzlich auf das gesamte Territorium der Union, doch kann der Klageantrag die angestrebte territoriale Reichweite der Entscheidung begrenzen. Es bedarf deshalb einer teleologischen Reduktion des Streitgegenstandsbegriffs im Rahmen des Art. 109 Abs. 1 GMV, Art. 95 Abs. 1 GGV: Ist die bereits ergangene Entscheidung oder die Verletzungsklage vor dem zuerst angerufenen Gericht territorial beschränkt, so vermag der Kläger im Zweitstaat erneut Klage zu erheben, wenn er das bereits streitgegenständliche Territorium von seinem Klageantrag ausnimmt.121

d)  Abschneiden von Sanktionen 63

Mangels einer Vollharmonisierung der Sanktionen einer Marken- bzw. Geschmacksmusterverletzung kann die Erweiterung der Rechtshängigkeits- und Rechtskraftregel zu einem Rechtsverlust führen.122 Die Verletzungstatbestände sind zwar durch Art. 9 Abs. 1 lit. a, Abs. GMV und die (inhaltsgleiche) Regelung des Art. 5 Abs. 1 lit. a, Abs. 3 MarkenRL123 sowie durch Art. 19 GGV, Art. 12 GeschmacksmusterRL124 vollständig vereinheitlicht. In einigen Konstellationen werden dem Rechteinhaber durch die Erweiterung der Rechtshängigkeits- bzw. Rechtskraftregel aber Sanktionen abgeschnitten, da Rechtsfolgen zwischen nationalem und Unionsrecht divergieren. Dies illustriert der vom EuGH entschiedene Rechtsstreit Nokia: Der Beklagte hatte Handyzubehör nach Schweden importiert, welches unzulässigerweise mit der Marke Nokia gekennzeichnet war. Aufgrund der spezifischen Umstände des Einzelfalls wäre nach schwedischem Recht weder ein gerichtliches Verbot der beanstandeten Markenverletzung noch die Androhung eines Ordnungsmittels erfolgt. Der EuGH hielt beides für unerheblich, da Art. 98 GMV die Verbotssanktion bei der Verletzung einer Gemeinschaftsmarke verordnungsautonom regele. Hätte Nokia den taktischen Fehler begangen, zuerst und allein aus der Verletzung des nationalen schwedischen Schutzrechts vorzugehen, so hätte das Unternehmen aufgrund der Sperrwirkung des Art. 109 Abs. 1 lit. a bzw. Abs. 2 GMV den weitergehenden Schutz aus der Gemeinschaftsmarke nicht beanspruchen können.

121  Sosnitza, GRUR 2011, 465 (470); a. A. Schack in FS Stürner, S. 1352, der die Rechtslage als klaren Verstoß gegen den Justizgewähranspruch des Schutzrechtsinhabers rügt. 122  So auch Schack in FS Stürner, S. 1352: „Dies ist hart, aber anscheinend gewollt.“ 123  Richtlinie 2008/95/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken, kodifizierte Fassung in ABl. Nr. L 299/25 v. 08. 11. 2008. 124  Richtlinie 98/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 1998 über den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellen, ABl. Nr. L 289/28 v. 28. 10. 1998.



C.  Das gemeinschaftliche Sortenschutzrecht

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3.  Ähnlichkeit der Schutzrechte oder der Waren- bzw. Dienstleistungsklasse Sind Gemeinschaftsschutzrecht und nationales Schutzrecht bzw. die Waren und Dienstleistungen, für welche sie eingetragen sind, lediglich ähnlich, kann das später angerufene Gericht das Verfahren nach Art. 109 Abs. 1 lit. b GMV aussetzen. Diese an Art. 30 EuGVO orientierte optionale Aussetzungsregel ist zweifellos sinnvoll und nicht zu kritisieren. Sie ist gegenüber Art. 30 EuGVO freilich auch entbehrlich, weshalb Art. 95 GGV auf eine entsprechende Regelung verzichtet.

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C.  Das gemeinschaftliche Sortenschutzrecht I.  Subsidiäre Anwendung des Luganer Übereinkommens Im Vergleich zu den Verordnungen über die Gemeinschaftsmarke und das Gemeinschaftsgeschmacksmuster enthält die Verordnung über das gemeinschaftliche Sortenschutzrecht nur rudimentäre Bestimmungen zu Zuständigkeit und Verfahrenskoordination. Ergänzend verweist Art. 101 Abs. 1 GSVO kurioserweise auf die Bestimmungen des Luganer Übereinkommens.125 Keine Erwähnung findet das zum Erlasszeitpunkt der GSVO gegenüber dem LugÜ vorrangige EuGVÜ bzw. die gegenüber dem rev. LugÜ vorrangige EuGVO.126 Letztlich kann dies nur als Redaktionsirrtum gewertet werden. Es bietet sich an, den Verweis auf das Luganer Übereinkommen im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten der Union als Verweis auf die EuGVO zu lesen.

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II. Zuständigkeit Die internationale Zuständigkeit für zivilrechtliche Ansprüche, die auf der Verletzung eines gemeinschaftlichen Sortenschutzrechts beruhen, wird durch Art. 101 GSVO weitgehend abschließend geregelt. Zur Bestimmung der Zentralgerichte wird ebenso wie in GGV und GMV vorrangig auf den Wohnsitz bzw. die Niederlassung des Beklagten, subsidiär auf den Wohnsitz bzw. die Niederlassung des Klägers und hilfsweise auf den Sitz des gemeinschaftlichen Sortenamts in Angers, Frankreich, abgestellt. In Abweichung zu GGV und GMV ist freilich nicht auf die Existenz eines Wohnsitzes oder einer Niederlassung in einem Mitgliedstaat der Union abzustellen. Vielmehr soll gemäß Art. 101 GSVO der Wohnsitz bzw. die Niederlassung in einem Mitgliedstaat 125 

Kohler in FS Everling S. 658 m. Fn. 20, äußert die Vermutung, man habe die klägerfreundlichen Zuständigkeiten des Art. 101 Abs. 2 GSVO nicht zu Lasten von Beklagten anwenden wollen, deren Sitz sich in einem Vertragsstaat des LugÜ befindet. 126  Art. 54b LugÜ v. 1988.

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§ 13  Sonderregeln in den Verordnungen über die ­Gemeinschaftsschutzrechte

der EU oder eines sonstigen Vertragsstaats des Luganer Übereinkommens (Island, Norwegen, Schweiz) maßgeblich sein. Als Sekundärrechtsakt der Europäischen Union findet die GSVO allerdings nur in den Mitgliedstaaten der Union Anwendung und kann die internationale Zuständigkeit der Gerichte von Drittstaaten nicht wirksam begründen.127 Der Auffanggerichtsstand in Angers sollte deshalb im Wege einer teleologischen Erweiterung auch in jenen Fällen zur Verfügung gestellt werden, in denen das isländische, norwegische oder schweizerische Zuständigkeitsrecht keinen Gerichtsstand für die Klärung des Verletzungsfrage bereitstellt. Neben den Zentralgerichten sind auch die Gerichte am Ort der tatbestandsmäßigen Verletzungshandlung zur Entscheidung eines Verletzungsverfahrens berufen, freilich nur im Hinblick auf die im Gerichtsstaat vorgenommenen Verletzungshandlungen.128 Die sachliche und örtliche Zuständigkeit bestimmt sich nach der lex fori des angerufenen Gerichts,129 eine Bildung spezialisierter Gerichte fordert die GGV im Gegensatz zu GMV und GSVO nicht.

III. Verfahrenskoordination 69

Die Koordination zeitgleicher oder einander nachfolgender Verletzungsverfahren bestimmt sich mangels Regelung innerhalb der GSVO nach den allgemeinen Bestimmungen des LugÜ / der EuGVO und der lex fori des Erlassstaats (supra § 12 Rn. 6 ff., 70 ff.). Die Nichtigerklärung oder die Aufhebung des gemeinschaftlichen Sortenschutzrechts steht allein in der Befugnis des gemeinschaftlichen Sortenamts. Das angerufene Verletzungsgericht hat von der Rechtsgültigkeit des gemeinschaftlichen Sortenschutzes auszugehen, allenfalls kann es das Verfahren gemäß Art. 106 Abs. 2 GSVO aussetzen. Die Möglichkeiten einer Restitution oder Vollstreckungsabwehr, sofern das Amt das Schutzrecht nachträglich aufhebt oder für nichtig erklärt, sind in der Verordnung nicht geregelt; sie bestimmen sich nach nationalem Recht.

127  Die vom Zuständigkeitssystem des LugÜ abweichende Zuständigkeitsbestimmung der Gerichte der Mitgliedstaaten ist durch Art. 57 Abs. 1 LugÜ, 67 Abs. 1 rev. LugÜ i. V. m. Nr. 1 Protokoll Nr 3. gedeckt. 128  Art. 101 Abs. 3 GSVO. 129  Art. 101 Abs. 4 GSVO.



D. Würdigung

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D. Würdigung I.  Angemessene Berücksichtigung der prozessualen Interessen 1.  Rechtsschutz durch ein dezentrales Unionsgericht Die Verordnungen über die Gemeinschaftsmarke, das Gemeinschafts­ geschmacks­ muster und das gemeinschaftliche Sortenschutzrecht enthalten jeweils eigene Zuständigkeitsregeln, die primär dem Ziel dienen, für die Klärung des Bestands und der Verletzung eines Gemeinschaftsschutzrechts Rechtsschutz durch die Gerichte der Europäischen Union zu gewährleisten. Der räumlich-persönliche Anwendungsbereich der Zuständigkeitsregeln ist deutlich weiter als jener der EuGVO. Diese Zielsetzung ist zu begrüßen, da aufgrund des international anerkannten Prinzips der Territorialität gewerblicher Schutzrechte nicht gesichert ist, dass Drittstaaten ihre Gerichte für einen Rechtsstreit über Gemeinschaftsschutzrechte zur Verfügung stellen. Aufgrund der überterritorialen Natur der Gemeinschaftsschutzrechte kann auch keineswegs als gesichert gelten, dass das autonome Recht der Mitgliedstaaten stets einen Gerichtsstand zur umfassenden Klärung der Bestands- und Verletzungsfrage zur Verfügung stellt. Ergänzend wird in GMV und GGV auf Zuständigkeitsbestimmungen der EuGVO Bezug genommen. Das Ineinandergreifen dieser Regelungskomplexe ist nicht für alle Einzelfälle zufriedenstellend gelöst: Den Parteien wird eine Gerichtsstandswahl versagt, wenn keine der Parteien über einen Wohnsitz oder eine Niederlassung innerhalb der Union verfügt. Praktisch bedeutsamer ist die fehlende Möglichkeit einer Verfahrenskonsolidierung am Gerichtsstand der Streitgenossenschaft, sofern nur einer der Beklagten über einen Wohnsitz oder eine Niederlassung innerhalb der Union verfügt. Gänzlich misslungen ist die Koordination zwischen speziellem und allgemeinem Zuständigkeitsrecht in der Verordnung über das gemeinschaftliche Sortenschutzrecht. Nach dem Wortlaut von Art. 101 Abs. 1 GSVO werden nicht nur (völkerrechtlich unwirksam) Gerichte von Drittstaaten für zuständig erklärt, sondern es wird auch der Rechtsschutz vor mitgliedstaatlichen Gerichten versagt, sofern sich Wohnsitz oder Niederlassung einer Partei in einem (weiteren) Vertragsstaat des LugÜ befinden. Der ergänzende Verweis auf die Regelungen des Luganer Übereinkommens statt der EuGVO lässt sich nur als schwerer Redaktionsfehler erklären.

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2.  Ausschließliche sachliche Zuständigkeit spezialisierter Gerichte Art. 95 Abs. 1 GMV, Art. 80 Abs. 1 GGV verpflichten die Mitgliedstaaten zur Designation einer möglichst geringen Anzahl sogenannter Gemeinschaftsmarken- bzw. Gemeinschaftsgeschmacksmustergerichte erster und zweiter Instanz,

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welchen für Streitigkeiten über die Verletzung und den Bestand einer Gemeinschaftsmarke oder eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters die ausschließliche sachliche Zuständigkeit zugewiesen wird. Diese Zuständigkeitskonzentration gewährleistet einerseits eine hohe Rechtskenntnis des Gerichts, andererseits ist sie für den Beklagten mit dem Risiko verbunden, sich auch bei Klageerhebung am „Beklagtengerichtsstand“ gegebenenfalls weitab von seinem Wohnsitz bzw. seiner Niederlassung verteidigen zu müssen. Dies mag in Einzelfällen eine unangemessene Härte für den Beklagten darstellen, insbesondere wenn dieser vorträgt, er habe im privaten Bereich zu nichtgewerblichen Zwecken gehandelt,130 erscheint aber prinzipiell angesichts der gewerblichen Natur des Rechtsstreits hinnehmbar. Die Verordnung über das gemeinschaftliche Sortenschutzrecht verzichtet auf die Bestimmung spezialisierter Gerichte, obgleich hier neben der rechtlichen auch die technische Komplexität der Streitigkeit eine Spezialisierung ratsam erscheinen lässt.

3.  Ungleichbehandlung des negativen Feststellungsklägers 74

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Auffällig ist die Ungleichbehandlung des negativen Feststellungsklägers durch GMV und GGV. Dies beginnt damit, dass die Zulässigkeit der Erhebung einer negativen Feststellungsklage vor einem Gemeinschaftsmarken- bzw. Gemeinschafts­geschmacksmustergericht unter den Vorbehalt der Zulässigkeit nach der lex fori gestellt wird. Einem negativen Feststellungskläger wird ferner keine Wahl zwischen den (eingeschränkt kognitionsbefugten) Gerichten am Verletzungsort oder dem Zentralgericht eingeräumt. Dies ist aus den bereits in § 10 Rn. 15 f., § 12 Rn. 26 ff. ausführlich dargelegten Gründen zu kritisieren – zumal keine Bedenken bestehen, der negative Feststellungskläger könne sich zielstrebig ein Gericht aussuchen, um das Schutzrecht zu Fall zu bringen, da mit einer Klage auf Feststellung der Nichtverletzung die Rechtsgültigkeit eines Gemeinschaftsschutzrechts nicht angefochten werden kann.131 Schließlich wird ein negativer Feststellungskläger durch Art. 109 Abs. 1 lit. a GMV, Art. 95 Abs. 1 GGV nicht vor einer parallelen Leistungsklage aus einem doppelgeschützten Schutzrecht bewahrt. Im Gegensatz zu GMV und GSV findet die GSVO keine Anwendung auf negative Feststellungsklagen.132 Ein Vorgehen auf Basis der EuGVO ist dem negativen Feststellungskläger deshalb unbenommen, soweit deren räumlichpersönlicher Anwendungsbereich eröffnet ist.

130 

Art. 20 Abs. 1 lit. a GGV, Art. 9 Abs. 1 S. 2 GMV. Art. 99 Abs. 2 GMV, Art. 85 Abs. 1 S. 2 GGV. 132  Art. 101 GSVO erfasst lediglich Verfahren nach Art. 94 ff. GSVO, d. h. Verletzungsund Vindikationsklagen. 131 



D. Würdigung

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4.  Internationale Zuständigkeit für einstweilige Maßnahmen Nicht überzeugen kann die Zuständigkeitszuweisung in GMV und GGV für Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes. Dies einerseits, weil von der ausschließlichen sachlichen Zuständigkeit der Gemeinschaftsmarken- und Gemeinschaftsgeschmacks­mustergerichte abgewichen wird, andererseits, weil nicht alle Hauptsachegerichte befugt sind, anerkennungs- und vollstreckungsfähige einstweilige Maßnahmen zu erlassen. Es ist nicht ersichtlich, weshalb etwa eine Vollstreckung mittels Zwangsgeld im Ausland versagt wird, wenn eine Unterlassungsverfügung von den besonders sachnahen Gerichten am Ort der Verletzungshandlung erlassen wird.

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5.  Koordination zeitlich paralleler Verfahren Die Verordnungen zu den Gemeinschaftsschutzrechten greifen grundsätzlich auf das Konzept der Verfahrenskoordination der EuGVO zurück, regeln aber im Gegensatz zu dieser das Verhältnis von Bestandsangriff und Verletzungsverfahren. Da GMV und GGV – erneut im Gegensatz zur EuGVO – keine ausschließliche Zuständigkeit für Bestandsverfahren kennen, enthalten sie eine spezifische Koordinationsregel für konkurrierende Bestandsangriffe, die auf die Voraussetzung der Parteiidentität verzichtet und deshalb eine Abweichung vom Prioritätsprinzip bei Vorliegen besonderer Umstände ermöglicht. Angesichts des Grundsatzes der Koexistenz nationaler und gemeinschaftsweiter Marken und Geschmacksmuster koordinieren Art. 109 Abs. 1 lit. a GMV, Art. 95 Abs. 1 GGV Verletzungsverfahren, die doppeltgeschützte Schutzrechte betreffen. Die Konturen des hierfür eingeführten autonomen Streitgegenstandsbegriffs sind noch unscharf. Zu präzisieren ist, dass diese Koexistenz-Litispendenzsperre nur eingreifen kann, wenn sich der territoriale Geltungsbereich der beantragten Maßnahmen überschneidet. Zu kritisieren ist, dass die Koexistenz-Litispendenzsperre nicht im Verhältnis zwischen Verletzungsklage und negativer Feststellungsklage greift, Doppelprozesse also insoweit ermöglicht werden.

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6.  Trennungs- bzw. Verbundprinzip Alle Verordnungen über die Gemeinschaftsschutzrechte sehen ein zentrales Bestandsverfahren beim jeweiligen Amt und die Bindung der Gerichte an die Schutzrechtserteilung im Verletzungsverfahren vor. Die Verordnung über das gemeinschaftliche Sortenschutzrecht folgt hinsichtlich des Verhältnisses zwischen Bestands- und Verletzungsverfahren strikt dem Trennungsprinzip, das Verletzungsverfahren kann wegen eines Angriffs auf den Bestand des Schutzrechts vor dem Sortenamt höchstens ausgesetzt werden.

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§ 13  Sonderregeln in den Verordnungen über die ­Gemeinschaftsschutzrechte

Demgegenüber orientieren sich GMV und GGV grundsätzlich am Verbundprinzip. Zwar ist die Einrede des Nichtbestands des Schutzrechts nicht statthaft, doch kann der Beklagte des Verletzungsverfahrens Widerklage auf Verfall oder Nichtbestand des Schutzrechts erheben. Eine Squeeze-Argumentation des Beklagten133 ist zwar ausgeschlossen, dennoch wird über Bestand und Verletzung des Schutzrechts in einem einheitlichen Verfahren entschieden. Das Trennungsprinzip kommt zum Tragen, sofern der Bestand des Schutzrechts – unabhängig von der Parteiidentität – bereits anderweitig vor Gericht oder dem Harmonisierungsamt angegriffen wurde und keine besonderen Gründe gegen die Aussetzung des Verletzungsverfahrens sprechen. Schließlich kann das mit dem Verletzungsverfahren befasste Gericht auf Antrag einer Partei auch nach dem Trennungsprinzip agieren, indem es das Verfahren aussetzt und den Beklagten dazu auffordert, Antrag auf Verfall oder Nichtigkeit des Schutzrechts beim HABM zu stellen oder das Verletzungsverfahren aufgrund eines erst später vor dem HABM gestellten Verfalls- oder Nichtigkeitsantrags aussetzt. Ein Vorgehen nach dem Trennungsprinzip erscheint jedoch in den wenigsten Fällen opportun, da der Hauptvorteil des Trennungsprinzips, d. h. die schnelle Entscheidung über die Verletzungsfrage ohne Belastung des Prozesses durch die Bestandsfrage, aufgrund der Verfahrensaussetzung nicht zum Tragen kommt. Der Unionsgesetzgeber hat hier im Gegensatz zur EuGVO eine (einigermaßen salomonische) Entscheidung zwischen Trennungs- und Verbundsystem getroffen und damit Rechtssicherheit für die Parteien geschaffen. Eine gewisse Flexibilität wird den Gerichten der Mitgliedstaaten zugestanden. Als rechtspolitisches Vorbild für die EuGVO taugt dieses Modell freilich nur bedingt, da im System von GMV und GGV Gemeinschaftsgerichte über Gemeinschaftsschutzrechte entscheiden, während im System der EuGVO die Entscheidung mitgliedstaatlicher Gerichte über ausländische Schutzrechte im Streit steht.

7. Rechtskraft 82

GMV und GGV enthalten vier unterschiedliche Rechtskraftkonzepte. Erstens führt die Erklärung des Verfalls oder der Nichtigkeit des Schutzrechts zu dessen Löschung und entfaltet Wirkung erga omnes.134 Zweitens präkludiert ein abgewiesener Antrag oder eine abgewiesene Widerklage auf Erklärung des Verfalls oder der Nichtigkeit bei Partei- und Anspruchsidentität einen erneuten Bestandsangriff.135 Drittens wird die Rechtskraftwirkung eines Gemeinschaftsmarken- oder Gemeinschaftsgeschmacks­ mustergerichts in anderen Mitgliedstaaten der Union mit der Folge einer Wirkungserstreckung 133 

Hierzu § 10 Rn. 118. Art. 57 Abs. 6, 100 Abs. 6 GMV, Art. 53 Abs. 3, 86 Abs. 4 GGV. 135  Art. 56 Abs. 3 GMV, Art. 52 Abs. 2 GGV. 134 



D. Würdigung

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anerkannt.136 Schließlich wird die negative Wirkung der Rechtskraft von Entscheidungen über die Verletzung eines doppelgeschützten Schutzrechts auf Basis eines autonomen Streitgegenstandsbegriff auf das koexistierende Schutzrecht erstreckt.137 Soweit die Verordnungen mit einem autonomen Streitgegenstandsbegriff operieren, zeigen sich deutlich die Schwierigkeiten einer autonomen Definition des Streitgegenstandsbegriffs. Trotz des recht spezifisch formulierten Streitgegenstandsbegriffs der Art. 109 Abs. 2 und 3 GMV, Art. 95 Abs. 2 und 3 GGV bleibt zu weiten Teilen im Vagen, welche Sachverhalte von einer erneuten Klage ausgeschlossen bleiben sollen. Der Rechtssicherheit wäre eine weitere Konkretisierung dienlich. Auffällig ist schließlich: Obgleich die Verordnungen über die Gemeinschafts­ schutz­rechte ein Verletzungsverfahren ohne Klärung der Bestandsfrage unter bestimmten Umständen zulassen, enthalten sie keine Regelungen zur Durchbrechung der Rechtskraft. Vielmehr wird die Restitution nach erfolgter Vollstreckung für unzulässig erklärt; im Übrigen richtet sich die Restitution oder Vollstreckungsabwehr nach nationalem Recht. Da in Rechtsordnungen, die dem Verbundsystem folgen, entsprechende Rechtsbehelfe nicht erforderlich sind, wäre eine autonome Regelung sinnvoll.

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8.  Die Gefahr widersprechender Entscheidungen Trotz der umfassenden Koordinationsregeln in GMV und GGV ist die Gefahr widersprechender Entscheidungen durch die Gerichte verschiedener Mitgliedstaaten nicht vollständig gebannt. Kritisch sind einerseits Entscheidungen, deren territorialer Wirkungsbereich sich aufgrund des Klageantrags oder der beschränkten Kognitionsbefugnis des Gerichts nicht auf das gesamte Territorium der Union bezieht, andererseits Verfahren, in denen es an einer Identität der Parteien fehlt. Eindrücklich belegt wurden die hieraus resultierenden Verwerfungen in dem Rechtsstreit Apple gegen Samsung wegen der vorgeblichen Verletzung eines zugunsten von Apple registrierten Gemeinschafts­ geschmacksmuster durch verschiedene Versionen des Samsung Galaxy Tabs: Obgleich der als Gemeinschafts­geschmacksmustergericht fungierende High Court die Verletzungsklage Apples gegenüber der britischen Samsung Tochter mit Wirkung für die gesamte Union abgewiesen hatte, erließ das OLG Düsseldorf eine einstweilige Verfügung, in welcher der Konzernmutter der unionsweite Vertrieb des Galaxy Tabs untersagt wurde. Im Zuge des Verfügungsverfahrens hätte das OLG Düsseldorf durchaus seinen Abwägungsspielraum nutzen können, um eine Konkordanz mit dem bereits vorliegenden erstinstanzlichen Urteil des 136  137 

Art. 94 Abs. 1 GMV, 79 Abs. 1 GGV i. V. m. Art. 36 EuGVO. Art. 109 GMV, 95 GGV.

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High Court herbeizuführen. Da sich die Rechtskraft der Entscheidung des High Court nicht auf die Konzernmutter erstreckte, hätte ein Hauptsacheverfahren jedoch grundsätzlich durchgeführt werden müssen. Die mit einer negativen Feststellungsklage der niederländischen SamsungTochtergesellschaften befasste Rechtbank ’s-Gravenhage verneinte in einem weiteren Parallelverfahren zwar eine Rechtskraftbindung, nahm aber gleichwohl keine eigene Würdigung der Verletzungsfrage vor, sondern berief sich schlichtweg auf die mittlerweile in zweiter Instanz ergangene Entscheidung der englischen Gerichte.138 Zu einer Hauptsacheentscheidung durch die deutschen Gerichte kam es nicht mehr  – wohl deshalb, weil sich Apple aus nicht berichteten Gründen im Verfahren vor dem Court of Appeal mittels eines undertakings verpflichtete, die Aufhebung der einstweiligen Verfügung durch das OLG Düsseldorf zu beantragen.139 Sowohl der Court of Appeal als auch die Rechtbank ’s-Gravenhage haben somit Wege gefunden, einheitliche Entscheidungen in der Verletzungsfrage zu gewährleisten, freilich durch die Preisgabe des Justizgewähranspruchs. Grundsätzlich liegt es in der Hand der Parteien, einander unvereinbaren Entscheidungen durch Bestimmung des Streitgegenstands vorzubeugen. Nicht allein der Kläger kann durch Klageantrag bzw. Wahl des angerufenen Gerichts den territorialen Wirkungsbereich der Entscheidung eines Gemeinschaftsgerichts beeinflussen, auch dem Beklagten steht eine solche Option durch Erhebung einer negativen Feststellungswiderklage, die sich auf ein größeres Gebiet bezieht, zur Verfügung (unter Zugrundelegung der hier vertretenen Interpretation des Art. 8 Nr. 3 EuGVO). Bei teilweise fehlender Parteiidentität wie in den Rechtssachen Apple v. Samsung steht dem beklagten Konzernverbund der Gerichtsstand der Widerklage allerdings nicht zur Verfügung; d. h. für Prozesstaktiken des Schutzrechtsinhabers besteht hier ein gewisser Raum.

II. Reform 1.  Kleinere Korrekturen 89

Im Zuge einer potentiellen künftigen Reform wäre es erstens sinnvoll, Friktionen zu bereinigen, die sich aus den unterschiedlichen Anwendungsbereichen der Verordnungen über die Gemeinschaftsschutzrechte einerseits und der EuGVO andererseits ergeben: Der Gerichtsstand der Streitgenossenschaft sollte auch dann zur Verfügung stehen, wenn einer der Beklagten nicht über einen Wohnsitz oder eine Niederlassung innerhalb der Union verfügt, und eine Forumswahl ist auch zwei Parteien ohne Niederlassung in der Union zu er138 Rechtbank ’s-Gravenhage v.  16.  01. 2013  – C/09/404787, m. Anm. Barazza, JIPlP, 2013, 435 ff. 139  Samsung v Apple, [2012] EWCA Civ 1339 (CA), Rn. 5, 80.



D. Würdigung

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öffnen. Realisieren lässt sich dies durch eine Ergänzung der Art. 94 Abs. 2 lit. c GMV, Art. 79 Abs. 3 lit. c GGV.140 Zweitens empfiehlt sich eine Klarstellung, dass die Zuständigkeit der Gerichte am Verletzungsort nicht derogationsfest ist. Drittens ist die Bezugnahme auf das Luganer Übereinkommen in der GSVO durch eine Bezugnahme auf die EuGVO zu ersetzen oder zu ergänzen. Zu erwägen ist viertens die Option einer parteierweiternden Widerklage durch eine als Streitgenossen des Beklagten eintretende Partei zumindest bei Vorliegen einer Konzernverbindung, um einander widersprechende Entscheidungen verschiedener Gemeinschaftsgerichte wie im Tablet-Streit zwischen Apple und Samsung vorzubeugen. Fünftens ist die konsequente Benachteiligung der negativen Feststellungsklage zu beheben. Sechstens sollte die ausschließliche sachliche Zuständigkeit der Gemeinschaftsgerichte auf den einstweiligen Rechtsschutz erstreckt und die Freizügigkeit einstweiliger Maßnahmen gewährleistet werden, soweit ein (potentielles) Hauptsachegericht im Rahmen seiner Kognitionsbefugnis eine Anordnung trifft. Schließlich erscheint eine Vereinheitlichung und Konkretisierung der Rechtskraftregeln in GMV und GGV sinnvoll, verbunden mit einer eigenständigen Regelung der Restitution.

2.  Zentrale Unionsgerichte Die Gemeinschaftsmarken- und Gemeinschaftsgeschmacksmustergerichte sind nur nominell den zentralen Unionsgerichten zuzurechnen. Tatsächlich handelt es sich um Gerichte der Mitgliedstaaten mit einer Spezialzuweisung für Streitigkeiten aus der Verletzung der Gemeinschaftsmarke oder des Gemeinschaftsgeschmacksmusters. Auf Basis der Art. 262, 257 AEUV könnte die Zuständigkeit für diese Rechtsstreitigkeiten dem Europäischen Gerichtshof bzw. einem zu errichtenden, dem Gericht (EuG) beigeordneten Fachgericht für Einheitsschutzrechte übertragen werden.141 Im Schrifttum wird verschiedentlich die Forderung nach einem solchen Fachgericht geäußert,142 teils auch nur für die Bestandsfrage in zweiter Instanz.143 Die Errichtung eines zentralen Fachgerichts ist mit einem großen Nachteil, mit der Aufgabe bürgernahen Rechtsschutzes verbunden.144 Selbstverständlich 140  „Hat eine Partei weder einen Wohnsitz, noch eine Niederlassung in einem Mitgliedstaat, so tritt vorbehaltlich des Art. 97 Abs. 2 [Art. 82 Abs. 2 GGV] für die Zwecke dieser Verordnung der Sitz des Amtes an die Stelle des Wohnsitzes.“ 141  Supra § 2 Rn. 6. 142  Bumiller, ZIP 2002, 115 (122); Knaak, GRUR Int. 2007, 386 (394); Ebner, Markenschutz, S. 255; Anduleit, Rechtsdurchsetzung, S. 233 f.; 289 ff.; m. w. N.; Stieper in Grabitz/ Hilf/Nettesheim, Recht der EU, Arrt. 118 AEUV Rn. 26; wohl auch Kohler in FS Everling, S. 667. Differenzierend zwischen Verletzungs- und Bestandsverfahren Jaeger, System einer Europäischen Gerichtsbarkeit, S. 839 ff., 874 f., 881 f. 143  Jung in FS Everling, 1995, S. 611 (626 ff). 144  Riehm in Gsell/Hau, Zivilgerichtsbarkeit, S. 219 (zur Idee eines Europäischen Fachgerichts für Privatrecht).

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§ 13  Sonderregeln in den Verordnungen über die ­Gemeinschaftsschutzrechte

könnten Unterabteilungen des zentralen Fachgerichts in verschiedenen Mitgliedstaaten geschaffen werden. Eine solche Ausgestaltung birgt jedoch auch bei einheitlicher Verfahrensordnung die Gefahr divergierenden Rechtsschutzes in sich.145 Die Zuweisung allein der Bestandsfrage an ein zentrales Unionsgericht würde die Einführung des Trennungssystems (bifurcation) für die Einheitsrechte bedeuten. Ob dies eine sinnvoller Maßnahme wäre, ist zu bezweifeln,146 kann aber angesichts der mangelnden politischen Realisierbarkeit dahingestellt bleiben.147 Auch die Option, auf Unionsebene lediglich eine Berufungsinstanz zu errichten, begegnet Bedenken, da die Aufhebung mitgliedstaatlicher Hoheitsakte (der Gerichtsentscheidungen erster Instanz) durch eine Unionsinstitution bislang ein Ausnahmemodell im Prozess der europäischen Integration ist148 und eine Änderung des Primärrechts voraussetzen würde. Schließlich müsste unabhängig von der Frage der Gerichtsorganisation ein auf Schutzrechtsverfahren zugeschnittenes Verfahrensrecht entwickelt werden; auch eine autonome Ausgestaltung der Sanktionen einer Schutzrechtsverletzung anstelle der Kollisionsnormen des Art. 102 Abs. 2 GMV, Art. 98 Abs. 1 lit. d GGV wäre sinnvoll. Angesichts der Komplexität dieser Aufgabe erscheint es zum gegenwärtigen Zeitpunkt opportun, die Erfahrungen mit der Errichtung und der Funktionsweise des einheitlichen Patentgerichts abzuwarten (unten § 18), bevor eine Entscheidung für oder wider ein Fachgericht für die Gemeinschaftsschutzrechte getroffen wird.

145  Riehm in Gsell/Hau, Zivilgerichtsbarkeit, S. 221; zu den Risiken, Europäische Fachgerichte außerhalb Luxemburgs anzusiedeln, siehe Hess in Gsell/Hau, Zivilgerichtsbarkeit, S. 194; zur Wahrung der Kohärenz des Unionsrechts bei Errichtung eines unionseigenen Fachgerichts siehe Der Präsident des Gerichtshofs der Europäischen Union (V. Skouris), Entwurf von Änderungen der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union und ihres Anhangs I, 2011/0901 (COD), Begründung, S. 9. 146 Befürwortend Jaeger, System einer Europäischen Gerichtsbarkeit, S. 881 f. Zu Vorund Nachteilen des Trennungssystems siehe § 10 Rn. 103 ff. sowie Kunz-Hallstein/Loschelder, GRUR 2008, 498; Pagenberg GRUR Int. 2010, 195 (196); Bolte, Rechtsbehelfe, S. 116; Hetmank in Götting/Vall/Röder-Hitschke, Enforcing IP, S. 125 ff.; Luginbühl, European PatL, S. 28 f.; Jaeger a. a. O., S. 456 ff.; Köllner/Weber, Mitt. 2014, (430 ff., 435 ff.). 147  Siehe nur den Kompromiss des Art. 33 Abs. 3 UPCÜ, hierzu § 18 Rn. 58 f. 148  Remien in Gsell/Hau, Zivilgerichtsbarkeit, S. 230. Zu Rechtsmitteln an die Rheinzentralkommission Straßburg gemäß der Mannheimer Rheinschiffahrtsakte (BGBl. 1969, II-597, 1980, II-870, 875) bzw. Rechtsmitteln an den Berufungsausschuss der Moselkommission in Trier gemäß dem Vertrag über die Schiffbarmachung der Mosel (BGBl. 1956, II-597) siehe Lückemann in Zöller, ZPO, § 14 GVG Rn. 2 f.

§ 14  Die internationale Zustellung A. Einführung Die Zustellung, d. h. die förmliche Bekanntgabe eines gerichtlichen oder außergerichtlichen Schriftstücks an eine Partei bzw. deren Prozessvertreter, ist von grundlegender Bedeutung für die Realisierung der Verfahrensgrundrechte. Dem Kläger wird mittels der Zustellung der Klageschrift der Zugang zur Justiz gewährt, dem Beklagten (und jedem anderweitigen Adressaten eines Schriftstücks) rechtliches Gehör. Selbiges gilt im übertragenen Sinne für die Zustellung des Titels in der Zwangsvollstreckung.1 Grenzüberschreitende Zustellungen waren herkömmlicherweise zeit- und kostenintensiv. Weite Übermittlungswege, Übersetzungserfordernisse, differierende Zustellungs­ordnungen in den beteiligten Staaten sowie die tradierte Vorstellung von der gerichtlichen Zustellung als Hoheitsakt2 resultierten trotz einschlägiger Staatsverträge3 in Zustellungszeiten von mehreren Monaten oder gar Jahren.4 Einzelstaatliche Versuche, dem inländischen Kläger durch fiktive Inlandszustellungen zu rascher Justizgewähr zu verhelfen, korrespondierten mit erheblichen Beeinträchtigungen der Verfahrensgrundrechte des Beklagten5 und mit der Versagung der Urteilsanerkennung im Ausland.6 Den beschriebenen Missständen tritt die Europäische Verordnung über die Zustellung von Schriftstücken (EuZVO) entgegen, ursprünglich im Jahr 2000 erlassen7 und mittlerweile in revidierter Fassung des Jahres 2007 vor1 

Hess, NJW 2001, 15; Hausmann, EuLF 2007, II-1. Zu Nachweisen und Kritik siehe Schack, IZVR, Rn. 663 ff. 3  Zu nennen sind primär das Haager Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen v.  15. 11. 1965 (HZÜ), BGBl. 1977 II 1453, dem alle Mitgliedstaaten außer Österreich und Malta angehören, und das Haager Übereinkommen über den Zivilprozess v. 01. 03. 1954 (HZivPrÜbk), BGBl. 1958 II 577. Zu bilateralen Übereinkommen siehe Geimer, Neuordnung, S. 189–197. 4  Gottwald in FS Schütze, S. 225 f.; Stadler, IPRax 2001, 514 (515); Hess, NJW 2002, 2417 (2422 m. Fn. 94). 5 Näher Hess, NJW 2001, 15 (18). 6 Siehe exemplarisch EuGH v.  13. 10. 2005  – C-522/03  – Slg. 2005, I-8639 (Scania), Rn. 14 ff. 7 Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, ABl. Nr. L 160/37 v. 30. 06. 2000. Die Verordnung geht zurück auf einen gemäß 2 

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§ 14  Die internationale Zustellung

liegend.8 Sie folgt im Ansatz dem Modell des Haager Zustellungsübereinkommens von 1965 (HZÜ),9 entwickelt dieses aber deutlich fort. Innerhalb weniger Jahre ist es gelungen, die Kosten einer innereuropäischen Zustellung von Schriftstücken deutlich zu reduzieren10 und die Zustellung erheblich zu beschleunigen,11 auch wenn im Vergleich zu Inlandszustellungen noch immer mit einem erhöhten Zeitaufwand zu rechnen ist.12 Ansätze für eine innereuropäische Vereinheitlichung der Zustellungsformen auch bei Inlandszustellungen finden sich in diversen anderen europäischen Verordnungen (EuVTVO, EuMahnVO, EuGFVO). Verfahren zur Durchsetzung gewerblicher Schutzrechte weisen keine Spezifika im Hinblick auf das Zustellungsrecht auf. Inhaber gewerblicher Schutzrechte profitieren jedoch in besonderem Maße von Verfahrensbeschleunigungen, auch im Zustellungsrecht, da Verfahren zur Durchsetzung gewerblicher Schutzrechte häufig dringlicher Natur sind und viele Schutzrechte einer maximalen Schutzdauer unterliegen. Von Interesse ist darüber hinaus, wie der in § 12 Rn. 52 beschriebene Wettlauf zu Gericht durch die Zustellungsvorschriften der Union beeinflusst wird.

B.  Auslandszustellungen gemäß der EuZVO I.  Anwendungsbereich und Regelungsgegenstand der EuZVO 5

Die EuZVO findet Anwendung in Zivil- und Handelssachen, in denen ein gerichtliches oder außergerichtliches Schriftstück zum Zweck der Zustellung von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat zu übermitteln ist. Der Begriff der Zivil- und Handelssache ist autonom entsprechend Art. 1 Art. K. 3 des Vertrags von Maastricht entwickelten Rechtsakt des Rates vom 26. Mai 1997 über die Ausarbeitung des Übereinkommens über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. Nr. C 261/1 v. 27. 08. 1997. 8 Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten („Zustellung von Schriftstücken“) und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates, ABl. Nr. L 324/79 v. 10. 12. 2007. 9  Supra Fn. 3. 10  Europäische Kommission, Report on the Application of Regulation (EC) No 1393/2007, COM (2013) 858, S. 12. 11  Zur EuZVO (2000) siehe Mainstrat, Study on Regulation No. 1348/2000, S. 78. Die Erfahrungsberichte der im Rahmen dieser Studie befragten Praktiker fallen sehr divers aus. Tendenziell werden Zustellungen in den südlichen Ländern und in das Vereinigte Königreich als langsamer bezeichnet, aber auch die Zustellungen durch deutsche Behörden werden kritisiert, vgl. a. a. O. S. 79 ff. Zur EuZVO (2007) siehe Europäische Kommission, Report on the Application of Regulation (EC) No 1393/2007, COM (2013) 858, S. 8 f., 17. 12  Sujecki, NJW 2008, 1628 (1630); Strasser, ZIP 2008, 2111 (2112).



B.  Auslandszustellungen gemäß der EuZVO

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Abs. 1 EuGVO auszulegen;13 ein Pendant zu den Ausnahmebestimmungen des Art. 1 Abs. 2 EuGVO existiert nicht. Gerichtliche Schriftstücke sind sämtliche Schriftstücke, die der Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens dienen oder aus einem bereits eingeleiteten gerichtlichen Verfahren hervorgegangen sind.14 Die Zustellung außergerichtlicher Schriftstücke ist von der EuZVO erfasst, soweit das einschlägige nationale Recht eine formalisierte Mitteilung unter Beteiligung einer Behörde oder eines Justizbeamten erfordert.15 Anwendung findet die EuZVO nur für zwischen verschiedenen Mitgliedstaaten vorzunehmende Auslandszustellungen.16 Zur Erforderlichkeit einer Auslandszustellung bzw. zur Möglichkeit eines Rückgriffs auf tatsächliche oder fiktive Inlandszustellungen trifft die Verordnung keine explizite Aussage. Nach zutreffender Auffassung des EuGH steht die Verordnung fiktiven Inlandszustellungen bei bekannter Adresse des Empfängers grundsätzlich entgegen (näher infra Rn. 45 ff.).17 Eine Anwendung der Verordnung scheidet aus, sofern die Anschrift des Empfängers unbekannt ist (Art. 1 Abs. 2 EuZVO),18 unschädlich ist es aber zunächst, wenn die Adresse des Empfängers unvollständig oder inkorrekt ist.19

13  Statt aller Erläuternder Bericht zum Übereinkommen aufgrund von Artikel K. 3 des Vertrags über die Europäische Union über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. Nr. C 261/28 v. 27. 08. 1997. 14  Schlosser, EU-ZPR, Art. 1 EuZVO Rn. 2 f., Art. 1 HZÜ Rn. 9 f. 15  Schlosser, EU-ZPR, Art.  1 EuZVO Rn.  3; Art.  1 HZÜ Rn.  11; Heiderhoff in Rauscher, EuZPR, Art. 1 EG-ZustVO 2007 Rn. 8; ähnlich Halfmeier, LMK 2009, 288747. In der Entscheidung des EuGH v. 25. 06. 2009 – C-14/08 – Slg. 2009, I-5439 (Roda Golf & Beach Resort), Rn. 56 ff. definiert der Gerichtshof den Begriff des außergerichtlichen Schriftstücks zwar nicht, konstatiert aber, dass es eines Zusammenhangs des außergerichtlichen Schriftstücks zu einem gerichtlichen Verfahren nicht bedürfe. Zu dem nach der früheren VO 1348/2000 erstellten Glossar der Kommission siehe Heiderhoff in Rauscher, EuZPR, Art. 1 EG-ZustVO 2007 Rn. 12. A. A. Schlussanträge GA Ruiz-Jarabo Colomer v. 05. 03. 2009 in der Rechtssache Roda Golf & Beach Resort, a. a. O., Rn. 90 ff., welcher nur öffentliche Schriftstücke unter den Begriff des außergerichtlichen Schriftstücks subsumiert und den Bezug zu einem gerichtlichen Verfahren fordert; dem folgend Sujecki, EuZW 2009, 585 (586). 16  Nach Art. 1 Abs. 3 EuZVO ist Dänemark kein Mitgliedstaat im Sinne der Verordnung, doch findet die Verordnung nach Maßgabe eines Erstreckungsübereinkommens zwischen den Europäischen Gemeinschaften und dem Königreich Dänemark auch auf die Beziehungen zu Dänemark Anwendung, vgl. ABl. Nr. L 300/55 v.  17. 11. 2005, ABl. Nr. L 94/70 v. 04. 04. 2007, ABl. Nr. L 331/21 v. 10. 12. 2008. 17  EuGH v. 19. 12. 2012 – C-325/11 (Alder), Rn. 20 ff., 35 ff. 18  Zu möglichen Hilfestellungen der Zentralstelle (Art. 3 EuZVO) bei der Adressermittlung siehe Sujecki in Gebauer/Wiedmann, Kap. 30 Rn. 33. 19  Erläuternder Bericht, ABl. Nr. C 261/28 v. 27. 08. 1997; Art. 6 Abs. 2 EuZVO; Heiderhoff in Rauscher, EuZPR, Art. 1 EG-ZustVO 2007 Rn. 19.

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§ 14  Die internationale Zustellung

II.  Vorgesehene Übermittlungswege 7

Für die Zwecke der Zustellung in das EU-Ausland können die Gerichte der Mitgliedstaaten drei Übermittlungswege nutzen: Den Rechtshilfeweg, die Zustellung durch Postdienste per Einschreiben mit Rückschein sowie – vorbehaltlich des Rechts des Empfangsmitgliedstaats – die unmittelbare Zustellung im Parteibetrieb.

1.  Der Rechtshilfeverkehr 8

Grundform der Zustellung in das europäische Ausland ist gemäß Art. 4, 16 EuZVO der direkte Rechtshilfeweg. Für den Rechtshilfeverkehr benennen die Mitgliedstaaten nach ihrem Ermessen eine oder mehrere Übermittlungs- und Empfangsstellen20 sowie eine Zentralstelle, die Auskünfte erteilt und bei der Klärung von Schwierigkeiten bei der Zustellung unterstützend mitwirkt.21 Die Übermittlung erfolgt im direkten Rechtshilfeverkehr zwischen den Übermittlungsstellen des Absendestaates und den Empfangsstellen des Empfangsstaates. Begleitet werden die zu übermittelnden Schriftstücke von einem Antrag gemäß dem in allen Amtssprachen der Union verfügbaren Formblatt in Anhang I EuZVO, welches in der Amtssprache der Empfangsstelle oder in einer anderen, vom Empfangsstaat zugelassenen Sprache abzufassen ist.22 Erleichtert wird der Rechtshilfeverkehr durch den Europäischen Gerichtsatlas für Zivilsachen, eine Website der Europäischen Kommission, welche Informationen über die Übermittlungs- und Empfangsstellen, Vorbehalte und Mitteilungen der Mitgliedstaaten enthält. Ferner besteht auf dieser Website die Möglichkeit, die Formblätter der EuZVO online auszufüllen und die Formularsprache vor dem Ausdruck in eine andere Amtssprache der Union zu verändern.23 Eine elektronische Übermittlung der Dokumente ist nach Art. 4 Abs. 2 EuZVO grundsätzlich zulässig, in der Praxis aber von den rechtlichen Bestimmungen des Empfangsstaats und den technischen Möglichkeiten der Übermittlungs20 Art. 2 Abs. 3 EuZVO enthält keine Konzentrationsmaxime, wie Erwägungsgrund 6 EuZVO belegt. Die Varianz der Gestaltungsmöglichkeiten belegt die Umsetzung durch den deutschen bzw. den englischen Gesetzgeber: In Deutschland ist gemäß § 1069 ZPO das jeweils die Zustellung betreibende Gericht Übermittlungsstelle für gerichtliche Schriftstücke. Die Amtsgerichte sind Empfangsstellen sowie Übermittlungsstellen für außergerichtliche Schriftstücke. England und Wales verfügen über eine zentrale Empfangs- und Übermittlungsstelle, The Senior Master for the Attention of the Foreign Process Department, Royal Courts of Justice. Zu den Übermittlungs- und Empfangsstellen anderer Mitgliedstaaten siehe die Angaben im Europäischen Gerichtsatlas für Zivilsachen. 21  Art. 2 EuZVO. 22  Art. 4 Abs. 3 EuZVO. Die für die Übermittlung zugelassenen Sprachen lassen sich über den Europäischen Gerichtsatlas für Zivilsachen eruieren (siehe die folgende Fn.), im Regelfall ist das Verwenden der englischen Sprache ausreichend. 23 .



B.  Auslandszustellungen gemäß der EuZVO

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und Empfangsstellen abhängig.24 Auf eine Beglaubigung der übermittelten Dokumente wird nach Art. 4 Abs. 4 EuZVO ausdrücklich verzichtet. Die Empfangsstelle bewirkt bzw. veranlasst die Zustellung des Schriftstücks an den Empfänger grundsätzlich nach Maßgabe des eigenen Rechts, kann dabei aber besondere Verfahrenswünsche der Übermittlungsstelle berücksichtigen, sofern diese mit dem Recht des Empfangsstaats vereinbar sind.25 Einen allgemeinen ordre public-Vorbehalt enthält die Verordnung nicht.26 Art. 7 Abs. 2 EuZVO setzt für die Zustellung durch die Empfangsstelle eine sanktionslose Frist von einem Monat nach Eingang. Nach erfolgter Zustellung übersendet die Empfangsstelle der Übermittlungsstelle eine Bescheinigung entsprechend dem Formblatt in Anhang I EuZVO.27 Die Tätigkeit des Empfangsstaates ist grundsätzlich kostenfrei. Soweit die Mitwirkung einer Amtsperson oder anderweitig nach dem Recht des Empfangsstaats zuständigen Person erforderlich ist, wird jedoch gegebenenfalls eine Festgebühr als Auslagenersatz fällig.28

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2.  Zustellung auf dem Postweg Als Alternative zum direkten Rechtshilfeverkehr erlaubt Art. 14, 16 EuZVO den Übermittlungsstellen,29 eine Zustellung durch Postdienste zu veranlassen, entweder per Einschreiben mit Rückschein oder mittels einer Sendungsform, 24  Eine Übermittlung per eMail kommt regelmäßig nur in Betracht, wenn die betroffenen Dokumente der Übermittlungsstelle in elektronischer Form vorliegen. Zu den von den Mitgliedstaaten zugelassenen Empfangsmöglichkeiten siehe die Angaben im Europäischen Gerichtsatlas bzw. bei Heiderhoff in Rauscher, EuZPR, Art. 4 EG-ZustVO 2007 Rn. 7. Zur Kommunikation per Fax mit der englischen Empfangsstelle siehe Arbuthnot Latham & Co v M3 Marine, [2013] EWHC 1019 (Comm). 25  Art. 7 Abs. 1 EuZVO. Zur Wahl der Zustellungsart durch die Empfangsstelle siehe Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR, A. 3, Art. 7 Rn. 6; Heiderhoff in Rauscher, EuZPR, Art. 7 EG-ZustVO 2007 Rn. 2; Sujecki in Gebauer/Wiedmann, Kap. 30 Rn. 95, jeweils m. w. N. Zu Grenzen der Berücksichtigung besonderer Verfahrenswünsche Heiderhoff a. a. O. Rn. 3 ff. 26  Anders Art. 13 HZÜ. 27  Art. 10 EuZVO. 28  Zum Hintergrund dieser Regelung Heiderhoff in Rauscher, EuZPR, Art. 11 EG-ZustVO 2007 Rn. 1 ff. Zur Höhe der Festgebühren siehe ebenda Rn. 4 sowie die Angaben im Europäischen Gerichtsatlas für Zivilsachen. Zur Kostenbefreiung bei bewilligter Prozesskostenhilfe vgl. Art. 21 EuZVO sowie Sujecki in Gebauer/Wiedmann, Kap. 30 Rn. 163 f. 29 Art. 14 EuZVO ist nach h. A. nur auf die Zustellung durch nationale Übermittlungsstellen, nicht auf die Parteizustellung i. S. d. Art. 15 EuZVO anwendbar, vgl. LG Trier v.  17. 10. 2002  – 7 HKO 140/01  – NJW-RR 2003, 287 f.; Stroschein, Parteizustellung, S. 135 ff., 147; Emde, NJW 2004, 1830 (1832 ff.); Geimer, IPRax 2004, 505 (506); Hausmann, EuLF 2007, II-1 (14); Rauscher in MüKo ZPO, Anh. §§ 1067 ff. Art. 14 Rn. 3; Heiderhoff in Rauscher, Art. 14 EG-ZustVO 2007 Rn. 4; Sujecki in Gebauer/Wiedmann, Kap. 30 Rn. 140; wohl auch Schlosser, EU-ZPR, Art. 14 Rn. 1 f. A. A. Europäische Kommission, Report on the Application of Regulation (EC) No 1393/2007, COM (2013) 858, S. 12 f.; OLG Köln v. 08. 09. 2003 – 16 U 110/02 – IPRax 2004, 521 (523); Möller, NJW 2003, 1571 (1572); Tsikrikas, ZZP Int. 8 (2003), 309 (312 ff.); Hess, NJW 2004, 3301 (3302).

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§ 14  Die internationale Zustellung

in der ein gleichwertiger Beleg ausgestellt wird.30 Die Wahl zwischen der Zustellung per Post oder auf dem Weg der Rechtshilfe steht den Übermittlungsstellen frei.31 Für die Zustellung auf dem Postweg spricht deren Schnelligkeit sowie die Vermeidung der ggf. nach Art. 11 Abs. 2 EuZVO entstehenden Gebühr. Für den direkten Rechtshilfeverkehr spricht die Zuverlässigkeit der Zustellung und ihrer Dokumentation.32 Eine parallele Zustellung auf beiden Wegen ist zulässig; die erste erfolgreiche Zustellung ist in diesem Fall entscheidend.33

3.  Die unmittelbare Zustellung im Parteibetrieb 11

Neben der durch die Übermittlungsstellen veranlassten Zustellung ist eine Übermittlung im Parteibetrieb gemäß Art. 15 EuZVO möglich, „wenn eine solche unmittelbare Zustellung nach dem Recht [des Empfangsstaates] zulässig ist.“ Nach überwiegender Auffassung ist es nicht ausreichend, dass der Empfangsstaat die Möglichkeit der Parteizustellung prinzipiell kennt. Vielmehr soll die Zustellung im Parteibetrieb nur zulässig sein, wenn sie nach dem Zustellungsrecht des Empfangsstaates für den konkreten Dokumententyp bzw. für ein funktionsäquivalentes Schriftstück vorgesehen ist.34 Der Wortlaut des Art. 15 EuZVO verhält sich zu dieser restriktiven Auslegung ebenso wie die Materialien35 indifferent. Obgleich in Art. 15 EuZVO nicht ausdrücklich erwähnt, muss die Parteizustellung jedenfalls nach der lex fori des Urteilsstaates zulässig sein. Art. 15 EuZVO will den Übermittlungsweg regeln, nicht das Zustellungssystem desjenigen Mitgliedstaats ändern, in dem

30 Zu inhaltlichen Diskrepanzen des internationalen Rückscheins gegenüber der Zustellungsbescheinigung nach Art. 10 EuZVO siehe Jastrow, NJW 2002, 3382 (3383); Sujecki in Gebauer/Wiedmann, Kap. 30 Rn. 138. 31  Eine Rangfolge besteht nicht, siehe nur EuGH v. 09. 12. 2006 – C-473/04 – Slg. 2006, I-1417 (Plumex), Rn. 20 ff. In Ausnahmekonstellationen erlauben Art. 12 und 13 EuZVO ferner die Zustellung auf konsularischem oder diplomatischem Weg bzw. durch diplomatische oder konsularische Vertretungen. Diese Zustellungsarten sind in der Praxis bedeutungslos, vgl. statt aller Schlosser, EU-ZPR, Art. 12, 13 EuZVO Rn. 1 f. 32  Hess, NJW 2004, 3301 (3302). 33  Dies gilt nach der Rechtsprechung des EuGH auch für die vom Adressaten einzuhaltenden Fristen, vgl. EuGH v.  09. 12. 2006  – C-473/04  – Slg. 2006, I-1417 (Plumex), Rn. 31; zweifelnd Heiderhoff in Rauscher, EuZPR, Art. 14 EG-ZustVO 2007 Rn. 6. 34  So die deutsche und schwedische Mitteilung im Europäischen Justizatlas zur unmittelbaren Zustellung. Ferner Vollkommer/Huber, NJW 2009, 1105 (1109); Rauscher in MüKo ZPO, Anh. §§ 1067 ff. Art. 15 Rn. 4; Heiderhoff in Rauscher, EuZPR, Art. 15 EG-ZustVO 2007 Rn. 1, 6; Sujecki in Gebauer/Wiedmann, Kap. 30 Rn. 149. Diese restriktive Auslegung wird aus der Normhistorie abgeleitet, da es nach Art. 15 Abs. 2 VO 1348/2000 den Mitgliedstaaten möglich war, die Parteizustellung aus dem Ausland gänzlich auszuschließen. 35  Die Erläuterung des Kommissionsvorschlag zur Änderung der Verordnung 1348/2000 ist nicht ergiebig, vgl. KOM (2005) 30, S. 7.



B.  Auslandszustellungen gemäß der EuZVO

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das Verfahren betrieben wird.36 Die praktische Bedeutung des Art. 15 EuZVO ist bei Zugrundelegung dieser Interpretation gering, sofern das Prozessrecht des Übermittlungs- und/oder Empfangsstaats – wie die deutsche ZPO – vom Grundsatz der Amtszustellung ausgeht.37 In vielen anderen Mitgliedstaaten, insbesondere in England und in den romanisch geprägten Rechtsordnungen,38 kann die Parteizustellung eine zügigere Übermittlung als die Amtszustellung bewirken.39

III.  Zurückweisung des Schriftstücks wegen Sprachunkundigkeit Ziel einer jeden Zustellung ist es, dem Empfänger rechtliches Gehör zu gewähren. Effektiv realisieren lässt sich dies nur, wenn der Empfänger eines Schriftstücks das Dokument inhaltlich zur Kenntnis nehmen kann. Angesichts der 24 Amtssprachen der Europäischen Union liegt die Frage auf der Hand, in welcher Sprache das zuzustellende Schriftstück gehalten sein muss, d. h. wer im Stadium der Zustellung die Übersetzung veranlassen und deren Kosten zu tragen hat.40

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1.  Die Regelung in Art. 8 EuZVO Die Verordnung enthält zur Sprache des zuzustellenden Dokuments keine Vorgaben. Sie erlaubt vielmehr dem Adressaten, die Annahme des Dokuments zu 36 Siehe Erläuternder Bericht, ABl. Nr. C 261/35 v.  27. 08. 1997; Schlosser, EU-ZPR, Art. 15 EuZVO Rn. 1; Tsikrikas, ZZP Int. 8 (2003), 309 (313); Heiderhoff in Rauscher, EuZPR, Art. 15 EG-ZustVO 2007 Rn. 1, 6; a. A. Kuntze-Kaufhold/Beichel-Benedetti, NJW 2003, 1998 (1999); Sujecki in Gebauer/Wiedmann, Kap. 30 Rn. 149. Zum deutsch-britischen Abkommen über den Rechtsverkehr v.  20. 03. 1928, BGBl. 1953 II 116, siehe Heiderhoff in Rauscher, EuZPR, Art. 15 EG-ZustVO 2007 Rn. 7. 37  Bei Verfahren zur Durchsetzung gewerblicher Schutzrechte ist die Zustellung im Parteibetrieb aufgrund von § 922 Abs. 2 ZPO freilich durchaus von Relevanz. 38  Die unmittelbare Zustellung ist nach den Informationen im Europäischen Gerichtsatlas zugelassen in Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Griechenland, Italien, Malta, Niederlande, Portugal, Zypern. Zahlreiche Mitteilungen der Mitgliedstaaten sind freilich veraltet, da noch auf Art. 15 EuZVO (2000) bezogen, welcher es den Mitgliedstaaten ermöglichte, einen allgemeinen Vorbehalt gegenüber der unmittelbaren Zustellung aus dem Ausland zu erklären. So ist die grenzüberschreitende Parteizustellung in England und Wales aufgrund der Regelung in CPR 6.4 Abs. 1 lit. b, 6.21 Abs. 1, Abs. 2 lit. b, Art. 15 EuZOV (2007) entgegen der Information im Europäischen Gerichtsatlas zulässig. 39  Stroschein, Parteizustellung, S. 240 f. Schlosser, EU-ZPR, Art. 15 EuZVO Rn. 1; Hess, NJW 2001, 15 (21 ff.). 40  Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, finanziell schwachen natürlichen Personen Prozesskostenhilfe für notwendige Übersetzungskosten zu gewähren, vgl. Art. 3 Abs. 1, Art. 7 lit. b der Richtlinie Richtlinie 2002/8/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur Verbesserung des Zugangs zum Recht bei Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug durch Festlegung gemeinsamer Mindestvorschriften für die Prozesskostenhilfe in derartigen Streitsachen, ABl. Nr. L 26/41 v. 31. 01. 2003.

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§ 14  Die internationale Zustellung

verweigern oder das Schriftstück binnen einer Woche zurückzusenden, sofern jenes nicht entweder in einer Sprache abgefasst ist, die der Empfänger versteht, oder in der Amtssprache des Zustellungsortes verfasst ist. Das Zurückweisungsrecht ist nur indirekt, aber unzweideutig, geregelt in Art. 8 Abs. 1 EuZVO. Die Übermittlungsstelle informiert diejenige Person, welche an der Zustellung des Schriftstücks interessiert ist, über das Zurückweisungsrecht des Adressaten, damit gegebenenfalls eine Übersetzung veranlasst werden kann.41 Eine Belehrung des Adressaten über sein Recht zur Annahmeverweigerung erfolgt mittels des Formblatts in Anhang II EuZVO und ist bei der Übermittlung im Rechtshilfeverkehr von der Empfangsstelle zu erteilen. Erfolgt die Zustellung auf dem Postweg oder im Parteibetrieb (Art. 14, 15 EuZVO), so ist die Belehrung mangels Einschaltung einer Empfangsstelle von der Übermittlungsstelle42 bzw. vom Absender oder der in die Übermittlung nach Art. 15 eingeschalteten zuständigen Person43 auszufüllen. Leider fehlt es hinsichtlich der Zustellung im Parteibetrieb an einer diesbezüglichen Klarstellung in der Verordnung. Die Belehrungspflicht der Übermittlungsstelle bei Zustellung auf dem Postweg ist zudem nicht im Kontext des Art. 14 EuZVO, sondern leicht übersehbar in Art. 8 Abs. 5 EuZVO geregelt. Rechtsanwendungsfehler sind somit vorprogrammiert.44 Das Belehrungsformblatt in Anhang II enthält eine vorformulierte Annahmeverweigerungserklärung, deren Nutzung durch den Adressaten ratsam erscheint. Eine explizite Verpflichtung zur Nutzung spricht Art. 8 Abs. 1 EuZVO nicht aus. Verweigert der Zustellungsadressat legitimerweise die Annahme wegen fehlender Sprachkenntnisse, so scheitert die Zustellung zunächst. Das Gericht ist gehalten, das Verfahren auszusetzen, bis eine Zustellung des Dokuments unter Beifügung der Übersetzung erfolgt ist.45 Diese neuerliche Zustellung führt zu einer partiellen Heilung:46 Für die Wahrung materiellrechtlicher oder prozessualer Fristen ist im Verhältnis zu der an der Zustellung interessierten 41  Art. 5 EuZVO; für eine analoge Anwendung bei Zustellung nach Art. 12–15 EuZVO Sujecki in Gebauer/Wiedmann, Kap. 30 Rn. 71; Mankowski in FS Kaissis, S. 610. Nach Abschluss des Verfahrens besteht  – abhängig vom Kostenrecht des Gerichtsstaates  – gegebenenfalls ein Anspruch auf Erstattung der Übersetzungskosten gegenüber dem Prozessgegner, siehe Mankowski in FS Kaissis, S. 612 f. m. w. N. 42  Art. 8 Abs. 5 EuZVO; Rösler/Siepmann, RIW 2006, 512 (516); Schlosser, EU-ZPR, Art. 9 EuZVO Rn. 6; Sujecki in Gebauer/Wiedmann, Kap. 30 Rn. 103. 43 Hierfür Stroschein, Parteizustellung, S. 133. 44 Siehe zur Zustellung auf dem Postwege beispielhaft den Sachverhalt Cass. v. 18. 10. 2012 – n° 11–22673 . 45  EuGH v. 08. 11. 2005 – C-443/03 – Slg. 2005, I-9611 (Leffler), Rn. 68. 46  So bereits zur EuZVO (2000) EuGH v.  08. 11. 2005  – C-443/03  – Slg. 2005, I-9611 (Leffler), Rn. 38 ff. In dieser Entscheidung wird der Terminus „Heilung“ verwandt. Wie Heiderhoff in Rauscher, EuZPR, Art. 19 EG-ZustVO 2007 Rn. 17 zutreffend bemerkt, handelt es sich freilich nach strenger deutscher Terminologie nicht um eine Heilung, sondern um eine modifizierte Bestimmung des Zustelldatums.



B.  Auslandszustellungen gemäß der EuZVO

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Partei das Datum der Erstzustellung ohne beigefügte Übersetzung maßgeblich.47 Art. 8 EuZVO ist in mehrfacher Hinsicht lückenhaft. So sind weder der Beginn der Frist für die Rücksendung des Schriftstücks noch das für die Fristwahrung erforderliche Ereignis in der Verordnung spezifiziert. Für den Fristbeginn dürfte auf den Zeitpunkt der Zustellung abzustellen sein,48 für die Fristwahrung sollte angesichts der Kürze der Rücksendefrist die Absendung des Schriftstücks ausreichen.49 Vollständig fehlen Hinweise zur Frist für das Nachreichen einer Übersetzung des zuzustellenden Schriftstücks. Auch die Folgen einer unterbliebenen Belehrung oder unberechtigten Annahmeverweigerung werden nicht konkretisiert. Unterbleibt die Belehrung, so sollte die Zustellung vorbehaltlich einer einschlägigen Heilungsvorschrift als unwirksam betrachtet werden, falls sich der Adressat weder am Verfahren beteiligt noch die Dokumentensprache versteht.50 Im Falle einer unberechtigten Annahmeverweigerung bestimmt sich die Rechtsfolge nach der lex fori;51 nach deutschem Recht gilt das Dokument mit der Annahmeverweigerung als zugestellt, § 179 S. 3 ZPO.

47  Art. 8 Abs. 3 S. 2, Art. 9 Abs. 2 EuZVO. Eine entsprechende Anwendung dieser Bestimmung bei erneuter Zustellung unter Beifügung einer Belehrung bietet sich an. Nach wohl h. M. findet für Verfahren vor deutschen Gerichten § 167 ZPO auch dann Anwendung, wenn der Antragsteller die Beifügung einer Übersetzung beim ersten Zustellungsversuch schuldhaft unterlassen hat, vgl. Heiderhoff in Rauscher, EuZPR, Art. 5 EG-ZustlVO 2007, Rn. 4; Schlosser, EU-ZPR, Art. 8 EuZVO Rn. 4; a. A. Rauscher, JZ 2006, 251 (253). 48  Aus den in Art. 8 Abs. 1 EuZVO benannten Handlungsalternativen, d. h. Annahmeverweigerung ab Zustellung oder Rücksendung innerhalb von einer Woche, lässt sich entnehmen, dass der Zeitpunkt der Zustellung für den Fristbeginn maßgeblich ist. Dies erscheint logisch und angesichts der mit der Zustellung bewirkten Dokumentation des Fristbeginns auch zweckmäßig, wirft jedoch Probleme auf, wenn die Zustellung an Ersatzpersonen oder durch Niederlegung erfolgt. 49  Vgl. die Ausgestaltung des Art. 16 Abs. 2 EuMahnVO. Wie hier Rauscher in MüKo ZPO, Anh. §§ 1067 ff. Art. 8 Rn. 7; a. A. Sujecki in Gebauer/Wiedmann, Kap. 30 Rn. 110: Zugang bei der Empfangsstelle. Diese Auffassung vernachlässigt, dass bei der Zustellung nach Art. 14 und 15 EuZVO die Empfangsstelle nicht an der Zustellung beteiligt ist. 50  Klumpp, Zustellungsformen, S. 67 ff.; Heiderhoff in Rauscher, EuZPR, Art. 8 EG-ZustVO 2007 Rn. 31 f.; Sujecki in Gebauer/Wiedmann, Kap. 30 Rn. 104; zweifelnd OLG Saarbrücken v.  11. 10. 2005  – 4 U 399/04; a. A. Rauscher in MüKo ZPO, Anh. §§ 1067 ff. Art. 8 Rn. 5. Die Europäische Kommission ist offenbar der Auffassung, die Rechtsfolgen einer unterbliebenen Belehrung bestimmten sich nach nationalem Recht, siehe Report on the Application of Regulation (EC) No 1393/2007, COM (2013) 858, S. 11. 51  Schlosser, EU-ZPR, Art. 8 EuZVO Rn. 7; Heiderhoff in Rauscher, EuZPR, Art. 8 EGZustVO 2007 Rn. 28; Sujecki in Gebauer/Wiedmann, Kap. 30 Rn. 113.

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§ 14  Die internationale Zustellung

2.  Anforderungen an Sprachniveau und Übersetzungsqualität a)  Maßgebliches Sprachniveau 17

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Der Zustellungsadressat ist zur Annahmeverweigerung oder Rücksendung des Schriftstücks nicht berechtigt, falls das übermittelte Dokument in einer Sprache verfasst ist, die er versteht. Erforderlich ist ein individuelles Sprachniveau, welches eine Verteidigung vor Gericht ermöglicht.52 Als Maßstab dient nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs das Sprachverständnis eines im Forumsstaat ansässigen Parteibeteiligten.53 In welchem Kontext die Sprachkenntnisse erworben wurden, ist unerheblich.54 Bei Personenvereinigungen und juristischen Personen kann das Verständnis der Sprache am Sitz der Hauptverwaltung oder der betroffenen Niederlassung vorausgesetzt werden;55 ein generell ausreichendes Verständnis der englischen Sprache ist hingegen selbst im Außenhandel nicht ohne weiteres zu erwarten.56 Die Sprachkenntnisse des Empfängers sind von dem jeweils mit der Frage der Ordnungsgemäßheit der Zustellung befassten Gericht zu bestimmen.57 Eine Beweisaufnahme über die Sprachkenntnisse vor dem Erkenntnisgericht durch Vernahme des Adressaten ist allerdings in der Praxis kaum vorstellbar und der mit Art. 8 EuZVO bezweckten Verfahrensbeschleunigung nicht zuträglich.58 Weist der Adressat die Zustellung mangels Sprachkenntnissen zurück, so ist der für die Sprachkenntnisse des Adressaten beweisbelastete59 52  EuGH v. 08. 08. 2008 – C-14/07 – Slg. 2008, I-3367 (Ingenieurbüro Weiss), Rn. 87; Sujecki in Gebauer/Wiedmann, Kap. 30 Rn. 107. 53  EuGH v. 08. 08. 2008 – C-14/07 – Slg. 2008, I-3367 (Ingenieurbüro Weiss), Rn. 87. 54  A. A. Heiderhoff in Rauscher, EuZPR, Art. 8 EG-ZustVO 2007 Rn. 14. 55  Sujecki in Gebauer/Wiedmann, Kap. 30 Rn. 108; Rauscher in MüKo ZPO, Anh. §§ 1067 ff. Art. 8 Rn. 12; Heiderhoff in Rauscher, EuZPR, Art. 8 EG-ZustVO 2007 Rn. 15 f.; zur Berücksichtigung individueller Sprachkenntnisse bestimmter Mitarbeiter siehe die dortigen Nachweise sowie Stadler, ZZP Int. 11 (2006), 227 (232 f.). 56 Zur Differenzierung zwischen der Verwendung als Geschäftssprache und dem für den Gerichtsverkehr erforderlichen Sprachniveau siehe EuGH v. 08. 08. 2008 – C-14/07 – Slg. 2008, I-3367 (Ingenieurbüro Weiss), Rn. 87. Nach Auffassung von Schlosser, EU-ZPR, Art. 8 EuZVO Rn. 2a, kann die Kenntnis der englischen Sprache bei im Auslandsgeschäft tätigen Handelsbetrieben hingegen vorausgesetzt werden. 57  H. M., siehe nur LG Düsseldorf v. 12. 01. 2010 – 4b O 286/06 – BeckRs 2011, 03329; Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR, A. 3, Art. 8 Rn. 8 ff.; Heiderhoff in Rauscher, EuZPR, Art. 8 EG-ZustVO 2007 Rn. 28 ff., 35 m. w. N. A.A. Schütze, RIW 2006, 352 (353); Gebauer/ Wiedmann, Kap. 30 Rn. 107: Entscheidungsbefugnis über hinreichendes Sprachverständnis liegt beim Zustellungsempfänger. 58  Schütze, RIW 2006, 352 (355); Hausmann, EuLF 2007, II-1 (9); Sujecki, ZEuP 2007, 358 (361); Heiderhoff in Rauscher, EuZPR, Art. 8 EG-ZustVO 2007 Rn. 35. Realistischer erscheint eine Beweiserhebung durch Zeugenvernahme im Exequaturverfahren, falls das Erstgericht die vom Empfänger vorgetragenen ungenügenden Sprachkenntnisse ignoriert hat. 59  Würdinger, IPRax 2013, 61 (62); Schlosser, EU-ZPR, Art. 8 EuZVO Rn. 2; Rauscher in MüKo ZPO, Anh. §§ 1067 ff. Art. 8 Rn. 11; Heiderhoff, in Rauscher, EuZPR, Art. 8 EGZustVO Rn. 29 m. w. N.



B.  Auslandszustellungen gemäß der EuZVO

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Initiator der Zustellung gut beraten, eine Heilung durch Zustellung der Übersetzung zu bewirken.60 Eine Vertragsklausel, welche die Sprache der geschäftlichen Kommunikation bestimmt, begründet nach der Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache Ingenieurbüro Weiss nur einen Anhaltspunkt, nicht aber eine Vermutung für die Existenz eines Sprachniveaus gemäß Art. 8 Abs. 1 EuZVO.61 Häufig folgern Gerichte freilich aus den vom Zustellungsempfänger ausgestellten Dokumenten, dieser verfüge über ausreichende Sprachkenntnisse, und erachten die Ausübung der Annahmeverweigerung deshalb als unbeachtlich.62 Übt der Adressat sein Annahmeverweigerungsrecht bzw. das Rücksenderecht binnen der Wochenfrist des Art. 8 Abs. 1 nicht aus, werden seine (fehlenden) Sprachkenntnisse nicht berücksichtigt. Problematisch erweist sich die Belehrung über das Zurückweisungsrecht gemäß dem Formblatt in Anhang II EuZVO. Ein Empfänger, der die Zustellung mangels Sprachkenntnissen verweigert, soll dort ankreuzen, welche der Amtssprachen der Union er „versteht“. Es fehlt ein Hinweis auf das erforderliche Sprachniveau, insbesondere auf die Tatsache, dass es sich bei den zuzustellenden Schriftstücken um rechtliche Dokumente handelt.63 Bei Ersatzzustellungen und Zustellungen an juristische Personen kann das Formular zudem den irrtümlichen Eindruck erwecken, die Sprachkenntnisse derjenigen Person seien maßgeblich, welcher das Schriftstück übergeben wurde.64 Dem Formblatt wohnt somit eine Irreführungsgefahr inne. Da die Verordnung die Rechtsfolgen einer irrtümlich unzutreffenden Angabe nicht regelt, empfiehlt es sich für den Initiator der Zustellung, die Angaben auf der Annahmeverweigerungserklärung zu ignorieren und eine Übersetzung in die Amtssprache des Zustellungsstaates (Art. 8 Abs. 1 lit. b EuZVO) zu veranlassen.

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Stadler, IPRax 2006, 116 (123); Schlosser, EU-ZPR, Art. 8 Rn. 4; Rauscher in MüKo ZPO, Anh. §§ 1067 ff. Art. 8 Rn. 19; Heiderhoff in Rauscher, EuZPR, Art. 8 EG-ZustVO 2007 Rn. 35. Deshalb folgert das OLG Düsseldorf in einer Entscheidung v. 15. 07. 2005 – II-3 UF 285/04 – IPRax 2006, 270 (271), im Zweifel sei eine Übersetzung erforderlich. Hierzu kritisch Rösler/Siepmann, IPRax 2006, 236 (237). 61  EuGH v. 08. 08. 2008 – C-14/07 – Slg. 2008, I-3367 (Ingenieurbüro Weiss), Rn. 85, 88; Hess, IPRax 2008, 400 (403); a. A. Stadler, IPRax 2001, 514 (518); Heiderhoff in Rauscher, EuZPR, Art. 8 EG-ZustVO 2007 Rn. 4, 15. S. a. Mankowski, IPRax 2009, 180 (193): „Längst beginnt sich die Hauptkampfzone zu solchen Sprachklauseln, ihrer bestmöglichen Formulierung, ihren Grenzen und ihren Wirkungen zu verschieben.“ 62  LG München v. 30. 11. 2009 – 7 O 861/09 – IPRspr 2009, Nr 226, S. 573 f.; LG Düsseldorf v. 12. 01. 2010 – 4 b O 286/06 – BeckRs 2011, 03329, zustimmend Sujecki, EuZW 2011, 287 (288 f.); LG Bonn v. 30. 11. 2010 – 10 O 502/09 – IPRax 2013, 82 m. zust. Anm. Würdinger, IPRax 2013, 61 (63). 63  Ebenfalls kritisch Rösler/Siepmann, RIW 2006, 512 (517). 64  Rösler/Siepmann, RIW 2006, 512 (517); Schlosser, EU-ZPR, Art. 8 EuZVO Rn. 6.

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§ 14  Die internationale Zustellung

b)  Zu übersetzende Inhalte 20

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Weist der Adressat die zuzustellenden Dokumente zurück, weil sie in einer Sprache verfasst sind, die er nicht versteht, bedarf es zu einer wirksamen Zustellung der Übersetzung. In der Entscheidung Ingenieurbüro Weiss wurde der EuGH mit der Frage befasst, ob auch die Anlagen der Klageschrift einer Übersetzung bedürfen. Der Gerichtshof beantwortete die Vorlagefrage unter der Perspektive der Schnittstellen zur EuGVO und stellte die Frage in den Vordergrund, ob das verfahrenseinleitende Schriftstück dem Empfänger eine ordnungsgemäße Beteiligung am Prozess ermögliche. Maßgeblich sei, ob sich dem Schriftstück „mit Bestimmtheit zumindest Gegenstand und Grund des Antrags sowie die Aufforderung, sich vor Gericht einzulassen oder die Möglichkeit zur Einlegung eines gerichtlichen Rechtsbehelfs entnehmen lassen.“65 Soweit die Anlagen für das Verständnis von Gegenstand und Grund des Antrags nicht erforderlich seien, vielmehr lediglich Beweisunterlagen enthielten, bedürfe es ihrer Übersetzung nicht.66 Die Entscheidung ist pragmatisch, vernachlässigt aber den Telos des Art. 8 Abs. 1 EuZVO. Wie der Gerichtshof selbst hervorhebt, ist zur Wahrung des rechtlichen Gehörs des Empfängers eine Übersetzung der Dokumente menschenrechtlich nicht zwingend erforderlich;67 der Empfänger könnte die Übersetzung auch selbst veranlassen. Zentrales Anliegen des Art. 8 Abs. 1 EuZVO ist nicht die Bewahrung des menschenrechtlich zwingenden Standards rechtlichen Gehörs, sondern die Regelung der Verantwortung für das Erstellen einer Übersetzung im Rahmen der Zustellung.68 Vor diesem Hintergrund ist es irrelevant, wenn der Gerichtshof betont, nach den Rechten einiger Mitgliedstaaten seien die Beweisunterlagen nicht dem verfahrenseinleitenden Schriftstück beizufügen, sondern getrennt zu übermitteln.69 Auch bei getrennter Übermittlung bedürften sie ggf. nach dem Recht des Übermittlungsstaates der Zustellung und unterlägen somit der Sprachenregelung des Art. 8 EuZVO.70 Einzig aus dem Antragsformular in Anhang I EuZVO, welches unter der Überschrift „Zuzustellendes Schriftstück“ zwischen „Art des Schriftstücks“ (6.1) und „Anzahl der Anlagen“ (6.4) differenziert, ließe sich eine formale Trennung dergestalt ableiten, dass der Empfänger lediglich die fehlende Übersetzung des eigentlichen Schriftstücks monieren dürfe. Eine solche formale 65  EuGH v. 08. 08. 2008 – C-14/07 – Slg. 2008, I-3367 (Ingenieurbüro Weiss), Rn. 73. Zustimmend Hess, IPRax 2008, 400 (402); Ahrens, NJW 2009, 2817 (2819); a. A. Hausmann, EuLF 2007, II-1 (10): Entscheidung über Verteidigungsstrategie kann auch von den in der Anlage enthaltenen Informationen abhängen. 66  EuGH v. 08. 08. 2008 – C-14/07 – Slg. 2008, I-3367 (Ingenieurbüro Weiss), Rn. 73. 67  EuGH v. 08. 08. 2008 – C-14/07 – Slg. 2008, I-3367 (Ingenieurbüro Weiss), Rn. 57. 68  EuGH v. 08. 08. 2008 – C-14/07 – Slg. 2008, I-3367 (Ingenieurbüro Weiss), Rn. 58. 69  EuGH v. 08. 08. 2008 – C-14/07 – Slg. 2008, I-3367 (Ingenieurbüro Weiss), Rn. 43, 65. 70  Stadler, ZZP Int. 11 (2006), 227 (229).



B.  Auslandszustellungen gemäß der EuZVO

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Differenzierung verbietet sich jedoch bereits deshalb, weil je nach Typ des Schriftstücks die Anlage von entscheidender Bedeutung für das Verständnis von Gegenstand und Grund der geltend gemachten rechtlichen Ansprüche sein kann.71 Nach der vom EuGH vertretenen funktionalen Kategorisierung hat das über die Ordnungsgemäßheit der Zustellung zu befindende Gericht zu prüfen, ob das übersetzte Schriftstück den Adressaten auch ohne Übersetzung der Anlagen in die Lage versetzt, seine Rechte wahrzunehmen.72 Bei reinen Beweisunterlagen geht der Gerichtshof offenbar davon aus, dass eine Übersetzung nicht erforderlich ist, weil sich der Empfänger ohnehin vor Gericht durch einen Anwalt vertreten lässt, der der Gerichtssprache kundig ist.73 In der Praxis dürfte die Entscheidung des Gerichtshofs freilich regelmäßig dazu führen, dass der Empfänger die Übersetzung der Beweisunterlagen veranlasst und finanziert.

c)  Qualitativ unzureichende Übersetzungen Die Übersetzung juristischer Texte ist eine hochkomplexe Aufgabe, die neben sehr guten Sprachkenntnissen auch eine Vertrautheit des Übersetzers mit den beteiligten Rechtsordnungen erfordert. Es verwundert deshalb nicht, dass Übersetzungen gerichtlicher oder außergerichtlicher Schriftstücke oftmals fehlerhaft und schwer verständlich sind. Die Verordnung bietet keinen Lösungsansatz für dieses Problem. Realistisch erscheint eine Orientierung an den in der EuGH-Entscheidung Ingenieurbüro Weiss genannten Kriterien: Eine Übersetzung ist dann als ausreichend zu erachten, wenn sie dem Empfänger ermöglicht, Gegenstand und Grund der in dem zugestellten Dokument geltend gemachten oder festgestellten rechtlichen Ansprüche zu erfassen und darauf basierend seine Rechte wahrzunehmen.74 Aus der Übersetzung hervorgehen sollte insbesondere die Gläubiger- und Schuldnerposition, das angerufene bzw. entscheidende Gericht, Höhe und Grundlage der Forderung(en), die Verfahrensart sowie eventuelle Ladungen, Fristen und Rechtsmittelbelehrungen.75 71  So erlaubt der italienische Mahnbescheid (decreto ingiuntivo) ohne die in der Anlage befindliche Antragsschrift kein Verständnis der geltend gemachten Ansprüche, siehe EuGH v. 13. 07. 1995 – C-474/93 – Slg. 1995, I-2113 (Hengst Import), Rn. 21. 72  EuGH v. 08. 08. 2008 – C-14/07 – Slg. 2008, I-3367 (Ingenieurbüro Weiss), Rn. 75. 73  A. a. O. Rn. 74: „Die Übersetzung von Beweisunterlagen kann beträchtliche Zeit in Anspruch nehmen, während sie jedenfalls nicht für das Verfahren erforderlich ist, das vor dem Gericht des Übermittlungsstaats und in der Sprache dieses Staates abläuft.“ 74  Heiderhoff in Rauscher, EuZPR, Art. 8 EG-ZustVO 2007 Rn. 17; ähnlich Mankowski, IPRax 2009, 180 (182); a. A. Kondring, Heilung, S. 180; Schlosser, EU-ZPR, Art. 8 EuZVO Rn. 5: Eine Übersetzung, die nicht flüssig verständlich ist, ist dem vollkommenen Fehlen der Übersetzung gleichzustellen. 75  Siehe auch OLG Nürnberg v. 25. 02. 2005 – 4 VA 72/05 – IPRax 2006, 38 (40); zur Anwendung dieser Kriterien in der genannten Entscheidung mit Recht kritisch Wilske/Krapfl, IPRax 2006, 10 (13); Schütze, RIW 2006, 352 (354 f.).

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§ 14  Die internationale Zustellung

Erfüllt die Übersetzung nicht einmal diese Minimalkriterien, ist sie zwar sinnentstellend und unbrauchbar. Dennoch fällt es schwer, dem Zustellungsadressaten einen anderen Rat zu geben, als das Dokument selbst übersetzen zu lassen. Ein Rücksenderecht wegen mangelhafter Übersetzung kennt die Verordnung nicht. Sicherlich könnte sich der Empfänger auf die Position stellen, eine mangelhafte Übersetzung entspreche einer fehlenden Übersetzung,76 und das Zurückweisungsrecht des Art. 8 Abs. 1 ausüben. Zu einem Erfolg führte dies jedoch nur, falls das Prozessgericht erstens mithilfe eines eigenen Übersetzers die mangelhafte Qualität der Übersetzung erkennen und zweitens diese Rechtsauffassung teilen würde. Hierüber lässt sich im Regelfall keine sichere Prognose abgeben. Auch die Hoffnung auf eine Anerkennungsversagung im Vollstreckungsstaat stünde auf tönernen Füßen, da Art. 45 Abs. 1 lit. b EuGVO eine vorrangige Ausschöpfung der Rechtsbehelfe im Staat des Erstgerichts vorsieht und Art. 5 EuVTVO die Vollstreckung eines Säumnisurteils im Ausland ohne Exequaturverfahren ermöglicht.77

3.  Kritik der Sprachenregelung a)  Bevorzugung der Interessen des Absenders 25

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Art. 8 EuZVO soll eine angemessene Balance zwischen den Kosteninteressen der Parteien sowie dem Recht des Absenders auf effektiven Rechtsschutz und dem Recht des Empfängers auf eine faire Verfahrensbeteiligung bewirken.78 Doch neigt sich die Waagschale stark zu Gunsten des Absenders.79 Bezeichnend ist bereits die Tatsache, dass das Recht zur Annahmeverweigerung bzw. Rücksendung in der Verordnung nicht explizit geregelt ist. Auch die Annahmepflicht bei Schriftstücken, welche in einer Sprache verfasst wurden, die der Empfänger versteht, ist keine Selbstverständlichkeit.80 Will sich der Empfänger rechtlich beraten lassen, wird er häufig trotz seines Sprachverständnisses eine Übersetzung anfertigen lassen müssen. Die Suche nach einem adäquaten Übersetzer kann sich bei exotischeren Sprachen schwierig gestalten,

76 So Schütze, RIW 2006, 352 (354) ; Schlosser, EU-ZPR, Art. 8 EuZVO Rn. 5; Rauscher in MüKo ZPO, Anh. §§ 1067 ff. Art. 8 Rn. 14. 77  Siehe nur Hess in Hess/Pfeiffer/Schlosser-Bericht, Rn. 542; ferner § 16 Rn. 83, 116 ff. 78  Stadler, IPRax 2001, 514 (517); Heiderhoff in Rauscher, EuZPR, Art. 8 EG-ZustVO 2007 Rn. 1. 79  Wie hier Stadler, IPRax 2002, 282 (285); dies., Erasmus Law Review, 5 (2012), 151 (156); Heiderhoff in Rauscher, EuZPR, Art. 8 EG-ZustVO 2007 Rn. 26. 80 Eine Pflicht zur Zustellung in der Sprache des dauerhaften Aufenthaltsstaats des Adressaten sieht Rule 5.2 der ALI/UNCITRAL Principles of Transnational Civil Procedure vor; befürwortend auch Schack in FS Geimer, S. 944; Stadler in Stürner/Kawano, Comparative Studies, S. 133; dies., Erasmus Law Review, 5 (2012), 151 (161); Ontanu/Pannebakker, Erasmus Law Review 5 (212), 169 (186).



B.  Auslandszustellungen gemäß der EuZVO

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und die Übersetzung wird gewisse Zeit benötigen. Die effektiven Einlassungsfristen für den Empfänger verkürzen sich auf diese Weise erheblich. Das größere Manko stellt die in Art. 8 Abs. 3 EuZVO vorgesehene Heilungsmöglichkeit bei Annahmeverweigerung des nicht übersetzten Schriftstücks dar, welche sich mit der bereits zur EuZVO (2000) ergangenen Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache Leffler deckt.81 Angesichts der Möglichkeit, Fristen auch durch eine nachgeschobene Übersetzung zu wahren, liegt es für den Absender nahe, beim ersten Zustellungsversuch auf eine Übersetzung zu verzichten – selbst wenn er positive Kenntnis davon hat, dass der Empfänger die Dokumentensprache nicht versteht.82 Dieses Vorgehen spart Kosten und kann bei einem zwischen den Parteien bestehenden Wettlauf zu Gericht bzw. drohendem Ablauf der Verjährungsfrist einen zentralen Zeitgewinn bedeuten. Das Annahmeverweigerungs- bzw. Rücksenderecht des Empfängers bietet keinen adäquaten Ausgleich. Insbesondere bei Zustellungsarten, bei denen eine Annahmeverweigerung nicht möglich ist (postalische Zustellung, Zustellung durch Niederlegung oder an Ersatzpersonen), besteht ein hohes Risiko der Verlagerung von Übersetzungskosten und -aufwand auf den Empfänger. Dieses Risiko liegt unter anderem in der mehr als knappen Rücksendefrist von einer Woche ab Zustellung begründet.83 Da für die Rücksendung regelmäßig ein Gang zur Post erforderlich ist,84 kann die Einhaltung der einwöchigen Frist selbst für eine idealtypische Privatperson Probleme aufwerfen. Nebenbei bemerkt mutet es seltsam an, dass den auf die internationale Zustellung spezialisierten Empfangsstellen eine (sanktionslose) Frist von einem Monat für die Zustellung des Schriftstücks gewährt wird, die Adressaten hingegen zur Ausübung ihres Zurückweisungsrechts innerhalb einer Woche tätig werden sollen. Schließlich enthält die Verordnung keine Regelung für den Fristverlauf bei der Zustellung an Ersatzpersonen oder durch Niederlegung. Hier kann die einwöchige Frist ab Zustellung bereits abgelaufen sein, bevor der Empfänger Gelegenheit erhält, das Schriftstück zur Kenntnis zu nehmen. 81  EuGH v. 08. 11. 2005 – C-443/03 – Slg. 2005, I-9611 (Leffler), Rn. 42 ff. m. zust. Anm. Rösler/Siepmann, NJW 2006, 475 (477); Sujecki, ZEuP 2007, 358 (364 ff.). 82  Heiderhoff in Rauscher, EuZPR, Art. 8 EG-ZustVO 2007 Rn. 33. In einer empirischen Untersuchung zwecks Erstellung des Berichts über die Anwendung der EuZVO (2000) gaben 54 % der befragten Praktiker an, bereits an einer grenzüberschreitenden Zustellung mitgewirkt zu haben, bei der die Dokumente nicht in einer der Amtssprachen des Zustellungsortes übersetzt waren, vgl. Mainstrat, Study on Regulation No. 1348/2000, S. 100. 83  Kritisch zur Kürze der Frist auch Rauscher in MüKo ZPO, Anh. §§ 1067 ff. Art. 8 Rn. 1; Heiderhoff in Rauscher, EuZPR, Art. 8 EG-ZustVO 2007 Rn. 26 84  Bereits aus Beweisgründen ist es nicht ratsam, das Schriftstück als normalen Brief zurückzusenden; eine Rücksendung als Standardbrief wird zudem regelmäßig am Umfang des zurückzusendenden Schriftstücks scheitern. Bei Rücksendung in den Übermittlungsstaat wird dem Empfänger das erforderliche Porto häufig nicht bekannt sein.

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§ 14  Die internationale Zustellung

Auch die Belehrung über das Zurückweisungsrecht ist unvollständig geregelt. Bei Zustellungen ohne Einschaltung einer Empfangsstelle (Art. 14, 15 EuZVO) läuft der Verweis des Art. 8 Abs. 4 EuZVO auf Abs. 1 (Belehrung über das Zurückweisungsrecht durch die Empfangsstelle) ins Leere. Die Belehrung müsste bei der Zustellung auf dem Postweg durch die Übermittlungsstelle (Art. 14 EuZVO), bei der Zustellung im Parteibetrieb durch die veranlassende Partei oder die von dieser beauftragte Amtsperson gewährleistet werden. Das Belehrungs-Formblatt in Anhang II EuZVO ist zur Belehrung rechtsunkundiger Personen ferner nicht adäquat. Es enthält weder einen expliziten Hinweis darauf, dass die beigefügten (für den Empfänger gegebenenfalls unverständlichen) Schriftstücke wichtige rechtliche Dokumente darstellen, noch eine Rechtsfolgenbelehrung. Schließlich wird der Empfänger dazu aufgefordert, sich zu den von ihm verstandenen Sprachen zu äußern – ohne Erläuterung, dass zum Verständnis der zuzustellenden Dokumente rechtlichen Gehalts regelmäßig ein hohes Sprachniveau erforderlich ist. In starkem Kontrast zu den dem Empfänger aufgebürdeten Obliegenheiten steht die Tatsache, dass Art. 8 Abs. 3 keine Frist für die nachträgliche Zustellung einer Übersetzung benennt.85

b) Rechtsunsicherheit 31

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Verweigert der Zustellungsadressat die Annahme des Schriftstücks unter Hinweis auf seine mangelnden Sprachkenntnisse, birgt die vermittelnde Sprachenregelung des Art. 8 EuZVO ein erhebliches Potential für Rechtsunsicherheit.86 Entscheidet sich das Erkenntnisgericht anhand von Indizien über das Sprachvermögen des Empfängers, eine wirksame Zustellung anzunehmen, steht der Empfänger vor der Frage, ob er auf eine Anerkennungsversagung nach Art. 45 Abs. 1 lit. b EuGVO vertrauen oder nicht doch – verspätet – am Erkenntnisverfahren partizipieren sollte. Angesichts der Annahmeverweigerung bzw. Rücksendung des Schriftstücks kann er sich auf dieses freilich nicht beziehen,87 falls er nicht vorsorglich eine Kopie angefertigt hat. Im schlimmsten Fall wird der Adressat über die Fortführung des Rechtsstreits nicht einmal informiert.88 Der Kläger muss demgegenüber abwägen, ob er innerhalb einer (von der Verordnung nicht näher definierten) kurzen Frist die Zustellung einer Übersetzung veranlassen sollte. Verabsäumt er dies, mag zwar das Erkenntnisgericht 85 Kritisch Sujecki, NJW 2008, 1628 (1630); Stroschein, Parteizustellung, S. 131; Heiderhoff in Rauscher, EuZPR, Art. 8 EG-ZustVO 2007 Rn. 25. 86 Siehe zum Folgenden zutreffend Stadler, IPRax 2001, 514 (518, 520): „Steine statt Brot“; Hausmann, EuLF 2007, II-1 (8 f.). 87  Heiderhoff, FamRZ 2011, 1571 (1572). 88  Heiderhoff, FamRZ 2011, 1571 (1572) plädiert deshalb für eine Pflicht des Prozessgerichts, das Dokument erneut zustellen zu lassen, verbunden mit dem Hinweis, dass das Verfahren fortgesetzt werde.



B.  Auslandszustellungen gemäß der EuZVO

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von hinreichenden Sprachkenntnissen des Zustellungsempfängers ausgehen. Sofern eine Auslandsvollstreckung des späteren Urteils intendiert ist, muss der Kläger freilich mit der Gefahr rechnen, dass der Urteilsschuldner vor den Gerichten des Vollstreckungsstaates unter Hinweis auf seine fehlenden Sprachkenntnisse die Versagung der Anerkennung erwirkt.89

c)  Stärkung der Position des Zustellungsadressaten de lege lata aa)  Die Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache Leffler Die Ausgestaltung des Art. 8 EuZVO (2007) deckt sich in wesentlichen Zügen mit dem bereits zur EuZVO (2000) ergangenen Urteil des EuGH in der Rechtssache Leffler. In dieser Entscheidung hielt der Gerichtshof fest, durch nachträgliche Zustellung einer Übersetzung könne die wegen Verwendung einer falschen Sprache zurückgewiesene Zustellung partiell geheilt werden, und orientierte sich dabei unausgesprochen an dem bereits vorliegenden Kommissionsvorschlag zur Revision der EuZVO (2000).90 Zutreffend konstatierte der Gerichtshof ferner: „Um die praktische Wirksamkeit der Verordnung zu erhalten, ist dafür Sorge zu tragen, dass die Rechte der verschiedenen Beteiligten bestmöglich und ausgewogen geschützt werden“. Angesichts der oben identifizierten Defizite beim Schutz des Zustellungsadressaten ist zu untersuchen, welchen Auslegungsspielraum die Verordnung bietet, um dessen Position zu stärken.

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bb)  Missbräuchliches Verhalten des Zustellungsveranlassers Im Schrifttum wird erwogen, die partielle Heilung nach Art. 8 Abs. 3 S. 3 ­uZVO aufgrund missbräuchlichen Prozessverhaltens des Initiators der E Zustellung zu versagen, sofern diesem keine Indizien für ein ausreichendes Sprachverständnis des Zustellungsadressaten vorlagen.91 Diese Interpretation lässt sich weder im Text der Bestimmung verankern noch mit deren Entstehungsgeschichte begründen. Das Ausgangsverfahren der Rechtssache Leffler vor den niederländischen Gerichten bot keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Veranlasser der Zustellung in schützenswerter Weise auf das Vorhandensein von niederländisch-Kenntnissen des deutschen Zustellungsadressaten vertraut hatte. Weder der EuGH noch der Verordnungsgeber bei Erlass der EuZVO 89  Einer erneuten Klage im Ursprungsstaat steht im Regelfall die Rechtskraft des bereits erwirkten Urteils entgegen. Besteht eine konkurrierende internationale Zuständigkeit, ist zwar aufgrund der mangelnden Anerkennungsfähigkeit des ersten Urteils ein zweites Verfahren im Vollstreckungsstaat möglich, doch besteht die Gefahr, dass die Forderung aufgrund des zwischenzeitlichen Zeitverlusts verjährt ist. Siehe Stadler, IPRax 2001, 514 (518). 90  EuGH v. 08. 11. 2005 – C-443/03 – Slg. 2005, I-9611 (Leffler), Rn. 65. Vgl. Art. 1 Abs. 2 des Vorschlags der Kommission zur Änderung der Verordnung 1348/2000, KOM (2005) 30. 91  Stroschein, Parteizustellung, S. 130 f.; Sujecki, ZEuP 2007, 358 (365 f.); ders., in Gebauer/Wiedmann, Kap. 30 Rn. 113: kein Abstellen auf den ersten Zustellungsversuch.

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§ 14  Die internationale Zustellung

(2007) haben die Gelegenheit ergriffen, den Heilungsgrundsatzes auf Fälle eines schutzwürdigen Vertrauens auf das Sprachvermögen des Adressaten zu beschränken. Sofern sich der Initiator einer Zustellung diese rechtspolitische Entscheidung zu Nutze macht, kann ihm schwerlich missbräuchliches Prozessverhalten zur Last gelegt werden.92 Ein absichtlicher Zustellungsversuch in einer dem Empfänger nicht bekannten Sprache bleibt folglich sanktionslos. Das Bemühen, de lege lata die Position des Zustellungsempfängers zu stärken, muss sich auf andere „Stellschrauben“ des Art. 8 EuZVO konzentrieren.

cc)  Fristwahrung und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand 35

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Lehnt der Zustellungsadressat die Annahme des Schrifstücks nicht zum Zeitpunkt der Zustellung ab, eröffnet Art. 8 Abs. 1 EuZVO die Möglichkeit zur Rücksendung des Schriftstücks innerhalb einer Frist von einer Woche. Um dem Empfänger die Einhaltung dieser äußerst knappen Frist zu ermöglichen, sollte es als ausreichend erachtet werden, wenn er das ausgefüllte Belehrungsformular nach Anhang II EuZVO mit seiner Erklärung der Annahmeverweigerung in einer Sprache seiner Wahl an die entsprechende Stelle zurücksendet.93 Entgegen dem Wortlaut des Art. 8 Abs. 1 EuZVO sollte auf eine Rücksendung des beigefügten Schriftstücks verzichtet werden, um dem Empfänger gegebenenfalls den Gang zur Post zu ersparen.94 Fehlte es dem Empfänger an einer zumutbaren Gelegenheit zur Rücksendung des Dokuments innerhalb der Wochenfrist (z. B. wegen Urlaubsabwesenheit), so bedarf es einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Die Wiedereinsetzungs­bestimmungen des Art. 19 Abs. 4 EuZVO sowie des nationalen Rechts sind regelmäßig nicht einschlägig, da sie nicht auf die Zurückweisung der Zustellung wegen fehlender Übersetzung zugeschnitten sind. Eine entsprechende Anwendung dieser Bestimmungen ist nach Maßgabe der nationalen Methodik möglich.95 Realistischerweise ist dem Zustellungsadressaten jedoch mit dieser Option nur in seltenen Fällen geholfen. Ohne Einschaltung eines Übersetzers und/oder Anwalts erscheint ein Wiedereinsetzungsantrag in einem fremden Forum in der Praxis nicht erfolgversprechend. 92 Wie hier unter berechtigter rechtspolitischer Kritik Schütze, RIW 2006, 352 (355); Rösler/Siepmann, NJW 2006, 475 (477); Heiderhoff in Rauscher, EuZPR, Art. 8 EG-ZustVO 2007 Rn. 27, 33. 93  Zutreffend OLG Düsseldorf v. 15. 07. 2005 – II-3 UF 285/04 – IPRax 2006, 270 (271). 94  So auch Europäische Kommission, Report on the Application of Regulation (EC) No 1393/2007, COM (2013) 858, S. 11. 95  Nach deutschem Recht gebietet sich eine analoge Anwendung des § 233 ZPO, weil aufgrund des Zusammenspiels aus Unionsrecht und innerstaatlichem Recht eine unbeabsichtigte Regelungslücke besteht. Art. 8 der EuZVO (2000) sah keine Rücksendungsfrist bei Sprachunkenntnis vor; die Regelung einer solchen Frist wurde den nationalen Rechtsordnungen überlassen. § 1070 ZPO a. F. statuierte eine Notfrist von zwei Wochen. Nach Einführung der Fristenregelung in Art. 8 der reformierten EuZVO wurde § 1070 ZPO gestrichen und die hiermit entfallende Anwendbarkeit des § 233 ZPO übersehen.



B.  Auslandszustellungen gemäß der EuZVO

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Der operative und finanzielle Vorteil des Wiedereinsetzungsantrags gegenüber einer vom Empfänger veranlassten Übersetzung des zuzustellenden Schriftstücks dürfte regelmäßig gering sein und könnte sich allenfalls bei umfangreichen Dokumenten als sinnvoll erweisen.

dd)  Frist für die Nachsendung der Übersetzung Hat der Empfänger die Annahme des Schriftstücks verweigert oder dieses zurückgesandt, sollten für die Heilung durch Zustellung einer Übersetzung die vom EuGH in der Leffler-Entscheidung zur EuZVO (2000) entwickelten Grundsätze herangezogen werden.96 Danach ist die Übersetzung so schnell als möglich zuzustellen. Für den direkten Rechtshilfeverkehr befand der Gerichtshof, der Zeitraum zwischen Eingang der Nachricht über die Annahmeverweigerung bei der Übermittlungsstelle und einer Übersendung der Übersetzung durch die Übermittlungsstelle solle im Regelfall nicht länger als einen Monat betragen. Das Gericht könne die Frist aber im Einzelfall anders bemessen, beispielsweise bei umfangreichen Dokumenten oder mangelnder Verfügbarkeit von Übersetzern.97 Letztlich lassen sich die Konzeptionsschwächen des Art. 8 EuZVO de lege lata nur begrenzt beheben. Eine erneute Änderung dieser Bestimmung ist empfehlenswert (zu Regelungsvorschlägen infra Rn. 107 ff.).

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IV.  Die Bestimmung des Zustellungszeitpunkts Die EuZVO regelt im Wesentlichen den Vorgang der Übermittlung des Dokuments in das EU-Ausland, enthält darüber hinaus jedoch in Art. 8 Abs. 3 S. 3 eine Sachnorm und in Art. 9 eine Kollisionsnorm für die Bestimmung des Zustellungsdatums. Nach Art. 9 Abs. 1 EuZVO bestimmt sich das Datum der Zustellung nach dem Recht des Empfangsstaats. Soweit allerdings nach dem Recht eines Mitgliedstaats ein Schriftstück innerhalb einer bestimmten Frist zuzustellen ist (etwa zum Zwecke der Verjährungsunterbrechung), ist im Verhältnis zu derjenigen Person, in deren Interesse der Zustellungsvorgang durchgeführt wird, das Zustellungsdatum nach der betreffenden lex causae bzw. lex fori zu ermitteln. Ein in Deutschland ansässiger Zustellungsadressat kann sich somit darauf verlassen, dass sich das für Einlassungs-, Erscheinungs- oder Rechtsmittelfristen maßgebliche Zustellungsdatum nach deutschen Rechtsgrundsätzen bemisst, während ein Kläger vor deutschen Gerichten auf die 96  Sujecki, NJW 2008, 1628 (1630); Rauscher in MüKo ZPO, Anh. §§ 1067 ff. Art. 8 Rn. 23; wohl auch Schlosser, EU-ZPR, Art. 8 EuZVO Rn. 4; Mankowski, IPRax 2009, 180 (181); großzügiger Heiderhoff in Rauscher, EuZPR, Art. 8 EG-ZustVO 2007 Rn. 25: drei Monate. 97  EuGH v. 08. 11. 2005 – C-443/03 – Slg. 2005, I-9611 (Leffler), Rn. 64.

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§ 14  Die internationale Zustellung

Rückwirkung der Zustellung gemäß § 167 ZPO auch dann vertrauen darf, wenn die Zustellung an den Beklagten im Ausland erfolgt. Ergänzt wird diese Kollisionsnorm durch die bereits erörterte Regelung des Art. 8 Abs. 3 EuZVO: Hat der Zustellungsadressat das Schriftstück zunächst wegen fehlender Sprachkenntnisse zurückgewiesen und wird das Schriftstück erneut unter Beifügung einer Übersetzung übermittelt, so ist im Verhältnis zum Initiator der Zustellung das Datum des ersten Zustellungsversuchs maßgeblich, im Verhältnis zum Adressaten das Datum der zweiten Zustellung relevant.

V.  Anhängigkeit des Verfahrens 41

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Gemäß Art. 32 EuGVO gilt ein Gericht für die Zwecke der Verfahrenskoordination zu dem Zeitpunkt als angerufen, zu dem das verfahrenseinleitende Schriftstück bei Gericht eingereicht wurde. Weitere Voraussetzung ist, dass der Kläger es in der Folge nicht versäumt hat, die ihm obliegenden Maßnahmen zu treffen, um die Zustellung an den Beklagten zu bewirken. Ist nach der lex fori des angerufenen Gerichts die Zustellung an den Beklagten vor der Einreichung des Schriftstücks bei Gericht zu bewirken, so ist der Zeitpunkt maßgeblich, zu dem die erste für die Zustellung verantwortliche Stelle das Schriftstück erhalten hat, sofern der Kläger in der Folgezeit die erforderlichen Maßnahmen zwecks Einreichung des Schriftstücks bei Gericht ergriffen hat. Im Zusammenspiel mit den Bestimmungen der EuZVO folgt hieraus, dass der Zeitpunkt der Verfahrensanhängigkeit i. S. d. Art. 32 EuGVO zunächst unabhängig von der Sprache des verfahrenseinleitenden Schriftstücks zu bestimmen ist. Lehnt der Zustellungsadressat die Annahme des Schriftstücks wegen fehlender Sprachkenntnisse ab, muss der Zustellungsbetreiber weitere Maßnahmen in Form der Übersetzung und erneuten Zustellungsveranlassung unternehmen, um den Übergabezeitpunkt an das Rechtspflegeorgan als Zeitpunkt der Anhängigkeit i. S. d. Art. 32 EuGVO zu fixieren. Besteht zwischen den Parteien ein Wettlauf zu Gericht, etwa weil ein Rechteinhaber die Torpedoklage eines vermeintlichen Rechtsverletzers fürchtet (supra § 12 Rn. 18 ff.), ist es folglich für den Kläger ratsam, vorläufig von einer (zeitspieligen) Übersetzung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks abzusehen. Fristen für die Mitwirkungshandlung des Klägers enthalten weder Art. 32 EuGVO98 noch Art. 8 EuZVO; zum Plädoyer für eine Anwendung der in der Leffler-Entscheidung genannten Leitlinien supra Rn. 37.

98  Leible in Rauscher, IZVR, Art. 30 Brüssel I-VO Rn. 4a rekurriert auf die Fristen für die Nachholung von Verfahrenshandlungen nach nationalem Prozessrecht, hilfsweise für die Einleitung weiterer Schritte ohne schuldhaftes Zögern.



C.  Effektive und fiktive Inlandszustellungen

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C.  Effektive und fiktive Inlandszustellungen I.  Anwendungsbereich der Verordnung und Effektivitätsgrundsatz des Unionsrechts Gemäß Art. 1 Abs. 1 EuZVO findet die Verordnung Anwendung, wenn ein Schriftstück von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat zum Zwecke der Zustellung zu übermitteln ist. Keine explizite Regelung enthält die Verordnung zu der Frage, wann ein Schriftstück von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat zuzustellen ist,99 d. h., ob es einer Auslandszustellung überhaupt bedarf oder nach dem Recht des Übermittlungsstaates auf eine tatsächliche oder fiktive Inlandszustellung zurückgegriffen werden kann. Immerhin zwei Anhaltspunkte bietet die Verordnung: Erstens ist nach Art. 1 Abs. 2 EuZVO eine Anwendung der Verordnung ausgeschlossen, wenn die Empfängeradresse unbekannt ist. Diese Fallgruppe bleibt folglich vollständig dem Zustellungsrecht des Übermittlungsstaates überantwortet. Zweitens soll die Verordnung nach ihrem Erwägungsgrund 8 „nicht für die Zustellung eines Schriftstücks an den Bevollmächtigten einer Partei in dem Mitgliedstaat gelten, in dem das Verfahren anhängig ist, unabhängig davon, wo die Partei ihren Wohnsitz hat.“ Die EuZVO steht somit der Möglichkeit einer Inlandszustellung an einen Zustellungsbevollmächtigten nicht prinzipiell entgegen. Der für Inlandszustellungen verbleibende Spielraum wird durch den Effektivitätsgrundsatz des Unionsrechts umschrieben.100 Das nationale

99  Stürner, ZZP 126 (2013), 137 (139 f.) m. w. N. Demgegenüber soll sich nach Auffassung des EuGH aus den in Art. 1 Abs. 2 EuZVO i. V. m. Erwägungsgrund 8 EuZVO genannten Ausnahmen der Schluss ziehen lassen, dass sich der Anwendungsbereich der Verordnung auf alle Zustellungen an einen im EU-Ausland ansässigen Empfänger erstreckt, vgl. EuGH v. 19. 12. 2012 – C-325/11 (Alder), Rn. 20 ff.; ebenso bereits Tavoulareas v Tsavliris, [2004] EWCA Civ 48 (CA), Rn. 30. Dies ist angesichts des Wortlauts und der Genese der Norm zweifelhaft, siehe näher Kondring, EWS 2013, 128 (132 ff.). Im Ergebnis ist der Entscheidung des Gerichtshofs allerdings aus Gründen des effet utile beizupflichten, denn die EuZVO stellt in Lösung von ihren historischen Wurzeln (dem HZÜ) einen „Paradigmenwechsel von der Förderung der zwischenstaatlichen justiziellen Zusammenarbeit hin zum unionsweit einheitlichen Rechtsschutz“ dar, so zutreffend Düsterhaus, NJW 2013, 445. 100  Im Schrifttum und in den Schlussanträgen des Generalanwalt Bot v.  20. 08. 2012  – C-325/11 (Alder), Rn. 74 ff. wird überdies die Vereinbarkeit einer fiktiven Inlandszustellung mit dem primärem Unionsrecht angezweifelt, da eine fiktive Inlandszustellung in der Praxis typischerweise gegenüber Empfängern mit ausländischem Wohnsitz und hiermit korrespondierender fremder Staatsangehörigkeit eingesetzt wird. Nachweise zum Streitstand bei Stürner, ZZP 126 (2013), 137 (145 f.); Heckel, IPRax 2008, (223 f.); Heinze, IPRax 2010, 155 (157).

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§ 14  Die internationale Zustellung

Zustellungsrecht kann nur insoweit Anwendung finden, als es die Existenzberechtigung und die Zielsetzung des Unionsrechts nicht tangiert.101 Primäres Ziel der EuZVO ist die Beschleunigung der Auslandszustellung innerhalb der Union;102 doch wird der Wahrung des rechtlichen Gehörs in Art. 8 Abs. 1, 9 Abs. 1 und 19 EuZVO sowie in Art. 28 Abs. 3 und Art. 45 Abs. 1 lit. c EuGVO (2001) ein hoher Stellenwert beigemessen. Die Zulässigkeit einer Inlandszustellung an einem im EU-Ausland befindlichen Empfänger hat sich an der Wahrung dieser Verfahrensrechte zu orientieren.103

II.  Fiktive Inlandszustellung bei bekanntem Wohnsitz des Adressaten 45

Differenzieren lässt sich zunächst zwischen dem verfahrenseinleitenden Schriftstück und anderen Dokumententypen. Art. 19 EuZVO, Art. 28 Abs. 3 EuGVO gebieten dem Prozessgericht, vom Erlass eines Versäumnisurteils abzusehen, bis es die Feststellung treffen konnte, dass das Schriftstück entsprechend den Vorgaben der Verordnung zugestellt wurde. Zwar gilt diese Maßgabe nach dem Wortlaut der genannten Bestimmungen nur in jenen Fällen, in denen das verfahrenseinleitende Schriftstück nach der EuZVO „von einem Mitgliedstaat in einen anderen zu übermitteln war“. Doch wäre es ein grober Verstoß gegen Art. 47 GRCh wie gegen Art. 6 EMRK, auf eine fiktive Inlandszustellung nach der lex fori zurückzugreifen, obgleich die Option der Zustellung an eine bekannte Auslandsadresse im Wege der Rechtshilfe oder der unmittelbaren Zustellung per Post nach Maßgabe der EuZVO besteht.104 Die fiktive Inlandszustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks begründet zudem regelmäßig einen Anerkennungsversagungsgrund nach Art. 45 Abs. 1 lit. b EuGVO. Bereits unter Geltung des EuGVÜ hatte der Europäische Gerichtshof deshalb entschieden, eine ordnungsgemäße Klagezustellung oder Notifikation105 an eine im Ausland befindliche Partei habe nach dem Haager Zustellungsübereinkommen zu erfolgen, soweit die betroffenen Mitgliedstaaten beide durch das Übereinkommen gebunden seien.106 Auch nach Inkrafttreten von EuGVO und EuZVO ist an dieser Prämisse festzuhalten.107 101  EuGH v. 08. 11. 2005 – C-443/03 – Slg. 2005, I-9611 (Leffler), Rn. 50 m. w. N.; EuGH v. 19. 12. 2012 – C-325/11 (Alder), Rn. 40 f. 102  Erwägungsgrund 2 EuZVO. 103  EuGH v. 19. 12. 2012 – C-325/11 (Alder), Rn. 35 ff., 40. 104  Hess, EuZPR, § 8 Rn. 26. 105  Nach h. A. findet das HZÜ auch Anwendung, sofern der Beklagte über eine fiktive Inlandszustellung zu informieren ist. Dies ergibt sich aus der französischen Fassung des Art. 1 Abs. 1 HZÜ: „La présent Convention est applicable, en matière civile ou commerciale, dans tous les cas où un acte judciaire ou extrajudiciare doit être transmis à l’étranger pour y être signifié ou notifié.“ Näher Kondring, Heilung, S. 139 ff. m. w. N. 106  EuGH v. 13. 10. 2005 – C-522/03 – Slg. 2005, I-8639 (Scania), Rn. 22 ff. 107  Heiderhoff, EuZW 2006, 235 (236 f.); Heinze, IPRax 2010, 155 (158) m. w. N. Die



C.  Effektive und fiktive Inlandszustellungen

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Angesichts der in Art. 19 EuZVO, Art. 28 Abs. 3 und Art. 45 Abs. 1 lit. b EuGVO angelegten Differenzierung zwischen der Zustellung eines verfahrenseinleitenden Schriftstücks und der Zustellung anderer Dokumententypen ist freilich umstritten, ob für jeden weiteren Schriftverkehr auf fiktive Inlandszustellungen zurückgegriffen werden kann.108 So sehen bspw. das österreichische109 und das polnische110 Zustellungsrecht die Möglichkeit vor, eine Zustellung durch Hinterlegung bei Gericht bzw. Verbleib in den Gerichtsakten vorzunehmen, sofern der Adressat weder über eine inländische Abgabestelle noch über einen inländischen Zustellungsbevollmächtigten verfügt und der Aufforderung zur Bekanntgabe eines solchen nicht nachgekommen ist. Im deutschen Zustellungsrecht enthält § 185 Nr. 2 ZPO eine ähnliche Regelung,111 während § 184 ZPO aus normhistorischen und teleologischen Gründen keine Anwendung auf Zustellungen an Adressaten im EU-Ausland findet.112 Der EuGH hat die Option der fiktiven Inlandszustellung in der Entscheidung Alder zutreffend auch hinsichtlich anderer als verfahrenseinleitender Schriftstücke für unzulässig erklärt, um die praktische Wirksamkeit der Bestimmungen der Zustellungsverordnung aufrechtzuerhalten.113 Die Effektivi-

Frage hat dadurch an praktischer Bedeutung verloren, dass in romanisch geprägten Rechtsordnungen die fiktive Inlandszustellung (remise au parquet) an Adressaten im EU-Ausland seit Erlass der EuZVO gesetzlich eingeschränkt wurde, näher Kondring, RIW 2007, 330 ff. 108  Für einen Ausschlusscharakter der EuZVO: OLG Düsseldorf v. 11. 01. 2008 – I-17 U 86/07  – IPRax 2010, 169 (170 f.); Sharma, Zustellungen, S. 68 f.; Heinze, IPRax 2010, 155 (159 f.); Grohmann/Gruschinske, DZWiR 2011, 441 (443); Heiderhoff, EuZW 2006, 235 (237); Schlosser, EuZPR, Art. 1 EuZVO Rn. 4; Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR, A. 3, Art. 1 Rn. 54; Rauscher in MüKo ZPO, Anh. §§ 1067 ff. Art. 1 Rn. 16. Für alleinige Maßgeblichkeit des Rechts des Übermittlungsstaates: Rösler/Siepmann, RIW 2006, 512 (516); Heckel, IPRax 2008, (223 f.); Hausmann, EuLF 2007, II-1 (8); Stadler, IPRax 2006, 116 (120); Kondring, EWS 2013, 128 (131 ff.); Stürner, ZZP 126 (2013), 137 (142 ff., 152); Sujecki in Gebauer/Wiedmann, Kap. 30 Rn. 30 ff.; sowie (verbunden mit rechtspolitischer Kritik) Schack in FS Geimer, S. 942 f. Bach, EuZW 2012, 833 (835) verneint zwar die Exklusivität der EuGVO, nimmt aber in bestimmten, nicht näher definierten Situationen eine Pflicht zur Zustellung im Wege der EuZVO auf Basis der Verfahrensgrundrechte an; ebenso i. E. Jacoby in FS Kropholler, S. 825 ff. 109  § 10 österreichisches Zustellungsgesetz. 110  Art. 1035 § 2 polnisches Zivilverfahrensgesetzbuch. 111  Einem Vorschlag des Bundesrates, § 185 Nr. 2 ZPO bei bekannter Anschrift im EUAusland nicht zur Anwendung kommen zu lassen, ist der Bundestag nicht gefolgt, vgl. Stellungnahme des Bundesrates und Gegenäußerung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG), BT-Drucks. 16/6140, S. 70, 78. Kritisch aus menschenrechtlicher Sicht Jacoby in FS Kropholler, S. 825 ff., welcher einen Anwendungsvorrang der EuZVO a. a. O., S. 822, wegen mangelnder Exklusivität verneint. 112  Siehe überzeugend BGH v. 02. 02. 2011 – VIII ZR 190/10 – NJW 2011, 1885 (1886) mit zahlreichen Nachweisen. 113  EuGH v. 19. 12. 2012 – C-325/11 (Alder), Rn. 20 ff., 35 ff.; zustimmend Heinze, IPRax 2013, 132 (134); Okońska, RIW 2013, 280 (282 f.); Sujecki, EuZW 2013, 408 (409); Mansel/

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§ 14  Die internationale Zustellung

tät der in Art. 8 Abs. 1 und 9 Abs. 1 EuZVO enthaltenen Schutzvorkehrungen zu Gunsten des Adressaten wird durch fiktive Inlandszustellungen erheblich beeinträchtigt. Die fiktive Inlandszustellung ermöglicht es dem Adressaten weder, das Schriftstück tatsächlich zur Kenntnis zu nehmen, noch berechtigt sie den Empfänger zur Zurückweisung des Dokuments bei Abfassung in einer ihm nicht verständlichen Sprache. Schließlich beeinträchtigt eine fiktive Inlandszustellung das ausgeklügelte System des Art. 9 EuZVO,114 nach welchem das Zustellungsdatum im Verhältnis zum Adressaten nach dem Recht des Empfangsstaates bestimmt wird und nur im Verhältnis zum Veranlasser der Zustellung das Recht des Gerichtsstaates maßgeblich ist. Bei fiktiven Inlandszustellungen bestimmt sich das Zustellungsdatum allein nach dem Recht des Gerichtsstaats. Eine Rechtfertigung der Beeinträchtigung des Unionsrechts durch den Gesichtspunkt der Verfahrensbeschleunigung kommt angesichts der in Art. 14 und 15 EuZVO zugelassenen direkten Zustellungsformen nicht in Betracht.115 Für fiktive Zustellungsformen, etwa die Niederlegung bei Gericht, Aufgabe zur Post bzw. Übergabe an den Gerichtsvollzieher oder Staatsanwalt, bleibt neben der EuZVO kein Raum, wenn eine Auslandsanschrift innerhalb der Europäischen Union bekannt ist. Dem Adressaten bleibt es trotz der gerichtlichen Aufforderung, einen Zustellungsbevollmächtigten im Gerichtsstaat zu benennen, unbenommen, eine Zustellung nach den Bestimmungen der EuZVO zu erwarten.116 Insbesondere wird sein Recht gewahrt, ein Schriftstück zurückzuweisen, sofern dieses nicht in einer Sprache verfasst ist, die er versteht.

III.  Effektive Inlandszustellung bei bekanntem Auslandswohnsitz 49

Nach der Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache Alder ist die Zustellung an einen im EU-Ausland ansässigen Empfänger eines gerichtlichen Schriftstücks, dessen Anschrift bekannt ist, vorbehaltlich des Erwägungsgrunds 8 EuZVO nur auf den in den Verordnung vorgesehenen Wegen zulässig.117 Es ist unklar, welcher Spielraum hiernach für effektive Inlandszustellungen verbleibt. Die englisch- bzw. französischsprachigen Entscheidungsgründe in der Rechtssache Alder verwenden, ebenso wie verschiedene Textstellen der E ­ uZVO Thorn/Wagner, IPRax 2014, 1 (20); ablehnend Kondring, EWS 2013, 131 ff.; Stürner, ZZP 126 (2013), 137 (142 ff., 152). 114  Heinze, IPRax 2010, 155 (159). 115  Hess, AnwBl. 2011, 321 (323); Heinze, IPRax 2013, 132 (134); a. A. Kondring, EWS 2013, 128 (134), mit Hinweis auf fortbestehende Schwierigkeiten bei der Zustellung per Einschreiben mit Rückschein. 116  Siehe auch – in anderem Zusammenhang – Art. 41 Abs. 3, Art. 47 Abs. 4 EuGVO. 117  EuGH v. 19. 12. 2012 – C-325/11 (Alder), Rn. 24 f.



C.  Effektive und fiktive Inlandszustellungen

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selbst, die Begriffe „reside“/„résider“ bzw. „(place of) residence“/„(lieu de) résidence“.118 Sie stellen folglich auf einen längeren, nicht notwendigerweise dauerhaften119 Aufenthalt des Adressaten ab. Als zulässige Inlandszustellung sollte unabhängig vom Aufenthalt des Adressaten auch die Ersatzzustellung an einer Empfangsstelle des Adressaten (Briefkasten, Wohnung, Geschäftsräume), widrigenfalls eine Niederlegung angesehen werden.120 Dies deckt sich mit Art. 1 Abs. 2 EuZVO, welcher den Anwendungsbereich der Verordnung bei Bekanntheit einer Anschrift des Zustellungsempfängers für eröffnet erklärt. Die Inlandszustellung an eine zufällig im Inland befindliche Person dürfte nach der Entscheidung des EuGH hingegen künftig ausgeschlossen sein.121 Zumindest in jenen Situationen, in denen der Empfänger über ein Zurückweisungsrecht nach Art. 8 EuZVO belehrt wird, erscheint dieser Ausschluss nicht sachgerecht.122 Im Übrigen sollte eine unionsautonome Abgrenzung zwischen effektiven und fiktiven Inlandszustellungen ihren Ausgangspunkt in Erwägungsgrund 8 EuZVO nehmen, wonach die Verordnung nicht für die Zustellung eines Schriftstücks an den Bevollmächtigten einer Partei im Forumsstaat gelten sollte. Hier stellen sich drei Fragen: Erstens, ob ein bloßer bzw. gewöhnlicher Aufenthalt des Bevollmächtigten im Forumsstaat ausreichend ist, zweitens ob eine spezifische Empfangsvollmacht für den konkreten Zustellungsvorgang bzw. das betreffende Verfahren erforderlich ist123 und drittens, ob das nationale Recht eine Pflicht zur Benennung eines Bevollmächtigten vorsehen darf.

118  Erwägungsgrund 8, Art. 14, 19 Abs. 1 lit. b EuZVO. Die deutsche Textfassung changiert zwischen „Wohnsitz“ und „Wohnung“. 119  Im Gegensatz zur EuZVO verwenden die Bestimmungen der Rom-VOen den Begriff des dauerhaften Aufenthalts, d. h. „habitual residence“ bzw. „résidence habituelle“ als Anknüpfungspunkt. In Kontrast hierzu stellt der Wohnsitz („domicile“) den wichtigsten Anknüpfungspunkt der EuGVO dar. 120 Unklar ist, ob jedwede Wohnungs- oder Geschäftsanschrift ausreichend ist. Siehe zur vorrangigen Zustellung gegenüber ausländischen Unternehmen an deren domicile élu (Niederlassung bzw. Betriebssitz in Belgien) nach Art. 42 No. 6 des belgischem Code Judicaire: Kondring, RIW 2007, 330 (334 f.). Zur Zustellung an Bord eines Seeschiffes gemäß § 178 ZPO vgl. LG Hamburg v. 12. 03. 2013 – 325 O 224/12 . Art. 63 EuGVO kann zur Bestimmung des Zustellungsortes nach h. M. nicht ergänzend herangezogen werden, vgl. Geimer, Neuordnung, S. 249; Heiderhoff in Rauscher, EuZPR, Art. 14 EG-ZustVO 2007 Rn. 8; a. A. Strasser, ZIP 2008, 2111 (2112 f.). 121  Kondring, EWS 2013, 128 (132) (verbunden mit rechtspolitischer Kritik); a. A. Stürner, ZZP 126 (2013), 137 (149); Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2014, 1 (20); sowie (ohne Berücksichtigung der Alder-Entscheidung) LG Hamburg v.  12. 03. 2013  – 325 O 224/12 ; offen Düsterhaus, NJW 2013, 445 f. 122  Heiderhoff, EuZW 2006, 235 (237). 123  Kondring, EWS 2013, 128 (133).

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§ 14  Die internationale Zustellung

Nach hier vertretener Auffassung sollte es genügen, wenn eine Zustellung an ein Organ des Adressaten124 oder einen vom Adressaten für den entsprechenden Geschäftsbereich bzw. das konkrete Verfahren designierten Empfangsbevollmächtigten125 entsprechend den oben genannten Grundsätzen im Inland erfolgt. Wird der Empfänger von einem im Gerichtsstaat niedergelassenen Anwalt vor Gericht vertreten, ist vor dem Hintergrund von Erwägungsgrund  8 EuZVO von der Erteilung einer Empfangsvollmacht an den Prozessbevollmächtigten auszugehen.126 Ab diesem Zeitpunkt bedarf es keiner Zustellung nach der EuZVO mehr; eine Inlandszustellung wird möglich oder ist sogar geboten (§ 172 ZPO). Im Verhältnis zu in anderen Mitgliedstaaten der Union ansässigen Parteien lässt sich eine im nationalen Recht vorgesehene Pflicht zur Benennung eines Inlandsvertreters zu zivilverfahrensrechtlichen Zwecken nur mit dem Unionsrecht vereinbaren, wenn diese Pflicht ungeachtet der Staatsangehörigkeit oder des Wohnsitzes der Partei besteht.127 § 25 PatG, § 98 I MarkenG, § 28 GebrMG, § 58 DesignG begegnen vor diesem Hintergrund Bedenken, werden für die zivilrechtliche Durchsetzung gewerblicher Schutzrechte jedoch weitgehend vom Anwaltszwang gemäß § 78 ZPO überlagert.

IV.  Fiktive Inlandszustellung bei unbekannter Adresse 52

Fiktive Inlandszustellungen sind zulässig, wenn die Adresse des Empfängers unbekannt ist (Art. 1 Abs. 2 EuZVO). Maßgebliche Bedeutung kommt deshalb der Frage zu, welche Anstrengungen der Antragsteller und/oder die beteiligten Gerichte bzw. Behörden unternehmen müssen, um die Anschrift des Adressaten zu ermitteln. Die Auslegung des Begriffs „unbekannt“ hat Auswirkung auf den sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung und sollte deshalb autonom erfolgen. Um eine Umgehung der EuZVO zu vermeiden, ist nur dann von einer unbekannten Anschrift auszugehen, wenn der Antragsteller oder die zuständigen Gerichte bzw. Behörden des Übermittlungsstaates 124  Cass. v. 20. 11. 2012 – n. 11–17653 ; OGH v. 01. 03. 2012 – 1Ob218/11g (unter Bezugnahme auf das autonome nationale Recht). 125  Nach a. A. bedarf es einer Bevollmächtigung für das konkrete Verfahren, so Rauscher in MüKo ZPO, Anh. §§ 1067 ff. Art. 1 Rn. 19; wohl auch Kondring, EWS 2013, 128 (133). Zur Frage, ob der inländische Schadensregulierungsbeauftragte gemäß Art. 4 der 4. Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinie (RL 2000/26/EG) Empfangsbevollmächtigter des ausländischen Versicherers für gerichtliche Schriftstücke ist, siehe bejahend EuGH v. 10. 10. 2013 – C-306/12 (Spedition Welter). 126 Eine nationale Regelung, wonach die Empfangsvollmacht des Prozessbevollmächtigten für das einleitende Schriftstück des Rechtsmittelverfahren perpetuiert wird, dürfte hiermit vereinbar sein, vgl. Hoge Raad v. 18. 12. 2009 – LJN BK 3078; Sujecki, EWS 2010, 523 (527); ders., EuZW 2010, 448 (450); Nagel/Gottwald, IZPR, § 8 Rn. 58; a. A. Kondring, EWS 2013, 128 (131 f.). 127  Art. 41 Abs. 3 EuGVO hält dies nunmehr explizit fest.



D.  Die Heilung von Zustellungsmängeln

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die Adresse des Empfängers nicht auf zumutbare Weise hätten ermitteln können.128 Keiner Recherchen bedarf es freilich auf Seiten der Empfangs- und Zentralstellen des Empfangsstaates, wie sich aus Art. 6 Abs. 2 EuZVO und der Entstehungsgeschichte der EuZVO ergibt.129

D.  Die Heilung von Zustellungsmängeln I.  Die prinzipielle Möglichkeit der Heilung von Verstößen gegen die EuZVO Die Heilung von Zustellungsmängeln ist in der Verordnung nur bruchstückhaft geregelt. Als Zustellungsfehler kommen in Betracht: die Wahl eines nach der Verordnung unzulässigen Übermittlungsweges, Fehler bei der Übermittlung in den Zustellungsstaat und Durchführungsfehler bei der Zustellung im Empfangsstaat. Zu nennen ist in diesem Kontext ferner die Zurückweisung eines zugestellten Schriftstücks wegen mangelnder Sprachkenntnisse des Empfängers, auch wenn es sich hierbei nicht um einen Zustellungsfehler im klassischen Sinne handelt. Lediglich für die letztgenannte Fallgruppe hält die Verordnung einen Lösungsansatz bereit.130 Wie bereits erläutert, ermöglicht die Zustellung einer Übersetzung eines bereits zuvor zugestellten und vom Empfänger wegen Sprach­ unkenntnis zurückgewiesenen Schriftstücks nach Art. 8 Abs. 3 S. 3 EuZVO eine Rückwirkung des Zustellungsdatums auf den ersten Zustellungsversuch. Aus dieser singulären Regelung lässt sich nicht der Gegenschluss ziehen, dass Verstöße gegen die unionsrechtlichen Zustellungsbestimmungen und die über Art. 7 Abs. 1 EuZVO anwendbaren Vorschriften des Empfangsstaates 128  Siehe die zu Art. 26 Abs. 2 EuGVO (2001) (= Art. 28 Abs. 2 EuGVO (2012)) ergangene Rechtsprechung des EuGH v. 17. 11. 2011 – C-327/10 – Slg. 2011 I-11543 (Hypnoteční banka), Rn. 52; EuGH v.  15. 03. 2012  – C-292/10 (de Visser), Rn. 55; für eine Übertragung auf die EuZVO zutreffend Stürner, ZZP 126 (2013), 137 (142 f.). Zu Details zumutbarer Recherche vgl. OLG Braunschweig v. 11. 01. 2008 – 3 W 73/07 – NJW-RR 2008, 1523 sowie (auf § 185 ZPO bezogen) die Nachweise bei Roth in Stein/Jonas, ZPO, § 185 ZPO Rn. 7. Das Gericht ist gehalten, auch einen Zustellungsversuch an scheinbar veraltete oder unsichere Anschriften zu unternehmen, vgl. OLG München v. 24. 04. 2009 – 19 U 4658/07, berichtet bei Heiderhoff, IPRax 2010, 343 (344). 129  Heiderhoff in Rauscher, EuZPR, Art. 1 EG-ZustVO 2007 Rn. 19. 130  Art. 19 Abs. 1 und 2 EuZVO bilden allenfalls einen Rahmen, innerhalb dessen sich mitgliedstaatliche Heilungsregeln für Fehler bei der Zustellung verfahrenseinleitender Schriftstücke entfalten können, vgl. Heiderhoff in Rauscher, EuZPR, Art. 19 EG-ZustVO 2007 Rn. 15. Zum mittlerweile obsoleten historischen Kontext dieser Bestimmungen (remise au parquet) siehe Schlosser, EU-ZPR, Art. 15 HZÜ Rn. 1 ff., Art. 19 EuZVO Rn. 1 und Kondring, RIW 2007, 330 ff.

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§ 14  Die internationale Zustellung

einer Heilung nicht zugänglich seien.131 Das Verordnungsziel, die Zustellung zwischen den Mitgliedstaaten zu verbessern und zu beschleunigen,132 streitet dafür, keinen formalistischen Schutz des Adressaten zu betreiben. Vielmehr sind die Rechte aller Beteiligten zu wahren, indem einerseits die Interessen des Zustellungsinitiators durch Gewährung einer Heilungsmöglichkeit berücksichtigt werden, andererseits der Adressat des Schriftstücks ausreichend Zeit zur Vorbereitung seiner Reaktion erhält.133 Dies deckt sich mit einer gesamtsystematischen Betrachtung unter Einbeziehung anderer Rechtsakte des europäischen Zivilverfahrensrechts: Eine fehlerhafte Zustellung steht der Anerkennung einer Entscheidung nach Art. 45 Abs. 1 lit.  b EuGVO nicht entgegen, wenn die Zustellung rechtzeitig in einer Weise erfolgt ist, die es dem Beklagten ermöglicht hat, sich zu verteidigen.134 Auch Art. 18 EuVTVO enthält eine Bestimmung zur Heilung von Zustellungsfehlern (infra Rn. 79). Der folgenden Aussage des EuGH in der Rechtssache Leffler ist deshalb zuzustimmen: Soweit eine Heilung nach den Maßstäben der EuZVO geboten erscheine, seien die Gerichte der Mitgliedstaaten mangels unionsrechtlicher Heilungsvorschriften gehalten, ihre innerstaatlichen Regelungen dergestalt anzuwenden und auszulegen, dass die volle Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts zum Tragen komme.135 Hierfür könne es erforderlich sein, nationale Regelungen, die lediglich auf innerstaatliche Sachverhalte Anwendung fänden, erweiternd auch auf grenzüberschreitende Sachverhalte anzuwenden.136

II.  Autonomer Europäischer Heilungsgrundsatz 57

Ist die Möglichkeit der Heilung von Zustellungsmängeln innerhalb der Union demnach zu bejahen, stellt sich naturgemäß die Frage, nach welchen Prinzipien die Heilung zu beurteilen ist. In der Literatur wird vereinzelt die Herleitung eines autonomen europäischen Heilungsgrundsatzes unter Rück-

131  In Nachfolge der Leffler-Entscheidung befürwortet die h. M. eine Erstreckung nationaler Heilungsvorschriften auf Verstöße gegen die EuZVO, vgl. Heiderhoff in Rauscher, EuZPR, Art. 19 EG-ZustVO 2007 Rn. 18 f. m. w. N. auch zur früher stark vertretenen Gegenauffassung; a. A. Rauscher in MüKo ZPO, Anh. §§ 1067 ff. Art. 1 Rn. 17. 132  Erwägungsgrund 2 EuZVO. 133  Siehe zu Art. 8 EuZVO (2000) EuGH v.  08. 11. 2005  – C-443/03  – Slg. 2005, I-9611 (Leffler), Rn. 52. 134  Eine Anerkennungsversagung scheidet aus, falls der Beklagte die Möglichkeit, gegen die Entscheidung einen Rechtsbehelf einzulegen, nicht genutzt hat. Der Verordnungsgeber hat in Art. 34 Nr. 2 EuGVO (2001) / Art. 45 Abs. 1 lit. b EuGVO (2012) die zu Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ ergangene, stark formalistische Rechtsprechung des EuGH korrigiert (vgl. zu Art. 27 EuGVÜ EuGH v. 12. 11. 1992 – C-123/91 – Slg. 1992, I-5661 (Minalmet), Rn. 14 ff.). 135  EuGH v. 08. 11. 2005 – C-443/03 – Slg. 2005, I-9611 (Leffler), Rn. 51. 136 Ibid.



D.  Die Heilung von Zustellungsmängeln

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griff auf Art. 45 Abs. 1 lit. b EuGVO befürwortet.137 Es sei sachgerecht, einheitliche Maßstäbe bei der Zustellungsprüfung durch den Erstrichter und den Anerkennungsrichter anzulegen.138 Ein Zustellungsfehler wäre nach dieser Auffassung als geheilt zu betrachten, wenn dem Zustellungsadressaten das Schriftstück in einer Weise zugegangen ist, welche seine rechtliche Stellungnahme ermöglicht.139 Gegen diese These sprechen drei Gesichtspunkte: Erstens konnte sich der Verordnungsgeber weder bei Erlass der EuZVO (2000) noch bei deren Revision im Jahr 2007 zur Konzeption einer unionsweiten Heilungsregelung durchringen, obgleich die Problematik aus der langjährigen Anwendungspraxis des HZÜ mehr als bekannt war. Zweitens handelt es sich bei Art. 45 Abs. 1 lit. b EuGVO um einen Sonderfall des anerkennungsrechtlichen ordre public. Die Anerkennung ausländischer Urteile wird nur bei offensichtlichen Verletzungen des rechtlichen Gehörs versagt, wobei Art. 45 Abs. 1 lit.  b EuGVO dem Beklagten die zusätzliche Obliegenheit auferlegt, einen eventuell gegen die Gehörsverletzung zur Verfügung stehenden Rechtsbehelf einzulegen. Im Rahmen des Erkenntnisverfahrens sollte der Focus hingegen zunächst darauf liegen, eine rechtzeitige Einbindung des Zustellungsadressaten und damit eine fehlerfreie Entscheidung zu gewährleisten. Drittens wären die dezidiert von der EuZVO bezeichneten Übermittlungswege  – insbesondere die Beschränkung der Parteizustellung durch die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemäß Art. 15 EuZVO  – hinfällig, wenn der tatsächliche Zugang des Dokuments beim Zustellungsempfänger stets die Heilung des Zustellungsmangels bewirkte.140 De lege lata lässt sich ein unionsrechtlicher Heilungsbegriff deshalb nicht entwickeln.141

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III.  Bestimmung des für die Heilung anwendbaren Rechts 1.  Recht des Urteils-, Übermittlungs- oder Empfangsstaates? Bei Rückgriff auf nationale Heilungsvorschriften kommt eine Anwendung der Heilungsvorschriften des Forumstaats, des Übermittlungsstaates142 oder 137  De Lind van Wijngaarden-Maack, IPRax 2004, 212 (216 f.); wohl auch Nagel/Gottwald, IZPR, § 8 Rn. 84. 138  De Lind van Wijngaarden-Maack, IPRax 2004, 212 (216 f.); a. A. Hausmann, EuLF 2007, II-1 (11). 139  De Lind van Wijngaarden-Maack, IPRax 2004, 212 (216 f.); Nagel/Gottwald, IZPR, § 8 Rn. 84. 140  De Lind van Wijngaarden-Maack, IPRax 2004, 212 (215). 141  Siehe zu Art. 36 EuGVÜ, dessen Inhalt nahezu wortgleich in Art. 43 Abs. 5 EuGVO (2001) übernommen wurde, EuGH v. 16. 02. 2006 – C-3/05 – Slg. 2006, I-1579 (Verdoliva), Rn. 33 ff. m. abl. Anm. Heiderhoff, IPRax 2007, 204 (205 f.). 142 Der Übermittlungsstaat stimmt bei der Parteizustellung nicht zwingend mit dem Forumstaat überein.

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§ 14  Die internationale Zustellung

des Empfangsstaates bzw. eine alternative oder kumulative Anwendung dieser Bestimmungen in Betracht. In einer noch vor Erlass der EuZVO (2000) ergangenen Entscheidung zu Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ vertrat der EuGH die Auffassung, da die Vorschriften über die Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks Teil des Verfahrens vor dem Gericht des Urteilsstaats darstellten, könne die Ordnungsgemäßheit der Zustellung und die Heilung eventueller Zustellungsmängel nur aufgrund „des vor dem Gericht des Urteilsstaats anwendbaren Rechts einschließlich der einschlägigen völkerrechtlichen Verträge“ geprüft werden.143 Entgegen der Rechtsprechung des BGH144 und des OGH145 lässt sich hieraus nicht folgern, dass die Heilung stets nach der lex fori des Erstgerichts zu bestimmen wäre.146 Vielmehr ist primär zu berücksichtigen, auf welche innerstaatliche Rechtsordnung sich die EuZVO im betreffenden Kontext bezieht, da die EuZVO an die Stelle der vom EuGH genannten „einschlägigen völkerrechtlichen Verträge“ getreten ist.

2.  Unmaßgeblichkeit von Zustellungsfehlern aufgrund anderer Ereignisse 60

Prinzipiell enthält die EuZVO keine Vorgaben dazu, welche Schriftstücke einer Zustellung bedürfen.147 Weist das Unionsrecht also der lex fori bzw. (bei außergerichtlichen Schriftstücken) der lex causae die Entscheidung darüber zu, ob dem Adressaten auf förmliche Weise Gelegenheit zur Kenntnisnahme eines Schriftstücks zu verschaffen ist, so sollte diese Rechtsordnung auch dazu befragt werden, ob die fehlende Möglichkeit der Kenntnisnahme oder der fehlende Nachweis des Zugangs aufgrund bestimmter Prozesshandlungen des Adressaten oder anderer Ereignisse als unbeachtlich angesehen werden kann.148

3.  Heilung von Zustellungsfehlern durch tatsächliche Kenntnisnahme 61

Soweit zur Debatte steht, ob die förmliche Bekanntgabe eines Schriftstücks durch eine bloße Kenntnisnahme des Dokuments durch den Adressaten geheilt werden kann,149 gebietet sich meines Erachtens eine andere Betrachtungsweise. Hinsichtlich der einzuhaltenden Förmlichkeiten – Wahl des Übermittlungs143 

EuGH v. 03. 07. 1990 – C-305/88 – Slg. 1990, I-2725 (Lancray), Rn. 29 f. BGH v. 02. 12. 1992 – XII ZB 64/91 – NJW 1993, 598 (600); BGH v. 02. 02. 2011 – VIII ZR 190/10 – IPRax 2013, 161 (164). 145  OGH v. 26. 04. 2005 – 4 Ob 60/05k – IPRax 2007, 134. 146  Wie hier Kondring, Heilung, S. 302, 325 f. m. w. N.; s. a. Stadler in FS BGH, S. 668 ff. 147  Eine Ausnahme bildet die Bestimmung des Art. 19 EuZVO, welcher sich das Erfordernis zur Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks implizit entnehmen lässt. 148  Z. B. unberechtigte Annahmeverweigerung, Verhandlung zur Sache ohne Erhebung einer Verfahrensrüge, Zustellung eines Versäumnisurteils und Ablauf der Einspruchsfrist. 149  Ein Überblick über den Grundsatz der Zweckerreichung in den Prozessordnungen der EU-Mitgliedstaaten findet sich bei Kondring, Heilung, S. 340 ff. 144 



D.  Die Heilung von Zustellungsmängeln

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weges, Übermittlung zwischen den Staaten, Durchführung der Zustellung im Empfangsstaat und Belehrung über das Zurückweisungsrecht bei Sprachunkenntnis – enthält die Verordnung eindeutige Vorgaben. Zunächst ist zu berücksichtigen, dass Art. 7 Abs. 1 EuZVO für die Durchführung der Zustellung im Empfangsstaat auf das Recht des Empfangsstaates verweist. Es bietet sich deshalb an, die auf das Zustellungsrecht des Empfangsstaates zugeschnittenen Heilungsbestimmungen des Empfangsstaates anzuwenden.150 Art. 15 EuZVO respektiert ferner die zurückhaltende Einstellung diverser Mitgliedstaaten zur Parteizustellung. Dies spricht dafür, bei der Wahl eines nach der Verordnung unzulässigen Übermittlungsweges ebenfalls die Rechtsbestimmungen des Empfangsstaates über eine mögliche Heilung entscheiden zu lassen.151 Der Empfänger wird so davor geschützt, sich mit ihm unbekannten ausländischen Bestimmungen zur Heilung von Zustellungsfehlern durch Kenntnisnahme befassen zu müssen.152 Es bleibt die Kategorie der Fehler bei der Übermittlung in den Zustellungsstaat; hier fehlt ein Verweis der EuZVO auf eine bestimmte Rechtsordnung. Da die Übermittlung das Bindeglied zwischen Wahl des Übermittlungsweges und Zustellung im Empfangsstaat darstellt, scheint es durchaus rational, auch insoweit die Heilungsvorschriften des Empfangsstaates zur Anwendung zu bringen.153 Dies erspart eine genaue Kategorisierung des Zustellungsfehlers.154 Ein alleiniges Abstellen auf die Heilungsvorschriften des Empfangsstaates kann zudem den Vorteil einer einheitlichen Handhabung der Heilung von Zustellungsfehlern bei gerichtlichen und außergerichtlichen Schriftstücken für sich verbuchen, denn bei letzteren scheidet die Anwendung des Rechts des Forumstaates mangels anhängigem Gerichtsverfahren aus. Schließlich wird diese Interpretation auch durch Art. 9 Abs. 1 EuZVO gestützt. Danach ist für die Bestimmung des Zeitpunkts einer erfolgten Zustellung das Recht des Empfangsmitgliedstaats maßgeblich.155 Mit diesem Prinzip wäre es schwerlich in 150 

Stadler, IPRax 2001, 514 (520) m. w. N.; Rösler/Siepmann, RIW 2006, 512 (516 f). Nach deutschem Recht bewirkt eine Zustellung im Parteibetrieb keine Heilung einer fehlgeschlagenen oder unterlassenen Amtszustellung (str.), vgl. BGH v. 19. 05. 2010 – IV ZR 14/08 – FamRZ 2010, 1328 (1329) mit Überblick über den Streitstand. 152  Heiderhoff, IPRax 2007, 202 (203). 153  I. E. ebenso Kondring, IPRax 2007, 138 (141), der alternativ auf das Recht des Urteilsstaats abstellt; a. A. Hausmann, EuLF 2007, II-1 (12): Recht des Übermittlungsstaates (gemeint ist wohl: Recht des Urteilsstaats). 154  Eine Einordnung ist bspw. schwierig bei der fehlenden Belehrung über das Zurückweisungsrecht des Adressaten bei Sprachunkenntnis, insbesondere in Fällen des Art. 8 Abs. 4 EuZVO. 155 Sofern nach dem Recht eines Mitgliedstaates ein Schriftstück innerhalb einer bestimmten Frist zugestellt werden muss, ist im Verhältnis zum Antragsteller zwar als Datum der Zustellung der Tag maßgeblich, der sich aus dem Recht dieses Mitgliedstaates ergibt, Art. 9 Abs. 2 EuZVO. Hierdurch soll der sich in Zeitnot befindenden Partei die Fristberechnung erleichtert bzw. deren Vertrauen auf die Anwendung ihrer innerstaatlichen Frist151 

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§ 14  Die internationale Zustellung

Einklang zu bringen, bei einer nicht ordnungsgemäß erfolgten Zustellung unter Rückgriff auf die Heilungsvorschriften des Urteils- oder Übermittlungsstaats das Datum der Zustellung nach jener Rechtsordnung zu bestimmen.

