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German Pages 1447 [1488] Year 2010
Michael Anton Band 3: Internationales Kulturgüterprivat- und Zivilverfahrensrecht
Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht
Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht Band 3: Internationales Kulturgüterprivat- und Zivilverfahrensrecht
Band 1: Illegaler Kulturgüterverkehr Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel Band 4: Nationales Kulturgüter- und Denkmalschutzrecht Band 5: Internationales und europäisches Recht Band 6: Strafrecht/Allgemeiner Teil
De Gruyter
Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht Band 3: Internationales Kulturgüterprivat- und Zivilverfahrensrecht von Michael Anton
De Gruyter
Privatdozent Dr. iur. Michael Anton, Dipl.-Jur. (Univ. des Saarlandes), LL.M. (Univ. of Johannesburg, ZA), Saarbrücken
ISBN 978-3-89949-726-7 e-ISBN 978-3-89949-727-4 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2010 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/New York Datenkonvertierung: Werksatz Schmidt & Schulz GmbH, Gräfenhainichen Druck: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ' Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
meinem verehrten Lehrer Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. mult. Michael Martinek zu seinem 60. Geburtstag am 5. Oktober 2010
Vorwort Das sechsbändige Handbuch ‚Internationales Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht‘ behandelt tatsächlich wie rechtlich komplexe Themen. Bernd Neumann, Staatsminister und Beauftragter der Bundesregierung für Kultur und Medien, verglich bspw. den Kulturgüterschutz mit einem Labyrinth des Rechts, in dem sich Juristen „ebenso verloren vorkommen wie Laien, denen die Materie ohnehin fern und fremd ist“1. Er sehnte sich nach dem Faden der Ariadne, der nach der griechischen Mythologie dem Königssohne Theseus von der Prinzessin geschenkt worden war und diesem – nachdem er den Minotaurus erschlagen hatte – den Weg aus dem Labyrinth wies. Jede Untersuchung im internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht sollte deshalb zwei Prämissen erkennen: Zum einen bestehen innerhalb der Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter unzählige tatsächliche Sachverhaltskonstellationen, in denen kleine Nuancen große rechtliche Folgen aufweisen. In kulturellen Restitutionsstreitigkeiten verbietet sich folglich jede schematische Lösung! Zum anderen bedarf es für den Rechtsanwender aber auch eines brauchbaren Wegweisers, anhand dessen alle rechtserheblichen Unterschiede zur Lösung praktischer Fallkonstellationen Berücksichtigung finden. Das sechsbändige Handbuch ‚Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht‘ soll aus den genannten Gründen beiden Forderungen gerecht werden. Nur eine minutiöse Analyse der in der Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter applizierten Rechtsinstitute im Allgemeinen und eine exemplarische Verdeutlichung anhand zahlreicher praktischer Beispielsfälle im Besonderen werden der Aufgabe gerecht, die divergierenden Fallkonstellationen zu verstehen und die erzielten Erkenntnisse in der realen Rechtsanwendung fruchtbar zu machen. Das Ziel ist dabei immer die Vermittlung eines abstrakten Verständnisses der einzelnen Rechtsinstitute und ihrer theoretisch möglichen Ausgestaltungsformen. Es wird nicht als Aufgabe angesehen, für jeden regelmäßig im illegalen Kunsthandel involvierten Staat abschließend dessen Rechtsordnung darzustellen. Vielmehr wird Wert darauf gelegt, dass beispielhaft ein Verständnis dafür geschaffen wird, welche Ausgestaltungsvarianten theoretisch denkbar und realistisch sind. Zur Veranschaulichung wird anhand zahlreicher Beispiele auf die praktische Bedeutung und Funktionsweise der involvierten Rechtsinstitute, einzelgerichtlichen Wertentscheidungen und internationalen Rechtsinstrumente zurückgegriffen. Damit wird für den Leser die Möglichkeit geschaffen, sich schnell in jede natio-
1
Neumann, Zum Geleit, in: Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste Magdeburg/Beauftragter der Bundesregierung für Kultur und Medien, Im Labyrinth des Rechts? Wege zum Kulturgüterschutz, 2007, S. 7.
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Vorwort
nale Ausgestaltungsvariante einzudenken und selbstständig die Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter auch in solchen Rechtsordnungen vorzunehmen, die keine exemplarische Nennung in den vorliegenden Bänden erfahren. Gleichzeitig wird durch die Beschreibung der Geschehnisse und Hintergründe umstrittener Kulturgüter die besondere ‚Stimmung‘ in der Welt der Schönen Künste auch für uns Juristen spürbar – ein Wert, der für eine ‚gerechte‘ Entscheidung kultureller Restitutionsstreitigkeiten unermesslich ist. Damit hierbei für den Leser der ‚rote Faden‘ nicht verloren geht, werden die Bände mit fortlaufenden „§§“ mit der Überschrift „Ergebnis“ durchzogen, die eine Zusammenfassung der voranstehenden Erkenntnisse und einen Ausblick auf die nachfolgenden Analysen geben. So wie der – erstmals von Johann Wolfgang von Goethe in seinem Roman ‚Die Wahlverwandtschaften‘ aus dem Jahre 1809 beschriebene – ‚rote Kennfaden‘ sämtliche Tauwerke der britischen Marine durchzieht, sind auch die fortlaufenden Untersuchungsergebnisse „dergestalt gesponnen, dass ein roter Faden durch das Ganze durchgeht, den man nicht herauswinden kann, ohne alles aufzulösen“2. Die einzelnen §§ verkörpern die Essenz der Untersuchungen und können als eigenständige Monografie nacheinander gelesen werden, um einen Überblick über das internationale Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht zu erlangen. Infolgedessen sind Wiederholungen der sicherungswürdigen Ergebnisse voranstehender Abschnitte innerhalb der einzelnen §§ eine Konsequenz der Zielsetzung des Gesamtwerkes: Ein konkreter Wegweiser für die praktische Entscheidungsfindung einerseits und die richtige Auslegung, Interpretation und Fortentwicklung des internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts andererseits. Formal ist darauf hinzuweisen, dass bei Verweisen (bspw. 4 99) innerhalb eines Bandes die fettgedruckte Zahl (4) den Teil und die unformatierte Zahl (99) die Randnummer meint. Der ersehnte Faden der Ariadne ist damit gelegt und der Leser soll sich aufgefordert fühlen, den Weg aus dem Labyrinth des internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts selbst nachzugehen. Auch wenn Abzweigungen in einer so stark kulturpolitisch und rechtsmoralisch durchdrungenen Materie wie der vorliegenden im Einzelfall immer diskutabel sind, legt das Rechtshandbuch diejenigen Wegpunkte offen zu Tage, ohne deren Passage meines Erachtens kein Ausweg aus dem Labyrinth der widerstreitenden Interessen innerhalb des internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts gefunden wird. Das Vorwort bietet die Möglichkeit der Danksagung. An erster Stelle möchte ich hier meinem verehrten Lehrer, Herrn Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. mult. Michael Martinek, tiefen Dank für die freundschaftliche Unterstützung ‚in allen Lebenslagen‘
2
Vgl. hierzu die einleitenden Bemerkungen des ersten Auszugs aus Ottiliens Tagebuch.
Vorwort
ausdrücken. Man kann sich keinen besseren akademischen Lehrer und „wissenschaftlichen Vater“ wünschen! Ihm sei deshalb dieser Band in Dankbarkeit und Freundschaft zu seinem 60. Geburtstag am 5. Oktober 2010 gewidmet. Band 3: Internationales Kulturgüterprivat- und Zivilverfahrensrecht diente zusammen mit Band 4: Nationales Kulturgüter- und Denkmalschutzrecht der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität des Saarlandes als Habilitationsschrift (Probevortrag am 21.7.2010 mit dem Thema: „Kunstvertriebsrecht“ – Absatzmittlung von Kunstwerken in Recht und Praxis). Diesbezüglich möchte ich Herrn Prof. Dr. Dr. Dr. h.c. mult. Michael Martinek auch für die schnelle Begutachtung während seiner Zeit in Rethymno auf Kreta danken. Aus diesem Grund möchte ich auch Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Helmut Rüßmann ganz herzlichen Dank für die zügige Zweitbegutachtung meiner Habilitationsschrift aussprechen. Es hat mich besonders gefreut, dass Herr Prof. Martinek mit Herrn Prof. Rüßmann einen profunden Kenner des internationalen Privat- und Zivilverfahrensrecht gewinnen konnte. Herzlicher Dank gebührt auch Herrn Prof. Dr. Wilfried Fiedler für seine Unterstützung mit Rat und Tat im Habilitationsverfahren. Ich freue mich, dass mit dem vorliegenden Rechtshandbuch an die grundlegenden Untersuchungen, weitbekannten Forschungsergebnisse und Veröffentlichungen seiner „Forschungsstelle internationales Kulturgüterschutzrecht“ an der Universität des Saarlandes angeknüpft werden kann. Besonderer Dank gilt an dieser Stelle auch Herrn Prof. Dr. Jan L. Neels, Direktor des „Institute for Private International Law in Africa“ und Professor an der University of Johannesburg, Südafrika. Herr Prof. Neels führte mir erstmalig die Verbindung von Kunst und Recht vor Augen und lud mich als Referent auf seiner Konferenz „Art, Music, Human Rights and Private International Law“ im Jahre 2005 zu ersten Überlegungen zum „Internationalen Kulturgüterprivatrecht“ ein. Schließlich möchte ich mich an meine Familie wenden. Dank gebührt zunächst meinen lieben Eltern, Christa und Herbert Anton, die mich in allen Lebenslagen bedingungslos mit Rat und Tat unterstützten. Ohne ihre Hilfe wäre das vorliegende Projekt nicht möglich gewesen. Unverzichtbar für das Erscheinen war dabei auch die orthografische Korrekturarbeit meiner Mutter, die als Nichtjuristin alle menschenmöglichen Anstrengungen unternahm, sich nicht im Labyrinth des Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts zu verlieren. ‚Last but not least‘ schulde ich meiner lieben Ehefrau Silke Anton Dank für ihre Liebe, Freundschaft, Aufmerksamkeit, Aufmunterung sowie ihr Verständnis und Vertrauen während der Entstehungszeit des Manuskripts. In unzähligen Diskursen (selbst am Frühstückstisch) bat ich Silke, ‚meinen‘ Faden der Ariadne aus
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Vorwort
dem Labyrinth des Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts nachzugehen. Auch ihr Zuspruch ebenso wie ihre Kritik als Ehefrau und Freundin haben zum Gelingen des Bandes beigetragen. Herzlichen Dank! Ich würde mich sehr über kritische Anmerkungen seitens der Leser sowie über Hinweise zu neuen gesetzlichen, judikativen und außerrechtlichen Entwicklungen ebenso wie tatsächlichen Fallkonstellationen aus der Praxis des internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts freuen (AntonMichael@ t-online.de). Vielen Dank hierfür! Saarbrücken, Sommer 2010
Michael Anton
Inhaltsübersicht Band 3 1. Teil – Zivilrechtliches Anspruchssystem in Kunstrestitutionsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Abschnitt – Zivilrechtliche Restitutionsansprüche unrechtmäßig entzogener Kulturgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27
2. Abschnitt – Vertragliche Schadensersatzansprüche im internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht . . . . . . . . . . . . . .
88
3. Abschnitt – Verteidigungsmittel gegen unberechtigte Kunstrestitutionsforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
94
4. Abschnitt – Gegenansprüche rechtmäßig zur Restitution Verpflichteter
. . .
111
2. Teil – Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht . . . . . . . . 125 1. Abschnitt – Internationale Gerichtsbarkeit – Grenzen staatlicher Gerichtsgewalt in kulturellen Restitutionsverfahren . . . . . . . . . . . .
130
2. Abschnitt – Internationale Zuständigkeit in Kunstrestitutionsverfahren
. . .
329
. . . . . .
380
4. Abschnitt – Einstweiliger Rechtsschutz und ‚provisional remedies‘ . . . . . .
386
5. Abschnitt – Rechtsdurchsetzung ausländischer Kunstrestitutionsurteile
. . .
391
6. Abschnitt – Internationale Zivilrechtshilfe in Kunstrestitutionsverfahren . . .
408
3. Abschnitt – Verfahrensbeteiligte in Kunstrestitutionsstreitigkeiten
3. Teil – Internationales Kulturgüterprivatrecht . . . . . . . . . . . . . . 419 1. Abschnitt – Rechtswahl nach der ‚lex rei sitae‘ und kulturgüterspezifische Kollisionsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abschnitt – Statutenwechsel im internationalen Kulturgüterverkehr
. . . . .
3. Abschnitt – Kritik am internationalen Kulturgüterprivatrecht ‚de lege lata‘
426 562
.
668
4. Abschnitt – Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts . . . . . . .
703
4. Teil – Synopsis: Internationales Kulturgüterprivat- und Kulturgüterzivilverfahrensrecht – 50 Thesen . . . . . . . . . . . . . . 1337 Verzeichnis der Schemata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1383 Verzeichnis der Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1385 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1389
Paragrafenverzeichnis § 1 Propädeutik: ‚Internationales Kulturgüterprivatrecht‘ im Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1
§ 2 Ergebnis: Systematisierung zivilrechtlicher Anspruchsgrundlagen in Kunstrestitutionsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
117
§ 3 Ergebnis: Staatenimmunität in Kunstrestitutionsverfahren . . . . . . . . .
168
§ 4 Ergebnis: Sachimmunität in Kunstrestitutionsverfahren
267
. . . . . . . . . .
§ 5 Ergebnis: Keine Präklusion von Kunstrestitutionsverfahren
. . . . . . . .
319
§ 6 Ergebnis: Internationale Zuständigkeit in Kunstrestitutionsverfahren . . .
373
§ 7 Ergebnis: Internationale Zivilverfahrensfragen in Kunstrestitutionsstreitigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
412
§ 8 Ergebnis: Rechtsquellen des ‚Internationalen Kulturgüterprivatrechts‘ . . .
552
§ 9 Ergebnis: Abgeschlossener Statutenwechsel im internationalen Kulturgüterverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
628
§ 10 Ergebnis: Offener Statutenwechsel im internationalen Kulturgüterverkehr .
661
§ 11 Ergebnis: Kritik am Internationalen Kulturgüterprivatrecht
. . . . . . . .
695
§ 12 Ergebnis: Grds. keine ‚ordre public‘-Widrigkeit des illegalen Kulturgüterverkehrs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
737
§ 13 Ergebnis: Alternative Anknüpfungsmaximen in der rechtswissenschaftlichen und praktischen Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
796
§ 14 Ergebnis: Plädoyer für eine Rechtswahl nach der ‚lex originis‘
925
. . . . . . .
§ 15 Ergebnis: Anknüpfung an die ‚lex originis‘ über Art. 46 EGBGB de lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1001 § 16 Ergebnis: Extraterritoriale ‚Anwendung‘ ausländischer Kulturgüterschutzgesetze im Rechtsvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1069 § 17 Ergebnis: ‚Anwendung‘ ausländischer Kulturgüterschutzvorschriften im deutschen Kollisionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1141 § 18 Ergebnis: Materiell-rechtliche ‚Berücksichtigung‘ ausländischer Kulturgüterschutzvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1219 § 19 Ergebnis: Gerichtliche Stigmatisierung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1236 § 20 Ergebnis: Materielle Privatrechtsvereinheitlichung im internationalen Kulturgüterverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1324 § 21 Synopsis Teil 1: Anspruchsgrundlagen in Kunstrestitutionsverfahren
. . . 1340
XIV
Paragrafenverzeichnis
§ 22 Synopsis Teil 2: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht . . . . . . 1342 § 23 Synopsis Teil 3: Internationales Kulturgüterprivatrecht . . . . . . . . . . . 1349 § 24 Zusammenfassende Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1378
Inhaltsverzeichnis Band 3 Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 1 Propädeutik: ,Internationales Kulturgüterprivatrecht‘ im Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Ergebnisse Band 1: Illegaler Kulturgüterverkehr . . . . . . . . . . . . . B. Ergebnisse Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Anschluss Band 3: Internationales Kulturgüterprivatrecht . . . . . . . . I. Anspruchsgrundlagen im Kunstrestitutionsstreit . . . . . . . . . . . II. Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht . . . . . . . . . . . III. Internationales Kulturgüterprivatrecht . . . . . . . . . . . . . . . .
. . . . . . .
1 3
. . . . .
8 14 16 16 18
1. Teil – Zivilrechtliches Anspruchssystem in Kunstrestitutionsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23
1. Abschnitt – Zivilrechtliche Restitutionsansprüche unrechtmäßig entzogener Kulturgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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A. Kultureller Vindikationsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Besitzrechtliche Restitutionsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Possessorischer Restitutionsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Petitorischer Besitzanspruch aus § 1007 BGB . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anhand des Kykladenidol-Falles des OLG Münchens vom 10. Januar 1973 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anhand des Hamburger Stadtsiegel-Falls . . . . . . . . . . . . . . . C. Kunstrestitution mittels unerlaubter Handlung (law of delict) . . . . . . . . I. Konzeption der deliktsrechtlichen Restitution im BGB . . . . . . . . . 1. § 823 Abs. 1 BGB: Allgemeiner Schutz des Eigentums . . . . . . . . 2. § 823 Abs. 2 BGB: Kulturgüterschutzvorschriften als ‚Schutzgesetze‘? 3. § 826 BGB: Kulturgutverlust als vorsätzliche sittenwidrige Schädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Veräußerung kulturellen Fluchtguts als vorsätzliche sittenwidrige Schädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kulturgüter- und denkmalschutzgesetzwidrige Veräußerung als sittenwidrige Schädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Law of tort im Common Law-Rechtskreis . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Trespass-Klage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Action of trover (oder trover and conversion) . . . . . . . . . . . . . 3. Action of detinue . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Action of replevin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Autocephalous Greek Orthodox Church of Cyprus-Konstellation b) Estate of Dr. Max Stern v. Marie-Louise Bissonnette . . . . . . . D. Restitution illegal transferierter Kulturgüter aufgrund des Bereicherungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Konzeption bereicherungrechtlicher Kunstrestitution . . . . . . . . . .
28 30 30 31 32 34 36 37 39 40 43 43 44 46 48 48 52 55 55 63 68 68
XVI
Inhaltsverzeichnis
II. Gutgläubiger Erwerb unrechtmäßig entzogener Kulturgüter ‚kondiktionsfest‘! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ersitzung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter ‚kondiktionsfest‘? . . . 1. Mindermeinung: Sachenrecht bestimmt nur die dingliche Zuordnung 2. H.M.: Fehlerfreier Rechtserwerb als Rechtsgrund i.S.d. Bereicherungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) … bei der Eingriffskondiktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) ... bei der Leistungskondiktion (anhand des berühmten ‚Menzelbilderfalls‘ des RG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
72 73 75 76 76 77
2. Abschnitt – Vertragliche Schadensersatzansprüche im internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht . . . . . . . . . . . . . .
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3. Abschnitt – Verteidigungsmittel gegen unberechtigte Kunstrestitutionsforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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A. Klage amerikanischer Museen ggü. Restitutionsgläubigern . . . . . . . I. Toledo Museum of Art v. Claude George Ullin et al. . . . . . . . . II. Detroit Institute of Art gegen die Erbengemeinschaft um Martha Nathan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. The Museum of Modern Art and the Guggenheim Foundation v. Julius S. Schoeps et al. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Bakalar v. Vavra & Fischer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. ‚Rote Mitte‘-Entscheidung des BGH vom 24.10.2005 . . . . . . . . . . C. Anspruch auf Löschung von Kunstwerken aus Datenbanken illegaler Kulturgutverlagerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Keine Haftung der Betreiber von Datenbanken für die Richtigkeit der Eintragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Lucretia mit Pelzmantel-Entscheidung des LG Berlin vom 31.1.2008: Anspruch auf Löschung unrichtiger Einträge . . . . . . . . . . . .
. . . .
95 95
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97 99 101
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106
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A. Kulturgüterrechtsspezifische Gegenansprüche des Restitutionsschuldners . I. Kompensation gutgläubiger Restitutionsschuldner . . . . . . . . . . . . II. Spezielle Aufwendungen bei Rückführung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Zivilrechtliche Verwendungsersatzansprüche des Kunstrestitutionsschuldners
111 111 113 115
§ 2 Ergebnis: Systematisierung zivilrechtlicher Anspruchsgrundlagen in Kunstrestitutionsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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4. Abschnitt – Gegenansprüche rechtmäßig zur Restitution Verpflichteter
2. Teil – Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht . . . . . . . . 125 1. Abschnitt – Internationale Gerichtsbarkeit – Grenzen staatlicher Gerichtsgewalt in kulturellen Restitutionsverfahren . . . . . . . . . . . . A. Staatenimmunität in Kunstrestitutionsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . I. Restitutionsprozesse gegen Staaten sowie Museen und kulturelle Institutionen in öffentlicher Trägerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bedeutung der Staatenimmunität anhand des sog. Schtschukina-Falls a) Sachverhaltskonstellation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Entwicklung und Reichweite des Grundsatzes der Staatenimmunität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
130 133 134 135 136 138
Inhaltsverzeichnis
c) Leihe von Kunstwerken als ‚acta iure imperii‘ oder ‚acta iure gestionis‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Intermusealer Leihverkehr staatlicher Museen als hoheitliche Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Grenzen der Staatenimmunität (in der amerikanischen Gerichtspraxis) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Altmann v. Republic of Austria et al. . . . . . . . . . . . . . b) Claude Cassirer v. Kingdom of Spain et al. aus dem Jahre 2006 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Leonard Malevicz et al. v. City of Amsterdam . . . . . . . . d) Rubin v. The Islamic Republic of Iran . . . . . . . . . . . . II. Immunität vor Vollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 3 Ergebnis: Staatenimmunität in Kunstrestitutionsverfahren . . . . . . . . . .
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B. Sachimmunität von Kulturgütern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Common Law-Ursprünge der sog. ‚anti seizure-statutes‘ . . . . . . . 1. Immunity from Seizure Act aus dem Jahre 1965 . . . . . . . . . . . a) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Reichweite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Delocque-Fourcaud v. Los Angeles County Museum of Art aus dem Jahre 2003 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Grenzen der Sachimmunität kultureller Güter in Leonard Malewicz et al. v. City of Amsterdam . . . . . . 2. Sec. 12.03 des New York Arts and Cultural Affairs Law und Schiele-Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Reichweite nach Sec. 12.03: United States of America v. Portrait of Wally . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Entscheidung über die kulturelle Sachimmunität . . . . . . . . e) Einfuhr unrechtmäßig entzogener Kunstwerke als Verstoß gegen den National Stolen Property Act . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Sonstige Common Law-Beispiele kultureller Immunität . . . . . . II. „Les biens culturels … sont insaisissables“: Immunité in Frankreich . III. Attestato di libera circolazione in Italien . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zusage ‚freien Geleits‘ in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Liechtenstein-Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Hintergrund und Anlass in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . 3. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) „Ausländisches Kulturgut“ – Problematik der ‚Trophäenkunst‘ . b) Personale und situative Anwendungsvoraussetzungen . . . . . . c) Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Schutzumfang der Immunität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Reichweite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vereinbarkeit mit dem Rechtsstaatsprinzip . . . . . . . . . . . . (1) Rechtsverletzung durch den Erlass der Immunitätserklärung (2) Rechtsverletzung durch den Ausschluss gerichtlicher Intervention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vereinbarkeit mit der EG-Richtlinie 93/7/EWG . . . . . . . . .
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173 182 182 183 185 187
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190
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192 193
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194 195 199
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202 204 208 210 212 215 219 226 226 237 239 241 245 248 249
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250 256
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XVII
XVIII
Inhaltsverzeichnis
(1) Vorrang des EU-Rückführungsanspruchs . . . . (2) Vorrang der Rückgabezusage ‚freien Geleits‘ . . . d) Vereinbarkeit mit der EMRK . . . . . . . . . . . . . V. Rückgabegarantie innerhalb der Schweizer Rechtsordnung 1. Formale Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Materielle Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . .
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258 259 262 264 264 266
§ 4 Ergebnis: Sachimmunität in Kunstrestitutionsverfahren . . . . . . . . . . .
267
C. Präklusionswirkung von Sondergesetzen zur Wiedergutmachung von Regimeunrecht im Zivilrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Eine Ansicht: Präklusionswirkung der Sondergesetze . . . . . . . . . 1. Alliiertes Besatzungsrecht und deutsches Rückerstattungsrecht nach Ende des Zweiten Weltkrieges . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vermögensgesetz vom 3. Oktober 1990 . . . . . . . . . . . . . . . II. Gegenansicht: Keine Präklusion zivilrechtlicher Restitutionsansprüche 1. Terminologische und systematische Auslegung . . . . . . . . . . . 2. Sinn und Zweck des Wiedergutmachungsrechts . . . . . . . . . . . 3. Präklusionswirkung nur für zivilrechtlich wirksame Kulturgutverlagerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtsvergleichende Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Keine Präklusionswirkung in aktuellen Kunstrestitutionsverfahren a) Sperrmüll-Macke-Entscheidung des Landgerichtes Bonn vom 25.6.2002 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Landgericht Berlin 2009: Plakatsammlung Sachs-Konstellation III. Kammergerichtsentscheidung 2010: Plakatsammlung Sachs-Konstellation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Keine Präklusion aufgrund internationaler Verträge der sog. Feindstaaten mit den alliierten Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Restitution und ‚deaccessioning‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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274 279
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279 283 288 288 290
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296 300 301
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301 303
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309
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311 315
§ 5 Ergebnis: Keine Präklusion von Kunstrestitutionsverfahren . . . . . . . . .
319
2. Abschnitt – Internationale Zuständigkeit in Kunstrestitutionsverfahren
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329
A. Einleitende Überlegungen zum ‚richtigen‘ Kunstrestitutionsforum . . . . . I. Klage im heimischen Forum des Restitutionsgläubigers oder im ausländischen Forum der örtlichen Belegenheit des Objektes . . . . . . . . . . II. Rechtsquellen des Internationalen Kulturgüterzivilverfahrensrechts . . B. Allgemeiner Gerichtsstand am Wohnsitz des Restitutionsschuldners . . . . C. Jurisdiktion in rem, Gerichtsstand der unerlaubten Handlung, Klägergerichtsstand und exorbitante internationale Zuständigkeiten . . . . . . . . I. Gerichtsstand des Vermögens innerhalb Deutschlands . . . . . . . . . II. Exorbitante Gerichtsstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Nationalität des Klägers zuständigkeitsbegründend . . . . . . . . . . . IV. Forum delicti . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Internationales Zivilverfahrensrecht und forum non conveniens . . . . . . . I. Internationale Zuständigkeit amerikanischer Gerichte . . . . . . . . . . II. Einwand des forum non conveniens in kulturellen Restitutionsprozessen E. Internationaler Schutzgerichtsstand für Streitigkeiten um Kulturgüter . . . F. Zuständigkeitsfortdauer (perpetuatio fori) . . . . . . . . . . . . . . . . . . G. Jurisdiktion bei der Verteidigung rechtmäßiger Eigentümer und Besitzer gegen unberechtigte Restitutionsforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . .
331 332 336 342 345 346 349 351 353 354 355 356 363 367 371
Inhaltsverzeichnis
§ 6 Ergebnis: Internationale Zuständigkeit in Kunstrestitutionsverfahren . . . .
373
3. Abschnitt – Verfahrensbeteiligte in Kunstrestitutionsstreitigkeiten
380
. . . . . .
A. Ausländer als Verfahrensbeteiligte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Partei- und Prozessfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Bumper Development Corporation v. Commissioner of Police of the Metropolis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gemälde als Verfahrensbeteiligter: United States v. One Tintoretto Painting . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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380 381
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383
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384
4. Abschnitt – Einstweiliger Rechtsschutz und ‚provisional remedies‘ . . . . . .
386
A. Einstweilige Verfügung innerhalb der deutschen Rechtsordnung . . . . . . . B. Provisional remedies in den Vereinigten Staaten . . . . . . . . . . . . . . .
387 388
5. Abschnitt – Rechtsdurchsetzung ausländischer Kunstrestitutionsurteile
. . .
A. Anerkennung ausländischer Restitutionsurteile . . . . . . . . . . . . . . I. Anerkennung innerhalb der Europäischen Union und Deutschlands II. Anerkennung innerhalb der Vereinigten Staaten . . . . . . . . . . . III. Res iudicata-Wirkung: Sumpflegende-Konstellation ‚reloaded‘ . . . B. Vollstreckung ausländischer Kunstrestitutionsurteile . . . . . . . . . . .
. . . . .
391
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393 394 397 398 401
6. Abschnitt – Internationale Zivilrechtshilfe in Kunstrestitutionsverfahren . . .
408
§ 7 Ergebnis: Internationale Zivilverfahrensfragen in Kunstrestitutionsstreitigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
412
3. Teil – Internationales Kulturgüterprivatrecht . . . . . . . . . . . . . . 419 1. Abschnitt – Rechtswahl nach der ‚lex rei sitae‘ und kulturgüterspezifische Kollisionsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Begriff des ‚Internationalen Kulturgüterprivatrechts‘ . . . . . . . . . . . . . B. Bedeutung des ‚Internationalen Kulturgüterprivatrechts‘ . . . . . . . . . . C. Rechtsquellen des ‚Internationalen Kulturgüterprivatrechts‘ . . . . . . . . . I. Nationales Kollisionsrecht, Sachstatut und Grundsatz der ‚lex rei sitae‘ 1. Universal einheitliche Rechtswahl nach der ‚lex rei sitae‘ . . . . . . . a) Deutsche Rechtswahl nach dem Belegenheitsstatut (Art. 43 EGBGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Anknüpfungsgegenstand der ‚Situs‘-Regel in Kunstrestitutionsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Lageort des Kulturguts als räumliche Komponente . . . . . . (3) Anknüpfungszeitpunkt der ‚Situs‘-Regel im internationalen Kulturgüterverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Illegaler Transfer unrechtmäßig entzogener Kulturgüter in den Belegenheitsstaat de lege lata ohne Auswirkung auf die Situs-Regel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) § 20 Abs. 3 des Gesetzes zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung vom 6. August 1955 . . . . . . . . . . . b) Vergleichbare Ausgestaltungen in nahezu sämtlichen Kollisionsvorschriften der verschiedenen Staaten . . . . . . . . . . . . . . . (1) ‚Situs‘-Grundsatz in dem deutschen Kollisionsrecht nahestehenden Rechtsordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
426 426 427 432 434 436 438 439 440 440
442 443 444 444
XIX
XX
Inhaltsverzeichnis
(2) Belegenheitsrecht innerhalb des romanischen Rechtskreises . . (3) ‚Situs‘-Regel im englischen Rechtsraum . . . . . . . . . . . . 2. Gesamt- oder Sachnormverweisung in Kunstrestitutionsverfahren . . a) Gesamtverweisung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . b) The Islamic Republic of Iran v. Berend aus dem Jahr 2007 . . . . 3. Inhalt der Rechtswahl nach dem Belegenheitsort des Kulturguts . . . a) Schutzansprüche aus der dinglichen Sachzuordnung kultureller Güter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Änderung der dinglichen Rechtslage an Kulturgütern durch Hoheitsakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsgeschäftliche Änderung der dinglichen Rechtslage an Kulturgütern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Voraussetzungen des Kulturguterwerbs . . . . . . . . . . . . (2) Gutgläubiger rechtsgeschäftlicher Erwerb im internationalen Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Sachstatut und rechtsgeschäftlicher Erwerb . . . . . . . . (b) van Dyck-Entscheidung des LG Wiesbaden vom 22.06.2007 (3) Qualifikation einer „unrechtmäßigen Kulturgutentziehung“ als Abhandenkommen nach der lex rei sitae . . . . . . . . . . d) Sachzuordnung durch Ersitzung und Verjährung innerhalb des Rechtswahlprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Sonstiges zur Rechtswahl nach dem Sachstatut . . . . . . . . . . 4. Kulturgüter grds. keine ‚res in transitu‘ . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtswahl in den Vereinigten Staaten von Amerika . . . . . . . . . . . 1. ‚Lex loci delicti commissi‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. ‚Most Significant Contacts‘-Test . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. ‚Governmental Interest Analysis‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Sonderkollisionsnorm im Europäischen Kulturgüterschutzrecht? . . . . 1. Rechtlicher Rahmen der speziellen kollisionsrechtlichen Vorgaben des Europarechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bedeutung des Art. 12 der Richtlinie 93/7/EWG und der entsprechenden §§ 5 Abs. 1 und 9 des deutschen Kulturgüterrückgabegesetzes . . a) Materiell-privatrechtliche Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Öffentlich-rechtliche Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kollisionsrechtliche Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Theoretisches Verständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Gesamtverweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Sachnormverweisung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Anwendungsbereich der kollisionsrechtlichen Verweisung . . IV. Internationale Abkommen und Übereinkünfte . . . . . . . . . . . . . . § 8 Ergebnis: Rechtsquellen des ‚Internationalen Kulturgüterprivatrechts‘ 2. Abschnitt – Statutenwechsel im internationalen Kulturgüterverkehr
447 448 450 451 451 453 454 460 461 462 466 466 467 469 472 476 477 486 492 496 499 502 503 510 511 519 527 527 534 542 545 549 551
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552
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562
A. ‚Abgeschlossene‘ und ‚offene‘ Tatbestände des internationalen Kulturgüterverkehrs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. ‚Abgeschlossene‘ Sachzuordnung: ‚wohlerworbene Rechte‘ im internationalen Kulturgüterverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundsatz der wohlerworbenen Rechte (sog. Prägungstheorie) . . . . .
564 569 571
Inhaltsverzeichnis
II. Wirkungen der zivilrechtlichen Sachzuordnung kultureller Güter im Ausland innerhalb der deutschen Rechtsordnung (Art. 43 Abs. 2 EGBGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Negativ abgeschlossene Tatbestände im internationalen Kulturgüterverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Positiv abgeschlossene Tatbestände im internationalen Kulturgüterverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unbekannte Rechte an Kulturgütern – Schweizer Lösungsrecht im Münzversteigerungsfall vom 8.4.1987 . . . . . . . . . . . . . . (1) Fortbestand eines Lösungsrechts nach einem schlichten Statutenwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Theorie vom Reinigungseffekt . . . . . . . . . . . . . . . (b) Transpositions- und Hinnahmetheorie . . . . . . . . . . . (2) Untergang eines Lösungsrechts nach einem qualifizierten Statutenwechsel (umstritten) . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wirkungen ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften vor deutschen Zivilforen . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Keine unmittelbare ‚Anwendung‘ ausländischer Kulturgüterschutzvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Aber: ‚Anerkenntnis‘ und ‚Rechtsdurchsetzung‘ der Eigentumsposition des kulturellen Ursprungsstaates . . . . . . . . (3) Zivilrechtliche Deutung öffentlich-rechtlicher Positionen an Kulturgütern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Öffentlich-rechtliche Kulturgüterschutzmechanismen als zivilrechtliche Eigentumsbeschränkung . . . . . . . . . . (b) Ausländische Rechtspositionen an Kulturgütern in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Ausgestaltung einer öffentlich-rechtlich fundierten „Rechtskategorie“ für Kulturgüter . . . . . . . . . . . . . (d) Auflockerungstendenzen in der italienischen DanussoEntscheidung vom 25.3.1982 . . . . . . . . . . . . . . . . (e) Vergleichbare Entwicklungen innerhalb der deutschen Rechtsordnung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (f) Iran v. Barakat: Summe aller dem kulturellen Ursprungsstaat zustehenden Rechtspositionen . . . . . . . . . . . . § 9 Ergebnis: Abgeschlossener Statutenwechsel im internationalen Kulturgüterverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Nicht abgeschlossene Sachzuordnung kultureller Güter . . . . . . . . . I. Sachzuordnung eines Kulturguts sowohl aus Sicht des alten als auch des neuen Statuts noch nicht abgeschlossen . . . . . . . . . . . . . . 1. Alleinige Zuständigkeit des neuen Sachstatuts . . . . . . . . . . . 2. Ausdrückliche Berücksichtigung von Auslandssachverhalten nach Art. 43 Abs. 3 EGBGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anrechnung ausländischer Ersitzungsfristen in Koerfer gegen Goldschmidt vom 13. Dezember 1968 . . . . . . . . . . . . . b) Anrechnung ausländischer Verjährungsfristen in der ‚Sumpflegende‘-Konstellation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Sachzuordnung nach altem Statut offen, nach neuem abgeschlossen III. Sachzuordnung nach altem Statut abgeschlossen, nach neuem offen
579 582 584 587 589 591 592 596 598 603 604 606 608 612 615 618 622 623 628
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640
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643 644
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647
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647
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651 654 657
XXI
XXII
Inhaltsverzeichnis
D. Besonderheiten eines ‚reversen‘ Statutenwechsels: Wiederaufleben dinglicher Rechtspositionen an Kulturgütern? . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
659
§ 10 Ergebnis: Offener Statutenwechsel im internationalen Kulturgüterverkehr .
661
3. Abschnitt – Kritik am internationalen Kulturgüterprivatrecht ‚de lege lata‘
.
668
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668 668 674
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675
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679 680 683 688
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695
4. Abschnitt – Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts . . . . . . .
703
A. ‚Ordre public‘-Widrigkeit des illegalen Kulturgüterverkehrs . . . . . . . . I. Funktion und Voraussetzungen eines ordre public-Vorbehalts . . . . II. Ausländische Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter ordre public-widrig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verstoß gegen nationale Zivilrechtsvorschriften des Forumstaates . a) Keine ordre public-Widrigkeit des rechtsgeschäftlichen Gutglaubenserwerbs in Italien vor englischem Forum in der WinkworthKonstellation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Keine ordre public-Widrigkeit des französischen Ersitzungserwerbs vor amerikanischem Forum in Greek Orthodox Patriarchate of Jerusalem v. Christie’s . . . . . . . . . . . . . . c) Ordre public-Widrigkeit deutscher Verjährungvorschriften vor englischen Gerichten in dem sog. Wtewael-Fall . . . . . . . . . d) Ordre public-Widrigkeit einer ausländischen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter innerhalb der deutschen Zivilrechtsordnung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verstoß gegen nationale Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften des kulturellen Ursprungsstaates . . . . . . . . . . . . . . 3. Verstoß gegen internationale und europäische Standards im Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht . . . . . . . . . . . . . . .
. .
709 710
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712 713
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714
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717
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720
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724
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726
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732
§ 12 Ergebnis: Grds. keine ‚ordre public‘-Widrigkeit des illegalen Kulturgüterverkehrs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
737
A. Bewertung der lex rei sitae im internationalem Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Gründe für eine Anwendung des Belegenheitsrechts . . . . . . . . II. Kritik an der ‚lex rei sitae‘ im internationalen Kulturgüterverkehr 1. Rechtsdogmatische Überlegungen zur ‚richtigen‘ Rechtswahl im internationalen Sachenrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtliche Perpetuierung des illegalen Kunsthandels durch die lex rei sitae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zufallsergebnisse bei Anwendung der lex rei sitae . . . . . . b) ‚Forum shopping‘: bösgläubige Manipulation des Lageorts . B. Kritik an der Nichtanwendung ausländischer Kulturgüterschutzgesetze § 11 Ergebnis: Kritik am Internationalen Kulturgüterprivatrecht
B. Alternative Anknüpfungsmaximen im Internationalen Kulturgüterprivatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Anwendung der für den Kulturgüterschutz günstigeren lex fori . . . . II. Kollisionsrechtliche Verselbstständigung der Vorfrage des Abhandenkommens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsdogmatische Konstruktion und judikative Fundierung . . . 2. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. .
740 747
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748 749 753
Inhaltsverzeichnis
III. ‚Fraus legis‘ im internationalen illegalen Kunsthandel . . . . . . . . . . 1. Rechtsdogmatische Konstruktion der ‚fraus legis‘ . . . . . . . . . . . a) Umgehungshandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Umgehung rechtsmissbräuchlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Umgehungsabsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Anknüpfung an den Ort der unrechtmäßigen Entziehungshandlung kultureller Güter – die sog. lex furti . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. ‚Lex furti‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtsdogmatische Konstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtswahl nach der ‚lex furti‘ in der Praxis . . . . . . . . . . . . 2. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeine Erwägungen gegen eine Anknüpfung an den Ort der unrechtmäßigen Entziehungshandlung . . . . . . . . . . . . . b) Alternativanknüpfung von ‚lex rei sitae‘ und ‚lex furti‘ . . . . . . c) Zusammenfassende Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Fiktive Immobilität unrechtmäßig entzogener Kulturgüter . . . . . . . 1. ‚Ville de Genève et Fondation Abegg c. Consorts Margail‘: Immobilisierung unrechtmäßig entzogener Fresken durch die Cour d’Appel de Montpellier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bewertung der fiktiven Immobilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 13 Ergebnis: Alternative Anknüpfungsmaximen in der rechtswissenschaftlichen und praktischen Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Rechtswahl nach der sog. ‚lex originis‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Normative Statuierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Resolution La vente internationale d’objets d’art sous l’angle de la protection du patrimoine culture vom 3. September 1991 . (1) Situativer Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Rechtswahl nach der lex originis . . . . . . . . . . . . . . . (3) Anwendung ausländischer Kulturgüterschutzgesetze vor fremden Foren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Originärer materiell-rechtlicher Rückführungsanspruch . . . (5) Entschädigungsanspruch eines gutgläubigen Besitzers . . . (6) Gegenständlicher Anwendungsbereich der Resolution: Einschränkung auf das nationale Kulturerbe . . . . . . . . (7) Kritik an der Resolution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Art. 12 der EG-Richtlinie 93/7/EWG vom 15. März 1993 (str.) . c) Wahl zwischen der ‚lex originis‘ und der ‚lex rei sitae‘ in Belgien 2. Rechtsdogmatische Fundierung der lex originis-Regelung in der Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bestimmung des kulturellen Ursprungsstaates . . . . . . . . . . . . a) ‚Rechtliche‘ Verbundenheit eines Kulturguts mit ‚seinem‘ Ursprungsstaat – sog. ‚lex inexportabiles‘ . . . . . . . . . . . . (1) Rechtsdogmatische Begründung der lex inexportabiles . . . (2) Praktische Anwendung der lex inexportabiles . . . . . . . . (3) Spezielle Gründe gegen eine Rechtswahl nach der lex inexportabiles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) ‚Kulturelle‘ Verbundenheit eines Kulturguts mit ‚seinem‘ Ursprungsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
757 759 760 761 762 764 766 767 769 772 774 775 782 783 784
787 791 796
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803 812
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813 816 817
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821 822 824
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825 826 826 828
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830 836
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839 840 845
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845
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848
XXIII
XXIV
Inhaltsverzeichnis
(1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8)
Ort der kultischen Verehrung – sog. lex cultus . . . . . . . . Nationalität des Künstlers . . . . . . . . . . . . . . . . . . Entstehungsort des Kulturguts . . . . . . . . . . . . . . . . Bestimmungsort des Kulturguts . . . . . . . . . . . . . . . . Sitz des Kulturguts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kulturelle Rezeption eines Kulturguts . . . . . . . . . . . . Fundort archäologischer Objekte . . . . . . . . . . . . . . . Geschichtlicher Zusammenhang eines Kulturguts mit dem kulturellen Ursprungsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Bewertung der ‚lex originis‘ im internationalen Kulturgüterverkehr a) Vorteile für den Kulturgüterschutz und die Rückführung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter . . . . . . . . . . . . . . b) Zweifel bei der Bestimmung der ‚richtigen‘ Heimatrechtsordnung (1) ‚Heimat‘ kulturgüterschutzgesetzwidrig veräußerter Kulturgüter – Übersteigerung eines ‚kulturellen Nationalismus‘? . (2) Heimat ‚gestohlener‘, aber nichtkulturgüterschutzgesetzwidrig veräußerter Kulturgüter – Zuordnungsprobleme . . . c) Zufallsergebnisse auch bei Anwendung der ‚lex originis‘ . . . . (1) Lex rei sitae teilweise günstiger für Kulturgüterschutz als lex originis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Lex originis kollisionsrechtlich gerecht . . . . . . . . . . . . (3) Alternative Anknüpfung an die lex rei sitae, die lex originis und die lex furti . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Keine Restitution unrechtmäßig entzogener Kulturgüter ohne materielle Rechtsposition des kulturellen Ursprungsstaates . . . § 14 Ergebnis: Plädoyer für eine Rechtswahl nach der ‚lex originis‘
. . . . . . .
851 859 865 866 870 874 881
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888 892
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VII. Alternative Anknüpfungsmaximen innerhalb des deutschen Art. 46 EGBGB – ‚de lege ferenda‘ oder ‚de lege lata‘? . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtstheoretische Funktionen des Art. 46 EGBGB im Internationalen Kulturgüterprivatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anwendung der ‚lex originis‘ nur ‚de lege ferenda‘ . . . . . . . . b) Anwendung der ‚lex originis‘ als Ergebniskorrektur im Einzelfall ‚de lege lata‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Generelle Sonderanknüpfung zugunsten der ‚lex originis‘ für Kulturgüter ‚de lege lata‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Voraussetzungen einer Abweichung über Art. 46 EGBGB . . . . . a) „Wesentlich engere Verbindung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Lex rei sitae „extrem sachferne Rechtsordnung“ . . . . . . . (2) Sachnähe der lex originis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Vorgaben innerhalb des amerikanischen internationalen Kulturgüterprivatrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Übertragung des amerikanischen Rechtswahlprozesses auf das deutsche internationale Kulturgüterprivatrecht . b) Vereinbarkeit mit Grundwertungen der Art. 43 ff. EGBGB . . . (1) Rechtssicherheit und Verkehrsfähigkeit kultureller Güter im Markt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Kritik im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Unsicherheit im Kulturgüterverkehr in der sog. Pistolenfall Entscheidung des LG Hamburg vom 20.6.1996 . . .
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940
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944 945
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954 959 960 961 964
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983 984
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(2) Abweichung von der lex rei sitae über die Ausweichklausel mit den Grundwertungen des internationalen Sachenrechts vereinbar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Gesteigerte Gefahranfälligkeit des internationalen Kunsthandels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Unikatfunktion kultureller Wertgegenstände . . . . . . . 3. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
991 992 994 998
§ 15 Ergebnis: Anknüpfung an die ‚lex originis‘ über Art. 46 EGBGB de lege lata 1001 C. Extraterritoriale ‚Anwendung‘ ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze als Eingriffsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Kulturgüterschutzvorschriften als Eingriffsnormen . . . . . . . . . . . 1. Eingriffsnormen als öffentlich-rechtliche Ordnungsvorschriften des Gemeinwohlinteresses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften als Ausdruck von Gemeinwohlinteressen mit kulturpolitischer Ordnungsfunktion . . . II. Drei Konstellationen extraterritorialer Anwendung von Kulturgüterschutzgesetzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Geltung kulturpolitisch zwingender Eingriffsnormen der lex causae . a) Repubblica dell’ Ecuador – Casa della Cultura ecuadoriana c. Danusso . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Art. 13 S. 2 IPRG und der sog. Grabstelen-Fall der Sammlung Ludwig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anwendung kulturpolitisch zwingender Eingriffsnormen der lex fori 3. Geltung kulturpolitisch zwingender Eingriffsnormen eines Drittstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kulturgüterunspezifische internationale Rechtsinstrumente . . . . b) Kulturgüterspezifische internationale Rechtsinstrumente . . . . . (1) UNESCO-Konvention vom 14. November 1970 . . . . . . . . (2) European Convention on Offences Relating to Cultural Property vom 23. Juni 1985 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Resolution ‚La vente internationale d’objets d’art sous l’angle de la protection du patrimoine culture‘ vom 3. September 1991 (4) EG-Richtlinie 93/7/EWG vom 15. März 1993 . . . . . . . . . (5) UNIDROIT-Convention on Stolen or Illegally Exported Cultural Objects vom 24. Juni 1995 . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Nationale Vorschriften zur Anwendung drittstaatlicher Eingriffsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Gerichtliche Sonderanknüpfung von Eingriffsnormen . . . . . . . (1) Indirekte und mittelbare Anwendung (Berücksichtigung) drittstaatlicher Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften . . . (2) Direkte und unmittelbare Anwendung drittstaatlicher Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften . . . . . . . . . . . . .
1010 1021 1022 1023 1025 1027 1028 1029 1032 1036 1038 1042 1042 1044 1047 1049 1053 1057 1061 1062 1066
§ 16 Ergebnis: Extraterritoriale ‚Anwendung‘ ausländischer Kulturgüterschutzgesetze im Rechtsvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1069 III. Direkte und unmittelbare Anwendung ausländischer Kulturgüterund Denkmalschutzgesetze in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . 1076 1. Völkerrechtliches Territorialitätsprinzip und kollisionsrechtliche Machttheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1081
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a) Völkerrechtliches Territorialitätsprinzip und internationale Staatssouveränität in der ständigen Rechtsprechung des BGH . . . . . b) Kollisionsrechtliche Machttheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . c) International einheitliche Nichtanwendbarkeit ausländischer Kulturgüterschutzgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Keine Anwendung italienischer Kulturgüterschutzvorschriften vor britischen Zivilforen nach der Entscheidung King of Italy v. Marquis Cosimo de Medici . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Keine Anwendung französischer Kulturgüterschutzvorschriften vor italienischen Foren nach der Entscheidung Stato francese c. Ministero per i beni culturali e ambientali e De Contessini vom 27. Juni 1987 . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Keine Anwendung spanischer Kulturgüterschutzvorschriften vor französischen Zivilforen nach der Entscheidung Duc de Frias v. Baron Pichon vom 17. April 1887 . . . . . . . . . . (4) Weitere Fallbeispiele zur Bestätigung der Unanwendbarkeit ausländischer Kulturgüterschutzgesetze vor fremden Zivilforen d) Ablehnung des strengen Territorialitätsprinzips und der Machttheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Übertragung der Schuldstatutstheorie in das internationale Kulturgüterprivatrecht – die sog. Einheitsanknüpfung . . . . . . . . . . . . 3. Kollisionsrechtliche Sonderanknüpfung . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anwendung ausländischer Kulturgüterschutzvorschriften bei völkervertraglicher Verpflichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anwendung ausländischer Kulturgüterschutzvorschriften bei europarechtlicher Verpflichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Eigenes (inländisches) Interesse zur Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften . . . . . . . . . . . (1) Inländischer Legitimationsgrund für die Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze . . . . . . . (2) Kein Entgegenstehen inländischer Schutzzwecke (sachenrechtlicher Verkehrsschutz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Gesteigerte Gefahranfälligkeit des internationalen Kunsthandels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Unikatfunktion kultureller Wertgegenstände . . . . . . . (3) Sonderanknüpfung auch im Sachenrecht . . . . . . . . . . . . d) Weitere Voraussetzungen der Sonderanknüpfung . . . . . . . . . (1) Enge ‚Beziehung‘ der Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschrift zur Frage der dinglichen Sachzuordnung eines Kulturguts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Internationaler Anwendungswille der ausländischen Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschrift . . . . . . . . . . . . . . (3) Keine extraterritoriale Anwendung exorbitanter Kulturgüterund Denkmalschutzvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . e) Rechtsfolgen einer Sonderanknüpfung . . . . . . . . . . . . . . .
1082 1086 1088
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1131 1132 1135 1138
§ 17 Ergebnis: ‚Anwendung‘ ausländischer Kulturgüterschutzvorschriften im deutschen Kollisionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1141 IV. Materiell-rechtliche ‚Berücksichtigung‘ ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1150
Inhaltsverzeichnis
1. Kulturgüterschutzgesetzwidrige Veräußerung als Gesetzwidrigkeitsverdikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Berücksichtigung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften über § 134 BGB im Schrifttum . . . . . . . . . . . . b) BGH: Ausländische Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften keine Verbotsgesetze i.S.d. § 134 BGB . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kulturgüterschutzgesetzwidrige Veräußerung als Sittenwidrigkeitsverdikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Voraussetzungen der Nichtigkeit eines Kulturguttransfers nach § 138 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Kulturgüterschutzgesetzwidriges Verhalten . . . . . . . . . . (2) Keine Anwendung exorbitanter Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften über § 138 BGB . . . . . . . . . . . . . . . (3) Kenntnis von dem Verstoß gegen das ausländische Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetz? . . . . . . . . . . . . . . . b) Nigeria-Entscheidung des deutschen BGH vom 22. Juni 1972 . . (1) Kein (mittelbarer) Schutz deutscher Interessen durch das nigerianische Kulturgüterschutzgesetz . . . . . . . . . . . . . (2) „Interesse aller Völker an der Erhaltung ihrer Kulturwerke an Ort und Stelle“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) UNESCO-Convention vom 14. November 1970 als Ausdruck internationaler Rechtsüberzeugung . . . . . . . . . . . . . . . c) Nichtigkeitsfolge des Sittenwidrigkeitsverdiktes . . . . . . . . . . d) Ehrenzweigs ‚Datum-Theorie‘ als rechtsdogmatische Grundlage . (1) Bedeutung und Reichweite der Datum-Theorie . . . . . . . . (2) Unterscheidung zwischen ‚local‘ und ‚moral data‘’ . . . . . . 3. Berücksichtigung ausländischer Kulturgüterschutzbestimmungen bei Auslegung der Gutgläubigkeit i.S.d. § 932 BGB und des ‚Abhandenkommens‘ i.S.d. § 935 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anforderungen an den ‚guten Glauben‘ i.S.d. § 932 BGB bei schutzgesetzwidrig transferierten Kulturgütern . . . . . . . . . . b) Illegaler Kulturgüterverkehr als ‚Abhandenkommen‘ i.S.d. § 935 Abs. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Raubgrabung als ‚Abhandenkommen‘ . . . . . . . . . . . . . (2) Illegaler Export als ‚Abhandenkommen‘ . . . . . . . . . . . . (3) Materiell-rechtliche Berücksichtigung ausländischer ‚ownership statutes‘ im deutschen Recht? . . . . . . . . . . . . . . .
1152 1153 1157 1161 1165 1166 1172 1173 1176 1179 1180 1182 1183 1189 1191 1196
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§ 18 Ergebnis: Materiell-rechtliche ‚Berücksichtigung‘ ausländischer Kulturgüterschutzvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1219 D. Stigmatisierung kultureller Güter als unrechtmäßig entzogen und illegal exportiert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Kingdom of Spain v. Christie, Manson & Woods Ltd. aus dem Jahre 1986 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Klagegrund umstritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Feststellung der unrechtmäßigen Ausfuhr aus Spanien vor britischem Forum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
. . 1228 . . 1229 . . 1232 . . 1234
§ 19 Ergebnis: Gerichtliche Stigmatisierung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1236
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XXVIII Inhaltsverzeichnis E. Materielle Privatrechtsvereinheitlichung im internationalen Kulturgüterverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Entwicklung materiellen Einheitsrechts im Kulturgüterschutz . . . . . II. UNESCO-Convention vom 14. November 1970 . . . . . . . . . . . . 1. Anwendungsbereich der UNESCO-Convention . . . . . . . . . . . 2. Materielle Sachrechtsvereinheitlichung . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Konvention von San Salvador vom 16. Juni 1976 . . . . . . . . . . . IV. Resolution ‚La vente internationale d’objets d’art sous l’angle de la protection du patrimoine culture‘ vom 3. September 1991 . . . . . . . 1. Anwendungsbereich der Resolution . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einheitlicher materiell-rechtlicher Rückführungsanspruch . . . . . 3. Entschädigungsanspruch eines gutgläubigen Besitzers . . . . . . . V. Rechtsvereinheitlichung innerhalb der Europäischen Union . . . . . . 1. EU-Ausfuhrverordnung Nr. 116/2009 . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kulturgut im „europäischen Sinn“ gemäß „Anhang I“ der EU-Ausfuhrverordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) EU-Ausfuhrfreigabeschein des Mitgliedstaates . . . . . . . . . . 2. Richtlinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Systematik des Restitutionsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . c) Fristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Entschädigung gutgläubiger Eigentümer . . . . . . . . . . . . . e) Eigentum an rückgeführten Kulturgütern . . . . . . . . . . . . 3. Bewertung des einheitlichen europäischen Kulturgüterschutzund Kunstrestitutionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Rechtsvereinheitlichung durch UNIDROIT . . . . . . . . . . . . . . 1. Uniform Law on the Acquisition in Good Faith of Corporeal Movables zur Vereinheitlichung des gutgläubigen Erwerbs gestohlener Gegenstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Convention on Stolen or Illegally Exported Cultural Objects (Rom) vom 24. Juni 1995 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Materielle Sachrechtsvereinheitlichung . . . . . . . . . . . . . . c) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Sonstige Bestrebungen in internationalen Konventionen . . . . . . .
. . . . . . .
1239 1244 1247 1251 1254 1257 1267
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1269 1271 1272 1274 1275 1279
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1280 1282 1284 1285 1292 1294 1295 1297
. 1298 . 1300
. 1300 . . . . .
1304 1309 1312 1316 1319
§ 20 Ergebnis: Materielle Privatrechtsvereinheitlichung im internationalen Kulturgüterverkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1324
4. Teil – Synopsis: Internationales Kulturgüterprivat- und Kulturgüterzivilverfahrensrecht – 50 Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . 1337 § 21 Synopsis Teil 1: Anspruchsgrundlagen in Kunstrestitutionsverfahren
. . . 1340
§ 22 Synopsis Teil 2: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht . . . . . . 1342 § 23 Synopsis Teil 3: Internationales Kulturgüterprivatrecht . . . . . . . . . . . 1349 § 24 Zusammenfassende Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1378
Inhaltsverzeichnis
Verzeichnis der Schemata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1383 Verzeichnis der Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1385 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1389
XXIX
Abkürzungsverzeichnis A.(2d) a.A. a.a.O. A.C. A.D.(2d, 3d) a.F. A.L.R. AAL AAM AAMD ABGB Abl. EG Abs. Abschn. abw. ACAL AcP affd ähnl. AIA AIDI AJDA AJIL AJP Ala. All ER allg. ALR Anm. AöR App. Div. App. ARPA Art., art. AS Aufl. ausdr. ausf. Ausn. AVR Az. BayVBl. BB
Atlantic Reporter (Second Series) anderer Ansicht am angegebenen Ort The Law Reports, Appeal Cases Appellate Division Reports (Second/Third Series) alte Fassung Australian Law Reports Art Antiquity and Law American Association of Museums American Association of Museums Directors Allgemeines Burgerliches Gesetzbuch fur Österreich vom 1. Juni 1811 Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Absatz Abschnitt abweichend New York Arts and Cultural Affairs Law Archiv fur die civilistische Praxis affirmed ähnlich Archaeological Institute of America Annuaire de l’Institut de Droit International L’Actualité juridique. Droit administratif American Journal of International Law Aktuelle Juristische Praxis Alabama Reports All England Law Reports allgemein Art Loss Register Anmerkung Archiv des öffentlichen Rechts Appellate Division Appendix Archaeological Resources Protection Act Artikel, article Amtliche Sammlung des Bundesrechts (Schweiz) Auflage ausdrücklich ausführlich Ausnahme Archiv des Völkerrechtes Aktenzeichen Bayerische Verwaltungsblätter, Zeitschrift für öffentliches Recht und öffentliche Verwaltung Der Betriebs-Berater
XXXII Abkürzungsverzeichnis Bd./Bde. BerDGesVölkR betr. BFH BGB BGBl. BGE BGer BGH BGHZ BJM BKM BT-Drs. BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE BW bzw. c. C.A. C.D. Cal. C.L.R. C.M.L. Rev. Cal. Cal. App. (4th) Cal. Rptr. (2d) Calif L. Rev. Cass. CC/Cc CEE Ch. Ch. D. CHF CIC CIC Cir. Clunet col. CORA Corte cost. Cost. CPIA Ct. App.
Band/Bände Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht betreffend Bundesfinanzhof Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts Schweizerisches Bundesgericht Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Basler Juristische Mitteilungen Beauftragter der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und Medien Bundestagsdrucksache Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (Deutschland) Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Burgerlijk Wetboek (Bürgerliches Gesetzbuch der Niederlande) beziehungsweise contre Court of Appeals U.S. District Court, Central District of Califomia Commonwealth Law Reports Common Market Review California California Appellate Reports (Fourth Series) West’s California Reporter (Second Series) California Law Review La Suprema Corte di Cassazione (Italienischer Kassationshot) Code civil; Codice civile; código civil Communauté economique europeenne Law Reports, Chancery Division Chancery Division Schweizer Franken Codex iuris canonici Corpus iuris civilis Circuit Journal du droit international privé et de la jurisprudence comparée collection Court of Restitution Appeals Corte costituzionale Costituzione della Repubblica italiana Convention on Cultural Property Implementation Act Court of Appeals (Grossbritannien)
Abkürzungsverzeichnis
CTS D. DC. D. Or. D. R.I. D.C. d.h. D.H./Dalloz
D.L. D.P./Dalloz DB Dep’t, Dept. ders. dies. diff. Dig. DM DÖV Dr.adm. Droits DtZ DVBl. E.D. Mich. E.D. Pa. E.D.N.Y. EG EGBGB Emory Int. L.Rev. EMRK EPIL et al. etc. EU EuGH EuGHRspr. EuGMR EuGRZ European L.Rev. EuZW EWCA Civ EWG EWHC (Q.B.) EWR F. Supp. (2d) F. (2d, 3d)
The Consolidated Treaty Series U.S. District Court, District ofthe District of Columbia U.S. District Court, District of Oregon U.S. District Court, District of Rhode Island District of Columbia das heißt Dalloz, Recueil hebdomadaire de jurisprudence en matière civile, commerciale, criminelle, administrative et de droit public Decreto legislativo Dalloz Périodique, Jurisprudence générale. Recueil périodique et critique de législation et de doctrine Der Betrieb/Der Betriebs-Berater Department derselbe dieselbe differenzierend Digesta Iustiniani Deutsche Mark Die öffentliche Verwaltung Droit administratif Droits, Revue francaise de théorie juridique Deutsch-deutsche Rechts-Zeitschrift Deutsches Verwaltungsblatt U.S. District Court, Eastern District of Michigan U.S. District Court, Eastem District of Pennsylvania U.S. District Court, Eastern District of New York Europäische Gemeinschaften Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Emory International Law Review Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 Encyclopedia of Public International Law et alii/aliter et cetera Europäische Union Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, Sammlung der Rechtsprechung des Gerichtshofes Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Europäische Grundrechtezeitschrift European aw Review Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht England and Wales Court of Appeal, Civil Division Europäische Wirtschaftsgemeinschaft England and Wales High Court, Queen’s Bench Division Europäischer Wirtschaftsraum Federal Supplement (Second Series) Federal Reporter (Second Series, Third Series)
XXXIII
XXXIV Abkürzungsverzeichnis f., ff. F.R.D. FAZ Fn. Fordham Int.L.J. Foro amm. Foro it. FS FSIA Gaz. GBl. gem. GG Giur.cost. Giur.it. Giust.civ. Giust.civ.mass. GYIL H.L. h.L. h.M. HGB HJIL Hrsg. HS. Hw. i.d.F. i.d.R. i.d.S. i.E. i.e. i.H.v. I.L.M. I.L.R. i.S.(v.) i.V.m. ICOM IFAR IJCP ILA insb. Int. Comp.L.Q. Int. Lawyer IPR IPRax IPRG
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Abkürzungsverzeichnis
IPRspr. ISWA J.Cl. J.O. J.Trib. JCP JHerJB JR JURA JuS JW JZ K.B. Kap. KG KGTG KGTV KOM krit. KUR
L. Ed. L.J. LG lit. Lloyd’s Rep. m. Anm. m.a.W. m.E. m.M. M.R. m.w.H. m.w.N. Mich. L. Rev. Misc. Mot.
Mugdan N.D Ill. N.D. Ohio N.E. 2d
Die deutsche Rechtsprechung auf dem Gebiete des Internationalen Privatrechts International Sales of Works of Art Juris Classeur Journal Officiel de la République Francaise Journal des Tribunaux La Semaine Juridique Jahrbücher für die Dogmatik des heutigen römischen und deutschen Privatrechts Juristische Rundschau Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Deutsche Juristenzeitung Law Reports, King’s Bench Division Kapitel Kammergericht Schweizer Bundesgesetz über den internationalen Kulturgütertransfer vom 20. Juni 2003 (SR 444.1) Schweizer Verordnung über den internationalen Kulturgütertransfer vom 13. April 2005 (SR 444.11) Dokumente der Kommission der Europäischen Gemeinschaften kritisch Kunstrecht und Urheberrecht resp. Kunst und Recht, Journal für Kunstrecht, Urheberrecht und Kulturpolitik Supreme Court Lord Justice (USA) Landgericht litera Lloyd’s Law Reports mit Anmerkung von mit anderen Worten meines Erachtens Mindermeinung Master of the Rolls (Grossbritannien) mit weiteren Hinweisen mit weiteren Nachweisen Michigan Law Review New York Miscellaneous Reports Motive zu dem Entwurfe eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich. Amtliche Ausgabe. Bd. 1–5, 1888 Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich, 1899 U.S. District Court, Northern District of Illinois U.S. District Court, Northern District of Ohio North Eastern Reporter (Second Series)
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Abkürzungsverzeichnis
n.F. N.J. N.Y. App. Div. N.Y. Civ Prac L&R N.Y. Sup. Ct. N.Y. (2d) N.Y.L. Sch. J. Int’l & Comp. L. N.Y.L.J. N.Y.S. (2d) N.Y.U.J. Int’l L. & Pol.
nachf. NAGPRA Ned.Jur. Neth.Int.L.Rev. New L.J. NJW NWVBl. NSPA NVwZ NVwZ-RR Nw. NZZ ÖJZ OLG OR
Q.B. R.D. R.I.D.C. RabelsZ Rdnr. Rev.crit.dr. int. privé Rev.crit.dr.int. rev’d RGBl. RGRK
Riv.dir.int. Riv.dir.int.priv.proc. RIW RL RM
neue Fassung New Jersey Reports New York Supreme Court, Appellate Division New York Civil Practice Law and Rules New York Supreme Court of Judicature New York Reports (Second Series) New York Law School Journal of International and Comparative Law New York Law Journal (USA) West’s New York Supplement (Second Series) The Journal of International Law and Politics Symposium in International Art Law, New York University: Journal of International Law and Politics nachfolgend(e) Native American Graves Protection and Repatriation Act Nederlandse Jurisprudentie Netherlands International law Review The New Law Journal Neue Juristische Wochenschrift Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter National Stolen Property Act Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Nachweis(e) Neue Zürcher Zeitung Österreichische Juristenzeitung Oberlandesgericht Bundesgesetz vom 30. März 1911 betreffend die Ergänzung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches (Fünfter Teil: Obligationenrecht) (SR 220) Law Reports, Queen’s Bench Division Regio decreto Revue internationale de droit comparé Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Randnummer Revue critique de droit international privé international privé Revue critique de droit international reversed Reichsgesetzblatt Reichsgerichtsrätekommentar, Das Bürgerliche Gesetzbuch mit besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofes Rivista di diritto internazionale Rivista di diritto internazionale privato e processuale Recht der internationalen Wirtschaft Richtlinie Reichsmark
Abkürzungsverzeichnis
ROW Rspr. RzW SAP S. Ct. S.D. Ill. S.D. Ind. S.D.N.Y. sec. Sem.jud. SJZ SJZ So. (2d) Sp. Stan.L.Rev. Sup. Ct. N.Y. SZIER T.R. Texas Int.L.J. The Art J. Times L.Rep. Trib. u. u.a. U.S. U.S.C. U.S.C.A. U.S.C.D. UCC UCLA UEK UFITA UNESCO
UNIDROIT
UNO UNTS USCS usw. v. v.a. VerwArch VerwGH
Recht in Ost und West, Zeitschrift für Ostrecht und Rechtsvergleichung Rechtsprechung Rechtsprechung zum Wiedergutmachungsrecht Spoliation Advisory Panel Supreme Court Reporter US. District Court, Southern District of Illinois U.S. District Court, Southern District of Indiana U.S. District Court, Southern District of New York section(s) La Semaine judiciaire Schweizerische Juristen-Zeitung Süddeutsche Juristen-Zeitung Southern Reporter (Second Series) Spalte Stanford law Review Supreme Court of New York Schweizerische Zeitschrift für Internationales und Europäisches Recht Taxation Reports Texas International Law Journal The Art Journal The Times Law Reports Tribunal civil/Tribunale und und andere/unter anderem United States Reports United States Code United States Court of Appeals United States District Court Uniform Commercial Code University of California, Los Angeles Unabhängige Expertenkommission Schweiz – Zweiter Weltkrieg Archiv für Urheber-, Film-, Funk- und Theaterrecht United Nations Educational, Scientific, and Cultural Organization (Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur) International Institute for the Unification of Private Law (Internationales Institut für die Vereinheitlichung des Privatrechts) United Nations Organization United States Treaty Series United States Code Service und so weiter versus vor allem Verwaltungsarchiv. Zeitschrift für Verwaltungslehre Verwaltungsgerichtshof
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XXXVIII Abkürzungsverzeichnis vgl. VIZ VO Vol. VR VVDStRL W.L.R. Warn
WLR z.B. ZaöRV ZBJV ZGB Ziff. zit. ZOV ZRP ZSR zugl. ZVglRWiss
vergleiche Zeitschrift für Vermögens- und Immobilienrecht Verordnung Volumen Verwaltungsrundschau Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer The Weekly Law Reports Rechtsprechung des Reichsgerichts, soweit sie nicht in der amtlichen Sammlung der Entscheidungen des Reichsgerichts abgedruckt ist, begr. v. Warneyer (1908–1943); ab 1961: Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen The Weekly Law Reports zum Beispiel Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zeitschrift des Bernischen Juristenvereins Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 10. Dezember 1907 (SR 210) Ziffer zitiert Zeitschrift für offene Vermögensfragen Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für Schweizerisches Recht zugleich Zeitschrift fur vergleichende Rechtswissenschaft
§1
Propädeutik: ‚Internationales Kulturgüterprivatrecht‘ im Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht
Während in Band 1 die Tatbestände des illegalen Kulturgüterverkehrs erläutert werden und in Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel die ‚richtige‘ Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter im Zivilrecht über die Rechtsinstitute des gutgläubigen rechtsgeschäftlichen Erwerbs und des originären Ersitzungserwerbs sowie die Präklusion kultureller Restitutionsansprüche aufgrund Verjährung und Verwirkung erfolgt, wird in Band 3 unter dem Titel ‚Internationales Kulturgüterprivatrecht‘ der Internationalität des illegalen Kunstmarktes Rechnung getragen und es werden die für das Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht und dessen kulturellen Rückführungsverfahren in der Praxis in höchstem Maße entscheidungsrelevanten Fragen des (inter-)nationalen Zivilverfahrensrechts und des international-privatrechtlichen Rechtswahlprozesses bei Berührungspunkten eines Sachverhalts zu mehr als einer Rechtsordnung geklärt.
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Zur ersten Verdeutlichung der hier möglichen und regelmäßig für nationale Gerichte schwer lösbaren Problemkonstellationen kann beispielhaft auf die Klage Michel Levi-Leleu gegen das Auschwitz-Birkenau State Museum in Os´wie˛cim und das Shoah Memorial Museum in Paris vor dem Tribunal de Grande Instance de Paris im Jahre 2005 hingewiesen werden.1 Im Jüdischen Museum im Marais fand eine Ausstellung über die Deportation und Ermordung französischer Juden in Auschwitz statt. Einer der Besucher war Michel Levi-Leleu, der auf einem ausgestellten Koffer den Namen und die Anschrift seines nach Auschwitz deportierten und dort ermordeten Vaters entdeckte: „86 Boul, Villette, Paris Pierre Levi“. (s. Abb. 1)
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Den Koffer hatte das Auschwitz-Birkenau State Museum als Exponat zur Verfügung gestellt. Levi-Leleu forderte umgehend die Restitution des Koffers sowohl gegenüber dem Pariser Museum als auch dem internationalen AuschwitzKomitee. Nachdem er gegen beide Museen eine Zivilklage vor dem Tribunal de Grande Instance de Paris einreichte, untersagte zunächst der Präsident des Gerichts per einstweiliger Verfügung die Rückführung des Koffers nach der Beendigung der Ausstellung nach Polen. Das Auschwitz-Birkenau State Museum
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New York Times, Artikel vom 18.8.2006; Auschwitz-Birkenau State Museum, Settlement Reached over Auschwitz Suitcase (Pressemitteilung vom 4.6.2009), Quelle: http://en.auschwitz. org.pl; Hess, Der Kunstrechtsstreit im Internationalen Zivilprozessrecht: Aktuelle Entwicklungen und grundsätzliche Fragestellungen, in: Weller/Kemle/Dreier/Lynen, Kunst im Markt – Kunst im Recht, Tagungsband des Dritten Heidelberger Kunstrechtstags am 09. und 10. Oktober 2009, 2010, S. 109–119. Inzwischen sind weitere Restitutionsansprüche von HolocaustNachfahren gegen das Museum in Auschwitz erhoben worden, dazu Messer, Two Sides of the Same Coin: The Memory of the Holocaust at War With a Survivor, 2008; Kreder, The Holocaust, Museum Ethics and Legalism, 18 S. Cal. Rev. L & Soc. Justice, 1 (2008).
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§ 1 Propädeutik
berief sich vor Gericht auf die Seltenheit des Koffers – es sind nur noch insgesamt drei vergleichbare Koffer vorhanden – und dessen Bedeutung für die Sammlung der französischen Auschwitz Deportierten, sodass die Sammlung nicht angetastet werden dürfe. Das Auschwitz Museum „regards the suitcase as one of the rare objects symbolizing and representing the memory of the persons deported to the camp, and which wishes to express the deepest understanding of the emotions of the families of Shoah victims … The suitcases belonging to people deported to Auschwitz are among the most priceless material testimony to the tragedy that occurred here. They constitute a small remainder of the property left behind by the victims of the gas chambers, and the names on some of them are among the few proofs of the death of specific individuals in Auschwitz.“2. Der Rechtsstreit wurde im Frühjahr des Jahres 2009 einvernehmlich beigelegt: Die Parteien einigten sich, dass der Koffer als Dauerleihgabe dem Shoah Memorial Museum in Paris zur Verfügung gestellt wird und Michel Levi-Leleu die Klage zurücknahm. 4
Schon das Koffer-Beispiel verdeutlicht, dass in Kunstrestitutionsfragen häufig zahlreiche unterschiedliche Regelungsebenen zusammenstoßen. Hätte der Tribunal de Grande Instance de Paris die Sache entscheiden müssen, wären Fragen des Völkerrechts und des Völkergewohnheitsrechts im Bereich der Staatenimmunität und bei der Durchsetzung international-privatrechtlicher Restitutionsansprüche sowie Fragen der gerichtlichen Zuständigkeit und des freien Geleits von Kunstwerken beim internationalen Prätendentenstreit zu entscheiden und Probleme bei der Ermittlung und Anwendung fremden Rechts zu lösen gewesen:
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„Diese Fragen werden bei Restitutionsstreitigkeiten deshalb besonders virulent, weil aufgrund mehrfacher Statutenwechsel (die Artefakte werden häufig über mehrere Grenzen verschoben) unterschiedliche Sachenrechte anwendbar sind (oftmals in Kombination mit Verjährungsvorschriften bei teilweiser Anrechnung ausländischer Sachverhalte). … Das Internationale Kunstrecht spiegelt in auffälliger Weise den aktuellen Stand des internationalen Zivilprozessrechts wider.“3
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Dabei kann systematisch an die bisherigen Untersuchungsergebnisse angeknüpft werden, die nachstehenden Fragestellungen unterscheiden sich jedoch gänzlich von den bisherigen Kommentierungen, sodass Band 3 mit dem Internationalen Kulturgüterprivatrecht und Zivilprozessrecht ein völlig neues Rechtsgebiet im Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht behandelt.
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Auschwitz-Birkenau State Museum, Settlement Reached over Auschwitz Suitcase (Pressemitteilung vom 4.6.2009), Quelle: http://en.auschwitz.org.pl. Hess, Der Kunstrechtsstreit im Internationalen Zivilprozessrecht: Aktuelle Entwicklungen und grundsätzliche Fragestellungen, in: Weller/Kemle/Dreier/Lynen, Kunst im Markt – Kunst im Recht, Tagungsband des Dritten Heidelberger Kunstrechtstags am 09. und 10. Oktober 2009, 2010, S. 109–119, S. 112.
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§ 1 Propädeutik
A. Ergebnisse Band 1: Illegaler Kulturgüterverkehr In Band 1: Illegaler Kulturgüterverkehr wurde der Frage nachgegangen, welche Auswirkungen die verschiedenen Entziehungstatbestände kultureller Güter (Diebstahl, kulturgüter- und denkmalschutzgesetzwidriger Transfer, Beutekunstnahme, Veräußerung kulturellen Fluchtguts, NS-Raubkunstnahme, Sicherstellung der entarteten Kunst in Privateigentum, Verstaatlichung der Trophäenkunst und privater Kunstsammlungen innerhalb des Unrechtsregimes der DDR) auf die Eigentumsposition der ursprünglichen Eigentümer zeitigen, und dabei festgestellt, dass unter den genannten Bedingungen kein Eigentumsverlust eingetreten ist und die ursprünglich Berechtigten auch nach dem Entziehungsakt weiterhin das Eigentum an den Objekten besaßen.
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Paradebeispiel einer unrechtmäßigen Entziehung kultureller Wertgegenstände ist der kulturelle Diebstahl, der keine Änderung der Rechtslage bedingt, sodass der Eigentümer seine weiterhin bestehende Eigentumsposition gegen jeden unrechtmäßigen Besitzer im Wege einer Vindikationsklage nach § 985 BGB geltend machen kann. Außerdem können der kulturgüter- und denkmalschutzgesetzwidrige Kulturgüterverkehr im Allgemeinen und der illegale Export kultureller Wertgegenstände im Besonderen in eng umgrenzten Situationen als unrechtmäßiger Entziehungsakt auch im Sinne des Zivilrechts gewertet werden. Nationale Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze kontrollieren in unterschiedlicher Intensität und Qualität einen sonst unreglementierten Kulturgüterverkehr und zielen mit diesem öffentlich-rechtlichen Resolutionsprogramm auf die Erhaltung und Bewahrung der kulturellen Schöpfung der Nation – des nationalen Kulturpatrimoniums – im eigenen Land. Zu dessen Schutz implementierten heute nahezu alle Herkunftsländer vergleichbare Rechtsvorschriften, die eine dauerhafte Adjunktion national bedeutsamer Kulturgüter an das kulturelle Zuordnungssubjekt zu erreichen suchen. In reinen Binnensachverhalten wirken die zivilrechtlichen Sanktionen der öffentlich-rechtlichen Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze unmittelbar, während im internationalen Kulturgüterverkehr nach einem Statutenwechsel jedoch Besonderes gilt: Ausländische öffentlich-rechtliche Transferbeschränkungstatbestände sind aufgrund ihrer hoheitlichen Qualifikation innerhalb des kulturellen Importstaates nach den im Verwaltungsrecht geltenden Grundsätzen der lex fori generell nicht anwendbar. Es gilt das Territorialitätsprinzip des völkerrechtlichen Souveränitätsgedankens. Anderes gilt innerhalb solcher Rechtskonstruktionen, die den illegalen Export dem kulturellen Diebstahlstatbestand angleichen und in dem Moment des Verstoßes gegen das öffentlich-rechtliche Kulturgüter- und Denkmalschutzrecht eine automatische Legaldesignation der betroffenen Kulturgüter zu Staatseigentum bestimmen, sodass nicht nur mit öffentlich-rechtlichen Vorgaben, sondern insbesondere mit der Eigentumsposition des kulturellen Ursprungsstaates gebrochen wird. Sog. ‚umbrella statutes‘ nehmen schon im Vorfeld eine generelle Zuweisung des Eigen-
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§ 1 Propädeutik
tums einer bestimmten Klasse kultureller Güter (bspw. archäologischer Objekte) an den kulturellen Ursprungsstaat vor, unabhängig ob diese bereits entdeckt oder ausgegraben worden sind. Dieselbe Rechtswirkung verfolgen sog. ‚automatic forfeiture clauses‘ bzw. ‚rhetorical ownership statutes‘, die eine Eigentumszuweisung kulturell bedeutsamer Güter an den kulturellen Ursprungsstaat zum Zeitpunkt der illegalen Ausfuhr bestimmen, d.h. noch bevor die öffentlich-rechtlich geschützten Gegenstände das Territorium und die Staatsgewalt des Ursprungsstaates verlassen haben. Nach einer illegalen Ausfuhr in einen kulturellen Zielstaat liegt somit nicht nur ein Rechtswidrigkeitsverdikt aufgrund des unrechtmäßigen Exports, sondern auch aufgrund des kulturellen Diebstahls vor, und der kulturelle Ursprungsstaat kann seine Eigentumsposition im Importstaat ebenso geltend machen wie jeder andere Eigentümer. 9
Neben der Anerkennung und Durchsetzung der Eigentumszuweisung kultureller Güter an den Ursprungsstaat sollten im internationalen Kulturgüterverkehr auch die Qualifizierung kultureller Güter als res extra commercium und die Statuierung dinglicher Verfügungs- und Veräußerungsbeschränkungen auch nach einem schlichten Statutenwechsel extraterritoriale Anerkennung und Durchsetzung erfahren. In diesen Konstellationen geht es um die Veräußerung unveräußerlicher Kulturgüter an gutgläubige Erwerber innerhalb des Ursprungsstaates und anschließende Ausfuhr aus dem Territorium des Ursprungsstaates, ohne dass unter Geltung der Rechtsordnung des Importstaates eine weitere, sachenrechtserhebliche Einwirkung auf die Rechtsposition an den Objekten erfolgte. Die Extrakommerzialität kultureller Güter und die Wirkungen der Verfügungs- und Veräußerungsbeschränkungen werden wie dingliche Lasten behandelt, deren zivilrechtlichen Wirkungen nach einem schlichten Statutenwechsel im Ausland anerkannt und durchgesetzt werden. Da im internationalen Kulturgüterverkehr nach einer unrechtmäßigen Ausfuhr häufig auch eine Weiterveräußerung extrakommerzialer oder unveräußerlicher Kulturgüter außerhalb des kulturellen Ursprungsstaates unter Geltung einer neuen lex rei sitae im Importstaat erfolgt, mussten auch die Auswirkungen sog. qualifizierter Statutenwechsel auf den internationalen Kulturgüterverkehr untersucht werden. Es stellte sich dabei die Frage, inwieweit die Extrakommerzialitäts- bzw. Unveräußerlichkeitsanordnungen kultureller Güter außerhalb des kulturellen Ursprungsstaates Geltungskraft erlangen und diesen widersprechende Veräußerungen bzw. Verfügungen im Ausland verhindern können. Hier wurden jedoch die Grenzen des zivilrechtlichen Kulturgüter- und Denkmalschutzes ersichtlich: Eine extraterritoriale Berücksichtigung der Extrakommerzialität und einer Veräußerungsbeschränkung als dingliche Belastung oder ‚Vinkulierung‘ kultureller Wertgegenstände außerhalb des Ursprungsstaates wird in der Regel abgelehnt. Selbst in denjenigen Staaten, die für ihre eigenen Kulturgüter eine Extrakommerzialität anerkennen, wurde keine Unveräußerlichkeit für ausländische Kulturgüter angenommen, wenn die Objekte nach einem qualifizierten Statutenwechsel außerhalb des kulturellen Ursprungsstaates erneut veräußert wurden.
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§ 1 Propädeutik
Danach wanderte der Blick in Band 1 vom Schutz kultureller Güter in Friedenszeiten auf den Kulturgüterschutz in Kriegszeiten und prüfte, inwieweit die Mittel und Methoden des Zivilrechts dem Kulturgüterschutz in Kriegszeiten dienen und zu einer Restitution kriegsbedingt verlagerter Kulturgüter instrumentalisiert werden können. Hier wurde ersichtlich, dass sich heute die Verlagerung der sog. Beutekunst als staatlich zurechenbare Entziehung kultureller Wertgegenstände außerhalb des eigenen Territoriums während des Krieges oder im Zustand der Besetzung (darunter fielen bspw. die nazi looted art sowie die Trophäenkunst, ebenso aber auch aktuelle Plünderungen bspw. in den beiden Irakkriegen) aufgrund des vertrags- und gewohnheitsrechtlichen Völkerrechtswidrigkeitsverdikts nicht negativ auf die Rechtsposition des Eigentümers auswirkt und der ursprüngliche Kulturgutträger weiterhin seine Rechtsposition an dem Objekt ausüben kann. Gleiches gilt auch für die Kategorie des sog. kulturellen Fluchtguts verfolgter (jüdischer) Personengruppen nach nur formal ‚freiwilliger‘ Veräußerung, jedoch unter Drohung, Zwang und Gewalt zur Zeit des Nationalsozialismus (sog. Raubkunst der ersten Phase). Die Veräußerungen sind als sittenwidrig nach § 138 BGB und mit Wirkung als ex tunc nichtig zu qualifizieren, wenn das Rechtsgeschäft ohne die Herrschaft des Nationalsozialismus nicht abgeschlossen worden wäre oder die Notlage des Verfolgten zum eigenen Vorteil ausgenutzt worden war.
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Im Anschluss daran nahm die Darstellung der wichtigsten Sondergesetze zur Wiedergutmachung der NS-bedingten Kulturgutverluste breiten Raum in Band 1 ein. Auch hier zeigte sich in vielen Staaten eine Derogation von den allgemeinen Zivilrechtsregeln und eine Kassation der zivilrechtlichen Folgen sowohl der NSbedingten Kulturgutentziehungen als auch weiterer kultureller Veräußerungsgeschäfte. Nach einer Einführung in die allgemeine Dogmatik des Rückerstattungsrechts erfolgte zunächst eine Analyse der Sondergesetze in Österreich, Frankreich und den Niederlanden, die eine generelle Nichtigkeitsanordnung NSbedingter Kulturgutentziehungen bestimmten. Daran schloss sich eine Kommentierung des deutschen und alliierten Rückerstattungsrechts im Nachkriegsdeutschland an, das keine generelle Nichtigkeitsanordnung entzogener Kulturgüter festlegte, jedoch einen speziellen Restitutionsanspruch gewährte und insoweit die Vorschriften des gutgläubigen Erwerbs NS-bedingt entzogener Kulturgüter außer Kraft setzte. Dabei wurde die besondere Bedeutung der alliierten Rückerstattungsgesetze auch noch für aktuelle Kunstrestitutionsverfahren betont, weil die auf der Washingtoner Erklärung aus dem Jahre 1998 beruhende Gemeinsame Erklärung von Bund, Ländern und den kommunalen Spitzenverbänden zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturguts aus dem Jahre 1999 und deren Handreichung die Leitlinien der rückerstattungsrechtlichen Praxis der Nachkriegszeit als „Orientierungshilfe“ und „Anregung“ zur Lösung aktueller Kunstrestitutionsverfahren empfehlen. Das deutsche Wiedergutmachungsrecht verweist dabei auf die Definitionen, Vermutungsregelungen und Beweislastverteilungen in den Rückerstattungsvorschriften der westlichen Alliier-
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ten, welche zusammen mit den Entscheidungen der Obersten Rückerstattungsgerichte und der rückerstattungsrechtlichen Praxis heute als wichtigste Erkenntnisquelle zur Entscheidung aktueller Kunstrestitutionsverfahren genutzt werden. Besondere rechtsprägende wie praktische Bedeutung erlangte dabei auch das Schweizer Wiedergutmachungsrecht NS-bedingter Kulturgutverluste, da der Staat selbst keine Kulturgutverluste zu beklagen hatte, jedoch als primärer Zielstaat der in Deutschland und den anderen von NS-Deutschland besetzten Staaten entzogenen Kulturgüter galt. Schließlich endete die Darstellung der wichtigsten Sondergesetze zur Wiedergutmachung der NS-bedingten Kulturgutverluste mit einer ausführlichen Analyse des rechtlichen Status der nach Russland verbrachten Trophäenkunst, da hier – anders als in allen übrigen Staaten – grundsätzlich keine Rückführung an die ursprünglichen Kulturgutträger bestimmt worden war, sondern die Kulturgüter aus ehemaligen Feindstaaten als Kompensation für die eigenen, von den Truppen des NS-Deutschland verursachten kulturellen Schäden Russlands zu Staatseigentum erklärt wurden. 12
Von großem rechtlichen Interesse waren in Band 1 im Anschluss daran auch die unterschiedlichen Situationen der unrechtmäßigen Verstaatlichung kultureller Wertgegenstände: Hinsichtlich der Nationalisierung von mehr als zehn Millionen Kunstwerken aus den Sammlungen der Aristokratie und des Großbürgertums im Anschluss an die Oktoberrevolution im Jahre 1917 in Russland kann heute vor ausländischen Zivilforen keine Justiziabilität mehr erreicht werden und die Verstaatlichungen müssen aus Sicht der Betroffenen und deren Rechtsnachfolger wohl hingenommen werden. Die Sicherstellungen der ‚entarteten‘ Kunst im Privateigentum und deren Designation zu NS-Staatseigentum mittels des Gesetzes über Einziehung von Erzeugnissen entarteter Kunst vom 31. Mai 1938 sowie die Enteignungen der sog. Raubkunst der zweiten Phase als direkte staatliche Beschlagnahme kultureller Wertgegenstände aus dem Bestand jüdischer Personen innerhalb des deutschen Territoriums durch die nationalsozialistischen Behörden entfalteten aufgrund der Qualifizierung als ‚gesetzliches Unrecht‘ entsprechend der sog. Unerträglichkeitsthese Radbruchs keine Rechtswirkungen. Dort konnte auch nachgewiesen werden, dass die Verstaatlichung der nach Ende des Zweiten Weltkriegs auf russisches Territorium verlagerten Trophäenkunst aus der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands durch das russische Kulturgütergesetz sowohl gegen die Grundsätze des internationalen als auch nationalen ordre public verstößt, sodass der Eigentumszuweisung vor ausländischen Gerichten keine Rechtswirkung zuzuerkennen ist. Schließlich können auch die Konfiskationen kultureller Wertgegenstände zur Zeit der Herrschaft des DDR-Regimes unter bestimmten Voraussetzungen als formell und materiell ordre public-widrig qualifiziert werden, sodass auch die Verstaatlichungen der DDR-Kunst ohne Auswirkungen auf die Eigentumsposition der ursprünglich Berechtigten blieben.
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Abschließend hat Band 1 die Konstellationen sog. kolonialbedingter Kulturgutverlagerungen aus zivilrechtlicher Sicht beleuchtet. Fragestellung war auch hier,
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ob die unterschiedlichen tatsächlichen Situationen, in denen ein souveräner Staat eine Entscheidung über den Verbleib und die Position an kulturellen Gütern aus einem staatspolitisch untergeordneten Staatsglied getroffen hat, die zu einem dauerhaften Verlust der genannten Kunstwerke für den politischen Gliedstaat und zum Verbleib in einem neuen kulturellen Zuordnungssubjekt führte, einem zivilrechtlichen Rechtswidrigkeitsverdikt unterfallen und mit den Mitteln des Zivilrechts revidiert werden können. Dabei wurde zunächst erkannt, dass in der überwiegenden Zahl kolonialbedingt verlagerter Kulturgüter nach detaillierten kulturhistorischen Forschungen von der zivilrechtlichen Rechtmäßigkeit der früheren Erwerbungen auszugehen sein wird. Entsprechend dem sog. ‚principle of repose‘ ist die aktuelle Belegenheit als Ausgangspunkt der Zuordnung eines kulturellen Wertgegenstandes zu ‚seinem‘ Kulturgutträger anzusehen, die Anspruchsteller müssen besondere Gründe für eine abweichende Zuordnung anführen. Hierbei obliegt den die Rückführung beanspruchenden Staaten der Nachweis für eine unrechtmäßige Verlagerung der Kulturgüter, sodass mit ihrer Verbringung auch kein Eigentumsverlust eingetreten ist. Dieser Beweis wird nach Ablauf einer so langen Zeitspanne jedoch schwerlich zu führen sein. Darüber hinaus werden zivilrechtliche Rückführungsansprüche heute – soweit ersichtlich de lege lata wohl nach jeder Rechtsordnung – schon a priori aufgrund der temporalen Präklusion zivilrechtlicher Restitutionsansprüche wegen Ersitzung, Verjährung oder Verwirkung ausgeschlossen sein, sodass die Kategorie kolonialbedingter Kulturgutentziehungen nicht unter die Tatbestände unrechtmäßiger Kulturgutentziehungen ohne Auswirkungen auf die Eigentumsposition fällt.4 Als Ergebnis des Bandes 1: Illegaler Kulturgüterverkehr wurde somit festgehalten, dass der kulturelle Diebstahl, die benannten Konstellationen des kulturgüterund denkmalschutzgesetzwidrigen Kulturgüterverkehrs, die Beutekunstnahme, die Veräußerung kulturellen Fluchtguts als erste Raubkunstphase, die Enteignung, Konfiskation und Nationalisierung meist jüdischer Kulturgüter in der zweiten Raubkunstphase, die Sicherstellung und Verstaatlichung der entarteten Kunst, die Verstaatlichung der Trophäenkunst in Russland sowie die Tatbestände der Verstaatlichung der DDR-Kunst dementsprechend noch heute grds. mit dem Makel der Illegalität behaftet sind, noch immer einem Rechtswidrigkeitsverdikt unterfallen und dementsprechend als Handelsgut Absatz auf dem kulturellen Schwarzmarkt finden. Allen untersuchten Konstellationen ist gemein, dass unter den genannten Umständen die kulturellen Entziehungstatbestände ohne Auswir4
Auch wenn eine zivilrechtliche Restitution (d.h. Rückführung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter) ausscheidet, ist damit jedoch noch kein Werturteil über andere Rückführungsgründe bspw. im internationalen Recht begründet. Außerdem bedarf es weiterer Untersuchungen, ob nicht eine Repatriierung kolonialbedingter Kulturgutverluste (d.h. Rückführung rechtmäßig verbrachter Kulturgüter) aus kulturpolitischen Gründen im Einzelfall angezeigt ist. Vgl. ausführlich hierzu in Band 6 – Allgemeiner Teil.
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kungen auf die Rechtsposition des ursprünglich berechtigten Kulturgutträgers blieben und dieser sich theoretisch noch immer auf seine Eigentumsposition berufen kann.
B.
Ergebnisse Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel
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In Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel wurde untersucht, mittels welcher Rechtsinstitute die nationalen Zivilrechtsordnungen eine dingliche Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter vornehmen. Dabei wurde in erster Linie der Tatsache Rechnung getragen, dass gestohlene und illegal exportierte Kulturgüter ebenso im Handel rechtsgeschäftlich weiterveräußert werden, wie dies im Kunstmarkt bspw. auch mit der NS-Raubkunst, kulturellen Fluchtkunst und entarteten Kunst regelmäßig der Fall ist. Hier wurden konkrete Sorgfaltsanforderungen für die im Kunstmarkt beteiligten Museen, privaten und öffentlichen Kunstsammler, Händler, Galeristen und Auktionshäuser extrahiert und spezielle Checklisten erstellt, ohne deren Einhaltung der Einwand des gutgläubigen rechtsgeschäftlichen Erwerbs – ebenso wie der des originären Eigentumserwerbs mittels des Rechtsinstituts der Ersitzung – ausscheiden muss. Schließlich wurden Fragen der Präklusion kultureller Restitutionsansprüche aufgrund Verjährung und Verwirkung diskutiert und es wurde hier ein sorgfältig ausbalanciertes Regelungssystem entwickelt, innerhalb dessen für eine absolute Verjährung aller Restitutionsklagen (nach der geltenden Rechtslage auch gegenüber dem Dieb selbst!) kein Platz ist.
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Da unrechtmäßig entzogene Kulturgüter regelmäßig im kulturellen Schwarzmarkt veräußert werden, verteidigten sich in nahezu allen vor Gericht entschiedenen Restitutionsstreitigkeiten die Rückgabeschuldner mit dem Einwand des gutgläubigen rechtsgeschäftlichen Erwerbs. Während (erstens) bspw. innerhalb des Common Law-Rechtskreises nach dem nemo dat quod non habet-Grundsatz oder der Rechtsordnung Deutschlands zum Schutz des ursprünglichen Eigentümers ein gutgläubiger Erwerb unrechtmäßig entzogener und damit zugleich abhandengekommener Kulturgüter i.S.d. § 935 Abs. 1 BGB grundsätzlich ausgeschlossen ist (nur ausnahmsweise kann ein redlicher Erwerber an abhandengekommenen Kulturgütern im Fall der öffentlichen Versteigerung nach §§ 935 Abs. 2, 383 Abs. 3 BGB vom Nichtberechtigten zulasten eines ursprünglichen Rechtsinhabers Eigentum erwerben), erlaubt (zweitens) bspw. die Sachenrechtsordnung Italiens in Art. 1153, 1154 des Codice civile italiano zum absoluten Schutz des gutgläubigen Erwerbers uneingeschränkt einen bona fide-Erwerb auch an gestohlenen oder sonstigen unrechtmäßig entzogenen Kulturgütern. Schließlich findet sich (drittens) bspw. innerhalb der Rechtsordnungen Frankreichs und der Schweiz ebenso wie in den genannten internationalen UNESCOund UNIDROIT-Konventionen sowie der EG-Richtlinie 1993 in der Konstruk-
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tion eines sog. Lösungsrechts eine ausgleichende Kompromisslösung zwischen dem Schutzbedürfnis des ursprünglichen Eigentümers und des gutgläubigen Erwerbers. Fall entscheidend wird beim gutgläubigen rechtsgeschäftlichen Erwerb ebenso wie beim originären Ersitzungserwerb stets die Frage sein, wie das Verhalten beim Erwerb zu bewerten ist. Nach der Legaldefinition des § 932 Abs. 2 BGB ist ein Erwerber bspw. in der deutschen Rechtsordnung nur in den beiden Fällen der Kenntnis vom Nichteigentum des Veräußerers und der grob fahrlässigen Unkenntnis von der wahren Rechtslage bösgläubig. Die Kenntnis des Nichteigentums bereitet nur wenige Schwierigkeiten: Weiß der Erwerber, dass das Kunstwerk zuvor gestohlen worden war, ist ihm dessen Nichteigentum bekannt und ein gutgläubiger Erwerb nach § 932 Abs. 2 Alt. 1 BGB ausgeschlossen. Als das eigentliche Schlüsselproblem erweist sich jedoch regelmäßig die Frage nach der grob fahrlässigen Unkenntnis von der Nichtberechtigung des Veräußerers i.S.d. § 932 Abs. 2 Alt. 2 BGB. Eine solche ist zunächst dann anzunehmen, wenn der Erwerber signifikante Hinweise nicht beachtet hat, die darauf hindeuten, dass der Veräußerer ein zuvor unrechtmäßig entzogenes Kulturgut anbietet. ‚Grob fahrlässige Unkenntnis‘ liegt aber auch dann vor, wenn der Erwerber gebotene Nachforschungen über die Eigentumsposition und Berechtigung des Veräußerers unterlässt. Gewiss findet nach der gesetzlichen Konzeption die Forderung nach aktiven Provenienzerforschungsbemühungen grundsätzlich keine gesetzliche Legitimation. Nach der Gutglaubensvermutung des § 1006 Abs. 1 S. 1 BGB wird zugunsten des Besitzers einer beweglichen Sache vermutet, dass er auch Eigentümer ist. Wer in diesen Fällen Überprüfungsobliegenheiten formuliert, würde die negative Anforderung des Gesetzes (Abwesenheit von Bösgläubigkeit) durch eine positive (Gutgläubigkeit) ersetzen.
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Provenienzerforschungsbemühungen stehen jedoch dann außer Diskussion, wenn der durch die Besitzverschaffungsmacht ausgelöste Rechtsschein durch andere Elemente erheblich beeinträchtigt wird. Besteht eine konkrete Verdachtssituation der unrechtmäßigen Kulturgutentziehung, wird unbestritten eine Nachforschungsobliegenheit angenommen werden. Richtigerweise sollte jedoch im internationalen Kunsthandel generell von einer Provenienzerforschungsobliegenheit auf Seiten der Erwerber ausgegangen werden. Entgegen der gesetzlichen Grundkonzeption des § 1006 BGB findet eine solche Einschränkung der Verkehrsfähigkeit zugunsten des Kulturgüterschutzes und der Lauterkeit des deutschen Kunsthandelsplatzes Rechtfertigung. Zur Bekämpfung des kulturellen Schwarzmarktes ist es unumgänglich, ein Mindestmaß an Aufklärungsbemühungen zu verlangen. Darüber hinaus sind Kunstgegenstände aufgrund ihres hohen Wertes besonders gefährdet, als Hehlerware auf dem Schwarzmarkt vertrieben zu werden. Der internationale Kulturgüterverkehr stellt aufgrund der kulturellen Unikatfunktion und der besonderen Sachqualität der Handelsgegenstände einen Handelszweig dar, der keine gewöhnlichen Umsatzgeschäfte zum Inhalt hat und
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sich somit nicht nur tatsächlich, sondern auch rechtlich vom Handel mit Gebrauchtwaren und sonstigen Konsumgütern unterscheidet, die einer beliebigen Reproduktion nach Konsum offenstehen. Schließlich ist die Forderung nach generellen Provenienzanstrengungen gutgläubiger Erwerber im Kunstmarkt auch nicht unbillig: Vor der im Schrifttum diskutierten und in der Zukunft möglichen Einführung eines Kunstobjektbriefs, ohne dessen Vorlage ein Erwerber als grob fahrlässig zu qualifizieren ist, ist es dem im Kunsthandel beteiligten Personenkreis inzwischen zumutbar, die bestens bekannten Datenbanken und Register illegal transferierter Kulturgüter zu kontaktieren, die ohne großen finanziellen, personalen und zeitlichen Aufwand eine weitreichende Dokumentation des unrechtmäßigen Kulturgüterverkehrs nahezu weltweit übernommen haben. Zusätzlich kann auf die traditionellen Informationsmöglichkeiten in Fachzeitschriften, auf die bekannten ‚catalogues raisonnés‘ und Werkverzeichnisse der Künstler sowie auf die lokalen wie staatlichen Polizeibehörden wie bspw. Interpol zurückgegriffen werden. Als Zwischenfazit bleibt festzuhalten: Wenn vor dem Erwerb kultureller Wertgegenstände keine speziellen Nachforschungsbemühungen hinsichtlich der Provenienz des Kulturguts und der Berechtigtenposition des Veräußerers unternommen werden, muss auf den Erwerb verzichtet werden. Beruhigt sich hingegen ein Käufer mit der Hoffnung, dass alles gut geht, handelt er grob fahrlässig und ein gutgläubiger Erwerb ist ausgeschlossen. 19
Da starre Provenienzerforschungsobliegenheiten den privaten Kunsthandel zu sehr hemmen, ist die Möglichkeit der Subjektivierung und Individualisierung der due diligence-Anforderungen innerhalb des § 932 Abs. 2 BGB zu nutzen. Laien unterfallen somit einem milderen Sorgfaltsmaßstab als Museen, Kunsthändler und Galeristen, die ein berufsspezifisches Sonderwissen und vertiefte Provenienzerforschungsmöglichkeiten besitzen oder zumindest besitzen sollten. Durch die Implikation eines variablen Sorgfaltsmaßstabs hat somit eine Berücksichtigung speziellen Fachwissens als subjektives Kriterium zu erfolgen. Zusätzlich sollte sich der notwendige Sorgfaltsmaßstab auch nach der konkreten Sachqualität des Objektes bestimmen, sodass bspw. die wirtschaftliche ebenso wie die kulturelle Bedeutung des einzelnen Kunstwerks sorgfaltsmaßstabsprägende Elemente beim gutgläubigen Erwerb sind. Um der Praxis beim Erwerb kultureller Güter sowie dem Rechtsanwender zur Bestimmung der Bösgläubigkeit post festum einen Wegweiser an die Hand zu geben, konnten aus den einschlägigen Gerichtsentscheidungen, internationalen Rechtsinstrumenten und spärlichen rechtsdogmatischen Abhandlungen über den gutgläubigen Erwerb im internationalen Kunsthandel zahlreiche Indizien und Kriterien zur Bestimmung der Nichtberechtigung des Veräußerers extrahiert und in einer ,Checkliste‘ für den Erwerber vor dem Kauf gesammelt werden, die in Band 2 ausführliche Kommentierung findet.
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Nur selten liegen die tatsächlichen Erwerbsumstände offen zu Tage, sodass Band 2 außerdem die Frage zu beantworten hatte, wer in kulturellen Restitutionsstreitigkeiten die Bös- bzw. Gutgläubigkeit darzulegen und zu beweisen hat.
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Nach der Grundregel des § 932 I 1 BGB hat ein Restitutionsgläubiger die Unredlichkeit des Erwerbers zu beweisen, wenn dessen Eigentumserwerb bestritten wird. Innerhalb Europas beginnen jedoch zahlreiche Kommentatoren zu zweifeln, ob eine Gutglaubensvermutung beim Kunst- und Kulturguterwerb noch immer eine faire und gerechte Beweislastverteilung darstellt – zu Recht, wie in Band 2 ausführlich nachgewiesen werden konnte. Der Vertrauensschutz eines Erwerbers von Kunstwerken hat insoweit hinter das Bestandsinteresse des Eigentümers zu treten. Die Trendwende ist im internationalen Kunstmarkt längst eingeläutet und kann – dies ist der eigentliche ‚Clou‘ des Bandes 2 – auch in Deutschland ohne Derogation der Systematik des BGB schon de lege lata vor Gericht Gehör finden: Die Festschreibung einer generellen Nachforschungsobliegenheit beim gutgläubigen Erwerb von Kunst- und Kulturgegenständen muss nach richtigem Verständnis zugleich auch Folgen für die Beweislastverteilung zeitigen, sich ins Prozessrecht verlängern und so auf die Beweislast ‚durchschlagen‘! Behauptet der den Erwerb bestreitende Eigentümer, dass seitens des gutgläubigen Erwerbers grobe Fahrlässigkeit infolge der Nichtbeachtung einer Erkundigungsobliegenheit vorliegt, so hat der Eigentümer nur die tatsächlichen Umstände zu beweisen, aus denen sich die Verantwortung und Notwendigkeit des Erwerbers zu Nachforschungen ergeben. Da nach den voranstehenden Ausführungen beim Erwerb von Kunst- und Kulturgütern generell Mindesterkundigungen über die Provenienz eines Kulturguts und die Berechtigtenposition des Veräußerers einzuholen sind, spricht schon nach der geltenden Gesetzeslage eine tatsächliche Vermutung für die grobe Fahrlässigkeit des Erwerbers und es ist dann dessen Sache zu beweisen, dass er dem erforderlichen Sorgfaltsprogramm nachgekommen ist. Insoweit ist diese Einschätzung (bspw. hinsichtlich des KFZGebrauchtwagenhandels) auch unumstritten, und wird von der ständigen Rechtsprechung und Lehre geteilt. Umstritten ist innerhalb der Frage der Beweislastverteilung allein, ob dem gutgläubigen Erwerber der Gegenbeweis dafür offensteht, dass er auch bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt den unrechtmäßigen Entziehungsakt des Kulturguts, die Nichtberechtigung des Veräußerers und den wahren berechtigten Eigentümer nicht hätte erkennen können. Ein Teil der Literatur ist hier der Rechtsansicht, dass eine „Informationspflicht nicht Selbstzweck“ sei, sondern nur dazu diene, die wahre Eigentumslage zu ermitteln. Schon zu Zeiten des Reichsgerichts war die Rechtsprechung jedoch der gegenteiligen Auffassung und bestimmte, dass der Eigentumserwerb ohne Rücksicht darauf scheitert, ob eventuelle Erkundigungen zur Aufklärung der wahren Rechtslage geführt hätten. Die erstgenannte Gegenansicht verkennt die Funktion und die Rechtsnatur der Erkundigungsobliegenheit im systematischen Verständnis des gutgläubigen Erwerbs, in dem eine Regulation eines typisiert gefahranfälligen Geschäftsbereichs erfolgt und den empirischen Gegebenheiten angepasst wird. Kann ein gutgläubiger Erwerber somit die Einhaltung seines Mindestsorgfaltsprogramms
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nicht nachweisen, muss der Eigentumserwerb ohne Rücksicht darauf scheitern, ob eventuelle Erkundigungen zur Aufklärung der wahren Rechtslage geführt hätten. Damit tritt innerhalb der Beweislastverteilung schon de lege lata der Vertrauensschutz der Erwerber bei Kulturgütern im Grundsatz hinter das Bestandsinteresse der Eigentümer zurück – eine faire Risikoverteilung ohne die Notwendigkeit eines Eingriffs des Gesetzgebers! 22
Neben einem rechtsgeschäftlichen Erwerb hat sich Band 2 ausführlich mit der Frage auseinandergesetzt, wann der ursprüngliche Eigentümer seine Rechtsposition im Wege der Eigentumsersitzung nach § 937 BGB verloren hat. Da innerhalb der deutschen Rechtsordnung aufgrund der Qualifizierung des unrechtmäßigen Entziehungsaktes als Abhandenkommen i.S.d. § 935 BGB ein gutgläubiger Erwerb grundsätzlich ausgeschlossen und nur ausnahmsweise im Wege einer öffentlichen Versteigerung i.S.d. § 935 Abs. 2 i.V.m. § 383 Abs. 3 BGB möglich ist, beseitigt das Rechtsinstitut der Ersitzung in erster Linie die aufgrund eines Mangels im Erwerb der Sache bewirkte Diskrepanz zwischen Besitz- und Eigentumslage. Die Ersitzung stellt so innerhalb der deutschen Rechtsordnung das entscheidende Mittel des Eigentumserwerbs nach gescheiterter rechtsgeschäftlicher Übereignung dar. Wer eine bewegliche Sache zehn Jahre in gutgläubigem Eigenbesitz hat, erwirbt originär das Eigentum. Das zur Provenienzerforschungsobliegenheit und Beweislast im rechtsgeschäftlichen Eigentumserwerb Gesagte konnte hier für die originäre Eigentumsersitzung mutatis mutandis erkannt werden.
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Über die Ersitzung hinaus prüfte Band 2 ausführlich auch die in kulturellen Restitutionsstreitigkeiten stets relevante Möglichkeit der Verjährung. Hierzu konnte festgehalten werden, dass das deutsche Verjährungsrecht im internationalen Rechtsvergleich weit hinter dem Schutz der Eigentümer unrechtmäßig entzogener Kulturgüter zurückbleibt. Während in Deutschland Eigentumsherausgabeansprüche nach § 985 BGB seit Erlass des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes vom 26. November 2001 nach Ablauf von 30 Jahren verjähren, erfolgt in anderen Staaten teilweise generell keine Verjährung von Vindikationsansprüchen, teilweise ist die Verjährung nur gegenüber dem Dieb und bösgläubigen Erwerbern ausgeschlossen und in anderen Fällen erfolgt eine Verjährung von Kulturgütern, die zu öffentlichen Sammlungen gehören, sowie von kirchlichen Objekten frühestens nach Ablauf von 75 Jahren (wie bspw. nach der UNIDROIT-Konvention 1995 und der EG-Richtlinie 1993). Für eine Verjährung kultureller Vindikationsansprüche nach Ablauf von 30 Jahren bestehen aber auch innerhalb der deutschen Rechtsordnung keine rechtfertigenden Gründe. Neben der Tatsache, dass die systematisch widersprüchliche Konstruktion eines dominus sine re, d.h. der bloß formellen ‚Hülle‘ Eigentum ohne Besitzrecht, geschaffen wird, sprechen vornehmlich funktionelle Erwägungen gegen eine Verjährung: Da unrechtmäßig entzogene Kulturgüter oft über Jahrzehnte hinweg versteckt und nach Ablauf der Verjährungsfrist de lege lata rechtmäßig veräußert oder ausgestellt werden können, schützt die Verjährung allein bösgläubige Restitutions-
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schuldner und deren Rechtsnachfolger, denen das deutsche Zivilrecht keinen Gutglaubensschutz angedeihen lassen möchte. Für Deutschland fordert Band 2 somit eine dringende Modifikation durch den Gesetzgeber und die Abschaffung der 30-jährigen Verjährungsfrist! Bis dahin sollten deutsche Richter eine Berufung auf die Einrede der Verjährung wegen eines Verstoßes gegen die Grundsätze von Treu und Glauben nach § 242 BGB unterbinden. Ausländischen Gerichten steht solange eine Instrumentalisierung des Rechtsinstituts des ordre public offen. Damit erkannte Band 2 für die deutsche Zivilrechtsordnung fast eine faire Risikoverteilung der Gefahren des illegalen Kunstmarktes. Ohne Schutz bleibt nur noch der sog. Putativschuldner, der bislang nach spätestens 30 Jahren entsprechend den Verjährungsgrundsätzen keiner Restitutionsforderung mehr unterfiel. Das Risiko einer non liquet-Situation, dass ein gutgläubiger Erwerber und Besitzer unrechtmäßig entzogener Kulturgüter seine Gutgläubigkeit nicht nachweisen kann, ist nicht von der Hand zu weisen: Urkunden gehen verloren, Erinnerungen verblassen und Zeugen werden unerreichbar. Band 2 erkannte, dass nicht das Rechtsinstitut der Verjährung, sondern die richtig verstandene Anwendung der Grundsätze der Verwirkung für diese Ausnahmesituation eine angemessene Abwägungsentscheidung bietet. Die Qualifizierung des internationalen Kunsthandels als besonders gefahranfällig sollte innerhalb dieser Abwägungsentscheidung entgegen der im Übrigen überzeugenden Anschauung5 ausnahmsweise erlauben, auch die Rechtsposition des Eigentümers und so die Eigentümerbefugnisse des § 903 BGB über die Grundsätze von Treu und Glauben nach § 242 BGB zu beschränken und dem ursprünglichen Eigentümer gewisse Mindestverhaltensanforderungen hinsichtlich der Lokalisierung ‚seiner‘ unrechtmäßig entzogenen Kulturgüter und der Identifizierung der aktuellen Besitzer aufzuerlegen. Dabei sollte die Beweislast angemessener und verhältnismäßiger Sorgfaltsanstrengungen des Eigentümers auf Seiten des Restitutionsgläubigers und Eigentümers liegen, da nur dieser ausreichende tatsächliche Möglichkeiten zu diesem Nachweis besitzt – nur er kann sein Verhalten hinreichend vor Gericht plausibel machen. Die verspätete Geltendmachung des Restitutionsanspruchs ist dann treuwidrig, wenn der Putativschuldner die Voraussetzungen für einen gutgläubigen Eigentumserwerb nicht mehr nachweisen und sich dementsprechend gegenüber einer Restitutionsforderung nicht mehr wirksam verteidigen kann (er sich also in Beweisnöten befindet). Die speziellen Sorgfaltsanstrengungen auf Seiten der 5
Gewiss hat der Eigentümer ohne konkreten Verdacht im Grundsatz keine bestimmten Sorgfaltsanforderungen hinsichtlich des Verbleibs ‚seiner‘ Kulturgüter einzuhalten, um nicht der Rechte aus der Eigentumsposition verlustig zu gehen. Jeder Eigentümer kann grundsätzlich zuwarten, bis die Sache wieder aufgefunden wird, und dann die Herausgabe verlangen. Überprüfungsobliegenheiten des Eigentümers höhlen eigentlich die Befugnisse des Eigentumsrechts als umfassendes Herrschaftsrecht an einer Sache und die negative Wirkung des § 903 BGB, die Einwirkung Fremder auf die Sache auszuschließen, aus.
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Eigentümer werden regelmäßig schon mit dem Studium einschlägiger, neu erscheinender Werksverzeichnisse wie catalogues raisonnés und der Registrierung und Eintragung des Kulturgutverlusts in den schon genannten Verzeichnissen bspw. bei Interpol sowie den bekannten Datenbanken der Provenienzerforschung erfüllt sein, ohne den Eigentümer über Gebühr zu beeinträchtigen, zumal für die Verlustanzeige meist keine Kosten anfallen und sie ohne großen zeitlichen wie personalen Aufwand zu bewerkstelligen ist. Die besondere rechtliche wie tatsächliche Effektivität dieser online verfügbaren Datenbanken wird nämlich erst bei der Statuierung wechselseitiger Sorgfaltsanforderungen sowohl auf Seiten der gutgläubigen Erwerber hinsichtlich der Provenienzerforschung und andererseits auf Seiten der Eigentümer in der möglichst umfassenden Publikation kultureller Verluste erreicht. Dies beruht unter anderem auch darauf, dass Kulturgüter überdies aufgrund ihrer Unikatfunktion einen hohen Wiedererkennungswert besitzen und dementsprechend auch nach dem Ablauf einer sehr langen Zeitspanne individuell auffindbar bleiben. 25
Nach dem voranstehenden neuen zivilrechtlichen System des Kulturgüterschutzund Kunstrestitutionsrechts erfolgt eine faire Risikoverteilung der Gefahren des illegalen Kunstmarktes, ohne dass negative Auswirkungen auf die Funktionalität des Kunsthandelsplatzes Deutschland zu erwarten sind: Die Wirtschaftlichkeit eines legalen Kunstmarktes hängt in weit geringerem Maße von den Vorschriften des gutgläubigen Eigentumserwerbs sowie den Regeln der Verjährung und Verwirkung kultureller Restitutionsansprüche als von steuer- und zollrechtlichen Fragestellungen ab. Im Gegensatz dazu führt die Implikation wechselseitiger Sorgfaltsanforderungen innerhalb des Zivilrechts zu gravierenden Rechtsfolgen für den illegalen Handel.
C. Anschluss Band 3: Internationales Kulturgüterprivatrecht 26
Nun widmet sich Band 3: Internationales Kulturgüterprivatrecht den im Schrifttum bislang gänzlich unbeantworteten Fragen der gerichtlichen Geltendmachung kultureller Restitutionsansprüche seitens der ursprünglich berechtigten Eigentümer gegenüber den aktuellen Besitzern zuvor unrechtmäßig entzogener Kulturgüter und der ‚richtigen‘ Rechtswahl im Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht – unter besonderer Beachtung der Internationalität des Kunstmarktes. Die Fragen des internationalen Zivilprozessrechts und des Kollisionsrechts haben mithin bedeutsame faktische Auswirkungen auf den Ausgang kultureller Restitutionsverfahren und bestimmen aufgrund der gravierenden Unterschiede bei der Ausgestaltung der nationalen Sachregeln regelmäßig, ohne selbst eine materielle Sachentscheidung zu treffen, de facto über den Ausgang zahlreicher Kunstrestitutionsstreitigkeiten. Nur dann, wenn man die Erkenntnisse der Bände 1 bis 3 zusammenstellt, wird man auch im Zivilrecht den schwierigen Fallkonstellationen des Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts ‚Herr‘ wer-
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den, in denen sich bekanntlich jede schematische Lösung verbietet. Dabei bauen die verschiedenen Bände rechtslogisch aufeinander auf: – Konnte anhand der in Band 1: Illegaler Kulturgüterverkehr festgelegten Wertungskriterien eine rechtswidrige Kulturgutentziehung festgestellt werden und hatte das Rechtswidrigkeitsverdikt zur Folge, dass der ursprünglich berechtigte Eigentümer durch den Entziehungsakt keinen Rechtsverlust erlitten hat und weiterhin die Eigentumsposition innehat, – stellt sich die nach Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel zu beantwortende Frage, ob der ursprüngliche Eigentümer seine Rechtsposition durch eine rechtsgeschäftliche Veräußerung im internationalen Kunsthandel oder durch eine Ersitzung an einen gutgläubigen Erwerber verloren hat oder der Restitutionsanspruch aufgrund fortbestehender Eigentumsposition des ursprünglich Berechtigten verjährt oder verwirkt ist. – Nach welcher der inhaltlich stark divergierenden nationalen Rechtsordnungen sich diese zivilrechtliche Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter jedoch richtet, entscheidet sich nach den in Band 3: Internationales Kulturgüterprivatrecht niedergeschriebenen Rechtswahlprinzipien, sodass in jedem Restitutionsverfahren, das eine irgendwie geartete Beziehung zu mehr als einer Rechtsordnung aufweist, die Regeln des Kollisionsrechts Fall entscheidende Bedeutung einnehmen. Außerdem behandelt Band 3 die in der Praxis kultureller Restitutionsverfahren bei grenzüberschreitenden Sachverhalten regelmäßig wiederkehrenden Schwierigkeiten des Internationalen Kulturgüterzivilverfahrensrechts und die Fragen, ob, in welchem Staat, vor welchem Gericht und unter welchen Voraussetzungen welche zivilrechtliche Klageform auf Rückführung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter möglich ist. Dabei sind im Internationalen Kulturgüterprivat- und Zivilverfahrensrecht zahlreiche unterschiedliche Rechtsgebeite involviert, „die sich zwischen Völkerrecht, Internationalem Prozessrecht, Internationalem Privatrecht, öffentlichem Recht und Privatrecht ansiedeln, es geht um intertemporale Fragestellungen, auch soft law ist zu behandeln.“6 Im Folgenden sollen einleitend einige der in der Praxis in zahlreichen Kunstrestitutionsverfahren wiederkehrenden Fragen, Probleme und Überlegungen bei der gerichtlichen Geltendmachung kultureller Rückführungsansprüche aufgeworfen werden, deren Beantwortung unter anderem der vorliegende Band 3 dient.
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Hess, Der Kunstrechtsstreit im Internationalen Zivilprozessrecht: Aktuelle Entwicklungen und grundsätzliche Fragestellungen, in: Weller/Kemle/Dreier/Lynen, Kunst im Markt – Kunst im Recht, Tagungsband des Dritten Heidelberger Kunstrechtstags am 09. und 10. Oktober 2009, 2010, S. 109–119.
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I. 28
Zunächst wird sich in kulturellen Restitutionsverfahren regelmäßig die Frage stellen, aufgrund welcher Rechtsvorschriften und Anspruchsgrundlagen von dem berechtigten, ursprünglichen Eigentümer eine Rückführung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter verlangt werden kann (vgl. hierzu zunächst unter Teil 1: „Zivilrechtliches Anspruchssystem in Kunstrestitutionsverfahren“). Schon hier ist auf die Besonderheiten des grenzüberschreitenden Kunsthandels und der Internationalität des Kunstmarktes hinzuweisen und festzustellen, dass – abhängig davon, in welchem Staat ein Rückführungsanspruch geltend gemacht wird – kulturelle Kunstrestitutionsverfahren aufgrund fortbestehender Eigentumsposition entweder als vindikatorische Eigentumsherausgabe- oder Besitzschutzansprüche (meist in Civil Law-Staaten), teilweise als deliktische Wiedergutmachungsklagen (regelmäßig im Common Law-Rechtskreis) bzw. manchmal auch als Bereicherungsansprüche geltend gemacht werden können. Dabei wird auch ersichtlich werden, dass vertragliche Ansprüche in Kunstrestitutionsstreitigkeiten zwar grundsätzlich nicht zu einer Rückführung unrechtmäßig verbrachter Kulturgüter führen werden, in der Regel jedoch zu Schadensersatzansprüchen des Erwerbers ‚belasteter‘ Objekte gegenüber dem Verkäufer führen können. In der Praxis hat sich heute außerdem ein dringendes Bedürfnis dafür entwickelt, auf welche Art und Weise in der Öffentlichkeit zu Unrecht als Restitutionsschuldner denunzierte öffentliche oder private Museen, Kunstsammler, Händler, Galeristen oder Auktionshäuser sich dieser Anschuldigungen erwehren und auf Feststellung ihrer Eigentumsposition klagen können, um weiteren Schaden zu verhindern und einen Reputationsverlust ihres Hauses in der Öffentlichkeit abzuwehren. Schließlich ist auch den Interessen rechtmäßig als Restitutionsschuldner in Anspruch Genommener an Wertersatz ihrer Aufwendungen gerecht zu werden und die Möglichkeit der Geltendmachung von Restaurations- und Verwahrungskosten für die rückzuführenden Kulturgüter gegen die Restitutionsgläubiger zu untersuchen.
II. 29
Anspruchsgrundlagen im Kunstrestitutionsstreit
Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
Erhält ein ursprünglich Berechtigter Kenntnis vom Verbleib ‚seines‘ rechtswidrig transferierten Kulturguts (d.h. es ist eine Lokalisierung des unrechtmäßig entzogenen Kunstwerks und Identifizierung des aktuellen Besitzers möglich), fragt dieser regelmäßig nach den ersten Schritten zur Wiedererlangung seines Vermögenswertes. Im „Internationalen Kulturgüterzivilverfahrensrecht“ wird erneut exemplarisch deutlich, dass sich im Kunstrestitutionsrecht jede schematische Lösung verbietet: Die prozessuale Durchsetzung zivilrechtlicher Restitutionsansprüche unrechtmäßig entzogener Kulturgüter folgt zwar im Prinzip den allgemeinen Verfahrensgrundsätzen bei der gerichtlichen Wiedererlangung gewöhnlicher sonstiger Mobilien, weicht jedoch aufgrund besonderer Implikationen des
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Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts davon im Detail erheblich ab. Es bestehen zahlreiche kulturgüterspezifische Besonderheiten gegenüber dem allgemeinen internationalen Zivilverfahrensrecht, die im vorliegenden Band im 2. Teil Erläuterung finden. Im Bereich des Internationalen Kulturgüterzivilverfahrensrechts wird bspw. zu klären sein, in welcher konkreten Sachverhaltskonstellation einem Restitutionsgläubiger zu raten sein wird, das Herausgabebegehren entweder in der Hauptsache zu verfolgen oder im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes mittels einer einstweiligen Verfügung gegen den Inhaber der tatsächlichen Sachherrschaft vorzugehen. Darüber hinaus stellt sich in internationalen Kunstrestitutionsstreitigkeiten (d.h. bei Sachverhalten, die mehr als eine Rechtsordnung betreffen) stets auch die Frage, ob die Prinzipien der internationalen Gerichtsbarkeit nationaler Zivilforen keine Grenzen staatlicher Gerichtsgewalt begründen. Im 2. Teil des vorliegenden Bandes sind deshalb diejenigen Konstellationen herauszustellen, in denen ein Richter aus Sicht des internationalen Rechts nicht über einen kulturellen Restitutionsanspruch entscheiden darf, da sich potenziell restitutionsverpflichtete Staaten oder deren Einrichtungen auf die Grundsätze der Staatenimmunität berufen können. Zentrale Erwägung muss auf Seiten der Anspruchsteller in jeder Kunstrestitutionsstreitigkeit auch sein, ob sich die internationale Zuständigkeit des zur Entscheidung berufenen Zivilforums begründen lässt. Dies wird nur dann der Fall sein, wenn der kulturelle Restitutionsanspruch und das diesem zugrundeliegende Rechtsverhältnis einen so starken Bezug zu den Zivilgerichten des Forumstaates aufweisen, dass der Rechtsstreit vor dessen Gerichten zu entscheiden ist. Außerdem sollte vor jedem Kunstrestitutionsverfahren von Klägerseite geprüft werden, ob keine Begrenzung durch das sog. Institut des freien Geleits für Kunstwerke besteht. Die Grenzen staatlicher Gerichtsgewalt sind nämlich auch dann erreicht, wenn der kulturelle Entleihstaat dem Verleihstaat die Zusage ‚freien Geleits‘ kultureller Güter gewährt und, in den Worten des neuen § 20 des Gesetzes zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung vom 6. August 1955, dem Verleiher die Rückgabe zum festgesetzten Zeitpunkt rechtsverbindlich zusagt. Außerdem sind innerhalb des Internationalen Kulturgüterzivilverfahrensrechts von der Klägerseite auch sonstige Erwägungen in Betracht zu ziehen, die eine Präklusion zivilrechtlicher Restitutionsverfahren begründen könnten. Ein solcher Ausschluss allgemeiner zivilrechtlicher Restitutionsansprüche steht bspw. hinsichtlich der Restitution nationalsozialistisch bedingter Kulturgutverluste (der Beutekunst, des kulturellen Fluchtguts und der Raubkunst) aufgrund der speziellen Sondergesetze zur Wiedergutmachung erlittenen Regimeunrechts ebenso in Diskussion wie hinsichtlich der auf dem ehemaligen Territorium der DDR entzogenen Kulturgüter. Band 3 widmet sich in seinem 2. Teil innerhalb des Internationalen Kulturgüterzivilverfahrensrechts außerdem folgenden, in gerichtlichen Restitutionsverfahren praktisch relevanten Fragestellungen: Bestehen Besonderheiten bei Ausländern als Verfahrensbeteiligte inner-
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halb des internationalen Kulturgüterverkehrs? Wie sind der ‚einstweilige Rechtsschutz‘ und ‚provisional remedies‘ im internationalen Kulturgüterschutz zu nutzen? Welche Möglichkeiten bestehen hinsichtlich der Rechtsdurchsetzung ausländischer Restitutionsurteile gegenüber dem Besitzer unrechtmäßig entzogener Kulturgüter im Inland? Und schließlich: Können die Grundsätze der internationalen Rechtshilfe in zivilrechtlichen Restitutionsstreitigkeiten unrechtmäßig entzogener Kulturgüter fruchtbar gemacht werden?
III. Internationales Kulturgüterprivatrecht 31
Steht die internationale Zuständigkeit des zur Entscheidung berufenen Gerichtes fest, ist in kulturellen Restitutionsverfahren mit Berührungspunkten zu mehr als einer Rechtsordnung regelmäßig die Frage zu beantworten, welche nationale Zivilrechtsordnung über die materielle Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter zu entscheiden hat. Das angerufene Gericht darf somit in kulturellen Streitigkeiten mit einer Verbindung zu einer weiteren Rechtsordnung nicht unmittelbar die eigenen Kulturgüterschutzvorschriften und Privatrechtsregeln anwenden, sondern hat zunächst mittels der (eigenen) Kollisionsnormen der lex fori eine Entscheidung darüber zu fällen, welchem nationalen Recht es die materiell-rechtlichen Vorschriften der Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter zu entnehmen hat. Band 3 beschäftigt sich somit in seinem 3. Teil intensiv mit dem sog. Internationalen Kulturgüterprivatrecht. Diese Bezeichnung war bislang kein feststehender terminus technicus, jedoch haben die international-privatrechtlichen Fragestellungen über das auf kulturgüterschutz- und kunstrestitutionsrechtliche Sachverhalte mit Berührungspunkten zu mehr als einer Rechtsordnung anwendbare Recht und über die Bestimmung derjenigen Rechtsordnung, die die zivilrechtliche Zuweisung der dinglichen Sachherrschaft an kulturellen Wertobjekten vorzunehmen hat, innerhalb der letzten Jahrzehnte eine so starke rechtsdogmatische, normative und judikative Aufarbeitung erfahren, dass die Einführung dieser Terminologie und dieses Teilrechtsgebietes Rechtfertigung findet.
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In internationalen Sachverhalten des Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts ist somit stets die Frage zu beantworten, welche Rechtsordnung dazu berufen ist, die genannte sachrechtliche Anbindung eines Kulturguts an das ‚richtige‘ Zuordnungssubjekt über die allgemeinen, kulturgüterunspezifischen Zivilrechtsinstitute vorzunehmen und über die Fragen des gutgläubigen rechtsgeschäftlichen Erwerbs und der Ersitzung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter sowie der Verjährung und Verwirkung kultureller Restitutionsansprüche zu entscheiden. Da diese materiell-rechtlichen Sachzuordnungsregeln in den einzelnen Staaten sehr unterschiedlich ausgestaltet sind, erlangt die Frage, welche Rechtsordnung bei einer internationalen Streitigkeit Anwendung erlangen soll, in der konkreten Situation buchstäblich Fall entscheidenden Einfluss. Das Internatio-
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nale Kulturgüterprivatrecht und die diesbezüglichen Ausführungen in Band 3 nehmen eine nicht zu unterschätzende Bedeutung in der Entscheidung kultureller Restitutionsstreitigkeiten ein und werden zu Recht als „die Grundlage des internationalen Kulturgüterrechts“7 bezeichnet. Dabei stehen dem Rechtsanwender innerhalb der eigenen Rechtsordnung unterschiedliche Rechtsquellen des Internationalen Kulturgüterprivatrechts offen (wie bspw. Staatsverträge und Europäisches Gemeinschaftsrecht, auch die nationale Gesetzgebung bietet inzwischen hinreichende, meist jedoch kulturgüterunspezifische Vorschriften), die in diesem Teil ausführliche Darstellung erfahren. Einer präzisen Kommentierung wird dabei der im Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht nahezu universal anwendbare Grundsatz der lex rei sitae zugeführt, wonach auf die Eigentumsübertragung von Kulturgütern das Recht an dem Ort Anwendung findet, an welchem sich der Gegenstand zum Zeitpunkt der rechtserheblichen Einwirkung auf die Rechtsposition befand. Besondere Aufmerksamkeit wird dabei der Internationalität des illegalen Kunstmarktes und der Frage gewidmet, welche Auswirkungen der Wechsel des Belegenheitsorts auf die dingliche Rechtslage von Kulturgütern hat, da schon durch die bloße Verbringung in ein anderes Staatsgebiet ein sog. Statutenwechsel eintritt.
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Da die international weitgehend einheitliche Rechtswahl nach den Grundsätzen der lex rei sitae im Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht stark kritisiert wird, wird abschließend in Band 3 dem Gedanken der ‚Auflockerung‘ und ‚Entkrustung‘ der allgemeinen Rechtswahlgrundsätze im internationalen Kulturgüterprivatrecht breiter Raum geschenkt. Da Zufallsergebnisse innerhalb der Rechtswahl und die Möglichkeit der bewussten Manipulation des Anknüpfungspunktes den internationalen illegalen Kunsthandel verstärken, der nahezu universal anerkannte Grundsatz der Nichtanwendbarkeit ausländischer Kulturgüterund Denkmalschutzvorschriften vor fremden Zivilforen aufgrund ihrer Qualifikation als Normen des öffentlichen Rechts die Bewahrung und Erhaltung des nationalen Kulturerbes in höchstem Maße gefährdet, wird dem kulturellen Schwarzmarkt weiterhin Vorschub geleistet. Deshalb steht im Zentrum der Überlegungen zu Band 3, ob das Internationale Kulturgüterprivatrecht aufgrund der genannten Mängel nicht grundlegend zu reformieren ist, bevor es sich vollends als solches, d.h. als eigenständiges Rechtsgebiet des internationalen Kulturgüterschutz- und Restitutionsrechts, weiter etabliert.
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In diesem Zusammenhang wird bspw. die Forderung des Schrifttums untersucht, ob nicht stets zu prüfen sei, ob die Objekte dem Kulturerbe einer Nation zuzurechnen sind oder dem berechtigten Zuordnungssubjekt abhandengekommen sind, sodass einem Eigentumswechsel deshalb aus Gründen der internationalen
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Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 66–67.
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Solidarität wegen Verstoßes gegen den ordre public die Anerkennung zu versagen sein könnte. Größtes Gewicht kommt in Band 3 aber der Konstruktion alternativer Anknüpfungsmaximen zu, die bei der Rechtswahl im internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht an Stelle der allgemein geltenden lex rei sitae eine engere Beziehung der zu entscheidenden Sachverhaltskonstellation zur anwendbaren Rechtsordnung herstellen möchten. Während einige Teile des Schrifttums dabei auf eine kollisionsrechtliche Verselbstständigung der Vorfrage des Abhandenkommens plädieren und andere die kollisionsrechtliche Anknüpfung des Erwerbsstatuts an den Diebstahlsort und damit die Anwendung einer sog. lex furti vorschlagen, stellt die Anknüpfung der Rechtswahl an die sog. lex originis einen völlig neuen kollisionsrechtlichen Ansatz zur Reform des internationalen Kulturgüterprivatrechts dar, wonach privatrechtliche Verhältnisse an Kulturgütern einem sog. Heimatrecht des Kulturguts zu unterstellen sind. Macht es nicht Sinn, dass der Ort der kultischen Verehrung, die Nationalität des Schöpfers eines Kulturgutes, der ‚Sitz‘ des Kulturgutes sowie der Fundort archäologischer Objekte die „Heimat“ eines Kulturguts darstellen8 und sich rechtserhebliche Einwirkungen auch nach einer unrechtmäßigen Entziehung dauerhaft nach deren Rechtsordnung richten? Oder wird auf diesem Wege nicht vielmehr eher eine ungebührliche Rechtsunsicherheit und Einschränkung der allgemeinen Verkehrsinteressen in den internationalen Kunstmarkt transponiert? 36
Ein weiterer – in Band 3 in Teil 3 untersuchter – Reformvorschlag des Internationalen Kulturgüterprivatrechts wendet sich gegen das Dogma der Nichtanwendung ausländischer Kulturgüterschutzgesetze vor nationalen Zivilforen aufgrund ihrer Qualifikation als Normen des öffentlichen Rechts. Wäre es nicht sinnvoll, dass über das Rechtsinstitut der kollisionsrechtlichen Sonderanknüpfung die Vorschriften zur Erhaltung und Bewahrung national bedeutsamer Kulturgüter als ausländische Eingriffsnormen auch vor fremden Zivilforen unmittelbare extraterritoriale Anwendung erfahren? Des Weiteren setzt sich Band 3 ausführlich mit der Alternative auseinander, ausländische Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze im Rahmen der lex causae materiell-rechtlich als „datum“ zu berücksichtigen. Im deutschen Rechtskreis ist dabei vor allem an die Nichtigkeit illegaler Kulturgutveräußerungen zu denken, die gegen ein gesetzliches Verbot (i.S.d. § 134 BGB), gegen die guten Sitten (i.S.d. § 138 BGB) verstoßen oder an dem allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben (i.S.d. § 242 BGB) scheitern.
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Anschließend wird die Möglichkeit für Restitutionsgläubiger in Betracht gezogen, unrechtmäßig entzogene Kulturgüter für die Öffentlichkeit mit einem gericht-
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Jayme, Die Nationalität des Kunstwerks als Rechtsfrage, in: Reichelt, Internationaler Kulturgüterschutz, 1992, S. 7 ff., S. 26; Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff., S. 49.
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lichen Unrechtsverdikt zu stigmatisieren. Auch wenn eine direkte Restitution unrechtmäßig entzogener Kulturgüter ausgeschlossen ist, wird eine richterliche Feststellung eines unrechtmäßigen Entziehungsaktes regelmäßig wesentlich leichter als eine Rückführung vor einem Gericht durchzusetzen sein, sodass eine Veräußerung im internationalen Kunstmarkt praktisch ausgeschlossen ist, zumindest jedoch nur unter großer Werteinbuße möglich bleibt. Schließlich beleuchtet Band 3 abschließend die Frage, in welchem Maße eine materielle Privatrechtsvereinheitlichung im internationalen Kulturgüterschutzrecht und die inhaltliche Angleichung der dinglichen Sachzuordnungsregeln unrechtmäßig entzogener Kulturgüter de lege ferenda effektive Mittel zur Verringerung des forum shopping und damit zur Bekämpfung des kulturellen Schwarzmarktes darstellen. In der abschließenden Synopsis zum internationalen Kulturgüterprivatrecht werden schließlich die grundlegenden Erkenntnisse in 50 Thesen zusammengefasst und so eine Gesamtdarstellung der Rechtslage de lege lata und ‚richtige‘ Auslegung der bestehenden, kulturgüterunspezifischen Rechtswahlregeln ebenso erreicht wie eine Fortentwicklung de lege ferenda.
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1. Teil: Zivilrechtliches Anspruchssystem in Kunstrestitutionsverfahren Schrifttum: Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff.; Boguslavskij, Das Privatrecht und die Rückgabe von Kulturgütern: Die russische Gesetzgebung, in: Ministerium für Kultur der Russischen Föderation u.a., Das schwierige Schicksal von Kulturgütern – Materialien der internationalen Konferenz Privatrecht und Probleme der Restitution von kriegsbedingt verbrachten Kulturgütern, Moskau, 27. und 28. Mai 2002, 2002, S. 96–124; Carl, Legal Issues Associated with Restitution – Conflict of Law Rules Concerning Ownership and Statutes of Limitation, in: The International Bureau of the Permanent Court of Arbitration, Resolution of Cultural Property Disputes – Papers emanating from the seventh PCA International Law Seminar May 23, 2003, 2004, S. 185–192; Cassella, Using the Forfeiture Laws to Protect Archaeological Resources, in: Hutt/Forsyth/Tarler, Presenting Archaeology in Court – Legal Strategies for Protecting Cultural Resources, 2006, S. 169–189; Chatelain, Mittel zur Bekämpfung des Diebstahls von Kunstwerken und ihres unerlaubten Handels im Europa der Neun, 1978, S. 74 ff.; Collin, The Law and Stolen Art, Artifacts, and Antiquities, Howard Law Journal, Vol. 36 (1993), S. 17–42; Conley, International Art Theft, Wisconsin International Law Journal, 13 (1995), S. 493–512; Das, Claims for Looted Cultural Assets: Is there a Need for Specialized Rules of Evidence?, in: The International Bureau of the Permanent Court of Arbitration, Resolution of Cultural Property Disputes – Papers emanating from the seventh PCA International Law Seminar May 23, 2003, 2004, S. 193–250; Hartung, The Holocaust and World War II Looted Art: Arbitrated between Great Dreams and Reality, in: The International Bureau of the Permanent Court of Arbitration, Resolution of Cultural Property Disputes – Papers emanating from the seventh PCA International Law Seminar May 23, 2003, 2004, S. 327–338; Hill, Recovering stolen art: practical recovery issues and the role of the law enforcement agencies, in: Palmer, The Recovery of Stolen Art, 1998, S. 33–66; Hoffman, International Art Transactions and the Resolution of Art and Cultural Property Disputes: A United States Perspective, in: Hoffman, Art and Cultural Heritage – Law, Policy and Practice, 2006, S. 159–177; Karakostas, Archaeological Heritage: The View of the Private Professor (The Recovery of an Archaeological Object – The Search for the Enrichment), in: Institute of Hellenic Constitutional History and Constitutional Law (Prof. Kassimatis), Studies 5: Archaeological Heritage: Current Trends in Its Legal Protection, International Conference (Athens, 26–27 November 1992), 1995, S. 193–201; Kaye, Cultural property Disputes in Foreign Courts, in: Schneider/Schneider, Cultural Property Protection (Istanbul Conference, Summer 2004), 1995, S. 43– 76, S. 45–54; Kemle, Freiwillige Restitution vs Gesetzlich einklagbarer Anspruch auf Rückgabe, in: Reichelt, Rechtsfragen der Restitution von Kulturgut – Symposium, 12. Oktober 2007, BM für Unterricht, Kunst und Kultur, 2008, S. 75–90; Kenety, Who Owns the Past? The Need for Legal Reform and Reciprocity in the International Art Trade, Cornell International Law Journal, Volume 23 (1990), S. 1–46; Kienle/Weller, Die Vindikation gestohlener Kulturgüter im IPR, IPRax 2004, S. 290–294; Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990; Knott, Neue Tendenzen im Recht des internationalen Kunsthandels in den USA, RIW 1991 (Heft 7), S. 553– 559; Köhling, Der Eigentumserwerb abhanden gekommener Kunstgegenstände im amerikanischen Recht, 1999, S. 111 ff.; Koumantos, Civil Protection of Cultural Property, in: Institute of Hellenic Constitutional History and Constitutional Law (Prof. Kassimatis), Studies 5: Archaeological Heritage: Current Trends in Its Legal Protection, International Conference (Athens, 26–27 November 1992), 1995, S. 169–172; Koumantos, Réflexions préalables sur la protection
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1. Teil: Zivilrechtliches Anspruchssystem in Kunstrestitutionsverfahren internationale des biens culturels, in: Brem/Druey/Kramer/Schwander, Festschrift zum 65. Geburtstag von Mario M. Pedrazzini, 1990, S. 159–171; Kowalski, Claims for Works of Art and Their Legal Nature, in: The International Bureau of the Permanent Court of Arbitration, Resolution of Cultural Property Disputes – Papers emanating from the seventh PCA International Law Seminar May 23, 2003, 2004, S. 31–52; Kreuzer, La propriété mobilière en droit international privé, Recueil des Cours – Collected Courses of the Hague Academy of International Law, 1996, Tome 259, 1997, S. 9–318, insb. Chapitre V. Biens culturels, S. 135–229; Last, The Resolution of Cultural Property Disputes: Some Issues of Definition, in: The International Bureau of the Permanent Court of Arbitration, Resolution of Cultural Property Disputes – Papers emanating from the seventh PCA International Law Seminar May 23, 2003, 2004, S. 53–84; Lerner/Bresler, Art Law – The Guide for Collectors, Investors, Dealers and Artists, 2005, S. 697 ff.; Lester, The Civil Side of Archaeological Resource Protection, in: Hutt/Forsyth/Tarler, Presenting Archaeology in Court – Legal Strategies for Protecting Cultural Resources, 2006, S. 153–167, insb. S. 160 ff.; Levine, Legal Approaches to International Trafficking in Stolen and Looted Cultural Heritage, in: Hutt/Forsyth/Tarler, Presenting Archaeology in Court – Legal Strategies for Protecting Cultural Resources, 2006, S. 191–204; Lowenthal, Recovering Looted Jewish Cultural Property, in: The International Bureau of the Permanent Court of Arbitration, Resolution of Cultural Property Disputes – Papers emanating from the seventh PCA International Law Seminar May 23, 2003, 2004, S. 139–158; Mosimann, Raubkunst vor Gericht, Kunst und Recht (KUR) 3/4 (2009), S. 112–116; Naegeli, Raubkunst: Tatsächliche und rechtliche Probleme bei der anwaltlichen Beratung, Kunst und Urheberrecht (KUR) 3/4 (2009), S. 108–111; Palmer, The Recovery of Stolen Art – a collection of essays, 1998; Palmer, Conversion, Trespass and Title to Art Works, in: Palmer, The Recovery of Stolen Art, 1998, S. 33–66; Palmer, Recovering Stolen Art, in: Freeman/Halson, Current Legal problems, Volume 47 (1994), Part: 2 Collected Papers, S. 215–254; Palmer, Litigation: The Best Remedy?, in: The International Bureau of the Permanent Court of Arbitration, Resolution of Cultural Property Disputes – Papers emanating from the seventh PCA International Law Seminar May 23, 2003, 2004, S. 265–290; Palmer, Arbitration and the Applicable Law, in: The International Bureau of the Permanent Court of Arbitration, Resolution of Cultural Property Disputes – Papers emanating from the seventh PCA International Law Seminar May 23, 2003, 2004, S. 291–306; Palmer, Recovering Stolen Art, in: Tubb, Antiquities Trade or Betrayed – Legal, ethical and conservation issues, 1995, S. 1–37; Pearlstein, Claims for the Repatriation of Cultural Property: Prospects for a Managed Antiquities Market, Law and Policy in International Business, 28 (1996), S. 123–150; Pell, Using Arbitral tribunals to Resolve Disputes Relating to Holocaust-Looted Art, in: The International Bureau of the Permanent Court of Arbitration, Resolution of Cultural Property Disputes – Papers emanating from the seventh PCA International Law Seminar May 23, 2003, 2004, S. 307–326; Pelt, Autocephalous Greek Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg and Feldman Fine Arts, Inc.: A Case for the Use of Civil Remedies in Effecting the Return of Stolen Art, Dickinson Journal of International Law, Volume 7 Number 1 (1988), S. 441–464; Petrovich, The Recovery of Stolen Art: Of Paintings, Statues and Statutes of Limitation, University of California Los Angeles Law Review 27 (1980), S. 1122–1158; Prott, Problems of Private International Law for the Protection of the Cultural Heritage, in: Recueil des Cours – Collected Courses of the Hague Academy of International Law, 1989-V (Tome 217), 1990; Prott/O’Keefe, National Legal Control of Illicit Traffic in Cultural Property, UNESCO, 1983, S. 98–120; Prott/O’Keefe, Law and the Cultural Heritage – Volume I: Discovery and Excavation, 1984, S. 82–107; Prott/O’Keefe, Law and the Cultural Heritage – Volume 3: Movement, 1989, S. 435 ff., insb. S. 611 ff.; Raschèr, Kulturgütertransfer und Globalisierung – UNESCO-Konvention 1970 – Unidroit-Konvention 1995 – EG-Verordnung 3911/92 – EG-Richtlinie 93/7 – Schweizerisches Recht, 2000, S. 24–31; Renold, Stolen Art: The Ubiquitous Question of Good Faith, in: The International Bureau of the Permanent Court of Arbitration, Resolution of Cultural Property Disputes – Papers emanating from the seventh PCA International Law Seminar May 23, 2003, 2004, S. 251–264; Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 101 ff.; Schmid, Wiedererlangung
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1. Teil: Zivilrechtliches Anspruchssystem in Kunstrestitutionsverfahren widerrechtlich entzogener Vermögenswerte mit Instrumenten des Straf-, Zivil-, Vollstreckungsund internationalen Rechts, 1999; Schönenberger, Restitution von Kulturgut, 2009, S. 41 ff., insb. S. 63–194; Siehr, Europäisches Recht des Kulturgüterschutzes und die Schweiz: Auswirkungen des Rechts unserer Nachbarstaaten auf die Schweiz, Aktuelle Juristische Praxis 1999, S. 962–979; Siehr, Kunstraub und das internationale Recht, Schweizerische Juristen-Zeitung (SJZ) 1981, S. 189–197 (Teil 1) und S. 207–212 (Teil 2); Siehr, Beutekunst – kriegsbedingt ver lagertes Kulturgut: Völkerrechtliche und internationalprivatrechtliche Aspekte des Streits um deutsches Kulturgut in Staaten der ehemaligen Sowjetunion, Kunst und Recht (KUR) 2 (2009), S. 39–47; Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI); Siehr, Rechtsschutz archäologischer Kulturgüter, in: Niemeyer, Archäologie, Raubgrabungen und Kunsthandel, 1995, S. 49–54; Siehr, Herausgabe gestohlener Kulturgüter, in: Schmid, Wiedererlangung widerrechtlich entzogener Vermögenswerte mit Instrumenten des Straf-, Zivil-, Vollstreckungs- und internationalen Rechts, 1999, S. 1–18; Siehr, Kulturgüterschutz, in: Ebling/Schulze, Kunstrecht: Zivilrecht – Steuerrecht, 2007, S. 38 ff.; Smith, Rewards for the return of lost oder stolen property: the civil and criminal law, in: Palmer, The Recovery of Stolen Art, 1998, S. 171–176; Strauch, Das Archivalieneigentum – Untersuchungen zum öffentlichen und privaten Sachenrecht deutscher Archive, 1998, S. 367 ff., S. 411 ff. (zum privatrechtlichen Schutz von Archiven); Turner, Völkerrechtliche Zuordnung von Kulturgütern und staatliches Restitutionsrecht nach illegaler Ausfuhr – Eigentumsordnung und völkerrechtliche Zuordnung, 2002, S. 65 ff.; Ulph, Tracing and Recovering Stolen Art or the Proceeds of Sale, in: Palmer, The Recovery of Stolen Art, 1998, S. 67–108; Weller, International Ownership Disputes over Stolen Artorks in New York: Litigating about Jurisdiction on the Civil-Criminal Line, IPRax 1999, S. 212–216; Werner, Die sachenrechtliche Zuordnung von Raub- und Beutekunst, in: Ministerium für Kultur der Russischen Föderation u.a., Das schwierige Schicksal von Kulturgütern, 2002, S. 261–276; Wood, Ownership Wrangle Over Stolen Renoir Fond in Japan, Art, Antiquity and Law, 4 (1999), S. 129–133.
Zunächst wird sich in kulturellen Restitutionsverfahren regelmäßig die Frage stellen, aufgrund welcher Rechtsvorschriften und Anspruchsgrundlagen von dem berechtigten, ursprünglichen Eigentümer eine Rückführung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter verlangt werden kann. Vergleicht man die weltweit bekanntesten Restitutionsverfahren unrechtmäßig transferierter Kulturgüter nach dem Klagegrund für die Rückführung, wird ersichtlich, dass gravierende konzeptionelle Unterschiede innerhalb der verschiedenen Rechtsordnungen bestehen. Neben den speziellen Restitutionstatbeständen und kulturgüterspezifischen Anspruchsgrundlagen zur Restitution unrechtmäßig transferierter Kulturgüter in internationalen Konventionen und dem materiellen Einheitsrecht1 sind an dieser Stelle des Internationalen Kulturgüterprivatrechts insbesondere die allgemeinen, kulturgüterrechtsunspezifischen Anspruchsgrundlagen der nationalen Zivilrechtsordnung zu untersuchen. Abhängig davon, in welchem Staat ein Kunstrestitutionsverfahren geltend gemacht wird, muss deshalb der Restitutionsgläubiger wissen, mittels welcher Rechtsinstitute und Anspruchsgrundlagen theoretisch eine Rückführung ‚seiner‘ illegal transferierten Objekte möglich ist. Außerdem ist schon hier auf die Besonderheiten des grenzüberschreitenden Kunsthandels und der Internationalität des Kunstmarktes hinzuweisen und festzustellen, dass
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Vgl. ausführlich hierzu 3, 1260 ff.
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1. Teil: Zivilrechtliches Anspruchssystem in Kunstrestitutionsverfahren
Kunstrestitutionsverfahren aufgrund fortbestehender Eigentumsposition entweder als vindikatorische Eigentumsherausgabe- oder Besitzschutzansprüche (meist in Civil Law-Staaten), teilweise als deliktische Wiedergutmachungsklagen (regelmäßig im Common Law-Rechtskreis) und manchmal auch als Bereicherungsansprüche geltend gemacht werden können (während vertragliche Rückführungsansprüche in der Regel ausscheiden). Zivilrechtliches Anspruchssystem in Kunstrestitutionsverfahren
Restitutionsansprüche - Vindikationsanspruch - Besitzschutzrecht - Deliktsrecht - Bereicherungsrecht
Vertragliche Schadensersatzansprüche im internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht
Verteidigungsmittel gegen unberechtigte Kunstrestitutionsforderungen
Gegenansprüche rechtmäßig zur Restitution Verpflichteter
Schema 1 – Zivilrechtliches Anspruchssystem in Kunstrestitutionsverfahren
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Im Folgenden wird somit zunächst im nachstehenden 1. Abschnitt ein kursorischer Überblick über die Wahl der ‚richtigen‘ Anspruchsgrundlage zur Rückführung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter gegeben. Im Anschluss daran sind mögliche vertragliche Anspruchsgrundlagen im internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht zu untersuchen (vgl. hierzu den 2. Abschnitt). In der Praxis hat sich heute außerdem ein dringendes Bedürfnis dafür entwickelt, auf welche Art und Weise in der Öffentlichkeit zu Unrecht als Restitutionsschuldner denunzierte öffentliche oder private Museen, Kunstsammler, Händler, Galeristen oder Auktionshäuser sich dieser Anschuldigungen erwehren. Deshalb wird im 3. Abschnitt ausführlich diskutiert, unter welchen Voraussetzungen zu Unrecht in Anspruch genommene Restitutionsschuldner auf Feststellung ihrer Eigentumsposition bzw. Unterlassung von die eigene Rechtsposition an Kulturgütern bestreitenden Äußerungen klagen können, um finanziellen Schaden zu verhindern und einen Reputationsverlust ihres Hauses in der Öffentlichkeit abzuwehren. Schließlich ist im folgenden 4. Abschnitt auch den Interessen rechtmäßig als Restitutionsschuldner in Anspruch Genommener an Wertersatz ihrer Aufwendungen gerecht zu werden und die Möglichkeiten der Geltendmachung von Restitutionskosten, Restaurations- und Verwahrungskosten für die rückzuführenden Kulturgüter gegen die Restitutionsgläubiger sind zu untersuchen.
1. Abschnitt Zivilrechtliche Restitutionsansprüche unrechtmäßig entzogener Kulturgüter Erster Schritt in der Vorbereitung kultureller Restitutionsverfahren vor nationalen Zivilforen ist die Beantwortung der Fragen, welche Rechtsgrundlagen und Anspruchssysteme im Zivilrecht zur Restitution unrechtmäßig entzogener Kulturgüter genutzt werden können. Die unterschiedlichen Rechtsgrundlagen kultureller Restitutionsansprüche haben weitreichende international-privatrechtliche und materiell-rechtliche Konsequenzen innerhalb der international-verfahrensrechtlichen Zuständigkeit des Gerichtes, des kollisionsrechtlichen Rechtswahlprozesses und der materiell-rechtlichen Fragen der Verjährung und Verwirkung des Herausgabeanspruchs.
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Bei einer Gesamtschau der weltweit bedeutendsten Kunstrestitutionsstreitigkeiten wird schnell ersichtlich, dass Civil und Common Law-Staaten divergierenden rechtsdogmatischen Konzeptionen folgen und dementsprechend unterschiedliche Rechtsmethoden bei der Ausgestaltung kultureller Restitutionsansprüche vorsehen. Civil Law-Systeme charakterisieren zivilrechtliche Rückführungsverlangen unrechtmäßig entzogener Kulturgüter grundsätzlich als dinglich und instrumentalisieren dementsprechend den vindikatorischen Herausgabeanspruch des rechtmäßigen Eigentümers gegenüber dem Inhaber der tatsächlichen Sachherrschaft ohne Recht zum Besitz. Außerdem wurden verschiedene Fallkonstellationen ersichtlich, in denen besitzrechtliche Herausgabeansprüche aufgrund einer besseren besitzrechtlichen Stellung zur Rückführung zuvor unrechtmäßig entzogener Kulturgüter dienen sollten. Der Common Law-Rechtskreis hingegen behandelt kulturelle Restitutionsansprüche illegal transferierter Kulturgüter der Rechtsnatur nach als persönliche, aus dem Deliktsrecht originierende Ansprüche (sog. civil wrongs). Der Unterschied besteht darin, dass Civil Law-Systeme grundsätzlich auf die dingliche Eigentumsposition des Anspruchstellers fokussieren, wohingegen insbesondere die Rechtsordnungen des Common Law (und dabei besonders deutlich in den Vereinigten Staaten von Amerika) primär die Retention, d.h. die unrechtmäßige, deliktische Zurückbehaltung der unmittelbaren Sachherrschaft an dem illegal transferierten Kulturgut gegenüber dem Berechtigten betonen, welche eine Beeinträchtigung des Besitz- oder Eigentumsrechts des Anspruchstellers bedeutet.2
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Dies hat nicht nur Auswirkungen innerhalb der materiellen Anforderungen der einzelnen Restitutionstatbestände, sondern zeitigt bereits in der kollisionsrecht-
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2
Vgl. auch Hoffman, International Art Transactions and the Resolution of Art and Cultural Property Disputes: A United States Perspective, in: Hoffman, Art and Cultural Heritage – Law, Policy and Practice, 2006, S. 159–177, S. 169.
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1. Teil: Zivilrechtliches Anspruchssystem in Kunstrestitutionsverfahren
lichen Frage der Rechtswahl Konsequenzen, da unterschiedliche Anknüpfungsmomente bei der unerlaubten Handlung und dem Sachenrecht zu einem Anwendungsbefehl divergierender nationaler Rechtsordnungen in ein und derselben Sachkonstellation führen. Versucht man eine Annäherung an die allgemeinen zivilrechtlichen Restitutionstatbestände unrechtmäßig entzogener und abhandengekommener Kulturgüter, ergeben sich – als dingliche Anspruchsgrundlagen die vindikatorische (vgl. hierzu zunächst unter Punkt A.) und die besitzrechtliche Herausgabeklage (vgl. hierzu unter Punkt B.), – die Restitution aufgrund eines deliktischen Eingriffs in die Eigentums- oder Besitzlage des ursprünglich Berechtigten (law of delict, nachfolgend unter Punkt C.) – sowie eine Rückführungsforderung aus ungerechtfertigter Bereicherung (law of unjust enrichment, nachfolgend unter Punkt D.). 6
Dabei ist jedoch schon eingangs festzustellen, dass sich die unterschiedlichen nationalen Zivilrechtssysteme trotz der divergierenden rechtstheoretischen Ausgestaltungsformen im Ergebnis sehr ähneln: In allen Ausgestaltungsvarianten der Restitution abhandengekommener Kulturgüter ist eine auch nach dem kulturellen Entziehungsakt fortbestehende Rechtsposition (Eigentum oder Besitz) an dem Kunstobjekt notwendige Voraussetzung und der Anspruch ergibt sich aus der fortbestehenden Berechtigung des ursprünglichen Eigentümers. Es geht somit sowohl im Civil als auch im Common Law-Rechtskreis vor Gericht regelmäßig um die Feststellung der besseren dinglichen Rechtsposition an den unrechtmäßig entzogenen Kulturgütern zwischen Kläger und Beklagtem.
A. Kultureller Vindikationsanspruch 7
Im Bereich des Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts geht es zunächst weniger um ein Besitzrecht, sondern vielmehr um die Frage, ob der Anspruchsteller auch noch nach einem kulturellen Entziehungsakt Eigentümer des Kulturguts geblieben ist, ob der Besitzer möglicherweise seinerseits im Wege des gutgläubigen originären oder derivativen Erwerbs eine Rechtsposition an dem Kulturgut erwerben konnte oder spezielle Voraussetzungen vorliegen, die einen gutgläubigen Erwerb ausschließen.3 Beim kulturellen Diebstahl, beim kulturgüter- und denkmalschutzgesetzwidrigen Kulturgüterverkehr im Allgemeinen und illegalen Export kultureller Wertgegenstände im Besonderen, bei der kulturellen Beutenahme, bei der nur formal ‚freiwilligen‘ Veräußerung kulturellen Fluchtguts unter Drohung, Zwang und Gewalt sowie bei den verschiedenen Tatbeständen der Ver-
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Diese Fragen werden in Anton, Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht, Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, erläutert.
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1. Abschnitt: Zivilrechtliche Restitutionsansprüche
staatlichung kultureller Güter als ‚entartete‘ Kunst, als Raubkunst, als Trophäenkunst sowie kultureller Güter innerhalb der DDR ist durch die unrechtmäßige Entziehung kein Eigentumsverlust eingetreten, sodass dem Eigentümer der Kulturgüter auch nach dem Entziehungsakt weiterhin die Geltendmachung seiner dinglichen Rechtsposition gegenüber dem aktuellen Inhaber der tatsächlichen Sachherrschaft möglich ist – vorbehaltlich eines gutgläubigen rechtsgeschäftlichen Erwerbs, eines originären Ersitzungserwerbs sowie einer Präklusion zivilrechtlicher Restitutionsansprüche aufgrund Verjährung oder Verwirkung. Primäres Rechtsinstrument der Restitution unrechtmäßig entzogener Kulturgüter im Civil Law-Rechtskreis stellt dann das Recht des Eigentümers gegenüber dem Inhaber der tatsächlichen Sachherrschaft (d.h. dem Besitzer) dar, die Herausgabe seiner kulturellen Vermögensgüter aus fremdem rechtswidrigen Besitz (d.h. dem Besitzer steht kein Recht zum Besitz zu) zu verlangen. Ein solches Verfahren wird in zahlreichen (insbesondere kontinentaleuropäischen) Staaten als Vindikationsklage bezeichnet. Innerhalb des deutschen BGB kann der Eigentümer nach § 985 von dem Besitzer die Herausgabe der Sache verlangen, wenn dem Letztgenannten kein Recht zum Besitz i.S.d. § 986 BGB zusteht. Im internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht wird somit die allgemeine Vindikationsklage mit dem Ziel instrumentalisiert, einen Herausgabeanspruch eines nichtbesitzenden Eigentümers gegen einen besitzenden Nichteigentümer eines zuvor unrechtmäßig entzogenen Kulturguts aus dessen rechtswidrigem Besitz geltend zu machen.4 Dieser in der Eigentumsposition begründete Herausgabeanspruch trug bereits im römischen Recht die Terminologie res vindicationis (von vim dicere – die Anwendung von Gewalt zu erklären) – „wo ich die Sache finde, dort vindiziere ich sie auch“ (ubi rem invenio, ibi vindico).5 Parallel entwickelte sich auch der sachenrechtliche Begriff der Vindikation als Forderung des nichtbesitzenden Eigentümers an den besitzenden Nichteigentümer auf Rückgabe der Sache (restituere rem).6 „Hier wurde schon der Begriff der Restitution verwendet. Kläger in einer solchen Klage war der
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Vgl. auch Byrne-Sutton, le trafic international des biens vulturels sous l’angle de leur revendication par l’Etat d’origine – Aspects de droit international privé, 1988, S. 77 ff.; Rietschel, Internationale Vorgaben zum Kulturgüterschutz und ihre Umsetzung in Deutschland, 2009, S. 105–115. Vgl. Boguslavskij, Das Privatrecht und die Rückgabe von Kulturgütern: Die russische Gesetzgebung, in: Ministerium für Kultur der Russischen Föderation u.a., Das schwierige Schicksal von Kulturgütern – Materialien der internationalen Konferenz Privatrecht und Probleme der Restitution von kriegsbedingt verbrachten Kulturgütern, Moskau, 27. und 28. Mai 2002, 2002, S. 96–124, S. 118. Boguslavskij, Das Privatrecht und die Rückgabe von Kulturgütern: Die russische Gesetzgebung, in: Ministerium für Kultur der Russischen Föderation u.a., Das schwierige Schicksal von Kulturgütern – Materialien der internationalen Konferenz Privatrecht und Probleme der Restitution von kriegsbedingt verbrachten Kulturgütern, Moskau, 27. und 28. Mai 2002, 2002, S. 96–124, S. 118.
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1. Teil: Zivilrechtliches Anspruchssystem in Kunstrestitutionsverfahren
Eigentümer, der behauptete, dass er seine Sache verlangt. Als Beklagter galt der Besitzer der Sache zum Zeitpunkt der Klageerhebung. Das Verhältnis zwischen den Parteien wurde mit Unterstützung eines Magistrats, später eines Richters festgelegt, der feststellte, wer von den Parteien die strittige Sache besitzt (unabhängig von der Grundlage des Besitzes) und folglich wer Beklagter im Prozess über das Eigentum ist.“7 Ziel des kulturellen Restitutionsanspruchs auf Grundlage des § 985 BGB ist auch noch heute, dem Eigentümer den Sachbesitz an den ihm zu Unrecht entzogenen Kulturgütern zu verschaffen.
B. 9
Besitzrechtliche Restitutionsansprüche
Über die Vindikationsklage des Eigentümers auf Herausgabe des unrechtmäßig entzogenen Kulturguts gegenüber dem unrechtmäßigen Besitzer hinaus erfolgte zuweilen auch eine Restitution illegal transferierter Kulturgüter mittels eines besitzrechtlichen Herausgabeanspruches. Dieser spielt in der Praxis kultureller Restitutionsverfahren insbesondere dann eine Rolle, wenn der Kläger zwar nicht sein Eigentum, wohl aber seinen früheren Besitz im Rahmen eines zivilrechtlichen Restitutionsanspruchs nachzuweisen vermag.8 So wie das Eigentum an kulturellen Gütern Schutz über § 985 BGB erfährt, erkennt das deutsche BGB auch ein Schutzbedürfnis für eine Besitzlage an kulturellen Vermögensgütern an (das selbstredend auch für den besitzenden Eigentümer gilt).
I.
Possessorischer Restitutionsanspruch
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In Parallele zu § 985 bei einer Beeinträchtigung der Eigentumsposition stellt das BGB dem Besitzer kultureller Güter in § 861 BGB einen Besitzentziehungsanspruch zur Verfügung, der durch Klage verwirklicht und in raschem Zugriff durch einstweilige Verfügung gesichert werden kann.9
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§ 861 BGB: (1) Wird der Besitz durch verbotene Eigenmacht dem Besitzer entzogen, so kann dieser die Wiedereinräumung des Besitzes von demjenigen verlangen, welcher ihm gegenüber fehlerhaft besitzt. (2) Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der entzogene Besitz dem gegenwärtigen Besitzer oder dessen Rechtsvorgänger gegenüber fehlerhaft war und in dem letzten Jahre vor der Entziehung erlangt worden ist.
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Boguslavskij, Das Privatrecht und die Rückgabe von Kulturgütern: Die russische Gesetzgebung, in: Ministerium für Kultur der Russischen Föderation u.a., Das schwierige Schicksal von Kulturgütern – Materialien der internationalen Konferenz Privatrecht und Probleme der Restitution von kriegsbedingt verbrachten Kulturgütern, Moskau, 27. und 28. Mai 2002, 2002, S. 96–124, S. 118. So Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff., S. 3586. Vgl. Baur/Stürner, Sachenrecht, 17. Aufl. 1999, S. 81–87.
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1. Abschnitt: Zivilrechtliche Restitutionsansprüche
Der Schutz (kultureller) Besitzpositionen nach § 861 BGB wird in der Rechtslehre als possessorischer Besitzschutz bezeichnet, weil dieser unmittelbar aus dem Besitz abgeleitet wird, ohne dass festgestellt wird, ob der klagende Besitzer ein Recht zum Besitz hat; petitorische Einwendungen sind nach § 863 BGB ausgeschlossen. Daher kann sich der restitutionsverpflichtete momentane Inhaber der tatsächlichen Sachherrschaft an einem entzogenen Kulturgut auch nicht auf ein Recht zum Besitz berufen. Voraussetzung des possessorischen Restitutionsanspruchs unrechtmäßig entzogener Kulturgüter ist die Verlagerung des Kunstwerks mittels verbotener Eigenmacht. Unter dem Begriff der verbotenen Eigenmacht wird nach der Legaldefinition des § 858 Abs. 1 BGB eine Besitzentziehung ohne den Willen des Besitzers verstanden, sofern nicht das Gesetz die Entziehung gestattet. In § 858 Abs. 2 BGB wird explizit bestimmt, dass der solchermaßen entzogene Besitz fehlerhaft ist. Auch in den Konstellationen der unrechtmäßigen Entziehung kultureller Wertgegenstände ist somit daran zu denken, bspw. den individuellen Diebstahl eines Kunstwerks aus der Sammlung eines Privatsammlers oder eines Museums als verbotene Eigenmacht zu qualifizieren und dementsprechend dem ursprünglichen Besitzer die Wiedereinräumung des Besitzes unter Vorbehalt des § 861 Abs. 2 BGB zu gestatten.10
II.
Petitorischer Besitzanspruch aus § 1007 BGB
Neben dem Anspruch wegen Besitzentziehung aus § 861 BGB kommt in der Konstellation des illegalen Kunsthandels zusätzlich auch der sog. petitorische Besitzanspruch aus § 1007 BGB in Betracht. Zwar wird grundsätzlich ein privater Sammler kultureller Wertgegenstände oder ein (öffentliches oder privates) Museum, die von einem anderen die Herausgabe eines unrechtmäßig entzogenen Kulturguts verlangen, sich entweder auf das materielle Recht aus § 985 BGB aufgrund fortbestehender Eigentumsposition berufen oder dartun, dass ihm gegenüber durch den kulturellen Entziehungsakt verbotene Eigenmacht begangen wurde, sodass ihm ein Besitzschutzanspruch aus § 861 BGB zusteht. Es sind aber auch im internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht Sachverhaltskonstellationen denkbar, in denen weder dem Kläger noch dem Beklagten ein Recht zum Besitz zusteht oder dem Anspruchsteller die tatsächlichen Möglichkeiten fehlen, das Besitzrecht schlüssig darzulegen. Für diese Konstellationen eröffnet § 1007 BGB dem früheren (rechtmäßigen oder gutgläubigen) Besitzer kultureller Wertgegenstände eine Restitutionsmöglichkeit gegen den jetzigen Besitzer, wenn der Letztgenannte entweder beim Erwerb bösgläubig war oder die Sache dem früheren Inhaber der tatsächlichen Sachherrschaft abhandengekommen war.11 Nachdem festgestellt wurde, dass in den oben ge-
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12
Vgl. Baur/Stürner, Sachenrecht, 17. Aufl. 1999, S. 81–87. Vgl. Baur/Stürner, Sachenrecht, 17. Aufl. 1999, S. 81–87.
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1. Teil: Zivilrechtliches Anspruchssystem in Kunstrestitutionsverfahren
nannten Kategorien illegalen Kulturgüterverkehrs der Entziehungsakt – d.h. der Diebstahl, die Beutenahme und die Verstaatlichung kultureller Güter im konkreten Fall sowie ausnahmsweise auch die illegale Ausfuhr entgegen den nationalen Exportvorschriften solcher Kulturgüter, die zum nationalen Kulturpatrimonium des kulturellen Ursprungsstaates zählen – keinen Einfluss auf die Rechtsposition des ursprünglichen Eigentümers hat und in der konkreten Situation die Entziehung als abhandengekommen12 zu qualifizieren ist, kann auch § 1007 BGB als Rechtsinstrument im internationalen Kulturgüterschutz genutzt werden. 14
§ 1007 BGB: (1) Wer eine bewegliche Sache im Besitz gehabt hat, kann von dem Besitzer die Herausgabe der Sache verlangen, wenn dieser bei dem Erwerb des Besitzes nicht in gutem Glauben war. (2) Ist die Sache dem früheren Besitzer gestohlen worden, verloren gegangen oder sonst abhanden gekommen, so kann er die Herausgabe auch von einem gutgläubigem Besitzer verlangen, es sei denn, dass dieser Eigentümer der Sache ist oder die Sache ihm vor der Besitzzeit des früheren Besitzers abhanden gekommen war. Auf Geld oder Inhaberpapiere findet diese Vorschrift keine Anwendung. (3) Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der frühere Besitzer bei dem Erwerb des Besitzes nicht in gutem Glauben war oder wenn er den Besitz aufgegeben hat. Im übrigen finden die Vorschriften der §§ 986 bis 1003 entsprechende Anwendung.
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Hintergrund des petitorischen Besitzanspruchs ist in diesen Konstellationen die Vermutung des § 1006 BGB, wonach zugunsten eines Besitzers und eines früheren Besitzers angenommen wird, dass er Eigentümer des Kunstwerks ist bzw. während seiner Besitzzeit war. Im Gegensatz zu den possessorischen Besitzschutzansprüchen kann der Beklagte in den petitorischen Besitzschutzansprüchen alle Einwendungen aus einem Recht zum Besitz geltend machen, sodass durch einen Restitutionsprozess eine endgültige Klärung der Sachzuordnung entzogener Kulturgüter erfolgen kann und nicht, wie im Bereich possessorischer Restitutionsansprüche, auf den Besitzschutzprozess nach § 861 BGB theoretisch ein Prozess über das Recht zum Besitz an kulturellen Wertgegenständen folgen muss und der erste Rechtserfolg des Restitutionsgläubigers später rechtlich wieder in Frage gestellt werden kann.13
1. 16
Anhand des Kykladenidol-Falles des OLG Münchens vom 10. Januar 1973
Eine Instrumentalisierung eines Anspruchs aus § 1007 BGB erfolgte bspw. in dem vom Oberlandesgericht München am 10. Januar 1973 entschiedenen sog. Kykladenidolfall 14, der den Kauf eines antiken Götterbildes unter verdächtigen 12
13 14
Vgl. Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 2. Teil, Rdnr. 53 ff. Vgl. Baur/Stürner, Sachenrecht, 17. Aufl. 1999, S. 81–87. Oberlandesgericht München, Urteil vom 10. Januar 1973, Az: VIII ZR 132/71, Warneyer Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen, Jahrgang 1973, 1. Halbband, Nr. 3, S. 9–11. Vgl. hierzu auch Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 320.
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1. Abschnitt: Zivilrechtliche Restitutionsansprüche
Umständen betraf.15 In der genannten Sachverhaltskonstellation wurde um die Voraussetzungen und Inhaltsbestimmungen des Rechtsinstituts des gutgläubigen Erwerbs eines unterschlagenen Kykladenidols, einer weiblichen Figur aus dem 3. Jahrtausend vor Christus, gestritten, das ein Erwerber von einem unbekannten Studenten gutgläubig erworben zu haben vorgab. Der Kläger besaß ursprünglich das Kykladenidol, das ca. 70.000 bis 80.000 DM wert war, überließ es jedoch einem gewissen G., der sich u.a. auch im Kunsthandel betätigte, mit anderen Kunstgegenständen zum Verkauf. Dieser übergab das Idol in Gegenwart des griechischen Studenten P., den er als Eigentümer des Idols vorstellte, dem zur Herausgabe Beklagten, um es ihm zu Eigentum oder zu Sicherungseigentum zu übertragen. Der Beklagte zahlte dafür 7.000 DM an P., die letzterer dem G. aushändigte. Der Kläger behauptete, Eigentümer und früherer Besitzer des Idols zu sein, und begehrte mit der Klage dessen Herausgabe.16 Im Ergebnis hat das Gericht den Erwerber aus § 1007 BGB zur Herausgabe an den früheren Besitzer verurteilt. Zunächst stellte das Oberlandesgericht München entgegen der Auffassung der Revision fest, dass es für die Entscheidung des Rechtsstreits auf die Eigentumsvermutungen des § 1006 BGB nicht ankam, weil der Anspruch des Klägers schon auf Grund seines früheren Besitzes aus § 1007 Abs. 1 BGB begründet war. „Gegenüber diesem Anspruch hat ein bösgläubiger Besitzer nicht die Einrede, daß er selbst Eigentümer der Sache sei.“ Danach ist ein Besitzer bösgläubig und nach § 1007 Abs. 1 BGB zur Herausgabe der Sache verpflichtet, wenn ihm kein Recht zum Besitz zusteht und er im Zeitpunkt des Besitzerwerbs seine mangelnde Berechtigung kannte oder grob fahrlässig nicht kannte. Da in der vorliegenden Konstellation der Student P. nach der Feststellung des Berufungsgerichts nie Besitzer des Idols war, kann der Beklagte von ihm den Besitz nicht erhalten haben. Vielmehr war allein G. Besitzer des Idols, nachdem der Kläger diesem das Kulturgut zusammen mit anderen Kunstgegenständen zum Verkauf übergeben hatte. Die ihm erteilte Verkaufsermächtigung deckte indessen nicht die Übergabe des Idols an den Beklagten, wobei dahingestellt bleiben kann, ob der Kunsthändler G. Verkaufskommissionär im Sinne der §§ 383 ff. HGB war. „Ein Verkaufskommissionär ist zwar ermächtigt, die ihm zum Verkauf übergebene Sache mit Wirkung gegen den Kommittenten einem Dritten zur Sicherheit zu übergeben, falls dies im Rahmen und zur Finanzierung der Verkaufskommission geschieht … So war es hier aber nicht. G. hatte das Idol nicht im Rahmen und zur Finanzierung der ihm erteilten Verkaufskommission oder des ihm gegebenen Ver15
16
Vgl. ausführlich hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 3. Teil, Rdnr. 140 ff. Vgl. zu den tatsächlichen Angaben der Sachverhaltskonstellation Oberlandesgericht München, Urteil vom 10. Januar 1973, Az: VIII ZR 132/71, Warneyer Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen, Jahrgang 1973, 1. Halbband, Nr. 3, S. 9–11.
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1. Teil: Zivilrechtliches Anspruchssystem in Kunstrestitutionsverfahren
kaufsauftrages dem Beklagten überlassen, sondern hatte es, wie das Berufungsgericht ersichtlich annimmt, unterschlagen.“17 18
Ein Anspruch des Klägers aus § 1007 Abs. 1 BGB wäre nach Abs. 3 dieser Bestimmung ausgeschlossen, wenn auch er bei dem Erwerb des Besitzes an dem Idol nicht in gutem Glauben gewesen wäre oder wenn er den Besitz des Idols aufgegeben hätte. Der Kläger war indessen bei seinem Besitzerwerb nicht nur gutgläubig gewesen, sondern war sogar zum Besitz berechtigt. Nach der Übergabe des Idols zum Verkauf war G. unmittelbarer Besitzer geworden, der Kläger aber mittelbarer Besitzer geblieben. Bei der Weggabe einer Sache durch den unmittelbaren Besitzer ist diese zwar nicht abhandengekommen im rechtstechnischen Sinne, der mittelbare Besitz an ihr aber nicht aufgegeben, sodass dem früheren mittelbaren Besitzer der Anspruch aus § 1007 Abs. 1 BGB zusteht.18 Problematisch wurde in dieser Konstellation noch, dass grundsätzlich im Rahmen des § 1007 BGB ein früherer mittelbarer Besitzer nur Herausgabe an den früheren unmittelbaren Besitzer fordern kann und nicht an sich selbst als nur mittelbarer Besitzer. „Herausgabe an sich kann er lediglich dann verlangen, wenn der frühere unmittelbare Besitzer den Besitz nicht wieder übernehmen kann oder will. Ob das auch in dem Falle gelten kann, daß der frühere unmittelbare Besitzer die Sache unterschlagen hat, ist fraglich. In jedem Falle kann G., dessen Aufenthaltsort nicht bekannt ist und der sich derzeit in einem griechischen Gefängnis befinden soll, den Besitz des Idols nicht ohne weiteres übernehmen.“ Somit konnte im konkreten Fall der Kläger die Restitution unmittelbar an sich selbst verlangen.19
2. 19
Anhand des Hamburger Stadtsiegel-Falls
Auch im bekannten Hamburger Stadtsiegel-Fall 20 – der vor insgesamt sieben Zivil-21 und Verwaltungsgerichten22 diskutiert wurde – wurde neben der Appli17
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Oberlandesgericht München, Urteil vom 10. Januar 1973, Az.: VIII ZR 132/71, Warneyer Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen, Jahrgang 1973, 1. Halbband, Nr. 3, S. 9–11. Vgl. Oberlandesgericht München, Urteil vom 10. Januar 1973, Az.: VIII ZR 132/71, Warneyer Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen, Jahrgang 1973, 1. Halbband, Nr. 3, S. 9–11. Vgl. Oberlandesgericht München, Urteil vom 10. Januar 1973, Az.: VIII ZR 132/71, Warneyer Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen, Jahrgang 1973, 1. Halbband, Nr. 3, S. 9–11. Vgl. hierzu das Schrifttum: Kemper, BGB-Sachenrecht – Gutgläubiger Erwerb abhandengekommener Sachen in einer öffentlichen Versteigerung (Entscheidungsbesprechung BGH, 1989-10-05, IX ZR 265/88), JA 1990, S. 128; Schmidt, Rechtsprechungsübersicht – Gutgläubiger Erwerb bei öffentlicher Versteigerung (Entscheidungsbesprechung BGH, 1989-10-05, IX ZR 265/88, NJW 1990, 899), JuS 1990, S. 411–412; Wolf, Gutgläubiger Erwerb einer möglicherweise öffentlich-rechtlich gewidmeten Sache in einer öffentlichen Versteigerung, Entscheidungssammlung zum Wirtschafts- und Bankrecht (WuB) IV A § 383 BGB 1.90; Ehlers, Das öffentliche Sachenrecht – ein Trümmerhaufen, NWVBl 1993, S. 327–333, S. 328–329; Fechner, Der Hamburger Stadtsiegelfall, JuS 1993, S. 704; Manssen, Der Hamburger Stadt-
1. Abschnitt: Zivilrechtliche Restitutionsansprüche
kation des Eigentumsherausgabeanspruchs aus § 985 BGB auch § 1007 als Mittel zur Restitution bestimmt.23 Nachdem das Typar aller Wahrscheinlichkeit nach während des Zweiten Weltkriegs oder im Anschluss daran aus dem Hamburger Archiv entwendet wurde, forderte die Stadt Hamburg nun die Herausgabe und stützte den Restitutionsanspruch unter anderem auch auf § 1007 BGB. In dem Urteil vom 5. Oktober 1989 vor dem 9. Zivilsenat des BGH wurde bekanntlich24 darüber diskutiert, ob bei einer freiwilligen, für jedermann zugänglichen und öffentlich bekannt gemachten Versteigerung durch einen hierzu öffentlich bestellten Auktionator der gutgläubige Erwerber Eigentum an einem abhandengekommenen Kulturgut erwerben konnte, das ursprünglich als ‚öffentliche Sache‘ im Verwaltungsgebrauch oder im Anstaltsgebrauch galt. Die die Revision anstrengende Stadt Hamburg führte vor dem BGH als Revisionsgericht aus, ihr Herausgabeanspruch sei neben § 985 BGB auch aufgrund von § 1007 Abs. 2 BGB begründet, weil das Siegeltypar der Klägerin als früherer Besitzerin abhandengekommen sei. Der BGH führte diesbezüglich jedoch aus, dass dem von der Revision geltend gemachten petitorischen Herausgabeanspruch nach § 1007 Abs. 2 BGB die Beklagte entgegenhalten kann, dass sie durch den Zuschlag in der Versteigerung gutgläubig Eigentümerin geworden und damit zum Besitz berechtigt
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24
siegelfall – VG Köln, NJW 1991, 2584, JuS 1992, S. 745–748, S. 748; Thormann, Nochmals: Das Hamburger Stadtsiegel, NWVBL 1992, S. 354–357, S. 356; Axer, Das Hamburger Stadtsiegel – ein Problem des Rechts der öffentlichen Sachen, NWVBL 1992, S. 11–13, S. 13; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 158–159; Kohls, Kulturgüterschutz: Wirkungen von Verstößen gegen Ausfuhrverbote und Möglichkeiten der Rückführung illegal verbrachter Kulturgüter – Eine vergleichende Untersuchung mit den Rechten Dänemarks, Norwegens und Schwedens, 2001, S. 141–142; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 77–79 und 258–263; Mußgnug, Europäischer und nationaler Kulturgüter-Schutz, in: Mußgnug/Roellecke, Aktuelle Fragen des Kulturgüterschutzes: Beiträge zur Reform des deutschen Kulturgutschutzgesetzes 1955 und seiner Angleichung an den europäischen Kulturgüterschutz, 1998, S. 11 ff., S. 25–28; Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 65–67; Spaun, Der Herausgabeanspruch bei Diebstahl oder illegalem Export von Kulturgütern, 2003, S. 67–68; Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 50–53. Der Zivilrechtsweg der Sachverhaltskonstellation des Hamburger Stadtsiegels: BGH, 9. Zivilsenat, Urteil vom 5. Oktober 1989, Az: IX ZR 265/88 [Verfahrensgang: vorgehend OLG Köln 2. November 1988 2 U 52/88; vorgehend LG Köln 25. Februar 1988 8 O 473/87], NJW 1990, S. 899–901; JA 1990, S. 128; JuS 1990, S. 411. Der Verwaltungsrechtsweg der Sachverhaltskonstellation des Hamburger Stadtsiegels: Verwaltungsgericht (VG) Köln 8. Kammer, Urteil vom 20. März 1991, Az: 8 K 4501/89, NJW 1991, S. 2584–2586), JuS 1992, S. 745–748; Oberverwaltungsgericht für das Land NordrheinWestfalen, 20. Senat, Urteil vom 25. Februar 1993, Az: 20 A 1289/91, NJW 1993, S. 2635– 2637, DÖV 1993, S. 869–871; Bundesverwaltungsgericht, 7. Senat, Beschluss vom 12. August 1993, Az: 7 B 86/93, NJW 1994, S. 144–145, NVwZ 1994, S. 265. Vgl. ausführlich hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 2. Teil, Rdnr. 345 ff. Vgl. ausführlich hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 2. Teil, Rdnr. 347 ff.
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1. Teil: Zivilrechtliches Anspruchssystem in Kunstrestitutionsverfahren
ist. Soweit die Klägerin demgegenüber Besitzrechte aus dem öffentlichen Sachenrecht25 geltend macht, kann sie damit vor den ordentlichen Gerichten nicht durchdringen. Insoweit handelt es sich um einen Anspruch aus dem öffentlichen Recht, der vor den Verwaltungsgerichten zu verfolgen ist.
C. Kunstrestitution mittels unerlaubter Handlung (law of delict) 20
Über die dinglichen Restitutionsansprüche auf Grundlage einer geschützten Eigentums- oder Besitzposition hinaus bietet das Rechtsgebiet der unerlaubten Handlungen, das sog. Deliktsrecht (law of delict) mit dem Ziel des Schutzes kultureller Vermögenspositionen vor widerrechtlichen Eingriffen, weitere Anspruchsgrundlagen hinsichtlich der Rückführung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter. Besonders aufgrund der Internationalität des Kulturgüterschutzes und der zahlreichen grenzüberschreitenden Restitutionsfälle ist es in dem Bereich der Rechtsgrundlagen zivilrechtlicher Restitutionsansprüche ausgesprochen wichtig, „den ausländischen Rechtsfall nicht unbesehen in das Korsett unserer Denkweise“ 26 zu zwängen und etwa einen Anspruch auf Herausgabe rechtswidrig entzogener Gemälde generell – dem deutschen Rechtsdenken entsprechend – wie eine Vindikation des Eigentümers gegenüber dem unrechtmäßigen Besitzer nach § 985 BGB zu prüfen. Im Gegensatz zu einer Reihe kontinentaleuropäischer Rechtssysteme ist bspw. dem angloamerikanischen Rechtskreis eine dingliche Klage auf Herausgabe beweglicher Sachen völlig unbekannt27 – das Common Law gewährt keinen dinglichen Herausgabeanspruch gegen den Erwerber von Diebesgut, sondern nur einen deliktischen.28 Aufgrund der besonders rechtsprägenden Bedeutung des amerikanischen Kunstmarktes und der zahlreichen seitens der Gerichte der Vereinigten Staaten von Amerika entschiedenen Rechtsstreitigkeiten ist diesen Restitutionstatbeständen innerhalb des sog. Tort Law besondere Aufmerksamkeit zu schenken.
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Vgl. hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 2. Teil, Rdnr. 352 ff. So Richard/Junker, Hans und Felicitas Tucher in New York – Deutsches Sachenrecht vor amerikanischen Gerichten, JURA 1985, S. 415–424, S. 417. Keeton/Prosser, Prosser and Keeton on the law of torts, 5. Aufl. 1984, S. 88; Knott, Neue Tendenzen im Recht des internationalen Kunsthandels in den USA, RIW 1991 (Heft 7), S. 553– 559, S. 554–555. Kurzdarstellung bei Henrich, Einführung in das englische Privatrecht, 1971, S. 78, 81 f.; Richard/Junker, Hans und Felicitas Tucher in New York – Deutsches Sachenrecht vor amerikanischen Gerichten, JURA 1985, S. 415–424, S. 417; Drobnig, Amerikanische Gerichte zum internationalen Sachenrecht auf dem Hintergrund der Teilung Deutschlands, IPRax 1984, S. 61–65, S. 64; Knott, Neue Tendenzen im Recht des internationalen Kunsthandels in den USA, RIW 1991 (Heft 7), S. 553–559, S. 554–555; ausführlich Prosser, Handbook of the Law of Torts, 3. Aufl. 1964, S. 79–98.
37
1. Abschnitt: Zivilrechtliche Restitutionsansprüche
Der grundsätzliche Rechtsbehelf bei einer Klage aus unerlaubter Handlung zielt primär auf den Ersatz des entstandenen Schadens in Form eines pekuniären Ausgleichs. Die Schadensersatzleistung soll den entstanden Vermögensschaden in Form einer finanziellen Totalreparation ausgleichen. Zu ersetzen ist im Grundsatz das volle wirtschaftliche Interesse des Geschädigten. Innerhalb des Kulturgüterschutzes steht jedoch aufgrund der kulturellen Unikatfunktion von Kunstgegenständen und der besonderen gesellschaftlichen Bedeutung von Kulturgütern für ihre Eigentümer in erster Linie nicht der finanzielle Ausgleich unrechtmäßig entzogener Vermögensgüter im Interesse der ursprünglich Berechtigten, sondern die Rückführung des konkret entzogenen Kulturguts in specie. In zahlreichen Staaten wird der durch die unerlaubte Handlung (den rechtswidrigen Entziehungsakt) entstandene Schaden (der Verlust der unmittelbaren Sachherrschaft, zuweilen aber auch der Verlust der Eigentumsposition an dem Kulturgut) primär durch den Grundsatz der Naturalrestitution geheilt:29 So hat bspw. auch innerhalb der deutschen Rechtsordnung nach § 249 S. 1 BGB derjenige, der zum Schadensersatz verpflichtet ist, den Zustand wiederherzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Darunter ist nach der Rechtsprechung des BGH die Herstellung des gleichen wirtschaftlichen Zustandes zu verstehen, der ohne das schädigende Ereignis bestehen würde.30 In Fällen der rechtswidrigen Entziehung kultureller Güter hat somit der deliktisch Handelnde dem Anspruchsberechtigten in erster Linie entweder den Besitz oder, bei einem zusätzlichen Eigentumsverlust des ursprünglich Berechtigten, diesem wieder die Eigentumsposition an dem entzogenen Kulturgut zu verschaffen. Eine solche Naturalrestitution (Rückführung in specie) hält auch das amerikanische law of delict bereit.
I.
Konzeption der deliktsrechtlichen Restitution im BGB
Nach § 823 Abs. 1 BGB ist innerhalb der deutschen Rechtsordnung derjenige, der vorsätzlich oder fahrlässig das Eigentum oder ein sonstiges Recht an kulturellen Gegenständen eines anderen widerrechtlich verletzt, gegenüber dem Rechtsinhaber zum Ersatz des daraus entstandenen Schadens verpflichtet. Darüber hinaus trifft nach § 823 Abs. 2 BGB die gleiche Verpflichtung denjenigen, „welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt“; und nach § 826 BGB haftet auf Schadensersatz, „wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt“.
29
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21
Vgl. Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 76. Vgl. BGH, Entscheidung des 6. Zivilsenats vom 4.12.1984, Az.: VI ZR 225/82, NJW 85, S. 793–796.
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38
1. Teil: Zivilrechtliches Anspruchssystem in Kunstrestitutionsverfahren
23
Innerhalb des 1. Bandes des Rechtshandbuchs Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht wurden verschiedene kulturelle Entziehungstatbestände offensichtlich, die mit einem Rechtswidrigkeitsverdikt zu versehen sind und somit die Eigentumsposition des ursprünglich Berechtigten verletzen, sodass die Voraussetzung einer widerrechtlichen Eigentumsverletzung regelmäßig vorliegen wird. Der Grund für die Schadensersatzpflicht rechtswidriger Entziehungstatbestände kultureller Güter liegt nach der Konzeption des deutschen BGB jedoch in einem speziellen Verschulden des Inanspruchgenommenen: So liegt bspw. die Culpa des Diebes in den Fällen des ‚kulturellen Diebstahls‘ offen zu Tage. Während das Rechtswidrigkeitsverdikt der Entziehung kultureller Güter den Haftungsgrund und die Motivation des zivilrechtlichen Schutzes des speziellen kulturellen Vermögensbestandes bildet, formuliert das Verschulden das zugehörige Zurechnungskriterium und die Erklärung, warum gerade der Schädiger mit der Wiedergutmachung belastet wird.31 Damit setzt jede Restitutionsklage nach unrechtmäßiger Entziehung kultureller Wertgegenstände nach der Konzeption der unerlaubten Handlung des BGB nicht nur eine tatbestandsmäßige und rechtswidrige, sondern insbesondere auch schuldhafte Entziehung eines kulturellen Vermögensgutes voraus, die einen Schaden hervorgerufen hat.
24
Eine deliktsrechtliche Klage auf Herausgabe unrechtmäßig entzogener Kulturgüter stellt eine erfolgversprechende Methode der kulturellen Restitution in all denjenigen Sachverhaltskonstellationen dar, in denen der ursprüngliche Eigentümer gegen den Dieb oder Hehler eines kulturellen Objektes klagt, das sich noch immer in der tatsächlichen Sachherrschaft des Diebes oder Hehlers befindet. Auch in den Fällen, in denen unmittelbar gegen solche Personen vorgegangen wird, die entweder das Eigentum des ursprünglich berechtigten Eigentümers des Kulturguts widerrechtlich verletzt oder gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstoßen haben, ist das Rechtsgebiet der unerlaubten Handlungen zielführend. Zwingende Voraussetzung für einen erfolgreichen kulturellen Restitutionsanspruch ist somit immer, dass derjenige, dem im Zusammenhang mit dem illegalen Kulturgütertransfer eine rechtswidrige Handlung vorzuwerfen ist, zum Zeitpunkt der Klage auch noch Inhaber der tatsächlichen Sachherrschaft ist und selbst schuldhaft gehandelt hat. Dies bedeutet jedoch im Umkehrschluss, dass eine Restitutionsforderung gegen einen Dritterwerber (dem selbst keine schuldhafte unerlaubte Handlung vorzuwerfen ist) letztendlich scheitern muss, auch wenn dieser nicht gutgläubig ist (obwohl das Kulturgut zuvor tatsächlich vom berechtigten Eigentümer gestohlen oder auf andere Art und Weise rechtswidrig entzogen wurde).
31
Vgl. Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, Zweiter Band: Besonderer Teil, 2. Halbband, 1994, § 75, S. 351–352 m.w.N.
39
1. Abschnitt: Zivilrechtliche Restitutionsansprüche
1.
§ 823 Abs. 1 BGB: Allgemeiner Schutz des Eigentums
Innerhalb der deliktischen Restitutionsverfahren erfahren Kulturgüter ihren zivilrechtlichen Schutz über die generelle Protektion des Rechtsinstituts Eigentum: Nach § 903 BGB kann der Eigentümer eines (Kunst-)Gegenstandes grundsätzlich mit diesem „nach Belieben verfahren“ (sog. Zuweisungsgehalt der Eigentumsposition) und „andere von jeder Einwirkung ausschließen“ (sog. Ausschlussfunktion der Eigentumsposition).32 Dadurch räumt das BGB auch kulturellen Eigentümern eine feste Schutzzone ein und bewahrt diese vor Verletzungen ihrer kulturellen Sammlungsbestände durch Dritte, die diese Schutzzone missachten. In den Kernbereich des deliktsrechtlichen Schutzes fallen somit zweifelsohne Eingriffe in die Rechtsstellung des kulturellen Eigentümers durch unrechtmäßige Entziehungen kultureller Güter. Das Rechtsinstitut des Deliktsrechts könnte in Abgrenzung zu dem Vindikationsanspruch des kulturellen Eigentümers aus § 985 BGB bspw. aber auch dann von besonderer Bedeutung sein, wenn trotz des Entziehungstatbestandes ein gutgläubiger Erwerber Eigentum an dem Kulturgut erwirbt (bspw. im Wege des § 935 Abs. 2 i.V.m. § 383 Abs. 3 BGB). Solche Eingriffe können im (inter-)nationalen Kulturgüterverkehr bspw. dadurch erfolgen, dass jemand ein fremdes Kunstwerk an einen gutgläubigen Dritten rechtswirksam nach den §§ 932 ff. BGB veräußert. Darin liegt anerkanntermaßen tatbestandlich eine Eigentumsverletzung i.S.v. § 823 Abs. 1 BGB. Jedoch haftet der gutgläubige Erwerber nicht gegenüber dem bisherigen Eigentümer aus § 823 Abs. 1, da die gesetzlichen Gutglaubensvorschriften seinem Handeln die Rechtswidrigkeit nehmen, sodass lediglich ein Regress gegen den unberechtigten Veräußerer über das Rechtsinstitut des Bereicherungsrechts möglich bleibt. Zu den kulturellen Eigentumsverletzungen zählen über den unmittelbaren Eingriff in die Rechtsposition Eigentum hinaus aber auch tatsächliche Einwirkungen auf das Kulturgut, wie bspw. die Wegnahme durch Diebstahl und die Vorenthaltung des Besitzes.33 Zu den in § 823 Abs. 1 BGB genannten „sonstigen Rechten“ (mit einem absoluten, d.h. gegenüber jedem wirkenden und von jedem zu beachtenden Inhalt) an beweglichen Gütern zählt nach umstrittener Ansicht zusätzlich noch der Besitz an kulturellen Gegenständen, wenn der Besitzer das Kulturgut ähnlich einem Eigentümer nutzen darf und ihm Abwehrrechte wie einem Eigentümer nach den §§ 861 und 862 BGB zustehen. Eine solche eigentümerähnliche Rechtsposition kommt grundsätzlich nur solchen Besitzern kultureller Gegenstände zu, die ein Recht zum Besitz haben, wie bspw. ein rechtmäßig kulturelle Güter für den Eigentümer verwahrendes Museum.
32
33
Vgl. Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, Zweiter Band: Besonderer Teil, 2. Halbband, 1994, § 75, S. 373–374 m.w.N. Vgl. Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, Zweiter Band: Besonderer Teil, 2. Halbband, 1994, § 76, S. 386–387 m.w.N.
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40
1. Teil: Zivilrechtliches Anspruchssystem in Kunstrestitutionsverfahren
2.
§ 823 Abs. 2 BGB: Kulturgüterschutzvorschriften als ‚Schutzgesetze‘?
26
Eine Restitution unrechtmäßig entzogener Kulturgüter ist auch über § 823 Abs. 2 BGB möglich, wonach denjenigen eine Schadensersatzpflicht trifft, „welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt“. Als ein solches Schutzgesetz kommt nach Art. 2 EGBGB nur eine „Rechtsnorm“ in Betracht. Aus Wortlaut und Zweck des § 823 Abs. 2 BGB ergibt sich, dass die entsprechende Rechtsnorm nicht lediglich den Schutz der Allgemeinheit oder eines sonstigen nichtindividuellen Rechtsgutes, sondern zumindest auch den des Geschädigten zum Ziel hat. Darüber hinaus muss der Geschädigte zum Kreis der geschützten Personen gehören.34
27
Im Bereich des internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts sind zahlreiche öffentlich-rechtliche, nationale Umsetzungsakte völkerrechtlicher und strafrechtlicher Resolutionsmethoden zur Regulation des (inter-) nationalen Kulturgüterverkehrs normiert. Im Grundsatz dient der Kulturgüterschutz der Allgemeinheit, sodass man bereits a priori der Meinung sein könnte, § 823 Abs. 2 BGB könne nie als Anspruchsgrundlage der Restitution unrechtmäßig entzogener Kulturgüter individueller Einzelpersonen dienen. Richtiger ist jedoch, jede einzelne, im speziellen Fall einschlägige Rechtsnorm nach deren Schutzzweck zu untersuchen und zu fragen, ob diese neben dem Schutz der Allgemeinheit gerade dazu dienen soll, den einzelnen oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines Rechtsguts zu schützen. Wie der Bundesgerichtshof bestimmte, kommt es dabei nicht auf die Wirkung, sondern auf Inhalt und Zweck des Gesetzes nach der Intention des Gesetzgebers bei seinem Erlass an.35 Dass bspw. so der Schutz des Eigentümers vor dem Diebstahl kultureller Wertgegenstände über das generelle Verbot des Diebstahls beweglicher Gegenstände i.S.d. § 242 StGB miterfasst wird, liegt offen zu Tage.
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Fraglich könnte aber in diesem Zusammenhang bspw. sein, ob die völkerrechtswidrige kriegsbedingte Entziehung kultureller Güter und der Verstoß gegen die Art. 46, 47 und 56 der Haager Landkriegsordnungen von 1899 und 1907 auch als rechtserhebliche Verletzung eines Schutzgesetzes i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB zu werten sind.36 Einerseits dienen die Bestimmungen dem Schutz des nationalen Kul-
34
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36
Vgl. Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, Zweiter Band: Besonderer Teil, 2. Halbband, 1994, § 77, S. 433–434 m.w.N. BGH, Entscheidung des 2. Zivilsenats vom 21.10.1991, Az.: II ZR 204/90, BGHZ 116, S. 7–14. Haager Landkriegsordnungen von 1899 und 1907: Art. 46. (1) Family honour and rights, the lives of persons, and private property, as well as religious convictions and practice, must be respected. (2) Private property cannot be confiscated. Art. 47. Pillage is formally forbidden. Art. 56. (1) The property of municipalities, that of institutions dedicated to religion, charity
41
1. Abschnitt: Zivilrechtliche Restitutionsansprüche
turpatrimoniums kriegsbedingt besetzter Staaten. Darüber hinaus könnte aber auch der Individualschutz beabsichtigt sein: Schon während des Zweiten Weltkriegs wurde nach Art. 46 der Haager Landkriegsordnungen von 1899 und 1907 das Privateigentum geachtet und durfte dem jeweiligen Eigentümer nicht entzogen werden. Hintergrund ist die Vorstellung, dass das Eigentum privater Personen nicht kriegsnützlich und dementsprechend aus Gründen der Humanität dem Einzelnen zu belassen sei. Art. 47 verbot allgemein die Plünderung des besetzten Gebietes. Der spezielle Schutz kultureller Güter vor Beutenahme findet sich in Art. 56 der Haager Landkriegsordnungen von 1899 und 1907. Danach ist das Eigentum der Gemeinden und der dem Gottesdienste, der Wohltätigkeit, dem Unterrichte, der Kunst und Wissenschaft gewidmeten Anstalten, auch wenn diese dem Staate gehören, als Privateigentum zu behandeln und von der Besatzungsmacht unangetastet zu lassen. Darüber hinaus ist jede absichtliche Entfernung, Zerstörung oder Beschädigung von derartigen Gebäuden, von geschichtlichen Denkmälern oder von Werken der Kunst und Wissenschaft verboten. Insgesamt wird damit sowohl ein Schutz der Allgemeinheit, aber auch eine spezielle Protektion der Individualinteressen kultureller Eigentümer normiert, sodass bspw. Art. 46, 47 und 56 der Haager Landkriegsordnungen von 1899 und 1907 als Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB zu qualifizieren sind. Erfolgt dementsprechend eine Entziehung kultureller Wertgegenstände entgegen den genannten Vorschriften, steht dem kulturellen Eigentümer ein Anspruch auf Wiedergutmachung aus § 823 Abs. 2 BGB zu. Schließlich ist auch daran zu denken, bei einer Verletzung spezieller Kulturgüterund Denkmalschutzvorschriften zur Erhaltung und Bewahrung des nationalen Kulturpatrimoniums innerhalb des Territoriums des kulturellen Ursprungsstaates eine Schutzgesetzverletzung anzunehmen. Voraussetzung hierfür ist, dass man – im Einklang mit nachstehend präzisierten Ausführungen37 – die Rechtswirkungen sog. ownership laws nationaler Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften und die Entstehung besitzlosen Staatseigentums mittels sog. umbrella statutes („gesetzliche Eigentumszuweisung bei verborgenen Kulturgütern“ 38) und rhetorical ownership statutes („Verfall wegen verbotswidrigem Export“ 39) anerkennt.40
37 38
39
40
and education, the arts and sciences, even when State property, shall be treated as private property. (2) All seizure of, destruction or wilful damage done to institutions of this character, historic monuments, works of art and science, is forbidden, and should be made the subject of legal proceedings. Vgl. ausführlich hierzu 3, 243 ff. So Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff., S. 3583 f. So Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff., S. 3583 f. So auch Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 144–145.
29
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1. Teil: Zivilrechtliches Anspruchssystem in Kunstrestitutionsverfahren
Schon vorab kann erklärt werden, dass bei Anwendung sog. umbrella statutes den kulturellen Ursprungsstaaten per Gesetz sämtliche Rechtspositionen an entdeckten als auch noch unentdeckt im Boden befindlichen archäologischen Altertumsfunden zugesprochen werden, sodass der Finder selbst keine eigenen Rechte an den Objekten erwirbt. Auch bei der automatischen Legaldesignation kultureller Wertgegenstände zu Staatseigentum des kulturellen Ursprungsstaates mittels sog. rhetorical ownership statutes bzw. sog. automatic forfeiture clauses erfolgt noch auf dem Territorium des kulturellen Ursprungsstaates und somit innerhalb dessen Gewalthoheit der Verfall sämtlicher dinglicher Rechte an den Herkunftsstaat. Befindet sich in diesen Konstellationen ein derart in ausländischem Staatseigentum stehendes Kulturgut in Deutschland, könnte man daran denken, dass der kulturelle Ursprungsstaat gegen den aktuellen Besitzer aufgrund einer Schutzgesetzverletzung des ausländischen Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetzes nach § 823 Abs. 2 BGB vorgehen könnte. 30
Bislang wurde dieser Weg im internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht noch nicht beschritten, sodass keine judikativen Fallbeispiele hierfür bestehen. Neben der Unsicherheit, ob die oben skizzierten ownership laws in Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetzen Individualschutz für den kulturellen Ursprungsstaat als Eigentümer eröffnen, ist schon zu bezweifeln, ob ausländische Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze überhaupt als Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB zu qualifizieren sind oder nicht eher nur Rechtsnormen i.S.d. Art. 2 EGBGB deutscher Normgeber erfasst sind. Außerhalb des internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts wird die vor dem Hintergrund der sog. Inspire-Art-Entscheidung 41 des EuGH aufgeworfene Frage, ob auch ausländischen Rechtsnormen Schutzgesetzeigenschaft zukommen kann, regelmäßig mit der Begründung verneint, dass das deutsche Grundgesetz eine Gesetzgebungskompetenz ausländischer Gesetzgeber grundsätzlich nicht kenne. Erkennt man dennoch (bspw. im Einklang mit Coester-Waltjen und Mäsch42) ausländische Rechtsnormen als Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB an, sollte es an der Voraussetzung des „Schutzes eines anderen“ nicht scheitern. Ownership statutes dienen gerade dazu, national wertvolle Kulturgüter nicht nur öffentlich-rechtlich unter Schutz zu stellen, sondern es soll das international anerkannte Schutzsystem des Eigentums ausgenutzt werden. Es war gerade die Intention des Gesetzgebers, dem kulturellen Ursprungsstaat als Eigentümer der Objekte das besondere grenzüberschreitend anerkannte Schutzprogramm der Eigentumsposition zuzuweisen.
41
42
Vgl. Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, Urteil vom 30.09.2003, Az.: C-167/01, NJW 2003, S. 3331–3335. Coester-Waltjen/Mäsch, Übungen in internationalem Privatrecht und Rechtsvergleichung, 2. Aufl. 2001, S. 56 (insb. Fn. 49).
43
1. Abschnitt: Zivilrechtliche Restitutionsansprüche
3.
§ 826 BGB: Kulturgutverlust als vorsätzliche sittenwidrige Schädigung
Nach § 826 BGB ist eine Person zum Ersatze desjenigen Schadens verpflichtet, den sie in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich zufügt. An eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung ist insbesondere in zwei Konstellationen zu denken, der Veräußerung kulturellen Fluchtguts – vgl. hierzu zunächst unter Punkt a) – und der kulturgüter- und denkmalschutzgesetzwidrigen Veräußerung national wertvoller Kulturgüter – vgl. hierzu dann unter Punkt b).
a)
31
Veräußerung kulturellen Fluchtguts als vorsätzliche sittenwidrige Schädigung
An eine Restitutionspflicht aufgrund sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung nach § 826 BGB konnte bspw. in den Fällen der formal ‚freiwilligen‘ Veräußerung kulturellen Fluchtguts 43 nach Drohung, Zwang und Gewalt seitens des nationalsozialistischen Unrechtsregimes gedacht werden. Gewiss war zur Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft nicht jeder Erwerber kultureller Güter aus der Hand verfolgter (zumeist jüdischer) Bevölkerungsteile als vorsätzlich sittenwidrig handelnder ‚Ariseur‘ zu bezeichnen. So sind heute auch zahlreiche Konstellationen bekannt, in denen die Erwerber gerade durch die Zahlung eines angemessenen Kaufpreises als Freundschaftsdienst gegenüber den verfolgten Personen diesen die Flucht ermöglichten. In diesen Fällen konnte eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung nicht angenommen werden.
32
Die ausführlich innerhalb des Bandes 1: Illegaler Kulturgüterverkehr beschriebene, den inneren Kern der Würde des Menschen verletzende Diskriminierung der jüdischen Bevölkerungsgruppe in Deutschland zur Zeit des Nationalsozialismus hat aber auch dazu geführt, dass die von den verfolgten Personengruppen vorgenommenen formal ‚freiwilligen‘ Vermögensveräußerungen kultureller Güter (unter sich kollektiv äußernder Drohung, Zwang und Gewalt) zur Erwirtschaftung der Mindestbedürfnisse zum Überleben und zur Vorbereitung der Emigration aus Angst vor der ‚physischen Zerstörung‘ als ‚sittenwidrig‘ qualifiziert werden konnten, wenn die Erwerber diese Situation bewusst ausnutzten, um einen möglichst günstigen Kaufpreis zu erzielen oder um überhaupt an spezielle Kulturgüter heranzukommen, die ohne diese Zwangslage nicht veräußert worden wären. Die jüdische Bevölkerung war durch zahlreiche Erlasse und Ausnahmebestimmungen tatsächlich zu einer besonderen Gruppe degradiert und in rechtlicher und ökonomischer Hinsicht in eine Lage minderen Rechts versetzt
33
43
Vgl. ausführlich hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 1: Illegaler Kulturgüterverkehr, 5. Teil.
44
1. Teil: Zivilrechtliches Anspruchssystem in Kunstrestitutionsverfahren
worden. Durch diese Terrormaßnahmen war der jüdische Bevölkerungsanteil in persönlicher, gesellschaftlicher, kultureller und ökonomischer Beziehung von den übrigen Einwohnern Deutschlands fast völlig isoliert und radikal benachteiligt worden. Die bewusste Ausnutzung dieser Notlage des jüdischen Bevölkerungsteils bei den nur formal ‚freiwilligen‘ Veräußerungen war das verwerfliche Mittel zur Erlangung solcher Kulturgüter, die unter anderen Umständen nie veräußert worden wären. Inhalt und Gesamtcharakter der einzelnen Rechtsgeschäfte waren somit im Einzelfall durchaus geeignet, als sittenwidrig qualifiziert zu werden. In diesen, mit dem Makel der Sittenwidrigkeit behafteten Konstellationen ergab sich die vorsätzliche Handlungsweise der Erwerber aus dem sittenwidrigen Verhalten selbst und es genügte der Nachweis, dass der Schädiger leichtfertig gehandelt und dabei die sittenwidrige Schädigung der verfolgten Personen in Kauf genommen hatte. Die aufgrund dieser Zwangslagen forcierten Veräußerungen kultureller Güter durch die Hand der jüdischen Eigentümer bzw. öffentliche Versteigerungshäuser in Form von sog. Judenauktionen haben nicht nur dazu geführt, dass diese Rechtsgeschäfte mit dem Makel der Sittenwidrigkeit behaftet und nach § 138 BGB nichtig mit Wirkung ex tunc waren, sondern dass darüber hinaus das Verhalten der Erwerber als sittenwidrig zu bezeichnen war und dementsprechend der kulturelle Vermögensverlust mittels eines Wiedergutmachungsanspruchs nach § 826 BGB auszugleichen und eine Restitution an den ursprünglich Berechtigten vorzunehmen war. Heute können sich die ursprünglich verfolgten Personen aufgrund der eingetretenen Verjährung nach §§ 195, 199 Abs. 3 BGB jedoch nicht mehr auf eine sittenwidrige Schädigung berufen. Für deliktsrechtliche Ansprüche wegen Verletzung nichthöchstpersönlicher Ansprüche gilt zum einen die kenntnisabhängige Verjährung nach drei Jahren und zum anderen die kenntnisunabhängige Maximalverjährung. Sonstige Ansprüche verjähren entweder in zehn Jahren von ihrer Entstehung (d.h. der vorliegenden Rechtsverletzung) oder in 30 Jahren von der Begehung der Handlung an, wobei nach § 199 Abs. 3 S. 2 BGB die früher endende Frist maßgeblich ist.
b) 34
Kulturgüter- und denkmalschutzgesetzwidrige Veräußerung als sittenwidrige Schädigung
Heute steht außerdem zur Debatte, ob der Gehalt ausländischer Kulturgüterund Denkmalschutzgesetze innerhalb des Sittenwidrigkeitstatbestandes des § 138 BGB berücksichtigt werden kann. Dies wird nachstehend einer ausführlichen Untersuchung zugeführt 44 und soll hier nur als Möglichkeit erwähnt werden. So ist im Schrifttum schon lange bekannt, dass ausländische Gesetze und Eingriffsnormen unter Umständen mittelbar und indirekt wirken und für die
44
Vgl. ausführlich hierzu 3, 1148 ff.
1. Abschnitt: Zivilrechtliche Restitutionsansprüche
Frage beachtlich sein können, ob eine Veräußerung gegen die guten Sitten verstößt, wenn diese einem gemeinsamen übernationalen Interesse dienen.45 Auch der deutsche Bundesgerichtshof, der es bisher abgelehnt hat, ausländische Normen außerhalb des Sachstatuts anzuwenden, hat so speziell für das Kulturgüterschutzrecht in der bekannten Nigeria-Entscheidung vom 22. Juni 197246 in der Missachtung einer ausländischen öffentlich-rechtlichen Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschrift einen Sittenverstoß erkannt.47 Da sich das deutsche Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht nach allgemeinem Verständnis über die auslegungsbedürftigen Generalklauseln und sachlichen Tatbestände anderen Sollensordnungen wie bspw. einer allgemeinen Sozialmoral, standesethischen Regeln wie etwa den Verhaltensstandards der öffentlichen und privaten Museen, Verhaltenskodizes des Kunsthandels und anderen internationalen Verhaltenskodizes öffnet48, kann eine kulturgüterschutzgesetzwidrige Veräußerung insoweit auch als Sitten- und Regelverstoß in dem Maße zu beachten sein, wie die inländische Privatrechtsordnung auf solche außerrechtlichen Wertmaßstäbe der guten Sitten Bezug nimmt.49 Auch aus Sicht des Schrifttums spricht mit den Worten Sonnenbergers nichts dagegen, „dass solche Öffnungen neben Verhaltensnormen außerstaatlicher auch solche ausländischer Herkunft erfassen, sofern sie zugleich Ausdruck dessen sind, was in Deutschland als gute Sitten ver-
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46
47 48
49
Vgl. so für das allgemeine Schrifttum jeweils m.w.N. Medicus, Allgemeiner Teil des BGB – Ein Lehrbuch, 8. Aufl. 2002, § 43 Rdnr. 658; Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 482– 484; Busse, Die Berücksichtigung ausländischer „Eingriffsnormen“ durch die deutsche Rechtsprechung, ZVglRWiss 95 (1996), S. 410 ff. Aus dem kulturgüterspezifischen Schrifttum vgl. bspw.: Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 300; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 129; Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram MüllerFreienfels, 1986, S. 193–224, S. 212; Jaeger, Internationaler Kulturgüterschutz – Rechtslage, Rechtspraxis, Rechtsfortentwicklung, 1994, S. 92; Siehr, Nationaler und Internationaler Kulturgüterschutz – Eingriffsnormen und der internationale Kunsthandel, in: Pfister/Will, Festschrift für Werner Lorenz zum siebzigsten Geburtstag, 1992, S. 525–542, S. 538 f.; MüllerKatzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 298; Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 11 und S. 197–204; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 147–151. BGH, Nigeria-Entscheidung des 2. Zivilsenats vom 22.06.1972, Az.: II ZR 113/70, BGHZ 59, S. 82–87, NJW 1972, S. 1575 ff. Vgl. ausführlich zu diesem Urteil unter 3, 1165 ff. Vgl. die kulturgüterunspezifischen Überlegungen hierzu bei Meessen, Internationale Verhaltenskodizes und Sittenwidrigkeitsklauseln, NJW 1981, S. 1131–1132. Vgl. auch hierzu die kulturgüterunspezifischen Ausführungen bei Sonnenberger in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR, Rdnr. 436– 438.
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1. Teil: Zivilrechtliches Anspruchssystem in Kunstrestitutionsverfahren
standen wird. Dies gilt umso mehr, als sich für die Bundesrepublik auf Grund ihrer internationalen Verflechtungen trotz fehlender rechtlicher Verpflichtung uU eine moralische Pflicht zur Respektierung solcher Normen ergeben kann. Folglich kann an sich nicht anwendbares ausländisches öffentliches Recht gemäß § 138 BGB zu beachten sein oder ein Leistungsbegehren als unvereinbar mit Treu und Glauben gemäß 242 BGB oder sogar eine Schädigung als sittenwidrig nach § 826 BGB … erscheinen.“50 35
Diese faktische, materiell-rechtliche und (nur) mittelbare und indirekte Wirkung drittstaatlicher Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften bei der Anwendung der vom internationalen Privatrecht berufenen lex causae (bspw. über §§ 138, 242, 826 BGB innerhalb der deutschen Rechtsordnung)51 ist somit ein weiterer Beispielsfall eines möglichen deliktischen Restitutionsanspruchs unrechtmäßig entzogener Kulturgüter. Wichtig ist, dass sämtliche Anspruchsgrundlagen kumulative Anwendung finden, nebeneinander wirken und somit in jeder Kunstrestitutionsstreitigkeit im Einzelnen zu prüfen sind. Im Gegensatz dazu findet innerhalb des Common Law-Rechtskreises ausschließlich eine Instrumentalisierung des Deliktsrechts innerhalb der zivilrechtlichen Resolutionsmethoden zur Regulation des illegalen Kulturgüterverkehrs statt.
II. 36
Law of tort im Common Law-Rechtskreis
Im Gegensatz zu der überwiegenden Zahl kontinentaleuropäischer Rechtssysteme ist dem angloamerikanischen Rechtskreis eine dingliche Klage auf Herausgabe beweglicher Sachen unbekannt52 – das Common Law gewährt keinen dinglichen Herausgabeanspruch gegen den Erwerber von Diebesgut, sondern nur einen deliktischen Restitutionsanspruch.53 Unter der Terminologie tort wird allgemein 50
51
52
53
Sonnenberger in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR, Rdnr. 436–438. Siehr, Öffentliches Recht und internationales Privatrecht beim grenzüberschreitenden Kulturgüterschutz, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes – Symposium vom 22./23. Juni 1990 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 83–104, S. 97; Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 197–204. Keeton/Prosser, Prosser and Keeton on the law of torts, 5. Aufl. 1984, S. 88; Knott, Neue Tendenzen im Recht des internationalen Kunsthandels in den USA, RIW 1991 (Heft 7), S. 553–559, S. 554–555. Vgl. Lowenthal, Recovering Looted Jewish Cultural Property, in: The International Bureau of the Permanent Court of Arbitration, Resolution of Cultural Property Disputes – Papers emanating from the seventh PCA International Law Seminar May 23, 2003, 2004, S. 139–158; Pelt, Autocephalous Greek Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg and Feldman Fine Arts, Inc.: A Case for the Use of Civil Remedies in Effecting the Return of Stolen Art, Dickinson Journal of International Law, Volume 7 Number 1 (1988), S. 441–464; Palmer, Conversion, Trespass and Title to Art Works, in: Palmer, The Recovery of Stolen Art, 1998, S. 33–66,
47
1. Abschnitt: Zivilrechtliche Restitutionsansprüche
ein sog. „civil wrong“ verstanden, „for which a remedy may be obtained, usually in the form of damages“54: „A private or civil wrong or injury, other than breach of contract, for which the court will provide a remedy in the form of an action for damages. A violation of a duty imposed by general law or otherwise upon all persons occupying the relation to each other which is involved in a given transaction.55 There must always be a violation of some duty owing to plaintiff, and generally such duty must arise by operation of law and not by mere agreement of the parties.“56
37
Allgemeine Voraussetzungen einer tort action sind die Existenz einer gesetzlichen Pflicht des Anspruchsgegners gegenüber dem Anspruchsteller, eine diesbezügliche Verletzung der bestehenden Pflicht und das Entstehen eines Schadens aufgrund der Pflichtverletzung.57 Die zu unterscheidenden Formen sind in Black’s Law Dictionary beschrieben: „A legal wrong committed upon the person or property independent of contract. It may be either (1) a direct invasion of some legal right of the individual; (2) the infraction of some public duty by which special damage accrues to the individual; (3) the violation of some private obligation by which like damage accrues to the individual.“58 Mittels des tort law werden somit im Common Law-Rechtskreis mögliche Anspruchsteller mit den notwendigen Mitteln zur Wiedergutmachung begangener Unrechtstaten ausgestattet, wenn eine andere Person deren rechtlich geschützte Interessen verletzte. Im Bereich des Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts geht es somit auch innerhalb des amerikanischen Rechtssystems um die Protektion von Eigentumsrechten (sog. proprietary interests), die mittels unterschiedlicher Kategorien von tort actions seitens der ursprünglich Berechtigten geltend gemacht werden können.