IV.  Nichteinlassung des Beklagten 64

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Die innerstaatlichen Heilungsregeln werden flankiert von Art. 19 EuZVO, der einen Eingriff in das Säumnisrecht der Mitgliedstaaten enthält.156 Hat sich der Beklagte nicht auf das Verfahren eingelassen,157 so sind die Gerichte der Mitgliedstaaten zur Aussetzung des Verfahrens verpflichtet, bis festgestellt wurde, dass das Schriftstück (a) in einem nach dem Recht des Empfangsmitgliedstaats vorgeschriebenen Verfahren zugestellt wurde oder (b) „das Schriftstück tatsächlich entweder dem Beklagten persönlich ausgehändigt oder nach einem in der Verordnung vorgesehenen Verfahren in dessen Wohnung abgegeben wurde“ und jeweils das Schriftstück so rechtzeitig zugestellt oder ausgehändigt worden ist, dass der Beklagte sich hätte verteidigen können. Unabhängig von Heilungstatbeständen der lex fori scheidet der Erlass eines Versäumnisurteils deshalb zunächst aus, sofern das Gericht nicht feststellen konnte, ob das verfahrenseinleitende Schriftstück gemäß den im Empfangsstaat vorgeschriebenen Verfahren zugestellt wurde (lit. a). Art. 19 Abs. 1 lit. a EuZVO ist zugeschnitten auf die Übermittlung im Rechtshilfeweg, bei welcher gemäß Art. 7 EuZVO die Durchführung der Zustellung durch die Empfangsstelle nach deren eigenem Recht erfolgt. Der in lit. a enthaltene Verweis auf das Verfahrensrecht des Empfangsstaates sollte nicht allein als Verweis auf die in der Rechtsordnung des Empfangsstaates vorgesehenen Förmlichkeiten der Zustellung verstanden werden, sondern umfasst auch die Regeln des Empfangsstaates zur Heilung von Zustellungsfehlern durch tatsächliche Kenntnisnahme.158 Erfolgt die Übermittlung nicht nach Art. 4 bis 7 EuZVO, kommt Art. 19 Abs. 1 lit. b EuZVO zum Tragen. Die deutsche Fassung dieses Artikels ist

bestimmungsmechanismen (z. B. Fristeinhaltung bereits durch Übergabe an eine bestimmte Behörde) geschützt werden. Daraus lässt sich jedoch kein schützenswertes Vertrauen auf die Anwendung der Heilungsvorschriften des Übermittlungsstaates ableiten. 156  Kondring, Heilung, S. 248 f., 263 (zu Art. 15 HZÜ); Heiderhoff in Rauscher, EuZPR, Art. 19 EG-ZustVO 2007 Rn. 15 m. w. N.; a. A. wohl Schlosser, EU-ZPR, Art. 19 EuZVO Rn. 3, der Abs. 1 als unionsrechtlichen Impetus zur Anwendung nationaler Heilungsregeln versteht. 157  In Entsprechung zu Art. 26 S. 2 EuGVO ist eine Rüge der fehlerhaften Zustellung nicht als Einlassung anzusehen. 158  Kondring, IPRax 2007, 138 (141); weitere Nachweise bei Kondring, Heilung, S. 269 f.



D.  Die Heilung von Zustellungsmängeln

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misslungen, wie der Vergleich zu der englischen159 und französischen160 Version sowie die Entstehungsgeschichte der Norm belegt.161 Richtigerweise müsste die Bestimmung lauten: „bis festgestellt ist, dass das Schriftstück nach einem anderen in dieser Verordnung vorgesehenen Verfahren entweder dem Beklagten selbst oder in seiner Wohnung übergeben worden ist.“ Entgegen dem irreführenden deutschen Wortlaut der litera b. ist es für die Fortsetzung des Verfahrens nicht ausreichend, wenn das zuzustellende Schriftstück dem Beklagten auf jedwedem Übermittlungsweg persönlich ausgehändigt wurde.162 Erforderlich ist vielmehr eine Feststellung des Gerichts dahingehend, dass das verfahrenseinleitende Schriftstück dem Beklagten nach einem Verfahren gemäß der Art. 14 oder 15 EuZVO persönlich übergeben oder in seiner Wohnung abgegeben wurde.163 Soweit beispielsweise die Zustellung im Parteibetrieb nach dem Recht des Empfangsstaates nicht zulässig ist, hindert Art. 19 Abs. 1 lit. b das entscheidende Gericht selbst dann am Erlass eines Versäumnisurteils, wenn das Dokument dem Adressaten persönlich übergeben wurde, da die Aushändigung nicht „in einem in dieser Verordnung vorgesehenen Verfahren“ erfolgte.164 Hat ein Mitgliedstaat von der entsprechenden Mitteilungsmöglichkeit nach Art. 19 Abs. 2, 23 Abs. 1 EuZVO gegenüber der Kommission Gebrauch gemacht,165 können seine Gerichte jedoch auch ohne Heilung des Zustellungsmangels nach dem Recht des Empfangsstaates ein Versäumnisurteil erlassen, soweit sechs Monate nach Übermittlung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks gemäß einem in der Verordnung vorgesehenen Verfahren verstrichen sind und alle zumutbaren Versuche, bei den zuständigen Stellen des Empfangsstaates eine Zustellungsbescheinigung zu erlangen, erfolglos geblieben sind.166 Art. 19 Abs. 4 EuZVO ermöglicht in diesem Fall die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. 159  „[…] the document was actually delivered to the defendant or to his residence by another method provided for by this Regulation“. 160  „[…] ou bien que l’acte a été effectivement remis au défendeur ou à sa résidence selon un autre mode prévu par le présent règlement“. 161 Die Bestimmung ist Art. 15 Abs. 1 HZÜ nachgebildet. Zu dessen Entstehungsgeschichte siehe die Nachweise bei Kondring, Heilung, S. 137 ff. 162  Zu Art. 15 HZÜ siehe Kondring, Heilung, S. 137 ff., 260 ff. 163  Ebenfalls zugelassen, aber praktische bedeutungslos, sind die Übermittlung auf konsularischem oder diplomatischem Weg bzw. die Zustellung durch die diplomatischen oder konsularischen Vertretungen, Art. 12 und 13 EuZVO. 164  Siehe näher (zu Art. 15 HZÜ) Kondring, Heilung, S. 262 ff. 165  Die Mehrheit der Mitgliedstaaten hat von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht, eine Übersicht über den Mitteilungsstand bietet der Europäische Gerichtsatlas. 166  Umstritten ist, ob hierfür das Vorliegen eines Heilungstatbestands nach dem Recht des Gerichtsstaates erforderlich ist (so Kondring, IPRax 2007, 138 (141) und ders., Heilung, S. 274 ff.) oder ob eine Mitteilung gemäß Art. 23 Abs. 1 EuZVO genügt (so Schlosser, EUZPR, Art. 15 HZÜ Rn. 2).

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§ 14  Die internationale Zustellung

V. Fazit 68

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Die Europäische Zustellungsverordnung hat nicht allein eine Beschleunigung und Vereinfachung der grenzüberschreitenden Zustellung innerhalb der Europäischen Union bewirkt. Die Verordnung, bekräftigt durch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache Alder, läutet einen Paradigmenwechsel ein: War das HZÜ noch geprägt von der tradierten Vorstellung der Auslandszustellung als eines die Souveränität beeinträchtigenden Hoheitsakts,167 spielen Aspekte der Souveränität in den Regelungen der EuZVO kaum noch eine Rolle.168 Stattdessen rücken Effektivitätsgesichtspunkte und der Adressatenschutz in den Vordergrund. Im Gegensatz zum HZÜ169 wird die Zustellung durch Postdienste sowie (grundsätzlich) die unmittelbare Zustellung im Parteibetrieb für zulässig erklärt, auf einen ordre public-Vorbehalt verzichtet und das Verweigerungsrecht bei mangelnden Sprachkenntnissen des Adressaten diesem selbst anstatt einer staatlichen Behörde zugestanden.170 Deutlicher Ausdruck dieses Bedeutungswandels ist die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Alder, der EuZVO Exklusivität für Zustellungen an Personen mit bekannter Anschrift innerhalb der Union beizumessen und der Verordnung ein Verbot fiktiver Inlandszustellungen zu entnehmen. So begrüßenswert der durch die Verordnung vorgenommene Paradigmenwechsel hin zu einem Focus auf die Parteiinteressen ist: Die Einzelbestimmungen der EuZVO sind teils noch dem staatsvertraglichen Erbe verhaftet und werden der neuen Funktion nicht in allen Belangen gerecht. Die Grenzen zwischen effektiver und fiktiver Inlandszustellung sind nicht im Detail markiert. Die Mehrzahl der Regelungen befasst sich weiterhin mit der klassischen Rechtshilfe. Die Zustellung im Parteibetrieb steht unter dem Vorbehalt der Zulässigkeit des Rechts des Empfangsmitgliedstaates; hier ist zudem die Belehrung des Zustellungsadressaten über sein Zurückweisungsrecht bei fehlender Sprachkundigkeit nicht sichergestellt. Das Sprachproblem wird in Art. 5 und Art. 8 EuZVO adressiert, doch gelingt es nicht, einen angemessenen Ausgleich zwischen den Interessen des Initiators der Zustellung und dem Rechtsschutz des Zustellungsempfängers herzustellen. Schließlich fehlt es an einer autonomen Regelung der Heilung von Zustellungsfehlern. Gut gelungen ist 167 

Siehe nur beispielhaft BVerfG v. 07. 12. 1994 – 1 BvR 1279/94 – NJW 1995, 649. aber Art. 7 Abs. 1, letzter Halbsatz EuZVO sowie den Vorbehalt der Zulässigkeit der Parteizustellung nach dem Recht des Empfangsstaates in Art. 15 EuZVO. 169  Art. 10 HZÜ erlaubt den Vertragsstaaten den Widerspruch gegenüber der Postzustellung und der unmittelbaren Zustellung. Art. 13 HZÜ enthält einen ordre public-Vorbehalt. Art. 5 Abs. 3 HZÜ weist der Zentralen Behörde des Empfangsstaates die Entscheidung darüber zu, ob das Schriftstück einer Übersetzung bedarf. 170 Zur Übersetzung als Souveränitätsfrage siehe Bajons in FS Schütze, S. 71 f.; GA Trstenjak v. 29. 11. 2007 – C-14/07 – Slg. 2008, I-3367 (Ingenieurbüro Weiss), Rn. 46 m. Fn. 5; Stadler, Erasmus Law Review, 5 (2012), 151 (154 f.). 168  Beachte



E.  Vereinheitlichung der Zustellungsmodalitäten in anderen Verordnungen 

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demgegenüber die Abwägung der Parteiinteressen in der Kollisionsnorm zur Bestimmung des Zustellungszeitpunkts in Art. 9 EuZVO. Vor einer abschließenden Würdigung der EuZVO sollen im Folgenden zunächst die Bestrebungen der Union zur Vereinheitlichung der Zustellungsmodalitäten in den sogenannten Verordnungen der zweiten Generation betrachtet werden.

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E.  Vereinheitlichung der Zustellungsmodalitäten in anderen Verordnungen I.  Die Verordnungen der zweiten Generation Die EuZVO regelt die Übermittlung eines Schriftstücks in das EU-Ausland, ohne die im Recht der Mitgliedstaaten vorgesehenen Zustellungsformen zu harmonisieren. Ansätze zu einer Vereinheitlichung des Zustellungsrechts enthalten die sogenannten Verordnungen der zweiten Generation, d. h. die Verordnung über den Europäischen Vollstreckungstitel (EuVTVO),171 die Verordnung über das Europäische Mahnverfahren (EuMahnVO)172, und die Verordnung über das Europäische Bagatellverfahren (EuGFVO).173 Gemeinsamer Nenner dieser Verordnungen ist erstens die Vollstreckbarkeit einer mitgliedstaatlichen Entscheidung im EU-Ausland unter Verzicht auf ein Exequaturverfahren,174 was den in ihren Anwendungsbereich fallenden gerichtlichen Entscheidungen eine effektivere Auslandsvollstreckung gegenüber der EuGVO (2001) erlaubt. Zweitens verzichten alle drei Verordnungen auf die in Art. 34 Nr. 1 und 2 EuGVO (2001) bzw. Art. 45 Abs. 1 lit. a und b EuGVO (2012) normierten Anerkennungsversagungsgründe des ordre public-Verstoßes sowie der nicht rechtzeitigen Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks.175 Um das Entfallen dieser Anerkennungsversagungsgründe zu kompensieren,176 normieren EuVTVO, EuMahnVO und EuGFVO Standards für die Zustellung

171 Verordnung (EG) Nr. 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen, ABl. Nr. L 143/15 v. 30. 04. 2004. 172 Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens, ABl. Nr. L 399/32 v. 30. 12. 2006. 173  Verordnung (EG) Nr. 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen, ABl. Nr. L 199/22 v. 31. 07. 2007. 174  Art. 20 Abs. 1 EuVTVO; Art. 19 EuMahnVO; Art. 20 Abs. 1 EuGFVO. 175  Vgl. Art. 21 EuVTVO, Art. 22 EuMahnVO, Art. 22 EuGFVO 176  Statt aller Stadler, IPRax 2002, 471 (478).

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§ 14  Die internationale Zustellung

verfahrenseinleitender Schriftstücke und Terminsladungen sowie für die Rechtsbelehrung des Beklagten. Die für die Zustellung relevanten Bestimmungen der Verordnungen zweiter Generation werden im Folgenden kurz erläutert, um die zwischen den genannten Verordnungen bestehenden Entwicklungslinien und die Verbindungsstellen zur EuZVO aufzuzeigen. Die weiteren Bestimmungen der EuVTVO werden im Kapitel über die Urteilsfreizügigkeit (§ 16 Rn. 111 ff.) untersucht. EuMahnVO und EuGFVO hingegen schaffen einheitliche, primär unionsrechtlich ausgestaltete Verfahren, die für die Durchsetzung gewerblicher Schutzrechte von geringer Bedeutung sind.177 Die Erörterung der zustellungsrelevanten Bestimmungen dieser zwei Verordnungen erfolgt hier lediglich im Wege eines Exkurses, um die Entwicklung des unionsrechtlichen Zustellungsrechts besser darzustellen.

II.  Die Verordnung über den Europäischen Vollstreckungstitel 1.  Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel durch das Erstgericht 73

Die Verordnung über den Europäischen Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen war ein Meilenstein des legislativ geäußerten Vertrauens in die Gleichwertigkeit der Justiz der Mitgliedstaaten. Die Verordnung findet Anwendung auf Entscheidungen über sogenannte unbestrittene Forderungen, womit Anerkenntnis- und Versäumnisurteile angesprochen sind.178 Die Bestätigung eines Urteils als Europäischer Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen erfolgt durch dasjenige Gericht, welches das Urteil erlassen hat, und ermöglicht die unmittelbare Vollstreckung in jedem anderen Mitgliedstaat.179 Neben anderen Voraussetzungen bedarf es für die Ausstellung einer Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel der Einhaltung verfahrensrechtlicher Mindeststandards im Erkenntnisverfahren.180 Die Mindestvorgaben der Art. 13 ff. EuVTVO beziehen sich auf die Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks und Terminsladungen, die Unterrichtung des Beklagten über die eingeklagte Forderung sowie die Belehrung über Verfahrensschritte zum Bestreiten der Forderung. Eine Bestätigung als Europäischer Vollstreckungs177 

Aufgrund ihrer Komplexität eignen sich Rechtssachen des gewerblichen Rechtsschutzes regelmäßig nicht für Mahnverfahren, zumal sich das Rechtsschutzbegehren des Klägers meist nicht auf die Zahlung einer Geldforderung beschränkt. Darüber hinaus sind Ansprüche aus außervertraglichen Schuldverhältnissen vom Anwendungsbereich der EuMahnVO nicht erfasst, vgl. deren Art. 2 Abs. 2 lit. d. Gemäß Art. 2 Abs. 1 EuGFVO findet das Europäische Bagatellverfahren nur für Streitwerte bis zu 2.000 EUR Anwendung. Diese Streithöhe wird bei Rechtssachen des gewerblichen Rechtsschutzes regelmäßig überschritten. 178  Art. 3 EuVTVO. 179  Dänemark ist kein Mitgliedstaat i. S. d. Verordnung, vgl. Art. 2 Abs. 3, Erwägungsgrund 25 EuVTVO. 180  Art. 6 EuVTVO.

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titel kommt ferner nur in Betracht, wenn die lex fori einen Rechtsbehelf für bestimmte Fälle unverschuldeter Säumnis bereithält.181 Die EuVTVO zwingt die Mitgliedstaaten nicht zur Beachtung dieser verfahrensrechtlicher Mindeststandards im Erkenntnisverfahren,182 sondern stellt Beurteilungsnormen auf, deren Einhaltung das Ursprungsgericht erst prüft, wenn der Urteilsgläubiger eine grenzüberschreitende Vollstreckung beabsichtigt und die Bestätigung der Entscheidung als Europäischer Vollstreckungstitel beantragt hat.183 Die EuVTVO setzt somit Anreize für die Mitgliedstaaten, bestimmte Standards im Erkenntnisverfahren einzuführen184 – auch und zumal für Verfahren, die zunächst keinen grenzüberschreitenden Bezug aufweisen.185 Zur Beurteilung der Perspektiven eines europäischen Zivilverfahrensrechts ist die Verordnung auch unter diesem Aspekt interessant.

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2.  Inhalt der Mindestvorschriften Art. 13 EuVTVO enthält Regelungen für die Zustellung mit Nachweis des Empfangs durch den Antragsgegner, Art. 14 betrifft die Ersatzzustellung, Art. 15 die Zustellung an einen Vertreter. Eine Hierarchie der Zustellungsarten existiert nicht,186 allerdings setzt die Ersatzzustellung voraus, dass die Anschrift des Beklagten mit Sicherheit ermittelt werden kann.187 Auch zwischen Amts- und Parteizustellung wird nicht unterschieden. Öffentliche Zustellungsformen genügen den Mindestanforderungen nicht.188 Eine wichtige Warnfunktionen erfüllt die in Art. 16 und 17 EuVTVO vorgesehene Unterrichtung des Schuldners im verfahrenseinleitenden Schriftstück: Nach Art. 17 EuVTVO ist auch im Falle der Parteizustellung eine Unterrichtung des Schuldners über die Verfahrensschritte zum Bestreiten der Forderung und über die Konsequenzen des Nicht-Bestreitens bzw. Nicht-Erscheinens erforderlich. Gemäß Art. 16 EuVTVO ist der Zustellungsempfänger unter anderem über

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Art. 19 EuVTVO. Erwägungsgrund 19 EuVTVO. 183  Instruktiv OLG Linz v. 04. 07. 2007 – 1 R 124/07x, berichtet nach König, IPRax 2008, 141 f.; siehe ferner Kropholler/v. Hein, EuZPR, Art. 12 EuVTVO, Rn. 7 f.; Pabst in Rauscher, EuZPR, Art. 12 EG-VollstrTitelVO Rn. 4. 184 Von „richtlinienähnlichem Charakter, wenn auch ohne förmlichen Umsetzungszwang“ spricht Rauscher in FS Kropholler, S. 865. 185  Marginale Anpassungen im deutschen Prozessrecht erfolgten durch das EG-Vollstreckungstitel-Durchführungsgesetz v. 18. 08. 2005, BGBl. 2005 I 2477; eine allgemeine Rechtsbehelfsbelehrung im Zivilverfahren wurde später eingeführt durch das Gesetz zur Einführung einer Rechtsbehelfsbelehrung im Zivilprozess v. 05. 12. 2012, BGBl. 2012, I-2418. 186  Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, KOM (2004) 90, Nr. 3.1; zur Entstehungsgeschichte und Kritik Klumpp, Zustellungsformen, S. 111 ff. 187  Art. 14 Abs. 2 EuVTVO. 188  Erwägungsgrund 13 EuVTVO, s. a. Erwägungsgrund 19 EuMahnVO. 182 

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§ 14  Die internationale Zustellung

Grund und Höhe der Forderung zu informieren. Die Sprache dieser Unterrichtung wird durch die EuVTVO nicht vorgegeben. Die Zustellung mit Nachweis des Empfangs gemäß Art. 13 EuVTVO kann durch persönliche Übergabe durch eine zuständige Amtsperson, durch postalische Zustellung oder durch elektronische Zustellung an den Adressaten erfolgen, sofern dieser eine Empfangsbestätigung unterzeichnet und (in den beiden letztgenannten Fällen) zurücksendet. Alternativ ist auch eine persönliche Zustellung möglich, bei welcher die zuständige Zustellungsperson die Entgegennahme des Schriftstücks oder eine unberechtigte Annahmeverweigerung189 protokolliert. Eine Ersatzzustellung erfolgt nach Art. 14 EuVTVO durch persönliche Zustellung entweder in der Wohnung des Schuldners an eine dort lebende oder beschäftigte Person oder in den Geschäftsräumen des Schuldners an eine vom Schuldner beschäftigte Person, sofern der Schuldner Selbständiger oder eine juristische Person ist. Eine Ersatzzustellung ist ferner durch Hinterlegung im Briefkasten des Schuldners oder durch Benachrichtigung im Briefkasten über die Hinterlegung bei einer Poststelle bzw. einer zuständigen Behörde möglich. Die Benachrichtigung muss das Schriftstück eindeutig als gerichtliches Schriftstück bezeichnen und einen Hinweis darauf enthalten, dass mit der Benachrichtigung die Zustellung als erfolgt gilt und Fristen zu laufen beginnen.190 In allen genannten Fällen bedarf es einer Bescheinigung der zuständigen Person, welche die Zustellung vorgenommen hat191 oder einer Empfangsbestätigung derjenigen Person, welcher das Schriftstück ersatzweise zugestellt wurde. Hat der Adressat seinen Wohnsitz im Staat des entscheidenden Gerichts, ist auch eine postalische Zustellung ohne Zustellungsbescheinigung zulässig. Schließlich ist eine Ersatzzustellung auf elektronischem Weg mit automatisch erstellter Sendebestätigung zulässig, sofern sich der Adressat ausdrücklich mit dieser Art der Zustellung einverstanden erklärt hat. Eine Ersatzzustellung kommt nur in Betracht, wenn die Anschrift des Adressaten mit Sicherheit ermittelt werden kann, Art. 14 Abs. 2 EuVTVO. Das Ausgangsgericht kann

189  Kritisch zur Regelung der Zustellungsfiktion bei unberechtigter Annahmeverweigerung Stadler, RIW 2004, 801 (806); Pabst in Rauscher, EuZPR, Art. 13 EG-VollstrTitelVO Rn. 11. 190  Das Wort „oder“ bei Erläuterung der schriftlichen Benachrichtigung in Art. 14 Abs. 1 lit. d EuZVO wird in der Literatur zu Recht als Redaktionsversehen gewertet. Der Hinweis auf die gerichtliche Natur des Schriftstücks und den Fristlauf ist kumulativ zu verstehen, vgl. Pabst in Rauscher, EuZPR, Art. 12 EG-VollstrTitelVO Rn. 22; Schlosser, EU-ZPR, Art. 14 VTVO Rn. 5; Rauscher, EuVT, Rn. 126; a. A. Adolphsen in MüKo ZPO, § 1080 ZPO Rn. 26; Kropholler/v. Hein, EuZPR, Art. 14 EuVTVO Rn. 20 m. w. N. 191  Die Anforderungen an die Zustellungsbescheinigung sind näher geregelt in Art. 14 Abs. 3 lit. a EuVTVO.



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freilich selten überprüfen, ob die vom Antragsteller angegebene Adresse mit Sicherheit jene des Antragsgegners ist.192 Art. 15 EuVTVO erklärt eine Zustellung mit Empfangsbestätigung des Adressaten nach Art. 13 EuVTVO oder eine Ersatzzustellung gemäß Art. 14 EuVTVO auch gegenüber dem gesetzlichen oder gewillkürten193 Vertreter des Adressaten für zulässig. Das Bestehen von Vertretungsmacht beurteilt sich nach dem über das IPR der lex fori zu ermittelnden Vollmachts- bzw. Gesellschaftsstatut.194

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3.  Die Heilung von Zustellungsfehlern Art. 18 EuVTVO enthält zwei Heilungstatbestände: Sofern die Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks oder einer Terminsladung nicht den Anforderungen der Art. 13, 14 EuVTVO entsprach, ist eine Bestätigung der Entscheidung als Europäischer Vollstreckungstitel gleichwohl möglich, wenn durch das Verhalten des Schuldners im gerichtlichen Verfahren nachgewiesen ist, dass dieser das zuzustellende Schriftstück rechtzeitig persönlich erhalten hat, um Vorkehrungen für seine Verteidigung zu treffen. Alternativ schadet ein Verstoß gegen die verfahrensrechtlichen Mindestanforderungen der Art. 13 bis 17 EuVTVO einer Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel nicht, wenn die vom Gericht erlassene Säumnisentscheidung dem Schuldner nach Maßgabe der Art. 13, 14 EuZVO zugestellt wurde und der Schuldner es versäumt hat, einen Rechtsbehelf gegen die Entscheidung einzulegen, obgleich ein Rechtsbehelf zur umfassenden Überprüfung der Entscheidung zur Verfügung stand und der Schuldner bei Zustellung der Entscheidung über die Möglichkeit belehrt wurde, den Rechtsbehelf einzulegen.195

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4.  Das Verhältnis zwischen EuZVO und EuVTVO EuVTVO und EuZVO stehen beziehungslos nebeneinander. Die Bestimmungen der EuZVO sind zwar für Auslandszustellungen in jedem Erkenntnisverfahren zu beachten.196 Im Bestätigungsverfahren gemäß Art. 12 EuVTVO prüft das Ursprungsgericht jedoch lediglich, ob die Zustellung den Mindest192 Siehe den Sachverhalt der (zur EuMahnVO ergangene) Entscheidung des EuGH v. 04. 09. 2014 – C-119/13 und C-120/13 (eco cosmetics). 193  Vgl. Erwägungsgrund 16 EuVTVO. 194  Siehe Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament betreffend den gemeinsamen Standpunkt des Rates im Hinblick auf den Erlass einer Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen, KOM (2004) 90, S. 6; ferner Pabst in Rauscher, EuZPR, Art. 15 EG-VollstrTitelVO Rn. 2; Kropholler/v. Hein, Art. 15 EuVTVO Rn. 2. 195  Art. 18 Abs. 1 EuVTVO. 196  Art. 28 EuVTVO, Art. 25 Abs. 2 EuZVO; Pabst in Rauscher, EuZPR, Art. 13 EG-VollstrTitelVO Rn. 1, Art. 28 Rn. 2; Sujecki in Gebauer/Wiedmann, Kap. 30 Rn. 9.

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§ 14  Die internationale Zustellung

anforderungen der Art. 13 bis 17 EuZVO entsprach, nicht, ob die Zustellung gemäß den Vorgaben der EuZVO erfolgte.197 Selbiges gilt für den Heilungstatbestand des Art. 18 Abs. 1 EuVTVO. Dies ist besonders misslich, weil die EuVTVO das Sprach- und Übersetzungsproblem nicht adressiert.198 Auch über Art. 8 Abs. 1 EuZVO lassen sich für die nach Art. 16, 17 EuVTVO erforderliche Unterrichtung keine Spracherfordernisse ableiten, da Art. 8 Abs. 1 EuZVO lediglich ein Zurückweisungsrecht regelt, nicht die Verwendung einer bestimmten Sprache erfordert.199 Die bereits nach der EuZVO schwache Position des sprachunkundigen Empfängers eines gerichtlichen Schriftstücks (oben Rn. 25 ff.) erleidet somit weitere Einbußen: Eine unterbliebene Belehrung über das Zurückweisungsrecht bei Sprachunkenntnis gemäß Art. 8 Abs. 1 EuZVO hindert die Bestätigung eines Urteils als Europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen – und damit die unionsweite Freizügigkeit des Titels – nicht. Nach Art. 19 Abs. 1 lit. b EuVTVO kann eine Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel zwar nur erfolgen, sofern die lex fori einen Rechtsbehelf für jene Situationen bereithält, in denen „der Schuldner aufgrund höherer Gewalt oder aufgrund außergewöhnlicher Umstände ohne eigenes Verschulden der Forderung nicht widersprechen konnte“. Unabhängig von der Frage, ob fehlende Sprachkenntnisse unter das Merkmal der „außergewöhnlichen Umstände“ zu subsumieren sind, nutzt diese abstrakte Überprüfungsmöglichkeit nur demjenigen Schuldner, der das gegen ihn gerichtete Urteil sprachlich nachzuvollziehen vermag und über die Überprüfungsmöglichkeit informiert wird.200

III.  Das Europäische Mahnverfahren 82

Die Verordnung über das Europäische Mahnverfahren (EuMahnVO)201 enthält in Art. 13 bis 15 EuMahnVO gleichfalls Mindestvorschriften über die Zustellung, welche nahezu wortidentisch zu jenen der Art. 13 bis 15 EuVTVO 197  Art. 12 Abs. 1 EuVTVO; allg. Ansicht, vgl. nur Schlosser, EU-ZPR, Art. 28 VTVO Rn. 1; Pabst in Rauscher, EuZPR, Art. 28 EG-VollstrTitelVO Rn. 2 f. mit Kritik in Fn. 2: „Weg, der schwerlich zu einem kohärenten System des EuZPR führen wird“. Siehe ferner Stadler, RIW 2004, 801 (807 f.) mit sehr instruktivem Beispiel zu den tatsächlichen Schwierigkeiten des Ursprungsgerichts, die Ordnungsgemäßheit der Zustellung zu überprüfen. 198  Lediglich Art. 9 Abs. 2 EuVTVO informiert darüber, dass die Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel in der Sprache ausgestellt wird, in der die Entscheidung abgefasst ist. 199  A. A. Stadler, RIW 2004, 801 (807); Schlosser, EU-ZPR, Art. 17 VTVO Rn. 2; Kropholler/v. Hein, EuZPR, Art. 17 EuVTVO Rn. 3; Bach, Vollstreckung, S. 301 f. 200  Stadler, RIW 2004, 801 (808). 201 Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens, ABl. Nr. L 399/1 v. 30. 12. 2006.



E.  Vereinheitlichung der Zustellungsmodalitäten in anderen Verordnungen 

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sind. Erlässt ein Gericht nach Prüfung der Voraussetzungen der Art. 2 bis 7 EuMahnVO einen Europäischen Zahlungsbefehl, so ist dieser gemeinsam mit einer Abschrift des Antragsformulars dem Antragsgegner zuzustellen. Auf die Durchführung der Zustellung ist grundsätzlich das Recht desjenigen Staates anzuwenden, in dem die Zustellung erfolgen soll.202 Das Ursprungsgericht soll sicherstellen, dass die Zustellung in einer Weise erfolgt, die den in Art. 13 bis 15 EuMahnVO genannten Formen entspricht, es muss also einen geeigneten Zustellungsweg wählen.203 Bei Auslandszustellungen sind darüber hinaus die Bestimmungen der EuZVO zu berücksichtigen,204 insbesondere hat eine Belehrung über das Annahmeverweigerungsrecht bei fehlender Sprachkenntnis zu erfolgen. Ein Äquivalent zu der in Art. 17 EuVTVO enthaltenen Unterrichtung über die Verfahrensschritte zum Bestreiten der Forderung stellt die dem Europäischen Zahlungsbefehl beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung dar.205 Das Ursprungsgericht erklärt den Europäischen Zahlungsbefehl für vollstreckbar, sofern der Antragsgegner nicht innerhalb einer Frist von 30 Tagen nach Zustellung des Europäischen Zahlungsbefehls seinen Einspruch erklärt hat.206 Eine Überprüfung des Europäischen Zahlungsbefehls ist gemäß Art. 20 EuMahnVO lediglich „in Ausnahmefällen“ möglich, namentlich (1) wenn der Zahlungsbefehl im Wege der Ersatzzustellung zugestellt wurde und der Antragsgegner den Zahlungsbefehl ohne eigenes Verschulden nicht rechtzeitig erhalten hat, um Vorkehrungen für seine Verteidigung zu treffen oder (2) wenn der Einspruch gegen die Forderung ohne eigenes Verschulden des Antragsgegners aufgrund höherer Gewalt oder außergewöhnlicher Umstände scheiterte207 oder (3) wenn der Europäische Zahlungsbefehl offensichtlich zu Unrecht erlassen wurde. Art. 27 EuMahnVO stellt zwar klar, dass bei Zustellungen in das europäische Ausland die Vorgaben der EuZVO zu befolgen sind, doch gibt die EuMahnVO keinen Aufschluss darüber, welche Auswirkung ein Verstoß gegen die EuZVO auf den Beginn der 30tägigen Einspruchsfrist208 ab Zustellung des Europäischen Zahlungsbefehls hat. Von einer fristauslösenden Zustellung kann nicht ausgegangen werden, wenn der Adressat die Annahme gemäß Art. 8 Abs. 1 EuZVO verweigert bzw. das Schriftstück zurücksendet.209 Nach 202 Art. 13, 14 Abs. 1 EuMahnVO; siehe auch Kropholler/v.  Hein, Art. 12 EuMVVO Rn. 12 f. mit Hinweisen zur Beachtlichkeit der lex fori des Ursprungsmitgliedstaats. 203  Rauscher in FS Kropholler, S. 857. 204  Art. 27 EuMahnVO; Gruber in Rauscher, EuZPR, Art. 12 EG-MahnVO Rn. 9. 205  Anhang V EuMahnVO. 206  Vor Erteilung der Vollstreckbarerklärung ist eine angemessene Zeit für die postalische Übermittlung des Einspruchs zu berücksichtigen, da die Versendung des Einspruchs zur Fristwahrung laut Art. 16 Abs. 2 EuMahnVO ausreichend ist, siehe Art. 18 Abs. 1 EuMahnVO. 207  In Fallkonstellation 1 und 2 muss der Antragsgegner ferner unverzüglich tätig werden. 208  Art. 16 Abs. 2 EuMahnVO. 209  Gruber in Rauscher, EuZPR, Art. 12 EG-MahnVO Rn. 9 f.

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§ 14  Die internationale Zustellung

herrschender Auffassung hindert jedoch ein Verstoß gegen Bestimmungen der EuZVO (z. B. fehlende Belehrung über das Zurückweisungsrecht des Art. 8 Abs. 1 EuZVO) oder eine Verletzung innerstaatlichen Zustellungsrechts nicht die Erteilung der Vollstreckbarerklärung. Lediglich die Einhaltung der Mindestvorschriften der Art. 13 bis 15 EuMahnVO habe das Ursprungsgericht zu prüfen,210 nach anderer Auffassung sogar lediglich das Zustellungsdatum des Zahlungsbefehls.211 Bei anderweitigen Zustellungsfehlern wird allenfalls eine analoge Anwendung der Wiedereinsetzungsvorschrift des Art. 20 EuMahnVO in Erwägung gezogen.212

IV.  Das Europäische Verfahren für geringfügige Forderungen 85

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Einen Schritt weiter als EuVTVO und EuMahnVO geht die Verordnung zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen (EuGFVO),213 welche die Zustellungsformen im europäischen Bagatellverfahren vereinheitlicht. Die Einleitung eines europäischen Bagatellverfahrens steht dem Kläger als Option in Zivil- und Handelssachen offen,214 sofern der Streitwert die Schwelle von 2.000 EUR nicht überschreitet und mindestens eine der Parteien ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat als dem des angerufenen Gerichts innehat.215 Das vereinfachte Verfahren nach der EuGFVO soll eine schnelle und kostengünstige Streitbeilegung ermöglichen. Aus diesem Grund erfolgen sowohl Inlands-, als auch Auslandszustellungen gemäß Art. 13 Abs. 1 EuGFVO grundsätzlich durch „Postdienste mit Empfangsbestätigung“.216 Nur dann, wenn eine postalische Zustellung mit Empfangsbestätigung nicht möglich ist, kann die Zustellung durch persönliche oder elektronische Zustellung mit Empfangsbestätigung gemäß Art. 13 EuVTVO bzw. durch Ersatzzustellung

210  Gruber in Rauscher, EuZPR, Art. 12 EG-MahnVO Rn. 18 ff., Art. 16 Rn. 8; Kropholler/v. Hein, Art. 13 EuMVVO Rn. 3; Schlosser, EU-ZPR, Art. 13 MahnVO Rn. 3. 211  Röthel/Sparmann, WM 2007, 1101 (1107); Hess/Bittmann, IPRax 2008, 303 (308). 212  Für eine entsprechende Anwendung des Art. 20 Abs. 2 EuMahnVO Röthel/Sparmann, WM 2007, 1101 (1107); Gruber in Rauscher, EuZPR, Art. 20 EG-MahnVO Rn. 39 ff.; Kodek in Geimer/Schütze, IRV, B Vor I 35, Art. 20 Rn. 30; für eine analoge Anwendung des Art. 20 Abs. 1 lit. b MahnVO Kropholler/v. Hein, Art. 20 EuMahnVO Rn. 6. 213  Verordnung (EG) Nr. 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen, ABl. Nr. L 199/1 v. 31. 07. 2007. 214  Vorbehaltlich der Ausnahmen des Art. 2 Abs. 2 EuGFVO. 215  Art. 2 und 3 EuGFVO. 216  Ob es hierfür eines Rückscheins i. S. d. Art. 14 EuZVO bedarf, ist umstritten. Vgl. (bejahend) Halfmeier in Prütting/Gehrlein, ZPO, Anh. nach §§ 1109: EuGFVO, Art. 13 Rn. 1; (verneinend) Hau in MüKo ZPO, Anh. §§ 1097 ff., Art. 14 Rn. 3; Kropholler/v. Hein, EuZPR, Art. 13 EuGFVO Rn. 3.



E.  Vereinheitlichung der Zustellungsmodalitäten in anderen Verordnungen 

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gemäß Art. 14 EuVTVO bewirkt werden.217 Durch die Bezugnahme in Art. 13 EuGFVO ändert sich der Charakter der Art. 13, 14 EuVTVO von Mindestvorschriften, welche Anforderungen an die nach innerstaatlichem Recht zu wählenden Zustellungsformen aussprechen (im Rahmen der EuVTVO), zu vereinheitlichten Zustellungsformen mit unionsweiter Verbindlichkeit (im Rahmen der EuGFVO). Art. 13 EuGFVO ist für Zustellungen im Europäischen Bagatellverfahren lex specialis sowohl gegenüber innerstaatlichen Regelungen als auch gegenüber dem Regime der EuZVO.218 Die Verordnung trifft keine Entscheidung für die Amts- oder die Parteizustellung; maßgeblich ist insoweit die nach Art. 19 EuGFVO subsidiär anzuwendende lex fori.219 Die Bestimmung zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß Art. 18 EuGFVO entspricht Art. 20 Abs. 1 EuMahnVO. Zum Sprachenproblem enthält Art. 6 Abs. 3 EuGFVO eine denkbar knappe Bestimmung, aus welcher sich mittelbar ergibt, dass der Adressat die Annahme eines Schriftstücks ablehnen kann, falls dieses nicht in der Amtssprache des Empfangsmitgliedstaats oder in einer Sprache verfasst ist, die der Empfänger versteht.220 Weist der Adressat das Dokument zurück, informiert das Gericht die andere Partei, um dieser die Vorlage einer Übersetzung zu ermöglichen. Regelungen zur Belehrung des Empfängers, zur Annahmeverweigerungsfrist, zum Datum der Zustellung und zur Rechtsfolge einer erneuten Zustellung unter Beifügung einer Übersetzung enthält Art. 6 Abs. 3 EuGFVO nicht. Die Vorschrift ist vier Monate vor Erlass der EuZVO (2007) ergangen und noch nach dem Vorbild des Art. 8 EuZVO (2000) gestaltet. Es empfiehlt sich eine analoge Anwendung des Art. 8 EuZVO (2007), sofern innerstaatliche Durchführungsvorschriften keine Regelung bereithalten.221 217  Art. 13 Abs. 2 EuGFVO. Einen Verweis auf Art. 15 EuVTVO enthält Art. 13 Abs. 2 EuGFVO nicht. Über Art. 19 EuGFVO ist stattdessen die lex fori heranzuziehen, vgl. Kropholler/v. Hein, EuZPR, Art. 13 EuGFVO Rn. 4 m. w. N. 218  Hess/Bittmann, IPRax 2008, 305 (312); Kropholler/v. Hein, EuZPR, Art. 13 EuGFVO Rn. 1 f.; Varga in Rauscher, EuZPR, Art. 13 EG-BagatellVO Rn. 2 f.; Schlosser, EU-ZPR, Art. 13 Rn. 1; Sujecki in Gebauer/Wiedmann, Kap. 35 Rn. 63 m. w. N.; a. A. Rauscher in FS Kropholler, 859. 219  A. A. Kropholler/v.  Hein, EuZPR, Art. 13 EuGFVO Rn. 2, der aus dem Fehlen einer Parallele zu Art. 15 EuZVO folgert, nur die Amtszustellung sei zulässig. Im Gegensatz zu Art. 14 EuZVO („Jedem Mitgliedstaat steht es frei, Personen […] Schriftstücke […] zustellen zu lassen“) ist der Wortlaut des Art. 13 EuGFVO jedoch nicht auf die Amtszustellung zugeschnitten. Nach Auffassung von Rauscher in FS Kropholler, S. 858 f., räumt Art. 13 EuGFVO lediglich Art. 14 EuZVO Vorrang gegenüber den anderen, in der EuZVO geregelten Zustellungsformen ein. 220  Diese rein implizite Regelung führt in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 und 2 EuGFVO, welche die Sprache des Gerichts als grundsätzliche Verfahrenssprache festlegen, zu Rechtsanwendungsfehlern, vgl. Ontanu/Pannebakker, Erasmus Law Review 5 (212), 169 (179 f.) m. w. N. 221  Kropholler/v. Hein, EuZPR, Art. 6 EuGFVO Rn. 5; a. A. McGuire, ecolex 2008, 100 (103): Grundsätzliche Geltung der EuZVO auch im Anwendungsbereich der EuGFVO (hier-

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§ 14  Die internationale Zustellung

V. Fazit 88

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Der Erlass der EuVTVO bedeutete den Startschuss für eine Vereinheitlichung der Zustellungsformen in den Rechtsordnungen der EU-Mitgliedstaaten im Verordnungswege. Die verfahrensrechtlichen Mindeststandards in EuVTVO und EuMahnVO erfüllen einen doppelten Zweck: Einerseits dienen sie als Hebel, um die Prozessordnungen der Mitgliedstaaten einander anzunähern. Andererseits sollen sie die Abschaffung der verfahrensrechlichen ordre publicKontrolle im Anerkennungsstadium legitimieren. Handelt es sich bei Art. 13 bis 15 EuVTVO bzw. EuMahnVO noch um Mindestvorschriften, so führt die Bezugnahme auf diese Bestimmungen durch Art. 13 EuGFVO bereits zu einer autonomen Regelung der Inlands- und Auslandszustellung. Auch in künftigen Verordnungen des Europäischen Zivilverfahrensrechts darf mit Regelungen des Zustellungsrechts gerechnet werden, wie der gescheiterte Versuch der Europäischen Kommission belegt, in die Europäische Unterhaltsverordnung vereinheitlichte Zustellungsmodalitäten aufzunehmen.222 Die Zustellungsmodalitäten der Art. 13 bis 15 EuVTVO fungieren gleichsam als Modell, auf bislang bei Erlass späterer Rechtsakte zurückgegriffen wurde. Problematisch ist dies aus zweierlei Gründen:223 Erstens handelt es sich bei Art. 13 ff. EuVTVO um Mindestvorschriften, die kumulativ zu nationalen Zustellungsanforderungen Anwendung finden. Inhaltlich bewegen sie sich am unteren Limit der in den innerstaatlichen Rechtsordnungen vorgesehenen Vorkehrungen zum Schutze des Zustellungsempfängers, zumal ein Vorrang sicherer Zustellungsformen nicht vorgesehen ist.224 Jedwede Vereinheitlichung des Zustellungsrechts, welche sich (und sei es subsidiär, wie in Art. 13 EuGFVO) am Modell der Art. 13 ff. EuVTVO orientiert, führt zu einer deutlichen Absenkung der Zustellungsanforderungen innerhalb der Union. Insbesondere der fehlende Vorrang eines persönlichen Zustellungsversuchs, gegen spricht erstens die eigenständige Regelung der grenzüberschreitenden Zustellung in Art. 13, 6 Abs. 3 EuGFVO; zweitens der fehlende Hinweis in der EuGFVO (entgegen EuVTVO und EuMahnVO), dass die EuZVO unberührt bleibe). § 1098 ZPO sieht eine Belehrung des Empfängers ebenso wie eine einwöchige Notfrist zu Rücksendung des Schriftstücks vor. 222  Art. 22 des Kommissionsvorschlags war Art. 13 EuVTVO nachempfunden und verpflichtete die Mitgliedstaaten, mindestens eine der darin genannten Zustellungsmodalitäten in ihrem innerstaatlichen Recht vorzusehen. Art. 23 und 24 sollten Art. 19 EuZVO für die Zwecke der EuUnthVO ersetzen. Siehe Europäische Kommission, Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit und das anwendbare Recht in Unterhaltssachen, die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen und die Zusammenarbeit im Bereich der Unterhaltspflichten, KOM (2005) 649 endg. 223 Zutreffend Rauscher, IPRax 2012, 40 (47): „Es mag sogar durchaus anstrebenswert sein, die EG-ZustVO 2007 nach und nach durch ein autonomes System von Zustellungsmodalitäten zu ersetzen. Der schlechteste Weg hierfür sind allerdings sich schleichend verfestigende Missverständnisse anderer Verordnungstexte“. 224  Tschütscher/Weber, ÖJZ 2007, 303 (311); Stein, EuZW 21004, 679 (680 f.); Klumpp, Zustellungsformen, S. 109 ff., 190 f.



F. Würdigung

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die Option der Ersatzzustellung auf elektronischem Wege mit automatisch erstellter Sendebestätigung (nicht: Empfangsbestätigung)225 sowie die postalische Inlandszustellung ohne Empfangsnachweis erscheinen hierbei bedenklich.226 Zweitens werden durch eine unreflektierte Bezugnahme auf Art. 13 ff. EuVTVO dessen Konzeptionsfehler perpetuiert. Dies betrifft insbesondere das in der EuVTVO nicht adressierte Sprachenproblem, welches auch in der EuMahnVO nicht zufriedenstellend gelöst ist.227 Die ihnen zugedachte Funktion, den Verlust der Anerkennungsversagungsgründe gemäß Art. 34 Nr. 1 und 2 EuGVO (2001) / Art. 45 Abs. 1 lit. a und b EuGVO (2012) zu kompensieren, können die verfahrensrechtlichen Mindeststandards der EuVTVO und EuMahnVO aus diesem Grund nicht erfüllen.228 Positiv hervorzuheben ist hingegen Art. 6 EuGFVO, auch wenn jene Bestimmung Art. 8 EuZVO (2000) nachgebildet ist und somit nicht dem neuesten Stand der EuZVO (2007) entspricht.

F. Würdigung I.  Angemessene Berücksichtigung der prozessualen Interessen 1.  Zustellung an im Ausland ansässige Personen Im Spannungsfeld zwischen Justizgewähranspruch und rechtlichem Gehör beschreitet die Europäische Zustellungsverordnung gegenüber den früheren Rechtshilfe­übereinkommen neue Wege. Aufgrund der abnehmenden Bedeutung von Souveränitätsvorbehalten zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union kann sich eine Würdigung der Bestimmungen der Verordnung vorrangig an der angemessenen Berücksichtigung der Parteiinteressen orientieren.

225  Ausreichend ist der OK-Vermerk beim Telefax sowie die Sendebestätigung des Pro­ viders des Absenders, vgl. Rauscher, EuVT, Rn. 128; Bach, Vollstreckung, S. 231 f. 226  Stadler, RIW 2004, 801 (806); Rauscher, EuVT, Rn. 105; Pfeiffer, BauR 2005, 1541 (1546); Fogt/Schack, IPRax 2005, 118 (124). 227  Zu nennen ist ferner der Redaktionsfehler in Art. 14 Abs. 1 lit. d HS 2 EuVTVO (nach dem Wortlaut der Bestimmung genügt alternativ ein Hinweis auf die auf gerichtliche Natur des Schriftstücks oder ein Hinweis auf den Fristenverlauf), hierzu näher Pabst in Rauscher, EuZPR, Art. 12 EG-VollstrTitelVO Rn. 22; Schlosser, EU-ZPR, Art. 14 VTVO Rn. 5; Rauscher, Europäischer Vollstreckungstitel, Rn. 126; a. A. Kropholler/v.  Hein, EuZPR, Art. 14 EuVTVO Rn. 20 m. w. N. 228  Supra § 14 Rn. 80 f., 84; ferner Stadler, RIW 2004, 801 (808); Rauscher in FS Kropholler, S. 858.

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a)  Fakultativer Rechtshilfeverkehr 91

Positiv zu bewerten ist zunächst die in der EuZVO geregelte Alternative zwischen der Zustellung im Rechtshilfeverkehr und der Zustellung auf dem Postweg. Den Übermittlungsstellen wird die Wahl zwischen zwei Übermittlungsmethoden gewährt, von denen die eine im Durchschnitt eine bessere Rückmeldung über Erfolg oder Misserfolg der Zustellung gibt und die andere (durchschnittlich) schneller ist. Auch eine zweifache Zustellung unter Nutzung beider Übermittlungsmethoden ist zulässig, um deren Vorteile zu kombinieren. Die den Mitgliedstaaten eingeräumte Option, unter Verzicht auf zentrale Übermittlungs- und Empfangsstellen den direkten Rechtshilfeverkehr zwischen den Gerichten zu ermöglichen und dadurch den Rechtshilfeverkehr zu beschleunigen, ist ebenfalls zu begrüßen. Maßgeblich erleichtert wird die Kommunikation zwischen Übermittlungs- und Empfangsstellen durch die in allen Amtssprachen der Union verfügbaren Formblätter in Anhang I EuZVO und die verschiedensprachigen Eingabemasken im Europäischen Gerichtsatlas. Nicht überzeugend sind die nachwirkenden Vorbehalte gegenüber einer unmittelbaren Zustellung im Parteibetrieb: Soweit die lex fori des Prozessgerichts die Parteizustellung zulässt oder vorsieht und das Zustellungsrecht des Empfangsstaates die Beauftragung von Gerichtsvollziehern oder anderen zuständigen Stellen durch Parteien nicht generell ausschließt, sollte eine grenzüberschreitende unmittelbare Zustellung zugelassen werden, um in Einzelfällen eine schnellere Auslandszustellung zu bewirken. Der Wortlaut des Art. 15 EuZVO ist dieser Auslegung unproblematisch zugänglich, und de facto kommt es bereits nach derzeitiger Rechtslage zur Parteizustellung, wenn der Übermittlungsstaat Rechtsanwälte als Übermittlungs­ stellen benannt hat.

b)  Notwendigkeit einer Auslandszustellung 92

Zutreffend hat der EuGH in der Entscheidung Alder fiktive Inlandszustellungen bei bekannter Anschrift des Adressaten im EU-Ausland für unzulässig erklärt und hierdurch das Recht des Adressaten auf rechtliches Gehör unter Wahrung der Schutzvorkehrungen der EuZVO bekräftigt. In Folge dieser Entscheidung besteht Rechtsunsicherheit, in welchen Situationen eine Inlandszustellung an einen Adressaten mit Wohnsitz im EU-Ausland zulässig ist. Die geringen Anhaltspunkte in der Verordnung und in der EuGH-Entscheidung Alder legen die Zulässigkeit einer Inlandszustellung nahe, sofern sich ein längerer, nicht zwingend dauerhafter Aufenthalt des Adressaten oder seines Vertreters bzw. eine Geschäftsaktivität im Inland in einer inländischen Anschrift manifestiert. Die persönliche Übergabe bei zufälligem Aufenthalt im Inland wäre demnach nicht ausreichend. Dieses Ergebnis überzeugt zwar hinsichtlich



F. Würdigung

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der Verteilung des Sprachrisikos (hierzu sogleich), nicht aber mit Blick auf die Effektivität der Zustellung.

c)  Das Sprachrisiko Als zentraler Kollisionspunkt der Parteiinteressen erweist sich die Frage, wer die Kosten und die Last einer Übersetzung zu tragen hat. Die Verfahrenssprache wird durch die lex fori bestimmt,229 regelmäßig handelt es sich hierbei um die Amtssprache des Gerichtsorts. Eine Übersetzung der im Verfahren zuzustellenden Dokumente in eine andere Sprache ist nach der EuZVO nur erforderlich, sofern die folgenden drei Voraussetzungen kumulativ vorliegen: (1) Es bedarf einer Auslandszustellung an einem Ort mit anderer Amtssprache, (2) der Adressat versteht die Verfahrenssprache nicht und (3) der Adressat weist bzw. sendet das zuzustellende Dokument innerhalb einer Woche zurück. Die Zuweisung des Sprachrisikos korrespondiert zunächst eng mit der Abgrenzung zwischen Inlands- und Auslandszustellung. Infolge der Alder-Entscheidung des EuGH bedarf es keiner Übersetzung, wenn der Zustellungsadressat einen Bevollmächtigten, insbesondere einen Prozessvertreter, im Gerichtsstaat benannt hat. Fehlt es an einer solchen Bevollmächtigung und verfügt der Adressat auch nicht über eine zustellungsfähige Anschrift im Forumsstaat, so ist eine Auslandszustellung erforderlich und das Annahmeverweigerungsrecht des Art. 8 EuZVO kommt zum Tragen. Das Verweigerungsrecht wird dem Adressaten sowohl unabhängig von seiner Parteirolle im Verfahren zugebilligt als auch unabhängig davon, ob ein verfahrenseinleitendes oder ein späteres Schriftstück zugestellt werden soll. Meines Erachtens ist diese Verteilung der Übersetzungslast angemessen. Verfügt der Zustellungsadressat über ein ausreichendes Sprachverständnis oder hat er einen im Gerichtsstaat zugelassenen Anwalt beauftragt, dient das Fehlen einer pauschalen Übersetzungspflicht der Vermeidung unnötiger Kosten. In Verfahren ohne Anwaltszwang hingegen erscheint es sachgerecht, wenn die nicht sprachkundige und anwaltlich nicht vertretene auswärtige Partei eine Übersetzung aller ihr zugestellten Dokumente verlangen kann. Dies betrifft sowohl den Beklagten, der gezwungen ist, sich vor den Gerichten außerhalb seines Wohnsitzstaates zu vertreten, als auch den Kläger, der aufgrund des in Art. 4 Abs. 1 EuGVO niedergelegten Grundsatzes actor sequitur forum rei gegebenenfalls keine andere Wahl hat, als im Wohnsitzstaat des Beklagten Klage zu erheben. Allein soweit der EuGH eine Pflicht zur Übersetzung bestimmter Anlagen verneint, wäre aus hier vertretener Sicht eine Korrektur geboten. Nicht gelungen ist die Ausgestaltung des Zurückweisungsrechts bei fehlendem Sprachverständnis des Adressaten. Bezeichnenderweise ist das Zurückweisungsrecht nicht ausdrücklich in der Verordnung geregelt, sondern lässt 229 

Statt aller Mankowski in FS Kaissis, S. 625.

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sich nur aus Art. 5 und 8 EuZVO ableiten. Im Detail ist vieles kritikwürdig: Die Modalitäten der Rechtsbelehrung sind bei der Zustellung auf dem Postwege und im Parteibetrieb nicht transparent; es ist unklar, wessen Sprachkenntnisse bei der Zustellung an Organisationen maßgeblich sind; die Folgen einer unterlassenen Rechtsbelehrung sind nicht geregelt; die Frist zur Zurückweisung ist sehr kurz; weder der Zeitpunkt des Fristbeginns noch jener des Fristendes werden definiert; es fehlt an einer Bestimmung zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Schließlich kann der Initiator der Zustellung stets den Versuch einer übersetzungsfreien Zustellung wagen, ohne einen Ablauf wesentlicher Fristen zu riskieren.

d) Zustellungszeitpunkt 97

Die Kollisionsnorm zur Regelung des Zustellungszeitpunkts in Art. 9 EuZVO, welche im Verhältnis zum Zustellungsempfänger auf das Recht des Empfangsmitgliedstaats, im Verhältnis zum Antragsteller auf die lex causae bzw. lex fori verweist, überzeugt grundsätzlich. Eine zweifelhafte Bevorzugung des Zustellungsinitiators ergibt sich jedoch aus Art. 8 Abs. 3 S. 3 EuZVO: Übt der Zustellungsadressat sein Zurückweisungsrecht wegen Fehlens einer beigefügten Übersetzung aus, so wirkt eine erneute Zustellung unter Beifügung einer Übersetzung im Verhältnis zum Antragsteller auf das Datum des ersten Zustellungsversuchs zurück – unabhängig davon, ob der Antragsteller berechtigterweise auf die Existenz von Sprachkenntnissen auf Seiten des Adressaten vertrauen konnte und innerhalb welcher Frist die Übersetzung nachgereicht wird. Abhängig von den Bestimmungen der lex causae wird hierdurch dem Kläger die Möglichkeit eröffnet, den Ablauf der Verjährung wesentlich hinauszuzögern.

e)  Die Heilung von Zustellungsfehlern 98

Abgesehen von der soeben angesprochenen Bestimmung des Art. 8 Abs. 3 EuZVO enthält die Verordnung keine Regelung zur Heilung von Zustellungsfehlern; hier fehlt es an Rechtsklarheit.

f)  Der Europäische Gerichtsatlas 99

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Aufgabe des Europäischen Gerichtsatlas ist es, Informationen über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten bereitzustellen. Insbesondere erlaubt die Website die Identifikation der zuständigen Übermittlungs- und Empfangsstellen und eröffnet den Zugang zu Mitteilungen der Mitgliedstaaten zur EuZVO. Die Website enthält ferner elektronische Eingabemasken für die Formblätter in Anhang I und II EuZVO und ermöglicht es, vor dem Ausdrucken die Sprache der Formularmaske zu ändern. Grundsätzlich handelt es sich hierbei um eine äußerst hilfreiche Maßnahme zur Vereinfachung der Rechtshilfe. Leider sind die von den Mitgliedstaaten



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hinterlegten Informationen teilweise veraltet bzw. sehr vage.230 Illustrieren lässt sich dies am Beispiel der Angaben zur Zulässigkeit der unmittelbaren Zustellung gemäß Art. 15 EuZVO. Zahlreiche Mitteilungen sind noch an Art. 15 EuZVO (2000) orientiert,231 welcher es den Mitgliedstaaten ermöglichte, einen allgemeinen Vorbehalt gegenüber der unmittelbaren Zustellung aus dem Ausland zu erklären. Die Option eines solchen Vorbehalts sieht Art. 15 EuZVO (2007) nicht mehr vor: Eine unmittelbare Zustellung ist erlaubt, wenn der Parteibetrieb nach der lex fori für innerstaatliche Zustellungen zulässig ist. Folglich ist die unmittelbare Zustellung in England und Wales entgegen den Informationen im Europäischen Gerichtsatlas zulässig, da CPR 6.4 Abs. 1 lit. b, 6.21 Abs. 1, Abs. 2 lit. b die Zustellung im Parteibetrieb weitgehend freigeben. Wenig hilfreich ist beispielsweise die Mitteilung Schwedens, die unmittelbare Zustellung sei „nach schwedischem Recht gegebenenfalls zulässig“. Hier besteht noch deutliches Verbesserungspotential.

2.  Vereinheitlichung der Zustellungsformen Die Verordnungen der zweiten Generation setzen einen gewissen Anreiz zur Einführung verfahrensrechtlicher Standards in den Prozessordnungen der Mitgliedstaaten. Die in Art. 13 bis 15 EuVTVO, Art. 13 bis 15 EuMahnVO für die Zustellung fixierten Standards sind freilich sehr niedrig angesetzt und treten neben das Zustellungsrecht der lex fori. Als Modell für eine umfassende Harmonisierung des Zustellungsrechts innerhalb der Europäischen Union sind diese Bestimmungen nur bedingt geeignet, da es teilweise an einer Sicherstellung des rechtlichen Gehörs fehlt und die fehlende Verzahnung mit den Bestimmungen der EuZVO kritikwürdig ist. Art. 13 Abs. 1 EuGFVO setzt für Verfahren in Bagatellsachen auf die kostengünstige Zustellung auf dem Postweg mit Empfangsbestätigung, erlaubt aber subsidiär den Rückgriff auf andere, insbesondere auch auf weniger sichere Zustellungsformen i. S. d. Art. 13, 14 EuVTVO. Art. 18 EuVTVO enthält eine adäquate Anlage zur Entwicklung eines europäischen Heilungsgrundsatzes.

230 

So auch Ontanu/Pannebakker, Erasmus Law Review 5 (212), 169 (174). lässt sich dies entweder an der Formulierung (z. B. Rumänien: „widersetzt sich der Möglichkeit der unmittelbaren Zustellung“, Luxemburg: Gegenseitigkeitserfordernis) oder an der Tatsache, dass auf Art. 15 Abs. 1 EuZVO verwiesen wird, obgleich Art. 15 EuZVO (2007) – im Gegensatz zu Art. 15 EuZVO (2000) nicht über eine Absatzuntergliederung verfügt. 231  Erkennen

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II. Reform 102

Ausgehend von den hier identifizierten Defiziten werden im Folgenden einige konkrete Änderungsvorschläge unterbreitet, bevor ein Blick auf die allgemeine Entwicklung des europäischen Zustellungsrechts geworfen wird.

1.  Änderungen der EuZVO a)  Abgrenzung von Inlands- und Auslandszustellung 103

Im Zuge der Fortentwicklung des europäischen Zustellungsrechts nötigt die EuGH-Entscheidung in der Rechtssache Alder zu einer autonomen Definition des Zustellungsorts, um die Zulässigkeit einer Inlands- bzw. die Erforderlichkeit einer Auslandszustellung zu bestimmen. Art. 13 bis 15 EuVTVO bzw. EuMahnVO bieten sinnvolle Anhaltspunkte: Eine Inlandszustellung sollte im Sinne der Zustellungseffektivität für zulässig erachtet werden, sofern das Schriftstück dem Adressaten oder seinem Bevollmächtigten entweder im Inland persönlich übergeben werden kann oder eine inländische Privatanschrift bzw. inländische Geschäftsräume existieren.232 Um einer Umgehung des Zurückweisungsrechts wegen fehlender Sprachkenntnisse vorzubeugen, sollte die Zuweisung des Sprachrisikos vom Ort der Zustellung entkoppelt werden.

b)  Verbesserung der Übermittlungswege 104

Für die Zustellung nicht verfahrenseinleitender Dokumente lässt sich erwägen, eine unionsautonome Zustellungsform der elektronischen Übermittlung einzuführen.233 Ob hier Effizienzpotential brachliegt, ist zum derzeitigen Zeitpunkt zweifelhaft. Bei einer Empfangsbestätigung per eMail kann nur eine digitale Signatur sicherstellen, dass die Bestätigung tatsächlich vom Zustellungsadressaten stammt.234 Angesichts der relativ geringen Verbreitung digitaler Signaturen dürfte eine solche elektronische Zustellung am ehesten gegenüber Anwälten in Betracht kommen. An Prozessbevollmächtigte im Forumstaat ist freilich ohnehin eine Inlandszustellung möglich bzw. – abhängig von der lex fori – sogar geboten, so dass auf eine Auslandszustellung im Wege des eMailVerkehrs verzichtet werden kann. Geeigneter erscheint die eMail-Kommunikation für die Zurückweisung der Zustellung wegen fehlender Sprachkenntnisse, da das Fälschungsrisiko hier als gering einzustufen sein dürfte. Im Interesse des Zustellungsadressaten sollte eine Pflicht zur Empfangsbestätigung der die Zurückweisung empfangenden Behörde eingeführt werden. 232 Ebenso

Schack in FS Geimer, S. 943. Hess, EuZPR, § 8 Rn. 25. Zu entsprechenden Pilotprojekten siehe Europäische Kommission, Report on the Application of Regulation (EC) No 1393/2007, COM (2013) 858, S. 5. 234  Zu Art. 13 Abs. 1 lit. f EuVTVO siehe Rauscher, EuVT, Rn. 115; Papst in Rauscher, EuZPR, Art. 13 EG-VollstrTitelVO Rn. 19; Schlosser, EU-ZPR Art. 13 VTVO Rn. 5. 233 Dafür



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Ein völlig anderer Aspekt ist die Option einer Zustellung per eMail oder in sozialen Medien, sofern die Anschrift des Zustellungsadressaten unbekannt und nicht in zumutbarer Weise ermittelbar ist. Schweigt der Zustellungsadressat auf die über eMail oder mittels sozialer Medien erfolgte Bitte um Preisgabe einer ladungsfähigen Anschrift, so nimmt er die Vornahme einer fiktiven Inlandszustellung billigend in Kauf. Dennoch wäre eine Übermittlung der Klage bzw. des Urteils auf elektronischem Wege zwecks Sicherstellung des rechtlichen Gehörs sinnvoll. Vom Anwendungsbereich der EuZVO sind Zustellungen bei unbekannter Anschrift des Adressaten bislang allerdings nicht erfasst. Zukunftsträchtig erscheint für die grenzüberschreitende Zustellung der durch die Verordnungen der zweiten Generation eingeschlagene Weg, die Amtszustellung und die Parteizustellung als Alternativen (nach Maßgabe der lex fori) bereitzuhalten.235 Als Kompensation für eine gegebenenfalls entfallende Amtszustellung ist die Warnfunktion der Zustellung sicherzustellen durch Belehrungen des Adressaten entsprechend Art. 16 und 17 EuVTVO.

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c)  Das Zurückweisungsrecht wegen Sprachunkundigkeit De lege ferenda gibt es zahlreiche Möglichkeiten, das Zurückweisungsrecht wegen fehlender Sprachkenntnisse besser zu gestalten. Sinnvoll wäre zunächst eine explizite Regelung des Annahmeverweigerungs- bzw. Rücksenderechts bei fehlenden Sprachkenntnissen. Die Modalitäten der Belehrung und Ausübung des Zurückweisungsrechts bei der Zustellung auf dem Postwege und der Parteizustellung sollten zum Zwecke der Rechtsklarheit kontextbezogen und eindeutig in Art. 14, 15 EuZVO geregelt werden. Bei der Parteizustellung gerichtlicher Schriftstücke empfiehlt sich aus Beweisgründen die Zurückweisung der Zustellung sowohl gegenüber der zustellenden Partei als auch gegenüber dem Gericht. Das Belehrungs- und Annahmeverweigerungsformular gemäß Anhang II EuZVO ist deutlicher zu gestalten, um den Empfänger vor dem möglichen Rechtsverlust bei Nichtbeachtung des fremdsprachigen Schriftstücks zu warnen und die Maßgeblichkeit der Sprachkenntnisse des Zustellungsadressaten hervorzuheben. Es empfiehlt sich ferner ein Hinweis auf das erforderliche Sprachniveau sowie eine Klärung der Zurechnung von Sprachkenntnissen innerhalb von Unternehmen. Die Rücksendung des Formulars sollte als ausreichend erachtet werden, eine Rücksendung des zugestellten 235  Stroschein, Parteizustellung, S. 240 ff., 255 ff.; Sharma, Zustellungen, S. 170 f.; Hess, EuZPR, § 8 Rn. 23; Gottwald in FS Schütze, S. 235; a. A. Roth in Stein/Jonas, ZPO, § 183 Rn. 4; Schack, IZVR, Rn. 691 m. w. N. Theoretisch hätten es die Mitgliedstaaten ohnehin in der Hand, Vorbehalte anderer Mitgliedstaaten gegen eine Parteizustellung zu umgehen, indem sie Rechtsanwälte als Übermittlungsstellen i. S. d. Art. 2 Abs. 1 EuZVO designieren. Dies ist derzeit in keinem Mitgliedstaat der Fall, unzutreffend Rauscher in MüKo ZPO, Anh. §§ 1067 ff. Art. 8 Rn. 3.

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Schriftstücks scheint entbehrlich. Fristbeginn (Zustellung) und Fristende (Datum der Rücksendung) für die Ausübung des Zurückweisungsrechts sind klar zu definieren. Die Frist selbst ist deutlich zu verlängern, um eine fristgerechte Zurückweisung auch in Fällen der Ersatzzustellung nicht utopisch erscheinen zu lassen. Bei entsprechender Verlängerung der Frist – etwa auf vier Wochen – erscheint der Verzicht auf eine spezielle Wiedereinsetzungsbestimmung angesichts der mit einem grenzüberschreitenden Wiedereinsetzungsantrag verbundenen Probleme (supra Rn. 36) vertretbar. Schließlich bedarf es einer expliziten Klarstellung, dass eine Zustellung ohne beigefügte Belehrung über das Zurückweisungsrecht unwirksam ist. Erfolgt nach Zurückweisung wegen Sprachunkenntnis eine neuerliche Zustellung des Schriftstücks unter Beifügung einer Übersetzung, sollte das Datum des ersten Zustellungsversuchs im Verhältnis zum Antragsteller nur dann maßgeblich sein, wenn dieser den ersten Zustellungsversuch in schutzwürdigem Vertrauen auf vorhandene Sprachkenntnisse des Empfängers veranlasst hatte. Schließlich bedarf es einer expliziten Frist für die Zustellung einer Übersetzung nach Annahmeverweigerung, welche vom Prozessgericht bei Bedarf verlängert werden kann. Wird die oben (Rn. 103) vorgeschlagene Entkoppelung des Zustellungsortes von der Zustellungssprache verfolgt, bedarf es der Einführung eines Zurückweisungsrechts wegen fehlender Sprachkundigkeit bei bestimmten Inlandszustellungen. Soll eine grundsätzlich erforderliche Auslandszustellung durch eine persönliche Zustellung im Inland ersetzt werden, ist dem Zustellungsadressaten ein Zurückweisungsrecht wegen fehlender Sprachkundigkeit zuzubilligen. Ebenso lässt sich erwägen, ein entsprechendes Zurückweisungsrecht für Zustellungen an eine inländische Niederlassung einzuführen, sofern die Streitigkeit nicht aus dem Betrieb dieser Niederlassung rührt. Letztere Entscheidung ist im Kontext mit der allgemeinen Regelung zur Zurechnung von Sprachkenntnissen innerhalb eines Unternehmens zu treffen.

d)  Das Problem der Sprachenvielfalt 110

Ungeachtet der Existenz eines Zurückweisungsrechts bei fehlender Sprachkundigkeit des Adressaten stellt die Sprachenvielfalt innerhalb der Union den Zustellungsempfänger vor hohe Herausforderungen. Einerseits mag das Verständnis von Gerichtsdokumenten und Schriftsätzen, die an die formalen Anforderungen des Gerichtsstaats angepasst sind, auch dem sprachkundigen Empfänger schwerfallen. Andererseits ist die Qualität der Übersetzung rechtlicher Schriftstücke oft zweifelhaft. Die Europäische Kommission verfolgt das Ziel der Entwicklung juristischer Übersetzungssoftware, um eine oberflächliche Orientierung über ein in fremder Sprache verfasstes Dokument



F. Würdigung

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zu ermöglichen.236 Qualitativ hochwertige Übersetzungssoftware dürfte auf lange Sicht Zukunftsmusik bleiben. Kurz- und mittelfristig bietet sich der vom Verordnungsgeber zunehmend beschrittene Weg an, in allen Amtssprachen der Union verfügbare Formblätter zur grenzüberschreitenden Kommunikation zu verwenden. Die in Anhang I EuZVO enthaltenen Formblätter sind allein zur Kommunikation im Rechtshilfeverkehr konzipiert; ferner steht das Formular zur Belehrung des Adressaten über das Annahmeverweigerungsrecht in Anhang II EuZVO mehrsprachig zur Verfügung. Hier besteht noch deutliches Entwicklungspotential, um die durch die Sprachenvielfalt in der Union resultierenden Probleme zu minimieren. So ließe sich in Anlehnung an das in Anhang I EuMahnVO enthaltene Formular zum Antrag auf Erlass eines Europäischen Zahlungsbefehls ein Formular entwickeln, welches die Gläubiger- und Schuldnerposition, das angerufene Gericht sowie Höhe und Grundlage der Forderung(en) kurz bezeichnet und der Klage beigefügt werden könnte. Auf diesem Weg würde sichergestellt, dass der Empfänger über die wesentlichen Grundzüge der Klage informiert wird, auch wenn er nur vermeintlich sprachkundig ist, die rechtzeitige Zurückweisungserklärung versäumt oder eine qualitativ minderwertige Übersetzung erhalten hat. Ein entsprechendes Form-Vorblatt könnte der Auslandszustellung von Urteilen beigefügt werden. Der Einsatz von Formblättern wäre ferner nützlich für Termins- und Zeugenladungen. Schließlich sollten die Mitgliedstaaten verpflichtet werden, Modellübersetzungen der nach ihrem Prozessrecht maßgeblichen Rechtsbelehrungen zur Verfügung zu stellen, um zumindest insoweit eine hohe Qualität der Übersetzung sicherzustellen. Auf diesem Wege kann auch ohne eine aus Kompetenzgründen unzulässige Standardisierung der Prozesshandlungen selbst237 das Sprachenproblem am Schopfe gepackt werden.

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e)  Heilung von Zustellungsfehlern Einzuführen ist eine autonome Bestimmung zur Heilung förmlicher Zustellungsfehler aufgrund tatsächlicher Kenntnisnahme des Adressaten. In lockerer Anlehnung an Art. 18 Abs. 2 EuVTVO sollte eine Heilung von Zustellungsmängeln erfolgen, sofern der Adressat das zuzustellende Schriftstück nachweislich so rechtzeitig persönlich erhalten hat, dass er sein Recht zur Zurückweisung wegen fehlender Übersetzung nach Art. 8 EuZVO wahrnehmen und anderweitige Vorkehrungen für sein rechtliches Vorbringen treffen konnte. Die Unmaßgeblichkeit von Zustellungsfehlern aufgrund anderer Ereignisse, ins236  Mitteilung der Kommisison v. 30. 05. 2008: Eine europäische Strategie für die e-Justiz, KOM (2008) 329, S. 9 f. 237  Für eine Standardisierung der Prozesshandlungen und somit eine Vereinheitlichung der Prozesrechte Hess, EuZPR, § 3 Rn. 75; skeptisch Mankowski in FS Kaissis, S. 609: „pure Utopie“.

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besondere der Zustellungsvereitelung oder späterer Prozesshandlungen sollte ausdrücklich der lex fori des Prozessgerichts überantwortet werden.

2.  Änderungen in EuVTVO, EuMahnVO und EuGFVO 113

Soweit die Verordnungen der zweiten Generation eine Harmonisierung des Zustellungsrechts der Mitgliedstaaten auf freiwilligem Wege intendieren, sollten sie sich auf Zustellungsformen beschränken, welche die Wahrung des rechtlichen Gehörs sicherstellen. Zudem bedarf es einer besseren Verzahnung mit den Bestimmungen der EuZVO: Der Schutz eines sprachunkundigen Empfängers muss auch in Vollstreckbarkeitsverfahren gewährleistet werden, die auf den Anerkennungsversagungsgrund des verfahrensrechtlichen ordre public verzichten. Eine Bestätigung einer Entscheidung als Europäischer Vollstreckungstitel und die Ausstellung eines Europäischen Zahlungsbefehls sind zu versagen, sofern die Auslandszustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks nicht den Bestimmungen der EuZVO entsprach. Auch im Rahmen des Heilungstatbestands des Art. 18 Abs. 1 EuVTVO sollte Art. 8 EuZVO Berücksichtigung finden. Art. 6 Abs. 3 EuGFVO ist an Art. 8 EuZVO anzupassen; insbesondere bedarf es einer Belehrung des Zustellungsadressaten über sein Zurückweisungsrecht.

3. Perspektiven 114

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Das gemeineuropäische Zustellungsrecht bietet derzeit das Bild zweier sich geringfügig überschneidender Kreise, umgeben von sehr viel freiem Raum. Regelungen zur grenzüberschreitenden Zustellung stehen neben Ansätzen zur Vereinheitlichung der Zustellungsmodalitäten. Zahlreiche Aspekte bleiben den ergänzend heranzuziehenden innerstaatlichen Rechtsordnungen überlassen (Erfordernis einer förmlichen Zustellung, Zustellungsort, Empfangsbevollmächtigte, Ersatzzustellung, Heilung). Kollisionsnormen fehlen weitgehend. Diese komplexe Gemengelage fördert Rechtsanwendungsfehler,238 welche allerdings aufgrund des in Art. 45 Abs. 1 lit. b EuGVO und Art. 18 EuVTVO niedergelegten Zweckerreichungsgrundsatzes der grenzüberschreitenden Vollstreckung nicht zwingend entgegenstehen (infra § 16 Rn. Rn. 76 ff.). Das Zustellungsrecht wird aufgrund seiner Technizität zu Recht als Kandidat für einen Beginn der Vereinheitlichung der Verfahrensrechte der Mitgliedstaaten identifiziert. Doch obgleich der Verlust an Rechtskultur in diesem Bereich gering erscheint,239 belegen Art. 15 EuZVO und die Mitteilungen der Mitgliedstaaten zur unmittelbaren Zustellung, dass die Aufgabe tradierter 238  Mankowski, IPRax 2009, 180; Hess, EuZPR, § 8 Rn. 27; Schack, IZVR, Rn. 691; Sujecki in Gebauer/Wiedmann, Kap. 30 Rn. 9; Storskrubb, Civil Procedure, S. 112. 239 Zutreffend Hess, NJW 2002. 2417 (2426).



F. Würdigung

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Konzepte auch im Zustellungsrecht kein Selbstläufer ist.240 Die Versuche, eine Vereinheitlichung der Zustellungsmodalitäten „durch die Hintertür“ einzuführen, namentlich durch eine Begünstigung der Auslandsvollstreckung bei Einhaltung bestimmter Verfahrensstandards im Erkenntnisverfahren, waren zwar teilweise politisch erfolgreich (EuVTVO, EuMahnVO), als nicht vermittelbar erwies sich eine entsprechende Vorgehensweise bei Erlass der EuUnterhVO.241 Methodenehrlicher und der Rechtssicherheit zuträglicher wäre es, autonome Regelungen für Zustellungsmodalitäten in einem europäischen Rechtsakt aufzustellen.242 Für Verfahren, die dem Anwendungsbereich der EuGVO unterliegen, entfällt der Anreiz der günstigeren Auslandsvollstreckung künftig ohnehin, da auch die EuGVO (2012) auf ein Exequaturverfahren verzichtet (näher § 16 Rn. 33). Angesichts der fehlenden Kompetenz für eine umfassende Harmonisierung des Zustellungsrechts im Richtlinienwege243 kommt allein eine Fortentwicklung des Rechts der grenzüberschreitenden Zustellungen in der EuZVO in Betracht. Hier könnten einheitliche Zustellungsmodalitäten und ein einheitliches Zustellungszeugnis244 entwickelt werden sowie diejenigen Schriftstücke definiert werden, die im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr auf jeden Fall zustellungsbedürftig sind.245 Denkbar sind auch einheitliche Bestimmungen zur Zulässigkeit einer fiktiven Inlandszustellen bei unbekannter Adresse (erforderliche Ermittlungsbemühungen,246 parallele elektronische Übermittlung per eMail oder über soziale Netzwerke). Das autonome Zustellungskonzept der EuZVO könnte sodann als Rechtsmodell für eine freiwillige Harmonisierung des Zustellungsrechts durch die Gesetzgeber der Mitgliedstaaten fungieren.

240 

Kritisch auch Crifo, CJQ 2011, 283 (301 ff.). Art. 22 des Vorschlags der Europäischen Kommission für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit und das anwendbare Recht in Unterhaltssachen, die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen und die Zusammenarbeit im Bereich der Unterhaltspflichten, KOM (2005) 649. 242  Für eine Vereinheitlichung der Zustellungsformen auch Hess/Bittmann, IPRax 2008, 205 (312); Schack, IZVR, Rn. 688; Rauscher in FS Kropholler, S. 865. 243  Für eine Richtlinie plädiert Rauscher in FS Kropholler, S. 865. 244  Zu den fehlenden Standards europäischer Postzertifikate und den daraus resultierenden Problemen in der Praxis siehe Europäische Kommission, Report on the Application of Regulation (EC) No 1393/2007, COM (2013) 858, S. 13 f. 245 Siehe Europäische Kommission, Report on the Application of Regulation (EC) No 1393/2007, COM (2013) 858, S. 6. 246  Europäische Kommission, Report on the Application of Regulation (EC) No 1393/2007, COM (2013) 858, S. 7 f. 241  Siehe

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§ 15  Zugang zu im Ausland belegenen Beweismitteln A.  Beweisaufnahme und Beweismittelzugang in grenzüberschreitenden Verfahren 1

„Eine alte Erfahrung lehrt: Im Prozess kommt ein Lot Rechtsfragen auf einen Zentner Tatsachen“.247 Das Verhältnis zwischen Rechts- und Tatfragen in Streitsachen mit internationalem Bezug ist aufgrund komplexer Fragen des internationalen Privat- und Zivilverfahrensrechts meist nicht so unausgewogen, wie dieses Zitat impliziert. Dennoch ist die Klärung der Sachlage selbstverständlich auch in einem Verfahren mit grenzüberschreitendem Bezug von eminenter Bedeutung. Sind die für einen Prozess wesentlichen Beweismittel in einem anderen Staat belegen, stellen sich für Gericht und Parteien zwei Hürden. Die erste Hürde liegt in den Divergenzen zwischen dem Beweisrecht der lex fori und dem Beweisrecht des oder der anderen betroffenen Staaten. Dies betrifft namentlich die unterschiedliche Steuerungsfunktion, welche Gericht und Parteien bei der Sachverhaltsaufklärung vor und in der mündlichen Verhandlung zugewiesen ist; weiterhin den Zugang zu Informationen aus der gegnerischen Sphäre, Zeugnispflichten der Parteien, Zeugnis- und Editionsverweigerungsrechte sowie den Grad der Formalisierung der Beweisaufnahme.248 Die zweite Hürde ist die völkerrechtliche Souveränität: Die Beweisaufnahme im Ausland bzw. die Beschaffung im Ausland belegener Beweismittel zwecks Verwertung durch das Prozessgericht kann die Gebietshoheit desjenigen Staates tangieren, in dem sich das Beweismittel befindet.249 Diese Hürden gilt es, zu überwinden, denn das durch Art. 47 GRCh, Art. 6 EMRK geschützte Recht auf Beweis250 orientiert sich nicht an Landesgrenzen.5 247 

Jauernig/Hess, Zivilprozessrecht, § 23 Rn. 5. Hess, EuZPR, § 8 Rn. 30 m. w. N. Einen kurzen Überblick über das Beweisrecht der Mitgliedstaaten bietet Bajons in Nagel/Bajons, Beweis-Preuve-Evidence, S. 815 ff. Zur engen Verknüpfung der Behauptungs- und Beweislast mit der lex causae siehe näher Schack, IZVR, § 15 Rn. 737 ff. 249  Leipold, Lex fori, 1989, 40 ff.; Stadler in Musielak, § 363 ZPO Rn. 1. 250  Art. 47 GRCh, Art. 6 EMRK garantieren zwar nicht explizit ein Recht auf Beweis, doch impliziert der Grundsatz des fairen Verfahrens und der Waffengleichheit, dass jede Partei eines Zivilverfahrens eine angemessene Möglichkeit erhält, ihren Vortrag durch Beweise zu substantiieren, vgl. EGMR v. 27. 10. 1993 – 14448/88 – NJW 1995, 1413 f. (Dombo Beheer/Niederlande); EGMR v.  18. 06. 2002  – 24541/94 (Wierzbicki/Polen), Rn. 39; EuGH 248 



A.  Beweisaufnahme und Beweismittelzugang in grenzüberschreitenden Verfahren583

Seit Jahrzehnten bestehen aus den genannten Gründen spezifische Rechtshilfeübereinkommen zur Beweisaufnahme im Ausland.252 Seit dem Jahr 2004 wird die Rechtshilfe innerhalb der Europäischen Union durch die Verordnung über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen (EuBVO) geregelt,253 welche inhaltlich eine Weiterentwicklung des Haager Beweisübereinkommens (HBÜ) darstellt. Befindet sich ein Beweismittel im EU-Ausland, hat das Prozessgericht drei Verfahrensoptionen:254 1. die unmittelbare Beweisaufnahme des Prozessgerichts im Ausland im Wege der passiven Rechtshilfe, 2. die Beweisaufnahme durch ein ausländisches Rechtshilfegericht im Wege der aktiven Rechtshilfe, 3. die extraterritoriale Beweisbeschaffung bzw. der Beweismittelimport.

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Ob eine Tatsache beweisbedürftig ist und ob Beweisvorlagepflichten oder Zeugnispflichten bestehen, entscheidet das Prozessgericht nach Maßgabe des anwendbaren Sachrechts und dem Verfahrensrecht der lex fori.255 Die lex fori bestimmt ferner, welcher der drei genannten Vorgehensweisen das Prozessgericht folgt. Ein deutsches Gericht trifft diese Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung des formalen Unmittelbarkeits­grundsatzes.256

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v.  10. 04. 2003  – C-276/01, Slg. 2003, I-3735 (Steffensen), Rn. 75 ff.; Hess/Müller, ZZPInt 6 (2001), 149 (170 ff.) m. w. N.; Ubertazzi, GRUR Int. 2008, 807 (814); Huber in Gebauer/ Wiedmann, Kapitel 31 Rn. 24; Hau in Marauhn, S. 21 f. Ein aus Art. 6 EMRK ableitbares Recht auf Beweis ablehnend Knöfel, EuZW 2008, 267 (270); ders. in Geimer/Schütze, Int. RV, Einl. B Vor I 30 b Rn. 35. 251  Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 1 A. 4, Rn. 1; näher Müller, Beweisaufnahme, S. 13 ff. 252  Haager Übereinkommen über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- oder Handelssachen v. 18. März 1970 (BGBl. 1977 II 1452; 1979 II 780; 1991 II 1396; 1993 II 739; 1995 II 77); Haager Übereinkommen über den Zivilprozess v. 1. März 1954 (BGBl. 1959 II 576; 1959 II 1388); daneben treten diverse bilaterale Staatsverträge. 253  Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 des Rates vom 28. Mai 2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen, ABl. EG Nr. L 174/1 v.  27. 06. 2001. Die Verordnung findet im Verhältnis zu Dänemark keine Anwendung, vgl. Art. 1 Abs. 3 EuBVO. 254  Im Anwendungsbereich des HBÜ lässt sich schließlich auf die Beweisaufnahme durch diplomatische oder konsularische Vertreter gemäß Art. 15 f. HBÜ zurückgreifen, die aber angesichts der in der EuBVO enthaltenen Möglichkeit der unmittelbaren Beweisaufnahme im Ausland kaum Bedeutung hat, vgl. Nuyts/Sepulchre, [2004] Bus. L. Intl. 305 (320); Jastrow, IPRax 2004, 11 (12); Leipold, R. L. R. 2003, 85 (90); Knöfel in Geimer/Schütze, IRV, B Vor I 30 b, Art. 21 Rn. 7; einen Rückgriff auf das HBÜ ablehnend Schulze, IPRax 2001, 527 (528). 255  Sayers v Smithkline Beecham, [2004] EWHC 1098 (QB), Rn. 9; Huber in Gebauer/ Wiedmann, Kapitel 31 Rn. 123. 256  Hierzu ausführlich Musielak in FS Geimer, S. 762 ff.; Schulze, IPRax 2001, 527 (532); ferner Knöfel in Geimer/Schütze, IRV, B Vor I 30 b, Art. 17 Rn. 4; Huber in Gebauer/Wiedmann, Kapitel 31, Rn. 36 m. Fn. 117; Schlosser, EU-ZPR, Art. 1 EuBVO Rn. 3; v.  Hein in

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§ 15  Zugang zu im Ausland belegenen Beweismitteln

Die englischen Gerichte haben bei ihrer Entscheidung das overriding principle der gerechten Verfahrenserledigung gemäß CPR 1 zu berücksichtigen.257 Ursprünglich im Ausland belegene Beweismittel mögen auch auf andere Weise ihren Weg in ein Verfahren finden, beispielsweise weil eine der Parteien im Rahmen eines ausländischen Parallelverfahrens Zugriff auf sie erhalten hat oder (z. B. im digitalen Umfeld) eine Ermittlungsagentur mit deren Beschaffung beauftragt hat.258 Unabhängig von der Art der Beweisbeschaffung oder Beweisaufnahme entscheidet über Verwertbarkeit und Verwertung die lex fori des Gerichts der Hauptsache.259

B.  Aktive und passive Rechtshilfe gemäß der EuBVO I.  Anwendungsbereich der EuBVO 1.  Rechtshilfeersuchen zwischen mitgliedstaatlichen Gerichten 5

Die EuBVO findet Anwendung, wenn das Gericht eines Mitgliedstaats260 in einer Zivil- oder Handelssache die zuständigen Stellen eines anderen Mitgliedstaats um Rechtshilfe bei der Beweisaufnahme ersucht.261 Es kann hierzu entweder das zuständige Gericht eines anderen Mitgliedstaats um Durchführung der Beweisaufnahme bitten (aktive Rechtshilfe) oder den Antrag stellen, unmittelbar in einem anderen Mitgliedstaat Beweis erheben zu dürfen (passive Rauscher, EuZPR, Art. 1 EG-BewVO Rn. 36 ff.; Hess/Müller, ZZPInt 6 (2001), 149 (173 f.); Leipold in FS Schlechtriem, S. 104 f.; für einen Vorrang der unmittelbaren Beweisaufnahme gemäß Art. 17 EuBVO Stadler in FS Geimer, S. 1305; für einen Vorrang der Inlandsbeweisaufnahme (vorbehaltlich einer unmittelbaren Beweisaufnahme im Ausland) Bach, BeckOK ZPO, § 363 ZPO Rn. 5 m. w. N. 257  Allgemeine Erwägungen zur Ermessensausübung finden sich bei McClean, Co-operation, S. 126 ff. In Dendron v University of California, [2005] 1 WLR 200 (204) (Pat) ordnete Laddie J ein Rechtshilfeersuchen an, weil der in Deutschland ansässige Zeuge zwar aussagebereit war, aber zwecks Wahrung seiner Neutralität kein witness statement in Kooperation mit den Parteianwälten anfertigen wollte. 258  Hierzu BGH v. 12. 05. 2010 – I ZR 121/08 – NJW 2010, 2061 (2063) (Sommer unseres Lebens); OLG Hamburg v. 03. 11. 2010 – 5 W 126/10 – MMR 2011, 281 (282); Knöfel in FS Simotta, S. 337. 259  OLG Hamburg v. 29. 09. 1999 – 8 W 235/99 – IPRax 2000, 530; Schlosser-Bericht, ABl. Nr. C 59/127 v. 05. 03. 1979; Ahrens in FS Schütze, S. 12 f.; Grabinski in FS Schilling, S. 196; Stadler in FS Geimer, S. 1303 f.; Mankowski, JZ 2005, 1144 (1147); Knöfel in FS Simotta, S. 341; Schack, IZVR, Rn. 492; Schütze, Rechtsverfolgung, Rn. 308 f.; Nagel/Gottwald, IZPR, § 17 Rn. 88; Huber in Gebauer/Wiedmann, Kap. 31 Rn. 31 m. w. N.; a. A. (Anerkennung des Beweisergebnisses über Art. 36 EuGVO möglich) Treichel, GRUR Int. 2001, 690 (698); wohl auch Schlosser in Hess/Pfeiffer/Schlosser-Bericht, Rn. 773. 260  Nach Art. 1 Abs. 3 EuBVO umfasst der Begriff des Mitgliedstaats alle Mitgliedstaaten außer Dänemark. Zum Begriff des „Gerichts“ vgl. Knöfel in Geimer/Schütze, IRV, B Vor I 30 b, Art. 1 Rn. 18 ff. 261  Art. 1 Abs. 1 EuBVO.



B.  Aktive und passive Rechtshilfe gemäß der EuBVO

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Rechtshilfe). Zweck des Ersuchens muss die Verwendungsabsicht in einem bereits eröffneten oder zu eröffnenden Verfahren sein.262 Der Begriff der Zivil- und Handelssache deckt sich mit jenem der EuGVO263 und erfasst komplikationslos Rechtsstreitigkeiten über die Durchsetzung gewerblicher Schutzrechte.264

2.  Definition des Begriffs „Beweisaufnahme“ Nicht näher definiert ist der Begriff der Beweisaufnahme. Die in der Verordnung verschiedentlich genannten Beispiele265 bezeugen, dass der Begriff autonom zu interpretieren ist, losgelöst von den Konzeptionen der Beweisaufnahme oder den zulässigen Beweismitteln im Recht des ersuchten bzw. ersuchenden Staates, zumal der Begriff der Beweisaufnahme den Anwendungsbereich des Unionsrechtsakts umschreibt.266 Das Verordnungsziel der Vereinfachung und Beschleunigung der justiziellen Kooperation spricht für eine weite Interpretation des Terminus Beweisaufnahme.267 Maßgeblich ist die Vornahme eines oder mehrerer Schritte in dem Prozess der Tatsachenfeststellung, welcher der Überzeugungsfindung des ersuchenden Gerichts im Erkenntnisverfahren dient.268 Beispielsweise handelt es sich bei der Begutachtung eines Gegenstands durch einen Sachverständigen um eine Beweisaufnahme, auch wenn nach dem 262 

Art. 1 Abs. 2 EuBVO. Berger, IPRax 2001, 522; Huber in Gebauer/Wiedmann, Kapitel 31 Rn. 8; McGuire/ Rechberger, ZZPInt 10 (2005), 81 (86); Hess/Müller, ZZPInt 6 (2001), 149 (151 f.); Alio, NJW 2004, 2706; Nuyts/Sepulchre, [2004] Bus. L. Intl. 305 (309). Besso in Nuyts/Watté, Int’l Litigation, S. 376 hebt demgegenüber hervor, dass die EuBVO keine zu Art. 1 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 EuGVO korrespondierenden Bereichsausnahmen kennt, und tritt für eine weite Auslegung des Anwendungsbereichs ein, welcher alle nicht strafrechtlichen Materien erfassen soll. Dahin tendierend auch Knöfel, EuZW 2008, 267 f., der freilich „Angelegenheit im Kernbereich des Öffentlichen Rechts“ vom Anwendungsbereich der EuBVO ausklammern will. 264  Grabinski in FS Schilling, S. 197. 265  Vernehmung einer Person (Art. 4 Abs. 1 lit. e); Prüfung von Urkunden und anderen Gegenständen (Art. 4 Abs. 1 lit. f.); Stellungnahme eines Sachverständigen (Art. 18 Abs. 3 EuBVO). 266 Generalanwältin Kokott, Schlussanträge v. 18. 07. 2007 – C-175/06 – Slg. 2007, I-7929 (Tedesco), Rn. 42; v. Hein in Rauscher, EuZPR, Art. 1 EG-BewVO, Rn. 14; Ubertazzi, GRURInt. 2008, 807 (811) m. w. N. 267 Generalanwältin Kokott, Schlussanträge v. 18. 07. 2007 – C-175/06 – Slg. 2007, I-7929 (Tedesco), Rn. 43; Knöfel, EuZW 2008, 267 (268); Schlosser, EU-ZPR, Art. 1 EuBVO Rn. 6; Hess/Müller, ZZPInt 6 (2001), 149 (152); Huber in Gebauer/Wiedmann, Kapitel 31 Rn. 24; vgl. auch Bericht der Europäischen Kommission über die Anwendung der EuBVO, KOM (2007) 769, S. 6: Anwendungsbereich der Verordnung sollte nicht durch eine zu enge Auslegung der Verordnung unnötig eingeschränkt werden. 268  Ähnlich Generalanwältin Kokott, Schlussanträge v. 18. 07. 2007 – C-175/06 – Slg. 2007, I-7929 (Tedesco), Rn. 43 f., 55; Nuyts/Sepulchre, [2004] Bus. L. Intl. 305 (312); Tsikrikas in FS Simotta, S. 637 f.; v. Hein in Rauscher, EuZPR, Art. 1 EG-BewVO, Rn. 14; Huber in Gebauer/ Wiedmann, Kapitel 31 Rn. 24; Heinze, IPRax 2008, 480 (481); Knöfel in Geimer/Schütze, IRV, B Vor I 30 b, Art. 1 Rn. 42; zum Ausschluss von Informationsmaßnahmen zwecks Zwangsvollstreckung eines Urteils siehe Rushworth, LMCLQ 2009, 196 (208 f.). 263 

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§ 15  Zugang zu im Ausland belegenen Beweismitteln

Recht des ersuchenden Gerichts die Beweisaufnahme erst durch Vernehmung des Sachverständigen erfolgt.

3.  Beschaffung und Sicherstellung eines Beweismittels 7

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Umstritten ist, ob die EuBVO auf Rechtshilfeersuchen zwecks Beschaffung und Sicherstellung eines Beweismittels Anwendung findet, ob also beispielsweise die Beschlagnahme eines schutzrechtsverletzenden Gegenstands ersucht werden kann, dessen Inaugenscheinnahme durch das Prozessgericht erfolgen soll. Der hier befürwortete weite Begriff der Beweisaufnahme als Vornahme eines oder mehrerer Schritte im Prozess der Tatsachenfeststellung, welcher der Überzeugungsfindung des ersuchenden Gerichts dient, erlaubt es, Maßnahmen zur Beweisgewinnung unter den Anwendungsbereich der EuBVO zu subsumieren.269 Auch Generalanwältin Kokott hat in ihren Schlussanträgen in der Rechtssache Tedesco die Möglichkeit eines solchen Rechtshilfeersuchens befürwortet;270 eine Entscheidung des EuGH erging wegen der Erledigung der Rechtssache nicht. Im Schrifttum wird der Begriff der Beweisaufnahme teilweise enger verstanden: die Beweismittelbeschaffung als reine Vollstreckungshilfe sei von der Anwendung der Verordnung ausgeschlossen.271 Die These vom Ausschluss der Beweismittelbeschaffungsmaßnahmen lässt sich auf einige – dünne – Indizien stützen. Die Bestimmung des Art. 4 Abs. 1 EuBVO, welche den erforderlichen Inhalt des Rechtshilfeersuchens vorgibt, erfordert (in lit. f) allein die Spezifikation derjenigen Urkunden oder Gegenstände, „die geprüft werden sollen“.272 Für die Zwecke eines Ersuchens um Beweismittelbeschaffung wäre die Formulierung „die übermittelt werden sollen“ passender.273 Hervorgehoben wird ferner der Unterschied zur Formulierung 269  Wie hier Sayers v Smithkline Beecham, [2004] EWHC 1098 (Q. B.), Rn. 9 ff.; OLG Bremen v. 20. 01. 2009 – 4 UF 99/08 – NJW-RR 2009, 876 (877); Nuyts/Sepulchre, [2004] Bus. L. Intl. 305 (312, 318); v. Hein in Rauscher, EuZPR, Art. 1 EG-BewVO Rn. 29; Schlosser, EUZPR, Art. 1 EuBVO Rn. 6; Knöfel in Geimer/Schütze, IRV, B Vor I 30 b, Art. 1 Rn. 40 m. w. N. 270 Generalanwältin Kokott, Schlussanträge v. 18. 07. 2007 – C-175/06 – Slg. 2007, I-7929 (Tedesco), Rn. 56: „Voraussetzung für die Durchführung der Beweisaufnahme ist [der] Zugang zu den Beweismitteln […]. Derartige Beweisanordnungen sind also untrennbar mit der Beweisaufnahme verbunden. Dies gilt auch dann, […] wenn die Dokumentation […] oder das Muster dem Gericht erst in der Folge unmittelbar vorgelegt werden.“ Die Rechtssache wurde vor der anstehenden Entscheidung durch den EuGH verglichen. 271  Jayme in FS Geimer, S. 378 f.; Schulze, IPRax 2001, 527 (529); Heinze, RIW 2008, 480 (481); Decker, IPRax 2004, 229 (234). 272  Ebenso die zu Art. 4 Abs. 1 lit. f EuBVO korrespondierende Nr. 12.3 Formblatt A. Ein Ersuchen um Beschaffung von Urkunden oder anderen Gegenstände kann allerdings auch unter Nr. 12.1 Formblatt A erläutert werden, vgl. Nuyts/Sepulchre, [2004] Bus. L. Intl. 305 (312 m. Fn. 34). 273  Nach Auffassung von Knöfel in Geimer/Schütze, IRV, Vor I 30 b, Art. 1 Rn. 40 umfasst der Begriff „Prüfung“ hingegen auch Maßnahmen zur Durchsetzung prozessualer Vorlagepflichten.



B.  Aktive und passive Rechtshilfe gemäß der EuBVO

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des Anwendungsbereichs in Art. 1 Abs. 1 HBÜ, welche neben Ersuchen zum Zwecke der Beweisaufnahme auch Ersuchen zwecks Vornahme „anderer gerichtlicher Handlungen“ umfasst.274 Allerdings ist die Abgrenzung zwischen Beweisaufnahme und anderen gerichtlichen Handlungen i. S. d. Art. 1 HBÜ nicht unstrittig; häufig wird die Beweismittelbeschaffung auch unter den Begriff der Beweisaufnahme subsumiert.275 Zu berücksichtigen ist ferner die deutliche Anlehnung des Art. 4 EuBVO an Art. 3 HBÜ, welcher unstreitig auch die Beschaffung von Urkunden und Augenscheinsobjekten erfasst.276 Der Telos der EuBVO spricht deutlich für eine Subsumtion von Beweisbeschaffungs­maßnahmen unter den Begriff der Beweisaufnahme i. S. d. Art. 1 Abs. 1 lit. a EuBVO. Eine solche Interpretation entspricht dem Ziel der Verordnung, die justizielle Kooperation zwischen den Mitgliedstaaten zum Zwecke der Beweisgewinnung effektiver, d. h. jedenfalls nicht nachteiliger zu gestalten als unter dem HBÜ. Die EuBVO fördert mit dem neu geschaffenen Instrument der unmittelbaren Beweisaufnahme durch das Prozessgericht im Ausland eine unmittelbare Wahrnehmung des Beweismittels durch das mit der Streitentscheidung befasste Gericht. Diesem Ziel dient auch ein Rechtshilfeersuchen zum Zwecke der Beweismittelbeschaffung und -sicherung. Würde die Beweismittelbeschaffung unter der EuBVO versagt, müsste für diese Maßnahmen auf die Bestimmungen des HBÜ zurückgegriffen werden,277 das allerdings nicht von allen Mitgliedstaaten der EU ratifiziert wurde.278 Schließlich belegen die Rechtshilfeoptionen bei der Zeugenvernahme, dass Maßnahmen der Vollstreckungshilfe der EuBVO keineswegs fremd sind: So ist eine Zeugenvernehmung im Wege der Videokonferenz einerseits durch das Prozessgericht zulässig (passive Rechtshilfe), andererseits kann sie durch das 274 

Art. 1 Abs. 1, Abs. 3 HBÜ. Entwurfsfassung des Art. 1 HBÜ enthielt eine Legaldefinition des Begriffs „Beweis“, die auch „the production or examination of documents“ umfasste. Vgl. die Hinweise zur Entstehungsgeschichte und Praxis bei Müller, Beweisaufnahme, S. 92 f.; v. Hein in Rauscher, EuZPR, Art. 1 EG-BewVO Rn. 29 m. w. N. sowie bei McClean, Co-operation, S. 91 f. Auch die Begründung des deutschen Gesetzesentwurfs zum HBÜ, BT-Drucks. 7/4892, S. 52, nennt als Beispiele „anderer gerichtlicher Handlungen“ nicht die Beweismittelbeschaffung, sondern lediglich die Vornahme eines Sühneversuches, die Anhörung der Parteien und die Bekanntgabe einer gerichtlichen Aufforderung oder Mitteilung. 276  Statt aller Panayiotou v Sony Music Entertainment (UK), [1994] Ch. 142 (148 ff.) (Ch) m. w. N. Zwar ist Art. 3 lit. d HBÜ („inter alia“) zu entnehmen, dass die dortige Aufzählung potentieller Inhalte eines Beweisersuchens nicht abschließend ist. In Art. 4 Abs. 1 lit. f EuBVO fehlt ein entsprechender Hinweis. Angesichts des Ziels der EuBVO, die Rechtshilfe zwischen den Mitgliedstaaten effektiver als nach dem HBÜ zu gestalten, ist die Annahme gerechtfertigt, dass es sich hier eher um ein Redaktionsversehen denn um eine intendierte Verschlechterung gegenüber Art. 3 HBÜ handelt. 277  Vgl. Art. 21 EuBVO; Jayme in FS Geimer, S. 378 f.; v.  Hein in Rauscher, EuZPR, Art. 1 EG-BewVO, Rn. 17; Decker, IPRax 2004, 229 (235). 278 Österreich, Belgien und Irland sind keine Vertragsstaaten des HBÜ, vgl. . 275  Die

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§ 15  Zugang zu im Ausland belegenen Beweismitteln

Rechtshilfegericht unter weitgehender Beteiligungsrechte des Prozessgerichts und in Form der lex fori des Prozessgerichts vorgenommen werden (aktive Rechtshilfe).279 Da für die Beweiswürdigung stets die sinnliche Wahrnehmung der Mitglieder des Prozessgerichts entscheidend ist, ist ein Ersuchen um aktive Rechtshilfe bei der Zeugenvernehmung per Videoübertragung nur sinnvoll, wenn es zur Sicherstellung der Zeugenaussage einer Androhung bzw. Durchführung von Zwangsmaßnahmen i. S. d. Art. 13 EuBVO bedarf; denn für die passive Rechtshilfe stehen Zwangsmaßnahmen nicht zur Verfügung. Im Kern wird also Vollstreckungshilfe geleistet. Ist die Vollstreckungshilfe aber in solchen Konstellationen von der Verordnung umfasst, scheint es nicht angemessen, sie in anderen Bereichen vom Anwendungsbereich der EuBVO auszuschließen.

II.  Adressat, Form und Inhalt des Rechtshilfeersuchens 11

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Das Rechtshilfeersuchen ist an eine von dem ersuchten Mitgliedstaat mit dieser Aufgabe betraute Zentralstelle oder sonstige Behörde zu richten, sofern das ersuchende Gericht die Genehmigung zur unmittelbaren Beweisaufnahme im Ausland beantragt (passive Rechtshilfe).280 Für die klassische, aktive Rechtshilfe erlaubt die Verordnung hingegen den unmittelbaren Geschäftsverkehr zwischen den Gerichten, d. h. das ersuchende Gericht sendet seinen Antrag direkt an das zuständige Gericht des Ortes, an dem die Beweisaufnahme durchgeführt werden soll.281 Die Übermittlung von Ersuchen und Mitteilungen soll auf dem schnellstmöglichen Kommunikationsweg erfolgen, mit dem der ersuchte Mitgliedstaat sich einverstanden erklärt hat.282 Unabhängig davon, ob das ersuchende Gericht um aktive oder passive Rechtshilfe bittet, muss das Ersuchen die in Art. 4 Abs. 1 EuBVO spezifizierten Angaben enthalten und auf einem der in der Anlage zur EuBVO enthaltenen Formblätter A oder I erstellt sein.283 Das Ersuchen ist in der Amtssprache des ersuchten Mitgliedstaates abzufassen, sofern dieser nicht Anfragen in anderen Sprachen zugelassen hat, Art. 5 EuBVO.284 Dies gilt auch für die beigefügten 279  Die zu stellenden Fragen werden vom Prozessgericht spezifiziert, dem zudem gestattet werden kann, an der Verhandlung aktiv teilzunehmen. Die Durchführung der Zeugenvernehmung kann in einer bestimmten, von der lex fori des Prozessgerichts vorgesehenen Form beantragt werden. Vgl. Art. 4 Abs. 1 lit. e, 10 Abs. 3, Abs. 4, 13 Abs. 4 EuBVO. 280  Art. 17 Abs. 1, Art. 3 Abs. 3 EuBVO. 281  Art. 2 Abs. 1 EuBVO. 282  Art. 6 EuBVO. 283  Zur obligatorischen Natur der Formblätter siehe Erwägungsgrund 9 EuBVO sowie Knöfel, EuZW 2008, 267 (269). 284  Bei mehreren Amtssprachen ist nach Art. 5 EuBVO die Amtssprache des Ortes maßgeblich, an dem die Beweisaufnahme durchgeführt werden soll. Ersuchen auf passive Rechtshilfe, die an die Zentralstelle gerichtet werden, sind in jeder der Amtssprachen des ersuchten



B.  Aktive und passive Rechtshilfe gemäß der EuBVO

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Schriftstücke. Weitere Formerfordernisses bestehen nicht.285 Die in allen Amtssprachen der Mitgliedstaaten verfügbaren Formblätter erleichtern die Übersetzung der Eckdaten des Ersuchens, etwa die Bezeichnung der Parteien, des ersuchenden bzw. ersuchten Gerichts, der zu vernehmenden Personen,286 bestehende Zeugnisverweigerungsrechte sowie einer etwaig gewünschten Vereidigung oder Partizipation der Parteien bzw. des ersuchenden Gerichts. Auf dem Europäischen Justizportal stehen elektronische Eingabemasken für die Formblätter bereit, wobei die Formularsprache der Eingabemaske vor dem Ausdruck geändert werden kann.287 Bei den komplexeren Bestandteilen des Ersuchens wie der Beschreibung des Rechtsstreits und der durchzuführenden Beweisaufnahme stoßen Formblätter naturgemäß an ihre Grenzen und bedürfen der Ergänzung durch individuelle Ausführungen des ersuchenden Gerichts. Zu diesen Teilen des Ersuchens ist Folgendes anzumerken: Die Bezeichnung von Art und Gegenstand der Rechtssache sowie die gedrängte Darstellung des Sachverhalts (Art. 4 Abs. 1 lit. c EuBVO) beleuchten den Hintergrund des Beweisersuchens und ermöglichen den Gerichten und Behörden des ersuchten Staates die Beurteilung, ob der Anwendungsbereich des Übereinkommens eröffnet ist.288 Bei der nach lit. d erforderlichen Spezifikation der durchzuführende Beweisaufnahme bedarf es angesichts der Unterschiede zwischen den Beweisverfahrensrechten der Mitgliedstaaten einer möglichst konkreten Angabe, bspw. dahingehend, ob eine Augenscheinnahme durch das Gericht oder eine Begutachtung durch einen Sachverständigen gewünscht ist bzw. in welcher Eigenschaft eine bestimmte Person zu befragen ist (als Partei, Zeuge oder Sachverständiger).289 Bei einem Ersuchen um die Vernehmung einer Person sind gemäß lit. e entweder konkrete Tatsachenfragen oder der Sachverhalt, über den die Person vernommen werden soll, aufzunehmen. Ebenso bedarf es der Angabe derjenigen Urkunden oder anderen Gegenstände, die geprüft werden sollen. Unklar ist, mit welchem Konkretisierungsgrad die Bezeichnung des Beweisthemas bzw. des Beweismittels erfolgen muss. Der Verordnung lässt sich leStaates zulässig. Die im jeweiligen Mitgliedstaat für Ersuchen zugelassenen Sprachen sind im Handbuch zur EuBVO ersichtlich, . 285  Art. 4 Abs. 2 EuBVO. 286  Der Begriff der „Person“ umfasst sowohl Zeugen als auch Parteien und Sachverständige. Die in der Anlage befindlichen Formblätter A (Nr. 12.2) und I (Nr. 11.2) verwenden die Formulierung „Vernehmung von Zeugen“. Hieraus ergibt sich keine Einschränkung gegenüber der allgemeineren Formulierung des Art. 4 Abs. 1 lit. e EuBVO. Siehe eingehend Huber in Gebauer/Wiedmann, Kapitel 31 Rn. 73. 287 . 288  Vgl. Art. 14 Abs. 2 lit. a EuBVO; v.  Hein in Rauscher, EuZPR, Art. 4 EG-BewVO, Rn. 7. 289  v. Hein in Rauscher, EuZPR, Art. 1 EG-BewVO, Rn. 8.

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§ 15  Zugang zu im Ausland belegenen Beweismitteln

diglich die Maßgabe entnehmen,290 dass die Beweise zur Verwendung in einem bereits eingeleiteten oder zu eröffnenden gerichtlichen Verfahren bestimmt sein müssen. Dies schließt Ersuchen aus, die über die Beschaffung bestimmter Beweismittel hinausgehend darauf gerichtet sind, potentielle Beweismittel zu ermitteln (trail of enquiry, fishing expeditions).291 Andererseits darf sich das Ersuchen auf die Befragung einer Person zu einem Sachverhalt erstrecken, so dass Vernehmungen mit Ausforschungscharakter nicht ausgeschlossen sind.292 Dies ist insbesondere bei einem Ersuchen auf Genehmigung der unmittelbaren Beweisaufnahme durch das Prozessgericht relevant, da dieses Gericht die Beweisaufnahme nach seinem eigenen Recht erledigt, Art. 17 Abs. 6 EuBVO. Wird aktive Rechtshilfe begehrt, ist es zwecks Erledigung durch das ersuchte Gericht naturgemäß sinnvoller, konkrete Fragen in das Ersuchen aufzunehmen.293 Eine genaue Bezeichnung der zu prüfenden Urkunden und Augenscheinsobjekte ist ebenfalls wünschenswert, aber nicht zwingend geboten.294 Soweit sich diese Gegenstände in der Sphäre des Antragsgegners befinden, etwa bei Maßnahmen gemäß Art. 7 DRL, genügt eine Umschreibung, die dem Betroffenen oder dem Justizpersonal eine problemlose Identifikation des relevanten Materials (ggf. mittels Sammelbezeichnungen) ermöglicht.295 Ein Antrag, der die Wendung „beispielhaft, jedoch nicht ausschließlich [Sammelbezeichnung]“ verwendet, verlässt den Bereich der hinreichenden Konkretisierung.296

III.  Unmittelbare Beweisaufnahme des Prozessgerichts im Ausland 15

Das Ideal der Beweisunmittelbarkeit wird in Verfahren mit grenzüberschreitendem Bezug am besten durch eine direkte Beweisaufnahme des Prozessgerichts im Ausland verwirklicht.297 Hierdurch wird gewährleistet, dass das mit 290  A. A. v.  Hein in Rauscher, EuZPR, Art. 4 EG-BewVO, Rn. 3, der aus Art. 8 Abs. 1 EuBVO den Rückschluss zieht, die Beschreibung von Beweismitteln und Beweisthemen gemäß Art. 4 Abs. 1 EuBVO habe „in möglichst genauer Weise“ zu erfolgen. 291 Generalanwältin Kokott, Schlussanträge v. 18. 07. 2007 – C-175/06 – Slg. 2007, I-7929 (Tedesco), Rn. 68 ff.; v. Hein in Rauscher, EuZPR, Art. 1 EG-BewVO, Rn. 48; Grabinski in FS Schilling, S. 198; Heinze, RIW 2008, 480 (482). 292 Beispiele bei Schlosser, EU-ZPR, Art.  4 EuBVO Rn. 2; wohl auch LG Dessau v.  15. 03. 2007  – 7 T 37/07, Rn. 34 ; a. A. v.  Hein in Rauscher, EuZPR, Art. 4 EGBewVO, Rn. 12. 293  Huber in Gebauer/Wiedmann, Kapitel 31 Rn. 74. 294  A. A. v. Hein in Rauscher, EuZPR, Art. 4 EG-BewVO, Rn. 21 (in gewissem Kontrast zur Kommentierung ibid, Art. 1 EG-BewVO Rn. 46); Schlosser, EU-ZPR, Art. 4 EuBVO Rn. 3. 295 Generalanwältin Kokott, Schlussanträge v. 18. 07. 2007 – C-175/06 – Slg. 2007, I-7929 (Tedesco), Rn. 47, 74 f.; Huber in Gebauer/Wiedmann, Kapitel 31 Rn. 79; Knöfel in Geimer/ Schütze, IRV, B Vor I 30 b, Art. 4 Rn. 13. 296 Generalanwältin Kokott, Schlussanträge v. 18. 07. 2007 – C-175/06 – Slg. 2007, I-7929 (Tedesco), Rn. 75. 297  Stadler in FS Geimer, S. 1298.



B.  Aktive und passive Rechtshilfe gemäß der EuBVO

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Sach- und Streitstand vertraute Gericht die Wahrheitsermittlung betreiben, Nachfragen stellen, Missverständnisse aufklären und die Glaubwürdigkeit von Zeugen beurteilen kann.298 Art. 17 EuBVO stellt die unmittelbare Beweisaufnahme zwar unter den Genehmigungsvorbehalt des ersuchten Staates. Gleichwohl ist die Bestimmung Ausdruck eines gewandelten Souveränitätsverständnisses innerhalb der Europäischen Union, da den ersuchten Staat eine Genehmigungspflicht trifft,299 die nur durch drei Ausnahmegründe relativiert wird. Die Genehmigung ist innerhalb von 30 Tagen zu erteilen,300 es sei denn, der Anwendungsbereich der Verordnung ist nicht eröffnet, das Ersuchen enthält nicht die durch Art. 4 EuBVO vorgegebenen Angaben oder die beantragte Maßnahme läuft wesentlichen Rechtsgrundsätzen des ersuchten Mitgliedstaates zuwider. Die praktische Bedeutung des ordre public-Vorbehalts dürfte gering sein,301 zumal eine unmittelbare Beweisaufnahme gemäß Art. 17 Abs. 2 EuBVO nur auf freiwilliger Grundlage und ohne Zwangsmaßnahmen gegenüber den Parteien oder Dritten statthaft ist. Damit kommt eine Ablehnung des Ersuchens um passive Rechtshilfe primär aufgrund unvollständiger, sprachlich fehlerhafter oder unleserlich übermittelter Anträge in Betracht.302 Es ist angesichts dessen bedauerlich, dass der politische Mut fehlte, auf die Genehmigungspflicht zu verzichten und stattdessen lediglich eine Anzeigepflicht vorzusehen.303 Die Beweisaufnahme, d. h. die Vernehmung einer Person bzw. die Würdigung von Augenscheinsobjekten oder Urkunden wird durch das Prozessgericht oder dessen Beauftragten durchgeführt, Art. 17 Abs. 3 EuBVO. Hierbei kann es sich um einen beauftragten Richter, Sachverständigen oder eine ander-

298 

Schulze, IPRax 2001, 527 (532). Huber in Gebauer/Wiedmann, Kapitel 31 Rn. 197; Stadler in FS Geimer, S. 1285; Hess/Müller, ZZPInt 6 (2001), 149 (158); Hau, RIW 2003, 822 (823); Nuyts/Sepulchre, [2004] Bus. L. Intl. 305 (332). Eine Pflicht zur Genehmigung enthält die Parallelnorm des Art. 17 HBÜ nicht; eine Erklärung nach Art. 17 Abs. 2 HBÜ (generelle Genehmigung) haben lediglich Finnland und die USA abgegeben. 300  Schlosser, EU-ZPR, Art. 17 EuBVO Rn. 4 befürwortet eine Genehmigungsfiktion, sofern die Genehmigung nicht innerhalb von 30 Tagen erfolgt; zutreffend a. A. Huber in Gebauer/Wiedmann, Kapitel 31 Rn. 207. 301  Huber in Gebauer/Wiedmann, Kapitel 31 Rn. 205; Leipold, R. L. R. 2003, 85 (95); Grabinski in FS Schilling, S. 204; Schlosser, EU-ZPR, Art. 17 EuBVO Rn. 1. Stadler in FS Geimer, S. 1299, zählt als mögliche Beispiele das Kreuzverhör sowie serologische bzw. erbbiologische Gutachten und die DNA-Analyse auf. Knöfel in Geimer/Schütze, IRV, B Vor I 30 b, Art. 17 Rn. 10 nennt Zweifel an der Freiwilligkeit der Mitwirkung einer Beweisperson, insbesondere bei Kindern. 302  Zu den Folgen siehe Huber in Gebauer/Wiedmann, Kapitel 31 Rn. 203 f. Eine Begründung der Ablehnung ist wünschenswert. 303  Stadler in FS Geimer, S. 1286; Grabinski in FS Schilling, S. 204; Knöfel, EuZW 2008, 267 (269); Hess, EuZPR, § 8 Rn. 53; de lege ferenda für ein reines Anzeigeerfordernis bereits Bohnen, DRiZ 1996, 411 (414); differenzierend Berger, IPRax 2001, 522 (526). 299 

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§ 15  Zugang zu im Ausland belegenen Beweismitteln

weitige Person nach Maßgabe des Rechts des ersuchenden Gerichts handeln.304 Aus Praktikabilitätsgründen kann die unmittelbare Beweisaufnahme im Ausland auch im Wege einer vom Prozessgericht durchgeführten Vernehmung einer Person mittels Tele- oder Videotechnik durchgeführt werden, vgl. Art. 17 Abs. 4 S. 3 EuBVO.305 Die Durchführung der Beweisaufnahme erfolgt nach der lex fori des Prozessgerichts und unterliegt zwei Schranken: Erste Bedingung ist die Freiwilligkeit der Personen, deren Mitwirkung bei der Beweisaufnahme erforderlich ist.306 Insoweit besteht eine Aufklärungspflicht des Gerichts, Art. 17 Abs. 2 EuBVO.307 Zweitens sind die zuständigen Stellen des ersuchten Mitgliedstaats gemäß Art. 17 Abs. 4 EuBVO befugt, die Durchführung der Beweisaufnahme unter bestimmte Bedingungen zu stellen, die sich aus dem jeweiligen nationalen Recht ergeben. Eine mögliche Bedingung nennt Art. 17 Abs. 3 EuBVO selbst, nämlich die Teilnahme eines Gerichtsmitglieds des ersuchten Staates an der Beweisaufnahme. Als zusätzliche Bedingungen denkbar sind bspw. das Gewähren von Auslagenersatz an die zu vernehmende Person, das Recht auf anwaltlichen Beistand, die Hinzuziehung eines Dolmetschers oder die Maßgabe der zurückhaltenden Durchführung eines Kreuzverhörs.308 Eine Unterstützung der unmittelbaren Beweisaufnahme durch Zwangsmaßnahmen des Rechtshilfestaats sieht die EuBVO nicht vor.309 Die Bestimmungen über die unmittelbare Beweisaufnahme im Ausland haben seit Inkrafttreten der EuBVO wenig Praxisrelevanz erlangt.310 Dies mag einerseits daran liegen, dass Art. 17 EuBVO eine Novität darstellt. Andererseits 304  In England werden für die unmittelbare Beweisaufnahme im Ausland Anwälte als examiners of the court bestellt, vgl. CPR 34.13(4), 34.15(2). Für Deutschland siehe § 1073 Abs. 2 ZPO, zu dessen Auslegung Huber in Gebauer/Wiedmann, Kapitel 31 Rn. 202. 305  Zur praktischen Umsetzung siehe CPR 32.3 sowie 32 PD Annex 3. Zu § 128a ZPO siehe näher Schultzky, NJW 2003, 313 ff. 306 Bei Vernehmung einer Person ist Art. 17 EuBVO deshalb nur in jenen Fällen von Bedeutung, in denen die zu vernehmende Person zwar zur Aussage, nicht aber zur Reise in den Prozessstaat bereit ist. 307  Eine Erstreckung dieses Prinzips auf Personen, die um Vorlage von Urkunden und Augenscheinsobjekten gebeten werden, ist geboten, vgl. Stadler in FS Geimer, S. 1301 f.; Huber in Gebauer/Wiedmann, Kapitel 31 Rn. 213. 308  Huber in Gebauer/Wiedmann, Kapitel 31 Rn. 211; Grabinski in FS Schilling, S. 204; Knöfel in Geimer/Schütze, IRV, B Vor I 30 b, Art. 17 Rn. 17. 309 Bedauernd Adolphsen in Marauhn, S. 11 f.; Stadler in FS Geimer, S. 1301. Gemäß Art. 18 HBÜ kann jeder Vertragsstaat des HBÜ erklären, dass sich Stellen des ersuchenden Vertragsstaates an die zuständigen Behörden des ersuchten Vertragsstaats wenden können, um die für die unmittelbare Beweisaufnahme erforderlichen Zwangsmaßnahmen anordnen zu lassen. Ein Rückgriff auf diese Bestimmung ist prinzipiell möglich. Von den Mitgliedstaaten der EU haben allerdings nur Italien und Griechenland eine entsprechende Erklärung abgegeben. 310  Bericht der Europäischen Kommission über die Anwendung der EuBVO, KOM (2007) 769, S. 7, 17; Mainstrat, Study on the Application of Regulation 1206/2001, S. 7, 11.



B.  Aktive und passive Rechtshilfe gemäß der EuBVO

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ist die unmittelbare Beweisaufnahme im Ausland regelmäßig mit einem hohen Zeit- und Kostenaufwand verbunden, der sinnlos ist, soweit eine freiwillige Mitwirkung der Beweisperson oder der freie Zugang zu Beweismitteln nicht sichergestellt werden kann. Vorteilhaft ist die unmittelbare Beweisaufnahme deshalb vor allem dann, wenn das Gericht einen Gegenstand auf öffentlichen Grundstücken in Augenschein nehmen oder eine aussagebereite, aber reiseunwillige Person vernehmen will.311

IV.  Ersuchen um aktive Rechtshilfe durch ein ausländisches Gericht Als Alternative zur unmittelbaren Beweisaufnahme im Ausland eröffnet die Verordnung den klassischen Rechtshilfeweg: Eine Bitte des Prozessgerichts an das Gericht eines anderen Mitgliedstaats um Durchführung der Beweisaufnahme. Diese Option stellt nach wie vor den Regelfall der Rechtshilfe dar. Sie ist meist kostengünstiger und einzig effektiv, wenn eine freiwillige Mitwirkung eventueller Beweispersonen (voraussichtlich) nicht erreicht werden kann.312

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1. Ersuchen Ersuchen auf aktive Rechtshilfe sind direkt bei dem zuständigen ausländischen Gericht zu stellen, welches über das auf dem Europäischen Gerichtsatlas publizierte Handbuch zur EuBVO identifiziert werden kann.313 Das ersuchte Gericht soll innerhalb von sieben Tagen eine Empfangsbestätigung übersenden und im Falle seiner Unzuständigkeit eine Weiterleitung an das zuständige Gericht veranlassen.314 Scheitert eine Erledigung des Ersuchens an fehlenden Angaben, ist dem ersuchenden Gericht spätestens innerhalb von 30 Tagen eine konkrete Bitte um Spezifikation zu übermitteln.315 Erfordert die Erledigung des Ersuchens die Stellungnahme eines Sachverständigen, kann die Durchführung der Maßnahme von der Stellung eines Vorschusses bzw. einer Kaution abhängig gemacht werden.316 Diese Bedingung ist dem ersuchenden Gericht ebenfalls innerhalb von 30 Tagen mitzuteilen.

311 

McGuire/Rechberger, ZZPInt 10 (2005), 81 (95 f.). Leipold, R. L. R. 2003, 85 (95). 313 . Die Angaben basieren auf Mitteilungen der Mitgliedstaaten gemäß Art. 22 EuBVO. In England und Wales leitet das Gericht das Ersuchen um eine Zeugenvernehmung an das Treasury Solicitor’s Department (eine Art Justitiariatsbehörde) weiter, welche einen Antrag gemäß CPR 34.24 stellt und mit Zustimmung des Gerichts den Vernehmungstermin arrangiert, vgl. 34A PD 11. 314  Art. 7 EuBVO. 315  Art. 8 Abs. 1 EuBVO. 316  Art. 18 Abs. 3 EuBVO. 312 

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§ 15  Zugang zu im Ausland belegenen Beweismitteln

2.  Erledigung des Beweisersuchens a)  Anwendbares Verfahrensrecht 21

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Die Durchführung der beantragten Maßnahme erfolgt nach dem lokalen Beweisverfahrensrecht des ersuchten Gerichts.317 Eingebettet in dieses Verfahrensrecht kann die lex fori des Prozessgerichts Anwendung finden, sofern das ersuchende Gericht gemäß Art. 10 Abs. 3 EuBVO beantragt, dass die Beweisaufnahme in einer bestimmten Form erfolgen möge, welche im Recht seines Mitgliedstaats vorgesehen ist. Vorteilhaft ist ein solcher Antrag, wenn dadurch die Einhaltung verfahrensrechtlicher Standards des Rechts des Prozessgerichts und somit die Verwertbarkeit der Beweisergebnisse im Ausgangsverfahren gewährleistet werden kann.318 Doch ist das ersuchte Gericht nicht zur Ermittlung des ausländischen Rechts verpflichtet, deshalb bedarf es einer präzisen Beschreibung der gewünschten Maßnahme durch das ersuchende Gericht. Ein Ersuchen kann sich auf mehrere besondere Formen beziehen, bspw. die Vernehmung einer Person unter Eid und die Anfertigung eines Wortprotokolls.319 Eine Ablehnung des Ersuchens auf Durchführung der Beweisaufnahme in einer bestimmten Form ist zulässig, sofern diese Form mit den Rechtsvorschriften des ersuchten Mitgliedstaats nicht vereinbar oder ihre Durchführung aufgrund erheblicher tatsächlicher Schwierigkeiten unmöglich ist. Unterstützend kann das ersuchte Gericht die nach seiner lex fori zulässigen, erforderlichen Zwangsmaßnahmen anordnen.320 Dem Prozessgericht bleibt es unbenommen, aufgrund der fehlenden Kooperation einer Partei negative Prozess- oder Kostenfolgen zu ziehen.321 Nicht ausdrücklich regelt die Verordnung die Frage, ob das ersuchende Gericht den Antrag auf Durchführung der Beweisaufnahme in einer bestimmten Form des ausländischen Rechts zu stellen vermag, ob also bspw. ein deutsches Gericht ein französisches oder englisches Gericht um die Durchführung einer 317  Art. 10 Abs. 2 EuBVO, sog. Rogationsprinzip. Vgl. für Deutschland die in §§ 82 ff. ZRHO (Rechtshilfeordnung für Zivilsachen) enthaltenen Modifikationen; für England siehe CPR 34.16 ff. 318  Huber in Gebauer/Wiedmann, Kapitel 31 Rn. 127; Hess/Müller, ZZPInt 6 (2001), 149 (154); Knöfel in Geimer/Schütze, IRV, B Vor I 30 b, Art. 10 Rn. 9; McClean, Co-operation, S. 97 (zum HBÜ); v.  Hein in Rauscher, EuZPR, Art. 10 EG-BewVO Rn. 7, mit Hinweis darauf, dass die Sicherung der Verwertbarkeit voraussetzt, dass das ersuchte Gericht die ihm fremden Verfahrensbestimmungen zutreffend anwendet. 319  Knöfel in Geimer/Schütze, IRV, B Vor I 30 b, Art. 10 Rn. 8. 320  Führt der Einsatz der Zwangsmaßnahmen zum Verwertungsverbot im Prozessstaat, ist dieser nicht „erforderlich“, vgl. Schlosser, EU-ZPR, Art. 13 EuBVO Rn. 1; a. A. Knöfel in Geimer/Schütze, IRV, B Vor I 30 b, Art. 13 Rn. 3. 321  Allg. Meinung, vgl. nur Schlosser, EU-ZPR, Art. 10 EuBVO Rn. 2; Art. 9, 10 HBÜ Rn. 2.



B.  Aktive und passive Rechtshilfe gemäß der EuBVO

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saisie contrefaçon oder einer search order ersuchen darf.322 Gemäß Art. 1 Abs. 1 EuBVO findet die Verordnung Anwendung, wenn das Prozessgericht das Rechtshilfeersuchen „nach seinen innerstaatlichen Vorschriften“ stellt. Die lex fori des ersuchenden Gerichts entscheidet folglich darüber, ob ein solches Ersuchen zulässig ist.323 Dabei haben jedenfalls deutsche Prozessgerichte darauf zu achten, dass inländische Beweisbeschränkungen nicht durch die Beantragung ausländischer Beweisformen umgangen werden.324 Ein Antrag kommt deshalb nur im Hinblick auf funktionell äquivalente Beweisformen in Betracht, wobei es angesichts der häufig fehlenden genauen Kenntnis des ausländischen Beweisrechts regelmäßig vorzuziehen ist, die gewünschte Art der Beweisaufnahme genau zu umschreiben und deren Umsetzung dem Rechtshilfegericht zu überlassen.

b)  Anwesenheitsrechte der Parteien und Parteibeteiligung Anwesenheitsrechte der Parteien und ihrer Vertreter ergeben sich aus der lex fori des ersuchenden Gerichts,325 eine Ankündigung der Präsenz dieser Personen durch das Prozessgericht ist jederzeit möglich.326 Soweit das Prozessgericht über die Anwesenheit hinausgehend die aktive Beteiligung der Parteien und ihrer Vertreter bei der Beweisaufnahme beantragt, werden die Rahmenbedingungen (etwa für Fragerechte) durch das Rechtshilfegericht nach Maßgabe seiner lex fori festgelegt.327 Diese Rahmenbedingungen können nicht die Pflicht des Rechtshilfegerichts unterminieren, die Durchführung der Beweisaufnahme innerhalb der Grenzen des Art. 10 Abs. 3 EuBVO in einer bestimmten Form vorzunehmen, die dem Recht des Mitgliedstaats des ersuchenden Gerichts entspricht (z. B. Kreuzverhör). Dem Rechtshilfegericht dürfte es jedoch erlaubt sein, zwecks Wahrung von Geschäftsgeheimnissen lediglich die Anwesenheit bestimmter Personen auf Seiten einer Partei zuzulassen, wie dies das englische

322 Befürwortend Schlosser, EU-ZPR, Art. 10 EuBVO Rn. 2a; Art. 1 HBÜ Rn. 4; mit Einschränkungen ebenso Rauscher in MüKo ZPO, Anh. §§ 1072 ff. Art. 10 Rn. 6. 323  A. A. Sayers v Smithkline Beecham, [2004] EWHC 1098 (Q. B.), Rn. 9: aus Art. 1 Abs. 1 EuBVO ergebe sich, dass das ersuchende Gericht nur die in seinem nationalen Verfahrensrecht vorgesehenen Beweisanordnungen treffen darf. Hiergegen zutreffend Hess/ Müller, ZZPInt 6 (2001), 149 (153 m. Fn. 28). 324  Ahrens in FS Schütze, S. 12. 325  Art. 11 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 EuBVO. Im deutschen Recht sind § 357 Abs. 1 und § 1073 Abs. 1 ZPO maßgeblich; für das englische Recht siehe CPR 34.9(1) und (3), 32.2(1)(a). 326  Art. 11 Abs. 2 EuBVO. 327  Dies ergibt sich aus dem Verweis des Art. 11 Abs. 3 auf Art. 10 EuBVO, vgl. auch Erwägungsgrund 13; ferner Stadler in FS Geimer, S. 1293; Grabinski in FS Schilling, S. 200. Vor dem Hintergrund des Art. 6 EMRK dürfen die Bedingungen nicht zu restriktiv ausgestaltet sein, siehe Hess/Müller, ZZPInt 6 (2001), 149 (155). Eine sehr enge Interpretation des Begriffs „Beteiligung“ vertritt Knöfel in Geimer/Schütze, IRV, B Vor I 30 b, Art. 11 Rn. 8.

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§ 15  Zugang zu im Ausland belegenen Beweismitteln

Recht etwa bei der Bildung eines confidentiality clubs oder der an einer search order beteiligten Suchmannschaft vorsieht.328 Auch ohne entsprechende Ankündigung bzw. Bitte des ersuchenden Gerichts steht es dem Rechtshilfegericht frei, die Parteiöffentlichkeit und Parteibeteiligung im Einklang mit dem Recht seines Mitgliedstaates herzustellen, Art. 11 Abs. 5 EuBVO.329 Erfordert der Schutz von Unternehmensgeheimnissen eine Einschränkung der Parteiöffentlichkeit (bspw. lediglich Beteiligung der Prozessvertreter), kann diese grundsätzlich durch das Prozessgericht nach Maßgabe seines eigenen Rechts festgelegt werden.330 Das Ersuchen sollte diese Einschränkung und ihren Grund spezifizieren, um zu vermeiden, dass das Rechtshilfegericht die Parteiöffentlichkeit eigenverantwortlich herstellt.331 Das Rechtshilfegericht ist zwar nach der EuBVO nicht an die Vorgaben des ersuchenden Gerichts gebunden, sollte im Sinne der mitgliedstaatlichen Kooperation jedoch bei intendiertem Ausschluss der Parteiöffentlichkeit auf ein eigenständiges Hinzuziehen der Parteien verzichten.332 Anderenfalls liefe es Gefahr, das gesamte Rechtshilfeersuchen zu torpedieren, da die Offenbarung von Betriebsgeheimnissen im Verlauf der Beweisaufnahme einer Verwertung der Beweise durch das ersuchende Gericht im Wege stehen könnte.

c)  Beteiligung des ersuchenden Gerichts 26

Auch der Spruchkörper oder Beauftragte des Prozessgerichts haben, sofern dies nach Maßgabe ihres jeweiligen Verfahrensrechts zulässig ist, das Recht, bei der Beweisaufnahme zugegen zu sein und sich auf Antrag hin an der Beweisaufnahme zu beteiligen. Die Bedingungen der Beteiligung legt das Rechtshilfegericht nach Maßgabe seiner lex fori fest.333 In Betracht kommt es beispielsweise, dem Beauftragten des Prozessgerichts die Einnahme eines Augenscheins zu ge328 Ähnlich Stadler in FS Geimer, S. 1293; Huber in Gebauer/Wiedmann, Kap. 31 Rn. 150; a. A. v. Hein in Rauscher, EuZPR, Art. 11 EG-BewVO Rn. 9 f. 329  Die deutsche Textfassung ist fehlerhaft. Ausweislich der anderen Sprachversionen der Verordnung muss es „Recht des Mitgliedstaats des ersuchten Gerichts“ heißen. Das deutsche Recht gestattet den Parteien die Anwesenheit und Beteiligung auch bei Beweisaufnahmen im Wege der Rechtshilfe, vgl. v. Hein in Rauscher, EuZPR, Art. 11 EuBVO Rn. 3; a. A. Schlosser, EU-ZPR, Art. 11 EuBVO Rn. 7. 330  Schlosser, EU-ZPR, Art. 11 EuBVO Rn. 2; Huber in Gebauer/Wiedmann, Kapitel 31 Rn. 150. 331  Schlosser, EU-ZPR, Art. 4 EuBVO Rn. 4; nach anderer Auffassung soll es sich bei der gewünschten Beschränkung der Beteiligungsrechte um den Antrag auf Durchführung der Beweisaufnahme in einer bestimmten Form handeln, vgl. Knöfel in Geimer/Schütze, IRV, B Vor I 30 b, Art. 11 Rn. 13. M. E. ist Art. 11 insoweit lex specialis gegenüber Art. 10 Abs. 3 EuBVO. 332  Huber in Gebauer/Wiedmann, Kap. 31 Rn. 150. A. A. Berger, IPRax 2001, 522 (525), der für eine analoge Anwendung des Meistbegünstigungsgrundsatzes in Art. 14 Abs. 1 EuBVO plädiert. 333  Art. 12 Abs. 4, Art. 10 Abs. 2 EuBVO.



B.  Aktive und passive Rechtshilfe gemäß der EuBVO

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statten oder bei Vernehmungen Zusatzfragen zu erlauben.334 Die Vorteile einer solchen „dialogischen Beweisaufnahme“ sind offensichtlich: Erstens kann das Prozessgericht die Beweisaufnahme verfolgen und beeinflussen; zweitens vermag es seine Beweiswürdigung auf eigene Wahrnehmungen zu stützen anstatt auf das übermittelte Beweisergebnis des Rechtshilfegerichts.335 Wurde die Durchführung der Beweisaufnahme in einer bestimmten Form gemäß Art. 10 Abs. 3 EuBVO beantragt, lassen sich ferner Rückfragen des Rechtshilfegerichts unproblematisch klären.336 Die Beteiligung kann auch mittels einer Übertragung der Beweisaufnahme im Wege der Tele- oder Videokonferenz oder anderer Kommunikationsmittel realisiert werden.337 Diese muss vom Prozessgericht beantragt werden und steht einerseits unter dem Vorbehalt der Zulässigkeit nach der lex fori des Rechtshilfegerichts, andererseits unter dem Vorbehalt der tatsächlichen Realisierbarkeit.338

d)  Erledigungsfrist und Übersendung des Ergebnisses der Beweisaufnahme Gemäß Art. 16 EuBVO sind dem ersuchenden Gericht nach Durchführung der Beweisaufnahme die Schriftstücke „aus denen sich die Erledigung des Ersuchens ergibt“ ebenso zuzusenden wie ggf. übermittelte Schriftstücke zu retournieren.339 Da nach der hier vertretenen Auffassung auch reine Beweisbeschaffungsmaßnahmen in den Anwendungsbereich der EuBVO fallen,340 ist Art. 16 dahingehend auszulegen, dass auch Urkunden und Augenscheinsobjekte, die als Beweismittel dienen, an das ersuchende Gericht zu übersenden sind. Eine Kostenerstattung kommt nur in den in Art. 18 EuBVO genannten Konstellationen in Betracht.341

334  Schlosser, EU-ZPR, Art. 12 EuBVO Rn. 3; McGuire/Rechberger, ZZPInt 10 (2005), 81 (97). 335  McGuire/Rechberger, ZZPInt 10 (2005), 81 (97); v. Hein in Rauscher, EuZPR, Art. 12 EG-BewVO Rn. 1. 336  McGuire/Rechberger, ZZPInt 10 (2005), 81 (97); v. Hein in Rauscher, EuZPR, Art. 12 EG-BewVO Rn. 1. 337 Zu Detailfragen vgl. v.  Hein in Rauscher, EuZPR, Art. 10 EG-BewVO Rn. 26 ff.; Huber in Gebauer/Wiedmann, Kapitel 31 Rn. 137. 338  Vgl. näher Art. 10 Abs. 4 EuBVO. Im deutschen Recht bedarf es einer modifizierten Anwendung des § 128a ZPO (u. a. wegen des Aufzeichnungsverbots), siehe näher v. Hein in Rauscher, EuZPR, Art. 10 EG-BewVO Rn. 39; Huber in Gebauer/Wiedmann, Kapitel 31 Rn. 139. 339  Die Verordnung enthält keine Vorgabe für die Sprache, in der die Antwort vorzunehmen ist. Das ersuchte Gericht dürfte deshalb befugt sein, die Antwort in seiner Amtssprache zu erteilen. 340  Supra Rn. 6 ff. 341  Bekräftigt in EuGH v.  17. 01. 2011  – C-283/09 (Weryński), Rn. 56 ff.: Keine Kostenerstattung für Zeugenentschädigung. Zur Anwendung auf die unmittelbare Beweisaufnahme gemäß Art. 17 EuBVO siehe Müller, Beweisaufnahme, S. 129 f.

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§ 15  Zugang zu im Ausland belegenen Beweismitteln

Die Beweisaufnahme soll grundsätzlich innerhalb von 90 Tagen nach Eingang des Ersuchens durchgeführt werden.342 Der Fristbeginn verzögert sich naturgemäß, wenn das Ersuchen unvollständig ist oder dessen Erledigung von der Bezahlung einer Kaution für die Kosten des Sachverständigengutachtens abhängig gemacht wird.343 Das Verstreichen der 90-Tage-Frist bleibt sanktionslos;344 Art. 16 EuBVO ordnet lediglich eine Unterrichtungspflicht gegenüber dem ersuchenden Gericht an.345

3.  Gründe, die zur Nichterledigung des Ersuchens berechtigen 29

Die Verordnung enthält in Art. 14 einen abschließenden Katalog von Gründen, aus denen die Erledigung des Ersuchens unterbleiben darf.

a)  Aussage- und sonstige Verweigerungsrechte 30

31

Eine Erledigung des Ersuchens um Beweisaufnahme erfolgt nicht, wenn sich die zu vernehmende Person auf ein Aussageverweigerungsrecht oder ein Aussageverbot beruft. Nach dem Günstigkeitsprinzip des Art. 14 Abs. 1 EuBVO lässt sich die Aussageverweigerung alternativ auf das Recht des Mitgliedstaats des ersuchenden oder des ersuchten Gerichts stützen. Das ersuchende Gericht ist deshalb nach Art. 4 Abs. 1 lit. e EuBVO gehalten, innerhalb des Rechtshilfeantrags in Betracht kommende Aussageverweigerungsrechte zu spezifizieren. Beruft sich die zu vernehmende Person auf ein im Ersuchen nicht bezeichnetes Verweigerungsrecht, ist eine Nachfrage des Rechtshilfegerichts bei dem ersuchenden Gericht regelmäßig erforderlich.346 Eine Erstreckung des Prinzips aus Art. 14 Abs. 1 EuBVO auf andere Formen der Beweisaufnahme, insbesondere Pflichten zur Vorlage von Urkunden und Augenscheinsobjekten, liegt nahe.347 Zwar ist der Text des Art. 14 Abs. 1 342  Gemäß einer von der Europäischen Kommission beauftragten Studie, der Befragungen der Justiz zum Jahreswechsel 2006/2007 zugrunde liegen, wird die Frist von 90 Tagen in ca. 30 % aller Ersuchen überschritten, vgl. Bericht der Kommission über die Anwendung der EuBVO, KOM (2007) 769, S. 9. 343  Siehe Art. 8, 9 EuBVO. 344  Eher theoretisch kommen Staatshaftungsansprüche nach dem nationalen Recht, Beschwerdemöglichkeiten beim EGMR und Vertragsverletzungsverfahren vor dem EuGH in Betracht, vgl. v. Hein in Rauscher, EuZPR, Art. 10 EG-BewVO Rn. 2; Schlosser, EU-ZPR, Art. 10 EuBVO Rn. 1; Huber in Gebauer/Wiedmann, Kapitel 31 Rn. 122; a. A. teilweise Knöfel in Geimer/Schütze, IRV, B Vor I 30 b, Einl. Rn. 36, Art. 10 Rn. 5. 345  Das ersuchende Gericht kann sich zwecks Suche nach Lösungswegen gemäß Art. 3 Abs. 1 lit. b an die Zentralstelle des ersuchten Mitgliedstaats wenden. 346  Art. 14 Abs. 1 lit. b EuBVO; Berger, IPRax 2001, 522 (524). Das Rechtshilfegericht kann bei Vorliegen präsenter und eindeutiger Quellen gegebenenfalls auch selbst feststellen, dass kein Aussageverweigerungsrecht nach dem Recht des Staats des Prozessgerichts besteht, vgl. v. Hein in Rauscher, EuZPR, Art. 14 Rn. 12; Schlosser, EU-ZPR, Art. 14 EuBVO Rn. 6. 347  Müller, Beweisaufnahme, S. 102 ff.; Schlosser, EU-ZPR, Art. 14 EuBVO Rn. 7; Ähnlich Rauscher in MüKo ZPO, Anh. §§ 1072 ff. Art. 14 Rn. 6; Huber in Gebauer/Wiedmann,



B.  Aktive und passive Rechtshilfe gemäß der EuBVO

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EuBVO deutlich enger als die korrespondierenden englisch- und französischsprachigen Bestimmungen des Art. 11 HBÜ,348 welche die Berücksichtigung allgemeiner Mitwirkungsverweigerungsrechte anordnen. Doch lässt sich für diese Abweichung keine gesetzgeberische Intention ausmachen.349 Hintergrund dürfte vielmehr sein, dass sich der deutsche Initiativvorschlag zum Erlass der EuBVO350 an der (inoffiziellen) deutschen Textfassung des Art. 11 HBÜ orientierte, die nach ganz h. M. erweiternd auszulegen ist.351 Für eine analoge Anwendung des Art. 14 Abs. 1 EuBVO auf andere Formen der Mitwirkungsverweigerung spricht, dass die relevanten Bestimmungen menschenrechtlichen Ursprungs sind und nicht zwangsläufig zur freien Disposition des jeweiligen Gesetzgebers stehen. Es wäre nicht sinnvoll, wenn das Prozessgericht im Wege des Rechtshilfeersuchens eine Beweismittelvorlage erzwingen könnte, deren Durchsetzung ihm bei Belegenheit des Beweismittels im Inland nicht möglich wäre.352 Besteht andererseits ein Verweigerungsrecht nach der Rechtsordnung des ersuchten Mitgliedstaats, wird eine Erzwingung der Vorlage mangels der Verfügbarkeit von Zwangsmitteln (Art. 13 EuBVO) regelmäßig scheitern.353

b)  Formale Ablehnungsgründe Art. 14 Abs. 2 EuBVO nennt darüber hinaus einige formale Gründe, aufgrund derer die Ablehnung erklärt werden darf. Eine Ablehnungserklärung ist möglich, wenn das Ersuchen nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung fällt oder die Erledigung des Ersuchens nach dem Recht des Mitgliedstaats des ersuchten Gerichts nicht der Gerichtsgewalt unterliegt. Relevanz erlangt der Ablehnungsgrund des Art. 14 Abs. 2 lit. b EuBVO vor allem für Beweisaufnahmeersuchen, die immunitätsgeschützte Personen und Gegenstände betreffen.354 Hat das ersuchende Gericht um die Durchführung der Beweisaufnahme in einer besonderen Form gebeten, kommt eine Ablehnung der Beweisaufnahme gegebenenfalls auch in Betracht, wenn diese Vorgehensweise mit der Funktion der Rechtsprechung im ersuchten Staat schlechthin unvereinbar Kapitel 31 Rn. 185; a. A. Stadler in FS Geimer, S. 1294 ff.; v. Hein in Rauscher, Art. 14 EGBewVO Rn. 8; Grabinski in FS Schilling, S. 202. 348  Art. 11 HBÜ lautet „[…] the person concerned may refuse evidence in so far as he has a privilege or duty to refuse to give the evidence“ bzw. „personne qu’elle vise invoque une dispense ou une interdiction de déposer“. 349 Ebenso Huber in Gebauer/Wiedmann, Kapitel 31 Rn. 185 m. Fn. 399 sowie Müller, Beweisaufnahme, S. 103 f. 350  Art. 13 Abs. 1 Initiative der Bundesrepublik Deutschland im Hinblick auf den Erlass einer Verordnung des Rates über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- und Handelssachen, ABl. Nr. C 314/3 v. 03. 11. 2000. 351  Statt aller Schlosser, EU-ZPR, Art. 11 HBÜ Rn. 1. 352  Stadler in FS Geimer, S. 1296. 353  Stadler in FS Geimer, S. 1296. 354  v. Hein in Rauscher, EuZPR, Art. 14 EG-BewVO Rn. 17 ff. m. w. N.

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§ 15  Zugang zu im Ausland belegenen Beweismitteln

wäre (Ersuchen außerhalb der wesenseigenen Zuständigkeit).355 Primär wird hier jedoch der in Art. 10 Abs. 3 EuBVO enthaltene Ablehnungsgrund der Unvereinbarkeit einschlägig sein. Soweit das Rechtshilfegericht das Prozessgericht gemäß Art. 8 Abs. 1 EuBVO um eine Spezifizierung bzw. Vervollständigung des Ersuchens gebeten hat, kann die Ablehnung des Ersuchens erfolgen, wenn das ersuchende Gericht dieser Bitte nicht innerhalb von 30 Tagen nachkommt.356 In jenen Fällen, in denen das Rechtshilfegericht nach Art. 18 Abs. 3 EuBVO berechtigt ist, die Erledigung des Ersuchens von der Stellung einer Kaution oder eines Kostenvorschusses abhängig zu machen, darf das Ersuchen abgelehnt werden, sofern der Betrag nicht innerhalb von 60 Tagen hinterlegt oder bezahlt wurde. Eine Ablehnung der Beweisaufnahme nach dieser Bestimmung bedeutet kein Hindernis für die Stellung eines erneuten, identischen Rechtshilfeersuchens.357 Art. 14 Abs. 3 EuBVO stellt klar, dass das Ersuchen nicht abgelehnt werden darf, weil das Recht des ersuchten Mitgliedstaats ein entsprechendes Verfahren nicht kennt oder nach dem Recht dieses Mitgliedstaats seine Gerichte ausschließlich für die Entscheidung der Rechtssache zuständig wären.

4.  Dem Rechtshilfegericht unbekannte Verfahrensinstitute a) Problemstellung 35

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Art. 10 Abs. 3 EuBVO erlaubt dem Prozessgericht, die Durchführung der Beweisaufnahme in einer besonderen Form zu beantragen, welche das Recht seines Mitgliedstaats vorsieht. Es tritt die ungewöhnliche Folge ein, dass das Rechtshilfegericht das ihm unbekannte Prozessrecht eines anderen Staates anwendet. Das Rechtshilfegericht kann das Ansinnen des Prozessgerichts nach der Beweisverordnung – im Gegensatz zu Art. 9 HBÜ – nicht ablehnen, weil die beantragte Form nicht der gerichtlichen Übung im Rechtshilfestaat entspricht. Dem Ersuchen darf gemäß Art. 10 Abs. 3 EuBVO nur in jenen Situationen nicht entsprochen werden, in denen die Durchführung der Beweisaufnahme in der beantragten Form unvereinbar mit dem Recht des Rechtshilfestaates ist oder an erheblichen tatsächlichen Schwierigkeiten scheitert. Die Schwierigkeit der Inkorporation fremder Formen der Beweisaufnahme unter grundsätzlicher Anwendung der lex fori des Rechtshilfegerichts wurde 355  Huber in Gebauer/Wiedmann, Kapitel 31 Rn. 188; v.  Hein in Rauscher, EuZPR, Art. 14 EG-BewVO Rn. 19. 356  Entsprechend der Regelung des Art. 8 EuBVO dürfte die in Art. 14 EuBVO genannte Frist mit dem Eingang der Bitte um Vervollständigung des Ersuchens bzw. Stellung der Kaution beginnen. 357 Nach Stimmen im Schrifttum sollen deshalb verspätet übermittelte Ergänzungen gemeinsam mit dem ursprünglichen Ersuchen als neue Ersuchen behandelt werden, vgl. Schlosser, EU-ZPR, Art. 8 EuBVO Rn. 3; v. Hein in Rauscher, EuZPR, Art. 14 EG-BewVO Rn. 21.



B.  Aktive und passive Rechtshilfe gemäß der EuBVO

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in dem Vorabentscheidungsersuchen des Tribunale di Genova an den EuGH in der Rechtssache Tedesco beleuchtet. Das Tribunale di Genova hatte die englische Zentralstelle, den Senior Master of the Queen’s Bench Divison, um Durchführung einer descrizione gemäß Art. 128 Codice della Proprietà Industriale gebeten (hierbei handelt es sich um die italienische Umsetzung des Art. 7 DRL). In seinem Ablehnungsschreiben führte der Senior Master aus, die Ermittlung und Beschlagnahme von Gegenständen und Unterlagen entspreche nicht der Praxis der Beamten seiner Behörde und die durchzuführende Tätigkeit könne nicht im Rechtshilfeweg erledigt werden. Da Beweissicherungsmaßnahmen in den Anwendungsbereich der Beweisverordnung fallen,358 hätte sich eine Ablehnung des Ersuchens auf die in Art. 10 Abs. 3 oder Art. 14 EuBVO enthaltenen Gründe stützen müssen.

b)  Erledigung des Ersuchens fällt nicht in den Bereich der Gerichtsgewalt Eine Ablehnung des Rechtshilfeersuchens ist nach Art. 14 Abs. 2 lit. b ­EuBVO möglich, wenn die Erledigung des Ersuchens nach der Rechtsordnung des Rechtshilfestaats nicht in den Bereich der Gerichtsgewalt fällt. Hiermit ist neben der Gerichtsgewalt im völkerrechtlichen Sinne die wesenseigene Zuständigkeit der Rechtsprechung im Rechtshilfestaat angesprochen. Der Verordnung liegt grundsätzlich ein kontinentaleuropäisches Beweisaufnahmeverständnis zugrunde, wonach die Leitung der Beweisaufnahme ebenso wie gewisse Elemente der Beweismittelbeschaffung durch den Richter erfolgen. Hingegen erfolgt im Recht des Common Law die Erhebung von Beweisen im Parteibetrieb: Die Parteien sind grundsätzlich für die Ladung und Vernehmung von Zeugen zuständig und selbst die Durchführung einer search order steht unter der Aufsicht eines vom Antragsteller beauftragten und bezahlten supervising solicitor. Deshalb hatten das Vereinigte Königreich und Irland in ihrer jeweiligen Stellungnahme vor dem EuGH zu Rechtssache Tedesco dargelegt, die Durchführung einer descrizione falle nicht in die Gerichtsgewalt der Gerichte des Common Law. Diese Stellungnahmen vernachlässigen, dass den englischen Gerichten trotz der Primärverantwortung der Parteien eine wesentliche Funktion bei der Beweismittelbeschaffung und Beweisaufnahme zukommt: Die zentralen Instrumente der Beweismittelbeschaffung aus der gegnerischen Sphäre, disclosure und search order, werden vom Gericht angeordnet und durch die Androhung von contempt of court sanktioniert. Bei der search order fungiert der supervising solicitor trotz seiner Beauftragung und Bezahlung durch den Antragsteller als unabhängiges Organ der Rechtspflege (office of the court)359 358 

Supra § 15 Rn. 7 ff. Zu den Pflichten eines solicitors siehe r. 2.5–2.7 SRA Principles 2011, verfügbar unter . 359 

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und verlängerter Arm des Gerichts.360 Ferner verfügt das Gericht gemäß CPR 32.1 über die „power to control evidence“. In ihren Schlussanträgen in der Rechtssache Tedesco hat Generalanwältin Kokott den Ablehnungsgrund des Art. 14 Abs. 1 lit. b EuBVO deshalb zutreffend nur in jenen Fällen als einschlägig erachtet, in denen nicht allein die Durchführung, sondern auch die Anordnung einer Beweiserhebungsmaßnahme außerhalb der Gerichtsgewalt liegt.361

c)  Unvereinbarkeit der Verfahrensform mit dem Recht des Rechtshilfestaates aa)  Anwendbarer Maßstab 39

Das ersuchte Gericht muss dem Antrag auf Durchführung der Beweisaufnahme in einer bestimmten Form nicht entsprechen, wenn dies mit dem Recht seines Mitgliedstaates nicht vereinbar wäre. Hierbei handelt es sich nicht um einen reinen ordre public-Vorbehalt, wie der Vergleich mit dem deutlich engeren Wortlaut des Art. 17 Abs. 5 lit. c EuBVO zeigt.362 Erklären lässt sich die unterschiedliche Abwehrintensität vor allem damit, dass die aktive Rechtshilfe im Gegensatz zur passiven Rechtshilfe mittels Zwangsmaßnahmen durchgesetzt werden kann und dass ein stärkerer Inlandsbezug vorliegt, wenn das Rechtshilfegericht die fremde Verfahrensform selbst ausüben soll.363 Andererseits offenbart ein Blick auf Art. 14 Abs. 3 EuBVO364 ebenso wie der Vergleich zu Art. 9 HBÜ365, dass ein Abweichen von der gerichtlichen Übung im Rechtshilfestaat nicht ausreicht, um die Durchführung der Maßnahme in einer bestimmten Form zu versagen.366 360 Generalanwältin

Kokott, Schlussanträge v. 18. 07. 2007 – C-175/06 – Slg. 2007, I-7929 (Tedesco), Rn. 103. 361 Generalanwältin Kokott, Schlussanträge v. 18. 07. 2007 – C-175/06 – Slg. 2007, I-7929 (Tedesco), Rn. 102 ff.; Knöfel in Geimer/Schütze, IRV, B Vor I 30 b, Art. 14 Rn. 7; v. Hein, ELF 2008, 34 (36); für eine restriktive Auslegung des Art. 14 Abs. 2 lit. b EuBVO auch Hess/ Müller, ZZPInt 6 (2001), 149 (158). 362  Knöfel in Geimer/Schütze, IRV, B Vor I 30 b, Art. 10 Rn. 13; McGuire/Rechberger, ZZPInt 10 (2005), 81 (93 f.); v. Hein in Rauscher, EuZPR, Art. 10 EG-BewVO Rn. 16; Hess/ Müller, ZZPInt 6 (2001), 151 (154); Alio, NJW 2004, 2706 (2708). Deutung im Sinne eines ordre public-Vorbehalts hingegen bei v. Hein, ELF 2008, 34 (36); Schlosser, EU-ZPR, Art. 10 EuBVO Rn. 3, Art. 9, 10 HBÜ Rn. 3; Huber in Gebauer/Wiedmann, Kapitel 31 Rn. 128; unklar Generalanwältin Kokott, Schlussanträge v.  18. 07. 2007  – C-175/06  – Slg. 2007, I-7929 (Tedesco), Rn. 96 („ordre public“), Rn. 111 („entgegenstehende innerstaatliche Vorschriften“). 363  v. Hein in Rauscher, EuZPR, Art. 10 EG-BewVO Rn. 16. 364  Gemäß Art. 14 Abs. 3 EuBVO darf die Erledigung nicht allein aus dem Grund abgelehnt werden, dass die lex fori des ersuchten Gerichts ein Verfahren nicht kennt, das dem entspricht, für welches das Ersuchen gestellt wird. 365  Art. 9 HBÜ entspricht im Wesentlichen Art. 10 Abs. 3 EuBVO, enthält aber als zusätzlichen Ablehnungsgrund die Unmöglichkeit der Beweisaufnahme in der beantragten Form aufgrund der gerichtlichen Übung im ersuchten Staat. 366  Huber in Gebauer/Wiedmann, Kapitel 31 Rn. 130; Nuyts/Sepulchre, [2004] Bus. L. Intl. 305 (328).



B.  Aktive und passive Rechtshilfe gemäß der EuBVO

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Von Interesse ist ein Antrag auf Durchführung der Beweisaufnahme in einer besonderen Form nach dem Recht des ersuchenden Gerichts insbesondere dann, wenn eine entsprechende Form im Verfahrensrecht des Rechtshilfegerichts nicht vorgesehen ist.367 Eine Ablehnung der Maßnahme allein aufgrund divergierender Verfahrensbestimmungen würde somit die praktische Wirksamkeit des Art. 10 Abs. 3 EuBVO deutlich beeinträchtigen.368 Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten und ihrer Gerichte, zur Effektivität der Gemeinschaftsrechtsakte beizutragen, konkretisiert sich hier in der Pflicht, die Durchführung der Beweisaufnahme in einer besonderen Form nicht zu vereiteln.369 Eine Ablehnung der Maßnahme kommt folglich nur in Betracht, soweit sich der lex fori des Rechtshilfegerichts ein Verbotssatz entnehmen lässt, der nicht nur für dortige Prozesse, sondern auch für Beweisaufnahmen im Rechtshilfeverfahren Geltung beansprucht.370 Damit nähert sich der Vorbehalt des Art. 10 Abs. 3 EuBVO einer ordre public-Kontrolle deutlich an.371 Im Folgenden soll dies anhand einiger Beispiele erörtert werden.

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bb)  Beispiele für Vereinbarkeit ausländischer Formen mit dem deutschen Recht Mit dem deutschen Recht vereinbar ist beispielsweise das Führen eines fremdsprachigen Wortprotokolls,372 die Öffentlichkeit der Beweisaufnahme vor dem beauftragten oder ersuchten Richter373 sowie die Vernehmung unter Verwendung einer bestimmten Eidesformel (sowohl vor als auch nach der Vernehmung), soweit diese nicht zwingend einen religiösen Bezug vorsieht.374 Auch Vorlagepflichten der Parteien oder Dritter bzw. Pflichten zur Duldung einer Besichtigung nach ausländischen Beweisaufnahmeformen sind mit dem deutschen Recht nicht unvereinbar, soweit eine hinreichende Spezifizierung der 367 

Hess/Müller, ZZPInt 6 (2001), 151 (154); Alio, NJW 2004, 2706 (2708). Nach der Rechtsprechung des EuGH „dürfen die Mitgliedstaaten, wenn eine gemeinschaftsrechtliche Vorschrift auf einzelstaatliche Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten verweist, keine Maßnahmen erlassen, die geeignet sind, die praktische Wirksamkeit der gemeinschaftsrechtlichen Regelung, in die sich diese Vorschrift einfügt, zu beeinträchtigen“, vgl. EuGH, Urt. v. 15. 5. 1990 – C-365/88 – Slg. 1990, I-1845 (Kongress Agentur Hagen), Rn. 20; EuGH v. 18. 01. 2006 – C-385/05 – Slg. 2007, I-611 (CGT), Rn. 35. Näher zum Effektivitätsgrundsatz § 2 Rn. 40 ff. 369  Knöfel in Geimer/Schütze, IRV, B Vor I 30 b, Einl. Rn. 26. 370  v. Hein in Rauscher, EuZPR, Art. 10 EG-BewVO Rn. 14 f.; Müller, Beweisaufnahme, S. 97 f.; ähnlich Hess/Müller, ZZPInt 6 (2001), 151 (154); Alio, NJW 2004, 2706 (2708); Nuyts/Sepulchre, [2004] Bus. L. Intl. 305 (328); Berger, IPRax 2001, 522 (525); a. A. Knöfel in Geimer/Schütze, IRV, B Vor I 30 b, Art. 10 Rn. 13 unter Hinweis auf Art. 20 Abs. 3 GG. 371  v. Hein in Rauscher, EuZPR, Art. 10 EG-BewVO Rn. 16. 372  v.  Hein in Rauscher, EuZPR, Art. 10 EG-BewVO Rn. 5, 19; Huber in Gebauer/ Wiedmann, Kapitel 31 Rn. 131; Hess/Müller, ZZPInt 6 (2001), 149 (154), jeweils m. w. N. 373  A. A. Knöfel in Geimer/Schütze, IRV, B Vor I 30 b, Art. 20 Rn. 20. 374  v. Hein in Rauscher, EuZPR, Art. 10 EG-BewVO Rn. 24; Huber in Gebauer/Wiedmann, Kapitel 31 Rn. 131; Hess/Müller, ZZPInt 6 (2001), 149 (154), jeweils m. w. N. 368 

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betroffenen Gegenstände erfolgt. Das sogenannte „Verbot des Ausforschungsbeweises“375 ist durch §§ 142, 144 ZPO, materiellrechtliche Vorlage- und Duldungspflichten i. V. m. §§ 371 Abs. 2, 422 ZPO sowie korrespondierende Instrumente der Beweislastumkehr und der „sekundären Behauptungslast“376 hinreichend ausgehöhlt, um ihm keine Verbotswirkung für eine Beweisaufnahme im Rechtshilfeverfahren zu entnehmen. Umstritten ist aber, ob einem Antrag auf Vernehmung eines Zeugen im Wege des Kreuzverhörs von einem deutschen Rechtshilfegericht stattzugeben ist. Das gesetzliche Leitbild der ZPO sieht die Vernehmung eines Zeugen durch das Gericht vor, ergänzt durch Fragerechte der Parteivertreter gemäß § 397 Abs. 2 ZPO. Diesem Leitbild lässt sich kein implizites Verbot einer durch Parteivertreter geleiteten Vernehmung im Rechtshilfeverfahren entnehmen,377 zumal die Vernehmung durch das Prozessgericht gemäß §§ 395, 396 ZPO auf der Prämisse beruht, dass das Gericht bei der Vernehmung über den Sachund Streitstand informiert ist. Diese Prämisse trifft auf eine Vernehmung im Wege der Rechtshilfe nur bedingt zu. Die Durchführung einer Vernehmung im Kreuzverhör kann deshalb nicht nach Art. 10 Abs. 3 S. 2 EuBVO abgelehnt werden.378 Doch ist es dem Gericht möglich, den Parteivertretern Mäßigung bei der Fragestellung vorzugeben. Eine Demütigung der vernommenen Person ist mit dem deutschen Recht tatsächlich unvereinbar;379 entehrende Fragen muss ein Zeuge nach § 384 Nr. 2 ZPO i. V. m. Art. 14 Abs. 1 lit. a EuBVO nicht beantworten. Letztlich widerspricht dies nicht den Vorgaben des englischen Rechts, nach welchem es zwar den Parteivertreter gestattet ist, durch Fragen einen Schatten auf die Glaubwürdigkeit des Zeugen zu werfen, das Gericht aber die Fragen beschränken darf, sofern sie bedenklich erscheinen.380 375  Siehe BGH v. 26. 06. 1958 – II ZR 66/57 – NJW 1958, 1491 (1492); BGH v. 11. 06. 1990 – II ZR 159/89 – NJW 1990, 3151; BGH v. 7. 12. 1999 – XI ZR 67/99 – NJW 2000, 1108 (1109); Leipold in Stein/Jonas, ZPO, § 138 Rn. 26 ff., Hartmann in Baumbach/Lauterbach/Albers/ Hartmann, ZPO, Einf § 284 Rn. 29. 376  Vgl. BGH v. 30. 09. 2003 – X ZR 114/00 – GRUR 2004, 268 (269) (Blasenfreie Gummibahn II); BGH v.  22. 11. 2005  – X ZR 81/01  – GRUR 2006, 313 (315) (Stapeltrockner); Wagner, ZEuP 2001, 441 (465 ff.); Seichter, WRP 2006, 391 (394). 377  Darüber hinaus erlaubt § 239 StPO das Kreuzverhör im Strafprozess. 378  Huber in Gebauer/Wiedmann, Kapitel 31 Rn. 131; Hess/Müller, ZZPInt 6 (2001), 149 (154), jeweils m. w. N.; a. A. Rauscher in MüKo ZPO, Anh. §§ 1072 ff. Art. 10 Rn. 10; Knöfel in Geimer/Schütze, IRV, B Vor I 30 b, Art. 10 Rn. 18 mit umfangreichen Nachweisen zum Streitstand; zum österreichischen Recht McGuire/Rechberger, ZZPInt 10 (2005), 81 (93 f., 103). Von diesen Stimmen wird eine großzügige Handhabung des Fragerechts gemäß § 397 Abs. 2 ZPO befürwortet. 379  Siehe die Nachweise in der vorherigen Fußnote. 380 CPR 32.1(3): „The court may limit cross-examination“; näher Blackstone’s Civil Practice, Rn. 47.72. Siehe ferner McClean, Co-operation, S. 97: „The German courts […] have developed a procedure for taking depositions in response to requests from foreign countries, with provision for cross-examination, which appears entirely to meet the needs of common law countries.”



B.  Aktive und passive Rechtshilfe gemäß der EuBVO

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Unvereinbar mit dem deutschen Recht sind allerdings solche Maßnahmen der Beweismittelsicherung und -beschaffung, die eine Durchsuchung der Wohnung oder Geschäftsräume des Antragsgegners zwecks Ermittlung inkriminierender Gegenstände zum Gegenstand haben (z. B. eine search order oder die saisie contrefaçon). Der qualifizierte Gesetzesvorbehalt des Art. 13 Abs. 2 GG erlaubt Durchsuchungen nur auf Basis einer gesetzlichen Grundlage, welche die materiellen Voraussetzungen einer Durchsuchung, die für die Durchsuchung zuständigen Organe sowie das zu beachtende Verfahren festschreibt.381 Die Vorlage- und Besichtigungsansprüche des deutschen Rechts sehen lediglich eine Durchsuchung durch einen Gerichtsvollzieher zum Zwecke des Auffindens eines vom Antragsteller benannten, bestimmten Vorlage- oder Besichtigungsgegenstand vor.382

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cc)  Beispiele für Vereinbarkeit ausländischer Formen mit dem englischen Recht Die Vernehmung von Zeugen im Wege der Rechtshilfe erfolgt im englischen Recht grundsätzlich durch einen vom Gericht bestellten examiner, d. h. durch einen Anwalt, der über eine gewisse Berufserfahrung in der Prozessführung verfügt.383 Doch sieht CPR 34.8(3)(a) in innerstaatlichen Verfahren eine Zeugenvernehmung vor der Hauptverhandlung durch einen Richter vor. Das englische Recht steht somit einem Ersuchen, welches eine Zeugenvernehmung durch einen Richter beantragt, nicht entgegen.384 Die Durchführung der Zeugenvernehmung entspricht grundsätzlich dem Ablauf der Zeugenvernehmung in der Hauptverhandlung, d. h. die Befragung erfolgt unter Leitung der Parteien nach dem Schema examination in chief, cross-examination und re-examination (hierzu die Darstellung im Anhang Rn. 21 f.). Auch insoweit erweist sich das englische Recht auf Antrag des ersuchenden Gerichts flexibel385 und kann an ausländische Formen angepasst werden. Unvereinbar mit den englischen Recht sind kontinentaleuropäische Beweiszugangs­maßnahmen, welche eine Durchsuchung durch eine staatliche Stelle voraussetzen. Hintergrund der Entwicklung der search order war das von Lord Denning in der Entscheidung Anton Piller v Manufacturing Proces381 

Hermes in Dreier, GG, Art. 13 Rn. 49 m. w. N. v. 13. 11. 2003 – I ZR 187/01 – GRUR 2004, 420 (421) (Kontrollbesuch); siehe näher § 5 Rn. 57, § 6 Rn. 42. 383  CPR 34.18, 34.24, 34.15. 384  Vorteilhaft ist dies, weil der examiner nicht über die Befugnis zur Anordnung von Zwangsmaßnahmen verfügt. Verweigert ein Zeuge die Aussage vor dem examiner, bedarf es eines Antrags auf entsprechende Anordnung des Gerichts, später ggf. ergänzt um einen weiteren Antrag auf Einleitung eines contempt-Verfahrens, hierzu Dicey/Morris/Collins, Rn. 8–102. 385  CPR 34.18, 34.9 („subject to any directions contained in the order for examination“), 34A PD 11.8, 4.7. 382  BGH

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§ 15  Zugang zu im Ausland belegenen Beweismitteln

ses berichtete Verbot, einen Durchsuchungsbefehl zum Zwecke der Ermittlung belastender Beweismittel für einen Zivilprozess auszustellen: „Let me say at once that no court in this land has any power to issue a search warrant to enter a man’s house so as to see if there are papers or documents there which are of an incriminating nature, whether libels or infringements of copyrights or anything else of the kind. No constable or bailiff can knock at the door and demand entry so as to inspect papers or documents.“386 Auch im englischen Recht sind folglich Beweiszugangsmaßnahmen ausländischen Rechts deutliche Grenzen aufgezeigt, soweit hierdurch die Unverletzlichkeit der Wohnung oder der Geschäftsräume des Antragsgegners beeinträchtigt wird.

d)  Entgegenstehende tatsächliche Schwierigkeiten 46

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Die Durchführung einer Beweisaufnahme in einer Form des Rechts des ersuchenden Staates kann gemäß Art. 10 Abs. 3 EuBVO auch versagt werden, wenn sie wegen erheblicher tatsächlicher Schwierigkeiten unmöglich ist. Der Wortlaut offenbart, dass auch dieser Vorbehalt eng auszulegen ist,387 doch dürfte ihm eine größere praktische Bedeutung zukommen als der Unvereinbarkeit der Beweisaufnahmeform mit dem Recht des Rechtshilfestaates. Erhebliche tatsächliche Schwierigkeiten entstehen insbesondere, wenn die Beschaffung von Beweismitteln oder die Durchführung der Beweisaufnahme durch Zwangsmaßnahmen unterstützt werden müssen.388 Hierfür stehen nach Art. 13 EuBVO nur diejenigen Zwangsmaßnahmen zur Verfügung, die das Recht des Rechtshilfestaats für die Erledigung eines „zum gleichen Zweck gestellten Ersuchens inländischer Behörden oder einer beteiligten Partei“ bereithält. Gibt es kein inländisches Pendant der Maßnahme, lässt sich die ausländische Form der Beweisaufnahme nur bei Freiwilligkeit derjenigen Personen durchführen, deren Mitwirkung erforderlich ist. Rechtsvergleichend sind beispielsweise Zwangsmittel oder Beugestrafen gegenüber den Parteien eher Ausnahmeerscheinungen,389 doch wird dieser Befund im Gewerblichen Rechtsschutz aufgrund der Umsetzungsverpflichtung bezüglich Art. 6 und 7 DRL relativiert. Unklar ist, wann von einem „zum gleichen Zweck gestellten Ersuchen inländischer Behörden oder einer beteiligten Partei“ ausgegangen werden kann. Im Schrifttum wird der Begriff weithingehend dergestalt interpretiert, dass lediglich prozessuale Pflichten durchgesetzt werden können, die das Recht des 386  Anton Piller v Manufacturing Processes, [1976] 1 Ch 55 (60) (CA); s. a. Andrews, Civil Procedure, Rn. 17.111. 387  Huber in Gebauer/Wiedmann, Kapitel 31 Rn. 129; Knöfel in Geimer/Schütze, IRV, B Vor I 30 b, Art. 10 Rn. 14; v. Hein in Rauscher, EuZPR, Art. 10 EG-BewVO Rn. 17; Alio, NJW 2004, 2706 (2708). 388  v. Hein, ELF 2008, 34 (36). 389  Stürner in FS Hans Stoll, S. 699 ff.



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ersuchten Gerichts kennt.390 Dies entspricht der gängigen Interpretation von Art. 10 HBÜ, die sich aus den offiziellen Konventionstexten speist.391 Art. 13 EuBVO hingegen orientiert sich (in diversen Sprachfassungen) an der deutschsprachigen Übersetzung von Art. 10 HBÜ, welcher nicht die Identität der Maßnahmen, sondern den durch die Maßnahme zu bewirkenden Zweck in den Mittelpunkt stellt. Eine Orientierung am Wortlaut des Art. 13 EuBVO hätte zur Konsequenz, dass bspw. auch ein Kreuzverhör mit Zwangsmaßnahmen belegt werden könnte, obgleich die Prozessordnung des Rechtshilfestaates eine Vernehmungsleitung durch das Gericht vorsieht. Diese Interpretation gestaltet die Rechtshilfe effizienter, scheitert aber an verfassungsrechtlichen Bedenken, soweit die Rechtsordnung des betroffenen Mitgliedstaats einen staatlichen Zwangseingriff an den Vorbehalt des Gesetzes knüpft.392 Erfordert die Erledigung eines Rechtshilfeersuchens einen Eingriff des deutschen Rechtshilfegerichts in die Rechte der Beweisperson, ist daher entscheidend, ob das deutsche Recht eine der ausländischen Form entsprechende Maßnahme kennt.393 Dies ist bspw. für den Fall des Kreuzverhörs zu verneinen. Die Besonderheit des deutschen Rechts, prozessuale Vorlagepflichten der Parteien nicht mit Zwangsmaßnahmen zu belegen und als Umsetzung der Art. 6 und 7 DRL materiellrechtliche Ansprüche zur Verfügung zu stellen, erweist sich in diesem Kontext als problematisch. Da keine Zwangsmaßnahmen zur Durchsetzung der prozessualen Pflichten aus §§ 142, 144 ZPO zur Verfügung stehen, sind auch Rechtshilfeersuchen, die ohne Durchsuchung auf den Zugang zu Gegenständen in der Sphäre einer Partei zielen (z. B. die sog. doorstep Piller order394), zum Scheitern verurteilt.395 An einem selbständigen Zuspruch des Vorlage- oder Besichtigungsanspruchs wird das Rechtshilfegericht durch § 308 Abs. 1 ZPO gehindert. Den deutschen Rechtshilfegerichten bleibt allein die Möglichkeit, das ersuchende Gericht darauf hinzuweisen, dass die an der Beweisaufnahme interessierte Partei bei dem deutschen Rechtshilfegericht einen Antrag auf Vorlage bzw. Duldung der Besichtigung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes stellen kann. Die Zuständigkeit des 390 

Hess/Müller, ZZPInt 6 (2001), 149 (156). HBÜ lautet in der englischen Sprachfassung: „the requested authority shall apply the appropriate measures of compulsion in the instances and to the same extent as are provided by its internal law for the execution of orders issued by the authorities of its own country or of requests made by parties in internal proceedings“; die französische Fassung bestimmt: „l’autorité requise applique les moyens de contrainte appropriés et prévus par sa loi interne dans les cas et dans la même mesure où elle y serait obligée pour l’exécution d’une commission des autorités de l’Etat requis ou d’une demande formulée à cet effet par une partie intéressée.“ 392  Hess/Müller, ZZPInt 6 (2001), 149 (156). 393  Huber in Gebauer/Wiedmann, Kapitel 31 Rn. 174 f. 394  § 6 Rn. 29. 395 Vgl. Schlosser, EU-ZPR, Art. 10 EuBVO Rn. 2, Art. 9, 10 HBÜ Rn. 2: „untragbares Ungleichgewicht“. 391  Art. 10

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Rechtshilfegerichts folgt aus Art. 35 EuGVO i. V. m. nationalen Bestimmungen (näher § 11 Rn. 42 ff.).

e)  Modifizierte Ausführung des Rechtshilfeersuchens 50

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Scheitert die Erledigung des Antrags auf Durchführung der Beweisaufnahme in einer bestimmten Form, ist der Antrag nicht abzulehnen, sondern gegebenenfalls modifiziert durchzuführen.396 Dies ergibt sich sowohl aus der systematischen Stellung der Versagungsbefugnis in Art. 10 („Allgemeine Bestimmungen über die Erledigung des Ersuchens“) anstatt in Art. 14 („Ablehnung des Ersuchens“) als auch daran, dass für die Mitteilung über die Nichterledigung Formblatt E anstatt Formblatt H zu verwenden ist.397 Möglich ist zunächst eine modifizierte Erledigung der beantragten ausländischen Form,398 bspw. die Vereidigung mit der gewünschten Eidesformel, aber ohne die beantragte religiöse Beteuerung. Auch das bereits erwähnte, „gemäßigte“ Kreuzverhör zählt hierzu. Von größerer Bedeutung für die Praxis dürfte die hilfsweise Erledigung des Ersuchens nach der lex fori des Rechtshilfegerichts sein, soweit eine vergleichbare Maßnahme zur Verfügung steht.399 Zweckgerecht ist eine vorherige Rücksprache mit dem ersuchenden Gericht, ob die alternativ zur Verfügung stehende Maßnahme für den Prozess überhaupt dienlich ist.400 Auch wenn vergleichbare Maßnahmen zur Verfügung stehen, können die praktischen Schwierigkeiten bei der Umsetzung derart groß sein, dass eine Durchführung im Wege des Rechtshilfeersuchens schwierig bis unmöglich ist. Erinnert sei etwa an die erforderliche Auswahl des supervising solicitors und an die zahlreichen Verpflichtungserklärungen, die ein Antragsteller im Rahmen eines Antrags auf Erlass einer search order gegenüber dem High Court eingehen muss. Hier ist es zielführender, wenn die betreffende Prozesspartei des Hauptsacheverfahrens den Antrag auf Beweissicherung direkt bei den Gerichten am Belegenheitsort des Beweismittels stellt. 396 Generalanwältin Kokott, Schlussanträge v. 18. 07. 2007 – C-175/06 – Slg. 2007, I-7929 (Tedesco), Rn. 60, 111; v. Hein, ELF 2008, 34 (36); Huber in Gebauer/Wiedmann, Kapitel 31 Rn. 128. 397  v.  Hein in Rauscher, EuZPR, Art. 10 EG-BewVO Rn. 12; a. A. Schlosser, EU-ZPR, Art. 10 Rn. 4, nach dessen Auffassung Art. 14 Abs. 4 EuBVO zur Anwendung gelangt. Formblatt E enthält zwar kein Feld für eine Begründung, weshalb der Durchführung der Entscheidung des Rechtshilfegerichts nicht entsprochen werden kann. Die unionsrechtliche Loyalitätspflicht gebietet allerdings einen Hinweis, vgl. Huber in Gebauer/Wiedmann, Kapitel 31 Rn. 132; Schlosser, EU-ZPR, Art. 10 EuBVO Rn. 4. 398  Vgl. die Nachweise in der vorhergehenden Fußnote; A. A. Knöfel in Geimer/Schütze, IRV, B Vor I 30 b, Art. 10 Rn. 18. 399  Ausführlich zu bestimmten Einzelformen Knöfel in Geimer/Schütze, IRV, B Vor I 30 b, Art. 10 Rn. 15 ff. 400  v. Hein in Rauscher, EuZPR, Art. 10 EG-BewVO Rn. 12; Huber in Gebauer/Wiedmann, Kapitel 31 Rn. 133; Schlosser, EU-ZPR, Art. 10 EuBVO Rn. 4.



B.  Aktive und passive Rechtshilfe gemäß der EuBVO

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Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Rechtshilfegericht verpflichtet ist, nach Wegen zu suchen, um das Ersuchen in der durch das Prozessgericht beantragten, ggf. modifizierten Form oder in einer funktionell äquivalenten Form nach seiner eigenen lex fori zu erledigen. Scheitern kann eine Erledigung in der beantragten Form einerseits aufgrund rechtlicher Unvereinbarkeit, andererseits aus praktischen Gründen, insbesondere wenn es an einer freiwilligen Mitwirkung der Parteien oder Dritter fehlt und das Verfahrensrecht des Rechtshilfegerichts keine Zwangsmaßnahmen zur Durchsetzung der Beweisaufnahme kennt oder wenn das Recht des ersuchten Gerichts zwingend eigene Anträge oder Verpflichtungserklärungen der Parteien in dem betreffenden Verfahren vorsieht.

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5.  Allgemeine Beweisbeschaffungspflichten Im Schrifttum wird verschiedentlich thematisiert, ob die Gerichte der Mitgliedstaaten verpflichtet sind, Rechtshilfeersuchen zur Durchsetzung allgemeiner Beweismitteloffenbarungs- bzw. Beweismittelvorlagepflichten an die gegnerische Partei, etwa nach der englischen disclosure, nachzukommen.401 Die praktische Bedeutung dieser Frage tendiert gegen Null, da prozessuale Offenbarungspflichten, wie sie sich aus Art. 6 DRL ergeben, regelmäßig vom Prozessgericht im Wege extraterritorialer Beweisbeschaffung angeordnet werden (hierzu sogleich Rn. 64 ff.). Angesichts der für die Erfüllung dieser Pflichten erforderlichen Kenntnis interner Abläufe und Archivierungssysteme handelt es sich regelmäßig um unvertretbare Handlungen, deren Durchsetzung vom Prozessgericht durch Auferlegung einer nachteiligen Prozess- oder Kostenfolge bzw. durch Ordnungsgeld oder Ordnungshaft erzwungen werden kann. Für die Rechtshilfe sind aus diesem Grund lediglich Beweisbeschaffungsanordnungen gegenüber Dritten praktisch relevant, die in den nationalen Rechten der Mitgliedstaaten vielfach ohnehin zurückhaltend und nur in beschränktem Umfang angeordnet werden. Die Ablehnung eines Ersuchens um Durchführung einer Beweisaufnahme mittels Beweisbeschaffungsanordnung gegenüber einer im Prozess nicht involvierten Person kommt aus mehreren Gründen in Betracht: Erstens weil das Ersuchen nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung fällt, Art. 14 Abs. 2 lit. a EuBVO, zweitens aufgrund fehlender Spezifikation des Ersuchens trotz einer Bitte um Vervollständigung durch das ersuchte Gericht gemäß Art. 14 Abs. 2 lit. c, Art. 8 Abs. 1 EuBVO. Drittens kann sich der Dritte eventuell auf ein Verweigerungsrecht in Analogie zu Art. 14 Abs. 1 lit. a EuBVO (Aussage401  Tsikrikas in FS Simotta, S. 638; v.  Hein in Rauscher, EuZPR, Art. 1 EG-BewVO Rn. 41 ff.; Huber in Gebauer/Wiedmann, Kapitel 31 Rn. 33; Illmer in Triebel/Illmer/Ringe/ Vogenauer/Ziegler, Englisches Handels- und Wirtschaftsrecht, VIII Rn. 107.

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§ 15  Zugang zu im Ausland belegenen Beweismitteln

verweigerungsrecht) berufen402 und viertens steht gegebenenfalls im Recht des ersuchten Mitgliedstaates keine entsprechenden Zwangsmaßnahmen zur Durchsetzung des Ersuchens zur Verfügung. Der erste und der zweite Ablehnungsgrund sollen hier kurz beleuchtet werden. Anlässlich der Verabschiedung der EuBVO hat der Rat der Europäischen Union folgende Protokollerklärung abgegeben: „Pre-trial discovery, einschließlich Ausforschungen (so genannte ‚fishing expeditions’) sind vom Anwendungsbereich der Verordnung ausgenommen.“403 Diese Erklärung lehnt sich an den nicht in die Verordnung übernommenen Vorbehalt des Art. 23 HBÜ an, der freilich allein im Rechtsverkehr gegenüber den USA von Praxisrelevanz ist. Die englische Variante der pre-trial discovery war seit jeher zahmer als ihre amerikanische Verwandte404 und wurde bereits vor Erlass der EuBVO im Rahmen der englischen Zivilprozessrechtsreform von 1999 inhaltlich begrenzt. Dieser Neukonzeption wurde mit dem Begriff disclosure auch terminologisch Ausdruck verliehen. Deuten lässt sich die Protokollerklärung als Interpretationshilfe zu Art. 1 Abs. 2 EuBVO, d. h. als Bekräftigung des Grundsatzes, dass die Beweise zur Verwendung in einem bereits eingeleiteten oder zu eröffnenden gerichtlichen Verfahren bestimmt sein müssen.405 Reine Beweisermittlungsersuchen scheiden aus.406 Diese sind freilich in den europäischen Rechtsordnungen seit der englischen Zivilprozessrechtsreform ohnehin kaum präsent.407 Disclosure-Anordnungen gegenüber Dritten beschränken sich auf die so genannte standard disclosure,408 d. h. auf Dokumente, die für den Prozess tatsächlich relevant sind. Ferner muss die disclosure-Anordnung so gefasst sein, dass beim Dritten 402 

Supra § 15 Rn. 30 f. des Rates Nr. 54/01, Dokument des Rates Nr. 10571/01, S. 16 vom 04. 07. 2001. Zur fehlenden rechtlichen Bedeutung derartiger Protokollerklärungen, sofern sie keinen Ausdruck in einer Norm des Rechtsakts gefunden haben, siehe EuGH v. 26. 02. 1991 – C-292/89 – Slg. 1991, I-745 (Antonissen), Rn. 18; EuGH v. 10. 01. 2006 – C-402/03 – Slg. 2006, I-99 (Skov), Rn. 42; v. Hein in Rauscher, EuZPR, Art. 1 EG-BewVO, Rn. 42 f. 404  Stadler in FS Geimer, S. 1285. 405 Generalanwältin Kokott, Schlussanträge v. 18. 07. 2007 – C-175/06 – Slg. 2007, I-7929 (Tedesco), Rn. 70; v. Hein in Rauscher, EuZPR, Art. 1 EG-BewVO Rn. 44; McGuire/Rechberger, ZZPInt 10 (2005), 81 (86); a. A. Knöfel in Geimer/Schütze, IRV, B Vor I 30 b, Art. 1 Rn. 58. 406  v. Hein in Rauscher, EuZPR, Art. 1 EG-BewVO Rn. 48; Nuyts/Sepulchre, [2004] Bus. L. Intl. 305 (313); a. A. Huber in Gebauer/Wiedmann, Kapitel 31 Rn. 33. 407  Eine Anordnung der specific disclosure (CPR 31.12(2)) kann sich gemäß 31A PD 5.5(1)(b) auch auf Dokumente erstrecken, die zu einem train of enquiry führen (näher zur specific disclosure § 5 Rn. 22). Ein solches Ersuchen würde dem Anwendungsbereich der Verordnung nicht unterfallen, vgl. zutreffend v. Hein in Rauscher, EuZPR, Art. 1 EG-BewVO, Rn. 48. Gegenüber Dritten wird allerdings nur die standard disclosure angeordnet. 408  Three Rivers District Council v Bank of England (Disclosure) (No. 4), [2003] 1 WLR 210 (223 f.) (CA). 403 Erklärung



B.  Aktive und passive Rechtshilfe gemäß der EuBVO

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keinerlei Zweifel darüber verbleiben, welche Unterlagen offen zu legen sind.409 Ein Ersuchen um Erlass einer Beweisbeschaffungsanordnung gegenüber einem am Prozess nicht beteiligten Dritten ist damit vom Anwendungsbereich der Verordnung erfasst. Die Ablehnung eines solchen Ersuchens kann aber gegebenenfalls auf Art. 14 Abs. 2 lit. c EuBVO gestützt werden. Soweit das ersuchte Gericht das Ersuchen als zu unspezifiziert betrachtet, weil die Identität der zu beschaffenden Beweismittel nicht ausreichend umrissen ist, kann es nach Art. 8 Abs. 1 EuBVO das ersuchende Gericht um konkretisierende Angaben bitten. Be­deutung mag dies erlangen, wenn nach dem Recht des ersuchten Gerichts eine Durchsetzung der Beweisbeschaffungsanordnung mittels einer Durchsuchung in Betracht kommt. Denn selbst wenn die disclosure-Anordnung ausreichend spezifiziert ist, um dem betroffenen Dritten die Identifikation des relevanten Materials zu erlauben, kann eine Identifikation durch Justizpersonal, das keinen Einblick in interne Archivierungssysteme des Dritten hat, scheitern.

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V.  Maßnahmen im Vorfeld der Verfahrenseinleitung Beweissicherungsinstrumente und selbständige Beweisverfahren unterfallen nach ganz herrschender Auffassung dem Anwendungsbereich der EuBVO.410 Nach der hier vertretenen Auffassung trifft dies auch dann zu, wenn das Rechtshilfegericht lediglich um Beschaffung eines Beweismittels ohne eigenständigen Kognitionsakt ersucht wird (supra Rn. 6 ff.). Zum Zwecke der Beweissicherung ist der in der EuBVO implementierte Rechtshilfeweg freilich denkbar impraktikabel, da ein schneller Zugriff auf potentiell vergängliche Beweise nicht ermöglicht wird. Dies offenbart bereits die in Art. 10 Abs. 1 EuBVO eingeräumte maximale Erledigungsfrist von 90 Tagen, deren Beginn sich verzögert, wenn das Rechtshilfegericht um die Vervollständigung des Ersuchens oder um Zahlung eines Kostenvorschusses zwecks Beauftragung eines Sachverständigen bittet.411 Die unmittelbare Beweissicherung im Ausland durch 409  Re Howglen Ltd, [2001], BCC 245 (251) (Ch); Zuckerman, Rn. 15.145; siehe auch CPR 31.17(4)(a). 410  EuGH v. 28. 04. 2005 – C-104/03 – Slg. 2005, I-3481 (St. Paul Dairy), Rn. 23 (per obiter dictum); Generalanwältin Kokott, Schlussanträge v. 18. 07. 2007 – C-175/06 – Slg. 2007, I-7929 (Tedesco), Rn. 46 ff.; Sayers v Smithkline Beecham, [2004] EWHC 1098 (QB), Rn. 10; Nuyts/ Sepulchre, [2004] Bus. L. Intl. 305 (312 f.); v. Hein in Rauscher, EuZPR, Art. 1 EG-BewVO Rn. 51; Heinze, RIW 2008, 480 (481), jeweils mit zahlreichen Nachweisen; zweifelnd Hess/ Zhou, IPRax 2007, 183 (188); a. A. soweit ersichtlich lediglich Rushworth, LMCLQ 2009, 196 (203 ff.). 411 Auch ein Rechtsbehelfsverfahren oder Anträge des ersuchenden Gerichts gemäß Art. 10 Abs. 3 und 4 EuBVO können das Verfahren ohne Zutun des Rechtshilfegerichts verzögern, vgl. Schlosser, EU-ZPR, Art. 10 EuBVO Rn. 1.

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ein zukünftiges Prozessgericht oder dessen Beauftragten muss ohne Zwangsmittel erfolgen und kann sich zumindest um die 30-tägige Genehmigungsfrist des Art. 17 Abs. 4 EuBVO verzögern; hinzu treten Organisations- und Reisezeiten. Soll eine Beweisvereitelung durch den Antragsgegner i. S. d. Art. 7 DRL verhindert werden, besteht schließlich selbst bei einem ex parte-Verfahren die Gefahr, dass der Antragsgegner aufgrund der Verfahrensdauer Wind von dem intendierten Beweismittelzugriff erhält.412 Regelmäßig werden die Parteien es deshalb vorziehen, eine Beweissicherung am Ort der Belegenheit der Beweise zu beantragen.413 Doch mag es auch Situationen geben, in denen eine Partei die Einleitung eines gesonderten Beweisverfahrens vor dem Prozessgericht vorzieht.414 Maßgebliche Vorteile sind ggf. eine Antragstellung in der vertrauten Sprache und dem vertrauten Verfahrensrecht, die Gewähr der Verwertbarkeit der gewonnenen Beweise im späteren Prozess415 sowie eine eventuell an die Verfahrenseinleitung anknüpfende Unterbrechung des Laufs der Verjährungsfrist.416

VI.  Rechtsschutz gegen rechtswidrige Ablehnungsentscheidungen 60

Ist das ersuchende Gericht der Auffassung, dass die Ablehnung der Beweisaufnahme durch das um Rechtshilfe ersuchte Gericht unstatthaft ist, kann es gemäß Art. 3 Abs. 1 lit. b EuBVO die Zentralbehörde einschalten und um Vermittlung bitten. Zu Rechtsbehelfen gegen die Ablehnung der Erledigung schweigt die Verordnung; diese stehen den Parteien nach Maßgabe der lex fori des Rechtshilfegerichts zu.417 Ob eine Vorlage an den EuGH durch das ersuchende Gericht zwecks Klärung der Pflichten des Rechtshilfegerichts zulässig ist, hängt nach Art. 267 AEUV davon ab, ob eine Interpretation der EuBVO für das Ausgangsverfahren erheblich ist. In der Rechtssache Weryński hat der EuGH einen sehr großzügigen Maßstab an den Begriff der Erheblichkeit angelegt und ein Vorabentscheidungsersuchen des um Rechtshilfe ersuchenden

412 

Grabinski in FS Schilling, S. 195. v. Hein, ELF 2008, 34. 414  Berger, IPRax 2001, 522 (523). 415 Die Verwertung richtet sich nach § 493 ZPO, vgl. Berger, IPRax 2001, 522 (523); v. Hein in Rauscher, EuZPR, Art. 1 EG-BewVO Rn. 52. 416  Siehe im deutschen Recht § 204 Abs. 1 Nr. 7 BGB. Zu den Anforderungen einer zulässigen Substitution des selbständigen Beweisverfahrens gemäß §§ 485 ff. ZPO durch ein ausländisches Beweissicherungsverfahren vgl. Spickhoff, IPRax 2001, 37 (39 ff.). 417  Schlosser, EU-ZPR, Art. 14 EuBVO Rn. 8 ff.; Grabinski in FS Schilling, S. 203; v. Hein in Rauscher, EuZPR, Art. 14 EG-BewVO Rn. 24. Gleiches gilt für Rechtsbehelfe gegen die vom ausländischen Gericht angeordneten Modalitäten der Beweisaufnahme, vgl. OGH v. 29. 03. 2011 – 5 Ob 164/10v – JBl. 2011, 527 (528); Rechberger/McGuire, ÖJZ 2006, 829 (835). 413 



C.  Beweisaufnahme und Beweismittelimport außerhalb der EuBVO 

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Gerichts zu den Pflichten des um Rechtshilfe ersuchten Gerichts als zulässig erachtet.418

C.  Beweisaufnahme und Beweismittelimport außerhalb der EuBVO I.  Keine Exklusivität der EuBVO Regelungsgegenstand der EuBVO ist die Beweisaufnahme im Ausland im Wege der Rechtshilfe. Hiervon abzugrenzen sind Anordnungen des Prozessgerichts, welche auf die grenzüberschreitende Beweisaufnahme bzw. auf die Beschaffung eines im Ausland befindlichen Beweismittels ohne Mitwirkung ausländischer Gerichte und Behörden gerichtet sind. Die EuBVO sperrt derartige Beweisaufnahmen bzw. Beweisbeschaffungsanordnungen nicht.419 Ihr Ziel ist es, die gerichtliche Zusammenarbeit innerhalb der Union zu vereinfachen und zu beschleunigen,420 nicht etwa, anderen Formen der Beweisaufnahme Steine in den Weg zu legen.421 Die Zulässigkeit einer direkten Beweisaufnahme im Ausland bzw. extraterritorialer Beweisbeschaffungsanordnungen ist somit nicht Gegenstand des Unionsrechts. Vielmehr bedarf es erstens der Zulässigkeit der Beweisaufnahme nach der lex fori des Gerichts. Zweitens ist es eine Frage des Völkerrechts, ob der direkte Zugriff eines mitgliedstaatlichen Gerichts auf Beweismittel im Territorium anderer Mitgliedstaaten eine Beeinträchtigung der völkerrechtlichen Souveränität darstellt.422 Die EuBVO regelt diese Frage nicht. Der Verordnung lässt sich allenfalls ein Konsens der Mitgliedstaaten darüber 418 EuGH v.  17.  01. 2011  – C-283/09 (Weryński), Rn. 38 ff. (hierzu noch infra § 17 Rn. 31 f.); a. A. Generalanwältin Kokott, Schlussanträge v. 18. 07. 2007 – C-175/06 – Slg. 2007, I-7929 (Tedesco), Rn. 32 f.: vorlageberechtigt hinsichtlich der Pflichten des ersuchten Gerichts sei allein jenes. 419  EuGH v. 06. 09. 2012 – C-170/11 (Lippens), Rn. 28 ff.; EuGH v. 21. 02. 2013 – C-332/11 (ProRail), Rn. 42 ff.; Kern, GPR 2013, 49 (51); v.  Hein in Rauscher, EuZPR, Art. 1 EGBewVO, Rn. 18; Huber in Gebauer/Wiedmann, Kapitel 31 Rn. 35; Bach in BeckOK ZPO, § 363 ZPO Rn. 7. 420  Erwägungsgrund 2 EuBVO, vgl. auch Art. 21 Abs. 2 EuBVO. Zu weiteren Gesichtspunkten siehe v. Hein in Rauscher, EuZPR, Art. 1 EG-BewVO, Rn. 18. 421  Es bedeutet keinen Widerspruch, wenn der EuGH die Exklusivität der EuZVO bejaht (EuGH v.  19. 12. 2012  – C-325/11 (Alder), Rn. 20 ff., 35 ff.), einen Anwendungsvorrang der EuBVO hingegen verneint. Die EuZVO enthält Bestimmungen, die dem Schutz des Zustellungsadressaten dienen und deren praktische Wirksamkeit durch fiktive Inlandszustellungen beeinträchtigt wird. Entsprechende Bestimmungen fehlen in der EuBVO. Art. 13, 14 EuBVO bekräftigen die Souveränität des Rechtshilfestaates, dienen also nicht primär dem Schutz von Privatinteressen. 422 Näher Musielak in FS Geimer, S. 765 ff.; Leipold in FS Schlechtriem, S. 101 f.; Stadler in FS Geimer, S. 1305 f.

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entnehmen, in welchem Umfang im gemeinschaftsinternen Rechtsverkehr der Grundsatz völkerrechtlicher Souveränität zurückgenommen ist. Soweit eine Regelung der Verordnung dem Schutz der territorialen Souveränität der Mitgliedstaaten dient, ist es – vorbehaltlich etwaig bestehender Abkommen423 oder einer Genehmigung im Einzelfall – zwar kein Verstoß gegen das Unions-, wohl aber gegen das Völkerrecht, wenn mittels eines direkten Beweiszugriffs auf ein Rechtshilfeersuchen verzichtet wird.424 Der Europäische Gerichtshof scheint diese Auffassung nicht zu teilen. In den Entscheidungen Lippens und ProRail, die im Folgenden näher erörtert werden, hat der EuGH zutreffend die fehlende Sperrwirkung der EuBVO hervorgehoben. In Überschreitung seiner durch Art. 267 AEUV verliehenen Entscheidungskompetenz425 hat der Gerichtshof über diese Feststellung hinausgehend Aussagen dazu getroffen, in welchen Situationen eine extraterritoriale Beweismittelbeschaffung innerhalb der Europäischen Union (völkerrechtlich) zulässig sei. Eine Indizwirkung über die von den Mitgliedstaaten zu respektierenden Grundsätze völkerrechtlicher Souveränität entnahm der Gerichtshof den Bestimmungen der EuBVO dabei nicht.426 Im Folgenden wird die Frage anhand einzelner Fallgruppen diskutiert.

II. Einzelbeispiele 1.  Anordnungen an die Parteien zur extraterritorialen Beweisbeschaffung 64

Eine wichtige Form des Beweismittelimports ist die gerichtliche Anordnung an die Parteien, ein Beweismittel dem Prozessgegner oder dem Gericht vorzulegen.

a)  Materiellrechtliche Editionspflichten 65

Wie in § 5 Rn. 47 ff. ausführlich dargestellt wurde, sind effektive Pflichten zur Beweismittelvorlage zugunsten bzw. zur Duldung einer Besichtigung durch den Prozessgegner im deutschen Recht vorwiegend materiellrechtlich ausgestaltet. Nach herrschender Auffassung sind ausgeurteilte Vorlage- und Besichtigungsansprüche der Anerkennung und Vollstreckung im Ausland zugänglich.427 Daneben kommt eine Inlandsvollstreckung durch Zwangs423 

Art. 21 Abs. 2 EuBVO. Nuyts/Sepulchre, [2004] Bus. L. Intl. 305 (315); Huber in Gebauer/Wiedmann, Kapitel 31 Rn. 36; v. Hein in Rauscher, EuZPR, Art. 1 EG-BewVO Rn. 19; a. A. Knöfel, IPRax 2013, 231 (232 f.) unter Hinweis auf einen „Grundsatz interjustizieller Verhältnismäßigkeit“. 425 Zutreffend Kern, GPR 2013, 49 (51). 426  EuGH v. 21. 02. 2013 – C-332/11 (ProRail), Rn. 47 ff. m. krit. Anm. Bach, EuZW 2013, 315 (316). 427  Coester-Waltjen in FS Schlosser, S. 149 ff.; Grabinski in FS Schilling, S. 196; Schlosser, EU-ZPR, Art. 32 EuGVVO Rn. 9; Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 32 Brüssel I-VO Rn. 8; 424 



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geld bzw. Ordnungsmittel in Betracht.428 Der Bundesgerichtshof ist sogar der zweifelhaften Auffassung, mittels inländischer Ordnungsmittel könne eine Pflicht zur Duldung des Betretens ausländischer Geschäftsräume durch einen Sachverständigen vollstreckt werden.429

b)  Prozessuale Vorlagepflichten Deutlich umstrittener ist (zumindest aus deutscher Perspektive) die Frage, ob das Prozessgericht prozessuale Anordnungen treffen kann, welche die Parteien zur Vorlage eines im Ausland belegenen Beweismittels verpflichten, und einen Verstoß mit in personam wirkenden Zwangsmaßnahmen sanktionieren darf. Paradigmatisch sind disclosure-Anordnungen durch englische Gerichte, die sich auf im Ausland belegene Urkunden oder anderweitige Beweismittel beziehen. Diese Instrumente bedürfen keiner Rechtshilfe durch ein ausländisches Gericht, da ihre Durchsetzung durch die inländische Zwangsmaßnahme des contempt of court ausreichend gewährleistet wird. Der so genannte Justizkonflikt zwischen Europa und den USA im Rahmen des HBÜ430 hat die unterschiedlichen Souveränitätsverständnisse und die divergierende räumliche Zuordnung solcher Beweisbeschaffungsmaßnahmen wie mit einem Scheinwerfer ausgeleuchtet. Bei Aushandlung des HBÜ entstand auf englische Initiative hin die Vorbehaltsklausel des Art. 23 HBÜ. Danach kann jeder Staat bei Unterzeichnung erklären, dass er Rechtshilfeersuchen, die auf eine pretrial-discovery of documents zielen, nicht erledigt. Einen entsprechenden Vorbehalt haben nahezu alle europäischen Staaten erklärt,431 in einigen Staaten wurden zudem sogenannte blocking statutes erlassen.432 Hieraus könnte die Schlussfolgerung gezogen werden, es sei völkerrechtlich unzulässig, wenn das Prozessgericht eine Partei zur Vorlage im Ausland belegener BeweisKnöfel in Geimer/Schütze, IRV, B Vor I 30 b, Art. 13 Rn. 14; Leipold, Lex fori, S. 54. 428  Inwieweit die Inlandsvollstreckung zur Willensbeugung über die Grenze hinweg zulässig ist, ist höchst umstritten. Zum Meinungsstand ausführlich Heese, ZZP 124 (2011), 73 (75 ff.). 429  BGH v. 13. 08. 2009 – I ZB 43/08 – EuZW 2010, 114 (115); ebenso Eichel, IPRax 2013, 146 (149 f.); Geimer, IZPR, Rn. 3228; a. A. OLG Stuttgart v. 26. 09. 1983 – 11 W 43/83 – ZZP 97 (1984), 487 (488) m. zust. Anm. Münzberg, a. a. O., 489; Peiffer, Titelgeltung, Rn. 1101; Heese, ZZP 124 (2011), 73 (88 ff.). 430 Näher Heese, ZZP 124 (2011), 73 (83 ff.); Buxbaum in Nuyts/Watté, International Civil Litigation, S. 343 ff.; Schack, IZVR, Rn. 817 ff.; Stadler in FS Geimer, S. 1282 ff., jeweils m. w. N. 431 Zu Hintergrund und verunglücktem Normtext siehe Schlosser, EU-ZPR, Art. 23 HBÜ Rn. 1 ff. 432 In Frankreich wird die Übermittlung von Dokumenten oder Informationen wirtschaftlicher, kommerzieller, industrieller oder finanzieller Art für die Zwecke ausländischer Gerichtsverfahren unter Strafe gestellt durch Art. 2 Loi n°80–538 du 16 juillet 1980 relative à la communication de documents ou renseignements d’ordre économique, commercial ou technique à des personnes physiques ou morales étrangères.

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mittel verpflichte.433 Zumindest aus US-amerikanischer Sicht lässt sich dem HBÜ indes kein Vorrang der Rechtshilfe vor einer mit inländischen Zwangsmaßnahmen sanktionierten pre-trial discovery entnehmen: Das HBÜ enthalte keinen Grundsatz der Exklusivität.434 Angesichts dieser divergierenden Verständnisse hätte es nahe gelegen, im Zuge des Erlasses der EuBVO einen Konsens der Mitgliedstaaten über die Zulässigkeit prozessualer Anordnungen zur Vorlage im Ausland belegener Beweismittel zu erzielen. Stattdessen gab der Rat anlässlich der Verabschiedung der Verordnung die bereits oben erwähnte kryptische Protokollerklärung ab: „Pre-trial discovery, einschließlich Ausforschungen (so genannte „fishing expeditions“) sind vom Anwendungsbereich der Verordnung ausgenommen.“435 In dieser Erklärung blieb nicht nur – ebenso wie in Art. 23 HBÜ – der Kern des Problems unberücksichtigt, nämlich die Tatsache, dass angesichts der Schärfe der verfügbaren Sanktionen, bis hin zum Prozessverlust, prozessuale Editionspflichten einen Beweismittelimport ohne Nutzung des Rechtshilfewegs ermöglichen. Es wurde auch übersehen, dass keiner der Mitgliedstaaten der Union das Instrument der pre-trial discovery kennt.436 Mangels eines in der Verordnung zum Ausdruck gekommenen gegenteiligen Konsenses zwischen den Mitgliedstaaten sollte eine an die Parteien gerichtete Anordnung zur extraterritorialen Beweisbeschaffung innerhalb des Rechtsverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten als völkerrechtlich zulässig angesehen werden.437 Eine solche Anordnung darf nach zutreffender, aber umstrittener Auffassung nicht nur mittelbar durch nachteilige Prozess- und Kostenfolgen durchgesetzt werden, sondern auch durch Sanktionen mit Beugecharakter wie

433  So der amicus curiae-Schriftsatz der deutschen Bundesregierung in der Rechtssache Société Nationale Industrielle Aérospatiale (nächste Fn.), berichtet bei Heidenberger, RIW 1986, 489 (491). 434  US Supreme Court, Société Nationale Industrielle Aérospatiale v. U. S. District Court, 482 US 522 (533 ff.) (1987); ebenso aus europäischer Perspektive Schlosser, IPRax 1987, 153 ff. m. w. N.; Wazlawik, IPRax 2004, 396 f.; Stadler, Unternehmensgeheimnis, 1989, 308 ff.; 314 ff. jeweils m. w. N., auch zur Gegenauffassung. Zu Kollisionen mit der europäischen Datenschutzrichtlinie siehe Artikel-29-Datenschutzgruppe, Arbeitsunterlage 1/2009; Knapp, Enforcement; Knöfel in FS Simotta, S. 347 f. Allgemein zur Frage der Exklusivität der Rechtshilfeersuchen nach dem HBÜ Knöfel, IPRax 2013, 231 f.; Bach in BeckOK ZPO, § 363 Rn. 8, jeweils m. w. N. 435  Supra § 15 Rn. 55 f. 436  Dies mag daran liegen, dass sich eine Beteiligung des Vereinigten Königreichs und Irlands an der EuBVO erst kurz vor deren Verabschiedung abzeichnete und die Erklärung deshalb ohne nähere Prüfung der dortigen Beweisverfahrensregeln abgegeben wurde. 437  Stadler in FS Geimer, S. 1290; Grabinski in FS Schilling, S. 202; Coester-Waltjen in FS Schlosser, S. 153; Heese, ZZP 124 (2011), 73 (89 f.); Hess, EuZPR, § 8 Rn. 36; v. Hein in Rauscher, EuZPR, Art. 1 EG-BewVO Rn. 18 m. w. N.; Schack, IZVR, Rn. 792 ff.; zur Auffassung in England (in personam jurisdiction ausreichend) ausführlich Fentiman, Litigation, Rn. 1.34 ff. m. w. N.

C.  Beweisaufnahme und Beweismittelimport außerhalb der EuBVO 



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dem contempt of court belegt werden.438 Die diesbezügliche Hoheitsgewalt des Prozessgerichts gründet sich auf das nach Maßgabe unionsrechtlicher Bestimmungen (Art. 4 ff. EuGVO) begründete Prozessrechtsverhältnis.439 Ergibt sich eine Vorlageanordnung aus einer materiellen Rechtspflicht, bspw. aus § 140c PatG et al., ist die Durchsetzbarkeit der gerichtlichen Entscheidung im Wege der Auslandsvollstreckung unbestritten. Wie das Beispiel der Umsetzung von Art. 5 DRL zeigt, wäre es verfehlt, Souveränitätseingriffe abhängig von einer prozessualen oder materiellrechtlichen Einbettung gerichtlich auferlegter Handlungspflichten zu beurteilen, da dies zu einer kaum begründbaren Differenzierung funktional äquivalenter Instrumente führte. Darüber hinaus würde eine Untersagung der extraterritorialen Beweisbeschaffung insbesondere bei der disclosure zu einer Beeinträchtigung der Waffengleichheit führen. Angesichts der beidseitigen Offenlegungspflichten wäre es höchst misslich, könnte eine der Parteien unter Verweis auf die ausländische Belegenheit bestimmter Dokumente ihr Kartenblatt unter dem Tisch verstecken.440 Eine Erledigung eines Ersuchens auf disclosure im Wege der Rechtshilfe ist keine Lösung, sofern das Recht des Mitgliedstaats des ersuchten Gerichts keine Zwangsmittel für entsprechende Maßnahmen kennt.441

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2.  Befunderhebungen im Ausland durch gerichtlich beauftragte Sachverständige a)  Aus der EuBVO ableitbares Souveränitätsverständnis der Mitgliedstaaten Gemäß Art. 17 Abs. 1, Abs. 3 EuBVO bedarf es für die unmittelbare Inaugenscheinnahme im Ausland durch einen Gerichtsangehörigen oder eine andere beauftragte Person sowie für Untersuchungen gerichtlich beauftragter Sachverständiger einer Genehmigung durch die Zentralstelle. Der Zentralstelle wird die Option eingeräumt, Bedingungen für die Durchführung der Maß438 

Wie hier Masri v Consolidated Contractors International (UK) Ltd (No 4), [2010] 1 AC 90 (113 f.) (CA) per obiter dictum; Musielak in FS Geimer, S. 776; Coester-Waltjen in FS Schlosser, S. 153; Schlosser, IPRax 1987, 153 (154 f.); v.  Hein, LMK 2012, 340744; Müller, Beweisaufnahme, S. 151; Hollander, Evidence, Rn. 28–17; wohl auch Schlosser, EU-ZPR, Art. 1 HBÜ Rn. 6; a. A. OLG Hamm v. 02. 10. 2008 – I-19 W 21/08 – BeckRS 2008, 23378; Stadler in FS Geimer, S. 1290; Gottwald in FS Habscheid, S. 127; Grabinski in FS Schilling, S. 202 (im Gegenschluss aus Art. 13 EuBVO). 439  Masri v Consolidated Contractors International (UK) Ltd (No 4), [2010] 1 AC 90 (108 f.) (CA); Mackinnon v Donaldson Lufkin & Jenrette Securities, [1986] Ch 482 (487 f., 494 f.); Müller, Beweisaufnahme, S. 147; Schack, IZVR, Rn. 791; Bach in BeckOK ZPO, § 363 Rn. 10; Huber in Gebauer/Wiedmann, Kap. 31 Rn. 38. Zur Duldungspflicht von Untersuchungen zur Abstammungsfeststellung gem. § 374a ZPO siehe BGH v. 09. 04. 1986 – IVb ZR 27/85 – JZ 1987, 42 m. krit. Anm. Stürner; Schlosser, IPRax 1987, 153 ff. 440 Siehe Hartley, Int’l Litigation, S. 498: „[this] would completely undermine the common-law system of procedure.“ 441  Stadler in FS Geimer, S. 1292.

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§ 15  Zugang zu im Ausland belegenen Beweismitteln

nahme nach Maßgabe ihres Rechts aufzustellen. Eine im deutschen Entwurfsvorschlag zur EuBVO enthaltene Regelung, wonach ein Sachverständiger für die Durchführung einer Erhebung in einem anderen Mitgliedstaat unmittelbar durch das Prozessgericht bestellt werden könne, ohne eine Genehmigung des betreffenden Mitgliedstaats einzuholen oder diesen zu unterrichten, fand keine politische Mehrheit.442 Art. 17 EuBVO lässt sich ein deutlicher Konsens der Mitgliedstaaten entnehmen, dass ein solcher Beweismittelimport ohne Genehmigung des betroffenen Mitgliedstaates als völkerrechtlich unzulässig anzusehen ist.443 Die Erzwingung des Zugangs zu im Ausland befindlichen Räumlichkeiten einer Partei mittels in personam wirkenden Maßnahmen wird vor allem in der englischen Literatur erörtert; die völkerrechtliche Zulässigkeit einer extraterritorialen search order wird dort überwiegend verneint.444 72

b) Die Rechtssache ProRail Dem Europäischen Gerichtshof erschien der Weg über Art. 17 EuBVO in der Entscheidung ProRail als zu beschwerlich. Mit dem zutreffenden Hinweis, es könne sich unter bestimmten Umständen als einfacher, effizienter und 442  Art. 1 Abs. 3 Initiative der Bundesrepublik Deutschland im Hinblick auf den Erlass einer Verordnung des Rates über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- und Handelssachen, ABl. Nr. C 314/3 v. 03. 11. 2000. Nach Auffassung des EuGH soll dies für die Ermittlung des Willens des historischen Verordnungsgebers unbeachtlich sein, da der Verordnungsvorschlag lediglich Ersuchen um aktive Rechtshilfe vorsah, vgl. EuGH v. 21. 02. 2013 – C-332/11 (ProRail), Rn. 50 f. Dies überzeugt nicht. Vielmehr spricht die Einführung der unmittelbaren Beweisaufnahme durch einen vom Prozessgericht beauftragten Sachverständigen in Art. 17 Abs. 3 EuBVO dafür, dass diese Norm an die Stelle von Art. 1 Abs. 3 des Verordnungsvorschlags getreten ist. 443 Wie hier (teils verbunden mit rechtspolitischer Kritik): Müller, Beweisaufnahme, S. 114, 156 ff.; Hau, RIW 2003, 822 (824); Schulze, IPRax 2001, 527 (528); Stadler in FS Geimer, S. 1306; Nuyts/Sepulchre, [2004] Bus. L. Intl. 305 (334); Hess/Müller, ZZPInt 6 (2001), 149 (174 f.); Bruneau, JCP 2001, 1767 (1772); Schlosser, EU-ZPR, Art. 17 EuBVO Rn. 3; v. Hein in Rauscher, EuZPR, Art. 1 EG-BewVO, Rn. 25; auf Art 8 ILC-Draft Articles on State Responsibility hinweisend Bach in BeckOK ZPO, § 363 ZPO Rn. 19 f. m. w. N.; differenzierend Huber in Gebauer/Wiedmann, Kap. 31 Rn. 44, siehe aber auch ibid, Rn. 201. A. A. EuGH v. 21. 02. 2013 – C-332/11 (ProRail), Rn. 40 f.; OLG Oldenburg v. 29. 11. 2012 – 8 W 102/12  – BauR 2013, 512; Leipold, FS Schlechtriem, S. 103 f.; Tsikrikas in FS Simotta, S. 640; Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2013, 1 (29); Schack, IZVR, Rn. 790; Nagel/Gottwald, IZVR, § 9 Rn. 34. Zum Streitstand im deutschen Schrifttum vor Inkrafttreten der EuBVO vgl. die Nachweise bei Stadler in FS Geimer, S. 1287. Ebenfalls vor Inkrafttreten der EuBVO erging die Entscheidung CFEM Façades v Bovis Constructions, [1992] I. L.Pr. 561 (578) (QB), in der die Beauftragung eines Sachverständigen mit der Begutachtung einer Baustelle auf englischem Territorium durch ein französisches Gericht nicht beanstandet wurde. 444  Gee, Injunctions, Rn. 6.007; MacLachlan, ICLQ 1989, 3 (20  f.); Kennett, MLR 56 (1993), 342 (353); wohl auch Collins LJ in Masri v Consolidated Contractors Intl (No 2), [2009] 2 WLR 621 (631) (CA); aus dem deutschsprachigen Schrifttum Tsikrikas in FS Simotta, S. 640 f.; Schack, IZVR, Rn. 790; als zulässig wird eine extraterritoriale search order erachtet in Cook Industries v Galliher, [1979] Ch 439 (444) (Ch) sowie von Briggs/Rees, Civil Jurisdiction, Rn. 6.04.

C.  Beweisaufnahme und Beweismittelimport außerhalb der EuBVO 



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schneller erweisen, die Beweisaufnahme ohne Rückgriff auf die EuBVO durchzuführen, befand der Gerichtshof, die Entsendung eines Sachverständigen zu Erhebungen in das EU-Ausland sei zulässig.445 Die Entscheidung, welche auch auf Augenscheinsgehilfen zu übertragen sein dürfte, stützt sich weder auf Rechtsquellen noch befasst sie sich mit völkerrechtlichen Prinzipien. Dabei ließ der Gerichtshof nicht sämtliche Souveränitätsaspekte außer Betracht, sondern erklärte: Eine solche Untersuchung könne sich „unter bestimmten Umständen auf die Ausübung hoheitlicher Gewalt des Mitgliedstaats, in dem sie vorzunehmen ist, auswirken, namentlich wenn es sich um eine Untersuchung an Orten handelt, die mit der Ausübung hoheitlicher Gewalt verbunden sind oder zu denen der Zutritt oder andere Maßnahmen nach dem Recht des Mitgliedstaats, in dem die Untersuchung durchgeführt wird, verboten oder nur dazu befugten Personen erlaubt sind.“446 Der Gerichtshof scheint zu implizieren, dass Souveränitätsbedenken nur dann gegen die Beauftragung eines Sachverständigen für Auslandsuntersuchungen sprechen, wenn der Sachverständige zwecks Durchführung der Maßnahme des Zutritts zu öffentlich nicht frei zugänglichen Örtlichkeiten bedarf. Soweit Grundstücke privater Personen betroffen sind, ergibt diese Unterscheidung nur insoweit Sinn, als dem Sachverständigen eine Zugangserlaubnis nicht freiwillig eingeräumt wird.447 Muss der Zugang erzwungen werden, scheidet aber auch eine unmittelbare Beweisaufnahme i. S. d. EuBVO aus, da diese gemäß Art. 17 Abs. 2 EuBVO nur auf freiwilliger Grundlage und ohne Zwangsmaßnahme erfolgen kann. Der EuGH entscheidet hier nicht allein über eine – ihm nicht zur Entscheidung zugewiesene – völkerrechtliche Fragestellung, er verdammt letztlich aus Praktikabilitätserwägungen das Genehmigungserfordernis des Art. 17 EuBVO zur Bedeutungslosigkeit. Weshalb sollte ein Prozessgericht das zeitverzögernde und umständliche Genehmigungsverfahren des Art. 17 Abs. 1 EuBVO nutzen, wenn hieraus keinerlei Vorteile resultieren?

c)  Erzwingung des Zugangs zu ausländischen Räumlichkeiten Implizit erklärt der Gerichtshof mit der Orientierung an der öffentlichen Zugänglichkeit einer Räumlichkeit eine extraterritoriale search order für unzulässig. Das englische Recht operiert hier zwar aus historischen Gründen mit der Figur einer freiwilligen Einräumung der Zugangserlaubnis an die vom supervising solicitor angeführte Suchmannschaft. In der Sache ist freilich ganz unbestritten, dass es sich hierbei um eine reine Fiktion handelt, da eine Verweigerung des Zutritts nachhaltige Sanktionen für den Antragsgegner nach 445 

EuGH v. 21. 02. 2013 – C-332/11 (ProRail), Rn. 45 f. EuGH v. 21. 02. 2013 – C-332/11 (ProRail), Rn. 47, m. krit. Anm. Bach, EuZW 2013, 315 (316). 447 Ebenso Sujecki, EuZW 2013, 408 (411) sowie implizit OLG Oldenburg v. 29. 11. 2012 – 8 W 102/12 – BauR 2013, 512. 446 

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§ 15  Zugang zu im Ausland belegenen Beweismitteln

sich zieht und sich die Anordnung an jede Person richtet, die zum relevanten Zeitpunkt zur Wahrung des Hausrechts berufen ist.448 In gleichem Zuge lässt sich die bereits erwähnte Rechtsprechung des BGH (supra Rn. 65), die Vollstreckung eines Urteils auf Duldung der Besichtigung und des Betretens ausländischer Räumlichkeiten sei durch Zwangsmaßnahmen des Erkenntnisstaates vollstreckbar,449 nicht mit der Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache ProRail vereinbaren.

d)  Konsequenzen für die unmittelbare Beweisaufnahme des Gerichts 74

Offen bleibt, welche Auswirkungen die Entscheidung ProRail auf eine unmittelbare Beweisaufnahme durch die in Art. 17 Abs. 3 EuBVO im gleichen Atemzuge mit den Sachverständigen genannten Gerichtsangehörigen nimmt. Auch hier ist es zweifellos „einfacher, effizienter und schneller“, die Beweisaufnahme ohne Rückgriff auf die EuBVO durchzuführen. Eine Differenzierung zwischen den als Privatperson agierenden Sachverständigen bzw. Augenscheinsgehilfen und den mit hoheitlichen Aufgaben betrauten Gerichtsangehörigen leuchtet nur auf den ersten Blick ein. Erstens agiert ein vom Gericht mit der Erhebung bzw. Betrachtung beauftragter Sachverständiger oder Augenscheinsgehilfe als verlängerter Arm des Gerichts.450 Zweitens überzeugt eine Differenzierung zwischen Augenscheinsgehilfen und Gerichtsangehörigen aus der Perspektive des Unmittelbarkeitsgrundsatzes451 nicht: Das Prozessgericht könnte sonst versucht sein, einen Augenscheinsgehilfen anstatt eines Gerichtsangehörigen zur Inaugenscheinnahme in das EU-Ausland zu entsenden, um den bürokratischen Hürden der EuBVO zu entgehen.

3.  Zeugen- oder Parteivernahme im Wege der Videokonferenz 75

Im Prinzip identische Fragen stellen sich bei der Vernehmung einer im Ausland weilenden Partei oder eines Zeugen per Tele- oder Videokonferenz. Auch eine solche Vernehmung wird ausweislich der Art. 10 Abs. 4 S. 1, Art. 17 Abs. 4 S. 3 EuBVO als Beweisaufnahme im Ausland qualifiziert, wobei die unmittelbare Beweisaufnahme durch das ersuchende Gericht einer Genehmigung der Zentralbehörde des Staates bedarf, aus dem übertragen werden soll, und nicht 448 

Bhimji v Chatwani, [1991] 1 WLR 989 (1001) (Ch); ähnlich Laddie/Dockray, LQR 1990, 601 (610 ff.); Willoughby, EIPR 1994, 550; ferner Lord Mackay LC, berichtet bei Andrews, Civil Procedure, Rn. 17.113. 449  BGH v. 13. 08. 2009 – I ZB 43/08 – EuZW 2010, 114 (115). 450  Ahrens FS Schütze, 1 (5 f.); Leipold, Lex fori, S. 46 f; Stadler in Musielak, § 363 ZPO Rn 14; sowie Bach, BeckOK, § 363 ZPO Rn. 20 unter Verweis auf Art. 8 der von der UN-Völkerrechtskommission ausgearbeiteten Draft Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts, welcher als Indiz für eine entsprechende völkergewohnheitsrechtliche Norm herangezogen werden kann. 451  Die Vorzüge einer unmittelbaren Beweiserhebung werden deutlich betont in EuGH v. 06. 09. 2012 – C-170/11 (Lippens), Rn. 32.

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durch Zwangsmaßnahmen forciert werden kann. Nach hier vertretener Auffassung ist die Partei- oder Zeugenvernahme per Tele- oder Videokonferenz deshalb nur im Wege der aktiven oder passiven Rechtshilfe zulässig.452 Die EuGH-Rechtsprechung in der Rechtssache ProRail legt demgegenüber nahe, dass Tele- oder Videokonferenzen – Freiwilligkeit der Aussageperson vorausgesetzt – den Rechtshilfeweg vollkommen überflüssig machen.

4.  Aufforderung einer im Ausland ansässigen Aussagepersonen zur Aussage Will das Prozessgericht eine im Ausland ansässige Person vernehmen, kommt alternativ zur Beweisaufnahme im Ausland eine Reise der Aussageperson zum Forum und Vernehmung durch das Prozessgericht in Betracht. Die völkerrechtlichen Rahmenbedingungen einer solchen Vernehmung sind umstritten. Nach wohl herrschender Auffassung legitimieren sich an Parteien gerichtete Aufforderungen zur Aussage durch das Prozessrechtsverhältnis,453 während gegenüber nicht am Prozess beteiligten Zeugen nur informale Bitten um Aussage oder um schriftliche Stellungnahme genehmigungsfrei sein sollen.454 Nach anderer Auffassung ist auch die Aufforderung zur Aussage, verbunden mit einer Androhung bzw. ggf. einer Anwendung von Beugemitteln zulässig, zumindest sofern die Aussageperson die Staatsangehörigkeit des Forumsstaates besitzt.455 Eine solche Überlagerung der Gebietshoheit durch die Personal452 

v.  Hein in Rauscher, EuZPR, Art. 1 EG-BewVO, Rn. 22 f. m. w. N.; Schack, IZVR, Rn. 807; Huber in Gebauer/Wiedmann, Kapitel 31 Rn. 201; Schlosser, EU-ZPR, Art. 17 EuBVO Rn. 6; Schulze, IPRax 2001, 527 (528); Hau in Marauhn, S. 25 (nicht für die Parteivernahme). A. A. Knöfel, RIW 2006, 302 (304); Nagel/Gottwald, IZVR, § 9 Rn. 34; i. E. ebenso (ohne jegliche Erwägung der EuBVO) Polanski v Condé Nast Publications, [2005] UKHL 10 (HL) (deutsche Übersetzung teilweise abgedruckt in RIW 2006, 301 f.). 453  Masri v Consolidated Contractors International (UK) Ltd (No 4), [2010] 1 AC 90 (108 f.) (CA); Bach in BeckOK ZPO, § 363 ZPO Rn. 10; Schack, IZVR, Rn. 791; Huber in Gebauer/Wiedmann, Kap. 31 Rn. 38; nur für freiwillige Aussagen zustimmend Teixeira de Sousa, JZ 2013, 98 (99). 454  Huber in Gebauer/Wiedmann, Kapitel 31 Rn. 41, 201; McClean, Co-operation, S. 124; Schlosser, EU-ZPR, Art. 1 EuBVO Rn. 2; Stadler in FS Geimer, S. 1291; Leipold, R. L. R. 2003, 85 (96); Berger, IPRax 2001, 522 (527); Schulze, IPRax 2001, 527 (528); Hau, RIW 2003, 822 (825). In diesen Kontext ist es auch einzuordnen, wenn Parteivertreter mit einem potentiellen Zeugen im Ausland ein witness statement englischen Rechts vorbereiten, da Parteivertreter weder Hoheitsgewalt ausüben, noch „verlängerter Arm“ des Gerichts sind. Laut einer älteren BGH-Entscheidung soll die informale Bitte eines Gerichts an eine Aussageperson um schriftliche Stellungnahme hingegen einen Souveränitätseingriff darstellen, vgl. BGH v. 10. 05. 1984 – III ZR 29/83 – NJW 1984, 2039. Eine Aufrechterhaltung dieses sehr strikten Souveränitätsverständnisses wäre zumindest für den Rechtshilfeverkehr innerhalb der Europäischen Union ein Anachronismus. Auch § 62 S. 3 ZRHO ist insoweit überholt. Die Verwaltungsanordnung ist nicht geeignet, die richterliche Unabhängigkeit einzuschränken, vgl. Musielak in FS Geimer, S. 768; Grabinski in FS Schilling, S. 193 m. Fn. 9. 455  Huber in Gebauer/Wiedmann, Kapitel 31 Rn. 38; Schack, IZVR Rn. 795; v. Hein in Rauscher, EuZPR, Art. 1 EG-BewVO, Rn. 20; Müller, Beweisaufnahme, S. 148, 154; ohne Ansehung der Staatsangehörigkeit Bach in BeckOK ZPO, § 363 ZPO Rn. 14 ff.

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hoheit verhält sich allerdings weder zu den Wertungen der EuBVO kongruent, noch lässt sie sich mit der Zurückdrängung des Staatsangehörigkeitsprinzips im europäischen Primärrecht vereinbaren.456 Dem EuGH bot sich in der Rechtssache Lippens, welche die Zeugenvorladung und -vernehmung einer Partei nach niederländischem Recht betraf, Gelegenheit zur Stellungnahme. Der Gerichtshof verwies darauf, dass insbesondere bei freiwilligem Erscheinen der als Zeuge geladenen Partei die Vernehmung durch das Prozessgericht einfacher, schneller und effizienter erfolgen könne und hob die Vorzüge einer unmittelbaren Befragung durch das die Rechtssache entscheidende Gericht hervor.457 Allerdings beschränkt sich der Gehalt dieser Entscheidung nicht auf freiwillige Aussagen, denn der Gerichtshof hielt ausdrücklich fest, es bleibe dem zuständigen Gericht „unbenommen, aus dem Umstand, dass eine Partei ohne berechtigten Grund nicht als Zeuge erscheint, die vom Recht seines Mitgliedstaats vorgesehenen möglichen Konsequenzen zu ziehen, vorausgesetzt, dass sie unter Beachtung des Unionsrechts angewandt werden.“458 In concreto handelte es sich bei diesen Konsequenzen um die Anwendung einer Vorschrift des niederländischen Rechts, nach welcher der Richter aus der Zeugnisweigerung einer Partei diejenigen Schlussfolgerungen ziehen darf, die er für angebracht hält.459 Auch in dieser Rechtssache maß sich der Gerichtshof Entscheidungsbefugnis über völkerrechtliche Fragestellungen zu. Es ist zu erwarten, dass der Gerichtshof die Rechtsprechungslinie aus Lippens und ProRail künftig auch hinsichtlich der Zeugenvernahme von Personen, die nicht verfahrensbeteiligt sind, fortsetzen wird. Vermutlich bedeutet der in der Entscheidung Lippens enthaltene Hinweis auf die Freiwilligkeit der Aussageperson, dass der Gerichtshof dem Prozessgericht zwar die Befugnis zugestehen wird, im EU-Ausland ansässige Personen förmlich zu laden, nicht aber Sanktionen mit Beugecharakter für am Prozess nicht beteiligte Personen anzudrohen oder anzuordnen.

5.  An Dritte gerichtete Anordnungen zur Beweismittelvorlage 79

Soll ein verfahrensfremder, nicht im Forumsstaat ansässiger Dritter zur Vorlage von Beweismitteln bewogen werden, ist nach herrschender Auffassung Freiwilligkeit erforderlich.460 Völkerrechtlich zulässig sind somit nur informale Bitten 456 

I. E. ebenso Berger in Stein/Jonas, ZPO, § 363 Rn. 13; Musielak in FS Geimer, S. 770. EuGH v. 06. 09. 2012 – C-170/11 (Lippens), Rn. 31 f. 458  EuGH v. 06. 09. 2012 – C-170/11 (Lippens), Rn. 38; i. E. zustimmend Knöfel, IPRax 2013, 231 (232 f.); Bach, EuZW 2012, 833 f.; kritisch Teixeira de Sousa, JZ 2013, 98 (99). 459  Art. 164 Abs. 3 Rv. 460 Vgl. aus kontinentaleuropäischer Sicht Huber in Gebauer/Wiedmann, Kapitel 31 Rn. 41, 201; Schlosser, EU-ZPR, Art. 1 EuBVO Rn. 2; Stadler in FS Geimer, S. 1291; Leipold, R. L. R. 2003, 85 (96); Berger, IPRax 2001, 522 (527); Schulze, IPRax 2001, 527 (528); 457 



D. Würdigung

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um Übermittlung eines Beweismittels (sei es Augenscheinsobjekt, Urkunde oder schriftliche Stellungnahme). Entspricht der Dritte dieser Aufforderung nicht, muss der Rechtshilfeweg beschritten werden. Auch hier will ein Teil des Schrifttums Staatsangehörige des Forumstaates stärker in die Pflicht nehmen; dies ist aus den bereits genannten Gründen abzulehnen.461

D. Würdigung I.  Angemessene Berücksichtigung der prozessualen Interessen 1.  Effektivität der Rechtshilfe und Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme Die EuBVO enthält im Vergleich zum Rechtshilferegime des HBÜ deutliche Fortschritte auf dem Gebiet der Effektivität der Rechtshilfe und der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme. Die direkte Kommunikation zwischen ersuchendem und ersuchtem Gericht, die Pflicht zur Nutzung schnellstmöglicher Kommunikationsmittel und zur Erledigung von Rechtshilfeersuchen binnen 90 Tagen, das weitgehende Fehlen einer Kostenerstattungspflicht, die Verfügbarkeit mehrsprachiger Formblätter zwecks Erleichterung der Übersetzung – all dies trägt zu einer erhöhten Effektivität des Rechtshilfeverkehrs bei. Das Unmittelbarkeitsprinzip wird einerseits gestärkt durch die Möglichkeit einer unmittelbaren Beweisaufnahme durch einen Beauftragten des Prozessgerichts im Rechtshilfestaat, andererseits durch weitgehende Beteiligungsrechte des ersuchenden Gerichts und der Parteien vor dem Rechtshilfegericht. Die Pflicht des Rechtshilfegerichts zur Durchführung der Beweisaufnahme in einer bestimmten, in der lex fori des ersuchenden Gerichts vorgesehenen Form erhöht die Chancen auf die Verwertbarkeit der Beweiserhebung. Die Option der unmittelbaren Beweisaufnahme durch das Prozessgericht oder dessen Beauftragte im EU-Ausland hätte dennoch deutlich progressiver ausgestaltet werden können. Soweit die Beweisaufnahme an öffentlich frei zugänglichen oder mit Erlaubnis betretenen Orten bzw. unter freiwilliger Mitwirkung der Beweisperson erfolgt, hätte angesichts der wenigen, kaum jemals einschlägigen Versagungsgründe des Art. 17 Abs. 5 EuBVO auf das Genehmigungserfordernis des Art. 17 EuBVO verzichtet werden können. Vorläufig nimmt der EuGH die Rolle des Schrittmachers ein, um übertriebene Hau, RIW 2003, 822 (825); a. A. Bach in BeckOK ZPO, § 363 ZPO Rn. 14 ff. Aus Sicht des englischen Rechts ist die Existenz von personal jurisdiction entscheidend, vgl. Masri v Consolidated Contractors International (UK) (No 4), [2010] 1 AC 90 (140 ff.) (HL); Whomersley, LQR 2010, 171 (174 f.). Im räumlichen Anwendungsbereich der EuGVO besteht regelmäßig nur dann personal jurisdiction des Prozessgerichts, wenn die Aussageperson im Forumsstaat ansässig ist, siehe Hartley, LQR 2010, 194 (203). 461  Supra § 15 Rn. 76 m. Fn. 209, 210.

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§ 15  Zugang zu im Ausland belegenen Beweismitteln

Souveränitätsvorbehalte hinsichtlich der Beweisaufnahme im bzw. des Beweismittelimports aus dem Ausland abzubauen. Die Implikationen der ProRailEntscheidung sind bislang noch nicht eindeutig. Nach hier vertretener Auffassung lässt sich aus dem Urteil ableiten, dass eine vom Gericht beauftragte Privatperson Erhebungen an öffentlich vollkommen frei zugänglichen Orten vornehmen darf bzw. an Orten, zu deren Betreten ohne Androhung von Sanktionen eine Erlaubnis des Berechtigten erteilt wurde. Die weitere Entwicklung dieser Rechtsprechung, welche aus historischen wie kompetenziellen Gründen abzulehnen ist, bleibt abzuwarten. Rechtspolitisch weist die Rechtsprechung den richtigen Weg. Eine entsprechende Reform der EuBVO wäre wünschenswert.

2. Beweissicherung 82

Die Sicherung im Ausland belegener Beweise durch das (künftige) Prozessgericht ist mit Schwierigkeiten behaftet. Aktive wie passive Rechtshilfe sind aufgrund der zwischen den beteiligten Stellen erforderlichen Kommunikation und Koordination sowie einer ggf. erforderlichen Reise in das Ausland zeitintensiv. Ferner unterscheiden sich die in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten verfügbaren Instrumente der Beweissicherung deutlich, was auf Seiten des Rechtshilfestaates Rechtsfragen der Durchführbarkeit des Rechtshilfeersuchens, auf Seiten des ersuchenden Gerichts Fragen der Verwertbarkeit einer durchgeführten Maßnahme aufwirft. Das oben in Rn. 36 ff. erörterte Vorabentscheidungsersuchen Tedesco illustriert die mit der Beweissicherung im Wege des Rechtshilfeersuchens verbundenen komplexen Rechtsfragen. Ein Vorabentscheidungsersuchen vor dem EuGH ist  – selbst im beschleunigten Verfahren  – aufgrund seiner Dauer und Öffentlichkeitswirksamkeit einem Beweissicherungsverfahren nicht zuträglich. Wenig verwunderlich erklärte das vorlegende Gericht die Rechtssache Tedesco für erledigt, bevor der EuGH Stellung beziehen konnte. Die Verfügbarkeit von Beweissicherungsmaßnahmen am Ort der Belegenheit des Beweismittels bleibt somit unabdingbar.

3.  Schutz der zur Aussage bzw. Beweismittelvorlage verpflichteten Person 83

Aussagepersonen werden durch den Grundsatz der Freiwilligkeit bei der passiven Rechtshilfe sowie durch den Grundsatz der Meistbegünstigung bei der aktiven Rechtshilfe ausreichend geschützt. Für die beweispflichtige Partei ist der Doppelschutz der Aussageperson durch Verweigerungsrechte des ersuchenden und des ersuchten Staates zwar misslich.462 Letztlich führt hieran jedoch kein Weg vorbei: Aussageverweigerungsrechte stellen eine Konkordanz zwischen den menschenrechtlich geschützten Rechtspositionen der Aussageperson oder 462 

Müller, Beweisaufnahme, S. 105.



D. Würdigung

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Dritter und jenen des Beweisinteressierten her. Dieser Abwägungsprozess ist weder unionsrechtlich noch durch die EMRK strikt vorgegeben und divergiert folglich in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten. Deshalb begegnet die Durchsetzung einer Aussage trotz im Rechtshilfestaat bestehender Aussageverweigerungsrechte ebenso menschenrechtlichen Bedenken wie die Verwertung einer Aussage durch das Prozessgericht trotz eines nach der dortigen lex fori bestehenden Aussageverweigerungsrechts. Nach hier vertretener Auffassung ist Art. 14 Abs. 1 EuBVO auf andere Formen der Beweisaufnahme entsprechend anzuwenden, d. h. insbesondere auf Verweigerungsrechte hinsichtlich der Vorlage von Urkunden und Augenscheinsobjekten. Wie oben erläutert wurde, dürfte die zu enge Formulierung des Art. 14 Abs. 1 EuBVO auf einem Redaktionsversehen beruhen. Ebenso wie Aussageverweigerungsrechte basieren die – oftmals identischen – Vorlageverweigerungsrechte auf menschenrechtlichen Erwägungen. Für eine Ungleichbehandlung dieser Sachverhalte besteht keine Grundlage.

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4.  Schutz vor der Offenbarung von Geschäftsgeheimnissen Schutz vor der Offenbarung von Geschäftsgeheimnissen gewährleistet die Verordnung außerhalb der Kumulation der Verweigerungsrechte in Art. 14 Abs. 1 EuBVO nicht. Hier ist die Kooperationsbereitschaft der in das Rechtshilfeersuchen eingebundenen Gerichte gefragt. Das Prozessgericht kann in seinem Ersuchen Einschränkungen der (Partei-) Öffentlichkeit beantragen, das Rechtshilfegericht kann diese nach Maßgabe der lex fori anordnen. Es ist aber zumindest vorstellbar, dass das Rechtshilfegericht eine vom ersuchenden Gericht erwünschte Einschränkung der Parteiöffentlichkeit aufgrund der Unvereinbarkeit mit seiner lex fori ablehnt, Art. 10 Abs. 3 S. 2 EuBVO. In diesem Fall sollte das ersuchende Gericht konsultiert werden, ob das Rechtshilfeersuchen aufrechterhalten wird.

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5.  Keine Regelung des Beweismittelimports Den Beweismittelimport auf Anordnung des Prozessgerichts regelt die EuBVO nicht (sofern man nicht die unmittelbare Beweisaufnahme durch Erhebungen eines vom Prozessgericht beauftragten Sachverständigen bzw. Augenscheinsgehilfen hier einordnet). Die Zulässigkeit des Beweismittelimports ist nach völkerrechtlichen Maßstäben zu beurteilen; diese freilich sind unklar und umstritten. Der EuGH ist um die Herstellung von Rechtssicherheit bemüht, überschreitet dabei freilich die ihm nach Art. 267 AEUV verliehene Rechtsprechungskompetenz. In der Rechtssache Lippens befand der EuGH, es sei den Gerichten der Mitgliedstaaten unbenommen, Parteien mit Wohnsitz im EUAusland als Zeugen zu laden und deren Nichterscheinen mit den nach der lex

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fori vorgesehenen Sanktionen zu belegen. Nach hier vertretener Auffassung entspricht diese Entscheidung völkerrechtlichen Grundsätzen. Auch dem Beweismittelimport im Wege einer vom Prozessgericht an die Parteien erlassenen Vorlageanordnung stehen keine völkerrechtlichen Bedenken entgegen. Dies deckt sich mit der Linie der EuGH-Rechtsprechung in der Rechtssache Lippens ebenso wie mit der Möglichkeit, Urteile auf Beweismittelvorlage im EU-Ausland anerkennen und vollstrecken zu lassen. Soweit nicht am Verfahren beteiligte Personen als Zeugen gehört oder zur Vorlage von Beweismitteln bestimmt werden sollen, ist nach herrschender Auffassung die Androhung und Anwendung von Beugemitteln völkerrechtlich nicht zulässig.463 Als problematisch erweisen sich ferner die zwischen den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten nicht abgestimmten Verweigerungsrechte. Zwar ist es den Gerichten der Mitgliedstaaten möglich, im Rahmen der Anordnung einer Beweismittelvorlage, der Vernehmung einer Partei oder der Sanktionierung einer Vorlage- bzw. Aussageverweigerung Verweigerungsrechte oder -pflichten des ausländischen Rechts zu berücksichtigen (berufsständische Verschwiegenheitspflichten, Datenschutz etc.). Gewährleistet ist eine solche Rücksichtnahme nicht. Vor englischen Gerichten etwa gilt der Grundsatz „If you join the game, you must play according to the local rules.“464 Die Partei steht folglich vor der Wahl, ob sie Prozessnachteile im Forumstaat oder die Gefahr in Kauf nimmt, sich in ihrem Wohnsitzstaat zivil- oder strafrechtlicher Verfolgung auszusetzen. Verschärft wird die Thematik durch sog. blocking statutes, etwa das französische Gesetz Nr. 80–538, welches im Lichte des Justizkonflikts mit den USA die Übermittlung von Dokumenten oder Informationen wirtschaftlicher, kommerzieller, industrieller oder finanzieller Art unter Strafe stellt.465 Im Verhältnis zur Justiz anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union dürfte diese Regelung allerdings gegen die in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerte Loyalitätspflicht verstoßen.

6.  Erzwingung des Zugangs zu im Ausland belegenen Räumlichkeiten 89

Rechtsunsicherheit besteht hinsichtlich der Frage, ob das Prozessgericht die völkerrechtliche Souveränität eines ausländischen Staates beeinträchtigt, wenn 463  Auf die Wertungsunterschiede im Hinblick auf materiellrechtliche Handlungspflichten verweist zutreffend Bach in BeckOK ZPO, § 363 ZPO Rn. 14. 464  Hoffmann J in Mackinnon v Donaldson Lufkin & Jenrette Securities, [1986] Ch 482 (494 f.). Zwar sollen Informationsverbote nach ausländischem Recht Berücksichtigung finden, regelmäßig handelt es sich hierbei jedoch um Lippenbekenntnisse. Näher Hartley, Int’l Litigation, 453 f.; McClean, Co-operation, S. 118 ff. 465  Art. 2 Loi n°80–538 du 16 juillet 1980 relative à la communication de documents ou renseignements d’ordre économique, commercial ou technique à des personnes physiques ou morales étrangères.



D. Würdigung

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es eine Partei durch die Androhung bzw. Anordnung mittelbarer Zwangsmaßnahmen dazu bewegen will, der Gegenpartei oder einem Sachverständigen Zutritt zu im Ausland belegenen Räumlichkeiten zu gewähren. In der deutschen und englischen Rechtsprechung ist die völkerrechtliche Zulässigkeit einer solchen Maßnahme vereinzelt bejaht worden; das Schrifttum ist eher skeptisch. Der EuGH schloss sich in der Rechtssache ProRail den Skeptikern an, ohne insoweit über eine völkerrechtliche Entscheidungskompetenz zu verfügen.

7.  Zweckbindung der erlangten Informationen Eine Verwertungsbeschränkung hinsichtlich der erlangten Informationen auf das Verfahren, in dem das Rechtshilfeersuchen ergangen ist, enthält die EuBVO nicht.466 Erwägungsgrund 18 enthält lediglich den Hinweis, auf die nach der EuBVO übermittelten Daten finde die europäische Datenschutzrichtlinie Anwendung. Soweit die Verfahrensbeteiligten natürliche Personen sind, ist folglich das Rechtshilfeersuchen vertraulich zu behandeln;467 gleiches gilt für die personenbezogenen Angaben der Zeugen. Im Übrigen bestimmt die lex fori des Prozessgerichts über die Verwertung der im Prozessverlauf zu Tage getretenen Informationen,468 da das Rechtshilfeersuchen Teil der Beweisaufnahme vor dem Prozessgericht ist.

466  Wie hier Schlosser, EU-ZPR, Art. 1 EuBVO Rn. 4a.; Rauscher in MüKo ZPO, Anh. §§ 1072 ff. Art. 1 Rn. 6; v. Hein in Rauscher, EuZPR, Art. 1 EG-BewVO Rn. 56 f.; Huber in Gebauer/Wiedmann, Kapitel 31, Rn. 34; Berger, IPRax 2001, 522 (526) (In einigen dieser Stellungnahmen findet sich allerdings der unzutreffende Hinweis, der Verordnungsgeber habe sich bewusst gegen einen Spezialitätsgrundsatz entschieden, da Art. 20 des deutschen Initiativvorschlags einen solchen vorgesehen habe. Art. 20 des Initiativvorschlags enthielt allein eine Regelung zur Datenverwendung im Rechtshilfestaat, nicht zur Weiterverwendung durch das ersuchende Gericht.) Nach a. A. resultiert aus Art. 1 Abs. 2 EuBVO (Rechtshilfeersuchen nur zum Zwecke eines bereits eingeleiteten oder einzuleitenden Verfahrens) eine Verwertungsbeschränkung auf das Verfahren, zu dessen Zweck das Ersuchen gestellt wurde, vgl. Dendron v University of California, [2005] 1 WLR 200 (207) (Pat) (mit subsidiärer Prüfung und Bejahung einer Verwertungsbeschränkung nach englischem Recht); ferner Knöfel, EuZW 2008, 267 (268); ders. in Geimer/Schütze, Int. RV, Art. 1 B Vor I 30 b Rn. 44: die Spezialitätsbindung sei ein allgemeiner Rechtsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts. 467  So explizit Art. 20 Initiative der Bundesrepublik Deutschland im Hinblick auf den Erlass einer Verordnung des Rates über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- und Handelssachen, ABl. Nr. C 314/3 v. 03. 11. 2000. 468  Schlosser, EU-ZPR, Art. 1 EuBVO Rn. 4a; ders. in FG Vollkommer, S. 233 f.

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II. Reform 1.  Stärkung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes 91

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Für die Zukunft ist dem Verordnungsgeber anzuraten, die vom EuGH vorgenommene Stärkung der Effektivität und Unmittelbarkeit der grenzüberschreitenden Beweisaufnahme gesetzlich nachzuvollziehen. Das System der passiven Rechtshilfe bei der unmittelbaren Beweisaufnahme könnte in diesem Zuge umgestaltet werden: Die Genehmigungspflicht sollte sich zu einer Förderungspflicht wandeln, die sich in der Bereitstellung von Räumlichkeiten, technischer Ausstattung sowie einer unterstützenden Anordnung von Zwangsmitteln manifestiert. Zwar dürfte die aus Art. 4 Abs. 3 EUV fließende Kooperationspflicht der Mitgliedstaaten untereinander469 bereits de lege lata die Pflicht begründen, den Beauftragten des Prozessgerichts Gerichtsräume und, soweit vorhanden, technische Mittel für die Durchführung der unmittelbaren Beweisaufnahme zur Verfügung zu stellen.470 Eine explizite Regelung enthält die EuBVO jedoch derzeit nicht.471 Die Option der unmittelbaren Beweisaufnahme im Ausland sollte ferner gestärkt werden, indem die Stellen des ersuchten Mitgliedstaates verpflichtet werden, durch Ladungen, Durchsuchungsanordnungen und Zwangsmaßnahmen die Beweisaufnahme des Prozessgerichts oder seiner Beauftragten zu unterstützen.472 Die Souveränität des Rechtshilfestaates sowie die Rechte der betroffenen Personen wären durch Übertragung der Vorgaben in Art. 10 Abs. 3 S. 2, Art. 13 und 14 EuBVO zu sichern. Einer Aussageperson wären somit Aussageverweigerungsrechte nach dem Recht des ersuchenden wie des ersuchten Staates zuzubilligen, Zwangsmaßnahmen wären nur nach Maßgabe der lex fori verfügbar, und die Form der Beweisaufnahme könnte untersagt werden, wenn die Durchführung mit erheblichen tatsächlichen Schwierigkeiten behaftet oder nicht mit der lex fori des Rechtshilfestaates vereinbar wäre. Ein Modell für diese Form der Rechtshilfe enthält Art. 10 des Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der

469 Hierzu Kahl in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 4 EUV Rn. 113 m. w. N.: Pflicht zur ko-operationsfreundlichen Auslegung spezieller Vorschriften über die Rechtshilfe im intermitgliedstaatlichen Rechtsverhältnis. 470  Hess, EuZPR, § 8 Rn. 53; differenzierend zwischen Räumlichkeiten und Kommunikationstechnologie Rauscher in MüKo ZPO, § 1074 Rn. 63 und Anh. §§ 1072 ff. Rn. 16. 471 Allenfalls lässt sich eine entsprechende Förderungspflicht im Hinblick auf Kommunikationstechnologie aus Art. 17 Abs. 4 S. 3 EuBVO entnehmen. 472  In Bezug auf Zwangsmaßnahmen ebenso Knöfel, EuZW 2008, 267 (269); Müller, Beweisaufnahme, S. 116 f.; Besso in Nuyts/Watté, Int’l Litigation, S. 375; Stadler in FS Geimer, S. 1301. Art. 18 HBÜ enthält entgegen Art. 17 EuBVO keine allgemeine Pflicht zur Genehmigung der unmittelbaren Beweisaufnahme, sieht aber die Möglichkeit einer Anordnung von Zwangsmaßnahmen durch die Zentralstelle des Rechtshilfestaates vor.



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Europäischen Union (Vernehmung per Videokonferenz):473 Die unmittelbare Beweisaufnahme erfolgt durch das Prozessgericht, die Ladung und Anordnung von Zwangsmitteln durch die Justizbehörden des Staates nach Maßgabe ihrer lex fori. Ein Vertreter der Justizbehörde des ersuchten Staats ist anwesend, um die Einhaltung wesentlicher Grundprinzipien der Rechtsordnung des ersuchten Mitgliedstaates zu sichern.

2.  Regelung des Beweismittelimports Der Rechtssicherheit überaus zuträglich wäre es, die Bedingungen eines Beweismittelimports in den Forumsstaat in der Verordnung näher zu definieren. Hierbei ist zwischen Anordnungen gegenüber Parteien und Anordnungen gegenüber verfahrensfremden Dritten zu differenzieren. Gegenüber nicht am Rechtsstreit beteiligten, außerhalb des Forums ansässigen Dritten sollte die Androhung und Anwendung von Beugemitteln unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit als unzulässig erklärt werden. Gegenüber Parteien sind Anordnungen zur Beweismittelvorlage sowie Ladungen zur Vernehmung vor dem Prozessgericht ebenso als zulässig zu definieren wie die Sanktionierung einer Weigerung der Partei durch nachteilige Prozessfolgen oder Zwangsmaßnahmen des Prozessgerichts. Im Gegenzug bedarf es einer Norm, die es der Partei erlaubt, die Aussage oder Beweismittelvorlage zu verweigern, sofern die Befolgung der Anordnung sie zu einem Rechtsbruch in einem anderen Staat nötigen würde.474 Hierbei sind nicht pauschal die Verweigerungsrechte des Wohnsitzstaates der aussage- oder vorlagepflichtigen Partei anzuwenden, sondern im Wege einer rechtswahlbeständigen, und deshalb von den Rom-Verordnungen unabhängigen,475 kollisionsrechtlichen Wertung der Sitz einer eventuell existierenden Geheimhaltungspflicht zu ermitteln.476 Für berufsständische Verschwiegenheitspflichten bietet sich eine Anknüpfung an die Niederlassung an, aus deren Betrieb die Schweigepflicht resultiert.477 Für datenschutzrechtliche Pflichten erscheint eine Orientierung an Art. 4 der europäischen Datenschutzrichtlinie 473  Vgl. Rechtsakt des Rates vom 29. Mai 2000 über die Erstellung des Übereinkommens – gemäß Artikel 34 über die Europäische Union – in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. Nr. C 197/1 v. 12. 07. 2000. Eine identische Bestimmung enthält Art. 10 des Zweiten Zusatzprotokolls zum Europäischen Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen v.  08. 11. 2001 . Für eine Übernahme dieser Regelung, beschränkt auf die Videovernehmung, Hess, EuZPR, § 8 Rn. 58. 474 Für eine umfassende, unionsweite Regelung der Zeugnis- und Urkundeneditionspflicht samt Verweigerungsgründen plädiert Hess, EuZPR, § 8 Rn. 61. 475 Ebenso Magnus, RabelsZ 77 (2013), 109 (126). 476  So wohl auch Müller, Beweisaufnahme, S. 159. 477  Für eine Anknüpfung an den Kanzleisitz beim Anwaltsprivileg plädiert Magnus, RabeslZ 77 (2013), 109 (127) m. w. N.

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sinnvoll.478 Schließlich sollte die einzuführende Kollisionsnorm dem Prozessgericht erlauben, eine nach dem anwendbaren Recht vorgesehene Erlaubnisentscheidung der dortigen Gerichte durch eine eigene Entscheidung zu substituieren.

3.  Durchsuchung und Besichtigung von Räumlichkeiten 95

Empfehlenswert ist schließlich eine Klarstellung hinsichtlich der Durchsuchung und Besichtigung von Räumlichkeiten. Der menschenrechtliche Schutz von Wohnungen und Geschäftsräumen wird in den Mitgliedstaaten der Union durchweg gewährt. Die Bedingungen und Modalitäten einer Anordnung der Durchsuchung bzw. Besichtigung variieren jedoch stark, wie allein das deutsche und das englische Recht belegen (supra § 6 Rn. 12 ff., 41 ff.). Die unmittelbare Beweisaufnahme im Ausland sollte deshalb ebenso wie der Beweismittelimport nicht im Wege mittelbarer Zwangsmaßnahmen des Erkenntnisgerichts, sondern nur durch Rechtshilfe des ausländischen Staates erzwungen werden, soweit es eines Zutritts unbefugter Personen zu nicht öffentlich zugänglicher Räumlichkeiten bedarf. Mutatis mutandis sollte die Durchsetzung eines Anspruchs auf Duldung der Besichtigung von Räumlichkeiten nur im Wege der Auslandsvollstreckung erlaubt werden; eine Vollstreckung durch Zwangsmaßnahmen des Erkenntnisgerichts scheidet aus.

478  Danach wendet grundsätzlich jeder Mitgliedstaat die Vorschriften, die er zur Umsetzung der Richtlinie erlässt, auf alle Verarbeitungen personenbezogener Daten an, die im Rahmen der Tätigkeiten einer Niederlassung auf seinem Hoheitsgebiet ausgeführt werden.

§ 16  Urteilsfreizügigkeit A.  Die Urteilsfreizügigkeit als Motor der Harmonisierung Ausgangspunkt und beständiger Schrittgeber der Harmonisierung des Zivilverfahrensrechts innerhalb der Europäischen Union war und ist das Ziel der Urteilsfreizügigkeit.1 Die Vereinfachung der gegenseitigen Anerkennung und Vollstreckung richterlicher Entscheidungen wurde in Art. 220 EWGV (1958)2 als politisches Ziel formuliert und mangels Regelungskompetenz der Europäischen Gemeinschaften zunächst im Wege eines Staatsvertrags zwischen den EG-Mitgliedstaaten realisiert. Das EuGVÜ aus dem Jahr 1968 folgte dem Vorbild bilateraler Staatsverträge,3 indem es die ipso iure-Anerkennung ausländischer Urteile unter den Vorbehalt diverser Anerkennungsversagungsgründe stellte und ein Exequaturverfahren einführte, in welchem das Exequaturgericht von Amts wegen das Vorliegen begrenzter Anerkennungshindernisse zu prüfen hatte. Ein substantielles Novum bedeutete der weitgehende Verzicht4 auf die Prüfung der Anerkennungszuständigkeit durch das Exequaturgericht.5 Dieser Verzicht wurde ermöglicht durch die Konzeption des EuGVÜ als convention double, welche nicht allein das Exequaturverfahren, sondern auch die internationale Zuständigkeit der Gerichte harmonisierte.6 Die Einführung der Kompetenzgrundlage des Art. 61 lit. c, 65 EGV im Vertrag von Amsterdam bot den Anlass für die Überführung des EuGVÜ in 1  Siehe Art. 67 Abs. 4, Art. 81 Abs. 1 S. 1 AEUV; ferner Schlussfolgerungen des Vorsitzes der Tagung des Europäischen Rats in Tampere v. 15. und 16. Oktober 1999, Rn. 33, abgedruckt in Europäische Kommission, Sammlung, S. 27 f.; EuGH v. 16. 02. 2006 – C-3/05 – Slg. 2006, I-1579 (Verdoliva), Rn. 26 f.; Hess, EuZPR, § 6 Rn. 170; Schlosser, EU-ZPR, Einl. Rn. 2 ff.; Kretschmer in Vedder/Heintschel von Heinegg, EVV, Art. III-269 Rn. 3. 2  Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft v. 25. 03. 1957, BGBl. 1957 II 766. 3  Siehe den Überblick bei Bach, Vollstreckung, S. 82 ff. 4  Art. 28 III, 34 EuGVÜ. 5  Siehe nur Schlosser, EU-ZPR, Einl. Rn. 4: „eine in der damaligen Zeit bewundernswert mutige Entscheidung“. 6 Näher Schlosser, EU-ZPR, Einl. Rn. 2 ff. Freilich darf in diesem Kontext nicht unterschlagen werden, dass die ipso iure-Anerkennung ohne Nachprüfung der internationalen Zuständigkeit gemäß Art. 26 EuGVÜ bzw. Art. 33 EuGVO (2001) / Art. 36 EuGVO (2012) auch dann erfolgt, wenn sich die Zuständigkeit des Erstgerichts aus dem autonomen Recht ergibt, vgl. nur Erwägungsgrund 10 EuGVO (2001) / Erwägungsgrund 27 EuGVO (2012).

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ein Instrument des Gemeinschaftsrechts und für eine weitergehende justizielle Integration durch die Vereinfachung des Exequaturverfahrens. Gemäß Art. 41 EuGVO (2001) prüft das Exequaturgericht lediglich, ob der Antragsteller eine Ausfertigung der zu vollstreckenden Entscheidung und eine Bescheinigung des Erstgerichts entsprechend Art. 53, 54 EuGVO (2001) vorgelegt hat. Die Prüfung von Anerkennungsversagungsgründen bleibt dem Rechtsbehelfsverfahren überlassen. Die Dauer des Exequaturverfahrens in erster Instanz konnte hierdurch auf sieben Tage bis vier Monate verkürzt werden.7 Ein Rechtsbehelfsverfahren wird durch den Vollstreckungsschuldner lediglich in 1 bis 5 % aller Verfahren initiiert; die Länge der Rechtsbehelfsverfahren beträgt zwischen einem Monat und drei Jahren.8 Ein weiterer Integrationsschritt wird durch die revidierte Fassung der EuGVO aus dem Jahr 2012 vollzogen, welche auf die Vollstreckung von Entscheidungen Anwendung findet, die ab dem 10. Januar 2015 eingeleitet wurden.9 Die EuGVO (2012) verzichtet gänzlich auf das Exequaturverfahren. Weiterhin kann aber auf Antrag des Schuldners die Anerkennung bzw. die Vollstreckung der Entscheidung auf Basis der aus dem EuGVÜ tradierten Anerkennungshindernisse versagt werden.10 Neben dem Anerkennungs- und Vollstreckungsregime der EuGVO hat der Unionsgesetzgeber mit den so genannten Verordnungen der zweiten Generation (EuVTVO,11 EuMahnVO,12 EuGFVO)13 ein alternatives System geschaffen, welches gewisse verfahrensrechtliche Mindeststandards für das Erkenntnisverfahren aufstellt und auf die tradierten Anerkennungsversagungsgründe verzichtet. Eine Art Zwitter zwischen dem System der EuGVO und jenen der Verordnungen zweiter Generation stellt die EuUnthVO dar.14 Mangels Relevanz von EuMahnVO, EuGFVO und EuUnthVO für Verfahren des 7 Sofern ein vollständiger Antrag eingereicht wird, vgl. Bericht der Europäischen Kommission über die Anwendung der EuGVO (2001), KOM(2009) 174, S. 4; Hess in Hess/ Schlosser/Pfeiffer-Bericht, Rn. 52. 8  Hess in Hess/Pfeiffer/Schlosser-Bericht, Rn. 52. 9  Art. 66 EuGVO (2012). 10  Art. 45 EuGVO (2012). 11 Verordnung (EG) Nr. 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen, ABl. 143/15 v. 30. 04. 2004. 12 Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens, ABl. Nr. L 399/32 v. 30. 12. 2006. 13  Verordnung (EG) Nr. 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen, ABl. Nr. L 199/22 v. 31. 07. 2007. 14  Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates vom 18. Dezember 2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen, ABl. Nr. L 7/01 v.  10. 01. 2009. Die Verordnung differenziert danach, ob die anzuerkennende Entscheidung in einem Mitgliedstaat ergangen



B.  Bedürfnis der Vollstreckung im Ausland

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gewerblichen Rechtsschutzes wird neben der EuGVO im Folgenden nur die EuVTVO erörtert.

B.  Bedürfnis der Vollstreckung im Ausland Ein Bedürfnis für die Vollstreckung einer Entscheidung in einem anderen Mitgliedstaat als dem Ursprungsstaat besteht regelmäßig nur, wenn eine Vollstreckung im Erststaat nicht möglich oder die Vollstreckung im Zweitstaat effektiver ist. Die Vollstreckung eines auf Geldzahlung gerichteten Titels setzt die Inlandsbelegenheit von Vermögen voraus; diffizil und international uneinheitlich ist die Bestimmung der Belegenheit einer Forderung.15 Für die im Gewerblichen Rechtsschutz besonders relevanten Titel auf Unterlassung einer Schutzrechtsverletzung oder Vornahme einer Handlung (z. B. Erteilung einer Auskunft) bedarf es der Klärung, ob das Erzwingen eines Parteiverhaltens im Ausland durch Zwangsmaßnahmen des Ursprungsstaats zulässig ist oder ob dadurch die Souveränitätsinteressen des Zweitstaats beeinträchtigt werden. Unstreitig ist der Erststaat nicht befugt, Vollstreckungsmaßnahmen auf fremdem Territorium durchzuführen.16 Die Anwendung unmittelbaren Zwangs zur Durchsetzung einer Entscheidung im Zweitstaat ist den Vollstreckungsorganen des Zweitstaats vorbehalten (z. B. die zwangsweise Verschaffung von Zugang zu den Räumlichkeiten des Schuldners durch einen Gerichtsvollzieher zwecks Durchführung einer Besichtigung).17 Eine andere Wertung gebietet sich, sofern der Schuldner durch eine vom Erstgericht angeordnete Beugemaßnahme (Zwangsgeld, contempt fine) zur Vornahme einer Handlung, Duldung oder Unterlassung im Zweitstaat gezwungen werden soll,18 z. B. zur Duldung einer Besichtigung oder Unterlassung einer Schutzrechtsverletzung. Jedenfalls innerhalb der Europäischen Union steht die völkerrechtliche Souveränität potentieller Zweitstaaten der Festsetzung eines Zwangs- bzw. Ordnungsgelds im Erststaat nicht entgegen.19 Dies ist, welcher durch das Haager Protokoll über das auf Unterhaltspflichten anzuwendende Recht gebunden ist, vgl. Art. 17 ff., 23 ff. EuUnthVO. 15 Näher Kennett, Enforcement, S. 265 ff.; Schack, IZVR, Rn. 1064. 16  Statt aller BVerfG v. 12. 04. 1983 – 2 BvR 678/81 – BVerfGE 64, 1 (19 f.). 17 Näher Stadler, IPRax 2003, 430 (431 f.) m. w. N. 18 BGH v.  13.  08. 2009  – I ZB 43/08  – EuZW 2010, 114 (115); OLG Frankfurt v. 14. 12. 2000 – 5 W 21/00 – RIW 2001, 379 f.; OLG Köln v. 03. 06. 2002 – 11 W 16/02 – IPRax 2003, 446 f.; OLG Hamburg v.  11. 05. 2005  – 5 W 44/05  – IPRspr. 2005, Nr. 177; Stadler, IPRax 2003, 430 (431 f.); Geimer, IZPR, Rn. 400 f.; Peiffer, Titelgeltung, Rn. 1097; Remien, Zwangsgeld, S. 300 f.; differenzierend Heese, ZZP 124 (2011), 73 (75). 19  BGH v. 13. 08. 2009 – I ZB 43/08 – EuZW 2010, 114 (115); Stadler, IPRax 2003, 430 (432); Eichel, IPRax 2013, 146 (149); Bitter, Vollstreckbarerklärung, S. 174 ff.; Peiffer, Titelgeltung, Rn. 1097; Baur/Stürner, Zwangsvollstreckung, Rn. 55.42.

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lässt sich implizit Art. 49 EuGVO (2001) / Art. 55 EuGVO (2012) entnehmen, welche sogar die Vollstreckung einer Zwangsgeldanordnung im EU-Ausland zulassen (zum Anwendungsbereich der genannten Bestimmungen siehe infra, Rn. 52 ff.).20 Das vom Ursprungsgericht angeordnete Zwangs- bzw. Ordnungsgeld entfaltet seine Zwangswirkung zunächst lediglich im Ursprungsstaat;21 eine Zwangswirkung im Ausland entsteht erst mit der Vollstreckbarerklärung der Zwangsgeldanordnung durch die zuständigen Gerichte oder Behörden des Zweitstaats gemäß Art. 38 ff. EuGVO (2001) bzw. durch die Anordnung der Vollstreckbarkeit in Art. 39 EuGVO (2012). Die hier vertretene Auffassung deckt sich mit den in § 15 Rn. 64 ff. erörterten Erkenntnissen zur zwangsweisen extraterritorialen Beweisbeschaffung. Aus völkerrechtlicher Sicht zweifelhaft ist allerdings die Auffassung des BGH, die Reichweite der inländischen Vollstreckungsgewalt erfasse auch die Durchsetzung einer Pflicht zur Duldung des Betretens im Ausland belegener Räumlichkeiten durch dritte Personen.22 Die Auffassung des BGH steht in einem nicht auflösbaren Widerspruch zu der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache ProRail, welche freilich nach hiesiger Auffassung außerhalb der Entscheidungskompetenz des EuGH ergangen ist.23 Ist die Vollstreckung im Erststaat nicht möglich oder verspricht die Vollstreckung im Ausland eine größere Effektivität, wird die Anerkennung und Vollstreckbarkeit der Entscheidung im Ausland relevant. Im Folgenden werden zunächst die ipso iure-Anerkennung sowie die Verfahrensschritte zur Vollstreckung von Entscheidungen mitgliedstaatlicher Gerichte im EU-Ausland gemäß der EuGVO dargelegt. Aufgrund ihrer relativ geringen praktischen Bedeutung erfolgt erst danach eine Diskussion der potentiellen Anerkennungshindernisse. Im Anschluss wird das System der Urteilsfreizügigkeit Europäischer Vollstreckungstitel gemäß der EuVTVO erörtert.

20  BGH v. 13. 08. 2009 – I ZB 43/08 – EuZW 2010, 114 (115); Stadler, IPRax 2003, 430 (431 f.); Kropholler/v.  Hein, EuZPR, Art. 22 EuGVO Rn. 61; Mankowski in Rauscher, EuZPR, Art. 22 Brüssel I-VO Rn. 58; allerdings ist mit Eichel, IPRax 2013, 146 (148) zuzugestehen, dass sich Art. 49 EuGVO (2001) / Art. 55 EuGVO (2012) kein Hinweis auf den Leistungsort (im In- oder Ausland) entnehmen lässt. 21  Siehe nur BGH v. 13. 08. 2009 – I ZB 43/08 – EuZW 2010, 114 (115) m. w. N. 22  BGH v. 13. 08. 2009 – I ZB 43/08 – EuZW 2010, 114 (115); zustimmend Eichel, IPRax 2013, 146 (149 f.); Geimer, IZPR, Rn. 3228; a. A. OLG Stuttgart v.  26. 09. 1983  – 11 W 43/83 – ZZP 97 (1984), 487 (488) m. zust. Anm. Münzberg, a. a. O., 489; Peiffer, Titelgeltung, Rn. 1101; Heese, ZZP 124 (2011), 73 (91); zur extraterritorialen search order siehe § 6 Rn. 21, 15 Rn. 71 ff. 23  EuGH v. 21. 02. 2013 – C-332/11 (ProRail), Rn. 47, supra § 15 Rn. 72.



C.  Die Urteilsfreizügigkeit im System der EuGVO

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C.  Die Urteilsfreizügigkeit im System der EuGVO I.  Anerkennung der Entscheidungen von Gerichten anderer Mitgliedstaaten 1.  Prinzip der ipso iure-Anerkennung Die Urteilsfreizügigkeit als wichtigstes Ziel der EuGVO wird durch einen schlichten Satz in Art. 33 Abs. 1 EuGVO (2001) bzw. Art. 36 Abs. 1 EuGVO (2012) realisiert: „Die in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen werden in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt.“ Lediglich die Urteilswirkung der Vollstreckbarkeit ist im Geltungsbereich der EuGVO (2001) von der Erfüllung einer weiteren Voraussetzung abhängig, nämlich der Exequatur durch die zuständigen Gerichte des Vollstreckungsstaates.24 Im Anwendungsbereich der EuGVO (2012) entsteht die Urteilswirkung der Vollstreckbarkeit hingegen ohne weiteren Zwischenschritt mit der Anerkennung der Entscheidung. Sowohl nach der EuGVO (2001) als auch nach der EuGVO (2012) ist es dem Urteilsschuldner indes möglich, durch das Einlegen eines Rechtsbehelfs die Prüfung bestimmter Anerkennungsversagungsgründe zu erreichen und auf diesem Wege die Anerkennung (und Vollstreckbarkeit) zu Fall zu bringen. Von der automatischen Anerkennung des Art.  33 Abs.  1 EuGVO (2001) / Art. 36 Abs. 1 EuGVO (2012) profitieren grundsätzlich alle von einem Gericht eines Mitgliedstaates erlassenen Entscheidungen, unabhängig von ihrer Bezeichnung, soweit sie in den sachlichen und zeitlichen Anwendungsbereich der Verordnung fallen. Art. 32 EuGVO (2001), Art. 2 lit. a EuGVO (2012) nennen exemplarisch Urteile, Beschlüsse, Zahlungsbefehle, Vollstreckungsbescheide und Kostenfestsetzungsbeschlüsse. Unerheblich ist, ob das Ursprungsgericht seine Zuständigkeit auf das Unionsrecht oder auf autonome Zuständigkeitsbestimmungen gestützt hat.25

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2.  Definition des Gerichts Der Begriff des Gerichts ist autonom auszulegen und erfasst Rechtsprechungsorgane der Mitgliedstaaten, die kraft ihres Auftrags selbst über zwischen verschiedenen Parteien bestehende Streitpunkte entscheiden.26 Welcher Funktionsträger innerhalb des Gerichts die Entscheidung gefällt hat, ist ebenso un-

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Art. 38 Abs. 1 EuGVO (2001). Erwägungsgrund 10 EuGVO (2001) / Erwägungsgrund 27 EuGVO (2012). 26 EuGH v.  02. 06. 1994  – C-414/92  – Slg. 1994, I-2237 (Solo Kleinmotoren), Rn. 17; EuGH v. 14. 10. 2004 – C-39/02 – Slg. 2004, I-9657 (Mærsk), Rn. 45. Der Begriff des Gerichts umfasst für Mahnverfahren auch das schwedische Amt für Beitreibung sowie ungarische Notare, vgl. Art. 62 EuGVO (2001), Art. 3 EuGVO (2012). 25 

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§ 16  Urteilsfreizügigkeit

erheblich27 wie die Art der Gerichtsbarkeit,28 sofern es sich um eine Zivil- und Handelssache handelt, welche nicht den in Art. 1 Abs. 2 EuGVO (2001) / (2012) geregelten Ausnahmen unterfällt.

3.  Die Möglichkeit kontradiktorischer Erörterung a)  Rechtsprechung des EuGH zum EuGVÜ 12

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Es ist seit langem Gegenstand rechtspolitischer Diskussion, ob auch solche Entscheidungen die Vorteile europaweiter Freizügigkeit genießen sollten, die den Abschluss eines Verfahrens ohne Beteiligungsmöglichkeit des Antragsgegners darstellen. Der Europäische Gerichtshof hat in der Rechtssache Denilauler aus der Gesamtsystematik des EuGVÜ29 gefolgert, der Begriff der Entscheidung in Art. 25 EuGVÜ (= Art. 32 EuGVO (2001)) beziehe sich auf gerichtliche Entscheidungen, welchen „nach unterschiedlichen Modalitäten ein kontradiktorisches Verfahren vorangegangen ist oder hätte vorangehen können“.30 Ausreichend sei die Option der Einlegung von Rechtsmitteln nach Zustellung eines ex parte ergangenen Beschlusses.31 Die Großzügigkeit, mit welcher das Übereinkommen die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen handhabe, setze die Existenz verfahrensrechtlicher Garantien zu Gunsten des Beklagten im Erststaat, d. h. die Wahrung des rechtlichen Gehörs, voraus.32 Keine Anhaltspunkte liefert der EuGH für die Frage, wieviel Zeit dem Antragsgegner zuzugestehen ist, um das Verfahren gegebenenfalls in ein kontradiktorisches Verfahren zu überführen. Es ist freilich zu beachten, dass der Gerichtshof in diesem Kontext keine hohen Maßstäbe an die Wahrung des rechtlichen Gehörs im Erststaat anlegt. Wurde der Beklagte im Erststaat wegen contempt of court aufgrund Nichterfüllung einer einstweiligen disclosure order von der Verfahrensbeteiligung im Hauptverfahren ausgeschlossen, so soll das resultierende Versäumnisurteil englischen Rechts gleichwohl eine „Entscheidung“ i. S. d. Art. 25 EuGVÜ darstellen, weil ein kontradiktorisches Verfahren prinzipiell möglich gewesen wäre,33 sofern der Beklagte nur die disclosure order befolgt hätte. Ausreichend 27  Siehe

den Hinweis auf „Gerichtsbedienstete“ in Art. 32 EuGVO (2001), Art. 2 lit.  a EuGVO (2012). 28  Statt aller Jenard-Bericht, ABl. Nr. C 49/42 v. 05. 03. 1979. 29  Unter Hinweis auf Art. 27 Nr. 2, 46 Nr. 2 und 47 Nr. 1 EuGVÜ, welche jeweils eine Beteiligungsmöglichkeit des Beklagten bzw. Antragsgegners voraussetzen. 30 EuGH v.  21.  05.  1980  – 125/79  – Slg. 1980, 1568 (Denilauler), Rn. 13; EuGH v.  02. 04. 2009  – C-394/07  – Slg. 2009, I-2563 (Gambazzi), Rn. 23; implizit ebenso EuGH v. 28. 03. 2000 – C-7/98 – Slg. 2000, I-1935 (Krombach). 31  EuGH v. 13. 07. 1995 – C-474/93 – Slg. 1995, I-2113 (Hengst Import), Rn. 14 f.; EuGH v. 14. 10. 2004 – C-39/02 – Slg. 2004, I-9657 (Mærsk), Rn. 50 f. 32  EuGH v. 21. 05. 1980 – 125/79 – Slg. 1980, 1568 (Denilauler), Rn. 13. 33  EuGH v. 02. 04. 2009 – C-394/07 – Slg. 2009, I-2563 (Gambazzi), Rn. 25; hierzu kritisch Cuniberti, IPRax 2010, 148 (150).



C.  Die Urteilsfreizügigkeit im System der EuGVO

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ist es ferner, wenn das Verfahren grundsätzlich auf ein kontradiktorisches Verfahren ausgerichtet ist, eine Beteiligung des Beklagten aber aufgrund eines Zustellungsfehlers unterbleibt.34 Die durch den EuGH aufgezeigten Grenzen der Urteilsfreizügigkeit sind vor allem im einstweiligen Rechtsschutz von Bedeutung. Sie haben zur Folge, dass ein Antragsteller den für einstweilige Maßnahmen typischen Überraschungseffekt nicht in der grenzüberschreitenden Verfahrensgestaltung für sich einsetzen kann.35 Die einzige Kompensation stellt Art. 24 EuGVÜ (= Art. 31 EuGVO (2001) / Art. 35 EuGVO (2012)) dar, welcher regelmäßig die Zuständigkeit vollstreckungsnaher Gerichte für den einstweiligen Rechtsschutz eröffnet und dem Antragsteller die Möglichkeit bietet, auch bei anderen Gerichten als dem Hauptsachegericht ex parte-Verfahren einzuleiten, gegebenenfalls in mehreren Mitgliedstaaten parallel.36 Historisch lässt sich die Rechtsprechung des EuGH durchaus mit dem Gedanken legitimieren, dass die durch das EuGVÜ eingeführte Möglichkeit der Anerkennung und Vollstreckung einstweiliger Maßnahmen ein bedeutendes Novum im Internationalen Zivilverfahrensrecht darstellte.37 Offenbar hatten die Verfasser des Übereinkommens in diesem Kontext nicht bedacht, dass die rechtsstaatlichen Verfahrensordnungen der Vertragsstaaten zwar die Gewähr rechtlichen Gehörs im Hauptsacheverfahren, nicht aber vor Erlass jedweder Maßnahme des einstweiligen Rechtsschutzes vorsehen. Die rechtspolitische Bewertung der EuGH-Rechtsprechung als kritikwürdig oder adäquat hängt maßgeblich davon ab, ob der Beurteilende das Interesse des Antragstellers an effektiver Rechtsdurchsetzung oder den Schutz der verfahrensrechtlichen Garantien des Antragsgegners in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen stellt.38

34 

Dies folgt aus Art. 34 Nr. 2 EuGVO (2001) / Art. 45 Abs. 1 lit. b EuGVO (2012). Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 32 Brüssel I-VO Rn. 12 m. w. N. 36  Zu prozesstaktischen Erwägungen siehe Kropholler/v. Hein, EuZPR, Art. 32 EuGVO Rn. 23. 37  Kropholler/v. Hein, EuZPR, Art. 32 EuGVO Rn. 20 f. 38 Vgl. hierzu die Stellungnahmen der britischen und italienischen Regierung sowie der Kommission im Verfahren Denilauler, EuGH v. 21. 05. 1980 – 125/79 – Slg. 1980, 1568 (Denilauler), Rn. 6. Im Schrifttum wird überwiegend Kritik an der restriktiven Auslegungspraxis des EuGH geübt, siehe Micklitz/Rott, EuZW 2002, 15 (16); Heinze, ZZP 120 (2007), 303 (307 ff.); Cuniberti, IPRax 2010, 148 (150 f.); Dickinson, IPRax 2010, 203 (213); Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 32 Brüssel I-VO Rn. 12a, jeweils m. w. N.; befürwortend aber z. B. Wagner/Beckmann, RIW 2011, 44 (48); Tsikrikras, ZZP 124 (2011), 461 (481). 35 

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§ 16  Urteilsfreizügigkeit

b)  Übertragung der Denilauler-Prinzipien auf die Auslegung der EuGVO (2001) 16

Die Denilauler-Rechtsprechung des EuGH ist auf die Auslegung der EuGVO (2001) zu übertragen.39 Im Schrifttum wird dies trotz des in Erwägungsgrund 19 EuGVO (2001) niedergelegten Prinzips der Auslegungskontinuität vereinzelt bezweifelt, da im Zuge des Erlasses der EuGVO die vom EuGH in Bezug genommenen Bestimmungen grundlegend umgestaltet worden seien,40 insbesondere die Überprüfung der Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks durch das Exequaturgericht an Bedeutung verloren habe.41 Meines Erachtens verkennen diese Stimmen den zentralen Begründungstopos des EuGH. Der Gerichtshof hat in seiner Rechtsprechung zum EuGVÜ darauf hingewiesen, dass die für den Beklagten mit der großzügigen Anerkennung und Vollstreckung im Ausland einhergehenden Nachteile nur akzeptabel sind, wenn ihm im Ausgangsverfahren die Möglichkeit zur Verfahrensbeteiligung gewährt wurde. Umso mehr müsste dies nach Inkrafttreten der EuGVO (2001) gelten, welche im Vergleich zum EuGVÜ über ein deutlich großzügigeres ­Anerkennungs- und Vollstreckungsregime verfügt.42 Auch die Tatsache, dass der europäische Gesetzgeber den Mitgliedstaaten über Art. 7 Abs. 1, Art. 9 Abs. 4 DRL die Bereithaltung einstweiliger Maßnahmen ohne Anhörung des Verfahrensgegners im Immaterialgüterrecht bindend vorschreibt, lässt keine Schlussfolgerung über Erforderlichkeit und Zulässigkeit der grenzüberschreitenden Anerkennung und Vollstreckung dieser Entscheidungen im Besonderen und ex parte-Entscheidungen im Allgemeinen zu.43 39 

BGH v. 21. 12. 2006 – IX ZB 150/05 – RIW 2007, 217 f. m. w. N.; OGH v. 19. 09. 2012 – 3 Ob 123/12b – ZfRV 2013, 31; Comet Group v Unika Computer, [2004] I. L.Pr. 1 (QB); Kropholler/v. Hein, EuZPR, Art. 32 EuGVO Rn. 22; Schlosser, EU-ZPR, Art. 32 EuGVVO Rn. 6. 40  Micklitz/Rott, EuZW 2002, 15 (16); Heinze, ZZP 120 (2007), 303 (310 ff.); Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR, A. 1 Art. 34 Rn. 107; Schneider-Addae-Mensah, DZWiR 2008, 242 (243); Kieser/Sagemann, GRUR-PRax 2012, 156 f.; Nunner-Krautgasser, ÖJZ 2009, 793 (795); i. E. ebenso OLG Schleswig v. 09. 05. 2006 – 16 W 48/05 – OLGR Schleswig 2005, 520 (521). 41  Heinze, ZZP 120 (2007), 303 (310 ff.); Mankowski, EwiR 2007, 329 (330); Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 32 Brüssel I-VO Rn. 12a. Art. 34 Nr. 1 EuGVO (2001) setzt jedoch ebenso wie Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ bereits textlich voraus, dass dem Beklagten vor Erlass der Entscheidung prinzipiell eine Option zur Verfahrensbeteiligung offen stand. 42 Der Anerkennungsversagungsgrund des Art. 34 Nr. 2 EuGVO (2001) ist deutlich schmäler gestaltet als die Vorgängerbestimmung des Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ. Eine Prüfung der Anerkennungsversagungsgründe erfolgt zudem nach Art. 41 ff. EuGVO erst im Rechtsbehelfsverfahren, während das EuGVÜ eine amtswegige Prüfung durch das Exequaturgericht vorsah. 43  Erwägungsgrund 11 DRL verweist für die Anerkennung und Vollstreckung immaterialgüterrechtlicher Entscheidungen auf die EuGVO. Eine grenzüberschreitende Anerkennung und Vollstreckung der Beweissicherungsmaßnahmen gemäß Art. 7 Abs. 1 DRL kommt bereits aus praktischen Gründen, nämlich der Erforderlichkeit eines Überraschungseffekts,



C.  Die Urteilsfreizügigkeit im System der EuGVO

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c)  Rechtslage unter Geltung der EuGVO (2012) Im Zuge der Revision der EuGVO hatte die Kommission vorgeschlagen, auch in ex parte-Verfahren ergangene Entscheidungen in die Urteilsfreizügigkeit einzubeziehen, sofern dem Schuldner zumindest nach der Durchführung der Vollstreckungsmaßnahmen die Möglichkeit der Anfechtung der Entscheidung gemäß dem Recht des Ursprungsmitgliedstaats gewährt wurde.44 Dieser Vorschlag ließ sich politisch nicht durchsetzen. Nach Art. 2 lit. a EuGVO (2012) stellt eine ohne vorherige Ladung45 des Antragsgegners ergangene einstweilige Verfügung nur dann eine anerkennungsfähige Entscheidung dar, wenn die Entscheidung dem Schuldner vor der Vollstreckung zugestellt wurde. Ziel dieser Regelung war es offenbar, die EuGH-Rechtsprechung zum EuGVÜ legislativ umzusetzen, d. h. einer vorläufigen Entscheidung zur Freizügigkeit zu verhelfen, wenn das zu Grunde liegende Verfahren die Möglichkeit einer kontradiktorischen Entscheidung in sich barg. Vor diesem Hintergrund bedarf Art. 2 lit. a EuGVO (2012) gleich in zweifacher Hinsicht der Korrektur: Erstens genügt entgegen dem Wortlaut der Norm auch eine an den Antragsgegner gerichtete Aufforderung zur schriftlichen Stellungnahme, um die Anerkennung und Vollstreckung einer vorläufigen Maßnahme im Ausland zu ermöglichen.46 Zweitens dient die Zustellung der Entscheidung dazu, dem Antragsgegner vor der Vollstreckung im Ausland rechtliches Gehör durch die Gerichte des Ursprungsstaates zu gewähren (ansonsten erschöpfte sich das Zustellungserfordernis des Art. 2 lit. a EuGVO (2012) in einer bloßen Vorwegnahme des Art. 43 Abs. 1 S. 2 EuGVO (2012)). Zwischen Zustellung und Vollstreckung sollte deshalb eine hinreichende Zeitspanne liegen, während derer der Antragsgegner Einwände vorbringen bzw. den Übergang in ein kontradiktorisches Verfahren im Ausgangsstaat veranlassen kann.47 Diese Interpretation wird gestützt durch Art. 42 Abs. 2 lit. c EuGVO (2012), wonach der Gläubiger den Vollstreckungsorganen des Zweitstaates einen Nachweis der Zustellung der Entscheidung vorzulegen hat. Eine

regelmäßig nicht in Betracht. A. A. Heinze, ZZP 120 (2007), 303 (313 ff.), der hier einen Systemwiderspruch des Unionsrechts auszumachen vermeint. 44  Art. 2 lit. a des Entwurfs zur Revision der EuGVO, KOM (2010) 748. Siehe auch den Verweis des Grünbuchs auf Art. 9 Abs. 4 DRL, KOM (2009) 175 endg., S. 8. 45  Ähnlich die anderen Textfassungen der Verordnung: „summoned to appear“, „cité à comparaître“. 46 Anderenfalls wäre die Anerkennung einstweiliger Anordnungen von der Art der Gewährung rechtlichen Gehörs abhängig (auf mündlichem bzw. schriftlichem Wege). Für eine solche Ungleichbehandlung gegenüber Hauptsacheentscheidungen besteht kein Anlass. 47 Hierzu BG v.  01. 03. 2006  – 4P. 331/2005 : fünf Tage nicht ausreichend.

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§ 16  Urteilsfreizügigkeit

unmittelbar vor Beginn der Vollstreckungsmaßnahme erfolgte Zustellung der ex parte ergangene Entscheidung ist demnach nicht ausreichend.48 Auch aus Rechtsschutzgesichtspunkten überzeugt diese Auslegung: Das Einlegen von Rechtsmitteln während einer überraschend vorgenommenen Vollstreckung einer ex parte ergangenen einstweiligen Maßnahme stellt den Antragsgegner bereits bei der Vollstreckung im Inland vor erhebliche Herausforderungen.49 Durch die Vollstreckung im Ausland werden diese Schwierigkeiten potenziert (Auffinden eines kompetenten Rechtsanwalts, Einlegen eines Rechtsbehelfs im Ursprungsstaat innerhalb kürzester Frist, schnelle Kommunikation zwischen Gericht und Vollstreckungsorganen). Verbunden ist die hier vertretene Auslegung zugegebenermaßen mit der Akzeptanz, dass ein absoluter Überraschungseffekt bei der Vollstreckung einstweiliger Maßnahmen im Ausland weiterhin nicht ermöglicht wird. Es lässt sich unschwer prognostizieren, dass diejenigen Stimmen, welche die bisherige Rechtsprechung des EuGH kritisiert haben, für eine anerkennungsfreundlichere Auslegung des Art. 2 lit. a EuGVO (2012) plädieren werden. Erwägungsgrund 33 EuGVO (2012) enthält schließlich den Hinweis, Art. 2 lit. a EuGVO schließe eine Anerkennung und Vollstreckung einstweiliger Maßnahmen nach einzelstaatlichem Recht nicht aus.50 Den Mitgliedstaaten ist es somit unbenommen, anerkennungsfreundlichere Regelungen einzuführen bzw. die Lücke durch bilaterale Übereinkommen zu schließen.

d)  Urteilswirkungen gegenüber nicht gehörten Dritten 21

Werden am Verfahren nicht beteiligte Personen durch die gerichtliche Entscheidung zum Vollstreckungsschuldner, wie dies etwa bei der englischen freezing injunction der Fall ist, welche insbesondere Banken bei Missachtung der Maßnahme der Sanktion eines contempt of court aussetzt, so liegt im Verhältnis zu diesen Dritten keine anerkennungsfähige Entscheidung i. S. d. Art. 32 EuGVO (2001) / Art. 2 lit. a EuGVO (2012) vor, wenn ihnen kein rechtliches Gehör gewährt wurde.51 Im Hinblick auf die freezing injunction ist zu konstatieren, dass es grundsätzlich den von der Maßnahme betroffenen Dritten zusteht, jederzeit eine Änderung oder Aufhebung der Anordnung zu be48 Ebenso

Domej, ZEuP 2013, 496 (516); Skamel/Wilhelm, ZinsO 2014, 1789 (1793); a. A. Stamm, IPRax 2014, 124 (126). 49 Siehe Treichel, GRUR Int. 2001, 690 (694 f. m. Fn. 77) zum regelmäßig fruchtlosen Rechtsbehelf der rétraction bei der französischen saisie contrefaçon. 50  Zurückgehen dürfte diese Passage auf eine Entscheidung des EuGH zu Art. 20 EuEheVO, in welcher der EuGH befand, eine durch ein in der Hauptsache nicht zuständiges Gericht angeordnete einstweilige Maßnahme könne zwar nicht nach Art. 21 EuEheVO, aber nach einzelstaatlichem Recht anerkannt werden, vgl. EuGH v. 15. 07. 2010 – C-256/09 – Slg. 2010 I-7353 (Purrucker I), Rn. 92, unter Bezugnahme auf die Schlussanträge von Generalanwältin Sharpston v. 20. 05. 2010, Rn. 176 f. 51  v. Falck, Implementierung, S. 197 ff.



C.  Die Urteilsfreizügigkeit im System der EuGVO

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antragen.52 Die fehlende Beteiligung vor Antragserlass steht einer Subsumtion der freezing injunction unter den Begriff der „Entscheidung“ i. S. d. Art. 32 EuGVO (2001) / Art. 2 Abs. 1 lit. a EuGVO (2012) deshalb nicht entgegen,53 sofern eine angemessene Frist verstrichen ist, innerhalb der Dritte einen Rechtsbehelf hätte einlegen können. Um Entscheidungen in Sinne der Art. 32 EuGVO (2001) / Art. 2 Abs. 1 lit. a EuGVO (2012) handelt es sich auch, wenn die Vollstreckungswirkungen eines Urteils aufgrund der subjektiven Rechtskraftwirkung der lex fori auf andere Personen, insbesondere auf Rechtsnachfolger, erstreckt werden. Hier liegt eine kontradiktorische Entscheidung vor; die Rechtskrafterstreckung mag aber im Einzelfall am ordre public des Anerkennungsstaates scheitern.54

4.  Einstweilige Maßnahmen eines in der Hauptsache nicht zuständigen Gerichts a)  Freizügigkeit einstweiliger Entscheidungen des Eilgerichts in der EuGVO (2001) Art. 31 EuGVO (2001) erlaubt den Gerichten der Mitgliedstaaten, unter Berufung auf das unvereinheitlichte Zuständigkeitsrecht einstweilige Maßnahmen auch dann zu erlassen, wenn sie für die Entscheidung des Rechtsstreits in der Hauptsache nach den Bestimmungen der Verordnung nicht zuständig sind. In der Rechtssache van Uden entwickelte der Gerichtshof einschränkende Kriterien für diesen Eilgerichtsstand, um einer Umgehung der Zuständigkeitsnormen der Verordnung vorzubeugen (supra § 11 Rn. 22 ff.). Ohne jedwede textliche Verankerung im EuGVÜ bzw. der EuGVO (2001) befand der Europäische Gerichtshof ferner in der Rechtssache Mietz, die Anerkennung und Vollstreckung einer einstweiligen Maßnahme, welche von einem in der Hauptsache nicht zuständigen Gericht erlassen wurde, scheide aus, wenn die Entscheidung nicht den Anforderungen genüge, die der Gerichtshof in der Rechtssache van Uden für den Erlass einer „einstweiligen Maßnahme“ i. S. d. Art. 31

52  Siehe Nr. 13 des Musters einer freezing injunction im Anhang zu PD 25A. Die Rechtsbehelfsmöglichkeit dient dazu, eine Parteierweiterung im Verfahren zu vermeiden, vgl. Cretanor Maritime Co v Irish Marine Management (The Cretan Harmony), [1978] 1 WLR 966 (978) (CA). 53  Tsikrikras, ZZP 124 (2011), 461 (481 f.). Siehe zu einer third party costs order nach englischem Recht OLG Düsseldorf v.  01. 03. 2012  – 3 W 104/11 ; a. A. Grunert, Mareva injunction, S. 191. 54  Siehe hierzu das Vorabentscheidungsersuchen des lettischen Augstākās tiesas Senāts v.  25. 06. 2013. Der EuGH hat über das Vorabentscheidungsersuchen nicht entschieden, weil die englische freezing injunction, um deren Exequatur in Lettland ersucht worden war, vom High Court (vermutlich im Zuge des return dates) aufgehoben wurde, vgl. EuGH v. 05. 06. 2014 – C-350/13 (Antonio Gramsci Shipping).