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54 55
56 57 58
S. 34 ff.; Lester, The Civil Side of Archaeological Resource Protection, in: Hutt/Forsyth/Tarler, Presenting Archaeology in Court – Legal Strategies for Protecting Cultural Resources, 2006, S. 153–167, insb. S. 160 ff.; Cassella, Using the Forfeiture Laws to Protect Archaeological Resources, in: Hutt/Forsyth/Tarler, Presenting Archaeology in Court – Legal Strategies for Protecting Cultural Resources, 2006, S. 169–189; Henrich, Einführung in das englische Privatrecht, 1971, S. 78, 81 f.; Richard/Junker, Hans und Felicitas Tucher in New York – Deutsches Sachenrecht vor amerikanischen Gerichten, JURA 1985, S. 415–424, S. 417; Drobnig, Amerikanische Gerichte zum internationalen Sachenrecht auf dem Hintergrund der Teilung Deutschlands, IPRax 1984, S. 61–65, S. 64; Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 28–29; Knott, Neue Tendenzen im Recht des internationalen Kunsthandels in den USA, RIW 1991 (Heft 7), S. 553–559, S. 554–555; Prosser, Handbook of the Law of Torts, 3. Aufl. 1964, S. 79–98. Garner, Black’s Law Dictionary, 2. Aufl. 2001, S. 712–713. Coleman v. California Yearly Meeting of Friends Church, 27 Cal. App. 2d 579, 81 P.2d 469, 470. Black, Black’s Law Dictionary, 5. Aufl. 1979, S. 1335. Joseph v. Hustad Corp., 454 P.2d 916, 918. Black, Black’s Law Dictionary, 5. Aufl. 1979, S. 1335.
48
1. Teil: Zivilrechtliches Anspruchssystem in Kunstrestitutionsverfahren
1. 39
Zu den ältesten deliktischen Klagen (nicht nur innerhalb des Schutzes von sog. proprietary interests), die das Common Law gebildet hat, gehört die sog. trespassKlage.59 Ein sog. writ of trespass – gerichtet ursprünglich auf Geldbuße und Schadensersatz, später nur noch auf Schadensersatz – wurde überall dort gewährt, wo jemand gewaltsam und unter Bruch des Landfriedens – vi et armis contra pacem domini regis – einen anderen in dem ungestörten Besitz an seinem Grundstück oder an seiner beweglichen Habe (sog. trespass to land or to chattels) beeinträchtigt hatte.60 Bei Delikten gegen Sachen und damit auch in Fällen der unrechtmäßigen Entziehung kultureller Wertgegenstände ist somit immer zunächst an eine sog. trespass action zu denken. Darunter wird eine „unlawful interference with one’s person, property, or rights“ verstanden. „At common law, trespass was a form of action brought to recover damages for any injury to one’s person or property.“ 61 Geschützt wird das Recht zum exklusiven Besitz. Anspruchsinhaber ist der Besitzer.62 Eine Applikation dieses Rechtsinstituts zur Restitution unrechtmäßig entzogener Kulturgüter muss jedoch ausscheiden, weil allein eine finanzielle Kompensation des erlittenen Schadens vorgesehen ist, jedoch keine Naturalrestitution in specie, d.h. eine Rückführung des unrechtmäßig entzogenen Kulturguts selbst, möglich ist.
2. 40
Trespass-Klage
Action of trover (oder trover and conversion)
Zweite Möglichkeit des Schutzes sog. proprietary interests an beweglichen Kulturgütern innerhalb des Common Law-Rechtskreises stellt die deliktische sog. action of trover (oder trover and conversion) zur Wiedergutmachung einer sog. conversion dar. Die Rechtsverletzung bei conversion63 liegt in der Behandlung beweglicher Sachen eines anderen als eigene.64 Da in zahlreichen Kommentierungen des zivilrechtlichen Schutzsystems kultureller Güter und in zahlreichen Kunstrestitutionsstreitigkeiten in Amerika pauschal auf die Applikation einer action of conversion verwiesen wird, bedarf es einer näheren Untersuchung der Reichweite und des Schutzumfangs dieses Rechtsinstituts. Unter einer conversion als vorsätzliche Verletzung fremder Eigentumsrechte versteht man „[a]n unauthorized assumption and exercise of the right of ownership over goods or personal chattels
59
60 61 62 63
64
Palmer, Conversion, Trespass and Title to Art Works, in: Palmer, The Recovery of Stolen Art, 1998, S. 33–66, S. 38–40. Vgl. Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl. 1996, S. 607–608. Black, Black’s Law Dictionary, 5. Aufl. 1979, S. 1347. Hay, US-Amerikanisches Recht, 3. Aufl. 2005, Rdnr. 359–362, S. 107. Pearson v. Dodd, 410 F.2d 701,133 U.S.App.D.C. 279 (1969). Vgl. Ausführlich hierzu Palmer, Conversion, Trespass and Title to Art Works, in: Palmer, The Recovery of Stolen Art, 1998, S. 33–66, S. 35–38. Hay, US-Amerikanisches Recht, 3. Aufl. 2005, Rdnr. 359–362, S. 107.
49
1. Abschnitt: Zivilrechtliche Restitutionsansprüche
belonging to another, to the alteration of their condition or the exclusion of the owner’s rights.“65 Somit genügt „[a]ny unauthorized act which deprives an owner of his property permanently or for an indefinite time. Unauthorized and wrongful exercise of dominion and control over another’s personal property, to exclusion of or inconsistent with rights of owner.“66 Die Beeinträchtigungen müssen dabei jedoch schwerer wiegen als bei trespass,67 wobei insbesondere Maß und Dauer der Kontrolle über die Sache, der beabsichtigte Zweck der Beeinträchtigung, der Schadensumfang und die dem Kläger entstandenen Unannehmlichkeiten und Kosten in die Beurteilung mit einzubeziehen sind.68 Verfahrensrechtliches Mittel der Geltendmachung einer solchen conversion stellt die action of trover (oder trover and conversion) dar. „In common-law practice, the action of trover (or trover and conversion) is a species of action on the case, and originally lay for the recovery of damages against a person who had found another’s goods and wrongfully converted them to his own use. Subsequently the allegation of the loss of the goods by the plaintiff and the finding of them by the defendant was merely fictitious, and the action became the remedy for any wrongful interference with or detention of the goods of another. In form a fiction; in substance, a remedy to recover the value of personal chattels wrongfully converted by another to his own use. A possessory action wherein plaintiff must show that he has either a general or special property in thing converted and the right to its possession at the time of the alleged conversion. Such remedy lies only for wrongful appropriation of goods, chattels, or personal property which is specific enough to be identified.“69 Den Tatbestand der conversion erfüllt also bspw. der Dieb, der dem Eigentümer ein Kulturgut weggenommen hat.70 Diese Klage aufgrund einer vorsätzlichen Verletzung fremder Eigentumsrechte wurde in dem amerikanischen Restatement (Second) of Torts aus dem Jahre 1965 niedergeschrieben:
41
Restatement (Second) of Torts aus dem Jahre 1965, § 222A (2) (a)–(f): (1) Conversion is an intentional exercise of dominion or control over a chattel which so seriously interferes with the right of another to control it that the actor may justly be required to pay the other the full value of the chattel. (2) In determining the seriousness of the interference and the justice of requiring the actor to pay the full value, the following factors are important: (a) the extent and duration of the actor’s exercise of dominion or control; (b) the actor’s interest to assert a right in fact inconsistent with the other’s right of control; (c) the actor’s good faith; (d) the extent and duration of the resulting interference with the other’s right of control; (e) the harm done to the chattel; (f) the inconvenience and expense caused to the other.
42
65 66 67 68 69 70
Black, Black’s Law Dictionary, 5. Aufl. 1979, S. 300. Catania v. Garage De Le Paix, Inc., Tex.Civ.App., 542 S.W.2d 239, 241. United States v. Arora, 860 F. Supp. 1091 (D.Md. 1994); Burnham Introduction, S. 406. Vgl. Hay, US-Amerikanisches Recht, 3. Aufl. 2005, Rdnr. 359–362, S. 107. Black, Black’s Law Dictionary, 5. Aufl. 1979, S. 1351. Vgl. Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl. 1996, S. 609.
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1. Teil: Zivilrechtliches Anspruchssystem in Kunstrestitutionsverfahren
43
Je nach Grad der Erheblichkeit können bspw. „die unberechtigte Übertragung oder Verwertung, die Verweigerung der Herausgabe, Besitzerlangung, Zerstörung oder Beschädigung einer Sache conversion darstellen.71 Nur Vorsatz zur Ausübung der Herrschaft über die Sache ist notwendig. Es ist dabei unerheblich, ob der Täter von der Rechtmäßigkeit seines Handelns ausging.“72 Voraussetzung für die Haftung aus conversion ist somit lediglich, dass der Schädiger bewusst und gewollt auf die fremde Sache eingewirkt hat, sodass es auf ein Verschulden des Schädigers nicht ankommt und er auch dann haftet, wenn er die von ihm verbrauchte oder verwertete Sache gutgläubig für die eigene hielt oder wenn er ohne Fahrlässigkeit annehmen konnte, er sei zu dem Verbrauch oder der Verwertung berechtigt. „Damit wird durch den Deliktstatbestand conversion ein Fallbereich überdeckt, den sich im deutschen Recht sowohl das Recht der ungerechtfertigten Bereicherung wie der Anspruch aus einem Eigentümer-Besitzer-Verhältnis wie endlich auch der Deliktsanspruch aus schuldhafter Eigentumsverletzung gegeneinander streitig machen.“73 Auch ein gutgläubiger Erwerber ist nach dieser Definition grundsätzlich ein converter.74 Wie jedoch bereits der Wortlaut des § 222A (2) (a)–(f) des Restatement (Second) of Torts aus dem Jahre 1965 erkennen lässt, ist auch eine action of trover nicht zur Restitution eines unrechtmäßig entzogenen Kulturguts zu instrumentalisieren, da der Kläger allein den vollen Wert des Gegenstandes als finanzielle Kompensation geltend machen75, jedoch keine Herausgabe des konkret entzogenen Kulturguts in specie bewirken kann.76 Hinter der pekuniären Wiedergutmachung mittels der action of trover (oder trover and conversion) verbirgt sich der Gedanke, dass der Eigentümer aufgrund der Schwere der Beeinträchtigung vom Beklagten den Abkauf verlangen kann, weil sie für ihn keinen Wert mehr besitzt.77
44
Eine action of trover and conversion fand bspw. in der Entscheidung DeWeerth v. Baldinger 78 Anwendung 79, in der aufgrund einer Spezialvorschrift der New York Civil Practice Law and Rules (CPLR) eine Herausgabe des Gemäldes 71 72 73 74
75 76
77 78
79
Vgl. auch Garner, Black’s Law Dictionary, 2. Aufl. 2001, S. 144. Hay, US-Amerikanisches Recht, 3. Aufl. 2005, Rdnr. 359–362, S. 107. Vgl. Zweigert/Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl. 1996, S. 609. Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 28 ff.; Keeton/Prosser, Prosser and Keeton on the law of torts, 5. Aufl. 1984, S. 93 f. (unter Hinweis auf eine andere Auffassung in drei Staaten, darunter New York). Vgl. Hay, US-Amerikanisches Recht, 3. Aufl. 2005, Rdnr. 359–362, S. 107. Vgl. auch Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 28–29. Vgl. Hay, US-Amerikanisches Recht, 3. Aufl. 2005, Rdnr. 359–362, S. 107. DeWeerth v. Baldinger, 658 F. Supp. 688, 692 (S.D.N.Y.), rev’d, 836 F.2d 103 (2d Cir. 1987), cert. denied, 108 S. Ct. 2823 (1988). Vgl. ausführlich hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 5. Teil, Rdnr. 307 ff.
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1. Abschnitt: Zivilrechtliche Restitutionsansprüche
‚Champs de blé à Vétheuil‘ bzw. ‚Wheat Field‘ (1881) von Claude Monet selbst nach einer conversion zu erfolgen hatte. Gerda DeWeerth, zum Zeitpunkt der Klage wohnhaft in Westdeutschland, klagte gegen Edith Baldinger aus New York auf Herausgabe des Gemäldes, die das zum Zeitpunkt der Klage ca. 500.000 US-Dollar teure Kunstwerk viele Jahre zuvor gutgläubig in einer New Yorker Kunstgalerie erworben hatte. Der Ursprung des Rechtsstreits um das Monet-Gemälde liegt in der Zeit des Zweiten Weltkrieges. Im Jahre 1943 übersandte Frau DeWeerth das Kunstwerk ihrer Schwester nach Süddeutschland zur sicheren Aufbewahrung aufgrund der Wirren des in Deutschland tobenden Krieges. Nachdem im Jahre 1945 in das Haus der Schwester amerikanische Soldaten einquartiert worden waren, verschwand das Gemälde nach deren Auszug spurlos. Im Jahre 1981 erfuhr Frau DeWeerth von der Aufnahme des Monet in eines der Werkverzeichnisse. Da dort keine Referenz auf die Erwerberin Baldinger verwies und die Galerie Wildenstein sich verweigerte, Baldinger als die seinerzeitige Erwerberin des Gemäldes preiszugeben, klagte Frau DeWeerth gegen die Galerie Wildenstein vor dem New York Supreme Court auf Identifizierung und Offenlegung des Erwerbers und aktuellen Inhabers der Sachherrschaft des Monet. Die Klage basierte auf Section 3102 (c) des N.Y. Civ. Prac. L. & R., wonach „before an action is commenced, disclosure to aid in bringing an action, to preserve information or to aid in arbitration, may be obtained, but only by court order.“ Der New York Supreme Court entschied zugunsten von Frau DeWeerth, sodass die Galerie Wildenstein sich dazu gezwungen sah, die Identität Baldingers als Käuferin des Monet preiszugeben. Unmittelbar nach Identifizierung der Besitzerin des Gemäldes und dessen Lokalisierung verlangte Frau DeWeerth die Rückführung des Monet von Frau Baldinger. Diese verweigerte jedoch eine Restitution, sodass Frau DeWeerth Klage vor dem Federal District Court for the Southern District of New York auf Herausgabe des Gemäldes einreichte.
45
Die amerikanischen Gerichte stützten sich bei der Herausgabeklage innerhalb der Frage nach der anwendbaren Rechtsordnung auf die Erwägung, dass New York der Ort des Deliktes sei, da dort die Beklagte Baldinger einerseits den Besitz am Bild erhielt sowie zum Zeitpunkt der Klage hielt und andererseits die Herausgabe verweigerte, worin auch bei fehlendem Verschulden ein deliktisches Handeln gesehen wird, das den Tatbestand der conversion erfüllt und einen Klageanspruch aus einer action of trover and conversion auslöst, der jedoch grds. nur auf Wertersatz und nicht auf Herausgabe zielt. Das Gericht wandte jedoch die spezielle, auf Wertersatz oder auf Herausgabe gerichtete action to recover a chattel des New Yorker Rechtes an, die in Art. 71 der N.Y. Civil Practice Law and Rules (CPLR) teilweise geregelt ist.80 Damit qualifizierte das Gericht die An-
46
80
Vgl. Mansel, DeWeerth v. Baldinger – Kollisionsrechtliches zum Erwerb gestohlener Kunstwerke, IPRax 1988 (Heft 5), S. 268–271, S. 269.
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1. Teil: Zivilrechtliches Anspruchssystem in Kunstrestitutionsverfahren
sprüche implizit als deliktisch und kam trotz grundsätzlicher Anwendung einer action of trover aufgrund der speziell in New York statuierten action to recover a chattel nicht nur zu einer finanziellen Kompensation der Schäden von Frau DeWeerth, sondern zu einer Klage auf Naturalrestitution, d.h. Wiedergutmachung durch Herausgabe des unrechtmäßig entzogenen Kulturguts in specie. Eine auf Art. 71 basierende Klage hat grundsätzlich die Herausgabe der Sache zum Ziel: Zwar kann der Beklagte nach § 7108 grds. stattdessen auch nur Wertersatz leisten, bei einem Unikat wie einem Kulturgut kann der Kläger jedoch nach § 7109 auf Herausgabe bestehen. Art. 71 der CPLR setzt voraus, dass der Kläger ein besseres Besitzrecht als der Beklagte hat, wobei dieser bessere Rechte Dritter nicht einwenden kann. Das Gericht hatte somit die Aufgabe, nach der Rechtsordnung New Yorks zu untersuchen, ob die beklagte Mrs. Baldinger gutgläubig vom Nichteigentümer erworben oder ob sie das Eigentum an dem Bild durch Ersitzung erhalten hatte.81
3.
Action of detinue
47
Zielt der Restitutionsberechtigte jedoch – außerhalb speziell statuierter Sonderregelungen – im Falle einer conversion auf eine Naturalrestitution des zuvor unrechtmäßig entzogenen Kulturguts, d.h. auf eine Rückführung in specie, steht diesem innerhalb des Common Law-Rechtskreises grundsätzlich der Tatbestand der sog. action of detinue zur Verfügung. Darunter versteht das angloamerikanische Rechtssystem eine „form of action which lies for the recovery, in specie, of personal chattels from one who acquired possession of them lawfully, but retains it without right, together with damages for the detention.“82 Möchte der Berechtigte somit nicht nur eine finanzielle Kompensation für den kulturellen Vermögensverlust, sondern die Rückführung des unrechtmäßig entzogenen Kulturguts selbst, hat dieser sich auf eine solche action of detinue zu berufen:
48
„The action of detinue is defined in the old books as a remedy founded upon the delivery of goods by the owner to another to keep, who afterwards refuses to redeliver them to the bailor; and it is said that, to authorize the maintenance of the action, it is necessary that the defendant should have come lawfully into the possession of the chattel, either by delivery to him or by finding it. In fact, it was once understood to be the law that detinue does not lie where the property had been tortuously taken. But it is, upon principle, very unimportant in what manner the defendant’s possession commenced, since the gist of the action is the wrongful detainer, and not the original taking. It is only incumbent upon the plaintiff to prove property in himself, and possession in the defendant. The action of detinue is proper in every case where the owner prefers recovering the specific property to damages for its conversion, and no regard is had to the manner in which the defendant acquired the possession.“83
81
82 83
Vgl. Mansel, DeWeerth v. Baldinger – Kollisionsrechtliches zum Erwerb gestohlener Kunstwerke, IPRax 1988 (Heft 5), S. 268–271, S. 269. Garner, Black’s Law Dictionary, Pocket Edition, 2. Aufl. 2001, S. 201. Black, Black’s Law Dictionary, 5. Aufl. 1979, S. 405.
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1. Abschnitt: Zivilrechtliche Restitutionsansprüche
Im Kern geht es um eine Rückführung eines Kulturguts an eine Person, der ein besseres Recht an diesem Kulturgut als dem aktuellen Besitzer zusteht, dementsprechend ist die Zurückhaltung des Besitzes unrechtmäßig und infolgedessen als rechtswidrig zu bezeichnen. Um eine solche action of detinue erfolgreich vor Gericht durchzusetzen, muss der Kläger zum einen nachweisen, dass ihm ein besseres Recht an dem Kulturgut zusteht als dem Klagegegner, und zum anderen, dass der letztgenannte die Rückführung des Kulturguts nach Aufforderung durch den Kläger verweigerte. Rechtshistorisch ist zwischen zwei Tatbeständen innerhalb der action of detinue zu unterscheiden.
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„In detinue sur bailment, the defendant is in a bailment relationship with the claimant and either refuses to return the chattel or else has negligently or intentionally lost or destroyed it. The onus is on the bailee to prove that the loss of the chattel was not his or her fault. In detinue sur trover, the defendant can be any individual in possession of the chattel who refuses to return it to the claimant. A defendant could be a finder or a thief or any innocent third party, and the claimant need only have a better right to possession.“84
50
In England und Wales wurde der Tatbestand der action of detinue durch den Torts (Interference with Goods) Act 1977 vom 22. Juli 1977 aufgehoben. Zugleich wurde der Tatbestand der action of trover and conversion gesetzlich dahingehend erweitert, dass sämtliche Situationen, die zuvor mittels der action of detinue einer gerichtlichen Lösung zugeführt worden waren, seit dem 22. Juli 1977 als conversion gelten und dementsprechend gelöst werden.85 Eine Applikation der deliktischen Herausgabeklage in specie bezüglich eines unrechtmäßig entzogenen Kulturguts mittels des Torts (Interference with Goods) Act 1977 vom 22. Juli 1977 erfolgte bspw. in der sog. Wtewael-Entscheidung in der Rechtssache City of Gotha v. Sotheby’s / Cobert Finance S. A. vom 9. September 1998.86
51
Ende des Zweiten Weltkrieges verschwand das Gemälde ‚Die Heilige Familie mit hl. Johannes, hl. Elisabeth und Engeln‘ des niederländischen Malers Joachim Antonisz Wtewael (ca. 1566–1638) aus der Sammlung der herzoglichen Familie von Sachsen-Coburg und Gotha und wurde Mitte der 1980er Jahre von der Frau des togolesischen Botschafters – im Kunstschmuggel angeblich weltweit nur unter dem Namen ‚Big Mamma‘ bekannt – unter Ausnutzung des diplomatischen Schutzes aus Moskau herausgeschmuggelt. 1987 erschien das Gemälde kurz in Westberlin, verschwand von Neuem und tauchte erst wieder auf, als es 1992 bei Sotheby’s zum Verkauf eingeliefert wurde. Die Stadt Gotha und die Bundesrepublik Deutschland klagten auf Restitution des Gemäldes gegen Cobert Finance S. A.
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Der High Court in London nahm auf den deliktischen Restitutionsanspruch des Torts (Interference with Goods) Act 1977 vom 22. Juli 1977 Bezug. Geklagt
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84 85 86
Vgl. Holdsworth, A History of English Law, S. 324–327. Vgl. Holdsworth, A History of English Law, S. 324–327. Vgl. hierzu ausführlich Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 5. Teil, Rdnr. 85 ff.
54
1. Teil: Zivilrechtliches Anspruchssystem in Kunstrestitutionsverfahren
wurde in England auf Herausgabe des Wtewael-Gemäldes, das sich in England befand und an welchem die Klägerin, d.h. die Stadt Gotha, das Eigentum für sich in Anspruch nahm.87 Während bei einer Restitutionsklage in Deutschland die sachenrechtliche rei vindicatio als rechtsdogmatische Anspruchsgrundlage einschlägig gewesen wäre, entspricht der deutschen Vindikationsklage in England eine Deliktsklage, die heute wrongful interference oder wrongful interference with goods genannt wird, allgemein aber auch in Anlehnung an die Common LawEntwicklung weiterhin als conversion oder trover bezeichnet wird. 54
Torts (Interference with Goods) Act aus dem Jahre 1977 (c. 32), sect. 1. Sects. 1 (a) und 2 (2) dieses Gesetzes lauten: 1. In this Act “wrongful interference” or “wrongful interference with goods”, means (a) conversion of goods (also called trover), … 2. … (2) An action lies in conversion for loss or destruction of goods which a bailee has allowed to happen in breach of this duty to his bailor (that is to say it lies in a cause which is not otherwise conversion, but would have been detinue before detinue was abolished).
55
Der Anspruch zielt – entsprechend der deutschen Vindikationsklage – auf Rückgabe des Eigentums („restitutionary proprietary claim“) 88 und führt im Ergebnis ebenso zu einem Urteil auf Rückgabe der Sache in specie:89
56
Torts (Interference with Goods) Act aus dem Jahre 1977: sect. 3 (1) and 2 (a) lauten: (1) In proceedings for wrongful interference against a person who is in possession or in control of the goods relief may be given in accordance with this section, so far as appropriate. (2) The relief is (a) an order for delivery of the goods, and for payment of any consequential damages, or …
57
Die unerlaubte Handlung der Beklagten Cobert Finance S. A. bestand in der Wtewael-Entscheidung darin, dass diese zwar nicht selbst eine fremde Sache gestohlen hatte, jedoch eine fremde Sache dem Eigentümer noch nicht zurückgegeben hatte.90 Nach einer ausführlichen Untersuchung der Frage der temporalen Präklusion des Herausgabeanspruchs der Stadt Gotha entschied der High Court im vorliegenden Fall auf Restitution des Wtewael-Gemäldes.
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90
Vgl. Siehr, Verjährt ein Anspruch auf Herausgabe des Eigentums? Deutsches Verjährungsrecht vor englischem Gericht, in: Carl/Güttler/Siehr, Kunstdiebstahl vor Gericht – City of Gotha v. Sotheby’s/Cobert Finance S. A., 2001, S. 53–75, S. 53–54. Vgl. Goff/Jones, The Law of Restitution, 4. Aufl. 1993, S. 75 f., 5. Aufl. 1998, S. 76, sprechen jetzt von „restitutionary proprietary remedies“. Vgl. Siehr, Verjährt ein Anspruch auf Herausgabe des Eigentums? Deutsches Verjährungsrecht vor englischem Gericht, in: Carl/Güttler/Siehr, Kunstdiebstahl vor Gericht – City of Gotha v. Sotheby’s/Cobert Finance S. A., 2001, S. 53–75, S. 53–54. Vgl. Siehr, Verjährt ein Anspruch auf Herausgabe des Eigentums? Deutsches Verjährungsrecht vor englischem Gericht, in: Carl/Güttler/Siehr, Kunstdiebstahl vor Gericht – City of Gotha v. Sotheby’s/Cobert Finance S. A., 2001, S. 53–75, S. 53–54.
55
1. Abschnitt: Zivilrechtliche Restitutionsansprüche
4.
Action of replevin
Regelmäßig wurde vor amerikanischen Gerichten die Rückführung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter mittels der sog. action of replevin (zum Teil auch sog. action of claim and delivery) erreicht.91
a)
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Autocephalous Greek Orthodox Church of Cyprus-Konstellation
Die Bedeutung, die die Wtewael-Entscheidung des High Court in London für den Kunstmarkt Großbritanniens erreichte, erzielte für den amerikanischen Kulturgüterverkehr der Fall der gestohlenen Engel der Rechtssache Autocephalous Greek Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg & Feldman Fine Arts Inc.92 aus dem Jahre 1990.93
59
In der Entscheidung mussten die angerufenen Gerichte zu den fraglichen Eigentumsverhältnissen an vier kulturell wie materiell außerordentlich wertvollen byzantinischen Mosaiken Stellung nehmen, die aus einer griechisch-orthodoxen Kirche im nördlichen und von der Türkei besetzten Gebiet der Republik Zypern von den Wänden der außer Dienst gestellten Kirche gelöst, von dort gestohlen, anschließend entgegen den zypriotischen Kulturschutzbestimmungen nach Deutschland transferiert und später in der Freihandelszone des Genfer Flughafens an die Kunsthändlerin Peg Goldberg aus Indiana veräußert wurden. Die Beklagte Peg Goldberg transferierte daraufhin die byzantinischen Mosaike auf das Territorium der Vereinigten Staaten, um sie später dort zu veräußern. Damit steht die Konstellation der gestohlenen Engel stellvertretend für unzählige weitere, sich tagtäglich ereignende Erwerbungen archäologischer Objekte.
60
In dieser Konstellation applizierten das Ausgangs- und Berufungsgericht die action of replevin zur Rückführung der auf dem von den türkischen Besatzungsbehörden besetzten Teil Zyperns aus einer verlassenen Kirche gestohlenen vier Mosaike. Ein Rückführungsbegehr des Eigentümers unrechtmäßig entzogener Kulturgüter hat vor angloamerikanischen Gerichten primär über das Rechtsinstitut der action of replevin 94 zu erfolgen.95 Ebenso wie die action of detinue
61
91
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93
94
95
Lester, The Civil Side of Archaeological Resource Protection, in: Hutt/Forsyth/Tarler, Presenting Archaeology in Court – Legal Strategies for Protecting Cultural Resources, 2006, S. 153–167, insb. S. 160 ff.; Cassella, Using the Forfeiture Laws to Protect Archaeological Resources, in: Hutt/Forsyth/Tarler, Presenting Archaeology in Court – Legal Strategies for Protecting Cultural Resources, 2006, S. 169–189. Autocephalous Greek Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg & Feldman Fine Arts Inc., 717 F. Supp. 1374, auf S. 1393 ff.; 917 F.2d 278 (7th Cir. 1990) auf S. 286 ff. Vgl. ausführlich hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 3. Teil, Rdnr. 91 ff. So auch Fox, The UNIDROIT Convention on Stolen or Illegally Exported Cultural Objects: An Answer to the World Problem of Illicit Trade in Cultural Property, American University International Law Review 9 (1993), S. 225–267, S. 236. Knott, Neue Tendenzen im Recht des internationalen Kunsthandels in den USA, RIW 1991
56
1. Teil: Zivilrechtliches Anspruchssystem in Kunstrestitutionsverfahren
erlaubt die Klage aus replevin nicht nur eine finanzielle Kompensation eines kulturellen Schadens nach der deliktischen Entziehung, sondern bestimmt vielmehr die Restitution des entzogenen Kulturguts in specie und erfüllt damit den Wunsch kultureller Eigentümer nicht nur eines Schadensausgleichs, sondern der Wahrung der kulturellen Unikatfunktion des Kunstwerks im eigenen Bestand. 62
„Once a stolen piece is finally located, an owner’s primary means of securing its return is through a civil action in replevin. The common law actions of “detinue” and “replevin” allowed owners to recover specific lost or stolen personal property. Although this form of action is known in some states as an action in either detinue, replevin, claim and delivery, or sequestration, “replevin” is most commonly and conveniently used as a generic label for all actions to recover the property itself as opposed to an action in conversion for damages for the taking of property.“96
63
Dabei ist zwischen der sog. replevin in cepit als einer Klage zur Wiederinbesitznahme nach sowohl unrechtmäßiger Entziehung als auch rechtswidrig zurückbehaltenem Besitz und der replevin in detinet für den Fall der nur unrechtmäßigen Zurückhaltung des Besitzes an zuvor rechtmäßig erworbener Sachstellung an einem beweglichen Gut zu unterscheiden.97 Besonderheit der action of replevin ist nicht nur, dass eine Wiedereinräumung der Besitzposition an dem unrechtmäßig entzogenen oder widerrechtlich zurückbehaltenen Kulturgut erreicht wird, sondern dass darüber hinaus der Kläger nach Sicherheitsleistung während Andauer des gerichtlichen repossession-Prozesses das umstrittene Kulturgut verwahrt, bis das Gericht endgültig über die Sache entschieden hat.98
64
Unter einer writ of replevin versteht man dementsprechend die gerichtliche Verfügung, die die Wiederinbesitznahme des unrechtmäßig entzogenen oder widerrechtlich zurückbehaltenen Kulturguts bestimmt.99 In Black’s Law Dictionary findet sich folgende Rechtsumschreibung einer Herausgabeklage aus replevin: „An action whereby the owner or person entitled to repossession of goods or chattels may recover those goods or chattels from one who has wrongfully distrained or taken or who wrongfully detains such goods or chattels.100 Replevin is designed to permit one having right to possession to recover property in specie from one who has either wrongfully taken or detained property.101“102
96
97 98 99 100
101 102
(Heft 7), S. 553–559, S. 554–555; Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 28– 29. Vgl. weitergehend Dobbs, Handbook on the law of remedies, 1973, § 513, S. 399. Petrovich, The Recovery of Stolen Art: Of Paintings, Statues and Statutes of Limitation, University of California Los Angeles Law Review 27 (1980), S. 1122–1158, S. 1125. Vgl. Dobbs, Handbook on the law of remedies, 1973, § 513, S. 399. Vgl. Garner, Black’s Law Dictionary, 2. Aufl. 2001, S. 602. Vgl. Garner, Black’s Law Dictionary, 2. Aufl. 2001, S. 602. Jim’s Furniture Mart, Inc. v. Harris, 42 Ill.App.3d 488, 1 Ill.Dec. 175, 176, 356 N.E.2d 175, 176. Epps v. Cortese, D.C.Pa., 326 F.Supp. 127, 132. Black, Black’s Law Dictionary, 5. Aufl. 1979, S. 1335.
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1. Abschnitt: Zivilrechtliche Restitutionsansprüche „Replevin is a legal action whereby the owner or person claiming the possession of personal goods may recover such personal goods where they have been wrongfully taken or unlawfully detained. The gist of the action is the defendant’s unlawful detention of the plaintiff’s property. The issue litigated is the present right to the possession of the property in controversy, and the purpose of the action is to determine who shall have possession of the property sought to be replevied. To recover the item sought to be replevied (which is the primary remedy in a replevin action), the plaintiff must generally establish three elements: title or right to possession, the fact that the property is unlawfully detained, and the fact that the defendant wrongfully holds possession.“103
65
Während bei einer action of conversion „possession of the chattel has been transferred to a wrongdoer, leaving the true owner with the right to recover the chattel itself in a replevin action, or to recover damages“104, verkörpert die action of replevin „an action whereby the owner or person entitled to repossession of goods or chattels may recover those goods or chattels from one who has wrongfully distrained or taken or who wrongfully detains such goods or chattels.“105 Mit der Klage aus replevin macht der Kläger ein Recht zum sofortigen Besitz (right to present possession) einer Sache geltend, die ihm rechtswidrig entzogen worden ist und die der Beklagte unrechtmäßig in Besitz hält.106 Zwar verlangt die Klage aus replevin ähnliche Voraussetzungen wie der Tatbestand der Unterschlagung (conversion) einer unerlaubten Handlung (tort), setzt aber anders als diese kein Eigentum (title), sondern lediglich ein Besitzrecht des Klägers voraus.107 Sie ist damit nach Ansicht Knotts als eine besitzrechtliche Klage einzuordnen, nicht unmittelbar als eine aus unerlaubter Handlung.108 Da die Panagía Kanakariá-Mosaike in der Fallkonstellation der gestohlenen Engel unwiederbringliche Einzelstücke mit Unikatfunktion darstellten und ein Schadensersatzanspruch keine Wiedergutmachung des kulturellen Verlustes des zypriotischen Kulturerbes darstellen würde, kam als sinnvolle Klageart allein ein Rechtsinstrument in Frage, das die Naturalrestitution in specie und damit die Rückführung der Mosaike selbst bestimmen würde.109
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Hoffman, International Art Transactions and the Resolution of Art and Cultural Property Disputes: A United States Perspective, in: Hoffman, Art and Cultural Heritage – Law, Policy and Practice, 2006, S. 159–177, S. 169. Bolano, International Art theft Disputes: Harmonizing Common Law Principles with Article 7 (b) of the UNESCO Convention, Fordham International Law Journal, Volume 15 (1991–1992), Number 4, S. 129–173, S. 139. Bolano, International Art theft Disputes: Harmonizing Common Law Principles with Article 7 (b) of the UNESCO Convention, Fordham International Law Journal, Volume 15 (1991–1992), Number 4, S. 129–173, Fn. 62, S. 140 m.w.N. Autocephalous Greek Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg & Feldman Fine Arts, Inc., 717 F. Supp. 1374 (S.D. Ind. 1989), S. 1396–1397; affirmed 917 F.2d 278 (7th Cir. 1990), S. 290. Autocephalous Greek Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg & Feldman Fine Arts, Inc., 717 F. Supp. 1374 (S.D. Ind. 1989), S. 1399 f. Knott, Neue Tendenzen im Recht des internationalen Kunsthandels in den USA, RIW 1991 (Heft 7), S. 553–559, S. 554–555. Vgl. auch Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 28–29.
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1. Teil: Zivilrechtliches Anspruchssystem in Kunstrestitutionsverfahren
67
„The plaintiffs have requested the return of the mosaics. It is undisputed that the mosaics are significantly important to the Church and Republic of Cyprus. Papageorghiou testified that the mosaics have unique religious and spiritual significance to the Church and Republic of Cyprus. … Father Pavlos Maheriotis, Abbot of the Holy Monastery of Machaeras in Cyprus and a senior official and representative of the Archbishop of the Church of Cyprus, testified that the Church of Cyprus wants the mosaics returned because “they are our spiritual treasures. They were once put up on the wall and they were sanctified through the prayers and through the holy liturgy and they are part of our Christian life.” … Dr. Vikan, the plaintiffs’ art expert, testified that wall mosaics were the spiritual and artistic manifestation of the Byzantium culture. By lining the walls of sacred places with holy figures, the people of the Byzantine culture “create[d] a kind of sacred space for worship and veneration within that interior.” … Dr. Vikan further testified that the original Kanakaria mosaic is of even greater significance because only six or seven mosaics survived both the ravages of iconoclasm, in which “images were outlawed and then they were consciously destroyed by imperial edict in Byzantium,” and the passage of time. … Because the plaintiffs have requested the return of their uniquely valuable mosaics, the Court considers replevin as the more appropriate characterization of this case, including return of the mosaics as the more appropriate remedy. Therefore the Court will analyze the plaintiffs’ claims under the elements of a cause of action for replevin.“110
68
Nach dem Recht von Indiana wird ein solcher Herausgabeanspruch durch eine replevin-Klage geltend gemacht.111 Dementsprechend präzisierte auch der District Court das zivilrechtliche Restitutionsbegehren der Republik Zypern als action of replevin und bestimmte das hierauf anwendbare Recht nach deliktsrechtlichen Kollisionsregeln.
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„Under Indiana law, replevin is the proper legal theory for the recovery of personal property. “A replevin action is a speedy statutory remedy designed to allow one to recover possession of property wrongfully held or detained as well as any damages incidental to the detention. The only issue necessarily decided in a replevin action is the right to present possession.” State Exchange Bank of Culver v. Teague, 495 N.E.2d 262, 266 (Ind. App.1986) (emphasis in original). Indiana courts have long adhered to this theory. … “Replevin is a possessory action. The property is the subject of the action. The gist of the action is plaintiff’s right to immediate possession and the defendant’s wrongful taking or wrongful or unlawful detention.” … “In the choice of remedies, as between replevin and trover, or trespass, the preference is with the former, in that it restores the property itself.” …“ 112
70
Das Gericht begründete in seiner Entscheidung die Anwendung deliktsrechtlicher Kollisionsregeln mit der Ähnlichkeit der „free-standing cause of action“ replevin zur deliktsrechtlichen conversion. Da das amerikanische Recht keine dingliche Herausgabeklage für bewegliche Sachen entsprechend einer Vindiktionsklage der Civil Law-Staaten kennt, sondern nur die Klagen aus replevin und 110
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Autocephalous Greek-Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg, Entscheidung vom 3. August 1989, 717 F.Supp. 1374 (S.D.Ind., 1989), S. 1396. Autocephalous Greek Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg & Feldman Fine Arts, Inc., 717 F. Supp. 1374 (S.D. Ind. 1989), S. 1395; affirmed 917 F.2d 278 (7th Cir. 1990), S. 286. Autocephalous Greek-Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg, Entscheidung vom 3. August 1989, 717 F.Supp. 1374 (S.D.Ind., 1989), S. 1395–1396.
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1. Abschnitt: Zivilrechtliche Restitutionsansprüche
aus conversion, erfolgte die Rückführung aufgrund einer Qualifizierung der Handlung Goldbergs als deliktisch.113 „At some points counsel have referred to this case in a conversion context. This Court notes that Indiana recognizes the tort of conversion. Indiana courts have held that the “essence of every conversion is the wrongful invasion of a right to, and absolute dominion over property owned or controlled by the person deprived thereof, or of its use and benefit … the essential elements to be proved are an immediate, unqualified right to possession resting on a superior claim of title. … In actions for conversion, it is necessary for the plaintiff to show that before or at the time of the conversion, he had title, either general or special, to the property in controversy, coupled with the right of immediate possession, and that the property had been wrongfully converted by the defendant to his own use.” Noble v. Moistner, 180 Ind.App. 414, 388 N.E.2d 620, 621 (1979). … The general rule in Indiana is that in an action for conversion, the owner does not seek return of the property, but only money damages for its value, Plymouth Fertilizer Co., Inc. v. Palmer, 488 N.E.2d 1129, 1130 (Ind.App.1986), although one Indiana court has held that conversion is “cured” by the payment of damages or the return of the property, Chesterton State Bank v. Coffey, 454 N.E.2d 1233, 1237 (Ind.App.1983). … The Rush court [Rush v. Leiter, 149 Ind.App. 274, 271 N.E.2d 505, 508 (1971)] also noted that at common law the tort of conversion had two remedies, trover, which resulted in a forced judicial sale of the property, and replevin, which resulted in recovery of the specific items. 271 N.E.2d at 508. As this Court has previously stated, possession of the mosaics is the more appropriate remedy in this case, and replevin is the more appropriate characterization of the case. The Court notes that the elements necessary to prove conversion are very similar if not identical to those necessary to prove an action for replevin. This Court believes that under Indiana law, the cause of action for replevin stands on its own, and proof of a conversion is not a predicate to recovery in replevin. However, to the extent it may be necessary to support the decision reached herein, the Court concludes that the plaintiffs have also proven the elements of a conversion. … However, the Court states expressly that any rule or conclusion of law regarding conversion notwithstanding, the Court is of the firm belief that replevin and possession of the mosaics is the more appropriate characterization of and remedy for this case.“114
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Im Recht der einzelnen Bundesstaaten sind zusätzlich die Voraussetzungen normiert, die ein solches Verfahren zur Durchsetzung des Herausgabeanspruchs aus replevin vorsieht.115 Dabei können sich die Restitutionsberechtigten entweder auf diese speziell statuierten Regeln der einzelnen amerikanischen Bundesstaaten berufen, oder aber sie führen die allgemeinen Common Law-Regeln einer action of replevin in den Prozess ein.
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„The Court notes that Indiana provides a statutory process for replevin. See I.C. § 34-1-9.1-1 et seq. However, neither plaintiffs nor defendants have pleaded nor tried the
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Vgl. ausführlich auch Knott, Neue Tendenzen im Recht des internationalen Kunsthandels in den USA, RIW 1991 (Heft 7), S. 553–559, S. 554. Autocephalous Greek-Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg, Entscheidung vom 3. August 1989, 717 F.Supp. 1374 (S.D.Ind., 1989), S. 1399, Fn. 23. Dobbs, Handbook on the law of remedies, 1973, § 5, 13, S. 399; Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 28–29.
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1. Teil: Zivilrechtliches Anspruchssystem in Kunstrestitutionsverfahren case expressly under these provisions. The parties have tried the case with reference to causes of action for the recovery of personal property as found in Indiana case law. The Court finds it unnecessary to refer to the statutory provisions above in light of its disposition on the merits under Indiana case law.“116
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Um die Herausgabe einzigartiger Gegenstände zu erleichtern, haben über bisher Gesagtes hinaus Billigkeitserwägungen den Gesetzgeber des Staates New York bspw. dazu veranlasst, ein Gesetz zu verabschieden, wonach das Gericht dem Besitzer aufgeben kann, die Sache an den klagenden Eigentümer herauszugeben, ohne dass dieser eine Sicherheit zu leisten braucht.117 Kunstwerke können durch diese equitable replevin schneller zurückerlangt werden als andere bewegliche Sachen.118
75
Bereits im englischen Recht des 19. Jahrhunderts war Voraussetzung einer replevin-Klage, dass dem Eigentümer die Sache weggenommen worden war.119 Das Klagerecht aus replevin sollte darüber hinaus aber nur Besitzschutz gewähren.120 Auch nach dem Recht der amerikanischen Bundesstaaten genügt die widerrechtliche Vorenthaltung des Besitzes.121 Es muss lediglich ein sofortiges und besseres Recht des Klägers zum Besitz bestehen.122
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„In Indiana to prove a claim for replevin, a plaintiff must prove that he has title or right to ownership, that the property has been unlawfully detained, and that the defendant is in wrongful possession of the property. The Court now applies the elements of replevin to the facts of this case.“123
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„In a replevin action, a plaintiff sues a defendant for the recovery of specific property. An element of the cause of action is the defendant’s wrongful detaining or wrongful possession of the property sought to be recovered.“124 Somit haben 116
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Autocephalous Greek-Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg, Entscheidung vom 3. August 1989, 717 F.Supp. 1374 (S.D.Ind.,1989), S. 1396, Fn. 17. New York Civil Practice Law and Rules (N.Y.C.P.L.& R.) § 1109 (b) (McKinney 1980 & Supp. 1987), vgl. auch Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 28–29. Wegen der Anwendung New York Civil Practice Law and Rules (N.Y.C.P.L.& R.) § 7109 (b) auf die Rückgabe von Kunstgegenständen, vgl. auch die Entscheidung Kunstsammlungen zu Weimar v. Elicofon, 536 F. Supp. 859. Vgl. Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 28–29. Mennie v. Blake, (1856) E. & B. 842, S. 849–851. 66 American Jurisprudence – Second Edition (Am.Jur.2d), Replevin § 24 (1973). 66 American Jurisprudence – Second Edition (Am.Jur.2d), Replevin § 16 (1973). Autocephalous Greek-Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg, Entscheidung vom 3.August 1989, 717 F.Supp. 1374 (S.D.Ind., 1989), S. 1396–1397 unter Verweis auf Snyder v. International Harvester Credit Corp., 147 Ind.App. 364, 261 N.E.2d 71, 73 (1970); I.L.E. Replevin § 42 (West 1960). Autocephalous Greek-Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg, Entscheidung vom 3.August 1989, 717 F.Supp. 1374 (S.D.Ind., 1989).
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1. Abschnitt: Zivilrechtliche Restitutionsansprüche
eine action of conversion zur Geltendmachung einer finanziellen Kompensation zum Ausgleich erlittener Schäden und eine action of replevin zur Wiedererlangung unrechtmäßig entzogener (kultureller) Vermögensgegenstände ähnliche Voraussetzungen125: Während bei einer Klage aus conversion grundsätzlich immer die Anspruchsteller Eigentümer zum Zeitpunkt der schädigenden Handlung gewesen sein mussten, genügte im Rahmen einer Klage aus replevin Eigentum oder ein Recht zum Besitz des Klägers. Die Klage aus replevin setzt somit anders als eine conversion-Klage kein Eigentum voraus, sondern lediglich ein Besitzrecht des Klägers und stellt damit im Ergebnis eigentlich eine rein besitzrechtliche Klage dar, nicht jedoch aus unerlaubter Handlung.126 Darüber hinaus setzen beide Klagearten inhaltlich entsprechend neben einer rechtswidrigen Besitzentziehung den unrechtmäßigen Besitz des Beklagten voraus. Im Ergebnis muss ein Kläger aus einer action of replevin somit drei Voraussetzungen darlegen: „his title or right to possession, that the property is unlawfully detained, and that the defendant wrongfully holds possession“127 „First, the plaintiffs must prove ownership of title or the right to possession of the mosaics. Indiana courts have held that “[i]n a replevin action it is fundamental that the plaintiff must prove his right to possession of the property. He must prove his right to possession on the strength of his own title, not merely the weakness of the defendant’s title or right to possession.” Tucker v. Capital City Riggers, 437 N.E.2d 1048, 1051 (Ind.App. 1982) (citations omitted).128 Both Theodoros Avraam, a former resident of Lythrankomi, and Papageorghiou testified that the mosaics in this case are those from the Kanakaria Church. … Second, the plaintiffs must show that the items to be replevied were unlawfully or wrongfully detained. The mosaics were removed from the Kanakaria Church at some point between 1976 and 1979, during the Turkish occupation of northern Cyprus. … [T]he Church of Cyprus has never authorized anyone to remove the mosaics or to sell anything from the Kanakaria Church. … [T]he Church of Cyprus does not consider the Kanakaria Church to be abandoned and that, when civil conditions allow, the Church of Cyprus intends to re-establish its congregation at the Church. … [T]he Republic of Cyprus never granted
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Autocephalous Greek Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg & Feldman Fine Arts Inc., 717 F.Supp. 1374, S. 1397–1399 (siehe auch Fn. 23) sowie auch 917 F.2d 278 (7th Cir. 1990), S. 290. Vgl. ausführlich auch Knott, Neue Tendenzen im Recht des internationalen Kunsthandels in den USA, RIW 1991 (Heft 7), S. 553–559, S. 554. Autocephalous Greek Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg & Feldman Fine Arts Inc., 917 F.2d 278 (7th Cir. 1990), S. 290. „See also Hayes v. Harris, 479 N.E.2d 1359, 1361 (Ind.App. 1985) (replevin action requires proof that defendant is in unlawful possession of plaintiff’s personal property); Aircraft Acceptance Corp. v. Jolly, 141 Ind.App. 515, 230 N.E.2d 446, 449 (1967) (general rule in replevin is that plaintiff must have either a general or special ownership with a right to possession of the property sued for at the time the action is commenced); Williams v. Padelinetti, 73 Ind.App. 216, 127 N.E. 158, 159 (1920) (to recover in replevin plaintiff must prove that he was owner or entitled to possession of item and that defendant had wrongfully taken or detained item).“ Autocephalous Greek-Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg, Entscheidung vom 3. August 1989, 717 F.Supp. 1374 (S.D.Ind., 1989), S. 1397, Fn. 19.
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1. Teil: Zivilrechtliches Anspruchssystem in Kunstrestitutionsverfahren permission to anyone to remove or export the mosaics … [T]he Church of Cyprus has never lost title to the mosaics even though the Church has not had physical control of the Kanakaria Church since the Turkish occupation of the region. … He further stated that the mosaics were removed and carried away without the consent of the Republic of Cyprus. … The defendants presented no credible evidence or persuasive argument that the mosaics were removed in a manner inconsistent with the above evidence. … [T]he mosaics were improperly removed from the church in violation of Turkish Cypriot laws. [T]he Church of Cyprus has never intended to relinquish title to or possession of the mosaics; that the Church of Cyprus has never abandoned the Kanakaria Church or the mosaics; and that the mosaics were improperly removed from the church, without the authorization or permission of the Church of Cyprus or the Republic of Cyprus. For purposes of this opinion, the mosaics were stolen from the church. For these reasons, the Court concludes that the mosaics were unlawfully detained or taken from the rightful possession of the Church of Cyprus. Finally, to recover under replevin, the plaintiffs must prove that the defendants are in wrongful possession of the mosaics. The defendants concede that the mosaics are in their possession. Thus the issue is whether the defendants’ possession of the mosaics is wrongful. As previously noted, the Court has concluded that the mosaics were stolen. There are long established rules of law in Indiana that a thief never obtains title to stolen items, and that one can pass no greater title than one has. … Therefore, one who obtains stolen items from a thief never obtains title to or right to possession of the item. … Under Indiana law, as outlined, a thief obtains no title to or right to possession of stolen items and can pass no title or right to possession to a subsequent purchaser. … Therefore, the Court concludes that the defendants are in wrongful possession of the mosaics. Under Indiana law, the Court concludes that the plaintiffs have made credible and persuasive showings on the elements necessary for the replevin of personal property. The Indiana cases holding that a thief obtains no title to stolen property recognize a longstanding rule. The cases establish law which increases in precedential value over time. As the plaintiffs have proven their case for replevin, the Court concludes that possession of the mosaics must be awarded to the plaintiff Church of Cyprus.“129
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In dem Fall der gestohlenen Engel wurde das Klagebegehren mit dem Ziel der Rückführung widerrechtlich vorenthaltener beweglicher Gegenstände von dem Inhaber der tatsächlichen Sachherrschaft innerhalb der Frage der kollisionsrechtlichen Bestimmung der anwendbaren Rechtsordnung somit als Schadensersatzanspruch aufgrund unerlaubter Handlung qualifiziert, dessen Rechtswahl sich dementsprechend nach den speziellen Rechtsprinzipien des international-privatrechtlichen Deliktsstatuts, nicht jedoch nach dem Sachenrechtsstatut richtet. Die Entscheidung des United States District Court for the Southern District of Indiana vom 3. August 1989 fand in der Revisionsentscheidung des United States Court Of Appeals For The Seventh Circuit vom 24. Oktober 1990 ihre Bestätigung.130
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Autocephalous Greek-Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg, Entscheidung vom 3. August 1989, 717 F.Supp. 1374 (S.D.Ind., 1989), S. 1396–1400. Autocephalous Greek Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg & Feldman Fine Arts, Inc., No. 89-2809, United States Court Of Appeals For The Seventh Circuit vom 24. Oktober 1990, 917 F.2d 278, 1990 U.S. App. Decision, S. 290–291.
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1. Abschnitt: Zivilrechtliche Restitutionsansprüche
b)
Estate of Dr. Max Stern v. Marie-Louise Bissonnette
Beispielhaft kann die Wirkungsweise der replevin-Klage im Common LawRechtskreis anhand des amerikanischen Kunstrestitutionsverfahrens Estate of Dr.Max Stern v. Marie-Louise Bissonnette vom 27.Dezember 2007 vor dem United States District Court for the District of Rhode Island als Ausgangsgericht131 und vom 19. November 2008 vor dem United States Court of Appeals For the First Circuit als Appellationsgericht132 hinsichtlich des Gemäldes ‚Mädchen aus den Sabiner Bergen‘ von Franz Xaver Winterhalter aufgezeigt werden.133
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Im Jahre 1913 eröffnete Julius Stern zusammen mit seiner Frau Selma die Galerie Julius Stern in Düsseldorf. Ihr Sohn Dr. Max Stern arbeitete seit Beginn des Jahres 1928 zusammen mit seiner Schwester Hedwig in der Galerie und übernahm diese im April 1933 aufgrund einer schweren Krankheit seines Vaters. Nach dessen Tod am 31. Oktober 1934 erbte Dr. Max Stern die Galerie seiner Eltern. Als Teil der jüdischen Bevölkerung Deutschlands sah sich die Familie Stern zunehmenden nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt. Seit Beginn des Jahres 1935 auferlegte die Reichskammer der bildenden Künste in zahlreichen Schriftstücken Dr. Max Stern die Liquidation der Galerie Stern. Schließlich wurde ihm zunächst am 30. September ein Berufsausübungsverbot erteilt, zum 15. Dezember 1937 die Auflösung seines Geschäftsbetriebes und die Veräußerung der Bestände der Galerie durch einen Kunsthändler oder ein Auktionshaus befohlen, das Mitglied der Reichskammer der bildenden Künste war. Daraufhin beauftragte Dr. Max Stern das deutsche Auktionshaus Lempertz in Köln mit der Versteigerung von mehreren hundert Werken sowohl aus dem Bestand der Galerie als auch aus seiner Privatsammlung. Dieses versteigerte am 13. November 1937 die eingelieferten Objekte weit unter dem üblichen Marktpreis vergleichbarer Kunstwerke, darunter auch das in dem vorliegenden Kunstrestitutionsverfahren betroffene Gemälde ‚Mädchen aus den Sabiner Bergen‘ von Franz Xaver Winterhalter aus dem 19. Jahrhundert. Am 23. Dezember 1937 verließ Max Stern noch vor Beginn des Zweiten Weltkrieges Deutschland über Paris in Richtung London, woraufhin ihm am 12. Juli 1939 die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen wurde. Max Stern erhielt für die Veräußerung seiner Kunstwerke am 13. November 1937 zu keinem Zeitpunkt einen finanziellen Gegenwert. Später emigrierte er nach Kanada und wurde dort ein erfolgreicher Kunsthändler. (s. Abb. 2)
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Robert S. Vineberg, Michael D. Vineberg, Sydney Feldhammer, as Trustees of The Dr. and Mrs. Stern Foundation v. Maria-Louise Bissonnette and Estates Unlimited, Inc. vom 27. Dezember 2007, No. CA 06-211ML, F.Supp.2d 300. Robert S. Vineberg, Michael D. Vineberg, and Sydney Feldhammer, as Trustees of the Dr. and Mrs. Stern Foundation v. Maria-Louise Bissonnette, United States Court of Appeals For the First Circuit, Entscheidung vom 19. November 2008, No. 08-1136. Vgl. hierzu auch Roussin, Museum, in: Hutt/Tarler, Yearbook of Cultural Property Law 2009, S. 123–139, S. 131–132.
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1. Teil: Zivilrechtliches Anspruchssystem in Kunstrestitutionsverfahren
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Das Gemälde ‚Mädchen aus den Sabiner Bergen‘ von Franz Xaver Winterhalter wurde auf der Auktion bei Lempertz von Dr. Karl Wilharm erworben, dem Stiefvater der Beklagten Marie-Louise Bissonnette, der es seitdem in seiner Privatsammlung aufbewahrte. Nur einmal, im Jahre 1954, wurde es in einer Ausstellung in einem Museum in Kassel öffentlich zur Schau gestellt. Die Beklagte Marie-Louise Bissonnette, die seit 1956 in den Vereinigten Staaten und seit 1991 in Rhode Island lebt, hat das Gemälde seit 1959 in Eigenbesitz und erbte es nach dem Tod ihrer Mutter im Jahre 1991. Im April 2003 gelangte das Gemälde in den Besitz der Estates Unlimited Inc., die einen Antikenhandel und die Verwertung von Vermögenswerten betreibt. Im April 2004 erreichte das Estate of Dr. Max Stern die Eintragung des Gemäldes in das Art Loss Register und die deutsche Lost Art Internet Database.134 Das Gemälde sollte am 6. Januar 2005 durch die Estates Unlimited Inc. versteigert werden. Unmittelbar vor der Versteigerung erfuhr das Estate of Dr. Max Stern von der Versteigerung nach Information seitens des Art Loss Registers, sodass das Gemälde aus der Versteigerung genommen wurde. Zu Beginn des Jahres 2005 beanspruchte das Estate of Dr. Max Stern zusammen mit dem Holocaust Claims Processing Office of the state of New York Banking Department die Rückführung des Gemäldes, die jedoch seitens der Beklagten verweigert wurde. Nachdem die Beklagte anzeigte, dass das Gemälde im April 2006 nach Deutschland transferiert worden war, um dort eine gerichtliche Klärung der Eigentumslage zu erzielen, strengte das Estate of Dr. Max Stern eine replevin-Klage im vorläufigen Rechtsschutzverfahren vor dem United States District Court for the District of Rhode Island an.
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Außer Diskussion standen die Zulässigkeit der Klage vor dem United States District Court for the District of Rhode Island (“Jurisdiction”) und die Entscheidung des Restitutionsbegehrens nach dem Recht des amerikanischen Bundesstaates Rhode Island (“Choice of Law”). Rule 64 der Federal Rules of Civil Procedure135 eröffnet die Möglichkeit einer replevin-Klage vor einem federal court „under the circumstances and in the manner provided by the law of the state in which the district court is held, existing at the time the remedy is sought …“ Die Gesetzesvorschriften, die im Bundesstaat Rhode Island eine replevin-Klage erlauben, finden sich in den State of Rhode Island General Laws unter Title 34 (Property) Chapter 21 (Replevin) Sections (§§) 1 bis 13: 134
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Vgl. zu den Datenbanken Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 3. Teil, Rdnr. 555 ff. Rule 64 der Federal Rules of Civil Procedure. Seizing a Person or Property: (a) Remedies Under State Law – In General. At the commencement of and throughout an action, every remedy is available that, under the law of the state where the court is located, provides for seizing a person or property to secure satisfaction of the potential judgment. But a federal statute governs to the extent it applies. (b) Specific Kinds of Remedies. The remedies available under this rule include the following – however designated and regardless of whether state procedure requires an independent action: arrest; attachment; garnishment; replevin; sequestration; and other corresponding or equivalent remedies.
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1. Abschnitt: Zivilrechtliche Restitutionsansprüche § 34-21-1 Property repleviable on superior court writ. – Whenever any goods or chattels of more than five thousand dollars ($ 5,000) value shall be unlawfully taken or unlawfully detained from the owner or from the person entitled to the possession thereof, and whenever any goods or chattels of that value, which are attached on mesne process or execution or warrant of distress, are claimed by any person other than the defendant in the suit or process in which they are attached, the owner or other person may cause the same to be replevied by writ of replevin issuing from the superior court.
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Eine Restitution unrechtmäßig entzogener Kulturgüter ist danach mittels einer replevin-Klage möglich „to persons claiming possession of goods or catties either wrongfully taken or wrongfully detained. Nothing more than the right of present possession, founded upon a general or special ownership of the goods or chattels, is necessary to enable a plaintiff to maintain the action.“136 Voraussetzung ist somit ein „superior right to possession of goods“137, sodass das Stern Estate vor Gericht nachweisen musste, dass (erstens) das Nachlassvermögen der rechtmäßige Eigentümer des Gemäldes ist, dass das Gemälde (zweitens) unrechtmäßig (d.h. ohne Erlaubnis) von Dr. Stern entzogen wurde und dass (drittens) die beklagte Marie-Louise Bissonnette unrechtmäßige Besitzerin des Gemäldes ist.
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Die erste Voraussetzung konnte seitens der Kläger leicht unter Berufung auf den Versteigerungskatalog des Auktionshauses Lempertz und eine Liste des deutschen Entschädigungsgerichts im Jahre 1964 nachgewiesen werden, die das Gemälde ausdrücklich als im Eigentum Sterns deklariert hatte. Nachdem feststand, dass das ‚Mädchen aus den Sabiner Bergen‘ im Eigentum des Estate of Dr. Max Stern stand, musste seitens der Anspruchsteller nachgewiesen werden, dass das Gemälde unrechtmäßig (d.h. ohne Erlaubnis) von Dr. Stern entzogen worden war. Die Klagegegnerin zweifelte nicht an der Tatsache, dass das nationalsozialistische Unrechtsregime Dr. Stern zu der Veräußerung seines Bestandes zwang und die Zwangsversteigerung beim Kunstauktionshaus Lempertz kontrollierte, ohne dass dem Eigentümer zum damaligen Zeitpunkt der Erlös aus der Versteigerung zufloss: „It is clear that Dr. Stern’s relinquishment of his property was anything but voluntary.“138 Das Gericht setzte dabei unter Berufung auf die Entscheidung Menzel v. List139 die NS-bedingten Kulturgutverluste mit dem Dieb-
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Brunswick, 389 A.2d at 1253, zitiert in Robert S. Vineberg, Michael D. Vineberg, Sydney Feldhammer, as Trustees of The Dr. and Mrs. Stern Foundation v. Maria-Louise Bissonnette and Estates Unlimited, Inc. vom 27. Dezember 2007, No. CA 06-211ML, F.Supp.2d 300. Associates Capital Services Corp. v. Riccardi, 122 R.I. 434, 408 A.2d 930, 935 (1979), zitiert in Robert S. Vineberg, Michael D. Vineberg, Sydney Feldhammer, as Trustees of The Dr. and Mrs. Stern Foundation v. Maria-Louise Bissonnette and Estates Unlimited, Inc. vom 27. Dezember 2007, No. CA 06-211ML, F.Supp.2d 300. Robert S. Vineberg, Michael D. Vineberg, Sydney Feldhammer, as Trustees of The Dr. and Mrs. Stern Foundation v. Maria-Louise Bissonnette and Estates Unlimited, Inc. vom 27. Dezember 2007, No. CA 06-211ML, F.Supp.2d 300. Menzel v. List, 49 Misc.2d 300, 267 N.Y.S.2d 804, 811 (N.Y.Sup.Ct.1966). Vgl. ausführlich hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 1: Illegaler Kulturgüterverkehr, 4. Teil, Rdnr. 127 ff.
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1. Teil: Zivilrechtliches Anspruchssystem in Kunstrestitutionsverfahren
stahl von Kunstwerken gleich: „The Nazi party’s actions in this instance are therefore properly classified as looting or stealing.“140 Schließlich bestätigte das Gericht auch den unrechtmäßigen Besitz des Gemäldes, obwohl die Beklagte den Gegenstand ohne eigenes Fehlverhalten erworben hatte. Da jedoch der Rechtsvorgänger der Beklagten das Gemälde auf der Zwangsversteigerung erwarb und dabei kein Eigentum erwerben konnte, verblieb die Eigentumsposition an dem Gemälde in der Hand des ursprünglichen Eigentümers Dr. Stern und ging nach dessen Tod in das Vermögen der Erbschaftsmasse über: „Because Defendant’s predecessor-in-interest did not have title to the Painting, Defendant cannot lay valid claim to ownership of the Painting. This Court concludes, therefore, that Defendant is in wrongful possession of the Painting.“ 141 Somit waren alle Voraussetzungen einer replevin-Klage erfüllt. 87
Das Kunstrestitutionsverfahren Estate of Dr. Max Stern v. Marie-Louise Bissonnette hat außerdem große Bedeutung für den Einwand der Verwirkung kultureller Restitutionsansprüche142, sodass hierauf an dieser Stelle noch ergänzend zu den diesbezüglichen Ausführungen in Anton, Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht, Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 6. Teil Rdnr. 14 ff., einzugehen ist: Die Beklagte machte vor dem United States District Court for the District of Rhode Island nämlich geltend, dass Dr. Stern keine hinreichenden Sorgfaltsanstrengungen bei der Lokalisierung des Gemäldes und Identifizierung des aktuellen Besitzers an den Tag gelegt habe: „Defendant argues that because the earlier efforts of Dr. Stern to locate the Painting did not include a specific reference to, or photograph of, the Painting, the Stern Estate has not demonstrated due diligence.“143 Das erstinstanzliche Gericht nahm hierbei Rekurs auf die bisherige Rechtsprechung zu möglichen Verwirkungseinwänden in Kunstrestitutionsverfahren und prüfte in einem zweistufigen Testverfahren ein mögliches Zurückbleiben des Restitutionsgläubigers hinter dem notwendigen Sorgfaltsprogramm: „(1) there must be negligence on the part of the plaintiff that leads to a delay in the prosecution of the case, and (2) the delay must prejudice the defendant.“144 Dabei präzisierte das Gericht die Anforderungen an 140
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Robert S. Vineberg, Michael D. Vineberg, Sydney Feldhammer, as Trustees of The Dr. and Mrs. Stern Foundation v. Maria-Louise Bissonnette and Estates Unlimited, Inc. vom 27. Dezember 2007, No. CA 06-211ML, F.Supp.2d 300. Robert S. Vineberg, Michael D. Vineberg, Sydney Feldhammer, as Trustees of The Dr. and Mrs. Stern Foundation v. Maria-Louise Bissonnette and Estates Unlimited, Inc. vom 27. Dezember 2007, No. CA 06-211ML, F.Supp.2d 300. Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 6. Teil. Robert S. Vineberg, Michael D. Vineberg, Sydney Feldhammer, as Trustees of The Dr. and Mrs. Stern Foundation v. Maria-Louise Bissonnette and Estates Unlimited, Inc. vom 27. Dezember 2007, No. CA 06-211ML, F.Supp.2d 300. Robert S. Vineberg, Michael D. Vineberg, Sydney Feldhammer, as Trustees of The Dr. and Mrs. Stern Foundation v. Maria-Louise Bissonnette and Estates Unlimited, Inc. vom 27. Dezember 2007, No. CA 06-211ML, F.Supp.2d 300.
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1. Abschnitt: Zivilrechtliche Restitutionsansprüche
die Nacherforschungspflicht der Eigentümer unrechtmäßig entzogener Kulturgüter dahingehend, dass „[t]he Court must decide whether efforts to locate the Painting were “reasonable” in a “contextual analysis” of the chaotic events of World War II in Europe and the perverse actions of the Nazi regime as directed against the Jewish population of Germany and other European countries.“145 Das Ausgangsgericht entschied schließlich, dass in der vorliegenden Konstellation die Voraussetzungen eines Verwirkungseinwandes nicht gegeben waren, da es sowohl an einer verspäteten Geltendmachung des Restitutionsanspruchs als auch an einem Schaden der Restitutionsschuldnerin mangelte: Das Gericht würdigte, dass Max Stern nach Ende des Zweiten Weltkrieges zahlreiche Versuche zur Lokalisierung seiner im Jahre 1937 bei Lempertz versteigerten Kunstsammlung unternahm, unter anderem konnten einige Objekte über die Canadian Military Mission wiedererlangt werden, er kontaktierte einschlägige diplomatische Kanäle und machte Forderungen nach den alliierten Rückerstattungsgesetzen bei dem British military government geltend. Außerdem reiste er im Jahre 1949 zusammen mit seiner Ehefrau durch Europa und veröffentlichte in den Jahren 1948 und 1952 Anzeigen sowohl in den Zeitschriften Canadian Art als auch in Die Weltkunst, um weitere Teile seiner Sammlung zu lokalisieren. 1958 strengte er verschiedene Prozesse in Deutschland zur Wiedererlangung der versteigerten Gemälde und anderer Objekte an. Schließlich wurde er im Jahre 1964 dafür entschädigt, dass er das Inventar seiner Galerie weit unterhalb des Marktpreises veräußern musste. Auch die Rechtsnachfolgerin von Dr. Max Stern, die Erbschaftsmasse Estate of Dr. Max Stern, hat hinreichende Sorgfaltsanforderungen unternommen und eine Eintragung des Gemäldes sowohl im Art Loss Register als auch in der deutschen Internetdatenbank Lostart erreicht. Außerdem mangelte es nach Ansicht des Gerichtes an einem Schaden des Restitutionsschuldners aufgrund der späten Anspruchsgeltendmachung. Dies wurde seitens des United States Court of Appeals For the First Circuit als Appellationsgericht in seiner Entscheidung vom 19. November 2008 bestätigt: „Typically, the kind of prejudice that will support a laches defense arises out of a loss of evidence, the unavailability of important witnesses, the conveyance of the property in dispute for fair market value to a bona fide purchaser, or the expenditure of resources in reliance upon the status quo ante. … [The defendant] fails to point to any particular witnesses (or types of witnesses) whom she might have consulted or to any particular documents (or types of documents) that she might have located but for the delayed commencement of the action. She has not even adumbrated the nature of the witnesses or evidence that might have been marshaled if not for the
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Robert S. Vineberg, Michael D. Vineberg, Sydney Feldhammer, as Trustees of The Dr. and Mrs. Stern Foundation v. Maria-Louise Bissonnette and Estates Unlimited, Inc. vom 27. Dezember 2007, No. CA 06-211ML, F.Supp.2d 300.
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68
1. Teil: Zivilrechtliches Anspruchssystem in Kunstrestitutionsverfahren
passage of time. Proving prejudice requires more than the frenzied brandishing of a cardboard sword; it requires at least a hint of what witnesses or evidence a timeous investigation might have yielded.“146
D. Restitution illegal transferierter Kulturgüter aufgrund des Bereicherungsrechts 89
Neben der dinglichen und deliktsrechtlichen Restitution unrechtmäßig entzogener Kulturgüter ist auch an das Rechtsinstitut der ungerechtfertigten Bereicherung zu denken, das im deutschen Rechtskreis nach § 812 Abs. 1 S. 1 BGB dem Restitutionsverpflichteten die Aufgabe zur Herausgabe eines Kulturguts auferlegt, wenn er dieses „durch die Leistung eines anderen oder in sonstiger Weise … ohne rechtlichen Grund erlangt“ hat. Der primäre Zweck des Bereicherungsrechts besteht nach allgemeiner Überzeugung in der ‚Abschöpfung‘ eines ungerechtfertigten Vermögensvorteils, sodass das Bereicherungsrecht auch im Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht eine besondere Funktion in der Wahrung der Gerechtigkeit übernehmen könnte. Im Unterschied zur Instrumentalisierung des Schadensersatzrechts zur Restitution unrechtmäßig entzogener Kulturgüter (dort geht es um die Wiedergutmachung eines Schadens im kulturellen Vermögensbestand) zielt die Applikation des Rechtsinstituts der Bereicherungshaftung auf die Rückgängigmachung einer ungerechtfertigten kulturellen Vermögensmehrung des Restitutionsverpflichteten.147 In den verschiedenen Kategorien des illegalen Kulturgüterverkehrs könnte dementsprechend eine solche ungerechtfertigte kulturelle Vermögensmehrung des Restitutionsverpflichteten zu sehen sein, die mittels des Rechtsinstituts der ungerechtfertigten Bereicherung ‚abgeschöpft‘ werden könnte.
I. 90
Konzeption bereicherungrechtlicher Kunstrestitution
Eine grundlegende Unterscheidung erfolgt innerhalb des Bereicherungsrechts zwischen Leistungskondiktion (Bereicherung „durch die Leistung eines anderen“) und Nichtleistungskondiktion (Bereicherung „in sonstiger Weise“). Die unterschiedlichen Funktionen beider Kondiktionsarten werden gerade auch im Kulturgüterschutz ersichtlich. Die Leistungskondiktion dient der Rückabwicklung eines fehlgeschlagenen Kulturgütertransfers. Ein mögliches Anwendungsfeld dieser Leistungskondiktion könnte bspw. darin zu sehen sein, dass aufgrund 146
147
Robert S. Vineberg, Michael D. Vineberg, and Sydney Feldhammer, as Trustees of the Dr. and Mrs. Stern Foundation v. Maria-Louise Bissonnette, United States Court of Appeals For the First Circuit, Entscheidung vom 19. November 2008, No. 08-1136. Vgl. Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, Zweiter Band: Besonderer Teil, 2. Halbband, 1994, § 67, S. 127–130.
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1. Abschnitt: Zivilrechtliche Restitutionsansprüche
einer materiell-rechtlichen Berücksichtigung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze eine Nichtigkeit des kulturellen Veräußerungsgeschäfts eingetreten ist und danach eine Restitution angestrengt wird. Gewiss wird hier die Leistungskondiktion jedoch nur selten relevant sein, da dem Eigentümer aufgrund der Nichtigkeit meist auch des sachenrechtlichen Erfüllungsgeschäfts zusätzlich noch der dingliche Vindikationsanspruch aufgrund fortbestehender Eigentumsposition zusteht. In den meisten Fällen des illegalen Kulturgüterverkehrs wird der Eigentümer nicht bewusst eine Transferleistung über das Kulturgut und damit eine bewusste und zweckgerichtete Mehrung fremden (kulturellen) Vermögens (und damit eine sog. Leistung) vorgenommen haben, sondern die Kunstwerke sind ohne oder explizit gegen den Willen des Rechtsinhabers verloren gegangen. Dies liegt in den Beispielsfällen des Kunstdiebstahls, der kulturellen Beutenahme sowie in den Konstellationen der unrechtmäßigen Verstaatlichung der Raubkunst und der ‚entarteten‘ Kunst in Privateigentum offen zu Tage. In diesen Kategorien der unrechtmäßigen Entziehung kultureller Güter geht es um Fallkonstellationen, in denen zulasten des kulturellen Eigentümers eine fremde Person oder der Staat Vorteile erzielt hat, ohne dass der Inhaber der Rechtsposition an dem Vermögensverlust mitgewirkt hat. In diesen Konstellationen kann auch die Eingriffskondiktion für einen Kunstrestitutionsanspruch dienlich sein und eine Ergänzung des vindikatorischen Herausgabeanspruchs aus § 985, des petitorischen (§ 1007) und possessorischen Besitzschutzanspruchs (§ 861) sowie des deliktischen Schutzes der in § 823 BGB genannten Rechtsgüter darstellen.148 Im Hinblick auf den internationalen Kulturgüterverkehr werden nach der herrschenden Zuweisungstheorie der Eingriffskondiktion nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB ein Kunstund Kulturgut und dessen Nutzung aufgrund der Eigentumsposition allein einer bestimmten Person oder einer kulturellen Institution zugewiesen. Dies schließt ein, dass das genannte Zuweisungssubjekt auch die Entscheidung über die Verwendung des Kulturguts und dessen rechtsgeschäftliche Verwertung trifft. In den genannten Entziehungstatbeständen der verschiedenen Kategorien illegalen Kulturgüterverkehrs greift ein Dritter somit ohne Zustimmung des Eigentümers in diese Rechte an dem Kulturgut ein, sodass kein Rechtsgrund für ein Behaltendürfen besteht.
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Dies gilt uneingeschränkt in solchen Konstellationen, in denen das unrechtmäßig entzogene Kulturgut noch in der Hand des Entziehenden selbst liegt und der Restitutionsberechtigte dieses im Wege der Eingriffskondiktion unmittelbar von ihm herausverlangen möchte. Besondere Schwierigkeit erlangen im deutschen Bereicherungsrecht jedoch regelmäßig solche Fälle, in denen der unrecht-
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148
Vgl. den Ansatz bei Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, Zweiter Band: Besonderer Teil, 2. Halbband, 1994, § 67, S. 127–130.
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1. Teil: Zivilrechtliches Anspruchssystem in Kunstrestitutionsverfahren
mäßige Besitzer die entzogenen Kunstgegenstände im (inter-)nationalen Kunstmarkt an Dritte weiterveräußert. In solchen Mehrpersonenkonstellationen liegt die besondere Komplexität des Bereicherungsausgleichs. Beispiele für diesen Ausgangspunkt bilden die (zahlenmäßig der bloßen Zweipersonenkonstellation weitaus überwiegenden) Fälle, in denen die Objekte nach dem Kunstdiebstahl, der Beutekunstnahme, der Raubkunst und der unrechtmäßigen Verstaatlichung kultureller Güter im kulturellen Schwarzmarkt weiterveräußert werden. 93
In diesen Fällen bereitet die Bestimmung des Kondiktionsschuldners mitunter Schwierigkeiten, da der Eingreifer nicht zugleich der kulturell Bereicherte ist. In solchen Konstellationen liegen ein Eingriffsverhältnis zwischen dem ursprünglichen Berechtigten und dem Entziehenden einerseits und eine Leistungsbeziehung zwischen Letztgenanntem und dem (gutgläubigen) Erwerber andererseits vor. Dem ursprünglichen Eigentümer steht dann zwar grundsätzlich ein Anspruch auf den erzielten Erlös gegenüber dem Entziehenden und unrechtmäßig Veräußernden zu. Allein dieser Anspruch wird jedoch dem Interesse des ursprünglichen Eigentümers nicht gerecht, dem es aufgrund der kulturellen Unikatfunktion meist um die Wiederaufnahme des Kunstwerkes in seinen Sammlungsbestand geht. Larenz und Canaris benennen diese Konstellation als sog. Dritteingriffskondiktion, wonach der Schuldner der Eingriffskondiktion nicht der Eingreifer als solcher, sondern der Begünstigte ist.149 Es stellt sich also die Frage, ob auch gegen den Erwerber eine Nichtleistungskondiktion in Betracht kommt. Nach der herrschenden Meinung in Lehre und Rechtsprechung kann dies jedoch nicht ohne Weiteres bejaht werden, da andernfalls die Gefahr bestünde, dass aufgrund der Nichtleistungskondiktion in das Leistungsverhältnis zwischen dem (gutgläubigen) Erwerber und dem nichtberechtigten Veräußerer eingegriffen werde und dem Erstgenannten dadurch eine Rechtsverkürzung zuteil würde. Aus diesem Grund hat der Bundesgerichtshof den Satz aufgestellt, dass eine Nichtleistungs- und insbesondere eine Eingriffskondiktion nur dann in Frage kämen, „wenn der Bereicherungsgegenstand dem Empfänger überhaupt nicht, also von niemandem geleistet worden“150 sei.151 Somit könnte man auf den ersten Blick auch in den Konstellationen des Kunstdiebstahls, der Beutekunstnahme, der Raubkunst, der unrechtmäßigen Verstaatlichung und der sukzessiv erfolgten Weiterveräußerung geneigt sein, einen direkten Herausgabeanspruch gegen den Erwerber nach den allgemein anerkannten Grundsätzen der Subsidiarität der Nichtleistungs- gegenüber der Leistungskondiktion generell abzulehnen, weil zwischen dem (gutgläubigen) Erwerber des Kulturguts und dem ursprünglichen 149
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Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, Zweiter Band: Besonderer Teil, 2. Halbband, 1994, § 69, S. 178. Vgl. die ständige Rechtsprechung seit BGH, Entscheidung des 7. Zivilsenats vom 31.10.1963, Az.: VII ZR 285/61, BGHZ 40, 272, S. 278. Vgl. Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, Zweiter Band: Besonderer Teil, 2. Halbband, 1994, § 67, S. 144–145.
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1. Abschnitt: Zivilrechtliche Restitutionsansprüche
Berechtigten kein Leistungsverhältnis besteht, jedoch zu dem nichtberechtigten Veräußerer ein solches vorliegt. Dem ist jedoch in zweierlei Hinsicht in den Konstellationen des illegalen Kulturgüterverkehrs entgegenzutreten. Zunächst muss erkannt werden, dass der über das Rechtsinstitut der ungerechtfertigten Bereicherung abzuschöpfende kulturelle Vorteil, der durch die Leistung des unberechtigten Veräußerers einem (gutgläubigen) Erwerber verschafft wurde, oftmals nur in der Besitzposition an unrechtmäßig entzogenen Kulturgütern besteht. Da die unterschiedlichen Entziehungstatbestände des illegalen Kulturgüterverkehrs als Abhandenkommen zu qualifizieren sind152 und somit nur unter sehr engen Voraussetzungen – im Wege der öffentlichen Versteigerung (§ 935 Abs. 2, § 383 Abs. 3 BGB) und nach Einhaltung strenger Sorgfaltsanforderungen beim Erwerb von Kunst- und Kulturgütern153 – ein Eigentumsverlust des ursprünglich Berechtigten eintreten wird, können auch gutgläubige Erwerber durch die Veräußerung grundsätzlich kein Eigentum erwerben. Weil somit ein Leistungsverhältnis zwischen dem unberechtigten Veräußerer und dem (gutgläubigen) Erwerber nur hinsichtlich der Besitzverschaffung besteht, ist eine Nichtleistungskondiktion aufgrund eines Eingriffs in den Zuweisungsgehalt des Eigentumsrechts (der Nutzungsmöglichkeit) gerade nicht subsidiär. Darüber hinaus muss dieses Ergebnis aufgrund allgemeiner Wertung erfolgen. So berufen sich Larenz und Canaris darauf, dass „bei Mängeln auf der dinglichen Ebene grundsätzlich ein „Durchgriff“ durch die Kette in Betracht kommt.“154 Dem ist insoweit zuzustimmen und eine Orientierung an den sachenrechtlichen Wertungen vorzunehmen. Da in den genannten Kategorien der kulturellen Entziehung kein Eigentumsverlust eingetreten, die Entziehung als Abhandenkommen zu qualifizieren und somit grundsätzlich von einem Ausschluss des gutgläubigen Erwerbs auszugehen ist, sind die hier vorliegenden Mehrpersonenverhältnisse und die Frage eines Kondiktionsdurchgriffs im Gleichlauf mit denjenigen Ergebnissen zu lösen, „die sich ceteris paribus bei einer rein rechtsgeschäftlichen Lösung, d.h. bei unmittelbarer Anwendbarkeit der §§ 932, 935 BGB, ergeben würden“155, sodass hier die Eingriffskondiktion des kulturellen Eigentümers direkt gegen den (gutgläubigen) Erwerber möglich ist. Damit steht diese Wertung aber auch im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, der von dem Grundsatz der Subsidiarität der Nichtleistungskondik-
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Vgl. Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 2. Teil, Rdnr. 45 ff. Vgl. Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 2. Teil, Rdnr. 101 ff. und 3. Teil, Rdnr. 113 ff. Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, Zweiter Band: Besonderer Teil, 2. Halbband, 1994, § 70, S. 201. Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, Zweiter Band: Besonderer Teil, 2. Halbband, 1994, § 70, S. 246.
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1. Teil: Zivilrechtliches Anspruchssystem in Kunstrestitutionsverfahren
tion gegenüber der Leistungskondiktion solche Fälle ausnimmt, in denen ein Eigentumserwerb an dem Gegenstand wegen § 935 Abs. 1 BGB ausgeschlossen ist.156
II. 95
Gutgläubiger Erwerb unrechtmäßig entzogener Kulturgüter ‚kondiktionsfest‘!
In zwei Fällen ist in der vorliegenden Mehrpersonenkonstellation nach einer unrechtmäßigen Entziehung kultureller Güter und einer anschließenden Veräußerung im internationalen Kunstmarkt durch den Eingreifer eine Einwirkung jedoch nicht nur in den Besitz des (ursprünglichen) Eigentümers, sondern auch in die Eigentumsposition an dem Kulturgut möglich. Bleibt man weiterhin im deutschen Recht, kommt ein Eingriff in den Zuweisungsgehalt des Eigentums an dem Kulturgut einerseits in der Konstellation des rechtsgeschäftlichen Eigentumserwerbs aufgrund öffentlicher Versteigerung kultureller Güter i.S.d. §§ 935 Abs. 2 i.V.m. 383 Abs. 3 BGB gegenüber einem gutgläubigen Erwerber und andererseits in der Situation des originären Eigentumserwerbs in gutgläubigem Eigenbesitz im Wege der Ersitzung i.S.d. § 937 BGB nach einem Zeitablauf von zehn Jahren in Betracht. Für die erstgenannte Konstellation steht heute fest, dass in den Fällen, in denen sich der gutgläubige Ersteigerer auf ein wirksames Grundgeschäft für die Besitz- und Eigentumsübertragung stützen kann, eine Eingriffskondiktion aufgrund der Kondiktionsfestigkeit des gutgläubigen Erwerbs ausgeschlossen ist. Eine Rückübereignungspflicht nach § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB wäre mit dem Schutzzweck des § 932 BGB unvereinbar und würde den gutgläubigen Erwerb wieder in Gänze rückgängig machen.157 Insoweit gibt die abschließende Vorschrift des § 816 Abs. 1 S. 1 BGB dem (ehemaligen) Eigentümer einen Erlösanspruch gegen den Veräußerer, wohingegen der Erwerber selbst gemäß § 816 Abs. 1 S. 2 BGB nur bei unentgeltlichem Erwerb in Anspruch genommen werden kann.158 Zur Begründung ist anzuführen, dass in der vorliegenden Konstellation der derivative Eigentumserwerb aufgrund öffentlicher Versteigerung kultureller Güter i.S.d. §§ 935 Abs. 2 i.V.m. 383 Abs. 3 BGB als causa und damit als Rechtsgrund für das Behaltendürfen des gutgläubig erworbenen Kulturguts anzusehen
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BGH, Entscheidung des 8. Zivilsenats vom 11.01.1971, Az.: VIII ZR 261/69, BGHZ 55, 176, S. 177 f., mit dem Hinweis auf die in § 935 Abs. 1 BGB getroffene überragende Wertung zugunsten des Eigentümers („Wer eine gestohlene Sache gutgläubig kauft und sie so verarbeitet, daß er gemäß BGB § 950 Eigentümer der neuen Sache wird, schuldet dem Eigentümer der gestohlenen Sache eine Vergütung in Geld gemäß § 951 Abs 1 S 1, ohne den an den Dieb gezahlten Kaufpreis anrechnen zu dürfen.“). Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, Zweiter Band: Besonderer Teil, 2. Halbband, 1994, § 67, S. 138. Vgl. Kunze, Restitution „Entarteter Kunst“ – Sachenrecht und Internationales Privatrecht, 2000, S. 240–244.
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1. Abschnitt: Zivilrechtliche Restitutionsansprüche
ist. „In der Tat würde es jeder Überzeugungskraft entbehren zu behaupten, der gutgläubige Erwerb sei im Verhältnis zum bisherigen Eigentümer rechtsgrundlos. Denn die Rechtsordnung billigt diesen Erwerb ja und macht ihn ausweislich des § 816 Abs. 1 BGB kondiktionsfest, so daß es geradezu ein Selbstwiderspruch wäre, wenn sie dem Erwerber einen Behaltensgrund abspräche.“ Dementsprechend ist auch für den Bereich des zivilrechtlichen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts festzustellen, dass kein Anlass für eine Protektion abhandengekommener Kulturgüter im Verhältnis zwischen Eigentümer und (entgeltlichem) Erwerber i.S.d. §§ 935 Abs. 2 i.V.m. 383 Abs. 3 BGB besteht, weil sich die Rechtsordnung für einen gutgläubigen Erwerb entschieden hat (der Rechtsgrund besteht somit in der Wertung des objektiven Rechts).
III. Ersitzung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter ‚kondiktionsfest‘? Ein Eingriff in den Zuweisungsgehalt des Eigentums an dem Kulturgut kommt neben der genannten Konstellation des rechtsgeschäftlichen Eigentumserwerbs aufgrund öffentlicher Versteigerung aber auch in der Situation des originären Eigentumserwerbs in gutgläubigem Eigenbesitz im Wege der Ersitzung i.S.d. § 937 BGB nach einem Zeitablauf von 10 Jahren in Betracht. Auch hier ist daran zu denken, dass durch die Ersitzung ein Eingriff in den Zuweisungsgehalt des ursprünglichen Eigentümers erfolgt. Seit Inkrafttreten des BGB wird eine heftige Kontroverse darüber geführt, wie sich der Eigentumserwerb des Ersitzenden zu den übrigen Vorschriften, insbesondere zu den schuldrechtlichen Regeln verhält und ob der Rechtsverlust des bisherigen Eigentümers in irgendeiner Weise auszugleichen ist.159 Streitig ist diesbezüglich, ob neben der Änderung der absoluten dinglichen Zuordnung, also neben der geänderten Eigentumslage, relative Rechte bestehen bleiben können. Dies ist deshalb problematisch, weil solche schuldrechtlichen Ausgleichsansprüche (neben einem Kondiktionsanspruch ist hier auch an das Vorliegen vertraglicher Ausgleichsansprüche zu denken) in ihrer wirtschaftlichen Bedeutung den Ersitzungserfolg ausgleichen können.160 Mögliche Lösungsmodelle sind die uneingeschränkte Aufrechterhaltung aller relativen Beziehungen (heute nur noch von Kunze vertreten161), die teilweise Aufrechterhaltung unter Bewertung der Interessenlage sowie die uneingeschränkte Durchsetzung der Ersitzung gegenüber allen relativen Beziehungen.162 159 160
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162
Vgl. Wiegand in Staudinger – BGB: Buch 3 Sachenrecht, 2004, § 937, Rdnr. 18–23. Vgl. Baldus in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 6 Sachenrecht: §§ 854–1296, 4. Aufl. 2004, § 937, Rdnr. 7–11. Kunze, Restitution „Entarteter Kunst“ – Sachenrecht und Internationales Privatrecht, 2000, S. 240–244. Vgl. Baldus in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 6 Sachenrecht: §§ 854–1296, 4. Aufl. 2004, § 937, Rdnr. 7–11.
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1. Teil: Zivilrechtliches Anspruchssystem in Kunstrestitutionsverfahren
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Dieser Kontroverse kam bis zu der Schuldrechtsmodernisierung im Jahre 2002 große praktische Bedeutung zu. Durch die im Rahmen der Schuldrechtsmodernisierung vollzogene grundsätzliche Neuorientierung des Verjährungsrechts ist das Problem nur noch in Ausnahmefällen relevant, aber nicht ohne Bedeutung.163 Praktisch hat das Problem aber durch die Neufassung der §§ 195, 199 Abs. 4 BGB an Schärfe verloren.164 Da mögliche schuldrechtliche Ausgleichsoder Rückgewähransprüche nach drei (§ 195) oder maximal nach zehn Jahren (§ 199 Abs. 4) verjähren, tritt deren Verjährung in aller Regel vor oder spätestens gleichzeitig mit der Ersitzung ein.165 Vom Übergangsrecht nach Art. 229 § 6 EGBGB abgesehen, verkürzt sich damit die Verjährung von bisher 30 Jahren deutlich, sodass selbst der Geschäftsunfähige, der keinen Betreuer hat und dem schon aufgrund seines Geisteszustandes keine Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis vorzuhalten ist, bereits nach zehn Jahren keinen Bereicherungsanspruch mehr geltend machen kann und damit auf Ersatzansprüche zu verweisen ist. Interessant ist, dass diese Höchstfrist mit der Ersitzungsfrist des § 937 Abs. 1 BGB zusammenfällt, wenn der Gutgläubige im selben Moment Eigenbesitz erwirbt, in dem der Geschäftsunfähige ihn verliert.166 Da aber die Verjährung auch in dem Fall, in dem der Eigenbesitz später erworben wird, bereits vor Ablauf der Ersitzungsfrist eintritt, kommt es in beiden Fällen auf die Kondiktionsfestigkeit der Ersitzung nur in dem atypischen Fall an, dass der Beklagte sich nicht auf Verjährung beruft.167 Somit bleibt festzuhalten, dass die berühmte, nachstehend ausführlich erläuterte Menzel-Konstellation und die Frage, ob trotz Ersitzung schuldrechtliche Ausgleichsansprüche geltend gemacht werden können, nur noch bei Verzicht auf die Geltendmachung der Einrede der Verjährung, in dem allerdings noch unwahrscheinlicheren Fall der Hemmung bzw. Ablaufhemmung ohne gleichzeitige Hemmung bzw. Ablaufhemmung nach § 939 und in der Übergangsphase nach Art 229 § 6 Abs. 3 EGBGB eine Rolle spielen. Allein aufgrund der besonderen „rechtsdogmatischen Herausforderung“168 darf hier jedoch nicht auf die Darstellung der besonderen Bedeutung im Kulturgüterrecht verzichtet werden.169 Spätestens tritt jedoch nach § 199 Abs. 4 BGB die Verjährung absolut in zehn Jahren nach ihrer Entstehung, d.h. am 1.1.2012 ein.170 Somit liegt entgegen der Rechtsansicht Kindls im BGB-Kommentar von Bamber-
163 164
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168 169 170
So aber Bamberger/Roth/Kindl Kommentar zum BGB, 2003, § 937 BGB Rdnr. 9, m.w.N. Vgl. Baldus in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 6 Sachenrecht: §§ 854–1296, 4. Aufl. 2004, § 937, Rdnr. 7–11. Vgl. Wiegand in Staudinger – BGB: Buch 3 Sachenrecht, 2004, § 937, Rdnr. 18–23. Vgl. Baldus in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 6 Sachenrecht: §§ 854–1296, 4. Aufl. 2004, § 937, Rdnr. 7–11. Vgl. Baldus in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 6 Sachenrecht: §§ 854–1296, 4. Aufl. 2004, § 937, Rdnr. 7–11. So Soergel/Henssler, BGB, 2002 § 937 BGB Rdnr. 7. Vgl. Wiegand in Staudinger – BGB: Buch 3 Sachenrecht, 2004, § 937, Rdnr. 18–23. Lorenz in Staudinger (2007) Vorbem zu §§ 812 ff. Rdnr. 31.
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1. Abschnitt: Zivilrechtliche Restitutionsansprüche
ger/Roth171 hier bis zum genannten Zeitpunkt eine Konstellation vor, in der keine Verjährung des Bereicherungsanspruchs gegeben ist und sich das Problem der Ersitzung als Rechtsgrund im Bereicherungsrecht in altbekannter Schärfe stellt. Außerdem kann die Frage, ob trotz Ersitzung schuldrechtliche Ausgleichsansprüche geltend gemacht werden können, bei Verzicht auf die Geltendmachung der Einrede der Verjährung und in dem allerdings unwahrscheinlichen Fall der Hemmung/Ablaufhemmung (ohne gleichzeitige Hemmung/Ablaufhemmung nach § 939 BGB) eine Rolle spielen.172
1.
Mindermeinung: Sachenrecht bestimmt nur die dingliche Zuordnung
Dem seitens eines (kleinen) Teils der Rechtsliteratur geäußerten Einwand, dass sachenrechtliche Vorschriften lediglich die dingliche Zuordnung regeln und keine Wertung über deren schuldrechtliche Bestandskraft enthalten173, ist nicht zu folgen. Diese Mindermeinung wird im Bereich des Kulturgüterrechts auch von Kunze in seinen Ausführungen zur Restitution der ‚entarteten‘ Kunst aufgegriffen und betont, dass der Ersitzungserwerb generell nicht kondiktionsfest sei. Während sich diesem zufolge nicht nur ein Erwerber auf gutgläubigen Eigentumserwerb bei einer Versteigerung gem. § 935 Abs. 2 BGB berufen kann und dieser Rechtserwerb nicht über § 812 Abs. 1 S. 1 2. Alt. BGB kondizierbar ist, schließt im Gegensatz hierzu der Erwerb im Wege der Ersitzung auch Ansprüche wegen Eingriffskondiktion nicht aus. „Sie sind gegenüber derjenigen Person geltend zu machen, für die der Ersitzungserwerb zu bejahen ist. Auch der Bereicherungsanspruch geht auf Rückübertragung des Eigentums. Befindet der Erwerber sich nicht mehr im Besitz der Sache, so muß er gemäß § 818 Abs. 2 BGB Wertersatz leisten, sofern er sich nicht auf Entreicherung gem. § 818 Abs. 3 BGB berufen kann. Das Eigentum geht mit Vollendung der Ersitzung auf den Besitzer über, so daß erst zu diesem Zeitpunkt ein Eingriff in das Vermögen des früheren Eigentümers anzunehmen ist. Daher beginnt auch die dreißigjährige Verjährungsfrist des § 195 BGB [a.F.] erst mit vollendeter Ersitzung zu laufen. Ob diese Ansprüche heute noch durchsetzbar sind, hängt folglich von einer Überprüfung des Einzelfalls ab.“174 Kunze begründet sein Ergebnis mit der Wertung in Mehrpersonenverhältnissen. Hier habe der (vorherige) Eigentümer keinen Einfluss darauf, ob das Austauschverhältnis zwischen dem Veräußerer und dem Erwerber wirksam oder unwirksam sei. Dennoch habe er die Konsequenzen dieser Unter171 172 173
174
Bamberger/Roth/Kindl Kommentar zum BGB (2003) § 937 Rdnr. 9. So auch Wiegand in Staudinger – BGB: Buch 3 Sachenrecht, 2004, § 937 Rdnr. 18. So Beuthien, Leistung und Aufwendung im Dreiecksverhältnis – Grenzen des Handelns im Doppelinteresse, JuS 1987, S. 841–848, S. 845 Fn. 49; Peters, Der Entzug des Eigentums an beweglichen Sachen durch gutgläubigen Erwerb, 1991, S. 106 f. Kunze, Restitution „Entarteter Kunst“ – Sachenrecht und Internationales Privatrecht, 2000, S. 240–244.
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1. Teil: Zivilrechtliches Anspruchssystem in Kunstrestitutionsverfahren
scheidung zu tragen. Daraus folgert Kunze, dass auch die Kondiktion einer Sache, die in sonstiger Weise ohne rechtlichen Grund das Vermögen eines anderen mehrt, gegenüber der Ersitzung durchgreifen sollte.175
2.
H.M.: Fehlerfreier Rechtserwerb als Rechtsgrund i.S.d. Bereicherungsrechts
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Dieser Rechtseinschätzung ist jedoch entgegenzuhalten, dass ein fehlerfreier Rechtserwerb einen Rechtsgrund enthält, der eine Nichtleistungskondiktion ausschließt. Nach der zutreffenden Einschätzung bei Larenz und Canaris wäre es mit der Güterschutzfunktion der Nichtleistungskondiktion unvereinbar, sie zum Instrument für die Rückgängigmachung einer fehlerfreien Rechtsübertragung zu machen.176 In Fällen der fehlgeschlagenen Güterübertragung bietet wegen der Fehlerlosigkeit der Übereignung vielmehr allein die Leistungskondiktion eine Möglichkeit der Rückübertragung.
100
„Paradigmatisch ist der Fall der Ersitzung gemäß § 937 BGB. Zwar erwirbt hier der gutgläubige Besitzer das Eigentum unmittelbar aus dem Vermögen des bisherigen Eigentümers und also „auf dessen Kosten“, so daß insoweit die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Kondiktion nach § 812 I 1 Alt. 2 BGB erfüllt sind, doch wäre es mit der Stabilisierungsfunktion von § 937 BGB unvereinbar, wenn der Erwerber nunmehr einer … Nichtleistungskondiktion ausgesetzt wäre; wo der Gesetzgeber trotz Änderung der dinglichen Rechtslage noch einen Bereicherungsausgleich für angebracht hält, schreibt er diesen ausdrücklich vor wie beim Eigentumserwerb des Finders, der gemäß § 977 BGB noch drei Jahre lang … bereicherungsrechtlich zur Rückübereignung verpflichtet ist. Eine Nichtleistungskondiktion wird folglich nach nahezu allgemeiner Ansicht durch § 937 BGB ausgeschlossen. Dogmatisch kann das nur bedeuten, daß § 937 BGB insoweit einen Behaltensgrund beinhaltet und demgemäß trotz seines sachenrechtlichen Charakters einen Rechtsgrund in sich trägt.“177
a) 101
… bei der Eingriffskondiktion
Für die Eingriffskondiktion geht die h.M.178 heute davon aus, im Ersitzungserwerb liege zugleich eine Bereicherungscausa: Außerhalb einer Leistungsbeziehung zwischen dem bisherigen Eigentümer und dem Ersitzenden stellt „die
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178
Vgl. Kunze, Restitution „Entarteter Kunst“ – Sachenrecht und Internationales Privatrecht, 2000, S. 240–244. Vgl. Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, Zweiter Band: Besonderer Teil, 2. Halbband, 1994, § 67, S. 139. Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, Zweiter Band: Besonderer Teil, 2. Halbband, 1994, § 67, S. 139. Statt aller Wiegand in Staudinger – BGB: Buch 3 Sachenrecht, 2004, § 937, Rdnr. 18–23; Petersen, Der Menzelbilderfall (RGZ 130, 69), Jura 1999 (Heft 6), S. 297–299, S. 298–299; Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, Zweiter Band: Besonderer Teil, 2. Halbband, 1994, § 67, S. 139; Baur/Stürner, Sachenrecht, 17. Aufl. 1999, § 53h III 2a, b; Baldus in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 6 Sachenrecht: §§ 854–1296, 4. Aufl. 2004, § 937, Rdnr. 7–11.
1. Abschnitt: Zivilrechtliche Restitutionsansprüche
77
Ersitzung einen endgültigen Erwerbsgrund dar, welcher die Eingriffskondiktion ausschließt.“179 Dies ist schon deswegen richtig, weil die Ersitzung sonst praktisch funktionslos würde, was systematisch nicht gewollt sein kann.180 Innerhalb der Eingriffskondiktion „erweist sich nämlich in der Tat die Beruhigungs- oder Stabilisierungsfunktion des § 937 BGB als der maßgebliche Gerechtigkeitsaspekt. Die Ersitzung soll die dingliche Zuordnung auch dann abschließend ordnen, wenn der Ersitzende das Eigentum unmittelbar aus dem Vermögen des bisherigen Eigentümers, mithin „in sonstiger Weise auf dessen Kosten“, erlangt. Insoweit ist § 937 BGB ein Behaltensgrund. Systematisch ergibt sich dies im Wege des Umkehrschlusses aus den §§ 951, 977 BGB als typischen Tatbeständen der Eingriffskondiktion, die im Gegensatz zu § 937 BGB einen Ausgleichsanspruch normieren.“181 Vor allem die Bedeutung des § 977 S. 2 BGB, wonach der Bereicherungsanspruch gegen den Finder mit dem Ablauf von drei Jahren nach dem Übergang des Eigentums auf den Finder erlischt, belegt auch, dass die Eingriffskondiktion gegen den Ersitzenden, die dann – vor der Schuldrechtsmodernisierung – folgerichtig immerhin 30 Jahre möglich war, nicht vom Gesetz gewollt war. „Auch ohne ein bestehendes Gegenrecht kann sich der Erwerb aus fremden Rechtsgütern einer Ausgleichung entziehen, wenn die besonderen Zwecke, welche die Rechtsordnung mit ihm verbindet, eine Fortwirkung der beeinträchtigten Rechte abschneiden; so wenn ein Gutgläubiger vom Nichtberechtigten das Eigentum erlangt, oder nachher durch Ersitzung Eigentümer wird.“182 Somit geht es letztlich um einen Fall der „gesetzlich versagten Rechtsfortwirkung.“183
b)
… bei der Leistungskondiktion (anhand des berühmten ‚Menzelbilderfalls‘ des RG)
Diese Rechtseinschätzung gilt jedoch allein für die Nichtleistungskondiktion. Ob in der Situation des originären Eigentumserwerbs in gutgläubigem Eigenbesitz im Wege der Ersitzung i.S.d. § 937 BGB nach einem Zeitablauf von zehn Jahren auch eine Leistungskondiktion ausgeschlossen wird, ist eine andere – heftig umstrittene – Frage. Die Leistungskondiktion ist den vertraglichen Rückabwicklungspflichten, die durch den gesetzlichen Ersitzungserwerb nicht aufgehoben werden, ähnlich, sodass es um ein spezifisches Rückabwicklungsproblem geht. Im Interesse einer Angleichung und Harmonisierung der unterschiedlichen
179 180
181
182 183
Wiegand in Staudinger – BGB: Buch 3 Sachenrecht, 2004, § 937, Rdnr. 18–23. Vgl. Baldus in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 6 Sachenrecht: §§ 854–1296, 4. Aufl. 2004, § 937, Rdnr. 7–11. Petersen, Der Menzelbilderfall (RGZ 130, 69), Jura 1999 (Heft 6), S. 297–299, S. 298–299, unter Verweis auf Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, Zweiter Band: Besonderer Teil, 2. Halbband, 1994, § 67 IV 2a–b; Westermann/Gursky, Sachenrecht, 6. Aufl. 1990, § 51 III 1. Wilburg, Die Lehre von der ungerechtfertigten Bereicherung, 1934, S. 48. Petersen, Der Menzelbilderfall (RGZ 130, 69), Jura 1999 (Heft 6), S. 297–299, S. 298–299.
102
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1. Teil: Zivilrechtliches Anspruchssystem in Kunstrestitutionsverfahren
Rückabwicklungsansprüche könnte die Leistungskondiktion daher ebenso behandelt werden, wie es bei vertraglichen Rückabwicklungsansprüchen der Fall ist (diese sind grundsätzlich trotz einer Eigentumsersitzung möglich), sodass es strittig ist, ob der Ersitzungserwerb auch gegenüber der Leistungskondiktion ‚fest‘ ist.184 Hierüber hatte bereits der IV. Zivilsenat des Reichsgerichts in einem Urteil vom 6. Oktober 1930 in dem sog. Menzelbilderfall zu entscheiden.185 103
Wer heute in der Neuen Pinakothek in München vor dem Gemälde ‚Wohnzimmer mit Menzels Schwester‘ von Adolf von Menzel steht, ahnt nicht, welche Mühen es seitens des Bayerischen Staates gekostet hat, dieses Kunstwerk und weitere Gemälde Menzels heute dort ausstellen zu können.186 Die Klägerin, Fräulein Margarete Krigar-Menzel, war die Nichte des Malers Adolf von Menzel (1815–1905) und Tochter seiner Schwester Emilie. Fräulein Margarete KrigarMenzel ist von ihrem Onkel an Kindes statt angenommen worden und trug seitdem den Doppelnamen Krigar-Menzel. Sie wurde durch Beschluss des Amtsgerichts vom 4. Juni 1914 wegen Geisteskrankheit entmündigt. Durch Beschluss desselben Gerichts vom 22. Februar 1919 wurde diese Entmündigung in eine solche wegen Geistesschwäche umgewandelt. Im Frühjahr 1908 hatte die Klägerin der Neuen Pinakothek in München 66 Originalwerke Adolf von Menzels zum Geschenk gemacht, die sie von ihrer 1907 verstorbenen Mutter, einer Schwester des Malers, geerbt hatte. Darunter befanden sich einige ausgesprochene Spitzenwerke, vor allem Menzels berühmtes Porträt seiner Schwester aus dem Jahr 1847.187 (s. Abb. 3)
104
Im Jahre 1914, somit sechs Jahre nach ihrer großzügigen Schenkung, wurde Fräulein Krigar-Menzel auf Antrag ihres Bruders wegen Geisteskrankheit entmündigt. Rechtlich wurde sie damit einer Geschäftsunfähigen gleichgestellt. „Schon damals wurde eine Anfechtung der Schenkung in Betracht gezogen. Nur die Zeitläufe scheinen verhindert zu haben, daß es dazu kam: Wenige Wochen nach Erlaß des Entmündigungsbeschlusses brach der erste Weltkrieg aus, der
184 185
186 187
Petersen, Der Menzelbilderfall (RGZ 130, 69), Jura 1999 (Heft 6), S. 297–299, S. 298–299. Reichsgericht (RGZ), IV. Zivilsenat, Urteil vom 6. Oktober 1930, sog. Menzelfall, Az.: IV 583/29, Landgericht München, Oberlandesgericht München, RGZ 130 (1931), Nr. 14, S. 69– 73. Vgl. Petersen, Der Menzelbilderfall (RGZ 130, 69), Jura 1999 (Heft 6), S. 297–299, S. 297–299; Braun, Kunstprozesse von Menzel bis Beuys – 13 Fälle aus dem Privatrecht, 1995, S. 1–18; Wiegand in Staudinger – BGB: Buch 3 Sachenrecht, 2004, § 937, Rdnr. 18–23; Baldus in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 6 Sachenrecht: §§ 854–1296, 4. Aufl. 2004, § 937, Rdnr. 7–11; Huwiler, Zum Bereicherungsausgleich gegen den Fahrniseigentümer kraft Ersitzung: Eine rechtsvergleichende Studie, in: Die schweizerische Rechtsordnung in ihren internationalen Bezügen, 1988, S. 108 ff.; rechtsvergleichend Siehr, Ersitzung und Bereicherung – Zum Verhältnis zwischen Sachenrecht und Schuldrecht, in: Hohloch/Frank/Schlechtriem, Festschrift für Hans Stoll zum 75. Geburtstag, 2001, S. 373–384. Vgl. Braun, Kunstprozesse von Menzel bis Beuys – 13 Fälle aus dem Privatrecht, 1995, S. 18. Braun, Kunstprozesse von Menzel bis Beuys – 13 Fälle aus dem Privatrecht, 1995, S. 3.
1. Abschnitt: Zivilrechtliche Restitutionsansprüche
79
Vormund wurde an die Front eingezogen und fiel 1917. In der Folge setzte sich Fräulein Krigar-Menzel gegen ihre Entmündigung zur Wehr und erreichte immerhin, daß die Entmündigung in eine solche wegen bloßer Geistesschwäche umgewandelt wurde. Rechtlich war sie damit einem Minderjährigen zwischen sieben und einundzwanzig Jahren gleichgestellt. An der Schenkung rüttelte bei all dem offiziell niemand.“188 Mehr als zehn Jahre später verlangte der Vormund die Bilder vom bayerischen Staat als Träger der Pinakothek heraus, weil die Klägerin bei der Vornahme der Schenkung geisteskrank gewesen sei.189 Ihr Vormund behauptete, dass sie damals geschäftsunfähig im Sinne des § 104 Nr. 2 BGB gewesen sei, und verlangte mit der Klage Herausgabe der Bilder. Im Juni 1928 gab das Landgericht München I der Klage in vollem Umfang statt.190 Begründet wurde die Entscheidung letztlich damit, dass Frau KrigarMenzel im Zeitpunkt der Schenkung in der Tat geschäftsunfähig gewesen sei. Die Schenkung sei daher nichtig gewesen und das Land Bayern folglich zur Herausgabe des Erlangten verpflichtet. Das Oberlandesgericht München hob in der Berufungsinstanz das erstinstanzliche Urteil auf und wies die Klage ab.191 Zur Begründung führte das Gericht im Wesentlichen an, Frau Krigar-Menzel sei 1908 wohl geistesschwach, aber nicht geisteskrank gewesen. Da sie wegen dieser Geistesschwäche erst 1914 entmündigt worden sei, sei sie bis dahin geschäftsfähig gewesen. Daraufhin legte der Vormund von Frau Krigar-Menzel Revision beim Reichsgericht192 ein und betrieb die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.193 Der Vormund berief sich darauf, dass sein Mündel bereits im Jahr 1908 wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit geschäftsunfähig gewesen sei. Die Richtigkeit dieser Behauptung einmal unterstellt, war die Schenkung von Anfang an null und nichtig.194 Für die Frage der Ersitzung ist die rechtliche Würdigung des Menzelbilderfalles unter der Annahme von Interesse, dass die Klägerin tatsächlich bei der Vornahme der Schenkung geschäftsunfähig gewesen war. Im Jahr 1936 war das Oberlandesgericht München der Auffassung, dass Frau Krigar-Menzel nicht erst bei ihrer Entmündigung, sondern bereits zur Zeit der Schenkung geschäftsunfähig war. Dies hatte zur Folge, dass zu diesem Zeitpunkt auch kein rechtsgeschäftlicher (auch nicht gutgläubiger) Eigentumserwerb der Pinakothek in München eingetreten sein konnte.
188 189 190 191 192
193
194
Braun, Kunstprozesse von Menzel bis Beuys – 13 Fälle aus dem Privatrecht, 1995, S. 5. Petersen, Der Menzelbilderfall (RGZ 130, 69), Jura 1999 (Heft 6), S. 297–299, S. 297. LG München I, Entscheidung vom 4.6.1928, I A 1030/25. OLG München, Entscheidung vom 10.6.1929, L 1024/28 I. Vgl. Reichsgericht (RGZ), IV. Zivilsenat, Urteil vom 6. Oktober 1930, sog. Menzelfall, Az.: IV 583/29, RGZ 130 (1931), Nr. 14, S. 69–73. Vgl. Braun, Kunstprozesse von Menzel bis Beuys – 13 Fälle aus dem Privatrecht, 1995, S. 6–7. Vgl. Braun, Kunstprozesse von Menzel bis Beuys – 13 Fälle aus dem Privatrecht, 1995, S. 6–7.
105
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1. Teil: Zivilrechtliches Anspruchssystem in Kunstrestitutionsverfahren
106
Grundsätzlich hat die Pinakothek in München die Menzel-Gemälde vor dem Hintergrund eines bestehenden Schenkungsvertrages dinglich übertragen bekommen und dementsprechend mit Rechtsgrund erworben, sodass für eine Rückforderung im Prinzip kein Grund bestünde. Anders liegt der Fall bei Annahme, dass der Schenkungsvertrag aufgrund der Geschäftsunfähigkeit von Frau Krigar-Menzel unwirksam war. In diesem Fall muss die Pinakothek in München die Gemälde als ‚ungerechtfertigte Bereicherung‘ dem Leistenden im Grundsatz wieder nach § 812 Abs. 1 S. 1 BGB zurückgeben. Dies würde auch in dem Fall bedeuten, dass der bayerische Staat als Rechtsträger der Pinakothek in München Eigentümer der Menzel-Gemälde geworden wäre, wenn allein der Schenkungsvertrag gewesen wäre, nicht aber das dingliche, mit Mängeln behaftete Übereignungsgeschäft. Zur Zeit der Entscheidung und bis zur Modernisierung des Schuldrechts und Reform des Verjährungsrechts verjährte dieser Bereicherungsanspruch nach § 195 BGB erst in 30 Jahren. In seinen Ausführungen zum Menzelbilderfall trifft Braun den Kern des Problems: „An sich hätte die Klägerin die Bilder dann als ihr Eigentum herausverlangen können. Im vorliegenden Fall stieß das freilich deshalb auf Schwierigkeiten, weil das Land Bayern die Bilder insgesamt 17 Jahre (von 1908 bis 1925) in dem besten Glauben in Besitz gehabt hatte, der rechtmäßige Eigentümer zu sein. Nach der Regelung des Bürgerlichen Gesetzbuchs wird der gutgläubige Eigenbesitzer aber schon nach zehn Jahren Eigentümer durch Ersitzung (§ 937 BGB).“195 Vor Ablauf der zehnjährigen Ersitzungsfrist hätte daher der bayerische Staat die Herausgabe der Bereicherung geschuldet. Unbestritten ist, dass das Land Bayern zum Zeitpunkt der Klageerhebung bereits Eigentümer der Menzel-Gemälde war. Fraglich konnte demnach nur noch sein, ob eine Rückführung der Gemälde nicht dennoch zu erfolgen hatte, weil der Schenkungsvertrag nach wie vor unwirksam war. Die Frage aber war, ob die Ersitzung „einen Rechtsgrund darstellte, der die Bereicherung aus einer ‚ungerechtfertigten‘ zu einer ‚berechtigten‘ machte. Im ersten Fall hätte die Ersitzung im Ergebnis dem Bereicherungsanspruch weichen müssen; im zweiten hätte die 30-jährige Verjährung des Bereicherungsanspruchs auf dem Papier gestanden.“196 „Das ist eine Frage von allerhöchster Delikatesse. Sie ist der Grund, warum die Menzel-Entscheidung heute noch immer in Erinnerung ist.“197
107
Unmittelbar aus dem Wortlaut bzw. der Systematik der Ersitzungsvorschriften des BGB lässt sich keine abschließende Wertung über die Kondiktionsfestigkeit des Ersitzungserwerbs treffen. Im Hinblick auf die Gesetzgebungsgeschichte und den gemeinrechtlichen Hintergrund (nach gemeinem Recht war für die Ersitzung ein Titel erforderlich; die Ersitzung trug ihren Rechtsgrund in sich, so
195 196 197
Braun, Kunstprozesse von Menzel bis Beuys – 13 Fälle aus dem Privatrecht, 1995, S. 6–7. Braun, Kunstprozesse von Menzel bis Beuys – 13 Fälle aus dem Privatrecht, 1995, S. 6–7. Braun, Kunstprozesse von Menzel bis Beuys – 13 Fälle aus dem Privatrecht, 1995, S. 6–7.
1. Abschnitt: Zivilrechtliche Restitutionsansprüche
81
dass die Bereicherungshaftung ausgeschlossen war 198) war zunächst die auch in den Motiven zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches 199 und den Protokollen der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuchs 200 zum Ausdruck gekommene Ansicht vorherrschend, dass mit dem Ersitzungserwerb eine definitive und umfassende Regelung der Verhältnisse erreicht werden müsse und die Gesetzesverfasser die Ersitzung als ‚Behaltensgrund‘ verstanden wissen wollten. Vorwiegend wurde dies damit begründet, dass im Interesse der Rechtssicherheit eine endgültige Regelung angestrebt werde und somit ein rechtlicher Nachteil des bisherigen Eigentümers in Kauf zu nehmen sei.201 Die Berufung auf die Ursprünge der Ersitzung im gemeinen Recht überzeugte jedoch zum damaligen Zeitpunkt nicht. Huwiler legte demgegenüber in diesem Sinne dar, dass der Gesetzgeber durch den Verzicht auf eine iusta causa usucapions einem allfälligen Bereicherungsausgleich bei der Ersitzung nicht vorgreifen wollte.202 Denn nach gemeinem Recht, an das die Gesetzesverfasser anknüpften, war die Ersitzung zwar ‚kondiktionsfest‘ gewesen, aber dies hing damit zusammen, dass sie hier eine iusta causa voraussetzte. Auf dieses Erfordernis wurde indessen im BGB gerade ausdrücklich verzichtet.203 Andererseits war jedoch bereits zur Zeit der Entscheidung des Reichsgerichts bei systematischer Betrachtung nicht zu übersehen, dass der gesetzliche Eigentumserwerb in anderen, vergleichbaren Fällen (§§ 951, 977, 2026 BGB) den bis dahin bestehenden Herausgabeanspruch gerade nicht ausschließt.204 Die letztgenannte Erwägung greifen jedoch vornehmlich die Vertreter der Ansicht auf, dass der Ersitzungserwerb kondiktionsfest sei205, und erklären, dass das Recht der Ersitzung im Gegensatz zu den in den folgenden Titeln in den
198 199 200
201
202
203 204
205
Vgl. Petersen, Der Menzelbilderfall (RGZ 130, 69), Jura 1999 (Heft 6), S. 297–299, S. 297. Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches, Bd. 3, 2. Aufl. 1896, S. 353. Protokolle der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuchs, Bd. 2, 1898, S. 686. Wiegand in Staudinger – BGB: Buch 3 Sachenrecht, 2004, § 937, Rdnr. 18–23; Braun, Kunstprozesse von Menzel bis Beuys – 13 Fälle aus dem Privatrecht, 1995, S. 6–7; Petersen, Der Menzelbilderfall (RGZ 130, 69), Jura 1999 (Heft 6), S. 297–299, S. 297. Huwiler, Zum Bereicherungsausgleich gegen den Fahrniseigentümer kraft Ersitzung: Eine rechtsvergleichende Studie, in: Die schweizerische Rechtsordnung in ihren internationalen Bezügen, 1988, S. 108 ff. Braun, Kunstprozesse von Menzel bis Beuys – 13 Fälle aus dem Privatrecht, 1995, S. 6–7. Vgl. Braun, Kunstprozesse von Menzel bis Beuys – 13 Fälle aus dem Privatrecht, 1995, S. 6–7. Aus der damaligen Rechtsdogmatik: Gierke, Deutsches Privatrecht, Band 3, 1917, S. 999 Anm. 19; Heck, Sachenrecht, 1930, § 61, 5; von Gierke ZHR 111, S. 70 ff.; Haymann, JherJb. 77 (1927), S. 268 ff.; Mügel, JW 1933, S. 1230 ff.; Krückmann, LZ 1933, S. 617 ff. Heute: Palandt/Bassenge, 69. Aufl. 2010, Vor § 937 Rdnr. 2; RGRK/Heimann-Trosien, 12. Aufl. 1989, vor § 812 Rdnr. 30; RGRK/Pikart, 12. Aufl. 1979, § 937 Rdnr. 20; Erman/Hefermehl, BGB, 10. Aufl., § 937 Rdnr. 6 (jetzt aber anders: Erman/Ebbing 12. Aufl. 2008, § 937 Rdnr. 9–11).
108
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1. Teil: Zivilrechtliches Anspruchssystem in Kunstrestitutionsverfahren
§§ 951, 977 BGB geregelten Erwerbstatbeständen gerade keine Ausgleichsvorschriften enthalte und somit aus dieser systematischen Besonderheit die Sachzuordnung durch das Rechtsinstitut der Ersitzung nicht mittels der Leistungskondiktion zu unterlaufen sein dürfe. Hätte der Gesetzgeber diese Folge gewollt, hätte er auch im Falle der Ersitzung eine Sondervorschrift normiert, die einen bereicherungsrechtlichen Ausgleich beinhaltet hätte. Eine Kondiktionsfestigkeit soll danach auch in dem Fall gelten, dass jemand auf Grund eines ungültigen schuldrechtlichen Geschäftes infolge der Abstraktheit der Übereignung Eigentümer wird und die Sache infolgedessen während der Ersitzungszeit gutgläubig in Besitz hat.206 Sachlich begründet wurde die geforderte Rechtssicherheit in Form von Kondiktionsfestigkeit vor allem damit, dass der gutgläubige Eigentümer nicht einem erst nach 30 Jahren (nach alter Rechtslage) verjährenden Bereicherungsanspruch ausgesetzt sein dürfe, wenn die Ersitzung in anderen Fällen schon nach zehn Jahren möglich sei. Der Bereicherungsanspruch müsse im Falle der Ersitzung stets ausgeschlossen sein, weil nach dem Willen des Gesetzes Rechtssicherheit in Form einer ‚Beruhigung der Verhältnisse‘ geschaffen werden solle. 109
Demgegenüber versteht die früher wie heute herrschende Gegenansicht, welche schon früh von Wolff 207 und Oertmann 208 formuliert wurde, § 937 BGB als einen reinen sachenrechtlichen Zuordnungstatbestand, der wie jeder andere eine auf schuldrechtlichen Ansprüchen beruhende Rückforderung nicht ausschließt, sodass ein Ersitzungserwerb bei Vorliegen vertraglicher oder gesetzlicher Rückgabeverpflichtungen nicht kondiktionsfest ist.209 Im Einzelnen treten dabei allerdings sowohl in der Begründung wie in den Rechtsfolgen erhebliche Divergenzen auf, die sich daraus erklären, dass die Frage, in welchem Umfange schuldrechtliche Rückgewährungsansprüche nach § 812 BGB sowie nicht verjährte vertragliche Ansprüche anzuerkennen seien, eine Wertung beinhaltet, welche nicht bei allen Autoren gleich ausfällt.210 206 207 208
209
210
Gestützt auf von Gierke, ZHR 111, S. 70. Wolff, Sachenrecht, l. Aufl. 1910, § 71 IV. Oertmann, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch und seinen Nebengesetzen, Recht der Schuldverhältnisse, 3. und 4. Aufl. 1910, S. 585. Wiegand in Staudinger – BGB: Buch 3 Sachenrecht, 2004, § 937, Rdnr. 18–23; Baldus in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 6 Sachenrecht: §§ 854–1296, 4. Aufl. 2004, § 937, Rdnr. 7–11; Baur/Stürner, Sachenrecht, 17. Aufl. 1999, § 53h III; Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, 1983, S. 725–727; so noch Quack in Münchener Kommentar, 3. Aufl. 1997, Rdnr. 24 ff. (jetzt anders Baldus in Münchener Kommentar, 4. Aufl. 2004, Rdnr. 35–42, insb. 40); noch Soergel/Mühl, 10. Aufl. 1968, § 937 Rdnr. 6 (jetzt aber anders Soergel/Henssler 13. Aufl. 2002, § 937 Rdnr. 9–10; Westermann/Gursky, Grundlagen und Recht der beweglichen Sachen, 6. Aufl. 1990, § 51 III 2; Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, Zweiter Band: Besonderer Teil, 2. Halbband, 1994, § 38 II; Siehr, Ersitzung und Bereicherung – Zum Verhältnis zwischen Sachenrecht und Schuldrecht, in: Hohloch/ Frank/Schlechtriem, Festschrift für Hans Stoll zum 75. Geburtstag, 2001, S. 373–384. Vgl. hierzu Wiegand in Staudinger – BGB: Buch 3 Sachenrecht, 2004, § 937, Rdnr. 18–23.
1. Abschnitt: Zivilrechtliche Restitutionsansprüche
83
Mit der berühmt gewordenen Menzelbilder-Entscheidung des Reichsgerichts hat sich die Auffassung durchgesetzt, dass die Ersitzung ein gesetzlicher Eigentumserwerbsgrund ist, der keiner weiteren causa bedarf. Deshalb begründet die Ersitzung keinen Bereicherungsanspruch aus der Eingriffskondiktion. Ein Bereicherungsanspruch kommt jedoch dann in Betracht, wenn die Ersitzung durch ein fehlgeschlagenes Austauschverhältnis ermöglicht wurde. Vertragliche Rückgabeansprüche werden durch die Ersitzung nicht berührt. In beiden Fällen richtet sich der Rückgabeanspruch auf Rückübereignung des durch die Ersitzung erlangten Eigentums.211 In den Worten des Reichsgerichts lesen sich die zugrunde liegenden Wertungen wie folgt:
110
„Es fragt sich, ob diese Bereicherungshaftung gegenüber der vollendeten Ersitzung noch geltend gemacht werden kann. Das war nach gemeinem Recht, wo zur Ersitzung ein justus titulus nötig war, die Ersitzung also ihren rechtlichen Grund, die causa, in sich trug, zu verneinen. Auch für das Recht des Bürgerlichen Gesetzbuchs, das keinen Titel erfordert, wurde der Ausschluß der Bereicherungshaftung zunächst allgemein angenommen, obwohl die zugrunde liegende Vorschrift des § 748 Abs. 2 des ersten Entwurfs später gestrichen worden war … Neuerdings wird dagegen die Meinung vertreten, daß sich die Frage nicht schlechthin bejahen lasse und daß es darauf ankomme, ob im Einzelfall der zur Ersitzung führende Eigenbesitz mit oder ohne Rechtsgrund erworben sei. Wenn das letztere zutreffe, müsse eine condictio possessionis zulässig sein, die sich nach § 818 Abs. 1 BGB. auch auf Herausgabe des auf Grund des Besitzes (der Ersitzung) erlangten Eigentums erstrecke … Der Ersitzende soll also dem bisherigen Eigentümer als solchem nicht aus Bereicherung haften; entbehrt aber der Erwerb des Eigenbesitzes, auf dem die Ersitzung beruht, ohne den sofortigen Eigentumserwerb hindernden Mangel (z.B., wenn eine gestohlene Sache an einen Gutgläubigen veräußert und von ihm ersessen wird, ohne den Mangel des § 935 BGB.) des rechtlichen Grundes, so soll der Bereicherungsanspruch gegeben sei. Demgegenüber halten andere … den Bereicherungsanspruch grundsätzlich für ausgeschlossen, weil nach Sinn und Zweck des Gesetzes der Eigentumserwerb durch Ersitzung ein endgültiger sei und die Rechtsordnung durch Ablauf der Ersitzungszeit im Interesse der Rechtssicherheit eine Beruhigung aller Verhältnisse schaffen wolle. Die erste Meinung verdient den Vorzug. Das Gesetz selbst schweigt. Aus § 951 BGB läßt sich kein Umkehrschluß ziehen. Entscheidend ist, da die Gegenansicht zu unannehmbaren Ergebnissen führen würde, wie der in Oertmann Kommentar a.a.O. angeführte Fall beweist, wonach, wenn ein Geschäftsfähiger einem anderen eine fremde Sache schenkt, der Erwerber zwar sofort Eigentum erlangt, aber nach § 816 Abs. 1 S. 2 BGB. noch 30 Jahre lang auf Herausgabe haftet, während er im sonst gleichen Falle bei Beschenkung durch einen Geisteskranken nach 10 Jahren haftfrei wäre. Derartiges kann das Gesetz nicht wollen. Es liegt kein ausreichender Anhalt dafür vor, daß der Gesetzgeber den Ersitzungserwerb in der angegebenen Weise vor dem Traditionserwerb bevorzugen wollte. Im Streitfall kann also die Klägerin, wenn sie als Geschäftsunfähige auf Grund nichtiger Schenkung den Besitz übertragen hat, die Herausgabe der Bilder (nicht nur Wertersatz) verlangen.“212
111
Das Reichsgericht hat sich somit der Ansicht angeschlossen, dass in dem Fall, dass der zur Ersitzung führende Eigenbesitz rechtsgrundlos erworben worden war,
112
211
212
Vgl. Reichsgericht (RGZ), IV. Zivilsenat, Urteil vom 6. Oktober 1930, sog. Menzelbilderfall, Az.: IV 583/29, RGZ 130 (1931), Nr. 14, S. 69–73. Reichsgericht (RGZ), IV. Zivilsenat, Urteil vom 6. Oktober 1930, sog. Menzelbilderfall, Az.: IV 583/29, RGZ 130 (1931), Nr. 14, S. 69–73.
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1. Teil: Zivilrechtliches Anspruchssystem in Kunstrestitutionsverfahren
die Bereicherungshaftung in Form der condictio possessionis zulässig und nach § 818 I BGB auch das aufgrund des Besitzes erlangte Eigentum zurückzuübertragen sei. Das Gericht stellte fest, dass das Gesetz selbst die Frage zwar nicht ausdrücklich beantworte und auch aus § 951 BGB sich zwingend kein Umkehrschluss ziehen lasse. Das Reichsgericht stellte jedoch auf die andernfalls denkbaren „unannehmbaren Ergebnisse“ ab, die am Beispiel des § 816 Abs. 1 S. 2 BGB verdeutlicht werden: Während der mit einer fremden Sache beschenkte Erwerber zwar sofort Eigentum erlange, aber gleichwohl 30 Jahre lang dem Kondiktionsanspruch ausgesetzt sei, führe eine Schenkung durch einen Geisteskranken zu dem ungereimten Ergebnis, dass der Erwerber nach zehn Jahren haftfrei sei, weil dann die Ersitzung den Erwerb kondiktionsfest gestalte. Ein solches Ergebnis könne nicht Intention des Gesetzgebers gewesen sein, da der Ersitzungserwerb ohne zureichenden Grund gegenüber dem Traditionserwerb privilegiert würde. Damit fußte die Leitentscheidung des Reichsgerichts explizit auf der seinerzeit geltenden langen Verjährung: Es sei widersinnig, wenn der Erwerber bei Schenkung einer fremden Sache einem Geschäftsfähigen dreißig Jahre lang nach § 816 Abs. 1 S. 2 hafte, einem Geschäftsunfähigen hingegen nur zehn.213 Infolgedessen könne in der vorliegenden Konstellation Frau Krigar-Menzel die Herausgabe der Gemälde und nicht nur Wertersatz verlangen.214 Damit wertete das Reichsgericht den Schutz des Geschäftsunfähigen höher als die Klarstellungs- und Befriedungsfunktion der Ersitzung.215 113
Eine heute hauptsächlich von Baldus im Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch vertretene Gegenansicht kritisierte die Einstellung des Reichs213
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Vgl. Baldus in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 6 Sachenrecht: §§ 854–1296, 4. Aufl. 2004, § 937 Rdnr. 7–11. Vgl. auch Petersen, Der Menzelbilderfall (RGZ 130, 69), Jura 1999 (Heft 6), S. 297–299, S. 298–299. Der drohende Wertungswiderspruch wird in dem bei Petersen, Der Menzelbilderfall (RGZ 130, 69), Jura 1999 (Heft 6), S. 297–299, S. 298–299, gebildeten Beispielsfall noch deutlicher: „Man braucht den Fall nämlich nur dahingehend abzuwandeln, daß kein Geschäftsunfähiger die Bilder verschenkt, sondern sich die Parteien lediglich beim Schenkungsvertrag in einem Dissens befinden. Da nunmehr die Übereignung wirksam ist, hat der Beschenkte wegen des Abstraktionsprinzips schon mit der Übereignung nach § 929 S. 1 BGB und nicht erst durch Ersitzung Eigentum erworben. Mangels wirksamen Schenkungsvertrages fehlt es dafür aber an einem Rechtsgrund, so daß der Schenker dreißig Jahre lang kondizieren kann. Stellt man die beiden Fälle einander gegenüber, so ergibt sich ein empfindlicher Wertungswiderspruch, sofern man im Menzelbilderfall § 937 BGB als Rechtsgrund zuläßt: Denn dann könnte im Falle des Dissenses, in dem es auf § 937 BGB überhaupt nicht ankommt, länger kondiziert werden, als wenn ein Geschäftsunfähiger eine Sache weggegeben hat. Mit anderen Worten: der „leichtere“, weil nur die schuldrechtliche Ebene betreffende Mangel des Dissenses würde sich für denjenigen, dem ein Rechtsverlust droht, günstiger auswirken als der gravierende Mangel der Geschäftsunfähigkeit durch Geisteskrankheit. Es handelt sich also um ein argumentum a maiore ad minus. Diese Gegenüberstellung erhellt, daß die Beruhigungsfunktion in diesem konkreten Fall hinter die wertungsmäßig gewichtigeren §§ 105 ff. BGB, um die es letztlich geht, zurücktreten muß.“.
1. Abschnitt: Zivilrechtliche Restitutionsansprüche
gerichts und die in dessen Entscheidung fehlende Bemühung um die Rechtssicherheit des Ersitzungserwerbs und will dementsprechend in Kontradiktion zu der Entscheidung des Reichsgerichts dem früheren Eigentümer einen Rückgabeanspruch nur bei Vorliegen vertraglicher Rückgabeverpflichtungen einräumen.216 Zwar spreche das Trennungs- und Abstraktionsprinzip für die Auffassung des Reichsgerichts, wonach die Ersitzung als sachenrechtliches Erwerbsinstitut lediglich zu einer Eigentumszuordnung führt und nicht auch zur Überwindung relativer Rechte. Diese Einschätzung stehe aber in direktem Widerspruch zu den Regeln des derivativen gutgläubigen Erwerbs der §§ 932 ff. BGB, da für den sofortigen gutgläubigen Erwerb anerkannt sei, dass grds. aus Verkehrsschutzgründen keine Kondiktion durchgreifen dürfe (die Ausnahme des § 816 Abs. 1 S. 2 bestätigt diese Regel), die Ersitzung jedoch eine Auffangfunktion gegenüber dem sofortigen gutgläubigen Erwerb einnehme und somit dort nicht versagen dürfe, wo dieser der Ergänzung bedürfe. Dies gelte umso weniger, als ein originärer Erwerbstatbestand unabhängig von Mängeln des derivativen Erwerbs zu beurteilen sei. „Dem steht auch kein gesteigertes Schutzbedürfnis in der Person des Geschäftsunfähigen entgegen. Es gibt kein schutzwürdiges Vertrauen in die Geschäftsfähigkeit … Im Übrigen wäre es sonst konsequent, demjenigen Geschäftsunfähigen gleichfalls einen Bereicherungsanspruch zuzubilligen, der seine Sache beim Ersitzungsprätendenten vergessen hat. Diese Situation ist weitaus häufiger und beansprucht die geistigen Fähigkeiten des Geschäftsunfähigen in geringerem Maße. Genießt er hier keinen Schutz, sondern wird umgekehrt der Erwerber geschützt, obwohl keinerlei bewusst gesetzter Vertrauenstatbestand existiert, dann ist erst recht der rechtsgeschäftliche Erwerber zu schützen. Das Prinzip, dass niemand auf die Geschäftsfähigkeit eines anderen vertrauen kann, bleibt gewahrt, weil §§ 932 ff. keine Anwendung finden. Die Anwendung des Auffangtatbestandes aus § 937 legitimiert sich durch Erwägungen der Rechtssicherheit; zugleich wird ein Gleichlauf von Leistungs- und Eingriffskondiktion erreicht. Dieser Gleichlauf ist eben deswegen konsequent, weil die deutsche Rechtsordnung die Ersitzung unproblematisch als originären Erwerbstatbestand einordnet …; Sonderregeln für die Leistungskondiktion hingegen gäben eher dann Sinn, wenn man in § 937 einen am rechtsgeschäftlichen Erwerb orientierten Tatbestand derivativen Eigentumserwerbs sehen wollte, was aber der Konzeption des BGB widerspricht. Dass die Leistungskondiktion aufgrund ihrer Rückabwicklungsfunktion vertraglichen Rückabwicklungsmechanismen nahe steht, ändert an diesem Befund nichts; sie bleibt doch ein gesetzlicher Rückabwicklungsbehelf mit spezifischen, im System des BGB angelegten Schwächen. An einem denkbaren, in der Privatautonomie begründeten Vorrang vertraglicher Abwicklung gegenüber anderen Mechanismen nimmt kein Tatbestand der 216
Baldus in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 6 Sachenrecht: §§ 854–1296, 4. Aufl. 2004, § 937, Rdnr. 7–11; Palandt/Bassenge, 69. Aufl. 2010, Vorbem. vor § 937 Rdnr. 2; Soergel/Henssler, BGB, 13. Aufl. 2002, § 937 Rdnr. 9–11.
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1. Teil: Zivilrechtliches Anspruchssystem in Kunstrestitutionsverfahren
§§ 812 ff. teil. Anders verhält es sich bei vertraglichen Ansprüchen: Wer sich zur Lieferung oder Herausgabe einer Sache verpflichtet hat, wird von dieser Schuld nicht durch Eigentumserwerb kraft Ersitzung frei. Die Ersitzung will klarstellen, wem ein Gut dinglich zugeordnet ist; sie beseitigt jedoch nicht die Folgen privatautonom eingegangener Verpflichtungen zur Veränderung dieser Zuordnung. Nach Ersitzung geht der vertragliche Anspruch ggf. also auch auf Übereignung.“217 Damit kommt Baldus zu dem Ergebnis, dass nur vertragliche Ansprüche nach allgemeinen Regeln geltend gemacht werden können, Leistungsund Eingriffskondiktion hingegen nach der Funktion der Ersitzung ausgeschlossen sind. Das bedeutet, dass der Erwerber einer gestohlenen Sache bei gutgläubigem Eigenbesitz mit Eintritt der Ersitzung unangreifbar Eigentümer wird. 114
Die heute herrschende Meinung in der Literatur qualifiziert den Ersitzungserwerb sowohl bei vertraglichen Rückgabeansprüchen als auch bei Vorliegen vertraglicher Rückgabeverpflichtungen nicht als kondiktionsfest und lässt dementsprechend einen Bereicherungsanspruch in Form der Leistungskondiktion zu.218 Hauptsächlich Wiegand streitet in seiner Staudinger-Kommentierung des § 937 BGB für die Lösung, dass der Ersitzende dann Eigentum erwirbt, wenn ihm eine abhandengekommene Sache auf Grund eines gültigen Kauf- oder Schenkungsvertrages übergeben wird. Erhält er dagegen den Besitz oder auch das Eigentum auf Grund eines nichtigen schuldrechtlichen Vertrages, so besteht dem Grundsatz nach ein Kondiktionsanspruch, der allerdings in der Regel bei Ablauf der Ersitzungsfrist verjährt sein wird.219
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„Die Annahme, dass die Ersitzung zu einem endgültigen Eigentumserwerb führe, lässt sich weder aus der Funktion dieses Rechtsinstitutes noch aus seiner Stellung im Gesetz ableiten. Es geht bei der Ersitzung vielmehr wie bei allen andern sachenrechtlichen Erwerbstatbeständen um die Zuordnung dinglicher Rechte. Dagegen ist es keine sachen217
218
219
Baldus in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 6 Sachenrecht: §§ 854–1296, 4. Aufl. 2004, § 937 Rdnr. 7–11. Reichsgericht (RGZ), IV. Zivilsenat, Urteil vom 6. Oktober 1930, sog. Menzelbilderfall, Az.: IV 583/29, RGZ 130 (1931), Nr. 14, S. 69–73. Wiegand in Staudinger – BGB: Buch 3 Sachenrecht, 2004, § 937, Rdnr. 18–23; Baur/Stürner, Sachenrecht, 17. Aufl. 1999, Rdnr. 90; Oertmann, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch und seinen Nebengesetzen, Recht der Schuldverhältnisse, 3. und 4. umgearbeitete Aufl. 1910, S. 585; Oertmann, LZ 1933, S. 881; Wolff/Raiser, Sachenrecht, 10. Bearbeitung 1957, § 71 IV; Reuter/Martinek, Ungerechtfertigte Bereicherung, 1983, S. 725–727; so noch Quack in Münchener Kommentar, 3. Aufl. 1997, Rdnr. 24 ff. (jetzt anders Baldus in Münchener Kommentar, 4. Aufl. 2004, Rdnr. 35–42, insb. 40); noch Soergel/Mühl, 10. Aufl. 1968, § 937 Rdnr. 6 (jetzt aber anders Soergel/Henssler 13. Aufl. 2002, § 937 Rdnr. 9–10; Westermann/Gursky, Grundlagen und Recht der beweglichen Sachen, 6. Aufl. 1990, § 51 III 2; Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, Zweiter Band: Besonderer Teil, 2. Halbband, 1994, § 38 II; Siehr, Ersitzung und Bereicherung – Zum Verhältnis zwischen Sachenrecht und Schuldrecht, in: Hohloch/Frank/Schlechtriem, Festschrift für Hans Stoll zum 75. Geburtstag, 2001, S. 373–384; Petersen, Der Menzelbilderfall (RGZ 130, 69), Jura 1999 (Heft 6), S. 297–299, S. 298–299; Braun, Kunstprozesse von Menzel bis Beuys – 13 Fälle aus dem Privatrecht, 1995, S. 14–15. Vgl. Wiegand in Staudinger – BGB: Buch 3 Sachenrecht, 2004, § 937, Rdnr. 18–23.
1. Abschnitt: Zivilrechtliche Restitutionsansprüche
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rechtliche Frage, ob diese Zuordnung zu Recht besteht und wie lange sie Bestand hat. Auch der vielfach verwendete Hinweis auf die ‚Beruhigungsfunktion‘ der Ersitzung steht dem nicht entgegen; denn auch bei den übrigen Ansprüchen findet eine derartige ‚Beruhigung‘ durch das Institut der Verjährung statt, welches allerdings im Hinblick auf die unterschiedliche Sachlage anderen Regeln folgt. Geht man von einer derartigen auf das Sachenrecht beschränkten Funktion der Ersitzung aus, so folgt daraus zunächst einmal, dass vertragliche Rückgabepflichten durch den kraft Gesetzes eingetretenen Eigentumserwerb nicht aufgehoben werden können. Das Gleiche muss aber auch gelten, wenn der Ersitzende ohne gültigen Rechtsgrund vom Eigentümer den Besitz erlangt hatte. Nachdem die verschiedenen Rückabwicklungsansprüche in zunehmendem Maße als strukturell ähnlich betrachtet werden, scheint es heute weniger denn je gerechtfertigt, vertragliche Rückabwicklungsansprüche anders zu behandeln als die Leistungskondiktion. Liegt keine derartige Leistungsbeziehung zwischen dem bisherigen Eigentümer und dem Ersitzenden vor, so stellt allerdings die Ersitzung einen endgültigen Erwerbsgrund dar, welcher die Eingriffskondiktion ausschließt. Auch bei dieser auf einen engen Anwendungsbereich reduzierten Konzeption erfüllt die Ersitzung die eigentlich ihr zugewiesene Funktion, nämlich der Beseitigung eines dauernden Auseinanderfallens von Eigentum und Besitz. Dies allerdings unter dem Vorbehalt, dass dem Eigentümer nicht andere Rechtsbehelfe zur Zurückerlangung seines Eigentums zustehen.“ 220
Im Ergebnis wurde diesen Ausführungen entsprechend im sog. Menzelbilderfall der Staat Bayern dazu verurteilt, die in seinem Eigentum im Bestand der Münchner Pinakothek ausgestellten 66 Gemälde auf Grundlage eines bereicherungsrechtlichen Anspruchs aus Leistungskondiktion an Frau Krigar-Menzel rückzuübereignen. Insgesamt sechs Ölbilder – darunter das berühmte Gemälde ‚Wohnzimmer mit Menzels Schwester‘ – und sieben Zeichnungen wurden später über den Vormund von Frau Krigar-Menzel für die Pinakothek in München erworben. Verglichen mit den heutigen Preisen mutet der für die übernommenen Bilder gezahlte Betrag von 86.500 Reichsmark günstig an; damals aber war dies eine Summe, wegen der der Staat einen mehr als zehnjährigen Prozess in Kauf nahm.221
220 221
Wiegand in Staudinger – BGB: Buch 3 Sachenrecht, 2004, § 937, Rdnr. 18–23. Braun, Kunstprozesse von Menzel bis Beuys – 13 Fälle aus dem Privatrecht, 1995, S. 14–15; Kunze, Restitution „Entarteter Kunst“ – Sachenrecht und Internationales Privatrecht, 2000, S. 240–244.
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2. Abschnitt Vertragliche Schadensersatzansprüche im internationalen Kulturgüterschutzund Kunstrestitutionsrecht 117
Grundsätzlich stehen im internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht keine vertraglichen Rechtsmittel zur Rückführung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter zur Verfügung, da in der Regel keine vertraglichen Beziehungen zwischen dem Opfer der verschiedenen Tatbestände des illegalen Kulturgüterverkehrs und dem aktuellen Inhaber der tatsächlichen Sachherrschaft über das Kulturgut bestehen. In den meisten Rückerstattungsverfahren wird der unrechtmäßige Besitzer rechtswidrig entzogener Kulturgüter diese nicht einfach an den Berechtigten herausgeben, da er zumindest seine Kosten, die er selbst für den Erwerb des Kulturguts aufwendete, gegenüber dem Veräußerer geltend machen möchte. Aus diesem Grund wird in zivilrechtlichen Restitutionsklagen der Käufer eines unrechtmäßig entzogenen Kulturguts regelmäßig den Veräußerer des mit zweifelhafter Provenienz belasteten Kunstwerks als Dritten und Mitbeklagten (third-party defendant) am Rechtsstreit beteiligen, gegen den er einen vertraglichen Schadensersatzanspruch auf finanzielle Kompensation geltend machen wird, wenn er das Kunstobjekt an den berechtigten Rechtsinhaber herauszugeben hat.222 Eine solche Konstellation223 ereignete sich bspw. in der Entscheidung Menzel v. List224, in der die zivilrechtliche Nichtigkeit der kulturellen Beutenahme und somit das Wechselspiel der monolateralen Einflussnahme völkerrechtlicher Grundprinzipien auf nationale Zivilrechtsordnungen225 dargestellt wurden.
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Die Gouache ‚L’Échelle de Jacob‘ von Marc Chagall galt nach Kriegsende als verschollen. Sämtliche Versuche der Eigentümer Menzel, sie aufzufinden, schlugen fehl. Im Jahr 1955 wurde das Gemälde jedoch von Klaus Perls und sei-
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223 224
225
Vgl. zu diesem Ansatz auch Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 63–64; Kaufman, Art Law Handbook, 2000, S. 477–479. Menzel v. List, 267 NYS 2d 804 (Sup. Ct. 1966), S. 807. Menzel v. List, 267 NYS 2d 804 (Sup. Ct. 1966), Menzel v. List, 298 NYS 2d 297 (CA 1969), Menzel v. List, 279 NYS 2d 608 (Sup. Ct. 1967). Vgl. auch Werner, Die sachenrechtliche Zuordnung von Raub- und Beutekunst, in: Ministerium für Kultur der Russischen Föderation u.a., Das schwierige Schicksal von Kulturgütern, 2002, S. 261–276, S. 264–265. Vgl. auch das diesbezügliche Schrifttum m.w.N.: Lerner/Bresler, Art Law – The Guide for Collectors, Investors, Dealers and Artists, 2005, S. 93–97 und S. 269–270; Schnabel/Tatzkow, Nazi Looted Art – Handbuch Kunstrestitution weltweit, 2007, S. 326–327; Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 129.
2. Abschnitt: Vertragliche Schadensersatzansprüche
89
ner Frau Amelia Perls, Inhaber der bekannten New Yorker Perls Gallery, für US-$ 2.800 von der Pariser Kunstgalerie Art Moderne erworben. Die Eheleute Perls hatten das Gemälde ohne Kenntnis über die vorherige Geschichte und ohne Nachforschungen über die Provenienz des Gemäldes erworben. Noch im selben Jahr veräußerten die Perls die Gouache an Albert List für US-$ 4.000. Die Gouache blieb im Privatbesitz von List, bis Erna Menzel 1962 Kenntnis davon erhielt. Nachdem Frau Menzel erfolgreich eine replevin-Klage gegen List mit dem Ziel der Wiedererlangung der tatsächlichen Sachherrschaft über das Gemälde angestrengt hatte, klagte dieser seinerseits gegen die Perls Gallery auf Zahlung von Schadensersatz aufgrund „breach of warranty of title“. Die Inhaber der Perls Gallery sprachen sich jedoch aufgrund ihrer eigenen Gutgläubigkeit beim Erwerb der Gouache gegen die Pflicht zur Zahlung einer Schadensersatzsumme an List aus. Der Fall um die Herausgabe der Gouache ‚L’Échelle de Jacob‘ von Marc Chagall stellte das erste Rückführungsverfahren nach Ende des Zweiten Weltkriegs innerhalb des Territoriums der Vereinigten Staaten von Amerika dar und wies damit den Weg weiterer zivilrechtlicher Restitutionsklagen zur Wiedergutmachung kriegsbedingt entzogener Kulturgüter der nationalsozialistischen Besatzungsmacht Deutschlands im besetzten Ausland.226 Nachdem der zur Entscheidung berufene Richter zunächst die Völkerrechtswidrigkeit der außerhalb deutschen Staatsgebietes (im besetzten Belgien) im Krieg erfolgten Konfiskationen der Kunstwerke festgestellt hatte und infolgedessen bestimmte, dass durch die unrechtmäßige Entziehung auch kein Eigentumsverlust des ursprünglich Berechtigten eingetreten war, sprach er Mrs. Menzel einen Anspruch auf Herausgabe der Gouache gegenüber Mr. List aus einer action of replevin zu. Dementsprechend musste nach der amerikanischen Terminologie auch der Schadensersatzanspruch von Mr. List aufgrund sog. breach of an implied warranty of quiet possession seitens des Gerichts gegenüber dem Veräußerer der ChagallGouache untersucht und das richtige Maß der Schadensersatzzahlung an den zur Herausgabe verpflichteten Erwerber bestimmt werden. Während der New York Supreme Court die Schadensersatzzahlung entsprechend dem Wert der Gouache zum Zeitpunkt der Veräußerung (d.h. US-Dollar 4.000) und den zwischenzeitlich entstandenen Zinsen bezeichnete 227, setzte die Revisionsinstanz den aktuellen Wert zum Zeitpunkt der Klage auf US-Dollar 22.500 fest.228 „In all of these cases the victim may try to make use of contractual remedies of the buyer against 226
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Vgl. zu den Sachverhaltsangaben Lerner/Bresler, Art Law – The Guide for Collectors, Investors, Dealers and Artists, 2005, S. 93–97 und S. 269–270; Schnabel/Tatzkow, Nazi Looted Art – Handbuch Kunstrestitution weltweit, 2007, S. 326–327; Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 129. Menzel v. List, 279 NYS 2d 608 at 609 (Sup. Ct. 1967): im Jahre 1955 hatte Mr. List das Gemälde für US-Dollar 4.000 erworben. Menzel v. List, 298 NYS 2d 297 at 298 (CA 1969).
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1. Teil: Zivilrechtliches Anspruchssystem in Kunstrestitutionsverfahren
the seller. In some countries the buyer may avoid the contract because of breach of warranty even if the buyer became bona fide owner of the sold goods. The clouded and obscure title of the buyer is sufficient for a claim to avoid the contract. This remedy, however, is a contractual one and cannot be used by third parties because of lack of privity. Even the buyer cannot be forced to exercise his rights. Hence the victim is reduced to extracontractual remedies.“229 120
Innerhalb der Rechtssache Jeanneret v. Vichy aus dem Jahre 1982230 wurde vergleichbar ersichtlich, dass auch ein illegaler Export als „breach of implied warranty of title“ vor amerikanischen Gerichten Gehör fand.231 Anna Vichy, Tochter des bedeutenden italienischen Kunstsammlers Frua De Angeli, erbte nach dem Tod ihres Vater das Matisse-Gemälde ‚Visage sur Fond Jaune‘ (1952). Das Gemälde wurde über die Schweiz nach New York gebracht und dort von der Schweizer Kunsthändlerin Marie Louise Jeanneret erworben. Mittlerweile erhob der italienische Staat Ansprüche auf das Gemälde als Bestandteil des italienischen Kulturpatrimoniums. Die italienische Regierung machte geltend, dass das Kunstwerk nicht ohne Genehmigung hätte ausgeführt werden dürfen, nachdem das italienische Kulturministerium das Werk zum nationalen Kulturgut erklärt hatte. Nachdem Jeanneret erfuhr, dass das Matisse-Gemälde ohne gültige Exportlizenz aus Italien unrechtmäßig ausgeführt worden war, machte sie als Käuferin Schadensersatzansprüche gegen die Verkäuferin Vichy geltend. Die Kunsthändlerin verlangte den Kaufpreis zurück und forderte außerdem Schadensersatz für entgangenen Gewinn, da das Gemälde schlichtweg unverkäuflich sei. Als professionelle Kunsthändlerin verbiete es sich ihr zudem, unrechtmäßig ausgeführte Kunstwerke in ihrer eigenen Galerie zum Verkauf anzubieten.232 Im Ergebnis gab das erstinstanzliche Gericht der Klage wegen „breach of implied
229
230 231
232
Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 63–64. Jeanneret v. Vichy, 541 F.Supp. 80 (S.D.N.Y. 1982), 693 F.2d 259 (2d Cir. 1982). Vgl. hierzu Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 147–148, S. 186–187 und S. 212–213; Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff., S. 45–46, Jayme, Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im Internationalen Privatrecht, in: Dominicé/Patry/Reymond, „Études de droit international en l’honneur de Pierre Lalive“, 1993, S. 717–731, S. 726–727; Jayme, Kunstwerk und Nation: Zuordnungsprobleme im internationalen Kulturgüterschutz, 1991, S. 16–17; Jayme, Die Nationalität des Kunstwerks als Rechtsfrage, in: Reichelt, Internationaler Kulturgüterschutz – Wiener Symposium 18./19. Oktober 1990, 1992, S. 71– 30, S. 15–16; Buranich, The Art Collecting Countries and Their Export Restrictions on Cultural Property: Who Owns Modern Art?, California Western International Law Journal 19 (1988), S. 153–172, S. 166–168. Vgl. Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes,
2. Abschnitt: Vertragliche Schadensersatzansprüche
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warranty of title“ und „breach of contract“ statt233 und entschied, dass Verkäufer unrechtmäßig ausgeführter Kulturgüter ihre Garantie für die Freiheit von Rechtsmängeln der Verkaufsobjekte verletzen und sich aus diesen Gründen gegenüber gutgläubigen Erwerbern schadensersatzpflichtig machen.234 Auch wenn die Revisionsinstanz später aus tatsächlichen Gründen die Klage abwies, hielt das amerikanische Bundesgericht es in seiner Begründung für maßgebend, dass der Verstoß gegen ausländische Exportbestimmungen den Marktwert eines Kunstwerks mindere, da es sich im legalen Kunsthandel nicht mehr ohne weiteres verkaufen lasse, außerdem der gute Ruf des Besitzers eines solchen Objektes geschädigt würde und er der Möglichkeit der zoll-, zivil- und strafrechtlichen Beschlagnahme ebenso wie einer möglichen finanziellen Inanspruchnahme kultureller Ursprungs- und Herkunftsstaaten ausgesetzt sei.235 Aus diesen Konstellationen wird ersichtlich, dass vertragliche Anspruchsgrundlagen grds. nicht zur Restitution unrechtmäßig entzogener Kulturgüter führen, jedoch regelmäßig eine Inanspruchnahme des Veräußerers mit Schadensersatzansprüchen bei Weiterveräußerung ‚belasteter‘ Objekte möglich ist. Auch in der sog. Odalisque-Konstellation und nach der Restitution eines MatisseGemäldes an die Rechtsnachfolger des französischen Kunsthändlers Paul Rosenberg seitens des Seattle Art Museum wurde ersichtlich, dass aus dem kulturellen Veräußerungsgeschäft unrechtmäßig entzogener Kulturgüter stets eine Inanspruchnahme mit Schadensersatzansprüchen bei Weiterveräußerung eines Kunstwerks mit ‚belasteter‘ Provenienz droht.236 (s. Abb. 4)
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Nach Einmarsch deutscher Truppen in Frankreich flüchtete Paul Rosenberg, einer der führenden französischen Galeristen, im Juni 1940 nach Spanien und emigrierte kurz darauf in die Vereinigten Staaten von Amerika. Nach ‚Arisierung‘ seiner Kunstgalerie und der Beschlagnahme sämtlicher in seinem Schloss
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Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff., S. 45–46; Jayme, Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im Internationalen Privatrecht, in: Dominicé/Patry/Reymond, „Études de droit international en l’honneur de Pierre Lalive“, 1993, S. 717–731, S. 726–727. Vgl. Jeanneret v. Vichey, 541 F.Supp. 80 (1982). Vgl. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 186–187. Jeanneret v. Vichy, 541 F.Supp. 80 (S.D.N.Y. 1982), S. 84–86. Vgl. Buranich, The Art Collecting Countries and Their Export Restrictions on Cultural Property: Who Owns Modern Art?, California Western International Law Journal 19 (1988), S. 153–172, S. 166–167; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 186–187. Vgl. zu den tatsächlichen Angaben in dieser Konstellation Bazyler, Holocaust Justice – The Battle for Restitution in America’s Courts, 2003, S. 202–269, S. 222–226; Schnabel/Tatzkow, Nazi Looted Art – Handbuch Kunstrestitution weltweit, 2007, S. 341–342; Lerner/Bresler, Art Law – The Guide for Collectors, Investors, Dealers and Artists, 2005, S. 747 ff.; Feliciano, Das verlorene Museum – Vom Kunstraub der Nazis, 1998, S. 163 ff.; Presseveröffentlichung Seattle Art Museum vom 14.06.1999.
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1. Teil: Zivilrechtliches Anspruchssystem in Kunstrestitutionsverfahren
Floirac verwahrten Kunstgegenstände im September 1940 übergab das VichyRegime den nationalsozialistischen Plünderungsorganisationen und Besatzern im September 1941 weitere 162 Kunstwerke, insbesondere französische Impressionisten, aus dem Tresor einer Bank in Libourne im unbesetzten Teil Frankreichs, die später veräußert wurden. Aller Wahrscheinlichkeit nach hat dabei der deutsche Kunsthändler Gustav Rochlitz im Juli 1942 im Jeu de Paume auch das Matisse-Gemälde ‚Odalisque‘ erworben. Bis zum Juli 1954 verlor sich nun die Spur, bis es aus dem Besitz der Pariser Galerie Drouant-David für US-$ 10.000 an die New Yorker Kunstgalerie Knoedler & Co. veräußert wurde. Diese transferierte das Gemälde im selben Jahr an die in der Nähe von Seattle wohnende Kunstsammlerin Virginia Bloedel, die es unter Ausschluss der Öffentlichkeit in ihrem Privathaus verwahrte und im Jahre 1991 dem Seattle Art Museum schenkte. Dort entdeckten die Rechtsnachfolger Paul Rosenbergs im Jahre 1997 das Kunstwerk und forderten von dem Seattle Art Museum die Rückgabe. Daraufhin restituierte das Museum im Oktober 2000 die Matisse-‚Odalisque‘ wegen NS-verfolgungsbedingtem Vermögensverlust.237 123
Daraufhin machte das Seattle Art Museum im Oktober 2000 eine Forderung auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe des aktuellen, noch zu ermittelnden Verkehrswertes des Matisse-Bildes gegenüber der New Yorker Kunstgalerie Knoedler & Co. geltend. Das Museum berief sich in seiner Schadensersatzforderung darauf, dass die Galerie bei dem Verkauf im Jahre 1954 nicht in gutem Glauben gehandelt habe und zum damaligen Zeitpunkt hätte aufklären müssen, dass die Matisse-‚Odalisque‘ als Beutekunst und folglich als NS-verfolgungsbedingt abhandengekommen zu qualifizieren war. Dies wiederum hätte zur Folge gehabt, dass die Galerie das Gemälde unter keinen Umständen hätte an die Erwerberin Virginia Bloedel veräußern dürfen. Eine gerichtliche Entscheidung wurde vermieden, weil die Kunstgalerie Knoedler & Co. den gegen sie gerichteten Schadensersatzanspruch anerkannte und in einem Vergleich bereit war, angemessenen Ersatz an das Museum zu leisten. Virginia Bloedel, die Kunstgalerie Knoedler & Co. und das Museum einigten sich, dass die Galerie dem Museum als Schadensausgleich Kunstwerke vergleichbarer Qualität unentgeltlich übereignet oder die Zahlung des Verkehrswertes des Matisse-Bildes leistet. Auch wenn die Situation deutlich macht, welchen Gefahren sich Kunsthändler am Markt aussetzen, wenn sie Kulturgüter ohne sorgfältige Provenienzrecherche erwerben, hätte in der vorliegenden Situation seitens der Kunstgalerie Knoedler & Co. jedoch auch darauf hingewiesen werden müssen, dass auch das Seattle Art Museum (bei Annahme der Schenkung des Matisse-Gemäldes ‚Odalisque‘ und bei Nachfrage der Matisse-Stiftung als führender Expertin von Werken dieses Künstlers) davon erfahren hätte, dass das Kunstwerk dem jüdischen Eigentümer Paul Rosenberg
237
Vgl. auch Schnabel/Tatzkow, Nazi Looted Art – Handbuch Kunstrestitution weltweit, 2007, S. 341–342.
2. Abschnitt: Vertragliche Schadensersatzansprüche
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während der Besetzung des französischen Territoriums zur Zeit des Zweiten Weltkriegs durch die deutschen Truppen unrechtmäßig entzogen worden war.238 Die Konstellation Jeanneret v. Vichy aus dem Jahre 1982 und die Restitution der ‚Odalisque‘ von Matisse im Jahre 2000 lehren jedoch vornehmlich die professionell im Kunstmarkt beteiligten Kunsthändler, Galeristen und Auktionshäuser ebenso wie die laienhaft im Kunstmarkt als Verkäufer auftretenden Privatsammler, erhöhte Sorgfaltsanforderungen an den Tag zu legen, um nicht Kunstwerke anzubieten, die eine ‚belastete‘ Provenienz aufweisen und dementsprechend mit dem Makel der Illegalität behaftet sind. Verkäufer sollten alles daran setzen, nur Kunstwerke makelloser Herkunft zu veräußern, um sich nicht selbst der Gefahr von Schadensersatzansprüchen der Erwerber ausgesetzt zu sehen.239 Hierfür bietet eine detaillierte Provenienzrecherche im Vorfeld eines jeden Erwerbs ein probates Mittel.
238
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Vgl. Dobryzynski, A Matisse Looted in ’41 Turns Up, The New York Times, October 21, 1997 at E2. Vgl. ausführlich hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 7. Teil, Rdnr. 22 ff.
124
3. Abschnitt Verteidigungsmittel gegen unberechtigte Kunstrestitutionsforderungen 125
Schon wiederholt wurde darauf hingewiesen, dass nicht nur die professionell im Kunsthandel beteiligten Museen, Kunsthändler, Galeristen und Auktionshäuser, sondern insbesondere auch Privatsammler im Kunstmarkt in besonderem Maße auf eine gute Reputation achten und somit oftmals einen Imageschaden beim Erwerb oder der Veräußerung von (angeblich) mit dem Makel der Illegalität behafteten Kulturgütern fürchten. Über den ‚guten Namen‘ hinaus wird zugleich ersichtlich, dass mit der Stigmatisierung kultureller Güter mit dem Makel der Illegalität240 und einem Rechtswidrigkeitsverdikt generell ein großer finanzieller Verlust einhergeht, wenn in der Öffentlichkeit ein bestimmtes Gemälde als gestohlen, als illegaler Export, Beutekunst, Raubkunst, kulturelle Fluchtkunst oder entartete Kunst gebrandmarkt wird. Eine öffentliche Diskussion bspw. über eine unrechtmäßige Ausfuhr kultureller Güter und ein nur möglicherweise bestehender Makel der Illegalität haben generell einen erheblichen Wertverlust zur Folge: Objekte mit ‚belasteter‘ Provenienz besitzen nur noch einen Bruchteil des Marktwertes vergleichbarer legal ausgeführter Kulturgüter. Dies verdeutlicht bspw. Sarah Jackson, Historic Claims Director bei dem Art Loss Register, hinsichtlich des Makels ‚NS-bedingter Kulturgutverlust‘:
126
„The current problems in relation to the Holocaust pose very significant issues for the art trade who may well find themselves holding looted items which should be restituted on moral if not legal grounds. The effect of buyers not wishing to purchase an item once its Holocaust origins become known, the value decreasing, or the work becoming unsaleable on the open market are key issues that the art trade needs to confont.“241
127
Vergleichbar führte John Tancock, Vizepräsident des Auktionshauses Sotheby Parke Bernet, als Zeuge in der oben genannten Entscheidung Jeanneret v. Vichy aus, dass das Gemälde ohne den Makel der illegalen Ausfuhr wohl einen Marktwert von US-$ 750.000 besaß, ohne rechtmäßige Ausfuhrdokumente der von einer Ausfuhr betroffenen Staaten jedoch unverkäuflich sei: „No reputable auction house or dealer would be prepared to handle it.“242 Dies hätte zur Folge, dass „on the legitimate market its value is zero.“243 Graham Leader, ein unabhängiger Kunsthändler, erwartete eine Veräußerung des Gemäldes in Höhe von mehr als
240 241
242 243
Vgl. ausführlich hierzu 3, 1239 ff. Vgl. auch Jackson, Provenance Research – Looking for Looted Art, in: International Foundation for Art Research (IFAR), Provenance & Due Diligence – Proceedings of Workshop/Conference: April 29, 2000, S. 19. Zitiert in Jeanneret v. Vichy, 693 F.2d 259 (2d Cir. 1982). Zitiert in Jeanneret v. Vichy, 693 F.2d 259 (2d Cir. 1982).
3. Abschnitt: Verteidigungsmittel gegen unberechtigte Kunstrestitutionsforderungen
95
einer Million Schweizer Franken an einen Interessenten, verweigerte jedoch nach eigenen Worten die Transaktion „from the moment that I learned that the painting had been clandestinely exported from Italy by its former owner, Mme. Vichey-Frua DeAngeli and that it could thus be subject to suit by any authority.“244
A. Klage amerikanischer Museen ggü. Restitutionsgläubigern Dementsprechend wurden inzwischen auch gerichtliche Entscheidungen bekannt, in denen sich die aktuellen Besitzer und Eigentümer gegen diese öffentliche Stigmatisierung einzelner Objekte in ihrem Sammlungsbestand aktiv zur Wehr setzten, um eine gerichtliche Feststellung der Legalität sowohl des Erwerbs des umstrittenen Objektes als auch ihrer Eigentumsposition zu erlangen.
I.
128
Toledo Museum of Art v. Claude George Ullin et al.
So hatte bspw. im amerikanischen Rechtsraum der United States District Court N. D. Ohio, Western Division, am 28.12.2006 in der Rechtssache Toledo Museum of Art v. Claude George Ullin et al. über die Klage eines Museums gegen potenzielle Restitutionsgläubiger des Paul Gauguin-Gemäldes ‚Straßenszene in Tahiti‘, die Rechtsnachfolger der ursprünglichen, jüdischen Eigentümerin Martha Nathan, zu entscheiden.245
129
Martha Nathan erbte die Sammlung Hugo Nathans im Jahre 1922. „Im Februar 1937 verließ Martha Nathan Deutschland verfolgungsbedingt und ging nach Paris. 1938 kehrte sie nach Deutschland zurück, um ihr Haus zu verkaufen. Nationalsozialistische Stellen zwangen sie dazu, sechs Kunstwerke, die in diesem Haus verblieben waren, dem Frankfurter Städel zu überlassen, das streitgegenständliche Gemälde gehörte allerdings nicht zu diesen Werken, der „Gauguin“ befand sich zu diesem Zeitpunkt bereits in der Schweiz (Basel). Martha Nathan übersiedelte danach ebenfalls in die Schweiz. Im Dezember 1938 verkaufte sie einige ihrer Kunstwerke einschließlich der „Straßenszene“, diese für 30.000 Schweizer Franken, an drei bekannte Kunsthändler. Zwei von ihnen, Justin Thannhauser und Alexander Ball, waren ebenfalls Deutsche jüdischen Glaubens, deren Galerie „arisiert“ worden war, und die Martha Nathan seit vielen Jahren kannte. Der dritte Erwerber, George Wildenstein, war ebenfalls jüdischen Glau-
130
244 245
Zitiert in Jeanneret v. Vichy, 693 F.2d 259 (2d Cir. 1982). Vgl. ausführlich hierzu und zum Folgenden die Ausführungen bei Mejias, Jetzt klagen die Museen – Erbfälle: Neuer Streit um Gemälde aus jüdischem Besitz, FAZ, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.01.2006, Nr. 24, S. 37; Weller, US-Urteil: Keine Restitution von Gauguins „Straßenszene in Tahiti“, Beitrag vom 24. January 2007, www.ifkur.de.
96
1. Teil: Zivilrechtliches Anspruchssystem in Kunstrestitutionsverfahren
bens, alle drei mussten fliehen. Einige Monate später kaufte das TMA die „Straßenszene“ für USD 25.000 von Wildenstein & Co.“ 246 Nach dem Krieg erhielt Martha Nathan eine Entschädigung für die ihr abgezwungene Reichsfluchtsteuer aus der Veräußerung ihres Hausstands, für den Schaden aus der Veräußerung desselben unter Wert sowie für den Verlust der sechs dem Städel übergebenen Gemälde. In dem Verfahren lehnte das Gericht eine unrechtmäßige NS-bedingte Kulturgutentziehung ab: „This sale occurred outside Germany by and between private individuals who were familiar with each other. The Painting was not confiscated or looted by the Nazis; the sale was not at the direction of, nor did the proceeds benefit, the Nazi regime“. Obwohl Martha Nathan nach Ende des Zweiten Weltkriegs verschiedene Wiedergutmachungsansprüche in Deutschland und den USA erhob, beanspruchte sie zu keinem Zeitpunkt die Rückführung des Gauguin-Gemäldes. Schließlich hielt das Gericht einen Restitutionsanspruch trotz Anerkennung einer „strong public policy to resolve claims for Nazi-era artwork“ für verjährt, da die vierjährige Verjährungsfrist des Staates von Ohio, anders als etwa nach § 354.3 des kalifornischen Codes of Civil Procedure, abgelaufen sei.247 (s. Abb. 5)
II.
Detroit Institute of Art gegen die Erbengemeinschaft um Martha Nathan
131
Vergleichbar hatte der United District Court, Eastern District of Michigan, Southern Division am 31. März 2007 über die Klage des Detroit Institute of Art gegen die Erbengemeinschaft um Martha Nathan hinsichtlich des Vincent van GoghGemäldes ‚Die Grabenden‘ mit einem Schätzwert von 15 Millionen US-Dollar zu entscheiden.248
132
Auch dieses Gemälde hatte Martha Nathan 1938 in Basel an die seit langem befreundeten, ebenfalls jüdischen Kunsthändler Justin Thannhauser, Alexander Ball und George Wildenstein veräußert. Das Detroit Institute of Art erwarb das Werk im Jahr 1969 als Vermächtnis aus dem Nachlass des Kunstsammlers Robert H. Tannahill. Auch in der vorliegenden Konstellation sah das Gericht den Restitutionsanspruch als verjährt an, da weder Martha Nathan noch deren 246
247
248
Weller, US-Urteil: Keine Restitution von Gauguins „Straßenszene in Tahiti“, Beitrag vom 24. January 2007, www.ifkur.de. Weller, US-Urteil: Keine Restitution von Gauguins „Straßenszene in Tahiti“, Beitrag vom 24. January 2007, www.ifkur.de. Vgl. ausführlich hierzu Mejias, Jetzt klagen die Museen – Erbfälle: Neuer Streit um Gemälde aus jüdischem Besitz, FAZ, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.01.2006, Nr. 24, S. 37; Huttenlauch, Gerichte in den USA gegen Restitution – Tahitische Strassenszene, Artikel vom 16. Juli 2007, Quelle: http://www.artnet.de/magazine/features/huttenlauch/huttenlauch0716-07.asp; Weller, US-Urteil: Verjährung von Holocaust-Ansprüchen (Detroit Institute of Art), Beitrag vom 10. Mai 2007, www.ifkur.de.
3. Abschnitt: Verteidigungsmittel gegen unberechtigte Kunstrestitutionsforderungen
97
Rechtsnachfolger nach dem Krieg zu keinem Zeitpunkt Ansprüche im Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Werk erhoben hatten, obwohl dies möglich und effektiver Rechtsschutz eröffnet war. Außerdem bezweifelte der United District Court einen unrechtmäßigen Kulturgutverlust, da die Werke durch private Transaktionen außerhalb Deutschlands und zwischen Individuen, die untereinander befreundet waren, veräußert wurden, eine Beschlagnahme durch die Nationalsozialisten jedoch nicht stattgefunden hatte („the painting was not confiscated or looted by the Nazis; the sale was not at the direction of, nor did the proceeds benefit, the Nazi regime“).249 (s. Abb. 6) In beiden Fallkonstellationen sind somit die amerikanischen Museen selbst vor Gericht gezogen, um sich als rechtmäßige Eigentümer zweier Gemälde aus dem Besitz einer jüdischen Bankiersfamilie bestätigen zu lassen. „Sie stellen damit die Vorgehensweise auf den Kopf, die bisher bei Konflikten um Kunstwerke, die während der Nazizeit ihre Besitzer wechselten oder wechseln mußten, üblich war.“250 Gleichzeitig wiesen die Museen von Detroit und Toledo in der Öffentlichkeit darauf hin, dass sie unter den ersten amerikanischen Institutionen waren, die nach dem Krieg aktiv die Rückgabe von geraubter oder unter Zwang verkaufter Kunst aus jüdischem Besitz betrieben. Dennoch begehrten sie nun die gerichtliche Feststellung, dass sie die rechtmäßigen Eigentümer der beiden Gemälde sind, dass kein anderer rechtmäßiger Anspruch besteht und dass es keine weiteren Anspruchsforderungen diesbezüglich mehr geben dürfe 251 – und erhielten in allen Punkten Recht.
133
III. The Museum of Modern Art and the Guggenheim Foundation v. Julius S. Schoeps et al. Auch in The Museum of Modern Art and the Guggenheim Foundation v. Julius S. Schoeps et al. wehrten sich die beiden genannten Museen gegen die nach ihrer Ansicht unbegründeten Restitutionsforderungen der Erbengemeinschaft um den Potsdamer Professor Julius S. Schoeps hinsichtlioch der beiden Picasso-Gemälde ‚Boy Leading a Horse‘ (1906) aus dem Museum of Modern Art und ‚Moulin de la Galette‘ (1900) aus dem Guggenheim Museum. (s. Abb. 7)
249
250
251
Vgl. ausführlich hierzu Huttenlauch, Gerichte in den USA gegen Restitution – Tahitische Strassenszene, Artikel vom 16. Juli 2007, Quelle: http://www.artnet.de/magazine/features/ huttenlauch/huttenlauch07-16-07.asp; Weller, US-Urteil: Verjährung von Holocaust-Ansprüchen (Detroit Institute of Art), Beitrag vom 10. Mai 2007, www.ifkur.de. Vgl. Mejias, Jetzt klagen die Museen – Erbfälle: Neuer Streit um Gemälde aus jüdischem Besitz, FAZ, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.01.2006, Nr. 24, S. 37. Vgl. Mejias, Jetzt klagen die Museen – Erbfälle: Neuer Streit um Gemälde aus jüdischem Besitz, FAZ, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.01.2006, Nr. 24, S. 37.
134
98
1. Teil: Zivilrechtliches Anspruchssystem in Kunstrestitutionsverfahren
135
Die Museen erhielten von den Anspruchstellern am 1. November 2007 eine Aufforderung zur Restitution der beiden umstrittenen Gemälde. Beide Museen lehnten die Anfrage am 7. Dezember 2007 ab und reichten bei dem Southern District of New York eine Complaint for Declaratory Judgment ein. Beide Gemälde standen im Besitz von Paul von Mendelssohn-Bartholdy bis zu seinem Tod im Jahre 1935. Der Beklagte Julius Schoeps ist der Enkel einer der Schwestern von Mendelssohn-Bartholdy. Das Museum of Modern Art erwarb das Gemälde ‚Boy Leading a Horse‘ von William S. Paley als Geschenk im Jahre 1963. Dieser hatte den Picasso mittels des Kunsthändlers Justin Thannhauser im August 1935 erworben. Das Gemälde ‚Moulin de la Galette‘ stand im Besitz von Thannhauser, als er im Jahre 1940 nach New York emigrierte. Dieser überließ den Picasso als Teil einer größeren Schenkung zunächst im Jahre 1963 dem Guggenheim Museum und nach dessen Tod im Jahre 1978 dauerhaft. (s. Abb. 8)
136
Die Beklagten sind hier der Ansicht, dass Mendelssohn-Bartholdy die Gemälde aufgrund der finanziellen Unterdrucksetzung seitens des NS-Regimes unter Zwang veräußern musste: Paul Mendelssohn-Bartholdy habe die Bilder 1934 an den befreundeten Berliner Kunsthändler Justin Thannhauser verkauft – er habe sich seit einem Überfall durch SA-Schläger in Berlin bedroht gefühlt und sein Exil vorbereitet. Die New Yorker Museen wollen per Feststellungsklage erreichen, dass keine verfolgungsbedingte Vermögensentziehung hinsichtlich der beiden Gemälde vorliegt und dass ihr Eigentum an den Bildern gerichtlich bestätigt wird, da Mendelssohn-Bartholdy die Bilder schon bei der Hochzeit im Jahre 1927 seiner zweiten („arischen“) Frau Elsa von Lavergne-Peguilhen geschenkt habe und somit eine „verfolgungsbedingte“ Veräußerung auszuschließen sei. Dabei können die Museen auf einen Erbvertrag aus dem Jahre 1935 verweisen, in dem Elsa als Vorerbin des Vermögens ihres Mannes eingesetzt worden war, handschriftlich wurde in den Vertrag der Vermerk eingefügt, „dass die Gemälde Frau Mendelssohn-Bartholdy bereits bei der Hochzeit von ihrem Gatten geschenkt worden seien“. In einer gemeinsamen Stellungnahme heißt es: „The Museum of Modern Art and the Guggenheim Museum take the issue of restitution very seriously. We have provided access to our records and encouraged Mr. Schoeps to share with us any factual support for his claim. Evidence from our extensive research makes clear the museums’ ownership of these works and also makes clear that Mr. Schoeps has no basis for his claim.“ Die Beklagten qualifizieren diesen jedoch als typisches „Verfolgten-Testament“, um das Vermögen Paul von Mendelssohn-Bartholdys vor dem nationalsozialistischen Unrechtsregime zu schützen. Fest steht allein, dass bis 1935 fünf Picassos aus der Sammlung in den Besitz von Justin Thannhauser gelangt sind – ungeklärt ist bislang, wie und zu welchem Preis.252 Schließlich legten die Parteien den Rechtsstreit einvernehmlich
252
Vgl. zu den tatsächlichen Angaben Vogel, Two Museums Go to Court Over the Right to Picassos, The New York Times, Artikel vom 8. Dezember 2007; Tilmann, Pferde stehlen, Der
3. Abschnitt: Verteidigungsmittel gegen unberechtigte Kunstrestitutionsforderungen
99
bei, ohne jedoch die genauen Bedingungen offenzulegen. Die Gemälde verbleiben danach an ihrem angestammten Ort in den New Yorker Museen, es wurde in der Presse teilweise von der Zahlung einer Geldsumme an die Beklagten seitens der Museen berichtet.
IV. Bakalar v. Vavra & Fischer Schließlich bietet die Rechtssache Bakalar v. Vavra & Fischer 253 ein Beispiel für die Klage einer Privatperson – und nicht wie voranstehend eines Museums – gegen möglicherweise unbegründete Restitutionsansprüche. Egon Schieles ‚Sitzende mit angezogenem linken Bein‘ (1917) stammt aus der Sammlung von dem berühmten jüdischen Wiener Kabarettisten und Schauspieler Fritz Grünbaum. Nach dessen Deportation in das Konzentrationslager Dachau im Jahre 1938 erhielt die Speditionsfirma Schenker & Co. AG die Erlaubnis, die Sammlung im Auftrag der Ehefrau Elisabeth Grünbaum zu exportieren. Dabei verschwand die Sammlung. Fritz Grünbaum starb im Jahre 1941 in Dachau und seine Frau ein Jahr später in Minsk. Die hier umstrittene Zeichnung wurde im Jahr 1956 in der Schweizer Galerie Gutekunst & Klipstein an den jüdischen Kunstsammler und -händler Otto Kalir veräußert. Dessen New Yorker Galerie veräußerte das Kunstwerk im November 1963 an den Philanthrop David Bakalar aus Boston zu einem Kaufpreis i.H.v. 3.300 US-Dollar, der die Zeichnung seinerseits am 8. Februar 2005 bei Sotheby’s in London für 400.000 britische Pfund versteigern ließ. Im Anschluss daran beanspruchten Leon Fischer and Milos Vavra als Rechtsnachfolger der Grünbaum-Sammlung die Restitution der Zeichnung von Sotheby’s. Das Objekt sei während des Transports durch das seitens des NSRegimes kontrollierte Speditionsunternehmen unrechtmäßig enteignet worden. Das Versteigerungshaus annulierte den Verkauf und informierte den Einlieferer Bakalar, dass das Kunstwerk zurückgehalten werde, bis die Eigentumsfrage geklärt sei. Daraufhin klagte Bakalar auf Feststellung seiner Eigentumsposition vor dem Southern District of New York. Der Kläger stützte seine Eigentumsposition auf einen gutgläubigen Erwerb der Zeichnung. Fischer und Vavra machten dagegen vor Gericht geltend, dass sie auch noch zum Zeitpunkt der Klage die rechtmäßigen Inhaber der gesamten Grünbaum-Sammlung seien. Die Lösung des Falles erkannte das New Yorker Gericht einerseits in den Ereignissen um den Verlust der Sammlung im Jahre 1938 und der Wiederentdeckung im Schweizer Handel im Jahre 1956. Seitens der Schweizer Galerie Gutekunst & Klipstein wurde erklärt, dass die Zeichnung zusammen mit anderen Schiele-Werken von
253
Tagesspiegel, Artikel vom 19.8.2008; Baier, „Die Museen sind auf dem Kriegspfad“, Welt Onine, Artikel vom 28.8.2008. Bakalar v. Vavra & Fischer, 237 F.R.D. 59 (S.D.N.Y. 2006); 2006 WL 2311113 (S.D.N.Y. 2006); 550 F.Supp.2d 548 (S.D.N.Y. 2008); 2008 WL 4067335 (S.D.N.Y. 2008).
137
100
1. Teil: Zivilrechtliches Anspruchssystem in Kunstrestitutionsverfahren
Elisabeth Grünbaums älterer Schwester, Mathilde Lukacs, erworben wurde. Die Beklagten qualifzierten dies als reine Erfindung und blieben bei ihrer Behauptung, dass die NS-Firma Schenker die Sammlung gestohlen habe. Dies belege eine Ausfuhrerlaubnis für schätzungsweise 420 Kunstwerke aus der GrünbaumSammlung zugunsten der Speditionsfirma Schenker. (s. Abb. 9) 138
Der District Court kam jedoch zur Ansicht, dass die Erben nicht nachweisen konnten, dass sich die umstrittene Zeichnung unter diesen, allein summarisch und nicht einzeln aufgelisteten Werken befand. Ebenso wenig konnte nachgewiesen werden, dass Schenker die Werke gestohlen hatte. Zunächst bestimmte das Gericht die Anwendung Schweizer Privatrechts hinsichtlich der Frage, ob sowohl Gutekunst & Klipstein als auch der Kläger Bakalar die Zeichnung gutgläubig erworben hatten, und die Anwendung New Yorker Rechts hinsichtlich der Frage der Verwirkung eines möglichen Restitutionsanspruchs. Schließlich stellte das Gericht am 2. September 2008 fest, dass beim Erwerb der Zeichnung seitens der Schweizer Galerie Gutekunst & Klipstein keine verdächtigen Erwerbsumstände vorlagen, diese hinreichende Sorgfalt ausübte und schließlich Bakalar Eigentum an der Zeichnung erwarb. Über eine etwaige Verwirkung musste somit nicht entschieden werden. Da die Beklagten am 17. Oktober 2008 ein Rechtsmittel gegen die Entscheidung einlegten, steht nun eine Entscheidung des United States Court of Appeals for the Second Circuit über den Fall aus. Es erscheint fraglich, ob es für den Erwerber tatsächlich ausreichend war, nach der Herkunft zu fragen, nachdem er wusste, dass die Zeichnung aus der Sammlung einer Wiener Familie stammte. Obwohl dem Gericht bekannt war, dass Österreich zu diesem Zeitpunkt schon unter NS-Herrschaft stand und das Eigentum zahlreicher jüdischer Bürger verstaatlicht worden war, nahm das Eingangsgericht trotz der Gesamtumstände und dem Herkunftshinweis seitens des Veräußerers nicht an, dass der Erwerber weitergehendere Provenienznachforschungen unternehmen musste, um nach Schweizer Zivilrechtsgrundsätzen zu diesem Zeitpunkt als gutgläubig qualifiziert werden zu können. Das Gericht stellte fest, dass auch bei weitergehenderen Nahforschungen des Käufers „it would have been highly unlikely that he would have been able to conduct that the Nazis, or anyone else, had taken the Drawing from [the original owner]“ – selbst bei den modernen Erkenntnissen der Provenienzforschung sei es unmöglich, „concrete evidence“ hinsichtlich des Entziehungsaktes zu erlangen.
3. Abschnitt: Verteidigungsmittel gegen unberechtigte Kunstrestitutionsforderungen
B.
101
‚Rote Mitte‘-Entscheidung des BGH vom 24.10.2005
Eine vergleichbare Fallkonstellation ereignete sich auch innerhalb des deutschen Rechtssystems und das LG Ravensburg 254, das OLG Stuttgart255 und schließlich der BGH am 24.10.2005 hatten sich in der sog. ‚Roten Mitte‘-Entscheidung256 mit der Frage auseinanderzusetzen, in welcher Form sich der in seinem Eigentum Betroffene erwehren kann, wenn sich jemand nicht gegenüber dem wahren Eigentümer, sondern gegenüber außen stehenden Dritten berühmt, Eigentümer eines Kunstwerks zu sein.257
139
Der Kläger, der im Besitz einer bedeutenden Kunstsammlung ist, erwarb im Jahr 1983 das von Oskar Schlemmer im Jahr 1931 gezeichnete Gemälde ‚Rote Mitte‘ von einer deutschen Galerie, die das Werk im Jahr 1959 im Rahmen einer Auktion in den Vereinigten Staaten ersteigert hatte. Beklagter ist ein Nachkomme eines Mitglieds der Erbengemeinschaft Oskar Schlemmer mit Wohnsitz in Italien. Dieser hatte in einem als „vertraulich“ gekennzeichneten, an einen Kunstverlag gerichteten Schreiben, das den Briefkopf „Oskar Schlemmer Sekretariat und Archiv …“ trägt, geäußert, der „Familiennachlass Oskar Schlemmer“ sei Eigentümer des Bildes ‚Rote Mitte‘. Der hiervon durch den Kunstverlag unterrichtete Kläger verlangte in der Folge von dem Beklagten, diese Behauptung zu unterlassen. Dabei bestand zwischen den Parteien Einigkeit darüber, dass der Kläger – zumindest durch Ersitzung nach § 937 BGB – Eigentümer des Bildes war, selbst wenn das Werk dem Künstler während der Zeit des Nationalsozialismus widerrechtlich entzogen worden sein sollte. Während das Landgericht die Klage abgewiesen hatte, hatte das Oberlandesgericht ihr stattgegeben. Hiergegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision des Beklagten.
140
Im materiell-rechtlichen Teil der Entscheidung ging es um die Frage nach dem Anwendungsbereich des § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB: Der BGH hatte darüber zu entscheiden, ob es für ein Eingreifen der Norm ausreicht, dass sich jemand nur gegenüber dem Eigentümer berühmt, er (oder ein anderer) sei Eigentümer, oder ob die unberechtigte Eigentumsberühmung (wie im zu entscheidenden Fall)
141
254 255 256
257
Vgl. LG Ravensburg, 7. Februar 2003, Az: 4 O 354/02. Vgl. OLG Stuttgart, 23. September 2003, Az: 12 U 42/03. Vgl. BGH, Urteil des 2. Zivilsenat vom 24.10.2005, Az.: II ZR 329/03, NJW 2006, S. 689– 690. Vgl. die nachstehenden Entscheidungsanmerkungen: Stürner, jurisPR-BGHZivilR 4/2006 Anm. 4 (Anmerkung); Junker, jurisPR-ITR 1/2008 Anm. 4; Jayme, Der Fall ‘Rote Mitte’ von Oskar Schlemmer: Besprechung des Urteils des Bundesgerichtshofes vom 24.10.2005 – II ZR 329/03, Kunstrechtsspiegel 01/07, S. 11–12 (= IPRax 2006, 502) (Anmerkung); Roth, BGH: Abwehr von unberechtigten Rechtsberühmungen im europäischen Zivilprozess, LMK 2006, 176147 (Anmerkung); Rauscher, WuB VII B Art 5 EuGVVO 3.06 (Anmerkung).
102
1. Teil: Zivilrechtliches Anspruchssystem in Kunstrestitutionsverfahren
gegenüber einem Dritten ausgesprochen werden muss.258 Schon das Berufungsgericht hat eine Unterscheidung zwischen einem ‚schlichten Bestreiten‘ des Eigentums gegenüber dem Eigentümer selbst (das im Allgemeinen keinen Unterlassungsanspruch nach § 1004 BGB, sondern allein eine Feststellungsklage auslösen kann)259 und einer gegenüber einem Dritten (hier gegenüber dem Kunstverlag) den Kläger beeinträchtigenden Eigentumsanmaßung gesehen, der jeder Eigentümer mit einer gegen den Beklagten als Störer gerichteten Unterlassungsklage gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB begegnen kann. Berühmt sich jemand nicht gegenüber dem wahren Eigentümer, sondern gegenüber außen stehenden Dritten (sog. Eigentumsberühmung)260, er sei Eigentümer einer Sache, kann sich der dadurch in seinem Eigentum Betroffene mit der Unterlassungsklage gemäß § 1004 BGB wehren.261 Dies haben Baur und Stürner schon vor der hier in Rede stehenden Entscheidung anhand eines Kunstrechtsfalls erläutert: „E ist ein bekannter, privater Kunstsammler. Er ist Eigentümer eines „echten“ Picasso. B behauptet in Kunstsammlerkreisen, das Gemälde sei ihm in den Nachkriegswirren abhandengekommen. Hier könnte E gegen B auf Feststellung klagen, daß B nicht Eigentümer ist (§ 256 ZPO). Dies würde aber nicht ausschließen, daß B sich weiterhin seines Eigentums brüstet. Daher ist E berechtigt, gegen B nach § 1004 auf Unterlassung zu klagen.“262 142
Die vorgenannte Erkenntnis fand auch vor den Richtern des BGH Rechtfertigung, die in der Äußerung des Beklagten gegenüber einem Dritten (dem Kunstverlag), der Familiennachlass Oskar Schlemmer sei Eigentümer des Bildes, ebenso wie das OLG eine das Eigentum des Klägers beeinträchtigende Eigentumsberühmung sahen. Der BGH hat sich dabei im Wege eines obiter dictum dazu bekannt, dass weder ein schlichtes Bestreiten des Eigentums noch eine Rechtsberühmung (nur) gegenüber dem Eigentümer einen Unterlassungsanspruch nach § 1004 I 2 BGB begründen könne. Die Streitfrage hat auch und vor allem prozessuale Konsequenzen, weil sie den Gestörten in rein „bilateralen“ Störungsfällen auf die Feststellungsklage nach § 256 I ZPO verweist und ihm die Möglichkeit einer Leistungsklage gegen den Störer nimmt.263
143
Ausdrücklich bestimmte der BGH aber zu einer Eigentumsberühmung gegenüber Dritten, dass „[g]erade in Kunstkreisen … eine derartige Äußerung geeignet 258
259 260
261
262 263
Vgl. Roth, BGH: Abwehr von unberechtigten Rechtsberühmungen im europäischen Zivilprozess, LMK 2006, 176147 (Anmerkung). So aber Medicus in Münchener Kommentar, 4. Aufl. 2004, § 1004 Rdn. 29. Vgl. allgemein zur Eigentumsberühmung im Rahmen des § 1004 BGB insb. Palandt/Bassenge, 69. Aufl. 2010, § 1004, Rdnr. 11 m.w.N. Vgl. Jayme, Der Fall ‘Rote Mitte’ von Oskar Schlemmer: Besprechung des Urteils des Bundesgerichtshofes vom 24.10.2005 – II ZR 329/03, Kunstrechtsspiegel 01/07, S. 11–12 (= IPRax 2006, 502). Baur/Stürner, Sachenrecht, 17. Aufl. 1999, § 12, S. 121, Nr. 6. Vgl. Roth, BGH: Abwehr von unberechtigten Rechtsberühmungen im europäischen Zivilprozess, LMK 2006, 176147 (Anmerkung).
3. Abschnitt: Verteidigungsmittel gegen unberechtigte Kunstrestitutionsforderungen
103
[ist], den Kläger in seinen Rechten gemäß § 903 BGB, mit dem Bild nach seinem Belieben zu verfahren, nachhaltig zu beeinträchtigen.“264 Entgegen der Ansicht der Revision stehe der Annahme einer Eigentumsberühmung nicht entgegen, dass der Beklagte nicht geltend gemacht habe, selbst Eigentümer des Bildes zu sein, sondern diese Rechtsberühmung zugunsten des Nachlasses ausgesprochen hatte, an dem er nicht beteiligt ist: „Nimmt der Handelnde, wie hier, das Eigentum zugunsten konkreter, namentlich benannter Personen in Anspruch, mit denen er nicht nur familiär eng verbunden ist, sondern deren Eigentumsrechte er zudem nach Außen vertritt, beeinträchtigt dies das Recht des wahren Eigentümers ebenso, als wenn er sich das Eigentum selbst angemaßt hätte.“ Bemerkenswert an der zutreffenden Entscheidung des BGH ist, dass er – ebenso wie das Berufungsgericht – nicht nur der Meinung der Revision, sondern der vorherrschenden Meinung im Schrifttum 265 eine deutliche Absage erteilt hat, wonach eine derartige Rechtsberühmung keinen Unterlassungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 BGB begründe. Zwar löst somit nicht jede Berühmung einen Abwehranspruch aus, jedoch kann „der Eigentümer derartige die dingliche Rechtslage falsch darstellende Äußerungen verbieten lassen, die gegenüber Dritten fallen. Denn dadurch wird er nicht nur unmittelbar in seiner Eigentümerstellung betroffen, er kann die Beeinträchtigung auch nicht anders als durch eine Unterlassungsklage verhindern. Mit einer gegenüber dem Störer erhobenen Feststellungsklage könnte er weiteren Rechtsberühmungen nicht wirksam entgegenwirken.“266 Ansonsten könnten vor allem der Verkauf und Verleih des betreffenden Gegenstands folgenlos durch den Unberechtigten behindert werden.267 Dabei dürfe es auch keine Rolle spielen, ob es sich in der konkreten Äußerung des Beklagten um eine Tatsachenbehauptung oder eine Meinungsäußerung handelt, da angesichts des Eigentums des Klägers, wie aus Art. 5 Abs. 2 GG folgt, eine das Eigentum beeinträchtigende Äußerung auch vom Recht auf Meinungsfreiheit nicht umfasst wäre.268 Nach Ansicht von Roth werden dennoch die Belange des Eigentümers zu sehr hintangestellt, wenn nach Ansicht des BGH und eines Teils des Schrifttums269
264
265 266
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268
269
Weitergehend zu den Interessen der Kunstsammler Baur/Stürner, Sachenrecht, 17. Aufl., 1999, § 12, S. 121, Rdnr. 6. So Palandt/Bassenge 69. Aufl. 2010, § 1004 Rdn. 11 m.w.N. Dabei folgt der BGH zu Recht der Ansicht von Bauer/Stürner, Sachenrecht, 17. Aufl. § 12 Rdn. 6 m.w.N. So auch Roth, BGH: Abwehr von unberechtigten Rechtsberühmungen im europäischen Zivilprozess, LMK 2006, 176147 (Anmerkung); zu restriktiv daher Bamberger/Roth/Fritzsche, BGB, 2003, § 1004 Rdnr. 38. Vgl. auch zur Haftung der von einem schweizerischen Auktionshaus mit einer Expertise beauftragten österreichischen Verfasserin eines Werkverzeichnisses gegenüber dem österreichischen Einlieferer und Eigentümer eines Gemäldes: öst OGH, 20.10.2005, Leitsätze in ZfRV 2006, S. 36. So z.B. Staudinger/Gursky, BGB. 1999, § 1004 Rdnr. 31.
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104
1. Teil: Zivilrechtliches Anspruchssystem in Kunstrestitutionsverfahren
zwar bei Drittberühmung die Unterlassungsklage gewährt, bei bloßer Berühmung dem Eigentümer gegenüber aber lediglich die Feststellungsklage zugelassen werden soll: „Der Berühmung dem Eigentümer gegenüber wird häufig, wenn nicht sogar regelmäßig, die Berühmung gegenüber außenstehenden Dritten auf dem Fuße folgen. Das ist vor allem dann nahe liegend, wenn (wie hier bei Kunstwerken) der betreffende Gegenstand nach seiner Eignung und Zweckbestimmung häufiger aus der Privatsphäre in die Sphäre der Öffentlichkeit (Besichtigungsmöglichkeit für das breite Publikum, Verleihen, Verkauf) gelangen wird. Der Eigentümer müsste dann zunächst mit der Feststellungsklage vorgehen, alsdann aber wegen der erforderlichen Vollstreckung eine Leistungsklage nachschieben. Zwar ist in allen Fällen auch eine Feststellungsklage nach § 256 I ZPO gegen den Störer zulässig, doch schließt diese eine Leistungsklage nie aus. Übrigens kann umgekehrt trotz der Möglichkeit der Leistungsklage ausnahmsweise eine Feststellungsklage zulässig sein, wenn zu erwarten ist, dass der Bekl. im Falle der Feststellung zur Unterlassung bereit sein wird …270 Die häufiger behauptete „Subsidiarität“ der Feststellungsklage gibt es in dieser Form nicht. Meines Erachtens genügt gegen den BGH in allen Fällen auch „schlichtes Bestreiten“, um den Anwendungsbereich des § 1004 I 2 BGB und damit die Unterlassungsklage zu eröffnen, zumal sich schlichtes Bestreiten und Berühmung häufig kaum trennscharf abgrenzen lassen.“ 271 145
Über die Eigentumsberühmung hinausgehend ist bei Kunstwerken aber auch die analoge Frage von rechtlichem Interesse, ob die Äußerung, ein Bild sei eine Fälschung, ebenfalls Ansprüche aus § 1004 BGB auslöst. Völlig zu Recht erkennt Jayme für diese Konstellation, dass die Bezweifelung der Echtheit in Kunstsammlerkreisen genauso schwer wiegt wie die Berühmung des Eigentums. Auch hier ginge die Unterlassungsklage in ihren Wirkungen über die bloße Feststellungsklage hinaus: „Dabei ist vor allem an die privaten Register zu denken, die Werkverzeichnisse und „catalogues raisonnés“, deren Inhalt für den gesamten Kunstmarkt von entscheidender Bedeutung ist.“272 Dabei lässt sich auf eine Entscheidung der Cour d’appel de Paris vom 3.2.2004273 verweisen, die den Verfasser eines catalogue raisonné, die Witwe sowie die Schwester eines modernen Malers als Gesamtschuldner zu Schadensersatz in Höhe von 50.000 Euro verurteilte, weil sie sich geweigert hatten, dem Erwerber eines Bildes eine Echtheitsbescheinigung auszustellen und das Bild als nicht dem oeuvre des Malers zugehörig bezeichnet hatten. Dabei stützte das Gericht seine Entscheidung auf die Exper-
270 271
272
273
Unter Verweis auf näher Stein/Jonas/H. Roth, ZPO, 22. Aufl., § 256 Rdnr. 65. Vgl. Roth, BGH: Abwehr von unberechtigten Rechtsberühmungen im europäischen Zivilprozess, LMK 2006, 176147 (Anmerkung). Vgl. Jayme, Der Fall ‘Rote Mitte’ von Oskar Schlemmer: Besprechung des Urteils des Bundesgerichtshofes vom 24.10.2005 – II ZR 329/03, Kunstrechtsspiegel 01/07, S. 11–12 (= IPRax 2006, S. 502). Gazette du Palais, 2004, Sept./Oct., S. 3190, Anm. Sarcia Roche.
3. Abschnitt: Verteidigungsmittel gegen unberechtigte Kunstrestitutionsforderungen
105
tisen von gerichtlich bestellten Sachverständigen, ohne jedoch die Beklagten dazu verurteilen zu können, eine Bescheinigung über die Echtheit auszustellen, denn diese sei „établie par la présente décision“.274 Zusammengefasst lässt sich somit das Folgende festhalten: Tatsächlich liest man in der Presse nahezu täglich Berichte über die Forderung nach Restitution von Kunstwerken, welche – meist aus der Hand jüdischen Besitzes – im Zuge der nationalsozialistischen Unrechtsherrschaft als Beutekunst, Raubkunst, kulturelle Fluchtkunst oder entartete Kunst unrechtmäßig entzogen wurden. Während die professionell im Kunsthandel beteiligten öffentlichen wie privaten Museen, Kunsthändler, Galeristen und Auktionshäuser ebenso wie Privatsammler bislang eher passiv agierten, wehren sich mittlerweile die heutigen Eigentümer – so wie exemplarisch in den voranstehend zitierten Entscheidungen offensichtlich wurde – aktiv gegen ungerechtfertigte Ansprüche vor den zuständigen Zivilgerichten.275
146
C. Anspruch auf Löschung von Kunstwerken aus Datenbanken illegaler Kulturgutverlagerungen Die öffentliche Brandmarkung spezieller Kunst- und Kulturgüter als unrechtmäßig entzogen hat nicht selten einen erheblichen Wertverlust der einzelnen Objekte selbst zur Folge und führte in zahlreichen Konstellationen zur tatsächlichen (nicht aber rechtlichen) Unveräußerlichkeit. Eine solche öffentliche Stigmatisierung von Kunst- und Kulturgütern276 erfolgt regelmäßig schon durch den Eintrag der Gegenstände in eine oder mehrere der weltweit bekannten Datenbanken illegaler Kulturgutverlagerungen277 durch die ursprünglichen Rechteinhaber, die vor Erwerb eines materiell wie kulturell bedeutsamen Objektes generell zur Abklärung zweifelhafter Provenienzen kontaktiert werden. Erfolgte in diesen elektronischen Sammlungen unrechtmäßig entzogener Kulturgüter eine Eintragung auf Veranlassung ursprünglich Berechtigter zu Unrecht, stellt sich die Frage, welche Rechtsmittel dem heutigen, wahren Berechtigten offenstehen, gegen eine Falscheintragung vorzugehen und so das fälschlicherweise stigmatisierte Objekt wieder ‚handelbar‘ zu machen. 274
275
276 277
Vgl. das Zitat bei Jayme, Der Fall ‘Rote Mitte’ von Oskar Schlemmer: Besprechung des Urteils des Bundesgerichtshofes vom 24.10.2005 – II ZR 329/03, Kunstrechtsspiegel 01/07, S. 11–12 (= IPRax 2006, S. 502). So auch die Einschätzung bei Jayme, Der Fall ‘Rote Mitte’ von Oskar Schlemmer: Besprechung des Urteils des Bundesgerichtshofes vom 24.10.2005 – II ZR 329/03, Kunstrechtsspiegel 01/07, S. 11–12 (= IPRax 2006, S. 502). Vgl. auch den Bericht über die beiden Fälle in den Veeinigten Staaten von Mejias, Jetzt klagen die Museen, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.1.2006, S. 37. Vgl. ausführlich hierzu 3, 1239 ff. Vgl. ausführlich zu diesen Datenbanken Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 3. Teil, Rdnr. 555 ff.
147
106
1. Teil: Zivilrechtliches Anspruchssystem in Kunstrestitutionsverfahren
I. 148
Keine Haftung der Betreiber von Datenbanken für die Richtigkeit der Eintragung
Franz weist unter Berufung auf eine bislang unveröffentlichte Entscheidung des LG Magdeburg aus dem Jahre 2002 darauf hin, dass die Betreiber elektronischer Datenbanken (hier war die Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste und die Datenbank www.lostart.de Klagegegner) bzw. das tragende Land nicht für die Richtigkeit der Einträge bspw. von Suchenden haften, selbst wenn durch den Eintrag der Marktwert eines Gegenstands im Besitz eines anderen sinkt.278
II.
Lucretia mit Pelzmantel-Entscheidung des LG Berlin vom 31.1.2008: Anspruch auf Löschung unrichtiger Einträge
149
Kann der jetzige Besitzer sein Eigentum beweisen, könnte allerdings ein Anspruch auf Löschung des falschen Eintrags aus einer der elektronischen Datenbanken illegaler Kulturgutverlagerungen zugunsten des wahren Eigentümers bestehen. Über diese Frage hatte die 27. Zivilkammer des Landgerichtes Berlin am 31. Januar 2008 zu entscheiden.279
150
Die Beklagte war Eigentümerin des hier umstrittenen Gemäldes ‚Lucretia mit Pelzmantel‘ von Lucas Cranach dem Älteren oder dem Jüngeren, das während der Zeit der NS-Unrechtsherrschaft am 26. oder 27. April 1935 in dem deutschen Auktionshaus Paul Graupe, Berlin, zwangsversteigert wurde, da die Beklagte und ihr Ehemann als Juden Verfolgungsmaßnahmen der Nationalsozialisten ausgesetzt waren und sich gezwungen sahen, ihren Geschäftsbetrieb aufzugeben und zu emigrieren. Vor Gericht führte die Beklagte aus, dass die Veräußerung des Gemäldes im Rahmen der Versteigerung als verfolgungsbedingter Vermögensverlust im Sinne des alliierten Rückerstattungsrechts anzusehen sei. Das wird jedoch seitens des Klägers bestritten, wonach die Eheleute schon zu Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft nicht mehr Eigentümer des Unternehmens gewesen seien. Bei der Versteigerung am 26./27. April 1935 wurde das Gemälde von einem gewissen Hr. H erworben, dessen Vermögen später von der Gestapo beschlagnahmt wurde. Über den weiteren Verbleib des Gemäldes ist nichts bekannt. Erst für eine Versteigerung am 8. Mai 1969 wurde das Gemälde durch das Kunsthaus Lempertz in Köln als Los Nummer 19 im Katalog zu einem Preis von 40.000 DM angeboten (mit der Provenienz: „Gutachten M. J. Im Jahr 1989 wurde das Bild auf einer Versteigerung von S in New York angeboten. Im dorti278
279
So in seinem Beitrag auf der Konferenz: Nachwehen des Holocaust: 10 Jahre Washingtoner Raubkunst-Richtlinien und Umgang mit Raubkunst in Europa – Tagung am Europa Institut Zürich am 10. Juni 2009. Vgl. LG Berlin, Entscheidung der 27. Zivilkammer vom 31.01.2008, Az.: 27 O 89/07, Kunst und Recht (KuR) 2009, S. 20–22.
3. Abschnitt: Verteidigungsmittel gegen unberechtigte Kunstrestitutionsforderungen
107
gen Katalog hieß es unter Herkunft: … & Co. Gallery, Berlin before 1932“). Der Kläger behauptet hierzu, dass der Verkauf durch einen öffentlich bestellten und vereidigten Versteigerer für 35.000 DM erfolgt sei, dass der Ersteigerer deshalb gutgläubig gemäß § 935 Abs. 2 BGB Eigentum erworben habe und dass er deshalb Eigentümer des Gemäldes sei. Anhaltspunkte dafür, dass dem Versteigerer oder dem Ersteigerer die Herkunft des Bildes bekannt gewesen wäre, seien nicht ersichtlich und zudem von der Beklagten darzulegen und zu beweisen. Bei den nachfolgenden Veräußerungen sei jeweils Eigentum nach § 929 S. 1 BGB übertragen worden. (s. Abb. 10) Jedenfalls habe er das Gemälde ersessen gemäß §§ 937, 943 BGB, da die zehnjährige Ersitzungszeit seit dem Oktober 1989 abgelaufen sei. Im Übrigen sei ein etwaiger Herausgabeanspruch der Beklagten verjährt. Nach weiterem Vorbringen des Klägers habe ein gewisser Hr. T, der Schwiegervater des Klägers, das Gemälde am 13. Oktober 1989 auf einer Versteigerung in New York beim Auktionshaus Sotheby’s für 44.000 US-Dollar ersteigert. Fest steht wieder, dass im Jahre 1993 dieser Hr. T, in dessen Besitz das Gemälde somit zwischenzeitlich gelangt sein muss, erfolglos versuchte, das Bild bei Cs in M. zu versteigern. Im dortigen Katalog war als Voreigentümerin die Beklagte benannt. Danach bot er das Gemälde 1997 in Spanien ohne Erfolg zum Verkauf an. Danach gelangte es in den Besitz des Klägers, der es 2002 bei einer Galerie einlieferte, um es zu veräußern. Dies erwies sich de facto jedoch als unmöglich, weil das Gemälde im Internet als Raub- und Beutekunst aufgelistet ist, nämlich einerseits auf der Internetseite der Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste in Magdeburg sowie andererseits auf der Internetseite des Londoner Art Loss Register. Weder die deutsche Koordinierungsstelle noch das Art Loss Register löschten auf Bitten der mit der Veräußerung beauftragten Galerie die Einträge, da die hierfür notwendige Zustimmung der Beklagten fehle. Die Beklagte verweigerte eine solche Zustimmung.
151
Der Kläger war vor Gericht der Ansicht, dass die Eintragungen auf den genannten Internetseiten zu löschen seien, weil das Bild dadurch praktisch unverkäuflich sei. Ziel der Datenbanken sei es, nach verschwundenen Bildern zu suchen und eine Eigentumsklärung zu ermöglichen. Diese Voraussetzungen lägen nicht vor, sodass der Kläger die gerichtliche Feststellung beantragte, dass er Eigentümer des Gemäldes ist. Außerdem sei die Beklagte zu verurteilen, durch Erklärung gegenüber der Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste und dem Art Loss Register einer Löschung des Gemäldeeintrags ‚Lucretia mit Pelzmantel‘ von den jeweiligen Listen gesuchter Raub- und Beutekunst auf der Internetseite www. lostart.de zuzustimmen. Die Lucretia mit Pelzmantel-Entscheidung des LG Berlin vom 31.1.2008 stellt somit einen Beispielsfall für das Begehren etwaiger rechtmäßiger Eigentümer unrechtmäßig verbrachter Kulturgüter für eine Feststellungsklage seines Eigentums an einem Gemälde sowie die Streichung von Einträgen hinsichtlich dieses Gemäldes aus Datenbanken dar.
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1. Teil: Zivilrechtliches Anspruchssystem in Kunstrestitutionsverfahren
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Die Klage auf Feststellung der Eigentumsposition ist zulässig: Am Feststellungsinteresse des Klägers gab es in dieser Konstellation keine Zweifel, da sich die Beklagte ihres Eigentums an dem streitgegenständlichen Gemälde berühmt und geltend gemacht hat, der Kläger sei nicht Eigentümer. Auch wird aus der Entscheidung ersichtlich, dass grundsätzlich vor deutschen Zivilforen die Möglichkeit offensteht, dass der aktuelle Besitzer einen Anspruch auf Löschung eines falschen Eintrags aus einer der elektronischen Datenbanken illegaler Kulturgutverlagerungen geltend machen kann, wenn er vor Gericht seine Eigentumsposition beweisen kann. Da jedoch in der vorliegenden Konstellation der Kläger sein Eigentum an dem Gemälde nicht hinreichend darlegen konnte, fehlte es schon aus diesem Grund an einem Anspruch auf Löschung der streitgegenständlichen Eintragungen in den Registern www.lostart.de und www.artloss.com, „da nämlich nicht ersichtlich ist, in welcher Weise dadurch Rechte des Klägers beeinträchtigt sein könnten.“280
154
Das Gericht bestätigte dabei erneut das schon in Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel des Rechtshandbuchs Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht für rechtens befundene Ergebnis, dass Kunst- und Kulturgüter dem ursprünglichen Eigentümer abhandengekommen sind, weil ihre Versteigerung (wie hier im April 1935) im Zusammenhang mit der nationalsozialistischen Verfolgung von Juden und der Beschlagnahme ihres Vermögens erfolgte:281 Das Gericht ging davon aus, dass das Gemälde der Beklagten i.S.d. § 935 Abs. 1 BGB abhandengekommen ist. Da die Eheleute nach 1933 aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit sog. rassischen Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt waren und sich daher gezwungen sahen, ihren Geschäftsbetrieb aufzugeben, wird hinreichend deutlich ersichtlich, „dass an der Verfolgung … durch die Nationalsozialisten und der darauf beruhenden Versteigerung des Vermögens der Beklagten kein ernsthafter Zweifel bestehen kann. Auch ist kein Grund ersichtlich oder vom Kläger aufgezeigt worden, weshalb sich die Beklagte seinerzeit in Liquidation befunden haben oder weshalb ihr Vermögen versteigert worden sein sollte, wenn nicht aus verfolgungsbedingten Gründen.“ Deshalb ging das Gericht davon aus, „dass die Verfolgung der bereits im Jahr 1933 emigrierten Eheleute … durch die Nationalsozialisten wegen ihrer Religionszugehörigkeit der Grund für die Versteigerung war. Dann aber gilt das streitgegenständliche Bild als abhanden gekommen.“282
155
Auch dem Einwand des gutgläubigen Erwerbs im Jahr 1969 begegnet das Gericht und erklärt, dass der Kläger trotz des Bestreitens durch die Beklagte nicht dar280
281
282
Vgl. LG Berlin, Entscheidung der 27. Zivilkammer vom 31.01.2008, Az.: 27 O 89/07, Kunst und Recht (KuR) 2009, S. 20–22. Vgl. ausführlich hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 2. Teil, Rdnr. 84 ff. Vgl. LG Berlin, Entscheidung der 27. Zivilkammer vom 31.01.2008, Az.: 27 O 89/07, Kunst und Recht (KuR) 2009, S. 20–22.
3. Abschnitt: Verteidigungsmittel gegen unberechtigte Kunstrestitutionsforderungen
109
gelegt, geschweige denn entsprechenden Beweis angeboten hat, „dass das Gemälde tatsächlich auf der Versteigerung im Jahr 1969 veräußert worden wäre. Aus dem von ihm vorgelegten Katalog ergibt sich lediglich, dass es auf der Versteigerung angeboten wurde. Es ist auch durchaus nicht fernliegend, dass das Bild angeboten, aber nicht versteigert wurde, wie die Verkaufsversuche aus dem Jahr 1993 und 1997 zeigen.“283 Auf einen gutgläubigen Erwerb i.S.d. § 935 Abs. 2 BGB bei der Versteigerung im Jahr 1969 kann sich der Kläger daher nicht berufen. Unabhängig davon, ob sich das Bild bei der Versteigerung im Jahre 1989 in New York, in Deutschland oder auf dem Territorium der Vereinigten Staaten von Amerika befand, lehnt das Gericht auch hier einen gutgläubigen Erwerb ab, da bei Anwendung deutschen Sachrechts der New Yorker Versteigerer nicht die Voraussetzungen eines öffentlich bestellten und vereidigten Versteigerers erfüllt und bei Anwendung New Yorker Sachrechts ein gutgläubiger rechtsgeschäftlicher Erwerb generell ausgeschlossen ist. Schließlich konnte sich der Kläger auch nicht mit Erfolg auf einen gutgläubigen Erwerb außerhalb der Sphäre des ursprünglichen Eigentümers durch Ersitzung des Gemäldes berufen, da er – nach Ansicht des LG Berlin – im Rahmen seiner Erklärungspflicht nach § 138 Abs. 1 ZPO trotz der Darlegungs- und Beweislastverteilung des § 937 BGB seine Gutgläubigkeit für Erwerbsvorgänge in seiner Sphäre darlegen muss, was hier nicht erfolgt ist. Die Entscheidung kann somit als eine weitere gerichtliche Annäherung an die ‚richtige‘ Beweislastverteilung in Kunstrestitutionsverfahren gewertet werden, wie sie ausführlicher Erläuterung bereits in Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel zugeführt wurde:284
156
„Dafür ist nämlich erforderlich, dass der Besitzer nicht bösgläubig war. Der Kläger beruft sich insofern nach § 943 BGB auf die Zeit, in der sich das Bild im Besitz seines Schwiegervaters befunden habe. Zwar ist es grundsätzlich Sache der Beklagten darzulegen und zu beweisen, dass sich der Kläger bzw. der Vorbesitzer, sein Schwiegervater nicht in gutem Glauben hinsichtlich ihres Eigenbesitzes befunden haben. Die Beklagte hat aber Anhaltspunkte vorgebracht, die einen guten Glauben äußerst zweifelhaft erscheinen lassen. Der Vorbesitzer Hr. T hat im Jahr 1993 versucht, das Bild über Cs zu veräußern, was ihm nicht gelungen ist. Im dortigen Versteigerungskatalog hieß es, dass der Voreigentümer die Beklagte sei. Der Kläger trägt mit keinem Wort vor, woran die seinerzeitige Versteigerung gescheitert ist und ob er hierüber mit dem die Versteigerung organisierenden Auktionshaus gesprochen hat. Es erscheint mehr als naheliegend, dass
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283
284
Vgl. LG Berlin, Entscheidung der 27. Zivilkammer vom 31.01.2008, Az.: 27 O 89/07, Kunst und Recht (KuR) 2009, S. 20–22. Vgl. ausführlich hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 3. Teil, Rdnr. 169 ff.
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1. Teil: Zivilrechtliches Anspruchssystem in Kunstrestitutionsverfahren
der Verkauf des Bildes an eben dem Hinweis auf den Voreigentümer gescheitert ist. Auch im Hinblick auf die versuchte Veräußerung in Spanien im Jahr 1997 verliert der Kläger kein Wort, weshalb dieser Veräußerungsversuch gescheitert ist. Dies wäre aber notwendig gewesen. Denn trotz der Darlegungs- und Beweislastverteilung im Rahmen des § 937 BGB obliegt es auch dem Kläger sich über die entscheidungserheblichen Tatsachen nicht nur wahrheitsgemäß, sondern auch vollständig zu erklären (§ 138 Abs. 1 ZPO). Dabei kommt vorliegend insbesondere zum Tragen, dass die Beklagte außerhalb des insoweit erheblichen Geschehensablaufs steht und keine nähere Kenntnis der maßgebenden Tatsachen besitzen kann. Dies führt zu einer erweiterten Darlegungslast des Klägers, der er nicht nachgekommen ist. Da somit weder hinsichtlich des Hr. T noch hinsichtlich des Klägers angenommen werden kann, dass die 10-jährige Ersitzungszeit in Eigenbesitz des Bildes verstrichen ist, konnte dadurch kein Eigentum entstehen.“285 Schließlich war auch der Einwand der Verjährung belanglos, „da auch die eingetretene Verjährung den Bestand des Anspruchs unberührt lässt und lediglich dessen gerichtliche Durchsetzbarkeit entfallen lässt.“286
285
286
Vgl. LG Berlin, Entscheidung der 27. Zivilkammer vom 31.01.2008, Az.: 27 O 89/07, Kunst und Recht (KuR) 2009, S. 20–22. Vgl. LG Berlin, Entscheidung der 27. Zivilkammer vom 31.01.2008, Az.: 27 O 89/07, Kunst und Recht (KuR) 2009, S. 20–22.
4. Abschnitt Gegenansprüche rechtmäßig zur Restitution Verpflichteter In der Regel ist in zivilrechtlichen Kunstrestitutionsverfahren auch an mögliche Gegenansprüche rechtmäßig zur Restitution Verpflichteter zu denken, die diese auch einem begründeten Rückführungsanspruch vor Gericht entgegenhalten werden.287 Hier sind einmal kulturgüterrechtsspezifische Gegenansprüche gemeint, die in Spezialgesetzen zur Wahrung auch der berechtigten Interessen der Rückgabeschuldner normiert wurden (vgl. hierzu zunächst unter Punkt A.), und zum anderen die Ersatz- und Rückgriffsansprüche der allgemeinen Zivilrechtssystematik (vgl. hierzu unter Punkt B.).
158
A. Kulturgüterrechtsspezifische Gegenansprüche des Restitutionsschuldners Kunstrestitutionsansprüche können dadurch erschwert werden, dass Anspruchsberechtigten spezielle Vermögensaufwendungen und Kosten auferlegt werden, die im unmittelbaren Zusammenhang mit der Rückführung der unrechtmäßig entzogenen Kulturgüter stehen.288 Dabei ist einmal an die Zahlung einer Kompensationssumme an redliche Kunstrestitutionsschuldner zu denken (vgl. hierzu unter Punkt I.), andererseits aber auch an weitere Aufwendungen im Zusammenhang mit der Rückführung illegal transferierter Objekte (vgl. hierzu unter Punkt II.).
I.
Kompensation gutgläubiger Restitutionsschuldner
Die Normierung eines sog. Lösungsrechts 289 hat im internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht zur Folge, dass dem Eigentümer im Grundsatz auch gegenüber einem redlichen Erwerber ein Anspruch auf Restitution ‚seiner‘ unrechtmäßig entzogenen Kulturgüter zusteht, jedoch nur bei finanzieller Kompensation der Interessen des gutgläubigen Erwerbers. Damit wird zunächst dem kulturgüterspezifischen Interesse an der Erhaltung und Bewahrung eines
287
288 289
159
Vgl. Palmer/Hudson, Improving Stolen Art, in: Palmer, The Recovery of Stolen Art, 1998, S.127–144; Smith, Rewards for the Return of Lost or Stolen Property: The Civil And Criminal Law, in: Palmer, The Recovery of Stolen Art, 1998, S. 171–176; Schönenberger, Restitution von Kulturgut, 2009, S. 176. Vgl. hierzu auch Schönenberger, Restitution von Kulturgut, 2009, S. 176. Vgl. ausführlich hierzu Anton, Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht, Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 2010, 2. Teil Rdnr. 130 ff.
160
112
1. Teil: Zivilrechtliches Anspruchssystem in Kunstrestitutionsverfahren
konkreten Kulturguts aufgrund der kulturellen Unikatfunktion auch nach dessen unrechtmäßiger Entziehung im Bestand des ursprünglichen Sammlers der Vorzug vor dem Akquisitionsinteresse eines gutgläubigen Erwerbers gewährt. Die Interessen des Letztgenannten erfüllen sich dementsprechend zwar nicht in dem Behaltendürfen der unrechtmäßig entzogenen Kulturgüter, jedoch wird zumindest eine finanzielle Kompensation des gutgläubigen Erwerbers vorgenommen, da dieser im Prinzip ebenso schutzwürdig ist wie der ursprüngliche Eigentümer. 161
Die früheste Kodifizierung eines Lösungsrechts des gutgläubigen Erwerbers erfolgte in dem französischen Code civil français aus dem Jahre 1804, welches in der Folgezeit auch in anderen kontinental-europäischen Zivilrechtskodifikationen aufgegriffen wurde.290 Praktisch wichtige Bedeutung erlangte die auch in der Schweiz getroffene zivilrechtliche Ausgestaltung einer Herausgabepflicht des gestohlenen Gutes bei gleichzeitigem Lösungsrecht eines gutgläubigen Erwerbers.291 In Form der ‚payment of just compensation‘ nach Art. 7 (b) (ii) der UNESCO-Convention vom 14. November 1970292, mittels der ‚payment of fair and reasonable compensation‘ nach Art. 4 Abs. 1 und 6 Abs. 1 der UNIDROITConvention vom 24. Juni 1995293 sowie in Form einer ‚angemessenen Entschädigungszahlung‘ nach Art. 9 der Richtlinie 93/7/EWG vom 15. März 1993294 innerhalb des innereuropäischen Kulturgüterverkehrs folgen auch die bedeutendsten internationalen Konventionen und das wichtigste europäische Regelwerk diesem Kompromiss zwischen Restitutionsschuldner und -gläubiger und gewähren einem redlichen Erwerber bzw. Besitzer (als Restitutionsschuldner unrechtmäßig entzogener Kulturgüter) einen Anspruch auf Kompensation und Entschädigung.
162
Aus diesem Grund ist in der Kompensationszahlungspflicht ein in der Praxis besonders wichtiger Gegenanspruch des Restitutionsverpflichteten zu sehen, um zumindest seine finanziellen Interessen zu wahren. Die Auswirkungen dieses Lösungsrechts sind für die Restitutionspraxis gravierend und reichen sogar soweit, dass finanziell schlecht ausgestatteten Ursprungsstaaten illegal trans290
291
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293
294
Vgl. Anton, Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht, Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 2010, 2. Teil, Rdnr. 132 ff. Vgl. Anton, Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht, Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 2010, 2. Teil, Rdnr. 142 ff. Vgl. kursorisch hierzu unter 3, 1271 ff. und ausführlich Anton, Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht, Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 2010, 2. Teil, Rdnr. 163 ff. Vgl. kursorisch hierzu unter 3, 1339 ff. und ausführlich Anton, Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht, Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 2010, 2. Teil, Rdnr. 189 ff. Vgl. kursorisch hierzu unter 3, 1332 ff. und ausführlich Anton, Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht, Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 2010, 2. Teil, Rdnr. 212 ff.
4. Abschnitt: Gegenansprüche rechtmäßig zur Restitution Verpflichteter
113
ferierter (bspw. archäologischer) Objekte oder privaten Eigentümern als Restitutionsgläubiger (wie bspw. bestohlenen Kirchengemeinden osteuropäischer Staaten) oftmals die Rückführung de facto verwehrt sein wird, da diese in der Regel keine Mittel für eine finanzielle Kompensation eines redlichen Erwerbs aufbringen werden. Diese gravierenden Folgen werden jedoch dadurch gemildert, dass in der Regel besonders strenge Anforderungen an die Redlichkeit eines Erwerbers kultureller Wertgegenstände gestellt werden.295
II.
Spezielle Aufwendungen bei Rückführung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter
Zu den besonderen Kosten im Zusammenhang mit der Rückführung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter können bspw. Aufwendungen von Behörden für die Beschlagnahmung eines Kulturguts, insbesondere aber auch Aufwendungen für den Rücktransport und die Versicherung der oftmals wertvollen Objekte stehen. Für diese Gegenansprüche Restitutionsverpflichteter finden sich regelmäßig auch in den kulturgüterrechtsspezifischen Regelungen besondere Bestimmungen.296 So wird bspw. in dem amerikanischen Pre-Columbian Monumental Act aus dem Jahre 1972, der die Einfuhr geschützter Kulturgüter ohne Einfuhrlizenz des kulturellen Ursprungsstaates beschränkt und zur Restitution auf diese Weise unrechtmäßig transferierter Objekte ein Beschlagnahmerecht eröffnet, ausdrücklich in Section 203 (b) (1)297 bestimmt, dass „[a]ny pre-Columbian monumental or architectural sculpture or mural which is forfeited to the United States shall first be offered from return to the country of origin and shall be returned if that country bears all expenses incurred incident to such return and complies with such other requirements relating to the return as the Secretary shall prescribe; …“.298
163
Dieselben Grundsätze finden sich aber auch in internationalen Rechtsinstrumenten zur Restitution illegal transferierter Objekte, wie bspw. auch Art. 7 (b) (ii) der UNESCO-Convention vom 14. November 1970, wonach der ersuchende Staat auf seine Kosten die Unterlagen und Nachweise zur Verfügung stellt, die zur Feststellung seines Anspruchs auf Wiedererlangung und Rückgabe erforderlich sind, und alle Kosten im Zusammenhang mit der Rückgabe und Zustellung des
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295
296 297 298
Ausführlich zu dem konkret notwendigen Sorgfaltsmaßstab beim Erwerb von Kunst- und Kulturgütern Anton, Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht, Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 2010, 3. Teil Rdnr. 1 ff. Vgl. hierzu auch Schönenberger, Restitution von Kulturgut, 2009, S. 176. Vgl. auch 19 USCS § 2093 (b) (1). Vgl. hierzu auch Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 148; Schönenberger, Restitution von Kulturgut, 2009, S. 176.
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1. Teil: Zivilrechtliches Anspruchssystem in Kunstrestitutionsverfahren
Kulturguts von dem ersuchenden Staat getragen werden. Zwar haben weder der kanadische noch der australische Umsetzungsakt der UNESCO-Convention eine vergleichbare Regelung in ihrem nationalen Kulturgüterschutzsystem übernommen, jedoch sind vergleichbare Vorschriften bspw. in Section 310 (b) (3) 299 sowie Section 310 (c) (2) (A) 300 des amerikanischen Cultural Property Implementation Act aus dem Jahre 1983, in Art. 9 Abs. 3 des Schweizer Bundesgesetzes über den internationalen Kulturgütertransfer vom 20. Juni 2003301 und § 6 Abs. 6 des deutschen Kulturgüterrückgabegesetzes vom 18. Mai 2007302 zu finden. Während demzufolge die UNESCO-Convention und verschiedene nationale Umsetzungsakte die Auferlegung von Restitutionskosten ausdrücklich regeln,303 sieht die UNIDROIT-Convention vom 24. Juni 1995 in Art. 6 Abs. 4304 eine entsprechende Kostenauferlegung lediglich im Falle illegal exportierter Kulturgüter vor, nicht aber bei der Rückgabe gestohlener Kulturgüter nach Art. 4.305 Die Richtlinie 93/7/EWG vom 15. März 1993 sieht in Art. 10 306 zu Lasten des ersuchenden Mitgliedstaates nicht nur die Übernahme derjenigen Ausgaben vor, die sich aus dem 299
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Sec. 310 CPIA. Seizure and forfeiture: … (b) Archaeological and ethnological material. – Any designated archaeological and ethnological material which is imported into the United States in violation of section 307 and which is forfeited to the United States under this title shall … (3) if not returned to the State Party under paragraph (1) or to a claimant under paragraph (2), be disposed of in the manner prescribed by law for articles forfeited for violation of the customs laws. No return of material may be made under paragraph (1) or (2) unless the State Party or claimant, as the case may be, bears the expenses incurred incident to the return and delivery, and complies with such other requirements relating to the return as the Secretary shall prescribe. Sec. 310 CPIA. Seizure and forfeiture: … (c) Articles of cultural property. – … (2) Any article of cultural property which is imported into the United States in violation of section 308 and which is forfeited to the United States under this chapter shall (A) first be offered for return to the State Party in whose territory is situated the institution referred to in section 308 and shall be returned if that State Party bears the expenses incident to such return and delivery and complies with such other requirements relating to the return as the Secretary prescribes; or … Art. 9 Abs. 3 KGTG: Rückführungsklagen auf Grund von Vereinbarungen: Die Kosten der erforderlichen Massnahmen für die Sicherung, Erhaltung und Rückführung des Kulturguts trägt der klagende Staat. § 6 Abs. 6 Kulturgüterrückgabegesetz vom 18.5.2007: Voraussetzungen der Rückgabepflicht: Die Kosten der Rückgabe und der zur Sicherung und Erhaltung des betroffenen Kulturgutes erforderlichen Maßnahmen trägt der ersuchende Staat. Vgl. zum Ganzen auch Schönenberger, Restitution von Kulturgut, 2009, S. 176. Vgl. Art. 6 Abs. 4 UNIDROIT-Convention vom 24. Juni 1995: Die gemäß den Bestimmungen dieses Artikels bei der Rückführung des Gutes entstehenden Kosten obliegen dem ersuchenden Staat, unbeschadet des Rechts dieses Staates, die Kosten von einer anderen Person beizutreiben. Vgl. Prott, Commentary on the UNIDROIT Convention on Stolen and Illegally Exported Cultural Objects 1995, 1997, S. 43, S. 67. Artikel 10 Richtlinie 93/7/EWG vom 15. März 1993: Die Ausgaben, die sich aus dem Vollzug der Entscheidung ergeben, mit der die Rückgabe des Kulturguts angeordnet wird, gehen zu Lasten des ersuchenden Mitgliedstaats. Gleiches gilt für die Kosten der Maßnahmen gemäß Artikel 4 Nummer 4.
4. Abschnitt: Gegenansprüche rechtmäßig zur Restitution Verpflichteter
115
Vollzug der Entscheidung ergeben, mit der die Rückgabe des Kulturguts angeordnet wird, sondern eröffnet dem zahlungspflichtigen Restitutionsgläubiger in Art. 11307 zugleich den Rückgriff gegenüber den Personen, die für die unrechtmäßige Verbringung des Kulturguts aus seinem Hoheitsgebiet verantwortlich sind.
B.
Zivilrechtliche Verwendungsersatzansprüche des Kunstrestitutionsschuldners
Darüber hinaus ist insbesondere auch an Ansprüche restitutionsverpflichteter Besitzer auf Ersatz ihrer Verwendungen innerhalb des Eigentümer-Besitzer-Verhältnisses im Rahmen der §§ 994 ff. BGB zu denken, wenn Sie unrechtmäßig entzogene Kulturgüter bspw. im Rahmen eines Vindikationsanspruchs an den wahren Berechtigten herausgeben müssen. Kursorisch betrachtet nimmt das deutsche Recht bei der Ersatzfähigkeit solcher Verwendungen eine Unterscheidung vor zwischen – notwendigen Verwendungen, wie bspw. Restaurationskosten, (erstens) die routinemäßig bei der entsprechenden Klasse kultureller Wertgegenstände in einem bestimmten Turnus durchgeführt werden und (zweitens) die zur Bewahrung und Erhaltung der Substanz kultureller Wertgegenstände unumgänglich sind und aus konservatorischen Gründen vorgenommen werden müssen, – sonstigen wertsteigernden Verwendungen, worunter freiwillige (und somit nicht notwendige) Vermögensaufwendungen verstanden werden, die im Zeitpunkt der Wiedererlangung des Kulturguts durch den Eigentümer sich als wertsteigernd erweisen (wie bspw. die maßangefertigte Rahmung eines bislang ungerahmten Gemäldes), und schließlich – sonstige nicht wertsteigernde Verwendungen (auch sog. Luxusverwendungen), worunter freiwillige Vermögensaufwendungen zu verstehen sind, die weder notwendig noch nützlich sind (bspw. störte sich der restitutionsverpflichtete Besitzer an dem grünen Buchenrahmen und ließ diesen durch einen roten ersetzen).308
165
Fest steht, dass diejenigen Aufwendungen, die von dem restitutionsverpflichteten Besitzer für den rechtsgeschäftlichen Erwerb des Kunstwerks getätigt wurden, nicht unter §§ 994 ff. BGB fallen und somit auch nicht vom Restitutionsgläubiger
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307
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Art. 11 Richtlinie 93/7/EWG vom 15. März 1993: Die Zahlung der angemessenen Entschädigung gemäß Artikel 9 und der Ausgaben gemäß Artikel 10 steht dem Recht des ersuchenden Mitgliedstaats nicht entgegen, die Erstattung dieser Beträge von den Personen zu fordern, die für die unrechtmässige Verbringung des Kulturguts aus seinem Hoheitsgebiet verantwortlich sind. Vgl. hierzu im Überblick auch Baur/Stürner, Sachenrecht, 17. Aufl., 1999, § 11, S. 101, Rdnr. 15–17.
116
1. Teil: Zivilrechtliches Anspruchssystem in Kunstrestitutionsverfahren
ersatzfähig sind. Hier hat sich der Käufer von Kunstgegenständen, die später restituiert werden müssen, an den eigenen Verkäufer zu wenden und mittels der Regeln der Anfechtung (§ 119 Abs. 2 BGB) sich vom Kaufvertrag zu lösen (um dann über die Regeln des Bereicherungsrechts der §§ 812 ff. BGB eine Rückerstattung des gezahlten Kaufpreises zu erlangen) oder mittels des Sachmängelgewährleistungsrechts (§§ 437, 434 BGB) sich vom kulturellen Veräußerungsgeschäft zu lösen oder vom Verkäufer Schadensersatz zu verlangen. 167
Hinsichtlich der übrigen Verwendungsersatzansprüche ist eine Unterscheidung nach der Redlichkeit des restitutionspflichtigen Besitzers zu treffen: Der redliche Besitzer (gutgläubig in diesem Sinne ist der Besitzer, der zur Zeit der Vornahme einer Verwendung weder zur Restitution verklagt ist noch grob fahrlässig sein tatsächlich fehlendes Recht zum Besitz des zuvor unrechtmäßig entzogenen Kulturguts kannte) kann nach §§ 994 Abs. 1 BGB für die notwendigen Verwendungen 309 und die sonstigen wertsteigernden Verwendungen (§ 996) auf das Kulturgut Ersatz vom Restitutionsgläubiger verlangen. In den oben genannten Beispielen steht dem redlichen Besitzer somit sowohl ein Anspruch auf Ersatz der Restaurationskosten als auch der Auslagen für die maßangefertigte Rahmung des vorher ungerahmten Gemäldes zu. Jedoch kann auch ein gutgläubiger restitutionsverpflichteter Besitzer keinen Ersatz für sonstige, nicht wertsteigernde Verwendungen auf das Kulturgut verlangen. Diesem steht, bspw. im oben genannten Fall des Tauschs des grünen durch einen roten Buchenrahmen, nur das Wegnahmerecht des § 997 BGB zu.310
168
Unredliche Besitzer (§ 990 BGB) und schon zur Restitution beklagte (sog. Prozess-) Besitzer (§ 989) können nach §§ 994 Abs. 2 nur für notwendige Verwendungen unter der Bedingung Ersatz beanspruchen, dass die Voraussetzungen einer Geschäftsführung ohne Auftrag nach §§ 683, 684 zugunsten des Eigentümers vorlagen.311 Die Restaurationskosten zur Bewahrung und Erhaltung der Substanz kultureller Wertgegenstände werden dementsprechend grundsätzlich auch einem unredlichen Restitutionsschuldner zu erstatten sein, da die dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen und dem Interesse des Eigentümers des unrechtmäßig entzogenen Kulturguts entsprechen (§ 683) oder wenn der Letztgenannte um diese Aufwendungen bereichert ist (§ 684). Andere wertsteigernde (wie bspw. die Rahmung des ungerahmten Gemäldes) oder nicht wertsteigernde Vermögensaufwendungen (wie bspw. der Tausch des grünen durch einen roten Buchenrahmen) sind nicht ersatzfähig.
309
310 311
Mit Ausnahme der Unterhaltungskosten, für deren Ausgleich ihm ja auch die Nutzungen i.S.d. § 100 BGB verbleiben, § 995 S. 2 – im Kunstrestitutionsrecht praktisch jedoch weniger bedeutsam. Vgl. Baur/Stürner, Sachenrecht, 17. Aufl., 1999, § 11, S. 101, Rdnr. 18. Vgl. Baur/Stürner, Sachenrecht, 17. Aufl., 1999, § 11, S. 101, Rdnr. 19.
§ 2 Ergebnis: Systematisierung zivilrechtlicher Anspruchsgrundlagen
Diese allgemein-zivilrechtlichen Gegenansprüche des Restitutionsverpflichteten unrechtmäßig entzogener Kulturgüter haben für den Restitutionsanspruch des berechtigten Eigentümers zur Folge, dass nach § 1000 BGB das Kulturgut nur Zug um Zug gegen Ersatz dieser Verwendungen herausgegeben werden muss – der Besitzer hat insoweit ein Zurückbehaltungsrecht. Andererseits soll der Eigentümer die Verwendungen auf die Kunst- und Kulturgüter nach § 1001 S. 1 erst ersetzen müssen, wenn er entweder in den Besitz der Wertgegenstände gelangt ist oder die Verwendungen genehmigt hat.312
117 169
§ 2 Ergebnis: Systematisierung zivilrechtlicher Anspruchsgrundlagen in Kunstrestitutionsverfahren Der 1. Teil des Bandes 3: Internationales Kulturgüterprivatrecht hatte die für die Praxis des internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts bedeutsame Systematisierung der verschiedenen Begehren und der diesen entsprechenden zivilrechtlichen Anspruchsgrundlagen in Kunstrestitutionsverfahren zum Auftrag. Fokussiert man zunächst auf das Interesse potenzieller Anspruchsteller an der Restitution ‚ihrer‘ Objekte, war dementsprechend an erster Stelle zu untersuchen, aufgrund welcher Rechtsvorschriften und Anspruchsgrundlagen von dem berechtigten, ursprünglichen Eigentümer eine Rückführung ‚seiner‘ unrechtmäßig entzogenen Kulturgüter verlangt werden kann. Schon hier wurden die Besonderheiten des grenzüberschreitenden Kunsthandels und der Internationalität des Kunstmarktes offensichtlich und es wurde erkannt, dass – abhängig davon, in welchem Staat ein Rückführungsanspruch geltend gemacht wird – Kunstrestitutionsverfahren aufgrund fortbestehender Eigentumsposition des Anspruchstellers313 entweder als vindikatorische Eigentumsherausgabe- oder Besitzschutzansprüche (meist in Civil Law-Staaten), teilweise als deliktische Wiedergutmachungsklagen (regelmäßig im Common Law-Rechtskreis) bzw. manchmal auch als Bereicherungsansprüche geltend gemacht werden können.
170
In Deutschland und den anderen Civil Law-Staaten steht damit in erster Linie das Recht des Eigentümers gegenüber dem unrechtmäßigen Besitzer im Vordergrund, die Herausgabe ‚seiner‘ kulturellen Vermögensgüter aus fremdem rechts-
171
312 313
Vgl. Baur/Stürner, Sachenrecht, 17. Aufl., 1999, § 11, S. 101, Rdnr. 22. Beim kulturellen Diebstahl, beim kulturgüter- und denkmalschutzgesetzwidrigen Kulturgüterverkehr im Allgemeinen und illegalen Export kultureller Wertgegenstände im Besonderen, bei der kulturellen Beutenahme, bei der nur formal ‚freiwilligen‘ Veräußerung kulturellen Fluchtguts unter Drohung, Zwang und Gewalt sowie bei den verschiedenen Tatbeständen der Verstaatlichung kultureller Güter als ‚entartete‘ Kunst, als Raubkunst, als Trophäenkunst sowie kultureller Güter innerhalb der DDR ist durch die unrechtmäßige Entziehung kein Eigentumsverlust eingetreten, sodass dem Eigentümer der Kulturgüter auch nach dem Entziehungsakt weiterhin die Geltendmachung seiner dinglichen Rechtsposition gegenüber dem aktuellen Inhaber der tatsächlichen Sachherrschaft möglich ist – vorbehaltlich eines gutgläubigen rechtsgeschäftlichen Erwerbs, eines originären Ersitzungserwerbs sowie einer Präklusion zivilrechtlicher Restitutionsansprüche aufgrund Verjährung oder Verwirkung.
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1. Teil: Zivilrechtliches Anspruchssystem in Kunstrestitutionsverfahren
widrigen Besitz mittels eines Vindikationsanspruchs zu verlangen (in Deutschland nach §§ 985, 986 BGB). Über die Vindikationsklage des Eigentümers auf Herausgabe des unrechtmäßig entzogenen Kulturguts gegenüber dem unrechtmäßigen Besitzer hinaus erfolgte zuweilen auch eine Restitution illegal transferierter Kulturgüter mittels besitzrechtlicher Herausgabeansprüche, des possessorischen Besitzschutzes nach § 861 BGB und des petitorischen Besitzanspruchs aus § 1007 BGB. Ergänzung können diese dinglichen Ansprüche auch durch deliktische Anspruchsgrundlagen finden. 172
Einer anderen Systematik folgen die Gerichte innerhalb des Common LawRechtskreises, der Kunstrestitutionsverfahren allein deliktisch bewertet und über das Deliktsrecht eine Pflicht zur Rückgabe unrechtmäßig entzogener Kulturgüter erreicht. Zwar führt weder die sog. trespass-Klage noch die action of trover (oder trover and conversion) – außerhalb des Anwendungsbereichs von Spezialvorschriften wie bspw. der New York Civil Practice Law and Rules (CPLR) – zur Restitution eines unrechtmäßig entzogenen Kulturguts, da ein Kläger allein dessen Wert als finanzielle Kompensation geltend machen314, jedoch keine Herausgabe des konkret entzogenen Kulturguts in specie bewirken kann.315 Zielführend sind in kulturellen Restitutionsverfahren jedoch einmal die sog. action of detinue (eine „form of action which lies for the recovery, in specie, of personal chattels from one who acquired possession of them lawfully, but retains it without right, together with damages for the detention“316) und die Klage aus replevin, die beide nicht nur eine finanzielle Kompensation erlauben, sondern vielmehr die Restitution des entzogenen Kulturguts in specie bestimmen und damit den Wunsch kultureller Eigentümer nicht nur nach Schadensausgleich erfüllen, sondern auch nach Wahrung der kulturellen Unikatfunktion des Kunstwerks im eigenen Bestand. Dies wurde erst kürzlich in der Restitutionsforderung des Vorderasiatischen Museums Berlin gegen das Estate of River Flamenbaum vor dem Surrogate’s Court of the State of New York, County of Nassau, in der Entscheidung vom 30. März 2010 317 hinsichtlich einer zwischen 1243–1207 vor Chr. geschaffenen und etwa 20 Millionen US-Dollar wertvollen antiken Schrifttafel festgestellt.
173
Die etwa 3.200 Jahre alte Schrifttafel aus der Zeit des assyrischen Königs Tukulti-Ninurta I. wurde bei archäologischen Ausgrabungen des Ishta Tempels im heutigen Irak im Jahre 1913 entdeckt, 1914 während des Schiffstransports nach 314 315
316 317
Vgl. Hay, US-Amerikanisches Recht, 3. Aufl. 2005, Rdnr. 359–362, S. 107. Vgl. auch Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 28–29. Garner, Black’s Law Dictionary – Second Pocket Edition, 2001, S. 201. Vorderasiatisches Museum Berlin gegen Estate of River Flamenbaum vor dem Surrogate’s Court of the State of New York, County of Nassau, in der Entscheidung vom 30. März 2010, File No. 328146, abgedruckt in KUR 2 (2010), S. 66 ff. Vgl. hierzu auch Kline, Vorderasiatisches Museum Berlin Loses World War II Trophy Art Case in New York, KUR 2 (2010), S. 61–62.
§ 2 Ergebnis: Systematisierung zivilrechtlicher Anspruchsgrundlagen
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Deutschland aufgrund des Ersten Weltkrieges in Portugal zwischengelagert, 1926 nach Berlin transportiert und seit 1934 im Museum ausgestellt. Während des Zweiten Weltkriegs wurde die Tafel zur Sicherheit aus dem Museum ausgelagert, war jedoch dort aus dem Bestand verschwunden und befindet sich heute im Besitz des Estate of Riven Flamenbaum in New York. Der genaue Weg der Schrifttafel liegt heute nicht offen zu Tage, es wird jedoch berichtet, dass Riven Flamenbaum, aufgrund seiner jüdischen Herkunft während der NS-Herrschaft verfolgt und Überlebender des Konzentrationslagers Auschwitz, die Schrifttafel auf dem Schwarzmarkt von russischen Soldaten für mehrere Packen Zigaretten erworben hatte. Nach seinem Tod im Jahre 2003 vermachte er das Artefakt seinen drei Kindern Israel, Hannah und Helen. Nachdem das Vorderasiatische Museum von dem aktuellen Aufenthaltsort der goldenen Schrifttafel Kenntnis erlangte, verlangte es vor dem Surrogate’s Court of the State of New York, County of Nassau die Restitution des Objektes nach Berlin auf der Basis einer replevin-Klage. Hierzu musste das Museum zunächst sein Eigentum an der Schrifttafel bzw. ein höherrangiges Besitzrecht als dasjenige des Nachlassvermögens Flamenbaums nachweisen. Dies wurde seitens des Beklagten verneint, da etwaige Eigentumsrechte eher der Republik Türkei zuzusprechen seien, die zum Zeitpunkt der Ausgrabungen politische Macht auf dem Gebiet ausübte. Außerdem war der Beklagte der Ansicht, dass nach Ende des Zweiten Weltkrieges entsprechend der sog. spoils of war doctrine die Sowjetunion Eigentümerin der Schrifttafel wurde, sodass das Museum zu keinem Zeitpunkt Eigentumsrechte innehatte. Das Gericht war demgegenüber jedoch der Ansicht, dass der Kläger innerhalb der vorliegenden replevin-Klage allein nachweisen musste, dass das Museum an der Schrifttafel eine höherrangige Rechtsposition als das beklagte Nachlassvermögen innehatte. Diese Anforderung wurde durch den Nachweis der Besitzposition zwischen 1926 und der Auslagerung aufgrund des Zweiten Weltkrieges hinreichend erfüllt. Auch die seitens des beklagten Nachlassvermögens eingeführte sog. spoils of war doctrine fand keine rechtliche Berücksichtigung vor Gericht. Das Nachlassvermögen hatte geltend gemacht, dass nach dem anwendbaren Recht der Sowjetunion die Eigentumsposition durch die Beutekunstnahme sowjetischer Truppen von dem deutschen auf den russischen Staat übergegangen sei, eine etwaige Eigentumsposition des Berliner Museums damit erloschen sei und nachfolgende Erwerber rechtsgeschäftlich Eigentum an der Schrifttafel erwerben konnten. Zu Recht wurde diese Einlassung zurückgewiesen, unglücklicherweise jedoch nicht aus Rechtsgründen – die Beutekunstnahme sollte heute vor den Gerichten sämtlicher Staaten der Welt völkergewohnheits- und -vertragsrechtswidrig erklärt werden und keine Auswirkungen auf die Eigentumsposition der ursprünglich Berechtigten zeitigen318 –, 318
Vgl. ausführlich hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 1: Illegaler Kulturgüterverkehr, 4. Teil, Rdnr. 113 ff.
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1. Teil: Zivilrechtliches Anspruchssystem in Kunstrestitutionsverfahren
sondern aufgrund nicht hinreichender tatsächlicher Darlegungen seitens des Beklagten vor Gericht. Im Ergebnis wurde die Klage des Vorderasiatischen Museums auf Restitution der weiterhin in ihrem Eigentum stehenden antiken Schrifttafel jedoch vor Gericht aufgrund Verwirkung319 und unverhältnismäßigen Verzögerung der Geltendmachung des Rückführungsanspruchs abgelehnt – die Entscheidung zeigt erneut die außergewöhnlich große Bedeutung des Rechtsinstituts der Verwirkung für Kunstrestitutionsverfahren vor amerikanischen Zivilforen! 175
Das Gericht erkannte in der vorliegenden Konstellation sowohl eine ungebührliche Verzögerung des Restitutionsanspruchs seitens des Museums (erste Voraussetzung) als auch eine daraus folgende Benachteiligung der Verteidigungsposition des Nachlassvermögens Flamenbaums (zweite Voraussetzung). „The court finds that the museum’s lack of due diligence was unreasonable“, weil das Museum allein intern den Verlust vermerkte ohne deutsche, alliierte oder sonstige offizielle Behörden nach Ende des Zweiten Weltkrieges über den Verlust zu informieren. Außerdem hätte das Museum schon im Jahre 1954 Rückführungsbemühungen initiieren können, da es zum damaligen Zeitpunkt Kenntnis über den New Yorker Verbleib der Schrifttafel hätte besitzen können. Dadurch erkannte der Richter auch eine Benachteiligung der Verteidigungsposition des Beklagten: „As a result of the museum’s inexplicable failure to report the tablet as stolen, or take any other steps toward recovery, diligent good-faith purchasers over the course of more than sixty years were not given notice of a blemish in the title. That, coupled with the fact that Riven Flamenbaum’s death has forever foreclosed his ability to testify as to when and where he obtained the tablet, has severely prejudiced the estate’s ability to defend the museum’s related claim to the tablet. These are precisely the circumstances in which the doctrine of laches must be applied.“320
176
Vertragliche Ansprüche auf Restitution unrechtmäßig entzogener Kulturgüter sind mangels eines rechtsgeschäftlichen Verhältnisses zwischen dem ursprünglichen Eigentümer und dem aktuellen Besitzer in der Regel nicht zielführend. Diese können jedoch zu Schadensersatzansprüchen des Erwerbers ‚belasteter‘ Objekte gegenüber seinem Verkäufer führen. Aus der Analyse verschiedener amerikanischer Gerichtsentscheidungen wurde – analog auch auf den deutschen Rechtsraum übertragbar – ersichtlich, dass in zivilrechtlichen Restitutionsklagen der restitutionsverpflichtete Beklagte und gleichzeitige Käufer eines unrecht319
320
Vgl. ausführlich hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 6. Teil. Vorderasiatisches Museum Berlin gegen Estate of River Flamenbaum vor dem Surrogate’s Court of the State of New York, County of Nassau, in der Entscheidung vom 30. März 2010, File No. 328146, abgedruckt in KUR 2 (2010), S. 66 ff. Vgl. hierzu auch Kline, Vorderasiatisches Museum Berlin Loses World War II Trophy Art Case in New York, KUR 2 (2010), S. 61–62.
§ 2 Ergebnis: Systematisierung zivilrechtlicher Anspruchsgrundlagen
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mäßig entzogenen Kulturguts regelmäßig den Veräußerer des mit zweifelhafter Provenienz belasteten Kunstwerks als Dritten und Mitbeklagten (third-party defendant) am Rechtsstreit beteiligt. Die Richter bestätigten eine Klage wegen „breach of implied warranty of title“ und „breach of contract“321 und entschieden, dass Verkäufer unrechtmäßig ausgeführter Kulturgüter ihre Garantie für die Freiheit von Rechtsmängeln der Verkaufsobjekte verletzen und sich aus diesen Gründen gegenüber gutgläubigen Erwerbern schadensersatzpflichtig machen.322 Die Konstellationen Menzel v. List aus den 1970er Jahren, Jeanneret v. Vichy aus dem Jahre 1982 und die Restitution der ‚Odalisque‘ von Matisse im Jahre 2000 lehren vornehmlich die professionell im Kunstmarkt beteiligten Kunsthändler, Galeristen und Auktionshäuser ebenso wie die laienhaft im Kunstmarkt als Verkäufer auftretenden Privatsammler, erhöhte Sorgfaltsanforderungen an den Tag zu legen, um nicht Kunstwerke anzubieten, die eine ‚belastete‘ Provenienz aufweisen und dementsprechend mit dem Makel der Illegalität behaftet sind. Verkäufer sollten alles daran setzen, nur Kunstwerke makelloser Herkunft zu veräußern, um sich nicht selbst der Gefahr von Schadensersatzansprüchen der Erwerber ausgesetzt zu sehen.323 Hierfür bietet eine detaillierte Provenienzrecherche im Vorfeld eines jeden Erwerbs ein probates Mittel. In der Praxis hat sich heute außerdem ein dringendes Bedürfnis nach Klärung der Frage entwickelt, auf welche Art und Weise in der Öffentlichkeit zu Unrecht als Restitutionsschuldner denunzierte öffentliche oder private Museen, Kunstsammler, Händler, Galeristen oder Auktionshäuser sich dieser Anschuldigungen erwehren und auf Feststellung ihrer Eigentumsposition klagen können, um weiteren Schaden zu verhindern und einen Reputationsverlust ihres Hauses in der Öffentlichkeit abzuwehren. Schon wiederholt wurde darauf hingewiesen, dass nicht nur die professionell im Kunsthandel beteiligten Museen, Kunsthändler, Galeristen und Auktionshäuser, sondern insbesondere auch Privatsammler im Kunstmarkt in besonderem Maße auf eine gute Reputation achten und somit oftmals einen Imageschaden beim Erwerb oder der Veräußerung von (angeblich) mit dem Makel der Illegalität behafteten Kulturgütern fürchten. Über den ‚guten Namen‘ hinaus wird zugleich ersichtlich, dass mit der Stigmatisierung kultureller Güter mit dem Makel der Illegalität324 und einem Rechtswidrigkeitsverdikt generell ein großer finanzieller Verlust einhergeht, wenn in der Öffentlichkeit ein bestimmtes Gemälde als gestohlen, als illegaler Export, Beutekunst, Raubkunst, kulturelle Fluchtkunst oder entartete Kunst gebrandmarkt wird. Eine öffentliche Diskussion bspw. über eine unrechtmäßige Ausfuhr kultureller Güter
321 322 323
324
Vgl. Jeanneret v. Vichey, 541 F.Supp. 80 (1982). Vgl. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 186–187. Vgl. ausführlich hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 7. Teil, Rdnr. 22 ff. Vgl. ausführlich hierzu 3, 1239 ff.
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1. Teil: Zivilrechtliches Anspruchssystem in Kunstrestitutionsverfahren
und einen nur möglicherweise bestehenden Makel der Illegalität hat generell einen erheblichen Wertverlust zur Folge: Objekte mit ‚belasteter‘ Provenienz besitzen nur noch einen Bruchteil des Marktwertes vergleichbarer legal ausgeführter Kulturgüter. 178
Dementsprechend wurden inzwischen bspw. mit der Rechtssache Toledo Museum of Art v. Claude George Ullin et al. vom 28.12.2006 und der Klage des Detroit Institute of Art vom 31. März 2007 gegen die Erbengemeinschaft um Martha Nathan hinsichtlich des Vincent van Gogh-Gemäldes ‚Die Grabenden‘ gerichtliche Entscheidungen aus den Vereinigten Staaten bekannt, in denen sich die aktuellen Besitzer und Eigentümer gegen diese öffentliche Stigmatisierung einzelner Objekte in ihrem Sammlungsbestand aktiv zur Wehr setzten, um eine gerichtliche Feststellung der Legalität sowohl des Erwerbs des umstrittenen Objektes als auch ihrer Eigentumsposition zu erlangen. Eine vergleichbare Fallkonstellation ereignete sich aber auch innerhalb des deutschen Rechtssystems und der BGH hatte sich in der sog. ‚Roten Mitte‘-Entscheidung vom 24.10.2005325 mit der Frage auseinanderzusetzen, in welcher Form sich der in seinem Eigentum Betroffene erwehren kann, wenn sich jemand nicht gegenüber dem wahren Eigentümer, sondern gegenüber außen stehenden Dritten berühmt, Eigentümer eines Kunstwerks zu sein.326 Ausdrücklich bestimmte der BGH aber zu einer Eigentumsberühmung gegenüber Dritten, dass „[g]erade in Kunstkreisen … eine derartige Äußerung geeignet [ist], den Kläger in seinen Rechten gemäß § 903 BGB, mit dem Bild nach seinem Belieben zu verfahren, nachhaltig zu beeinträchtigen.“327 Während somit einer Eigentumsberühmung gegenüber dem aktuellen Besitzer nur mit einer Feststellungsklage zu begegnen ist, ist im Falle einer unrechtmäßigen Eigentumsberühmung gegenüber Dritten die Unterlassungsklage statthaft. Während die professionell im Kunsthandel beteiligten öffentlichen wie privaten Museen, Kunsthändler, Galeristen und Auktionshäuser ebenso wie Privatsammler bislang eher passiv agierten, wehren sich mittlerweile die heutigen Eigentümer – so wie exemplarisch in den voranstehend zitierten Entscheidungen offensichtlich wurde – aktiv gegen ungerechtfertigte Ansprüche vor den zuständigen Zivilgerichten.328 325
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Vgl. BGH, Urteil des 2. Zivilsenats vom 24.10.2005, Az.: II ZR 329/03, NJW 2006, S. 689– 690. Vgl. die nachstehenden Entscheidungsanmerkungen: Stürner, jurisPR-BGHZivilR 4/2006 Anm. 4 (Anmerkung); Junker, jurisPR-ITR 1/2008 Anm. 4; Jayme, Der Fall ‘Rote Mitte’ von Oskar Schlemmer: Besprechung des Urteils des Bundesgerichtshofes vom 24.10.2005 – II ZR 329/03, Kunstrechtsspiegel 01/07, S. 11–12 (= IPRax 2006, 502) (Anmerkung); Roth, BGH: Abwehr von unberechtigten Rechtsberühmungen im europäischen Zivilprozess, LMK 2006, 176147 (Anmerkung); Rauscher, WuB VII B Art 5 EuGVVO 3.06 (Anmerkung). Weitergehend zu den Interessen der Kunstsammler vgl. nur Staudinger/Gursky, 1999, § 1004 Rdnr. 31; Baur/Stürner, Sachenrecht, 17. Aufl., 1999, § 12, S. 121, Rdnr. 6. So auch die Einschätzung bei Jayme, Der Fall ‘Rote Mitte’ von Oskar Schlemmer: Besprechung des Urteils des Bundesgerichtshofes vom 24.10.2005 – II ZR 329/03, Kunstrechtsspie-
§ 2 Ergebnis: Systematisierung zivilrechtlicher Anspruchsgrundlagen
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Schließlich wurden am Ende des 1. Teils die Interessen rechtmäßig als Restitutionsschuldner in Anspruch Genommener aufgegriffen und die Möglichkeiten der Geltendmachung von Restaurations- und Verwahrungskosten für die rückzuführenden Kulturgüter gegen die Restitutionsgläubiger systematisiert, die diese einem begründeten Rückführungsanspruch vor Gericht entgegenhalten können. Dabei konnte zwischen kulturgüterrechtsspezifischen Gegenansprüchen und allgemeinen Ersatz- und Rückgriffsansprüchen der Zivilrechtssystematik unterschieden werden. Kulturgüterrechtsspezifische Gegenansprüche wurden bspw. in Spezialgesetzen zur Wahrung auch der berechtigten Interessen der Rückgabeschuldner normiert. Zunächst fällt hierunter die Zahlung einer Kompensationssumme an redliche Kunstrestitutionsschuldner, wie dies bspw. allgemein innerhalb der nationalen Rechtsordnungen Frankreichs und der Schweiz, aber auch speziell für Kulturgüter innerhalb des Art. 7 (b) (ii) der UNESCO-Convention vom 14. November 1970 („payment of just compensation“), des Art. 4 Abs. 1 und 6 Abs. 1 der UNIDROIT-Convention vom 24. Juni 1995 („payment of fair and reasonable compensation“) und des Art. 9 der Richtlinie 93/7/EWG vom 15. März 1993 („angemessene Entschädigungszahlung“) erfolgte. Die Normierung eines sog. Lösungsrechts329 hat im internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht zur Folge, dass dem Eigentümer im Grundsatz auch gegenüber einem redlichen Erwerber ein Anspruch auf Restitution ‚seiner‘ unrechtmäßig entzogenen Kulturgüter zusteht, jedoch nur bei finanzieller Kompensation der Interessen des gutgläubigen Erwerbers.
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Kunstrestitutionsansprüche können außerdem auch dadurch erschwert werden, dass Anspruchsberechtigten spezielle Vermögensaufwendungen und Kosten auferlegt werden, die im unmittelbaren Zusammenhang mit der Rückführung der unrechtmäßig entzogenen Kulturgüter stehen.330 Zu diesen besonderen Kosten im Zusammenhang mit der Rückführung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter können bspw. Aufwendungen von Behörden für die Beschlagnahmung eines Kulturguts, insbesondere aber auch Aufwendungen für den Rücktransport und die Versicherung der oftmals wertvollen Objekte stehen. Für diese Gegenansprüche Restitutionsverpflichteter finden sich regelmäßig in den kulturgüterrechtsspezifischen Regelungen besondere Bestimmungen. Schließlich ist auch an Ansprüche restitutionsverpflichteter Besitzer auf Ersatz ihrer Verwendungen innerhalb des Eigentümer-Besitzer-Verhältnisses im Rahmen der §§ 994 ff. BGB zu denken, wenn Sie unrechtmäßig entzogene Kulturgüter bspw. im Rahmen eines Vindikationsanspruchs an den wahren Berechtigten herausgeben müssen. Aufwendun-
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gel 01/07, S. 11–12 (= IPRax 2006, 502). Vgl. auch den Bericht über die beiden Fälle in den Vereinigten Staaten von Mejias, Jetzt klagen die Museen, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.1.2006, S. 37. Vgl. ausführlich hierzu Anton, Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht, Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 2010, 2. Teil Rdnr. 130 ff. Vgl. hierzu auch Schönenberger, Restitution von Kulturgut, 2009, S. 176.
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1. Teil: Zivilrechtliches Anspruchssystem in Kunstrestitutionsverfahren
gen, die von dem restitutionsverpflichteten Besitzer für den rechtsgeschäftlichen Erwerb des Kunstwerks getätigt wurden, fallen dabei jedoch nicht unter §§ 994 ff. BGB. 181
Nachdem nun voranstehend eine rechtsvergleichende Systematisierung des zivilrechtlichen Anspruchssystems in Kunstrestitutionsverfahren erreicht wurde, schließen sich für die Praxis unmittelbar die innerhalb des 2. Teils unter dem Titel „Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht“ zu beantwortenden Fragen an, welche formal-verfahrensrechtlichen Probleme bei der gerichtlichen Rückführung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter regelmäßig zu erwarten sind. Auch dabei wird wieder der Internationalität des illegalen Kunstmarktes Rechnung zu tragen sein und es werden die für das Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht und seine kulturellen Rückführungsverfahren in der Praxis in höchstem Maße entscheidungsrelevanten Fragen des (inter-)nationalen Zivilverfahrensrechts bei Berührungspunkten eines Sachverhalts zu mehr als einer Rechtsordnung untersucht. In diesem Zusammenhang wird erneut exemplarisch deutlich werden, dass sich im Kunstrestitutionsrecht jede schematische Lösung verbietet: Die prozessuale Durchsetzung zivilrechtlicher Restitutionsansprüche unrechtmäßig entzogener Kulturgüter folgt zwar im Prinzip den allgemeinen Verfahrensgrundsätzen bei der gerichtlichen Wiedererlangung gewöhnlicher sonstiger Mobilien, weicht jedoch aufgrund besonderer Implikationen des Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts davon im Detail erheblich ab. Es bestehen zahlreiche kulturgüterspezifische Besonderheiten gegenüber dem allgemeinen internationalen Zivilverfahrensrecht, die im nachstehenden 2. Teil ausführliche Erläuterung finden.
2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht Schrifttum: Anton, Special Conflict Rules in the Private International Law of Property concerning International Art Trade in Stolen Works of Art, LL.M. Thesis 2005, University of Johannesburg, South Africa; Bauer, Eilverfahren und einstweilige Verfügung zur Sicherung von Rechten an reportierten Kulturgegenständen, in: Genieva/Michaletz/Werner, Gesten des guten Willens und Gesetzgebung – Dokumentation der internationalen Konferenz zur Problematik kriegsbedingt verlagerter Kulturgüter; Moskau, 24. und 25. April 2001, 2001, S. 226–231; Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROITÜbereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 260 ff.; Byrne-Sutton, le trafic international des biens vulturels sous l’angle de leur revendication par l’Etat d’origine – Aspects de droit international privé, 1988, S. 166 ff.; Carl, Legal Issues Associated with Restitution – Conflict of Law Rules Concerning Ownership and Statutes of Limitation, in: The International Bureau of the Permanent Court of Arbitration, Resolution of Cultural Property Disputes – Papers emanating from the seventh PCA International Law Seminar May 23, 2003, 2004, S. 185–192; Cassella, Using the Forfeiture Laws to Protect Archaeological Resources, in: Hutt/Forsyth/Tarler, Presenting Archaeology in Court – Legal Strategies for Protecting Cultural Resources, 2005, S. 169–190; Clark, The Schiele Matter, in: Gibbon, Who Owns the Past? – Cultural Policy, Cultural Property, and the Law, 2005, S. 71–82; Gerstenblith, Art, Cultural Heritage, and the Law – Cases and Materials, 2004, S. 501–534; Gornig, Wem gehört der PergamonAltar? Völkerrechtliche Diskussion der Forderungen Griechenlands auf Rückgabe von Kulturgütern, in: Gornig/Schiller/Wesemann, Griechenland in Europa, Band 1, 2000, S. 61–96, S. 88–90; Hess, Der Kunstrechtsstreit im Internationalen Zivilprozessrecht: Aktuelle Entwicklungen und grundsätzliche Fragestellungen, in: Weller/Kemle/Dreier/Lynen, Kunst im Markt – Kunst im Recht, Tagungsband des Dritten Heidelberger Kunstrechtstags am 09. und 10. Oktober 2009, 2010, S. 109–119; Hutt/Tarler, Yearbook of Cultural Property Law 2006, International Cultural Property, S. 91–110, S. 98–102; Hutt/Tarler, Yearbook of Cultural Property Law 2007, International Cultural Property, S. 109–117, S. 113–114; Jaeger, Internationaler Kulturgüterschutz – Rechtslage, Rechtspraxis, Rechtsfortentwicklung, 1994, S. 117–132; Jayme, Ein internationaler Gerichtsstand für Rechtsstreitigkeiten um Kunstwerke, in Grupp/Hufeld, Recht – Kultur – Finanzen, Festschrift für Reinhard Mußgnug, 2005, S. 517–524; Kaye, Disputes Relating to the Ownership and Status of Cultural Property, in: Byrne-Sutton/GeisingerMariéthoz, Resolution Methods für Art-Related Disputes, S. 35–53; Kienle/Weller, Die Vindikation gestohlener Kulturgüter im IPR, IPRax 2004, S. 290–294, S. 293–294; Köhling, Der Eigentumserwerb abhanden gekommener Kunstgegenstände im amerikanischen Recht, 1999, S. 111 ff.; Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004; Kunze, Restitution „Entarteter Kunst“ – Sachenrecht und Internationales Privatrecht, 2000, S. 109–113; Lester, The Civil Side of Archaeological Resource Protection, in: Hutt/Forsyth/Tarler, Presenting Archaeology in Court – Legal Strategies for Protecting Cultural Resources, 2005, S. 153–167; Noonan, Immunity from Seizure, in: Gibbon, Who Owns the Past? – Cultural Policy, Cultural Property, and the Law, 2005, S. 45–56; Palmer, Anti-Seizure or Safe Conduct Statutes, in: Institute of Art and Law, Art law and the Holocaust (a seminar held on Tuesday 5th October 1999 at the Courtauld Institute, London), 1999; Pell, Using Arbitral tribunals to Resolve Disputes Relating to HolocaustLooted Art, in: The International Bureau of the Permanent Court of Arbitration, Resolution of Cultural Property Disputes – Papers emanating from the seventh PCA International Law Seminar May 23, 2003, 2004, S. 307–326; Plutschow, Staatliche Vorkaufsrechte im Internationalen Kulturgüterschutz, 2002, S. 215–310; Prott, Problems of Private International Law for the Pro-
126
2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht tection of the Cultural Heritage, in: Recueil des Cours – Collected Courses of the Hague Academy of International Law, 1989-V (Tome 217), 1990, S. 223–316, insb. S. 245 ff.; Prott/ O’Keefe, National Legal Control of Illicit Traffic in Cultural Property, UNESCO, 1983, S. 98– 120; Prott/O’Keefe, Law and the Cultural Heritage – Volume I: Discovery and Excavation, 1984, S. 82–107 und 330–369; Redmond-Cooper, Disputed title to loaned works of art: the Shchukin litigation, in: Palmer, Art Loans, 1997, S. 569–576; Renold/Gabus, Claims for the Restitution of Looted Art, 2004, S. 33 ff., S. 159 ff.; Roussin, Museum, in: Hutt/Tarler, Yearbook of Cultural Property Law 2006, S. 87–100, insb. S. 92–95; Roussin, Museum, in: Hutt/Tarler, Yearbook of Cultural Property Law 2009, S. 123–139; Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 128 ff.; Schönenberger, Restitution von Kulturgut, 2009, S. 187–194, 229–228; Siehr, Beutekunst – kriegsbedingt verlagertes Kulturgut: Völkerrechtliche und internationalprivatrechtliche Aspekte des Streits um deutsches Kulturgut in Staaten der ehemaligen Sowjetunion, Kunst und Recht (KUR) 2 (2009), S. 39–47; Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 73–74; Siehr, Kulturgüterschutz, in: Ebling/Schulze, Kunstrecht: Zivilrecht – Steuerrecht, 2007, S. 53 ff.; Sills, Judicial Conversion of Culture – Attaching Embodiments of Ancient Culture to Judgments in Civil Proceedings, in: Hutt/Tarler, Yearbook of Cultural Property Law 2007, S. 237–256; Walter, Rückführung von Kulturgut im internationalen Recht, 1988, S. 22–37; Weller, International Ownership Disputes over Stolen Artorks in New York: Litigating about Jurisdiction on the Civil-Criminal Line, IPRax 1999, S. 212–216; Weller, Die rechtsverbindliche Rückgabezusage, in: Blaurock u.a., Festschrift für Achim Krämer zum 70. Geburtstag, 2009, S. 721–735; Weller, Freies Geleit für die Kunst – Die Schweiz setzt einen Maßstab für Leihgaben im Völkerrecht, FAZ, 25. November 2005, Nr. 275, S. 35 (Feuilleton); Weller, Völkerrechtliche Grenzen der Zwangsvollstreckung – vom Botschaftskonto zur Kunstleihgabe, Rpfleger 2006, S. 364–373.
1
Erhält ein ursprünglich Berechtigter Kenntnis vom Verbleib ‚seines‘ rechtswidrig transferierten Kulturguts (d.h. es ist eine Lokalisierung des unrechtmäßig entzogenen Kunstwerks und Identifizierung des aktuellen Besitzers möglich), fragt dieser regelmäßig nach den ersten Schritten zur Wiedererlangung seines Vermögenswertes. Der Weg zu den Zivilgerichten wird heute häufig als die einfachste (und zumeist auch einzige) prozessuale Möglichkeit betrachtet, unrechtmäßig entzogene Kulturgüter zurückzuerlangen. Dies ist bereits deswegen naheliegend, da sich in sehr vielen Fällen das Kulturgut in der Hand eines privaten Besitzers befindet. Dieser Rechtsweg wird aber auch dann der einzig zu beschreitende sein, wenn sich das Kulturgut in einem Staat befindet, mit dem keine völkervertragsrechtlichen Spezialvorschriften über die Restitution rechtswidrig transferierter Kunstwerke bestehen und insoweit auch keine speziellen prozessualen Verfahren zur Rückführung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter vorgesehen sind.1 Dies gilt aber selbst in solchen Konstellationen, in denen zwar zwischenstaatliche Regelungen der Zuordnung illegal transferierter Kulturgüer bestehen und anwendbar sind, diese jedoch aufgrund fehlender formal-verfahrensrechtlicher Institutionen nicht zur Durchsetzung der bestehenden völkerrechtlichen Rück-
1
Vgl. Gornig, Wem gehört der Pergamon-Altar? Völkerrechtliche Diskussion der Forderungen Griechenlands auf Rückgabe von Kulturgütern, in: Gornig/Schiller/Wesemann, Griechenland in Europa, Band 1, 2000, S. 61–96, S. 88–90.
2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
127
führungsansprüche gelangen (und somit nur politische Druckmittel im zwischenstaatlichen Bereich bestehen). Auch dann erscheint der zivilrechtliche Weg zur Rückführung oftmals verheißungsvoller. Die formellen Voraussetzungen einer zivilrechtlichen Restitution unrechtmäßig entzogener und illegal transferierter Kulturgüter bestimmen sich im grenzüberschreitenden Kulturgüterverkehr nach den Grundsätzen des internationalen Zivilverfahrensrechts. Darunter versteht man allgemein die Gesamtheit weitgehend nationaler Rechtsvorschriften (im Gegensatz zu der auch in der Terminologie des internationalen Privatrechts unzutreffenden Bezeichnung als international), die Zivilverfahren mit Auslandsbezügen regeln. International sind innerhalb dieses Teils des Verfahrensrechts die Sachverhalte, häufig national jedoch die Zuständigkeitsregeln. Die prozessuale Durchsetzung eines zivilrechtlichen Restitutionsanspruchs rechtswidrig entzogener bzw. unrechtmäßig transferierter Kulturgütern weicht im Grundsatz nicht von derjenigen einer anderen Mobilie ab. Erhält der ursprünglich Berechtigte Kenntnis vom Verbleib des rechtswidrig transferierten Werkes, etwa von dessen Ausstellung im Forumstaat, so kann er – wenn die Grundsätze der internationalen Gerichtsbarkeit nationaler Zivilforen keine Grenzen staatlicher Gerichtsgewalt begründen, sich die internationale Zuständigkeit des zur Entscheidung berufenen Zivilforums begründen lässt, keine Begrenzungen durch das sog. Institut des freien Geleits für Kunstwerke bestehen oder sonstige Erwägungen eine Präklusion zivilrechtlicher Restitutionsverfahren bedingen2 – sein Herausgabebegehren entweder in der Hauptsache verfolgen, oder aber im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes mittels einer einstweiligen Verfügung vorgehen.3
2
In internationalen Kunstrestitutionsstreitigkeiten (d.h. bei Sachverhalten, die mehr als eine Rechtsordnung betreffen) wird sich dabei zunächst stets die Frage stellen, ob die Prinzipien der internationalen Gerichtsbarkeit nationaler Zivilforen keine Grenzen staatlicher Gerichtsgewalt begründen. Im nachstehenden 1. Abschnitt werden deshalb zunächst diejenigen Konstellationen herausgestellt, in denen ein Richter aus Sicht des internationalen Rechts nicht über einen kulturellen Restitutionsanspruch entscheiden darf, da sich potenziell restitutionsverpflichtete Staaten oder deren Einrichtungen auf die Grundsätze der Staatenimmunität (vgl. dort unter Punkt A.) berufen können. Hier sollte vor jedem Kunstrestitutionsverfahren von Klägerseite auch geprüft werden, ob keine Begrenzung durch das sog. Institut des freien Geleits für Kunstwerke besteht (vgl. dort unter Punkt B.). Außerdem sind innerhalb des Internationalen Kulturgüterzivilverfahrensrechts von der Klägerseite auch sonstige Erwägungen in Betracht
3
2 3
Vgl. hierzu die nachstehenden Ausführungen des 2. Teils. Vgl. auch Kienle/Weller, Die Vindikation gestohlener Kulturgüter im IPR, IPRax 2004, S. 290–294, S. 293–294.
128
2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
Gerichtsbarkeit – Grenzen staatlicher Gerichtsgewalt in kulturellen Restitutionsverfahren
Präklusion zivilrechtlicher Restitutionsansprüche aufgrund von Sondergesetzen zur Wiedergutmachung von Regimeunrecht
Präklusion kultureller Restitutionsverfahren aufgrund der Zusage ‚freien Geleits‘ kultureller Güter
Internationale Zuständigkeit kultureller Restitutionsklagen
Präklusion von Restitutionsansprüchen aufgrund internationaler Verträge der im Zweiten Weltkrieg unterlegenen sog. Feindstaaten mit den alliierten Staaten
Einstweiliger Rechtsschutz und ‚provisional remedies‘ im internationalen Kulturgüterschutz
Ausländer als Verfahrensbeteiligte innerhalb des internationalen Kulturgüterverkehrs
Internationale Rechtshilfe in zivilrechtlichen Restitutionsstreitigkeiten unrechtmäßig entzogener Kulturgüter
Rechtsdurchsetzung ausländischer Restitutionsurteile ggü. dem Besitzer unrechtmäßig entzogener Kulturgüter im Inland
Schema 2 – Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
zu ziehen, die eine Präklusion zivilrechtlicher Restitutionsverfahren begründen könnten. Ein solcher Ausschluss allgemeiner zivilrechtlicher Restitutionsansprüche steht bspw. hinsichtlich der Restitution nationalsozialistisch bedingter Kulturgutverluste (der Beutekunst, des kulturellen Fluchtguts und der Raubkunst) aufgrund der speziellen Sondergesetze zur Wiedergutmachung erlittenen Regimeunrechts ebenso in Diskussion wie hinsichtlich der auf dem ehemaligen Territorium der DDR entzogenen Kulturgüter (vgl. dort unter Punkt C.). 4
Sprechen keine Gründe für eine Präklusion kultureller Restitutionsverfahren, muss in jeder Kunstrestitutionsstreitigkeit von Seiten der Anspruchsteller geprüft werden, ob sich die internationale Zuständigkeit des zur Entscheidung berufenen Zivilforums begründen lässt. Dies wird nur dann der Fall sein, wenn der kulturelle Restitutionsanspruch und das diesem zugrundeliegende Rechtsverhältnis einen so starken Bezug zu den Zivilgerichten des Forumstaates aufweisen, dass der Rechtsstreit vor dessen Gerichten zu entscheiden ist (vgl. ausführlich hierzu den 2. Abschnitt). Außerdem hat ein Restitutionsgläubiger innerhalb des internationalen Kulturgüterzivilverfahrensrechts stets zu prüfen, ob Besonderheiten bei Ausländern als Verfahrensbeteiligte innerhalb des internationalen Kulturgüterverkehrs bestehen (vgl. ausführlich hierzu den 3. Abschnitt), ob eine Möglichkeit der Sicherung unrechtmäßig entzogener Objekte mittels der Regeln des ‚einstweiligen Rechtsschutzes‘ und spezieller ‚provisional remedies‘ im internationalen Kulturgüterschutz zu nutzen sind (vgl. ausführlich hierzu den
2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
4. Abschnitt), welche Möglichkeiten hinsichtlich der Rechtsdurchsetzung ausländischer Kunstrestitutionsurteile gegenüber dem Besitzer unrechtmäßig entzogener Kulturgüter im Inland bestehen (vgl. ausführlich hierzu den 5. Abschnitt) und ob schließlich die Grundsätze der internationalen Rechtshilfe in zivilrechtlichen Restitutionsstreitigkeiten unrechtmäßig entzogener Kulturgüter fruchtbar gemacht werden können (vgl. ausführlich hierzu den 6. Abschnitt).
129
1. Abschnitt Internationale Gerichtsbarkeit – Grenzen staatlicher Gerichtsgewalt in kulturellen Restitutionsverfahren 5
Der Umstand, dass sich ein Kulturgut vorübergehend im Ausland (und damit außerhalb der Jurisdiktion des ständigen Aufenthaltsortes) befindet, stellt für potenzielle Restitutionsgläubiger oftmals eine Chance dar, ‚ihre‘ Objekte wieder zurückzuerlangen. Insbesondere in Fallkonstellationen der (unrechtmäßigen) Verstaatlichung kultureller Wertgegenstände sehen die ursprünglichen Eigentümer (mit gutem Recht) bei vorübergehendem Aufenthalt des Objektes in einem anderen Forum eine neue Chance, auf das Kunst- und Kulturgut zuzugreifen, da möglicherweise eine günstigere Rechtssituation vorliegt. Es erstaunt daher nicht, dass Restitutionsgläubiger stets dann eine Rückführung ‚ihrer‘ Objekte suchten, wenn sich diese im Ausland befanden.4 Einem Gericht, das mit Streitigkeiten auf dem Gebiet des internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts befasst ist, stellt sich dann zunächst immer die Frage nach der Gerichtsbarkeit von Kunstrestitutionsverfahren.5
6
Rechtstheoretisch bestehen zwei unterschiedlich zu verfolgende Wege der gerichtlichen Durchsetzung kultur-restitutioneller Klagen im Bereich der zivilrechtlichen Restitutionsansprüche: Neben der Klage im heimischen Forum des Restitutionsberechtigten mit anschließender Vollstreckung des erstrittenen gerichtlichen Titels im ausländischen Forum der örtlichen Belegenheit des unrechtmäßig entzogenen bzw. illegal transferierten Kulturguts erscheint vor allem die Klage direkt im ausländischen Forum, eventuell mit unmittelbarer Sicherstellung des Kulturguts bis zum Ausgangsverfahren, und anschließende Vollstreckung des ausländischen Titels in diesem Forum denkbar. Mögliche Restitutionskläger unrechtmäßig entzogener Kulturgüter und deren Rechtsberater müssen sich somit zunächst überlegen, vor welchem Forum ein Restitutionsanspruch platziert werden soll: Eine Klage vor dem ausländischen Zivilforum der örtlichen Belegenheit führt zwar zu größerer Unsicherheit des Rechtssuchenden, hätte aber die unmittelbare Sicherung des umstrittenen Kulturguts und eine einfache Durchsetzung des erlangten Rechtstitels zur Folge. Vor heimischen Zivilforen sind die nationalen Gesetzesbestimmungen, die Sprache und Geflogenheiten wohl bekannt, eine Durchsetzung eines möglicherweise erstrittenen Urteils
4 5
Vgl. auch Schönenberger, Restitution von Kulturgut, 2009, S. 183. Vgl. Roussin, Museum, in: Hutt/Tarler, Yearbook of Cultural Property Law 2006, S. 87–100, insb. S. 92–95; Gerstenblith, Art, Cultural Heritage, and the Law – Cases and Materials, 2004, S. 501–534; Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 9; Weller, Völkerrechtliche Grenzen der Zwangsvollstreckung – vom Botschaftskonto zur Kunstleihgabe, Rpfleger 2006, S. 364–373; Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 10 –29; Plutschow, Staatliche Vorkaufsrechte im Internationalen Kulturgüterschutz, 2002, S. 231–239.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
131
bedarf jedoch der Durchsetzung im ausländischen Forum der örtlichen Belegenheit des Kulturguts – oftmals ein schwieriges Unterfangen. Die Regeln über die Gerichtsbarkeit legen fest, ob der Richter durch das Völkerrecht gehindert ist, einen Rechtsstreit zu entscheiden.6 Damit ist allgemein die Ausübung staatlicher Gerichtsgewalt als „hoheitliche Befugnis, Recht zu sprechen“7, gemeint, die sog. „facultas iurisdictionis“8, die Ausfluss der staatlichen Souveränität ist und nur in Ausnahmefällen durch das Völkerrecht eingeschränkt wird. Die Gerichtsbarkeit ist eine selbständige Prozessvoraussetzung innerhalb der förmlichen Ausgestaltung kultureller Restitutionsprozesse.9 In Kunstrestitutionsverfahren hat der Rechtsanwender deshalb zunächst zu fragen, ob der Richter über einen konkreten Rückgabeanspruch aus Sicht des internationalen Rechts entscheiden darf.10
7
Grenzen staatlicher Gerichtsgewalt in kulturellen Restitutionsverfahren
Personelle bzw. institutionelle Staatenimmunität
Präklusion aufgrund von Sondergesetzen zur Wiedergutmachung von Regimeunrecht
Kulturelle Sachimmunität: Zusage freien Geleits
Restitution und ‚Deaccessioning‘
Präklusion aufgrund internationaler Friedensverträge
Schema 3 – Problemkreise internationaler Gerichtsbarkeit
Das ist insbesondere dann fraglich, wenn sich bei möglicherweise unrechtmäßig entzogenen Kulturgütern herausgabepflichtige Staaten oder staatliche Einrichtungen (hier waren bisher meistens Museen in öffentlicher Trägerschaft beteiligt) auf die Grundsätze der Staatenimmunität berufen können (vgl. ausführlich hier6
7 8
9
10
Vgl. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 3, Rdnr. 14, S. 70. Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 4. Aufl. 2006, Rdnr. 131. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 3, Rdnr. 13–27, S. 69–74. Vgl. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 3, Rdnr. 14, S. 70. Vgl. Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 4. Aufl. 2006, Rdnr. 131.
8
132
2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
zu unter Punkt A.). Dementsprechend wurden auch in zahlreichen gerichtlichen Streitigkeiten des internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts seitens eines möglicherweise herausgabepflichtigen Staates die Grundsätze der Staatenimmunität in den Prozess eingeführt und es wurde die Unzulässigkeit der kulturellen Restitutionsklage proklamiert. Vor allem auf dem Gebiet des internationalen und intermusealen Leihverkehrs11 sind solche Konstellationen entstanden, um Vollstreckungsmaßnahmen abzuwenden, die naturgemäß die Interessen des Staates noch stärker berühren als das Erkenntnisverfahren.12 9
Die Gerichtsbarkeit ist aber auch dann eingeschränkt, wenn eine Präklusion eines Restitutionsverfahrens aufgrund des Rechtsinstituts des freien Geleits kultureller Güter besteht (vgl. ausführlich hierzu unter Punkt B.). Die Grenzen staatlicher Gerichtsgewalt sind so erreicht, wenn der kulturelle Entleihstaat dem Verleihstaat die Zusage ‚freien Geleits‘ kultureller Güter gewährt und, in den Worten des neuen § 20 des Gesetzes zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung vom 6. August 1955, dem Verleiher die Rückgabe zum festgesetzten Zeitpunkt rechtsverbindlich zusagt.
10
Außerdem sind innerhalb des Internationalen Kulturgüterzivilverfahrensrechts von der Klägerseite auch sonstige Erwägungen in Betracht zu ziehen, die möglicherweise eine Präklusion zivilrechtlicher Restitutionsverfahren begründen könnten. Ein solcher Ausschluss allgemeiner zivilrechtlicher Restitutionsansprüche steht bspw. hinsichtlich der Restitution nationalsozialistisch bedingter Kulturgutverluste (der Beutekunst, des kulturellen Fluchtguts und der Raubkunst) aufgrund der speziellen Sondergesetze zur Wiedergutmachung erlittenen Regimeunrechts ebenso in Diskussion wie hinsichtlich der auf dem ehemaligen Territorium der DDR entzogenen Kulturgüter (vgl. ausführlich hierzu unter Punkt C.). Anschließend ist an eine Präklusion kultureller Restitutionsansprüche aufgrund internationaler Verträge der im Zweiten Weltkrieg unterlegenen sog. Feindstaaten mit den alliierten Staaten zu denken (vgl. ausführlich hierzu unter Punkt D.). Schließlich ist unter Punkt E. zu fragen, inwieweit ethische und rechtliche Erwägungen im Zusammenhang mit der Veräußerung von Museumsbeständen (sog. deaccessioning) eine Restitution unrechtmäßig transferierter Kulturgüter präkludieren können.
11 12
Vgl. Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 9. Vgl. Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 4. Aufl. 2006, Rdnr. 150.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
133
A. Staatenimmunität in Kunstrestitutionsverfahren Es wurden in der Vergangenheit zahlreiche tatsächliche Konstellationen ersichtlich, in denen die Rechtsposition an einem ins Ausland transferierten Kulturgut aus dem Bestand eines Staates, eines öffentlichen Museums oder einer sonstigen kulturellen Institution in staatlicher Trägerschaft vor ausländischen Zivilforen umstritten war. Das staatlicherseits ins Ausland transferierte Kulturgut kann bspw. eine belastete Provenienz aufgrund eines Diebstahls, einer kriegsbedingten Entziehung, des Abhandenkommens als Raubkunst oder als ‚entartete‘ Kunst aufweisen. Der ausländische Staat kann dabei das Kulturgut später (gutgläubig) erworben haben, er kann aber auch selbst in die ursprüngliche Rechtsposition an dem Kulturgut aufgrund einer Verstaatlichung eingegriffen haben. Motivation für einen Transfer ins Ausland ist meist der intermuseale Leihverkehr, zuweilen aber auch die Absicht, das Kulturgut außerhalb des eigenen Territoriums auf einem internationalen Kunstmarktplatz zu veräußern und so fremde Devisen zu erwirtschaften.
11
Verlässt das Kulturgut auf diese Weise den heimischen Rechtskreis und wird von den (ursprünglichen) Berechtigten identifiziert, versuchen diese regelmäßig ihre möglicherweise trotz des Entziehungsaktes fortbestehende Eigentumsposition an dem Kulturgut im ausländischen Forum geltend zu machen, bevor dieses möglicherweise wieder zurückgeführt und eine rechtliche Überprüfung des Entziehungsaktes unmöglich wird. In der Konstellation der Verstaatlichung kultureller Güter stellt diese Vorgehensweise meist die einzige Möglichkeit der Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Verstaatlichung dar. Stehen die Kulturgüter jedoch im Bestand eines Staates oder ausländischer öffentlicher Museen (in staatlicher Trägerschaft), könnte die internationale Gerichtsbarkeit des zur Entscheidung berufenen Forums bereits aus Gründen der Staatenimmunität ausgeschlossen sein.
12
Der Grundsatz der Staatenimmunität hat seine Grundlage in der prinzipiellen Gleichheit der Staaten und in der Anerkennung ihrer Souveränität. Obwohl die Immunität ein Institut des Völkergewohnheitsrechts ist, erfolgt ihre praktische Anwendung keineswegs einheitlich:13 Während bspw. Deutschland über Art. 25
13
13
Vgl. Roussin, Museum, in: Hutt/Tarler, Yearbook of Cultural Property Law 2006, S. 87–100, insb. S. 92–95; Prott/O’Keefe, Law and the Cultural Heritage – Volume 3: Movement, 1989, S. 205 ff.; Siehr, Beutekunst – kriegsbedingt verlagertes Kulturgut: Völkerrechtliche und internationalprivatrechtliche Aspekte des Streits um deutsches Kulturgut in Staaten der ehemaligen Sowjetunion, Kunst und Recht (KUR) 2 (2009), S. 39–47; Hess, Der Kunstrechtsstreit im Internationalen Zivilprozessrecht: Aktuelle Entwicklungen und grundsätzliche Fragestellungen, in: Weller/Kemle/Dreier/Lynen, Kunst im Markt – Kunst im Recht, Tagungsband des Dritten Heidelberger Kunstrechtstags am 09. und 10. Oktober 2009, 2010, S. 109– 119, S. 112–113.
134
2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
GG und § 20 Abs. 1 GVG das Völkergewohnheitsrecht unmittelbar anwendet,14 haben andere Staaten, wie bspw. die USA und England, nationale Immunitätsgesetze erlassen. Zudem wurde die Immunität in völkerrechtlichen Übereinkommen geregelt, insbesondere im Basler Übereinkommen vom 16.5.197215 und im UN-Übereinkommen zur Staatenimmunität vom 2.12.200416. Da das Basler Übereinkommen bislang nur von sieben und das UN-Übereinkommen nur von fünf Staaten ratifiziert wurden, werden die Völkerverträge bislang mit Recht „als relativ erfolglos“17 beschrieben. 14
Ebenso wie auch in sonstigen Prozessen gegen ausländische Staaten vor nationalen Zivilforen umfassen die Grundsätze der Staatenimmunität unterschiedliche Aspekte:18 Innerhalb kultureller Restitutionsverfahren gegenüber Staaten als Inhaber der tatsächlichen Sachherrschaft an den umstrittenen Kulturgütern erlangen vor allem die Jurisdiktions- und die Exekutionsimmunität Bedeutung. Während nach der erstgenannten Variante (vgl. ausführlich zunächst unter Punkt I.) kein Staat über einen anderen Staat zu Gericht sitzen darf, ist es einem Staat nach der Exekutionsimmunität verboten, mit Zwangsgewalt gegen einen anderen Staat vorzugehen (vgl. hierzu unter Punkt II.).19
I. 15
Restitutionsprozesse gegen Staaten sowie Museen und kulturelle Institutionen in öffentlicher Trägerschaft
Die Grundsätze der Staatenimmunität können somit ausländischen Staaten sowie ausländischen staatlichen Museen Schutz vor Eingriffen in ihren kulturellen Bestand sowohl im zivilrechtlichen Erkenntnis- als auch im Vollstreckungsverfahren bieten. In diesen Fällen kann schon die Zulässigkeit einer Restitutionsklage ausgeschlossen sein20 und bspw. intermuseale Leihgaben, für die gerade keine 14
15 16
17
18
19
20
So die ständige Rechtsprechung des BVerfG, vgl. bspw. den sog. Iranischen Botschaftsfall, Beschluss vom 30.04.1963, Az.: 2 BvM 1/62, BVerfGE 16, S. 27– 64. BGBl. 1990 II 1400, vgl. dazu Hess, Staatenimmunität bei Distanzdelikten, 1992, S. 210 ff. Noch nicht in Kraft getreten, erforderlich sind 30 Ratifikationen. Vgl. dazu General Assembly Resolution 59/38, Annex, Official Records of the General Assembly, Fifty-ninth Session, Supplement No. 49(A/59/49). Vgl. Hess, Der Kunstrechtsstreit im Internationalen Zivilprozessrecht: Aktuelle Entwicklungen und grundsätzliche Fragestellungen, in: Weller/Kemle/Dreier/Lynen, Kunst im Markt – Kunst im Recht, Tagungsband des Dritten Heidelberger Kunstrechtstags am 09. und 10. Oktober 2009, 2010, S. 109–119, S. 112–113. Vgl. hierzu Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 3, Rdnr. 13–27, S. 69–74. Daneben ist noch die sog. legislative Immunität bekannt, wonach kein Staat einen anderen Staat seinen Gesetzen unterwerfen darf. Vgl. zum Ganzen Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 3, Rdnr. 13–27, S. 69–74. In der Schweiz hat das Gericht einen sog. Nichteintretensentscheid zu fällen, vgl. Schönenberger, Restitution von Kulturgut, 2009, S. 184.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
135
Zusage des freien Geleits erteilt wurde, können unter Umständen nach allgemeinen Regeln über die Immunität von Staaten geschützt sein. In diesen Fällen stellt das Nichtvorliegen der Immunität nämlich eine Prozessvoraussetzung dar.21 Während Kühl die spezielle Funktion der Grundsätze der Staatenimmunität in erster Linie im Vollstreckungsverfahren verankert, stellen sich Fragen der Staatenimmunität häufig jedoch schon bei sichernden Maßnahmen vor dem Erkenntnisverfahren oder währenddessen (wie bspw. bei Arresten und einstweiligen Verfügungen) und im zivilrechtlichen Erkenntnisverfahren selbst. Da Arrest und einstweilige Verfügung Elemente sowohl eines provisorischen und summarischen Erkenntnis- als auch Vollstreckungsverfahrens enthalten22, müssen die Voraussetzungen aber nicht nur für die Immunität im Erkenntnis- sondern auch im Vollstreckungsverfahren betrachtet werden.23 Fragen der Gerichtsbarkeit und Immunität zivilrechtlicher Klagen betreffend die zivilrechtliche Repatriierung kolonialbedingt verlagerter Kulturgüter 24 stellen sich analog zu den genannten Ausführungen. Klagt ein früherer Ursprungsstaat kultureller Güter jedoch vor einem nationalen Zivilgericht des aktuellen Inhabers der in Streit stehenden Kulturgüter auf Repatriierung (in dem Forum der neuen örtlichen Belegenheit, d.h. bspw. im Falle einer Klage Griechenlands in England auf Herausgabe der Elgin Marbles aus dem British Museum oder einer Klage Ägyptens in Deutschland auf Herausgabe der Büste der Nofretete aus den Staatlichen Sammlungen zu Berlin), eröffnen sich keine besonderen prozessualen Hindernisse: auch wenn der frühere Ursprungsstaat auf Herausgabe der Kulturgüter gegen einen Staat mit der tatsächlichen Sachherrschaft über die möglicherweise repatriierungspflichtigen Kulturgüter als Beklagter des zivilgerichtlichen Verfahrens klagt, kann sich der beklagte Staat nicht auf den Grundsatz der Immunität berufen, weil die Klage vor den Gerichten des beklagten Staates selbst angestrengt wurde und dabei Fragen der Gleichheit und Souveränität der Staaten unangetastet bleiben.
1.
Bedeutung der Staatenimmunität anhand des sog. Schtschukina-Falls
Durch den Grundsatz der Staatenimmunität legt das Völkerrecht der Ausübung nationaler Gerichtsgewalt Beschränkungen in der Zulässigkeit kultureller Resti-
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In der Schweiz hat das Gericht einen sog. Nichteintretensentscheid zu fällen, vgl. Schönenberger, Restitution von Kulturgut, 2009, S. 184. Strebel, Staatenimmunität – Die Europaratskonvention und die neuen Gesetze der Vereinigten Staaten und Großbritannien, RabelsZ 44 (1980), S. 66–98, S. 69. Vgl. Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 26–29. Vgl. Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 1: Illegaler Kulturgüterverkehr, 8. Teil.
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
tutionsklagen auf.25 Beispielhaft ist in diesem Zusammenhang der vor französischen Zivilgerichten entschiedene sog. Schtschukina-Fall, in dem Irina Schtschukina, Tochter des inzwischen verstorbenen und 1918 von der sowjetischen Regierung enteigneten Kunstsammlers Sergei I. Schtschukin, die gerichtliche Beschlagnahme bestimmter Gemälde vor französischen Gerichten sowie die Rückführung an sie selbst als Erbin ihres verstorbenen Vaters beantragte, die gewöhnlich zu den Sammlungen der Eremitage in Sankt Petersburg (Russland) und des Pushkin Museums in Moskau gehörten, jedoch im Jahre 1993 anlässlich der Ausstellung ‚Henri Matisse 1904–1917‘ an das Centre Pompidou in Paris geliehen wurden.26 Irina Schtschukina klagte gegen die Eremitage in Sankt Petersburg (Russland), das Pushkin Museum in Moskau und die Russische Föderation selbst auf Rückführung der umstrittenen Kunstwerke. Klagegegner dieser Rechtsstreitigkeit vor einem französischen Zivilgericht stellten somit allein die beiden sich vollständig in Staatsgewalt befindenden russischen Museen sowie die Russische Föderation als Staat selbst dar. Den Hintergrund der Entscheidung Stchoukine v. Le Centre National d’Art et de Culture Georges Pompidou, the Hermitage Museum St. Petersburg, the Pushkin Museum Moscow and the Russian Federation bildete folgender Sachverhalt.27
a) 18
Sachverhaltskonstellation
Im Jahre 1993 organisierte das Centre National d’Art et de Culture Georges Pompidou eine große Ausstellung mit dem Titel ‚Henri Matisse 1904–1917‘, in der 130 Kunstwerke aus der Hermitage aus St. Petersburg, dem Pushkin Museum aus Moskau, dem Museum of Modern Art aus New York und dem Statens Museum for Junst aus Kopenhagen zur Vervollständigung der eigenen Bestände des Centre National d’Art et de Culture Georges Pompidou zusammengetragen wurden. Unter den innerhalb und außerhalb Frankreichs zusammengestellten Kunstwerken befanden sich 21 aus der Hermitage aus St. Petersburg und dem Pushkin Museum aus Moskau. Zahlreiche dieser Gemälde waren im Zuge der Verstaatlichung kultureller Güter nach der Oktoberrevolution aus dem Eigentum und Besitz der russischen Privatsammler Sergei Ivanovich Shchukin (in französisch: 25
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Vgl. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 3, Rdnr. 13–27, S. 69–74. Hierzu auch Akinsha, Irina Shchukina versus Vladimir Lenin, Artnews 1993, No. 6, S. 71; Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 136. Stchoukine v. Le Centre National d’Art et de Culture Georges Pompidou, the Hermitage Museum St. Petersburg, the Pushkin Museum Moscow and the Russian Federation, Tribunal de grande instance de Paris vom 16. Juni 1993. Vgl. The Art Newspaper, Shchukin’s Daughter Fails to Regain Matisse No. 30, July–September 1993, S. 3; Redmond-Cooper, Disputed title to loaned works of art: the Shchukin litigation, in: Palmer, Art Loans, 1997, S. 569–576; Boguslavskij, Case Notes – Irina Shchukina’s Suit (On the Decision of a French Court), International Journal of Cultural Property, Vol. 4 (1995) No. 2, S. 325–341, S. 325–341.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
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Stchoukine) und Ivan Abramovich Morosov zum Eigentum Russlands designiert worden. Shchukin gehörte zu der sog. koupiechestvo, der bekannten Kaufmannsklasse Moskaus dieser Zeit, und sammelte vornehmlich Kunstwerke französischer Künstler des 20. Jahrhunderts und ihn verband eine Freundschaft mit Matisse und Picasso. Morosov hingegen sammelte hauptsächlich impressionistische und postimpressionistische Werke aus Frankreich. Nach der Oktoberrevolution im Jahre 1917 und den darauffolgenden Ereignissen wurden auch die Kollektionen von Shchukin und Morosov durch ein persönlich von Lenin unterzeichnetes Dekret ohne Kompensation verstaatlicht, zum Eigentum Russlands erklärt und bildeten bis zum Jahr 1948 die Sammlung des State Museum of New Western Art. In diesem Jahr wurden die Gemälde zwischen der Hermitage und dem Pushkin Museum aufgeteilt.28 Hierzu zählte auch das Gemälde ‚Musik‘ aus dem Jahre 1910 von Henri Matisse. (s. Abb. 11) Nachdem die verstaatlichten Matisse-Gemälde zu der Ausstellung im Centre National d’Art et de Culture Georges Pompidou in Frankreich im Jahre 1993 eingetroffen waren, beantragte die Tochter Shchukins, Irina Shchukina, eine französische Staatsbürgerin, gegen das Centre National d’Art et de Culture Georges Pompidou, die Hermitage aus St. Petersburg, das Pushkin Museum aus Moskau und die Russische Föderation die gerichtliche Beschlagnahme der Kunstwerke aus dem Bestand der Sammlung ihres Vaters, sodass eine endgültige Klärung der Eigentumsverhältnisse an den verstaatlichten Kulturgütern vor französischen Gerichten zu erfolgt hatte. Innerhalb desselben Verfahrens beantragte auch Jean Konowaloff, der einzige Rechtsnachfolger des Kunstsammlers Ivan Morosov, den Erlass einer Beschlagnahmeverfügung der aus dem früheren Bestand der verstaatlichten Kollektion seines Vaters in Frankreich ausgestellten Gemälde. Die gerichtlichen Beschlagnahmeverfügungen waren als vorläufige Maßnahmen zur Sicherung der Gemälde innerhalb des französischen Territoriums gedacht, um bis zur endgültigen Klärung der Eigentumsverhältnisse an den verstaatlichten Kulturgütern vor französischen Gerichten eine Rückführung nach Russland zu verhindern.
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Innerhalb der französischen Stchoukine-Entscheidung hatte der Tribunal de Grande Instance (TGI) de Paris über den Beschlagnahmeantrag der Erben von Sergei Ivanovich Shchukin und Ivan Abramovich Morosov zu entscheiden. Diese machten geltend, dass die Verstaatlichung durch das russische Dekret vom 29. Oktober 1918 gleich einem Diebstahl der in Streit stehenden Kulturgüter zu werten sei und deshalb die Verstaatlichung der Matisse-Gemälde durch den russischen Staat in Frankreich keine Rechtswirkungen entfalten könne, sodass die Erben auch noch nahezu achtzig Jahre nach der Verstaatlichung als Eigentümer
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Vgl. zu den tatsächlichen Angaben Redmond-Cooper, Disputed title to loaned works of art: the Shchukin litigation, in: Palmer, Art Loans, 1997, S. 569–576.
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
der Gemälde anzusehen seien. Die Russische Föderation berief sich vor dem TGI sowohl im eigenen Namen als auch hinsichtlich der betroffenen russischen Museen in staatlicher Trägerschaft hingegen auf den Grundsatz der Staatenimmunität. Die drei beteiligten Museen betonten darüber hinaus einheitlich die große Bedeutung der Rechtssicherheit innerhalb des intermusealen Leihverkehrs und das Vertrauen in den Schutz international verliehener Kunstwerke und ihrer öffentlichen Zurschaustellung für die Gesellschaft insgesamt. Das Centre National d’Art et de Culture Georges Pompidou konnte zwar keinen Nachweis hinsichtlich der Eigentumsverhältnisse der Entleiher darlegen, brachte aber vor dem TGI vor, dass ein Anspruch auf rechtliches Gehör und eine Berechtigung zur Anfechtung der Beschlagnahmeverfügung bestünden, da ein Gerichtsverfahren über die bessere rechtliche Stellung an den ausgeliehenen Kunstgegenständen vor den Zivilforen des Entleiherstaates den zwischenstaatlichen Kulturgüteraustausch ernsthaft beeinträchtigen würde.29
b) 21
Entwicklung und Reichweite des Grundsatzes der Staatenimmunität
In derartigen Fallkonstellationen mit einem Staat selbst oder Organ eines Staates als zivilrechtlicher Klagegegner stellt sich entsprechend den Ausführungen der Russischen Föderation im Rahmen der Zulässigkeit einer Klage vor einem nationalen Zivilgericht in der Tat zunächst die Frage nach der sog. Staatenimmunität. Die Regeln der Staatenimmunität30 gehören zum Völkergewohnheitsrecht und schränken bekanntlich die Unterwerfung eines Staates unter die nationale Gerichtsbarkeit eines anderen Staates ein. Aus dem Prinzip der souveränen Gleichheit der Staaten31 folgt, dass jeder Staat die Souveränität jedes anderen Staates zu respektieren hat und kein Staat sich der Staatsgewalt eines anderen Staates unterordnen muss: So wie keine Staatsgewalt Gesetze über das eigene Territorium hinaus mit Wirkung für und gegen andere Staaten erlassen kann, so kann grundsätzlich auch keine nationale Gerichtsbarkeit Entscheidungen gegen einen
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Vgl. Redmond-Cooper, Disputed title to loaned works of art: the Shchukin litigation, in: Palmer, Art Loans, 1997, S. 569–576. Die Staatenimmunität gegenüber der nationalen Gerichtsbarkeit eines fremden Staates ist nicht mit der Unterwerfung unter die Internationale Gerichtsbarkeit zu verwechseln. Hier greift nicht die Staatenimmunität ein, sondern es kommt darauf an, ob die Streitparteien die Internationale Gerichtsbarkeit ausdrücklich anerkennen (entweder für einen bestimmten Rechtsstreit oder vorab für bestimmte Angelegenheiten, vgl. Artikel 36 IGH-Statut). Vgl. Stein/Buttlar, Völkerrecht, 2005, Vierter Abschnitt, 5. Kapitel, § 1, Rdnr. 714–716, S. 270–271 m.w.N. Der Grundsatz der souveränen Gleichheit aller Staaten findet sich in Art. 2 Nr. 1 UN-Charta. Danach beruht die Organisation auf dem Grundsatz der souveränen Gleichheit aller ihrer Mitglieder. Er sichert allen Mitgliedern der Staatengemeinschaft zunächst Rechtsgleichheit zu. Dies schließt eine ungleiche Behandlung bei sich nicht unmittelbar aus der Souveränität ergebenden Rechten jedoch nicht aus. Vgl. Hailbronner in Vitzthum, Völkerrecht, 4. Aufl. 2007, 3. Abschnitt II 1c, Rdnr. 87–88, S. 178.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
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anderen Staat fällen.32 Das rechtliche Gebot par in parem non habet iuridictionem 33 galt bereits bei den Postglossatoren34 und bestimmt auch noch heute im Grundsatz die generelle Immunität eines Staates vor ausländischen Gerichten (Fall der sog. Jurisdiktionsimmunität).35 Dies hätte in der Stchoukine-Fallkonstellation unmittelbar und per se die Abweisung der Klage zur Folge gehabt und die Rückführung der im Zuge der Ereignisse der Oktoberrevolution des Jahres 1917 von Russland innerhalb des eigenen Staatsterritoriums verstaatlichten Kunstwerke aus den Sammlungen von Sergei Ivanovich Shchukin und Ivan Abramovich Morosov wäre von vornherein vereitelt gewesen. Bis in das 20. Jahrhundert hinein galt die Staatenimmunität uneingeschränkt und verhinderte somit in Gänze, dass zwischenstaatliche Streitigkeiten von einem nationalen Gericht einer Streitpartei entschieden werden konnten, sog. Grundsatz der absoluten Immunität.36 Gerichtliche Verfahren gegen fremde Staaten waren generell unzulässig, da die gesamte Staatstätigkeit eng mit den hoheitlichen Aufgaben des Staates verbunden war.37 Eine Ausnahme war nur möglich, wenn ein Staat auf den Immunitätsschutz verzichtete (dies lag offensichtlich in der vorliegenden Konstellation nicht vor). Folglich wurden in Zeiten der absoluten Staatenimmunität zwischenstaatliche Streitigkeiten so gut wie ausschließlich auf der Ebene und mit Mitteln des Völkerrechts ausgetragen.
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Diese Staatenpraxis hat sich jedoch ab der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zunehmend gewandelt und ist mittlerweile dazu übergegangen, nur noch einen restriktiven bzw. limitierten Schutz vor der nationalen Gerichtsbarkeit eines anderen Staates zuzulassen.38 Ende des 19. Jahrhunderts begann die Hinwendung zur relativen Staatsimmunität in Italien und Belgien, setzte sich in Frankreich und Deutschland und schließlich im angloamerikanischen Rechtskreis fort.39 Als die Staaten zunehmend im Bereich privater Wirtschaftsverwaltung tätig wurden, wollte man wirtschaftliches Handeln nicht in der gleichen Weise wie staatliches
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Stein/Buttlar, Völkerrecht, 2005, Vierter Abschnitt, 5. Kapitel, § 1, Rdnr. 714–716, S. 270–271 m.w.N. Vgl. Kronke, Europäisches Übereinkommen über Staatenimmunität – Element der Kodifizierung des deutschen internationalen Zivilverfahrensrechts, IPRax 1991, S. 141–148. Vgl. auch Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 3, Rdnr. 13–27, S. 69–74. Vgl. Hailbronner in Vitzthum, Völkerrecht, 4. Aufl. 2007, 3. Abschnitt II 1c, Rdnr. 89, S. 178. Ausführlich hierzu: Stein/Buttlar, Völkerrecht, 2005, Vierter Abschnitt, 5. Kapitel, § 1, Rdnr. 714–716, S. 270–271 m.w.N. Hailbronner in Vitzthum, Völkerrecht, 4. Aufl. 2007, 3. Abschnitt II 1c, Rdnr. 90–92, S. 178– 179. Stein/Buttlar, Völkerrecht, 2005, Vierter Abschnitt, 5. Kapitel, § 1, Rdnr. 714–716, S. 270– 271 m.w.N. Vgl. Grabinski, Staatenimmunität im Erkenntnisverfahren – die französische Rechtsprechung im internationalen, insbesondere deutschen Vergleich – zu Cour de cass, Civ 1re, 2 mai 1990, Bull Civ I, no 9 – Dalloz 1990, I R, 125, IPRax 1992, S. 55–58.
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
Handeln im Sinne von hoheitlichem Handeln privilegieren.40 Daher entwickelte sich im kontinental-europäischen Raum die restriktive oder relative Immunitätstheorie, die von den USA im Foreign Sovereign Immunities Act von 1976 und Großbritannien im State Immunity Act von 1978 rezipiert wurde. 24
Hierbei findet eine Unterscheidung zwischen hoheitlichen Akten als acta iure imperii und nichthoheitlichem, geschäftlichem Verhalten als acta iure gestionis statt.41 Eine Vereinheitlichung der Grundsätze der Staatenimmunität wird sowohl auf europäischer Ebene als auch im Rahmen der ILC angestrebt. Im Europarat wurde am 16.5.197242 ein der restriktiven Immunitätstheorie folgendes Übereinkommen über Staatenimmunität ausgearbeitet. Der restriktiven Immunitätstheorie folgt auch der Entwurf der ILC über die gerichtliche Immunität von Staaten und ihrem Eigentum (Draft Articles on Jurisdictional Immunity of States and their Property), der nach einigen Änderungen im Herbst 1991 der UN-Generalversammlung unterbreitet wurde.43 Der Grundsatz der Staatenimmunität findet sich hier in Art. 5. Keine Immunität wird nach Art. 10 ff. insbesondere für die commercial transactions, die contracts of employment und für personal injuries and damage to property gewährt.44
c) 25
Leihe von Kunstwerken als ‚acta iure imperii‘ oder ‚acta iure gestionis‘
Somit muss in sämtlichen Restitutionsklagen unrechtmäßig entzogener Kulturgüter gegen ausländische Staaten vor nationalen Zivilforen bei der Bestimmung der Immunität und einem dementsprechenden Ausschluss eines Prozesses entschieden werden, ob das Handeln des ausländischen Staates als hoheitlich oder kommerziell zu qualifizieren ist. Fraglich ist dabei jedoch, welche Staatshandlung in der Stchoukine-Fallkonstellation zu bewerten ist, die Verstaatlichung der 40
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Hailbronner in Vitzthum, Völkerrecht, 4. Aufl. 2007, 3. Abschnitt II 1c, Rdnr. 90–92, S. 178– 179; Kronke, Europäisches Übereinkommen über Staatenimmunität – Element der Kodifizierung des deutschen internationalen Zivilverfahrensrechts, IPRax 1991, S. 141–148, S. 142; Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 26–29. Stein/Buttlar, Völkerrecht, 2005, Vierter Abschnitt, 5. Kapitel, § 1, Rdnr. 714–716, S. 270–271 m.w.N. BGBl. 1990 II, S. 34, für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft getreten am 16.8.1990, BGBl. 1990 II, S. 1400. Heute ist es weitgehend überholt, Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 4. Aufl. 2006, Rdnr. 147. Zu dem Konventionsentwurf zur Staatenimmunität der Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen (Draft Articles on Jurisdictional Immunities of States and Their Property, ILM Band 30 (1991), S. 1563 ff.), Artikel 2 Nr. 2: „In determining whether a contract or transaction is a „commercial transaction“ (…), reference should be made primarily to the nature of the contract or transaction, but its purpose should also be taken into account if, in the practice of the State which is a party to it, that purpose is relevant to determining the non-commercial character of the contract or transaction.“. Hailbronner in Vitzthum, Völkerrecht, 4. Aufl. 2007, 3. Abschnitt II 1c, Rdnr. 90–92, S. 178– 179.
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Kulturgüter innerhalb Russlands im Anschluss an die Oktoberrevolution im Jahre 1917 oder der Transfer der Kulturgüter seitens der beiden staatlichen Museen an das Centre National d’Art et de Culture Georges Pompidou. Die staatliche Konfiskation der Kulturgüter aus dem Besitz und Eigentum individueller Bürger stellt ohne Frage eine typisch hoheitliche Handlung dar. Dies ist jedoch nicht die Staatshandlung, die zum Transfer der Matisse-Gemälde auf das Territorium Frankreichs führte, sondern der intermuseale Leihverkehr der Kunstwerke stellt die zu bewertende Staatshandlung dar. Somit ist es hier wichtig zu erkennen, dass es sich in der konkreten Sachverhaltskonstellation des französischen Gerichts keineswegs um die Frage handelt, ob ein ausländisches Forum über die Staatshandlung der Enteignung aus dem Jahre 1918 in diesem Zusammenhang zu entscheiden hat – dies stellt, wenn überhaupt und wie an anderer Stelle begutachtet, ein Problem der angloamerikanischen Act of State Doctrine dar, wonach Regierungsakte eines Staates durch die Organe eines anderen Staates einschließlich der Gerichte grundsätzlich nicht zu überprüfen, sondern als wirksam hinzunehmen sind45 –, sondern es geht um die Qualifizierung der aktuellen Staatshandlungen der staatseigen verwalteten Museen und der Russischen Föderation selbst – die Verleihung der russischen Kulturgüter an das Centre Pompidou als entweder hoheitlichen Akt (acta iure imperii) oder aber andererseits nichthoheitliches, geschäftliches Verhalten (acta iure gestionis). Abhängig von dieser Qualifizierung entscheidet sich, ob bei Vorliegen eines hoheitlichen Aktes Immunität des beklagten Staates vor einem nationalen Verfahren eines Zivilgerichts gewährt wird oder ob sich der Staat zivilrechtlich für sein geschäftliches Verhalten auch vor einem ausländischen Forum zu verantworten hat. Dieser Grundsatz wurde inzwischen von Gerichten in Frankreich46, der Schweiz 47 und Deutschland48 bestätigt. In der Rechtswissenschaft ist bislang noch umstritten, ob eine völkergewohnheitsrechtlich anerkannte Immunität für staatliche Kulturgüter besteht, die sich zu Ausstellungszwecken in einem anderen Land befinden.49 Zumindest findet dieser Ansatz heute in dem UN-Übereinkommen über die Staatenimmunität vom 2. Dezember 2004 Bestätigung (das jedoch mangels ge-
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Ausführlich hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 1: Illegaler Kulturgüterverkehr, 7. Teil, Rdnr. 169 ff. Stchoukine v. Le Centre National d’Art et de Culture Georges Pompidou, the Hermitage Museum St. Petersburg, the Pushkin Museum Moscow and the Russian Federation, Tribunal de grande instance de Paris vom 16. Juni 1993. Vgl. The Art Newspaper, Shchukin’s Daughter Fails to Regain Matisse No. 30, July–September 1993, S. 3; Redmond-Cooper, Disputed title to loaned works of art: the Shchukin litigation, in: Palmer, Art Loans, 1997, S. 569–576; Boguslavskij, Case Notes – Irina Shchukina’s Suit (On the Decision of a French Court), International Journal of Cultural Property, Vol. 4 (1995) No. 2, S. 325–341, S. 325–341. Vgl. BGE 111 Ia 52. KG Berlin, 9. Zivilsenat, Beschluss vom 26.6.200, Az. 9 W 176/02, KG Report 2002, 356 ff., S. 358 f. Vgl. Schönenberger, Restitution von Kulturgut, 2009, S. 186.
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nügender Anzahl von Ratifikationen noch nicht in Kraft getreten ist). Nach Art. 19c i.V.m. 21 Abs. 1e dürfen jedoch gegen staatliches Vermögen, das Bestandteil einer Ausstellung von wissenschaftlich, kulturell oder historisch bedeutsamen Gegenständen ist und nicht zum Verkauf steht oder zum Verkauf bestimmt ist, keine Zwangsmaßnahmen (insbesondere keine Beschlagnahmungen) vorgenommen werden. Auch ein Beispiel aus der Schweiz kann hierfür ins Feld geführt werden: Im November 2005 waren Gemälde aus dem Moskauer Puschkin-Museum, die sich für eine Ausstellung in Martigny befunden hatten, kurz vor dem Rücktransport nach Russland aufgrund eines Arrestes beschlagnahmt worden.50 Die Kunstwerke wurden jedoch unverzüglich unter Berufung auf Art. 184 Abs. 3 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 („Wenn die Wahrung der Interessen des Landes es erfordert, kann der Bundesrat Verordnungen und Verfügungen erlassen …“) mit folgender Begründung wieder freigegeben: Staatliche Kulturgüter gelten völkerrechtlich als öffentliches Eigentum, das grundsätzlich nicht beschlagnahmt werden darf.51 27
Eine Leihgabe ist dementsprechend nur dann immun gegen die Ausübung der Gerichtsgewalt eines ausländischen Forums, wenn der leihgebende Staat bei der Gebrauchsüberlassung für die Ausstellung hoheitlich handelte.52 Dabei obliegt die objektive Bestimmung der Rechtsnatur staatlichen Handelns den Gerichten des zur Entscheidung berufenen Staates und ist nach dessen nationalem Recht vorzunehmen (Bestimmung nach der lex fori des Gerichtsstaates). Diese haben darüber zu urteilen, ob die Handlungsweise des ausländischen Staates als hoheitlich oder geschäftlich zu werten ist. Trotz mancher Zweifel an der völkerrechtlichen Zulässigkeit dieser Qualifikation der staatlichen Handlung nach der lex fori des Gerichtsstaates wird die Unterscheidung zwischen beiden Bereichen mangels völkerrechtlicher Regeln von dem erkennenden nationalen Gericht vorgenommen. Sofern dieses ohne ausreichende Begründung geschäftliches Handeln annimmt und die Gerichtsunterworfenheit zu Unrecht bejaht, liegt eine (völkerrechtliche) Verletzung der Grundsätze der Staatenimmunität vor.53 Das im Verhältnis zu den wenigen Vertragsstaaten54 vorrangige Europäische Übereinkom-
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Vgl. hierzu Schönenberger, Restitution von Kulturgut, 2009, S. 186–187; Odendahl, Immunität entliehener ausländischer staatlicher Kulturgüter: eine Analyse der Affäre um die Beschlagnahmung der Gemälde aus dem Puschkin-Museum im November 2005, Aktuelle Juristische Praxis (2006), Nr. 10, S. 1175–1184; Siehr, Commercial Transactions and the Forfeiture of State Immunity under Private International Law, Art Antiquity and Law (AAL) 13 (2008), S. 339–349, S. 344 f. Zitiert bei Schönenberger, Restitution von Kulturgut, 2009, S. 187. Vgl. Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 26–29. Vgl. hierzu Stein/Buttlar, Völkerrecht, 2005, Vierter Abschnitt, 5. Kapitel, § 1, Rdnr. 717– 721, S. 271–272 m.w.N. und Hailbronner in Vitzthum, Völkerrecht, 4. Aufl. 2007, 3. Abschnitt II 1c, Rdnr. 90–92, S. 178–179. Vgl. Belgien, Luxemburg, die Niederlande, Österreich, die Schweiz, das Vereinigte Königreich und Zypern.
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men über Staatenimmunität von 197255 enthält keine Kriterien zur Abgrenzung staatlichen Handelns,56 weil eine solche zu schwierig erschien.57 Grundsätzlich ist eine Unterscheidung zwischen der Staatenimmunität im Erkenntnisverfahren (dem eigentlichen Gerichtsverfahren) und dem Immunitätsschutz im Vollstreckungsverfahren (in der zwangsweisen Durchsetzung des Gerichtsurteils) vorzunehmen.58 Während im Vollstreckungsverfahren die Abgrenzung uneinheitlich beurteilt wird, kommt es im Erkenntnisverfahren für die Abgrenzung von hoheitlichen oder nichthoheitlichen Zwecken auf die Natur der Handlung an, also darauf, ob der Staat wie eine Privatperson oder aber in Ausübung von Hoheitsgewalt aufgetreten ist.59 In diesem Zusammenhang erkennt beispielsweise das deutsche BVerfG nur solche Akte eines Staates als hoheitlich an, die ein öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis zum Gegenstand haben. Nicht ausreichend ist, dass die staatliche Betätigung in einem engen Zusammenhang mit hoheitlichen Aufgaben steht:60
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„Maßgebend für die Unterscheidung zwischen Akten iure imperii und iure gestionis kann nur die Natur der staatlichen Handlung oder des entstandenen Rechtsverhältnisses sein, nicht aber Motiv oder Zweck der staatlichen Tätigkeit. Es kommt also darauf an, ob der ausländische Staat in Ausübung der ihm zustehenden Hoheitsgewalt, also öffentlichrechtlich, oder wie eine Privatperson, also privatrechtlich, tätig geworden ist.“
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Weitgehende Übereinstimmung besteht darüber, dass es für die Abgrenzung nicht auf die Auffassung des beklagten Staates ankommen kann. Die Auffassung des betroffenen Staates zum alleinigen Maßstab zu machen, scheint insofern ungeeignet, als es dann weitgehend in sein Belieben gestellt wäre, einen ‚hoheitlichen Zweck‘ und damit den staatlichen Immunitätsschutz zu reklamieren. Ebenso wenig sollte der bloße Zusammenhang mit öffentlichen bzw. hoheitlichen Aufgaben deshalb genügen, weil ein solcher zumindest mittelbar immer anzunehmen ist und die Unterscheidung zu geschäftlichem Handeln folglich leer liefe. Daher stellen Stein und Buttlar auf die objektive Natur des staatlichen Handelns ab und fragen, ob die gleiche Handlung auch von einer Privatperson hätte vorgenommen werden können bzw. ob der Staat eine spezifisch hoheitliche Regelungsgewalt in Anspruch nimmt.61 Damit sollen die zur Entscheidung berufenen
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BGBl. 1990 II, S. 34; für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft getreten am 16.8.1990, BGBl. 1990 II, S. 1400. Vgl. Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 26–29. Vgl. Kronke, Europäisches Übereinkommen über Staatenimmunität – Element der Kodifizierung des deutschen internationalen Zivilverfahrensrechts, IPRax 1991, S. 141–148, S. 142. Stein/Buttlar, Völkerrecht, 2005, Vierter Abschnitt, 5. Kapitel, § 1, Rdnr. 714–716, S. 270–271 m.w.N. Vgl. Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 4. Aufl. 2006, Rdnr. 148. BVerfG, Staatenimmunität- bzw. Iranische Botschaft-Entscheidung des 2. Senats vom 30.04. 1963, Az.: 2 BvM 1/62, BVerfGE 16, S. 27 ff., S. 61 ff., NJW 1963, S. 1732. Stein/Buttlar, Völkerrecht, 2005, Vierter Abschnitt, 5. Kapitel, § 1, Rdnr. 717–721, S. 271–272 m.w.N.
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Gerichte grundsätzlich auf die Auffassung des Gerichtsstaates abstellen, die sich allerdings im Einklang mit den gewohnheitsrechtlich anerkannten Regeln über die Reichweite der Staatenimmunität halten muss. In der angelsächsischen Staatenpraxis62 wird sowohl bei kommerziellen Akten als auch bei solchen Akten, die mit einer kommerziellen Aktivität in Zusammenhang stehen, keine Immunität gewährt. Insbesondere wird dadurch keine Immunität erlangt, dass ein Staat mit hoheitlichen Maßnahmen in den Ablauf eines ‚gewöhnlichen‘ kommerziellen Geschäfts eingreift, oder dass Güter, Leistungen oder Geldmittel für öffentliche Zwecke verwendet werden.63 31
Die Kläger führten vor dem Rechtsmittelgericht aus, dass die internationale Leihe der Matisse-Gemälde eine Handlung darstelle, die auch von jeder individuellen Privatperson im Besitz und Eigentum der Gemälde hätte vorgenommen werden können, sodass kein Schutz dieser Handlung als hoheitlicher Akt hätte eingreifen dürfen. Darüber hinaus wurde seitens der Kläger vorgebracht, dass allein die Tatsache, dass die Bewertung eines ‚kulturellen‘ Transfers als Staatshandlung in Rede stand, nicht zwangsläufig eine Qualifizierung als ,non-commercial‘ und ohne Profitabsicht bedinge: Kunstwerke sind gerade ein aktiver Bestandteil des internationalen Wirtschaftsverkehrs und eine internationale Ausstellung hat nicht nur den Zufluss von Eintrittsgeldern zur Folge, sondern führt zusätzlich zu weiteren Einnahmequellen über Ausstellungskataloge, Begleitbücher und sonstige Verkaufsartikel wie Poster und Postkarten. Die Nutzung der GemäldeSammlung als ‚itinerant exhibition‘ durch die Russische Föderation stellt daher nach Ansicht der Klägerseite eine kommerzielle Staatshandlung dar, die gerade nicht unter den Schutz der Staatenimmunität zu stellen ist.64 Es wäre einem fran-
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Der US-Foreign Sovereign Immunity Act (Title 28, Chapter 97, Jurisdictional Immunities of foreign states) bestimmt in Section 1603: „(d) A ›commercial activity‹ means either a regular course of commercial conduct or a particular commercial transaction or act. The commercial character of an activity shall be determined by reference to the nature of the course of conduct or particular transaction or act, rather than by reference to its purpose.“ Zitiert bei Stein/Buttlar, Völkerrecht, 2005, Vierter Abschnitt, 5. Kapitel, § 1, Rdnr. 717–721, S. 271–272 m.w.N. Obwohl die restriktive Theorie der Staatenimmunität im Zusammenhang mit kommerziellen Aktivitäten von Staaten entwickelt worden ist, ist sie nicht auf Ansprüche im Zusammenhang mit vertraglichen Beziehungen beschränkt. Nach Art. 11 des Übereinkommens kann ein Vertragsstaat vor einem Gericht eines anderen Vertragsstaates Immunität nicht beanspruchen, wenn das Verfahren den Ersatz eines Personen- oder Sachschadens betrifft, das schädigende Ereignis im Gerichtsstaat eingetreten ist und der Schädiger sich bei Eintritt des Ereignisses in diesem Staat aufgehalten hat. Daraus wird man aber – entgegen dem Wortlaut – nicht ableiten können, dass generell schadensstiftende Handlungen im Gerichtsstaat von der Immunität ausgeschlossen sind, gleichgültig, ob es sich um acta iure imperii oder acta iuregestionis handelt. Vgl hierzu Hailbronner in Vitzthum, Völkerrecht, 4. Aufl. 2007, 3. Abschnitt II 1c, Rdnr. 90–92, S. 178–179. Vgl. Redmond-Cooper, Disputed title to loaned works of art: the Shchukin litigation, in: Palmer, Art Loans, 1997, S. 569–576.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
145
zösischen Gericht sicherlich ein Leichtes gewesen, die Einlassungen der Klägerseite zu widerlegen, da „the commercial argument would have been rejected: the receipt of entrance fees or revenue from the sale of catalogues or posters could not be described as the intended benefit for the Russian Federation or for the museums in question (which, in this regard, would be considered to be acting as organs of the State). It is likely that the court would perceive the intended benefit as being the prestige and international acclaim brought by such exhibitions.“65
d)
Intermusealer Leihverkehr staatlicher Museen als hoheitliche Tätigkeit
Innerhalb des Stchoukine-Beispielsfalls ist dem französischen Tribunal de Grande Instance de Paris vom 16. Juni 1993 zwar im Ergebnis uneingeschränkt zu folgen und mit Recht von dem Eingreifen der allgemeinen Staatenimmunität auszugehen, jedoch kann der Begründung des französischen Zivilgerichts für die richtige Entscheidung nicht gefolgt werden.
32
Das Gericht bestimmte, dass die Frage, ob die Verstaatlichung der Kulturgüter als Diebstahl zu werten sei, hier nicht den Status als staatlichen Akt berühre. Aufgrund der Tatsache, dass die Russische Föderation vor Gericht nicht auf den Grundsatz der Staatenimmunität verzichtet hatte, sah sich der Tribunal nicht in der Lage, eine Prüfung der Rechtswirksamkeit der Verstaatlichung und der aktuellen Eigentumslage an den Kulturgütern vorzunehmen. Aufgrund der Immunität der Russischen Föderation vor französischen Zivilgerichten stellte der Tribunal de Grande Instance das Verfahren ein.66 Für die Rechtssicherheit im internationalen Kulturgüterverkehr wäre es wünschenswert gewesen, wenn das Gericht seiner Entscheidung eine schlüssige Begründung beigefügt hätte. Die Rechtsmittelinstanz verweigerte in der Folge eine rechtliche Überprüfung der Ausgangsentscheidung mit der (zutreffenden) Begründung, dass die in Streit stehenden Kulturgüter inzwischen das Territorium Frankreichs wieder verlassen hätten und somit französische Gerichte nicht mehr zuständig seien – Ausführungen zur Frage der Immunität waren somit unerheblich.
33
Die zutreffende Begründung für das richtige Ergebnis hätte in der Qualifizierung des intermusealen Leihverkehrs öffentlicher Museen und kultureller Institutionen in staatlicher Trägerschaft als grundsätzlich hoheitliche Tätigkeit gelegen. Bestehen im grenzüberschreitenden Leihverkehr mit kulturellen Gütern große Rechtsunsicherheiten, wirkt sich dies negativ auf die Möglichkeit der Zusammenstellung internationaler Ausstellungen aus, da internationale Museen eher von
34
65
66
Redmond-Cooper, Disputed title to loaned works of art: the Shchukin litigation, in: Palmer, Art Loans, 1997, S. 569–576. Vgl. Redmond-Cooper, Disputed title to loaned works of art: the Shchukin litigation, in: Palmer, Art Loans, 1997, S. 569–576.
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
einem Transfer absehen werden, wenn ihre Rechtsposition als Museen in staatlicher Trägerschaft vor ausländischen Zivilforen angegriffen werden kann. „[Das französische Zivilgericht] could have pointed out that the international co-operation in cultural affairs, the maintenance of public museums and the protection of cultural property are typical matters of sovereign activities and are as such recognized by many international conventions and recommendations.“67 35
Diese These lässt sich in der Tat an zahlreichen Belegen festmachen. Beispielhaft ist in diesem Zusammenhang auf die Ausführungen der UNESCO-Recommendation for the Protection of Movable Cultural Property vom 28. November 1978 zu verweisen, in deren Präambel bereits die Intensivierung des kulturellen Austauschs dadurch festgestellt wird, dass „the great interest in cultural property now finding expression throughout the world in the creation of numerous museums and similar institutions, the growing number of exhibitions, the constantly increasing flow of visitors to collections, monuments and archaeological sites, and the intensification of cultural exchanges …“, und in Art. 11 die angesprochenen Belange der internationalen kulturellen Kooperation, der Aufrechterhaltung öffentlicher musealer Strukturen und des Schutzes kultureller Güter insgesamt zu bedenken sind:
36
In accordance with the principles and norms set out above Member States should take all necessary steps, in conformity with their legislation and constitutional system, to protect movable cultural property effectively and, in the case of transport in particular, should ensure the application of the necessary measures of care and conservation and the coverage of the risks incurred.
37
In diesem Lichte ist vor allem anderen auch die UNESCO-Recommendation concerning the International Exchange of Cultural Property vom 26. November 1976 in ihrer Gesamtthematik zu nennen, die in ihrer Präambel die zentralen Werte des internationalen kulturellen Austauschs exemplarisch aufzuzeigen vermag:
38
The General Conference of the United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization, meeting in Nairobi from 26 October to 30 November 1976, at its nineteenth session, [is] Recalling that cultural property constitutes a basic element of civilization and national culture, Considering that the extension and promotion of cultural exchanges directed towards a fuller mutual knowledge of achievements in various fields of culture, will contribute to the enrichment of the cultures involved, with due appreciation of the distinctive character of each and of the value of the cultures of other nations making up the cultural heritage of all mankind, Considering that the circulation of cultural property, when regulated by legal, scientific and technical conditions calculated to prevent illicit trading in and damage to such property, is a powerful means of promoting mutual understanding and appreciation among nations,
67
Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 139.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
147
Considering that the international circulation of cultural property is still largely dependent on the activities of self-seeking parties and so tends to lead to speculation which causes the price of such property to rise, making it inaccessible to poorer countries and institutions while at the same time encouraging the spread of illicit trading, Considering that, even when the motives behind the international circulation of this property are disinterested, the action taken usually results in unilateral services, such as short-term loans, deposits under medium- or long-term arrangements, or donations, Considering that such unilateral operations are still limited in number and restricted in range, both because of their cost and because of the variety of complexity of the relevant regulations and practices, Considering that, while it is highly desirable to encourage such operations, by reducing or removing the obstacles to their extension, it is also vitally important to promote operations based on mutual confidence which would enable all institutions to deal with each other on an equal footing, Considering that many cultural institutions, whatever their financial resources, possess several identical or similar specimens of cultural objects of indisputable quality and origin which are amply documented, and that some of these items, which are of only minor or secondary importance for these institutions because of their plurality, would be welcomed as valuable accessions by institutions in other countries, Considering that a systematic policy of exchanges among cultural institutions, by which each would part with its surplus items in return for objects that it lacked, would not only be enriching to all parties but would also lead to a better use of the international community’s cultural heritage which is the sum of all the national heritages, Recalling that this policy of exchanges has already been recommended in various international agreements concluded as a result of UNESCO’s work, Noting that, on these points, the effects of the above-mentioned instruments have remained limited, and that, generally speaking, the practice of exchanges between disinterested cultural institutions is not widespread, while such operations as do take place are frequently confidential or unpublicized, Considering that it is consequently necessary to develop simultaneously not only the unilateral operations of loans, deposits or donations but also bio multilateral exchanges, …
Innerhalb dieser UNESCO-Empfehlung wird das internationale Plädoyer für einen universalen Austausch kultureller Güter besonders in Art. 268 deutlich, wonach erkannt wurde, dass sämtliche Kulturgüter Teil des „common cultural heritage of mankind“ sind und dass jedem Staat eine diesbezügliche Verantwortung zufällt, nicht nur gegenüber den jeweiligen eigenen Staatsangehörigen, sondern auch gegenüber der internationalen Gemeinschaft als Ganzes. Die verschiedenen Mitgliedstaaten werden in der Folge im Rahmen ihrer eigenen Kompetenzen und rechtlichen Möglichkeiten dazu aufgefordert, besondere und näher spezifizierte Maßnahmen zu treffen, um das Ziel der freien Zirkulierbarkeit kultureller Güter 68
Art. 2 UNESCO-Recommendation concerning the International Exchange of Cultural Property vom 26. November 1976: Bearing in mind that all cultural property forms part of the common cultural heritage of mankind and that every State has a responsibility in this respect, not only towards its own nationals but also towards the international community as a whole, Member States should adopt within the sphere of their competence, the following measures to develop the circulation of cultural property among cultural institutions in different countries in co-operation with regional and local authorities as may be required.
39
148
2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
innerhalb der verschiedenen kulturellen Institutionen der unterschiedlichen Staaten in Form der Kooperation mit regionalen und lokalen Behörden und Verwaltungsträgern zu erreichen.
2. 40
Grenzen der Staatenimmunität (in der amerikanischen Gerichtspraxis)
Die Grundsätze der internationalen Staatenimmunität haben aber auch klare Grenzen. Selbstredend gelten diese weder für private Museen ohne staatliche Trägerschaft noch für Privatpersonen. Auch bei Klagen gegen Museen innerhalb des eigenen Heimatforums (d.h. bspw. bei Kunstrestitutionsverfahren in Amerika69 gegen amerikanische Museen oder in Deutschland gegen deutsche Museen in öffentlicher Trägerschaft) findet der Gedanke der Staatenimmunität keine Anwendung. Einfallstor für eine weitreichende Aufweichung der Staatenimmunität ist schließlich die Rechtsentwicklung, dass nach richtiger Ansicht heute auch keine nichthoheitlichen, geschäftlichen Verhalten als acta iure gestionis von der Gerichtsbarkeit ausgenommen sind: „Da die Staatenimmunität heute nicht mehr absolut gilt, sondem nur noch staatliche Hoheitsakte, nicht aber das rechtsgeschäftliche Handeln eines Staates schützt, wird der Ansatzpunkt einer Zulassung von Klagen gegen Staaten klar. Von einer Immunität kann nämlich dann Abstand genommen werden, wenn der zu beurteilende Sachverhalt nicht im Zusammenhang mit einer hoheitlichen Tätigkeit des ausländischen Staates im Zusammenhang steht.“70 Würde ein Staat zuvor unrechtmäßig entzogene Kulturgüter nach dem bisher Gesagten einer Verwertung im Ausland zuführen, handelt es sich lediglich um eine kommerzielle Staatshandlung, die keinen Schutz vor Klagen aufgrund des Rechtsinstituts der Staatenimmunität verdient: „If a public museum enters into insurance contracts, contracts of transportation or even borrows paintings for an exhibition, these activities are acta jure gestionis and the museum can be sued for insurance premiums, costs of carriage and for return of loans. When, however, a public museum engages in international circulation of cultural property among cultural institutions, by order of the sovereign State, such activity is State activity jure imperii and the museum is immune from jurisdiction in the host country.“71
69
70 71
Vgl. ausführlich hierzu auch Noonan, Immunity from Seizure, in: Gibbon, Who Owns the Past? – Cultural Policy, Cultural Property, and the Law, 2005, S. 45–56; Hutt/Tarler, Yearbook of Cultural Property Law 2006, International Cultural Property, S. 91–110, S. 98–102; Sills, Judicial Conversion of Culture – Attaching Embodiments of Ancient Culture to Judgments in Civil Proceedings, in: Hutt/Tarler, Yearbook of Cultural Property Law 2007, S. 237–256. Schönenberger, Restitution von Kulturgut, 2009, S. 230–238. Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 139.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
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Insbesondere die Tatsache, dass keine Staatenimmunität für nichthoheitliches Handeln ausländischer Staaten gewährt wird, führte dazu, dass in der jüngeren Vergangenheit vermehrt Klagen gegen ausländische Staaten oder kulturelle Einrichtungen in öffentlicher Trägerschaft vor amerikanischen Gerichten zugelassen wurden, unabhängig davon, ob sich die umstrittenen Kulturgüter innerhalb des Territoriums der Vereinigten Staaten befanden oder zum Klagezeitpunkt in einem anderen Staat belegen waren. Hintergrund hierfür ist die entsprechende Regel des amerikanischen Foreign Sovereign Immunities Act (FSIA):
41
§ 1605. General exceptions to the jurisdictional immunity of a foreign state: (a) A foreign state shall not be immune from the jurisdiction of courts of the United States or of the States in any case – (1) in which the foreign state has waived its immunity either explicitly or by implication, notwithstanding any withdrawal of the waiver which the foreign state may purport to effect except in accordance with the terms of the waiver; (2) in which the action is based upon a commercial activity carried on in the United States by the foreign state; or upon an act performed in the United States in connection with a commercial activity of the foreign state elsewhere; or upon an act outside the territory of the United States in connection with a commercial activity of the foreign state elsewhere and that act causes a direct effect in the United States; (3) in which rights in property taken in violation of international law are in issue and that property or any property exchanged for such property is present in the United States in connection with a commercial activity carried on in the United States by the foreign state; or that property or any property exchanged for such property is owned or operated by an agency or instrumentality of the foreign state and that agency or instrumentality is engaged in a commercial activity in the United States;
42
Maßgeblich für das internationale Kulturgüterzivilverfahrensrecht und Kunstrestitutionsstreitigkeiten gegen ausländische Staaten auf dem Territorium der Vereinigten Staaten ist dabei insbesondere die Bestimmung des § l605 (a) (3) FSIA, die im internationalen Schrifttum sog. expropriation exception. Befindet sich das zwischen Restitutionsgläubiger und -schuldner umstrittene Kunst- oder Kulturgut außerhalb des Territoriums der Vereinigten Staaten von Amerika, kann sich ein ausländischer Staat vor amerikanischen Gerichten dann nicht auf die Grundsätze der Staatenimmunität berufen, wenn – (erstens) die Klage ein Eigentumsrecht betrifft, das dem Eigentümer in völkerrechtswidriger Weise entzogen worden war (hierunter fallen nach den Untersuchungsergebnissen des Bandes 1: Illegaler Kulturgüterverkehr insbesondere die dort im 7. Teil Rdnr. 278 ff. als international ordre public- und damit auch völkerrechtswidrig qualifzierten Verstaatlichungen der Beutekunst, NS-Raubkunst und ‚entarteter‘ Kunst sowie die Verstaatlichung der aus Deutchland nach Russland verlagerten Trophäenkunst mittels des Föderalen Gesetzes über die infolge des Zweiten Weltkrieges in die UdSSR verbrachten und sich auf dem Gebiet der Russischen Föderation befindenden Kulturgüter vom 15. April 1998 in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 25. Mai 2000)
43
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
– (zweitens) der Gegenstand im Eigentum (besser wohl Besitz) eines ausländischen Museums bzw. einer anderen kulturellen Institution in staatlicher Trägerschaft steht, und – (drittens) diese auf dem Territorium der Vereinigten Staaten in kommerzielle Aktivitäten involviert ist.72 44
Befindet sich dagegen das umstrittene Kulturgut innerhalb des Territoriums der Vereinigten Staaten, so muss sich das in den USA befindliche Eigentum im Zusammenhang mit einer kommerziellen Aktivität des ausländischen Staates auf dem US-amerikanischen Territorium befinden, dass sich der beklagte Staat oder die kulturelle Institution in öffentlicher Trägerschaft vor einem amerikanischen Forum nicht auf die Grundsätze der Staatenimmunität berufen darf.73 Die voranstehenden Voraussetzungen für ein Nichteingreifen der Staatenimmunität waren in jüngeren amerikanischen Gerichtsentscheidungen wiederholt umstritten, wobei einmal die Verletzung internationalen Rechts und zum anderen die Voraussetzung der kommerziellen Aktivität („commercial activity“) stärker umstritten war.
a) 45
Altmann v. Republic of Austria et al.
Einer der bekanntesten internationalen Kunstrestitutionsfälle stellt das Begehr von Maria Altmann, Rechtsnachfolgerin von Adele und Ferdinand Bloch-Bauer, gegen die Republik Österreich und die Österreichische Galerie auf Restitution der Gemälde ‚Adele Bloch-Bauer I‘, ‚Adele Bloch-Bauer II‘, ‚Apfelbaum‘, ‚Buchenwald/Birkenwald‘ und ‚Häuser in Unterach am Attersee‘ von Gustav Klimt dar.74
72
73
74
Vgl. zu diesen Voraussetzungen Caprio, Artwork, Cultural Heritage Property, and the Foreign Sovereign Immunities Act, International Journal of Cultural Property (IJCP) 2006, S. 285 ff., S. 290; Schönenberger, Restitution von Kulturgut, 2009, S. 230–238. Vgl. i.d.S. bspw. die Entscheidung Leonard Malevicz et al. v. City of Amsterdam, 362 F. Supp. 2d 298; 2005 U.S. Dist. LEXIS 5414 (D.D.C. 2005); reheard 517 F. Supp. 2d 322; 2007 U.S. Dist. LEXIS 46312 (D.D.C. 2007). Zum Ganzen auch Schönenberger, Restitution von Kulturgut, 2009, S. 230–238. Altmann v. Republic of Austria et al., 142 F. Supp. 2d 1187; 2001 U.S. Dist. LEXIS 6011 (CD. Cal.); aff’d. 317 F.3d 954; 2002 U.S. App. LEXIS 25517 (9th Cir. Cal.); amended by 327 F.3d 1246, 2003 U.S. App. LEXIS 8068 (9th Cir. Cal.); aff’d. Republic of Austria v. Altmann, 155 L.Ed. 2d 1057, 123 S.Ct. 2129, 2003 U.S. LEXIS 4060 (U.S.). Vgl. hierzu Bazyler, Holocaust Justice – The Battle for Restitution in America’s Courts, 2003, S. 202–269, S. 240–249; Gerstenblith, Art, Cultural Heritage, and the Law – Cases and Materials, 2004, S. 501–534; Müller/Tatzkow, Verlorene Bilder, verlorene Leben – Jüdische Sammler und was aus ihren Kunstwerken wurde, 2009, S. 145–169; Czernin, Die Fälschung – Der Fall Bloch-Bauer und das Werk Gustav Klimts, 1999; Welser/Rabl, Der Fall Klimt. Die rechtliche Problematik der Klimt-Bilder im Belvedere, 2005 (Rechtsgutachten aus Sicht der Anspruchsteller); Krejci, Der Klimt-Streit, 2005 (Rechtsgutachten aus Sicht der Anspruchgegner); Lerner/Bresler, Art Law – The Guide for Collectors, Investors, Dealers and Artists, 2005, S. 743–747; Lillie, Was einmal war – Handbuch der enteigneten Kunstsammlungen Wiens, 2003, S. 202–209; Schnabel/Tatzkow, Nazi Looted Art – Handbuch Kunstrestitution weltweit, 2007, S. 743–747; Der
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
151
Ferdinand Bloch war ein Großindustrieller und Zuckerfabrikant. Um die Jahrhundertwende kam er nach Wien und heiratete hier 1899 Adele Bauer. 1917 erfolgte die Namensänderung in Bloch-Bauer. Diese verband ein inniges Verhältnis mit Gustav Klimt, dessen Werk sie besonders förderte. Bis zu ihrem Tod im Jahr 1925 wurde Adele Bloch-Bauer oftmals von Klimt porträtiert, am berühmtesten sind wohl das goldene Porträt ‚Adele Bloch-Bauer I‘ (1907) und das 1912 entstandene Bildnis ‚Adele Bloch-Bauer II‘. Diese und zahlreiche andere Bilder erwarb Adele Bloch-Bauer vor ihrem Tod 1925 und bis 1938 blieb die Sammlung Adeles Wunsch entsprechend unangetastet im Palais hängen. Alleinerbe war ihr kinderloser Ehemann Ferdinand Bloch-Bauer, der bis 1939 in Wien wohnte und in seinem Privathaus u.a. die Sammlung der Klimt-Gemälde verwahrte. In ihrem Testament hatte Adele Bloch-Bauer die Bitte formuliert, ihr Mann möge ihre Kunstwerke nach seinem Tode der Österreichischen Galerie übereignen. Dieser Bitte kam Ferdinand Bloch-Bauer zunächst nicht nach. Am 27. April 1938 wurde ein Strafverfahren gegen Ferdinand Bloch-Bauer wegen Hinterziehung, Verheimlichung, Gefährdung der Körperschaft-, Einkommen-, Vermögen-, Krisen- sowie Sicherheitsteuer für die Jahre 1927 bis 1937 eingeleitet. Nach dem Anschluss Österreichs im März 1938 begann die systematische Verfolgung österreichischer Juden. Am 14. Mai 1938 wurde ein sofort vollstreckbarer Sicherheitsauftrag erlassen. Ein Ausfuhransuchen aus dem Oktober 1938 ergab die Sperre dreier Ölskizzen von Pettenkofen (‚Gemüsemarkt‘, ‚Straße‘ und ‚Landschaft‘) und im Jahre 1939 erfolgte die „Sicherstellung“ weiterer 43 Kunstwerke durch den Wiener Magistrat: Nachdem Bloch-Bauer als jüdischer Staatsbürger bereits kurz vor dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich in die Schweiz geflohen war, wurde sein Unternehmen arisiert, gegen ihn eine diskriminierende Steuerstrafforderung in Höhe von 700.000 RM erhoben und im Juli 1939 deshalb sein gesamter Privatbesitz, darunter auch die Klimt-Gemälde, beschlagnahmt.75 (s. Abb. 12)
46
Die Erfassung der Sammlung Bloch-Bauer, die zur Deckung der angeblichen Rückstände herangezogen werden sollte, erfolgte durch das Finanzamt Wien IV zu Beginn des Jahres 1939. Anlässlich einer Kunstbeschau im Palais Bloch-Bau-
47
75
Standard, Artikel vom 7. und 9.11.2006; Popper, Suit Highlights Failures on Art Restitution, FORWARD (Online) – The Jewish Daily, Artikel vom 13. Mai 2005, Quelle: http://www. forward.com/articles/3455/; Blimlinger, Mittäter in der Opferrolle: Die Restitution von Kunst in Österreich, in: Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde, Osteuropa – Kunst im Konflikt: Kriegsfolgen und Kooperationsfelder in Europa, 2006, S. 244–245; Schönenberger, Restitution von Kulturgut, 2009, S. 232 ff.; Graf, Überlegungen zum Anwendungsbereich des Paragraph 1 Z 2 KunstrückgabeG, Österreichische Notariatszeitung, 11/2005, S. 321–338; Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur, Restitutionsbericht 2000/2001, Wien, S. 11; Böhmer/Faber, Die Finanzprokuratur, in: Böhmer, Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich – Die österreichische Finanzverwaltung und die Restitution entzogener Vermögen 1945 bis 1960, S. 251–504. Vgl. ausführlich zur Beutekunstnahme in Österreich Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 1: Illegaler Kulturgüterverkehr, 4. Teil, Rdnr. 39 ff.
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
er, an der Vertreter des Kunsthistorischen Museums, des Kunstgewerbemuseums, der Österreichischen Galerie und der Zentralstelle für Denkmalschutz teilnahmen, wurde die Auflösung der Sammlung Bloch-Bauer in die Wege geleitet. Die KlimtBilder wurden nach Vermittlung des nationalsozialistischen Rechtsanwalts Dr. Erich Führer von der Österreichischen Galerie übernommen, nur das Gemälde ‚Birkenwald‘ wurde von den Städtischen Sammlungen im Jahre 1942 erworben. Ferdinand Bloch-Bauer forderte die Gemälde, die zur Begleichung der Steuerstrafforderungen verwertet wurden, nach Kriegsende zurück. Nur kurze Zeit später verstarb er am 13. November 1945 in Zürich. Als seine Rechtsnachfolger hatte er seinen Neffen und seine Nichte bestimmt. Obwohl Österreich im Jahre 1946 sämtliche nationalsozialistisch bedingten Transaktionen kultureller Wertgegenstände per Gesetz für nichtig erklärte76, erfolgte dennoch keine Wiedergutmachung im Anschluss an den Zweiten Weltkrieg, da für das österreichische Kulturerbe bedeutsame Kunstwerke nicht an die inzwischen geflüchteten, ursprünglichen Berechtigten bzw. deren Rechtsnachfolger ausgeführt werden durften. Infolgedessen schloss Österreich mit den Erben eine Vereinbarung ab, wonach einige Gemälde, darunter die fünf hier in Streit stehenden, unentgeltlich an den österreichischen Staat gingen und im Gegenzug die Genehmigung zur Ausfuhr anderer Kunstwerke erteilt wurde: „In 1947, Altman’s brother and fellow heir retained a Viennese lawyer to locate and recover property stolen from Bloch-Bauer during the war. Over the course of the following year, the lawyer secured the support of Austrian Gallery officials to obtain export permits for many of BlochBauer’s artworks and in return, purporting to represent Bloch-Bauer’s heirs, signed a document on their behalf acknowledging Bloch-Bauer’s accession to the wishes of his deceased wife that the Klimts be donated to the gallery. The heirs’ lawyer also assisted the gallery in acquiring two more of the six Klimts. At no time, however, did the lawyer actually have the heirs’ permission either to negotiate on their behalf or to allow the gallery to obtain the Klimts.“77 (s. Abb. 13) 48
Im Jahre 1998 wurde festgestellt, dass die Österreichische Galerie im Belvedere in Wien wusste, dass weder Adele noch Ferdinand Bloch-Bauer eine Schenkung der Klimt-Gemälde bestimmt hatten. Die inzwischen hinsichtlich der Restitutionspraxis Österreichs veröffentlichten Zeitungsartikel und der daraufhin erfolgte Aufschrei der Öffentlichkeit führten im Jahre 1998 zur Regelung NS-verfolgungsbedingter Vermögensverluste und zu dem Erlass des Bundesgesetzes über die Rückgabe von Kunstgegenständen aus den Österreichischen Bundesmuseen und Sammlungen.78 Eine der von Ferdinand Bloch-Bauer bestimmten Erben war Maria Altmann, die in Kalifornien lebte und seit dem Jahr 1945 amerikanische 76 77
78
Vgl. auch Republic of Austria v. Altman, 541 U.S. 677 (2004), S. 683. Lerner/Bresler, Art Law – The Guide for Collectors, Investors, Dealers and Artists, 2005, S. 743–747. Vgl. ausführlich hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 1: Illegaler Kulturgüterverkehr, 6. Teil, Rdnr. 85 ff.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
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Staatsbürgerin war. Sie erfuhr zu diesem Zeitpunkt von der Tatsache, dass die Klimt-Gemälde zu keinem Zeitpunkt der Österreichischen Galerie geschenkt worden waren und forderte die Restitution aus der Wiener Galerie Belvedere. Die österreichische Finanzverwaltung erstattete ein Gutachten zu diesem Antrag und schlug seine Ablehnung vor, der sich der österreichische Kunstbeirat am 28.6.1999 anschloss. Auch die zuständige Kulturministerin folgte ihr ohne eigene Sachprüfung. Die ablehnende Entscheidung des Restitutionsgesuchs wurde damit begründet, dass der Entziehungstatbestand des § 1 Abs. 1. Nr. 2 des KunstRG schon dem Grunde nach nicht erfüllt sei, weil der Eigentumserwerb zugunsten der österreichischen Republik lange vor dem 13.3.1938 erfolgt wäre, nämlich infolge eines Vermächtnisses, das Adele Bloch-Bauer in ihrem Testament zugunsten der damaligen Österreichischen Staatsgalerie verfügt hätte. Dreh- und Angelpunkt für alle weiteren Fragen war damit, ob das Testament der 1925 verstorbenen Adele und ihre Bitte zur Überlassung der Gemälde einen Eigentumserwerb des Museums begründeten. In ihrem Testament vom 19. Januar 1923 setzte Adele ihren Ehemann Ferdinand als Alleinerben ein, vermachte jedoch Vermögenswerte in Form von Legaten. Hinsichtlich der Klimt-Bilder formulierte sie wie folgt: „Meine zwei Porträts und die vier Landschaften von Gustav Klimt bitte ich meinen Ehemann nach seinem Tod der Österreichischen Staatsgalerie in Wien, … zu hinterlassen.“79 Die Regierung Österreichs interpretierte diese Bitte als rechtlich bindende Eigentumsübertragung, während die Antragstellerin darin lediglich eine rechtlich unverbindliche Aufforderung sah.80 Schließlich lehnte die Kulturministerin eine Restitution ab.81 (s. Abb. 14) Trotz des eindeutigen Beutekunstcharakters der Sicherstellung der Klimt-Gemälde – wie es auch später innerhalb eines Mediationsverfahrens zwischen den widerstreitenden Parteien festgestellt wurde 82 – konnte Maria Altmann keine Restitution der Gemälde erreichen. Eine rechtliche Überprüfung der im Ermessen der österreichischen Regierung liegenden Ablehnungsentscheidung ist innerhalb des österreichischen Kunstrückgabegesetzes ebenso wenig vorgesehen wie in den sonstigen nationalen Umsetzungsbestrebungen der Washingtoner Erklärung vom 3.Dezember 1998. Für Maria Altmann blieben somit allein die Flucht in das Privatrecht und der Versuch der Instrumentalisierung der allgemeinen zivilrecht79
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81
82
Wiedergegeben bei Blimlinger, Mittäter in der Opferrolle – Die Restitution von Kunst in Österreich, in Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde, Osteuropa – Kunst im Konflikt, 56. Jahrgang/Heft 1–2, Januar–Februar 2006, S. 235–245. Vgl. ausführlich hierzu Graf, Überlegungen zum Anwendungsbereich des Paragraph 1 Z 2 KunstrückgabeG, Österreichische Notariatszeitung, 11/2005, S. 321–338, S. 321. Vgl. ausführlich Böhmer/Faber in Böhmer, Vermögensentzug während der NS-Zeit sowie Rückstellungen und Entschädigungen seit 1945 in Österreich – Die österreichische Finanzverwaltung und die Restitution entzogener Vermögen 1945 bis 1960 – Die Finanzprokuratur, S. 251–504. Vgl. www.adele.at: Sämtliche rechtsrelevanten Dokumente über den Restitutionsstreit werden hier bereitgehalten.
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
lichen Institute der Sachzuweisung beweglicher Gegenstände. Eine daraufhin im März 2000 in Österreich erhobene zivilgerichtliche Herausgabeklage wurde seitens der Anspruchstellerin jedoch nicht weiter verfolgt, weil vor Durchführung des Verfahrens die Zahlung von mindestens 1.75 Millionen Euro Gerichtskostenvorschuss verlangt wurde.83 Obwohl der zu leistende Kostenvorschuss auf US-$ 200.000 reduziert worden war, verfolgte Maria Altmann insbesondere aus Kostengründen ihre Zivilklage in Österreich nicht weiter.84 (s. Abb. 15) 50
Vielmehr ging die Klägerin nun dazu über, ihre Klage in ihrem Wohnortstaat Kalifornien und damit vor US-amerikanischen Gerichten zu verfolgen. So klagte Maria Altmann vor dem California Federal District Court in Los Angeles im August 2000 auf Restitution ‚ihrer‘ Klimt-Gemälde gegen die Republik Österreich aufgrund fortbestehender Eigentumsposition.85 Obwohl sich die Gemälde zum Zeitpunkt der Klage in Österreich befanden, strengte die Restitutionsgläubigerin somit das Rückerstattungsverfahren vor einem amerikanischen Zivilgericht an. Dort und vor den drei nachfolgenden Instanzen musste darüber entschieden werden, ob der beklagte Staat Österreich sich auf die Grundsätze der Staatenimmunität berufen durfte, somit die Klage als unzulässig abgewiesen werden musste und schon deshalb erfolglos blieb, oder ob hier die in § 1605 (a) (3) des Foreign Sovereign Immunities Act normierten Grenzen der amerikanischen Staatenimmunität nicht eingriffen. Nachdem die zuständigen Gerichte, insbesondere auch der United States Supreme Court, die Frage der Rückwirkung des FSIA auf Vorgänge vor dessen Inkrafttreten bejahten, mussten die einzelnen Voraussetzungen des § 1605 (a) (3) geprüft werden.
51
Erste Voraussetzung für das Außerkrafttreten der Staatenimmunität ist, dass ein Eigentumsrecht betroffen ist, das dem Eigentümer in völkerrechtswidriger Weise entzogen worden war. Heute existieren völkerrechtliche Mindeststandards einer zulässigen Verstaatlichung (auch kultureller) Vermögenswerte ausländischer Staatsbürger.86 Eine Enteignung von Kunst- und Kulturgütern muss danach überwiegend einem öffentlichen Zweck dienen (Erfordernis eines Gemeinwohls), darf nicht gegen völkervertragliche Verpflichtungen des enteignenden Staates verstoßen oder völkergewohnheitsrechtswidrig sein (die Verstaatlichung willkürlich oder diskriminierend sein)87 und der Betroffene ist zu entschädigen.88 Nach
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86
87 88
Vgl. Blimlinger, Mittäter in der Opferrolle – Die Restitution von Kunst in Österreich, in Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde, Osteuropa – Kunst im Konflikt, 56. Jahrgang/Heft 1–2, Januar–Februar 2006, S. 235–245. Vgl. Schönenberger, Restitution von Kulturgut, 2009, S. 230–238. Republic of Austria v. Altman, 541 U.S. 677 (2004), aff’g 327 F.3d 1246 (9th Cir. 2003), aff’g D.C. No. CV-00-08913-FMC (C.D. Cal. Dec. 2002). Vgl. ausführlich hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 1: Illegaler Kulturgüterverkehr, 7. Teil. Vgl. Dolzer in: Vitzthum, Völkerrecht, 3. Aufl. 2004, 6. Abschnitt, Rdnr. 43–44, S. 483–484. Vgl. Dolzer in: Vitzthum, Völkerrecht, 3. Aufl. 2004, 6. Abschnitt, Rdnr. 43–44, S. 483–484.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
155
der sog. Hull-Doktrin muss die Entschädigung „prompt, adequate, and effective“ sein, sodass die Entschädigung sofort erfolgen soll, „Hand in Hand mit der Enteignung“ geht, grundsätzlich den vollen Marktwert zu umfassen hat (sog. ‚Adäquanz‘) und in einer frei konvertierbaren Währung erfolgen, also ‚effektiv‘ sein muss.89 Die im Fall Altmann zur Entscheidung berufenen Richter qualifizierten hier nicht nur die widerrechtliche Wegnahme durch das nationalsozialistische Unrechtsregime als völkerrechtswidrige Enteignung, sondern sahen – mit gutem Recht – in der „Donation“ der Gemälde an die Österreichische Galerie im Gegenzug gegen Exportlizenzen für andere Kunstgegenstände eine zweite völkerrechtswidrige Enteignung: Da das österreichische Rückstellungsrecht eigentlich die Rückgabe an die ursprünglichen Eigentümer der Beutekunst vorsah, seien in der vorliegenden Konstellation die Gemälde nicht für einen öffentlichen Zweck enteignet worden, sodass es schon am Erfordernis des Gemeinwohls mangele. Zudem lag in der österreichischen Rückerstattungspraxis nach Ende des Zweiten Weltkriegs, welche Exportlizenzen für die restituierten Objekte verlangte, eine offensichtliche Ungleichbehandlung zwischen Ausländern und österreichischen Bürgern vor, sodass die Restitutionspraxis in Österreich willkürlich und diskriminierend war und somit selbst als völkerrechtswidrige Enteignung qualifiziert werden müsse. Außerdem habe der Berechtigte in dem Fall zum damaligen Zeitpunkt keine gerechte Kompensationszahlung erhalten, sodass nicht zuletzt schon deshalb eine völkerrechtswidrige Beschränkung der Eigentumsposition vorgelegen habe.90 Unproblematisch zu bejahen war in der vorliegenden Konstellation die zweite Voraussetzung des § 1605 (a) (3): Die umstrittenen Gemälde standen im Eigentum (besser im Besitz) des österreichischen Museums. Schließlich musste das österreichische Museum als Klagegegner auf dem Territorium der Vereinigten Staaten in kommerzielle Aktivitäten involviert sein, damit die Grundsätze der Staatenimmunität außer Kraft gesetzt waren. Hier bejahten die Gerichte eine „commercial activity“ und erachteten es für ausreichend, dass die Österreichische Galerie einen Museumsführer in englischer Sprache publiziert hatte, ihre Sammlung in den Vereinigten Staaten bewarb und amerikanische Besucher empfing, darunter solche, die im Distrikt des entscheidenden Gerichtes wohnhaft waren. Schönenberger formuliert diesbezüglich überspitzt, dass letztlich „die Fremdenverkehrswerbung entscheidend für die Annahme einer commercial activity und somit für die Nichtanwendung der Staatenimmunität gewesen“ sei.91 Hinzu käme, dass die Österreichische Galerie einige der Gemälde auch schon zu einem früheren Zeitpunkt in die Vereinigten Staaten ausgeliehen hatte.
89 90
91
Vgl. Dolzer in: Vitzthum, Völkerrecht, 3. Aufl. 2004, 6. Abschnitt, Rdnr. 43–44, S. 483–484. Vgl. Altmann v. Republic of Austria et al., 142 F. Supp. 2d 1187, 1202 f. Zum Ganzen auch Schönenberger, Restitution von Kulturgut, 2009, S. 230–238. Vgl. auch die Darstellung bei Schönenberger, Restitution von Kulturgut, 2009, S. 230–238.
52
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
53
Somit wurde die Klage im Mai 2001 zugelassen und schließlich in dritter Instanz im Jahre 2004 seitens des United States Supreme Court gebilligt, obwohl sich die Klage gegen einen Staat richtete! Die Einwendung Österreichs, es wäre unzulässig, in den Vereinigten Staaten eine Klage gegen einen souveränen Staat zu erheben, weil dies einen Verstoß gegen den Foreign Sovereign Immunities Act darstelle, wurde verneint und die Zulässigkeit der Klage bestätigt. Innerhalb des vier Jahre dauernden Rechtsstreits wurde somit im Juni 2004 endgültig festgestellt, dass in den Vereinigten Staaten Kunstrestitutionsverfahren unter den gegebenen Umständen auch gegen ausländische Staaten prozessual zulässig sind. Seit diesem Zeitpunkt ist der Weg zur zivilgerichtlichen Durchsetzung kultureller Restitutionsansprüche innerhalb der Vereinigten Staaten von Amerika auf Rückführung von Beutekunst, kulturellem Fluchtgut, entarteter Kunst sowie Raubkunst auch gegen fremde Staaten und deren kulturelle Institutionen und Museen geebnet. Österreich sah sich in der Folge der Gefahr ausgesetzt, im weiteren Verfahren vor einem amerikanischen Zivilgericht zur Restitution verurteilt zu werden. „Es drohte erstmalig ein bisher so von amerikanischen Gerichten nicht entschiedener Präzedenzfall, der bei Erfolg zugunsten Maria Altmanns eine Vielzahl von Geschädigten bestärkt hätte, in den Vereinigten Staaten Herausgabeklagen gegen rückgabeunwillige Länder, in denen sich NS-verfolgungsbedingt abhanden gekommene Vermögenswerte befinden, zu erheben.“92 (s. Abb. 16)
54
Kurz vor dem entscheidenden Verhandlungstermin einigten sich die beteiligten Parteien auf ein außergerichtliches Schiedsverfahren und die Anwendung österreichischen Zivilrechts sowie des speziellen Bundesgesetzes über die Rückgabe von Kunstgegenständen aus den Österreichischen Bundesmuseen und Sammlungen aus dem Jahr 1998. Von beiden Seiten wurde festgelegt, dass die Entscheidung des dreiköpfigen Schiedsgerichtes als verbindlich anzusehen sei.93 Am 17. Januar 2006 hat das Schiedsgericht die fünf Klimt-Gemälde Maria Altmann und Miterben sachlich zugeordnet: „Die Voraussetzungen des Bundesgesetzes über die Rückgabe von Kunstgegenständen aus den Österreichischen Bundesmuseen und Sammlungen … für eine unentgeltliche Rückgabe der in Pkt. l genannten fünf Bilder … an die Erben nach Ferdinand Bloch-Bauer sind erfüllt.“ Das Schiedsgericht stellte fest, dass im Jahre 1939 ein NS-verfolgungsbedingter Vermögensverlust eingetreten war und die Republik Österreich keinen Besitzanspruch aus Adele Bloch-Bauers Testament vom Januar 1923 ableiten kann.
55
Außerhalb der Rückführungspflicht nach dem Kunstrückgabegesetz aus dem Jahre 1998 bestand aber auch ein zivilrechtlicher Restitutionsanspruch aufgrund fortbestehenden Eigentums: Der österreichische Staat hatte zu keinem Zeitpunkt 92
93
Schnabel/Tatzkow, Nazi Looted Art – Handbuch Kunstrestitution weltweit, 2007, S. 743– 747. Vgl. ausführlich zu einer Dokumentation des Verfahrens aus Sicht der Antragstellerin: www.adele.at.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
157
Eigentum an den Gemälden erlangt. Die Arisierung der Kunstsammlung BlochBauers war als Beutekunstnahme innerhalb Österreichs zu qualifizieren und deshalb ohne Auswirkung auf die Rechtsposition der Erben. Drei der fünf Gemälde wurden den Beständen der Österreichischen Nationalgalerie schlicht zugeführt, sodass die Annahme eines derivativen Eigentumserwerbs schon mangels Vorliegens eines Rechtsgeschäfts ausscheidet. Die Veräußerung der beiden anderen Gemälde seitens des Nichtberechtigten Dr. Erich Führer scheiterte an der fehlenden Redlichkeit des erwerbenden Museums, das um die Zugehörigkeit der Gemälde zu der Sammlung Bloch-Bauers wusste. „Die fünf Klimt-Gemälde wurden Mitte 2006 in die USA überführt. Das Hauptwerk ‚Adele Bloch-Bauer I‘ erwarb im Juni 2006 der New Yorker Kunstsammler Ronald S. Lauder für 135 Millionen US-Dollar, den bisher weltweit höchsten Kaufpreis für ein Gemälde. Er stellt es zukünftig für die Öffentlichkeit zugänglich in seinem New Yorker Privatmuseum, der Neuen Galerie – Museum für deutsche und österreichische Kunst an der Upper Eastside, aus. Dort waren bis zu ihrer Versteigerung auch die übrigen vier Gemälde von Klimt zu besichtigen. Sie wurden in einer spektakulären Abendauktion von Christie’s in New York am 08.11.2006 angeboten. Sämtliche Versuche, zugunsten der Öffentlichkeit einzelne Bilder Museen zukommen zu lassen oder diesen die Möglichkeit eines bevorzugten Erwerbes einzuräumen, schlugen fehl. Auch der Appell des Kunstkritikers der New York Times, Michael Kimmelman, die Bloch-Bauer-Erben mögen eines der vier Gemälde einem Museum übergeben, ging ins Leere. Das Bild ‚Adele II‘ ging für 68.8 Millionen Euro an einen Telefonbieter und wurde damit das derzeit weltweit fünftteuerste Gemälde. Auch die anderen drei Klimt-Gemälde wurden weit über ihren Schätzpreisen veräußert. Bei den Erwerbern soll es sich sämtlichst um Privatpersonen gehandelt haben.“94
b)
Claude Cassirer v. Kingdom of Spain et al. aus dem Jahre 2006
Die Grenzen der allgemeinen Staatenimmunität wurden auch in der im September 2006 vor dem United States District Court von Los Angeles erhobenen Rechtssache Claude Cassirer v. Kingdom of Spain et al.95 offenkundig, in der der Rechtsnachfolger von Lily Cassirer-Neubauer von dem Museo Thyssen-Bornemisza in Madrid die Restitution des Gemäldes ‚Rue Saint Honoré, Après Midi, Effet de Pluie‘ von Camille Pissarro sucht, während das Museum eine Rückführung verweigert.96 94
95
96
Schnabel/Tatzkow, Nazi Looted Art – Handbuch Kunstrestitution weltweit, 2007, S. 743– 747. Claude Cassirer v. Kingdom of Spain et al., 461 F. Supp. 2d 1157; 2006 U.S. Dist. LEXIS 83063 (C.D. Cal.). Vgl. ausführlich hierzu Chamberlain, The US Foreign Sovereign Immunity Act and Its Application to Nazi-Expropriated Works of Art, Art, Antiquity and Law Volume 11 Number 4 (2006), S. 371–382; Schnabel / Tatzkow, Nazi Looted Art – Handbuch Kunstrestitution
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
57
Kurz nach seiner Entstehung im Jahre 1897 erwarb der Berliner Kunsthändler Julius Cassirer im Jahre 1898 das Gemälde ‚Rue Saint Honoré, Après Midi, Effet de Pluie‘ von Camille Pissarro von der Pariser Galerie Durand-Ruel, die regelmäßig für Pissarro Werke veräußerte. Die Cassirer-Familie war zu dieser Zeit insbesondere dafür bekannt, die Werke französischer Impressionisten nach Deutschland zu importieren. Der Marktwert des Gemäldes, das die Szene einer Pariser Straße nach einem Regenschauer wiedergibt, wird von Auktionshäusern heute zwischen US-$ sechs und 20 Millionen geschätzt.97 Das Gemälde wurde von Julius Cassirer an seinen Sohn Friedrich vererbt und ging nach dessen Tod in das Eigentum von Lily Cassirer-Neubauer, der Schwiegertochter von Julius Cassirer, über, die erst in Berlin, später mit ihrem zweiten Ehemann Otto Neubauer in München lebte und dann 1939 nach Großbritannien emigrierte. Das PissarroGemälde hing während ihres Berlin-Aufenthaltes an einer Wand im Wohnzimmer und der spätere Restitutionskläger, Claude Cassirer, das Enkelkind von Lily Cassirer-Neubauer kann sich noch lebhaft an das Gemälde erinnern und noch heute die damalige Eigentumslage mit einem Photo nachweisen. Im März 1939 wurde Lily Cassirer-Neubauer das notwendige Visum für eine Ausreise aus Deutschland nach England unter der Bedingung erteilt, dass sie das Gemälde für US-$ 360 an die nationalsozialistischen Behörden veräußerte. Nach ihrer Ausreise erfolgten die Beschlagnahme und der Abtransport des Gemäldes aus ihrer Wohnung durch die deutschen Behörden. Die nachfolgenden Ereignisse liegen nicht mehr eindeutig offen. Es steht jedoch wohl fest, dass das Gemälde im Jahre 1943 durch die Geheime Staatspolizei (Gestapo) veräußert worden war, 1952 in dem Bestand einer New Yorker Kunstgalerie wiederentdeckt wurde und an einen privaten Kunstsammler in St. Louis veräußert wurde. Lily Cassirer-Neubauer starb in Amerika im Jahre 1962 und setzte ihr Enkelkind Claude Cassirer als alleinigen Rechtsnachfolger ein. (s. Abb. 17)
58
Nach dem Zweiten Weltkrieg bemühte sich Lily Cassirer-Neubauer erfolglos, das Gemälde aufzufinden und zurückzuerhalten. Die deutsche Bundesregierung
97
weltweit, S. 437–438; Gerstenblith, Art, Cultural Heritage, and the Law – Cases and Materials, 2004, S. 501–534; Schönenberger, Restitution von Kulturgut, 2009, S. 230–238; Daly, American Says Painting In Spain Is Holocaust Loot, The New York Times, Artikel vom 10. Februar 2003; http://www.sagerecovery.com/looted-art/looted-objects/pending.htm; Rosenzweig, San Diego Man Sues Spain for Return of Art Taken by Nazis, Los Angeles Times, Artikel vom 11. Mai 2005, b-4, Quelle: http://articles.latimes.com/2005/may/11/local/ me-cassirer11; Popper, Suit Highlights Failures on Art Restitution, FORWARD (Online) – The Jewish Daily, Artikel vom 13. mai 2005, Quelle: http://www.forward.com/articles/3455/; Soto, Holocaust survivor wants art returned – La Mesa man sues Spain for painting, The San Diego Union-Tribute, 11.5.2005, Quelle: http://www.signonsandiego.com/uniontrib/ 20050511/news_1n11claude.html. Vgl. Soto, Holocaust survivor wants art returned – La Mesa man sues Spain for painting, The San Diego Union-Tribute, 11.5.2005, Quelle: http://www.signonsandiego.com/ uniontrib/20050511/news_1n11claude.html.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
159
erklärte die Veräußerung im Jahre 1943 für rechtsunwirksam und erklärte Lily Cassirer-Neubauer zur rechtmäßigen Eigentümerin des Gemäldes.98 Das Gemälde verblieb jedoch weiterhin trotz einer intensiven Suche im Verborgenen. Im Jahre 1958 erhielt Lily Cassirer-Neubauer von der Bundesrepublik Deutschland für den Verlust des Gemäldes Schadensersatz in Höhe von 120.000 DM (US-$ 13.000). Nach dem Abkommen zwischen ihr und der Bundesrepublik stand ihr weiterhin das Eigentumsrecht an dem Gemälde zu. Trotz einer intensiven Suche nach dem Kunstwerk gelang Lily Cassirer-Neubauer bis zu ihrem Tod im Jahre 1962 nicht die Lokalisierung des Gemäldes. Im Jahre 1976 erwarb Baron Hans Heinrich Thyssen-Bornemisza, einer der größten Kunstsammler der damaligen Zeit, das Gemälde von dem New Yorker Kunsthändler Stephan Hahn. Der Erwerber veräußerte jedoch im Jahre 1993 seine Kunstsammlung an eine zu diesem Zweck neugegründete private Stiftung zu einem Kaufpreis i.H.v. US-$ 327 Millionen, die die Kollektion nun seit 1993 in dem neu gegründeten Thyssen-Bornemisza Museum in Madrid vis-à-vis des Prado ausstellte. Dabei übernahm der spanische Staat den Kaufpreis der Sammlung und berief seinerseits Regierungspersonen in den Aufsichtsrat der Stiftung. Innerhalb der Ausstellung als auch innerhalb der entsprechenden Ausstellungskataloge las man regelmäßig allein den Hinweis auf „Galerie Joseph Hahn, 1976, Thyssen collection“99, ohne dass ein Wort über die nahezu 80-jährige Vorgeschichte des Gemäldes verloren wurde. Claude Cassirer erfuhr erst im Jahre 2000 nach einer zufälligen Entdeckung eines Fotos des Pissarro-Gemäldes durch einen Freund in dem Thyssen-Bornemisza Museumskatalog von der Existenz des Kunstwerks. In der Folge verlangte er die Restitution des Gemäldes aus den Museumsbeständen: „The Nazis looted it from my family in 1939. It’s part of my life, part of my heritage“.100 Eine in Madrid ansässige Anwaltskanzlei verlangte in der Folge offiziell die Rückführung des Gemäldes und dokumentierte den Restitutionsanspruch vollumfänglich gegenüber dem Museo Thyssen-Bornemisza. Die Stiftung erwiderte zunächst nur, dass eine Restitutionsforderung abzulehnen sei und das Museo Thyssen-Bornemisza das Pissarro-Gemälde rechtmäßig erworben habe. Seitens der spanischen
98
99
100
Vgl. Daly, American Says Painting In Spain Is Holocaust Loot, The New York Times, Artikel vom 10. Februar 2003; Rosenzweig, San Diego Man Sues Spain for Return of Art Taken by Nazis, Los Angeles Times, Artikel vom 11. Mai 2005, b-4, Quelle: http://articles.latimes. com/2005/may/11/local/me-cassirer11; Popper, Suit Highlights Failures on Art Restitution, FORWARD (Online) – The Jewish Daily, Artikel vom 13. mai 2005, Quelle: http://www. forward.com/articles/3455. Vgl. die Zitierung bei Daly, American Says Painting In Spain Is Holocaust Loot, The New York Times, Artikel vom 10. Februar 2003. Rosenzweig, San Diego Man Sues Spain for Return of Art Taken by Nazis, Los Angeles Times, Artikel vom 11. Mai 2005, b-4, Quelle: http://articles.latimes.com/2005/may/11/local/ me-cassirer11.
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
Regierung verlautbarte, dass die rechtliche Grundlage für eine freiwillige Rückführung des Gemäldes an Claude Cassirer nicht gegeben sei, da der Anspruch bereits verjährt sei und die private Stiftung, die die Gemälde erworben hatte, gutgläubig Eigentum daran erlangt hätte. Schließlich verwies man den Anspruchsteller auf den Klageweg.101 Dem erwiderten die Rechtsvertreter des Anspruchstellers, dass aufgrund der speziellen Wiedergutmachungsgesetze nationalsozialistischen Unrechts gegenüber der jüdischen Bevölkerung keine Verjährungsgrundsätze Anwendung fänden und sowohl der Codigo civil als auch das spanische Strafgesetzbuch eine Rückführung gestohlener Kulturgüter verlangen würden, selbst wenn ein Dritter die Gegenstände gutgläubig erworben hätte.102 Schließlich berief sich die spanische Regierung darauf, dass es sich bei dem potenziellen Herausgabeschuldner um eine private Stiftung handele und somit kein staatlicher Einfluss ausgeübt werden könne. Hierauf stellten die Anspruchsteller jedoch klar, dass es sich bei der Stiftung um eine Rechtsperson handele, die vollständig vom spanischen Staat finanziert und das Museum in Staatsräumen betrieben werde, acht der zwölf Treuhänder seitens der spanischen Regierung bestimmt würden und der Vorsitzende der Stiftung der spanische Kulturminister selbst wäre. Der Kurator des Museums, Tomas Llorens, äußerte sich wie folgt: „Advisers to the museum have examined the request and assured us there is no legal basis to the claim, a response we have passed on to the family.“103 60
Mangels anwendbarer internationaler Resolutionsmethoden104 und sonstiger Alternativen erhob der inzwischen 88-jährige, im kalifornischen San Diego lebende Enkel von Lily Cassirer-Neubauer, Claude Cassirer, daraufhin im Jahre
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104
Vgl. Daly, American Says Painting In Spain Is Holocaust Loot, The New York Times, Artikel vom 10. Februar 2003. Vgl. Daly, American Says Painting In Spain Is Holocaust Loot, The New York Times, Artikel vom 10. Februar 2003. Vgl. Daly, American Says Painting In Spain Is Holocaust Loot, The New York Times, Artikel vom 10. Februar 2003. „Lawyers assisting in the Cassirer claim note that Spain, which aggressively pursues stolen Spanish art, is party to at least four international agreements aimed at restoring looted artworks to their rightful owners. Three are aimed at Holocaust victims. Principles adopted at Washington in December 1998 require states to act “expeditiously to achieve a just and fair solution,’’ and the follow-up forum in Vilnius, Lithuania, in October 2000 asked governments “to undertake every reasonable effort to achieve the restitution of cultural assets looted during the Holocaust era to the original owners or their heirs.’’ The Council of Europe’s Resolution 1205 of 1999 says, “Bodies in receipt of government funds which find themselves holding looted Jewish cultural property should return it’’ or pay compensation at the full market value.“ Rosenzweig, David, San Diego Man Sues Spain for Return of Art Taken by Nazis, Los Angeles Times, Artikel vom 11. Mai 2005, b-4, Quelle: http://articles.latimes.com/ 2005/may/11/local/me-cassirer11; Popper, Suit Highlights Failures on Art Restitution, FORWARD (Online) – The Jewish Daily, Artikel vom 13. mai 2005, Quelle: http://www.forward. com/articles/3455.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
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2005 vor dem United States District Court von Los Angeles eine zivilrechtliche Klage gegen das Thyssen-Bornemisza Museum Madrid, in der er aufgrund des nationalsozialistisch verfolgungsbedingten Vermögensverlustes die Rückgabe des Pissarro-Gemäldes forderte. Eine Besonderheit besteht in dieser Klage schon darin, dass der Anspruchsteller des Restitutionsverfahrens nicht am Ort der aktuellen Belegenheit des Kunstwerks (d.h. in Spanien), sondern am Ort seines Wohnsitzes Los Angeles Klage erhob. Hier wählte Claude Cassirer trotz der Belegenheit des Gemäldes in Spanien die Klage vor einem amerikanischen Gericht. Dabei wollte sich der Anspruchsteller sicherlich die günstige Rechtslage für Restitutionsansprüche nationalsozialistisch bedingter Vermögensverluste innerhalb der Vereinigten Staaten von Amerika zunutze machen. Es muss jedoch bezweifelt werden, ob die Klage vor amerikanischen Zivilforen im Ergebnis zielführend sein wird: Selbst wenn Cassirer mit seinem Restitutionsanspruch vor dem United States District Court von Los Angeles Erfolg haben wird, bestehen keine zwischenstaatlichen Verpflichtungen, die die spanische Regierung zwingen könnten, das Pissarro-Gemälde an den Restitutionsberechtigten zu restituieren. Nichtsdestotrotz verfügt die obsiegende Partei über die Trumpfkarte der Öffentlichkeit: Schon jetzt fand der Rechtsstreit weltweite Beachtung und der auf die spanische Regierung ausgeübte Druck würde bei einem Obsiegen Cassirers noch wesentlich stärker ansteigen.
61
Das Museo Thyssen-Bornemisza und die spanische Regierung wiesen im Februar 2006 die zivilrechtliche Forderung zunächst mit der Begründung zurück, die Stiftung habe das Kunstwerk gutgläubig erworben, der spanische Staat habe keine Kontrolle über die Stiftung als privates Rechtsgebilde und die Klage wäre im Übrigen wegen der Immunität und Souveränität des spanischen Staates gerichtlich nicht verhandelbar. Zumindest der letzte Klagepunkt wurde seitens des United States District Court von Los Angeles bereits zurückgewiesen: Seit der Entscheidung in dem berühmten Altmann-Fall hindert der Federal Foreign Sovereign Immunities Act aus dem Jahre 1976 aufgrund der sog. expropriation exception nicht mehr die Klage gegen Staaten in den Fällen der Wiedergutmachungsfrage nationalsozialistisch begangenen Unrechts gegenüber der jüdischen Bevölkerung: Hier wurde das Gemälde in völkerrechtswidriger Weise als NS-Raubkunst entzogen105, das Gericht konnte dem Thyssen-Bornemisza Museum Madrid kommerzielle Aktivitäten auf dem Territorium der Vereinigten Staaten nachweisen und der Pissarro stand im Eigentum (besser wohl Besitz) des spanischen Museums (möglicherweise zumindest de facto in staatlicher Trägerschaft). Der Klage wurde im September 2006 stattgegeben und der Einspruch Spaniens zurückgewiesen: „This was possible after the U.S. Supreme Court ruled in 2004 that U.S. citizens were able to sue foreign governments in federal court over art looted during the
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105
Vgl. ausführlich hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 1: Illegaler Kulturgüterverkehr, 7. Teil, Rdnr. 68 ff.
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
Nazi regime.“106 Der Prozess dauert bis heute an und eine Entscheidung steht noch aus.107
c)
Leonard Malevicz et al. v. City of Amsterdam
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Schließlich ist innerhalb der Frage der Begrenzung der allgemeinen Staatenimmunität in Kunstrestitutionsverfahren vor amerikanischen Gerichten noch auf die Sachverhaltskonstellation Leonard Malevicz et al. v. City of Amsterdam hinzuweisen.108 Anders als bspw. im erstgenannten Altmann-Fall und in der voranstehenden Claude Cassirer-Konstellation, in denen sich die streitgegenständlichen Gemälde zum Zeitpunkt der Klage nicht auf dem Territorium der Vereinigten Staaten befunden hatten, waren bei dem Restitutionsgesuch der Erben von Kasimir Malewicz gegen die Stadt Amsterdam immerhin 14 der streitgegenständlichen Bilder im Jahre 2003 in Sonderausstellungen in New York und Houston zu besichtigen. (s. Abb. 18)
64
Tatsächlicher Hintergrund der Malevicz-Konstellation sind die stalinistischen Raubzüge gegen ungeliebte Kunst. Ausführlich fanden schon in Band 1: Illegaler Kulturgüterverkehr im 7. Teil unter Rdnr. 13 ff. die millionenfachen Zwangsverstaatlichungen von Kunst- und Kulturgütern nach der Oktoberrevolution im Jahre 1917 Erläuterung. In der vorliegenden Sachverhaltskonstellation überließ der russische, in Deutschland unter dem Namen Kasimir Sewerinowitsch Malewitsch bekannte Künstler vor dem Zweiten Weltkrieg einige Gemälde einem gewissen Dr. Dorner in Berlin zur Aufbewahrung, um Zerstörungen und Wegnahmen der modernen Kunst durch das stalinistische Regime zu verhindern. Dr. Dorner musste Deutschland im Jahre 1937 aufgrund der Auswirkungen des nationalsozialistischen Unrechtsregimes seinerseits verlassen und nahm einen Teil der überlassenen Werke bei seiner Emigration aus Deutschland mit, andere Gemälde übersandte er als Leihgabe an das Museum of Modem Art in New York. Die restlichen Kunstwerke wurden einem gewissen Hugo Häring in Berlin zur Sicherungsverwahrung überlassen. Nach einer Anfrage des Amsterdamer 106
107
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Popper, Suit Highlights Failures on Art Restitution, FORWARD (Online) – The Jewish Daily, Artikel vom 13. mai 2005, Quelle: http://www.forward.com/articles/3455. Neuere Klagen betreffen auch Kunstsammlungen in osteuropäischen Staaten, vgl. Agudas Chasidei Chabad v. Russian Federation, 466 F. Supp. 2d 6 (D.D.C. 2006). Leonard Malevicz et al. v. City of Amsterdam, 362 F. Supp. 2d 298; 2005 U.S. Dist. LEXIS 5414 (D.D.C. 2005); reheard 517 F. Supp. 2d 322; 2007 U.S. Dist. LEXIS 46312 (D.D.C. 2007). Vgl. aus dem Schrifttum hierzu: Roussin, Museum, in: Hutt/Tarler, Yearbook of Cultural Property Law 2006, S. 87–100, insb. S. 92–95; Gerstenblith, Art, Cultural Heritage, and the Law – Cases and Materials, 2004, S. 501–534; Schönenberger, Restitution von Kulturgut, 2009, S. 230–238; Weller, Vergleich zwischen der Stadt Amsterdam und den MalevichErben, 30. April 2008, www.ifkur.de; Caprio, Artwork, Cultural Heritage Property, and the Foreign Sovereign Immunities Act, International Journal of Cultural Property (IJCP) 2006, S. 285 ff., S. 292 f.; The Art Newspaper, Juni 2008, 18. Vgl. außerdem die Pressemitteilungen hierzu auf den Internetseiten der Klägervertreter unter www.herrick.com.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
163
Stedelijk Museum um Leihgabe einiger der Malevicz-Gemälde in den 1950er Jahren lehnte er diese zunächst zwar unter dem Hinweis ab, dass er nicht der Eigentümer der Gemälde sei, willigte jedoch einige Zeit später hierzu ein. Nach dessen Tod wurde schließlich ein Brief entdeckt, worin Hugo Häring bestätigte, dass er doch rechtmäßiger Eigentümer der Gemälde sei und dass der Leihvertrag in Wahrheit eine Kaufoption für das Stedelijk Museum sei, welche dieses sodann auch ausübte.109 Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion versuchten die Erben von Malewicz die Gemälde zurückzuerhalten. Als sie erkannten, dass diese sich nun auf dem Territorium der Vereinigten Staaten befanden, versuchten sie dort eine Restitution zu erlangen. Nach einer Ausstellung in den USA kam es somit im Jahre 2003 zu einer Klage beim United States District Court for the District of Columbia. Da die Gemälde eine sachliche Immunität aufgrund einer bundesgesetzlichen Rückgabegarantie genossen (vgl. ausführlich zur Präklusion von Kunstrestitutionsverfahren nach Zusage einer Rückgabegarantie nachstehend unter Punkt B.)110, konnte keine Beschlagnahme auf amerikanischem Territorium erfolgen. Da die Bestimmungen zum Freien Geleit internationaler Kunstwerke in New York jedoch lediglich vor einer Beschlagnahme, nicht aber vor der Gerichtspflichtigkeit des Verleihers selbst schützen, war auch in der vorliegenden Konstellation im Rahmen des Verfahrens zu prüfen, ob sich die Stadt Amsterdam auf die Grundsätze der Staatenimmunität i.S.d. Federal Sovereign Immunities Act berufen kann oder ob hier nicht die expropriation exception des § 1605 (a) (3) eingreift. Voraussetzungen hierfür sind, dass die Gemälde in völkerrechtswidriger Weise entzogen wurden, das Stedelijk Museum kommerzielle Aktivitäten auf dem Territorium der Vereinigten Staaten ausübte und die Gemälde zum Zeitpunkt der Klage im Eigentum (besser wohl Besitz) des Amsterdamer Museums als kulturelle Institution in staatlicher Trägerschaft standen. Umstritten war hierbei allein die Voraussetzung einer „commercial activity“.
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Die Klägerseite macht hierbei geltend, dass schon allein die physische Präsenz der Kunstwerke auf dem Territorium der Vereinigten Staaten i.V.m. der vorübergehenden öffentlichen Zurschaustellung die Voraussetzung der Begrenzung einer Staatenimmunität erfüllt, sodass die Gemälde sind „present in the United States in connection with a commercial activity carried on in the United States by the foreign state.“ Die eigentliche Bedeutung der vorliegenden Fallkonstellation liegt darin, dass durch die expropriation exception des § 1605 (a) (3) eine so weitgehende Einschränkung der amerikanischen Rückgabezusage des Immunity
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110
Vgl. zu den tatsächlichen Angaben Caprio, Artwork, Cultural Heritage Property, and the Foreign Sovereign Immunities Act, International Journal of Cultural Property (IJCP) 2006, S. 285 ff., S. 292; Schönenberger, Restitution von Kulturgut, 2009, S. 230–238. Vgl. Caprio, Artwork, Cultural Heritage Property, and the Foreign Sovereign Immunities Act, International Journal of Cultural Property (IJCP) 2006, S. 285 ff., S. 292 f.
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
from Seizure Act aus dem Jahre 1965 in 22 U.S.C. § 2459 und des Instituts des Freien Geleits für Kunstwerke einhergeht, dass dessen Schutz ausgehöhlt wird und ausländische Museen davon Abstand nehmen, ihre Objekte an amerikanische Institutionen zu verleihen. Dies betonte in dem Verfahren auch ein sog. Statement of Interest of the United States des amerikanischen Department of State, das dem einen zur Entscheidung berufenen Gericht die entsprechende Rechtseinschätzung und die zugrundeliegenden Interessen der Vereinigten Staaten von Amerika zur Kenntnis bringen soll:111 „The United States is aware of no plaintiff that has previously sought to base jurisdiction solely upon art brought into this country under a grant of immunity from seizure. This unprecedented approach has introduced great uncertainty as to whether sovereign lenders will face greater litigation exposure simply through the introduction of an immunized exhibit into the United States. Accordingly, the United States submits this statement to inform the Court concerning the background and purpose of section 2459 and to present its concerns as to the potential effects of plaintiffs’ lawsuit upon the interests that section 2459 is designed to foster.“112 67
Auszug aus dem Statement of Interest of the United States des amerikanischen Department of State: „As the foregoing reflects, the cultural benefits of section 2459 depend upon providing a sufficient level of assurance to foreign lenders that participating in an immunized exhibit will not expose them or their artwork to litigation in the United States. In this case, for example, the City asserts that it relied upon this grant of immunity in making the works available. … The United States is thus concerned that permitting jurisdiction over a foreign state in such cases threatens to undermine significantly the interests that section 2459 was designed to foster and to create friction in U.S. relations with other countries. Section 1605(a)(3) of the FSIA, first effective in 1977, provides for the possibility of in personam jurisdiction over foreign states in expropriation cases without the need for the prior attachment of the property in question. … Instead, it requires a sufficient nexus with the United States to provide fair notice to foreign states that they are submitting themselves to U.S. jurisdiction and abrogating their sovereign immunity. Most relevant for present purposes, section 1605(a)(3) requires that the property at issue be “present in the United States in connection with a commercial activity carried on in the United States by the foreign state.” Foreign states are unlikely to expect that this standard is satisfied by a loan of artwork for a U.S. Government-immunized exhibit that must be carried out by a borrower on a non-profit basis. The possibility that such a minimal level of contact will necessarily suffice to provide jurisdiction threatens to chill the willingness of sovereign lenders to participate in the section 2459 program. Just as a foreign lender will be less likely to send valuable artwork to this country if the 111
112
„Pursuant to 28 U.S.C. § 517 [The Solicitor General, or any officer of the Department of Justice, may be sent by the Attorney General to any State or district in the United States to attend to the interests of the United States in a suit pending in a court of the United States, or in a court of a State, or to attend to any other interest of the United States.“] the United States respectfully submits this Statement of Interest to attend to its interests in connection with this action. The United States hereby addresses the implications of plaintiffs’ claims for the Mutual Educational and Cultural Exchange Program administered by the Department of State and established by Congress pursuant to Title 22 Chapter 33 of the United States Code.“. Vgl. http://www.state.gov/s/l/2004/78110.htm. Vgl. http://www.state.gov/s/l/2004/78110.htm.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
165
artwork is subject to seizure while it is here, such a lender will be discouraged from lending such works if the loan will provide the sole jurisdictional basis for an expropriation lawsuit that could not have occurred in the absence of the loan.“
Das Gericht entschied schließlich über die expropriation exception erst in einem zweiten Fall am 27. Juni 2007 und bejahte dabei entgegen dem Statement of Interest of the United States auch die Voraussetzung der „commercial activity“, da das Museum Leihgebühren für die Objekte verlangt hatte. Zudem hatte das Amsterdamer Museum eigene Angestellte nach Amerika geschickt, die mit der Hängung der Ausstellung betraut waren, sodass die notwendige „commercial activity“ aufgrund genügender substantieller Kontakte mit dem Territorium der Vereinigten Staaten von Amerika („substantial contact“) bejaht wurde.113 Somit wurde der Immunitätsschutz aufgrund der „commercial activity“-Ausnahme nicht gewährt. Die Einwände des amerikanischen Department of State, wonach internationale Leihgaben zwischen Museen grundsätzlich immer den Umständen des Malewicz-Falles entsprechend ablaufen und somit ausländischen Staaten als Leihgeber in der Praxis nahezu generell keine Staatenimmunität eröffnet ist, hat das Gericht nicht für entscheidungserheblich gehalten. Das Schrifttum sieht den Ausgang des Verfahrens Leonard Malevicz et al. v. City of Amsterdam dementsprechend eher kritisch. Tatsächlich ist dem Urteil vorzuwerfen, das Bedürfnis und die kultur- und gesellschaftspolitische Bedeutung eines weitestgehend ungehinderten Austauschs kultureller Wertgegentände im internationalen Leihverkehr nicht hinreichend gewürdigt zu haben, „da Vorgänge, die bei internationalen Leihgaben von Kunstwerken üblich sind, bereits als kommerzielle Aktivität gewertet werden.“114 Nach langen Auseinandersetzungen zwischen der Stadt Amsterdam als Trägerin des Stedelijk Museums und den Erben von Kasimir Malevicz haben die Parteien schließlich im Jahre 2008 außergerichtlich einen Vergleich erzielt, wonach von den ursprünglich insgesamt 84 Werken fünf den Malewicz-Erben zustehen sollen, während die übrigen 79 Gemälde der Stadt Amsterdam verbleiben, welche sie ihrerseits dem Stedelijk Museum als Langzeitleihgabe zur Verfügung stellt.115
d)
Rubin v. The Islamic Republic of Iran
Der mithin aktuellste Fall der Staatenimmunität stellt im Bereich des Kulturgüterschutzrechts die Rechtssache Rubin v. The Islamic Republic of Iran dar.116 Die 113 114 115 116
68
Vgl. Schönenberger, Restitution von Kulturgut, 2009, S. 230–238. So Schönenberger, Restitution von Kulturgut, 2009, S. 230–238. Vgl. hierzu The Art Newspaper, Juni 2008, 18. Ausführlich zu dieser Konstellation: Hutt/Tarler, Yearbook of Cultural Property Law 2007, International Cultural Property, S. 109–117, S. 113–114; Sills, Judicial Conversion of Culture – Attaching Embodiments of Ancient Culture to Judgments in Civil Proceedings, in: Hutt/Tarler, Yearbook of Cultural Property Law 2007, S. 237–256; Roussin, Museum, in: Hutt/Tarler, Yearbook of Cultural Property Law 2006, S. 87–100, insb. S. 92–93; Wawrzy-
69
166
2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
schwer verwundeten Opfer eines im Jahr 1997 in Jerusalem ausgeführten Selbstmordanschlags der palästinensischen Terrororganisation und politischen Partei Hamas klagten gegen die Islamische Republik Iran auf Zahlung von Schadensersatz, weil der Staat als finanzieller Geldgeber der Hamas den Anschlag mittelbar mitverursachte. Das amerikanische Gericht sprach den Klägern dabei 90 Millionen US-Dollar als Schadensersatz zu. Die Kläger beabsichtigten zur Vollstreckung des Urteils die Beschlagnahme in iranische Antiken, die sich in verschiedenen amerikanischen Museen und kulturellen Institutionen auf Zeit befanden, wie bspw. im Besitz des Oriental Institute of the University of Chicago, des Field Museum of Natural History, des Boston Museum of Fine Arts und der Harvard University. 70
In der Klage gegen das Oriental Institute of the University of Chicago standen etwa 30.000 antike Keilschriften in Streit. Das zur Herausgabe verklagte Oriental Institute machte vor Gericht geltend, dass die Objekte nur als Leihgaben und deshalb als Eigentum der Islamischen Republik Iran anzusehen seien. Aus diesem Grund stützt das Institut seine Verteidigung auf den Foreign Sovereign Immunity Act. Die Kläger machten dagegen geltend, dass die Artefakte Gegenstand der Ausnahme seien für „property … used for a commercial activity“. Hier stellte der magistrate judge fest, dass sich ein etwaiger commercial use allein nach dem Verhalten des fremden Souveräns (also der Islamischen Republik Iran) zu bestimmen habe und nicht nach den den Besitz ausübenden amerikanischen Institutionen. In einer Entscheidung vom Juni 2006 stellte das Gericht in dieser Konstellation weiterhin fest, dass etwaige Immunitätsgrundsätze alleine zugunsten des fremden Staates wirken (und nicht zugunsten der amerikanischen kulturellen Institutionen), sodass der Staat Iran den Rechtsstreitigkeiten beitrat. Soweit ersichtlich dauert der Rechtsstreit noch fort.
II. 71
Immunität vor Vollstreckung
Im Rechtsbereich des internationalen Kulturgütertransfers stellt sich nicht nur die Problematik, inwieweit ein (ursprünglicher) Eigentümer (beispielsweise erneut eines staatlich innerhalb des eigenen Territoriums entzogenen Kulturguts) überhaupt gegen einen (entziehenden) Staat zivilrechtlich vor einem ausländischen Forum vorgehen kann, um eine mögliche Rückführung vor einem Zivilgericht begutachten zu lassen. Wenn ein fremder Staat durch ein nationales Gerichtsurteil verurteilt worden ist, stellt sich dementsprechend die Frage, inwieweit in das Vermögen des fremden Staates vollstreckt werden kann.117 Aus dem
117
niak, Rubin v. The Islamic Republic of Iran – A Struggle for Control of Persian Antiquities in America, in: Hutt/Tarler, Yearbook of Cultural Property Law 2008, S. 223–272. Vgl. allgemein hierzu: Stein/Buttlar, Völkerrecht, 2005, Vierter Abschnitt, 5. Kapitel, § 1, Rdnr. 722, S. 272 m.w.N. Vgl. aus dem kulturgüterspezifischen Schrifttum hierzu: Weller, Völkerrechtliche Grenzen der Zwangsvollstreckung – vom Botschaftskonto zur Kunstleihgabe, Rpfleger 2006, S. 364–373.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
167
Prinzip der Immunität des fremden Staates vor nationalen Gerichten im Erkenntnisverfahren folgt rechts-parallel aber auch das Verbot der Zwangsvollstreckung in Güter des fremden Staates, soweit sie hoheitlichen Zwecken dienen.118 Solches Vermögen, das unmittelbar hoheitlichen Zwecken dient, ist dem Vollstreckungszugriff grundsätzlich entzogen.119 Stattdessen sind nur Güter mit einer nichthoheitlichen Zweckbestimmung dem Zugriff ausgesetzt. Im Unterschied zur Staatenimmunität im Erkenntnisverfahren ist hier also die Zweckbestimmung durch den fremden Staat von erheblicher Bedeutung.120 In dem Fall Stchoukine c. Le Centre National d’Art et Culture Georges Pompidou (Centre Pompidou) hat sich bspw. die Regierung der Russischen Föderation darauf berufen, dass die Kulturgüter deshalb immun gegen eine Vollstreckung und Beschlagnahme nach Art. 1961 Code civil (séquestre judicaire) sind, weil diese hoheitlichen Zwecken dienen bzw. die Kulturgüter selbst Objekte hoheitlicher Aktivitäten sind, weil die Gemälde nicht nur aus ausländischen öffentlichen Museen stammen, sondern die Verleihung dieser Kulturgüter vielmehr unmittelbar dem internationalen Kulturaustausch und der staatenübergreifenden kulturellen Kooperation dient (acta iure imperii). Das französische Tribunal de Grande Instance de Paris vom 16. Juni 1993 brauchte jedoch nicht mehr zu dieser Frage der staatlichen Immunität gegen Vollstreckung zu entscheiden, da zu Recht bereits von dem Eingreifen der allgemeinen Staatenimmunität im Erkenntnisverfahren ausgegangen wurde.
72
Bei den Fällen im Zusammenhang mit der reinen Vollstreckungsimmunität findet sich zudem ein „untypischer Fall“121, die bislang noch nicht entschiedene Rechtssache Rubin v. The Islamic Republic of Iran, die nicht unmittelbar die Restitution eines unrechtmäßig entzogenen Kulturguts zum Thema hat, sondern darüber zu entscheiden hat, ob ausländische Kulturgüter als Vollstreckungssubstrat für eine Schadensersatzforderung aus einem anderen Grund dienen können.122 Anders als in den voranstehenden Konstellationen stehen im Fall Rubin v. Iran hingegen die sog. commercial use exception nach Sect. 1610 (a) (7) des Federal
73
118 119 120
121 122
Hailbronner in Vitzthum, Völkerrecht, 4. Aufl. 2007, 3. Abschnitt II 1c, Rdnr. 93, S. 180. Vgl. hierzu auch Art. 18 und 19 des Entwurfs der Völkerrechtskommission. Stein/Buttlar, Völkerrecht, 2005, Vierter Abschnitt, 5. Kapitel, § 1, Rdnr. 722, S. 272 m.w.N. So die Bezeichnung bei Schönenberger, Restitution von Kulturgut, 2009, S. 230–238. Vgl. zu dem Fall Rubin v. Iran insb. Caprio, Artwork, Cultural Heritage Property, and the Foreign Sovereign Immunities Act, International Journal of Cultural Property (IJCP) 2006, S. 285 ff., S. 294 ff.; Schönenberger, Restitution von Kulturgut, 2009, S. 230–238; Wawrzyniak, Rubin v. The Islamic Republic of Iran, A Struggle for Control of Persian Antiquities in America, in: Hutt, Yearbook of Cultural Property Law 2008, S. 223 ff. Vgl. auch die Berichte in The Art Newspaper, Artikel vom 12. September 2006 und 5. Januar 2008. Dieser Fall ist noch nicht entschieden.
168
2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
Sovereign Immunities Act (wobei auch hier die die Frage nach einer „commercial activity“ zu beantworten ist) bzw. die sog. terrorist exception gem. section 201 des Terrorism Risk Insurance Act 2002 im Vordergrund.123
§ 3 Ergebnis: Staatenimmunität in Kunstrestitutionsverfahren 74
Die für das Kulturgüterschutzrecht und Kunstrestitutionsverfahren in der Praxis in höchstem Maße entscheidungsrelevanten Fragen des internationalen Kulturgüterzivilverfahrensrechts weisen gegenüber dem allgemeinen internationalen Zivilverfahrensrecht zahlreiche kulturgüterspezifische Besonderheiten auf. Dies zeigt sich einem Gericht, das mit Streitigkeiten auf dem Gebiet des internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts befasst ist, zunächst schon bei der Frage nach der Gerichtsbarkeit von Kunstrestitutionsverfahren. Zu Beginn des 2. Teils wurde diesbezüglich im 1. Abschnitt erkannt, dass die Regeln über die Gerichtsbarkeit festlegen, ob der Richter eines nationalen Zivilforums durch die Regeln des Völkerrechts gehindert ist, einen Rechtsstreit zu entscheiden. Nach den voranstehenden Ausführungen steht nun für das internationale Kulturgüterzivilverfahrensrecht fest, dass die Ausübung staatlicher Gerichtsgewalt als „hoheitliche Befugnis, Recht zu sprechen“124 (die sog. „facultas iurisdictionis“125) Ausfluss der Souveränität eines jeden Staates ist und in Ausnahmefällen durch das Völkerrecht eingeschränkt werden kann, sodass die Gerichtsbarkeit eine selbständige Prozessvoraussetzung ist.126 In grenzüberschreitenden Kunstrestitutionsverfahren hat der Rechtsanwender deshalb zunächst immer zu fragen, ob der zur Entscheidung berufene Richter über einen konkreten Rückgabeanspruch aus Sicht des internationalen Rechts entscheiden darf.
75
Zu Beginn des 1. Abschnitts fand unter Punkt A. zunächst die Problematik der sog. personellen und institutionellen Immunität in Kunstrestitutionsverfahren ausführliche Erläuterung, bevor im nachstehenden Punkt B. eine rechtsvergleichende Darstellung des sog. Instituts des freien Geleits erfolgt und damit (im Gegensatz zum vorliegenden Untersuchungsgegenstand) Fragen der Sachimmunität kultureller Güter Behandlung finden. Ob ein Richter in internationalen Kunstrestitutionsverfahren überhaupt zur Entscheidung berufen ist, ist ins-
123
124 125
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Vgl. The Art Newspaper, Artikel vom 5. Januar 2008; Vgl. Caprio, Artwork, Cultural Heritage Property, and the Foreign Sovereign Immunities Act, International Journal of Cultural Property (IJCP) 2006, S. 285 ff., S. 294 ff.; Wawrzyniak, Rubin v. The Islamic Republic of Iran, A Struggle for Control of Persian Antiquities in America, in: Hutt, Yearbook of Cultural Property Law 2008, S. 237 ff.; Schönenberger, Restitution von Kulturgut, 2009, S. 230– 238. Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 4. Aufl. 2006, Rdnr. 131. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 3, Rdnr. 13–27, S. 69–74. Vgl. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 3, Rdnr. 14, S. 70.
§ 3 Ergebnis: Staatenimmunität in Kunstrestitutionsverfahren
169
besondere dann fraglich, wenn sich potenziell restitutionspflichtige Staaten oder staatliche Einrichtungen (hier waren bisher meistens Museen in öffentlicher Trägerschaft beteiligt) auf die Grundsätze der Staatenimmunität berufen können. Während nach der Jurisdiktionsimmunität (vgl. voranstehend Punkt I.) kein Staat über einen anderen Staat zu Gericht sitzen darf, ist es einem Staat nach der Exekutionsimmunität verboten, mit Zwangsgewalt gegen einen anderen Staat vorzugehen (vgl. voranstehend Punkt II.). Die Grundsätze der Staatenimmunität können somit ausländischen Staaten sowie ausländischen staatlichen Museen Schutz vor Eingriffen in ihren kulturellen Bestand sowohl im zivilrechtlichen Erkenntnis- als auch im Vollstreckungsverfahren bieten. Geschichtlicher Hintergrund der personellen und institutionellen Sachimmunität war das rechtliche Gebot par in parem non habet iuridictionem, das bereits bei den Postglossatoren galt. Bis in das 20. Jahrhundert hinein galt der Grundsatz der absoluten Immunität und verhinderte, dass zwischenstaatliche Streitigkeiten von einem nationalen Gericht einer Streitpartei entschieden werden konnten. Da das Nichtvorliegen der Immunität des Beklagten eine echte Prozessvoraussetzung darstellt,127 darf das angerufene Gericht keine Sachentscheidung in dem eigentlichen Kunstrestitutionsverfahren treffen128 und hat bspw. in der deutschen Zivilverfahrensrechtsordnung die Klage als unzulässig abzuweisen129 bzw. in der schweizerischen Terminologie im Zivilprozess einen Nichteintretensentscheid130 zu fällen. Die Bedeutung der personellen bzw. institutionellen Immunität in Kunstrestitutionsverfahren ist nicht zu unterschätzen und in den voranstehenden Untersuchungen fanden zahlreiche gerichtliche Beispielskonstellationen des internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts exemplarische Nennung, in denen seitens eines potenziell restitutionspflichtigen Staates der Grundsatz der Staatenimmunität in den Prozess eingeführt und dementsprechend die Unzulässigkeit der kulturellen Restitutionsklage bei Staaten oder staatlichen Einrichtungen als Beklagte proklamiert wurde. Vor allem auf dem Gebiet des internationalen und intermusealen Leihverkehrs sind solche Konstellationen entstanden, um Vollstreckungsmaßnahmen abzuwenden, die naturgemäß die Interessen des Staates noch stärker berühren als das Erkenntnisverfahren.131 127 128
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131
Vgl. Schönenberger, Restitution von Kulturgut, 2009, S. 184. Vgl. nur Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 9; Schönenberger, Restitution von Kulturgut, 2009, S. 184. Vgl. nur Kempen, Internationaler Kulturgüteraustausch: Die Bedeutung der „Rechtsverbindlichen Rückgabezusage“, in: Brenner/Huber/Möstl, Der Staat des Grundgesetzes – Kontinuität und Wandel, Festschrift für Peter Badura zum siebzigsten Geburtstag, 2004, S. 1079 ff., S. 1094; Pieroth/Hartmann, Rechtswegbeschränkung zur Sicherung des Leihverkehrs mit ausländischen Kulturgütern, NJW 2000 (Heft 30), S. 2129–2135, S. 2130. Vgl. Raschèr/Schmidt-Gabain, Besserer Schutz für den internationalen Leihverkehr unter Museen? Die „Rückgabegarantie“ im Kulturgütertransfergesetz, Aktuelle juristische Praxis, 2005 (Heft 6), S. 686–694, S. 689. Vgl. Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 4. Aufl. 2006, Rdnr. 150.
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
77
Die Grundsätze der internationalen Staatenimmunität haben aber auch klare Grenzen. Selbstredend gelten diese weder für private Museen ohne staatliche Trägerschaft noch für Privatpersonen. Auch bei Klagen gegen Museen innerhalb des eigenen Heimatforums (d.h. bspw. bei Kunstrestitutionsverfahren in Amerika gegen amerikanische Museen oder in Deutschland gegen deutsche Museen in öffentlicher Trägerschaft) findet der Gedanke der Staatenimmunität keine Anwendung. Einfallstor für eine weitreichende Aufweichung der Staatenimmunität ist schließlich die Rechtsentwicklung, dass nach richtiger Ansicht heute auch keine nichthoheitlichen, geschäftlichen Verhalten ausländischer Staaten von der Gerichtsbarkeit ausgenommen sein dürfen: Als die Staaten zunehmend im Bereich privater Wirtschaftsverwaltung tätig wurden, wollte man wirtschaftliches Handeln nicht in der gleichen Weise wie staatliches Handeln im Sinne von hoheitlichem Handeln privilegieren, sodass sich im kontinental-europäischen Raum die restriktive oder relative Immunitätstheorie entwickelte, die von den USA im Foreign Sovereign Immunities Act von 1976 und Großbritannien im State Immunity Act von 1978 rezipiert wurde. Heute findet eine Unterscheidung zwischen hoheitlichen Akten als acta iure imperii und nichthoheitlichem, geschäftlichem Verhalten als acta iure gestionis statt, sodass in sämtlichen Kunstrestitutionsklagen unrechtmäßig entzogener Kulturgüter gegen ausländische Staaten vor nationalen Zivilforen bei der Bestimmung der Immunität und einem dementsprechenden Ausschluss eines Prozesses entschieden werden muss, ob das Handeln des ausländischen Staates als hoheitlich oder kommerziell zu qualifizieren ist. Bei dieser Abgrenzung ist auf die Natur der Handlung abzustellen, also darauf, ob der Staat wie eine Privatperson oder aber in Ausübung von Hoheitsgewalt aufgetreten ist. Das Schrifttum stellt dabei insbesondere auf die objektive Natur des staatlichen Handelns ab und fragt, ob die gleiche Handlung auch von einer Privatperson hätte vorgenommen werden können bzw. ob der Staat eine spezifisch hoheitliche Regelungsgewalt in Anspruch nimmt.
78
Das Eingreifen der Staatenimmunität und die Frage hoheitlichen (als ‚acta iure imperii‘) oder kommerziellen Handelns (als ‚acta iure gestionis‘) waren insbesondere beim intermusealen Leihverkehr von Kunst- und Kulturgütern umstritten. Von einer Immunität kann nämlich dann Abstand genommen werden, wenn der internationale Austausch kultureller Güter nicht im Zusammenhang mit einer hoheitlichen Tätigkeit des ausländischen Staates steht. Bedeutsamkeit erlangte dabei insbesondere die sog. expropriation exception in § 1605 (a) (3) des amerikanischen Foreign Sovereign Immunities Act von 1976: Befindet sich das zwischen Restitutionsgläubiger und -schuldner umstrittene Kunst- oder Kulturgut außerhalb des Territoriums der Vereinigten Staaten von Amerika, kann sich ein ausländischer Staat vor amerikanischen Gerichten dann nicht auf die Grundsätze der Staatenimmunität berufen, wenn (erstens) die Klage ein Eigentumsrecht betrifft, das dem Eigentümer in völkerrechtswidriger Weise entzogen worden war, (zweitens) der Gegenstand im Eigentum (besser wohl Besitz) eines ausländi-
§ 3 Ergebnis: Staatenimmunität in Kunstrestitutionsverfahren
171
schen Museums bzw. einer anderen kulturellen Institution in staatlicher Trägerschaft steht, und (drittens) diese auf dem Territorium der Vereinigten Staaten in kommerzielle Aktivitäten involviert ist.132 Die Frage nach kommerziellen Aktivitäten innerhalb der expropriation exception fand in drei weltweit bedeutsamen Gerichtsentscheidungen ausführliche Diskussion: Erstmals wurde in der Rechtssache Altmann v. Republic of Austria et al.133 der Einwand eines potenziell restitutionspflichtigen Staates (hier: Österreichs) verneint, es wäre unzulässig, in den Vereinigten Staaten eine Klage gegen einen souveränen Staat zu erheben, weil dies einen Verstoß gegen den Foreign Sovereign Immunities Act darstelle, und die Zulässigkeit einer Kunstrestitutionsklage gegen einen Staat aufgrund der expropriation exception bestätigt. Maria Altmann, Rechtsnachfolgerin von Adele und Ferdinand Bloch-Bauer, begehrte vor dem California Federal District Court in Los Angeles und den nachfolgenden Instanzgerichten die Restitution der NS-bedingt verlorenen Gemälde ‚Adele Bloch-Bauer I‘, ‚Adele Bloch-Bauer II‘, ‚Apfelbaum‘, ‚Buchenwald/Birkenwald‘ und ‚Häuser in Unterach am Attersee‘ von Gustav Klimt gegenüber der Republik Österreich und der Österreichischen Galerie, obwohl sich die Gemälde zum Zeitpunkt der Klage in Österreich befanden. Hier bejahten die Gerichte eine „commercial activity“ und erachteten es für ausreichend, dass die Österreichische Galerie einen Museumsführer in englischer Sprache publiziert hatte, ihre Sammlung in den Vereinigten Staaten bewarb und amerikanische Besucher empfing, darunter solche, die im Distrikt des entscheidenden Gerichtes wohnhaft waren. Hinzu käme, dass die Österreichische Galerie einige der Gemälde auch schon zu einem früheren Zeitpunkt in die Vereinigten Staaten ausgeliehen hatte. Seit der Klagezulassung im Juni 2004 ist der Weg zur zivilgerichtlichen Durchsetzung kultureller Restitutionsansprüche innerhalb der Vereinigten Staaten von Amerika auf Rückführung von Beutekunst, kulturellem Fluchtgut, entarteter Kunst sowie Raubkunst auch gegen fremde Staaten und deren kulturelle Institutionen und Museen weitgehend geebnet.
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Die Grenzen der allgemeinen Staatenimmunität wurden auch in der im September 2006 vor dem United States District Court von Los Angeles erhobenen Rechtssache Claude Cassirer v. Kingdom of Spain et al.134 offenkundig, in der der Rechtsnachfolger von Lily Cassirer-Neubauer von dem Museo Thyssen-Borne-
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Befindet sich dagegen das umstrittene Kulturgut innerhalb des Territoriums der Vereinigten Staaten, so muss sich das in den USA befindliche Eigentum im Zusammenhang mit einer kommerziellen Aktivität des ausländischen Staates auf dem US-amerikanischen Territorium befinden, dass sich der beklagte Staat oder die kulturelle Institution in öffentlicher Trägerschaft vor einem amerikanischen Forum nicht auf die Grundsätze der Staatenimmunität berufen darf. Vgl. ausführlich hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 1: Illegaler Kulturgüterverkehr, 6. Teil, Rdnr. 116 ff. Vgl. ausführlich hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 1: Illegaler Kulturgüterverkehr, 7. Teil, Rdnr. 68 ff.
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
misza in Madrid die Restitution des NS-bedingt verlorenen Gemäldes ‚Rue Saint Honoré, Après Midi, Effet de Pluie‘ von Camille Pissarro suchte, während das Museum eine Rückführung verweigerte. Seit der Entscheidung in dem berühmten Altmann-Fall hindert der Federal Foreign Sovereign Immunities Act aus dem Jahre 1976 aufgrund der sog. expropriation exception nicht mehr die Klage gegen Staaten in den Fällen der Wiedergutmachungsfrage nationalsozialistisch begangenen Unrechts: Hier wurde das Gemälde in völkerrechtswidriger Weise als NSRaubkunst entzogen, das Gericht konnte dem Thyssen-Bornemisza Museum Madrid kommerzielle Aktivitäten auf dem Territorium der Vereinigten Staaten nachweisen und der Pissarro stand im Eigentum (besser wohl Besitz) des spanischen Museums (möglicherweise zumindest de facto in staatlicher Trägerschaft). Der Klage wurde im September 2006 stattgegeben und der Einspruch Spaniens zurückgewiesen. Der Prozess dauert bis heute an und eine Entscheidung steht noch aus. 81
Schließlich ist hinsichtlich der Frage nach der Begrenzung der allgemeinen Staatenimmunität in Kunstrestitutionsverfahren vor amerikanischen Gerichten noch auf die Sachverhaltskonstellation Leonard Malevicz et al. v. City of Amsterdam hinzuweisen.135 Hier machte die Klägerseite hinsichtlich der expropriation exception geltend, dass schon allein die physische Präsenz der Kunstwerke auf dem Territorium der Vereinigten Staaten i.V.m. der vorübergehenden öffentlichen Zurschaustellung die Voraussetzung der Begrenzung einer Staatenimmunität erfüllt. Hier wurde die Voraussetzung der „commercial activity“ schon allein deshalb bejaht, weil das Museum Leihgebühren für die Objekte verlangt hatte. Zudem hatte das Amsterdamer Museum eigene Angestellte nach Amerika geschickt, die mit der Hängung der Ausstellung betraut waren, sodass die notwendige „commercial activity“ aufgrund genügender substantieller Kontakte mit dem Territorium der Vereinigten Staaten von Amerika („substantial contact“) bejaht wurde. Die genannten Fallkonstellationen verdeutlichen, dass amerikanische Gerichte in Kunstrestitutionsverfahren insbesondere bei Fällen, die im weitesten Sinne einen Hintergrund im Umfeld des Nazi-Regimes haben, mit dem Einwand der Staatenimmunität sehr großzügig umgehen und rasch Ausnahmen vom Grundsatz der personellen bzw. institutionellen Staatenimmunität machen.136
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Die Entscheidungen wurden im Schrifttum jedoch als zu weitreichend kritisiert137, da internationale Leihgaben zwischen Museen grundsätzlich immer den Umständen des Malewicz-Falles entsprechend ablaufen und somit ausländischen Staaten als Leihgeber in der Praxis nahezu generell keine Staatenimmu-
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Vgl. ausführlich hierzu 2, 109 ff. Vgl. Schönenberger, Restitution von Kulturgut, 2009, S. 230–238. Vgl. ebenso Schönenberger, Restitution von Kulturgut, 2009, S. 230–238; Caprio, Artwork, Cultural Heritage Property, and the Foreign Sovereign Immunities Act, International Journal of Cultural Property (IJCP) 2006, S. 285 ff., S. 303 ff.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
173
nität eröffnet ist. Tatsächlich ist dem Urteil vorzuwerfen, das Bedürfnis und die kultur- und gesellschaftspolitische Bedeutung eines weitestgehend ungehinderten Austauschs kultureller Wertgegentände im internationalen Leihverkehr nicht hinreichend gewürdigt zu haben, „da Vorgänge, die bei internationalen Leihgaben von Kunstwerken üblich sind, bereits als kommerzielle Aktivität gewertet werden.“138 Bestehen im grenzüberschreitenden Leihverkehr mit kulturellen Gütern aber derart große Rechtsunsicherheiten, wirkt sich dies negativ auf die Möglichkeit der Zusammenstellung internationaler Ausstellungen aus, da internationale Museen eher von einem Transfer absehen werden, wenn ihre Rechtsposition als Museen in staatlicher Trägerschaft vor ausländischen Zivilforen angegriffen werden kann. Die eigentliche Bedeutung der vorliegenden Fallkonstellation lag jedoch darin, dass mit der expropriation exception des § 1605 (a) (3) innerhalb des amerikanischen Rechtsraums eine so weitgehende Einschränkung des Rechtsinstituts des Freien Geleits für Kunstwerke (der sog. kulturellen Sachimmunität) des amerikanischen Immunity from Seizure Act aus dem Jahre 1965 in 22 U.S.C. § 2459 einhergeht, dass dessen Schutz ausgehöhlt wird und ausländische Museen davon Abstand nehmen, ihre Objekte an amerikanische Institutionen zu verleihen. Da bislang allein die personelle bzw. institutionelle Immunität in Kunstrestitutionsverfahren Erläuterung fand, stellt sich im nun folgenden Punkt B. die in der Praxis des internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts besonders bedeutsame Frage nach der sog. kulturellen Sachimmunität. Nachstehend hat somit eine ausführliche Analyse des Rechtsinstituts des sog. freien Geleits kultureller Wertgegenstände aus rechtsvergleichender Sicht zu erfolgen, wobei exemplarisch die Bedeutung sog. ‚anti seizure-statutes‘ des Common Law-Rechtskreises (vgl. hierzu unter Punkt B. I.) sowie der Schutzumfang der französischen Immunité (vgl. hierzu unter Punkt B. II.) und des italienischen attestato di libera circolazione (vgl. hierzu unter Punkt B. III.) der Zusage ‚freien Geleits‘ in Deutschland (vgl. hierzu unter Punkt B. IV.) und der Rückgabegarantie innerhalb der Schweizer Rechtsordnung (vgl. hierzu unter Punkt B. V.) gegenübergestellt werden.
B.
Sachimmunität von Kulturgütern
Schrifttum: Anderson, Collectors View of the Art Loan Process; Lessons from the Denney Collection; A Cautionary Tale Woven from Art, Law and Letters, ARTL 4 (1999), S. 23–40; Boos, Kulturgut als Gegenstand des grenzüberschreitenden Leihverkehrs, 2006, S. 233–290; Clark, The Schiele Matter, in: Gibbon, Who Owns the Past? – Cultural Policy, Cultural Property, and the Law, 2005, S. 71–82; Die Presse, Freies Geleit für Botschafter ‚guten Willens‘, Artikel vom 8. Juni 2001, S. 16; Flynn/Knerly/Varah, Protecting the Integrity ofthe Loan Process and the Safety of Loaned Ojects, in: ALI-ABA, Legal Issues in Museum Administration, April 1–3, 138
So Schönenberger, Restitution von Kulturgut, 2009, S. 230–238.
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175
Law, Vol. XIV, Issue 1 (2009), S. 63–77; Zerbe, Immunity from Seizure for Artworks on Loan to United States Museums, Northwestern Journal of International law & Business 6 (1984/85), S. 1121–1145.
Im voranstehenden Punkt A. wurde erkannt, dass die Grundsätze der Staatenimmunität ein Kunstrestitutionsverfahren dann prozessual präkludieren, wenn das Kulturgut bzw. der Kulturgüteraustausch der Erfüllung einer hoheitlichen Aufgabe eines fremden Staates dient.139 Dabei ging es also nicht um eine Sachimmunität des einzelnen Kulturguts im eigentlichen Sinne, sondern vielmehr um eine Immunitätsgarantie eines potenziell restitutionspflichtigen Besitzers, die sich nur mittelbar auf das Kulturgut selbst auswirkt: „C’est parce que le propriétaire du bien jouit de l’immunité d’exécution que ses biens sont insaisissables. L’immunité du propriétaire crée le statut des biens et non le contraire.“140 Die Grenzen staatlicher Gerichtsgewalt sind aber auch dann erreicht, wenn der kulturelle Aufnahmestaat, d.h. der Entleihstaat, dem kulturellen Sendestaat, d.h. dem Verleihstaat, eine Rückgabegarantie erteilt und den Objekten selbst ‚freies Geleit‘ gewährt.
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Diese direkte Sachimmunität von Kunst- und Kulturgütern unterscheidet sich somit deutlich von dem nur mittelbaren Schutz vor Kunstrestitutionsverfahren über die voranstehende Staatsimmunität und ist nur im Fall von spezialgesetzlichen Rückgabegarantien gegeben. Während im ersteren Fall nur ein staatlicher Beklagter von der personellen bzw. institutionellen Immunität von Staaten oder staatlichen Institutionen vor ausländischen Zivilforen profitieren kann, schützen die kulturelle Sachimmunität und die Rückgabegarantie hingegen meist auch private Beklagte.141 Im Schrifttum findet sich neuerdings ein weiterer Fall der eigentlichen Sachimmunität kultureller Güter, wenn bedeutenden (nationalen) Kulturgütern, die nicht für den Markt bestimmt oder geeignet sind, unabhängig von der Frage staatlichen Eigentums, eine Immunität gewährt würde – diese bedenkenswerte Idee ist bisher aber noch nicht realisiert worden.142
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Die Gerichtsbarkeit ist nach dem Vorhergesagten somit dann eingeschränkt und die Grenzen staatlicher Gerichtsgewalt aufgrund der kulturellen Sachimmunität143 sind dann erreicht, wenn – nach der deutschen und schweizerischen Termi-
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Vgl. Schönenberger, Restitution von Kulturgut, 2009, S. 184. Candrian, L’immunité des états face aux droits de l’homme et à la protection des biens culturels, 2005, S. 196 m.w.N. Anders dagegen wohl Siehr, Kulturgüterschutz, in: Ebling/ Schulze, Kunstrecht – Zivilrecht, Steuerrecht, 2007, Rdnr. 49. Vgl. Schönenberger, Restitution von Kulturgut, 2009, S. 184. Schönenberger, Restitution von Kulturgut, 2009, S. 184, unter Rekurs auf die Vorarbeiten bei Caprio, Artwork, Cultural Heritage Property, and the Foreign Sovereign Immunities Act, International Journal of Cultural Property (IJCP) 2006, S. 285 ff., S. 303 ff. Insb. in der schweizerischen und deutschen Literatur findet sich der Begriff der Sachimmunität nur selten, vgl. aber El-Bitar, Der deutsche und der französische Kulturgüterschutz nach der Umsetzung der Kulturgüterrückgaberichtlinie, 2007, S. 176.
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nologie – eine Präklusion eines Restitutionsverfahrens aufgrund des Rechtsinstituts des freien Geleits kultureller Güter besteht, d.h., wenn der kulturelle Entleihstaat dem Verleihstaat die Zusage ‚freien Geleits‘ kultureller Güter gewährt und, in den Worten des neuen § 20 des Gesetzes zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung vom 6. August 1955, dem Verleiher die Rückgabe zum festgesetzten Zeitpunkt rechtsverbindlich zusagt (vgl. ausführlich hierzu unter Punkt IV.). Während traditionell in der englischen Rechtssprache die Terminologie immunity from seizure144 verwendet wird, sprechen neuerdings auch ausdrücklich das entsprechende österreichische Spezialgesetz in §§ 1–5 des Bundesgesetzes über die vorübergehende sachliche Immunität von Kulturgut-Leihgaben zum Zweck der öffentlichen Ausstellung aus dem Jahre 2003145 und der Titel des entsprechenden liechtensteinischen Gesetzes über die vorübergehende sachliche Immunität von Kulturgut (Kulturgut-Immunitäts-Gesetz; KGIG) vom 23. November 2007146 von sachlicher Immunität. 87
Der Ursprung dieses Grundsatzes des ‚freien Geleits‘ stammt anfänglich aus dem Völkerrecht und bestimmt dort den auf allgemeinen Völkergewohnheitsrechtsregeln beruhenden oder im Einzelfall zwischenstaatlich zugesicherten Schutz einzelner Personen, zumeist Diplomaten, vor dem staatlichen Zugriff auf fremdem Territorium.147 Bereits im Mittelalter kannte man die Bedeutung von freiem oder sicherem Geleit und verstand darunter die einem flüchtigen Angeklagten erteilte Zusicherung des Gerichtsherrn, ihn vor Übergriffen einer Person zu schützen, die zuvor geschädigt worden war, unter der Bedingung, dass der Angeklagte vor Gericht erschien. Expressis verbis findet sich innerhalb der aktuellen Strafprozessordnung die Terminologie ‚sicheres Geleit‘ in § 295 als gerichtliche Zusage an einen abwesenden Beschuldigten, dass er wegen der in der Geleiterklärung bezeichneten Tat nicht in Untersuchungshaft genommen werde. Darüber hinaus ist die Möglichkeit eines ‚freien Geleits‘ für Zeugen in Art. 12 des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20.4.1959 normiert. In Abgrenzung zu den genannten Konstellationen der sachlichen Erfassung von Personen unter der Terminologie ‚freies Geleit‘ intendiert der Grundsatz innerhalb des Rechtsbereichs des Kulturgüterschutzes die spezielle Protektion von Sachen, es geht konkret um die Sachimmunität von Kultur144
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Stuart, Immunity from Seizure, the Experience in the United States, in: Renold/Gabus, Claims for the Restitution of Looted Art, La revendication des oeuvres d’art spoliées, 2004, S. 181 ff., S. 183 ff. BGBl. I Nr. 133/2003 i.d.F. von BGBl. I Nr. 65/2006. Liechtensteinisches Landesgesetzblatt vom 15. Januar 2008, S. 462 ff. Vgl. bspw. Art. 29 Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen vom 18. April 1961, veröffentlicht im Bundesgesetzblatt Jahrgang 1964 Teil II Nr. 38, Seite 959 ff., ausgegeben zu Bonn am 13. August 1964: (1) Die Person des Diplomaten ist unverletzlich. Er unterliegt keiner Festnahme oder Haft irgendwelcher Art. (2) Der Empfangsstaat behandelt ihn mit gebührender Achtung und trifft alle geeigneten Maßnahmen, um jeden Angriff auf seine Person, seine Freiheit oder seine Würde zu verhindern.
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gütern.148 Der Grundsatz des ‚freien Geleits‘ kultureller Güter dient damit in besonderem Maße einem möglichst freien grenzüberschreitenden Austausch von Kulturgütern im Allgemeinen und dem internationalen Leihverkehr der Museen im Besonderen und stellt so eine spezielle Ausprägung des Grundsatzes der Internationalität (cultural internationalism) des Kulturgüterschutzrechts dar. Heute sind die Grundsätze der Sachimmunität neben Deutschland bspw. auch in Frankreich, Belgien und der Schweiz, aber auch in fünf von zehn Provinzen Kanadas und in einigen Bundesstaaten der Vereinigten Staaten von Amerika und dem U.S. Congress, aber auch in Australien und Irland akzeptiert.149 Schon wiederholt wurde ersichtlich, dass in zahlreichen Konstellationen einem (ursprünglichen) Eigentümer unrechtmäßig entzogener Kulturgüter erst nach einem Transfer des entzogenen Kulturguts ins Ausland die Möglichkeit der rechtlichen Überprüfung des Entziehungsaktes offensteht. So ist in den meisten Fällen der kulturellen Verstaatlichung150 eine Überprüfung des kulturellen Entziehungsaktes innerhalb des Regimes des entziehenden Staates selbst nicht möglich (bspw. innerhalb Russlands im Anschluss an die Oktoberrevolution im Jahre 1917, innerhalb des nationalsozialistischen Unrechtsregimes des Deutschen Reiches bzw. innerhalb der in Steuerverfahren ausgeführten Entziehungsakte des DDR-Unrechtsstaates, die keine gerichtliche Überprüfung ermöglichten). Erst bei einem Transfer über die Landesgrenzen hinaus konnten die Eigentümer den Versuch starten, ‚ihre‘ Kulturgüter wiederzuerlangen. Andere Fälle zeigten, dass die ursprünglichen Eigentümer keine Informationen über den bisherigen Verbleib der unrechtmäßig entzogenen (nicht zwingend verstaatlichten) Kulturgüter besaßen und erst anlässlich einer großen Ausstellung von der Existenz ‚ihres‘ Kulturguts erfuhren. Auf der anderen Seite kann für den womöglich wahren Eigentümer eines Kunstgegenstandes die Tatsache, dass sich das Objekt vorübergehend in einer ihm vertrauten oder eventuell im Streitfall gewogeneren Rechtsordnung befindet, eine seltene Chance bieten, sein Objekt zurückzuerhalten.151 Kühl weist zurecht darauf hin, dass bei der gerichtlichen Geltendmachung von Ansprüchen im kulturellen Aufnahmestaat nicht immer ungeklärte Eigentumsfragen innerhalb des kulturellen Diebstahls, der kulturellen Beutenahme oder der Verstaatlichung der Raubkunst oder ‚entarteten‘ Kunst Motiv des Eingriffs in
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Vgl. Jayme, Das Freie Geleit für Kunstwerke, 2001, S. 3. Vgl. Weller, Immunity for Artworks on Loan? A Review of International Customary Law and Municipal Anti-seizure Statutes in Light of the Liechtenstein Litigation, Vanderbilt Journal of Transnational Law 2005, S. 997–1039. Vgl. ausführlich hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 1: Illegaler Kulturgüterverkehr, 7. Teil. Vgl. Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 9, unter Verweis auf die Entscheidung Stchoukine v. Le Centre National d’Art et de Culture Georges Pompidou, the Hermitage Museum St. Petersburg, the Pushkin Museum Moscow and the Russian Federation, Tribunal de grande instance de Paris vom 16. Juni 1993, vgl. 2, 17 ff.
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
die Ausstellung sind.152 So beanspruchten bspw. die Stiefkinder als vermeintliche Erben ihres Vaters von ihrer leihgebenden Stiefmutter die Herausgabe des Gemäldes ‚En Bateau sur le Lac de Boulogn‘ von Berthe Morisot, das als Leihgabe im De Young Museum in San Francisco hing.153 Einen Eingriff in den Leihverkehr stellten auch die einstweiligen Verfügungen wegen einer möglichen Verletzung eines Urheberrechts an einem Werk des deutschen Fotografen Thomas Hoepker durch die Collage ‚It’s a small world …‘ der amerikanischen Appropriation Art-Künstlerin Barbara Kruger dar, die der Fotograf mit einer „injunction against further exploitation of the image, statutory and punitive damages“ verfolgte.154 Grund für einen Eingriff in den Leihverkehr kultureller Güter kann auch eine Pfändung des Kulturguts aus der Ausstellung wegen einer Schadensersatzforderung sein, wie dies bspw. im Fall von 15 Werken von Robert Rauschenberg kurz nach Eröffnung der Ausstellung ‚Robert Rauschenberg: A Retrospective‘ für eine Forderung von 5.5 Millionen US-Dollar erfolgte.155 89
„Der Leihverkehr, der früher nicht zuletzt durch die persönliche Bekanntschaft und das fachliche Vertrauen der Kuratoren untereinander unbürokratisch gehandhabt werden konnte, hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einem weiteren Aufgabenschwerpunkt der Fachleute größerer Museen entwickelt und eine neue wirtschaftliche Dimension erreicht. Museen können durch die in einer Ausstellung erzielten Einnahmen ihren Etat aufbessern, während die Leihgeber in neuerer Zeit zuweilen auch eine hohe Leihgebühr erhalten. Bei privaten Leihgebern können zudem steuerliche Anreize und die Aussicht auf eine Wertsteigerung der Leihgabe durch die Ausstellung eine Rolle spielen.“156 Die drohende Gefahr der gerichtlichen Geltendmachung von Eigentumsansprüchen oder sonstigen Forderungen innerhalb des kulturellen Aufnahmestaates stellt für den intermusealen und grenzüberschreitenden Leihverkehr jedoch ein belangvolles Hindernis dar und schädigt den Austausch von Kulturgütern im Generellen. Der internationale Leihverkehr mit Kulturgütern ist im Hinblick auf die Völkerverstän-
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Vgl. hierzu und zu den folgenden Beispielen Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 9. Anderson, Collectors View of the Art Loan Process; Lessons from the Denney Collection; A Cautionary Tale Woven from Art, Law and Letters, ARTL 4 (1999), S. 23–40, S. 24. Vgl. Lufkin, Le Journal des Arts No. 118, 1 f., zitiert bei Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 9. Vgl. Tyson, The Art Newspaper, March 1998, S. 1 und S. 8, zitiert bei Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 9. Kühl, Der Schutz von vorübergehend importierten Kulturgütern, in: Ministerium für Kultur der Russischen Föderation/Staatliche Bibliothek für Ausländische Literatur Rudomino, Moskau/Secco-Pontanova – Stiftung zur Förderung des Dialogs in Wissenschaft und Kultur, Berlin, Kulturgüter: Möglichkeiten und Perspektiven einer gesamteuropäischen Zusammenarbeit – Materialien der internationalen Konferenz „Kulturelle Zusammenarbeit in Europa: Fragen der Erhaltung und des Schutzes von Kulturgütern“, St. Petersburg, 12. Mai 2003, 2004, S. 123–128.