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§ 16  Urteilsfreizügigkeit

EuGVO (2001) formuliert habe.55 Einstweilige Maßnahmen genießen nur die Urteilsfreizügigkeit der EuGVO (2001), wenn sich aus den Entscheidungsgründen ergibt, dass das Ursprungsgericht entweder für die Entscheidung in der Hauptsache zuständig war oder seine Zuständigkeit aus Art. 31 EuGVO (2001) ableiten konnte. Hierfür ist erstens die Existenz einer „realen Verknüpfung“ zwischen dem angerufenen Gericht und den beantragten Maßnahmen erforderlich, und zweitens bedarf es der Anordnung von Maßnahmen, welche die Vorläufigkeit der einstweiligen Maßnahme sicherstellen.56 Die Anerkennung einstweiliger Maßnahmen ist deshalb im Anwendungsbereich der EuGVO (2001) mit erheblichen Unsicherheiten behaftet, selbst wenn die Entscheidung in einem kontradiktorischen Verfahren ergangen ist. Eine Anerkennung kommt nicht in Betracht, wenn sich das Erstgericht nicht zur Grundlage seiner internationalen Zuständigkeit geäußert hat  – es sei denn, die Zuständigkeit ergibt sich eindeutig aus bestimmten, in der Entscheidung angegebenen Tatsachen (z. B. bei Wohnsitz des Antragsgegners im Ursprungsstaat). Stützt sich das Erstgericht auf Art. 31 EuGVO (2001), ist seine Interpretation der van Uden-Kriterien durch das Zweitgericht vollständig überprüfbar. Aufgrund der erheblichen Unsicherheiten bei der Auslegung der van Uden-Kriterien birgt diese Kontrollbefugnis großes Potential für den Antragsgegner, die Durchsetzung der einstweiligen Maßnahme zu verhindern bzw. erheblich zu verzögern.57 Die grenzüberschreitende Vollstreckung einstweiliger Anordnungen innerhalb der Union ist deshalb auch in jenen Fällen, in denen dem Antragsgegner rechtliches Gehör gewährt wurde, schwierig.

b)  Aberkennung der Freizügigkeit durch Art. 2 lit. a EuGVO (2012) 24

Der Verordnungsgeber ist dem Problem fehlender Rechtssicherheit bei Erlass der EuGVO (2012) durch zwei Maßnahmen begegnet: Erstens sind nur solche einstweiligen Maßnahmen der Anerkennung und Vollstreckung zugänglich, die von einem in der Hauptsache zuständigen Gericht erlassen wurden.58 Zweitens bedarf es zur Auslandsvollstreckung einer Bestätigung des entscheidenden Gerichts über das Vorliegen seiner Zuständigkeit in der Haupt-

55 EuGH

v.  27. 04. 1999  – C-99/96  – Slg. 1999, I-2277 (Mietz), Rn. 47 ff. Siehe stellvertretend für die vielfältige Kritik im Schrifttum Jayme/Kohler, IPRax 1999, 401 (408): „Systembruch, der über die mit der Denilauler-Entscheidung geschaffene Ausnahme weit hinausgeht“. 56  EuGH v. 17. 11. 1998 – C-391/95 – Slg. 1998, I-7091 (Van Uden), Rn. 41. Zu Auslegung, Rezeption und Kritik dieser Entscheidung siehe § 11 Rn. 22 ff. sowie ausführlich Heinze, S. 244 ff.; Garber, Einstweiliger Rechtsschutz, S. 153 ff.; Kimmerle, Befriedigungsverfügungen, S. 102 ff. 57  Fentiman, Rn. 17.175; allgemein kritisch zur Einschränkung der Freizügigkeit Tsikrikras, ZZP 124 (2011), 461 (487). 58  Art. 2 lit. a EuGVO (2012); kritisch Tsikrikras, ZZP 124 (2011), 461 (481).



C.  Die Urteilsfreizügigkeit im System der EuGVO

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sache (nicht aber einer Zuständigkeitsbegründung).59 Da die Zuständigkeit in der Hauptsache gemäß Art. 2 lit. a EuGVO konstitutive Wirkung für das Vorliegen einer anerkennungsfähigen Entscheidung hat, dürften die Gerichte und Behörden des Vollstreckungsstaates zur Überprüfung der behaupteten Hauptsachezuständigkeit des Erstgerichts befugt sein. Ein Ausweichen auf die Anerkennung und Vollstreckung solch einstweiliger Maßnahmen nach dem autonomen Anerkennungsregime der Mitgliedstaaten ist nicht möglich.60

5. Entscheidungsinhalt Soweit die Möglichkeit zur kontradiktorischen Erörterung bestand, sind alle von einem Rechtsprechungsorgan mit Außenwirkung erlassenen Entscheidungen der Anerkennung zugänglich.61 Dies betrifft neben Sachentscheidungen auch Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes, Entscheidungen ohne Begründung bzw. ohne Schlüssigkeitsprüfung, verselbständigte Nebenentscheidungen sowie Prozessurteile.62 Kostenentscheidungen werden anerkannt, soweit die der Entscheidung zu Grunde liegende Hauptsache dem Anwendungsbereich der Verordnung unterfällt.63 Vollstreckungsmaßnahmen unterfallen grundsätzlich nicht der Definition der Entscheidung, selbst wenn ein Gericht als Vollstreckungsorgan fungiert.64 Die sprichwörtliche Ausnahme von der Regel bilden Art. 49 EuGVO (2001) / Art. 55 EuGVO (2012), siehe hierzu Rn. 52 ff. Prozessuale Zwischenentscheidungen, die den Verfahrensfortgang gestalten, sind nach herrschender Auffassung nicht anerkennungsfähig.65 Zu 59 

Art. 42 Abs. 2 lit. b, Art. 53, Anhang I, 4.6.2.2 EuGVO (2012). Erwägungsgrund 33 Satz 4 EuGVO (2012); näher Domej, RabelsZ 78 (2014), 508 (545). 61  Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 32 Brüssel I-VO Rn. 5. 62  EuGH v.  15. 11. 2012  – C-456/11 (Gothaer Allgemeine Versicherung), Rn. 23 ff.; Generalanwältin Kokott, Schlussanträge v.  18. 12. 2008  – C-394/07  – Slg. 2009, I-2563 (Gambazzi), Rn. 28; Micklitz/Rott, EuZW 2002, 15 (16); Hau, LMK 2013, 341521; Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 32 Brüssel I-VO Rn. 5 ff.; Tschauner in Geimer/Schütze, IRV, B Vor I 10b, Art. 32 Rn. 6; Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2013, 1 (19); Kropholler/v. Hein, EuZPR, Art. 32 EuGVO Rn. 13 f. m. w. N.; a. A. Geimer in FS Simotta, S. 185 f. Zur Anerkennungsversagung, sofern die fehlende Urteilsbegründung gegen den ordre public des Zweitstaates verstößt EuGH v. 06. 09. 2012 – C-619/10 (Trade Agency), Rn. 53 sowie Cuniberti, ICLQ (57) 2008, 25 ff. Näher zur Anerkennungsfähigkeit von Prozessurteilen McGuire, Verfahrenskoordination, S. 166 ff. m. w. N. 63  Kropholler/v.  Hein, EuZPR, Art. 32 EuGVO Rn. 11; Schlosser, EU-ZPR, Art. 32 EuGVVO Rn. 10; Tschauner in Geimer/Schütze, IRV, B Vor I 10b, Art. 32 Rn. 13. 64  Schlosser, IPRax 2006, 300 (304); Schack, IZVR, Rn. 1061; Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 32 Brüssel I-VO Rn. 15; Bitter, Vollstreckbarerklärung, S. 16. 65  Schlosser-Bericht, ABl Nr. C 49/127 v. 05. 03. 1979; CFEM Façades v Bovis Constructions, [1992] I. L.Pr. 561 (578) (QB); Briggs/Rees, Civil Jurisdiction, Rn. 7.06; Schlosser, EUZPR, Art. 32 EuGVVO Rn. 7; Kropholler/v. Hein, EuZPR, Art. 32 EuGVO Rn. 24; Tschauner in Geimer/Schütze, IRV, B Vor I 10b, Art. 32 Rn. 19; a. A. Hess, EuZPR, § 6 Rn. 183 f. 60  Siehe

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§ 16  Urteilsfreizügigkeit

differenzieren sind prozessinterne Beweismittelvorlagepflichten jedoch von selbständig klagbaren Auskunfts-, Besichtigungs- oder Informationsverschaffungsrechten, seien sie materiellrechtlicher oder prozessualer Natur.66 Prozessvergleiche sind keine Entscheidungen; sie werden unter denselben (erleichterten) Bedingungen wie öffentliche Urkunden vollstreckt, Art. 58 EuGVO (2001) / Art. 59 EuGVO (2012).67 Verpflichtungserklärungen einer Partei gegenüber dem Gericht nach englischem Prozessrecht (undertakings) stellen ebenfalls keine gerichtlichen Entscheidungen im Sinne des Art. 32 EuGVO (2001) / Art. 2 lit. a EuGVO (2012) dar und sind diesen auch nicht gleichzustellen.68 Selbst nach englischem Prozessrecht sind undertakings in den seltensten Fällen unmittelbar vollstreckbar,69 vielmehr bedarf es regelmäßig einer Konkretisierung der durch das undertaking übernommenen Pflicht durch das Gericht, gegenüber dem das undertaking abgegeben wurde.70 Erst diese Konkretisierung stellt eine in den Anwendungsbereich der Verordnung fallende Entscheidung dar, welche der Anerkennung und Vollstreckung zugänglich ist.71 Eine Anerkennung und Vollstreckung ist allerdings möglich, wenn das undertaking Teil einer in das richterliche Urteil aufgenommenen Parteivereinbarung ist, d. h. im Wege der consent order durch das Gericht beschlossen wurde.72

66  Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 32 Brüssel I-VO Rn. 8a; Schlosser, EU-ZPR, Art. 32 EuGVVO Rn. 9; Bloch, RIW 1989, 566; Treichel, GRUR Int. 2001, 690 (699); Gottwald in MüKo ZPO, Art. 32 EuGVO Rn. 22; a. A. OLG Hamm v. 14. 06. 1988 – 20 W 24/88 – RIW 1989, 566 f. 67 Zu Abgrenzungsfragen zwischen Prozessvergleichen und Urteilen siehe Kropholler/v. Hein, EuZPR, Art. 58 EuGVO Rn. 1b m. w. N. 68  Mäsch, FamRZ 1069 (1075); Kropholler/v.  Hein, EuZPR, Art. 32 EuGVO Rn. 16; a. A. Schlosser, RIW 2001, 81 (88 ff.); ders., EU-ZPR, Art. 32 EuGVVO Rn. 11; offen OLG Karlsruhe v. 19. 12. 1994 – 9 W 32/94 – ZZP Int. 1 (1996) 91 (93). 69  Zu einer solchen Ausnahme siehe etwa Gondolfo v. Gondolfo, [1981] QB 359 (366 f.) (CA). Auch unmittelbar vollstreckbare undertakings sind nicht Resultat einer gerichtlichen Entscheidung, sondern können allenfalls als vollstreckbare öffentliche Urkunden in anderen Mitgliedstaaten der Union vollstreckt werden, vgl. Art. 57 EuGVO (2001) / Art. 58 EuGVO (2012). 70 Wie Schlosser, RIW 2001, 81 (88 f.) zutreffend vermerkt, besteht die Funktion des wichtigsten Typus der Verpflichtungserklärung, des cross undertaking in damages, darin, eine Rechtsgrundlage für die richterliche Entscheidung über den Schadensersatz bereitzustellen. Das cross undertaking in damages bildet somit das funktionale Äquivalent zu § 945 ZPO, nicht zu einer gerichtlichen Entscheidung. 71  Hess, EuZPR, § 6 Rn. 177. 72  OLG Karlsruhe v. 19. 12. 1994 – 9 W 32/94 – ZZP Int. 1 (1996) 91 (92 f.). Allgemein zur Anerkennungsfähigkeit eines Kompromissurteils siehe Schlussanträge GA Gulmann v. 22. 03. 1994 – C-414/92 – Slg. 1994, I-2237 (Solo Kleinmotoren), Rn 30; Landhurst Leasing v. Marcq, [1998] I. L.Pr. 822 (831) (CA); v. Hoffmann/Hau, IPRax 1995, 217 (218); Kropholler/v. Hein, EuZPR, Art. 58 EuGVO Rn. 1b.



C.  Die Urteilsfreizügigkeit im System der EuGVO

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6.  Wirkung der Anerkennung Nach der Rechtsprechung des EuGH, die sich auf eine entsprechende Passage im Jenard-Bericht stützen kann,73 entfaltet eine Entscheidung im Anerkennungsstaat dieselben Wirkungen, welche ihr im Urteilsstaat zukommen (Theorie der Wirkungserstreckung).74 Freilich werden gerichtlichen Entscheidungen in den einzelnen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen der Union recht unterschiedliche Wirkungen beigemessen, insbesondere hinsichtlich der Reichweite der materiellen Rechtskraft sowie ihrer Drittwirkung (siehe beispielhaft zur Drittwirkung der freezing injunction supra § 4 Rn. 57). Im Schrifttum wird deshalb teilweise gefordert, die Urteilswirkungen im Anerkennungsstaat dürften nicht weiter reichen als diejenigen gleichartiger inländischer Urteile (Kumulationstheorie).75 Sinnvoller erscheint es angesichts des Ziels der freien Urteilszirkulation, den ausländischen Entscheidungen grundsätzlich die Wirkungen beizumessen, welche ihnen nach dem Recht des Erststaates zukommen. Sollten sich diese Wirkungen aus Sicht des Vollstreckungsstaates als nicht hinnehmbar erweisen, etwa aufgrund der Erstreckung auf Dritte, kann die Anerkennung dieser Entscheidungswirkungen wegen Verstoßes gegen den ordre public versagt werden.76 Zu den wichtigsten Urteilswirkungen zählen die materielle Rechtskraft, welche bereits in § 12 Rn. 68 ff. erörtert wurde, sowie die Gestaltungswirkung. Keine Wirkungserstreckung erfolgt im Rahmen des EuGVÜ und der EuGVO (2001) hinsichtlich der Urteilswirkung der Vollstreckbarkeit; diese wird originär durch die Gerichte des Vollstreckungsstaates im Exequaturverfahren verliehen.77 Eines solches Verleihungsaktes bedarf es nach Art. 41 Abs. 1 EuGVO (2012) nicht mehr, doch wird die Wirkungserstreckung der Vollstreckbarkeit im Vollstreckungsstaat durch die lex fori executionis begrenzt (infra Rn. 46). 73  ABl. EG Nr. C 49/43 v. 05. 03. 1979, siehe ferner S. 48: „es geht nicht an, ein ausländisches Urteil mit Rechtswirkungen auszustatten, die es im eigenen Land nicht besitzt.“ 74 EuGH v.  04. 02. 1988  – 145/86  – Slg. 1988, 645 (Hoffmann/Krieg), Rn. 11; EuGH v. 28. 04. 2009 – C-420/07 – Slg. 2009, I-3571 (Apostolides), Rn. 66; aus der Literatur siehe Tschauner in Geimer/Schütze, IRV, B Vor I 10 b, Art. 32 Rn. 2; Kropholler/v. Hein, EuZPR, vor Art. 33 EuGVO Rn. 9; Hess, EuZPR, § 6 Rn. 182; Leible in Rauscher, Art. 33 Brüssel I-VO Rn. 3 f. m. w. N. auch zur Gegenauffassung. Der Gleichstellungstheorie, wonach ausländische Urteile mit den Wirkungen vergleichbarer inländischer Urteile ausgestattet werden, folgt die deutsche Rechtsprechung nur im autonomen Anerkennungsrecht, vgl. exemplarisch BGH v. 03. 03. 1993 – XII ZB 93/90 – NJW 1993, 2047 f. 75  Schack, IZVR, Rn. 882  ff.; Dicey/Morris/Collins, Rn. 14–220; Droz, Compétence, Rn. 448; Schmidt, Europäisches Zivilprozessrecht, Rn. 184 f. 76  Peiffer, Titelgeltung, Rn. 65 ff., 148 ff. m. w. N. auch zur Gegenauffassung; Tschauner in Geimer/Schütze, IRV, B Vor I 10 b, Art. 32 Rn. 2; Schlosser, EU-ZPR, Art. 34–36 EuGVVO Rn. 5a; siehe grundsätzlich zur Teilanerkennung Geimer, IZPR, Rn. 3068 ff. 77  Mankowski, ZZP Int. 4 (1999), 276 (279); Geimer, IZPR, Rn. 3155; a. A. Peiffer, Titelgeltung, Rn. 631 ff., 660 ff.

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§ 16  Urteilsfreizügigkeit

II.  Das Exequaturverfahren der EuGVO (2001) 30

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Die EuGVO (2001) sieht ein einseitig ausgestaltetes Exequaturverfahren vor: Auf Antrag des Urteilsgläubigers wird eine in einem Mitgliedstaat ergangene und vollstreckbare Entscheidung in einem anderen Mitgliedstaat für vollstreckbar erklärt. Dem Antrag ist eine Ausfertigung der Entscheidung sowie ein Zertifikat des Erstgerichts gemäß Anhang V EuGVO (2001) beizufügen.78 Eine Beteiligung des Antragsgegners erfolgt in diesem ersten Verfahrensabschnitt nicht. Das Gericht prüft neben seiner Zuständigkeit79 lediglich, ob der Antrag die erforderlichen Urkunden enthält, ob Antragsteller und Antragsgegner Titelgläubiger bzw. -schuldner sind, ob eine gerichtliche Entscheidung im Anwendungsbereich der EuGVO vorliegt, und ob die für vollstreckbar zu erklärende Entscheidung einen vollstreckungsfähigen Inhalt hat.80 Eine Ablehnung wegen des Fehlens einer gerichtlichen Entscheidung, der mangelnden (abstrakten) Vollstreckbarkeit im Ursprungsstaat oder des nicht eröffneten Anwendungsbereichs der EuGVO erfolgt lediglich in jenen seltenen Fällen, in denen sich diese Tatsachen zweifelsfrei aus dem Antrag bzw. dem beigefügten Urteil ergeben.81 Im Vereinigten Königreich tritt gemäß Art. 38 Abs. 2 EuGVO (2001) die Registrierung nach dem Foreign Judgments (Reciprocal Enforcement) Act 1933 an die Stelle der Klauselerteilung; sie hat für jedes Teilgebiet des Vereinigten Königreichs separat zu erfolgen. Nach Zustellung der Entscheidung über den Antrag auf Vollstreckbarerklärung bzw. nach Registrierung der Entscheidung kann jede Partei einen Rechtsbehelf einlegen. In dem sich anschließenden beidseitigen Verfahren wird nicht allein die Entscheidung über die Vollstreckbarerklärung überprüft,82 vielmehr kann der Schuldner hier erstmals das Vorliegen eines Anerkennungsversagungsgrundes gemäß Art. 34, 35 Abs. 1 EuGVO (2001) vortragen (zu den Anerkennungshindernissen siehe Rn. 68 ff.). Die daraufhin ergehende Entscheidung kann nur noch auf Rechtsfragen hin überprüft werden.83 Hat der Schuldner gegen die Entscheidung einen Rechtsbehelf im Ursprungsstaat eingelegt, kann das Gericht das Klauselerteilungs- oder Rechts-

78  Näher Art. 40 Abs. 3, 53 ff. EuGVO (2001). Auf Verlangen des Gerichts sind die in Art. 53, 54 EuGVO bezeichneten Urkunden zu übersetzen, Art. 55 Abs. 2 EuGVO (2001). Die Übersetzung ist von einer hierzu in einem Mitgliedstaat befugten Person zu beglaubigen. Näher Mankowski in FS Kaissis, S. 616. 79  Art. 39 i. V. m. Anhang II EuGVO (2001). 80  Schlosser, EU-ZPR, Art. 41 EuGVVO Rn. 4. 81  Schlosser, EU-ZPR, Art. 41 EuGVVO Rn. 4. 82 Zum zu restriktiven Wortlaut des Art. 45 Abs. 1 EuGVO (2001) siehe Kropholler/v. Hein, EuZPR, Art. 45 EuGVO Rn. 6; Mankowski in Rauscher, EuZPR, Art. 45 Brüssel I-VO Rn. 3, jeweils m. w. N. 83  Art. 44 i. V. m. Anhang IV EuGVO (2001).



C.  Die Urteilsfreizügigkeit im System der EuGVO

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behelfsverfahren aussetzen.84 Das Sicherungsbedürfnis des Gläubigers während des Exequaturverfahrens und nach Erlass der Vollstreckbarerklärung berücksichtigt Art. 47 EuGVO (2001).

III.  Verzicht auf das Exequaturverfahren in der EuGVO (2012) 1.  Unmittelbare Vollstreckbarkeit in anderen EU-Mitgliedstaaten Die EuGVO (2012) verzichtet vollständig auf ein Exequaturverfahren. Entscheidungen aus anderen EU-Mitgliedstaaten sind gemäß Art. 39 EuGVO (2012) unmittelbar vollstreckbar. Der Gläubiger hat dem Vollstreckungsorgan des Zweitstaats eine Kopie der Entscheidung sowie ein Zertifikat nach Art. 53, Annex I EuGVO (2012) vorzulegen. Das in allen Amtssprachen der Union verfügbare Zertifikat enthält nebst einer Wiedergabe des Rubrums Angaben zu Art und Inhalt der Entscheidung und ist im Wesentlichen im Ankreuzverfahren auszufüllen. Das Vollstreckungsorgan kann eine Übersetzung des Zertifikats verlangen, sofern jenes ausnahmsweise nicht ohnehin aus sich selbst heraus verständlich ist (unter Zuhilfenahme der Formularversion in der Amtssprache des Vollstreckungsstaates).85 Eine Übersetzung der Entscheidung darf von den Vollstreckungsorganen nur verlangt werden, wenn dies für die Durchführung der Vollstreckung zwingend erforderlich ist.86 Zur Sicherung der beabsichtigten Vollstreckung kann der Gläubiger Maßnahmen nach dem Recht des Vollstreckungsstaates beantragen, Art. 40 EuGVO (2012). Die Vollstreckung kann nach Art. 44 EuGVO (2012) eingestellt oder auf Sicherungsmaßnahmen begrenzt werden, sofern der Schuldner einen Antrag auf Versagung der Vollstreckung wegen Vorliegen eines Nichtanerkennungsgrundes gestellt hat oder die Vollstreckbarkeit im Ausgangsstaat aufgehoben wurde.87

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2.  Recht des Schuldners auf Vorlage einer Übersetzung Dem Schuldner soll die Bescheinigung nach Art. 53, Annex I EuGVO (2012) vor Beginn der Vollstreckung zugestellt werden, begleitet von der Entscheidung selbst, falls jene nicht bereits zuvor zugestellt worden war.88 Ist die Entscheidung nicht in einer der Amtssprachen des Wohnsitzstaates des Schuldners verfasst oder in einer anderen Sprache, die der Schuldner versteht, so ist der 84  Art. 37 Abs. 1, 46 Abs. 1 EuGVO (2001). Zusätzliche Voraussetzung bei einer aus dem Vereinten Königreich oder Irland stammenden Entscheidung ist das einstweiligen Einstellen der Vollstreckung im Ursprungsstaat, Art. 37 Abs. 2 EuGVO (2001). 85  Art. 42 Abs. 3 EuGVO (2012). 86  Art. 42 Abs. 4 EuGVO (2012), s. a. Art. 54 Abs. 3 EuGVO (2012). 87 Die fehlende Nennung von Kriterien für die Ausübung des Aussetzungsermessens bemängeln Cuniberti/Rueda, RabelsZ 75 (2011), 286 (315). 88  Art. 43 Abs. 1 EuGVO (2012).

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Schuldner berechtigt, eine Übersetzung der Entscheidung zu verlangen, die durch eine in einem Mitgliedstaat zur Anfertigung von Übersetzungen befugte Person erstellt wurde.89 Bis zur Vorlage der angeforderten Übersetzung ist die Vollstreckung auf Sicherheitsmaßnahmen zu beschränken.90 Bemerkenswert an dieser entfernt an Art. 8 EuZVO erinnernden Regelung ist die fehlende Abstimmung mit der EuZVO. Das Recht auf eine Übersetzung der Entscheidung besteht auch in jenen Fällen, in denen keine Auslandszustellung der Entscheidung erforderlich war (insbesondere, weil eine Inlandszustellung an den anwaltlichen Vertreter des Urteilsschuldners im Ursprungsstaat erfolgt ist). Eine Belehrung über das Recht auf eine Übersetzung enthält Art. 43 Abs. 2 EuGVO (2012) ebenso wenig wie die Vorgabe einer Frist, nach deren Ablauf das Recht auf eine Übersetzung erlischt. Hat der Urteilsschuldner es versäumt, die Zustellung der Entscheidung mangels beigefügter Übersetzung nach Art. 8 Abs. 1 EuZVO zurückzuweisen, bleibt es ihm unbenommen, eine Übersetzung nach Art. 43 Abs. 2 EuGVO (2012) zu fordern. Der anwaltlich nicht beratene Schuldner wird mangels Belehrung indes meist keine Kenntnis von seinem Anspruch auf Vorlage einer Übersetzung haben, sondern allenfalls  – ordnungsgemäße Belehrung nach Art. 8 Abs. 1 EuZVO vorausgesetzt – um sein siebentägiges Recht zur Zurückweisung der Zustellung nach der EuZVO wissen. Bei aller Kritik an der Regelung des Art. 8 Abs. 1 EuZVO (siehe § 14 Rn. 25 ff.) kann diese Überlagerung durch Art. 43 Abs. 2 EuGVO (2012) nur als rechtstechnisch unglücklich bezeichnet werden.

3.  Vollstreckung von Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes 36

Wird die Vollstreckung einer Maßnahme des einstweiligen Rechtsschutzes begehrt, muss das Zertifikat eine Beschreibung der Maßnahme enthalten und die Zuständigkeit des Erstgerichts im Hauptsacheverfahren sowie die Voraussetzungen der Vollstreckbarkeit im Ursprungsstaat bescheinigen.91 Ist die einstweilige Maßnahme ohne Anhörung des Antragsgegners ergangen, bedarf es ferner einer Bescheinigung der Zustellung der Entscheidung.92 Bedauerlicherweise lässt das Zertifikat nach Annex I EuGVO (2012) keinen Aufschluss darüber zu, ob das einstweilige Verfahren ex parte erfolgt ist. Fügt der Gläubiger keinen Nachweis der Zustellung der Entscheidung bei, müssen die zuständigen Vollstreckungsorgane somit Erkundigungen über das Ausgangsverfahren einholen.

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Art. 43 Abs. 2 S. 1, 57 Abs. 3 EuGVO (2012). Art. 43 Abs. 2 S. 2 EuGVO (2012). 91  Art. 42 Abs. 2 lit. b, Nr. 4.6.2 Annex I EuGVO (2012). 92  Art. 42 Abs. 2 lit. c EuGVO (2012). 90 



C.  Die Urteilsfreizügigkeit im System der EuGVO

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4.  Zulässigkeit eines mitgliedstaatlichen Klauselerfordernisses Art. 41 Abs. 1 S. 2 EuGVO (2012) gebietet eine Vollstreckung der ausländischen Entscheidung „unter den gleichen Bedingungen“ wie eine im Vollstreckungsmitgliedstaat ergangene Entscheidung. Mitgliedstaaten, die wie Deutschland die Zwangsvollstreckung nur auf Basis einer vollstreckbaren Ausfertigung des Urteils erlauben, können die Vollstreckung deshalb grundsätzlich von einer Klauselerteilung abhängig machen, soweit deren Zweck nicht bereits durch das vom Ursprungsgericht erteilte Zertifikat nach Art. 53, Annex I EuGVO (2012) erfüllt wird. Ein allgemeines Klauselerfordernis nach Vorbild des § 724 ZPO scheidet aus,93 weil das Ursprungsgericht bei Erstellung des Zertifikats bereits das Vorliegen eines ordnungsgemäßen Titels bescheinigt und angibt, inwieweit dieser zur Vollstreckung geeignet ist.94 Demgegenüber wäre die Einführung eines mitgliedstaatlichen Klauselerteilungsverfahrens unionsrechtlich zulässig, sofern der ausländische Titel inländischen Bestimmtheitsanforderungen nicht entspricht oder Maßnahmen enthält, die dem Recht des Vollstreckungsstaates nicht bekannt sind (hierzu sogleich). Hier bedarf es einer Konkretisierung bzw. Anpassung des ausländischen Titels,95 welche nicht zwingend durch die Vollstreckungsorgane erfolgen muss, sofern jene nach dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaates lediglich ausführende Funktion haben.96 Der deutsche Gesetzgeber hat sich allerdings gegen ein spezifisches Klauselerteilungsverfahren entschieden und überlässt die Konkretisierung bzw. Anpassung des ausländischen Titels den Vollstreckungsorganen.97

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IV.  Vollstreckung ausländischer Entscheidungen 1.  Schwierigkeiten bei der Vollstreckung ausländischer Entscheidungen In der Vollstreckung sind Entscheidungen der Gerichte anderer Mitgliedstaaten inländischen Entscheidungen gleichzustellen. Art. 41 Abs. 1 S. 2 EuGVO (2012) formuliert: Die im Ausland ergangene Entscheidung „wird unter den gleichen Bedingungen vollstreckt wie eine im Vollstreckungsmitgliedstaat ergangene Entscheidung“. Nun greifen das Verfahrensrecht des Erststaates, 93  A. A. Andrae/Schimrick in Rauscher, EuZPR, Art. 41 EG-UntVO Rn. 5 ff. zur EuUnthVO. 94  Nr. 4.4 Annex I EuGVO (2012). 95  Timmer, 9 JPIL (2013), 129 (137 ff.) weist zutreffend darauf hin, dass der Wegfall des Exequaturverfahrens in der EuGVO (2012) geeignet ist, die Auslandsvollstreckung zu verkomplizieren und zu verlängern, sofern das Vollstreckungsorgan kein Gericht ist. 96  Geimer in FS Simotta, S. 179 f.; Andrae/Schimrick in Rauscher, EuZPR, Art. 41 EGUntVO Rn. 9 zur EuUnthVO; a. A. Bittmann, Exequatur, S. 164, im Hinblick auf die Konkretisierung Europäischer Vollstreckungstitel. 97  § 1114 ZPO.

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welches das Erkenntnisverfahren beherrscht, und das für die Vollstreckung maßgebliche98 Verfahrensrecht des Zweitstaates, in dem der Gläubiger die Vollstreckung betreiben will, nicht zwingend nahtlos ineinander. Insbesondere in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes sehen die Verfahrensrechte der Mitgliedstaaten der Union Anordnungen vor, die bereits im Nachbarstaat gänzlich unbekannt sein können. Auch die Anforderungen an die Bestimmtheit eines Titels divergieren zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten, und die Mechanismen der Zwangsvollstreckung zivilrechtlicher Titel unterscheiden sich ohnehin recht erheblich.99 Als problematisch hat sich zudem die Vollstreckung von Zwangs- und Ordnungsgeldern im Ausland erwiesen.

2.  Vollstreckbarkeit nach dem Recht des Ursprungsstaates 40

Wie sich bereits aus der Formulierung des Art. 38 Abs. 1 EuGVO (2001) bzw. Art. 39 EuGVO (2012) ergibt, kommt die Vollstreckung einer ausländischen Entscheidung nur in Betracht, soweit jene im Ursprungsstaat (abstrakt) vollstreckbar ist.100 Fehlt es an einer Vollstreckbarkeit im Erststaat, etwa weil die angefochtene Entscheidung nicht für vorläufig vollstreckbar erklärt wurde, so scheidet die Vollstreckung in anderen Mitgliedstaaten der Union ebenfalls aus. Unschädlich ist es hingegen grundsätzlich,101 wenn es im Erststaat an konkreten Vollstreckungsmitteln fehlt, etwa weil das Recht des Erststaates die Verletzung eines Unterlassungstitels nur mit Schadensersatzansprüchen

98  Art. 41 Abs. 1 S. 1 EuGVO (2012). Zur EuGVO (2001) siehe EuGH v.  02. 07. 1985  – 148/84  – Slg. 1985, 1981 (Deutsche Genossenschaftsbank), Rn. 18; EuGH v.  04. 02. 1988  – 145/86 – Slg. 1988, I-645 (Hoffmann/Krieg), Rn. 27 f. 99 Siehe nur Hess in Stürner/Kawano, Comparative Studies, S.  49 ff.: Maßgebliche Unterschiede bestehen hinsichtlich der Organisation der Vollstreckungsorgane (zentral oder dezentralisiert), Versuchen gütlicher Beilegung im Vollstreckungsstadium, der Parteirolle im Vollstreckungsverfahren, der Stellung konkurrierender Gläubiger, dem Auswahlermessen des Vollstreckungsorgans zwischen den verfügbaren Zwangsmitteln, insbesondere zwischen Real- und Personalvollstreckung sowie hinsichtlich Zwangsgeldmodellen, welche privatnützig bzw. staatsnützig sind. 100 EuGH v.  29. 04. 1999  – C-267/97  – Slg. 1999, I-2543 (Coursier), Rn. 23 ff.; EuGH v. 28. 04. 2009 – C-420/07 – Slg. 2009, I-3571 (Apostolides), Rn. 66. Vollstreckbarkeit in diesem Sinne liegt auch vor, wenn der Verstoß gegen eine gerichtliche Anordnung mit contempt of court geahndet wird, vgl. Mansel, IPRax 1995, 362 (363), Basedow in Schlosser, Materielles Recht und Prozeßrecht, S. 153 f.; Geimer, IZPR, Rn. 3107. 101 Eine Anpassung kann in Betracht kommen, wenn der Schutz des Vollstreckungsschuldners im Erkenntnisstaat durch fehlende Vollstreckungsmechanismen, im Vollstreckungsstaat hingegen durch das materielle Recht bewirkt wird. So gewährt etwa das deutsche Recht einen Anspruch auf die Erfüllung der persönlichen Leistung aus einem Dienstvertrag, versagt aber dessen zwangsweise Vollstreckung in § 888 Abs. 3 ZPO. Das englische Recht gewährleistet den Schutz des Schuldners hingegen durch Versagung des Erfüllungsanspruchs und verweist den Gläubiger auf Schadensersatz.



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sanktioniert.102 Das Unionsrecht steht einer Begrenzung der territorialen Reichweite einer Entscheidung auf den Forumstaat nicht entgegen;103 möglich ist es deshalb auch, die Vollstreckbarkeit im Ausland unter den Vorbehalt einer gerichtlichen Erlaubnis des Erstgerichts zu stellen, wie dies bei der freezing injunction der Fall ist.104 Während die EuGVO (2001) dem Ursprungsgericht keine Pflicht zur Angabe über die Vollstreckbarkeit des Urteils auferlegt,105 sieht das nach Art. 53 EuGVO (2012) auszustellende Zertifikat gemäß Anhang I Hinweise zur Vollstreckbarkeit der Entscheidung vor und erleichtert dadurch den zuständigen Stellen des Vollstreckungsstaates die Feststellung der Vollstreckbarkeit im Ursprungsstaat. Nr. 4.4 Anhang I EuGVO (2012) stiftet indes auch Verwirrung: Eine Ankreuzmöglichkeit für bedingte Titel, welche die Vollstreckbarkeit der Entscheidung von dem Eintritt einer Bedingung abhängig machen (bspw. Leistung Zug-um-Zug), ist dort nicht vorgesehen. Das Ursprungsgericht hat lediglich die Wahl zwischen der Angabe, die Entscheidung sei im Urteilsstaat ohne weitere Bedingung vollstreckbar (ggf. begrenzt auf bestimmte Urteilsteile) oder der Angabe, die Entscheidung habe keinen vollstreckbaren Inhalt. Hierbei dürfte es sich um ein Redaktionsversehen handeln. Ein ersichtlicher Grund zur Differenzierung zwischen inländischen und ausländischen offenen Titeln existiert nicht, vielmehr sollten auch diese Titel unter den gleichen ­Voraussetzungen vollstreckt werden wie eine im Vollstreckungsstaat ergangene Entscheidung.106

102 Ausführlich Peiffer, Rn. 1036 ff., 1082. mit zahlreichen Nachweisen, auch zur Gegenauffassung. So ist es bspw. möglich, italienische Unterlassungsurteile in Deutschland nach § 890 ZPO zu vollstrecken, obgleich das italienische Recht für Verfahren, die vor dem 04. 07. 2009 eingeleitet wurden, keine Vollstreckungsmaßnahmen, sondern allein Schadensersatzansprüche vorsieht. Mit Wirkung zum 04. 07. 2009 ist Art. 614-bis des italienischen c. p. c. in Kraft getreten (eingeführt durch Art. 49 Gesetzes n. 69/2009), der ein Zwangsgeld nach Vorbild der französischen astreinte vorsieht. 103  EuGH v. 12. 04. 2011 – C-235/09 – Slg. 2011, I-2801 (DHL Express France), Rn. 47; Schlosser, EU-ZPR, Art. 32 EuGVVO Rn. 5; Tschauner in Geimer/Schütze, IRV, B Vor I 10b, Art. 32 Rn. 20. 104 Zweifelnd Schlosser in Hess/Pfeiffer/Schlosser-Bericht, Rn. 747 ff.; Dickinson, IPRax 2010, 203 (210) (jedenfalls soweit die freezing injunction vom Hauptsachegericht erlassen werde). 105  Das Exequaturgericht muss sich ggf. selbständig um Klärung bemühen vgl. La Caisse Régional de Credit v Ashdown, [2007] EWCA Civ 574 (CA). 106  Zur Vollstreckung offener Titel nach der EuGVO (2001) siehe § 7 Abs. 1 AVAG; OLG Karlsruhe v. 08. 01. 2002 – 9 W 51/01 – IPRax 2002, 527 ff.

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3.  Konkretisierung des Titels 42

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Das deutsche Zivilverfahrensrecht stellt deutlich höhere Anforderungen an die Bestimmtheit des Titels als andere europäische Rechtsordnungen.107 Ein Titel ist nach der im deutschen Verfahrensrecht herrschenden Aufgabenteilung zwischen erkennendem Gericht und ausführendem Vollstreckungsorgan nur zur Vollstreckung geeignet, wenn er aus sich heraus verständlich ist und für jeden Dritten erkennen lässt, was der Gläubiger vom Schuldner verlangen kann.108 Der zu vollstreckende Anspruch sollte inhaltlich so bestimmt sein, dass das Vollstreckungsorgan die Vollstreckung prinzipiell allein auf Basis des Urteilstenors vornehmen kann. In Ausnahmefällen ist eine konkretisierende Auslegung durch das Vollstreckungsorgan anhand des Urteils möglich, nicht jedoch eine Interpretation auf der Grundlage außerhalb des Urteils liegender Umstände.109 Der Bestimmtheitsgrundsatz unterliegt der lex loci executionis, weshalb ausländische Titel bei der Vollstreckung in Deutschland grundsätzlich den deutschen Bestimmtheitserfordernissen genügen müssen.110 Besondere Schwierigkeiten bereitet die Tenorierung von Unterlassungsansprüchen im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes. Die Gerichte anderer Mitgliedstaaten begnügen sich bisweilen mit dem simplen Urteilsausspruch, dem Beklagten werde verboten, das Schutzrecht des Klägers zu verletzen.111 Der deutsche Bestimmtheitsgrundsatz erfordert demgegenüber im Interesse der Rechtssicherheit eine genaue Tenorierung der konkret beanstandeten Verletzungsform. Im Falle einer wortlautgemäßen Verletzung eines Patents lässt sich der Unterlassungsanspruch durch Wiedergabe des Patentanspruchs im Tenor spezifizieren. Soweit das Patent nicht wortlautgemäß, sondern durch eine geringfügig abweichende Ausführungsform verletzt wurde, hat das Gericht die konkrete Verletzungsform hingegen genau zu beschreiben.112 Auch bei Markenverletzungen bedarf es einer genauen Bezeichnung der zu unterlassenden Verletzungsformen.113 Ein anderes Beispiel für Titel, die den deutschen Be107  Einen Überblick über aus deutscher Sicht aufgrund ihrer Unbestimmtheit problematische Fallgruppen ausländischer Titel bietet Seidl, Bestimmtheitsgrundsatz, S. 57–82. 108  BGH v. 07. 12. 2005 – XII ZR 94/03 – NJW 2006, 695 (697). 109  Ständige Rechtsprechung, siehe nur BGH v. 07. 12. 2005 – XII ZR 94/03 – NJW 2006, 695 (697) m. w. N. 110  BGH v. 26. 11. 2009 – VII ZB 42/08 – EuZW 2010, 159 (160); Nelle, Anspruch, S. 492; Seidl, Bestimmtheitsgrundsatz, S. 50. 111  Für England siehe Terrell on Patents, Rn. 19–21: „The ordinary form in which injunctions are now granted is ‚that the defendants, by themselves, their servants or agents be restrained from infringing Patent No. […]‘.“; Nachweise für andere Mitgliedstaaten bei v.  Falck, Implementierung, S. 23 ff.; Stauder, Patent- und Gebrauchsmusterverletzungsverfahren, S. 69. 112  BGH v. 21. 09. 1978 – X ZR 56/77 – GRUR 1979, 48 (49) (Straßendecke). 113  BGH v. 04. 09. 2003 – I ZR 23/01 – GRUR 2004, 151 (152) (Farbmarkenverletzung I); BGH v. 30. 04. 2008 – I ZR 73/05 – GRUR 2008, 702 (704) (Internet-Versteigerung III).



C.  Die Urteilsfreizügigkeit im System der EuGVO

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stimmtheitsanforderungen nicht genügen, sind freezing injunctions, soweit sie Vermögensveränderungen, die im Rahmen der gewöhnlichen Betriebsführung erfolgen, von dem persönlich wirkenden Verfügungsverbot ausnehmen.114 Genügt die ausländische Entscheidung nicht den inländischen Anforderungen an die Titelklarheit, so ist es im zeitlichen Anwendungsbereich der EuGVO (2001) Aufgabe des Exequaturgerichts, die Entscheidung mit einer Vollstreckbarkeitserklärung zu versehen, welche den inländischen Bestimmtheitsanforderungen entspricht.115 Das Gericht hat insoweit auf eine sachdienliche Antragstellung hinzuwirken.116 Im zeitlichen Anwendungsbereich der EuGVO (2012) bleibt die Konkretisierung des Titels mangels eines Exequaturverfahrens den Vollstreckungsorganen überlassen, sofern das nationale Recht keine vorgeschaltete Klauselerteilung vorsieht. Das in Anhang I EuGVO (2012) enthaltene Formblatt für eine vom Ursprungsgericht auszustellende Bescheinigung nach Art. 53 EuGVO (2012) sieht deshalb gewisse Mindestangaben vor, die der Konkretisierung des Titels insbesondere mit Blick auf Zinsen und Kosten dienen.117 Zur näheren Bestimmung von Unterlassungstiteln oder freezing injunctions sind die dortigen Mindestangaben freilich nicht geeignet. Eine Konkretisierung unbestimmter ausländischer Unterlassungstitel im Gewerblichen Rechtsschutz scheidet deshalb nicht von vorneherein aus. Im Falle einer wortlautgemäßen Verletzungsform eines Patents lässt sich die Bestimmung leicht durch Wiedergabe des in der Patentschrift enthaltenen Patentanspruchs vornehmen.118 In Fällen äquivalenter Verletzungen eines Patents oder bei Markenverletzungen ist die aus den Entscheidungsgründen der ausländischen Entscheidung hervorgehende Verletzungsform zu berücksichtigen; gegebenenfalls kann auch eine Teilexequatur im Hinblick auf eine in Deutschland beanstandete Verletzungsform erfolgen.119 Die Grenzen zu einer inhalt114  Stadler, JZ 1999, 1089 (1091 m. Fn. 25); a. A. Schlosser, IPRax 2006, 300 (302 f.) (abgesehen von „ganz extremen Fällen“); die fehlende Bestimmtheit der freezing injunction bei einer Vollstreckung im Wege des Arrests für kritisch, bei einer Vollstreckung nach § 890 ZPO hingegen für akzetabel befindend OLG Karlsruhe ZZP Int. 1 (1996), 91 (94); zum schweizerischen Recht siehe BG v. 30. 07. 2003 – 4P. 88/2003 . 115  BGH v. 21. 11. 2013 – IX ZB 44/12 – WM 2014, 42 (43); BGH v. 04. 03. 1993 – IX ZB 55/92 – NJW 1993, 1801 (1802 f.) m. w. N.; OLG Karlsruhe v. 19. 12. 1994 – 9 W 32/94 – ZZP Int. 1 (1996), 91 (94); Hess in Hess/Pfeiffer/Schlosser-Bericht, Rn. 634; Schlosser, EU-ZPR, Art. 38 EuGVVO Rn. 13; näher Seidl, Bestimmtheitsgrundsatz, S. 188 ff. m. w. N. Zur Konkretisierung von Begriffen wie „gesetzlicher Zinssatz“ oder „Regelbetrag“ kann auf außerhalb der Entscheidung liegende, einfach und sicher feststellbare Umstände rekurriert werden, etwa auf ausländische Gesetze, Verordnungen oder Indizes, vgl. BGH v.  06. 11. 1985  – IV b ZR 73/84 – NJW 1986, 1440 (1441); OGH v. 28. 01. 2004 – 3Ob104/03w . 116  BGH v. 04. 03. 1993 – IX ZB 55/92 – NJW 1993, 1801 (1802 f.); Mankowski in Rauscher, EuZPR, Art. 38 Brüssel I-VO Rn. 26 m. w. N. 117  Nr. 4.6 und 4.7 des Formblatts in Anhang I EuGVO (2012). 118  v. Falck, Implementierung, S. 174 ff. 119 Näher v. Falck, Impementierung, S. 176 ff.

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§ 16  Urteilsfreizügigkeit

lichen Ergänzung bzw. Änderung der Entscheidung und damit zu einer dem Zweitgericht untersagten révision au fond sind freilich zu wahren.120 An einer hinreichenden Bestimmbarkeit des ausländischen Titels fehlt es deshalb regelmäßig, wenn ein Zwischenverfahren zur Bestimmung erforderlich wäre.121 Lässt sich der Titel nicht konkretisieren, scheidet die Vollstreckbarerklärung (EuGVO (2001)) bzw. die Vollstreckung (EuGVO (2012)) aus,122 der Gläubiger muss sich sodann um eine Konkretisierung des Urteils oder der Maßnahme im Ursprungsstaat bemühen.123 Das Unionsrecht steht dieser Praxis nicht entgegen. Ziel der Urteilsfreizügigkeit ist es nicht, eine bedingungslose Vollstreckung der in anderen Mitgliedstaaten ergangenen Entscheidungen zu ermöglichen, sondern ausländische Titel inländischen Titeln gleichzustellen. Scheitert die Vollstreckung aus Gründen, die außerhalb des Anwendungsbereichs der EuGVO liegen, besteht keine Verpflichtung zur Durchführung der Vollstreckung.124

4.  Anpassung der Entscheidung an das Recht des Vollstreckungsstaates 46

Insbesondere in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, welche innerhalb der Union eine große Divergenz aufweisen, bedarf es mitunter der Anpassung eines ausländischen Titels an die im Vollstreckungsstaat bekannten Verfügungstypen. Während die Maßstäbe für eine solche Anpassung in der EuGVO (2001) nicht näher konkretisiert sind,125 gebietet Art. 54 Abs. 1 S. 1 EuGVO (2012), nach einer Entsprechung im Recht des Vollstreckungsstaates zu suchen, welche „mit der gleichen Wirkung verbunden“ ist und „ähnliche Ziele und Interessen verfolgt“. Gemäß Abs. 1 S. 2 dieser Bestimmung bildet das Recht des Ursprungsmitgliedstaates hinsichtlich der Wirkungen der An120 BGH v.  26. 11. 2009  – VII ZB 42/08  – EuZW 2010, 159 (160); OLG Karlsruhe v. 08. 01. 2002 – 9 W 51/01 – IPRax 2002, 527 (528); OLG Saarbrücken v. 03. 08. 1987 – 5 W 102/87 – NJW 1988, 3100 (3101). 121  OGH v. 28. 01. 2004 – 3Ob104/03w ; Mankowski in Rauscher, EuZPR, Art. 38 Brüssel I-VO Rn. 21; a. A. Schlosser, EuZPR, Art. 38 EuGVVO Rn. 13. 122 Teilweise wird hierfür (unzutreffend) auf den ordre public-Vorbehalt rekurriert, so etwa BGH v.  04. 03. 1993  – IX ZB 55/92  – NJW 1993, 1801 (1803); OLG Karlsruhe v. 08. 01. 2002 – 9 W 51/01 – IPRax 2002, 527 (528 f.); Kropholler/v. Hein, EuZVR, Art. 38 EuGVO Rn. 13. Richtigerweise stellt die Bestimmtheit des Titels eine ungeschriebene Exequatur- bzw. Vollstreckungsvoraussetzung dar, vgl. OLG Köln v. 15. 09. 2004 – 16 W 27/04 – NJW-RR 2005, 932; OLG Celle v. 03. 01. 2007 – 8 W 86/06 – NJW-RR 2007, 718 (719); Seidl, Bestimmtheitsgrundsatz, S. 216 ff., S. 254 ff. Bitter, Vollstreckbarerklärung, S. 30; Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR, A. 1, Art. 38 Rn. 19; Mankowski in Rauscher, EuZPR, Art. 38 Brüssel I-VO Rn. 21. 123 Zur freezing injunction siehe Veit/Sprange, Bus. L. Intl.2004, 400 (420). 124  EuGH v. 04. 02. 1988 – 145/86 – Slg. 1988, 645 (Hoffmann/Krieg), Rn 18. 125  Briggs/Rees, Civil Jurisdiction, Rn. 6.22 gehen von einer Pflicht zur möglichst getreuen „Übersetzung“ in die Rechtsordnung des Vollstreckungsstaates aus. Art. 54 EuGVO (2012) stellt eine Reaktion dar auf die bisherige Weigerung vieler Gerichte, funktionale Äquivalente im Vollstreckungsstaat zu finden, vgl. Cadet, EuZW 2013, 218 (222).



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passung eine Grenze, d. h. die Anpassung darf nicht dazu führen, dass der Entscheidung Wirkungen beigemessen werden, welche ihr im Ursprungsmitgliedstaat nicht zukommen. Jeder Partei steht es nach Art. 54 Abs. 2 EuGVO (2012) zu, die Anpassung gerichtlich anzufechten. Hier soll beispielhaft für andere Konstellationen126 die Frage erörtert werden, wie eine englische freezing injunction in das deutsche Recht oder ein deutscher Arrest in das englische Recht zu „übersetzen“ sind. Die englische freezing injunction stellt zwar das funktionale Äquivalent zum deutschen Arrest dar, doch sind die Wirkungen der beiden Instrumente höchst unterschiedlich: Während die freezing injunction Wirkungen nur in personam entfaltet und keine vorrangige Befriedigungsmöglichkeit des Antragstellers gegenüber anderen Gläubigern begründet, ermöglicht der dingliche Arrest eine Pfändung des Schuldnervermögens mit daraus resultierendem Pfändungspfandrecht des Gläubigers. Eine Gleichstellung der freezing injunction mit dem deutschen Arrest scheidet deshalb aus; vielmehr ist die freezing injunction als Unterlassungsverfügung zu implementieren.127 In der Rechtspraxis ist die Auslandsvollstreckung der freezing injunction freilich von eher geringer Bedeutung. Die weltweite freezing injunction dient vornehmlich der Aufdeckung finanzieller Ressourcen des Antragsgegners in anderen Staaten, um vor den dortigen Gerichten einstweilige Sicherungsmaßnahmen beantragen zu können. Gegenüber dritten Personen ohne Wohnsitz in England oder Wales entfaltet die freezing injunction ferner nur Wirkung, wenn sie im Wohnsitzstaat dieser Person für vollstreckbar erklärt wurde (näher § 4 Rn. 62).128 Das Exequatur im Wohnsitzstaat des Dritten ist somit Voraussetzung für eine Verurteilung wegen contempt of court, soll aber meist keine Vollstreckungsmaßnahmen im Exequaturstaat nach sich ziehen.129 Wie sich diese Rechtsprechung nach Wegfall des Exequaturverfahrens im zeitlichen Anwendungsbereich der EuGVO (2012) entwickeln wird, bleibt abzuwarten. Die Vollziehung eines deutschen Arrests in England kann im Wege einer interim third party debt order130 mit hinausgeschobenem Termin für die final 126  Zur Anpassung bei unterschiedlichen Zuständigkeiten für die Ersatzvornahme siehe Peiffer, Titelgeltung, Rn. 1080. 127  OLG Karlsruhe v. 19. 12. 1994 – 9 W 32/94 – ZZP Int. 1 (1996), 91 (94); wohl auch OLG Frankfurt v. 02. 12. 1998 – 13 U 175/98 – OLGR Frankfurt 1999, 74 (75); v. Falck, Implementierung, S. 194 f.; Peiffer, Titelgeltung, Rn. 1078, 1081. A. A. Schlosser in Hess/Pfeiffer/ Schlosser-Bericht, Rn. 753: keine Vollstreckungsmöglichkeit; wiederum a. A. Zuckerman/ Grunert, ZZP Int. 1 (1996), 96 (101); Koch in Schlosser, Materielles Recht und Prozessrecht, S. 257: im Wege der Anpassung Arrest möglich. 128  Nr. 19(2)(c) des Musters in 25A PD. 129  Siehe aber OLG Nürnberg v.  22. 12. 2010  – 14 W 1442/10  – WM 2011, 700 ff. Die fehlende Intention der Vollstreckung im Anerkennungsstaat schließt das Exequatur nicht aus, vgl. BG v. 31. 10. 2011 – BG 4A_366/2011 (zum LugÜ). 130  CPR 72.4; hierzu Fohrer/Mattil, WM 2002, 840 (846 f.) (unter Bezugnahme auf die früher gängige Bezeichnung garnishee order nisi).

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order131 oder im Wege einer preservation order nach CPR 25.1(1)(c)(i) und (l) erfolgen. Zwar ist eine Vollstreckung im Wege der interim third party debt order nach englischem Recht nur nach Urteilserlass möglich und der Anwendungsbereich der Anordnungen nach CPR 25.1(1)(c)(i) und (l) enger als jener des § 916 ZPO.132 Doch spielt dies im Rahmen des Art. 54 EuGVO (2012) keine Rolle, soweit nur die Maßnahme an sich dem Recht des Vollstreckungsstaates bekannt ist.

5.  Maßgeblichkeit der lex loci executionis 50

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Keinerlei Anpassung erfolgt zwischen den Vollstreckungsmechanismen des Erststaates und den Vollstreckungsmechanismen des Zweitstaates. Soweit die Entscheidung des Erstgerichts eine der Rechtsordnung des Zweitstaates bekannte Anordnung enthält oder eine Anpassung erfolgt ist, wird die ausländische Entscheidung hinsichtlich der Zwangsvollstreckung – einschließlich der gegen die Vollstreckung verfügbaren Rechtsbehelfe  – vergleichbaren inländischen Titeln gleichgestellt.133 Sollte das Recht des Vollstreckungsstaates über intensivere Zwangsvollstreckungsmaßnahmen verfügen als das Recht des Ursprungsstaates, muss der Schuldner dies hinnehmen, sofern der Titel nach dem Recht des Ursprungsstaates zumindest abstrakt der Vollstreckung zugänglich ist.134 Erfolgt die Vollstreckung im Zweitstaat beispielsweise durch ein dem Gläubiger zufließendes Zwangsgeld, bedeutet dies keine unzulässige Erweiterung der Entscheidung des Erstgerichts, sondern eine Umsetzung der aus Art. 38 Abs. 1 EuGVO (2001), Art. 39 Abs. 1 EuGVO (2012) resultierenden mitgliedschaftlichen Pflicht zur Urteilsvollstreckung.135 Vice versa gebietet es der Vorrang des Unionsrechts nicht, Entscheidungen aus anderen Mitgliedstaaten im Rahmen der Vollstreckung Rechtswirkungen zuzuerkennen, die ein im Vollstreckungsstaat erlassener Titel derselben Art nicht erzeugen würde.136 Verpflichtet beispielsweise eine französische saisie 131 

CPR 72.8. CPR 25.1(1)(c)(i) und (l) sind nur anwendbar, sofern der Antragsteller behauptet, ein Eigentumsrecht an dem Vermögensgegenstand oder eine Berechtigung an einer bestimmten Geldsumme zu besitzen, vgl. Myers v Design Inc (International), [2003] 1 WLR 1642 (1645) (Ch); siehe auch Sports Network v Joe Calzaghe, [2008] EWHC 2566 (QB), Rn. 55. 133  Art. 41 EuGVO (2012); EuGH v. 13. 10. 2011 – C-139/10 (Prism Investments), Rn. 40 m. w. N.; BGH v. 10. 02. 2000 – IX ZB 31/99 – WM 2000, 635 (638); Kennett, Enforcement, S. 302; Bitter, Vollstreckbarerklärung, S. 141 f.; Dicey/Morris/Collins, Rn. 14–190; Kropholler/v. Hein, EuZPR, Art. 38 EuGVO Rn. 14. 134  Unklar EuGH v. 28. 04. 2009 – C-420/07 – Slg. 2009, I-3571 (Apostolides), Rn. 66. 135  Anders noch die französische Rechtsprechung und das französische Schrifttum zum EuGVÜ, siehe den Überblick bei Stutz, Handlungs- und Unterlassungsvollstreckung, S. 70 ff. 136  EuGH v. 28. 04. 2009 – C-420/07 – Slg. 2009, I-3571 (Apostolides), Rn. 66; Bitter, Vollstreckbarerklärung, S. 142; Stutz, Handlungs- und Unterlassungsvollstreckung, S. 24; Peiffer, Titelgeltung, Rn. 1056; Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR, A. 1 Art. 38 Rn. 9; a. A. Mansel, 132 



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contrefaçon einen angeblichen Schutzrechtsverletzer zur Duldung der Besichtigung seiner in England befindlichen Geschäftsräume oder Wohnung, so sind die englischen Vollstreckungsorgane an das Judikat gebunden, dass „no court in this land has any power to issue a search warrant to enter a man’s house so as to see if there are papers or documents there which are of an incriminating nature.“137 Die Durchsetzung der französischen einstweiligen Maßnahme kann nur durch Androhung von contempt of court erfolgen. Hierbei bietet sich eine Anpassung der Entscheidung gemäß Art. 54 EuGVO (2012) dahingehend an, die Durchführung der Besichtigung in die Hände eines neutralen supervising solicitors zu legen. In der Praxis wäre der Antragsteller ohnehin gut beraten, die Beweissicherungsmaßnahme unmittelbar beim High Court zu beantragen.

V.  Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Zwangsgelder 1.  Zwangsgeld zugunsten des Gläubigers Das System der EuGVO weist die Herrschaft über das Zwangsvollstreckungsverfahren eindeutig den Gerichten und der Rechtsordnung des Vollstreckungsstaates zu.138 Eine Anerkennung und Vollstreckbarerklärung ausländischer Zwangsakte erfolgt prinzipiell nicht, da diese keine Sachentscheidung i. S. d. Art. 32 EuGVO (2001), Art. 2 lit. a EuGVO (2012) darstellen.139 Selbst wenn ein Gericht als Vollstreckungsorgan fungiert, handelt es sich bei der angeordneten Maßnahme nicht um die Entscheidung eines zwischen den Parteien bestehenden Rechtsstreits, sondern um einen Vollzugsakt.140 Die Beschränkung der Urteilsfreizügigkeiten auf Sachentscheidungen wird durchbrochen von Art. 49 EuGVO (2001) / Art. 55 EuGVO (2012). MitgliedIPRax 1995, 362 (363) (der freilich vorrangig eine Anpassung bzw. Qualifikation des ausländischen Titels befürwortet). 137  Anton Piller v Manufacturing Processes, [1976] 1 Ch 55 (60) (CA). In anderen Rechtsgebieten, die nach kontinentaler Auffassung dem Zivilrecht zuzordnen sind, sieht das englische Recht durchaus staatliche Durchsuchungen zum Auffinden von Beweismitteln vor, so sieht etwa reg. 22 der The Consumer Protection from Unfair Trading Regulations 2008, welche die Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken umsetzen, eine „power to enter premises with a warrant“. Die Kontrolle unlauterer Geschäftspraktiken ist im englischen Recht verwaltungsrechtlich organisiert, die Rechtsdurchsetzung erfolgt durch die Local Authority Trading Standards Services und das Office of Fair Trading (OFT). 138 Siehe nur Art. 22 Nr. 5 EuGVO (2001) / Art. 24 Nr. 5, Art. 41 Abs. 1 S. 1 EuGVO (2012). Hintergrund sind Souveränitätsinteressen des Vollstreckungsstaates ebenso wie Praktikabilitätserwägungen, vgl. Bruns, ZZP 118 (2005), 3 (13 f.); Fritzsche, ZZP Int. 7 (2002), 150 (257 f.). 139  Schlosser, IPRax 2006, 300 (304); Schack, IZVR, Rn. 1061; Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 32 Brüssel I-VO Rn. 15; Bitter, Vollstreckbarerklärung, S. 16; s. a. zu § 328 ZPO BAG v. 19. 03. 1996 – 9 AZR 656/94 – NZA 1997, 334 (336). 140  Schack, IZVR, Rn. 1061; Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 32 Brüssel I-VO Rn. 15.

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staatliche Entscheidungen, die auf Zahlung eines Zwangsgelds lauten, sind danach in anderen Mitgliedstaaten vollstreckbar, sofern die Höhe des Zwangsgelds durch die Gerichte des Ursprungsmitgliedstaats endgültig festgesetzt ist. Zugeschnitten ist die Bestimmung auf das Zwangsgeld der romanisch geprägten Rechtsordnungen nach Vorbild der französischen astreinte.141 Die astreinte ist eine (regelmäßig bereits im Erkenntnisurteil erfolgende) bedingte Verurteilung zur Zahlung eines gerichtlich festgesetzten Geldbetrags, der bei Nichterfüllung dem Gläubiger zufließt. Nach französischem Recht wird die Höhe des Zwangsgelds zunächst provisorisch angeordnet und bei fehlender Bereitschaft zur freiwilligen Befolgung des Urteils endgültig festgesetzt.142 In anderen Rechtsordnungen setzt das Gericht die pro Verstoß bzw. pro verstrichener Zeitperiode zu zahlenden Summe von vorneherein endgültig fest.143 Die Praxisrelevanz der astreinte oder ihr nachgebildeter Instrumente liegt v.  a. in der Vollstreckung von Handlungs- und Unterlassungstiteln,144 weshalb die Interpretation des Art. 49 EuGVO (2001) / Art. 55 EuGVO (2012) für die Vollstreckung von Titeln zur Durchsetzung gewerblicher Schutzrechte besondere Bedeutung aufweist.145 Historisch erklärt sich die Einführung der Vorläuferbestimmung des Art. 49 EuGVO (2001) in das EuGVÜ (dort Art. 43) mit der ursprünglich schadensersatzrechtlichen Qualifikation der astreinte.146 Doch wurde die Bestimmung nach dem Wandel der astreinte zum echten Vollstreckungsmittel in Frankreich147 und nach Einführung äquivalenter Vollstreckungsmaßnahmen in zahlreichen anderen Rechtsordnungen der Union148 unverändert in die EuGVO (2001) ebenso wie in die EuGVO (2012) übernommen.149 Sie lässt sich deshalb sinnvollerweise nur als Ausnahme vom Prinzip der verweigerten Anerkennung von Vollstreckungsmaßnahmen verstehen.150 Der Urteilsgläubiger verfügt somit über drei Optionen: Erstens die Inlandsvollstreckung des gläubigernützigen Zwangsgelds, zweitens die Auslands141 Näher

Remien, Rechtsverwirklichung, S. 315 ff.; Bruns, ZZP 118 (2005), 3 (9 ff.). Art. 34 Loi No. 91–650 v. 09. 07. 1991. 143  So in Belgien, Niederlande und Luxemburg auf Basis der Convention Benelux portant loi uniforme relative à l’astreinte v. 26. 11. 1973 . 144  Während die astreinte in Frankreich ein universelles Vollstreckungsmittel darstellt, ist die Anordnung von Zwangsgeld zu Gunsten des Gläubigers in anderen Mitgliedstaaten nur zwecks Vollstreckung von Handlungs- und Unterlassungsanordnungen zulässig, siehe näher Bruns, ZZP 118 (2005), 3 (13 f.). Das italienische Recht enthält seit dem Jahr 2009 in Art. 614bis c. p. c. ein Zwangsgeld nach Vorbild der französischen astreinte. 145  Hess in Hess/Pfeiffer/Schlosser-Bericht, Rn. 612. 146  Bruns, ZZP 118 (2005), 3 (15 f.). 147 Näher Cuniberti, Blogeintrag v. 09. 07. 2009, Does Astreinte Belong to Enforcement?, . 148  Kurzer Überblick bei Bruns, ZZP 118 (2005), 3 (9 ff.). 149 Änderungsvorschläge im Hess/Pfeiffer/Schlosser-Bericht, Rn.  620, fanden keine Berücksichtigung. Für eine Streichung der Norm Schack, IZVR, Rn. 1081. 150  Remien, Rechtsverwirklichung, S. 318: „unausgesprochene Erweiterung“. 142 



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vollstreckung des Erkenntnisurteils mittels der Zwangsmaßnahmen des Vollstreckungsstaats und drittens die Auslandsvollstreckung des durch das Erkenntnisgericht festgesetzten Zwangsgelds als Geldtitel.151

2.  Zwangsgeld zugunsten der Staatskasse Zur Vermeidung eines Ungleichgewichts bei der Urteilsvollstreckung innerhalb der Union böte es sich an, dem Gläubiger ein ebensolches Wahlrecht zu eröffnen, wenn der Ursprungsstaat das Modell eines Zwangsgelds bzw. einer Geldstrafe zugunsten der Staatskasse vorsieht, zumal die funktionale Äquivalenz dieser Maßnahmen zur astreinte offensichtlich ist.152 Dennoch ist die Anwendung des Art. 49 EuGVO (2001), Art. 55 EuGVO (2012) auf Akte der Naturalvollstreckung zugunsten der Staatskasse gewissen Zweifeln ausgesetzt:153 Erstens lässt die nationale Zuordnung dieser Instrumente zum Straf- bzw. öffentlichen Recht die Anwendbarkeit der EuGVO fraglich erscheinen; zweitens ist es unklar, ob der Begriff des „Zwangsgeldes“ auch Instrumente mit repressivem Charakter umfasst; und drittens stehen einer nach dem Recht des Ursprungsstaates gegebenenfalls vorgesehenen Beitreibung von Amts wegen bei der grenzüberschreitenden Vollstreckung Hindernisse entgegen. Der Europäische Gerichtshof hatte in der Rechtssache Realchemie Gelegenheit, zu diesem Themenkomplex Stellung zu nehmen. Strikt am Vorabentscheidungsersuchen des Hoge Raad orientiert, stellte die Große Kammer lediglich fest, die Verordnung finde Anwendung auf die Anerkennung und Vollstreckung einer Verurteilung zur Zahlung eines Ordnungsgelds nach § 890 ZPO, das zur Durchsetzung einer gerichtlichen Entscheidung in einer Zivil- und Handelssachen diene.154 Die Hinweise des Generalanwalts und der niederländischen Regierung auf die Unklarheiten bei der Auslegung des Art. 49 EuGVO (2001) und potentielle Schwierigkeiten bei der Vollstreckung des deutschen Ordnungsgelds in den Niederlanden wies der Gerichtshof mit dem zwar zutreffenden, aber wenig hilfreichen Hinweis zurück, hierzu habe das vorlegende Gericht keine Frage gestellt.155 Immerhin lässt sich der Entscheidung wohl implizit nicht nur die Aussage entnehmen, dass ein Ordnungsgeldbeschluss dem Anwendungsbereich der Verordnung unterfällt, sondern 151  Mankowski in Rauscher, EuZPR, Art. 49 Brüssel I-VO Rn. 9; Kropholler/v.  Hein, Art. 49 EuGVO Rn. 3, jeweils m. w. N. 152  Die Anpassungsvorschrift des Art. 54 EuGVO (2012) ermöglicht keine „Umwandlung“ des staatsnützigen Zwangsgelds in ein gläubigernütziges Zwangsgeld, da der Entscheidung auf diesem Wege unzulässigerweise Wirkungen zugemessen würden, welche ihr im Ursprungsstaat nicht zukommen, vgl. Art. 54 Abs. 1 S. 2. 153  Siehe die ausführlichen Erwägungen von GA Mengozzi, Schlussanträge v. 05. 04. 2011 – C‑406/09 (Realchemie), Rn. 58 ff., 69 ff. 154  EuGH v.  18. 10. 2011  – C‑406/09 (Realchemie), Rn. 39 ff.; ähnlich Pocar-Bericht zu Art. 49 LugÜ 2007, ABl. Nr. C 319/46 v. 23. 12. 2009. 155  EuGH v. 18. 10. 2011 – C‑406/09 (Realchemie), Rn. 43.

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§ 16  Urteilsfreizügigkeit

auch, dass das Exequatur eines Ordnungsgeldbeschlusses nach der Verordnung möglich ist.156 Die Entscheidung stellt in begrüßenswerter Weise sicher, dass den Entscheidungen der Gerichte innerhalb der Union ein identisches Maß an Freizügigkeit zukommt. Der Gerichtshof hat zutreffend den Annexcharakter des Zwangsgeldes betont und die Eröffnung des Anwendungsbereichs der EuGVO bejaht, soweit das Erkenntnisverfahren den Zivil- und Handelssachen zuzuordnen ist.157 Freilich sollte hieraus nicht der Schluss gezogen werden, jede Vollstreckungsmaßnahme einer Zivil- und Handelssache sei eine der Anerkennung und Vollstreckung zugängliche Entscheidung i. S. d. Art. 32 EuGVO (2001) / Art. 2 lit. a EuGVO (2012).158 Unzweifelhaft sind bspw. weder Anordnungen von Ordnungshaft, noch Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse von Art. 33 EuGVO (2001) / Art. 36 Abs. 1 EuGVO (2012) erfasst.159 Vielmehr kommt die grenzüberschreitende Vollstreckung nur in Betracht, soweit die Ausnahme des Art. 49 EuGVO (2001) / Art. 55 EuGVO (2012) einschlägig ist, mithin ein Zwangsgeld im Sinne dieser Bestimmung angeordnet wurde. Der Begriff des Zwangsgelds ist autonom auszulegen, ohne Berücksichtigung der fein ziselierten nationalen Differenzierungen hinsichtlich des präventiven oder repressiven Charakters einzelner Maßnahmen. Werden auch contempt fines des Common Law oder das Ordnungsgeld deutschen Rechts im nationalen Recht den Strafen zugeordnet,160 so besteht doch ihre maßgebende Funktion im Rahmen der Zwangsvollstreckung darin, mittels Aufbau eines Drohpotentials etwaig angeordnete Handlungs- oder Unterlassungspflichten effektiv durchzusetzen. Sie sollten deshalb unter den Begriff des Zwangsgelds i. S. d. Art. 49 EuGVO / Art. 55 EuGVO (2012) subsumiert werden.161 156  In diesem Sinne wird die Entscheidung allgemein interpretiert, siehe Mankowski, EWiR 2012, 85 (86); Markus, LMK 2012, 328304; Weiß, GRUR-Prax 2011, 502; Kieser/ Sagemann, GRUR-Prax 2012, 155 (158); Sujecki, EuZW 2012, 159 f. 157  EuGH v. 18. 10. 2011 – C‑406/09 (Realchemie), Rn. 39 ff.; s. a. BGH v. 25. 03. 2010 – I ZB 116/08 – NJW 2010, 1883 (1884 f.); ebenso Pocar-Bericht zu Art. 49 LugÜ 2007, ABl. Nr. C 319/46 v. 23. 12. 2009; Koch in Schlosser, Materielles Recht und Prozessrecht, S. 200; Giebel, IPRax 2009, 324 (325 f.); Sujecki, EuZW 2012, 159; a. A. GA Mengozzi, Schlussanträge v. 05. 04. 2011 – C‑406/09 (Realchemie), Rn. 58 ff.; Stoffregen, WRP 2010, 839 (841 ff.); Bittmann, GPR 2012, 84 (86); Hess, EuZPR, § 6 Rn. 219. 158  Zutreffende Kritik an der fehlenden Differenzierung zwischen Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren in der Entscheidung Realchemie äußert Markus, LMK 2012, 328304. 159 Siehe nur GA Mengozzi, Schlussanträge v.  05. 04. 2011  – C‑406/09 (Realchemie), Rn. 49; Bruns, ZZP 118 (2005), 3 (16); Kropholler/v. Hein, EuZPR, Art. 38 EuGVO Rn. 5; Peiffer, Titelgeltung, Rn. 1089. 160  Zur Natur des § 890 ZPO siehe Remien, Rechtsverwirklichung, S. 18 ff. 161  Remien, Rechtsverwirklichung, S. 318 ff.; Mäsch, FamRZ 2002, 1069 (1075); Stadler, IPRax 2003, 430 (431); Mankowski, EWiR 2012, 85 (86) Schlosser, EU-ZPR, Art. 49 EuGVVO Rn. 6 ff.; Kropholler/v. Hein, EuZPR, Art. 49 EuGVO Rn. 1; Gottwald in MüKo ZPO, Art. 49 EuGVO Rn. 4; Sujecki, EuZW 2012, 159 f., jeweils m. w. N.; a. A. Markus,



C.  Die Urteilsfreizügigkeit im System der EuGVO

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Im Rahmen der grenzüberschreitenden Vollstreckung ist es ferner unerheblich, ob das Zwangsgeld nach dem Recht des Ursprungsstaates von Amts wegen beigetrieben wird. Der Gläubiger eines Handlungs- oder Unterlassungstitels ist nach Art. 38 Abs. 1 EuGVO (2001) befugt, die Vollstreckung im Ausland durch den Antrag auf Exequatur vorzubereiten. Die Vollstreckung des Titels liegt deshalb in seinen Händen. Nichts anderes kann in jenen Fällen gelten, in denen das vom Ursprungsgericht festgesetzte Zwangsgeld im Ausland als Geldtitel zu vollstrecken ist, auch wenn die Vollstreckung der Zwangsgeldanordnung nach dem Recht des Ursprungsstaats dem Staat obliegt. Berechtigter bzw. Antragsteller i. S. d. Art. 38 Abs. 1 EuGVO (2001) / Art. 42 Abs. 1 EuGVO (2012) ist folglich auch der Gläubiger des Erkenntnisurteils.162 Auf eine entsprechende Bescheinigung nach Anhang V EuGVO (2001) / Anhang I EuGVO (2012) hat der Gläubiger selbst hinzuwirken. Gelingt es der Partei, das vom Ursprungsgericht angeordnete Zwangsgeld zu Gunsten des Staates in einem anderen Mitgliedstaat der Union zu vollstrecken, so ist der Betrag an die Justizkasse des Ursprungsstaats auszukehren.163 Denn das Zwangsgeld dient nicht der Vollstreckungsfinanzierung, sondern hat (je nach nationaler Qualifikation) präventiven oder repressiven Charakter.

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3.  Kumulation der Zwangsgelder Art. 49 EuGVO (2001), 55 EuGVO (2012) gewähren dem Urteilsgläubiger ein Wahlrecht zwischen der Vollstreckung des eigentlichen Titels mit den Zwangsmaßnahmen des Vollstreckungsstaates und der Vollstreckung des im Ursprungsstaat festgesetzten Zwangsgelds als Geldtitel.164 Der Gläubiger wird sein enforcement shopping an der Schnelligkeit und Effektivität der jeweiligen Vollstreckungssysteme orientieren. Von Vorteil mag eine Auslandsvollstreckung des im Ursprungsstaat verhängten Zwangsgeld beispielsweise sein, wenn der Titel nicht den Bestimmtheitsanforderungen des Vollstreckungsstaats genügt oder die betreffende Maßnahme bzw. Anordnung im Recht des Vollstreckungsstaates unbekannt ist. LMK 2012, 328304; Fentiman, Litigation, Rn. 17.60; Schack, IZVR, Rn. 906; für contempt of court fines ablehnend Stutz, Handlungs- und Unterlassungsvollstreckung, S. 23. 162  Zur Antragsbefugnis nach Art. 6 Abs. 1 EuVTVO siehe BGH v. 25. 03. 2010 – I ZB 116/08 – NJW 2010, 1883 (1885); Stürner in FS Simotta, S. 589 f.; a. A. Stoffregen, WRP 2010, 839 (840 f.); Bittmann, IPRax 2012, 62 (64 f.); wohl auch Hess/Pfeiffer/Schlosser-Bericht, Rn. 615. 163  BGH v.  25. 03. 2010  – I ZB 116/08  – NJW 2010, 1883 (1885); Giebel, IPRax 2009, 324 (326); ders., NJW 2011, 3570; Kieser/Sagemann, GRUR-Prax 2012, 155 (158); Schröler, WRP 2012, 185 (187); implizit auch Peiffer, Titelgeltung, Rn. 1087; a. A. Koch in Schlosser, Materielles Recht und Prozessrecht, S. 200: Zufluss an den Gläubiger. 164  Mankowski in Rauscher, EuZPR, Art. 49 Brüssel I-VO Rn. 9; Kropholler/v.  Hein, Art. 49 EuGVO Rn. 3, jeweils m. w. N.

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§ 16  Urteilsfreizügigkeit

Offensichtlich problematisch ist die durch das Wahlrecht des Gläubigers begründete Option zur Kumulation von Zwangsmaßnahmen. Im Schrifttum wird erwogen, den Gerichten des Vollstreckungsstaats die Befugnis zur Anordnung von Zwangsmaßnahmen zu entziehen, sofern im Erststaat bereits ein Zwangsgeld festgesetzt wurde.165 Diese Interpretation bricht mit dem Grundsatz der Gleichstellung ausländischer Entscheidungen mit Inlandsentscheidungen166 für die Zwecke der Zwangsvollstreckung und lässt sich weder im Text noch in der Entstehungsgeschichte der Verordnung verankern. Dennoch sind die Gerichte im Ursprungs- wie im Vollstreckungsstaat gehalten, zu prüfen, inwiefern angesichts der Zwangsgeldverhängung im Ausland und der Umstände des Einzelfalls eine Festsetzung kumulativen Zwangsgelds angemessen und verhältnismäßig erscheint.167

4.  Akzessorietät der Zwangsgeldanordnung 62

Die Vollstreckung der Zwangsgeldfestsetzung kann nicht vollkommen losgelöst von der Erkenntnisentscheidung behandelt werden. Ein Exequatur des auf Zwangsgeldzahlung gerichteten Geldtitels setzt die Vollstreckbarkeit der Erkenntnisentscheidung im Zweitstaat voraus.168 Anderenfalls hätte es der Gläubiger in der Hand, durch die Exequatur der Zwangsgeldanordnung die Anerkennungsversagungsgründe der Art. 34, 35 Abs. 1 EuGVO (2001), Art. 45 EuGVO (2012) zur Bedeutungslosigkeit zu verdammen. Keinesfalls kann beispielsweise die Anhörung des Schuldners bei der Zwangsmittelfestsetzung eine Versagung des rechtlichen Gehörs im Erkenntnisverfahren aufwiegen,169 soweit nicht ausnahmsweise eine vollständige Überprüfung der Erkenntnisentscheidung im Rahmen der Zwangsmittelfestsetzung erfolgt. Ob der Erlass einer Zwangsgeldentscheidung ohne Anhörung des Beklagten die Vollstreckbarkeit nach den Grundsätzen der Denilauler-Entscheidung hindert, ist unklar.170 Da nicht alle Mitgliedstaaten eine separate Anhörung vor Festsetzung des Zwangsgelds vorsehen,171 mithin insoweit kein gemeineuropäischer Standard besteht, bietet es sich an, eine Versagung der Anerkennung im Zweitstaat wegen fehlender Anhörung des Schuldners vor der Zwangsgeldanordnung über den ordre public zu regeln. 165 

v. Falck, Implementierung, S. 186; Remien, Rechtsverwirklichung, S. 330. Art. 41 EuGVO (2012); EuGH v. 13. 10. 2011 – C-139/10 (Prism Investments), Rn. 40 m. w. N. 167  Tschauner in Geimer/Schütze, IRV, B Vor I 10 b, Art. 49 Rn. 6; Mankowski in Rauscher, EuZPR, Art. 49 Brüssel I-VO Rn. 9; Kropholler/v. Hein, EuZPR, Art. 49 EuGVO Rn. 3. 168  Ebenso für einen Einzelfall v. Falck, Implementierung, S. 198 f. 169  Anders wohl BGH v. 25. 03. 2010 – I ZB 116/08 – NJW 2010, 1883 (1885 f.). 170  Markus, LMK 2012, 328304. 171 Nach Art. 1 der Convention Benelux portant loi uniforme relative à l’astreinte v. 26. 11. 1973, wird die astreinte bereits in der Erkenntnisentscheidung definitiv festgesetzt. 166 



C.  Die Urteilsfreizügigkeit im System der EuGVO

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Die Zwangsgeldandrohung des Zweitstaats auf Basis des für vollstreckbar erklärten Erkenntnisurteils des Erststaats lässt sich nicht in einem dritten Mitgliedstaat selbständig vollstrecken. Der Grundsatz der Akzessorietät schützt den Schuldner vor einer Kumulation grenzüberschreitend durchsetzbarer Zwangsgelder auf diesem Wege.172

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5.  Unionsweite Wirkung ausländischer Zwangsmaßnahmen Die oben skizzierte, teilweise sehr unklare Rechtslage zur Vollstreckung ausländischer Zwangsgelder erfährt bei der Sanktionierung von Verletzungen von Gemeinschaftsschutzrechten eine weitere Komplikation. Stellt ein Gemeinschaftsmarkengericht die Verletzung einer Gemeinschaftsmarke fest, so spricht es gemäß Art. 102 Abs. 1 der Verordnung über die Gemeinschaftsmarke (GMV) ein Verbot der Verletzungshandlung aus und „trifft nach Maßgabe seines innerstaatlichen Rechts die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass dieses Verbot befolgt wird“. Nach der Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache DHL Express France entfaltet nicht nur das Unterlassungsgebot, sondern auch die vom Gericht bindend anzuordnende Zwangsmaßnahme grundsätzlich Wirkung innerhalb des gesamten Gebiets der Union.173 Deshalb soll auch die – bereits zur Vollstreckung zählende – Androhung von gläubigernützigem Zwangsgeld (astreinte) oder fiskusnützigem Ordnungsgeld bzw. contempt fine nach Kapitel III der EuGVO anerkennungs- und vollstreckungsfähig sein.174 Nur in jenen Fällen, in denen das Prozessrecht des Zweitstaates keine Zwangsmaßnahme enthalte, die der vom Gemeinschaftsmarkengericht angeordneten ähnlich sei, habe das angerufene Gericht des Zweitstaats unter Beachtung der Maßgaben des ursprünglichen Urteils die Vollstreckung mittels gleichwertiger Maßnahmen der lex fori durchzusetzen.175 Die Entscheidung des EuGH verkennt zunächst, dass Zwangsmaßnahmen keine Entscheidungen i. S. d. Art. 32 EuGVO (2001) / Art. 2 lit. a EuGVO (2012) sind, weshalb sie vorbehaltlich der Ausnahme gemäß Art. 49 EuGVO (2001) / Art. 55 EuGVO (2012) der Anerkennung und Vollstreckung nach den Bestimmungen der Verordnung nicht zugänglich sind. Enttäuschend ist ferner, dass die Begründung der Entscheidung – ebenso wie die vorbereitenden Schlussanträge des Generalanwalts Cruz Villalón – mit keiner Silbe darauf eingehen, wie das darin propagierte Konzept mit Art. 49 EuGVO (2001) / Art. 55 EuGVO (2012) zu vereinbaren ist. Nach diesen Bestimmungen sind auslän172  I. E. ebenso Schlosser in FS Leipold, S. 446; Peiffer, Titelgeltung, Rn. 1052; Mankowski in Rauscher, EuZPR, Art. 49 Brüssel I-VO Rn. 4b; Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR, A. 1 Art. 49 Rn. 3. 173  EuGH v. 12. 04. 2011 – C-235/09 – Slg. 2011, I-2801 (DHL Express France), Rn. 54. 174  EuGH v. 12. 04. 2011 – C-235/09 – Slg. 2011, I-2801 (DHL Express France), Rn. 54, 59. 175  EuGH v.  12. 04. 2011  – C-235/09  – Slg. 2011, I-2801 (DHL Express France), Rn. 56 unter Bezugnahme auf die Schlussanträge des GA Cruz Villalón v. 7. 10. 2010, Rn. 66 f.

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§ 16  Urteilsfreizügigkeit

dische Entscheidungen, die auf Zahlung eines Zwangsgelds lauten, im Vollstreckungsstaat nur vollstreckbar, wenn die Höhe des Zwangsgelds durch die Gerichte des Ursprungsmitgliedstaats endgültig festgesetzt ist. Im Interesse der Rechtsklarheit und der Prozessökonomie wird dem Gericht des Zweitstaats die Aufgabe abgenommen, die Berechnung des festzusetzenden Zwangsgelds nach Maßgabe des Rechts und der Praxis des Erststaats vorzunehmen.176 Noch völlig ungeklärt sind die Konsequenzen der Entscheidung DHL Express France für die nach Art. 89 der Verordnung über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster (GGV) zu ergreifenden Zwangsmaßnahmen. Art. 102 GMV regelt als einzige unionsautonome Sanktion das Unterlassungsgebot, welches in den Mitgliedstaaten der Union regelmäßig durch Zwangs- bzw. Ordnungsgeld oder funktional äquivalente Institute vollstreckt wird. Art. 89 GGV regelt über das Unterlassungsgebot hinaus auch die Beschlagnahme von Gegenständen sowie sonstige Sanktionen nach Maßgabe der lex causae177 und verpflichtet die Gemeinschaftsgeschmacksmustergerichte, nach Maßgabe der lex fori die erforderlichen Maßnahmen zur Sicherstellung der Befolgung ihrer Anordnungen zu treffen. Eine konsequente Fortführung der Rechtsprechung in DHL Express France bedeutete, auch anderen Zwangsmaßnahmen den Genuss der Freizügigkeit nach Maßgabe der EuGVO zuzubilligen, sofern das Erkenntnisgericht nach seiner lex fori für deren Anordnung zuständig ist. Mir erscheint die vom EuGH in der Rechtssache DHL Express France gewiesene Richtung als ein Irrweg. Sofern mit der hier vertretenen Auffassung eine Auslandsvollstreckung auch staatsnütziger Zwangsgelder nach Art. 49 EuGVO (2001) / Art. 55 EuGVO (2012) bejaht wird, sind die dem Gläubiger nach der EuGVO eingeräumten Möglichkeiten des enforcement shopping vollkommen ausreichend. Der Gläubiger verfügt über drei Möglichkeiten: Vollstreckung des Unterlassungstitels im Erststaat oder Zweitstaat nach der jeweiligen lex loci executionis oder Vollstreckung des erststaatlich festgesetzten Zwangsgelds als Geldtitel im Zweitstaat. Es lässt sich kein gesteigertes Schutzbedürfnis des Inhabers eines Gemeinschaftsschutzrechts gegenüber anderen Gläubigern ausmachen, welches die weitere Option des Gläubigers rechtfertigen würde, das im Erststaat verhängte Zwangsgeld im Wege der Exequatur der verhängten Zwangsmaßnahme im Zweitstaat festsetzen und vollstrecken zu lassen.178 Ohnehin lassen die Divergenzen zwischen den Vollstreckungsordnungen der Mitgliedstaaten eine Androhung eines Zwangs176 

BGH v. 04. 03. 1993 – IX ZB 55/92 – BGHZ 122, 16 (18). Siehe einschränkend EuGH v. 13. 02. 2014 – C-479/12 (Gauztsch), Rn. 52 ff.: Schadensersatz- und Auskunftsansprüche sind keine Sanktionen i. S. d. Art. 89 GGV; a. A. Generalanwalt Wathelet, Schlussanträge v. 05. 09. 2013, Rn. 94 ff.; näher Kur, GRUR Int. 2014, 749 (758). 178  Begrüßt wird die Entscheidung DHL Express France hingegen von Sosnitza, GRUR 2011, 465 (471). 177 



C.  Die Urteilsfreizügigkeit im System der EuGVO

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mittels im Erststaat und eine Festsetzung des Zwangsmittels im Zweitstaat (nach Maßgabe des Rechts des Erststaats!) nur in Ausnahmefällen tunlich erscheinen. Der Gläubiger wird regelmäßig eine schnellere Vollstreckung und ein vorhersehbares Verfahren erreichen, wenn er entweder das Erkenntnisurteil im Zweitstaat mit den dortigen Zwangsmitteln durchsetzen lässt oder im Erststaat die Festsetzung des Zwangsgelds beantragt und das dergestalt festgesetzte Zwangsgeld im Zweitstaat vollstreckt.

VI.  Versagung der Anerkennung und Vollstreckung 1.  Enumeration der Anerkennungsversagungsgründe In begründeten Ausnahmefällen kann einem ausländischen Titel trotz der in der EuGVO vorgesehenen Urteilsfreizügigkeit die Anerkennung und Vollstreckung versagt werden. Die in der EuGVO vorgesehen Anerkennungshindernisse werden nur auf Betreiben des Schuldners hin geprüft. Im Anwendungsbereich der EuGVO (2001) muss der Schuldner hierfür einen Rechtsbehelf gegen die Exequaturentscheidung einlegen.179 In der Praxis geschieht dies selten; empirische Daten zeigen eine Quote von 1 bis 5 %.180 Im Anwendungsbereich der EuGVO (2012) bedarf es eines Antrags auf Versagung der Vollstreckung.181 Noch seltener wird in anderen Konstellationen inzident über die Anerkennung der ausländischen Entscheidung entschieden, etwa wenn deren Rechtskraftwirkungen als Vorfrage zu klären sind. Ist die Urteilsanerkennung streitig, so kann die durch das Urteil begünstigte Partei auch die gerichtliche Feststellung der Anerkennung beantragen.182 Die Anerkennung einer aus einem Mitgliedstaat stammenden Entscheidung darf von den Gerichten eines anderen Mitgliedstaates prinzipiell nur bei Eingreifen einer der in Art. 34, 35 Abs. 1 EuGVO (2001) bzw. in Art. 45 EuGVO (2012) normierten Anerkennungsversagungsgründe versagt werden. Als ungeschriebener Anerkennungsversagungsgrund ist darüber hinaus das Fehlen der Gerichtsbarkeit des Erstgerichts im völkerrechtlichen Sinne zu nennen,183 auf welches hier nicht näher eingegangen werden soll. In keinem Fall darf die 179 

Art. 43 Abs. 1 EuGVO (2001). Hess in Hess/Pfeiffer/Schlosser-Bericht, Rn. 52. 181  Art. 46 f. EuGVO (2012). 182  Art. 33 Abs. 2 EuGVO (2001) / Art. 36 EuGVO (2012). Es ist umstritten, ob Abs. 3 der genannten Bestimmungen nur die Möglichkeit der Inzidentanerkennung regelt (so Kropholler/v. Hein, EuZPR, Art. 34 EuGVO Rn. 10) oder dem mit der Inzidentanerkennung befassten Gericht die Annexzuständigkeit zum Ausspruch des Feststellungstenors vermittelt (so Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 33 Rn. 17). 183  Kropholler/v. Hein, EuZPR, Vor Art. 33 EuGVO Rn. 5; Droz, Compétence, Rn. 553; für eine Einordnung unter Art. 34 Nr. 1 EuGVO (2001) OLG Köln v.  12. 01. 2004  – 16 W 20/03 – IPRspr. 2004, Nr. 155, S 340; Leible in Rauscher, Art. 34 Brüssel I-VO Rn. 17a; differenzierend Hess, EuZPR, § 6 Rn. 216. 180 

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ausländische Entscheidung in der Sache überprüft werden;184 auch die Überprüfung der Zuständigkeit des Erstgerichts ist vorbehaltlich einiger wichtiger Ausnahmen tabu.185 Ausländische Fehlurteile werden damit inländischen Fehlurteilen weitgehend gleichgestellt; der Urteilsschuldner hat sie prinzipiell hinzunehmen. Die Prüfung des Vorliegens eines Anerkennungsversagungsgrundes erfolgt von Amts wegen, die Art und Weise der Tatsachenermittlung erfolgt nach dem autonomen Verfahrensrecht des Vollstreckungsstaates.186 Die Beweislast für das Vorliegen eines Nichtanerkennungsgrundes trägt grundsätzlich diejenige Partei, welche die Anerkennung bestreitet.187 Die Partei, welche die Anerkennung begehrt, hat gemäß Art. 53 ff. EuGVO (2001), Art. 42 EuGVO (2012) eine Ausfertigung des Urteils sowie eine vom Ursprungsgericht ausgestellte Bescheinigung gemäß Anhang V EuGVO (2001) / Anhang I EuGVO (2012) beizubringen. Sie ist ferner für die rechtzeitige Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks darlegungs- und beweispflichtig, sofern der Urteilsschuldner das Vorliegen eines Anerkennungshindernisses nach Art. 34 Nr. 2 EuGVO (2001) bzw. Art. 45 Abs. 1 lit. b EuGVO (2012) behauptet.188 Im Folgenden wird zunächst die Anerkennungsversagung wegen fehlender internationaler Zuständigkeit des Erkenntnisgerichts, sodann der ordre public-Vorbehalt und schließlich das Anerkennungshindernis der Titelkollision erörtert.

2.  Sicherung der ausschließlichen und halbzwingenden Gerichtsstände 72

Wie bereits erwähnt, verbietet die Verordnung prinzipiell eine Überprüfung der Zuständigkeit des Ursprungsgerichts durch die Gerichte des Anerkennungsstaates.189 Abweichend von diesem Grundsatz wird eine Entscheidung nicht anerkannt, wenn das Erstgericht bei der Bestimmung seiner Zuständigkeit einen ausschließlichen Gerichtsstand nach Art. 22 EuGVO (2001) miss184 Das Verbot der révision au fond ist in Art. 36, 45 Abs. 2 EuGVO (2001); Art. 52 EuGVO (2012) niedergelegt. 185  Art. 35 Abs. 1, 3 EuGVO (2001); Art. 45 Abs. 1 lit. e, Abs. 3 EuGVO (2012). 186  Vgl. den Wortlaut des Art. 34 EuGVO (2001) bzw. Art. 45 Abs. 1 EuGVO (2012): „Eine Entscheidung wird nicht anerkannt […]“. Wie hier BGH v. 12. 12. 2007 – XII ZB 240/05 – NJW-RR 2008, 586 (587) m. w. N.; Kropholler/v. Hein, EuZPR, vor Art. 33 EuGVO Rn. 6; Hess, EuZPR, § 6 Rn. 192; Linke/Hau, IZVR, Rn. 460; a. A. Gebauer in Gebauer/Wiedmann, Kap. 27 Rn. 171; Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 34 Brüssel I-VO Rn. 41; differenzierend Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR, A. 1 Art. 34 Rn. 62 ff., 101, 163. 187  OLG Zweibrücken v. 19. 09. 2005 – 3 W 132/05 – NJW-RR 2006, 207 (208); Kropholler/v. Hein, EuZPR, vor Art. 33 EuGVO Rn. 7; Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 34 Brüssel I-VO Rn. 3a. 188  BGH v. 12. 12. 2007 – XII ZB 240/05 – NJW-RR 2008, 586 (588); Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 34 Brüssel I-VO Rn. 42; a. A. OLG Düsseldorf v.  07. 04. 2003  – 3 W 91/03  – IPRax 2004, 251. 189  Art. 35 Abs. 3 EuGVO (2001) / Art. 45 Abs. 3 EuGVO (2012).



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achtet oder die Bestimmungen über die halbzwingenden Gerichtsstände in Versicherungs- und Verbrauchersachen verletzt hat, Art. 35 Abs. 1 EuGVO (2001) / Art. 45 I lit. e EuGVO (2012).190 Im Zuge der Revision der EuGVO hatte die Kommission vorgeschlagen, diesen Anerkennungsversagungsgrund zu streichen.191 Stattdessen weitet Art. 45 Abs. 1 lit. e (i) EuGVO (2012) das Prinzip auch auf die Verletzung des halbzwingenden Gerichtsstands in Arbeitnehmersachen aus und stellt klar, dass eine Anerkennungsversagung nur in Betracht kommt, sofern die durch den halbzwingenden Gerichtsstand geschützte Person im Erkenntnisverfahren die Beklagtenrolle innehatte.192 Zur Überprüfung der tatsächlichen Feststellungen des Erkenntnisgerichts sind die zuständigen Gerichte und Behörden des Vollstreckungsstaates nicht befugt.193 Für die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen zur Durchsetzung gewerblicher Schutzrechte ist die Anerkennungsversagung wegen Verstoßes gegen den ausschließlichen Gerichtsstand des Art. 22 Nr. 4 EuGVO (2012) von Bedeutung, wenn der Beklagte im Verletzungsverfahren die Einrede des Nichtbestands des Schutzrechts erhoben hat. Die Rechtsprechung des EuGH zur ausschließlichen Zuständigkeit der Gerichte des Schutzrechtsstaates für im Wege der Einrede erhobene Bestandsfragen194 hat der Unionsgesetzgeber in Art. 24 Nr. 4 EuGVO (2012) aufgegriffen. Missachtet das Verletzungsgericht diesen Aspekt und entscheidet inzident über den Bestand des Schutzrechts, ist der Entscheidung die Anerkennung zu versagen. Das Anerkennungshindernis greift unabhängig davon ein, welche Schlussfolgerungen aus der Rechtssache GAT/LuK für die verbleibende Zuständigkeit des Verletzungsgerichts zu ziehen sind: Wer der vornehmlich in England vertretenen Auffassung folgt, mit Erhebung der Einrede entfalle die internationale Zuständigkeit der Gerichte anderer Staaten als des Schutzrechtsstaates auch für die Verletzungsklage,195 hat in logischer Folge jedem Urteil in der Verletzungssache, das nicht von einem Gericht des Schutzrechtsstaates erlassen 190 Kritisch gegenüber der Kontrolle der Zuständigkeitsentscheidung des Erstgerichts durch die Gerichte des Zweitstaates Hess, EuZPR, § 6 Rn. 215. 191  Eine Versagung der Anerkennung bzw. Vollstreckung war nach dem Kommissionsvorschlag lediglich für Fälle der Titelkollision (Art. 43 des Vorschlags) und Verweigerung rechtlichen Gehörs (Art. 45, 46 des Vorschlags) vorgesehen, vgl. Europäische Kommission, Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivilund Handelssachen, KOM (2010) 748. 192  Eine entsprechende teleologische Reduktion des Art. 35 Abs. 1 EuGVO (2001) wird im Schrifttum weitgehend befürwortet, siehe nur Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 35 Brüssel I-VO Rn. 6 m. w. N. 193  Art. 35 Abs. 2 EuGVO (2001), Art. 45 Abs. 2 EuGVO (2012). 194  EuGH v. 13. 07. 2006 – C-4/03 – Slg. 2006, I-6509 (GAT/LuK); zur Interpretation und Rezeption dieser Entscheidung supra § 10 Rn. 113 ff. 195  Supra § 10 Rn. 118 m. Fn. 251.

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wurde, die Anerkennung zu versagen.196 Soweit mit der hier vertretenen Auffassung der Fortbestand der internationalen Zuständigkeit des Verletzungsgerichts bejaht wird und lediglich eine Verpflichtung des Verletzungsgerichts erkannt wird, den Rechtsstreit gegebenenfalls zur Klärung der Bestandsfrage auszusetzen, käme theoretisch eine Teilanerkennung in Betracht (hinsichtlich des Urteilsteils, welcher die Verletzung des Schutzrechts bejaht).197 Zu berücksichtigen ist jedoch, dass andere Mitgliedstaaten mangels einer Trennung zwischen Bestands- und Verletzungsverfahren teilweise keine Rechtsbehelfe kennen, mit denen die Entscheidung im Verletzungsverfahren nach Aufhebung des Schutzrechts revidiert werden könnte.198 Um diese missliche Situation nicht durch die Teilanerkennung der Entscheidung zu perpetuieren, sollte dem Urteil im Verletzungsverfahren wegen eines Verstoßes gegen Art. 22 Nr. 4 EuGVO (2001) / Art. 24 Nr. 4 EuGVO (2012) vollständig die Anerkennung versagt werden.199

3.  Fehler bei der Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks a)  Praktische Bedeutung 75

Der in der Praxis bedeutendste Anerkennungsversagungsgrund ist in Art. 34 Nr. 2 EuGVO (2001) / Art. 45 Abs. 1 lit. b EuGVO (2012) verankert,200 einer speziellen Ausformung des verfahrensrechtlichen ordre public. Danach wird eine Entscheidung nicht anerkannt, wenn das verfahrenseinleitende oder ein gleichwertiges Schriftstück201 dem Beklagten nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden ist, dass er sich verteidigen konnte – es sei denn, der Beklagte hat sich auf das Verfahren eingelassen oder hat die Möglichkeit verstreichen lassen, im Ursprungsstaat einen Rechtsbehelf gegen die Entscheidung einzulegen. Beantragt der Urteilsschuldner die Versagung der Anerkennung, so ist das Zweitgericht zur Überprüfung der Zustellung verpflichtet. Dies gilt 196  Prudential Assurance Co v Prudential Insurance Co of America, [2003] 1 W. L. R. 2295 (2315 f.) (CA); Briggs/Rees, Civil Jurisdiction, Rn. 7.11; Heinze/Roffael, GRUR Int 2006, 787 (798). 197  Zur grundsätzlichen Möglichkeit der Teilanerkennung siehe Art. 48 EuGVO (2001). 198  Hierzu § 10 Rn. 127. 199  A. A. wohl Wadlow, Enforcement, Rn. 8–117 ff. 200  Hess/Pfeiffer/Schlosser-Bericht, Rn. 539. Aus den dortigen Angaben geht allerdings nicht eindeutig hervor, inwieweit sich diese Aussage noch auf die Anwendung des (weiter gefassten) Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ bezieht bzw. für die Anwendung des Art. 34 Nr. 2 EuGVO (2001) aufrechterhalten werden kann. 201 Als verfahrenseinleitendes oder gleichwertiges Schriftstück sind Schriftstücke zu verstehen, deren Zustellung dazu dient, den Beklagten über die wesentliche Elemente des eröffneten Verfahrens in Kenntnis zu setzen und ihm eine Beteiligung daran zu ermöglichen, näher EuGH v. 13. 07. 1995 – C-474/93 – Slg. 1995, I-2113 (Hengst Import), Rn. 19; EuGH v. 14. 10. 2004 – C-39/02 – Slg. 2004, I-9657 (Mærsk), Rn. 59; Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 34 Brüssel I-VO Rn. 28 ff.; Kropholler/v. Hein, EuZPR, Art. 34 EuGVO Rn. 29 ff.



C.  Die Urteilsfreizügigkeit im System der EuGVO

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ungeachtet der Ausstellung eines Zustellungszeugnisses nach Art. 54 EuGVO (2001) / Art. 53 EuGVO (2012)202 durch das Erkenntnisgericht203 und selbst in jenen Fällen, in denen bereits ein Gericht des Urteilsstaates in einem streitigen Verfahren über die Frage der Ordnungsgemäßheit der Zustellung entschieden hat.204

b)  Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks Verlangte Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ noch die ordnungsgemäße Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks, stellen Art. 34 Nr. 2 EuGVO (2001), Art. 45 Abs. 1 lit. b EuGVO (2012) die Wahrung der Verteidigungsrechte in den Mittelpunkt: Formfehler bei der Zustellung sind nicht anerkennungsschädlich, sofern sie keine nachteilige Folgen auf die Verteidigungsmöglichkeiten des Beklagten zeitigen.205 Einer Zustellung, d. h. zumindest einer Veranlassung oder Genehmigung der förmlichen Bekanntgabe durch die hierfür zuständige Stelle, bedarf es freilich weiterhin.206 Nicht jedwede Kenntnisnahmemöglichkeit des Beklagten ist somit ausreichend. Ist das verfahrenseinleitende Schriftstück nicht in einer der Amtssprachen des Zustellungsstaates abgefasst, so ist die Wahrung der Verteidigungsrechte anhand des in Art. 8 EuZVO bereitgehaltenen Maßstabs zu beurteilen: Weist der Zustellungsadressat das Schriftstück aufgrund einer fehlenden Übersetzung legitimerweise zurück und wird ihm die Übersetzung auch nicht nachträglich zugestellt, so fehlt es an einer die Verteidigungsrechte ermöglichenden Zustellung.207 Gleiches gilt für eine Zustellung ohne beigefügte Belehrung über das Zurückweisungsrecht des Adressaten.208 Eine Obliegenheit des Empfängers, sämtliche offiziell anmutenden Schriftstücke übersetzen zu lassen, 202 

I. V. m. Anhang V, 4.4 EuGVO (2001) / Anhang I, 4.3.2 EuGVO (2012). v. 06. 09. 2012 – C-619/10 (Trade Agency), Rn. 34. Dem Urteilsschuldner obliegt der Nachweis der Fehlerhaftigkeit der Bescheinigung 204 EuGH v.  16.  06. 1981  – 166/80  – Slg. 1981, 1593 (Klomps), Rn. 16; s. a. EuGH v. 15. 06. 1982 – 228/81 – Slg. 1982, 2723 (Pendy Plastic), Rn. 13 f.; Kropholler/v. Hein, EuZPR, Art. 34 EuGVO Rn. 46. 205  Europäische Kommission, Begründung des Kommissionsentwurfs zur EuGVO, KOM (1999) 348, S. 25; EuGH v.  14. 12. 2006  – C-283/05  – Slg. 2006, I-12041 (ASML), Rn. 46 f. Zur Anerkennung trotz fiktiver Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks siehe Heiderhoff, IPRax 2013, 309 ff. m. w. N. 206  Heiderhoff, IPRax 2013, 309 (313); Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 34 Brüssel I-VO Rn. 33a; a. A. Bach, IPRax 2011, 241 (244); Stürner in FS Simotta, S. 597: Rückgriff auf den Katalog der Art. 13 ff. EuVTVO. 207 EuGH v.  08. 11. 2005  – C-443/03  – Slg. 2005, I-9611 (Leffler), Rn. 68; OLG Celle v. 22. 01. 2004 – 8 W 457/03 – IPRax 2005, 450 (451); Rauscher, JZ 2006, 251 (253); Hausmann, EuLF 2007, II-1 (8); Roth, IPRax 2008, 438 (439); Stadler, IPRax 2006, 116 (120); Heiderhoff, FamRZ 2011, 1571; Schack, IZVR, Rn. 937; Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 34 Brüssel I-VO, Rn. 33; a. A. OLG Bamberg v. 28. 12. 2006 – 3 W 110/06 – IPRspr. 2006 Nr. 193. 208  OLG Hamburg v. 07. 11. 2008 – 6 W 22/08 – BeckRS 2009, 04375. 203  EuGH

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besteht nicht.209 Andererseits hat eine Anerkennung zu erfolgen, wenn die Zustellung in einer Sprache verfasst war, die der Zustellungsadressat versteht oder wenn der Zustellungsadressat das Schriftstück trotz Belehrung über seine diesbezüglichen Rechte nicht zurückgewiesen hat.210 Doch sollten im Rahmen der Exequatur die in § 14 Rn. 12 ff. identifizierten Schwächen des Art. 8 EuZVO Berücksichtigung finden: Soweit sich die kurze Frist des Art. 8 EuZVO zur Rücksendung des nicht übersetzten Schriftstücks im Einzelfall als zu knapp herausgestellt hat (bspw. bei Ersatzzustellung während einwöchiger Abwesenheit des Zustellungsadressaten) und das Ursprungsgericht eine verspätet eingegangene Zurückweisung nicht akzeptiert hat, fehlt es an einer Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks in einer Weise, welche die Verteidigungsmöglichkeiten des Beklagten wahrt. Selbiges gilt für Situationen, in denen der Zustellung eine wertlose, weil unverständliche oder sinnentstellende Übersetzung beigefügt ist. Die Rechtzeitigkeit der Zustellung ist nicht nach nationalen Ladungs- und Einlassungsfristen zu bemessen.211 Entscheidend ist, ob dem Beklagten unter den tatsächlichen Gegebenheiten des Falles nach Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks genügend Zeit zur Organisation seiner Verteidigung verblieb, um den Erlass einer vollstreckbaren Entscheidung zu verhindern.212 Hierbei sind neben den Eigenheiten des konkreten Rechtsstreits auch die Besonderheiten der vom Kläger gewählten Verfahrensform sowie die Besonderheiten grenzüberschreitender Verfahren zu berücksichtigen (ggf. anfallende Übersetzungen, Beauftragung eines Rechtsanwalts im Forumstaat etc.).213 Angesichts der Bedeutung des einstweiligen Rechtsschutzes für die Durchsetzung gewerblicher Schutzrechte sei hier noch einmal darauf hingewiesen, dass Anordnungen, die in einem einseitigen Verfahren ergangen sind, nach der oben erörterten Definition des EuGH nicht unter den Begriff der „Entscheidung“ i. S. d. Art. 32 EuGVO fallen und deshalb zunächst nicht anerkennungsfähig sind. Art. 2 lit. a EuGVO (2012) hält dies für die revidierte Fassung der Verordnung explizit fest. Eine Anerkennung ist möglich, wenn sich ein kontradiktorisches Verfahren hätte anschließen können, etwa durch Einlegung von Rechtsmitteln nach Zustellung eines ex parte ergangenen Beschlusses.214 Der EuGH behandelt den ex parte ergangenen Beschluss als ein Schriftstück, 209  Siehe die Nachweise in den vorigen zwei Fußnoten; a. A. Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR, A. 1 Art. 34 Rn. 100; Kondring, Heilung, S. 327. 210  OLG Zweibrücken v. 19. 09. 2005 – 3 W 132/05 – NJW-RR 2006, 207 (208); Heiderhoff, FamRZ 2011, 1571. 211  Statt aller Pocar-Bericht zu Art. 34 Nr. 2 LugÜ (2007), ABl. Nr. C 319/38 v. 23. 12. 2009. 212 EuGH v.  16.  06.  1981  – 166/80  – Slg. 1981, I-1593 (Klomps), Rn.  10; BGH v. 06. 10. 2005 – IX ZB 360/02 – NJW 2006, 701 m. w. N. 213  Rauscher in Leible, EuZPR, Art. 34 Brüssel I-VO Rn. 34a. 214  EuGH v. 13. 07. 1995 – C-474/93 – Slg. 1995, I-2113 (Hengst Import), Rn. 14 f.; EuGH v. 14. 10. 2004 – C-39/02 – Slg. 2004, I-9657 (Mærsk), Rn. 50 f.



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das i. S. d. Art. 34 Nr. 2 EuGVO (2001) / Art. 45 Abs. 1 lit. b EuGVO (2012) einem verfahrenseinleitenden Schriftstück gleichwertig ist.215 Dies bedeutet, dass einer nachfolgend inter partes ergangenen Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz die Anerkennung nur versagt werden kann, wenn die Zustellung des ex parte-Beschlusses nicht rechtzeitig genug erfolgt ist, um die Verteidigungsrechte des Antragsgegners zu wahren.

c)  Nichteinlassung des Beklagten Auf den Anerkennungsversagungsgrund des Art.  34 Nr.  2 EuGVO (2001) / Art. 45 Abs. 1 lit. b EuGVO (2012) kann sich nur derjenige Urteilsschuldner berufen, der sich nicht auf das Verfahren eingelassen hat. Der Begriff der Einlassung ist verordnungsautonom zu definieren. Grundsätzlich ist jede Reaktion des Beklagten genügend, aus der sich ergibt, dass der Beklagte von der Klage Kenntnis erlangt hat.216 In Analogie zu Art. 24 S. 2 EuGVO (2001) / Art. 26 Abs. 1 S. 2 EuGVO (2012) ist freilich die Rüge einer fehlerhaften bzw. nicht rechtzeitigen Zustellung nicht als Einlassung zu werten, welche eine Berufung auf den Anerkennungsversagungsgrund ausschließt.217 Anderenfalls verlöre der Beklagte durch eine Rüge der fehlerhaften Zustellung vor dem Erstgericht die Chance, im Zuge der Exequatur die Beeinträchtigung seiner Verteidigungsrechte geltend zu machen. Ein solches Ergebnis widerspräche dem Konzept des Art. 34 Nr. 2 EuGVO (2011) / Art. 45 Abs. 1 lit. b EuGVO (2012), welcher dem Beklagten in einem System der doppelten Kontrolle218 (erst) nach erfolglosem Ausschöpfen des Rechtsschutzes im Ursprungsstaat Rechtsschutz im Vollstreckungsstaat gewährt. Im deutschen Schrifttum wird aus einer missverständlichen Formulierung des EuGH in der Rechtssache Mærsk219 gefolgert, nach Auffassung des EuGH 215 EuGH v.  14. 10. 2004  – C-39/02  – Slg. 2004, I-9657 (Mærsk), Rn. 59; zustimmend Heinze, ZZP 120 (2007), 303 (322 m. Fn. 87). 216  BGH v. 05. 03. 2009 – IX ZB 192/07 – IPRax 2010, 246 (247) m. zust. Anm. Geimer, (225); Tschauner in Geimer/Schütze, IRV, B Vor I 10b, Art. 34 Rn. 45; a. A. Kropholler/v. Hein, EuZPR, Art. 34 EuGVO Rn. 27: einheitliche Auslegung mit dem Begriff der Einlassung i. S. d. Art. 24 EuGVO (2001) / Art. 26 EuGVO (2012). 217 BGH v.  03.  08. 2011  – XII ZB 187/10  – FamRZ 2011, 1568 (1570); OLG Köln v.  08. 12. 1989  – 2 W 118/89  – IPRax 1991, 114; Francq in Magnus/Mankowski, Brüssels I, Art. 34 Rn. 44; Tschauner in Geimer/Schütze, IRV, B Vor I 10b, Art. 34 Rn. 45; Kropholler/v.  Hein, EuZPR, Art. 34 EuGVO Rn. 27; a. A. Cassaz. v.  28. 04. 1990  – n. 3598 (Agrò/ Wolf) – riv. dir. int. priv. proc. 1992, 297 (298 f.); Geimer, IPRax 1988, 271 (272 f.); Schlosser, EU-ZPR, Art. 34–36 EuGVVO Rn. 20; Rauscher in Leible, EuZPR, Art. 34 Brüssel I-VO Rn. 37. 218 EuGH v.  14.  12. 2006  – C-283/05  – Slg. 2006, I-12041 (ASML), Rn. 40; EuGH v. 06. 09. 2012 – C-619/10 (Trade Agency), Rn. 32. 219  EuGH v.  14. 10. 2004  – C-39/02  – Slg. 2004, I-9657 (Mærsk), Rn. 57 erläutert, dass das Einlegen der Berufung keine Einlassung im kontradiktorischen Verfahren vor dem Erstgericht darstellt. Im konkreten Fall wurde die Berufung mit der Rüge der Zuständigkeit begründet; dies war für die Entscheidung des Gerichtshofs m. E. aber unerheblich.

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stelle eine Rüge der Unzuständigkeit keine Einlassung i. S. d. Art. 34 Nr. 2 EuGVO (2001) / Art. 45 Abs. 1 lit. b EuGVO (2012) dar.220 In der Sache überzeugt dies nicht:221 Erstens soll die Zustellung dem Beklagten ermöglichen, sich zu verteidigen, und diese Verteidigung kann auch im Wege einer Zuständigkeitsrüge erfolgen. Zweitens ergibt sich aus Art. 26 Abs. 1 EuGVO, dass auch die Rüge der Zuständigkeit nach der Verordnung als Einlassung anzusehen ist (wenn auch als unbeachtliche Einlassung im Kontext des Art. 26).

d)  Vorrang der Überprüfung im Ursprungsstaat 83

Art. 34 Nr. 2 EuGVO (2001) / Art. 45 Abs. 1 lit. b EuGVO (2012) statuieren einen Vorrang des Rechtsschutzes im Ursprungsstaat. Hat der Beklagte die Möglichkeit nicht genutzt, gegen die Entscheidung einen Rechtsbehelf im Ursprungsstaat einzulegen, so ist die Entscheidung in den anderen Mitgliedstaaten der Union trotz der fehlerhaften bzw. nicht rechtzeitigen Zustellung anzuerkennen. Nach zutreffender Rechtsprechung des EuGH besteht nur dann die Möglichkeit zum Einlegen eines Rechtsbehelfs, wenn die Entscheidung dem Urteilsschuldner rechtzeitig in einer Weise zugestellt worden ist, dass er seine Rechte vor den Gerichten des Ursprungsstaates hätte wahrnehmen können.222 Es ist nicht ausreichend, dass der Beklagte lediglich von der Existenz des Urteils Kenntnis erlangt (bspw. durch Zustellung der Vollstreckbarerklärung nach Art. 42 Abs. 2 EuGVO (2012)). Relevant ist ferner nur die Versäumung solcher Rechtsbehelfe, mit der der Urteilsschuldner den Zustellungsmangel hätte geltend machen können;223 bei bereits erfolgtem Fristablauf ist – soweit möglich – ein Wiedereinsetzungsantrag zu stellen.224 Hat der vom Beklagten eingelegte Rechtsbehelf zu einer den gesamten Verfahrensstoff umfassenden

220 Exemplarisch Kropholler/v.  Hein, EuZPR, Art. 34 EuGVO Rn. 27; Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 34 Brüssel I-VO Rn. 37. 221  I. E. ebenso Schlosser, EU-ZPR, Art. 34–36 EuGVVO Rn. 20; Rauscher in Leible, EuZPR, Art. 34 Brüssel I-VO Rn. 37. 222  Die für das verfahrenseinleitende Schriftstück in Art. 34 Nr. 2 EuGVO (2001) niedergelegten Grundsätze finden insoweit entsprechende Anwendung, siehe EuGH v. 14. 12. 2006 – C-283/05 – Slg. 2006, I-12041 (ASML), Rn. 40; BGH v. 03. 08. 2011 – XII ZB 187/10 – FamRZ 2011, 1568 (1570); Leible/Reinert, ZZPInt. 11 (2006), 196 (200 f.); Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 34 Brüssel I-VO Rn. 39a m. w. N.; a. A. BGH v.  21. 01. 2010  – IX ZB 193/07  – EuZW 2010, 478 (480); Geimer, IPRax 2008, 498 f. 223  Begründung des Kommissionsentwurfs zur EuGVO, KOM (1999) 348, S. 25; BGH v. 21. 01. 2010 – IX ZB 193/07 – EuZW 2010, 478 (480); Francq in Magnus/Mankowski, Brüssels I, Art. 34 Rn. 59; Kropholler/v. Hein, EuZPR, Art. 34 EuGVO Rn. 43; Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 34 Brüssel I-VO Rn. 40; a. A. Roth, IPRax 2008, 501 (503). 224  BGH v.  21. 01. 2010  – IX ZB 193/07  – EuZW 2010, 478 (480); OLG Zweibrücken v. 10. 05. 2005 – 3 W 165/04 – IPRax 2006, 487 (488); Roth, IPRax 2006, 466 (467); Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 34 Brüssel I-VO Rn. 40a; implizit auch Generalanwältin Kokott, Schlussanträge v. 26. 04. 2012 – C-619/10 (Trade Agency), Rn. 54 ff.



C.  Die Urteilsfreizügigkeit im System der EuGVO

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Verhandlung geführt, liegt keine Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte des Beklagten vor; die Entscheidung ist anzuerkennen.225

4.  Verstoß gegen den ordre public a)  Die Bedeutung des ordre public-Vorbehalts im Rahmen der EuGVO Über die nicht ordnungsgemäße Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks hinausgehend enthalten Art. 34 Nr. 1 EuGVO (2001) / Art. 45 Abs. 1 lit. a EuGVO (2012) einen allgemeinen ordre public-Vorbehalt, d. h. die Anerkennung einer ausländischen Entscheidung kann versagt werden, wenn diese offensichtlich der öffentlichen Ordnung des Zweitstaates widerspricht.226 Da sich der Anwendungsbereich der EuGVO auf Zivil- und Handelssachen unter Ausschluss des Familien- und Erbrechts beschränkt und die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten auf diesem Gebiet des Privatrechts keine fundamentalen Unterschiede aufweisen, haben die Gerichte der Mitgliedstaaten nur in seltenen Ausnahmefällen eine Verletzung des materiellrechtlichen ordre public konstatiert.227 Das in der EuGVO (2001) gleich zweifach hervorgehobene Verbot, die ausländische Entscheidung keinesfalls in der Sache selbst nachzuprüfen,228 ist von den Gerichten innerhalb der Union einschränkungslos akzeptiert worden. Ebenfalls selten, aber doch in nennenswerter Zahl,229 wurde eine Verletzung des verfahrensrechtlichen ordre public moniert. Der Vorschlag der 225  EuGH

v. 28. 04. 2009 – C-420/07 – Slg. 2009, I-3571 (Apostolides), Rn. 78, unglücklicherweise mit einer unvollständigen Formulierung („Erst recht sind die Verteidigungsrechte […] gewahrt, wenn der Beklagte gegen die in Abwesenheit ergangene Entscheidung tatsächlich einen Rechtsbehelf eingelegt hat”. Hier fehlt der Hinweis, dass der Rechtsbehelf zu einer vollumfänglichen Überprüfung der Erstentscheidung geführt haben muss). Das in Art. 34 Nr. 2 EuGVO (2001) / Art. 45 Abs. 1 lit. b EuGVO (2012) enthaltene System der doppelten Kontrolle in Ursprungs- und Anerkennungsstaat wollte der EuGH in der Entscheidung Apostolides nicht aufgeben, wie eine spätere Entscheidung zeigt, vgl. EuGH v. 06. 09. 2012 – C-619/10 (Trade Agency), Rn. 32. Unzutreffend deshalb OLG Nürnberg v. 22. 12. 2010 – 14 W 1442/10 – WM 2011, 700 (703 f.). 226 Der EuGH sieht einen Widerspruch zur öffentlichen Ordnung gemäß Art.  34 Nr. 1 EuGVO (2001) in einem Verstoß gegen einen wesentlichen Rechtsgrundsatz des Anerkennungsstaates, der dazu führen würde, dass die Anerkennung und Vollstreckung der ausländischen Entscheidung in einem nicht hinnehmbaren Gegensatz zur Rechtsordnung des Anerkennungsstaates stünde, siehe EuGH v.  28. 03. 2000  – C-7/98  – Slg. 2000, I-1935 (Krombach), Rn. 37; EuGH v. 02. 04. 2009 – C-394/07 – Slg. 2009, I-2563 (Gambazzi), Rn. 27. 227  Hess/Pfeiffer, Studie Ordre Public-Vorbehalt, S. 170 f. nennt lediglich zwei bekannte Fälle zum EuGVÜ / zur EuGVO, wobei eines dieser Urteile in der wissenschaftlichen Literatur stark kritisiert wurde. Verordnungsübergreifend konstatiert die Studie, es gebe „so gut wie keine einschlägige Rechtsprechung“ zum materiellrechtlichen ordre public (a. a. O., S. 189). Im Kommissionsvorschlag zur Revision der EuGVO wurden die unterschiedlichen Rechtsauffassungen der Mitgliedstaaten zur Abwägung zwischen Meinungs- bzw. Pressefreiheit und Persönlichkeitsrechten als potentielle ordre public-Konfliktherde identifiziert, vgl. KOM (2010) 748, S. 7. 228  Art. 36, 45 Abs. 2 EuGVO (2001); Art. 52 EuGVO (2012). 229  Siehe den Überblick im Hess/Pfeiffer/Schlosser-Bericht, Rn. 545 ff.

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Kommission, im Zuge der Revision der EuGVO auf den materiellrechtlichen ordre public-Vorbehalt zu verzichten und eine Versagung der Anerkennung lediglich bei wesentlichen Verletzungen des rechtlichen Gehörs vorzusehen,230 hat dennoch keine politische Mehrheit gefunden.231 Während die Entscheidung, ob eine Verletzung des nationalen ordre public vorliegt, grundsätzlich den Gerichten der Mitgliedstaaten überlassen ist, erklärt sich der EuGH in ständiger Rechtsprechung für befugt, über „die Grenzen zu wachen, innerhalb deren sich ein Gericht auf diesen Begriff stützen darf“.232 Der Gerichtshof hat angedeutet, dass die Versagung der Anerkennung wegen Verletzung des ordre public in entsprechender Anwendung des Prinzips aus Art. 34 Nr. 2 EuGVO (2001) / Art. 45 Abs. 1 lit. a EuGVO (2012) ausscheidet, sofern es der Urteilsschuldner versäumt hat, ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung im Ursprungsstaat einzulegen.233 In der Praxis wird ein Verstoß gegen den ordre public des Anerkennungsstaates häufig mit der Verletzung des rechtlichen Gehörs des Urteilsschuldners begründet, soweit nicht aufgrund von Fehlern bei der Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks bereits Art. 34 Nr. 2 EuGVO (2001) / Art. 45 Abs. 1 lit. b EuGVO (2012) einschlägig ist.234 Der Schutz der Verteidigungsrechte ist in Art. 47 Abs. 2 der Europäischen Grundrechtecharta ebenso wie in den gemeinsamen Verfassungstraditionen der EU-Mitgliedstaaten und Art. 6 EMRK verbürgt.235 Eine Beschränkung der Verteidigungsrechte zwecks Gewährleistung einer funktionsfähigen Rechtspflege und effektiver Justizgewähr 230 

Art. 45, 46 des Kommissionsvorschlags, KOM (2010) 748. Zu den Gründen siehe Cadet, EuZW 2013, 218 (221 f.). Zum Aufschrei im Schrifttum Oberhammer, IPRax 2010, 197 (200 ff.); Schlosser, IPRax 2010, 101 ff.; Schack in FS Leipold, S. 333; Rechberger in FS Leipold, S. 305 m. Fn. 27; Geimer in FS Simotta, S. 177 f.; Cuniberti/ Rueda, RabelsZ 75 (2011), 286 ff.; Wagner/Beckmann, RIW 2011, 44 (49 ff.); Weller, GPR 2012, 34 (36 f.). Die Abschaffung des ordre public befürwortend: Leipold in FS Stoll, S. 644 ff.; Hüßtege in FS Jayme, S. 385; Hess, IPRax 2011, 125 (128); vorsichtig auch Netzer, Konsolidierung, S. 29 m. w. N. auf S. 28 m. Fn. 167. 232 EuGH v.  28.  03. 2000  – C-7/98  – Slg. 2000, I-1935 (Krombach), Rn. 23; EuGH v.  11. 05. 2000  – C-38/98  – Slg. 2000, I-2973 (Renault), Rn. 28; EuGH v.  02. 04. 2009  – C-394/07 – Slg. 2009, I-2563 (Gambazzi), Rn. 26; EuGH v. 28. 04. 2009 – C-420/07 – Slg. 2009, I-3571 (Apostolides), Rn. 57. 233  EuGH v. 23. 10. 2014 – C-302/13 (flyLAL), Rn. 53; EuGH v. 02. 04. 2009 – C-394/07 – Slg. 2009, I-2563 (Gambazzi), Rn. 40, 44 f.; explizit befürwortend GA Szpunar, Schlussanträge v. 03. 03. 2015 – C-681/13 (Diageo Brands), Rn. 62 ff.; Schlosser, EU-ZPR, Art. 34–36 EuGVVO Rn. 4; Bach, Vollstreckung, S. 111, 169; ablehnend Schack, IZVR, Rn. 957. Die Entscheidungspraxis in den Mitgliedstaaten ist hier uneinheitlich, vgl. Hess/Pfeiffer, Studie Ordre Public-Vorbehalt, S. 173. Eine Verletzung des deutschen ordre public bei fehlender Ausschöpfung der Rechtsmittel im Ursprungsstaat verneinend BGH v. 21. 03. 1990 – XII ZB 71/89 – NJW 1990, 2201 (2203); OLG Hamm v. 28. 12. 1993 – 20 W 19/93 – NJW 1995, 189 (190). 234  Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 34 Brüssel I-VO Rn. 14 m. w. N. 235 Zum Rang dieser verschiedenen Elemente des europäischen Grundrechteschutzes siehe Art. 6 EU-Vertrag. 231 



C.  Die Urteilsfreizügigkeit im System der EuGVO

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ist  – unter dem Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit  – jedoch grundsätzlich möglich.236 Aus der Fülle der Möglichkeiten eines ordre public-Verstoßes237 soll im Folgenden eine Konstellation erörtert werden, die angesichts von Art. 6, 7 und 9 Abs. 1 DRL für die Anerkennung von Entscheidungen zur Durchsetzung gewerblicher Schutzrechte besondere Relevanz erlangen könnte: Der Ausschluss des Beklagten in einem Verfahren vor englischen Gerichten wegen contempt of court. Diese Sanktion ist beispielsweise denkbar, sofern der Beklagte einer disclosure-Anordnung während des Hauptverfahrens nicht nachgekommen ist oder die Befolgung einer dem Hauptverfahren vorgelagerten freezing injunction, ancillary (disclosure) order oder search order verweigert hat. Nach englischem Recht ergeht sodann ein Versäumnisurteil ohne gerichtliche Schlüssigkeitsprüfung und ohne Begründung.238

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b)  Leitlinien des EuGH zur Versagung des rechtlichen Gehörs bei contempt of court Entsprechend der oben dargelegten Kompetenzverteilung zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten und dem EuGH legte der Corte d’appello di Milano dem Europäischen Gerichtshof in der Rechtssache Gambazzi die Frage vor, ob der nationale Richter grundsätzlich befugt sei, den Ausschluss des Beklagten wegen contempt of court als Verletzung des nationalen ordre public anzusehen und dem in England ergangenen Versäumnisurteil die Anerkennung zu versagen. Ausgangspunkt des Stolzenberg/Gambazzi-Justizkrimis war die Insolvenz der kanadischen Fondsgesellschaft Castor Holding im Jahr 1992, welche zu umfangreichen Rechtsstreitigkeiten in Kanada führte. Im Jahr 1996 beschlossen einige bedeutende ehemalige Investoren, auch in London gerichtlich gegen vier ehemalige Organmitglieder des Unternehmens und über dreißig mit ihnen affiliierte Unternehmen vorzugehen. Die einzigen Bezugspunkte des Rechtsstreits zum englischen Territorium waren ein Londoner Grundstück, welches zeitweilig im Eigentum des Ankerbeklagten Stolzenberg gestanden hatte, sowie der zumindest zeitweilige Aufenthalt Stolzenbergs in London zum Zeitpunkt der Ausstellung des klageeinleitenden writs. Stolzenberg verfügte freilich über weitere Grundstücke in der ganzen Welt und hatte sich bereits 236  Statt aller EuGH v. 02. 04. 2009 – C-394/07 – Slg. 2009, I-2563 (Gambazzi), Rn. 29; EuGH v. 17. 11. 2011 – C-327/10 (Hypoteční banka), Rn. 50. 237  Zu anderen Fallkonstellationen siehe EuGH v. 06. 09. 2012 – C-619/10 (Trade Agency), Rn. 53 (Fehlen schriftlicher Erwägungsgründe) sowie die zahlreichen Nachweise bei Hess in Hess/Pfeiffer/Schlosser-Bericht, Rn. 548 ff.; Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 34 Brüssel I-VO Rn. 13 ff., 19 ff.; Kropholler/v. Hein, EuZPR, Art. 34 EuGVVO Rn. 13 ff. 238  Football Dataco v Smoot Enterprises, [2011] EWHC 973 (Ch) Rn. 16 ff. Zum Versäumnisurteil in der Rechtssache Gambazzi siehe Cuniberti, IPRax 2010, 148 (149 f.): Urteil von den Klägervertretern verfasst; die Praxis rechtfertigend Fentiman, Litigation, Rn. 17.36.

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vor der Klagezustellung in Darmstadt angemeldet239. Der High Court erließ zunächst in ex parte-Verfahren freezing injunctions mit beigefügter disclosure order.240 Während einige der Antragsgegner lediglich die internationale Zuständigkeit der englischen Gerichte rügten, verteidigte sich der Antragsgegner Gambazzi auch inhaltlich damit, dass er sich bei Befolgung der disclosure order (insbesondere hinsichtlich der Offenlegung der Namen seiner Mandanten) als schweizerischer Anwalt in der Schweiz der Strafverfolgung aussetzen würde. Letztlich wurden alle Beklagten wegen Nichtbefolgung der einstweiligen Anordnungen und des daraus resultierenden contempt of court von der Verteidigung im Hauptverfahren ausgeschlossen. Gegen Gambazzi erging ein Versäumnisurteil ohne Schlüssigkeitsprüfung, welches ihn zur Zahlung von 240 Millionen kanadischer sowie 130 Millionen US-Dollar verurteilte.241 Mangels der Existenz von Vermögensgegenständen der Beklagten auf englischem Territorium betrieben die Kläger die Vollstreckbarerklärung des resultierenden Versäumnisurteils in diversen anderen Staaten. Mit dieser Strategie waren sie erfolgreich in den USA,242 Deutschland243 und teilweise in der Schweiz,244 nicht aber in Monaco.245 Eine Beschwerde Gambazzis vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wurde wegen offensichtlicher Unbegründetheit abgelehnt.246 Nach Beantwortung des Vorabentscheidungsersuchens durch den EuGH bekräftigte der Corte d’appello di Milano die Vollstreckbarerklärung der Entscheidung des High Court für Italien.247 In seiner Entscheidung in der Rechtssache Gambazzi betonte der Europäische Gerichtshof, der Ausschluss des Beklagten von jeder Teilhabe am Verfahren bedeute die denkbar schwerste Einschränkung der Verteidigungs239  Zum erfolglosen Versuch Stolzenbergs, einer Entscheidung des High Court durch Erhebung der negativen Feststellungsklage vor deutschen Gerichten zuvorzukommen, siehe OLG Frankfurt v. 05. 05. 2001 – 13 W 18/98 – IPRax 2002, 515 ff. 240 Zur Vollstreckbarerklärung der freezing injunction in Deutschland siehe OLG Frankfurt v. 13 W 9/98 – OLGR Frankfurt v. 27. 03. 1998 – 1998, 213 f. und OLG Frankfurt v. 02. 12. 1998 – 13 U 175/98 – OLGR Frankfurt 1999, 74 ff. Zur Vollstreckbarerklärung der freezing injunction in Frankreich siehe Cass. v.  30. 06. 2004, berichtet bei Schlosser, IPRax 2006, 300 ff. 241  Schlussanträge GA Kokott v. 18. 12. 2008 – C-394/07 – Slg. 2009, I-2563 (Gambazzi), Rn. 12; zu Details siehe Cuniberti, IPRax 2010, 148 (149 f.). 242  Court of Appeals of New York v.  08. 05. 2003, CIBC Mellon Trust v. Mora Hotel Corp., 100 N. Y. 2d 215; die gegen diese Entscheidung gerichtete Beschwerde wurde vom US Supreme Court nicht angenommen. 243  OLG Frankfurt v. 31. 01. 2002 – 12 W 229/01 – IPRax 2002, 523 ff. 244 Siehe einerseits BG v.  04.  06. 2002  – 4P. 48/2002; andererseits BG v.  09. 11. 2004, 4P. 82/2004. 245  Tribunal de permière instance de Monaco, berichtet bei Cuniberti, IPRax 2010, 148 (150). 246 Näher Cuniberti a. a. O. 247 Für weitere Informationen zu diesem Verfahrenskomplex siehe Cuniberti, IPRax 2010, 148 ff. sowie .



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rechte.248 Eine offensichtliche und unverhältnismäßige Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte könne nur dann ausgeschlossen werden, wenn die zu Grunde liegende Entscheidung sehr hohen Anforderungen genüge. Hierbei sei (so der Tenor der Entscheidung) eine Gesamtwürdigung des Verfahrens und die Berücksichtigung sämtlicher Umstände relevant. In der Urteilsbegründung weist der Gerichthof darauf hin, das Gericht des Zweitstaates habe zu erwägen, ob (1) dem Beklagten im Stadium des Erlasses der einstweiligen Maßnahmen zu deren Gegenstand und Tragweite rechtliches Gehör gewährt worden sei, (2) ob er die Möglichkeit gehabt haben, die Verhängung des contempt of court anzufechten und (3) ob der Beklagte in früheren Verfahrensstadien Gelegenheit zur Stellungnahme in der Hauptsache gehabt habe.249 Diese Lösung kann inhaltlich nicht vollständig überzeugen. Dem EuGH ist darin beizupflichten, dass der Ausschluss des Beklagten vom Verfahren eines hohen Rechtfertigungsaufwands bedarf. Je sorgfältiger das Erstgericht die Maxime der Prozessförderung gegenüber den Gehörsrechten des Beklagten abgewogen hat, umso ferner liegt ein Verstoß gegen den ordre public. Zutreffenderweise ist der Gerichtshof auch nicht dem Argument der britischen Regierung gefolgt, ein Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren sei bereits deshalb auszuschließen, weil Gambazzi eine Beteiligung am Verfahren habe erwirken können, hätte er nur die freezing injunction befolgt.250 Denn ein Eingriff in den Anspruch auf rechtliches Gehör steht wie jeder Grundrechtseingriff unter dem Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit. In der inhaltlich ähnlich gelagerten Rechtssache Krombach hatten sowohl der EuGH als auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren gerügt, weil das Gericht den Anwalt des Beklagten vom Verfahren ausschloss, nachdem sich der Beklagte geweigert hatte, persönlich vor Gericht zu erscheinen.251 Nicht zu überzeugen vermag allerdings die vom EuGH in der Rechtssache Gambazzi vorgenommene Vermengung des rechtlichen Gehörs im Hauptsacheverfahren mit dem gewährten Gehör im vorhergehenden Verfahren des

248 

EuGH v. 02. 04. 2009 – C-394/07 – Slg. 2009, I-2563 (Gambazzi), Rn. 33. EuGH v. 02. 04. 2009 – C-394/07 – Slg. 2009, I-2563 (Gambazzi), Rn. 41 ff. 250  Siehe Written Observations of the United Kingdom v. 10. 12. 2007, verfügbar unter , Rn. 27, 58; ähnlich Schilling, IPRax 2001, 31 ff. 251 EuGH v.  28. 03. 2000  – C-7/98  – Slg. 2000, I-1935 (Krombach), Rn. 40; EGMR v.  13. 2. 2001  – 29731/96 (Krombach/Frankreich)  – NJW 2001, 2387 ff. Zu Versuchen, die Tatsachenbasis in Gambazzi und Krombach voneinander abzugrenzen siehe Written Observations of the United Kingdom a. a. O., Rn. 60; zutreffend a. A. de Cristofaro in Stürner/ Kawano, Cross Border Insolvency, S. 324, der den Verfahrensausschluss in der Rechtssache Gambazzi als deutlich harscher und weniger verhältnismäßig als den Verfahrensausschluss in der Rechtssache Krombach bezeichnet. 249 

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einstweiligen Rechtsschutzes.252 Da die Kriterien für den Erlass einer einstweiligen Anordnung und den Erlass eines Urteils in der Hauptsache divergieren, vermag eine Anhörung im Stadium des einstweiligen Rechtsschutzes das Versagen des rechtlichen Gehörs im Hauptsacheverfahren nicht zu mildern.253

c)  Verletzung des deutschen ordre publics aa) Beurteilungsmaßstab 94

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Bei der Beurteilung, ob ein Verfahrensausschluss wegen contempt of court den deutschen ordre public verletzt, ist es hilfreich, zwischen der Funktion des Verfahrensausschlusses als Mittel zur Verfahrensförderung und der Funktion als Vollstreckungsmaßnahme (Beugemittel wegen Missachtung der Rechtsordnung) zu differenzieren. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann eine Beschränkung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG durch gesetzlich bzw. gerichtlich bestimmte Fristen sowie durch Präklusionsvorschriften grundsätzlich im Interesse der Effektivität der Justizpflege und der Rechtssicherheit gerechtfertigt werden,254 sofern der Beteiligte zuvor ausreichend Gelegenheit zur Äußerung erhält und der Gehörsausschluss tatsächlich dem Ziel der Verfahrensbeschleunigung dient.255 Leitlinien des Bundesverfassungsgerichts zu Einschränkungen des rechtlichen Gehörs, die aus Verstößen gegenüber anderen Prozessförderungspflichten der Parteien resultieren (z. B. Offenbarungspflichten), existieren mangels entsprechender Sanktionen in den Prozessordnungen des deutschen Rechts nicht. Eine Versagung des rechtlichen Gehörs als Strafe oder Beugemittel wegen Missachtung der Rechtsordnung ist dem deutschen Recht vollkommen fremd. Im Rahmen der ordre-public-Kontrolle ist nicht zu überprüfen, ob das ausländische Urteil in einem Verfahren ergangen ist, welches den Grundprinzipien des deutschen Verfahrensrechts entspricht. Entscheidend ist, ob die Anerkennung des ausländischen Urteils in einem nicht hinnehmbaren Gegensatz zur deutschen Rechtsordnung stünde,256 etwa weil einem Verfahrensbeteiligten 252 Zur näheren Begründung siehe die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott v. 18. 12. 2008 – C-394/07 – Slg. 2009, I-2563 (Gambazzi), Rn. 47: „Die verschiedenen Verfahrensstränge des vorläufigen Rechtsschutzes (freezing order, disclosure orders, unless orders) […] dienen im Kern dazu, im Fall eines Obsiegens des Klägers die Vollstreckung des Urteils zu ermöglichen. Es griffe daher zu kurz, isoliert auf das Versäumnisurteil abzustellen, ohne die vorherigen Verfahrensschritte in die Ordre-public-Prüfung miteinzubeziehen. Vielmehr ist das Verfahren als Ganzes zu berücksichtigen.“ [Hervorhebung hinzugefügt]. 253  Wie hier Cuniberti, IPRax 2010, 148 (153); Schinkels, LMK 2009, 289819. 254  BVerfG v. 15. 01. 1974 – 2 BvL 9/73 – BVerfGE 36, 298 (301 f.); BVerfG v. 09. 02. 1982 – 1 BvR 1379/80 – BVerfGE 60, 1 (6); BVerfG v. 15. 11. 1982 – 1 BvR 585/80 – BVerfGE 62, 249 (254); s. a. BGH v. 26. 08. 2009 – XII ZB 169/07 – FamRZ 2009, 1816 (1818 f.). 255  BVerfG v. 05. 04. 1987 – 1 BvR 903/85 – BVerfGE 75, 302 (316 f.). 256 EuGH v.  28.  03. 2000  – C-7/98  – Slg. 2000, I-1935 (Krombach), Rn. 37; EuGH v. 11. 05. 2000 – C-38/98 – Slg. 2000, I-2973 (Renault), Rn. 30.



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nur die Rolle eines passiven Objekts eingeräumt wurde, das keine Möglichkeit zur aktiven Einflussnahme auf den Verfahrensablauf hatte.257

bb)  Legitimes Ziel der Verfahrensförderung Nach dem Gesagten verstößt der Verfahrensausschluss wegen contempt of court in jenen Situationen nicht gegen den deutschen ordre public, in denen die Einschränkung des Anspruchs auf rechtliches Gehör durch die intendierte Förderung des Verfahrens gerechtfertigt werden kann.258 Hat eine Partei gegen die ihr auferlegte Prozessförderungspflicht verstoßen, so ist zunächst zu prüfen, ob die ausländische Prozessförderungspflicht mit der deutschen öffentlichen Ordnung vereinbar ist. Sofern dies bejaht wird, liegt ein Verstoß gegen den deutschen ordre public nur dann vor, wenn der Ausschluss des Verfahrensbeteiligten durch das ausländische Gericht in Anbetracht der gesamten Umstände des Rechtsstreits offenkundig unverhältnismäßig war, etwa weil deutlich effektivere Mittel zur Verfügung standen.259 Speziell für die disclosure nach CPR 31 lässt sich feststellen, dass das deutsche Verfahrensrecht zwar keine allgemeine Pflicht zur Dokumentenoffenbarung und -vorlage kennt. Doch sind Pflichten zur Offenbarung interner Sachverhalte oder Vorlage spezifischer, dem Gegner gegebenenfalls günstiger Beweise dem deutschen Sach- und Prozessrecht durchaus bekannt.260 Aus Sicht der deutschen öffentlichen Ordnung ist das Ziel des CPR  31 legitim, Waffengleichheit zwischen den Parteien herzustellen und eine auf zutreffenden Tatsachen basierende Entscheidung zu gewährleisten. Die Pflicht zur disclosure trifft alle Parteien des Rechtsstreits gleichermaßen, eine Offenlegung nur durch eine Seite würde die Fairness des Verfahrens beeinträchtigen. Auch ist das Mittel, den Tatsachenvortrag der gegnerischen Partei als wahr zu unterstellen, nicht in allen Fällen geeignet, um eine Verweigerung der disclosure wirksam zu sanktionieren. Denn Zweck der disclosure ist es, der gegnerischen Partei Zugang zu ihr unbekannten Vorgängen zu eröffnen und ihr damit überhaupt erst einen fundierten Vortrag zu ermöglichen. Der Ausschluss eines 257  BGH v. 18. 10. 1967 – VIII ZR 145/66 – NJW 1968, 354 (355); BGH v. 21. 03. 1990 – XII ZB 71/89 – NJW 1990, 2201 (2203); BGH v. 04. 06. 1992 – IX ZR 149/91 – NJW 1992, 3096 (3098); BGH v. 26. 08. 2009 – XII ZB 169/07 – NJW 2009, 3306 (3308) m. w. N. 258  A. A. BGH v.  18. 10. 1967  – VIII ZR 145/66  – NJW 1968, 354 (355); OLG Frankfurt v. 31. 01. 2002 – 12 W 229/01 – IPRax 2002, 523 (524); Schack, IZVR, Rn. 954; Geimer, IZPR, Rn. 2946; Stadler in Musielak, § 328 ZPO Rn. 27; für das italienische Recht siehe die Abschlussentscheidung des Corte d’appello di Milano v.  14. 12. 2010 in der Rechtssache Gambazzi, berichtet bei Cuniberti auf . 259  Zu einem Beispielsfall siehe BGH v.  02. 09. 2009  – XII ZB 50/06  – NJW 2010, 153 (156) m. zust. Anm. Gottwald, FamRZ 2009, 2074. 260  Näher § 5 Rn. 47 ff. Auch die Anerkennung einer US-amerikanischen Entscheidung, der eine so genannte pre-trial discovery vorangegangen ist, verstößt nicht gegen den ordre public, vgl. BGH v. 04. 06. 1992 – IX ZR 149/91 – NJW 1992, 3096 (3099) m. w. N. auch zur Gegenauffassung.

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Verfahrensbeteiligten vom Verfahren wegen der Missachtung einer disclosure order steht deshalb einer Anerkennung des Erkenntnisurteils in Deutschland nicht prinzipiell entgegen. Dies dürfte auch dann gelten, wenn die Partei bei Befolgung der disclosure order berufsständische Verschwiegenheitspflichten verletzen261 oder sich dem Risiko der Strafverfolgung aussetzen müsste, wie dies in der Rechtssache Gambazzi – allerdings in Zusammenhang mit einer freezing injunction – der Fall war. Denn erstens kennen auch die berufsständischen Verschwiegenheitspflichten des deutschen Rechts Grenzen.262 Zweitens entbindet der strafprozessuale Grundsatz nemo tenetur se ipsum accusare nicht von jeglicher Auskunftspflicht des deutschen Rechts,263 und es ist umstritten, ob dieser Grundsatz eine Ausnahme von der Wahrheitspflicht im Zivilprozess gemäß § 138 Abs. 1 ZPO begründet.264 Die Anerkennung einer ausländischen Entscheidung, welche der Offenbarung den Vorrang einräumt, bedeutet deshalb keinen Verstoß gegen den deutschen ordre public. Äußerst zweifelhaft ist die Vereinbarkeit mit der deutschen öffentlichen Ordnung hingegen, sofern der Ausschluss der Verteidigung in der Hauptsache aus der Nichtbefolgung einer search order resultiert. Zwar soll die search order Beweise aufdecken, die der Förderung des Verfahrens in der Hauptsache dienen. Auch verfügt das deutsche Recht nach Umsetzung der Durchsetzungsrichtlinie über immaterialgüterrechtliche Vorlage- und Besichtigungsansprüche,265 die auch im einstweiligen Rechtsschutz zwangsweise durchgesetzt werden können. Doch geht die search order in zwei Aspekten deutlich über das deutsche Recht hinaus: Erstens ermöglicht sie die Suche nach bis dato unbekannten (und deshalb nicht vorab spezifierten) Beweisstücken in den Räumlichkeiten des Antragsgegners. Zweitens wird diese Durchsuchung durch Mitarbeiter der gegnerischen Partei (wenn auch unter Aufsicht eines neutralen supervising solicitors) durchgeführt. Dies legt einen nicht hinnehmbaren Verstoß gegen den Grundsatz der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG) nahe. Die Missachtung einer search order ist aus deutscher Perspektive nicht geeignet, einen Verfahrensausschluss in der Hauptsache zu rechtfertigen.

261 Zur Problematik berufsständischer Verschwiegenheitspflichten siehe bereits supra § 15 Rn. 88, 94. 262  Siehe z. B. § 2 Abs. 3 BORA und hierzu BVerwG v. 13. 12. 2011 – 8 C 24/10 – NJW 2012, 1241 (1242 f.). 263  BVerfG v. 13. 01. 1981 – 1 BvR 116/77 – NJW 1981, 1431 ff. 264  Für eine Ausnahme von der Wahrheitspflicht obiter BVerfG v.  13. 01. 1981  – 1 BvR 116/77 – NJW 1981, 1431 (1432); Leipold in Stein/Jonas, § 138 ZPO Rn. 13; ablehnend LG Karlsruhe v.  14. 11. 2008  – 6 O 36/05 (juris), Rn. 44; Wagner in MüKo ZPO, § 138 Rn. 15 m. w. N. 265  § 140c PatG, § 24cGebrMG, §§ 19a, 128, 135 MarkenG, 46a DesignG, § 37c SortenschutzG, § 9 Abs. 2 HalblSchG.



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Soweit der Verfahrensausschluss auf der Missachtung einer freezing injunction basiert, fehlt es bereits an einem funktionalen Zusammenhang zwischen der Vollstreckung der freezing injunction und der Förderung des Hauptsacheprozesses:266 Informationen über den Vermögensstatus des Beklagten und die Sicherung des Vermögensbestands sind für die Feststellung einer Schutzrechtsverletzung nicht von Belang.