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digung für den kulturellen Austausch unter den Staaten von besonderer Bedeutung und dementsprechend Inhalt zahlreicher internationaler Abkommen.157 So haben sich bspw. die Unterzeichnerstaaten des UNESCO-Abkommens (zu denen auch die BRD gehört) über die Einfuhr von Gegenständen erzieherischen, wissenschaftlichen oder kulturellen Charakters vom 22. November 1950158 und die Unterzeichner des Europäischen Kulturabkommens des Europarates vom 19. Dezember 1954159 dazu verpflichtet, den Austausch von Kulturgütern zu fördern und durch entsprechende Maßnahmen zu erleichtern.160 Der internationale Leihverkehr von Kulturgütern, der Transfer von Bibliotheks- und Archivgut, die Einund Ausfuhr von Kulturgut, die Veranstaltung von Ausstellungen, Konzerten und Theateraufführungen und der Austausch von Presseerzeugnissen, Filmen und Rundfunksendungen finden auch in zahlreichen bilateralen Kulturabkommen Regelungskraft, die die Bundesrepublik Deutschland mit diversen Staaten abgeschlossen hat. „Aside from theft, or damage to the object, the emergence of an unsuspected ulterior owner during the loan period is probably the situation most feared by borrowers. If the lender had no title to the object at the time of the loan, the borrower’s position is fragile. Subject to certain narrow exceptions which are unlikely to apply between professional lenders and borrowers,161 a borrower can have no better right to the object than the lender – Nemo dat quod non habet. If, therefore, a third party sues the borrower for the surrender of the object, claiming to be the true owner, the borrower’s ability to resist the claim is likely to depend purely on the strength of the competing titles.“162
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Zu maßgeblichen Störungen im internationalen Leihverkehr mit Kulturgütern kommt es, wenn die Gerichte kultureller Aufnahmestaaten, d.h. der Entleiherstaaten, die Rückführung von Ausstellungsgütern an den kulturellen Entsendestaat nach Ablauf der Leihfrist aufgrund einer Drittintervention verweigern. Sonderausstellungen entliehener Kulturgüter ziehen die Aufmerksamkeit einer breiten Öffentlichkeit auf sich, sodass ein Ausstellungsstück als gestohlen, illegal exportiert oder im Krieg abhandengekommen identifiziert wird und der ursprüngliche Eigentümer das betroffene Gut mittels der Gerichte des kulturellen Aufnahmestaates beschlagnahmen lässt, um eine Klärung der Rechtslage herbei-
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Vgl. Kühl, Der Schutz von vorübergehend importierten Kulturgütern, in: Ministerium für Kultur der Russischen Föderation/Staatliche Bibliothek für Ausländische Literatur Rudomino, Moskau/Secco-Pontanova – Stiftung zur Förderung des Dialogs in Wissenschaft und Kultur, Berlin, Kulturgüter: Möglichkeiten und Perspektiven einer gesamteuropäischen Zusammenarbeit – Materialien der internationalen Konferenz „Kulturelle Zusammenarbeit in Europa: Fragen der Erhaltung und des Schutzes von Kulturgütern“, St. Petersburg, 12. Mai 2003, 2004, S. 123–128. BGBl. 1957 II S. 171 ff. BGBl. 1955 II S. 1128 ff. Vgl. Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 26–29. Vgl. Sale of Goods Act 1979 (England), Sec. 21 bis 25, Factors Act 1889 (England), Sec. 2. Palmer, Art Loans, 1997, S. 101–103.
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zuführen.163 Derartige Vorfälle behindern den internationalen Leihverkehr stark und führen dazu, dass Museen, Stiftungen und sonstige kulturelle Institutionen ihre Kulturgüter nur noch in seltenen Ausnahmefällen ins Ausland verleihen, etwa wenn ihre Provenienz absolut gesichert ist oder der Ausstellungsstaat Immunität gewährleistet.164 92
Potenzielle Leihgeber könnten dementsprechend durchaus auch aufgrund drohender Zivilprozesse und der diesbezüglichen Rechtsunsicherheit der Verteidigung in einem fremden Forum bei Anwendung ausländischen Rechts davon abgehalten werden, ihre Objekte internationalen Ausstellungen zur Verfügung zu stellen und damit einem großen Publikum außerhalb des permanenten Belegenheitsortes Zugang zu gewähren. Auf „eigentümliche Weise“165 treten heute vor allem die kulturelle Beutenahme, der nationalsozialistische Kunstraub vor dem Zweiten Weltkrieg und währenddessen innerhalb und außerhalb Deutschlands sowie die Fälle der rechtswidrigen Verstaatlichung kultureller Wertgegenstände ganz in den Vordergrund. Die Aufarbeitung des kulturellen Unrechts der nationalsozialistischen Plünderungsbehörden und -organisationen sowie der sowjetischen Trophäenkommissionen wurde unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der nationalsozialistischen Unrechtsherrschaft aus praktischen, aber auch aus rechtlichen Gründen keiner ausreichenden Lösung zugeführt. Dieser Hintergrund führt „zu einer großen Unruhe, welche die Ausstellungsfähigkeit der Kunstwerke und damit die heilenden Kräfte der Kunst lähmt. Der Gedanke eines Freien Geleits für Kulturgüter bildet hier aber einen Teil einer Gegenbewegung. Er reflektiert unsere Sehnsucht nach einem wenigstens zeitweiligen Frieden.“166
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Das Rechtsinstitut des ‚freien Geleits‘ kultureller Güter bezweckt diese Beruhigung des internationalen Leihverkehrs mit kulturellen Gütern vor dem Hintergrund der besonderen kulturpolitischen Bedeutung des internationalen Kulturgüteraustauschs und führt dazu, dass nationale Gerichte der kulturellen Entleihstaaten die Aufnahme kultureller Restitutionsverfahren gegenüber den erfassten Kulturgütern ausschließen. Es erfolgt eine Präklusion kultureller Restitutionsverfahren aufgrund der Zusage ‚freien Geleits‘ kultureller Güter und es ist zu untersuchen, inwieweit spezielle Regelungen in den kulturellen Aufnahmestaaten ausschließen, dass ausländische Leihgaben der Gerichtsgewalt unterworfen sind. Die Entwicklung nationaler Rechtsgrundlagen hinsichtlich der Zusage ‚freien Geleits‘ hat außerhalb Nordamerikas bis heute nur recht geringen Zuspruch gefunden (Frankreich erließ im Zuge der Erlebnisse um die Entscheidung Stchoukine v. Le Centre National d’Art et de Culture Georges Pompidou, the 163 164 165 166
Vgl. Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 26–29. Vgl. Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 26–29. So Jayme, Das Freie Geleit für Kunstwerke, 2001, S. 27–28. Jayme, Das Freie Geleit für Kunstwerke, 2001, S. 27–28.
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Hermitage Museum St. Petersburg, the Pushkin Museum Moscow and the Russian Federation des Tribunal de grande instance de Paris vom 16. Juni 1993167 am 8. August 1994 und Deutschland vor dem Hintergrund des Liechtenstein-Falles 168 im Jahre 1998 eine entsprechende Ermächtigungsnorm hinsichtlich der Zusage ,freien Geleits‘), sieht sich in der jüngsten Vergangenheit jedoch aufgrund der Statuierung eines solchen Rechtsinstituts bspw. in der Schweiz im Jahre 2003 und in Großbritannien im Jahre 2008 in aufsteigender Tendenz. Der bisher noch geringe Zuspruch ist vor allem auch aus Sicht der entleihenden Institutionen bedauerlich, da die Möglichkeit der gerichtlichen Intervention im kulturellen Aufnahmestaat ein beträchtliches Risiko für das jeweilige Museum darstellt, da ein solcher Verlust eines Gemäldes nicht versicherbar ist.169 „None of these possibilities is, however, likely to afford much reassurance to the borrower. The prospect of emerging victorious from protracted litigation over another person’s property is rather less appetising than the prospect of avoiding such litigation outright. The loss of the object in consequence of legal proceedings is not compensable under (for example) the United Kingdom Indemnity Scheme or the standard fine art insurance policy. Any borrower conducted investigation of the claimant’s title is likely to be costly and inconclusive, while any decision to opt for one claimant over another is likely to be hazardous. Nor is a museum likely to be much consoled by the possibility of taking interpleader proceedings, with the object of retiring from the contest and leaving rival claimants to settle matters between themselves. Such a gambit, though useful in commercial disputes, may impair both the continuity of the exhibition and the borrower’s relations with the lender.“170
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Die Unmöglichkeit entleihender Institutionen kultureller Aufnahmestaaten, die leihgebenden Museen und Privatpersonen im Ausland mit einer rechtswirksamen und gerichtlich unanfechtbaren Garantie der Rückführung der verliehenen Kunstwerke in den kulturellen Entsendestaat auszustatten, hindert zukünftige Leihgaben. Aufgrund der rechtlich zu diesem Zeitpunkt in Frankreich noch nicht existenten Möglichkeit der Unpfändbarkeit geliehener Kulturgüter konnten zwei Gemälde Monets aus einer ausländischen Privatsammlung nicht die Ausstellung ‚Cathedrals‘ des Musée des Beaux-Arts in Rouen im Jahre 1994 vervollständigen.171 So hat auch ein vermutlich privater Sammler aus Liechtenstein zwei Gemälde Pierre Bonnards, die im Jahre 1998 für eine Retrospektive des Museums of Modern Art nach New York ausgeliehen werden sollten, zurückgezogen.172
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Vgl. ausführlich hierzu 2, 17 ff. Vgl. ausführlich hierzu 2, 143 ff. Vgl. Palmer, Art Loans, 1997, S. 109–110. Palmer, Art Loans, 1997, S. 101–103. Vgl. Palmer, Art Loans, 1997, S. 101–103. FAZ, Artikel vom 5.5.1998.
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I. 96
Die Vereinigten Staaten von Amerika übernahmen innerhalb des Schutzes des intermusealen und internationalen Leihverkehrs kultureller Güter die Vorreiterrolle im Recht des internationalen Kulturgüterschutzes und erließen bereits im Jahre 1965 den Immunity from Seizure Act.173 In unterschiedlicher Reichweite bestehen darüber hinaus auch in einigen Bundesstaaten Amerikas, in Kanada und neuerdings auch innerhalb der Rechtsordnung Großbritanniens sog. ‚anti seizure-statutes‘.174
1. 97
Common Law-Ursprünge der sog. ‚anti seizure-statutes‘
Immunity from Seizure Act aus dem Jahre 1965
Ziel war die Förderung des internationalen Kulturgüteraustauschs durch eine Festschreibung einer Staatsgarantie hinsichtlich der Rückführung der entliehenen Kulturgüter an den Leihgeber. Bis 1999 wurden 80 sog. Immunities gewährt.175 Mit dem Immunity from Seizure Act war die Statuierung einer verlässlichen und vorhersehbaren Regelung für Museen bezweckt, die nicht auf die unsichere Abgrenzung zwischen hoheitlichem und kommerziellem Handeln der ‚allgemeinen‘ Immunitätsgewährung bei der Leihgabe ausländischer Museen und kultureller Institutionen öffentlicher Trägerschaft angewiesen war. Zusätzlich intendierte der Gesetzgeber mit Erlass einer sog. ‚anti seizure-statute‘, den temporären Zufluss kultureller Güter auf das Territorium der Vereinigten Staaten erhöhen zu können und bot mit der kulturellen Immunitätsregelung potenziell leihgebenden Sammlungen eine zusätzliche Sicherheit zur Beteiligung an internationalen Ausstellungen in Amerika.176
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Immunity from Seizure Statute: 22 U.S.C. § 2549, Quelle: Palmer, Art Loans, 1997, S. 565– 568. Vgl. auch Noonan, Immunity from Seizure, in: Gibbon, Who Owns the Past? – Cultural Policy, Cultural Property, and the Law, 2005, S. 45–56; Hutt/Tarler, Yearbook of Cultural Property Law 2006, International Cultural Property, S. 91–110, S. 98–102. Vgl. ausführlich hierzu (jeweils mit einzelnen Länderberichten) Flynn/Knerly/Varah, Protecting the Integrity ofthe Loan Process and the Safety of Loaned Ojects, in: ALI-ABA, Legal Issues in Museum Administration, April 1–3, 2009, Boston, course of study materials, S. 233–254; Knerly/Gest, International Loans: State Immunity and Anti-Seizure Laws, in: ALI-ABA, Legal Issues in Museum Administration, April 1–3, 2009, Boston, course of study materials, S. 255–272; Boos, Kulturgut als Gegenstand des grenzüberschreitenden Leihverkehrs, 2006, S. 2280–290; Noonan, Immunity from Seizure, in: Gibbon, Who Owns the Past? – Cultural Policy, Cultural Property, and the Law, 2005, S. 45–56. Gleave, To lend or not to lend – the Risks, ARTL 4 (1999) S. 383–386, S. 385. Palmer, Art Loans, 1997, S. 16; Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 9–10.
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183
Anwendungsbereich
Innerhalb des Anwendungsbereichs des Immunity from Seizure Act sind sehr unterschiedliche Situationen denkbar, in denen eine Immunität vorübergehend auf das Territorium der Vereinigten Staaten transferierter Kulturgüter nützlich erscheint. In ihren Ausführungen zum internationalen Leihverkehr kultureller Güter beschreibt Kühl so verschiedene tatsächliche Fälle, nach denen Kunstwerke, die sich zeitweilig in den Vereinigten Staaten befinden, beschlagnahmt oder zurückgehalten werden können. Erwägungen hinsichtlich der Motivation der gerichtlichen Sicherung kultureller Güter sind die Begründung eines genehmen Vermögensgerichtsstandes (d.h. einer Jurisdiktion in rem), die Beantragung eines sog. arrest zur Vollstreckung aus einem künftigen Urteil (prejudgment attachment), die Erwirkung einer einstweiligen Verfügung (injunction), um das Werk zur Durchführung eines Hauptsacheverfahrens innerhalb der amerikanischen Jurisdiktion zu sichern, und die Zurückhaltung des entliehenen Kulturguts aufgrund außenpolitischer Spannungen seitens der Exekutive. Darüber hinaus ist es auch denkbar, dass Transportunternehmen versuchen könnten, Werke zurückzuhalten, um eigene Ansprüche gegen das leihnehmende Museum geltend zu machen.177
98
Immunity from Seizure Statute: Title 22 U.S.C. Foreign Relations and Intercourse – Chapter 33: Mutual Educational and Cultural Exchange Programm: Sec. 2459. Immunity from seizure under judicial process of cultural objects imported for temporary exhibition or display (a) Agreements; Presidential determination; publication in Federal Register: Whenever any work of art or other object of cultural significance is imported into the United States from any foreign country, pursuant to an agreement entered into between the foreign owner or custodian thereof and the United States or one or more cultural or educational institutions within the United States providing for the temporary exhibition or display thereof within the United States at any cultural exhibition, assembly, activity, or festival administered, operated, or sponsored, without profit, by any such cultural or educational institution, no court of the United States, any State, the District of Columbia, or any territory or possession of the United States may issue or enforce any judicial process, or enter any judgment, decree, or order, for the purpose or having the effect of depriving such institution, or any carrier engaged in transporting such work or object within the United States, of custody or control of such object if before the importation of such object the President or his designee has determined that such object is of cultural significance and that the temporary exhibition or display thereof within the United States is in the national interest, and a notice to that effect has been published in the Federal Register. (b) Intervention of United States attorney in pending judicial proceedings: If in any judicial proceeding in any such court any such process, judgment, decree, or order is sought, issued, or entered, the United States attorney for the judicial district within which such proceeding is pending shall be entitled as of right to intervene as a party to
99
177
Vgl. Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 11–14, unter Verweis auf Zerbe, Immunity from Seizure for Artworks on Loan to United States Museums, Nortwestern Journal of International Law & Business 6 (1984–1985), S. 1121–1145, S. 1129.
184
2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht that proceeding, and upon request made by either the institution adversely affected, or upon direction by the Attorney General if the United States is adversely affected, shall apply to such court for the denial, quashing, or vacating thereof. (c) Enforcement of agreements and obligations of carriers under transportation contracts: Nothing contained in this section shall preclude (1) any judicial action for or in aid of the enforcement of the terms of any such agreement or the enforcement of the obligation of any carrier under any contract for the transportation of any such object of cultural significance; or (2) the institution or prosecution by or on behalf of any such institution or the United States of any action for or in aid of the fulfillment of any obligation assumed by such institution or the United States pursuant to any such agreement.
100
Der dingliche Anwendungsbereich des Immunity from Seizure Act aus dem Jahre 1965 erstreckt sich ausweislich des § 2459 (a) auf „any work of art or other object of cultural significance“. Dabei wird in der amerikanischen Praxis von einer extensiven Anwendung der vom Schutzbereich erfassten Objekte auszugehen sein und jedes kulturell erhebliche Gut ist unter den dinglichen Anwendungsbereich zu subsumieren.178 Bei der Beurteilung dieser beiden Voraussetzungen sollte somit in einem Verfahren großzügig vorgegangen werden, da die Gewährung der Immunität häufig als staatliche Unterstützung für die Ausstellung gesehen wird.179 Der personale Anwendungsbereich des Immunity from Seizure Act aus dem Jahre 1965 erstreckt sich ausweislich des § 2459 (a) sowohl auf staatliche wie private Leihgeber.180 Dies ist nicht nur kulturpolitisch sinnvoll, da zahlreiche bedeutende Kunstgegenstände sich nicht nur in den Beständen von Museen, sondern gerade auch in privaten Sammlungen befinden, die zur Vervollständigung internationaler Ausstellungen dienlich sind. Darüber hinaus stellt es gerade auch eine Eigenheit der europäischen Museenlandschaft dar, dass diese weitestgehend in öffentlicher Trägerschaft geführt wird, während in zahlreichen anderen Staaten, ebenso wie in den Vereinigten Staaten von Amerika, die überwiegende Zahl der kulturellen Institutionen in privater Trägerschaft ausgestaltet ist. Örtlich erfasst sind allein internationale Sachverhalte181, sodass ein nur inneramerikanischer Transfer kultureller Güter aufgrund eines Leihvertrages nicht zu einer Immunität führen kann.182 Das Kulturgut muss ausweislich des § 2459 (a) aus einem ausländischen Staat aufgrund eines Leihvertrages (d.h.
178
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182
Zerbe, Immunity from Seizure for Artworks on Loan to United States Museums, Nortwestern Journal of International Law & Business 6 (1984–1985), S. 1121–1145, macht auf S. 1136 auf das Beispiel der Anwendung des Immunity from Seizure Act aus dem Jahre 1965 auf einen Bugatti aufmerksam. Vgl. Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 11–14, unter Verweis auf Zerbe, Immunity from Seizure for Artworks on Loan to United States Museums, Nortwestern Journal of International Law & Business 6 (1984–1985), S. 1121–1145, S. 1136. Vgl. Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 11–14. Palmer, Art Loans, 1997, S. 110–111: „It will be seen that the 1965 statute is confined to loans into the United States from overseas countries.“. Vgl. Prott/O’Keefe, Law and the Cultural Heritage – Volume 3: Movement, 1989, Rdnr. 362.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
185
der temporalen Überlassung des Kulturguts) zwischen einem ausländischen Eigentümer oder Sachwalter als Leihgeber auf der einen Seite und den Vereinigten Staaten oder einer oder mehrerer kulturellen oder erzieherischen Institution(en) der Vereinigten Staaten von Amerika auf der anderen Seite auf das Territorium der Vereinigten Staaten von Amerika eingeführt worden sein.183 Ziel der temporalen Einführung muss die öffentliche Zurschaustellung des Kulturguts „at any cultural exhibition, assembly, activity, or festival“ sein, ohne dass die amerikanische Institution als kultureller Leihnehmer kommerzielle Absichten mit der Ausleihe verfolgt („without profit“). Die betreffende Ausstellung muss daher grundsätzlich ohne Gewinnerzielungsabsicht von der Einrichtung organisiert werden.184 Zusammen mit der wachsenden Popularität sog. ‚Blockbuster-Ausstellungen‘ bildete sich jedoch eine weite Auslegung der Voraussetzung einer Ausstellung ohne Gewinnerzielungsabsicht bei der Entscheidung über die Gewährung der Immunität aus und es wurde auch profitablen Ausstellungen eines ursprünglich non profit-Museums Immunität gewährt.185
b)
Voraussetzungen
Ist der Anwendungsbereich des § 2459 des Immunity from Seizure Act aus dem Jahre 1965 eröffnet, erfolgt eine Immunitätserklärung nur dann, wenn die zusätzlichen drei Voraussetzungen des Buchstabes (a) a.E. vorliegen. Vor dem Import des Kulturguts muss zunächst der Präsident oder sein Beauftragter bestimmt haben, dass das betreffende Objekt von kultureller Bedeutung ist und dass dessen temporäre Ausstellung oder Zurschaustellung auf dem Territorium der Vereinigten Staaten im öffentlichen Interesse liegt.186 Diese Voraussetzung der Erklärung eines öffentlichen Interesses wurde bspw. in dem Fall einer geplanten Ausstellung von Gegenständen aus der Hermitage aus St. Petersburg verweigert, nachdem Russland sechs Monate zuvor eine Invasion gegen Afghanistan gestartet hatte.187 Darüber hinaus muss vor der Einfuhr des mittels des Immunity from Seizure Act aus dem Jahre 1965 zu sichernden Kulturguts eine Mitteilung über die Immunitätserklärung und deren Rechtswirkung in dem Federal Register erfolgt sein. Die Executive Order (EO) 12047 vom 27. März 1978 delegiert diese Aufgabe der United States Information Agency zu, die die einzelnen formellen Verfahrensschritte zur Gewährung der kulturellen Immunität bestimmt.
183 184 185
186 187
Vgl. Palmer, Art Loans, 1997, S. 110–111. Vgl. Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 11–14. Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 11–14, unter Verweis auf Zerbe, Immunity from Seizure for Artworks on Loan to United States Museums, Nortwestern Journal of International Law & Business 6 (1984–1985), S. 1121–1145, S. 1140. Vgl. Palmer, Art Loans, 1997, S. 110–111. Vgl. Malaro, A Legal Primer on Managing Museum Collections, 1987, S. 206.
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
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Executive Order (EO) NO. 12047 vom 27. März 1978: IMPORTED OBJECTS OF CULTURAL SIGNIFICANCE188 Ex. Ord. No. 12047, Mar. 27, 1978. 43 F.R. 13359, as amended by Ex. Ord. No. 12388, Oct. 14, 1982. 47 F.R. 46245. provided: By virtue of the authority vested in me by the Act of October 19, 1965, entitled “An Act to render immune from seizure under judicial process certain objects of cultural significance imported into the United States for temporary display or exhibition, and for other purposes” (79 Stat. 985, 22 U.S.C. 2459), and as President of the United States of America, it is hereby ordered as follows: SECTION 1. The Director of the United States Information Agency is designated and empowered to perform the functions conferred upon the President by the above-mentioned Act and shall be deemed to be authorized, without the approval, ratification, or other action of the President, (1) to determine that any work of art or other object to be imported into the United States within the meaning of the Act is of cultural significance, (2) to determine that the temporary exhibition or display of any such work of art or other object in the United States is in the national interest, and (3) to cause public notices of the determinations referred to above to be published in the Federal Register. SEC. 2. The Director of the United States Information Agency, in carrying out this Order, shall consult with the Secretary of State with respect to the determination of national interest, and may consult with the Secretary of the Smithsonian Institution, the Director of the National Gallery of Art, and with such other officers and agencies of the Government as may be appropriate, with respect to the determination of cultural significance. SEC. 3. The Director of the United States Information Agency is authorized to delegate within the Agency the functions conferred upon him by this Order. SEC. 4. Executive Order No. 11312 of October 14, 1966 is revoked. SEC. 5. Any order, regulation, determination or other action which was in effect pursuant to the provisions of Executive Order No. 11312 shall remain in effect until changed pursuant to the authority provided in this Order. SEC. 6. This Order shall be effective on April 1, 1978. SECTION REFERRED TO IN OTHER SECTIONS This section is referred to in section 2611 of title 19.
103
Das importierende Museum muss einen formlosen Antrag an die United States Information Agency (USIA) richten mit der Beschreibung der Objekte und der Angabe des Wertes, einer Einschätzung der kulturellen Bedeutung, den geplanten Ausstellungsorten, einer Kopie des Leihvertrages und der Versicherung, dass das ausstellende Museum eine non profit-Organisation darstellt.189 Außerdem muss der Antrag eine Begründung enthalten, warum die Gewährung der Immunität begehrt wird.190 In der Executive Order (EO) 12047 vom 27. März 1978 werden zunächst die Voraussetzungen des § 2459 des Immunity from Seizure Act aus dem Jahre 1965 wiederholt und hinsichtlich der Prüfung wird bestimmt, dass die Leihgabe von „cultural significance“ und der zeitweilige Aufenthalt auf dem Territorium der Vereinigten Staaten von Amerika „of national interest“ sein
188 189 190
Quelle: Palmer, Art Loans, 1997, S. 565–568. Vgl. Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 11–14. Vgl. Zerbe, Immunity from Seizure for Artworks on Loan to United States Museums, Nortwestern Journal of International Law & Business 6 (1984–1985), S. 1121–1145, S. 1135 f.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
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muss und die Ausstellung keine „commercial venture“ sein darf.191 Seit dem aus New York bekannten Schiele-Fall192 muss schließlich die leihnehmende kulturelle Institution versichern, dass Untersuchungen bezüglich der Provenienz des jeweiligen Objektes seitens dieser Institution durchgeführt wurden und dem Leihnehmer dürfen keine Herausgabeansprüche Dritter bekannt sein.193 Die United States Information Agency veröffentlicht im Anschluss eine positive Immunitäts-Entscheidung im Federal Register unter Angabe der Ausstellungsdaten,194 während die Verweigerung der Immunity nicht veröffentlicht wird. Gegen die Nicht-Gewährung der Immunität bestehen keine Rechtsmittel.195
c)
Reichweite
Ist der Anwendungsbereich des Immunity from Seizure Act aus dem Jahre 1965 eröffnet, liegen sämtliche materiellen und formellen Voraussetzungen des § 2459 und der Executive Order (EO) 12047 vom 27. März 1978 vor und hat die United States Information Agency die Entscheidung zur Erteilung der Immunität innerhalb des Federal Register veröffentlicht, sind ausländische Leihgaben immun gegen jegliche Art von gerichtlichen Verfahren (judicial process), Urteilen ( judgment), Erlassen (decree) und Verfügungen (order).196 „Where an object so qualifies and satisfies the relevant conditions, no court of the United States or of any state or of the District of Columbia or of any territory or possession of the United States may issue or enforce any judicial process, or enter any judgment, decree or order, for the purpose or having the effect of depriving certain classes of institution of custody or control of the object. The institutions referred to are cultural or educational institutions within the United States. The same prohibition on deprivation applies to any carrier engaged in transporting the work of art or object of cultural significance within the United States.“197 Im Einzelnen sind die Leihgaben geschützt vor einem Arrest zur Vollstreckung aus einem künftigen Urteil ( prejudgment attachment) und einem bereits ergangenen Urteil (post judgment attachment) sowie vor einer einstweiligen Verfügung (injunction) 198, es
191 192 193
194
195
196 197 198
Vgl. Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 11–14. Vgl. ausführlich hierzu sogleich 2, 113 ff. Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 11–14; Kowalczyk, Section 12.03 of the New York Arts and Cultural Affairs Law, International Journal of Cultural Property, 10 (2001) S. 95–121, S. 106. Zerbe, Immunity from Seizure for Artworks on Loan to United States Museums, Nortwestern Journal of International Law & Business 6 (1984–1985), S. 1121–1145, S. 1135. Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 11–14, unter Berufung auf Zerbe, Immunity from Seizure for Artworks on Loan to United States Museums, Nortwestern Journal of International Law & Business 6 (1984–1985), S. 1121–1145, S. 1141. Vgl. Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 11–14. Vgl. Palmer, Art Loans, 1997, S. 110–111. Vgl. Zerbe, Immunity from Seizure for Artworks on Loan to United States Museums, Nortwestern Journal of International Law & Business 6 (1984–1985), S. 1121–1145, S. 1134.
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
sei denn, dass die Leihgaben durch Verletzung des Völkerrechts erlangt wurden.199 105
Vom Schutzumfang nicht erfasst sind Verfügungen des Präsidenten, die ohne parlamentarische Zustimmung gültig und nicht den Bereich der Justiz betreffen,200 sowie sog. executive order, weil diese keine Instrumente der Justiz, sondern der Verwaltung sind.201 Zu beachten ist, dass in solchen Fallkonstellationen, in denen der Immunity from Seizure Act aus dem Jahre 1965 Anwendung findet, der Convention on Cultural Property Implementation Act aus dem Jahre 1983 als inneramerikanische Umsetzung der UNESCO-Convention on the Means of Prohibiting and Preventing the Illicit Import, Export and Transfer of Ownership of Cultural Property vom 14. November 1970 diesbezüglich verdrängt wird und keine Anwendung zu erfahren hat.202
(1) 106
Delocque-Fourcaud v. Los Angeles County Museum of Art aus dem Jahre 2003
Die Rechtssache Delocque-Fourcaud v. Los Angeles County Museum of Art aus dem Jahre 2003 203 ist – soweit ersichtlich – die erste Gerichtsentscheidung, die sich mit dem Federal Immunity from Seizure Act, 22 U.S.C. § 2459 hinsichtlich kultureller Wertgegenstände zu beschäftigen hatte. Der klagende Andre Marc Delocque-Fourcaud, der Enkel und Erbe des zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach der Oktoberrevolution in Russland enteigneten Privatsammlers Sergei Ivanovich Shchukin, versuchte einen Zugriff auf die Werke des staatlichen Pushkin-Museum Moskau, als sich 26 Objekte aus dieser Sammlung für die Ausstellung „Old Masters, Impressionists, and Moderns: French Masterpieces from the State Pushkin Museum, Moscow“, darunter Werke von van Gogh, Picasso und Degas, im Los Angeles County Museum of Art befanden (nachdem diese zuvor im Museum of Fine Arts in Houston und im High Museum in Atlanta ausgestellt worden waren). Er begründete dies mit der Rechtswidrigkeit der Verstaatlichung der Kunstwerke aus der Hand seines Großvaters. Das Los Angeles County Museum
199
200 201
202 203
Vgl. Zerbe, Immunity from Seizure for Artworks on Loan to United States Museums, Nortwestern Journal of International Law & Business 6 (1984–1985), S. 1121–1145, S. 1132, zitiert bei Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 11–14. Vgl. Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 11–14. Zerbe, Immunity from Seizure for Artworks on Loan to United States Museums, Nortwestern Journal of International Law & Business 6 (1984–1985), S. 1121–1145, S. 1132 f. Vgl. Palmer, Art Loans, 1997, S. 110–111. Delocque-Fourcaud v. Los Angeles County Museum of Art, No. 03-5027 (C.D. Cal. filed July 15, 2003) (voluntary dismissal). Vgl. hierzu The Art Newspaper, November 2004, 1, 6; Noonen, Immunity from Seizure, in: Gibbon, Who Owns the Past? Cultural Policy, Cultural Property, and the Law, 2006, S. 45 ff., S. 50–51; Schönenberger, Restitution von Kulturgut, 2009, S. 161.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
189
of Art und die Vereinigten Staaten von Amerika beantragten die Abweisung der Kunstrestitutionsklage und beriefen sich darauf, dass das Museum of Fine Arts in Houston eine rechtswirksame Immunitätserklärung für die Objekte beantragt und auch erhalten habe, sodass ein Verfahren schon als unzulässig zu qualifizieren sein müsse. Tatsächlich hatte das Museum of Fine Arts in Houston schon vor Ankunft der Sammlung auf dem Territorium der Vereinigten Staaten beim State Department nach dem Immunity from Seizure Act, 22 U.S.C. § 2459, die Immunität beantragt, die vom State Department erteilt und in dem Federal Register vom 30. August 2002 veröffentlicht wurde. (s. Abb. 19) Delocque-Fourcaud strengte dabei vor dem US District Court (Central District of California) den Erlass einer einstweiligen Verfügung an, dass die Gemälde nicht ausgestellt werden dürften und nicht immun gegen eine Beschlagnahmeanordnung seien, da diese im Zuge der russischen Oktoberrevolution im Jahre 1917 rechtswidrig verstaatlicht worden waren. Außerdem beinhaltete die Klage den Vorwurf gegenüber dem Museum, gestohlene Wertgegenstände in Empfang genommen zu haben, und einen Anspruch auf Schadensersatz und Herausgabe des gesamten Erlöses der Ausstellung. Dabei widersprach Delocque-Fourcaud der Immunitätserklärung der Gemälde seitens des amerikanischen State Department, das die Eigentumsansprüche der Nachfolger des enteigneten russischen Privatsammlers Sergei Ivanovich Shchukin missachtet habe. Der Antrag des Museum of Fine Arts in Houston habe zu Unrecht nicht die Eigentumsposition des Klägers gegenüber dem State Department offengelegt, sodass die Immunitätsgarantie rechtswidrig sei. Dies wiederum hätte zur Folge, dass die Museen durch den Empfang und das Zurückhalten gleichsam „gestohlener“ Kulturgüter den California Penal Code § 496 (a) verletzt hätten, sodass dem Kläger nach Section 496 (c) Ansprüche auf Schadensersatz, Rückführung der Objekte und Herausgabe sämtlicher Erlöse aus der Ausstellung der Kunstwerke zustünden. (s. Abb. 20)
107
Das Museum wehrte sich seinerseits gerichtlich gegen die einstweilige Verfügung im August 2003 und verlangte Schadensersatz aufgrund der gerichtlichen Verfolgung eines von Anfang an aussichtslosen Verfahrens gegen das Museum, da die Immunitätserklärung des § 2459 jegliche Klagen gegen das Museum ausschließe. Das beklagte Museum verteidigte sich außerdem damit, dass der Anspruch des Klägers mit der amerikanischen Außenpolitik konfligiere und dass jegliche Ansprüche des Klägers aufgrund der mehr als 85-jährigen Zeitspanne zwischen dem unrechtmäßigen Entziehungsakt und der Klage inzwischen temporal nach California Civ. Proc. Code § 338 präkludiert sein müssten. Diesen Gründen traten die Vereinigten Staaten als „defendant-in-intervention“ bei und beantragten ebenfalls die Abweisung der Klage: Das Los Angeles County Museum of Art habe sämtliche Voraussetzungen einer Immunitätszusage nach § 2459 erfüllt. Schließlich kam es jedoch zu keinem Urteilsspruch, da sich die Verfahrensbeteiligten außergerichtlich einigten, ohne dass eines der Werke restituiert oder Schadensersatz seitens des Museums gezahlt wurde. (s. Abb. 21)
108
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
(2)
Grenzen der Sachimmunität kultureller Güter in Leonard Malewicz et al. v. City of Amsterdam
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Eine de facto-Einschränkung der Reichweite der Sachimmunität kultureller Güter ist jedoch seit der voranstehend ausführlich analysierten204 Entscheidung Leonard Malewicz et al. v. City of Amsterdam bekannt.205 Dort wurde nämlich die Sachimmunität kultureller Güter nach § 2459 des Immunity from Seizure Act aus dem Jahre 1965 mittels der expropriation exception des § 1605 (a) (3) des Federal Sovereign Immunities Act unterlaufen. Da die Gemälde eine sachliche Immunität aufgrund einer bundesgesetzlichen Rückgabegarantie genossen206, konnte keine Beschlagnahme auf amerikanischem Territorium erfolgen. Da die Bestimmungen zum Freien Geleit internationaler Kunstwerke in New York jedoch lediglich vor einer Beschlagnahme, nicht aber vor der Gerichtspflichtigkeit des Verleihers selbst schützen, war auch in der vorliegenden Konstellation im Rahmen des Verfahrens zu prüfen, ob sich die Stadt Amsterdam auf die Grundsätze der Staatenimmunität i.S.d. Federal Sovereign Immunities Act berufen kann oder ob hier nicht die expropriation exception des § 1605 (a) (3) eingreift. (s. Abb. 22)
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Hier entschied das Gericht, dass zwar keine Beschlagnahme der 14 auf amerikanischem Territorium befindlichen Objekte aufgrund des § 2459 des Immunity from Seizure Act und der Rückgabezusage erfolgen durfte, dennoch wurde aufgrund einer Ausnahme von der allgemeinen Staatenimmunität entgegen der amerikanischen Rückgabezusage ein gerichtliches Verfahren gegen ein ausländisches Museum in öffentlicher Trägerschaft (der Stadt Amsterdam) zugelassen. Durch die expropriation exception des § 1605 (a) (3) kann somit eine so weitgehende Einschränkung der amerikanischen Rückgabezusage des Immunity from Seizure Act aus dem Jahre 1965 in 22 U.S.C. § 2459 und des Instituts des Freien Geleits für Kunstwerke einhergehen, dass dessen Schutz ausgehöhlt wird und ausländische Museen davon Abstand nehmen, ihre Objekte an amerikanische Institutionen zu verleihen. In dem sog. Statement of Interest of the United States des amerikanischen Department of State, das einem zur Entscheidung berufenen Gericht die entsprechende Rechtseinschätzung und die zugrundeliegenden Inte-
204 205
206
Vgl. ausführlich hierzu schon unter 2, 63 ff. Leonard Malevicz et al. v. City of Amsterdam, 362 F. Supp. 2d 298; 2005 U.S. Dist. LEXIS 5414 (D.D.C. 2005); reheard 517 F. Supp. 2d 322; 2007 U.S. Dist. LEXIS 46312 (D.D.C. 2007). Vgl. aus dem Schrifttum hierzu: Schönenberger, Restitution von Kulturgut, 2009, S. 230–238; Weller, Vergleich zwischen der Stadt Amsterdam und den Malevich-Erben, 30. April 2008, abrufbar unter www.ifkur.de; Caprio, Artwork, Cultural Heritage Property, and the Foreign Sovereign Immunities Act, International Journal of Cultural Property (IJCP) 2006, S. 285 ff., S. 292 f.; The Art Newspaper, Artikel vom Juni 2008, S. 18. Vgl. außerdem die Pressemitteilungen hierzu auf den Internetseiten der Klägervertreter unter www.herrick.com. Vgl. Caprio, Artwork, Cultural Heritage Property, and the Foreign Sovereign Immunities Act, International Journal of Cultural Property (IJCP) 2006, S. 285 ff., S. 292 f.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
191
ressen der Vereinigten Staaten von Amerika in der vorliegenden Entscheidung zur Kenntnis bringen soll, wurde die Bedeutung der kulturellen Sachimmunität betont:207 „The Protections of Section 2459 Play an Integral Role in Promoting Cultural Exchange: Section 2459 has long played and continues to play an integral role in fostering cultural exchange. In the past ten years, as indicated by a search of the Westlaw Federal Register database, the United States Information Agency and Department of State have published immunity notices under section 2459 for more than 600 exhibits. More than 900 such notices have been published since 1980. These notices encompass a wide variety of cultural objects displayed at temporary exhibitions throughout the country. The past ten notices alone, for example, have addressed cultural objects to be displayed at 17 different museums in 11 different cities.208 As stated supra, these notices reflect the determinations of the Department of State that the imported objects were of “cultural significance” and that the exhibitions were “in the national interest.” Congress‘ stated purpose in enacting section 2459 was “to encourage the exhibition in the United States of objects of cultural significance which, in the absence of assurances such as are contained in the legislation, would not be made available.” … The immunity provided by section 2459 thus addressed the threat to cultural exchange posed by the increased vulnerability to lawsuits of foreign artwork on temporary loan to this country’s cultural institutions. Indeed, at the time of the enactment of section 2459, an exchange was
207
208
„Pursuant to 28 U.S.C. § 517 [The Solicitor General, or any officer of the Department of Justice, may be sent by the Attorney General to any State or district in the United States to attend to the interests of the United States in a suit pending in a court of the United States, or in a court of a State, or to attend to any other interest of the United States.“ 28 U.S.C. § 517.] the United States respectfully submits this Statement of Interest to attend to its interests in connection with this action. The United States hereby addresses the implications of plaintiffs’ claims for the Mutual Educational and Cultural Exchange Program administered by the Department of State and established by Congress pursuant to Title 22 Chapter 33 of the United States Code.“. Vgl. http://www.state.gov/s/l/2004/78110.htm. „See 69 Fed. Reg. 70747-02, December 7, 2004 („Tall Trees at the Jas de Bouffan“, J. Paul Getty Museum, Los Angeles); 69 Fed. Reg. 70747-01, December 7, 2004 („Rembrandt’s Late Religious Portraits,“ National Gallery of Art, Washington. D.C., J. Paul Getty Museum, Los Angeles); 69 Fed. Reg. 70746-01, December 7, 2004 („AndrE KertEsz,“ National Gallery of Art, Washington, D.C., J. Paul Getty Museum, Los Angeles); 69 Fed. Reg. 69009, November 26, 2004 („Raphael’s La Fornarina,“ Frick Collection, New York, the Museum of Fine Arts, Houston, the Indianapolis Museum of Art); 69 Fed. Reg. 68436-02, November 24, 2004 („In the Russian Tradition: A Historic Collection of 20’ Century Russian Paintings,“ Smithsonian Institution S. Dillon Ripley Center International Gallery, Washington, D.C., Museum of Russian Art, Minneapolis, Minnesota); 69 Fed. Reg. 65491-02, November 12, 2004 („Saint John the Baptist“ and „Saint Onuphrius,“ Metropolitan Museum of Art, New York); 69 Fed. Reg. 64803-01, November 8, 2004 („Salvador Dali,“ Philadelphia Museum of Art); 69 Fed. Reg. 63566, November 2, 2004 („Retratos: 2,000 Years of Latin American Portraits,“ exhibitions at the El Museo del Barrio, New York City, the Bass Museum of Art in Miami Beach, Florida, the National Portrait Gallery in Washington, D.C., and the San Antonio Museum of Art); 69 Fed. Reg. 62929, October 28, 2004 („Hero, Hawk, and Open Hand: American Indian Art of the Ancient Midwest and South,“ exhibitions at the Art Institute of Chicago, the Saint Louis Art Museum, and the Smithsonian Museum of Natural History, Washington, D.C.); 69 Fed. Reg. 62739-01, October 27, 2004 („Jacob van Ruisdael: Master of Landscape,“ exhibitions at the Los Angeles Country Museum of Art and the Philadelphia Museum of Art)“ Vgl. http://www.state.gov/s/l/2004/78110.htm.
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht pending between a Soviet Museum and the University of Richmond, and “[a]s a condition to the loan, the Soviets insisted on a grant of immunity from seizure as protection against former Soviet citizens who had valid claims to the title of the works.” Rodney M. Zerbe, Immunity from Seizure for Artworks on Loan to United States Museums, 6 NW. J. Intl L. & Bus. 1121 n.21 (1985).“ 3. Permitting Jurisdiction Based Solely Upon an Immunized Exhibition Threatens the Cultural Benefits Provided By Section 2459: “As the foregoing reflects, the cultural benefits of section 2459 depend upon providing a sufficient level of assurance to foreign lenders that participating in an immunized exhibit will not expose them or their artwork to litigation in the United States. In this case, for example, the City asserts that it relied upon this grant of immunity in making the works available. See 68 Fed. Reg. 17852-01, April 11, 2003; Def. Mem. at 5. The United States is thus concerned that permitting jurisdiction over a foreign state in such cases threatens to undermine significantly the interests that section 2459 was designed to foster and to create friction in U.S. relations with other countries.” 209
112
Im Ergebnis wurde der kulturelle Sachimmunitätsschutz aufgrund der expropriation exception des § 1605 (a) (3) nicht gewährt. Das Schrifttum sieht den Ausgang des Verfahrens Leonard Malevicz et al. v. City of Amsterdam entsprechend der Ansicht des amerikanischen Department of State eher kritisch. Tatsächlich ist dem Urteil vorzuwerfen, das Bedürfnis und die kultur- und gesellschaftspolitische Bedeutung eines weitestgehend ungehinderten Austauschs kultureller Wertgegentände im internationalen Leihverkehr nicht hinreichend gewürdigt zu haben, „da Vorgänge, die bei internationalen Leihgaben von Kunstwerken üblich sind, bereits als kommerzielle Aktivität gewertet werden.“210 Nach langen Auseinandersetzungen zwischen der Stadt Amsterdam als Trägerin des Stedelijk Museums und den Erben von Kasimir Malevicz haben die Parteien schließlich im Jahre 2008 außergerichtlich einen Vergleich erzielt, wonach von den ursprünglich insgesamt 84 Werken fünf den Malewicz-Erben zustehen sollen, während die übrigen 79 Gemälde der Stadt Amsterdam verbleiben, welche sie ihrerseits dem Stedelijk Museum als Langzeitleihgabe zur Verfügung stellt.211
2. 113
Sec. 12.03 des New York Arts and Cultural Affairs Law und Schiele-Fall
Neben der Festschreibung der Immunität kultureller Güter im Leihverkehr auf Bundesebene in dem Immunity from Seizure Act aus dem Jahre 1965 gibt es weitere Immunitätsbestimmungen in den einzelnen amerikanischen Bundesstaaten.212 Insoweit entspricht es gesicherter Rechtserkenntnis sowohl in Lehre213 209 210 211 212 213
Vgl. http://www.state.gov/s/l/2004/78110.htm. So Schönenberger, Restitution von Kulturgut, 2009, S. 230–238. Vgl. hierzu The Art Newspaper, Artikel vom Juni 2008, S. 18. Vgl. Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 11–14. Vgl. Kowalczyk, Section 12.03 of the New York Arts and Cultural Affairs Law, International Journal of Cultural Property, 10 (2001) S. 95–121, S. 97–99; Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 11–14; Weller, International Ownership Disputes over Stolen
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
193
und Rechtsprechung214, dass die Existenz einer Immunitätsregelung auf Bundesebene der Anwendung von Immunitätstatbeständen innerhalb der amerikanischen Bundesstaaten nicht entgegensteht. Besondere judikative Bedeutung und großes öffentliches Interesse über die Landesgrenzen der Vereinigten Staaten von Amerika hinaus erlangte dabei Sec. 12.03 des New York Arts and Cultural Affairs Law.215 1984 Exemption from Seizure Statute, L.1984, c.849 §1, effective 31 December 1984 (Sec. 12.03 des New York Arts and Cultural Affairs Law) 216 No process of attachment, execution, sequestration, replevin, distress or any kind of seizure shall be served or levied upon any work of fine art while the same is enroute to or form, or while on exhibition or deposited by a nonresident exhibitor at any exhibition held under the auspices or supervision of any museum, college, university or other nonprofit art gallery, institution or organization within any city or county of this state for any cultural, educational, charitable or other purpose not conducted for profit to the exhibitor, nor shall such work of fine art be subject to attachment, seizure, levy or sale, for any cause whatever in the hands of the authorities of such exhibition or otherwise.
a)
Anwendungsbereich
Im Unterschied zu der Regelung auf Bundesebene ist der sachliche Anwendungsbereich von Sec. 12.03 des New York Arts and Cultural Affairs Law restriktiver ausgestaltet und beschränkt sich auf „a work of fine art“ im Gegensatz zu „any work of art or other object of cultural significance“, sodass ein großer Bereich kultureller Wertgegenstände bereits a priori vom Anwendungsbereich ausgeschlossen ist.217 Andererseits ist jedoch der örtliche Anwendungsbereich von Sec. 12.03 des New York Arts and Cultural Affairs Law weiter als der des Immunity from Seizure Act aus dem Jahre 1965, da auch inneramerikanische Leihgeschäfte erfasst werden (sog. interstate loans).218 Besondere Hervorhebung verdient jedoch die Tatsache, dass die Immunität nach Sec. 12.03 im Gegensatz zu der formellen Ausgestaltung des Immunity from Seizure Act unabhängig von einem speziellen Antrags- und Genehmigungsverfahren gewährt wird, sodass ein
214
215
216 217 218
114
Artworks in New York: Litigating about Jurisdiction on the Civil-Criminal Line, IPRax 1999, S. 212–216, S. 215. In the Matter of the Application to Quash Grand Jury Subpoena Duces Tecum Served on the Museum of Modern Art, 677 N.Y.S.2d, S. 881–883. Vgl. ausführlich hierzu (jeweils mit einzelnen Länderberichten) Flynn/Knerly/Varah, Protecting the Integrity ofthe Loan Process and the Safety of Loaned Ojects, in: ALI-ABA, Legal Issues in Museum Administration, April 1–3, 2009, Boston, course of study materials, S. 233–254; Knerly/Gest, International Loans: State Immunity and Anti-Seizure Laws, in: ALI-ABA, Legal Issues in Museum Administration, April 1–3, 2009, Boston, course of study materials, S. 255–272; Weller, International Ownership Disputes over Stolen Artorks in New York: Litigating about Jurisdiction on the Civil-Criminal Line, IPRax 1999, S. 212– 216. Quelle: Palmer, Art Loans, 1997, S. 565–568. Vgl. Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 11–14. Vgl. Palmer, Art Loans, 1997, S. 110–111.
115
194
2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
Schutz des Leihobjektes automatisch, d.h. ohne vorherige behördliche Feststellung erfolgt.219 Bis ins Jahr 1998 sahen aufgrund des vereinfachten formellen Verfahrens nach Sec. 12.03 die in New York ansässigen Museen in der Mehrzahl der Fälle der Leihe von Gemälden keine Veranlassung dazu, die zeitaufwändigen Formalitäten für die Immunity auf Bundesebene zu erfüllen, sondern verließen sich auf den Schutz für kulturelle Leihgaben nach der New Yorker Regelung.220
b) 116
Reichweite nach Sec. 12.03: United States of America v. Portrait of Wally
Im April 2000 sah sich der Gesetzgeber des Bundesstaates New York jedoch dazu gezwungen, den Schutzumfang von Sec. 12.03 des New York Arts and Cultural Affairs Law hinsichtlich der Immunität entliehener Kunstwerke allein auf zivilrechtliche Streitigkeiten zu begrenzen. Vor dieser Rechtsänderung hatte der New York Court of Appeals in der Rechtssache United States of America v. Portrait of Wally, A Painting by Egon Schiele, dem allgemein sog. Schiele-Fall,221 angenommen, dass Sec. 12.03 des New York Arts and Cultural Affairs Law Immunität entliehener Kulturgüter sowohl in zivil- als auch strafrechtlichen Verfahren gewährte. Während die genannte Entscheidung heute aufgrund der erfolgten Rechtsänderung nur noch marginale Bedeutung für die Immunität von Leihgaben an New Yorker Museen erlangt, kommt der Urteilsbegründung dennoch eine nicht zu unterschätzende Bedeutung in der Auslegung und Interpretation vergleichbarer Immunitätsregelungen in anderen Staaten zu, die ähnlich unpräzise nur eine Immunität anordnen, ohne genau darzulegen, ob auch strafrechtliche Verfahren oder allein die Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche unter Einbeziehung des entliehenen Kunstwerkes ausgeschlossen sind. Der sog. Schiele-Fall stellte die gerichtliche Beschlagnahme zweier Gemälde des österreichischen Impressionisten Egon Schiele in den Mittelpunkt der Entscheidung.222 Der Sequestration war ein Artikel in der New York Times vom 24. De219
220
221
222
Vgl. Zerbe, Immunity from Seizure for Artworks on Loan to United States Museums, Nortwestern Journal of International Law & Business 6 (1984–1985), S. 1121–1145, S. 1143; Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 11–14. Vgl. Phelan, Cultural property, The International Lawyer 33 (1999) S. 443–448, S. 446; Weller, International Ownership Disputes over Stolen Artworks in New York: Litigating about Jurisdiction on the Civil-Criminal Line, IPRax 1999, S. 212–216, S. 215; Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 11–14. United States of America v. Portrait of Wally, A Painting by Egon Schiele, 2002 U.S. Dist. LEXIS 6445, 25 ff. (S.D.N.Y.). Vgl. ausführlich hierzu Bazyler, Holocaust Justice – The Battle for Restitution in America’s Courts, 2003, S. 202–269, S. 226–238; Clark, The Schiele Matter, in: Gibbon, Who Owns the Past? – Cultural Policy, Cultural Property, and the Law, 2005, S. 71–82; Doyal, Implementing the UNIDROIT Convention on Cultural Property into Domestic Law: The Case of Italy, Columbia Journal of Transnational Law 39 (2001), S. 657–700, S. 659; Kowalczyk, Section 12.03 of the New York Arts and Cultural Affairs Law: Civil by Association, International Journal of Cultural Property, 10 (2001) S. 95–121; Noonan, Immunity from Seizure,
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
195
zember 1997 über die Sammlung vorausgegangen, der sich auf Aussagen von Vorbesitzern stützte und Bilder ‚mit schwieriger Vergangenheit‘ anführte. (s. Abb. 23)
c)
Sachverhalt
Das Gemälde ‚Bildnis der Valerie Neuziel / Portrait of Wally‘ stand ursprünglich in Besitz und Eigentum von Lea Jaray Bondi, wurde während des Zweiten Weltkrieges von dem nationalsozialistischen Unrechtsregime rechtswidrig entzogen und ist heute bereits seit mehr als zehn Jahren Gegenstand eines Rechtsstreites, dessen Ende noch immer nicht abzusehen ist. Das im Jahre 1912 gefertigte Gemälde ging nach zweimaligem Eigentumswechsel in den Bestand von Lea Jaray Bondi, Inhaberin der Kunstgalerie Würthle, in Wien über. Im Zuge der nationalsozialistischen Arisierung der Galerie nach dem Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich im Jahre 1938223 kam der Kunsthändler Friedrich Welz (1903–1980) wohl aufgrund starker Ausübung von Zwang und unter Drohungsgebärden in den Besitz des Gemäldes, ohne dass der Hintergrund dieses Transfers endgültig aufgeklärt werden konnte, bevor die amerikanischen Besatzungsbehörden es bei ihm konfiszierten. Nach der Rückgabe der Galerie an Lea Jaray Bondi nach Ende des Zweiten Weltkrieges im Jahre 1945 stellte sich heraus, dass die österreichischen Restitutionsbehörden das vermeintlich aus dem Nachlass von Dr. Heinrich Rieger stammende ‚Bildnis der Valerie Neuziel / Portrait of Wally‘ fälschlicherweise an dessen im Ausland wohnhaften Erben restituiert hatten, ohne die Hinweise der amerikanischen Besatzungsbehörden zu beachten, beziehungsweise ohne die Widersprüche zu klären, die aus verschiedenen Angaben hervorgingen. Riegers Erben wussten nur, dass Dr. Heinrich Rieger zwar eine Porträtzeichnung von Egon Schiele besessen hatte, welche die Frau des Künstlers zeigte. Ihnen war jedoch nicht bewusst, dass es sich bei dem restituierten Gemälde nicht um diese Porträtzeichnung handeln konnte, da das ‚Bildnis der Valerie Neuziel / Portrait of Wally‘ erstens in Öl gemalt ist und zweitens
223
in: Gibbon, Who Owns the Past? – Cultural Policy, Cultural Property, and the Law, 2005, S. 45–56; Rathkolb, From ‘Legacy of Shame’ to New Debates over Nazi Looted Art, in: Bindenagel, Washington Conference on Holocaust-Era Assets. November 30–December 3 1998: Proceedings; US Government Printing Office, Department of State, 1999, S. 485–501, S. 497; Buomberger, Raubkunst – Kunstraub: die Schweiz und der Handel mit gestohlenen Kulturgütern zur Zeit des Zweiten Weltkriegs, 1998, S. 376–378; Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 11–14; Jayme, Das Freie Geleit für Kunstwerke, 2001, S. 8–10; Weller, International Ownership Disputes over Stolen Artworks in New York: Litigating about Jurisdiction on the Civil-Criminal Line, IPRax 1999, S. 212–216; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 26–29; Art, Heft 3/1998, S. 113; FAZ, Artikel vom 15.5.1998; Hughes, Hold Those Paintings, Time, Artikel vom 19.1.1998, S. 70; Der Standard, Affäre „Wally“: US-Gericht will Rudolf Leopold als Zeugen hören, Artikel vom 09. Juli 2006; Anderl/Caruso, NS-Kunstraub in Österreich und die Folgen, 2005. Vgl. ausführlich hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 1: Illegaler Kulturgüterverkehr, 4. Teil, Rdnr. 39 ff.
117
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
bereits 1912 entstand, d.h., lange bevor Schiele heiratete. Dennoch wurde das Gemälde den Erben von Dr. Heinrich Rieger ausgehändigt, deren Rechtsanwalt es im Jahr 1950 an die österreichische Galerie-Belvedere veräußerte. Der auf österreichische Werke der Moderne und insbesondere Werke von Schiele spezialisierte Kunstsammler Dr. Rudolf Leopold nahm 1954 das Gemälde aus der Galerie-Belvedere durch einen Tausch mit dem Egon Schiele-Gemälde ‚Rainerbub‘ in seinen eigenen Bestand auf und gliederte es in seine Sammlung ein, die zu einer der bedeutendsten ihrer Art anwuchs. Im Jahre 1994 wurde das ‚Bildnis der Valerie Neuziel / Portrait of Wally‘ durch Stiftung ins Leopold Museum eingebracht. Dr. Rudolf Leopold übereignete dabei mehr als 5.000 Gemälde seiner Sammlung der von ihm gemeinsam und mit Unterstützung der Republik Österreich und der Österreichischen Nationalbank im Jahr 1994 gegründeten Privatstiftung Leopold Museum. 118
Das zweite Schiele-Gemälde, ‚Tote Stadt III‘ 224, wurde aus dem Eigentum und Besitz von Fritz Grünbaum unrechtmäßig entzogen.225 „Fritz Grünbaum, ein populärer Kabarettist und Kunstsammler, wurde 1938 nach Dachau deportiert, wo er im eisigen Winter 1941 starb. Seine zweite Ehefrau Elisabeth verbrachten die Nazis 1942 nach Minsk; seither ist sie verschollen. Das Wiener Dorotheum inventarisierte 1938 Grünbaums Nachlass, der weit über hundert Gemälde, Zeichnungen, Aquarelle und Radierungen berühmter Künstler enthielt; dazu gehörte auch ‚Tote Stadt III‘, das mit 25 RM bewertet wurde. Den gesamten Nachlass bewertete das Dorotheum mit 5.791 RM. Grünbaum vermachte seinen Nachlass testamentarisch seiner zweiten Frau Elisabeth. Allerdings wurde das Testament bis heute nicht gefunden, obwohl es mindestens zweimal erwähnt wird (u.a. in
224
225
Vgl. Lillie, Was einmal war – Handbuch der enteigneten Kunstsammlungen Wiens, 2003, S. 429–434; Lillie, Spurensuche. Egon Schieles „Tote Stadt III“, in: Schweizer Monatshefte Nr. 03/04, S. 21–24; Cantz, Schiele & Roessler. Der Künstler und sein Förderer. Kunst und Networking im frühen 20. Jahrhundert, 2004; Natter, Die Welt von Klimt, Schiele und Kokoschka, 2003, S. 224–233; Arnbom/Wagner-Trenkwitz, Grüß mich Gott. Fritz Grünbaum Eine Biographie 1880–1941, 2005; Leopold, Rudolf Leopold – Kunstsammler, 2003, S. 92–95. Provenienz entsprechend den Angaben der Leopold Stiftung: „Vor 1918 Arthur Rössler (Ankauf beim Künstler); (1) Alfred Spitzer, (3.12.1861, Friedeck, Schlesien – 26.4.1923, Wien); (2) (1939) Franz Friedrich Grünbaum (Künstlername: Fritz Grünbaum), Wien (7.4.1880–14.1.1941); (3) 1941 Elisabeth Grünbaum, Wien, (28.4.1898–10.10.1942); [Elisabeth Grünbaum war gemäß eines Testaments, welches 1954 aus Anlass eines Antrags auf Todeserklärung vorgelegt wurde, Universalerbin von Franz Friedrich Grünbaum.] (4) Mathilde Lukacs, Wien, später (ab etwa 1946) Brüssel; Mathilde Lukacs geb. Herzl (30.9.1883–15.12.1979) war eine Schwester von Elisabeth Grünbaum, geb. Herzl.] 1956 Klipstein & Kornfeld, Bern (Ankauf von Mathilde Lukacs); (5) 1956 Otto Kallir, Galerie St. Etienne, New York (Ankauf von Klipstein & Kornfeld, Bern, Verkaufsausstellung, 8.9– 6.10.1956); 1958 Privatsammlung Rudolf Leopold, Wien (Tausch mit Otto Kallir, Galerie St. Etienne, New York); (6) 1994 Leopold Museum (Stiftung).“ Quelle: www.leopoldmuseum. org.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
der Todeserklärung von Elisabeth Grünbaum). Aufgrund der Erbfolge kann Mathilde Lukacs als Erbin von Elisabeth Grünbaum betrachtet werden, was allerdings Rita Reif bestreitet. Der Reif-Stamm beruft sich auf eine 1963 ausgestellte Erbenbescheinigung, die einen Erbanspruch beweisen soll. Diese Bescheinigung annullierte allerdings das Amtsgericht Charlottenburg, das sie seinerzeit ausgestellt hatte, im Jahre 1998. Das Gericht begründete dies damit, dass sowohl die Ehefrau wie auch zwei Geschwister von Fritz Grünbaum überlebten. Was mit Fritz Grünbaums Bildern zwischen der Inventarisation 1938 und 1952, als sie auf den Markt kamen, geschah, ist nicht bekannt. Die Familie Reif behauptet, sie seien von der Gestapo konfisziert und weiterverkauft worden. Möglich ist indes, dass sie die ganze Zeit über in Österreich an einem noch heute unbekannten Ort versteckt waren. Es ist zu vermuten, dass Mathilde Lukacs die Kunstwerke von ihrer Schwester erhielt, kurz bevor sie deportiert wurde. Für allfällige Ansprüche könnte es entscheidend sein, wo die Bilder zwischen 1938 und 1952 waren, und wer sie besaß. Unter welchen Umständen und wo Mathilde Lukacs den Krieg überlebte, ist ebenfalls nicht bekannt. Nach dem Krieg, nachweislich ab 1952, lebte sie in Belgien. Zu diesem Zeitpunkt meldete sie sich auf ein Inserat der Galerie Kornfeld (damals Gutekunst & Klipstein) in der ‚Weltwoche‘ und teilte mit, sie wolle Kunstgegenstände verkaufen. Sie führte in einem Brief vom Mai 1952 eine Reihe von Künstlern auf, von denen sie Bilder verkaufen wollte, allerdings nicht von Schiele, obwohl sie in der Folge am meisten von diesem Künstler verkaufte. Auf Anfrage habe sie – so Eberhard Kornfeld – angegeben, die Gegenstände stammten aus Wiener Privatbesitz, aus der Familie. Die erste Lieferung, die sie persönlich in Bern abgab, erfolgte im August 1952 und enthielt 16 Zeichnungen, Radierungen und Aquarelle, u.a. von Cézanne, Kokoschka, Liebermann, Kollwitz, Munch. Bis Mai 1956 schickte sie mehrere Pakete mit Gemälden und Zeichnungen aus Brüssel oder brachte sie selbst von Brüssel nach Zürich. In anderen Fällen fuhr Kornfeld nach Brüssel. Insgesamt gab es sieben Einlieferungen von etwa 110 Werken, was ungefähr 80 Prozent des künstlerischen Nachlasses von Fritz Grünbaum entsprach. Die ersten Schiele-Bilder lieferte Lukacs erst im Jahr 1955 ein. Sie alle wurden an der Dezember-Auktion des gleichen Jahres verkauft; die Preise beliefen sich auf 200 bis 400 Franken. Im folgenden Jahr brachte Elisabeth Lukacs das Ölbild ‚Tote Stadt III‘ zusammen mit 14 Aquarellen nach Bern. Es war die letzte Einlieferung. Kornfeld vermutet, dass sie die zuletzt gebrachten Bilder in einem Banktresor in der Schweiz deponiert hatte. Diese Bilder wurden später ohne Ausnahme verkauft – mit dem „üblichen Profit“, der „zu dieser Zeit recht bescheiden war“, wie Kornfeld meint. Für die 46 Schiele-Bilder des Jahres 1956 erhielt Frau Lukacs 15.100 Franken. … Mathilde Lukacs, die auf Eberhard Kornfeld den Eindruck einer gepflegten, kunstsachverständigen, alten Dame gemacht hatte, verkaufte die Bilder, um zusammen mit ihrem Mann in einem jüdischen Altersheim in Wien ihren Lebensabend verbringen zu können. Sie zogen 1957 nach Wien, wo sie kurz darauf verstarben, nachdem sie eine Zeitlang in einem Altersheim in Lengnau
197
198
2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
(Kanton Aargau) gelebt hatten. Aus der Sicht von Eberhard Kornfeld war Mathilde Lukacs die berechtigte Eigentümerin; er hat die Bilder in gutem Glauben gekauft und kurz darauf weiterverkauft.“ 226 (s. Abb. 24) 119
Somit gelangten in den 1950er und 1960er Jahren beide Gemälde in die Sammlung von Dr. Rudolf Leopold, dessen gesamte Kollektion im Jahre 1994 in der Leopold-Stiftung aufging. Das Museum of Modern Art in New York stellte die beiden Gemälde in einer großen Schiele-Ausstellung vom 8. Oktober 1997 bis zum 4. Januar 1998 zusammen mit 150 weiteren Werken des Impressionisten aus. Fünf Tage vor Ausstellungsschluss und Rücksendung der Gemälde nach Europa setzten Henri Bondi und Rita und Kathleen Reif das Museum of Modern Art darüber in Kenntnis, dass die beiden Gemälde während der Annexion Österreichs an das Deutsche Reich zu Beginn des Zweiten Weltkrieges aus dem Besitz der beiden Familien unrechtmäßig entzogen worden seien. Mr. Bondi informierte das Museum, dass das ‚Bildnis der Valerie Neuziel / Portrait of Wally‘ aus der Sammlung seiner Tante unrechtmäßig entfernt worden sei und solange keine Rückführung nach Österreich erfolgen dürfe, bis die Eigentumslage an dem Kunstwerk geklärt sei. Kathleen und Rita Reif, die rechtmäßigen Erbinnen von Fritz Grünbaum, informierten ihrerseits das Museum of Modern Art, dass das Gemälde ‚Tote Stadt III‘ ebenfalls unrechtmäßig aus dem Bestand ihres Onkels seitens des nationalsozialistischen Unrechtsregimes entfernt worden war und verlangten von dem Museum die Herausgabe des Gemäldes an sie selbst als rechtmäßige Eigentümerinnen. Besondere Bedeutung erlangte das Restitutionsbegehr hinsichtlich der beiden Schiele-Gemälde deshalb, weil die Leopold-Stiftung, bedingt durch ihren Status als Privatstiftung, nicht der in dem sog. Kunstrestitutionsgesetz aus dem Jahre 1998227 verbürgten Rückführungspflicht der österreichischen Museen in öffentlicher Trägerschaft unterliegt. Das Museum of Modern Art verweigerte diese Forderung aufgrund der eigenen Herausgabeverpflichtung an das leihgebende Institut, die Leopold Stiftung in Österreich, aus dem abgeschlossenen Leihvertrag. Am 7. Januar 1998 reichten die Erben eine Beschwerde beim zuständigen New York County district attorney ein. Der Bezirksstaatsanwalt seinerseits stellte dem Museum eine sog. grand jury subpoena zu, in der die Verwahrnahme der in Streit stehenden Gemälde und deren Übergabe seitens des Museums an die Staatsanwaltschaft angeordnet wurde.228
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227
228
Buomberger, Raubkunst – Kunstraub: die Schweiz und der Handel mit gestohlenen Kulturgütern zur Zeit des Zweiten Weltkriegs, 1998, S. 376–378. Vgl. ausführlich hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 1: Illegaler Kulturgüterverkehr, 6. Teil, 85 ff. Vgl. zu den tatsächlichen Angaben vor allem Kowalczyk, Section 12.03 of the New York Arts and Cultural Affairs Law: Civil by Association, International Journal of Cultural Property, 10 (2001) S. 95–121, S. 95–97; Buomberger, Raubkunst – Kunstraub: die Schweiz und der Handel mit gestohlenen Kulturgütern zur Zeit des Zweiten Weltkriegs, 1998, S. 376–378.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
d)
Entscheidung über die kulturelle Sachimmunität
Am 22. Januar 1998 strengte das Museum of Modern Art die Aufhebung der subpoena an und begründete dies mit der Unzulässigkeit der Zwangsmaßnahme der Bezirksstaatsanwaltschaft aufgrund der Immunität der entliehenen Kunstwerke nach Sec. 12.03 des New York Arts and Cultural Affairs Law. Das Museum229 berief sich in der Folge vor dem New York Supreme Court darauf, dass der Schutzumfang nach Sec. 12.03 des New York Arts and Cultural Affairs Law „any kind of seizure“ erfasse und daher nicht nur zivilrechtliche, sondern auch strafrechtliche Beschlagnahmeverfahren wie die hier vorliegende grand jury subpoena erfasse.230 Darüber hinaus berief sich das Museum darauf, dass eine Verletzung der New Yorker public policy vorläge, und betonte New Yorks „pre-eminent position in the arts“231. Der Bezirksstaatsanwalt erwiderte seinerseits, dass aus dem Wortlaut der Immunitätsvorschrift und deren Entstehungsgeschichte deutlich würde, dass eine Immunität ausschließlich in Zivilrechtsstreitigkeiten vom Anwendungsbereich des Gesetzes erfasst sei. Darüber hinaus könne weder aus dem Wortlaut noch aus Sinn und Zweck von Sec. 12.03 des New York Arts and Cultural Affairs Law darauf geschlossen werden, dass der New Yorker Gesetzgeber durch die Vorschrift eine Begrenzung der Befugnisse der Staatsanwaltschaft in der Untersuchung von Gesetzesverstößen beabsichtigt hätte.232 Das erstinstanzliche Gericht ließ sich jedoch im Wesentlichen von den Argumenten des Museum of Modern Art leiten und entschied, dass Sec. 12.03 des New York Arts and Cultural Affairs Law Immunität entliehener Kunstwerke nicht nur in einem zivilrechtlichen Verfahren, sondern auch in einem strafrechtlichen Geschworenenprozess gewähre.233 Richterin Laura Drager stellte zunächst fest, dass „courts are obliged to interpret a statute to effectuate the intent of the legislature, and when the statutory language is clear and unambiguous, it should be construed so as to give effect to the plain meaning of the words used.“234 Aufbauend auf diesen Erwägungen kam das Gericht somit zu dem Schluss, dass „[t]he clear import of the term ‘any kind of seizure’ leaves no doubt that the legislature intended to prohibit any court process“, in dem eine Beeinträchtigung eines Austauschs kultureller Güter außerhalb des Staates New York im Wege der intermusealen Leihe 229
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Vgl. zu der Rechtseinschätzung des Museums innerhalb des erstinstanzlichen trial-Verfahrens Kowalczyk, Section 12.03 of the New York Arts and Cultural Affairs Law: Civil by Association, International Journal of Cultural Property, 10 (2001) S. 95–121, S. 97–99. In the Matter of the Application to Quash Grand Jury Subpoena, 677 N.Y.S.2d, S. 876. Brief of Petitioner, S. 14, In Re Application to Quash Grand Jury Subpoena Duces Tecum Served on the Museum of Modern Art, 677 N.Y.S.2d, S. 872 (Sup. Ct. 1998) (No. 28012-98). Vgl. Kowalczyk, Section 12.03 of the New York Arts and Cultural Affairs Law: Civil by Association, International Journal of Cultural Property, 10 (2001) S. 95–121, S. 97–99. In the Matter of the Application to Quash Grand Jury Subpoena Duces Tecum Served on the Museum of Modern Art, 677 N.Y.S.2d, S. 881. In the Matter of the Application to Quash Grand Jury Subpoena Duces Tecum Served on the Museum of Modern Art, 677 N.Y.S.2d, S. 876.
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
erfolge.235 Über das Wortlautargument hinaus stützte der New York Supreme Court seine Entscheidung auch auf Sinn und Zweck der New Yorker Immunitätsregelung und die Intention des Gesetzgebers bei Erlass der Vorschrift.236 Diesbezüglich war das Gericht der Überzeugung, dass durch die Statuierung von Sec. 12.03 des New York Arts and Cultural Affairs Law eine größtmögliche Protektion des kulturellen Leihverkehrs zu erfolgen habe und nur diese Auslegung der Position New Yorks und der Rolle der örtlichen Museen in der Kunstwelt gerecht werde:237 Durch das Verbot der Beschlagnahme entliehener Kulturgüter in einer temporären Ausstellung stärkt das Gesetz den sog. ‚free flow of art‘. Durch den Ausschluss einer möglichen Beschlagnahmehandlung „[c]laimants lose no potential rights they might have in the art; they simply cannot use a temporary exhibition in New York to avoid pursuing their clams where the art originated.“238 Vor dem Hintergrund der Feststellung, dass die Anwendung von Sec. 12.03 des New York Arts and Cultural Affairs Law in keinem Konflikt mit dem bundesgesetzlichen Immunity from Seizure Act aus dem Jahre 1965 stehe 239, wurde die Beschlagnahmeverfügung im Wege der grand jury subpoena durch den New York Supreme Court zurückgewiesen. 121
Die Appellate Division des Supreme Court 240 hob jedoch die Entscheidung des trial-Verfahrens auf und verweigerte die Außerkraftsetzung der Beschlagnahmeverfügung im Wege der grand jury subpoena, da Sec. 12.03 des New York Arts and Cultural Affairs Law und die darin angeordnete Immunität keine Anwendung auf eine subpoena duces tecum einer strafrechtlichen Verfolgungsbehörde fänden.241 Rechtsdogmatisch fußte die Entscheidung der Appellate Division auf dem Grundsatz, dass „earlier statutes are properly considered as illuminating the intent of the Legislature in passing later acts; in other words, a particular statute is construed with reference to earlier statutes in pari materia.“242 Das Gericht verwies auf die wörtlich identische Vorschrift in Sec. 250 des Personal Property Law als Teil des Code of Civil Procedure und erklärte, dass „a section of the Arts and Cultural 235
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242
In the Matter of the Application to Quash Grand Jury Subpoena Duces Tecum Served on the Museum of Modern Art, 677 N.Y.S.2d, S. 876. Vgl. Kowalczyk, Section 12.03 of the New York Arts and Cultural Affairs Law: Civil by Association, International Journal of Cultural Property, 10 (2001) S. 95–121, S. 97–99. Vgl. Kowalczyk, Section 12.03 of the New York Arts and Cultural Affairs Law: Civil by Association, International Journal of Cultural Property, 10 (2001) S. 95–121, S. 97–99. In the Matter of the Application to Quash Grand Jury Subpoena Duces Tecum Served on the Museum of Modern Art, 677 N.Y.S.2d, S. 878–881. In the Matter of the Application to Quash Grand Jury Subpoena Duces Tecum Served on the Museum of Modern Art, 677 N.Y.S.2d, S. 881–883. In the Matter of the Application to Quash Grand Jury Subpoena Duces Tecum Served on the Museum of Modern Art, 688 N.Y.S.2d, S. 7. Vgl. Kowalczyk, Section 12.03 of the New York Arts and Cultural Affairs Law: Civil by Association, International Journal of Cultural Property, 10 (2001) S. 95–121, S. 99–100. In the Matter of the Application to Quash Grand Jury Subpoena Duces Tecum Served on the Museum of Modern Art, 688 N.Y.S.2d, S. 6.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
201
Affairs Law, which is a virtual carbon copy of a statute earlier consolidated in the Code of Civil procedure and the Personal Property Law, with no reference whatsoever to the criminal statutes, cannot, without more, be considered to have been intended to affect the provisions of the Criminal Procedure Law.“243 Die Appellate Division folgerte, dass der New Yorker Gesetzgeber zu keinem Zeitpunkt beabsichtigt habe, dass die Immunitätsbestimmung auch in strafrechtlichen Verfahren Anwendung finden solle. Darüber hinaus widerlegte die Appellate Division auch das public policy-Argument des Museum of Modern Art hinsichtlich des ‚free flow of arts‘ im Leihverkehr mit kulturellen Gütern mit der Intention des Gesetzgebers bei Erlass des New York Arts and Cultural Affairs Law, dass „it is not contended, nor could it be, that the public interest is served by permitting the free flow of stolen art into and out of the State.“244 Hauptzweck des Gesetzes sei vielmehr der Schutz von nicht ansässigen Leihgebern kultureller Güter vor einer zivilrechtlichen Beschlagnahme der Kunstwerke auf Initiative lokaler Gläubiger.245 Schließlich hatte der Court of Appeals of New York über die Frage zu entscheiden, ob Sec. 12.03 des New York Arts and Cultural Affairs Law eine Immunität allein für zivilrechtliche Streitigkeiten bestimmte,246 und wenn dies verneint würde, ob die erteilte subpoena als Beschlagnahme der unter Immunität gestellten Gemälde zu qualifizieren ist.247 Im Ergebnis schloss sich das höchste Gericht des Bundesstaates New York jedoch der Rechtsbeurteilung des Ausgangsverfahrens an, hob die Entscheidung der Appellate Division auf und begründete seine Entscheidung sowohl mit dem eindeutigen Wortlaut der Immunitätsvorschrift, der Intention des Gesetzgebers sowie den zugrundeliegenden policy considerations.248 Zunächst stellte das Gericht fest, dass der Wortlaut Sec. 12.03 des New York Arts and Cultural Affairs Law ausdrücklich keine Beschränkung des Schutzumfangs der Immunitätswirkung festschreibe: „the unconditional language preceding and following this clause – ‘[n]o process’ and ‘or any kind of seizure’ – in no way suggests that the Legislature meant the delineated terms to be either exclusive or exhaustive.“249 Bereits aufgrund des ausdrücklichen Wortlauts könne 243
244
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246 247
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In the Matter of the Application to Quash Grand Jury Subpoena Duces Tecum Served on the Museum of Modern Art, 688 N.Y.S.2d, S. 7. In the Matter of the Application to Quash Grand Jury Subpoena Duces Tecum Served on the Museum of Modern Art, 688 N.Y.S.2d, S. 7. Vgl. Kowalczyk, Section 12.03 of the New York Arts and Cultural Affairs Law: Civil by Association, International Journal of Cultural Property, 10 (2001) S. 95–121, S. 99–100. Vgl. Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 11–14. In the Matter of the Application to Quash Grand Jury Subpoena Duces Tecum Served on the Museum of Modern Art, 719 N.E.2d, S. 897, vgl. ausführlich auch Kowalczyk, Section 12.03 of the New York Arts and Cultural Affairs Law: Civil by Association, International Journal of Cultural Property, 10 (2001) S. 95–121, S. 100–102. Kowalczyk, Section 12.03 of the New York Arts and Cultural Affairs Law: Civil by Association, International Journal of Cultural Property, 10 (2001) S. 95–121, S. 100–102. In the Matter of the Application to Quash Grand Jury Subpoena Duces Tecum Served on the Museum of Modern Art, 719 N.E.2d, S. 897.
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
keine Begrenzung der Immunität allein auf zivilrechtliche Streitigkeiten gewonnen werden. Darüber hinaus weist der Court of Appeals of New York auf die Intention des New Yorker Gesetzgebers bei Erlass der Immunitätsregelung hin: Einerseits sollte eine ‚Abschirmung‘ auswärtiger Leihgeber kultureller Güter vor einer Beschlagnahme ihrer Objekte aufgrund der Leihgabe erfolgen. Darüber hinaus intendierte der Gesetzgeber aber gerade auch einen Schutz der kulturellen Institutionen in New York, die von einem möglichst umfangreichen ‚free flow of art‘ zur Erfüllung ihrer kulturellen Aufgaben abhängig sind.250 Der Court of Appeals führte hierzu aus, dass ein Klima freien künstlerischen und kulturellen Austauschs ohne Bedrohung der Beschlagnahme unabhängig vom konkreten gerichtlichen Verfahren innerhalb New Yorks etabliert werden sollte, um potenziell leihwillige auswärtige Privatsammler und kulturelle Institutionen zu einer gemeinsamen öffentlichen Nutzung ihrer Bestände weiter zu ermutigen.251 Im Ergebnis schloss der Court of Appeals seine Ausführungen mit der Feststellung, dass eine subpoena duces tecum „rises to the level of ‘meaningful interference with [the lender’s] possessory interest’ for purposes of section 12.03“252, sodass von einer beschlagnahmegleichen Wirkung hier auszugehen sei, die eine unrechtmäßige „seizure“ nach der Immunitätsvorschrift darstelle,253 sodass die Gemälde an das Museum of Modern Art herauszugeben seien.254
e) 123
Einfuhr unrechtmäßig entzogener Kunstwerke als Verstoß gegen den National Stolen Property Act
Gerade in dem Moment, als die Öffentlichkeit mit der endgültigen Rückführung der beiden in Sequestration befindlichen Schiele-Werke an Österreich und die Leopold-Stiftung rechnete, wurde das ‚Bildnis der Valerie Neuziel / Portrait of Wally‘ durch das New Yorker Büro des U.S. Attorney (des Generalbundesanwalts der Vereinigten Staaten von Amerika) aufgrund eines Verstoßes gegen den National Stolen Property Act (18 U.S.C. 2314 aus dem Jahre 1994) und der erfolgten Ein- und der geplanten Ausfuhr gestohlener Gegenstände beschlagnahmt. Im Dezember 2000 entschied der zuständige Bundesrichter Michael B. Mukasey, dass die US-Regierung ihre Bemühungen um den Fall des Bildes fortsetzen wird. Da es sich in der vorliegenden Konstellation nicht um ein „gewöhnliches Verfahren“ handele, meinte der zuständige Richter, es gehe vielmehr um grundsätzliche 250
251
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254
Vgl. Kowalczyk, Section 12.03 of the New York Arts and Cultural Affairs Law: Civil by Association, International Journal of Cultural Property, 10 (2001) S. 95–121, S. 100–102. In the Matter of the Application to Quash Grand Jury Subpoena Duces Tecum Served on the Museum of Modern Art, 719 N.E.2d, S. 902. In the Matter of the Application to Quash Grand Jury Subpoena Duces Tecum Served on the Museum of Modern Art, 719 N.E.2d, S. 902. In the Matter of the Application to Quash Grand Jury Subpoena Duces Tecum Served on the Museum of Modern Art, 719 N.E.2d, S. 902. Vgl. auch Kowalczyk, Section 12.03 of the New York Arts and Cultural Affairs Law: Civil by Association, International Journal of Cultural Property, 10 (2001) S. 95–121, S. 100–102.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
203
Fragen im Zusammenhang mit der Rückgabe der von dem nationalsozialistischen Unrechtsregime gestohlenen Kulturgüter. Der Generalbundesanwalt der Vereinigten Staaten führte aus, dass das Leopold Museum das Bild in die Vereinigten Staaten von Amerika einführte und dabei wusste, dass es als ‚gestohlen‘ zu qualifizieren sei: „This is not [an] ordinary case … This case involves substantial issues of public policy relating to property stolen during World War II as part of a program implemented by the German government. … There are more interests potentially at stake [in this case] than those of the immediate parties to this lawsuit.“255 Das Leopold Museum und das Museum of Modern Art in New York verglichen diese Situation mit der sog. Mc Clain-Entscheidung256 und führten hinsichtlich des § 2314 NSPA aus, dass diese Vorschrift „cannot properly be applied to items deemed stolen only on the basis of unclear pronouncements by a foreign legislature.“257 Das Leopold Museum ersuchte dementsprechend ein sog. summary judgment und beantragte die Abweisung der Klage „on several grounds including the act of state, comity and political question doctrine, no criminal conversion, and laches.“258 Das ‚Bildnis der Valerie Neuziel / Portrait of Wally‘ befindet sich nach wie vor in Sequestration in New York, ohne dass nach mehr als zehnjähriger Verfahrensdauer bisher eine Entscheidung getroffen wurde. Das Leopold Museum soll in der Causa allein an Verfahrenskosten jährlich bisher rund 600.000 Euro ausgegeben haben.259 Dies veranlasst Jayme zu der zutreffenden Einschätzung, dass die New Yorker Gesetze (trotz der Entscheidung des Court of Appeals of New York) „keinen hinreichenden Schutz gegenüber strafrechtlichen Sanktionen bieten, welche Dritte unter Berufung auf ihre Rechte in Gang bringen können.“260 Im August 2010 kam mit der Schiele-Konstellation schließlich einer der berühmtesten Streitfälle der NS-Raubkunst zu seinem Ende. Nach 13 Jahren der gerichtlichen Auseinandersetzungen zwischen der Wiener Sammlung Leopold und den Erben der Lea Bondi Jaray kam es zu einer Einigung: Rund 14,8 Millionen Euro – in etwa der Marktwert des Gemäldes – zahlt die Leopold-Stiftung an die Erben der von den Nationalsozialisten verfolgten jüdischen Kunsthändlerin Lea Bondi Jaray. Gleichzeitig haben sich Kläger und Beklagte gemeinsam auf eine „Geschichte“ des Bildes geeinigt, auch wenn vor Gericht bei Weitem nicht alle Fakten geklärt werden konnten. Ein anderes Schicksal erlangte hingegen das zweite in New York beschlagnahmte Gemälde. Das Werk ‚Tote Statt III‘ aus dem ehemaligen Eigentum von Fritz Grünbaum wurde wieder an das Leopold 255
256
257 258 259
260
United States of America v. Portrait of Wally, No. 99 Civ. 9940, 2000 U.S. Dist. LEXIS 18713 (S.D.N.Y. Dec. 28, 2000), S. 4–5. Vgl. hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 1: Illegaler Kulturgüterverkehr, 3. Teil, Rdnr. 153 f. Vgl. United States of America v. Portrait of Wally, 99 Civ. 9940 (MBM) (11 April 2002). Vgl. United States of America v. Portrait of Wally, 99 Civ. 9940 (MBM) (11 April 2002). So Der Standard, Affäre „Wally“: US-Gericht will Rudolf Leopold als Zeugen hören, Artikel vom 09. Juli 2006. Jayme, Das Freie Geleit für Kunstwerke, 2001, S. 8–10.
124
204
2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
Museum in Wien herausgegeben, weil inzwischen feststand, dass die Klage nicht von den rechtmäßigen Eigentümern angestrengt worden war:261 Aufgrund der Erbfolge konnte allein Mathilde Lukacs als Erbin von Elisabeth Grünbaum betrachtet werden, was allerdings von der Reif-Familie bestritten wurde, die sich auf eine 1963 ausgestellte Erbenbescheinigung berief, die allerdings das Amtsgericht Charlottenburg, das sie seinerzeit ausgestellt hatte, bereits im Jahre 1998 annullierte, weil sowohl die Ehefrau wie auch zwei Geschwister von Fritz Grünbaum den Zweiten Weltkrieg überlebt hatten.262
3. 125
Sonstige Common Law-Beispiele kultureller Immunität
Innerhalb der Rechtsordnung der Vereinigten Staaten von Amerika findet sich bspw. auch in Texas eine sog. anti seizure-Regelung. Neben den Regelungen der Republik Irland und Australiens263 findet sich eine einfachere Ausgestaltungsform der Statuierung der Immunität kultureller Güter im internationalen Leihverkehr als in den amerikanischen Varianten bspw. auch in Kanada in den sog. Canadian provincial anti-seizure statutes 264 in British Columbia265, Manitoba266, Ontario267, 261 262
263
264
Vgl. auch Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 26–29. Vgl. Buomberger, Raubkunst – Kunstraub: die Schweiz und der Handel mit gestohlenen Kulturgütern zur Zeit des Zweiten Weltkriegs, 1998, S. 376–378. „In the Republic of Ireland, the normal reporting duties which are imposed on those who have archaeological objects in their possession or control (as to which duties, see ss 5 (1) and 5 (6) of the National Monuments (Amendment) Act 1994) do not apply to archaeological objects which: (i) have been imported into the State, (ii) for a period not exceeding two years, (iii) for purposes of exhibition, research or restoration, (iv) in pursuance of an agreement between a person who is outside the State and claims to be the owner and a person in the State who intends to exhibit, research or restore the object, and (v) provided that the terms and conditions of that agreement have been approved by the Director of the National Museum of Ireland, failing which the agreement shall not be performed: see s 5 (12), National Monuments (Amendment) Act 1994. The Act is published in (1996) 1 Art Antiquity and Law 319. In Australia, the normal statutory provisions which dictate the forfeiture by the Australian authorities of unlawfully-imported protected (cultural) objects of foreign countries (see Protection of Movable Cultural Heritage Act 1986 ss 14 (1) and 14 (2)) do not apply in relation to the importation of an object if (i) the importation takes place under an agreement between (on the one hand) the Commonwealth, a State, a Territory, a principal collecting institution or an exhibition coordinator and (on the other hand) any other person or body (including a government) and (ii) the agreement provides for the object to be loaned, for a period not exceeding two years, to the Commonwealth, State, Territory, principal collecting institution or exhibition co-ordinator, as the case may be, for the purpose of its public exhibition within Australia; ibid, s 14 (3). For the definitions of „principal collecting institution“ and „exhibition coordinator“ see ibid, ss 3 (1) and 14 (4) respectively. The 1986 Act also provides for the advance giving (and subsequent variation or revocation) of a certificate enabling an Australian protected object to be exported (contrary to the normal prohibition) after it has been imported into Australia for temporary purposes or in circumstances in which the proposed importer may subsequently wish to export it: ibid, ss 12 and 13.“ Palmer, Art Loans, 1997, S. 111. Vgl. ausführlich hierzu (jeweils mit einzelnen Länderberichten) Flynn/Knerly/Varah, Protecting the Integrity ofthe Loan Process and the Safety of Loaned Ojects, in: ALI-ABA, Legal Issues in Museum Administration, April 1–3, 2009, Boston, course of study materials, S. 233–254; Knerly/Gest, International Loans: State Immunity and Anti-Seizure Laws, in:
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
205
Québec268.269 So wird bspw. in Sec. 50 Abs. 1 des British Columbia Law and Equity Act aus dem Jahre 1980 bestimmt, dass kein gerichtliches Verfahren hinsichtlich einer Inbesitznahme oder eines Rechts gegenüber solchen Kulturgütern oder Gegenständen kultureller oder historischer Bedeutung angestrengt werden darf, die zum Zwecke der zeitlich begrenzten Zurschaustellung auf das Territorium von British Columbia transferiert wurden. Sec. 50 Abs. 2 schließt von dem Anwendungsbereich der Immunitätsregelung des Abs. 1 „all proceedings in respect of a contract for transportation, warehousing or exhibition in the province of the work or object“ aus.270 Die Voraussetzungen der Immunität entliehener Kulturgüter in der kanadischen Provinz Manitoba lauten etwa wie folgt: CHAPTER F140 – THE FOREIGN CULTURAL OBJECTS IMMUNITY FROM SEIZURE ACT 271 HER MAJESTY, by and with the advice and consent of the Legislative Assembly of Manitoba, enacts as follows: Immunity from seizure of foreign cultural objects (1) When any work of art or other object of cultural significance from a foreign country is brought into Manitoba pursuant to an agreement between the foreign owner or custodian thereof and the Government of Manitoba or any cultural or educational institution, providing for the temporary exhibition or display thereof, in Manitoba by the
265 266 267 268 269
270
271
ALI-ABA, Legal Issues in Museum Administration, April 1–3, 2009, Boston, course of study materials, S. 255–272. Vgl. British Columbia Law and Equity Act 1980. Vgl. Foreign Cultural Property Immunity from Seizure Act, 1976. Vgl. Foreign Cultural Objects Immunity from Seizure Act, 1978. Vgl. Art 553.1 of the Code of Civil Procedure. Vgl. ausführlich hierzu Palmer, Art Loans, 1997, S. 111; Boos, Kulturgut als Gegenstand des grenzüberschreitenden Leihverkehrs, 2006, S. 280–290. Vgl. Palmer, Art Loans, 1997, S. 111: „Section 50 (1) would not, therefore, prevent an borrower/exhibitor from suing a prospective lender for breach of a commitment to loan; nor would it prevent a carrier or warehouse company from asserting a lien over the work in respect of its legitimate charges. Section 50 (1) also does not apply to a work or object which is offered for sale.“. Zitiert bei Palmer, Art Loans, 1997, S. 565–568, vgl. die französische Fassung: Chapitre F140: Loi sur l’ Insaisissabilité des Biens Culturels Étrangers: Sa Majesté, sur l’avis et du consentement de l’Assemblée législative du Manitoba, édicte: Insaisissabilité des biens culturels étrangers: 1 Lorsque des œuvres d’art et d’autres biens à caractère culturel provenant de pays étrangers sont introduits au Manitoba pour des expositions temporaires, conformément à une entente entre leurs propriétaires ou gardiens et soit le gouvernement du Manitoba, soit une institution à caractère culturel ou éducationnel, aucun instance ni action ne peut être intentée ou autorisée, devant les tribunaux, et aucun jugement, décision ou ordonnance qui ôtent la garde et le contrôle de ces biens au gouvernement. A l’institution concernée et à ceux qui les transportent, ne peut être exécuté au Manitoba si, avant que ces biens ne soient introduits au Manitoba, le lieutenant-gouverneur en conseil décide par décret publié à la Gazette, sur recommendation du membre du Conseil exécutif qui a conclu l’entente pour le gouvernement et en son nom ou, le cas échéant, à la demande de l’institution concernée: a) que les biens revêtent un caractère culturel; b) qui’ils sont temporairement exposés au Manitoba dans l’inérêt de la population. Effets quant à l’exécution des ententes: 2 L’article 1 n’empêche aucune procédure relative tant à l’exécution des obligations contractuelles des transporteurs prises conformément ou de l’institution concernée.
126
206
2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht Government of Manitoba or the cultural or educational institution, no proceeding or action shall be taken or permitted in any court and no judgment, decree or order shall be enforced in Manitoba for the purpose of, or having the effect of depriving the Government of Manitoba or the institution or any carrier engaged in transporting the work or object within Manitoba, of the custody or control thereof, if, before the work or object is brought into Manitoba the Lieutenant Governor in Council where the agreement is with the Government of Manitoba, on the recommendation of the member of the Executive Council who executed the agreement for and on behalf of the Government of Manitoba and where the agreement is with a cultural or educational institution, on the application of the institution determines (a) that the work or object is of cultural significance; and (b) that the temporary exhibition or display thereof in Manitoba is in the interest of the people of Manitoba; and the Order in Council is published in the Manitoba Gazette Enforcement of agreement not precluded (2) Section I does not preclude any judicial action for or in aid of the enforcement of any of the terms of an agreement referred to in that section or the enforcement of the obligation of a carrier under any contract for the transportation of the work of object in the fulfilment of any obligation assumed by the Government of Manitoba or the cultural or educational institution pursuant to the agreement.
127
In Großbritannien hingegen fehlte lange Zeit eine entsprechende Anordnung, weil eine Immunitätsbestimmung entliehener Kulturgüter aus dem Ausland bisher im Hinblick auf das geltende Recht ursprünglicher Eigentümer auf Durchsetzung ihrer Rechtsposition als inadäquat angesehen wurde. Bedenken bestanden aus englischer Sicht nicht zuletzt, ob eine solche Regelung mit Art. 6 EMRK vereinbar wäre.272 In der Diskussion stand dabei vor allem auch die Konstellation des internationalen Leihverkehrs und die Immunität von sog. NS-Raub- und Beutekunst.273 Die Folgen der nichtvorhandenen Möglichkeit der Immunitätszusage wirkten sich auch praktisch aus: Mangels einer britischen anti seizureRegelung stellte bspw. das Musée des Beaux-Arts in Caen die ‚Wasserlilien‘ (1904) von Monet nach einer Überlassung an das Boston Museum of Fine Art anschließend nicht der britischen Royal Academy zur öffentlichen Ausstellung zur Verfügung, da das Gemälde, welches sich zur Zeit der nationalsozialistischen Unrechtsherrschaft zeitweilig im Besitz von Hitlers Außenminister von Ribbentrop befand, zuvor öffentlich von den Rechtsnachfolgern Paul Rosenbergs herausverlangt worden war.274 Zwar hat die Erfahrung der letzten Jahre gezeigt, dass diese Gefahr nicht in dem befürchteten Ausmaß besteht, doch wurde dennoch bis in die Jahre 2007 und 2008 nicht erwogen, eine dementsprechende Regelung einzuführen.275 Heute ist es jedoch möglich, dass das berühmte Gemälde ‚Der Tanz‘ von Henri Matisse und 120 weitere Kunstwerke russischer und französischer Impressionisten in einer Ausstellung vom 26. Januar bis zum 18. April in der Royal Academy of Arts öffentlich ausgestellt wurden. (s. Abb. 25) 272 273 274 275
Vgl. Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 9–10. Vgl. Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 9–10. Palmer, Museum and the Holocaust: Law, Principles and Practice, 2000, S. 48. Palmer, Repatriation and Deaccessioning of Cultural Property: Reflections on the Resolution of Art Disputes, Current Legal Problems 54 (2001) S. 477 ff., S. 504.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
207
„This landmark exhibition at the Royal Academy of Arts presents modern masterpieces drawn from Russia’s principal collections: the Pushkin State Museum of Fine Art and the State Tretyakov Gallery in Moscow and the State Hermitage Museum and the State Russian Museum in St. Petersburg. For the first time, works from these museums have been gathered for a single exhibition. Over 120 paintings by Russian and French artists working between 1870 and 1925 will be displayed together in an exhibition which surveys the main directions of modern art from Realism and Impressionism to Non-Objective painting. Works will include paintings by Renoir, Cézanne, Van Gogh, Gauguin and Matisse together with those by Kandinsky, Tatlin and Malevich.“276
128
Hierbei darf aber nicht verschwiegen werden, dass zahlreiche der in der Ausstellung präsentierten Gemälde Bestandteil der kulturellen Verstaatlichung im Anschluss an die Oktoberrevolution im Jahre 1917 waren und nur auf diese Weise in die Sammlungen der genannten Museen gelangten. Diese 120 Impressionisten und Modernisten würden in der Ausstellung sicherlich nicht gezeigt werden, wenn das britische Parlament nicht die Bedingung der entleihenden Museen akzeptiert hätte und nicht ein spezielles Gesetz erlassen hätte, das eine umfassende und absolute Immunität Russlands und der entleihenden Museen gegenüber jeglichem Versuch der gerichtlichen Intervention bezüglich der einzelnen Gemälde angeordnet hätte. Dies hat in der Rechtsliteratur nicht nur Zustimmung gefunden: „Art lovers may be delighted to see artworks long held in secret by Russia, but the sad truth is that the British government and the Royal Academy are now complicit in the theft of private property. If other countries follow Britain’s lead and pass “immunity from seizure” legislation in the hopes of playing host to “From Russia” or similar shows, the results will be far more pernicious than anyone can imagine.“277
129
Russland hatte bereits verschiedene Zugriffsversuche verschiedener Gläubiger von Geldforderungen erfahren, wie der – gleichermaßen erfolglose – Vollstreckungsversuch aus einem internationalen Schiedsspruch gegen Russland anläßlich einer Ausstellung von Leihgaben aus dem Puschkin-Museum an die Fondation Pierre Gianadda in Martigny im Wallis, Schweiz, kürzlich belegt.278 Dies zeigt, dass Kunstwerke natürlich nicht nur Kulturgüter, sondern auch eine oft höchst werthaltige Haftungsmasse sind: Der Marktwert der russischen Leihgaben wurde auf 1 Milliarde US-Dollar geschätzt.279
130
276 277 278
279
Royal Academy of Arts, Quelle: http://www.royalacademy.org.uk/exhibitions/from-russia. Vgl. Gerson, Plunder Goes on Tour, The New York Times, Artikel vom 23. Februar 2008. Weller, Freies Geleit für die Kunst – Die Schweiz setzt einen Maßstab für Leihgaben im Völkerrecht, FAZ, 25. November 2005, Nr. 275, S. 35 (Feuilleton); Weller, Völkerrechtliche Grenzen der Zwangsvollstreckung – vom Botschaftskonto zur Kunstleihgabe, Rpfleger 2006, S. 364–373; Odendahl, Immunität entliehener ausländischer staatlicher Kulturgüter – Eine Analyse der Affäre um die Beschlagnahme der Gemälde aus dem Puschkin-Museum im November 2005, AJP/PJA 10/2006, S. 1175 ff.; Peter, Les tableaux du Musée Pouchkine de Moscou, Schuldbeitreibung und Konkurs 70 (2006), S. 61 ff. Vgl. Weller, Die rechtsverbindliche Rückgabezusage, in: Blaurock u.a., Festschrift für Achim Krämer zum 70. Geburtstag, 2009, S. 721–735.
208
2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
II.
„Les biens culturels … sont insaisissables“: Immunité in Frankreich
131
Unter dem Eindruck der Entscheidung Stchoukine v. Le Centre National d’Art et de Culture Georges Pompidou, the Hermitage Museum St. Petersburg, the Pushkin Museum Moscow and the Russian Federation 280 vor dem Tribunal de Grande Instance (TGI) de Paris 281 wurde in Frankreich mit Erlass des Gesetzes Nr. 94-679 vom 8.8.1994 in Art. 61 eine Immunitätsregelung im internationalen Leihverkehr kultureller Güter eingeführt.282
132
Loi 94-679 du 08 Août 1994:283 Loi portant diverses dispositions d’ordre économique et financier Entrée en vigueur le 10 Août 1994: Article 61: (1) Les biens culturels prêtés par une puissance étrangère, une collectivité ou une institution culturelle étrangères, destinés à être exposés au public en France, sont insaisissables pour Ia période de leur prêt à l’Etat francais ou à toute personne morale désignée par lui. (2) Un arrêté conjoint du ministre de la culture et du ministre des affaires étrangères fixe, pour chaque exposition, la liste des biens culturels, détermine la durée du prêt et désigne les organisateurs de l’exposition.
133
Die französische Antwort auf die in der genannten Entscheidung offengelegte Lücke im Schutz des intermusealen Leihverkehrs wurde somit kurze Zeit nach der umstrittenen Frage der Applikation der allgemeinen Immunitätsgrundsätze in Frankreich in Gesetz gegossen. Art. 61 schützt sämtliche Kulturgüter, die von einem fremdem Staat oder einer ausländischen Behörde oder kulturellen Institution an den französischen Staat zum Zwecke der öffentlichen Ausstellung in Frankreich verliehen werden, vor jeglicher Beschlagnahme.284 Der personale Anwendungsbereich der französischen Immunitätsregelung erfasst somit Leihgaben von einem ausländischen Staat (der sog. „puissance étrangère“), einer Körperschaft des öffentlichen Rechts („une collectivité publique“) oder einer ausländischen kulturellen Einrichtung (sog. „institution culturelle étrangère“), die sich zum Zwecke der öffentlichen Ausstellung in Frankreich befinden.285 Als ausländische Leihgeber kommen jedoch ausweislich des Wortlauts des Art. 61 Abs. 1 keine individuellen Privatpersonen in den Schutz der französischen Im-
280 281 282
283 284
285
Vgl. 2, 17 ff. So Palmer, Art Loans, 1997, S. 111–112. Vgl. Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 9–10 und S. 14–17; Boos, Kulturgut als Gegenstand des grenzüberschreitenden Leihverkehrs, 2006, S. 280–290; Jayme, Das Freie Geleit für Kunstwerke, 2001, S. 8–10 und S. 51; Redmond-Cooper, Disputed title to loaned works of art: the Shchukin litigation, in: Palmer, Art Loans, 1997, S. 111– 112, S. 569–576. Zitiert bei Jayme, Das Freie Geleit für Kunstwerke, 2001, S. 51. Vgl. Redmond-Cooper, Disputed title to loaned works of art: the Shchukin litigation, in: Palmer, Art Loans, 1997, S. 569–576. Vgl. Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 14–17.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
209
munitätsregelung, obwohl die Interessenlage für einen privaten Verleiher nahezu dieselbe ist. Möglicherweise beruht diese Restriktion auf der aus dem Völkerrecht bekannten, im Kulturgüterschutz jedoch überkommenen Vorstellung einer reinen Staatenimmunität.286 Der personale Anwendungsbereich hinsichtlich der zulässigen französischen Leihnehmer ist hingegen weit: es kommt sowohl der französische Staat, aber auch jede von der Regierung bestimmte juristische Person in Betracht. Im Gegensatz zu der automatischen Unterschutzstellung nach Sec. 12.03 des New York Arts and Cultural Affairs Law aus dem Jahre 1984 greift der Schutzumfang in Frankreich nur in dem Fall, dass sowohl der Kulturminister als auch der Außenminister in jedem Einzelfall eine dementsprechende gemeinsame Verfügung (sog. „arrêté conjoint“) 287 erlassen, eine Liste der geschützten Kunstwerke veröffentlichen, die Zeitspanne und Dauer der konkreten Ausstellung ebenso benennen wie die Organisatoren der Ausstellung.288 Die Immunität wird in Form eines sog. „arrêté“ im Journal Officiel verkündet.289 Hinsichtlich des Schutzumfangs der französischen Immunitätsregelung bestimmt Art. 61 der Loi portant diverses dispositions d’ordre économique et financier Entrée en vigueur vom 10. August 1994, dass die erfassten Kulturgüter während der Dauer der Leihgabe nicht beschlagnahmbar sind („insaisissables“). Wie weit der Schutzumfang der Immunité letztendlich jedoch konkret reicht, wurde keiner ausdrücklichen Regelung im Gesetz zugeführt und fand auch vor den französischen Gerichten bisher keine Interpretation.290 Seit Erlass der 286
287 288
289 290
Vgl. Frier, Droit du patrimoine culturel, 1997, Rdnr. 310; Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 14–17. Vgl. hierzu Palmer, Art Loans, 1997, S. 111–112. Vgl. Redmond-Cooper, Disputed title to loaned works of art: the Shchukin litigation, in: Palmer, Art Loans, 1997, S. 569–576. Vgl. Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 14–17. Vgl. hierzu die Untersuchung und Auslegung bei Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 14–17: „Das Gesetz selbst beschreibt nicht, welche Maßnahmen der Begriff der »insaisissabilité« umfassen soll. Wenn auch die Anlehnung an die Prinzipien der Staatenimmunität der Konzeption der Vorschrift zugrunde gelegen haben mag, lässt doch bereits die Formulierung zweifeln, ob die Leihgaben wirklich umfassend wie bei der allgemeinen völkerrechtlichen Immunität geschützt sein sollen. »Insaisissable« sind Gegenstände im zivilrechtlichen Verfahren laut Art. 14 des Gesetzes Nr. 91-650 vom 9.7.1991 [Art. 14 stellt fest: »Ne peuvent être saisis: 1° Les biens que la loi déclare insaisissables«]. Auch im Strafverfahren handelt es sich bei einer Beschlagnahme durch den Untersuchungsrichter nach Art. 97 ff. Code de procédure pénale um eine »saisie«, die Einziehung hingegen ist eine »confiscation«, nach Art. 131-2, 131-10, 131-14 und 131-16 Code pénal, so dass nach dem Wortlaut die Leihgaben vor Maßnahmen zwar im zivilrechtlichen, jedoch im strafrechtlichen Verfahren nur teilweise geschützt sind. Die Systematik des Gesetzes Nr. 94-679, das nach seiner Überschrift »unterschiedliche Vorschriften wirtschaftlicher und finanzieller Art« [»Loi n° 94-679 du 8 août 1994 portant diverses dispositions d’ordre économique et financier«]. enthält, kann ebenfalls keinen Aufschluss über den Inhalt der »insaisissabilité« geben, da sich der maßgebliche Art. 61 innerhalb des Abschnitts mit dem wenig aussagekräftigen Titel »verschiedene Vorschriften« (dispositions diverses) befindet. Letztlich kann damit nicht von einem lückenlosen Schutz der Leihgabe während der Ausstellung ausgegangen werden.“.
134
210
2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
Immunitätsregelung wurde die Vorschrift bereits mehrfach angewandt, so bspw. im Rahmen der Maurice Denis-Ausstellung in Lyon sowie der Derain- und der Cézanne-Ausstellungen in Paris.291 Nachdem im Jahre 1994 lediglich zwei Fälle, in den Folgejahren sieben (1995), fünf (1996), vier (1997), 29 (1998) und später dann 41 (1999), 47 (2000), 51 Fälle sowohl im Jahr 2001 als auch 2002 festgestellt werden konnten, hat die Vorschrift heute durchaus internationale Bekanntheit gewonnen und konnte sich dementsprechend auch in der Praxis unter Beweis stellen.
III. Attestato di libera circolazione in Italien 135
Seit Erlass des italienischen Kulturgüterschutzgesetzes292 aus dem Jahre 1999 – des Testo unico delle disposizioni legislative in materia di beni culturali e ambientali vom 29. Oktober 1999293 – sieht Art. 72 eine Bestätigung („certifica“) der Verbringung von Kulturgütern aus dem Ausland nach Italien vor.294 Hinzu kommt nach Art. 102295 eine Sonderregelung für Ausstellungen von wissenschaftlichem 291
292 293
294
295
Vgl. Redmond-Cooper, Disputed title to loaned works of art: the Shchukin litigation, in: Palmer, Art Loans, 1997, S. 569–576. Vgl. Jayme, Das Freie Geleit für Kunstwerke, 2001, S. 10–18. Vgl. Decreto legislativo 29 ottobre 1999, n. 490 (in Gazzetta Ufficiale, 27 dicembre 1999, n. 302). Vgl. Art. 72 Testo unico delle disposizioni legislative in materia di beni culturali e ambientali vom 29. Oktober 1999: Esportazione di beni culturali dal territorio dell’Unione europea (Legge 30marzo 1998, n. 88, art. 11): 1. L’esportazione al di fuori del territorio dell’Unione europea dei beni culturali indicati nell’allegato A di questo testo unico è disciplinata dal regolamento CEE e dal presente articolo. 2. La licenza di esportazione prevista dall’articolo 2 del regolamento CEE è rilasciata dall’ufficio di esportazione contestualmente all’attestato di libera circolazione previsto dall’articolo 66, comma 3, ed è valida per sei mesi. La licenza di esportazione è altresì rilasciata dal medesimo ufficio che ha emesso l’attestato di libera circolazione in data non anteriore a trenta mesi. 3. Nel caso di esportazione temporanea di un bene elencato nell’allegato A di questo testo unico, l’ufficio di esportazione rilascia la licenza di esportazione temporanea in conformità all’assenso espresso dal Ministero a norma dell’articolo 69, comma 4. 4. Le disposizioni della sezione I di questo Capo e dell’articolo 134 non si applicano ai beni culturali entrati nel territorio dello Stato e accompagnati da licenza di esportazione rilasciata da altro Stato membro dell’Unione europea a norma dell’articolo 2 del regolamento CEE, per la durata di validità della licenza medesima. 5. Ai fini del regolamento CEE gli uffici di esportazione del Ministero sono autorità competenti per il rilascio delle licenze di esportazione di beni culturali. Il Ministero ne forma e conserva l’elenco, comunicando alla Commissione delle Comunità europee eventuali aggiornamenti entro due mesi dalla loro effettuazione. Vgl. Art. 102 Testo unico delle disposizioni legislative in materia di beni culturali e ambientali vom 29. Oktober 1999: Mostre o esposizioni (Legge 2 aprile 1950, n. 328, artt. 6e 7; d.P.R. 22 dicembre 1986, n. 917, art. 13-bis, lett. h): 1. Il Ministero dichiara, a richiesta dell’interessato, il rilevante interesse scientifico o culturale delle mostre o esposizioni di opere d’arte ai fini dell’applicazione delle agevolazioni fiscali. 2. E’ soggetto ad autorizzazione ministeriale il prestito alla mostra o all’esposizione: a) di opere d’arte di proprietà dello Stato, assentito dall’ufficio competente; b) di opere d’arte costituenti beni culturali a norma dell’articolo 2,
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
211
oder kulturellem Interesse, bei denen die Ausleihe von Kulturgütern einer ministeriellen Genehmigung unterliegt.296 „Gedacht ist wohl in erster Linie an eine Ausleihe aus italienischen Sammlungen. Denkbar ist aber auch, daß in diesem Rahmen ein „Freies Geleit“ für aus dem Ausland geliehene Kulturgüter gewährt werden kann. Schließlich sieht das Gesetz ein behördliches attestato di libera circolazione vor (Art. 66)297.“298 Nach Erlass des Decreto Legislativo n. 42: Codice dei beni culturali e del paesaggio vom 24. Februar 2004 findet sich der Attestato di libera circolazione in Art 68 normiert: Art. 68 Decreto Legislativo n. 42: Codice dei beni culturali e del paesaggio vom 24. Februar 2004: Attestato di libera circolazione: 1. Chi intende far uscire in via definitiva dal territorio della Repubblica le cose e i beni indicati nell’articolo 65, comma 3, deve farne denuncia e presentarli al competente ufficio di esportazione, indicando, contestualmente e per ciascuno di essi, il valore venale, al fine di ottenere l’attestato di libera circolazione.
296 297
298
comma 1, lettera a), di proprietà di enti pubblici e di persone giuridiche private senza fine di lucro, o dichiarati a norma dell’articolo 6; c) di beni archivistici. 3. La richiesta di autorizzazione è presentata almeno quattro mesi prima dell’inizio della manifestazione ed indica il responsabile della custodia delle opere in prestito. 4. Il regolamento individua i criteri per il rilascio dell’autorizzazione, in relazione alle esigenze di integrità e fruizione pubblica delle opere. 5. L’autorizzazione può essere subordinata all’adozione delle misure necessarie alla salvaguardia delle opere. 6. L’autorizzazione prevista dal comma 2 produce gli effetti di quella prevista dall’articolo 22. 7. I provvedimenti indicati dal presente articolo sono adottati dalle regioni nelle ipotesi previste dal d.P.R. 14 gennaio 1972, n. 3. Vgl. Jayme, Das Freie Geleit für Kunstwerke, 2001, S. 10–18. Art. 66 Testo unico delle disposizioni legislative in materia di beni culturali e ambientali vom 29. Oktober 1999. Attestato di libera circolazione (Legge 1 giugno 1939, n. 1089, art. 36, sostituito dalla legge 30 marzo 1998, n. 88, art. 18): 1. Chi intenda far uscire dal territorio della Repubblica beni culturali indicati nell’articolo 65 deve farne denuncia e presentarli ai competenti uffici di esportazione, indicando, contestualmente e per ciascuno di essi, il valore venale, al fine di ottenere l’attestato di libera circolazione. 2. L’ufficio di esportazione, entro tre giorni dall’avvenuta presentazione del bene, ne dà notizia al competente ufficio dell’amministrazione centrale, che può, entro i successivi dieci giorni, inibire il rilascio dell’attestato di libera circolazione. 3. L’ufficio di esportazione, accertata la congruità del valore indicato, rilascia o nega, con motivato giudizio, l’attestato di libera circolazione. 4. L’attestato di libera circolazione è rilasciato dall’ufficio di esportazione non prima di quindici giorni e comunque non oltre quaranta giorni dalla presentazione del bene. 5. Nella valutazione circa il rilascio o il rifiuto dell’attestato di libera circolazione gli uffici di esportazione si attengono a indirizzi di carattere generale stabiliti dal competente comitato di settore del Consiglio nazionale per i beni culturali e ambientali. 6. L’attestato di libera circolazione ha validità triennale ed è redatto in tre originali dei quali: a) uno è depositato agli atti d’ufficio; b) un secondo è consegnato all’interessato e deve accompagnare la circolazione del bene; c) un terzo è trasmesso all’ufficio centrale del Ministero per la formazione del registro ufficiale degli attestati. 7. In caso di diniego, i beni sono sottoposti al regime previsto dall’articolo 6. 8. Per i beni culturali di proprietà della regione o di enti sottoposti alla sua vigilanza, l’ufficio di esportazione sente la regione, il cui parere è reso nel termine perentorio di trenta giorni dalla data di ricezione della richiesta e, se negativo, è vincolante. 9. Restano ferme le competenze delegate alle regioni in materia di esportazione dei beni indicati all’articolo 2, comma 2, lettera c). Vgl. Jayme, Das Freie Geleit für Kunstwerke, 2001, S. 10–18.
136
212
2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht 2. L’ufficio di esportazione, entro tre giorni dall’avvenuta presentazione della cosa o del bene, ne dà notizia ai competenti uffici del Ministero, che segnalano ad esso, entro i successivi dieci giorni, ogni elemento conoscitivo utile in ordine agli oggetti presentati per l’uscita definitiva. 3. L’ufficio di esportazione, accertata la congruità del valore indicato, rilascia o nega con motivato giudizio, anche sulla base delle segnalazioni ricevute, l’attestato di libera circolazione, dandone comunicazione all’interessato entro quaranta giorni dalla presentazione della cosa o del bene. 4. Nella valutazione circa il rilascio o il rifiuto dell’attestato di libera circolazione gli uffici di esportazione si attengono a indirizzi di carattere generale stabiliti dal Ministero, sentito il competente organo consultivo. 5. L’attestato di libera circolazione ha validità triennale ed e’ redatto in tre originali, uno dei quali e’ depositato agli atti d’ufficio; un secondo e’ consegnato all’interessato e deve accompagnare la circolazione dell’oggetto; un terzo e’ trasmesso al Ministero per la formazione del registro ufficiale degli attestati. 6. Il diniego comporta l’avvio del procedimento di dichiarazione, ai sensi dell’articolo 14. A tal fine, contestualmente al diniego, sono comunicati all’interessato gli elementi di cui all’articolo 14, comma 2, e le cose o i beni sono sottoposti alla disposizione di cui al comma 4 del medesimo articolo. 7. Per le cose o i beni di proprietà di enti sottoposti alla vigilanza regionale, l’ufficio di esportazione acquisisce il parere della regione, che e’ reso nel termine perentorio di trenta giorni dalla data di ricezione della richiesta e, se negativo, e’ vincolante.
137
Dieser Attestato di libera circolazione betrifft Kulturgüter, die sich in Italien befinden. Möglicherweise lässt sich die Bescheinigung aber auch beantragen, bevor das Kulturgut nach Italien ausgeliehen wird. Direkt ist aber das Freie Geleit nach italienischem Recht offenbar nicht vorgesehen.299
IV. Zusage ‚freien Geleits‘ in Deutschland Schrifttum: Bauer, Eilverfahren und einstweilige Verfügung zur Sicherung von Rechten an reportierten Kulturgegenständen, in: Genieva/Michaletz/Werner, Gesten des guten Willens und Gesetzgebung – Dokumentation der internationalen Konferenz zur Problematik kriegsbedingt verlagerter Kulturgüter; Moskau, 24. und 25. April 2001, 2001, S. 226–231; Berndt, Internationaler Kulturgüterschutz: Abwanderungsschutz, Regelungen im innerstaatlichen Recht, im Europa- und Völkerrecht, 1998, S. 41 ff.; Boos, Kulturgut als Gegenstand des grenzüberschreitenden Leihverkehrs, 2006, S. 233–280; Doehring, Völkerrechtswidrige Konfiskation eines Gemäldes des Fürsten von Liechtenstein als „deutsches Eigentum“: Ein unrühmlicher Schlusspunkt (zu BVerfG 28.1.1998 – 2 BvR 1981/97), IPRax 1998, S. 465–467; Fassbender, Klageausschluß bei Enteignungen zu Reparationszwecken: Das Gemälde des Fürsten von Liechtenstein, NJW 1999, S. 1445–1448; Fassbender, Der Fürst, ein Bild und die deutsche Geschichte – Anmerkung zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Fürst Hans-Adam II. von und zu Liechtenstein gegen Deutschland, EuGRZ 2001, S. 459–466; Fuchs, Kulturgüterschutz im Kulturgutsicherungsgesetz, IPRax 2000, S. 281–286; Haellmigk, Die Leihe in der französischen, englischen und deutschen Rechtsordnung – Unter besonderer Berücksichtigung der Kunstleihe, 2009; Hipp, Kulturgüterschutz in Deutschland, 2000; Hirsch, Die Bedeutung der Zusage „freien Geleits“ für Kulturgüter NJW 2001 (Heft 22), S. 1627;
299
Vgl. Jayme, Das Freie Geleit für Kunstwerke, 2001, S. 10–18.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
213
Jayme, Das Freie Geleit für Kunstwerke, 2001; Jayme/Geckler, Internationale Kunstausstellungen: „Freies Geleit“ für Leihgaben, IPRax 2000 (Heft 2), S. 156–157; Kienle/Weller, Die Vindikation gestohlener Kulturgüter im IPR, IPRax 2004, S. 290–294, S. 293–294; Odendahl, Immunität entliehener ausländischer staatlicher Kulturgüter – Eine Analyse der Affäre um die Beschlagnahme der Gemälde aus dem Puschkin-Museum im November 2005, AJP/PJA 10/2006, S. 1175 ff.; Peter, Les tableaux du Musée Pouchkine de Moscou, Schuldbeitreibung und Konkurs 70 (2006), S. 61 ff.; Peya, Die Ausfuhr von Kulturgütern im nationalen und Gemeinschaftsrecht, 2002, S. 240–244; Pieroth/Hartmann, Rechtswegbeschränkung zur Sicherung des Leihverkehrs mit ausländischen Kulturgütern, NJW 2000 (Heft 30), S. 2129–2135; Schoen, Der rechtliche Status von Beutekunst – Eine Untersuchung am Beispiel der aufgrund des Zweiten Weltkriegs nach Russland verbrachten deutschen Kulturgüter, 2004, S. 201–215; SeidlHohenveldern, Völkerrechtswidrigkeit der Konfiskation eines Gemäldes aus der Sammlung des Fürsten von Liechtenstein als angeblich „deutsches“ Eigentum, IPRax 1996, S. 410–412; Weller, Die rechtsverbindliche Rückgabezusage, in: Blaurock u.a., Festschrift für Achim Krämer zum 70. Geburtstag, 2009, S. 721–735; Weller, Freies Geleit für die Kunst – Die Schweiz setzt einen Maßstab für Leihgaben im Völkerrecht, FAZ, 25. November 2005, Nr. 275, S. 35 (Feuilleton); Weller, Immunity for Artworks on Loan? A Review of International Customary Law and Municipal Anti-seizure Statutes in Light of the Liechtenstein Litigation, Vanderbilt Journal of Transnational Law 2005, S. 997–1039; Weller, Völkerrechtliche Grenzen der Zwangsvollstreckung – vom Botschaftskonto zur Kunstleihgabe, Rpfleger 2006, S. 364–373; Weller, The Safeguarding of Foreign Cultural Objects on Loan in Germany, Art, Antiquity and Law, Vol. XIV, Issue 1 (2009), S. 63–77.
Der weltweiten Tendenz, dem öffentlichen Interesse an globalen Kulturveranstaltungen ein solches Gewicht zu verleihen, dass die Interessen der privaten Eigentümer und der Künstler im internationalen Leihverkehr kultureller Wertgegenstände zurücktreten, folgt seit dem Jahr 1998 auch die Bundesrepublik Deutschland.300 Zuvor scheiterte die Ausstellung ausländischen Kulturguts „immer wieder daran, dass den Verleihern das Risiko zu groß war, dass ihnen die verliehene Sache in der Bundesrepublik Deutschland abhanden kommt.“301 Besonders innerhalb der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland liegt aufgrund der riesigen Quantität der zur Zeit des Zweiten Weltkriegs unrechtmäßig entzogenen und transferierten Kulturgüter noch heute mehr als 60 Jahre nach dessen Ende nicht offen zu Tage, wie zahlreiche Bestände öffentlicher und privater Kunstsammlungen während und nach der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft zusammengetragen wurden.
138
„Gerade bei wertvollen Kunstgegenständen haben die Nachkriegswirren häufig vernebelt, in wessen Eigentum sie stehen. Daher treten neben den Verleiher andere, die dieses Recht ebenfalls für sich reklamieren. Wie gut die Chancen dieser anderen stehen, die Herausgabe der Sache durchzusetzen, kann der Verleiher verlässlich regelmäßig nur abschätzen, solange er die Sache bei sich hat, im Geltungsbereich einer Rechtsordnung, die er kennt. Ermöglicht der Verleiher dagegen Gerichten und Vollstreckungsorganen
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300
301
Vgl. Jayme/Geckler, Internationale Kunstausstellungen: „Freies Geleit“ für Leihgaben, IPRax 2000 (Heft 2), S. 156–157, S. 156. Vgl. Pieroth/Hartmann, Rechtswegbeschränkung zur Sicherung des Leihverkehrs mit ausländischen Kulturgütern, NJW 2000 (Heft 30), S. 2129–2135, S. 2129.
214
2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht fremder Rechtsordnungen den Zugriff auf das Kulturgut, geht er ein (gesteigertes) Risiko ein. Ihm diese Angst zu nehmen, steht nicht in der Macht des Entleihers, weil er weder gerichtliche Entscheidungen noch ihre Vollstreckung verhindern kann.“302
140
Zunächst erfolgt anhand des sog. Liechtenstein-Falles (vgl. hierzu nachstehend unter Punkt 1.) eine Erläuterung der praktischen Bedeutung der Zusage freien Geleits für die Bundesrepublik Deutschland (vgl. hierzu Punkt 2.). Trotz dieses internationalen Hintergrundes und einer mehr als zehnjährigen Applikation der deutschen Immunitätsregelung muss mangels gerichtlicher Überprüfung der Vorschrift noch heute von einer starken Rechtsunsicherheit ausgegangen werden, die bei potenziell entscheidungsbedürftigen Fällen wohl hauptsächlich anhand von Sinn und Zweck der Implikation des Rechtsinstituts des ‚freien Geleits‘ und rechtsvergleichend aufgrund der geschilderten internationalen Erfahrungswerte zu entscheiden ist. Zwar ist man bei Durchsicht der einschlägigen Literatur der Ansicht, dass die Diskussion noch am Beginn steht, jedoch sind zahlreiche der aufgeworfenen Fragestellungen anhand der genannten Wertungskriterien heute eindeutig einer Entscheidung zugänglich.
141
So sollten die Frage nach der richtigen Auslegung des Anwendungsbereichs der Terminologie „ausländisches Kulturgut“ und das Problem der Zusage ‚freien Geleits‘ auch gegenüber Beständen der sog. Trophäenkunst im russisch-deutschen Leihverkehr zugunsten eines kulturellen Internationalismus beantwortet werden, sodass auch die sachlich zu Recht dem deutschen Staat zuzuordnende Trophäenkunst als „Kulturgüter aus dem Ausland“ zu qualifizieren ist und die Chance der zumindest öffentlichen Zugänglichkeit ergriffen wird (vgl. ausführlich hierzu nachfolgend unter Punkt 3.). Dass hierin eine Anerkennung der unrechtmäßigen völker- und zivilrechtlichen Zuordnung an die Russische Föderation zu erkennen wäre, kann widerlegt werden.
142
Uneinigkeit herrschte anfänglich in der Rechtsliteratur auch hinsichtlich des Schutzumfangs der kulturellen Immunitätszusage gegenüber dem Rechtsstaatsprinzip (vgl. ausführlich hierzu nachfolgend unter Punkt 4.). Diese Unsicherheit sollte heute als ebenso überwunden angesehen werden wie das Verhältnis zu den europarechtlichen Restitutionstatbeständen kultureller Wertgegenstände. Die systematische Widersprüchlichkeit in Deutschland, dass das Rechtsinstitut des ‚freien Geleits‘ für Kunstwerke in dem Gesetz zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung vom 6. August 1955 eingeführt wurde, das zugleich die Richtlinie 93/7/EWG des Rates über die Rückgabe von unrechtmässig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgüter vom 15. März 1993 umsetzt, und die korrespondierende Frage, ob die Restitutionspflicht der Richtlinie mit der Statuierung einer kulturellen Immunität im internationalen Leih-
302
So Pieroth/Hartmann, Rechtswegbeschränkung zur Sicherung des Leihverkehrs mit ausländischen Kulturgütern, NJW 2000 (Heft 30), S. 2129–2135, S. 2129.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
215
verkehr überhaupt vereinbar ist, lassen sich dahingehend lösen, dass die Richtlinie durch Art. 151 EGV überlagert wird, welcher die kulturelle Zusammenarbeit – auch mit dritten Ländern – zur Politik der Europäischen Union erhebt und dementsprechend die temporäre Beschlagnahmefreiheit gerade nicht gegen die Richtlinie 93/7/EWG vom 15. März 1993 verstößt.303 Delikat bleibt weiterhin die Gewissensentscheidung hinsichtlich der Zusage ‚freien Geleits‘ in Fällen der NS-Raubkunst. Fraglich ist in diesen kulturpolitisch besonders emotionalen und publikträchtigen Konstellationen, ob man diesem Kreis verfolgter (jüdischer) Personen, die ihr Eigentum durch die nationalsozialistischen Plünderungsbehörden und -organe innerhalb Deutschlands verloren haben, nun aufgrund der Zusage ‚freien Geleits‘ gegenüber dem leihgebenden Institut eine gerichtliche Überprüfung ihrer Rechtsposition in Deutschland bei aktuellem Aufenthalt des in Streit stehenden Kulturguts in Deutschland tatsächlich versagen kann.
1.
Liechtenstein-Fall
Konkreter Hintergrund der deutschen Immunitätsregelung ausländischer kultureller Wertgegenstände ist die Konstellation des sog. Liechtenstein-Falles304 des Fürstentums Liechtenstein gegen die Bundesrepublik Deutschland, der in den letzten zehn Jahren sämtliche deutschen Gerichtsinstanzen305 inklusive des Bundes303
304
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Vgl. Jayme/Geckler, Internationale Kunstausstellungen: „Freies Geleit“ für Leihgaben, IPRax 2000 (Heft 2), S. 156–157, S. 157. Vgl. hierzu Jayme, Das Freie Geleit für Kunstwerke, 2001, S. 6–7; Neue Zürcher Zeitung, Vom „Bilderstreit“ zur Völkerrechts-Klage: Liechtenstein zieht Deutschland vor Haager Gerichtshof, Artikel vom 2./3. Juni 2001, Nr. 126, S. 5; FAZ, Liechtenstein verklagt Deutschland – Entschädigung für enteignete Vermögen in Tschechoslowakei gefordert, Artikel vom 2. Juni 2001, S. 5; Jayme, Melancholischer Blick in die Landschaft – Die Pinakothek in Guercinos Heimatstadt Cento entwirft ein Bild des Malers von neuartiger Universalität, Berliner Zeitung, Artikel vom 3.5.2001, S. 16; Hipp, Kulturgüterschutz in Deutschland, 2000, S. 28; Seidl-Hohenveldern, Völkerrechtswidrigkeit der Konfiskation eines Gemäldes aus der Sammlung des Fürsten von Liechtenstein als angeblich „deutsches“ Eigentum, IPRax 1996, S. 410–412; Doehring, Völkerrechtswidrige Konfiskation eines Gemäldes des Fürsten von Liechtenstein als „deutsches Eigentum“: Ein unrühmlicher Schlusspunkt (zu BVerfG 28.1.1998 – 2 BvR 1981/97), IPRax 1998, S. 465–467; Fassbender, Klageausschluß bei Enteignungen zu Reparationszwecken: Das Gemälde des Fürsten von Liechtenstein, NJW 1999, S. 1445–1448; Fassbender, Der Fürst, ein Bild und die deutsche Geschichte – Anmerkung zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Fürst HansAdam II. von und zu Liechtenstein gegen Deutschland, EuGRZ 2001, S. 459–466; Fuchs, Kulturgüterschutz im Kulturgutsicherungsgesetz, IPRax 2000, S. 281–286, S. 286; Weller, Immunity for Artworks on Loan? A Review of International Customary Law and Municipal Anti-seizure Statutes in Light of the Liechtenstein Litigation, Vanderbilt Journal of Transnational Law 2005, S. 997–1039. Vgl. LG Köln, Urteil der 5. Zivilkammer vom 10.10.1995, Az.: 5 O 182/92, IPRax 1996, S. 419–422. Vgl. hierzu Seidl-Hohenveldern, Völkerrechtswidrigkeit der Konfiskation eines Gemäldes aus der Sammlung des Fürsten von Liechtenstein als angeblich „deutsches“ Eigentum, IPRax 1996, S. 410–412; BGH, Beschluss vom 25.9.1997, II ZR 213/96 (unveröffentlicht); dagegen Seidl-Hohenveldern, Völkerrechtswidrigkeit der Konfiskation eines Ge-
143
216
2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
verfassungsgerichts306, des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßbourg307 und des Internationalen Gerichtshofs beschäftigt hat.308 (s. Abb. 26) 144
Das Denkmalschutzamt der Republik Tschechien hatte das Gemälde ‚Szene um einen römischen Kalkofen‘ von Pieter van Laer für eine Kölner Ausstellung ausgeliehen. Im Jahre 1991 kam das Bild als Leihgabe in das Wallraf-Richartz-Museum in Köln. Der Fürst von Liechtenstein bzw. dessen Erbe beanspruchten die Herausgabe des Gemäldes, das seit mindestens 1767 zu der Sammlung der Familie Liechtenstein gehörte. Zu Ende des Zweiten Weltkriegs befand sich das Kunstwerk in einem der Schlösser der Familie in der heutigen Tschechischen Republik in Valtice in Südmähren und wurde dort auf Grund des sog. Benes-
306
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mäldes aus der Sammlung des Fürsten von Liechtenstein als angeblich „deutsches“ Eigentum, IPRax 1996, S. 410–412, S. 411; Doehring, Völkerrechtswidrige Konfiskation eines Gemäldes des Fürsten von Liechtenstein als „deutsches Eigentum“: Ein unrühmlicher Schlusspunkt (zu BVerfG 28.1.1998 – 2 BvR 1981/97), IPRax 1998, S. 465–467, S. 466. BVerfG, sog. Gemäldeenteignung-Beschluss des 2. Senats, 3. Kammer, vom 28.01.1998, Az.: 2 BvR 1981/97, IPRax 1998, 482–483. Vgl. Doehring, Völkerrechtswidrige Konfiskation eines Gemäldes des Fürsten von Liechtenstein als „deutsches Eigentum“: Ein unrühmlicher Schlusspunkt (zu BVerfG 28.1.1998 – 2 BvR 1981/97), IPRax 1998, S. 465–467; Fassbender, Klageausschluß bei Enteignungen zu Reparationszwecken: Das Gemälde des Fürsten von Liechtenstein, NJW 1999, S. 1445–1448. Urteil des EGMR vom 12.7.2001, Az.: 42527/98, NJW 2003, S. 649–654, nach dem Art. 6 EMRK und Art. 1 Zusatzprotokoll nicht verletzt wurden: Der im Vertrag zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen in der Fassung der Bekanntmachung vom 30. März 1955 (BGBl. II 1955, 405) (sog. Überleitungsvertrag) Teil 6 Art. 3 Abs. 1 und Abs. 3 enthaltene Ausschluß der deutschen Gerichtsbarkeit im Hinblick auf Reparationsenteignungen und dessen Fortgeltung aufgrund des Vertrags über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland vom 12. September 1990 (BGBl. II 1990, 1318) Art. 7 Abs. 1 und Abs. 2 verstößt nicht gegen die Eigentumsgarantie des MRK Art. 6 Abs. 1, da die Souveränität der Bundesrepublik Deutschland infolge des Besatzungsregimes auch nach dessen Beendigung bis zur Wiedervereinigung beschränkt war. Vgl. zu den tatsächlichen Hintergründen des Falles Jayme, Das Freie Geleit für Kunstwerke, 2001, S. 6–7; Blumenwitz, Die Liechtenstein-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, Archiv des Völkerrechts 40. Band (2002), S. 215–242; Fassbender, Der Fürst, ein Bild und die deutsche Geschichte – Anmerkung zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Fürst Hans-Adam II. von und zu Liechtenstein gegen Deutschland, EuGRZ 2001, S. 459–466; Häußler, Justizgewährleistung und Eigentumsschutz bei Reparationsenteignungen, S. 283–286; Seidl-Hohenveldern, Völkerrechtswidrigkeit der Konfiskation eines Gemäldes aus der Sammlung des Fürsten von Liechtenstein als angeblich „deutsches“ Eigentum, IPRax 1996, S. 410–412; Seidl-Hohenveldern, Nachwirkung der Kontrollratsgesetzgebung und die deutsche Souveränität – zu den Urteilen über die „Bodenreform“ und zur Fortgeltung des Klagestopps nach dem Überleitungsvertrag, in Götz/Selmer/Wolfrum/Jänicke, Liber amicorum Günther Jaenicke, 1998, S. 975 ff.; Doehring, Völkerrechtswidrige Konfiskation eines Gemäldes des Fürsten von Liechtenstein als „deutsches Eigentum“: Ein unrühmlicher Schlusspunkt (zu BVerfG 28.1.1998 – 2 BvR 1981/97), IPRax 1998, S. 465–467; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 26–29.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
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Dekrets Nr. 12 vom 21.6.1945309 als deutsches Auslandsvermögen konfisziert. § 1 Abs. 1 lit. a des Dekrets ordnete die Konfiskation des Landwirtschaftsvermögens „aller Personen der deutschen und ungarischen Nationalität“ ohne Berücksichtigung ihrer Staatsangehörigkeit an. Obgleich es im Sommer 1938 noch zur völkerrechtlichen Anerkennung zwischen dem Fürstentum Liechtenstein und der Tschechoslowakischen Republik gekommen war und im Verlauf des Zweiten Weltkriegs die liechtensteinische Neutralität allseits anerkannt wurde, blieben die fürstlichen Bemühungen innerhalb der Tschechoslowakischen Republik um die Restitution des Gemäldes ohne Erfolg. Der zuständige Beschwerdeausschuss entschied, dass es für die Beurteilung der Konfiskation des liechtensteinischen Vermögens „vollkommen belanglos [sei], ob jemand Ausländer oder unser Staatsangehöriger, Oberhaupt oder Bürger eines neutralen oder anderen Staates ist“. Nach § 2 Abs. 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 lit. a des Dekrets waren solche Personen entschädigungslos zu enteignen, „welche bei einer Volkszählung seit 1929 sich zur deutschen oder ungarischen Nationalität angemeldet haben“. Da die deutsche Volkszugehörigkeit des Fürsten „allgemein bekannt“ sei, ging der Einwand des Fürsten, er habe sich zwischen 1929 und 1939 nie in eine tschechoslowakische Volkszählungsliste eingetragen, nach Rechtsansicht der zuständigen Behörde ins Leere. Nachdem das Kunstwerk in der Folge im Jahre 1991 von der zuständigen tschechischen Denkmalschutzanstalt, in deren Obhut es gestellt worden war, als Leihgabe in das Kölner Wallraf-Richartz-Museum gelangt war, erwirkte der heutige Fürst Hans-Adam II. Ende desselben Jahres aufgrund einer einstweiligen Verfügung die Sequestration des Gemäldes, das in den Gewahrsam des Kölner Obergerichtsvollziehers verbracht wurde. In der Folge verlor aber Fürst Hans-Adam II. alle Prozesse vor den deutschen Gerichten bis hin zum Bundesverfassungsgericht, welche meinten, die deutsche Gerichtsbarkeit für solche Enteignungen sei staatsvertraglich ausgeschlossen, daher im vorliegenden Fall nicht gegeben und eine Klage dementsprechend als unzulässig zu bewerten. Das Landgericht Köln als Ausgangsinstanz war der Meinung, dass Art. 3 Abs. 1 und 3 des Sechsten Teiles des Überleitungsvertrages310 ihm verbiete, diese Klage zuzulassen. Art. 3 des Überleitungsvertrages: (1) Die Bundesrepublik wird in Zukunft keine Einwendungen gegen die Maßnahmen erheben, die gegen das deutsche Auslands- oder sonstige Vermögen durchgeführt worden sind oder werden sollen, das beschlagnahmt worden ist für Zwecke der Reparation oder Restitution oder auf Grund des Kriegszustandes oder auf Grund von Abkommen, die die Drei Mächte mit anderen alliierten Staaten, neutralen Staaten oder ehemaligen Bundesgenossen Deutschlands geschlossen haben oder schließen werden. …
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Vgl. Benes-Dekrets Nr. 12 vom 21.6.1945, Slg. Nr. 12, Dokumentation zur Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa IV, Die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus der Tschechoslowakei Band 1, S. 225. BGBl. 1955 II., S. 405.
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht (3) Ansprüche und Klagen gegen Personen, die auf Grund der in Absatz (1) und (2) dieses Artikels bezeichneten Maßnahmen Eigentum erworben oder übertragen haben, sowie Ansprüche und Klagen gegen internationale Organisationen, ausländische Regierungen oder Personen, die auf Anweisung dieser Organisationen oder Regierungen gehandelt haben, werden nicht zugelassen.
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Das Landgericht Köln berief sich dabei auf die Rechtsansicht des Bundesgerichtshofs, der bei als Feindvermögen beschlagnahmten Objekten für die Frage, was deutsches oder ausländisches Vermögen ist, ausschließlich die Sicht des enteignenden Staates für maßgeblich hielt.311 Mit Hilfe der „zweckorientierten Auslegung“ des Überleitungsvertrages wurde der Fürst von Liechtenstein als deutscher Staatsangehöriger angesehen.312 Seidl-Hohenveldern stellte jedoch überzeugend dar, dass diese Bestimmung sich nur gegen deutsches Auslandsvermögen richtet, das beschlagnahmt worden ist für Zwecke der Reparation oder Restitution oder aufgrund des Kriegszustandes oder aufgrund von Abkommen der Drei Mächte mit anderen Staaten. „Es müßte jedermann einleuchten, daß der Fürst von Liechtenstein, das Staatsoberhaupt eines im Zweiten Weltkrieg neutralen Staates, nach Völkerrecht und nach deutschem Recht kein Deutscher im Sinne dieser Bestimmung war. Diesen Einwand hat das Verwaltungsgericht Bratislava am 21.11.1951, also zur Zeit der kommunistischen Herrschaft, in letzter Instanz zwar zurückgewiesen.“313 Bei der Auslegung des im Überleitungsvertrag ausgesprochenen Verbots komme es doch vor allem auf den Willen der Vertragspartner an. „Diese wollten nur Vermögen treffen, das nach ihrer Ansicht deutsches Vermögen war. Es kann den Drei Mächten keineswegs unterstellt werden, daß sie jedem ihrer Verbündeten einen Blankoscheck ausstellen wollten, sich jedes beliebige Objekt, selbst unter Verletzung völkerrechtlicher Rechte eines Drittstaates, dadurch anzueignen, daß er dieses als deutsches Vermögen bezeichnet. Der Fürst von Liechtenstein als Staatsoberhaupt eines im Zweiten Weltkrieg neutralen Staates hat weder die deutsche Besatzungsmacht noch den Befreiungs-
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BGH, Beschluss vom 25.9.1997, II ZR 213/96 (unveröffentlicht); vgl. bereits BGH, Urteil des 4. Zivilsenats vom 29.01.1953, Az.: IV ZR 201/51, BGHZ 8, S. 378–383 (Soweit der tschechoslowakische Staat Eigentum von Sudetendeutschen auf Grund seiner Feindvermögensgesetzgebung enteignet hat, ist die deutsche Gerichtsbarkeit durch das Gesetz des Rates der Alliierten Hohen Kommission Nr. 63 für eine Eigentumsherausgabeklage ausgeschlossen. Es ist daher insoweit auch kein Raum für eine Prüfung, ob diese Enteignungsgesetzgebung gegen die guten Sitten oder den Zweck eines deutschen Gesetzes verstößt.); und BGH, Urteil des 2. Zivilsenats vom 11.04.1960, Az.: II ZR 64/58, BGHZ 32, 170–173 (Für eine Feststellungsklage, das Eigentum an den als deutsches Vermögen beschlagnahmten Werten habe vor der Beschlagnahme durch die USA der ausländischen Klägerin und nicht der deutschen Beklagten gehört, ist die deutsche Gerichtsbarkeit nicht gegeben.). Vgl. Jayme/Geckler, Internationale Kunstausstellungen: „Freies Geleit“ für Leihgaben, IPRax 2000 (Heft 2), S. 156–157. Vgl. Seidl-Hohenveldern, Völkerrechtswidrigkeit der Konfiskation eines Gemäldes aus der Sammlung des Fürsten von Liechtenstein als angeblich „deutsches“ Eigentum, IPRax 1996, S. 410–412.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
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kampf des tschechischen und slowakischen Volkes unterstützt.“314 Darüber hinaus hätte der Versuch, die gegen Personen, die nach tschechoslowakischer Ansicht deutscher Nationalität waren, in dem Benes-Dekret verhängte Kollektivstrafe auf den Fürsten zu erstrecken, nach richtigem Verständnis an dessen Immunität scheitern müssen. „Nach Völkerrecht genießt ein Staatsoberhaupt Immunität, selbst gegen strafrechtliche Anklagen.“315 Sowohl die Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht als auch die Menschenrechtsbeschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg wurde trotz der überzeugenden Kritik abgewiesen. Schließlich stellte der Internationale Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 10. Februar 2005 in Den Haag auch entgegen der Rechtseinschätzung des Fürsten für Liechtenstein klar, dass Ansprüche allein gegen Tschechien zu richten seien. Die Ansprüche Liechtensteins wegen einer Verletzung seiner staatlichen Souveränität durch die Beschlagnahme liechtensteinischen Vermögens auf dem Gebiet der früheren Tschechoslowakei im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg sind nicht gegen Deutschland, als den Ort der kulturellen Leihnahme, zu richten. Der Internationale Gerichtshof hat dabei entschieden, dass er für das Verfahren gegen Deutschland nicht zuständig sei. Das Fürstentum Liechtenstein wird jetzt prüfen, welche weiteren Schritte unternommen werden, insbesondere ob es das für derartige Fälle vorgesehene OSZE-Streitbeilegungsverfahren wegen der Enteignungen im Jahre 1945 gegen die Tschechische und die Slowakische Republik in Gang setzen kann.
2.
Hintergrund und Anlass in Deutschland
Der nicht von den Gerichten artikulierte, aber wirkliche Hintergrund des Falles war die besondere Situation eines aus Tschechien ausgeliehenen Gemäldes, bei dessen Nichtrückgabe die ohnehin delikaten Beziehungen der beiden Staaten „vergiftet“316 worden wären. Um die Rückgabe entliehener Kulturgüter zum festgesetzten Zeitpunkt zu gewährleisten, konnte man sich nicht mit Sicherheit auf die Grundsätze der allgemeinen Staatenimmunität verlassen, da in zahlreichen Situationen (bspw. der Entleiher ist eine Privatperson oder eine private kulturelle Institution) deren Anwendungsbereich nicht eröffnet war, sodass es des Eingreifens des Gesetzgebers bedurfte.317 Dementsprechend auffällig ist die zeitliche Parallele der Einführung des ‚freien Geleits‘ in Deutschland mit dem Prozess des
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So Seidl-Hohenveldern, Völkerrechtswidrigkeit der Konfiskation eines Gemäldes aus der Sammlung des Fürsten von Liechtenstein als angeblich „deutsches“ Eigentum, IPRax 1996, S. 410– 412. Vgl. Seidl-Hohenveldern, Völkerrechtswidrigkeit der Konfiskation eines Gemäldes aus der Sammlung des Fürsten von Liechtenstein als angeblich „deutsches“ Eigentum, IPRax 1996, S. 410–412. So Jayme, Das Freie Geleit für Kunstwerke, 2001, S. 6–7. Vgl. Pieroth/Hartmann, Rechtswegbeschränkung zur Sicherung des Leihverkehrs mit ausländischen Kulturgütern, NJW 2000 (Heft 30), S. 2129–2135, S. 2129.
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
Fürsten Hans-Adam II. von Liechtenstein um das genannte Gemälde des niederländischen Malers Pieter van Laer.318 Obwohl die deutschen Rechtsansichten des Bundesgerichtshofs wie des Bundesverfassungsgerichts in der Rechtsdogmatik nahezu einhellig für verfassungswidrig gehalten werden,319 wurde doch auch von den Kritikern der genannten Entscheidungen die kulturpolitische Bedeutung des für Recht befundenen Ergebnisses für das internationale Ausstellungswesen erkannt und diesbezüglich für die Bevorzugung der Interessen des Leihgebers Verständnis geäußert.320 So formulierte Seidl-Hohenveldern in seinen Untersuchungen des Liechtenstein-Falles ausdrücklich, dass ein Leihgeber darauf vertrauen können müsse, dass er das geliehene Objekt zurückerhalte.321 148
Konkreter praktischer Anlass für die Einführung einer kulturellen Immunitätsregelung innerhalb der deutschen Rechtsordnung war jedoch die bereits seit dem Jahre 1992 geplante und von Juli bis Oktober 2003 im Alten Museum in Berlin und von November 2003 bis Februar 2004 in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn präsentierte Ausstellung ‚Schätze der Himmelssöhne – Die kaiserliche Sammlung aus dem Nationalen Palastmuseum Taipeh‘. Nach Schauen in den Vereinigten Staaten (1996) und Frankreich (1998) schicken die Taiwaner zum dritten Mal die mit über 200 Millionen Euro versicherten Exponate ins Ausland. Zu den Exponaten zählten Objekte aus dem China der Kaiserzeit, etwa das kaiserliche Siegel, das die bei Ausbruch der Kulturrevolution amtierende chinesische Regierung bei ihrer Flucht nach Taiwan aus Peking mitnahm.322 Die taiwanesischen Leihgeber mussten befürchten, ohne eine Zusage des freien Geleits gerichtlichen Vollstreckungsmaßnahmen auf Veranlassung von chinesischen Behörden ausgesetzt zu sein.323 „Denn nach Lesart
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So Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 17–20. Vgl. nur Seidl-Hohenveldern, Völkerrechtswidrigkeit der Konfiskation eines Gemäldes aus der Sammlung des Fürsten von Liechtenstein als angeblich „deutsches“ Eigentum, IPRax 1996, S. 410–412; Doehring, Völkerrechtswidrige Konfiskation eines Gemäldes des Fürsten von Liechtenstein als „deutsches Eigentum“: Ein unrühmlicher Schlusspunkt (zu BVerfG 28.1.1998 – 2 BvR 1981/97), IPRax 1998, S. 465–467; Fassbender, Klageausschluß bei Enteignungen zu Reparationszwecken: Das Gemälde des Fürsten von Liechtenstein, NJW 1999, S. 1445–1448. Vgl. Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 17–20. So Seidl-Hohenveldern, Völkerrechtswidrigkeit der Konfiskation eines Gemäldes aus der Sammlung des Fürsten von Liechtenstein als angeblich „deutsches“ Eigentum, IPRax 1996, S. 410–412, S. 411. Toyka-Fuong, Ausstellung Schätze der Himmelssöhne. Die Kaiserliche Sammlung aus dem Nationalen Palastmuseum, Taipeh, Die Großen Sammlungen, vom 18. Juli bis 12. Oktober 2003 im Alten Museum in Berlin und vom 21. November 2003 bis 15. Februar 2004 in Bonn in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH, Katalog, 2003. Vgl. Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 17–20; Weller, The Safeguarding of Foreign Cultural Objects on Loan in Germany, Art, Antiquity and Law, Vol. XIV, Issue 1 (2009), S. 63–77.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
221
Pekings gehört die Insel zur Volksrepublik. Damit wären auch die Kunstschätze Eigentum des Festlandes. Die wertvollsten Stücke aus dem Pekinger Kaiserpalast waren von den Nationalistischen Truppen unter Chiang Kai-chek auf ihrer Flucht vor Maos Kommunisten zwischen 1948 und 1949 in Tausenden Kisten nach Taipeh verschifft worden.“324 Es wurde somit befürchtet, dass Peking die Schätze als sein Vermögen vor Gericht reklamieren könnte. Der deutsche Gesetzgeber hat nun vor dem Hintergrund der beiden genannten Erfahrungen und Bedürfnisse mit § 20 des Gesetzes zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung vom 6. August 1955 eine Vorschrift geschaffen, welche der „Sicherung des Leihverkehrs mit ausländischen Kulturgütern“ dient325 und die zuständige Behörde nun ermächtigt, dem Verleiher die Rückgabe zum festgesetzten Zeitpunkt rechtsverbindlich zuzusagen. Die zuständige Behörde kann einen Verwaltungsakt erlassen, der bewirken soll, dass Leihgaben von Kunstwerken und Kulturgütern aus dem Ausland für Ausstellungen im Inland gleichsam immun gegenüber hoheitlichem Zugriff sind und ganz ähnlich wie Diplomaten „Freies Geleit“ genießen.326
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Diese Zusage löst einen umfassenden und absoluten Schutz des Verleihers aus.327 Rechtstechnisch geschieht dies durch den vorübergehenden Ausschluss des Zugangs zu Gericht für Klagen auf Herausgabe einschließlich flankierender hoheitlicher Sicherungsmaßnahmen. Durch das Gesetz zur Umsetzung von Richtlinien der Europäischen Gemeinschaften über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern und zur Änderung des Gesetzes zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung (Kulturgutsicherungsgesetz – KultgutSiG) vom 15. Oktober 1998 wurde in Art. 2 das Gesetz zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung (KgSchG) geändert und in § 20 die „Rechtsverbindliche Rückgabezusage“ eingefügt.328 Heute würde somit in den genannten Fallkonstellationen das Rechtsinstitut des ‚freien Geleits‘ für Kulturgüter eingreifen und den Zugang zu deutschen Gerichten vereiteln, sodass
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Lorenz, Taiwanische Kunstschätze – Die heikle Schau der Himmelssöhne, Spiegel, Artikel vom 16.07.2003; Weller, The Safeguarding of Foreign Cultural Objects on Loan in Germany, Art, Antiquity and Law, Vol. XIV, Issue 1 (2009), S. 63–77. So ausdrücklich die Sternfußnote zu dem Gesetz v. 15.10.1998, BGBl. 1998 I, 3162. Vgl auch die Neufassung des Gesetzes zum Schutz des deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung, BGBl. 1999 I, 1755 ff., 1757. Vgl. BT-Drs. 13/10789, S. 10. Erik Jayme, Das Freie Geleit für Kunstwerke, in: Reichelt, Vorlesungen und Vorträge 2001, Ludwig Boltzmann Institut für Europarecht, 2001, S. 3 ff.; Weller, Die rechtsverbindliche Rückgabezusage, in: Blaurock u.a., Festschrift für Achim Krämer zum 70. Geburtstag, 2009, S. 721–735. Vgl. Pieroth/Hartmann, Rechtswegbeschränkung zur Sicherung des Leihverkehrs mit ausländischen Kulturgütern, NJW 2000 (Heft 30), S. 2129–2135, S. 2129. Vgl. BGBl. I 1998, S. 3162. Die Bekanntmachung dieser Neufassung des Gesetzes zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung erfolgte am 8. Juli 1999 in: BGBl. 11999, 1754.
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
der Entleiher der Rückkehr des ausgeliehenen Kulturobjekts ruhig entgegensehen kann, sofern den in den Normen vorausgesetzten Erfordernissen genügt worden ist.329 151
§ 20 Gesetz zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung vom 6. August 1955 (1) Soll ausländisches Kulturgut vorübergehend zu einer Ausstellung im Bundesgebiet ausgeliehen werden, so kann die zuständige oberste Landesbehörde im Einvernehmen mit der Zentralstelle des Bundes dem Verleiher die Rückgabe zum festgesetzten Zeitpunkt rechtsverbindlich zusagen. Bei Ausstellungen, die vom Bund oder einer bundesunmittelbaren juristischen Person getragen werden, entscheidet die zuständige Behörde über die Erteilung der Zusage. (2) Die Zusage ist vor der Einfuhr des Kulturgutes schriftlich und unter Gebrauch der Worte „Rechtsverbindliche Rückgabezusage“ zu erteilen. Sie kann nicht zurückgenommen oder widerrufen werden. (3) Die Zusage bewirkt, daß dem Rückgabeanspruch des Verleihers keine Rechte entgegengehalten werden können, die Dritte an dem Kulturgut geltend machen. (4) Bis zur Rückgabe an den Verleiher sind gerichtliche Klagen auf Herausgabe, Arrestverfügungen, Pfändungen und Beschlagnahmen unzulässig.
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Vor diesem kulturpolitischen Hintergrund des internationalen Kulturgüteraustauschs im Wege des grenzüberschreitenden und intermusealen Leihverkehrs nahm auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Liechtenstein-Fall 330 vor allem zu der Frage Stellung, ob die Entscheidungen der deutschen Gerichte gegen das Menschenrecht auf Zugang zu einem Gericht verstießen.331 Dies wurde jedoch von dem Gerichtshof verneint und bestimmt, dass die tschechischen Gerichte der „véritable cadre“332 für solche Streitigkeiten seien. Die öffentliche Ausstellung des Gemäldes in Köln bildete damit nur den „rapport fortuit“ mit den deutschen Gerichten.333 Diese Gedanken überträgt Jayme in seinen Ausführungen mutatis mutandis auf das Rechtsinstitut des ‚freien Geleits‘ der deutschen Rechtsordnung und führt aus, dass der zeitweilige Ausschluss von Klagen Dritter danach nicht das Menschen- und Grundrecht auf Zugang zu einem Gericht verletzt, das im Übrigen bereitstünde, die Voraussetzungen eines freien Geleits zu überprüfen. In anderem Zusammenhang hat dem vorliegenden Rechtsgedanken entsprechend auch das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass nach „Art. 19 Abs. 4 GG … insbesondere auch nicht eine internationale „Auffangzuständig-
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Vgl. Bauer, Eilverfahren und einstweilige Verfügung zur Sicherung von Rechten an reportierten Kulturgegenständen, in: Genieva/Michaletz/Werner, Gesten des guten Willens und Gesetzgebung – Dokumentation der internationalen Konferenz zur Problematik kriegsbedingt verlagerter Kulturgüter; Moskau, 24. und 25. April 2001, 2001, S. 226–231; Schoen, Der rechtliche Status von Beutekunst – Eine Untersuchung am Beispiel der aufgrund des Zweiten Weltkriegs nach Russland verbrachten deutschen Kulturgüter, 2004, S. 201; Jayme, Das Freie Geleit für Kunstwerke, 2001, S. 6–7. Vgl. Urteil v. 21.7.2001, Affaire Prince Hans Adam II de Liechtenstein c. Allemagne. Vgl. Jayme, Das Freie Geleit für Kunstwerke, 2001, S. 8. Vgl. Urteil v. 21.7.2001, Affaire Prince Hans Adam II de Liechtenstein c. Allemagne. Vgl. Jayme, Das Freie Geleit für Kunstwerke, 2001, S. 8.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
223
keit“ deutscher Gerichte gewährleistet [sei], falls der Rechtsschutz gegen Handlungen der zwischenstaatlichen Einrichtung gemessen an innerstaatlichen Anforderungen unzulänglich sein sollte.“334 Nach § 20 Abs. 1 kann somit dem Verleiher eines ausländischen Kulturgutes rechtsverbindlich dessen Rückgabe zugesagt werden, mit der Folge, dass gemäß Abs. 4 der Vorschrift bis zur Rückgabe an den Verleiher gerichtliche Klagen auf Herausgabe, Pfändungen und Beschlagnahmen unzulässig sind. Die Vorschrift erfüllt damit das kulturpolitische öffentliche Interesse der Allgemeinheit an einem vitalen Ausstellungswesen und tritt der Furcht leihgebenden Institutionen entgegen, ihres entliehenen Kunstwerkes nicht wieder habhaft zu werden, sodass „die Museen Gefahr [liefen], zu staubfangenden Ansammlungen zu verkommen.“335 Damit trägt die Regelung zur Förderung und Intensivierung des internationalen Kulturgutaustauschs bei, der wesentlich davon abhängt, dass den internationalen Leihgebern der für Ausstellungen zur Verfügung gestellten Leihgaben die fristgerechte Rückgabe zuverlässig garantiert werden kann.336 Die Geltendmachung privater Rechte an den Leihgaben muss für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet zurückstehen.337 „Es wirkt sich hemmend auf den internationalen Leihverkehr mit Kulturgütern aus, wenn der Verleiher sich nicht auf die pünktliche Rückgabe seines Leihgutes verlassen kann, weil am auswärtigen Ausstellungsort unvermutet angebliche Eigentumsansprüche daran geltend gemacht werden. Aufgrund solcher Erfahrungen erklären sich die Verleiher nur noch gegen die Garantie auf pünktliche Rückgabe bereit, ihr Kulturgut zu Ausstellungen ins Ausland zu verschicken. Diese Tendenz ist zu bedauern. Denn der Austausch von Kulturgütern im Rahmen des internationalen Leihverkehrs spielt eine wichtige Rolle für die Völkerverständigung und wirkt darüber hinaus dem illegalen Kunsthandel entgegen, weil er zur Befriedigung der kulturellen Bedürfnisse der Menschen beiträgt.“338 Insgesamt steht die Vorschrift des ‚freien Geleits‘ damit im internationalen Einklang mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland innerhalb der auswärtigen Kulturpolitik, in der die Obliegenheit Deutschlands zur Förderung des internationalen Kulturgutaustausches festgeschrieben ist.339 Nach der Präambel des Internationalen Abkommens über 334
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Vgl. BVerfG, Eurocontrol I-Bechluss des 2. Senats vom 23.06.1981, Az.: 2 BvR 1107/77, 2 BvR 1124/77, 2 BvR 195/79, BVerfGE 58, S. 1–45, S. 30. Vgl. Kienle/Weller, Die Vindikation gestohlener Kulturgüter im IPR, IPRax 2004, S. 290– 294, S. 293–294. Vgl. Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 333–334. BT-Drs. 13/10789, S. 10; ausführlich Pieroth/Hartmann, Rechtswegbeschränkung zur Sicherung des Leihverkehrs mit ausländischen Kulturgütern, NJW 2000 (Heft 30), S. 2129–2135. Vgl. Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, S. 333–334 unter Berufung auf die zutreffenden Ausführungen bei von Schorlemer, Internationaler Kulturgüterschutz – Ansätze zur Prävention im Frieden sowie im bewaffneten Konflikt, 1992, S. 347 u. 349. Zum Folgenden vgl. Berndt, Internationaler Kulturgüterschutz: Abwanderungsschutz, Regelungen im innerstaatlichen Recht, im Europa- und Völkerrecht, 1998, S. 41 ff.
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
die Einfuhr von Gegenständen erzieherischen, wissenschaftlichen oder kulturellen Charakters von 1950340 soll durch den freien Austausch von Kulturgütern ein Beitrag zur internationalen Verständigung und zur Erhaltung des Friedens geleistet werden.341 154
Agreement on the Importation of Educational, Scientific and Cultural Materials vom 17. Juni 1950 (Florenz): Preamble: The contracting States, Considering that the free exchange of ideas and knowledge and, in general, the widest possible dissemination of the diverse forms of self-expression used by civilizations are vitally important both for intellectual progress and international understanding, and consequently for the maintenance of world peace; Considering that this interchange is accomplished primarily by means of books, publications and educational, scientific and cultural materials; Considering that the Constitution of the United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization urges co-operation between nations in all branches of intellectual activity, including ‘the exchange of publications, objects of artistic and scientific interest and other materials of information’ and provides further that the Organization shall ‘collaborate in the work of advancing the mutual knowledge and understanding of peoples, through all means of mass communication and to that end recommend such international agreements as may be necessary to promote the free flow of ideas by word and image’; Recognize that these aims will be effectively furthered by an international agreement facilitating the free flow of books, publications and educational, scientific and cultural materials; …
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Die Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland zur Förderung des europäischen Kulturgüteraustausches finden sich explizit in Art. 4 der European Cultural Convention (Paris) vom 19.12.1954 statuiert, wonach „[e]ach Contracting Party shall, insofar as may be possible, facilitate the movement and exchange of persons as well as of objects of cultural value so that Articles 2 and 3 may be implemented.“ 342 Ausdrücklich fordert die European Cultural Convention (Paris) vom 19.12.1954 in Art. 5 die Erleichterung des Zugangs zu den europäischen Kulturgütern: „Each Contracting Party shall regard the objects of European cultural value placed under its control as integral parts of the common cultural heritage of Europe, shall take appropriate measures to safeguard them and shall ensure reasonable access thereto.“ Speziell hinsichtlich des europäischen Austauschs archäologischer Kulturgüter findet sich in Art. 5 der European Convention on the Protection of the Archaeological Heritage (London) vom 6.5.1969
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Vgl. das Gesetz über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu dem Abkommen vom 22.11.1950 über die Einfuhr von Gegenständen erzieherischen, wissenschaftlichen oder kulturellen Charakters vom 15.4.1957, BGBl. II, S. 170–186, für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft seit 9.8.1957. Vgl. zu den internationalen Verpflichtungen auch die Ausführungen bei Pieroth/Hartmann, Rechtswegbeschränkung zur Sicherung des Leihverkehrs mit ausländischen Kulturgütern, NJW 2000 (Heft 30), S. 2129–2135, S. 2130. Für Deutschalnd Bekanntmachung vom 19.12.1955, BGBl. II, 1128–1132, danach in Kraft für die Bundesrepublik Deutschland seit dem 17.11.1955.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
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trotz der Mahnung zu der besonderen Pflicht zur Kontexterhaltung archäologischer Kulturgüter an ihrem kulturellen Ursprungsort die Pflicht der europäischen Vertragsstaaten zur Weitergabe archäologischer Gegenstände zu wissenschaftlichen, kulturellen und bildungspolitischen Zwecken:343 European Convention on the Protection of the Archaeological Heritage (London) vom 6.5.1969: Preamble: With a view to the scientific, cultural and educational aims of this Convention, each Contracting Party undertakes to: (a) facilitate the circulation of archaeological objects for scientific, cultural and educational purposes; (b) encourage exchanges of information on: (i) archaeological objects, (ii) authorised and illicit excavations between scientific institutions, museums and the competent national departments; (c) do all in its power to assure that the competent authorities in the States of origin, Contracting Parties to this Convention, are informed of any offer suspected of coming either from illicit excavations or unlawfully from official excavations, together with the necessary details thereon; (d) endeavour by educational means to create and develop in public opinion a realisation of the value of archaeological finds for the knowledge of the history of civilisation, and the threat caused to this heritage by uncontrolled excavations.
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Nachdem nun auch im Jahre 2007 der Gesetzgeber der Bundesrepublik Deutschland beschlossen hatte, den Schutz von Kulturgütern zu verbessern, und der Deutsche Bundestag die Convention on the Means of Prohibiting and Preventing the Illicit Import, Export and Transfer of Ownership of Cultural Property (Paris) vom 14. November 1970 mittels des Gesetzes zur Ausführung des UNESCOÜbereinkommens vom 14. November 1970 über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der rechtswidrigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut (Ausführungsgesetz zum Kulturgutübereinkommen – KGÜAG) vom 23.5.2007 in deutsches Recht umgesetzt hat, gilt innerhalb der deutschen Rechtsordnung mittlerweile auch der in der Präambel der UNESCO-Konvention geäußerte Wunsch der Vertragspartner, dass der Austausch von Kulturgut unter den Nationen zu wissenschaftlichen, kulturellen und erzieherischen Zwecken das Wissen über die menschliche Zivilisation vertieft, das kulturelle Leben aller Völker bereichert und die gegenseitige Achtung und Wertschätzung unter den Nationen fördert. Nach der Begründung des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung vom 6. August 1955 wird „die Zusicherung von ,Freiem Geleit‘ für Kulturgut geregelt, das aus dem Ausland für Ausstellungen in die Bundesrepublik Deutschland ausgeliehen wird“344, sodass damit auch dem international vertraglich formulierten Bedürfnis nach einem regen Austausch kultureller Werte innerhalb der deutschen Rechtsordnung Rechnung getragen wird.345
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Vgl. Gesetz zu dem Europäischen Übereinkommen vom 6.5.1969 zum Schutz archäologischen Kulturgutes vom 17.10.1974, BGBl. II, S. 1285, für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft seit 22.4.1975. Vgl. BT-Drs. 13/10789, S. 8, 10. Vgl. Pieroth/Hartmann, Rechtswegbeschränkung zur Sicherung des Leihverkehrs mit ausländischen Kulturgütern, NJW 2000 (Heft 30), S. 2129–2135, S. 2130.
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
3. 158
Entgegen den speziellen situativen und persönlichen Einschränkungen kultureller Immunitätsvorschriften hinsichtlich des Leihgebers und -nehmers sowie der kulturellen Bedeutung für den leihnehmenden Staat in den ‚anti seizure-statutes‘ des Common Law-Rechtskreises und der Immunité der Rechtsordnung Frankreichs ist der Anwendungsbereich der deutschen Ausgestaltungsvariante sehr weit.346 Die einzige sachliche Beschränkung auf „ausländische Kulturgüter“ dient insofern nur unbedeutend der näheren dinglichen Umschreibung kultureller Leihobjekte, als der Begriff des Kulturgutes nicht einheitlich ist.347 Allerdings operieren auch die entsprechenden amerikanischen und französischen Immunitätsregelungen mit ähnlich weitreichenden Begriffen („bien culturels“ und „any work of art or other object of cultural significance“).348
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Anwendungsbereich
„Ausländisches Kulturgut“ – Problematik der ‚Trophäenkunst‘
Zumindest steht hinsichtlich des dinglichen Anwendungsbereichs („Kulturgut“) fest, dass auf die Begriffsbeschreibung unter keinen Umständen § 1 des Gesetzes zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung vom 6. August 1955 Anwendung finden kann, da dieser sich allein auf deutsches Kulturgut bezieht und einen restriktiven Rahmen erfasst. Wäre der formal von einer Registrierung abhängige Kulturgutbegriff maßgeblich, würde der mit § 20 intendierte Zweck kaum erreichbar sein.349 Aufgrund eines im internationalen Vergleich fehlenden Konsenses hinsichtlich der Terminologie ‚Kulturgut‘ kann auch keine nähere Bestimmung aus rechtsvergleichender Sicht gewonnen werden. In der Praxis hat die Bundesregierung die Ungenauigkeit noch verstärkt, nachdem diese in der Antwort auf eine kleine Anfrage einiger Abgeordneter und der Fraktion der FDP von der „Sicherung des internationalen Leihverkehrs von Kunstwerken“ statt von Kulturgütern gesprochen hat.350 Nach der Begründung des Gesetzes
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Ausführlich hierzu Boos, Kulturgut als Gegenstand des grenzüberschreitenden Leihverkehrs, 2006, S. 233–280. Vgl. Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 20–22. Vgl. Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 20–22; Weller, The Safeguarding of Foreign Cultural Objects on Loan in Germany, Art, Antiquity and Law, Vol. XIV, Issue 1 (2009), S. 63–77. Vgl. Bauer, Eilverfahren und einstweilige Verfügung zur Sicherung von Rechten an reportierten Kulturgegenständen, in: Genieva/Michaletz/Werner, Gesten des guten Willens und Gesetzgebung – Dokumentation der internationalen Konferenz zur Problematik kriegsbedingt verlagerter Kulturgüter; Moskau, 24. und 25. April 2001, 2001, S. 226–231. Vgl. Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 17–20; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 10; Knopp, Museumspolitik als Kulturgüterschutz, in: Mußgnug/Roellecke, Aktuelle Fragen des Kulturgüterschutzes: Beiträge zur Reform des deutschen Kulturgutschutzgesetzes 1955 und seiner Angleichung an den europäischen Kulturgüterschutz, 1998, S. 1–10, S. 1.
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zur Änderung des Gesetzes zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung vom 6. August 1955 wird schließlich allein „die Zusicherung von ,Freiem Geleit‘ für Kulturgut geregelt, das aus dem Ausland für Ausstellungen in die Bundesrepublik Deutschland ausgeliehen wird“.351 Hier geht man jedoch am geeignetsten von einer weiten Auslegung des Begriffs aus, um nicht bereits aus gesetzlichen Gründen einer Einschränkung einer eher aus kulturhistorischer Sicht zu treffenden Einschätzung zu unterliegen. Eine terminologische Unsicherheit hinsichtlich der richtigen Interpretation der dinglichen Voraussetzung der Immunitätserklärung des § 20 des Gesetzes zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung vom 6. August 1955 erwuchs in den letzten Jahren jedoch daraus, dass im Gegensatz zu den vergleichbaren Regelungen im Common Law-Rechtskreis und in Frankreich nicht ‚kulturelle Güter aus dem Ausland‘ immunitätsfähig sind, sondern die deutsche Fassung sachlich nur „ausländisches Kulturgut“ schützt.352 Im Kern entzündete sich diese Debatte an dem Problem der Möglichkeit des russisch-deutschen Leihverkehrs mit den nach Ende des Zweiten Weltkriegs aus dem Gebiet der sowjetischen Besatzungszone durch die Trophäenbrigaden auf sowjetisches Territorium verlagerten Kulturgütern (der sog. Trophäenkunst), die nun mittels des Föderalen Gesetzes über die infolge des Zweiten Weltkrieges in die UdSSR verbrachten und sich auf dem Gebiet der Russischen Föderation befindenden Kulturgüter vom 15. April 1998 in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 25. Mai 2000353 zu Staatseigentum Russlands designiert wurden.354 Die Verbringung dieser Kunstwerke auf das Territorium der Sowjetunion widerspricht dem völkervertrags- und -gewohnheitsrechtlichen Verbot der kulturellen Beutenahme im Krieg sowie im Zustand der Besetzung und bedingte ebenso wenig einen Eigentumstransfer an die Russische Föderation wie die Verstaatlichung im Jahre 1998 aufgrund eines Verstoßes gegen die Grundsätze des internationalen Enteignungsrechtes. Die Zivilgerichte Deutschlands und Foren neutraler Drittstaaten haben dementsprechend heute noch immer die Möglichkeit, den wahren Berechtigten ihre Eigentumsposition an den in Rede stehenden Kulturgütern zuzuweisen. Vor diesem Hintergrund sehen es bspw. Schoen, Berger und Gerson als rechtlich verfehlt und damit für die Zukunft als ausgeschlossen an, dass die zuständigen deutschen Behörden zur Erteilung der Immunität kultureller Güter im Leihverkehr solchen Objekten
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BT-Drs. 13/10789, S. 8, 10, vgl. auch Pieroth/Hartmann, Rechtswegbeschränkung zur Sicherung des Leihverkehrs mit ausländischen Kulturgütern, NJW 2000 (Heft 30), S. 2129–2135, S. 2130. Vgl. Weller, The Safeguarding of Foreign Cultural Objects on Loan in Germany, Art, Antiquity and Law, Vol. XIV, Issue 1 (2009), S. 63–77. Sammlung der Rechtsvorschriften der Russischen Föderation, 1998, Nr. 16, Artikel 1799. Vgl. ausführlich hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 1: Illegaler Kulturgüterverkehr, 6. Teil, Rdnr. 503 ff.
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
aus dem Bestand der sog. Trophäenkunst eine Zusage ‚freien Geleits‘ gewähren.355 161
Dass es sich dabei nicht nur um eine rein rechtstheoretische Frage der Rechtsdogmatik innerhalb des internationalen Kulturgüterverkehrs handelt, zeigen die inzwischen vermehrt in der Öffentlichkeit wiedergegebenen Berichte in der Tagespresse, wonach deutsche Museen und kulturelle Institutionen wiederholt mit russischen Einrichtungen Verhandlungen mit dem Ziel führten, gemeinsame Ausstellungen innerhalb Deutschlands mit Teilen der sich noch immer in russischen Geheimdepots befindenden Bestände der als sog. Trophäenkunst nach Ende des Zweiten Weltkrieges aus der sowjetischen Besatzungszone auf das Territorium Russlands verlagerten Kunstwerke durchzuführen.356 „Für deutsche Ausstellungsfachleute mag bei den Planungen die im Grunde verständliche Überlegung ausschlaggebend sein, dass man, wenn Russland die Kulturgüter schon nicht auf Dauer zurückgibt, wenigstens erreichen sollte, dass im Wege der Ausleihe auf Zeit einzigartige Kunstschätze, wie der weltbekannte Schatz des Priamos, in Deutschland präsentiert und damit zumindest kurzfristig dem kunstinteressierten Besucher hier in Deutschland gezeigt werden können.“357 Nach Ablauf der geplanten Leihdauer der Ausstellungen hätte dann die Rückgabe an die russischen Museen zu erfolgen.358
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Das Problem ist jedoch nicht allein auf die deutsch-russische Problematik der Trophäenkunst beschränkt: Fraglich ist darüber hinaus, ob eine Immunitätserklärung generell für Kulturgüter rechtlich zulässig sein soll, die zuvor unrechtmäßig aus dem deutschen Kulturbestand gestohlen, kriegsbedingt entzogen oder unrechtmäßig verstaatlicht wurden, sich nun auf dem Territorium eines Drittstaates befinden und als Leihobjekt in einer deutschen Ausstellung fungieren sollen. Außerdem könnte sich diese Frage – jetzt außerhalb des deutschen An355
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Vgl. Schoen, Kulturgüterschutz bei – illegaler – Rückkehr kriegsbedingt verbrachter Kulturgüter aus Russland nach Deutschland, NJW 2001, S. 537–543, S. 541; Berger, Die Rückgabe von Beutekunst aus der Russischen Föderation, IPRax 2000, S. 318–321, S. 319, letzterer unter Hinweis auf die Völkerrechtswidrigkeit der Enteignung nach der Haager Landkriegsordnung, die den ordre public des Art. 6 EGBGB verletzt. Vgl. auch aus dem internationalen Schrifttum: Gerson, Plunder Goes on Tour, The New York Times, Artikel vom 23. Februar 2008. Vgl. bspw. Der Tagesspiegel, Beutekunst: Kommt Priamos-Ausstellung nach Deutschland? Artikel vom 10.4.2000; General-Anzeiger, Die „Beutekunst“ soll auf Reisen gehen, Artikel vom 17.4.2001. Vgl. Schoen, Der rechtliche Status von Beutekunst – Eine Untersuchung am Beispiel der aufgrund des Zweiten Weltkriegs nach Russland verbrachten deutschen Kulturgüter, 2004, S. 201 ff. Vgl. zu praktischen Beispielen Der Tagesspiegel, Beutekunst: Kommt Priamos-Ausstellung nach Deutschland? Artikel vom 10.4.2000; Stuttgarter Nachrichten, Leihweise nach Deutschland, Artikel vom 10.4.2000; Die Welt, „Schatz des Priamos“ als Leihgahe? Artikel vom 10.4.2000; Die Welt, Naumann nennt Ausleihen des Priamos-Schatzes ungenügend, Artikel vom 11.4.2000.
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wendungsbereichs – prinzipiell auch bei der Situation der Entleihung kolonialbedingt entzogener Kulturgüter in ihre Ursprungsstaaten stellen. Würden bspw. Ägypten und die national zuständigen Zivilgerichte eine Zusage ‚freien Geleits‘ an solchen Gegenständen wie bspw. der Büste der Nofretete einhalten, die während der Zeit der kolonialistischen Kulturtransferbewegungen aus den ursprünglichen Herkunftsstaaten in die Sammlungen westlicher Museen zivil- und völkerrechtswidrig transferiert wurden, oder würden die zur Entscheidung berufenen Zivilrichter hier die in Rede stehenden Kulturgüter gerade nicht als ‚ausländisch‘ qualifizieren? Dementsprechend formulieren auch zahlreiche Museumsvertreter westlicher Kulturinstitutionen und der Berliner Museen die Befürchtung, dass bei einer Leihe kolonialbedingt transferierter Kulturgüter trotz einer Immunitätszusage die entliehenen Objekte nicht mehr an den entleihenden Staat zurückgeführt werden würden, selbst wenn die Regierung des Landes dies tatsächlich beabsichtigte und sich dementsprechend auch völkervertraglich gebunden hatte. Fraglich ist somit im Generellen, nun wieder aus deutscher Sicht, ob auch solche Kulturgüter, die nach den anerkannten Zuordnungskriterien als ‚deutsch‘ zu bezeichnen sind, nicht der Zusage ‚freien Geleits‘ fähig sind.359 Russische Museen und kulturelle Institutionen werden einzelne Teile der Trophäenkunst sicherlich nur dann ins deutsche oder sonstige Ausland verleihen, wenn die jeweilige Regierung eine Zusage ‚freien Geleits‘ erteilt und die Kunstwerke immun gegen eine gerichtliche Intervention sind. Fraglich ist jedoch, ob eine solche Immunitätserklärung aus kulturpolitischen und rechtlichen Gründen überhaupt zu erteilen ist. Gerson hat anlässlich der britischen Ausstellung ‚From Russia: French and Russian Master Paintings 1870–1925 From Moscow and St. Petersburg‘ in der Royal Academy of Arts in London heftige Kritik an der Immunitätserklärung Englands bezüglich der nach der Oktoberrevolution im Jahre 1917 verstaatlichten Kunstwerke geäußert, diese Gedanken auf eine mögliche Zusage ‚freien Geleits‘ der Trophäenkunst übertragen und eine solche aus kulturpolitischen Gründen abgelehnt: „Art lovers may be delighted to see artworks long held in secret by Russia, but the sad truth is that the British government and the Royal Academy are now complicit in the theft of private property. If other countries follow Britain’s lead and pass “immunity from seizure” legislation in the hopes of playing host to “From Russia” or similar shows, the results will be far more pernicious than anyone can imagine. There is, after all, far more at stake than the paintings temporarily hanging in the Royal Academy. Still hid359
Vgl. zu dem Problem auch Kühl, Der Schutz von vorübergehend importierten Kulturgütern, in: Ministerium für Kultur der Russischen Föderation / Staatliche Bibliothek für Ausländische Literatur Rudomino, Moskau/Secco-Pontanova – Stiftung zur Förderung des Dialogs in Wissenschaft und Kultur, Berlin, Kulturgüter: Möglichkeiten und Perspektiven einer gesamteuropäischen Zusammenarbeit – Materialien der internationalen Konferenz „Kulturelle Zusammenarbeit in Europa: Fragen der Erhaltung und des Schutzes von Kulturgütern“, St. Petersburg, 12. Mai 2003, 2004, S. 123–128.
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
den within Russia are many of the great art treasures that disappeared from Soviet-occupied territory in Europe at the conclusion of World War II. That’s why Russian authorities demanded such extraordinary measures to protect these paintings in Britain. Even the possibility of a restitution case could open up that Pandora’s box, a trove of long-lost art valued by some experts at $15 billion, perhaps more. … Today, the few artworks Russia trickles out are, like the Royal Academy exhibition, offered only under the strictest conditions protecting the government from any claims by lawful owners. … Some people may believe that British acquiescence to Russian demands is the only way to bring stolen art out into the open, but governments that make shameless deals and museums that profit from these exhibitions only excuse Russia’s thefts. And moral and legal options are available: one need only think of the French-Israeli exhibition now hanging in Jerusalem, whose purpose is stated clearly in its title, “Looking for Owners: Custody, Research and Restitution of Art Stolen in France During World War II.” Everyone, including Russia, stands to gain from a full and public disclosure of the privately owned cultural properties in Russia’s hidden repositories. Only then can a real accommodation be reached whereby Russia is credited for allowing the world and its own citizens to view these art treasures, and the rightful owners gain some measure of restitution or compensation.“360 164
Diese Ablehnung einer Zusage ‚freien Geleits‘ aus kulturpolitischen Gründen findet vor allem bei Schoen einen Versuch der rechtlichen Legitimation.361 Zunächst beruft sie sich auf die Überlegung, dass die Rückgabe deutschen Kulturgutes an Russland nach einer Ausstellung in Deutschland sowie in anderen Staaten als Verzichtserklärung Deutschlands auf Geltendmachung möglicher völkerrechtlicher und zivilrechtlicher Ansprüche auf Restitution dieser Kulturgüter aufgefasst werden könnte und die Russische Föderation im Ausland als berechtigt angesehen würde, über deutsches Kulturgut zu verfügen. „Denn wenn das ausgeliehene Kulturgut unbehelligt aus Deutschland wieder nach Russland gelangt, dann kann dies als Signal verstanden werden, dass mit diesen Kulturgütern ganz legal gehandelt werden kann.“362
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Zur Unterlegung dieser These kann auf den Fall der Bibliotheca Palatina des Heidelberger Heiliggeist-Stiftes verwiesen werden, die Kurfürst Ludwig III. von der Pfalz im Jahre 1421 gestiftet und die Universität Heidelberg im Jahre 1438
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Gerson, Plunder Goes on Tour, The New York Times, Artikel vom 23. Februar 2008. Schoen, Der rechtliche Status von Beutekunst – Eine Untersuchung am Beispiel der aufgrund des Zweiten Weltkriegs nach Russland verbrachten deutschen Kulturgüter, 2004, S. 201–215; Schoen, Kulturgüterschutz bei – illegaler – Rückkehr kriegsbedingt verbrachter Kulturgüter aus Russland nach Deutschland, NJW 2001, S. 537–543, S. 540 f. Schoen, Der rechtliche Status von Beutekunst – Eine Untersuchung am Beispiel der aufgrund des Zweiten Weltkriegs nach Russland verbrachten deutschen Kulturgüter, 2004, S. 201–215.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
übernommen hatte. Während des 30-jährigen Krieges wurde die Bibliothek von Feldmarschall Tilly als Kriegsbeute nach München verbracht und Herzog Maximilian I. von Bayern schenkte sie dem Papst, der sie der Vatikanischen Bibliothek einverleibte. „Während der Napoleonischen Kriege ließ Napoleon Schätze aus der Vatikanischen Bibliothek, darunter 39 Codices aus der Bibliotheca Palatina, nach Paris bringen. Aufgrund der Ergebnisse des Wiener Kongresses 1814/15, der die Kunstschatzplünderung Napoleons für unrechtmäßig erklärte und ihre Restitution anordnete, wurden die 39 Codices nach Heidelberg rückgestellt. Daraufhin verlangte die Universitätsbibliothek Heidelberg vom Papst auch die Herausgabe der von Napoleon in Rom belassenen Bestände der Bibliotheca Palatina. Papst Pius VII. überließ aus eigenem Entschluß der Universität Heidelberg 847 Bände in deutscher Sprache sowie 5 lateinische Codices, die sich auf Deutschland beziehen. Anläßlich der 600-Jahr-Feier der Universität Heidelberg im Jahre 1986 schlossen die Vatikanische Bibliothek und die Heidelberger Universitätsbibliothek einen Leihvertrag für eine Ausstellung in Heidelberg vom 8. Juli bis 30. November 1986. Für den Zweck der Ausstellung schickte die Vatikanische Bibliothek einen Teil der ihr verbliebenen Bestände der Bibliotheca Palatina als Leihgabe nach Heidelberg. Nach dem Ende der Ausstellung sprachen sich vereinzelte, aber in den Medien viel beachtete Stimmen dafür aus, die 1623 von Feldmarschall Tilly geraubten Bestände einfach zu behalten und nicht an den Vatikan zurückzugeben.“363 Neben der Tatsache, dass die kriegsbedingte Entziehung der Bibliothek im Jahre 1623 durch Feldmarschall Tilly noch nicht als unrechtmäßig zu qualifizieren war, sondern dem zu dem Zeitpunkt der Entziehung geltenden Beuterecht entsprach, hat der Vatikan durch den Besitz der Bibliothek über 350 Jahre lang das Eigentum an dieser auch durch Ersitzung erlangt. In dieser Konstellation wurde die Meinung vertreten, dass bereits durch den Abschluss eines Leihvertrages zwischen der Universität Heidelberg und dem Vatikan die Universität Heidelberg konkludent auf ihr früheres Eigentum verzichtet und den Vatikan als aktuellen Eigentümer anerkannt habe. Dies könnte dementsprechend erst recht bei der staatlichen Zusage ‚freien Geleits‘ gelten, sodass auch bei einer Immunitätserklärung hinsichtlich der Trophäenkunst von einem Verzicht Deutschlands sowohl auf seine Eigentumsposition als auch seine völkervertrags- und -gewohnheitsrechtlichen Rückführungsansprüche auszugehen wäre. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass einer Handlung (hier Entleihung der Trophäenkunst und der Erteilung ‚freien Geleits‘) nur dann ein konkludenter Erklärungswert beigemessen werden darf, wenn eine unmittelbare Willensäußerung des Staates und der leihgebenden Institution nicht deutlich wird. Sowohl die deutsche Bundesregierung als auch die einzelnen Museen und kulturellen Institutionen, die aufgrund der Verlagerung der Trophäenkunst einen kulturellen
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Vgl. zu den tatsächlichen Angaben der Konstellation Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 26–29.
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
Schaden erlitten hatten, betonen jedoch seit Jahrzehnten expressis verbis die Völker- und Zivilrechtswidrigkeit des Abtransports der Trophäenkunst und ihrer Designation zu Staatseigentum, sodass der Zusage ‚freien Geleits‘ kein völker- und zivilrechtlicher Verzicht auf bestehende Rechtsposition beigemessen werden kann. 166
Der Erteilung einer staatlichen Rückgabezusage Deutschlands stehe damit auch der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegen. „Wenn die Bundesrepublik Deutschland sich im Rahmen der Rückführungsverhandlungen für eine dauerhafte Rückgabe an Deutschland einsetzt, dann darf dieses Rückgabeverlangen nicht in Widerspruch zu anderen Erklärungen von staatlicher Seite stehen. Ein Widerspruch zu früherem Verhalten kann gerade darin liegen, wenn deutsche Museen sich aus Russland kriegsbedingt verbrachtes Kulturgut ausleihen, dafür von staatlichen Stellen eine verbindliche Rückgabezusage erteilt würde und das betreffende Kulturgut unbeanstandet nach der Ausstellung in Deutschland die Grenze Richtung Russland passiert, aber anschließend die Bundesregierung erklärt, dass dieses Kulturgut rechtmäßig nach Deutschland gehört und sie es deshalb auf Dauer zurückhaben will. Der Abschluss eines Leihvertrages durch den Eigentümer in Deutschland und erst recht die Ausleihe mit verbindlicher staatlicher Rückgabezusage könnten daher auch als Verzicht auf das Eigentum und den Besitz gedeutet werden.“364 Darüber hinaus wird von Schoen geltend gemacht, dass die Zusage ‚freien Geleits‘ in Widerspruch zu der völkervertrags- und -gewohnheitsrechtlichen Restitutionspflicht der verlagerten Trophäenkunst nach Deutschland als rechtmäßigem Zuordnungssubjekt stünde. Eine Immunitätserklärung stünde „im völligen Widerspruch dazu, dass die Bundesregierung als auch die vom Besitzverlust betroffenen Eigentümer sich um die dauerhafte Rückführung von Kulturgut bemühen. Im Hinblick insbesondere auf die im deutsch-russischen Kulturabkommen von 1992 enthaltene Verpflichtung zur dauerhaften und an keine weiteren Bedingungen geknüpften Rückgabe hielt der deutsche Kulturstaatsminister 2000 die Ausleihe u.a. des Priamos-Schatzes nach Deutschland folgerichtig für nicht zulässig und forderte die zeitlich unbefristete Rückgabe.“365 „Die Rückgabezusage wird daher nur für die Kunstwerke in Frage kommen, bei denen nach Auffassung der zuständigen Behörden keine Bedenken gegen die Berechtigung des Verleihers erkennbar sind. Nur in diesen Fällen lässt es sich rechtfertigen, den im Grundgesetz gewährleisteten Rechtsweg
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Vgl. Schoen, Der rechtliche Status von Beutekunst – Eine Untersuchung am Beispiel der aufgrund des Zweiten Weltkriegs nach Russland verbrachten deutschen Kulturgüter, 2004, S. 201–215. Vgl. Schoen, Der rechtliche Status von Beutekunst – Eine Untersuchung am Beispiel der aufgrund des Zweiten Weltkriegs nach Russland verbrachten deutschen Kulturgüter, 2004, S. 201–215 unter Berufung auf Die Welt, Naumann nennt Ausleihen des Priamos-Schatzes ungenügend, Artikel vom 11.4.2000: Der damalige Kulturstaatsminister Naumann wird in dem Artikel dahingehend zitiert: „Es ist einfach nicht gestattet, Kulturgut zu stehlen.“.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
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zu suspendieren. In diesem Rahmen erleichtert die rechtsverbindliche Rückgabezusage den Kulturgüteraustausch und bereichert Ausstellungen in Deutschland mit Exponaten, die früher mangels Rechtssicherheit für den Verleiher nicht nach Deutschland gekommen wären.“366 Nur die Nichterteilung einer Rückgabezusage entspräche dem allgemeinen Vorrang des Völkerrechts vor einfachem Bundesrecht. „Denn das deutsche kriegsbedingt nach Russland verbrachte Kulturgut gehört völkerrechtlich auf Dauer nach Deutschland. Der Grundsatz, dass die Wegnahme von Kulturgut aus dem besetzten Gebiet unzulässig ist, hat sich als Ausdruck einer allgemeinen als Recht anerkannten Übung herausgebildet. Die Rückgabe von kriegsbedingt aus Deutschland verbrachtem Kulturgut an Russland aufgrund der Rückgabegarantie der deutschen Behörden würde aber der russischen völkerrechtlichen Verpflichtung zur dauerhaften Rückführung dieses Kulturgutes zuwiderlaufen. Die rechtsverbindliche Rückgabezusage verhindert insoweit den dauerhaften Verbleib des Kulturgutes in Deutschland. Sie verfestigt sogar den völkerrechtswidrigen Status, indem die Bundesrepublik Deutschland als souveräner Staat es zulässt, dass das Kulturgut dorthin gelangt, wo es nach den Grundsätzen des Völkerrechts nicht hingehört: nach Russland.“367 Bereits der Wortlaut der Vorschrift spräche dafür, dass es sich bei dem in § 20 Abs. 1 des Gesetzes zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung vom 6. August 1955 bezeichneten ausländischen Kulturgut „nur um solches Kulturgut handeln kann, von dem anzunehmen ist, dass es sich zumindest nicht erkennbar zu Unrecht bei dem Verleiher im Ausland befindet.“ Diese Voraussetzung wäre bei der Trophäenkunst gerade nicht gegeben. Stütze findet diese Interpretation in der schon oben genannten wörtlichen Auslegungsmöglichkeit der Vorschrift. „Für die kriegsbedingt aus Deutschland nach Russland verbrachten Kulturgüter, die im Allgemeinen bis heute im Eigentum öffentlicher Einrichtungen, wie Museen, Bibliotheken und Archiven, in Deutschland stehen bzw. Privateigentümern gehören, ergibt sich bereits aus dem Wortsinn, dass dieses Kulturgut deutsch ist und von ausländischem Kulturgut im Sinne des § 20 KgSchG zu unterscheiden ist. Die Bezeichnungen „deutsch“ und „ausländisch“ schließen sich gegenseitig aus, denn sie stellen Gegensätze dar. Ein deutsches kriegsbedingt verbrachtes Kulturgut wird nicht gleichzeitig ein deutsches und ein ausländisches Kulturgut sein können.“368 Dem pflichtet auch Berger in seiner Unter-
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Vgl. Schoen, Der rechtliche Status von Beutekunst – Eine Untersuchung am Beispiel der aufgrund des Zweiten Weltkriegs nach Russland verbrachten deutschen Kulturgüter, 2004, S. 201–215. Vgl. Schoen, Der rechtliche Status von Beutekunst – Eine Untersuchung am Beispiel der aufgrund des Zweiten Weltkriegs nach Russland verbrachten deutschen Kulturgüter, 2004, S. 201–215. Vgl. Schoen, Der rechtliche Status von Beutekunst – Eine Untersuchung am Beispiel der aufgrund des Zweiten Weltkriegs nach Russland verbrachten deutschen Kulturgüter, 2004, S. 201–215.
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
suchung einer Rückgabepflicht von Beutekunst aus der Russischen Föderation bei und stellt in Frage, ob überhaupt die Voraussetzungen der rechtsverbindlichen Rückgabegarantie nach pflichtgemäßem Ermessen durch Verwaltungsakt gewährt werden können. „Denn die Garantie ist nur für die Ausleihe „ausländischen Kulturguts“ nach Deutschland vorgesehen. Die Beutekunst dürfe hingegen – je nach der konkreten Herkunft eines Kulturguts vor der Beschlagnahme durch die UdSSR – oftmals dem deutschen Kulturgut zuzurechnen sein.“369 Während bspw. bei der Fassung des dem § 20 des Gesetzes zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung vom 6. August 1955 entsprechenden Art. 61 des französischen Gesetzes 94-679 vom 8. August 1994 („Kulturgut aus dem Ausland“) zweifelhaft sein könnte, ob nur auf die Belegenheit der Sachen im Ausland abzustellen ist, bezeichnet der im deutschen Gesetz gewählte Terminus ,,ausländisches Kulturgut“ dabei eindeutig nicht nur eine örtliche, sondern auch eine sächliche Zugehörigkeit der Kulturgüter zum Ausland.370 168
Die Gegenansicht weist die voranstehende Interpretation des sachlichen Anwendungsbereichs der Zusage ‚freien Geleits‘ energisch zurück und bewertet die umstrittene Terminologie „ausländisches Kulturgut“ und die dementsprechende Auslegung, dass die Trophäenkunst als ‚deutsch‘ zu qualifizieren und keiner Immunitätszusage fähig sei, als insofern missverständlich, als alle kulturellen Leihgaben aus dem Ausland erfasst sein sollen und nicht nur Leihgaben ausländischer Herkunft.371 „Für die Frage, ob es sich um ausländisches Kulturgut handelt, kann nur der aktuelle Ausgangsstandort maßgeblich sein. Liegt dieser außerhalb der Grenzen der Bundesrepublik, ist die Zusagevoraussetzung gegeben. Dies bestätigt die amtliche Begründung des Gesetzentwurfs372, wonach es darauf ankommt, dass das Kulturgut aus dem Ausland in die Bundesrepublik ausgeliehen wurde. Ein an den Entstehungskulturkreis des Kunstobjekts anknüpfendes Begriffsverständnis ist unvereinbar mit Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Sinn und Zweck des § 20 KultSchG.“373 Anderslautende Überlegungen, die Kul369
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Berger, Die Rückgabe von Beutekunst aus der Russischen Föderation, IPRax 2000, S. 318– 321, S. 319. Vgl. Schoen, Der rechtliche Status von Beutekunst – Eine Untersuchung am Beispiel der aufgrund des Zweiten Weltkriegs nach Russland verbrachten deutschen Kulturgüter, 2004, S. 201–215. So Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 17–20; Bauer, Eilverfahren und einstweilige Verfügung zur Sicherung von Rechten an reportierten Kulturgegenständen, in: Genieva/Michaletz/Werner, Gesten des guten Willens und Gesetzgebung – Dokumentation der internationalen Konferenz zur Problematik kriegsbedingt verlagerter Kulturgüter; Moskau, 24. und 25. April 2001, 2001, S. 226–231; Hirsch, Die Bedeutung der Zusage „freien Geleits“ für Kulturgüter, NJW 2001 (Heft 22), S. 1627. Vgl. BT-Drs. 13/10789. Vgl. Bauer, Eilverfahren und einstweilige Verfügung zur Sicherung von Rechten an reportierten Kulturgegenständen, in: Genieva/Michaletz/Werner, Gesten des guten Willens und Gesetzgebung – Dokumentation der internationalen Konferenz zur Problematik kriegsbedingt verlagerter Kulturgüter; Moskau, 24. und 25. April 2001, 2001, S. 226–231.
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turgüter bspw. im Falle der Trophäenkunst nicht als „ausländisches Kulturgut“ im Sinne des Gesetzes zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung vom 6. August 1955 aufzufassen, sprechen klar „gegen den Geist der Vorschrift, die gewährleisten will, dass den Besitzern der für Ausstellungen zur Verfügung gestellten Leihgaben die fristgerechte Rückgabe zuverlässig garantiert werden kann“374. Auch Hirsch hält der Ansicht Schoens entgegen, dass der Bundestag mit dem neu geschaffenen Rechtsinstitut des „freien Geleits“ habe erreichen wollen, dass unabhängig von Eigentumsansprüchen Kulturgüter in Deutschland ausgestellt werden können, die sonst möglicherweise niemals wieder in Deutschland zu sehen wären. Dabei beziehe sich die Vorschrift auf alle Leihgaben und nicht nur auf Leihgaben ausländischer Herkunft, sodass auch die kriegsbedingt verbrachten Kulturgüter in den Anwendungsbereich des § 20 fielen. „Mit § 20 KultSchG hat der Bundestag die Möglichkeit geschaffen, kulturellen Leihgaben aus dem Ausland „freies Geleit“ zu schaffen. Damit soll erreicht werden, dass in Deutschland unabhängig von Eigentumsansprüchen Kulturgüter ausgestellt werden können, die sonst niemals wieder in Deutschland zu sehen wären. Die Zusage freien Geleits bewirkt, dass die Ausstellungsstücke dem ausländischen Leihgeber zurückgegeben werden müssen unabhängig davon, wer das Eigentum an diesen Ausstellungsstücken für sich reklamiert oder Rückführungsansprüche nach § 5 KultGüRückG geltend macht. Entgegen der Auffassung von Schoen bezieht sich diese Vorschrift auf alle Leihgaben aus dem Ausland und nicht nur auf Leihgaben ausländischer Herkunft. Es ist egal, ob es sich um die griechische Münze eines schweizerischen Sammlers oder um das aus Deutschland entführte Bild eines deutschen Museums handelt, das nun vom Pushkin-Museum in Berlin ausgestellt werden soll. Freies Geleit ist freies Geleit.“375
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Hirschs Meinung findet auch in den Erwägungen bei Pieroth und Hartmann eine Stütze, die in dem Fall der in Kriegswirren unrechtmäßig entzogenen Kulturgüter, an denen zwischenzeitlich auch niemand Eigentum erworben hat, einen typischen Anwendungsfall für die Erteilung der Rückgabezusage sehen.376 Dies hat zur Folge, dass für die Dauer des leihbedingten Aufenthaltes dieser Kulturgüter in Deutschland nach § 20 Abs. 4 des Gesetzes zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung vom 6. August 1955 eine gerichtliche Intervention und die Prüfung der besseren Rechtsposition an dem entliehenen Kunstobjekt generell unzulässig sind. Sinn und Zweck der Regelung ist somit die umfassende und absolute Sicherung des intermusealen Leihverkehrs377, sodass etwaige unklare Eigentumsverhältnisse keinen Einfluss auf die Gewährung der Zusicherung des
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So Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 17–20. So Hirsch, Die Bedeutung der Zusage „freien Geleits“ für Kulturgüter NJW 2001 (Heft 22), S. 1627. Vgl. Pieroth/Hartmann, Rechtswegbeschränkung zur Sicherung des Leihverkehrs mit ausländischen Kulturgütern, NJW 2000 (Heft 30), S. 2129–2135, S. 2130. Vgl. Bauer, Eilverfahren und einstweilige Verfügung zur Sicherung von Rechten an reportierten Kulturgegenständen, in: Genieva/Michaletz/Werner, Gesten des guten Willens und Gesetzgebung – Dokumentation der internationalen Konferenz zur Problematik kriegsbedingt verlagerter Kulturgüter; Moskau, 24. und 25. April 2001, 2001, S. 226–231.
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
‚freien Geleits‘ haben. Vielmehr müssen unterschiedslos alle Leihgaben aus dem Ausland, unabhängig von Provenienz oder ‚Nationalität‘, vom Anwendungsbereich des § 20 erfasst sein.378 171
Diese Einschätzung lässt sich auch entgegen der kritischen Haltung Gersons 379 respektierlich mit kultur- und rechtspolitischen Gründen belegen. Wie so häufig innerhalb des Rechtsbereichs des internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts stehen auch hier wieder die Interessen der ursprünglichen Eigentümer der Trophäenkunst im Widerstreit mit den Belangen der Öffentlichkeit. Fraglich ist bspw. bei einem kulturellen Leihverkehr mit der Trophäenkunst jedoch, welche Rechte der rechtmäßigen Eigentümer bei einer Leihe nach einer staatlichen Immunitätserklärung praktisch beeinträchtigt würden. Ohne eine Zusage ‚freien Geleits‘ würden die Russische Föderation und die entsprechenden russischen Museen ohne Zweifel von einer Leihe der umstrittenen Kulturgüter nach Deutschland in Gänze absehen, sodass die restitutionsberechtigten Eigentümer de facto keine Verschlechterung ihrer tatsächlichen Situation innerhalb der Durchsetzung ihrer Rechtsposition erfahren. Andererseits ist auf einen großen kulturellen Gewinn der deutschen Öffentlichkeit zu hoffen, wenn zwar (noch) kein dauerhafter Verbleib der Kulturgüter innerhalb Deutschlands erreicht werden kann, so doch zumindest zeitweilig ein Zugang zu diesem Bestandteil des deutschen Kulturerbes für die Öffentlichkeit besteht. Eine wenn auch zeitlich begrenzte öffentliche Ausstellung ist nach den Grundsätzen des kulturellen Publizitätsprinzips besser als keine Möglichkeit des Zugangs innerhalb Deutschlands. Eine Perpetuierung der aktuellen völker- und zivilrechtswidrigen Sachzuordnung der Trophäenkunst an die Russische Föderation ist aufgrund der bereits seit Jahrzehnten bestehenden öffentlichen Proklamation der Restitution der umstrittenen Kulturgüter seitens der Bundesrepublik Deutschland a priori ausgeschlossen. Darüber hinaus stellt ein sicherer Leihverkehr mit der Trophäenkunst möglicherweise einen Neustart einer verlässlichen Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik und der Russischen Föderation auf dem kulturellen Sektor dar, wodurch die deutsche Öffentlichkeit auf die kulturelle Bedeutung der entliehenen Kunstwerke für das nationale Kulturpatrimonium hinweisen und damit möglicherweise neue Impulse für die Debatte um die Trophäenkunst insgesamt bieten kann, um die Tür zu einer dauerhaften Verlagerung zurück nach Deutschland nicht vollends zuzuschlagen.
378
379
Vgl. Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 17–20; so auch die Bundesregierung in der Antwort auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ina Albowitz [u.a.] und der Fraktion der FDP, BT-Drs. 14/6686, S. 1 f. Vgl. 2, 163.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
b)
237
Personale und situative Anwendungsvoraussetzungen
Während die französische Immunitätszusage kultureller Güter im internationalen Leihverkehr entsprechend der Ausgestaltung der allgemeinen Staatenimmunität strikt auf öffentliche Einrichtungen beschränkt ist und die Zusage ‚freien Geleits‘ nach dem Immunity from Seizure Act aus dem Jahre 1965 entsprechend der hauptsächlich privatrechtlichen Ausgestaltung des amerikanischen Museumswesens zur ‚pragmatischen‘ Erleichterung des Leihverkehrs auf jegliches Kunstwerk oder anderes Gut von kultureller Bedeutung – ob in öffentlicher oder privater Hand – zielt, folgt die staatliche Immunitätserklärung nach § 20 des Gesetzes zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung vom 6. August 1955 eher der amerikanischen Ausgestaltungsvariante und stellt keine besonderen Anforderungen an Leihnehmer und Leihgeber und die kulturelle Bedeutung des Leihgutes.380 Ebenso wenig bestehen innerhalb Deutschlands besondere Kriterien hinsichtlich der leihnehmenden Ausstellung, für die die kulturelle Leihgabe vorgesehen ist. Während nach der amerikanischen Immunitätsregelung die Ausstellung nicht in der Absicht erfolgen darf, einen Gewinn zu erzielen, kann nach der deutschen Ausgestaltungsvariante auch ein kommerzieller Erfolg beabsichtigt sein. Während in Art. 61 des Gesetzes Nr. 94-679 hinsichtlich der französischen Immunität kultureller Leihgaben gefordert wird, dass die entliehenen Objekte öffentlich ausgestellt werden müssen, um am Austausch von Kulturgütern einen möglichst großen Teil der Bevölkerung teilhaben zu lassen,381 findet sich keine entsprechende Voraussetzung innerhalb der deutschen Regelung. Nichtsdestotrotz sollte eine Einschränkung der Gerichtsbarkeit gegenüber kulturellen Gütern auch in Deutschland oberste Priorität entsprechend dem Grundsatz der öffentlichen Zugänglichkeit kultureller Wertgegenstände erfahren382, wenn auch eine Leihgabe von Kulturgütern aus wissenschaftlichen Gründen bspw. im Rahmen der Archäologie notwendig erscheinen könnte, ohne die Gegenstände der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
172
Nach der Rechtsansicht Schoens setzt die Erteilung der Zusage ‚freien Geleits‘ über bisher Gesagtes hinaus voraus, dass der kulturelle Leihvertrag entsprechend der Ausgestaltung des Rechtsinstituts der Leihe innerhalb des BGB nur unentgeltlich erfolgen dürfe.383 Durch den Leihvertrag wird der Verleiher gemäß § 598 BGB verpflichtet, dem Entleiher den Gebrauch der Sache unentgeltlich zu
173
380 381 382
383
Vgl. Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 20–22. Vgl. Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 20–22. Das Argument der öffentlichen Zugänglichkeit wird häufig von Befürwortern eines freien Geleits vorgebracht, Palmer, Museum and the Holocaust: Law, Principles and Practice, 2000, S. 43. Vgl. Schoen, Der rechtliche Status von Beutekunst – Eine Untersuchung am Beispiel der aufgrund des Zweiten Weltkriegs nach Russland verbrachten deutschen Kulturgüter, 2004, S. 201–215.
238
2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
gestatten. Unentgeltlichkeit ist daher nur gegeben, wenn die Ausleihe unabhängig von einer Gegenleistung erfolgt. Schon ein geringes Entgelt schließt nach allgemeiner Auffassung eine Leihe aus und begründet ein kulturelles Mietverhältnis, für das keine kulturelle Immunitätserklärung möglich ist. „Nur die nicht kommerzielle Nutzungsüberlassung von Kulturgut wird durch die Möglichkeit der Suspendierung des Rechtsweges privilegiert. Für Geschäfte, bei denen der Verleiher sich wirtschaftliche Vorteile zusagen lässt, kann die verbindliche Rückgabezusage von Kulturgut für Ausstellungen nicht erteilt werden. Vom Verleiher verauslagte Transportkosten sowie angemessene Kosten einer Versicherung des Kulturgutes können jedoch erstattet werden, ohne dass eine Entgeltlichkeit vorliegt.“384 174
Es ist jedoch fraglich, ob für die staatliche Zusage ‚freien Geleits‘ kultureller Wertgegenstände und durch den Wortlaut in § 20 wirklich die unentgeltliche Nutzungsüberlassung durch das leihgebende Institut zu verlangen ist. Kulturelle Immunitätsbestimmungen verfolgen den im Grundsatz der öffentlichen Zugänglichkeit kultureller Wertgegenstände (im sog. kulturellen Publizitätsprinzip) erfassten Zweck, die Gesellschaft in größtmöglichem Umfang auch an Kulturgütern aus dem Ausland teilhaben zu lassen und ausländische Leihgeber zu einer größtmöglichen Offenheit gegenüber einem solchen temporären Transfer zu bewegen. Damit dient das Gesetz in erster Linie auch den deutschen Museen und ihrer Verhandlungsposition im intermusealen Leihverkehr. Dass der deutsche Gesetzgeber diese Position bewusst dadurch einschränken wollte, dass nur die unentgeltliche Gebrauchsüberlassung kultureller Wertgegenstände ausländischer Leihgeber einer Immunitätszusage fähig ist, erscheint somit eher zweifelhaft. Es sind keine Gründe dafür ersichtlich, dass allein unentgeltliche Nutzungsüberlassungen an kulturellen Wertgegenständen erfasst sein sollen. Auch bei einer rechtsvergleichenden Sicht der übrigen Bestimmungen zu kulturellen Immunitätserklärungen ergibt sich kein derartiger Schluss. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der deutsche Gesetzgeber bei Statuierung des § 20 jede entgeltliche oder unentgeltliche Überlassung kultureller Wertgegenstände auf Zeit aus dem Ausland an deutsche leihnehmende Institutionen erfassen wollte, auch wenn die letztgenannten ein Entgelt für die Gebrauchsüberlassung zu entrichten hatten. Dabei ist die Form des Entgelts vielschichtig. Bspw. kann bei archäologischen Leihgegenständen ein deutscher Beitrag zu den Ausgrabungen erfolgt sein, es können deutsche Forscher an der Bergung der Objekte beteiligt gewesen sein, es ist aber auch denkbar, dass Zahlungen für sonstige kulturellen Projekte geleistet wurden, ohne einen unmittelbaren Bezug zu den Leihobjekten, ohne die ein temporärer Transfer aber ausgeschlossen gewesen wäre. Der Grundsatz der kulturel-
384
Vgl. Schoen, Der rechtliche Status von Beutekunst – Eine Untersuchung am Beispiel der aufgrund des Zweiten Weltkriegs nach Russland verbrachten deutschen Kulturgüter, 2004, S. 201–215.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
239
len Publizität spricht hier somit gegen eine Einschränkung des Rechtsinstituts des ‚freien Geleits‘ kultureller Wertgegenstände auf eine unentgeltliche Gebrauchsüberlassung.
c)
Verfahren
Grundsätzlich ist eine Zusage ‚freien Geleits‘ vor der Einfuhr des Kulturguts zu erteilen. Da sich diese zeitliche Vorgabe jedoch auf den Wirkungsbeginn bezieht, kann bei zunächst unterbliebener Rückgabesicherung die Zusage nachgeholt werden, wenn das Kulturgut bereits im Inland eingetroffen ist.385 Die rechtsverbindliche Rückgabezusage ist ein Verwaltungsakt i.S.d. § 35 VwVfG. Während nach § 20 Abs. 1 S. 1 für die Erteilung ‚freien Geleits‘ die nach Landesrecht zuständige oberste Landesbehörde im Einvernehmen mit der Zentralstelle des Bundes zuständig ist, entscheidet nach S. 2 bei Ausstellungen, die vom Bund oder einer bundesunmittelbaren juristischen Person getragen werden, die zuständige Bundesbehörde über die Erteilung der Zusage.386 Wird die Ausstellung in einer dem Bund zuzurechnenden Trägerschaft durchgeführt, entscheidet als zuständige Behörde der Staatsminister im Bundeskanzleramt als Beauftragter der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur.387 Bei Ausstellungen, die nicht der Bund oder eine bundesunmittelbare Anstalt oder Körperschaft trägt, mithin bei Ausstellungen im Landesbereich einschließlich kommunaler oder privater Träger, entscheidet als oberste Landesbehörde dasjenige Ministerium, welchem die Geschäftsordnung der betroffenen Landesregierung die Angelegenheiten der Kulturverwaltung übertragen hat.388 Aus „politischen Gründen“ steht der zuständigen Zentralstelle des Bundes das Recht zur Verweigerung des Einvernehmens zu.
385
386
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388
Vgl. Bauer, Eilverfahren und einstweilige Verfügung zur Sicherung von Rechten an reportierten Kulturgegenständen, in: Genieva/Michaletz/Werner, Gesten des guten Willens und Gesetzgebung – Dokumentation der internationalen Konferenz zur Problematik kriegsbedingt verlagerter Kulturgüter; Moskau, 24. und 25. April 2001, 2001, S. 226–231; Boos, Kulturgut als Gegenstand des grenzüberschreitenden Leihverkehrs, 2006, S. 233–280. Vgl. Pieroth/Hartmann, Rechtswegbeschränkung zur Sicherung des Leihverkehrs mit ausländischen Kulturgütern, NJW 2000 (Heft 30), S. 2129–2135, S. 2130; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 333–334; Schoen, Der rechtliche Status von Beutekunst – Eine Untersuchung am Beispiel der aufgrund des Zweiten Weltkriegs nach Russland verbrachten deutschen Kulturgüter, 2004, S. 201–215; Weller, The Safeguarding of Foreign Cultural Objects on Loan in Germany, Art, Antiquity and Law, Vol. XIV, Issue 1 (2009), S. 63– 77. Vgl. Bauer, Eilverfahren und einstweilige Verfügung zur Sicherung von Rechten an reportierten Kulturgegenständen, in: Genieva/Michaletz/Werner, Gesten des guten Willens und Gesetzgebung – Dokumentation der internationalen Konferenz zur Problematik kriegsbedingt verlagerter Kulturgüter; Moskau, 24. und 25. April 2001, 2001, S. 226–231. Vgl. Bauer, Eilverfahren und einstweilige Verfügung zur Sicherung von Rechten an reportierten Kulturgegenständen, in: Genieva/Michaletz/Werner, Gesten des guten Willens und Gesetzgebung – Dokumentation der internationalen Konferenz zur Problematik kriegsbedingt verlagerter Kulturgüter; Moskau, 24. und 25. April 2001, 2001, S. 226–231.
175
240
2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
Weiterhin soll das Einvernehmen dann verweigert werden können, wenn es sich bei den potenziellen Leihgaben offenkundig um abhandengekommenes Eigentum Privater oder öffentlicher Stellen handelt, also bspw. in Fällen gestohlener oder anderweitig unrechtmäßig entzogener Kulturgüter.389 Die Einholung des Einvernehmens mit der Zentralstelle des Bundes ist ein reines Behördeninternum, sodass das Fehlen eines solchen Einvernehmens die Wirksamkeit der Zusage nicht beeinträchtigt.390 176
Einem Rückgabeanspruch des Verleihers können dann keine Rechte Dritter im Wege der gerichtlichen oder behördlichen Intervention entgegengehalten werden, wenn die zuständige Behörde expressis verbis mit der Terminologie „rechtsverbindliche Rückgabezusage“ 391 einerseits auf Seiten des Leihgebers Vertrauen auf die sichere Rückführung geweckt hat und andererseits sich selbst durch die schriftliche Ausfertigung die Bedeutung ihres Verhaltens ausdrücklich vor Augen führte.392 Da kein Rechtsanspruch auf rechtsverbindliche Rückkehrzusage besteht und sich eine solche insbesondere auch nicht aus dem allgemeinen Völkergewohnheitsrecht oder aus Staatsverträgen hinsichtlich der Förderung eines zwischenstaatlichen Kulturaustauschs herleiten lässt, liegt die Entscheidung, ob die Rückkehr rechtsverbindlich zugesagt wird, allein im Ermessen der zuständigen Stelle. Sie darf bei dessen Ausübung keinen sachfremden Gesichtspunkten Raum geben und hat den Gleichbehandlungsgrundsatz zu beachten.393 Eine Veröffentlichung oder Bekanntmachung der Zusage ‚freien Geleits‘ erfolgt in Deutschland nicht – im Gegensatz zu der französischen Ausgestaltung und der Verkündung der Immunität in Form eines sog. „arrêté“ im Journal Officiel 394 sowie der entsprechenden schweizerischen Regelung in § 11 Abs. 1 des Bundes389
390
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394
Vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage, BT-Drs. 14/6686, S. 2, auch zitiert bei Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 17–20. Vgl. Bauer, Eilverfahren und einstweilige Verfügung zur Sicherung von Rechten an reportierten Kulturgegenständen, in: Genieva/Michaletz/Werner, Gesten des guten Willens und Gesetzgebung – Dokumentation der internationalen Konferenz zur Problematik kriegsbedingt verlagerter Kulturgüter; Moskau, 24. und 25. April 2001, 2001, S. 226–231. Vgl. Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 333–334; Schoen, Der rechtliche Status von Beutekunst – Eine Untersuchung am Beispiel der aufgrund des Zweiten Weltkriegs nach Russland verbrachten deutschen Kulturgüter, 2004, S. 201–215. Vgl. Pieroth/Hartmann, Rechtswegbeschränkung zur Sicherung des Leihverkehrs mit ausländischen Kulturgütern, NJW 2000 (Heft 30), S. 2129–2135, S. 2130; Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 17–20; Bauer, Eilverfahren und einstweilige Verfügung zur Sicherung von Rechten an reportierten Kulturgegenständen, in: Genieva/Michaletz/ Werner, Gesten des guten Willens und Gesetzgebung – Dokumentation der internationalen Konferenz zur Problematik kriegsbedingt verlagerter Kulturgüter; Moskau, 24. und 25. April 2001, 2001, S. 226–231. Vgl. Bauer, Eilverfahren und einstweilige Verfügung zur Sicherung von Rechten an reportierten Kulturgegenständen, in: Genieva/Michaletz/Werner, Gesten des guten Willens und Gesetzgebung – Dokumentation der internationalen Konferenz zur Problematik kriegsbedingt verlagerter Kulturgüter; Moskau, 24. und 25. April 2001, 2001, S. 226–231. Vgl. Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 14–17.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
241
gesetzes über den internationalen Kulturgütertransfer vom 20. Juni 2003. Kühl bemängelt dies: „Die Transparenz fehlt nicht zuletzt, weil der Antrag auf Zusage des freien Geleits aus ‚politischen Gründen‘ abgelehnt werden kann, ohne dass sich ein Anhaltspunkt für die Ablehnung in der Norm finden lässt. Eine derartige politische Einflussnahme wird auch in der US-amerikanischen Literatur zum Immunity from Seizure Act kritisiert und die Befürchtung geäußert, dass dadurch, dass die Exekutive weitgehend allein über die Kriterien bestimmen kann, womöglich politischen Erwägungen, und nicht wie vom Gesetzgeber gedacht, kulturellen Erwägungen der Vorrang gegeben wird. Diesen Bedenken, die sich zum Teil auch für § 20 KGSchG anführen lassen, hätte man begegnen können, wenn man Ausschlussgründe für die Verweigerung der Zusage in den Normtext aufgenommen hätte.“ 395
4.
Schutzumfang der Immunität
In sämtlichen Einzelentscheidungen zur Reichweite der kulturellen Immunität muss eine Wertungsentscheidung zwischen den öffentlichen Interessen an einem größtmöglichen kulturellen Austausch und den privaten Rechten individueller Einzelpersonen an der gerichtlichen Intervention und Durchsetzung ihrer Ansprüche getroffen werden. Auf der einen Seite ist der internationale Leihverkehr mit Kulturgütern im Hinblick auf die Völkerverständigung für den kulturellen Austausch unter den Staaten von besonderer Bedeutung. Ausländische Leihgeber werden kulturell besonders bedeutsame Kunstwerke nur dann außerhalb der eigenen Landesgrenzen in Ausstellungen zeigen, wenn dies nicht zu einer Rechtsverkürzung ihrerseits führt und sie sich nicht entgegen dem Grundsatz actor sequitur forum rei vor ausländischen Foren vor dem Hintergrund einer unbekannten Rechtsordnung als Beklagter rechtfertigen müssen. Weil der restitutionswillige (potenzielle) Eigentümer ‚angreift‘, wird diesem grundsätzlich zugemutet, vor einem ihm fremden Gericht zu klagen, sodass dem beklagten Leihgeber kultureller Güter im Grundsatz der Vorteil des ortsnahen, vertrauten Gerichtssystems der Rechtsordnung des leihgebenden Staates und der eigenen Verhandlungssprache zukommen soll. Für inländische Museen ist der Rückgriff auf die Bestände ausländischer Museen und Privatsammler von besonderer Bedeutung, um dem aktuellen internationalen Niveau sog. Blockbuster-Ausstellungen überhaupt gerecht werden zu können.
177
Auf der anderen Seite stoßen diese öffentlichen Interessen und die genannten Individualrechte Einzelner „unversöhnt“396 aufeinander. Deren Position wird bspw. in den Fällen der aktuellen Restitutionsforderungen verfolgter (zumeist jüdischer) Personengruppen während der Zeit der nationalsozialistischen Herr-
178
395 396
Vgl. Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 20–22. Vgl. Jayme/Geckler, Internationale Kunstausstellungen: „Freies Geleit“ für Leihgaben, IPRax 2000 (Heft 2), S. 156–157, S. 157.
242
2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
schaft in Deutschland vor dem Zweiten Weltkriege und währenddessen am deutlichsten. Nicht selten gelangen zur Zeit der nationalsozialistischen Unrechtsherrschaft rechtswidrig als Raubkunst im Wege der kulturellen Verstaatlichung bzw. mittels der formal ‚freiwilligen‘ Veräußerung kultureller Güter unter Drohung, Zwang und Gewalt entzogene Kulturgüter aufgrund des internationalen Leihverkehrs – entsprechend der bekannten Schiele-Konstellation397 – in den Blickpunkt der Öffentlichkeit. Nachdem potenzielle Erben Kenntnis von dem aktuellen Aufenthaltsort innerhalb der Ausstellung im Staat der leihnehmenden Kulturinstitution erlangen, liegt es offensichtlich in deren Interesse, sofort in dieser, ihnen bekannten Rechtsordnung eine gerichtliche Überprüfung ihrer Rechtsposition an dem entliehenen Kunstwerk anzustrengen. Fraglich ist in diesen kulturpolitisch besonders emotionalen und publikträchtigen Konstellationen, ob man diesem Kreis verfolgter (jüdischer) Personen, die ihr Eigentum durch die nationalsozialistischen Plünderungsbehörden und -organe innerhalb Deutschlands verloren haben, nun aufgrund der Zusage ‚freien Geleits‘ gegenüber dem leihgebenden Institut eine gerichtliche Überprüfung ihrer Rechtsposition in Deutschland bei aktuellem Aufenthalt des in Streit stehenden Kulturguts in Deutschland tatsächlich versagen kann. Allgemein formuliert geht es um die Frage, ob die Zusage ‚freien Geleits‘ wirklich sämtliche gerichtlichen und behördlichen Interventionen gegenüber einem kulturellen Leihobjekt ausschließt, auch wenn dieses zuvor bspw. aufgrund eines Diebstahls, der kulturellen Beutenahme im Krieg oder anlässlich der Besetzung eines fremden Territoriums bzw. aufgrund einer der bekannten Formen und Situationen der Verstaatlichung kultureller Güter als unrechtmäßig entzogen zu qualifizieren ist. 179
Um nicht solchermaßen unrechtmäßig entzogenen Kulturgütern staatliche Immunität zu gewähren, scheint innerhalb der amerikanischen Rechtsordnung die Pflicht einer umfassenden Provenienzerforschung sowie einer detaillierten Dokumentation des antragstellenden Museums für die Gewährung der Immunity eine ausgewogene Lösung zu sein.398 Eine solche Provenienzerforschungspflicht zeugt zwar von dem Bemühen, keine Gegenstände von zweifelhafter Herkunft zu verleihen, doch zeigt die Aussage des Direktors des Frederic R. Weisman Art Museum „die Zwickmühle deutlich, in der Kuratoren stecken: Wenn man wirklich versichern könnte, dass keine Ansprüche Dritter bestehen, bräuchte man kein freies Geleit.“ 399 Für die Fälle, in denen Zweifel an einer unbelasteten Provenienz bleiben, weist Phelan auf die Haltung des New York Supreme Court im Schiele-Fall 400 hin, der bemängelte, dass Museen und andere kulturelle Ein397 398 399
400
Vgl. 2, 113 ff. Vgl. auch Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 25–26. Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 25–26, unter Berufung auf Kowalczyk, Section 12.03 of the New York Arts and Cultural Affairs Law: Civil by Association, International Journal of Cultural Property, 10 (2001) S. 95–121, S. 107. Vgl. 2, 113 ff.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
Schutzumfang der Zusage ‚freien Geleits‘
Materiellrechtlicher Schutzumfang: Beschränkung potenzieller Restitutionsansprüche Dritter an dem Kulturgut gegenüber dem Rückgabeanspruch des kulturellen Leihgebers
Die Zusage bewirkt, dass dem Rückgabeanspruch des Verleihers keine Rechte entgegengehalten werden können, die Dritte an dem Kulturgut geltend machen wollen.
Prozessualer Schutzumfang
Erkenntnisverfahrensrechtlicher Gehalt der Immunitätserklärung nach § 20 Abs. 4 Var. 1:
Vollstreckungsrechtlicher Gehalt der Immunitätserklärung nach § 20 Abs. 4 Var. 2–4:
Unzulässigkeit kultureller Restitutionsansprüche Dritter auf Herausgabe nach § 20 Abs. 4 Var. 1: Will der Eigentümer den Anspruch auf Herausgabe einklagen, dann ist dem Zivilgericht vorgegeben, die Klage als unzulässig abzuweisen
Ausschluss einer Arrestverfügung als Mittel zur Sicherung der künftigen Vollstreckung von Geldforderungen oder solcher Ansprüche, die in Geldforderungen übergehen können, nach § 20 Abs. 4 Var. 2 Ausschluss einer Pfändung als hoheitliche Rechtshandlung, durch die zur Sicherung und Befriedigung eines Gläubigers wegen einer Geldforderung dem Schuldner der Besitz oder die Verfügungsmacht über einen Gegenstand entzogen wird, nach § 20 Abs. 4 Var. 3 Ausschluss einer Beschlagnahme als zwangsweise Sicherstellung einer Sache zum Schutz öffentlicher oder privater Belange im Zivil- und Strafrecht, nach § 20 Abs. 4 Var. 4
Schema 4 – Schutzumfang der kulturellen Immunitätszusage in Deutschland
243
244
2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
richtungen, die Werte der Zivilisation gerade vermitteln sollen, bei der Ausstellung von Raubkunst wegschauen.401 Dementsprechend wird in der Literatur angemahnt, dass der freie Kulturgüterverkehr nicht um den Preis erkauft werden dürfe, dass dem illegalen Kunsthandel Vorschub geleistet wird.402 Zumindest in Bezug auf NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut fordert Nr. 15 (ii) der Entschließung 1205 aus dem Jahre 1999 des Europarats, die Reichweite von Immunitätsregelungen für Leihgaben zu überdenken: „Consideration should also be given to: … relaxing or reversing anti-seizure statutes which currently protect from court action works of art on loan.“ 403. Hintergrund jeder diesbezüglichen Überlegung muss jedoch immer das Wesen einer zeitlich befristeten Immunitätserklärung kultureller Leihobjekte und eines dementsprechenden nur temporären Ausschlusses der Möglichkeit der gerichtlichen oder behördlichen Intervention sein. Den potenziellen Rechteinhabern ist grundsätzlich nach Ablauf der Leihfrist zuzumuten, im Gerichtsstand in personam des Instituts oder der Privatperson innerhalb des leihgebenden Staates zu klagen; der außergewöhnliche Gerichtsstand der Jurisdiktion in rem sollte grundsätzlich durch die Zusage ‚freien Geleits‘ ausgeschlossen werden. 180
Die durch die Erteilungsbehörde zum Ausdruck gebrachte Rechtsverbindlichkeit der Zusage ‚freien Geleits‘ bewirkt zunächst nach § 20 Abs. 2 S. 2 den Ausschluss von Widerruf und Rücknahme der Immunitätserklärung als Verwaltungsakt nach §§ 48 und 49 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG). Dieser hat unter allen Umständen Bestand und zwar auch dann, wenn die gesetzlichen Rücknahme- oder Widerrufsvoraussetzungen vorliegen.404 Während nach dem Schutzumfang der sog. ‚anti seizure-statute‘ des Immunity from Seizure Act aus dem Jahre 1965 innerhalb der Vereinigten Staaten von Amerika sog. ‚executive orders‘ des Präsidenten und solche Leihgaben, die unter Verletzung des Völkerrechts erlangt sind, vom Anwendungsbereich der Immunität ausgenommen sind, und innerhalb der französischen Immunité-Deklaration kulturelle Leihobjekte nur nach vereinzelter Auffassung auch vor einer staatlichen Einziehung geschützt sind,405 erfährt der Leihgeber innerhalb der deutschen Rechtsordnung durch die Zusage ‚freien Geleits‘ ein umfassendes und absolutes Schutzprogramm. 401 402
403
404
405
Vgl. Phelan, Cultural property, The International Lawyer 33 (1999) S. 443–448, S. 446. Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 25–26, unter Berufung auf Kowalczyk, Section 12.03 of the New York Arts and Cultural Affairs Law: Civil by Association, International Journal of Cultural Property, 10 (2001) S. 95–121, S. 96. Resolution 1205 (1999) on Looted Jewish Cultural Property vom 4.11.1999, abgedruckt bei Palmer, Museum and the Holocaust: Law, Principles and Practice, 2000, S. 275 ff.; vgl. hierzu Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 25–26. Vgl. Bauer, Eilverfahren und einstweilige Verfügung zur Sicherung von Rechten an reportierten Kulturgegenständen, in: Genieva/Michaletz/Werner, Gesten des guten Willens und Gesetzgebung – Dokumentation der internationalen Konferenz zur Problematik kriegsbedingt verlagerter Kulturgüter; Moskau, 24. und 25. April 2001, 2001, S. 226–231. Vgl. Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 20–22.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
Zunächst bewirkt die deutsche Immunitätserklärung nach § 20 Abs. 3 eine materiell-rechtliche Beschränkung potenzieller Restitutionsansprüche Dritter an dem Kulturgut gegenüber dem Rückgabeanspruch des kulturellen Leihgebers. Dieser Ausschluss der Geltendmachung von Rechten Dritter findet in § 20 Abs. 4 eine verfahrensrechtliche Prolongation: Während § 20 Abs. 4 Var. 1 den materiellen Schutzgehalt des Abs. 3 dahingehend verlängert, dass eine zivilrechtliche Restitutionsklage (möglicherweise aufgrund fortbestehender Eigentumsposition) des (ursprünglichen) Eigentümers einer prozessualen Beschränkung unterfällt und eine Herausgabeklage als unzulässig abzuweisen ist (sog. erkenntnisverfahrensrechtlicher Gehalt der Immunitätserklärung), normieren die Varianten 2 bis 4 des § 20 Abs. 4 weitere Schutzmechanismen des kulturellen Leihgebers im Vollstreckungsrecht (sog. vollstreckungsrechtlicher Gehalt der Immunitätserklärung) und gehen durch den Ausschluss einer Beschlagnahme, einer Pfändung bzw. einer Arrestverfügung über den sachenrechtlichen Gehalt des § 20 Abs. 3 und über den erkenntnisverfahrensrechtlichen Gehalt des § 20 Abs. 4 Var. 1 hinaus.
a)
245 181
Reichweite
Zunächst bewirkt die deutsche Immunitätserklärung nach § 20 Abs. 3 des Gesetzes zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung vom 6. August 1955 eine materiell-rechtliche Beschränkung potenzieller Restitutionsansprüche Dritter an dem Kulturgut gegenüber dem Rückgabeanspruch des kulturellen Leihgebers.406
182
§ 20 Abs. 3 Gesetz zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung vom 6. August 1955: Die Zusage bewirkt, daß dem Rückgabeanspruch des Verleihers keine Rechte entgegengehalten werden können, die Dritte an dem Kulturgut geltend machen.
183
„Prototyp des Rechts an einer Sache ist das Eigentum. Meistens dürfte der Verleiher Eigentümer des Kulturguts sein, doch das ist nicht zwingend.“ 407 In zahlreichen Konstellationen des internationalen Kulturgüterverkehrs wurde ersichtlich, dass die Entziehung eines Kulturguts mit dem Makel der Rechtswidrigkeit
184
406
407
Vgl. für eine Systematisierung des Schutzumfangs der Zusage ‚freien Geleits‘ bereits ausführlich Pieroth/Hartmann, Rechtswegbeschränkung zur Sicherung des Leihverkehrs mit ausländischen Kulturgütern, NJW 2000 (Heft 30), S. 2129–2135, S. 2130–2131. Darüber hinaus weniger detailliert: Bauer, Eilverfahren und einstweilige Verfügung zur Sicherung von Rechten an reportierten Kulturgegenständen, in: Genieva/Michaletz/Werner, Gesten des guten Willens und Gesetzgebung – Dokumentation der internationalen Konferenz zur Problematik kriegsbedingt verlagerter Kulturgüter; Moskau, 24. und 25. April 2001, 2001, S. 226–231; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 333–334; Schoen, Der rechtliche Status von Beutekunst – Eine Untersuchung am Beispiel der aufgrund des Zweiten Weltkriegs nach Russland verbrachten deutschen Kulturgüter, 2004, S. 201–215 Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 17–20; Weller, The Safeguarding of Foreign Cultural Objects on Loan in Germany, Art, Antiquity and Law, Vol. XIV, Issue 1 (2009), S. 63–77. Pieroth/Hartmann, Rechtswegbeschränkung zur Sicherung des Leihverkehrs mit ausländischen Kulturgütern, NJW 2000 (Heft 30), S. 2129–2135, S. 2130–2131.
246
2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
belegt wurde, dies keine Auswirkungen auf die Eigentumsposition zeitigte408 und in der Folge das Kulturgut als abhandengekommen i.S.d. § 935 BGB zu qualifizieren war, sodass der ursprüngliche Eigentümer auch nach dem Entziehungsakt und grundsätzlich auch nach einer oder mehreren kulturellen Veräußerungen weiterhin Inhaber seiner Eigentumsposition an dem Kulturgut blieb. Ist auch kein originärer Eigentumserwerb aufgrund des Rechtsinstituts der Ersitzung eingetreten und der Kunstrestitutionsanspruch weder verjährt noch verwirkt409, kann der ursprüngliche Eigentümer seine fortbestehende Eigentumsposition nun grundsätzlich im leihnehmenden Staat verfolgen. § 20 Abs. 3 schließt nun zugunsten des Leihgebers die Geltendmachung dieser fortbestehenden Eigentumsposition im leihnehmenden Staat aus. Darüber hinaus erstreckt sich der Schutzumfang aber auch auf die beschränkten dinglichen Rechte, etwa Nutzungs- und Verwertungsrechte. Dazu gehören zum Beispiel das Pfandrecht gem. §§ 1204 ff. BGB und der Nießbrauch nach §§ 1030 ff. BGB. Alle diese „Rechte an dem Kulturgut“ können gem. § 20 Abs. 3 dem staatlich zugesicherten Rückgabeanspruch des kulturellen Leihgebers nicht entgegengehalten werden.410 Dieser Ausschluss der Geltendmachung von Rechten Dritter findet in § 20 Abs. 4 eine verfahrensrechtliche Prolongation: 185
§ 20 Abs. 4 Gesetz zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung vom 6. August 1955: Bis zur Rückgabe an den Verleiher sind gerichtliche Klagen auf Herausgabe, Arrestverfügungen, Pfändungen und Beschlagnahmen unzulässig.
186
§ 20 Abs. 4 Var. 1 verlängert den materiellen Schutzgehalt des Abs. 3 verfahrensrechtlich dahingehend, dass eine zivilrechtliche Restitutionsklage (möglicherweise aufgrund fortbestehender Eigentumsposition) des (ursprünglichen) Eigentümers einer prozessualen Beschränkung unterfällt und eine zivilrechtliche Herausgabeklage somit als unzulässig abzuweisen ist (sog. erkenntnisverfahrensrechtlicher Gehalt der Immunitätserklärung).411
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Die Varianten 2 bis 4 des § 20 Abs. 4 normieren weitere Schutzmechanismen des kulturellen Leihgebers im Vollstreckungsrecht und gehen durch den Ausschluss einer Beschlagnahme, einer Pfändung bzw. einer Arrestverfügung über den sachenrechtlichen Gehalt des § 20 Abs. 3 und über den erkenntnisverfahrensrechtlichen Gehalt des § 20 Abs. 4 Var. 1 hinaus (sog. vollstreckungsrechtlicher
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Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 1: Illegaler Kulturgüterverkehr. Vgl. Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel. Vgl. Pieroth/Hartmann, Rechtswegbeschränkung zur Sicherung des Leihverkehrs mit ausländischen Kulturgütern, NJW 2000 (Heft 30), S. 2129–2135, S. 2130–2131. Vgl. Pieroth/Hartmann, Rechtswegbeschränkung zur Sicherung des Leihverkehrs mit ausländischen Kulturgütern, NJW 2000 (Heft 30), S. 2129–2135, S. 2130–2131.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
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Gehalt der Immunitätserklärung).412 Pieroth und Hartmann formulieren den Schutzumfang im Einzelnen: „Die Arrestverfügung (vgl. § 20 IV Var. 2 KultSchG) ist eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung zivilgerichtlicher Urteile. Sie findet gem. § 916 I ZPO zur Sicherung einer Geldforderung oder wegen eines Anspruchs, der in eine Geldforderung übergehen kann, statt. Der dingliche Arrest wird gem. § 917 I ZPO angeordnet, wenn zu befürchten ist, dass ohne ihn die Vollstreckung des Urteils vereitelt oder wesentlich erschwert würde. Als zureichender Arrestgrund ist es gem. § 917 II l ZPO insbesondere anzusehen, wenn das Urteil im Ausland vollstreckt werden müsste. Der dingliche Arrest wird gem. § 928 ZPO durch Zwangsvollstreckung in das Vermögen des Schuldners vollzogen, hier in das Kulturgut des Verleihers. Insbesondere ist also die Pfändung möglich (vgl. § 930 I 1 ZPO). Die gesonderte Nennung der Arrestverfügung neben der Pfändung führt dazu, dass schon der Arrestantrag unzulässig ist, nicht erst die Pfändung selbst. Die Pfändung (vgl. § 20 IV Var. 3 KultSchG) ist ebenfalls eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung zivilgerichtlicher Urteile. Sie erfolgt gem. § 803 I 1 ZPO nur wegen einer Geldforderung in das bewegliche Vermögen und besteht in der staatlichen Beschlagnahme eines Gegenstandes. Sachen werden gepfändet, indem der Gerichtsvollzieher sie in Besitz nimmt (vgl. §§ 808 I, 809 ZPO). Bei der Pfändung macht der Dritte gegen den Verleiher eine Geldforderung geltend; es geht also nicht mehr um ein Recht „an dem Kulturgut“ (§ 20 III KultSchG), namentlich um die Herausgabe desselben. Die Beschränkung auf dingliche Rechte fällt weg. Gleichgültig aus welchem Schuldverhältnis auch immer die Geldforderung entstanden ist, schützt § 20 IV Var. 2-4 KultSchG den Verleiher umfassend vor der Vollstreckung in das Kulturgut. Das entspricht dem Sinn des § 20 KultSchG, die Ausstellung ausländischen Kulturguts zu ermöglichen: Müsste der Verleiher die Pfändung fürchten, fände er sich nicht bereit, das Kulturgut ins Inland zu schaffen. Beschlagnahme (vgl. § 20 IV Var. 4 KultSchG) bedeutet die förmliche Sicherstellung eines Gegenstandes durch Überführung in amtlichen Gewahrsam oder auf andere Weise. Sie dient der Sicherung öffentlicher oder privater Belange. Private Belange sichert wie gesehen die zwangsvollstreckungsrechtliche Pfändung. Sie ist ein Unterfall der Beschlagnahme. Öffentliche Belange sichert die strafprozessuale Beschlagnahme (vgl. §§ 94 ff. StPO). Sie kann Gegenstände erfassen, die als Beweismittel für die Untersuchung von Bedeutung sind, sowie bewegliche Sachen, die dem Verfall oder der Einziehung im Strafverfahren unterliegen (vgl. § 111c StPO).“ 413
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Ist die Rückgabezusage erteilt, kann folglich für die Dauer des Aufenthaltes des Kulturgutes in Deutschland die Geltendmachung privater Rechte an den Leihgaben vor Gericht im Grundsatz nicht durchgesetzt werden.414 Mit diesen Bestimmungen setzt § 20 des Gesetzes zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung vom 6. August 1955 auch den verfassungsrechtlich gewährleisteten vorläufigen Rechtsschutz außer Kraft.415
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Vgl. Pieroth/Hartmann, Rechtswegbeschränkung zur Sicherung des Leihverkehrs mit ausländischen Kulturgütern, NJW 2000 (Heft 30), S. 2129–2135, S. 2130–2131. Pieroth/Hartmann, Rechtswegbeschränkung zur Sicherung des Leihverkehrs mit ausländischen Kulturgütern, NJW 2000 (Heft 30), S. 2129–2135, S. 2130–2131. Vgl. Schoen, Der rechtliche Status von Beutekunst – Eine Untersuchung am Beispiel der aufgrund des Zweiten Weltkriegs nach Russland verbrachten deutschen Kulturgüter, 2004, S. 201–215. Vgl. Bauer, Eilverfahren und einstweilige Verfügung zur Sicherung von Rechten an reportierten Kulturgegenständen, in: Genieva/Michaletz/Werner, Gesten des guten Willens und
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
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Ebenso sind die strafrechtliche Intervention und der Zugriff auf das entliehene Kulturgut als Gegenstand einer Straftat in Gänze ausgeschlossen. Somit können gemäß § 94 StPO Gegenstände, die für eine strafprozessuale Untersuchung von Bedeutung sind oder gemäß § 111c StPO dem Verfall oder der Einziehung unterliegen, nicht mehr sichergestellt werden.416 Darüber hinaus schafft nach Auffassung Mußgnugs die Zusicherung ‚freien Geleits‘ zudem einen völkerrechtlichen Vertrauenstatbestand, der gemäß Art. 25 GG Vorrang vor den nationalen Gesetzen hat.417 Soll ausländisches Kulturgut vorübergehend zu einer Ausstellung im Bundesgebiet ausgeliehen werden, ermächtigt § 20 dazu, dem Verleiher rechtsverbindlich zu garantieren, dass die Rückgabe zum festgesetzten Zeitpunkt erfolgen wird.418
191
Der kulturelle Leihgeber kann sich nach der deutschen Fassung auf die Rückgabe verlassen. „Der Schiele-Fall zeigt, dass man bei Regelungen des freien Geleits auf der Rechtsfolgenseite nicht einzelne Bereiche vom Schutzumfang ausnehmen darf, weil durch solch einen vermeintlichen Kompromiss weder der Aussteller volle Sicherheit noch der wirkliche Eigentümer umfassende Chancen zur Durchsetzung seiner Ansprüche erhält. Sinnvoller erscheint, von vornherein auf der Tatbestandsseite den Bereich der Gegenstände, für die freies Geleit gewährt wird, einzuschränken und für diese dann umfassende Immunität zu gewähren. Die deutsche Regelung geht bezüglich des umfassenden Schutzes den richtigen Weg, doch erscheint der Anwendungsbereich auf der Tatbestandsseite im internationalen Vergleich sehr weit.“419 Aus diesem Grund erschien es der deutschen Rechtsdogmatik fraglich, ob die Immunitätserklärung überhaupt mit dem Rechtsstaatsprinzip – vgl. ausführlich hierzu zunächst unter Punkt b) – und der EG-Richtlinie 93/7/EWG des Rates über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern vom 15. März 1993 – vgl. ausführlich hierzu zunächst unter Punkt c) – in Einklang zu bringen ist.
b) 192
Vereinbarkeit mit dem Rechtsstaatsprinzip
Eine Kollision der kulturellen Immunität ist einerseits als öffentlich-rechtliche Rechtsverletzung durch den Erlass der Immunitätserklärung kultureller Leihobjekte und andererseits als Rechtsverletzung durch den Ausschluss der gerichtlichen Intervention möglich, da das Rechtsstaatsprinzip auch in bürgerlich-rechtlichen
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Gesetzgebung – Dokumentation der internationalen Konferenz zur Problematik kriegsbedingt verlagerter Kulturgüter; Moskau, 24. und 25. April 2001, 2001, S. 226–231. Vgl. Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 17–20. Vgl. Mußgnug, Das Kunstwerk im internationalen Recht, in: Kunst und Recht. Justiz und Recht 15, 1985, S. 18 ff., S. 29. Vgl. Pieroth/Hartmann, Rechtswegbeschränkung zur Sicherung des Leihverkehrs mit ausländischen Kulturgütern, NJW 2000 (Heft 30), S. 2129–2135, S. 2130. Vgl. Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 25–26.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
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Streitigkeiten Anwendung verlangt.420 Für öffentlich-rechtliche Streitigkeiten wird der Justizgewährungsanspruch explizit durch Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes gewährt. Danach steht einer Person der Rechtsweg offen, wenn diese durch die öffentliche Gewalt in ihren Rechten verletzt wurde. Unter der Terminologie „öffentliche Gewalt“ werden im Rahmen des Art. 19 Abs. 4 des GG nach einhelliger Auffassung allein Akte der vollziehenden Gewalt verstanden. Da die Unzulässigkeit der Klage nach § 20 Abs. 4 Var. 1 sowie die Arrestverfügung und Pfändung nach § 20 Abs. 4 Var. 2 und 3 als Akte der Judikative zu beurteilen sind, unterfällt allein die strafprozessuale Beschlagnahme nach § 20 Abs. 4 Var. 4 des Gesetzes zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung vom 6. August 1955 entsprechend §§ 94 ff. StPO bei Durchführung durch die Staatsanwaltschaft dem Art. 19 Abs. 4 des GG als Akt der öffentlichen Gewalt.421 Da sich die Staatsanwaltschaft jedoch nicht auf das Grundrecht aus Art. 19 Abs. 4 berufen kann und ein Grundrechtsberechtigter gegenüber der Staatsanwaltschaft bzw. der Polizei nach allgemeiner Ansicht keinen Anspruch auf ein bestimmtes Tätigwerden hat, scheidet bereits aufgrund des Nichtvorliegens „öffentlicher Gewalt“ bzw. aufgrund der fehlenden Verletzung eines subjektiven Rechts eine Missachtung der Rechtsweggarantie aus.422
(1)
Rechtsverletzung durch den Erlass der Immunitätserklärung
Eine Rechtsverletzung durch den Erlass der Immunitätserklärung kultureller Leihobjekte und eine Kollision derselben mit dem deutschen Rechtsstaatsprinzip könnten jedoch auch durch die Zusage ‚freien Geleits‘ als Verwaltungsakt mit möglicherweise belastender Drittwirkung gegenüber restitutionsberechtigten Eigentümern und mit begünstigender Wirkung gegenüber dem kulturellen Leihgeber in Betracht kommen, wenn diese in ihren subjektiven Rechten verletzt werden. Als Eigentümer könnten sich ‚belastete Dritte‘ auf § 985 BGB und Art. 14 Abs. 1 des GG bzw. auf die Verletzung subjektiver Verfahrensrechte berufen. Diesbezüglich weisen jedoch Pieroth und Hartmann zu Recht darauf hin, dass in diese Rechte durch Erlass des § 20 des Gesetzes zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung vom 6. August 1955 eingegriffen wurde, nicht durch den Akt der Exekutive. „Soweit die Rückkehrzusage als Verwaltungsakt selbst gerichtlich
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Vgl. ausführlich hierzu Weller, Die rechtsverbindliche Rückgabezusage, in: Blaurock u.a., Festschrift für Achim Krämer zum 70. Geburtstag, 2009, S. 721–735; Weller, Third-Party Claims on the Occasion of Ccross-Border Art Loans in Europe: Brussels I-Regulation – Anti Seizure-Statutes – Human Rights, Art Antiquity and Law, Vol. XIV, Issue 4 (2009), S. 303–316; Weller, The Safeguarding of Foreign Cultural Objects on Loan in Germany, Art, Antiquity and Law, Vol. XIV, Issue 1 (2009), S. 63–77. So Pieroth/Hartmann, Rechtswegbeschränkung zur Sicherung des Leihverkehrs mit ausländischen Kulturgütern, NJW 2000 (Heft 30), S. 2129–2135, S. 2134. So Pieroth/Hartmann, Rechtswegbeschränkung zur Sicherung des Leihverkehrs mit ausländischen Kulturgütern, NJW 2000 (Heft 30), S. 2129–2135, S. 2134.
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
nicht anfechtbar ist, sehen Pieroth und Hartmann zutreffend keinen Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG, denn die Rückgabezusage verletze den Eigentumsprätendent nicht unmittelbar in eigenen Rechten, so dass mangels einer von § 42 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) für ein verwaltungsgerichtliches Verfahren vorausgesetzten Beschwer, ein auf Rechtsungültigkeit der Rückkehrzusage gestützter Rechtsschutzantrag (verwaltungsgerichliche Klage bzw. Antrag auf einstweilige Anordnung des Verwaltungsgerichts) unzulässig sei.“ 423 Da – wie sogleich zu sehen ist – auch die Beschränkung des zivilgerichtlichen Rechtsschutzes durch das Gesetz dem Prüfungsmaßstab des Rechtsstaatsprinzips standhält, scheidet auch insoweit eine Verletzung eines subjektiven Rechts aus.424
(2) 194
Rechtsverletzung durch den Ausschluss gerichtlicher Intervention
Intensiver Diskussion wurde jedoch eine mögliche Rechtsverletzung des Rechtsstaatsprinzips durch den Ausschluss einer gerichtlichen Intervention zugeführt, da das Rechtsstaatsprinzip auch in bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten Anwendung verlangt.425 Während für öffentlich-rechtliche Streitigkeiten der Justizgewährungsanspruch explizit durch Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes gewährt wird, kommt er gegenüber Zivilgerichten nur als ‚allgemeiner‘ Justizgewährungsanspruch, gestützt auf das Rechtsstaatsprinzip, zum Tragen.426 „Der Justizgewährungsanspruch umfasst das Recht auf Zugang zu den Gerichten und eine grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstandes sowie eine verbindliche Entscheidung durch den Richter.“ 427 So stellt Kühl in ihren Untersuchungen zum internationalen Leihverkehr der Museen fest, dass der „breite Anwendungsbereich der deutschen Regelung mit dem Justizgewährungsanspruch als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips“ 428 konfligiert. Der Ausschluss der gerichtlichen Intervention habe zur Folge, dass die Durchsetzung des Anspruchs eines Restitutionsberechtigten nicht nur zeitlich verschoben, sondern auch wesentlich erschwert werden kann, da die Chancen
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So die Kommentierung bei Bauer, Eilverfahren und einstweilige Verfügung zur Sicherung von Rechten an reportierten Kulturgegenständen, in: Genieva/Michaletz/Werner, Gesten des guten Willens und Gesetzgebung – Dokumentation der internationalen Konferenz zur Problematik kriegsbedingt verlagerter Kulturgüter; Moskau, 24. und 25. April 2001, 2001, S. 226–231. Vgl. Pieroth/Hartmann, Rechtswegbeschränkung zur Sicherung des Leihverkehrs mit ausländischen Kulturgütern, NJW 2000 (Heft 30), S. 2129–2135, S. 2135. Vgl. BVerfG, Beschluss des 1. Senats vom 09.05.1989, Az.: 1 BvL 35/86, BVerfGE 80, S. 103– 109, S. 107, NJW 1989, S. 1985–1986; BVerfG, Beschluss des 1. Senats vom 12.02.1992, Az.: 1 BvL 1/89, BVerfGE 85, S. 337–353, S. 345, NJW 1992, 1673–1675. Vgl. Pieroth/Hartmann, Rechtswegbeschränkung zur Sicherung des Leihverkehrs mit ausländischen Kulturgütern, NJW 2000 (Heft 30), S. 2129–2135, S. 2131 m.w.N. BVerfG, Beschluss des 1. Senats vom 12.02.1992, Az.: 1 BvL 1/89, BVerfGE 85, S. 337–353, S. 345, NJW 1992, 1673–1675. Vgl. Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 22–23.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
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für den Kläger während des Aufenthalts der Leihgabe im Inland häufig deutlich besser sind als bei der Belegenheit in einem ausländischen Forum.429 Es besteht heute jedoch weitgehend Einigkeit darüber, dass der bürgerlich-rechtliche Justizgewährungsanspruch der gesetzlichen Ausgestaltung bedarf,430 die zugleich Beschränkungen eines umfassend verstandenen Rechtsschutzes mit sich bringt.431 Als äußerste Grenze einer Einschränkung des bürgerlich-rechtlichen Justizgewährungsanspruchs hat das Bundesverfassungsgericht diesbezüglich bestimmt, dass eine gerichtliche Geltendmachung bestehender Ansprüche nicht in unzumutbarer, durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden darf.432 Die Rechtswegbeschränkung des § 20 des Gesetzes zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung vom 6. August 1955 ist somit dann verfassungsgemäß, wenn ein sachlicher Grund für die Einschränkung des bürgerlich-rechtlichen Justizgewährungsanspruchs besteht und sich die Möglichkeit der kulturellen Immunitätszusage im Rahmen der Verhältnismäßigkeit beläuft.433 Ein sachlicher Grund für die Einschränkung des bürgerlich-rechtlichen Justizgewährungsanspruchs besteht in der „Sicherung des Leihverkehrs mit ausländischen Kulturgütern“.434 Die „Genese“435 des § 20 hat gezeigt, dass der Gesetzgeber den Kulturgütern ‚freies Geleit‘ gewähren und „zur Förderung und Intensivierung 429 430
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Vgl. Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 22–23. Vgl. Bauer, Eilverfahren und einstweilige Verfügung zur Sicherung von Rechten an reportierten Kulturgegenständen, in: Genieva/Michaletz/Werner, Gesten des guten Willens und Gesetzgebung – Dokumentation der internationalen Konferenz zur Problematik kriegsbedingt verlagerter Kulturgüter; Moskau, 24. und 25. April 2001, 2001, S. 226–231. Vgl. BVerfG, Beschluss des 1. Senats vom 12.02.1992, Az.: 1 BvL 1/89, BVerfGE 85, S. 337– 353, S. 345, NJW 1992, 1673–1675; BVerfG, Beschluss des 1. Senats vom 02.03.1993, Az.: 1 BvR 249/92, BVerfGE 88, S. 118–128, S. 123, NJW 1993, 1635–1636; BVerfG, Beschluss des 1. Senats vom 20.06.1995, Az.: 1 BvR 166/93, BVerfGE 93, S. 99–120, S. 107, NJW 1995, 3173–1375. Vgl. BVerfG, Beschluss des 1. Senats vom 20.06.1995, Az.: 1 BvR 166/93, BVerfGE 93, S. 99–120, S. 107, NJW 1995, 3173–1375. Vgl. das diesbezügliche Prüfungsprogramm bei Pieroth/Hartmann, Rechtswegbeschränkung zur Sicherung des Leihverkehrs mit ausländischen Kulturgütern, NJW 2000 (Heft 30), S. 2129–2135, S. 2131–2132. Vgl. auch Bauer, Eilverfahren und einstweilige Verfügung zur Sicherung von Rechten an reportierten Kulturgegenständen, in: Genieva/Michaletz/Werner, Gesten des guten Willens und Gesetzgebung – Dokumentation der internationalen Konferenz zur Problematik kriegsbedingt verlagerter Kulturgüter; Moskau, 24. und 25. April 2001, 2001, S. 226–231. Vgl. die amtliche Fußnote des Änderungsgesetzes vom 15.10.1998, BGBl. I, S. 3162; BR-Drs. 760/98, S. 1. Vgl. BT-Drs. 13/10789, S. 3, 8. So auch Bauer, Eilverfahren und einstweilige Verfügung zur Sicherung von Rechten an reportierten Kulturgegenständen, in: Genieva/ Michaletz/Werner, Gesten des guten Willens und Gesetzgebung – Dokumentation der internationalen Konferenz zur Problematik kriegsbedingt verlagerter Kulturgüter; Moskau, 24. und 25. April 2001, 2001, S. 226–231. So Pieroth/Hartmann, Rechtswegbeschränkung zur Sicherung des Leihverkehrs mit ausländischen Kulturgütern, NJW 2000 (Heft 30), S. 2129–2135, S. 2132–2133.
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
des internationalen Kulturgutaustausches“436 beitragen wollte,437 „der wesentlich davon abhängt, dass den Besitzern der für Ausstellungen zur Verfügung gestellten Leihgaben die fristgerechte Rückgabe zuverlässig garantiert werden kann“438. „Den kunsthistorischen und kulturpolitischen Stellenwert des Kulturgüteraustausches in der Form des internationalen Leihverkehrs der Museen kann man bereits als Besucher ermessen, wenn Gemälde aus berühmten Museen aus vielen verschiedenen Ländern in einer Ausstellung versammelt sind, um dem Betrachter ein geschlossenes Bild über das Œuvre eines Künstlers oder einer ganzen Stilrichtung zu vermitteln.“ 439 Weitsichtig verweisen hier Pieroth und Hartmann auf die völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland zur Förderung eines freien internationalen Kulturgüteraustauschs in den entsprechenden zwischenstaatlichen Abkommen entsprechend dem kulturellen Publizitätsprinzip.440 Diesen Gedanken greift Hipp auf: „Sachlicher Grund für die Einschränkung des Justizgewährungsanspruchs ist die völkerrechtliche Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland zur Förderung des internationalen Kulturgutaustausches aus Art. 4 und 5 des Europäischen Kulturabkommens von 1954, aus Art. 5 des Europäischen Abkommens zum Schutz des archäologischen Kulturguts von 1969 und aus der Präambel zum Internationalen Abkommen über die Einfuhr von Gegenständen erzieherischen, wissenschaftlichen oder kulturellen Charakters von 1950.“441 196
Die Statuierung der behördlichen Ermächtigung zu einer kulturellen Immunitätszusage erfüllt auch die Voraussetzung des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Die Zusage ‚freien Geleits‘ ist dazu geeignet, den kulturellen Leihgebern die benötigte Rechtssicherheit zur Rückführung der Leihobjekte zu gewähren, sodass allgemein eine Förderung und Intensivierung des internationalen Kulturgutaustausches erreicht wird. Pieroth und Hartmann stellen in ihrer Untersuchung der Rechtswegbeschränkung zur Sicherung des Leihverkehrs mit ausländischen Kulturgütern deutlich, dass eine Reduktion auf die vollstreckungsrechtliche Wir-
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BT-Drs. 13/10789, S. 10. So Pieroth/Hartmann, Rechtswegbeschränkung zur Sicherung des Leihverkehrs mit ausländischen Kulturgütern, NJW 2000 (Heft 30), S. 2129–2135, S. 2132–2133. BT-Drs. 13/10789, S. 10. Vgl. Kühl, Der Schutz von vorübergehend importierten Kulturgütern, in: Ministerium für Kultur der Russischen Föderation / Staatliche Bibliothek für Ausländische Literatur Rudomino, Moskau / Secco-Pontanova – Stiftung zur Förderung des Dialogs in Wissenschaft und Kultur, Berlin, Kulturgüter: Möglichkeiten und Perspektiven einer gesamteuropäischen Zusammenarbeit – Materialien der internationalen Konferenz „Kulturelle Zusammenarbeit in Europa: Fragen der Erhaltung und des Schutzes von Kulturgütern“, St. Petersburg, 12. Mai 2003, 2004, S. 123–128. Vgl. Pieroth/Hartmann, Rechtswegbeschränkung zur Sicherung des Leihverkehrs mit ausländischen Kulturgütern, NJW 2000 (Heft 30), S. 2129–2135, S. 2132–2133. So Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 333–334.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
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kung der Rückgabezusage nicht genauso wirksam ist wie die Erstreckung des Rechtsschutzes auf das Erkenntnisverfahren des § 20: „Die vollstreckungsrechtlichen Wirkungen verhindern allein, dass der Dritte die Herausgabe der Sache erzwingen kann. Aber die vollstreckungsrechtlichen Wirkungen allein können nicht verhindern, dass eine Herausgabe an den Dritten schon auf Grund einer rechtskräftigen Entscheidung erfolgt. Ist der Verleiher verklagt worden, mag das unwahrscheinlich sein. Dass ein Verurteilter sich verhält, wie vom Gericht entschieden, liegt aber schon näher, wenn ein privater Entleiher verklagt wurde: Seine Rechtstreue kann insofern erwartet werden, zumal er bestrebt sein wird, die Prozesskosten nicht auch noch um die Kosten der Zwangsvollstreckung zu vermehren. Dass es zu einer Vollstreckung kommt, ist sogar von Rechts wegen ausgeschlossen, wenn der beklagte Entleiher ein öffentlicher Aussteller ist. Die öffentliche Hand ist gem. Art. 20 III GG an Gesetz und Recht gebunden, also auch an die Entscheidungen der Rechtsprechung. Die Vollstreckungskosten hat die öffentliche Hand nach den Grundsätzen der sparsamen und wirtschaftlichen Haushaltsführung zu vermeiden. Daher kann eine Reduktion auf die vollstreckungsrechtliche Wirkung der Rückgabezusage die Rückgabe zum festgesetzten Zeitpunkt nicht mit gleicher Wirksamkeit fördern. § 20 KultSchG ist daher auch zum Erreichen der mit ihm verfolgten Ziele erforderlich.“ 442 Der Ausschluss der Vollstreckungsmöglichkeit allein als milderes Mittel könnte den Leihverkehr somit nicht genauso effektiv schützen.443
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Schließlich stellt die Regelung des § 20 des Gesetzes zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung vom 6. August 1955 auch eine angemessene und zumutbare Einschränkung des bürgerlich-rechtlichen Justizgewährungsanspruchs nach Verhältnismäßigkeitsprüfung im engeren Sinne dar.444 Einerseits wird darauf abgestellt, dass es sich bei der kulturellen Immunitätsbestimmung lediglich „um einen gegenständlich und räumlich, vor allem aber auch zeitlich beschränkten, und daher gerade nicht vollständigen Ausschluss des Zugangs zum Gericht“445 handelt. „Solange der Kläger überhaupt noch die Möglichkeit hat, Klage zu
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Vgl. Pieroth/Hartmann, Rechtswegbeschränkung zur Sicherung des Leihverkehrs mit ausländischen Kulturgütern, NJW 2000 (Heft 30), S. 2129–2135, S. 2132–2133. Vgl. Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 333–334. Vgl. Pieroth/Hartmann, Rechtswegbeschränkung zur Sicherung des Leihverkehrs mit ausländischen Kulturgütern, NJW 2000 (Heft 30), S. 2129–2135, S. 2132–2133 und S. 2135; Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 25–26; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 333–334; Bauer, Eilverfahren und einstweilige Verfügung zur Sicherung von Rechten an reportierten Kulturgegenständen, in: Genieva/Michaletz/Werner, Gesten des guten Willens und Gesetzgebung – Dokumentation der internationalen Konferenz zur Problematik kriegsbedingt verlagerter Kulturgüter; Moskau, 24. und 25. April 2001, 2001, S. 226–231. So Pieroth/Hartmann, Rechtswegbeschränkung zur Sicherung des Leihverkehrs mit ausländischen Kulturgütern, NJW 2000 (Heft 30), S. 2129–2135, S. 2132–2133.
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
erheben, ist diese Art der Rechtsschutzverkürzung zulässig.“446 Dem Dritten wird somit die Geltendmachung seiner Rechte nicht versagt, da er „sie nach der Rückkehr des Leihgutes zum Verleiher im Herkunftsland geltend machen“447 kann, sodass keine verfassungsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf eine Grundgesetzverletzung bestehen.448 „Will man den Kulturaustausch erheblich erleichtern, ja häufig erst ermöglichen, ohne die kaum lösbare Problematik der im Kontext der Jahre nach 1933 enteigneten, deportierten oder reportierten Kulturgüter gelöst zu haben, verbleibt nur die Möglichkeit, den zur Durchführung einer Ausstellung begründeten Besitz und die damit verbundene Verpflichtung zur Rückgabe des Leihgutes vorübergehend rechtlich in jeder Hinsicht unangreifbar zu machen.“ 449 Entscheidende Erwägung innerhalb der Verhältnismäßigkeit der Rechtsschutzverkürzung ist jedoch, dass überhaupt erst die rechtsverbindliche Rückgabezusage des § 20 „die faktische Möglichkeit schafft, die deutsche Gerichtsbarkeit für eventuelle Ansprüche zu mobilisieren. Ohne sie bliebe es bei dem vor und nach dem Ausleihvorgang bestehenden Zustand, Ansprüche regelmäßig nur im Ausland geltend machen zu können.450 So betrachtet führt § 20 KultSchG sogar zu einer faktischen Erweiterung des Rechtsschutzes, die zwar rechtlich nichts an der Kategorisierung des § 20 IV KultSchG als Begrenzung ändert, sie aber gleichwohl als zumutbar erscheinen lässt.“451 Eine anderslautende Beurteilung der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne hat die tatsächliche Voraussetzung zu unterstellen452, „dass davon auszugehen ist, dass die Leihgaben auf jeden Fall für eine Ausstellung nach Deutschland kommen. Immer häufiger verlangen die Verleiher jedoch eine Rückgabezusage, ohne die sie das Exponat gar nicht verleihen würden. § 20 KGSchG stellt in diesen Fällen nur das rechtliche Instrument dafür dar, dass solche Werke überhaupt noch für Ausstellungen ins Inland gelangen und der Öffentlichkeit zugänglich sind. 446 447 448 449
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Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 22–23. So Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 333–334. Vgl. Mußgnug, Das Kulturgutsicherungsgesetz, Europaarchiv Heft 4 (2000). So die Einschätzung bei Bauer, Eilverfahren und einstweilige Verfügung zur Sicherung von Rechten an reportierten Kulturgegenständen, in: Genieva/Michaletz/Werner, Gesten des guten Willens und Gesetzgebung – Dokumentation der internationalen Konferenz zur Problematik kriegsbedingt verlagerter Kulturgüter; Moskau, 24. und 25. April 2001, 2001, S. 226–231. Vgl. die bestätigenden Ausführungen bei Bauer, Eilverfahren und einstweilige Verfügung zur Sicherung von Rechten an reportierten Kulturgegenständen, in: Genieva/Michaletz/Werner, Gesten des guten Willens und Gesetzgebung – Dokumentation der internationalen Konferenz zur Problematik kriegsbedingt verlagerter Kulturgüter; Moskau, 24. und 25. April 2001, 2001, S. 226–231. So Pieroth/Hartmann, Rechtswegbeschränkung zur Sicherung des Leihverkehrs mit ausländischen Kulturgütern, NJW 2000 (Heft 30), S. 2129–2135, S. 2132–2133. „Trotz der Rechtsschutzverkürzung bestehen im Ergebnis keine Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit des § 20 KGSchG mit dem Rechtsstaatsprinzip, weil zunehmend Leihgaben eine Zusage des freien Geleits erhalten, die sonst überhaupt nicht nach Deutschland verliehen würden.“ Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 25–26.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
255
Dementsprechend wird der potenzielle Kläger nicht schlechter gestellt, weil ohne die Zusage die Werke gar nicht ins Inland gelangen würden.“453 Somit lässt sich als Ergebnis feststellen, dass eine vorübergehende Beschränkung einer Rechtsschutzmöglichkeit, die sich ohne Rückgabezusage nie ergeben hätte, verhältnismäßig ist.454 Die durch § 20 Abs. 3 und 4 angeordnete Wirkung kann nach Rechtsansicht von Bauer jedoch nicht verhindern, dass vom Bundesverfassungsgericht bspw. aufgrund einer (beabsichtigten) Verfassungsbeschwerde der Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (BVerfGG) begehrt wird, denn den verfassungsgerichtlichen Rechtsschutz vermag § 20 nicht zurückzunehmen:
199
„Das Bundesverfassungsgericht wird in einem solchen Fall entsprechend seiner bisherigen Praxis nur prüfen, ob der verfahrenseinleitende Antrag offenbar unzulässig oder unbegründet ist. Verneint es diese Frage, wird das Gericht eine Folgenabwägung vornehmen und danach entscheiden, ob ohne eine gerichtliche Anordnung für das möglicherweise betroffene Grundrecht ein irreparabler oder nur schwer hinnehmbarer Zustand eintreten wird. Bislang ist das Bundesverfassungsgericht noch nicht mit einem Antrag befasst gewesen, der dahin gezielt hat, die Wirkungen des § 20 KultSchG aufzuheben. Es spricht vieles dafür, dass ein solcher Antrag nicht erfolgreich sein wird. Denn die verfassungsrechtlichen Argumente gegen § 20 KultSchG wiegen nicht sehr schwer. Das (unterstellte) Eigentum eines Antragstellers wird als solches von § 20 KultSchG nicht betroffen, denn die Bestimmung hat keinen enteignenden Charakter. Rechtlich unberührt bleiben auch die aus dem Eigentum sich ergebenden Ansprüche, insbesondere das Recht, vom Besitzer die Herausgabe zu verlangen. Gehemmt ist allein die staatliche Rechtsschutzgewährung, weshalb die dem Eigentumsprätendenten durch § 20 KultSchG vermittelten Nachteile lediglich tatsächlicher Art sind. Aber auch die Rechtsschutzmöglichkeiten sind nicht als solche und nicht auf Dauer beseitigt. Schließlich ist zweifellos das Funktionieren des internationalen Kulturaustauschs von sehr hohem Allgemeininteresse. Es ist mit Sicherheit davon auszugehen, dass das Bundesverfassungsgericht bei der genannten Folgenabwägung die weitreichenden Folgen einer Störung des Vertrauens in die Sicherheit des internationalen Ausleihverkehrs bedenken wird, und dass es auch den Umstand in Rechnung stellen wird, dass ein formell einwandfreies nationales Gesetz dieses Vertrauen geschaffen hat. Es liegt daher auch unter dem Aspekt eines wirksamen verfassungsgerichtlichen Rechtsschutzes nahe anzunehmen, die mit einem gerichtlichen Rückgabestop verbundenen Folgen würden als gravierender angesehen, als die Erschwernisse einer Rechtsverfolgung im Ausland, wel-
200
453 454
Vgl. Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 22–23. Vgl. auch Pieroth/Hartmann, Rechtswegbeschränkung zur Sicherung des Leihverkehrs mit ausländischen Kulturgütern, NJW 2000 (Heft 30), S. 2129–2135, S. 2135.
256
2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
che ein Eigentumsprätendent als individuell-nachteiligen Konsequenzen einer ungehinderten Rückgabe des ausgeliehenen Kulturgutes hinnehmen müsste.“ 455 Diese Einschätzung wird durch den Hinweis auf einen völkerrechtlichen Vertrauenstatbestand durch die Zusicherung ‚freien Geleits‘, der gemäß Art. 25 GG Vorrang vor den nationalen Gesetzen hat, gestützt.456
c) 201
Vereinbarkeit mit der EG-Richtlinie 93/7/EWG
Über die Frage der Vereinbarkeit der Immunitätszusage mit dem Rechtsstaatsprinzip hinaus stellt sich für Deutschland – sowie für alle sonstigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union – die Problematik der Behandlung einer Zusage ‚freien Geleits‘, wenn im selben Moment eine Restitutionspflicht nach der EGRichtlinie 93/7/EWG des Rates über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern vom 15. März 1993457 besteht.458 Die mögliche Disharmonie zwischen der in § 20 des Gesetzes zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung vom 6. August 1955 eingeführten Zusage ‚freien Geleits‘ für ausländische Kulturgüter, die aus dem Ausland für eine Ausstellung im Bundesgebiet ausgeliehen werden und immun vor einer gerichtlichen Intervention sind, und der Rückführungspflicht nach der EURückführungsrichtlinie stellt ein weiteres Beispiel für den mehrfach anzutreffenden Konflikt des internationalen Kulturgüterverkehrs zwischen öffentlichem und Privatrecht innerhalb der einzelnen Regulationsmethoden dar. Ist eine verbindliche Rückgabezusage erteilt worden, können dem Rückgabeanspruch des Verleihers grundsätzlich keine Rechte entgegengehalten werden, die Dritte an dem Kulturgut geltend machen. Hier stellt sich die Frage, ob zu diesen Dritten
455
456
457 458
So Bauer, Eilverfahren und einstweilige Verfügung zur Sicherung von Rechten an reportierten Kulturgegenständen, in: Genieva/Michaletz/Werner, Gesten des guten Willens und Gesetzgebung – Dokumentation der internationalen Konferenz zur Problematik kriegsbedingt verlagerter Kulturgüter; Moskau, 24. und 25. April 2001, 2001, S. 226–231. Vgl. Mußgnug, Das Kunstwerk im internationalen Recht, in: Kunst und Recht, Schriften der deutschen Richterakademie, 1985, S. 15–42, S. 29. Vgl. hierzu ausführlich 3, 1316 ff. Vgl. hierzu auch Jayme, Menschenrechte und Internationaler Kulturgüterschutz, IPRax 2001 (Heft 4), S. 380–381, S. 381; Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 23–25; Pieroth/Hartmann, Rechtswegbeschränkung zur Sicherung des Leihverkehrs mit ausländischen Kulturgütern, NJW 2000 (Heft 30), S. 2129–2135, S. 2129; Jayme, Das Freie Geleit für Kunstwerke, 2001, S. 8–10 und S. 10–18; Fuchs, Kulturgüterschutz im Kulturgutsicherungsgesetz, IPRax 2000, S. 281–286, S. 286; Palmer, Art Loans, 1997, S. 111–112; Redmond-Cooper, Disputed title to loaned works of art: the Shchukin litigation, in: Palmer, Art Loans, 1997, S. 569–576; Weller, Die rechtsverbindliche Rückgabezusage, in: Blaurock u.a., Festschrift für Achim Krämer zum 70. Geburtstag, 2009, S. 721–735; Weller, Third-Party Claims on the Occasion of Ccross-Border Art Loans in Europe: Brussels I-Regulation – Anti Seizure-Statutes – Human Rights, Art Antiquity and Law, Vol. XIV, Issue 4 (2009), S. 303–316.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
257
auch europäische Staaten gehören, welche Restitutionsansprüche auf Grund der EG-Richtlinie 93/7/EWG vom 15. März 1993459 geltend machen.460 Es erscheint widersprüchlich, dass in Deutschland das Rechtsinstitut des ‚freien Geleits‘ für Leihgaben mit demselben Gesetz eingeführt wurde, das zugleich die Richtlinie zur Restitution illegal transferierter Kulturgüter umsetzen soll.461 Auch die Tatsache, dass der Gesetzgeber die Rückgabezusage im Gesetz zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung vom 6. August 1955 regelt 462, „überrascht“463, da die Rückgabezusage sich nicht auf deutsches, sondern auf ausländisches Kulturgut bezieht, „und sie verhindert nicht, sondern ermöglicht gerade die Rückführung ins Ausland.“ 464 Auch Jayme bezeichnet es als „Eigentümlichkeit“ des deutschen Kulturgutsicherungsgesetzes, „dass es im ersten Teil Rückgabeansprüche der Mitgliedstaaten der Europäischen Union regelt, während im zweiten Teil das Freie Geleit von Kulturgütern und die Abwehr von Ansprüchen Dritter während der Ausstellungszeit vorgesehen sind.“ 465 Der neu in das Gesetz zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung vom 6. August 1955 eingefügte § 20 und die Möglichkeit der behördlichen Immunitätszusage kultureller Leihobjekte haben mit den europarechtlichen Vorgaben der EG-Richtlinie somit nichts gemein.466
202
Entsprechend der systematischen Zwiespältigkeit bei der Inkorporation der behördlichen Ermächtigung zur Zusage ‚freien Geleits‘ kultureller Leihobjekte bil-
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Richtlinie 93/7/EWG des Rates über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern vom 15.3.1993, ABl. EG 1993 Nr. L 74, S. 74, inzwischen klarstellend geändert durch die Richtlinie 96/100/EG vom 17.2.1997, ABl. EG 1997 Nr. L 60, S. 59 und die Richtlinie 2001/38/EG vom 5.6.2001, ABl. EG 2001 Nr. L 187, S. 43. Die erste Änderung fügte den im Anhang der Richtlinie aufgeführten Kategorien eine weitere für Aquarelle, Pastelle und Gouachen hinzu und änderte die Übrigen entsprechend; die zweite Änderung stellte in der Rubrik B des Anhangs klar, dass Wertgruppe „0“ nicht „wertlos“, sondern „wertunabhängig“ bedeutet und passte die Richtlinie an die Einführung des Euro an. Vgl. Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 23–25. Vgl. Jayme, Menschenrechte und Internationaler Kulturgüterschutz, IPRax 2001 (Heft 4), S. 380–381, S. 381. Vgl. Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 23–25. Vgl. Art. 2 Nr. 3 des Gesetzes zur Umsetzung von Richtlinien der Europäischen Gemeinschaften über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern und zur Änderung des Gesetzes zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung vom 6. August 1955 (BGBl. I, S. 3162). Die diesbezügliche Neubekanntmachung des Gesetzes zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung vom 6. August 1955 erfolgte am 8.7.1999 (BGBl. I, 1754). So die Formulierung bei Pieroth/Hartmann, Rechtswegbeschränkung zur Sicherung des Leihverkehrs mit ausländischen Kulturgütern, NJW 2000 (Heft 30), S. 2129–2135, S. 2129. Pieroth/Hartmann, Rechtswegbeschränkung zur Sicherung des Leihverkehrs mit ausländischen Kulturgütern, NJW 2000 (Heft 30), S. 2129–2135, S. 2129. Jayme, Das Freie Geleit für Kunstwerke, 2001, S. 8–10. Vgl. Pieroth/Hartmann, Rechtswegbeschränkung zur Sicherung des Leihverkehrs mit ausländischen Kulturgütern, NJW 2000 (Heft 30), S. 2129–2135, S. 2129.
258
2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
dete sich eine Kontroverse über die Auslegung des Verhältnisses der beiden Teile des Kulturgutsicherungsgesetzes zueinander.467 Die Reichweite der Abgrenzung der beiden Rechtsinstitute der richtlinienbedingten Restitution unrechtmäßig verbrachter Kulturgüter zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und der kulturellen Immunität des Leihobjektes nach behördlicher Zusage i.S.d. § 20 des Gesetzes zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung vom 6. August 1955 verdeutlicht erneut die Interessengegensätze zwischen der nationalen Intention an der Aufbewahrung der eigenen Kulturgüter an Ort und Stelle und dem allgemeinen Interesse, dass „ein Kunstwerk an seinem Ursprungsort ausgestellt wird, auch um der kunsthistorischen Erkenntnisse willen. Dies setzte aber eine für den Eigentümer gefahrlose Ausleihe voraus, bei der nach der Beendigung der Ausstellung eine Rückkehr in das Land des Ausleihers gesichert wäre.“ 468
(1)
Vorrang des EU-Rückführungsanspruchs
204
Erstmalig wurde von Fuchs in ihren Ausführungen zum Kulturgüterschutz im Kulturgutsicherungsgesetz vorgeschlagen, dieses Spannungsverhältnis durch eine richtlinienkonforme Auslegung des § 20 des Gesetzes zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung vom 6. August 1955 aufzulösen, die den auf der EGRichtlinie 93/7/EWG vom 15. März 1993 beruhenden staatlichen Rückgabeanspruch unrechtmäßig verbrachter Kulturgüter trotz der Rückgabezusage durchsetzen soll.469
205
„Die Antwort ist mit Hilfe der richtlinienkonformen Auslegung des § 20 KultgSchG zu finden. Jeder Staat hat den sich aus einer Richtlinie ergebenden Verpflichtungen in vollem Umfang nachzukommen (vgl. Art. 10 EGV). Nationales Recht ist im Hinblick auf die Zielvorgaben der Richtlinie auszulegen. Die Kulturgüterrichtlinie erfaßt allein den staatlichen Rückgabeanspruch; privatrechtliche Ansprüche bleiben unberührt. Der staatliche Rückgabeanspruch kann nicht zeitweilig ausgesetzt werden. Vielmehr fordert die richtlinienkonforme Auslegung von § 20 KultgSchG, den auf der Richtlinie beruhenden staatlichen Rückgabeanspruch trotz der Rückgabezusage zuzulassen. Dagegen sind Klagen des Eigentümers auf Herausgabe der Sache für die Zeit bis zur Rückgabe an den Verleiher unzulässig. Für dieses Ergebnis spricht die Gesetzesbegründung, nach der (allein) die Geltendmachung „privater Rechte an den Leihgaben“ für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet zurückstehen muss. Wird ein Kulturgut in einer Ausstellung im Bundesgebiet gezeigt, so schützt die Rückgabezusage zwar vor der Geltendmachung privater Ansprüche, nicht aber vor dem staatlichen Rückgabeanspruch anderer EU-Mitgliedstaaten.“ 470 467
468 469
470
Vgl. einerseits Jayme, Das Freie Geleit für Kunstwerke, 2001, S. 8–10 sowie Jayme/Geckler, Internationale Kunstausstellungen: „Freies Geleit“ für Leihgaben, IPRax 2000 (Heft 2), S. 156–157, andererseits Fuchs, Kulturgüterschutz im Kulturgutsicherungsgesetz, IPRax 2000, S. 281–286, S. 286. Vgl. Jayme, Das Freie Geleit für Kunstwerke, 2001, S. 10–18. Vgl. zu dieser Meinung Fuchs, Kulturgüterschutz im Kulturgutsicherungsgesetz, IPRax 2000, S. 281–286, S. 286. So Fuchs, Kulturgüterschutz im Kulturgutsicherungsgesetz, IPRax 2000, S. 281–286, S. 286.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
Zwar erkennen auch die Vertreter einer richtlinienkonformen Auslegung hinsichtlich eines Vorrangs des staatlichen Restitutionsanspruchs unrechtmäßig verbrachter Kulturgüter die Sicherheit und das Vertrauen der Leihgeber auf Rückführung der zeitlich überlassenen Kulturgüter als Sinn und Zweck des Rechtsinstituts der Zusage ‚freien Geleits‘: Sie bewerten jedoch das Interesse der kulturellen Ursprungsstaaten hier höher, sodass der Sinn der Zusage, den Leihgebern die Gewissheit der Rückgabe zu vermitteln, damit für von der Richtlinie erfasste Gegenstände wirkungslos wäre.471 Die Bedeutung der richtlinienkonformen Auslegung wird jedoch von dieser Ansicht selbst wieder eingeschränkt und geltend gemacht, dass § 20 zwar zusammen mit der entsprechenden Richtlinie in deutsches Recht umgesetzt worden wäre, jedoch gerade nicht auf einer Richtlinie der Europäischen Union, sondern allein auf nationalen Erwägungen beruhe und somit eine richtlinienkonforme Auslegung hier unzutreffend sei.472 Kühl ergänzt den Gedanken der richtlinienkonformen Auslegung jedoch dahingehend, dass Art. 249 Abs. 3 EGV, unterstützt durch das Gebot der Gemeinschaftstreue in Art. 10 EGV, dennoch dem nationalen Gesetzgeber gebiete, zumindest keine Normen zu schaffen, die dem Ziel einer Richtlinie eindeutig widersprechen. Nachdem eine Richtlinie erlassen und national umgesetzt worden sei, entfalte sie eine dahingehende ‚Sperrwirkung‘, dass der nationale Gesetzgeber gemeinschaftsrechtlich gehindert sei, nationales Recht zu erlassen, das dem Inhalt der Richtlinie widerspreche.473
(2)
472
473 474
475
206
Vorrang der Rückgabezusage ‚freien Geleits‘
Dagegen vertritt Jayme in seiner Kommentierung der Disharmonie zwischen der staatlichen Restitutionspflicht unrechtmäßig verbrachter Kulturgüter nach der EG-Richtlinie 93/7/EWG vom 15. März 1993 einerseits und der Immunität kultureller Leihobjekte nach der behördlichen Zusage ‚freien Geleits‘ andererseits die Meinung, „eine Auslegung der Richtlinie selbst ergebe, daß die Rückgabezusage sich auch gegenüber dem staatlichen Restitutionsanspruch durchsetze.“474 Man müsse vielmehr „die Frage stellen, ob man nicht die Richtlinie selbst einschränkend auslegen solle und zwar in dem Sinne, daß die Staaten nicht verpflichtet sind, Werke, die aus Drittstaaten ausgeliehen wurden, während der Ausstellungszeit an andere EG-Länder herauszugeben.“475 Unrechtmäßig sei nämlich nach Art. 1 Nr. 2, zweiter Spiegelstrich der EG-Richtlinie auch „jede
471
259
Vgl. Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 23–25. Wie Fuchs, Kulturgüterschutz im Kulturgutsicherungsgesetz, IPRax 2000, S. 281–286, S. 286, selbst anmerkt, so auch Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 23–25. Vgl. Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 23–25 m.w.N. So Jayme, Menschenrechte und Internationaler Kulturgüterschutz, IPRax 2001 (Heft 4), S. 380–381, S. 381. Vgl. Jayme, Das Freie Geleit für Kunstwerke, 2001, S. 10–18.
207
260
2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
nicht erfolgte Rückkehr nach Ablauf der Frist für eine vorübergehende rechtmäßige Verbringung“. Dabei könne auf die Ausführungen Hirschs verwiesen werden, wonach die Zusage ‚freien Geleits‘ bewirkt, „daß die Ausstellungsstücke dem ausländischen Leihgeber zurückgegeben werden müssen, unabhängig davon, wer das Eigentum an diesen Ausstellungsstücken für sich reklamiert oder Rückführungsansprüche nach § 5 KultGüRückG geltend macht“ 476. 208
Zusätzlich werden folgende Erwägungen angebracht: Die Richtlinie schütze gerade auch die Rückkehr entliehener Kulturgüter, allerdings nur im Binnenmarktbereich. Daraus ließe sich aber ersehen, dass man von einem Ausstellungsstaat nicht erwartet, dass seine Gerichte über konkurrierende Rückgabeansprüche zweier ausländischer Staaten während der Ausstellungszeit zu Lasten des Leihgebers entscheiden müssten.477 Würde bspw. ein Kulturgut aus Frankreich ausgeliehen, bezüglich dessen Italien Restitutionsansprüche erhebt, so ist es nach dieser Rechtseinschätzung „den deutschen Gerichten verwehrt, die Frage der Rechtmäßigkeit zu Lasten Frankreichs zu entscheiden, wenn deutsche Behörden eine verbindliche Rückgabezusage gegeben haben.“478 Vielmehr könne Italien diese Ansprüche nach der Rückgabe des Kulturguts entsprechend der staatlichen Zusage der Bundesrepublik erst in Frankreich geltend machen. „Erfolgt die Ausleihe aus einem Drittstaat, so unterlag das Kulturgut vor der Ausleihe nicht dem Zugriff der Behörden eines europäischen Staates“, sodass sich das öffentliche Interesse am Vertrauensschutz im internationalen Leihverkehr auch hier durchsetzen solle.479 „Außerdem verwischen sich die Grenzen zwischen staatlichen und privaten Restitutionsansprüchen. Das Gemälde des Fürsten von Liechtenstein könnte auch zum nationalen Kulturgut des Fürstentums gehören und schon wäre man im Rahmen des Europäischen Wirtschaftsraumes bei einem staatlichen Restitutionsanspruch angelangt. Das Freie Geleit würde völlig ausgehöhlt.“480 Zusammenfassend formuliert Jayme die These, dass das „Freie Geleit für ausgeliehene Kulturgüter … sich auch gegenüber Rückgabeansprüchen dritter Staaten durchsetzen [sollte]. Dieses Ergebnis läßt sich methodisch durch eine Auslegung der EG-Richtlinie 93/7 erreichen.“481
209
Stütze finden die Bevorzugung der Immunitätsbestimmung und die dementsprechende temporäre Beschlagnahmefreiheit vor der zwischenstaatlichen Restitu-
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Hirsch, Die Bedeutung der Zusage „freien Geleits“ für Kulturgüter, NJW 2001 (Heft 22), S. 1627. Vgl. Jayme, Das Freie Geleit für Kunstwerke, 2001, S. 10–18. Jayme, Menschenrechte und Internationaler Kulturgüterschutz, IPRax 2001 (Heft 4), S. 380–381, S. 381. Vgl. Jayme, Menschenrechte und Internationaler Kulturgüterschutz, IPRax 2001 (Heft 4), S. 380–381, S. 381. So Jayme, Das Freie Geleit für Kunstwerke, 2001, S. 10–18. Jayme, Das Freie Geleit für Kunstwerke, 2001, S. 25.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
261
tionspflicht nach der EG-Richtlinie auch, weil Art. 151 EGV die kulturelle Zusammenarbeit zu einem Teil der Politik der Europäischen Union erhebt und somit die Richtlinie nach der Terminologie Jaymes und Gecklers „überlagert“. Diese umfasst nach Abs. 2, 3. Spiegelstrich ausdrücklich den (allerdings nur nichtkommerziellen) Kulturaustausch, zu dem der grenzüberschreitende Austausch kultureller Wertgegenstände und somit auch der Verleih von Kunstwerken gehörten.482 Schließlich lasse sich eine Bestätigung für die Durchsetzung des ‚freien Geleits‘ auch in Fällen der Restitutionspflicht unrechtmäßig verbrachter Kulturgüter nach der EG-Richtlinie aus Art. 5 Nr. 2 der UNIDROIT Convention on Stolen or Illegally Exported Cultural Objects (Rome) vom 24. Juni 1995483 über die Rückführung gestohlener oder rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter entnehmen484: „A cultural object which has been temporarily exported from the territory of the requesting State, for purposes such as exhibition, research or restoration, under a permit issued according to its law regulating its export for the purpose of protecting its cultural heritage and not returned in accordance with the terms of that permit shall be deemed to have been illegally exported.“
210
Danach gilt ein Kulturgut, das vorübergehend aus dem Hoheitsgebiet des ersuchenden Staates, namentlich zu Ausstellungs-, Forschungs- oder Restaurierungszwecken, aufgrund einer die Ausfuhr von Kulturgütern regelnden Rechtsvorschrift und einer zum Schutz des kulturellen Vermögens erteilten Genehmigung ausgeführt und nicht gemäß den Bedingungen dieser Genehmigung zurückgeführt wurde, als rechtswidrig ausgeführt und unterliegt dem Rückführungsanspruch des Leihgeberstaates. Mehr als eine Indizwirkung kann jedoch auch durch diesen Gedanken nicht erreicht werden, da die Verfasser der UNIDROIT Convention vom 24. Juni 1995 die Vorschrift gerade nicht vor dem Hintergrund der Disparität der beiden Rechtsinstitute der Rückführung unrechtmäßig verbrachter Kulturgüter und der Zusage ‚freien Geleits‘ erlassen haben und nicht bewusst eine diesbezügliche Entscheidung anstrebten. Vielmehr wurde auch im Hinblick auf die UNIDROIT Convention teilweise die Ansicht vertreten, dass die Restitution an den Leihgeberstaat vorgehen müsse, da die Konvention die Rückgabe an denjenigen Staat anordne, in dem sich das Kunstwerk unmittelbar vor der illegalen Verbringung in ein anderes Land befunden habe.485 Trotzdem kann Art. 5 Nr. 2 der UNIDROIT Convention als Indikation dafür verstanden werden, „daß der Ausstellungsstaat das entliehene Kunstwerk an den Leihgeberstaat
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482
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Vgl. Jayme/Geckler, Internationale Kunstausstellungen: „Freies Geleit“ für Leihgaben, IPRax 2000 (Heft 2), S. 156–157, kommentiert auch bei Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 23–25. Vgl. ausführlich hierzu 3, 1348 ff. Vgl. hierzu und zu Folgendem Jayme, Das Freie Geleit für Kunstwerke, 2001, S. 10–18. Vgl. die Darstellung bei Jayme, Das Freie Geleit für Kunstwerke, 2001, S. 10–18.
262
2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
zurückgeben muß, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob das Kunstwerk noch von anderen Staaten zurückgefordert wird.“486 212
Wie das anstehende Problem in der Praxis 487 gelöst werden wird, bleibt weiterhin abzuwarten, da bis heute noch keine gerichtliche Entscheidung hierüber getroffen wurde und eine solche in naher Zukunft auch nicht unbedingt zu erwarten ist. Allgemein sollten die für die Zusage ‚freien Geleits‘ zuständigen staatlichen Behörden jedoch grundsätzlich davon Abstand nehmen, in Fällen dubioser Provenienz kultureller Güter eine Immunitätserklärung zu erlassen, wenn dies nicht – wie im Beispiel einer möglichen russisch-deutschen Leihe von Beständen der sog. Trophäenkunst – gerade politisch beabsichtigt ist. In den meisten Konstellationen wird der genannte Konflikt jedoch seitens der die Immunitätserklärung erteilenden Behörde nicht erkannt werden (können). Hier sollte wohl aus rechtspolitischen Gründen dem kulturellen Publizitätsprinzip entsprechend dem Zweck und der Funktion des Rechtsinstituts der Zusage ‚freien Geleits‘ zur Förderung des grenzüberschreitenden Austauschs kultureller Güter und der Erleichterung der Verhandlungsposition leihnehmender Museen und kultureller Institutionen Deutschlands von einem Vorrang der Immunität kultureller Leihobjekte vor zwischenstaatlicher Intervention mittels der Restitutionspflicht aus der EG-Richtlinie 93/7/EWG ausgegangen werden. Dies muss um so mehr gelten, da eine Rückführung unrechtmäßig verbrachter Kulturgüter nach deren Rückgabe in den leihgebenden Mitgliedstaat mittels der EG-Richtlinie 93/7/EWG vom 15. März 1993 in der Praxis zumeist im zwischenbehördlichen Verfahren vereinfacht und nicht wie bei der Beteiligung nichteuropäischer Drittstaaten im Gerichtssystem des leihgebenden Staates wesentlich schwieriger oder möglicherweise überhaupt nicht durchsetzbar ist. Für die Restitution unrechtmäßig verbrachter Kulturgüter in den Mitgliedstaat bürgt die EG-Richtlinie 93/7/EWG vom 15. März 1993. Damit besteht kein vollständiger Ausschluss der Geltendmachung der Restitutionsklage, sondern nur eine zeitliche Hemmung solange, bis das entliehene Kulturgut sich wieder im Territorium des leihgebenden Mitgliedstaates befindet.
d) 213
Vereinbarkeit mit der EMRK
Der Justizanspruch findet schließlich auch europarechtlichen Schutz, insbesondere in der Gewährleistung eines Rechts auf Zugang zu justizförmigem Rechtsschutz in Art. 6 Abs. 1 EMRK.488 Weller weist überzeugend nach, dass hier Ähn486 487
488
So Jayme, Das Freie Geleit für Kunstwerke, 2001, S. 10–18. Vgl. zu einer (jedoch unergiebigen) Beurteilung dieses Problems aus rechtsvergleichender Sicht Palmer, Art Loans, 1997, S. 111–112; Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 14–17; Redmond-Cooper, Disputed title to loaned works of art: the Shchukin litigation, in: Palmer, Art Loans, 1997, S. 569–576. Vgl. EGMR 21.2.1975, EuGRZ 1975, S. 91 – Golder; EGMR 9.10.1979, EuGRZ 1979, S. 626 – Airey. Vgl. auch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10.12.1948; Art. 14 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte vom 19.12.1966.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
liches wie unter deutschem Verfassungsrecht gilt und auch Art. 6 Abs. 1 EMRK keinen absoluten Anspruch auf effektiven Rechtsschutz gewährt, sondern ebenso unter dem Verhältnismäßigkeitsgebot steht:489 Hier ist an die Konstellation des sog. Liechtenstein-Falles 490 des Fürstentums Liechtenstein gegen die Bundesrepublik Deutschland zu erinnern, sodass das freie Geleit für internationale Leihgaben auch menschenrechtlich Bestand haben wird: Obwohl das persönliche Eigentum des Staatsoberhauptes des Fürstentums Liechtenstein unter keinem denkbaren Gesichtspunkt als im Ausland belegenes Vermögen eines Deutschen gelten und damit für Reparationsenteignungen herhalten konnte, wurden Ansprüche im Zusammenhang mit Reparationsenteignungen nach dem Überleitungsvertrag 491 vor deutschen Gerichten als unklagbar und vereinbar mit Art. 6 Abs. 1 EMRK qualifiziert – die Möglichkeit zur Klage für Prinz Hans-Adam II. vor deutschen Gerichte habe sich nur zufällig durch die Leihe ergeben und die Streitigkeit weise damit nur geringe Verbindung zu Deutschland auf. Diese ratio überträgt Weller zutreffend auf ausländische Leihgaben, soweit diese nicht über die vorübergehende Belegenheit in Deutschland hinaus weitere Verbindungen zu Deutschland haben (wie dies bspw. für alle Kunstwerke der Fall ist, die durch nationalsozialistische Verfolgung entzogen wurden). Der mit dem Ausschluss der Klagbarkeit verfolgte Zweck des internationalen Kulturaustauschs ist auch unter der EMRK als legitimer Zweck anzuerkennen.492
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491
492
Vgl. ausführlich hierzu Weller, Die rechtsverbindliche Rückgabezusage, in: Blaurock u.a., Festschrift für Achim Krämer zum 70. Geburtstag, 2009, S. 721–735. Vgl. hierzu Jayme, Das Freie Geleit für Kunstwerke, 2001, S. 6–7; Neue Zürcher Zeitung, Vom „Bilderstreit“ zur Völkerrechts-Klage: Liechtenstein zieht Deutschland vor Haager Gerichtshof, Artikel vom 2./3.Juni 2001, Nr. 126, S. 5; FAZ, Liechtenstein verklagt Deutschland – Entschädigung für enteignete Vermögen in Tschechoslowakei gefordert, Artikel vom 2. Juni 2001, S. 5; Jayme, Melancholischer Blick in die Landschaft – Die Pinakothek in Guercinos Heimatstadt Cento entwirft ein Bild des Malers von neuartiger Universalität, Berliner Zeitung, Artikel vom 3.5.2001, S. 16; Hipp, Kulturgüterschutz in Deutschland, 2000, S. 28; Seidl-Hohenveldern, Völkerrechtswidrigkeit der Konfiskation eines Gemäldes aus der Sammlung des Fürsten von Liechtenstein als angeblich „deutsches“ Eigentum, IPRax 1996, S. 410–412; Doehring, Völkerrechtswidrige Konfiskation eines Gemäldes des Fürsten von Liechtenstein als „deutsches Eigentum“: Ein unrühmlicher Schlusspunkt (zu BVerfG 28.1.1998 – 2 BvR 1981/97), IPRax 1998, S. 465–467; Fassbender, Klageausschluß bei Enteignungen zu Reparationszwecken: Das Gemälde des Fürsten von Liechtenstein, NJW 1999, S. 1445–1448; Fassbender, Der Fürst, ein Bild und die deutsche Geschichte – Anmerkung zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall Fürst HansAdam II. von und zu Liechtenstein gegen Deutschland, EuGRZ 2001, S. 459–466; Fuchs, Kulturgüterschutz im Kulturgutsicherungsgesetz, IPRax 2000, S. 281–286, S. 286. Vertrag zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen in der Fassung der Bekanntmachung vom 30. März 1955, BGBl. II 1955, 405, Teil 6 Art. 3 Abs. 1 und Abs. 3. Fortgeltung aufgrund des Vertrags über die abschließende Regelung in bezug auf Deutschland vom 12. September 1990 (BGBl. II 1990, 1318) Art. 7 Abs. 1 und Abs. 2. Vgl. Weller, Die rechtsverbindliche Rückgabezusage, in: Blaurock u.a., Festschrift für Achim Krämer zum 70. Geburtstag, 2009, S. 721–735.
263
264
2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
V. 214
Seit Erlass des Bundesgesetzes über den internationalen Kulturgütertransfer (Kulturgütertransfergesetz, KGTG) vom 20. Juni 2003 (Stand am 3. Mai 2005) enthält auch die Schweizer Rechtsordnung eine gesetzliche Grundlage zur Erteilung einer Immunitätszusage kultureller Güter innerhalb des internationalen Leihverkehrs.493 Wird ein Kulturgut aus einem leihgebenden Vertragsstaat für eine Ausstellung an ein Museum oder eine andere kulturelle Einrichtung in der Schweiz als leihnehmende Institution vorübergehend ausgeliehen, so kann die letztgenannte bei der Fachstelle beantragen, dass diese der leihgebenden Institution eine Rückgabegarantie für die im Leihvertrag vereinbarte Ausstellungsdauer erteilt. Das Kulturgütertransfergesetz präzisiert damit zunächst selbst den persönlichen Anwendungsbereich. Als Leihgeber kommen nur Vertragsstaaten in Betracht. Als Vertragsstaaten gelten nach Art. 2 Abs. 3 Staaten, welche die UNESCO Convention on the Means of Prohibiting and Preventing the Illicit Import, Export and Transfer of Ownership of Cultural Property (Paris) vom 14. November 1970 ratifiziert haben. Unbedeutend für die Erteilung der Garantie ist die juristische Form der ausländischen Leihgeberin. Als leihgebende Institutionen zählen nach Art. 1d) der Verordnung über den internationalen Kulturgütertransfer (Kulturgütertransferverordnung, KGTV) vom 13. April 2005 (Stand am 3. Mai 2005) sowohl öffentliche oder private Institutionen, die Kulturgüter ausleihen, als auch private Leihgeberinnen oder private Leihgeber. Eine Rückgabegarantie wird nach der Kommentierung bei Siegfried nicht erteilt für Kulturgüter, die zu anderen, bspw. kommerziellen Ausstellungszwecken eingeführt werden, namentlich zu Ausstellungen an Messen, in Galerien, Auktionshäusern oder Ähnliches.494
1. 215
Rückgabegarantie innerhalb der Schweizer Rechtsordnung
Formale Voraussetzungen
Formale Voraussetzung ist ein Antrag einer Rückgabegarantie bei der Fachstelle in einer Amtssprache oder in englischer Sprache. Als Fachstelle gilt die Verwaltungsstelle, die der Bund unter anderem zur Erteilung der Rückgabegarantie
493
494
Vgl. hierzu Siegfried, Internationaler Kulturgüterschutz in der Schweiz – Das Bundesgesetz über den internationalen Kulturgütertransfer (Kulturgütertransfergesetz, KGTG), 2006, S. 113–116; Kühl, Der Schutz von vorübergehend importierten Kulturgütern, in: Ministerium für Kultur der Russischen Föderation / Staatliche Bibliothek für Ausländische Literatur Rudomino, Moskau/Secco-Pontanova – Stiftung zur Förderung des Dialogs in Wissenschaft und Kultur, Berlin, Kulturgüter: Möglichkeiten und Perspektiven einer gesamteuropäischen Zusammenarbeit – Materialien der internationalen Konferenz „Kulturelle Zusammenarbeit in Europa: Fragen der Erhaltung und des Schutzes von Kulturgütern“, St. Petersburg, 12. Mai 2003, 2004, S. 123–128. Vgl. Siegfried, Internationaler Kulturgüterschutz in der Schweiz – Das Bundesgesetz über den internationalen Kulturgütertransfer (Kulturgütertransfergesetz, KGTG), 2006, S. 113– 116.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
bestimmt hat.495 Die leihnehmende Institution hat den Antrag um Erteilung einer Rückgabegarantie für ein oder mehrere Kulturgüter spätestens drei Monate vor der beabsichtigen Einfuhr des Kulturguts in die Schweiz bei der Fachstelle einzureichen.496 Er muss den Namen und die Adresse der leihgebenden Institution, die Beschreibung des Kulturguts, die möglichst genaue Herkunft des Kulturguts, den beabsichtigten Zeitpunkt der vorübergehenden Einfuhr des Kulturguts in die Schweiz, den beabsichtigten Zeitpunkt der Ausfuhr des Kulturguts aus der Schweiz, die Dauer der Ausstellung und die beantragte Dauer der Rückgabegarantie enthalten.497 Dem Antrag ist ein Auszug aus dem Leihvertrag mit der leihgebenden Institution beizulegen. Aus dem Auszug muss hervorgehen, dass das Kulturgut nach Abschluss der Ausstellung in der Schweiz oder nach Abschluss einer Wanderausstellung durch mehrere Länder in den Vertragsstaat zurückkehrt, aus dem es entliehen worden ist.498 Erfüllt der Antrag die Bedingungen für die Erteilung einer Rückgabegarantie offensichtlich nicht, so wird er abgelehnt.499 Besonderheit der Schweizer Immunitätsdeklaration kultureller Güter im internationalen Leihverkehr ist das Verfahren der Veröffentlichung500 solcher nicht offensichtlich unbegründeten Anträge im Bundesgesetzblatt mit einer genauen Beschreibung des Kulturguts sowie seiner Herkunft501 und der Möglich495
496
497
498
499
500
501
Art. 2 Abs. 4 unter Verweis auf Art. 18 Bundesgesetz über den internationalen Kulturgütertransfer (Kulturgütertransfergesetz, KGTG) vom 20. Juni 2003 (Stand am 3. Mai 2005): Fachstelle: Für den Vollzug dieses Gesetzes bezeichnet der Bund eine Fachstelle, die namentlich folgende Aufgaben übernimmt: a. sie berät und unterstützt die Bundesbehörden in Fragen des Kulturgütertransfers und koordiniert die Arbeiten; b. sie berät die kantonalen Behörden in Fragen des Kulturgütertransfers und arbeitet mit ihnen zusammen; c. sie vertritt die Schweiz gegenüber ausländischen Behörden in Fragen des Kulturgütertransfers; d. sie arbeitet mit den Behörden anderer Staaten zusammen, um deren kulturelles Erbe zu sichern; e. sie erteilt den im Kunsthandel und im Auktionswesen tätigen Personen sowie weiteren interessierten Kreisen Auskünfte in Fragen des Kulturgütertransfers; f. sie führt eine Liste der Auskunftsstellen über gestohlen gemeldete Kulturgüter; g. sie führt das Bundesverzeichnis in Form einer elektronischen Datenbank und veröffentlicht es (Art. 3); h. sie erteilt Rückgabegarantien (Art. 10–13); i. sie kontrolliert die Einhaltung der Sorgfaltspflichten der im Kunsthandel und Auktionswesen tätigen Personen (Art. 16 und 17). Art. 7 Abs. 1 Verordnung über den internationalen Kulturgütertransfer (Kulturgütertransferverordnung, KGTV) vom 13. April 2005 (Stand am 3. Mai 2005). Art. 7 Abs. 2 Verordnung über den internationalen Kulturgütertransfer (Kulturgütertransferverordnung, KGTV) vom 13. April 2005 (Stand am 3. Mai 2005). Art. 7 Abs. 4 Verordnung über den internationalen Kulturgütertransfer (Kulturgütertransferverordnung, KGTV) vom 13. April 2005 (Stand am 3. Mai 2005). Vgl. Art. 11 Abs. 2 Bundesgesetz über den internationalen Kulturgütertransfer (Kulturgütertransfergesetz, KGTG) vom 20. Juni 2003 (Stand am 3. Mai 2005). Vgl. Art. 11 Abs. 1 Bundesgesetz über den internationalen Kulturgütertransfer (Kulturgütertransfergesetz, KGTG) vom 20. Juni 2003 (Stand am 3. Mai 2005). Art. 7 Abs. 5 Verordnung über den internationalen Kulturgütertransfer (Kulturgütertransferverordnung, KGTV) vom 13. April 2005 (Stand am 3. Mai 2005): Sind die Angaben im Antrag lückenhaft oder fehlt der Auszug aus dem Leihvertrag, so räumt die Fachstelle der leihnehmenden Institution eine Frist von 10 Tagen zur Verbesserung ein. Sie verbindet diese Frist mit der Androhung, den Antrag abzuweisen, ohne ihn zu veröffentlichen (Art. 11
265
266
2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
keit der sog. Einsprache. Innerhalb einer Ausschlussfrist von 30 Tagen nach der Veröffentlichung des Antrags haben alle Personen, deren Rechte oder Pflichten die Verfügung berühren sollen, und andere Personen, Organisationen oder Behörden, denen ein Rechtsmittel gegen die Verfügung zusteht,502 das Recht, bei der Fachstelle schriftlich Einsprache zu erheben.503 Es geht vor allem um Parteien, die einen Eigentumsanspruch am Kulturgut geltend machen können.504 Wer keine Einsprache erhoben hat, ist vom weiteren Verfahren ausgeschlossen.505 Wollen die Parteien somit das Recht auf Ergreifung von Rechtsmitteln im Zusammenhang mit der Erteilung der Rückgabegarantie nicht verlieren, müssen sie sich am Einspracheverfahren beteiligen.506
2.
Materielle Voraussetzungen
216
Die materiellen Voraussetzungen für die Entscheidung der Fachstelle über den Antrag auf Erteilung einer Rückgabegarantie507 sind ausdrücklich in Art. 12 Abs. 2 niedergeschrieben, wobei dem Bundesrat jedoch ausdrücklich das Recht vorbehalten ist, zusätzliche Voraussetzungen festzulegen508:
217
Art. 12 Abs. 2 Bundesgesetz über den internationalen Kulturgütertransfer (Kulturgütertransfergesetz, KGTG) vom 20. Juni 2003 (Stand am 3. Mai 2005): Die Rückgabegarantie kann erteilt werden, wenn: a. niemand mit Einsprache einen Eigentumstitel am Kulturgut geltend gemacht hat; b. die Einfuhr des Kulturguts nicht rechtswidrig ist; c. im Leihvertrag vereinbart ist, dass das Kulturgut nach Abschluss der Ausstellung in den Vertragsstaat zurückkehrt, aus dem es entliehen worden ist.
218
Die Erteilung der Rückgabegarantie liegt damit im Ermessen der Fachstelle, die festzustellen hat, dass die dafür nötigen Voraussetzungen erfüllt werden. Ein Anspruch auf Erteilung der Rückgabegarantie besteht nicht. Vorausgesetzt wird, dass während der Einsprachefrist am Kulturgut kein Eigentumsanspruch
502
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Abs. 2 KGTG), sofern die Angaben im Antrag nicht innert Frist vervollständigt werden oder der Auszug aus dem Leihvertrag nicht nachgereicht wird. Art. 11 Abs. 3 Bundesgesetz über den internationalen Kulturgütertransfer (Kulturgütertransfergesetz, KGTG) vom 20. Juni 2003 (Stand am 3. Mai 2005) unter Verweis auf Art. 6 Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren vom 20. Dezember 1968 (VwVG), SR 172.021. Art. 11 Abs. 3 Bundesgesetz über den internationalen Kulturgütertransfer (Kulturgütertransfergesetz, KGTG) vom 20. Juni 2003 (Stand am 3. Mai 2005). Vgl. Siegfried, Internationaler Kulturgüterschutz in der Schweiz – Das Bundesgesetz über den internationalen Kulturgütertransfer (Kulturgütertransfergesetz, KGTG), 2006, S. 113– 116. Art. 11 Abs. 4 Bundesgesetz über den internationalen Kulturgütertransfer (Kulturgütertransfergesetz, KGTG) vom 20. Juni 2003 (Stand am 3. Mai 2005). So Siegfried, Internationaler Kulturgüterschutz in der Schweiz – Das Bundesgesetz über den internationalen Kulturgütertransfer (Kulturgütertransfergesetz, KGTG), 2006, S. 113–116. Art. 12 Abs. 1 Bundesgesetz über den internationalen Kulturgütertransfer (Kulturgütertransfergesetz, KGTG) vom 20. Juni 2003 (Stand am 3. Mai 2005). Art. 12 Abs. 3 Bundesgesetz über den internationalen Kulturgütertransfer (Kulturgütertransfergesetz, KGTG) vom 20. Juni 2003 (Stand am 3. Mai 2005).
§ 4 Ergebnis: Sachimmunität in Kunstrestitutionsverfahren
267
geltend gemacht wird, die Einfuhr zudem nicht illegal ist, d.h. sie darf nicht gegen eine Vereinbarung nach Art. 7 oder eine befristete Maßnahme nach Art. 8 Abs. 1 lit. a) des Bundesgesetzes über den internationalen Kulturgütertransfer (Kulturgütertransfergesetz, KGTG) vom 20. Juni 2003 (Stand am 3. Mai 2005) verstoßen.509 Diese Voraussetzungen dienen dem Ziel, dass Kulturgüter, gegen deren rechtswidrige Ausfuhr die Schweiz Maßnahmen ergriffen hat, nicht über die Rückgabegarantie doch in die Schweiz eingeführt werden.510 Liegen sämtliche Voraussetzungen vor, bewirkt die Rückgabegarantie, dass Private und Behörden keine Rechtsansprüche auf das Kulturgut geltend machen können, solange sich das Kulturgut in der Schweiz befindet.511
§4
Ergebnis: Sachimmunität in Kunstrestitutionsverfahren
Der Grundsatz der Staatenimmunität präkludiert ein Kunstrestitutionsverfahren nicht nur dann, wenn das Kulturgut bzw. der Kulturgüteraustausch der Erfüllung einer hoheitlichen Aufgabe eines fremden Staates dient und somit eine Immunitätsgarantie eines potenziell restitutionspflichtigen Besitzers vorliegt. Die Grenzen staatlicher Gerichtsgewalt sind darüber hinaus auch dann erreicht, wenn der kulturelle Aufnahmestaat, d.h. der Entleihstaat, dem kulturellen Sendestaat, d.h. dem Verleihstaat, eine Rückgabegarantie erteilt und den Objekten selbst ‚freies Geleit‘ gewährt. Diese sog. Sachimmunität von Kunst- und Kulturgütern unterscheidet sich deutlich von dem nur mittelbaren Schutz vor Kunstrestitutionsverfahren über die voranstehende Staatsimmunität und ist allein im Fall von spezialgesetzlichen Rückgabegarantien gegeben. Während im ersten Fall nur ein staatlicher Beklagter von der personellen bzw. institutionellen Immunität von Staaten oder staatlichen Institutionen vor ausländischen Zivilforen profitieren kann, schützen die kulturelle Sachimmunität und die Rückgabegarantie hingegen meist auch private Beklagte. Im voranstehenden Punkt B. wurden die Hintergründe, der Anwendungsbereich, die Voraussetzungen sowie der Schutzumfang und die inhaltliche Bedeutung sog. ‚anti seizure-statutes‘ des Common LawRechtskreises (vgl. unter Punkt B. I.), der französischen Immunité (vgl. unter Punkt B. II.) und des italienischen attestato di libera circolazione (vgl. unter Punkt B. III.) mit der Zusage ‚freien Geleits‘ in Deutschland (vgl. unter Punkt B. IV.) und der Rückgabegarantie innerhalb der Schweizer Rechtsordnung (vgl. unter Punkt B. V.) verglichen.
509
510
511
Vgl. Siegfried, Internationaler Kulturgüterschutz in der Schweiz – Das Bundesgesetz über den internationalen Kulturgütertransfer (Kulturgütertransfergesetz, KGTG), 2006, S. 113– 116. Vgl. Siegfried, Internationaler Kulturgüterschutz in der Schweiz – Das Bundesgesetz über den internationalen Kulturgütertransfer (Kulturgütertransfergesetz, KGTG), 2006, S. 113– 116. Art. 13 Bundesgesetz über den internationalen Kulturgütertransfer (Kulturgütertransfergesetz, KGTG) vom 20. Juni 2003 (Stand am 3. Mai 2005).
219
268
2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
220
Aufgrund der beschriebenen unsicheren Abgrenzung zwischen hoheitlichem und kommerziellem Handeln innerhalb des Anwendungsbereichs der allgemeinen Staatenimmunität bei der Leihgabe ausländischer Museen und kultureller Institutionen öffentlicher Trägerschaft übernahmen die Vereinigten Staaten von Amerika innerhalb des Schutzes des intermusealen und internationalen Leihverkehrs kultureller Güter die Vorreiterrolle und erließen bereits im Jahre 1965 den Immunity from Seizure Act, um den internationalen Kulturgüteraustausch durch das Rechtsinstitut einer Staatsgarantie für die Rückführung der entliehenen Kulturgüter an den Leihgeber zu fördern. Der dingliche Anwendungsbereich erstreckt sich ausweislich des § 2459 (a) auf „any work of art or other object of cultural significance“. Personell werden sowohl staatliche wie private Leihgeber erfasst. Da allein internationale Sachverhalte unter den Immunity from Seizure Act fallen, kann ein nur inneramerikanischer Transfer kultureller Güter aufgrund eines Leihvertrages nicht zu einer Immunität führen. Schließlich muss die öffentliche Zurschaustellung des Kulturguts „at any cultural exhibition, assembly, activity, or festival“ sein, ohne dass die amerikanische Institution als kultureller Leihnehmer kommerzielle Absichten mit der Ausleihe verfolgt („without profit“). Ist der Anwendungsbereich eröffnet, erfolgt eine Immunitätserklärung nur dann, wenn der Präsident oder sein Beauftragter dem betreffenden Objekt kulturelle Bedeutung beigemessen hat, die temporäre Ausstellung oder Zurschaustellung auf dem Territorium der Vereinigten Staaten im öffentlichen Interesse ist und vor der Einfuhr des Kulturguts eine Mitteilung über die Immunitätserklärung und deren Rechtswirkung in dem Federal Register unter Angabe der Ausstellungsdaten erfolgte. Das leihnehmende Museum muss hierfür einen formlosen Antrag an die United States Information Agency (USIA) richten mit der Beschreibung der Objekte und der Angabe des Wertes, einer Einschätzung der kulturellen Bedeutung, den geplanten Ausstellungsorten, einer Kopie des Leihvertrages und der Versicherung, dass das ausstellende Museum eine non profit-Organisation darstellt. Außerdem muss der Antrag eine Begründung enthalten, warum die Gewährung der Immunität begehrt wird. Seit dem New Yorker Schiele-Fall muss schließlich die leihnehmende Institution versichern, dass Untersuchungen bezüglich der Provenienz des jeweiligen Objektes seitens dieser Institution durchgeführt wurden und dem Leihnehmer keine Herausgabeansprüche Dritter bekannt sind.
221
Der Immunity from Seizure Act bestimmt ausländische Leihgaben immun gegen jegliche Art von gerichtlichen Verfahren (judicial process), Urteilen ( judgment), Erlassen (decree) und Verfügungen (order), sodass der Kulturgüteraustausch auch vor einem Arrest zur Vollstreckung aus einem künftigen Urteil (prejudgment attachment) und einem bereits ergangenen Urteil (post judgment attachment) sowie vor einer einstweiligen Verfügung (injunction) geschützt ist. Vom Schutzumfang nicht erfasst sind dagegen Verfügungen des Präsidenten, die ohne parlamentarische Zustimmung gültig sind und nicht den Bereich der Justiz
§ 4 Ergebnis: Sachimmunität in Kunstrestitutionsverfahren
269
betreffen, sowie sog. executive order, weil diese keine Instrumente der Justiz, sondern der Verwaltung sind. Eine de facto-Einschränkung der Reichweite der Sachimmunität kultureller Güter ist jedoch seit der Entscheidung Leonard Malewicz et al. v. City of Amsterdam bekannt. Dort wurde nämlich die Sachimmunität kultureller Güter mittels der expropriation exception des § 1605 (a) (3) des Federal Sovereign Immunities Act (der allgemeinen Staatenimmunität) unterlaufen. Da die Gemälde eine sachliche Immunität aufgrund einer bundesgesetzlichen Rückgabegarantie genossen, konnte keine Beschlagnahme auf amerikanischem Territorium erfolgen. Diese Sachimmunität schützte jedoch nicht vor der Gerichtspflichtigkeit des Verleihers selbst, sodass dennoch eine Klage gegen das niederländische Museum auf amerikanischem Territorium zulässig war. Neben der Festschreibung der Immunität kultureller Güter im Leihverkehr auf Bundesebene gibt es weitere Immunitätsbestimmungen in den einzelnen amerikanischen Bundesstaaten. Besondere judikative Bedeutung und großes öffentliches Interesse erlangte dabei Sec. 12.03 des New York Arts and Cultural Affairs Law. Der sachliche Anwendungsbereich beschränkt sich gegenüber der Bundesvorschrift allein auf „a work of fine art“, dagegen werden auch inneramerikanische Leihgeschäfte erfasst (sog. interstate loans). Besonderheit der New Yorker Sachimmunität ist, dass eine Rückgabegarantie unabhängig von einem speziellen Antrags- und Genehmigungsverfahren gewährt wird, sodass ein Schutz des Leihobjektes automatisch erfolgt, d.h. ohne vorherige behördliche Feststellung. Inzwischen ist der Schutzumfang von Sec. 12.03 jedoch allein auf zivilrechtliche Streitigkeiten begrenzt. Vor dieser Änderung hatte der New York Court of Appeals in der Rechtssache United States of America v. Portrait of Wally, A Painting by Egon Schiele, dem allgemein sog. Schiele-Fall angenommen, dass Sec. 12.03 Immunität entliehener Kulturgüter sowohl in zivil- als auch strafrechtlichen Verfahren gewährte. Der Court of Appeals führte hierzu aus, dass ein Klima freien künstlerischen und kulturellen Austauschs ohne Bedrohung durch Beschlagnahme unabhängig vom konkreten gerichtlichen Verfahren innerhalb New Yorks etabliert werden sollte, um potenziell leihwillige auswärtige Privatsammler und kulturelle Institutionen zu einer gemeinsamen öffentlichen Nutzung ihrer Bestände weiter zu ermutigen. Gerade in dem Moment, als die Öffentlichkeit mit der endgültigen Rückführung der beiden in Sequestration befindlichen SchieleWerke an Österreich und die Leopold-Stiftung rechnete, wurde das ‚Portrait of Wally‘ durch den Generalbundesanwalt der Vereinigten Staaten von Amerika aufgrund eines strafrechtlichen Verstoßes gegen den National Stolen Property Act (18 U.S.C. 2314 aus dem Jahre 1994) und der erfolgten Ein- und der geplanten Ausfuhr gestohlener Gegenstände beschlagnahmt. Der Generalbundesanwalt führte aus, dass das Leopold Museum das Bild in die Vereinigten Staaten von Amerika einführte und dabei wusste, dass es als ‚gestohlen‘ zu qualifizieren sei. Trotz einer Verfahrensdauer von mehr als zehn Jahren ist bislang noch keine Entscheidung ergangen.
222
270
2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
223
Außerhalb New Yorks kennen weitere amerikanische Bundesstaaten Immunity from Seizure-Statuten, wie bspw. Texas, insbesondere wurde in den voranstehenden Ausführungen innerhalb der Common Law-Staaten aber noch auf die anti seizure-Regelungen der Republik Irland, Australiens und die sog. Canadian provincial anti-seizure statutes in British Columbia, Manitoba, Ontario und Québec Bezug genommen, bevor schließlich die Rechtslage in Großbritannien Erläuterung fand: Auch dort ist es heute möglich, dass berühmte Gemälde wie bspw. ‚Der Tanz‘ von Henri Matisse und 120 weitere Kunstwerke russischer und französischer Impressionisten, die im Anschluss an die russische Oktoberrevolution im Jahre 1917 verstaatlicht worden waren und nur auf diese Weise in die Sammlungen des Pushkin Museum und der Tretyakov Galerie in Moskau und der Eremitage und das Russische Staatsmuseum in St. Petersburg gelangten, in einer Ausstellung in der Londoner Royal Academy of Arts öffentlich ausgestellt werden konnten. Diese 120 Impressionisten und Modernisten wären in der Ausstellung sicherlich nicht gezeigt worden, wenn das britische Parlament nicht die Bedingung der entleihenden Museen akzeptiert hätte und ein spezielles Gesetz erlassen hätte, das eine umfassende und absolute Immunität Russlands und der entleihenden Museen gegenüber jeglichem Versuch der gerichtlichen Intervention bezüglich der einzelnen Gemälde angeordnet hätte.
224
Unter dem Eindruck der Entscheidung Stchoukine v. Le Centre National d’Art et de Culture Georges Pompidou, the Hermitage Museum St. Petersburg, the Pushkin Museum Moscow and the Russian Federation vor dem Tribunal de Grande Instance (TGI) de Paris wurde auch in Frankreich mit Erlass des Gesetzes Nr. 94-679 vom 8.8.1994 in Art. 61 eine Immunitätsregelung im internationalen Leihverkehr kultureller Güter eingeführt. Die davon sachlich erfassten Kulturgüter sind während der Dauer der Leihgabe nicht beschlagnahmbar („insaisissables“). Wie weit der Schutzumfang der Immunité letztendlich jedoch konkret reicht, wurde im Gesetz keiner ausdrücklichen Regelung zugeführt und fand auch vor den französischen Gerichten bislang keine Interpretation. Neben der sog. immunité in Frankreich wurde noch kursorisch auf den sog. attestato di libera circolazione in Italien Rekurs genommen, um dann ausführlich die Hintergründe, den Anwendungsbereich und die Reichweite der seit dem Jahr 1998 möglichen Zusage ‚freien Geleits‘ in der Bundesrepublik Deutschland zu untersuchen.
225
Hintergrund der deutschen Immunitätsregelung war einmal die Konstellation des sog. Liechtenstein-Falles, in dem das Fürstentum Liechtenstein in sämtlichen deutschen Gerichtsinstanzen inklusive des Bundesverfassungsgerichts, des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßbourg und des Internationalen Gerichtshofs die Rückführung des Gemäldes ‚Szene um einen römischen Kalkofen‘ von Pieter van Laer begehrte, das das Denkmalschutzamt der Republik Tschechien dem Wallraf-Richartz-Museum in Köln für eine Ausstellung ausgeliehen hatte. Konkreter praktischer Anlass für die Einführung einer kulturellen Immunitätsregelung innerhalb der deutschen Rechtsordnung war jedoch die
§ 4 Ergebnis: Sachimmunität in Kunstrestitutionsverfahren
271
bereits seit dem Jahre 1992 geplante und von November 2003 bis Februar 2004 präsentierte Ausstellung ‚Schätze der Himmelssöhne – Die kaiserliche Sammlung aus dem Nationalen Palastmuseum Taipeh‘ in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn, da die taiwanesischen Leihgeber fürchten mussten, sich ohne eine Zusage freien Geleits gerichtlichen Vollstreckungsmaßnahmen auf Veranlassung von chinesischen Behörden ausgesetzt zu sehen. Der deutsche Gesetzgeber hat vor dem Hintergrund der beiden genannten Erfahrungen und zur Förderung und Intensivierung des internationalen Kulturgüteraustauschs in § 20 des Gesetzes zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung vom 6. August 1955 eine Vorschrift geschaffen, welche für die Bundesrepublik der „Sicherung des Leihverkehrs mit ausländischen Kulturgütern“ dient und die zuständigen Behörden ermächtigt, dem Verleiher die Rückgabe zum festgesetzten Zeitpunkt rechtsverbindlich zu garantieren. Heute würde in den genannten Fallkonstellationen das Rechtsinstitut des ‚freien Geleits‘ den Zugang zu deutschen Gerichten vereiteln und die Geltendmachung privater Rechte an den Leihgaben müsste für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet zurückstehen, sodass der Entleiher der Rückkehr eines ausgeliehenen Kunstwerks ruhig entgegensehen kann, sofern den in den Normen vorausgesetzten Erfordernissen genügt worden ist.
226
In Deutschland ist insbesondere innerhalb des sachlichen Anwendungsbereichs der kulturellen Immunitätsbestimmung („ausländisches Kulturgut“) umstritten, ob die Erteilung einer Rückgabezusage innerhalb des russisch-deutschen Leihverkehrs mit den nach Ende des Zweiten Weltkriegs völkerrechtswidrig aus dem Gebiet der sowjetischen Besatzungszone auf sowjetisches Territorium verlagerten Kulturgütern (der sog. Trophäenkunst) möglich ist, die nun mittels des Föderalen Gesetzes über die infolge des Zweiten Weltkrieges in die UdSSR verbrachten und sich auf dem Gebiet der Russischen Föderation befindenden Kulturgüter vom 15. April 1998 in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 25. Mai 2000 zu Staatseigentum Russlands designiert wurden.512 Weite Teile des deutschen Schrifttums schließen eine Zusage ‚freien Geleits‘ für Objekte der Trophäenkunst generell aus, da eine Rückgabe deutschen Kulturgutes nach einer Ausstellung an Russland in Deutschland sowie in anderen Staaten als Verzichtserklärung Deutschlands auf Geltendmachung möglicher völkerrechtlicher und zivilrechtlicher Ansprüche auf Restitution dieser Kulturgüter aufgefasst werden könne. Außerdem stehe der Erteilung einer staatlichen Rückgabezusage Deutschlands auch der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegen. Wenn die Bundesrepublik Deutschland sich im Rahmen der Rückführungsverhandlungen für eine dauerhafte Rückgabe an Deutschland einsetzt, dann dürfe dieses Rückgabeverlangen nicht in Wider-
227
512
Vgl. hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 1: Illegaler Kulturgüterverkehr, 6. Teil, Rdnr. 503 ff.
272
2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
spruch zu anderen Erklärungen von staatlicher Seite stehen. Andererseits ist aber auch in Erwägung zu ziehen, dass die umstrittene Terminologie „ausländisches Kulturgut“ und die dementsprechende Auslegung, dass die Trophäenkunst als ‚deutsch‘ zu qualifizieren und keiner Immunitätszusage fähig sei, als insofern missverständlich angesehen werden können, als alle kulturellen Leihgaben aus dem Ausland erfasst sein sollen und nicht nur Leihgaben ausländischer Herkunft. Außerdem kann die umfassende und absolute Sicherung des intermusealen Leihverkehrs als Sinn und Zweck der kulturellen Sachimmunität angesehen werden, sodass etwaige unklare Eigentumsverhältnisse keinen Einfluss auf die Gewährung der Zusicherung des ‚freien Geleits‘ haben. Vielmehr müssen unterschiedslos alle Leihgaben aus dem Ausland, unabhängig von Provenienz oder ‚Nationalität‘, vom Anwendungsbereich des § 20 erfasst sein. Aus diesem Grund ist auch auf einen großen kulturellen Gewinn der deutschen Öffentlichkeit zu hoffen, wenn zwar (noch) kein dauerhafter Verbleib der Kulturgüter innerhalb Deutschlands erreicht werden kann, so doch zumindest zeitweilig ein Zugang zu diesem Bestandteil des deutschen Kulturerbes für die Öffentlichkeit besteht. Eine wenn auch zeitlich begrenzte öffentliche Ausstellung ist nach den Grundsätzen des kulturellen Publizitätsprinzips besser als keine Möglichkeit des Zugangs innerhalb Deutschlands. Eine Perpetuierung der aktuellen völker- und zivilrechtswidrigen Sachzuordnung der Trophäenkunst an die Russische Föderation ist aufgrund der bereits seit Jahrzehnten bestehenden öffentlichen Proklamation der Restitutionsforderung der umstrittenen Kulturgüter seitens der Bundesrepublik Deutschland a priori ausgeschlossen. 228
Der weitere materielle Anwendungsbereich des § 20 des Gesetzes zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung ist – auch im internationalen Vergleich – sehr weit formuliert und stellt keine besonderen personalen und situativen Anforderungen an Leihnehmer und Leihgeber und die kulturelle Bedeutung des Leihgutes. Ebenso wenig werden besondere Kriterien hinsichtlich der leihnehmenden Ausstellung verlangt, für die die kulturelle Leihgabe vorgesehen ist. Während nach der amerikanischen Immunitätsregelung die Ausstellung nicht in der Absicht erfolgen darf, einen Gewinn zu erzielen, kann nach der deutschen Ausgestaltungsvariante auch ein kommerzieller Erfolg beabsichtigt sein. Der deutsche Gesetzgeber wollte bei Statuierung des § 20 jede entgeltliche oder unentgeltliche Überlassung kultureller Wertgegenstände auf Zeit aus dem Ausland an deutsche leihnehmende Institutionen erfassen, auch wenn die letztgenannten ein Entgelt für die Gebrauchsüberlassung zu entrichten hatten. Außerdem kann eine Leihgabe von Kulturgütern auch aus wissenschaftlichen Gründen bspw. im Rahmen der Archäologie notwendig erscheinen, ohne dass die Gegenstände der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden müssen.
229
Auch die formellen Verfahrensvoraussetzungen entsprechen dem Bedürfnis eines erleichterten internationalen Kulturgüteraustauschs: Grundsätzlich ist eine Zusage ‚freien Geleits‘ vor der Einfuhr des Kulturguts zu erteilen. Da sich diese
§ 4 Ergebnis: Sachimmunität in Kunstrestitutionsverfahren
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zeitliche Vorgabe jedoch auf den Wirkungsbeginn bezieht, kann bei zunächst unterbliebener Rückgabesicherung die Zusage nachgeholt werden, wenn das Kulturgut bereits im Inland eingetroffen ist. Während nach § 20 Abs. 1 S. 1 für die Erteilung ‚freien Geleits‘ die nach Landesrecht zuständige oberste Landesbehörde im Einvernehmen mit der Zentralstelle des Bundes zuständig ist, entscheidet nach S. 2 bei Ausstellungen, die vom Bund oder einer bundesunmittelbaren juristischen Person getragen werden, die zuständige Bundesbehörde über die Erteilung der Zusage. Das Einvernehmen mit der Zentralstelle des Bundes ist ein reines Behördeninternum, sodass das Fehlen eines solchen Einvernehmens die Wirksamkeit der Zusage nicht beeinträchtigt. Die Erteilung freien Geleits ist von der zuständigen Behörde expressis verbis mit der Terminologie „rechtsverbindliche Rückgabezusage“ zu bezeichnen. Entscheidend für die tatsächliche Effektivität der deutschen Sachimmunität ausländischer Kulturgüter ist jeweils der konkrete Schutzumfang nach der Zusage ‚freien Geleits‘. Auch im internationalen Vergleich lässt sich im Ergebnis feststellen, dass der Leihgeber innerhalb der deutschen Rechtsordnung durch die Zusage ‚freien Geleits‘ ein umfassendes und absolutes Schutzprogramm erfährt. Zunächst bewirkt die deutsche Immunitätserklärung nach § 20 Abs. 3 eine materiell-rechtliche Beschränkung potenzieller Restitutionsansprüche Dritter an dem Kulturgut gegenüber dem Rückgabeanspruch des kulturellen Leihgebers. Dieser Ausschluss der Geltendmachung von Rechten Dritter findet in § 20 Abs. 4 eine verfahrensrechtliche Prolongation: Während § 20 Abs. 4 Var. 1 den materiellen Schutzgehalt des Abs. 3 dahingehend verfahrensrechtlich verlängert, dass eine zivilrechtliche Restitutionsklage des (ursprünglichen) Eigentümers einer prozessualen Beschränkung unterfällt und eine Herausgabeklage als unzulässig abzuweisen ist (sog. erkenntnisverfahrensrechtlicher Gehalt der Immunitätserklärung), normieren die Varianten 2 bis 4 des § 20 Abs. 4 weitere Schutzmechanismen des kulturellen Leihgebers im Vollstreckungsrecht (sog. vollstreckungsrechtlicher Gehalt der Immunitätserklärung) und gehen durch den Ausschluss einer Beschlagnahme, einer Pfändung bzw. einer Arrestverfügung über den sachenrechtlichen Gehalt des § 20 Abs. 3 und über den erkenntnisverfahrensrechtlichen Gehalt des § 20 Abs. 4 Var. 1 hinaus. Trotz dieser umfassenden Reichweite der deutschen Rückgabegarantie konnte zum Abschluss der voranstehenden Untersuchungen nachgewiesen werden, dass die Immunitätserklärung sowohl mit dem Rechtsstaatsprinzip als auch mit der EG-Richtlinie 93/7/EWG des Rates über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern vom 15. März 1993 in Einklang zu bringen ist.
230
Nachdem zu Beginn des 1. Abschnitts unter Punkt A. die Grenzen staatlicher Gerichtsgewalt in Kunstrestitutionsverfahren aufgrund der allgemeinen Staatenimmunität Erläuterung fanden und unter Punkt B. die internationale Gerichtsbarkeit aufgrund der speziellen Sachimmunität von Kunst- und Kulturgütern nach einer staatlichen Rückgabegarantie Beschränkung fand, erfolgt im nachste-
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274
2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
henden Punkt C. die Diskussion einer möglichen weiteren Präklusionswirkung zivilrechtlicher Restitutionsansprüche aufgrund der Existenz spezieller Sondergesetze zur Wiedergutmachung insbesondere des nationalsozialistischen Regimeunrechts. Da im Wiedergutmachungsrecht positive Voraussetzungen hinsichtlich des festzustellenden Unrechtsverdikts und negative Ausschlussgründe hinsichtlich der zeitlichen Geltendmachung der Rückerstattungsansprüche und des Schutzes gutgläubiger Erwerber für die Rückgewähr unrechtmäßig entzogener kultureller Vermögenswerte erlassen wurden, die bei gleichzeitiger Anwendung der allgemeinen privatrechtlichen Restitutionsmöglichkeiten leicht unterlaufen würden, liegt die Erwägung nahe, dass solche Fälle einer zivilrechtlichen Betrachtung nach den allgemein geltenden Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs unzugänglich sein müssen und bereits a priori von einem prozessualen Ausschluss allgemein-zivilrechtlicher Kunstrestitutionsverfahren aufgrund der Spezialität der Sondergesetze zur Wiedergutmachung des Regimeunrechts auszugehen sein könnte. Nachdem die Spezialgesetze zur Wiedergutmachung heute verfristet sind, ergäbe sich aus dieser Schlussfolgerung zugleich eine generelle Präklusion aller Ansprüche, die auf die Restitution von NS-bedingt entzogener Raubkunst und kulturellem Fluchtgut und von Kulturgütern und Antiquitäten zielten, die während der Zeit des Unrechtsstaates der DDR unrechtmäßig entzogen wurden. Ob ein so weitgehender Ausschluss zivilrechtlicher Kunstrestitutionsverfahren zu Lasten der zahlreichen Opfer des NS-Unrechtsregimes jedoch tatsächlich aus Rechtsgründen geboten ist, erscheint dem eigenen Rechtsgefühl zu widerstreben, sodass es sich lohnt, der Frage im nachstehenden Punkt C. nachzugehen. 232
Abschließend ist innerhalb des 1. Abschnitts und der Frage der Gerichtsbarkeit kultureller Restitutionsverfahren schließlich unter Punkt D. der Problematik nachzugehen, ob kulturelle Restitutionsansprüche Deutschlands und Österreichs bzw. deren Staatsangehörigen gegenüber den alliierten Staaten bzw. den Staatsangehörigen dieser Staaten aufgrund der jeweiligen Abkommen Deutschlands und Österreichs mit den Alliierten im Anschluss an den Zweiten Weltkrieg und des darin inkorporierten Verzichts der Geltendmachung jeglicher Rechtsansprüche gegen die alliierten Staaten und deren Staatsangehörige ausgeschlossen sein könnten.
C. Präklusionswirkung von Sondergesetzen zur Wiedergutmachung von Regimeunrecht im Zivilrecht? Schrifttum: Busche, Zur Frage des Verhältnisses von Vermögensgesetz und allgemeinem Zivilrecht, JZ 1994, S. 100–102; Hartung, Kunstraub in Krieg und Verfolgung, 2005, S. 166 ff.; Heuer, Die Kunstraubzüge der Nationalsozialisten und ihre Rückabwicklung, NJW 1999, S. 2558–2564; König, Wiedergutmachung außerhalb des Wiedergutmachungsrechts? – Die Rückgabe verfolgungsbedingt entzogener Kunstgegenstände aus ehemaligem Reichsbesitz im Zuständigkeitsbereich des BARoV, Quelle: www.badv.bund.de/003_menue_links/e0_ov/d0_
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
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provenienz/b1_aufsaetze/a0_wiedergutmachung.html; König, Grundlagen der Rückerstattung – Das deutsche Wiedergutmachungsrecht, Quelle: http://www.badv.bund.de/003_menue_links/ e0_ov/d0_provenienz/b1_aufsaetze/b0_grundlagen.html; König, Grundlagen der Rückerstattung – Das deutsche Wiedergutmachungsrecht, in: Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde, Osteuropa, Kunst im Konflikt, 2006, S. 374–376; Leipold, Rechtsweg und Rechtsgrundlagen bei der Rückforderung von Vermögen in der ehemaligen DDR, Zugleich eine Besprechung der Entscheidungen des BGH vom 12-11-1992 – V ZB 22/92 und V ZR 230/91, JZ 1993, S. 703–711, S. 710; Messerschmidt, Die Rückgabe von Kulturgütern an NS-Verfolgte, in: Zeitschrift für Vermögens- und Immobilienrecht (VIZ) 2001, S. 289–293; Müller-Katzenburg, Besitz- und Eigentumssituation bei gestohlenen und sonst abhanden gekommenen Kunstwerken, NJW 1999, S. 2551–2558; Müller-Katzenburg, Gutgläubiger Erwerb, Ersitzung, Verjährung …?, in: Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste, Museen im Zwielicht: Ankaufspolitik 1933–1945, Kolloquium vom 11. und 12. Dezember 2001 in Köln/die eigene Geschichte: Provenienzforschung an deutschen Kunstmuseen im internationalen Vergleich, Tagung vom 20. bis 22. Februar 2002 in Hamburg, 2002, S. 211–246; Pawlita, „Wiedergutmachung“ als Rechtsfrage? Die politische und juristische Auseinandersetzung um Entschädigung für die Opfer nationalsozialistischer Verfolgung (1945 bis 1990), 1993, S. 386 ff.; Pawlita, »Wiedergutmachung« durch Zivilrecht? Zur juristischen und politischen Auseinandersetzung um die Rückabwicklung verfolgungsbedingter Vermögensverschiebungen im Nationalsozialismus, Kritische Justiz 1991, S. 42–60; Raue, Summum ius suma iniuria: Stolen Jewish Cultural Assets under Legal Examination, in: Hoffman, Art and Cultural Heritage – Law, Policy and Practice, 2006, S. 185–190; Reich/Fischer, Wem gehören die als „entartete Kunst“ verfemten, von den Nationalsozialisten beschlagnahmten Werke?, NJW 1993, S. 1417–1421; Richter, Sozialverträglicher Interessenausgleich und Ausschlusswirkung von Restitutionsansprüchen, 2001; Rudolph, Restitution von Kunstwerken aus jüdischem Besitz – Dingliche Herausgabeansprüche nach deutschem Recht, 2007, S. 86–94.
Sowohl innerhalb der zivilrechtlichen Restitution von im Zweiten Weltkrieg seitens des nationalsozialistischen Regimes innerhalb und außerhalb des Territoriums des ehemaligen Deutschen Reiches entzogenen Kulturgütern – betroffen ist neben der sog. Beutekunst 513 auch die sog. Raubkunst 514, nicht jedoch die sog. ‚entartete Kunst‘ im Eigentum von Privatpersonen, deren Restitutionstatbestand bereits tatbestandlich nicht unter den Anwendungsbereich der speziellen Sondergesetze zur Wiedergutmachung nach Ende des Zweiten Weltkrieges fiel515 und die somit grundsätzlich nach den allgemeinen Zivilrechtsregeln bei Vorliegen der notwendigen Voraussetzungen rückgefordert werden könnte –
als auch bei der privatrechtlichen Rückführung von innerhalb des Territoriums der ehemaligen DDR entzogenen Kulturgütern stellt sich die Frage nach dem Ausschluss allgemeiner zivilrechtlicher Restitutionsansprüche aufgrund der speziellen Sondergesetze zur Wiedergutmachung des erlittenen Regimeunrechts516 nach dem politischen Machtwechsel innerhalb des betroffenen Staates Deutschland 513
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Vgl. Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 1: Illegaler Kulturgüterverkehr, 4. Teil. Vgl. Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 1: Illegaler Kulturgüterverkehr, 7. Teil, Rdnr. 65 ff. und 5. Teil, Rdnr. 1 ff. Vgl. Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 1: Illegaler Kulturgüterverkehr, 6. Teil, Rdnr. 247 ff. Vgl. ausführlich hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 1: Illegaler Kulturgüterverkehr, 6. Teil.
233
276
2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
einerseits nach Ende des Zweiten Weltkrieges517 und andererseits nach der Wiedervereinigung (sog. alliierte und deutsche Rückerstattungs- und Wiederherstellungsgesetze zur Wiedereinsetzung Betroffener in die vormalige Vermögensposition). Im Bereich der Restitution unrechtmäßig entzogener Kulturgüter stellte sich schon seit Schaffung dieser spezialgesetzlichen Regelungen die Frage, in welchem Umfang das allgemeine Rechts- und Pflichtenprogramm der Regeln des Bürgerlichen Vermögensrechts bei der Beurteilung der maßgeblichen Sachverhalte (noch) herangezogen werden kann. Insbesondere waren bspw. die ‚direkten Entziehungen‘ im Wege der Sicherstellung und Beschlagnahme kultureller Güter durch die nationalsozialistischen Behörden und Organisationen zur Zeit des Zweiten Weltkrieges gegenüber den seinerzeit benachteiligten Bevölkerungsgruppen ohne Zweifel unrechtmäßig, hatten für sich genommen keinen Eigentumsverlust der ursprünglich Berechtigten zur Folge 518 und waren als abhandengekommen i.S.d. deutschen Zivilrechts zu qualifizieren519. Da die verfolgungsbedingte Entziehung von Kunstgegenständen in der Zeit des Nationalsozialismus oftmals aber auch auf Veräußerungsgeschäften i.S.v. Zwangsverkäufen basierte, stellt sich die Frage, ob solche Fälle einer zivilrechtlichen Betrachtung nach den allgemein geltenden Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs zugänglich sind oder ob nicht bereits a priori von einem heutigen Ausschluss allgemeinzivilrechtlicher Klagen aufgrund der Spezialität der Sondergesetze zur Wiedergutmachung des Regimeunrechts auszugehen ist.520 Namentlich konnten solche kulturellen Vermögensverluste, die im Wege einer Veräußerung unter Drohung, Zwang und Gewalt erfolgten, in speziellen Fällen über eine Instrumentalisierung der Vorschriften über die Anfechtung, über Verbotsgesetze und über die Sittenwidrigkeit (§§ 123 i.V.m 142, 134 und 138 BGB) eigentums-, besitz-, delikts- oder bereicherungsrechtliche Ansprüche evozieren521 und zu einer Restitution nach den allgemeinen Vorschriften des Bürgerlichen Vermögensrechts führen.522 Diese
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Vgl. hierzu Raue, Summum ius suma iniuria: Stolen Jewish Cultural Assets under Legal Examination, in: Hoffman, Art and Cultural Heritage – Law, Policy and Practice, 2006, S. 185–190, S. 188. Vgl. Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 1: Illegaler Kulturgüterverkehr, 7. Teil, Rdnr. 202 ff. Vgl. Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 2. Teil, Rdnr. 84 ff. König, Wiedergutmachung außerhalb des Wiedergutmachungsrechts? – Die Rückgabe verfolgungsbedingt entzogener Kunstgegenstände aus ehemaligem Reichsbesitz im Zuständigkeitsbereich des BARoV, Quelle: www.badv.bund.de/003_menue_links/e0_ov/d0_provenienz/ b1_aufsaetze/a0_wiedergutmachung.html. Vgl. Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 1: Illegaler Kulturgüterverkehr, 5. Teil, Rdnr. 39 ff. König, Grundlagen der Rückerstattung – Das deutsche Wiedergutmachungsrecht, Quelle: http://www.badv.bund.de/003_menue_links/e0_ov/d0_provenienz/b1_aufsaetze/ b0_grundlagen.html; König, Grundlagen der Rückerstattung – Das deutsche Wiedergutmachungsrecht, in: Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde, Osteuropa, Kunst im Kon-
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
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Frage, ob in Bezug auf die Rückübertragung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter über sonderrechtliche Instrumentarien zur Wiedergutmachung des Regimeunrechts hinaus eine ergänzende zivilrechtliche Sicherung des spezialgesetzlichen Restitutionsanspruchs (sog. ergänzender zivilrechtlicher Rechtsschutz) möglich ist, unterliegt kontroverser Beurteilung.523 Dass ein solcher Ausschluss zu bejahen sein könnte, liegt zunächst nicht außerhalb des Denkbaren, werden doch in den genannten Sondergesetzen präzise positive Voraussetzungen hinsichtlich des festzustellenden Unrechtsverdikts (bspw. im Rahmen der formal ‚freiwilligen‘ Veräußerung kultureller Güter unter Drohung, Zwang und Gewalt) und detaillierte negative Ausschlussgründe (bspw. hinsichtlich der zeitlichen Geltendmachung der Rückerstattungsansprüche und des Schutzes gutgläubiger Erwerber) für die Rückgewähr unrechtmäßig entzogener kultureller Vermögenswerte erlassen, die bei gleichzeitiger Anwendung der allgemeinen privatrechtlichen Restitutionsmöglichkeiten leicht unterlaufen würden. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass bei Annahme einer Ausschlusswirkung der Spezialtatbestände zur Wiedergutmachung erlittenen Regimeunrechts nicht nur die Anwendung des allgemeinen Privatrechts zu dem Zeitpunkt der Geltung der Sondergesetze präkludiert sein könnte, sondern dass dadurch ein abgeschlossener Tatbestand geschaffen würde: Nachdem die Spezialgesetze zur Wiedergutmachung heute verfristet sind, ergäbe sich zugleich eine Präklusionswirkung für die allgemeinen zivilrechtlichen Restitutionsmöglichkeiten für die heutige Zeit. Folge einer solchen Einschätzung wäre, dass heute vindikatorische Eigentumsherausgabeansprüche und Rechtspositionen aus Deliktsrecht und ungerechtfertigter Bereicherung zur Wiedererlangung von als Beute- oder Raubkunst entzogenen Kulturgütern der Eigentümer oder deren Erben bereits a priori unzulässig wären (Unzulässigkeit allgemeiner zivilrechtlicher Restitutionsklagen im Sinne des Zivilprozessrechts). Für die Praxis hätte dies zur Folge, dass die zivilrechtlichen Instrumente zur Restitution von Beute- und Raubkunst wohl nahezu gänzlich ausgeschlossen wären, weil in den Spezialgesetzen zur vermögensrechtlichen Wiedergutmachung ergangenen Regimeunrechts grundsätzlich eine temporale Ausschlussfrist normiert war, nach deren Ablauf die Geltendmachung eines Wiedergutmachungsanspruchs präkludiert war. Die in den Spezialgesetzen normierten Ausschlussfristen sind bereits seit langer Zeit ausgelaufen.
234
In der überwiegenden Zahl der aktuellen Abhandlungen524 der zivilrechtlichen Restitutionsmöglichkeiten der vor dem Zweiten Weltkrieg und währenddessen
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flikt, 2006, S. 374–376; Messerschmidt, Die Rückgabe von Kulturgütern an NS-Verfolgte, in: Zeitschrift für Vermögens- und Immobilienrecht (VIZ) 2001, S. 289–293, S. 292. Vgl. Säcker-Hummert in Säcker, Vermögensrecht – Kommentar zu §§ 1 bis 21 Vermögensgesetz, 1995, § 1 VermG, Rdnr. 21. So Heuer, Die Kunstraubzüge der Nationalsozialisten und ihre Rückabwicklung, NJW 1999, S. 2558–2564; Müller-Katzenburg, Besitz- und Eigentumssituation bei gestohlenen und sonst abhanden gekommenen Kunstwerken, NJW 1999, S. 2551–2558; Müller-Katzenburg,
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
aufgrund der Herrschaft des Nationalsozialismus unrechtmäßig entzogenen Kulturgüter wird zumeist ohne weitere Ausführungen zu der Anspruchskonkurrenz von Sondergesetzen zur Wiedergutmachung des Regimeunrechts gegenüber zivilrechtlichen Restitutionsansprüchen unmittelbar die Zulässigkeit eines zivilrechtlichen Restitutionsanspruches inzident bejaht und zu den Folgeproblemen des Rechtswahlprozesses, des gutgläubigen Erwerbs, der akquisitiven gutgläubigen Ersitzung und extinktiven Verjährung des Herausgabeanspruchs ausgeführt.525 Dies kann einerseits zu dem Schluss führen, dass heute offensichtlich davon ausgegangen wird, dass die zivilrechtlichen Restitutionsregelungen nicht aufgrund der alliierten und bundesdeutschen Sondervorschriften zur Wiedergutmachung verdrängt werden. Vor dem Hintergrund der uneinheitlichen Rechtsprechung im Anschluss an den Zweiten Weltkrieg und nach Erlass des Vermögensgesetzes vom 3. Oktober 1990 zur Wiedergutmachung des innerhalb des Territoriums der ehemaligen DDR erlittenen Regimeunrechts erscheint jedoch nicht unwahrscheinlich, dass die Problematik von einem Großteil der neueren Literatur nicht erkannt wurde. 236
Innerhalb der rechtsdogmatischen Kommentierung der alliierten Rückerstattungserlasse und des deutschen Rückerstattungsgesetzes schon unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkrieges war das Verhältnis der Ansprüche nach dem Bürgerlichen Recht zu denen nach den alliierten Rückerstattungsgesetzen umstritten. Die Auffassung, dass erstgenannte gegenüber letztgenannten zurückzutreten hätten, wurde ebenso vertreten wie die Ansicht, dass Restitutionsansprüche nach dem Bürgerlichen Recht neben denen nach den speziellen Rückerstattungsgesetzen geltend gemacht werden können.526 Auch die Nachkriegsrechtsprechung,
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526
Gutgläubiger Erwerb, Ersitzung, Verjährung …?, in: Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste, Museen im Zwielicht: Ankaufspolitik 1933–1945, Kolloquium vom 11. und 12. Dezember 2001 in Köln/die eigene Geschichte: Provenienzforschung an deutschen Kunstmuseen im internationalen Vergleich, Tagung vom 20. bis 22. Februar 2002 in Hamburg, 2002, S. 211–246; Messerschmidt, Die Rückgabe von Kulturgütern an NS-Verfolgte, in: Zeitschrift für Vermögens- und Immobilienrecht (VIZ) 2001, S. 289–293, S. 292. Ausführungen zu einer Präklusion zivilrechtlicher Herausgabeansprüche aufgrund Spezialität der Sondergesetze zur Wiederherstellung des Systemunrechts sind zu finden bei: Raue, Summum ius summa iniuria – Geraubtes jüdisches Kultureigentum auf dem Prüfstand des Juristen, in: Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste, Museen im Zwielicht: Ankaufspolitik 1933–1945, Kolloquium vom 11. und 12. Dezember 2001 in Köln/die eigene Geschichte: Provenienzforschung an deutschen Kunstmuseen im internationalen Vergleich, Tagung vom 20. bis 22. Februar 2002 in Hamburg, 2002, S. 277–297, S. 287; Hartung, Kunstraub in Krieg und Verfolgung, 2005, S. 166 ff.; Rudolph, Restitution von Kunstwerken aus jüdischem Besitz – Dingliche Herausgabeansprüche nach deutschem Recht, 2007, S. 86–94; König, Grundlagen der Rückerstattung – Das deutsche Wiedergutmachungsrecht, Quelle: http://www. badv.bund.de/003_menue_links/e0_ov/d0_provenienz/b1_aufsaetze/b0_grundlagen.html; König, Grundlagen der Rückerstattung – Das deutsche Wiedergutmachungsrecht, in: Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde, Osteuropa – Kunst im Konflikt, 2006, S. 374–376; Messerschmidt, Die Rückgabe von Kulturgütern an NS-Verfolgte, in: Zeitschrift für Vermögens- und Immobilienrecht (VIZ) 2001, S. 289–293, S. 292. Vgl. Rudolph, Restitution von Kunstwerken aus jüdischem Besitz – Dingliche Herausgabeansprüche nach deutschem Recht, 2007, S. 86–94.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
279
deren Rechtsansicht noch nach Erlass des Vermögensgesetzes vom 3. Oktober 1990 hinsichtlich der Frage nach einer Präklusion allgemeiner zivilrechtlicher Restitutionsmöglichkeiten appliziert wurde, nahm ausführlich zu dieser Frage Stellung. Es bedarf damit einer genaueren Untersuchung, ob die allgemeinen Zivilrechtsregeln noch heute Anwendung innerhalb der Restitution von durch das nationalsozialistische Deutschland vor dem Zweiten Weltkrieg und währenddessen entzogenen Kulturgütern (von den Organen des ehemaligen Deutschen Reiches entzogener Beutekunst und Raubkunst) bzw. von während der Zeit der DDR entzogenen Kulturgütern finden können. Sowohl die alliierten und deutschen Rückerstattungsgesetze als auch das Vermögensgesetz vom 3. Oktober 1990 könnten so für in ihrem Anwendungsbereich liegende Sachverhaltskonstellationen Ausschlusswirkung entfalten.
I.
Eine Ansicht: Präklusionswirkung der Sondergesetze
Bei einer Durchsicht der allgemeinen Kommentare des BGB bspw. hinsichtlich der Frage der Anfechtung von formal ‚freiwilligen‘ Veräußerungen kultureller Güter nach Drohung, Zwang und Gewalt durch Organe und Behörden des nationalsozialistischen Deutschlands vor dem Zweiten Weltkrieg und währenddessen nach § 123 BGB findet sich die einhellige – jedoch in keinem Fall einer Begründung zugeführte – Meinung, dass die speziellen Sondergesetze zur Wiedergutmachung erlittenen Regimeunrechts nach Ende des Zweiten Weltkrieges leges specialis gegenüber dem Bürgerlichen Recht im Generellen und einer Anfechtung im Speziellen seien.527 Dadurch werden zunächst pauschal die Interessen des Herausgabeschuldners und möglicherweise gutgläubigen Erwerbers unrechtmäßig entzogener Kulturgüter generell über die Interessen des (ursprünglichen) Eigentümers gestellt. Hintergrund sind das allgemeine Interesse an einer baldigen Beruhigung des Wirtschaftslebens nach den politisch wie wirtschaftlich schwierigen Zeiten des Zweiten Weltkrieges und das Interesse der Rückerstattungspflichtigen zulasten der Interessen der früheren Eigentümer an der Wiedererlangung der unrechtmäßig entzogenen Kulturgüter.
1.
Alliiertes Besatzungsrecht und deutsches Rückerstattungsrecht nach Ende des Zweiten Weltkrieges
Das besatzungsrechtliche Rückerstattungsrecht der Alliierten besitzt bekanntermaßen eine Doppelnatur: Während es einerseits den Charakter von Besatzungsrecht aufweist, regelt es zugleich deutsches nationales Recht als Spezialmaterie des Bürgerlichen Rechts.528 Bereits nach alliiertem Recht war die Rückerstattung 527
528
237
Vgl. bspw. m.w.N. Coing in Staudinger, 11. Aufl., § 123, Rdnr. 19 a; Soergel/Hefermehl, 9. Aufl., § 123, Rdnr. 35; Palandt/Danckelmann, 9. Aufl., § 123, Anm. 1 d; Erman/Westermann, 1. Aufl., § 123, Anm. 9. Vgl. Mosheim, Rückerstattung als Bundesrecht, BB 1949, S. 695–696; sich darauf berufend
238
280
2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
an Fristen gebunden, um so dem Gedanken der Rechtssicherheit Folge zu leisten. Die Anmeldefrist der Anspruchsberechtigten betrug nach Art. 56 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 59 der amerikanischen Militärregierung über die Rückerstattung feststellbarer Vermögensgegenstände, der VO Nr. 120 der französischen Besatzungszone, dem Gesetz Nr. 59 der britischen Militärregierung über die Rückerstattung feststellbarer Vermögensgegenstände an Opfer der nationalsozialistischen Unterdrückungsmaßnahmen und der Anordnung BK/O (49) der Alliierten Kommandantur Berlin über die Rückerstattung feststellbarer Vermögensgegenstände an Opfer der nationalsozialistischen Unterdrückungsmaßnahmen zwölf Monate und stellte nach dieser Ansicht eine sog. prozessuale Ausschlussfrist dar (Klagen waren bereits unzulässig und nicht nur unbegründet).529 Die Besatzungsmächte beabsichtigten, die schwierigen und komplexen Fragen der Restitution entzogener Vermögenswerte nicht den innerdeutschen Gerichten zu überlassen, die zu einem Großteil noch durch Richter entschieden worden wären, die schon im NS-Staat tätig waren.530 239
Durch die Statuierung spezieller Sondergesetze zur Wiedergutmachung NS-verfolgungsbedingt entzogener Vermögensverluste durch die Alliierten erfolgten einschneidende Eingriffe in das bürgerliche Recht – besonders durch die grundsätzliche Derogation der zivilrechtlichen Gutglaubensvorschriften –, sodass sich die Besatzungsgesetzgeber darauf verständigten, die erfolgreiche Geltendmachung eines Anspruches von der genannten Anmeldung abhängig zu machen, die innerhalb einer zwölfmonatigen Frist vorgenommen werden musste und auch für Erben und im Ausland lebende Berechtigte galt.531 Die Konsequenz dieser Rechtsansicht außerhalb der Sondergesetze war allerdings auch, dass mit der Geltendmachung eines Anspruches nach den Vorschriften der besatzungsrechtlichen Rückerstattungsregeln eine Restitution entzogener Kulturgüter nach den allgemeinen zivilrechtlichen Bestimmungen wegen Nichtigkeit einer Sicherstellung und Beschlagnahme oder Anfechtbarkeit einer Veräußerung unter Drohung, Zwang oder Gewalt für gewöhnliche Entziehungsfälle ausgeschlossen war.532 Eine alternative Rechtsverfolgung im Wege der allgemeinen zivilrechtlichen Restitution hätte für die Rückerstattungspflichtigen einen Schwebezustand und damit eine starke Rechtsunsicherheit herbeigeführt, die bei Abwägung der
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530
531
532
auch Rudolph, Restitution von Kunstwerken aus jüdischem Besitz – Dingliche Herausgabeansprüche nach deutschem Recht, 2007, S. 85. Heuer, Die Kunstraubzüge der Nationalsozialisten und ihre Rückabwicklung, NJW 1999, S. 2558–2564, S. 2561–2562. Vgl. Reich/Fischer, Wem gehören die als „entartete Kunst“ verfemten, von den Nationalsozialisten beschlagnahmten Werke?, NJW 1993, S. 1417–1421, S. 1419; Grell, Entartete Kunst – Rechtsprobleme der Erfassung und des späteren Schicksals der sogenannt Entarteten Kunst, 1999, S. 98–117. Vgl. Grell, Entartete Kunst – Rechtsprobleme der Erfassung und des späteren Schicksals der sogenannt Entarteten Kunst, 1999, S. 98–117. Vgl. Grell, Entartete Kunst – Rechtsprobleme der Erfassung und des späteren Schicksals der sogenannt Entarteten Kunst, 1999, S. 98–117.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
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beiderseitigen und auch allgemeinen Belange nicht gerechtfertigt gewesen wäre.533 Somit wäre es nach dieser Ansicht mit dem Gesetzeszweck des Rückerstattungsrechts unvereinbar gewesen, wenn der Berechtigte auch außerhalb des Rückerstattungsverfahrens nach allgemeinen Zivilrechtsregeln Restitutionsansprüche hätte geltend machen können.534 Sowohl der II. als auch der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) haben in ihren Urteilen vom 11.2.1953 und 8.10.1953 diese Auffassung angenommen und allgemein bestimmt, dass die Ansprüche nach den alliierten Rückerstattungsgesetzen denen nach dem Bürgerlichen Recht vorgingen.535 In der Entscheidung des II. Zivilsenats des BGH wurde hinsichtlich des Verhältnisses der alliierten und deutschen Rückerstattungsgesetze zum allgemeinen Bürgerlichen Recht festgestellt, dass sich die Frage, welche Ansprüche aus der Unrechtmäßigkeit der Enteignung und Einziehung einer Vermögensposition gegenüber einem jüdischen Bevölkerungsmitglied nach § 3 der Elften Durchführungsverordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25.11.1941 erwachsen, allein durch die speziellen Sondergesetze zur Wiedergutmachung des NS-Unrechts ergibt.
240
„Dadurch, daß der natsoz. Staat in der Lage gewesen war, seine Akte des Unrechts viele Jahre lang mit allen ihm zur Verfügung stehenden Machtmitteln durchzusetzen, waren deren Auswirkungen auf alle Lebensgebiete so weittragend und tiefgreifend, daß nur ein neuer Rechtswirrwarr entstanden wäre, wenn die Rechtsordnung über die nun einmal entstandenen Tatsachen einfach durch Nichtbeachtung hinweggegangen wäre. Die Entwirrung des durch jene Unrechtsakte geschaffenen Chaos konnte vielmehr nur durch eine besondere gesetzliche Regelung vorgenommen werden. Diese Regelung wurde dann auch durch die Rückerstattungs- und Entschädigungsgesetze getroffen. Es können deshalb die Ansprüche der Betroffenen, die aus der Unrechtmäßigkeit der natsoz. Akte von Vermögensentziehungen hergeleitet werden, nur noch nach Maßgabe dieser Gesetze und nur in den dort hierfür vorgesehenen Verfahren geltend gemacht werden (vgl. auch Art. 57 amerik. REG; Art. 49 brit. REG; Art. 51 Berliner REG; § 4 der Entschädigungsges. der Länder der amerik. Zone).“536
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Rechtspolitischer Hintergrund dieser Entscheidung ist der Schuldnerschutz, wonach „die Folgen der gegen den rechtmäßigen Gläubiger gerichteten unrechtmäßigen Vermögensentziehung von dem Gläubiger auf den Schuldner übergewälzt werden“537 würden. Auch der IV. Zivilsenat des BGH hat in seiner Ent-
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Vgl. die Ausführungen bei Grell, Entartete Kunst – Rechtsprobleme der Erfassung und des späteren Schicksals der sogenannt Entarteten Kunst, 1999, S. 98–117. CORA-Rechtsgutachten Nr. 1, erwähnt in: BGH, Beschluss vom 28.2.1955, Az.: GSZ 4154, NJW 1955, S. 906; Biella, Das Bundesrückerstattungsgesetz, 1981, S. 75; Pawlita, »Wiedergutmachung« durch Zivilrecht? Zur juristischen und politischen Auseinandersetzung um die Rückabwicklung verfolgungsbedingter Vermögensverschiebungen im Nationalsozialismus, Kritische Justiz 1991, S. 42–60, S. 54. Vgl. hierzu und zum Folgenden ausführlich auch Rudolph, Restitution von Kunstwerken aus jüdischem Besitz – Dingliche Herausgabeansprüche nach deutschem Recht, 2007, S. 86–94. BGH, Urteil vom 11.2.1953 – II ZR 51/52 (Nürnberg), NJW 1953, S. 542–545, S. 544. BGH, Urteil vom 11.2.1953 – II ZR 51/52 (Nürnberg), NJW 1953, S. 542–545, S. 545.
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
scheidung vom 8.10.1953538 hinsichtlich des Geltungsbereiches und der Ausschlusswirkung der VO Nr. 120 der französischen Besatzungszone bestimmt, dass die „Regelung, die in den [Rückerstattungsgesetzen] der einzelnen Besatzungszonen getroffen worden ist, … eine Rückforderung nach allgemeinem bürgerlichem Recht wegen Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit für gewöhnliche Entziehungsfälle aus[schließt], d.h. für Entziehungsvorgänge die sich im Rahmen der allgemeinen Verfolgungsmaßnahmen gehalten haben …“ 539 In der Entscheidung wurde dem II. Zivilsenat darin beigepflichtet, dass Ansprüche, die aus der Unrechtmäßigkeit von Vermögensentziehungen hergeleitet werden, nur noch nach der Maßgabe der Rückerstattungs- und Entschädigungsgesetze geltend gemacht werden können.540 Zuvor hatte das Berufungsgericht eine Restitutionsklage nach den allgemeinen Zivilrechtsregeln als unzulässig abgewiesen, weil die Sachlage tatbestandlich in den Anwendungsbereich der VO Nr. 120 der französischen Besatzungszone gefallen wäre, jedoch nach Ablauf der Frist am 15.8.1949 nicht mehr möglich war. Das Berufungsgericht war der Meinung, „die in den [Rückerstattungsgesetzen] getroffene Regelung [stehe] als lex specialis der Anwendung der einschlägigen Vorschriften des bürgerlichen Rechts auf sog. Entziehungsakte“ entgegen. Zunächst rechtfertigte der IV. Zivilsenat seine Entscheidung mit der Entstehungsgeschichte der speziellen Sondergesetze zur Wiedergutmachung des NS-Unrechts und bestimmte, dass die Versuche der Rechtsprechung vor Erlass der Rückerstattungsgesetze gezeigt hätten, dass die große Schwierigkeit, die Entziehungstatbestände mit dem bisher geltenden Recht voll zu erfassen und hierbei den berechtigten Belangen aller Beteiligten gerecht zu werden, zu der Auffassung geführt hätte, dass diese Fragen nur durch ein besonderes Gesetz zufriedenstellend gelöst werden könnten.541 Darüber hinaus deute auch der Wortlaut der Rückerstattungsgesetze – bspw. bestimmt Art. 49 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 59 der britischen Militärregierung über die Rückerstattung feststellbarer Vermögensgegenstände an Opfer der nationalsozialistischen Unterdrückungsmaßnahmen, dass Ansprüche, die unter dieses Gesetz fallen, soweit nichts anderes bestimmt ist, nur in dem in diesem Gesetz vorgeschriebenen Verfahren und unter Einhaltung der Fristen verfolgt werden können; darüber hinaus ist in S. 2 bestimmt, dass Ansprüche aus Gründen, die nicht unter dieses Gesetz fallen, im ordentlichen Rechtsweg geltend gemacht werden können –
darauf hin, dass sie die Ansprüche für reine Entziehungsfälle hätten abschließend regeln wollen und Ansprüche, die unter dieses Gesetz fallen, nur in dem in diesem Gesetz vorgeschriebenen Verfahren und unter Einhaltung seiner Fristen 538 539 540
541
BGH, Urteil vom 8.10.1953 – IV ZR 30/53 (Neustadt), NJW 1953, S. 1909–1910. BGH, Urteil vom 8.10.1953 – IV ZR 30/53 (Neustadt), NJW 1953, S. 1909. Vgl. Rudolph, Restitution von Kunstwerken aus jüdischem Besitz – Dingliche Herausgabeansprüche nach deutschem Recht, 2007, S. 86–94. BGH, Urteil vom 8.10.1953 – IV ZR 30/53 (Neustadt), NJW 1953, S. 1910, vgl. hierzu auch Rudolph, Restitution von Kunstwerken aus jüdischem Besitz – Dingliche Herausgabeansprüche nach deutschem Recht, 2007, S. 86–94.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
283
verfolgt werden können.542 Entscheidend spreche jedoch Sinn und Zweck für eine Präklusion allgemeiner zivilrechtlicher Restitutionsansprüche:543 „Das BerGer. hat ferner mit Recht darauf hingewiesen, daß die gegenüber der allgemeinen 30-jährigen Verjährungsfrist des BGB verhältnismäßig kurzen Klagefristen der RE-Bestimmungen ersichtlich gesetzt worden sind, um im Interesse einer baldigen Beruhigung des Wirtschaftslebens die durch die Rückerstattung neuerdings veranlaßten umfangreichen Vermögensverschiebungen innerhalb einer angemessenen Frist zum Abschluß zu bringen. Mit diesem Gesetzeszweck wäre es unvereinbar, wenn der REBerechtigte auch außerhalb eines RE-Verfahrens Ansprüche nach allgemeinen Grundsätzen geltend machen könnte. Eine solche Möglichkeit würde für die RE-Pflichtigen einen Schwebezustand und damit eine starke Rechtsunsicherheit herbeiführen, die bei Abwägung der beiderseitigen und auch allgemeiner Belange nicht gerechtfertigt wäre. Denn dem RE-Berechtigten hat die RE-Gesetzgebung eine angemessene Grundlage für seine Ansprüche aus Verfolgungsmaßnahmen gegeben. Der RE-Pflichtige konnte andererseits davon ausgehen und sich in seinem Vorhaben auch darauf einstellen, daß ihn nach Ablauf der Klagefristen der REGe keine Ansprüche mehr bedrohen würden.“544
243
Auch das Bundesverwaltungsgericht folgte dieser Rechtsprechung des BGH: Danach hatten die alliierten Rückerstattungsgesetze ausschließliche Geltung für alle in Betracht kommenden Rückerstattungsansprüche, unabhängig von der etwaigen Nichtigkeit der Entziehungsmaßnahmen, sodass der ordentliche Rechtsweg nur dann eröffnet sein konnte, wenn die Herausgabe auf nicht verfolgungsbedingte Gründe gestützt wurde,545 wie dies bspw. in Fällen der Entziehung ‚entarteter‘ Kunst seitens der seinerzeitigen Rechtsprechung angenommen wurde.546 Zivilrechtliche Restitutionsansprüche sind selbst dann prozessual ausgeschlossen, wenn die Anmeldefristen für die Rückerstattung versäumt wurden.547
244
2.
Vermögensgesetz vom 3. Oktober 1990
Ebenso wie beim alliierten Rückerstattungsrecht stellt sich beim Vermögensrecht die Frage nach dessen Verhältnis zu den Restitutionsmöglichkeiten unrechtmäßig entzogener Kulturgüter nach den Vorschriften des allgemeinen Bürger-
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BGH, Urteil vom 8.10.1953 – IV ZR 30/53 (Neustadt), NJW 1953, S. 1910, vgl. hierzu auch Rudolph, Restitution von Kunstwerken aus jüdischem Besitz – Dingliche Herausgabeansprüche nach deutschem Recht, 2007, S. 86–94. Vgl. auch Grell, Entartete Kunst – Rechtsprobleme der Erfassung und des späteren Schicksals der sogenannt Entarteten Kunst, 1999, S. 98–117. BGH, Urteil vom 8.10.1953 – IV ZR 30/53 (Neustadt), NJW 1953, S. 1910. Vgl. König, Grundlagen der Rückerstattung – Das deutsche Wiedergutmachungsrecht, Quelle: http://www.badv.bund.de/003_menue_links/e0_ov/d0_provenienz/b1_aufsaetze/b0_ grundlagen.html; König, Grundlagen der Rückerstattung – Das deutsche Wiedergutmachungsrecht, in: Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde, Osteuropa – Kunst im Konflikt, 2006, S. 374–376. Vgl. BVerwG, Entscheidung des 7. Senats vom 18.05.1995, Az.: 7 C 19/94, BVerwGE 98, S. 261–273. BVerwG, Entscheidung des 7. Senats vom 18.05.1995, Az.: 7 C 19/94, BVerwGE 98, S. 261–273.
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
lichen Rechts.548 Nach der deutschen Wiedervereinigung im Jahre 1990 hat der Gesetzgeber das Vermögensgesetz vom 3. Oktober 1990 geschaffen mit vergleichbaren Regelungsanliegen wie beim alliierten und bundesdeutschen Rückerstattungsrecht nach 1945. Vom sachlichen Anwendungsbereich549 erfasst das Vermögensgesetz neben der Wiedergutmachung des Regimeunrechts während der Zeit der DDR auch vermögensrechtliche Ansprüche von Bürgern, die in der Zeit vom 30.1.1933 bis zum 8.5.1945 aus rassischen, politischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen verfolgt wurden und deshalb ihr Vermögen infolge von Zwangsverkäufen, Enteignungen oder auf andere Weise verloren haben.550 Innerhalb der Abgrenzung ist ebenso wie innerhalb des alliierten und bundesdeutschen Rückerstattungsrechts das Verhältnis des Rückübertragungsanspruchs nach dem Vermögensgesetz vom 3. Oktober 1990 zu den Restitutionsansprüchen nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch, insbesondere zu dem dinglichen Herausgabeanspruch nach § 985 BGB sowie den Ansprüchen aus Delikts- und Bereicherungsrecht von besonderem Interesse.551 Wie schon die alliierten Rückerstattungsgesetze normiert auch das Vermögensgesetz vom 3. Oktober 1990 eine Anmeldefrist mit Präklusionswirkung: Nach § 30a Abs. 1 können Rückübertragungsansprüche für unbewegliches und unternehmerisches Vermögen nach dem 31. Dezember 1992 und für bewegliche Sachen nach dem 30. Juni 1993 nicht mehr angemeldet werden.552 Das Versäumnis dieser Fristen hat wiederum zur Folge, dass Rückübertragungsansprüche nicht mehr geltend gemacht werden 548
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Vgl. auch Strobel, Die Rückgabe von Vermögen in der ehemaligen DDR, 1992; Eck, Die Wiedergutmachung zwischen 1945 und 1989 und die Regelung der Ansprüche von Verfolgten des Nationalsozialismus in § 1 Absatz 6 VermG, 1996; Richter, Sozialverträglicher Interessenausgleich und Ausschlusswirkung von Restitutionsansprüchen, 2001. § 1 Vermögensgesetz vom 3. Oktober 1990: Geltungsbereich: (1) Dieses Gesetz regelt vermögensrechtliche Ansprüche an Vermögenswerten, die a) entschädigungslos enteignet und in Volkseigentum überführt wurden; … (3) Dieses Gesetz betrifft auch Ansprüche an Vermögenswerten sowie Nutzungsrechte, die auf Grund unlauterer Machenschaften, zum Beispiel durch Machtmißbrauch, Korruption, Nötigung oder Täuschung von seiten des Erwerbers, staatlicher Stellen oder Dritter, erworben wurden. … (6) Dieses Gesetz ist entsprechend auf vermögensrechtliche Ansprüche von Bürgern und Vereinigungen anzuwenden, die in der Zeit vom 30. Januar 1933 bis zum 8. Mai 1945 aus rassischen, politischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen verfolgt wurden und deshalb ihr Vermögen infolge von Zwangsverkäufen, Enteignungen oder auf andere Weise verloren haben. Zugunsten des Berechtigten wird ein verfolgungsbedingter Vermögensverlust nach Maßgabe des II. Abschnitts der Anordnung BK/O (49) 180 der Alliierten Kommandantur Berlin vom 26. Juli 1949 (VOBl. für Groß-Berlin I S. 221) vermutet. Vgl. Heuer, Die Kunstraubzüge der Nationalsozialisten und ihre Rückabwicklung, NJW 1999, S. 2558–2564, S. 2561–2562. Rudolph, Restitution von Kunstwerken aus jüdischem Besitz – Dingliche Herausgabeansprüche nach deutschem Recht, 2007, S. 105–114. § 30a Abs. 1 S. 1 Vermögensgesetz vom 3. Oktober 1990: Rückübertragungsansprüche nach den §§ 3 und 6 sowie Entschädigungsansprüche nach § 6 Abs. 7 und § 8 können nach dem 31. Dezember 1992, für bewegliche Sachen nach dem 30. Juni 1993, nicht mehr angemeldet werden.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
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können (temporale Präklusionswirkung).553 Sinn und Zweck der Ausschlussfristen ist es, verspäteten Antragstellern aus Gründen der Rechtsklarheit und -sicherheit die Anspruchsberechtigung materiell-rechtlich zu versagen. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei Versäumung der Antragsfrist kommt daher nicht in Betracht.554 Darüber hinaus ist die Rückübertragung auch dann ausgeschlossen, wenn natürliche Personen, Religionsgemeinschaften oder gemeinnützige Stiftungen nach dem 8.5.1945 in redlicher Weise an dem Vermögenswert Eigentum oder dingliche Nutzungsrechte erworben haben555 (Präklusion nach gutgläubigem Erwerb).556 Der Vorrang des Restitutionstatbestandes des § 1 Abs. 6 des Vermögensgesetzes vom 3. Oktober 1990 (gegenüber allgemeinen zivilrechtlichen Restitutionsmöglichkeiten) für vermögensrechtliche Ansprüche von Bürgern, die in der Zeit vom 30.1.1933 bis zum 8.5.1945 aus rassischen, politischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen verfolgt wurden und deshalb ihr Vermögen infolge von Zwangsverkäufen, Enteignungen oder auf andere Weise verloren haben, wurde in der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Dresden bestätigt.557 Danach werden der ordentliche Rechtsweg und zivilrechtliche Ansprüche, die auf nationalsozialistische Unrechtsmaßnahmen gestützt werden, verdrängt,558 sodass das Vermögensgesetz vom 3. Oktober 1990 – soweit dessen Anwendungsbereich eröffnet ist – die alleinige Rechtsgrundlage für eine Rückübertragung des nationalsozialistischen Enteignungsmaßnahmen unterworfenen Vermögens im Bereich des Beitrittsgebietes darstellt.559 553
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Rudolph, Restitution von Kunstwerken aus jüdischem Besitz – Dingliche Herausgabeansprüche nach deutschem Recht, 2007, S. 105–114, unter Verweis auf Messerschmidt, Die Rückgabe von Kulturgütern an NS-Verfolgte, in: Zeitschrift für Vermögens- und Immobilienrecht (VIZ) 2001, S. 289–293, S. 291. Vgl. Säcker-Busche in Säcker, Vermögensrecht – Kommentar zu §§ 1 bis 21 Vermögensgesetz, 1995, § 3 VermG, Rdnr. 8. § 4 Abs. 2 S. 1 Vermögensgesetz vom 3. Oktober 1990: Die Rückübertragung ist … ausgeschlossen, wenn natürliche Personen, Religionsgemeinschaften oder gemeinnützige Stiftungen nach dem 8. Mai 1945 in redlicher Weise an dem Vermögenswert Eigentum oder dingliche Nutzungsrechte erworben haben. Vgl. Heuer, Die Kunstraubzüge der Nationalsozialisten und ihre Rückabwicklung, NJW 1999, S. 2558–2564, S. 2561–2562. Oberlandesgericht (OLG) Dresden, Urteil vom 16.2.2000, Az.: 18 U 2416/99, Zeitschrift für Vermögens- und Immobilienrecht (VIZ) 2000, S. 413–416, S. 415. Rudolph, Restitution von Kunstwerken aus jüdischem Besitz – Dingliche Herausgabeansprüche nach deutschem Recht, 2007, S. 105–114; König, Grundlagen der Rückerstattung – Das deutsche Wiedergutmachungsrecht, in: Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde, Osteuropa – Kunst im Konflikt, 2006, S. 374–376; König, Wiedergutmachung außerhalb des Wiedergutmachungsrechts? – Die Rückgabe verfolgungsbedingt entzogener Kunstgegenstände aus ehemaligem Reichsbesitz im Zuständigkeitsbereich des BARoV, Quelle: http://www.badv.bund.de/003_menue_links/e0_ov/d0_provenienz/b1_aufsaetze/a0_ wiedergutmachung.html. Oberlandesgericht (OLG) Dresden, Urteil vom 16.2.2000, Az.: 18 U 2416/99, Zeitschrift für Vermögens- und Immobilienrecht (VIZ) 2000, S. 413–416, S. 415; zitiert bei König, Grund-
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
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„Der Restitutionstatbestand des § 1 VI VermG steht den in § 1, III und VII VermG normierten Tatbeständen gleich. Auch auf nationalsozialistische Unrechtsmaßnahmen i.S. von § 1 VI VermG gestützte zivilrechtliche Ansprüche werden durch das VermG insoweit verdrängt, als ein Restitutionstatbestand nach diesem Gesetz ausgeschlossen ist.“560
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Rechtsdogmatischer Hintergrund ist nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 18.5.1995, dass die vermögensrechtlichen Ansprüche von NS-Verfolgten durch die Vorschrift des § 1 Abs. 6 des Vermögensgesetzes vom 3. Oktober 1990 erst konstitutiv begründet worden sind.561 Das OLG Dresden begründet die Präklusionswirkung wie folgt:
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„Vielmehr hat der Gesetzgeber eine grundsätzliche Entscheidung dahin getroffen, die Opfer des Nationalsozialismus und des DDR-Regimes gleichzubehandeln und nur dort, wo dies erforderlich schien, Sonderregelungen für NS-Verfolgte vorzusehen. Das Konzept beruhte auf dem – bereits die Entscheidung des BGH vom 11.2.1953 (BGHZ 9, 34 ff. = NJW 1953, 542) tragenden – Gedanken, dass nach fast einem halben Jahrhundert, das nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges bis zur Wiedervereinigung beider deutscher Staaten vergangen ist, auf dem Gebiet der früheren DDR rechtliche und soziale Strukturen gewachsen waren, denen im Einzelfall ein Bestandsschutz vor dem Restitutionsinteresse des Alteigentümers nicht versagt werden konnte … Vor diesem Hintergrund ist – mit dem BVerwG (VIZ 1995, 522 [523]) – davon auszugehen, dass das am 29.9.1990 in Kraft getretene Vermögensgesetz nicht an bereits bestehende Rückübertragungsansprüche anknüpfen und diese inhaltlich ausgestalten konnte, sondern diese erst konstitutiv begründet hat. Dieses Verständnis wird auch dadurch bestätigt, dass der Gesetzgeber besondere Regelungen geschaffen hat, soweit er Besonderheiten der angestrebten Wiedergutmachung von NS-Vermögensunrecht berücksichtigt wissen wollte (vgl. §§ 1 VI 2, 1 VIII lit. a, 2 I VermG und 22 InVorG sowie die gegenüber den Regelungen des EntschG für NS-Verfolgte günstigeren Bemessungskriterien des NS-VEntschG). Mithin stellt sich das Vermögensgesetz, soweit – wie hier – dessen Anwendungsbereich eröffnet ist, als alleinige Rechtsgrundlage für eine Rückübertragung des nationalsozialistischen Enteignungsmaßnahmen unterworfenen Vermögens im Bereich des Beitrittsgebiets dar.“562
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Auch hinsichtlich der auf § 1 Abs. 3 des Vermögensgesetzes vom 3. Oktober 1990 beruhenden Restitutionstatbestände – danach betrifft das Vermögensgesetz hinsichtlich des DDR-Unrechts auch Ansprüche an Vermögenswerten sowie Nutzungsrechte, die auf Grund unlauterer Machenschaften, zum Beispiel durch
560
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lagen der Rückerstattung – Das deutsche Wiedergutmachungsrecht, in: Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde, Osteuropa – Kunst im Konflikt, 2006, S. 374–376; König, Wiedergutmachung außerhalb des Wiedergutmachungsrechts? – Die Rückgabe verfolgungsbedingt entzogener Kunstgegenstände aus ehemaligem Reichsbesitz im Zuständigkeitsbereich des BARoV, Quelle: http://www.badv.bund.de/003_menue_links/e0_ov/d0_provenienz/ b1_aufsaetze/a0_wiedergutmachung.html; Rudolph, Restitution von Kunstwerken aus jüdischem Besitz – Dingliche Herausgabeansprüche nach deutschem Recht, 2007, S. 105–114. Leitsatz des Urteils des Oberlandesgerichtes (OLG) Dresden, Urteil vom 16.2.2000, Az.: 18 U 2416/99, Zeitschrift für Vermögens- und Immobilienrecht (VIZ) 2000, S. 413–416, S. 413. BVerwG, Entscheidung des 7. Senats vom 18.05.1995, Az.: 7 C 19/94, BVerwGE 98, S. 261– 273, VIZ 1995, S. 522–524. Leitsatz des Urteils des Oberlandesgerichtes (OLG) Dresden, Urteil vom 16.2.2000, Az.: 18 U 2416/99, Zeitschrift für Vermögens- und Immobilienrecht (VIZ) 2000, S. 413–416, S. 413.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
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Machtmissbrauch, Korruption, Nötigung oder Täuschung von Seiten des Erwerbers, staatlicher Stellen oder Dritter, erworben wurden – wurde eine Ausschlusswirkung gegenüber dem ordentlichen Rechtsweg und den allgemeinen Zivilrechtsregeln festgestellt.563 Der BGH begründet seine Ansicht in der Entscheidung vom 3.4.1992 damit, dass das Vermögensgesetz vom 3. Oktober 1990 so angewendet werden müsse, dass dem Grundsatz der Sozialverträglichkeit innerhalb sämtlicher Rückübertragungsverfahren Rechnung getragen würde. Da sich der geforderte Schutz des redlichen Erwerbers bei der Anwendung zivilrechtlicher Vorschriften nicht erreichen ließe, müssten diese eben zurücktreten.564 Das Urteil bestätigte erneut die Spruchpraxis zum Verhältnis von Zivilrecht und Vermögensrecht in den Ausreisefällen.565 „Zivilrechtliche Ansprüche, die auf die Nichtigkeit von Beurkundungen zurückgeführt werden, die durch einen Notar erfolgten, der gleichzeitig die Ausreisegenehmigung für den Veräußerer betreiben sollte, sind ausgeschlossen, da die beurkundende Tätigkeit derartiger Notare in einem engen inneren Zusammenhang mit dem vom VermG tatbestandlich erfaßten Unrecht steht. Ob der beurkundete Vertrag tatsächlich nichtig ist, läßt der BGH – da nicht entscheidungsrelevant – weitgehend offen, da zivilrechtliche Ansprüche aus so begründeter Nichtigkeit wegen des Vorrangs des VermG verdrängt werden. Die zivilrechtliche Geltendmachung von Ansprüchen aus Beurkundungsmängeln wird durch den BGH somit weiter eingeengt und ist nur noch dann zulässig, wenn die beurkundende Tätigkeit des Notars und der vorgetragene Mangel nicht in einem engen inneren Zusammenhang mit dem dem Veräußerer zugefügten staatlichen Unrecht (der unlauteren Machenschaft, d. h. der Nötigung zum Verkauf des Grundstücks) stehen. Erscheint der Mangel davon unabhängig, handelt es sich um einen sogenannten „zusätzlichen“ Mangel …, sollen zivilrechtliche Ansprüche aus so begründeter Nichtigkeit nach der Auffassung des BGH dennoch vor den ordentlichen Gerichten geltend gemacht werden können.“566
251
Soweit die Redlichkeit des Erwerbers i.S.d. § 4 Abs. 2 und 3 des Vermögensgesetzes festgestellt werden kann, ist damit ein Rückgriff auf allgemeine, die Besonderheiten des Vermögensrechts unberücksichtigt lassende Rechtsinstitute des Zivilrechts ausgeschlossen,567 wenn diese gerade auf den vom Vermögensgesetz
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Vgl. BGH, 5. Zivilsenat, Entscheidung vom 3.4.1992, Az.: V ZR 83/91, BGHZ 118, S. 34–45, NJW 1992, S. 1757–1759; BGH, 5. Zivilsenat, Entscheidung vom 7.7.1995, Az.: V ZR 243/ 94, BGHZ 130, S. 231–242, NJW 1995, S. 2707–2710. Vgl. BGH, 5. Zivilsenat, Entscheidung vom 3.4.1992, Az.: V ZR 83/91, BGHZ 118, S. 34–45, NJW 1992, S. 1757–1759; BGH, 5. Zivilsenat, Entscheidung vom 7.7.1995, Az.: V ZR 243/ 94, BGHZ 130, S. 231–242, NJW 1995, S. 2707–2710. Vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 8. Oktober 1996, Az.: 1 BvR 875/92, BARoV-RÜ 01/1997, ZOV 1997, S. 26, NJW 1997, S. 17. Ranieri, Die Rückkehr des Privateigentums in die frühere DDR: die deutsche Justiz zwischen Rechtsgeschichte, Rechtsdogmatik und Rechtspolitik, in: Falk/Bender, Die Rückkehr des Privateigentums, 1999, S. 189–216, Fn. 30. BGH, Urteil des 5. Zivilsenats vom 03.04.1992, Az.: V ZR 83/91, BGHZ 118, S. 34–45, NJW 1992, S. 1757–1759; BGH, Urteil des 5. Zivilsenats vom 19.03.1993, Az.: V ZR 247/91, ZIP 1993, S. 952–955, S. 955; BGH, Urteil des 5. Zivilsenats vom 19.02.1993, Az.: V ZR 269/91, NJW 1993, S. 1706–1709, S. 1708. Vgl. hierzu auch Säcker-Busche in Säcker, Vermögensrecht – Kommentar zu §§ 1 bis 21 Vermögensgesetz, 1995, § 3 VermG, Rdnr. 46.
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
erfassten Sachverhalt des redlichen Erwerbs gestützt werden,568 da sonst der vom Vermögensgesetz bezweckte sozialverträgliche Ausgleich unterlaufen würde.569 Den Vorrang der vermögensrechtlichen Regelungen leitet der BGH im Wesentlichen daraus ab, dass das Vermögensgesetz aufgrund des Leitgedankens des sozialverträglichen Interessenausgleichs dem redlichen Erwerber den Vorrang vor dem Rückübertragungsinteresse eingeräumt hat.570 Auch bei Vorliegen zusätzlicher zivilrechtlicher Mängel hat das Vermögensgesetz vom 3. Oktober 1990 nach Ansicht der Rechtsprechung Vorrang vor zivilrechtlichen Ansprüchen und dem ordentlichen Rechtsweg.571
II.
253
Die Entscheidung für eine prozessuale Präklusion des ordentlichen Rechtswegs bei sachlicher Anwendbarkeit der speziellen Sondergesetze zur Wiedergutmachung erlittenen Regimeunrechts ist jedoch rechtsdogmatisch, systematisch und innerhalb des internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts kulturpolitisch unhaltbar. Weder die Wortlautauslegung und Entstehungsgeschichte, noch die Systematik der alliierten und bundesdeutschen Rückerstattungsgesetze unmittelbar im Anschluss an den Zweiten Weltkrieg sowie des Vermögensgesetzes vom 3. Oktober 1990 nach der deutschen Wiedervereinigung sprechen für eine Präklusion allgemeiner zivilrechtlicher Restitutionsansprüche. Auch eine rechtsvergleichende Betrachtung spricht gegen eine (prozessuale) Präklusion.
1. 254
Gegenansicht: Keine Präklusion zivilrechtlicher Restitutionsansprüche
Terminologische und systematische Auslegung
Weder Terminologie noch Systematik der speziellen Sondergesetze zur Wiedergutmachung von Regimeunrecht sprechen eindeutig für oder gegen eine Präklusion. Dies wird in den uneinheitlichen Ausführungen der damaligen Literatur 568
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Leipold, Rechtsweg und Rechtsgrundlagen bei der Rückforderung von Vermögen in der ehemaligen DDR, Zugleich eine Besprechung der Entscheidungen des BGH vom 12-11-1992 – V ZB 22/92 und V ZR 230/91, JZ 1993, S. 703–711, S. 710; Busche, Zur Frage des Verhältnisses von Vermögensgesetz und allgemeinem Zivilrecht, JZ 1994, S. 100–102, S. 100 f.; Säcker-Busche in Säcker, Vermögensrecht – Kommentar zu §§ 1 bis 21 Vermögensgesetz, 1995, § 3 VermG, Rdnr. 46. BGH, Urteil des 5. Zivilsenats vom 03.04.1992, Az.: V ZR 83/91, BGHZ 118, S. 34–45, NJW 1992, S. 1757–1759; BGH, Urteil des 5. Zivilsenats vom 19.03.1993, Az.: V ZR 247/91, ZIP 1993, S. 952–955, S. 955; BGH, Urteil des 5. Zivilsenats vom 19.02.1993, Az.: V ZR 269/91, NJW 1993, S. 1706–1709, S. 1708. Richter, Sozialverträglicher Interessenausgleich und Ausschlusswirkung von Restitutionsansprüchen, 2001, S. 1–136. Vgl. Säcker-Busche in Säcker, Vermögensrecht – Kommentar zu §§ 1 bis 21 Vermögensgesetz, 1995, § 4 VermG, Rdnr. 46.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
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unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkrieges deutlich. Zwar ist von Godin hinsichtlich der Präklusion des Gesetzes Nr. 59 der amerikanischen Militärregierung über die Rückerstattung feststellbarer Vermögensgegenstände zunächst der Ansicht, dass nicht anzunehmen sei, dass „dieses dem Verfolgten so gewogene Gesetz die Rechtsstellung schmälern wollte, welche er nach bürgerlichem Recht innehat“572. Art. 57 des Gesetzes Nr. 59 der amerikanischen Militärregierung über die Rückerstattung feststellbarer Vermögensgegenstände: Ansprüche, die unter dieses Gesetz fallen, können, soweit in diesem Gesetz nichts anderes bestimmt ist, nur im Verfahren nach diesem Gesetz und unter Einbehaltung seiner Fristen geltend gemacht werden. Ansprüche aus unerlaubter Handlung, die nicht unter die Bestimmungen dieses Gesetzes fallen, können jedoch im ordentlichen Rechtsweg geltend gemacht werden.
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Art. 57 des Gesetzes Nr. 59 lasse den Schluss zu, dass die Frage einer Präklusion allgemeiner Vorschriften grundsätzlich zugunsten der Restitutionsberechtigten zu entscheiden sei.573 Allerdings relativieren sie dieses restitutionsfördernde Ergebnis durch die Erläuterung, dass „die Frage, in welchem Verfahren der Anspruch zu verfolgen ist, ob nach den Vorschriften dieses Gesetzes oder nach den allgemeinen Verfahrensvorschriften, immer und zwar auch zuungunsten des Berechtigten im Sinne der Ausschließlichkeit des Verfahrens nach [dem Gesetz Nr. 59 der amerikanischen Militärregierung über die Rückerstattung feststellbarer Vermögensgegenstände] zu beantworten [ist]. … Sonach kann nicht etwa ohne Anmeldung oder wenn die Frist nach A. 56 versäumt ist, innerhalb der dreißigjährigen Verjährungsfrist des BGB bei unsittlichem Entziehungsgeschäft der entzogene Vermögensgegenstand auf Grund Eigentums oder ungerechtfertigter Bereicherung von dem Entzieher zurückgefordert werden.“574 Uneinheitlich sind auch die Ausführungen von Korth hinsichtlich der Präklusionswirkung der alliierten Rückerstattungsgesetze im Anschluss an den Zweiten Weltkrieg.575 Zwar beschreibt er zunächst explizit, dass unter „dem Gesichtspunkt der lex specialis … der sich aus der Nichtigkeit ergebende Herausgabe- oder Bereicherungsanspruch nach bürgerlichem Recht zugunsten des Rückerstattungsanspruchs zurücktreten“576 müsse. Aus dem Gesamtzusammenhang schließt dieser aber dann auf eine Ausnahme dieser Präklusionswirkung, wenn sie sich zuungunsten des Ver-
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von Godin, Rückerstattung feststellbarer Vermögensgegenstände in der amerikanischen und britischen Besatzungszone und in Berlin, Kommentar, 2. Aufl. 1950, Art. 57, Anm. 1, 2. von Godin, Rückerstattung feststellbarer Vermögensgegenstände in der amerikanischen und britischen Besatzungszone und in Berlin, Kommentar, 2. Aufl. 1950, Art. 57, Anm. 1, 2. von Godin, Rückerstattung feststellbarer Vermögensgegenstände in der amerikanischen und britischen Besatzungszone und in Berlin, Kommentar, 2. Aufl. 1950, Art. 57, Anm. 2, auch zitiert bei Rudolph, Restitution von Kunstwerken aus jüdischem Besitz – Dingliche Herausgabeansprüche nach deutschem Recht, 2007, S. 86–94. Korth, Die materiellrechtliche und prozessuale Ausgestaltung des Rückerstattungsanspruchs, SJZ 1948, Sp. 377 ff., Sp. 383. Vgl. Korth, Die materiellrechtliche und prozessuale Ausgestaltung des Rückerstattungsanspruchs, SJZ 1948, Sp. 377 ff., Sp. 383.
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folgten auswirke. Ansprüche aus den allgemeinen Zivilrechtsregeln müssten nur deshalb zurücktreten, weil sich andernfalls die Konsequenz ergäbe, dass „in den Fällen der schweren Entziehung [Fälle, in denen das Rechtsgeschäft bereits nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts nichtig ist] an Stelle der vom Gesetz postulierten verschärften Haftung eine im Vergleich zur einfachen Entziehung mildere Haftung Platz greifen würde“577. Dabei geht Korth ganz selbstverständlich davon aus, dass der Verfolgte Ansprüche nach dem Rückerstattungsgesetz geltend gemacht hat oder jedenfalls geltend machen kann. Offen bleibt innerhalb der Ausführungen Korths jedoch eine Auseinandersetzung mit der Frage nach dem Konkurrenzverhältnis zwischen allgemeinen zivilrechtlichen und speziellen sondergesetzlichen Restitutionsansprüchen. Da er aber wohl davon ausgeht, dass dieses Gesetz vordergründig den Interessen der Verfolgten dient, mutmaßt Rudolph in ihren Gedanken über die Rechtsansicht Korths, dass er in diesem Fall die Ansprüche nach dem bürgerlichen Recht nicht hätte zurücktreten lassen.678
2. 257
Sinn und Zweck des Wiedergutmachungsrechts
Die entscheidenden Erwägungen, die dezisiv gegen eine Präklusionswirkung der speziellen Sondergesetze gegenüber allgemeinen zivilrechtlichen Restitutionsansprüchen im ordentlichen Rechtsweg sprechen, sind Sinn und Zweck der speziellen Wiedergutmachungsregeln von Regimeunrecht. Diese sollen einen fairen Interessenausgleich zwischen den Belangen der Betroffenen der (kulturellen) Vermögensentziehung und der aktuellen Inhaber der tatsächlichen Sachherrschaft leisten. Die wichtigste Funktion der Sondergesetze lag bei deren Erlass darin, in Konstellationen, in denen aufgrund eines bisher unbekannten quantitativen (hinsichtlich der Anzahl der Entziehungsfälle) oder qualitativen (hinsichtlich der Formen und Methoden der Entziehung) Ausmaßes an Regimeunrecht die gewöhnlichen Rechtsregeln keine Balance der widerstreitenden Interessen mehr herzustellen vermochten, einen neuen Weg zur Wiedergutmachung zu leisten. Die Sondergesetze sollten in den Fällen, in denen mit den allgemeinen Zivilrechtsregeln nach dem Regimewechsel keine Wiedergutmachung offensichtlichen Unrechts (bspw. in Fällen der Kollektivdrohung gegenüber der jüdischen Bevölkerung zur Zeit des Zweiten Weltkrieges) erreicht werden konnte, innerhalb einer bestimmten Zeitspanne (bspw. einer Frist von zwölf Monaten nach den alliierten Rückerstattungsgesetzen) unter Ausschaltung besonderer, dem Verkehrsschutz dienender Rechtsinstitute des Bürgerlichen Vermögensrechts (bspw.
577
578
Korth, Die materiellrechtliche und prozessuale Ausgestaltung des Rückerstattungsanspruchs, SJZ 1948, Sp. 377 ff., Sp. 383, auch zitiert bei Rudolph, Restitution von Kunstwerken aus jüdischem Besitz – Dingliche Herausgabeansprüche nach deutschem Recht, 2007, S. 86–94. Rudolph, Restitution von Kunstwerken aus jüdischem Besitz – Dingliche Herausgabeansprüche nach deutschem Recht, 2007, S. 86–94, unter Verweis auf Korth, Die materiellrechtliche und prozessuale Ausgestaltung des Rückerstattungsanspruchs, SJZ 1948, Sp. 377 ff., Sp. 383.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
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des gutgläubigen Erwerbs) eine Besserstellung der ursprünglichen Betroffenen erreichen. Die Sondergesetze beanspruchten jedoch keine allgemeine Neubewertung der Interessenverteilung zwischen Anspruchsteller und Anspruchsgegner im Bürgerlichen Vermögensrecht. Es ist infolgedessen nicht anzunehmen, dass diese den Restitutionsberechtigten gewogenen Sondergesetze zur Wiedergutmachung erlittenen Regimeunrechts die allgemeine Rechtsstellung hätten schmälern wollen, die den Betroffenen nach den allgemeinen Grundsätzen des Bürgerlichen Rechts bereits ohne Sondergesetze zustand. In dieser Hinsicht sind die Einschätzungen der gegenteiligen Rechtsprechung und Literatur im Anschluss an den Zweiten Weltkrieg und an die Wiedervereinigung Deutschlands falsch. Bestehen nämlich Rechtsschutzmöglichkeiten nach den allgemeinen Regeln des Bürgerlichen Vermögensrechts, dann sollten nicht die Sondergesetze zur Wiedergutmachung eine materielle Neuvornahme der allgemeinen Interessenverteilung zwischen Restitutionsberechtigtem und -verpflichtetem aufgrund der Rechtsinstitute des gutgläubigen Erwerbs und der Ersitzung der Eigentumsposition sowie der Verjährung des Herausgabeanspruchs erzwingen. Darüber hinaus herrscht heute – nach einer inzwischen eher zutreffenden Neueinschätzung des Regimeunrechts – die Rechtsansicht vor, dass diejenigen, die einen Vermögensgegenstand entweder direkt von seinem bspw. jüdischen Eigentümer oder, nachdem er diesem entzogen worden war, von einem Dritten erworben haben, weit weniger schützenswert sind als damals angenommen, und dass ihnen die Rückerstattung dieser Vermögensgegenstände in weit stärkerem Maße hätte zugemutet werden können und müssen, als tatsächlich geschehen.579 Für eine eng umgrenzte Zeit statuierten diese Sondergesetze vielmehr ein Plus an Wiedergutmachungsmöglichkeiten für solche Konstellationen, in denen die allgemeinen Zivilrechtsregeln keine Lösung aufgrund der besonderen Qualität bzw. Quantität des Unrechts mehr bieten können. Im Wege der Verbesserung der materiellen Rechtsstellung, besonderer Beweisanforderungen und mittels der vereinfachten Durchsetzung von Restitutionsansprüchen auf administrativer Ebene in einem beschleunigten Verfahren können Restitutionsberechtigte eine Aufwertung ihrer Interessen aufgrund des zuvor erlittenen extraordinären Leids wahrnehmen. Bestehen jedoch bereits allgemeine zivilrechtliche Restitutionsmöglichkeiten unrechtmäßig entzogener Kulturgüter, dürfen diese keine prozessuale Präklusion aufgrund der speziellen Sondergesetze zum Schutz der Restitutionsberechtigten finden.580 Das in den Sondergesetzen vorgesehene Verfahren der Restitution darf damit nicht zum Ziel haben, die Eigentümer von im Verlauf des 579
580
Rudolph, Restitution von Kunstwerken aus jüdischem Besitz – Dingliche Herausgabeansprüche nach deutschem Recht, 2007, S. 98. Diese Einschätzung verfolgt übrigens auch das restriktive russische Kulturgütergesetz aus dem Jahre 1998 und die entsprechende Einschätzung des russichen Verfassungsgerichts, vgl. Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 1: Illegaler Kulturgüterverkehr, 6. Teil, Rdnr. 627 ff. Auch dort ist neben dem speziellen Verfahren die Eröffnung des Zivilrechtsweges grundsätzlich nicht durch das Gesetz versperrt.
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Zweiten Weltkriegs durch das nationalsozialistische Deutschland gewaltsam beschlagnahmten oder gestohlenen Kulturgütern im Vergleich zu Opfern gewöhnlicher Straftaten gegen das Eigentum (wie bspw. ein Diebstahl von Kunstwerken) schlechter zu stellen. 259
Darüber hinaus ist (auch gegenüber der Rechtsansicht der Gerichte, die von einer Präklusionswirkung der Sondergesetze zur Wiedergutmachung von Regimeunrecht ausgehen) hinsichtlich rechtsmoralischer Erwägungen festzustellen, dass die vielbeschriebene Pathologie des NS- und DDR-Unrechts erst im Laufe der jüngeren Vergangenheit zusammen mit der intensivierten Provenienzrecherche hinsichtlich der Zeit des Zweiten Weltkriegs bzw. der Andauer des DDRRegimes ersichtlich wurde und, zumindest für die Richter der unmittelbaren Nachkriegszeit, sowohl Quantität als auch Qualität der Methoden und Mittel kultureller Entziehungen nicht annähernd erfassbar waren. Erst in den 1990er Jahren begann die Öffentlichkeit, über Maß und Mittel der kulturellen Verluste individueller Einzelpersonen vor dem Zweiten Weltkrieg und währenddessen Kenntnis zu erhalten. Darüber hinaus ist zur endgültigen Abkehr von einer Präklusionswirkung der speziellen Sondergesetze zur Wiedergutmachung des Regimeunrechts aus tatsächlichen Erwägungen festzustellen, dass praktische Schwierigkeiten der Geltendmachung der Rückerstattungsansprüche vor dem Zeitpunkt der temporalen Präklusion herrschten. In weit mehr als den bisher angenommenen Fällen war es bspw. den Eigentümern vor dem Zweiten Weltkrieg oder währenddessen entzogener Kulturgüter aus tatsächlichen Gründen nicht möglich, bis zum Ablauf der Anmeldefrist am 31. Dezember 1948 zu ermitteln, wer das Kunstwerk zu diesem Zeitpunkt in Besitz hatte und somit als Rückerstattungspflichtiger in Anspruch genommen werden konnte. Darüber hinaus war die Frist in zahlreichen Konstellationen schon abgelaufen, bevor die Erben von bspw. in Konzentrationslagern ermordeten Juden überhaupt Kenntnis von ererbten Gemälden erhielten. Würde man in Fällen der Qualifikation der kulturellen Entziehung als unrechtmäßig auch noch den allgemeinen, sämtlichen Personen zustehenden Anspruch auf Restitution nach den Regeln des Bürgerlichen Vermögensrechts entziehen, stünden die nationalsozialistischen Plünderer, die ihre Entziehung aus menschenverachtenden Gründen der Rassendiskriminierung ausführten, eigentumsrechtlich besser als gewöhnliche Diebe. Auch dies spricht eindeutig gegen eine Präklusionswirkung der speziellen Sondergesetze zur Wiedergutmachung von Regimeunrecht.581
581
Keine verdrängende Anspruchskonkurrenz des Rückerstattungsrechts gegenüber den allgemeinen zivilrechtlichen Regelungen besteht auch nach Rechtsansicht von: Raue, Summum ius summa iniuria – Geraubtes jüdisches Kultureigentum auf dem Prüfstand des Juristen, in: Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste, Museen im Zwielicht: Ankaufspolitik 1933–1945, Kolloquium vom 11. und 12. Dezember 2001 in Köln/die eigene Geschichte: Provenienzforschung an deutschen Kunstmuseen im internationalen Vergleich, Tagung vom 20. bis 22. Februar 2002 in Hamburg, 2002, S. 277–297, S. 287; Hartung, Kunstraub in Krieg und
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Diese Weitergeltung der allgemeinen Zivilrechtsregeln und die Möglichkeit der Rechtsverfolgung kultureller Restitutionsansprüche auch nach Ablauf der jeweiligen Fristen der Sondergesetze im ordentlichen Rechtsweg lassen sich darüber hinaus unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkrieges als Auswirkungen des sog. Meistbegünstigungsprinzips rechtsdogmatisch erklären. Danach wird bei Zweifeln in der Auslegung der Wiedergutmachungsgesetze stets zugunsten der Rückerstattungsberechtigten entschieden. Dementsprechend ist auch hier eine parallele Anwendung der speziellen Sondergesetze zur Wiedergutmachung von Regimeunrecht neben den allgemeinen Restitutionsmöglichkeiten im Bürgerlichen Recht möglich.
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Nach der Rechtsansicht Mosheims lag der Zweck der alliierten Rückerstattungsgesetze in der beschleunigten Sicherstellung der Rückerstattung feststellbarer Vermögensgegenstände. Demzufolge gelte die Grundregel: „Wenn immer – einerlei aus welchem Grunde – Zweifel entstehen, dann genießt der Berechtigte Rechtsschutz, im größtmöglichen Umfang.“582 Wendet man dieses sog. Meistbegünstigungsprinzip zur Lösung der vorliegenden Konkurrenzsituation an, so müssen auch dann, wenn die Geltendmachung spezieller Restitutionsansprüche aus Sondergesetzen wegen des Ablaufs der Anmeldefrist ausgeschlossen ist, noch immer die allgemeinen zivilrechtlichen Restitutionsansprüche geltend gemacht werden
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Verfolgung, 2005, S. 166 ff.; Grell, Entartete Kunst – Rechtsprobleme der Erfassung und des späteren Schicksals der sogenannt Entarteten Kunst, 1999, S. 98–117; Rudolph, Restitution von Kunstwerken aus jüdischem Besitz – Dingliche Herausgabeansprüche nach deutschem Recht, 2007, S. 86–94; Säcker-Hummert in Säcker, Vermögensrecht – Kommentar zu §§ 1 bis 21 Vermögensgesetz, 1995, Vor § 1 VermG, Rdnr. 55–58; Mosheim, Zur Problematik des USRückerstattungsgesetzes, BB 1949, S. 27–28, S. 27; Dubro, Anmerkung zu Nr. 10: OLG Frankfurt, v. 25.11.1952, NJW 1953, S. 706; von Godin, Rückerstattung feststellbarer Vermögensgegenstände in der amerikanischen und britischen Besatzungszone und in Berlin, Kommentar, 2. Aufl. 1950, Art. 57 USREG, S. 204; von Godin, Rückerstattung feststellbarer Vermögensgegenstände in der amerikanischen und britischen Besatzungszone und in Berlin, Kommentar, 2. Aufl. 1950, Art. 90 USREG, S. 276. Vgl. auch BGH, Beschluss vom 28.2.1955, Az.: SZ 4/54, NJW 1955, S. 906 m.w.N.; Obergericht des Kantons Zürich in seinen Urteilen vom 13.10.1950 (sog. Gottstein-Fall) und 27.5.1952 (sog. Elkan-Fall), vgl. Lüchinger, in: Rechtsprechung der schweizerischen Gerichte im Umfeld des nationalsozialistischen Unrechtsregimes auf dem Gebiet des Privatrechts, unter Einschluss des internationalen Zivilprozess- und Vollstreckungsrechts (Schwerpunkt Ordre public), in: Unabhängige Expertenkommission Schweiz – Zweiter Weltkrieg, Die Schweiz, der Nationalsozialismus und das Recht, Bd. 2, 2001, S. 67–124, Bd. 19, S. 98; Dreifuss in: Rechtsprechung der schweizerischen Gerichte im Umfeld des nationalsozialistischen Unrechtsregimes auf dem Gebiet des Privatrechts, unter Einschluss des internationalen Zivilprozess- und Vollstreckungsrechts (Schwerpunkt Ordre public), in: Unabhängige Expertenkommission Schweiz – Zweiter Weltkrieg, Die Schweiz, der Nationalsozialismus und das Recht, Bd. 2, 2001, S. 273. Mosheim, Zur Problematik des US-Rückerstattungsgesetzes, BB 1949, S. 27–28, S. 27, auch zitiert bei Rudolph, Restitution von Kunstwerken aus jüdischem Besitz – Dingliche Herausgabeansprüche nach deutschem Recht, 2007, S. 86–94.
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können.583 Die parallele Geltendmachung spezieller Restitutionsansprüche nach Sondergesetzen neben den allgemeinen Zivilrechtsregeln unterstützt auch Dubro, „wonach die RE-Normen dem Berechtigten zwar die Möglichkeit bieten sollen, entzogene Gegenstände unter Berufung auf diese Normen wiederzuerlangen, nicht jedoch beabsichtigen, ihm außerhalb des RE-Rechts zur Verfügung stehende Rechte zu nehmen oder zu beschneiden.“584 262
Systematisch treffender ist somit die Konstruktion, die einen Vorrang der Sondergesetze nur in solchen Fallkonstellationen annimmt, in denen die unrechtmäßige Entziehung kultureller Wertgegenstände zu einem Rechtsverlust des ursprünglichen Eigentümers und dementsprechend auch zu einem Erwerbsvorgang des aktuellen Besitzers geführt hat.585 Da hier kein Abhandenkommen kultureller Güter anzunehmen ist, waren die allgemeinen Wiedergutmachungsinstrumentarien des Zivilrechts verschlossen und es fand (ausnahmsweise) eine Wiedergutmachung aufgrund der Sondergesetze statt. In diesem Fall ist der Vermögensübergang zivilrechtlich wirksam und konnte nur (ausnahmsweise) innerhalb der speziellen Fristen und Bedingungen der Sondergesetze wieder aufgehoben werden. Hierbei geht es also um einen Restitutionsanspruch des Berechtigten aufgrund der Sondergesetze zur Wiedergutmachung des Regimeunrechts innerhalb des speziell normierten Verfahrens. Nur in diesen Fällen besteht die Gefahr, dass durch konkurrierende zivilrechtliche Ansprüche die besonderen positiven und negativen Anspruchs- und Ausschlusstatbestände der Sondergesetze unterlaufen werden. Bei diesen Sondergesetzen handelt es sich somit nach richtiger Ansicht um spezielle Schutzvorschriften, die den derzeit Verfügungsberechtigten vor dem Verlust seinerzeit systemkonform erworbener Rechte bewahren soll. Ein Vorrang der speziellen Sondergesetze zur Wiedergutmachung von Regimeunrecht vor zivilrechtlichen Herausgabeansprüchen besteht daher allgemein nur, soweit sich die Herausgabeansprüche infolge des zwischenzeitlichen Wertewandels auf die speziellen Restitutionsansprüche stützen, die über die Herausgabe unrechtmäßig entzogener Kulturgüter nach den allgemeinen Zivilrechtsregeln hinausgehen, um daraus ex post die Unwirksamkeit eines (unter den ursprünglichen Zivilrechtsregeln zunächst wirksam) zustande gekommenen Veräußerungsgeschäfts herzuleiten.586 Macht der Berechtigte jedoch zivilrechtliche Herausgabeansprüche gegen den Verfügungsberechtigten geltend, so sollte der allgemeine Zivilrechtsweg nach § 13 GVG eröffnet und im Falle des gutgläubigen Erwerbs oder der
583
584 585
586
Mosheim, Zur Problematik des US-Rückerstattungsgesetzes, BB 1949, S. 27–28, S. 27, vgl. auch Rudolph, Restitution von Kunstwerken aus jüdischem Besitz – Dingliche Herausgabeansprüche nach deutschem Recht, 2007, S. 86–94. Dubro, Anmerkung zu Nr. 10: OLG Frankfurt, v. 25.11.1952, NJW 1953, S. 706. In Anlehnung an Säcker-Hummert in Säcker, Vermögensrecht – Kommentar zu §§ 1 bis 21 Vermögensgesetz, 1995, Vor § 1 VermG, Rdnr. 55–58. In Anlehnung an Säcker-Hummert in Säcker, Vermögensrecht – Kommentar zu §§ 1 bis 21 Vermögensgesetz, 1995, Vor § 1 VermG, Rdnr. 55–58.
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Ersitzung bzw. aufgrund der Verjährung als unbegründet abzuweisen sein. Eine prozessuale Präklusion aufgrund der besonderen Vorschriften der Sondergesetze zur Wiedergutmachung von Regimeunrecht sollte jedoch dann abgelehnt werden. Diese Rechtskonstruktion hat sich im Anschluss an den Zweiten Weltkrieg hinsichtlich der Präklusionswirkung der alliierten Rückerstattungsgesetze auch das Obergericht des Kantons Zürich in seinen Urteilen vom 13.10.1950 (sog. GottsteinFall) und 27.5.1952 (sog. Elkan-Fall) zu eigen gemacht. „Es meint nicht nur, dass die durch die 11. VO zum Reichsbürgergesetz angeordnete Vermögensentziehung ein Eingriff war, der sich mit den fundamentalsten Rechtsgrundsätzen nicht verträgt, sondern zieht daraus auch den Schluss, dass dieses Gesetz weder unmittelbar noch mittelbar angewendet werden dürfe. Auch aufgrund dieses Gesetzes vollzogene Tatsachen dürften nicht berücksichtigt werden. Von dieser Prämisse ausgehend kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass der Auszahlung des Rückkaufwertes einer Lebensversicherung an das Deutsche Reich durch die Rentenanstalt keine schuldbefreiende Wirkung zukäme, sondern dem rechtmäßigen Gläubiger nach wie vor ein Anspruch gegen die Rentenanstalt zustehe. Das Gericht übersah dabei nicht, dass die Verpflichtung zur nochmaligen Leistung für die Rentenanstalt eine Härte in sich barg. Allerdings müsse berücksichtigt werden, dass der verfolgte Jude vollkommen wehrlos gewesen sei, wohingegen die Rentenanstalt sich der Forderung des Reichs hätte energischer zur Wehr setzen können. Es sei deshalb keine unerträgliche Zumutung, wenn sie den entstandenen Schaden zu tragen habe … Sowohl im Fall Gottstein als auch im Fall Elkan äußerte das Gericht ausdrücklich, dass die Rückerstattungs- und Wiedergutmachungsgesetze an seiner Sichtweise nichts ändern könnten. Wenn der Anspruch des rechtmäßigen Gläubigers nicht erloschen sei, könne er nicht auf diese verwiesen werden, da diese gerade den Untergang des Anspruchs voraussetzten.“587
587
Rudolph, Restitution von Kunstwerken aus jüdischem Besitz – Dingliche Herausgabeansprüche nach deutschem Recht, 2007, S. 90–91, Fn. 314, unter Verweis auf Lüchinger, in: Rechtsprechung der schweizerischen Gerichte im Umfeld des nationalsozialistischen Unrechtsregimes auf dem Gebiet des Privatrechts, unter Einschluss des internationalen Zivilprozess- und Vollstreckungsrechts (Schwerpunkt Ordre public), in: Unabhängige Expertenkommission Schweiz – Zweiter Weltkrieg, Die Schweiz, der Nationalsozialismus und das Recht, Bd. 2, 2001, S. 67–124, Bd. 19, S. 98; Dreifuss in: Rechtsprechung der schweizerischen Gerichte im Umfeld des nationalsozialistischen Unrechtsregimes auf dem Gebiet des Privatrechts, unter Einschluss des internationalen Zivilprozess- und Vollstreckungsrechts (Schwerpunkt Ordre public), in: Unabhängige Expertenkommission Schweiz – Zweiter Weltkrieg, Die Schweiz, der Nationalsozialismus und das Recht, Bd. 2, 2001, S. 273.
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3. 264
Präklusionswirkung nur für zivilrechtlich wirksame Kulturgutverlagerungen
Dieser Rechtsbeurteilung folgte schließlich auch der Große Senat für Zivilsachen in seinem Beschluss vom 28.2.1955 hinsichtlich der Frage, ob ein Verfolgter einen von den Nationalsozialisten entzogenen Vermögensgegenstand herausverlangen kann, ohne ein Verfahren nach den alliierten Rückerstattungsgesetzen eingeleitet zu haben.588 In dieser Konstellation589 musste entschieden werden, ob die Herausgabe von in einem Depot befindlichen Wertpapieren geltend gemacht werden konnte, die die Klägerin, eine wegen ihrer jüdischen Abstammung Verfolgte des nationalsozialistischen Regimes, bei ihrer Auswanderung im Jahre 1939 bei der beklagten Bank hinterließ und entsprechend dem § 3 der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz dem Deutschen Reich verfielen.590 Rückerstattungsansprüche nach Maßgabe des amerikanischen Rückerstattungsgesetzes hatte die Klägerin nicht angemeldet. Nachdem der Große Senat festgestellt hatte, dass § 3 der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz „wegen seines den Grunderfordernissen jeder rechtsstaatlichen Ordnung widersprechenden Unrechtsgehalts als von vornherein nichtig anzusehen“ sei und die „Verfallserklärung … somit auch unter der natsoz. Herrschaft Rechtswirkungen nicht zu erzeugen vermocht“ hatte, konnte die Entziehung dem Verfolgten weder sein Eigentum noch sein Recht zum Besitz der von der Verfallserklärung betroffenen Vermögensgegenstände nehmen.591 An dieser Stelle sei jedoch vielmehr zu prüfen, „ob durch den an sich nichtigen Gesetzesbefehl in tatsächlicher Hinsicht ein Zustand eingetreten ist, der sich rechtlich als Entziehung i.S. der RE-Gesetzgebung darstellt.“592 Dies sei zwar nach Ansicht des BGH schon dann der Fall, wenn der Verfolgte in der Ausübung der Verfügungsgewalt über sein Vermögen tatsächlich behindert gewesen war. „Dies besagt jedoch nicht, daß die Kl. die uneingeschränkte tatsächliche Herrschaftsmacht über diese Wertpapiere nur durch Einleitung eines RE-Verfahrens nach Maßgabe der REG hätte zurückgewinnen können. Da das Eigentum und das Recht zum Besitz durch die rechtsunwirksame Verfallerklärung unberührt geblieben waren, bestand die Entziehung ausschließlich in der tatsächlichen Behinderung, diese Rechte auszuüben. Diese Behinderung war aber nicht etwa die Folge von rechtlichen oder tatsächlichen Einwirkungen auf das betr. Vermögen selbst, sondern beruhte allein auf der Macht des natsoz. Regimes, die Beachtung der nichtigen Verfallerklärung zu erzwingen. Nachdem diese Macht zusammengebrochen war und auch im Raume des rein Tatsäch588 589
590
591 592
BGH, Beschluss des Großen Senats vom 28.2.1955, Az.: GSZ 4/54, NJW 1955, S. 905–907. Vgl. hierzu auch die Ausführungen bei Rudolph, Restitution von Kunstwerken aus jüdischem Besitz – Dingliche Herausgabeansprüche nach deutschem Recht, 2007, S. 86–94. Vgl. hierzu bereits Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 1: Illegaler Kulturgüterverkehr, 7. Teil, Rdnr. 78. BGH, Beschluss des Großen Senats vom 28.2.1955, Az.: GSZ 4/54, NJW 1955, S. 905. BGH, Beschluss des Großen Senats vom 28.2.1955, Az.: GSZ 4/54, NJW 1955, S. 905.
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lichen wieder rechtsstaatliche Grundsätze herrschten, rückte bei solcher Fallgestaltung der Verfolgte ohne weiteres in die der materiellen Rechtslage entsprechende Verfügungsgewalt wieder ein. Der Richtigstellung einer durch die Unrechtsakte des natsoz. Regimes etwa geschaffenen verworrenen tatsächlichen Lage durch eine gesetzliche Regelung bedurfte es bei solcher Sachlage nicht. Zur Bereinigung der Entziehung genügte vielmehr der Wegfall des einzigen Umstandes, der den Verfolgten rein tatsächlich in der Ausübung seiner Rechte behindert hatte, nämlich der Wegfall der Zwangsmittel des natsoz. Regimes, seine Willkürmaßnahmen durchzusetzen. Ein RE-Anspruch nach Maßgabe der REG konnte somit gar nicht zur Entstehung kommen, weil es im Zeitpunkt des Inkrafttretens der REG an einer zurückzugewährenden tatsächlichen oder rechtlichen Position des Verfolgten fehlte. Der Verfolgte war vielmehr zu diesem Zeitpunkt bereits im vollen Umfang in sein ursprüngliches Verhältnis zu den verfallen erklärten Vermögensgegenständen wieder eingetreten, da diese sich – der Substanz nach unberührt – noch im Besitz desjenigen befanden, dem er selbst sie anvertraut hatte und der durch den fortbestehenden Verwahrungsvertrag rechtlich verpflichtet und nun auch tatsächlich nicht mehr gehindert war, sie für den Verfolgten zu verwahren. … Die Rechtsstellung des Verfolgten ist in derartigen Fällen nicht anders zu beurteilen als die eines jeden RE-Berechtigten, dessen Ansprüche durch Rückgabe des entzogenen Vermögens noch vor Erlaß der REG ihre Erledigung gefunden haben.“593 „Von dem Boden eines hier dargelegten Rechtsstandpunktes aus konnte zwar die Verfallserklärung, auch wenn tatsächliche Einwirkungen auf das betr. Vermögen unterblieben waren, einen Entziehungstatbestand i.S. der REG bilden. Sie löste jedoch dann keine RE-Ansprüche aus, wenn der Verfolgte oder seine Erben bei Inkrafttreten der REG bereits ihre ursprüngliche Stellung in bezug auf die betr. Vermögensgegenstände zurückerlangt hatten. … Dieses Ergebnis ist nicht nur mit dem Wortlaut der REG vereinbar, da diese sich mit bereits bereinigten Entziehungsfüllen nicht befassen, sondern entspricht darüber hinaus allein dem Sinn und Zweck dieser Sondergesetzgebung. Denn nur von diesem Rechtsstandpunkt aus können Streitfälle einer vorl. Art einer Lösung zugeführt werden, die den Interessen der Verfolgten, deren Schutz die REG dienen wollen, gerecht wird. … Würden unverändert erhalten gebliebene Vermögensgegenstände nur deshalb der RE-Gesetzgebung unterstellt, weil sie von einer Verfallerklärung betroffen waren, so würden hieraus den Verfolgten schwerwiegende Nachteile erwachsen können. Die Verfolgten haben in der Regel in Ansehung solcher Vermögenswerte von der Anmeldung von RE-Ansprüchen abgesehen, weil sie darauf vertrauten, daß ihre Verfügungsmacht nach dem Zusammenbruch des Reiches durch die nichtige Verfallerklärung nicht mehr beeinträchtigt sei. … Wenn nun entgegen dieser Beurteilung der Rechtslage durch die Betroffenen eine förmliche Beseitigung der Verfallerklärung nach Maßgabe der REG als unumgänglich angesehen würde, so würde die nur tatsächliche Behinderung des Verfolgten in der Ausübung seiner Rechte während der natsoz. Herrschaft nachträglich zu einem Eigentumsverlust führen. … Es entbehrt aber zweifellos dann jeder sachlichen Rechtfertigung, eine Verwirkung von Rechten durch Fristversäumnis anzunehmen, wenn
593
BGH, Beschluss des Großen Senats vom 28.2.1955, Az.: GSZ 4/54, NJW 1955, S. 905; vgl. auch Tormann, WM 1953 Teil IV B, 285 und 814; Schenk, JZ 53, 134; Winden, BB 54, 761.
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht der Betroffene mit guten Gründen davon ausgehen konnte, für ein RE-Verfahren sei kein Raum, weil die tatsächlichen Auswirkungen der Entziehungsmaßnahmen bereits vor Inkrafttreten der REG entfallen waren.“594
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Allgemein führte der Große Senat abschließend aus, dass die alliierten Rückerstattungsgesetze stellvertretend für sonstige Sondergesetze zur Wiedergutmachung von Regimeunrecht allein den Zweck hatten, die beschleunigte Rückerstattung feststellbarer Vermögensgegenstände sicherzustellen, wie dies auch ausdrücklich in Art. 1 S. 1 des Gesetzes Nr. 59 der amerikanischen Militärregierung über die Rückerstattung feststellbarer Vermögensgegenstände und in Art. 1 des Gesetzes Nr. 59 der britischen Militärregierung über die Rückerstattung feststellbarer Vermögensgegenstände an Opfer der nationalsozialistischen Unterdrückungsmaßnahmen bestimmt war. Diese Sondergesetze „strebten keinesfalls an, auch für solche Tatbestände eine Bereinigung durch ein besonderes Verfahren vorzuschreiben, die einer Bereinigung infolge des Wegfalls der natsoz. Gewaltherrschaft nicht mehr bedurften. In der Entsch. Nr. 437 der CoRA heißt es: „Der ganze Zweck der REG ist auf die Erleichterung, nicht die Behinderung der Rückerstattung gerichtet (DRiZ 55, 59 = NJW / RzW 54, 347). Hiernach zwingt gerade der Schutzzweck der REG zu der Folgerung, daß der Verfolgte oder seine Erben mit dem Zusammenbruch des Reiches ohne weiteres die ihnen kraft ihres Eigentums zustehende uneingeschränkte Verfügungsgewalt über solche Vermögensgegenstände zurückgewonnen haben, die zwar von einer Verfallerklärung erfaßt, vom Reich aber nicht tatsächlich in Anspruch genommen waren.“595
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Auch in der zeitgenössischen Fachliteratur wird die vorliegende Rechtsbeurteilung hinsichtlich der Regelungsweite des Vermögensgesetzes vom 3. Oktober 1990 entgegen der insoweit unzutreffenden Rechtsprechung des OLG Dresden geteilt. Ein die allgemeinen Restitutionsansprüche des Bürgerlichen Vermögensrechts
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BGH, Beschluss des Großen Senats vom 28.2.1955, Az.: GSZ 4/54, NJW 1955, S. 906. BGH, Beschluss des Großen Senats vom 28.2.1955, Az.: GSZ 4/54, NJW 1955, S. 907. Vgl. auch die dementsprechende Kommentierung der Entscheidung bei Grell, Entartete Kunst – Rechtsprobleme der Erfassung und des späteren Schicksals der sogenannt Entarteten Kunst, 1999, S. 47–59: „Nach der inhaltlichen Überprüfung der formal-rechtlich korrekt erlassenen WegnahmeErlasse konnte im Falle von rassistisch motivierten oder sonst diskriminierenden Regelungen ein gesetzlicher Unrechtscharakter festgestellt werden, der eine Unwirksamkeit dieser Verwirkungsgesetze ex tune rechtfertigt. Demnach blieb der Betroffene zwar nach wie vor Eigentümer der weggenommenen Kunstwerke, wurde aber de facto durch die umfassende Machtstellung des NS- Regimes, welches auch die Beachtung eines nichtigen Erlasses faktisch erzwingen konnte, an der Ausübung seiner Rechte gehindert. Aus dem Unrechtsgehalt der erwähnten Akte ergibt sich, dass – vorbehaltlich eines Dritterwerbs – nach dem Wegfall der nationalsozialistischen Machtstellung der Berechtigte ohne Richtigstellung durch eine gesetzliche Regelung wieder in die der materiellen Rechtslage entsprechenden (tatsächlichen) Verfügungsgewalt eintrat. Daraus folgt, dass ein Rückerstattungsanspruch nach dem USREG erst gar nicht entstehen konnte. Denn es fehlte an einem zurückzugewährenden Anspruch.“
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ausschließendes Konkurrenzverhältnis vernachlässigt die Regelungsabsicht des Vermögensgesetzes und ist insgesamt nicht geeignet, eine sachadäquate Konkurrenzlösung herbeizuführen. Der in § 4 Abs. 2 und 3 des Vermögensgesetzes vom 3. Oktober 1990 ausformulierte Schutz redlicher Erwerber und damit der Vorrang des Vermögensgesetzes insgesamt dürfen nur durchgreifen, wenn der auf eine schädigende Maßnahme im Sinne von § 1 Abs. 3 des Vermögensgesetzes zurückzuführende Erwerbsvorgang im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Vermögensgesetzes am 29.9.1990 zivilrechtlich (zunächst) wirksam war.596 Hintergrund ist auch nach dieser Wertung entsprechend den obigen Ausführungen, dass das vermögensrechtliche Restitutionsverfahren notwendig eine Vermögenseinbuße (Rechtsverlust) auf Seiten des Geschädigten i.S.d. §§ 3 Abs. 1, 34 Abs. 1 S. 1 des Vermögensgesetzes voraussetzt.597 Ansonsten ist der Restitutionsantrag unbegründet, sodass es bei dem zivilrechtlichen Anspruchsinstrumentarium verbleibt. Somit handelt es sich bei dem Vermögensgesetz als Sondervorschrift lediglich um eine Schutzvorschrift, die den derzeit Verfügungsberechtigten vor dem Verlust seinerzeit systemkonform erworbener Rechte bewahren soll.598 Eine allgemeine Präklusionswirkung aufgrund der genannten Sondergesetze zur Wiedergutmachung von Regimeunrecht scheidet somit aus, sodass die allgemeinen Zivilrechtsregeln Geltungskraft erlangen und Fragen des (gutgläubigen) Eigentumserwerbs und der
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Säcker-Hummert in Säcker, Vermögensrecht – Kommentar zu §§ 1 bis 21 Vermögensgesetz, 1995, Vor § 1 VermG, Rdnr. 55–58, unter Berufung auf VG Chemnitz, Urteil der 2. Kammer vom 28.01.1993, Az.: C 2 K 1206/92, ZOV 1993, S. 436–438, S. 436 f. Vgl. auch Busche, Zur Frage des Verhältnisses von Vermögensgesetz und allgemeinem Zivilrecht, JZ 1994, S. 100– 102; dagegen für Alternativverhältnis von VermG und Zivilrecht: Stapenhorst, Die Verfolgung vermögensrechtlicher Ansprüche ehemaliger Grundstückseigentümer vor den ordentlichen Gerichten, Zeitschrift für Vermögens und Investitionsrecht (VIZ) 1991, S. 85 ff., S. 87 f.; Raabe/Niewald, Die Vertragsanfechtung wegen widerrechtlicher Drohung nach ZGB/DDR und das Vermögensgesetz, NJ 1992, S. 71–73, S. 72 f.; Grün, Zwangsverkauf durch DDR-Übersiedler – Zum Verhältnis zwischen Herausgabeanspruch nach zivilrechtlicher Anfechtung und Rückübertragungsanspruch nach VermG, VIZ 1992, S. 319–321, S. 320; Grün, Die Grundstücksrückgabe an DDR-Übersiedler im Spannungsfeld zwischen Vermögensgesetz und Zivilrecht – Zur Behandlung der Zwangsverkäufe bei Ausreisewilligen ZIP 1993, S. 170–178, S. 176 ff.; für generellen Vorrang des VermG vgl. Pleher, WuB VII C § 13 GVG 1.92; Göhring/Lübchen, Vermögensgesetz und Zivilrechtsweg, NJ 1992, S. 73–74. Säcker-Hummert in Säcker, Vermögensrecht – Kommentar zu §§ 1 bis 21 Vermögensgesetz, 1995, Vor § 1 VermG, Rdnr. 55–58, unter Berufung auf BezirksG Cottbus, Beschluss der 4. Zivilkammer vom 03.02.1992, Az.: 4 T 96/91, ZIP 1992, S. 813–815, S. 814; VG Chemnitz, Urteil der 2. Kammer vom 28.01.1993, Az.: C 2 K 1206/92, ZOV 1993, S. 436–438, S. 436 f.; Horn, Das Zivil- und Wirtschaftsrecht im neuen Bundesgebiet, 2. Aufl. 1993, S. 512 f.; in diesem Sinne auch Grün, Die Grundstücksrückgabe an DDR-Übersiedler im Spannungsfeld zwischen Vermögensgesetz und Zivilrecht – Zur Behandlung der Zwangsverkäufe bei Ausreisewilligen ZIP 1993, S. 170–178, S. 177. A.A. Adlerstein/Adlerstein, Das Verhältnis zivilrechtlicher Anfechtung zum Vermögensgesetz bei Grundstücksveräußerungen von Ausreisewilligen, DtZ 1991, S. 417–423, S. 422. Säcker-Hummert in Säcker, Vermögensrecht – Kommentar zu §§ 1 bis 21 Vermögensgesetz, 1995, Vor § 1 VermG, Rdnr. 55–58.
299
300
2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
Ersitzung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter sowie der Verjährung und Verwirkung der Herausgabeansprüche relevant werden.
4. 268
Rechtsvergleichende Sicht
Die Applikation der allgemeinen Zivilrechtsregeln zur Restitution aufgrund des nationalsozialistischen Unrechtsstaates rechtswidrig entzogener Kulturgüter lässt sich auch bei einem rechtsvergleichenden Blick auf die Rechtsordnungen der Nachbarstaaten festigen. Dort stand es zu keinem Zeitpunkt überhaupt in Frage, ob die zivilrechtliche Restitution aufgrund der Sondergesetzgebung ausgeschlossen sein könnte – im Gegenteil: es wurde eher der Versuch unternommen, eine Besserstellung der Rechtslage der (ursprünglichen) Eigentümer anzustreben. Ebenso wie innerhalb der österreichischen Rechtsordnung erfolgte so bspw. in Frankreich die generelle Nichtigkeitserklärung NS-verfolgungsbedingter Vermögensentziehungen und der nationalsozialistisch motivierten Veräußerungsgeschäfte.599 Besonderheit der französischen Rechtsordnung war dabei, dass die temporalen Ausschließlichkeitsfristen dieser Sondergesetze bereits offiziell seit dem 31. Dezember 1949 abgelaufen waren, die französischen Zivilgerichte jedoch in aktuellen Entscheidungen noch immer auf diese Sondergesetze zur Begründung kultureller Restitutionsansprüche zurückgreifen, wenn die ursprünglich Berechtigten bzw. die Erben der verfolgten Personen den Nachweis erbringen konnten, dass sie nicht in der Lage waren, die Ausschlussfrist einzuhalten (keine prozessuale oder materielle Präklusion trotz Fristablaufs). Die Kombination der generellen Nichtigkeitsanordnung der kulturellen Entziehungstatbestände durch die französischen Nachkriegserlasse und der daraus resultierenden Herausgabeansprüche der Alteigentümer gegenüber Dritten mit der Möglichkeit der zeitunabhängigen Geltendmachung der ursprünglichen Eigentumsposition berechtigter Personen führt dazu, dass NS-verfolgungsbedingt entzogene Vermögensverluste kultureller Wertgegenstände durch Deutschland aus der Zeit der nationalsozialistischen Besetzung Frankreichs von den geschädigten Personen noch heute vor den Zivilgerichten geltend gemacht werden können. Zwar keine Besserstellung, jedoch die Anwendung der allgemeinen Zivilrechtsregeln erfolgte auch bspw. in der niederländischen Rechtsordnung 600: Nach Ablauf der Zeitspanne zur gerichtlichen Geltendmachung von Rückgabeklagen am 31. Dezember 1947 wurde das Problem offensichtlich, dass diese sehr kurze Frist (ungefähr zwei Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges) des Raubgutbeschlusses vom 10. Dezember 1945 die angestrebte Wiedergutmachung unrechtmäßiger Vermögensentziehungen nicht bewerkstelligen konnte. Nach dem 31. Dezember 1947,
599
600
Ausführlich hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 1: Illegaler Kulturgüterverkehr, 6. Teil, Rdnr. 127 ff. Vgl. ausführlich hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 1: Illegaler Kulturgüterverkehr, 6. Teil, Rdnr. 143 ff.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
301
also nach Ablauf der Antragsfrist für Restitutionsforderungen vor der schweizerischen Raubgutkammer, konnten Rückgabeansprüche jedoch nicht immer als gewöhnliche zivilrechtliche Verfahren auf Grund des allgemein geltenden Privatrechts in Form von Eigentumsherausgabeklagen erhoben werden. Dementsprechend sollte auch innerhalb der deutschen Rechtsordnung kein prozessualer Ausschluss kultureller Restitutionsansprüche auf Grundlage der allgemeinen Zivilrechtsregeln erfolgen.
5.
Keine Präklusionswirkung in aktuellen Kunstrestitutionsverfahren
Dass es sich bei Spezialtatbeständen zur Wiedergutmachung von Regimeunrecht lediglich um Schutzvorschriften handelt, die den derzeit Verfügungsberechtigten vor dem Verlust seinerzeit systemkonform erworbener Rechte bewahren sollen, wird in zwei aktuellen Kunstrestitutionsverfahren vor deutschen Zivilforen ersichtlich. Sowohl aus der Sperrmüll-Macke-Entscheidung des Landgerichtes Bonn vom 25.6.2002 unter Punkt a) als auch in der sog. Plakatsammlung SachsKonstellation vor dem Landgericht Berlin vom 10. Februar 2009 unter Punkt b) wird ersichtlich, dass eine allgemeine Präklusionswirkung aufgrund der genannten Sondergesetze zur Wiedergutmachung von Regimeunrecht heute ausscheidet.
a)
Sperrmüll-Macke-Entscheidung des Landgerichtes Bonn vom 25.6.2002
Erst kürzlich hatte sich das Landgericht Bonn in dem bekannten SperrmüllMacke-Fall vom 25.6.2002 mit einem zivilrechtlichen Herausgabeanspruch aufgrund fortbestehender Eigentumsposition an einem während der Zeit des nationalsozialistischen Unrechtsregimes abhandengekommenen Kunstwerk auseinanderzusetzen. Dem Rechtsstreit lag ein spektakulärer Sachverhalt zugrunde. Der Archäologe Heiko Prümer entdeckte im Jahr 1991 auf einem Bonner Sperrmüllhaufen August Mackes Gemälde ‚Waldrand‘ aus dem Jahre 1910, signiert mit „Tegernsee“. Im Jahre 1999 lieferte er es bei dem Berliner Auktionshaus Villa Grisebach ein. Durch die dadurch erlangte Publizität des Gemäldes wurden die heute in Kolumbien lebenden Erben des Kaufmannes Emanuel Oberländer auf das Bild aufmerksam. Dieser hatte die expressionistische Landschaft im Jahre 1910 nachweislich direkt vom Künstler selbst für 80 Reichsmark erworben. Die Rechtsnachfolger des im Jahre 1938 emigrierten Emanuel Oberländer klagten im Jahre 2002 auf Herausgabe des Gemäldes aufgrund fortbestehender Eigentumsposition.601 (s. Abb. 27)
601
269
Vgl. zu den tatsächlichen Angaben Art – Das Kunstmagazin, Heiß begehrter Sperrmüll – Rechtsstreit: Wem gehört August Mackes Bild „Waldrand“?, Heftarchiv, Ausgabe: 8/2002.
270
302
2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
271
Zwar hat das Landgericht Bonn im Ergebnis die Klage abgewiesen, jedoch nicht prozessual aufgrund der Präklusionswirkung des speziellen Wiedergutmachungsrechts nach Ende des Zweiten Weltkrieges, sondern aus materiellrechtlichen Gründen. Das Gericht ging selbstverständlich von der Zulässigkeit der Klage aus, ohne auf eine mögliche Präklusionswirkung einzugehen. Nach Ansicht der Richter konnten die Rechtsnachfolger des Kaufmannes Emanuel Oberländer ihre Behauptung nicht hinreichend belegen, dass das Bild durch die Gestapo beschlagnahmt worden sei.