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cc)  Ordre public-Verstoß bei reiner Beugemaßnahme Erweist sich der Ausschluss eines Verfahrensbeteiligten nicht als geeignetes Mittel zur Prozessförderung, sondern als reines Beugemittel, ist der resultierenden Entscheidung die Anerkennung wegen Verstoßes gegen den deutschen ordre public zu versagen. Wie bereits erörtert, kennt das deutsche Recht keine Strafe bzw. keine Beugemaßnahme, die einen Verfahrensbeteiligten zum Objekt eines Verfahrens degradiert, indem seine Beteiligungsrechte vollständig ausgeschlossen werden.267 Folgerichtig versagte der BGH in der Rechtssache Krombach (unter Billigung des EuGH268) die Anerkennung eines französischen Urteils, weil in dem zugrundeliegenden Verfahren der Anwalt des Beklagten ausgeschlossen worden war, um das Fernbleiben des persönlich geladenen Beklagten zu sanktionieren.269 Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Beugemaßnahmen des deutschen Rechts in ihrer Höhe unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit vom Gericht bestimmt werden, während der Verfahrensausschluss aufgrund von contempt of court zur vollständigen Zuerkennung des eingeklagten Betrags führt. Abschließend lässt sich konstatieren, dass eine Entscheidung, die auf einem Verfahrensausschluss des Beklagten wegen Missachtung des Gerichts beruht, nicht zwingend gegen den deutschen ordre public verstößt. Vielmehr ist im Einzelfall zu prüfen, ob die Beschneidung des rechtlichen Gehörs der Prozessförderung diente und vor diesem Hintergrund als verhältnismäßig bezeichnet werden kann. Beruht der Ausschluss auf der Nichtbefolgung einer search oder freezing order ist nach hier vertretener Auffassung eine Anerkennung des Urteils in Deutschland zu versagen.

266  Wie hier de Cristofaro in Stürner/Kawano, Cross Border Insolvency, S. 323. Irrig demgegenüber die Entscheidung des BG v. 04. 06. 2002 – 4P. 28/2002, , in der davon ausgegangen wird, die der freezing injunction beigefügt ancillary order sei für die Urteilsfindung erheblich. 267  Zur möglichen Verwirkung einzelner Elemente des Äußerungsrechts siehe SchmidtAßmann in Maunz/Dürig, Grundgesetz, Art. 103 GG Rn. 83. 268  EuGH v. 28. 03. 2000 – C-7/98 – Slg. 2000, I-1935 (Krombach), Rn. 40; siehe ferner EGMR v. 13. 2. 2001 – 29731/96 (Krombach/Frankreich) – NJW 2001, 2387 ff. 269  BGH v. 29. 6. 2000 – IX ZB 23/97 – NJW 2000, 3289.

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5. Titelkollision 103

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Als letztes potentielles Anerkennungshindernis ist die Unvereinbarkeit der anzuerkennenden Entscheidung mit einem anderen innerhalb der Europäischen Union erlassenen Urteil zu nennen. Die in der Verordnung enthaltenen Bestimmungen zur Verfahrenskoordination270 und die automatische Anerkennung ausländischer Rechtskraftwirkungen271 dienen der Vermeidung einer Titelkollision innerhalb des Europäischen Justizraums. Sind dennoch in zwei verschiedenen Mitgliedstaaten miteinander unvereinbare272 Entscheidungen zwischen denselben Parteien273 ergangen, wird einer dieser Entscheidungen die Anerkennung versagt. Nach Art. 34 Nr. 3 EuGVO (2001) / Art. 45 lit. c und d EuGVO (2012) werden Entscheidungen des Anerkennungsstaates zwingend274 privilegiert: Die Anerkennung einer ausländischen Entscheidung kommt nicht in Betracht, soweit jene mit einer Entscheidung des Anerkennungsstaates unvereinbar ist.275 Kollidieren lediglich Entscheidungen aus anderen Mitgliedstaaten (bzw. aus einem Mitgliedstaat und einem Drittstaat) miteinander,276 regeln die genannten Bestimmungen den Konflikt nach Maßgabe der zeitlichen Priorität des Entscheidungserlasses. Die später ergangene Entscheidung wird nicht anerkannt. Kein Anerkennungshindernis liegt nach der Rechtsprechung des EuGH vor, wenn die anzuerkennende Entscheidung unvereinbar ist mit einer früheren Entscheidung aus demselben Ursprungsstaat.277 Relevanz erlangt der Anerkennungsversagungsgrund der Titelkollision vor allem in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, zu deren Koordination weder die Litispendenzregeln beitragen,278 noch (aufgrund allenfalls beschränkter Rechtskraft279) die Anerkennung der Rechtskraftwirkung. 270 

Art. 27 ff. EuGVO (2001) / Art. 29 ff. EuGVO (2012). Art. 33 Abs. 1 EuGVO (2001) / Art. 36 Abs. 1 EuGVO (2012). 272 Zum Begriff der Unvereinbarkeit siehe ausführlich Lenenbach, Unvereinbarkeiten, S. 114 ff.; Althammer, Streitgegenstand, S. 626 ff. mit zahlreichen weiteren Nachweisen. 273  Zum Begriff der Parteiidentität siehe § 12 Rn. 9 ff. 274  EuGH v. 06. 06. 2002 – C-80/00 – Slg. 2002, I-4995 (Italian Leather), Rn. 51 f.; Fritzsche, ZZP Int. 7 (2002), 250 (254 f.); Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR, A. 1 Art. 34 Rn. 164; Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 34 Brüssel I-VO Rn. 48. 275 Mit Recht kritisch gegenüber dieser Privilegierung inländischer Entscheidungen McGuire, Verfahrenskoordination, S. 180 f.; Hess, EuZPR, § 6 Rn. 212; Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 34 Brüssel I-VO Rn. 43 m. w. N. Art. 21 Abs. 1 EuVTVO, 22 Abs. 1 EuGFVO und 22 Abs. 1 EuMahnVO differenzieren demgegenüber nicht nach Ursprungsland der kollidierenden Entscheidungen und stellen allein auf deren zeitliche Priorität ab. 276  Art. 34 Nr. 4 EuGVO (2001) setzt kollidierende Entscheidungen „wegen desselben Anspruchs“ voraus und ist somit tatbestandliche enger gefasst als Art. 34 Nr. 3 EuGVO (2001). Diese Unterscheidung erhalten Art. 45 Abs. 1 lit. c und d EuGVO (2012) aufrecht. 277  EuGH v. 26. 09. 2013 – C-157/12 (Salzgitter Mannesmann), Rn. 30 ff.; kritisch Mäsch, EuZW 2013, 905 f.; Mansel/Thorn/Wager, IPRax 2014, 1 (15). 278  Hierzu § 12 Rn. 87 ff. 279  Zur deutschen Rechtslage OLG Frankfurt v. 16. 07. 2002 – 5 U 250/01 – BauR 2003, 287 f.; Stürner, ZZP 125 (2012), 3 ff.; Heiderhoff in Berger, Einstweiliger Rechtsschutz, Kap. 271 



C.  Die Urteilsfreizügigkeit im System der EuGVO

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Angesichts der lediglich begrenzten Prüfung der materiellen Rechtslage im vorläufigen Rechtsschutz resultieren einander widersprechende einstweilige Entscheidungen regelmäßig aus einer divergierenden Gewichtung der Parteiinteressen. Die Verfahrensordnungen der Mitgliedstaaten setzen insoweit einerseits sehr unterschiedliche Akzente,280 andererseits gibt es  – verglichen mit der Entscheidung in der Hauptsache – eine breitere Varianz verfügbarer Instrumente.281 Nach zutreffender Auffassung des EuGH ist es für die Bestimmung der Unvereinbarkeit irrelevant, ob die gegenläufige Rechtsfolge aus einer abweichenden Beurteilung der materiellen Rechtslage oder aus abweichenden Ansichten zur Herstellung der optimalen Interessenbalance folgt.282 Unvereinbarkeit besteht freilich nur dann, wenn die Beurteilung der Interessenlage bei gleichem Sachverhalt erfolgt ist, sprich, wenn sich die Gefährdungslage nicht verändert hat.283 Die Anwendung des Anerkennungshindernisses der Titelkollision auch im einstweiligen Rechtsschutz verhindert übermäßiges forum shopping des Antragstellers zu Lasten des Antragsgegners. Doch führt die ergänzende Zuständigkeit für einstweilige Maßnahmen gemäß Art. 31 EuGVO (2001) / Art. 35 EuGVO (2012) i. V. m. der Privilegierung nationaler Maßnahmen gemäß Art. 34 Nr. 3 EuGVO (2001) / Art. 45 Abs. 1 lit. c EuGVO (2012) dazu, dass einstweiligen Maßnahmen des Hauptsachegerichts die Anerkennung versagt wird, sofern der Antragsteller mit dem Versuch gescheitert ist, parallel vorläufigen Schutz durch die vollstreckungsnahen Gerichte im Zweitstaat zu erlangen.284 Selbiges gilt für den – wohl selteneren – Fall, dass zwei potentielle Hauptsachegerichte verschiedener Mitgliedstaaten einander widersprechende Entscheidungen im vorläufigen Rechtsschutz getroffen haben und die Vollstre7 Rn. 41 ff. m. w. N.; zur Rechtslage in Österreich Garber, Einstw. RS, S. 274 f. m. w. N.; zur Rechtslage in England Zuckerman, Civil Procedure, Rn. 24.71, 9.116. Siehe aber z. B. Cass. v. 08. 03. 2011 – 09–13.830 – unalex FR-1299 m. zust. Anm. Schlosser, IPRax 2012, 88 (91): Ist der Antragsteller mit dem Versuch gescheitert, ein griechisches Gericht zur Anordnung eines Arrests über ein in griechischen Häfen belegenes Schiff zu bewegen, und ankert das Schiff nach einiger Zeit in französischen Gewässern, so steht die griechische Entscheidung der Anordnung eines Arrests durch ein französisches Gericht prinzipiell entgegen. 280  Überblick bei Hess, Study JAI/A3/2002/02, S. 119 ff. 281  Hess/Pfeiffer/Schlosser-Bericht, Rn. 716, 723 ff.; Wolf/Lange, RIW 2003, 55 (59 f.). 282  EuGH v. 06. 06. 2002 – C-80/00 – Slg. 2002, I-4995 (Italian Leather), Rn. 42 ff.; Fritzsche, ZZP Int. 7 (2002), 250 (252 f.); Albrecht, Einstw. RS, S. 178. 283 Ähnlich Hess, EuZPR, § 6 Rn. 157; Lupoi in Stürner/Kawano, Comparative Studies, S. 316 f. 284 Vgl. den Sachverhalt der Entscheidung Italian Leather, EuGH v.  06. 06. 2002  – C-80/00 – Slg. 2002, I-4995, Rn. 14 ff.: Der Schutzrechtsinhaber will die Verwendung seiner deutschen Marke auf deutschem Territorium unterbinden, doch sein Antrag auf Erlass einer Unterlassungsverfügung wird mangels Verfügungsgrund zurückgewiesen. Erfolgreicher ist der Antrag beim prorogierten Hauptsachegericht in Bari; die Anerkennung dieser Unterlassungsverfügung in Deutschland scheitert an Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ ( = Art. 34 Nr. 3 EuGVO (2001) / Art. 45 Abs. 1 lit. c EuGVO (2012)).

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§ 16  Urteilsfreizügigkeit

ckung einer dieser Entscheidungen in einem dritten Mitgliedstaat beantragt wird. In der Literatur wird vorgeschlagen, zwecks Vermeidung dieser misslichen Situation den vom (potentiellen) Hauptsachegericht angeordneten einstweiligen Maßnahmen stets Vorrang zu gewähren.285 Der EuGH hat sich einer solchen Auslegung bislang verschlossen.286 Unstrittig ist freilich, dass eine im einstweiligen Rechtsschutz ergangene Entscheidung der Anerkennung eines Urteils in der Hauptsache nicht entgegensteht.287 Wie bereits in § 12 Rn. 87 ff. näher erörtert, besteht eine angemessene Lösung für die potentielle Titelkollision zwischen einstweiligen Maßnahmen nicht in der Entwicklung eines schematischen Hierarchiesystems, sondern in der Flexibilität des einstweiligen Rechtsschutzes nach nationalem Recht. Droht die Anerkennung einer einstweiligen Maßnahme des Hauptsachegerichts an einer früher ergangene Entscheidung eines Gerichts des Anerkennungsstaates zu scheitern, ist es den Parteien unbenommen, die Aufhebung bzw. Änderung der entgegenstehenden Entscheidung zu beantragen bzw. (im Falle einer ablehnenden Entscheidung) das Gesuch auf Erlass einer einstweiligen Maßnahme unter Hinweis auf die Entscheidung des Hauptsachegerichts zu wiederholen.

VII. Fazit 107

Das durch das Europäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen begründete System der Anerkennung und Vollstreckung EG-/EU-ausländischer Entscheidungen innerhalb der Europäischen Gemeinschaften bzw. der Europäischen Union hat sich als voller Erfolg erwiesen.288 Es wurde im Zuge der Beitritte neuer Staaten zu den Europäischen Gemeinschaften mehrfach revidiert,289 diente als Vorbild für das im Verhältnis zu den EWR-Staaten anwendbare Übereinkommen von Lugano290 und ist nach Erlass eines entsprechenden Kompetenztitels in Gemeinschafts- bzw. Unionsrecht überführt worden. Interessanterweise sind die verfahrensrechtlichen Zwischenschritte, die zur Vollstreckung eines EU-ausländischen Titels führen, in der Entwicklung vom EuGVÜ über die EuGVO (2001) bis hin zur EuGVO (2012) fortlau285 Vorschlag zur „Hierarchiebildung“ bei Wolf/Lange, RIW 2003, 55 (62); ähnlich Pansch, Einstweilige Verfügung, S. 78; de lege ferenda Kennett, Enforcement, S. 154; Hess, IPRax 2005, 23 (25). 286  EuGH v. 06. 06. 2002 – C-80/00 – Slg. 2002, I-4995 (Italian Leather), Rn. 42 ff. 287  Die Wirkungen einer vorläufigen Anordnung bis zum Erlass des Urteils in der Hauptsache sind nicht unvereinbar mit den Wirkungen der Hauptsacheentscheidung, vgl. Cass. v. 20. 06. 2006 – RC 96 (2007), 164 (166); OLG Hamm v. 27. 11. 1987 – 20 W 34/87 – RIW 1988, 131 (132); Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 34 Brüssel I-VO Rn. 46; de Cristofaro in Stürner/Kawano, Comparative Studies, S. 353. 288  Statt aller Hess in Hess/Pfeiffer/Schlosser-Bericht, Rn. 60 m. w. N. 289  Nachweise bei Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR, A. 1, Einl. Rn. 33 ff. 290 Hierzu Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR, A. 1, Einl. Rn. 37 ff.



C.  Die Urteilsfreizügigkeit im System der EuGVO

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fend abgebaut worden, während die Gründe für eine Anerkennungsversagung weitgehend den Lauf der Zeit überstanden haben.291 Bereits das EuGVÜ sah eine Anerkennung ipso iure und eine unverzügliche Vollstreckbarerklärung auf Antrag des Berechtigten ohne Beteiligung des Schuldners vor, doch war das Exequaturgericht verpflichtet, potentielle Anerkennungsversagungsgründe von Amts wegen zu prüfen. Im zeitlichen Anwendungsbereich der EuGVO (2001) bedarf es weiterhin einer Vollstreckbarerklärung im Staat der intendierten Vollstreckung, doch erfolgt eine Prüfung der Anerkennungshindernisse erst auf den Rechtsbehelf des Schuldners hin. Die EuGVO (2012) verzichtet vollständig auf ein Exequaturverfahren, erlaubt aber dem Schuldner, die Versagung der Vollstreckung aufgrund eines Anerkennungshindernisses zu beantragen. Ziel der Europäischen Kommission war es, korrespondierend zum Abbau verfahrensrechtlicher Zwischenschritte auch die Anerkennungshindernisse einzuschränken. In den Verordnungen der zweiten Generation sowie in der EuUnthVO erwiesen sich diese Bemühungen als erfolgreich  – ausgerechnet beim Flaggschiff des europäischen Anerkennungs- und Vollstreckungsrechts scheiterte der Versuch sowohl im Zuge des Erlasses der EuGVO (2001) als auch bei der Revision der Verordnung im Jahr 2012. Weiterhin kann die Anerkennung und Vollstreckung einer aus einem anderen Mitgliedstaat stammenden Entscheidung wegen einer Verletzung des ordre public, aufgrund von Fehlern bei der Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks, aufgrund einer Titelkollision sowie wegen einer fehlerhaften Anwendung der halbzwingenden und ausschließlichen Gerichtsstände durch das Erkenntnisgericht versagt werden. Von der Rechtsprechung entwickelt und vom Verordnungsgeber bei der Revision im Jahr 2012 aufgegriffen wurden Beschränkungen bzw. der Ausschluss der Anerkennung und Vollstreckung einerseits von Entscheidungen, die in einem ex parte-Verfahren ohne nachträgliche Rechtsbehelfsmöglichkeit des Beklagten ergangen sind, und andererseits von einstweiligen Maßnahmen, die nicht vom Hauptsachegericht erlassen wurden. Eine nach der Verordnung anzuerkennende und nach dem Recht der Erkenntnisgerichts vollstreckbare Entscheidung ist im Vollstreckungsstaat wie eine inländische Entscheidung zu vollstrecken. Im Focus der Praxis wie der Wissenschaft stehen auf Geldleistung gerichtete Titel. Im Gewerblichen Rechtsschutz ist hingegen die Vollstreckung von Entscheidungen, die auf Handlung, Duldung und Unterlassung gerichtet sind, von besonderem Belang. 291  Eine Ausnahme bildet allein Art. 27 Nr. 4 EuGVÜ, welcher ein Anerkennungshindernis für Fälle der Nonkonformität mit dem Internationalen Privatrecht des Anerkennungsstaates enthielt, soweit Vorfragen aus dem Bereich der in Art. 1 Abs. 2 Nr. 1 EuGVÜ (= Art. 1 Abs. 2 lit. a EuGVO) aufgeführten Bereiche betroffen waren, vgl. näher Geimer in Geimer/ Schütze, EuZVR, A. 1, Art. 34 Rn. 185 ff.

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§ 16  Urteilsfreizügigkeit

Sind diese Entscheidungen in einem Verfahren mit grenzüberschreitendem Bezug ergangen, bestehen ob ihrer Vollstreckung erhebliche Unsicherheiten. Umstritten ist bereits, in welchem Umfang eine Inlandsvollstreckung zur Erzwingung einer Handlung, Duldung oder Unterlassung im Ausland völkerrechtlich zulässig ist. Die Auslandsvollstreckung eines solchen Titels kann aufgrund strengerer Bestimmtheitsanforderungen des Vollstreckungsstaates Schwierigkeiten begegnen, wobei eine Konkretisierung auch nicht durch die Musterbescheinigung in Anhang I EuGVO (2012) vorgesehen ist. Ferner fehlt es an Rechtssicherheit hinsichtlich der Anerkennungs- und Vollstreckungsfähigkeit solcher Zwangsgelder, die zwar im Ausland zu Vollstreckungszwecken festgesetzt wurden, aber nicht dem Gläubiger zufließen bzw. nach autonomer Qualifikation dem Straf- oder Öffentlichen Recht zuzuordnen sind. Die insoweit im Hess/Pfeiffer/Schlosser-Bericht angemahnte Klarstellung292 ist im Zuge der EuGVO-Revision bedauerlicherweise nicht erfolgt. Allerdings nährt die Entscheidung Realchemie ebenso wie die zur GMV ergangene EuGH-Entscheidung DHL Express France die Hoffnung, dass der EuGH im Ursprungsstaat festgesetzte Zwangsgelder hinsichtlich der Auslandsvollstreckung gleichstellen wird, unabhängig davon, wie das Zwangsgeld nach nationalem Recht ausgestaltet ist.

D.  Die Freizügigkeit Europäischer Vollstreckungstitel I.  Systemwechsel gegenüber der EuGVO (2001) 111

Die Verordnung über den Europäischen Vollstreckungstitel eröffnet dem Gläubiger eine alternative Vorgehensweise, um Entscheidungen über unbestrittene Forderungen im EU-Ausland zu vollstrecken. Die zentrale Neuerung der Verordnung gegenüber der EuGVO (2001) besteht in der Verlagerung der Vollstreckbarerklärung von den Gerichten des Vollstreckungsstaates auf die Gerichte des Ursprungsstaates und dem daraus resultierenden Entfallen des ordre public-Vorbehalts: Statt einem Exequaturverfahren sieht die EuVTVO eine Bestätigung der Entscheidung als Europäischer Vollstreckungstitel durch das Erkenntnisgericht vor. Im Rahmen des Bestätigungsverfahrens ist das Ausgangsgericht gehalten, die Einhaltung gewisser Verfahrensstandards zu prüfen. Eine Verweigerung der Vollstreckung durch Instanzen des Vollstreckungsstaates ist nur noch in den seltenen Fällen der Titelkollision mit einer früheren Entscheidung möglich, eine ordre public-Kontrolle erfolgt nicht. Wie oben berichtet, hat der Unionsgesetzgeber diesen Systemwechsel im Zuge der Revision der EuGVO nicht nachvollzogen, sondern in der EuGVO (2012) an 292 

Schlosser in Hess/Pfeiffer/Schlosser-Bericht, Rn. 620, 855.



D.  Die Freizügigkeit Europäischer Vollstreckungstitel

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einer möglichen Überprüfung durch die Gerichte des Vollstreckungsstaates festgehalten.

II.  Entscheidungen über unbestrittene Geldforderungen in Zivil- und Handelssachen Der sachliche Anwendungsbereich der EuVTVO fußt auf Art. 1 EuGVO,293 doch bezieht sich die Verordnung lediglich auf Entscheidungen über im Gerichtsverfahren unbestrittene Forderungen. Wie sich aus Art. 4 Nr. 2 EuVTVO ergibt, sind lediglich Geldforderungen der Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel zugänglich. Erfasst sind neben Prozessvergleichen und Anerkenntnisurteilen insbesondere Versäumnisurteile.294 Die Passivität des Schuldners im Verfahren wird somit als „Nichtbestreiten“ der Forderung ausgelegt. Gemäß Art. 3 Abs. 2 EuVTVO gilt die Verordnung auch für Entscheidungen, die nach Anfechtung einer als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigten Entscheidung erlassen wurden, d. h. das Einlegen eines Rechtsbehelfs begründet für sich allein noch kein Bestreiten der Forderung. Äußerst umstritten ist, ob sich Art. 3 Abs. 2 EuVTVO auf sämtliche Entscheidungen im Rechtsbehelfsverfahren bezieht295 oder nur auf solche Entscheidungen, bei denen auch im Rechtsbehelfsverfahren nicht streitig verhandelt wurde.296 In ex parte-Verfahren ergangene Entscheidungen sind keine Entscheidungen über unbestrittene Forderungen. Der Begriff „unbestrittene Forderung“ setzt ebenso wie die in Art. 3 Abs. 1 lit. b enthaltene Formulierung, der Schuldner habe der Forderung zu keiner Zeit widersprochen, denknotwendig eine vorhandene Gelegenheit zum Bestreiten der Forderung voraus.297 Unklar ist, ob eine Forderung als „unbestritten“ anzusehen ist, sofern nach englischem Recht der von einer Partei begangene contempt of court zum striking out des Parteivortrags führt. Art. 3 Abs. 1 lit. b EuVTVO stellt darauf ab, ob der Wider293 

Art. 2 EuVTVO ist wortidentisch zu Art. 1 EuGVO (2012). Art. 3 Abs. 1 EuVTVO differenziert zwischen zwei unterschiedlichen Arten der Säumnis: Fällen, in denen der Beklagte der Forderung zu keiner Zeit im schriftlichen Verfahren widersprochen hat (lit. b) und Konstellationen, in denen der Schuldner zwar der Forderung im gerichtlichen Verfahren widersprochen hatte, aber in einer Gerichtsverhandlung säumig war, sofern die Säumnis nach dem Verfahrensrecht des Ursprungsmitgliedstaates ein Versäumnisurteil zur Folge hat (lit. c). 295 So Mitteilung der Kommission betreffend den Gemeinsamen Standpunkt des Rates, KOM (2004) 90, S. 3; Stein, EuZW 2004, 679 (680); Bach, Vollstreckung, S. 188 f.; Geimer in Geimer/Schütze, A. 6, Art. 3 Rn. 16; Kropholler/v. Hein, EuZPR, Art. 3 EuVTVO Rn. 5 f. m. w. N. 296 So Burgstaller/Neumayr, ÖJZ 2006, 179 (182); Schlosser, EU-ZPR, Art. 3 VTVO Rn. 7 ff.; Pabst in Rauscher, EuZPR, Art. 3 EG-VollstrTitelVO Rn. 48 ff. m. w. N. 297  Offen gelassen von BGH v. 25. 03. 2010 – I ZB 116/08 – NJW 2010, 1883 (1885). Wie hier Schlosser, EU-ZPR, Art. 3 VTVO Rn. 4; Kropholler/v. Hein, EuZPR, Art. 3 EuVTVO Rn. 6. 294 

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§ 16  Urteilsfreizügigkeit

spruch gegen die Forderung nach den maßgeblichen Verfahrensvorschriften des Rechts des Ursprungsmitgliedstaats erfolgt ist. Zugeschnitten ist diese Bezugnahme auf inhaltliche Anforderungen an das Bestreiten der Forderung ebenso wie auf Form- und Präklusionsvorschriften.298 Der Verweis auf das Recht des Ursprungsmitgliedstaates erfasst meines Erachtens jedoch keine Situationen, in denen dem Beklagten nach dem Recht des Ursprungsmitgliedstaates das rechtliche Gehör vollständig verweigert wird, also ein Widerspruch überhaupt nicht möglich ist.299 Insoweit lässt sich eine Parallele ziehen zu den bereits erörterten genuinen ex parte-Verfahren. Da die Partei in contempt nach englischem Zivilverfahrensrecht so behandelt wird, als habe sie der gegnerischen Forderung nicht widersprochen, besteht freilich ein deutliches Risiko, dass englische Gerichte hinsichtlich dieser Entscheidungen eine Bestätigung als Europäischen Vollstreckungstitel ausstellen. Interessant ist ferner die Frage, ob Zwangsgeldanordnungen i. S. d. Art. 49 EuGVO (2001) / Art. 55 EuGVO (2012) als Europäische Vollstreckungstitel bestätigt werden können. Der Bundesgerichtshof hat dies prinzipiell für möglich gehalten,300 liegt damit meines Erachtens aber falsch. Zwangsgeldanordnungen sind als Vollstreckungsmaßnahmen nach hier vertretener Auffassung keine „Entscheidungen“ i. S. d. Art. 32 EuGVO (2001), Art. 4 Nr. 1 EuVTVO.301 Art. 49 EuGVO (2001) ermöglicht zwar eine Anerkennung und Vollstreckbarerklärung von Zwangsgeldfestsetzungen im EU-Ausland, doch die EuVTVO enthält keine korrespondierende Ausnahmebestimmung. Dies ist nicht weiter verwunderlich, wird das Zwangsgeld doch nach den Rechtsordnungen der meisten Mitgliedstaaten der Union nicht als universelles Vollstreckungsmittel, sondern lediglich zur Vollstreckung von Handlungs- und Unterlassungstiteln eingesetzt, welche nicht in den Anwendungsbereich der EuVTVO einbezogen sind. Selbst bei einer Subsumtion von Zwangsgeldanordnungen unter den Begriff der „Entscheidung“ wäre die supra Rn. 62 f. erörterte Akzessorietät der Zwangsgeldfestsetzung zur Erkenntnisentscheidung zu berücksichtigen: Eine nicht als EuVT bestätigbare Entscheidung  – etwa eine Unterlassungsanordnung, die im einstweiligen Rechtsschutz ohne Anhörung des Antragsgegners ergangen ist  – kann nicht über den Umweg der Zwangsgeldfestsetzung im 298  Pabst in Rauscher, EuZPR, Art. 3 EG-VollstrTitelVO Rn. 21; Kropholler/v.  Hein, EuZPR, Art. 3 EuVTVO Rn. 7. 299  Wie hier Schinkels, LMK 2009, 289819; Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2010, 1 (16); a. A. Sujecki, EuZW 2009, 424 (425). 300  BGH v. 25. 03. 2010 – I ZB 116/08 – NJW 2010, 1883 (1884 ff.). In der Sache wurde die Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel wegen fehlender Anpassung des deutschen Verfahrensrechts an die Mindestvorschriften der Art. 12 ff. EuVTVO abgelehnt. Die Rechtsprechung des BGH befürwortend Stürner in FS Simotta, S. 589. 301 Ähnlich Bittmann, IPRax 2012, 62 (65), der zutreffend auch das Kriterium der „Unbestrittenheit“ in Frage stellt.



D.  Die Freizügigkeit Europäischer Vollstreckungstitel

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Ursprungsstaat doch noch in den Genuss der erleichterten Urteilsfreizügigkeit nach Maßgabe der EuVTVO gelangen.

III. Anerkennung Art. 5 EuVTVO sieht die automatische Anerkennung einer als EuVT bestätigten Entscheidung im EU-Ausland vor. Explizite Anerkennungsversagungsgründe kennt die EuVTVO nicht, vielmehr betont Art. 5 EuVTVO, die Anerkennung könne im Zweitstaat nicht angefochten werden. Dennoch ist die Anerkennung zu versagen, sofern die Gerichte des Vollstreckungsstaates die Vollstreckung nach Art. 21, 22 EuVT verweigern können, d. h. insbesondere bei Unvereinbarkeit mit einer entgegenstehenden früheren Entscheidung zwischen denselben Parteien, die im Vollstreckungsstaat ergangen oder in diesem anzuerkennen ist.302 Vereinzelt wird darüber hinausgehend aus Art. 11 EuVTVO303 gefolgert, die Verordnung regele lediglich ein Verbot der Anerkennungsüberprüfung im Vollstreckungsverfahren.304 In logischer Folge könnte der Schuldner den auf Basis eines EuVT vollstreckten Betrag bereicherungsrechtlich mit der Behauptung zurückfordern, der Urteilswirkung der res iudicata sei nach Art. 34 EuGVO (2001) / Art. 45 Abs. 1 EuGVO (2012) die Anerkennung zu versagen.305 Eine solche Interpretation läuft dem offensichtlichen Ziel des Verordnungsgebers zuwider, mit der EuVTVO ein gegenüber der EuGVO unabhängiges Vollstreckungssystem zu etablieren, welches eines schnelle und endgültige Vollstreckung der Forderung im Ausland ermöglicht.306 Die aus Art. 5 EuVTVO resultierende Anerkennungspflicht bezieht sich somit auch auf Verfahren, die in einem materiellen Zusammenhang zum Vollstreckungsverfahren stehen.307

302  Wagner, IPRax 2005, 189 (199); Geimer in Geimer/Schütze, EuZVR, A. 6 Art. 5 Rn. 3; Pabst in Rauscher, EuZPR, Art. 5 EG-VollstrTitelVO Rn. 7. 303 „Die Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel entfaltet Wirkung nur im Rahmen der Vollstreckbarkeit der Entscheidung.“ Art. 11 EuVTVO dient der Klarstellung, dass die Vollstreckbarkeit des EuVT im Zweitstaat nicht über die Vollstreckbarkeit im Erststaat hinauszugehen vermag, näher Pabst in Rauscher, EuZPR, Art. 11 EG-VollstrTitelVO Rn. 1 ff. m. w. N. 304  Schlosser, EuZPR, Art. 11 EuVTVO Rn. 1; ähnlich Burgstaller/Neymayer, ÖJZ 2006, 179 (188). 305  So ausdrücklich Schlosser, EU-ZPR, Art. 11 EuVTVO Rn. 1. 306  Siehe nur Pabst in Rauscher, EU-ZPR, Art. 5 EG-VollstrTitelVO Rn. 7 m. w. N. 307 Überzeugend Pabst in Rauscher, EuZPR, Art. 5 EG-VollstrTitelVO Rn. 7 f.; i. E. ebenso Rauscher, EuVT, Rn. 65 f.

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§ 16  Urteilsfreizügigkeit

IV.  Verlagerung der Vollstreckbarerklärung auf die Gerichte des Ursprungsstaates 1. Verfahren 116

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Die EuVTVO sieht anstelle des Exequaturs durch die Gerichte des Vollstreckungsstaates eine Bestätigung der Entscheidung als EuVT durch die Gerichte des Ursprungsstaates vor. Die Bestätigung erfolgt mittels der Formblätter in Anhang I und II EuVTVO. Diese erfordern eine Wiedergabe des Rubrums und der titulierten Forderung sowie eine Bestätigung des Vorliegens der Voraussetzung nach Art. 6 Abs. 1 EuVTVO im Ankreuzverfahren. Der Antrag auf Erteilung der Bestätigung kann jederzeit, d. h. auch vor Erlass der Erkenntnisentscheidung, gestellt werden.308 Zuständig für die Entgegennahme des Antrags ist nach Art. 6 Abs. 1 EuVTVO das Ausgangsgericht. Die Bestimmung des für die Bestätigung als EuVT zuständigen Gerichts bleibt ebenso wie die funktionale Zuständigkeit innerhalb der Gerichte den Mitgliedstaaten überlassen.309 Eine Anhörung des Schuldners im Bestätigungsverfahren ist nicht vorgesehen.310 Auch der Rechtsschutz des Schuldners gegenüber der Bestätigung einer Entscheidung als EuVT ist begrenzt.311 Nach Art. 10 EuVTVO kann die Bestätigung nur auf Antrag widerrufen werden, sofern sie „eindeutig zu Unrecht“ erteilt wurde. Ferner ist eine Berichtigung möglich, wenn Entscheidung und Bestätigung aufgrund eines materiellen Fehlers voneinander abweichen. Die Zuständigkeit für das Berichtigungs- und Widerrufsverfahren ist in der Verordnung ebenfalls nicht geregelt. Die Rechtsbehelfe des Antragstellers gegen eine Versagung der Bestätigung als EuVT beschränkt die Verordnung nicht.312

2.  Inhaltliche Voraussetzungen für die Erteilung der Bestätigung 118

Eine Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel setzt gemäß Art. 6 Abs. 1 EuVTVO neben der Vollstreckbarkeit der Entscheidung im Ursprungsstaat voraus, dass die Entscheidung nicht in Verletzung der ausschließlichen Gerichtsstände des Art. 22 EuGVO (2001) / Art. 24 EuGVO (2012) oder der 308 

Statt aller BGH v. 25. 03. 2010 – I ZB 116/08 – NJW 2010, 1883 (1885) m. w. N.

309 Siehe Europäische Kommission, Mitteilung betreffend den Gemeinsamen Standpunkt

des Rates v. 09. 02. 2004, KOM (2004) 90, S. 9. Die Mitgliedstaaten können das Ausgangsgericht zum Bestätigungsgericht bestimmen, wie sich aus der Entstehungsgeschichte ebenso wie aus den Formblättern in Nr. 2 und 3 Anhang I und II EuVTVO ergibt. 310  Bach, Vollstreckung, S. 187; Bittmann, Exequatur, S. 114. 311  Zu Entstehungsgeschichte und Kritik siehe Pabst in Rauscher, EuZPR, Art. 10 EGVollstrTitelVO Rn. 5 ff. 312  Art. 10 Abs. 4 EuVTVO bezieht sich lediglich auf Rechtsbehelfe gegen die Ausstellung der Bestätigung.



D.  Die Freizügigkeit Europäischer Vollstreckungstitel

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halbzwingenden Gerichtsstände in Versicherungssachen nach Art. 8 ff. EuGVO ergangen ist. Stammt die Forderung aus einem Verbrauchervertrag und ist der Verbraucher der Schuldner, kann eine Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel nur erfolgen, sofern sich der Wohnsitz des Verbrauchers im Ursprungsmitgliedstaat befindet.313 Bei einer Bestätigung von Säumnisentscheidungen als EuVT muss das Verfahren darüber hinaus den (zugleich noch zu erörternden) Mindestvorschriften des Kapitels III EuVTVO entsprochen haben. Schließlich sind die Gerichte eines Mitgliedstaates nur zur Bestätigung von Entscheidungen als EuVT befugt, wenn der Schuldner nach der lex fori eine Überprüfung der Entscheidung in Ausnahmefällen veranlassen kann, Art. 19 EuVTVO. Art. 13 und 14 EuVTVO formulieren Beurteilungsnormen für die Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks oder der Ladung zu einer Gerichtsverhandlung. Die vorgegebenen Standards befinden sich auf eher niedrigem Niveau (zu Einzelheiten § 14 Rn. 75 ff.), schließen aber eine Bestätigung als Europäischen Vollstreckungstitel jedenfalls in jenen Fällen aus, in denen eine fiktive Zustellungsform nach der lex fori des Ursprungsstaates gewählt wurde. Art. 16 und 17 EuVTVO enthalten Beurteilungsnormen für die Unterrichtung des Schuldners: Das verfahrenseinleitende Schriftstück muss den Schuldner über Grund und Höhe der Forderung sowie Name und Anschrift der Parteien informieren. Ferner ist der Schuldner im verfahrenseinleitenden Schriftstück oder der Ladung zu einer Gerichtsverhandlung über die verfahrensrechtlichen Erfordernisse zum Bestreiten der Forderung und die Konsequenzen des Nichtbestreitens bzw. Nichterscheinens in der Gerichtsverhandlung zu unterrichten. Wurde das Verfahren den Mindeststandards für Zustellung oder Unterrichtung des Schuldners nicht gerecht, ist dieser Mangel gegebenenfalls nach Art. 18 EuVTVO der Heilung zugänglich.314 Nicht im Bestätigungsverfahren zu überprüfen ist, ob die Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks bzw. der Ladung im Falle einer Auslandszustellung den Vorgaben der EuZVO entsprach.315 Ein Verstoß gegen die Pflicht zur Belehrung des Schuldners über sein Zurückweisungsrecht im Falle fehlender Sprachkenntnisse hindert den Erlass eines Europäischen Vollstre313 Art. 6 Abs. 1 lit. d EuVTVO. Nach der Entscheidung des EuGH v.  05. 12. 2013  – C-508/12 (Vapenik), Rn. 24 ff. findet Art. 6 Abs. 1 lit. d EuVTVO nur Anwendung im B2CKontext, nicht bei beidseitigen Verbraucherverträgen; ebenso Bach, Vollstreckung, S. 220 f. 314  Art. 18 Abs. 1 EuVTVO sieht eine Heilung vor, wenn die Säumnisentscheidung dem Schuldner nach Maßgabe der Art. 13, 14 EuVTVO zugestellt wurde und der Schuldner keinen Rechtsbehelf gegen die Entscheidung eingelegt hat, obgleich er auf die Möglichkeit hingewiesen wurde, eine umfassende Überprüfung der Entscheidung zu veranlassen. Die Heilungsmöglichkeit des Art. 18 Abs. 2 EuVTVO erfasst (seltene) Situationen, in denen sich aus dem Verhaltens des Schuldners im Gerichtsverfahren folgern lässt, dass er das zuzustellende Schriftstück rechtzeitig genug erhalten hat, um seine Verteidigung vorzubereiten. 315  Art. 12 Abs. 1 EuVTVO.

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ckungstitels somit nicht. Eine verbreitete Auffassung im deutschen Schrifttum argumentiert zwar, die Anforderungen des Art. 8 EuZVO seien insoweit im Bestätigungsverfahren überprüfbar, als sich die Sprache der Unterrichtung gemäß Art. 16, 17 EuVTVO im Falle einer Auslandszustellung nach Art. 8 EuZVO bemesse.316 Doch scheint hier eher der Wunsch der Vater des Gedankens zu sein. Weder im Text der EuVTVO noch in dem Bestätigungsformular nach Anhang I bieten sich Anhaltspunkte für eine Kontrolle der Voraussetzungen des Art. 8 Abs. 1 EuZVO.317 Es sei daran erinnert, dass Art. 8 Abs. 1 EuZVO keine Vorgaben für die Sprache der zuzustellenden Dokumente, sondern lediglich ein Zurückweisungsrecht regelt. Rein tatsächlich scheitert eine Überprüfung im Bestätigungsverfahren an der mangelnden Dokumentation der Belehrung über das Zurückweisungsrecht, zumal die EuZVO die Details der Belehrung bei unmittelbarer Zustellung per Post und Parteizustellung ohnehin nicht konkretisiert.318 Auch die Qualität einer dem zugestellten Schriftstück nachweislich beigefügten Übersetzung wird eine Stelle des Ursprungsmitgliedstaates regelmäßig nicht überprüfen können. Lediglich in den seltenen Fällen, in denen das Ursprungsgericht trotz einer berechtigten Zurückweisung des zuzustellenden Schriftstücks durch den Adressaten eine Säumnisentscheidung erlassen hat, erscheint eine tatsächliche Kontrolle im Bestätigungsverfahren überhaupt möglich. Die Rechtzeitigkeit der Zustellung zwecks Wahrung einer angemessenen Verteidigung ist keine Voraussetzung der Bestätigung als EuVT.319 Der Antragsgegner wird gegen eine verspätete Kenntnisnahme des zuzustellenden Schriftstücks nur über die Mindestvorschrift für eine Überprüfung in Ausnahmefällen nach Art. 19 EuVTVO geschützt. Die Mitgliedstaaten müssen danach eine Anfechtbarkeit der Entscheidung gewährleisten bei unverschuldet verspäteter Kenntnisnahme des Schuldners aufgrund einer Ersatzzustellung sowie sofern der Schuldner aufgrund höherer Gewalt oder außergewöhnlicher Umstände der Forderung unverschuldet nicht widersprechen konnte. Der Sachverhalt unzureichender Ladungsfristen oder verspäteter Kenntnisnahme durch den Schuldner im Falle einer Ersatzzustellung ist vom Wortlaut dieser Mindestvorschrift nur gedeckt, sofern man hierin einen „außergewöhnlichen

316  Stadler, RIW 2004, 801 (807); Bach, Vollstreckung, S. 301 f.; Schlosser, EU-ZPR, Art. 17 VTVO Rn. 2; Kropholler/v. Hein, EuZPR, Art. 17 EuVTVO Rn. 3. 317  Siehe hierzu § 14 Rn. 80 f. 318  Supra § 14 Rn. 29. 319  Das Kriterium der Rechtzeitigkeit wurde im Verordnungsgebungsprozess gestrichen (ein Überbleibsel enthält Erwägungsgrund 12 EuVTVO), weil darauf vertraut werden könne, dass die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten ausreichende Fristen für die Vorbereitung der Verteidigung vorsähen, vgl. Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, KOM (2004) 90, S. 10. Siehe hierzu die zutreffende Kritik bei Rauscher, EuVT, Rn. 107.



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Umstand“ erblickt.320 Aus der zur EuMahnVO ergangenen Entscheidung des EuGH in der Rechtssache eco cosmetics lässt sich allerdings ableiten, dass der EuGH bereit ist, Verordnungen der zweiten Generation korrigierend zu ergänzen, um die Verteidigungsrechte des Antragsgegners zu gewährleisten.321 Vor dem Hintergrund von Art. 47 GRCh sollte deshalb Art. 19 EuVTVO möglichst weit ausgelegt werden.

V.  Vollstreckung im Zweitstaat Nach Art. 20 Abs. 1 EuVTVO wird eine als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigte Entscheidung unter den gleichen Bedingungen vollstreckt wie eine im Vollstreckungsstaat ergangene Entscheidung. Das Vollstreckungsverfahren, einschließlich der gegen die Art der Vollstreckung verfügbaren Rechtsbehelfe,322 untersteht der lex fori, Der Gläubiger hat den zuständigen Vollstreckungsorganen eine Ausfertigung der Entscheidung sowie der Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel zu übermitteln. Gegebenenfalls ist eine Transkription oder Übersetzung der Bestätigung beizufügen, doch besteht hierfür angesichts der in allen Amtssprachen verfügbaren Formblätter regelmäßig kein Bedarf.323 Eine Überprüfungskompetenz der Gerichte des Vollstreckungsstaates besteht auf Antrag des Schuldners lediglich in den seltenen Fällen einer entgegenstehenden früheren Entscheidung zwischen denselben Parteien wegen desselben Anspruchs – sei es eine Entscheidung des Vollstreckungsstaates oder die anzuerkennende Entscheidung eines Drittstaates. Im 320  Ablehnend bei planmäßig unzureichender Einlassungsfrist (z. B. weil das Erfordernis einer Übersetzung durch den Schuldner oder lange Postlaufzeiten nicht einkalkuliert wurden) Bach, Vollstreckung, S. 243; kritisch gegenüber der restriktiven Rechtsbehelfsmöglichkeit Rauscher, EuVT, Rn. 108. 321  EuGH v. 04. 09. 2014 – C-119/13 und C-120/13 (eco cosmetics), Rn. 42, 49, allerdings durch Verweis auf nationale Rechtsbehelfe; siehe hierzu die zutreffende Kritik von Sujecki, EuZW 2014, 916 (918). 322 Statt aller Bach, Vollstreckung, S. 213; Bittmann, Exequatur, S. 194 f. Höchst umstritten ist, ob die Mitgliedstaaten berechtigt sind, Rechtsbehelfe zur Verfügung zu halten, welche sich im Vollstreckungsstaat gegen die Vollstreckbarkeit an sich richten, so etwa §§ 767, 1086 ZPO. Zur Diskussion ausführlich Bittmann, a. a. O., S. 194 ff.; Bach, a. a. O., S. 203 ff., Peiffer, Titelgeltung, Rn. 1228 ff., jeweils m. w. N.; sowie aus nicht-deutscher Perspektive Cuniberti, ICLQ 57 (2008) 51. Nach der zur EuGVO (2001) ergangenen Entscheidung des EuGH v. 13. 10. 2011 – C-139/10 (Prism Investments), Rn. 40 ist es Sache des Vollstreckungsgerichts, im Vollstreckungsmitgliedstaat den Erfüllungseinwand zu prüfen. Zu den Konsequenzen dieser Entscheidung siehe Wagner, IPRax 2012, 326 (330); Bach, EuZW 2011, 871 (872 f.). Vgl. in diesem Zusammenhang ferner Art. 22 Abs. 2 EuMahnVO, Art. 41 Abs. 2 EuGVO (2012). Zu den Risiken der Doppelvollstreckung siehe infra § 16 Rn. 176, 183. 323  OGH v. 22. 02. 2007 – 3 Ob 253/06m – IPRax 2008, 440 (443); AG Fürstenfeldbruck v. 14. 10. 2009 – 2 M 10010/09 – IPRspr 2010, Nr. 277a, 688; Begründung des Kommissionsvorschlags zur EuVTVO, KOM (2002) 159, S. 9; Bittmann, IPRax 2008, 445 (448); Schlosser, EuZPR, Art. 20 EuVTVO Rn. 5.

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Gegensatz zu Art. 34 Nr. 3 EuGVO (2001) / Art. 45 Abs. 1 lit. c EuGVO (2012) stellt Art. 21 EuVTVO strikt auf die zeitliche Priorität ab. Eine Verweigerung der Vollstreckung kommt ferner wegen vorrangiger völkerrechtlicher Abkommen mit Drittstaaten in Betracht, Art. 22 EuVTVO. Nach Art. 23 EuVTVO kann das zuständige Vollstreckungsorgan auf Antrag des Schuldners das Vollstreckungsverfahren beschränken oder aussetzen, sofern der Schuldner im Ursprungsstaat einen Rechtsbehelf gegen die als EuVT bestätigte Entscheidung oder gegen die Bestätigung an sich eingelegt hat.

VI.  Alternativität der Anerkennungs- und Vollstreckbarerklärungssysteme 123

Gemäß Art. 27 EuVTVO berührt die Verordnung über den Europäischen Vollstreckungstitel nicht die Möglichkeit, die Anerkennung und Vollstreckung nach der EuGVO zu betreiben. Der Gläubiger hat die Wahl, ob er den Titel im Ursprungsstaat als Europäischen Vollstreckungstitel bestätigen lässt oder das Exequatur im Vollstreckungsstaat nach Art. 38 EuGVO (2001) beantragt. Auch ein zeitlich paralleles Vorgehen ist möglich.324 Auf Spekulationen, welches der Verfahren sich als das Schnellere erweisen wird, ist der Gläubiger somit nicht angewiesen. Hat der Gläubiger bereits eine Bestätigung als EuVT oder das Exequatur erwirkt, soll es ihm nach Auffassung des Bundesgerichtshofs und Teilen der Literatur versagt sein, zusätzlich in dem jeweils anderen Verfahren eine Vollstreckbarerklärung zu beantragen.325 Mit dem Unionsrecht dürfte diese restriktive Rechtsprechung schwerlich vereinbar sein, da sie dem Wortlaut des Art. 27 EuVTVO zuwiderläuft326 und die Effektivität des Unionsrechts beeinträchtigt,327 zumal eine Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel entgegen dem Exequatur zur Vollstreckung in allen Mitglied324  OLG Stuttgart v. 20. 04. 2009 – 5 W 68/08 – EuZW 2010, 37 (38); Wagner, IPRax 2005, 189 (190); Pfeiffer, LMK 2010, 303291; Hess, EuZPR, § 10 Rn. 37; Pabst in Rauscher, EuZPR, Art. 27 EG-VollstrTitelVO Rn. 4; zweifelnd BGH v. 04. 02. 2010 – IX ZB 57/09 – EuZW 2010, 319 (320). 325 BGH v.  04.  02. 2010  – IX ZB 57/09  – EuZW 2010, 319 (320); OLG Stuttgart v.  20. 04. 2009  – 5 W 68/08  – EuZW 2010, 37 (38 f.); jedenfalls für den Fall einer erteilten Bestätigung als EuVT zustimmend Kienle, EuZW 2010, 334 (335); Bittmann, IPRax 2011, 55 (56 f.); Pabst in Rauscher, EuZPR, Art. 27 EG-VollstrTitelVO Rn. 5, 10; Kropholler/v. Hein, EuZPR, Art. 27 EuVTVO Rn. 3 f. m. w. N. 326  Einzig Erwägungsgrund 20 EuVTVO ließe sich als Hinweis auf eine Alternativität des Vorgehens nach EuGVO bzw. EuVTVO verstehen. 327  Taragas in Nuyts/Watté, International Civil Litigation, S. 590; Stürner in FS Simotta, S. 592; Leible/Lehmann, NotBZ 2004, 453 (454); Hess, EuZPR, § 10 Rn. 37; i. E. ebenso Huber in FS Kaissis, S. 422 f.; wohl auch Schlosser, EuZPR, Art. 27 VTVO Rn. 1; ein Vorabentscheidungsersuchen befürwortend Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2011, 1 (21 f.); Pfeiffer, LMK 2010, 303291. Die in Art. 30 Abs. 2 des Kommissionsvorschlags zur EuGVO (KOM (2002) 159, S. 34) enthaltene Vorrangklausel wurde nicht in Art. 27 EuVTVO übernommen.



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staaten berechtigt. Folgte man der Logik des BGH, hätte die EuVTVO zudem mit Erlass der EuGVO (2012) aufgehoben werden müssen, da das Rechtsschutzbedürfnis für eine Bestätigung als EuVTVO nach Beginn des zeitlichen Anwendungsbereichs der EuGVO (2012) aufgrund der in jener begründeten unmittelbaren Vollstreckbarkeit EU-ausländischer Titel grundsätzlich fehlen würde. Selbst unter Zugrundelegung der – hier abgelehnten – Rechtsprechung des BGH sollte das Rechtsschutzbedürfnis bejaht werden, sofern der ausländische Titel inländischen Bestimmtheitsanforderungen nicht genügt und im Klauselerteilungsverfahren nach der EuGVO (2001) näher bestimmt werden könnte.328 Zum Risiko der Mehrfachvollstreckung siehe infra Rn. 176, 183. Eine Vollstreckung aus der als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigten Entscheidung hat auch dann zu erfolgen, wenn die Vollstreckbarerklärung bzw. die Vollstreckung der Entscheidung nach der EuGVO im Vollstreckungsstaat aufgrund des Vorliegens eines Anerkennungshindernisses versagt wurde.329 Art. 21 Abs. 1 EuVTVO bietet entgegen einer im Schrifttum vertretenen Mindermeinung330 keinen Ansatzpunkt zur Verweigerung der Vollstreckung. Erstens betrifft Art. 21 Abs. 1 EuVTVO nur Entscheidungen mit identischem Streitgegenstand, woran es bei einer Entscheidung in der Sache einerseits und einer Exequaturentscheidung andererseits fehlt.331 Zweitens regelt Art. 21 Abs. 1 EuVTVO die Titelkollision nach dem Grundsatz zeitlicher Priorität. Der als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigten Entscheidung käme als prioritätsälterer Entscheidung stets Vorrang zu, da die Entscheidung im Erkenntnisverfahren notwendigerweise vor einer ablehnenden Exequaturentscheidung ergeht. Drittens hätte eine Versagung der Vollstreckung nach Art. 21 EuVTVO einen Transfer der Anerkennungshindernisse der EuGVO zur Folge, welcher der Intention des Verordnungsgebers bei Erlass der EuVTVO offensichtlich widersprechen würde.332

328  Pabst in Rauscher, EuZPR, Art. 27 EG-VollstrTitelVO Rn. 10; offen gelassen in BGH v. 04. 02. 2010 – IX ZB 57/09 – EuZW 2010, 319 (320). 329  Taborowski, IPRax 2007, 250 (255 f.); Stürner in FS Simotta, S. 592; Taragas in Nuyts/ Watté, International Civil Litigation, S. 590; Bittmann, IPRax 2011, 55 (57); Rechberger in Fasching, ZPO, Art. 27 EuVTVO Rn. 1; Kropholler/v. Hein, EuZPR, Art. 21 EuVTVO Rn. 6, Art. 27 EuVTVO Rn. 3. 330  Rechberger in Fasching, ZPO, Art. 21 EuVTVO Rn. 4; Oberhammer, JBl. 2006, 477 (496). 331  Taborowski, IPRax 2007, 250 (255 f.). 332  Taborowski, IPRax 2007, 250 (255 f.).

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VII. Fazit 1.  Verlagerung und Verwässerung der Entscheidungskontrolle 125

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Die EuVTVO war das Pilotprojekt für die Abschaffung des Exequaturverfahrens in Europa: Erstmalig konnte die Vollstreckung ausländischer Entscheidungen in den Mitgliedstaaten der Union ohne zwischengeschaltete inländische Vollstreckbarerklärung betrieben werden. Der entscheidende Systemunterschied zur EuGVO liegt freilich nicht in der Abschaffung des Exequaturverfahrens, sondern in der Verlagerung der Prüfungskompetenz: Die Einhaltung verfahrensrechtlicher Mindeststandards und zuständigkeitsrechtlicher Grundwertungen wird von einem Gericht des Ursprungsstaates bestätigt und darf von den Gerichten des Vollstreckungsstaates nicht mehr überprüft werden. Ein Zusammenspiel rechtlicher und tatsächlicher Faktoren führt zu einer maßgeblichen Verwässerung der Entscheidungskontrolle in der EuVTVO gegenüber der EuGVO.333 Am deutlichsten tritt der niedrigere Kontrollmaßstab bei der Abschaffung des Vorbehalts eines Verstoßes gegen den ordre public des Anerkennungsstaates zu Tage, welcher logische Konsequenz der Verlagerung der Prüfungskompetenz in den Staat des Erkenntnisverfahrens ist. Auch die spezielle Ausformung des ordre public in Art. 34 Nr. 2 EuGVO (2001) / Art. 45 Abs. 1 lit. b EuGVO (2012) findet kein adäquates Pendant in der EuVTVO. Bei Säumnisentscheidungen sollen zwar die Beurteilungsnormen der Art. 13 und 14 EuVTVO eine Überprüfung gewisser Mindeststandards für das rechtliche Gehör des Beklagten ermöglichen. Eine diesen formalen Mindestanforderungen genügende Zustellung nützt dem Beklagten freilich wenig, sofern die Zustellung nicht rechtzeitig genug erfolgte, um eine angemessene Verteidigung zu ermöglichen, oder das zuzustellende Schriftstück in einer für den Beklagten nicht verständlichen Sprache abgefasst war. Die Sprachproblematik stellt sich auch für die – grundsätzlich begrüßenswerten – Unterrichtungspflichten gegenüber dem Schuldner nach Art. 16, 17 EuVTVO. Die amtswegige Prüfung der Bestätigungsvoraussetzungen nach Art. 6 Abs. 1 EuVTVO scheint für den Schuldner auf den ersten Blick günstiger als die von der EuGVO vorgesehene Prüfung auf Rechtsbehelf des Schuldners hin. Auf den zweiten Blick relativiert sich dieser Befund. In den in Art. 3 Abs. 1 lit. b EuVTVO angesprochenen Verfahren, in denen der Beklagten der Forderung im gerichtlichen Verfahren zu keinem Zeitpunkt widersprochen hat, kann sich das Bestätigungsgericht allein auf die Tatsachenangaben und rechtlichen Ausführungen des Klägers stützen. So muss das bestätigende Gericht anhand der vom Kläger gelieferten Tatsachenbasis die Entscheidung treffen, ob der 333  Schack, IZVR, Rn. 1054 ff.; a. A. Bach, Vollstreckung, S. 305: „marginale Auswirkungen auf den Schuldnerschutz“.



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Beklagte ein Verbraucher ist oder ob die Ersatzzustellung an eine „gesicherte Adresse“ des Beklagten i. S. d. Art. 14 Abs. 2 EuVTVO erfolgt ist.334 Hinzu treten Zweifel an der Unabhängigkeit und Kompetenz der Überprüfungsinstanz.335 Den Mitgliedstaaten steht es frei, die Bestätigung einer Entscheidung als EuVT demselben Spruchkörper des Ausgangsgerichts zu überlassen, welcher die zu bestätigende Entscheidung erlassen hat.336 Nach den Rechtsordnungen einiger Mitgliedstaaten liegt die Zuständigkeit für die Bestätigung ohnehin nicht bei einem Richter, sondern bei Gerichtsbeamten.337 Eine kritische Überprüfung der vom Ausgangsgericht vorgenommenen Inanspruchnahme der internationalen Zuständigkeit kann von Gerichtsbeamten bereits aufgrund ihrer Ausbildung nicht durchgängig erwartet werden.338 Zu berücksichtigen ist ferner die mangelnde Begründungspflicht der Bestätigungsentscheidung. So wertvoll die im Anhang der EuVTVO für die Bestätigung vorgesehenen Formblätter für den grenzüberschreitenden Rechtsverkehr sind, verführen sie doch zum quasi-maschinellen Ankreuzen ohne gewissenhafte Prüfung der für die Bestätigung erforderlichen Voraussetzungen. Bezeichnenderweise empfiehlt ein Hinweisblatt der englischen Justizverwaltung dem Gläubiger, dem Antrag auf Erteilung der Bestätigung bereits zwei ausgefüllte (!) Exemplare des Formblattes beizufügen.339 334  Immerhin wird der Gläubiger bspw. auf der englischen Antragsform N219A aufgefordert, mitzuteilen, weshalb er die Schuldneradresse mit Sicherheit kenne. In EuGH v. 15. 03. 2012 – C-292/10 (de Visser), Rn. 66 betont der Gerichtshof, die Garantie des Art. 34 Nr. 2 EuGVO (2001) / Art. 45 Abs. 1 lit. b EuGVO (2012) sei in Fällen, in denen der Wohnsitz des Beklagten nicht bekannt ist, elementar. 335  Schlosser, EU-ZPR, Art. 3 VTVO Rn. 4: „Gefahr der Vertuschung aus falsch verstandener Gruppensolidarität“; Bittmann, Exequatur, S. 96 ff. 336  Insoweit kritisch Kropholler/v.  Hein, EuZPR, Art. 6 EuVTVO Rn. 3; Stadler, RIW 2004, 801 (805). 337  In Deutschland ist die Bestätigung als EuVT den Rechtspflegern zugewiesen, § 20 Nr. 1 dt. RPflG. In Frankreich ist unter entsprechender Anwendung des Art. 509–1 CPC der funktional einem Rechtspfleger äquivalente Greffier en Chef für die Erteilung der Bestätigung zuständig, vgl. Bittmann, Exequatur, S. 93. In Belgien ist die Befugnis der Greffier en Chef zur Erteilung der Bestätigung umstritten, siehe näher Kropholler/v.  Hein, EuZPR, Art. 6 EuVTVO Rn. 3 m. w. N. in Fn. 8. Auch in England (74a PD 2.1) und Irland sind nicht Richter im staatsrechtlichen Sinne, sondern die Masters am High Court bzw. die District Judges für die Bestätigung zuständig. Bei dieser Personengruppe handelt es sich freilich um qualifizierte Juristen, die über eine mehrjährige anwaltliche Berufserfahrung verfügen. Kritisch gegenüber der Übertragung der Prüfung an Gerichtsbeamte Taragas in Nuyts/Watté, International Civil Litigation, S. 578. 338  Siehe die zutreffende Kritik bei Bittmann, Exequatur, S. 96 f.; Hess/Bittmann, IPRax 2007, 277 (279); Hüßtege in Gottwald, Perspektiven, S. 135. Entgegen Bach, Vollstreckung, S. 186 f., handelt es sich bei den zu überprüfenden Voraussetzungen nicht „weitestgehend um Formalia, die festzustellen keiner besonderen Fähigkeit oder Bereitschaft bedürfen.“ 339  „Two copies of the completed EEO certificate, which you should complete as far as you can”, Leaflet EX375 European Enforcement Order, verfügbar unter .

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Die Mängel des Bestätigungsverfahrens könnten gegebenenfalls hingenommen werden, stünde dem Beklagten zumindest effektiver Rechtsschutz gegen die Bestätigungsentscheidung zu. Doch die Verordnung sieht weder eine Unterrichtung des Schuldners über die Erteilung der Bestätigung,340 noch einen umfassenden Rechtsbehelf des Schuldners zur Überprüfung der Bestätigungsentscheidung vor. Nach Art. 10 Abs. 1 lit. b EuVTVO kann ein Europäischer Vollstreckungstitel nur widerrufen werden, sofern er „eindeutig“ zu Unrecht erteilt wurde.341 Im deutschen Schrifttum wird zwar durchgängig davon ausgegangen, unzutreffende Tatsachenfeststellungen führten stets zu einer eindeutig falschen und damit anfechtbaren Bestätigungsentscheidung.342 Unabhängig davon, ob man dieser Auffassung zustimmen mag,343 sind die mit der Auslegung des noch relativ jungen Verordnungstextes verbundenen Rechtsfragen keineswegs „eindeutig“ zu beantworten, wie sich beispielhaft an der Definition der „unbestrittenen Geldforderung“ ablesen lässt (oben Rn. 113).344 Die Einschränkung des Rechtsschutzes des Urteilsschuldners ist folglich keine Leerformel,345 sondern entfaltet sich ausgerechnet in jenen Situationen, in denen aufgrund einer unklaren Rechtslage die Entscheidungskompetenz höher Instanzen angeraten wäre.346 Art. 10 EuVTVO ist auch vor dem Hintergrund der Waffengleichheit der Parteien im Zivilprozess zu kritisieren: Die Verordnung beschränkt die Rechtsbehelfe des Gläubigers nicht,347 sondern überlässt deren Regelung den Mitgliedstaaten, welche eine umfassende Überprüfung der Versagung der Bestätigung als EuVT vorsehen können. Nicht von ungefähr sind richterliche Entscheidungen, welche die Aus340  In den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten bildet § 1080 Abs. 1 S. 2 ZPO, welcher die Zustellung des EuVT vorschreibt, die Ausnahme, vgl. Bittmann, IPRax 2008, 445 (446). 341  Berechtigte Kritik an der Unbestimmtheit der Formulierung „eindeutig zu Unrecht“, die eine uneinheitliche Handhabung in den Mitgliedstaaten befürchten lässt, äußert Stadler, RIW 2004, 801 (805). Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang ferner Art. 19 EuVTVO, welcher Mindestvorgaben für nationale Wiedereinsetzungsbestimmungen hinsichtlich der durch den EuVT bestätigten Entscheidung enthält. 342  Statt aller Kropholler/v.  Hein, EuZPR, Art. 10 EuVTVO Rn. 7 mit umfangreichen Nachweisen. Nach Auffassung von Adolphsen in MüKo ZPO, Anh. §§ 1079 ff. Art. 10 Rn. 6 und Ringwald, EuVT, S. 104 soll Art. 10 Abs. 1 lit. b EuVTVO entgegen seines Wortlauts jede materielle Unrichtigkeit der Bestätigung erfassen. 343  A. A. Stroschein, Parteizustellung, S. 155 „klarer Verstoß“; zweifelnd auch Brehm in Rijavec/Jelinek/Brehm, Erleichterung, S. 198 sowie Stadler, RIW 2004, 801 (807 f.) mit sehr instruktivem Beispiel; siehe ferner Tagaras, in: Nuyts/Watté, Int’l litigation, S. 579 m. Fn. 33. 344 Ebenso Bittmann, Exequatur, S. 98 f.; Hüßtege in Gottwald, Perspektiven, S. 135; v. Drooghenbroeck/Brijs, Titre Exécutoire, Rn. 104. 345  So aber Schütze in Wieczorek/Schütze, ZPO, § 1081 Rn. 4; Oberhammer, JBl. 2006, 477 (492); Ringwald, EuVT, S. 104, 156. 346 Zur (unzureichenden) Ausgestaltung des Widerrufsverfahrens durch die Mitgliedstaaten siehe Bittmann, Exequatur, 128 ff., 141 f. 347  Art. 10 Abs. 4 EuVTVO bezieht sich lediglich auf Rechtsbehelfe gegen die Ausstellung der Bestätigung.



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legung der EuVTVO betreffen, in Deutschland vorrangig auf Rechtsbehelf des Gläubigers hin ergangen.348 Aus der Perspektive der Verfahrensgerechtigkeit ist dies nicht überzeugend. Im Ergebnis lässt sich konstatieren, dass die EuVTVO im Vergleich zur EuGVO nicht nur durch eine Verlagerung der Prüfungskompetenz auf die Gerichte des Ursprungsstaates, sondern durch eine weitgehende Abkehr vom (beschränkten) Vier-Augen-Prinzip bzw. Zwei-Gerichte-Prinzip gekennzeichnet ist. Die Sicherung der Verfahrensrechte des Beklagten und der zuständigkeitsrechtlichen Grundwertungen der EuGVO muss nahezu alleinig durch das Ausgangsgericht gewährleistet werden.

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2.  Konsequenzen für die einheitliche Auslegung des Unionsrechts Die beschriebene Verlagerung und Verwässerung der Überprüfung der Erkenntnisentscheidung zeitigt interessante Konsequenzen für die autonome Auslegung des Unionsrechts. Die EuGVO sieht ein Modell der horizontalen Kontrolle vor, d. h. der begrenzten Überprüfung der Entscheidung eines Gerichts des Erststaates durch ein Gericht des Zweitstaates. Ist das Ursprungsgericht aus Perspektive seiner lex fori und des rechtswissenschaftlichen Diskurses in seinem Mitgliedstaat von einem acte clair ausgegangen, anstatt die Rechtsfrage dem EuGH zur Klärung vorzulegen, so mag der Blickwinkel der Gerichte im Zweitstaat ein ganz anderer sein und dieses zur Vorlage an den EuGH bewegen. Anders ausgedrückt: Die Chancen eines Vorabentscheidungsersuchens an den EuGH sind höher, sofern die Kompetenz zur Entscheidungskontrolle den Gerichte eines anderen Mitgliedstaates zugewiesen ist. Art. 10 EuVTVO begrenzt darüber hinaus auch die vertikale Kontrolle einer Bestätigungsentscheidung im Ausgangsstaat. Der Rechtsbehelf des Urteilsschuldners gegen die Bestätigung führt nur bei „eindeutigen“ Verstößen gegen die EuVTVO zum Widerruf der Bestätigungsentscheidung. Im Klartext heißt dies: Ein Widerruf der Bestätigungsentscheidung scheidet aus, sofern die Interpretation der Verordnung unklar ist. Ist eine Bestimmung der Verordnung mehreren Auslegungen zugänglich, trifft bereits das die Bestätigung als EuVT erteilende Gericht eine Entscheidung, die nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden kann. Konsequenterweise wäre das die Bestätigung erteilende Gericht als letzte Instanz i. S. d. Art. 267 AEUV gehalten, ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH zwecks Klärung der 348  BGH v. 25. 03. 2010 – I ZB 116/08 – NJW 2010, 1883 ff; OLG Stuttgart v. 24. 05. 2007 – 8 W 184/07 – NJW-RR 2007, 1583 f.; OLG Nürnberg v. 10. 08. 2009 – 3 W 483/09 – IPRax 2011, 393 ff.; OLG Düsseldorf v.  17. 03. 2010  – I-24 W 17/10  – IPRspr 2010, Nr 278, 691; KG v. 24. 06. 2010 – 3 WF 49/10 – IPRax 2011, 511; KG v. 16. 04. 2010 – 3 WF 49/10 – IPRax 2011, 513; KG v. 27. 06. 2011 – 12 W 30/11 . Für einen Fall einer eindeutig zu Unrecht erteilten Bescheinigung vgl. BGH v. 21. 07. 2011 – I ZB 71/09 – NJW 2012, 858 ff. (fehlende Belehrung nach Art. 17 EuVTVO).

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§ 16  Urteilsfreizügigkeit

korrekten Auslegung der EuVTVO zu richten. Soweit die Mitgliedstaaten die Kompetenz zur Bestätigung als EuVT Gerichtsbeamten übertragen haben, erscheint eine Vorlage an den EuGH selbstverständlich nicht von vorneherein ausgeschlossen, aber doch eher realitätsfern. Das deutsche Recht bietet zumindest die Möglichkeit einer Vorlage an den Richter in Analogie zu § 5 Abs. 1 Nr. 1 RPflG.

E.  Der Europäische Beschluss zur vorläufigen Kontenpfändung I.  Erleichterte Freizügigkeit gegenüber der EuGVO 133

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Eine weitere Abweichung gegenüber den Freizügigkeitsregeln der EuGVO beinhaltet die Europäische Kontenpfändungsverordnung (EuKtPVO), welche ab dem 18. Januar 2017 in grenzüberschreitenden Zivil- und Handelssachen Anwendung findet.349 Siehe zum Anwendungsbereich dieser Verordnung bereits § 11 Rn. 69 f. Sofern der Gläubiger bereits einen Titel gegenüber dem Schuldner erwirkt hat, ermöglicht die EuKtPVO die vorläufige Pfändung eines vom Gläubiger bezeichneten Bankkontos des Schuldners. Vorrangiges Anliegen der EuKtPVO ist es allerdings, die vorläufige Pfändung von Bankkonten im EU-Ausland ohne Anhörung des Schuldners zu ermöglichen, auch wenn der Gläubiger noch keinen Titel in der Hauptsache erwirkt hat, und dabei den zur Vollstreckungssicherung gegebenenfalls erforderlichen Überraschungseffekt zu wahren.350 Der Europäische Kontenpfändungsbeschluss ist in diesem Fällen Titel und vollstreckungsrechtlicher Akt zugleich. In dem Verzicht auf eine Anhörung des Schuldners liegt eine teilweise gesetzgeberische Korrektur der DenilaulerRechtsprechung,351 die insbesondere auch von der Neuregelung in Art. 2 lit. a EuGVO (2012) abweicht.352 Abgefedert wird dieser Unterschied durch die unionsautonome Regelung eines summarischen Erkenntnisverfahrens.353 Gegenüber der Auslandsvollstreckung nationaler Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes hat ein Vorgehen nach der EuKtPVO für den Gläubiger – neben dem Verzicht auf eine Anhörung des Antragsgegners – noch drei weitere potentielle Vorteile: Erstens führt die Verordnung den Rechtshilfeweg zwecks vorläufiger Kontenpfändung im Ausland ein.354 Zweitens enthält die 349 

Art. 2, 3, 54 EuKtPVO. Hess/Raffelsieper, IPRax 2015, 46 (47). 351  Supra § 10 Rn. 21 f. 352  Zur Auslegung des Art. 2 lit. a EuGVO (2012) supra § 10 Rn. 23 f. 353  Müller, RIW 2012, 151 (154 f.); kritisch Stamm, IPRax 2014, 124 (126 f.), auch mit Blick auf das Territorialitätsprinzip und Art. 24 Nr. 5 EuGVO. 354  Art. 23 Abs. 5 EuKtPVO. Zu erhofften Kostenersparnissen siehe die Begründung des Verordnungsvorschlags, KOM (2011) 445, S. 3 f. sowie Müller, RIW 2012, 151 (157). 350 



E.  Der Europäische Beschluss zur vorläufigen Kontenpfändung

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Verordnung Maßnahmen zur Verfahrensbeschleunigung durch Festsetzung kurzer Verfahrensfristen und Benutzungszwang von Formblättern, die in allen Amtssprachen verfügbar sind.355 Drittens sieht die Verordnung eine eigenständige Auskunftsmaßnahme hinsichtlich der vom Antragsgegner geführten Konten vor.356 Alternativ ist es dem Gläubiger weiterhin möglich, einstweilige Maßnahmen nach autonomem Recht zu beantragen und deren Vollstreckung im In- bzw. Ausland zu erwirken (letzteres nach Maßgabe der EuGVO).357

II. Verfahren Ein Europäischer Beschluss zur vorläufigen Kontenpfändung kann in jeder Phase der Forderungseintreibung beim Gericht der Hauptsache358 beantragt werden, d. h. vor der Einleitung eines Hauptsacheverfahrens, in jedem Stadium des Rechtsstreits und nach Erlangen eines Zahlungstitels.359 Der Antrag erfolgt auf einem Formblatt, in dem Details zu Antragsteller, Antragsgegner, dem zu pfändenden Konto, der Zuständigkeit des Gerichts, den materiellen Antragsvoraussetzungen sowie den vorgelegten Beweismitteln anzugeben sind. Mehrfache Anträge auf Erlass eines Europäischen Kontenpfändungsbeschlusses bei verschiedenen Gerichten sind unzulässig.360 Da parallele Anträge auf den Erlass gleichwertiger Maßnahmen des nationalen Rechts zulässig bleiben,361 hat der Antragsteller jedoch eine Erklärung darüber abzugeben, ob er entsprechende Anträge bereits bei einem anderen Gericht oder einer Behörde gestellt hat und mit welchem Ergebnis.362 Der Antrag schließt mit einer Wahrheitsversicherung.363 Das Gericht entscheidet auf Basis der vom Antragsteller vorgelegten Beweismittel im Wege eines schriftlichen Verfahrens364 und erlässt den Beschluss zur vorläufigen Pfändung unter Verwendung eines von der Europäischen Kommission entworfenen Formblatts.365 Eine Anhörung des Antragsgegners findet nicht statt.366 Das Gericht kann allerdings entscheiden, den Antrag355 

Zu Fristen vgl. Art. 45 EuKtPVO, zu Formblättern vgl. Art. 51 EuKtPVO. Art. 14 EuKtPVO; hierzu infra § 16 Rn. 140 ff. 357  Art. 1 Abs. 2 EuKtPVO. 358  Art. 6 EuKtPVO, supra § 11 Rn. 71. 359  Art. 5 EuKtPVO. 360  Art.  16 Abs. 1 EuKtPVO. 361 Die Parallelität nationaler Maßnahmen zum Europäischen Kontenpfändungsbeschluss ist erforderlich, um eine gleichzeitige Forderungssicherung im In- und Ausland zu bewirken, vgl. Erwägungsgrund 10 EuKtPVO. Insoweit kritisch Hess/Raffelsieper, IPRax 2015, 46 (49). 362  Art. 8 Abs. 2 lit. m, 16 Abs. 2 EuKtPVO. 363  Art. 8 Abs. 2 lit. o EuKtPVO. 364  Art. 9 EuKtPVO. 365  Art. 19 EuKtPVO. 366  Art. 11 EuKtPVO. 356 

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§ 16  Urteilsfreizügigkeit

steller mündlich anzuhören oder nach Maßgabe der lex fori weitere Beweise zu erheben, sofern das Verfahren hierdurch nicht übermäßig verzögert wird.367 Das Gericht soll unverzüglich entscheiden, spätestens innerhalb von fünf bzw. zehn Werktagen.368 Die materiellen Voraussetzungen des Beschlusserlasses richten sich nach dem Verfahrensstand des Hauptsacheverfahrens: Liegt bereits ein Zahlungstitel vor, ergeht der Kontenpfändungsbeschluss, sofern die vorläufige Pfändung dringend erforderlich ist, um einer späteren Vollstreckungsvereitelung oder deutlichen Vollstreckungserschwernis vorzubeugen.369 Verfügt der Antragsteller noch nicht über einen Zahlungstitel, bedarf der Erlass des Beschlusses darüber hinausgehend einer positiven Prognose des Gerichts über das voraussichtliche Obsiegen des Antragsstellers in der Hauptsache.370 Das Gericht kann vom Antragsteller die Leistung einer Sicherheit in angemessener Höhe verlangen, wobei auch hier nach dem Stand des Hauptsacheverfahrens zu differenzieren ist.371 Wird das Hauptsacheverfahren nicht zügig nach Antragstellung bzw. Erlass des vorläufigen Kontenpfändungsbeschlusses initiiert, ist der Beschluss – abhängig vom Verfahrensrecht des betreffenden Mitgliedstaats – zu widerrufen bzw. verliert seine Wirksamkeit.372 Eine Übersicherung des Antragstellers soll vermieden werden, indem der Gläubiger verpflichtet wird, die Freigabe überschüssiger gepfändeter Beträge zu beantragen.373

III.  Der Zugang zu Kontoinformationen 140

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Als Annexmaßnahme sieht Art. 14 EuKtPVO einen Antrag auf Einholung von Kontoinformationen vor, um es dem Antragsgegner zu ermöglichen, das zu pfändende Bankkonto zu spezifizieren. Die Mitgliedstaaten errichten zu diesem Zweck Auskunftsbehörden, denen nach mitgliedstaatlichem Recht Zugriff auf die Inhaberdaten der in dem betreffenden Mitgliedstaat geführten Konten eingeräumt wird374 und die diese Informationen an das den Kontenpfändungsbeschluss erlassende Gericht weiterleiten. Es bleibt abzuwarten, wie effektiv sich die in Art. 14 EuKtPVO vorgesehene grenzüberschreitende Kooperation zwischen Gericht, Auskunftsbehörde und 367 

Art. 9 EuKtPVO. (2), Art. 18 Abs. 2 (fünf Werktage, sofern bereits ein Titel zugunsten des Gläubigers vorliegt); Art. 18 Abs. 1 (zehn Werktage, sofern noch kein Titel vorliegt). 369  Art. 7 Abs. 1 EuKtPVO. 370  Art. 7 Abs. 2 EuKtPVO. 371  Art. 12 EuKtPVO. 372  Näher Art. 10 Abs. 1, Abs. 2 EuKtPVO. Zum Begriff „Verfahren in der Hauptsache“ siehe Erwägungsgrund 13 S. 2 EuKtPVO 373  Art. 27 EuKtPVO. 374  Näher Art. 14 Abs. 4, 5 EuKtPVO. 368 Art. 17



E.  Der Europäische Beschluss zur vorläufigen Kontenpfändung

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den jeweiligen Banken entwickeln wird. Gelingt es, hier ein effizientes System zu etablieren, könnte der Annexantrag zur Kontoinformation erheblich zur Transparenz des Schuldnervermögens beitragen und zum bedeutendsten Instrument der Europäischen Kontenpfändungsverordnung werden. Angesichts der bisherigen Erfahrungen mit der innereuropäischen Behördenkommunikation und der allgemeinen Effizienz der Verwaltung in einigen Mitgliedstaaten bestehen diesbezüglich allerdings leise Zweifel. Noch kritischer ist eine in Art. 14 Abs. 1 EuKtPVO selbst angelegte Restriktion: Der Antrag auf Einholung von Kontoinformationen steht dem Gläubiger nur dann offen, wenn er bereits einen Zahlungstitel gegen den Schuldner erwirkt hat. In dieser Konstellation wird dem Gläubiger oftmals der Nachweis schwerfallen, dass eine vorläufige Kontenpfändung dringend erforderlich ist, um einer Vollstreckungsvereitelung bzw. -erschwernis vorzubeugen. Denn ein vereitelungswilliger Schuldner dürfte seine Vermögenswerte bereits während des laufenden Hauptsacheverfahrens in einen Drittstaat verbringen.

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IV.  Anerkennung und Vollstreckung Die Europäische Kontenpfändungsverordnung sieht eine automatische Anerkennung und Vollstreckbarkeit des Kontenpfändungsbeschlusses in den anderen, an der Verordnung teilnehmenden Mitgliedstaaten vor.375 Die Vollstreckung erfolgt allein durch die bereits im Beschluss selbst angeordnete vorläufige Forderungspfändung. Maßgeblich sind insoweit diejenigen Verfahren, welche im Vollstreckungsstaat für äquivalente nationale Maßnahmen Anwendung finden, inklusive des Pfändungsschutzes und der Sicherungsrangfolge.376 Bedarf es der grenzüberschreitenden Vollstreckung, so wird der Beschluss vom Gericht oder Gläubiger an die zuständige Behörde des Vollstreckungsmitgliedstaates übermittelt,377 welche die Maßnahmen zur Vollstreckung nach nationalem Recht trifft (d. h. insbesondere den Beschlusses oder eine Anweisung zur Ausführung des Beschlusses an die betreffende Bank weiterleitet). Anders als nach Art. 2 lit. a EuGVO (2012) bedarf es keiner Gewähr rechtlichen Gehörs vor der Vollstreckung. Vielmehr ist nach Art. 28 EuKtPVO eine Zustellung des Beschlusses an den Antragsgegner erst nach der vorläufigen Pfändung des Bankkontos vorgesehen. Die kontenführende Bank darf ihn unmittelbar nach der Pfändung über die Einzelheiten des Beschlusses informieren.378 Zuzustellen sind dem Antragsgegner der Gerichtsbeschluss, der Antrag 375 

Art. 22 EuKtPVO. Art. 23 Abs. 1, 31, 32 EuKtPVO. 377  Art. 23 Abs. 3; zur Benennung dieser Behörde durch die Mitgliedstaaten siehe Art. 4 Nr. 14, 50 Abs. 1 lit. e EuKtPVO. 378  Art. 25 Abs. 4 EuKtPVO. 376 

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des Gläubigers sowie Abschriften aller Schriftstücke, die der Gläubiger dem Gericht zur Erwirkung des Beschlusses vorgelegt hat.379 Sind Ursprungsmitgliedstaat und Wohnsitzstaat des Schuldners identisch, erfolgt die Zustellung nach dem Recht dieses Mitgliedstaats. Bedarf es der grenzüberschreitenden Zustellung, ist die Zustellung durch eine vom Empfangsmitgliedstaat benannte Behörde vorzunehmen.380 Nur bei Wohnsitz des Schuldners in einem Drittstaat ist auf die Regelungen des Ursprungsmitgliedstaats zur internationalen Zustellung zurückzugreifen.381 Gemäß der Sprachenregelung des Art. 49 Abs. 1 EuKtPVO sind Gerichtsbeschluss und Gläubigerantrag entweder in Original oder Übersetzung in der Amtssprache des Wohnsitzstaats des Schuldners oder in einer anderen Sprache, die der Schuldner versteht, zuzustellen.382 Da sowohl der Gläubigerantrag als auch der Gerichtsbeschluss auf einem Formblatt zu erfolgen haben,383 können die verschiedenen Sprachfassungen der Formblätter hier gewinnbringend eingesetzt werden. Fehlt es an der erforderlichen Übersetzung, kann der Schuldner beim zuständigen Gericht des Ursprungsmitgliedstaats oder des Vollstreckungsmitgliedstaates einen Rechtsbehelf mit dem Ziel des Widerrufs des Kontenpfändungsbeschlusses einlegen.384 Der Mangel wird geheilt, wenn der Gläubiger innerhalb von 14 Tagen eine Übersetzung an die Behörde übermittelt, welche nach dem Recht des Ursprungsstaats für die Zustellung zuständig ist.385 Eine Belehrung über das Übersetzungserfordernis ist in der EuKtPVO nicht vorgesehen, wohl aber eine Rechtsbehelfsbelehrung, deren Ausgestaltung der Europäischen Kommission obliegt.386

V.  Rechtsbehelfe und Haftung des Gläubigers 146

Die Rechtsbehelfe des Schuldners werden in der EuKtPVO weitgehend autonom geregelt.387 Einwendungen gegen den Pfändungsbeschluss sind nach Art. 33 EuKtPVO an das Gericht des Ursprungsmitgliedstaates zu richten, Pfändungsfreigrenzen vor der zuständigen Vollstreckungsbehörde geltend zu 379 

Art. 28 Abs. 5 EuKtPVO. Art. 28 Abs. 3, Art. 4 Nr. 14 EuKtPVO. 381  Art. 28 Abs. 4 EuKtPVO. 382  Schriftstücke, die der Gläubiger dem Gericht zur Erwirkung des Beschlusses vorgelegt hat, sind nur auf besondere Anordnung des Gerichts zu übersetzen, vlg. Art. 49 Abs. 1 S. 2 EuKtPVO. 383  Art. 8 Abs. 1, 19 Abs. 1 EuKtPVO. 384  Art. 33 Abs. 1 lit. c, 34 Abs. 1 lit. b (iv) S. 1 EuKtPVO. 385  Art. 33 Abs. 3 lit. b, 34 Abs. 1 lit. b (iv) S. 2 EuKtPVO. Zum Zwecke der Zustellung der Übersetzung hat der Schuldner nach Art. 33 Abs. 5 eine Zustellungsanschrift anzugeben. 386  Art. Art. 19 Abs. 3 lit. f, 51 EuKtPVO. 387  Eine bedeutende Ausnahme stellen die Rechtsbehelfsfristen dar, siehe kritisch Hess/ Raffelsieper, IPRax 2015, 46 (50) m.Fn. 51 f. 380 



E.  Der Europäische Beschluss zur vorläufigen Kontenpfändung

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machen.388 Die Beendigung der Vollstreckungsmaßnahme wegen Verstoßes gegen den ordre public des Vollstreckungsmitgliedstaats kann auf Antrag des Schuldners durch die dortigen Gerichte erfolgen.389 Im Übrigen enthalten Art. 33 bis 36 EuKtPVO zahlreiche, sich weit überschneidende Abänderungsund Beendigungsbefugnisse sowohl des Ursprungsgerichts als auch der zuständigen Behörde bzw. des zuständigen Gerichts im Vollstreckungsmitgliedstaat, z. B. wegen veränderter Umstände, Übersicherung, Begleichung der Forderung, Klageabweisung, Aufhebung oder Vollstreckbarkeitsverweigerung des Titels etc.390 Über den Rechtsbehelf des Schuldners soll unverzüglich entschieden werden, spätestens 21 Tage, nachdem das Gericht von allen maßgeblichen Informationen für den Erlass der Entscheidung Kenntnis erlangt hat.391 Nach Art. 13 EuKtPVO haftet der Gläubiger dem Schuldner für etwaige Schäden, die jener aufgrund des Beschlusses zur vorläufigen Pfändung erlitten hat, wobei Abs. 2 einen Katalog von Verschuldensvermutungen aufstellt. Alle weiteren Haftungsvoraussetzungen unterliegen dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaates. Zudem sind die Mitgliedstaaten frei, andere Haftungs- und Beweislastregeln in ihrem nationalen Recht beizubehalten bzw. aufzunehmen.392

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VI. Fazit Die Europäische Kontenpfändungsverordnung regelt erstens die vorläufige Pfändung von Bankkonten auf Basis eines bereits vom Gläubiger erwirkten Titels. Zweitens enthält die Verordnung ein unionsautonomes einstweiliges Verfahren, welches ohne Anhörung des Antragsgegners zu einem in jedem teilnehmenden Mitgliedstaat wirksamen Vollstreckungsakt, der vorläufigen Kontenpfändung, führt. Gegenüber diversen nationalen einstweiligen Maßnahmen weist der Europäische Kontenpfändungsbeschluss deutliche Schwächen auf: Der Beschluss bewirkt lediglich die vorläufige Pfändung spezifischer Bankkonten, die bei Banken in den teilnehmenden Mitgliedstaaten geführt werden. Eine einstweilige Befriedigung der Forderung, die Pfändung anderer Vermögenswerte oder ein in personam wirkendes Verfügungsverbot ermöglicht die EuKtPVO nicht. Die Pfändung erfasst zudem stets nur das Guthaben auf dem im Beschluss benannten Konto, d. h. dem Schuldner ist es unbenommen,

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Art. 34 Abs. 1 lit. a EuKtPVO. Art. 34 Abs. 2 EuKtPVO. 390  Die Rechtshängigkeit bestimmt sich nach Art. 30 ff. EuGVO (2012), vgl. Hess/Raffelsieper, IPRax 2015, 46 (51). 391  Art. 36 Abs. 4 EuKtPVO. Kritisch hinsichtlich der fehlenden Sanktion einer Fristverletzung Domej, ZEuP 2013, 496 (510). 392 Kritisch Hess/Raffelsieper, IPRax 2015, 46 (51 f.). 389 

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künftige Zahlungseingänge auf andere Konten überweisen zu lassen.393 Eine Pfändung von Konten in Drittstaaten, insbesondere bedeutenden europäischen Bankenplätzen wie dem Vereinigten Königreich, der Schweiz und Liechtenstein, ist naturgemäß nicht möglich.394 Schließlich sieht die Verordnung einen Zugang zu Informationen über vom Schuldner geführte Konten erst nach Erwirken eines Titels vor. Zur Vollstreckungssicherung gegenüber besonders hartnäckigen Schuldnern, die in Vereitelungsabsicht handeln, eignet sich die EuKtPVO aus all diesen Gründen nicht.395 Seine Stärken entfaltet der Europäische Kontenpfändungsbeschluss im Rahmen der grenzüberschreitenden Vollstreckung: Durch die Einführung des Rechtshilfewegs wird der Gläubiger von der Last entbunden, selbst Kontakt zu den ausländischen Vollstreckungsbehörden aufzunehmen,396 und der Formularzwang der EuKtPVO erleichtert die Kommunikation über Sprachgrenzen hinweg. Ob durch den Behördenverkehr tatsächlich ein Zeitgewinn verbucht und dem Gläubiger ein effektiveres Mittel an die Hand gegeben wird, hängt von der konkreten Ausgestaltung durch die Mitgliedstaaten ab. Der wesentliche Vorteil des Europäischen Kontenpfändungsbeschlusses liegt damit in der Wahrung des Überraschungseffekts: Die Auslandsvollstreckung nationaler einstweiliger Maßnahmen nach der EuGVO setzt voraus, dass dem Antragsgegner zumindest vor der Vollstreckung durch Zustellung der Entscheidung die Option rechtlichen Gehörs gewährt wird. Die Auslandspfändung gemäß der EuKtPVO erfolgt demgegenüber ohne Anhörung des Schuldners. Zudem verzichtet die EuKtPVO auf den Vollstreckungsversagungsgrund widersprechender Entscheidungen entsprechend Art.  45 Abs. 11 lit. c und d EuGVO. Die erleichterte Auslandsvollstreckung der EuKtPVO gegenüber der EuGVO ist vorwiegend politischen Zufälligkeiten geschuldet.397 Doch lassen sich auch einige sachliche Argumente für die Diskrepanz identifizieren:398 Erstens setzt die EuKtPVO der Vielfalt mitgliedstaatlichen einstweiligen Rechtsschutzes eine begrenzte Sicherungsmaßnahme entgegen, die auf Basis eines einheitlichen Verfahrens mit autonom definierten, relativ hohen Anordnungs393 

Domej, ZEuP 2013, 496 (521). Cranshaw, DZWIR 2012, 399 (410); Domej, ZEuP 2013, 496 (520). 395  Cranshaw, DZWiR 2012, 399 (410) und Domej, ZEuP 2013, 496 (520). Auch für andere praktisch bedeutsame Fallkonstellationen schafft die EuKtPVO keine wirksame Abhilfe, vgl. Domej, ZEuP 2013, 496, 518 ff. Insgesamt am Erfolg der EuKtPVO zweifelnd Stamm, IPRax 2014, 124 (129). 396  Domej, ZEuP 2013, 496 (501). 397  Art. 2 Abs. 2 lit. a des Vorschlags der Europäischen Kommission zur EuGVO-Reform, KOM (2010) 748, sah die generelle Freizügigkeit von ex parte-Maßnahmen vor, wie sie auch im Schrifttum häufig gefordert wird; siehe hierzu die Nachweise supra § 16 Rn. 16. 398 Ebenso Skamel/Wilhelm, ZinsO 2014, 1789 (1793); kritisch Domej, ZEuP 2013, 496 (517) zum Verordnungschlag der Europäischen Kommission. 394 



E.  Der Europäische Beschluss zur vorläufigen Kontenpfändung

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voraussetzungen ergeht und Rechtsbehelfe des Antragsgegners nicht nur im Ursprungs-, sondern auch im Vollstreckungsstaat vorsieht. Zweitens wird das Risiko einander widersprechender Entscheidungen dadurch verringert, dass parallele Anträge auf den Erlass eines Europäischen Kontenpfändungsbeschlusses untersagt werden und der Antragsteller das Gericht über bereits zuvor gestellte Anträge auf Erlass entsprechender Beschlüsse nach Maßgabe des nationalen Rechts zu informieren hat.399 Nichtsdestotrotz ist die EuKtPVO eine Einladung zum forum shopping, da sie der Vielfalt nationaler einstweiliger Maßnahmen ein weiteres Instrument an die Seite stellt und die Herausbildung einer einheitlichen Interpretation der Beschlussvoraussetzungen Jahre in Anspruch nehmen wird. Für den Antragsgegner birgt der Europäische Vollstreckungstitel aus einem weiteren Grund Gefahr:400 Einwendungen gegen den Pfändungsbeschluss sind beim Gericht des Ursprungsmitgliedstaates zu erheben, was für die von der Pfändung betroffene Partei schwierig und zeitintensiv ist, insbesondere sofern die beigefügten Beweismittel in einer Sprache verfasst sind, die der Antragsgegner nicht versteht. Das Gericht soll spätestens innerhalb von 21 Tagen über den Rechtsbehelf entscheiden, nachdem es von allen maßgeblichen Informationen für den Erlass der Entscheidung Kenntnis erlangt hat. Der Zeitpunkt des Fristbeginns ist erstens sehr vage und kann durch Verzögerungstaktiken des Antragstellers in die Länge gezogen werden. Zweitens sind 21 Tage zuzüglich gerichtlicher Informationsermittlung eine lange Zeitperiode für eine Person, die von einer umfangreichen liquiditätseinschränkenden Kontenpfändung betroffen ist. Frappierend ist insoweit die Höherbewertung der Interessen des (vorgeblichen) Gläubigers: Die den Gerichten vorgegebenen Fristen für den Erlass eines Kontenpfändungsbeschlusses sind deutlich kürzer (unverzüglich, spätestens fünf bzw. zehn Arbeitstage nachdem der Antrag eingereicht wurde).401 Es wäre im Sinne eines effektiven Schuldnerschutzes erfreulicher gewesen, wenn die Verordnung die Festsetzung eines return dates oder die Befristung des Kontenpfändungsbeschlusses vorgesehen hätte.

399 

Art. 8 Abs. 2 lit. m EuKtPVO. Siehe die umfassende Kritik in Deutscher Anwaltsverein, Stellungnahme, S. 6 ff. 401  Art. 17 Abs. 2, 18 Abs. 1, Abs. 2 EuKtPVO. 400 

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F.  Würdigung der Regelungen zur Urteilsfreizügigkeit I.  Angemessene Berücksichtigung der prozessualen Interessen 1. Urteilsfreizügigkeit 154

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Als die Gründungsmitglieder der Europäischen Gemeinschaften das Europäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen verhandelten, war die Vorstellung einer ungehinderten Urteilsfreizügigkeit für Zivil- und Handelssachen im europäischen Justizraum reine Utopie. Kaum 50 Jahre später ist trotz des Beitritts zahlreicher weiterer Staaten zur Europäischen Staatengemeinschaft die zivilrechtliche Integration innerhalb der Union ausreichend fortgeschritten, um auf ein Exequatur EU-ausländischer Entscheidungen zu verzichten. Die EuGVO (2012) und die EuVTVO leisten einen wesentlichen Beitrag zur Justizgewähr, indem sie dem Urteilsgläubiger den Vollstreckungszugriff auf außerhalb des Erkenntnisstaates belegene Vermögensgegenstände des Schuldners ohne zeitraubendes Exequaturverfahren erlauben. Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen kann allerdings nach beiden Verordnungen weiterhin unter gewissen Umständen versagt werden. Die EuKtPVO geht noch einen Schritt weiter, indem sie ein unionsautonomes Verfahren zur vorläufigen Pfändung von Bankkonten einführt. Auf die in den Verordnungen sehr unterschiedlich ausfallende Interessenabwägung zwischen dem Justizgewähranspruch des Gläubigers und dem Anspruch auf rechtliches Gehör sowie den sonstigen geschützten Interessen des Schuldners wird im Folgenden noch einzugehen sein. Nicht von der Urteilsfreizügigkeit profitieren zwei Arten von Entscheidungen, die im Gewerblichen Rechtsschutz von praktischer Bedeutung sind: Erstens einstweilige Unterlassungsverfügungen, die in einem Verfahren ohne Beteiligung des Antragsgegners ergangen sind, sofern dem Antragsgegner nicht vor Einleitung der Auslandsvollstreckung die Möglichkeit rechtlichen Gehörs eröffnet wurde; zweitens Eilentscheidungen eines in der Hauptsache nicht zuständigen Gerichts.402 Beide Einschränkungen überzeugen. Der Ausschluss der Anerkennung von Entscheidungen, die in einem ex parte-Verfahren ergangen sind, sichert das rechtliche Gehör des Antragsgegners und bewahrt diesen vor exzessivem forum shopping des Antragsgegners. Derartiges forum shopping im einstweiligen Rechtsschutz ist aus dem deutschen Wettbewerbsrecht und Gewerblichen Rechtsschutz hinlänglich bekannt403 und im internationalen Kontext aufgrund der Unterschiede in den Rechtsordnungen und der Gerichtspraxis der Mitgliedstaaten von deutlich größerem Interesse. Man402 Für Art. 31 EuGVO (2001) gilt diese Aussage nur mit Einschränkungen, vgl. § 11 Rn. 22 ff. 403  Supra § 4 Rn. 98.



F.  Würdigung der Regelungen zur Urteilsfreizügigkeit

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gels Kenntnis eingeleiteter Verfahren und abgewiesener Anträge könnte sich der Antragsgegner weder gegen exzessives forum shopping, noch gegen eine übermäßige Berücksichtigung der Interessen des Antragstellers durch überlappende Entscheidungen verschiedener Gerichte wehren. Die Interessen des Rechtsschutzsuchenden werden für Fälle besonderer Dringlichkeit dadurch gewahrt, dass ihm über Art. 31 EuGVO (2001) / Art. 35 EuGVO (2012) ein vollstreckungsnaher Gerichtsstand zugebilligt wird. Der Ausschluss der Anerkennung und Vollstreckung einstweiliger Entscheidungen, die im Eilgerichtsstand ergangen sind, sorgt auch hier für eine angemessene Absicherung gegen übermäßiges forum shopping. Nicht überzeugen kann allerdings die dogmatische Einordnung der Anerkennungsversagung durch Ausschluss dieser Entscheidungsarten vom Begriff der „Entscheidung“ i. S. d. Art. 33 EuGVO (2001) / Art. 2 lit. a EuGVO (2012). Eine im Beschlusswege ergangene einstweilige Verfügung wird nicht erst dadurch zu einer Entscheidung, dass sie dem Antragsgegner zugestellt wurde und dieser keine Anstalten zu deren Aufhebung übernommen hat. Und ein im einstweiligen Rechtsschutz ergangenes Urteil verliert seine Entscheidungsqualität selbstverständlich nicht durch die fehlende Zuständigkeit des Gerichts für die Entscheidung in der Hauptsache. Während die dogmatische Einordnung dieser Anerkennungs- und Vollstreckungshindernisse dem EuGH als Behelf für seine rechtsfortbildende Rechtsprechung zum EuGVÜ diente, die dort kaum anders hätte verankert werden können, übernahm der Verordnungsgeber die Begriffsbildung des EuGH ohne Not in die EuGVO (2012). Bedauerlich ist dies nicht allein aus dogmatischer Sicht, sondern vor allem, weil sich den künftig mit der Anwendung der EuGVO (2012) betrauten Vollstreckungsorganen nicht unmittelbar erschließen dürfte, dass die Vollstreckung einer EU-ausländischen einstweiligen Maßnahme von Amts wegen zu unterbleiben hat, wenn dem Antragsgegner kein rechtliches Gehör gewährt wurde oder das entscheidende Gericht nicht über eine Zuständigkeit in der Hauptsache verfügte.404 Ohnehin werden die Vollstreckungsorgane im Anwendungsbereich der EuGVO (2012) mit Aufgaben betraut, zu denen ihre Ausbildung sie in vielen Mitgliedstaaten zum derzeitigen Zeitpunkt nicht befähigen dürfte.405 Sie haben vor der Vollstreckung zu prüfen, ob die ausländische Entscheidung als Zivil- und Handelssache in den Anwendungsbereich der Verordnung fällt und ob eine Entscheidung i. S. d. Art. 2 lit. a EuGVO (2012) vorliegt.406 Ferner müssen sie tätig werden, sofern es einer Konkretisierung oder Anpassung des 404 Paradigmatisch (obgleich immerhin als Exequaturgericht agierend) LG Nürnberg v. 22. 12. 2010 – 14 W 1442/10 – WM 2011, 700 ff. 405  Wagner/Beckmann, RIW 2011, 44 (48); Weller, GPR 2012, 34 (36); Hess, IPRax 2011, 125 (129); Domej, RabelsZ 78 (2014), 508 (518 f.). 406  Wagner/Beckmann, RIW 2011, 44 (47 f.).

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§ 16  Urteilsfreizügigkeit

ausländischen Titels bedarf.407 Es liegt an den Mitgliedstaaten, die Vollstreckungsorgane durch Fortbildungsmaßnahmen, Richtlinien und (ggf.) Möglichkeiten der Richtervorlage für diese Aufgabe zu befähigen, um die Effektivität des Unionsrechts nicht zu beeinträchtigen.408 Anderenfalls wäre sowohl die Verfahrensbeschleunigung durch Abschaffung des Exequaturverfahrens als auch die Realisierung des Schuldnerschutzes gefährdet.409 Mitgliedstaaten wie Deutschland, die über eine dezentrale Organisation der Vollstreckungsorgane verfügen, stellt diese Aufgabe vor besondere Herausforderungen. Für die Durchsetzung gewerblicher Schutzrechte ist die Vollstreckung von Urteilen, die nicht auf eine Geldleistung lauten, von besonderer praktischer Relevanz. Hinsichtlich der Auslandsvollstreckung solcher Titel gewähren EuGVO (2001) wie EuGVO (2012) bedauerlicherweise nicht die erforderliche Rechtssicherheit. Dies betrifft einerseits die Frage, wie im Vollstreckungsstaat unbekannte Maßnahmen an das dortige Recht anzupassen sind. Andererseits ist die Reichweite der Art. 49 EuGVO (2001) / Art. 55 EuGVO (2012), welche ausnahmsweise eine Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Zwangsmaßnahmen erlauben, noch nicht abschließend durch den EuGH geklärt. Der Urteilsschuldner steht der durch Art. 49 EuGVO (2001) / Art. 55 EuGVO (2012) eröffneten Kumulation der Zwangsgelder relativ hilflos gegenüber, während sich einem geschickten Gläubiger Optionen zur Bereicherung bieten. Schließlich wird die Reichweite der inländischen Vollstreckungsgewalt durch die EuGVO nicht regelt, weshalb Unklarheit darüber besteht, in welchem Umfang auf mittelbare Zwangsmaßnahmen des Staates des Erkenntnisgerichts zur Vollstreckung einer im Ausland vorzunehmenden Handlung, Duldung oder Unterlassung zurückgegriffen werden kann.

2.  Überprüfung der Zuständigkeit 159

Sowohl EuGVO als auch EuVTVO implementieren ein System doppelter Kontrolle zur Sicherung der ausschließlichen und halbzwingenden Gerichtsstände der EuGVO (in EuVTVO und EuGVO (2001) ist die Zuständigkeit für individuelle Arbeitsverträge hiervon ausgenommen). Im Anwendungsbereich der EuGVO erfolgt die Prüfung eines Verstoßes gegen die halbzwingenden oder ausschließlichen Gerichtsstände auf Rechtsbehelf des Schuldners hin durch ein Gericht desjenigen Mitgliedstaates, in dem die Vollstreckung erfolgen soll.410 Im Anwendungsbereich der EuVTVO erfolgt die Prüfung von Amts wegen vor der Ausstellung einer Bescheinigung als Europäischer 407  Wagner/Beckmann, RIW 2011, 44 (47 f.); Hess, IPRax 2011, 125 (129); Timmer, 9 JPIL (2013), 129 (137 ff.). 408  Weller, GPR 2012, 34 (36). 409  Timmer, 9 JPIL (2013), 129 (137 ff.). 410  Art. 35 Abs. 1 EuGVO (2001); Art. 45 Abs. 1 lit. e EuGVO (2012).



F.  Würdigung der Regelungen zur Urteilsfreizügigkeit

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Vollstreckungstitel.411 Da die Überprüfungsinstanz an die tatsächlichen Feststellungen des Erkenntnisgerichts gebunden ist,412 bezieht sich die Kontrolle lediglich auf die rechtliche Würdigung des Erkenntnisgerichts.413 In der Sache wird hier die Auslegungshoheit des EuGH gesichert: Bei abweichender Rechtsauffassung zwischen Erkenntnisgericht und Kontrollinstanz ist ein Vorabentscheidungsersuchen der Kontrollinstanz an den EuGH regelmäßig geboten. Auf das insoweit bestehende Problem der verminderten Kontrollintensität im Anwendungsbereich der EuVTVO wurde in Rn. 128 ff., 131 f. bereits hingewiesen. Kein System doppelter Kontrolle enthält die EuKtPVO: Hier wird die Zuständigkeit des den EuKtP erlassenden Gerichts allein auf Rechtsbehelf des (vermeintlichen) Schuldners von den Gerichten des Ursprungsmitgliedstaats geprüft.414 Das System der doppelten Kontrolle birgt für den Gläubiger grundsätzlich die Gefahr einer erheblichen Verzögerung der Vollstreckung, Vorabentscheidungsersuchen vor dem EuGH inklusive. Im Hinblick auf die ausschließlichen Gerichtsstände nach Art. 22 EuGVO (2001) / Art. 24 EuGVO (2012) lässt sich dieses Verzögerungsrisiko damit rechtfertigen, dass ein Großteil dieser Gerichtsstände neben praktischen Erwägungen der Wahrung der Souveränität des Register- bzw. Vollstreckungsstaates dienen.415 Befindet beispielsweise das Erkenntnisgericht unter Verstoß gegen Art. 22 Nr. 4 EuGVO (2001) / Art. 24 Nr. 4 EuGVO (2012) unzulässigerweise über den Bestand eines ausländischen Schutzrechts, so dient die Versagung der Anerkennung den legitimen Interessen des Vollstreckungsstaates. Die doppelte Kontrolle eines Verstoßes gegen die halbzwingenden Zuständigkeiten der EuGVO ist das Ergebnis eines ­gesetzgeberischen Abwägungsvorgangs zwischen dem Interesse des Gläubigers an einer schnellen Vollstreckung gegenüber dem Interesse des Beklagten, sich nicht vor einem unzuständigen Gericht verteidigen zu müssen. Der zuständigkeitsrechtliche Schutz als besonders schutzbedürftig definierter Personengruppen (Versicherungsnehmer, Verbraucher und Arbeitnehmer) wird durch eine erneute Kontrolle für die Zwecke der Auslandsvollstreckung abgesichert. Diese Abweichung vom Verbot der révision au fond erscheint zwar nicht zwingend, aber immerhin gut vertretbar. 411 

Art. 6 Abs. 1 lit. b und d EuVTVO. So explizit Art. 35 Abs. 2 EuGVO (2001); Art. 45 Abs. 2 EuGVO (2012). 413  Bei den halbzwingenden Gerichtsständen ist eine Überprüfung nur zulässig, sofern der Urteilsschulder Versicherungsnehmer, Versicherter, Begünstigter des Versicherungsvertrags, Geschädigter, Verbraucher oder Arbeitnehmer ist. Art. 45 Abs. 1 lit. e EuGVO (2012) hält insoweit explizit fest, was auch zur EuGVO (2001) und zur EuVTVO der h. M. entspricht, vgl. nur Kropholler/v. Hein, EuZPR, Art. 35 EuGVO Rn. 8, Art. 6 EuVTVO Rn. 6 m. w. N. 414  Art. 33 Abs. 1 lit. a EuKtPVO. 415  Mankowski in Rauscher, IZVR, Art. 22 Rn. 2; Leible, ebenda, Art. 35 Brüssel I-VO Rn. 7. 412 

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3.  Sicherung des rechtlichen Gehörs a)  Überprüfung des im Erkenntnisverfahren gewährten rechtlichen Gehörs 161

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Ein System doppelter Kontrolle sehen EuGVO und EuVTVO prinzipiell auch für die Wahrung des rechtlichen Gehörs vor Erlass der Erkenntnisentscheidung vor. Die hierbei eingeschlagenen Wege sind sehr unterschiedlich. Nach Art. 34 Nr. 2 EuGVO (2001) / Art. 45 Abs. 1 lit. b EuGVO (2012) bedeutet es ein Anerkennungshindernis, wenn das verfahrenseinleitende Schriftstück dem Beklagten nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden ist, dass er sich verteidigen konnte, es sei denn, der Beklagte hat sich auf das Verfahren eingelassen oder es verabsäumt, einen Rechtsbehelf gegen die Entscheidung einzulegen. Die Vorgaben der EuZVO, insbesondere zur Zustellungssprache, sind hierbei zu berücksichtigen. Die Bescheinigung der ordnungsgemäßen Zustellung durch das Erkenntnisgericht hindert die Gerichte im Vollstreckungsstaat nicht daran, den Zustellungsvorgang zu überprüfen. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, die nicht im Zusammenhang mit einer unterbliebenen oder fehlerhaften Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks steht, kann im Wege der ordre public-Kontrolle zur Versagung der Anerkennung führen, Art. 34 Nr. 1 EuGVO (2001) / Art. 45 Abs. 1 lit. a EuGVO (2012). Die EuVTVO sucht das rechtliche Gehör des Schuldners durch Mindeststandards bei der Zustellung verfahrenseinleitender Schriftstücke und Ladungen sowie der Belehrung des Schuldners zu wahren, deren Einhaltung die Kontrollinstanz überprüft. Die in der Verordnung vorgesehenen Zustellungsformen sichern allerdings den Empfang des Schriftstücks durch den Adressaten nicht ab. Das die Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel ausstellende Gericht ist als Kontrollinstanz weder zur Überprüfung der Rechtzeitigkeit der Zustellung angehalten, noch zur Überprüfung der Zustellungssprache. Die Unabhängigkeit der Kontrollinstanz ist nicht gesichert, und die Rechtsbehelfe des Schuldners gegen die Bestätigung einer Entscheidung als Europäischer Vollstreckungstitel sind auf eindeutig zu Unrecht ausgestellte Bestätigungen beschränkt. Verletzungen des rechtlichen Gehörs, die nicht im Zusammenhang mit der Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks oder einer Terminsladung stehen, erlauben im Gegensatz zur EuGVO keine Versagung der Anerkennung und Vollstreckung. Das Potential für eine Verletzung verfahrensrechtlicher Mindeststandards außerhalb des Zustellungskontextes ist bei Entscheidungen im Anwendungsbereich der EuVTVO freilich auch geringer, da diese nur auf Anerkenntnisse, Vergleiche und Versäumnisurteile Anwendung findet. Die unterschiedliche Abwägung in EuGVO und EuVTVO zwischen dem Gläubigerinteresse an einer zügigen Auslandsvollstreckung und dem Schuldnerinteresse an einer Gewährleistung des rechtlichen Gehörs wird illustriert



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durch die EuGH-Entscheidung Trade Agency:416 Der Schuldner hatte die Exequaturentscheidung eines lettischen Gerichts mit dem Argument angefochten, das verfahrenseinleitende Schriftstück sei ihm (entgegen einer entsprechenden Bestätigung des Erkenntnisgerichts nach Art. 54 EuGVO (2001)) nicht zugestellt worden und die Abfassung eines Versäumnisurteils ohne Entscheidungsgründe verstoße gegen den lettischen ordre public. Vom Zeitpunkt des Exequaturs bis zur Antwort des EuGH auf das Vorabentscheidungsersuchen des lettischen Augstākās tiesas Senāts vergingen knapp drei Jahre,417 bis zur abschließenden Vollstreckbarentscheidung des höchsten lettischen Gerichts zogen weitere fünf Monate ins Land.418 Alternativ hätte der Gläubiger eine Bestätigung der englischen Ausgangsentscheidung durch den Master am High Court beantragen können, welcher die ordnungsgemäße Zustellung auf Basis der Feststellungen des Richters im Erkenntnisverfahren vermutlich zwanglos bejaht und damit den Weg zu einer Auslandsvollstreckung in Lettland eröffnet hätte. Die fehlende Begründung des Versäumnisurteils hätte mangels ordre public-Vorbehalt in der EuVTVO kein potentielles Vollstreckungshindernis dargestellt. Die von der EuGVO hergestellte praktische Konkordanz zwischen dem Anspruch des Klägers auf Justizgewähr und dem Anspruch des Beklagten auf rechtliches Gehör ist überzeugender als der Ansatz der EuVTVO. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist in Verfahren mit grenzüberschreitendem Bezug in besonderem Maße Gefährdungen ausgesetzt. Dies ist einerseits „technischen“ Problemen wie Postlaufzeiten, fehlenden oder missverständlichen Übersetzungen und Unsicherheiten bei der Adressbestimmung geschuldet. Die Gerichte des Vollstreckungsstaates befinden sich gegebenenfalls in einer besseren Position als das Erstgericht, um Zustellungsmängel zu erkennen (etwa soweit die Unverständlichkeit einer Übersetzung in die Amtssprache des Zustellungsortes oder die Berechtigung einer Person zur Annahme eines Schriftstücks in Rede steht). Dies wird insbesondere der Fall sein, wenn der Vollstreckungsstaat  – wie regelmäßig  – mit dem Wohnsitzstaat des Urteilsschuldners und somit dem Zustellungsstaat identisch ist. Andererseits erhöhen fehlende Zugriffsoptionen auf Parteien und/oder deren Vermögen im Staat des Erkenntnisverfahrens das Risiko einer Versagung rechtlichen Gehörs als Beugemittel. In den Rechtssachen Krombach und Gambazzi, die jeweils dem EuGH zur Vorabentscheidung über die Reichweite des ordre public-Vorbehalts vorlagen, hätten die Erkenntnisgerichte gegebenenfalls nicht auf den Parteiausschluss zurückgegriffen, wenn sich der jeweilige Beklagte auf dem 416 

EuGH v. 06. 09. 2012 – C-619/10 (Trade Agency). Vollstreckbarerklärung des Latvijas Republikas Rīgas pilsētas Ziemeļu rajona tiesa erging am 05. 11. 2009, das Urteil des EuGH datiert vom 06. 09. 2012. 418 Vollstreckbarerklärung des Augstākās tiesas Senāts vom 13. 02. 2013, kritisch berichtet bei Rudevska, IPRax 2014, 85 ff. 417  Die

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Territorium des Gerichtsstaates aufgehalten hätte bzw. dort belegenes Vermögen andere Beugemaßnahmen ermöglicht hätte. Das Festhalten am verfahrensrechtlichen ordre public im Rahmen der EuGVO (2012) ist deshalb zu begrüßen.

b)  Zustellung einer Übersetzung vor einer Auslandsvollstreckung 165

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Einen anderen Aspekt rechtlichen Gehörs adressiert Art. 43 EuGVO (2012) nun erstmals in der EuGVO: Das Recht des Schuldners, eine Übersetzung der zu vollstreckenden Entscheidung in die Amtssprache seines Wohnsitzstaates oder in eine andere von ihm beherrschte Sprache anzufordern, um die Vollstreckung anfechten zu können. Art. 55 Abs. 2 EuGVO (2001) sieht demgegenüber nur die Vorlage einer Übersetzung auf Verlangen des Gerichts vor; Art. 20 Abs. 2 lit. c EuVTVO nur („gegebenenfalls“) die Vorlage einer Übersetzung der Bestätigung als EuVT. Der Zweck des auf Initiative des Europäischen Parlaments419 entstandenen Art. 43 EuGVO (2012) erschließt sich nicht unmittelbar. Soweit der Urteilsschuldner nicht über einen Empfangsbevollmächtigten im Staat des Erkenntnisverfahrens verfügt, ergibt sich ein Zurückweisungsrecht bereits aus Art. 8 EuZVO. Hat der Schuldner einen Empfangsbevollmächtigten im Erststaat beauftragt, ist er also insbesondere dort anwaltlich vertreten, erscheint ein Übersetzungserfordernis hauptsächlich zu dem in Art. 43 EuGVO (2012) benannten Zweck sinnvoll, die Vollstreckung im Zweitstaat effektiv anfechten zu können. Hierfür wäre freilich eine Übersetzung der Entscheidung in die Sprache des Vollstreckungsstaates besser geeignet, da der Urteilsschuldner regelmäßig einen im Vollstreckungsstaat niedergelassenen Anwalt mit dem Antrag auf Versagung der Anerkennung und Vollstreckung beauftragen wird. Immerhin ergibt sich aus Art. 43 Abs. 2 S. 2 EuGVO (2012), dass die Vollstreckung nicht über Sicherungsmaßnahmen hinausgehen darf, solange der Schuldner die Übersetzung nicht erhalten hat. Die Modalitäten des Übersetzungsverlangens sowie eine Belehrung über das Recht auf eine Übersetzung regelt Art. 43 EuGVO (2012) freilich nicht. Aus den entsprechenden Versäumnissen bei Erlass des Art. 8 EuZVO (2000), die zumindest teilweise durch die Revision der EuZVO im Jahr 2007 behoben wurden, hat der Verordnungsgeber nichts gelernt.

4. Materiellrechtlicher ordre public 167

Die Urteilsfreizügigkeit im System der EuGVO steht sowohl in der Fassung aus dem Jahr 2001 als auch in der Fassung aus dem Jahr 2012 unter dem Vorbehalt einer materiellrechtlichen ordre public-Kontrolle des Anerkennungs- und Voll419 Standpunkt

0383.

des Europäischen Parlaments v.  20. 11. 2012, EP-PE_TC1-COD(2010)



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streckungsstaates. Ebenso wird die Vollstreckung eines Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung auf Antrag des Schuldners beendet, wenn sie dem ordre public des Vollstreckungsmitgliedstaats widerspricht.420 Demgegenüber ist im Rahmen der EuVTVO bereits aufgrund der Verlagerung der Vollstreckbarerklärung auf Instanzen des Erststaates kein Raum für einen ordre publicVorbehalt. Bedauerlicherweise fand das Ziel der Europäischen Kommission, die materiellrechtliche ordre public-Kontrolle abzuschaffen, keine politische Mehrheit. In der Anwendungspraxis der EuGVO verfügen Behauptungen, die EU-ausländische Entscheidung verstoße gegen den materiellrechtlichen ordre public des Vollstreckungsstaates, über äußerst geringe Erfolgsquoten.421 Ein auf die Verletzung des materiellrechtlichen ordre publics gestützter Rechtsbehelf dient in der absoluten Mehrzahl aller Fälle allein zur Verzögerung der Zwangsvollstreckung. Angesichts dessen wäre es überzeugender, auf den materiellrechtlichen ordre public-Vorbehalt zu verzichten und in singulären Ausnahmeentscheidungen eine Verletzung des ordre publics hinzunehmen. Das Argument, hierdurch würden auch überindividuelle Rechtsgüter bzw. unmittelbare Interessen des Vollstreckungsstaates zur Disposition gestellt,422 überzeugt bereits deshalb nicht, weil eine ordre public-Prüfung nicht von Amts wegen, sondern nur auf Rechtsbehelf des Urteilsschuldners hin erfolgt.

5.  Unvereinbarkeit von Entscheidungen Die Urteilsfreizügigkeit kennt auch insoweit eine Grenze, als die zu vollstreckende Entscheidung mit einer zwischen denselben Parteien ergangenen Entscheidung eines Mitgliedstaats bzw. einer anzuerkennenden Entscheidung eines Drittstaates kollidiert. Die Berechtigung des Anerkennungshindernisses miteinander unvereinbarer Entscheidungen ist unbestritten. Es übt eine wenig praxisrelevante, aber dennoch wichtige Komplementärfunktion zu den ­Litispendenzregeln und der Anerkennung der Rechtskraftwirkung ausländischer Entscheidungen aus. EuGVO und EuVTVO regeln die Titelkollision nach dem Prinzip zeitlicher Priorität, d. h. prioritätsjüngeren Entscheidungen ist die Anerkennung bzw. Vollstreckung zu versagen, sofern sie mit einer älteren Entscheidung nicht vereinbar sind. Art. 21 EuVTVO ordnet  – wie alle Verordnung der zweiten Generation  – eine strikte Befolgung dieses Grundsatzes ohne Ansehen des Ursprungsstaats der Entscheidung an.423 Art. 34 Nr. 3 EuGVO (2001) / Art. 45 Abs. 1 lit. c EuGVO (2012) privilegieren hingegen prioritätsjüngere Ent420 

Art. 34 Abs. 2 EuKtPVO. Hess/Pfeiffer, Studie Ordre Public-Vorbehalt, S. 170 f. nennt lediglich zwei bekannte Entscheidungen zum EuGVÜ / zur EuGVO (2001), von denen eine im Schrifttum mehr Kritik denn Zustimmung erfahren hat. 422  Geimer in FS Simotta, S. 177 f. 423  Ebenso 22 Abs. 1 EuGFVO, 22 Abs. 1 EuMahnVO. 421 

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scheidungen des Anerkennungs- und Vollstreckungsstaates gegenüber älteren ausländischen Entscheidungen. Ferner stellt es nach der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 34 EuGVO (2001) kein Anerkennungs- und Vollstreckungshindernis dar, wenn die zu vollstreckende Entscheidung in Konflikt mit einer früheren Entscheidung aus demselben Erkenntnisstaat steht.424 Die Privilegierung inländischer Entscheidungen in Art. 34 Nr. 3 EuGVO (2001) / Art. 45 Abs. 1 lit. c EuGVO (2012) ist ein Relikt aus den Anfangszeiten der EuGVÜ. Eine chauvinistische Bevorzugung inländischer Entscheidungen kann angesichts der heutigen Standes der europäischen Integration nicht überzeugen.425 Soweit die Unvereinbarkeit zweier Entscheidungen aus demselben Mitgliedstaat als Vollstreckungshindernis in Frage steht, ist die Auffassung des EuGH, den Urteilsschuldner auf die Rechtsschutzmöglichkeiten im Erststaat zu verweisen, nachzuvollziehen; im Fall deren Scheiterns kommt gegebenenfalls eine Anerkennungsversagung wegen Verletzung des ordre public in Betracht.426

6.  Die Option der Systemwahl 171

a)  Die Wahl zwischen EuGVO und EuVTVO Das Unionsrecht gewährt dem Urteilsgläubiger die Wahl zwischen dem Anerkennungs- und Vollstreckungsregime der EuGVO und jenem der EuVTVO, sofern die Entscheidung über eine unbestrittene Forderung i. S. d. Art. 3, 4 Nr. 2 EuVTVO ergangen ist. Die Einführung des alternativen Vollstreckungssystem der EuVTVO beruhte vor allem auf dem politischen Ziel der Europäischen Kommission, im Zuge einer noch weitergehenden Integration das Exequaturverfahren und die aus dem EuGVÜ tradierten Anerkennungshindernisse abzuschaffen. Der EuVTVO kam insoweit eine Vorreiterfunktion zu: Die Abschaffung des Exequaturverfahrens, verbunden mit einer Verlagerung und Absenkung der Prüfungskompetenz zur Bestätigung der Auslandsvollstreckbarkeit erwies sich als politisch vermittelbar in Verfahren über unbestrittene Forderungen.427 Der säumige und (vermeintlich) in seinen Rechtsangelegen424  EuGH v. 26. 09. 2013 – C-157/12 (Salzgitter Mannesmann), Rn. 30 ff.; kritisch Mäsch, EuZW 2013, 905 f.; Mansel/Thorn/Wager, IPRax 2014, 1 (15). 425  Althammer in FS Kaissis, S. 27; McGuire, Verfahrenskoordination, S. 180 f.; Hess, EuZPR, § 6 Rn. 212; Leible in Rauscher, EuZPR, Art. 34 Brüssel I-VO Rn. 43 m. w. N. 426  Der EGMR verankert in Art. 6 Abs. 1 EMRK ein subjektives Recht auf Beachtung des res iudicata-Grundsatzes, vgl. EGMR v. 28. 10. 1999 – 28342/95 (Brumarescu/Rumänien), Rn. 62; EGMR v. 24. 7. 2003 – 52854/99 (Ryabykh/Russland), Rn. 52; EGMR v. 25. 07. 2002 – 48553/99 (Sovtransavto/Ukraine), Rn. 72. Nach Auffassung von Lenenbach, Unvereinbarkeiten, S. 188 f., ist der deutsche ordre public durch die Missachtung der Rechtskraft nicht tangiert: Es handele sich lediglich um einen schweren Verfahrensfehler. 427 Maßnahmenprogramm zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. Nr. C 12/4



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heiten sorglos agierende Beklagte wurde einem Beklagten gleichgestellt, welcher die Existenz der Forderung im Wege des Anerkenntnisses oder des Vergleichs akzeptiert hatte. Im Verhältnis zur EuGVO (2001) ist die Auslandsvollstreckung unbestrittener Forderungen nach Maßgabe der EuVTVO für den Gläubiger grundsätzlich eine attraktive Alternative, insbesondere, wenn eine Vollstreckung in mehreren Staaten intendiert ist428 oder mit einer Bestätigung durch das Ursprungsgericht innerhalb kürzerer Zeit gerechnet werden kann als mit der Klauselerteilung im Vollstreckungsstaat.429 Das Wahlrecht des Gläubigers zwischen zwei verschiedenen Vollstreckbarerklärungsverfahren, d. h. zwischen EuVTVO und EuGVO (2001) lässt sich mit der Beschleunigung einer Vollstreckung ausländischer Entscheidungen rechtfertigen  – sowohl abstrakt als rechtspolitische Zielsetzung des Pilotprojekts EuVTVO, als auch konkret im Sinne einer Abwägung der Verfahrensrechte des Klägers mit den Verfahrensrechten des Beklagten. Vorbildcharakter für die EuGVO (2012) konnte die EuVTVO nicht entfalten. Die EuGVO (2012) verzichtet auf das Exequatur im Vollstreckungsstaat, sieht aber weder eine Verlagerung, noch eine Absenkung der Prüfungskompetenz vor. Eine Entscheidung im Anwendungsbereich der EuGVO (2012) kann den Vorzug der unmittelbaren Vollstreckbarkeit in allen anderen EU-Mitgliedstaaten für sich verbuchen, ohne dass es des zusätzlichen Verfahrensschritts der Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel durch die Gerichte des Ursprungsstaates bedürfte. Die Vollstreckung nach der EuVTVO ist damit für den Gläubiger letztlich nur noch in einer Konstellation interessant: Wenn der Urteilsschuldner die Existenz eines Anerkennungshindernisses nach Art. 45 EuGVO (2012) in den Raum stellt. Angesichts der Entscheidung des Verordnungsgebers, im Rahmen der EuGVO (2012) an den klassischen Anerkennungsversagungsgründen festzuhalten, stellt sich somit folgende Frage: Welche Spezifika weisen Entscheidungen über unbestrittene Forderungen auf, die die Existenz einer gegenüber der EuGVO (2012) erleichterten Anerkennung gebieten oder rechtfertigen? Bei Anerkenntnisurteilen und Vergleichen liegt die Antwort auf der Hand. Das Verhalten des Beklagten im Ausgangsverfahren ließe sein Berufen auf Anerkennungsversagungsgründe im Vollstreckungsstaat als ein venire contra factum proprium erscheinen. Bei Säumnisentscheidungen erschließt sich die Möglichkeit eines alternativen Anerkennungssystems mit geringerer Prüfungsintensität hinv.  15. 01. 2001: Es sei ein Widerspruch in sich, dass die Vollstreckung einer unbestrittenen Forderung durch ein Exequaturverfahren verzögert werden könne. 428  Taragas in Nuyts/Watté, International Civil Litigation, S. 591; Kropholler/v.  Hein, EuZPR, Art. 27 EuVTVO Rn. 4. 429  Von einer regelmäßig schnelleren Erteilung der Betätigung als EuVT geht Erwägungsgrund 9 EuVTVO aus. A. A. Bittmann, IPRax 2011, 55 (56): Frage des Einzelfalls.

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gegen nicht.430 Gerade in diesen Fällen, in denen dem Erstgericht mangels Beteiligung des Beklagten eine umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung nur unter erschwerten Bedingungen möglich ist (Stichwort: Zustellung an eine gesicherte Adresse unter Wahrung des Art. 8 EuZVO, Verbrauchereigenschaft des Beklagten, Unklarheiten bei Auslegung (halb-)zwingender Zuständigkeitsnormen), wäre eine Kontrollmöglichkeit durch die Gerichte des Vollstreckungsstaates (und damit häufig auch: Wohnsitzstaat des Schuldners) zu begrüßen. Wie das soeben erwähnte Beispiel des Vorabentscheidungsersuchens in der Rechtssache Trade Agency illustriert, ist es ein Zeugnis schizophrener Gesetzgebung, einerseits in Art. 45 Abs. 1 lit. a und b EuGVO (2012) am verfahrensrechtlichen ordre public festzuhalten, andererseits aber dem Gläubiger die Option zu eröffnen, eine Auslandsvollstreckung des (potentiell) unter Verletzung des rechtlichen Gehörs ergangenen Versäumnisurteils im Wege der EuVTVO zu betreiben.431 Mit anderen Worten: Sinnvoll wäre es gewesen, mit Erlass der EuGVO (2012) Versäumnisurteile aus dem Anwendungsbereich der EuVTVO auszunehmen.

b)  Die Wahl zwischen EuGVO und EuKtPVO Anders zu bewerten ist die Wahlmöglichkeit des Gläubigers zwischen dem Vollstreckungsregime der EuGVO und der EuKtPVO. Die Verordnungen haben unterschiedliche Zielrichtungen: Erstens erlaubt ein Vorgehen nach der EuKtPVO im Gegensatz zu einem Vorgehen gemäß der EuGVO lediglich die Vollstreckungssicherung, nicht die Vollstreckung an sich. Zweitens bestehen bei der Vollstreckung ausländischer einstweiliger Maßnahmen oftmals Anpassungsprobleme, denen die EuKtPVO durch die Einführung eines autonomen Pfändungsbeschlusses und des Rechtshilfewegs begegnet. Drittens gewährt die EuKtPVO dem Schuldner eine recht große Bandbreite an Rechtsbehelfen, die noch im Vollstreckungsstadium im Vollstreckungsstaat eingelegt werden können.

7.  Das Risiko der Doppelvollstreckung 176

Aus diversen Gründen ist das Risiko einer Mehrfachvollstreckung dem europäischen System der Urteilsfreizügigkeit inhärent. Erstens kennen nicht alle Mitgliedstaaten der Union eine Beschränkung der vollstreckbaren Ausfertigungen 430 Ebenso

Stadler, RIW 2004, 801 (807). Bach, EuZW 2012, 915 (917): „Überspitzt ist man versucht zu sagen: Eigentlich dürfte es gar keine Entscheidungen zu Art. 34 Nr. 2 EuGVO [2001] mehr geben. Diese Vorschrift greift nur, wenn sich der Beklagte nicht auf das Verfahren im Ursprungsstaat eingelassen hat. Genau in diesen Fällen steht dem Kläger indes (fast) immer die Möglichkeit einer Bestätigung der Entscheidung als EuVT offen.“ 431 Treffend



F.  Würdigung der Regelungen zur Urteilsfreizügigkeit

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von Entscheidungen.432 Zweitens kann jede Entscheidung der Gerichte eines Mitgliedstaates mit mehreren Bestätigungen als Europäischer Vollstreckungstitel versehen werden (EuVTVO)433 bzw. in verschiedenen Mitgliedstaaten für vollstreckbar erklärt (EuGVO (2001)) oder vollstreckt werden (EuGVO (2012)).434 Kommt es zu einem Missbrauch durch den Gläubiger, stehen dem Schuldner die Rechtsbehelfe des nationalen Zwangsvollstreckungsrechts zur Verfügung.435 Höchst umstritten ist im Kontext der EuVTVO, ob die Mitgliedstaaten berechtigt sind, Rechtsbehelfe zur Verfügung zu halten, welche sich im Vollstreckungsstaat gegen die Vollstreckbarkeit an sich richten, so etwa §§ 767, 1086 ZPO.436 Nach der zur EuGVO (2001) ergangenen Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Prism Investments ist es Sache des Vollstreckungsgerichts, im Vollstreckungsmitgliedstaat den Erfüllungseinwand zu prüfen.437 Für die EuGVO (2012) bekräftigen Art. 41 Abs. 2 und Erwägungsgrund 30 diese Position und erlauben dem Schuldner, die Versagungsgründe nach Art. 45 EuGVO (2012) in einem einheitlichen Verfahren mit den Vollstreckungsgegeneinwänden des nationalen Rechts geltend zu machen.438 Der Schutz des Schuldners vor einer Doppelvollstreckung wird damit dem Recht der Mitgliedstaaten überantwortet. Problematisch ist zudem die Möglichkeit der Mehrfachvollstreckung von Nichtgeldleistungstiteln durch Zwangs- und Ordnungsgelder, welche nicht zu einer Erfüllung führen und nach derzeitiger Rechtslage kumuliert werden können.

II. Reform 1.  Erkenntnisse aus der Reform der EuGVO Mit dem Erlass der EuGVO (2012) hat sich das Fenster für Reformen der EuGVO vorläufig geschlossen. Ebenso wie in § 10 Rn 146 ff. sollen hier kurz die wesentlichen Erkenntnisse aus dem Reformprozess der EuGVO festgehalten 432 

Bittmann, Exequatur, S. 118 ff. Bittmann, Exequatur, S. 118 ff.; zweifelnd hingegen (mit rein rechtspolitischer Argumentation) Brehm in Rijavec/Jelinek/Brehm, Erleichterung, S. 188 ff. 434  Mankowski in Rauscher, EuZPR, Art. 38 Brüssel I-VO Rn. 5 m. w. N. 435  Leible/Lehmann, NotBZ 2004, 453 (454); Pabst in Rauscher, EuZPR, Art. 27 EGVollstrTitelVO Rn. 10. 436  Zur Diskussion ausführlich Bittmann, Exequatur, S. 194 ff.; Bach, a. a. O., S. 203 ff., Peiffer, Titelgeltung, Rn. 1228 ff., jeweils m. w. N.; sowie aus nicht-deutscher Perspektive Cuniberti, ICLQ 57 (2008) 51. 437  EuGH v. 13. 10. 2011 – C-139/10 (Prism Investments), Rn. 40. Zu den Konsequenzen dieser Entscheidung siehe Wagner, IPRax 2012, 326 (330); Bach, EuZW 2011, 871 (872 f.). Vgl. in diesem Zusammenhang ferner Art. 22 Abs. 2 EuMahnVO, Art. 41 Abs. 2 EuGVO (2012). 438 Näher Domej, RabelsZ 78 (2014), 508 (514 ff.); v. Hein, RIW 2013, 97 (109 f.); Hess, EuZPR, § 6 Rn. 126 f. 433 Näher

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§ 16  Urteilsfreizügigkeit

werden. In Bezug auf die im Gewerblichen Rechtsschutz wichtige Vollstreckung von Nichtgeldleistungstiteln im Ausland ergibt sich ein enttäuschender Befund: Trotz Bekanntheit der Problematik und explizitem Hinweis des Hess/ Pfeiffer/Schlosser-Berichts auf die zahlreichen Unklarheiten hinsichtlich der Interpretation des Art. 49 EuGVO (2001)439 wurde diesem Aspekt im Reformprozess keine Aufmerksamkeit zuteil. Erneut wird die Klärung diffiziler Grundsatzfragen dem EuGH überantwortet. Das Gesetzgebungsverfahren bekräftigte ferner die seit langem erkennbare Rollenverteilung zwischen der Europäischen Kommission als progressivem Akteur, welcher eine stärkere Integration im Europäischen Zivilverfahrensrecht befürwortet, und den Mitgliedstaaten, deren Focus auf der Bewahrung der verschiedenen Rechtstraditionen und Rechtsordnungen liegt. Obgleich die Europäische Kommission bereits einen „gemäßigten“ Verordnungsvorschlag vorgelegt hatte, der eine Beibehaltung des verfahrensrechtlichen ordre public und nur eine teilweise Verlagerung der Prüfungskompetenz auf die Instanzen des Erkenntnisstaates vorsah,440 ließ sich im Rat keine Einigung zur Verlagerung von Prüfungskompetenzen oder den Verzicht auf die tradierten Anerkennungshindernisse erzielen. Das seit Erlass der EuGVO (2001) andauernde politische Ringen um die Erleichterung der Urteilsfreizügigkeit wird bei jedem Rechtsakt neu eröffnet und zeitigt widrige Einflüsse auf die Kohärenz des Europäischen Zivilverfahrensrechts. Die fehlende Abstimmung zwischen EuGVO (2012) und EuVTVO ist ein missliches Beispiel dafür, dass im Zuge des Erlasses einer Verordnung deren Wechselwirkungen mit anderen Rechtsakten der Union vollständig ignoriert werden. Einmal geschnürte Kompromisspakete – wie die EuVTVO – werden offenbar ungern wieder geöffnet, selbst wenn ihre Sinnhaftigkeit durch neuere Maßnahmen in Frage gestellt wird. Auch in politisch weniger sensiblen Bereichen, wie etwa im Hinblick auf die neu eingeführte Pflicht zur Zustellung einer Urteilsübersetzung nach Art. 43 EuGVO (2012), bedeutet es für den Verordnungsgeber eine Herausforderung, Konkordanz zu anderen Rechtakten (konkret: der EuZVO) herzustellen. Es ist bezeichnend, dass der im Aktionsplan der Europäischen Kommission zur Umsetzung des Stockholmer Programms für das Jahr 2014 vorgesehene Legislativvorschlag zur Verbesserung der Kohärenz der EU-Rechtsvorschriften auf dem Gebiet des Zivilprozessrechts441 nicht vorgelegt wurde. Mit dem Erlass der EuGVO (2012) hat der Verordnungsgeber gewisse Richtungsentscheidungen getroffen, an denen zumindest für die nächste Dekade festgehalten werden dürfte, und für die im Folgenden deshalb keine Reform439 

Hess in Hess/Pfeiffer/Schlosser-Bericht, Rn. 612 ff. Art. 46 des Vorschlags, KOM (2010) 748. 441  Europäische Kommission, KOM (2010) 171, S. 24. 440 



F.  Würdigung der Regelungen zur Urteilsfreizügigkeit

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vorschläge entwickelt werden. Dies betrifft insbesondere die Anerkennungsund Vollstreckungsversagung wegen einer Verletzung der halbzwingenden Gerichtsstände sowie das Festhalten am materiellrechtlichen ordre publicVorbehalt. Als weniger in Stein gemeißelt könnte sich das Anerkennungshindernis einer unvereinbaren Entscheidung des Anerkennungsstaates nach Art. 45 Abs. 1 lit. c EuGVO (2012) erweisen. Eine einheitliche, verordnungsübergreifenden Regelung der Titelkollision in den nächsten Jahren erscheint durchaus im Bereich des Möglichen.

2. Vorschläge de lege ferenda a)  Nicht auf Geldleistung gerichtete Titel Die oben skizzierten, mit der Auslegung von Art. 49 EuGVO (2001) / Art. 55 EuGVO (2012) verbundenen Probleme sollten einer gesetzgeberischen Lösung zugeführt und nicht dem EuGH überlassen werden. Es wäre sinnvoll, im Ursprungsstaat zum Ziel der Vollstreckung zivilrechtlicher Entscheidungen festgesetzte Zwangs-, Ordnungs- und Strafgelder als Geldtitel in den anderen Mitgliedstaaten anzuerkennen und zu vollstrecken. Um das enforcement shopping des Urteilsgläubigers zu begrenzen und der Schuldner vor einer Kumulation von Zwangsgeldern zu bewahren, sollte die Auslandsvollstreckung nach Maßgabe der lex fori executionis im Übrigen ausgeschlossen werden. Der Gläubiger wäre stets gehalten, zunächst die Zwangsgeldfestsetzung im Erststaat zu betreiben, allein die lex fori des Erkenntnisgerichts entschiede über die Gläubiger- oder Staatsnützigkeit des Zwangsgelds, und eine unangemessene Bereicherung des Gläubigers würde ausgeschlossen.

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b)  Stärkung des rechtlichen Gehörs im Rahmen der EuVTVO EuVTVO und EuGVO sollten besser aufeinander abgestimmt werden. Nach hier vertretener Auffassung wäre es sinnvoll, Versäumnisentscheidungen aus dem Anwendungsbereich der EuVTVO auszunehmen. Ein entsprechender Revisionsvorschlag der Europäischen Kommission ist angesichts der auf Effektivität ausgerichteten politischen Zielsetzung der Kommission freilich nicht zu erhoffen. Optimierungsbedarf besteht im Übrigen hinsichtlich der Verzahnung mit der EuZVO, der Gleichbehandlung der Parteien hinsichtlich der Rechtsbehelfe sowie hinsichtlich einer unionsautonomen Sicherung der Unabhängigkeit und Kompetenz der für die Bestätigung zustellenden Instanz.

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c)  Das Risiko der Doppelvollstreckung Um das Risiko der Doppelvollstreckung von Geldtiteln zu begrenzen, hat Hess die Einführung eines Europäischen Vollstreckungsregisters zwecks Dokumen-

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§ 16  Urteilsfreizügigkeit

tation bereits erfolgter Vollstreckungsmaßnahmen vorgeschlagen.442 Für den Aufbau und v.  a. die zuverlässige Pflege eines solchen Registers ist die Zeit derzeit vermutlich noch nicht reif, sieht man sich allein den teils beklagenswert veralteten Zustand des Europäischen Gerichtsatlas für Zivilsachen an. Ein Anfang könnte darin bestehen, zumindest ein einheitliches Vollstreckungszeugnis zu entwickeln, mit welchem der Schuldner eine durchgeführte Vollstreckung auf einfachem Wege grenzüberschreitend nachweisen kann. Sinnvoll wäre es zudem, eine unionsautonomene Regelung einzuführen, welche es erlaubt, eine bereits erfolgte Vollstreckung unmittelbar gegenüber den mit einer weiteren Vollstreckung beauftragten Vollstreckungsorganen einzuwenden. Der Schuldner sollte angesichts des im Europäischen Vollstreckbarkeitsrecht angelegten Risikos der Mehrfachvollstreckung nicht damit belastet werden, zwecks Vollstreckungsabwehr ein neues Erkenntnisverfahren (etwa im Sinne des § 767 ZPO) initiieren zu müssen.

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Hess, EuZPR, § 10 Rn. 38; ebenso Brehm in Rijavec/Jelinek/Brehm, Erleichterung,

§ 17  Bewertung des Europäischen Internationalen ­Zivilverfahrensrechts A.  Effektivität des Rechtsverkehrs innerhalb der Europäischen Union Die hier betrachteten Unionsrechtsakte des internationalen Zivilverfahrensrechts haben zweifellos eine höhere Effektivität des Zivilrechtsverkehrs innerhalb der Europäischen Union bewirkt. Die EuGVO gewährleistet die Urteilsfreizügigkeit innerhalb der Europäischen Union durch einheitliche Zuständigkeitsregeln, die ipso-iure-Anerkennung ausländischer Entscheidungen, einer geringen Zahl von Anerkennungshindernissen und einer Exequaturerteilung ohne Prüfung von Anerkennungsversagungsgründen. Im zeitlichen Anwendungsbereich der EuGVO (2012) wird auf das Exequaturverfahren verzichtet, was grundsätzlich einen deutlichen Zeitgewinn für die Auslandsvollstreckung bedeutet.1 Bei bestimmten Titeln ist die Urteilsfreizügigkeit nach Maßgabe spezieller Verordnungen noch großzügiger ausgestaltet (EuVTVO, EuMahnVO, EuGFVO, EuKtPVO). Auf dem Gebiet der Rechtshilfe haben EuZVO und EuBVO zu einem Abbau vormaliger völkerrechtlicher Hindernisse für die Kooperation zwischen den Gerichten und die Kommunikation zwischen Gericht und auslandsansässigen Parteien geführt. Beide Verordnungen enthalten Fristen, innerhalb derer die um Rechtshilfe ersuchten Gerichte oder Behörden tätig werden sollen. Im Detail mag bei all diesen Verordnungen Optimierungspotential bestehen. Insgesamt aber bewirkt ihr Zusammenspiel bereits ein hohes Maß an Effektivität im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr innerhalb der Europäischen Union.

1 Ein Exequaturverfahren im Anwendungsbereich der EuGVO (2001) dauert  – Vollständigkeit des Antrags vorausgesetzt – zwischen sieben Tagen und vier Monaten, vgl. Hess in Hess/Schlosser/Pfeiffer-Bericht, Rn. 52.

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§ 17  Bewertung des Europäischen Internationalen ­Zivilverfahrensrechts

B.  Das Verhältnis zwischen Effektivität und Parteienschutz 3

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Prinzipielles Ziel der Unionsrechtsakte auf dem Gebiet des internationalen Zivilverfahrensrecht ist es, völkerrechtliche Schranken der grenzüberschreitenden Justizgewähr abzubauen. Mit dem zunehmendem Abbau der Souveränitätsvorbehalte innerhalb der Europäischen Union rückt der Schutz der Prozessparteien stärker in den Vordergrund: Wurde der Parteienschutz früher reflexiv durch hoheitliche Vorbehalte gewährleistet, stellt sich nach Abbau dieser Schranken die Frage, ob der grenzüberschreitende Bezug einer Rechtssache besondere Schutzvorkehrungen, insbesondere ein System der doppelten Kontrolle verfahrensrechtlicher Mindeststandards, bedingt. Die Europäische Kommission verfolgt in ihren Verordnungsvorschlägen konsequent das Ziel, Hemmnisse für den Rechtsverkehr im Binnenmarkt abzubauen.2 Der Schutz der Verfahrensrechte der Parteien soll durch das erkennende Gericht gewährleistet werden; hierbei wird das gegenseitige Vertrauen in die Judikative der Mitgliedstaaten hervorgehoben. Der Europäische Gerichtshof bildet zunehmend einen Gegenpol zur Kommission und ihrem Streben nach höherer Effizienz.3 Zwar betont auch der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung die Prinzipien der Gleichwertigkeit und des Vertrauens in die Justizsysteme der Mitgliedstaaten.4 Gleichwohl stellt der Gerichtshof den Schutz der Parteien in den Focus seiner Rechtsprechung und nimmt insbesondere das in Art. 34 EuGVO (2001) verankerte System der doppelten Kontrolle ernst. So erlaubt der EuGH beispielsweise den Gerichten der Mitgliedstaaten, die Feststellung des Erkenntnisgerichts zu überprüfen, dass eine ordnungsgemäße Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks stattgefunden habe.5 Das Anerkennungshindernis wegen fehlender Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks wird nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht durch die bloße Kenntnis von der Existenz des Versäumnisurteils ausgeschlossen, sondern erst, wenn der Urteilsschuldner Kenntnis vom Inhalt des Urteils erlangt hat und es daraufhin versäumt hat, Rechtsmittel im Erststaat einzulegen.6 Im Justizkrimi Gambazzi war der EuGH, nicht etwa der

2  Cuniberti, ICLQ (57) 2008, 25 (47 f.); Storskrubb, Civil Procedure, S. 282; Gruber in Rauscher, EuZPR, Einl. EG-MahnVO Rn. 8; McGuire, GPR 2007, 303 (306 ff.); Pabst in Rauscher, EuZPR, Art. 10 EG-VollstrTitelVO Rn. 8. 3  Mansel/Thorn/Wagner, IPRax 2013, 1 (20); Stürner, GPR 2013, 229 (231). 4 EuGH v.  09.  12. 2003  – C-116/02  – Slg. 2003, I-14693 (Gasser), Rn. 72; EuGH v. 27. 04. 2004 – C-159/02 – Slg. 2004, I-3565 (Turner/Grovit), Rn. 24 f. 5  EuGH v. 06. 09. 2012 – C-619/10 (Trade Agency), Rn. 34; EuGH v. 16. 06. 1981 – 166/80 – Slg. 1981, 1593 (Klomps), Rn. 16; näher supra § 16 Rn. 75, 163 f. 6  EuGH v. 14. 12. 2006 – C-283/05 – Slg. 2006, I-12041 (ASML), Rn. 33 ff.