272
Während des Verfahrens meldete noch eine dritte Partei Ansprüche an dem Macke-Gemälde an, die ihrerseits Opfer der Verfolgungsmaßnahmen des nationalsozialistischen Deutschlands zu dieser Zeit geworden war. Eine Zeugin hatte innerhalb des Verfahrens nämlich angegeben, das für wertlos gehaltene Ölgemälde aus ihrem Elternhaus auf den Sperrmüll getragen zu haben. In diesem Haus hatte zuvor jedoch die Familie des Orientalisten Paul Kahle gewohnt, dessen Frau Marie nach den Pogromen der Reichskristallnacht jüdischen Familien Unterstützung gewährt hatte. Ein Rechtsnachfolger der Familie gab vor Gericht an, unter den Dankesgaben sei auch das strittige Gemälde gewesen, das in der Folge in dem Haus zurückblieb, als auch Familie Kahle später emigrieren musste.602 Da sich jedoch die Umstände, unter denen das Gemälde seine Besitzer und möglicherweise auch seine Eigentümer wechselte, bislang nicht mehr exakt rekonstruieren ließen, und die Restitutionsgläubiger die Beweislast dafür tragen, dass sie weiterhin Eigentümer des Gemäldes sind, stehen die Aussichten für beide anspruchstellenden Parteien nicht gut, sodass der vorsitzende Richter den streitenden Parteien nahelegte, sich außergerichtlich zu einigen.603
273
Das Landgericht Bonn erklärte die als Raubkunst zu Staatseigentum des nationalsozialistischen Deutschen Reiches designierten Kunstwerke als abhandengekommen i.S.d. § 935 Abs. 1 BGB 604 und berief sich ausdrücklich auf die voranstehende Überlegung, dass es auch aus rechtsmoralischen Gründen „schlechthin unerträglich [sei], das Abhandenkommen bei einem gewöhnlichen Diebstahl zu bejahen und es bei einem gewissermaßen staatlich organisierten Raubzug“ 605 zu verneinen.606 Diesem Ergebnis folgt auch ein Großteil der Literatur, wonach kein
602
603
604
605 606
Vgl. hierzu Art – Das Kunstmagazin, Heiß begehrter Sperrmüll – Rechtsstreit: Wem gehört August Mackes Bild „Waldrand“?, Heftarchiv, Ausgabe: 8/2002. Vgl. Art – Das Kunstmagazin, Heiß begehrter Sperrmüll – Rechtsstreit: Wem gehört August Mackes Bild „Waldrand“?, Heftarchiv, Ausgabe: 8/2002. Vgl. hierzu Art – Das Kunstmagazin, Heiß begehrter Sperrmüll – Rechtsstreit: Wem gehört August Mackes Bild „Waldrand“?, Heftarchiv, Ausgabe: 8/2002; Hefty, Wem gehört August Mackes „Waldrand“? Die Erben zweier verfolgter Familien streiten um ein Bild, FAZ, Artikel vom 27.5.2002, S. 1 f.; Hefty, Ein Macke auf Gegenseitigkeit. Das Gemälde „Waldrand“ sollte mit seinen Verwahrern verbunden bleiben, FAZ, Artikel vom 3.6.2002, S. 12. Vgl. Wiegand in Staudinger – BGB: Buch 3 Sachenrecht, 2004, § 935, Rdnr. 17–18. Vgl. Wiegand in Staudinger – BGB: Buch 3 Sachenrecht, 2004, § 935, Rdnr. 17–18.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
303
Zweifel daran bestehen könne, dass diese Gegenstände i.S.d. § 935 Abs. 1 BGB als abhandengekommen qualifiziert werden müssten und ihr gutgläubiger Erwerb nur im Wege einer öffentlichen Versteigerung i.S.d. § 383 Abs. 3 BGB in Betracht komme.607 Die Rechtseinschätzung des Landgerichtes Bonn zeigt somit, dass es folglich noch heute möglich ist, dass die zur Entscheidung berufenen deutschen und ausländischen (neutralen) Zivilforen die ursprünglichen Berechtigten und deren Erben der verstaatlichten und dementsprechend zu Staatseigentum designierten Objekte als Eigentümer qualifizieren und dass so im Grundsatz ein gutgläubiger Erwerb ausgeschlossen ist. Dann gelten die allgemeinen Zivilrechtsregeln, die für die Entziehung abhandengekommener Kulturgüter Rechtsrelevanz erlangen, sodass Fragen des originären Eigentumserwerbs aufgrund Ersitzung sowie der temporalen und moralischen Präklusion zivilrechtlicher Restitutionsansprüche aufgrund der Rechtsinstitute der Verjährung und Verwirkung Platz greifen – alles mögliche materielle Einwände gegen einen Kunstrestitutionsanspruch, jedoch keine prozessualen Ausschlussgründe!
b)
Landgericht Berlin 2009: Plakatsammlung Sachs-Konstellation
Ausdrücklich äußerte sich in aktuellen Kunstrestitutionsverfahren erstmals das Landgericht Berlin am 10. Februar 2009 im sog. Fall der Plakatsammlung Sachs als ein deutsches Forum über die Präklusionswirkung des speziellen Wiedergutmachungsrechts gegenüber zivilrechtlichen Restitutionsansprüchen.608
274
Der bekannte Zahnarzt Dr. Hans Sachs (1881–1974) trug zwischen 1896 bis 1938 eine einzigartige Sammlung von 12.500 Plakaten und 18.000 Stücken kleinerer Grafik zusammen. Während des nationalsozialistischen Unrechtsregimes wurde die Sammlung durch die Gestapo beschlagnahmt und er musste im Jahre 1938 mit seiner Frau Felicia Sachs (1903–1998) und seinem Sohn Peter Deutschland in Richtung Amerika verlassen. Nachdem zunächst zwei Versuche offenbar gescheitert waren, die Plakatsammlung in Sicherheit zu bringen, beschreibt Sachs in seinem Bericht den Verlust seiner Sammlung wie folgt: „Wieder ein paar
275
607
608
Vgl. ausführlich hierzu Reich/Fischer, Wem gehören die als „entartete Kunst“ verfemten, von den Nationalsozialisten beschlagnahmten Werke?, NJW 1993, S. 1417–1421, S. 1420; Kunze, Restitution „Entarteter Kunst“ – Sachenrecht und Internationales Privatrecht, 2000, S. 187–188; Müller-Katzenburg, Gutgläubiger Erwerb, Ersitzung, Verjährung …?, in: Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste, Museen im Zwielicht: Ankaufspolitik 1933–1945, Kolloquium vom 11. und 12. Dezember 2001 in Köln/die eigene Geschichte: Provenienzforschung an deutschen Kunstmuseen im internationalen Vergleich, Tagung vom 20. bis 22. Februar 2002 in Hamburg, 2002, S. 211–246, S. 225; Wiegand in Staudinger – BGB: Buch 3 Sachenrecht, 2004, § 935, Rdnr. 17–18; Schnabel/Tatzkow, Nazi Looted Art – Handbuch Kunstrestitution weltweit, 2007, S. 45. Vgl. aus der Tagespresse Kellerhoff, Deutsches Historisches Museum – Plakate-Streit um Marlene Dietrich, Welt online, Artikel vom 3. März 2008; Kellerhoff, „Simplicissimus“ – Berlin verliert Gerichtsstreit um Doggen-Titelblatt, Welt online, Artikel vom 10. Februar 2009.
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
Wochen später erbot sich ein mir beruflich gut bekannter arischer Berliner Großbankier, die Plakatsammlung im Ganzen zu übernehmen. Er ließ mich wissen, dass er Sachverständige schicken würde, die ihren Wert abschätzen sollten. Nachdem ich ihm bereits die Sammlung förmlich übereignet hatte, sagten sich telefonisch drei hohe Beamte des Propagandaministeriums zu einem längeren Besuche in meiner Wohnung an. Sie erschienen zur festgesetzten Zeit, in ihrer Begleitung Herr von Z W, und erklärten mir zu Beginn unserer stundenlangen Unterhaltung, dass sie als frühere Propagandaleiter großer deutscher Firmen über meine Sammeltätigkeit, die Zeitschrift „Das P“, usw. sehr genau unterrichtet seien. (…) Schließlich wurde mir mit ebenso großer Höflichkeit und Wahrung der äußeren Form, mit absoluter Bestimmtheit erklärt, dass nach einem neuen Gesetz (mir unbekannt) der Besitz von politischen Drucksachen in Sammlungen strengstens verboten sei, dass man in meinem Sonderfalle von einer Strafe absehen würde, dass aber die gesamten Sammlungen hiermit konfisziert seien; in zwei Tagen würden mehrere Lastwagen kommen, um alles abzuholen, ich solle Sorge tragen, dass ein reibungsloser Verlauf des Einpackens und Abtransportes stattfindet. (…) Am übernächsten Morgen erschienen drei riesige Lastwagen. Der schwärzeste Tag meines Lebens war angebrochen. Eigenhändig nahm ich alle 250 Aluminiumarme, deren jeder 50 Plakate fasste, von ihren Gestellen, räumte ich die Bibliographie mit ihren 80 größeren Werken und Hunderten von Einzelartikeln, trug 12 volle Karteikästen mit je 1000 Karten und die gesamte Kleingraphik in die Lastwagen, in denen sie auf Nimmerwiedersehen verschwanden, um in das Kunstgewerbemuseum verschleppt zu werden.“609 276
Hans Sachs ging nach 1945 zunächst davon aus, dass die Sammlung unwiederbringlich verloren gegangen sei und machte hierfür Entschädigungsansprüche nach dem damals geltenden Rückerstattungsrecht geltend. Mit Vergleich vom 06.03.1961 erhielt er 225.000 DM von der Bundesrepublik Deutschland als Wiedergutmachung. 1966 erfuhr Hans Sachs, dass sich Teile der Sammlung im Berliner Zeughaus Unter den Linden in Ost-Berlin befanden. Dieses Haus ist heute das Deutsche Historische Museum, in dem derzeit ca. 4.000 Plakate der ursprünglichen Sammlung vorhanden sind. Im Juli 2006 wurden die Objekte auf Wunsch von Peter Sachs, dem Rechtsnachfolger des im Jahre 1974 verstorbenen Hans Sachs, in der Internet-Datenbank www.lostart.de der Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste registriert. Peter Sachs machte in der Folge gegenüber dem Museum einen Anspruch auf Herausgabe der Sammlung geltend, da es sich um NS-Raubkunst handele, die nach den Washingtoner Prinzipien von 1998 und der Gemeinsamen Erklärung von 1999 zurückzugeben sei. Zu der Sammlung gehören bedeutende Stücke wie zum Beispiel das Titelblatt des ‚Simplicissimus‘, das Plakat ‚Die Dogge‘ des Zeichners Thomas Theodor Heine. Das Pamphlet gegen
609
Zitiert in der Entscheidung des LG Berlin, Entscheidung der 19. Zivilkammer vom 10.02. 2009, Az.: 19 O 116/08, ZOV 2009, S. 77–80, Kunst und Recht (KuR) 2009, S. 57–64.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
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Kaiser und Militär aus dem Jahre 1897 war in der NS-Zeit von der Gestapo beschlagnahmt worden. Das Deutsche Historische Museum lehnte die Herausgabe ab.610 (s. Abb. 28) Zunächst beschäftigte sich die Beratende Kommission im Zusammenhang mit der Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter, insbesondere aus jüdischem Besitz, mit dem Rückforderungsbegehr und empfahl – nach dem Selbstverständnis der sog. Limbach-Kommission nicht aus rechtlichen, sondern aus moralischen Gründen – den Verbleib der wiederentdeckten Sammlung im Deutschen Historischen Museum. Da Dr. Hans Sachs bereits 1966 in einem Brief gegenüber einem westdeutschen Freund zum Ausdruck gebracht habe, dass er wegen des gerichtlichen Vergleiches aus dem Jahre 1961 seine materiellen Ansprüche als ausgeglichen betrachte und ihm eine „äußerst ansehnliche“ und durch mehrere Gutachten unabhängiger Sachverständiger in ihrer Höhe von 225.000 DM bestätigte Entschädigung zugesprochen worden sei611, erkannte die Kommission den Verbleib der Sammlung im Museum aus moralischen Gründen als „faire und gerechte Lösung“ an, wenn das Deutsche Historische Museum der Leistung des Sammlers und Pioniers der Geschichte der Plakatkunst und Gebrauchsgrafik Hans Sachs in vollem Umfang gerecht werde und eine Katalogisierung, Pflege und Ausstellung der Kunstwerke im Rahmen der konservatorischen Verantwortbarkeit erfolge, die Plakate als Teil der „Sammlung Hans Sachs“ präsentiert, durch einen Gesamtkatalog dokumentiert sowie in ihrer Herkunft und Geschichte deutlich gemacht würden.612 Peter Sachs forderte die Werke jedoch weiterhin zurück – und hat im März 2008 Klage wegen eines Marlene Dietrich-Plakats beim Landgericht Berlin eingereicht. Er will damit die Herausgabe eines bekannten Stücks, des Werbeplakats für Marlene Dietrichs Film ‚Die blonde Venus‘, erzwingen. Der Kläger ist der Ansicht, sein Vater hätte zu Lebzeiten nicht das Eigentum an der im Besitz der Beklagten befindlichen Plakatsammlung verloren, weshalb er nunmehr als Alleinerbe im Wege der Gesamtrechtsnachfolge Eigentümer dieser Plakatsammlung geworden sei. (s. Abb. 29)
277
Bzgl. des Werbeplakats für Marlene Dietrichs Film ‚Die blonde Venus‘ hat Peter Sachs nach Ansicht des Landgerichts Berlin keinen Herausgabeanspruch nach § 985 BGB, da er bereits nicht schlüssig dargelegt hat, dass dieses Plakat ursprünglich einmal zur Plakatsammlung seines Vaters gehörte und somit in dessen Eigentum gestanden hat und er daher nunmehr Eigentümer dieses Plakates
278
610 611
612
Quelle: www.lostart.de. So das Zitat von Hans Sachs: „Von vornherein möchte ich ausdrücklich betonen, dass ich materiell überhaupt nicht an einer solchen Zusammenarbeit interessiert bin, sondern lediglich ideell. Nach mehrjährigen Verhandlungen habe ich schon vor einiger Zeit durch einen deutschen Gerichtsbeschluss eine größere Abfindungssumme ausgezahlt bekommen, die alle meine Ansprüche gedeckt hat.“ Zitiert in der Entscheidung des LG Berlin. Vgl. die Angaben bei www.lostart.de.
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
aufgrund erbrechtlicher Gesamtrechtsnachfolge geworden ist. Unstreitig gehörte aber das Plakat ‚Die Dogge‘ des Zeichners Thomas Theodor Heine zur Plakatsammlung des Hans Sachs und dieser war zumindest 1938 Eigentümer dieses Plakates, sodass der Kläger als Gesamtrechtsnachfolger nach dem Tod seiner Mutter Alleinerbe gewesen ist. Unbestritten ist, dass die Beschlagnahme durch die Gestapo im Jahr 1938 unmittelbar nur zum Besitzverlust der Plakatsammlung führte, nicht aber zum Eigentumsverlust:613 Es hat während der Zeit des Nationalsozialismus keine wirksame Enteignung stattgefunden, sodass die Beschlagnahme unmittelbar nur zum Besitzverlust führte. „Selbst wenn es tatsächlich für eine solche Enteignung irgendeine Rechtsgrundlage gegeben haben sollte, so hat es sich um einen nichtigen staatlichen Willkürakt gehandelt, dem die Rechtswirksamkeit versagt werden muss, um nicht nationalsozialistisches Unrecht zu sanktionieren.“614 279
In den vorliegenden Untersuchungen interessiert jedoch in besonderem Maße, ob das Vermögensgesetz nur dann zur Anwendung kommt, wenn hierdurch eine Entschädigungslücke geschlossen werden soll und zudem das Vermögensgesetz etwaige zivilrechtliche Ansprüche dann nicht verdrängt, wenn der Anspruchsteller tatsächlich Eigentümer geblieben ist.
280
Die Klägerseite ist der Rechtsansicht, dass einem Herausgabeanspruch gemäß § 985 BGB auch nicht das Vermögensgesetz entgegenstehe. Dieses sei auf den vorliegenden Fall bereits nicht anwendbar, da die gewaltsame Wegnahme der Plakatsammlung eine Entziehung i.S.d. Bundesrückerstattungsgesetzes und nicht des Vermögensgesetzes gewesen sei, da der Ort der Wegnahme Berlin-S. gewesen sei. Das Vermögensgesetz sei dagegen nur auf Entziehungstatbestände in den sog. neuen Bundesländern, einschließlich Berlin (Ost), anwendbar. Insbesondere bei beweglichen Gegenständen komme es auf die Belegenheit der Sache im Zeitpunkt der Schädigung an, nicht auf die Belegenheit im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Vermögensgesetzes. Aus diesem Grunde falle die hier streitgegenständliche Entziehung nicht in den räumlichen Anwendungsbereich des Vermögensgesetzes, weshalb dieses auch nicht als lex specialis zivilrechtliche Ansprüche des Klägers verdrängen könnte. Das Deutsche Historische Museum ist dagegen der Ansicht, dass etwaige Ansprüche des Klägers unter § 1 Abs. 6 des Vermögensgesetzes fielen, welcher als lex speciales die Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche ausschließe. Ansprüche nach dem Vermögensgesetz stünden dem Kläger jedoch nach Ablauf der in § 30a normierten materiellen Ausschlussfrist nicht mehr zu.
613
614
Vgl. ausführlich hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 1: Illegaler Kulturgüterverkehr, 7. Teil, Rdnr. 267 ff. LG Berlin, Entscheidung der 19. Zivilkammer vom 10.02.2009, Az.: 19 O 116/08, ZOV 2009, S. 77–80, Kunst und Recht (KuR) 2009, S. 57–64.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
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Zunächst präzisiert das Landgericht Berlin die Auffassung des Klägers, dass das Vermögensgesetz nur Anwendung finden könne, wenn sich der eigentliche Entziehungsakt im Beitrittsgebiet ereignet habe und daher das Vermögensgesetz im vorliegenden Fall bereits deshalb keine Anwendung fände, weil die ursprüngliche Entziehung der Plakatsammlung durch die Beschlagnahme der Gestapo im Westteil der Stadt Berlin stattgefunden hatte. Zu Recht wurde festgestellt, dass das Vermögensgesetz allgemein nur eine Gebietsbezogenheit zum Beitrittsgebiet verlangt, was das Verwaltungsgericht bspw. auch in einem Fall bejahte, bei welchem die Vermögenswerte seinerzeit in Frankfurt/Main entzogen worden waren, sodann nach dem Krieg jedoch ins Beitrittsgebiet verbracht worden sind.615 Eine Gebietsbezogenheit sollte richtigerweise schon dann gegeben sein, „wenn eine Wiedergutmachung nach den im Westen geltenden Wiedergutmachungsregelungen nicht möglich war, weil der Vermögenswert nach der Entziehung in die spätere DDR oder in den sowjetischen Sektor Berlins verbracht worden und dort enteignet worden ist.“616
281
Bedeutsamer ist aber die Feststellung des Landgerichts Berlin, „dass im vorliegenden Fall das Vermögensgesetz bereits deshalb keine Anwendung findet, weil … [Hans Sachs] seinerzeit eine Entschädigung nach dem Bundesrückerstattungsgesetz erhalten hat und daher im vorliegenden Fall es bereits an der immanenten Lücke fehlt, die durch das Vermögensgesetz geschlossen werden sollte.“617 Hinsichtlich einer möglichen Präklusionswirkung zivilrechtlicher Restitutionsansprüche durch die Sondergesetze zur Wiedergutmachung von Regimeunrecht stellte das LG Berlin darüber hinausgehend – entsprechend den voranstehenden Ausführungen unter Punkt 3. – fest, „dass das Vermögensgesetz voraussetzt, dass der Anspruchsteller zu irgendeiner Zeit tatsächlich sein Eigentum verloren hat, woran es im vorliegenden Fall aus den oben dargestellten Gründen bereits fehlt.“618
282
„Der Vorrang der vermögensrechtlichen Restitutionsansprüche vor den zivilrechtlichen Ansprüchen verlangt eine verfahrensrechtliche Absicherung: Wenn die Herausgabeklage darauf gestützt wird, dass der Beklagte oder sein Rechtsvorgänger die fragliche Sache durch entschädigungslose Enteignung oder Überführung in Volkseigentum oder Veräußerung durch einen staatlichen Verwalter oder unlautere Machenschaften von DDR-Organen oder sonstige unter § 1 VermG fallende Vorgänge erlangt haben, ist der Zivilrechtsweg ausgeschlossen (BGHZ 118, 34). … Zivilgerichtlicher Nachprüfung zugänglich ist aber die Frage, ob überhaupt ein enteignender Vorgang stattgefunden hat (BGH VIZ 1996, 87).
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Vgl. insoweit auch Verwaltungsgericht Berlin, Teilurteil der 29. Kammer vom 24. Januar 2008, Az.: 29 A 260.07, ZOV 2008, S. 115–119. LG Berlin, Entscheidung der 19. Zivilkammer vom 10.02.2009, Az.: 19 O 116/08, ZOV 2009, S. 77–80, Kunst und Recht (KuR) 2009, S. 57–64. LG Berlin, Entscheidung der 19. Zivilkammer vom 10.02.2009, Az.: 19 O 116/08, ZOV 2009, S. 77–80, Kunst und Recht (KuR) 2009, S. 57–64. LG Berlin, Entscheidung der 19. Zivilkammer vom 10.02.2009, Az.: 19 O 116/08, ZOV 2009, S. 77–80, Kunst und Recht (KuR) 2009, S. 57–64.
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht Der Zivilrechtsweg ist mithin gegeben, wenn ein Vindikationsanspruch beispielsweise darauf gestützt wird, dass die angeblich erfolgte Enteignung nur vorgetäuscht gewesen sei (Staudinger/Gurski, BGB, § 985 Rdn. 141). Nach dem Bundesgerichtshof findet der Vorrang des Vermögensgesetzes, der zur Wahrung eines sozialverträglichen Ausgleichs und zum Schutz des redlichen Erwerbers zu respektieren ist, dort seine Grenzen, wo der fehlerhafte Erwerb beispielsweise auch im System des funktionierenden Sozialismus keinen Bestand gehabt hätte (BGH ZOV 2003, 322 ff.). Auch der Befriedungsfunktion der Ausschlussfrist des § 30 a VermG ist in diesem Zusammenhang kein Argument zu entnehmen, weil sich hier das allgemeine Verkehrsrisiko realisiert und nicht etwa eine Rückabwicklung durch das Vermögensgesetz erst eröffnet werden muss. Entsprechend hat auch das Kammergericht entschieden, dass dem Eigentümer ein Grundbuchberichtigungsanspruch gemäß § 894 BGB zusteht, wenn eine Enteignung nach dem Baulandgesetz wegen unterlassener Zustellung des Enteignungsbeschlusses nichtig gewesen ist (KG ZOV 2003, 104 ff.). Das Kammergericht hat insoweit zusätzlich ausgeführt, dass der tatsächliche Eigentümer des Grundstücks sein Eigentum nicht infolge der bestandskräftigen Abweisung eines geltend gemachten Rückübertragungsanspruches verliert. Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass das Vermögensgesetz nur dann zur Anwendung kommt, wenn hierdurch eine Entschädigungslücke geschlossen werden soll und zudem das Vermögensgesetz etwaige zivilrechtliche Ansprüche dann nicht verdrängt, wenn der Anspruchsteller tatsächlich Eigentümer geblieben ist.“619
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Zusammenfassend konnte das Landgericht Berlin somit im vorliegenden Fall schließlich feststellen, dass das Vermögensgesetz seinem zivilrechtlichen Herausgabeanspruch nicht entgegensteht, da es einerseits an der entsprechenden Lücke fehlt und der Kläger andererseits Eigentümer der Plakatsammlung geblieben ist. Deutschland legte gegen die Entscheidung im März 2009 wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Urteils Berufung ein, sodass die Entscheidung noch nicht rechtskräftig ist.620
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620
LG Berlin, Entscheidung der 19. Zivilkammer vom 10.02.2009, Az.: 19 O 116/08, ZOV 2009, S. 77–80, Kunst und Recht (KuR) 2009, S. 57–64. Dabei setzte das Landgericht Berlin voraus, dass auch durch den Abschluss eines Vergleichs vor der Wiedergutmachungskammer nach dem Bundesrückerstattungsgesetz vom 7. März 1961 der Berechtigte sein Eigentum nicht verlor und mit der Zahlung der Vergleichssumme nur die Ansprüche des Berechtigten aus dem Bundesrückerstattungsgesetz ausgeglichen werden sollten (als Ausgleichszahlungen für einen vermeintlichen Verlust). Da nach dem Bundesrückerstattungsgesetz keine Herausgabeansprüche, sondern nur Ausgleichszahlungen in Geld für den (vermeintlichen) Verlust einer Eigentumsposition geltend gemacht werden können, hat Hans Sachs im Rahmen des Vergleichs auch nicht etwa im Gegenzug zur Zahlung das Eigentum an der Plakatsammlung auf die Bundesrepublik Deutschland übertragen. „Mit der Zahlung der Vergleichssumme sollten nur sämtliche Ansprüche des Herrn S aus dem Bundesrückerstattungsgesetz ausgeglichen sein, was, wie oben bereits angeführt, einen Herausgabeanspruch aus Eigentum nicht umfasste.“ Richtigerweise sollte nun jedoch von einer Rückzahlungsverpflichtung des Klägers gegenüber der Bundesrepublik Deutschland ausgegangen werden. Schließlich setzte das Landgericht Berlin bei seiner Entscheidung auch voraus, dass Hans Sachs zu irgendeiner Zeit wirksam auf sein Eigentum verzichtet hätte. Damit wird die Einschätzung des Deutschen Historischen Museums zurückgewiesen, wonach in der brieflichen Äußerung des Hans Sachs ersichtlich würde, dass dieser an einer „materiellen Zusammenarbeit“ nicht interessiert gewesen sei und sich insoweit auf die Entschädigungszahlung durch die Bundesrepublik Deutschland bezogen hatte – allein in dieser
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
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III. Kammergerichtsentscheidung 2010: Plakatsammlung Sachs-Konstellation In der Berufungsinstanz lehnte das Kammergericht Berlin am 28. Januar 2010621 jedoch den Restitutionsanspruch sowohl aufgrund der Präklusionswirkung zivilrechtlicher Rückführungsansprüche wegen der Sondergesetze zur Wiedergutmachung von Regimeunrecht als auch aufgrund der Verwirkung des Herausgabeanspruchs ab.
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Entgegen den voranstehenden Erwägungen entschied das Kammergericht, dass ein zivilrechtlicher Anspruch auf Herausgabe von Vermögensgegenständen, die durch nationalsozialistische Unterdrückungsmaßnahmen entzogen worden sind, im Hinblick auf den Vorrang des alliierten Rückerstattungsrechts und der Wiedergutmachungsvorschriften des Bundesrückerstattungsgesetzes ausscheidet. Da die Plakatsammlung aus Gründen der Rasse – wegen jüdischer Abstammung – ungerechtfertigt entzogen worden war, unterfiel der Restitutionsanspruch Art. 1 der Anordnung BK/O (49) 180 der Alliierten Kommandantur Berlin über die Rückerstattung feststellbarer Vermögensgegenstände an Opfer der nationalsozialistischen Unterdrückungsmaßnahmen vom 26.7.1949622 und konnte nach Ansicht des Kammergerichts gemäß Art. 51 S. 1 grundsätzlich nur in dem Verfahren nach dieser Anordnung geltend gemacht werden. Vergleichbar verwies das Gericht in seiner Entscheidung auf § 7 des Bundesrückerstattungsgesetzes, wonach rückerstattungsrechtliche Ansprüche nur nach Maßgabe dieses Gesetzes, d.h. im Rückerstattungsverfahren, geltend zu machen seien. Dabei stütze sich die Entscheidung auf die bereits skizzierte Rechtsprechung, dass Ansprüche von Betroffenen nationalsozialistischer Unrechtsakte nur nach Maßgabe der Rückerstattungs- und Entschädigungsgesetze geltend gemacht werden können623 und die Regelung, die in den Rückerstattungsgesetzen der einzelnen Besatzungszonen getroffen worden ist, eine Rückforderung nach allgemeinem bürgerlichen Recht wegen Entziehungsvorgängen ausschließt, die sich im Rahmen der allgemeinen Verfolgungsmaßnahmen gehalten haben624:
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„Der Vorrang, welcher dem Rückerstattungsrecht – aus gutem Grund, nämlich zur geordneten Entwirrung der durch nationalsozialistische Unrechtsakte geschaffenen Fakten – eingeräumt worden ist, ist zu beachten, und zwar auch dann, wenn es wie im vorlie-
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Äußerung könne keine Eigentumsaufgabe i.S.d. § 959 BGB erkannt werden, da es an dem notwendigen Verzichtswillen fehle. Vgl. LG Berlin, Entscheidung der 19. Zivilkammer vom 10.02.2009, Az.: 19 O 116/08, ZOV 2009, S. 77–80, Kunst und Recht (KuR) 2009, S. 57–64. KG Berlin, Entscheidung des 8. Zivilsenats vom 28.01.2010, Az.: 8 U 56/09, Kunst und Recht (KuR) 1 (2010), S. 17–21, ZOV 2010, S. 87–90 (Leitsatz und Gründe). Verordnungsblatt für Groß-Berlin, Teil I, Seite 221. BGH, Entscheidung des 2. Zivilsenats vom 11.02.1953, Az.: II ZR 51/52, BGHZ 9, S. 34 ff.; BGH, RzW 1956, 237. BGH, Entscheidung des 4. Zivilsenats vom 08.10.1953, Az.: IV ZR 30/53, BGHZ 10, S. 340– 345.
310
2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht genden Fall nicht zu einer förmlichen Enteignung gekommen ist. Ein Herausgabeanspruch gegenüber der Beklagten ist damit ausgeschlossen, denn einen Rechtsgrund, der mit der nationalsozialistischen Verfolgung – und deshalb mit dem Rückerstattungs- und Wiedergutmachungsrecht – nichts zu tun hätte, macht der Kläger nicht geltend. Dass sich ein Berechtigter nach dem VermG nicht mit früher gewährten Ausgleichsleistungen begnügen muss …, betrifft nur das Verhältnis der Rückerstattungsnormen untereinander, lässt aber keinen bürgerlich-rechtlichen Anspruch auf Naturalrestitution aufleben.“625
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Schließlich lehnte das Kammergericht – mit guten Gründen (sodass die Entscheidung im Ergebnis wohl als zutreffend zu bezeichnen ist) – die Restitutionsforderung im Hinblick auf Treu und Glauben nach § 242 BGB aufgrund der Verwirkung des Herausgabebegehrens 626 ab, da die Klägerseite den möglicherweise bestehenden Rückführungsanspruch längere Zeit hindurch nicht geltend gemacht hat (Zeitmoment) und das beklagte Museum sich darauf eingerichtet hat und nach dem gesamten Verhalten des Klägers auch darauf einrichten durfte, dass dieser etwaige Rückführungsansprüche nicht mehr geltend machen werde (Umstandsmoment). Es fiel nach zutreffender Ansicht des Kammergerichts im vorliegenden Fall erheblich ins Gewicht, dass eine Herausgabe der Plakate erst im Jahre 2006 verlangt worden ist, obwohl der Vater des Klägers schon 40 Jahre zuvor um den Verbleib erheblicher Teile seiner Plakatsammlung im Museum für Deutsche Geschichte wusste. Das Gericht ließ sich insbesondere vom „Inhalt des Schreibens von Dr. S. vom 23.5.1966 an den Mitarbeiter R. des Museums für Deutsche Geschichte“ leiten, „wonach er lediglich ideell und nicht materiell an einer Zusammenarbeit interessiert sei und schon vor einiger Zeit durch einen deutschen Gerichtsbeschluss eine größere Abfindungssumme ausgezahlt bekommen habe, die alle seine Ansprüche gedeckt habe.“ Darin konnte das Kammergericht fehlerfrei den zum Ausdruck gebrachten Willen des Sammlers erkennen, „die Sammlung im Deutschen Historischen Museum zu belassen“, sodass „die Beklagte darauf vertrauen“ durfte, „die Plakate aus der Sammlung S. auf Dauer behalten zu dürfen, nachdem lange über die Wiedervereinigung hinaus keine Rückgabe verlangt worden war.“ Neben diesem Zeitmoment hat das Kammergericht auch die zweite Voraussetzung der Verwirkung eines Restitutionsanspruchs, das sog. Umstandsmoment, bejaht und erkannt, dass sich das beklagte Museum auch tatsächlich darauf eingerichtet hatte, keinem Herausgabeverlangen mehr ausgesetzt zu werden:
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„Sie hat die Plakate in die eigene Sammlung integriert, bewahrt und erschlossen sowie u.a. im Sommer 1992 – unter besonderer Würdigung von Dr. S. – zum Kern einer Ausstellung gemacht. Für die jahrzehntelange geordnete Bewahrung von über 4.000 Plakaten ist von einem erheblichen Aufwand des Museums auszugehen, der zumindest im Einzelfall („Die blonde Venus“) Restaurierungsarbeiten mit einschloss. Dies stellt sich nicht, 625
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KG Berlin, Entscheidung des 8. Zivilsenats vom 28.01.2010, Az.: 8 U 56/09, Kunst und Recht (KuR) 1 (2010), S. 17–21, ZOV 2010, S. 87–90 (Leitsatz und Gründe). Vgl. ausführlich zum Grundsatz der Verwirkung im Kunstrestitutionsstreit Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 1: Illegaler Kulturgüterverkehr, 6. Teil.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
311
wie der Kläger meint, als bloße Nutzung dar, sondern als Betätigung des Vertrauens der Beklagten, die Plakate im eigenen Bestand zu behalten. Die verspätete Geltendmachung der Herausgabeforderung verstößt damit gegen Treu und Glauben.“ 627
D. Keine Präklusion aufgrund internationaler Verträge der sog. Feindstaaten mit den alliierten Staaten Außerdem könnten kulturelle Restitutionsansprüche Deutschlands und Österreichs bzw. der Staatsangehörigen dieser beiden Staaten aufgrund kultureller Verluste während des bzw. unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkrieges gegenüber den alliierten Staaten bzw. den Staatsangehörigen dieser Staaten aufgrund der jeweiligen Abkommen Deutschlands und Österreichs mit den Alliierten im Anschluss an den Zweiten Weltkrieg und des inkorporierten Verzichts der Geltendmachung jeglicher Rechtsansprüche gegen die alliierten Staaten und deren Staatsangehörige ausgeschlossen sein.
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Vertrag zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen (Überleitungsvertrag) in der gemäß Liste IV zu dem am 23. Oktober 1954 in Paris unterzeichneten Protokoll über die Beendigung des Besatzungsregimes in der Bundesrepublik Deutschland geänderten Fassung628: Neunter Teil Gewisse Ansprüche gegen fremde Nationen und Staatsangehörige … Art. 3 Abs. 2: Die Bundesrepublik erkennt an, daß sie oder die ihrer Herrschaftsgewalt unterliegenden Personen keine Ansprüche irgendwelcher Art gegen die Drei Mächte oder eine von ihnen oder gegen Organisationen oder Personen, die in ihrem Namen oder unter ihrer Autorität tätig waren, geltend machen werden wegen Handlungen oder Unterlassungen, welche die Drei Mächte oder eine von ihnen oder Organisationen oder Personen, die in ihrem Namen oder unter ihrer Autorität tätig waren, zwischen dem 5. Juni 1945 und dem Inkrafttreten dieses Vertrags mit Bezug auf Deutschland, deutsche Staatsangehörige, deutsches Eigentum oder in Deutschland begangen haben.
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Art. 24 des Staatsvertrages betreffend die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreich (Wien) vom 15. Mai 1955: Verzicht Österreichs auf Ansprüche gegen die Alliierten: 1. Österreich verzichtet im Namen der österreichischen Regierung oder österreichischer Staatsangehöriger auf alle Ansprüche irgendwelcher Art gegen die Alliierten und Assoziierten Mächte, soweit sich solche Ansprüche unmittelbar aus dem Krieg in Europa nach dem 1. September 1939 oder aus Maßnahmen, die infolge des Kriegszustandes in Europa nach diesem Datum ergriffen wurden, ergeben, gleichgültig, ob sich die Alliierte oder Assoziierte Macht zu jenem Zeitpunkt mit Deutschland im Krieg befand oder nicht. Dieser Verzicht umfaßt folgende Ansprüche: a) Ansprüche für Verluste oder Schäden, die infolge von Handlungen der Streitkräfte oder Behörden Alliierter oder Assoziierter Mächte erlitten wurden; b) Ansprüche, die sich aus der Anwesenheit, aus Operationen oder Handlungen von Streitkräften oder Behörden Alliierter oder Assoziierter Mächte auf österreichischem Staatsgebiet ergeben; c) Ansprüche hinsichtlich der Entscheidungen oder Anordnungen von Prisengerichten der Alliierten oder Asso627
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KG Berlin, Entscheidung des 8. Zivilsenats vom 28.01.2010, Az.: 8 U 56/09, Kunst und Recht (KuR) 1 (2010), S. 17–21, ZOV 2010, S. 87–90 (Leitsatz und Gründe). Amtlicher Text, BGBl. 1955 II S. 405.
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht ziierten Mächte, wobei Österreich damit einverstanden ist, alle Entscheidungen und Anordnungen solcher Prisengerichte, die vom 1. September 1939 an ergangen sind und sich auf österreichischen Staatsbürgern gehörige Schiffe oder Güter oder auf die Bezahlung von Kosten beziehen, als gültig und bindend anzuerkennen; d) Ansprüche, die sich aus der Ausübung oder vermeintlichen Ausübung von Rechten der Kriegsführenden ergeben. 2. Die Bestimmungen dieses Artikels schließen vollständig und endgültig alle Ansprüche der hierin angeführten Natur aus, die von nun an erloschen sein sollen, welche Vertragsteile auch immer ein Interesse daran haben mögen. Die österreichische Regierung stimmt zu, eine billige Entschädigung in Schillingen den Personen zu leisten, die den Streitkräften der Alliierten oder Assoziierten Mächte im österreichischen Staatsgebiet auf Grund von Requisition Güter geliefert oder Dienste geleistet haben und ebenso eine Entschädigung zur Befriedigung von Ansprüchen aus Nichtkampfschäden gegen die Streitkräfte der Alliierten oder Assoziierten Mächte, die auf österreichischem Staatsgebiet entstanden sind. …
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Die Frage eines diesbezüglichen Ausschlusses kultureller Restitutionsansprüche gegenüber den alliierten Staaten und deren Staatsangehörigen stellte sich in dem vor den österreichischen Gerichten entschiedenen Eusebius von Caesarea-Fall629, in dem die Universitätsbibliothek Graz und die Erbin einer Slowenien um die bessere Rechtsstellung an einer aus dem 12. Jahrhundert stammenden Handschrift des Werkes ‚Historia ecclesiastica‘ ursprünglich von Eusebius von Caesarea stritten.630
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Die Handschrift des Werkes befand sich ursprünglich im Besitz des Klosters St. Laubrecht in der Steiermark, kam jedoch im Jahre 1782 in die Universitätsbibliothek Graz. Während des Zweiten Weltkriegs fand aus Angst vor Zerstörung eine Evakuierung nebst anderen wertvollen Kulturgütern in das Schloss W., ebenfalls in der Steiermark, statt. Aus diesem Bergungsort verschwand die Handschrift, wahrscheinlich durch eine Plünderung jugoslawischer Truppen, die die Kulturgüter nach Slowenien verbrachten. Im Dezember 1991 bot eine Frau aus Slowenien die Handschrift der Universitätsbibliothek Graz zum Kauf an und gab hinsichtlich der Provenienz an, sie habe die Handschrift von ihrer im Jahre 1985 verstorbenen Schwiegermutter geerbt, die diese rund 40 Jahre lang im Besitz hatte. Weil die Frau die Handschrift Ende November 1991 in das österreichische Zollgebiet eingeführt hatte, ohne sie beim Zollamt zu deklarieren, wurde das Kunstwerk durch den österreichischen Zoll beschlagnahmt, am 22. Oktober 1993 dem österreichischen Staat als verfallen erklärt und der Universitätsbibliothek Graz zur Verwahrung übergeben. Die Besitzerin der Handschrift intervenierte gegen die Beschlagnahme und die Verfallerklärung mit Erfolg, sodass die Universitätsbibliothek Graz ihrerseits vor einem Zivilgericht ihre
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Vgl. Österreichscher OGH, Entscheidung vom 14.4.1999, Az. 7 Ob 68/99 x, IPRax S. 312, Nr. 27. Vgl. – soweit ersichtlich – die einzige Referenz zu dieser Entscheidung: Seidl-Hohenveldern, Schafft Plünderung Eigentum?, IPRax 2000 (Heft 4), S. 321–323.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
313
bessere Rechtsstellung durchzusetzen versuchte, das nun darüber zu entscheiden hatte, ob durch Art. 24 des Staatsvertrages betreffend die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreich (Wien) vom 15. Mai 1955 auch ein Verzicht Österreichs auf kulturelle Restitutionsansprüche während des Zweiten Weltkriegs oder im Anschluss daran unrechtmäßig im Wege der Plünderung entzogener Kulturgüter gegen die Alliierten und deren Staatsangehörige eingetreten sei.631 Das nunmehr vorliegende Urteil des Obersten Gerichtshofes von Österreich vom 14.4.1999 sprach die Handschrift der Frau zu, deren Rechtsvorgänger durch Plünderung in den Besitz der Handschrift gelangt waren.632 Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, dass durch die Verzichtserklärung in Art. 24 des Staatsvertrages betreffend die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreich vom 15. Mai 1955 die Handschrift derelinquiert, also herrenlos geworden sei, und durch Art. 24 im Namen der österreichischen Regierung oder österreichischer Staatsangehöriger auf alle Ansprüche gegen die Alliierten und Assoziierten Mächte für Verluste und Schäden verzichtet worden sei, die infolge von Handlungen ihrer Streitkräfte oder Behörden erlitten wurden oder die sich aus deren Anwesenheit, aus Operationen oder Handlungen auf österreichischem Staatsgebiet, ergeben hätten.633 Diese Verzichtserklärung beträfe nach Rechtsansicht des Obersten Gerichtshofes von Österreich nicht nur acta iure imperii, sondern gerade auch Privatakte und dementsprechend auch völkerrechtswidrige Plünderungen kultureller Wertgegenstände.634 Während ein Haftungsverzicht für hoheitliche Handlungen (acta iure imperii) wohl allgemein als verständlich betrachtet wird635, ist nicht recht einzusehen, warum dies auch für Privatakte einzelner Personen gelten solle, also für Handlungen, die rein zufällig, sozusagen bei Gelegenheit und ohne staatliche Anordnung erfolgen. Dementsprechend führt auch Seidl-Hohenveldern in seiner Kommentierung der Entscheidung aus, dass nur eine Auslegung des Art. 24 des Staatsvertrages betreffend die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreich vom 15. Mai 1955 zutreffend sein könne, die eine Verzichtserklärung nur für acta iure imperii gelten lasse, „nicht aber für Privatakte und schon gar nicht für völ-
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Vgl. zu den tatsächlichen Angaben der Sachverhaltskonstellation die detaillierten Ausführungen bei Seidl-Hohenveldern, Schafft Plünderung Eigentum?, IPRax 2000 (Heft 4), S. 321– 323, S. 321–322. Vgl. Seidl-Hohenveldern, Schafft Plünderung Eigentum?, IPRax 2000 (Heft 4), S. 321–323, S. 322. Vgl. Österreichscher OGH, Entscheidung vom 14.4.1999, Az. 7 Ob 68/99 x, IPRax S. 312, Nr. 27. Vgl. Österreichscher OGH, Entscheidung vom 14.4.1999, Az. 7 Ob 68/99 x, IPRax S. 312, Nr. 27. Vgl. Seidl-Hohenveldern, Schafft Plünderung Eigentum?, IPRax 2000 (Heft 4), S. 321–323, S. 322.
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
kerrechtswidrige Plünderungen“ kultureller Wertgegenstände.636 Diese Praxis ergäbe sich als logische Folge der Tatsache, dass in der Präambel des Staatsvertrages die Klausel gestrichen wurde, derzufolge Österreich als integrierender Teil Hitler-Deutschlands am Krieg gegen die Alliierten und Assoziierten Mächte teilgenommen habe und daher eine Verantwortlichkeit, die sich aus dieser Teilnahme am Krieg ergäbe, nicht vermeiden könne.637 295
„Es steht überdies zwar fest, daß das Schloß W. von jugoslawischen Truppen geplündert worden war. Es ist aber keineswegs bewiesen, daß die Handschrift tatsächlich von einem Angehörigen dieser Truppen gestohlen wurde. Seit alters her schließen sich siegreich vorrückenden Truppen allerlei Leute zu allerlei unlauteren Zwecken an. Gerade für das Ende des Zweiten Weltkriegs am Balkan ist insoweit ein Vergleich mit den Zuständen im Dreißigjährigen Krieg durchaus angebracht. Gewiß hat erst die Anwesenheit der jugoslawischen Truppen solchen Personen ihre Diebereien ermöglicht. Aber es würde dem Begriff der „Anwesenheit“ in Art. 24 Abs. 1 lit. b. des Staatsvertrages Gewalt antun, wenn man darin einen Grund für den Verzicht auf Herausgabeansprüche gegenüber privaten Plünderern sehen wollte, die in Anwesenheit alliierter Truppen gehandelt hatten.“ 638
296
Die Rechtseinschätzung Seidl-Hohenvelderns steht im Einklang mit der gerichtlichen Praxis zu der entsprechenden deutschen Rechtsvorschrift in Art. 3 Abs. 2 des Neunten Teils (Gewisse Ansprüche gegen fremde Nationen und Staatsangehörige) des Vertrages zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen (Überleitungsvertrag) in der gemäß Liste IV zu dem am 23. Oktober 1954 in Paris unterzeichneten Protokoll über die Beendigung des Besatzungsregimes in der Bundesrepublik Deutschland geänderten Fassung 639 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den westlichen Besatzungsmächten. Diese Verzichtsklausel wurde in der bisherigen gerichtlichen Praxis stets (konkludent) so ausgelegt, dass Deutschland, dessen kulturelle Institutionen und deutsche Staatsbürger damit keineswegs auf die zivilrechtliche Restitution unrechtmäßig kriegsbedingt entzogener (d.h. geplünderter) Kulturgüter an die rechtmäßigen Eigentümer verzichtet haben.640 Bspw. wurde in der bekannten Rechtssache Kunstsammlungen zu Weimar v. Elicofon 641 (es ging um 636 637
638 639 640
641
Seidl-Hohenveldern, Schafft Plünderung Eigentum?, IPRax 2000 (Heft 4), S. 321–323, S. 322. In heutiger Sicht ist diese Streichung zwar umstritten, da sie auch eine Mitverantwortung der Österreicher für die Untaten Hitler-Deutschlands auszuschließen scheint. „Eine Verantwortlichkeit des Staates Osterreich ist jedenfalls widersinnig. War Österreich zwischen dem 13.3.1938 und dem 27.4.1945 lediglich ein von Hitler-Deutschland besetztes Land, kann es als Opfer nicht gleichzeitig verantwortlicher Täter sein. War Österreich aber am 13.3.1938 annektiert worden, hatte es seine völkerrechtliche Rechts- und Handlungsfähigkeit verloren, konnte sich also als Staat nicht am Zweiten Weltkrieg beteiligen. Wie dem auch sei, zeigt die Streichung der Klausel die Auffassung der Vertragspartner des Staatsvertrages von 1955 im Zeitpunkt seines Abschlusses.“ Seidl-Hohenveldern, Schafft Plünderung Eigentum?, IPRax 2000 (Heft 4), S. 321–323, S. 322–323. Seidl-Hohenveldern, Schafft Plünderung Eigentum?, IPRax 2000 (Heft 4), S. 321–323, S. 323. Amtlicher Text, BGBl. 1955 II S. 405. Vgl. Seidl-Hohenveldern, Schafft Plünderung Eigentum?, IPRax 2000 (Heft 4), S. 321–323, S. 323. Vgl. Kunstsammlungen zu Weimar v. Elicofon, 358 F. Supp. 747 (E.D.N.Y. 1970); Kunst-
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
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zwei aus dem Weimarer Schloss von amerikanischen Soldaten gestohlene DürerPorträts) zu keinem Zeitpunkt vor Gericht behauptet, dass kulturelle Restitutionsansprüche aufgrund fortbestehenden Eigentums durch die Verzichtsklausel des Art. 3 Abs. 2 des Neunten Teils (Gewisse Ansprüche gegen fremde Nationen und Staatsangehörige) des Vertrages zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen (Überleitungsvertrag) derelinquiert worden seien und dementsprechend eine Rechtsverfolgung des ursprünglichen Eigentümers ausgeschlossen sei.642 SeidlHohenveldern weist zudem darauf hin, dass diese Rechtsauffassung zwangsläufig auch dem Vergleich der Bundesrepublik Deutschland mit den Erben des Diebes des sog. Quedlinburger Domschatzes zugrunde liegt.643 Dementsprechend sei auch für die österreichische Rechtslage nicht anzunehmen, dass die alliierten Vertragspartner die mit Österreich vereinbarte Verzichtsklausel härter ausgelegt wissen wollten als die Verzichtsklausel in dem nahezu gleichzeitigen Vertrag mit der Bundesrepublik Deutschland. Im Ergebnis ist somit keine Präklusion kultureller Restitutionsansprüche Deutschlands und Österreichs bzw. der Staatsangehörigen dieser beiden Staaten anzunehmen aufgrund kultureller Verluste während des Zweiten Weltkrieges bzw. unmittelbar danach gegenüber den alliierten Staaten bzw. den Staatsangehörigen dieser Staaten aufgrund der jeweiligen Abkommen Deutschlands und Österreichs mit den Alliierten im Anschluss an den Zweiten Weltkrieg und des inkorporierten Verzichts der Geltendmachung jeglicher Rechtsansprüche gegen die alliierten Staaten und deren Staatsangehörige.
E.
Restitution und ‚deaccessioning‘
Schließlich ist zu fragen, inwieweit ethische und rechtliche Erwägungen im Zusammenhang mit der Veräußerung von Museumsbeständen (sog. deaccessioning) eine Restitution unrechtmäßig transferierter Kulturgüter präkludieren können. Diese Frage aus dem Bereich des Museumsmanagements ist auch bei Rückgabeverfahren unrechtmäßig entzogener Kunstwerke stets dann zu bedenken, wenn sich das Herausgabebegehren gegen ein Museum richtet. Unter deaccessioning werden allgemein die Verfügung, Veräußerung oder das Handeln von Objekten
642
643
sammlungen zu Weimar v. Elicofon, 358 F. Supp. 747, 753 (E.D.N.Y. 1972) (Supplemental Opinion); Kunstsammlungen zu Weimar v. Elicofon, 478 F.2d 231 (2d Cir. 1973); Federal Republic of Germany v. Elicofon, 14 International Legal Materials (I.L.M.) 806 (E.D.N.Y. 1975); Federal Republic of Germany v. Elicofon, 536 F. Supp. 813 (E.D.N.Y. 1978); Federal Republic of Germany v. Elicofon, 536 F. Supp. 829 (E.D.N.Y. 1981); Kunstsammlungen zu Weimar v. Elicofon, 678 F.2d 1150 (2d Cir. 1982). Ausführlich hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 2. Teil, Rdnr. 55 ff. Vgl. zu diesem Ansatz Seidl-Hohenveldern, Schafft Plünderung Eigentum?, IPRax 2000 (Heft 4), S. 321–323, S. 323. So Seidl-Hohenveldern, Schafft Plünderung Eigentum?, IPRax 2000 (Heft 4), S. 321–323, S. 323.
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
aus dem Bestand einer Museumssammlung und deren rechtliche und ethische Beschränkungen verstanden. Einerseits sind Museen ethischen Grundsätzen verpflichtet und haben bspw. für Schenkungen nach dem Willen des donors zu sorgen und diese im begünstigten Museum dauerhaft aufzubewahren bzw. auszustellen. Deaccessioning eines Kunstobjektes scheint ethisch bspw. dann angemessen, wenn ein Museum mehr als ein Exemplar dieses Gegenstandes in seinem Bestand hält (etwa wenn das Objekt an ein anderes Museum veräußert wird) oder wenn das Museum nicht selbst für die Erhaltung sorgen kann und sich der Zustand des Gegenstandes in der Zukunft weiter verschlechtern wird. 298
Über diese ethischen Wertungen hinaus bestehen teilweise aber auch gesetzliche Grenzen des deaccessioning, die formal im Grundsatz eine Restitution – als de facto-Herausnahme eines Kulturguts aus dem Sammlungsbestand eines Museums – ausschließen können. Während Museen der Vereinigten Staaten von Amerika im Grundsatz keinen besonderen gesetzlichen Restriktionen unterfallen, haben kulturelle Institutionen in Großbritannien und Kontinentaleuropa, häufig aber auch in Südamerika, spezielle gesetzliche Schranken bei der Ausgliederung von Objekten aus einer Museumskollektion zu beachten. Diese Limitation der freien Verfügbarkeit kann insbesondere bei der Restitution unrechtmäßig entzogener Kulturgüter an die ursprünglich Berechtigten präkludierende Wirkung zeigen. Beispielhaft ist die Rechtsordnung Großbritanniens heranzuziehen und deren Konfliktsituation bei der Restitution von Raubkunst an die ursprünglich Berechtigten zu verdeutlichen: Im englischen Recht unterfallen insbesondere das British Museum644, die British Library645, nach Sect. 4 des Museums and Galleries Act 1992 bspw. auch die Tate Gallery und die National Gallery gesetzlichen Veräußerungsverboten, Geltungskraft verlangen hier auch die Regeln des National Heritage Act 1983.646
299
Die gesetzlichen Grenzen des deaccessioning hinderten bspw. die Restitution eines aus der Benevento Kathedrale gestohlenen Messbuches aus den Beständen der British Library. Im Jahre 2005 entschied das britische Spoliation Advisory Panel die Rückführung des Missals aus dem 12. Jahrhundert, nachdem das Manuskript während der amerikanischen Bombenangriffe auf die italienische Stadt im September 1943 zunächst aus der Kathedrale gestohlen und im April 1944 von einem britischen Soldaten erworben worden war. Eine Rückführung – und damit gleichzeitig auch die Ausgliederung aus der Sammlung der British Library – war jedoch aufgrund des British Library Act 1972 ausgeschlossen.
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Gleiches galt auch für das British Museum und die Restitution von vier Zeichnungen an die Rechtsnachfolger von Arthur Feldmann. Die Objekte wurden im 644 645 646
Sect. 3 Abs. 4 i.V.m. Sect. 5 und 9 des British Museum Act 1963. Sect. 3 Abs. 5 des British Library Act 1972. Vgl. zum Ganzen Palmer, Museums and the Holocaust: Law, Principles and Practice, 2000, S. 24.
1. Abschnitt: Internationale Gerichtsbarkeit
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Jahr 1939 seitens der nationalsozialistischen Gestapo aus dem Haus der Familie Feldmann in der Tschechoslowakei geplündert. Sowohl Dr. Feldmann als auch seine Ehefrau verstarben in der NS-Gefangenschaft. Bei den schätzungsweise 150.000 britische Pfund teuren Gemälden handelt es sich um ‚St. Dorothy with the Christ Child‘ aus der Schule des Martin Schongauer, um ‚Virgin and infant Christ, adored by St Elizabeth and the Infant St John‘ von Martin Johann Schmidt, um ‚An Allegory on Poetic Inspiration with Mercury and Apollo‘ des britischen Künstlers Nicholas Blakey aus dem 18. Jahrhundert und um ‚The Holy Family‘ des italienischen 16. Jahrhundert-Künstlers Niccolo dell’Abbate. Das British Museum erwarb die Zeichnungen ohne Kenntnis ihres Beutekunstcharakters nach Ende des Zweiten Weltkrieges in den 1940er Jahren. Großbritanniens Attorney General hat in diesem Fall den U.K. High Court angerufen und zur Entscheidung gestellt, ob es dem Kuratorium des British Museum erlaubt war, die Zeichnungen aus moralischen Gründen an die Nachfahren Feldmanns zu restituieren. Hier wurde entschieden, dass die Grundsätze des deaccessioning des British Museum Act nicht aufgrund moralischer Verpflichtungen des Museums zur Restitution der hier in Streit stehenden Zeichnungen verworfen und außer Kraft gesetzt werden könnten. Aus diesem Grund war es dem British Museum nach Ansicht des U.K. High Court von Rechts wegen verboten, die ohne Zweifel unrechtmäßig seitens der NS-Plünderungsbehörden erbeuteten Kunstwerke an die rechtmäßigen Erben der ursprünglichen Eigentümer zu restituieren.
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Vor dem Hintergrund dieser beiden Fallkonstellationen – den Trustees zahlreicher staatlicher Museen war trotz einer Restitutionsempfehlung des Spoliation Advisory Panel und der offensichtlichen Unrechtmäßigkeit des Entziehungsaktes die Rückführung an die ursprünglichen Eigentümer bzw. deren Rechtsnachfolger verboten (es bestand somit eine widersprüchliche gesetzliche Ausgangslage zwischen den genannten Institutionen) – erließ der britische Gesetzgeber den Holocaust (Return of Cultural Objects) Act vom 12. November 2009. Das Gesetz ermöglicht heute den Kuratorien zahlreicher staatlicher Museen die deaccession von Kunstwerken und Kulturgütern aus ihren Sammlungen, die während der Zeit der nationalsozialistischen Unrechtsherrschaft zwischen 1933 und 1945 aufgrund oder zugunsten des Dritten Reiches gestohlen, geraubt oder geplündert wurden. Empfiehlt das Spoliation Advisory Panel die Rückführung eines Kunstwerks, ist eine Restitution an die ursprünglichen Eigentümer und deren Rechtsnachfolger heute nicht mehr a priori von Rechts wegen ausgeschlossen.
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Holocaust (Return of Cultural Objects) Act 2009 An Act to confer power to return certain cultural objects on grounds relating to events occurring during the Nazi era. Be it enacted by the Queen’s most Excellent Majesty, by and with the advice and consent of the Lords Spiritual and Temporal, and Commons, in this present Parliament assembled, and by the authority of the same, as follows:
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht 1 Bodies to which this Act applies This Act applies to the following bodies: The Board of Trustees of the Armouries, The British Library Board, The Trustees of the British Museum, The Trustees of the Imperial War Museum, The Board of Trustees for the National Galleries of Scotland, The Board of Trustees of the National Gallery, The Trustees of the National Library of Scotland, The Trustees of the National Maritime Museum, The Board of Trustees of the National Museums and Galleries on Merseyside, The Board of Trustees of the National Museums of Scotland, The Board of Trustees of the National Portrait Gallery, The Trustees of the Natural History Museum, The Board of Trustees of the Royal Botanic Gardens, Kew, The Board of Trustees of the Science Museum, The Board of Trustees of the Tate Gallery, The Board of Trustees of the Victoria and Albert Museum, The Board of Trustees of the Wallace Collection. 2 Power to return victims’ property (1) A body to which this Act applies may transfer an object from its collections if the following conditions are met. (2) Condition 1 is that the Advisory Panel has recommended the transfer. (3) Condition 2 is that the Secretary of State has approved the Advisory Panel’s recommendation. (4) The Secretary of State may approve a recommendation for the transfer of an object from the collections of a Scottish body only with the consent of the Scottish Ministers. (5) “Scottish body” means: The Board of Trustees for the National Galleries of Scotland, The Trustees of the National Library of Scotland, The Board of Trustees of the National Museums of Scotland. (6) The power conferred by subsection (1) does not affect any trust or condition subject to which any object is held. (7) The power conferred by subsection (1) is an additional power. 3 “Advisory Panel” (1) For the purposes of this Act “Advisory Panel” means a panel for the time being designated by the Secretary of State for those purposes. (2) The Secretary of State may designate a panel for the purposes of this Act only if the panel’s functions consist of the consideration of claims which: (a) are made in respect of objects, and (b) relate to events occurring during the Nazi era. (3) “Nazi era” means the period: (a) beginning with 1 January 1933, and (b) ending with 31 December 1945. 4 Short title, extent, commencement and sunset (1) This Act may be cited as the Holocaust (Return of Cultural Objects) Act 2009. (2) This Act extends to (a) England and Wales, and (b) Scotland. (3) The preceding sections of this Act come into force on such day as the Secretary of State may by order appoint. (4) An order may make different provision for different purposes. (5) Before appointing a day for the coming into force of the preceding sections of this Act so far as they relate to Scottish bodies the Secretary of State must consult the Scottish Ministers. (6) “Scottish body” has the meaning given by section 2(5). (7) This Act expires at the end of the period of 10 years beginning with the day on which it is passed.
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Die Kuratorien der in Sect. 1 bezeichneten kulturellen Institutionen dürfen Raub- und Beutekunstobjekte an die ursprünglich Berechtigten restituieren, wenn das Spoliation Advisory Panel die Rückführung empfiehlt und der Secretary of State die Empfehlung des Panels billigt. Ist eine der in Sect. 1 benannten
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kulturellen Institutionen aus Schottland bei der Rückführung betroffen, haben schottische Minister zunächst der Empfehlung zuzustimmen, bevor der Secretary of State diese billigt. Das Gesetz gilt für zehn Jahre.
§ 5 Ergebnis: Keine Präklusion von Kunstrestitutionsverfahren Schon zu Beginn des 1. Abschnitts wurden die weitreichende praktische Bedeutung der internationalen Gerichtsbarkeit und die Grenzen staatlicher Jurisdiktion in Kunstrestitutionsverfahren zum einen hinsichtlich der allgemeinen Staatenimmunität (unter Punkt A.) und zum anderen hinsichtlich der speziellen Sachimmunität von Kunst- und Kulturgütern nach einer staatlichen Rückgabegarantie (unter Punkt B.) offenkundig. Unter Punkt C. wurde nunmehr die Diskussion einer möglichen weiteren Präklusionswirkung zivilrechtlicher Restitutionsansprüche aufgrund der Existenz spezieller Sondergesetze zur Wiedergutmachung insbesondere des nationalsozialistischen Regimeunrechts geführt. Nach den voranstehenden Erkenntnissen steht fest, dass direkte Entziehungsmaßnahmen des nationalsozialistischen Unrechtsregimes gegenüber verfolgten Personengruppen nach der Radbruchschen Theorie des gesetzlichen Unrechts keine Auswirkungen auf die Eigentumsposition der Verfolgten selbst zeitigten und kulturelle Vermögensverluste, die im Wege einer Veräußerung unter Drohung, Zwang und Gewalt erfolgten, in speziellen Fällen über eine Instrumentalisierung der Vorschriften über die Anfechtung, über Verbotsgesetze und über die Sittenwidrigkeit (§§ 123 i.V.m 142, 134 und 138 BGB) eigentums-, besitz-, delikts- oder bereicherungsrechtliche Ansprüche evozieren647 und so theoretisch zu einer Restitution nach den allgemeinen Vorschriften des Bürgerlichen Vermögensrechts führen können.
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Auf den ersten Blick liegt es nahe, dass zivilrechtliche Restitutionsansprüche aufgrund der Präklusionswirkung des Wiedergutmachungsrechts ausgeschlossen sein müssen: Da diese Sondergesetze und Spezialtätbestände positive Voraussetzungen hinsichtlich des festzustellenden Unrechtsverdikts und negative Ausschlussgründe hinsichtlich der zeitlichen Geltendmachung der Rückerstattungsansprüche und des Schutzes gutgläubiger Erwerber für die Rückgewähr unrechtmäßig entzogener kultureller Vermögenswerte bestimmen, droht die Gefahr, dass bei gleichzeitiger Anwendung der allgemeinen privatrechtlichen Restitutionsmöglichkeiten die Wertungen des Wiedergutmachungsrechts leichtfertig unterlaufen würden. Andererseits sind die einschlägigen Spezialgesetze zur Wiedergutmachung heute temporal verfristet, sodass sich bei Annahme einer Präklusionswirkung auch zivilrechtlicher Restitutionsansprüche zugleich die Schlussfolgerung ergäbe, dass heute jegliche Form der Wiedergutmachung und Rückführung NS-bedingt entzogener Raubkunst und kulturellen Fluchtguts und
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647
Vgl. Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 1: Illegaler Kulturgüterverkehr, 7. Teil, Rdnr. 195 ff. und 5. Teil, Rdnr. 39 ff.
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
von Kulturgütern und Antiquitäten, die während der Zeit des Unrechtsstaates der DDR unrechtmäßig entzogen wurden, in Gänze ausgeschlossen wäre, selbst aus der Hand der damaligen Täter bzw. deren Rechtsnachfolger! Ob ein so weitgehender Ausschluss zivilrechtlicher Kunstrestitutionsverfahren zu Lasten der zahlreichen Opfer des NS- und DDR-Unrechtsregimes jedoch tatsächlich aus Rechtsgründen geboten ist, erscheint dem eigenen Rechtsgefühl zu widerstreben. Deshalb hatte der voranstehende Part unter Punkt C. zu klären, ob tatsächlich schon a priori von einem prozessualen Ausschluss allgemein-zivilrechtlicher Kunstrestitutionsverfahren aufgrund der Spezialität der Sondergesetze zur Wiedergutmachung des Regimeunrechts auszugehen ist oder ob solche Fälle nicht vielmehr auch noch heute einer zivilrechtlichen Beurteilung nach den allgemein geltenden Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs zugänglich sind. Eine ausdrückliche Beschäftigung mit dieser Frage findet sich nur selten in Rechtsdogmatik und Rechtsprechung, sodass anzunehmen ist, dass die Problematik oftmals nicht erkannt wurde. 307
Schon innerhalb der rechtsdogmatischen Kommentierung der alliierten Rückerstattungserlasse und des deutschen Rückerstattungsgesetzes unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkrieges war das Verhältnis der Ansprüche nach dem Bürgerlichen Recht zu denen nach den alliierten Rückerstattungsgesetzen umstritten. Die Auffassung, dass erstgenannte gegenüber letztgenannten zurückzutreten hätten, wurde ebenso vertreten wie die Ansicht, dass Restitutionsansprüche nach dem Bürgerlichen Recht neben denen nach den speziellen Rückerstattungsgesetzen geltend gemacht werden können. Das alliierte Besatzungsrecht und das deutsche Rückerstattungsrecht nach Ende des Zweiten Weltkrieges hatten einschneidende Eingriffe in das bürgerliche Recht – besonders durch die grundsätzliche Derogation der zivilrechtlichen Gutglaubensvorschriften – zur Folge, sodass sich die Besatzungsgesetzgeber darauf verständigten, die erfolgreiche Geltendmachung eines Anspruches von der genannten Anmeldung abhängig zu machen, die innerhalb einer zwölfmonatigen Frist vorgenommen werden musste und auch für Erben und im Ausland lebende Berechtigte galt.648 Schon zu diesem Zeitpunkt war wohl die Überzeugung vorherrschend, dass mit der Geltendmachung eines Anspruches nach den Vorschriften der besatzungsrechtlichen Rückerstattungsregeln eine Restitution entzogener Kulturgüter nach den allgemeinen zivilrechtlichen Bestimmungen ausgeschlossen war. Eine alternative Rechtsverfolgung im Wege der allgemeinen zivilrechtlichen Restitution hätte für die Rückerstattungspflichtigen einen Schwebezustand und damit eine starke Rechtsunsicherheit herbeigeführt, die bei Abwägung der beiderseitigen und auch allgemeinen Belange nicht gerechtfertigt gewesen wäre. So kann man regelmäßig die Erwägung nachlesen, dass es mit dem Gesetzeszweck des Rückerstattungsrechts 648
Vgl. Grell, Entartete Kunst – Rechtsprobleme der Erfassung und des späteren Schicksals der sogenannt Entarteten Kunst, 1999, S. 98–117.
§ 5 Ergebnis: Keine Präklusion von Kunstrestitutionsverfahren
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unvereinbar gewesen wäre, wenn der Berechtigte auch außerhalb des Rückerstattungsverfahrens nach allgemeinen Zivilrechtsregeln Restitutionsansprüche hätte geltend machen können. Sowohl der II. als auch der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) haben in ihren Urteilen vom 11.2.1953 und 8.10.1953 diese Auffassung angenommen und allgemein bestimmt, dass die Ansprüche nach den alliierten Rückerstattungsgesetzen denen nach dem Bürgerlichen Recht vorgingen. Ebenso wie beim alliierten Rückerstattungsrecht stellt sich beim Vermögensrecht die Frage nach dessen Verhältnis zu den Restitutionsmöglichkeiten unrechtmäßig entzogener Kulturgüter nach den Vorschriften des allgemeinen Bürgerlichen Rechts. Nach der deutschen Wiedervereinigung im Jahre 1990 hat der Gesetzgeber das Vermögensgesetz vom 3. Oktober 1990 geschaffen mit vergleichbaren Regelungsanliegen wie beim alliierten und bundesdeutschen Rückerstattungsrecht nach 1945. Vom sachlichen Anwendungsbereich erfasst das Vermögensgesetz neben der Wiedergutmachung des Regimeunrechts während der Zeit der DDR auch vermögensrechtliche Ansprüche von Bürgern, die in der Zeit vom 30.1.1933 bis zum 8.5.1945 aus rassischen, politischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen verfolgt wurden und deshalb ihr Vermögen infolge von Zwangsverkäufen, Enteignungen oder auf andere Weise verloren haben. Auch diesbezüglich nimmt die wohl herrschende Meinung einen Vorrang des Restitutionstatbestandes des § 1 Abs. 6 des Vermögensgesetzes vom 3. Oktober 1990 (gegenüber allgemeinen zivilrechtlichen Restitutionsmöglichkeiten) für vermögensrechtliche Ansprüche von Bürgern an, die in der Zeit vom 30.1.1933 bis zum 8.5.1945 aus rassischen, politischen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen verfolgt wurden und deshalb ihr Vermögen infolge von Zwangsverkäufen, Enteignungen oder auf andere Weise verloren haben. Danach werden der ordentliche Rechtsweg und zivilrechtliche Ansprüche, die auf nationalsozialistische Unrechtsmaßnahmen gestützt werden, verdrängt, sodass das Vermögensgesetz vom 3. Oktober 1990 – soweit dessen Anwendungsbereich eröffnet ist – die alleinige Rechtsgrundlage für eine Rückübertragung des nationalsozialistischen Enteignungsmaßnahmen unterworfenen Vermögens im Bereich des Beitrittsgebietes darstellt. Auch hinsichtlich der auf § 1 Abs. 3 des Vermögensgesetzes vom 3. Oktober 1990 beruhenden Restitutionstatbestände – danach betrifft das Vermögensgesetz hinsichtlich des DDR-Unrechts auch Ansprüche an Vermögenswerten sowie Nutzungsrechte, die auf Grund unlauterer Machenschaften, zum Beispiel durch Machtmissbrauch, Korruption, Nötigung oder Täuschung von Seiten des Erwerbers, staatlicher Stellen oder Dritter erworben wurden – wurde eine Ausschlusswirkung gegenüber dem ordentlichen Rechtsweg und den allgemeinen Zivilrechtsregeln festgestellt. Soweit die Redlichkeit des Erwerbers i.S.d. § 4 Abs. 2 und 3 des Vermögensgesetzes festgestellt werden kann, ist nach dieser Einschätzung ein Rückgriff auf allgemeine, die Besonderheiten des Vermögensrechts unberücksichtigt lassende Rechtsinstitute des Zivilrechts ausgeschlossen, da
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
sonst der vom Vermögensgesetz bezweckte sozialverträgliche Ausgleich unterlaufen würde. 309
Auch die aktuellen Bearbeiter zahlreicher Kommentare des BGB sind heute – jedoch ohne materielle Begründung – der Meinung, dass die speziellen Sondergesetze zur Wiedergutmachung erlittenen Regimeunrechts nach Ende des Zweiten Weltkrieges leges specialis gegenüber dem Bürgerlichen Recht im Generellen und einer Anfechtung im Speziellen seien.649 Dadurch werden zunächst pauschal die Interessen des Herausgabeschuldners und möglicherweise gutgläubigen Erwerbers unrechtmäßig entzogener Kulturgüter generell über die Interessen des (ursprünglichen) Eigentümers gestellt. Hintergrund sind das allgemeine Interesse des Privatrechts an einer baldigen Beruhigung des Wirtschaftslebens nach den politisch wie wirtschaftlich schwierigen Zeiten des Zweiten Weltkrieges und der DDR-Unrechtsherrschaft und das Interesse der Rückerstattungspflichtigen zulasten der Interessen der früheren Eigentümer an der Wiedererlangung der unrechtmäßig entzogenen Kulturgüter.
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Die Entscheidung für eine prozessuale Präklusion des ordentlichen Rechtswegs bei sachlicher Anwendbarkeit der speziellen Sondergesetze zur Wiedergutmachung erlittenen Regimeunrechts ist jedoch weder terminologisch noch systematisch zwingend, sondern rechtsdogmatisch, teleologisch und innerhalb des internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts kulturpolitisch unhaltbar und es sollte deutlich die Gegenansicht formuliert werden: keine Präklusion allgemeiner zivilrechtlicher Restitutionsansprüche nach Ablauf der innerhalb der Sondergesetze terminierten Fristen! Weder Terminologie noch Systematik der speziellen Sondergesetze zur Wiedergutmachung von Regimeunrecht sprechen eindeutig für oder gegen eine Präklusion, insoweit konnte voranstehend der bislang herrschenden Meinung widersprochen werden. Die entscheidenden Erwägungen, die dezisiv gegen eine Präklusionswirkung sprechen, sind aber Sinn und Zweck der speziellen Wiedergutmachungsregeln von Regimeunrecht. Diese sollen nämlich einen fairen Interessenausgleich zwischen den Belangen der Betroffenen der (kulturellen) Vermögensentziehung und der aktuellen Inhaber der tatsächlichen Sachherrschaft leisten. Die wichtigste Funktion der Sondergesetze lag bei deren Erlass darin, in Konstellationen, in denen aufgrund eines bisher unbekannten quantitativen (hinsichtlich der Anzahl der Entziehungsfälle) oder qualitativen (hinsichtlich der Formen und Methoden der Entziehung) Ausmaßes an Regimeunrecht die gewöhnlichen Rechtsregeln keine Balance der widerstreitenden Interessen mehr herzustellen vermochten, einen neuen Weg zur Wiedergutmachung zu leisten, ohne jedoch selbst eine allgemeine Neubewertung der Interessenverteilung zwischen Anspruchsteller und Anspruchsgegner im Bür649
Vgl. bspw. m.w.N. Coing in Staudinger, 11. Aufl., § 123, Rdnr. 19a; Soergel/Hefermehl, 9. Aufl., § 123, Rdnr. 35; Palandt/Danckelmann, 9. Aufl., § 123, Rdnr. 1d; Erman/Westermann, 1. Aufl., § 123, Anm. 9.
§ 5 Ergebnis: Keine Präklusion von Kunstrestitutionsverfahren
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gerlichen Vermögensrecht zu suchen. Es ist infolgedessen nicht anzunehmen, dass diese, den Restitutionsberechtigten in besonderem Maße begünstigenden Sondertatbestände die allgemeine Rechtsstellung hätten schmälern wollen, die den Betroffenen nach den allgemeinen Grundsätzen des Bürgerlichen Rechts bereits ohne Sondergesetze zustand. Die vielbeschriebene Pathologie des NS- und DDR-Unrechts wurde erst im Laufe der jüngeren Vergangenheit zusammen mit der intensivierten Provenienzrecherche hinsichtlich der Zeit des Zweiten Weltkriegs bzw. der Andauer des DDRRegimes ersichtlich: Nach dieser Neueinschätzung des begangenen Regimeunrechts herrscht heute vielmehr international die Rechtsansicht vor, dass diejenigen, die einen Vermögensgegenstand entweder direkt von seinem bspw. jüdischen Eigentümer oder, nachdem er diesem entzogen worden war, von einem Dritten erworben haben, weit weniger schützenswert sind, als damals angenommen, und dass ihnen die Rückerstattung dieser Vermögensgegenstände in weit stärkerem Maße hätte zugemutet werden können und müssen, als dies in der Nachkriegszeit tatsächlich geschehen ist. Dementsprechend ist rechtssystematisch davon auszugehen, dass diese Sondergesetze für eine eng umgrenzte Zeit ein Plus an Wiedergutmachungsmöglichkeiten für solche Konstellationen statuierten, in denen die allgemeinen Zivilrechtsregeln keine Lösung aufgrund der besonderen Qualität bzw. Quantität des Unrechts mehr bieten konnten.
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Würde man in Fällen der Qualifikation der kulturellen Entziehung als unrechtmäßig auch noch den allgemeinen, sämtlichen Personen zustehenden Anspruch auf Restitution nach den Regeln des Bürgerlichen Vermögensrechts entziehen, stünden die nationalsozialistischen Plünderer, die ihre Entziehung aus menschenverachtenden Gründen der Rassendiskriminierung ausführten, eigentumsrechtlich besser als gewöhnliche Diebe. Das in den Sondergesetzen vorgesehene Verfahren der Restitution darf aber nicht zum Ziel haben, die Eigentümer von im Verlauf des Zweiten Weltkriegs durch das nationalsozialistische Deutschland gewaltsam beschlagnahmten oder gestohlenen Kulturgütern im Vergleich zu Opfern gewöhnlicher Straftaten gegen das Eigentum schlechter zu stellen. Auch dies spricht eindeutig gegen eine Präklusionswirkung und für eine parallele Anwendung der speziellen Sondergesetze zur Wiedergutmachung von Regimeunrecht neben den allgemeinen Restitutionsmöglichkeiten im Bürgerlichen Recht. Ein Vorrang der Sondergesetze ist somit nur in solchen Fallkonstellationen anzunehmen, in denen die unrechtmäßige Entziehung kultureller Wertgegenstände zu einem Rechtsverlust des ursprünglichen Eigentümers und dementsprechend auch zu einem Erwerbsvorgang des aktuellen Besitzers geführt hat. Da hier kein Abhandenkommen kultureller Güter anzunehmen ist, waren die allgemeinen Wiedergutmachungsinstrumentarien des Zivilrechts verschlossen und es fand (ausnahmsweise) eine Wiedergutmachung aufgrund der Sondergesetze statt. In diesen Fällen war der Vermögensübergang zivilrechtlich wirksam und konnte nur (ausnahmsweise) innerhalb der speziellen Fristen und Bedingungen der Sonder-
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
gesetze wieder aufgehoben werden. Ein Vorrang der speziellen Sondergesetze zur Wiedergutmachung von Regimeunrecht vor zivilrechtlichen Herausgabeansprüchen besteht daher allgemein nur, soweit sich die Herausgabeansprüche infolge des zwischenzeitlichen Wertewandels auf die speziellen Restitutionsansprüche stützen, die über die Herausgabe unrechtmäßig entzogener Kulturgüter nach den allgemeinen Zivilrechtsregeln hinausgehen, um daraus ex post die Unwirksamkeit eines (unter den ursprünglichen Zivilrechtsregeln zunächst wirksam) zustande gekommenen Veräußerungsgeschäfts herzuleiten. 313
Wenn es dagegen „an einer zurückzugewährenden tatsächlichen oder rechtlichen Position des Verfolgten fehlte“ und der Verfolgte „bereits im vollen Umfang in sein ursprüngliches Verhältnis zu den verfallen erklärten Vermögensgegenständen wieder eingetreten“ war, konnte – so die zutreffende Einschätzung des Großen Senats für Zivilsachen in seinem Beschluss vom 28.2.1955 – ein Rückerstattungsanspruch schon gar nicht zur Entstehung kommen und somit auch keine Präklusionswirkung des Wiedergutmachungsrechts eintreten: „Die Rechtsstellung des Verfolgten ist in derartigen Fällen nicht anders zu beurteilen als die eines jeden … [Rückerstattungsberechtigten], dessen Ansprüche durch Rückgabe des entzogenen Vermögens noch vor Erlaß der REG ihre Erledigung gefunden haben.“650 Damit wird der Vorrang des Vermögensgesetzes insgesamt nur dann durchgreifen, wenn der auf eine schädigende Maßnahme zurückzuführende Erwerbsvorgang zivilrechtlich (zunächst) wirksam war. Bei den Spezialtatbeständen zur Wiedergutmachung von Regimeunrecht handelt es sich somit lediglich um Schutzvorschriften, die den derzeit Verfügungsberechtigten vor dem Verlust seinerzeit systemkonform erworbener Rechte bewahren soll, sodass eine Präklusionswirkung dann ausscheidet, wenn der ursprüngliche Eigentümer seine zivilrechtliche Eigentümerstellung nach den allgemeinen Rechtsvorschriften schon nicht verloren hat.
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Dies wurde neuerdings in zwei aktuellen Kunstrestitutionsverfahren vor deutschen Zivilforen bestätigt: Sowohl aus der Sperrmüll-Macke-Entscheidung des Landgerichtes Bonn vom 25.6.2002 (voranstehend unter Punkt II. 5. a)) als auch in der sog. Plakatsammlung Sachs-Konstellation vor dem Landgericht Berlin vom 10. Februar 2009 (voranstehend unter Punkt II. 5. b)) wurde ersichtlich, dass eine allgemeine Präklusionswirkung aufgrund der genannten Sondergesetze zur Wiedergutmachung von Regimeunrecht heute ausscheidet, die allgemeinen Zivilrechtsregeln Geltungskraft erlangen und Fragen des (gutgläubigen) Eigentumserwerbs und der Ersitzung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter sowie der Verjährung und Verwirkung der Herausgabeansprüche relevant werden. Hinsichtlich einer möglichen Präklusionswirkung zivilrechtlicher Restitutionsan-
650
BGH, Beschluss des Großen Senats vom 28.2.1955, Az.: GSZ 4/54, NJW 1955, S. 905; vgl. auch Tormann, WM 1953 Teil IV B, 285 und 814; Schenk, JZ 53, 134; Winden, BB 54, 761.
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sprüche durch die Sondergesetze zur Wiedergutmachung von Regimeunrecht stellte das LG Berlin fest, „dass das Vermögensgesetz voraussetzt, dass der Anspruchsteller zu irgendeiner Zeit tatsächlich sein Eigentum verloren hat …“651 Das Wiedergutmachungsrecht steht einem zivilrechtlichen Herausgabeanspruch nicht entgegen, wenn der Restitutionsgläubiger auch nach dem Entziehungsakt Eigentümer an den Kunstwerken geblieben ist. Da die Bundesrepublik Deutschland als Klagegegner jedoch wegen der grundsätzlichen Bedeutung des Urteils gegen die Entscheidung im März 2009 Berufung einlegte, ist die Entscheidung bislang noch nicht rechtskräftig. Die aktuellste Entscheidung im deutschen Rechtsraum lautet bei dieser Frage jedoch anders: In der Berufungsinstanz in der Plakatsammlung Sachs-Konstellation lehnte das Kammergericht Berlin am 28. Januar 2010652 jedoch den Restitutionsanspruch sowohl aufgrund der Präklusionswirkung zivilrechtlicher Rückführungsansprüche wegen der Sondergesetze zur Wiedergutmachung von Regimeunrecht als auch aufgrund der Verwirkung des Herausgabeanspruchs ab. Entgegen den voranstehenden Erwägungen entschied das Kammergericht, dass ein zivilrechtlicher Anspruch auf Herausgabe von Vermögensgegenständen, die durch nationalsozialistische Unterdrückungsmaßnahmen entzogen worden sind, im Hinblick auf den Vorrang des alliierten Rückerstattungsrechts und der Wiedergutmachungsvorschriften des Bundesrückerstattungsgesetzes ausscheidet.
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Abschließend wurde innerhalb des 1. Abschnitts und der Frage der Gerichtsbarkeit kultureller Restitutionsverfahren schließlich unter Punkt D. der Problematik nachgegangen, ob kulturelle Restitutionsansprüche Deutschlands und Österreichs bzw. deren Staatsangehörigen gegenüber den alliierten Staaten bzw. den Staatsangehörigen dieser Staaten aufgrund der jeweiligen Abkommen Deutschlands und Österreichs mit den Alliierten im Anschluss an den Zweiten Weltkrieg und des darin inkorporierten Verzichts der Geltendmachung jeglicher Rechtsansprüche gegen die alliierten Staaten und ihre Staatsangehörigen ausgeschlossen sein könnten.
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Die Frage eines diesbezüglichen Ausschlusses kultureller Restitutionsansprüche gegenüber den alliierten Staaten und deren Staatsangehörigen stellte sich bspw. in dem vor den österreichischen Gerichten entschiedenen Eusebius von CaesareaFall, in dem die Universitätsbibliothek Graz und die Erbin einer Slowenin um die bessere Rechtsstellung an einer aus dem 12. Jahrhundert stammenden Handschrift des Werkes ‚Historia ecclesiastica‘ ursprünglich von Eusebius von Caesarea stritten. Das nunmehr vorliegende Urteil des Obersten Gerichtshofes von
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652
LG Berlin, Entscheidung der 19. Zivilkammer vom 10.02.2009, Az.: 19 O 116/08, ZOV 2009, S. 77–80, Kunst und Recht (KuR) 2009, S. 57–64. KG Berlin, Entscheidung des 8. Zivilsenats vom 28.01.2010, Az.: 8 U 56/09, Kunst und Recht (KuR) 1 (2010), S. 17–21, ZOV 2010, S. 87–90 (Leitsatz und Gründe).
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
Österreich vom 14.4.1999 sprach die Handschrift der Frau zu, deren Rechtsvorgänger durch eigenhändige Plünderung in den Besitz der Handschrift gelangt waren.653 Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, dass durch die Verzichtserklärung in Art. 24 des Staatsvertrages betreffend die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreich vom 15. Mai 1955 die Handschrift derelinquiert, also herrenlos geworden sei, und im Namen der österreichischen Regierung oder österreichischer Staatsangehöriger auf alle Ansprüche gegen die Alliierten und Assoziierten Mächte für Verluste und Schäden verzichtet worden sei, die infolge von Handlungen ihrer Streitkräfte oder Behörden erlitten wurden oder die sich aus deren Anwesenheit, aus Operationen oder Handlungen auf österreichischem Staatsgebiet, ergeben hätten. 318
Während ein Haftungsverzicht für hoheitliche Handlungen (acta iure imperii) nachvollziehbar ist, ist nicht recht einzusehen, warum dies auch für Privatakte einzelner Personen gelten soll, also für Handlungen, die rein zufällig, sozusagen bei Gelegenheit und ohne staatliche Anordnung erfolgten. Deswegen ist einem Teil des Schrifttums zu folgen und im Einklang mit der gerichtlichen Praxis zu der entsprechenden deutschen Rechtsvorschrift654 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den westlichen Besatzungsmächten festzustellen, dass diese Verzichtsklausel stets (konkludent) so ausgelegt wurde, dass Deutschland, dessen kulturelle Institutionen und deutsche Staatsbürger damit keineswegs auf die zivilrechtliche Restitution unrechtmäßig kriegsbedingt entzogener (d.h. geplünderter) Kulturgüter an die rechtmäßigen Eigentümer verzichtet haben.655 Bspw. wurde in der bekannten Rechtssache Kunstsammlungen zu Weimar v. Elicofon656 (es ging um zwei aus dem Weimarer Schloss von amerikanischen Soldaten gestohlene Dürer-Porträts) zu keinem Zeitpunkt vor Gericht behauptet, dass kulturelle Restitutionsansprüche aufgrund fortbestehenden Eigentums durch die Verzichtsklausel derelinquiert worden seien und dementsprechend eine Rechts653
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Vgl. Seidl-Hohenveldern, Schafft Plünderung Eigentum?, IPRax 2000 (Heft 4), S. 321–323, S. 322. Art. 3 Abs. 2 des Neunten Teils (Gewisse Ansprüche gegen fremde Nationen und Staatsangehörige) des Vertrages zur Regelung aus Krieg und Besatzung entstandener Fragen (Überleitungsvertrag) in der gemäß Liste IV zu dem am 23. Oktober 1954 in Paris unterzeichneten Protokoll über die Beendigung des Besatzungsregimes in der Bundesrepublik Deutschland geänderten Fassung, Amtlicher Text, BGBl. 1955 II S. 405. Vgl. Seidl-Hohenveldern, Schafft Plünderung Eigentum?, IPRax 2000 (Heft 4), S. 321–323, S. 323. Vgl. Kunstsammlungen zu Weimar v. Elicofon, 358 F. Supp. 747 (E.D.N.Y. 1970); Kunstsammlungen zu Weimar v. Elicofon, 358 F. Supp. 747, 753 (E.D.N.Y. 1972) (Supplemental Opinion); Kunstsammlungen zu Weimar v. Elicofon, 478 F.2d 231 (2d Cir. 1973); Federal Republic of Germany v. Elicofon, 14 International Legal Materials (I.L.M.) 806 (E.D.N.Y. 1975); Federal Republic of Germany v. Elicofon, 536 F. Supp. 813 (E.D.N.Y. 1978); Federal Republic of Germany v. Elicofon, 536 F. Supp. 829 (E.D.N.Y. 1981); Kunstsammlungen zu Weimar v. Elicofon, 678 F.2d 1150 (2d Cir. 1982). Ausführlich hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 2. Teil, Rdnr. 55 ff.
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verfolgung des ursprünglichen Eigentümers ausgeschlossen sei.657 Seidl-Hohenveldern weist zudem darauf hin, dass diese Rechtsauffassung zwangsläufig auch dem Vergleich der Bundesrepublik Deutschland mit den Erben des Diebes des sog. Quedlinburger Domschatzes zugrunde liegt.658 Schließlich wurde unter Punkt E. erläutert, inwieweit ethische und rechtliche Erwägungen im Zusammenhang mit der Veräußerung von Museumsbeständen (sog. deaccessioning) eine Restitution unrechtmäßig transferierter Kulturgüter präkludieren können. Unter deaccessioning werden allgemein die Verfügung, Veräußerung oder das Handeln mit Objekten aus dem Bestand einer Museumssammlung und deren rechtliche und ethische Beschränkungen verstanden. Beispielhaft wurden die gesetzlichen Grenzen des deaccessioning, die formal eine Restitution – als de facto-Herausnahme eines Kulturguts aus dem Sammlungsbestand eines Museums – ausschließen können, am Beispiel kultureller Institutionen in Großbritannien erläutert. Seit Erlass des britischen Holocaust (Return of Cultural Objects) Act vom 12. November 2009 ist den Kuratorien zahlreicher staatlicher Museen die deaccession von Kunstwerken und Kulturgütern aus ihren Sammlungen möglich, die während der Zeit der nationalsozialistischen Unrechtsherrschaft zwischen 1933 und 1945 aufgrund oder zugunsten des Dritten Reiches gestohlen, geraubt oder geplündert wurden. Die kulturellen Institutionen dürfen Raub- und Beutekunstobjekte an die ursprünglich Berechtigten restituieren, wenn das Spoliation Advisory Panel die Rückführung empfiehlt und der Secretary of State die Empfehlung des Panel billigt. Ist eine der kulturellen Institutionen aus Schottland bei der Rückführung betroffen, haben schottische Minister zunächst der Empfehlung zuzustimmen, bevor der Secretary of State diese billigt.
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Bestehen nach den innerhalb des 1. Abschnitts analysierten Prinzipien der internationalen Gerichtsbarkeit keine Grenzen staatlicher Gerichtsgewalt und erlaubt das internationale Recht dem berufenen Richter die Entscheidung über einen kulturellen Restitutionsanspruch
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– da weder die Grundsätze der Staatenimmunität oder der kulturellen Sachimmunität durch das sog. Institut des freien Geleits für Kunstwerke eingreifen, noch die speziellen Sondergesetze zur Wiedergutmachung erlittenen Regimeunrechts oder die speziellen Abkommen Deutschlands und Österreichs mit den Alliierten im Anschluss an den Zweiten Weltkrieg und der darin inkorporierte Verzicht jeglicher Rechtsansprüche gegen die alliierten Staaten und ihre Staatsangehörigen einen Restitutionsanspruch präkludieren –,
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Vgl. zu diesem Ansatz Seidl-Hohenveldern, Schafft Plünderung Eigentum?, IPRax 2000 (Heft 4), S. 321–323, S. 323. So Seidl-Hohenveldern, Schafft Plünderung Eigentum?, IPRax 2000 (Heft 4), S. 321–323, S. 323.
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
muss in jeder Kunstrestitutionsstreitigkeit von Seiten der Anspruchsteller geprüft werden, ob sich die nachstehend im 2. Abschnitt ausführlich kommentierte internationale Zuständigkeit des zur Entscheidung berufenen Zivilforums begründen lässt. Dies wird nur dann der Fall sein, wenn der kulturelle Restitutionsanspruch und das diesem zugrundeliegende Rechtsverhältnis einen so starken Bezug zu den Zivilgerichten des Forumstaates aufweisen, dass der Rechtsstreit vor dessen Gerichten zu entscheiden ist. Daran schließt sich die im 3. Abschnitt zu begutachtende Frage an, ob Besonderheiten bei Ausländern als Beteiligte innerhalb des internationalen Kunstrestitutionsverfahrens bestehen. Weiterhin wird im 2. Teil zum Internationalen Kulturgüterzivilverfahrensrecht noch dazu auszuführen sein, ob eine Möglichkeit der Sicherung unrechtmäßig entzogener Objekte mittels der Regeln des ‚einstweiligen Rechtsschutzes‘ und spezieller ‚provisional remedies‘ im internationalen Kulturgüterschutz zu nutzen sind (vgl. hierzu den 4. Abschnitt), welche Möglichkeiten hinsichtlich der Rechtsdurchsetzung ausländischer Kunstrestitutionsurteile gegenüber dem Besitzer unrechtmäßig entzogener Kulturgüter im Inland bestehen (vgl. hierzu den 5. Abschnitt) und ob schließlich die Grundsätze der internationalen Rechtshilfe in zivilrechtlichen Restitutionsstreitigkeiten unrechtmäßig entzogener Kulturgüter fruchtbar gemacht werden können (vgl. hierzu den 6. Abschnitt).
2. Abschnitt Internationale Zuständigkeit in Kunstrestitutionsverfahren Während die im voranstehenden 1. Abschnitt analysierten Prinzipien der internationalen Gerichtsbarkeit die Grenzen staatlicher Gerichtsgewalt bestimmen und darüber entscheiden, ob das internationale Recht dem berufenen Richter die Entscheidung über einen kulturellen Restitutionsanspruch erlaubt und ob für einen Rechtsstreit vor inländischen Gerichten überhaupt Rechtsschutz begehrt werden kann (die inländische Gerichtsbarkeit ist zwingend notwendige Voraussetzung der internationalen Zuständigkeit), bestimmen die Regeln über die internationale Zuständigkeit von Kunstrestitutionsverfahren, wann in internationalen Sachverhalten nationale (also bspw. deutsche) Zivilgerichte über die richtige Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter entscheiden (im sog. Erkenntnisverfahren) und welche Wirkungen ausländische Restitutionsurteile im Inland (also bspw. amerikanische Restitutionsurteile in Deutschland) haben (im sog. Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren).659
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Der Rechtsanwender hat in kulturellen Restitutionsfällen innerhalb des Zivilrechts bei rechtsvergleichender Sicht zunächst zwischen materiellen Rechtssätzen, die eine Sachentscheidung vornehmen, und formellen Regeln zu unterscheiden, die eine Ausgestaltung des gerichtlichen Verfahrens bestimmen. Ebenso wie schon die Postglossatoren zwischen Rechtssätzen „ad decisionem“, also materiellem Recht, und „ad ordinem litis“, also Verfahrensrecht, unterschieden und bei den entscheidungserheblichen Rechtssätzen diejenige Rechtsordnung ermittelten, der diese zu entnehmen waren, und das Verfahrensrecht der lex fori unterstellten, folgen die nationalen Zivilrechtsordnungen aufgrund der Neutralität des Verfahrensrechts und der Praktikabilität der Anwendung vertrauten Rechts allgemein dem Grundsatz, dass ein nationales Gericht grundsätzlich sein eigenes
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Vgl. allgemein m.w.N. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 3, Rdnr. 1–8, S. 65–67. Vgl. aus dem kulturgüterspezifischen Schrifttum: Siehr, Beutekunst – kriegsbedingt verlagertes Kulturgut: Völkerrechtliche und internationalprivatrechtliche Aspekte des Streits um deutsches Kulturgut in Staaten der ehemaligen Sowjetunion, Kunst und Recht (KUR) 2 (2009), S. 39–47; Prott, Problems of Private International Law for the Protection of the Cultural Heritage, in: Recueil des Cours – Collected Courses of the Hague Academy of International Law, 1989-V (Tome 217), 1990, S. 223–316, insb. S. 245 ff.; Weller, Third-Party Claims on the Occasion of Ccross-Border Art Loans in Europe: Brussels I-Regulation – Anti Seizure-Statutes – Human Rights, Art Antiquity and Law, Vol. XIV, Issue 4 (2009), S. 303–316; Köhling, Der Eigentumserwerb abhanden gekommener Kunstgegenstände im amerikanischen Recht, 1999, S. 111 ff.; Kühl, Der internationale Leihverkehr der Museen, 2004, S. 30–41; Plutschow, Staatliche Vorkaufsrechte im Internationalen Kulturgüterschutz, 2002, S. 243–245.
330
2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
Verfahrensrecht (d.h. die lex fori) anwendet.660 Dementsprechend hat auch der deutsche Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung bestimmt, dass die deutschen Gerichte „in den vor ihnen anhängigen Verfahren nur deutsches Verfahrensrecht“661 anwenden.662 Der zur Entscheidung berufene Richter wendet also in einer kulturellen Restitutionsklage das ihm vertraute, eigene Verfahrensrecht an, unabhängig von der Frage des internationalen Bezuges des Sachverhaltes. Hierzu zählen auch die Normen zur Bestimmung seiner internationalen Zuständigkeit.663 323
Die internationale Zuständigkeit bestimmt, ob der kulturelle Restitutionsanspruch und das diesbezügliche Rechtsverhältnis einen so starken Bezug zu den Zivilgerichten des Forumstaates aufweisen, der es rechtfertigt, den Rechtsstreit vor den Gerichten desjenigen Staates zu entscheiden.664 Damit dient nicht nur die örtliche, sondern auch die internationale Zuständigkeit der Ermittlung eines räumlich mit dem Rechtsstreit hinreichend verbundenen Gerichts. „Während aber die internationale Zuständigkeit die Kompetenzen zwischen den Gerichten verschiedener Staaten abgrenzt, ohne bereits das konkret zuständige Gericht zu bestimmen, regelt die örtliche Zuständigkeit die innerstaatliche räumliche Aufgabenteilung. Fehlt die internationale Zuständigkeit, ist überhaupt kein deutsches Gericht zuständig. Wird die örtliche Zuständigkeit verneint, ist über die Zuständigkeit anderer deutscher Gerichte nichts ausgesagt.665 Damit ist die internationale Zuständigkeit ebenso wie die örtliche Zuständigkeit Sachurteilsvoraussetzung, bei deren Fehlen die Klage durch Prozessurteil abzuweisen ist.
324
Die Regeln der internationalen Zuständigkeit grenzen somit die Zuständigkeit einer gerichtlichen Intervention zwischen verschiedenen Staaten ab. Jeder Staat bestimmt dabei selbst, wann seine Gerichte für einen Restitutionsanspruch unrechtmäßig entzogener Kulturgüter bei Sachverhalten mit Auslandsbezug international zuständig sind. Dementsprechend sind wie in allen anderen zivilgerichtlichen Verfahren bei grenzüberschreitenden Sachverhalten auch im internationalen Kulturgüterverkehr Zuständigkeitskonflikte zwischen den Gerichten 660
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Dies ist durchaus nicht unbestritten: Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, § 2 III m.w.N., der gemäß dem Schwerpunkt des Rechtsverhältnisses das Internationale Zivilverfahrensrecht der lex fori ebenso vorschalten möchte, wie das Internationale Privatrecht dem materiellen Recht. BGH, Urteil des 4b. Zivilsenats vom 27.06.1984, Az.: IVb ZR 2/83, NJW 1985, S. 552–554, S. 552 f. Vgl. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 3, Rdnr. 1–8, S. 65–67. Vgl. Kunze, Restitution „Entarteter Kunst“ – Sachenrecht und Internationales Privatrecht, 2000, S. 109–113. Vgl. hierzu auch Weller, Völkerrechtliche Grenzen der Zwangsvollstreckung – vom Botschaftskonto zur Kunstleihgabe, Rpfleger 2006, S. 364–373. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 3, Rdnr. 28–36, S. 74–77.
2. Abschnitt: Internationale Zuständigkeit in Kunstrestitutionsverfahren
331
verschiedener Staaten möglich, „sei es als positiver Kompetenzkonflikt (die Gerichte mehrerer Staaten erklären sich für international zuständig), sei es als negativer (die Gerichte keines Staates erklären sich für international zuständig)“666. Dabei sollen in den nachstehenden Ausführungen nicht alle Einzelheiten der internationalen Zuständigkeit zur Sprache kommen, sondern das Augenmerk ist vornehmlich auf die prozessualen Besonderheiten in internationalen Kunstrestitutionsverfahren zu richten. Nach einleitenden Überlegungen zum ‚richtigen‘ Kunstrestitutionsforum in Punkt A. soll eine Untersuchung des allgemeinen Gerichtsstands am Wohnsitz des Restitutionsschuldners (vgl. hierzu unter Punkt B.) sowie der Besonderheiten der Jurisdiktion in rem, des Gerichtsstands der unerlaubten Handlung, des Klägergerichtsstands und exorbitanter internationaler Zuständigkeiten erfolgen (vgl. hierzu unter Punkt C.). Danach wird vertieft auf den forum non conveniens-Einwand innerhalb des amerikanischen Rechtskreises (vgl. hierzu unter Punkt D.) sowie auf die Überlegung eines internationalen Schutzgerichtsstands für Streitigkeiten um Kulturgüter bei den Gerichten des Ursprungsstaates de lege ferenda eingegangen (vgl. hierzu unter Punkt E.). Abschließend wird sich der Zuständigkeitsfortdauer (perpetuatio fori) bei Veränderung zuständigkeitsbegründender Tatsachen unter Punkt F. und der Jurisdiktion bei der Verteidigung rechtmäßiger Eigentümer und Besitzer gegen unberechtigte Kunstrestitutionsforderungen unter Punkt G. zugewandt.
325
A. Einleitende Überlegungen zum ‚richtigen‘ Kunstrestitutionsforum Vor der gerichtlichen Geltendmachung eines Kunstrestitutionsanspruchs hat sich ein Anspruchsteller zunächst Klarheit darüber zu verschaffen, ob für ihn eine Klage im heimischen Forum des Restitutionsgläubigers oder im ausländischen Forum der örtlichen Belegenheit des Objektes günstiger ist (vgl. zu diesen verfahrenstaktischen Überlegungen zunächst unter Punkt I.). Einleitend sollen hier auch die Rechtsquellen des Internationalen Kulturgüterzivilverfahrensrechts kurze Erläuterung finden (vgl. hierzu unter Punkt II.).
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Vgl. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 3, Rdnr. 28–36, S. 74–77.
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
I.
Klage im heimischen Forum des Restitutionsgläubigers oder im ausländischen Forum der örtlichen Belegenheit des Objektes
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Rechtstheoretisch bestehen zwei unterschiedlich zu verfolgende Wege der gerichtlichen Durchsetzung kulturrestitutioneller Klagen im Bereich der zivilrechtlichen Gerichtsbarkeit vindikatorischer Eigentumsherausgabeklagen, deliktischer Schadensersatz- und bereicherungsrechtlicher Herausgabeansprüche: Neben der Klage im heimischen Forum des Restitutionsberechtigten mit anschließender Vollstreckung des erstrittenen gerichtlichen Titels im ausländischen Forum der örtlichen Belegenheit des unrechtmäßig entzogenen bzw. illegal transferierten Kulturguts erscheint vor allem die Klage direkt im ausländischen Forum, eventuell mit unmittelbarer Sicherstellung des Kulturguts bis zum Ausgangsverfahren, und anschließender Vollstreckung des ausländischen Titels in diesem Forum denkbar. Mögliche Restitutionskläger unrechtmäßig entzogener Kulturgüter und deren Rechtsberater müssen sich somit zunächst überlegen, vor welchem nationalen Forum ein Restitutionsanspruch platziert werden soll: Vor heimischen Zivilforen sind die nationalen Gesetzesbestimmungen, die Sprache und Geflogenheiten wohl bekannt, eine Durchsetzung eines möglicherweise erstrittenen Urteils bedarf jedoch der (oftmals schwierigen) Durchsetzung im Forum der örtlichen Belegenheit des Kulturguts. Eine Klage vor dem ausländischen Zivilforum der örtlichen Belegenheit führt zwar zu größerer Unsicherheit des Rechtssuchenden, hätte aber die unmittelbare Sicherung des umstrittenen Kulturguts und eine einfache Durchsetzung des erlangten Rechtstitels zur Folge.
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Ein Beispiel für diese Abwägung stellt das Restitutionsbemühen des kulturellen Ursprungsstaates im Falle des illegalen Exports kultureller Güter dar. In solchen Sachverhaltskonstellationen, in denen Kunstwerke aus dem kulturellen Ursprungsstaat, der eine rechtsgültige Exporterlaubnis zur Ausfuhr und damit zur Verbringung bestimmter Kulturgüter aus seinem Staatsterritorium voraussetzt, ohne Ausfuhrgenehmigung illegal exportiert werden (ohne die Ausnahmesituation, dass eine illegale Einfuhr der in Rede stehenden Kulturgüter in den Importstaat anzunehmen wäre – die Mehrheit derjenigen Sachverhaltskonstellationen, in denen ein rechtswidriger Export kultureller Güter zu konstatieren ist, bedingt nicht zugleich ein Verdikt des illegalen Imports der Kulturgüter in den Einfuhrstaat), strengt der Ursprungsstaat zumeist ein gerichtliches Verfahren vor den nationalen Zivilgerichten des Importstaates an (Restitutionsklage direkt im ausländischen Forum mit anschließender nationaler Vollstreckung).667
667
Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff., S. 3581.
2. Abschnitt: Internationale Zuständigkeit in Kunstrestitutionsverfahren
333
Alternativ wäre sicherlich auch eine Klage vor den nationalen Zivilgerichten des Export- und Ursprungsstaates denkbar, die sukzessiv im Importstaat zur Vollstreckung gebracht werden soll (Restitutionsklage im eigenen Forum mit anschließender internationaler Vollstreckung im ausländischen Forum).668 Wird tatsächlich ein die Restitution festschreibendes Urteil vor den Gerichten des Ursprungsstaates erreicht, bestehen jedoch in der Regel große Rechtsdurchsetzungshindernisse im Importstaat, sodass dem erstrittenen Titel in tatsächlicher Hinsicht nur eingeschränkte Rechtskraft beigemessen werden kann. Deshalb charakterisieren sich die meisten Fälle durch eine zivilgerichtliche Restitutionsklage des Ursprungsstaats gegen den momentanen Besitzer und Inhaber der tatsächlichen Sachherrschaft des zuvor illegal exportierten Kulturguts vor dem gerichtlichen Forum des kulturellen Importstaats.669
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Die beschriebene Rechtsdurchsetzungsproblematik lässt sich anschaulich anhand der sog. Affäre Sciarra nachzeichnen, mit der sich insgesamt acht Gerichtsinstanzen auseinanderzusetzen hatten: der Tribunale di Roma am 29. Januar 1892670, die Cour d’appel de Paris am 27. April 1892671, der Tribunale di Roma am 27. März 1893672, die Cour de cassation am 20. November 1893673, die Corte di appello di Roma am 8. März 1894, die Corte di cassazione am 14. Mai l894674 und schließlich die Corte di appello di Ancona am 12. Oktober 1894675. Zudem wurde ein Strafverfahren kraft Verfügung vom 22. April 1893676 eingestellt.677 Principe
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Siehe hierzu auch Grammaticaki-Alexiou, The Status of Cultural Property in Greek Private International Law, Revue Hellénique de Droit International 47 ème Année (1994), S. 139– 160, S. 160. Vgl. hierzu Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 182–183. Trib. di Roma 29.1.1892, unveröffentlicht, vgl. Clunet 19 (1892) S. 974. Cour d’Appel de Paris 27.4.1892, unveröffentlicht, vgl. Clunet 19 (1892) S. 973. Trib. di Roma 27.3.1893, unveröffentlicht; vgl. Lepelletier, De la prohibition d’exporter des objets d’art à l’étranger, d’après la législation italienne – Affaire de la Galerie Sciarra, Journal du Droit International Privé et de la Jurisprudence Comparée, Tome 23 (1896), S. 962– 981, S. 966. Cour de Cassation, req., 20. (Ministre de l’Instruction publique d’Italie e. Prince Colonna di Sciarra [collection Barberini]), Clunet 21 (1894) 311. Corte di Cassazione 14.5.1894, unveröffentlicht, vgl. Lepelletier, De la prohibition d’exporter des objets d’art à l’étranger, d’après la législation italienne – Affaire de la Galerie Sciarra, Journal du Droit International Privé et de la Jurisprudence Comparée, Tome 23 (1896), S. 962–981, S. 976. Corte di Appello di Ancona 12.10.1894, unveröffentlicht, vgl. Lepelletier, De la prohibition d’exporter des objets d’art à l’étranger, d’après la législation italienne – Affaire de la Galerie Sciarra, Journal du Droit International Privé et de la Jurisprudence Comparée, Tome 23 (1896), S. 962–981, S. 977–979. Decreto Amnistia vom 22.4.1893, unveröffentlicht, vgl. Lepelletier, De la prohibition d’exporter des objets d’art à l’étranger, d’après la législation italienne – Affaire de la Galerie Sciarra, Journal du Droit International Privé et de la Jurisprudence Comparée, Tome 23 (1896), S. 962–981, S. 973. Vgl. umfassend zu allen tatsächlichen wie rechtlichen Aspekten der Konstellation Weber,
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
Maffeo II. Barberini Colonna di Sciarra (1850–1925) war Eigentümer der Galleria di Colonna Sciarra, die eine wertvolle Kunstsammlung beherbergte. Die Kollektion stammte ursprünglich aus einem von Papst Urban VIII. (1568–1644) im Jahre 1628 errichteten Fideikommiss und bestand Ende des 19. Jahrhunderts aus ca. 131 Skulpturen und 153 Gemälden. Kardinal Francesco Barberini (1597– 1679), einst Eigentümer der Sammlung Barberini, schützte mit Kodizill vom 6. April 1678 seine gleichnamige Kunstsammlung und Bibliothek vor deren Zersplitterung. Kardinal Carlo Barberini (1630–1704), Neffe von Kardinal Francesco Barberini, verfügte mit Testament vom 4. November 1703, dass alle „carte, lettere, libri e altre cose“ seiner Bibliothek in die Grande libreria integriert und somit als Sachgesamtheit durch den jeweils Erstgeborenen der Familie Barberini weitervererbt werden sollen. Die Sammlung Barberini wurde schließlich am 2. Juli 1811 unter französischer Besatzung in das Fideikommiss Maffeo Sciarra seniore (Galleria Colonna di Sciarra) und das Fideikommiss Francesco Barberinis (Galleria Barberini) aufgeteilt, woraufhin sich italienische und französische Gerichte mit dem Streit über die Aufteilung der Sammlung beschäftigen mussten.678 331
Durch das Motuproprio vom 6. Juli 1816 von Papst Pius VII. (1742–1823) mussten alle unbeweglichen wie beweglichen679 Kunstgegenstände inventarisiert werden. Während der italienischen Wirtschaftskrise des 19. Jahrhunderts sah sich Fürst Sciarra gezwungen, einen Teil seiner Sammlung zu verkaufen. Nachdem dem Staat der Kaufpreis von 700.000 Lire für die ganze Sammlung und 500.000 Lire für die Gemäldegalerie (ohne Skulpturen) zu hoch war, und nach einem weiteren fehlgeschlagenen Vorhaben Sciarras, die Sammlung dem Staat mit einem zu seinen Gunsten vereinbarten Rückkaufrecht anzubieten, veräußerte er im Dezember 1891 insgesamt 21 Gemälde und eine Bronzestatue an den ebenfalls in Rom ansässigen Franzosen Marquis de Ribiers, der später zehn Gemälde mit
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Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 310– 313 und S. 376–377. Vgl. etwa Corte di Cassazione di Roma, Principe Barberini c. Principe Barberini Sciarra, Foro it. 1877, I, 392. Vgl. Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 310–313 und S. 376–377. Es herrschte Streit über die Frage, ob auch bewegliche Gegenstände danach zu inventarisieren waren. Die Corte di Appello di Roma hielt jedoch mit Urteil vom 11. Dezember 1875 fest, dass „wenn Fürst Sciarra bei der Lektüre des Motuproprio nicht bei Art. 132 stehen geblieben wäre, sondern weitergelesen hätte, hätte er nicht daran gezweifelt, dass die Statuen und die Gemälde des alten Fideikommisses hätten inventarisiert werden müssen“, und dass in Auslegung der Art. 133, 136 und 137 des Motuproprio „auch die beweglichen Kunstgegenstände hätten inventarisiert werden müssen und sich somit Signor Principe don Maffeo Barberini Colonna di Sciarra nicht habe der Pflicht entziehen können, die beweglichen Kunstgegenstände des Fideikommisses unterzuordne“. Vgl. zum Ganzen Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 310–313 und S. 376–377.
2. Abschnitt: Internationale Zuständigkeit in Kunstrestitutionsverfahren
nach Paris nahm.680 Um die Kulturgüter für Italien zu bewahren, verfügte der Präsident des Tribunale di Roma am 29. Januar 1892 gestützt auf Art. 1875 des Codice civile sowie Art. 921 und Art. 927 der italienischen Zivilprozessordnung die Beschlagnahme der ganzen Sammlung, mithin auch der nun in Paris befindlichen Gemälde.681 Italien begehrte in der Folge die Vollstreckung der angeordneten vorsorglichen Maßnahme vor französischen Gerichten. Die Cour d’Appel de Paris lehnte das Vollstreckungsbegehren jedoch am 27.April 1892 gestützt auf das Gesetz Nr. 286 vom 28. Juni 1871, das Vollstreckungsabkommen zwischen Frankreich und Sardinien vom 24. März 1760682 sowie den Art. 2123 des französischen Code civil wegen formeller Mängel ab.683 Die Cour de Cassation in Paris bestätigte am 20. November 1893 die Entscheidung der Vorinstanz684, sodass alle zivilrechtlichen Rechtsmittel erschöpft waren, um die vom Erwerber Marquis de Ribiers ausgeführten Kunstgegenstände nach Rom „zurückzuholen“.685 Nach diesem Misserfolg einer Restitutionsklage im eigenen Forum mit anschließendem internationalen Vollstreckungsversuch im ausländischen Forum hat nach Einschätzung Webers kein Staat mehr versucht, „eigene Herausgabeentscheidungen im Ausland vollstrecken zu lassen. Man zog es vor, im Ausland auf Rückgabe zu klagen.“686 Der Verbleib zahlreicher der damals veräußerten Gemälde ist noch heute nachzuzeichnen: So befindet sich bspw. das Gemälde ‚I Bari‘ von Michelangelo Merisi da Caravaggio (1573–1610) gegenwärtig im Kimbell Art Museum in Fort Worth (Texas). ‚Il violonista‘ von Raffael (1483– 1520) gehört zur Sammlung E. de Rothschild, Paris, und wird heute Sebastiano del Piombo zugeschrieben. Schließlich kam das Ölgemälde ‚Cristo nell’orto‘ von Nicolas Poussin (1594–1665) aus der Sammlung Barberini am 30.1.1999 bei Sotheby’s New York zur Versteigerung (Sammlung Anthony Blunt).687 (s. Abb. 30)
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Vgl. ausführlich Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 310–313 und S. 376–377. Vgl. Clunet 21 (1894) 313. Treaty of Limits between France and Sardinia, Turin, 24 March 1760, vgl. Clunet 21 (1894) 315. Cour d’Appel de Paris 27.4.1892, unveröffentlicht, vgl. Clunet 19 (1892) 973. Cour de Cassation 20.11.1893 (Ministre de l’Instruction publique d’Italie e. Prince Colonna di Sciarra [collection Barberini]), Clunet 21 (1894) 311, 321. Das Kassationsgericht stützte zwar in seinem Urteil den vorinstanzlichen Entscheid, jedoch mit anderen rechtlichen Erwägungen, vgl. dazu Clunet 21 (1894) 319–321. Vgl. ausführlich zum Ganzen Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 310–313 und S. 376–377. Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 377, unter Rückgriff auf Siehr, Völkerrecht und internationaler Kulturgüterschutz vor Gericht, in: Frank, Recht und Kunst – Symposium aus Anlaß des 80. Geburtstages von Wolfram Müller-Freienfels, 1996, S. 57–72, S. 63. Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 313 m.w.N.
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
Nur äußerst selten ergaben sich bisher jedoch Probleme bei der Wahl des richtigen Forums. Dies ist darauf zurückzuführen, dass Kläger, die die Restitution zuvor unrechtmäßig entzogener und illegal transferierter Kulturgüter intendieren, grundsätzlich die unmittelbare Sicherung des status quo der kulturgüterrechtlichen Güterlage anvisieren, um weitere Transaktionen mit den in Streit stehenden Kunstwerken und damit die sukzessive Verdunkelungs- und möglicherweise endgültige Verlustgefahr der Kulturgüter im illegalen Schwarzmarkt des internationalen Kunsthandels einzudämmen. Dies ist jedoch in internationalen Rechtskonstellationen allein bei einer Klage vor demjenigen ausländischen Forum möglich, das örtlich die gerichtliche Gewalt am Lageort des streitbefangenen Kulturgutes ausübt – dem locus rei sitae.688 Aus diesem Grunde bevorzugen die Kläger selbst in den meisten Fällen unmittelbar eine Klage in den Foren der aktuellen örtlichen Belegenheit, bzw. alternativ in denjenigen Foren, in denen sich der Wohnsitz der Personen befindet, die die tatsächliche Sachherrschaft über die streitbefangene Sache kulturellen Werts ausüben. Hintergrund ist auch hier die Unikatfunktion kultureller Wertgegenstände: Der Eigentümer beabsichtigt gerade keine wirtschaftliche Kompensation aufgrund der unrechtmäßigen Entziehung des Kulturguts, sondern zielt in der überwiegenden Mehrzahl der Rechtsstreitigkeiten im Kulturgüterrecht allein und möglichst schnell darauf ab, das zuvor unrechtmäßig entzogene bzw. illegal transferierte Kulturgut selbst wieder in seinen eigenen Machtbereich und seine eigene tatsächliche Sachherrschaft zu verbringen. Diesem Rechtsgedanken Rechnung tragend, formuliert Siehr anschaulich, dass „the owner wants to recover the piece of art itself (not damages) as quickly as possible, wants to secure his claim by protective measures and does not dare lose time by suing in another State and enforcing a foreign judgment in the State of the locus rei sitae.“689
II. 333
Rechtsquellen des Internationalen Kulturgüterzivilverfahrensrechts
In Kunstrestitutionsverfahren vor deutschen Zivilforen fungieren als Rechtsquellen des internationalen Zivilverfahrensrechts die deutschen Prozess- und Verfahrensbestimmungen, das Europäische Gemeinschaftsrecht sowie die Bestimmungen in den in deutsches Recht umgesetzten multi- und bilateralen völkerrechtlichen Verträgen. Über die formellen Verfahrensregeln hinaus wendet das zur Entscheidung berufene Zivilgericht aber auch das Kollisionsrecht des Forumstaates zur Bestimmung der anwendbaren Rechtsordnung an. Nicht nur
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Vgl. Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 73–74. Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 73–74.
2. Abschnitt: Internationale Zuständigkeit in Kunstrestitutionsverfahren
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das internationale Zivilverfahrensrecht, sondern auch die Regeln des internationalen Privatrechts werden regelmäßig an die lex fori angeknüpft. Hierdurch können sich bereits innerhalb der Frage des international zuständigen Zivilgerichts fallentscheidende Weichenstellungen bezüglich des anwendbaren Rechts und damit der Erfolgsaussichten des gerichtlichen Restitutionsverfahrens kultureller Güter insgesamt ergeben.690 Für die Praxis ist dementsprechend festzuhalten, dass sich schon durch die Wahl des Gerichtsforums eine erste Einflussmöglichkeit des Rechtsanwenders in Kunstrestitutionsstreitigkeiten ergibt, den Ausgang des Gerichtsverfahrens bewusst zu beeinflussen. Hierfür ist jedoch ein weitsichtiges Verständnis aus rechtsvergleichender Sicht notwendig. Die im Europäischen Gemeinschaftsrecht sowie in bi- bzw. multilateralen Abkommen enthaltenen Regeln über die internationale Zuständigkeit gehen den Zuständigkeitsvorschriften der deutschen Zivilprozessordnung (ZPO) und den nationalen Verfahrensordnungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union vor. Sowohl in innereuropäischen Zivil- und Handelssachen im Allgemeinen und innerhalb kultureller Restitutionsklagen unrechtmäßig entzogener Kulturgüter innerhalb der Europäischen Union im Besonderen erlangt die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 22.12. 2000 (EuGVVO, sog. Brüssel I-VO) herausragende praktische Bedeutung.691 Nachdem zuvor das Brüsseler EWG-Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVÜ) in seiner ursprünglichen Fassung vom 27.9.1968 zwischen den damaligen Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, in Kraft getreten am 1.2.1973, ein transparentes Zuständigkeitssystem und ein einfaches Verfahren zur Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen geschaffen und sich in über einem Vierteljahrhundert praktischer Anwendung zum tragenden Fundament des internationalen Verfahrensrechts im Binnenmarkt entwickelt hatte, hat der Rat am 22.12.2000 die EuGVVO als unmittelbar innerhalb der Mitgliedstaaten geltendes Rechtsinstrument im Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten und als Ersatz des EuGVÜ bestimmt.692
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Da die EuGVVO vom 22.12.2000 in Zivil- und Handelssachen anzuwenden ist, ohne dass es auf die Art der Gerichtsbarkeit ankommt, wird die sachliche An-
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Kunze, Restitution „Entarteter Kunst“ – Sachenrecht und Internationales Privatrecht, Kunze, Restitution „Entarteter Kunst“ – Sachenrecht und Internationales Privatrecht, 2000, S. 109– 113. Speziell aus Sicht des Kulturgüterschutzes und dem Verhältnis zur Zusage freien Geleits vgl. Weller, Third-Party Claims on the Occasion of Ccross-Border Art Loans in Europe: Brussels I-Regulation – Anti Seizure-Statutes – Human Rights, Art Antiquity and Law, Vol. XIV, Issue 4 (2009), S. 303–316. Vgl. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 3, Rdnr. 182–183, S. 123–124.
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
wendbarkeit dementsprechend in den Fällen kultureller Restitutionsklagen mittels der vindikatorischen Eigentumsherausgabeklage, der deliktischen Schadensersatz- und bereicherungsrechtlichen Herausgabeklage unrechtmäßig entzogener Kulturgüter bei Sachverhalten mit Auslandsbezug generell gegeben sein. Der zeitliche Anwendungsbereich der EuGVVO vom 22.12.2000 ist nach Art. 66 Abs. 1 auf alle kulturellen Restitutionsklagen anzuwenden, die nach dem 1.3.2002 als Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verordnung innerhalb der Europäischen Union nach Art. 76 erhoben werden. Zur Anwendbarkeit der EuGVVO vom 22.12.2000 werden über bisher Gesagtes hinaus noch besondere Anforderungen an den räumlich-persönlichen Anwendungsbereich gestellt, da die EuGVVO nur in den Fällen eines hinreichenden räumlichen Bezuges zum Gebiet der Europäischen Union einschlägig ist. Ebenso wie in sonstigen Zivil- und Handelssachen wird auch in kulturellen Restitutionsverfahren diese Voraussetzung bei Personen entsprechend Art. 2 Abs. 1 und 4 Abs. 1 der EuGVVO vom 22.12.2000 in der Regel durch deren Wohnsitz vermittelt.693 Den Art. 2 Abs. 1, 3 Abs. 1, 4 Abs. 1 der EuGVVO vom 22.12.2000 lässt sich nach einhelliger Rechtsansicht das allgemeine Prinzip entnehmen, dass potenziell restitutionspflichtige Beklagte unrechtmäßig entzogener Kulturgüter mit Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats der Europäischen Union nach den Zuständigkeitsregeln der EuGVVO vom 22.12.2000 – (bei Vorliegen der sonstigen Anwendungsvoraussetzungen) nach Art. 3 Abs. 1 nur nach diesen – verklagt werden können.694 Grundsätzlich wird der räumlich-persönliche Anwendungsbereich der EuGVVO somit durch den Wohnsitz des Beklagten als potenziell Restitutionspflichtiger bestimmt, ohne dass nach Art. 2 dessen Staatsangehörigkeit für die Anwendbarkeit der Verordnung erheblich wäre.695 336
Deshalb finden die EuGVVO vom 22.12.2000 und deren Zuständigkeitsregeln im Verhältnis zu potenziell restitutionspflichtigen Beklagten unrechtmäßig entzogener (beweglicher) Kulturgüter mit Wohnsitz außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union keine Anwendung, sodass sich die Zuständigkeit dann nach den örtlichen Zuständigkeitsregeln des nationalen Zivilverfahrensrechts richtet.696 Eine Ausnahme besteht lediglich für unbewegliche Kulturgüter, da nach Art. 22 Abs. 1 der EuGVVO vom 22.12.2000 für Klagen, welche dingliche Rechte an unbeweglichen Sachen zum Gegenstand haben, die Gerichte des Mitglied693
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Vgl. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 3, Rdnr. 194–215, S. 129–135. Vgl. die kulturgüterunspezifischen Ausführungen bei Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 3, Rdnr. 194–215, S. 129–135. Vgl. im Allgemeinen Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 3, Rdnr. 194–215, S. 129–135. Vgl. die kulturgüterunspezifischen Ausführungen bei Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 3, Rdnr. 194–215, S. 129–135.
2. Abschnitt: Internationale Zuständigkeit in Kunstrestitutionsverfahren
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staats, in dem die unbewegliche Sache belegen ist, ohne Rücksicht auf den Wohnsitz ausschließlich zuständig sind. Da sich die internationale Zuständigkeit außerhalb des Anwendungsbereichs unbeweglicher Kulturgüter insofern nach Art. 4 Abs. 1 nach der lex fori des angerufenen Gerichts richtet, finden gegenüber potenziell restitutionspflichtigen Besitzern unrechtmäßig entzogener, unbeweglicher Kulturgüter mit Wohnsitz außerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union jene – in Anhang I zur EuGVVO vom 22.12.2000 statuierten – exorbitanten Gerichtsstände des nationalen Rechts Anwendung, deren Grundsätze zur Bestimmung der internationalen Zuständigkeit allgemein zu Lasten von Beklagten mit Wohnsitz in einem Vertragsstaat durch Art. 3 Abs. 1 der EuGVVO vom 22.12.2000 ausgeschlossen ist.697 Eine besondere Erweiterung der internationalen Zuständigkeit auch für kulturelle Klagen innerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union findet sich in Art. 4 Abs. 2 des EuGVVO vom 22.12.2000. Danach kann sich gegenüber einem Beklagten, der keinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates der Europäischen Union hat, jede Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates hat, in diesem Staat auf die dort geltenden Zuständigkeitsvorschriften, insbesondere auf die in Anhang I aufgeführten Vorschriften, wie ein Inländer berufen, ohne dass es auf die Staatsangehörigkeit ankommt. Damit erweitert Art. 4 Abs. 2 den Kreis der Personen, die sich gegenüber Beklagten mit Wohnsitz in Drittstaaten auf solche exorbitanten Gerichtsstände der lex fori berufen können, auf alle Einwohner des Forumstaates, unabhängig von deren Staatsangehörigkeit.698 Ein auch innerhalb des internationalen Kulturgüterschutzes und der Restitution unrechtmäßig entzogener und in der Folge illegal transferierter Kulturgüter möglicher Anwendungsfall zur Verdeutlichung dieser internationalen Zuständigkeitserweiterung kann in Art. 14 des französischen Code civil gesehen werden, wonach ein Franzose für eine kulturelle Restitutionsklage unrechtmäßig entzogener Kulturgüter gegen einen Ausländer stets einen Gerichtsstand in Frankreich hat. Art. 4 Abs. 2 des EuGVVO vom 22.12.2000 erweitert den Anwendungsbereich des Art. 14 des Code civil dahingehend, dass sich ein deutscher Staatsbürger mit Wohnsitz in Frankreich ebenso wie ein Franzose auf die Zuständigkeit französischer Gerichte berufen kann und bspw. ein Staatsbürger der Vereinigten Staaten von Amerika in Frankreich auf Restitution eines unrechtmäßig entzogenen Kulturguts verklagen kann.699 „Art. 4 II Brüssel I-VO begründet weitreichende Ausnahmen vom Grundsatz „actor sequitur forum rei“ und verringert 697
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Vgl. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 3, Rdnr. 194–215, S. 129–135. Vgl. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 3, Rdnr. 194–215, S. 129–135. Vgl. das Beispiel aus dem Bereich des Kulturgüterschuitzes an das allgemeinen Beispiel bei Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 3, Rdnr. 194–215, S. 129–135.
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
somit den Beklagtenschutz. Folge des Art. 4 II Brüssel I-VO ist nämlich, daß ein Kläger den in einem Drittstaat wohnenden Beklagten regelmäßig am eigenen Wohnsitz verklagen kann. Indem Art. 4 II Brüssel I-VO die Staatsangehörigkeit des Klägers für unbeachtlich erklärt, wird zwar dem Diskriminierungsverbot des Art. 12 EG Rechnung getragen; dies führt jedoch zu einer erweiterten – rechtspolitisch fragwürdigen – Diskriminierung der Einwohner von Drittstaaten. Dabei kann Art. 4 II Brüssel I-VO auch zu Lasten von Staatsangehörigen des Forumstaates oder anderer EU-Mitgliedstaaten eingreifen, wenn diese in einem Drittstaat wohnen. Grund für die Regelung des Art. 4 II Brüssel I-VO ist wohl, daß dem Kläger möglichst oft ein Gerichtsstand in einem der Mitgliedstaaten eröffnet werden soll, damit er von den durch die Verordnung eröffneten Möglichkeiten der erleichterten Anerkennung und Vollstreckung profitieren kann. Da gemäß Art. 33 I, 38 I Brüssel I-VO grundsätzlich alle in einem anderen Vertragsstaat ergangenen gerichtlichen Entscheidungen (Art. 25 Brüssel I-VO) anzuerkennen bzw. zu vollstrecken sind, vervielfachen sich nämlich im Ergebnis die Vollstreckungsaussichten des Klägers, der mit einer Anerkennung des von ihm in einem Drittstaat erstrittenen Urteils nicht ohne weiteres rechnen kann.“700 Auch innerhalb kultureller Restitutionsverfahren liegt die besondere Bedeutung der Applikation sog. exorbitanter Gerichtsstände der lex fori gegenüber einem potenziell restitutionspflichtigen Beklagten unrechtmäßig entzogener Kulturgüter, der keinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates hat, und der Nutzung dieser Vorschrift auch durch Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates haben, darin, dass ein im Inland erstrittenes Restitutionsurteil unrechtmäßig entzogener Kulturgüter innerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union der erleichterten Anerkennung und Vollstreckung unterfällt, sodass dem kulturellen Restitutionskläger die Vorteile einer Klage im bekannten Forum bei gleichzeitiger Sicherung der Vollstreckung der Restitutionsklage im Europäischen Mitgliedstaat ermöglicht werden. 338
Heute steht fest, dass die EuGVVO vom 22.12.2000 auch auf kulturelle Restitutionsklagen unrechtmäßig entzogener Kulturgüter mit Bezug zu nur einem Vertragsstaat der Europäischen Union Anwendung findet. Dies war ursprünglich umstritten und zum Teil wurde angenommen, dass die EuGVVO keine Anwendung auf Sachverhalte finden könne, die außer der Beziehung zu nur einem Vertragsstaat lediglich Berührungspunkte zu einem oder mehreren Drittstaaten aufweisen.701 Diese Frage wird innerhalb des internationalen Kulturgüterschutzund Kunstrestitutionsrechts bspw. dann relevant, wenn ein Kläger aus einem
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Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 3, Rdnr. 194–215, S. 129–135. Hierzu und zum Folgenden Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 3, Rdnr. 194–215, S. 129–135.
2. Abschnitt: Internationale Zuständigkeit in Kunstrestitutionsverfahren
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Nichtmitgliedstaat der Europäischen Union die Restitution gegen den Besitzer unrechtmäßig entzogener Kulturgüter mit Wohnsitz innerhalb der Europäischen Union anstrebt. Dies ist bspw. häufig der Fall bei (anlässlich der extensiven Emigrationsbewegungen aufgrund der Verfolgung des jüdischen Bevölkerungsteils zur Zeit der nationalsozialistischen Unrechtsherrschaft innerhalb des Deutschen Reiches) emigrierten (ursprünglich) jüdischen Eigentümern auf das Territorium der Vereinigten Staaten von Amerika, die nach der Wiederentdeckung ‚ihrer‘ vor dem Zweiten Weltkrieg oder währenddessen unrechtmäßig entzogenen Kulturgüter in den Museen oder Privatsammlungen Europäischer Mitgliedstaaten eine Restitution mittels der vindikatorischen Eigentumsherausgabeklage, der deliktischen Schadensersatz- oder bereicherungsrechtlichen Herausgabeklage unrechtmäßig entzogener Kulturgüter anstrengen. Heute steht in diesen Fällen einer nur einseitigen Berührung mit einem Staat der Europäischen Union fest, dass entsprechend der in Art. 2 Abs. 1 der EuGVVO vom 22.12.2000 normierten räumlich-persönlichen Voraussetzung, die ausschließlich den Wohnsitz des Beklagten – und gerade nicht den des Klägers – für maßgeblich erklärt, die EuGVVO vom 22.12.2000 auch auf Sachverhalte Anwendung findet, die Bezug zu nur einem Vertragsstaat aufweisen.702 Die europaweit vereinheitlichten Zuständigkeitsregeln der EuGVVO vom 22.12. 2000 in Zivil- und Handelssachen im Allgemeinen und innerhalb der Restitution unrechtmäßig entzogener Kulturgüter im internationalen Kulturgüterschutz im Besonderen sind daher immer dann anzuwenden, wenn der potenziell restitutionspflichtige Beklagte entweder seinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat hat oder eine ausschließliche Zuständigkeit nach Art. 22 aufgrund der örtlichen Belegenheit eines unbeweglichen Kulturguts begründet ist. Diese einheitlichen Zuständigkeitsregelungen des ehemaligen EuGVÜ und der heutigen EuGVVO vom 22.12.2000 sowohl im Erkenntnis- als auch Vollstreckungsverfahren konnten auch andere europäischen Staaten durch einen Beitritt in das Luganer Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (LugÜ) vom 16.9.1988703 erreichen, das für Nichtmitgliedstaaten der Europäischen Union (wie bspw. Island, Norwegen und Schweiz) ein inhaltlich entsprechendes System anbot.704 Inzwischen
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Sofern dem Klägerwohnsitz im Rahmen einzelner besonderer Gerichtsstände Bedeutung zukommt, ist dies durch die gesteigerte Schutzbedürftigkeit des Klägers in diesen Fällen begründet; es handelt sich dabei um Sondervorschriften, die als solche restriktiv zu handhaben und keinesfalls zu verallgemeinern sind. Vgl. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 3, Rdnr. 194–215, S. 129–135. Vgl. BGBl. 1994 II S. 2660. Vgl. auch Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 3, Rdnr. 187, S. 125–126; Kunze, Restitution „Entarteter Kunst“ – Sachenrecht und Internationales Privatrecht, 2000, S. 109–113.
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
besteht ein zweites Lugano Übereinkommen, das Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 30. Oktober 2007, das den Text der Brüssel-I-VO übernimmt und in der Schweiz am 1. Januar 2011 in Kraft treten wird. Das Übereinkommen regelt die internationale Zuständigkeit sowie die Anerkennung und Vollstreckung im Verhältnis zu den EFTA-Staaten Schweiz, Norwegen und Island und tritt an die Stelle des Lugano Übereinkommens vom 16. September 1988. Auch gilt auf Grund eines Übereinkommens zwischen Dänemark und der EU im Jahre 2007 die Brüssel-I-VO inzwischen auch im Verhältnis zu Dänemark: Dänemark hat mit der Gemeinschaft am 19. Oktober 2005 völkerrechtlich vereinbart705, dass die EuGVVO auch für und im Verhältnis zu Dänemark Anwendung findet. Dieses Abkommen ist am 1. Juli 2007 in Kraft getreten.706
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Allgemeiner Gerichtsstand am Wohnsitz des Restitutionsschuldners
Innerhalb der Zuständigkeitsregelungen sind allgemeine, besondere und ausschließliche Regelungen zu unterscheiden. Ebenso wie einem Kläger, soweit keine ausschließliche Zuständigkeit besteht, nach § 35 ZPO bezüglich der örtlichen Zuständigkeit ein Wahlrecht zusteht, kann der Kläger auch bei fakultativen internationalen Zuständigkeiten unter mehreren zuständigen Gerichten auswählen. Diese Möglichkeit des sog. forum shopping erlangt gerade innerhalb des internationalen Kulturgüterschutzes und der Restitutionsbemühungen unrechtmäßig entzogener und (in der Folge) illegal transferierter Kulturgüter besondere Bedeutung: Aus mehreren nebeneinander bestehenden Gerichtsständen in verschiedenen Staaten kann der kulturelle Restitutionskläger gezielt denjenigen auswählen, der dem (ursprünglichen) Berechtigten unrechtmäßig entzogener Kulturgüter den günstigsten Ausgang des Verfahrens gegenüber dem potenziell Restitutionspflichtigen verspricht. Eine solche Begünstigung des Klägers ist ausdrücklich mit der Konstituierung fakultativer internationaler Zuständigkeiten beabsichtigt, sodass bspw. innerhalb des Rechtsbereichs des internationalen Kulturgüterschutzes dem die Restitution eines entzogenen Kulturguts einklagenden (ursprünglichen) Eigentümer der Zugang zu dem ihm günstigsten Gericht ermöglicht werden soll. Bspw. kann in dem Fall, dass die kulturelle Restitutionsklage auf das Deliktsrecht nach rechtswidrigem Eingriff in die Rechtsposition des Restitutionsberechtigtem an dem Kulturgut gestützt wird, der Restitutions-
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ABl. Nr. L 299 vom 16. November 2005, S. 62. ABl. Nr. L 94 vom 4. April 2007, S. 70. Spätere Änderungen und Abkommen, die aufgrund der EuGVVO geschlossen werden, werden für Dänemark nicht automatisch bindend, sondern erst nach erneutem Abschluss eines Abkommens.
2. Abschnitt: Internationale Zuständigkeit in Kunstrestitutionsverfahren
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kläger zwischen den Gerichtsständen des Handlungs- und des Erfolgsorts wählen, wobei dies jedoch meist zusammentreffen wird.707 In Kunstrestitutionsverfahren ist die internationale Zuständigkeit ebenso wie in sonstigen zivilrechtlichen Streitigkeiten und innerhalb der Frage der örtlichen Streitigkeit entweder parteibezogen und bestimmt sich nach dem Wohnsitz bzw. Aufenthalt oder ist streitgegenstandsbezogen und eröffnet besondere Zuständigkeiten, die sich an dem Kulturgut, dem Entziehungs- oder Eingriffsakt in die Rechtsposition an dem Kulturgut orientieren.708 Allgemein sind im internationalen Kulturgüterverkehr diejenigen Gerichte auch international für solche Klagen zuständig, die gegen solche Beklagten geführt werden, die ihren gewöhnlichen Wohnsitz oder Aufenthaltsort im Forumstaat besitzen.709 Grundsätzlich hat der Restitutionskläger unrechtmäßig entzogener Kulturgüter bei natürlichen Personen als potenzielle Restitutionsschuldner bspw. innerhalb der deutschen Rechtsordnung nach §§ 12 und 13 ZPO am Wohnsitz des Beklagten unabhängig von dessen Staatsangehörigkeit und bei juristischen Personen nach §§ 12 und 17 ZPO an deren Sitz die Rückführung der Kunstwerke gerichtlich geltend zu machen. Für den allgemeinen Gerichtsstand gilt somit der Grundsatz actor sequitur forum rei:710 „Weil der Kläger „angreift“, wird ihm zugemutet, vor einem ihm fremden Gericht zu klagen. Der Beklagte soll den Vorteil des ortsnahen, vertrauten Gerichtssystems und der eigenen Verhandlungssprache haben.“711
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Auch innerhalb des Anwendungsbereichs der EuGVVO vom 22.12.2000 gilt nach Art. 2 Abs. 1 im Grundsatz die Regel actor sequitur forum rei, sodass der allgemeine Gerichtsstand am Wohnsitz des potenziell restitutionspflichtigen Beklagten einschlägig ist.712 Während nach Art. 59 innerhalb der EuGVVO vom 22.12.2000 nicht unmittelbar der Wohnsitz des Beklagten definiert wird, sondern auf das materielle Recht des Staates verwiesen wird, in dem sich der behauptete Wohnsitz des Beklagten befinden soll,713 wird der Sitz einer beklagten juristi-
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Vgl. zum Voranstehenden Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 3, Rdnr. 63, S. 85. Vgl. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 3, Rdnr. 39–42, S. 78–79. Zur internationalen Gerichtsbarkeit siehe Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 137–138. Vgl. Kunze, Restitution „Entarteter Kunst“ – Sachenrecht und Internationales Privatrecht, 2000, S. 109–113. So Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 3, Rdnr. 39–42, S. 78–79; inhaltlich entsprechend Kunze, Restitution „Entarteter Kunst“ – Sachenrecht und Internationales Privatrecht, 2000, S. 109–113. Weller, Third-Party Claims on the Occasion of Cross-Border Art Loans in Europe: Brussels I-Regulation – Anti Seizure-Statutes – Human Rights, Art Antiquity and Law, Vol. XIV, Issue 4 (2009), S. 303–316. Der angerufene Richter entscheidet dementsprechend gemäß dem an seinem Gerichtsort maßgeblichen Zivilrecht, ob der Beklagte einen Wohnsitz im Inland hat. In der Schweiz
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
schen Person autonom in Art. 60 präzisiert: Gesellschaften und juristische Personen als potenzielle Restitutionsschuldner unrechtmäßig entzogener bzw. illegal transferierter Kulturgüter sind nach Abs. 1 alternativ (d.h. der Restitutionskläger hat die Wahl) an den Gerichten des Staates zu verklagen, an dem sich ihr satzungsmäßiger Sitz, ihre Hauptverwaltung bzw. ihre Hauptniederlassung befindet. In Art. 2 Abs. 1 der EuGVVO vom 22.12.2000 nicht geregelt ist die örtliche Zuständigkeit, sodass insoweit das angerufene Gericht auf die Zuständigkeitsregeln seines nationalen Prozessrechts zurückgreifen muss.714 343
Sind nach dem bisher Gesagten für den kulturellen Restitutionskläger bspw. aufgrund der Tatsache, dass der Anspruchsgegner mehrere Wohnsitze nutzt, die Gerichte mehrerer Staaten zuständig, ist davon auszugehen, dass die Gerichtsbarkeit eines jeden Staates international zuständig ist, in dem der Beklagte über einen Wohnsitz verfügt.715 Eine solche Konstellation erlaubt dem Kläger das bereits angesprochene forum shopping, da er mit der bewussten Auswahl des Forums zunächst Einfluss auf das anzuwendende internationale Privatrecht und damit indirekt auch auf das die Entscheidung liefernde materielle Recht nehmen kann.716 Aufgrund der weitreichenden Divergenzen innerhalb der materiellrechtlichen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter in den nationalen Zivilrechtsordnungen kann dementsprechend der einzelne Rechtsanwender bereits in der Wahl des zur Entscheidung berufenen Forums Einfluss auf die
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besteht bspw. mit Art. 20 IPRG eine Sondernorm, die die Bestimmung des Wohnsitzes unabhängig vom materiellen Recht selbständig löst. Auch wenn die Bestimmung im Wortlaut von der Regelung der örtlichen Zuständigkeit in § 23 ZGB abweicht, diese Norm wird jedoch in der Rechtsprechung im Sinne des Art. 20 IPRG ausgelegt. Vgl. Kunze, Restitution „Entarteter Kunst“ – Sachenrecht und Internationales Privatrecht, 2000, S. 109–113. Vgl. auch Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 3, Rdnr. 217–219, S. 136–137. Folgende Gerichtsentscheidungen bspw. aus dem Bereich der Verstaatlichung kultureller Güter folgen exemplarisch dem allgemeinen Gerichtsstand am Wohnsitz des Beklagten: Entscheidung des Amtsgerichts Berlin-Schöneberg vom 5. November 1928 (Richter Dr. Crisolli), Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht (RabelsZ), 2 (1928), S. 791–792; Entscheidung des Amtsgerichts Berlin vom 1. November 1928, Journal du droit international (Clunet), Tome 56 (1929), S. 184–185: (Prinz Dabischa-Kotromaniez v. Lepke); Landgericht II Berlin, Entscheidung vom 11. Dezember 1928, 3 Zeitschrift für Ostrecht, S. 1366 ff. (1929) Mit Anmerkungen von Ernst Isay and Ernst Frankenstein (Scheihatov v. Lepke). Crisolli, Zum Streit um die russischen Kunstauktionen, Juristische Rundschau (JR) Nr. 24 (1928), S. 280–282; Philonenko, L’expropriation des biens des particuliers par les Soviets devant la Justice allemande, Journal du droit international (Clunet), Tome 56 (1929), S. 13–24; Henrich, Die russischen Enteignungsdekrete und ihre Rechtswirkungen im Ausland, 1933, S. 56 ff.; Princess Paley Olga v. Weisz [1929] 1 KB 718 (CA); Stroganoff-Scherbatoff v. Weldon 420 F. Supp. 18 (SDNY 1976): Antoine van Dyck: Portrait of Antoine Triest/Büste von Diderot von Houdon (Metropolitan Museum of Art, New York); Entscheidung des Tribunal civil de la Seine vom 12. Juli 1954: De Keller c. Maison de la Pensée française, Journal du droit international (Clunet) Tome 82 (1955), S. 118–126. Vgl. Kunze, Restitution „Entarteter Kunst“ – Sachenrecht und Internationales Privatrecht, 2000, S. 109–113.
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materielle Entscheidung der kulturellen Restitutionsstreitigkeit nehmen. Mag diese Einwirkungsmöglichkeit des die Restitution beanspruchenden Klägers aus Sicht des Beklagten unter Umständen wenig erfreulich sein, sind die Belange des Letztgenannten in dem Restitutionsverfahren unrechtmäßig entzogener Kulturgüter jedoch bereits durch den Grundsatz actor sequitur forum rei ausreichend berücksichtigt und die Wahlmöglichkeit des Klägers ist daher weder anrüchig noch eine unzulässige Rechtsausübung (fraus legis).717 Die internationale Zuständigkeit einer kulturellen Restitutionsklage unrechtmäßig entzogener bzw. illegal transferierter beweglicher Kulturgüter direkt im ausländischen Forum gegenüber dem aktuellen Inhaber der tatsächlichen Sachherrschaft basiert nicht nur in Deutschland, sondern allgemein bei einem rechtsvergleichenden Blick in sämtlichen Rechtskreisen überwiegend auf der Tatsache, dass der potenziell restitutionspflichtige Beklagte kultureller Wertgegenstände entweder seinen Wohnsitz oder aber seinen ständigen bzw. gewöhnlichen Aufenthaltsort im Forumstaat innehat.718 Damit handelt es sich bei diesen Klageformen, im Gegensatz zu der bei unbeweglichen Gegenständen anerkannten internationalen Zuständigkeit in rem, um eine internationale Zuständigkeit in personam.719
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C. Jurisdiktion in rem, Gerichtsstand der unerlaubten Handlung, Klägergerichtsstand und exorbitante internationale Zuständigkeiten In dem Fall, dass die unrechtmäßig entzogenen bzw. illegal transferierten Kulturgüter nicht in dem Staat örtlich belegen sind, in dem der potenziell restitutionspflichtige Beklagte entweder seinen Wohnsitz oder aber seinen ständigen bzw. gewöhnlichen Aufenthaltsort innehat, besteht – je nach Ausgestaltung der nationalen Gerichtsbarkeit – zuweilen auch die Möglichkeit, dass der Kläger sich auf eine Jurisdiktion in rem vor einem Forum desjenigen Staates berufen kann, in dessen Territorium das umstrittene Kulturgut örtlich belegen ist. Dabei ist 717
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Kunze, Restitution „Entarteter Kunst“ – Sachenrecht und Internationales Privatrecht, 2000, S. 109–113. Zustimmend Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 4. Aufl. 2006, § 8 14 b; Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, § 58 IV 3. Vgl. Kaye, Civil Jurisdiction and Enforcement of Foreign Judgments, 1987, S. 255; Kropholler in Handbuch des internationalen Zivilverfahrensrechts, Vol. 1, 1982, S. 221 ff. Vgl. für die Rechtslage in der Schweiz unter Rückgriff auf das Luganer Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (LugÜ) vom 16.9.1988 und das schweizerische Bundesgesetz über das internationale Privatrecht die Ausführungen bei Wieser, Gutgläubiger Fahrniserwerb und Besitzesrechtsklage – Unter besonderer Berücksichtigung der Rückforderung «entarteter» Kunstgegenstände, 2004, S. 229–231.
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daran zu denken, dass der die Restitution des illegal transferierten Kulturguts klageweise beanspruchende Eigentümer bzw. Ursprungsstaat vor dem Forum in rem die gerichtliche Beschlagnahme beantragt, entweder um einen weiteren Transfer des unrechtmäßig entzogenen bzw. illegal transferierten Guts in einen neuen Drittstaat zu unterbinden, oder aber, um unmittelbar die Herausgabe zu erreichen. Zwar kann eine solche Beschlagnahme grundsätzlich mit Erfolg vor den Gerichten des Forumstaates in rem, in deren Territorium das illegal exportierte Kulturgut örtlich belegen ist, beantragt werden, jedoch folgt für ein dahinter stehendes Herausgabebegehren daraus noch nicht, dass aufgrund der Beschlagnahme eine Klage in personam zulässig ist.
I. 346
Gerichtsstand des Vermögens innerhalb Deutschlands
Der innerhalb der deutschen Zivilprozessordnung (ZPO) in § 23 S. 1 normierte Gerichtsstand des Vermögens und des Gegenstandes stellt ein Beispiel für eine solche Jurisdiktion in rem720 dar.721 Danach ist für Klagen wegen vermögensrechtlicher Ansprüche gegen eine Person, die im Inland keinen Wohnsitz hat, das Gericht zuständig, in dessen Bezirk sich Vermögen derselben oder der mit der Klage in Anspruch genommene Gegenstand befindet. Damit ist der besondere Gerichtsstand des Vermögens und des Gegenstandes typischerweise streitgegenstandsbezogen und knüpft bspw. innerhalb des internationalen Kulturgüterverkehrs unmittelbar an die Belegenheit des umstrittenen Kulturguts an. Durch den Gerichtsstand des Vermögens sollte ausweislich des in den Motiven zur ZPO zum Ausdruck kommenden Gesetzeszwecks die Rechtsverfolgung im Inland erleichtert werden, um Gläubiger eines im Ausland wohnenden oder sich im Inland ohne festen Wohnsitz aufhaltenden Schuldners zu schützen.722 Dieser Gerichts-
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Weller, Third-Party Claims on the Occasion of Ccross-Border Art Loans in Europe: Brussels I-Regulation – Anti Seizure-Statutes – Human Rights, Art Antiquity and Law, Vol. XIV, Issue 4 (2009), S. 303–316. Vgl. auch Kunze, Restitution „Entarteter Kunst“ – Sachenrecht und Internationales Privatrecht, 2000, S. 109–113. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 3, Rdnr. 43–52, S. 79–82, unter Berufung auf die Rechtsprechung: BGH, Urteil des 11. Zivilsenats vom 02.07.1991, Az.: XI ZR 206/90, BGHZ 115, S. 90–99, NJW 1991, S. 3092–3095 (Voraussetzung für die Annahme der internationalen Zuständigkeit gemäß ZPO § 23 ist neben der Vermögensbelegenheit ein hinreichender Inlandsbezug des Rechtsstreits. Orientierungssatz: 1. Sowohl die Entstehungsgeschichte des ZPO § 23, bei welcher die Schaffung eines Auffanggerichtsstandes für klagende Inländer, mithin der Inländerschutz, im Vordergrund stand, wie die völkerrechtliche Vertragspraxis, die zunehmend davon geprägt ist, den Vermögensgerichtsstand in seinem bisherigen Verständnis auszuschließen oder einzuschränken, legen die einschränkende Auslegung dieser Vorschrift nahe bzw gebieten sie geradezu … 2. Ob der erforderliche Inlandsbezug allein durch einen inländischen Wohnsitz oder einen gewöhnlichen Aufenthalt des Klägers im Inland hergestellt wird, bleibt offen.). Aus dem Schrifttum: Mark/Ziegenhain,
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stand ist insbesondere auch im internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht zu instrumentalisieren, in dem aus der Natur des vorgegebenen Streitgegenstandes in erster Linie das Kulturgut selbst im Mittelpunkt steht. Eine Klage ist dementsprechend nach einem Gerichtsstand des Vermögens und des Gegenstandes vor den Gerichten desjenigen Staates international zulässig, in dem das Kulturgut örtlich belegen ist. Von den Möglichkeiten des § 23 ZPO wird nach der Vorstellung Kunzes vor allem dann Gebrauch zu machen sein, wenn ein Kulturgut, das bspw. im Besitz eines japanischen oder amerikanischen Erwerbers ist, sich als Leihgabe im Rahmen einer Sonder- oder Wanderausstellung in Deutschland befindet (und weder die Grundsätze der Staatenimmunität noch der kulturellen Sachimmunität nach einer staatlichen Rückgabezusage eingreifen). Darüber hinaus ist denkbar, sich bei reinen Inlandssachverhalten auf den Gerichtsstand des § 23 ZPO zu berufen, also gegenüber Personen mit Wohnsitz innerhalb der Bundesrepublik Deutschland. Da es sich bei § 23 ZPO um einen besonderen Gerichtsstand handelt, besteht auch hier die bereits erwähnte Möglichkeit, zwischen dem Ort, an dem sich der Gegenstand befindet, und dem Wohnsitz des Beklagten (dem allgemeinen Gerichtsstand) auszuwählen.723 Da die Vorschrift nach ihrem Wortlaut weder einen bestimmten Wert des Vermögens noch einen Inlandsbezug erfordert und dementsprechend einer sehr weiten Auslegung zugänglich ist, kann auf diese Weise auch jeder finanziell unbedeutende Vermögenswert infolgedessen die internationale Zuständigkeit deutscher Zivilforen begründen. Da es auch nicht auf die Pfändbarkeit des Vermögensgegenstandes oder darauf ankommt, ob dieser zur Befriedigung der eingeklagten Forderung ausreicht, gilt § 23 S. 1 ZPO als exorbitanter Gerichtsstand und ist im internationalen Zivil- und Handelsverkehr unerwünscht.724 Dementsprechend hat auch die EuGVVO vom 22.12.2000 in Art. 3 Abs. 2 bei sachlichem, zeitlichem und räumlich-personellem Anwendungsbereich der Verordnung bestimmt, dass die in Anhang I explizit niedergeschriebenen innerstaatlichen Zuständigkeitsvorschriften gegen Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates haben, nicht geltend gemacht werden. Darunter fällt auch der Gerichtsstand des Vermögens und des Gegenstandes nach § 23 S. 1 ZPO innerhalb der deutschen Rechtsordnung. Hat somit der potenziell restitutionspflichtige Beklagte unrechtmäßig entzogener Kulturgüter seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates der Europäischen Union (aber nicht in Deutschland), scheiden ein Rückgriff auf § 23 der Zivilprozessordnung und die
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Der Gerichtsstand des Vermögens im Spannungsfeld zwischen Völkerrecht und deutschem internationalen Prozeßrecht, NJW 1992, S. 3062–3066; Fricke, Neues vom Vermögensgerichtsstand?, NJW 1992, S. 3066–3069. Vgl. Kunze, Restitution „Entarteter Kunst“ – Sachenrecht und Internationales Privatrecht, 2000, S. 109–113. Vgl. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 3, Rdnr. 43–52, S. 79–82.
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Begründung eines deutschen Gerichtsstandes aufgrund der Belegenheit eines Kulturguts innerhalb Deutschlands aus. Die europäischen Bedenken gegen die Anwendung eines solchen exorbitanten Gerichtsstands in Zivil- und Handelssachen hat in der Vergangenheit auch die deutsche Rechtsprechung aufgegriffen und eine restriktive Auslegung der Vorschrift bestimmt.725 Heute begründet § 23 ZPO die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte nur noch bei einem hinreichenden Inlandsbezug des Sachverhalts,726 wozu die bloße Belegenheit kultureller Vermögenswerte des Beklagten innerhalb Deutschlands nicht mehr genügt.727 Hoffmann und Thorn weisen besonders auf den auch innerhalb des Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts zutreffenden Gedanken hin, dass die mit einer weiten Auslegung der Vorschrift verbundene Gefahr des forum shopping sowie die schutzwürdigen Interessen des (potenziell restitutionspflichtigen) Beklagten an einem fairen Verfahren für die nunmehr vorherrschende restriktive Auslegung des § 23 ZPO sprechen.728 „Die Belegenheit von Vermögen im Inland rechtfertigt nach Ansicht des BGH eine Gerichtspflicht des ausländischen Beklagten nur, wenn der Rechtsstreit … einen engen Zusammenhang mit diesem vom Beklagten selbst geschaffenen Inlandsbezug hat oder schätzenswerte inländische Interessen des Klägers vorhanden sind. Letztere seien insbesondere zu bejahen, wenn der Kläger seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat. Auf die Staatsangehörigkeit des Klägers kommt es hingegen nicht an.“729 348
Daraus lässt sich nun folgende Konsequenz für die internationale Zuständigkeit im Rahmen des internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts innerhalb der deutschen Rechtsordnung ableiten: Der potenziell restitutionspflichtige Besitzer eines unrechtmäßig entzogenen Kunstwerkes ist grundsätzlich an dem Forum seines Wohnsitzes zu verklagen. Besteht ein zweiter Wohnsitz, ist die Klage auch an diesem Ort zulässig. Die internationale Gerichtsbarkeit einer zivilrechtlichen Restitutionsklage zuvor unrechtmäßig entzogener Kulturgüter direkt im ausländischen Forum gegenüber dem aktuellen Inhaber der tatsächlichen Sachherrschaft basiert in der großen Mehrzahl aller Fälle auf der Tatsache, dass der Beklagte entweder seinen Wohnsitz oder aber seinen ständigen bzw. gewöhnlichen Aufenthaltsort im Forumstaat innehat. Damit handelt es sich
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729
Vgl. BGH, Urteil des 11. Zivilsenats vom 02.07.1991, Az.: XI ZR 206/90, BGHZ 115, S. 90–99, NJW 1991, S. 3092–3095. Vgl. auch Kunze, Restitution „Entarteter Kunst“ – Sachenrecht und Internationales Privatrecht, 2000, S. 109–113. Vgl. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 3, Rdnr. 43–52, S. 79–82. Vgl. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 3, Rdnr. 43–52, S. 79–82. So Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 3, Rdnr. 43–52, S. 79–82.
2. Abschnitt: Internationale Zuständigkeit in Kunstrestitutionsverfahren
349
bei diesen Klageformen, im Gegensatz zu der bei unbeweglichen Gegenständen anerkannten internationalen Gerichtsbarkeit in rem, um eine Zulassung der internationalen Gerichtsbarkeit in personam. In diesen Fällen ist der erstrittene Herausgabetitel jedoch an dem Ort zu vollstrecken, an dem das Kulturgut aktuell belegen ist. Befindet sich das unrechtmäßig entzogene Kulturgut in Deutschland, kann die Herausgabeklage außerhalb des Anwendungsbereichs der EuGVVO vom 22.12.2000 auch an dem Ort der Belegenheit erhoben und das Urteil dort unmittelbar vollstreckt werden. Dies ist sicherlich die effektivste Methode zur Sicherung der Restitution. Ist der potenziell restitutionsverpflichtete Beklagte jedoch innerhalb eines Mitgliedstaates der Europäischen Union wohnhaft, scheidet eine Jurisdiktion in rem aus. Da der im deutschen Recht in § 23 S. 1 ZPO vorgesehene, prima facie günstigste Gerichtsstand am aktuellen Belegenheitsort des herausverlangten Kulturgutes bei Personen mit Wohnsitz in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union in einem Hauptsacheverfahren nach Art. 3 Abs. 2 der EuGVVO vom 22.12.2000 nicht ins Feld geführt werden kann, empfiehlt sich jedoch schon aus diesem Grund zunächst der Rekurs auf die einstweilige Verfügung.730 Denn für Sicherungsverfahren bleiben nach Art. 31 der EuGVVO vom 22.12.2000 die inländischen Gerichtsstände bekanntlich erhalten. Später kann nach Art. 2 der EuGVVO Hauptsacheklage am inländischen Wohnsitz des Beklagten erhoben werden.731 Zwischen allen international zuständigen Foren besteht die Wahl des Klägers und damit grundsätzlich die Möglichkeit des forum shopping, nach dem der Kläger sich das ihm genehmste Forum (auch mit dem international-privatrechtlichen Verweis auf das effektivste materielle Sachrecht) aussuchen kann.732
II.
Exorbitante Gerichtsstände
Weitere exorbitante Gerichtsstände in rem für Kulturgüter, die zeitweilig in einem Forumstaat örtlich belegen sind, finden sich bspw. auch in Art. 248 Abs. 2 Danish Lov om rettens pleje, in Art. 4 Abs. 2 des italienischen Codice di procedura civile und in Art. 126 Abs. 3 des Dutch Wetboek van Burgerlijke Rechtsvordering. Innerhalb der Rechtsordnung der Vereinigten Staaten von Amerika kann ein Kläger zunächst versuchen, die Werke zu beschlagnahmen, um einen ihm genehmen Vermögensgerichtsstand (quasi in rem jurisdiction) zu erlangen. Dabei ist jedoch heute anerkannt, dass die zufällige Belegenheit nicht ausreicht, um eine
730
731
732
So der Ansatz bei Kienle/Weller, Die Vindikation gestohlener Kulturgüter im IPR, IPRax 2004, S. 290–294, S. 293–294. Vgl. Kienle/Weller, Die Vindikation gestohlener Kulturgüter im IPR, IPRax 2004, S. 290– 294, S. 293–294. Vgl. hierzu auch ähnlich Kunze, Restitution „Entarteter Kunst“ – Sachenrecht und Internationales Privatrecht, 2000, S. 109–113.
349
350
2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
Zuständigkeit zu begründen, wenn die Sache keinen Zusammenhang mit der Klage hat.733 Eine allgemeine Aufzählung innerstaatlicher Zuständigkeiten, die aufgrund des Art. 3 Abs. 2 der EuGVVO vom 22.12.2000 als zu weitreichend für den europäischen Zivil- und Handelsverkehr bestimmt wurden, findet sich im Anhang I der EuGVVO vom 22.12.2000.734 350
Anhang I der EuGVVO vom 22.12.2000: Innerstaatliche Zuständigkeitsvorschriften im Sinne von Artikel 3 Absatz 2 und Artikel 4 Absatz 2: Die innerstaatlichen Zuständigkeitsvorschriften im Sinne von Artikel 3 Absatz 2 und Artikel 4 Absatz 2 sind die folgenden: – in Belgien: Artikel 15 des Zivilgesetzbuches (Code civil – Burgerlijk Wetboek) sowie Artikel 638 der Zivilprozessordnung (Code judiciaire – Gerechtelijk Wetboek); – in Deutschland: § 23 der Zivilprozessordnung; – in Griechenland Art. 40 der Zivilprozessordnung; – in Frankreich: Artikel 14 und 15 des Zivilgesetzbuches (Code civil); – in Irland: Vorschriften, nach denen die Zuständigkeit durch Zustellung eines verfahrenseinleitenden Schriftstücks an den Beklagten während dessen vorübergehender Anwesenheit in Irland begründet wird; – in Italien: Artikel 3 und 4 des Gesetzes Nr. 218 vom 31. Mai 1995; – in Luxemburg: Artikel 14 und 15 des Zivilgesetzbuches (Code civil);
733 734
Shaffer v. Heitner, 433 U.S. 186, 209 (1977). Art. 3 Abs. 2 des Übereinkommens über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. September 1968 in der Fassung des 4. Beitrittsübereinkommens (Brüssel-Konvention, EuGVÜ) von 1968 sowie diesem entsprechend Art. 3 Abs. 2 i.V.m. Anhang I der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 22. Dezember 2000 (EuGVO): Insbesondere können gegen diese Personen nicht geltend gemacht werden: in Belgien: Artikel 15 des Zivilgesetzbuchs (Code civil – Burgerlijk Wetboek) sowie Artikel 638 der Zivilprozessordnung (Code judiciaire – Gerechtelijk Wetboek); in Dänemark: Artikel 246 Absätze 2 und 3 der Zivilprozessordnung (lov om rettens pleje); in der Bundesrepublik Deutschland: § 23 der Zivilprozessordnung; in Griechenland: Artikel 40 der Zivilprozessordnung (Kådikóß politikäß Dikonomíaß); in Frankreich: Artikel 14 und 15 des Zivilgesetzbuchs (Code civil); in Irland: Vorschriften, nach denen die Zuständigkeit durch Zustellung eines das Verfahren einleitenden Schriftstücks an den Beklagten während dessen vorübergehender Anwesenheit in Irland begründet wird; in Italien: Artikel 2 und Artikel 4 Nummern 1 und 2 der Zivilprozessordnung (Codice di procedura civile); in Luxemburg: Artikel 14 und 15 des Zivilgesetzbuches (Code civil); in den Niederlanden: Artikel 126 Absatz 3 und Artikel 127 der Zivilprozessordnung (Wetboek van Burgerlijke Rechtsvordering); in Österreich: § 99 der Jurisdiktionsnorm; in Portugal: Artikel 65 Absatz 1 Buchstabe c), Artikel 65 Absatz 2 und Artikel 65a Buchstabe c) der Zivilprozessordnung (Código de Processo Civil) und Artikel 11 der Arbeitsprozessordnung (Código de Processo de Trabalho); in Finnland: Kapitel 10 § 1 Absatz 1 Sätze 2, 3 und 4 der Prozessordnung (oikeudenkäymiskaari/rättegångsbalken); in Schweden: Kapitel 10 § 3 Absatz 1 Satz 1 der Prozessordnung (rättegångsbalken); im Vereinigten Königreich: Vorschriften, nach denen die Zuständigkeit begründet wird durch: a) die Zustellung eines das Verfahren einleitenden Schriftstücks an den Beklagten während dessen vorübergehender Anwesenheit im Vereinigten Königreich; b) das Vorhandensein von Vermögenswerten des Beklagten im Vereinigten Königreich oder c) die Beschlagnahme von Vermögen im Vereinigten Königreich durch den Kläger.
2. Abschnitt: Internationale Zuständigkeit in Kunstrestitutionsverfahren
351
– in den Niederlanden: Artikel 126 Absatz 3 und Artikel 127 der Zivilprozessordnung (Wetboek van Burgerlijke Rechtsvordering); – in Österreich: § 99 der Jurisdiktionsnorm; – in Portugal: Artikel 65 und Artikel 65 A der Zivilprozessordnung (Código de Processo Civil) und Artikel 11 der Arbeitsprozessordnung (Código de Processo de Trabalho); – in Finnland: Kapitel 10 § 1 Absatz 1 Sätze 2, 3 und 4 der Prozessordnung (oikeudenkäymiskaari/rättegångsbalken); – in Schweden: Kapitel 10 § 3 Absatz 1 Satz 1 der Prozessordnung (rättegångsbalken). – im Vereinigten Königreich: Vorschriften, nach denen die Zuständigkeit begründet wird durch: a) die Zustellung eines verfahrenseinleitenden Schriftstücks an den Beklagten während dessen vorübergehender Anwesenheit im Vereinigten Königreich; b) das Vorhandensein von Vermögenswerten des Beklagten im Vereinigten Königreich oder c) die Beschlagnahme von Vermögenswerten im Vereinigten Königreich durch den Kläger.
Für den internationalen Kulturgüterverkehr und die Restitution unrechtmäßig entzogener Kulturgüter erscheinen besonders diese Ausnahmesituationen interessant, in denen Museen und sonstige Beklagte kultureller Rückführungsansprüche, die gerade nicht im Forumstaat belegen sind oder dort ihren Wohnsitz haben, bzw. ausländische Staaten, verklagt werden können.735
351
III. Nationalität des Klägers zuständigkeitsbegründend Ebenso weit wie der Gerichtsstand des Vermögens und dementsprechend innerhalb der EuGVVO vom 22.12.2000 unerwünscht, ist der Anknüpfungspunkt an die Nationalität des Klägers zur Begründung der internationalen Zuständigkeit eines Forums, wie dies bspw. in Art. 14 des französischen Code civil erfolgt. Eine Applikation dieses Klägergerichtsstandes erfolgte bspw. in der Entscheidung Stchoukine v. Le Centre National d’Art et de Culture Georges Pompidou, the Hermitage Museum St. Petersburg, the Pushkin Museum Moscow and the Russian Federation736. Irina Schtschukina klagte gegen die Eremitage in Sankt Petersburg (Russland), das Pushkin Museum in Moskau und die Russische Föderation auf Rückführung der umstrittenen, an das Centre Pompidou entliehenen Kunstwerke innerhalb Frankreichs. Aufgrund der Tatsache, dass das Brüsseler EWG-Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVÜ) in seiner ursprünglichen
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Zur internationalen Gerichtsbarkeit siehe Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 137–138. Stchoukine v. Le Centre National d’Art et de Culture Georges Pompidou, the Hermitage Museum St. Petersburg, the Pushkin Museum Moscow and the Russian Federation, Tribunal de grande Instance de Paris vom 16. Juni 1993. Vgl. The Art Newspaper, Shchukin’s Daughter Fails to Regain Matisse No. 30, July–September 1993, S. 3; Redmond-Cooper, Disputed title to loaned works of art: the Shchukin litigation, in: Palmer, Art Loans, 1997, S. 569–576; Boguslavskij, Case Notes – Irina Shchukina’s Suit (On the Decision of a French Court), International Journal of Cultural Property, Vol. 4 (1995) No. 2, S. 325–341, S. 325–341.
352
352
2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
Fassung vom 27.9.1968 keine Anwendung fand, konnte sich die Klägerin auf Art. 14 des französischen Code civil berufen: 353
Art. 14 Code civil: L’étranger, même non résidant en France, pourra être cité devant les tribunaux français, pour l’exécution des obligations par lui contractées en France avec un Français; il pourra être traduit devant les tribunaux de France, pour les obligations par lui contractées en pays étranger envers des Français.
354
Nach Art. 14 des Code civil sind die französischen Gerichte für Klagen französischer Staatsbürger zuständig, auch wenn der Beklagte keinen Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt in Frankreich innehat. Diese Privilegierung der Zuständigkeit französischer Gerichte gegenüber der sonstigen, allgemeinen internationalen Gerichtsbarkeit wurde für sämtliche, auch nichtvertragliche Rechtstreitigkeiten erweitert, mit Ausnahme solcher Ansprüche, die außerhalb Frankreichs belegene unbewegliche Sachen zum Gegenstand haben.737 Dieser Gerichtsstand erlaubt es den potenziell restitutionsberechtigten Klägern sowie den die Restitution nach illegaler Ausfuhr anstrebenden Staaten im Normalfall eine Klage im Inland anzustrengen.738 Eine Art. 14 des Code civil entsprechende Privilegierung nur für Staatsangehörige des Forumstaates findet sich bspw. auch in Art. 14 des luxemburgischen Zivilprozessgesetzes. Art. 368 des belgischen Code judiciaire (begrenzt durch die Bedingung der Reziprozität) und Art. 126 Abs. 3 des niederländischen Wetboek van Burgerlijke Rechtsvordering gehen über die französische und luxemburgische Regelung sogar noch hinaus und statuierten eine Privilegierung und dementsprechende internationale Zuständigkeit für diejenigen Personen gleich welcher Staatsangehörigkeit, die ihren Wohnsitz nur im Forumstaat haben.
355
Besonders weitreichende internationale Zuständigkeiten begründen auch die englischen Zivilgerichte: Im Vereinigten Königreich bestehen bspw. Vorschriften, nach denen etwa die internationale Zuständigkeit allein durch die Zustellung eines verfahrenseinleitenden Schriftstücks an den Beklagten während dessen vorübergehender Anwesenheit im Vereinigten Königreich begründet wird (zeitweilige Gerichtsbarkeit im Wege der Klagezustellung nach Order 11 of the English Rules of the Supreme Court). Auch die Beschlagnahme von Vermögenswerten im Vereinigten Königreich durch den Kläger, das sog. forum sequestris, kann als zuständigkeitsbegründend für eine Gerichtsbarkeit in personam zur Legalisierung und rechtlichen Untermauerung einer Beschlagnahme dienen, wenn kein anderes Gericht örtlich zuständig ist.739 Zwar können derart im Wege der Ausnutzung 737
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Vgl. die Entscheidung Lebasch c. Reisacher der Cour de Cassation vom 17. November 1981, La semaine juridique, 1982, No. 19920. Vgl. Gornig, Wem gehört der Pergamon-Altar? Völkerrechtliche Diskussion der Forderungen Griechenlands auf Rückgabe von Kulturgütern, in: Gornig/Schiller/Wesemann, Griechenland in Europa, Band 1, 2000, S. 61–96, S. 88–90. Vgl. hierzu bereits Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 183. Vgl. bspw. Art. 4 des schweizerischen IPR-Gesetz aus dem Jahre 1987.
2. Abschnitt: Internationale Zuständigkeit in Kunstrestitutionsverfahren
353
exorbitanter Gerichtsstände erstrittene Gerichtsurteile nur schwer im Ausland anerkannt oder gar vollstreckt werden, jedoch spielt dies für den Kläger dann keine Rolle mehr, wenn das bspw. innerhalb des Gerichtsverfahrens beschlagnahmte Kulturgut nach Erlass des Urteils wieder in die tatsächliche Sachherrschaft des Klägers gelangt.740
IV. Forum delicti Als zuständiges Gericht im Ausland kommt auch das sog. forum delicti, das in den meisten Rechtsordnungen als Gerichtsstand anerkannt ist, in Betracht.741 So begründet bspw. innerhalb der deutschen Rechtsordnung der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nach § 32 ZPO einen besonderen Gerichtsstand an dem Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist.742 Dementsprechend kann ein Dieb kultureller Wertgegenstände am locus delicti commissi auf Schadensersatz in Form von Herausgabe der gestohlenen Sache verklagt werden. Hat er den Gegenstand jedoch veräußert und kann er ihn deshalb nicht mehr herausgeben, kann allerdings kein Urteil auf Herausgabe der Sache ergehen.743
356
Auch Art. 5 Nr. 3 der EuGVVO vom 22.12.2000 eröffnet einen besonderen Gerichtsstand für Ansprüche aus unerlaubter Handlung und erklärt das Gericht des Ortes für zuständig, „an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist“.744 Ebenso wie in den nach dem deutschen Zivilprozessrecht zu beurteilenden Sachverhaltssituationen ergeben sich keine Schwierigkeiten, wenn Handlung und Schaden (der Handlungserfolg) – wie grundsätzlich in den Fällen der unrechtmäßigen Entziehung kultureller Wertgegenstände – am gleichen Ort auftreten (so zu nennendes kulturelles Platzdelikt).745 Sämtliche in Art. 5 der EuGVVO vom 22.12.2000 normierten Gerichtsstände statuieren sog. fakultative Zuständigkeiten, die – zusätzlich zum Wohnsitz des Beklagten – teils ein besonders sach-
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Zur internationalen Gerichtsbarkeit im Zusammenhang mit kulturellen Gütern siehe Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 137–138. Vgl. Gornig, Wem gehört der Pergamon-Altar? Völkerrechtliche Diskussion der Forderungen Griechenlands auf Rückgabe von Kulturgütern, in: Gornig/Schiller/Wesemann, Griechenland in Europa, Band 1, 2000, S. 61–96, S. 88–90. Vgl. auch Kunze, Restitution „Entarteter Kunst“ – Sachenrecht und Internationales Privatrecht, 2000, S. 109–113. Vgl. Siehr, Die Richtlinie 93/7/EWG des Rates vom 15. März 1993 über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern und das Privatrecht der Mitgliedstaaten der EWG, Kunstrecht und Urheberrecht (KUR) 1 (1999), S. 225–236, S. 231–232. Weller, Third-Party Claims on the Occasion of Ccross-Border Art Loans in Europe: Brussels I-Regulation – Anti Seizure-Statutes – Human Rights, Art Antiquity and Law, Vol. XIV, Issue 4 (2009), S. 303–316. Vgl. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 3, Rdnr. 227–228, S. 144–145.
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
nahes Forum eröffnen, teils den Kläger privilegieren sollen. Diese fakultativen Gerichtsstände regeln nicht nur die internationale, sondern zugleich auch die örtliche Zuständigkeit (entsprechend dem Wortlaut des Art. 5 Nr. 1–7 der EuGVVO vom 22.12.2000).746 Im Falle des fehlenden Wohnsitzes des Beklagten im deutschen Inland kann sich der bestohlene Eigentümer kultureller Wertgegenstände somit auf den Wahlgerichtsstand des Art. 5 Nr. 3 der EuGVVO vom 22.12.2000 bzw. auf § 32 ZPO für Klagen aus unerlaubter Handlung stützen.747 Dies zumindest dann, wenn man dem Gericht aufgrund der Regelung des § 17 Abs. 2 GVG auch eine Entscheidungskompetenz für den im Zusammenhang mit dem Delikt stehenden sachenrechtlichen Herausgabeanspruch zubilligt.748
D. Internationales Zivilverfahrensrecht und forum non conveniens 358
Die amerikanische Rechtsordnung nimmt bereits seit Beginn eine Pionierstellung im zivilrechtlichen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht ein, sodass zahlreiche Impulse seitens der Gerichte der Vereinigten Staaten von Amerika initiiert wurden. Dabei verdient besondere Betonung, dass die einzelnen bundesstaatlichen Rechte der Vereinigten Staaten trotz ihrer teilweise gravierenden Unterschiede in ihrer Grundtendenz generell eine besonders eigentümer- und dementsprechend restitutionsfreudige Tradition pflegen. Dies ist bspw. nicht nur an dem grundsätzlichen Ausschluss des gutgläubigen Erwerbs unrechtmäßig entzogener Kulturgüter749 ersichtlich, sondern vor allem auch hinsichtlich der Restitution der zur Zeit des Zweiten Weltkriegs seitens der nationalsozialistischen Plünderungsorganisationen kriegsbedingt in den besetzten Staaten entzogenen Beutekunst und der innerhalb Deutschlands aus den Beständen verfolgter (zumeist jüdischer) Bevölkerungsgruppen rechtswidrig entzogenen Raubkunst, wobei diesbezügliche Restitutionsansprüche in zahlreichen Konstellationen auch noch heute keiner temporalen Präklusion unterliegen (vgl. etwa die bekannte SchieleKonstellation750). Ein Kläger ist in Kunstrestitutionsverfahren jedoch nicht nur wegen des vorteilhaften materiellen Rechts an der internationalen Zuständigkeit eines amerikanischen Forums interessiert. Dem amerikanischen Zivilprozessrecht ist ein umfangreiches, für den die Restitution unrechtmäßig entzogener Kulturgüter klagenden (ursprünglichen) Eigentümer vorteilhaftes Beweiser746
747
748 749
750
Vgl. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 3, Rdnr. 220, S. 137. Vgl. Kienle/Weller, Die Vindikation gestohlener Kulturgüter im IPR, IPRax 2004, S. 290– 294, S. 293–294. Vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 32 Rn. 20 m.w.N. Vgl. ausführlich hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 2. Teil, Rdnr. 22 ff. Vgl. 2, 113 ff.
2. Abschnitt: Internationale Zuständigkeit in Kunstrestitutionsverfahren
355
hebungsverfahren eigen. Hinzu kommt, dass innerhalb des amerikanischen Gerichtsverfahrens zwischen den Parteien Erfolgshonorare vereinbart werden können und jede Partei die eigenen Verfahrenskosten trägt, sodass auch die innerhalb kultureller Restitutionsstreitigkeiten aufgrund des exorbitanten Wertes bekannter Gemälde unberechenbaren Prozesskosten besser zu kontrollieren sind (vgl. auch hierzu die Schiele-Konstellation). Aus diesen Gründen werden Eigentümer unrechtmäßig entzogener Kulturgüter regelmäßig versuchen, ihre Kunstrestitutionsansprüche vor amerikanischen Gerichten zu platzieren, soweit ein Minimalbezug zum amerikanischen Recht besteht.751 Hierzu muss jedoch zunächst die internationale Zuständigkeit amerikanischer Gerichte vorliegen.
I.
Internationale Zuständigkeit amerikanischer Gerichte
Die Voraussetzungen der amerikanischen jurisdiction to adjudicate in bundesund einzelstaatlicher Praxis decken sich weitgehend. In kulturellen Streitigkeiten wird häufig die Belegenheitszuständigkeit zu der Anrufung amerikanischer Gerichte führen. Danach sind für Entscheidungen über das Eigentum (title) an Kulturgütern grundsätzlich die Gerichte an den jeweiligen Belegenheitsorten zuständig (in rem jurisdiction). Heute wird jedoch in diesen Fällen aufgrund des sog. due process-Erfordernisses (des Rechtsstaatsprinzips) zumindest ein Minimalbezug des Beklagten oder des streitigen Restitutionsanspruchs unrechtmäßig transferierter Kulturgüter zum amerikanischen Forum verlangt, der nicht allein durch die Belegenheit eines Kulturguts in diesem Forum begründet werden darf.752
359
Ausgangspunkt der Anknüpfung einer Rechtsstreitigkeit an amerikanische Foren stellt regelmäßig die sog. personal jurisdiction dar, die dem im Common Law eigentümlichen strikten Territorialitätsprinzip entspringt. Ebenso wie früher gilt innerhalb des Common Law-Systems auch noch heute die Zustellung der klageeinleitenden Dokumente auf dem Territorium des Forumstaates als zuständigkeitsbegründend. Alle weiteren Gerichtsstände stellen eine Auflockerung dieser territorial begründeten Zuständigkeitsregel dar und verlangen als ausreichenden Forumsbezug des potenziell restitutionspflichtigen Beklagten unrechtmäßig entzogener Kulturgüter das domicile oder den Ort der wirtschaftlichen Betätigung.753 Dabei wird das domicile durch Geburt begründet (domicile of origin), von einer anderen Person begründet (derivative domicile) oder als Wahldomizil erworben (domicile of choice), das mit Aufgabe des alten domicile, der Ankunft am neuen domicile und dem Vorliegen eines animus manendi (bzw. ani-
360
751
752 753
Vgl. auch Köhling, Der Eigentumserwerb abhanden gekommener Kunstgegenstände im amerikanischen Recht, 1999, S. 111. Vgl. Hay, US-Amerikanisches Recht, 3. Aufl. 2005, Rdnr. 129, S. 42–43. Vgl. Hay, US-Amerikanisches Recht, 3. Aufl. 2005, Rdnr. 130–131, S. 43.
356
2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
mus non revertendi) begründet wird. Juristische Personen (hierunter fallen die privat ausgestalteten Museen und kulturellen Stiftungen Amerikas) können vor dem Gerichtsstand im Gründungsstaat oder dem principal place of business verklagt werden.754 361
Neben den genannten, vom Inhalt des konkreten Restitutionsanspruchs kultureller Güter unabhängigen Gerichtsständen kann auch die Forumsbezogenheit des Restitutionsanspruchs unrechtmäßig entzogener Kulturgüter selbst zuständigkeitsbegründend sein, wenn sie einer gesetzlichen Normierung zugeführt wurde und nicht über die Grenzen des due process-Gebots reicht. Sog. long-arm statutes enthalten einen Katalog zuständigkeitsbegründender Umstände und schreiben für eine Zuständigkeitseröffnung sog. minimum contacts des Restitutionsanspruches zum Forumstaat fest. Ein Beispiel für die Begründung dieser Art der internationalen Zuständigkeit und eines ausreichenden Forumkontaktes ist im internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht etwa die deliktisch begründete Restitutionsklage des kulturellen Eigentümers gegen den Dieb eines Kulturguts am Ort des Diebstahls (zuständigkeitsbegründend ist damit das Begehen eines Delikts im Forumstaat).755 Schließlich bestehen Besonderheiten für die Zuständigkeit der Bundesgerichte in Fällen der sog. diversity jurisdiction, d.h. bei Ansprüchen „aus einzelstaatlichem oder ausländischem Recht“756. Während in diesen Fällen die Zuständigkeit der Bundesgerichte der jeweiligen einzelstaatlichen Regelung am Gerichtsort unterfällt, ist in sog. federal question cases dagegen die bundesgerichtliche Zuständigkeit auch dann gegeben, wenn der Beklagte zwar nicht der Zuständigkeit der einzelstaatlichen Gerichte unterliegt, die Ausübung der Zuständigkeit aber mit der Bundesverfassung vereinbar ist, also minimum contacts des Anspruches zum Bundesgebiet bestehen.757
II. 362
Einwand des forum non conveniens in kulturellen Restitutionsprozessen
Besonderheit des Common Law-Rechtskreises ist die angloamerikanische Lehre vom forum non conveniens, wonach Gerichte trotz bestehender internationaler Zuständigkeit eine Entscheidung verweigern können, wenn die beabsichtigte Klage vor einem besser geeigneten ausländischen Gericht gleichfalls zulässig ist.758 Diese Begrenzung einer oftmals ausufernden Zuständigkeitsregelung des ameri-
754 755 756
757 758
Vgl. Hay, US-Amerikanisches Recht, 3. Aufl. 2005, Rdnr. 131–133, S. 43–44. Vgl. Hay, US-Amerikanisches Recht, 3. Aufl. 2005, Rdnr. 134–137, S. 44–45. Vgl. hierzu und zum Folgenden Hay, US-Amerikanisches Recht, 3. Aufl. 2005, Rdnr. 139, S. 45–46. Hay, US-Amerikanisches Recht, 3. Aufl. 2005, Rdnr. 139, S. 45–46. Vgl. hierzu Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 3, Rdnr. 68–71, S. 87–88; Köhling, Der
2. Abschnitt: Internationale Zuständigkeit in Kunstrestitutionsverfahren
357
kanischen Rechtskreises ist regelmäßig auch in Streitigkeiten des internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts zu prüfen, die in der überwiegenden Zahl der Fälle noch Berührungspunkte mit einem oder mehreren Staaten aufweisen und dementsprechend leicht einem Verweis nach dem Rechtsinstitut des forum non conveniens zugänglich sind. Da das deutsche System der internationalen Zuständigkeit hinreichend differenziert ist und ebenso wie die zwingend ausgestalteten Zuständigkeiten der EuGVVO vom 22.12.2000 einen Rückgriff auf die Lehre vom forum non conveniens ausschließen, würde ein solches Korrektiv wegen seiner Einzelfallbezogenheit Rechtsunsicherheit schaffen und den überlasteten Gerichten Gelegenheit geben, komplizierte Auslandsfälle abzuwehren. Daher wird eine Übernahme der Figur des forum non conveniens ins deutsche und europäische Recht von der überwiegenden Meinung zu Recht abgelehnt.759 Da ein amerikanisches Gericht nach dem bisher Gesagten jedoch schon dann international zuständig ist bzw. jurisdiction760 hat, wenn der potenziell restitutionspflichtige Besitzer unrechtmäßig entzogener Kulturgüter, und sei es nur vorübergehend, am Forum anwesend ist und ansonsten nur einen minimalen Kontakt zum Recht des Forums verlangt, bzw. wenn bei Rechtsstreitigkeiten um bewegliche Sachen grundsätzlich die auch nur kurzfristige Belegenheit im Gerichtsbezirk zur Begründung der internationalen Zuständigkeit genügt, setzt der Common Law-Rechtskreis mit der forum non conveniens-Schranke761 allerdings eine zusätzliche Hürde, die es einem zuständigen Gericht in bestimmten Fällen erlaubt, die erhobene Klage abzulehnen.762 Für eine Ablehnung können dementsprechend öffentliche Interessen des amerikanischen Gerichtssystems insgesamt Bedeutung erlangen. Solche Einwände wurden seitens des grundsätzlich international zuständigen New Yorker Gerichts in der Rechtssache State of Romania v. Former King Michael 763 zur Verweigerung der Annahme der Klage instrumentalisiert. Nach den tatsächlichen Angaben der rumänischen Regierung flüchtete der rumänische König vor mehr als 50 Jahren zusammen mit der königlichen Kunstsammlung im Orient Express aus Rumänien, als die Kommunisten die Kontrolle über das Land übernah-
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Eigentumserwerb abhanden gekommener Kunstgegenstände im amerikanischen Recht, 1999, S. 111 ff. Vgl. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 3, Rdnr. 68–71, S. 87–88. Zur Vielschichtigkeit dieses Begriffes Hay, Zur extraterritorialen Anwendung US-amerikanischen Rechts – Zugleich eine Anmerkung zu Hartford Fire Insurance Co v California, RabelsZ, 60 (1996), S. 303–319, S. 304 f. Zur Entstehung Schack, Internationales Zivilverfahrensrecht, 4. Aufl. 2006, Rdnr. 494. Vgl. Köhling, Der Eigentumserwerb abhanden gekommener Kunstgegenstände im amerikanischen Recht, 1999, S. 111–116. Vgl. State of Romania v. Former King Michael, 212 A.D.2d 422, 622 N.Y.S. 2d 704 (1995), 705.
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358
2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
men.764 Die Regierung Rumäniens forderte nun vom früheren König Michael die Rückgabe dieser inzwischen auf mehr als 500 Millionen US-$ geschätzten Gemäldesammlung, die sie als staatliches Eigentum betrachtete, vor einem New Yorker Gericht, weil sich der potenziell restitutionspflichtige beklagte King Michael kurzfristig in New York aufhielt.765 Ein Testament von King Michaels Großonkel, King Carol I., bestimmte, dass die Kunstsammlung „shall remain forever and in its entirety in the country as property of the Crown of Romania.“766 Die rumänische Regierung fügte dem hinzu, dass der König im Jahre 1947 seinen Thron aufgegeben habe und dass ab diesem Zeitpunkt die Kunstsammlung dem rumänischen Staat zugefallen sei.767 Das Gericht berief sich in dieser Konstellation auf den Einwand des forum non conveniens und verwies den Rechtsstreit an ein Schweizer Gericht.768 Ein solches stelle ein geeigneteres Forum als ein New Yorker Gericht dar, da die Rechtsstreitigkeit bereits in der Schweiz rechtshängig und der Beklagte auch Schweizer Staatsbürger sei. Da in der vorliegenden Konstellation entweder keine Belegenheit der potenziell restitutionspflichtigen Gemälde gegeben oder möglicherweise nur ein Kunstwerk innerhalb des Forumstaates belegen, der Rest der Sammlung des ehemaligen Königs von Rumänien jedoch in zahlreichen europäischen Staaten verteilt sei, sprächen auch keine Anhaltspunkte für eine in rem jurisdiction. Schließlich verstand sich der New Yorker Richter auch nicht als ein geeignetes Forum, um rumänisches Verfassungs-, Erb- und dynastisches Recht zu untersuchen.769 364
Die Lehre vom forum non conveniens bietet somit gerade auch innerhalb des internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts vor einem amerikanischen Forum gegen den aktuellen Besitzer des umstrittenen Kulturguts
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Richard Pérez-Peña, Romania’s Ex-King and His Country in Art Duel, New York Times, Artikel vom 14.9.1993, S. B-4. Dieses Verfahren war nur einer von mehreren Versuchen Rumäniens, an die Gemäldesammlung des einstigen Königs zu gelangen, siehe etwa Socialist Republic of Romania v. Wildenstein & Co., 147 F.R.D. 62 (S.D.N.Y. 1993) und Michael van Rijn v. Wildenstein & Co., 1987 WL 11551 ( S.D.N.Y. 1987), in dem es um Schadensersatzansprüche eines Händlers geht, dessen Geschäft mit einem japanischen Aufkäufer angeblich verhindert wurde, weil Rumänien Ansprüche auf die Gemälde erhob und die Galerie Wildenstein die Ansprüche verschwiegen hatte. Siehe zum Ganzen, N.Y.L.J, 23. Juni, 1994, S. 1 f. Vgl. auch Köhling, Der Eigentumserwerb abhanden gekommener Kunstgegenstände im amerikanischen Recht, 1999, S. 111–116; Lerner/Bresler, Art Law – The Guide for Collectors, Investors, Dealers and Artists, 2005, S. 704. Zitiert bei Lerner/Bresler, Art Law – The Guide for Collectors, Investors, Dealers and Artists, 2005, S. 704. Vgl. Lerner/Bresler, Art Law – The Guide for Collectors, Investors, Dealers and Artists, 2005, S. 704. Anderson, Suit Dismissed, Lacks Jurisdiction over Ex-King, N.Y.L.J., June 23, 1994, S. 1. Vgl. State of Romania v. Former King Michael, 622 N.Y.S. 2d 704 (1995), 705. Vgl. auch Köhling, Der Eigentumserwerb abhanden gekommener Kunstgegenstände im amerikanischen Recht, 1999, S. 111–116.
2. Abschnitt: Internationale Zuständigkeit in Kunstrestitutionsverfahren
359
einem zuständigen Gericht die Möglichkeit, freiwillig zugunsten eines anderen, für die Sachentscheidung berufeneren Gerichtes auf die Ausübung grundsätzlich bestehender jurisdiction zu verzichten. Zur Vermeidung von Nachteilen für den Beklagten erfolgt grundsätzlich dann eine Korrektur der internationalen Zuständigkeit, wenn der potenziell restitutionspflichtige Besitzer unrechtmäßig entzogener Kulturgüter als Beklagter vor Gericht darlegt, dass ein anderes, ebenfalls zuständiges Forum zur Verfügung steht, dass der kulturelle Restitutionsprozess vor dem jetzigen Forum ihn als Besitzer des Kulturguts unzumutbar belastet (seriously and burdensomely inconvenient) und dass das alternative Gericht wegen größerer Sachnähe mehr „convenient“ sei (z.B. Zugang zum Beweismaterial zur oftmals tatsächlich schwierigen Erforschung der Provenienz eines entzogenen und international transferierten Kulturguts bzw. zu der Anwesenheit von Zeugen bei dem kulturellen Diebstahl, der kulturellen Beutenahme oder Verstaatlichung).770 Während in der Rechtssache Ernst v. Ernst weder öffentliche Interessen für eine internationale Zuständigkeit amerikanischer Gerichte sprachen, noch die Parteiinteressen von Kläger und Beklagtem auf ein ausländisches Forum verwiesen, sprach nach Ansicht des New York Supreme Court in der Rechtssache Republic of Lebanon v. Sotheby’s das besondere öffentliche Interesse an dem Kunsthandelsplatz New York gegen eine Verweisung an ein ausländisches Forum nach der Lehre vom forum non conveniens. In der Rechtssache Ernst v. Ernst771 wies der Federal District Court for the Southern District of New York die Klage im Rechtsstreit um den Nachlass von Max Ernst nach einer Veräußerung einiger Gemälde durch die Witwe des Malers in New York unter Berufung auf das Rechtsinstitut des forum non conveniens als unzulässig ab772 und verwies die Parteien an ein französisches Gericht.773 Einerseits bestehe für den Federal District Court for the Southern District of New York kein besonderes Interesse an der Entscheidung, da das Gericht im Wesentlichen fremdes Recht hätte anwenden müssen und dies aufgrund der Überlastung des Bundesbezirksgerichts abzulehnen sei.774 Da in der Entscheidung jedoch vor allem die inhaltliche Ausgestaltung eines Pflichtteilanspruches nach französischem Erbrecht entscheidend sei, bestünde ein berechtigtes Interesse Frankreichs an der Sache.775 Andererseits sprächen auch die persönlichen Interessen der an der Rechtssache Beteiligten für einen Verweis an ein französisches Gericht, weil die Beweismittel hauptsächlich aus Frankreich zu beschaffen und die
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Vgl. Hay, US-Amerikanisches Recht, 3. Aufl. 2005, Rdnr. 142, S. 46. Ernst v. Ernst, 722 F.Supp. 61 (S.D.N.Y. 1989). Ernst v. Ernst, 722 F.Supp. 61 (S.D.N.Y. 1989), S. 64 und 66. Vgl. zu der Entscheidung Köhling, Der Eigentumserwerb abhanden gekommener Kunstgegenstände im amerikanischen Recht, 1999, S. 111–116. Ernst v. Ernst, 722 F.Supp. 61 (S.D.N.Y. 1989), S. 64–65. Ernst v. Ernst, 722 F.Supp. 61 (S.D.N.Y. 1989), S. 65.
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
Zeugen mehrheitlich Franzosen seien.776 Der Federal District Court for the Southern District of New York betonte dabei in seiner Entscheidung explizit, dass ein Bundesgericht seine Zuständigkeit selbst dann zugunsten eines anderen Gerichts aufgeben dürfe, wenn die dort gültigen Verfahrensregeln möglicherweise ungünstiger seien, sodass die im vorliegenden Fall ungünstigen französischen Beweiserhebungsverfahren keinen Hinderungsgrund für einen Verweis darstellen.777 Somit trat in dieser Entscheidung sogar der New Yorker Lageort der umstrittenen Kulturgüter gegenüber den Verkehrs- und Drittinteressen zurück: „An analysis under the forum non conveniens doctrine yields the same result, that the appropriate forum for this dispute is in France. The ‘ultimative inquiry’ in a forum non conveniens analysis is where the place of ‘trial will best serve the convenience of the parties and the ends of justice.’ … We note that the plaintiff is a Florida citizen suing a New York citizen on two french contracts, to which each is a party or has the rights of a party, which contracts are governed by French law of inheritance controlling estate of a French citizen.“778 366
Im Gegensatz hierzu erkannte der New York Supreme Court in der Rechtssache Republic of Lebanon v. Sotheby’s779 ein ausreichendes öffentliches Interesse an der gerichtlichen Entscheidung für den internationalen Kunsthandelsplatz New York.780 Hier hatte der New York Supreme Court eine vorläufige Verfügung erlassen, die es der Niederlassung des Kunstauktionshauses Sotheby’s in New York untersagte, Besitz oder Eigentum an dem sog. Sevso-Schatz zu übertragen oder 776
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Ernst v. Ernst, 722 F.Supp. 61 (S.D.N.Y. 1989), S. 67; vgl. hierzu auch Köhling, Der Eigentumserwerb abhanden gekommener Kunstgegenstände im amerikanischen Recht, 1999, S. 111–116. Vgl. Köhling, Der Eigentumserwerb abhanden gekommener Kunstgegenstände im amerikanischen Recht, 1999, S. 111–116. Ernst v. Ernst, 722 F.Supp. 61 (S.D.N.Y. 1989), S. 64. Republic of Lebanon v. Sotheby’s, 167 A.D. 2d 142, 561 N.Y.S. 2d 566 (Sup. Ct. 1990); sub. nom., Republic of Croatia v. Trustees of the Marquess of Northhampton 1987 Settlement, 610 N.Y.S.2d 262 (1994); motion for appeal denied, 618 N.Y.S.2d 6 (1994). Vgl. ausführlich hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 3. Teil, Rdnr. 124 ff. Vgl. Kurzweil/Gagion/de Walden, The Trial of the Sevso Treasure: What a Nation Will Do in the Name of Its Heritage, in: Gibbon, Who Owns the Past? – Cultural Policy, Cultural Property, and the Law, 2005, S. 83–96; Borodkin, The Economics of Antiquities Looting and a Proposed Legal Alternative, Columbia Law Review 95 (1995), S. 377–417, S. 400; Church, Evaluating the Effectiveness of Foreign Laws on National Ownership of Cultural Property in U.S. Courts, Columbia Journal of Transnational Law, Volume 30 (1992), S. 180–229, Fn. 175, S. 214; Fischer, Ein Kampf um Seuso, FAZ vom 8.1.1994, S. 31; Hoffman, International Art Transactions and the Resolution of Art and Cultural Property Disputes: A United States Perspective, in: Hoffman, Art and Cultural Heritage – Law, Policy and Practice, 2006, S. 159–177, S. 170; Lenzner, The Illicit International Trade in Cultural Property: Does the UNIDROIT Convention Provide an Effective Remedy for the Shortcomings of the UNESCO Convention?, Journal of International Business Law 15 (1994), S. 469–507, S. 469–477; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 193–194.
2. Abschnitt: Internationale Zuständigkeit in Kunstrestitutionsverfahren
ihn aus der Stadt zu bringen. Bei dem sog. Sevso-Schatz handelt es sich um eine Kollektion von vierzehn römischen Silberantiken aus dem vierten oder fünften Jahrhundert mit einem Schätzwert zwischen US-$ 70.000.000 und US-$ 100.000.000781, deren Bestand angeblich auf dem Gebiet des heutigen Libanons ausgegraben wurde. Der Sevso-Schatz wurde dem Auktionshaus Sotheby’s 1989 von dem Verwalter des Marquess of Northampton Settlement, einer Treuhänderschaft, die nach der Rechtsordnung Guernseys, einer britischen Kanalinsel, mit dem Zweck einer einheitlichen Veräußerung in der Schweiz im Herbst 1990 errichtet wurde, zur Versteigerung eingeliefert. Unmittelbar nach Kenntniserlangung von der geplanten Versteigerung durch Sotheby’s machte der libanesische Staat deshalb geltend, dass er nach den Bestimmungen seines nationalen Kulturexportregulativs an den auf seinem Territorium gefundenen Altertümern ein absolutes Erwerbsrecht habe. Außerdem seien die sukzessiven Weiterveräußerungen an Dritte und ein etwaiger Export solcher Altertumsfunde nur mit ausdrücklicher staatlicher Genehmigung erlaubt. Trotzdem hat die Libanesische Republik ihre Klage später wieder zurückgezogen. Diese Einstellungsentscheidung des Gerichtsverfahrens durch den Libanon, der wohl das Risiko zu hoher Prozesskosten scheute, beruhte in erster Linie auf seinen Beweisschwierigkeiten in rein tatsächlicher Hinsicht: Nach Erhebung der Restitutionsklage durch den Libanon schlossen sich sowohl das ehemalige Jugoslawien bzw. in der Folge Kroatien als auch Ungarn der Klage gegen Sotheby’s an und behaupteten ebenfalls jeweils, dass der sog. Sevso-Schatz auf ihrem Staatsgebiet ausgegraben worden und daher entsprechend dem jeweiligen nationalen Recht ihr Staatseigentum sei. Letztendlich konnte keiner der Anspruchsteller den vollen Beweis dafür erbringen, dass der Silberschatz auf seinem Staatsgebiet ausgegraben worden war.782 Auch hier stellte sich zunächst die Frage nach der internationalen Zuständigkeit des New York Supreme Court in der vorliegenden Rechtssache. Dies könnte deshalb problematisch sein, da der Trust in England und der Schweiz ansässig war und man den strittigen Gegenstand nur kurzfristig und zur Ansicht auf das Territorium der Vereinigten Staaten und in das Forum des New York Supreme Court transferiert hatte.783 Anders als in der Rechtssache Ernst v. Ernst erkannte das Gericht ein ausreichendes öffentliches Interesse, da Sotheby’s den Schatz in New York öffentlich zur Schau stellte, um potenzielle Käufer zu werben, und somit das öffentliche Interesse New Yorks am Kunsthandel berührt sei.784 „Da keiner der Beteiligten die Schweizer Staatsbürgerschaft besaß,
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Vgl. Lenzner, The Illicit International Trade in Cultural Property: Does the UNIDROIT Convention Provide an Effective Remedy for the Shortcomings of the UNESCO Convention?, Journal of International Business Law 15 (1994), S. 469–507, S. 470–471. Vgl. Republic of Lebanon v. Sotheby’s, 167 A.D. 2d 142, 561 N.Y.S. 2d 566 (Sup. Ct. 1990). Vgl. Köhling, Der Eigentumserwerb abhanden gekommener Kunstgegenstände im amerikanischen Recht, 1999, S. 111–116. Republic of Lebanon v. Sotheby’s, 561 N.Y.S. 2d 568 (Sup. Ct. 1990).
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
erkannte das Gericht auch keinen ausreichenden Bezug zur Schweiz oder ein besonderes Interesse des Beklagten auf eine Entscheidung durch ein schweizerisches Gericht. Es hielt New York auch im Interesse der Beteiligten für das geeignete Forum, weil damit das günstigere Beweiserhebungsverfahren galt und die Verhandlungssprache Englisch war.“785 Die Sprache hielt das Gericht für erheblich, da der Großteil der eingereichten Dokumente in Englisch verfasst war und nur wenige etwa in Deutsch.786 367
Eine forum non conveniens-Einrede ist grundsätzlich auch dann erlaubt und ein Bundesgericht darf seine Zuständigkeit selbst dann zugunsten eines anderen Gerichts aufgeben, wenn das ausländische Forum weniger weitreichende Möglichkeiten zur Restitution unrechtmäßig entzogener Kulturgüter bietet und die dort gültigen Verfahrensregeln ungünstiger als vor dem amerikanischen Zivilgericht sind. In der Konstellation Altmann v. Republic of Austria et al.787 wurde jedoch einschränkend für einen Verweis eines amerikanischen Gerichts an ein ausländisches Zivilforum ersichtlich, dass die forum non conveniens-Einrede dort ihre Grenze findet, wo das ausländische Zivilforum aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen keine hinreichende Möglichkeit zur Geltendmachung des Kunstrestitutionsanspruchs bietet:
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„Even though a court may not dismiss on forum non conveniens grounds when the foreign forum does not provide the same range of remedies as are available in the home forum, the alternative forum must provide some potential avenue for redress. A foreign forum is inadequate when it offers no remedy at all. Austria does not provide an adequate alternative forum to Plaintiff. Plaintiffs claims, if asserted in Austria, will most likely be barred by the statute of limitations of thirty years. Because of Califomia’s ‘discovery rule’ with regard to stolen works of art, and assuming as true the allegations in the Complaint, Plaintiff would not be barred on statute of limitations grounds in this forum. If Plaintiffs claims are barred by the statute of limitations, she would be left without a remedy; clearly, therefore, Austria is not an adequate alternative forum for Plaintiffs claims. Further, in this action for return of artwork valued at approximately $ 150 million, Austria’s filing fees, even when reduced pursuant to Plaintiffs fee petition, also makes Austria an inadequate alternative forum. Austria’s fee structure would require Plaintiff to pay the Austrian courts a Bling fee that approximates the sum total of her liquid assets. This amount varies between approximately $ 130,000 to $ 200,000, depending on the exchange rate. Additionally, in the event Plaintiff loses, Plaintiff would be required to pay costs, including attomey’s fees, to the Republic and the Gallery. A foreign forum’s requirement that the plaintiff post a bond to proceed with litigation will generally not make the forum inadequate, unless the plaintiff is indigent or the excessively high amount of the bond makes it unduly burdensome. Here, it is clear that Plaintiff is not indigent. Nevertheless,
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Köhling, Der Eigentumserwerb abhanden gekommener Kunstgegenstände im amerikanischen Recht, 1999, S. 111–116. 561 N.Y.S.2d 568 und N.Y.L.J., 7.5.1990, S. 1. Altmann v. Republic of Austria et al., 142 F. Supp. 2d 1187, 1209 f.; 2001 U.S. Dist. LEXIS 6011, 53 ff. Vgl. zum der Konstellation zugrundeliegenden Sachverhalt schon oben unter 2, 45 ff.
2. Abschnitt: Internationale Zuständigkeit in Kunstrestitutionsverfahren
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the Court finds that the filing fee required by the Austrian courts is oppressively burdensome. Paying even the reduced amount would force an 85-year-old woman to expend a great majority, if not all, of her liquid assets.“788
Bei der Applikation des Einwandes vom forum non conveniens unterscheidet die amerikanische Rechtsprechung bei internationalen Sachverhalten auch noch zwischen in- und ausländischen Klägern, deren Wahl eines amerikanischen Forums weniger Gewicht beigemessen wird. Ziel dieser Unterscheidung ist es, der Attraktivität eines amerikanischen Gerichtsstandes aufgrund des vorteilhaften Prozess- und Deliktsrechtes entgegenzuwirken.789 Der Einwand vom forum non conveniens wird von Amts wegen beachtet, der Beklagte kann aber auch die Wahl des Forums rügen.
E.
Internationaler Schutzgerichtsstand für Streitigkeiten um Kulturgüter
Wiederholt fand sich innerhalb des internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts die Erwägung, dass Kulturgüter „eigenen Wertungen und Entwicklungen unterliegen und bei ihrer rechtlichen Beurteilung auch besondere Kriterien zu berücksichtigen sind“790, und dementsprechend Kunstwerke als res sui generis besonderer Rechtsbehandlung zuzuführen sind.791 Der Fortschritt der Technik und die Freizügigkeit des internationalen Kunsthandels werden in der Zukunft die internationale Rechtsprechung mit weiteren Problemen beschäftigen, sodass im Interesse eines nationalen und internationalen Kulturgüterschutzes verfahrensrechtliche Neuerungen zu überlegen sein werden. Vor allen anderen wirbt vor diesem tatsächlichen Hintergrund Reichelt in ihren Untersuchungen zum Kulturgüterschutz und internationalen Verfahrensrecht de lege ferenda für einen speziellen internationalen Schutzgerichtsstand für Streitigkeiten um Kulturgüter bei den Gerichten des kulturellen Ursprungsstaates. Rechtfertigung finde ein solcher spezieller Gerichtsstand in der Sache des Kulturgüterschutzes selbst: „Ein für Kulturgüter zum Primat zu erhebender Schutzaspekt kann zur Zurückdrängung privater Interessen einzelner zugunsten nationaler oder internationaler Interessen an Kulturgütern führen. Der internationalen 788
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Altmann v. Republic of Austria et al., 142 F. Supp. 2d 1187, 1209 f.; 2001 U.S. Dist. LEXIS 6011, 53 ff. Vgl. Hay, US-Amerikanisches Recht, 3. Aufl. 2005, Rdnr. 142, S. 46. Vgl. Reichelt, Kulturgüterschutz und Internationales Verfahrensrecht, IPRax 1989 (Heft 4), S. 254–255, S. 255, unter Verweis auf Rodotà, Les aspects de droit civil de la protection internationale des biens culturels, in: Actes du 13ieme colloque de droit européen – Delphes 1983 1984, S. 108; Reichelt, International Protection of Cultural Property, Revue de droit uniforme/Uniform Law Review (UNIDROIT), Semestrielle – Biannual (1985-I), S. 42–153, S. 140 f. Vgl. Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 8. Teil, Rdnr. 2.
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
Zuständigkeit bei Streitigkeiten um Kulturgüter kommt in diesem Zusammenhang besondere Bedeutung zu.“792 371
Auch innerhalb des internationalen Verfahrensrechts finden sich inzwischen Tendenzen der Behandlung kultureller Güter als res sui generis, die von Teilen der Literatur seit der Entscheidung Fondation Abegg et Ville de Genève c. Mme. Ribes 793 auch in der Judikatur verankert werden können (sog. Fresques de Casenoves-Fall 794).795 In dieser auch für den gutgläubigen Erwerb kultureller Güter interessanten Fallkonstellation wurden Fresken im Jahre 1954 aus dem Innern einer französischen, profanierten Kapelle von Casenoves (Roussillon) ohne die erforderliche Zustimmung einiger Miteigentümer von den Wänden gelöst und anschließend an eine schweizerische Stiftung veräußert.
372
Rechtliche Klärung innerhalb des Streitpunktes der Zulässigkeit der Klage vor einem französischen Zivilgericht erlangte die Frage, ob die Fresken als bewegliche oder unbewegliche Gegenstände zu qualifizieren seien, da entsprechend dem zur Zeit der Entscheidung noch geltenden Französisch-Schweizerischen Vertrag aus dem Jahre 1869 die französische Cour de Cassation die Zulässigkeit der Klage dann verneinen musste, wenn die Fresken nach der Entfernung aus der französischen Kapelle als bewegliche Sachen zu gelten hatten und sich zum Zeitpunkt der Klage nicht in Frankreich, sondern in der Schweiz örtlich befanden. Sicherlich unbestritten mussten die römischen Wandmalereien vor ihrer Lösung von den Innenwänden der französischen Kapelle als unbewegliche Sachen zusammen mit der Kapelle selbst gelten. Tatsächlich fand die Frage, ob die Fresken nach Entfernung von den Wänden noch immer als unbewegliche, zum Grundeigentum der Kapelle zugehörige Immobilie anzusehen seien, jedoch intensiven Diskussionsbedarf.
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Die französischen Ausgangsgerichte waren dabei der Rechtsansicht, dass die Qualifizierung der Fresken als Immobilie auch noch nach ihrer Entfernung von
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Reichelt, Kulturgüterschutz und Internationales Verfahrensrecht, IPRax 1989 (Heft 4), S. 254–255, S. 255. Ausführlich zu dieser Frage auch Jayme, Ein internationaler Gerichtsstand für Rechtsstreitigkeiten um Kunstwerke, in Grupp/Hufeld, Recht – Kultur – Finanzen, Festschrift für Reinhard Mußgnug, 2005, S. 517–524. Dames Margail contre Ville de Genève et Fondation Abegg, Tribunale de Grande Instance de Perpignan vom 25.6.1984 (nicht veröffentlicht), bestätigt durch Cour d’Appel de Montpellier vom 18.12.1984, D. 1985, 207 mit Note Maury, S. 210; Cour de Cassation ass. Pl. vom 15.4.1988, D. 1988, 325 mit Note von Maury, S. 329. Weitere Quellen hierzu: Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 228–230; Reichelt, Kulturgüterschutz und Internationales Privatrecht, IPRax 1986, S. 73–75; Reichelt, Kulturgüterschutz und Internationales Verfahrensrecht, IPRax 1989 (Heft 4), S. 254–255; Reichelt International Protection of Cultural Property, Revue de droit uniform/Uniform Law Review, 1985-I, S. 42–153, S. 97 ff. Vgl. ausführlich zu dieser Entscheidung unten 3, 577 ff.
2. Abschnitt: Internationale Zuständigkeit in Kunstrestitutionsverfahren
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den Wänden besser dazu geeignet war, diese einem gerichtlichen Schutzprogramm zuzuführen.796 Die Rechtsliteratur feierte die Entscheidung der Cour d’Appel de Montpellier als Grundstein für ein internationales Verfahrensrecht speziell für Kulturgüter und die generelle Zuweisung des Gerichtsstandes an den kulturellen Ursprungsort auch nach einer unrechtmäßigen Entziehung.797 Danach wurde durch die Entscheidung der Cour d’Appel de Montpellier ein sog. Schutzgerichtsstand für Kulturgüter geschaffen, um die nationalen Schutzgesetze besser durchsetzen zu können. Durch diese fiction d’immobilisation erhielten die Fresken ein nicht veränderbares Heimatrecht, was den Interessen des Kulturgüterschutzes entspricht.798 Die Cour de Cassation folgte schließlich jedoch nicht der Argumentation der Cour d’Appel de Montpellier, sondern verneinte in ihrem Urteil vom 15.4.1988 die Zuständigkeit französischer Gerichte als forum rei sitae.799 Somit hat die Cour de Cassation die Annahme einer fiktiven Immobilität kultureller Güter abgelehnt, sodass im konkreten Fall keine Zuständigkeit französischer Gerichte gegeben war und im Ergebnis auch keine Restitution erfolgte.800 Auch wenn in der Schweiz die Klage nicht weiterverfolgt wurde801, so wurde doch zu keinem Zeitpunkt der endgültige Verbleib der Fresken in der Schweiz anerkannt. Schließlich erfolgte sogar im Jahre 1997 die freiwillige Rückführung der römischen Wandmalereien an ihren ursprünglichen Ort Ille-sur-Tet durch die Stadt Genf und die Musées d’Art et d’Histoire. Die Entscheidung der Cour de Cassation hat jedoch gezeigt, dass Kulturgüter eigenen Wertungen unterliegen sollten und die Notwendigkeit besteht, bei ihrer rechtlichen Beurteilung besondere Kriterien zu berücksichtigen. Diese Erkenntnis forciert die Diskussion um die Schaffung eines speziellen Gerichtsstandes für Kulturgüter und damit die Frage, ob eine internationale Zuständigkeit der Ge-
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Vgl. zu der ausführlichen Begründung und Diskussion dieses Ansatzes unten 3, 577 ff. Reichelt, Kulturgüterschutz und Internationales Verfahrensrecht, IPRax 1989 (Heft 4), S. 254–255; Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35–52, S. 44; Thorn, Internationaler Kulturgüterschutz nach der UNIDROITKonvention, 2005, S. 262–263. Rec. Dall. 1985, S. 298. Vgl. Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35–52, S. 44; Reichelt, Kulturgüterschutz und Internationales Verfahrensrecht, IPRax 1989 (Heft 4), S. 254–255, S. 255; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 228 f.; Thorn, Internationaler Kulturgüterschutz nach der UNIDROIT-Konvention, 2005, S. 262–263. Cour de Cassation, Urt. v. 15.4.1988, Recueil Dalloz Sirey 1988, S. 325. Spaun, Der Herausgabeanspruch bei Diebstahl oder illegalem Export von Kulturgütern, 2003, S. 154. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, Fn. 30, S. 229.
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
richte des Ursprungslandes dem Gedanken des Kulturgüterschutzes nicht besser Rechnung tragen könnte.802 Dementsprechend schließt auch Reichelt ihre Überlegungen des Kulturgüterschutzes innerhalb des internationalen Zivilverfahrensrechts mit der Forderung, dass in der Schaffung eines eigenen Schutzgerichtsstandes generell ein wesentlicher Beitrag des Verfahrensrechtes für den internationalen Kulturgüterschutz gesehen werden könne. „Eine internationale Zuständigkeit der Gerichte des Ursprungslandes könnte dem Schutzgedanken des Kulturgüterschutzes besonders Rechnung tragen.“803 Besonderen Nutzen erweise ein solcher sui generis-Gerichtsstand für kulturelle Streitigkeiten in der Reduktion eines international unerwünschten forum shopping in fraudem legis, wodurch ein oft jahrelanges Transferieren von Kulturgütern überflüssig würde.804 Rechtsdogmatische Ausgestaltung könne ein solcher internationaler Schutzgerichtsstand für Streitigkeiten um Kulturgüter bei den Gerichten des Ursprungsstaates nur bei einem Schulterschluss der Rechtsprechung in rechtlichen Aspekten „im Zusammenhalt mit den kulturpolitischen und kunsthistorischen Gegebenheiten“805 erfahren. Dabei kann bspw. auf die rechtlichen Zuordnungskriterien eines neuen Rechtssystems des (inter-)nationalen Kulturgüterverkehrs zurückgegriffen werden, die bspw. Elemente des kulturellen Ensembleschutzes oder der Kontexterhaltung innerhalb der Protektion archäologischer Artefakte in der gegebenen Situation anvisieren. Analog könnte somit sicherlich der Kreis der auf diese Art und Weise zu schützenden Kulturgüter beispielsweise noch dadurch erweitert werden, dass man die Perpetuierung der Qualifizierung als Immobilie mit der grundsätzlich nationalen Eröffnung des Rechtswegs auch noch auf die Klasse archäologischer Kulturgüter und Schatzfunde erstreckt, weil diese eine besondere, nicht allein durch den Abtransport zu zerstörende Verbindung zu ihrem Fundort besitzen. Eine Lösungsmöglichkeit im konkreten Fall wäre gewesen, die romanische Kapelle von Casenoves gemeinsam mit den katalanischen Fresken aus derselben Epoche als einheitliches Kulturgut zu sehen. Eine solche Gesamtqualifikation von Kapelle und Fresken hätte darüber hinaus das im Kulturgüterschutz bedeutende Prinzip des Ensembleschutzes806 zusätzlich betont.807 Dementsprechend klingen auch die Ausführungen bei Jayme, wonach die Fresken ihrer
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So Thorn, Internationaler Kulturgüterschutz nach der UNIDROIT-Konvention, 2005, S. 262–263. Reichelt, Kulturgüterschutz und Internationales Verfahrensrecht, IPRax 1989 (Heft 4), S. 254–255, S. 255. Vgl. Reichelt, Kulturgüterschutz und Internationales Verfahrensrecht, IPRax 1989 (Heft 4), S. 254–255, S. 255. So Reichelt, Kulturgüterschutz und Internationales Verfahrensrecht, IPRax 1989 (Heft 4), S. 254–255, S. 255. Vgl. zu diesen Ansätzen unten unter 3, 651 ff. So Thorn, Internationaler Kulturgüterschutz nach der UNIDROIT-Konvention, 2005, S. 262–263.
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Natur nach dorthin gehören, wo sie ihre Funktion entfalten können, also in die Kirche, für die sie gemalt wurden.808 In der praktischen Applikation eines internationalen Schutzgerichtsstands für Streitigkeiten um Kulturgüter käme allerdings ein Rekurs auf die Gerichte des kulturellen Ursprungsstaates nur bei dem ersten Statutenwechsel in Frage. Danach wäre wohl nach Rechtsansicht Reichelts das Verkehrsinteresse international transferierter Kulturgüter nach Folgegeschäften höher einzuschätzen als das Interesse des ursprünglichen Zuordnungssubjektes kultureller Güter.
F.
Zuständigkeitsfortdauer (perpetuatio fori)
Aufgrund der Internationalität kultureller Restitutionsklagen unrechtmäßig entzogener Kunstwerke und des allgemeinen Flusses kultureller Güter innerhalb des (inter-)nationalen Kunstmarktes könnte sich die Frage nach der Fortdauer einer einmal begründeten Zuständigkeit stellen, wenn eine Veränderung der zuständigkeitsbegründenden Tatsachen nach Klageerhebung eintritt. Für eine solche Konstellation bedarf es keiner hypothetischen Fallbildung, sondern es kann auf die Rechtssache Bennigson v. Alsdorf hinsichtlich des Anspruchs auf Restitution des Gemäldes ‚Femme en blanc‘ von Pablo Picasso aus dem Jahre 1922 verwiesen werden.809
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Ursprünglich stand das im Jahre 1922 gefertigte Gemälde im Besitz und Eigentum der deutschen Jüdin Carlota Landsberg. Diese wollte das Gemälde nach der Reichskristallnacht im Jahre 1938 in Sicherheit bringen und schickte es vor ihrer Flucht vor dem nationalsozialistischen Unrechtsregime nach Südamerika einem deutschen Kunsthändler zur Verwahrung. Der Kunsthändler musste jedoch seinerseits als Teil der jüdischen Bevölkerungsgruppe Deutschlands später das Land verlassen und emigrierte nach Paris, an einen Ort, den er als sicheren Zufluchtsort erkannte. Als die deutschen Truppen jedoch Frankreich eroberten und
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Vgl. Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35–52, S. 44. Vgl. hierzu Hoffman, International Art Transactions and the Resolution of Art and Cultural Property Disputes: A United States Perspective, in: Hoffman, Art and Cultural Heritage – Law, Policy and Practice, 2006, S. 159–177, S. 174–175 und Fn. 72 auf S. 175; Los Angeles Times, FBI seizes a Picasso, Artikel vom 28. Oktober 2004; Abendblatt, Picasso-Bild wiedergefunden, Artikel vom 28. Oktober 2004, Quelle: www.abendblatt.de; Welt Online, Erbe von Picasso-Bild erhält 5,3 Millionen, Artikel vom 12. August 2005, Quelle: http://www.welt.de/ print-welt/article688189/Erbe_von_Picasso-Bild_erhaelt_53_Millionen.html; Platoni, Lady in Waiting – Looted Picasso seized by feds until courts can sort out who owns it, Eastbay Express, Quelle: wiedergegeben bei http://www.adele.at; Knapp, Justices Reject Case of NaziLooted Art – Panel Finds Lack of Juristiction Despite Work’s Months in State, Quelle: http://www.bslaw.net/news/040416.html.