B.  Das Verhältnis zwischen Effektivität und Parteienschutz

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EGMR, eines der wenigen Gerichte, welche die Verweigerung des rechtlichen Gehörs durch den englischen High Court sehr kritisch würdigte.7 Auch außerhalb des Systems der doppelten Kontrolle ist der EuGH auf eine Wahrung der Verfahrensinteressen der Parteien bedacht. So hat der Gerichtshof in der Rechtssache Alder mittels des Werkzeugs des Effektivitätsgrundsatzes den durch die EuZVO vermittelten Schutz des Zustellungsadressaten über die reine Auslandszustellung hinaus ausgebaut8 und in der Entscheidung Prism Investments die Möglichkeit des Schuldners bekräftigt, im Vollstreckungsstaat den Erfüllungseinwand zu erheben.9 In der Rechtssache eco cosmetics erklärte der Gerichtshof die in der EuMahnVO vorgesehenen Rechtsbehelfe für nicht ausreichend und mahnte die Mitgliedstaaten, einen entsprechenden Rechtsbehelf im nationalen Recht vorzusehen.10 Die Vernachlässigung des Parteienschutzes durch den europäischen Gesetzgeber führt in Kombination mit dem menschenrechtlichen motivierten Eingriffswillen des EuGH zu einer Konsitutionalisierung des Prozessrechts, die über das an sich notwendige Maß hinausgeht.11 Unabhängig von der Grundsatzfrage, ob der Zustand der Justizsyteme der Mitgliedstaaten das unionspolitisch gesetzte Axiom der Gleichwertigkeit und des gegenseitigen Vertrauens in die Justizsysteme der Mitgliedstaaten rechtfertigt,12 ist das nationale Verfahrensrecht der Mitgliedstaaten primär auf Binnenprozesse zugeschnitten und vermag deshalb den Schutz einer auswärtigen Partei nicht durchweg zu gewährleisten. So ist ein ausländischer Zustellungsadressat beispielsweise einem höheren Risiko der unverschuldeten Säumnis ausgesetzt, weil die Einlassungs- und Ladungsfristen des nationalen Verfahrensrechts auf die Zustellungsdauer nationaler Zustellungen zugeschnitten sind und das nationale Verfahrensrecht regelmäßig die Amtssprache des Forumstaats als Verfahrenssprache festlegt, ohne Pflichten zur Übersetzung von Verfahrensdokumenten vorzusehen. Die fehlenden Zugriffsoptionen auf eine auswärtige Partei und/oder deren Vermögen erhöht das Risiko eines Einsatzes der Versagung rechtlichen Gehörs als Beugemittel.13 Es ist Aufgabe des 7  EuGH v. 02. 04. 2009 – C-394/07 – Slg. 2009, I-2563 (Gambazzi), Rn. 33; näher supra § 16 Rn. 88 ff. 8  EuGH v. 19. 12. 2012 – C-325/11 (Alder), Rn. 20 ff., 35 ff.; supra § 14 Rn. 47. 9  EuGH v. 13. 10. 2011 – C-139/10 (Prism Investments), Rn. 40; näher supra § 16 Rn. 122 m. Fn. 322. 10  EuGH v. 04. 09. 2014 – C-119/13 und C-120/13 (eco cosmetics), Rn. 42, 49. 11  S. a. Stürner in FS Gottwald, S. 643. 12 Mit Recht zweifelnd zahlreiche Stimmen im Schrifttum, siehe nur Andrews, GPR 2005, 8 (14 f.); Cuniberti, ICLQ (57) 2008, 25 (52); Stadler in Stürner/Kawano, Comparative Studies, S. 133; Geimer in FS Simotta, S. 177 f.; Schack in FS Leipold, S. 334; Rechberger in FS Leipold, S. 305 m. 27; Rauscher in Rauscher, EuZPR, Einl. Brüssel IIa-VO Rn. 5; Rösler, Gerichtsbarkeit, S. 492 f. Vergleichende Parameter der Justizgewähr finden sich im EU-Justizindex, vgl. Europäische Kommission, EU Justice Scoreboard 2013. 13  Supra § 10 Rn. 164.

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§ 17  Bewertung des Europäischen Internationalen ­Zivilverfahrensrechts

europäischen Zivilverfahrensrechts, diese Risiken im binnenmarktinternen Rechtsverkehr abzusichern. Leider fehlt es in den Verordnungen zum Europäischen Zivilverfahrensrecht oftmals an einer eigenständigen Gewährleistung des Beklagten- bzw. Schuldnerschutzes im Hinblick auf die spezifischen Risiken des grenzüberschreitenden Rechtsverkehrs.14 Hier seien nur einige Beispiele genannt: Die EuVTVO verpflichtet das die Bescheinigung als EuVT ausstellende Gericht nicht zur Überprüfung der rechtzeitigen Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks oder zur Prüfung der erfolgten Belehrung des Schuldners über sein Zurückweisungsrecht bei mangelnder Sprachkenntnis.15 Die Rechtsbehelfe des Urteilsschuldners gegen die Erteilung einer Bescheinigung als EuVT werden beschränkt, nicht aber die Rechtsbehelfe des Urteilsgläubigers.16 Die Belehrung eines auswärtigen Zustellungsadressaten über sein Zurückweisungsrecht bei mangelnder Sprachkenntnis ist in Art. 8 EuZVO sehr unklar umschrieben, das Zurückweisungsrecht selbst ist nur implizit geregelt, und Art. 8 EuZVO bevorzugt in vielfacher Hinsicht die Position derjenigen Partei, in deren Interesse die Auslandszustellung vorgenommen wird.17 Positive Gegenbeispiele sind oft Überbleibsel vormaliger völkerrechtlicher Bastionen, wie etwa die in der EuGVO genannten Anerkennungshindernisse. Das Verbot exorbitanter Gerichtsstände in der EuGVO lässt sich mit dem Verzicht auf die Prüfung der Anerkennungszuständigkeit durch den Anerkennungsstaat erklären. Art. 8 EuZVO tritt an die Stelle des Art. 5 Abs. 3 HZÜ, welcher der Zentralbehörde des Empfangsstaats erlaubt, die Zustellung ohne beigefügte Übersetzung zu verweigern. Ein positives Gegenbeispiel für zum Schutz des Beklagten eingeführte Neuerungen bieten Art. 17, 18 Abs. 1 lit. b EuVTVO, die eine Rechtsbelehrung des (ggf. im Ausland ansässigen) Beklagten über die verfahrensrechtlichen Erfordernisse für das Bestreiten der eingeklagten Forderung, über die Konsequenzen der Säumnis und über den Rechtsbehelf gegen ein erlassenes Versäumnisurteil fordern, sofern die resultierende Entscheidung als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt werden soll.

14  Ein Versuch der Europäischen Kommission zur Einführung gemeinsamer Verfahrensstandards in der EuUnthVO scheiterte, siehe Art. 22 Abs. 2, 23, 24 des Vorschlags der Europäischen Kommission für eine Verordnung des Rates über die Zuständigkeit und das anwendbare Recht in Unterhaltssachen, die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen und die Zusammenarbeit im Bereich der Unterhaltspflichten, KOM (2005) 649. 15  Supra § 14 Rn. 80 f. 16  Art. 10 Abs. 4 EuVTVO. 17  Supra § 14 Rn. 25 ff.



D.  Systemstörende Eingriffe in das nationale Verfahrensrecht

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C.  Die Einführung von Mindeststandards Verfahrensrechtliche Mindeststandards für das Erkenntnisverfahren kennt das Europäische Zivilverfahrensrecht bislang lediglich als Beurteilungsnormen, deren Befolgung eine erleichterte Auslandsvollstreckung ermöglicht. Die in Art. 13 ff. EuVTVO enthaltenen Zustellungsnormen verdienen das Etikett Mindeststandard freilich kaum, da sie sich auf sehr niedrigem Niveau bewegen. Auch die erforderliche Unterrichtung des Schuldners über die Forderung nach Art. 16 EuVTVO ist mit Name und Anschrift der Parteien, Höhe der Forderung und Bezeichnung des Forderungsgrundes eher begrenzt. Die Rechtsbelehrungen gemäß Art. 17, 18 Abs. 1 lit. b EuVTVO hingegen sind – zumal im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr – sehr hilfreich. Das in den Aktionsplänen der Europäischen Kommission sowohl zur Umsetzung des Haager als auch zur Umsetzung des Stockholmer Programms vorgesehene Grünbuch über Mindestnormen für Zivilverfahren18 wurde leider nicht realisiert.

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D.  Systemstörende Eingriffe in das nationale Verfahrensrecht Der durch die internationalzivilverfahrensrechtlichen Rechtsakte der Union vorgenommene Eingriff in die Verfahrenssysteme der Mitgliedstaaten ist erheblich: Aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts verdrängen die EU-Verordnungen im Rahmen ihres Anwendungsbereichs die nationalen Zuständigkeits-, Anerkennungs- und Vollstreckbarkeitsregime. Dies hat insbesondere im Vereinigten Königreich zu Irritationen geführt,19 da das abstrakte System der Zuständigkeit und Rechtshängigkeit im Sinne der EuGVO stark kontinentaleuropäisch geprägt ist und der EuGH traditionellen Rechtsfiguren des Common Law, etwa dem forum non conveniens oder den anti suit injunctions die Akzeptanz versagt hat.20 Gleichwohl ist das Störpotential dieses Eingriffs für die Einheit des Prozessrechts begrenzt, da es sich beim Internationalen Zivilverfahrensrecht ohnehin um ein Sondergebiet des Prozessrechts handelt, welches mit den Bestimmungen zur Durchführung des Verfahrens inhaltlich nicht eng verzahnt ist. An die Seite des Internationalen Zivilverfahrensrechts jedes Mitgliedstaats tritt ein Parallelsystem unionsrechtlicher Natur, welches durch einen genau definierten Unionsbezug aktiviert wird. Die Unterschiede dieses Systems zu 18 

KOM (2005) 184, S. 31 (Nr. 326); KOM (2010) 171, S. 24. Empfindungen englischer Juristen werden gut auf den Punkt gebracht durch einen Aufsatztitel von Hartley, „The European Union and the systematic dismantling of the common law of conflict of laws“, ICLQ 2005, 813 ff. 20 EuGH v.  27.  04.  2004  – C-159/02  – Slg. 2004, I-3565 (Turner/Grovit); EuGH v. 01. 03. 2005 – C-281/02 – Slg. 2005, I-1383 (Owusu). 19 Die

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den jeweiligen nationalen zivilverfahrensrechtlichen Regelungen mögen Anlass zu rechtspolitischen Diskussionen bieten, sie stehen aber der Effektivität des einzelnen Zivilverfahrens nicht entgegen. Soweit das Unionsrecht Mindestbestimmungen enthält, handelt es sich hierbei, wie bereits erwähnt, um Beurteilungsnormen, deren Befolgung nicht zwingend ist, sondern lediglich eine erleichterte Auslandsvollstreckung ermöglicht.

E.  Unklare völkerrechtliche Schranken 13

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Die Vollstreckungsregeln der EuGVO, die Zustellungsvorschriften der EuZVO und die Beweisaufnahmebestimmungen der EuBVO regeln die Kooperation zwischen Gerichten und Behörden der Mitgliedstaaten bei der Urteilsvollstreckung, Zustellung von Schriftstücken oder Aufnahme von Beweisen im Ausland. An einem unionsrechtlichen Rahmen für funktionsäquivalente Maßnahmen des Erkenntnisgerichts (bzw. anderer Gerichte oder Behörden des Forumstaats) ohne Kooperation ausländischer Instanzen fehlt es. Dies betrifft insbesondere inländische Zwangsmaßnahmen zur Vollstreckung einer im Ausland vorzunehmenden Handlung, Duldung oder Unterlassung; Inlandszustellungen trotz bekannter Auslandsanschrift des Adressaten sowie die unmittelbare Beweisaufnahme durch das Erkenntnisgericht bei Auslandssachverhalten ohne Einschaltung der ausländischen Gerichte oder Behörden (Beweismittelimport, Befunderhebung durch Sachverständige im Ausland, Vernehmung eines im Ausland befindlichen Zeugen im Wege der Videokonferenz etc.). Die Zulässigkeit dieser Maßnahmen wird teils durch das Völkerrecht, teils durch den unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz umschrieben und ist im Einzelnen hoch umstritten. In der Rechtssache Alder hat der Europäische Gerichtshof fiktiven Inlandszustellungen bei bekannter Auslandsadresse eine Absage erteilt; an eindeutigen Maßstäben für effektive Inlandszustellungen trotz bekannter Auslandsadresse fehlt es bislang.21 Großzügiger ist die Rechtsprechung des EuGH zu von der EuBVO abweichenden Beweiserhebungsmaßnahmen des Prozessgerichts mit Auslandsbezug. In den Rechtssachen Lippens und ProRail geht der Gerichtshof von der Zulässigkeit der Ladung ausländischer Parteien als Zeugen und der genehmigungslosen Befundsicherung durch einen Sachverständigen im Ausland aus.22 Nach diesen Entscheidungen bleibt unklar, ob der unmittelbaren Beweisaufnahme durch das Prozessgericht im Ausland nach Auffassung des Gerichtshofs überhaupt Grenzen gesetzt sind. Beim Beweismittelimport und der Befunderhebung im Ausland stellt sich ebenso wie bei der Inlandsvollstreckung von Handlungs-, Duldungs- und 21  22 

Supra § 14 Rn. 49 ff. Supra § 15 Rn. 72 ff.



G.  Kohärenz der Rechtsakte

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Unterlassungstiteln die Frage, ob der Zutritt zu ausländischen Räumlichkeiten durch inländische Beugemaßnahmen erzwungen werden darf, und wie Parteien geschützt werden können, die aufgrund der Befolgung gerichtlicher Anordnungen (insbesondere zur Preisgabe von Informationen) in ihrem Wohnsitzstaat Sanktionen fürchten müssen. Die durch die EuGVO eröffnete Möglichkeit der Kumulation von Vollstreckungsmaßnahmen des Erkenntnisund des Vollstreckungsstaates stellt bei anderen als Geldleistungstiteln eine Herausforderung für den Schuldnerschutz dar.

F.  Lost in Translation Die Sprachenvielfalt stellt den unionsinternen Rechtsverkehr vor große Probleme. Übersetzungen rechtlicher Texte sind schwierig, kostspielig und zeitraubend.23 Selbst den hochqualifizierten Übersetzungsdiensten bei den Organen der Europäischen Union unterlaufen hierbei Fehler.24 Der technische Fortschritt juristischer Übersetzungssoftware bleibt abzuwarten. Die Europäische Kommission fördert die Entwicklung entsprechender Software zunächst mit dem Ziel, eine oberflächliche Orientierung über ein in fremder Sprache verfasstes Dokument zu ermöglichen.25 In der Zwischenzeit sind die vom Verordnungsgeber zunehmend eingesetzten Formblätter hilfreich, welche in allen Amtssprachen der Union verfügbar sind und über den Europäischen Gerichtsatlas für Zivilsachen26 bzw. das Europäische Justizportal27 nach dem Ausfüllen in einer anderen Formularsprache ausgedruckt werden können.

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G.  Kohärenz der Rechtsakte Die schrittweise erfolgende Vereinheitlichung des europäischen Internationalen Zivilverfahrensrechts durch einzelne Verordnungen führt zu zahlreichen Disharmonien. Zwar fungiert die EuGVO in gewissem Sinn als „allgemeiner 23 Laut Hakenberg, ZEuP 2000, 860 (868 f.) ist die Belastung des Übersetzungsdienstes am EuGH ein wesentlicher Faktor für die Länge der Verfahren vor dem Gerichtshof. Zu Vorschlägen für eine Reform des Sprachenregimes siehe Hakenberg a. a. O., S. 869; Riehm in Gsell/Hau, Zivilgerichtsbarkeit, S. 206. 24  Allgemein zu rechtssprachlichen Defiziten, welche durch die Vielsprachigkeit verstärkt werden, Rauscher, IPRax 2013, 40 ff.; zu Übersetzungsfehlern siehe auch § 4 Rn. 7 m. Fn. 11, § 5 Rn. 7, § 7 Rn. 9 m. Fn. 16; § 10 Rn. 9 m. Fn. 16, § 11 Rn. 23 m. Fn. 45, Rn. 62, § 14 Rn. 47, § 18 Rn. 113, 186. 25  Mitteilung der Kommission v. 30. 05. 2008: Eine europäische Strategie für die e-Justiz, KOM (2008) 329, S. 9 f. 26 . 27 .

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Teil“ des Europäischen Zivilverfahrensrechts.28 EuVTVO, EuMahnVO, EuGFVO und EuKtPVO setzen das Zuständigkeitssystem der EuGVO als gegeben voraus, und die Verordnungen der neuen Generation übernehmen zahlreiche Begriffe der EuGVO, welche bereits durch den EuGH eine nähere Prägung erfahren haben („Zivil- und Handelssache“, „verfahrenseinleitendes Schriftstück“, „Unvereinbarkeit von Entscheidungen“, „Verbraucher“ etc.).29 An der Feinabstimmung zwischen den einzelnen Rechtsakten fehlt es aber vielfach.30 So ist die erleichterte Anerkennung von Versäumnisurteilen nach Maßgabe der EuVTVO angesichts des Festhaltens an der verfahrensrechtlichen ordre public-Kontrolle in Art. 45 Abs. 1 lit. a und b EuGVO (2012) nicht überzeugend.31 Gleichfalls erschließt sich nicht, weshalb im Rahmen der EuGVO die Unvereinbarkeit der anzuerkennenden Entscheidung mit einer Entscheidung des Anerkennungsstaates per se ein Anerkennungshindernis darstellt, während die Verordnungen der neueren Generation strikt auf die zeitliche Priorität des Entscheidungserlasses abstellen.32 Ein Verstoß gegen die Bestimmungen der EuZVO (insbesondere gegen die Pflicht zur Belehrung des Empfängers über sein Zurückweisungsrecht mangels Sprachkenntnis) hindert die Bestätigung einer Entscheidung als Europäischer Vollstreckungstitel oder den Erlass eines Europäischen Zahlungsbefehls nicht.33 Art. 6 Abs. 3 EuGFVO adressiert zwar das Sprachenproblem bei der Zustellung eines verfahrenseinleitenden Schriftstücks, entspricht aber dem – mittlerweile aus guten Gründen reformierten – Art. 8 EuZVO (2000).34 In der EuGVO (2012) wird ein Recht des Schuldners auf Erhalt der Übersetzung einer ausländischen Entscheidung vor deren Vollstreckung eingeführt,35 ohne das Verhältnis zur EuZVO (2007) zu klären. Hierbei wurde der Fehler bei Erlass des Art. 8 EuZVO (2000) wiederholt, keine Belehrung des Schuldners über sein Zurückweisungsrecht vorzusehen. Hinzuweisen ist schließlich auf die Modifikation des Gerichtsstands der Streitgenossenschaft im Übereinkommen über ein einheitliches Patentgericht,36 die keine Ausstrahlungswirkung auf Art. 6 Nr. 1 EuGVO entfalten konnte. Mit der Anwendung der Verordnung zur vorläufigen Kontenpfändung (EuKtPVO) ab dem 18. Januar 2017 steht der nächste Systembruch bereits 28 

Hess in Hess/Pfeiffer/Schlosser-Bericht, Rn. 65; McGuire, ecolex 2008, 100 (103). Zu weiteren Referenzfunktionen der EuGVO siehe Hess in Hess/Pfeiffer/Schlosser-Bericht, Rn. 65 ff. 30  Siehe auch Rauscher in FS Kropholler, S. 853; Adolphsen in FS Kaissis, S. 4 ff., 8 ff.; Huber in FS Kaissis, S. 423 ff.; Domej, RabelsZ 78 (2014), 508 (530). 31  § 16 Rn. 171 ff. 32  § 16 Rn. 168 ff. 33  § 14 Rn. 80 f., 84. 34  § 12 Rn. 87. 35  Art. 43 Abs. 2 S. 1, 57 Abs. 3 EuGVO (2012). 36  Näher § 18 Rn. 53. 29 



G.  Kohärenz der Rechtsakte

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ante portas: Schließt Art. 2 lit. a EuGVO (2012) eine Freizügigkeit einstweiliger Maßnahmen, die ex parte ergangen sind, noch ausdrücklich aus, so ergeht ein Europäischer Kontenpfändungsbeschluss prinzipiell ohne Anhörung des Antragsgegners und ermöglicht eine vorläufige Pfändung in jedem an der EuKtPVO teilnehmenden Mitgliedstaat. Selbstverständlich ist es nicht so, dass der Kohärenz des Unionsrechts keinerlei Beachtung geschenkt würde. Die Anwendungsbereiche von EuGVO, EuVTVO, EuMahnVO und EuGFVO decken sich beispielsweise im Kern.37 EuGVO und EuVTVO enthalten jeweils ein System der doppelten Kontrolle der zwingenden und halbzwingenden Zuständigkeitsvorschriften.38 Die Mindeststandards der Zustellung sind in EuVTVO und EuMahnVO einheitlich vorgegeben, die EuGFVO nimmt subsidiär auf diese Vorgaben Bezug. Hier lässt sich freilich eine Tendenz erkennen, an einmal formulierten Regelungen festzuhalten, obgleich deren Fehlerhaftigkeit oder fehlende Angemessenheit bereits identifiziert wurde. So wurden bereits identifizierte Redaktionsfehler der EuVTVO unbesehen in die EuMahnVO übernommen.39 Als weiteres Beispiel kann wiederum Art. 6 Abs. 3 EuGFVO herangezogen werden: Die Bestimmung wurde vier Monate vor Erlass der EuZVO (2007) erlassen, d. h. zu einem Zeitpunkt, zu dem bereits offensichtlich war, dass sich die als Vorbild für Art. 6 Abs. 3 EuGFVO fungierende Bestimmung des Art. 8 EuZVO (2000) nicht bewährt hatte und reformiert werden würde. Die fehlende Abstimmung zwischen den verschiedenen Rechtsakten begründet zudem empfindliche Regelungslücken, wie sich am Beispiel der Beweissicherungsmaßnahmen illustrieren lässt. Die Durchsetzungsrichtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten nicht, Instrumente zur Beweissicherung für die Zwecke eines ausländischen Hauptsacheverfahrens bereitzuhalten.40 Das Rechtshilfeverfahren der EuBVO ist relativ langwierig und nicht zugeschnitten auf die Durchführung der Beweissicherung in einer Form des ausländischen Rechts, wie die Rechtssache Tedesco illustriert.41 Die internationale Eilzuständigkeit der Gerichte am Belegenheitsort für die Durchführung von Beweissicherungs­ maßnahmen i. S. d. Art. 31 EuGVO (2001) ist durch die Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache St. Paul Dairy in Zweifel gezogen worden.42 37 

Art. 1 EuGVO, Art. 2 EuVTVO, Art. 2 EuMahnVO, Art. 2 EuGFVO. Abs. 1 EuGVO (2001), Art. 45 Abs. 1 lit. e EuGVO (2012), Art. 6 Abs. 1 lit. b und c EuVTVO; eine Überprüfungskompetenz hinsichtlich des Arbeitnehmergerichtsstands besteht allein im Anwendungsbereich der EuGVO (2012). 39  Supra § 14 Rn. 89 m. Fn. 227. 40  Zur Unterstützung ausländischer Hauptsacheverfahren im englischen und deutschen Recht siehe § 6 Rn. 26, 70 ff. 41  Supra § 15 Rn. 35 ff., 58. 42  Supra § 11 Rn. 42 ff.; zur Rechtslage im Anwendungsbereich der EuGVO (2012) siehe § 11 Rn. 61 f. 38  Art. 35

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§ 17  Bewertung des Europäischen Internationalen ­Zivilverfahrensrechts

H.  Regelungsscheu des Verordnungsgebers 22

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Angesichts der Dynamik der Gesetzgebung auf dem Gebiet des Europäischen Zivilverfahrensrechts mag es überraschen, wenn dem Unionsgesetzgeber eine gewisse Regelungsscheu attestiert wird. Dennoch: Gerade in zentralen Rechtsfragen, in denen die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten divergieren, fehlt es dem Unionsgesetzgeber an Fähigkeit oder Willen, Streitfragen einer eindeutigen Lösung zuzuführen und für Rechtssicherheit und Rechtsklarheit zu sorgen. Die unterschiedlichen Standpunkte der Mitgliedstaaten, der Kommission und des Parlaments führen zu Kompromissen, in deren Zuge vage Formulierungen oder unvollständige Regelungen ungelöste Sachfragen übertünchen.43 An der im Jahr 2012 erfolgten Reform der EuGVO lässt sich dies für Schutzrechtsstreitigkeiten gut illustrieren: Trotz der eindeutigen Identifikation spezifischer Problemfelder im Grünbuch der Kommission, dem vorbereitenden Bericht der Professoren Hess, Pfeiffer und Schlosser sowie diverser EuGH-Entscheidungen wurde weder das Problem der divergierenden Zuständigkeiten für Bestands- und Verletzungsklage geregelt,44 noch die unbefriedigende Bestimmung der Konnexität beim Gerichtsstand der Streitgenossenschaft umformuliert45 oder die mit der Vollstreckbarkeit ausländischer Zwangsgelder verbundenen Fragen adressiert.46 Ein weiteres Beispiel im Rahmen des hiesigen Untersuchungsgegenstands ist die ungenügende Regelung des Beweismittelimports und die seltsame Protokollerklärung des Rates zur pre-trial discovery bei Erlass der EuBVO.47 „Problemausblendung hat nachgerade Methode.“ 48 Verordnungsänderungen orientieren sich häufig an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs,49 ohne die inhaltliche Angemessenheit der Regelung bzw. die zutreffende dogmatische Einordnung einer vom Gerichtshof entwickelten Figur zu prüfen oder die Konsequenzen der jeweiligen Rechtsprechung zu regeln, über die der Gerichtshof mangels entsprechender Vorlagefrage keine Aussage treffen konnte. Als Beispiele seien genannt:

43 Ebenso Lindacher, ZZP 114 (2001), 179 (193) zur EuZVO; Hess/Bittmann, IPRax 2008, 305 (308) zur EuMahnVO. 44  Supra § 10 Rn. 98 ff. 45  Supra § 10 Rn. 64 ff. 46  Supra § 16 Rn. 52 ff. 47  Näher § 15 Rn. 55 f., 66 ff. 48 Zutreffend Lindacher, ZZP 114 (2001), 179 (193) zur EuZVO. 49  Auch gesetzgeberische Neuregelungen gehen teilweise auf die Initiative des Gerichtshofs zurück, wenn dieser eine bestimmte Rechtslage in seinen Entscheidungen als wünschenswert, aber de lege lata nicht herleitbar bezeichnet hat, vgl. Stapper/Lenaerts, RabelsZ 78 (2014), 252 (253 ff.).



I.  Das Vorabentscheidungsersuchen im Zivilprozess

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yy die Übernahme des vom Gerichtshof in der Rechtssache Kalfelis unglücklich formulierten Konnexitätsdefinition im Rahmen des Gerichtsstands der Streitgenossenschaft;50 yy die in Art. 2 lit. a EuGVO (2012) erfolgte Legaldefinition des Begriffs „Entscheidung“, welche gerichtliche Entscheidungen in ex parte-Verfahren ohne nachträgliche Beteiligungsmöglichkeit sowie Eilentscheidungen von nicht in der Hauptsache zuständigen Gerichten aus dem Entscheidungsbegriff ausklammert;51 yy die Kodifikation des Leitsatzes des EuGH aus der Rechtssache GAT/LuK, ohne die Rechtsfolgen der Erhebung einer Einrede des Nichtbestands des Schutzrechts zu regeln.52 Innerhalb den Mitgliedstaaten der Europäischen Union hat die gerichtliche Rechtsentwicklung und -fortbildung zwar sowohl im Common Law als auch in den kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen Tradition.53 In Anbetracht der unterschiedlichen Verfahrenstraditionen in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten einerseits und des Bedürfnisses nach Rechtsklarheit bei den zweckorientierten Normen des Prozessrechts andererseits erscheint gleichwohl eine klare gesetzliche Regelung gegenüber einem sich langsam entfaltenden case law vorzugswürdig.

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I.  Das Vorabentscheidungsersuchen im Zivilprozess I.  Herausforderungen der Entscheidungsfindung Das Vorabentscheidungsersuchen im Zivilprozess stellt die Richter am EuGH vor besondere Herausforderungen. Art. 19 EUV, Art. 267 AEUV weisen dem Gerichtshof die Aufgabe zu, auf Vorlage eines nationalen Gerichts über die Auslegung von Sekundärrechtsakten der Union auf dem Gebiet des internationalen Zivilverfahrensrechts zu entscheiden. Hierbei müssen die Richter die Implikationen jeder möglichen Interpretation im Zusammenspiel mit den heterogenen nationalen Verfahrensordnungen erfassen und eine Auslegung wählen, die in Anbetracht dieser Heterogenität einerseits die Effektivität des Unionsrechts sicherstellt, andererseits Verwerfungen innerhalb des Unions50  EuGH v.  27. 09. 1988  – 189/87  – Slg. 1988, 5583 (Kalfelis), Rn. 12; übernommen in Art. 6 Nr. 1 EuGVO (2001), Art. 8 Nr. 1 EuGVO (2012). Zur Kritik bereits supra § 10 Rn. 78. 51 EuGH v.  21.  05. 1980  – 125/79  – Slg. 1980, 1553 (Denilauler), Rn. 13 ff.; EuGH v. 13. 07. 1995 – C-474/93 – Slg. 1995, I-2113 (Hengst Import), Rn. 14 f.; EuGH v. 17. 11. 1998 – C-391/95  – Slg. 1998, I-7091 (van Uden), Rn. 38 ff.; EuGH v.  27. 04. 1999  – C-99/96  – Slg. 1999, I-2277 (Mietz), Rn. 34 ff. Zur Kritik siehe näher § 16 Rn. 156. 52  Näher § 10 Rn. 110 ff. 53  Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, S. 262 ff., 620.

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§ 17  Bewertung des Europäischen Internationalen ­Zivilverfahrensrechts

rechts vermeidet und hierbei idealerweise Systemstörungen innerhalb der nationalen Rechtsordnungen minimiert.54 Reflexiver Effekt jedes Urteils des EuGHs ist eine mittelbare Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits, doch verfügt der Gerichtshof nur insoweit über eine Kenntnis des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens, als das vorlegende Gericht diesen preisgibt; ein detailliertes Wissen hinsichtlich der für den Ausgangsrechtsstreit maßgeblichen Gesetze besteht regelmäßig nicht. Angesichts der soeben beschriebenen Tendenz des Unionsgesetzgebers, rechtspolitisch diffizile Streitfragen im Rechtsetzungsprozess keiner oder nur einer oberflächlichen Lösung zuzuführen, stehen die Richter des EuGH zudem vor der Wahl, sich auf vage Phrasen zurückzuziehen oder rechtsfortbildend tätig zu werden.55 Die Gerichtsorganisation trägt dieser diffizilen Aufgabe nicht ausreichend Rechnung. Trotz des weiten Spektrums, welches das Unionsrecht mittlerweile einnimmt, besteht keine Spezialisierung der Kammern am EuGH, vielmehr erfolgt die Geschäftsverteilung auf die einzelnen Kammern nach freiem Ermessen der Generalversammlung.56 Der Überhang fachlicher Kompetenz auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts bei der Besetzung des Gerichtshofs ist frappierend.57 Immerhin können sich Generalanwalt und Richter von der Abteilung Recherche et Documentation rechtsvergleichende Gutachten anfertigen lassen,58 und unter den drei Referenten jedes EuGH-Richters findet sich meist ein Mitarbeiter mit besonderer Kenntnis im Privatrecht.59

II.  Der Entscheidungsstil des EuGH 28

Der Europäische Gerichtshof hat in Anbetracht der Fülle verschiedener Entscheidungsstile der Gerichte der Mitgliedstaaten seinen eigenen Entscheidungsstil entwickelt. Hier ist nicht der Ort, eine detaillierte Kritik des Entscheidungsstils des Gerichtshofs vorzunehmen.60 Vielmehr sollen einige 54 

Norrgård in Ohly, Common Principles, S. 214 f. Timmermans, RabelsZ 77 (2013), 368 (376); Leppink, JIPlP, Editorial 5/2013. 56  Art. 22 §§ 2 und 3 EuGH-VerfO; Riehm in Gsell/Hau, Zivilgerichtsbarkeit, S. 208; Ahlt in Gsell/Hau, Zivilgerichtsbarkeit, S. 31 f. 57  Siehe die Lebensläufe der Richter unter . Wie hier Hartley, Int’l Litigation, S. 263 m. Fn. 1.; Dickinson, Blogeintrag v. 10. 01. 2008 ; Ahlt in Gsell/Hau, Zivilgerichtsbarkeit, S. 32 f.; Leppink, JIPlP, Editorial 5/2013; s. a. Gsell/Hau in Gsell/Hau, Zivilgerichtsbarkeit, S. 1; Briggs/Rees, Civil Jurisdiction, Introduction; s. a. Norrgård in Leible/Ohly, IP & IPR, S. 220 f.; a. A. Riehm in Gsell/Hau, Zivilgerichtsbarkeit, S. 208. 58 Nach Ahlt in Gsell/Hau, Zivilgerichtsbarkeit, S. 33 werden diese auf dem Gebiet des Privatrechts „häufig“ angefertigt. 59  Ahlt in Gsell/Hau, Zivilgerichtsbarkeit, S. 33 m. Fn. 10. 60  Zur Kritik von Methodik und Stil des EuGH siehe Rösler, Gerichtsbarkeit, S. 456 ff. m. w. N. 55 



I.  Das Vorabentscheidungsersuchen im Zivilprozess

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Spezifika erwähnt werden, die im Zusammenhang mit der Harmonisierung des Zivilverfahrensrechts kritisch erscheinen. Erstens sucht der Gerichtshof Rechtssicherheit durch formelhafte Wiederholungen einmal gefundener Formulierungen herzustellen,61 auch wenn den entsprechenden Formulierungen im konkreten Kontext eine andere oder eine unverständliche Bedeutung zukommt.62 Zweitens führt die fehlende Option von Sondervoten zu einem teils apodiktischen Entscheidungsstil: Stimmen die Mitglieder der Kammer über ein Zwischenergebnis, nicht aber über dessen Herleitung überein, wird die Begründung kurzerhand auf die konsensfähige Schnittmenge reduziert.63 Drittens wird die Aufgabe einer früheren Rechtsprechung selten gekennzeichnet,64 was u. a. der Zuweisung ähnlicher Rechtssachen an unterschiedliche Kammern des Gerichtshofs zuzuschreiben ist. Viertens lässt sich einerseits ein fahrlässiger Umgang mit obiter dicta ­diagnostizieren,65 andererseits bügelt der Gerichtshof in den Stellungnahmen der Kommission oder der Mitgliedstaaten aufgeworfene Fragen und Zweifel ob der Konsequenzen der favorisierten Interpretation regelmäßig mit dem Argument ab, hierzu habe das vorlegende Gericht keine Frage gestellt.66 In anderen Verfahren wiederum beschränkt sich der Gerichtshof nicht auf die Beantwortung der Vorlagefragen, sondern gibt weitergehende Hinweise, die bei der Entscheidung des Ausgangsverfahrens mutmaßlich nützlich sind.67 All dies erschwert das Verständnis von EuGH-Entscheidungen. Nicht selten fühlen sich nach Erlass einer mit Spannung erwarteten Entscheidung das vor-

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Colneric, ZEuP 2005, 225 (229); Rösler, Gerichtsbarkeit, S. 449 f., 457 m. w. N. etwa die Bezugnahme auf das Urteil Denilauler in der Rechtssache van Uden, näher § 11 Rn. 30, sowie die Begründung der Inanspruchnahme des Zweitbeklagten im Gerichtsstand der Streitgenossenschaft trotz Unzulässigkeit der Klage gegen den Ankerbeklagten mit dem der ständigen Rechtsprechung entnommenen Argument, ein informierter, verständiger Beklagter müsse vorhersehen können, vor welchem Gericht er außerhalb seines Wohnsitzstaats verklagt werden könne, vgl. EuGH v.  13. 07. 2006  – C-103/05  – Slg. 2006, I-6827 (Reisch Montage), Rn. 25. 63  Colneric, ZEuP 2005, 225 (231); Ahlt in Hau/Gsell, Zivilgerichtsbarkeit, S. 35; Rösler, Gerichtsbarkeit, S. 160 f.; kritisch Mance, LQR 2004, 357 (363 ff.). Zur Sprachenvielfalt bei der Entscheidungsfindung des EuGH siehe Ahlt a. a. O. S. 33 f. 64  Siehe beispielsweise die Aufgabe der Rechtsprechung aus der Entscheidung Réunion européenne in der Rechtssache Freeport, die Relativierung der Entscheidung Roche Nederland in der Rechtssache Painer, jeweils supra § 10 Rn. 75 f. sowie die Relativierung der Entscheidungsbegründung in der Sache Reisch Montage durch die Entscheidung Freeport, § 10 Rn. 72. Kritisch auch Dickinson, Blogeintrag v.  10. 01. 2008 ; Rösler, Gerichtsbarkeit, S. 456; a. A. Colneric, ZEuP 2005, 225 (231). 65  Althammer, IPRax 2008, 228 (230) m. w. N. 66  Siehe etwa EuGH v. 18. 10. 2011 – C‑406/09 (Realchemie), Rn. 43; weitere Nachweise bei Rösler, Gerichtsbarkeit, S. 145 f., S. 456 f. 67  EuGH v. 04. 09. 2014 – C-119/13 und C-120/13 (eco cosmetics), Rn. 32 f. m. w. N. 62  Siehe

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§ 17  Bewertung des Europäischen Internationalen ­Zivilverfahrensrechts

legende Gericht,68 die Parteien und die interessierte Wissenschaft69 an den Brecht’schen Epilog aus Der gute Mensch von Sezuan erinnert: „Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen. Den Vorhang zu und alle Fragen offen.“

III.  Natur des Vorabentscheidungsersuchens 1.  Zwischenstreit im Ausgangsverfahren 30

Auf die Funktionsdivergenz zwischen Vorabentscheidungsverfahren und Zivilprozess sowie auf die zu vermutende geringere Häufigkeit von Vorabentscheidungsersuchen zu Fragen prozessualen Einheitsrechts wurde bereits in § 8 Rn. 52 ff. hingewiesen. Zweifel über die korrekte Auslegung der Regelungen in EuGVO und EuVTVO sind regelmäßig erheblich für die Entscheidung des mit der Rechtsfrage befassten Gerichts: Die korrekte Interpretation einer Zuständigkeitsnorm entscheidet über den Erlass eines abweisenden Prozessurteils oder den Erlass einer Entscheidung in der Sache; die Auslegung der Bestimmungen über Anerkennung und Vollstreckbarkeit ist bestimmend für die Vollstreckung im Ausland.

2.  Objektives Normauslegungsverfahren 31

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Anders ist die Sachlage bei Zweifeln über die zutreffende Interpretation von EuZVO und EuBVO. Für die Entscheidung in der Sache ist es beispielsweise regelmäßig unerheblich, ob die Beweisaufnahme in der vom ersuchenden Gericht beantragten Form gemäß Art. 10 Abs. 3 EuBVO oder strikt nach dem Rogationsprinzip erfolgt. Verweigern ausländische Gerichte oder Behörden die nach EuZVO und EuBVO erforderliche Kooperation oder rügt eine Partei einen Verfahrensmangel, so ist den Interessen der Parteien in zahlreichen Situationen mit einem modifizierten Vorgehen des Gerichts oder einer Wiederholung der Verfahrenshandlung eher gedient als mit einem Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH. In der Rechtssache Weryński erklärte der EuGH ein Vorabentscheidungsersuchen zur Frage der Kostenerstattung im Rahmen eines Rechtshilfevorgangs gleichwohl für zulässig.70 Der Sąd Rejonowy dla Warszawy Śródmieścia (Rayongericht Warschau) hatte den Dublin Metropolitan District Court im Rahmen eines Zivilrechts68  Aus Perspektive eines vorlegenden Richters vgl. etwa Sickerling in Gsell/Hau, Zivilgerichtsbarkeit, S. 78. 69  Siehe bspw. zur Rezeption der Entscheidung GAT/LuK § 10 Rn. 114 ff., der Entscheidungen van Uden und Mietz § 11 Rn. 22 ff., der Entscheidung Realchemie § 16 Rn. 56 ff. sowie zu den diversen zu Art. 6 Nr. 1 EuGVÜ bzw. EuGVO (2001) ergangenen Entscheidungen § 10 Rn. 68 ff.; weitere Beispiele aus dem Unionsprivatrecht bei Rösler, Gerichtsbarkeit, S. 156, 162. 70  EuGH v. 17. 01. 2011 – C-283/09 (Weryński), Rn. 39.



I.  Das Vorabentscheidungsersuchen im Zivilprozess

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streits um die Vernehmung eines Zeugen gebeten. Der District Court machte die Erledigung des Rechtshilfeersuchens von der Zahlung einer dem Zeugen nach irischem Recht zustehenden Entschädigung in Höhe von 40 EUR abhängig. Das polnische Gericht wollte diesen Verstoß gegen Art. 18 Abs. 1 EuBVO nicht hinnehmen und verfasste ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH. Obgleich der Vorlagefrage keine Entscheidungserheblichkeit für den Ausgangsrechtsstreit zukam, erklärte der Gerichtshof das Ersuchen im Interesse der Sicherstellung einer einheitlichen Auslegung des Unionsrechts für zulässig.71 Gut zwei Jahre nach der Zahlungsaufforderung des District Court bestätigte der EuGH, dass eine Verpflichtung zur Erstattung einer Zeugenentschädigung durch das ersuchende Gericht nicht bestehe.72 Zum Glück für Herrn Weryński, den Kläger des Ausgangsverfahrens, hatte das Rayongericht Warschau bereits zuvor ein Einsehen und beglich die Auslagenforderung des District Court vor Erlass des Vorabentscheidungsersuchens,73 so dass das Ausgangsverfahren seinen Lauf nehmen konnte. Die Entscheidung beleuchtet den potentiellen Funktionsunterschied eines Vorabentscheidungsersuchens zur Klärung von Unionsnormen zivilprozess­ ualer Natur gegenüber einer Vorlage zur Auslegung materiellrechtlicher Normen. Soweit Interpretationsbedarf hinsichtlich der Rechtshilfebestimmungen des Unionsrechts besteht, ist eine Entscheidung des EuGH nicht für den Erlass des Urteils im Ausgangsrechtsstreits erforderlich, sondern zwecks Bestimmung der gegenseitigen mitgliedstaatlichen Loyalitätspflichten in ihrer Konkretisierung durch EuZVO und EuBVO. Mit seiner Entscheidung in der Rechtssache Weryński nimmt der Gerichtshof einen Wandel des Vorabentscheidungsersuchens von einem Zwischenstreit des Ausgangsverfahrens zu einem objektiven Normauslegungsverfahren ohne Individualschutzbezug in Kauf. Das Urteil enthält die Standardfloskel „Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.“74 Für die Parteien hatte das Vorabentscheidungsersuchen allerdings nach Zahlung der Zeugenentschädigung durch das Warschauer Gericht keinerlei Bedeutung. Offenbar war das Ausgangsverfahren zum Zeitpunkt der Entscheidung des EuGH noch nicht beendigt, sonst wäre das Vorabentscheidungsersuchen im Beschlusswege aus dem Register des Gerichtshofs zu streichen gewesen. Angesichts der fehlenden Erheblichkeit der Vorlagefrage für die Entscheidung des Rechtsstreits mutet es merkwürdig an, dass die Dauer des Ausgangsverfahrens letztlich für die Beantwortung der Vorlagefrage durch den EuGH entscheidend war. 71 

EuGH v. 17. 01. 2011 – C-283/09 (Weryński), Rn. 38 ff. EuGH v. 17. 01. 2011 – C-283/09 (Weryński), Rn. 51 ff. 73  EuGH v. 17. 01. 2011 – C-283/09 (Weryński), Rn. 37. 74  EuGH v. 17. 01. 2011 – C-283/09 (Weryński), Rn. 70. 72 

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3.  Mittelbares Kassationsverfahren 35

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Der EuGH akzeptiert in der Rechtssache Weryński, dass der Auslegung von Verfahrensvorschriften für die Entscheidung in der Sache oft nur mittelbare Bedeutung zukommt75 und erachtet Vorabentscheidungsersuchen zu prozessualen Normen des Unionsrechts deshalb für zulässig, sofern sie für die Klärung des Verfahrens zur Schaffung des Urteils (einschließlich der Kostenentscheidung) erforderlich sind.76 Wie bereits in § 8 Rn. 65 erläutert, dürfte der Enthusiasmus unterinstanzlicher Gerichte zum Erlass eines Vorabentscheidungsersuchens zwecks Klärung der prozessualen Vorgehensweise eher gering sein, wenn ein Einfluss auf die Entscheidung in der Sache nicht sicher feststeht. In den Schlussanträgen der Generalanwältin Kokott wird ein weiterer Aspekt hervorgehoben, der im Hinblick auf Vorabentscheidungsersuchen zu zivilverfahrensrechtlichen Fragestellungen relevant ist: Da zum Zeitpunkt des Eingangs des Vorabentscheidungsersuchens in der Rechtssache Weryński nach Art. 68 EGV allein letztinstanzlichen Gerichten eine Vorlagebefugnis an den EuGH zukam, stand die Zulässigkeit des Ersuchens in Frage. Generalanwältin Kokott betonte, die Tatsachenfeststellung sei typischerweise Aufgabe der Untergerichte und nicht der letzten Instanz, weshalb aufgrund der im Rahmen von Art. 267 AEUV gebotenen konkreten Betrachtung gegebenenfalls auch die Entscheidung eines erstinstanzlichen Gerichts zur Interpretation einer prozessualen Bestimmung als letztinstanzliche Entscheidung anzusehen sein könnte.77 Diese Argumentation sollte in ihrem Kontext gelesen werden, d. h. als Versuch, unterinstanzlichen Gerichten trotz der Beschränkung des Art. 68 EGV eine Vorlage an den EuGH zu ermöglichen. Im Rahmen des Art. 267 AEUV sind die Tatsacheninstanzen meines Erachtens nicht als letztinstanzliche Gerichte anzusehen, selbst wenn allein ihnen die Anwendung prozessualer Bestimmungen zur Tatsachenfeststellung zukommt, sofern einem höheren Gericht die Befugnis zur Überprüfung eventueller Verfahrensfehler zugewiesen ist. Dennoch liegt hier ein Fingerzeig auf eine weitere Funktionsänderung des Vorabentscheidungsersuchens: Verfahrensmängel werden in der höheren Instanz regelmäßig nur überprüft, sofern eine Kausalität für den Urteilserlass festzustellen ist, und führen zur Zurückverweisung an die Tatsacheninstanz. Legt das letztinstanzliche nationale Gericht dem EuGH die Frage vor, ob das Untergericht das Unionsrecht korrekt angewandt hat, so ist das Vorabentscheidungsersuchen eher Kassationsverfahren als Zwischenstreit im Ausgangsrechtsstreit.

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EuGH v. 17. 02. 2011 – Rs. C-283/09 (Weryński), Rn. 39. EuGH v. 17. 02. 2011 – Rs. C-283/09 (Weryński), Rn. 39 ff. 77 Generalanwältin Kokott, Schlussanträge v. C-283/09 (Weryński), Rn. 15 ff.; ähnlich dies., Schlussanträge v. 18. 07. 2007 – C-175/06 – Slg. 2007, I-7929 (Tedesco), Rn. 22 ff. 76 



K. Perspektiven

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IV.  Förderung des Gerichtsdialogs durch ein System doppelter Kontrolle Ein System doppelter Kontrolle, wie es in den Vollstreckbarkeitsregelungen der EuGVO und EuVTVO implementiert ist, erhöht die Chancen der Klärung einer Rechtsfrage durch den Europäischen Gerichtshof. Im Vergleich der beiden Systeme bietet das System der EuGVO eine höhere Kontrollfunktion und damit auch eine größere Wahrscheinlichkeit der Anrufung des EuGH. Anders als die EuGVO weist die EuVTVO die Kontrollbefugnis den Gerichten des Erkenntnisstaates zu, erlaubt eine Bestätigung durch das Ausgangsgericht und beschränkt die Anfechtungsmöglichkeiten des Schuldners gegenüber einer zu Unrecht ausgestellten Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel. Die den Vollstreckungstitel ausstellende Stelle fungiert damit oftmals als letztinstanzliches Gericht i. S. d. Art. 267 AEUV, was angesichts der in zahlreichen Mitgliedstaaten erfolgten Übertragung dieser Funktion an Gerichtsbeamte misslich ist.

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J. Ergebnis Trotz aller Kritik im Detail ist bei einer abschließenden Würdigung des europäischen Internationalen Zivilverfahrensrechts der enorme Fortschritt an Effektivität im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr hervorzuheben. Die Verordnungen zum IZVR haben einen bemerkenswerten Abbau vormalig existierender Souveränitätsvorbehalte bewirkt. Angesichts der zuvor bestehenden Hindernisse für eine grenzüberschreitende Rechtsdurchsetzung ist es nur zu verständlich, dass die Harmonisierung des Internationalen Zivilverfahrensrechts bislang vorrangig aus der Perspektive des Klägers bzw. Urteilsgläubigers erfolgt ist.

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K. Perspektiven

I.  Die Justizagenda 2020 Der Aktionsplan der Europäischen Kommission zur Umsetzung des Stockholmer Programms hatte für das Jahr 2013 ein Grünbuch über Mindestnormen für Zivilverfahren sowie für das Jahr 2014 einen Legislativvorschlag zur Verbesserung der Kohärenz der EU-Rechtsvorschriften auf dem Gebiet

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§ 17  Bewertung des Europäischen Internationalen ­Zivilverfahrensrechts

des Zivilprozessrechts angekündigt.78 Es ist zweifelhaft, ob diese Maßnahmen noch realisiert werden, wünschenswert wäre es allemal. Im Gegensatz zu den früheren Arbeitsprogrammen der Europäischen Union im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts enthält die EU-Justizagenda 2020 lediglich vage strategische Leitlinien für die Zukunft. Immerhin aber wird darin das Erfordernis der Konsolidierung des bisher erreichten Rechtsstands hervorgehoben.79

II. Perspektiverweiterung 41

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Ziel der Staatsverträge und europäischen Verordnungen auf dem Gebiet des internationalen Zivilverfahrensrechts war es seit jeher, die völkerrechtlichen Hürden abzubauen, welche der erfolgreichen Durchführung eines Zivilverfahrens mit grenzüberschreitendem Bezug und der Vollstreckung der daraus resultierenden Entscheidung entgegenstanden. Dieses Ziel sollte (und wird) weiter verfolgt werden. Der mit dem Wegfall völkerrechtlicher Schranken verbundene Wegfall des reflexiven Schuldnerschutzes darf aber nicht unberücksichtigt bleiben. Es ist deshalb bedauerlich, dass das angekündigte Grünbuch über Mindestnormen für Zivilverfahren bislang nicht erarbeitet wurde. Erforderlich ist eine Perspektiverweiterung, welche die Interessen beider Parteien in den Mittelpunkt stellt. Dieser neue Blickwinkel impliziert zweierlei: Erstens bedarf es auf den Gebieten der Vollstreckung, der Zustellung und der Beweisaufnahme unionsautonomer Regelungen, die den zulässigen Bereich von Inlandsmaßnahmen mit EU-Auslandsbezug abstecken. Angesprochen sind Inlandszustellungen an auslandsansässige Parteien, Anordnungen des Erkenntnisgerichts zwecks Erhebung im Ausland belegener Beweismittel oder Ladungen an im Ausland ansässige Zeugen sowie inländische Vollstreckungsmaßnahmen zur Durchsetzung im Ausland vorzunehmender Handlungen, Duldungen und Unterlassungen. Der Europäische Gerichtshof ist, wie die Rechtssachen Alder, Lippens und ProRail belegen, dem Unionsgesetzgeber hier einen Schritt voraus.80 Zweitens bedarf es einer Analyse der für die Parteien bzw. den Schuldner mit einem grenzüberschreitenden Verfahren typischerweise verbundenen Risiken und der Entwicklung adäquater Lösungsansätze. Als Beispiele lassen sich 78 Europäische Kommission, KOM (2010) 171, S. 24. Das Grünbuch über Mindestnormen war zuvor bereits in der Mitteilung der Europäischen Kommission zum Haager Programm für das Jahr 2008 angekündigt worden, vgl. KOM (2005) 184, S. 31 (Nr. 326). 79  Mitteilung der Europäischen Kommission, Die EU-Justizagenda für 2020 – Stärkung von Vertrauen, Mobilität und Wachstum in der Union, KOM(2014)144, S. 6, 9. Siehe auch Schlussfolgerungen des Europäischen Rates (Tagung vom 26.–27. Juni 2014) betreffend den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts und einige damit zusammenhängende Querschnittsthemen, ABl. Nr. C 240/13 v. 24. 7. 2014 80  Supra § 14 Rn. 47 ff., § 15 Rn. 63, 71 ff.



K. Perspektiven

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benennen: der Schutz gegen das Risiko der Doppelvollstreckung in mehreren Mitgliedstaaten; eine einheitliche Definition derjenigen Schriftstücke, die einer auslandsansässigen Partei mindestens zuzustellen sind; Vorgaben für die Zustellung bei unbekannter Adresse einer vermutlich im Ausland residierenden Partei; die Einführung zwingender Klageformularblätter und Rechtsbelehrungen gegenüber ausländischen Parteien (samt standardisierter Übersetzung); eine eindeutige Regelung der Beweissicherung zum Zwecke ausländischer Verfahren. Je nach Verzahnung der geregelten Materie mit dem übrigen Prozessrecht und der mitgliedstaatlichen Rechtspflege könnte das Unionsrecht die mitgliedstaatlichen Regelungen verdrängen (z. B. autonome Zustellungsmethoden für die Auslandszustellung), kumulativ angewandt werden (z. B. der Klage beigefügtes Klageformular zum Zwecke der Auslandszustellung) oder die Mitgliedstaaten lediglich zur Unterstützung ausländischer Prozesse verpflichten (Beweissicherung mit Auslandsbezug). Erleichterungen für beide Parteien können durch einen stärkeren Rückgriff auf mehrsprachige Formulare bzw. Textbausteine ermöglicht werden,81 die unter Berücksichtigung informationspsychologischer Erkenntnisse zu entwickeln sind.82 Ein solcher Regelungsansatz reagiert auf spezifische Parteibedürfnisse im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr und ist deshalb sinnvoller als die Entwicklung einheitlicher verfahrensrechtlicher Mindeststandards für den Binnenprozess (zu letzteren bereits § 8 Rn. 49 f.). Gleichzeitig wäre diese Rechtsetzung mit geringeren systemstörenden Eingriffen in die Verfahrensordnungen der Mitgliedstaaten verbunden und bewegte sich eindeutig im Rahmen der durch Art. 81 AEUV vermittelten Gesetzgebungskompetenz. Ausstrahlungswirkungen der entwickelten Mindeststandards für Verfahren mit grenzüberschreitendem Bezug auf die nationalen Regelungen für Binnenprozesse sind nicht ausgeschlossen.

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III.  Die Kodifikation des Europäischen Zivilverfahrensrechts Eine Verbesserung der Kohärenz des europäischen Zivilverfahrensrechts durch einen konsolidierenden Rechtsakt ist angesichts der oben aufgezeigten Widersprüche und der teilweise fehlenden Abstimmung zwischen den Verordnungen sicherlich angezeigt. Für die Zukunft bedarf es darüber hinausgehend einer Optimierung des legislativen Prozesses: Anstatt Verordnungen lediglich 81  Ausführlicher § 14 Rn. 111. Für eine einheitliche Formularsprache jedenfalls in Bezug auf die Rechtshilfe plädiert Rauscher, IPRax 2012, 40 (47). Wie der Sprachenstreit um das Einheitspatent und die Erfahrungen mit der EuZVO (vgl. Bericht der Kommission, KOM (2013) 858, S. 9 f.) belegen, ist die Zeit hierfür weder politisch, noch in Anbetracht der Sprachkenntnisse europäischer Juristen reif. 82  Zu Verständnisschwierigkeiten der Parteien bei Verwendung der derzeitigen Formulare siehe Ontanu/Pannebakker, Erasmus Law Review 5 (212), 169 (186).

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§ 17  Bewertung des Europäischen Internationalen ­Zivilverfahrensrechts

in vorab festgelegten zeitlichen Abständen ab ihrem Erlasszeitpunkt einem Evaluierungsprozess zu unterwerfen, sollten miteinander in engem Kontext stehende Verordnungen in einem einheitlichen Verfahren analysiert und gemeinsam reformiert werden. Ob die Zeit reif ist für eine Kodifikation des europäischen Internationalen Zivilverfahrensrechts, darüber scheiden sich die Geister.83 Vorrangig handelt es sich um eine Frage des Regelungsansatzes. Eine allein den gegenwärtigen Stand ordnende, vorrangig die bisherigen Rechtsakte kompilierende Verordnung (also ein Rechtsakt, der in englischer Terminologie als codifying statute bezeichnet würde) wäre zum gegenwärtigen Zeitpunkt sicherlich möglich,84 trüge allerdings das Risiko einer vorzeitigen Versteinerung des europäischen Zivilverfahrensrechts in sich. Für eine sachgebietlich vollständige Kodifikation des Zivilverfahrensrechts mit grenzüberschreitendem Bezug, die angesichts der in neueren Rechtsakten zunehmenden Verknüpfung von IPR und IZVR85 notwendigerweise auch das Internationale Privatrecht einschließen müsste, ist die Zeit noch nicht reif.86 Hier klaffen insbesondere auf dem Gebiet des Schuldnerschutzes und der Inlandskompetenz eines international zuständigen Gerichts für Maßnahmen mit Auslandsbezug erhebliche Lücken, die eine schrittweise Harmonisierung zunächst ratsamer erscheinen lassen.

IV.  Die Organisation der zentralen Unionsgerichtsbarkeit 47

Unabhängig vom künftigen Rechtsetzungsprogramm bedarf es einer veränderten Organisation der zentralen Unionsgerichtsbarkeit,87 welche der zunehmenden Bedeutung von Zivilsachen vor dem EuGH Rechnung trägt und den Unionsrichtern erlaubt, „fachlich auf Augenhöhe“88 mit den obersten Zivilgerichten der Mitgliedstaaten zu kommunizieren. Angesichts der paritätischen 83 Befürwortend Rauscher in FS Machacek und Matscher, S. 672 ff.; McGuire, ecolex 2008, 100 (104); Adolphsen in FS Kaissis, S. 13; zweifelnd Huber in FS Kaissis, S. 428; zum gegenwärtigen Zeitpunkt ablehnend Hess, EuZPR, § 13 Rn. 18; mittelfristig befürwortend dagegen ders., NJW 2000, 23 (32). 84  Rösler, Gerichtsbarkeit, S. 497 schlägt eine einheitliche Verordnung vor, die neben den Verordnungen des IZVR auch primärrechtliche Grundsätze sowie das Sonderprozessrecht (nach derzeitigem Stand: UnterlassungsklagenRL und DRL) niederlegt. 85  Siehe § 1 Rn. 12. 86 Zutreffend Hess, EuZPR, § 13 Rn. 18: „Das Europäische Prozessrecht hat seine experimentelle Erprobungsphase noch nicht abgeschlossen.“ 87  Für eine Spezialisierung der Kammern des EuGH Riehm in Gsell/Hau, Zivilgerichtsbarkeit, S. 208; für die Einrichtung einer „EuGH-Abteilung für Zivilsachen“ Remien in Gsell/ Hau, Zivilgerichtsbarkeit, S. 240; für die Errichtung eines Fachgerichts für Privatrecht gemäß Art. 257 AEUV Dickinson, Blogeintrag v.  10. 01. 2008 ; für eine Verlagerung der Vorabentscheidungen an spezialisierte Kammern beim EuG, ggf. mit einer späteren Überführung in Fachgerichte Rösler, Gerichtsbarkeit, S. 420 f., jeweils m. w. N. 88  So treffend Riehm in Gsell/Hau, S. 208 f.



K. Perspektiven

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Besetzung der Richterpositionen beim EuGH setzt dies eine Spezialisierung der Richter und die Bereitschaft der Politik voraus, die Zahl der Richterstellen zu erhöhen. Denn die Repräsentation eines jeden Mitgliedstaats durch einen Richter ist für die Rolle des Gerichtshofs als Verfassungsgericht von hoher Bedeutung und sollte zumindest bei jenen Rechtssachen gewahrt bleiben.

4. Teil

Ein einheitlicher Streitregelungsmechanismus für Europäische Patente

§ 18  Der Unified Patent Court A.  Das Ziel eines einheitlichen Streitregelungsmechanismus Patentverletzungsverfahren sind teuer. Sie sind technisch wie rechtlich komplex. Darüber hinaus ist ein einzelnes Patentverletzungsverfahren aufgrund des Territorialitätsgrundsatzes häufig nicht geeignet, einen grenzüberschreitenden Patentkonflikt abschließend zu klären; jedenfalls nicht, sofern sich der behauptete Verletzer auf die Nichtigkeit des Patents beruft1 und es an einer Vergleichsbereitschaft der Parteien fehlt. Die daraus resultierenden Konsequenzen  – hohe Rechtsverfolgungskosten, fehlende Rechtssicherheit, forum shopping und andere unerwünschte Prozessstrategien – sind oft genug beschrieben worden.2 Seit Jahrzehnten ringen Wissenschaftler, Praktiker und Gesetzgeber innerhalb Europas deshalb um eine Lockerung des Territorialitätsprinzips im materiellen wie im prozessualen Patentrecht. Mit der Verordnung (EU) Nr. 1257/2012 über die Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes, ergänzt um Verordnung (EU) Nr. 1260/2012 zur Regelung der anzuwendenden Übersetzungsregelungen sowie dem von 25 Mitgliedstaaten gezeichneten Übereinkommen über ein einheitliches Patentgericht (Unified Patent Court – UPC) wurden Ende 2012 wesentliche Meilensteine auf diesem steinigen Weg erreicht.3 Stand Frühjahr 2015 hatten lediglich sechs Staaten das UPC-Abkommen ratifiziert,4 noch könnten das britische Referendum über die EU-Mitgliedschaft5 oder Verfahren vor 1 

§ 10 Rn. 113 ff. nur Harhoff, Cost-Benefit Analysis, S.  15  ff.; Luginbühl, European PatL, S. 2 f. m. w. N. 3 Verordnung (EU) Nr. 1257/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2012 über die Umsetzung der Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes, ABl. Nr. L 361/1 v.  31. 12. 2012; Verordnung (EU) Nr. 1260/2012 des Rates vom 17. Dezember 2012 über die Umsetzung der verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes im Hinblick auf die anzuwendenden Übersetzungsregelungen, ABl. Nr. L 361/98 v. 31. 12. 2012; Übereinkommen über ein einheitliches Patentgericht, ABl. Nr. C 175/1 v. 20. 06. 2013. 4  Siehe . 5 Hierzu Pagenberg, JIPlP 2013, 480 (481); ferner Blogeintrag v. 24. 01. 2013: „Cameron EU speech could threaten Unitary Patent“, verfügbar unter . 2 Siehe

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§ 18  Der Unified Patent Court

dem Europäischen Gerichtshof das Übereinkommen zu Fall bringen6. Gleichwohl stehen die Chancen für eine Überwindung des Territorialitätsprinzips im Patentrecht innerhalb der Europäischen Union so gut wie nie. Der Schwerpunkt der folgenden Auseinandersetzung mit dem so genannten „Patentpaket“ liegt naturgemäß auf den darin enthaltenen bzw. derzeit noch anvisierten Regelungen des Zivilverfahrensrechts (infra D.). Um das Verständnis zu erleichtern, wird zuvor der lange Weg zum Einheitspatent und dem einheitlichen Patentgericht kurz nachgezeichnet (B.),7 und ein Überblick über das gesamte Patentpaket gegeben (C.).

B.  Der lange Weg zum Einheitspatent und zum UPCA I.  Das Übereinkommen über die Erteilung europäischer Patente 4

Das Übereinkommen über die Erteilung europäischer Patente (EPÜ) trat am 7. Oktober 1977 in Kraft,8 gilt heute in der im Jahr 2000 beschlossenen und Ende 2007 in Kraft getretenen revidierten Form des EPÜ 20009 und verfügt über 38 Vertragsstaaten,10 darunter alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Das Übereinkommen enthält Einheitsrecht für die Erteilung und die Wirkung von Erfinderpatenten, so genannte Europäische Patente.11 Die Erteilung eines Europäischen Patents samt Einspruchsverfahren erfolgt durch das Europäische Patentamt (EPA) in München als Organ der Europäischen Patentorganisation (EPO)12 und unterliegt weitgehend den autonomen Regelungen des EPÜ. Der Anmelder hat die Wahl, ein Europäisches Patent mit territorialer Wirkung für einen oder für mehrere Vertragsstaaten zu beantragen. 6  Gescheitert sind allerdings zwei Klagen Spaniens gegen die EPV und die ÜEPV vor dem EuGH, vgl. Spanien/Parlament und Rat, Rs. C-146/13 sowie Rs. C-147/13. Vgl. Art. 89 Abs. 1 UPCA. Ein Vorschlag zur Änderung der EuGVO liegt vor, siehe Europäische Kommission, Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1215/2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen v.  26. 07. 2013, KOM (2013) 554. 7 Ein tabellarischer Überblick ist im Anhang zu MPI, Twelve Reasons, enthalten. Detaillierte Darstellungen finden sich u. a. bei Schneider, Patentgerichtsbarkeit; Telg gen. Kortmann, Patentgerichtsbarkeit; Luginbühl, European PatL, S. 185 ff.; Pagenberg, IIC 2007, 805 ff., Jaeger, System einer Europäischen Gerichtsbarkeit, S. 680 ff., jeweils m. w. N. 8  Überblick über die Entstehungsgeschichte bei Kraßer, PatR, S. 91 f. 9  Ständig aktualisierte Fassung samt begleitender Texte unter . 10 ; ferner beste­ hen mit Bosnien-Herzegowia und Montenegro Erstreckungsabkommen. 11  Art. 1, 2 EPÜ. 12  Art. 4 Abs. 3 EPÜ. Einen kurzen Überblick über die Arbeit der EPO bietet Battistelli, GRUR Int. 2012, 328 ff.



B.  Der lange Weg zum Einheitspatent und zum UPCA

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Die Schutzwirkungen des erteilten Patents bestimmen sich primär nach dem EPÜ. Soweit jenes keine Regelungen enthält, unterliegt das Patent in jedem Vertragsstaat, für den es erteilt worden ist, denselben Vorschriften wie ein in diesem Staat erteiltes nationales Patent. Die Befugnis zur Nichtigerklärung ist für das Territorium eines jeden Vertragsstaates allein den Gerichten dieses Staates zugewiesen.13 Das Europäische Patent hat folglich keine einheitliche Wirkung in den Erteilungsstaaten; vielmehr entsteht mit seiner Erteilung ein Bündel nationaler Patente mit gemischt staatsvertraglichen und nationalen Schutzwirkungen (sog. Bündelpatent).14 Die nationalen Patentsysteme werden durch das EPÜ nicht berührt, d. h. die Erteilung „rein“ nationaler Patente mit autonom bestimmter Schutzwirkung durch die nationalen Patentbehörden bleibt alternativ oder kumulativ zur Erteilung eines Bündelpatents möglich. Einen gemeinsamen Streitregelungsmechanismus für das Verletzungs- oder Nichtigkeitsverfahren kennt das EPÜ nicht. Es sind zahlreiche Fälle dokumentiert, in denen Gerichte der Vertragsstaaten den Bestand oder die Verletzung der verschiedenen nationalen Teile eines Bündelpatents voneinander abweichend beurteilt haben15 – trotz einheitlicher Regelung der Erteilungsvoraussetzungen bzw. des Schutzbereichs in Art. 62 ff., Art. 69 EPÜ. Das EPÜ, obzwar grundsätzlich eine Erfolgsgeschichte, birgt für die prozessuale Durchsetzung von Patentrechten keinen Gewinn.

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II.  Das gescheiterte Übereinkommen über das europäische Patent für den Gemeinsamen Markt Nach Abschluss des EPÜ im Jahr 1973 intensivierten die Staaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft die Arbeiten an einem Staatsvertrag für ein Patent mit einheitlicher Wirkung innerhalb des Territoriums der EWG.16 Für die Zwecke dieses Übereinkommens über das europäische Patent für 13 

Art. 24 Nr. 4 EuGVO. Stauder in Singer/Stauder, EPÜ, Art. 2 Rn. 3. 15  Conor Medsystems v Angiotech Pharmaceuticals, [2008] UKHL 49 (HL), Rn. 1; Pozzoli v BDMO, [2007] EWCA Civ 588; Document Security Systems v European Central Bank, [2008] EWCA Civ 192 (CA), Rn. 3 ff.; Leo Pharma v. Sandoz, [2009] EWCA Civ 1188 (CA), Rn. 77, jeweils m. w. N. zu Parallelverfahren in anderen Mitgliedstaaten. Siehe ferner die Entscheidungsreihen Epilady, Spannschraube, Occluder, Senseo und Monsanto, berichtet bei Mes, PatG/GebrMG, Anh § 14 PatG Rn. 168 ff. und Harhoff, Cost-Benefit Analysis, S. 15 m. Fn. 20. Beispiele für divergierende nationale Auslegungskriterien werden erläutert von Tilmann, EIPR 2006, 169 ff. In einigen Stellungnahmen wird hervorgehoben, dass es sich hierbei um in der Praxis seltene Ausnahmefälle handele, da die Parteien im Regelfall nach Ergehen einer „Präzedenzentscheidung“ in einem Vertragsstaat eine Einigung von Streitigkeiten bezüglich anderer Vertragsstaaten träfen, vgl. Smits/Bull, European Harmonisation, S. 6 f.; de Visscher, GRUR Int. 2012, 214 (224). 16 Bereits das Memorandum des EWG-Ministerrats über die Einführung eines europäischen Patenterteilungsverfahrens vom 03. 03. 1969 hatte einen parallelen Abschluss des 14 

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§ 18  Der Unified Patent Court

den Gemeinsamen Markt (GPÜ)17 wurde ein Protokoll über die Regelung von Streitigkeiten über die Verletzung und die Rechtsgültigkeit von Gemeinschaftspatenten (Streitregelungsprotokoll) erstellt, welches die Zuständigkeit eines Gemeinsamen Berufungsgerichts für Gemeinschaftspatente (Community Patent Appeal Court – COPAC) für bestimmte Berufungen sowie für Vorabentscheidungsverfahren vorsah.18 Das GPÜ wurde bereits Ende 1975 von allen damaligen EWG-Staaten gezeichnet und nach weiteren Verhandlungen im Jahr 1989 durch sieben Mitgliedstaaten ratifiziert. Mangels Ratifikation durch die übrigen Mitgliedstaaten traten GPÜ und Streitregelungsprotokoll nie in Kraft.19

III.  Halt auf halber Strecke: das European Patent Litigation Agreement 8

Im Jahr 1999 erfolgten ungefähr zeitgleich neue Initiativen, einen einheitlichen Streitregelungsmechanismus für Patentstreitigkeiten innerhalb Europas bzw. ein einheitlich wirkendes Patentrecht innerhalb der Europäischen Union zu schaffen. Einerseits kündigte die Europäische Kommission den Vorschlag einer Verordnung zur Einführung eines Gemeinschaftspatents an (hierzu sogleich).20 Andererseits setzte eine Regierungskonferenz der Vertragsstaaten der EPO eine Arbeitsgruppe ein, um ein fakultatives Streitregelungsprotokoll zum EPÜ vorzulegen.21 Aus dieser Initiative ging der Entwurf eines Übereinkommens über die Schaffung eines Streitregelungssystems für europäische Patente (Agreement on the Establishment of a European Patent Litigation Sytem – EPLA) hervor.22 In dem Entwurf wurde die Einrichtung einer neuen EPÜ und eines Übereinkommens zur Schaffung eines einheitlichen Patents im Gemeinsamen Markt vorgesehen, näher Kraßer, PatR, S. 91. 17  Abgedruckt in GRUR Int. 1976, 231 ff.; zum GPÜ siehe näher Haertel, GRUR Int. 1976, 188 ff. 18 Allgemein zum Streitregelungsprotokoll Stauder, GRUR Int. 1986, 302 ff.; zu Ausgestaltung und Zuständigkeit des COPAC ibid, S. 308 ff. 19  Zu dieser Entwicklung näher Kraßer, S. 98 f. 20  Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament und den Wirtschafts- und Sozialausschuß: Förderung der Innovation durch Patente  – Folgemaßnahmen zum Grünbuch über das Gemeinschaftspatent und das Patentschutzsystem in Europa, KOM (1999) 42. Der Mitteilung vorausgegangen war das Grünbuch über das Gemeinschaftspatent und das Patentschutzsystem in Europa, KOM (1997) 314. 21  ABl EPO 1999, 548; Luginbühl, S. 95. Nach Art. 149a Abs. 1 lit. a, b EPÜ 2000 bleibt das Recht aller oder einiger Vertragsstaaten unberührt, ein Übereinkommen über die Schaffung eines gemeinsamen Patentgerichts oder einer Einrichtung zur Erstellung von Gutachten über Fragen des Patentrechts zu schließen. 22  Letzter Vorschlag aus dem Jahr 2005 verfügbar in englischer Sprache unter ; zum Inhalt siehe Oser, GRUR Int. 2006, 539 ff.; Schneider, Patentgerichtsbarkeit, S. 271 ff.; Liedl, Gemeinschaftspatent, S. 179 ff.; Luginbühl, European PatL, S. 185 ff.



B.  Der lange Weg zum Einheitspatent und zum UPCA

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internationalen Organisation „Europäische Patentgerichtsbarkeit“ anvisiert, zu deren Organen ein aus zwei Instanzen samt Geschäftsstelle bestehendes Europäisches Patentgericht zählen sollte. Der Entwurf sah für die an das EPLA gebundenen Vertragsstaaten eine ausschließliche Zuständigkeit des Europäischen Patentgerichts für Gültigkeits- wie Verletzungsverfahren betreffend Europäischer Patente an Stelle der nationalen Gerichte vor. Mit Blick auf die zeitgleich voranschreitenden Gesetzgebungsinitiativen der Europäischen Union zur Einführung eines Gemeinschaftspatents wurden die Arbeiten an EPLA im Jahr 2003 zunächst vorläufig und letztlich endgültig eingestellt.23

IV.  Der Vorschlag für eine Verordnung über das Gemeinschaftspatent aus dem Jahr 2000 Ein erster Vorschlag der Europäischen Kommission zur Einführung eines Gemeinschaftspatents datiert aus dem Jahr 2000.24 In diesem Vorschlag war vorgesehen, Rechtsstreitigkeiten über den Bestand und die Verletzung eines Gemeinschaftspatents ausschließlich einem Gemeinschaftspatentgericht zuzuweisen, das beim Gericht erster Instanz (heute: dem Europäischen Gericht – EuG) angesiedelt werden sollte.25 Als Rechtsmittelgericht war das Gericht erster Instanz vorgesehen, in bestimmten Fällen sollte ferner ein weiteres Rechtsmittel zum EuGH eröffnet werden. Insbesondere die Regelungen zur Sprache und zur Zuständigkeit wurden höchst kontrovers diskutiert, bis das Gesetzgebungsverfahren im Laufe des Jahres 2004 in Stillstand geriet.

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V.  Neuaufnahme des Projekts Einheitspatent und Vorschlag eines EUUPC-Übereinkommens Im Jahr 2008 wurde unter der Ratspräsidentschaft von Slowenien ein erster Vorschlag für ein Übereinkommen zur Erschaffung eines einheitlichen europäischen Patentgerichts (European and EU Patents Court  – EUUPC) vorgestellt,26 während sich der Rat Ende 2009 auf den Vorschlag einer Verordnung über das Einheitspatent einigte27 und die Europäische Kommission Mitte 2010 einen Verordnungsvorschlag zu den anzuwendenden Übersetzungsregelungen 23 Näher

Arnull/Jacob, EIPR 2007, 209 ff.; Luginbühl, European PatL, S. 189 ff. Vorschlag für eine Verordnung des Rates über das Gemeinschaftspatent, KOM (2000) 412 v. 01. 08. 2000; näher Schade, GRUR 2000, 827 ff. 25 Die Kompetenz für die Errichtung einer Gemeinschaftsgerichtsbarkeit für das Gemeinschaftspatent folgte aus Art. 229a, 225a EG, nunmehr Art. 262, 257 AEUV. 26 Arbeitsdokument des Rates der Europäischen Union v.  30. 06. 2008, Nr. 11270/08: Draft Agreement on the European Union Patent Court. 27  Vgl. Vermerk des Generalsekretärs des Rates v. 27. 11. 2009, Nr. 16113/09: Vorschlag für eine Verordnung des Rates über das Gemeinschaftspatent – Allgemeine Ausrichtung. 24 

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§ 18  Der Unified Patent Court

präsentierte.28 Der Entwurf des EUUPC-Übereinkommens sah die völkervertragliche Errichtung eines Patentgerichts in erster und zweiter Instanz vor, welchem nach einer Übergangsperiode die ausschließliche Zuständigkeit für Bestands- und Verletzungsverfahren sowohl hinsichtlich Europäischer Patente als auch hinsichtlich des im Verordnungswege zu schaffenden Gemeinschaftspatents zugewiesen wurde.29 Es war eine zwingende Ratifikation durch die Union und ihre Mitgliedstaaten vorgesehen, während der Beitritt anderer EPÜ-Vertragsstaaten optional gehalten wurde. Die Gestaltung als Staatsvertrag wurde gewählt, um eine einheitliche Gerichtsbarkeit für Europäische Patente und Gemeinschaftspatente zu ermöglichen. Um Zweifel an der Konformität dieses Vorgehens mit dem Primärrecht zu beseitigen, bat der Rat den EuGH um eine Stellungnahme zur Vereinbarkeit eines solchen Übereinkommens mit den Verträgen. Das Gutachten des EuGH versetzte dem geplanten Übereinkommen den Todesstoß: Nach Auffassung des EuGH ist die Gründung eines völkervertraglichen Gerichts nicht zulässig, sofern dieses außerhalb des institutionellen und gerichtlichen Rahmens der Union steht (d. h. nicht lediglich ein gemeinsames Gericht mehrerer Mitgliedstaaten ist), aber abschließend über die Anwendung und Auslegung von Vorschriften des Unionsrechts entscheiden kann.30 Die dem EEUPC nach dem Übereinkommensentwurf zugewiesene Befugnis bzw. Pflicht zur Stellung eines Vorabentscheidungsersuchens an den EuGH sei nicht ausreichend, da eine Verletzung der Vorlagepflicht nicht ausreichend sanktioniert werden könne.31

VI.  Das Verfahren der Verstärkten Zusammenarbeit und das UPCA 12

Zwischenzeitlich hatte die im Verordnungsvorschlag der Europäischen Kommission zur Sprachenregelung vorgesehene Beschränkung des Sprachenregimes für das Einheitspatent auf die Sprachen Deutsch, Englisch und Französisch deutliche Proteste Spaniens und Italien provoziert. Als politisches Instrument zur Auflösung der Blockadehaltung Spaniens und Italiens erwies sich das Verfahren zur Verstärkten Zusammenarbeit gemäß Art. 20 EUV, Art. 326–334 AEUV. Im März 2011 ermächtigte der Rat alle Mitgliedstaaten außer Spanien und Italien, eine Verstärkte Zusammenarbeit im Bereich der 28 Vorschlag für eine Verordnung (EU) des Rates zur Regelung der Übersetzung des Patents der Europäischen Union, KOM (2010) 350. Die Sprachenregelung war in einer gesonderten Verordnung vorgesehen, um dem besonderen (einstimmigen) Gesetzgebungsverfahren des Art. 118 Abs. 2 AEUV Rechnung zu tragen. 29 Näher Luginbühl, European PatL, S. 252 ff.; ders. in Leible/Ohly, IP & PIL, S. 236 f. 30  EuGH v. 08. 03. 2011 – Gutachten 1/09 – Slg. 2011, I-1137 (Gericht für Europäische Patente und Gemeinschaftspatente), Rn. 71 ff. 31  EuGH v. 08. 03. 2011 – Gutachten 1/09 – Slg. 2011, I-1137 (Gericht für Europäische Patente und Gemeinschaftspatente), Rn. 86 ff.; m. kritischer Anm. Müller, EuR 2011, 575 (577 ff.); zum Verfahren vor dem EuGH ferner Pagenberg, IIC 2010, 694 ff.



C.  Überblick über das Patentpaket

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Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes zu begründen.32 Klagen Italiens und Spaniens gegen diesen Beschluss blieben vor dem EuGH ohne Erfolg.33 Auf Basis der bereits vorliegenden Entwürfe wurden nach weiteren zähen Verhandlungen und in einem bedenklich intransparenten Rechtsetzungsprozess die Verordnungen zum Einheitspatent und über die anzuwendenden Übersetzungsregelungen am 17. 12. 2012 erlassen.34 Parallel dazu wurde das Übereinkommen über ein einheitliches Patentgericht (Unified Patent Court – UPC) auf Basis des Entwurfs für das EEUPCÜbereinkommen verhandelt, unter Berücksichtigung des zum EEUPC-Entwurf erstellten Gutachten des EuGH. Das UPCA steht lediglich Mitgliedstaaten der Europäischen Union zum Beitritt offen und wurde bisher von 25 Mitgliedstaaten gezeichnet.35 Im Folgenden werden die drei Basiskomponenten des Patentpakets  – die Verordnung zur Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes, die Verordnung über die anzuwendenden Übersetzungsregelungen sowie das Übereinkommen über ein einheitliches Patentgericht kurz vorgestellt und deren Vereinbarkeit mit dem Primärrecht erörtert.

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C.  Überblick über das Patentpaket I.  Die Verordnung über das Einheitspatent Die auf Art. 118 Abs. 1 AEUV gestützte Verordnung zur Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes (EPV)36 ist  – verglichen etwa mit der Verordnung über die Gemeinschaftsmarke – sehr schlank ausgefallen. Dies hat im Wesentlichen zwei Gründe. Erstens schafft die Verordnung ein Europäisches Patent (i. S. d. EPÜ) mit einheitlicher Wirkung innerhalb des Territoriums der an der EPV teilnehmenden Mitgliedstaaten. Indirekt nimmt die Verordnung somit auf die im EPÜ enthaltenen Bestimmungen zu Erteilung und Wirkung Europäischer Patente Bezug. Zweitens galt es aus Sicht der Patentrechtspraktiker wie der beteiligten Wirtschaftskreise, einer potentiellen Befassung des Euro32  Beschluss des Rats 2001/167/EU vom 10. März 2011 über die Ermächtigung zu einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes, ABl. Nr. L 76/53 vom 22. 3. 2011. 33  EuGH v. 16. 04. 2013 – verb. RS C-274/11 und C-295/11 (Spanien/Rat, Italien/Rat). 34 Eingehend Pagenberg, GRUR 2012, 582 ff.; ders., JIPlP 2013, 480 ff.; Stjerna, Einheitspatent, S. 1 ff.; Luginbühl, GRUR Int. 2013, 305 (306 f.). 35  Zum Stand der Ratifikation siehe . Gezeichnet haben das Übereinkommen 25 Mitgliedstaaten inklusive Italien, exklusive Spanien, Polen und Kroatien. 36 Verordnung (EU) Nr. 1257/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2012 über die Umsetzung der Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes, ABl. Nr. L 361/1 v. 31. 12. 2012.

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§ 18  Der Unified Patent Court

päischen Gerichtshofs mit Fragen des Patentrechts vorzubeugen. Diese Bedenken rührten einerseits aus der erheblichen Verfahrensverzögerung, die ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH mit sich bringt und die aufgrund der begrenzten Laufzeit eines Patents besonders misslich ist.37 Noch kritischer wurde der fehlende technische und spezifisch patentrechtliche Sachverstand auf der Richterbank des EuGH gesehen. Eine Betrauung des EuGH mit der Überprüfung wesentlicher Patentrechtsfragen war nach allgemeiner Ansicht geeignet, „dem europäischen Patentrecht Schaden zuzufügen“.38 Wesentliche materiellrechtliche Fragen wurden deshalb in Art. 25 bis 30 UPCA ausgelagert (Verletzung des Patents, Wirkung eines ergänzenden Schutzzertifikats, Vorbenutzungsrecht)39 oder nicht einheitlich geregelt (Übertragung, Drittwirkung, Zwangslizenz, Schutz der Anmeldung, Behandlung des Schutzrechts in Vollstreckung und Insolvenz).40 Zentraler Regelungsgegenstand der EPV ist die Begründung der einheitlichen Wirkung im gesamten Territorium der an der Verordnung teilnehmenden 25 Mitgliedstaaten,41 sofern ein Europäisches Patent i. S. d. EPÜ mit den gleichen Ansprüchen für diese Mitgliedstaaten erteilt und ein Antrag auf einheitliche Wirkung gestellt wurde.42 Nach dieser Konzeption zerfällt das Europäische Patent nicht in ein Bündel nationaler Teile, sondern besteht als Einheitspatent fort, welches einheitlichen Schutz bietet und nur im Hinblick auf alle teilnehmenden Mitgliedstaaten beschränkt, übertragen, für nichtig erklärt werden oder erlöschen kann.43 Der alternative Schutz durch nationale Patente oder Europäische Patente mit Wirkung für einzelne oder mehrere Mit37  House of Commons, UPC, Rn. 69 f.; Pagenberg, GRUR 2012, 582 (587); Smits/Bull, European Harmonisation, S. 17; Kraßer, Effects, S. 7 f.; allgemein vom Luxemburg-Torpedo spricht Dickinson, Blogeintrag v. 10. 01. 2008 . 38  Pagenberg, GRUR 2012, 582 (587); vgl. auch Sir Robin Jacob, Opinion, S. 1: „I go so far as say that I have no doubt whatever that if Arts 6–8 are included in the Regulation the whole endeavour will have failed to produce what was intended: a better system for litigation of patents in Europe than that which we have now.“ Siehe ferner House of Commons, UPC, Rn. 71 ff., insbes. Rn. 75, 113; Pagenberg, JIPlP 2013, 480 (481) m. w. N. Strategien für eine Erhöhung der Kompetenz des EuGH speziell in Bezug auf Patentstreitigkeiten entwickelt de Visscher, GRUR Int. 2012, 214, 222 f. Allgemein zur Qualität patentrechtlicher Entscheidungen durch Verfassungsgerichte siehe Smyth, JIPlP 2013, 31 ff. 39  Es handelt sich hierbei um ursprünglich in Art. 6 bis 8 EPV-Vorschlag enthaltene Regelungen, die insbesondere auf Betreiben des britischen Premiers Cameron nach schwierigen Verhandlungen zwischen Rat und Parlament aus der EPV gestrichen wurden. Siehe näher Tilmann, JIPLP 2013, 78 ff.; Ullrich, Select from within, S. 39 ff. 40  Hierzu kritisch MPI, Twelve Reasons, Nr. 2, 10b. 41  Art. 3 Abs. 1 EPV. Art. 142 EPÜ eröffnet die Möglichkeit einer solchen Regelung, auch wenn dort von einem „besonderen Übereinkommen“ die Rede ist, näher Luginbühl in Singer/ Stauder, EPÜ, Art. 142 Rn. 3. 42  Art. 9 Abs. 1 lit. g EPV, Art. 3 Abs. 2 ÜEPV. 43  Art. 3 Abs. 2 EPV, eine Lizensierung für einzelne Mitgliedstaaten bleibt möglich, vgl. Art. 3 Abs. 2 UAbs. 3 EPV.



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gliedstaaten bleibt möglich; ein kumulativer Schutz durch ein Europäisches Patent mit einheitlicher Wirkung und ein Europäisches Bündelpatent ist hingegen nicht zulässig.44 Eine inhaltliche Ausgestaltung des Einheitspatents nimmt die Verordnung nur hinsichtlich dreier Einzelaspekte der Schutzreichweite und der Verkehrsfähigkeit vor: Erschöpfung des Schutzrechts (Art. 6 EPV), Ausschluss nationaler Registerpflichten im Zuge einer Übertragung (Art. 7 Abs. 4 EPV), Anzeige der Lizenzbereitschaft (Art. 8 EPV). Art. 5 Abs. 1 EPV sieht ferner einen einheitlichen Unterlassungsanspruch vor, dessen Inhalt nicht ausgestaltet, sondern nach dem anwendbaren Sachrecht bestimmt wird. Weitere Regelungsgegenstände der EPV sind die Übertragung von Verwaltungsaufgaben an die EPO (Art. 9 EPV) sowie die anfallenden Jahresgebühren (Art. 11 bis 13 EPV). Art. 5 Abs. 3 und Art. 7 EPV enthalten das maßgebliche Kollisionsrecht. Verletzungshandlungen, Beschränkungen des Patentschutzes und die Behandlung des Einheitspatents als Gegenstand des Vermögens unterliegen dem Recht desjenigen teilnehmenden Mitgliedstaates, in dem gemäß dem Europäischen Patentregister der Patentanmelder zum Zeitpunkt der Patentanmeldung seinen Wohnsitz oder den Sitz seiner Hauptniederlassung, hilfsweise einer einfachen Niederlassung innehat. Verfügt der Patentanmelder weder über einen Sitz, noch über eine Niederlassung in einem der teilnehmenden Mitgliedstaaten, findet deutsches Recht Anwendung.45 Somit unterliegt zwar ein bestimmtes Einheitspatent stets nur einer einzigen nationalen Rechtsordnung, die EPV enthält jedoch kein Einheitsrecht für das Einheitspatent.46 Bei der Ermittlung des nationalen Sachrechts sind allerdings die vorrangigen staatsvertraglichen Bestimmungen des EPÜ und des UPCA zu berücksichtigen, welche eine teilweise Vereinheitlichung der Schutzwirkung und der Schutzschranken des Patents vornehmen.

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II.  Die Verordnung über die anzuwendenden Übersetzungsregelungen Die Verordnung über die im Rahmen der EPV anzuwendenden Übersetzungsregelungen (ÜEPV)47 baut auf dem Sprachenregime des Europäischen Patentübereinkommens auf. Nach Art. 14 Abs. 1, Abs. 2 EPÜ ist eine Europäische Patentanmeldung in einer der Amtssprachen des Europäischen Patentamts, d. h. 44 

Art. 4 Abs. 2, Erwägungsgrund 8 EPV. wird an den Sitz der EPO in München, vgl. Art. 7 Abs. 3 EPV, Art. 6 Abs. 1 EPÜ. Zur Tauglichkeit des BGB als solchermaßen bestimmtes „gesamteuropäisches Innovationsgesetz“ siehe Jaeger, JZ 2013, 1070 (1074 ff.). 46 Kritisch MPI, Twelve Reasons, Nr. 2; Jaeger, JZ 2013, 1070 (1071 ff.). 47  Verordnung (EU) Nr. 1260/2012 des Rates vom 17. Dezember 2012 über die Umsetzung der verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes im Hinblick auf die anzuwendenden Übersetzungsregelungen, ABl. Nr. L 361/98 v. 31. 12. 2012. 45 Angeknüpft

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in Deutsch, Englisch oder Französisch einzureichen oder in eine Amtssprache zu übersetzen (sog. Verfahrenssprache). Nach Erteilung des Patents erfolgt die Veröffentlichung der europäischen Patentschrift (Beschreibung, Ansprüche, Zeichnungen) in dieser Verfahrenssprache, einer Übersetzung in die anderen beiden Amtssprachen bedarf es nur hinsichtlich der Patentansprüche.48 Dieser Grundsatz gilt auch für die Erteilung Europäischer Patente mit einheitlicher Wirkung (nach Ablauf einer zwölfjährigen Übergangsfrist, die bei Verfügbarkeit qualitativ hochwertiger Übersetzungssoftware ggf. verkürzt werden kann49). Eine zu Art. 65 EPÜ korrespondierende Regelung, wonach es jedem Vertragsstaat des EPÜ, für dessen Territorium die Wirkung des Europäischen Patents beantragt wurde, freisteht, eine Übersetzung der vollständigen Patentschrift in eine seiner Amtssprachen zu fordern, kennt die ÜEPV nicht.50 Das fehlende Übersetzungserfordernis hatte die Nichtbeteiligung Spaniens und Italiens am Einheitspatent zur Konsequenz. Besonderheiten gelten für einen Rechtsstreit über eine angebliche Patentverletzung: Hier ist der Patentinhaber auf Antrag des Gerichts oder des behaupteten Patentverletzers gehalten, für eine Übersetzung der vollständigen Patentschrift in die Verfahrenssprache des Gerichts oder die Amtssprache des Ortes, an dem der mutmaßliche Patentverletzer ansässig ist bzw. die beanstandete Handlung vorgenommen hat, Sorge zu tragen.51 Nach Art. 4 Abs. 4 ÜEPV kann das entscheidende Gericht ferner in einem Schadensersatzprozess ggf. fehlende Sprachkenntnisse des Patentverletzers hinsichtlich der Verfahrenssprache im Patenterteilungsverfahren in seine Erwägungen einfließen lassen.

III.  Das Übereinkommen über ein einheitliches Patentgericht 1.  Gerichtsorganisation und grundlegendes Zuständigkeitskonzept 21

Das Übereinkommen über ein einheitliches Patentgericht (UPCA) errichtet ein eigenständiges, völkervertragliches Gericht, welches mit den Gerichtssystemen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union eng verflochten 48 

Art. 14 Abs. 6 EPÜ. Vgl. Art. 6 ÜEPV. Während der Übergangsfrist ist die vollständige Patentschrift in die englische Sprache zu übersetzen, sofern als Verfahrenssprache Deutsch oder Französisch gewählt wurde. Wurde Englisch als Verfahrenssprache gewählt, bedarf es einer Übersetzung der vollständigen Patentschrift in eine beliebige andere Amtssprache der Europäischen Union. Die Entwicklung qualitativ hochwertiger Übersetzungssoftware wird derzeit vom EPA in Kooperation mit Google betrieben, siehe Battistelli, GRUR Int. 2012, 328 (329); Luginbühl, GRUR Int. 2013, 305 (308). 50  Art. 65 EPÜ; einige Staaten haben im Rahmen des Londoner-Übereinkommens auf dieses Recht verzichtet, siehe Übereinkommen über die Anwendung des Artikels 65 des Übereinkommens über die Erteilung europäischer Patente, ABl. EPO 2001, 550. 51  Art. 3 Abs. 1, Art. 4 ÜEPV. 49 



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ist. Der UPC besteht aus einem Gericht erster Instanz, einem Berufungsgericht und einer Kanzlei.52 Das Gericht erster Instanz verfügt über lokale und regionale Kammern sowie über eine Zentralkammer in Paris mit Abteilungen in London und München.53 Die lokalen Kammern werden auf Antrag eines Vertragsstaates in diesem errichtet, wobei die Anzahl möglicher lokaler Kammern von der Anzahl jährlich eingeleiteter Verfahren abhängig und in der Höhe auf vier pro Vertragsstaat begrenzt ist.54 Regionalkammern können auf gemeinsamen Antrag mehrerer Vertragsstaaten hin errichtet werden.55 Berufungsgericht und Kanzlei haben ihren Sitz in Luxemburg.56 Die Kosten der Einrichtung des Gerichts trägt jeweils derjenige Vertragsstaat, auf dessen Territorium die betreffende Kammer bzw. Abteilung ihren Sitz hat, während die laufenden Betriebskosten vom Haushalt des Gerichts gedeckt werden.57 Die Zusammensetzung der Kammern ist international, technisch qualifizierte Richter sind verfügbar.58 Der UPC besitzt die ausschließliche Zuständigkeit für einstweilige Verfügungen und Klagen wegen der Verletzung eines Europäischen Patents mit einheitlicher Wirkung (Einheitspatent) oder territorial begrenzter Wirkung (Bündelpatent) sowie für Bestandsklagen und negative Feststellungsklagen.59 Die Entscheidungen des Gerichts entfalten in Verletzungs- wie in Bestandsverfahren einheitliche Wirkung in allen Vertragsstaaten, für die das Europäische Patent erteilt wurde.60 Für andere Verfahren, etwa Lizenzstreitigkeiten61 oder Verletzungsverfahren betreffend nationaler Patente, bleiben die nationalen Gerichte der Vertragsstaaten zuständig.62 Während einer Übergangsphase können Verletzungs- bzw. Bestandsverfahren hinsichtlich Europäischer Bündelpatente weiterhin vor nationalen Gerichten geführt werden; auf Wahl des Patentinhabers können ferner vor Ablauf der Übergangszeit erteilte Europäische 52 

Art. 6 Abs. 1 UPCA. Art. 7 Abs. 1 und 2, Anhang II UPCA. 54  Art. 7 Abs. 3 und 4 UPCA. 55  Art. 7 Abs. 5 UPCA. 56  Art. Art. 9 Abs. 5, Art. 10 Abs. 1 S. 1 UPCA. 57  Art. 37 Abs. 1 UPCA. Innerhalb der ersten sieben Jahre ab Inkrafttreten des Übereinkommens stellen die jeweiligen Vertragsstaaten ferner Verwaltungspersonal zur Verfügung. Kritisch Luginbühl, European PatL, S. 272 f. (zum EUUPC): Die Hemmschwelle gegenüber der Errichtung einer Lokalkammer aus rein politischen Gründen ohne praktischen Bedarf sei nicht hoch genug. 58  Siehe näher infra § 18 Rn. 47. 59  Näher Art. 32 UPCA. Nach Rule 19 Abs. 7 VerfO17 soll die Zuständigkeit des UPC ferner durch rügelose Einlassung begründet werden, sofern der Beklagte die fehlende Zuständigkeit nicht innerhalb von einem Monat nach Klagezustellung rügt. Es ist zweifelhaft, ob sich diese Kompetenzerweiterung des UPC mit dem Übereinkommen vereinbaren lässt. 60  Art. 34 UPCA. 61  Ausgenommen Streitigkeiten i. S. d. Art. 32 Abs. 1 lit. h und i UPCA. 62  Art. 32 Abs. 2 UPCA; kritisch Brandi-Dohrn, IIC 2012, 372 (378 f.). 53 

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Bündelpatente der Zuständigkeit des UPC vollständig entzogen werden (sog. opt-out, mit Möglichkeit eines späteren opt-in).63 Neben seiner Funktion als Zivilgericht ist dem UPC auch die Aufgabe zugewiesen, als Verwaltungsgericht über Klagen gegen die administrativen Entscheidungen des Europäischen Patentamts zum Einheitspatent zu befinden.64 Der UPC wird in Art. 1 Abs. 2, Art. 21 UPCA explizit als gemeinsames Gericht aller Vertragsstaaten und Teil ihres Gerichtssystems bezeichnet. Er ist deshalb verpflichtet, Fragen der Gültigkeit und Auslegung des Unionsrechts dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen.65 Das Vorabentscheidungsersuchen beschränkt sich auf die Auslegung des Unionsrechts; keine Auslegungshoheit des Europäischen Gerichtshofs besteht prinzipiell hinsichtlich der Bestimmungen des UPCA.66 Das zweispurige Rechtsschutzsystem der E ­ uropäischen Union (zentrale und dezentrale Unionsgerichte, siehe § 2 Rn. 14 ff.) wird um eine dritte, völkervertragliche Spur erweitert, soweit der betreffende Mitgliedstaat das Übereinkommen ratifiziert hat. Der deutliche einfachere Weg zur Errichtung eines Einheitsgerichts im Wege der Kompetenzerweiterung des Europäischen Gerichtshofs (Art. 262 AEUV) und der Errichtung eines beim EuG angesiedelten Fachgerichts (Art. 257 AEUV) war aufgrund der Opposition Spaniens und Italiens gegen das Patentpaket versperrt und in den beteiligten Praktikerkreisen aufgrund der resultierenden Auslegungshoheit des EuGH weitgehend unerwünscht.67 In Anlehnung an Art. 267 S. 2 und 3 AEUV dürfte eine Vorlagepflicht des UPC nur auf Seiten des Berufungsgerichts bestehen, während das Gericht erster Instanz zur Vorlage befugt, aber nicht verpflichtet ist. Es wird interessant sein, zu beobachten, in welchem Umfang sich der EuGH die Befugnis zur Vorabentscheidung über Fragen des UPCA zusprechen wird. Erstens sind zahlreiche Bestimmungen des UPCA dem TRIPS-Übereinkommen oder der Durchsetzungsrichtlinie nachgebildet. Nach der Rechtsprechung des EuGH steht dem Gerichtshof sowohl die Hoheit über die Auslegung des TRIPS zu,68 als auch die Befugnis, im Interesse der Kohärenz des Unionsrechts über die Auslegung 63 Art.  83 UPCA. Zu den hieraus resultierenden strategischen Erwägungen (forum ­shopping) siehe Schröer, GRUR Int. 2013, 1102 ff. 64  Art. 32 Abs. 1 lit. i UPCA, r. 85 ff. VerfO17. 65  Art. 21 S. 1 UPCA i. V. m. Art. 267 AEUV. Art. 21 S. 2 UPCA bezeichnet Entscheidungen des EuGH als für das UPC bindend. Hierbei dürfte – entsprechend der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 267 AEUV  – eine formelle Bindung im Vorlageverfahren sowie eine tatsächliche Bindungswirkung i. S. d. C. I. L. F. I. T.-Rechtsprechung gemeint sein, siehe näher § 2 Rn. 17. 66  Weitgehend a. A. Haedicke, GRUR Int. 2013, 609 (615 ff.). 67  Ferner wäre eine Übertragung der Rechtsprechungsbefugnis über Europäische Bündelpatente auf dieses Gericht nicht möglich gewesen. 68  EuGH v. 11. 09. 2007 – C-431/05 – Slg. 2007, I-7001 (Merck Genéricos), Rn. 31 m. w. N.; Romandini/Klicznik, IIC 2012, 524 (537 f.).



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von nationalen Bestimmungen zu entscheiden, welche dem Unionsrecht nachgebildet sind (insbes. überschießende Umsetzung von Richtlinien).69 Zweitens hat sich der EuGH in der Vergangenheit durchaus als willens erwiesen, vage und lückenhafte unionsrechtliche Regelungen durch seine Rechtsfortbildung zum Leben zu erwecken.70 Der Versuch der Vertragsstaaten, den Einfluss des EuGH auf die Rechtsprechung des UPC zu minimieren, könnte sich demnach als untauglich erweisen.

2.  Weitere Regelungsgegenstände Rechtsquellen für die Entscheidungen des UPC sind gemäß Art. 24 UPCA das gesamte Unionsrecht, die in UPC und EPÜ enthaltenen Bestimmungen, weitere einschlägige internationale Abkommen sowie das nationale Recht, welches primär nach Maßgabe der Art. 5 Abs. 3, Art. 7 EPV sowie Art. 8 Rom II-VO zu bestimmen ist. Wie bereits erwähnt, enthalten Art. 25 bis 30 UPCA materiellrechtliche Bestimmungen, welche eine über das EPÜ hinausgehende Rechtsvereinheitlichung der Wirkungen eines Europäischen Patents  – sei es ein Einheitspatent oder ein Bündelpatent – vorsehen.71 Die Bestimmungen zur internationalen Zuständigkeit und Durchführung des Verfahrens werden in den folgenden Abschnitten erläutert. Zu den weiteren Regelungsgegenständen des Übereinkommens zählen: das Anforderungsprofil und die Ernennung der Richter, der Vorrang des Unionsrechts, die Errichtung eines Mediations- und Schiedszentrums für Patentsachen, die Finanzverfassung und die Satzung des Einheitlichen Patentgerichts.

69 EuGH v.  18.  10. 1990  – C-297/88  – Slg. 1990, I-3763 (Dzodzi), Rn. 37; EuGH v.  17. 07. 1997  – C-297/88  – Slg. 1997, I-4291 (Giloy), Rn. 23 ff.; EuGH v.  17. 07. 1997  – C-28/95  – Slg. 1997, I-4161 (Leur-Bloem), Rn. 1. Demgegenüber wurde eine Auslegungshoheit des EuGH verneint in einer Konstellation, in der das nationale Recht lediglich (mit Abweichungen) nach dem Muster des Unionsrechts gebildet worden war und den nationalen Gerichten die Befugnis zukam, von der vorgesehen Regelung abzuweichen, vgl. EuGH v. 28. 03. 1995 – C-346/93 – Slg. 1995, I-615 (Kleinwort Benson), Rn. 19 ff. Die Bestimmungen des UPCA sind einerseits mit Abweichungen nach dem Muster von EuGVO und DRL gebildet, belassen dem UPC andererseits keinen Anwendungspielraum. Die Auslegungshoheit des EuGH über das UPCA wird befürwortet von Haedicke, GRUR Int. 2013, 609 (615 f.), soweit die Normen des UPCA auf das Unionsrecht verweisen oder nach dessen Muster gebildet worden sind. 70 Hierzu Jaeger, IIC 2013, 389 (391). 71 Ferner wären die Bestimmungen der Art.  63, 64, 67, 68 nach deutschem Recht materiellrechtlich zu qualifizieren. Diese Regelungen sind aus der Durchsetzungsrichtlinie übernommen und deshalb neutral formuliert. Zu daraus resultierenden Qualifikationsproblemen, soweit mitgliedstaatliche Gerichte während der Übergangszeit über Europäische Bündelpatente befinden siehe Schröer, GRUR Int. 2013, 1102 (1107 ff.).

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IV.  Inkrafttreten des Patentpakets und ungeregelte Aspekte 27

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Die Verordnungen über das Einheitspatent sowie über die anzuwendenden Übersetzungsregelungen sind am 20. Januar 2013 in Kraft getreten und gelten ab dem Tag des Inkrafttretens des Übereinkommens.72 Das Abkommen tritt am ersten Tag des vierten Monats nach Hinterlegung der 13. Ratifikations- oder Beitrittsurkunde oder am ersten Tag des vierten Monats nach Inkrafttreten der erforderlichen Änderungen der EuGVO in Kraft.73 Der Beitritt Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens (als Staaten mit den meisten im Jahr 2012 in Geltung befindlichen europäischen Patenten) ist zwingende Voraussetzung für ein Inkrafttreten des Staatsvertrags.74 Die erforderliche Änderung der EuGVO ist mit Wirkung zum 10. Januar 2015 erfolgt;75 bis Frühjahr 2015 hatten sechs Staaten das Übereinkommen ratifiziert.76 Die Klagen Spaniens vor dem Europäischen Gerichtshof, mit denen die Feststellung der Unwirksamkeit beider Verordnungen begehrt wurde, hat der EuGH im Mai 2015 abgewiesen.77 Zahlreiche Einzelfragen sind noch offen und sollen durch einen im März 2013 eingesetzten Vorbereitenden Ausschuss geklärt werden.78 Dies betrifft neben Anmelde- und Jahresgebühren,79 Gerichtskosten, Finanzhaushalt, IT-Infrastruktur sowie Personalauswahl und -ausbildung insbesondere die vom UPC anzuwendenden Verfahrensregeln, welche nur höchst rudimentär im UPCA skizziert sind. Zwecks Entwicklung der Verfahrensordnung hat der Vorbereitende Ausschuss ein Entwurfskomitee eingesetzt,80 welches auf einen Entwurf zurückgreifen konnte, der bereits im Hinblick auf das geplante EEUPC-Übereinkommen von einer Expertengruppe erstellt worden war und

72 

Art. 18 Abs. 1, 2 EPV, Art. 7 ÜEPV. Art. 89 Abs. 1 UPCA. 74  Ibid. 75  Art. 2 der Verordnung (EU) Nr. 542/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 bezüglich der hinsichtlich des Einheitlichen Patentgerichts und des Benelux-Gerichtshofs anzuwendenden Vorschriften, ABl. Nr. L 163/1 v.  29. 05. 2014. Dänemark hat erklärt, dass es die Verordnung umsetzen wird, vgl. ABl. Nr. L 2410/1 v. 13. 08. 2014. 76  Belgien, Dänemark, Frankreich, Malta, Österreich, Schweden; siehe . 77  EuGH v. 05. 05. 2015 – C-146/13 und C-147/13 (Spanien/Parlament und Rat). 78  Vgl. Erklärung der vertragsschließenden Mitgliedstaaten zu den Vorbereitungen für die Aufnahme der Tätigkeit des einheitlichen Patentgerichts, Anlage zu Arbeitsdokument des Rates v. 19. 02. 2013, Nr. 6572/13. 79 Hierzu Pagenberg, JIPlP 2013, 480 (481 f.). 80  Dem Entwurfskommittee gehören an: Kevin Mooney (UK), Christopher Floyd (UK), Klaus Grabinski (D), Willem Hoyng (NL), Alice Pezard (F), Winfried Tilmann (D) und Pierre Véron (F). 73 



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seitdem stetig unter Einbeziehung der Kommission, diverser Ratspräsidentschaften, dem Forum Europäischer Patentrichter sowie Vertretern interessierter Kreise überarbeitet wurde.81 Nach Finalisierung des Entwurfs und einer Stellungnahme der Europäischen Kommission zur Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht ist die Verfahrensordnung vom Verwaltungsausschuss des UPCA zu verabschieden; eine Abänderung der Verfahrensordnung ist ebenfalls durch Beschlussfassung des Verwaltungsausschusses auf Vorschlag des Gerichts möglich.82

V.  Vereinbarkeit des Patentpakets mit dem Primärrecht Ob sich das Patentpaket in seiner konkreten Ausgestaltung mit dem Primärrecht der Europäischen Union vereinbaren lässt, ist zweifelhaft. Im Schrifttum und in der Klage Spaniens vor dem EuGH wird einerseits die „SchmalspurRegelung“ der Verordnung über das Einheitspatent moniert. Art. 118 Abs. 1 AEUV sei nicht geeignet, als Kompetenzgrundlage zu fungieren, wenn es an einer Definition von Kernelementen des einheitlichen Schutzrechts in der Verordnung fehle.83 In der Tat ist das Einheitspatent in seiner Konzeption ein völkerrechtlicher Rechtstitel (Europäisches Patent) mit angehängter einheitlicher Wirkung, die sich noch nicht einmal auf das gesamte Territorium der Europäischen Union erstreckt. Es ist unklar, ob das Primärrecht die Delegation des Verleihungsaktes eines Rechtstitels des Unionsrechts an eine internationale Organisation (die EPO) erlaubt.84 In der nach Fertigstellung des Manuskripts ergangenen Entscheidung des EuGH über die Klage Spaniens hat der Gerichtshof diesen Aspekt freilich als unproblematisch erachtet.85 Gravierend sind auch die Bedenken gegen die Auslagerung materiellrechtlicher Bestimmungen in das UPCA. Nach der Rechtsprechung des EuGH muss die Wahl der Rechtsgrundlage im Rahmen des Zuständigkeitssystems der Union auf objektive, gerichtlich nachprüfbare Umstände gründen, zu denen das Ziel und der Inhalt des Rechtsakts gehören.86 Im Rahmen des Erlasses des 81 

Zum Entstehungsverlauf näher Grabinski, GRUR Int. 2013, 310 (311). Abs. 2 UPCA. Nach Art. 12 UPCA setzt sich der Verwaltungsausschuss aus je einem Vertreter der Vertragsstaaten zusammen, wobei der Europäischen Kommission ein Beobachterstatus zukommt. Für die Beschlussfassung ist eine Dreiviertelmehrheit erforderlich. 83 Klage Spanien/Parlament und Rat, Rs. C-146/13, Klagegrund 2; umfassend Jaeger, IIC 2012, 286 (289 ff.); ders., EuZW 2013, 15 (17 f.); de Visscher, GRUR Int. 2012, 214 (220 f.); Ullrich, Select from within, S. 39 ff. A. A. Tilmann, GRUR 2013, 157; Kraßer, Effects, S. 8 ff.: Der durch Art. 3, Art. 5 EPV bewirkte einheitliche Schutz sei ausreichend, um die Kompetenz nach Art. 118 Abs. 1 AEUV zu aktivieren. 84  Siehe Klage Spanien/Parlament und Rat, Rs. C-146/13, Klagegrund 5; Jaeger, IIC 2012, 286 (293 f.). 85  EuGH v. 05. 05. 2015 – C-146/13 (Spanien/Parlament und Rat), Rn. 48 ff. 86  EuGH v. 11. 06. 1991 – C-300/89 – Slg. 1991, I-2867 (Kommission/Rat – Titandioxid), 82  Art. 41

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Patentpakets wurden materiellrechtliche Bestimmungen, die sachlich der EPV zuzuordnen sind und deren Regelung in Art. 6 bis 8 EPV vorgesehen war, in Art. 25 bis 30 UPCA transferiert. Diese Auslagerung in einen Staatsvertrag, der primär Fragen der Gerichtsverfassung und des Zivilverfahrensrechts zum Gegenstand hat, erfolgte in der ausdrücklichen politischen Absicht, die Auslegungshoheit des Europäischen Gerichtshofs zu umgehen.87 Umstritten ist ferner, inwieweit die durch das UPCA konstatierte Eingliederung des UPC in das Gerichtssystem der Mitgliedstaaten sowie der Ausschluss von Nicht-Mitgliedstaaten der Union ausreicht, um den Vorgaben des EuGH in seinem Gutachten zum Entwurf eines EEUPC-Übereinkommens zu genügen.88 Schließlich bestehen begründete Zweifel an einer alleinigen Vertragsschlusskompetenz der Mitgliedstaaten für den Abschluss des UPCA.89 Nach Art. 3 Abs. 2, 216 Abs. 1 AEUV verfügt die Europäische Union über die Vertragsschlusskompetenz für den Abschluss von Übereinkünften, die Vorschriften des Unionsrechts beeinträchtigen bzw. deren Tragweite oder Anwendungsbereich verändern könnten.90 Dies gilt auch in jenen Situationen, in denen Übereinkommen und Unionsrecht miteinander kohärent erscheinen.91 Entsprechende Beeinträchtigungen des Unionsrechts durch das UPCA kommen in mehrfacher Hinsicht in Betracht. Erstens enthalten Art. 58 bis 64 UPCA Bestimmungen, die zwar Art. 5 bis 14 der Richtlinie zur Durchsetzung von Rechten des Geistigen Eigentums (DRL) deutlich nachgebildet sind, aber gewisse Eigenheiten aufweisen.92 Diese Regelungen finden nicht allein auf das neue Einheitspatent Anwendung, sondern auch auf den bislang durch die DRL harmonisierten Bereich der Verletzung Rn. 10; EuGH v. 29. 04. 2004 – C-338/01 – Slg. 2004, I-4829 (Komission/Rat – RL 2001/44/ EG), Rn. 54; Leible/Schröder in Streinz, EUV/AEUV, Art. 114 AEUV Rn. 128 m. w. N. 87 Ebenso MPI, Twelve Reasons, Nr. 10b; Ullrich, Select from within, S. 39 ff.; Jaeger, EuZW 2013, 15 (16 f.). 88  Zweifel weckt insoweit die Entscheidung des EuGH v. 14. 06. 2011 − C-196/09 – Slg. 2011, I-5105 (Miles/Europäische Schulen), Rn. 41 ff. m. Anm. Schadendorf, EuZW 2011, 672 (273); als nicht primärrechtskonform wird die Ausgestaltung des UPC-Übereinkommens angesehen von de Visscher, GRUR Int. 2012, 214 (217 ff.); Jaeger, IIC 2012, 286 (299 ff.). Als ausreichend erachtet die Änderungen hingegen Tilmann, GRUR 2013, 157 (158). 89  Jaeger, IIC 2012, 286 (297 ff.); Pagenberg, JIPlP 2013, 480 (484 f.). 90  EuGH v. 27. 11. 2012 – C-370/12 (ESM-Vertrag), Rn. 101; EuGH v. 14. 10. 2014 – Gutachten 1/13 (Beitritt von Drittstaaten zum Haager Kindesentführungsabkommen), Rn. 84 ff. 91  EuGH v. 14. 10. 2014 – Gutachten 1/13 (Beitritt von Drittstaaten zum Haager Kindesentführungsabkommen), Rn. 86. 92 Infra Rn. 111 ff., 133 ff. Soweit die Regelungen des UPCA für den Patentinhaber vorteilhafter sind als jene der Durchsetzungsrichtlinie, dürfte dies aufgrund des Mindestharmonisierungsansatzes der DRL unproblematisch sein. Doch unterschreitet das UPCA den Maßstab der Durchsetzungsrichtlinie an bestimmten Stellen, so fehlt etwa ein Äquivalent zu Art. 9 Abs. 2 S. 2 DRL.



C.  Überblick über das Patentpaket

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Europäischer Bündelpatente93 und ändern somit den Anwendungsbereich der Art. 5 bis 14 DRL. Zweitens regelt das UPCA nicht nur die sachliche Zuständigkeit des UPC anstelle der mitgliedstaatlichen Gerichte, sondern enthält auch Bestimmungen zur Zuweisung der Rechtssachen an die in verschiedenen Vertragsstaaten angesiedelten Lokal- und Regionalkammern. Mag es sich hierbei aus Perspektive der Gerichtsorganisation lediglich um eine Regelung der funktionalen Zuständigkeit bzw. Geschäftsverteilung handeln, so wird in der Sache die nach der EuGVO bestehende internationale Zuständigkeit der Gerichte bestimmter Mitgliedstaaten tangiert.94 Zwar bleibt die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit des UPC nach Art. 31 UPCA, Art. 71b EuGVO den Gesetzgebungsorganen der Union überlassen. Die interne Zuweisung eines Rechtsstreits an die in verschiedenen Vertragsmitgliedstaaten belegenen Kammern und Abteilungen wird jedoch durch das UPCA geregelt, und zwar nach einem System, das dem Zuständigkeitsregime der EuGVO nachgebildet ist, aber sich mit diesem nicht vollständig deckt. Das Abkommen ist folglich geeignet, die Wirksamkeit der Bestimmungen der EuGVO zu beeinträchtigen.95 Freilich kann die Europäische Union ihre Außenkompetenz zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge auch dadurch ausüben, dass der Rat die Mitgliedstaaten ermächtigt, bestimmten Übereinkünften beizutreten.96 In der unionsrechtlichen Zuweisung bestimmter Rechtsstreitigkeiten an den UPC gemäß Art. 71b EuGVO (2012) liegt eine implizite Ermächtigung zur internen Verteilung der Streitigkeiten gemäß den Bestimmungen des Art. 33 UPCA, auch wenn hierdurch in unterschiedlichen Vertragsmitgliedschaften belegene Kammern und Abteilungen zur Entscheidung berufen werden.97 Schließlich wird der Unterlassungsanspruch wegen einer Verletzung des Einheitspatents gemäß Art. 5 Abs. 1 EPV durch Art. 25 ff. UPCA konkretisiert. Insoweit dürfte allerdings eine völkervertragliche Übereinkunft zur Vereinheitlichung des anwendbaren Sachrechts durch einzelne Mitgliedstaaten zulässig sein, da die Europäische Union ihre interne Rechtssetzungsbefugnis nicht vollständig ausgeübt hat, indem sie nach Art. 5 Abs. 3 EPV die inhaltliche Ausgestaltung des Unterlassungsanspruchs dem nationalen Sachrecht überlässt.98 93  Luginbühl in Leible/Ohly, IP & PIL, S. 235 geht deshalb von einer geteilten Abschlusskompetenz der EU und der Mitgliedstaaten aus (zu EPLA). 94 Zutreffend Luginbühl/Stauder, GRUR Int. 2014, 885 (886) „faktische Aushebelung der internationalen Zuständigkeit“; ähnlich auch die Erwägungen in der Begründung des Verordnungsvorschlags zur Änderung der EuGVO (2012), KOM (2013) 554, Nr. 3.1. 95  De Visscher, GRUR Int. 2012, 214 (215 f.); Pagenberg, JIPlP 2013, 480 (484 f.). 96  Siehe m. w. N. Mankowski in Rauscher, IZVR, Art. 71 EuGVO Rn. 4. 97  Gemäß Art. 89 Abs. 1 UPCA stand das Inkrafttreten des Übereinkommens unter der aufschiebenden Bedingung des Inkrafttretens entsprechender Änderungen der EuGVO, welche das Verhältnis zwischen EuGVO und UPCA regeln. 98 Hierzu Schmalenbach in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, Art. 216 AEUV Rn. 22.

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§ 18  Der Unified Patent Court

Nichtsdestotrotz folgt bereits aus der Beeinträchtigung der Bestimmungen der DRL eine gemeinsame Abschlusskompetenz der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union für das UPCA. Allerdings konnten die nach Art. 263 AEUV erhobenen spanischen Klagen gegen das Patentpaket nur die Rechtmäßigkeit von Handlungen der EU-Organe rügen und waren nicht dazu geeignet, Kompetenzanmaßungen der Mitgliedstaaten anzugreifen. Der EuGH hat das entsprechende Vorbringen Spaniens deshalb für unzulässig erklärt.99 Auch nach der Entscheidung des Gerichtshofs in diesen Rechtssachen gibt es somit keine absolute Rechtssicherheit ob der Unionsrechtskonformität des Patentpakets. Es wäre sinnvoll gewesen, vor Abschluss des UPCA ein neuerliches Gutachten beim EuGH hinsichtlich der Vereinbarkeit des Abkommens mit dem Primärrecht einzuholen.100

D.  Die Zuständigkeit des Unified Patent Court I.  Aufnahme der Arbeit durch den UPC 37

Angesichts der in Rn. 27 ff. erörterten politischen und administrativen Steine auf dem Weg zum Unified Patent Court steht es in den Sternen, ob und wann dieser seine Arbeit wird aufnehmen können. Dennoch sollen im Folgenden die Zuständigkeit und Verfahrensregeln des Gerichts einer näheren Erörterung unterzogen werden. Diese Aussagen stützen sich auf den 17. Entwurf der Verfahrensordnung (VerfO17), welcher bislang nur in englischer Sprache verfügbar ist.101 Im Falle eines Konflikts zwischen Verfahrensordnung und Übereinkommen gehen die Regelungen des UPCA der Verfahrensordnung vor.102

II.  Internationale Zuständigkeit 38

Die internationale Zuständigkeit des Gerichts wird gemäß Art. 31 UPCA im Einklang mit der EuGVO (2012) bzw. dem revidierten Übereinkommen von Lugano bestimmt. Nach Art. 71b Nr. 1 EuGVO ist der UPC international zuständig, sofern die Gerichte eines Vertragsmitgliedsstaats nach Maßgabe des Zuständigkeitssystems der EuGVO zuständig wären. Praktisch bedeutsam sind insbesondere die Gerichtsstände der Art. 4 Abs. 1, 7 Nr. 2, 8 Nr. 1 und 24 99 

EuGH v. 05. 05. 2015 – C-146/13 (Spanien/Parlament und Rat), Rn. 100 ff. Gutachten des Juristischen Dienstes des Rats vom Oktober 2011 (15856/11, Rn. 44 f.) geht von einer Vereinbarkeit des UPCA mit dem Primärrecht aus, folgert aber, es sei nicht möglich, alle diesbezüglichen Zweifel zu zerstreuen. Anträge auf Zugang zu diesem Dokument nach der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten wurden wiederholt abgelehnt, siehe näher Stjerna, Einheitspatent, S. 1 ff. 101  Siehe . 102  R. 1 Abs. 1 VerfO17; Grabinski, GRUR Int. 2013, 310 (312). 100 Ein



D.  Die Zuständigkeit des Unified Patent Court

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Nr. 4 EuGVO. Da der UPC eine möglichst allumfassende Zuständigkeit für Klagen im Rahmen seines sachlichen Anwendungsbereichs erhalten soll, wird seine internationale Zuständigkeit nach Art. 71b Nr. 2 EuGVO ausgedehnt auf Beklagte, die nicht über einen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines EU-Mitgliedstaats verfügen:103 Auch im Hinblick auf diese Beklagten findet Kapitel II der EuGVO ungeachtet des Wohnsitzes Anwendung. Hieraus folgt insbesondere, dass Beklagte ohne Wohnsitz innerhalb der EU vor dem UPC verklagt werden können, wenn sie Inhaber eines einheitlichen Patents oder für einen Vertragsmitgliedstaat erteilten nationalen Teil eines europäischen Bündelpatents sind oder ihnen die Verletzung eines solchen Patents vorgeworfen wird bzw. sie als Streitgenossen in den Prozess einbezogen werden sollen. Art. 71b Nr. 3 EuGVO enthält einen qualifizierten Gerichtsstand des Sachzusammenhangs: Wird einem Beklagten ohne Wohnsitz innerhalb der Union die Verletzung verschiedener nationaler Teile eines Europäischen Bündelpatents vorgeworfen und ist das Gericht nach Art. 71b Nr. 2 EuGVO hinsichtlich der Verletzung eines oder mehrerer dieser Teile zuständig, hinsichtlich der Verletzung anderer Teile hingegen nicht, so kann das Gericht seine Zuständigkeit auch mit Blick auf die nicht für einen Vertragsmitgliedstaat erteilten Teile des Bündelpatents ausüben. Diese Annexzuständigkeit steht freilich unter der Voraussetzung eines qualifizierten Bezugs zu einem Vertragsmitgliedstaat, wobei die Belegenheit von Vermögen eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung ist.104 Relevant ist die internationale Zuständigkeit nach Art. 71b Nr. 3 EuGVO vor allem für Streudelikte, bei denen sich die Erfolgsorte teils innerhalb, teils außerhalb von Vertragsmitgliedstaaten befinden. Unklar ist einerseits, ob auf diesem Wege eine Zuständigkeit für parallele Verletzungshandlungen in- bzw. außerhalb von Vertragsmitgliedstaaten begründet werden kann,105 andererseits, ob dem UPC Ermessen bei der Anwendung des Art. 71b Nr. 3 zukommt.106 Beides ist m. E. zu verneinen. Schließlich können gemäß Art. 71b Nr. 2 UAbs. 2 EuGVO einstweilige Maßnahmen auch dann beim UPC beantragt werden, wenn für die Entscheidung in der Hauptsache die Gerichte eines Drittstaats zuständig sind. Auf Art. 71b Nr. 2 i. V. m. Art. 35 EuGVO ist hingegen zurückzugreifen, wenn eine einst103 

Mankowski, GPR 2014, 330 (336) weist zutreffend darauf hin, dass Art. 6 Abs. 1 EuGVO durch Art. 71b Nr. 2 EuGVO nicht zur Anwendung berufen wird. Dies übersehen Luginbühl/Stauder, GRUR Int. 2014, 885 (888), die hier ein Gleichheitsproblem ausmachen. 104 Siehe näher Erwägungsgrund 7 der Verordnung 542/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. 05. 2014 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 bezüglich der hinsichtlich des Einheitlichen Patentgerichts und des Benelux-Gerichtshofs anzuwendenden Vorschriften, ABl. Nr. L 163/1 v. 29. 05. 2014; ferner Mankowski, GPR 2014, 330 (338 f.). 105  Für eine Anwendung der Norm auf parallele Verletzungshandlungen wohl Luginbühl/ Stauder, GRUR Int. 2014, 885 (888); a. A. Mankowski, GPR 2014, 330 (337). 106  Hierfür plädiert Mankowski, GPR 2014, 330 (338).

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§ 18  Der Unified Patent Court

weilige Maßnahme des UPC ergehen soll und sich das in der Hauptsache entscheidungsbefugte Gericht in einem Mitgliedstaat der Union befindet, welcher kein Vertragsstaat des UPCA ist.107 Angesichts der breiten internationalen Zuständigkeit des UPC dürfte für die Inanspruchnahme dieser Eilgerichtsstände nur selten Bedarf bestehen. Die allumfassende internationale Zuständigkeit des UPC für die Verletzung einheitlicher Patente und die Verletzung bestimmter nationaler Teile Europäischer Bündelpatente weist zwei Lücken auf: Gegenüber Beklagten, die ihren Wohnsitz in einem EU-Mitgliedstaat haben, der nicht Vertragsstaat des UPCA ist, bleibt eine Klage am allgemeinen Gerichtsstand möglich. Oftmals wird sich die Zuständigkeit des UPC allerdings über Art. 71b Nr. 1 i. V. m. Art. 7 Nr. 2, 8 Nr. 1, 25, 26 EuGVO herleiten lassen. Für Fälle paralleler Rechtshängigkeit erklärt Art. 71c Abs. 1 EuGVO die Art. 29 bis 32 EuGVO für anwendbar. Problematischer ist die Begründung der Zuständigkeit des UPC, wenn der Beklagte seinen Wohnsitz in einem Lugano-Staat innehat. In diesem Fall bestimmt sich gemäß Art. 73 Abs. 1 EuGVO, Art. 64 Abs. 2 lit. a rev. LugÜ die internationale Zuständigkeit nach dem Luganer Übereinkommen,108 welches keine zu Art. 71a, 71b Nr. 1 EuGVO korrespondierende Bestimmungen enthält. Zweifellos entspräche es dem Ziel des UPCA, wenn die besonderen Zuständigkeitsnormen des Luganer Übereinkommens im Rahmen des sachlichen Anwendungsbereichs des UPCA als Verweis auf den UPC gelesen würden. Mit dem Wortlaut dieser Normen ist eine solche Interpretation aber kaum zu vereinen, denn sie verlangen eine Klage u. a. vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, sich die streitbezogene Niederlassung befindet oder ein Streitgenosse seinen Wohnsitz innehat. Eine Anpassung des LugÜ ist deshalb dringend angeraten.109

III.  Sachliche Zuständigkeit 42

Die sachliche Zuständigkeit des UPC ist in Art. 32 Abs. 1 lit. a bis i UPCA geregelt. Danach besitzt das Gericht die ausschließliche sachliche Zuständigkeit für Klagen wegen der Verletzung oder drohenden Verletzung von Patenten110 und ergänzenden Schutzzertifikaten sowie „zugehörige Klageerwiderungen“, einschließlich Widerklagen in Bezug auf Lizenzen. Ferner ist das Gericht zuständig für Klagen auf Feststellung der Nichtverletzung bzw. (Wider-)Klagen auf Nichtigerklärung von Patenten und ergänzenden Schutzzertifikaten sowie für den Erlass einstweiliger Maßnahmen, Sicherheitsmaßnahmen und einst107 

Mankowski, GPR 2014, 330 (337). Im Ergebnis ebenso Stauder/Luginbühl, GRUR Int. 2014, 885 (888). 109  S. a. Luginbühl/Stauder, GRUR Int. 2014, 885 (892). 110  Gemäß der Definition in Art. 2 lit. g UPCA sind mit dem Begriff „Patent“ nur Europäische Patente und Europäische Patente mit einheitlicher Wirkung angesprochen. 108 



D.  Die Zuständigkeit des Unified Patent Court

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weiliger Verfügungen.111 Schließlich besteht eine Zuständigkeit für Klagen auf Schadensersatz auf Basis des vorläufigen Schutzes einer Patentanmeldung, Klagen im Zusammenhang mit der Vorbenutzung der Erfindung sowie bestimmte Klagen im Zusammenhang mit einer Lizenzvergütung im Sinne des Art. 9 EPV.112 Die nationalen Gerichte bleiben gemäß Art. 32 Abs. 2 UPCA für alle anderen Verfahren zuständig, was insbesondere bei Lizenzstreitigkeiten Abgrenzungsschwierigkeiten zur Folge haben dürfte.113

IV.  Zeitlicher Anwendungsbereich Für die in den sachlichen Anwendungsbereich des UPCA fallenden Klagen entsteht die ausschließliche Zuständigkeit des UPC ab initio für Europäische Patente mit einheitlicher Wirkung. In Bezug auf Europäische Bündelpatente sieht Art. 83 Abs. 1 UPCA eine siebenjährige Übergangsregelung vor, die durch den Verwaltungsausschuss um weitere sieben Jahre verlängert werden kann.114 Während dieses Zeitraums können Verletzungs- bzw. Nichtigkeitsklagen weiterhin vor den zuständigen nationalen Gerichten bzw. Behörden erhoben werden. Diese Beschränkung auf Verletzungs- und Nichtigkeitsklagen überrascht angesichts der starken Differenzierung zwischen verschiedenen Klagetypen in Art. 32 Abs. 1 UPCA. Der Telos des Art. 83 Abs. 1 UPCA legt es nahe, die Bezugnahme auf Verletzungs- und Nichtigkeitsklagen als pauschalen Verweis auf Art. 32 Abs. 1 lit. a bis g, zumindest aber lit. a bis e UPCA auszulegen. Damit bestünde die alternative Zuständigkeit der nationalen Gerichte während der Übergangszeit gleichfalls fort für negative Feststellungsklagen, Nichtigkeitswiderklagen sowie für einstweilige Verfügungen und Sicherheitsmaßnahmen.115 Fälle paralleler Rechtshängigkeit werden durch Art. 71c Abs. 2, 29 ff. EuGVO erfasst.116 Für Europäische Bündelpatente, die vor Ablauf der Übergangszeit erteilt wurden, besteht ferner die Möglichkeit, die Zuständigkeit des UPC auszuschließen (opt-out), sofern noch keine Klage vor dem UPC erhoben wurde. Wurde das Bündelpatent nicht zum Gegenstand eines Rechtsstreits vor nationalen Gerichten, steht einem späteren Rücktritt vom Ausschluss der Zustän-

111  Wie sich aus Art. 60 UPCA ergibt, sind Beweissicherungsinstrument den einstweiligen Maßnahmen zuzuordnen. 112  Näher Art. 32 lit. h und i UPCA. 113  Zur entsprechenden Problematik bei GMV und GGV siehe § 13 Rn. 4. 114  Art. 83 Abs. 5 UPCA. 115 Ebenso Luginbühl/Stauder, GRUR Int. 2014, 885 (889); zweifelnd hinsichtlich negativer Feststellungsklagen Schröer, GRUR Int. 2013, 1102 (1104 f.). 116 Näher Luginbühl/Stauder, GRUR Int. 2014, 885 (891 f.); kritisch Mankowski, GPR 2014, 330 (340).

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§ 18  Der Unified Patent Court

digkeit des UPC nichts im Wege (nachträglicher opt-in).117 Es ist aufgrund der hierdurch eröffneten strategischen Möglichkeiten absehbar, dass viele Inhaber von Bündelpatenten zunächst den Weg des opt-out beschreiten werden.118

V.  Interne Zuständigkeit in erster Instanz 1.  Die Kammern der ersten Instanz 45

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Die Organisation und Lokalisation der Kammern der ersten Instanz zählte zu den strittigsten Punkten in der Entwicklung des UPCA. Die gefundene Regelung sucht zahlreiche Aspekte miteinander zu vereinen, von denen hier nur die wichtigsten genannt werden: die Verfügbarkeit bürgernahen Rechtsschutzes; die Bewahrung des Erfahrungsschatzes traditioneller Patentstreitsorte; die Sicherstellung einer hohen Kompetenz der Lokalkammern in jenen Vertragsstaaten, die über keinerlei Patentverfahrenstradition verfügen; die Wahrung politischen Proporzes bei der Beherbergung EU-naher Institutionen. Der UPC verfügt in erster Instanz über eine Zentralkammer mit Sitz in Paris119 und Abteilungen in London (zuständig für Chemie, Hüttenwesen und täglichen Lebensbedarf120) sowie München (zuständig maßgeblich für Maschinenbau121). Daneben steht es den Vertragsstaaten frei, auf ihrem Territorium eine Lokalkammer122 und/oder in Kooperation mit anderen Mitgliedstaaten eine Regionalkammer zu gründen.123 Während in den Entwürfen zu EPLA und EEUPC die Errichtung von Lokal- oder Regionalkammern von der Existenz einer qualifizierten Anzahl von Patentstreitigkeiten abhängig gemacht wurde, um eine ausreichende Spezialisierung und Beschäftigung des Gerichts sicherzustellen, stellen unter dem UPCA allein die mit der Errichtung 117  Aus dieser Alternativität folgt, dass ein opt-out lediglich von der „ausschließlichen“ Zuständigkeit des UPC nicht möglich ist. Der Rechteinhaber kann durch seine Erklärung nicht die freie Wahl zwischen UPC und nationalen Gerichten herbeiführen, vgl. Luginbühl/ Stauder, GRUR Int. 2014, 885 (889); a. A. Tilmann, Mitt. 2014, 58 (63). 118  Siehe näher die Kritik von Luginbühl, European PatL, S. 288 sowie Cooke, berichtet in WIPR v.  06. 03. 2013, : „It’s difficult to see why you wouldn’t want to opt out, given that you can opt in at any time.“ Zu Vor- und Nachteilen der Klage vor dem UPC bzw. vor nationalen Gerichten Schröer, GRUR Int. 2013, 1102 ff.; England, JIPlP 2014, 915 ff. 119  Zuständig für die Internationale Patentklassifikationen B, D, E, G, H, siehe Anhang II UPCA. 120  Internationale Patentklassifikationen A und C, siehe Anhang II UPCA 121  Sowie Beleuchtung, Heizen, Waffen, Sprengen (Internationale Patentklassifikation F), vgl. Anhang II UPCA. 122 In Deutschland sollen Lokalkammern in Düsseldorf, Mannheim, München und Hamburg errichtet werden. 123  Estland, Lettland, Litauen und Schweden haben eine Regionalkammer mit Sitz in Stockholm gegründet; als Verfahrenssprache ist Englisch designiert, näher Holzer, ÖBl 2014, 153.



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einer Lokal- oder Regionalkammer verbundenen und vom jeweiligen Vertragsstaat zu tragenden Kosten ein Hindernis für die Schaffung einer Lokalkammer dar. Der Errichtung mehrerer Lokalkammern innerhalb eines Vertragsstaates sind allerdings Grenzen gesetzt.124 Verfahrenssprache der Zentralkammer ist die Sprache, in welcher das Patent erteilt wurde.125 Verfahrenssprache der Lokal- und Regionalkammern ist grundsätzlich die Amtssprache des oder der betreffenden Vertragsstaaten, wobei auch hier gewisse Wahlmöglichkeiten der Parteien und des Gerichts zu Gunsten der Verfahrenssprache der Patenterteilung bestehen.126 Unterschiede bestehen auch in der Zusammensetzung der Spruchkörper: Die Spruchkörper der Zentralkammern bestehen aus zwei rechtlich qualifizierten Richtern unterschiedlicher Nationalität sowie einem technisch qualifizierten Richter auf dem betreffenden Gebiet der Technik.127 Die Spruchkörper der Lokal- und Regionalkammern sind mit drei rechtlich qualifizierten Richtern besetzt, von denen zwei die Nationalität des oder der betreffenden Vertragsstaaten besitzen, während der dritte über eine andere Staatsangehörigkeit verfügt.128 Auf Antrag einer Partei oder auf eigene Initiative des Spruchkörpers hin kann den Spruchkörpern der Lokal- und Regionalkammern ein zusätzlicher technisch qualifizierter Richter zugewiesen werden.129 Neben der Besetzung der Spruchkörper, der Verfahrenssprache und der inhaltlichen Spezialisierung der drei Abteilungen der Zentralkammern dürften sich aufgrund der in der Verfahrensordnung eingeräumten, weiten Ermessensspielräume130 unterschiedliche Verfahrenspraktiken der Kammern ergeben. Auch vor dem UPC wird es deshalb forum shopping geben,131 doch sind dessen Effekte durch die Existenz einer gemeinsamen Berufungsinstanz etwas abgemildert.

124  Nach Art. 7 Abs. 4 UPCA bedarf es für die Schaffung jeder zusätzlichen Lokalkammer jeweils einhundert Patentverletzungsverfahren in drei aufeinanderfolgenden Jahren. Die Anzahl potentieller Lokalkammern innerhalb eines Vertragsstaats ist auf vier Kammern begrenzt. 125  Art. 49 Abs. 6 UPCA. 126  Näher Art. 49 Abs. 1 bis 5 UPCA. 127  Art. 8 Abs. 6 UPCA. 128  Art. 8 Abs. 4 UPCA; befürwortend Lutz/Luginbühl in FS Kaissis, S. 583 f.; kritisch Kunz-Hallstein/Loschelder, GRUR 2008, 498. 129  Art. 8 Abs. 5 UPCA, s. a. Art. 33, 34 VerfO17. 130  Siehe zusammenfassend infra Rn. 188 f. 131  House of Commons, UPC, Rn. 86, 92 ff.; Smits/Bull, European Harmonisation, S. 12 f.; Luginbühl, European PatL, S. 250 (zum EPLA).

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§ 18  Der Unified Patent Court

2. Prorogationsfreiheit 49

Die interne Zuständigkeit der Kammern erster Instanz für Verletzungs- und Bestandsfragen wird in Art. 33 UPCA geregelt.132 Nach dessen Abs. 7 können die Parteien vor Klageerhebung die Zuständigkeit einer bestimmten Lokal-, Regional- oder der Zentralkammer vereinbaren. Den bei einer Streitsache wegen behaupteter Patentverletzung praktisch bedeutenderen Fall der rügelosen Einlassung regelt das Übereinkommen nicht. Lediglich der Entwurf der Verfahrensordnung enthält eine Regelung: Nach r. 19 Abs. 7 VerfO17 wird die Zuständigkeit der vom Kläger benannten Kammer begründet, soweit der Beklagte nicht innerhalb von einem Monat nach Klagezustellung die fehlende Zuständigkeit rügt. Ein gemeinsamer Antrag der Parteien auf Verweisung des Rechtsstreits an die Zentralkammer bleibt ferner nach Klageerhebung möglich, sofern die Parteien übereinstimmend die Sprache, in welcher das Patent erteilt wurde, als Verfahrenssprache gewählt haben und der betreffende Spruchkörper der Lokal- oder Regionalkammer diese Wahl nicht billigt.133

3.  Verletzungsverfahren, einstweilige Maßnahmen und Verfügungen a)  Wahlrecht des Klägers 50

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Für Klagen nach Art. 32 Abs. 1 lit. a, c, f und g UPCA, d. h. insbesondere für Verletzungsverfahren sowie für einstweilige Maßnahmen und Verfügungen, enthält Art. 33 Abs. 1 UPCA eine Zuständigkeitsregel, die dem Kläger (Patentoder Lizenzinhaber) die Wahl zwischen dem Gerichtsstand der unerlaubten Handlung, dem allgemeinen Gerichtsstand am Wohnsitz des Beklagten sowie dem Gerichtsstand der Streitgenossenschaft eröffnet und somit an Art. 4 Abs. 1, 7 Nr. 2, 8 Nr. 1 EuGVO erinnert. Zuständig ist gemäß Art. 33 Abs. 1 lit. a UPCA zunächst die Lokal- bzw. Regionalkammer, die sich in demjenigen Vertragsstaat befindet, auf dessen Gebiet die tatsächliche oder drohende Verletzung erfolgt ist bzw. möglicherweise erfolgen wird. Zum Gerichtsstand der unerlaubten Handlung i. S. d. Art. 7 Nr. 2 EuGVO134 bestehen zwei wesentliche Unterschiede: Erstens findet das Ubiquitätsprinzip keine Anwendung, d. h. es ist lediglich auf den Ort der tatbestandsmäßigen Deliktsvollendung abzustellen. Ein anderweitiger Ort des ursächlichen Geschehens findet keine Berücksichtigung. Zweitens besteht keine Einschränkung der Kognitionsbefugnis der Lokal- bzw. Regionalkammer auf das Gebiet des betreffenden Vertragsstaates i. S. d. Shevill-Recht132  Dem Gegenstand dieser Arbeit entsprechend werden im Folgenden nur die Zuständigkeiten für die Verletzungs- und Bestandsfrage erörtert. Zu Klagen gemäß Art. 32 Abs. 1 lit. h und i siehe Art. 33 Abs. 1 S. 2, Abs. 7, Abs. 9 UPCA. 133  Art. 49 Abs. 3 UPCA. 134  Hierzu supra § 10 Rn. 13 ff.



D.  Die Zuständigkeit des Unified Patent Court

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sprechung.135 Nach Art. 34 UPCA gelten die Entscheidungen des Gerichts für alle Vertragsstaaten, in denen das europäische Patent Wirkung entfaltet. Für ubiquitäre Verletzungen (z. B. Angebot eines patentverletzenden Erzeugnisses oder Verfahrens über das Internet) hält das Übereinkommen keine explizite Regelung bereit. Art. 33 Abs. 1 lit. b UPCA sieht eine alternative Zuständigkeit der Lokaloder Regionalkammer desjenigen Vertragsstaats vor, in dessen Gebiet sich der Wohnsitz bzw. Sitz der Hauptniederlassung des Beklagten, subsidiär dessen Geschäftssitz, befindet. Auch hier bestehen gewichtige Unterschiede zum Gerichtsstand des Wohnsitzes nach Art. 4 Abs. 1 EuGVO. Erstens kommt dem Sitz des Beklagten nur dann zuständigkeitsbegründende Wirkung zu, wenn dieser sich in einem Vertragsstaat des UPCA befindet, der eine Lokalkammer errichtet hat oder sich an einer Regionalkammer beteiligt. Zweitens wird der Sitz von Gesellschaften und juristischen Personen übereinkommensautonom als Sitz der Hauptniederlassung definiert, wohingegen Art. 63 Abs. 1 EuGVO alternative Anknüpfungsmomente enthält. Drittens ist unklar, ob der im UPCA im Übrigen nicht näher definierte Begriff des Wohnsitzes autonom zu bestimmen ist oder ob hierbei entsprechend Art. 62 EuGVO auf das Recht des potentiellen Wohnsitzstaates abzustellen ist. Richtet sich die Klage gegen mehrere Personen, kann sie gemäß Art. 33 Abs. 1 lit. b UPCA vor der Lokal- oder Regionalkammer desjenigen Vertragsstaates erhoben werden, in dem einer der Beklagten seinen Sitz innehat, sofern zwischen den Beklagten eine gemeinsame Geschäftsbeziehung besteht und die Klage denselben Verletzungsvorwurf betrifft. Die Bestimmung verzichtet auf das in Art. 8 Nr. 1 EuGVO enthaltene, wenig zweckdienliche Kriterium der Vermeidung widersprechender Entscheidungen,136 und ersetzt jenes interessengerecht durch die Merkmale eines einheitlichen Verletzungsvorwurfs (Berücksichtigung des prozessökonomischen Interesse des Klägers)137 sowie einer gemeinsamen Geschäftsbeziehung zwischen den Beklagten (Grenzziehung durch die zuständigkeitsrechtlichen Interessen des Beklagten). Unberücksichtigt bleibt allein die im Rahmen des Art. 8 Nr. 1 EuGVO umstrittene Frage, ob eine Inanspruchnahme der Streitgenossenschaftszuständigkeit auch in jenen Fällen zulässig ist, in denen die Klage gegen den Ankerbeklagten offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist.138 Eine subsidiäre Zuständigkeit der Zentralkammer besteht, wenn der Beklagte nicht über einen Sitz in einem Vertragsstaat verfügt oder der betreffende Vertragsstaat keine Lokalkammern errichtet hat und sich nicht an einer Re135 Kritisch

de Visscher, GRUR Int. 2012, 214 (215 f.). Supra § 10 Rn. 78. 137 Die Konkretisierung des Merkmals „einheitlicher Verletzungsvorwurf“ bleibt dem UPC überantwortet, zu den hier befürworteten Kriterien siehe § 10 Rn. 83. 138  § 10 Rn. 80 ff. 136 

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§ 18  Der Unified Patent Court

gionalkammer beteiligt, Art. 33 Abs. 1 S. 3 und 4 UPCA. Die Bestimmung setzt allerdings die internationale Zuständigkeit der Gerichte eines Vertragsstaats des UPCA voraus (hierzu supra Rn. 41). Eine Verletzungsklage kann ferner bei der Zentralkammer erhoben werden, wenn dort bereits eine Nichtigkeitsklage zwischen denselben Parteien zum selben Patent anhängig ist.139 In Art. 33 Abs. 1 nicht geregelt ist die örtliche Zuständigkeit der Lokalkammern für den Fall der Errichtung mehrerer Lokalkammern innerhalb eines Vertragsstaates (wie dies derzeit lediglich für Deutschland antizipiert wird). Diese Zuständigkeitsbestimmung dürfte zur Disposition des betreffenden Vertragsstaats stehen.

b)  Wahlrecht des Beklagten 56

Art. 32 Abs. 2 UAbs. 2 UPCA eröffnet dem Beklagten des Verletzungsverfahrens ein interessantes Wahlrecht: Soweit eine Verletzungsklage i. S. d. Art. 32 Abs. 1 lit. a UPCA bei einer Regionalkammer anhängig ist und die Verletzung im Gebiet von mindestens drei Regionalkammern erfolgt ist, wird der Rechtsstreit auf Antrag des Beklagten an die Zentralkammer verwiesen. Diese im kontinentaleuropäischen Zuständigkeitsrecht eher unübliche Möglichkeit des Beklagten, die Zuständigkeit im Sinne eines forum conveniens einseitig zu beeinflussen, dürfte aufgrund ihrer (intendierten140) Beschränkung auf Regionalkammern praktisch selten zum Tragen kommen. Es bleibt abzuwarten, ob innerhalb der UPC-Zone überhaupt drei Regionalkammern errichtet werden und sich Kläger in entsprechenden Fällen zu einer Klage vor einer solchen Regionalkammer entschließen. In den wichtigsten europäischen Märkten ist mit der Errichtung von Lokalkammern zu rechnen.