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
Paris besetzten, musste auch der Kunsthändler Europa unter Zurücklassung der gesamten Bilderbestände in Paris in Richtung Amerika verlassen. In Paris wurde der Picasso seitens der deutschen Besatzungsbehörden beschlagnahmt. Dementsprechend teilte dieser Carlota Landsberg im Jahre 1958 mit, sein gesamtes Inventar sei 1940 nach der Besetzung von den nationalsozialistischen Plünderungs- und Beuteorganisationen geraubt worden und seit diesem Zeitpunkt sei auch das Gemälde ‚Femme en blanc‘ von Pablo Picasso spurlos verschwunden. Carlota Landsberg starb 1994 in New York. Obwohl das Gemälde somit nicht während ihres Lebens aufgefunden wurde, anerkannten sowohl die französische als auch deutsche Regierung Carlota Landsbergs Rechtsstellung an dem Gemälde und sicherten ihr Recht zu, wenn es wieder aufgefunden würde. Das Bild war zwischenzeitlich durch die Hände der nationalsozialistischen Plünderungsbehörden, eines deutschen Kunsthändlers und einer Galerie gegangen, bevor es beim Ehepaar Marilynn und James Alsdorf landete. Diese hatten Picassos ‚Femme en blanc‘ im Jahre 1976 in einer Galerie in Paris erworben. Sie zahlten 345.000 Dollar, ein Bruchteil des heutigen geschätzten Wertes von ca. 10 Millionen Dollar, „vollständig reinen Gewissens und ohne jede Ahnung von der Geschichte des Bildes“, wie auch der Rechtsbeistand des die Restitution betreibenden Bennigson, Enkel der im Jahre 1994 verstorbenen Carlota Landsberg, bestätigt. Als Marilynn und James Alsdorf aus Chicago im Jahre 2001 das Picasso-Gemälde in der Kunstgalerie von David Tunkl in Los Angeles an einen europäischen Kunstsammler veräußern wollten, stellte sich heraus, dass es auf einer Liste des Art Loss Registers als nationalsozialistisch entzogenes Raubgut notiert war. Der potenzielle Käufer hatte eine Anfrage bei dem ALR lanciert und das ALR informierte nach dem Ergebnis der Provenienzrecherche den wahren Erben, Thomas Bennigson, einen amerikanischen Rechtsstudenten, über den aktuellen Verbleib des Gemäldes, der seinerseits bis zu diesem Zeitpunkt nicht über die Berechtigung seiner Großmutter und sein Erbe an dem Gemälde Bescheid wusste. Nach dieser Entdeckung beabsichtigten Marilynn und James Alsdorf keine Veräußerung mehr. 377
Thomas Bennigson reichte in dem Los Angeles Superior Court Beschwerde mit dem Ziel der Restitution ‚seines‘ von seiner Großmutter geerbten Gemäldes ‚Femme en blanc‘ ein und berief sich in seiner Klageschrift darauf, dass seine Großmutter auch nach der Entziehung weiterhin Eigentümerin des Gemäldes geblieben sei, ein (gutgläubiger) Erwerb seitens Marilynn und James Alsdorf innerhalb der amerikanischen Rechtsordnung ausgeschlossen sei und er als rechtmäßiger Erbe der früheren Eigentümerin Carlota Landsberg im Wege einer replevin-Klage Herausgabe des Picassos verlange. Bevor das Gericht jedoch im Wege einer einstweiligen Verfügung (temporary restraining order) den Verbleib des Gemäldes in Kalifornien sichern konnte, ließ Marilynn Alsdorf das Kunstwerk zurück an ihren Wohnort Chicago in Illinois durch den Galeristen transferieren. (s. Abb. 31)
2. Abschnitt: Internationale Zuständigkeit in Kunstrestitutionsverfahren
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Im Juni 2003 lehnte der Los Angeles Superior Court jedoch die Klagezustellung an die Besitzerin der ‚Femme en blanc‘, Marilynn Alsdorf, aufgrund der fehlenden Zuständigkeit in personam des Gerichtes in Los Angeles ab und entschied, dass die Rechtssache an das örtlich und sachlich zuständige Gericht in Chicago zu verweisen sei.810 Der California Court of Appeal bestätigte am 28. Juni 2004 die Rechtseinschätzung des Ausgangsgerichts und führte zur Begründung aus, dass die beklagte Alsdorf sich nicht allein dadurch unter die jurisdiction Kaliforniens unterworfen habe, indem sie das zu veräußernde Gemälde in einer Galerie in Los Angeles für eine Dauer von acht Monaten ausstellte.811 Justice Paul Boland erläuterte in der nicht veröffentlichten Entscheidung die zugrundeliegenden Erwägungen für eine Abweisung der Klage aufgrund fehlender Zuständigkeit, auch nachdem eine Veränderung der zuständigkeitsbegründenden Tatsachen nach Klageerhebung, jedoch vor Erlass der temporary restraining order zur Sicherung des Gemäldes in Kalifornien eingetreten war: „The painting’s fleeting but fortuitous presence in Los Angeles in December 2002 is insufficient to establish the requisite minimum contacts between this State, the nonresident defendant and this litigation …“812 Daraufhin gewährte der California Supreme Court den Antrag auf Überprüfung der Entscheidung der Rechtsmittelinstanz. Die Klägerseite kritisierte die Rechtseinschätzung des Los Angeles Superior Court und des California Court of Appeal deutlich, da das Gemälde allein deshalb aus dem Forum während einer ‚Nacht und Nebel-Aktion‘ transferiert wurde, um vor der drohenden Klage zu flüchten, und charakterisierte diese Handlung als „a deliberate attempt to evade California court jurisdiction“.813 Der Los AngelesRechtsbeistand von Thomas Bennigson, Randol Schoenberg, bezeichnete die Abweisung der Klage aufgrund fehlender Zuständigkeit nach dem heimlichen Transfer des Gemäldes nach Chicago als „disastrous“. „It means the people who have stolen paintings stored in California can simply send them out of the state when they’re sued … The painting was here, where else are we supposed to file to recover a painting? … it’s devastating for the recovery of stolen art in California. … You can just send the painting out of state.“814
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Innerhalb der deutschen Rechtsordnung würde sich eine solche Frage nach § 261 Abs. 3 Nr. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) richten, wonach eine Veränderung der zuständigkeitsbegründenden Tatsachen nach Eintritt der Rechtshängigkeit
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Bennigson v. Alsdorf, No. BC287294 (L.A. County Super. Ct. June 2003). Bennigson v. Alsdorf, 2004 WL 803616 (Cal. App. 2 Dist. Apr. 15, 2004), rev. granted, (Cal. July 28, 2004). So zitiert bei Knapp, Justices Reject Case of Nazi-Looted Art – Panel Finds Lack of Juristiction Despite Work’s Months in State, Quelle: http://www.bslaw.net/news/040416.html. Vgl. Knapp, Justices Reject Case of Nazi-Looted Art – Panel Finds Lack of Juristiction Despite Work’s Months in State, Quelle: http://www.bslaw.net/news/040416.html. So zitiert bei Knapp, Justices Reject Case of Nazi-Looted Art – Panel Finds Lack of Juristiction Despite Work’s Months in State, Quelle: http://www.bslaw.net/news/040416.html.
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
eine einmal begründete Zuständigkeit im internen deutschen Recht nicht entfallen lässt (perpetuatio fori). Sinn der Regelung ist es, doppelte Arbeit der Gerichte zu vermeiden und den Kläger davor zu schützen, dass der Beklagte sich der eingetretenen Gerichtspflicht entzieht. Das Schutzbedürfnis des Klägers ist bei einem Wohnsitzwechsel des Beklagten in das Ausland noch bedeutend größer als im Inland. Die überwiegende Meinung wendet somit die Vorschrift entsprechend auch auf die internationale Zuständigkeit an. Im Ausgangsfall würde dementsprechend nach Eintritt der Rechtshängigkeit die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte fortbestehen (auch wenn das Gemälde außerhalb Deutschlands transferiert würde), das Verfahren in Deutschland würde also fortgesetzt.815 380
Die Rechtssache Bennigson v. Alsdorf entwickelte sich hierzu parallel auch im Strafrecht weiter: Ende 2002 erstattete Thomas Bennigson strafrechtliche Anzeige, die zur Beschlagnahmung der ‚Femme en blanc‘ führte. Mehr als 60 Jahre nach seinem Verschwinden hat die US-Bundespolizei FBI in Chicago das Gemälde von Pablo Picasso daraufhin beschlagnahmt und es bei der jetzigen Besitzerin Marilynn Alsdorf in Chicago sichergestellt:
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„On October 21, 2004, the United States government intervened in the dispute when agents of the FBI and the U.S. Marshals Office entered Mrs. Alsdorf’s Chicago residence and seized the Picasso. The seizure came as a result of the U.S. Attorney in Los Angeles filing a forfeiture action in federal court in Los Angeles and the court issuing an arrest warrant authorizing the U.S. to take custody of the Picasso. The court issued the warrant based on the allegation that the painting was subject to U.S. forfeiture once Mrs. Alsdorf transported the painting from Los Angeles to Chicago. This interstate shipment is claimed to be unlawful because it was done with the knowledge that the painting was stolen by Nazi troops during the French occupation in World War II. After thirty years, Mrs. Alsdorf no longer has possession of the painting. The Picasso is currently being held in federal custody in Chicago pending a forfeiture hearing to determine whether the forfeiture should be decreed.“816
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Im Ergebnis wollte sich die Sammlerin Marilynn Alsdorf jedoch nicht von dem Gemälde trennen und die Parteien einigten sich außergerichtlich: Mehr als 60 Jahre nach dem Raub des Picasso-Gemäldes ‚Femme en blanc‘ durch die nationalsozialistischen Beuteorganisationen in Frankreich während des Zweiten Weltkrieges wurde jetzt der Erbe der rechtmäßigen Besitzerin mit umgerechnet 5.3 Millionen Euro entschädigt. Das Geld wurde von der in Chicago lebenden Sammlerin Marilynn Alsdorf an den Rechtsstudenten Tom Benningson aus Kalifornien gezahlt. Rechtsethisch zutreffend ist die Einschätzung Hoffmans: „The
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Vgl. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 3, Rdnr. 68–71, S. 87–88. Platoni, Lady in Waiting – Looted Picasso seized by feds until courts can sort out who owns it, Eastbay Express, Quelle: wiedergegeben bei http://www.adele.at; Knapp, Justices Reject Case of Nazi-Looted Art – Panel Finds Lack of Juristiction Despite Work’s Months in State, Quelle: http://www.bslaw.net/news/040416.html.
2. Abschnitt: Internationale Zuständigkeit in Kunstrestitutionsverfahren
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battle over Pablo Picasso’s ‚Femme en Blanc‘ painting indicates a common element in litigation over Nazi-looted art. No matter how courts rule in this case, the initial injustice of the Nazi robbery will not be undone since the truly culpable person, the thief who stole the Picasso in the first place, will unlikely be punished. In the dispute, there are two victims: The person who originally owned the art and the good faith purchaser.“817
G. Jurisdiktion bei der Verteidigung rechtmäßiger Eigentümer und Besitzer gegen unberechtigte Restitutionsforderungen Anders als in den voranstehenden Untersuchungspunkten ist abschließend innerhalb der Frage der Jurisdiktion im internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht noch Rekurs auf die internationale Zuständigkeit (bspw. deutscher Foren) bei der Verteidigung rechtmäßiger Eigentümer und Besitzer gegen unberechtigte Restitutionsforderungen zu nehmen und zu fragen, welche Gerichte für Unterlassungs- und Feststellungsklagen zu Unrecht öffentlich als Restitutionsschuldner unrechtmäßig entzogener Kulturgüter bezeichneter Personen international zuständig sind. Hierbei folgt der deutsche Bundesgerichtshof der Rechtsprechung des EuGH, der eine vorbeugende Unterlassungsklage (im Fall einer vorbeugenden Verbandsklage818) dem Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ zugeordnet hatte.819 Nach der Fassung des Art. 5 Nr. 3 EuGVVO („einzutreten droht“)820 wird dies allgemein für Unterlassungsklagen anzunehmen sein.821
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Für Feststellungsklagen im Rahmen eines grenzüberschreitenden Prätendentenstreits über das Eigentum an einem Kunstwerk gelten andere Grundsätze, wenn keine Schadensersatzansprüche erhoben werden.822 Die Frage der internationa-
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Hoffman, International Art Transactions and the Resolution of Art and Cultural Property Disputes: A United States Perspective, in: Hoffman, Art and Cultural Heritage – Law, Policy and Practice, 2006, S. 159–177, S. 174–175 und Fn. 72 auf S. 175. Michailidou, Internationale Zuständigkeit bei vorbeugenden Verbandsklagen (zu EuGH, 1.10.2002 – Rs. C-167/00 – VKI/Karl Heinz Henkel, IPRax 2003, S. 223–227. Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, Urteil der 6. Kammer vom 01.10.2002, Az.: C-167/00, IPRax 2003, S. 341–344. Art. 5 Nr. 3 EuGVVO: Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann in einem anderen Mitgliedstaat verklagt werden: … wenn eine unerlaubte Handlung oder eine Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist, oder wenn Ansprüche aus einer solchen Handlung den Gegenstand des Verfahrens bilden, vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht; … Jayme, Besprechung des Urteils des Bundesgerichtshofes vom 24.10.2005 – II ZR 329/03, Kunstrechtsspiegel 01/07, S. 11–12 (= IPRax 2006, 502); Kropholler, Europäisches Zivilprozessrecht, 8. Aufl. 2005, Art. 5 Rdnr. 76. Vgl. Jayme, Besprechung des Urteils des Bundesgerichtshofes vom 24.10.2005 – II ZR 329/03, Kunstrechtsspiegel 01/07, S. 11–12 (= IPRax 2006, 502); Jayme, Ein internationaler
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
len Zuständigkeit stellte sich in einer solchen Konstellation ausdrücklich in der ‚Roten Mitte‘-Entscheidung823 des LG Ravensburg 824, des OLG Stuttgart825 und schließlich des BGH am 24.10.2005. Die Gerichte hatten sich mit der Frage auseinanderzusetzen, in wecher Form sich der in seinem Eigentum betroffene Kläger, der im Besitz einer bedeutenden Kunstsammlung ist und im Jahr 1983 das von Oskar Schlemmer im Jahr 1931 gezeichnete Gemälde ‚Rote Mitte‘ von einer deutschen Galerie erwarb, die das Werk im Jahr 1959 im Rahmen einer Auktion in den Vereinigten Staaten ersteigert hatte, erwehren kann, wenn sich die Erbengemeinschaft Oskar Schlemmer, die ihren Wohnsitz in Italien hatte, zwar nicht gegenüber dem wahren Eigentümer, sondern gegenüber außen stehenden Dritten berühmt, Eigentümer des Kunstwerks zu sein.826 385
Die Erbengemeinschaft Oskar Schlemmer rügte hier schließlich im Hinblick auf ihren Wohnsitz in Italien vergeblich die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte. Der BGH bestimmte, dass die Zuständigkeit für den Unterlassungsanspruch des Klägers aus Art. 5 Nr. 3 EuGVVO folgt, der seit dem 1. März 2002 in Kraft ist und daher auf die im August 2002 erhobene Klage Anwendung findet. Der BGH nahm in seiner Begründung ausdrücklich Rekurs auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, der den Begriff der „unerlaubten Handlung“ und der „Handlung, die einer unerlaubten Handlung gleichgestellt ist“, autonom und sehr weit auslegt, sodass in diesem Gerichtsstand alle Klagen zulässig sind, mit denen eine Schadenshaftung geltend gemacht wird, die nicht an einen Vertrag i.S. des Art. 5 Nr. 1 EuGVVO anknüpft.827 Deshalb fallen hierunter gerade auch Ansprüche aus § 1004 BGB, die eine Schadensentstehung durch Eigentumsbeeinträchtigungen verhindern bzw. zu deren Beseitigung dienen sollen. Ausdrücklich bestimmte der BGH: „Durch die Formulierung „einzutreten droht“ am Ende von § 5 Nr. 3 EuGVVO wird klargestellt, dass die Anwendung der Norm nicht von dem Vorliegen eines Schadens abhängt und daher auch eine vorbeugende Unterlassungsklage unter die Norm fällt … Der EuGH … hat bereits die Vorgängernorm (Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ) dahin
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Gerichtsstand für Rechtsstreitigkeiten und Kunstwerke – Lücken im europäischen Zuständigkeitssystem, in: Grupp/Hufeld, Recht – Kultur – Finanzen, Festschrift für Reinhard Mußgnug zum 70. Geburtstag am 26. Oktober 2005, 2005, S. 517 ff., S. 522 f. Vgl. BGH, Urteil des 2. Zivilsenats vom 24.10.2005, Az.: II ZR 329/03, WM 2006, 350–351, WRP 2006, 374–375, NJW 2006, 689–690. Vgl. LG Ravensburg, 7. Februar 2003, Az: 4 O 354/02. Vgl. OLG Stuttgart, 23. September 2003, Az: 12 U 42/03. Vgl. die nachstehenden Entscheidungsanmerkungen: Stürner, jurisPR-BGHZivilR 4/2006 Anm. 4; Junker, jurisPR-ITR 1/2008 Anm. 4; Jayme, Anmerkung zu BGH, Urteil des 2. Zivilsenats vom 24.10.2005, Az.: II ZR 329/03, IPRax 2006, S. 502; Roth, LMK 2006, 176147; Rauscher, WuB VII B Art 5 EuGVVO 3.06. Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, Urteil der 6. Kammer vom 01.10.2002, Az.: C-167/00, IPRax 2003, S. 341–344.
§ 6 Ergebnis: Internationale Zuständigkeit in Kunstrestitutionsverfahren
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ausgelegt, dass deren Anwendbarkeit nicht von dem tatsächlichen Vorliegen eines Schadens abhängig sei, obwohl im Text des Art. 5 Nr. 3 EuGVÜ ein erst drohender Schadenseintritt nicht aufgeführt war. Der EuGH hat dabei zur Begründung seiner Entscheidung auf den nunmehr geltenden Art. 5 Nr. 3 EuGVVO verwiesen …“828
§ 6 Ergebnis: Internationale Zuständigkeit in Kunstrestitutionsverfahren Bestehen keine der im 1. Abschnitt ausführlich erläuterten Grenzen staatlicher Gerichtsgewalt und erlaubt das internationale Recht dem berufenen Richter somit eine Entscheidung, muss in jedem gerichtlichen Kunstrestitutionsverfahren von Seiten der Anspruchsteller zunächst geprüft werden, ob sich die internationale Zuständigkeit des zur Entscheidung berufenen Zivilforums begründen lässt. Im voranstehenden 2. Abschnitt wurde diesbezüglich ersichtlich, dass dies allgemein nur dann der Fall sein wird, wenn der kulturelle Restitutionsanspruch und das diesem zugrundeliegende Rechtsverhältnis einen so starken Bezug zu den Zivilgerichten des Forumstaates aufweisen, dass der Rechtsstreit vor dessen Gerichten zu entscheiden ist. Die Regeln über die internationale Zuständigkeit von Kunstrestitutionsverfahren bestimmen, wann in internationalen Sachverhalten nationale (also bspw. deutsche) Zivilgerichte im sog. Erkenntnisverfahren über die richtige Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter entscheiden dürfen und welche Wirkungen ausländische Restitutionsurteile im sog. Anerkennungs- und Vollstreckungsverfahren im Inland (also bspw. amerikanische Restitutionsurteile in Deutschland) haben. Während aber die internationale Zuständigkeit die Kompetenzen zwischen den Gerichten verschiedener Staaten abgrenzt (fehlt die internationale Zuständigkeit, ist ein nationales Gericht unzuständig), ohne bereits das konkret zuständige Gericht zu bestimmen, regelt die örtliche Zuständigkeit die Frage, welches Gericht innerhalb eines Staates örtlich zuständig ist. Damit ist die internationale Zuständigkeit ebenso wie die örtliche Zuständigkeit Sachurteilsvoraussetzung, bei deren Fehlen die Klage durch Prozessurteil abzuweisen ist.
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Zu den Rechtsquellen des Internationalen Kulturgüterzivilverfahrensrechts zählen die nationalen (also bspw. deutschen) Prozess- und Verfahrensbestimmungen (d.h. die Zuständigkeitsvorschriften der deutschen Zivilprozessordnung), das Europäische Gemeinschaftsrecht sowie die Bestimmungen in den in deutsches Recht umgesetzten multi- und bilateralen völkerrechtlichen Verträgen. Bei innereuropäischen Kunstrestitutionsverfahren vor nationalen Zivilforen gilt heute die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und
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Vgl. BGH, Urteil des 2. Zivilsenats vom 24.10.2005, Az.: II ZR 329/03, NJW 2006, S. 689– 690.
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 22.12.2000 (EuGVVO, sog. Brüssel I-VO), die das Brüsseler EWGÜbereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVÜ) in seiner ursprünglichen Fassung vom 27.9.1968 zwischen den damaligen Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ablöste. Das Luganer Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (LugÜ) vom 16.9.1988 bietet für Nichtmitgliedstaaten der Europäischen Union (wie bspw. Island, Norwegen und Schweiz) ein inhaltlich entsprechendes System. 388
Innerhalb des Internationalen Kulturgüterzivilverfahrensrechts sind allgemeine, besondere und ausschließliche Zuständigkeitsregelungen zu unterscheiden. In Kunstrestitutionsverfahren ist die internationale Zuständigkeit ebenso wie in sonstigen zivilrechtlichen Streitigkeiten entweder parteibezogen und bestimmt sich nach dem Wohnsitz bzw. Aufenthalt oder ist streitgegenstandsbezogen und eröffnet besondere Zuständigkeiten, die sich an dem Kulturgut, dem Entziehungs- oder Eingriffsakt in die Rechtsposition an dem Kulturgut orientieren. Zunächst wurde unter Punkt B. der Grundsatz bestimmt, dass der Restitutionskläger unrechtmäßig entzogener Kulturgüter die Rückführung der Kunstwerke gerichtlich bei natürlichen Personen (bspw. innerhalb der deutschen Rechtsordnung nach §§ 12 und 13 ZPO) am Wohnsitz des Restitutionsschuldners unabhängig von dessen Staatsangehörigkeit und bei juristischen Personen (nach §§ 12 und 17 ZPO) an deren Sitz geltend zu machen hat (Grundsatz actor sequitur forum rei). Darüber hinaus besteht in Kunstrestitutionsverfahren regelmäßig auch die Möglichkeit, dass der Kläger sich auf eine Jurisdiktion in rem vor einem Forum desjenigen Staates berufen kann, in dessen Territorium das unrechtmäßig entzogene Kulturgut örtlich belegen ist (vgl. hierzu voranstehend unter Punkt B.). Auch innerhalb der deutschen Zivilprozessordnung besteht in § 23 S. 1 der sog. Gerichtsstand des Vermögens, um Kunstrestitutionsverfahren im Inland zu erleichtern und Gläubiger eines im Ausland wohnenden oder sich im Inland ohne festen Wohnsitz aufhaltenden Restitutionsschuldners zu schützen.
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Da diese Jurisdiktion in rem allgemein als exorbitanter Gerichtsstand gilt und im internationalen Zivil- und Handelsverkehr unerwünscht ist, hat die EuGVVO vom 22.12.2000 für innereuropäische Kunstrestitutionsverfahren in Art. 3 Abs. 2 bestimmt, dass die in Anhang I explizit niedergeschriebenen innerstaatlichen Zuständigkeitsvorschriften gegen Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates haben, nicht geltend gemacht werden. Darunter fällt auch der Gerichtsstand des Vermögens bspw. nach § 23 S. 1 ZPO innerhalb der deutschen Rechtsordnung. Hat somit der potenziell restitutionspflichtige Beklagte unrechtmäßig entzogener Kulturgüter seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates der Europäischen Union (aber nicht in Deutschland), scheiden ein Rückgriff auf § 23 der Zivilprozessordnung und die Begründung eines deutschen
§ 6 Ergebnis: Internationale Zuständigkeit in Kunstrestitutionsverfahren
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Gerichtsstandes aufgrund der Belegenheit eines Kulturguts innerhalb Deutschlands aus. Die europäischen Bedenken gegen die Anwendung eines solchen exorbitanten Gerichtsstands in Zivil- und Handelssachen hat in der Vergangenheit auch die deutsche Rechtsprechung aufgegriffen und eine restriktive Auslegung der Vorschrift bestimmt. Heute begründet § 23 ZPO die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte nur noch bei einem hinreichenden Inlandsbezug des Sachverhalts, wozu die bloße Belegenheit kultureller Vermögenswerte des Beklagten innerhalb Deutschlands nicht mehr genügt. Daraus lässt sich nun folgende Konsequenz für die internationale Zuständigkeit im Rahmen des internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts innerhalb der deutschen Rechtsordnung ableiten: Der potenziell restitutionspflichtige Besitzer eines unrechtmäßig entzogenen Kunstwerkes ist grundsätzlich an dem Forum seines Wohnsitzes zu verklagen. Besteht ein zweiter Wohnsitz, ist die Klage auch an diesem Ort zulässig. Die internationale Gerichtsbarkeit einer zivilrechtlichen Restitutionsklage zuvor unrechtmäßig entzogener Kulturgüter direkt im ausländischen Forum gegenüber dem aktuellen Inhaber der tatsächlichen Sachherrschaft basiert in der großen Mehrzahl aller Fälle auf der Tatsache, dass der Beklagte entweder seinen Wohnsitz oder aber seinen ständigen bzw. gewöhnlichen Aufenthaltsort im Forumstaat innehat. Damit handelt es sich bei diesen Klageformen, im Gegensatz zu der bei unbeweglichen Gegenständen anerkannten internationalen Gerichtsbarkeit in rem, um eine Zulassung der internationalen Gerichtsbarkeit in personam. In diesen Fällen ist der erstrittene Herausgabetitel jedoch an dem Ort zu vollstrecken, an dem das Kulturgut aktuell belegen ist. Befindet sich das unrechtmäßig entzogene Kulturgut in Deutschland, kann die Herausgabeklage außerhalb des Anwendungsbereichs der EuGVVO vom 22.12.2000 auch an dem Ort der Belegenheit erhoben und das Urteil dort unmittelbar vollstreckt werden. Dies ist sicherlich die effektivste Methode zur Sicherung der Restitution. Ist der potenziell restitutionsverpflichtete Beklagte jedoch innerhalb eines Mitgliedstaates der Europäischen Union wohnhaft, scheidet eine Jurisdiktion in rem aus. Da der im deutschen Recht in § 23 S. 1 ZPO vorgesehene, prima facie günstigste Gerichtsstand am aktuellen Belegenheitsort des herausverlangten Kulturgutes bei Personen mit Wohnsitz in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union in einem Hauptsacheverfahren nach Art. 3 Abs. 2 der EuGVVO vom 22.12.2000 nicht ins Feld geführt werden kann, empfiehlt sich jedoch schon aus diesem Grund zunächst der Rekurs auf die einstweilige Verfügung. Denn für Sicherungsverfahren bleiben nach Art. 31 der EuGVVO vom 22.12.2000 die inländischen Gerichtsstände bekanntlich erhalten. Später kann nach Art. 2 der EuGVVO Hauptsacheklage am inländischen Wohnsitz des Beklagten erhoben werden.
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Häufig wird in internationalen Kunstrestitutionsverfahren auch die Nationalität des Klägers oder der Wohnsitz im Forumstaat zuständigkeitsbegründend sein, wie dies bspw. in Art. 14 des französischen Code civil, in Art. 14 des luxemburgischen
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
Zivilprozessgesetzes, Art. 368 des belgischen Code judiciaire (begrenzt durch die Bedingung der Reziprozität) und Art. 126 Abs. 3 des niederländischen Wetboek van Burgerlijke Rechtsvordering erfolgt. Im Vereinigten Königreich kann die internationale Zuständigkeit allein durch die Zustellung eines verfahrenseinleitenden Schriftstücks an den Beklagten während dessen vorübergehender Anwesenheit begründet werden. Auch die Beschlagnahme von Vermögenswerten kann im Vereinigten Königreich durch den Kläger, das sog. forum sequestris, als zuständigkeitsbegründend für eine Gerichtsbarkeit in personam zur Legalisierung und rechtlichen Untermauerung einer Beschlagnahme dienen, wenn kein anderes Gericht örtlich zuständig ist. Schließlich begründet das sog. forum delicti (bspw. innerhalb der deutschen Rechtsordnung der Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nach § 32 ZPO bzw. in innereuropäischen Restitutionsansprüchen Art. 5 Nr. 3 der EuGVVO) einen besonderen Gerichtsstand an dem Ort, an dem ein Kulturgut unrechtmäßig entzogen wurde. 392
Ist nach dem Vorhergesagten die internationale Zuständigkeit der Gerichte mehrerer Staaten eröffnet, besteht zwischen diesen Zivilforen die Wahl des Klägers und damit grundsätzlich die Möglichkeit des forum shopping. Der Kläger kann sich das ihm genehmste Forum aussuchen: Aufgrund der weitreichenden Divergenzen innerhalb der materiell-rechtlichen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter in den nationalen Zivilrechtsordnungen kann der Kläger seinen Restitutionsanspruch gezielt vor demjenigen Forum platzieren, das ihm den günstigsten Ausgang des Verfahrens gegenüber dem potenziell restitutionspflichtigen Beklagten verspricht. Dementsprechend kann der einzelne Rechtsanwender bereits bei der Wahl des zur Entscheidung berufenen Forums weitreichenden und bisweilen fallentscheidenden Einfluss auf die materielle Entscheidung der kulturellen Restitutionsstreitigkeit nehmen.
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Anschließend erfolgte unter Punkt D. eine eigenständige Untersuchung des amerikanischen internationalen Zivilverfahrensrechts. Dabei wurde eingangs ersichtlich, dass für Entscheidungen über das Eigentum (title) an Kulturgütern grundsätzlich die Gerichte an den jeweiligen Belegenheitsorten zuständig sind (sog. in rem jurisdiction). Heute wird über die Belegenheit hinaus in der Regel zusätzlich ein Minimalbezug des Beklagten oder des streitigen Restitutionsanspruchs unrechtmäßig entzogener Kulturgüter zum amerikanischen Forum verlangt. Daneben ist in den Vereinigten Staaten aber auch eine sog. personal jurisdiction bekannt: So wirkt bspw. die Zustellung der klageeinleitenden Dokumente auf dem Territorium des Forumstaates als zuständigkeitsbegründend. Als weitere Gerichtsstände gelten aber auch das domicile und der Ort einer wirtschaftlichen Betätigung, schließlich ist die Forumsbezogenheit des Restitutionsanspruchs unrechtmäßig entzogener Kulturgüter selbst zuständigkeitsbegründend. Ein Beispiel für die Begründung dieser Art der internationalen Zuständigkeit und eines ausreichenden Forumkontaktes ist im internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht etwa die deliktisch begründete Restitutionsklage des kul-
§ 6 Ergebnis: Internationale Zuständigkeit in Kunstrestitutionsverfahren
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turellen Eigentümers gegen den Dieb eines Kulturguts am Ort des Diebstahls (zuständigkeitsbegründend ist damit das Begehen eines Delikts im Forumstaat). Insbesondere fand hier eine ausfürliche Auseinandersetzung mit dem Einwand des forum non conveniens in Kunstrestitutionsprozessen in Lehre und Rechtsprechung statt. Eine Besonderheit des Common Law-Rechtskreises ist die angloamerikanischen Lehre vom forum non conveniens, wonach Gerichte trotz bestehender internationaler Zuständigkeit eine Entscheidung verweigern können, wenn die beabsichtigte Klage vor einem besser geeigneten ausländischen Gericht gleichfalls zulässig ist. Hierdurch erfolgt eine Begrenzung einer oftmals ausufernden Zuständigkeitsregel des amerikanischen Rechtskreises. Hierfür muss der Beklagte vor Gericht darlegen, dass ein anderes, ebenfalls zuständiges Forum zur Verfügung steht, dass der kulturelle Restitutionsprozess vor dem jetzigen Forum ihn als Besitzer des Kulturguts unzumutbar belastet (seriously and burdensomely inconvenient) und dass das alternative Gericht wegen größerer Sachnähe mehr „convenient“ sei (z.B. Zugang zum Beweismaterial zur oftmals tatsächlich schwierigen Erforschung der Provenienz eines entzogenen und international transferierten Kulturguts bzw. zur Anwesenheit von Zeugen bei dem kulturellen Diebstahl, der kulturellen Beutenahme oder Verstaatlichung). Neben einer Darstellung der in der Praxis des internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts bedeutsamen Auswirkungen der Zuständigkeitsfortdauer bei Veränderung zuständigkeitsbegründender Tatsachen (der sog. perpetuatio fori) unter Punkt F. und der Jurisdiktion bei der Verteidigung rechtmäßiger Eigentümer und Besitzer gegen unberechtigte Restitutionsforderungen unter Punkt G. beschäftigte sich der 2. Abschnitt unterPunkt E. vertieft mit der von Teilen des Schrifttums de lege ferenda geforderten Einrichtung eines speziellen internationalen Schutzgerichtsstands für Streitigkeiten um Kulturgüter bei den Gerichten des Ursprungsstaates aufgrund der Unikatfunktion von Kunstwerken, der speziellen Gefahren des internationalen illegalen Kunsthandels und der Qualifikation von Kunst- und Kulturgütern als sog. res sui generis. Auch innerhalb des internationalen Verfahrensrechts finden sich inzwischen Tendenzen der Behandlung kultureller Güter als res sui generis, die von Teilen der Literatur seit der Entscheidung Fondation Abegg et Ville de Genève c. Mme. Ribes auch in der Judikatur verankert werden (sog. Fresques de Casenoves-Fall).
394
In dieser Fallkonstellation wurden Fresken im Jahre 1954 aus dem Innern einer französischen, profanierten Kapelle von Casenoves (Roussillon) ohne die erforderliche Zustimmung einiger Miteigentümer von den Wänden gelöst und anschließend an eine schweizerische Stiftung veräußert. Die französischen Ausgangsgerichte waren dabei der Rechtsansicht, dass die Fresken auch nach ihrer Entfernung als Immobilie zu qualifizieren seien und somit das Gericht am Ursprungsort der Fresken dauerhaft zuständig sei. Die Rechtsliteratur feierte die Entscheidung der Cour d’Appel de Montpellier als Grundstein für ein internationales Verfahrensrecht speziell für Kulturgüter und die generelle Zuweisung des
395
378
2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
Gerichtsstandes an den kulturellen Ursprungsort auch nach einer unrechtmäßigen Entziehung. Durch die Entscheidung der Cour d’Appel de Montpellier sei ein sog. Schutzgerichtsstand für Kulturgüter geschaffen worden, um die nationalen Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze besser durchsetzen zu können. Durch diese fiction d’immobilisation erhielten die Fresken ein nicht veränderbares Heimatrecht, was den Interessen des Kulturgüterschutzes entspricht.829 Die Cour de Cassation widersprach schließlich jedoch diesen Überlegungen, verneinte damit die Zuständigkeit französischer Gerichte und lehnte die Annahme einer fiktiven Immobilität kultureller Güter ab. 396
Die Fresques de Casenoves-Konstellation hat jedoch gezeigt, dass Kulturgüter eigenen Wertungen unterliegen sollten und die Notwendigkeit besteht, bei ihrer rechtlichen Beurteilung besondere Kriterien zu berücksichtigen – auch innerhalb der Frage der internationalen Zuständigkeit in Kunstrestitutionsverfahren. In einem eigenen Schutzgerichtsstand für Kunst- und Kulturgüter wäre ein wesentlicher Beitrag des Internationalen Zivilverfahrensrechtes für den internationalen Kulturgüterschutz zu sehen: Besonderen Nutzen erwiese ein solcher sui generisGerichtsstand in der Reduktion eines international unerwünschten forum shopping in fraudem legis, wodurch ein oft jahrelanges, häufig die Substanz schädigendes Transferieren der Kulturgüter im kulturellen Schwarzmarkt verhindert würde.
397
Die Ausführungen des 2. Teils und des Internationalen Kulturgüterzivilverfahrensrechts haben sich nun in den nachstehenden Abschnitten 3. bis 6. mit allgemeinen Verfahrensfragen des Internationalen Zivilverfahrensrechts auseinanderzusetzen und festzustellen, welche Besonderheiten bei Kunstrestitutionsverfahren aufgrund der speziellen Sachnatur des Streitgegenstandes und aufgrund des internationalen Kulturgüterschutzgedankens bestehen. Dabei schließt sich zunächst die im 3. Abschnitt zu begutachtende Frage an, ob Besonderheiten innerhalb des internationalen Kunstrestitutionsverfahrens hinsichtlich der Verfahrensbeteiligung bestehen. Weiterhin wird im 2. Teil zum Internationalen Kulturgüterzivilverfahrensrecht noch dazu auszuführen sein, ob eine Möglichkeit der Sicherung unrechtmäßig entzogener Objekte mittels der Regeln des ‚einstweiligen Rechtsschutzes‘ und spezieller ‚provisional remedies‘ im internationalen Kulturgüterschutz zu nutzen sind (vgl. hierzu den 4. Abschnitt), welche Möglichkeiten hinsichtlich der Rechtsdurchsetzung ausländischer Kunstrestitutionsurteile
829
Rec. Dall. 1985, S. 298. Vgl. Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35–52, S. 44; Reichelt, Kulturgüterschutz und Internationales Verfahrensrecht, IPRax 1989 (Heft 4), S. 254–255; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 228 f.; Thorn, Internationaler Kulturgüterschutz nach der UNIDROIT-Konvention, 2005, S. 262–263.
§ 6 Ergebnis: Internationale Zuständigkeit in Kunstrestitutionsverfahren
gegenüber dem Besitzer unrechtmäßig entzogener Kulturgüter im Inland bestehen (vgl. hierzu den 5. Abschnitt) und ob schließlich die Grundsätze der internationalen Rechtshilfe in zivilrechtlichen Restitutionsstreitigkeiten unrechtmäßig entzogener Kulturgüter fruchtbar gemacht werden können (vgl. hierzu den 6. Abschnitt).
379
3. Abschnitt Verfahrensbeteiligte in Kunstrestitutionsstreitigkeiten 398
Die nun folgenden Abschnitte 3. bis 6. setzten sich mit allgemeinen Verfahrensfragen des Internationalen Zivilverfahrensrechts auseinander und stellen fest, welche Besonderheiten bei Kunstrestitutionsverfaren aufgrund der speziellen Sachnatur des Streitgegenstandes und aufgrund des internationalen Kulturgüterschutzgedankens bestehen. Dabei schließt sich zunächst die im nachstehenden 3. Abschnitt zu begutachtende Frage an, ob Besonderheiten innerhalb des internationalen Kunstrestitutionsverfahrens hinsichtlich der Verfahrensbeteiligung bestehen.
A. Ausländer als Verfahrensbeteiligte 399
Innerhalb des internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts sind vor den nationalen Zivilgerichten zwangsläufig nicht nur die eigenen Staatsbürger, sondern vornehmlich auch Ausländer an den Verfahren beteiligt. Im angloamerikanischen Rechtskreis waren die Gerichte früher streng an eine Nichtanerkennung eines klagenden Staates durch den Gerichtsstaat gebunden.830 Diese Regel, die sog. Cibrareo-Rule, geht auf das Cibrareo-Urteil zurück831 und beruht auf der Erwägung, dass bei einem Zugang einer nichtanerkannten Regierung zu einem amerikanischen Gericht und der Zulassung einer dementsprechenden Klage die Judikative so einer politischen Entscheidung der Regierung in den Rücken fallen würde. Diesem Entschluss folgend wurde auch im Fall Kunstsammlungen zu Weimar v. Elicofon832 den klagenden Kunstsammlungen zunächst ein Klagerecht versagt, da man sie als Stellvertreter und Behörde einer von den USA nicht anerkannten Regierung ansah.833 „Das Gericht stellte aber die Überlegung an, ob nicht aus der Tatsache, daß es US-Bürgern gestattet ist, mit nichtanerkannten Staaten Geschäfte zu machen, die Folgerung zu ziehen sei, daß es dann auch beiden Parteien gestattet sein müsse, ihre Ansprüche daraus vor amerikanischen Gerichten durchzusetzen. Diese Rechtsprechung wird im Schrifttum kritisiert, wobei darauf hingewiesen wird, daß sich die Frage der Anerkennung 830
831
832
833
Vgl. Gornig, Wem gehört der Pergamon-Altar? Völkerrechtliche Diskussion der Forderungen Griechenlands auf Rückgabe von Kulturgütern, in: Gornig/Schiller/Wesemann, Griechenland in Europa, Band 1, 2000, S. 61–96, S. 88–90; Plutschow, Staatliche Vorkaufsrechte im Internationalen Kulturgüterschutz, 2002, S. 215–310, insb. S. 231 ff. Vgl. Russian Federated Soviets Socialist Republic v. Cibrareo, 235 N.Y. 255, 139 N.E. 259 (1923). Vgl. ausführlich hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 2. Teil, Rdnr. 55 ff. Vgl. hierzu Gornig, Wem gehört der Pergamon-Altar? Völkerrechtliche Diskussion der Forderungen Griechenlands auf Rückgabe von Kulturgütern, in: Gornig/Schiller/Wesemann, Griechenland in Europa, Band 1, 2000, S. 61–96, S. 88–90.
3. Abschnitt: Verfahrensbeteiligte in Kunstrestitutionsstreitigkeiten
381
häufig von politischen Überlegungen leiten läßt, die mit den zivilrechtlichen Interessen nicht das Geringste zu tun haben. Bemängelt wird dabei das Fehlen einer eigenständigen Interessenabwägung durch das Gericht.“834 Im zivilrechtlichen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht gilt es jedoch heute, anders als früher, als selbstverständlich, Ausländern wie ausländischen Staaten und deren Ansprüchen auf Restitution zuvor unrechtmäßig entzogener und transferierter Kulturgüter in gleichem Umfang wie Inländern Rechtsschutz vor inländischen Gerichten bei Vorliegen der Voraussetzungen der internationalen Gerichtsbarkeit und Zuständigkeit zu gewähren. Der freie und ungehinderte Zugang zu den Gerichten ist ein universal anerkanntes Menschenrecht, das in zahlreichen völkerrechtlichen Verträgen, wie bspw. in Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), garantiert wird und über Art. 25 des Grundgesetzes Bestandteil der deutschen Rechtsordnung ist.835
B.
Partei- und Prozessfähigkeit
Wie bei sonstigen Fragen der internationalen Gerichtsbarkeit stellt sich auch innerhalb internationaler Rechtsstreitigkeiten im Bereich des Kulturgüterschutzund Kunstrestitutionsrechts die Frage, ob der Kläger eines zivilrechtlichen Restitutionsanspruchs eines zuvor unrechtmäßig entzogenen Kulturguts sein Klagebegehren auch in einem örtlichen Gericht gegen den ausländischen Besitzer des Kunstwerks anstrengen kann. Es geht also in diesen Fällen der Beteiligung von Ausländern in kulturellen Restitutionsprozessen vor einem nationalen Zivilforum um deren Partei- und Prozessfähigkeit. Dabei ist die Parteifähigkeit einer natürlichen oder juristischen Person Sachurteilsvoraussetzung einer kulturellen Restitutionsklage. Die diesbezügliche Ungewissheit könnte als eine Frage des Prozessrechts zu qualifizieren und deshalb nach den geltenden Regeln der lex fori zu beantworten sein. In vielen europäischen Rechtssystemen verweist jedoch das nationale Zivilverfahrensrecht zur Klärung dieser Fragen auf das nationale materielle Recht, um in Erfahrung zu bringen, ob der Kläger bzw. der Beklagte als Person oder als juristisches Rechtsgebilde zu betrachten ist, der oder dem eigene Rechte und damit auch die Fähigkeit, zu klagen oder verklagt zu werden, zugesprochen werden.836 Das deutsche Prozessrecht stellt bspw. in § 50 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) für die Parteifähigkeit auf die bürgerlich-rechtliche Rechtsfähigkeit ab. Ordnet man die Rechtsfähigkeit natürlicher Personen als eine 834
835
836
Gornig, Wem gehört der Pergamon-Altar? Völkerrechtliche Diskussion der Forderungen Griechenlands auf Rückgabe von Kulturgütern, in: Gornig/Schiller/Wesemann, Griechenland in Europa, Band 1, 2000, S. 61–96, S. 88–90. Vgl. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 3, Rdnr. 101–108, S. 97–99. Vgl. Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 74.
400
382
2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
materiell-rechtliche Vorfrage ein, so ist sie nach Art. 7 Abs. 1 EGBGB nach dem Personalstatut, also dem Heimatrecht der ausländischen Partei, zu beurteilen. Umstritten ist jedoch, ob man aus der nach dem Heimatrecht bestehenden Rechtsfähigkeit unmittelbar auf die Parteifähigkeit i.S.d. § 50 Abs. 1 der ZPO schließen kann, unabhängig davon, wie das Heimatrecht selbst die Parteifähigkeit beurteilt. Die heute h.M.837 entnimmt dementsprechend aus § 50 ZPO eine eigene, Art. 7 Abs. 1 EGBGB entsprechende Kollisionsnorm und bestimmt die Parteifähigkeit nach den diesbezüglichen Regeln des Heimatrechts.838 „Dafür spricht neben der Parallelregelung in der prozessualen Kollisionsnorm des § 55 ZPO, daß die Beachtung der ausländischen Parteifähigkeit den internationalen Entscheidungseinklang und damit auch die Anerkennung und Vollstreckung des Urteils im Heimatstaat fördert. Bei natürlichen Personen fallen Partei- und Rechtsfähigkeit in der Regel zusammen, so daß der Meinungsstreit hier keine Auswirkung auf das Ergebnis hat.“839 401
Praktisch bedeutsam ist der Meinungsstreit jedoch innerhalb der Begutachtung der Parteifähigkeit juristischer Personen, weil hier Partei- und Rechtsfähigkeit auseinanderfallen können.840 „Bei ausländischen Personenvereinigungen, die
837
838
839
840
Vgl. hierzu m.w.N. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 3, Rdnr. 101–108, S. 97–99. Vgl. aber auch Gornig, Wem gehört der Pergamon-Altar? Völkerrechtliche Diskussion der Forderungen Griechenlands auf Rückgabe von Kulturgütern, in: Gornig/Schiller/Wesemann, Griechenland in Europa, Band 1, 2000, S. 61–96, S. 88–90: „In der Regel bestehen auch keine Probleme, einen ausländischen Staat vor zivilen Gerichten als Kläger auftreten zu lassen. Gemäß § 50 I ZPO richtet sich etwa in der Bundesrepublik Deutschland die Fähigkeit, in einem Zivilprozeß Partei zu sein, nach der Rechtsfähigkeit des Klägers. Die Rechtsfähigkeit ausländischer Kläger ist in Art. 7 I EGBGB geregelt und orientiert sich an der Rechtsfähigkeit im Heimatland, also nach dem Personalstatut. Für natürliche und juristische Personen des Privatrechts wird hier kein Unterschied gemacht. Für ausländische Staaten folgt die Parteifähigkeit schon allein aus ihrer Völkerrechtssubjektivität. Hierbei wird das Problem der Anerkennung des klagenden Staates eine Rolle spielen, wobei die Lehre hier zwischen der deklaratorischen und der konstitutiven Theorie unterscheidet. Nun wird in der Regel die Völkerrechtssubjektivität vorliegen, unabhängig von einer Anerkennung. Es gilt also die deklaratorische Theorie. In Deutschland können deutsche Gerichte aufgrund des Gewaltenteilungsgrundsatzes sowie des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung in eigener Verantwortung darüber entscheiden, ob es sich auf der Klägerseite um einen Staat und somit um ein Völkerrechtssubjekt handelt. Bei Vorhandensein der drei konstitutiven Elemente eines Staates haben deutsche Gerichte ausländische Staatsgebilde trotz deren Nichtanerkennung durch den Gerichtsstaat als Staat im Sinne des Völkerrechts angesehen. Vgl. hierzu Verdross, Alfred/Simma, Bruno, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl. 1984, § 968 mit Nachw. Eine Nichtanerkennung durch die Bundesrepublik Deutschland präjudiziert demnach nicht die Parteifähigkeit eines ausländischen Staates vor deutschen Gerichten.“ Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 3, Rdnr. 101–108, S. 97–99. „Prozeßfähigkeit (§ 55 ZPO). § 52 ZPO macht die Prozeßfähigkeit von der Geschäftsfähigkeit abhängig. Für die Beurteilung der Prozeßfähigkeit von Ausländern enthält § 55 ZPO eine eigene prozessuale Kollisionsnorm. Die Prozeßfähigkeit wird nach dem Heimatrecht
3. Abschnitt: Verfahrensbeteiligte in Kunstrestitutionsstreitigkeiten
383
nach ihrem Heimatrecht zwar partei-, aber nicht rechtsfähig sind, zeigen sich die Vorteile einer direkt auf die Parteifähigkeit nach Heimatrecht abstellenden Lösung. Soweit die ausländische Personenvereinigung nach ihrem Heimatrecht zwar rechts-, aber nicht parteifähig ist, sind zwei Situationen zu unterscheiden: Bei fehlender passiver Parteifähigkeit schützt die Rechtsprechung den redlichen Rechtsverkehr, indem sie die Parteifähigkeit alternativ gemäß §§ 50 II, 55 ZPO analog nach der lex fori beurteilt. Soweit die aktive Parteifähigkeit fehlt, läßt sich das Rechtsschutzinteresse des ausländischen Klägers dadurch wahren, daß für die Personenvereinigung ein Pfleger (gemäß §§ 1913 bzw. 1911 BGB) bestellt wird. Angesichts dieser ergänzenden Regeln spricht sich eine im Vordringen befindliche Ansicht im Interesse eines effektiven Rechtsschutzes (Justizgewährungsanspruch) für eine alternative Anknüpfung an Rechts- oder Parteifähigkeit nach dem Heimatrecht aus.“841
I.
Bumper Development Corporation v. Commissioner of Police of the Metropolis
Zum gleichen Ergebnis gelangte in der Rechtsstreitigkeit Bumper Development Corporation v. Commissioner of Police of the Metropolis 842 der englische Court of Appeal, dem die Frage zur Entscheidung vorgelegt wurde, ob ein ruinierter Hindutempel in Indien, innerhalb der nationalen indischen Rechtsordnung als juristisches Rechtsgebilde ausgestattet mit dem Recht selbst zu klagen und verklagt zu werden, anerkannt war, vor englischen Gerichten auf Herausgabe eines zuvor von seinem Territorium gestohlenen religiösen Kulturguts – einer bronzenen Statue aus dem zwölften Jahrhundert – zu klagen. Nach dem nationalen Recht Großbritanniens hätte die Klageabweisung erfolgen müssen, da der Hindutempel grundsätzlich nicht selbst Partei eines Rechtsstreits sein kann. Vor dem Hintergrund der comity of nations, der geltenden Völkersitte und Völkercourtoisie, entschied der Court of Appeal jedoch gegen die eigene lex fori und bejahte das Prozessführungsrecht des ruinierten Hindutempels.843
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beurteilt: Ein Ausländer ist also im Inland prozeßfähig, wenn er es nach seinem Heimatrecht ist. Fehlt die Prozeßfähigkeit des Ausländers nach seinem Heimatrecht, so gilt er in Deutschland gleichwohl als prozeßfähig, soweit er dies nach den deutschen Vorschriften wäre. Diese alternative Anknüpfung fördert die prozessuale Stellung des Ausländers auf Kosten des internationalen Entscheidungseinklangs.“ Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 3, Rdnr. 101–108, S. 97–99. So Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 3, Rdnr. 101–108, S. 97–99. Bumper Development Corporation v. Commissioner of Police of the Metropolis, (1991) 1 WLR 1362 (CA). Vgl. hierzu Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 74.
402
384
2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
II.
Gemälde als Verfahrensbeteiligter: United States v. One Tintoretto Painting
403
Das Prozessführungsrecht der Vereinigten Staaten von Amerika und die nationalen Gerichte erlauben interessanterweise sogar ein Prozessführungsrecht (sog. standing to sue) eines Kunstwerkes selbst. In der Rechtssache United States v. One Tintoretto Painting 844 wurde bspw. vom Kläger, von den Vereinigten Staaten von Amerika, die Einziehung bzw. Verfallserklärung des „Beklagten“, eines illegal in die Vereinigten Staaten von Amerika importierten Gemäldes, beantragt.845 (s. Abb. 32)
404
Das Gemälde ‚Heilige Familie mit der heiligen Katharina und einem Stifter‘ von Tintoretto wurde aus den ausgelagerten Beständen der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden während des Zweiten Weltkrieges oder unmittelbar danach gestohlen und angeblich (ohne dass jedoch die genauen Umstände bekannt wurden) von Isaac Silberberg, einem israelischen Staatsbürger, der während des Krieges in der sowjetischen Armee gedient hatte, zu einem Kaufpreis von insgesamt US-$ 20.000 in Rubel in einem Second-Hand-Shop in Moskau im Jahre 1948 erworben. Im Jahre 1979 wurde das Gemälde von Silberberg an Raymond Vinokur, einen Kunsthändler aus Tel Aviv, übergeben. Da dieser bei Einfuhr des Gemäldes über die Bundesrepublik Deutschland auf das Territorium der Vereinigten Staaten von Amerika zum Verkauf des Gemäldes in New York falsche Angaben gegenüber den amerikanischen Zollbehörden tätigte, wurde Vinokur zunächst inhaftiert und später ausgewiesen und die Regierung der Vereinigten Staaten beschlagnahmte daraufhin das Gemälde. Efin Nezhinsky, ein amerikanischer Geschäftspartner Vinokurs, deklarierte nämlich das Gemälde gegenüber den Zollbehörden als sein Eigentum und bezifferte den Wert nur mit US-$ 500. Als Vinokur versuchte, das Gemälde zu einem Kaufpreis i.H.v. US-$ 250.000 zu veräußern, wurde er von einem undercover agent des Federal Bureau of Investigation verhaftet. Vinokur wurde wegen falscher Angaben gegenüber den amerikanischen Zollbehörden der Verletzung von 18 U.S.C. § 542 für schuldig befunden und die amerikanischen Behörden nahmen das Gemälde in Besitz.
405
18 U.S.C. § 542: Entry of goods by means of false statements: Whoever enters or introduces, or attempts to enter or introduce, into the commerce of the United States any imported merchandise by means of any fraudulent or false invoice, declaration, affidavit, letter, paper, or by means of any false statement, written or verbal, or by means of any false or fraudulent practice or appliance, or makes any false statement in any declaration without reasonable cause to believe the truth of such statement, or procures the making of any such false statement as to any matter material thereto without reasonable
844
845
United States v. One Tintoretto Painting, 527 F. Supp. 1071 (S.D.N.Y. 1981), rev’d, 691 F.2d 603 (2d Cir. 1982). Vgl. Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 74.
3. Abschnitt: Verfahrensbeteiligte in Kunstrestitutionsstreitigkeiten
385
cause to believe the truth of such statement, whether or not the United States shall or may be deprived of any lawful duties; or Whoever is guilty of any willful act or omission whereby the United States shall or may be deprived of any lawful duties accruing upon merchandise embraced or referred to in such invoice, declaration, affidavit, letter, paper, or statement, or affected by such act or omission – Shall be fined for each offense under this title or imprisoned not more than two years, or both. …
Die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika strengte dann vor dem Federal District Court in New York eine zivilrechtliche Beschlagnahmeklage gegen das „defendant-in-rem“ Gemälde selbst an und begründete dies damit, dass das Gemälde – als Klagegegner – illegal auf das Territorium der Vereinigten Staaten eingeführt worden war und somit der Beschlagnahmevorschrift des 18 U.S.C. § 545 unterfiel.
406
18 U.S.C. § 545: Smuggling goods into the United States: Whoever knowingly and willfully, with intent to defraud the United States, smuggles, or clandestinely introduces or attempts to smuggle or clandestinely introduce into the United States any merchandise which should have been invoiced, or makes out or passes, or attempts to pass, through the customhouse any false, forged, or fraudulent invoice, or other document or paper; or Whoever fraudulently or knowingly imports or brings into the United States, any merchandise contrary to law, or receives, conceals, buys, sells, or in any manner facilitates the transportation, concealment, or sale of such merchandise after importation, knowing the same to have been imported or brought into the United States contrary to law – Shall be fined under this title or imprisoned not more than five years, or both. Proof of defendant’s possession of such goods, unless explained to the satisfaction of the jury, shall be deemed evidence sufficient to authorize conviction for violation of this section. Merchandise introduced into the United States in violation of this section, or the value thereof, to be recovered from any person described in the first or second paragraph of this section, shall be forfeited to the United States.
407
Silberberg berief sich dagegen auf Nichtwissen von der illegalen Einfuhr des Gemäldes auf das Territorium der Vereinigten Staaten, die schließlich zur Beschlagnahme führte. Der Federal District Court in New York gab zunächst der Beschlagnahmeklage der Regierung gegen das Gemälde statt. Der Second Circuit verwies als Rechtsmittelgericht die Konstellation aus Verfahrensgründen jedoch wieder an das Ausgangsgericht zurück. Nachdem die Regierung der Vereinigten Staaten erfolglos versuchte, die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik zu einer Restitutionsklage anzuhalten, einigten sich die Parteien außergerichtlich und das Gemälde wurde an Silberberg zurückgegeben.
408
4. Abschnitt Einstweiliger Rechtsschutz und ‚provisional remedies‘ 409
Wegen ihrer Überraschungswirkung scheinen Mittel des einstweiligen Rechtsschutzes innerhalb zivilrechtlicher Restitutionsverfahren zuweilen effektiver die Rückführung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter zu sichern als eine Hauptsacheklage.846 Diesen forensischen Mitteln ist gemeinsam, dass sie keine endgültige Klärung der Eigentumsfrage am betroffenen Kulturgut zum Ziel haben, sondern zunächst als Vorstufe einer abschließenden Feststellung lediglich die Sicherung des tatsächlichen status quo anstreben, um mit dem Verbleib des strittigen Objekts im Inland die dort vorhandenen Rechtsschutzmöglichkeiten auszuschöpfen.847 Der Eigentumsprätendent unrechtmäßig entzogener Kulturgüter hat hier neben den Vorteilen des Vertrautseins mit seiner Heimatrechtsordnung auch den Nutzen, einer ihm günstigeren Entscheidungsatmosphäre unterstellt zu sein.848 „Es geht hier dem Staat darum, die mit der Übernahme des sog. Gewaltmonopols untrennbar verbundene Verpflichtung zur Wahrung inneren Friedens durch Recht bereits in einem frühen Stadium der Rechtsverwirklichung zu sichern. Diese Sicherung ist notwendig, damit nicht während des bis zur endgültigen Klärung einer Streitfrage verstreichenden Zeitraums ein Zustand eintritt, der eine spätere Rechtsverwirklichung verhindert (Vermeidung des fait accompli). Vorläufiger Rechtsschutz ist mithin in jeder Rechtsordnung ein wichtiges Element der staatlichen Rechts- oder Justizgewährungspflicht.“849 Dies gilt um so deutlicher innerhalb des grenzüberschreitenden Kulturgüterverkehrs und des internationalen Kunstmarktes, auf dem Gemälde zeitweise nur für einen kurzen Moment zur Veräußerung angeboten werden, deren rechtmäßige Besitzer und Eigentümer ad hoc häufig aufgrund komplizierter Besitz- und Verwahrungsverhältnisse und Agenten- und Kommissionärstellungen nicht ermittelbar sind oder sich als ‚Overseas-Kunstinvestmentgesellschaft‘ mit für eine Klage unbrauchba-
846
847
848
849
Vgl. Naegeli, Raubkunst: Tatsächliche und rechtliche Probleme bei der anwaltlichen Beratung, Kunst und Urheberrecht (KUR) 3/4 (2009), S. 108–111; Kienle/Weller, Die Vindikation gestohlener Kulturgüter im IPR, IPRax 2004, S. 290–294, S. 293–294. So Bauer, Eilverfahren und einstweilige Verfügung zur Sicherung von Rechten an reportierten Kulturgegenständen, in: Genieva/Michaletz/Werner, Gesten des guten Willens und Gesetzgebung – Dokumentation der internationalen Konferenz zur Problematik kriegsbedingt verlagerter Kulturgüter; Moskau, 24. und 25. April 2001, 2001, S. 226–231. Vgl. Bauer, Eilverfahren und einstweilige Verfügung zur Sicherung von Rechten an reportierten Kulturgegenständen, in: Genieva/Michaletz/Werner, Gesten des guten Willens und Gesetzgebung – Dokumentation der internationalen Konferenz zur Problematik kriegsbedingt verlagerter Kulturgüter; Moskau, 24. und 25. April 2001, 2001, S. 226–231. Bauer, Eilverfahren und einstweilige Verfügung zur Sicherung von Rechten an reportierten Kulturgegenständen, in: Genieva/Michaletz/Werner, Gesten des guten Willens und Gesetzgebung – Dokumentation der internationalen Konferenz zur Problematik kriegsbedingt verlagerter Kulturgüter; Moskau, 24. und 25. April 2001, 2001, S. 226–231.
4. Abschnitt: Einstweiliger Rechtsschutz und ,provisional remedies‘
387
rem Gesellschaftssitz erweisen, und die Gemälde in der Folge häufig wieder über einen langen Zeitraum im kulturellen Schwarzmarkt verschwinden.
A. Einstweilige Verfügung innerhalb der deutschen Rechtsordnung Da es für Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes keine einheitlichen europäischen Zuständigkeitsvorschriften gibt, werden die Zuständigkeitsgründe des nationalen Rechts beibehalten.850 Dies hat zugunsten potenziell restitutionsberechtigter Kläger gegenüber den aktuellen Besitzern unrechtmäßig entzogener Kulturgüter den Vorteil, dass exorbitante, weil einseitig klägerfreundliche Gerichtsstände des einstweiligen Rechtsschutzes nicht ausgeschlossen werden.851 Während bspw. bei dem référé provision innerhalb der französischen Rechtsordnung, dem kort geding der Niederlande und in anderen europäischen Rechtsordnungen die Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes faktisch die Funktion von Erkenntnisverfahren erfüllen und auch innerhalb der Restitution unrechtmäßig entzogener Kulturgüter zu instrumentalisieren sind, steht für solche Konstellationen und die Sicherung der Durchführung eines Restitutionsprozesses innerhalb der deutschen Rechtsordnung das Institut der einstweiligen Verfügung (als das klassische Mittel zur Verwirklichung vorläufigen Rechtsschutzes im Eilverfahren) parat. Um eine einstweilige Verfügung im Sinne der §§ 935 und 940 ZPO zu erwirken, hat der Antragsteller nach §§ 936, 920 Abs. 2 ZPO seinen zu sichernden Anspruch schlüssig darzulegen und dessen tatsächliche Voraussetzungen, ebenso wie den Verfügungsgrund, glaubhaft zu machen.852 Die den Verfügungsgrund begründende Dringlichkeit des Rechtsschutzes liegt bspw. in den Fällen der temporären Leihgabe und Ausstellung innerhalb Deutschlands in der drohenden Rückverbringung des Kunst- und Kulturguts ins Ausland.853 Während grundsätzlich der Umfang der rechtlichen Prüfung demjenigen des Hauptsacheverfahrens entspricht, muss dieser jedoch dann eine Reduktion erfahren, wenn er einen rechtzeitigen Rechtsschutz zunichtemachen würde.854 850
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854
Art. 31 EuGVVO: Die im Recht eines Mitgliedstaats vorgesehenen einstweiligen Maßnahmen einschließlich solcher, die auf eine Sicherung gerichtet sind, können bei den Gerichten dieses Staates auch dann beantragt werden, wenn für die Entscheidung in der Hauptsache das Gericht eines anderen Mitgliedstaats aufgrund dieser Verordnung zuständig ist. Vgl. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 3, Rdnr. 253a, S. 157–158. Vgl. bspw. für den internationalen Kulturgüterverkehr Kienle/Weller, Die Vindikation gestohlener Kulturgüter im IPR, IPRax 2004, S. 290–294, S. 293–294. Kienle/Weller, Die Vindikation gestohlener Kulturgüter im IPR, IPRax 2004, S. 290–294, S. 293–294. § 917 Abs. 2 S. 2 ZPO findet auf einstweilige Verfügungen keine Anwendung, Zöller/Vollkommer, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 936 Rn. 1. Zum Inhalt des Justizgewähranspruches Schilken, Gerichtsverfassungsrecht, 3. Aufl. 2003, Rdnr. 88 ff.
410
388
2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
In diesem Fall muss eine Interessenabwägung neben die rechtliche Prüfung treten.855 Da aufgrund der Internationalität kultureller Restitutionsverfahren und der damit verbundenen Applikation ausländischer Rechtsregeln dem Gericht überdies in vielen Konstellationen nur ein eingeschränkter Prüfungsmaßstab obliegt856, besteht für den die Rückführung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter beanspruchenden Kläger regelmäßig zumindest innerhalb des vorläufigen Rechtsschutzes die begründete Hoffnung, einen Herausgabeanspruch im erforderlichen Maße darlegen zu können, um eine umfassende Auseinandersetzung mit der kollisionsrechtlichen Frage dem Gericht der Hauptsache vorzubehalten.857 Kienle und Weller regen diesbezüglich an, als Inhalt der hier in Betracht kommenden Sicherungsverfügung die Herausgabe an einen Sequester anzuregen, da die bei verbotener Eigenmacht an sich zulässige Leistungsverfügung wegen der gebotenen Abstriche bei der Schlüssigkeitsprüfung ausscheiden dürfte.858
B.
Provisional remedies in den Vereinigten Staaten
411
Besonders innerhalb der rechtlichen Ausgestaltung des wichtigsten internationalen Kunstmarktes, des amerikanischen Kulturgüterverkehrs, findet eine Instrumentalisierung sog. provisional remedies statt, um eine Sicherung kultureller Vermögensgüter zu erreichen. Als Mittel einer einstweiligen Verfügung stehen einerseits die sog. preliminary injunctions und andererseits die sog. temporary restraining orders zur Verfügung, die von allen Federal District Courts aufgrund der Federal Rules of Civil Procedure erlassen werden können.859
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Rule 65 Federal Rules of Civil Procedure (2007, incorporating the revisions that took effect Dec. 1, 2007). Injunctions and Restraining Orders: (a) Preliminary Injunction. (1) Notice. The court may issue a preliminary injunction only on notice to the adverse party. (2) Consolidating the Hearing with the Trial on the Merits. Before or after beginning the hearing on a motion for a preliminary injunction, the court may advance the trial on the
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Vgl. Kienle/Weller, Die Vindikation gestohlener Kulturgüter im IPR, IPRax 2004, S. 290– 294, S. 293–294; Zöller/Vollkommer, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 935 Rn. 7. So Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Urteil des 6. Zivilsenats vom 08.06.1989, Az.: 6 U 135/88, RIW 1990, S. 225–226 (An die Prüfung ausländischen Rechts sind im Arrestprozeß nicht dieselben Anforderungen wie im normalen Erkenntnisverfahren zu stellen, das Erfordernis der bloßen Glaubhaftmachung genügt auch für die Prüfung des ausländischen Rechts.). Vgl. Kienle/Weller, Die Vindikation gestohlener Kulturgüter im IPR, IPRax 2004, S. 290– 294, S. 293–294. Vgl. Kienle/Weller, Die Vindikation gestohlener Kulturgüter im IPR, IPRax 2004, S. 290– 294, S. 293–294. Vgl. Hay, US-Amerikanisches Recht, 3. Aufl. 2005, Rdnr. 190–193, S. 58–59.
4. Abschnitt: Einstweiliger Rechtsschutz und ,provisional remedies‘
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merits and consolidate it with the hearing. Even when consolidation is not ordered, evidence that is received on the motion and that would be admissible at trial becomes part of the trial record and need not be repeated at trial. But the court must preserve any party’s right to a jury trial. (b) Temporary Restraining Order. (1) Issuing Without Notice. The court may issue a temporary restraining order without written or oral notice to the adverse party or its attorney only if: (A) specific facts in an affidavit or a verified complaint clearly show that immediate and irreparable injury, loss, or damage will result to the movant before the adverse party can be heard in opposition; and (B) the movant’s attorney certifies in writing any efforts made to give notice and the reasons why it should not be required. (2) Contents; Expiration. Every temporary restraining order issued without notice must state the date and hour it was issued; describe the injury and state why it is irreparable; state why the order was issued without notice; and be promptly filed in the clerk’s office and entered in the record. The order expires at the time after entry – not to exceed 10 days – that the court sets, unless before that time the court, for good cause, extends it for a like period or the adverse party consents to a longer extension. The reasons for an extension must be entered in the record. (3) Expediting the Preliminary-Injunction Hearing. If the order is issued without notice, the motion for a preliminary injunction must be set for hearing at the earliest possible time, taking precedence over all other matters except hearings on older matters of the same character. At the hearing, the party who obtained the order must proceed with the motion; if the party does not, the court must dissolve the order. (4) Motion to Dissolve. On 2 days’ notice to the party who obtained the order without notice – or on shorter notice set by the court – the adverse party may appear and move to dissolve or modify the order. The court must then hear and decide the motion as promptly as justice requires.
Preliminary Injunctions dienen dem Schutz von Eigentums- und Vermögensrechten, wenn irreparable Schäden drohen und – wie im Falle des Restitutionsbegehrs unrechtmäßig entzogener Kulturgüter – eine Schadensersatzzahlung in Geld unzureichend wäre.860 Der potenziell restitutionsberechtigte Kläger und Antragsteller muss hierfür nachweisen, dass ein Rechtsmittel des Common Law seinem Begehren nicht abhelfen kann, und die Gründe für seinen Antrag darlegen und glaubhaft machen. Das Bundesrecht macht den Erlass der im Ermessen des Gerichts liegenden Sicherungsverfügung von der Benachrichtigung (notice) und Anhörung (opportunity to be heard) des potenziell restitutionspflichtigen Antragsgegners und Besitzers unrechtmäßig entzogener Kulturgüter abhängig.861 Besondere Bedeutung erlangt der vorläufige Rechtsschutz mittels einer sog. temporary restraining order im internationalen Kulturgüterschutz und bei kulturellen Restitutionsverfahren unrechtmäßig entzogener Kulturgüter im Gegensatz zur preliminary injunction besonders deshalb, weil die gerichtliche Sicherungsverfügung hier auch ohne Anhörung des Besitzers des unrechtmäßig entzogenen Kulturguts und Antragsgegners (ex parte) ergehen kann und eine
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Vgl. Hay, US-Amerikanisches Recht, 3. Aufl. 2005, Rdnr. 190–193, S. 58–59. Vgl. Hay, US-Amerikanisches Recht, 3. Aufl. 2005, Rdnr. 190–193, S. 58–59.
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
besondere Dringlichkeit voraussetzt. Der Antragsgegner ist allerdings erst dann an die order gebunden, wenn er Kenntnis ihres Inhalts hat. Die order ist zunächst auf 10 Tage beschränkt, kann aber einmal verlängert werden. In dieser Zeit soll eine Anhörung des Gegners für den Erlass einer injunction stattfinden.862 Als Common Law-Rechtsmittel zur vorläufigen Sicherung von Kunstwerken innerhalb kultureller Restitutionsverfahren nach unrechtmäßiger Entziehung ist innerhalb des amerikanischen Zivilprozessrechts über bisher Gesagtes hinaus ein dinglicher Arrest zur Sicherung der Vollstreckung aus einem zukünftigen Urteil ( prejudgment attachment) nach Rule 65 der Federal Rules of Civil Procedure (2007) einschlägig. 414
Rule 64. Federal Rules of Civil Procedure (2007, incorporating the revisions that took effect Dec. 1, 2007). Seizing a Person or Property: (a) Remedies Under State Law – In General. At the commencement of and throughout an action, every remedy is available that, under the law of the state where the court is located, provides for seizing a person or property to secure satisfaction of the potential judgment. But a federal statute governs to the extent it applies. (b) Specific Kinds of Remedies. The remedies available under this rule include the following – however designated and regardless of whether state procedure requires an independent action: arrest; attachment; garnishment; replevin; sequestration; and other corresponding or equivalent remedies.
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Voraussetzung der gerichtlichen Beschlagnahme ist hier, dass der die Restitution eines Kulturguts beantragende Kläger das Vorliegen eines Arrestgrundes sowie die Wahrscheinlichkeit seines Obsiegens in der Hauptsache gegenüber dem aktuellen Besitzer des unrechtmäßig entzogenen Kulturguts darlegen kann. Die meisten Staaten verlangen darüber hinaus vom Antragsteller eine Sicherheitsleistung zugunsten des Antragsgegners bei unberechtigter Arrestanordnung. Ein Arrestantrag kann auch ohne Benachrichtigung des Antragsgegners erfolgen, seine Anhörung ist aber alsbald nachzuholen. Die örtliche Zuständigkeit ist allein am Gerichtsstand des Belegenheitsortes des unrechtmäßig entzogenen Kulturguts begründet, es ist dabei jedoch kein weitergehender Gerichtsstand, d.h. für Klagen aus nicht forums- oder sachbezogenen Ansprüchen, möglich.863
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So Hay, US-Amerikanisches Recht, 3. Aufl. 2005, Rdnr. 190–193, S. 58–59. Vgl. ausführlich hierzu Hay, US-Amerikanisches Recht, 3. Aufl. 2005, Rdnr. 190–193, S. 58–59.
5. Abschnitt Rechtsdurchsetzung ausländischer Kunstrestitutionsurteile Einleitend wurde bereits darauf hingewiesen, dass in zivilrechtlichen Kunstrestitutionsverfahren zwei unterschiedliche Methoden der prozessualen Verfolgung bestehender Rechtspositionen gegenüber dem Besitzer von unrechtmäßig entzogenen und illegal transferierten Kulturgütern bestehen: Neben einer Klage direkt im ausländischen Forum, eventuell mit unmittelbarer Sicherstellung des Kulturguts bis zum Ausgangsverfahren, und anschließender Vollstreckung des ausländischen Titels in diesem Forum ist auch eine Klage des die Restitution anstrengenden Klägers im heimischen Forum mit anschließender Vollstreckung des erstrittenen Titels im ausländischen Forum denkbar. In diesem Zusammenhang wurde zwar einschränkend festgestellt, dass die die Herausgabe begehrenden Kläger, die eine Restitution zuvor illegal transferierter Kulturgüter intendieren, grundsätzlich die unmittelbare Sicherung des status quo der kulturgüterrechtlichen Güterlage anvisieren, um weitere Transaktionen mit den Kunstwerken und damit die sukzessive Verdunkelungs- und möglicherweise endgültige Verlustgefahr der Kulturgüter im kulturellen Schwarzmarkt zu verhindern und dass aus diesen Gründen die Kläger eine Klage unmittelbar in denjenigen Foren bevorzugen, in denen sich die illegal transferierten Kulturgüter selbst momentan örtlich befinden (locus rei sitae), bzw. alternativ in denjenigen Foren, in denen sich der Wohnsitz derjenigen Personen befindet, die die tatsächliche Sachherrschaft über die streitbefangene Sache kulturellen Werts ausüben. Trotzdem erscheint auch eine Klage im Ursprungsstaat des illegal transferierten Kulturguts mit anschließender Anerkennung und Vollstreckung in der ausländischen Rechtsordnung Erfolg versprechend, in der sich das Kunstwerk nach dem illegalen Transfer örtlich befindet.
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Wie bereits einleitend zur internationalen Zuständigkeit in Kunstrestitutionsverfahren erläutert, findet sich bisher lediglich eine einzige Entscheidung, in der ein Ursprungsstaat ein Beschlagnahmeurteil zuvor illegal transferierter Kulturgüter eines nationalen Zivilgerichts im Ausland rechtlich durchzusetzen suchte – letztendlich vergeblich. In der Fallstudie Ministre de l’instruction publique du Royaume d’Italie c. Prince Colonna di Sciarra, Collection Barberini des Cour d’Appel de Paris aus dem Jahre 1892864 versuchte Italien vergeblich, ein durch ein italie-
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Ministre de l’instruction publique du Royaume d’Italie c. prince Colonna di Sciarra, Collection Barberini, 19 Clunet, S. 973 (1892); Cour de cassation 20. November 1892, 21 Clunet, S. 311 (1894); Lepelletier, De la prohibition d’exporter des objets d’art à l’étranger, d’après la législation italienne – Affaire de la Galerie Sciarra, Journal du Droit International Privé et de la Jurisprudence Comparée, Tome 23 (1896), S. 962–981; Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 201–203.
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
nisches Gericht ergangenes Restitutionsurteil in Frankreich (als dem Ort der aktuellen Belegenheit der Kunstwerke) vollstrecken zu lassen. 418
Nachdem die italienische Regierung von dem Export dieses Teils der Sammlung nach Frankreich erfuhr, beantragte diese vor einem italienischen Zivilgericht die Beschlagnahme der illegal transferierten Kulturgüter (sequestro entsprechend Art. 1875 Codice civile aus dem Jahre 1865, sowie Art. 921 und 927 Codice di procedura civile aus dem Jahre 1865). Am 29. Januar 1892 gewährte das Tribunale di Roma in einem einseitigen, ohne Anhörung der Gegenseite geführten Verfahren den Klageantrag und ordnete die Beschlagnahme der illegal transferierten (hier: ohne Ausfuhrgenehmigung illegal exportierten) Kulturgüter an.865 In der Folge ersuchte die italienische Regierung vor einem französischen Gericht die Vollstreckung dieser in einem italienischen Gericht gefällten Entscheidung.866 Im Ergebnis verweigerten jedoch der französische Cour d’Appel de Paris sowie der Cour de cassation im Jahre 1892 die Vollstreckung des durch ein italienisches Zivilgericht angeordneten Beschlagnahmeurteils unter Verweis auf die Besonderheit des vorliegenden italienischen Zivilverfahrens, in dem in einem einseitigen, ohne Anhörung der Gegenseite geführten Verfahren die Beschlagnahme angeordnet wurde, und bestimmten, dass derartige nichtkontrovers getroffene und damit einseitig ergangene Entscheidungen in Frankreich keine Rechtsdurchsetzung finden können. Prince Barberini Colonna di Sciarra dagegen wurde in Italien wegen des Verstoßes gegen die in der sog. Lex Pacca von 1820 normierten Exportregularien der Stadt Rom strafrechtlich durch das Tribunale di Roma zu einer Strafe in Höhe von 1.266.000 Francs verurteilt, die jedoch durch die Corte d’Appello auf 500.000 Francs und schließlich auf 1.800 Lire reduziert wurde.867
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Wie bereits erwähnt, sind, soweit ersichtlich, keine weiteren Entscheidungen innerhalb des internationalen Kulturgüterschutzrechts ersichtlich, in denen Restitutionskläger bzw. kulturelle Ursprungsstaaten ein Restitutionsurteil zuvor unrechtmäßig entzogener bzw. illegal transferierter Kulturgüter eines nationalen Zivilgerichts im Ausland rechtlich durchzusetzen suchten. Heute bestehen jedoch sowohl national als auch international, vor allem zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, weitreichende Übereinstimmungen innerhalb der Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen in Zivil- und Handelssachen eines Mitgliedstaates der Europäischen Union in einem anderen Mitglied865
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Eine französische Übersetzung dieser Gerichtsentscheidung ist abgedruckt in 19 Clunet, S. 974 (1892), Cour d’Appel de Paris 27 April 1892, 19 Clunet, S. 973 (1892). Vgl. zu den tatsächlichen Sachverhaltsangaben Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 201–203. Lepelletier, De la prohibition d’exporter des objets d’art à l’étranger, d’après la législation italienne – Affaire de la Galerie Sciarra, Journal du Droit International Privé et de la Jurisprudence Comparée, Tome 23 (1896), S. 962–981, S. 966–967; Frigo, La protezione dei beni culturali nel diritto internazionale, 1986, S. 19; Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 202.
5. Abschnitt: Rechtsdurchsetzung ausländischer Kunstrestitutionsurteile
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staat. Während ein am Wohnsitz des Schuldners ergangenes vindikatorisches Herausgabeurteil zuvor unrechtmäßig entzogener Kulturgüter grundsätzlich (d.h. es liegen keine besonderen Hindernisse vor) in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union vollstreckbar ist, d.h. auch im Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet sich die Sache befindet (am kulturellen Belegenheitsort), müssen sowohl nach nationalem als auch nach europäischem Recht generell besondere Voraussetzungen zur Vollstreckung kultureller Restitutionsurteile eines Zivilforums in einem ausländischen (europäischen oder internationalen) Forum vorliegen. Hintergrund für das Bedürfnis dieser besonderen Bedingungen der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile ist die Qualifizierung von Gerichtsurteilen als staatliche Hoheitsakte, deren Rechtswirkungen bekanntlich auf das Hoheitsgebiet des Urteilsstaates (des sog. Erststaates) beschränkt sind, ohne dass etwa eine diesbezügliche völkerrechtliche Pflicht der Anerkennung bzw. Vollstreckung ausländischer Restitutionsurteile innerhalb des sog. Zweitstaates bestünde. Deshalb steht jedem Staat grundsätzlich allein das Recht zur Bestimmung derjenigen Voraussetzungen zu, die erforderlich sind, damit ausländische Restitutionsurteile unrechtmäßig entzogener Kulturgüter in dessen Staatsgebiet Wirkung zeitigen. Während nach traditioneller Sicht grundsätzlich ausländische Gerichtsurteile in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten, wie in Straf-, Zoll-, Export- und Steuersachen, im Inland herkömmlicherweise weder anerkennungsfähig noch vollstreckbar waren, entspricht indes die Anerkennung ausländischer Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (und damit auch kultureller Restitutionsentscheidungen unrechtmäßig entzogener Kulturgüter mit den Mitteln des Zivilrechts), bei denen private Interessen berührt sind, allgemeiner Staatenpraxis.868 Dementsprechend steht auch in den Konstellationen der Restitution zuvor unrechtmäßig entzogener Kulturgüter mit den Mitteln des Privatrechts heute durchaus die Möglichkeit der Klage in einem anderen Forum als dem der örtlichen Belegenheit des illegal transferierten Kulturguts offen.
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A. Anerkennung ausländischer Restitutionsurteile Besondere praktische Bedeutung erlangen dabei insbesondere die Rechtsvorschriften der Anerkennung und Vollstreckung kultureller Restitutionsurteile innerhalb der Europäischen Union, innerhalb Deutschlands und innerhalb der Vereinigten Staaten.
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Vgl. einleitend hierzu Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 3, Rdnr. 149–181, S. 111–122.
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
I.
Anerkennung innerhalb der Europäischen Union und Deutschlands
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Während bspw. innerhalb der deutschen Rechtsordnung eine Anerkennung und Vollstreckung kultureller Restitutionsurteile auch außerhalb völkerrechtlicher Verträge in § 328 bzw. §§ 722, 723 ZPO vorgesehen sind, kommen heute als Rechtsquellen der Anerkennung und Vollstreckung kultureller Restitutionsurteile innerhalb der Europäischen Union nach der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 22.12.2000 (EuGVVO, sog. Brüssel I-VO)869, dem Brüsseler EWG-Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVÜ) in seiner ursprünglichen Fassung vom 27.9.1968 gegenüber dem Mitgliedstaat Dänemark und dem Luganer Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivilund Handelssachen (LugÜ) vom 16.9.1988870 gegenüber Island, Norwegen und der Schweiz besondere Bedeutung zu. Ebenso wie innerhalb des deutschen Verfahrensrechts ist auch innerhalb der EuGVVO die Vorgehensweise bei der Rechtsverfolgung eines erstrittenen Gerichtsurteils eines ausländischen Forums vor den nationalen Gerichten zweistufig ausgestaltet und lässt der Anerkennung des ausländischen Urteils dessen Vollstreckung in einem zweiten Schritt folgen. Während die Anerkennung eines ausländischen Urteils grundsätzlich zur Folge hat, dass der Entscheidung auch im Inland die Wirkung eingeräumt wird, die ihr in dem Staat, in dessen Hoheitsgebiet sie ergangen ist, zukommt (sog. Wirkungserstreckung), ist für die Vollstreckung ausländischer Entscheidungen ein besonderes Urteilsverfahren (sog. Exequaturverfahren) vorgesehen.871
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Außerhalb des Anwendungsbereichs der EuGVVO vom 22.12.2000 richtet sich die Anerkennung ausländischer Gerichtsurteile auf Restitution unrechtmäßig entzogener Kulturgüter nach § 328 ZPO. Ebenso wie § 328 ZPO kein eigenständiges gerichtliches Anerkennungsverfahren (sog. Delibationsverfahren) vorsieht und die Anerkennung ohne besonderen Ausspruch eintritt, soweit ihre Voraussetzungen vorliegen, erfolgt auch die Anerkennung in einem anderen Vertragsstaat ergangener Entscheidungen nach Art. 33 Abs. 1 der EuGVVO vom 22.12.2000 ohne ein besonderes Verfahren.872
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ABI. EG 2001 Nr. L 12/1. Vgl. BGBl. 1994 II S. 2660. Vgl. hierzu und zum Folgenden die kulturgüterunspezifischen, generell geltenden Ausführungen bei Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 3, Rdnr. 149–181, S. 111–122. Vgl. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 3, Rdnr. 149–181, S. 111–122.
5. Abschnitt: Rechtsdurchsetzung ausländischer Kunstrestitutionsurteile
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§ 328 ZPO: Anerkennung ausländischer Urteile (1) Die Anerkennung des Urteils eines ausländischen Gerichts ist ausgeschlossen: 1. wenn die Gerichte des Staates, dem das ausländische Gericht angehört, nach den deutschen Gesetzen nicht zuständig sind; 2. wenn dem Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat und sich hierauf beruft, das verfahrenseinleitende Dokument nicht ordnungsmäßig oder nicht so rechtzeitig zugestellt worden ist, dass er sich verteidigen konnte; 3. wenn das Urteil mit einem hier erlassenen oder einem anzuerkennenden früheren ausländischen Urteil oder wenn das ihm zugrunde liegende Verfahren mit einem früher hier rechtshängig gewordenen Verfahren unvereinbar ist; 4. wenn die Anerkennung des Urteils zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist, insbesondere wenn die Anerkennung mit den Grundrechten unvereinbar ist; 5. wenn die Gegenseitigkeit nicht verbürgt ist. (2) Die Vorschrift der Nummer 5 steht der Anerkennung des Urteils nicht entgegen, wenn das Urteil einen nichtvermögensrechtlichen Anspruch betrifft und nach den deutschen Gesetzen ein Gerichtsstand im Inland nicht begründet war oder wenn es sich um eine Kindschaftssache (§ 640) oder um eine Lebenspartnerschaftssache im Sinne des § 661 Abs. 1 Nr. 1 und 2 handelt.
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Eine ex lege Anerkennung eines ausländischen Urteils mit dem Inhalt einer Restitutionspflicht eines zuvor unrechtmäßig entzogenen Kulturguts gegenüber dem aktuellen Besitzer erfolgt danach in dem Zweitstaat, wenn der ausländische Staat die Grenzen seiner Gerichtsgewalt nicht überschritten hat und damit die Voraussetzungen der (internationalen) Gerichtsbarkeit des Erststaates vorlagen, die Gerichte des Erststaates aus deutscher Sicht, d.h. unter hypothetischer Geltung der deutschen Zuständigkeitsregeln, für die Entscheidung international zuständig waren, im Erstgericht der Grundsatz des rechtlichen Gehörs gewahrt wurde (d.h. die Zustellung den Vorschriften des Erststaates genügte und die tatsächliche Verteidigungsmöglichkeit des Beklagten nicht eingeschränkt war), in dem Verfahren und der Urteilsfindung innerhalb des Erststaates den Anforderungen des deutschen ordre public entsprochen wurde (ohne dass jedoch dem deutschen Gericht eine umfassende Nachprüfung der ausländischen Entscheidung in tatsächlicher, materiell- und verfahrensrechtlicher Hinsicht (sog. révision au fond) gestattet wäre) und die Gegenseitigkeit der Anerkennung auch im Zweitstaat gewahrt war.873 Wird die Anerkennung eines Restitutionsurteils unrechtmäßig entzogener Kulturgüter zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union gesucht, d.h. innerhalb des Anwendungsbereichs der EuGVVO vom 22.12.2000, finden sich in den Art. 32 bis 37 die einschlägigen Rechtsvorschriften.
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Nach Art. 32 wird innerhalb der EuGVVO vom 22.12.2000 unter der Terminologie „Entscheidung“ jede von einem Gericht eines Mitgliedstaats erlassene Entscheidung verstanden, ohne Rücksicht auf ihre Bezeichnung wie Urteil, Beschluss, Zahlungsbefehl oder Vollstreckungsbescheid, einschließlich des Kostenfestsetzungsbeschlusses eines Gerichtsbediensteten. Selbstredend ist von diesem
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Vgl. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 3, Rdnr. 149–181, S. 111–122.
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
sachlichen Anwendungsbereich die zivilrechtliche Restitutionspflicht des Besitzers eines unrechtmäßig entzogenen Kulturguts aufgrund vindikatorischen und besitzrechtlichen Herausgabeanspruchs sowie des Anspruchs auf Restitution aufgrund eines deliktischen Eingriffs in die Eigentums- oder Besitzlage (law of delict) sowie der Forderung aus ungerechtfertigter Bereicherung (law of unjust enrichment) erfasst. Ebenso wie innerhalb der deutschen Rechtsordnung wird ein in einem Mitgliedstaat ergangenes Restitutionsurteil unrechtmäßig entzogener Kulturgüter in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf. Indes ist nach Art. 33 Abs. 2 bei entsprechendem Rechtsschutzbedürfnis eine Feststellungsklage bzw. nach Abs. 3 ebenso die inzidente Überprüfung der Anerkennungsfähigkeit in einem gerichtlichen Verfahren möglich. Ebenso wenig wie innerhalb der deutschen Rechtsordnung ist innerhalb der Anerkennung eines Restitutionsurteils unrechtmäßig entzogener Kulturgüter zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union keine Überprüfung der ausländischen Entscheidung in der Sache selbst (sog. révision au fond) möglich. Die Restitutionsentscheidung eines Gerichts eines Mitgliedstaates der Europäischen Union wird nach Art. 34 der EuGVVO vom 22.12.2000 nicht anerkannt, wenn als ungeschriebene Voraussetzung keine internationale Gerichtsbarkeit bei der Restitutionsentscheidung gegeben war, wenn die Anerkennung der öffentlichen Ordnung (ordre public) des Mitgliedstaats, in dem sie geltend gemacht wird, ihr offensichtlich widersprechen würde, wenn die Verteidigungsrechte des restitutionspflichtigen Beklagten nicht gewahrt würden (d.h., wenn dem Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden wäre, dass er sich hätte verteidigen können, es sei denn, der Beklagte hat gegen die Entscheidung keinen Rechtsbehelf eingelegt, obwohl er die Möglichkeit dazu hatte) und wenn eine entgegenstehende Entscheidungen bestände (d.h., wenn die Anerkennung entweder mit einer Entscheidung unvereinbar wäre, die zwischen denselben Parteien in dem Mitgliedstaat, in dem die Anerkennung geltend gemacht wird, ergangen ist, oder sie mit einer früheren Entscheidung unvereinbar wäre, die in einem anderen Mitgliedstaat oder in einem Drittstaat zwischen denselben Parteien in einem Rechtsstreit wegen desselben Anspruchs ergangen ist, sofern die frühere Entscheidung die notwendigen Voraussetzungen für ihre Anerkennung in dem Mitgliedstaat erfüllt, in dem die Anerkennung geltend gemacht wird). Somit erfolgt entgegen der innerdeutschen Voraussetzung des § 328 der ZPO zur Anerkennung einer Restitutionsentscheidung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter weder eine Überprüfung der internationalen Zuständigkeit des Gerichtes des Erststaates, noch eine Verbürgung der Gegenseitigkeit zwischen den Vertragsstaaten im Sinne gleichwertiger Anerkennungsvoraussetzungen.874 874
Vgl. auch Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 3, Rdnr. 254–270, S. 158–164.
5. Abschnitt: Rechtsdurchsetzung ausländischer Kunstrestitutionsurteile
II.
Anerkennung innerhalb der Vereinigten Staaten
Im Gegensatz hierzu stellt innerhalb der amerikanischen Rechtsordnung als Beispielsrechtsordnung des Common Law zur Anerkennung eines ausländischen Gerichtsurteils auf Restitution unrechtmäßig entzogener Kulturgüter das Verfahren auf Erlass eines Urteils im Anerkennungsstaat (sog. Zweitstaat) zum Zwecke der Vollstreckung einer gerichtlich festgestellten Restitutionspflicht aus einem sog. Erststaat ein streitiges Verfahren dar, sodass das Gericht auch über die personal jurisdiction verfügen muss. Es erfolgt also keine Anerkennung und Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Urteils, sondern es ergeht ein Anerkennungsurteil. Dabei ist zwischen dem sog. full faith and credit-Gebot der Bundesverfassung und der Möglichkeit der Registrierung bundesgerichtlicher Urteile in anderen Staaten zu unterscheiden. Das full faith and credit-Gebot wird durch 28 U.S.C. § 1738 konkretisiert und bedeutet, dass einem US-amerikanischen Endurteil (sog. final judgment) in jedem anderen Bundesstaat die Wirkungen zu verleihen sind, die es in dem amerikanischen Bundesstaat hat, in dem es erlassen wurde. Daneben bietet 28 U.S.C. § 1963 die Möglichkeit, bundesgerichtliche Urteile auf Zahlung einer Geldsumme oder Herausgabe einer beweglichen Sache (d.h. somit auch kultureller Wertgegenstände) in anderen Staaten registrieren zu lassen, wodurch eine neues, zweites Urteil entsteht (Möglichkeit der Registrierung bundesgerichtlicher Urteile in anderen Staaten). Da jedoch ausländische (d.h. nicht US-amerikanische) Urteile nicht dem full faith and creditGebot unterfallen, müssen die allgemeinen Voraussetzungen der Anerkennung ausländischer Urteile, d.h. die internationale Gerichtsbarkeit, die internationalen Zuständigkeit, die Wahrung des procedural due process und in einigen Bundesstaaten das Erfordernis der Gegenseitigkeit innerhalb des Registrierungsverfahrens gewahrt sein, in dem dem kulturell herausgabepflichtigen Beklagten alle Vorschriften des Staates hinsichtlich der Wiedereröffnung des Verfahrens, der Aussetzung der Vollstreckung, des Anhängigmachens weiterer Einreden und weiterer Verteidigungsmittel zustehen. Die Registrierung ausländischer Urteile stellt damit ein zwar schnelles, jedoch einredeoffenes Verfahren der grenzüberschreitenden Rechtsdurchsetzung auch innerhalb des internationalen Kulturgüterschutzes dar.875
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Vgl. zum Ganzen Hay, US-Amerikanisches Recht, 3. Aufl. 2005, Rdnr. 213–220, S. 65–66.
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
III. Res iudicata-Wirkung: Sumpflegende-Konstellation ‚reloaded‘ 428
In Band 1: Illegaler Kulturgüterverkehr des Rechtshandbuchs Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht fand im 7. Teil Rdnr. 119 ff. der Sumpflegende-Fall bereits ausführliche tatsächliche wie rechtliche Erörterung, sodass die Konstellation hier nur kursorische Darstellung zur Erinnerung findet und sich auf eine mögliche Anerkennung eines ausländischen Gerichtsurteils und die Frage der sog. res iudicata-Wirkung konzentriert werden kann. Der Grundsatz der res iudicata besagt allgemein, dass eine identische Klage unzulässig ist, wenn eine (materiell) rechtskräftige Entscheidung bereits ergangen ist.
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Die ‚Sumpflegende‘ von Paul Klee wurde von dem Künster selbst an Dr. Paul Erich Küppers aus Hannover veräußert, der das Kunstwerk mit seinem frühen Tod an seine Frau vererbte. Diese stellte das Gemälde im Jahre 1926 dem damaligen Provinzialmuseum Neuerer Meister in Hannover als Dauerleihgabe zur Verfügung.876 Auch nach der Hochzeit von Frau Küppers mit dem Russen El Lissitzky und der Emigration nach Russland verblieb das Gemälde in dem Provinzialmuseum.877 Das Bild stand somit im Eigentum von Frau Küppers-Lissitzky, als es die Nationalsozialisten im Jahre 1937 als ‚entartet‘ einzogen. Das Deutsche Reich sah sich aufgrund des Gesetzes über Einziehung von Erzeugnissen entarteter Kunst vom 31. Mai 1938 nun als Eigentümer des Gemäldes und betrieb die finanzielle Verwertung, indem das Kunstwerk zwei Jahre später an den Kunsthändler Dr. Hildebrand Gurlitt für 500 Schweizer Franken veräußert wurde. Erst im Jahre 1962 trat die ‚Sumpflegende‘ wieder öffentlich in den Kunstmarkt ein, als ein Kölner Rechtsanwalt das Kunstwerk im Auktionshaus Lempertz in Köln einlieferte, wo es Dr. Arntz für die Baseler Galerie Ernst Beyerle ersteigerte. In den darauffolgenden Jahren fanden mehrere heute nicht mehr rekonstruierbare Eigentumswechsel in der Schweiz statt. Die Luzerner Galerie Rosengart erwarb die ‚Sumpflegende‘ im Jahre 1973. Erst im Jahre 1982 kehrte das Gemälde durch einen Ankauf der Gabriele Münter- und Johannes EichnerStiftung in München nach Deutschland zurück, die es für die Münchener Städtische Galerie im Lenbachhaus erwarb. Die Rechtsposition des Lenbach-Hauses in München stellte Jen Lissitzky, ein Nachkomme des russischen Konstruktivisten und Architekten El Lissitzky und dessen Frau Sophie Küppers-Lissitzky, in Frage, als er das Gemälde in Berlin wiederentdeckte. Jen Lissitzky emigrierte im Jahre 1959 als jüdischer Sowjetbürger über Israel nach Köln und reklamierte das Eigentumsrecht an der ‚Sumpflegende‘ und weiteren Bildern aus dem Nachlass seiner Eltern. 876
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Reich/Fischer, Wem gehören die als „entartete Kunst“ verfemten, von den Nationalsozialisten beschlagnahmten Werke?, NJW 1993, S. 1417–1421, S. 1417; Vitt, FAZ vom 27.3.1992. Vgl. Kunze, Restitution „Entarteter Kunst“ – Sachenrecht und Internationales Privatrecht, 2000, S. 1–3.
5. Abschnitt: Rechtsdurchsetzung ausländischer Kunstrestitutionsurteile
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Das Landgericht Berlin hatte am 5. März 1992 eine einstweilige Verfügung erlassen, wogegen die Museumsleitung Widerspruch nach § 936 i.V.m. § 924 ZPO einlegte. Daraufhin wurde die einstweilige Verfügung von den Berliner Gerichten wieder aufgehoben. Die Gerichte prüften im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes jedoch (zu Recht) nicht, ob Jen Lissitzky noch Eigentümer des Bildes war, er also einen Verfügungsanspruch glaubhaft gemacht hatte Sie ließen seinen Antrag am fehlenden Verfügungsgrund scheitern.878 Es wurde für Recht befunden, dass ein Anordnungsgrund im Sinne der §§ 935, 940 ZPO in der vorliegenden Konstellation fehlte, da eine Vereitelung oder wesentliche Erschwerung der Verwirklichung des Herausgabeanspruchs nicht festgestellt werden könne. Nach Auffassung des Kammergerichts werde das behauptete Eigentumsrecht nicht dadurch vereitelt, dass das Bild nach der Ausstellung in Berlin an die sich als Eigentümerin gerierende Institution nach München zurückgegeben werde. Der Kläger sei nicht gehindert, dort seine Rechte geltend zu machen. (s. Abb. 33)
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Im Dezember 1993 musste Jen Lissitzky vor dem Landgericht München I eine weitere Niederlage hinnehmen, als seine Klage auf Herausgabe des Bildes rechtskräftig abgewiesen wurde.879 Das Landgericht begründete diese Entscheidung damit, dass ein Herausgabeanspruch verjährt sei – ohne zu der Frage des Eigentumsverlustes der ursprünglichen Eigentümerin Frau Sophie Küppers-Lissitzky aufgrund des Gesetzes über Einziehung von Erzeugnissen entarteter Kunst vom 31. Mai 1938 überhaupt auszuführen.880 Bei der rechtlichen Beurteilung der Verstaatlichung der ‚Sumpflegende‘ hätte es genügt, wenn das zur Entscheidung über die Herausgabe berufene Gericht festgestellt hätte, dass in dem konkreten Fall der personale Anwendungsbereich des Gesetzes über Einziehung von Erzeugnissen entarteter Kunst vom 31. Mai 1938 nicht eröffnet war, somit keine Legalisierungswirkung und Designation zu Staatseigentum des Deutschen Reiches eingetreten sein konnte, da sich die ‚Sumpflegende‘ als Leihgabe einer ausländischen Staatsbürgerin nach der Hochzeit von Frau Sophie Küppers mit dem Russen El Lissitzky in dem Provinzialmuseum befand und ausweislich des Wortlauts des Einziehungsgesetzes vom 31. Mai 1938 nur solche Kunstwerke ohne Entschädigung zugunsten des Reichs eingezogen werden durften, „soweit sie bei der Sicherstellung im Eigentum von Reichsangehörigen oder inländischen juristischen Personen standen“. Die Eigentümerin Frau Sophie Küppers-Lissitzky besaß zur Zeit der Designation zu Staatseigentum des Deutschen Reiches die sowjetrussische Staatsangehörigkeit ihres Mannes, die sie kraft ihrer Eheschließung erworben
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878 879
880
Vgl. Jayme, „Entartete Kunst“ und Internationales Privatrecht, 1994, S. 7–8. Vgl. Kunze, Restitution „Entarteter Kunst“ – Sachenrecht und Internationales Privatrecht, 2000, S. 1–3. Landgericht München I, Entscheidung der 9. Zivilkammer vom 8.12.1993, Az.: 9 O 15935/93, IPRax 1995 (Heft 1), S. 43 mit kritischer Anmerkung von Jayme, vgl. ausführlich zu der Frage der Verjährung in dem ‚Sumpflegenden‘-Fall in Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel.
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
hatte. Dieser Aspekt ist in der 1993 vom Landgericht München erlassenen Entscheidung nicht erörtert worden. 432
In der Presse verlautbarte im Jahre 2009, dass der Rechtsnachfolger von Sophie Küppers-Lissitzky offenbar erneut die Rückführung des Gemäldes suchen und nun vor Gerichten der Vereinigten Staaten von Amerika die Restitution der ‚Sumpflegende‘ betreiben möchte. Dies wurde von Seiten der Anspruchsteller in den Medien nicht zuletzt mit den hohen Kostenvorschüssen des Klägers bei Klageerhebung vor deutschen Gerichten begründet, wenn man von einem Gegenstandswert des Gemäldes i.H.v. ca. 2 Millionen Euro ausgeht. Selbst wenn auf dem Territorium der Vereinigten Staaten in dieser Konstellation ein Restitutionsurteil zugunsten Jen Lissitzkys ergehen würde, würde sich die Frage stellen, ob bei einer möglichen Anerkennung und späteren Vollstreckung dieser Entscheidung in Deutschland gegen die deutsche Städtische Galerie im Lenbachhaus, München, nicht eine Umgehung der Entscheidung des Landgerichts München I vom Dezember 1993 erfolgt.
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Hier dürfte eine Rolle spielen, dass nach dem Grundsatz der res iudicata auch von einem – unterstellt – inhaltlich falschen Urteil res iudicata-Wirkung ausgeht, sodass in derselben Sache nicht nochmals geklagt werden darf. Das Rechtsinstitut der res iudicata dient der Rechtssicherheit: Sobald einmal über eine Sache rechtskräftig entschieden worden ist, soll eine fortwährende Auseinandersetzung (ein sog. regressus ad infinitum) vermieden werden. Wenn also eine Partei nach einem Gerichtsverfahren keine Rechtsmittel einlegt, kann sie zu einem späteren Zeitpunkt nicht noch einmal wegen desselben Streitgegenstandes gerichtlichen Rechtsschutz suchen, weder vor den eigenen Gerichten noch im Ausland, um so eine Änderung eines möglicherweise negativen Gerichtsurteils durchzusetzen. Durch das erste Gerichtsurteil wird die Streitsache zur res judicata und die vor Gericht entschiedenen Ansprüche gelten als abgegolten, unabhängig von der materiell-rechtlichen Richtigkeit der konkreten Gerichtsentscheidung. Damit schützt die res iudicata vornehmlich die Parteien eines Rechtsstreites vor weiteren Klagen oder Nachbesserungen, schießlich dient sie zugleich der Arbeitserleichterung der Gerichte, die einen Antrag auf Nachverhandlung einer res iudicata als unzulässig zurückweisen.
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Dieser Grundsatz findet sich innerhalb des Rechtsraums der Europäischen Union ausdrücklich in Art. 34 EuGVVO normiert, wonach eine Entscheidung dann nicht anerkannt wird, wenn „sie mit einer früheren Entscheidung unvereinbar ist, die in einem anderen Mitgliedstaat oder in einem Drittstaat zwischen denselben Parteien in einem Rechtsstreit wegen desselben Anspruchs ergangen ist, sofern die frühere Entscheidung die notwendigen Voraussetzungen für ihre Anerkennung in dem Mitgliedstaat erfüllt, in dem die Anerkennung geltend gemacht wird.“ Innerhalb Deutschlands ist die res iudicata-Wirkung in § 328 Abs. 1 Nr. 3 ZPO statuiert, wonach die Anerkennung des Urteils eines ausländischen Gerichts ausgeschlossen ist, „wenn das Urteil mit einem hier erlassenen oder einem
5. Abschnitt: Rechtsdurchsetzung ausländischer Kunstrestitutionsurteile
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anzuerkennenden früheren ausländischen Urteil oder wenn das ihm zugrunde liegende Verfahren mit einem früher hier rechtshängig gewordenen Verfahren unvereinbar ist“. Derselbe Grundsatz gilt bspw. auch in der Schweiz und LugÜ: Nach Art. 27 Abs. 2 lit. c IPRG ist die Anerkennung eines ausländischen Urteils zu verweigern, wenn in der Schweiz vor der Geltendmachung der Anerkennung ein Entscheid in gleicher Sache bereits gefällt worden ist. Im umgekehrten Fall, d.h. wenn eine Sache in der Schweiz anhängig gemacht wird, die bereits Gegenstand eines abgeschlossenen ausländischen Verfahrens war, hat der ausländische Entscheid aber nur eine Sperrwirkung, wenn er in der Schweiz anerkennungsfähig ist, d.h. die Voraussetzungen von Art. 25 ff. IPRG vorliegen. Art. 27 LugÜ entspricht grundsätzlich den Bestimmungen in Art. 25 ff. IPRG. Soweit somit in der Zukunft in der Sumpflegende-Konstellation – anders als vor dem Landgericht München I im Jahr 1993 – tatsächlich ein positives Restitutionsurteil in den USA zugunsten des Klägers Jen Lissitzkys ergehen sollte, stellt sich vor Herausgabevollstreckung gegen das Lenbachhaus in München die Frage nach der Anerkennung des amerikanischen Urteils im Inland. Dann wird die Frage nach einer res-iudicata-Wirkung des früheren deutschen, entgegen stehenden Urteils nach § 328 Abs. 1 Nr. 3 ZPO eine entscheidende Rolle spielen. Es ist jedoch fraglich, ob sich ein deutsches Museum in staatlicher Trägerschaft tatsächlich auf diese Rechtsgründe gegen ein amerikanisches Resitutionsurteil berufen würde, oder ob hier nicht eher moralische Aspekte das Haus in einer solchen Konstellation zu einem Rückführungsentscheid bewegen würden.
B.
Vollstreckung ausländischer Kunstrestitutionsurteile
Innerhalb des amerikanischen Vollstreckungssystems erfolgt die Vollstreckung (execution) auf Grundlage des in dem Anerkennungsverfahren ergehenden inneramerikanischen Zweit-(Anerkennungs-)urteils als eigenständige gerichtliche Entscheidung. Es macht dementsprechend für die Vollstreckung zivilrechtlicher Restitutionsansprüche des (ursprünglichen) Eigentümers gegen den unrechtmäßigen Besitzer rechtswidrig entzogener Kulturgüter keinen Unterschied, ob das ursprüngliche Urteil ein in- oder ausländisches gewesen ist. Während somit die amerikanische Vollstreckung ausländischer Restitutionsurteile unrechtmäßig entzogener Kulturgüter ein inneramerikanisches Anerkennungsurteil voraussetzt und dann die allgemeinen amerikanischen Vollstreckungsregeln gelten, erfolgen innerhalb der Civil Law-Staaten und der europäischen Rechtsregeln der einheitlichen Vollstreckung in Zivil- und Handelssachen die automatische Anerkennung und daraufhin die gerichtliche Vollstreckbarerklärung ausländischer Urteile, die die Restitution unrechtmäßig entzogener Kulturgüter anordnen.881
881
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Vgl. zum Ganzen Hay, US-Amerikanisches Recht, 3. Aufl. 2005, Rdnr. 213–221, S. 65–66.
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
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Außerhalb des Anwendungsbereichs der EuGVVO vom 22.12.2000 richtet sich die Vollstreckung ausländischer Gerichtsurteile auf Restitution gegenüber dem Besitzer unrechtmäßig entzogener Kulturgüter bspw. innerhalb der deutschen Rechtsordnung nach §§ 722, 723 ZPO.
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§ 722 ZPO: Vollstreckbarkeit ausländischer Urteile (1) Aus dem Urteil eines ausländischen Gerichts findet die Zwangsvollstreckung nur statt, wenn ihre Zulässigkeit durch ein Vollstreckungsurteil ausgesprochen ist. (2) Für die Klage auf Erlass des Urteils ist das Amtsgericht oder Landgericht, bei dem der Schuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat, und sonst das Amtsgericht oder Landgericht zuständig, bei dem nach § 23 gegen den Schuldner Klage erhoben werden kann. § 723 ZPO: Vollstreckungsurteil (1) Das Vollstreckungsurteil ist ohne Prüfung der Gesetzmäßigkeit der Entscheidung zu erlassen. (2) Das Vollstreckungsurteil ist erst zu erlassen, wenn das Urteil des ausländischen Gerichts nach dem für dieses Gericht geltenden Recht die Rechtskraft erlangt hat. Es ist nicht zu erlassen, wenn die Anerkennung des Urteils nach § 328 ausgeschlossen ist.
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Nach dem besonderen Urteilsverfahren (dem sog. Exequaturverfahren) ist nicht das ausländische Urteil auf Restitution der unrechtmäßig entzogenen Kulturgüter gegenüber dem aktuellen Besitzer, sondern das deutsche Vollstreckungsurteil i.S.d. § 722 Abs. 1 ZPO tauglicher Vollstreckungstitel.882 Bei der Klage des Vollstreckungsgläubigers gegen den Vollstreckungsschuldner mit dem Ziel der Vollstreckbarerklärung des ausländischen Urteils, das die Restitutionspflicht des unrechtmäßig entzogenen Kulturguts an den Eigentümer bestimmt, handelt es sich um ein Erkenntnisverfahren, in dem das Vollstreckungsurteil ohne Prüfung der Gesetzmäßigkeit der Entscheidung zu erlassen ist. Die internationale und örtliche (nach § 803 ausschließliche) Zuständigkeit ergibt sich aus § 722 Abs. 2 ZPO i.V.m. den allgemeinen Gerichtsständen der §§ 12 bis 19 bzw. dem besonders in kulturellen Restitutionsverfahren häufig applizierten Vermögensgerichtsstand des § 23 ZPO. Bei der Vollstreckbarerklärung des ausländischen Restitutionsurteils handelt es sich um ein durch § 723 Abs. 1 ZPO beschränktes Erkenntnisverfahren, in dem zwar eine umfassende Nachprüfung der Restitutionsentscheidung des ausländischen Gerichts in rechtlicher wie tatsächlicher Hinsicht verboten ist (Ausschluss der sog. révision au fond), jedoch seitens des Vollstreckungsklägers nachgewiesen werden muss, dass das ausländische Urteil nach dem Recht des Erststaates formelle Rechtskraft erlangt hat und die Voraussetzungen der Anerkennung eines ausländischen Restitutionsurteils nach § 328 ZPO gegeben sind.883
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Vgl. hierzu und zum Folgenden Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 3, Rdnr. 149– 181, S. 111–122. Vgl. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 3, Rdnr. 149–181, S. 111–122.
5. Abschnitt: Rechtsdurchsetzung ausländischer Kunstrestitutionsurteile
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Da der Restitutionsschuldner und Besitzer unrechtmäßig entzogener Kulturgüter sowohl im Rahmen der Vollstreckungsklage als auch gegen die spätere Vollstreckungsmaßnahme nach § 767 Abs. 1 ZPO Einwendungen gegen den durch das ausländische Urteil titulierten Restitutionsanspruch an den Restitutionskläger und Eigentümer unrechtmäßig entzogener Kulturgüter erheben kann (sofern diese nicht nach § 767 Abs. 2 ZPO analog präkludiert sind),884 führt das Verfahren der Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Restitutionsurteils unrechtmäßig entzogener Kulturgüter im praktischen Ergebnis hinsichtlich des benötigten Zeitaufwands und der hierfür notwendigen Kosten für den Eigentümer unrechtmäßig entzogener Kunstwerke, der bereits im Ausland obsiegt hat, zu einer doppelten Prozessführung.885 Aus diesem Grund wurde die Vollstreckung ausländischer Gerichtsurteile auf Restitution unrechtmäßig entzogener Kulturgüter innerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union nach Art. 38 bis 52 der EuGVVO vom 22.12.2000 entscheidend vereinfacht. Während in den Art. 38 bis 42 die Vollstreckbarerklärung der ausländischen Restitutionsentscheidung geregelt ist, richtet sich das Rechtsbehelfsverfahren in der mitgliedstaatlichen Vollstreckung nach den Art. 43 bis 47 der EuGVVO vom 22.12.2000.
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Zur Vollstreckbarerklärung einer ausländischen Restitutionsentscheidung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter 886 leitet der Gläubiger nach Art. 39 Abs. 1 i.V.m. Anhang II 887 der EuGVVO vom 22.12.2000 das Verfahren durch einen Antrag –
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§ 767 ZPO: Vollstreckungsabwehrklage: Einwendungen, die den durch das Urteil festgestellten Anspruch selbst betreffen, sind von dem Schuldner im Wege der Klage bei dem Prozessgericht des ersten Rechtszuges geltend zu machen. (2) Sie sind nur insoweit zulässig, als die Gründe, auf denen sie beruhen, erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung, in der Einwendungen nach den Vorschriften dieses Gesetzes spätestens hätten geltend gemacht werden müssen, entstanden sind und durch Einspruch nicht mehr geltend gemacht werden können. (3) Der Schuldner muss in der von ihm zu erhebenden Klage alle Einwendungen geltend machen, die er zur Zeit der Erhebung der Klage geltend zu machen imstande war. Vgl. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 3, Rdnr. 149–181, S. 111–122. Art. 38 EuGVVO vom 22.12.2000: (1) Die in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen, die in diesem Staat vollstreckbar sind, werden in einem anderen Mitgliedstaat vollstreckt, wenn sie dort auf Antrag eines Berechtigten für vollstreckbar erklärt worden sind. (2) Im Vereinigten Königreich jedoch wird eine derartige Entscheidung in England und Wales, in Schottland oder in Nordirland vollstreckt, wenn sie auf Antrag eines Berechtigten zur Vollstreckung in dem betreffenden Teil des Vereinigten Königreichs registriert worden ist. Anhang II EuGVVO vom 22.12.2000: Anträge nach Artikel 39 sind bei folgenden Gerichten oder sonst befugten Stellen einzubringen: – in Belgien beim tribunal de première instance oder bei der rechtbank van eerste aanleg oder beim erstinstanzlichen Gericht; – in der Tschechischen Republik beim okresní soud oder soudní exekutor, – in Deutschland: a) beim Vorsitzenden einer Kammer des Landgerichts; b) bei einem Notar für die Vollstreckbarerklärung einer öffentlichen Urkunde; – in Estland beim maakohus oder linnakohus, – in Griechenland beim Monomeléß Prwtodikeío; – in Spanien beim Juzgado de Primera Instancia; – in Frankreich: a) beim Greffier en Chef des Tribunal de grande Instance, b) beim Präsidenten der Chambre départementale des Notaires im Falle eines Antrags auf Voll-
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
bspw. innerhalb der deutschen Rechtsordnung – an den Vorsitzenden einer Kammer des Landgerichts ein, dessen örtliche Zuständigkeit durch den Wohnsitz des Schuldners oder durch den Ort, an dem die Zwangsvollstreckung durchgeführt werden soll, bestimmt wird.888 Danach ist eine Vollstreckung nicht nur am Wohnsitz des Schuldners, sondern auch am Belegenheitsort des Vermögens – gleichzeitig auch in mehreren Mitgliedstaaten – möglich.889 Sobald die in Art. 53 ff. der EuGVVO vom 22.12.2000 vorgesehenen Förmlichkeiten890 erfüllt sind, wird die Entscheidung unverzüglich für vollstreckbar erklärt, ohne dass eine Prüfung der Anerkennung eines mitgliedstaatlichen Restitutionsurteils unrechtmäßig entzo-
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streckbarerklärung eines Notariatsakts; – in Irland beim High Court; – in Italien bei der Corte d’Appello; – in Zypern beim Eparciakó Dikastärio oder im Fall von Unterhaltsurteilen beim Oikogeneiakó Dikastärio, – in Lettland beim rajona (pilsētas) tiesa, – in Litauen beim Lietuvos apeliacinis teismas, – in Luxemburg beim Präsidenten des Tribunal d’Arrondissement; – in Ungarn beim megyei bíróság székhelyén működő helyi bíróság und in Budapest beim Budai Központi Kerületi Bíróság; – in Malta beim Prim’ Awla tal-Qorti C˙ i- awdex fil-g˙urisdizzjoni superjuri tagh - ha bzw., im Fall vili oder Qorti tal-Magistrati ta’ Gh von Unterhaltsurteilen, beim Reg˙ istratur tal-Qorti auf Befassung durch den Ministru res- all-G˙ ustizzja, – in den Niederlanden beim voorzieningenrechter van de rechtponsabbli gh bank; – in Österreich beim Bezirksgericht; – in Polen beim Sąd Okręgowy, – in Portugal beim Tribunal de Comarca; – in Slowenien beim okrožno sodišče – in der Slowakei beim okresný súd – in Finnland beim käräjäoikeus/tingsrätt; – in Schweden beim Svea hovrätt; – im Vereinigten Königreich: a) in England und Wales beim High Court of Justice oder für Entscheidungen in Unterhaltssachen beim Magistrates’ Court über den Secretary of State; b) in Schottland beim Court of Session oder für Entscheidungen in Unterhaltssachen beim Sheriff Court über den Secretary of State; c) in Nordirland beim High Court of Justice oder für Entscheidungen in Unterhaltssachen beim Magistrates’ Court über den Secretary of State. d) In Gibraltar beim Supreme Court of Gibraltar oder für Entscheidungen in Unterhaltssachen beim Magistrates’ Court über den Attorney General of Gibraltar; – in Dänemark beim „byret“. Art. 39 EuGVVO vom 22.12.2000: (1) Der Antrag ist an das Gericht oder die sonst befugte Stelle zu richten, die in Anhang IIaufgeführt ist. (2) Die örtliche Zuständigkeit wird durch den Wohnsitz des Schuldners oder durch den Ort, an dem die Zwangsvollstreckung durchgeführt werden soll, bestimmt. Vgl. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 3, Rdnr. 254–270, S. 158–164. Art. 53 EuGVVO vom 22.12.2000: (1) Die Partei, die die Anerkennung einer Entscheidung geltend macht oder eine Vollstreckbarerklärung beantragt, hat eine Ausfertigung der Entscheidung vorzulegen, die die für ihre Beweiskraft erforderlichen Voraussetzungen erfüllt. (2) Unbeschadet des Artikels 55 hat die Partei, die eine Vollstreckbarerklärung beantragt, ferner die Bescheinigung nach Artikel 54 vorzulegen. Art. 54 EuGVVO vom 22.12.2000: Das Gericht oder die sonst befugte Stelle des Mitgliedstaats, in dem die Entscheidung ergangen ist, stellt auf Antrag die Bescheinigung unter Verwendung des Formblatts in Anhang V dieser Verordnung aus. Art. 55 EuGVVO vom 22.12.2000: (1) Wird die Bescheinigung nach Artikel 54 nicht vorgelegt, so kann das Gericht oder die sonst befugte Stelle eine Frist bestimmen, innerhalb derer die Bescheinigung vorzulegen ist, oder sich mit einer gleichwertigen Urkunde begnügen oder von der Vorlage der Bescheinigung befreien, wenn es oder sie eine weitere Klärung nicht für erforderlich hält. (2) Auf Verlangen des Gerichts oder der sonst befugten Stelle ist eine Übersetzung der Urkunden vorzulegen. Die Übersetzung ist von einer hierzu in einem der Mitgliedstaaten befugten Person zu beglaubigen.
5. Abschnitt: Rechtsdurchsetzung ausländischer Kunstrestitutionsurteile
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gener Kulturgüter zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union nach den Art. 34 und 35 erfolgt. Somit erhält der Restitutionsschuldner in diesem Abschnitt des Verfahrens keine Gelegenheit, eine Erklärung abzugeben. Sobald diese formalen Anforderungen erfüllt sind, wird die Entscheidung gemäß Art. 41 der EuGVVO vom 22.12.2000 ohne Anhörung des Schuldners und in der Regel ohne mündliche Erörterung mit dem Antragsteller unverzüglich für vollstreckbar erklärt.891 Die Entscheidung über den Antrag auf Vollstreckbarerklärung wird dem Antragsteller unverzüglich in der Form mitgeteilt, die das Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats vorsieht.892 Die Vollstreckbarerklärung und, soweit dies noch nicht geschehen ist, die Entscheidung werden dem Schuldner zugestellt.893 Das Rechtsbehelfsverfahren des herausgabepflichtigen Restitutionsschuldners richtet sich innerhalb des zwischenstaatlichen Vollstreckungsverfahrens nach den Art. 43 bis 47 der EuGVVO vom 22.12.2000. Regeln zur Zuständigkeit finden sich in Art. 43894 i.V.m. Anhang III895 der EuGVVO vom 22.12.2000. Gegen die Ent891
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Vgl. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 3, Rdnr. 254–270, S. 158–164. Art. 42 Abs. 1 EuGVVO vom 22.12.2000. Art. 42 Abs. 2 EuGVVO vom 22.12.2000. Art. 43 EuGVVO vom 22.12.2000: (1) Gegen die Entscheidung über den Antrag auf Vollstreckbarerklärung kann jede Partei einen Rechtsbehelf einlegen. (2) Der Rechtsbehelf wird bei dem in Anhang III aufgeführten Gericht eingelegt. (3) Über den Rechtsbehelf wird nach den Vorschriften entschieden, die für Verfahren mit beiderseitigem rechtlichen Gehör maßgebend sind. (4) Lässt sich der Schuldner auf das Verfahren vor dem mit dem Rechtsbehelf des Antragstellers befassten Gericht nicht ein, so ist Artikel 26 Absätze 2 bis 4 auch dann anzuwenden, wenn der Schuldner seinen Wohnsitz nicht im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat. (5) Der Rechtsbehelf gegen die Vollstreckbarerklärung ist innerhalb eines Monats nach ihrer Zustellung einzulegen. Hat der Schuldner seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats als dem, in dem die Vollstreckbarerklärung ergangen ist, so beträgt die Frist für den Rechtsbehelf zwei Monate und beginnt von dem Tage an zu laufen, an dem die Vollstreckbarerklärung ihm entweder in Person oder in seiner Wohnung zugestellt worden ist. Eine Verlängerung dieser Frist wegen weiter Entfernung ist ausgeschlossen. Anhang III EuGVVO vom 22.12.2000: Die Rechtsbehelfe nach Artikel 43 Absatz 2 sind bei folgenden Gerichten der Mitgliedstaaten einzulegen: – in Belgien: a) im Falle des Schuldners beim Tribunal de première Instance oder bei der rechtbank van eerste aanleg oder beim erstinstanzlichen Gericht; b) im Falle des Antragstellers bei der cour d’Appel oder beim hof van beroep; – in der Tschechischen Republik beim okresní soud, – in Deutschland beim Oberlandesgericht; – in Estland beim ringkonnakohus, – in Griechenland beim Efeteío; – in Spanien bei der Audiencia Provincial; – in Frankreich: a) beim Cour d’Appel in Bezug auf Entscheidungen zur Genehmigung des Antrags, b) beim vorsitzenden Richter des Tribunal de grande Instance in Bezug auf Entscheidungen zur Ablehnung des Antrags. – in Irland beim High Court; – in Italien bei der Corte d’Appello; – in Zypern beim Eparciakó Dikastärio oder im Fall von Unterhaltsurteilen beim Oikogeneiakó Dikastärio, – in Lettland beim Apgabaltiesa, – in Litauen beim Lietuvos apeliacinis teismas, – in Luxemburg bei der Cour supérieure de Justice als Berufungsinstanz für Zivilsachen; – in Ungarn beim megyei bíróság; in Budapest beim Fővárosi Bíróság, – in Malta beim Qorti ta’l-Appell nach dem in der Zivilprozessordnung (Kodic˙ i ta’ Organizzazzjoni u Proc˙ edura C˙ ivili – Kap. 12) fest-
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
scheidung, die über den Rechtsbehelf ergangen ist, kann nach Art. 44 nur ein Rechtsbehelf nach Anhang IV896 eingelegt werden. Nach Art. 45 Abs. 2 darf die ausländische Entscheidung selbst nicht auf ihre Gesetzmäßigkeit hin überprüft werden. Eine Versagung oder Aufhebung der Vollstreckbarerklärung kommt nach Abs. 2 nur bei Vorliegen eines Anerkennungshindernisses der Art. 34 und 35 der EuGVVO vom 22.12.2000 in Betracht, sodass andere materielle Einwendungen daher nur vor den Gerichten des Ursprungsstaates geltend gemacht werden können.897 In diesem Fall kann das Rechtsbehelfsverfahren nach Art. 46 ausgesetzt werden. 443
Innerhalb der Schweizer Rechtsordnung und nach Erlass des neuen Bundesgesetzes über den internationalen Kulturgütertransfer (Kulturgütertransfergesetz, KGTG) vom 20. Juni 2003 stellte sich die Frage, ob ein im Ausland ergangenes Urteil, worin eine Person des illegalen Exports kultureller Güter bezichtigt und zur Herausgabe der Sache verpflichtet wird, in der Schweiz vollstreckbar wäre. Sieg-
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gelegten Verfahren oder, im Fall von Unterhaltsurteilen, durch c˙ itazzjoni vor dem Prim’ - awdex fil-g˙urisdizzjoni superjuri tagh - ha, Awla tal-Qorti ivili jew il-Qorti tal-Magistrati ta’ Gh – in den Niederlanden: a) im Falle des Schuldners bei der arrondissementsrechtbank, b) im Falle des Antragstellers beim gerechtshof; – in Österreich beim Bezirksgericht; – in Polen beim Sąd Apelacyjny, – in Portugal beim Tribunal de Relação; – in Slowenien beim okrožno sodišče, – in der Slowakei beim okresný súd – in Finnland hovioikeus/hovrätt; – in Schweden beim Svea hovrätt; – im Vereinigten Königreich: a) in England und Wales beim High Court of Justice oder für Entscheidungen in Unterhaltssachen beim Magistrates’ Court; b) in Schottland beim Court of Session oder für Entscheidungen in Unterhaltssachen beim Sheriff Court; c) in Nordirland beim High Court of Justice oder für Entscheidungen in Unterhaltssachen beim Magistrates’ Court; d) in Gibraltar beim Supreme Court of Gibraltar oder für Entscheidungen in Unterhaltssachen beim Magistrates’ Court; – in Dänemark beim „landsret“. Anhang IV EuGVVO vom 22.12.2000: Nach Artikel 44 können folgende Rechtsbehelfe eingelegt werden: – in Belgien, Griechenland, Spanien, Frankreich, Italien, Luxemburg und den Niederlanden: die Kassationsbeschwerde, – in der Tschechischen Republik: ein dovolání und žaloba pro zmatečnost – in Deutschland: die Rechtsbeschwerde, – in Estland: ein kassatsioonkaebus, – in Irland: ein auf Rechtsfragen beschränkter Rechtsbehelf beim Supreme Court, – in Zypern: ein Rechtsbehelf beim obersten Gericht, – in Lettland: ein Rechtsbehelf beim Augsta¯ka¯ tiesa, – in Litauen: ein Rechtsbehelf beim Lietuvos Aukščiausiasis Teismas – in Ungarn: ein felülvizsgálati kérelem, – in Malta: Bei keinem anderen Gericht können weitere Rechtsbehelfe eingelegt werden; bei Unterhaltsurteilen Qorti ta’l-Appell nach dem in der Gerichtsverfassungs- und Zivilprozessordnung (Kodic˙ i ta’ Organizzazzjoni u Proc˙ edura C˙ ivili – Kap. 12) für Rechtsbehelfe festgelegten Verfahren, – in Österreich: der Revisionsrekurs, – in Polen: mit einer Kassationsbeschwerde beim Sąd Najwyższy, – in Portugal: ein auf Rechtsfragen beschränkter Rechtsbehelf, – in Slowenien: ein Rechtsbehelf beim Vrhovno sodišče Republike Slovenije – in der Slowakei: ein dovolanie – in Finnland: ein Rechtsbehelf beim korkein oikeus/högsta domstolen, – in Schweden: ein Rechtsbehelf beim Högsta domstolen, – im Vereinigten Königreich: ein einziger auf Rechtsfragen beschränkter Rechtsbehelf, – in Dänemark: ein Rechtsbehelf beim „Højesteret“ mit Genehmigung durch den „Procesbevillingsnævnet“. Vgl. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 3, Rdnr. 254–270, S. 158–164.
5. Abschnitt: Rechtsdurchsetzung ausländischer Kunstrestitutionsurteile
fried unterscheidet wie folgt: „Massgebend ist, ob die Entscheidung auf internationalem Kulturverwaltungsrecht beruht, oder ob es sich um eine internationalprivatrechtliche Streitigkeit handelt. Werden Rückführungsansprüche aufgrund einer illegalen Verbringung (Schmuggel) von Kulturgütern geltend gemacht, so handelt es sich um keine Zivilstreitigkeit, bei der das IPRG oder das LugÜ zur Anwendung käme, sondern um die Anwendung von internationalem Kulturverwaltungsrecht. In der Schweiz fehlen jedoch inländische Vorschriften über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Urteile des Verwaltungsrechts. Neu führt aber das KGTG den Art. 98a nIPRG ein. Diese Norm erklärt für Rückführungsklagen nach Art. 9 KGTG alternativ das Gericht am Wohnsitz oder Sitz der beklagten Partei oder am Ort, wo sich das Kulturgut befindet für zuständig. Durch die Einführung dieser Norm wird die Rückführungsklage nach Art. 9 KGTG in die Nähe des Zivilprozesses gerückt. Folglich müsste die Schweiz ein ausländischer Entscheid des Verwaltungsrechts als Zivilurteil nach Art. 25 ff. u. 108 IPRG durch die fehlerhafte Platzierung von Art. 98a nIPRG anerkennen und vollstrecken. Der Norminhalt von Art. 98a nIPRG müsste korrekterweise im KGTG festgehalten werden.“898
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Siegfried, Internationaler Kulturgüterschutz in der Schweiz – Das Bundesgesetz über den internationalen Kulturgütertransfer (Kulturgütertransfergesetz, KGTG), S. 30, unter Berufung auf Siehr, Das Sachenrecht der Kulturgüter – Kulturgütertransfergesetz und das schweizerische Sachenrecht, in: Honsell/Portmann/Zäch/Zobl, Aktuelle Aspekte des Schuldund Sachenrechts – Festschrift für Heinz Rey zum 60. Geburtstag, 2003, S. 127 ff.
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6. Abschnitt Internationale Zivilrechtshilfe in Kunstrestitutionsverfahren 444
Neben der internationalen Rechtshilfe in Strafsachen899 wird vor allem auch im Rahmen des Zivilrechtswegs die zwischenstaatliche Zusammenarbeit auf Grundlage von internationalen Konventionen, nationalen Gesetzen und auf freiwilliger Basis beruhenden tatsächlichen Kooperationen erreicht. Das Völkerrecht verbietet den Staaten in kulturellen Restitutionsklagen, zivilprozessuale und sonstige verfahrensrechtliche Hoheitsakte und Handlungen (wie bspw. die Zustellung einer Restitutionsklage oder die Beweisaufnahme zur Bestimmung der Provenienz eines unrechtmäßig entzogenen Kulturguts) außerhalb ihres Hoheitsgebietes vorzunehmen. Aus diesem Grund wird die internationale Rechtshilfe auch als praktisch notwendige Ergänzung der territorial begrenzten Hoheitsgewalt qualifiziert.900 Die internationale Rechtshilfe innerhalb der zivilrechtlichen Restitutionsmöglichkeiten unrechtmäßig entzogener Kulturgüter reicht damit von der bloßen Klagezustellung im Ausland bis zur Rechtsdurchsetzung und Vollstreckung ausländischer Urteile in fremden Foren. Praktische Rechtshilfe besteht im Zusammenhang mit dem internationalen Kunsthandel bspw. in der durch ein fremdes Gericht vorzunehmenden Beweisaufnahme in einem anderen Staat bzw. in der Zurverfügungstellung von Beweisgegenständen für ein Rechtsverfahren im Ausland.901
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Die Bedeutung der internationalen Rechtshilfe in Kunstrechtsstreitigkeiten darf nicht unterschätzt werden und ist stets als probates Mittel in kulturellen Restitutionsverfahren in Erwägung zu ziehen. Dementsprechend führte Walter aus, dass in der Praxis „die meisten Kulturgegenstände … über diesen Weg an die Ursprungsländer zurückkehren.“902 Der internationale Rechtshilfeverkehr in Ziviloder Handelssachen ist ein Instrument zur gerichtlichen Regelung von Ansprüchen aus internationalen Rechtsbeziehungen. Da völkerrechtlich bekanntlich die Staatsgewalt und damit auch die Gerichtsgewalt an den jeweiligen Staatsgrenzen endet, ist kein Staat befugt, gerichtliche Handlungen jedweder Art 899
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Aus dem Schrifttum hierzu: Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 63–81. Vgl. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 3, Rdnr. 110–121, S. 100–104. Aus dem Schrifttum vgl. hierzu auch: Frey, Die Wiedererlangung deliktischer Vermögenswerte in der Praxis der internationalen Rechtshilfe, in: Schmid, Wiedererlangung widerrechtlich entzogener Vermögenswerte mit Instrumenten des Straf-, Zivil-, Vollstreckungs- und internationalen Rechts, 1999, S. 75–90. Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 200. Walter, Rückführung von Kulturgut im Internationalen Recht, 1988, S. 38 ff., S. 211.
6. Abschnitt: Internationale Zivilrechtshilfe in Kunstrestitutionsverfahren
409
auf fremdem Hoheitsgebiet vorzunehmen. Durch die Leistung von Rechtshilfe (wie bspw. die Zustellung einer bei einem ausländischen Gericht eingereichten Klageschrift mit dem Ziel der Restitution zuvor unrechtmäßig entzogener Kulturgüter) wird die fremde Staatsgewalt (des kulturellen Ursprungslandes) auf das eigene Staatsgebiet (das Territorium der örtlichen Belegenheit des unrechtmäßig entzogenen Kulturguts) ausgedehnt. Die Gewährung von Rechtshilfe im Zivil- und Handelsrecht und dementsprechend auch innerhalb kultureller Restitutionsverfahren unrechtmäßig entzogener Kunstwerke ist deshalb nur zulässig, wenn der Rechtshilfeverkehr zwischenstaatlich beschlossen, d.h. im Wege völkerrechtlicher Übereinkünfte und Abkommen vereinbart wurde, aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union, soweit diese – wie regelmäßig – Anwendungsvorrang vor zwischenstaatlichen Vereinbarungen der EU-Mitgliedstaaten haben oder die Voraussetzungen des vertragslosen Rechtshilfeverkehrs vorliegen. Nur in diesem Rahmen dulden die am internationalen Rechtshilfeverkehr beteiligten Staaten den Eingriff in ihre Hoheitsrechte. Die Rechtsquellen der internationalen Rechtshilfe innerhalb des Zivilrechts sind vielfältig: Die internationale Rechtshilfe ist in zahlreichen multi- und bilateralen Abkommen geregelt. Diesbezüglich sind bspw. im Verhältnis der Mitgliedstaaten der Europäischen Union neuerdings EG-Verordnungen über Zustellung (EuZVO) und die Beweisaufnahme (EuBVO) in Kraft. Der Rechtshilfeverkehr innerhalb der Europäischen Union richtet sich nach der Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten (Zustellung von Schriftstücken) und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates 903 und nach der Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen vom 28. Mai 2001904. Ausgenommen ist allerdings bislang Dänemark, das an der Annahme der Verordnungen nicht mitgewirkt hat.
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Für den deutschen Rechtskreis regelt eine bundeseinheitliche Verwaltungsvorschrift, die Rechtshilfeordnung in Zivilsachen (ZRHO) vom 19.10.1956 i.d.F. vom 26.2.1976, zuletzt veröffentlichter Stand 2004, die Einzelheiten des behördlichen Verfahrens. Die Rechtshilfeordnung für Zivilsachen (ZRHO) ist eine vom Bund und von den Ländern erlassene Verwaltungsvorschrift und enthält – vergleichbar mit der strafrechtlichen RiVaSt – rechtsverbindliche Richtlinien für den Rechtshilfeverkehr der deutschen Justizbehörden mit dem Ausland im Zivil- und
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Amtsblatt Nr. L 324 vom 10/12/2007 S. 79–120; abgelöst wurde die Verordnung (EG) Nr. 1348/ 2000 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten vom 29. Mai 2000, ABl. EG Nr. L 160 S. 37. ABl. EG Nr. L 174 S. 1.
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
Handelsrecht. Die ZRHO besteht aus einem allgemeinen Teil und dem Länderteil. Der allgemeine Teil enthält übergreifende Verfahrensvorschriften, die vor allem die Justizbehörden stark nutzen. Im Länderteil sind Informationen zum Rechtshilfeverkehr zu dem jeweiligen Staat mit Angabe der geltenden völkerrechtlichen Übereinkommen und EG-Verordnungen enthalten.905 448
Unter dem Begriff der Rechtshilfe in Zivil- oder Handelssachen wird nach § 2 ZRHO jede gerichtliche bzw. behördliche Handlung verstanden, die auf der Grundlage eines entsprechenden Ersuchens zur Einleitung, Durchführung oder Förderung eines inländischen Verfahrens im Ausland oder eines ausländischen Verfahrens im Inland durchgeführt wird. Da es sich bei dem zu fördernden Verfahren um eine Angelegenheit des bürgerlichen Rechts handeln muss, fallen die zivilrechtlichen Restitutionsverfahren unrechtmäßig entzogener Kulturgüter unter den sachlichen Anwendungsbereich. Unterschieden werden nach § 5 ZRHO folgende Anliegen: Zustellungsanträge, Rechtshilfeersuchen, Ersuchen um Vollstreckungshilfe, Ersuchen um Verfahrensüberleitung, Ersuchen um Verfahrenshilfe und Ersuchen um Rechtsauskunft. § 3 Abs. 1 ZRHO unterscheidet zwischen Verfahren im vertraglichen und vertragslosen Rechtshilfeverkehr.
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Die für den vertraglichen Rechtshilfeverkehr in der Praxis wichtigsten zwischenstaatlichen Vereinbarungen sind in § 3 Abs. 2 ZRHO aufgeführt. Die EG-Rechtshilfe bedient sich der Verfahren des vertraglichen Rechtshilfeverkehrs und bildet sie fort. Im vertraglichen Rechtshilfeverkehr werden die Übermittlungswege für Rechtshilfeersuchen durch völkerrechtliche Verträge festgelegt. Für die Übermittlung von Ersuchen kommen nach § 6 ZRHO der diplomatische Weg, der konsularische Weg, der unmittelbare Verkehr sowie in besonderen Fällen der ministerielle Beförderungsweg in Betracht. Auf welchem Weg die Ersuchen im Einzelfall zu übermitteln sind, ergibt sich aus dem Länderteil. „Beim diplomatischen Weg wird das vom Vorsitzenden des Prozeßgerichts verfaßte Ersuchungsschreiben (§ 183 I Nr. 2 ZPO n.F.) zunächst auf dem Dienstweg der Landesjustizverwaltung zur Entscheidung vorgelegt, die dieses, falls sie dem Rechtshilfeersuchen stattgibt, an die deutsche Botschaft in dem ersuchten Staat weiterleitet. Die deutsche Botschaft wiederum übermittelt das Ersuchen an das Außenministerium des betreffenden Staates. Erst nachdem dessen Zustimmung vorliegt, kann die erforderliche Verfahrenshandlung durch den deutschen Konsul oder die zuständige ausländische Behörde vorgenommen werden. Der diplomatische Weg ist daher sehr zeitraubend, weshalb die Gerichte häufig versuchen, ihn zu umgehen. Der konsularische Weg ist weniger umständlich und bildet daher bis-
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Das Land Nordrhein-Westfalen hat zum 1. Januar 2004 eine elektronische Form der ZRHO ins Internet gestellt, die den Zugriff erheblich erleichtert und die Verbreitung der ZRHO fördert. Vertiefende Informationen zur Rechtshilfeordnung für Zivilsachen und zu den jeweiligen zwischenstaatlichen Rechtsgrundlagen der unterschiedlichen Staaten zu Deutschland können unter www.internationale-rechtshilfe.nrw.de abgerufen werden.
6. Abschnitt: Internationale Zivilrechtshilfe in Kunstrestitutionsverfahren
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lang den rechtlichen Normalfall. Hier wird das Rechtshilfeersuchen vom Konsul des ersuchenden Staates direkt der zuständigen Stelle des ersuchten Staates zugeleitet. … Eine erhebliche Beschleunigung der Rechtshilfe wird durch den unmittelbaren Behördenverkehr erreicht.“906 Zentrale Behörden in den Vertragsstaaten nehmen eingehende Ersuchen ausländischer Behörden entgegen und leiten sie zur Erledigung an die zuständige Behörde weiter. Noch unbürokratischer ist der direkte Verkehr zwischen den Justizbehörden, den manche bilaterale Abkommen vorsehen.907 Eine völkerrechtliche Verpflichtung zur Leistung von Rechtshilfe besteht zwar außerhalb der Staatsverträge nach allgemeiner Auffassung nicht. Da jedoch faktisch jeder Staat auf internationale Kooperation angewiesen ist, wird ein Staat dem anderen in der Regel auch ohne vertragliche Grundlage Rechtshilfe leisten, weil er erwartet, dass dieser ihm im umgekehrten Fall ebenfalls Rechtshilfe leisten wird.908 Für die Frage der Erledigung eines Rechtshilfeersuchens auf vertragloser Grundlage ist in der Regel der Grundsatz der Gegenseitigkeit maßgebend. Dieser Grundsatz besagt, dass in vergleichbaren Fällen auch der ersuchende Staat dem ersuchten Staat gegenüber zur Leistung von Rechtshilfe bereit ist. Auch im vertragslosen Rechtshilfeverkehr bedienen sich die Staaten der oben genannten Übermittlungswege. Nur fehlt hier mangels vertraglicher Vereinbarung ein Instrumentarium zur Durchsetzung eines Rechtshilfeersuchens; denn eine völkerrechtliche Pflicht zur Gewährung von Rechtshilfe gibt es nicht. De facto wird sie überall gewährt, das Ob und Wie bestimmt die jeweilige Übung. In Deutschland sind die Grundsätze der vertragslosen Rechtshilfe in der ZRHO niedergelegt. Auch die Frage, bei welchen Staaten Rechtshilfeverkehr in diesem Sinn stattfindet, ist aus dem Länderteil der ZRHO ersichtlich. Die Erledigung eines solchen Rechtshilfeersuchens richtet sich nach dem Recht des ersuchten Staates.
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Da aufgrund der Internationalität sowohl der Sachverhalte unrechtmäßig entzogener Kunstwerke als auch der Rechtsgrundlagen innerhalb der Restitutionsprozesse besonders häufig eine Verbindung des Verfahrens zu ausländischen Staaten bestehen wird, ist besonders innerhalb der zivilrechtlichen Kunstrestitutionsverfahren auf die Möglichkeit der internationalen Rechtshilfe hinzuweisen, deren Rechtswirkungsweisen dem Rechtsanwender innerhalb des Kulturgüterschutzes noch weitgehend unbekannt sind.
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Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 3, Rdnr. 110–121, S. 100–104. Vgl. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 3, Rdnr. 110–121, S. 100–104. Vgl. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 3, Rdnr. 110–121, S. 100–104.
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
§ 7 Ergebnis: Internationale Zivilverfahrensfragen in Kunstrestitutionsstreitigkeiten 452
Bestehen nach den innerhalb des 1. Abschnitts analysierten Prinzipien der internationalen Gerichtsbarkeit keine Grenzen staatlicher Gerichtsgewalt (d.h. das internationale Recht erlaubt dem berufenen Richter die Entscheidung über einen kulturellen Restitutionsanspruch) und lässt sich die im 2. Abschnitt ausführlich kommentierte internationale Zuständigkeit des zur Entscheidung berufenen Zivilforums begründen, können in einzelnen Kunstrestitutionsverfahren die voranstehend in den Abschnitten 3. bis 6. diskutierten allgemeinen Verfahrensfragen des internationalen Zivilrechts relevant werden, die im Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht zahlreiche Besonderheiten aufgrund der speziellen Sachnatur des Streitgegenstandes erfahren.
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Der 3.Abschnitt behandelte zunächst die Besonderheiten innerhalb des internationalen Kunstrestitutionsverfahrens vor nationalen Zivilforen hinsichtlich der Verfahrensbeteiligung. Hier konnte nachgewiesen werden, dass es im zivilrechtlichen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht heute, anders als früher, hinsichtlich der Partei- und Prozessfähigkeit als selbstverständlich gilt, Ausländern ebenso wie ausländischen Staaten und deren Ansprüchen auf Restitution zuvor unrechtmäßig entzogener Kulturgüter grundsätzlich in gleichem Umfang wie Inländern Rechtsschutz zu gewähren.
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Dabei wurden insbesondere zwei Besonderheiten des internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts aus dem Common law aufgegriffen: In der Rechtsstreitigkeit Bumper Development Corporation v. Commissioner of Police of the Metropolis vor dem englischen Court of Appeal wurde ersichtlich, dass ein ruinierter Hindutempel in Indien, innerhalb der nationalen indischen Rechtsordnung als juristisches Rechtsgebilde ausgestattet mit dem Recht selbst zu klagen und verklagt zu werden, auch vor englischen Gerichten auf Herausgabe eines zuvor von seinem Territorium gestohlenen religiösen Kulturguts – einer bronzenen Statue aus dem zwölften Jahrhundert – klagen darf, obwohl nach dem nationalen Recht Großbritanniens die Klageabweisung hätte erfolgen müssen, da der Hindutempel grundsätzlich nicht selbst Partei eines Rechtsstreits sein kann. Vor dem Hintergrund der comity of nations, der geltenden Völkersitte und Völkercourtoisie, entschied der Court of Appeal jedoch gegen die eigene lex fori und bejahte das Prozessführungsrecht des ruinierten Hindutempels. In der amerikanischen Rechtsstreitigkeit United States v. One Tintoretto Painting wurde die Besonderheit des Common Law-Rechtskreises ersichtlich, dass ein Gemälde selbst als Verfahrensbeteiligter qualifiziert werden kann. Die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika strengte vor dem Federal District Court in New York eine zivilrechtliche Beschlagnahmeklage gegen das „defendant-in-rem“ Gemälde selbst an und begründete dies damit, dass das Gemälde – als Klagegegner – illegal auf das Territorium der Vereinigten Staaten eingeführt worden
§ 7 Ergebnis: Internationale Zivilverfahrensfragen in Kunstrestitutionsstreitigkeiten
413
war und somit der zivilrechtlichen Beschlagnahmevorschrift des 18 U.S.C. § 545 unterfiel. Im Anschluss daran beschäftigte sich der 4. Abschnitt des Internationalen Kulturgüterzivilverfahrensrechts mit der für die Praxis bedeutsamen Frage des einstweiligen Rechtsschutzes im Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht. Diese vorläufigen Sicherungsmaßnahmen in Kunstrestitutionsverfahren (international auch sog. ‚provisional remedies‘) zeitigen in der Praxis des internationalen Kunstmarktes eine besondere Bedeutung, da Gemälde häufig nur zeitweise und nur für einen kurzen Moment auf dem Markt in Erscheinung treten und zur Veräußerung angeboten werden, deren rechtmäßige Besitzer und Eigentümer ad hoc häufig aufgrund komplizierter Besitz- und Verwahrungsverhältnisse und Agenten- und Kommissionärstellungen nicht ermittelbar sind oder sich als ‚Overseas-Kunstinvestmentgesellschaft‘ mit für eine Klage unbrauchbarem Gesellschaftssitz erweisen, und die Gemälde in der Folge häufig wieder über einen langen Zeitraum im kulturellen Schwarzmarkt verschwinden.
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Da es für Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes keine einheitlichen europäischen Zuständigkeitsvorschriften gibt, werden die Zuständigkeitsgründe des nationalen Rechts beibehalten. Dies hat für Kläger in Restitutionsverfahren den Vorteil, dass exorbitante, weil einseitig klägerfreundliche, nationale Zuständigkeitsvorschriften und Gerichtsstände auf diesem Wege nicht mittels der europarechtlichen Vorschriften ausgeschlossen werden. Während bspw. bei dem référé provision innerhalb der französischen Rechtsordnung, dem kort geding der Niederlande und in anderen europäischen Rechtsordnungen die Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes faktisch die Funktion von Erkenntnisverfahren erfüllen und auch innerhalb der Restitution unrechtmäßig entzogener Kulturgüter zu instrumentalisieren sind, steht innerhalb der deutschen Rechtsordnung das Institut der einstweiligen Verfügung parat. Auch innerhalb des wichtigsten internationalen Kunstmarktes, des amerikanischen Kulturgüterverkehrs, findet eine Instrumentalisierung sog. provisional remedies statt, um eine Sicherung kultureller Vermögensgüter zu erreichen. Voranstehend fanden einerseits die sog. preliminary injunctions und andererseits die sog. temporary restraining orders Erläuterung, die von allen Federal District Courts aufgrund der Federal Rules of Civil Procedure erlassen werden können.
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Schließlich wendet sich der 5. Abschnitt der – in der Praxis des internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts immer bedeutsameren – Rechtsdurchsetzung ausländischer Kunstrestitutionsurteile vor fremden Zivilforen zu. Schon die einleitenden Überlegungen zum ‚richtigen‘ Kunstrestitutionsforum innerhalb des 2. Abschnitts zeigten, dass neben der Grundkonstellation einer Klage im ausländischen Forum der örtlichen Belegenheit unrechtmäßig entzogener Kulturgüter, eventuell mit unmittelbarer Sicherstellung des Kulturguts bis zum Ausgangsverfahren und anschließender Vollstreckung des ausländischen Titels
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
in diesem Forum, heute auch eine Klage im heimischen Forum des Anspruchstellers mit anschließender Vollstreckung des erstrittenen Titels im ausländischen Forum denkbar erscheint. 458
Während eine Klage vor dem ausländischen Zivilforum zwar größere Unsicherheit für den Rechtssuchenden bedeutet, aber die unmittelbare Sicherung des umstrittenen Kulturguts und eine einfache Durchsetzung des erlangten Rechtstitels zur Folge hat, ist Vorteil der vorgenannten Alternative, dass die nationalen Gesetzesbestimmungen, die Sprache und Geflogenheiten vor heimischen Zivilforen wohl bekannt sind. Zu bedenken ist jedoch, dass ein solcherart erstrittenes Urteil stets der (oftmals schwierigen) Durchsetzung im Forum der örtlichen Belegenheit des unrechtmäßig entzogenen Kulturguts bedarf. Bislang wurde – soweit ersichtlich – allein in der Fallstudie Ministre de l’instruction publique du Royaume d’Italie c. Prince Colonna di Sciarra, Collection Barberini aus dem Jahre 1892 von der Regierung Italiens versucht, ein italienisches Beschlagnahmeurteil unrechtmäßig transferierter Kulturgüter im Ausland (hier: vor dem Cour d’Appel de Paris), als dem Ort der aktuellen Belegenheit der Kunstwerke, rechtlich durchzusetzen.
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Heute bestehen sowohl national als auch international, vor allem jedoch zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, weitreichende Übereinstimmungen innerhalb der Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen in Zivilund Handelssachen eines Mitgliedstaates in einem anderen Mitgliedstaat. Während ein am Wohnsitz des Schuldners ergangenes Restitutionsurteil zuvor unrechtmäßig entzogener Kulturgüter grundsätzlich (d.h. es liegen keine besonderen Hindernisse vor) in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union vollstreckbar ist, d.h. auch im Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet sich die Sache befindet (d.h. am kulturellen Belegenheitsort), müssen sowohl nach nationalem als auch nach europäischem Recht generell besondere Voraussetzungen zur Vollstreckung kultureller Restitutionsurteile eines Zivilforums in einem ausländischen (europäischen oder internationalen) Forum vorliegen.
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Wird die Anerkennung eines Restitutionsurteils unrechtmäßig entzogener Kulturgüter zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union gesucht, d.h. innerhalb des Anwendungsbereichs der EuGVVO vom 22.12.2000, finden sich in den Art. 32 bis 37 die einschlägigen Rechtsvorschriften. Ebenso wenig wie § 328 ZPO für die deutsche Rechtsordnung ein eigenständiges gerichtliches Delibationsverfahren vorsieht und die Anerkennung, soweit ihre Voraussetzungen vorliegen, ohne besonderen gerichtlichen Ausspruch eintritt, erfolgt auch die Anerkennung in einem anderen Vertragsstaat ergangener Entscheidungen ohne ein besonderes Verfahren. Eine Anerkennung eines ausländischen Restitutionsurteils unrechtmäßig entzogener Kulturgüter erfolgt danach in dem Zweitstaat, wenn der ausländische Staat die Grenzen seiner Gerichtsgewalt nicht überschritten hat und damit die Voraussetzungen der (internationalen) Gerichtsbarkeit des Erststaates
§ 7 Ergebnis: Internationale Zivilverfahrensfragen in Kunstrestitutionsstreitigkeiten
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vorlagen, die Gerichte des Erststaates aus deutscher Sicht, d.h. unter hypothetischer Geltung der deutschen Zuständigkeitsregeln, für die Entscheidung international zuständig waren, im Erstgericht der Grundsatz des rechtlichen Gehörs gewahrt wurde (d.h. die Zustellung den Vorschriften des Erststaates genügte und die tatsächliche Verteidigungsmöglichkeit des Beklagten nicht eingeschränkt war), in dem Verfahren und der Urteilsfindung innerhalb des Erststaates den Anforderungen des deutschen ordre public entsprochen wurde (ohne dass jedoch dem deutschen Gericht eine umfassende Nachprüfung der ausländischen Entscheidung in tatsächlicher, materiell- und verfahrensrechtlicher Hinsicht (sog. révision au fond) gestattet wäre) und die Gegenseitigkeit der Anerkennung auch im Zweitstaat gewahrt war. Die Vollstreckung ausländischer Gerichtsurteile auf Restitution gegenüber dem Besitzer unrechtmäßig entzogener Kulturgüter richtet sich innerhalb der deutschen Rechtsordnung nach §§ 722, 723 ZPO. Nach dem besonderen Urteilsverfahren (dem sog. Exequaturverfahren) ist nicht das ausländische Urteil auf Restitution der unrechtmäßig entzogenen Kulturgüter gegenüber dem aktuellen Besitzer tauglicher Vollstreckungstitel, sondern das deutsche Vollstreckungsurteil i.S.d. § 722 Abs. 1 ZPO. Die Vollstreckung ausländischer Gerichtsurteile wurde innerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union nach Art. 38 bis 52 der EuGVVO vom 22.12.2000 entscheidend vereinfacht. Im Gegensatz hierzu stellt innerhalb der amerikanischen Rechtsordnung als Beispielsrechtsordnung des Common Law zur Anerkennung eines ausländischen Gerichtsurteils auf Restitution unrechtmäßig entzogener Kulturgüter das Verfahren auf Erlass eines Urteils im Anerkennungsstaat (sog. Zweitstaat) zum Zwecke der Vollstreckung einer gerichtlich festgestellten Restitutionspflicht aus einem sog. Erststaat ein streitiges Verfahren dar, sodass das Gericht auch über die personal jurisdiction verfügen muss. Es erfolgten also keine Anerkennung und Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Urteils, sondern es ergeht ein Anerkennungsurteil. Schließlich wurde anhand der sog. Sumpflegende-Konstellation die Bedeutung des sog. res iudicata-Grundsatzes erläutert, wonach eine identische Klage unzulässig ist, wenn zuvor schon eine (materiell) rechtskräftige Entscheidung ergangen war. In der Presse wurde im Jahre 2009 angedeutet, dass der Rechtsnachfolger von Sophie Küppers-Lissitzky offenbar erneut die Rückführung des Gemäldes ‚Sumpflegende‘ von Paul Klee suchen und nun vor Gerichten der Vereinigten Staaten von Amerika die Restitution betreiben möchte, nachdem eine Restitutionsklage vor dem Landgericht München I schon im Dezember 1993 gescheitert war.
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Nach dem Grundsatz der res iudicata geht grundsätzlich auch von einem – unterstellt – inhaltlich falschen Urteil eine res iudicata-Wirkung aus, sodass in derselben Sache nicht nochmals vor Gericht die Restitution gesucht werden darf. Sobald einmal über eine Sache rechtskräftig entschieden worden ist, soll eine fortwährende Auseinandersetzung (ein sog. regressus ad infinitum) vermieden
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
werden. Wenn also eine Partei nach einem Gerichtsverfahren keine Rechtsmittel einlegt, kann sie zu einem späteren Zeitpunkt nicht noch einmal wegen desselben Streitgegenstandes gerichtlichen Rechtsschutz suchen, weder vor den eigenen Gerichten noch im Ausland, um so eine Änderung eines möglicherweise negativen Gerichtsurteils durchzusetzen. Durch das erste Gerichtsurteil wird die Streitsache zur res judicata und die vor Gericht entschiedenen Ansprüche gelten als abgegolten, unabhängig von der materiell-rechtlichen Richtigkeit der konkreten Gerichtsentscheidung. Soweit somit in der Zukunft in der Sumpflegende-Konstellation – anders als vor dem Landgericht München I im Jahr 1993 – tatsächlich ein positives Restitutionsurteil in den USA zugunsten des Klägers Jen Lissitzkys ergehen sollte, wird einer Vollstreckung wohl die res-iudicata-Wirkung des früheren Urteils nach § 328 Abs. 1 Nr. 3 ZPO entgegenstehen. Es ist jedoch fraglich, ob sich ein deutsches Museum in staatlicher Trägerschaft tatsächlich auf diese Rechtsgründe gegen ein amerikanisches Resitutionsurteil berufen würde, oder ob hier nicht eher moralische Aspekte das Haus in einer solchen Konstellation zu einem Rückführungsentscheid bewegen würden. 463
Schließlich enden der 2. Teil des 3. Bandes und die Ausführungen zum Internationalen Kulturgüterzivilverfahrensrecht im 6. Abschnitt mit den – in der Praxis des internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts überaus bedeutsamen – Ausführungen zur internationalen Rechtshilfe in zivilrechtlichen Restitutionsstreitigkeiten unrechtmäßig entzogener Kulturgüter. Die internationale Rechtshilfe auf Grundlage von internationalen Konventionen, nationalen Gesetzen und auf freiwilliger Basis beruhenden tatsächlichen Kooperationen reicht innerhalb der zivilrechtlichen Restitutionsmöglichkeiten unrechtmäßig entzogener Kulturgüter von der bloßen Klagezustellung im Ausland bis zur Rechtsdurchsetzung und Vollstreckung ausländischer Urteile in fremden Foren. Praktische Rechtshilfe besteht im Zusammenhang mit dem internationalen Kunsthandel bspw. in der durch ein fremdes Gericht vorzunehmenden Beweisaufnahme in einem anderen Staat bzw. in der Zurverfügungstellung von Beweisgegenständen für ein Rechtsverfahren im Ausland. Die internationale Rechtshilfe ist in zahlreichen multi- und bilateralen Abkommen geregelt. Diesbezüglich sind bspw. im Verhältnis der Mitgliedstaaten der Europäischen Union neuerdings EG-Verordnungen über Zustellung (EuZVO) und die Beweisaufnahme (EuBVO) in Kraft. Der Rechtshilfeverkehr innerhalb der Europäischen Union richtet sich nach der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten vom 29. Mai 2000909 und nach der Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- oder Handelssachen vom 28. Mai 2001910. Für den deut-
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ABl. EG Nr. L 160 S. 37. ABl. EG Nr. L 174 S. 1.
§ 7 Ergebnis: Internationale Zivilverfahrensfragen in Kunstrestitutionsstreitigkeiten
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schen Rechtskreis regelt eine bundeseinheitliche Verwaltungsvorschrift, die Rechtshilfeordnung in Zivilsachen (ZRHO) vom 19.10.1956 i.d.F. vom 26.2.1976, zuletzt veröffentlichter Stand 2004, die Einzelheiten des behördlichen Verfahrens. Diese ist eine vom Bund und von den Ländern erlassene Verwaltungsvorschrift und enthält – vergleichbar mit der strafrechtlichen RiVaSt – rechtsverbindliche Richtlinien für den Rechtshilfeverkehr der deutschen Justizbehörden mit dem Ausland im Zivil- und Handelsrecht. Zusammenfassend lässt sich für die voranstehenden Überlegungen festhalten, dass im 2. Teil des 3. Bandes die für die zivilgerichtliche Praxis des Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts wesentlichen Fragestellungen des Internationalen Kulturgüterzivilverfahrensrechts erörtert wurden. Steht in einem Kunstrestitutionsverfahren fest, dass – (erstens) die im 1. Abschnitt des 2. Teils dargestellten Grundsätze der internationalen Gerichtsbarkeit keine Grenzen staatlicher Gerichtsgewalt eines Zivilforums normieren (d.h. das internationale Recht dem berufenen Richter die Entscheidung über einen kulturellen Restitutionsanspruch erlaubt), – (zweitens) sich die im 2. Abschnitt des 2. Teils ausführlich kommentierte internationale Zuständigkeit des zur Entscheidung berufenen Zivilforums begründen lässt und – (drittens) aufgrund der speziellen Sachnatur des Streitgegenstandes und der zahlreichen verfahrensrechtlichen Besonderheiten im Kulturgüterschutzrecht einem Kunstrestitutionsverfahren keine weiteren Verfahrenseinwände entgegenstehen (vgl. hierzu die Abschnitte 3. bis 6. des 2. Teils),
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hat das nach den voranstehenden Grundsätzen des Internationalen Kulturgüterzivilverfahrensrechts berufene Gericht in kulturellen Restitutionsverfahren mit Berührungspunkten zu mehr als einer Rechtsordnung stets als erstes die nachstehend im 3. Teil aufgeworfene Frage zu beantworten, welche nationale Zivilrechtsordnung über die materielle Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter zu entscheiden hat. In internationalen Sachverhalten des Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts ist somit stets die Frage zu beantworten, welche Rechtsordnung dazu berufen ist, die genannte sachrechtliche Anbindung eines Kulturguts an das ‚richtige‘ Zuordnungssubjekt über die allgemeinen, kulturgüterunspezifischen Zivilrechtsinstitute vorzunehmen und über die Fragen des gutgläubigen rechtsgeschäftlichen Erwerbs und der Ersitzung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter sowie der Verjährung und Verwirkung kultureller Restitutionsansprüche zu entscheiden. Da diese materiell-rechtlichen Sachzuordnungsregeln in den einzelnen Staaten sehr unterschiedlich ausgestaltet sind, erlangte die Frage, welche Rechtsordnung bei einer internationalen Streitigkeit Anwendung erlangen soll, in zahlreichen Kunstrestitutionsverfahren buchstäblich fallentscheidende Bedeutung und wirkte sich unmittelbar auf das Ergebnis aus. Das Internationale Kultur-
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2. Teil: Internationales Kulturgüterzivilverfahrensrecht
güterprivatrecht und die diesbezüglichen Ausführungen in Band 3 nehmen deshalb eine nicht zu unterschätzende Bedeutung in der Entscheidung von Kunstrestitutionsverfahren ein und werden zu Recht als „die Grundlage des internationalen Kulturgüterrechts“911 bezeichnet. Diesem besonders wichtigen Anliegen soll nun im 3. Teil ausreichend Raum geschenkt werden.
911
Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 66–67.
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht Schrifttum: Anton, Special Conflict Rules in the Private International Law of Property concerning International Art Trade in Stolen Works of Art, LL.M. Thesis 2005, University of Johannesburg, South Africa; Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff.; Audit, Le statut des biens culturels en droit international privé francais, Revue internationale de droit comparé (R.I.D.C.) 2-1994, S. 405–422; Berndt, Internationaler Kulturgüterschutz: Abwanderungsschutz, Regelungen im innerstaatlichen Recht, im Europa- und Völkerrecht, 1998, S. 116–128; Bila, Nationaler Kulturgüterschutz in der Europäischen Union, 1996; Byrne-Sutton, le trafic international des biens vulturels sous l’angle de leur revendication par l’Etat d’origine – Aspects de droit international privé, 1988; Byrne-Sutton, Qui est le propriétaire légitime d’un objet d’art volé? Une source de conflit dans le commerce international, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 483–501; Carducci, The Growing Complexity of International Art Law: Conflict of Laws, Uniform Law, Mandatory Rules, UNSC Resolutions and EU Regulations, in: Hoffman, Art and Cultural Heritage – Law, Policy and Practice, 2006, S. 68 ff.; Carl, Legal Issues Associated with Restitution – Conflict of Law Rules Concerning Ownership and Statutes of Limitation, in: The International Bureau of the Permanent Court of Arbitration, Resolution of Cultural Property Disputes – Papers emanating from the seventh PCA International Law Seminar May 23, 2003, 2004, S. 185–192; Carter, Transnational Trade in Works of Art: The Position in English Private International Law, in: Lalive, International Sales of Works of Art – La vente internationale d’oeuvres d’art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, S. 317– 332; Crowell, Autocephalous Greek-Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg & Feldman Fine Arts, Inc.: Choice of Law in the Protection of Cultural property, Texas International law Journal, Vol. 27 (1992), S. 173–209; de Ceuster, Les règles communautaires en matière de restitution de biens culturels ayant quitté illicitement le territoire d’un Etat membre – Analyse de la directive 93/7/CEE du mars 1993, Revue du Marché Unique européen 2 – 1993, S. 33–88; Droz, La protection internationale des biens culturels et des objets d’art, vue sous l’angle d’une convention de droit international privé, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 535–544; Eberl, Probleme und Auswirkungen der EG-Vorschriften zum Kulturgüterschutz, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ), Heft 8, 13. Jahrgang (1994), S. 729–736; Droz, The international protection of cultural property from the standpoint of private international law, in: Council of Europe/Conseil de l’Europe, Proceedings of the Thirteenth Colloquy on European Law, Delphi, 20–22 September 1983: International Legal Protection of Cultural Property, 1984, S. 114–116; Fechner, Rechtlicher Schutz archäologischen Kulturguts – Regelungen im innerstaatlichen Recht, im Europa- und Völkerrecht sowie Möglichkeiten zu ihrer Verbesserung, 1991; Ferrer-Correia, Nouvelles règles de conflit de lois sur la vente internationale d’objets d’art, in: Briat/Freedberg, International Sales of Works of Art/La Vente Internationale d’Œuvres d’Art: Legal Aspects of International Art Trade, Volume IV (1993), S. 41–48; Fraoua, Le trafic illicite des biens culturels et leur restitution, 1985, S. 119 ff.; Fuchs, Kulturgüterschutz im Kulturgutsicherungsgesetz, IPRax 2000, S. 281–286; Garro, The Recovery of Stolen Art Objects From Bona Fide Purchasers, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 503–519; GonzalezCampos/Virgos-Soriano, Le commerce international de l’art en droit espagnol, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 333–355; Grammaticaki-Alexiou, The Status of Cultural Property in Greek Private International Law, Revue Hellénique de Droit International 47 ème Année (1994), S. 139–160; Hailbronner, Frachtgut gesunkener Schiffe und Kulturgüterschutz vor deutschen Gerichten, JZ 2002, S. 957–963; Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutz-
420
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht normen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007; Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 193; Hess, Der Kunstrechtsstreit im Internationalen Zivilprozessrecht: Aktuelle Entwicklungen und grundsätzliche Fragestellungen, in: Weller/Kemle/Dreier/Lynen, Kunst im Markt – Kunst im Recht, Tagungsband des Dritten Heidelberger Kunstrechtstags am 09. und 10. Oktober 2009, 2010, S. 109–119; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 162–193; Hirsch, Die Bedeutung der Zusage „freien Geleits“ für Kulturgüter, NJW 2001 (Heft 22), S. 1627; Hoffman, International Art Transactions and the Resolution of Art and Cultural Property Disputes: A United States Perspective, in: Hoffman, Art and Cultural Heritage – Law, Policy and Practice, 2006, S. 159–177, S. 169; Jaeger, Internationaler Kulturgüterschutz – Rechtslage, Rechtspraxis, Rechtsfortentwicklung, 1994; Jayme, Nationales Kunstwerk und Internationales Privatrecht; Vorträge – Aufsätze – Gutachten, 1998; Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff.; Jayme, Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im Internationalen Privatrecht, in: Dominicé/Patry/Reymond, „Études de droit international en l’honneur de Pierre Lalive”, 1993, S. 717–731; Jayme, Die Nationalität des Kunstwerks als Rechtsfrage, in: Reichelt, Internationaler Kulturgüterschutz – Wiener Symposium 18./19. Oktober 1990, 1992, S. 7–30; Jayme, Internationaler Kulturgüterschutz – Lex originis oder lex rei sitae – Tagung in Heidelberg, IPRax 1990, S. 347–348; Jayme, „Entartete Kunst“ und Internationales Privatrecht (1994), in: Jayme, Nationales Kunstwerk und Internationales Privatrecht – Vorträge, Aufsätze – Gutachten, Gesammelte Schriften, 1998, S. 109–130; Jayme, Protection of Cultural Property and Conflict of Laws: The Basel Resolution of the Institute of International Law, IJCP, 6 (1997), S. 376–378; Jayme, Identité culturelle et intégration: le droit international privé postmoderne, Recueil des cours, tome 251 (1995), S. 9 ff.; Jayme, Antonio Canova und die Nationalisierung der Kunst, in: Basedow/Meier/Schnyder/Einhorn/Girsberger, Private Law in the International Arena. From National Conflict Rules Towards Harmonization and Unification, Liber Amicorum Kurt Siehr, 2000, S. 281–288; Jayme, Schutz des Kulturerbes und Internationales Privatrecht – Gründungstagung der Griechisch-Deutschen Juristenvereinigung in Athen, IPRax 1991, S. 357–358; Jayme, The Status of Cultural Property in German Private International Law, in: Jayme, German National Reports in Civil Law Matters for the XIVth Congress of Comparative Law in Athens 1994, 1994, S. 87 ff.; Jayme, Kunstwerke als Kriegsbeute: Restitution und Internationales Privatrecht im deutsch-französischen Rechtsverkehr (zu Trib. gr. instance Paris, Ordonnance v. 28.9.1993, IPRAX 1995, S. 255), Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts 15 (1995), S. 260–261; Kaufman, Art Law Handbook, 2000, S. 315–319; Kienle/Weller, Die Vindikation gestohlener Kulturgüter im IPR, IPRax 2004, S. 290–294; Knoepfler, Le commerce de l’art en droit international privé suisse, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 359–387; Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990; Knott, Neue Tendenzen im Recht des internationalen Kunsthandels in den USA, RIW 1991, S. 553–559; Köhling, Der Eigentumserwerb abhanden gekommener Kunstgegenstände im amerikanischen Recht, 1999, S. 117 ff.; Kohls, Kulturgüterschutz – Wirkung von Verstößen von Ausfuhrverboten und Möglichkeiten der Rückführung illegal verbrachter Kulturgüter; eine vergleichende Untersuchung mit den Rechten Dänemarks, Norwegens und Schwedens, 2001; Kono, Kulturgüterschutz im japanischen IPR unter besonderer Berücksichtigung des Gutglaubenserwerbs im japanischen Zivilrecht, in: Dolzer/Jayme/ Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes – Symposium vom 22./23. Juni 1990 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 105–122; Kreuzer, La propriété mobilière en droit international privé, Recueil des Cours – Collected Courses of the Hague Academy of International Law, 1996, Tome 259, 1997, S. 9–318, insb. Chapitre V. Biens culturels, S. 135–229; Lagarde, Le commerce de l’art en droit international privé francais, in:
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 67 ff.; Reichelt, Neues Recht zum Schutz von Kulturgut – Internationaler Kulturgüterschutz: EG-Richtlinie, UNIDROIT-Konvention und Folgerecht, 1997; Reichelt, La dimension de droit privé en matière de la protection des biens culturels, in: Université Nationale et Capodistrienne D’Athènes/ Fondation Prof. E. Krispis et Dr. Samara-Krispi, La Protection internationale des biens culturels – Regard dans l’avenir (Colloquium: Athens, 23 November 2001), 2003, S. 6–82; Reichelt, Kulturgüterschutz und Internationales Privatrecht, IPRax 1986, S. 73–75; Reyhan, A Chaotic Palette: Conflict of Laws in Litigation Between Original Owners and Good-Faith Purchasers of Stolen Art, Duke Law Journal, Volume 50 (2001), Number 4, S. 955–1043; Roodt, Legal Aspects of the Protection of Cultural Heritage, 2000, S. 145 ff., insb. S. 162–173 und S. 337–346; Roodt, Conflict of laws as a tool in the trade of works of art, Tydskrif Vir Die Suid-Afrikaanse Reg – Journal of South African Law, Volume 4 (2005), S. 690–707; Sandrock, Foreign Laws Regulating the Export of Cultural Property: The Respect Due to them by the Judge of the Lex Fori, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 457–482; Schack, Kunst und Recht – Bildende Kunst, Architektur, Design und Fotografie im deutschen und internationalen Recht, 2004, S. 207–210; Schack, Kunst und Recht – Bildende Kunst, Architektur, Design und Fotografie im deutschen und internationalen Recht, 2. Aufl. 2009, S. 258–260; Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes, 1994; Schoen, Kulturgüterschutz bei – illegaler – Rückkehr kriegsbedingt verbrachter Kulturgüter aus Russland nach Deutschland, NJW 2001, S. 537 ff.; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995; Siehr, Beutekunst – kriegsbedingt verlagertes Kulturgut: Völkerrechtliche und internationalprivatrechtliche Aspekte des Streits um deutsches Kulturgut in Staaten der ehemaligen Sowjetunion, Kunst und Recht (KUR) 2 (2009), S. 39–47; Siehr, Gutgläubiger Erwerb von Kunstwerken in New York – DeWeerth v. Baldinger erneut vor Gericht, IPRax 1993, Heft 5, S. 339–340; Siehr, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Rechtsverkehr, in: von Westphalen/ Sandrock, Lebendiges Recht – Von den Sumerern bis zur Gegenwart – Festschrift für Reinhold Trinkner zum 65. Geburtstag, 1995, S. 703–722, insb. S. 711 ff.; Siehr, Kulturgüterschutz, in: Ebling/Schulze, Kunstrecht – Zivilrecht, Steuerrecht, 2007; Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI); Siehr, Internationales Sachenrecht. Rechtsvergleichendes zu seiner Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, ZVglRWiss 104 (2005), S. 145–162; Siehr, Das Lösungsrecht des gutgläubigen Käufers im Internationalen Privatrecht, ZVglRWiss 83 (1984), S. 100–118; Siehr, Nationaler und Internationaler Kulturgüterschutz – Eingriffsnormen und der internationale Kunsthandel, in: Pfister/Will, Festschrift für Werner Lorenz zum siebzigsten Geburtstag, 1992, S. 525–542; Siehr, Vereinheitlichung des Rechts der Kulturgüter in Europa?, in: Basedow/Drobnig/Ellger/Hopt/Kötz/Kulms/ Mestmäcker, Aufbruch nach Europa. 75 Jahre Max-Planck-Institut für Privatrecht, 2001, S. 811–827; Siehr, Europäisches Recht des Kulturgüterschutzes und die Schweiz: Auswirkungen des Rechts unserer Nachbarstaaten auf die Schweiz, Aktuelle Juristische Praxis 1999, S. 962– 979; Siehr, Zivilrechtliche Fragen des Kulturgüterschutzes, in: Reichelt, Internationaler Kulturgüterschutz – Wiener Symposium 18./19. Oktober 1990, 1992, S. 41–68; Spinellis, Das Vertragsund Sachenrecht des internationalen Kunsthandels, 2001, S. 365 ff.; Stoll, Sachenrechtliche Fragen des Kulturgüterschutzes in Fällen mit Auslandsberührung, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes – Symposium vom 22./23. Juni 1990 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 53 ff.; Stoll, Zur gesetzlichen Regelung des internationalen Sachenrechts in Artt. 43–46 EGBGB; Streinz, Handbuch des Museumsrechts 4: Internationaler Schutz von Museumsgut, 1998, S. 133–148; Symeonides, On the Side of the Angels: Choice of Law and Stolen Cultural Property, in: Basedow/Meier/Schnyder/Einhorn/Girsberger, Private Law in the International Arena: From National Conflict Rules Towards Harmonization and Unification – Liber Amicorum Kurt Siehr, 2001, S. 747–761; Turner, Völkerrechtliche Zuordnung von Kulturgütern und staatliches Restitutionsrecht nach illegaler Ausfuhr – Eigentumsordnung und völkerrechtliche Zuordnung, 2002, S. 65 ff.; Travaux de
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
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l’Association Henri Capitant des amis de la culture juridique francaise, La protection des biens culturels, 1989, S. S. 93–312 (Länderberichte von Argentinien, Belgien, Bulgarien, Kanada, Spanien, Frankreich, Griechenland, Italien, Luxemburg, Panama und Polen); Uhl, Der Handel mit Kunstwerken im europäischen Binnenmarkt – freier Warenverkehr versus nationaler Kulturgutschutz, 1993; Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, Eigentumsordnung und völkerrechtliche Zuordnung, 2002; von Danwitz, Gemeinschaftlicher Kulturgüterschutz im europäischen Binnenmarkt – Zu den Vorgaben des europäischen Vertragsrechts für die Richtlinie 93/7/EWG über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern, (Rechtsgutachten) 1998; von Schorlemer, Internationaler Kulturgüterschutz – Ansätze zur Prävention im Frieden sowie im bewaffneten Konflikt, 1992, S. 518 ff., insb. S. 525–559; Walter, Rückführung von Kulturgut im Internationalen Recht, 1988; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 97 ff, insb. S. 100 ff.; Wengler, Conflict of Laws Problems Relating to Restitution of Property in Germany, International and Comparative Law Quaterly, 11 (1962), S. 1131–1152; Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005; Ziegler, Russische Kapitalverkehrs- und Kulturgüterschutzbestimmungen im deutschen Internationalen Privatrecht, 2006, S. 271 ff.
Ein nach den im 2. Teil voranstehenden Grundsätzen des Internationalen Kulturgüterzivilverfahrensrechts berufenes Gericht hat in Kunstrestitutionsverfahren mit Berührungspunkten zu mehr als einer Rechtsordnung stets die Frage zu beantworten, welche nationale Zivilrechtsordnung über die materielle Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter zu entscheiden hat. Das angerufene Gericht darf somit in kulturellen Streitigkeiten mit einer Verbindung zu einer weiteren Rechtsordnung nicht unmittelbar die eigenen Kulturgüterschutzvorschriften und Privatrechtsregeln anwenden, sondern hat zunächst mittels der (eigenen) Kollisionsnormen der lex fori eine Entscheidung darüber zu fällen, welchem nationalen Recht es die materiell-rechtlichen Vorschriften der Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter zu entnehmen hat. Band 3 beschäftigt sich somit in seinem 3. Teil intensiv mit dem sog. Internationalen Kulturgüterprivatrecht.
1
Diese Bezeichnung war bislang kein feststehender terminus technicus, jedoch haben die international-privatrechtlichen Fragestellungen über das auf kulturgüterschutz- und kunstrestitutionsrechtliche Sachverhalte mit Berührungspunkten zu mehr als einer Rechtsordnung anwendbare Recht und über die Bestimmung derjenigen Rechtsordnung, die die zivilrechtliche Zuweisung der dinglichen Sachherrschaft an kulturellen Wertobjekten vorzunehmen hat, innerhalb der letzten Jahrzehnte eine so starke rechtsdogmatische, normative und judikative Aufarbeitung erfahren, dass die Einführung dieser Terminologie und dieses Teilrechtsgebietes heute durchaus Rechtfertigung findet.
2
Im Internationalen Kulturgüterprivatrecht stehen dem Rechtsanwender innerhalb der eigenen Rechtsordnung unterschiedliche Rechtsquellen offen (wie bspw. Staatsverträge und Europäisches Gemeinschaftsrecht, auch die nationale Gesetzgebung bietet inzwischen hinreichende, meist jedoch kulturgüterunspezifische Vorschriften), die im 1. Abschnitt ausführliche Darstellung erfahren. Einer
3
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
präzisen Kommentierung wird dabei der im Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht nahezu universal anwendbare Grundsatz der lex rei sitae zugeführt, wonach auf die Eigentumsübertragung von Kulturgütern das Recht des Ortes Anwendung findet, an welchem sich der Gegenstand zum Zeitpunkt der rechtserheblichen Einwirkung auf die Rechtsposition befand. Besondere Aufmerksamkeit wird innerhalb des 2. Abschnitts der Internationalität des illegalen Kunstmarktes und der Frage gewidmet, welche Auswirkungen ein Wechsel des Belegenheitsorts auf die dingliche Rechtslage von Kulturgütern hat, da schon durch die bloße Verbringung in ein anderes Staatsgebiet ein sog. Statutenwechsel eintritt.
Internationales Kulturgüterprivatrecht
Rechtsquellen
Ordre publicWidrigkeit des illegalen Kulturgüterverkehrs
Statutenwechsel im internationalen Kulturgüterverkehr
Alternative Anknüpfungsmaximen im internationalen Kulturgüterverkehr
Kritik am Internationalen Kulturgüterprivatrecht de lege lata
Extraterritoriale ‚Anwendung‘ / ‚Berücksichtigung‘ ausländischer Kulturgüterund Denkmalschutzvorschriften
Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
Stigmatisierung kultureller Güter als unrechtmäßig entzogen und illegal exportiert
Materielle Privatrechtsvereinheitlichung im internationalen Kulturgüterverkehr
Schema 5 – Fragestellungen des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
4
Die international weitgehend einheitliche Rechtswahl nach den Grundsätzen der lex rei sitae im Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht wird heute – zu Recht – stark kritisiert (vgl. hierzu den 3. Abschnitt), sodass der Großteil des Bandes 3 dem Gedanken der ‚Auflockerung‘ und ‚Entkrustung‘ der heute zwar universal geltenden, jedoch materiell für falsch befundenen und wenig zielführenden Rechtswahlgrundsätze im Internationalen Kulturgüterprivatrecht breiten Raum schenkt (vgl. hierzu den 4. Abschnitt). Da Zufallsergebnisse innerhalb der
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
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Rechtswahl und die Möglichkeit der bewussten Manipulation des Anknüpfungspunktes den internationalen illegalen Kunsthandel verstärken, der nahezu universal anerkannte Grundsatz der Nichtanwendbarkeit ausländischer Kulturgüterund Denkmalschutzvorschriften vor fremden Zivilforen aufgrund ihrer Qualifikation als Normen des öffentlichen Rechts die Bewahrung und Erhaltung des nationalen Kulturerbes in höchstem Maße gefährdet, wird dem kulturellen Schwarzmarkt weiterhin Vorschub geleistet. Deshalb steht im Zentrum der Überlegungen zu Band 3, ob das Internationale Kulturgüterprivatrecht aufgrund der genannten Mängel nicht grundlegend zu reformieren ist, bevor es sich vollends als solches, d.h. als eigenständiges Rechtsgebiet des internationalen Kulturgüterschutz- und Restitutionsrechts, weiter etabliert. Dabei wird dem Internationalen Kulturgüterprivatrecht in der Zukunft innerhalb des internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts eine besondere und weiter steigende Bedeutung zukommen. In welche Richtung auch immer die neuen Tendenzen des internationalen Kulturgüterschutzrechts gehen werden, die zivilrechtlichen Resolutionsmethoden kultureller Streitigkeiten stellen aufgrund ihrer weltweiten Rechtsdurchsetzungsmöglichkeiten in absehbarer Zeit mithin eines der effektivsten Mittel zur Kunstrestitution dar. Dem Internationalen Kulturgüterprivatrecht und der Frage nach der zur Entscheidung berufenen Rechtsordnung wird dementsprechend ebenso große Bedeutung zukommen. Selbst bei vollkommener materieller Rechtsvereinheitlichung verschiebt sich die Grenze des Kollisionsrechts nur auf eine andere Ebene, d.h., die kollisionsrechtliche Frage stellt sich nur in geänderter Form.1 Andererseits ist es gerade wegen einer gewissen Resignation innerhalb der materiellen Rechtsvereinheitlichung zu einer Renaissance des Kollisionsrechts im Allgemeinen und des Internationalen Kulturgüterprivatrechts im Speziellen gekommen: In der Rechtsdogmatik werden zahlreiche kollisionsrechtliche Alternativen de lege ferenda zur Umsetzung des Kulturgüterschutzgedankens im internationalen Kulturgüterverkehr diskutiert.2
1 2
Vgl. Reichelt, Kulturgüterschutz und Internationales Privatrecht, IPRax 1986, S. 73–75, S. 73. Vgl. Reichelt, Kulturgüterschutz und Internationales Privatrecht, IPRax 1986, S. 73–75, S. 73.
5
1. Abschnitt Rechtswahl nach der ‚lex rei sitae‘ und kulturgüterspezifische Kollisionsnormen 6
Das Internationale Kulturgüterprivatrecht wird von zahlreichen unterschiedlichen Rechtsquellen regiert, wozu bspw. Staatsverträge und Europäisches Gemeinschaftsrecht, insbesondere aber auch die nationale Gesetzgebung mit meist jedoch kulturgüterunspezifischen Vorschriften gehören, die im nachstehenden 1. Abschnitt ausführliche Darstellung erfahren. Im Mittelpunkt der Kommentierung wird dabei der im Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht nahezu universal anwendbare Grundsatz der lex rei sitae stehen (vgl. hierzu nachstehend unter Punkt C.), wonach auf die Eigentumsübertragung von Kulturgütern das Recht an dem Ort Anwendung findet, an welchem sich der Gegenstand zum Zeitpunkt der rechtserheblichen Einwirkung auf die Rechtsposition befand. Zuvor soll jedoch unter Punkt A. eine erste kursorische Annäherung an den Begriff ‚Internationales Kulturgüterprivatrecht‘ gesucht werden und unter Punkt B. kurz dessen Bedeutung für das Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht näher beleuchtet werden.
A. Begriff des ‚Internationalen Kulturgüterprivatrechts‘ 7
Das Internationale Kulturgüterprivatrecht war bislang kein feststehender terminus technicus. Die Verbindung zwischen Kollisionsrecht und Kulturgüterschutz hat jedoch innerhalb der letzten Jahrzehnte eine so starke rechtsdogmatische Aufarbeitung erfahren, dass dessen Einführung, insbesondere aufgrund der exemplarischen Rechtsfortbildung auf dem Gebiet des internationalen Privatrechts, Rechtfertigung findet: Inzwischen erlangte die Frage nach der Anwendung des sachnächsten und dementsprechenden ‚richtigen‘ Privatrechts im Kulturgüterschutz so starke rechtsdogmatische, normative und judikative Ausprägung, dass heute in der Tat von einem Internationalen Kulturgüterprivatrecht zu sprechen ist. Dessen Themen umfassen die kollisionsrechtlichen Fragestellungen über das auf kulturgüterschutz- und kunstrestitutionsrechtliche Sachverhalte anwendbare Recht und betreffen in erster Linie die Bestimmung derjenigen Rechtsordnung, die die materiell-zivilrechtliche Zuweisung der dinglichen Sachherrschaft an kulturellen Wertobjekten vorzunehmen hat. In internationalen Sachverhalten ist somit stets die Frage zu beantworten, welche Rechtsordnung dazu berufen ist, die genannte sachrechtliche Anbindung eines Kulturguts an das richtige Zuordnungssubjekt vorzunehmen. Zu der genannten materiell-rechtlichen Sachzuordnung zählen nach deutscher Rechtsauffassung vornehmlich solche Sachenrechtstatbestände, die einen Eigentumsübergang kultureller Güter vollziehen können, vornehmlich der (gutgläubige) rechtsgeschäftliche (d.h. deri-
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vative) Eigentumserwerb und der originäre Ersitzungserwerb kultureller Güter. Hierzu sind die Fragen der Verjährung und Verwirkung kultureller Restitutionsansprüche einzubeziehen. Da bislang de lege lata kulturgüterspezifische Rechtsregeln Ausnahmen blieben, befindet man sich vornehmlich im Anwendungsbereich des allgemeinen internationalen Sachenrechts, das alle Fragestellungen umfasst, die die dingliche Zuordnung von Mobilien (und damit zugleich auch kultureller Güter) gegenüber jedermann und mit absoluter Wirkung vornehmen.
B.
Bedeutung des ‚Internationalen Kulturgüterprivatrechts‘
Dabei nimmt das Internationale Kulturgüterprivatrecht eine nicht zu unterschätzende Bedeutung in der Entscheidung kultureller Restitutionsstreitigkeiten ein. Turner bezeichnete die international-privatrechtliche Behandlung von Eigentum und öffentlichem Recht im Ausland zu Recht als „die Grundlage des internationalen Kulturgüterrechts“.3 Dies liegt daran, dass die einzelnen zivilrechtlichen Sachzuordnungstatbestände unrechtmäßig entzogener Kulturgüter – gemeint sind die Regeln des gutgläubigen rechtsgeschäftlichen Erwerbs, der Ersitzung, Verjährung und Verwirkung – in den einzelnen Staaten so unterschiedlich ausgestaltet sind, dass die Frage, welche Rechtsordnung bei einer internationalen Streitigkeit Anwendung erlangen soll, in der konkreten Situation buchstäblich Fall entscheidende Bedeutung erlangt. Gewiss stellt es im Grundsatz keine Aufgabe der Regeln des internationalen Privatrechts dar, kulturelle Restitutionsstreitigkeiten selbst zu entscheiden: Kollisionsnormen treffen eine neutrale, materiell-inhaltlich indifferente Entscheidung, ohne Beeinflussung des Ausgangs der Entscheidung.4 Da innerhalb der national divergierenden zivilrechtlichen Sachzuordnungsregeln unrechtmäßig entzogener Kulturgüter jedoch die beschriebenen großen Unterschiede bestehen 5, entscheiden nicht selten die eigentlich materiell-inhaltlich neutralen Regeln des Kollisionsrechts den Widerstreit zwischen dem ursprünglichen Eigentümer und dem Besitzer bzw. (gutgläubigen) Erwerber unrechtmäßig entzogener Kulturgüter.6 Faktisch hat das internationale
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Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 66–67. Vgl. hierzu auch Hoffman, International Art Transactions and the Resolution of Art and Cultural Property Disputes: A United States Perspective, in: Hoffman, Art and Cultural Heritage – Law, Policy and Practice, 2006, S. 159–177, S. 169. Vgl. Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 54– 58. „Wie aus den unterschiedlichen Regelungen des Eigentumserwerbs vom Nichtberechtigten in den verschiedenen nationalen Rechten ersichtlich wird, hängt der Erfolg einer Klage auf Herausgabe von illegal gehandeltem Kulturgut entscheidend von der Beantwortung der Frage ab, welches Recht auf den Eigentumserwerb an Kunstwerken Anwendung findet.“ Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Inter-
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Kulturgüterprivatrecht so immensen mittelbaren Einfluss auf die Beurteilung kultureller Restitutionsverfahren.7 9
Schulbeispiel zur Veranschaulichung der faktisch nicht zu unterschätzenden Bedeutung des internationalen Kulturgüterprivatrechts für den Ausgang kultureller Restitutionsstreitigkeiten stellt die bekannte englische Gerichtsentscheidung Winkworth v. Christie’s, Manson & Woods aus dem Jahre 1980 8 dar,9 in der
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nationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 70–73. „Der Erfolg einer Klage auf Herausgabe eines Kulturgutes hängt daher im Bereich des Internationalen Privatrechts entscheidend davon ab, welches Recht das Gericht dem Eigentumserwerb zugrunde legt.“ Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 54–58. Winkworth v. Christie’s, (1980) 1 AMER 1121; (1980) 2 WLR 937 (Ch.). Vgl. das folgende Schrifttum: Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 54–58; Carducci, The Growing Complexity of International Art Law: Conflict of Laws, Uniform Law, Mandatory Rules, UNSC Resolutions and EU Regulations, in: Hoffman, Art and Cultural Heritage – Law, Policy and Practice, 2006, S. 68 ff., S. 76; Carter, Transnational Trade in Works of Art: The Position in English Private International Law, in: Lalive, International Sales of Works of Art – La vente internationale d’oeuvres d’art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, S. 317–332; Collin, The Law and Stolen Art, Artifacts and Antiquities, Howard Law Journal 36 (1993), S. 17 ff., S. 23–24; Crowell, Autocephalous Greek-Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg & Feldman Fine Arts, Inc.: Choice of Law in the Protection of Cultural Property, Texas International Law Journal, Volume 27 (1992), S. 173–209, S. 198–199; Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193– 224, S. 217 f.; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 164–165; Jefferson, An Attempt to Evade the Lex Situs Rule for Stolen Goods, The Law Quaterly Review, Volume 96 (1980), S. 508–511; Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 82 f.; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 25–27; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 159; Nott, Title to Illegally Exported Items of Historic or Artistic Worth, The International and Comparative Law Quaterly, Volume 33 (1984), S. 203–207; Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes, 1994, S. 142; Schönenberger, Gutgläubiger Erwerb gestohlener Kunstwerke? – Ein rechtsvergleichender Überblick; in: Kunst & Recht: Schwerpunktthemen für den Kunstsammler, Schriftenreihe der AXA Art Versicherung AG, 2007, S. 44; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 154 und 158; Siehr, Kunstraub und das internationale Recht, Schweizerische Juristen-Zeitung 77 (1981), S. 189–197 und S. 207– 212, S. 194; Stoll, Sachenrechtliche Fragen des Kulturgüterschutzes in Fällen mit Auslandsberührung, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 53–66, S. 55; Reichelt, Kulturgüterschutz und Internationales Privatrecht, IPRax 1986, S. 73–75; Reichelt, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, in: Sladek, Das kulturelle Erbe im Risiko der Modernität: Salzburger Symposium 1992, 1993, S. 61 ff., S. 62 f.
1. Abschnitt: Rechtswahl nach der ,lex rei sitae‘ und Sonderkollisionsnormen
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der italienische Marchese Dott. Paolo dal Pozzo D’Annone im Jahre 1977 eine Sammlung japanischer Holzschnitte bei Christie, Manson & Woods Ltd. in London verkaufen wollte. Die Kunstwerke wurden einige Jahre zuvor aus der Sammlung von William Wilberfore Winkworth in England gestohlen, anschließend nach Italien verbracht und dort an den gutgläubigen italienischen Marchese veräußert. Der Käufer brachte die Kunstwerke in der Folge wieder zurück nach England, um sie zu seinen Gunsten durch das Auktionshaus Christie, Manson & Woods Ltd. versteigern zu lassen. Als Winkworth erfuhr, dass seine Holzschnitte bei Christie’s zum Verkauf angeboten wurden, versuchte er mittels einer einstweiligen Verfügung im vorläufigen Rechtsschutz diesen Verkauf gerichtlich zu verhindern. Dies wäre jedoch a priori ausgeschlossen, wenn der italienische Marchese rechtsgültig Eigentum in Italien erworben hatte. Es stellte sich somit die Frage, ob in Italien ein gutgläubiger Erwerb auch der im Ausland (hier in Großbritannien) gestohlenen Kulturgüter möglich erschien. Der Marchese hatte Glück und William Wilberfore Winkworth Pech,10 denn das englische Gericht wendete für die Frage des Eigentumserwerbs italienisches Recht an: Für die Veräußerung der innerhalb Großbritanniens entwendeten Kunstwerke auf dem Territorium Italiens stellten die italienischen Sachenrechtsregeln nach dem praktisch weltweit geltenden Grundsatz der lex rei sitae die zur Entscheidung berufene Zivilrechtsordnung dar. Da nach dem italienischen Zivilrechtssystem nach Art. 1153 des Codice civile italiano ein Erwerb auch an gestohlenen beweglichen Gegenständen bei Gutgläubigkeit des Erwerbers i.S.d. Art. 1147 möglich ist, hat der rechtsgeschäftliche Erwerber bei der Veräußerung innerhalb des Geltungsbereichs der italienischen Rechtsordnung das Eigentum an den entwendeten Kunstwerken erworben und der ursprüngliche englische Eigentümer seine Rechtsstellung zugunsten des gutgläubigen italienischen Erwerbers eingebüßt.11 Damit war der Marchese Eigentümer geworden und konnte deshalb auch frei über seine Sammlung verfügen, sodass die Klage des englischen Kunstsammlers abgewiesen werden musste. Für William Wilberfore Winkworth war dies besonders enttäuschend, da der Common Law-Rechtskreis im Allgemeinen und das englische Recht im Speziellen den gutgläubigen Erwerb 10
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Vgl. Schönenberger, Gutgläubiger Erwerb gestohlener Kunstwerke? – Ein rechtsvergleichender Überblick; in: Kunst & Recht: Schwerpunktthemen für den Kunstsammler, Schriftenreihe der AXA Art Versicherung AG, 2007, S. 44. Der auf Restitution verklagte Marchese fasste in der Winkworth-Entscheidung das geltende italienische Rechtssystem wie folgt zusammen: „Under Italian law a purchaser of movables acquires a good title notwithstanding any defect in the seller’s title or in that of prior transferrers provided that (1) the purchaser is in good faith at the time of delivery (2) the transaction is carried out in a manner which is appropriate, as regards the documentation effecting or evidencing the sale, to a transaction of the type in question rather than in some manner which is irregular as regards documentation and (3) the purchaser is not aware of any unlawful origin of the goods at the time when he acquires them.“ Winkworth v. Christie, Manson & Woods Ltd., (1950) 1 All ER 1121, (1950) 2 WLR 937 (Ch. D.), S. 940.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
im Grundsatz nicht kennen. Hätte der Marchese die Holzschnitte damals in England erworben, so hätte der Richter englisches Recht anwenden müssen, der Marchese hätte aufgrund der nemo dat-Regel kein Eigentum erworben und die Klage wäre wohl gutgeheißen worden.12 Selbst die zahlreichen Verbindungen des Sachverhalts zu der Rechtsordnung Englands – England war zugleich Diebstahlsort, Wohnsitz des Eigentümers, Lageort der streitgegenständlichen Sache und Forumstaat – bewogen den High Court nicht zu einer Sonderanknüpfung.13 Festzuhalten bleibt aber, dass die Entscheidung des englischen High Court in dem berühmten Fall somit genau entgegengesetzt entschieden worden wäre, wenn statt des italienischen das englische Recht auf den Eigentumserwerb Anwendung gefunden hätte.14 11
Der mittelbare Einfluss auf die Beurteilung kultureller Restitutionsverfahren lässt sich einleuchtend auch anhand der Klage der Kunstsammlungen zu Weimar v. Elicofon 15 aufzeigen, in der sich – im Gegensatz zu der Winkworth-Entscheidung – die Rechtswahl zum Vorteil des Eigentümers unrechtmäßig entzogener Kulturgüter auswirkte.16 Innerhalb dieser Sachverhaltskonstellation hatte ein amerika-
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Vgl. Schönenberger, Gutgläubiger Erwerb gestohlener Kunstwerke? – Ein rechtsvergleichender Überblick; in: Kunst & Recht: Schwerpunktthemen für den Kunstsammler, Schriftenreihe der AXA Art Versicherung AG, 2007, S. 44. Vgl. Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 54–58. Vgl. Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 54–58. Kunstsammlungen zu Weimar v. Elicofon, 536 F. Supp. 829 (EDNY 1981); bestätigt 678 F.2d 1150 (2d Cir.1982). Vgl. dazu Drobnig, Amerikanische Gerichte zum internationalen Sachenrecht auf dem Hintergrund der Teilung Deutschlands, IPRax 1984, S. 61–65; Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 216 f.; Köhling, Der Eigentumserwerb abhanden gekommener Kunstgegenstände im amerikanischen Recht, 1999, S. 76 ff.; Reichelt, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, in: Sladek, Das kulturelle Erbe im Risiko der Modernität: Salzburger Symposium 1992, 1993, S. 61 ff., S. 63 f.; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 177 ff., Stoll, Sachenrechtliche Fragen des Kulturgüterschutzes in Fällen mit Auslandsberührung, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 53–66, S. 54 f.; Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes, 1994, S. 142 f.; Schack, Kunst und Recht, 2. Aufl. 2004, Rdnr. 497, 501. Vgl. auch den ähnlichen Fall De Weerth v. Baldinger, 658 F.Supp. 688 (S.D.N.Y. 1987) mit Anm. von Siehr, Gutgläubiger Erwerb von Kunstwerken in New York – DeWeerth v. Baldinger erneut vor Gericht, IPRax 1993, Heft 5, S. 339–340; Mansel, DeWeerth v. Baldinger – Kollisionsrechtliches zum Erwerb gestohlener Kunstwerke, IPRax 1988, S. 268–271; Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 54–58.
1. Abschnitt: Rechtswahl nach der ,lex rei sitae‘ und Sonderkollisionsnormen
nisches Gericht bekanntermaßen zu untersuchen, ob Mr. Elicofon unmittelbar im Anschluss an den Zweiten Weltkrieg zwei in Deutschland abhandengekommene Kunstwerke von Albrecht Dürer gutgläubig von einem ehemaligen Soldaten in New York erwerben konnte. Dabei stellte sich für den zur Entscheidung berufenen Richter die Frage, ob New Yorker oder deutsches Sachrecht Anwendung zu finden hatte. Hintergrund der Entscheidung war die Entdeckung der beiden Dürer-Porträts von ‚Hans und Felicitas Tucher‘ im Mai 1966 im Hause des New Yorker Anwalts Elicofon. (s. Abb. 34)
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Die Gemälde stammten aus dem Museum in Weimar und waren bei Kriegsende aus dem Auslagerungsdepot spurlos verschwunden. Herr Elicofon erwarb diese angeblich im Jahre 1946 in New York von einem entlassenen amerikanischen Soldaten für US-$ 450, erfuhr jedoch erst 20 Jahre später die Herkunft und den enormen Wert der Gemälde. Von 1969 bis 1982 prozessierten die Bundesrepublik Deutschland, die Erbgroßherzogin von Sachsen-Weimar-Eisenach sowie die Kunstsammlungen zu Weimar gegen den amerikanischen Besitzer in New York. Wäre in dieser Fallkonstellation die Rechtsordnung Deutschlands als dem ursprünglichen Heimatstaat des Kulturguts auf die Veräußerung in New York anwendbar gewesen, hätte es nahegelegen, den Restitutionsanspruch aufgrund der Gutgläubigkeit des potenziell redlichen Erwerbers Elicofon abzulehnen, wenn die Gemälde bspw. nicht direkt von dem amerikanischen Soldaten gestohlen worden wären, sondern – eine in der Tat diskutierte Möglichkeit – von einem Deutschen, der zur Verwahrung der Gemälde zuständig war, an einen amerikanischen Soldaten übergeben worden wären. Hier wäre ein Abhandenkommen im Sinne des § 935 BGB und damit eine Verneinung des Gutglaubenserwerbs ausgeschlossen gewesen. Das Gericht wendete in der vorliegenden Konstellation jedoch die Rechtsordnung des amerikanischen Bundesstaates New York an und bejahte schlussendlich die Rückführung, da das New Yorker Sachrecht entsprechend des nemo dat-Grundsatzes prinzipiell keinen redlichen Rechtserwerb anerkennt. Hätten die New Yorker Gerichte auf den vorliegenden Fall jedoch deutsches Recht angewendet, hätte Elicofon nach Ablauf von zehn Jahren das Eigentum nach § 937 BGB durch Ersitzung erlangt.17 Die Bedeutung des Kollisionsrechts war in zahlreichen Sachverhaltskonstellationen ähnlich entscheidungsrelevant, sodass eine genaue Untersuchung der zur Entscheidung berufenen Sachregeln immer einen ersten wichtigen Schritt in Kunstrestitutionsstreitigkeiten darstellt. (s. Abb. 35) Dabei stellt es für den Rechtsanwender regelmäßig eine besonders schwierige Aufgabe in internationalen Sachverhalten dar, dasjenige „Rechtsgebiet“ – in den Worten Savignys – herauszufinden (bzw. zur Anwendung zu bringen, um einen 17
Vgl. Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 54–58.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
eigenen Nutzen hieraus zu ziehen), „welchem dieses Rechtsverhältnis seiner eigentümlichen Natur nach angehört oder unterworfen ist“ 18. Es geht somit im internationalen Kulturgüterprivatrecht um die Bestimmung derjenigen zivilrechtlichen Sachzuordnungsregeln eines Staates, welche zu einer kulturellen Streitigkeit die engste Verbindung aufweisen.19 Dies stellt aufgrund der mittelbaren Einflussnahme auf das Ergebnis der Sachentscheidung jedoch nicht nur eine besonders wichtige, sondern auch schwierige Aufgabe dar, eine „puzzling intellectual exercise that can test the skill of any lawyer, even of the most learned and experienced.“ 20
C. Rechtsquellen des ‚Internationalen Kulturgüterprivatrechts‘ 14
Nach der Prüfung der internationalen Zuständigkeit des zur Entscheidung berufenen Gerichtes ist in kulturellen Restitutionsverfahren regelmäßig das anwendbare Recht nach den Regeln des internationalen Kulturgüterprivatrechts festzustellen. Ausgangspunkt ist dabei immer das (nationale) Internationale Kulturgüterprivatrecht des Forumstaates.21 Das internationale Kulturgüterprivatrecht ist somit nicht Völkerrecht, sondern im Grundsatz nationales Recht 22, das angibt, welchen Staates Privatrecht bei kulturellen Sachverhalten mit Auslandsberührung gilt.23 Das angerufene Gericht darf somit in kulturellen Streitigkeiten mit einer Verbindung zu einer weiteren Rechtsordnung nicht unmittelbar die eigenen Kulturgüterschutzvorschriften und Privatrechtsregeln anwenden, sondern hat zunächst mittels der (eigenen) Kollisionsnormen der lex fori eine Entscheidung darüber zu fällen, welchem nationalen Recht es die materiell-rechtlichen Vorschriften zu entnehmen hat.24 18 19
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Savigny, System des heutigen Römischen Rechts VIII (1849), S. 28, 108. Vgl. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 4. So die Bezeichnung bei Grammaticaki-Alexiou, The Status of Cultural Property in Greek Private International Law, Revue Hellénique de Droit International 47 ème Année (1994), S. 139–160, S. 147–148. Vgl. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 7. Vgl. Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 41 ff.; Engstler, Die territoriale Bindung von Kulturgütern im Rahmen des Völkerrechts, 1964, S. 46 f.; Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes, 1994, S. 124. Für das Kollisionsrecht gilt der Grundsatz der lex fori, d. h. es gilt das Kollisionsrecht des Staates, in dem das Verfahren stattfindet. Vgl. Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 162–164. Vgl. Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 66–67; Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 7.
1. Abschnitt: Rechtswahl nach der ,lex rei sitae‘ und Sonderkollisionsnormen
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Wurde bspw. ein Kulturgut in Deutschland gestohlen und illegal nach Frankreich verbracht, so hat bei einer Restitutionsklage des deutschen Eigentümers das angerufene französische Gericht nach französischem Kollisionsrecht zu entscheiden, ob der Herausgabeanspruch des Eigentümers nach französischem oder deutschem Privatrecht (oder einer sonstigen Rechtsordnung) zu beurteilen ist. Wurde aber umgekehrt ein Kulturgut in Frankreich gestohlen und nach Deutschland verbracht, so bestimmt sich bei einer Restitutionsklage des ursprünglichen französischen Eigentümers nach den Vorschriften des deutschen internationalen Kulturgüterprivatrechts, ob das BGB oder der Code civil zur Anwendung gelangt.25
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Dabei stehen dem Rechtsanwender innerhalb der eigenen Rechtsordnung unterschiedliche Rechtsquellen des Internationalen Kulturgüterprivatrechts offen, wobei regelmäßig kulturgüterschutzspezifischen Kollisionsregeln als leges specialis Vorrang vor den allgemeinen Rechtswahlgrundsätzen (etwa des internationalen Sachenrechts) zukommt. Ebenso wie in zahlreichen anderen kontinentaleuropäischen Staaten ist das internationale Privatrecht auch in Deutschland nicht mehr in gleichem Maße wie früher ein unkodifiziertes Gebiet, „auf dem Wissenschaft und richterliche Rechtsfortbildung besonders gut gedeihen“ 26. Auch das internationale Kulturgüterprivatrecht wird heute durch Staatsverträge und Europäisches Gemeinschaftsrecht geprägt und die nationale Gesetzgebung bietet inzwischen hinreichende, meist jedoch kulturgüterunspezifische Vorschriften.
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Vor Anwendung einer nationalen („autonomen“) Kollisionsregel ist somit im Einzelfall immer erst zu prüfen, ob nicht ein Staatsvertrag oder Europäisches Gemeinschaftsrecht vorrangig maßgebend ist. Diese Normen gehen dem nationalen Recht vor, auch wenn sie älteren Datums sind als die einschlägigen Vorschriften des EGBGB (vgl. Art. 3 Abs. 2 S. 1 und S. 2), was sich mit ihrer Eigenschaft als Spezialregelungen rechtfertigen lässt. Im weitesten Sinne können zum Internationalen Kulturgüterprivatrecht alle Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften gerechnet werden, die – ohne spezifisch auf das internationale Privatrecht im Allgemeinen und das internationale Sachenrecht im Besonderen zugeschnitten zu sein – auch im internationalen Kulturgüterverkehr zur Anwendung gelangen sollen und unmittelbar oder mittelbar Rechte an Kulturgütern betreffen. Die Erfassung dieser vornehmlich als sog. Eingriffsnormen qualifizierten Schutzvorschriften nimmt zwar dem Begriff des Internationalen Kulturgüterprivatrechts seine klaren Konturen und macht den Kreis der Rechtsquellen unüberschaubar, ist jedoch aufgrund Sinn und Zwecks der genannten Normen nicht von der Hand zu weisen.27
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Vgl. Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 162–164. Vgl. Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 3. Vgl. ausführlich zu den Kulturgüterschutzgesetzen als Eingriffsnormen 3, 910 ff.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Soweit jedoch keine besonderen, kulturgüterspezifischen Kollisionsregeln eingreifen, ist immer das allgemeine internationale Privatrecht des Forumstaates Ausgangspunkt.28 Gelangt somit ein unrechtmäßig entzogenes Kulturgut über die Landesgrenzen des Ursprungstaates oder des Wohnsitzstaates des ursprünglichen Eigentümers, ist die Frage, ob die zivilrechtliche Restitution verlangt werden kann, nach den allgemeinen Regeln des internationalen Privatrechts zu beurteilen, die de lege lata ebenso wie im materiellen Sachrecht überwiegend 29 auch im Kollisionsrecht kulturellen Gütern keinen Sonderstatus gewähren.30
I. 19
Nationales Kollisionsrecht, Sachstatut und Grundsatz der ‚lex rei sitae‘
Ebenso wenig wie das materielle Sach(en)recht in den meisten Rechtsordnungen keine kulturgüterspezifischen Rechtsvorschriften enthält, finden sich grundsätzlich 31 auch nur kulturgüterunspezifische Kollisionsnormen innerhalb des allgemeinen internationalen Privatrechts. Innerhalb der zivilrechtlichen Regulierung des (inter-)nationalen Kulturgüterverkehrs wurde ersichtlich, dass die dinglichen Sachzuordnungsregeln in den Dienst des Kulturgüterschutzes gestellt werden und die ‚richtige‘ Zuweisung der Eigentumsposition an unrechtmäßig entzogenen Kulturgütern häufig das berühmte ‚Zünglein an der Waage‘ in kulturellen Restitutionsstreitigkeiten darstellt. Aus diesem Grund entscheidet grundsätzlich auch
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Vgl. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 7. Für Ausnahmen, wie bspw. innerhalb der Rechtsordnung Belgiens, vgl. 3, 634 ff. Mußgnug, Das Kunstwerk im internationalen Recht, in: Kunst und Recht, Schriften der deutschen Richterakademie, 1985, S. 15–42, S. 17 f., Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 209 f.; Fechner, Rechtlicher Schutz archäologischen Kulturguts – Regelungen im innerstaatlichen Recht, im Europa- und Völkerrecht sowie Möglichkeiten zu ihrer Verbesserung, 1991, S. 73; von Schorlemer, Internationaler Kulturgüterschutz – Ansätze zur Prävention im Frieden sowie im bewaffneten Konflikt, 1992, S. 58; Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes, 1994, S. 113; Siehr, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Rechtsverkehr, in: Westphalen/Sandrock, Lebendiges Recht – Von den Sumerern bis zur Gegenwart – Festschrift für Reinhold Trinkner zum 65. Geburtstag, 1995, S. 703–722, S. 717; Hanisch, Der Fall des Liotard und die nationale Zuordnung eines Kunstwerks, in: Frank, Recht und Kunst – Symposium aus Anlaß des 80. Geburtstags von Wolfram Müller-Freienfels, 1996, S. 19–36, S. 30; Jayme, Kulturgüterschutz in ausgewählten europäischen Ländern, ZVglRWiss 95 (1996), S. 158–169, S. 167; Berndt, Internationaler Kulturgüterschutz: Abwanderungsschutz, Regelungen im innerstaatlichen Recht, im Europa- und Völkerrecht, 1998, S. 121; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 162. Ausnahmen sind die speziellen europäischen und internationalen Rechtsquellen des internationalen Kulturgüterprivatrechts, vgl. 3, 135 ff.
1. Abschnitt: Rechtswahl nach der ,lex rei sitae‘ und Sonderkollisionsnormen
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das allgemeine Sachstatut über die Rechte an einem Kulturgut und den „großen Kreis der damit verbundenen Rechtsfragen“ 32 des Zivilrechts. Somit richtet sich die Rechtswahl im internationalen Kulturgüterprivatrecht – außerhalb kulturgüterspezifischer Kollisionsnormen und materiellen Einheitsrechts – grundsätzlich nach den allgemeinen Regeln des Fahrnisrechts. Das Sachstatut folgt weltweit nahezu unisono der Rechtswahl nach dem Grundsatz der lex rei sitae. Danach gilt das Recht des Ortes, an dem sich das Kulturgut zum Zeitpunkt der rechtserheblichen Einwirkung auf die dingliche Sachzuordnung befindet, d.h. das Recht des Lageortes.33 „Bei Kulturgütern als bewegliche Sachen ist davon auszugehen, dass Begründung, Inhalt und Veränderungen der dinglichen Rechtsverhältnisse sich nach der lex rei sitae richten. Grundsätzlich maßgebend sind sonach die Gesetze des Ortes, an dem sich die Sache im Zeitpunkt der Vollendung des für den Erwerb oder den Verlust eines dinglichen Rechtes oder die sonstige Änderung der dinglichen Rechtsverhältnisse erforderlichen Tatbestandes befindet.“ 34
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So die Formulierung bei Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 1. Speziell für das internationale Kulturgüterprivatrecht ist das folgende Schrifttum zu beachten: Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 162–164; Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 477; Reichelt, Kulturgüterschutz und Internationales Privatrecht, IPRax 1986, S. 73–75; Fechner, Rechtlicher Schutz archäologischen Kulturguts – Regelungen im innerstaatlichen Recht, im Europa- und Völkerrecht sowie Möglichkeiten zu ihrer Verbesserung, 1991, S. 73; Jaeger, Internationaler Kulturgüterschutz – Rechtslage, Rechtspraxis, Rechtsfortentwicklung, 1994, S. 59; von Schorlemer, Internationaler Kulturgüterschutz – Ansätze zur Prävention im Frieden sowie im bewaffneten Konflikt, 1992, S. 535; Siehr, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Rechtsverkehr, in: Westphalen/Sandrock, Lebendiges Recht – Von den Sumerern bis zur Gegenwart – Festschrift für Reinhold Trinkner zum 65. Geburtstag, 1995, S. 703–722, S. 711 f.; Jayme, „Entartete Kunst“ und Internationales Privatrecht, 1994, S. 21; Jayme, Kulturgüterschutz in ausgewählten europäischen Ländern, ZVglRWiss 95 (1996), S. 158–169, S. 167; Berndt, Internationaler Kulturgüterschutz: Abwanderungsschutz, Regelungen im innerstaatlichen Recht, im Europa- und Völkerrecht, 1998, S. 122; Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 3–4; Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 66–67; Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 256; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 34–36; Siehr, Kulturgüterschutz, in: Ebling/Schulze, Kunstrecht – Zivilrecht, Steuerrecht, 2007, S. 123–124, Rdnr. 59–60. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 256.
20
436
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
1.
Universal einheitliche Rechtswahl nach der ‚lex rei sitae‘
Schrifttum: Anton, Special Conflict Rules in the Private International Law of Property concerning International Art Trade in Stolen Works of Art, LL.M. Thesis 2005, University of Johannesburg, South Africa; Antoniou, Völkerrechtlicher und verfassungsrechtlicher Kulturgüterschutz – insbesondere die Frage der Rückkehr des Parthenon-Fries, in: Gornig/Schiller/ Wesemann, Griechenland in Europa, Band 1, 2000, S. 97–117, S. 106; Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff., S. 3581–3582; Asam, Rechtsfragen des illegalen Handels mit Kulturgütern – Ein Überblick, in: Mansel/Pfeiffer/Kronke/Kohler/Hausmann, Festschrift für Erik Jayme, 2004, S. 1651–1668, S. 1662; Audit, Le statut des biens culturels en droit international privé francais, Revue internationale de droit comparé (R.I.D.C.), quarante-sixième année, n°2 (1994), S. 405–422, S. 416–421; Berndt, Internationaler Kulturgüterschutz: Abwanderungsschutz, Regelungen im innerstaatlichen Recht, im Europa- und Völkerrecht, 1998, S. 116–128; Byrne-Sutton, Le trafic international des biens vulturels sous l’angle de leur revendication par l’Etat d’origine – Aspects de droit international privé, 1988, S. 107 ff., insb. S. 110–125; Byrne-Sutton, Qui est le propriétaire légitime d’un objet d’art volé? Une source de conflit dans le commerce international, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 483– 501; Carl, Legal Issues Associated with Restitution – Conflict of Law Rules Concerning Ownership and Statutes of Limitation, in: The International Bureau of the Permanent Court of Arbitration, Resolution of Cultural Property Disputes – Papers emanating from the seventh PCA International Law Seminar May 23, 2003, 2004, S. 185–192; Carter, Transnational Trade in Works of Art: The Position in English Private International Law, in: Lalive, International Sales of Works of Art – La vente internationale d’oeuvres d’art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, S. 317–332; Church, Evaluating the Effectiveness of Foreign Laws on National Ownership of Cultural Property in U.S. Courts, Columbia Journal of Transnational Law, Volume 30 (1992), S. 180–229, S. 201; Collin, The Law and Stolen Art, Artifacts and Antiquities, Howard Law Journal 36 (1993), S. 17 ff., S. 22–23; Ferrer-Correia, Nouvelles règles de conflit de lois sur la vente internationale d’objets d’art, in: Briat/Freedberg, International Sales of Works of Art/ La Vente Internationale d’Œuvres d’Art: Legal Aspects of International Art Trade, Volume IV (1993), S. 41–48; Fuchs, Kulturgüterschutz im Kulturgutsicherungsgesetz, IPRax 2000, S. 281–286, S. 284; Garro, The Recovery of Stolen Art Objects From Bona Fide Purchasers, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 503–519; Gonzalez-Campos/Virgos-Soriano, Le commerce international de l’art en droit espagnol, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 333–355; Grammaticaki-Alexiou, The Status of Cultural Property in Greek Private International Law, Revue Hellénique de Droit International 47 ème Année (1994), S. 139–160, S. 151; Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/ Hanisch/ Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 209–210; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 162–207, insb. 162–174; Jaeger, Internationaler Kulturgüterschutz – Rechtslage, Rechtspraxis, Rechtsfortentwicklung, 1994, S. 57–106; Jayme, Kunstwerke als Kriegsbeute: Restitution und Internationales Privatrecht im deutschfranzösischen Rechtsverkehr (zu Trib. gr. instance Paris, Ordonnance v. 28.9.1993, IPRAX 1995, S. 255), Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts 15 (1995), S. 260–261; Jayme, Kulturgüterschutz in ausgewählten europäischen Ländern, ZVglRWiss 95 (1996), S. 158–169, S. 166; Kienle/Weller, Die Vindikation gestohlener Kulturgüter im IPR, IPRax 2004, S. 290–294, S. 290–291; Köhling, Der Eigentumserwerb abhanden gekommener Kunstgegenstände im amerikanischen Recht, 1999, S. 117 ff.; Kreuzer, La propriété mobilière en droit international privé, Recueil des Cours 1996 (Tome 259), S. 9–318, insb. S. 50 ff. und S. 183 ff.; Merryman, American Law and the International Trade in Art, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 425–436; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 158–165; O’Keefe, Art Trade and Pri-
1. Abschnitt: Rechtswahl nach der ,lex rei sitae‘ und Sonderkollisionsnormen
437
vate International Law: An Australian Perspective, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 437–455; Pecoraro, Choice of Law in Litigation to Recover National Cultural Property: Efforts at Harmonization in private International Law, Virginia Journal of International law 31 (1990), S. 1–51; Plutschow, Staatliche Vorkaufsrechte im Internationalen Kulturgüterschutz, 2002, S. 247–270; Prott, Problems of Private International Law for the Protection of the Cultural Heritage, in: Recueil des Cours – Collected Courses of the Hague Academy of International Law, 1989-V (Tome 217), 1990, S. 223–316, insb. S. 262 ff.; Reichelt International Protection of Cultural Property, Revue de droit uniform/Uniform Law Review, 1985-I, S. 42–153, S. 89 ff., insb. S. 125 ff.; Sandrock, Foreign Laws Regulating the Export of Cultural Property: The Respect Due to them by the Judge of the Lex Fori, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 457– 482; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 76–79; Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI); Siehr, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Rechtsverkehr, in: Westphalen/Sandrock, Lebendiges Recht – Von den Sumerern bis zur Gegenwart – Festschrift für Reinhold Trinkner zum 65. Geburtstag, 1995, S. 703–722, S. 711–713; Spaun, Der Herausgabeanspruch bei Diebstahl oder illegalem Export von Kulturgütern, 2003, S. 131–132 und S. 165; Spinellis, Das Vertragsund Sachenrecht des internationalen Kunsthandels, 2001, S. 365 ff.; Strauch, Rechtsverhältnisse an Kulturgütern im Internationalen Sachenrecht, 2007, S. 77 ff.; Venturini, Property, in: International Encyclopedia of Comparative Law, Bd. 3, 1976, Chapter 21, Nr. 2.