4.  Bestandsverfahren und negative Feststellungsklage 57

Die Zuständigkeit für Klagen auf Feststellung der Nichtverletzung liegt gemäß Art. 33 Abs. 4 UPCA ebenso wie die Zuständigkeit für Nichtigkeitsklagen grundsätzlich bei der Zentralkammer. Der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung steht dem negativen Feststellungskläger entgegen Art. 7 Nr. 2 EuGVO nicht zur Verfügung. Abweichendes gilt, soweit zwischen denselben Parteien und hinsichtlich desselben Patents bereits ein Verletzungsverfahren vor einer Lokal- oder Regionalkammer anhängig ist; die entsprechende Lokaloder Regionalkammer ist sodann auch für die negative Feststellungsklage oder die Nichtigkeitsklage zuständig. Sinnvoller wäre es hier gewesen, die Möglich139 

Art. 33 Abs. 5 S. 1 UPCA. des Rates v.  29. 06. 2012, EUCO 76/12, I. 3. Kritisch aufgrund der daraus resultierenden Schwächung der Regionalkammern Grabinski, GRUR Int. 2013, 310 (314 f.); Resolution of the Intellectual Property Judges Association (IPJA) v. 01. 11. 2012, Nr. 3, verfügbar unter . 140 Schlussfolgerungen



D.  Die Zuständigkeit des Unified Patent Court

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keit zur Erhebung der Nichtigkeitsklage auf die Nichtigkeitswiderklage nach Art. 32 Abs. 1 lit. e zu beschränken und die negative Feststellungsklage lediglich als Zwischenfeststellungsklage zuzulassen.141

5. Nichtigkeitswiderklage a)  Ermessensfreiheit zwischen Einheits- und Trennungsprinzip Die Behandlung des Nichtigkeitseinwands bzw. einer Nichtigkeitswiderklage im Patentverletzungsstreit wird, wie bereits erörtert,142 in den Rechtstraditionen der Vertragsstaaten des UPCA unterschiedlich gelöst. Während Verletzungs- und Bestandsverfahren in den meisten Vertragsstaaten eine Einheit bilden, sind in anderen Rechtsordnungen (wie der deutschen) Bestands- und Verletzungsfrage unterschiedlichen Gerichten zugewiesen. Dies ermöglicht – unter Zugrundelegung einer hohen Gültigkeitsvermutung des Patents – eine schnelle Erledigung des Verletzungsverfahrens. Da nach der Konzeption des Art. 33 Abs. 1, Abs. 4 UPCA die Bestandsfrage grundsätzlich den Zentralkammern, die Verletzungsfrage hingegen regelmäßig den Lokal- oder Regionalkammern zugewiesen ist, stellt sich die Frage nach Verbund- oder Trennungsprinzip (bifurcation) auch für das Abkommen. In einem klassischen Kompromiss überlässt Art. 33 Abs. 3 UPCA die Behandlung der Nichtigkeitswiderklage der entscheidenden Lokal- oder Regionalkammer. Dieser stehen gemäß Art. 33 Abs. 3 UPCA vier Möglichkeiten offen: Die Kammer kann erstens sowohl über die Verletzungs-, als auch über die Bestandsfrage verhandeln und den Präsidenten des Gerichts ersuchen, ihr einen auf dem betreffenden Gebiet technisch qualifizierten Richter zuzuordnen. Sie kann zweitens die Widerklage zur Entscheidung an die Zentralkammer verweisen und weiter über die Verletzungsfrage verhandeln oder (drittens) das Verletzungsverfahren aussetzen, insbesondere, wenn eine hohe Erfolgsprognose für die Nichtigkeitswiderklage besteht.143 Als vierte Möglichkeit bleibt die Verweisung des gesamten Verfahrens an die Zentralkammer, dies freilich nur mit Zustimmung der Parteien. Mit Spannung ist zu erwarten, wie die einzelnen Kammern ihr diesbezügliches Ermessen ausüben werden.144 Sinnvoll wäre es, die Bestandsfrage im Interesse einer schnellen Erledigung des Verletzungsverfahrens an die Zentralkammer zu verweisen, wenn das Patent höchstwahrscheinlich gültig ist. Demgegenüber sollte eine Kammer über die 141 

Rule 302 Abs. 3 VerfO17 enthält eine Option zur Verfahrensverbindung. § 8 Rn. 5, § 10 Rn. 103 ff. 143 Rule 37 Abs. 4 VerfO17. In diesem Fall soll die Zentralkammer gemäß r. 40 lit.  b ­VerfO17 in einem beschleunigten Verfahren entscheiden, sofern der Patentinhaber einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gestellt hat. 144  Siehe die unterschiedlichen Einschätzungen bei Schröer, GRUR Int 2013, 1102 (1109) und Luginbühl in Leible/Ohly, IP & PIL, S. 246. 142 

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§ 18  Der Unified Patent Court

Bestandsfrage selbst entscheiden, wenn der Bestand des Patents zweifelhaft erscheint. Neben sachgerechten Erwägungen bietet Art. 33 Abs. 3 UPCA den Kammern aber auch Spielraum zum Festhalten an nationalen Traditionen, zur Profilbildung als schnelles und somit für den Kläger interessantes Forum sowie zur Regulierung ihrer Arbeitsbelastung.

b)  Drittwiderklage im Verletzungsverfahren 60

Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang Art. 47 Abs. 5 UPCA, wonach die Rechtsgültigkeit eines Patents im Rahmen einer Verletzungsklage, die vom Inhaber einer Lizenz erhoben wurde, nicht angefochten werden kann, wenn der Patentinhaber nicht an dem Verfahren teilnimmt. Eine Partei, die im Rahmen einer Verletzungsklage die Rechtsgültigkeit eines Patents anfechten will, muss Klage gegen den Patentinhaber erheben. Aus Rule 25 Abs. 2 VerfO17 ergibt sich, dass die Bestandsklage gegen den Patentinhaber im Wege der Drittwiderklage im Verletzungsverfahren möglich und erforderlich ist. Art. 47 Abs. 5 UPCA zwingt folglich nicht zur Trennung der Verletzungs- und Bestandsfrage.

c)  Der Einwand der Nichtigkeit 61

Das Übereinkommen adressiert den reinen Nichtigkeitseinwand ohne Erhebung einer Nichtigkeitswiderklage nicht. Hingegen soll nach Rule 25 Abs. 1 S. 1 VerfO17 eine Klageerwiderung, in welcher der Nichtbestand des Patents behauptet wird, eine Widerklage auf Nichtigkeit des Patents enthalten. Ein Nichtigkeitseinwand mit lediglich inter partes-Wirkung ist damit ausgeschlossen. Dies ist u. a. deshalb sachgerecht, weil anderenfalls das Erfordernis der Zuziehung eines technisch qualifizierten Richters gemäß Art. 33 Abs. 3 lit. a UPCA umgangen werden könnte.

6.  Klageerhebung vor einer unzuständigen Kammer 62

Erhebt der Beklagte nicht innerhalb eines Monats nach Zustellung der Klageschrift die Vorabrüge hinsichtlich der Zuständigkeit der angerufenen Kammer, so wird die Zuständigkeit der Kammer durch rügelose Einlassung begründet.145 Die Kanzlei gewährt nach Eingang einer Vorabrüge dem Kläger die Möglichkeit zur Korrektur oder Ergänzung seines Schriftsatzes innerhalb von 14 Tagen. Beharrt der Kläger auf der ursprünglich von ihm bezeichneten Kammer, so soll der Berichterstatter alsbald nach Anhörung der Parteien über die Zuständigkeit entscheiden und die Kanzlei ebenso wie die Parteien über den Fortgang des Verfahrens (ggf. vor einer anderen Kammer) instruieren,146

145  146 

R. 19 Abs. 1 und 7 VerfO17. R. 20 Abs. 1 VerfO17.



D.  Die Zuständigkeit des Unified Patent Court

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d. h. gegebenenfalls das Verfahren an eine andere Kammer verweisen.147 Alternativ kann der Berichterstatter entscheiden, dass über die Zuständigkeit erst mit dem Sachurteil entschieden wird.148 Unklar ist, ob die Berufung in diesem Fall darauf gestützt werden kann, dass die betreffende Kammer der ersten Instanz ihre Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat. Eine Einschränkung entsprechend § 513 Abs. 2 ZPO kennt der Entwurf der Verfahrensordnung nicht.

7.  Koordination zeitlich paralleler Verfahren a)  Grundsätzliche Verfahrensbündelung bei einer Kammer Die Möglichkeit, die Verletzungs- bzw. Bestandsfrage vor verschiedenen Kammern der ersten Instanz verhandeln zu können, erfordert Mechanismen zur Verfahrenskoordination. Art. 33 Abs. 2 S. 1 und 3 UPCA enthält zunächst eine klassische Litispendenzregel: Soweit ein Verletzungsverfahren bei einer Kammer des Gerichts erster Instanz anhängig ist, darf zwischen denselben Parteien bezüglich desselben Patents keine Verletzungsklage bei einer anderen Kammer erhoben werden. Jede später angerufene Kammer hat sich für unzuständig zu erklären.149 Patentinhaber und Lizenzinhaber sind für die Zwecke des Art. 33 UPCA nicht als dieselbe Partei anzusehen, wie sich aus dessen Abs. 6 ergibt. Die Koordination zwischen Verletzungsverfahren und negativen Feststellungsklagen bzw. Bestandsklagen begünstigt grundsätzlich den Patent- bzw. Lizenzinhaber. Soweit bereits ein Verletzungsverfahren vor einer Lokal- oder Regionalkammer anhängig ist, kann eine negative Feststellungsklage oder eine Nichtigkeitsklage gemäß Art. 33 Abs. 4 S. 2 UPCA lediglich vor dieser erhoben werden. Ist andererseits bereits eine Nichtigkeitsklage vor der Zentralkammer erhoben worden, sperrt dies eine Klage des Patentinhabers vor einer nach Art. 33 Abs. 1 zuständigen Lokal- oder Regionalkammer nicht.150 Vielmehr kann die entsprechende Lokal- oder Regionalkammer nach ihrem Ermessen gemäß Art. 33 Abs. 3 UPCA vorgehen, was sich dergestalt interpretieren ließe, dass die vor der Zentralkammer erhobene Nichtigkeitsklage im Falle eines Vorgehens des Gerichts gemäß Art. 33 Abs. 3 lit. a UPCA als Widerklage auf Nichtigkeit im Verletzungsverfahren zu behandeln ist. Das Entwurfskomitee 147  Ein Rechtsmittel gegen die Zurückweisung der Rüge besteht nur auf Zulassung des Gerichts, r. 21 Abs. 1 S. 2, 220 Abs. 2 VerfO17. Wird der Rüge stattgegeben, ist die Berufung nach r. 220 Abs. 1 lit. a VerfO17 statthaft. 148  R. 20 Abs. 2 VerfO17. 149  Aus dem Wortlaut des Art. 33 Abs. 2 UAbs. 3 geht nicht hervor, dass sich diese Bestimmung nur auf die in UAbs. 1 genannten Klagen i. S. d. Art. 32 Abs. 1 lit. a, c, f, g oder h beziehen soll. Doch enthalten Art. 33 Abs. 4 bis 6 speziellere Regelungen für die Koordination von Verletzungsverfahren und negativer Feststellungsklage bzw. Nichtigkeitsklage, so dass Art. 33 Abs. 2 UAbs. 3 nicht zum Tragen kommt. 150  Art. 33 Abs. 5 UPCA.

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§ 18  Der Unified Patent Court

legt die Bestimmung anders aus: Nach r. 70 Abs. 3 VerfO17 ist der Bestandskläger gehalten, im Verletzungsverfahren separate Widerklage zu erheben. Die mit der Verletzungsfrage befasste Kammer soll ihre Entscheidung über die Behandlung der Widerklage unter Berücksichtigung des Stands des Bestandsverfahrens vor der Zentralkammer treffen.151 Eine Aussetzung des Bestandsverfahrens vor der Zentralkammer ist nach r. 70 Abs. 3 nur bis zur Entscheidung der Lokalkammer über den Verfahrensfortgang i. S. d. Art. 33 Abs. 3 UPCA vorgesehen. Entscheidet sich die Lokalkammer i. S. d. Art. 33 Abs. 3 lit. a zur einheitlichen Verfahrensführung über Verletzungsklage und der Nichtigkeitswiderklage, soll die Bestandsfrage offenbar sowohl in der Zentral-, als auch in der Lokalkammer verhandelt werden. Zum Verhältnis zwischen einer zeitlich prioritär erhobenen negativen Feststellungsklage und anschließend erhobener Verletzungsklage konstatiert Art. 33 Abs. 5 UPCA, die Zentralkammer setze die negative Feststellungsklage aus, wenn der Inhaber des Patents oder einer ausschließlichen Lizenz innerhalb von drei Monaten nach Erhebung der negativen Feststellungsklage eine Verletzungsklage erhebe. Die Folge eines nach Ablauf von drei Monaten eingeleiteten Verletzungsverfahrens ergibt sich ebensowenig aus dem Text des Übereinkommens wie die Koordination mit einem durch einen nicht ausschließlichen Lizenznehmer eingeleiteten Verletzungsverfahren. Rule 71 Abs. 3 VerfO17 sieht eine Konsultation der Vorsitzenden Richter beider Kammern zwecks Erörterung der Aussetzung eines der beiden Verfahren vor.

b)  Geduldete Verfahrensparallelität 66

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Das UPCA duldet eine parallele Verfahrensdurchführung somit jedenfalls dann, wenn der Beklagte des Verletzungsverfahrens Widerklage auf Nichtigerklärung des Patents erhoben hat und sich die betreffende Lokal- oder Regionalkammer entscheidet, die Bestandsfrage zur Klärung an die Zentralkammer zu verweisen und das Verletzungsverfahren unabhängig vom Fortgang des Bestandsverfahrens fortzuführen. Denkbar ist eine parallele Verfahrensdurchführung auch, wenn die Nichtigkeitsklage zeitlich vor der Verletzungsklage erhoben wurde. Schließlich bleibt darauf hinzuweisen, dass die Aussetzung eines Verletzungs- oder Nichtigkeitsverfahrens zwecks Abwartens einer Entscheidung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts zwar nach Art. 33 Abs. 10 UPCA i. V. m. r.  295 lit. a VerfO17 möglich, nicht aber zwingend geboten ist. All dies wirft die Frage auf, welche Instrumente zur nachträglichen Koordination gegebenenfalls voneinander abweichender Entscheidungen zur Verfügung stehen. Nach Art. 56 Abs. 1 UPCA kann das Gericht seine Anordnungen nach Maßgabe der Verfahrensordnung von Bedingungen abhängig 151 

R. 70 Abs. 4 VerfO17.



D.  Die Zuständigkeit des Unified Patent Court

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machen. R. 118 Abs. 3 lit. a VerfO17 konkretisiert, die Lokal- oder Regionalkammer könne ihre Entscheidung unter die Bedingung stellen, dass das Patent nicht vollständig oder teilweise in einem vor der Zentralkammer geführten Verfahren oder einem Verfahren vor dem EPA für nichtig befunden wird. Innerhalb von zwei Monaten nach Erlass der Entscheidung der Zentralkammer, des Berufungsgerichts oder des EPA kann jede Partei bei Gericht einen Antrag auf Erlass einer Folgeentscheidung derjenigen Lokal- oder Regionalkammer stellen, die das bedingte Urteil erlassen hatte. Zur anderweitigen nachträglichen Koordination steht nur das Rechtsmittel der Berufung gemäß Art. 73 UPCA zur Verfügung: Gemäß r. 220 Abs. 3 ist das Berufungsgericht befugt, Berufungen gegen getrennte Entscheidungen in Verletzungs- und Bestandsverfahren gemeinsam zu verhandeln.

8. Kritik Im Vergleich zur Zuständigkeitsordnung der EuGVO bedeutet die Zuständigkeitsregel des Art. 33 UPCA eine deutliche Besserstellung des Patentinhabers bzw. klagenden Lizenznehmers. In einigen Punkten liegt dies in der Natur der Sache. So kann die Zuständigkeit einer Lokalkammer am Sitz des mutmaßlichen Patentverletzers selbstverständlich nur eröffnet sein, sofern eine solche Kammer errichtet wurde. Eine Übernahme der Shevill-Grundsätze hätte eine Fragmentierung der Verfahren über multi-state-Verletzungen bewirkt, welcher durch Errichtung des einheitlichen Patentgerichtssystems gerade begegnet werden sollte. Andere Abweichungen vom Zuständigkeitssystem der EuGVO erschließen sich nicht unmittelbar. Forum shopping wird nach der Konzeption des Art. 33 UPCA nur dem Patent- oder Lizenzinhaber, nicht aber dem mutmaßlichen Patentverletzer zugestanden.152 So kann der angebliche Patentverletzer am Gerichtstand des Wohnsitzes, am uneingeschränkt kognitionsbefugten Gerichtsstand der unerlaubten Handlung sowie am Gerichtsstand der Streitgenossenschaft in Anspruch genommen werden. Der Patentinhaber darf – ebenso wie nach dem Konzept des Art. 8 Nr. 1 EuGVO – zwischen einer Klageerhebung bei den Lokalkammern am Sitz verschiedener passiver Streitgenossen wählen, obgleich doch unter dem UPC-Regime mit der Zentralkammer ein Spruchkörper zur Verfügung steht, bei dem eine Konsolidierung der Verfahren gegen die verschiedenen Streitgenossen sachgerecht möglich wäre. Es bedarf keiner großen Vorstellungskraft, dass hinsichtlich ubiquitärer Patentverletzungen (Angebote über das Internet, Verletzung von Verfahrenspatenten durch Computernetzwerke etc.) zahlreiche Stimmen in Anlehnung an die großzügige Rechtsprechung des EuGH in den Rechtsachen eDate Advertising, Wintersteiger und Pinkney für eine Klagemöglichkeit vor allen Lokal- und Regionalkammern des 152 

Siehe die zutreffende Kritik bei de Visscher, GRUR Int. 2012, 214 (216).

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§ 18  Der Unified Patent Court

UPC plädieren werden. Auch insoweit wäre m. E. eine Zuweisung der Rechtssache an die Zentralkammer sinnvoll gewesen. Über ein Wahlrecht zwischen verschiedenen Kammern verfügt der negative Feststellungs- bzw. Nichtigkeitskläger nicht. Eine negative Feststellungsklage oder Bestandsklage ist grundsätzlich vor der Zentralkammer zu erheben. Ein Marktteilnehmer, der ein Produkt lediglich auf dem Markt eines bestimmten Vertragsstaats einführen möchte, muss selbst dann eine gerichtliche Klärung vor der Zentralkammer erwirken, wenn es sich bei dem potentiell verletzten Patent um ein nur für wenige Staaten erteiltes Europäisches Bündelpatent handelt. Auf die geringe praktische Relevanz des „Wahlrechts“ des mutmaßlichen Patentverletzers nach Art. 33 Abs. 2 UAbs. 2 UPCA (behauptete Verletzung auf dem Gebiet mindestens dreier Regionalkammern) ist bereits oben hingewiesen worden. Die Bevorzugung der Rechteinhaber zieht sich fort bei den Regelungen zur Verfahrenskoordination. Ist bereits ein Verletzungsverfahren vor einer Lokalund Regionalkammer anhängig, kann nach Art. 33 Abs. 4 S. 2 UPCA eine negative Feststellungsklage oder Nichtigkeitsklage nur vor derselben Kammer erhoben werden; in der Sache handelt es sich hierbei (wohl) um eine misslungene Litispendenzregel.153 Ganz anders, wenn der mutmaßliche Patentverletzer zuerst die Initiative ergreift: Dieser ist mangels zuständigkeitsrechtlicher Alternativen gezwungen, eine negative Feststellungsklage oder Nichtigkeitsklage vor der Zentralkammer zu erheben, und hat folglich keinerlei Optionen zum forum shopping. Dennoch sperrt seine Klage nicht die Erhebung einer Verletzungsklage vor einer anderen Kammer des Gerichts. Der negative Feststellungskläger wird folglich zu weiteren Verfahrenshandlungen gezwungen, und zwar an einem anderen Ort sowie (zumeist) in einer anderen Verfahrenssprache, obzwar die sachlich spezialisierten Abteilungen der Zentralkammer im Zweifel eine höhere Entscheidungskompetenz aufweisen dürften als die nachträglich mit der Verletzungssache befasste Lokal- oder Regionalkammer. Zu bemängeln ist auch die fehlende Rechtsklarheit der Bestimmungen zur Verfahrenskoordination: Weder Art. 33 Abs. 5 UPCA noch r. 70 VerfO17 bestimmen eindeutig, wie die Zentralkammer zu verfahren hat, wenn nach Anhängigkeit der Nichtigkeitsklage vor der Zentralkammer eine Verletzungsklage vor einer Lokal- oder Regionalkammer erhoben wird und die Lokalbzw. Regionalkammer entscheidet, Verletzungs- und Bestandsfrage gemeinsam zu klären.154 Misslich ist zudem das Fehlen einer klaren Litispendenzregel 153  Rule 302 Abs. 3 VerfO17 sieht die Möglichkeit einer Verbindung der Verfahren vor. Sinnvoller wäre es gewesen, bei bereits erhobener Verletzungsklage sowohl die negative Feststellungsklage als auch die Nichtigkeitsklage wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses für unzulässig zu erklären und lediglich die Nichtigkeitswiderklage zuzulassen. 154  Rule 70 Abs. 3 VerfO17 gibt lediglich die Aussetzung des Bestandsverfahrens bis zur Entscheidung der Kammer des Verletzungsverfahrens nach Art. 33 Abs. 3 UPCA, Rule 37



E.  Das Verfahrensrecht des Unified Patent Court

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für Verletzungsverfahren, die mehr als drei Monate nach Anhängigkeit einer Bestandsklage erhoben werden.155 Parallele Klagen von Patentinhaber und Lizenznehmer werden ebenfalls nur für einen Spezialfall in Art. 33 Abs. 6 UPCA adressiert; in anderen Fällen bleibt eine Verfahrensverbindung bei Anhängigkeit vor derselben Kammer156 sowie die Aussetzung eines der Verfahren im Rahmen der r. 295 lit. k VerfO17 möglich („where the proper administration of justice so requires“). In augenfälligem Gegensatz zu Art. 104 Abs. 1 GMV, Art. 91 Abs. 1 GGV sieht das UPCA auch keine grundsätzliche Aussetzungspflicht der mit der Verletzungsfrage befassten Kammer vor, wenn das Patent bereits Gegenstand eines Bestandsangriffs in einem Verfahren zwischen anderen Parteien ist. Auch hier bleibt allenfalls ein Rückgriff auf die Aussetzungsregel gemäß r. 295 lit. k VerfO17. Es mag zu weit gehen, dem UPC angesichts dieser Bestimmungen ein Dasein als „Friedhof für den mutmaßlichen Patentverletzer“ zu prophezeien.157 Eine deutliche Bevorzugung der Interessen der Rechteinhaber durch die Zuständigkeitsordnung des UPC lässt sich freilich nicht abstreiten.

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E.  Das Verfahrensrecht des Unified Patent Court Das Verfahrensrecht des UPC wird nur punktuell durch das UPCA geregelt und bleibt in weiten Teilen der Ausgestaltung durch die vom Verwaltungsausschuss des UPCA zu beschließende Verfahrensordnung überlassen. Die Grundzüge des Verfahrens gemäß der 17. Entwurfsfassung der Verfahrensordnung werden im Folgenden nachgezeichnet.

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I.  Leitziele und allgemeine Verfahrensgrundsätze Das Übereinkommen und der Entwurf der Verfahrensordnung benennen diverse Leitprinzipien und Verfahrensgrundsätze: Der UPC soll sich von den Prinzipien der Prozessökonomie, Fairness, Flexibilität, Verhältnismäßigkeit, Vorhersehbar­keit und höchster Qualität leiten lassen.158 Das Verfahren ist VerfO17 vor. 155  Keine Antwort bietet das Übereinkommen ferner auf die Frage, wie und wann die Zentralkammer das wegen einer innerhalb von drei Monaten gemäß Art. 33 Abs. 5 UPCA erhobenen, konkurrierenden Verletzungsklage ausgesetzte negative Feststellungsverfahren fortführen soll, nachdem die Lokal- oder Regionalkammer über die Verletzungsklage und die Nichtigkeitswiderklage entschieden hat. Es bietet sich wohl ein Sachurteil nach Rechtskraft der Entscheidung im Verletzungsverfahren an. 156  Rule 302 Abs. 3 VerfO17. 157 So De Visscher, GRUR Int. 2012, 214 (217): „Graveyard for the defendant“ (gemeint ist der vorgebliche Schutzrechtsverletzer). 158  Präambel, Art. 41 Abs. 3, 41, 42, 52 Abs. 1 UPCA; Präambel VerfO17.

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§ 18  Der Unified Patent Court

durch die Dispositionsmaxime und den Verhandlungsgrundsatz, den Grundsatz der Öffentlichkeit, das Verhältnismäßigkeitsprinzip und den Anspruch auf rechtliches Gehör sowie durch eine aktive Verfahrensleitung des Gerichts geprägt.159 Die Konzentrationsmaxime findet in Art. 41 Abs. 3, Art. 43 UPCA Anklang und in zahlreichen Bestimmungen des Entwurfs der Verfahrensordnung nähere Ausformung; das Mündlichkeitsprinzip steht zur Disposition der Parteien.160

II.  Die Parteien und ihre Vertreter 1.  Partei- und Prozessfähigkeit, Prozessführungsbefugnis und Postulationsfähigkeit 76

77

Während die Parteifähigkeit in Art. 46 UPCA unter Rückgriff auf das Personalstatut der Partei bestimmt wird (dies dürfte wohl, in analoger Anwendung, auch für die Prozessfähigkeit gelten), enthält Art. 47 UPCA eine autonome Regelung über die Prozessführungsbefugnis: Neben dem Patentinhaber ist der ausschließliche Lizenznehmer zur Prozessführung befugt, soweit sich keine anderweitige Bestimmung in der Lizenzvereinbarung befindet und der Patentinhaber von der Klage unterrichtet ist. Die Prozessführung eines nicht ausschließlichen Lizenznehmers setzt eine ausdrückliche Regelung der Prozessführungsbefugnis in der Lizenzvereinbarung sowie gleichfalls die Unterrichtung des Patentinhabers voraus. Schließlich steht die Prozessführungsbefugnis jeder natürlichen oder juristischen Person bzw. Vereinigung zu, die von einem Patent betroffen und nach ihrem Personalstatut berechtigt ist, Klage zu erheben.161 Vor dem UPC herrscht gemäß Art. 48 UPCA Anwaltszwang.162 Vertretungsberechtigt sind Anwälte, die vor den Gerichten eines Vertragsstaates zugelassen sind, ebenso wie europäische Patentanwälte, die über eine Zulassung für Verfahren vor dem EPA verfügen.

2.  Streitgenossenschaft, Parteierweiterung und -wechsel, Intervention 78

Der Entwurf der Verfahrensordnung räumt dem Gericht ein breites Ermessen bei der Behandlung von Parteimehrheiten, Parteiwechseln und der Nebenintervention ein. So ist die Streitgenossenschaft auf Aktiv- wie Passivseite nach r. 302, 303 VerfO17 ohne weitere Voraussetzung (abgesehen von der gemein159 

Art. 43, 45, 56 Abs. 2, 76 UPCA. Art. 52 Abs. 3 S. 2 UPCA; r. 117 VerfO17. 161  Art. 47 Abs. 6 UPCA; der Verweis auf das Personalstatut bezieht sich auf die Parteifähigkeit, nicht auf die Prozessführungsbefugnis in nationalen Patentverfahren. 162  Näher zu den Rechten und Pflichten der rechtlichen Vertreter Rule 285 bis 293 VerfO17. 160 



E.  Das Verfahrensrecht des Unified Patent Court

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samen Zuständigkeit der Kammer) zulässig, doch ist das Gericht befugt, die Verfahren nach pflichtgemäßem Ermessen zu trennen. Auf Antrag einer Partei kann durch Beschluss des Gerichts eine Person dem Rechtsstreit als Partei hinzugefügt werden, als Partei aus dem Rechtsstreit entlassen werden oder ein Parteiwechsel durchgeführt werden.163 Über die Bindung der neuen Partei an den bisherigen Prozessverlauf entscheidet das Gericht.164 Will der Beklagte eines von einem Lizenzinhaber erhobenen Verletzungsverfahrens auf Nichtigkeit des Patents widerklagen, so ist er gehalten, den Patentinhaber durch Drittwiderklage in den Prozess einzubeziehen.165 Wird das Patent oder die Patentanmeldung während des Prozesses übertragen, so ist der neue Inhaber mit Erlaubnis des Gerichts berechtigt, das Verfahren zu übernehmen.166 Entscheidet sich der neue Inhaber gegen den Eintritt in das Verfahren, erstreckt sich die Rechtskraft aller im Verfahrensregister eingetragenen Entscheidungen des Gerichts auch auf ihn.167 Bei Tod, Untergang oder Insolvenz einer Partei ist das Verfahren bis zur Feststellung des Rechtsnachfolgers bzw. bis zur Entscheidung des Insolvenzverwalters über die Fortführung des Verfahrens auszusetzen.168 Rule 313 VerfO17 erlaubt die Intervention zugunsten einer Prozesspartei bei Vorliegen eines rechtlichen Interesses am Ausgang des Verfahrens. Die Erklärung der Nebenintervention soll grundsätzlich vor Abschluss des schriftlichen Verfahrens erfolgen;169 über ihre Zulässigkeit entscheidet der berichterstattende Richter durch unanfechtbaren Beschluss.170 Von größerer Bedeutung ist die in r. 316 Abs. 1, 316a VerfO17 vorgesehene erzwungene Intervention: Auf begründeten Antrag einer Partei oder von Amts wegen kann das Gericht einen Dritten im Beschlusswege zur Nebenintervention auffordern,171 um eine Bindung des Dritten an die Prozessergebnisse zu erreichen. Die aufgeforderte Person kann innerhalb eines Monats schriftlich darlegen, weshalb ihre Bindung an die Prozessergebnisse nicht sachgemäß wäre. Versäumt sie diese Frist, ist sie an die Prozessergebnisse gebunden; widerspricht der Dritte der Bindungswirkung, so entscheidet das Gericht hierüber nach Anhörung der Parteien.172 Bejaht das Gericht die Bindung des Dritten an die Prozessergebnisse, hat dieser die Option der (mittelbar erzwungenen) Intervention.173 163 

R. 305 VerfO17. R. 306 Abs. 2 VerfO17. 165  Art. 47 Abs. 5 UPCA, r. 25 Abs. 2 VerfO17. 166  Rule 312 Abs. 1 VerfO17. 167  Rule 312 Abs. 3 VerfO17. 168  Rule 310, 311 VerfO17. 169  Rule 313 Abs. 1 und 2 VerfO17. 170  Rule 314, 317 VerfO17. 171  Rule 316 Abs. 1 VerfO17. 172  Rule 316a Abs. 2 S. 2, 3, 5 VerfO17. 173  Rule 316a Abs. 2 S. 4 VerfO17. 164 

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§ 18  Der Unified Patent Court

Der Nebenintervenient erhält (vorbehaltlich eines anderweitigen Beschlusses des Gerichts) die Rechtsstellung einer Partei und ist an die Entscheidung des Gerichts gebunden.174 Die Konsequenzen der eigenständigen Parteistellung für das Verhältnis zur Hauptpartei im Prozess wird durch den Entwurf der Verfahrensordnung nicht geregelt.

3. Kritik 80

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Der Regelungsgehalt der Bestimmungen zur Stellung der Parteien und ihren Vertretern fällt recht mager aus. Der Verweis auf das Personalstatut zur Bestimmung der Partei- und Prozessfähigkeit ist zweifellos sinnvoll, doch schweigt Art. 46 UPCA zu der Frage, nach welcher Kollisionsnorm das ­Personal- bzw. Gesellschaftsstatut zu bestimmen ist. Bekanntlich fehlt es an einem einheitlichen Internationalen Gesellschaftsrecht innerhalb der Europäischen Union, auch wenn die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Niederlassungsfreiheit i. S. d. Art. 49 AEUV die Mitgliedstaaten zu einer Anknüpfung an den satzungsmäßigen Sitz zwingt, soweit Gesellschaften betroffen sind, die nach dem Recht eines Mitgliedstaats der Union wirksam errichtet wurden.175 Zwecks Bestimmung der Partei- und Prozessfähigkeit bedarf es somit der rechtsfortbildenden Entwicklung einer eigenständigen Kollisionsnorm, will man nicht auf das Kollisionsrecht des Sitzstaates der jeweils angerufenen Kammer zurückgreifen und eine uneinheitliche Beurteilung der Partei- und Prozessfähigkeit vor den verschiedenen Kammern des UPC akzeptieren. Denkbar wäre es, an die Hauptniederlassung der Gesellschaft oder juristischen Person anzuknüpfen, da Art. 33 Abs. 1 lit. b UPCA hierauf für die Bestimmung des Wohnsitzes abstellt. In Betracht käme auch, das alternative Anknüpfungsmodell zur Bestimmung des Gesellschaftssitzes gemäß Art. 63 EuGVO heranzuziehen (satzungsmäßiger Sitz, Hauptverwaltung oder Hauptniederlassung) und die Parteifähigkeit nach einem dieser Rechte als genügend zu erachten. Sinnvoller erscheint in Anbetracht der oben genannten Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit eine Anwendung der Gründungstheorie, d. h. eine Anknüpfung an den satzungsmäßigen Sitz, unabhängig davon, ob sich dieser in einem EU-Mitgliedstaat oder einem Drittstaat befindet. Die Regelung zur Prozessführungsbefugnis ist prinzipiell angemessen. Eine Prozessführung durch den nicht ausschließlichen Lizenznehmer sollte aller174  Rule 315 Abs. 4, 316 Abs. 3 VerfO17; eine Interventionswirkung zugunsten des Intervenienten sieht der Entwurf nicht vor. 175 EuGH v.  09. 03. 1999  – C-212/97  – 1999 I-1459 (Centros); EuGH v.  05. 11. 2002  – C-208/00  – Slg. 2002, I-9919 (Überseering); EuGH v.  30. 09. 2003  – C-167/07  – Slg. 2003, I-10155 (Inspire Art); EuGH v. 13. 12. 2005 – C-411/03 – Slg. 2005, I-10805 (SEVIC); EuGH v. 16. 12. 2008 – C-210/06 – Slg. 2008, I-9641 (Cartesio); EuGH v. 12. 07. 2012 – C‑378/10 – (VALE Építési).



E.  Das Verfahrensrecht des Unified Patent Court

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dings auch dann zugelassen werden, wenn die Prozessführungsbefugnis erst nach Abschluss des Lizenzvertrags vereinbart wurde. Der Anwaltszwang vor dem UPC ist angesichts der regelmäßig hohen Streitwerte und Komplexität der Verfahren sachgerecht. Die Verfahrensordnung stellt die Behandlung von Parteimehrheiten weitgehend in das Ermessen des Gerichts und leistet so einer uneinheitlichen Praxis der verschiedenen Kammern Vorschub. Das Verhältnis der Streitgenossen und Intervenienten zueinander im Prozess findet keine Erwähnung; die Bindung des Rechtsnachfolgers an das Prozessergebnis ist nur für den Fall der rechtsgeschäftlichen Übertragung des Patents während des Prozesses geregelt. Positiv hervorzuheben ist die Befugnis des Beklagten, in einem vom Lizenznehmer initiierten Verfahren den Patentinhaber im Wege der Drittwiderklage auf Nichtigkeit des Patents in den Prozess einzubeziehen. Die Möglichkeit einer auf Feststellung der Nichtverletzung gerichteten Drittwiderklage gegen den Patentinhaber wäre ebenfalls sinnvoll, ist jedoch in UPCA und dem Entwurf der Verfahrensordnung zumindest nicht explizit vorgesehen. Schließlich ist zu begrüßen, dass r. 316a VerfO17 eine im UPCA enthaltene Lücke schließt: Die so genannte erzwungenen Intervention erlaubt es dem Beklagten, eine Bindung dritter Personen an die Prozessergebnisse des Verletzungsverfahrens vor dem UPC herbeizuführen.

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III.  Überblick über das Verfahren vor der ersten Instanz 1. Konzentrationsmaxime Das Verfahren vor der ersten Instanz ist in drei Abschnitte untergliedert: schriftliches Verfahren, Zwischenverfahren und mündliches Verfahren, ggf. ergänzt um ein Verfahren über die Höhe des Schadensersatzes bzw. um ein Kostenverfahren.176 Ziel ist es, das Verfahren innerhalb eines Jahres zum Abschluss zu bringen.177 Der Entwurf der Verfahrensordnung sieht entsprechend eine aktive und straffe Verfahrensleitung des Gerichts vor, in deren Rahmen dem Gericht breites Ermessen gewährt wird hinsichtlich der Verkürzung oder Verlängerung von Fristen, der Vertagung von Terminen, der Verbindung und Abtrennung von Verfahren sowie der Abweisung offensichtlich zum Scheitern verurteilter Anträge.178

176 

Art. 52 Abs. 1 UPCA; Rule 10, 125–143, 150–159 VerfO17. Präambel VerfO17. 178  Rule 331 bis 340, 360 bis 363 VerfO17. 177 

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§ 18  Der Unified Patent Court

2.  Das schriftliche Verfahren 85

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In dem von einem Berichterstatter geleiteten schriftlichen Verfahren sind grundsätzlich zwei Schriftsätze je Partei vorgesehen, hier dargestellt anhand einer Verletzungsklage: 1. Klageschrift, 2. Klageerwiderung (ggf. verbunden mit einer Widerklage auf Nichtigerklärung des Patents), 3. Replik des Klägers (ggf. verbunden mit einer Erwiderung auf die Widerklage und/oder einem Antrag auf Änderung des Patents), 4. Duplik des Beklagten (ggf. verbunden mit einer Replik auf die Erwiderung der Widerklage bzw. einer Erwiderung auf den Antrag auf Änderung des Patents).179 Die Frist für die Klageerwiderung beträgt drei Monate, die Frist für die Replik einen oder zwei Monate, abhängig davon, ob der Beklagte Nichtigkeitswiderklage erhoben hat.180 Verlängerungen oder Verkürzungen der Schriftsatzfristen sind auf Parteiantrag möglich,181 ebenso kann der Berichterstatter auf Antrag den Austausch weiterer Schriftsätze zulassen.182 Das schriftliche Verfahren ist von der Konzentrationsmaxime geprägt. Die Verfahrensordnung enthält detaillierte Vorgaben zum erforderlichen Inhalt der Schriftsätze:183 Neben formalen Angaben und der Konkretisierung des Klagebegehrens ist ein umfassender Tatsachenvortrag samt rechtlicher Würdigung sowie eine Bezeichnung aller relevanten Beweismittel erforderlich.184 Verstöße gegen formale Anforderungen der Klageschrift werden dem Kläger durch die Kanzlei mitgeteilt und können innerhalb von 14 Tagen korrigiert werden.185 Die Einrede der Unzuständigkeit des UPC oder der angerufenen Kammer ist gemäß r. 19 Abs. 1 VerfO17 innerhalb eines Monats nach Klagezustellung im Wege der Vorabrüge zu erheben; die Gegenseite erhält daraufhin von der Kanzlei Gelegenheit zur Korrektur oder Stellungnahme innerhalb von 14 Tagen.186 Einwände gegen den Bestand des Schutzrechts werden nur bei Erhebung einer Widerklage innerhalb der dreimonatigen Klageerwiderungsfrist 179 

Rule 12 VerfO17. Rule 23, 29 Abs. 1 VerfO17, zu weiteren Schriftsatzfristen siehe Rule 32 VerfO17. 181  Art. 9 Abs. 3 VerfO17. 182  Rule 12 Abs. 5, 36 VerfO17. Zu Replik und Duplik in Bezug auf die Nichtigkeitswiderklage und einen Antrag auf Änderung des Patents siehe ferner Rule 12 Abs. 3 und 4, Rule 32, 52 VerfO17. 183  Rule 14, 24, 29, 29a, 30, 32 VerfO17. 184  Rule 13, 24, 45, 50, 62, 66 VerfO17. 185  Rule 16 Abs. 3 VerfO17. 186  Die Vorabrüge kann gemäß Art. 20 VerfO17 durch den berichterstattenden Richter nach Anhörung der Parteien entschieden werden oder der Entscheidung der Kammer im abschließenden Urteil überlassen bleiben. 180 



E.  Das Verfahrensrecht des Unified Patent Court

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gehört,187 Anträge auf eine Änderung des Patents sind grundsätzlich nur mit der Erwiderung auf die Nichtigkeitswiderklage zulässig.188 Jede Duplik ist auf Erwiderungen des Vortrags in der Replik beschränkt.189 Das Versäumen einer von der Verfahrensordnung oder dem Gericht gesetzten Frist kann in den von der Verfahrensordnung spezifizierten Fällen den Erlass eines Versäumnisurteils nach sich ziehen.190 Die Kommunikationswege sollen durch Einreichung der Schriftsätze auf elektronischem Wege und eine vorrangige elektronische Zustellung verkürzt werden.191 Der Berichterstatter setzt frühzeitig Daten für die mündliche Verhandlung und eine eventuell erforderliche Zwischenverhandlung fest und benachrichtigt die Parteien über den Zeitpunkt, zu welchem er das schriftliche Verfahren zu schließen beabsichtigt.192

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3.  Das Zwischenverfahren An das schriftliche Verfahren schließt sich das Zwischenverfahren an, dessen Durchführung ebenfalls grundsätzlich Aufgabe des berichterstattenden Richters ist.193 Ziel des Zwischenverfahrens ist es, entweder eine gütliche Einigung der Parteien herbeizuführen oder die mündliche Verhandlung so umfassend vorzubereiten, dass jene an einem Tag abgeschlossen werden kann. Die Entscheidungen des Berichterstatters im Zwischenverfahren sind im Regelfall durch eine oder mehrere Telefon- bzw. Videokonferenzen mit den Parteien vorzubereiten, ggf. kann die Zwischenanhörung auch bei Gericht durchgeführt werden bzw. bei fehlendem Bedarf entfallen.194 Neben der organisatorischen Vorbereitung der mündlichen Verhandlung (Festsetzung des weiteren Verfahrensverlaufs und des Termins der mündlichen Verhandlung, Ladung von Zeugen und Sachverständigen) kommt ein breites Spektrum von Anordnungen zwecks weiterer Sachverhaltsaufklärung in Betracht: Einholung eines Sachverständigengutachtens, Durchführung von Experimenten, vorbereitende Besprechungen mit Zeugen oder Sachverständigen in Anwesenheit der Parteien, an die Parteien gerichtete Anordnungen zum weiteren Sachvor187  Rule 23, 25 Abs. 1 VerfO17; kritisch wegen der Kürze der Frist Kunz-Hallstein/Lo­ schel­der, GRUR 2013, 1115 (1116 f.). 188  Rule 30 VerfO17. 189  Rule 29 lit. e, 32 Abs. 3 S. 2, 52 S. 2, 56 Abs. 4 S. 2, 67 Abs. 2 S. 2 VerfO17. 190  R. 355 Abs. 1 lit. a i. V. m. r. 16 Abs. 5, 27 Abs. 4, 89 Abs. 4, 103 Abs. 2, 229 Abs. 2 S. 2, 232 Abs. 2 VerfO17. 191  Art. 44 UPCA; Rule 4, 270 ff. VerfO17. 192  Rule 28, 35 VerfO17. 193  Art. 52 Abs. 2 UPCA; Rule 101 VerfO17. Nach Rule 102 VerfO17 kann der berichterstattende Richter eine Entscheidung im Zwischenverfahren an die Kammer verweisen; auch ist die Kammer befugt, Entscheidungen des Berichterstatters von Amts wegen oder auf Antrag einer Partei zu überprüfen. 194  Rule 101 Abs. 1, 105 VerfO17.

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§ 18  Der Unified Patent Court

trag oder zur Beweismittelvorlage.195 Wieviel Spielraum der berichterstattende Richter den Parteien hierbei für eine einvernehmliche Gestaltung des Prozesses gewährt, dürfte von dessen eigener prozessrechtlicher Vorprägung beeinflusst sein. Nach r. 101 Abs. 3 VerfO17 soll das Zwischenverfahren im Regelfall spätestens drei Monate nach Beendigung des schriftlichen Verfahrens seinen Abschluss finden.

4.  Das mündliche Verfahren 91

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Die mündliche Verhandlung erfolgt unter aktiver Verfahrensleitung des Vorsitzenden Richters, welcher die Verhandlung möglichst innerhalb eines Tages zu ihrem Abschluss bringen soll.196 Die Verhandlung ist grundsätzlich öffentlich, wobei das Gericht in begründeten Ausnahmefällen einen Ausschluss der Öffentlichkeit anordnen kann.197 Das Gericht gibt gegebenenfalls einleitend eine Einführung in den Fall, bevor Raum für den mündlichen Parteivortrag und die Anhörung von Zeugen und Sachverständigen gewährt wird. Der Vorsitzende kann vorab einen festen Zeitrahmen für den Parteivortrag stecken oder diesen innerhalb der Verhandlung begrenzen, wenn das Gericht sich für ausreichend informiert erachtet.198 Die Anhörung von Zeugen und Sachverständigen erfolgt unter der Leitung des Vorsitzenden. Ein Fragerecht steht allen Richtern sowie den Parteien zu, wobei der Vorsitzende befugt ist, Fragen der Parteien nicht zuzulassen, soweit sie nicht geeignet sind, verwertbare Informationen ans Licht zu bringen.199 Die Anwesenheit einer Partei bzw. ihrer Vertreter in der mündlichen Verhandlung ist nach r. 116 VerfO17 nicht erforderlich; im Falle ihrer Abwesenheit wird ihr schriftlicher Vortrag samt eingereichter Beweismittel der Entscheidung zu Grunde gelegt.200 Diese Bestimmung steht freilich im Widerspruch zu einer Regelung der im Anhang zum UPCA enthaltenen Satzung des UPC. Nach Art. 37 Abs. 1 der Satzung ergeht auf Antrag einer Prozesspartei ein Versäumnisurteil, wenn die Gegenpartei nicht zur mündlichen Verhandlung erscheint. Nach r. 116 Abs. 5 VerfO17 soll deshalb die Befugnis des Gerichts zum Erlass eines Versäumnisurteils unangetastet bleiben,201 d. h. scheinbar soll es dem Ermessen des Gerichts überlassen sein, ob es den Rechtsstreit auf

195 

Rule 103, 104 VerfO17. Rule 113 Abs. 1, 114 VerfO17. 197  Art. 45 UPCA erlaubt einen Ausschluss der Öffentlichkeit im Interesse einer der Parteien oder sonstiger Betroffener, im allgemeinen Interesse der Justiz sowie im Interesse der öffentlichen Ordnung. 198  Rule 113 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 VerfO17. 199  Art. 53 Abs. 2 UPCA, Rule 112 Abs. 4, 178 Abs. 5 VerfO15. 200  Eine Flucht in die Säumnis scheidet somit aus, vgl. r. 116 Abs. 3 VerfO15. 201  Zur Regelung des Versäumnisurteils in r. 355 siehe infra, Rn. 104. 196 



E.  Das Verfahrensrecht des Unified Patent Court

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Basis der schriftlichen Stellungnahme des säumigen Partei entscheidet oder ein Versäumnisurteil erlässt. Ist eine Partei aufgrund außergewöhnlicher Umstände an der Teilnahme verhindert, so ist die mündliche Verhandlung auf Antrag zu vertagen.202 Haben beide Parteien der Kanzlei gegenüber ihren Verzicht auf die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung erklärt, so entscheidet das Gericht auf Basis des schriftlichen Parteivortrags sowie der von ihnen und dem gerichtlich bestellten Sachverständigen eingereichten Beweismittel.203

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5.  Das Höheverfahren Im Falle einer erfolgreichen Verletzungsklage kann die Höhe des Schadensersatzanspruchs im Endurteil ausgesprochen werden oder einem separaten Höheverfahren überlassen bleiben,204 welches innerhalb eines Jahres nach Zustellung der Entscheidung über die Verletzungsfrage zu initiieren ist.205 Das Höheverfahren entspricht in seinen Grundzügen dem Verfahren über die Feststellung des Schadensersatzanspruchs.206 Der Antrag auf Bestimmung der Höhe des Schadensersatzes kann kombiniert werden mit einem Antrag auf Offenlegung der Bücher des Ersatzpflichtigen, über welchen der Berichterstatter nach Anhörung des Beklagten vorab entscheidet.207

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6.  Das Kostenverfahren Auch für die Kostenentscheidung ist ein fakultatives separates Kosten­ verfahren vorgesehen, in welchem allein der berichterstattende Richter auf Antrag der erfolgreichen Partei und nach Anhörung der unterlegenen Partei entscheidet.208 Die unterlegene Partei trägt die Kosten des Verfahrens, wobei für die Erstattung von Anwaltskosten (derzeit noch unbestimmte) Deckelungsgrenzen vorgesehen sind.209 Das Gericht kann im Rahmen des Endurteils eine vorläufige Kostenentscheidung treffen.210

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7.  Beweislast und Beweisaufnahme Ist eine Tatsache für die Beurteilung der Rechtslage nach Einheitsrecht (EPV, EPÜ, UPCA) relevant, so trägt prinzipiell jene Partei die Beweislast, welche 202 

Rule 116 Abs. 4 VerfO7. Art. 52 Abs. 3 S. 2 UPCA; r. 117 VerfO17. 204  Rule 118 Abs. 1 S. 2, 125 VerfO17. 205  Rule 126 VerfO17. 206  R. 131 ff., 140 Abs. 2 VerfO17. 207  R. 131 Abs. 1 lit. c, 141 ff. VerfO17; siehe auch unten Rn. 138. 208  Näher Rule 150–157 VerfO17. 209  R. 152 Abs. 2 VerfO17. 210  R. 150 Abs. 2 VerfO17. 203 

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§ 18  Der Unified Patent Court

sich auf das Vorliegen dieser Tatsache beruft. Eine Beweislastumkehr statuiert Art. 55 UPCA für die Herstellung identischer Erzeugnisse in bestimmten Fällen. Soweit gemäß Art. 24 Abs. 2 und 3 UPCA auf nationales Recht rekurriert wird, ergibt sich die Beweislast aus dem anwendbaren Recht.211 Als zulässige Beweismittel werden in der nicht abschließenden212 Auflistung des Art. 53 Abs. 1 UPCA benannt: die Anhörung der Parteien, das Einholen von Auskünften, die Vorlage von Urkunden, die Vernehmung von Zeugen, Sachverständigengutachten und -vernehmung, die Einnahme des Augenscheins, Vergleichstests oder Versuche sowie die Abgabe einer schriftlichen beeideten Versicherung (affidavit). Der Zeugenbeweis ist prinzipiell schriftlich zu führen.213 Eine Vernehmung durch das Gericht kommt grundsätzlich nur in Betracht, sofern die schriftliche Zeugenaussage von der Gegenseite bestritten wird oder eine Partei einen Antrag auf Vernehmung des Zeugen stellt, weil es ihr nicht gelungen ist, diesen zu einer schriftlichen Aussage zu bewegen.214 Allerdings kann das Gericht die Zeugenvernehmung auch von Amts wegen anordnen.215 Die Vernehmung des Zeugen in der mündlichen Verhandlung erfolgt entsprechend dem ­kontinentaleuropäischen Modell durch das Gericht; ein Kreuzverhör ist nicht vorgesehen.216 Zeugnisverweigerungsrechte regelt das Übereinkommen teils autonom, teils unter Rückgriff auf das anwendbare Recht.217 In völkerrechtlicher zweifelhafter Weise218 sieht r. 179 Abs. 2 VerfO17 die Festsetzung eines Ordnungsgelds bei Fernbleiben eines geladenen Zeugen vor, und zwar unabhängig vom Wohnsitz des Zeugen in einem Vertragsstaat. Das Gericht kann nach seinem Ermessen jedoch auch Zeugen im Wege der Videokonferenz vernehmen oder ein Rechtshilfeersuchen an die nationalen Gerichte stellen.219 Die Entscheidung, ob ein Sachverständigenbeweis durch Parteigutachter oder einen gerichtlich bestellten Sachverständigen geführt wird, liegt im Ermessen des Gerichts. Den Parteien steht es frei, Beweis durch Aussage eines Parteisachverständigen anzubieten, welcher entsprechend der Zeugenvernahme erhoben wird.220 Das Gericht ist jedoch auch von Amts wegen befugt, einen Sachverständigen zu bestellen, wobei die Parteien hinsichtlich Auswahl und Instruktion des Sachverständigen zu hören sind.221 Der gerichtlich be211 

Art. 54, 55 Abs. 1 UPCA. Grabinski, GRUR 2013, 310 (317). 213  Rule 175 bis 177 VerfO17; kritisch Brandi-Dohrn, IIC 2012, 371 (385 f.). 214  Rule 177 Abs. 1 lit. b VerfO15. 215  Rule 177 Abs. 1 lit. a VerfO17. 216  Rule 178 Abs. 4, Abs. 5 VerfO17. 217  Rule 179 Abs. 3 VerfO17. 218  § 15 Rn. 76. 219  Rule 178 Abs. 6, 179 Abs. 2 S. 2, 202 VerfO17. 220  Rule 181 VerfO17. 221  Art. 57 UPCA, r. 185 Abs. 1, Abs. 2 VerfO17. 212 



E.  Das Verfahrensrecht des Unified Patent Court

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stellte Sachverständige hat ein schriftliches Gutachten zu erstellen und wird in der mündlichen Verhandlung vernommen.222 Entsprechend der englischen Rechtspraxis besteht auch die Möglichkeit zur direkten Durchführung von Experimenten vor Gericht, wobei der Versuch durch einen gerichtlich bestellten Sachverständigen durchzuführen ist, welcher anschließend einen Bericht zu den Ergebnissen des Experiments erstellt.223 Rechtshilfeersuchen sind nach r. 202 VerfO15 nur für die Vernahme von Zeugen und Sachverständigen vorgesehen. Es ist unklar, ob darüber hinausgehend auf die EuBVO zurückgegriffen werden soll.

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8. Kritik Das Verfahren vor dem UPC ist durch eine starke Formalisierung und eine hohe Steuerungsfunktion des Gerichts geprägt. Prinzipiell sind die Parteien zu einem umfassenden, frühzeitigen und fristgerechten Vortrag verpflichtet,224 dessen Einhaltung durch das Gericht kontrolliert wird. So prüft bspw. die Kanzlei des Gerichts den Mindestinhalt einer Klageschrift, noch bevor diese dem Beklagten zugestellt bzw. das Verfahren einer bestimmten Kammer zugewiesen wird. Im Zwischenverfahren soll der berichterstattende Richter auf eine Konzentration des Prozessstoffes hinwirken, welche es erlaubt, die mündliche Verhandlung auf einen Tag zu begrenzen. Das Ziel einer durchschnittlichen Erledigung des Verfahrens in erster Instanz innerhalb eines Jahres ist gleichwohl ambitioniert: Allein das schriftliche Vorverfahren erstreckt sich aufgrund der vorgesehenen Fristen über einen Zeitraum von 7 Monaten, wenn eine Nichtigkeitswiderklage erhoben und ein Antrag auf Änderung des Patents gestellt wird. Für die Durchführung des Zwischenverfahrens sind bis zu 3 Monaten Zeit vorgesehen. Die Vorbilder in nationalen Justizsystemen, insbesondere das deutsche Verletzungsverfahren und die englische streamlined procedure, weisen Besonderheiten auf, welche auf den UPC nicht zutreffen. Die deutschen Verletzungsverfahren sind nur deshalb zügig durchzuführen, weil die Klärung der Bestandsfrage dem (langsameren) Bestandsverfahren vor dem BPatG überantwortet wird; die streamlined procedure findet auf Verfahren von hoher wirtschaftlicher Bedeutung keine Anwendung. Aus den genannten Gründen lassen sich auch die Verhandlungszeiten von bis zu vier Patentverletzungssachen pro Tag, welche vor deutschen

222 

Rule 186 Abs. 1, Abs. 6, 187, 188 i. V. m. r. 178 bis 180 VerfO17. Art. 53 Abs. 1 lit. g UPCA, Rule 201 VerfO17. 224 Kritisch Haberl/Schallmoser, GRUR-Prax 2010, 23 (27). Auf das Erfordernis einer flexiblen Fristenregelung im Einzelfall hinweisend (insbesondere mit Blick auf Klageerwiderung, Nichtigkeitswiderklage und den Antwortschriftsatz auf die Änderung des Patents) Kunz-Hallstein/Loschelder, GRUR 2013, 1115 (1116 f.). 223 

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Kammern teilweise üblich sind, für im Verbundsystem praktizierte Verfahren vor dem UPC nicht erzielen.225

IV.  Beendigung des Verfahrens erster Instanz 103

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Das Verfahren erster Instanz wird prinzipiell durch ein mit Gründen versehenes kontradiktorisches Urteil beendet,226 welches (ggf. gegen Sicherheitsleistung) unmittelbar vollstreckbar ist.227 Das Gericht entscheidet nach Maßgabe der von den Parteien gestellten Anträge unter freier und unabhängiger Würdigung der Beweismittel.228 Die Urteilsverkündung samt schriftlicher Begründung hat möglichst innerhalb von sechs Wochen nach Ende der mündlichen Verhandlung zu erfolgen.229 Nur in Ausnahmefällen sollen Sondervoten erlaubt sein.230 Sofern eine Partei eine Frist versäumt hat, die ihr durch das Gericht gesetzt wurde oder von der Verfahrensordnung vorgegeben ist, kann das Gericht in den durch die Verfahrensordnung spezifizierten Fällen ein Versäumnisurteil erlassen. Die säumige Partei kann innerhalb eines Monats einen begründeten und gebührenpflichtigen Einspruch gegen das Versäumnisurteil einlegen.231 Allerdings darf ein Versäumnisurteil gemäß r. 277 VerfO17 nicht ergehen, sofern sich das Gericht nicht versichert hat, dass das verfahrenseinleitende Schriftstück dem Beklagten entweder mittels einer Methode zugestellt wurde, welche der Empfangsstaat für Inlandszustellungen vorsieht oder dem Beklagten tatsächlich übergeben oder an seiner Adresse i. S. d. r. 270 ff. VerfO17 übermittelt worden ist. Wie bereits erwähnt,232 sind die Rechtsfolgen eines Fernbleibens in der mündlichen Verhandlung unklar geregelt: Gemäß r. 116 VerfO17 ergeht ein Endurteil auf Basis des schriftlichen Parteivortrags, während nach Art. 37 Satzung UPC und r. 355 Abs. 1 lit. b ein Versäumnisurteil zu erlassen ist. Offenbar soll die Rechtsfolge in das Ermessen des Gerichts gestellt werden. Ein Versäumnisurteil gegen den Beklagten setzt die Schlüssigkeit des Klägervortrags voraus.233 Das Gericht hat ferner die Möglichkeit, von Amts wegen und nach Anhörung der Parteien das Verfahren durch Beschluss zu beenden, wenn die Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist, ihr ein absolutes Pro225 

Pagenberg, GRUR 2012, 582 (584). Zu den Vorgaben für den Urteilsinhalt siehe r. 350 VerfO17. 227  R. 352, 354 Abs. 1, 118 Abs. 9 VerfO17. 228  Art. 76 UPCA. 229  R. 118 Abs. 7 VerfO17. 230  Art. 78 Abs. 2 UPCA, Art. 36 Satzung UPCA. 231  Art. 37 UPCA, r. 355 f. VerfO17.. Zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Berufungsbegründung siehe r. 320 VerfO17; hierzu mit überzeugender Kritik KunzHallstein/Loschelder, GRUR 2013, 1115 (1118). 232  Supra Rn. 92. 233  R. 355 Abs. 2 VerfO17. 226 



E.  Das Verfahrensrecht des Unified Patent Court

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zesshindernis entgegensteht (insbes. entgegenstehende Rechtskraft) oder das Verfahren obsolet geworden ist.234 Schließlich sieht r. 365 VerfO17 die gerichtliche Bestätigung eines von den Parteien geschlossenen Vergleichs vor.

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V.  Berufung und Wiederaufnahme Gegen Entscheidungen und Anordnungen des Gerichts erster Instanz ist innerhalb von zwei Monaten (Sachentscheidung) bzw. von 15 Tagen (innerprozessuale Anordnung) nach Zustellung der Rechtsbehelf der Berufung gegeben.235 Die Berufung gegen rein prozessuale Anordnungen bedarf der Zulassung, sofern nicht zeitgleich das Endurteil angegriffen wird.236 Die Möglichkeit der Berufung gegen prozessuale Anordnungen ist zwecks Wahrung der einheitlichen Rechtsanwendung vor den Kammern sinnvoll, ebenso wie das Erfordernis der Berufungszulassung verfahrensverzögernden Prozesstaktiken vorbeugt. Leider enthält das Übereinkommen keine Festlegung, ob die Zulassung vom Gericht erster Instanz oder vom Berufungsgericht auszusprechen ist. Im Entwurf der Verfahrensordnung ist eine Zulassung durch das Gericht erster Instanz vorgesehen.237 Die Nichtzulassungsbeschwerde soll durch den Court of Appeal im Rahmen eines nicht begründungsbedürftigen „discretionary review“ entschieden werden.238 Anders ist dies lediglich im Hinblick auf die Berufung gegen Kostenbeschlüsse: Hier kann die betroffene Partei Nichtzulassungsbeschwerde vor dem Berufungsgericht erheben, sofern das Gericht erster Instanz die Berufung nicht zulässt.239 Die Berufung hat vorbehaltlich eines anderweitigen Beschlusses des Berufungsgerichts keine aufschiebende Wirkung.240 Ausgenommen sind Entscheidungen über den Bestand des Schutzrechts.241 Die Berufung kann sich auf tatsächliche wie auf rechtliche Erwägungen stützen, doch können neue Tatsachen und Beweismittel gemäß Art. 73 Abs. 4 UPCA nur in das Verfahren eingeführt werden, sofern „vernünftigerweise nicht davon ausgegangen werden konnte“, dass der betreffende Partei die Vorlage im Verfahren vor dem Gericht erster Instanz möglich gewesen wäre. R. 222 Abs. 2 VerfO17 ist demgegenüber deutlich konzilianter und formuliert, das Gericht dürfe neue Angriffs- oder Verteidigungsmittel, neuen Tatsachenvortrag 234 

Rule 360 bis 363 VerfO17. Art. 73 Abs. 1 und 2 UPCA, r. 220, 224 Abs. 1 VerfO17. 236  Art 73 Abs. 2 UPCA. 237  R. 220 Abs. 2 VerfO17. 238  R. 220 Abs. 2 VerfO17. 239  R. 221 Abs. 1 VerfO17. 240  Art. 74 Abs. 1 UPCA. 241  Art. 74 Abs. 2 UPCA. 235 

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§ 18  Der Unified Patent Court

und neue Beweismittel unberücksichtigt lassen. In diese Ermessensausübung solle neben etwaigen schuldhaften Versäumnissen des Berufungsklägers in der ersten Instanz v. a. auch die Bedeutung des neuen Vortrags und die Position der gegnerischen Partei einfließen.242 Das Berufungsgericht ist kein reines Kassationsgericht, sondern erlässt im Falle der Begründetheit des Rechtsbehelfs ein Endurteil.243 In Ausnahmefällen ist auch eine Rückverweisung an die erste Instanz zulässig (ggf. an einen anderen Spruchkörper), welches an die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts gebunden ist.244 Zur Vorlage an den EuGH siehe Rn. 24 f. Die Entscheidung des Berufungsgerichts erfolgt im Regelfall durch eine einzelne Kammer, der es aber möglich ist, in besonders bedeutsamen Fällen und zwecks Wahrung der Rechtsprechungseinheit die Vereinigten Kammern anzurufen.245 Eine Wiederaufnahme des Verfahrens ist nur im Falle von fundamentalen Verfahrensfehlern246 vorgesehen bzw. sofern die Entscheidung auf einer Handlung beruht, die von einem nationalen Gericht rechtskräftig als Straftat abgeurteilt wurde (Falschaussage, Urkundenfälschung etc.).247 Die Beseitigung der Bestandwirkung des Patents stellt keinen Wiederaufnahmegrund dar, denn der Beklagte eines Verletzungsverfahrens ist gehalten, Nichtigkeitswiderklage zu erheben. Hat die über die Verletzungsfrage entscheidende Lokal- oder Regionalkammer die Nichtigkeitswiderklage gemäß Art. 33 Abs. 3 lit. b UPCA an die Zentralkammer verwiesen, so darf sie eine Verletzung des Schutzrechts nur unter der auflösenden Bedingung aussprechen, dass das Patent einer rechtskräftigen Entscheidung in Bestands- und Einspruchsverfahren standhält.248

VI.  Bewahrung des Status Quo im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes 1.  Verfügbare Maßnahmen 111

Art. 62 UPCA gibt in enger Anlehnung an Art. 9 Abs. 1 lit. a DRL die Verfügbarkeit von Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes vor. Das Gericht kann gegen einen angeblichen Verletzer oder eine Mittelsperson, deren Dienste sich der angebliche Verletzer bedient, einstweilige Verfügungen erlassen, um eine drohende Verletzung zu verhindern, die Fortsetzung einer angeblichen Verletzung zu untersagen oder deren Fortsetzung an die Stellung von Sicherheiten 242 

R. 222 Abs. 2 VerfO15. Art. 73 Abs. 1 S. 1 UPCA. 244  Art. 73 Abs. 1 S. 2 UPCA, Abs. 2, r. 242 Abs. 2 lit. b, 243 VerfO17. 245  R. 238A VerfO17. 246 Näher Grabinski, GRUR 2013, 310 (320 f.). 247  Art. 81 UPCA, r. 245 ff. VerfO15. 248  Art. 56 Abs. 1 UPCA, r. 118 Abs. 3 lit. a VerfO17; Grabinski, GRUR Int. 2013 310 (316). Zur späteren Aufhebung der Vollstreckbarkeit siehe r. 354 Abs. 2 S. 2 VerfO17. 243 



E.  Das Verfahrensrecht des Unified Patent Court

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zu knüpfen. Gleichfalls vorgesehen ist die Anordnung der Beschlagnahme oder Herausgabe vermeintlich schutzrechtsverletzender Erzeugnisse. Zur Sicherung potentiell bestehender Schadensersatzansprüche stehen zwei unterschiedliche Maßnahmen zur Verfügung: Erstens wurde in Art. 62 Abs. 3 S. 2 UPCA die Formulierung des Art. 9 Abs. 2 S. 1 DRL übernommen, das Gericht könne die vorsorgliche Beschlagnahme beweglichen und unbeweglichen Vermögens einschließlich der Sperrung der Bankkonten und der Beschlagnahme sonstiger Vermögenswerte anordnen. Zweitens verfügt das Gericht nach Art. 61 Abs. 1 UPCA über die Befugnis, einer Partei zu untersagen, Vermögensgegenstände aus seinem Zuständigkeitsbereich zu verbringen oder über Vermögensgegenstände zu verfügen249, unabhängig davon, ob diese sich in seinem Zuständigkeitsbereich befinden oder nicht.250 Das Verhältnis dieser beiden Maßnahmen zueinander ist völlig unklar. Der Wortlaut der Maßnahme nach Art. 62 Abs. 3 S. 2 UPCA legt eine dinglich wirkende Maßnahme nahe; aus historischen Gründen schließt das wortidentische Vorbild des Art. 9 Abs. 2 S. 1 DRL freilich nach hier vertretener Auffassung in personam wirkende Maßnahmen mit ein.251 Die Maßnahme gemäß Art. 61 Abs. 1 UPCA hingegen entspricht textlich einer freezing injunction und wird im englischsprachigen Übereinkommenstext auch so bezeichnet, während die Überschrift des Art. 61 im deutschen Übereinkommenstext „Arrest“ lautet. Auch die Anordnungsvoraussetzungen sind jeweils unterschiedlich formuliert: Art. 61 Abs. 1 UPCA verlangt eine Vorlage aller vernünftigerweise verfügbaren Beweismittel zur Begründung der Behauptung der (drohenden) Patentverletzung; nach Art. 62 Abs. 3 S. 2, Abs. 4 UPA sind darüber hinausgehend Beweise erforderlich über die Rechtsinhaberschaft des Antragstellers sowie eine Glaubhaftmachung, dass die Erfüllung einer Schadensersatzforderung fraglich ist. Eine Anordnung zur Offenbarung von Vermögenswerten regelt Art. 59 Abs. 2 UPCA lediglich im Kontext der allgemeinen Beweisvorlagepflicht (entsprechend Art. 6 Abs. 2 DRL). Ob diese Anordnung bereits vorprozessual erfolgen kann, wie bei der ancillary order zur englischen freezing injunction, ist zweifelhaft. Hiergegen spricht, dass Art. 59 Abs. 2 UPCA (anders als z. B. Art. 60 Abs. 1, Art. 61 Abs. 1 UPCA) nicht die Formulierung „selbst vor Einleitung eines Verfahrens in der Sache“ enthält und in Art. 62 Abs. 3 DRL 249  Reflektiert im Entwurf der Verfahrensordnung in r. 200 (freezing order), systematisch unzutreffend eingeordnet unter Part II, Chapter 5: Other Evidence sowie r. 211 Abs. 1 lit. c (precautionary seizure). 250  Bei dem „Zuständigkeitsbereich des Gerichts“ i. S. d. Art. 61 Abs. 1 UPCA, innerhalb dessen die Vermögensgegenstände zu belassen sind, dürfte es sich um das Territorium aller Vertragsstaaten des UPCA handeln, nicht allein um das Territorium desjenigen Staates, in welchem sich die angerufene Kammer befindet. 251  Supra § 4 Rn. 9.

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§ 18  Der Unified Patent Court

auf eine zu Art. 9 Abs. 2 S. 2 DRL korrespondierende Klarstellung verzichtet wurde.252

2.  Ablauf des Verfahrens 116

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Der Verlauf des einstweiligen Verfahrens ist in r. 205 ff. VerfO17 für alle Verfügungsarten außer der systematisch falsch eingeordneten freezing order253 einheitlich geregelt. Die formalen Vorgaben der Antragstellung254 beziehen sich nicht allein auf das einstweilige Verfahren; vielmehr soll der Antragsteller auch eine konzise Beschreibung der Klage samt Tatsachen- und Beweismittelangaben beifügen.255 Wird die Durchführung eines ex parte-Verfahrens gewünscht, ist der Antragsteller gehalten, dies näher zu begründen, über jegliche frühere Korrespondenz zwischen den Parteien hinsichtlich der behaupteten Verletzung aufzuklären und alle ihm bekannten Tatsachen zu offenbaren, die für die Entscheidung des Gerichts über die Einschränkung des rechtlichen Gehörs des Antragstellers relevant sein könnten, insbesondere über bereits anhängige Verfahren sowie über vorhergehende, erfolglose Versuche, eine einstweilige Verfügung zu erwirken.256 Der Möglichkeit zur Hinterlegung einer Schutzschrift bei der Kanzlei des UPC und deren formaler Gestaltung ist ebenfalls eine Bestimmung gewidmet.257 Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes gliedern sich in ein schriftliches Verfahren und eine mündliche Anhörung.258 Die Entscheidung wird durch den in der Hauptsache zuständigen Spruchkörper getroffen, es sei denn im Falle von Dringlichkeit: Hier kann der Vorsitzende Richter oder ein anderer designierter Richter des Spruchkörpers die Entscheidung als Einzelrichter fällen,259 in Situationen äußerster Dringlichkeit ist der Eilrichter der jeweiligen Kammer entscheidungsbefugt.260 Das Gericht hat die Option, den Antragsgegner über die Antragstellung zu informieren und ihm Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme zu geben bzw. eine mündliche Verhandlung in Anwesenheit beider Parteien oder nur

252  Nach r. 190 Abs. 2 und 3 VerfO17 ist ein Antrag auf Beweismittelvorlage im schriftlichen Verfahren oder Zwischenverfahren zu stellen, ein Vorgehen im einstweiligen Rechtsschutz ist nicht vorgesehen. 253 Die freezing order ist in r. 200 VerfO17 innerhalb von Part II, Chapter 5: Other Evidence geregelt. 254  R. 206 VerfO17. 255  R. 206 Abs. 1 lit. e VerfO17. 256  R. 206 Abs. 3, 4 VerfO17. 257  R. 207 VerfO17. 258  R. 205 VerfO17. 259  R. 208 Abs. 2, Abs. 3, 209 Abs. 3 VerfO17. 260  R. 209 Abs. 3, 345 Abs. 5 VerfO17.



E.  Das Verfahrensrecht des Unified Patent Court

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in Anwesenheit des Antragstellers anzuordnen.261 Nach Art. 62 Abs. 5 UPCA i. V. m. Art. 60 Abs. 5 UPCA kann auf die Anhörung des Antragsgegners insbesondere verzichtet werden, wenn die Verzögerung einen irreparablen Schaden verursachen könnte oder ein Überraschungseffekt intendiert ist. Rule 212 Abs. 1 VerfO17 ist deutlich restriktiver gefasst und sieht eine Entscheidung im ex parte-Verfahren nur vor, sofern die Verzögerung dem Antragsteller irreparablen Schaden zufügen würde bzw. eine nachweisliche Gefahr der Beweismittelzerstörung besteht. Auf eine mündliche Anhörung des Antragstellers ist nur in Situationen äußerster Dringlichkeit zu verzichten.262 Wird ein ex parteVerfahren durchgeführt, kann der Antragsgegner innerhalb von 30 Tagen nach Vollzug der Maßnahme Widerspruch gegen den Beschluss einlegen.263 Lehnt das Gericht die Durchführung eines ex parte-Verfahrens ab, so kann der Antragsteller den Antrag zurückziehen und einen Antrag auf Geheimhaltung stellen. Betreibt er das Verfahren weiter, kann das Gericht die Parteien auffordern, vor und in der mündlichen Verhandlung weitere Informationen zu liefern und Beweismittel vorzulegen. Über zulässige Beweismittel und die Durchführung der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht.264

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3.  Entscheidung des Gerichts a)  Bedeutung der materiellen Rechtslage und Abwägung der Parteiinteressen Die Kriterien für den Erlass einer einstweiligen Maßnahme werden im UPCA nur rudimentär niedergelegt. Grundsätzlich kann das Gericht die Vorlage aller vernünftigerweise verfügbaren Beweise verlangen, um sich mit ausreichender Sicherheit von der Rechtsverletzung (Art. 62 Abs. 4, Abs. 61 UPCA) und der Rechtsinhaberschaft des Antragstellers (Art. 62 As. 4 UPCA) zu überzeugen. Dies spricht für eine vorrangige Berücksichtigung der materiellen Rechtslage. Andererseits enthält Art. 62 Abs. 2 UPCA265 die an das Präjudiz des House of Lords in American Cyanamid266 erinnernde Vorgabe, das Gericht habe nach Ermessen die Interessen der Parteien gegeneinander abzuwägen und dabei ins261  In die Ermessensentscheidung sollen gemäß r. 209 Abs. 2 VerfO17 u. a. folgende Gesichtspunkte einfließen: Ob das Patent ein Einspruchsverfahren vor dem EPA überstanden hat oder bereits Gegenstand eines anderen Verfahrens war; die Eilbedürftigkeit der Sache; ob die Begründung auf Nichtbeteiligung des Antragsgegners stichhaltig erscheint; ob eine Schutzschrift eingereicht wurde (in diesem Fall sei eine mündliche Verhandlung empfehlenswert). 262  R. 209 Abs. 1, Abs. 3 VerfO17. 263  R. 212 Abs. 3, 197 Abs. 3 VerfO17. 264  R. 210 Abs. 2 VerfO17. 265  Nach seiner systematischen Stellung scheint sich Art. 62 Abs. 2 UPCA nur auf die Verfügung nach Art. 61 Abs. 1 UPCA zu beziehen. Der Sache nach spricht einiges dafür, die Bestimmung auch auf Verfügungen gemäß Art. 62 Abs. 3, Art. 61 Abs. 1 UPCA anzuwenden; so auch r. 211 Abs. 3 VerfO17. 266  Supra § 4 Rn. 28 ff.

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§ 18  Der Unified Patent Court

besondere den möglichen Schaden zu berücksichtigen, der einer der Parteien aus dem Erlass der Verfügung oder der Abweisung des Antrags erwachsen könnte. Rule 211 Abs. 2, Abs. 3 VerfO17 ist hier deutlich klarer: Vor Erlass einer einstweiligen Verfügung solle sich das Gericht mit hinreichender Sicherheit überzeugen von der Prozessführungsbefugnis des Antragstellers, der Rechtsbeständigkeit des Patents und einer vorliegenden oder drohenden Patentverletzung. Bei seiner Entscheidung verfüge es über Ermessen, in dessen Rahmen eine Abwägung der Parteiinteressen erfolgen könne. Nach Abs. 5 ist auch eine unangemessene zeitliche Verzögerung der Antragstellung zu berücksichtigen.

b)  Maßnahmen gegenüber Mittelspersonen 122

Art. 62 Abs. 1 UPCA sieht neben einstweiligen Unterlassungsverfügungen gegen den vorgeblichen Patentverletzer auch Anordnungen gegenüber Mittelspersonen vor, deren Dienste der angebliche Verletzer in Anspruch nimmt. Eine nähere Definition des Begriffs der Mittelsperson fehlt und lässt sich, wie in § 4 Rn. 176 f. näher erörtert wurde, unionsautonom zum derzeitigen Zeitpunkt nicht entwickeln. Zur Bestimmung von Zurechnungskriterien dürfte deshalb auf das anwendbare Sachrecht zurückzugreifen sein,267 welches gemäß Art. 5 Abs. 1, 7 Abs. 1 EPV zu bestimmen ist (Recht desjenigen Mitgliedstaats, in dem der Patentanmelder zum Anmeldezeitpunkt seinen Wohnsitz bzw. die Hauptniederlassung innehatte; fehlt es an einem solchen Sitz, ist das deutsche Recht anwendbar).268

4.  Schutz des Antragsgegners und dritter Personen 123

Zum Schutz des Antragsgegners wiederholt Art. 62 Abs. 5 i. V. m. Art. 60 Abs. 7 bis 9 UPCA die aus der Durchsetzungsrichtlinie bekannten Schutzmaßnahmen: Erstens ist der dem Antragsgegner durch die einstweilige Anordnung entstandene Schaden zu kompensieren, wenn die einstweilige Maßnahme aufgehoben wurde oder durch eine Handlung oder Unterlassung des Antragstellers hinfällig wurde.269 Zweitens kann die einstweilige Maßnahme von der Stellung einer Kaution oder der Leistung einer Sicherheit abhängig gemacht werden, um eine Entschädigung des Antragstellers sicherzustellen.270 Drittens wird die einstweilige Maßnahme außer Kraft gesetzt, wenn der Antragsteller nicht innerhalb einer Frist die Klage einleitet, wobei die Fristlänge 31 Kalendertage oder 20 Arbeitstage nicht überschreiten soll (maßgeblich ist 267  A. A. in Bezug auf die Bestimmung von Täterschaft und Teilnahme (unionsautonome Begriffsbildung erforderlich) Haedicke, GRUR Int. 2013, 609 (611). 268  Supra § 18 Rn. 18. 269  Art. 62 Abs. 5, 60 Abs. 9 UPCA. 270  Art. 62 Abs. 5, 60 Abs. 7 UPCA.



E.  Das Verfahrensrecht des Unified Patent Court

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der längere der beiden Zeiträume).271 Wie in der Durchsetzungsrichtlinie272 ist der Zeitpunkt des Fristbeginns im UPCA nicht definiert, entgegen der Richtlinienregelung hat das Gericht nicht die Möglichkeit, eine längere Frist festzusetzen. Gemäß r. 213 Abs. 1 VerfO17 soll die Frist zur Klageerhebung vom Gericht gesetzt und nicht länger als 31 Tage bzw. 20 Werktage ab einem vom Gericht bestimmten Datum betragen. R. 213 Abs. 1 VerfO17 illustriert den schmalen Grat, auf welchem die Verfasser der Verfahrensordnung bei Konkretisierung der verfahrensrechtlichen Regelungen des UPCA wandeln. Art. 60 Abs. 8 UPCA übernimmt die unklaren Vorgaben aus DRL und TRIPS zur Bestimmung der Fristlänge und des Fristbeginns. Im 16. Entwurf der Verfahrensordnung wurde als Zeitpunkt des Fristbeginns noch der Tag der Anordnung der einstweiligen Maßnahme festgelegt, nunmehr soll das Gericht den Tag des Fristbeginns bezeichnen. Angesichts der Regelungslücke des Übereinkommens dürften wohl beide Alternativen übereinkommensgemäß sein. Dem Ziel einer einheitlichen Anwendungspraxis der Kammern wäre ein von der Verfahrensordnung einheitlich definierter Fristbeginn zuträglicher gewesen: Bleibt der Zeitpunkt des Fristbeginns der Entscheidung der einzelnen Kammer überlassen, so entscheidet diese über den Zeitpunkt, bis zu welchem die Klage in der Hauptsache zu erheben ist. Eine vermeintlich einheitlich geregelte Fristlänge vermag hieran nichts zu ändern. Nach welcher Rechtsordnung die Frist von 20 Werktagen zu berechnen ist, wird schließlich weder im UPCA noch in der Verfahrensordnung definiert. Meines Erachtens ist von einer ungeschriebenen Verweisung auf die Feiertagsregelung im Sitzstaat der angerufenen Kammer auszugehen. Völlig ungeklärt sind Rechtsgrundlage und Kompetenz des UPC für den Zuspruch einer Kompensation an den Antragsgegner bzw. einen betroffenen Dritten. Zwar soll das Gericht nach Art. 60 Abs. 9 UPCA273 befugt sein, nach Aufhebung oder Änderung einer Entscheidung der betroffenen Partei auf deren Antrag hin eine Kompensation zuzusprechen. Doch weist Art. 32 UPCA dem UPC keine Kompetenz für Schadensersatzklagen eines angeblichen Patentverletzers gegenüber dem Patentinhaber zu. Auch eine tatbestandliche Konkretisierung des Ersatzanspruchs enthält das UPCA nicht. Ein System von undertakings (Verpflichtungserklärungen) gegenüber dem Gericht nach englischem Modell ist in UPCA und VerfO17 erstens nicht angelegt und wäre zweitens aufgrund der fehlenden unionsweiten Sanktionierung durch den Straftatbestand des contempt of court nicht erfolgversprechend.

271 

Art. 62 Abs. 5, 60 Abs. 8 UPCA. Supra § 4 Rn. 25 f. 273  S. a. r. 213 Abs. 2, 354 Abs. 4 VerfO17. 272 

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§ 18  Der Unified Patent Court

5.  Beschleunigung der Bestandsklage vor der Zentralkammer 126

Die Zentralkammer soll eine etwaig eingereichte Bestandsklage im beschleunigten Verfahren behandeln, sofern der Patentinhaber einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gestellt hat.274

6. Kritik 127

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Die Regelung des einstweiligen Rechtsschutzes in Art. 61, 62 UPCA sowie r. 213, 200 VerfO17 orientiert sich am Vorbild des Art. 9 DRL, wobei in r. 205 ff. VerfO17 einige notwendige Klarstellungen und Konkretisierungen vorgenommen werden, aber erheblicher Interpretationsbedarf bestehen bleibt. Freezing injunction und Arrest stehen als alternative Instrumente zur Verfügung, haben aber aus nicht nachvollziehbaren Gründen unterschiedliche Anordnungsvoraussetzungen. Im Entwurf der Verfahrensordnung ist die freezing injunction zudem zum gegenwärtigen Zeitpunkt systematisch falsch eingeordnet. Prinzipiell ist die alternative Verfügbarkeit der Maßnahmen aufgrund der Unterschiede in den nationalen Vollstreckungssystemen der Vertragsstaaten positiv zu bewerten. Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass die freezing injunction im UPC die Durchschlagkraft einer freezing injunction nach englischem Vorbild nicht entfalten kann, weil eine Wirkung gegenüber Dritten (insbes. Banken) im Wege der Androhung einer contempt of court-Bestrafung im Übereinkommen selbst nicht vorgesehen ist. Immerhin erscheint es angesichts der Natur des UPC als gemeinsames Gericht der Mitgliedstaaten nicht ausgeschlossen, dass Vertragsstaaten des Common Law einen Verstoß gegen eine Anordnung des Gerichts als contempt of court sanktionieren könnten. In allen anderen Staaten dürfte die Anordnung der einstweiligen Vermögensbeschlagnahme für den Antragsteller interessanter sein. Auffällig ist der Verzicht auf eine Anordnung zur vorläufigen Vermögensoffenbarung, welche die Vermögenssicherungsmaßnahme begleitet bzw. vorbereitet. Ob dieser niedrigere Standard gegenüber der Durchsetzungsrichtlinie auf einer Regelungsabsicht oder einem Redaktionsversehen beruht, ist unklar. Beim Schutz des Antragsgegners zeigen sich Licht und Schatten. Die Verfahrensordnung konkretisiert die im UPCA etwas vage formulierten Voraussetzungen eines ex parte-Verfahrens in begrüßenswerter Weise dahingehend, dass ein Verzicht auf die Beteiligung des Antragsgegners nur erlaubt ist, wenn dem Antragsteller hieraus ein irreparabler Schaden resultieren würde. Der Schutz des nicht gehörten Antragsgegners wird durch zwei aus dem englischen und dem deutschen Recht entlehnte Maßnahmen bewirkt: einerseits der Pflicht des Antragstellers zur full and frank disclosure, andererseits der Pflicht des Gerichts, eine vom Antragsgegner prospektiv eingereichte Schutz274 

R. 40 lit. VerfO17.



E.  Das Verfahrensrecht des Unified Patent Court

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schrift zu berücksichtigen. Die Pflicht zur full and frank disclosure bleibt allerdings ein zahnloser Tiger, da es an einer Regelung von Sanktionen und der Abschreckungsfunktion einer Bestrafung wegen contempt of court fehlt. Die Widerspruchsfrist gegen einen ohne Anhörung des Antragsgegners erlassenen Beschluss ist mit zehn Tagen nach Vollzug der Maßnahme mehr als kurz, verglichen mit dem englischen Recht (regelmäßige Festsetzung eines return date) und dem deutschen Recht (nicht fristgebunden)  – zumal der Antragsgegner zunächst einen Anwalt finden und konsultieren muss, der über ausreichende Kompetenz für die Vertretung vor dem UPC verfügt. Unabhängig von der Beteiligung des Antragsgegners am einstweiligen Verfahren schließt sich an den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach der Konzeption der Verfahrensordnung zwingend ein Hauptsacheverfahren an. Bereits mit Einleitung des Eilrechtsschutzes ist das Gericht umfassend über die intendierte Klage zu informieren. R. 213 Abs. 1 VerfO17 überlässt der angerufenen Kammer die Entscheidung, bis zu welchem Zeitpunkt der Antragsteller Klage in der Hauptsache zu erheben hat. Weitere Schutzinstrumente zugunsten des Antragsgegners sind die fakultative Bedingung einer Sicherheitsleistung sowie die Pflicht zur Kompensation im Falle der Aufhebung der einstweiligen Maßnahme. Wie in Rn. 125 ausgeführt, werfen Art. 60 Abs. 9 UPCA, r. 213 Abs. 2 VerfO17 allerdings hinsichtlich der Kompensationspflicht mehr Fragen auf, als sie beantworten. Eine alternative Zuständigkeit nationaler Gerichte für den einstweiligen Rechtsschutz sieht Art. 32 UPCA nicht vor (anders noch der Entwurf des EPLA275). Probleme an der Schnittstelle zum Vollstreckungsrecht der Vertragsstaaten sind absehbar angesichts der noch unbekannten Tenorierungsusancen des UPC und der Einführung der in den meisten Mitgliedstaaten unbekannten Maßnahme der freezing injunction.276 Ein paralleler, vollstreckungsnaher Rechtsschutz durch die einzelstaatlichen Gerichte wäre in einer Übergangszeit wohl auch in Bezug auf das Einheitspatent empfehlenswert gewesen. Die nähere Ausgestaltung des durch Art. 9 DRL vorgegebenen Rahmens gelingt UPCA und Verfahrensordnung nach hier vertretener Auffassung somit nur teilweise. Die Voraussetzungen an den Erlass einer einstweiligen Maßnahme und an die Durchführung eines ex parte-Verfahrens sind weiterhin recht vage und teils widersprüchlich umschrieben, das Ermessen der angerufenen Kammer breit. Positiv hervorzuheben ist die Klärung der Klageerhebungsfrist sowie die Einführung einer full and frank disclosure in ex parte-Verfahren. Die Effektivität der aus dem englischen Recht übernommenen Rechtsfiguren (freezing injunction, full and frank disclosure) scheitert freilich an den fehlenden Rahmenbedingungen, namentlich am fehlenden Drohpotential eines 275  276 

Art. 45 Entwurf EPLA. Näher infra Rn. 176 ff. sowie § 16 Rn. 39 ff.

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§ 18  Der Unified Patent Court

contempt of court-Verstoßes. Die rudimentäre Kompensationsregel für die durch eine aufgehobene einstweilige Maßnahme verursachten Schäden ist unzureichend, um die für den Antragsgegner mit einer unionsweiten Unterlassungsverfügung verbundenen Risiken abzudecken.

VII.  Zugang zur Informationen aus der Sphäre der gegnerischen Partei 133

Die im UPCA enthaltenen Bestimmungen über den Zugang zu Informationen aus der Sphäre der gegnerischen Partei reflektieren zu weiten Teilen die Regelungen der Art. 6 bis 8 DRL, gehen aber auch über diese hinaus.

1.  Beweismittelvorlage im Prozess 134

135

Gemäß Art. 59 UPCA kann das Gericht auf begründeten und durch Beweismittel gestützten Antrag einer Partei die Gegenpartei zur Vorlage von Beweismitteln anweisen. Entsprechend dem kontinentaleuropäischen Regelungsansatz besteht somit eine spezifische, keine allgemeine Dokumentenvorlagepflicht. Angesichts der rollenneutralen Formulierung des Art. 59 UPCA steht die Antragsbefugnis auch dem vorgeblichen Patentverletzer zu. Neu gegenüber Art. 6 DRL ist erstens, dass sich die Anordnung auch gegen Dritte richten kann, und zweitens, dass Bank-, Finanz- oder Handelsunterlagen anderen Dokumenten gleichgestellt werden, eine diesbezügliche Vorlageanordnung folglich keinen Nachweis einer begangenen Patentverletzung voraussetzt. R. 190 Abs. 1 S. 1 VerfO17 wiederholt Art. 59 UPCA, nicht ohne einige abweichende sprachliche Nuancen anzufügen, die für eine einheitliche Auslegung wenig hilfreich sind.277 Im Entwurf der Verfahrensordnung wird ferner klargestellt, dass ein Antrag auf Beweismittelvorlage im schriftlichen Verfahren oder im Zwischenverfahren zu stellen ist und der Beschluss nach Anhörung der Gegenpartei bzw. des betroffenen Dritten durch den Berichterstatter getroffen wird.278 Die Anordnung soll Bedingungen, Form und Zeitpunkt der Vorlage spezifizieren sowie einen Hinweis auf die potentiellen Sanktionen enthalten, wenn die Partei die Anordnung nicht befolgt. Als einzige explizite Sanktion benennt r. 190 Abs. 7 VerfO17 die Möglichkeit, eine Missachtung der Anordnung in die Endentscheidung einzubeziehen. Vollkommen offen ist, ob hierbei – ähnlich dem striking out a case im englischen Recht – der gesamte Vortrag einer Partei aufgrund ihrer Missachtung der gerichtlichen Anordnung unberücksichtigt bleiben kann oder lediglich – wie im deutschen Recht – eine Behauptung des Antragstellers als zugestanden gilt, soweit sie ausreichend 277  278 

„reasonably available and plausible evidence“, „upon a reasoned request“. R. 190 Abs. 2 und 3 VerfO17.



E.  Das Verfahrensrecht des Unified Patent Court

801

substantiiert ist. Gemäß Art. 82 Abs. 4 UPCA steht dem Gericht ferner die Option zu, die Partei mit einem Zwangsgeld zu belegen. Richtet sich die Vorlageanordnung gegen dritte Personen, so können sich diese auf eine entsprechende Anwendung der Zeugnisverweigerungsrechte berufen.279 Die Durchsetzung einer Vorlageanordnung gegenüber Dritten bei fehlendem Editionsverweigerungsrecht ist schwierig, da es an der Regelung einer Sanktion im derzeitigen Entwurfsstadium fehlt280 und das Übereinkommen keine Befugnis des Gerichts zur Zwangsgeldfestsetzung gegenüber prozessunbeteiligten Dritten vorsieht. Art. 59 Abs. 1 UPCA stellt den Vorlageanspruch erstens unter den Vorbehalt der Gewährleistung des Schutzes vertraulicher Informationen, zweitens darf eine Vorlageanordnung nicht zu einer Pflicht zur Selbstbelastung führen.281 Ergänzend enthält Art. 58 UPCA eine allgemeine Bestimmung, wonach das Gericht befugt ist, zum Schutz von vertraulichen Informationen, insbesondere von Geschäftsgeheimnissen und personenbezogenen Daten, die Erhebung und Verwendung von Beweisen in den vor ihm geführten Verfahren einzuschränken oder für unzulässig zu erklären oder den Zugang zu solchen Beweismitteln auf bestimmte Personen zu beschränken.282. In Bezug auf die Prozessparteien lässt sich ein Verstoß gegen die gerichtlichen Maßnahmen zum Vertraulichkeitsschutz mit einer Zwangsgeldsfestsetzung nach Art. 82 Abs. 4 UPCA sanktionieren; im Verhältnis zu Dritten fehlt es auch insoweit an einer Sanktion.

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2. Bucheinsichtsrecht Nach Erlass des Grundurteils über das Bestehen der Patentverletzung kann der Verletzte im Zuge des Höheverfahrens zur Bestimmung des Schadensersatzanspruchs einen Antrag auf Bucheinsicht stellen, bezogen auf die vom Antragsteller bezeichneten Konten, Bankdokumente und alle anderen im Zusammenhang mit der Verletzung stehenden Schriftstücke.283 Das Gericht gibt dem Verletzer Gelegenheit zur Stellungnahme und legt sodann den Zeitraum und die Bedingungen, insbesondere Maßnahmen zum Vertraulichkeitsschutz fest.284

279 

R. 190 Abs. 6 i. V. m. 179 Abs. 3, 287, 288 VerfO17. Grabinski, GRUR 2013, 310 (318 m. Fn. 165): „bedarf noch der Anpassung im Entwurf“. 281  Art. 59 Abs. 1 S. 2 UPCA. 282  Siehe auch r. 190 Abs. 1 S. 2 VerfO17. Eine Partei kann ferner gemäß r. 262 VerfO17 beantragen, dass der (grundsätzlich vorhandene) öffentliche Zugang zu den Akten für bestimmte Dokumente gesperrt wird. 283  R. 131 Abs. 1 lit. c, 141 ff. VerfO17. 284  R. 143 Abs. 1 lit. a, 190 Abs. 1, Abs. 4 VerfO17. 280 Hierzu

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§ 18  Der Unified Patent Court

3. Auskunft a)  Unklare Qualifikation der Verpflichtung zur Auskunft 139

Art. 67 UPCA enthält eine stark an Art. 8 DRL angelehnte Regelung zur Auskunft, deren Qualifikation unklar ist. Einerseits setzt die Bestimmung den Nachweis einer Patentverletzung voraus und ist zwischen anderen Rechtsfolgen einer festgestellten Patentverletzung eingeordnet, was eine Qualifikation als Anspruch nahelegt. Andererseits soll die Anordnung des Gerichts „nach Maßgabe der Verfahrensordnung“ erfolgen. Im Entwurf der Verfahrensordnung ist die zu Art. 67 UPCA korrespondierende Bestimmung in „Teil 2: Beweis“ eingeordnet. Die durch den Entwurf vorgenommene prozessuale Qualifikation zeigt sich auch in der Formulierung: Gemäß r. 191 VerfO17 kann das Gericht auf Antrag jeder Partei die Gegenpartei oder einen Dritten zur Auskunft über in ihrer Sphäre befindliche Informationen verpflichten, und zwar sowohl hinsichtlich der in Art. 67 UPCA spezifizierten Informationen als auch hinsichtlich „such other information as is reasonably necessary for the purpose of advancing that party’s case“. Der Schutz vertraulicher Informationen sowie die Abwägung mit datenschutzrechtlichen Bestimmungen bleibt dem anordnenden Gericht überantwortet.285

b)  Voraussetzungen und Rechtsfolgen des Art. 67 UPCA 140

Gemäß Art. 67 UPCA kann das Gericht eine Anordnung zur Auskunft erlassen über Ursprung, Vertriebswege, Mengen und Preise der patentverletzenden Erzeugnisse und Verfahren sowie über die Identität derjenigen Personen, die in Herstellung, Vertrieb und Anwendung der patentverletzenden Erzeugnisse oder Verfahren involviert waren. Inhaltlich entspricht dies Art. 8 Abs. 2 DRL. Gleichfalls Art. 8 DRL nachgebildet sind die Voraussetzungen eines begründeten und die Verhältnismäßigkeit wahrenden Antrags sowie einer festgestellten Patentverletzung (da sich die Anordnung grundsätzlich gegen den „Verletzer“ richtet). Dritte können zur Auskunft verpflichtet werden, sofern sie nachweislich patentverletzende Erzeugnisse in Besitz hatten, patentverletzende Verfahren angewandt haben, nachweislich für patentverletzende Tätigkeiten genutzte Dienstleistungen in gewerblichem Ausmaß erbracht haben bzw. von einer solchen Person der Beteiligung bezichtigt wurden. Auch insoweit besteht hohe Übereinstimmung mit Art. 8 DRL.286

285 

Art. 58 UPCA. Gegensatz zu Art. 8 Abs. 1 DRL erfasst Art. 67 Abs. 2 UPCA die nachweisliche Anwendung patentverletzender Verfahren und verzichtet auf die im Patentrecht irrelevante Alternative der Inanspruchnahme rechtsverletzender Dienstleistungen. 286  Im



E.  Das Verfahrensrecht des Unified Patent Court

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c)  Voraussetzungen und Rechtsfolgen der r. 191 VerfO17 R. 191 VerfO17 geht deutlich über Art. 67 UPCA hinaus und erlaubt dem Gericht auf Basis eines „reasoned request“ (wobei „reasoned“ sowohl mit „begründet“ als auch mit „vernünftig“ übersetzt werden kann) den Erlass einer Auskunftsanordnung gegenüber jeder Partei und jeder dritten Person, welche über Informationen verfügt, die für die Prozessführung einer anderen Partei bedeutend sein kann. Ein eigenes Verfahren, wie bei der Sicherung von Beweismitteln aus der gegnerischen Sphäre,287 ist hierfür nicht vorgesehen. Die in Art. 67 UPCA vorgesehene Auskunftserteilung zum Zwecke der Bestimmung der Höhe des Ersatzanspruchs sowie zur Identifikation weiterer Beteiligter an der Rechtsverletzung wandelt sich im Entwurf der Verfahrensordnung somit in eine Pflicht zur Förderung des gegnerischen Prozesses, welche in die Nähe der in Art. 59 UPCA geregelten Anordnung zur Beweismittelvorlage rückt. Diese deutlich über Art. 67 UPCA hinausgehende, nur in das Ermessen des Gerichts gestellte Option ist meines Erachtens nicht vom Übereinkommenstext gedeckt.

141

d)  Anordnungen gegenüber dritten Personen Unabhängig von der Qualifikation als Auskunftsanspruch oder innerprozessuale Direktive ist die Option der Auskunftsanordnung gegenüber Dritten nicht ausreichend durchdacht. Ordnet man Art. 67 UPCA als Anspruchsgrundlage ein, so fehlt es hinsichtlich der von der gerichtlichen Anordnung betroffenen Dritten an einer Zuständigkeit des UPC. Gemäß Art. 32 Abs. 1 lit. a UPCA besitzt das Gericht die ausschließliche Zuständigkeit für Klagen wegen tatsächlicher oder drohender Patentverletzung. Eine gegen einen an der Patentverletzung nicht beteiligten Dritten gerichtete Klage ist keine Klage wegen Patentverletzung, sondern eine Auskunftsklage. Wird die Anordnung gemäß Art. 67 UPCA, r. 191 VerfO17 prozessual qualifiziert, fehlt es an der Regelung einer Sanktion zur Durchsetzung der Maßnahme gegenüber einer nicht prozessbeteiligten Person. Für den Patentinhaber sind Auskunftsanordnungen gegenüber Dritten vorrangig zwecks Identifikation des potentiellen Patentverletzers bei noch ungeklärter Frage der Rechtsverletzung interessant. Eine solche Anordnung, wie sie beispielsweise das englische Recht mit der Norwich Pharmacal order zur Verfügung stellt, ermöglichen weder Art. 67 UPCA (aufgrund des Erfordernisses einer nachweislichen Rechtsverletzung) noch R. 191 VerfO17 (aufgrund des Erfordernisses eines gegen den vorgeblichen Verletzer eingeleiteten Verfahrens). Angesichts der fehlenden sachlichen Zuständigkeit des UPC für Auskunftsklagen gegenüber Dritten steht dem Patentinhaber hier ein Rückgriff auf die Instrumentenkasten der nationalen Rechtsordnungen offen. 287 

Hierzu sogleich, Rn. 144 ff.

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§ 18  Der Unified Patent Court

4.  Beweismittelsicherung und Inspektion von Räumlichkeiten 144

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Art. 60 UPCA nimmt deutliche Anleihen bei Art. 7 DRL und erlaubt dem Gericht bereits vor Einleitung des Hauptsacheverfahrens, schnelle und wirksame einstweilige Maßnahmen zur Sicherung rechtserheblicher Beweismittel hinsichtlich der behaupteten Verletzung anzuordnen. Über Art. 7 DRL hinausgehend ist in Art. 60 Abs. 3 UPCA eine Anordnung zur Inspektion von Räumlichkeiten durch eine vom Gericht bestellte Person vorgesehen. Bei dieser Inspektion (gemeint ist wohl: Durchsuchung) dürfen der Antragsteller oder seine Mitarbeiter nicht selbst präsent sein;288 die Vertretung des Antragstellers durch einen unabhängigen, in der Anordnung namentlich benannten Fachmann ist zulässig.289 Das Verfahren und der Schutz des Antragsgegners werden in r. 192 ff. VerfO17 näher geregelt und entsprechen jenen im allgemeinen einstweiligen Rechtsschutz. Auf die Ausführungen oben in Rn. 116 ff. wird verwiesen. Maßnahmen zum Schutz vertraulicher Informationen sind auch hier in das Ermessen des Gerichts gestellt.290 Als besondere Schutzvorkehrung sieht r. 196 Abs. 2 VerfO17 eine Verwertungsbeschränkung der erlangten Informationen auf das konkret einzuleitende Hauptsacheverfahren vor, sofern das Gericht keine anderweitige Anordnung trifft. Das Gericht kann nach r. 196 Abs. 1 VerfO17 die ausführliche Beschreibung mit oder ohne Einbehaltung von Mustern oder die dingliche Beschlagnahme vorsehen (hinsichtlich der rechtsverletzenden Ware sowie gegebenenfalls der für die Herstellung und/oder den Vertrieb dieser Waren notwendigen Werkstoffe und Geräte und der zugehörigen Unterlagen). Ausdrücklich wird auch die Beweissicherung und Einsicht in digitale Daten sowie die hierfür gegebenenfalls erforderliche Herausgabe von Passwörtern genannt.291 Wird eine Inspektion angeordnet, soll die hiermit beauftragte Person in der Anordnung bezeichnet und mit der Abfassung eines Berichts beauftragt werden, wobei das Gericht auf eine Übereinstimmung mit dem nationalen Recht desjenigen Staates zu achten hat, in dem die Maßnahme auszuführen ist.292 Mit der Ausführung der Maßnahme ist ein Sachverständiger oder eine sonstige sachkundige Person zu betrauen, die über Expertise, Unabhängigkeit und Unparteilichkeit verfügt.293 Je nach Ausführungsort der Maßnahme kann hierbei auf Gerichtsvollzieher zurückgegriffen werden (insbesondere in romanisch geprägten Rechtsordnungen, deren Gerichtsvollzieher aufgrund der Vollziehung der saisie contrefaçon 288 

R. 196 Abs. 5 S. 3 VerfO17. Abs. 4 UPCA. Aus der Bestimmung lässt sich nicht ablesen, ob es sich um einen technisch oder einen juristisch qualifizierten Fachmann handeln soll. 290  Art. 60 Abs. 1, 58 UPCA, r. 196 Abs. 1 S. 2 VerfO17. 291  R. 196 Abs. 1 lit. d VerfO17. 292  R. 196 Abs. 4 VerfO17. 293  R. 196 Abs. 5 VerfO17. 289  Art. 60



E.  Das Verfahrensrecht des Unified Patent Court

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bzw. äquivalenter Instrumente über entsprechende Kenntnisse verfügen).294 Wie bereits erwähnt, darf ein fachkundiger Vertreter des Antragstellers bei der Inspektion zugegen sein. Die Anordnung der Beweismittelsicherung ist sofort vollstreckbar, gegebenenfalls unter gewissen Bedingungen wie der Stellung einer Sicherheit.295

5. Kritik Die Umsetzung der Mindestharmonisierungsbestimmungen der Art. 6 bis 8 DRL in eigenständige Verfahrensregeln für den UPC ist teils besser, teils weniger gut gelungen. Art. 59 UPCA trifft die Entscheidung für eine spezifische, prozessuale Beweismittelvorlagepflicht, deren Befolgung mittels Zwangsgeldern durchgesetzt werden kann. Positiv hervorzuheben ist die rollenneutrale Ausgestaltung der Vorlagepflicht, welche eine Gleichbehandlung der Prozessparteien sicherstellt. Angesichts der Kosten und des Aufwands der disclosure und deren Zurückdrängung in englischen Schutzrechtsprozessen296 ist die Absage an eine allgemeine Dokumentenoffenbarungspflicht im UPCA zu begrüßen. Es wird spannend sein, zu beobachten, ob sich die Prozessrechtstraditionen der Vertragsstaaten in der Rechtsprechung der jeweiligen Lokalkammern zur erforderlichen Spezifikation der gewünschten Beweismittel abbildet. Im Detail gibt es einigen Anlass zur Kritik: Unklar bleibt, ob Art. 59 UPCA auch Anordnungen zur Duldung der Besichtigung von Verfahren umfasst. Meines Erachtens sollte der Wortlaut der Bestimmung (Vorlage dieser Beweismittel) nicht zu restriktiv ausgelegt werden. Nicht überzeugend ist die in das Ermessen des Gerichts gestellte Anordnung der Vorlage von Bank-, Finanzund Handelsunterlagen ohne Nachweis der Rechtsverletzung im Prozess. Hier weist das erst nach Bestätigung des Verletzungsvorwurfs entstehende Bucheinsichtsrecht gemäß r. 141 ff. VerfO17 den richtigen Weg. Zu stark schwingt das Pendel des Vertraulichkeitsschutzes bei dem in Art. 59 Abs. 1 S. 1 UPCA enthaltenen Schutz der vorlagepflichtigen Partei vor einer Selbstbezichtigung. Da die vorsätzliche Patentverletzung in zahlreichen Vertragsstaaten des UPCA strafbar ist, sind die vorzulegenden Dokumente oftmals geeignet, eine Strafverfolgung des Beklagten auszulösen. Das Selbstbezichtigungsprivileg schützt nicht nur unangemessen den möglicherweise strafbar agierenden Patentverletzer, sondern bevorzugt ihn im Zivilprozess unangemessen gegenüber einem straflos handelnden Verletzer. Angesichts des strafrechtlichen Komplementärschutzes des Patents wäre es sinnvoller gewesen, eine Verwertung der erlangten Informationen im Strafverfahren auszuschließen. 294 

R. 196 Abs. 5 VerfO17. R. 196 Abs. 3 VerfO17. 296  Supra § 5 Rn. 14. 295 

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Art. 60 UPCA überschreitet das durch Art. 7 DRL gesetzte Mindestmaß erheblich, indem in Anlehnung an die Vorbilder der search order und saisie contrefaçon eine Durchsuchung der Räumlichkeiten des Antragsgegners vorgesehen wird. Klugerweise gebieten r. 196 Abs. 4 und 5 VerfO17 eine Berücksichtigung des Rechts desjenigen Staates, in dem die Beweissicherungsmaßnahme durchgeführt werden soll, um Friktionen mit dem nationalen Vollstreckungs- und Verfassungsrecht vorzubeugen. Die grundsätzliche Verwertungsbeschränkung auf das in der Hauptsache einzuleitende Verfahren ist zu begrüßen. Im Übrigen wurde dem Schutz des Antragsgegners zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet, vgl. hierzu bereits oben Rn. 124 ff. Unklar bleiben die Optionen zur Sicherung von Beweisen, die sich nicht in der Sphäre des Verfahrensgegners befinden. Art. 60 Abs. 1 UPCA ist ausreichend offen formuliert, um Anordnungen zur vorgezogenen Zeugenvernehmung, zur Befunderhebung durch einen Sachverständigen oder zur Inaugenscheinnahme durch das Gericht zu erfassen, sofern eine Gefahr des Beweismittelverlusts oder der erschwerten Verwendung besteht.297 Die konkretisierende Bestimmung in r. 196 Abs. 1 VerfO17 nennt beispielhaft lediglich die Maßnahmen der Beschreibung und der Beschlagnahme Die Regelung zur Auskunftsanordnung ist aus verschiedenen Gründen misslungen. Erstens sind Auskunftsklagen gegenüber dritten Personen nicht dem Zuständigkeitsbereich des UPC zugewiesen, zweitens geht r. 191 VerfO17 weit über die Grenzen des Art. 67 UPCA hinaus, drittens fehlt es an einer Verwertungsbeschränkung der erlangten Informationen auf das konkrete Verfahren und viertens bleibt der Konflikt mit den Bestimmungen des unionsrechtlichen Datenschutzes ein weiteres Mal ungelöst (bzw. der angerufenen Kammer überantwortet). Nach hier vertretener Auffassung bleiben auf Drittauskunft gerichtete Anordnungen nationaler Gerichte mangels einer Zuweisung an den UPC weiterhin möglich. Für den Patentinhaber hat dies den Vorteil, dass nach nationalem Recht eine Drittauskunft über die Identität potentieller Verletzer gegebenenfalls unter einfacheren Voraussetzungen erlangt werden kann als unter der restriktiven Maßgabe des Art. 67 Abs. 2 UPCA. Positiv hervorzuheben ist die Regelung zum Schutz vertraulicher Informationen gemäß Art. 58 UPCA, welche rollen- und beweislastneutral verschiedene Optionen benennt, um den Schutz von Geschäftsgeheimnissen, personenbezogenen Daten und anderweitigen vertraulichen Informationen zu gewährleisten. An einem durchdachten Sanktionssystem zur Durchsetzung der Vertraulichkeitsbeschränkungen fehlt es leider, allein eine Zwangsgeldanordnung gegenüber den Parteien wegen Verstoßes gegen die gerichtliche Anordnung nach Art. 82 Abs. 4 UPCA kommt in Betracht. Ob Straftatbestände des nationalen Rechts den Geheimnisbruch durch dritte Personen 297 

Siehe zu Art. 7 DRL supra § 6 Rn. 4.



E.  Das Verfahrensrecht des Unified Patent Court

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sanktionieren können, hängt von deren individueller Ausgestaltung ab. Welche Rückwirkungen die unzureichende Durchsetzung des Vertraulichkeitsschutzes auf die Freigabe vertraulicher Informationen im Prozess zeitigt, wird sich erst mit der Zeit erweisen.

VIII. Zustellung 1.  Vorrang der elektronischen Übermittlung Trotz der durch die EuZVO bewirkten Verbesserungen ist die grenzüberschreitende Zustellung innerhalb der Europäischen Union ein Zeitfresser. Der Entwurf der Verfahrensordnung setzt so weit als möglich auf die elektronische Übermittlung im Wege der Amtszustellung, um auch in diesem Bereich eine starke Verfahrenskonzentration zu bewirken. Bei einer Zustellung in einem Vertragsstaat des UPCA darf die Kanzlei bereits das verfahrenseinleitende Schriftstück298 auf elektronischem Wege übersenden, soweit der Beklagte (oder dessen rechtlicher Vertreter) vorab eine eMail-Adresse für den Zweck der Zustellung im Verfahren mitgeteilt hat.299 Unklar ist, wem gegenüber die Zweckbestimmung der eMail-Adresse mitzuteilen ist. Aus r. 13 Abs. 1 lit.  d VerfO17 lässt sich ein Argument ableiten, dass eine Zweckbestimmung des Beklagten gegenüber dem Kläger genügt. Doch sollte aus Gründen der Zustellungssicherheit von einer Mitteilung der eMail-Adresse zu Zustellungszwecken nur dann ausgegangen werden, wenn die Mitteilung gegenüber der Kanzlei des UPC erfolgt. Die Übermittlung soll hohen technischen Anforderungen genügen, welche die Identität des Absenders, die erfolgreiche Übermittlung und die Möglichkeit der Kenntnisnahme durch den Adressaten sicherstellen. Details der Daten- und Übermittlungssicherheit sollen in einem noch zu entwerfenden Anhang der Verfahrensordnung konkretisiert werden.300 Hat der Beklagte keine eMail-Adresse für das Verfahren designiert, kommen als alternative Methoden eine Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks nach Maßgabe der EuZVO, insbesondere im Wege des Einschreibens mit Rückschein,301 sowie eine Zustellung per Telefax in Betracht. Voraussetzung für die Faxzustellung ist ebenso wie bei der Zustellung per eMail, dass die Telefaxnummer vom Beklagten für die Zwecke der Zustellung bestimmt wurde und die Daten- und Übermittlungssicherheit gewährleistet bleibt.302 Als subsidiäre Alternative bleibt schließlich die Zustellung nach dem Recht des 298  Umfasst sind alle verfahrenseinleitenden Schriftstücke i. S. d. Art. 32 Abs. 1 UPCA, vgl. r. 270 Abs. 3 VerfO17. 299  R. 271 Abs. 1, Abs. 2 VerfO17. 300  R. 271 Abs. 1 VerfO17. Unklar ist, ob bei der Faxübermittlung die Anforderungen der r. 271 Abs. 1 zu Daten- und Übermittlungssicherheit überhaupt erfüllt werden können. 301  R. 271 Abs. 4 lit. a VerfO17. 302  R. 271 Abs. 4 lit. b VerfO17.

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Zustellungsstaats auf Basis eines entsprechenden Beschlusses des Gerichts.303 Maßgeblicher Zustellungsort ist bei natürlichen Personen die gewöhnliche oder zuletzt bekannten Adresse, bei Unternehmen bzw. juristischen Personen der satzungsmäßige Sitz, die Hauptverwaltung oder jede Niederlassung innerhalb eines Vertragsstaates sowie im Falle einer Bestands- oder negativen Feststellungsklage die Anschrift des im Patentregister eingetragenen Vertreters.304 Eine alternative Zustellungsmethode oder ein alternativer Zustellungsort können vom Gericht zugelassen werden, d. h. es bleibt Raum für fiktive Zustellungen.305 Die Zustellung gilt ohne Ausnahme am Tag der Absendung der eMail bzw. der erfolgreichen Übermittlung des Faxes nach mitteleuropäischer Zeit (GMT+1) als bewirkt. Die Zustellung eines Einschreibens gilt zehn Tage nach Überlassung des Einschreibens an den Postdienstleister als bewirkt, es sei denn, der Rückschein wurde nicht zurückgesandt oder der Adressat weist ein Scheitern bzw. eine Verspätung der Zustellung nach.306 Keine Erwähnung finden die Empfangsberechtigung und der Kreis der Personen, an die eine Ersatzzustellung erfolgen kann. Hinsichtlich der Sprache der Zustellung verweist r. 271 Abs. 7 auf Art. 8 EuZVO, d. h. der Empfänger darf die Annahme des Schriftstücks binnen einer Woche verweigern, sofern es nicht in einer ihm verständlichen Sprache oder der Amtssprache des Zustellungsortes abgefasst ist. Weist der Adressat die Zustellung zurück, hat der Kläger zumindest die Klageschrift und die Angaben nach r. 13 Abs. 1 lit. a bis p VerfO17 übersetzen zu lassen.307 Erst nach Zustellung dieser Übersetzung gilt die Klage als zugestellt; für die Einhaltung von Fristen finden Art. 8 Abs. 3, Art. 9 EuZVO entsprechende Anwendung.308 Der Beklagte soll im Rahmen der Zustellung über seine Rechte informiert werden.309 Hat der Beklagte keine eMail-Adresse bzw. Telefax-Nr. zu Zustellungszwecken designiert und verfügt er nicht über eine zustellungsfähige Adresse i. S. d. Art. 271 Abs. 5 VerfO17 innerhalb eines Vertragsstaates, so erfolgt die Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks gemäß r. 274 VerfO15 entweder nach der EuZVO, nach dem HZÜ oder mittels einer andere Zustellungsmethode, die in jenem Staat zugelassen ist, in welchem die Zustellung bewirkt werden soll. Außerhalb des Anwendungsbereichs der EuZVO und des HZÜ ist auf die konsularischen und diplomatischen Beziehungen desjenigen Vertragsstaates zurückzugreifen, in welchem die Kanzlei der betreffenden 303 

R. 271 Abs. 4 lit. c, 275 VerfO17. R. 271 Abs. 5 VerfO17. 305  R. 275 VerfO17. 306  R. 271 Abs. 6 lit. b VerfO17. 307  R. 271 Abs. 7 S. 2 VerfO17. 308  R. 271 Abs. 7 S. 3, 4 VerfO17. 309  R. 271 Abs. 7 S. 5 VerfO17. 304 



E.  Das Verfahrensrecht des Unified Patent Court

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Kammer angesiedelt ist.310 Schließlich bleibt auch hier die Zulassung alternativer Zustellungsmethoden oder alternativer Zustellungsorte durch das Gericht möglich, soweit die gewählte Option mit dem Recht des Zustellungsstaates vereinbar ist.311 Die Zustellung von Urteilen und Anordnungen des Gerichts soll gemäß r. 276 VerfO15 entsprechend den Regeln über die Zustellung verfahrenseinleitender Schriftstücke erfolgen. Alle weiteren Schriftsätze der Parteien sind prinzipiell auf elektronischem Wege zu übermitteln (hilfsweise per Einschreiben mit Rückschein, Telefax oder anderer vom Gericht zugelassener Methode).312 Zu diesem Zweck sind die Parteien gehalten, im jeweils ersten Schriftsatz eine Adresse für die elektronische Kommunikation anzugeben und etwaige Änderungen sofort dem Gericht und der Gegenpartei mitzuteilen.313 Übersetzungen sind hier nicht mehr vorgesehen.

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2. Kritik Die Zustellungsregeln des Entwurfs der Verfahrensordnung versuchen eine Beschleunigung der Zustellung gegenüber der EuZVO zu erreichen. Der Entwurf setzt auf die vorrangige Übermittlung per eMail, wobei die dieser Kommunikation inhärenten Probleme der Übermittlungssicherheit und der Datensicherheit noch nicht geklärt sind. Alternativ zur Zustellung per eMail wird eine Zustellung per Telefax zugelassen (hier ist unklar, ob die Anforderungen an Übermittlungs- und Datensicherheit überhaupt erfüllt werden können). Obgleich diese Zustellungsformen bereits für die Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks vorgesehen sind, wird es hier oftmals an einer vom Beklagten gegenüber der Kanzlei des UPC für die Zustellung bestimmten eMail-Adresse bzw. Fax-Nummer fehlen. Besondere praktische Relevanz erlangt die elektronische Zustellung aber für alle weiteren zuzustellenden Dokumente, da die Parteien verpflichtet sind, in Klage- bzw. Beklagtenschriftsatz eine eMail-Adresse zum Zwecke der Zustellung anzugeben.314 Schließlich stellt r. Rule 275 alternative Zustellungsformen in das Ermessen des Gerichts, d. h. bei unbekannter Postadresse des Beklagten kommt (vorbehaltlich des Abs. 4) auch eine Zustellung an eine nicht vom Beklagten für die Zwecke der Zustellung designierte eMail-Adresse oder eine fiktive Zustellung in Betracht. Das Bemühen um eine schnelle Verfahrensdurchführung schlägt sich in optimistischen Regeln zum Zustellungszeitpunkt nieder. Das Vertrauen in 310 

R. 274 Abs. 1 lit. a (iii) VerfO17. R. 275 Abs. 4 VerfO17. 312  R. 278 Abs. 1, Abs. 2 VerfO17. 313  R. 6 Abs. 3, 13 Abs. 1 lit. c, 24 lit. b, 45 lit. a, 50 Abs. 1, 62 lit. a, 66, 192 Abs. 2 lit. a, 200 Abs. 2, 206 Abs. 2 lit. a, 279 VerfO17. 314  R. 13 (1)(c), 24 (b) VerfO17. 311 

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sichere elektronische Übermittlungswege ist so groß, dass Zustellungen per eMail und Telefax ohne Ausnahme am Tag der Übermittlung als zugestellt gelten. Etwas mutig erscheint zudem die Annahme, auf dem Postwege innerhalb Europas versandte Schriftstücke könnten im Regelfall innerhalb von 10 Kalendertagen zugestellt werden. Nicht überzeugen kann, dass r. 271 Abs. 7 VerfO17 für die Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks an die misslungene Sprachenregelung des Art. 8 EuZVO anknüpft. Die mit dieser Norm verbundenen Interpretationsfragen und Regelungslücken werden somit perpetuiert (Sprachkenntnisse innerhalb von Organisationen, unklarer Beginn und Kürze der Zurückweisungsfrist, fehlende Bestimmung zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand).315 Immerhin stellt r. 271 Abs. 7 S. 5 VerfO klar, dass die Kanzlei den Zustellungsadressaten über sein Zurückweisungsrecht zu informieren hat; bei der Entwicklung entsprechender Standardformeln können gegebenenfalls noch Verbesserungen erreicht werden. Für die Zustellungen späterer Schriftsätze sieht r. 278 keine Übersetzungen mehr vor, was m. E. sinnvoll ist, da vor dem UPC ohnehin Anwaltszwang besteht.316 In einigen Aspekten schließlich werden r. 270 ff. VerfO17 den Besonderheiten des grenzüberschreitenden Rechtsverkehrs nicht gerecht. Hinsichtlich des Kreises der Empfangsberechtigten und den Möglichkeiten einer Ersatzzustellung wären zumindest Kollisionsnormen wünschenswert gewesen. Auch Rechtsbelehrungen des mit dem Verfahren vor dem UPC gegebenenfalls nicht vertrauten Zustellungsadressaten entsprechend Art. 17 Abs. 1, 18 Abs. 1 lit. b EuVTVO fehlen.

IX.  Die Sprachproblematik 162

Die Sprachproblematik wird im Entwurf der Verfahrensordnung einer umfassenden Regelung zugeführt.317 Verfahrenssprache ist grundsätzlich die Amtssprache oder eine der Amtssprachen der angerufenen Lokal- bzw. Regionalkammer,318 das Verfahren vor der Zentralkammer wird in der Sprache geführt, in welcher das Patent erteilt wurde (d. h. in deutsch, englisch oder 315 

Näher supra § 14 Rn. 12 ff., 96. Zur adäquaten Verteilung der Übersetzungslast siehe § 14 Rn. 93 ff. 317  Siehe neben den in den folgenden Fußnoten erwähnten Bestimmungen: r. 30 VerfO17 (Antrag auf Änderung des Patents); r. 88 VerfO17 (Antrag auf Änderung oder Aufhebung einer Entscheidung des EPA); r. 192 Abs. 4 VerfO17 (Antrag auf Beweissicherungsanordnung); r. 207 Abs. 2 VerfO17 (Schutzschrift); r. 378 Abs. 2 VerfO17 (PKH-Antrag); r. 202 Abs. 2 VerfO17 (Rechtshilfeersuchen auf Zeugenvernahme). 318  Art. 49 Abs. 1 UPCA; die Vertragsstaaten können gemäß Abs. 2 eine oder mehrere der Amtssprachen zur Verfahrenssprache bestimmen. Zur Vorgehensweise bei mehreren verfügbaren Verfahrenssprachen siehe r. 14 Abs. 2 VerfO17. 316 



E.  Das Verfahrensrecht des Unified Patent Court

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französisch).319 Auf Antrag einer oder beider Parteien bzw. auf Vorschlag des Berichterstatters kann jene Sprache auch im Verfahren vor der Lokal- bzw. Regionalkammer zum Zuge kommen.320 Schriftsätze und andere Dokumente, insbesondere schriftliche Beweismittel, sind in der Verfahrenssprache einzureichen, sofern das Gericht nichts Abweichendes bestimmt.321 Entscheidet sich die Lokal- oder Regionalkammer dazu, Verletzungs- und Bestandsfrage zu trennen und die Nichtigkeitswiderklage an die Zentralkammer zu verweisen, so müssen die Parteien für die Übersetzung der Schriftsätze in die Verfahrenssprache vor der Zentralkammer Sorge tragen.322 In der mündlichen Verhandlung sind Simultanübersetzungen nach Ankündigung möglich;323 das Zwischenverfahren kann der Einfachheit halber durch den berichterstattenden Richter in einer beliebigen Sprache geführt werden, auf die sich die Parteivertreter geeinigt haben.324 Auch Zeugenaussagen sind mit Zustimmung des Gerichts in einer anderen Sprache als der Verfahrenssprache zulässig.325 Das Berufungsverfahren wird in der Verfahrenssprache der ersten Instanz oder gemäß einer Vereinbarung der Parteien in der Verfahrenssprache der Patenterteilung geführt.326 Vor der Vollstreckung einer Entscheidung des UPC hat der Urteilsgläubiger eine beglaubigte Übersetzung der Entscheidung in eine Amtssprache des Vollstreckungsstaates zur Verfügung zu stellen, welche von der Gerichtskanzlei dem Schuldner zuzustellen ist.327

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X. Vollstreckung Die Entscheidungen und Anordnungen des UPC sind in allen Mitgliedstaaten ab dem Zeitpunkt der Zustellung unmittelbar vollstreckbar, eine Vollstreckbarerklärung wird der Entscheidung beigefügt.328 Das Einlegen der Berufung oder des Einspruchs gegen ein Versäumnisurteil hat (vorbehaltlich eines anderweitigen Beschlusses des Gerichts) keine aufschiebende Wirkung.329 319 

Art. 49 Abs. 6 UPCA. R. 321 ff. VerfO17. 321  Art. 49 Abs. 1, Abs. 2 UPCA, r. 7 Abs. 1, 14 VerfO17. Eine Rüge der in der Klageschrift bezeichneten Verfahrenssprache ist in r. 19 Abs. 1 lit. c vorgesehen; zur Verfahrenssprache für die Rüge siehe r. 19 Abs. 3 VerfO17. 322  R. 39, 41 lit. d VerfO17. 323  R. 109 Abs. 1 lit. a VerfO17. 324  R. 105 Abs. 3 VerfO17. 325  R. 112 Abs. 5, 178 Abs. 7 VerfO17; siehe hierzu r. 175 Abs. 2 S. 2, 176 lit. c VerfO17. 326  Art. 50 UPCA, r. 227, 232 VerfO17. 327  R. 118 Abs. 9 VerfO17. 328  Art. 82 Abs. 1 UPCA, r. 354 Abs. 1 VerfO17; Art. 71d Abs. 2 EuGVO deklariert den Vorrang dieser Bestimmungen gegenüber den Vollstreckungsregelungen der EuGVO. 329  Art. 74 Abs. 1 UPCA i. V. m. r. 223 VerfO17; Art. 37 Abs. 2 Satzung UPC i. V. m. r. 355 Abs. 2 VerfO17. 320 

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§ 18  Der Unified Patent Court

Das Vollstreckungsverfahren unterliegt grundsätzlich dem Recht des Vertragsmitgliedstaates, in dem die Vollstreckung erfolgt. Die Entscheidungen des UPC sollen dort unter den gleichen Bedingungen vollstreckt werden wie Entscheidungen nationaler Gerichte.330 Einen ordre public-Vorbehalt enthält das Übereinkommen nicht. Art. 82 Abs. 4 UPCA sieht ferner die Möglichkeit vor, eine Partei mit an das Gericht zu zahlenden Zwangsgeldern zu belegen, sofern sie den Anordnungen des Gerichts keine Folge leistet.331 Eine entsprechende Regelung für nichtbeteiligte Dritte (Zeugen, Anwälte, vorlagepflichtige Personen) fehlt. Die Zwangsgeldanordnung ist gemäß Art. 82 Abs. 1 UPCA gleichfalls unmittelbar in den Vertragsstaaten vollstreckbar, kann folglich als Geldtitel durch den Gläubiger in jedem Vertragsstaat zugunsten der Kasse des UPC eingetrieben werden. Bestimmungen zum Schutz des Schuldners vor einer Doppelvollstreckung existieren nicht. Die Vollstreckung kann von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden und löst bei späterer Aufhebung der Entscheidung einen Kompensationsanspruch aus.332 Nach r. 354 Abs. 2 S. 1 VerfO17 soll der Zuspruch angemessenen Ersatzes in die Kompetenz des UPC fallen; eine tatbestandliche Ausgestaltung des Kompensationsanspruchs fehlt freilich ebenso wie eine Kompetenzzuweisung durch Art. 32 UPCA.333 Wurde nach Erlass einer Entscheidung über eine Patentverletzung das Patent für nichtig erklärt, so kann auf Antrag des Betroffenen die Vollstreckbarkeit des Schadensersatz- oder Unterlassungsurteils aufgehoben werden.334 Die Vollstreckung der Entscheidungen des Gerichts außerhalb der Vertragsstaaten des UPCA ist teilweise noch ein ungeklärtes Feld. Gemäß Art. 71d lit. a EuGVO erfolgt die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen des UPC in Mitgliedstaaten, die keine Vertragsstaaten des UPCA sind, nach Maßgabe der EuGVO. Angesichts der Natur des UPC als gemeinsames Gericht der Vertragsstaaten dürfte auch in Vertragsstaaten des Luganer Übereinkommens von einer Anerkennung und Vollstreckung der Entscheidungen des UPC auf Basis des LugÜ auszugehen sein.335 Schwierigkeiten können insbesondere bei der Vollstreckung der vom Gericht festgesetzten Zwangsgelder auftreten. Zwar befürwortet der EuGH grundsätzlich die Vollstreckbarkeit staatsnütziger Zwangsgelder nach Maßgabe des Art. 55 EuGVO, soweit die Festsetzung des Ordnungsgelds der Durchsetzung einer gerichtlichen Ent-

330 

Art. 82 Abs. 3 UPCA, r. 354 Abs. 1 VerfO17. Siehe ferner r. 354 Abs. 3 VerfO17, Art. 62 Abs. 1, 63 Abs. 1 UPCA. 332  Art. 82 Abs. 2 UPCA, r. 354 Abs. 2 S. 1 VerfO17. 333  Hierzu bereits supra Rn. 125. 334  R. 354 Abs. 2 S. 2 VerfO17. 335  Zutreffend Art. 71d lit. a des Vorschlags der Europäischen Kommission zur Anpassung der EuGVO (2012) an das UPCA, KOM (2013) 554. 331 



F. Würdigung

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scheidung in Zivil- und Handelssachen dient,336 doch sind zahlreiche Details ungeklärt und umstritten.337 Ein vom UPC festgesetztes Zwangsgeld, das die Sanktionierung eines Parteiverstoßes gegen eine rein prozessuale Anordnung bezweckt, unterfällt meines Erachtens nicht dem Bereich der „Zivil- und Handelssachen“ und kann folglich nicht nach Maßgabe der EuGVO bzw. des LugÜ in Nichtvertragsstaaten des UPCA vollstreckt werden. Die Vollstreckung in Staaten, die weder der Europäischen Union noch dem Luganer Übereinkommens angehören, richtet sich nach den dortigen Regelungen zur Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen. Hierbei dürfte insbesondere interessant sein, wie ein gegebenenfalls bestehendes Erfordernis der Gegenseitigkeit gehandhabt wird. Eine Vollstreckung der nach Art. 82 Abs. 4 UPCA zu verhängenden Zwangsgelder dürfte in diesen Staaten gänzlich ausscheiden.

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XI. Sonstiges Über die hier angesprochenen Aspekte hinaus enthalten UPCA und der Entwurf der Verfahrensordnung nähere Regelungen zu den Rechten und Pflichten der anwaltlichen Vertreter,338 zur Gerichtsorganisation339, zur Verteilung der Prozesskosten, zu Gerichtsgebühren und Prozesskostenhilfe,340 zur Verjährung,341 zur Fristberechnung342 und zur Einrichtung eines Patentmediations- und Schiedszentrums.343

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F. Würdigung I.  Errichtung eines einheitlichen Gerichts außerhalb der Strukturen der Europäischen Union Ein einheitlicher Streitregelungsmechanismus für Europäische Patente ist seit vierzig Jahren ein  – mal mehr, mal weniger intensiv verfolgtes  – politisches Ziel. Bei Lichte besehen sind der politische und finanziellen Aufwand für ein Gericht, welches die Zuständigkeit für lediglich ca. 1.500 jährliche Verfahren erhält (wohlgemerkt erst nach Ablauf der Übergangszeiten), enorm. 336 

EuGH v. 18. 10. 2011 – C-406/09 (Realchemie), Rn. 44. Supra 16 Rn. 52 ff. 338  R. 285 bis 293 VerfO17. 339  Art. 6 bis 10 UPCA, Art. 13 bis 25 Satzung UPC, R. 341 bis 346 VerfO17. 340  Art. 69 bis 71 UPCA, r. 370 bis 382 VerfO17. 341  Art. 72 UPCA. 342  R. 300 f. VerfO17. 343  Art. 35 UPCA, r. 11 Abs. 1 VerfO17. 337 

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Treibende Kraft für die Errichtung des UPC ist längst nicht mehr die Quote von Parallelverfahren344 oder die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen in unterschiedlichen europäischen Jurisdiktionen,345 sondern der Wunsch nach der Präsentation eines politischen Erfolges.346 Gleichwohl ist der Ansatz richtig, die Rechtseinheit nicht allein durch Setzung einheitlicher Rechtstexte zu bewirken, sondern durch die Schaffung eines einheitlichen Gerichts zu vervollkommnen. Die unbestreitbaren Vorzüge eines einheitlichen Gerichts für die Rechtseinheit bedürfen der Abwägung mit dessen Nachteilen. Hierzu zählen insbesondere die fehlende Bürgernähe, die höheren Verfahrenskosten (Reisekosten, Übersetzungen, keine gemischten Zuständigkeiten wenig beschäftigter Richter) sowie die gegebenenfalls verlängerte Verfahrensdauer (auch insoweit sind Übersetzungen ein wesentlicher Faktor).347 Die Situation bei Patentverfahren ist insoweit ein Sonderfall, als der Justiztourismus bereits im gegenwärtigen System groß348 und die fehlende Bürgernähe des UPC vor diesem Hintergrund hinnehmbar ist.349 Das Sprachenregime des UPC ist gegenüber dem Sprachenregime vor EuGH und EuG deutlich vereinfacht: Verhandlungssprache vor der Zentralkammer ist deutsch, englisch oder französisch. Dies korrespondiert mit den Verfahrenssprachen der voraussichtlich am stärksten frequentierten Lokalkammern des UPC in Deutschland, England und Frankreich; hinzutreten dürfte insoweit noch die niederländische Sprache. Eine Übersetzung der Entscheidungen in andere Sprachen ist derzeit nicht explizit vorgesehen, aber hinsichtlich der Hauptsprachen zweifellos sinnvoll. Einer Übersetzung der einzelnen Verfahrensdokumente bedarf es nicht, sofern während des Verfahrens kein Sprachenwechsel erfolgt. Der nachteilige Kosten- und Zeitfaktor von Übersetzungen erscheint damit handhabbar. Die Errichtung des UPC außerhalb der Gerichtsstruktur der Europäischen Union lässt sich auf die Opposition Spaniens und Italiens gegen das Patentpaket zurückführen. Doch ist dies nur die halbe Wahrheit für die gewählte Konstruktion, wie der Gesetzgebungsprozess zum Erlass des Patentpakets offenbart. Nie zuvor wurde so offen – auch auf höchster politischer Ebene – 344 Hierzu Pagenberg, GRUR 2012, 582 (585): Es gebe im Durchschnitt bei den Klagen in Deutschland nur 5 bis 8 Prozent Parallelverfahren in anderen EU-Ländern, nicht 20 Prozent, wie teilweise behauptet werde. 345  Vgl. hierzu die Nachweise supra § 18 Rn. 6, Fn. 16. 346 Kritisch Pagenberg, GRUR 2012, 582 ff.; ders., JIPlP 2013, 480 ff.; Stjerna, Einheitspatent, S. 1 ff. 347  Haberl/Schallmoser, GRUR-Prax 2010, 23 (26). 348 Siehe Kühnen/Claessen, GRUR Int. 2013, 592 (593 f.): Zwei Drittel aller Patentverletzungsklagen vor dem Landgericht Düsseldorf werden von ausländischen Parteien erhoben. 349  Selbstverständlich kann die fehlende Bürgernähe gleichwohl aus der Perspektive bestimmter Parteien  – etwa des deutschen Mittelstands  – misslich sein, vgl. hierzu Haberl/ Schallmoser, GRUR-Prax 2010, 23 (26).



F. Würdigung

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die fehlende Kompetenz des EuGH in Zivilsachen beklagt. Natürlich ist das Patentrecht mit seiner hohen technischen und rechtlichen Komplexität ein Sonderfall. Dennoch ist die Diskussion ein Indiz für das mangelnde Vertrauen in die Fähigkeit des EuGH, seine Funktion als gleichzeitiges Verfassungs- und Fachgericht auf hohem Qualitätsniveau auszuüben (jedenfalls auf dem Gebiet des Zivilrechts). Langfristig gesehen bedarf es sinnvoller Maßnahmen, um dieses Vertrauensdefizit zu lösen.

II.  Effizientes Handelsverfahren Der Entwurf der Verfahrensordnung sieht ein intensives schriftliches Vorverfahren, eine aktive Verfahrensleitung des Gerichts (nicht allein im mündlichen Verfahren, sondern auch im Zwischenverfahren) sowie eine mündliche Verhandlung mit eingeschränktem Mündlichkeitsprinzip vor (schriftliche Vorbereitung der Zeugenaussagen, Dispositionsbefugnis der Parteien). Das gesamte Verfahren ist stark formalisiert; die Parteien sind zu einem umfassenden, frühzeitigen und fristgerechten Vortrag verpflichtet. Gleichzeitig bietet der Entwurf der Verfahrensordnung den Parteien insbesondere im Zwischenverfahren zumindest potentiell Spielraum für eine einvernehmliche Gestaltung des Prozesses. Nutzen die Parteien diese Option nicht, verfügt der berichterstattende Richter über eine erhebliche Steuerungsfunktion für den Fortgang des Verfahrens.350 Aus der Perspektive einzelner Zivilverfahrenstraditionen wirken Grundprinzipien der vorgesehenen Verfahrensregeln sicherlich ungewöhnlich bzw. gewöhnungsbedürftig. So wird von englischer Seite beispielweise beklagt, das Verfahren vor dem UPC sei front-loaded,351 habe also ein Übergewicht im schriftlichen Verfahren. Aus deutscher Perspektive nährt der vorrangig schriftliche Zeugenbeweis Zweifel an der Qualität der erhobenen Beweise.352 In der Gesamtschau handelt es sich jedoch um eine grundsätzlich funktionsfähige Verfahrensordnung, die in einem jahrelangen Prozess unter Einbeziehung erfahrener und hochrangiger Patentrichter entwickelt wurde, und die nunmehr vom UPC mit Leben zu füllen ist.

350 Kritisch

Haberl/Schallmoser, GRUR-Prax 2010, 23 (27). House of Commons, UPC, Written evidence from the Intellectual Property Lawyers’ Association. 352  Brandi-Dohrn, IIC 2012, 371 (385 f.). 351 Siehe

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§ 18  Der Unified Patent Court

III.  Schnittstellen zwischen staatlicher und überstaatlicher Justizgewähr 176

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Die Schnittstellen zwischen der staatlichen Justizgewähr durch die Gerichte der Vertragsstaaten und der überstaatlichen Justizgewähr durch den UPC sind nicht rechtssicher gestaltet. Dies betrifft insbesondere das Vollstreckungsrecht, die Kompensation des zu Unrecht einer Patentverletzung Bezichtigten sowie alle Bereiche, in denen die Befugnisse des UPC und die Wirkungen seiner gerichtlichen Anordnungen hinsichtlich dritter Personen in Rede stehen. Die ausschließliche Zuständigkeit gemäß Art. 32 UPCA bezieht sich auf neun eng definierte Klagetypen.353 Während vertragliche Ansprüche wegen Verletzung eines Europäischen Patents oder Einheitspatents wohl den „Klagen wegen Verletzung von Patenten“ zugeordnet werden können und auch Auskunftsklagen gegenüber dem (behaupteten) Verletzer noch als Verletzungsklagen durchgehen mögen, sind Auskunftsklagen gegenüber dritten Personen eindeutig nicht dem UPCA zugewiesen. Auch eine Zuständigkeit für Klagen auf Ersatz des Schadens, welcher durch aufgehobene einstweilige Maßnahmen oder erstinstanzliche Entscheidungen verursacht wurde, kennt das UPCA nicht.354 Dennoch sehen Art. 67, Art. 60 Abs. 9, 82 Abs. 2 UPCA, r. 354 Abs. 2 VerfO15 Auskunftsanordnungen gegenüber Dritten und Anordnungen zur Kompensation der betroffenen Partei vor. Wie der UPC dieses Spannungsverhältnis zwischen begrenzter sachlicher Kompetenzzuweisung und gesetzlich normierten Anordnungsoptionen lösen wird, bleibt abzuwarten. Zu erwähnen bleibt abschließend, dass trotz der Einführung der freezing injunction eine Kompensation betroffener Dritter in Abkommen und Verfahrensordnung nicht vorgesehen ist. Auch die Durchsetzung rein prozessualer Anordnungen gegenüber Dritten ist in der Verfahrensordnung nicht rechtssicher gestaltet. So qualifiziert r. 191 VerfO17 Auskunftsanordnungen gegenüber Dritten prozessual, ohne die Sanktionen einer Nichtbefolgung zu regeln. Selbiges gilt für Editionspflichten dritter Personen. Demgegenüber sollen die Aussage von Zeugen und Sachverständigen nach dem Entwurf der Verfahrensordnung durch Festsetzung eines Ordnungsgelds erzwungen werden,355 doch bleibt die Vollstreckung des Ordnungsgelds in den Vertragsstaaten des UPCA unklar. Gemäß Art. 82 Abs. 4 UPCA ist das Gericht lediglich zur Zwangsgeldfestsetzung gegenüber den Parteien befugt. 353  Es ist unklar, ob die parallele Zuständigkeit nationaler Gerichte in der Übergangsphase für all diese Klagetypen besteht oder sich entsprechend des Wortlauts des Art. 83 Abs. 1 UPCA allein auf Verletzungs- und Nichtigkeitsklagen bezieht. 354  Art. 32 lit. f UPCA begründet lediglich die Zuständigkeit für Schadensersatzklagen aufgrund des vorläufigen Schutzes einer veröffentlichten Patentanmeldung. 355  R. 179 Abs. 2, 188 VerfO17.



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Ohnehin ist die Verzahnung mit dem Vollstreckungsrecht der Vertragsstaaten in Art. 82 UPCA nur sehr rudimentär vorgegeben. Die Erfahrungen mit der Vollstreckung ausländischer Titel im Rahmen der EuGVO356 lassen künftige Problemfelder erahnen: Je nach Tenorierungsusancen des UPC könnten die Urteile des UPC den Anforderungen der lex loci executionis an die Bestimmtheit des Titels nicht genügen. Auch im Übrigen bedarf es gegebenenfalls der Anpassung des Titels an nationales Vollstreckungsrecht, und die Vollstreckung des gerichtsnützigen Zwangsgelds könnte in Vertragsstaaten, welche ein astreinte-Modell kennen, für Irritationen sorgen. Eine Auslegungshoheit über die Interpretation des Art. 82 UPCA oder gar eine Kompetenz zur Verurteilung eines Vertragsstaats wegen Verletzung seiner staatsvertraglichen Verpflichtungen kommt weder dem UPC noch dem EuGH zu. Schließlich fehlt dem Beklagten eines Verletzungsverfahrens die Möglichkeit, eine Bindung dritter Personen im Regressverfahren vor den nationalen Gerichten an die Prozessergebnisse des Verletzungsverfahrens vor dem UPC herbeizuführen. Der Entwurf der Verfahrensordnung übernimmt weder den in vielen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten enthaltenen Gerichtsstand der Garantieklage, noch das in anderen Rechtsordnungen bekannte Instrument der Streitverkündung. Das Problem wurzelt ohnehin tiefer: Nach Art. 32 UPCA verfügt das einheitliche Patentgericht nicht über die sachliche Zuständigkeit für Garantieklagen, und auch eine Interventionswirkung ist im Übereinkommen nicht vorgesehen.

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IV.  Spaltung der Verfahrensregeln Die Aufspaltung des Verfahrensrechts des UPC zwischen UPCA und Verfahrensordnung kann nur als unglücklich bezeichnet werden. Während die Zuständigkeitsordnung des UPCA in ihren Grundzügen an der EuGVO orientiert ist, sind die weiteren Verfahrensregeln oftmals der Durchsetzungsrichtlinie entnommen. Dabei wurde der wesentliche Funktionsunterschied zwischen Durchsetzungsrichtlinie und UPCA übersehen: Die Richtlinie gibt allein einen Rahmen vor, welcher durch das Recht der Mitgliedstaaten gestaltet und (weitgehend) zugunsten der Inhaber gewerblicher Schutzrechte überschritten werden darf. Um den Eingriff in die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen gering zu halten, sind die Richtlinienbestimmungen notwendigerweise vage und unvollständig und enthalten sich einer materiellrechtlichen oder prozessualen Qualifikation. Funktion des UPCA und der zugehörigen Verfahrensordnung ist es hingegen, das Verfahren vor dem einheitlichen Patentgericht vollständig zu regeln, und zwar möglichst konkret, um sowohl Rechtssicherheit zu 356 

Supra § 16 Rn. 39 ff.

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gewährleisten als auch eine divergierende Auslegung der einzelnen Kammern zu vermeiden. Das UPCA übernimmt weitgehend die offenen Formulierungen der Durchsetzungsrichtlinie und enthält im Übrigen nur rudimentär verstreute Verfahrensregelungen. Die Aufgabe der Konkretisierung und Lückenfüllung kommt der Verfahrensordnung zu. Für die Verfasser der Verfahrensordnung bedeutet dies eine Gratwanderung zwischen Aufgabenerfüllung und Überschreitung der durch das UPCA gesteckten Grenzen, die durch einen einheitlichen Regelungstext hätte vermieden werden können. Hier seien nur einige Beispiele genannt: Die rügelose Einlassung des Beklagten auf das Verfahren begründet nach r. 19 Abs. 7 VerfO17 die Zuständigkeit der angerufenen Kammer. Ohne Frage handelt es sich hierbei um eine sachgerechte Regelung. Doch wirft die Zuweisung des Rechtsstreits durch die Verfahrensordnung an eine nach Art. 33 UPCA unzuständige Kammer begründete Zweifel an der Vereinbarkeit von Übereinkommen und Verfahrensordnung auf. Als einziger Ausweg bleibt ggf. die Subsumtion der rügelosen Einlassung unter die Bestimmung zur Prorogation gemäß Art. 33 Abs. 7 UPCA, d. h. die Wertung einer Klage und rügelosen Einlassung vor einer unzuständigen Kammer als Übereinkunft der Parteien über eine Klageerhebung bei der Kammer ihrer Wahl. Ähnliche Zweifel ergeben sich hinsichtlich der Rechtsfolgen einer Abwesenheit in der mündlichen Verhandlung,357 der Verfahrenssprache bei mehreren Amtssprachen im Staat der zuständigen Kammer,358 der Reichweite von Auskunftsanordnungen,359 der Möglichkeit, Zeugen und Sachverständige mit (vollstreckbaren) Ordnungsgeldern zu belegen,360 der Einführung neuer Tatsachen und Beweismittel in der Berufungsinstanz,361 der Verfügbarkeit von Instrumenten zur Sicherung von Beweisen, die sich nicht in der Sphäre des Verfahrensgegners befinden,362 des Absehens von der Anhörung des Antragsgegners in einstweiligen Verfügungs-, Arrest- und Beweissicherungsverfahren363 und der Frist zur Klageerhebung in der Hauptsache bei Anordnung einstweiliger Maßnahmen.364 Verbunden mit der Aufspaltung der Verfahrensregeln ist überdies ein demokratisches Defizit. Da die Verfahrensordnung des UPC entscheidenden 357 

Art. 37 Abs. 1 Satzung UPC, r. 116 VerfO17, supra § 18 Rn. 92. Art. 49 Abs. 1 UPCA, r. 14 Abs. 2 VerfO17. 359  Art. 67 UPCA, R. 191 VerfO17, supra Rn. 139 ff. 360  R. 179 Abs. 2, 188 VerfO17 sehen eine Option der Ordnungsgeldfestsetzung gegenüber Zeugen und Sachverständigen vor; Art. 82 Abs. 4 UPCA befugt das UPC lediglich zur Anordnung von Zwangsgeld gegenüber Parteien. 361  Art. 73 Abs. 4 UPC, r. 222 Abs. 2 VerfO17, supra Rn. 110. 362  Art. 60 Abs. 1 UPC, r. 196 Abs. 1 VerfO17, supra Rn. 151. 363  Art. 60 Abs. 5 UPCA, 61 Abs. 2, 62 Abs. 5 UPCA, r. 212 Abs. 1 VerfO17, supra Rn. 118. 364  Art. 60 Abs. 8, 61 Abs. 2, 62 Abs. 5 UPCA, r. 213 Abs. 1 VerfO17, supra Rn. 124. 358 



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Einfluss auf Erfolg oder Misserfolg des Patentgerichts nehmen kann, ist deren Entwicklung nach Unterzeichnung und (zumindest teilweiser) Ratifikation des Übereinkommens zu kritisieren.365 Gleiches gilt im Übrigen für die Festsetzung der Patenterteilungs- und Gerichtskosten. Angesichts der mangelnden Erfahrungswerte mit der Errichtung eines überstaatlichen Gerichts auf dem Gebiet des Privatrechts, welches über Kammern in unterschiedlichen Staaten verfügt, war es allerdings wichtig, die Möglichkeit einer flexiblen, zeitnahen Optimierung der Verfahrensordnung zu schaffen. Insofern ist die Zuweisung der Kompetenz zur Abänderung der Verfahrensordnung an den Verwaltungsausschuss des UPCA zu begrüßen.366

V. Lücken Das Ziel, eine vollständige Verfahrensordnung für den UPC zu formulieren, erreichen UPCA und der 15. Entwurf der Verfahrensordnung nicht. Als Beispiele für Lücken können genannt werden: das Anerkenntnis im gerichtlichen Verfahren; die Urteilsberichtigung; die Beweiskraft von Urkunden; die fehlende Ausgestaltung der Parteivernahme; die Ermittlung des Inhalts des subsidiär gemäß Art. 5 Abs. 3 und Art. 7 EPV anwendbaren Sachrechts (Behandlung als Rechts- oder Tatfrage?); die formalen Vorgaben für das nach Art. 52 Abs. 1 lit. h UPCA als Beweismittel zugelassene affidavit (in der englischen Übereinkommensfassung als beeidete schriftliche Erklärung, in der deutschen Textfassung unzutreffend als eidesstattliche Versicherung bezeichnet; unklar ist, welche Personen zur Abnahme des Eides befugt sein sollen). Das bedeutendste Versäumnis liegt in der fehlenden Regelung der Rechtskraft. Rule 362 VerfO17 bezeichnet „the principle of res judicata“ als absolutes Verfahrenshindernis, dessen Vorliegen das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen berechtigt, das Verfahren im Beschlusswege zu beenden. Das zugrundeliegende Rechtskraftkonzept bleibt indes völlig offen, was angesichts der Unterschiede in den Rechtsordnungen der Vertragsstaaten,367 u. a. in Bezug auf den Streitgegenstandsbegriff, den Umfang der Präjudizialität und die subjektive Rechtskraftwirkung, nur zu bedauern ist. Lediglich r. 312 Abs. 3 ­VerfO17 bestimmt, dass ein Rechtsnachfolger aufgrund rechtsgeschäftlicher Übertragung des Patents an die im Register eingetragenen Entscheidungen des UPC gebunden ist, sofern er sich geweigert hat, in ein zum Zeitpunkt der Übertragung geführtes Verfahren einzutreten. Immerhin enthält der 17. Entwurf der Verfahrensordnung mit der erzwungenen Intervention ein Instrument, das 365 

House of Commons, UPC, Rn. 169 ff.; Brandi-Dohrn, IIC 2012, 372 (386 f.). Eine Konsulation der Nutzer des Patentsystems, die zur Überarbeitung des Übereinkommens führen kann, ist gemäß Art. 87 Abs. 1 UPCA sieben Jahre nach dessen Inkrafttreten oder nach Abschluss von 2.000 Verletzungsverfahren vorgesehen. 367  Näher § 12 Rn. 70 ff. 366 

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auf Betreiben einer Partei die Bindung Dritter (Zulieferer, Lizenznehmer o.ä.) an das Prozessergebnis ermöglicht.

VI.  Breiter Ermessensspielraum der Kammern 188

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Nicht allein die berichteten Lücken, sondern auch unbestimmte Rechtsbegriffe und eine breite Ermessenszuweisung an die entscheidende Kammer bergen (zumindest anfangs) das Risiko eines erheblich divergierenden Verfahrens vor den in unterschiedlichen Vertragsstaaten angesiedelten Kammern.368 So wird interessant sein, welche Anforderungen die Londoner Lokalkammer bzw. die dortige Abteilung der Zentralkammer angesichts eines im UPCA fehlenden Äquivalents zur disclosure an die Bezeichnung eines Schriftstücks im Rahmen der Vorlageanordnung gemäß Art. 59 UPCA stellen werden und welche Konkretisierungsanforderungen demgegenüber die auf dem Kontinent befindlichen Kammern bzw. Abteilungen setzen werden. Ebenso mit Spannung zu erwarten ist die Antwort auf die Frage, ob sich die Lokalkammern bei der Behandlung der Nichtigkeitswiderklage (Trennungs- oder Verbundsystem) an der Tradition ihres Sitzstaates orientieren werden. Als weitere Beispiele für die Ermessensspielräume der Kammern sind zu nennen: die Zulassung von Beweismitteln und die Bedeutung der materiellen Rechtslage bei Entscheidungen im einstweiligen Rechtsschutz;369 die Option, über offensichtlich unzulässige oder unbegründete Klagen im Beschlusswege zu entscheiden;370 das Ermessen des Gerichts, bei Versäumen einer Verfahrensfrist oder Säumnis in der mündlichen Verhandlung ein Säumnisurteil zu erlassen;371 das Ermessen bei der Behandlung von Parteimehrheiten, Parteiwechseln und der Nebenintervention;372 der Spielraum hinsichtlich der Kostentragungspflicht der unterlegenen Partei373 sowie ganz allgemein das Ermessen bei der Verfahrensgestaltung und -leitung.374 Bereits jetzt werden im Schrifttum Spekulationen laut, einzelne Lokalkammern könnten sich durch eine klägerfreundliche Verfahrensgestaltung den Ruf eines attraktiven Forums sichern.375

368  Von einer Anknüpfung an die Verfahrensordnung des Sitzstaates der Kammer ausgehend Haedicke, GRUR Int. 2013, 609 (611). 369  R. 210 Abs. 2 VerfO17; Art. 62 Abs. 2 UPCA, Rule 211 Abs. 2, Abs. 3 VerfO17; supra Rn. 120 f. 370  R. 360 ff. VerfO17, supra Rn. 105. 371  Rule 116 Abs. 5, 355 VO17. 372  Supra Rn. 78 ff. 373  Nach Art. 69 Abs. 1 UPCA werden die Kosten „in der Regel, sofern sie zumutbar und angemessen sind“ von der unterlegenen Partei getragen, sofern Billigkeitsgründe dem nicht entgegenstehen. 374  Supra Rn. 84. 375  Schröer, GRUR Int 2013, 1102 (1109).



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VII.  Die fehlende Parteigerechtigkeit Das Verfahren vor dem UPC fußt angesichts der Bindung aller Mitgliedstaaten an Art. 6 EMRK grundsätzlich auf dem Grundsatz der Waffengleichheit. Im Vergleich zu den Regelungen der Durchsetzungsrichtlinie fällt auf, dass den Belangen des Beklagten des Verletzungsverfahrens mehr Aufmerksamkeit zuteil wurde. Dies betrifft beispielsweise die Pflicht zur full and frank disclosure bei Stellung eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Maßnahme im ex parteVerfahren, den eindeutig geregelte Zwang zur Erhebung der Hauptsacheklage nach Erlass einer einstweiligen Maßnahme, die rollenneutrale Gestaltung der Beweismittelvorlageanordnungen sowie den (aus hiesiger Sicht abzulehnenden) Schutz vor Selbstbezichtigung in Art. 59 Abs. 1 S. 2 UPCA. Andererseits ist die Frist für die Einlegung eines Widerspruchs gegen einen ohne Anhörung des Antragsgegners ergangenen Beschluss mit zehn Tagen nach Vollzug der Maßnahme unangemessen kurz. Die Zuständigkeitsordnung des UPCA ist von einer nicht akzeptablen Benachteiligung des vorgeblichen Patentverletzers geprägt. Während der Patentinhaber über weitreichende Möglichkeiten des forum shopping zwischen den einzelnen Kammern des UPC sowie der Möglichkeit eines opt-out mit späterem opt-in bezüglich Europäischer Bündelpatente verfügt, wird der negative Feststellungskläger allein auf das Forum der Zentralkammer verwiesen, welches ihm durch eine spätere Leistungsklage des Patentinhabers auch noch entzogen werden kann. Besonders betroffen ist der Beklagte des Verletzungsverfahrens zudem von den mangelhaft geregelten Schnittstellen zum nationalen Recht. Das UPCA erlaubt eine Durchführung des Verletzungsverfahrens unter Abspaltung der Bestandsfrage ebenso wie eine Vollstreckung der erstinstanzlichen Entscheidung trotz Anhängigkeit der Berufung. Die hieraus für den Beklagten resultierenden Risiken werden durch die vollkommen unzureichend ausgestaltete Kompensationsmöglichkeit im Falle der Aufhebung der Entscheidung nicht annähernd berücksichtigt. Auch soweit dem Kläger des Verletzungsverfahrens Einblick in interne Informationen des Beklagten gewährt werden, sind zwar Maßnahmen des Vertraulichkeitsschutzes vorgesehen, doch fehlt es an einem ausgereiften Sanktionssystem im Falle ihrer Verletzung.

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VIII. Fazit Aus der Perspektive der Parteien und des Europäischen Patentsystems ist die Errichtung des UPC ein mit hohen Chancen und Risiken behaftetes Wagnis, quasi eine Operation am offenen Herzen. Das Inkrafttreten des UPCA läutet eine Phase der Rechtsunsicherheit ein: Erstens ist die Vereinbarkeit des Patentpakets mit dem primären Unionsrecht nicht abschließend geklärt; zweitens

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steht die Auslegung des materiellen Rechts wie des Prozessrechts durch den UPC in den Sternen; drittens lässt sich die Wahrscheinlichkeit eines zeitverzögernden Vorabentscheidungsersuchens an den in Patentstreitsachen sachlich wenig kompetenten EuGH nicht vorhersagen; viertens sind die Kosten eines Gerichtsverfahrens derzeit nicht absehbar. Aufgrund einer in der Anfangsphase noch nicht konsolidierten Rechtsprechung des UPC, der parallelen Zuständigkeit des UPC und nationaler Gerichte betreffend Europäischer Bündelpatente in der Übergangsphase (einschließlich der Option des opt-out mit nachträglichen opt-in) sowie der verbleibenden Zuständigkeit nationaler Gerichte hinsichtlich nationaler Patente ist mit deutlich erhöhtem forum shopping zu rechnen: zwischen nationalen Gerichten untereinander, zwischen nationalen Gerichten und UPC sowie zwischen den unterschiedlichen Kammern des UPC. Das aus den skizzierten Unwägbarkeiten resultierende Risiko für die Parteien des Rechtsstreits bedarf keiner näheren Erläuterung; das Risiko für das Europäische Patentsystem ist mit wenigen Worten erklärt: Bietet der UPC auf Dauer besehen lediglich langsamen, kostenintensiven und schwer prognostizierbaren Rechtsschutz, könnte eine Flucht in die nationalen Patentsysteme einsetzen – zumal viele der derzeitigen Europäischen Bündelpatente ohnehin lediglich für drei bis fünf Vertragsstaaten erteilt sind. Scheitert der UPC, so könnte mit ihm auch das bislang äußerst erfolgreiche Europäische Patentübereinkommen ins Wanken geraten.376 Idealiter erweisen sich UPCA und die Verfahrensordnung des UPC als stabile Basis für die Entwicklung eines starken, unabhängigen und höchst kompetenten einheitlichen Patentgerichts, welches die Vorteile verschiedener traditioneller Patentstreitorte kombiniert, forum shopping minimiert und Parallelverfahren ausmerzt. Hierbei könnten die an traditionellen Patentstreit­ orten errichteten Lokalkammern vom guten Ruf und der großen Erfahrung der nationalen Justiz profitieren, während der Wissenstransfer innerhalb der (national gemischten) Lokal- und Regionalkammern das Erstarken neuer Patentstreitorte ermöglichte. Aus der Perspektive des europäischen Zivilverfahrensrechts ist die Errichtung des UPC ein höchst spannendes Projekt. Aller Kritik im Detail zum Trotz: Zum ersten Mal liegt hier eine weitgehend vollständige europäische Verfahrensordnung vor. Vorbehaltlich der oben geäußerten Zweifel zur Vereinbarkeit des UPCA mit dem Unionsrecht wird dieser Verfahrensordnung nicht das Schicksal beschieden sein, in Bücherregalen zu verstauben, vielmehr wird ihr ein überstaatliches Gericht Leben einhauchen. Selbstverständlich ist das Konzept des UPC und der zugehörigen Verfahrensordnung auf die 376 Treffend

all“.

Jaeger, IIC 2012, 286 (305): „a bad court would be worse than no court at



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Besonderheiten des Patentrechtsstreits zugeschnitten und lässt sich nicht unbesehen auf andere Verfahren übertragen (Stichwort bürgerferne Justiz, Anwaltszwang, starre Fristen, hohe Anforderungen an frühzeitigen Vortrag, Einschränkung des Mündlichkeitsprinzips). Dennoch bieten die lokale Verankerung der Kammern, die Errichtung einer zentralen Berufungsinstanz sowie die durch die Verfahrensordnung eingeräumten Ermessensspielräume die Chance, innerhalb des Gerichts gemeineuropäische Verfahrensprinzipien zu entwickeln und in die nationalen Verfahrensordnungen zurückzutragen. Die Vorstellung etwa, dass sich die verhärteten Fronten zwischen Trennungs- und Verbundsystem in den Rechtsordnungen der Vertragsstaaten durch die Entwicklung einer einheitlichen Praxis der Lokalkammern lösen könnten, bedarf keiner großen Phantasie. Time will tell.

5. Teil

Thesen

§ 19  Thesen 1 Art. 81 AEUV verleiht der Europäischen Union eine umfassende Rechtsetzungskompetenz auf dem Gebiet der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen mit grenzüberschreitendem Bezug. Der grenzüberschreitende Bezug der auf diese Kompetenz gestützten Rechtsakte muss prinzipiell bereits im Zeitpunkt ihrer Anwendung vorliegen. Nicht ausreichend ist ein rein hypothetisch grenzüberschreitender Bezug, z. B. eine unionsrechtliche Regelung des Erkenntnisverfahrens allein aufgrund der Möglichkeit, die gerichtliche Entscheidung zu einem späteren Zeitpunkt im Ausland zu vollstrecken.

2 Die Regelung des Zivilverfahrensrechts ohne grenzüberschreitenden Bezug fällt in die Domäne der Mitgliedstaaten. Die allgemeine Binnenmarkt­ kompetenz des Art. 114 AEUV bietet im Regelfall keine tragfähige Basis für zivilverfahrens­rechtliche Unionsrechtsakte, da das primär zweckorientierte Zivilverfahrensrecht keine unmittelbaren Auswirkungen auf den Wettbewerb im Binnenmarkt zeitigt, sondern höchstens reflexiv Marktbedingungen setzt. Art. 118 AEUV vermittelt der Union allerdings die Befugnis zum Erlass von Normen, welche die prozessualen Bedingungen der Durchsetzung von einheitlichen europäischen Rechtstiteln des geistigen Eigentums gestalten. Die weitreichende Außenkompetenz der Staatengemeinschaft auf dem Gebiet des Gewerblichen Rechtsschutzes gemäß Art. 207, 216 AEUV erlaubt der Union ferner, die Mitgliedstaaten im Wege des Abschlusses völkerrechtlicher Übereinkommen zur Umsetzung zivilprozessualer Standards zu verpflichten.

3 Die Richtlinie 2004/48/EG zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums ist kein geeignetes Instrument zur Förderung des Binnenmarkts. Ohne Zweifel ist der Europäische Justizraum hinsichtlich der Durchsetzung gewerb-

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§ 19  Thesen

licher Schutzrechte fragmentiert, doch eignen sich die Bestimmungen der Richtlinie nicht, um dieser Fragmentierung entgegenzuwirken. Die Gründe hierfür sind vielfältig: Erstens adressiert die Richtlinie nicht die wesentlichen justiziellen Faktoren für die Bevorzugung bestimmter Foren durch die Parteien. Zweitens verfolgt die Richtlinie einen Mindestharmonisierungsansatz. Drittens sind zentrale Richtlinienbestimmungen unklar formuliert, verwenden unbestimmte Rechtsbegriffe und räumen den Gerichten der Mitgliedstaaten weites Ermessen ein. Schließlich sind die Mitgliedstaaten bemüht, die durch die Richtlinie erforderlichen Neuerungen möglichst systemkonform in das nationale Recht zu integrieren. Der Harmonisierungserfolg beschränkt sich deshalb auf einen gemeinsamen Grundbestand bestimmter Instrumente, der keine positiven Akzente für das Funktionieren des Binnenmarkts zu setzen vermag.

4 Zur Stärkung der prozessualen Position der Inhaber gewerblicher Schutzrechte leistet die Durchsetzungsrichtlinie einen Beitrag, indem die Mitgliedstaaten zur Bereithaltung von Instrumenten des einstweiligen Rechtsschutzes und des Zugangs zu Informationen aus der Sphäre der gegnerischen Partei verpflichtet werden. Der in Verfahren des gewerblichen Rechtsschutzes wichtige Aspekt des Vertraulichkeitsschutzes wird in Ansätzen berücksichtigt. Eine Abstraktion des Prozessrechts vom materiellen Recht ist der Richtlinie fremd, allein bereits deshalb, weil die in ihr vorgegebenen Maßnahmen nicht materiell- oder prozessrechtlich qualifiziert werden. Konsequenz der hieraus resultierenden Materialisierung des Prozessrechts ist einerseits eine nicht ausreichende Berücksichtigung der Position des Beklagten, d. h. des vorgeblichen Schutzrechtsverletzers. Andererseits sind die systemstörenden Auswirkungen auf das Rechtsschutzsystem der Mitgliedstaaten erheblich, sofern sich der nationale Gesetzgeber gegen eine überschießende Richtlinienumsetzung entscheidet: Die Richtlinie verbessert die prozessualen Durchsetzungsbedingungen des materiellen Rechts des geistigen Eigentums und bevorzugt Schutzrechtsinhaber gegenüber anderen Rechtsschutzsuchenden im Zivilverfahren ohne überzeugende Rechtsfertigung.

5 Mangels einer ausreichenden Harmonisierungswirkung der Durchsetzungsrichtlinie bedarf es in grenzüberschreitenden Verfahren zur Durchsetzung gewerblicher Schutzrechte weiterhin der Bestimmung des anwendbaren Rechts.



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Der Verweisungsumfang der nach Art. 8 Rom II-VO zu Anwendung berufenen lex loci protectionis ist gemäß Art. 15 lit. d Rom II-VO relativ weit und könnte sich auf nahezu alle in der Durchsetzungsrichtlinie enthaltenen Materien erstrecken. Praktikabilitätserwägungen sprechen für eine restriktive Auslegung des Art. 15 lit. d Rom II-VO: Angesichts der durch die Durchsetzungsrichtlinie gesicherten abstrakten Verfügbarkeit äquivalenter Instrumente in allen Mitgliedstaaten der Union sollte hinsichtlich der in Art. 6 bis 9 DRL geregelten Maßnahmen der Grundsatz forum regit processum Anwendung finden.

6 Das nationale Zivilverfahrensrecht ist auf die jeweilige nationale Organisation der Gerichtsbarkeit und Rechtspflege abgestimmt, leistet durch seine innere Einheit und Rechtsklarheit einen Beitrag zur effektiven Justizgewähr und verhält sich  – zahlreicher Bezugspunkte unbenommen  – prinzipiell abstrakt zu den Normen des materiellen Rechts. Unionsrechtliche Eingriffe in die Prozessordnungen der Mitgliedstaaten (so sie sich denn auf eine Kompetenzgrundlage stützen lassen) müssen deshalb erstens ausreichend Spielraum für die Einpassung in die nationale Rechtspflege und Prozessordnung belassen und zweitens die Harmonisierung aus prozessualer, nicht aus materiellrechtlicher Perspektive vornehmen. Die erste Maßgabe impliziert eine geringe Harmonisierungsintensität, welche die Sinnhaftigkeit der Rechtsvereinheitlichung in Frage stellt. Aus der zweiten Maßgabe resultiert eine Absage an eine sektorspezifische Prozessrechtsharmonisierung. Soweit der Unionsgesetzgeber den Weg der sektorspezifischen Harmonisierung weiter verfolgt, bedarf es einer umfassenden Reflektion der prozessualen Grundentscheidung unabhängig vom spezifischen Kontext, welche die Interessen beider Prozessparteien gleichermaßen berücksichtigt.

7 Die Verordnungen auf dem Gebiet des internationalen Zivilverfahrensrechts bauen vormals bestehende völkerrechtliche Hindernisse für die Justizgewähr mit Auslandsbezug ab. Es handelt sich um Vollharmonisierungsmaßnahmen, welche auf einer eindeutigen Rechtsetzungsbefugnis der Union beruhen, die Einheit der nationalen Prozessordnungen aufgrund ihrer Spezifität nicht tangieren und sich weitgehend abstrakt zum materiellen Recht verhalten. Die justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen und die Effektivität des Rechtsschutzes mit Auslandsbezug konnte durch diese Verordnungen deutlich gestärkt werden, auch wenn durchaus weiteres Optimierungspotential besteht.

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8 Das traditionelle Ziel des Abbaus von Schranken der innereuropäischen Justizgewähr hatte zur Folge, dass die Harmonisierung des internationalen Zivilverfahrensrechts von Seiten der Europäischen Kommission vorrangig aus der Perspektive der Rechtsdurchsetzung, d. h. aus der Perspektive des (vorgeblichen) Gläubigers betrachtet wird. Regelungen zum Schutz des Beklagten oder Urteilsschuldners sind oftmals Überreste geschleifter völkerrechtlicher Bastionen. Angesichts der bereits erzielten Erfolge bei der justiziellen Zusammenarbeit sollte der Focus der gesetzgeberischen Tätigkeit künftig nicht mehr vorrangig auf Effektivität, sondern auf eine adäquate Berücksichtigung der Parteiinteressen gelegt werden. Dies bedeutet eine Identifikation der für beide Parteien mit einem grenzüberschreitenden Rechtsstreit verbundenen typischen Risiken und eine Entwicklung passender Lösungsstrategien. Die Klaviatur möglicher Regelungen ist an die Schnittstellen zum übrigen Verfahrensrecht anzupassen. In Betracht kommt die Einführung unionsautonomer, das nationale Recht verdrängender Instrumente ebenso neben das autonome Recht tretende Standardisierungserfordernisse bei Prozesshandlungen, die ausländische Parteien betreffen, sowie schließlich die Einführung bzw. Erweiterung gegenseitiger Kooperationspflichten zur Förderung ausländischer Prozesse.

9 Die große Aktivität des Unionsgesetzgebers auf dem Gebiet des internationalen Zivilverfahrensrechts steht in einem deutlichen Kontrast zu der Scheu, rechtspolitisch strittige Detailfragen einer Regelung zuzuführen. Die Entwicklung von Lösungsansätzen wird häufig dem Europäischen Gerichtshof überantwortet, welcher angesichts der mit einem Vorabentscheidungsersuchens verbundene Beschränkungen nur zu Teilaspekten eines Regelungskomplexes Aussagen treffen kann. In späteren Reformzyklen werden diese Lösungsansätze vom Unionsgesetzgeber regelmäßig festgeschrieben, wobei eine Überprüfung der inhaltlichen Angemessenheit, eine Kontrolle der zutreffenden dogmatischen Einordnung sowie die Regelung von Folgefragen oftmals unterbleibt.

10 Die Verordnungen zum Internationalen Zivilverfahrensrecht werden in regelmäßigen Zyklen isolierten Evaluations- und Revisionsverfahren unterzogen. Dieser isolierte Reformprozess wird dem immer dichter gewebten Netz des eu-



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ropäischen Zivilverfahrensrechts nicht gerecht: Querverbindungen zwischen den Verordnungen sowie Erkenntnisse aus früheren Reformprozessen anderer Verordnungen werden übersehen, Konsolidierungsbedarf entsteht. Für eine umfassende Kodifikation des Internationalen Zivilverfahrensrechts ist es derzeit zu früh, zumal angesichts der wünschenswerten Erweiterung der Perspektive des Unionsgesetzgebers auf die Interessen beider Parteien im Prozess. Der Erlass einer einheitlichen Verordnung, die sich im Wesentlichen auf eine Kompilation der bisherigen Verordnungen beschränkt, könnte zumindest eine Konsolidierung des europäischen Zivilverfahrensrechts bewirken, ist aber mit den Risiken einer Versteinerung und einer höheren Schwerfälligkeit künftiger Reformen verbunden. Kurzfristig empfehlen sich deshalb Reformpakete, welche in enger Verbindung stehende Verordnungen einem einheitlichen Revisionsprozess unterziehen.

11 Seine Aufgabe als Hüter des Unionsrechts kann der Europäische Gerichtshof bei Rechtsakten zivilprozessualer Natur nur in begrenztem Umfang wahrnehmen, weil den Bestimmungen des Zivilverfahrensrechts für die Entscheidung in der Sache vielfach lediglich mittelbare Bedeutung zukommt. Zwar legt der Gerichtshof Art. 267 AUEV weit aus, um den Dialog mit den Gerichten der Mitgliedstaaten über verfahrensrechtlich Normen zu ermöglichen. Doch ist die Dialogbereitschaft der mitgliedstaatlichen Gerichte gering, sofern die Relevanz der Auslegungsfrage für die Entscheidung in der Sache nicht feststeht. Die vorlageverpflichteten letztinstanzlichen Gerichte sind demgegenüber meist nur begrenzt zur Kontrolle der Anwendung von Verfahrensvorschriften durch unterinstanzliche Gerichte berechtigt. Die EuVTVO begrenzt den Rechtsschutz des Urteilsschuldners gegen die Bestätigung einer Entscheidung als Europäischer Vollstreckungstitel und erhöht so das Risiko eines unterbleibenden Vorabentscheidungsersuchens. Schließlich eignet sich das Vorabentscheidungsersuchen zur Klärung von Fragen des einstweiligen Rechtsschutzes inklusive der Beweissicherung kaum, da es selbst in seiner beschleunigten Variante zeitintensiv und schwer mit einem Überraschungseffekt zu vereinbaren ist.

12 Die Natur des Vorabentscheidungsersuchens als Zwischenstreit des Ausgangsverfahrens erweitert sich im zivilprozessualen Kontext. Ersucht ein letztinstanzliches Gericht den EuGH um Vorabentscheidung im Zuge der Prüfung

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§ 19  Thesen

von Verfahrensmängeln unterer Instanzen, so kommt dem Vorlageverfahren die Natur eines mittelbaren Kassationsverfahrens zu. Besteht demgegenüber keine oder eine noch unklare Relevanz der Rechtsfrage für die Entscheidung des Ausgangsverfahrens, kommt das Vorabentscheidungsersuchen einem abstrakten Normauslegungsverfahren gleich. Dies ist insbesondere der Fall, wenn Umfang und Grenzen der mitgliedstaatlichen Kooperationspflichten im Wege der Rechtshilfe in Rede stehen. Ein Urteil des EuGH zu EuBVO oder EuZVO kann zweifellos die Effektivität des Justizverkehrs in der Union beflügeln, für die Parteien des Ausgangsrechtsstreits erweist sich die erneute Vornahme einer Prozesshandlung, ein Ausweichen auf alternative Prozesshandlungen oder die Übernahme bestimmter Kosten im Einzelfall meist als effektiver, wie die Rechtssache Weryński belegt: Was bedeutet die Übernahme von 40 EUR Zeugenentschädigung gegenüber dem zeitlichen und finanziellen Aufwand für ein Verfahren vor dem EuGH?

13 Ein dritter Regelungsansatz neben der (sektoriellen) Harmonisierung des nationalen Verfahrensrechts und der Vereinheitlichung des internationalen Zivilverfahrensrechts ist die Errichtung einer einheitlichen Unionsgerichtsbarkeit für Zivilsachen mit einer eigenen Verfahrensordnung. Eine einheitliche Gerichtsbarkeit ist (mindestens in zweiter Instanz) notwendigerweise bürgerfern und deshalb nicht für alle Streitsachen praktikabel und angemessen. Einheitlichen und vorhersehbaren Rechtsschutz kann eine zentrale Gerichtsbarkeit nur anbieten, wenn die Verfahrensordnung durch Vollständigkeit, Rechtsklarheit und geringe Ermessensspielräume des entscheidenden Gerichts geprägt ist. Die Ausarbeitung der Schnittstellen zum nationalen Verfahrensrechts bedürfen besonderer Sorgfalt, die Spezialisierung auf bestimmte Streitsachen darf nicht zu einer Vernachlässigung des Grundsatzes der Waffengleichheit führen. Mit welchen Schwierigkeiten und Herausforderungen diese Aufgabe verbunden ist, illustrieren die Bemühungen zur Errichtung eines einheitlichen Patentgerichts (mit seinen zahllosen Vorläufern) und die Arbeiten zur Entwicklung einer einheitlichen Verfahrensordnung.

14 Konkurriert die zentrale Gerichtsbarkeit mit der nationalen Gerichtsbarkeit, ist mit forum shopping zwischen den verschiedenen Justizzweigen zu rechnen. Angesichts der bereits durch die EuGVO vermittelten Wahlmöglichkeiten der Parteien bzw. des Klägers zwischen verschiedenen Foren mit all ihren Vor- und



§ 19  Thesen

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Nachteilen ist zweifelhaft, ob eine zusätzliche Rechtsschutzspur der Unionsgerichtsbarkeit sinnvoll ist. Sollen bestimmte Rechtssachen ausschließlich der zentralen Unionsgerichtsbarkeit zugewiesen werden, bedarf es hierfür angesichts der Einschränkung der prozessualen Parteiautonomie, der bürgerfernen Justizgewähr und der im Vergleich zu den Justizsystemen der Mitgliedstaaten gegebenenfalls geringeren Effektivität bzw. höheren Verfahrenskosten einer besonderen Rechtfertigung. Die ausschließliche Zuständigkeit des einheitlichen Patentgerichts findet ihre Legitimation darin, dass erstens im gegenwärtigen System kein mitgliedstaatliches Gericht zur umfassenden Lösung eines grenzüberschreitenden Patentkonflikts im Binnenmarkt befugt ist, zweitens das einheitliche Patentgericht vorrangig über Einheitsrecht befindet und drittens für die ebenso technisch wie juristisch schwierige Materie eine besondere Spezialisierung und Erfahrung des Gerichts vorteilhaft ist. Es sind wenig andere Materien denkbar, bei denen ähnliche Aspekte die ausschließliche Zuständigkeit einer zentralen Gerichtsbarkeit sachgerecht erscheinen lassen.

15 Die Zukunft des europäischen Zivilverfahrensrechts liegt in der Regelung des Zivilverfahrens mit grenzüberschreitenden Bezügen. Die Errichtung des Einheitlichen Patentgerichts ist ein spannender Modellversuch, der sich im Erfolgsfalle gegebenenfalls auf andere einheitliche Rechtstitel des Unionsrechts ausweiten lässt. Sowohl den Unionsrechtsakten des Internationalen Zivilverfahrensrechts als auch der Verfahrensordnung des einheitlichen Patentgerichts kann eine Modellfunktion zukommen, die positive, harmonisierende Rückwirkungen auf die nationalen Verfahrensrechte nimmt. Hingegen ist der mit der Durchsetzungsrichtlinie verfolgte alternative Regelungsansatz einer sektoriellen Harmonisierung des Binnenprozessrechts aus der Perspektive materieller Rechtspositionen weder von der Kompetenzordnung innerhalb der Europäischen Union gedeckt noch empfehlenswert.

16 Für die Wissenschaft bietet das europäische Zivilverfahrensrecht weiterhin ein spannendes Feld. Künftige Forschungsaufgaben liegen in einer kritischen Begleitung der sich entfaltenden Verfahrenspraxis vor dem Einheitlichen Patentgericht, der Anregung konkreter Maßnahmen zur Konsolidierung der existierenden Unionsrechtsakte sowie der Entwicklung von Impulsen für eine Perspektiverweiterung im europäischen Internationalen Zivilverfahrensrecht.

Anhang

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Das englische Zivilverfahrensrecht A. Rechtsquellen Das englische Zivilverfahrensrecht ist nur in sehr geringem Maße durch Parlamentsgesetze geprägt und geht in seiner heutigen Form zurück auf die sogenannten Woolf Reforms. Im Jahr 1994 hatte der damalige Lord Chancellor James Mackay den Master of the Rolls1, Lord Woolf, beauftragt, die unterschiedlichen Verfahrensordnungen der County Courts und des Supreme Courts zu vereinheitlichen und zu reformieren. Zwei Jahre später veröffentlichte Lord Woolf seinen Access to Justice Report,2 der als wesentliche Ziele der Reform die Beschleunigung und höhere Kosteneffizienz von Zivilverfahren sowie eine bessere Verständlichkeit des Verfahrensrechts für den Laien definierte. Der Civil Procedure Act (CPA) 1997 übertrug die Befugnis zu Entwurf und Weiterentwicklung der Civil Procedure Rules (CPR) für County Courts, High Court und für die Zivilabteilung des Court of Appeal einem 16-köpfigen Komitee, das aus hochrangigen Richtern und Anwälten sowie zwei Laien besteht.3 Die CPR 1998 traten am 26. April 1999 als sog. secondary legislation in Kraft,4 wurden aber seitdem kontinuierlich weiterentwickelt bzw. angepasst. Sie werden ergänzt durch sogenannte Practice Directions (PD), welche die einheitliche Handhabung der CPR erleichtern und zur Verständlichkeit der Regeln beitragen sollen.5 Die Befugnis zum Erlass der Practice Directions liegt 1 Der Master of the Rolls ist der Präsident der Zivilabteilung des Court of Appeal, zweithöchster Richter in Großbritannien; Lord Woolf wurde später zum Lord Chief Justice of England and Wales ernannt (2000–2005). 2  Lord Woolf, Access to Justice, Juli 1996, verfügbar unter . Zu den durch die Reform bedingten Änderungen für IP-Rechtssachen siehe Lubbock, EIPR 1997, 385 ff. 3 Die aktuelle personelle Zusammensetzung des Rule Committee ist ersichtlich auf

4  Jedes der Häuser des Parlaments behält die Befugnis, die CPR mittels einer Resolution zu annullieren, vgl. s. 3 Abs. 2 CPA 1997. 5 Die Practice Directions sind grundsätzlich verbindlich, können aber im Rahmen der richterlichen Befugnis zur Verfahrensleitung nach CPR 3.1 im Einzelfall variiert werden, vgl. Bovale v Secretary of State for Communities and Local Government, [2009] 1 WLR 2274 (2285 f.) (CA).

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beim Lord Chief Justice,6 welcher diese Aufgabe freilich regelmäßig delegiert.7 Zur besseren Verständlichkeit der Vorgehensweise des Gerichts geben ferner die einzelnen Abteilungen des High Court eigene Anleitungen ohne rechtsverbindlichen Charakter heraus.8 Eine echte Rechtsquelle bilden hingegen Gerichtsentscheidungen, die zur Auslegung der CPR ergangen sind.9 Präjudizien vor Erlass der CPR haben ihren bindenden Charakter verloren, können aber nach wie vor als argumentative Hilfe herangezogen werden, soweit sich das frühere Prozessrecht in den neuen Regeln widerspiegelt.10

B.  Leitbild der Civil Procedure Rules 3

CPR 1.1(1) enthält das Leitbild der neuen Prozessregeln: „These Rules are a new procedural code with the overriding objective of enabling the court to deal with cases justly and at proportionate cost.“

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Konkretisierend nennt das Gesetz als Prozessmaximen die Waffengleichheit der Parteien, eine schnelle und faire Erledigung der Rechtssache, den Grundsatz der Kostensparsamkeit sowie die Verhältnismäßigkeit der prozessualen Maßnahmen im Hinblick auf die Bedeutung und Komplexität des Falles, die finanziellen Verhältnisse der Parteien und die Ressourcen des Gerichts. Um diesen Zielen gerecht zu werden, sehen die CPR die Befugnis des Gerichts zum aktiven case management, d. h. der Prozessleitung vor. Diese Abkehr vom uneingeschränkten Adversarial Principle wird allgemein als größte Innovation der CPR im Vergleich zum vormaligen System angesehen,11 auch wenn der Erfolg in der praktischen Umsetzung teilweise bezweifelt wird.12 Im Rahmen des case management obliegt es dem Gericht, eine gütliche Einigung der Parteien zu begünstigen, die relevanten Fragen des Prozesses und die angemessene Reihenfolge ihrer Behandlung zu identifizieren sowie den Prozess schnell und kosteneffizient zur Erledigung zu bringen, wozu auch Entschei6 Der

Lord Chief Justice ist der Präsident des Supreme Courts of the United Kingdom, ranghöchster Richter Großbritanniens. 7  Part 1, Schedule 1 Constitutional Reform Act 2005. 8 Siehe bspw. Patents Court Guide sowie den Intellectual Property Enterprise Court Guide, verfügbar jeweils unter . Zur fehlenden Rechtsverbindlichkeit dieser Anleitungen vgl. Bovale v Secretary of State for Communities and Local Government, [2009] 1 WLR 2274 (2287 f.) (CA). 9 Zweifelnd Dwyer (CPR 1.1(1)) in Dwyer, CPR, S. 69: „The significance of case law, however, may now be to develop consistency of approach rather than binding precedents“. 10 Näher Dwyer (CPR 1.1(1)) in Dwyer, CPR, S. 66 ff m. w. N. 11  Dwyer (Introduction) in Dwyer, CPR, S. 10; Turner in Dwyer, CPR, S. 82 ff.; Zuckerman in Dwyer, CPR, S. 106; Andrews, Civil Procedure, Rn. 2.27. 12 Näher Parkes in Dwyer, CPR, S. 440 ff.



C.  Zuständigkeit der Gerichte

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dungen im summarischen Verfahren zählen können. CPR 3.3 erlaubt dem Gericht ferner, Anordnungen von Amts wegen zu treffen. Gleichwohl kommt den Parteien nach wie vor eine entscheidende Rolle bei der Verfahrensgestaltung zu. Auch sie sind nach CPR 1.3 verpflichtet, das overriding objective der gerechten Streiterledigung zu fördern. Von den Parteien wird erwartet, Anregungen zur Prozessführung zu geben und sich bereits im Vorfeld einer gerichtlichen Anordnung über den prozessualen Ablauf zu einigen (etwa im Hinblick auf die Eröffnung des gegenseitigen Zugangs zu Beweismitteln oder den Verlauf der Hauptverhandlung).13

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C.  Zuständigkeit der Gerichte Die Zivilgerichtsbarkeit wird in England und Wales im Wesentlichen14 von den ca. 220 County Courts sowie dem High Court of Justice ausgeübt. Letzterer hat seinen Sitz in London, verfügt aber über Bezirks-Registraturen, in welchen grundsätzlich gleichfalls Verfahren durchgeführt werden können.15 Die praktische Umsetzung wird dadurch erleichtert, dass viele Richter am County Court als stellvertretende Richter am High Court designiert sind, folglich im gleichen Gebäude in unterschiedlicher Funktion tätig werden können.16 Die sachliche Zuständigkeit zwischen High Court und County Courts ist nicht klar abgegrenzt, vielmehr kommt dem Kläger bei vielen Rechtssachen die Wahl zu, vor welchem Gericht er das Verfahren einleitet.17 Die Gerichte sind befugt, die Rechtssache auf Antrag oder von Amts wegen an ein anderes Gericht zu verweisen.18 Dabei gilt der Grundsatz, dass Verfahren mit einem Streitwert von unter 25.000  £ in den County Courts verhandelt werden, ab einem Streitwert von 50.000 £ ist prinzipiell eine Prozessführung vor dem High Court sachdienlich.19 Relevant sind aber auch andere Faktoren, beispielsweise die Komplexität des Rechtsstreits oder das öffentliche Interesse an diesem.20 Klagen, die auf Zahlung einer spezifizierten Geldsumme gegen eine natürliche Person gerichtet sind, werden grundsätzlich an das Gericht am Wohnsitz des 13  Dieser Ansatz hat sich in der Praxis als erfolgreich erwiesen, siehe Turner in Dwyer, CPR, S. 83. 14  Die Zuständigkeit der Magistrates’ Courts konzentriert sich auf das Strafrecht, doch verfügen diese Gerichte auch über gewisse Kompetenzen im Zivilrecht, insbesondere im Familienrecht. 15  Siehe auch Patents Court and Patents County Court Guide, No. 5. 16  S. 9 SCA 1981; siehe Bean/Parry/Burns, Injunctions, Rn. 1–18. 17  S. 4 Jurisdiction Order 1991. 18  CPR 30.2. 19  S. 7(3) Jurisdiction Order 1991. 20  S. 7(5) Jurisdiction Order 1991, CPR 30.3.

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Beklagten verwiesen. Im Übrigen bestimmt sich auch die örtliche Zuständigkeit nach Angemessenheit.21 Für gewerbliche Schutzrechte bestehen wesentliche Abweichungen von diesen Grundsätzen: Verfahren, die Patente und registrierte Geschmacksmuster betreffen oder hiermit im Zusammenhang stehen, werden vor dem Patents Court verhandelt, der eine Unterabteilung der Chancery Division des High Court ist.22 Um den High Court zu entlasten, wurde im Jahr 1990 der Patents County Court (PCC) in London errichtet,23 welcher im Oktober 2013 in Intellectual Property Enterprise Court (IPEC) umbenannt und in den High Court eingegliedert wurde.24 Der IPEC ist mit einem einzigen Richter besetzt ist, dem enterprise judge.25 Patents Court und IEPC sind gleichfalls die designierten Gemeinschaftsgeschmack­mustergerichte.26 Grundsätzlich besteht auch hier die Erwartung, dass komplexere Fälle vor dem High Court verhandelt werden, doch werden darüber hinaus die Größe und finanzielle Position der Parteien und die erforderliche Art der Beweisaufnahme berücksichtigt.27 Im Jahr 2011 wurde ferner die Höchstgrenze für durch den IPEC zusprechbaren Schadensersatz auf 500.000 £ festgesetzt.28 Der Intellectual Property Enterprise Court verfügt im Wesentlichen über identische Kompetenzen wie der Patents Court, inklusive der Befugnis zum Erlass von freezing injunctions und search orders, allerdings entscheidet er nicht über Berufungen gegen Entscheidungen des Intellectual Property Office (IPO).29 Die Attraktivität des Intellectual Property Enterprise Court besteht im fehlenden Anwaltszwang sowie in der Tatsache, dass (im Gegensatz zum High Court) sowohl Patentanwälte als auch solche solicitors die Parteien als Anwälte vertreten dürfen, die keine Zulassung für die Prozessvertretung vor höheren 21 

CPR 26.2, 26.2A(3), (5)2.3; Sime, Civil Procedure, Rn. 14.06. S. 61 Abs. 1, 130 Abs. 1 Patents Act 1977; s. 27 Registered Designs Act 1949. 23  Ermächtigungsgrundlage ist s. 287(1) Copyright, Designs and Patents Act 1988 (CDPA 1988). 24  CPR 63.1 (2) (g); r. 20, 26, 30 The Civil Procedure (Amendment No.7) Rules 2013. 25  CPR 63.1 (2) (h). 26  R. 2 Abs. 1 The Community Designs (Designation of Community Design Court) Regulation 2005. 27  S. 289(2) CDPA 1988; Patents County Court guide, S. 8. Näher ALK-Abello v Meridian Medical Technologies, [2010] EWPCC 014, Rn. 23 ff. (PCC), Environmental Recycling Technologies v Stillwell, [2012] EWHC 2097, Rn. 30 ff. (Pat); Destra Software v Comada (UK), [2012] EWPCC 39, jeweils m. w. N. Empirische Daten bei Helmers/McDonagh, Patent Litigation, S. 26. 28  S. 288 CDPA 1988 i. V. m. The Patents County Court (Financial Limits) Order 2011. Eine gegenseitige Verweisungsbefugnis zwischen High Court und IPEC besteht auch hier, vgl. s. 289 CDPA 1988; allerdings kann der Patents Court Verfahren vor dem IPEC nicht an sich ziehen. Zur Zuweisung siehe näher Chaplin Patents Holdings Co v Lotus, [Westlaw] (CA); Terrell on Patents, Rn. 18–05 ff. 29  CPR 63.16(2). 22 



D.  Vorprozessuales Verhalten

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Gerichten besitzen.30 Dies stellt einen nicht zu vernachlässigenden Kostenvorteil dar, der insbesondere kleinen und mittleren Unternehmen zugutekommen soll.31 Seit Oktober 2012 ist auf Antrag einer der Parteien ferner ein small claims track vor dem IPEC verfügbar (siehe Rn. 27). Schließlich können die Parteien gemäß s. 61 Abs. 3 des Patents Act 1977 vereinbaren, dass der Präsident des IPO über die Verletzung eines Patents entscheidet.32 Diese Möglichkeit wird freilich wenig genutzt,33 da der Präsident des IPO nur Feststellungen zur Rechtsverletzung treffen und Schadensersatzansprüche zusprechen kann, aber nicht befugt ist, die im Patentrecht wichtigen Anordnungen zur Unterlassung einer Patentverletzung oder zur Herausgabe und Vernichtung rechtsverletzenden Materials zu erlassen, geschweige denn eine search order oder eine freezing injunctions anzuordnen. Verfahren, die andere gewerbliche Schutzrechte betreffen, können gleichfalls im Intellectual Property Enterprise Court und der Chancery Division des High Court, ferner in weiteren ausgewählten County Courts eingeleitet werden.34 Diese Gerichte sind zudem die designierten Gemeinschaftsmarkengerichte.35 Search order und freezing injunction können allerdings nur vom High Court bzw. dem Intellectual Property Enterprise Court erlassen werden.36

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D.  Vorprozessuales Verhalten Die CPR enthalten für bestimmte Streitsachen sogenannte pre-action protocols, welche das vorprozessuale Verhalten der Parteien leiten und eine gütliche Streitbeilegung fördern sollen. Mangels eines speziellen Protokolls für IP30  S. 292 (1) CDPA 1988; Memminger-IRO v Trip-lite, [1992] RPC 210 (220 f.) (CA); Ford, EIPR 1990, 435 (436). Zur Prozessvertretung durch solicitors vor höheren Gerichten siehe die Solicitors‘ Higher Rights of Audience Regulations, verfügbar unter . 31  Chaplin Patents Holdings Co v Lotus, [Westlaw] (CA); Ford, EIPR 1990, 435. Dennoch wird die Möglichkeit einer Klageerhebung vor dem Intellectual Property Enterprise Court wenig genutzt, siehe zu den Gründen Luginbühl, European PatL, S. 34 f. m. w. N. 32  Nach s. 74A und 74B des Patents Act 2004 besteht ferner die Möglichkeit, beim Präsidenten des IPO eine nicht-bindende Meinung über die Gültigkeit eines Patents einzuholen; hierzu näher Bainbridge, IP Law, S. 495. 33  Bently/Sherman, IP Law, Kap. 47 Rn. 7.1.4. 34  CPR 63.13, 63 PD 16: Birmingham, Bristol, Caernarfon, Cardiff, Leeds, Liverpool, Manchester, Mold, Newcastle upon Tyne, Preston. Für Marken (einschließlich Gemeinschaftsmarken) besteht keine Zuständigkeit der County Courts in Caernarfon, Mold und Preston. Siehe spezifisch für die einzelnen Schutzrechte Bently/Sherman, IP Law, Kap. 47 Rn. 7.2 ff. 35  R. 12 The Community Trade Mark Regulations 2006. 36  R. 3 County Courts Remedies Regulations 1991. Dieser Kompetenzregel wird ein gewisser Abschreckungs­faktor als positiver Nebeneffekt zugeschrieben, vgl. Schmidt v Wong, [2006] 1 WLR 561 (567) (CA).

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Rechtssachen haben die Parteien insoweit die allgemeine Practice Direction Pre-Action Conduct zu beachten. Praktiker-Initiativen zur Erstellung eines spezifischen pre-action protocols für Rechtsstreitigkeiten, die das geistige Eigentum betreffen, haben zur Veröffentlichung eines nicht rechtsverbindlichen Verhaltenskodizes geführt, dem Code of Practice for Pre-Action Conduct in Intellectual Property Disputes.37

E.  Ablauf des Hauptsacheverfahrens in erster Instanz I.  Einleitung des Verfahrens 13

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Der Kläger leitet das Verfahren ein, indem er das zutreffende Klageformular (i. d. R. Formular N1) ausfüllt und in der erforderlichen Anzahl beim zuständigen Gericht einreicht. Formular N1 verlangt die Angabe von Identität und Adresse der Parteien, eine präzise Beschreibung des Klagegrundes (welche allerdings nachgereicht werden kann38), die Nennung der begehrten Rechtsfolge sowie bei Geldforderungen eine Angabe des begehrten Betrages. Abschließend bedarf es einer Versicherung der Richtigkeit durch den Kläger.39 Rechtshängig wird das Verfahren mit Klageausfertigung durch das Gericht, vgl. CPR 7.2. Die Zustellung der Klage erfolgt regelmäßig durch das Gericht, sofern der Kläger keinen anderweitigen Antrag stellt.40 Gemeinsam mit der Klage werden auch diejenigen Formulare zugestellt, mit deren Hilfe der Beklagte auf die Klage zu reagieren hat (sog. response pack).41 Für Geldforderungen bis zu 100.000  £ kann der Kläger auch die elektronische Einleitung des Verfahrens wählen.42 Nach Zustellung der Klage samt präziser Beschreibung des Klagegrundes hat der Beklagte 14 Tage Zeit, um die Klage anzuerkennen bzw. die Klageerwiderung oder eine Empfangsbestätigung einzureichen. Durch das Einreichen der Empfangsbestätigung werden dem Beklagten weitere 14 Tage Aufschub für das Einreichen der Klageerwiderung gewährt, bei Patent- und Geschmacksmustersachen sogar 42 Tage.43

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Veröffentlicht auf . CPR 7.4(1); zu Spezifika bei Patentsachen siehe Terrell on Patents, Rn. 18–67 ff. 39 CPR 22.1(1)(a); eine unzutreffende Aussage kann mit contempt of court bestraft werden, vgl. CPR 32.14(1). 40  CPR 6.4; zu den Modalitäten der Zustellung allgemein siehe CPR 6. 41  CPR 7.8. 42  Siehe näher 7E PD. 43  CPR 15.4(1)(b), 63.7(a). 38 



E.  Ablauf des Hauptsacheverfahrens in erster Instanz

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II.  Das Vorverfahren 1.  Verfahrenssteuerung durch das Gericht Die Prozessleitung des Gerichts beginnt mit einer Zuweisung des Rechtsstreits zu einem bestimmten Verfahrenstyp: small claims track44 (unter 10.000 £), fast track45 (10.000 bis 25.000 £) oder multi-track (über 25.000 £).46 Verfahren, die Schutzrechte des geistigen Eigentums betreffen, werden grundsätzlich dem multi-track zugewiesen.47 Seit Oktober 2012 können IP-Verfahren vor dem Intellectual Property Enterprise Court auf Antrag einer der Parteien dem small claims track zugewiesen werden, sofern der Streitwert bis zu 10.000 £ beträgt und das Verfahren weder ein Patent, noch ein registriertes Geschmacksmuster oder ein Sortenschutzrecht betrifft.48 Die Besonderheit des multi-track liegt in der hohen Flexibilität des Verfahrens, welche eine Berücksichtigung der Eigenheiten des konkreten Falles ermöglicht.49 Insbesondere hat das Gericht die Möglichkeit, im Vorfeld der Hauptverhandlung eine case management conference abzuhalten. Diese wird im Patents Court und Intellectual Property Enterprise Court regelmäßig von einem High Court Judge bzw. dem Enter­prise Judge durchgeführt,50 während vor anderen Gerichten üblicherweise nicht der Prozessrichter, sondern Richter niedrigeren Ranges zuständig sind.51 Bei der case management conference werden die für das Verfahren wesentlichen Fragen identifiziert, ein potentieller Zeitplan erörtert, und Anordnungen für den Fortgang des Verfahrens getroffen. Haben sich die Parteien bereits auf die wesentlichen Faktoren des Verfahrensablaufs geeinigt, kann auf die Sitzung verzichtet werden. Das Gericht vermag ferner einen assessor, d. h. einen sachverständigen Berater des Gerichts gemäß s. 70 SCA 1981, CPR 35.15 bestellen. Diese Möglichkeit wird freilich wenig genutzt.52 Englische Schutzrechtsprozesse sind grundsätzlich zweigeteilt: An das Verfahren zur Feststellung der Schutzrechtsverletzung schließt sich gegebenenfalls 44 Der small claims track ist von einer deutlich vereinfachten Verfahrensweise geprägt, vgl. CPR 27. 45 Zum fast track siehe CPR 28. 46  Näher zur Zuweisung CPR 26.5–26.8. Antizipiert das Gericht, dass die mündliche Verhandlung die Dauer eines Tages überschreiten wird, ist der multi-track die vorgesehene Verfahrensspur, vgl. CPR 26.6(5). 47  Siehe CPR 63.1(3) für Verfahren im Intellectual Property Enterprise Court und Patents Court. 48  CPR 63.27, 63 PD 16.1. Die Einführung des small claims track geht zurück auf Empfehlungen des Berichts von Lord Jackson, Review of Civil Litigation Costs, Chapter 24, 4 sowie des Berichts von Hargreaves, Digital Opportunity, Rn. 8.64 ff. 49  29 PD 3.3. 50  63 PD 5.2(2). 51  Master im High Court, District Judge im County Court, vgl. 29 PD 3.10(1). 52  Zum Hintergrund sowie zur Relevanz in Patentsachen siehe Jacob in Dwyer, CPR, S. 296 f.; ferner Dwyer (Role of the Expert) in Dwyer, CPR, S. 319 ff.

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ein Verfahren zur Bezifferung der Schadenshöhe an (inquiry as to damages), sofern sich die Parteien nicht zuvor vergleichen. Im Übrigen folgt das englische Recht dem Verbundsystem, d. h. Verletzungstatbestand und Schutzrechtsbestand werden in einem einheitlichen Verfahren erörtert. Das Gericht kann seine Befugnis zur Verfahrensleitung in geeigneten Fällen aber auch dazu nutzen, einen split trial anzuordnen, d. h. das Verfahren zu teilen. In der Rechtssache Canady v Erbe Electromedizin wurde bspw. angeordnet, die Verhandlung über die Rechtsverletzung vorab im Zuge eines sogenannten stromlinienförmigen Verfahrens zu klären (siehe Rn. 26), die Frage der Rechtsbeständigkeit des Schutzrechts hingegen unter normalen Verfahrensbedingungen zu verhandeln.53

2.  Informationsaustausch zwischen den Parteien 17

Im Vorfeld der Hauptverhandlung sieht das englische Recht umfangreiche Pflichten zum Informationsaustausch vor. Die Bestimmungen zur Offenbarung von Dokumenten (disclosure) werden ausführlich in § 5 Rn. 13 ff. erörtert. Beabsichtigt eine Partei, zum Beweis ihrer Tatsachenbehauptungen einen Zeugen zu berufen, fertigen ihre Anwälte in Kooperation mit dem Zeugen eine schriftliche Zeugenaussage (witness statement) an, die mit einem statement of truth, d. h. einer Art eidesstattlicher Versicherung abschließt.54 Will sich die Partei auf die Zeugenaussage in der Hauptverhandlung berufen, so ist jene der Gegenpartei zuzustellen (dies erfolgt meist einige Wochen nach der disclosure of documents55), und der Zeuge zur Hauptverhandlung zu laden.56 Der Austausch schriftlicher Zeugenaussagen soll Zeit und Kosten während der Hauptverhandlung sparen und die Parteien zur gütlichen Beilegung der Rechtssache aufgrund einer besseren Beurteilung ihrer Erfolgschancen anregen.57 Ist es einer Partei (etwa mangels Kooperationsbereitschaft des Zeugen) nicht möglich, eine schriftliche Zeugenaussage zu erlangen, kann auf Antrag stattdessen ein witness summary zugestellt werden, in dem der Zeuge und das 53  Canady v Erbe Electromedizin, [2006] FSR 10. Pumfrey J kommentiert seinen Beschluss in Rn. 12 wie folgt: „Those of the profession who admire the German way of doing things will be able to compare a streamlined trial of the issue of infringement with the manner in which the same issue would be disposed of, let us say, in Düsseldorf and draw what one can only hope will be helpful comparisons“. 54 CPR 22.1(1)(c); eine unzutreffende Aussage kann mit contempt of court bestraft werden, vgl. CPR 32.14(1). Zur möglichst wortgetreuen Anfertigung eines witness statements, sofern dieses durch die Anwälte einer Partei angefertigt wird siehe Aquarius Financial Enterprises v Certain Underwriters at Lloyd’s, 2001 WL 676779, Rn. 44 ff.. 55  Den Zeugen soll Gelegenheit gegeben werden, sich zum Inhalt der Dokumente zu äußern, vgl. Sime, Civil Procedure, Rn. 32.18. 56  CPR 32.5(1). 57  Sime, Civil Procedure, Rn. 32.01.



E.  Ablauf des Hauptsacheverfahrens in erster Instanz

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Beweisthema benannt werden und das vermutete Beweisergebnis zusammengefasst wird.58

3.  Zusammenstellung der Prozessakte Schließlich stellt der Kläger unter Kooperation des Beklagten die Prozessakte für die mündliche Verhandlung zusammen (trial bundle), welche höchstens sieben und spätestens drei Tage vor Beginn der mündlichen Verhandlung bei Gericht einzureichen ist.59 Die Akte enthält die Schriftsätze der Parteien, Kopien der entscheidenden Präjudizien, eine Zusammenfassung des Rechtsstreits, sämtliche Zeugenaussagen und Sachverständigengutachten, verfahrensleitende Verfügungen sowie ggf. Hinweise auf die Absicht einer Partei, sich auf Augenscheinsobjekte zu berufen.60 In großen Verfahren ist eine Kernakte anzulegen, welche die wichtigsten Dokumente samt Verweisen zu den weiteren Aktenstücken bereithält.61 Bei solch komplexen Rechtssachen wird ferner erwartet, dass die Parteien Zusammenfassungen ihrer rechtlichen Argumente auf höchstens 20 Seiten einreichen, sogenannte skeleton arguments.62 Zudem ist eine Liste der vom Richter im Vorfeld der Hauptverhandlung günstigenfalls zu lesenden Dokumente samt einer Schätzung der hierfür erforderlichen Lesezeit zu erstellen.63 In Patentstreitigkeiten hat es sich schließlich eingebürgert, dass die Parteien hinsichtlich komplexer technischer Fragen einen gemeinsamen Leitfaden für das Gericht entwickeln.64

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III.  Die Hauptverhandlung 1.  Grundsätze und Ablauf der Hauptverhandlung Die Hauptverhandlung (trial) findet vor dem Einzelrichter in einem öffentlichen Verfahren statt.65 Die CPR gewähren dem Richter bei Gestaltung und Leitung der Hauptverhandlung weitgehende Flexibilität. Das Gericht ist befugt, einen Zeitplan für die Verhandlung sowie die Reihenfolge der behandelten Themen festzulegen und dabei begrenzte Zeitfenster für die Befragung von Zeugen 58 

CPR 32.9. CPR 39.5. 60  39A PD 3.2. 61  39A PD 3.6. 62  Chancery Guide, Rn. 7.18 ff., Appendix 7. 63  Chancery Guide, Rn. 7.30, Appendix 7. 64  Näher White Book, Vol. II, Rn. 2F-44. 65  In seltenen Ausnahmefällen, die für Schutzrechtsverfahren nicht einschlägig sind, besteht ein Recht auf Verhandlung vor einer Jury, vgl. s. 66 CCA 1984, s. 69 SCA 1981. Zum fortdauernden Einfluss des ehemaligen Jury-Verfahrens auf den heutigen Ablauf einer Hauptverhandlung siehe Andrews, Civil Procedure, Rn. 34.07. 59 

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oder Sachverständigen zu definieren. Von den Parteien wird erwartet, hierzu Vorschläge zu unterbreiten. Sofern sich die Parteien auf eine bestimmte Vorgehensweise einigen, wird das Gericht diesem Vorschlag meist folgen.66 CPR 32.1 betont die Leitungsbefugnis des Gerichts bei der Beweisaufnahme: Das Gericht identifiziert die Beweisthemen und entscheidet, welche Beweismittel es zulässt.67 Im Gegensatz zum früheren Recht wird erwartet, dass der Richter die wesentlichen Bestandteile der Prozessakte und die skeleton arguments vor Beginn der Hauptverhandlung gelesen hat.68 Hiermit geht zwingend ein gewisser Verlust der Bedeutung der mündlichen Verhandlung im Vergleich zum traditionellen Common Law einher.69 Der klassische Ablauf des trial in der Chancery Division beginnt mit einer kurzen Eröffnungsrede des Klägers, auf welche das Gericht – so es die Prozessakte gelesen hat – verzichten kann.70 Das Gericht kann auch den anderen Parteien eine kurze einleitende Bemerkung erlauben.71 Daran schließt sich zuerst die Beweisführung des Klägers, sodann die Beweisführung des Beklagten an. Als Beweismittel werden unterschieden:72 oral evidence (Vernehmung von Zeugen, Sachverständigen und Parteien), documentary evidence (Urkunden und Augenscheinsobjekte, in denen Informationen fixiert sind; z. B. Pläne, Ton- und Bildaufnahmen sowie elektronische Dokumente), real evidence (sonstige Augenscheinsobjekte) sowie circumstantial evidence (insbes. der Grundsatz res ipsa loquitur)73. Verbraucherbefragungen werden nur selten als Beweismittel zugelassen.74 Nach Beendigung der Beweisaufnahme wird zuerst dem Kläger, dann dem Beklagten die Gelegenheit der Abschlusserklärung gewährt. Der Kläger erhält zudem die Möglichkeit zur Replik.75 Die Hauptverhandlung wird an aufeinanderfolgenden Sitzungstagen geführt.76 Das Gericht vermag das Urteil am Ende der Verhandlung zu fällen, bei Verfahren vor dem 66  CPR 29.4, 29 PD 4.6; Chancery Guide, Rn. 3.5; Patents Court and Patents County Court Guide, Rn. 8.3. 67  Zu den Möglichkeiten des Gerichts, zulässige Beweismittel auszuschließen, eingehend Grevling in Dwyer, CPR, S. 255 ff. Doch darf das Gericht eine Partei nicht von Amts wegen anweisen, bestimmte Beweismittel beizubringen, vgl. The Society of Lloyd’s v Jaffray, 2000 WL 989565 (Ch), Rn. 5 f.; Blackstone’s Civil Practice, Rn. 47.52; zweifelnd Jolowicz in Dwyer, CPR, S. 63 m. Fn. 48. 68  29 PD 10.2; Chancery Guide, Rn. 8.5. 69  Kritisch z. B. Andrews, Civil Procedure, Rn. 34.31. 70  Siehe 29 PD 10.2 für den multi-track, 28 PD 8.2 für den fast track. 71  Chancery Guide, 8.4. 72  Andrews, Civil Procedure, Rn. 31.03. 73 Näher Keane/McKeown, Law of Evidence, S.  12 ff.; Andrews, Civil Procedure, Rn. 31.03, 31.09 ff., 31.21 ff. 74  Marks & Spencer v Interflora, [2012] EWCA Civ 1501 (CA) m. w. N.; Montagnon/ Burke/Smith, JIPlP 2013, 507 ff. 75  Chancery Guide, Rn. 8.7. 76  29 PD 10.6.



E.  Ablauf des Hauptsacheverfahrens in erster Instanz

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Patents Court oder Intellectual Property Enterprise Court wird die Urteilsverkündung allerdings regelmäßig verschoben.77 Zumeist wird den Prozessvertretern vor Verkündung der Urteilsentwurf zur Korrektur offensichtlicher Fehler zur Verfügung gestellt.78

2.  Die Vernehmung von Zeugen Die Beweisaufnahme durch Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen weicht erheblich von der Beweisaufnahme im deutschen Zivilprozess ab. Zeugen werden als die Zeugen einer Partei berufen und vor ihrer Aussage vereidigt. Traditionell wurde ein Zeuge zunächst vom Prozessvertreter der Seite, die ihn berufen hat, unter Verzicht auf Suggestivfragen vernommen.79 Von dieser sog. examination in chief wird heutzutage gemäß CPR 32.5(2) unter Verweis auf die bereits vorliegende schriftliche Zeugenaussage abgesehen, sofern das Gericht keine anderweitige Anordnung trifft.80 Die Zeugenbefragung erfolgt deshalb im Regelfall zunächst durch den Prozessvertreter der Gegenseite (sog. cross examination),81 welchem auch Suggestivfragen gestattet sind,82 die den Zeugen gegebenenfalls in Bedrängnis führen können. Hieran schließt sich die re-examination an, welche dem Prozessvertreter derjenigen Partei, die den Zeugen berufen hat, erlaubt, den Gegenstand des Kreuzverhörs erneut mit dem Zeugen zu erörtern.83 Auch das Gericht ist befugt, den Zeugen Fragen zu stellen, doch wartet der Richter hiermit regelmäßig, bis alle Prozessvertreter ihre Fragerechte ausgeübt haben.84

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3.  Die Anhörung von Sachverständigen Im traditionellen Prozessrecht des Common Law werden die Sachverständigen von den Parteien gestellt. Ihre Befragung folgt ebenfalls dem obig genannten Schema für die Zeugenbefragung (examination in chief, cross-examination, re-examination). Vor den Woolf Reforms beinhaltete das Selbstverständnis der Sachverständigen deshalb häufig eine absolute Parteinahme für die auftraggebende Partei.85 Die CPR ermöglichen dem Gericht, anzuweisen, dass 77 

Siehe Patents Court and Patents County Court Guide, Rn. 18.1. Siehe Patents Court and Patents County Court Guide, Rn. 18.1. 79 Näher Keane/McKeown, Law of Evidence, S. 165 f. 80  Zu Ausnahmen siehe CPR 32.5(3) und (4), relevant sind insbesondere neue Wahrnehmungen des Zeugen seit Zustellung der schriftlichen Zeugenaussage. 81  CPR 32.11. 82  Blackstone’s Civil Practice, Rn. 47.62 ff.; Sime, Civil Procedure, Rn. 39.45. 83  Keane/McKeown, Law of Evidence, S. 219; Sime, Civil Procedure, Rn. 39.46; Andrews, Civil Procedure, Rn. 34.15. 84  Sime, Civil Procedure, Rn. 39.52. 85  Ausführlich m. w. N. Dwyer (Role of the Expert) in Dwyer, CPR, S. 306 ff. 78 

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Anhang: Das englische Zivilverfahrensrecht

Beweis durch Befragung eines einzigen Sachverständigen zu erheben ist,86 den die Parteien gemeinschaftlich bestimmen und jeweils instruieren.87 Soweit das Gericht – was im multi-track regelmäßig vorkommt – die Beweisführung durch unterschiedliche Parteigutachter zulässt, stellt CPR 35.3 klar, dass auch diese Gutachter vorrangig verpflichtet sind, das Gericht bei der Urteilsfindung zu unterstützen, obgleich sie von einer der Parteien beauftragt, instruiert und bezahlt werden.88 CPR 35.10 i. V. m. 35 PD 3 enthalten Vorgaben bezüglich Form und Inhalt des Sachverständigengutachtens. Insbesondere ist der Sachverständige nunmehr gehalten, bei wissenschaftlichen Meinungsverschiedenheiten oder divergierenden Methodiken das Meinungsspektrum abzubilden und seine eigene Meinung zu begründen.89 Das Gericht kann zudem entweder ein Treffen der Sachverständigen anordnen, bei dem diese ihre verschiedenen Meinungen diskutieren und gegebenenfalls eine Einigung erzielen können, oder die Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung gemeinsam anhören (sog. hot tubbing).90 Nach allgemeiner Auffassung hat sich die Qualität des Sachverständigen-Beweises seit Einführung der CPR grundlegend verbessert.91

4.  Beweisbedürftigkeit ausländischen Rechts 24

Ausländisches Recht wird nicht als Rechts-, sondern als Tatfrage behandelt, die dem Beweis zugänglich ist.92 Jede Partei benennt einen Sachverständigen, der über den Inhalt des ausländischen Rechts berichtet.93 Soweit eine Rechtsfrage umstritten ist, wird auch hier der gewohnte Ablauf der examination 86  Zu den Kriterien, die für die Berufung eines single joint experts sprechen siehe 35 PD 7; ferner Chancery Guide, 4.12 f.; Hollander, Rn. 30–27; Dwyer (Role of the Expert) in Dwyer, CPR, S. 317 ff. Zur Möglichkeit der Bestellung eines court expert bereits vor Inkrafttreten der CPR und der hierzu ergangenen Rechtsprechung vgl. die Schilderung bei Jacob in Dwyer, CPR, S. 293 f. sowie Dwyer (Role of the Expert) in Dwyer, CPR, S. 315. 87  Siehe CPR 35.7 und 35.8, auch zur Vorgehensweise bei fehlendem Konsens der Parteien. 88  Gemäß CPR 35.10(3) muss der Sachverständige ferner die Instruktionen offen legen, welche er von der beauftragenden Partei erhalten hat. Jeglicher Versuch der Einflussnahme einer Partei auf die Aussage des Sachverständigen kann mit contempt of court geahndet werden, vgl. R v Glaxo Group Ltd’s Patent, [2004] EWHC 477, Rn. 121. 89  35 PD 3.2(6). 90  CPR 35.12, 35 PD 9, 11; näher Wilson/Sharp/Gilchrist/Fitzgerald, JIPlP 2013, 691 ff.; Keane/McKeown, Law of Evidence, S. 553. 91  Dwyer (Role of the Expert) in Dwyer, CPR, S. 300, 322; Jacob in Dwyer, CPR, S. 294; Turner in Dwyer, CPR, S. 84. 92  Bumper Development v Commissioner of Police of the Metropolis, [1991] 1 WLR 1362 (1368) (CA); ausführlich Dicey/Morris/Collins, Kapitel 9; Fentiman, Litigation, Kapitel 6. 93  Die Beauftragung eines single joint expert mit der Erstellung eines Gutachtens über das ausländische Recht kommt in der Praxis nicht vor, vgl. Fentiman, Litigation, Rn. 6.81.



E.  Ablauf des Hauptsacheverfahrens in erster Instanz

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in chief, cross-examination und re-examination eingehalten.94 Das Gericht ist nicht befugt, eigenständig Quellen über das ausländische Recht heranzuziehen,95 vermag aber aus den Stellungnahmen der Sachverständigen jeweils diejenigen Aspekte auswählen, die es überzeugen.96 Mangels ausreichender Beweisführung über das ausländische Recht wendet das Gericht englisches Recht an.97

5.  Verpflichtungserklärungen der Parteien Gemäß CPR 3.1(3) vermag das Gericht seine Anordnungen und Entscheidungen von Bedingungen abhängig machen. Von hoher praktischer Bedeutung sind in diesem Zusammenhang sog. undertakings, d. h. Verpflichtungserklärungen der Parteien oder ihrer Vertreter gegenüber dem Gericht, welche als Konzession für den Erlass einer bestimmten Anordnung gewährt werden und die unterschiedlichsten Inhalte haben können. Das undertaking in damages ist eine Verpflichtungserklärung, mittels derer sich der Antragsteller bereit erklärt, für sämtliche Schäden gerade zu stehen, die dem Antragsgegner (im Falle einer späteren Aufhebung der Maßnahme) oder einem betroffenen Dritten aus der Durchführung einer gerichtlichen Anordnung entstehen. Andere geläufige Erklärungen gehen dahin, konkrete Geheimhaltungsmaßnahmen hinsichtlich der vom Verfahrensgegner offenbarten Informationen zu treffen, das Hauptsacheverfahren baldmöglichst einzuleiten oder Gegenstände der gegnerischen Partei sorgsam aufzubewahren. Der Bruch eines undertakings wird mit contempt of court sanktioniert (hierzu § 4 Rn. 80 ff.).98

IV.  Das Höheverfahren An das Verfahren zur Feststellung der Schutzverletzung schließt sich das Höheverfahren an (inquiry as to damages), welches grundsätzlich nach demselben Schema wie das Feststellungsverfahren verläuft.99 In der Praxis wird

94 

Fentiman, Litigation, Rn. 5.16. Bumper Development v Commissioner of Police of the Metropolis, [1991] 1 WLR 1362 (1368 ff.) (CA) m. w. N.; Fentiman, Litigation, Rn. 6.16 ff.; Dicey/Morris/Collins, Rn. 9–015 m. w. N. 96 Hierzu Fentiman, Litigation, Rn. 5.19: „More commonly, however, and more revealing of the unpredictability of the proof of foreign law, a judge might pick and mix as between aspects of each parties’ evidence, arriving at a version of foreign law different from both parties’ expectations, satisfying neither.” 97  Shaker v Al-Bedrawi, [2003] Ch 350 (371 ff.) (CA) m. w. N.; Fentiman, Litigation, Rn. 6.98 ff. m. w. N.; Dicey/Morris/Collins, Rn. 9–011, 9–025. 98  Borrie/Lowe, Contempt, S. 578. 99  Siehe bspw. Fabio Perini v LPC Group and Others, [2012] EWHC 911 (Ch). 95 

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Anhang: Das englische Zivilverfahrensrecht

ein Höheverfahren selten durchgeführt, da sich die Parteien regelmäßig vergleichen.100

F.  Das stromlinienförmige Verfahren 26

In dem Bestreben, Patentverletzungsverfahren einer schnelleren Erledigung zuzuführen und so zur höheren Attraktivität des Justizstandorts London beizutragen, wurde im Patents Court und im Intellectual Property Enterprise Court eine beschleunigte Verfahrensart, die sogenannte streamlined proce­ dure geschaffen. Die Durchführung des stromlinienförmigen Verfahrens ist im IPEC zwingend, im Patents Court fakultativ (auf Antrag einer Partei).101 Die streamlined procedure zeichnet sich vornehmlich dadurch aus, dass von einzelnen Elementen des im multi-track vorgesehenen Verfahrens abgesehen werden kann: So ist es möglich, nur die schriftliche Beweisführung (inklusive Sachverständigengutachten) zuzulassen, auf disclosure und die Durchführung von Experimenten zu verzichten sowie das Kreuzverhör auf bestimmte Themenbereiche zu beschränken.102 Die Dauer des trial wird hierdurch regelmäßig auf einen Verhandlungstag verkürzt.103 Im IPEC wird auf eine mündliche Verhandlung verzichtet, es sei denn, das Gericht erachtet diese als notwendig.104

G. Der small claims track im Intellectual Property Enterprise Court 27

Der im Oktober 2012 eingeführte small claims track vor dem Intellectual Prop­erty Enterprise Court soll die Zugangsschwellen zur Justiz weiter verringern. Dieses Verfahren wird auf Antrag einer der Parteien beschritten, sofern der Streitwert 10.000 £ nicht überschreitet, die Rechtssache für den small claims track geeignet ist und das Verfahren weder ein Patent, noch ein registriertes Geschmacksmusterrecht oder ein Sortenschutzrecht betrifft.105 Der 100 Siehe Joseph/Mark, Damages inquiry: the tail-end of a long-running dispute, Blogeintrag v. 24. 07. 2012 . 101  Die Anordnung des stromlinienförmigen Verfahrens liegt im Ermessen des Gerichts. Hierbei sind die kommerzielle Bedeutung des Verfahrens, die finanzielle Position der Parteien und die Komplexität des Verfahrens zu berücksichtigen, vgl. Research in Motion UK v Inpro Licensing, [2007] EWCA Civ 51 (CA). 102  Patents Court and Patents County Court Guide, Rn. 8.6. 103  Cornish/Llewelyn/Aplin, IP, Rn. 2–11; Patents County Court guide, Nr. 2.10. Gemäß 63 PD 31.2 soll die Verhandlung im IPEC die Dauer von zwei Tagen nicht überschreiten. 104 CPR 63.25(3); zur früheren Rechtslage siehe Hoffman v Drug Abuse Resistance Education (UK), 2012 EWPCC 2. 105  CPR 63.27(1); Guide to the Patents County Court Small Claims Track, , Nr. 1.7.



H.  Besondere Verfahrensarten

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IPEC gewährt im small claims track nur Rechtsschutz in der Hauptsache.106 Begehrt der Antragsteller einstweiligen Rechtsschutz (Unterlassungsanordnungen, search order oder freezing injunction), so muss er den multi track beschreiten.107 Das Verfahren im small claims track zeichnet sich durch eine hohe Gestaltungsfreiheit des Gerichts aus, welche auch den Verzicht auf eine mündliche Verhandlung beinhalten kann.108 Eine Kostenerstattung zugunsten der obsiegenden Partei ist weitgehend ausgeschlossen.109

H.  Besondere Verfahrensarten I.  Einstweiliger Rechtsschutz Der einstweilige Rechtsschutz wird detailliert in § 4 behandelt. Auf die dortigen Ausführungen sei hier verwiesen.

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II. Mahnverfahren Abgesehen vom europäischen Zahlungsbefehl gemäß der Verordnung 1896/2006110 hält das englische Zivilprozessrecht kein Mahnverfahren bereit. Verkürzte Verfahren sind bei Säumnis einer Partei oder fehlender Erfolgsaussicht einer Klage bzw. Verteidigung möglich.

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III.  Säumnis einer Partei Versäumt es der Beklagte, innerhalb der vorgesehenen Frist eine Empfangsbestätigung der Klagezustellung oder eine Klageerwiderung bei Gericht einzureichen, kann der Kläger den Erlass eines default judgment bei Gericht beantragen. Diese Option setzt im Wesentlichen voraus, dass die Klage auf Zahlung einer Geldsumme gerichtet ist.111 Eine Schlüssigkeitsprüfung erfolgt nicht,112 bei haltlosen Klagen besteht allerdings die Möglichkeit der Streichung der Klage (hierzu sogleich). Die Aufhebung des Versäumnisurteils trotz 106 

CPR 63.27(4); 27.3. Guide to the Patents County Court Small Claims Track, a. a. O., Nr. 1.4. 108  CPR 27.4 ff., 27.10. 109  CPR 27.14(2). 110 Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens, ABl. Nr. L 399/1 ff. v. 3. 12. 2006. 111  Näher CPR 12.2, 12.4. 112  Football Dataco v Smoot Enterprises, [2011] EWHC 973 (Ch) Rn. 16 ff. Die Aussage in CPR 12.11(1), das Urteil erfolge „as it appears to the court that the claimant is entitled on his statement of case“, stehe dem nicht entgegen. 107 

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Anhang: Das englische Zivilverfahrensrecht

ordnungsgemäßer Klagezustellung steht im Ermessen des Gerichts, sofern der Beklagte eine realistische Erfolgschance in der Rechtssache darlegen kann.113 Ein wesentlicher Faktor bei der Ausübung des Ermessens ist die Zeitspanne, innerhalb derer der Beklagte die Aufhebung des Versäumnisurteils begehrt.114 Eine absolute Ausschlussfrist enthält das Gesetz nicht. Erscheint eine Partei bzw. deren Vertreter nicht in der mündlichen Hauptverhandlung, wird das Gericht dessen Klage bzw. Verteidigung streichen (strike out).115 Die Verhandlung wird ohne Anwesenheit der fehlenden Partei fortgesetzt und der Kläger bzw. Widerkläger erhält Gelegenheit, seine Behauptungen zu beweisen.116 In der Praxis erfolgt hier lediglich die Bezugnahme auf die eingereichten Schriftsätze und schriftlichen Zeugenaussagen.117 Eine Aufhebung des aufgrund der Säumnis erlassenen Urteils kommt gemäß CPR 39.3(5) in Betracht, sofern die säumige Partei die Aufhebung zeitnah beantragt,118 einen vernünftigen Grund für die Säumnis angeben kann und über realistische Erfolgschancen im Prozess verfügt.

IV.  Summary Judgment 32

Das Gericht vermag auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen den gesamten Rechtsstreit oder bestimmte Teile desselben im Wege eines summary judgments entscheiden. Auf diesem Wege soll die Durchführung eines vollständigen Prozesses vermieden werden, wenn die Klage oder ein bestimmtes Vorbringen des Klägers bzw. die Verteidigung des Beklagten keine realistische Aussicht auf Erfolg birgt. Zur Klärung von Tatsachenfragen während des summary hearing sind schriftliche Beweismittel, insbesondere witness statements und affidavits119 zulässig, vgl. CPR 24.5.120 Das summary hearing wird grundsätzlich nicht vom Prozessrichter, sondern von einem Richter niedrigeren Ranges durchgeführt, doch besteht für Verfahren vor dem Patents Court 113 

CPR 13.3(a). Andrews, Civil Procedure, Rn. 19.22. 115  CPR 39.3(1). Laut dem Glossar der CPR bedeutet striking out: „the court ordering written material to be deleted so that it may no longer be relied upon“. 116  39A PD 2.2. 117  White Book, Vol. I, Rn. 39.3.4 f. 118  Auch hier fehlt es an einer absoluten Ausschlussfrist; in der Praxis wird je nach Komplexität des Falles eine Zeitspanne von zwei bis sechs Wochen angesehen, vgl. die Nachweise in White Book, Vol. I, Rn. 39.3.7.1. 119  Hauptunterschied zwischen einem witness statement und einem affidavit bzw. einer affirmation ist, dass letztere vor einer befugten Person (z. B. einem Solicitor) mittels Eid bekräftigt werden. Die Kosten der Anfertigung eines affidavits sind deshalb höher. Sie werden insbesondere benötigt, um einen Antrag auf Erlass einer freezing injunction, einer search order oder auf Verfolgung wegen contempt of court zu stellen. Näher CPR 32.15, 32 PD sowie Sime, Civil Procedure, Rn. 32.04 f. 120  Ausnahmen durch das Gericht sind möglich, vgl. CPR 32.6. 114 Näher



I. Rechtsmittel

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und Intellectual Property Enterprise Court wiederum eine Ausnahme. In Patentsachen sind summary judgments aufgrund der technischen Komplexität der Sachverhalte selten, aber nicht ausgeschlossen.121 Als Folge des summary hearings kann das Gericht ein Urteil zugunsten des Klägers erlassen, die Klage streichen (strike out) oder den Antrag auf Erlass eines summary judgments ablehnen.122

V. Striking out a case Schließlich vermag das Gericht in den in CPR 3.4(2) genannten Fällen eine Klage oder Klageerwiderung oder Teile derselben auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen zu streichen (strike out). Streichungsgründe sind vollkommen unspezifiziertes oder rechtlich haltloses Vorbringen sowie die missbräuchliche Inanspruchnahme des Gerichts.123 Ferner kommt eine Streichung in Betracht, sofern eine Partei gegen eine in den CPR oder Practice Directions enthaltene Regel verstoßen oder eine Anordnung des Gerichts missachtet hat. Doch ist hierbei die Verhältnismäßigkeit zu wahren: Anstelle der Streichung kann die Anordnung unter Androhung von Sanktionen wiederholt oder die Zahlung einer Geldstrafe angeordnet werden.124 Gemäß 3A PD 4.2 erlässt das Gericht nach der Streichung der Klage oder Verteidigung ein Urteil zugunsten der anderen Partei, soweit dies angemessen erscheint.

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I. Rechtsmittel Rechtsmittel gegenüber einem erstinstanzlichen Urteil bedürfen – von wenigen Ausnahmen abgesehen – der Zulassung durch das Prozess- oder das Berufungsgericht.125 Der Court of Appeal ist zuständig für Berufungen gegen Urteile des High Court, des Intellectual Property Enterprise Court und gegen Urteile, die im County Court nach Durchführung eines Verfahrens im multi-track Verfahren erlassen wurden.126 Vor dem Berufungsgericht erfolgt im Regelfall 121 Siehe Nampak Plastics Europe v Alpla UK, [2014] EWHC 2196 (Pat), Rn. 10 ff. m. w. N. 122  24 PD 5.1. 123  Siehe näher 3A PD 1.4 ff. Zur Vereinbarkeit mit Art. 6 EMRK vgl. White Book, Vol. I, Rn. 3.4.2. 124  CPR 3.1(3) bis (6); in der Praxis erfolgt ein striking out wegen vernachlässigter Fristabläufe selten, vgl. die Kritik bei Zuckerman in Dwyer, CPR, S. 99 ff. 125  CPR 52.3. In Verfahren, die gewerbliche Schutzrechte betreffen, lässt der High Court die Berufung regelmäßig zu, vgl. Helmers/McDonagh, Patent Litigation, S. 7 m. w. N. 126 52A PD 3.1 ff.. Für Gemeinschaftsschutzrechte bestimmt dies ferner r. 12 Abs. 3 Community Trade Mark Regulations 2006 sowie r. 2 Abs. 2 The Community Designs (Designation of Community Design Court) Regulation 2005.

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Anhang: Das englische Zivilverfahrensrecht

keine erneute Beweisaufnahme,127 doch ist das Gericht berechtigt, auf Basis der in der Akte enthaltenen Beweismittel eine eigenständige Beweiswürdigung vorzunehmen.128 Das Rechtsmittel hat Erfolg, sofern das erstinstanzliche Urteil materiell unzutreffend oder aufgrund einer erheblichen prozeduralen Regelwidrigkeit ungerecht ist.129 Der Court of Appeal kann die Entscheidung der unteren Instanz bestätigen, aufheben oder modifizieren, die Rechtssache zwecks Klärung einer bestimmten Frage zurückverweisen oder eine Neuverhandlung anordnen, wobei letzteres jedoch lediglich in Ausnahmefällen angezeigt ist.130 In Verfahren von allgemeiner Bedeutung ist die Zulassung der weiteren Berufung zum Supreme Court of the United Kingdom (vormals der justiziellen Abteilung des House of Lords) möglich.131 Die Regeln für Verfahren vor dem Supreme Court sind in den Supreme Court Rules 2009 niedergelegt. Zum Überprüfungsmaßstab äußert s. 40(5) Constitutional Reform Act 2005 lapidar: „The Court has power to determine any question necessary to be determined for the purposes of doing justice […]“. Im Regelfall beschränkt sich der Supreme Court auf die Erörterung materiellrechtlicher Fragen und befasst sich nicht näher mit dem Prozessrecht.132 Auch Entscheidungen zu gewerblichen Schutzrechten sind äußerst selten.133 Ist das Rechtsmittel erfolgreich, so kann der Supreme Court die Entscheidung der unteren Instanz aufheben oder modifizieren, die Rechtssache zwecks Klärung einer bestimmten Frage zurückverweisen oder eine Neuverhandlung anordnen.134

J.  Verfahrensdauer und Kosten 36

Über die durchschnittliche Verfahrensdauer in Rechtssachen, die gewerbliche Schutzrechte betreffen, liegen keine belastbaren empirischen Erkenntnisse vor.135 127  Eli Lilly v Human Genome Sciences, [2010] EWCA Civ 33 (CA), Rn. 15 ff., 27; Terrell on Patents, Rn. 18–216. 128  CPR 52.11(2) und (4). 129  CPR 52.11(3). 130  CPR 52.10(2). 131  S. 40(2) Constitutional Reform Act 2005; r. 10 Supreme Court Rules 2009. 132  Brooke in Dwyer, CPR, S. 453 f. m. w. N. Siehe hierzu Lord Hoffmann in Callery v Gray, [2002] 1 WLR 2000 (2006) (HL): „The Court of Appeal is traditionally and rightly responsible for supervising the administration of civil procedure. This is an area in which your Lordships have in the past seldom intervened and, it must be said, the few exceptions to this policy of self-restraint have usually tended to confirm the wisdom of the general principle.“ 133  Helmers/McDonagh, Patent Litigation, S. 7. 134  R. 29(1) Rules of the Supreme Court 2009. 135 Der Jackson-Report enthält einen Überblick größerer Verfahren einer Londoner



J.  Verfahrensdauer und Kosten

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Grundsätzlich trägt der Verlierer eines Rechtsstreits die Verfahrenskosten des Gewinners, doch kann das Gericht nach seinem Ermessen eine andere Regelung treffen, bspw. im Hinblick auf erfolglose Angriffs- oder Verteidigungsmittel.136 Eine Kostenerstattung erfolgt gemäß CPR 44.4(2) nur, soweit die Rechtsanwaltskosten verhältnismäßig sind. Diese Regel führt häufig zu Annexprozessen hinsichtlich der Kosten, die dem eigentlichen Verfahren nachgelagert sind.137 Die Kostenerstattung erfolgt – entsprechend der Mandatsvereinbarung – nicht streitwertorientiert, sondern nach Stundensätzen der involvieren Anwälte. Der abrechenbare Stundensatz differiert nach Qualifikation und Erfahrung des beauftragten Anwalts sowie dessen Kanzleiort.138 Vor dem Intellectual Property Enterprise Court wurden im Jahr 2010 Höchstgrenzen für die Kostenerstattung durch die unterlegene Partei eingeführt, welche sich auf 50.000 £ für das Verfahren zur Feststellung der Rechtsverletzung und 25.000 £ für das Verfahren zur Bemessung des Schadensersatzes belaufen.139 Im small claims track ist die Erstattung der gegnerischen Kosten weitgehend ausgeschlossen.140 Die genannten Höchstgrenzen können in Verfahren vor dem High Court Anwendung finden, sofern der Kläger seine Klage vor dem IPEC hätte erheben können.141 Die Verfahrenskosten in England gelten allgemein als prohibitiv. Die WoolfReformen sind hinsichtlich eines ihrer zentralen Ziele, der Kostenreduktion in Zivilverfahren, gescheitert.142 Ein Bericht von Lord Jackson aus dem Jahr 2009 mit dem Titel Review of Civil Litigation Costs benennt Daten für Kosten in IPVerfahren, die allerdings lediglich auf der Befragung einer Londoner Kanzlei basieren. Die durchschnittlichen Verfahrenskosten dieser Kanzlei beliefen sich auf 696,742 £, wobei zu berücksichtigen ist, dass 20 % der im Bericht erfassten Verfahren noch vor Durchführung des trial verglichen wurden. In einer Schätzung des Europäischen Patentamts wurden die Kosten eines erstinstanzlichen Urteils in einer kleineren bis mittleren Patent-Streitsache in Großbritannien auf 150.000 €, in einem großen Verfahren auf 1.500.000 € für die Vertretung einer Partei taxiert (zum Vergleich: Deutschland 50.000 € / 250.000 €).143 IP-Kanzlei, die durchschnittlich nach einem Jahr und vier Monaten mit einem Urteil abschlossen. 136  CPR 44.3. Der sog. „issue-based approach to costs“ stellt in Patentsachen den Normalfall dar, vgl. Research in Motion v Visto Corp., [2018] EWHC 819, Rn. 6 (Pat); ausführlich Terrell on Patents, Rn. 19–107 ff. 137  CPR 47.5 ff.; näher Peysner in Dwyer, CPR, S. 161 f. Im small claims track werden Rechtsanwaltskosten grundsätzlich nicht erstattet (näher CPR 27.14), im fast track sieht CPR 46.2 eine Begrenzung der Kostenerstattung vor. Vgl. ferner CPR 45. 138 Siehe die Leitlinien des SCCO (Senior Court Costs Office) unter . 139  CPR 45.31, zu Ausnahmen siehe CPR 45.30(2). 140  CPR 27.14(2). 141  S. 290 CDPA 1988. 142  Statt aller Zuckerman in Dwyer, CPR, S. 89; Zander in Dwyer, CPR, S. 424 ff. m. w. N. 143  EPO, EPLA Impact Assessment, S. 10; dort auch Schätzungen zu den Kosten eines

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K. Urteilsvollstreckung 39

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Um die Zwangsvollstreckung zu erleichtern, erlaubt CPR 71 eine detaillierte Befragung des Schuldners oder seiner Organe zu seinen Vermögensverhältnissen.144 Die Befragung erfolgt unter Eid, Falschaussagen können mit contempt of court bestraft werden. Geldforderungen werden durch Zwangsvollstreckung in Mobilien (writ of control bzw. warrant of control),145 durch Überweisung einer Forderung zur Einziehung gegenüber einem Drittschuldner (third-party debt order bzw. attachment of earnings)146 oder durch gerichtliche Anordnung eines Zwangssicherheitsrechts auf Immobilien, Wertpapiere oder Beteiligungen vollstreckt (charging order).147 Mangels anderweitiger Vollstreckungsmöglichkeiten kommt auch die Anordnung der Zwangsverwaltung (receivership) in Betracht.148 Unterlassungsanordnungen und Verpflichtungen zur Vornahme von Handlungen149 werden mittels contempt of court vollstreckt. Eine Bestrafung für contempt of court kann die Form von Geldbuße, Haft oder Sequestration (Zwangsvollstreckung in Gegenstände) annehmen.150

zweitinstanzlichen Verfahrens. Nach einer Studie von Helmers/McDonagh bewegen sich die Gesamtkosten eines Patentstreitverfahrens vor dem High Court auf 1 bis 6 Millionen £ (Patent Litigation, S. 21 ff.). 144  Siehe neben CPR 71 auch Form EX140 (Einzelschuldner) bzw. EX141 (Organ eines Unternehmens). 145  Mit dem am 6. April 2014 in Kraft getretenen Tribunals, Courts and Enforcement Act 2007 wurden die früheren writs of fieri facias bzw. warrants of execution abgelöst. Das Verfahren ist nunmehr in CPR 83 f. geregelt. Zur Vollstreckung von im High Court erlassenen Entscheidungen bedarf es eines writ of control, in County Court-Verfahren bedarf es eines warrant of execution. Vollstreckungsorgan ist ein vom Lord Chancellor autorisierter enforcement officer, der kein Gerichtsangehöriger ist (s. 63 Tribunals, Courts and Enforcement Act 2007). Umgangssprachlich werden die enforcement officers immer noch als bailiff bezeichnet. Ein enforcement officer ist im Zuge der Durchsetzung zivilrechtlicher Titel nicht befugt, sich mittels Gewalt Zutritt zu einer privaten Wohnung zu verschaffen. 146  CPR 72; Attachment of Earnings Act 1971. Die third party debt order bewirkt weder einen Forderungsübergang noch einen Übergang der für die Forderung bestehenden Sicherheiten, vgl. Chatterton v Watney, (1881) 17 Ch D 259 (261 f.) (CA); Re Combined Weighing and Advertising Machine Company, (1889) 43 Ch D 99 (104) (CA); Gee, Rn. 5.006. 147 Die charging order berechtigt auch zur Verwertung, vgl. CPR 73, Charging Orders Act 1979. 148  S. 37 SCA 1981, ss. 38, 107 CCA 1984, CPR 69; näher Blackstone’s Civil Practice, Rn. 76.33 ff. 149  Eine Ausnahme bilden Herausgabeanordnungen, s. 3 Torts (Interference with Goods Act) 1977; zur Herausgabe von Immobilien siehe Blackstone’s Civil Practice, Rn. 76.30. 150  CPR 81. Näher § 4 Rn. 83.

Abkürzungsverzeichnis Amtsblatt der Europäischen Union / der Europäischen Gemeinschaften AC Law Reports Appeal Cases ACTA Anti-counterfeiting Trade Agreement Admin High Court, Queen’s Bench Division, Administrative Court AEDIP Anuario Espanol de derecho internacional privado AUEV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union vom 1. Dezember 2009 AfP Archiv für Presserecht AG Die Aktiengesellschaft All ER All England Law Reports ALI American Law Institute AmJCompL American Journal of Comparative Law AVAG Gesetz zur Ausführung zwischenstaatlicher Verträge und zur Durchführung von Verordnungen und Abkommen der Europäischen Gemeinschaft auf dem Gebiet der Anerkennung und Vollstreckung in Zivil- und Handelssachen BauR Zeitschrift für das gesamte öffentliche und zivile Baurecht BCC British company cases B2C Business to Consumer BeckRS Beck-Rechtsprechung BG Bundesgericht BGH Bundesgerichtshof BIE Bijblad bij de Industriële Eigendom BKR Bank- und Kapitalmarktrecht BPatG Bundespatentgericht Bull. civ. Bulletin des arrêts de la Cour de cassation (Chambres civiles) Bus. L. Intl. Business Law International BVerfG Bundesverfassungsgericht CA Court of Appeal Cass. Cour de Cassation Cassaz. Corte di Cassazione CCA County Courts Act 1984 ccTLD country-code Top Level Domain CDPA Copyright, Designs and Patents Act 1988 CETA Comprehensive Economic and Trade Agreement Ch High Court, Chancery Division CLIP The European Max Planck Group on Conflict of Laws in Intellectual Property

ABl.

858 CLC CLJ CJQ Comm Const. L. J. CPC c. p. c. CPR CR CRi CTLR DPMA EG EGMR EGV EIPR EJN ELR EL Rev EMRK Ent. L. R. ERPL EPA EPLA

Abkürzungsverzeichnis

Commercial law cases Cambridge Law Journal Civil Justice Quarterly High Court, Queen’s Bench Division, Commercial Court Construction Law Journal Code de procédure civile codice di procedura civile Civil Procedure Rules Computer und Recht Computer und Recht international Computer and Telecommunications Law Review Deutsches Patent- und Markenamt Europäische Gemeinschaften Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft European Intellectual Property Review Europäisches Justizielles Netz für Zivil- und Handelssachen European Law Reporter European Law Review Europäische Menschenrechtskonvention vom 4. November 1950 Entertainment Law Review European Review of Private Law Europäisches Patentamt Agreement on the Establishment of a European Patent Litigation System EPO Europäische Patentorganisation EPÜ Übereinkommen über die Erteilung europäischer Patente EPV Verordnung zur Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes ER England Law Reports ETMR European trademark reports EuBVO Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 des Rates vom 28. 05. 2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- und Handelssachen EuEheVO Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung EuG Gericht der Europäischen Union EuGH Gerichtshof der Europäischen Union EuGFVO Verordnung (EG) Nr. 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen EuGVO (2001) Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen EuGVO (2012) Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und

Abkürzungsverzeichnis

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die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Neufassung) EuGVÜ Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. September 1968 EuLF The European Legal Forum EuMahnVO Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens Euro. Law. European Lawyer EUV Vertrag über die Europäische Union in der Fassung vom 1. Dezember 2009 EuVT Europäischer Vollstreckungstitel EuVTVO Verordnung (EG) Nr. 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen EuZVO (2000) Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Ziviloder Handelssachen in den Mitgliedstaaten EuZVO (2007) Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten (Zustellung von Schriftstücken) EuZW Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht EWCA civ. England and Wales Court of Appeal, Civil Division EWG Europäische Wirtschaftsgemeinschaft EWGV Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft EWHC England and Wales High Court EWPCC England and Wales Patents County Court EWS Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht EZB Europäischer Zahlungsbefehl Fam High Court, Family Division FamRZ Zeitschrift für das gesamte Familienrecht FS Festschrift FSR Fleet Street Reports GA Generalanwalt GGV Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates vom 12. Dezember 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster GMV Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. 02. 2009 über die Gemeinschaftsmarke GRCh Charta der Grundrechte der Europäischen Union GSVO Verordnung (EG) Nr. 2100/94 des Rates vom 27. Juli 1994 über den gemeinschaftlichen Sortenschutz GPR Zeitschrift für Gemeinschaftsprivatrecht GRUR Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht GRUR Int. Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht: Internationaler Teil GRURPrax Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht: Praxis im Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht

860

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GRUR-RR Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht: Rechtsprechungs-Report GS Gedächtnisschrift HBÜ Haager Übereinkommen über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- oder Handelssachen v. 18. März 1970 HG Handelsgericht HGÜ Haager Gerichtsstandsübereinkommen HL House of Lords HMA Haager Abkommen über die internationale Hinterlegung gewerblicher Muster und Modelle v. 06. 11. 1925 HRLR Human rights law reports HZÜ Haager Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen vom 15. November 1965 ICLQ International & Comparative Law Quarterly IESC Supreme Court of Ireland IIC International Review of Intellectual Property and Competition Law IJL & IT International Journal of Law & Information Technology I. L.Pr. International Litigation Procedure InstGE Entscheidungen der Instanzgerichte zum Recht des geistigen Eigentums IP Intellectual Property IPD Intellectual Property Decisions IPEC Intellectual Property Enterprise Court IPO Intellectual Property Office I. R. D. I. Intellectuele Rechten, Droits Intellectuels IPRax Praxis des internationalen Privat- und Verfahrensrechts ITRB Der IT-Rechtsberater JBR Journal of Banking Regulation JCP La Semain Juridique Édition Générale JDI Journal du droit international (Clunet) JIPLP Journal of Intellectual Property Law & Practice JPIL Journal of Private International Law JWIP The Journal of World Intellectual Property JZ JuristenZeitung KG Kammergericht KOM Für die anderen Unionsorgane bestimmte Dokumente der Europäischen Kommission LG Landgericht LMCLQ Lloyd’s Maritime and Commercial Law Quarterly LMK Beck-Fachnachrichtendienst Zivilrecht (Lindenmaier-Möhring) LQR Law Quarterly Review LR Law Reports LugÜ Luganer Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 16. September 1988, revidiertes Übereinkommen vom 30. Oktober 2007 MD Magazindienst MedR Medizinrecht

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MIP Mitt. MLR MMA

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Managing Intellectual Property Mitteilungen der deutschen Patentanwälte The Modern Law Review Madrider Abkommen über die internationale Registrierung von ­Marken v. 14. 04. 1891 MMP Protokoll zum Madrider Abkommen über die internationale ­­ Re­gistrierung von Marken v. 17. 06. 1989 MMR MultiMedia und Recht NIPR Nederlands Internationaal Privaatrecht NJB Nederlands Juristenblad NJW Neue juristische Wochenschrift NJW-RR Neue juristische Wochenschrift: Rechtsprechungs-Report NJOZ Neue juristische Online-Zeitschrift NLJ New Law Journal NZG Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht OECD Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ÖJZ Österreichische Juristen-Zeitung OGH Oberster Gerichtshof OHCS Outer House, Court of Session (Schottland) OLG Oberlandesgericht Pat High Court, Chancery Division, Patents Court PC Privy Council PCC Patents County Court PCT Vertrag über die internationale Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Patentwesens v. 19. 06. 1976 PD Practice Direction PflZÜ Internationales Übereinkommen zum Schutz von Pflanzenzüchtungen v. 02. 12. 1961 PKH-RL Richtlinie 2003/8/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur Verbesserung des Zugangs zum Recht bei Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug durch Festlegung gemeinsamer Mindestvorschriften für die ­Prozesskostenhilfe in derartigen Streitsachen PRTCP ALI / UNIDROIT Principles of Transnational Civil Procedure RPC Reports of patent, design and trademark cases PVÜ Pariser Verbandsübereinkunft v. 20. 03. 1883 QB High Court, Queen’s Bench Division QBD Law Reports: Queen’s Bench Division r. Rule / regulation RabelsZ Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht RB Rechtbank RBÜ Revidierte Berner Übereinkunft RC Revue critique de droit international privé RDPI Revue de droit de la propriété industrielle rev. revidiert Riv. dir. int. Rivista di diritto internazionale privato e processuale   priv. proc. RIW Recht der Internationalen Wirtschaft RPC Reports of Patent, Design and Trade Mark Cases

862

Abkürzungsverzeichnis

RpflG Rechtspflegergesetz Rs Rechtssache RSC Rules of the Supreme Court (CPR, Schedule 1) Rv Nederlandse Wetboek van Burgerlijke Rechtsvordering R. W. Rechtskundig Weekblad s. section SC Supreme Court of the United Kingdom SCA Senior Courts Act 1981 SEC Diverse Dokumente der Europäischen Kommission Slg. Sammlung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs S. L. Rev. Student Law Review SRA Solicitors Regulation Authority SZIER Schweizerische Zeitschrift für internationales und europäisches Recht TGI Tribunal de Grande Instance TPP Trans-Pacific Partnership TRIPS Agreement on Trade Related Aspects of Intellectual Property ÜEPV Verordnung im Bereich der Schaffung eines einheitlichen Patentschutzes im Hinblick auf die anzuwendenden Übersetzungsregelungen UFITA Archiv für Urheber-, Film-, Funk- und Theaterrecht U. Ill. L. Rev. University of Illinois Law Review UKSC United Kingdom Supreme Court UNCITRAL United Nations Commission on International Trade Law UNIDROIT International Institute for the Unification of Private Law UPC Unified Patent Court / Einheitliches Patentgericht UPCA Agreement on a Unified Patent Court – Übereinkommen über ein Einheitliches Patentgericht VerfO Verfahrensordnung VO Verordnung VuR Verbraucher und Recht WIPO World Intellectual Property Organisation WL Westlaw WLR Weekly law reports WRP Wettbewerb in Recht und Praxis WTO World Trade Organisation ZEuP Zeitschrift für Europäisches Privatrecht ZfRV Zeitschrift für Europarecht, internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung ZinsO Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht ZRHO Rechtshilfeordnung für Zivilsachen ZvglRWiss Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft ZZP Zeitschrift für Zivilprozeß ZZPInt. Zeitschrift für Zivilprozeß international

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Europäischer Gerichtsatlas für Zivilsachen (EU)

Europäisches Justizportal (EU)

Sachregister Access-Provider  § 4 Rn. 14 ff., 45 ff., 113 ff.; § 7 Rn. 51, 54 Actor sequitur forum rei  § 10 Rn. 6, 11, 30, 44, 46, 53 f., 66 f., 77, 142, § 13 Rn. 7; § 14 Rn. 95 Aktivlegitimation  § 3 Rn. 16, 21; § 12 Rn. 1, 51 Allgemeiner Gerichtsstand des Beklagten  § 10 Rn. 11, 24; § 13 Rn. 7, § 18 Rn. 50, 52 Alternative Streitbeilegung  § 1 Rn. 20 American Law Institute  § 1 Rn. 18 Anerkennung  § 16 Rn. 9 ff. – einstweilige Maßnahmen  § 16 Rn. 12 ff., 22 ff. – erfasster Umfang  § 16 Rn. 25 ff. – EuVTVO  § 16 Rn. 115 – ex parte-Verfahren  § 16 Rn. 12 ff., 16 ff., 80, 155 – ipso iure  § 16 Rn. 9 ff. – Wirkungserstreckung  § 16 Rn. 28 ff. Anerkennungsversagung  § 16 Rn. 1 ff., 68 ff., 124 – ausschließlicher Gerichtsstand  § 16 Rn. 72 ff., 160 – Beweislast  § 16 Rn. 70 – Klagezustellung  § 14 Rn. 31 f., 45 f., 57 f., 71, 89; § 16 Rn. 21, 75 ff.; § 17 Rn. 5, 18 – ordre public  § 16 Rn. 21, 28, 62, 84 ff., 111, 164, 167 – unvereinbare Entscheidungen  § 12 Rn. 5, 11, 84, 91 ff.; § 13 Rn. 88; § 16 Rn. 103 ff., 122, 124, 151, 168 ff., 180; § 17 Rn. 17 f. – Vortrag  § 16 Rn. 31 Anton Piller order  siehe search order Anwendungsvorrang des Unionsrechts  § 2 Rn. 37

Äquivalenzgrundsatz  § 2 Rn. 39 Arrest  § 4 Rn. 116 ff., § 11 Rn. 34, 37 ff.; § 16 Rn. 49; § 18 Rn. 111 ff., 128 ff. Ausforschungsbeweis  § 5 Rn. 47, 83; § 15 Rn. 14, 41, 55 f., 68 Auskunft  § 7 Rn. 1 ff., § 8 Rn. 24 ff. – ancillary order zur freezing injunction  § 4 Rn. 38, 66 ff., 162 ff; § 8 Rn. 15 – Datenschutz  § 7 Rn. 5, 10 ff., 22, 24, 46 ff., 87 ff., 96 ff. – Drittauskunft  § 7 Rn. 8, 28 ff., 31 ff., 75, 80; § 8 Rn. 25 – Durchsetzung  § 7 Rn. 73 – einstweiliger Rechtsschutz  § 7 Rn. 67, 89 f., § 16 Rn. 140 ff., 149 – Europäischer Kontenpfändungsbeschluss  § 16 Rn. 140 ff., 149 – Harmonisierungserfolg  § 8 Rn. 18 – im Rahmen der search order  § 6 Rn. 12, 19; 17 – Inhalt  § 7 Rn. 81 f., 95 – Kosten  § 7 Rn. 30, 66 – s. a. Norwich Pharmacal Order – über die Belegenheit eines zu besichtigenden Gegenstands  § 5 Rn. 61; § 6 Rn. 19 – über Geschäfts- und Vertriebspartner  § 6 Rn. 19; § 7 Rn. 15 ff., 41 – über Passwörter  § 5 Rn. 61; § 6 Rn. 19 – über Preise  § 6 Rn. 8; § 7 Rn. 43 – über Vermögensgegenstände  § 4 Rn. 48, 66 ff., 162 ff. – Unified Patent Court  § 18 Rn. 139 ff., 177 f., 184 – Verhältnis zur disclosure  § 7 Rn. 15 – Zusammenhang mit einem Verletzungsverfahren  § 7 Rn. 77 ff., 94 – Zuständiges Gericht  § 10 Rn. 138 ff. Auslegung des Unionsrechts  § 2 Rn. 27 ff.

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Sachregister

Außenkompetenz der EU  § 2 Rn. 9 ff. Aussetzung des Verfahrens  § 4 Rn. 101; § 8 Rn. 5; § 10 Rn. 109 ff., 124 ff. 132 ff., 149, 155 f., § 12 Rn. 9, 15, 36 ff., 48 ff., 53 ff., 63 ff., 67, 104, 110; § 13 Rn. 37 ff., 41 f., 43 ff., 54 ff., 64, 69; § 14 Rn. 64 f.; § 18 Rn. 64 ff., 72 Balance of convenience  § 4 Rn. 36 Bank-  Finanz- und Handelsunterlagen, § 4 Rn. 10, 68, 120 ff., 162 ff., § 5 Rn. 5, 59 f., 92 – Bezeichnung des Vorlagegegenstands  § 4 Rn. 127, 163, § 5 Rn. 6 Bestandsverfahren – ausschließlicher Gerichtsstand  § 10 Rn. 9 f., 99 f., 142; § 13 Rn. 22, 77; § 16 Rn. 160 – Aussetzung des Verletzungsverfahrens  § 10 Rn. 109 ff., 124 ff., 132 f.; § 12 Rn. 65; § 13 Rn. 41 ff., 77; § 18 Rn. 64 ff., 72 – Bundespatentgericht  § 10 Rn. 120 – Gemeinschaftsschutzrechte  § 13 Rn. 38 ff., 69 Beweisaufnahme im Ausland  § 15 Rn. 1 ff. – aktive Rechtshilfe  § 5 Rn. 11 ff., 19 ff., 80 f. – Anwendungsbereich EuBVO  § 15 Rn. 5 ff., 56 – Beweismittelbeschaffung  § 15 Rn. 7 ff., 27, 53 ff., 86 ff., 93 ff. – Form der Beweisaufnahme  § 15 Rn. 21 ff., 35 ff. – Formblätter  § 15 Rn. 12 f., 50, 80 – Kosten  § 15 Rn. 27, 33 – Passive Rechtshilfe  § 15 Rn. 11 ff., 15 ff., 80, 91 f. – Rechtsmittel  § 15 Rn. 60 – Sperrwirkung der EuBVO  § 15 Rn. 61 – Verweigerungsrechte  § 15 Rn. 30 ff., 83 f., 88, 94 – Videokonferenz  § 15 Rn. 10, 16, 26, 75 – völkerrechtliche Schranken  § 15 Rn. 62 ff., 71 ff., 75 ff.; § 17 Rn. 3, 13 ff., 41 f. – Zwangsmaßnahmen  § 15 Rn. 17, 22, 31, 47 ff., 52, 92

Beweisermittlung  § 6 Rn. 5 ff., 12 ff., 42, 84 – zugunsten ausländischer Verfahren  § 6 Rn. 26; § 15 Rn. 14 Beweismittel – s. a. Beweisaufnahme im Ausland – einstweilige Verfahren  § 4 Rn. 69, 131 – Unified Patent Court  § 18 Rn. 96 ff. Beweismittelsicherung  § 6 Rn. 1 ff.; § 8 Rn. 13, 24 – Ausland  § 15 Rn. 7 ff., 36, 82; § 17 Rn. 21 – Antragsgegner  § 6 Rn. 3 – Düsseldorfer Praxis  § 5 Rn. 72 ff., 89 f.; § 6 Rn. 54 ff. – Durchsetzung  § 6 Rn. 53 – Durchsuchung  § 6 Rn. 5 ff.; 12 ff., 53 – einstweilige Verfügung  § 6 Rn. 41 ff.; § 17 Rn. 21 – Gefahr des Beweismittelverlusts  § 6 Rn. 15, 36, 38, 43 ff., 61 – Harmonisierungserfolg  § 8 Rn. 17 – Rechtshilfe  § 15 Rn. 58 f. – search order  § 6 Rn. 12 ff. – Unified Patent Court  § 18 Rn. 144 ff., 184 – Zeugenvernahme  § 6 Rn. 4, 33, 38 f. – zugunsten ausländischer Verfahren  § 6 Rn. 26, 70 f., 83, 86; § 17 Rn. 21 – zuständiges Gericht  § 11 Rn. 42 ff. Beweismittelvorlage  § 5 Rn. 1 ff.; § 6 Rn. 5 ff.; § 8 Rn. 13, 24; § 15 Rn. 4 s. a. disclosure – begünstigte Partei  § 5 Rn. 7 ff. – Besichtigung von Prozessen  § 5 Rn. 23, 61, 98 – Bezeichnung des Vorlagegegenstands  § 5 Rn. 6, 26,56 f., 83, 96 – durch Dritte § 5 Rn. 25 ff.; 81 ff.  102 – Durchsetzung  § 5 Rn. 48, 63, 87 – einstweiliger Rechtsschutz  § 5 Rn. 51 – Erforderlichkeit  § 5 Rn. 53 f. – extraterritoriale Beweismittel  § 5 Rn. 35; § 15 Rn. 7 ff., 64 ff., 69, 86 ff., 92 ff. – Harmonisierungserfolg  § 8 Rn. 16 – Stufenklage  § 5 Rn. 51 – Unified Patent Court  § 18 Rn. 90, 115, 134 ff., 141, 148 f., 188, 190

Sachregister

– Verfügungsgewalt  § 5 Rn. 58 – Wahrscheinlichkeit der Rechtsverletzung  § 5 Rn. 52 – zugunsten ausländischer Verfahren  § 6 Rn. 26, 70 f., 83, 86; § 15 Rn. 49 – Zuständiges Gericht  § 10 Rn. 138 ff., § 11 Rn. 42 ff. Beweisverfahren  selbständiges, § 6 Rn. 38 ff.; § 9 Rn. 2; § 11 Rn. 69 – zugunsten ausländischer Verfahren  § 6 Rn. 39, 70 ff. Bifurcation  siehe Trennungsprinzip Binnenmarkt  § 1 Rn. 7; § 2 Rn. 7 f. Binnenmarktbezug  § 2 Rn. 1, 5; 7; § 3 Rn. 18; § 8 Rn. 20, 39 f. Clear the path  § 4 Rn. 39, § 10 Rn. 16 CLIP  § 1 Rn. 19 Confidentiality club  § 5 Rn. 30 f., 103; § 6 Rn. 37; § 15 Rn. 24 f. Contempt of court  § 4 Rn. 56 ff., 62, 72, 77, 80 ff., § 5 Rn. 36, 41, 104; § 6 Rn. 18, 29 f.; § 7 Rn. 27; § 12 Rn. 44; § 16 Rn. 58; 87 ff.; Anhang Rn. 25, 39 Dänemark  § 2 Rn. 4 Datenschutz  § 5 Rn. 35; § 7 Rn. 5, 10 ff. 22, 24, 46 ff., 87 ff., 96 ff. Debarment from defending  siehe Verteidigung, Ausschluss von Diensteanbieter der Informationsgesellschaft  § 4 Rn. 14 ff., 17 ff., 110 ff., 155 f. Disclosure – Anordnungen gegenüber Dritten  § 5 Rn. 27 – bei ex parte-Anträgen  § 4 Rn. 71, 167; § 6 Rn. 22, 37 – Begleitanordnung zur freezing injunction  § 4 Rn. 66 ff., 162 ff. – Beschränkungen in Patentstreitigkeiten  § 5 Rn. 14 – Dokumenteneinsicht  § 5 Rn. 13, 21 – Dokumentenoffenbarung  § 5 Rn. 13, 18 ff. – Durchsetzung  § 5 Rn. 36 – erfasste Dokumente  § 5 Rn. 15 ff. – extraterritoriale Dokumente  § 15 Rn. 66 ff., 86 ff., 92 ff.

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ordre public  § 16 Rn. 97 f. pre-action  § 6 Rn. 31 f. Rechtshilfe  § 15 Rn. 53 ff. specific disclosure  § 5 Rn. 22 standard disclosure  § 5 Rn. 15 ff. stromlinienförmiges Verfahren  § 5 Rn. 14; Anhang Rn. 26 – Verfügungsgewalt  § 5 Rn. 17 – Verhältnis zur Auskunft  § 7 Rn. 15 f. Doorstep piller  § 6 Rn. 29 Düsseldorfer Praxis  § 5 Rn. 72 ff., 89 f.; § 6 Rn. 54 ff. – Freigabe des Gutachtens  § 5 Rn. 72 ff.; § 6 Rn. 48 f., 55, 58 f.. 71 – Rechtsschutz  § 6 Rn. 58 f. – zugunsten ausländischer Verfahren  § 6 Rn. 70 ff. – Zuständigkeit  § 6 Rn. 57 eCommerce-Richtlinie  § 4 Rn. 17 ff. Effektivitätsgrundsatz  siehe effet utile Effet utile  § 2 Rn. 33, 40 ff.; § 4 Rn. 7, 129, § 10 Rn. 123 ff., 127, 133 ; § 12 Rn. 24, 38, 63 ff., § 14 Rn. 44, 47; § 15 Rn. 40 Einheitspatent  § 1 Rn. 10; § 18 Rn. 15 ff. Einheitspatentgericht  siehe Unified Patent Court Einstweiliger Rechtsschutz  § 4 Rn. 1 ff.; § 11 Rn. 1 ff. – Anerkennung  § 16 Rn. 12 ff., 22 ff., 104 ff. – anwendbares Recht  § 9 Rn. 1 ff., § 11 Rn. 2 – Dringlichkeit  § 4 Rn. 8, 36 f., 97 ff.; § 6 Rn. 15, § 11 Rn. 19, 28 – Durchsetzung  § 4 Rn. 80 ff., 84 ff., 143 ff. – Erfolgsaussichten in der Hauptsache  § 4 Rn. 31 ff., 51, 93 f.; § 8 Rn. 14 f.; § 18 Rn. 120 f. – EuGVO-autonome Definition der einstweiligen Maßnahme  § 11 Rn. 19 ff., 45 ff., 61 f., 77 f., 83 f. – Harmonisierungserfolg  § 8 Rn. 14 f. – Internationale Zuständigkeit  § 11 Rn. 4 ff.; § 13 Rn. 33 ff., 76 – Reale Verknüpfung  § 11 Rn. 23 ff., 29, 33, 35 f., 57, 59, 64, 68, 74 ff., 84

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Sachregister

– Rechtskraft  § 16 Rn. 104 – Sicherstellung der Vorläufigkeit  § 11 Rn. 26 f., 29, 54 f., 58, 65, 74 ff., 84 – Überprüfbarkeit der Zuständigkeit  § 11 Rn. 27, 30 – Unified Patent Court  § 18 Rn. 40, 42 f., 50, 111 ff., 144 f., 177, 184, 189 f. – Verfahrenskoordination  § 12 Rn. 16, 46 ff., 54, 87 ff., 107; § 16 Rn. 104 ff. – Vollstreckbarkeit im Ausland  § 11 Rn. 27, 29, 63; § 16 Rn. 12 ff., 36 – Zuständigkeit  § 4 Rn. 49, 63 f.; § 6 Rn. 14, 21, 26, 57; § 11 Rn. 1 ff., § 13 Rn. 33 ff., 76; § 16 Rn. 14; Anhang Rn. 11 – Zuständigkeit des Hauptsachegerichts  § 11 Rn. 9 ff., 71; § 13 Rn. 33 EMRK  § 2 Rn. 20 ff. Ermessen  gerichtliches, § 4 Rn. 36, 55, § 5 Rn. 33, 65; § 6 Rn. 48 f., 51; § 7 Rn. 22 f., § 12 Rn. 57 ff., 99 f.; Anhang, Rn. 30 Europäischer Gerichtsatlas  § 1 Rn. 16; § 14 Rn. 8, 31, 99 f.; § 15 Rn. 90; § 16 Rn. 183; § 17 Rn. 16 Europäischer Kontenpfändungsbeschluss  § 11 Rn. 69 ff.; § 16 Rn. 133 ff. – Anwendungsbereich  § 11 Rn. 69 f. – Auskunft  § 16 Rn. 140 ff., 149 – ex parte  § 16 Rn. 134, 137, 144; § 17 Rn. 19 – Rechtsnatur  § 16 Rn. 134 – Vollstreckung  § 16 Rn. 144, 167 – Zuständigkeit  § 11 Rn. 71 – Zustellung  § 16 Rn. 145 Europäischer Vollstreckungstitel über unbestrittene Forderungen – Anerkennung  § 16 Rn. 115 – Anwendungsbereich  § 14 Rn. 73 – Auslandsvollstreckung  § 16 Rn. 111 ff., 122 – Bestätigungsbefugnis  § 16 Rn. 125, 128 – Bestätigungsverfahren  § 16 Rn. 116 ff., 127, 172; § 17 Rn. 38 – Formblätter  § 16 Rn. 116, 122, 128 – Rechtsbelehrungen  § 14 Rn. 73, 77; § 16 Rn. 119, 126; § 17 Rn. 9

– Rechtsschutz  § 16 Rn. 117 f., 129; § 17 Rn. 38 – Verhältnis zur EuZVO  § 14 Rn. 80 f., § 16 Rn. 120; § 17 Rn. 8, 18 – Vollstreckbarerklärung  § 16 Rn. 116 ff. – Wahlrecht  § 16 Rn. 123; § 17 Rn. 18 – Zustellung  § 14 Rn. 73 ff.; § 16 Rn. 119, 126, 162 – Zwangsgeldanordnung  § 16 Rn. 114 Europäisches Justizportal  § 1 Rn. 16; § 15 Rn. 12; § 17 Rn. 16 European Law Institute  § 1 Rn. 18 Exequaturverfahren  § 16 Rn. 1 ff., 30 ff., 68, 111, 125, 171 f. ex parte-Entscheidungen  § 4 Rn. 70 ff., 132 ff., 165 ff.; § 6 Rn. 55, 60 ff., § 12 Rn. 89, 94; § 16 Rn. 12 ff., 36; 113, 155 – Schutz der nicht gehörten Partei  § 4 Rn. 71 f., 137, 165 ff.; § 16 Rn. 12 ff., 155 Formblätter,§ 14 Rn. 8 f., 91, 99, 111; § 15 Rn. 12 f., 80; § 16 Rn. 116, 122, 128, 135 f.; § 17 Rn. 16, 43 Forum non conveniens  § 10 Rn. 33, § 12 Rn. 59; § 17 Rn. 11 Forum shopping  § 4 Rn. 65, 98 f., 167, § 10 Rn. 7, 18, 26, 44, 49, 53, 66 f., 94, 119, 137, 143, § 11 Rn. 8, 29, 54, 63, 65, 71; § 12 Rn. 94, 102; § 13 Rn. 13; § 16 Rn. 60, 152, 155 Freezing injunction  § 4 Rn. 9, 34, 48 ff., 158 ff.; § 8 Rn. 14, § 11 Rn. 31, 37 ff. – Anordnungsvoraussetzungen  § 4 Rn. 50 ff. – begleitende Auskunftsanordnung  § 4 Rn. 66 ff., 162 ff. – Drittwirkung  § 4 Rn. 57 f., 62 – Durchsetzung  § 4 Rn. 80 ff. – ex parte  § 4 Rn. 70, 72 – Inkrafttreten  § 4 Rn. 58 – ordre public  § 16 Rn. 100 – Schutz betroffener Personen  § 4 Rn. 78 f. – Unified Patent Court  § 18 Rn. 111 ff. 128 ff., 177 – Vollstreckung im Ausland  § 16 Rn. 21, 47 f., 87 ff.

Sachregister

– vorrangige Befriedigungsmöglichkeit  § 4 Rn. 59, 83 – weltweite  § 4 Rn. 52, 60 ff., 37 ff.; § 16 Rn. 40 Fristbeginn (Einleitung des Hauptsacheverfahrens)  § 4 Rn. 25 f. Gemeinschaftliches Sortenschutzrecht  siehe Gemeinschaftsschutzrechte Gemeinschaftsgeschmacksmuster siehe Gemeinschaftsschutzrechte Gemeinschaftsmarke  siehe Gemeinschaftsschutzrechte Gemeinschaftsschutzrechte  § 1 Rn. 10; § 2 Rn. 5, § 13 Rn. 1 ff. – Auslandsvollstreckung  § 16 Rn. 64 ff. – Bestandsangriffe  § 13 Rn. 38 ff. – Einstweiliger Rechtsschutz  § 13 Rn. 33 ff., 76, 89 – Gemeinschaftsmarken- bzw. geschmacksmustergerichte  § 13 Rn. 3 ff., 33 f., 68, 73, 90; Anhang Rn. 8, 11 – Koexistenz  § 13 Rn. 53 – Rechtskraft  § 13 Rn. 46 ff., 54, 56, 82 ff. – Restitution  § 13 Rn. 51 f., 69, 89 – Streitgegenstand  § 13 Rn. 49, 57 ff., 83, 89 – Verfahrenskoordination  § 13 Rn. 36 ff., 53 ff., 69, 77 f., 89 – Zuständigkeit  § 13 Rn. 7 ff., 66 ff., 70 ff., 89 Gerichtsstand der Niederlassung  § 10 Rn. 12; § 13 Rn. 7 Gerichtsstand der Streitgenossenschaft  § 10 Rn. 64 ff., 144, 150, 153 – Deckungsgleichheit der Klagen  § 10 Rn. 83 – einheitliche Rechtslage  § 10 Rn. 70 ff., 85 ff. – einheitliche Sachlage  § 10 Rn. 69, 84 – Gemeinschaftsmarke bzw. -geschmacksmuster  § 13 Rn. 22 ff., 89 – Konnexität  § 10 Rn. 65, 67 ff., 88, 95 f. – legitimes Interesse des Klägers  § 10 Rn. 79 ff. – Missbrauchskontrolle  § 10 Rn. 75, 89 – Spinne im Netz  § 10 Rn. 90 ff.

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– subjektive Verbindung der Beklagten  § 10 Rn. 84 Gerichtsstand der unerlaubten Handlung  § 10 Rn. 7 f., 13 ff., 143, 152 – arbeitsteiliges Vorgehen  § 10 Rn. 21, 26, 28 f. – Gemeinschaftsmarke bzw. -geschmacksmuster  § 13 Rn. 11 ff. – Ort der Schadensrealisierung  § 10 Rn. 18, 27 ff. – Ort des ursächlichen Geschehens  § 10 Rn. 17 ff., 23 ff. – Prüfungsintensität  § 10 Rn. 50 ff. – Rollenneutralität  § 10 Rn. 7, 15 f., 56, 141 f. – Schwerpunktbildung  § 10 Rn. 18, 23 f. , 39 ff., 49, 54 f., 143 – s. a. Streudelikt – Teilakte  § 10 Rn. 20 ff., 53 – s. a. Ubiquitätsprinzip Gerichtsstand des Erfüllungsorts  § 10 Rn. 57 ff. Gerichtsstandsvereinbarung  § 10 Rn. 61 f., 99; § 12 Rn. 7; § 13 Rn. 19 ff.. 89; § 18 Rn. 49 Gewerbliche Schutzrechte – Begriff § 1 Rn. 4  23, § 3 Rn. 19; Gewerbliches Ausmaß der Rechtsverletzung  § 4 Rn. 22 ff., § 5 Rn. 5, 59; § 6 Rn. 9 Glaubhaftmachung  § 4 Rn. 92 ff., 97 ff., 116 ff., 131; § 6 Rn. 39, 42 ff., 61, 78; § 8 Rn. 14 Good arguable case  § 4 Rn. 50 f.; § 10 Rn. 52 Grenzüberschreitender Bezug  § 2 Rn. 3 Grundrechte  § 2 Rn. 20 ff.; § 4 Rn. 21; § 6 Rn. 10 ff.; § 7 Rn. 53; § 8 Rn. 49; § 15 Rn. 1, 31, 83 f., 95; § 16 Rn. 86, 121; § 17 Rn. 3, 6 Grundrechte-Charta § 2 Rn. 20 ff.  31; § 7 Rn. 10, 53; § 8 Rn. 49; § 12 Rn. 30; § 14 Rn. 45; § 15 Rn. 1; § 16 Rn. 121 Haager Beweisübereinkommen  § 15 Rn. 2, 8 f., 31, 39, 55, 67 f., 80 Haager Gerichtsstandsübereinkommen  § 10 Rn. 62, § 13 Rn. 20

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Sachregister

Haager Zustellungsübereinkommen  § 14 Rn. 3, 68 Haftungsprivilegierung  § 4 Rn. 17 ff. Harmonisierungserfolg der DRL  § 8 Rn. 13 ff., 19 ff., 38 Host-Service-Provider  § 4 Rn. 17 ff, 45 f., 110 ff., 156 In camera-Verfahren  § 5 Rn. 30 f., 69 ff., 79, 84, 90, 103; § 15 Rn. 24 f. Inländergleichbehandlung  § 1 Rn. 5, § 3 Rn. 6 Interessenausgleich  § 4 Rn. 152 ff. Justizgewähranspruch  § 2 Rn. 2, 23, 40; § 6 Rn. 70; § 8 Rn. 44, 49, 57; § 12 Rn. 11, 53, 59; § 13 Rn. 87; § 14 Rn. 1 f., 25; § 16 Rn. 86, 154, 164; § 17 Rn. 3; § 18 Rn. 176 ff. Know-how  § 1 Rn. 3; § 5 Rn. 29, 64, 105; § 6 Rn. 49; § 8 Rn. 50 Kohärenz der Rechtsakte  § 16 Rn. 179; § 17 Rn. 17 ff., 40, 45 f. Kontenpfändung siehe Arrest, Europäischer Kontenpfändungsbeschluss, freezing injunction, Litispendenz  § 12 Rn. 6 ff., 101; § 13 Rn. 37, 39, 54 f. – Anspruchsidentität  § 12 Rn. 12 ff. – Einstweiliger Rechtsschutz  § 12 Rn. 46 ff., 87, 95 ff.; § 13 Rn. 42 – Gerichtsstandsvereinbarung  § 12 Rn. 7 – Hilfsanspruch  § 12 Rn. 17 – Kernpunkttheorie  § 12 Rn. 12 ff. – Parteiidentität  § 12 Rn. 9 ff., 50 f. – Prioritätsgrundsatz  § 12 Rn. 6 f., 17; § 13 Rn. 38, 42 ff. – Rechtshängigkeit  § 12 Rn. 6, § 14 Rn. 41 f.; Anhang Rn. 13 – Sperrwirkung  § 12 Rn. 6 ff., 40 ff. – Teilidentität  § 12 Rn. 9, 60 Mareva injunction  siehe freezing injunction Materialisierung des Verfahrensrechts  § 1 Rn. 15, § 8 Rn. 46 f., 50, 57

Mindestharmonisierung  § 3 Rn. 1, 9, 18; § 4 Rn. 139, 178; § 8 Rn. 16 ff., 31 ff., 39, 42, 57 Mindeststandards verfahrensrechtliche, § 8 Rn. 48 f.; § 14 Rn. 73 ff., 80 ff., 89; § 16 Rn. 118 f., 125 ff., 162; § 17 Rn. 10, 20, 40 f., 43 f. Mittelspersonen  § 4 Rn. 13 ff., 43 ff., 106 ff., 155 f., 176; § 7 Rn. 30 ff.; 18 Rn. 122 negative Feststellungsklage  § 4 Rn. 99; § 10 Rn. 15 f., § 12 Rn. 17 ff., 88, 95; § 13 Rn. 9, 12, 27, 57, 74 f., 89 Nichtigkeitseinwand  § 10 Rn. 101, 103 ff., 145, 147 ff., 154 ff.; – Anspruchsidentität  § 12 Rn. 14 – Aussetzung des Verfahrens  § 10 Rn. 109 ff., 121 ff., 155 – Bindungswirkung der Schutzrechtserteilung  § 10 Rn. 125 ff. – einstweiliger Rechtsschutz  § 10 Rn. 134, § 11 Rn. 13, 72 – Erklärung der Unzuständigkeit  § 10 Rn. 107 f., 118 – Gemeinschaftsschutzrechte  § 13 Rn. 9, 27 f., 69 – inzidente Entscheidungsbefugnis des Verletzungsgerichts  § 10 Rn. 104 – Unerheblichkeit  § 10 Rn. 123 ff. – Unified Patent Court  § 18 Rn. 61 Nichtigkeitswiderklage  § 8 Rn. 5, § 10 Rn. 101 f.; § 13 Rn. 9, 29 ff., 38 ff., 69; § 18 Rn. 58 ff., 66, 78, 83, 88 ff., 102, 110, 163, 188 Norwich Pharmacal Order, – Anordnungsvoraussetzungen  § 7 Rn. 20 ff. – Datenschutz  § 7 Rn. 24 – Durchsetzung  § 7 Rn. 27 – Inhalt  § 7 Rn. 23 – Kosten  § 7 Rn. 30 Öffentlichkeit der Verhandlung  § 2 Rn. 25 Ordre public – Anerkennung  § 16 Rn. 21, 28, 62, 84 ff., 164, 167 – Beweisaufnahme  § 15 Rn. 15, 39 f.

Sachregister

– Europäischer Kontenpfändungsbeschluss  § 16 Rn. 146, 167 – Zustellung  § 14 Rn. 9, 58, 71 Pariser Verbandsübereinkunft  § 1 Rn. 5, § 3 Rn. 6 Passivlegitimation  § 3 Rn. 22 Perpetuatio fori  § 10 Rn. 104, 119, 120 ff., 135 Produktpiraterie  § 3 Rn. 2 f.; § 8 Rn. 22 Prozessführungsbefugnis  § 3 Rn. 16, 21; § 12 Rn. 1, 51 Prozesskosten  siehe Verfahrenskosten Prozessökonomie  § 10 Rn. 6, 16, 66, 77 ff., 83 ff., 93, 104, 108, 112, 120; § 12 Rn. 21, 37, 41, 59, 73; § 13 Rn. 42, 56, § 16 Rn. 65; § 18 Rn. 53, 75 Qualifikation der Instrumente der DRL  § 3 Rn. 14, § 5 Rn. 6 Quantifizierung eines drohenden Schadens  § 4 Rn. 38 Rechtliches Gehör  § 2 Rn. 24, § 3 Rn. 7, § 4 Rn. 66, 70 ff., 84 ff., 132 ff., 165 ff., § 5 Rn. 31, 69 ff., 90; § 6 Rn. 13, 40, 60 ff., 78; § 7 Rn. 24, 86; § 8 Rn. 53; § 14 Rn. 1 f., 25 ff., 44, 92, 101; § 16 Rn. 12 ff., 21, 62, 84 ff., 88 ff., 94 ff., 117, 129, 134, 137, 144, 161 ff.; § 17 Rn. 5 ff. Rechtsetzungskompetenz  § 2 Rn. 1 ff.; § 3 Rn. 17 f.; § 8 Rn. 39 f.; § 10 Rn. 4 Rechtskraft  § 12 Rn. 68 ff., 105 f. – amtswegige Berücksichtigung  § 12 Rn. 72, 74 – Gemeinschaftsschutzrechte  § 13 Rn. 46 ff., 54, 56, 82 ff. – negative Prozessvoraussetzung  § 12 Rn. 72 f. – Präjudizialität  § 12 Rn. 72, 76 ff. – Streitgegenstandsbegriff  § 12 Rn. 72, 80 ff.; § 13 Rn. 57 ff., 83 – Wirkungserstreckung  § 12 Rn. 77, 80 f., 83, 90, 105; § 13 Rn. 82; § 16 Rn. 28 f. – Zuständigkeitsentscheidung  § 12 Rn. 75 f.; § 13 Rn. 32

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Rechtsschutzbedürfnis  § 4 Rn. 98 Rechtssicherheit  § 2 Rn. 24, 32 Restitution  § 10 Rn. 105, 127; § 13 Rn. 51 f., 69, 84, 89 Richtlinienkonforme Rechtsfortbildung  § 2 Rn. 38, § 4 Rn. 129, 140; § 6 Rn. 68 Rügelose Einlassung  § 2 Rn. 42 f.; § 10 Rn. 98, 119, 129, 140; § 11 Rn. 10 ff.; § 12 Rn. 6; § 13 Rn. 19; § 18 Rn. 49, 62, 183 Sachverständige  § 4 Rn. 94, 97; § 5 Rn. 21, 23, 30 ff., 55, 68 f., 72 ff., 89, 103, 107; § 6 Rn. 38 f., 50, 52 ff., 62 ff., 74; § 8 Rn. 4, 6, 17, 22; § 11 Rn. 49; § 15 Rn. 6, 13, 16, 20, 28, 58, 65, 71 ff., 86, 89; § 17 Rn. 13 f., § 18 Rn. 90 ff., 97, 99 f., 146, 151, 178, 184; Anhang Rn. 18 ff., 22 ff., 26 Saisie contrefaçon  § 6 Rn. 5 ff., 76 ; § 8 Rn. 7, 24, § 11 Rn. 45 ; § 15 Rn. 23, 43 ; § 16 Rn. 51 Schadensersatz  § 4 Rn. 140 f., 169; § 5 Rn. 79 f.; § 6 Rn. 69, § 11 Rn. 32, § 16 Rn. 147 Schutzmaßnahmen zugunsten des Antragsgegners  § 4 Rn. 73 ff., 168 ff. – Düsseldorfer Praxis  § 6 Rn. 66 ff. – Einleitung des Hauptsacheverfahrens  § 4 Rn. 74, 78, 138 f., 168, 175; § 6 Rn. 10, 67 f. – freezing injunction  § 4 Rn. 78 f. – Kompensation des Antragsgegners  § 4 Rn. 71, 75 ff., 79, 140 ff., 169; § 5 Rn. 79 f.; § 6 Rn. 2, 23, 25, 69, 80; §  Rn. 15; § 18 Rn. 123, 125, 130, 132, 176 f., 192 – Unified Patent Court  § 18 Rn. 123 ff., 129 f. – s. a. Verpflichtungserklärung – zwingender Charakter  § 4 Rn. 11 f.; § 6 Rn. 10; § 8 Rn. 32 Search order  § 6 Rn. 12 ff. – Anordnungsvoraussetzungen  § 6 Rn. 15 ff. – Aufhebung  § 6 Rn. 21 – Auskunft  § 6 Rn. 12, 19

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Sachregister

– Durchführung  § 6 Rn. 20, 24 – Durchsetzung  § 6 Rn. 18 – im Ausland belegene Räumlichkeiten  § 6 Rn. 21; § 15 Rn. 23, 43, 45, 71 ff. – Kosten  § 6 Rn. 28, 35 – ordre public  § 16 Rn. 100 – Rechtsnatur  § 6 Rn. 18, 27, § 11 Rn. 45; § 15 Rn. 38 – Schutzvorkehrungen  § 6 Rn. 22, 37 – supervising solicitor  § 6 Rn. 12, 15 f., 17, 20, 23 f., 27 f., 81; § 15 Rn. 37, 51 Sektorielle Rechtsangleichung  § 1 Rn. 14; § 2 Rn. 33; § 4 Rn. 147, 164, 172 f., § 5 Rn. 96; § 8 Rn. 35 ff., 38, 46 f., 50 Serious question to be tried  § 4 Rn. 31, 51 Sicherheitsleistung  § 4 Rn. 3 f., 28, 30, 59, 76, 88, 92, 119, 142; § 5 Rn. 62; § 6 Rn. 2, 23, 69; § 11 Rn. 26, 29, 32, 84; § 18 Rn. 103, 111, 123, 130, 146, 167 Sperrverfügung  § 4 Rn. 14 ff., 45 f., 113 ff. Sprachrisiko  § 14 Rn. 12 ff., 20 ff., 48, 75, 80 f., 82 f., 87, 93 ff., 107 ff., 113; § 16 Rn. 34 f., 122, 145, 165 f. Störerhaftung  § 4 Rn. 107, 109, 110 ff., 148, 155, § 7 Rn. 36 ff. Storme-Kommission  § 1 Rn. 17 Streitgegenstand  § 12 Rn. 12 ff., 18, 71 ff., 80 ff., 101, 106; § 13 Rn. 37, 49, 55, 57 ff., 78, 82 f., 88, 124; § 16 Rn. 124; § 18 Rn. 187 Streudelikt  § 10 Rn. 30 ff., 53 ff., 143 – commercial effect  § 10 Rn. 42, 45 – Einschränkung der Kognitionsbefugnis  § 10 Rn. 18, 34 ff., 39 ff., 54 ff., 143 – Geo-Lokalisierung  § 10 Rn. 38 – Schwerpunktbildung  § 10 Rn. 39 – Unterlassungsbegehren  § 10 Rn. 41, 43 ff. Striking out a case  § 4 Rn. 84 ff.; § 5 Rn. 13, 41 Strong prima facie case  § 6 Rn. 15 Supervising solicitor  § 6 Rn. 12, 15 f., 17, 20, 23 f., 27 f., 81 Tampere  Ratssitzung von, § 1 Rn. 11 Territorialitätsprinzip  § 1 Rn. 4 ff.; § 2 Rn. 5, 8, § 10 Rn. 1 ff., 22, 27, 53, 55 ff.,

101, 135, 141, 145; § 12 Rn. 62, § 13 Rn. 1, 6, 61, 70; § 18 Rn. 1 f. Torpedoklage  § 4 Rn. 99; § 10 Rn. 15 f., 119, 149, § 11 Rn. 16, § 12 Rn. 18 ff., 88, 102, 108, 111 f. – anti suit injunction  § 12 Rn. 44 f.; § 17 Rn. 11 – ausschließliche Zuständigkeit  § 12 Rn. 33 ff. – Begriffsbildung  § 12 Rn. 18 – Missbrauchsvorbehalt  § 12 Rn. 28 f., 31 f. – natürlicher Beklagter  § 12 Rn. 26 f. – überlange Verfahrensdauer  § 12 Rn. 30 Trennungsprinzip  § 3 Rn. 25; § 8 Rn. 5, § 10 Rn. 101, 106, 111, 125 ff., 135, 145; § 13 Rn. 79 ff. TRIPS  § 2 Rn. 9, § 3 Rn. 6 ff., § 5 Rn. 3, 9, 64, 85, § 8 Rn. 50, § 11 Rn. 52 Ubiquitätsprinzip  § 10 Rn. 17 ff., 30, 143 Übereinkommen über die Erteilung europäischer Patente (EPÜ)  § 1 Rn. 9 Übersetzung  § 2 Rn. 24; § 14 Rn. 12 ff., 20 ff., 87, 92 ff., 107 ff., 110 f.; § 16 Rn. 33 ff., 122, 145, 165 f.; § 17 Rn. 7 ff., 16, 18; § 18 Rn. 2, 19 f., 27, 156, 158, 161 ff., 172 Umsetzungsspielraum der Mitgliedstaaten  § 4 Rn. 6 ff.; § 5 Rn. 6; § 6 Rn. 9; § 7 Rn. 6 ff., 14 Unbekannter Antragsgegner  § 4 Rn. 41 f., 105, 157 Undertaking  siehe Verpflichtungserklärung UNIDROIT  § 1 Rn. 18 Unified Patent Court  § 18 Rn. 1 ff. – Auskunft  § 18 Rn. 139 ff., 177 f., 184 – Berufung  § 18 Rn. 21, 48, 62, 67, 107 ff., 165, 184, 192, 196 – Beweisaufnahme  § 18 Rn. 96 ff., 175, 186, 189 – Beweismittelsicherung  § 18 Rn. 144 ff., 184 – Beweismittelvorlage  § 18 Rn. 90, 115, 134 ff., 141, 148 f., 188, 190 – einstweiliger Rechtsschutz  § 18 Rn. 40, 42 f., 50, 111 ff., 144 f., 177, 184, 189 f.

Sachregister

– internationale Zuständigkeit  § 18 Rn. 38 ff. – interne Zuständigkeit  § 18 Rn. 49 ff. – Kammern  § 18 Rn. 45 ff. – Nichtigkeitseinwand  § 18 Rn. 61 – Nichtigkeitswiderklage  § 18 Rn. 58 ff., 66, 78, 83, 88 ff., 102, 110, 163, 188 – sachliche Zuständigkeit  § 18 Rn. 42, 125, 130, 167, 177 – Verfahren erster Instanz  § 18 Rn. 84 ff. – Verfahrenskoordination  § 18 Rn. 63 ff. – Verfahrensrecht  § 18 Rn. 44 ff. – Versäumnisurteil  § 18 Rn. 92, 88, 104, 164, 189 – Vollstreckung  § 18 Rn. 103, 128, 131, 146, 150, 164, 165 ff., 176, 178 f., 192 – Vorabentscheidungsersuchen  § 18 Rn. 15, 24 f., 193 – Wiederaufnahme  § 18 Rn. 110 – Zustellung  § 18 Rn. 89, 104, 154 ff., 164 Unionsgerichtsbarkeit  § 2 Rn. 6, 14 ff. Unionsrechtskonforme Auslegung  § 2 Rn. 38, § 4 Rn. 45 f., 114 f., 129, 140, 146; § 5 Rn. 53; § 6 Rn. 44 f., 68; § 7 Rn. 28, 35, 63 ff., 75 f., 85; § 8 Rn. 34 Unmittelbare Anwendbarkeit des TRIPS  § 3 Rn. 8 Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme  § 5 Rn. 67 f.; § 6 Rn. 62 Unterlassungsanordnung  § 4 Rn. 3, 13 ff., 29 ff., 92 ff.; § 11 Rn. 20, 31 f., 35 f., 64, 75; § 13 Rn. 76; § 16 Rn. 47 ff., 114, 155; § 18 Rn. 116 ff., 122 Urteilsfreizügigkeit  § 2 Rn. 32; § 16 Rn. 1 ff. Verbundprinzip  § 3 Rn. 26; § 8 Rn. 6, 9, 12; § 10 Rn. 101, 135, 145; § 13 Rn. 79 ff., 84; Anhang Rn. 17 Verfahrenskoordination  § 12 Rn. 1 ff. – s. a. Aussetzung des Verfahrens – einstweiliger Rechtsschutz  § 12 Rn. 16, 46 ff., 54, 87 ff., 107; § 16 Rn. 104 ff. – Gemeinschaftsschutzrechte  § 13 Rn. 36 ff., 69, 77 f. – s. a. Litispendenz – nach nationalem Recht  § 12 Rn. 63 ff.

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– s. a. Rechtskraft – Unified Patent Court  § 18 Rn. 63 ff. – Verfahren in Drittstaaten  § 12 Rn. 66 ff. Verfahrenskosten  § 3 Rn. 16, 23, 55, 71, 80, 160; § 5 Rn. 36; § 6 Rn. 28; § 7 Rn. 30, 66, 86, 91; § 8 Rn. 5 f., § 15 Rn. 22; Anhang Rn. 1, 4, 27, 37 f. Verfügungsanspruch  § 4 Rn. 93 f., 153 f.¸§ 6 Rn. 42 Verfügungsgrund  § 4 Rn. 95 ff.; § 6 Rn. 43 ff., 61 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz  § 3 Rn. 20, § 4 Rn. 8, 9; 124; § 5 Rn. 53 ff., 62; § 6 Rn. 8; § 7 Rn. 44; § 8 Rn. 31; § 16 Rn. 61; 86, 101; Anhang Rn. 4 Vermögensbeschlagnahme  § 4 Rn. 9, 61, 116 ff., 144, 158 ff. Verpflichtungserklärung  § 4 Rn. 67, 69, 72 ff., 79, 169, § 5 Rn. 33, 104; § 6 Rn. 15 f., 20, 22 ff., 26; § 7 Rn. 25; § 15 Rn. 51 f.; § 16 Rn. 27; Anhang Rn. 25 Versäumnisurteil, – englisches Recht  Anhang Rn. 30 f. – Europäischer Vollstreckungstitel  § 16 Rn. 112, 162 f., 171, 174 f. – ordre public  § 16 Rn. 87 ff., 163 f. ; § 17 Rn. 7 – Prüfung der Zustellung  § 14 Rn. 64 ff., § 16 Rn. 162; § 17 Rn. 18 – Unified Patent Court  § 18 Rn. 92, 88, 104, 164, 189 Verteidigung, Ausschluss der  § 4 Rn. 84 ff. Vertrauen in die Justiz der Mitgliedstaaten  § 2 Rn. 32, § 12 Rn. 22; § 14 Rn. 73; § 17 Rn. 5, 7 Vertrauliche Informationen  § 4 Rn. 66 f.; 124, § 5 Rn. 4, 29 ff., 65 ff., 84, 88, 103, 108; § 6 Rn. 37, 66; § 7 Rn. 25, 62 ff., 83 ff.; § 8 Rn. 27, § 15 Rn. 24 f., 85 Verwertungsbeschränkung  § 5 Rn. 37 ff., 76 ff., 91, 108; § 6 Rn. 22, 25 f., 30. 37, 72; § 15 Rn. 90 Vollharmonisierung  § 8 Rn. 42 ff., 57 Vollstreckbarkeit  § 16 Rn. 29, 30 ff., 36 ff., 40 f.

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Sachregister

Volllstreckbarkeitserklärung  siehe Exequaturverfahren Vollstreckung, – Anpassung ausländischer Titel  § 16 Rn. 46 ff., 157 f. – ausländischer Entscheidungen  § 16 Rn. 36, 39 ff., 122 – Bestimmtheitsgebot  § 16 Rn. 42 ff., 157 – Beweismittelvorlage  § 5 Rn. 10, 36 – einstweilige Maßnahmen  § 4 Rn. 80 ff., 84 ff., 143 ff., § 6 Rn. 18, 30, 53; § 7 Rn. 27, 73; § 16 Rn. 16, 17 ff., 36 – Gleichstellung ausländischer Titel  § 16 Rn. 29, 39, 46, 122 – Klauselerteilung  § 16 Rn. 37 f. – Übersetzung  § 16 Rn. 33 ff., 122, 165 f. – Unified Patent Court  § 18 Rn. 103, 128, 131, 146, 150, 164, 165 ff., 176, 178 f., 192 – s. a. Zwangsgeld Vorabentscheidungsverfahren  § 2 Rn. 15 ff., § 8 Rn. 44, 51 ff., § 11 Rn. 86; § 15 Rn. 60; § 16 Rn. 131 f.; § 17 Rn. 26 ff., 30 ff., 35 ff.; § 18 Rn. 15, 24 f., 193 Vorwegnahme der Hauptsache  § 6 Rn. 47 ff. Waffengleichheit  § 2 Rn. 24, § 3 Rn. 5, § 5 Rn. 9, 13, 31, 43, 100 f., 108; § 6 Rn. 64, § 12 Rn. 37; § 15 Rn. 70; § 16 Rn. 97; 129; Anhang Rn. 4 Wirtschaftsprüfervorbehalt  § 5 Rn. 67 Zuständigkeit, – Düsseldorfer Praxis  § 6 Rn. 57 – einstweiliger Rechtsschutz  § 4 Rn. 49, 63 f.; § 6 Rn. 14, 21, 26, 57; § 11 Rn. 1 ff., § 13 Rn. 33 ff., 76; § 16 Rn. 14; Anhang Rn. 11 – internationale  § 10 Rn. 1 ff.; § 18 Rn. 38 ff. – örtliche  § 3 Rn. 25 f.; § 10 Rn. 12 f., 47 ff., 64; Anhang Rn. 7

– sachliche  § 3 Rn. 25 f.; § 10 Rn. 49, 120; 42, 125, 130, 167, 177; Anhang Rn. 7 ff. – Unified Patent Court  § 18 Rn. 38 ff., § 18 Rn. 42, 49 ff.; 125, 130, 167, 177 Zustellung, – Auslandszustellung  § 14 Rn. 5 ff. – effektive Inlandszustellung  § 14 Rn. 49 ff., 92; § 17 Rn. 13 f., 41 – Europäische Bagatellverordnung  § 14 Rn. 85 ff. – Europäische Mahnverordnung  § 14 Rn. 82 ff. – Europäischer Kontenpfändungsbeschluss  § 16 Rn. 145 – Europäischer Vollstreckungstitel  § 14 Rn. 73 ff.; § 16 Rn. 119, 126, 162 – fiktive Inlandszustellung  § 14 Rn. 43 ff., 52, 92; § 17 Rn. 13 f., 41 – Formblätter  § 14 Rn. 8 f., 13 f., 19, 29, 91, 99 f., 111 – Harmonisierung der Zustellungsmodalitäten  § 14 Rn. 71 ff., 80 ff., 85 ff., 102, 113 ff. – Heilung  § 14 Rn. 15 f., 18, 27, 33 ff., 53 ff., 79 f., 97 ff., 112, 113 – Kosten  § 14 Rn. 2 f., 9, 12, 25, 27 f. – Parteibetrieb  § 14 Rn. 11, 14, 29, 91, 106 – Postweg  § 14 Rn. 10, 14, 29, 91 – Rechtshilfeverkehr  § 14 Rn. 8 f., 13, 91 – Sprachregelung  § 14 Rn. 12 ff., 48, 75, 80 f., 82 f., 87, 92 ff., 107 ff., 113; § 16 Rn. 35; § 16 Rn. 138, 145, 165 f.; § 17 Rn. 18 – Unified Patent Court  § 18 Rn. 89, 104, 154 ff., 164 – Zeitpunkt  § 14 Rn. 39 ff., 97 Zwangsgeld, – zur Durchsetzung eines Verhaltens im Ausland  § 15 Rn. 64 ff., § 16 Rn. 5 ff., 158; § 17 Rn. 13 ff., 42 – Vollstreckung ausländischer Zwangsgelder  § 16 Rn. 52 ff., 110, 158, 177, 181