Eine der wenigen Kollisionsregeln, die im Bereich des internationalen Privatrechts im Allgemeinen und innerhalb des dinglichen Sachstatuts im Besonderen in nahezu fast 35 allen Staaten Anerkennung findet, besagt, dass auf die Eigentumsübertragung an beweglichen Sachen unter Lebenden das Recht an dem Ort Anwendung findet, an welchem sich der Gegenstand zum Zeitpunkt der rechtserheblichen Einwirkung auf die Rechtsposition befand.36 Während die materiellen Sachzuordnungsregeln aus rechtsvergleichender Sicht heterogen sind, richtet sich die Frage nach der anwendbaren Rechtsordnung 37 in praktisch allen Rechtsordnungen 38 einheitlich nach dem Grundsatz der lex rei sitae.39 Danach unter35
36
37
38
39
Ausnahmen von der Situs-Regel in ausländischen Gesetzen: Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 61 f. Rabel, The Conflict of Laws, Bd. 4, 2. Aufl. 1958, S. 30; Lalive, The Transfer of Chattels in the Conflict of Laws, 1955, S. 99–102; Zaphiriou, The Transfer of Chattels in Private International Law, 1956, S. 48; Fraoua, Le trafic illicite des biens culturels et leur restitution, 1985, S. 120; Byrne-Sutton, Le trafic international des biens culturels sous l’angle de leur revendication par l’Etat d’origine, 1988, S. 110; Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 70–73. Vgl. für eine umfassende und sehr eingängliche Darstellung der Frage der Rechtswahl in kulturellen Restitutionsstreitigkeiten Mansel, Die Bedeutung des internationalen Privatrechts in Bezug auf das Herausgabeverlangen des Eigentümers bei abhanden gekommenen Kulturgütern, in: Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste Magdeburg/Beauftragter der Bundesregierung für Kultur und Medien, Im Labyrinth des Rechts? Wege zum Kulturgüterschutz, 2007, S. 129–173. Weltweite Geltung: Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, § 54 I 1. Vgl. für einen Überblick Mansel, Die Bedeutung des internationalen Privatrechts in Bezug auf
21
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
stehen Rechte an einer Sache dem am Lageort des Gegenstandes zum Zeitpunkt der rechtserheblichen Einwirkung auf die Rechtsposition geltenden Recht. Da das situs-Prinzip international mit seltener Einmütigkeit auch von der überwiegenden Zahl ausländischer Rechtsordnungen sowohl des Civil als auch Common Law-Rechtskreises befolgt wird, besteht zumindest in der Rechtswahl bei der Veräußerung kultureller Wertgegenstände weitestgehend Entscheidungseinklang. Der Lageort eines Kulturguts ist einfach feststellbar, sodass bei einer Veräußerung von Kulturgütern in der Regel eine unproblematische Bestimmung der anwendbaren Rechtsordnung erfolgt.
a) 22
Deutsche Rechtswahl nach dem Belegenheitsstatut (Art. 43 EGBGB)
Innerhalb des deutschen Kollisionsrechts ist das internationale Sachenrecht seit der Reform des internationalen Privatrechts durch das Gesetz zum IPR für außervertragliche Schuldverhältnisse und für Sachen vom 21.5.1999 40 in den Art. 43 41 bis 46 EGBGB gesetzlich geregelt. Darin wurde die zuvor schon per Gewohnheitsrecht 42 geltende Anknüpfung des Sachstatuts an den Belegenheitsort bei beweglichen Gegenständen im Allgemeinen 43 und damit kulturellen Gütern im Besonderen normiert. Somit werden auch innerhalb der deutschen Rechtsordnung nach dem Grundsatz der lex rei sitae sachenrechtliche Fragen an den Lageort des Kulturguts angeknüpft. Maßgeblich ist der Zeitpunkt, in dem der sachenrechtliche Tatbestand verwirklicht wurde.44
40
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44
das Herausgabeverlangen des Eigentümers bei abhanden gekommenen Kulturgütern, in: Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste Magdeburg/Beauftragter der Bundesregierung für Kultur und Medien, Im Labyrinth des Rechts? Wege zum Kulturgüterschutz, 2007, S. 129–173; Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 66–67; Siehr, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Rechtsverkehr, in: Westphalen/Sandrock, Lebendiges Recht – Von den Sumerern bis zur Gegenwart – Festschrift für Reinhold Trinkner zum 65. Geburtstag, 1995, S. 703–722, S. 711–713; Venturini, Property, in: International Encyclopedia of Comparative Law, Bd. 3, 1976, Chapter 21, Nr. 2. Gesetz zum IPR für außervertragliche Schuldverhältnisse und für Sachen vom 21.5.1999, BGBl. I 1026. Art. 43 Abs. 1 EGBGB: Rechte an einer Sache: Rechte an einer Sache unterliegen dem Recht des Staates, in dem sich die Sache befindet. Vgl. die ständige Rechtsprechung: BGH, Urteil des 5. Zivilsenats vom 09.03.1979, Az.: V ZR 85/77, BGHZ 73, S. 391–398, S. 395; BGH, Urteil des 8. Zivilsenats vom 08.04.1987, Az.: VIII ZR 211/86, BGHZ 100, S. 321–328, S. 324, NJW 1987, S. 3077–3080. Vgl. m.w.N. auch Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 460. Vgl. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 500; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 162–164. Vgl. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 513; O’Keefe, Art Trade and Private International Law: An Australian Perspective, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 437–455.
1. Abschnitt: Rechtswahl nach der ,lex rei sitae‘ und Sonderkollisionsnormen
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Die Anwendung der Situs-Regel fand auch innerhalb des Rechts des Kulturgüterverkehrs vor deutschen Gerichten bspw. in der sog. Picasso-Entscheidung des Landgerichts Hamburg aus dem Jahre 1977 Applikation.45 Das Gericht hatte über die Frage der anwendbaren Rechtsordnung in einem Fall zu entscheiden, in dem eine in London wohnhafte Portugiesin bei Sotheby’s ein Gemälde Picassos ersteigerte, der britische Krankenpfleger ihres behinderten Sohnes das Kunstwerk jedoch stahl, flüchtete und das Gemälde später in den Besitz eines deutschen Kunsthändlers gelangte. Nach den Grundsätzen der lex rei sitae entschied das Landgericht Hamburg, dass der Versteigerungserwerb nach englischem Recht, die Herausgabe- und späteren Schadensersatzansprüche gegen den deutschen Kunsthändler aber nach deutschem Recht zu entscheiden seien, weil ‚der Picasso‘ schließlich in Deutschland belegen sei.46 Es wird also deutlich, dass regelmäßig die nationalen Sachenrechtsregeln über den Ausgang kultureller Restitutionsstreitigkeiten und die Frage des gutgläubigen Erwerbs unrechtmäßig entzogener Kulturgüter entscheiden.
23
Der Grundsatz der lex rei sitae beinhaltet – so wird aus der Picasso-Entscheidung deutlich – neben einer räumlichen Komponente (Anwendbarkeit der Rechtsordnung des Lageorts) auch eine zeitliche Komponente (Anwendung der Rechtsordnung des Lageorts zum Zeitpunkt der rechtserheblichen Einwirkung auf die dingliche Rechtsposition).
24
(1)
Anknüpfungsgegenstand der ‚Situs‘-Regel in Kunstrestitutionsverfahren
Einleitend wurde erkannt, dass in kulturellen Restitutionsstreitigkeiten in erster Linie das von der lex fori berufene Sachstatut über die Rechtswirkungen sachenrechtlicher Tatbestände entscheidet.47 Alle Rechtsfragen, welche die dinglichen Rechtsverhältnisse an kulturellen Wertgegenständen außerhalb kulturgüterspezifischer Kollisionsregeln betreffen, sind nach deutschem internationalen Privatrecht grundsätzlich derselben nationalen Rechtsordnung unterworfen, die man als „Sachenrechtsstatut“ oder schlicht als „Sachstatut“ (Realstatut) bezeichnet.48 Aus diesem Grund ist es zunächst Sache der verweisenden lex fori, darüber zu befinden, was ein sachenrechtlicher Tatbestand ist. Da sachenrechtliche Wirkungen aber nur dann eintreten können, wenn das Sachstatut – regelmäßig also die lex rei sitae – sie vorsieht, ist insoweit das Sachstatut dafür maßgebend, was als „sachenrechtlich“ zu gelten hat und was nicht.49 Dagegen ist die Qualifikation allein Sache der lex fori, wobei den Qualifikationsgegenstand indes das berufene 45 46 47 48 49
Vgl. hierzu auch Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 189–190. Entscheidung des Landgerichts Hamburg, IPRspr. 1977, Nr. 48. Vgl. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 140. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 122–123. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 140, unter Rekurs auf LG München, IPRspr 1956–57 Nr. 97, WM 1957, S. 1378.
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440
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Sachstatut liefert.50 Stoll erkennt dementsprechend zutreffend, dass Tatbestände dann als „sachenrechtlich“ zu qualifizieren sind, wenn Rechtswirkungen „gegen jedermann“ Gegenstand des Streites sind.51 Innerhalb kultureller Restitutionsstreitigkeiten geht es regelmäßig um die ‚richtige‘ Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter und somit um die Frage der dinglichen Berechtigung an den Objekten, kurzum um Rechtswirkungen „gegen jedermann“, ohne an die konkreten Vorgaben der Art und des Inhalts der dinglichen Rechtspositionen der lex fori gebunden zu sein.52
(2) 26
Die lex rei sitae als allgemeiner Rechtswahlgrundsatz innerhalb des internationalen Kulturgüterverkehrs bestimmt bezüglich einer Eigentumsübertragung an beweglichen Sachen unter Lebenden, das Recht an dem Ort anzuwenden, an welchem sich der Gegenstand zum Zeitpunkt der rechtserheblichen Einwirkung auf die Rechtsposition befand. Als Lageort eines Kulturguts im Sinne der kollisionsrechtlichen Anknüpfung ist somit regelmäßig der Ort seiner physischen Präsenz zu verstehen.53 Sachstatut ist somit grundsätzlich das Recht des Lageortes (die lex rei sitae), d.h. die Rechtsordnung des Staates, in dem sich das (möglicherweise unrechtmäßig entzogene) Kulturgut somit tatsächlich befindet.54
(3) 27
Lageort des Kulturguts als räumliche Komponente
Anknüpfungszeitpunkt der ‚Situs‘-Regel im internationalen Kulturgüterverkehr
Besondere Bedeutung erlangt bei der Rechtswahl in kulturellen Restitutionsstreitigkeiten regelmäßig der genaue Anknüpfungszeitpunkt der Situs-Regel. Dies ist – besonders angesichts der besonderen Internationalität des Kulturgüterverkehrs – wichtig, da sich das Sachstatut infolge des Ortswechsels eines Kulturguts leicht ändern kann. Für den Anknüpfungszeitpunkt eines Sachstatuts hat sich die allgemeine Regel herausgebildet, dass grundsätzlich jedes der zur Herrschaft gelangenden Sachstatute genau diejenigen rechtserheblichen Einwirkungen auf die dingliche Sachzuordnung kultureller Wertgegenstände regelt, die sich innerhalb des räumlichen Geltungsbereichs des jeweiligen Statuts ereignet haben.55 50
51 52 53 54
55
Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 140; RAABS 589; Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rdnr. 16. Vgl. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 140. Vgl. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 140. Vgl. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 257. Vgl. Vgl. auch Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 104–105; Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 122–123. Vgl. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 161.
1. Abschnitt: Rechtswahl nach der ,lex rei sitae‘ und Sonderkollisionsnormen
Mit anderen Worten wird von dem allgemeinen Sachstatut das Recht des Staates berufen, in dessen Gebiet sich das Kulturgut zu dem Zeitpunkt, zu dem die konkret infrage stehende Einwirkung auf die Rechtsposition an unrechtmäßig entzogenen Kulturgütern eingetreten ist bzw. eingetreten sein könnte, gerade befindet.56 Die Änderung der dinglichen Rechtslage kann sich bspw. in dem Entstehen, der Inhaltsänderung, der Übertragung oder dem Erlöschen der Eigentumsposition an unrechtmäßig entzogenen Kulturgütern äußern, wobei dem Rechtserwerb des gutgläubigen Erwerbers bzw. Besitzers typischerweise der entsprechende Rechtsverlust des ursprünglichen Eigentümers gegenübersteht.57 Maßgeblicher Zeitpunkt für die Anknüpfung des Rechtsbestandsstatuts ist dabei – das gilt de lege lata im Interesse des Verkehrsschutzes am Lageort letztlich auch für den Erwerb unrechtmäßig entzogener Kulturgüter vom Nichtberechtigten – der Zeitpunkt der Erfüllung des letzten Merkmals des für die Änderung der dinglichen Rechtslage an den unrechtmäßig entzogenen Kulturgütern verantwortlichen sachenrechtlichen Tatbestands,58 also der Zeitpunkt des Eintritts der infrage stehenden Rechtsfolge.59 So wird bspw. der gutgläubige Erwerb abhandengekommener Sachen vom Nichtberechtigten nach der Situs-Regel an den Lageort im Zeitpunkt des Erwerbsvollzugs angeknüpft.60 Wird bspw. ein Kulturgut von 56
57
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59
60
Vgl. auch Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 111. Aus der kulturgüterspezifischen Literatur: Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 162–164; Walter, Rückführung von Kulturgut im Internationalen Recht, 1988, S. 32; Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193– 224, S. 209 f.; Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 71; Fechner, Rechtlicher Schutz archäologischen Kulturguts – Regelungen im innerstaatlichen Recht, im Europa- und Völkerrecht sowie Möglichkeiten zu ihrer Verbesserung, 1991, S. 73; Hanisch, Der Fall des Liotard und die nationale Zuordnung eines Kunstwerks, in: Frank, Recht und Kunst – Symposium aus Anlaß des 80. Geburtstags von Wolfram Müller-Freienfels, 1996, S. 19–36, S. 31; Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 481; von Schorlemer, Internationaler Kulturgüterschutz – Ansätze zur Prävention im Frieden sowie im bewaffneten Konflikt, 1992, S. 535; Siehr, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Rechtsverkehr, in: Westphalen/Sandrock, Lebendiges Recht – Von den Sumerern bis zur Gegenwart – Festschrift für Reinhold Trinkner zum 65. Geburtstag, 1995, S. 703–722, S. 711 f. Vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43 EGBGB, Rdnr. 116. Vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43 EGBGB, Rdnr. 116. BT-Drs. 14/343 S. 15. Aus der Rechtsprechung: BGH, Urteil des 8. Zivilsenats vom 20.03.1963, Az.: VIII ZR 130/61, BGHZ 39, S. 173–178, S. 174; BGH, Urteil des 8. Zivilsenats vom 02.02.1966, Az.: VIII ZR 153/64, BGHZ 45, S. 95–101, S. 99 f. Vgl. Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende
441 28
442
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Deutschland nach Italien verbracht und dort übereignet, so ist für den Eigentumserwerb die italienische Rechtsordnung maßgeblich. Wird das Kulturgut dagegen noch in Deutschland veräußert und erst anschließend nach Italien verbracht, so kommt das BGB zur Anwendung.61 29
Es ist aber zu beachten, dass jedes Sachstatut selbst bestimmt, welche Vorgänge oder Ereignisse sachenrechtlich wirksam und welche Voraussetzungen für eine Änderung der dinglichen Sachzuordnung an unrechtmäßig entzogenen Kulturgütern notwendig sind. Aus diesem Grund ist der Anknüpfungszeitpunkt die Vollendung des nach dem jeweiligen Sachstatut sachenrechtlich erheblichen Tatbestandes.62 Dies fand bspw. in § 31 Abs. 1 des österreichischen IPRG von 1978, § 21 Abs. 2 der ungarischen GesetzesVO Nr. 13 aus dem Jahr 1979, Art 23 Abs. 3 des türkischen IPRG von 1982; Art. 100 Abs. 1 des schweizerischen IPRG von 1987 und Art. 52 des rumänischen IPRG von 1992 ausdrückliche Normierung und stellt ständige Rechtsprechung des deutschen BGH 63 dar.64 Es bleibt somit für die Rechtswahl im internationalen Kulturgüterverkehr festzuhalten, dass für einen Kulturguttransfer regelmäßig das Recht des Ortes maßgeblich ist, an dem sich die Sache zur Zeit der Verwirklichung derjenigen Tatsachen befindet, die den Erwerb bzw. den Verlust der Eigentumsposition begründen.65
(4) 30
Illegaler Transfer unrechtmäßig entzogener Kulturgüter in den Belegenheitsstaat de lege lata ohne Auswirkung auf die Situs-Regel
Die Rechtswahl nach dem Grundsatz der lex rei sitae erfolgt im internationalen Kulturgüterverkehr de lege lata auch unabhängig davon, auf welche Art und Weise Kulturgüter in den Belegenheitsstaat und unter Geltung dessen Rechtsordnung gelangt sind.66 Entgegen der Rechtseinschätzung bei Raape und Sturm, wonach es in der Praxis des internationalen Sachenrechts an Beispielen für eine erschlichene Anknüpfung fehlt,67 stellt der Rechtsbereich des internationalen Kulturgüterverkehrs ein Beispiel par excellence für die Möglichkeit der bewussten und perfiden Umgehung nationaler Kulturgüterschutzvorschriften nach einem unrechtmäßigen Entziehungsakt dar.
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64 65
66 67
privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 34–36. Vgl. Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 162–164. Vgl. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 161. BGH, Urteil des 8. Zivilsenats vom 20.03.1963, Az.: VIII ZR 130/61, BGHZ 39, S. 173–178, S. 174. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 161. Vgl. Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/ Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 209–210 m.w.N. Vgl. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 260–261. Vgl. Raape/Sturm, Internationales Privatrecht – Allgemeine Lehren, 6. Aufl. 1977, S. 332.
1. Abschnitt: Rechtswahl nach der ,lex rei sitae‘ und Sonderkollisionsnormen
Die organisierte Umgehung öffentlicher- wie zivilrechtlicher Protektionsmechanismen kultureller Ursprungsstaaten und Eigentümer im Wege des forum shopping in sog. places of bargaining shopping stellt eine der bedeutendsten Gefahren der Regulation des internationalen Kulturgüterverkehrs dar.68 De lege lata tut es der Herrschaft der lex rei sitae jedoch noch keinen Abbruch, wenn Kulturgüter gegen den Willen des Eigentümers oder sonst widerrechtlich in ihren Herrschaftsbereich geschafft worden sind.69 Anschauliches Beispiel hierfür ist die Rechtsprechung des britischen High Court in der Rechtssache Winkworth v. Christie’s, Manson & Woods aus dem Jahre 1980 70, in der japanische Holzschnitzereien in England gestohlen wurden und unter Geltung der italienischen Rechtsordnung an einen gutgläubigen Dritten veräußert wurden. Obwohl die Kulturgüter ohne Zweifel gegen den Willen Winkworths in Italien veräußert wurden, hat das britische Gericht den gutgläubigen Erwerb nach den Sachenrechtsregeln Italiens als der Rechtsordnung der Belegenheit der Kulturgüter zum Zeitpunkt der Veräußerung gebilligt.71 Es ist danach kollisionsrechtlich unerheblich, ob unrechtmäßig entzogene Kulturgüter allein deshalb in den Belegenheitsstaat verbracht worden sind, um die dort geltende Sachenrechtsordnung ins Spiel zu bringen.72 Nach der herrschenden Meinung hat die lex rei sitae in der Regel ein berechtigtes und vorrangiges Interesse an der Anwendung ihrer Sachenrechtsnormen,73 sodass es Sache der erschlichenen Rechtsordnung ist, „im Rahmen des materiellen Rechts dem Rechtsmißbrauch zu wehren.“ 74 Der erschlichene Statutenwechsel setzt somit de lege lata nicht die Kollisionsregeln außer Kraft, kann wohl aber kraft materiellen Rechts den Einwand der Arglist begründen.
(5)
69
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71 72 73 74 75
31
§ 20 Abs. 3 des Gesetzes zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung vom 6. August 1955
Von gewisser Bedeutung für das internationale Sachenrecht – hier jedoch nur enumerativ zu nennen – ist ferner § 20 Abs. 3 des Gesetzes zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung vom 6. August 1955: 75
68
443
Vgl. ausführlich hierzu 3, 413 ff. Vgl. in der Sache auch BGH, Urteil des 8. Zivilsenats vom 08.04.1987, Az.: VIII ZR 211/86, BGHZ 100, S. 321–328. Vgl. ausführlich hierzu schon Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 2. Teil, Rdnr. 127. Winkworth v. Christie’s Ltd, (1980) 2 WLR 937. Vgl. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 260–261. Vgl. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 260–261. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 260–261. Hierzu Pieroth/Hartmann, Rechtswegbeschränkung zur Sicherung des Leihverkehrs mit ausländischen Kulturgütern, NJW 2000 (Heft 30), S. 2129–2135; Hirsch, Die Bedeutung der Zusage „freien Geleits“ für Kulturgüter, NJW 2001 (Heft 22), S. 1627.
32
444
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
33
§ 20 Abs. 3 KultgSchG vom 6. August 1955: Die Zusage [freien Geleits] bewirkt, daß dem Rückgabeanspruch des Verleihers keine Rechte entgegengehalten werden können, die Dritte an dem Kulturgut geltend machen.
34
Soll ausländisches Kulturgut vorübergehend zu einer Ausstellung im Bundesgebiet ausgeliehen werden, so kann nach § 20 Abs. 1 S. 1 KultgSchG die zuständige oberste Landesbehörde im Einvernehmen mit der Zentralstelle des Bundes dem Verleiher die Rückgabe zum festgesetzten Zeitpunkt rechtsverbindlich zusagen. Gemäß § 20 Abs. 3 bewirkt die Zusage, dass dem Rückgabeanspruch des Verleihers keine Rechte entgegengehalten werden können, die Dritte an dem Kulturgut geltend machen, womit auch private Rechte gemeint sind („freies Geleit“).76 Die überwiegende Einschätzung geht jedoch davon aus, dass § 20 Abs. 3 des KultgSchG vom 6. August 1955 nicht als Kollisionsnorm, sondern eher als Eingriffsnorm zu verstehen ist.77
b) 35
Vergleichbare Ausgestaltungen in nahezu sämtlichen Kollisionsvorschriften der verschiedenen Staaten
Von besonderem Interesse ist, dass auch im Ausland die überwiegende Zahl der nationalen Kollisionsvorschriften im internationalen Sachenrecht und damit auch bei Kulturgütern auf die Rechtswahl nach dem Belegenheitsort zurückgreift. Da die lex rei sitae – ebenso wie in Art. 43 Abs. 1 EGBGB – sowohl in Staaten mit kodifiziertem IPR wie bspw. nach Art. 51 Abs. 1 des italienischen IPRGesetzes, § 31 Abs. 1 des österreichischen IPR-Gesetzes und in Art. 100 Abs. 1 des schweizerischen IPRG als auch in den meisten Common Law-Staaten, die regelmäßig keine Kollisionsregeln statuieren, Anwendung findet,78 herrscht – im Gegensatz zu den inhaltlich sehr unterschiedlich ausgestalteten materiellen Rechtsregeln des gutgläubigen Erwerbs, der Ersitzung, Verwirkung und Verjährung – zumindest innerhalb der Rechtswahl internationaler Entscheidungseinklang.
(1) 36
‚Situs‘-Grundsatz in den deutschem Kollisionsrecht nahestehenden Rechtsordnungen
Vergleichbar in Inhalt und Ausgestaltung mit dem deutschen Art. 43 EGBGB ist bspw. Art. 31 des österreichischen Bundesgesetzes über das IPR vom 15.6.1978, wonach alle „körperlichen“ Sachen (also auch Kulturgüter als Mobilien) der lex
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78
Vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 181. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 181. Vgl. Siehr, Kulturgüterschutz, in: Ebling/Schulze, Kunstrecht – Zivilrecht, Steuerrecht, 2007, S. 123–124, Rdnr. 59–60.
1. Abschnitt: Rechtswahl nach der ,lex rei sitae‘ und Sonderkollisionsnormen
445
rei sitae unterstehen. Der Oberste Gerichtshof Wien hatte in seiner Entscheidung vom 27.11.1991 79 über das auf Schenkung von im Inland befindlichen Gegenständen zwischen Ausländern anwendbare Recht und die wirksame Übergabe der Schenkung ohne Einhaltung der Notariatsaktsform zu entscheiden und bestätigte die Anwendung der lex rei sitae im Rahmen des Art. 31 des österreichischen IPRG.80 Auch die dem internationalen Sachenrecht gewidmeten Vorschriften der Art. 97– 108 des schweizerischen Bundesgesetzes über das Internationale Privatrecht (IPRG) vom 18.12.1987 gehen ohne Zweifel von der Herrschaft der lex rei sitae aus.
37
Schon vor Erlass des schweizerischen Bundesgesetzes über das Internationale Privatrecht (IPRG) vom 18.12.1987 fand innerhalb des Schweizer Kollisionsrechts die Rechtswahl nach den Grundsätzen der lex rei sitae statt, wie die Entscheidung der II. Zivilabteilung des Schweizerischen Bundesgerichts in der Rechtssache Koerfer gegen Goldschmidt vom 13. Dezember 1968 81 bestätigt. Der jüdische Sammler Goldschmidt war bereits im Jahre 1931 in wirtschaftliche Bedrängnis geraten und musste zahlreiche Gemälde, die später nach Ende des Zweiten Weltkrieges Gegenstand seiner Restitutionsforderungen wurden, einer Bank sicherungsübereignen. Nachdem im Januar 1941 seine deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt und sein Vermögen als dem Deutschen Reich verfallen erklärt worden war, versteigerte das Finanzamt Moabit – gegen heftigen Protest der sicherungsnehmenden Bank – die Bilder, da es die Werke lediglich als verpfändet ansah. Auf dieser Versteigerung erwarb Jakob Koerfer die umstrittenen Gemälde
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81
Oberster Gerichtshof Wien, Entscheidung vom 27.11.1991, Az: 2 Ob 587/91, IPRax 1993, S. 335–336, vgl. hierzu auch Schwimann, Zur Anknüpfung der Schenkung im österreichischen IPR, IPRax 1993, S. 337–339. „1. Da die Klägerin ihren Wohnsitz in England hat und sich diese sowie ihre Mutter im Notariatsakt vom 3.1.1989 mit französischen Reisepässen auswiesen, also offenbar französische Staatsbürger waren, liegen Hinweise vor, die eine kollisionsrechtliche Prüfung der Rechtssache veranlassen. 2. Es ist aber unstreitig, daß sich die geschenkten Sachen, deren Herausgabe begehrt wird, zu den maßgeblichen Zeitpunkten jedenfalls auf dem Schloß im Inland befanden. Daher gilt die allgemeine Regel des IPRG § 31, wonach der Erwerb und der Verlust dinglicher Rechte und der Inhalt dieser Rechte nach dem Recht des Staates zu beurteilen sind, in dem sich die Sachen bei Vollendung des dem Erwerb oder Verlust zugrunde liegenden Sachverhaltes befinden. 3. Der Erwerb des Eigentums, auf das sich die Klägerin zur Begründung ihres Herausgabeanspruches stützt, richtet sich nach dem Lagerecht. Diesem Recht ist auch die Form einer Eigentumsübertragung unterstellt. Die von den Vorinstanzen unterstellte Anwendung österreichischen Rechts ist daher zutreffend.“ Oberster Gerichtshof Wien, Entscheidung vom 27.11.1991, Az: 2 Ob 587/91, IPRax 1993, S. 335–336. Koerfer v. Goldschmidt, II. Zivilabteilung des Schweizerischen Bundesgerichts, Urteil vom 13. Dezember 1968; Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts aus dem Jahre 1968, Amtliche Sammlung, 94. Band, II. Teil: Zivilrecht, (BGE) 94 II, S. 297 ff., Tribunal fédéral, 2ème Cour civile – 13 décembre 1968 – Koerfer contre Goldschmidt – ATF 94 II 297, Journal des Tribunaux 1970 I 176.
446
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
‚Le premier tricot‘ und ‚Dans la loge‘ von Toulouse-Lautrec und verbrachte sie in der Folge in die Schweiz. Dort verlangten die Rechtsnachfolger Goldschmidts die Restitution der Gemälde aufgrund fortbestehenden Eigentums. Das Schweizerische Bundesgericht hatte aus kollisionsrechtlicher Sicht aufgrund der Internationalität des Sachverhaltes festzustellen, welche Rechtsordnung jeweils auf die Fragen Anwendung fand, erstens, ob die Bank auf Grund der erwähnten Sicherungsübereignung Eigentümerin der Bilder wurde, und zweitens, sollte dies nicht der Fall sein, ob die Beklagten seither durch Ersitzung Eigentümer dieser Bilder geworden sind. 39
Innerhalb der Frage, ob die Bank auf Grund der erwähnten Sicherungsübereignung Eigentümerin der Gemälde wurde, prüfte das Bundesgericht als Berufungsinstanz von Amtes wegen, ob die Sache nach schweizerischem oder nach ausländischem Recht zu beurteilen war.82 Als Ausgangspunkt bestimmte das Gericht, dass für die Rechte an beweglichen Sachen nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichts wie für die Rechte an Liegenschaften grundsätzlich das Gesetz der Ortslage maßgebend ist.83 Da sich die streitigen Bilder bei Abschluss des Sicherungsübereignungsvertrages im Dezember 1931 sowie während der darauf folgenden dreizehn Jahre in Deutschland befanden, beurteilte das Bundesgericht den Sachverhalt nach deutschem Recht. „Da sich die Bilder nicht bloss bis zur Inbesitznahme durch die Bank, sondern bis gegen Ende 1944 in Deutschland befanden, beurteilt sich auch die Frage, welche dinglichen Rechte nach dieser Inbesitznahme und nach der Einziehung von Goldschmidts Vermögen, insbesondere zur Zeit der Versteigerung vom 25. September 1941, daran bestanden, grundsätzlich nach deutschem Recht.“ 84 Falls die Versteigerung vom 25. September 1941 nach dem maßgebenden deutschen Rechte nichtig und folglich nicht geeignet war, Jakob Koerfer zum Eigentümer der streitigen Bilder zu machen, stellte sich für das Bundesgericht zusätzlich die Frage, ob die Beklagten seither durch Ersitzung Eigentümer dieser Bilder geworden sind. Diesbezüglich entschied das Gericht entsprechend der lex rei sitae, dass für die Ersitzung, solange sich die Bilder bei Jakob Koerfer in Deutschland befanden (September 1941 bis Dezember 1944), das deutsche Recht als das Recht der damaligen Ortslage maßgebend war.85
40
Ähnlichen Inhalt nehmen auch die Ausgestaltungen in den beiden Rechtsordnungen Griechenlands und der Türkei ein. Das griechische Zivilgesetzbuch von 1940/46 stellt in Art. 27 für das internationale Sachenrecht die Grundregel auf, dass sich der Besitz und die dinglichen Rechte an beweglichen und unbeweglichen Sachen nach dem Recht des Staates richten, in dem die Sachen liegen. Ver82 83 84 85
Unter Berufung auf die ständige Rechtsprechung seit BGE 64 II 92 f.; BGE77 II 274. Unter Verweis auf BGE 74 11 228 E. 4, 75 II 129 E. 6, 93 III 100 E. 2. Koerfer v. Goldschmidt, (BGE) 94 II, S. 297 ff. Koerfer v. Goldschmidt, (BGE) 94 II, S. 297 ff.
1. Abschnitt: Rechtswahl nach der ,lex rei sitae‘ und Sonderkollisionsnormen
447
gleichbar bestimmt Art. 23 des türkischen Gesetzes Nr. 2675 vom 22.5.1982 über das internationale Privat- und Zivilverfahrensrecht, dass dingliche Rechte an beweglichen und unbeweglichen Sachen generell der lex rei sitae unterliegen. Ebenso innerhalb des skandinavischen Rechtskreises ist die Situs-Regel für bewegliche Sachen in der Rechtsprechung grundsätzlich anerkannt. Auch wenn einige Gesetze süd- und mittelamerikanischer Staaten bei der kollisionsrechtlichen Behandlung beweglicher Sachen noch an das Domizil des Eigentümers anknüpfen, wird dennoch auch hier überwiegend die Situs-Regel befolgt.
(2)
Belegenheitsrecht innerhalb des romanischen Rechtskreises
Auch innerhalb des romanischen Rechtskreises wie bspw. in Frankreich, Italien und den Niederlanden wird im Grundsatz von der Geltung der lex rei sitae ausgegangen. Rechtsprechung und Lehre bauten innerhalb der Rechtsordnung Frankreichs bspw. auf Grundlage der einseitigen, allein die Anwendung französischen Rechts betreffenden Kollisionsnorm des Art. 3 Code Civil, die in Abs. 2 normierte Bestimmung, dass Grundstücke, „même ceux possedés par des étrangers“, dem französischen Recht unterliegen, zu einer allseitigen Kollisionsnorm aus und bestimmten, dass nicht nur Grundstücke, sondern auch Mobilien in sachenrechtlicher Hinsicht der lex rei sitae unterliegen.
41
Seit Erlass des Art. 51 Abs. 1 des italienischen IPR-Gesetzes beherrscht auch innerhalb der italienischen Zivilrechtsordnung das Recht des Lageorts den Besitz, das Eigentum und sonstige Rechte an beweglichen und unbeweglichen Sachen. Dies wurde für das internationale Kulturgüterrecht ausdrücklich seitens des Tribunale di Torino in seiner Entscheidung vom 25. März 1982 in der Rechtssache Repubblica dell‘ Ecuador – Casa della Cultura ecuadoriana c. Danusso 86 bestätigt.87
42
Aufgrund eines italienischen Zeitungsartikels hat der Konsul Ekuadors erfahren, dass der Italiener Giuseppe Danusso sich im Besitz archäologischer Kulturgüter mit ekuadorianischer Herkunft befand. Es stellte sich heraus, dass dieser die Objekte in Ekuador von ekuadorianischen Staatsbürgern käuflich erworben und anschließend mit nach Italien genommen hatte. Ekuador strengte in der Folge die Restitution der sich in Staatseigentum befindenden und als unveräußerlich
43
86
87
Repubblica dell’ Ecuador – Casa della Cultura ecuadoriana c. Danusso, Tribunale di Torino, 25. März 1982, 18 Rivista di diritto internazionale private e processuale, S. 625 ff. (1982). Hierzu und zum Folgenden auch Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 82–83; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 74–75, 159 und S. 183–184; Church, Evaluating the Effectiveness of Foreign Laws on National Ownership of Cultural Property in U.S. Courts, Columbia Journal of Transnational Law, Volume 30 (1992), S. 180–229, S. 210–211; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 73 und 78–79 und 86–87.
448
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
deklarierten Kulturgüter vor italienischen Zivilgerichten an. In der Entscheidung berief sich das Tribunale di Torino bei der Rechtswahl auf Art. 22 Disp. Prel.88 und hat ekuadorianisches Recht auf die Frage angewandt, ob Danusso an den zu Staatseigentum und extra commercium deklarierten präkolumbianischen Gegenständen Eigentum erworben hatte. Entscheidend war, dass Danusso die archäologischen Objekte in Ekuador, also unter der Herrschaft ekuadorianischen Rechts als Belegenheitsort erworben hatte.89 Hätte Danusso nach dem Export der ekuadorianischen Kulturgüter diese jedoch in Italien wieder weiterveräußert, hätte das Tribunale di Torino sicherlich die italienische Rechtsordnung zur Entscheidung über die Eigentumsposition an den in Italien weiterveräußerten, zuvor jedoch illegal aus Ekuador exportierten Kulturgütern angewandt. 44
Nach Änderung der ursprünglichen Anknüpfung an die Nationalität des Eigentümers dient schließlich auch die spanische Rechtsordnung als Beispiel für eine Rechtswahl nach dem Belegenheitsrecht innerhalb des romanischen Rechtskreises: Nach Art. 10 Nr. 1 des neuen Einleitungstitels zum spanischen Código civil unterstehen Besitz, Eigentum und sonstige Rechte an beweglichen Sachen der lex rei sitae.
(3)
‚Situs‘-Regel im englischen Rechtsraum
45
Auch der englische Rechtskreis, der in erster Linie auf den Leitlinien der Rechtsprechung beruht, geht im Grundsatz von der Geltung der lex rei sitae aus.90 Bei Mobilien und damit auch bei Kulturgütern hat sich im Laufe der Zeit die Auffassung durchgesetzt, dass die Begründung, Übertragung und Aufhebung der Sachenrechte nach der lex situs zu beurteilen sind.91
46
Prominentes Beispiel für die Anwendung der Rechtsordnung der Belegenheit kultureller Güter innerhalb der dinglichen Sachzuordnung der Eigentumsposition an unrechtmäßig entzogenen Kulturgütern im englischen Rechtskreis stellt die schon mehrfach zitierte Entscheidung Winkworth v. Christie’s Manson and Woods aus dem Jahre 1980 92 dar,93 in der japanische Kunstgegenstände in Eng88
89
90 91 92 93
Art. 22 der Disposizioni preliminari des italienischen Codice civile von 1942: Il possesso, la proprietà e gli altri diritti sulle cose mobili e immonili sono regolati dalla legge del luogo nel quale le cose si trovano. Casa della cultura ecuadoriana c. Danusso, Tribunale di Torino, 25. März 1982, 18 Rivista di diritto internazionale privato e processuale, S. 625 (1982). Vgl. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 52–54. Zaphiriou, The Transfer of Chattels in Private International Law, 1956, S. 39–49. Winkworth v. Christie’s Manson and Woods, (1980) 2 Weekly Law Reports 937 (Ch. D.). Schrifttum: Carducci, The Growing Complexity of International Art Law: Conflict of Laws, Uniform Law, Mandatory Rules, UNSC Resolutions and EU Regulations, in: Hoffman, Art and Cultural Heritage – Law, Policy and Practice, 2006, S. 68 ff., S. 76; Collin, The Law and Stolen Art, Artifacts and Antiquities, Howard Law Journal 36 (1993), S. 17 ff., S. 23–24; Crowell, Autocephalous Greek-Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg & Feldman Fine Arts, Inc.: Choice of Law in the Protection of Cultural Property, Texas International Law Journal,
1. Abschnitt: Rechtswahl nach der ,lex rei sitae‘ und Sonderkollisionsnormen
449
land gestohlen, nach Italien gebracht und dort an einen gutgläubigen Käufer veräußert wurden,94 woraufhin der Erwerber die Gegenstände bei dem Londoner Auktionshaus Christie’s zur Versteigerung einlieferte und der bestohlene englische Eigentümer noch vor der Versteigerung die Restitution seiner Kunstgegenstände verlangte. Die Klage hatte keinen Erfolg, da der italienische Einlieferer in Italien nach der italienischen lex rei sitae wirksam gutgläubig Eigentum erworben habe. Aufgrund der italienischen Besonderheit der Akzeptanz des gutgläubigen Erwerbs auch gestohlener beweglicher Gegenstände nach Art. 1153 und 1154 Codice civile 95 – im Gegensatz zu dem prinzipiellen Ausschluss des bona fide-Erwerbs des Common Law-Rechtskreises – konnte der Marchese zu Lasten des Londoner Kunstsammlers William Wilberfore Winkworth gutgläubig Eigentum erwerben. Im Anschluss an den alten englischen „leading case“ Camell v. Sewell 96 entschied das Gericht, dass die Veräußerung an den Marchese als rechtserhebliches tatsächliches Faktum in Italien ausschließlich nach dem italienischen Recht als der maßgeblichen lex rei sitae zu beurteilen sei. Die englische Chancery Division anerkannte, dass die lex locus situs-Regel grundsätzlich eher die Integrität der konkreten Veräußerung unangetastet lässt, als dass die Rechtsposition des ursprünglichen Eigentümers aufrechterhalten würde. Argumentativ stütze das Gericht seine diesbezügliche Entscheidung auf die Überlegung, dass neben der kommerziellen Zweckdienlichkeit vor allem der allgemeine Grundsatz der Rechtssicherheit im grenzüberschreitenden Güterverkehr zu sichern sei. Weiter wurde ausgeführt, dass diese Grundregel auch dann zur Anwendung berufen sei, wenn dadurch die grundsätzlich auch schützenswerte Wahrung der Rechtsposition des ursprünglichen Eigentümers nicht erreicht würde. Trotz des ‚Reimports‘ des Kulturguts nach England unter Geltung der ursprünglichen Rechtsordnung erkannte das Gericht den Eigentumsübergang unter Anwendung der italienischen Rechtsordnung als Belegenheitsrecht an, der auch durch den Transfer nach London nicht wieder untergehe, unabhängig davon, ob in England ein gutgläubiger Erwerb an unrechtmäßig entzogenen Kulturgütern möglich gewesen wäre oder nicht.97
94
95
96 97
Volume 27 (1992), S. 173–209, S. 198–199; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 164–165; Jefferson, An Attempt to Evade the Lex Situs Rule for Stolen Goods, The Law Quaterly Review, Volume 96 (1980), S. 508–511; Nott, Title to Illegally Exported Items of Historic or Artistic Worth, The International and Comparative Law Quaterly, Volume 33 (1984), S. 203–207; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 154 und 158; Reichelt, Kulturgüterschutz und Internationales Privatrecht, IPRax 1986, S. 73–75. Vgl. zu den folgenden Angaben die Kurzübersicht bei Siehr, Kulturgüterschutz, in: Ebling/ Schulze, Kunstrecht – Zivilrecht, Steuerrecht, 2007, S. 123–124, Rdnr. 59–60. Ausführlich hierzu bereits Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 2. Teil, Rdnr. 127. Camell v. Sewell, (1858) 3 H. & N. 617, (1860) 5 H. & N. 728. Vgl. Siehr, Kulturgüterschutz, in: Ebling/Schulze, Kunstrecht – Zivilrecht, Steuerrecht, 2007, S. 123–124, Rdnr. 59–60.
47
450 48
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Weder könnte die tatsächliche Präsenz der gestohlenen Kulturgüter in England nach dem in Italien erfolgten gutgläubigen Erwerb, noch der Wohnsitz des bestohlenen und nun auf Restitution klagenden Sammlers Winkworth in England etwas an der generellen Applikation der Situs-Regel ändern. Die Schutzwürdigkeit der ursprünglichen Eigentumsposition wurde somit zur Wahrung der Integrität des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Güterverkehrs limitiert. Derjenige (gutgläubige) Erwerber, der sämtliche Rechtsregeln erfüllt, die an einen derivativen oder originären Eigentumserwerb von der Rechtsordnung der örtlichen Belegenheit gestellt werden, soll zwecks Wahrung der Rechtssicherheit im internationalen Güteraustausch sich nicht nur auf die rechtswirksame Akquisition im Transferstaat, sondern auch im Ausland verlassen können, sodass seine Eigentumsposition auch bei einem grenzüberschreitenden Transfer gesichert bleibt. Auch der diesbezügliche Einwand der besonderen Rechtshärte speziell für den ursprünglichen Eigentümer in solchen Konstellationen, in denen Güter von dem ursprünglichen Eigentümer gestohlen wurden und in der Folge von dem Dieb wohlüberlegt in eine ausländische Rechtsordnung transferiert wurden, die einen originären bzw. derivativen (gutgläubigen) Erwerb auch gestohlener beweglicher Gegenstände erlaubt, wurde von der Chancery Division zugunsten der Aufrechterhaltung der Rechtssicherheit eines rechtsgültig erworbenen Eigentumstitels im grenzüberschreitenden Güterverkehr rechtswirkungslos gestellt.
2. 49
Gesamt- oder Sachnormverweisung in Kunstrestitutionsverfahren
Steht nach Anwendung des Grundsatzes der lex rei sitae fest, welche Rechtsordnung die Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener kultureller Wertgegenstände zu entscheiden hat, stellt sich die Frage nach dem Inhalt und der Regelungsweite der Rechtswahl. An erster Stelle ist dabei stets die Frage nach einer Sachnormoder Gesamtverweisung zu beantworten.98 Während bei der Sachnormverweisung unmittelbar auf die materiellen Sachregeln der – vom Standpunkt des eigenen Kollisionsrechts ‚richtigen‘ – Rechtsordnung verwiesen wird, die die Sachzuordnung von Kunst- und Kulturgütern vornimmt, wird bei einer Gesamtverweisung auf das gesamte Privatrecht einer Rechtsordnung und damit auch auf deren eigenen Kollisionsregeln verwiesen. Dabei kann die Verweisung angenommen werden, das verwiesene Kollisionsrecht kann aber auch eigene Zuweisung aussprechen: Eine Rück- oder Weiterverweisung ist somit dann anzunehmen, wenn die zur Anwendung berufene ausländische Rechtsordnung die Gesamtverweisung durch das inländische Kollisionsrecht nicht annimmt, sondern seinerseits, d.h. durch die eigenen Kollisionsregeln, auf die Rechtsordnung eines anderen Staates 98
Vgl. Kreuzer, La propriété mobilière en droit international privé, Recueil des Cours 1996 (Tome 259), S. 9–318, insb. S. 68 ff.
1. Abschnitt: Rechtswahl nach der ,lex rei sitae‘ und Sonderkollisionsnormen
451
verweist. Bei einem solchen renvoi wird zwischen einer Rück- und einer Weiterverweisung unterschieden: Während die Rückverweisung diejenige Rechtsordnung zur Entscheidung beruft, die die einschlägige Kollisionsregel selbst zur Anwendung bestimmte (es wird also auf die „verweisende“ Rechtsordnung „zurückverwiesen“), wird bei der Weiterverweisung die Rechtsordnung eines dritten Staates zur Anwendung berufen.
a)
Gesamtverweisung in Deutschland
Innerhalb der deutschen Rechtsordnung wird bei der Verweisung auf das Lageortsrecht von einer Gesamtverweisung durch das deutsche Sachstatut ausgegangen.99 Rück- und Weiterverweisungen sind daher i.S.d. Art. 4 Abs. 1 EGBGB zu beachten.100 Die grundsätzlich wichtige Unterscheidung zwischen einer Gesamtoder Sachnormverweisung ist aber im internationalen Kulturgüterprivatrecht aufgrund der nahezu weltweiten Geltung der lex rei sitae für bewegliche Kulturgüter in der überwiegenden Zahl der Fälle nicht entscheidungserheblich.101
b)
50
The Islamic Republic of Iran v. Berend aus dem Jahr 2007
Für entscheidungserheblich hielt dies aber die Islamische Republik Iran in der englischen Rechtssache The Islamic Republic of Iran v. Berend aus dem Jahr 2007 102. Hier wurde vor dem Londoner High Court of Justice darüber gestritten, ob die britische lex rei sitae-Regel nur auf das französische Sachrecht oder auch auf das französische Kollisionsrecht verwies. Die Klägerin war nämlich der Ansicht, dass bei Anwendung des französischen internationalen Privatrechts eine Ausnahme von dem durch Richterrecht geprägten situs-Prinzip im Falle einer Restitutionsklage illegal exportierter Altertumsgegenstände anerkannt würde und das französische Kollisionsrecht nicht nach der lex rei sitae entscheiden, sondern die Heimatrechtsordnung (die sog. lex originis 103) der geschmuggelten Altertumsfunde zur Anwendung berufen würde.
51
Die Parteien stritten sich um ein Kalksteinrelief aus der Zeit der altpersischen Residenzstadt Persepolis, der Hauptstadt des antiken Perserreichs unter den
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99
100
101 102
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Vgl. Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 34–36. Vgl. aus der Rechtsprechung: KG Berlin, Urteil des 17. Zivilsenats vom 29.09.1987, Az.: 17 U 492/87, NJW 1988, S. 341–345, S. 342. Vgl. Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 34–36. Vgl. Wagner, IPRax 1998, S. 429 ff., S. 431. The Islamic Republic of Iran v. Berend, [2007], EWHC 132 (QB). Aus dem Schrifttum vgl.: Fincham, Rejecting Renvoi for Movable Cultural Property: The Islamic Republic of Iran v. Denyse Berend, International Journal of Cultural Property (IJCP), 14 (2007), S. 111–120. Ausführlich hierzu 3, 606 ff.
452
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Achämeniden, gegründet im Jahre 520 v. Chr. im Süden des heutigen Iran in der Region Persis. Das Relief wurde von Denyse Berend im Jahre 1974 bei einer Versteigerung in New York erworben und hing seit diesem Zeitpunkt seit inzwischen mehr als 30 Jahren in ihrer Pariser Wohnung. Im Jahre 2005 lieferte die inzwischen 85-jährige Witwe das Relief bei Christie’s in London zur Auktion ein, jedoch wurde die Versteigerung am 19. April per einstweiliger Verfügung durch den Iran verhindert. Iran strengte in der Folge die Restitution des Objektes als Teil seines nationalen Kulturpatrimoniums vor dem Londoner High Court of Justice an und stützte sich dabei auf seine nationalen Kulturgüterschutzvorschriften. 53
Zwischen den Parteien stand außer Streit, dass das Objekt vor seiner unrechtmäßigen Ausfuhr aus dem Territorium Irans in Staatseigentum stand. Die Beteiligten waren sich auch einig, dass in Frankreich nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich die lex rei sitae über die Frage des Eigentumserwerbs an beweglichen Objekten befindet und nach der französischen Sachenrechtsordnung eine Ersitzung bei Gutgläubigkeit nach Art. 2279 Code civil und eine Verjährung der Ansprüche aus der Eigentumsposition nach 30 Jahren bei öffentlichem und nichtheimlichem Besitz nach Art. 2262 Code civil erfolgen.
54
Die Verteidung war der Ansicht, dass das englische Kollisionsrecht das französische Sachrecht zur Entscheidung berufen müsse, da die Beklagte mit Lieferung des Reliefs im Jahre 1974 nach Paris gutgläubig Eigentum erwarb. Unabhängig davon sei das Eigentum spätestens nach 30 Jahren nach den französischen Ersitzungs- und Verjährungsregeln auf die Beklagte übergegangen.
55
Die Anspruchsteller lehnen demgegenüber die Anwendung französischen Sachrechts ab, da die englische situs-Regel nicht auf das französische Sach-, sondern Kollisionsrecht verweise (Anwendung der doctrine of renvoi), das seinerseits ausnahmsweise nicht die in Frankreich durch ständige Rechtsprechung beim Mobiliarerwerb bestätigte lex rei sitae, sondern ausnahmsweise aufgrund der kulturellen Bedeutung des Kalksteinreliefs für die Islamische Republik Iran deren Sachenrechtsordnung anwende. Dabei gründete die Klägerin ihre Überzeugung, dass das französische Zivilgericht seine Entscheidug auf die lex originis gründen würde, insbesondere auf den Rechtsgedanken der unterschiedlichen internationalen Konventionen, die zwar allesamt keine unmittelbare Anwendung für Frankreich erfahren, französische Richter aber „inspirieren“ und deren kulturpolitische Implikationen die Entscheidungsfindung unmittelbar beeinflussen würden.
56
Im Ergebnis lehnte der Londoner High Court of Justice jedoch sämtliche Hypothesen der Restitutionsgläubigerin ab. Zum einen verneinte Richter Eady die Anwendung des renvoi-Grundsatzes beim Rechtswahlprozess hinsichtlich eines Mobiliarwerwerbs. Unter Anführung zahlreicher Präzedenzen stellte das Gericht fest: „I see no room either as a matter of policy for its introduction in the context
1. Abschnitt: Rechtswahl nach der ,lex rei sitae‘ und Sonderkollisionsnormen
453
of a tangible object such as that in contention here … I can see no reason … to hold, for the first time, that public policy requires English law to introduce the notion of renvoi into the determination of title to movables. … [T]itle to the fragment should thus be determined in accordance with French domestic law.“ 104 Selbst in dem Fall, dass das englische Recht eine Weiterverweisung des französischen Kollisionsrechts und damit den renvoi-Grundsatz tolereiren würde, konnte der Londoner High Court of Justice nicht mit Sicherheit feststellen, dass das französische Kollisionsrecht der Entscheidung die Kulturgüterschutzvorschriften der Islamischen Republik Iran zugrunde legen würde. Als kulturpolitischer Tenor der Entscheidung lässt sich folgender Gedanke von Richter Eady festhalten: „I can think of a number of reasons why it might be desirable to apply generally, in dealing with national treasures or monuments, the law of the state of origin but that is a matter for governments to determine and implement if they see fit.“ 105
3.
Inhalt der Rechtswahl nach dem Belegenheitsort des Kulturguts
Zumindest für die kontinental europäische Rechtswahl – zu den Besonderheiten innerhalb der Rechtswahl der einzelnen Bundesstaaten der Vereinigten Staaten von Amerika vgl. die nachstehenden Überlegungen in diesem Abschnitt unter Punkt II. – steht heute inhaltlich fest, dass sich die zivilrechtliche Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter ‚in ihrer ganzen Größe‘, d.h. in Fragen des Schutzumfangs der kulturellen Eigentumsposition (d.h. sämtliche Rechte und Pflichten), des gutgläubigen derivativen Erwerbs per Rechtsgeschäft, des gutgläubigen originären Ersitzungserwerbs und der Verjährung sowie der Verwirkung kultureller Restitutionsansprüche aus der Eigentumsposition, nach der Rechtsordnung der Belegenheit zum rechtserheblichen Zeitpunkt richtet.106 Der
104 105 106
The Islamic Republic of Iran v. Berend, [2007], EWHC 132 (QB). The Islamic Republic of Iran v. Berend, [2007], EWHC 132 (QB). Carl, Legal Issues Associated with Restitution – Conflict of Law Rules Concerning Ownership and Statutes of Limitation, in: The International Bureau of the Permanent Court of Arbitration, Resolution of Cultural Property Disputes – Papers emanating from the seventh PCA International Law Seminar May 23, 2003, 2004, S. 185–192; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 162–164; Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 54–58; Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 518–519 und S. 519–520; Palandt/Heldrich, 69. Aufl. 2010, Art. 43 EGBGB Rdnr. 3; Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 271 f.; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 34–36; Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 479; Siehr, Kunstraub und das internationale Recht, Schweizerische Juristen-Zeitung 77 (1981), S. 189–197 und S. 207–212, S. 195; Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel,
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454
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Anwendungsbereich der lex rei sitae umfasst damit alle sachenrechtlichen Tatbestände.107 Dazu zählen nicht nur sämtliche Fragen der Entstehung, Fortdauer und des Untergangs dinglicher Rechte an kulturellen Gütern, nicht nur deren Inhalt und Ausübung wie bspw. der Zuweisungsgehalt, die Verfügungs- und Veräußerungsbefugnis sowie die Übertragbarkeit, sondern auch die möglichen Ansprüche bei Beeinträchtigungen der kulturellen Sachzuordnung und Eigentumsposition, wie bspw. der dingliche Herausgabeanspruch.108 Die lex rei sitae regelt somit nicht nur den Erwerb dinglicher Rechtspositionen durch Rechtsgeschäft als auch kraft Gesetzes (bspw. durch Eigentumserwerb im Wege der Ersitzung), sondern es sind auch Vermutungen für das Bestehen bzw. Nichtbestehen einer bestimmten dinglichen Rechtslage und Fragen des gutgläubigen Eigentumserwerbs unrechtmäßig entzogener Kulturgüter vom Nichtberechtigten sowie die Bestimmung, wann ein Kulturgut als abhandengekommen gilt und welche Anforderungen an den guten Glauben zu stellen sind, der lex rei sitae zu entnehmen.109 Die lex rei sitae gilt somit „für das gesamte Schicksal dinglicher Rechte und Pflichten und des Besitzes: Entstehung, Inhalt, Änderung, Übertragung, Untergang.“ 110
a) 58
Schutzansprüche aus der dinglichen Sachzuordnung kultureller Güter
Während innerhalb der Kollisionsregeln der amerikanischen Bundesstaaten die beschriebene Unterscheidung zwischen den Regeln der dinglichen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter und der Geltendmachung von
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in: Dieckmann/Frank/Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 214 f. Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 477; Walter, Rückführung von Kulturgut im Internationalen Recht, 1988, S. 32; Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 209 f.; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 162–164; Jaeger, Internationaler Kulturgüterschutz – Rechtslage, Rechtspraxis, Rechtsfortentwicklung, 1994, S. 59; von Schorlemer, Internationaler Kulturgüterschutz – Ansätze zur Prävention im Frieden sowie im bewaffneten Konflikt, 1992, S. 535; Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes, 1994, S. 118; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 158; Jayme, „Entartete Kunst“ und Internationales Privatrecht, 1994, S. 23; Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes, 1994, S. 114; Berndt, Internationaler Kulturgüterschutz: Abwanderungsschutz, Regelungen im innerstaatlichen Recht, im Europa- und Völkerrecht, 1998, S. 121 f. Vgl. aus der Rechtsprechung: BGH, Urteil des 8. Zivilsenats vom 25.09.1996, Az.: VIII ZR 76/95, NJW 1997, S. 461–464, S. 462. Vgl. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 518–519. Vgl. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 519–520 und S. 521. Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 66–67.
1. Abschnitt: Rechtswahl nach der ,lex rei sitae‘ und Sonderkollisionsnormen
Schutzansprüchen aus der dinglichen Sachzuordnung als Vorfrage zu problematisieren ist und als Eigentümer grundsätzlich derjenige angesehen wird, dem das bessere Recht an einer Sache zusteht, d.h. eine Entscheidung zwischen dem jetzigen oder dem früheren Besitzer zu treffen ist (die Verteidigung des gutgläubigen Besitzers hat also vor Gericht deutlich zu machen „I own it more than you do!“), wirkt das Eigentumsrecht innerhalb der kontinental europäischen Rechtsordnungen absolut und gegenüber jedermann.111 Anders als im Common Law-Rechtskreis, in dem der Eingriff in die sachliche Zuordnung eines Kulturguts den Charakter einer unerlaubten Handlung annehmen muss, um einen Herausgabeanspruch zu begründen, ergibt sich innerhalb der kontinental europäischen Rechtsordnungen ein zivilrechtlicher Restitutionsanspruch unrechtmäßig entzogener Kulturgüter unmittelbar aus dem umfassenden Eigentumsrecht.112 Bei dinglichen Herausgabeansprüchen beweglicher Gegenstände (und damit auch bei der zivilrechtlichen Restitution kultureller Güter) ist allerdings umstritten, ob maßgeblich entweder die lex fori 113 oder der Zeitpunkt der ersten Entstehung ist 114 oder aber, ob kulturelle Herausgabeansprüche gleichsam als Dauer-
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Vgl. Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 70–73. Vgl. Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 70–73. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 155 f.; Stoll, Sachstatut bei einer in keine Schiffsregister eingetragenen Segelyacht (Anm. zu OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 6.3.1995, Az.: II ZR 84194) JZ 1995, S. 786–788. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 153–157: „Bei Verfolgung dinglicher Rechte außerhalb des Belegenheitsstaates setzen sich die Rechtsschutzformen der lex fori durch, unbeschadet der Herrschaft des Belegenheitsrechts über Bestand und Inhalt der Rechte. Die Anwendung der lex fori bei Rechtsverfolgung außerhalb des Belegenheitsstaates vermeidet auch die Schwierigkeiten, die sich ergeben, wenn dingliche Rechte im Belegenheits- und im Gerichtsstaat rechtstechnisch jeweils auf verschiedene Weise durchgesetzt und geschützt werden. Der eine Staat mag dingliche oder possessorische Abwehransprüche gewähren, der andere Staat ausschließlich deliktsrechtlichen Schutz oder gar die Rechtsdurchsetzung allein mittels prozessualer Rechtsbehelfe gestatten … Es würden sich, wollte man auch die Rechtsausübung außerhalb des Belegenheitsstaates der lex rei sitae unterstellen, oftmals schwer zu lösende Qualifikations- und Angleichungsprobleme ergeben … Die Gewährung von Rechtsschutz in den Formen der lex fori ist auch dann angemessen, wenn die im Gerichtsstaat vorgenommene Störungshandlung bezüglich der in einen anderen Staat gelangten Sache in der Vergangenheit abgeschlossen ist. Die dargelegte Interessenwertung ist im Grunde keine Besonderheit des Sachenrechts, sondern gilt entsprechend für alle absoluten Rechte, deren Bestand und Inhalt besonders angeknüpft werden und in diesem Sinne kollisionsrechtlich selbständig sind. Wird ein selbständig begründetes Recht dieser Art außerhalb des Staates verfolgt, nach dessen Rechtsordnung sich Bestand und Inhalt des Rechtes richten, so empfiehlt es sich gleichermaßen, die Rechtsausübung und Rechtsverfolgung dem Ortsrecht – das bei gerichtlicher Verfolgung mit der lex fori zusammenfällt – zu unterstellen.“ Vgl. Kondring, Die internationalprivatrechtliche Behandlung der rei vindicatio bei Sachen
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
wirkung auf die fortdauernde Störung reagieren und daher auf den jeweiligen Betrachtungszeitpunkt abzustellen ist 115, also auf den Zeitpunkt der Geltendmachung.116 59
Der Anwendung der lex fori wird heute mit guten Gründen widersprochen.117 Für die grundsätzliche Maßgeblichkeit des Zeitpunkts der ersten Entstehung spricht nach Ansicht Wendehorsts, „dass es dem Störer auf diese Weise verwehrt wird, durch die widerrechtliche Verbringung der Sache ins Ausland die Geltung eines anderen Rechts herbeizuführen.“ 118 Kurpiers stützt diese Ansicht auf den Wortlaut von Art. 43 Abs. l EGBGB, der allein von Rechten „an“ einer Sache spricht, nicht aber von Rechten „auf“ eine Sache wie bspw. einen Herausgabeanspruch nach § 985 BGB.119 Außer Diskussion steht dabei allerdings, dass in dem Fall einer extraterritorialen Veräußerung das neue Sachstatut über den Herausgabeanspruch gegen den Erwerber entscheiden muss. Aus diesen Gründen scheint es wohl stimmiger, dass sich der Inhalt von Rechten und Pflichten (d.h.
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auf dem Transport, IPRax 1993, S. 371–376, S. 373 mit Verweisen auf die einschlägige Rechtsprechung. Dafür Kondring, Die internationalprivatrechtliche Behandlung der rei vindicatio bei Sachen auf dem Transport, IPRax 1993, S. 371–376, S. 373; Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 153. Vgl. die Darstellung der unterschiedlichen Meinungen bei Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 118. „Vereinzelt wird vertreten, dass die Rechtsschutzformen stets nach der lex fori zu beurteilen seien. Begründet wird das zum einen mit dem Ziel der Gleichbehandlung inländischer und ausländischer Rechte vor Gericht. Das überzeugt nicht, weil das Kollisionsrecht ausländische Rechtsnormen unabhängig davon zur Anwendung beruft, ob diese einem Beteiligten mehr oder weniger Rechte zubilligen als das äquivalente Institut der lex fori. Stichhaltiger ist das Argument, es könne Normenmangel oder Normenhäufung auftreten, sollte das Sachstatut die verfügbaren Rechtsschutzformen deliktisch, das Deliktsstatut dagegen sachenrechtlich qualifizieren, oder umgekehrt. Indessen ist kein Grund ersichtlich, zu einem systemwidrigen Notbehelf zu greifen und die lex fori zu berufen, bevor ein Angleichungsproblem tatsächlich aufgetreten ist. Ob ein solches trotz richtiger Durchführung der funktionellen Qualifikation überhaupt noch auftreten kann, scheint ohnehin zweifelhaft. Denn hat man sich auf der Ebene primärer Qualifikation, dh. der Auffindung der richtigen Kollisionsnorm, einmal für das Sachstatut entschieden, sind die funktionsäquivalenten Sachnormen der lex rei sitae unabhängig davon anzuwenden, ob sie innerhalb dieser Rechtsordnung einem anderen Regelungskomplex zugewiesen sind. Zudem spricht gegen die Auffassung, dass sie zu äußerst schwierigen Abgrenzungsproblemen zwischen Rechtsinhalt und Rechtsschutz nötigen würde.“ Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 96. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 118. Vgl. Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 34–36.
1. Abschnitt: Rechtswahl nach der ,lex rei sitae‘ und Sonderkollisionsnormen
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der vindikatorische Eigentumsherausgabeanspruch) an unrechtmäßig entzogenen Kulturgütern gänzlich nach dem Recht des neuen Belegenheitsstaates bestimmt.120 „Gewöhnlich werden die Gerichte des Belegenheitsstaates angerufen, wenn kraft eines dinglichen Rechts oder Sachbesitzes Rechtsschutz begehrt wird, etwa Herausgabe der Sache verlangt oder auf Beseitigung von Störungen geklagt wird. Maßgebend für den Rechtsschutz ist dann ausschließlich die lex rei sitae; ihr ist insbesondere zu entnehmen, ob und unter welchen Voraussetzungen dem Berechtigten besondere dingliche oder possessorische Ansprüche zur Verwirklichung seines Rechts zur Verfügung stehen. Die lex rei sitae ist grundsätzlich auch dann maßgebend, wenn die störende Einwirkung auf die Sache von einem anderen Staat als dem Belegenheitsstaat ausgeht.“ 121
60
Da zu den dinglichen Rechtswirkungen an kulturellen Wertgegenständen im weiteren Sinne auch die Mechanismen des Rechtsschutzes gehören, wie Ansprüche auf Herausgabe, auf Unterlassung oder Beseitigung von Störungen, auf Nutzungsherausgabe oder auf Schadensersatz,122 bezieht sich auch hierauf der Grundsatz der lex rei sitae im Rahmen der Rechtswahl.123 Somit ist dem Belegenheitsrecht zu entnehmen, ob ein Eingriff in dingliche Rechte rechtswidrig ist und auf welche Weise sich der Berechtigte mittels des Sachenrechts eines solchen Eingriffs erwehren kann.124 „Sachenrechtliche und possessorische Ansprüche auf Beseitigung des Eingriffs und seiner Folgen sind – jedenfalls aus der Sicht des deutschen Rechts – Ausflüsse einer dinglichen oder quasi-dinglichen Berechtigung und deshalb selbständig an den Lageort der Sache anzuknüpfen, auch wenn sie mit deliktischen oder bereicherungsrechtlichen Ansprüchen konkurrieren.“ 125
61
Dies wurde erst jüngst durch das Landgericht Bonn in dem bekannten SperrmüllMacke-Fall vom 25.6.2002 bestätigt, als dieses die als Raubkunst zu Staatseigentum des nationalsozialistischen Deutschen Reiches designierten Kunstwerke als
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Vgl. Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 34–36. Aus der Rechtsprechung: BGH, Urteil des 9. Zivilsenats vom 22.09.1988, Az.: IX ZR 263/87, IPRax 1990, S. 398–400; KG Berlin, Urteil des 17. Zivilsenats vom 29.09.1987, Az.: 17 U 492/87, IPRax 1990, S. 393–398, S. 395. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 153–157. Vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 118. Vgl. Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 70–73. So entscheidet die lex rei sitae auch darüber, ob eine Duldungspflicht gegenüber Einwirkungen auf das dingliche Recht besteht, sowie über Ansprüche bei Beeinträchtigung dinglicher Rechte, vgl. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 149. Vgl. Stoll, Zur gesetzlichen Regelung des internationalen Sachenrechts in Artt. 43–46 EGBGB, IPRax 2000 (Heft 4), S. 259–270, S. 259–261. Stoll, Zur gesetzlichen Regelung des internationalen Sachenrechts in Artt. 43–46 EGBGB, IPRax 2000 (Heft 4), S. 259–270, S. 259–261.
458
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
abhandengekommen i.S.d. § 935 Abs. 1 BGB qualifizierte.126 Der Archäologe Heiko Prümer entdeckte im Jahr 1991 auf einem Bonner Sperrmüllhaufen August Mackes Gemälde ‚Waldrand‘ aus dem Jahre 1910, signiert mit „Tegernsee“. Im Jahre 1999 lieferte er es bei dem Berliner Auktionshaus Villa Grisebach ein. Durch die dadurch erlangte Publizität des Gemäldes wurden die heute in Kolumbien lebenden Erben des Kaufmannes Emanuel Oberländer auf das Bild aufmerksam. Dieser hatte die expressionistische Landschaft im Jahre 1910 nachweislich direkt vom Künstler selbst für 80 Reichsmark erworben. Die Rechtsnachfolger des im Jahre 1938 emigrierten Emanuel Oberländer klagten im Jahre 2002 auf Herausgabe des Gemäldes aufgrund fortbestehender Eigentumsposition.127 63
Dem Restitutionsgesuch der Rechtsnachfolger lag eine vindikatorische Eigentumsherausgabeklage zugrunde. Da die Kläger ihren Wohnsitz und ihre Staatsangehörigkeit in Kolumbien hatten, stellte sich in dieser internationalen Konstellation die Frage, nach welcher Rechtsordnung der Anspruch auf Herausgabe des Ölgemäldes zu entscheiden sei. Diesbezüglich bestimmte das Landgericht Bonn ausdrücklich, dass der „Herausgabeanspruch … nach Art. 43 EGBGB deutschem Recht [unterliegt], denn das Gemälde befindet sich in der Bundesrepublik Deutschland.“ 128 Auch innerhalb der Literatur 129 wird dieser Rechtseinschätzung der Rechtsprechung 130 heute wohl überwiegend gefolgt.131 Auch Kurpiers
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Vgl. hierzu Art – Das Kunstmagazin, Heiß begehrter Sperrmüll – Rechtsstreit: Wem gehört August Mackes Bild „Waldrand“?, Heftarchiv, Ausgabe: 8/2002; Hefty, Wem gehört August Mackes „Waldrand“? Die Erben zweier verfolgter Familien streiten um ein Bild, FAZ, Artikel vom 27.5.2002, S. 1 f.; Hefty, Ein Macke auf Gegenseitigkeit. Das Gemälde „Waldrand“ sollte mit seinen Verwahrern verbunden bleiben, FAZ, Artikel vom 3.6.2002, S. 12. Vgl. zu den tatsächlichen Angaben Art – Das Kunstmagazin, Heiß begehrter Sperrmüll – Rechtsstreit: Wem gehört August Mackes Bild „Waldrand“?, Heftarchiv, Ausgabe: 8/2002. LG Bonn, Entscheidung der 18. Zivilkammer vom 25.6.2002, Az: 18 O 184/01, NJW 2003, S. 673 ff. Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 34–36; Kreuzer, Die Vollendung der Kodifikation des deutschen Internationalen Privatrechts durch das Gesetz zum Internationalen Privatrecht der außervertraglichen Schuldverhältnisse und Sachen vom 21.5.1999, RabelsZ 65 (2001), S. 383–462, S. 442. Vgl. dazu Stoll, Zur gesetzlichen Regelung des internationalen Sachenrechts in Artt. 43–46 EGBGB, IPRax 2000 (Heft 4), S. 259–270, S. 260; Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 153. So auch BGH, Urteil des 9. Zivilsenats vom 22.09.1988, Az.: IX ZR 263/87, NJW 1989, S. 1352–1353; OLG Köln, Urteil des 13. Zivilsenats vom 21.04.1993, Az.: 13 U 251/93, NJW-RR 1994, S. 200–201. „Mit der Formulierung des Art. 43 Abs. 1 EGBGB wurde ein Sammelbegriff gewählt, der Inhalt und Wirkungen der Sachenrechte erfassen und insgesamt die alte Anknüpfung an die Belegenheit umschreiben sollte … Diese Formulierung ist nicht die einzig mögliche. Noch der Referentenentwurf von 1984 zählte in Art. 43 Abs. l die denkbaren Formen einer dinglichen Rechtsänderung auf, namentlich die Entstehung, die Änderung, den Übergang und
1. Abschnitt: Rechtswahl nach der ,lex rei sitae‘ und Sonderkollisionsnormen
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ist der Meinung, dass der weiten Fassung des Art. 43 Abs. l EGBGB entnommen werden könne, „daß die lex rei sitae-Regel nicht nur über den Inhalt, sondern auch über die Ausübung dinglicher Rechte bestimmt.“ 132 Auch der Anspruch auf Schadensersatz bei Unmöglichkeit der Herausgabe richtet sich nach dem Recht der Belegenheit. Ein Beispiel dafür ist die schon zitierte Picasso-Entscheidung des Hamburger Landgerichts vom 25.5.1977. Die Klägerin, eine portugiesische Staatsangehörige mit Wohnsitz in London, begehrte von dem Beklagten, einem deutschen Kunsthändler, zunächst die Herausgabe eines Gemäldes aus Eigentum sowie – zur Vorbereitung des Schadensersatzanspruchs wegen Nichterfüllung nach § 280 BGB a.F. – die Bestimmung einer Frist zur Herausgabe des Gemäldes im Urteil.133 In dem Fall erwarb die Klägerin den Picasso im November 1972 bei einem Auktionshaus in London. Im September 1973 wurde er jedoch aus ihrer Wohnung gestohlen. Der Beklagte kam im Herbst des Jahres 1973 in den Besitz des Bildes, verlor diesen allerdings durch Weitergabe des Bildes an eine dritte Person. Das Gericht führte aus, dass in gleicher Weise wie der Eigentumsherausgabeanspruch auch der sich daraus ableitende Schadensersatzanspruch nach § 280 BGB a.F. dem Recht der Belegenheit der Sache unterfalle, weil der Schadensersatz wegen Nichterfüllung nach dieser Bestimmung Rechtsfolge eines vereitelten Eigentumsherausgabeanspruchs sei und sich damit nicht nach einer anderen Rechtsordnung als der Herausgabeanspruch selbst bestimmen könne.134
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Schließlich kommt auch Wendehorst zu dem Ergebnis, dass die richtige Rechtsordnung hinsichtlich der Ausübung und des Schutzes dinglicher Rechte (an kul-
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den Untergang von Rechten an einer Sache … Kreuzer beanstandete in seinem Gutachten zu dem Entwurf, daß die Enumeration unvollständig sei, weil zumindest der Inhalt der Sachenrechte fehle … Darüber hinaus wäre noch an den Sachbegriff, den Besitz und an weitere Fragen zu denken … Vorzuziehen ist die Fassung, die auf eine Enumeration verzichtet und einen Sammelbegriff („Rechte an einer Sache“) verwendet, weil ansonsten die Gefahr der Unvollständigkeit besteht.“ Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 34–36. Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 34–36, unter Rekurs auf Kreuzer, Die Vollendung der Kodifikation des deutschen Internationalen Privatrechts durch das Gesetz zum Internationalen Privatrecht der außervertraglichen Schuldverhältnisse und Sachen vom 21.5.1999, RabelsZ 65 (2001), S. 383–462, S. 442. Vgl. aus der Rechtsprechung: BGH, Urteil des 2. Zivilsenats vom 25.09.1997, Az.: II ZR 113/96, NJW 1998, S. 1321–1322. LG Hamburg, Urteil vom 25.5.1977, IPRspr 1977, Nr. 48. Vgl. hierzu auch Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 34–36. So Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 34–36.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
turellen Wertobjekten) nach der lex rei sitae zu bestimmen ist: 135 „Zentrale Wirkung dinglicher Rechte sind auch die Mechanismen, mit deren Hilfe die dinglichen Rechte Dritten gegenüber ausgeübt und durchgesetzt werden, insbesondere Ansprüche auf Herausgabe, Unterlassung und Beseitigung von Störungen sowie sonstige Formen petitorischen oder possessorischen Rechtsschutzes. Diese Rechtsschutzformen werden denn auch folgerichtig von der hM insgesamt dem Sachstatut unterstellt.“ 136
b) 66
Änderung der dinglichen Rechtslage an Kulturgütern durch Hoheitsakt
Inhaltlich unterfällt auch jede Änderung der dinglichen Rechtslage an Kulturgütern durch Hoheitsakt der Rechtswahl nach dem Belegenheitsort des Kulturguts.137 Zahlreiche Staaten eröffnen sich zwecks Bewahrung und Erhaltung ihres nationalen Kulturerbes in ihren Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetzen unterschiedliche Möglichkeiten der dinglichen Sachzuweisung kultureller Wertgegenstände zu Staatseigentum. Dank sog. non ownership statutes – hierzu zählen der Verfall kultureller Güter zu Staatseigentum nach Beschlag- und Inbesitznahme, die Enteignung kultureller Güter durch eine spezielle, behördliche oder gerichtliche Entscheidung sowie die hoheitliche Ausübung staatlicher Erwerbs- und Vorkaufsrechte – erlangen kulturelle Ursprungsstaaten mittels der 135
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Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 96. „Probleme bereitet dabei vorallem die Abgrenzung zum Delikts- und zum Bereicherungsstatut, gelegentlich auch zum Geschäftsführungsstatut. Indizien dafür, dass sich ein Anspruch als spezifische Ausübung des dinglichen Rechts und damit als eine Frage des Sachstatuts darstellt, sind vor allem, dass der Anspruch ausschließlich auf den Schutz dinglicher Rechte zugeschnitten ist, dass er sich auf Gewährleistung bzw. Wiederherstellung der Integrität des dinglichen Rechts oder Zuweisung der auf Grund des Rechts zustehenden Nutzungen beschränkt und dass er unabhängig von subjektiven Voraussetzungen in der Person des Anspruchsgegners (zB Verschulden, Kenntnis) gewährt wird. Dagegen spricht es für eine schuldrechtliche Qualifikation, wenn das dingliche Recht nur ein prinzipiell durch andere Rechtspositionen – etwa Gesundheit oder Immaterialgüterrechte – austauschbares Tatbestandselement ausmacht, wenn auch Konsequenzen im Übrigen Vermögen des Gläubigers (zB Folgeschäden) berücksichtigt werden und wenn in der Person des Anspruchsgegners subjektive Voraussetzungen erfüllt seil müssen. In einer konkreten Rechtsfrage, etwa ob Eigentümer A von Besitzer B Schadensersatz verlangen kann, sind entsprechend dem deutschen Grundsatz der Anspruchskonkurrenz freilich auch kollisionsrechtlich stets das Sachstatut, das Deliktsstatut usw. parallel zu ermitteln und unabhängig voneinander zu befragen (Doppel- oder Mehrfachqualifikation, …). Entsprechend dem Grundsatz der kanalisierten Verweisung sind innerhalb des Sachstatuts dann nur diejenigen Sachnormen berufen, die sich nach den … Kriterien als sachenrechtlich qualifizieren lassen.“ Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 96. Vgl. hierzu Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 158.
1. Abschnitt: Rechtswahl nach der ,lex rei sitae‘ und Sonderkollisionsnormen
461
öffentlich-rechtlichen Tatbestände nach einer besonderen Staatshandlung Eigentum an ihren besonders schützenswerten Kulturobjekten. Da nach einer regelwidrigen Ausfuhr aufgrund des Territorialitätsprinzips und des völkerrechtlichen Souveränitätsgedankens ein staatlicher Eigentumserwerb durch Hoheitsakt regelmäßig ausscheidet, weil der Ursprungsstaat nach dem Grenzübertritt des Kulturguts die notwendige Voraussetzung hoheitlichen Handelns nicht mehr nachholen kann und somit nicht sämtliche Voraussetzungen eines staatlichen Eigentumserwerbs erfüllt sind, instrumentalisieren zahlreiche Staaten sog. ownership statutes in Form der sog. umbrella statutes und der sog. automatic forfeiture clauses (der auch sog. rhetorical ownership statutes). Bei Anwendung solcher Rechtskonstruktionen fällt dem kulturellen Ursprungsstaat das Eigentum an den vom Schutzumfang erfassten Objekten in dem Moment der Entdeckung bzw. des Versuchs der illegalen Ausfuhr aus dem Staatsterritorium ipso iure zu Staatseigentum zu. Gemeinsamkeit beider Rechtsregeln ist die zivilrechtliche Sachzuordnung kultureller Güter an den Ursprungsstaat mittels einer automatischen Eigentumszuweisung.138 Sämtliche Formen des staatlichen Eigentumserwerbs stellen aus kollisionsrechtlicher Sicht eine Änderung der dinglichen Rechtslage an den auf seinem Gebiet befindlichen Kulturgütern durch Hoheitsakt dar, deren Rechtswirkungen sich nach den Grundsätzen der lex rei sitae richten.139
c)
Rechtsgeschäftliche Änderung der dinglichen Rechtslage an Kulturgütern
An vorderster Stelle stehen innerhalb der Inhaltsbestimmung des Sachstatuts die Fallkonstellationen der rechtsgeschäftlichen Änderung der dinglichen Rechtslage an Kulturgütern. Unumstritten beurteilen sich nach der lex rei sitae alle sachenrechtlichen Fragen hinsichtlich der Entstehung, Änderung sowie des Übergangs und Untergangs dinglicher Rechte: 140 „Das Sachstatut gibt Maß für den Inhalt der dinglichen Rechte. Nach dem Sachstatut richtet sich, ob und in welcher Weise ein dingliches Recht übertragen werden kann.“ 141 Das Sachstatut herrscht somit grundsätzlich auch über Fragen nach der wirksamen rechtsgeschäftlichen Begründung eines dinglichen Rechts sowie der wirksamen Verfügung über ein bestehendes Recht an Kulturgütern.142
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Vgl. Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 53–58, jedoch mit abweichender Terminologie. Vgl. ausführlich hierzu 3, 19 ff. Asam, Rechtsfragen des illegalen Handels mit Kulturgütern – Ein Überblick, in: Mansel/ Pfeiffer/Kronke/Kohler/Hausmann, Festschrift für Erik Jayme, 2004, S. 1651–1668, S. 1663; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 78. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 149. Vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einfüh-
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
(1)
Voraussetzungen des Kulturguterwerbs
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So hat das Sachstatut zunächst darüber zu entscheiden, welche Teilschritte erforderlich sind, um eine Änderung der dinglichen Sachzuordnung an kulturellen Wertobjekten zu bewirken.143 Dem Sachstatut ist somit zu entnehmen, ob für die konkrete dingliche Rechtsänderung an kulturellen Wertgegenständen ein Rechtsgeschäft nötig ist und welcher rechtsgeschäftliche Tatbestand erfüllt sein muss, damit diese Änderung eintritt.144 Die lex rei sitae hat somit auch darüber zu entscheiden, ob das Eigentum bereits durch den Abschluss des schuldrechtlichen Geschäfts, durch eine davon zu unterscheidende dingliche Einigung oder erst durch die Kombination aus Schuldgeschäft bzw. Einigung und weiteren Akten wie bspw. einer Übergabe oder Eintragung übergeht.145
69
Wurden Kunstwerke somit in Frankreich veräußert, erkennen ausländische (bspw. deutsche) Foren die Veräußerung und Wirksamkeit des auf die dingliche Rechtsänderung gerichteten Schuldvertrages auch dann an, wenn allein ein Kaufvertrag zustande gekommen ist und keine (nach der deutschen Rechtsordnung notwendige) Übergabe erfolgt war.146 Andererseits kann das Sachstatut
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rungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 79. Vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 79. Vgl. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 159. „Das Sachstatut ist für die Begründung und Änderung der dinglichen Rechtsverhältnisse maßgebend. Ihm ist auch zu entnehmen, ob das einer Verfügung zugrundeliegende Verpflichtungsgeschäft als solches dingliche Wirkungen hat, diese von zusätzlichen Akten – wie der Übergabe der Sache – abhängen oder ein besonderes dingliches Rechtsgeschäft geschlossen werden muß. Hingegen unterliegt das Verpflichtungsgeschäft seinem eigenen Statut, das selbständig anzuknüpfen ist, und zwar auch dann, wenn nach dem Sachstatut die Verfügung von dem Verpflichtungsgeschäft abhängt, dessen Gültigkeit also sachenrechtliche Vorfrage ist. Anders als bei Verfügungen über Grundstücke … sollte diese Vorfrage im Mobiliarsachenrecht nicht unselbständig – d.h. nach dem Kollisionsrecht des Sachstatuts – angeknüpft, sondern vielmehr nach demjenigen Recht bestimmt werden, das von den Kollisionsnormen der lex fori berufen wird … Die im Grundstücksrecht maßgebende Erwägung, daß die getroffene Entscheidung im Bereich des Sachstatuts durchsetzbar sein muß, tritt bei Mobilien an Bedeutung zurück: Die Sache kann ja jederzeit in ein anderes Rechtsgebiet gelangen und befindet sich im Zeitpunkt der Entscheidung häufig gar nicht mehr im Bereich des ursprünglichen Lageortes. Es überwiegt deshalb das Interesse des Gerichtsstaates am „internen Entscheidungseinklang“: Widersprechende Entscheidungen über die Gültigkeit des Kausalgeschäfts – je nachdem, ob sich diese Frage als Hauptfrage oder als sachenrechtliche Vorfrage stellt – sind tunlichst zu vermeiden.“ Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 295–296. Vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 79. Vgl. OLG Celle, Urteil des 8. Zivilsenats vom 25.10.1989, Az.: 8 U 25/87, IPRax 1991,
1. Abschnitt: Rechtswahl nach der ,lex rei sitae‘ und Sonderkollisionsnormen
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aber auch den Abschluss eines besonderen dinglichen Rechtsgeschäfts für eine Eigentumsübertragung kultureller Wertgegenstände verlangen (wie insbesondere das deutsche Sachenrecht). In diesem Falle ist das Sachstatut auch dafür maßgebend, ob das dingliche Rechtsgeschäft abstrakt gültig ist oder einen wirksamen Verpflichtungsgrund voraussetzt.147 Darüber hinaus entscheidet das Sachstatut auch über die tatbestandlichen Erfordernisse und den dinglichen Erfolg des Eigentumsübergangs 148 und damit darüber, ob einem Kulturguttransfer eine Veräußerungs- bzw. Verfügungsbeschränkung entgegensteht oder Kulturgüter als Kaufgegenstand extra commercium stehen, d.h. unveräußerlich und somit nicht Gegenstand eines kulturellen Veräußerungsgeschäfts sein können.149 Das bedeutet, dass sich Fragen der rechtlichen Verfügungs- und Verkehrsfähigkeit kultureller Wertgegenstände und somit die Probleme, ob Kulturgüter Gegenstände dinglicher Rechte sein können, nach dem sachenrechtlich allgemein zuständigen Sachstatut der lex rei sitae richten.150
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Bei der internationalen Effektivität der Extrakommerzialität kultureller Güter 151 und deren Veräußerungs- wie Verfügungsbeschränkungen wird bekanntlich zwischen der Konstellation einer Veräußerung unter Geltung der Rechtsordnung des kulturellen Ursprungsstaates, der die Extrakommerzialität bestimmte (sog. schlichter Statutenwechsel), und einer Veräußerung außerhalb des kulturellen Ursprungsstaates und somit bei Geltung einer neuen lex rei sitae (sog. Konstellation eines qualifizierten Statutenwechsels) unterschieden. In der erstgenannten Konstellation geht es um die Veräußerung eines unveräußerlichen Kulturguts an einen gutgläubigen Erwerber innerhalb des kulturellen Ursprungsstaates, der die Extrakommerzialität bestimmt, ohne Statutenwechsel oder mit einem schlichten Statutenwechsel. Ein schlichter Statutenwechsel liegt nach allgemeinem Begriffsverständnis dann vor, wenn der sachenrechtliche Tatbestand (d.h. die Veräußerung des Kulturguts) nach den Voraussetzungen des alten Statuts (d.h. des kulturellen Ursprungsstaates) vollendet war und nach einer Ausfuhr des Kulturguts aus dem kulturellen Ursprungsstaat keine sachenrechtserhebliche Einwirkung auf das Eigentumsrecht erfolgte. In dieser Konstellation – so hat die Rechtssache
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S. 115–116, besprochen bei Witz/Zierau, Gattungskauf nach französischem Recht und Drittwiderspruchsklage (§ 771 ZPO), IPRax 1991, S. 95–98. Vgl. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 159. So in der Rechtsprechung: KG Berlin, Beschluss des 1. Zivilsenats vom 12.12.1972, Az.: 1 W 1781/72, NJW 1973, S. 428–431. Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 34–36; Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 149. Aus der Rechtsprechung vgl. BGH, Urteil des 8. Zivilsenats vom 08.04.1987, Az.: VIII ZR 211/86, BGHZ 100, S. 321–328, S. 326. So Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 295–296. Vgl. ausführlich hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 2. Teil, Rdnr. 386 ff.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Casa della cultura ecuadoriana c. Danusso 152 offenkundig deutlich gemacht – kann der kulturelle Ursprungsstaat innerhalb seines Forums trotz einer Veräußerung des unveräußerlichen Kulturguts (auch nach einem schlichten Transfer in eine neue Rechtsordnung) seine Eigentumsposition gegenüber dem Besitzer geltend machen. 72
Nach überkommener Lehre bleibt bei einem qualifizierten Statutenwechsel jedoch gleich, ob die Sache an einem früheren Lageort nach dem dort geltenden Recht „extra commercium“ gestellt war, aus welchem Rechtsgrund dies geschah und auf welche Weise sie in den Besitz des Veräußerers gelangt ist: Die Effektivität der Extrakommerzialität und der Veräußerungsbeschränkungen bei einem schlichten Statutenwechsel ist jedoch von der im internationalen Kunsthandel häufig anzutreffenden Konstellation der Veräußerung extrakommerzialer Kulturgüter außerhalb des kulturellen Ursprungsstaates unter Geltung einer neuen lex rei sitae (sog. Konstellation eines qualifizierten Statutenwechsels) zu unterscheiden.153 Hier stellt sich die Frage, ob die Extrakommerzialität auch außerhalb des kulturellen Ursprungsstaates und bspw. in Deutschland erfolgende Verfügungen erfasst. Gedanken des Kulturgüterschutzes und die für eine Sonderanknüpfung ausländischer Kulturgüterschutzgesetze angestellten Erwägungen sprechen dafür, dies zu bejahen.154 Zum selben Ergebnis könnte man auch bei weiter Applikation der Prägungstheorie gelangen, derzufolge Kulturgüter auch nach ihrem Grenzübertritt diejenige sachenrechtliche Prägung beibehalten, die ihnen im Herkunftsstaat gegeben wurde und die somit als wohlerworbenes Recht gilt.155 Andererseits sind bspw. innerhalb der deutschen Rechtsordnung Veräußerungsbeschränkungen aufgrund der Extrakommerzialität für Kulturgüter unbekannt und das BGB ist in § 137 S. 1 gerade bestrebt, keine res extra commercium entstehen zu lassen.156 Deshalb ist bei einer Veräußerung extrakommerzialer Kulturgüter außerhalb des kulturellen Ursprungsstaates den Gutglaubensvorschriften der neuen lex rei sitae Anwendung zu verleihen und den Interessen des Kulturgüterverkehrs an Rechtssicherheit Rechnung zu tragen. Der vom Übereignungsstatut gewährte Verkehrsschutz prävaliert 157 und eine Sonderanknüpfung
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Tribunale di Torino, 25. März 1982, 18 Rivista di diritto internazionale privato e processuale, S. 625 (1982). Hierzu und zum Folgenden auch Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 82–83; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 74–75, S. 183–184 und S. 256–258. Grammaticaki-Alexiou, The Status of Cultural Property in Greek Private International Law, Revue Hellénique de Droit International 47ème Année (1994), S. 139–160, S. 151–152. Vgl. Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff., S. 3584. Vgl. Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff., S. 3584. Vgl. Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff., S. 3584. Vgl. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 295–296
1. Abschnitt: Rechtswahl nach der ,lex rei sitae‘ und Sonderkollisionsnormen
465
dieser Regeln – durch die auch das Sachenrecht des BGB teilweise außer Kraft gesetzt würde – wird de lege lata abgelehnt.158 Die bisherige Gerichtspraxis – sowohl die französische Rechtssache Duc de Frias v. Baron Pichon aus dem Jahre 1886 159 als auch die italienische Rechtssache Stato francese c. Ministero per i beni culturali e ambientali e De Contessini vom 27. Juni 1987 160 – bestimmt einhellig, dass selbst in denjenigen Staaten, die für ihre eigenen Kulturgüter eine Extrakommerzialität anerkennen, keine Unveräußerlichkeit für ausländische Kulturgüter angenommen wurde, wenn die Objekte außerhalb des kulturellen Ursprungsstaates veräußert wurden.161 Selbst wenn der Forumstaat die Unveräußerlichkeit bestimmter eigener Kulturgüter in etwa dem Maße und Inhalt des kulturellen Ursprungsstaates bestimmt, erkennen dieselben Gerichte keine Extrakommerzialität für ausländische Kulturgüter an. Im Ergebnis kann somit hinsichtlich der Effektivität der Designation kultureller Güter als unveräußerlich, unersitzbar und unverjährbar festgehalten werden, dass nur bei einem nationalen Sachverhalt oder bei einem schlichten Statutenwechsel ein absoluter Schutz für den kulturellen Verwaltungsträger vor einem Rechtsverlust besteht. Erfolgt jedoch eine Veräußerung durch einen Nichtberechtigten außerhalb des Geltungsbereichs der Kulturgüterschutzvorschriften des kulturellen Ursprungsstaates (sog. Konstellation des qualifizierten Statutenwechsels), richtet sich der gutgläubige Erwerb allein nach den Sachenrechtsregeln des neuen Statuts. Jedoch selbst in dem Fall, dass auch das neue Forum die Extrakommerzialität kultureller Wertgegenstände vergleichbar zu der Ausgestaltung im kulturellen Ursprungsstaat anerkennt, qualifiziert das zur Entscheidung berufene Gericht nur eigene Kulturgüter des Forumstaates, jedoch keine ausländischen Kulturgüter als unveräußerlich, und entscheidet nach den Vorschriften des gutgläubigen Erwerbs vom Nichtberechtigten. Auch unveräußerliche Kulturgüter ausländischer Staaten können demnach bei gutem Glauben und Redlichkeit des Erwerbers im internationalen Kunsthandel gutgläubig rechtsgeschäftlich erworben werden.
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Siehr, Kunstraub und das internationale Recht, Schweizerische Juristen-Zeitung 77 (1981), S. 189–197 und S. 207–212, S. 195. Vgl. Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff., S. 3584. Duc de Frias v. Baron Pichon, Tribunal de la Seine, 17. April 1885, 13 Journal du droit international privé, S. 593 (1886). Stato francese c. Ministero per i beni culturali e ambientali e De Contessini, Tribunale di Roma, 27 June 1987, 71 Rivista di diritto internazionale, 920 (1988). Vgl. auch Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 83–85.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
(2) 74
Schließlich entscheidet das Sachstatut auch über die Möglichkeit eines gutgläubigen Erwerbs unrechtmäßig entzogener Kulturgüter vom Nichtberechtigten.162 Somit ist dem Sachstatut zu entnehmen, ob der Veräußerer eines Kulturguts verfügungsbefugt ist,163 und die lex rei sitae hat auch darüber zu bestimmen, ob bei einer Veräußerung eines unrechtmäßig entzogenen Kulturguts durch einen Nichtberechtigten überhaupt ein Gutglaubenserwerb stattfindet.164
(a) 75
Gutgläubiger rechtsgeschäftlicher Erwerb im internationalen Privatrecht
Sachstatut und rechtsgeschäftlicher Erwerb
„Das Sachstatut ist auch maßgebend für den lastenfreien Erwerb einer beweglichen Sache kraft guten Glaubens.“ 165 Dementsprechend sind auch die Fragen, ob ein Verkauf auf einem öffentlichen Markt (etwa nach der früheren britischen „market overt“-Regel), ob ein Verkauf durch einen Kaufmann, der üblicherweise mit derartigen Gütern Handel treibt (sog. „merchant dealing in goods of that kind“, dem die Sache vom Eigentümer anvertraut war, wie bspw. nach Section 2-403 Abs. 2 und 3 UCC innerhalb der amerikanischen Rechtsordnung) oder ob ein Erwerb aufgrund öffentlicher Versteigerung (beispielsweise entsprechend § 935 Abs. 2 BGB) vorliegt, nach demjenigen Recht zu entscheiden, das zum rechtserheblichen Zeitpunkt der Veräußerung auf den Eigentumsübergang anzuwenden ist: 166 „Commercial sales of the types described are privileged because business relations should be facilitated and the buyer should be able to rely on the privileges of an open market and on the reputation of a merchant and his public business.“ 167 162
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Vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 80. Vgl. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 300. Vgl. die ständige Rechtsprechung: BGH, Urteil des 7. Zivilsenats vom 04.02.1960, Az.: VII ZR 161/57, NJW 1960, S. 774–775; BGH, Urteil des 8. Zivilsenats vom 27.03.1968, Az.: VIII ZR 11/66, BGHZ 50, S. 45–52, S. 47; BGH, Urteil des 8. Zivilsenats vom 08.04.1987, Az.: VIII ZR 211/86, BGHZ 100, S. 321–328. Vgl. aus dem Schrifttum: Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 80; Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 300; Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 462. So Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 300, unter Rekurs auf BGH, Urteil des 2. Zivilsenats vom 11.03.1991, Az.: II ZR 88/90, IPRax 1993, S. 176–178. So auch Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 80. Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 80.
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Zwar könnte bei der Qualifikation des Erwerbs vom Nichtberechtigten in Erwägung gezogen werden, dass die Frage der Gutgläubigkeit (bona fides) von Erwerbern unrechtmäßig entzogener Kulturgüter sich nicht nach demjenigen Recht zu entscheiden hat, das auch auf den Eigentumsübergang insgesamt Anwendung findet, sondern – quasi nach einer Qualifizierung als moral data 168 – nach der lex fori zu erfolgen hat. Dies würde im Ergebnis nach Ansicht der (noch) herrschenden Meinung jedoch zu einer Aufweichung des Prinzips der wohlerworbenen Rechte führen, und damit unvertretbar einem wesentlichen Grundsatz des internationalen Sachenrechts entgegenstehen. Im Ergebnis wird de lege lata somit diejenige Rechtsordnung, die die Veräußerung insgesamt rechtlich würdigt, einheitlich auch die Frage der Gutgläubigkeit von Erwerbern unrechtmäßig entzogener Kulturgüter entscheiden müssen – auch wenn dies tendenziell eher schwierig von fremden Gerichten zu entscheiden ist: Zwar kann man grundsätzlich von einer widerlegbaren Vermutung dahingehend ausgehen, dass die lex fori ähnliche Wertentscheidungen in diesem Zusammenhang getroffen hat wie die lex causae, jedoch „there is … no justification whatsoever for a rule whereby a person, by forum shopping, may be held to be a good faith purchaser although previously he did not qualify as such. Similarly it would be unjust if a purchaser, recognized as bona fide under the law governing the purchase, subsequently loses his title merely because a suit is brought against him in another forum which qualifies his good faith according to the lex fori and denies any good faith.“ 169
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Die lex rei sitae hat schließlich darüber hinaus nicht nur die Voraussetzungen des Gutglaubenserwerbs sowie den Inhalt des notwendigen guten Glaubens näher zu bestimmen, sondern ebenso die Beweislastverteilung hinsichtlich des guten oder schlechten Glaubens des Erwerbers festzusetzen.170
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(b)
van Dyck-Entscheidung des LG Wiesbaden vom 22.06.2007
Dies wurde im Kunstrestitutionsrecht in der sog. van Dyck-Entscheidung des Landgerichts Wiesbaden vom 22.06.2007 hinsichtlich des ‚Bildnisses eines vornehmen Herrn‘ letztmalig ausdrücklich bestätigt.171 Das Gemälde stammte ursprünglich aus der Wormser Sammlung Heylshof und war nach der Überzeugung des Gerichts im Zusammenhang mit den Kriegswirren bei der Auslagerung
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Vgl. ausführlich hierzu 3, 1190 ff. Zu moral data im Generellen: Ehrenzweig, Private International Law, Vol. I, 1972, S. 77 ff. Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 81. Duden, Der Rechtserwerb vom Nichtberechtigten an beweglichen Sachen und Inhaberpapieren im deutschen internationalen Privatrecht, 1932, S. 38 f.; Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 300. LG Wiesbaden, Urteil der 7. Zivilkammer vom 22.06.2007, Az.: 7 O 98/05, IPRax 2010, 78 (Leitsatz), nachgehend OLG Frankfurt, Urteil vom 11. April 2008, Az: 19 U 246/07 (unveröffentlicht).
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
bzw. Rückverbringung der Bestände gestohlen worden. Der Diebstahl wurde bei den Strafverfolgungsbehörden ordnungsgemäß angezeigt, u.a. beim Art Loss Register gemeldet und das Abhandenkommen des Gemäldes in der Fachwelt publik gemacht. Außerdem wurden Suchmeldungen in der Weltkunst lanciert und es wurde das Rijksbureau voor Kunsthistorische Documentatie in Den Haag informiert, welches bei Unklarheiten über die Provenienz eines alten niederländischen Meisters vom Kunsthandel regelmäßig befragt wird. Im Jahre 2004 wurde das Bildnis beim Wiener Auktionshaus Dorotheum von einer Schweizer Stiftung mit Sitz in Zürich, hinter der ein Geschäftsmann aus Wiesbaden stand, zur Versteigerung eingeliefert und in den Auktionskatalog übernommen. Der Einlieferer hatte das Gemälde im Jahre 1991 bei Sotheby’s in Amsterdam auf einer Auktion ersteigert, die Provenienz war damals eher verschleiert, denn korrekt angegeben worden. Die Klägerin erfuhr von der geplanten Veräußerung in Wien nach dem Erscheinen des Versteigerungskatalogs durch anonyme Anrufe. Das Gemälde wurde beim Bezirksgericht Innere Stadt Wien gemäß § 1425 ABGB hinterlegt, der Prätendentenstreit jedoch einvernehmlich in Wiesbaden geführt. 79
Nach Ansicht des LG Wiesbaden bestanden keine Zweifel hinsichtlich der Eigentumsposition der Klägerin und des Abhandenkommens (§ 935 BGB) des Gemäldes in Deutschland wegen der Auslagerung im Jahre 1945, sodass zu entscheiden war, ob der Beklagte das Bildnis gutgläubig rechtsgeschäftlich im Jahre 1991 bei Sotheby’s in Amsterdam ersteigert hatte. Dabei folgte das LG Wiesbaden einschränkungslos dem lex rei sitae-Grundsatz und entschied – nach Darlegung der niederländischen Rechtslage in einem Gutachten des Max-Planck-Instituts für Ausländisches und Internationales Privatrecht in Hamburg vom 20.03.2007 – gegen den Beklagten. Da auch im niederländischen Recht ein Erwerber spezielle Nachforschungsobliegenheiten beim Kunstkauf erfüllen muss und der Beklagte hinter diesem Sollensprogramm zurückblieb, konnte – vergleichbar zur deutschen Rechtslage 172 – auch bei Anwendung des niederländischen Rechts mangels hinreichender Provenienzerkundung seinerzeit kein Eigentum an dem Gemälde erworben werden:
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„Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme … steht zur Überzeugung des erkennenden Gerichts fest, daß … [der Beklagte] seinerzeit kein Eigentum an dem Gemälde erwerben konnte, weil ihn nach dem damals geltenden niederländischen Recht selbst bei unterstellter Unkenntnis von der wahren Herkunft des Gemäldes auf Grund der ihm bekannten Umstände eine Erkundigungspflicht traf, welcher er ersichtlich nicht nachgekommen ist. … Geben die Umstände des Falles dem Erwerber Anlaß, an der Berechtigung des Verfügenden zu zweifeln, so muß er Nachforschungen anstellen. Dem wurde … [der Beklagte] zur Überzeugung des erkennenden Gerichts nicht gerecht. … Die in dem Versteigerungskatalog seinerzeit enthaltene Provenienzangabe hätte … [dem Beklagten] als Kunsthändler ebenfalls Warnung genug und zugleich auch Anlaß sein müssen, entsprechende Nach172
Vgl. ausführlich hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 3. Teil, Rdnr. 237 ff.
1. Abschnitt: Rechtswahl nach der ,lex rei sitae‘ und Sonderkollisionsnormen
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forschungen anzustellen und Erkundigungen einzuholen, zu denen er als Kunsthändler ohne weiteres in der Lage war. Es ist weder vorgetragen noch anderweit ersichtlich, das das Rijksbureau voor Kunsthistorische Documentatie in Den Haag einem Kunsthändler unbekannt oder für einen solchen nicht ohne weiteres zugänglich sein könnte. … [Der Beklagte] hätte … ohne weiteres zu der Erkenntnis gelangen können und letztlich auch müssen, daß die Verfügungsbefugnis des Einlieferers alles andere als unzweifelhaft ist.“
Im Ergebnis verneinte das LG Wiesbaden somit einen gutgläubigen Erwerb nach niederländischem Recht, sodass das Gemälde heute wieder in Worms besichtigt werden kann. (s. Abb. 36)
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Qualifikation einer „unrechtmäßigen Kulturgutentziehung“ als Abhandenkommen nach der lex rei sitae
Zwar wird zur Beantwortung der Frage des gutgläubigen Erwerbs gestohlener oder sonst abhandengekommener Kulturgüter Rekurs auf die lex rei sitae genommen, es ist jedoch fraglich, ob auch eine „unrechtmäßige Kulturgutentziehung“ als Abhandenkommen nach der lex rei sitae qualifiziert wird. Innerhalb der amerikanischen Fallkonstellation Kunstsammlungen zu Weimar v. Elicofon 173 war so bspw. für das zur Entscheidung berufene Gericht fraglich, ob der auf Restitution beklagte Mr. Elicofon in den Vereinigten Staaten von Amerika entweder zuvor gestohlene oder aber „nur“ unterschlagene Kunstwerke erworben hatte, für die eine Person als Bevollmächtigter, Verwahrer oder Treuhänder zuständig gewesen war.
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In der fraglichen Konstellation 174 waren die beiden Dürer-Porträts während des Zweiten Weltkriegs im Jahre 1943 aus dem Museum in Weimar auf die Schwarzburg bei Rudolstadt zur Sicherheit ausgelagert worden und befanden sich dort, als die Amerikaner Thüringen und auch die Schwarzburg besetzten. Der Weimarer Museumsdirektor besuchte gelegentlich das Auslagerungslager, um sich um die ausgelagerten Kunstgegenstände zu kümmern. Auf der Schwarzburg hielt sich außer amerikanischen Soldaten auch ein deutscher Architekt auf, dessen Rolle undurchsichtig war und von dem eine der Prozessparteien später behauptete, er habe die beiden Gemälde gestohlen, um sie einem amerikanischen Soldaten vielleicht gegen K-Rationen zu veräußern.175
83
Die Verteidigung plädierte vor Gericht darauf, dass die beiden Porträts nicht gestohlen, sondern lediglich von einem Bediensteten des Museums unterschlagen wurden. Tatsächlich unterscheidet das deutsche Straf- wie Zivilrecht streng zwischen einer Unterschlagung i.S.d. § 246 StGB als der rechtswidrigen Zueignung
84
173 174
175
Kunstsammlungen zu Weimar v. Elicofon, 536 F. Supp. 829 auf Seite 840 (EDNY 1981). Vgl. ausführlich zu den Sachverhaltsangaben Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 2. Teil, Rdnr. 55 ff. Zu den Sachverhaltsangaben siehe auch ausführlich Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 216.
470
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
einer fremden beweglichen Sache und einem Diebstahl i.S.d. § 242 StGB als der rechtswidrigen Zueignung einer fremden beweglichen Sache nach Wegnahme (d.h. nach einem sog. Gewahrsamsbruch). Diese Differenzierung ist bei der Rückführung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter mit den Mitteln des Zivilrechts von entscheidungsrelevanter Bedeutung, da nach den deutschen Gutglaubensvorschriften in § 935 Abs. 1 S. 1 BGB nur der Ausschluss gutgläubigen Erwerbs gestohlener und abhandengekommener Sachen, nicht jedoch nur unterschlagener Gegenstände bestimmt ist. Wären somit die Dürer-Porträts unter Mitwirkung eines Bediensteten des Museums verschwunden, wären sie nicht abhandengekommen und dementsprechend gutgläubig erwerbbar.176 85
Obwohl das Gericht amerikanisches Recht als die Rechtsordnung anzuwenden hatte, in der die Gemälde zum rechtserheblichen Zeitpunkt der Veräußerung belegen waren (die Veräußerung erfolgte in New York), untersuchten die Richter entsprechend den Grundsätzen des deutschen Rechts, ob die Gemälde in Deutschland einem Diebstahl oder lediglich einer Unterschlagung zum Opfer gefallen sind – nur in der ersten Konstellation ist bekanntlich von einem Abhandenkommen i.S.d. § 935 Abs. 1 BGB und einem dementsprechenden Ausschluss des gutgläubigen Erwerbs unrechtmäßig entzogener Kulturgüter auszugehen. De lege lata hat somit das Sachstatut der lex rei sitae darüber zu entscheiden, ob veräußerte, zuvor dem Eigentümer entzogener Kulturgüter dem Berechtigten abhandengekommen oder gestohlen worden sind. Die Qualifikation einer „unrechtmäßigen Kulturgutentziehung“ als Abhandenkommen erfolgt nach den allgemeinen Grundsätzen der Rechtswahl nach der lex rei sitae im Sinne der Rechtsordnung des Belegenheitsortes, selbst wenn sich die relevanten Vorgänge in einem anderen Staat ereignet haben und dort andere Rechtsvorstellungen herrschen.177
86
Ebenso entschied bspw. schon die Amsterdamer Rechtbank in ihrem sog. Inkunabel-Fall aus dem Jahre 1935: 178 Danach war die Frage, ob eine von einem Benutzer der Stadtbibliothek in Frankfurt unterschlagene und dann in Holland veräußerte Inkunabel als gestohlen i.S.d. Art 2014 des niederländischen BW anzusehen war, nach holländischem Recht beurteilt. Da in der vorliegenden Konstellation das niederländische Sachstatut der Vindikation der gestohlenen Inkunabel in Art. 2014 Abs. 2 BW eine dreijährige Ausschlussfrist setzte, war der Beginn der Frist, da der Diebstahl im Ausland begangen wurde, nicht erst mit der Verbringung der Sache in die Niederlande, sondern im Zweifel ebenso zu 176
177 178
Vgl. zu diesem Problem auch Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 60; ansatzweise zu dieser Thematik ausführend auch Drobnig, Amerikanische Gerichte zum internationalen Sachenrecht auf dem Hintergrund der Teilung Deutschlands, IPRax 1984, S. 61–65, S. 64–65; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 177–179. Vgl. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 301. Rechtbank Amsterdam, NedJ 1935, S. 657, zitiert bei Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 301.
1. Abschnitt: Rechtswahl nach der ,lex rei sitae‘ und Sonderkollisionsnormen
471
bestimmen, wie wenn der Diebstahl im Inland geschehen wäre.179 Entsprechend entschied die Amsterdamer Rechtbank in einem ähnlich gelagerten Fall, als eine in New York gestohlene Briefmarkensammlung fünf Jahre später in den Niederlanden veräußert wurde, und wies die Herausgabeklage des Bestohlenen aufgrund der Präklusionsvorschrift ab.180 International-privatrechtliche Probleme wirft schließlich die Anwendung des § 935 Abs. 2 BGB auf eine im Ausland erfolgte Versteigerung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter auf. Sachrechtlich setzt diese Bestimmung voraus, dass es sich um eine „öffentliche Versteigerung“ 181 im Sinne des § 383 Abs. 3 BGB handelt.182 Da diese Vorschrift die Versteigerung durch einen Notar, einen Gerichtsvollzieher oder einen nach Gewerberecht bestellten Auktionator voraussetzt 183, fragt sich, inwieweit eine im Ausland stattfindende Versteigerung diese Voraussetzungen erfüllen kann. Pfeiffer versteht diese Konstellation kollisionsrechtsdogmatisch als ein Substitutionsproblem.184 Da die Versteigerung von Kunstwerken durch eine der in § 383 Abs. 3 BGB genannten Personen mit der Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs privilegiert wird, weil das Publikum diesen besonderes Vertrauen entgegenbringt und eine grundsätzlich geringere Vertrauenswürdigkeit von im Ausland öffentlich bestellten Auktionatoren sich kaum behaupten lässt, sollte eine Substitution grundsätzlich zugelassen werden.185 Alsdann kommt es nach allgemeinen Grundsätzen 186 darauf an, ob der ausländische Auktionator nach Maßgabe der für ihn geltenden Vorschriften eine den durch § 383 Abs. 3 BGB erfassten Personen gleichwertige Vertrauensstellung einnimmt.187 Bei einem gewöhnlichen Privatmann oder einer juristischen Person ist dies nicht ohne weiteres der Fall, selbst wenn es sich um eine schweizerische Bank handelt.188 179
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Rechtbank Amsterdam, NedJ 1935, S. 657, zitiert bei Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 301. Rechtbank Amsterdam, NTIR 28 [1981] S. 195, 196, zitiert bei Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 301. Vgl. ausführlich zu den diesbezüglichen Anforderungen Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 2. Teil, Rdnr. 101 ff. BGH, Urteil des 9. Zivilsenats vom 05.10.1989, Az.: IX ZR 265/88, NJW 1990, S. 899–901, S. 900. BGH, Urteil des 9. Zivilsenats vom 05.10.1989, Az.: IX ZR 265/88, NJW 1990, S. 899–901, S. 900. Vgl. Pfeiffer, Der Stand des Internationalen Sachenrechts nach seiner Kodifikation, IPRax 2000 (Heft 4), S. 271–285, S. 278–280. Vgl. Pfeiffer, Der Stand des Internationalen Sachenrechts nach seiner Kodifikation, IPRax 2000 (Heft 4), S. 271–285, S. 278–280. Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, § 33 II, S. 211 f. Pfeiffer, Der Stand des Internationalen Sachenrechts nach seiner Kodifikation, IPRax 2000 (Heft 4), S. 271–285, S. 278–280. So ausdrücklich BGH, Urteil des 8. Zivilsenats vom 08.04.1987, Az.: VIII ZR 211/86, BGHZ 100, S. 321–328, NJW 1987, S. 3077–3080.
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472
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
d)
Sachzuordnung durch Ersitzung und Verjährung innerhalb des Rechtswahlprozesses
88
Zu den sachenrechtlichen Tatbeständen, die vom Sachstatut beherrscht werden, gehören insbesondere auch solche, die kraft Gesetzes eine dingliche Rechtsänderung eintreten lassen.189 Nach allgemeiner Meinung gilt der Grundsatz der lex rei sitae somit nicht nur für den derivativen rechtsgeschäftlichen Eigentumserwerb als Kollisionsregel: Auch der originäre Ersitzungserwerb sowie die dafür erforderliche Dauer des Eigenbesitzes bestimmen sich in dem kontinental europäischen Rechtskreis nach dem Recht am Belegenheitsort der Sache.190
89
Anderes müsste jedoch eigentlich aufgrund der Qualifizierung als schuldrechtliche Ausgestaltungsfrage für die Verjährung kultureller Restitutionsansprüche der Eigentümer unrechtmäßig entzogener Kulturgüter gelten. Außerdem ist in der kollisionsrechtlichen Behandlung der Sachzuordnung kultureller Güter fraglich, ob die Regeln der Verjährung dem materiellen Recht (und einer Qualifikation nach der lex causae) oder eher dem Prozessrecht (und damit der Qualifikation nach der lex fori) zugehörig sind.
90
Im kontinental europäisch geprägten Rechtskreis des Civil Law folgt die Qualifizierung temporaler Ausschließlichkeitsregeln bei Eigentumsherausgabeansprüchen (Klagen in rem) dem Recht des Klagegrundes selbst: Die Verjährung wird somit als eine Frage des materiellen Rechts klassifiziert. Zwar wurde dies nur in wenigen Rechtssystemen gesetzlich bestimmt – so aber bspw. in Art. 148 Abs. 1 des Schweizerischen Bundesgesetzes vom 18. Dezember 1987 über das Internationale Privatrecht 191, Art. 40 Portuguese Código Civil und Art. 3131 Code civil du Québec vom 18. Dezember 1991 –, es wird jedoch innerhalb des Civil Law-Rechtskreises inzwischen als Grundregel akzeptiert, dass temporale Ausschließlichkeitsvorschriften allgemein dem materiellen, nicht dem prozessualen Rechtskreis zugehören. Deliktsrechtliche Herausgabeklagen sind rechtsparallel grundsätzlich entsprechend der Rechtsordnung temporal präkludiert, die auch auf die deliktsrechtliche Herausgabeklage selbst Anwendung findet (lex delicti).
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Vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 86; Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 158. Vgl. Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, § 41 II 1; vgl. auch: Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 204–206; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 78. Art. 148 Abs. 1 Bundesgesetz vom 18. Dezember 1987 über das Internationale Privatrecht: Verjährung und Erlöschen einer Forderung: Verjährung und Erlöschen einer Forderung unterstehen dem auf die Forderung anwendbaren Recht.
1. Abschnitt: Rechtswahl nach der ,lex rei sitae‘ und Sonderkollisionsnormen
473
Anders wird dies aber im Grundsatz in den Staaten des Common Law-Rechtskreises gesehen 192 und es kann nicht generell davon ausgegangen werden, dass stets das Prinzip der lex rei sitae bestimmt, ob der Besitzer durch Zeitablauf Eigentümer eines unrechtmäßig entzogenen Kulturguts geworden ist: 193 Im angloamerikanischen Recht gehört die Verjährung traditionell zum Prozessrecht, sodass eigentlich die lex fori maßgeblich ist.194 Allerdings hat auch im Common Law eine Entwicklung hin zur Anwendung der lex causae auf Verjährungsfragen eingesetzt. So existiert bspw. in England der Foreign Limitation Periods Act aus dem Jahre 1984 und in einigen, nicht aber allen Zivilrechtsordnungen der einzelnen Bundesstaaten der Vereinigten Staaten der Uniform Conflicts of Law Limitations Act und § 246 des amerikanischen Restatement Second Conflict of Laws aus dem Jahre 1971, sodass in diesen Staaten grundsätzlich die lex rei sitae gilt.195
91
Schaut man hingegen auf die einschlägigen Entscheidungen amerikanischer Gerichte, in denen es um den Erwerb von Kulturgütern ging, haben die amerikanischen Richter Fragen der Ersitzung stets als verfahrensrechtliche Vorschriften qualifiziert und dementsprechend dem Recht des Forumstaates unterworfen. Die Rechte der USA bieten so ein deutlich weniger einheitliches Bild als das europäische Kollisionsrecht.196 In der Rechtssache Autocephalous Greek Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg & Feldman Fine Arts Inc.197 wendete bspw. der District Court das Recht Indianas an, weil dieses als verfahrensrechtlich qualifiziert wurde: „Because in Indiana statutes of limitations are procedural in nature, Indiana choice-of-law rules state that the statute of limitations of the forum state, Indiana, will apply“ 198. Andererseits begründete der Court of Appeal die Anwendbarkeit des Rechts Indianas auf die Verjährungsfristen damit, dass dieses aufgrund der engen
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Hierzu auch Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 164–165. So aber: Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 79; Knott, Neue Tendenzen im Recht des internationalen Kunsthandels in den USA, RIW 1991 (Heft 7), S. 553–559, S. 555. Zur Qualifizierung der Verjährung als materiell- oder prozessrechtlich vgl. Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 88–89. Siehr, Völkerrecht und Internationaler Kulturgüterschutz vor Gericht, in: Frank, Recht und Kunst – Symposium aus Anlaß des 80. Geburtstags von Wolfram Müller-Freienfels, 1996, S. 57–72, S. 52: „Der Erwerb durch Zeitablauf unterliegt in der Regel dem Recht des Forumstaates.“. Vgl. Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 58–70. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 164. Autocephalous Greek Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg & Feldman Fine Arts Inc., 717 F. Supp. 1374, auf S. 1393 ff.; 917 F.2d 278 (7th Cir. 1990) auf S. 286 ff. Vgl. ausführlich zu der Entscheidung Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 3. Teil, Rdnr. 91 ff. 717 F. Supp. 1374, auf S. 1385.
474
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Beziehung mit der replevin-Klage anwendbar ist.199 Auch in der Entscheidung O’Keeffe v. Snyder 200 fand nicht die lex causae Berücksichtigung: O’Keeffe klagte gegen den Kunsthändler Snyder auf Restitution dreier Ölgemälde. Der Beklagte berief sich jedoch auf einen originären Eigentumserwerb mittels des amerikanischen Rechtsinstituts der adverse possession. Diesbezüglich knüpfte der Supreme Court of New Jersey an die lex fori als die „traditional rule to determine which of two statutes of limitations is applicable“ an. Für die Praxis bei der Rechtswahl ist jedoch hinzuzufügen, dass im Ergebnis der Forumstaat freilich meistens auch der Ort ist, an dem sich das streitbefangene Kulturgut seit längerer Zeit befindet, sodass die Anknüpfung an die lex fori bei der Frage nach einer etwaigen Ersitzung in der Regel zu demselben Ergebnis führt wie die Anknüpfung an die lex rei sitae.201 93
Auch in der Fallstudie Warin v. Wildenstein & Co.202 musste zu diesem Problem Stellung genommen werden: Francis Warin und En Memoire D’Alphonse Kann klagten auf Herausgabe acht wertvoller und seltener Manuskripte gegen Wildenstein & Co., Inc., Daniel Wildenstein, Alec Wildenstein und Guy Wildenstein. Die Kläger machten geltend, dass die Manuskripte von einem Anwesen von Alphonse Kann im besetzten Frankreich im Oktober 1940 von Nationalsozialisten gestohlen und von den Beklagten zwischen 1949 und 1952 von der französischen Regierung erworben wurden, nachdem diese die Manuskripte wieder aus Deutschland zurückerlangt hatte, sodass Wildenstein & Co. weder ein rechtswirksames Besitz- noch ein Eigentumsrecht besaßen. Die beklagte Gegenseite machte demgegenüber jedoch geltend, dass die Klage bereits aus Gründen der Verjährung temporal und aus den allgemeinen Grundsätzen von Treu und Glauben aufgrund Verwirkung rechtsmoralisch präkludiert sei. Streit herrschte dabei bereits über die Frage, ob sich die Verjährung nach französischem oder New Yorker Sachrecht zu richten habe. Die Beklagtenseite berief sich selbstverständlich auf die Anwendbarkeit französischen Sachrechts, da nach der französischen Rechtsordnung ein redlicher Erwerber auch abhandengekommener (Kultur-)Güter bereits nach Ablauf der relativ kurzen Zeitspanne von drei Jahren originär Eigentum aufgrund des Rechtsinstituts der Ersitzung erwirbt. Hinzu kommt, dass bei Geltung der französischen Rechtsordnung sogar ein Dieb selbst nach Ablauf von 30 Jahren an von ihm gestohlenen Gegen199 200
201 202
917 F. 2d 278 (7th Cir. 1990) auf S. 287. N.J. 405 A. sd 840, S. 844 ff. (Super. Ct., App. Div. 1979), N.J. 416 A. 2d 862, 874 (S. Ct. 1980). Vgl. ausführlich hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 5. Teil, Rdnr. 193 ff. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 165. 740 N.Y.S. 2d 331, 2002 N.Y. App. Div. LEXIS 3835 (App. Div. 1st Dep’t 2002). Vgl. ausführlich hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 6. Teil, Rdnr. 71 ff. und das Schrifttum: Hoffman, International Art Transactions and the Resolution of Art and Cultural Property Disputes: A United States Perspective, in: Hoffman, Art and Cultural Heritage – Law, Policy and Practice, 2006, S. 159–177, S. 173.
1. Abschnitt: Rechtswahl nach der ,lex rei sitae‘ und Sonderkollisionsnormen
475
ständen Eigentum aufgrund der Ersitzung erlangen kann, solange er den Besitz während dieser Zeit durchgängig, unbestritten, offen und unzweideutig ausübte.203 Verständlicherweise berief sich die Klägerseite auf Anwendung New Yorker Sachrechtsregeln, die grundsätzlich aufgrund der nemo dat-Regel 204 keinen gutgläubigen Erwerb abhandengekommener Kulturgüter anerkennen. Leider konnte im Ergebnis die Entscheidung der Appellate Division dahinstehen, da die Klage aufgrund eines Verwirkungseinwandes abgewiesen werden musste.205 Aus den genannten Beispielen wird ersichtlich, welche entscheidungserhebliche Relevanz die Frage in kulturellen Restitutionsfällen besitzt, nach welcher Rechtsordnung sich die dingliche Sachzuordnung kultureller Güter durch Verjährung bestimmt. Die Lösung sollte wie folgt aussehen: Sinn und Zweck eines originären Eigentumserwerbs unrechtmäßig entzogener Kulturgüter durch Ersitzung oder Verjährung sind eigentlich deckungsgleich: Es hat eine Angleichung der Rechtslage an die wahren und tatsächlichen äußeren Verhältnisse zu erfolgen.206 Darüber hinaus scheint es nach dem sog. „Gedanken der Verschweigung“ 207 billig, dass sich derjenige, der sich längere Zeit nicht um die Identifizierung der aktuellen Besitzer und die Lokalisierung seiner unrechtmäßig entzogenen Kulturgüter sowie deren Rückführung kümmert, darüber im Klaren sein muss, seine Rechtspositionen an den Objekten zu verlieren. Diese rechtspolitischen Ziele werden – je nach Ausgestaltung der nationalen Rechtsordnung und der einzelnen privatrechtlichen Sachzuordnungsregeln unrechtmäßig entzogener Kulturgüter – einerseits mit den Mitteln der Ersitzung, andererseits aber auch mittels der Rechtsinstitute der Verjährung und Verwirkung erreicht. Dabei wird zwar nicht von Gesetzes wegen in die dinglichen Rechtsverhältnisse eingegriffen, jedoch wird der dingliche Berechtigte daran gehindert, seine Eigentumsposition an den aus seiner Sachherrschaft unrechtmäßig entzogenen Kulturgütern gegenüber dem aktuellen Besitzer bzw. Erwerber durchzusetzen – es folgt also eine Begrenzung der inhaltlichen Reichweite der absoluten Wirkung der dinglichen Sachherrschaftsposition.
94
Aus den genannten Gründen sollten deshalb nach richtiger Einschätzung Verjährung und Verwirkung kultureller Restitutionsansprüche (auf Grundlage des dinglichen Herausgabeanspruchs) kollisionsrechtlich ebenso behandelt werden wie die Ersitzung oder erwerbende Verjährung.208 Dies gilt insbesondere vor dem Hin-
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Vgl. Hoffman, International Art Transactions and the Resolution of Art and Cultural Property Disputes: A United States Perspective, in: Hoffman, Art and Cultural Heritage – Law, Policy and Practice, 2006, S. 159–177, S. 173. Vgl. ausführlich hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 2. Teil, Rdnr. 23 ff. Vgl. hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 6. Teil, Rdnr. 14 ff. Vgl. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 272–273. Vgl. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 272–273. von Bar, Theorie und Praxis des internationalen Privatrechts, Band I, 1889, S. 637; Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 272–273; Schwadorf-
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
tergrund, dass die überwiegende Zahl der nationalen Zivilrechtsordnungen – wie bspw. die französische Rechtsordnung 209 in den Art. 2219 ff. des französischen Code civil – die innerhalb des deutschen Rechtskreises trennscharf vollzogene Unterscheidung zwischen den beiden Rechtsinstituten der Ersitzung und Verjährung in unserem Verständnis nicht kennt und keine dementsprechende materiell-rechtliche Unterscheidung vornimmt.210 Somit sind die lex rei sitae und die Rechtswahl nach dem Belegenheitsort der Kulturgüter für sämtliche unterschiedlichen temporalen Präklusionsinstitute kultureller Restitutionsansprüche und die Einwirkungen des Faktors Zeit auf die sachliche Zuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter maßgebend. Das eben Gesagte gilt für die rechtsmoralische Präklusion kultureller Restitutionsansprüche wegen Verwirkung entsprechend. Entscheidend ist damit immer das Recht des Ortes, an dem sich das unrechtmäßig entzogene Kulturgut bei Vollendung der Ersitzung oder Verjährung und Verwirkung befindet.211
e) 96
Sonstiges zur Rechtswahl nach dem Sachstatut
Das durch die Situs-Regel zur Anwendung berufene Sachstatut findet auch auf die für den erfolgreichen Ausgang eines Prozesses oft entscheidende Frage Anwendung, wem die Darlegungs- und Beweislast dafür obliegt, dass die für einen kulturellen Restitutionsanspruch notwendigen Voraussetzungen bzw. die Gut- oder Bösgläubigkeit eines Erwerbers zum maßgeblichen Zeitpunkt gegeben waren.212 Somit sind der lex rei sitae auch Vermutungen für das Bestehen bzw. Nichtbestehen einer bestimmten dinglichen Rechtslage zu entnehmen.213 Anders
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Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 78; Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 58–70. Zur Ersitzung nach französischem Recht vgl. auch Ferid/Sonnenberger, Das französische Zivilrecht, Band II, 1986, S. 646–652. Vgl. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 272–273; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 78. Vgl. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 272–273; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 78. Vgl. Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 70–73; Duden, Der Rechtserwerb vom Nichtberechtigten an beweglichen Sachen und Inhaberpapieren im deutschen internationalen Privatrecht, 1932, S. 38 f. Vgl. aus der Rechtsprechung: BGH, Urteil vom 9.5.1996, IPRspr. 1996, Nr. 54. Vgl. aus dem Schrifttum: Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 34–36; Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 152, 189 m.w.N.
1. Abschnitt: Rechtswahl nach der ,lex rei sitae‘ und Sonderkollisionsnormen
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entschied jedoch bspw. der Tribunale di Roma in seiner Entscheidung vom 13. September 1954 214 und hielt die Vermutung in Art. 1147 des italienischen Codice civile von prozessualer Natur und wendete daher auf die Beweislastverteilung das Recht am Gerichtsort als das nach den meisten Kollisionsrechten für prozessrechtliche Fragen maßgebliche Recht an.215 Andererseits wies das zur Entscheidung berufene Gericht in der Rechtssache Lees v. Harding Whitman & Co.216 darauf hin, dass die Anknüpfung an das Recht am Ort der Belegenheit der Sache „has the merit of adopting the law of the jurisdiction which has the actual control of the goods and the merit of certainty“ 217. Auch innerhalb der kulturgüterspezifischen Literatur wird darauf plädiert, dass das Recht des Orts zur Anwendung kommt, an dem der Anspruch auch durchgesetzt werden kann 218 und dass von der Frage, ob ein Eigentumsübergang kultureller Wertgegenstände stattgefunden hat, typischerweise die Rechte Dritter am Lageort betroffen sind.219 Sie sind entweder Gläubiger des Verkäufers oder haben den Gegenstand vom Käufer im Wege der Weiterveräußerung erworben.220 Schließlich entscheidet das Sachstatut auch über die Möglichkeit der Entstehung eines Lösungsrechts des redlichen Erwerbers unrechtmäßig entzogener Kulturgüter, was sich aber schon daraus ergibt, dass das Lösungsrecht selbst als Recht „an einer Sache“ i.S.d. Art. 43 Abs. 1 EGBGB zu qualifizieren ist.221
4.
Kulturgüter grds. keine ‚res in transitu‘
Aus dem allgemeinen internationalen Warenverkehr sind Konstellationen bekannt, in denen die lex rei sitae versagen kann, wenn eine Sache ihr Bestimmungsland über ein oder mehrere Transitländer erreicht. Wird während des 214
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Tribunale di Roma, 13. September 1954, Foro it. 1955 I, S. 256, 258–261, Giur. it. 1955 I, 2, S. 19. Vgl. Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 70–73. Lees v. Harding, Whitman & Co., 68 N.J. Eq. 622, 6o Atd. 352, 355 (1905). Zitiert bei Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 70–73. Zaphiriou, The Transfer of Chattels in Private International Law, 1956, S. 42 f.; Byrne-Sutton, Le trafic international des biens culturels sous l’angle de leur revendication par l’Etat d’origine, 1988, S. 115 f. Zaphiriou, The Transfer of Chattels in Private International Law, 1956, S. 41 f.; Byrne-Sutton, Le trafic international des biens culturels sous l’angle de leur revendication par l’Etat d’origine, 1988, S. 112 f. So Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 70–73. Vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 80.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Transports über eine Sache verfügt, kann die Anknüpfung an den Belegenheitsort nicht nur zu einem unerwünschten, wenig sinnvollen und teilweise auch untauglichen Zufallsergebnis 222 führen, wenn es sich um ein reines Transitland handelt, mit dessen Rechtsordnung in dem Verkehrsgeschäft sonst keinerlei Verbindung besteht, sondern in vielen Fällen (etwa bei einer Verfügung über Sachen, die sich im Moment auf hoher See oder im Luftraum befinden) auch unmöglich sein, weil der Belegenheitsort nicht bzw. nur sehr schwer feststellbar ist oder in hoheitsfreiem Gebiet 223 liegt. Analog zu diesen Erwägungen könnte man auch in Fällen des internationalen Kulturgüterverkehrs und Kunsthandels in Erwägung ziehen, Kulturgüter, die zum Verkauf Ländergrenzen überschreiten, als sog. res in transitu zu qualifizieren.224 99
Für die deutsche Rechtsordnung und danach erfolgende Rechtswahl im internationalen Kunsthandel hätte die Möglichkeit der Qualifizierung kultureller Güter als res in transitu zur Folge, dass nicht zwingend eine Anwendung der lex rei sitae notwendig wäre. Da diese Frage nach Ansicht des Gesetzgebers 225 in der Gerichtspraxis nur eine geringe Bedeutung einnimmt,226 hat der Gesetzgeber bei der Kodifikation des internationalen Sachenrechts im Jahre 1999 auf eine gesonderte Regelung für res in transitu verzichtet.227 Infolgedessen ist im Schrifttum weiterhin umstritten, welchem Recht Verfügungen über Kulturgüter als res in transitu unterstehen würden. Da – wie eingangs bereits richtig erkannt – auch bei 222
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So z.B. bei Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 Anh. 1, Rdnr. 126. Teile des Schrifttums möchten Sachen auf staatsfreiem Gebiet abweichend von solchen res in transitu behandeln. Nicht das Recht des Bestimmungslandes sondern das Heimatrecht des bisherigen Eigentümers, des Besitzers oder der Parteiwille sollen maßgeblich sein, vgl. dazu m.w.N. Kunze, Restitution „Entarteter Kunst“ – Sachenrecht und Internationales Privatrecht, 2000, S. 129; Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 265; Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 70–73. Siehe hierzu bereits Knoepfler, Le commerce de l’art en droit international privé suisse, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 359–387; Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 79; Byrne-Sutton, Le trafic international des biens vulturels sous l’angle de leur revendication par l’Etat d’origine – Aspects de droit international privé, 1988, S. 116–120. BT-Drs. 14/343 S. 14. So auch Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 70–73. BT-Drs. 14/343, S. 14; anders Art. 101 Schweiz. IPRG. Vgl. zum Ganzen Palandt/Heldrich, 69. Aufl. 2010, Art. 43 EGBGB Rdnr. 2, 9; Art. 45 EGBGB ist auf res in transitu nicht übertragbar; Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 70–73.
1. Abschnitt: Rechtswahl nach der ,lex rei sitae‘ und Sonderkollisionsnormen
Kulturgütern in transitu der aktuelle Lageort in den gemeinten Situationen vielfach nicht zweifelsfrei feststellbar ist oder die Anknüpfung an den jeweiligen Lageort, soweit es sich dabei um ein bloßes Transitland handelt, zudem willkürlich erscheint,228 spricht Vieles gegen einen Rekurs auf die Belegenheitsrechtsordnung. Bei im Transport befindlichen Kulturgütern könnte danach das Lageortsrecht eines bloßen Transitlandes außer Betracht bleiben.229 Eine Ersatzanknüpfung an das Heimatrecht des Schiffs bzw. Luftfahrzeugs, das den Transport des Kulturguts übernimmt, erscheint hier ebenso willkürlich wie der Rekurs auf die lex rei sitae: Bei Transporten kultureller Güter per Luftfracht von Deutschland in die USA darf nicht den Ausschlag geben, ob der Transport von British Airways, Air France oder Lufthansa durchgeführt wird.230 Im Schrifttum werden zur Rechtswahl bei res in transitu sowohl der Absendeort als auch der Bestimmungsort als mögliche Anknüpfungspunkte genannt, da beide in der Regel leicht feststellbar sind. Nach herrschender Ansicht 231 ist jedoch nicht das Recht des Durchreiselands und somit des Belegenheitsorts, sondern das Recht des Bestimmungsorts maßgeblich, weil die sachenrechtlichen Beziehungen zum Absendeort bereits abgebrochen sind, ein Festhalten an dessen Statut bis zu dem unmittelbar bevorstehenden Statutenwechsel bei der Ankunft im Bestimmungsstaat wenig sinnvoll erscheint und eine Anknüpfung an den Bestimmungsort in der Regel auch den Verkehrs- und Parteiinteressen entspricht.232 Die Anknüp-
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So Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 551; a.A.: Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 46 Rdnr. 29. Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 Anh. I Rdnr. 130. So auch Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 266, 366; Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 532–533. Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 Mb. I, Rdnr. 127; Kreuzer, Die Vollendung der Kodifikation des deutschen Internationalen Privatrechts durch das Gesetz zum Internationalen Privatrecht der außervertraglichen Schuldverhältnisse und Sachen vom 21.5.1999, RabelsZ 65 (2001), S. 383–462, S. 456; Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, § 54 IV; Siehr, Internationales Privatrecht – deutsches und europäisches Kollisionsrecht für Studium und Praxis, 2001, S. 276; Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 70–73. Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Art. 38 Anh. I Rdnr. 127; Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 309 mit der Annahme einer stillschweigenden Rechtswahl der Parteien.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
fung an den Bestimmungsort kann rechtsmethodisch auf Art. 46 EGBGB gestützt werden.233 100
Folgt man diesen Ausführungen, könnte auch bei unrechtmäßig entzogenen Kulturgütern die dingliche Sachzuordnung dem Recht des Bestimmungsortes als dem Recht der wesentlich engeren Verbindung unterstellt werden.234 Auch innerhalb der kulturgüterspezifischen Literatur wird vereinzelt eine Rechtswahl nach den res in transitu-Grundsätzen vertreten.235 So erläutert Beck in ihren Ausführungen zur Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter, dass die Problematik der res in transitu 236 vornehmlich Kulturgüter betrifft, „die im Rahmen des internationalen Handels transportiert werden oder sich in zollfreien Lagern befinden.“ 237 Kunze 238 möchte darüber hinausgehend auch Kunstwerke und andere Kulturschätze, die im Rahmen von Wanderausstellungen ihren Belegenheitsort wechseln, als res in transitu einordnen und das Recht des Bestimmungsortes auf sie anwenden.239 Byrne-Sutton, und diesem folgend Jaeger, sehen
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Vgl. Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 551 f.; Junker, Die IPR-Reform von 1999 – Auswirkungen auf die Unternehmenspraxis, RIW 2000, S. 241–255, S. 252; Hoffmann/ Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 532–533; Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 70–73. Während Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 368 f. m.w.N. den Parteien eine diesbezügliche Rechtswahl einräumt. Vgl. die kulturgüterunspezifischen Ausführungen bei Siehr, Internationales Privatrecht – deutsches und europäisches Kollisionsrecht für Studium und Praxis, 2001, § 38 II 3, S. 272; Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 529; Kunze, Restitution „Entarteter Kunst“ – Sachenrecht und Internationales Privatrecht, 2000, S. 128 f.; Junker, Die IPR-Reform von 1999 – Auswirkungen auf die Unternehmenspraxis, RIW 2000, S. 241–255, S. 252. Darauf weist auch die Entwurfsbegründung hin, BT-Drs. 14/343, S. 14. Vgl. bspw. die Ausführungen bei Byrne-Sutton, Le trafic international des biens vulturels sous l’angle de leur revendication par l’Etat d’origine – Aspects de droit international privé, 1988, S. 117; ihm folgend Jaeger, Internationaler Kulturgüterschutz – Rechtslage, Rechtspraxis, Rechtsfortentwicklung, 1994, S. 65 f.; Kunze, Restitution „Entarteter Kunst“ – Sachenrecht und Internationales Privatrecht, 2000, S. 129. Zum Begriff vgl. Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 Anh. I Rn. 126. So Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 70–73, die sich im Ergebnis jedoch gegen eine Rechtswahl nach den res in transitu-Grundsätzen ausspricht. So die Erläuterung der Ansicht von Kunze, Restitution „Entarteter Kunst“ – Sachenrecht und Internationales Privatrecht, 2000, S. 129, bei Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 70–73. Vgl. hierzu auch die Erwägungen bei Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig aus-
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darüber hinausgehend ein Kunstwerk allgemein dann als im Transit befindlich an, wenn der Transport über mehrere Staatsgrenzen hinweg führt, sodass der genaue Lageort im Zeitpunkt der fraglichen sachenrechtlichen Verfügung nicht bestimmt werden kann.240 Hauptsächlich begründen die Autoren ihre Einschätzung mit der Erwägung, dass eine Anknüpfung nach der lex rei sitae in solchen Fällen schwierig oder gar unmöglich sei, sodass eine subsidiäre Anknüpfung erforderlich werde, die in Form der Rechtswahl nach den res in transituGrundsätzen erfolgen solle.241 Die genannten alternativen Anknüpfungsmaximen nach den res in transituGrundsätzen favorisieren jedoch nicht eine Anknüpfung an den Bestimmungsort, sondern eher an den Ausgangs- oder Absendeort. Wenn Kunze die dingliche Sachzuordnung kultureller Güter in einer Wanderausstellung an das Recht des endgültigen Bestimmungsorts anknüpfen möchte, wird de facto in den meisten Fallkonstellationen eine Anknüpfung an die lex originis erfolgen, da der Bestimmungsort sich regelmäßig mit dem Ausgangspunkt, nämlich dem Sitz des Kunstwerks, decken wird.242 Byrne-Sutton, und diesem folgend Jaeger, räumen direkt der Anwendung des Rechts des Absendeorts den Vorrang ein, weil auf diese Weise die Gesetzgebung des kulturellen Herkunftsstaats zum Tragen komme. Jaeger begründet dies ausdrücklich mit dieser Erwägung und erläutert, dass der Transport eines Kulturgutes über mehrere Ländergrenzen hinweg im Regelfall in dem Land beginne, in dem es gestohlen wurde. Dies sei in der Regel auch der kultu-
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geführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 70–73: „Die Auffassung Kunzes dürfte den Begriff der res in transitu jedoch zu weit ausdehnen. Im Falle einer Wanderausstellung befindet sich das Kulturgut nicht zufällig in verschiedenen Belegenheitsstaaten, sondern erfüllt gerade damit den Zweck des Vorgangs. Zudem wird das Kunstwerk sich in aller Regel zumindest mehrere Wochen in dem einzelnen Staat befinden, in dem es ausgestellt wird. Außerdem fallen Ausgangsort und Bestimmungsort normalerweise zusammen. Im Ergebnis dürfe jedoch auch bei solchen Kulturgütern „auf Tournee“ – die begrifflich nicht als res in transitu einzuordnen sind – ein Ausweichen auf das Recht des Bestimmungs- bzw. Ausgangsorts über Art. 46 EGBGB möglich sein.“. Vgl. Byrne-Sutton, Le trafic international des biens vulturels sous l’angle de leur revendication par l’Etat d’origine – Aspects de droit international privé, 1988, S. 117; ihm folgend Jaeger, Internationaler Kulturgüterschutz – Rechtslage, Rechtspraxis, Rechtsfortentwicklung, 1994, S. 65 f. Byrne-Sutton, Le trafic international des biens vulturels sous l’angle de leur revendication par l’Etat d’origine – Aspects de droit international privé, 1988, S. 117; ihm folgend Jaeger, Internationaler Kulturgüterschutz – Rechtslage, Rechtspraxis, Rechtsfortentwicklung, 1994, S. 65 f. Eingestanden wird aber, daß der Vorschlag von geringer praktischer Relevanz ist Byrne-Sutton, Le trafic international des biens vulturels sous l’angle de leur revendication par l’Etat d’origine – Aspects de droit international privé, 1988, S. 118. Kunze, Restitution „Entarteter Kunst“ – Sachenrecht und Internationales Privatrecht, 2000, S. 129; so auch die Einschätzung bei Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 74–78.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
relle Ursprungsstaat, der in seinen nationalen (öffentlich-rechtlichen) Kulturgüterschutzgesetzen zivilrechtliche Schutzvorkehrungen vor Abwanderung „seiner“ Kulturgüter erlassen habe.243 102
Dabei kann Byrne-Sutton zur rechtskonstruktiven Unterstützung seiner Idee bereits auf die Entscheidung des Schweizer Bundesgerichts in der Rechtssache Staat Italien gegen R. Becchina und Fa. Palládion vom 6.2.1985 244 verweisen, nach der Kunstwerke im internationalen Kunsthandel generell als res in transitu zu qualifizieren sind. In der Fallkonstellation wurden im staatlichen Eigentum stehende Grabplatten in Italien gestohlen und danach illegal in die Schweiz geschmuggelt, um sie von dort später nach Belgien weiterveräußern zu können. Zunächst wurden die Grabplatten jedoch im kulturellen Schwarzmarkt innerhalb des Schweizer Territoriums weiterverkauft. Bis zu der fünf Jahre später von einer Schweizer Behörde durchgeführten Beschlagnahme befanden sich die für den Export nach Belgien vorgesehenen, jedoch letztendlich nicht versandten Grabplatten somit auf Schweizer Territorium. Trotz dieses fünfjährigen Aufenthaltes in der Schweiz qualifizierte das Schweizer Bundesgericht die Kulturobjekte als res in transitu, da nicht die Schweiz der definitive Aufenthaltsort der Sachen sein sollte, sondern ein Export ins Ausland vorgesehen war. Um das Eigentumsrecht Italiens an den Sachen zu bestimmen, wandte das Gericht italienisches Recht an und zwar „en tant que loi du lieu d’origine et de situation actuelle (au moment du procès) des pierres tombales.“ 245 Das Gericht qualifizierte damit unrechtmäßig entzogene italienische Kulturgüter als res in transitu, obwohl sich diese seit nunmehr fünf Jahren auf Schweizer Territorium befanden.
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In der kulturgüterspezifischen Rechtsprechung findet sich auch innerhalb des amerikanischen Rechtskreises in der Rechtssache Autocephalous Greek-Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg 246 eine Fallkonstellation, in der Kulturgüter, die
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Vgl. Jaeger, Internationaler Kulturgüterschutz – Rechtslage, Rechtspraxis, Rechtsfortentwicklung, 1994, S. 65 f. und die Erläuterungen bei Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 74–78, der zu Recht davon ausgeht, dass diese Vorschläge eine neue Definition der res in transitu voraussetzen. Entscheidung des Schweizer Bundesgerichts in der Rechtssache Staat Italien gegen R. Becchina und Fa. Palládion vom 6.2.1985, P618/84/Id, unveröffentlicht, auch zitiert und beschrieben bei Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 74–78. Zitiert bei Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 74–78. Autocephalous Greek-Orthodox Church of Cyprus and the Republic of Cyprus v. Goldberg & Feldmann Fine Arts, Inc., and Peg Goldberg, 717 F.Supp. 1374 (S.D.Ind. 1989), affd 917 F.2d 278 (7h Cir. 1990). Vgl. dazu hinsichtlich der Qualifizierung kultureller Güter als res in
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sich zum rechtserheblichen Zeitpunkt des Eigentumserwerbs in der Freihandelszone des Genfer Flughafens in der Schweiz befanden, als res in transitu qualifiziert wurden.247 Gegenstand der Entscheidung war bekanntlich die Bestimmung der Eigentumsposition an einzigartigen byzantinischen Mosaiken, die zwischen 1976 und 1979 aus einer griechisch-orthodoxen Kirche im türkisch besetzten Teil Zyperns von den Wänden gelöst, gestohlen und nach dem Erwerb im Jahr 1988 von der amerikanischen Kunsthändlerin Peg Goldberg aus der Schweiz für US-$ 1.080.000 in die USA überführt worden waren. Die Mosaiken wurden zur Inaugenscheinnahme durch die Erwerberin Goldberg vor dem Kauf in die Freihandelszone des Genfer Flughafens aus München transferiert, wo sie sich insgesamt vier Tage und zum Zeitpunkt der Veräußerung befanden. Als Goldberg die Mosaiken anschließend dem kalifornischen Getty Museum zum Erwerb anbot, unterrichtete eine Mitarbeiterin die Behörden Zyperns über das Auftauchen der Mosaiken. Die Regierung verlangte daraufhin die Rückführung der byzantinischen Kunstschätze. Goldberg hielt dem Anspruch vor Gericht entgegen, sie habe nach der schweizerischen lex situs das Eigentum an den Mosaiken gutgläubig erworben. (s. Abb. 37)
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Der Southern U.S. District Court von Indiana folgte jedoch einem most significant contact-Test und wandte im Ergebnis das Sachrecht von Indiana an, das die engste Beziehung zu dem Sachverhalt aufweise.248 Die Verbindung zur Schweiz hielt das Gericht für unbedeutend. Die Mosaiken hatten sich dort nur übergangsweise befunden, und keine der Parteien stand in einer näheren Beziehung zu der
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transitu insbesondere Symeonides, On the Side of the Angels: Choice of Law and Stolen Cultural Property, in: Basedow/Meier/Schnyder/Einhorn/Girsberger, Private Law in the International Arena. From National Conflict Rules Towards Harmonization and Unification, Liber Amicorum Kurt Siehr, 2000, S. 747–761, S. 748 ff.; Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 121 f.; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 162 ff.; Köhling, Der Eigentumserwerb abhanden gekommener Kunstgegenstände im amerikanischen Recht, 1999, S. 51 ff.; Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 70–73; Crowell, Autocephalous Greek-Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg & Feldman Fine Arts, Inc.: Choice of Law in the Protection of Cultural Property, Texas International Law Journal, Volume 27 (1992), S. 173–209, S. 201–202; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 74–78. Vgl. ausführlich zu dieser Fallkonstellation Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 3. Teil, Rdnr. 91 ff. Vgl. Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 74–78.
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Schweiz. In Indiana hingegen befanden sich Wohn- und Geschäftssitz der Beklagten.249 Zusätzlich stellten die Richter aber noch fest, dass selbst bei Anwendbarkeit des Schweizer Kollisionsrechts die Rechtsordnung Indianas zur Entscheidung berufen sei. Während der amerikanischen Gerichtsverhandlung wurde diesbezüglich ein Schweizer Sachverständiger dazu befragt, ob die Schweiz ein begründetes Interesse daran habe, dass ihr Recht zur Anwendung gelange. Der Sachverständige verneinte diese Fragestellung mit der Begründung, die Mosaiken seien nach Schweizer Recht als res in transitu zu qualifizieren, weshalb entsprechend dem schweizerischen internationalen Privatrecht im Ergebnis das den Eigentumsübergang betreffende Recht sich nach dem Recht des Bestimmungsortes – d.h. im konkreten Fall dem Recht Indianas – zu entscheiden hätte. Danach seien die Mosaiken nur im zollfreien Bereich des Genfer Flughafens gelagert gewesen und hätten daher als im Transport begriffen gegolten.250 Das Gericht folgte dieser Qualifizierung der Rechtslage der Schweiz, dass die Mosaiken „in transit“ seien, und dass deshalb, entsprechend den Kollisionsregeln der Schweiz, die schweizer materiell-inhaltlichen Rechtsregeln keine Anwendung zu finden hätten, sondern das Recht des Bestimmungsstaates 251 maßgeblich sei.252 Der District Court begründete wie folgt: „The mosaics were transported from Munich to Geneva. Upon their arrival in Geneva, the mosaics were placed in storage in the free port area of the Geneva airport; there they remained in storage for four days until being shipped to Indianapolis. The mosaics never passed through Swiss customs. The mosaics never entered the Swiss stream of commerce. Their presence in Switzerland was temporary, as was intended. Those involved with the transaction intended that if the sale were consummated, the mosaics were to be shipped to Indiana; if not, the mosaics were to be returned to Germany.“ 253 (s. Abb. 38)
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Vgl. Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 70–73. Vgl. Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 70–73. Dies regelt seit dem 1.1.1989 Art. 104 des schweizer IPRG. Vgl. aber Crowell, Autocephalous Greek-Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg & Feldman Fine Arts, Inc.: Choice of Law in the Protection of Cultural Property, Texas International Law Journal, Volume 27 (1992), S. 173–209, S. 203: „In Goldberg, the mosaics had come to rest in Switzerland, where they remained for four days. Because the sale had not been completed when the mosaics arrived in Switzerland, the mosaics could have remained in Switzerland indefinitely. Professor Baade testified at the trial that the “in transit” exception did not apply to the Goldberg facts, because “[t]he transit rule never applies if transit is interrupted, even illegally, by an actual disposition of the goods at a place regularly ascertained.” Thus, because the mosaics were actually sold in Switzerland, Swiss courts would find the “in transit” exception inapplicable, the general lex situs rule applicable, and Swiss law would govern the transaction.“ Autocephalous Greek Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg & Feldman Fine Arts Inc., 717 F. Supp. 1374, auf S. 1395.
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Der Rechtseinschätzung des Schweizer Bundesgerichts in der Rechtssache Staat Italien gegen R. Becchina und Fa. Palládion vom 6.2.1985 und der Entscheidung des Southern U.S. District Court in der Rechtssache Autocephalous Greek-Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg sollte im internationalen Kunsthandel weder im konkreten Fall noch grundsätzlich gefolgt werden. Schon nach allgemeiner Meinung sollten nur solche Gegenstände als res in transitu qualifiziert werden, die sich zum Zeitpunkt der dinglichen Sachzuordnung der Kulturgüter (d.h. im Moment der Veräußerung und damit der Verfügung über die Eigentumsposition) tatsächlich auf dem Transport befinden und auf ihrer Reise Durchgangsländer berühren.254 Dies wird hier und da bei Konsumgütern der Fall sein, die bspw. in Masse transportiert und während des Transports bereits weiterveräußert werden.255 Kunstwerke und Kulturgüter werden jedoch praktisch nie während ihres Transports veräußert. Nicht zu den res in transitu im engeren Sinne sollten somit Sachen und damit auch Kulturgüter zählen, die Gegenstand eines internationalen Versendungskaufs 256 sind und über die bereits vor dem Transport verfügt wurde (während über res in transitu während des Transports verfügt wird und der Bestimmungsort anfänglich häufig noch nicht feststeht).257 Deshalb besitzt die res in transitu-Problematik in der Praxis im Allgemeinen nur geringe 258 und innerhalb des internationalen Kunsthandels praktisch keine Bedeutung.259 254
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Vgl. Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 70–73; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 74–78. „Bei res in transitu handelt es sich typischerweise um Rohstoffe oder Getreide, die während des Transports auf hoher See oder per Flugzeug an einer Warenbörse weiterverkauft werden. Die Verfügung über ein Kulturgut während einer Ausstellungsreise rechtfertigt nicht die Annahme einer res in transitu. Jedenfalls ist der herrschenden Ansicht nach das Recht des Bestimmungsorts anzuwenden, so daß die Kulturschutznormen des Herkunftsorts nicht berücksichtigt werden. Insofern ist zu bezweifeln, daß die Behandlung der res in transitu als Ausnahme von der Situs-Regel für den illegalen Kunsthandel von großer Relevanz ist, etwa wenn Kunstwerke nach dem Diebstahl zunächst über viele Ländergrenzen verschoben werden.“ Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 74–78. A.A. aber Jaeger, Internationaler Kulturgüterschutz – Rechtslage, Rechtspraxis, Rechtsfortentwicklung, 1994, S. 65 f. So die h.M., vgl. dazu Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 Anh. I, Rdnr. 126 ff.; Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, 532–533; Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 70–73. Vgl. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 366 f. So die Einschätzung bei Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 532–533. Vgl. auch Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüber-
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Auch in der Fallkonstellation Autocephalous Greek-Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg war dementsprechend nicht auf die Figur der res in transitu Rekurs zu nehmen.260 Die richtige Antwort wäre die Bejahung der Anwendbarkeit des schweizerischen Rechts gewesen: Die gestohlenen Mosaiken hatten zum rechtserheblichen Zeitpunkt der Veräußerung an Mrs. Goldberg einen schweizerischen locus rei sitae, wonach die Frage des gutgläubigen Eigentumserwerbs eindeutig nach schweizerischem materiellem Recht, bei grundsätzlicher Anwendbarkeit gutgläubigen Erwerbs entsprechend Art. 934 ZGB, zu entscheiden gewesen wäre. Der District Court übersah bei seiner Qualifizierung der Mosaiken als res in transitu, dass auch im schweizerischen Recht die Sache im Zeitpunkt des Vorgangs, an den eine bestimmte Rechtsfolge geknüpft wird, bereits unterwegs sein muss.261 Die Mosaiken verblieben während der gesamten Kaufabwicklung von der Inspektion über den Abschluss des Kaufvertrages bis zur Übertragung des Besitzes in der Schweiz.262 Die Entscheidung des Rechtsstreits nach Schweizer Zivilrecht hätte schlussendlich aber auch kein anderes Ergebnis als die Anwendung des Rechts des Bundesstaates Indiana zur Folge gehabt: Aufgrund der Gesamtumstände der Veräußerung der Mosaiken, nicht öffentlich in den allgemeinen Verkaufsräumen eines Kunsthändlers, sondern eher heimlich innerhalb der Freihandelszone des Genfer Flughafens, hätte auch nach schweizerischem Recht ein gutgläubiger Erwerb der Mosaiken verneint werden müssen, sodass schließlich kein konfligierendes Ergebnis sowohl der Rechtsordnung Indianas als auch der Schweiz zu erwarten gewesen wäre.263
II. 108
Rechtswahl in den Vereinigten Staaten von Amerika
Innerhalb der Rechtswahl der Vereinigten Staaten von Amerika ist – im Gegensatz zu der einheitlichen inhaltlichen Anwendung der Situs-Regel sowohl für die Schutzrechte ursprünglicher Eigentümer unrechtmäßig entzogener Kulturgüter aus der Eigentumsposition als auch für die dingliche Sachzuordnung illegal transferierter Objekte – vorab eine inhaltliche Unterscheidung in der Rechtswahl
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schreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 74–78. So auch Byrne-Sutton, The Goldberg Case: A Confirmation of the Difficulty in Acquiring Good Title to Valuable Stolen Cultural Objects, International Journal of Cultural Property 1 (1992), S. 151–168. So Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 74–78. Vgl. Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 74–78. So auch Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 79.
1. Abschnitt: Rechtswahl nach der ,lex rei sitae‘ und Sonderkollisionsnormen
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zwischen der Kollisionsnorm für Restitutionsklagen und der Rechtsanwendungsbestimmung für die dingliche Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter zu treffen.264 Während innerhalb der kontinental europäischen Rechtsordnungen zivilrechtliche Restitutionsansprüche in erster Linie Vindikationsansprüche des ursprünglichen Eigentümers gegenüber dem unrechtmäßigen Besitzer darstellen, die ebenso an die Grundsätze der lex rei sitae angeknüpft werden wie Fragen der dinglichen Rechtsänderung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter, hat der Common Law-Rechtskreis eine diesbezügliche Unterscheidung vorzunehmen, da Restitutionsansprüche dort in Form von conversion- und replevin-Klagen grundsätzlich nicht auf der absoluten Eigentumsposition beruhen, sondern deliktsrechtlicher Natur sind. Diese Qualifikation hat zur Folge, dass nach Maßgabe der deliktsrechtlichen Kollisionsregel zu untersuchen ist, welches Recht auf die Frage Anwendung findet, ob der Erwerber eines Kunstwerks eine conversion, d.h. eine unerlaubte Zurückbehaltung der Besitzposition gegenüber dem berechtigten Eigentümer, begangen hat. Diese Entscheidung wiederum wird nach den Kollisionsrechten der amerikanischen Bundesstaaten – ebenso wie in Europa – grundsätzlich auf das Recht desjenigen Ortes gestützt, an dem die unerlaubte Handlung begangen wurde,265 es sei denn, ein anderer Staat hat eine engere Beziehung zu dem Sachverhalt oder den Parteien.266
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Vgl. Symeonides, On the Side of the Angels: Choice of Law and Stolen Cultural Property, in: Basedow/Meier/Schnyder/Einhorn/Girsberger, Private Law in the International Arena: From National Conflict Rules Towards Harmonization and Unification – Liber Amicorum Kurt Siehr, 2001, S. 747–761; Pecoraro, Choice of Law in Litigation to Recover National Cultural Property: Efforts at Harmonization in Private International Law, Virginia Journal of International law 31 (1990), S. 1–51; Suede, Property Law: International Stolen Art, Harvard International Law Journal 31 (1990), S. 377–383; Reyhan, A Chaotic Palette: Conflict of Laws in Litigation Between Original Owners and Good-Faith Purchasers of Stolen Art, Duke Law Journal, Volume 50 (2001), Number 4, S. 955–1043; Knott, Neue Tendenzen im Recht des internationalen Kunsthandels in den USA, RIW 1991, S. 553–559; Crowell, Autocephalous Greek-Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg & Feldman Fine Arts, Inc.: Choice of Law in the Protection of Cultural property, Texas International law Journal, Vol. 27 (1992), S. 173–209; Kaufman, Art Law Handbook, 2000, S. 315–319; Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 70–73; Köhling, Der Eigentumserwerb abhanden gekommener Kunstgegenstände im amerikanischen Recht, 1999, S. 123 ff. Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 76: „In these tort claims the law at the place of commission of the tort applies, that is the law of the State where the property has been taken by the thief and/or sometimes also the law of the State where the property has been fraudulently held by the tortfeaser.“ Restatement (Second) of Conflict of Laws § 147 (1971). Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
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Fragen der dinglichen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter werden innerhalb der Rechtsordnungen der amerikanischen Bundesstaaten jedoch nicht nach dem Deliktsstatut angeknüpft. In diesem Bereich befindet man sich regelmäßig dann, wenn bspw. der Besitzer unrechtmäßig entzogener Kulturgüter gegenüber der Restitutionsforderung des Eigentümers einwendet, dass er infolge seines guten Glaubens unmittelbar durch den rechtsgeschäftlichen Erwerb derivativ oder durch Ersitzung originär Eigentum an dem streitigen Objekt erworben habe. Auch Knott ist hier der Meinung, dass in Rechtsstreitigkeiten um die Herausgabe von Kulturgut vor Gerichten in Staaten des Common LawRechtskreises die kollisionsrechtliche Frage beantwortet werden muss, welche Rechtsordnung den rechtsgeschäftlichen oder originären Eigentumserwerb kraft guten Glaubens beherrscht.267 Ebenso wie innerhalb der kontinental europäischen Staaten Vorfragen nach den internationalen Privatrechten selbstständig angeknüpft werden,268 bestimmen auch die einzelnen amerikanischen Bundesstaaten das auf den gutgläubigen Eigentumserwerb vom Nichtberechtigten anwendbare Recht nach ihrem eigenen Kollisionsrecht.269 Es wird also keine Rücksicht darauf genommen, welches Recht auf die (Haupt-)Frage anwendbar ist, ob eine conversion vorliegt.270
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Obwohl innerhalb der amerikanischen Rechtswahlregeln, in denen das Kollisionsrecht von Staat zu Staat verschieden ist,271 in einigen Bundesstaaten wie bspw. in § 946 des California Civil Code, § 55–401 des Idaho Civil Code, § 67–1101 des Montana Civil Code und § 47–0701 des North Dakota Civil Code noch veraltete Gesetze gelten und unter dem Einfluss der von Story anerkannten Maxime mobilia sequuntur personam 272 bewegliche Sachen der lex domicilii des Eigen-
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Herkunftsstaates, 1990, S. 70–73, verdeutlicht, dass die abweichende Position des New Yorker Rechts in Babcock v. Jackson, 12 N.Y.2d 473, 240 N.Y.S.2d 143, 191 N.E.2d 279 (1963), in Cousins v. Flyer Instruments, Inc., 44 N.Y.2d 698, 699, 405 N.Y.S.2d 441, 442, 376 N.E.2d 914, 915 (1978), aufgegeben wurde. So auch die Rechtsprechung in Kunstsammlungen zu Weimar v. Elicofon, 536 F. Supp. 829, 845-46 (E.D.N.Y. 1981). Vgl. Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 70–73. Vgl. Kegel, Internationales Privatrecht, 6. Aufl. 1987, § 9, S. 227–236. Vgl. Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 70–73. Restatement (Second) of Conflict of Laws § 147 Comment i (1971). Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 70–73, unter Rekurs auf Myers v. Columbus Sales Pavilion, Inc., 515 F.Supp. 805, 807 (D. Nebr. 1983), wonach die Regeln des Restatement (Second) of Conflict of Laws als für den Bundesstaat Nebraska maßgebend angesehen wurden. Vgl. May, Die Regeln des internationalen Privatrechts der beweglichen Sachen in den USA, 1969. May, Die Regeln des internationalen Privatrechts der beweglichen Sachen in den USA, 1969, S. 8 ff.
1. Abschnitt: Rechtswahl nach der ,lex rei sitae‘ und Sonderkollisionsnormen
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tümers unterstellt sind,273 gewann jedoch in der Praxis auch in den Vereinigten Staaten die Anknüpfung an den Lageort der Sache zunächst die Oberhand 274 und der Grundsatz der lex rei sitae nahm in der Folge eine große Bedeutung ein.275 Inzwischen haben sich aber in einem Teil der amerikanischen Bundesstaaten neuere Strömungen der amerikanischen Kollisionsrechtslehre durchgesetzt, die bei Bestimmung des anwendbaren Rechts nicht auf den territorialen Bezug eines Rechtsverhältnisses abstellen, sondern grundsätzlich nach dem Zweck der kollidierenden Sachnormen entscheiden, welche Rechtsordnung bezüglich einer bestimmten Rechtsfrage das überzeugendste Rechtsanwendungsinteresse hat.276 Dies hat zur Folge, dass die Rechtslage hinsichtlich der dinglichen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter in den Vereinigten Staaten unsicher und variabel geworden ist.277 Heute findet die allgemeine Kollisionsnorm des UCC § 1–301(d) auf die meisten Fragen hinsichtlich des beweglichen Vermögens Anwendung: 278 Danach gilt (außerhalb einer Rechtswahl) die lex fori, d.h. die im Gerichtsstaat geltende Fassung des UCC, unabhängig davon, ob der Vorgang einen angemessenen (appropriate) Bezug zu diesem Staat hat. Das amerikanische Restatement of the Law Second, Conflict of Laws 2nd von 1971 wendet in § 244 (1) wiederum den Maßstab der most significant relationship an, in § 244 (2) wird dabei dem Belegenheitsrecht zur Zeit der Verfügung der größte Stellenwert eingeräumt.279 Bei Verfügungen über bewegliche Sachen wird hinsichtlich der Außenwirkungen auf die lex rei sitae verwiesen, wohingegen im Verhältnis der Parteien zueinander diejenige Rechtsordnung gilt, zu der das Rechtsgeschäft im Hinblick auf die zu ent273
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Vgl. hierzu auch Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 70–73. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 52–54, weist auf die richtungweisenden Entscheidungen des Supreme Court in Green v. Buskirk, 5 Wall 307=72 US 307 = 18 I Ed 599 [1867] sowie des Court of Appeals von New York in Goetschius v. Brightman, 245 NY 186 = 156 NE 660 [1927]) hin. Heute ist auch in diesen Rechten die Situs-Regel allgemein anerkannt. Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 70–73, unter Rekurs auf Lees v. Harding Whitman & Co., 68 N.J.Eq. 622, 60 A. 352, 353–355 (E. & A. 1905); Zendmann v. Harry Winston, 111 N.E. 2d 873; Rawl’s Auto Auction Sales v. Dick Heuiman Ford, 690 F.2d 422, 426, 427 (4th Cir. 1982). Aus dem Schrifttum: Zaphiriou, The Transfer of Chattels in Private International Law, 1956, S. 47 f. Vgl. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 52–54, unter Rekurs auf die Synopsis von Vischer, General Course an Private International Law, Rec. des Cours 232 [1992-I] S. 13 ff., S. 44–73. So die Einschätzung bei Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 52–54. So Hay, US-Amerikanisches Recht, 3. Aufl. 2005, S. 79, Rdnr. 266. So Hay, US-Amerikanisches Recht, 3. Aufl. 2005, S. 79, Rdnr. 266.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
scheidende Frage die kennzeichnendste Beziehung hat (the most significant relationship).280 Entsprechend den neueren Lehren bestimmt bspw. seit Inkrafttreten der IPR-Reform am 1.1.1992 innerhalb des amerikanischen Bundesstaates Louisiana Art. 3515, dass in einem Fall mit Auslandsberührung auf eine Rechtsfrage (issue) im Zweifel das Recht des Staates anzuwenden ist, „whose policies would be most seriously impaired if its law were not applied to that issue“.281 Die Art 3535, 3536, betreffend Real Rights, gehen jedoch für bewegliche Sachen und damit auch für Kulturgüter immer noch von der Situs-Regel aus, die jedoch in der einseitigen Kollisionsnorm des Art. 3536 Abs. 2 eine beachtliche Modifikation erfährt: 282 „Hiernach wird ein nach dem früheren Sachstatut entstandenes dingliches Recht an einer beweglichen Sache bei deren Verbringung nach Louisiana dessen Recht unterworfen, soweit es mit dem Recht von Louisiana unvereinbar ist oder der Rechtsinhaber wußte oder wissen mußte, daß die Sache nach Louisiana gelangt. Gleiches soll gelten, wenn Gerechtigkeit und Billigkeit den Schutz Dritter gebieten, die in Louisiana ein Rechtsgeschäft bezüglich der dorthin gelangten Sache in gutem Glauben geschlossen haben.“ 283 Hieraus entnimmt Stoll zutreffend, dass grundsätzlich die Rechtsordnung des Belegenheitsstaates Anwendung erfahren soll, „soweit nicht eben der Schutz des gutgläubigen Verkehrs in Louisiana nach Treu und Glauben eine Ausnahme erfordert.“ 284 113
Allgemein ist das Regel-Ausnahmeverhältnis eindeutig: Auf Grundlage des § 244 Abs. 2 des Restatement (Second) of Conflict of Laws (1971), wonach „[i]n the absence of … greater weight will usually be given to the location of the chattel, …“, wird die Situs-Regel nach § 244 Abs. 1 des Restatement (Second) of Conflict of Laws (1971) als das Ergebnis der Vermutung aufgefasst, dass das Recht am Ort der Belegenheit „the most significant relationship to the parties, the chattel and the conveyance …“ hat.285 Diese Vermutung ist widerlegt, wenn die Situs-Regel ein Recht zur Anwendung beruft, welches keine engen Berührungspunkte zu den Parteien des Geschäfts oder dem Geschäft selbst hat.286
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282 283 284 285
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Vgl. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 52–54. Vgl. die Zitierung bei Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 52–54. Vgl. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 52–54. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 52–54. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 52–54. Vgl. Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 70–73. Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 70–73, unter Rekurs auf Jewett, Inc. v. Keystone Driller Co., 282 Mass. 469, 185 N.E. 369, 371 (1932); Shanahan v. George B. Landers Construction Company, 266 F.2d 400, 402–405 (1st Cir. 1959).
1. Abschnitt: Rechtswahl nach der ,lex rei sitae‘ und Sonderkollisionsnormen
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Dem entsprechen auch die Erkenntnisse von Hay, wonach in der Praxis beide Anknüpfungen gleichgesetzt werden, sodass das Recht des Forums nach dem UCC ebenfalls nur dann Anwendung findet, wenn dieses auch die engste Verbindung zu der Transaktion aufweist.287 Die kulturgüterspezifische Rechtsprechung innerhalb der Vereinigten Staaten bestätigte eine kombinierte Applikation der sog. lex loci zusammen mit einem sog. most significant contacts test. Das bedeutet, dass in den einzelnen amerikanischen Bundesstaaten der Grundsatz der lex rei sitae mit der Einschränkung anerkannt ist, dass nach den Umständen des Einzelfalls die Parteien des Geschäfts oder das Geschäft selbst keinen engeren Berührungspunkt zu einem anderen Recht als dem des Belegenheitsortes aufweisen.288
114
In vielen Entscheidungen erachteten die Gerichte die zu entscheidende Sachverhaltskonstellation jedoch für so eindeutig, dass unabhängig von der zur Anwendung berufenen materiellen Rechtsordnung einmütig die ‚richtige‘ Sachzuordnung der unrechtmäßig entzogenen Kulturgüter getroffen werden konnte. So hatte bspw. die Entscheidung des Gerichts innerhalb der Rechtssache Greek Orthodox Patriarchate of Jerusalem v. Christie’s, Inc.289 eher französisches Sachrecht anzuwenden (diejenige Rechtsordnung, unter der der ursprüngliche Eigentumstransfer der gestohlenen Manuskripte erfolgte), als die Sachvorschriften des Bundesstaates New York als die Rechtsordnung der örtlichen Belegenheit des umstrittenen Kulturguts zum Zeitpunkt der Klage, keine Auswirkungen auf den Ausgang des Rechtsstreits, da das Gericht ausdrücklich bestimmte, dass es zu demselben Ergebnis gelangt wäre, wenn es die Rechtsvorschriften New Yorks für anwendbar erklärt hätte.290 Vergleichsweise stellten die Richter in der Rechtssache Autocephalous Greek-Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg & Fine Arts, Inc.291 fest, dass der Ausgang der Entscheidung sich nicht geändert hätte, wenn die Rechtsordnung der Schweiz als die des Belegenheitsorts der byzantinischen Panagía Kanakariá-Mosaiken zum Zeitpunkt der Veräußerung an die gutgläubige Erwerberin Goldberg Anwendung erfahren hätte, und nicht die Rechtsordnung In-
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Vgl. Hay, US-Amerikanisches Recht, 3. Aufl. 2005, S. 79, Rdnr. 266. Vgl. Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 162–164; Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 72; Siehr, Öffentliches Recht und internationales Privatrecht beim grenzüberschreitenden Kulturgüterschutz, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes – Symposium vom 22./23. Juni 1990 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 83–104, S. 94; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 160 f. Greek Orthodox Patriarchate of Jerusalem v. Christie’s, Inc., No. 98 Civ. 7664 (KMW), 1999 WL 673347 (S.D.N.Y. Aug. 30, 1999). Greek Orthodox Patriarchate of Jerusalem v. Christie’s, Inc., 1999 WL 673347. Autocephalous Greek-Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg & Fine Arts, Inc., 717 F. Supp. 1374 (S.D. Ind. 1989), affd, 917 F.2d 278 (7th Cir. 1990).
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
dianas als Ort der Belegenheit der Objekte zum Zeitpunkt der Klageerhebung. In beiden Fallkonstellationen hätten aufgrund der fundamentalen Unterschiede innerhalb der potenziell anwendbaren Sachenrechtsordnungen jedoch bei anderen tatsächlichen Umständen durchaus auch divergierende Entscheidungen ergehen können, je nachdem, nach welchen Grundsätzen die Richter die zur Entscheidung berufene Rechtsordnung bestimmt hätten.292
1.
‚Lex loci delicti commissi‘
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Seit der Entscheidung Kunstsammlungen zu Weimar v. Elicofon aus dem Jahr 1980 293 stellt innerhalb des amerikanischen Rechtskreises das sog. lex loci delicti commissi-Prinzip die traditionelle Kollisionsregel dar, wonach – so die Formulierung in Greek Orthodox Patriarchate of Jerusalem v. Christie’s, Inc.294 – in Streitfällen um die Eigentumsposition an kulturellen Wertgegenständen „questions relating to the validity of a transfer of personal property are governed by the law of the state where the property is located at the time of the alleged transfer.“ 295 In Kunstsammlungen zu Weimar v. Elicofon begründete der District Court seine Entscheidung noch damit, dass in der Anwendung der lex loci-Regel trotz der Hinwendung innerhalb des Bundesstaates von New York zu einem sog. significant relationship-Test in der Rechtssache Babcock v. Johnson 296 nichts Ungewöhnliches ruhe, da das lex loci delicti commissi-Prinzip „incorporates the concept of a ‚significant relationship.‘“ 297 Bei Anwendung der lex loci-Regel wird der gutgläubige Erwerb der unrechtmäßig entzogenen Dürer-Porträts, nicht jedoch der Diebstahl oder ein späterer Eigentumstransfer eines gutgläubigen Erwerbers als relevanter Eigentumsübergang und sachenrechtserhebliche Einwirkung auf die Rechtsposition des (ursprünglichen) Eigentümers qualifiziert.298
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„Discussing choice of law, the district court held that under New York choice of law rules, the validity of a transfer of personal property is governed by the law of the state where the property is located at the time of the transfer. Elicofon, 536 F. Supp. at 846. The district court reasoned that Elicofon’s purchase and possession of the paintings in New York increased New York’s interest in regulating the transfer in a manner which best promotes the state’s policy of protecting owners in order to preserve the integrity of transactions and to prevent the state from becoming a marketplace for stolen goods.“ 299
292 293
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Vgl. hierzu auch Bloom, Stolen Art, in: Kaufman, Art Law Handbook, 2000, S. 315–318. Kunstsammlungen Zu Weimar v. Elicofon, 536 F. Supp. 829, 845–46 (E.D.N.Y. 1981); Restatement (Second) of Conflict of Laws § 246 (1971). Greek Orthodox Patriarchate of Jerusalem v. Christie’s, Inc., No. 98 Civ. 7664 (KMW), 1999 WL 673347 (S.D.N.Y. Aug. 30, 1999). Greek Orthodox Patriarchate of Jerusalem v. Christie’s, Inc., 1999 WL 673347. Vgl. hierzu auch Kaufman, Art Law Handbook, 2000, S. 315–319. Babcock v. Johnson, 12 N.Y.2d 473 (1963). Kunstsammlungen Zu Weimar v. Elicofon, 536 F. Supp. 829, S. 846. Vgl. Greek Orthodox Patriarchate of Jerusalem v. Christie’s, Inc., 1999 WL 673347; Kunstsammlungen Zu Weimar v. Elicofon, 536 F. Supp. at 846. Drum, DeWeerth v. Baldinger: Making New York a Haven for Stolen Art, New York Uni-
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In der Rechtssache DeWeerth v. Baldinger 300 hatten New Yorker Gerichte darüber zu entscheiden, ob der Restitutionsanspruch des Eigentümers eines während des Zweiten Weltkriegs oder unmittelbar danach unrechtmäßig entzogenen Gemäldes im Jahre 1987 aufgrund des allgemeinen Verjährungseinwandes gegenüber einem gutgläubigen Erwerber temporal präkludiert sein sollte.301
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Die deutsche Gerda DeWeerth klagte gegen Edith Baldinger aus New York auf Herausgabe des Gemäldes ‚Champs de blé à Vétheuil‘ bzw. ‚Wheat Field‘ (1881) von Claude Monet, die das zum Zeitpunkt der Klage ca. 500.000 US-Dollar teure Kunstwerk viele Jahre zuvor gutgläubig in einer New Yorker Kunstgalerie erworben hatte. Während des Zweiten Weltkriegs im Jahre 1943 übersandte Frau DeWeerth das Kunstwerk ihrer Schwester nach Süddeutschland zur sicheren Aufbewahrung aufgrund der Wirren des in Deutschland tobenden Krieges. Nachdem im Jahre 1945 amerikanische Soldaten in das Haus der Schwester einquartiert worden waren, verschwand das Gemälde nach deren Auszug spurlos. Unmittelbar nach Identifizierung der Besitzerin des Gemäldes und dessen Lokalisierung verlangte Frau DeWeerth die Rückführung des Monet von Frau Baldinger. Diese verweigerte jedoch eine Restitution, sodass Frau DeWeerth Klage vor dem Federal District Court for the Southern District of New York auf Herausgabe des Gemäldes einreichte.302
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versity Law Review 64 (1989), S. 909–945, S. 923: Kunstsammlungen zu Weimar v. Elicofon, F. Supp. 829 (E.D.N.Y. 1981), aff’d, 678 F.2d 1150 (2d Cir. 1982); 536 F. Supp. 829, 846 (E.D.N.Y. 1981), aff’d 678 F.2d 1150 (2d Cir. 1982). DeWeerth v. Baldinger, 836 F.2d 103 (2d Cir. 1987), cert. denied 108 S. Ct. 2823 (1988), die die erstinstanzliche Entscheidung DeWeerth v. Baldinger, 658 F. Supp. 688 (SDNY 1987), revidierten. Ausführlich zu der Entscheidung: Drum, DeWeerth v. Baldinger: Making New York a Haven for Stolen Art, New York University Law Review 64 (1989), S. 909–945, S. 925–932; Fox, The UNIDROIT Convention on Stolen or Illegally Exported Cultural Objects: An Answer to the World Problem of Illicit Trade in Cultural Property, American University International Law Review 9 (1993), S. 225–267, S. 240–241; Furtak, Abschluß im New Yorker Verfahren DeWeert v. Baldinger um den gutgläubigen Erwerb eines Monet, IPRax 1995 (Heft 2), S. 128; Kennon, Take A Picture, It May Last Longer if Guggenheim Becomes the Law of the Land: The Repatriation of Fine Art, St. Thomas Law Review 8 (1995), S. 373–422, S. 394–398; Mansel, DeWeerth v. Baldinger – Kollisionsrechtliches zum Erwerb gestohlener Kunstwerke, IPRax 1988, S. 268–271; McKenna, Problematic Provenance: Toward a Coherent United States Policy on the International Trade in Cultural Property, Journal of International Business Law 12 (1991), S. 83–124, S. 103–104; Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 44–45; Jaeger, Internationaler Kulturgüterschutz – Rechtslage, Rechtspraxis, Rechtsfortentwicklung, 1994, S. 62; Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes, 1994, S. 143 ff.; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 179–182; Siehr, Gutgläubiger Erwerb von Kunstwerken in New York – DeWeerth v. Baldinger erneut vor Gericht, IPRax 1993, Heft 5, S. 339–340. Vgl. zu diesen Tatsachenangaben die Entscheidungen: DeWeerth v. Baldinger, 658 F. Supp. 688, 692 (S.D.N.Y.), rev’d, 836 F.2d 103 (2d Cir. 1987), cert. denied, 108 S. Ct. 2823 (1988).
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
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Die amerikanischen Gerichte stützten sich bei der Herausgabeklage von Frau DeWeerth innerhalb der Frage nach der anwendbaren Rechtsordnung auf die Erwägung, dass New York der Ort des Deliktes sei, da dort die Beklagte Baldinger einerseits den Besitz am Bild erhielt sowie hält und andererseits die Herausgabe verweigerte, worin auch bei fehlendem Verschulden ein deliktisches Handeln gesehen wird, das den Tatbestand der conversion erfüllt.303 Das Gericht übertrug damit die im Elicofon-Fall explizit nur für die Ersitzung entwickelte ratio decidendi ausdrücklich auch auf den gutgläubigen Erwerb vom Nichtberechtigten und die Herausgabeansprüche. Danach seien „questions relating to the validity of a transfer of personal property“ stets nach der lex rei sitae zu lösen, wobei der Anknüpfungszeitpunkt stets der Moment des potenziellen Erwerbsaktes sei. Folglich wendete das Gericht auch in der Baldinger-Konstellation New Yorker Sachrecht als auf den gutgläubigen Erwerb in New York geltende Rechtsordnung an, begründete die Entscheidung jedoch unter Verweis auf § 246 Restatement Second (1971) noch mit weiteren Erwägungen kollisionsrechtlicher Anknüpfungspunkte.304
121
Dies führte deshalb auch vor amerikanischen Gerichten zu der Folge, dass die lex fori als die Rechtsordnung des amerikanischen Forumstaates nicht zwingend zur Sachentscheidung in kulturellen Rechtsstreitigkeiten anwendbar ist. So wurde in Greek Orthodox Patriarchate of Jerusalem v. Christie’s, Inc. Frankreich als relevanten locus erkannt, wo Sirieix das Palimpsest erworben hatte, während in Kunstsammlungen zu Weimar v. Elicofon New York als die Rechtsordnung qualifiziert wurde, unter deren Geltung Elicofon die beiden Dürer-Gemälde gutgläubig erworben hatte.
122
Demzufolge wendete das Gericht in der erstgenannten Konstellation die französischen Sachzuordnungsregeln unrechtmäßig entzogener Kulturgüter an und bestimmte, dass die Guersan-Familie das Eigentum an dem Palimpsest spätestens nach 30-jährigem gutgläubigen Eigenbesitz nach den französischen Ersitzungsvorschriften erworben hatte.305 Als Konsequenz der lex loci-Regel wurde seitens des Gerichtes somit auch die Einlassung des Greek Orthodox Patriarchate of Jerusalem zurückgewiesen, wonach New Yorker Sachregeln Anwendung erfahren sollten, weil die Guersan-Familie das Palimpsest bei einem New Yorker Auktionshaus zur Versteigerung einlieferte. Auch eine Einwirkung sog. public policy considerations in die Rechtswahl sei nach Rechtsansicht der Richter nur dann möglich, wenn die Anwendung ausländischer Rechtsvorschriften eine Verletzung darstellen würde von „fundamental notions of justice or prevailing con-
303
304
305
Vgl. Mansel, DeWeerth v. Baldinger – Kollisionsrechtliches zum Erwerb gestohlener Kunstwerke, IPRax 1988, S. 268–271, S. 269. Mansel, DeWeerth v. Baldinger – Kollisionsrechtliches zum Erwerb gestohlener Kunstwerke, IPRax 1988, S. 268–271, S. 269. Greek Orthodox Patriarchate of Jerusalem v. Christie’s, Inc., 1999 WL 673347.
1. Abschnitt: Rechtswahl nach der ,lex rei sitae‘ und Sonderkollisionsnormen
495
cepts of good morals.“ 306 Hier bestünden jedoch keine Bedenken, dass die 30-jährige Ersitzungsfrist der französischen Rechtsordnung eine public policywidrige Verkürzung der Rechtsposition des ursprünglichen Eigentümers darstellen würde und den illegalen Verkehr mit unrechtmäßig entzogenen Kulturgütern fördern könnte.307 Abschließend bestimmte das Gericht, dass der „enhanced protection for original owners as against good faith purchasers“ der Solomon R. Guggenheim Found. v. Lubell-Rechtsprechung 308 des New York Court of Appeals „a relatively recent development“ darstellt und somit nicht als „a fundamental notion of justice or a prevailing concept of good morals“ 309 zu charakterisieren sei. Vergleichbar zu den voranstehenden Ausführungen wendete das zur Entscheidung berufene Gericht in der Rechtssache Kunstsammlungen zu Weimar v. Elicofon New Yorker Sachrecht an und widersprach damit dem Argument des Beklagten Elicofon, er habe nach der deutschen Rechtsordnung nach Ablauf zehnjährigen Eigenbesitzes mittels des Rechtsinstituts der Ersitzung Eigentum an den beiden umstrittenen Gemälden erworben.310 Bloom weist in seinen Ausführungen in Kaufman’s Art Law Handbook jedoch zu Recht auf die Möglichkeit hin, dass „the statute of limitations and accrual rules of the forum state may apply even if the substantive rights of the parties are governed by the law of another jurisdiction, pursuant to the common law rule that the statute of limitations bars the remedy, not the right.“ 311 Dies wurde in der Rechtssache Wertheimer v. Cirker’s Hayes Storage Warehouse, Inc.312 problematisiert, in der der State Trial Court die New Yorker dreijährigen Verjährungsregeln in der Restitutionsklage eines Pissarro-Gemäldes für anwendbar hielt, obwohl auf die Klage die Rechtsordnung des Bundesstaates Arizona als der Ort der Veräußerung des umstrittenen Kunstwerks Anwendung erfuhr. Der Trial Court berief sich auf N.Y.C.P.L.R. § 202, wonach „where the cause of action accrued in favor of a resident of the state [even if the action accrued outside the state] the time limited by the laws of the state shall apply.“ Da der Kläger seinen Wohnsitz im Bundesstaat New York hatte, wendete das Gericht die Verjährungsvorschriften des Bundesstaates New York an. Als Annex gilt: „Section 202 also provides that an action based on a cause of action accruing outside the state is 306
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Greek Orthodox Patriarchate of Jerusalem v. Christie’s, Inc., 1999 WL 673347 (quoting Curley v. AMR Corp., 153 F.3d 5, 12 (2d Cir. 1998). Greek Orthodox Patriarchate of Jerusalem v. Christie’s, Inc., 1999 WL 673347. Solomon R. Guggenheim Found. v. Lubell, 77 N.Y.2d 311, 569 N.E. 2d 426, 567 N.Y.S. 2d 623 (1991). So die Forumulierung bei Bloom, Jonathan in Kaufman, Art Law Handbook – Stolen Art, S. 315–318. Kunstsammlungen Zu Weimar v. Elicofon, 536 F. Supp. at 845. Bloom, Stolen Art, in: Kaufman, Art Law Handbook, 2000, S. 315–318, unter Rekurs auf Sun Oil Co. v. Wortman, 486 U.S. 717 (1988). Wertheimer v. Cirker’s Hayes Storage Warehouse, Inc., No. 105575/00, 2001 WL 1657237, 2001 N.Y. slip. op. 40445 (S. Ct. N.Y. Co. IAS Pt. 25), N.Y.L.J., Oct. 9, 2001, at 17.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
untimely if it is commenced after the expiration of the limitations period of either New York or the jurisdiction where the cause of action accrued. The purpose of this rule is to prevent forum shopping by nonresidents to obtain the most favorable statute of limitations.“ 313
2. 124
‚Most Significant Contacts‘-Test
Die Gerichte zahlreicher amerikanischer Bundesstaaten, darunter auch der Bundesstaat New York, wiesen das traditionelle lex loci delicti commissi-Prinzip zurück bzw. modifizierten dessen Grundsätze der Rechtswahl und führten stattdessen in kulturellen Restitutionsklagen den sog. most significant contacts-Test ein.314 „Rather than following the Restatement, as New York courts have, other courts have looked to the choice-of-law rules applied to tort actions to determine the most appropriate choice-of-law rule in art replevin actions.“ 315 So hat bspw. der District Court in der Rechtssache Autocephalous Greek-Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg & Fine Arts, Inc.316 die significant contacts-Regel des Bundesstaates Indiana zur Bestimmung der anwendbaren Rechtsordnung für die deliktsrechtliche Restitutionsklage unrechtmäßig entzogener Kulturgüter appliziert und die Verbindungen des Sachverhalts zu Indiana und der Schweiz untersucht, um die Rechtsordnung mit den most significant contacts zu bestimmen.317 Diesbezüglich stellte das Gericht fest, dass nach der Rechtsordnung Indianas grundsätzlich diejenigen Sachrechtsregeln des Ortes der unerlaubten deliktischen Handlung Anwendung finden, d.h. dass die Schweizer Rechtsregeln als Ort der Veräußerung und des Erwerbs der unrechtmäßig entzogenen Mosaiken zur Entscheidung berufen sind.318 Diesbezüglich bezeichnete das Gericht 313 314
315 316
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Bloom, Stolen Art, in: Kaufman, Art Law Handbook, 2000, S. 315–318. Vgl. aus der Rechtsprechung Fort Collins v. Rostak, 182 Colo. 437, 514 P.2d 314 (1973); Holder v. Elg, 151 Or. App. 329, 948 F.2d 763 (1997); Weiner v. Weiner, 84 Wash. 2d 360, 526 P.2d 370 (1974); Fox v. Morrison, 25 Ohio St. 2d 193, 267 N.E.2d 405 (1971); Issendorf v. Olson, 194 N.W.2d 750 (ND. 1972). Vgl. auch Rydstrom, Annotation: Modern Status of Rule That Substantive Rights of Parties to a Tort Action Are Governed by the Law of the Place of the Wrong, 29 A.L.R. 3d 603, S. 625–659 (1970); Kaufman, Art Law Handbook, 2000, S. 315– 319. So Bloom, Stolen Art, in: Kaufman, Art Law Handbook, 2000, S. 315–318. Autocephalous Greek-Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg & Fine Arts, Inc., 717 F. Supp. 1374 (S.D. Ind. 1989), affd, 917 F.2d 278 (7th Cir. 1990). Bloom, Stolen Art, in: Kaufman, Art Law Handbook, 2000, S. 315–318: „The Goldberg court noted that although the Indiana courts had not addressed choice of law in the context of a replevin action, in Hubbard Mfg. Co., Inc. v. Greeson, 515 N.E. 2d 1071, 1073 (Ind. 1987), the Indiana Supreme Court had modified the traditional lex loci delicti commissi rule in the area of torts and instead adopted the „most significant contacts“ analysis. Goldberg, 717 F. Supp. at 1393. The fact that replevin is a similar cause of action to conversion, which is a tort, persuaded the court that a „most significant contacts“ test was the appropriate analysis under Indiana law.“ Autocephalous Greek-Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg & Fine Arts, Inc., 717 F. Supp. 1374 at 1393.
1. Abschnitt: Rechtswahl nach der ,lex rei sitae‘ und Sonderkollisionsnormen
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die Verbindungen der Schweizer Rechtsordnung zu dem vorliegenden Sachverhalt jedoch als „fortuitous and transitory“ und erklärte, dass die Schweizer Rechtsordnung „no significant interest in the application of its law“ 319 hatte. Das Gericht führte seine Erwägungen weiter aus und legte dar, dass keine der Parteien die Schweizer Staatsbürgerschaft innehatte, keine dinglichen Interessen Schweizer Staatsbürger an den Mosaiken betroffen waren, die Kulturgüter zu keinem Zeitpunkt im Schweizer Kunstmarkt erschienen, die Mosaiken nur vier Tage auf Schweizer Territorium verweilten (und dies allein in der Freihandelszone des Genfer Flughafens) und zu keinem Zeitpunkt die Schweizer Zollbehörden passierten. Hinzu kam, dass der überwiegende Teil der Verhandlungen zwischen den Parteien bzgl. der Veräußerung sich in den Niederlanden abspielte und nur ein kleiner Teil in der Schweiz vonstatten ging.320 Im nächsten Untersuchungsschritt wog das Gericht die nur losen Verbindungen der Schweizer Rechtsordnungen mit den connecting factors zu der Rechtsordnung Indianas ab und qualifizierte diese als „more significant“: „Goldberg was a citizen of Indiana, as were others who held a financial interest in the mosaics; Goldberg’s gallery, also a defendant, was an Indiana corporation with its principal place of business in Indiana; the resale agreement stipulated that disputes would be governed by Indiana law; the purchase was financed by a loan from an Indiana bank; and the mosaics were located in Indiana.“ 321 Zusätzlich stellten die Richter aber noch – zu Unrecht – fest, dass selbst bei Anwendbarkeit des Schweizer Kollisionsrechts die Rechtsordnung Indianas zur Entscheidung berufen sei. Obwohl im Grundsatz innerhalb des Schweizer internationalen Sachenrechts dem Prinzip der lex rei sitae gefolgt wird, qualifizierte das Gericht die Mosaiken fälschlicherweise als res in transitu 322, stellte eine zufällige und nur flüchtige Verbindung der Objekte zu der Schweizer Rechtsordnung fest und lehnte schließlich eine Anwendung Schweizer materiellen Rechts ab.323 Die Anwendung des most significant contacts-Tests kann somit dazu führen, dass einem gutgläubigen Erwerber die Vorteile der Anwendung einer Rechtsordnung entzogen werden, die auch den gutgläubigen Erwerb unrechtmäßig entzogener Kulturgüter ermöglicht.324 Weniger dramatisch sind die Auswirkungen des most significant contactsTests hingegen für bösgläubige Erwerber – wie bspw. Goldberg in der Autoce-
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322 323
324
Autocephalous Greek-Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg & Fine Arts, Inc., 717 F. Supp. 1374 at 1394. Autocephalous Greek-Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg & Fine Arts, Inc., 717 F. Supp. 1374 at 1394. So die Wiedergabe bei Bloom, Stolen Art, in: Kaufman, Art Law Handbook, 2000, S. 315– 318. Vgl. ausführlich hierzu 3, 98 ff. Autocephalous Greek-Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg & Fine Arts, Inc., 717 F. Supp. 1374 at 1395. Vgl. Bloom, Stolen Art, in: Kaufman, Art Law Handbook, 2000, S. 315–318.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
phalous Greek-Orthodox Church of Cyprus-Entscheidung –, da diesen in nahezu allen Rechtsordnungen kein Schutz zugesprochen wird.325 126
Ein most significant contacts-Test wurde kürzlich in der Entscheidung Warin v. Wildenstein & Co.326 appliziert, in der Francis Warin und En Memoire D’Alphonse Kann auf Herausgabe acht wertvoller und seltener Manuskripte gegen Wildenstein & Co., Inc., Daniel Wildenstein, Alec Wildenstein und Guy Wildenstein klagten.327 Die Kläger machten geltend, dass diese Manuskripte während des Zweiten Weltkrieges von einem Anwesen von Alphonse Kann im besetzten Frankreich im Oktober 1940 von Nationalsozialisten gestohlen und von den Beklagten zwischen 1949 und 1952 von der französischen Regierung erworben wurden, nachdem diese die Manuskripte wieder aus Deutschland zurückerlangt hatte, sodass Wildenstein & Co. weder ein rechtswirksames Besitz- noch ein Eigentumsrecht besaßen.
127
Die New Yorker Appellate Division nahm sowohl auf die New Yorker Kollisionsregel, wonach diejenige Rechtsordnung zur Anwendung berufen ist, in deren Territorium sich das Kulturgut zum Zeitpunkt der umstrittenen Veräußerung
325
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327
Vgl. Siehr, Kulturgüterschutz, in: Ebling/Schulze, Kunstrecht – Zivilrecht, Steuerrecht, 2007, S. 123–124, Rdnr. 59–60. Warin v. Wildenstein & Co., 740 N.Y.S. 2d 331, 2002 N.Y. App. Div. LEXIS 3835 (App. Div. 1st Dep’t 2002). Vgl. Hoffman, International Art Transactions and the Resolution of Art and Cultural Property Disputes: A United States Perspective, in: Hoffman, Art and Cultural Heritage – Law, Policy and Practice, 2006, S. 159–177, S. 173. „The case, Warin v. Wildenstein & Co., Warin v. Wildenstein & Co., No. 115413-99 (N.Y. Sup. Ct. July 27, 1999), involves eight rare medieval Christian manuscripts valued at approximately $ 15 million; and the parties are well-known personalities in the art world. The manuscripts are Books of Hours, compilations of devotional prayers that are hand-written on parchment with elaborately designed color illustrations of religious subjects. Commissioned by wealthy European families during the Middle Ages, they date back to the 15th through the 17th centuries. The manuscripts are now in the possession of Wildenstein & Co., a legendary Manhattan art gallery. The manuscripts allegedly belonged to Alphonse Kann, a renowned Jewish art collector in France. The lawsuit alleges that the manuscripts were part of Kann’s collection of twelve hundred artworks, stolen by the Nazis from his villa in 1940 on the outskirts of Paris, after Kann left France for England. The defendants in the New York litigation, then 81-year old (and now deceased) Daniel Wildenstein and his two sons, Alec and Guy, maintain that the manuscripts did not belong to Kann. Rather, the Wildensteins claim that the medieval prayer books were part of the personal collection of Georges Wildenstein, their family patriarch, also Jewish, whose Paris art gallery was likewise looted by the Nazis. While Alphonse Kann fled in 1940 from France to England, Georges Wildenstein came to New York, where he reestablished his art empire. In September 2001, Judge Marilyn Diamond of the New York Supreme Court, the trial judge presiding over the case, denied the defendants Wildenstein’s motion for summary judgment on the grounds that the action was time-barred. In April 2002, the appellate division affirmed her ruling. Warin v. Wildenstein & Co., Inc., 740 N.Y.S.2d 331 (2002). The case is now back before Judge Diamond proceeding through the pre-trial process.“ Bazyler/Scholz in ACLU International Civil Liberties Report, Holocaust Restitution in the United States and Other Claims for Historical Wrongs – an Update, Quelle: http://www.aclu.org/FilesPDFs/iclr2002.pdf, S. 109–110.
1. Abschnitt: Rechtswahl nach der ,lex rei sitae‘ und Sonderkollisionsnormen
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befunden hatte, d.h. hier Frankreich, als auch auf die interest analysis-Theorie deliktsrechtlicher Klagen Rekurs, wonach grundsätzlich diejenige Rechtsordnung zur Streitentscheidung angewendet wird, die das stärkste Interesse an einem Urteil über den konkreten Sachverhalt hat, d.h. in deliktsrechtlichen Herausgabeklagen regelmäßig die Rechtsordnung, in der sich die unerlaubte Handlung ereignete.328 Ohne deutlich herauszustellen, welcher Theorie gefolgt würde, bestimmte das Gericht, dass die Rechtsordnung Frankreichs eine wesentlich engere Verbindung („much closer connection“) zu dem Sachverhalt aufweise als die Rechtsordnung New Yorks. Die Appellate Division gründete ihre Entscheidung darauf, dass die Manuskripte in Frankreich unrechtmäßig entzogen wurden und den Klagegegnern auch dort übergeben worden seien, dass die Dokumente in Frankreich verblieben, bis Georges Wildenstein diese im Jahre 1963 nach New York versendete, dass jegliche bösgläubige Handlung beim Erwerb der Manuskripte auf Seiten Wildensteins sich in Frankreich ereignete und dass jedes Urkundenmaterial zum Beweis der Ausführungen der Klägerseite sich in Frankreich bzw. Deutschland befinde.329 Aus diesen Gründen wendete das Gericht die französische Rechtsordnung zur Streitentscheidung an.330
3.
‚Governmental Interest Analysis‘
Ebenso wie der most significant contacts-Test sucht schließlich die Rechtswahl nach der sog. governmental interest analysis innerhalb der Rechtsordnungen einiger Bundesstaaten eine Abkehr von der generalisierenden Rechtsregel der lex rei sitae und möchte über das im konkreten Fall anwendbare Recht bestimmen. Danach ist innerhalb des internationalen Kulturgüterverkehrs festzustellen, ob spezielle governmental interests bzgl. der Anwendung eines bestimmten Rechtssatzes (sog. policy) des Forumstaates vorliegen. Das zur Entscheidung berufene Gericht bestimmt somit zunächst die rechtspolitische Funktion der im konkreten Fall in Frage kommenden materiell-inhaltlichen Rechtsnormen der unterschiedlichen Rechtsordnungen. Außerdem sind die rechtssozialen Konsequenzen hinsichtlich jeder Rechtsordnung unabhängig davon zu bestimmen, ob deren materiell-inhaltliche Normen zur Anwendung gelangen oder nicht.331
128
Drei unterschiedliche Situationen sind dann möglich: „This analysis can lead to three possible conclusions. First, “[i]f it is likely that only one state will experience the social consequences to which conflicting state rules are addressed, that state’s
129
328
329
330 331
Vgl. auch die Ausführungen bei Bloom, Stolen Art, in: Kaufman, Art Law Handbook, 2000, S. 315–318. Warin v. Wildenstein & Co., Inc., No. 115143/99, 2001 N.Y. slip op. 40127(U), 2001 WL II 17493 (S. Ct. N.Y. County Sept. 4, 2001). Vgl. Bloom, Stolen Art, in: Kaufman, Art Law Handbook, 2000, S. 315–318. Vgl. Crowell, Autocephalous Greek-Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg & Feldman Fine Arts, Inc.: Choice of Law in the Protection of Cultural Property, Texas International Law Journal, Volume 27 (1992), S. 173–209, S. 183–184 und S. 204–205.
500
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
[substantive law] should prevail.” This result is referred to as a “false conflict” because only one state has a real “interest” in having its law applied. Second, “[i]f … there are two or more states whose policies will be advanced by applying their laws, there is a ‘real conflict.’ Finally, the only other possibility is that neither state will have an interest in applying their own law, which is often called a “no interest” case.“ 332 Hat der Forumstaat danach ein spezielles Interesse an der Entscheidung des Kulturgüterverkehrs, so darf der Forumstaat sein eigenes Recht (die lex fori) anwenden, auch wenn gleichzeitig die Interessen eines anderen Staates tangiert sind. Hat nur ein anderer Staat ein eigenes Interesse an der Entscheidung über den konkreten Kulturguttransfer, so soll nur dessen Rechtsordnung inhaltlich zur Entscheidung berufen sein (sog. false-conflicts-Theorie). Ist dagegen überhaupt kein Staat an der dinglichen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter interessiert oder zeigen verschiedene Staaten daran Interesse, soll nach der governmental interest analysis stets die lex fori anzuwenden sein. 130
Crowell verdeutlicht anhand einer hypothetischen Anwendung der governmental interests analysis auf die Rechtssache Autocephalous Greek-Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg & Fine Arts, Inc.333 deren gravierende Unterschiede zu einem most significant contacts-Test:
131
„The result of applying interest analysis, as opposed to the “most significant contacts” test, to the facts in Goldberg is that Swiss law, rather than Indiana law, would govern the sale of the mosaics. Although Indiana may share with the United States a general policy of protecting the cultural property of other nations, this policy is undefined. Thus, it falls properly within the authority of the executive branch to implement the policy through import and export controls, as well as through the promulgation of criminal laws aimed at curbing the violation of such controls. Indiana’s policy of protecting owners of property should not extend to Switzerland to invalidate a. transaction, which is valid under Swiss law, solely because the purchaser was an Indiana citizen and suit was brought in an Indiana federal district court. Expressed in terms common to interest analysis: Indiana will not suffer any social consequences as a result of the court refusing to apply Indiana law. Thus, Indiana has no interest in applying its law to the Goldberg case. Switzerland, on the other hand, will indeed suffer social consequences if its law protecting good faith purchasers is not applied in Goldberg. As evidenced by its legislation, Switzerland has decided that the security of title for a good faith purchaser is so important that, five years after the original owner has lost possession to a thief, the good faith purchaser has good title against the world. The location of the mosaics at the time of their sale also adds to Switzerland’s interest. According to general rules of private international law, the law of Switzerland, as the situs, would be controlling in most countries, including Switzerland itself. Moreover, Switzerland has economic interests, which are best served by promoting its policy of security in commercial transactions.
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Crowell, Autocephalous Greek-Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg & Feldman Fine Arts, Inc.: Choice of Law in the Protection of Cultural Property, Texas International Law Journal, Volume 27 (1992), S. 173–209, S. 183–184 und S. 204–205. Autocephalous Greek-Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg & Fine Arts, Inc., 717 F. Supp. 1374 (S.D. Ind. 1989), affd, 917 F.2d 278 (7th Cir. 1990).
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One argument against applying Swiss law is that it will only further the illicit trade in art. A response to this position is that Swiss law contains many limitations on the general rule that good faith purchasers may obtain good title from a thief, the most obvious being that the purchase must have been in good faith. … Thus, Swiss laws strike a balance between the rights of owners and good faith purchasers, which cannot be said to be wholly contrary to Indiana’s policy of protecting the ownership of property. For these reasons, an Indiana court using interest analysis as a choice-of-law method should apply Swiss, rather than Indiana law.“ 334
Judikative Beachtung im internationalen Kulturgüterverkehr fand die governmental interest analysis in der Bennigson-Konstellation, die zwei Entscheidungen um ein Picasso-Gemälde betraf. Hintergrund war zunächst die Gerichtssache Bennigson v. Alsdorf, in der sich ein Erbe und ein gutgläubiger Erwerber um das 1922 von Picasso gefertigte Gemälde ‚Femme en blanc‘ stritten, das Robert und Carlota Landsberg zwischen 1926 und 1927 erwarben und an ihren Wohnort Berlin verbrachten. Folge dieser Auseinandersetzung war, dass die Stephen Hahn Gallery, die das in Rede stehende Picasso-Gemälde an Mrs. Alsdorf veräußerte, in der Rechtssache Claude Cassirer et al. v. Stephen Hahn 335 verklagt wurde. In ihrer Klageschrift machten die Kläger geltend, dass die Stephen Hahn Gallery zwei Gemälde der Künstler Camille Pissarro und Pablo Picasso, die durch das nationalsozialistische Deutschland von ihren Eigentümern entzogen wurden, in den Jahren 1975 und 1976 ohne Einverständnis der ursprünglichen Eigentümer veräußerte und den Erlös für sich selbst behielt. Der Kläger Bennigson machte zu dem Erwerb des Picassos lediglich geltend, dass Stephen Hahn das Gemälde von einem Pariser Kunsthändler erworben habe. Bei der Lösung der Sachverhaltskonstellation stellte es sich als fraglich dar, welches Recht auf die Klage anwendbar sei. Dabei applizierte das kalifornische Gericht die governmental interest analysis:
132
„Under the governmental interest analysis, in general, the forum state applies its own law unless a litigant demonstrates that applying the law of another state would further the interest of the other state. There are three steps: (1) The court determines whether the foreign law differs from that of the forum. (2) If there is a difference, the court examines each jurisdiction’s interest in the application of its own law to determine whether a true conflict exists. When both jurisdictions have a legitimate interest in the application of its rule of decision, (3) the court analyzes the comparative impairment of the interested jurisdictions, and applies the law of the state whose interest would be impaired if its law were not applied.“
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Crowell, Autocephalous Greek-Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg & Feldman Fine Arts, Inc.: Choice of Law in the Protection of Cultural Property, Texas International Law Journal, Volume 27 (1992), S. 173–209, S. 204–205. Zitiert bei Hoffman, International Art Transactions and the Resolution of Art and Cultural Property Disputes: A United States Perspective, in: Hoffman, Art and Cultural Heritage – Law, Policy and Practice, 2006, S. 159–177, S. 174–175 und Fn. 72 auf S. 175.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Am 25. Juli 2005 einigte sich Bennigson mit Hahn dahingehend, dass Hahn in dem Fall, dass Bennigson die Restitution des Gemäldes von Mrs. Alsdorf durchzusetzen vermag, dazu verpflichtet sei, eine gewisse Summe an Bennigson zu zahlen („an amount that approximates Hahn’s proper on the original sale“).
III. Sonderkollisionsnorm im Europäischen Kulturgüterschutzrecht? Schrifttum: Carruthers, The juridical review, part 3 (2001), S. 127 ff.; Fuchs, Kulturgüterschutz im Kulturgutsicherungsgesetz, IPRax 2000, S. 281–286; Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCOKulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 238–246; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 287–290; Jayme/Kohler, Das Internationale Privat- und Verfahrensrecht der EG nach Maastricht, IPRax 1992, S. 346–356, S. 348; Jayme/Kohler, Das Internationale Privat- und Verfahrensrecht der EG 1993 – Spannungen zwischen Staatsverträgen und Richtlinien, IPRax 1993, S. 357–371, S. 360; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 79–94; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 124–125 sowie S. 284–286; Mußgnug, Überlegungen zur Umsetzung der neuen EG-Vorschriften über den Verkehr mit Kulturgütern, in: Beyerlin/Bothe/Hofmann/Petersmann, Recht zwischen Umbruch und Bewahrung, Festschrift für Rudolf Bernhardt, 1995, S. 1225 ff.; Mußgnug, Europäischer und nationaler KulturgüterSchutz, in: Mußgnug/Roellecke, Aktuelle Fragen des Kulturgüterschutzes: Beiträge zur Reform des deutschen Kulturgutschutzgesetzes 1955 und seiner Angleichung an den europäischen Kulturgüterschutz, 1998, S. 11 ff., S. 21; Pescatore, Le commerce de l’art et le Marché Commun, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 581–596; Pfeiffer, Die Entwicklung des Internationalen Vertrags-, Schuld- und Sachenrechts in den Jahren 1995/96, NJW 1997, S. 1207 ff.; Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes, 1994, S. 196 f.; Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 237–238; Siehr, Vereinheitlichung des Mobiliarsachenrechts in Europa, insbesondere im Hinblick auf Kulturgüter, RabelsZ 59 (1995), S. 454–468, S. 465 ff.; Siehr, Kulturgüterschutz innerhalb der Europäischen Union, ZVglRWiss 95 (1996), S. 170–187, S. 180 ff.; von Plehwe, European Union and the Free Movement of Cultural Goods, European Law Review, Volume 20 (1995), S. 431–450; Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 389 f.; Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 180 ff.; Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 68 ff.
135
Dem Rechtsanwender stehen innerhalb der eigenen Rechtsordnung unterschiedliche Rechtsquellen des internationalen Kulturgüterprivatrechts offen, wobei regelmäßig kulturgüterschutzspezifischen Kollisionsregeln als leges specialis Vorrang vor den allgemeinen Rechtswahlgrundsätzen zukommt.336 Das allgemeine
336
Vgl. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 7.
1. Abschnitt: Rechtswahl nach der ,lex rei sitae‘ und Sonderkollisionsnormen
503
Sachstatut gilt dementsprechend nur solange, wie keine vorrangige Sonderregelung für die Ermittlung des Sachstatuts existiert.337 Eine solche vorrangige Sonderregelung für das Sachstatut im Ganzen, also ein besonderes Sachstatut, ist im internationalen Kulturgüterverkehr de lege lata (noch) nicht gesetzlich vorgesehen oder gewohnheitsrechtlich anerkannt, jedoch sind heute durchaus abweichende Verweisungen punktueller Natur zu konstatieren.338 Solche besonderen, kulturgüterspezifischen Kollisionsregeln sind innerhalb des europäischen Gemeinschaftsrechts bspw. Art. 12 der Richtlinie 93/7/EWG des Rates der Europäischen Gemeinschaften über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates verbrachten Kulturgütern vom 15.3.1993 und – als nationale Umsetzungsakte – § 5 Abs. 1 des Kulturgüterrückgabegesetzes 339 vom 18.05.2007 bei Geltendmachung des Rückgabeanspruchs für geschütztes deutsches Kulturgut und in § 9 bei Rückgabeansprüchen anderer Staaten. Von diesen speziellen kollisionsrechtlichen Quellen werden jedoch nur bestimmte sachenrechtliche Fragen erfasst, während im Übrigen Art. 43 EGBGB anwendbar bleibt.340
1.
Rechtlicher Rahmen der speziellen kollisionsrechtlichen Vorgaben des Europarechts
Auch das Europäische Gemeinschaftsrecht dient somit als Rechtsquelle des internationalen Kulturgüterprivatrechts. Gewiss existieren im Bereich des Kulturgüterschutzes derzeit keine unmittelbar anwendbaren europarechtlichen Kollisionsnormen. Eine Vorgabe für die mitgliedstaatliche Rechtswahl enthält aber Art. 12 der EG-Richtlinie 93/7/EWG vom 15. März 1993, wonach sich die Frage des Eigentums an einem unrechtmäßig entzogenen Kulturgut i.S.d. Richtlinie nach erfolgter Rückgabe nach dem Recht des ersuchenden Mitgliedstaats richtet.341
337
338
339
340
341
Vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 1. Vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 1. Gesetz zur Ausführung des UNESCO-Übereinkommens vom 14. November 1970 über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der rechtswidrigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut und zur Umsetzung der Richtlinie 93/7/EWG des Rates vom 15.März 1993 über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern vom 18.05.2007, gültig ab dem 29.02.2008: BGBl. I 2007, 757 (2547). Vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 1. Vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 180.
136
504
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
137
Artikel 12 EG-Richtlinie 93/7/EWG des Rates über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern vom 15. März 1993: Die Frage des Eigentums an dem Kulturgut nach erfolgter Rückgabe bestimmt sich nach dem Recht des ersuchenden Mitgliedstaats.
138
Nach Art. 1 Nr. 3 der EG-Richtlinie gilt „im Sinne dieser Richtlinie als … „ersuchender Mitgliedstaat“ derjenige Mitgliedstaat, aus dessen Hoheitsgebiet das Kulturgut unrechtmässig verbracht wurde.“ Dabei herrscht ein unerbittlicher Streit um die richtige Auslegung und das treffende Verständnis des Inhalts der Richtlinie. Es lassen sich im Groben drei unterschiedliche Meinungsstränge bündeln, die im Einzelnen zwar leicht divergierenden Begründungsansätzen, insgesamt jedoch dem gleichen Tenor folgen. – Eine Ansicht versteht Art. 12 der EG-Richtlinie 93/7/EWG vom 15. März 1993 nicht als Kollisionsvorschrift, sondern als materiell-privatrechtliche Negation einer extraterritorialen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter, sodass sämtliche dinglichen Auswirkungen auf die Eigentumsposition des geschützten Kulturguts außerhalb des Territoriums des kulturellen Ursprungsstaates nach dessen Rückführung auf das Territorium des ersuchenden Mitgliedstaates ohne Rechtswirkungen bleiben. – Auch die Vertreter einer öffentlich-rechtlichen Theorie verneinen den international-privatrechtlichen Charakter der Vorschrift und wenden zur Beurteilung der dinglichen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter weiterhin die lex rei sitae an, sprechen jedoch dem öffentlich-rechtlichen Schutzprogramm der nationalen Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze mit unterschiedlicher Reichweite vorrangige Geltung vor schutzgesetzwidrigen, extraterritorialen Einwirkungen auf die Eigentumsposition an den Kulturgütern zu. Grundsätzlich gelten danach für die Eigentumszuordnung an unrechtmäßig verbrachten Kulturgütern weiterhin die Grundsätze der lex rei sitae, jedoch findet das öffentlich-rechtliche Kulturgüterschutzreglementarium des kulturellen Ursprungsstaates nach Rückführung vorrangige Anwendung. – Schließlich folgen die Vertreter einer kollisionsrechtlichen Theorie einem ganz anderen Ansatz, nach dem – je nach inhaltlicher Ausgestaltung der Ansichten innerhalb dieses Meinungsstranges – Art. 12 der EG-Richtlinie 93/7/EWG vom 15. März 1993 entweder eine Gesamt- oder eine Sachnormverweisung auf die Rechtsordnung des Ursprungsstaates des Kulturguts beinhaltet, sodass ein Abrücken von dem ehernen Grundsatz der lex rei sitae erfolgt, die sachenrechtserhebliche Einwirkung auf die Eigentumsposition an unrechtmäßig entzogenen Kulturgütern der Rechtswahl der lex originis unterfällt und somit entweder die Kollisionsvorschriften des ersuchenden Mitgliedstaates nach Rückkehr des Kulturguts die erheblichen Sachzuordnungsregeln bestimmen (Gesamtverweisung) oder sich die dingliche Sachzuordnung unmittelbar nach den materiellen Sachenrechtsregeln des kulturellen Ursprungsstaates bestimmt (Sachnormverweisung).
1. Abschnitt: Rechtswahl nach der ,lex rei sitae‘ und Sonderkollisionsnormen
505
Die unterschiedlichen Theorien zeigen in der Praxis erhebliche Unterschiede bei der Bestimmung der Eigentumsposition an unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern nach deren Rückführung.342
139
Bei der ‚schlichten‘ unrechtmäßigen Ausfuhr geschützter Kulturgüter seitens des dinglich berechtigten Eigentümers ohne einen Veräußerungsakt außerhalb des kulturellen Ursprungsstaates besteht zwar eine öffentlich-rechtliche Pflicht zur Rückführung in den Herkunftsstaat, die Eigentumslage bleibt aber nach allen Ansichten unberührt.343 Verbringt bspw. der Eigentümer selbst ein ihm gehörendes Kulturgut entgegen den Regeln der EG-Richtlinie 93/7/EWG vom 15. März 1993 aus dem kulturellen Ursprungsstaat in einen anderen Mitgliedstaat, bleibt er nach Rückführung in den ersuchenden Mitgliedstaat grundsätzlich Eigentümer. Anderes gilt nach allen Ansichten nur dann, wenn der Ursprungsstaat die Einziehung anordnet.344
140
Bei einer unrechtmäßigen Ausfuhr geschützter Objekte durch den Eigentümer mit anschließender Veräußerung ergeben sich jedoch bereits Unterschiede, je nach der konkreten Auslegung des Art. 12 der EG-Richtlinie. Während die kollisionsrechtliche Theorie ebenso wie der allgemeine Grundsatz der lex rei sitae in diesen Fällen die Veräußerung des Eigentums durch den Berechtigten grundsätzlich als wirksam anerkennen 345, würde nach der materiell-privatrechtlichen Theorie ein anderes Ergebnis erzielt und der ursprüngliche Eigentümer wieder als Berechtigter qualifiziert, da danach sämtliche Rechtsänderungen zwischen der unrechtmäßigen Ausfuhr und der Rückführung in den ersuchenden Mitgliedstaat unbeachtlich sind und der status quo ante vor der unrechtmäßigen Ausfuhr wiederhergestellt wird.346
141
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343
344
345 346
Vgl. zu den praktischen Auswirkungen des Meinungsstreites die exemplarischen Untersuchungen bei Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 238–246; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 79–94. Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 289; Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 238–246. Vgl. Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 84; Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 238–246. Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 289. Vgl. Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 238–246.
506
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
142
Unterschiedliche Ergebnisse werden auch in der Konstellation der unrechtmäßigen Ausfuhr zuvor gestohlener geschützter Objekte erzielt, die anschließend in dem europäischen Importstaat gutgläubig veräußert oder ersessen wurden, bzw. deren zivilrechtliche Herausgabeansprüche verjährten bzw. verwirkten. Während nach der materiell-rechtlichen Theorie eine Negation einer extraterritorialen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter erfolgt und der ursprüngliche Eigentümer immer sein Eigentum zurückerhält, bleibt nach der öffentlichrechtlichen Theorie die eingetretene Rechtslage grundsätzlich unberührt und lediglich kulturgüterschutzgesetzwidrige Änderungen der Eigentumsposition finden Sanktion. Bei den Beurteilungen der Rechtswirkungen der kollisionsrechtlichen Theorie ist nach dem Recht des ersuchenden Mitglied- und kulturellen Ursprungsstaates zu differenzieren: Nur sofern dieses Recht den gutgläubigen Erwerb, die Ersitzung oder die Verjährung nicht oder nur aufgrund anderer, nicht erfüllter Voraussetzungen zulässt, erlangt der ursprüngliche Eigentümer den Gegenstand wieder. Ansonsten muss der Erwerber lediglich für die Rückkehr in das Hoheitsgebiet des Herkunftsstaats sorgen.347
143
Keine unterschiedlichen Rechtsfolgen ergeben die divergierenden Auslegungsmöglichkeiten des Art. 12 der EG-Richtlinie jedoch bei Untersuchung der extraterritorialen Wirkung von Veräußerungs- und Verfügungsbeschränkungen, wie bspw. bei der Extrakommerzialität kultureller Wertgegenstände. Die materiellrechtliche Theorie führt ohne Zweifel zur Unwirksamkeit aller zwischenzeitlich eingetretenen Rechtsänderungen und damit auch zur Unwirksamkeit sämtlicher Veräußerungen und Verfügungen im Ausland. Da die Vertreter einer öffentlichrechtlichen Theorie dem öffentlich-rechtlichen Schutzprogramm der nationalen Kulturgüterschutzgesetze ausnahmsweise vorrangige Geltung vor schutzgesetzwidrigen, extraterritorialen Einwirkungen auf die Eigentumsposition an den Kulturgütern zusprechen und dementsprechend – nur in dieser Konstellation – eine Abweichung von den Grundsätzen der lex rei sitae postulieren, reicht der Schutz hier ebenso weit wie nach der materiell-privatrechtlichen Theorie. Dasselbe Ergebnis erzielen aber auch die kollisionsrechtliche Theorie und die Beurteilung der sachenrechtserheblichen Einwirkungen nach der Rechtsordnung des kulturellen Ursprungsstaates, da hier die nationalen Kulturgüterschutzvorschriften des Ursprungsstaates die Unveräußerlichkeit bzw. die Veräußerungsbeschränkung bestimmen und einen Erwerb kultureller Güter extra commercium ablehnen.348
347
348
Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 288 f.; Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 238–246. Vgl. hierzu auch Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 238–246.
1. Abschnitt: Rechtswahl nach der ,lex rei sitae‘ und Sonderkollisionsnormen
507
Sinn und Zweck der EG-Richtlinie ist dementsprechend nicht nur, dass die geschützten Kulturgüter mittels des öffentlich-rechtlichen Restitutionsanspruchs nach den Grundsätzen der Richtlinie tatsächlich an den ersuchenden Mitgliedstaat rückgeführt werden, sondern auch rechtlich an den kulturellen Ursprungsstaat als ursprünglichen Eigentümer restituiert werden.349 Dies hat bei Siehr zu der Bezeichnung der so geschützten Kulturgüter als „res extra commercium europeum“ bzw. „res extra commercium intra communitatem“ geführt.350 Auch wenn inzwischen das Restitutionsregime der Richtlinie in allen 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union in nationales Recht umgesetzt wurde 351, wird aus den nationalen Umsetzungsakten 352 nicht erkenntlich, welche inhaltliche Ausgestaltung der Vorschrift des Art. 12 der EG-Richtlinie zugrunde liegt 353, und die nationalen Umsetzungsakte spiegeln ein „höchst uneinheitliches Bild vom Verständnis“ 354 der Vorschrift wieder. Während bspw. in den nationalen Umsetzungsmaßnahmen des Vereinigten Königreichs 355, Irlands 356, Italiens 357 und Spaniens 358 eine entsprechende Vorschrift gänzlich fehlt 359. 349
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351
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358
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Vgl. Siehr, Internationales Sachenrecht. Rechtsvergleichendes zu seiner Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, ZVglRWiss 104 (2005), S. 145–162, S. 152; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 289; Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 391. Siehr, Die EG-Richtlinie von 1993 über die Rückgabe von Kulturgütern und der Kunsthandel, in: Reichelt, Neues Recht zum Schutz von Kulturgut. Internationaler Kulturgüterschutz. EG-Richtlinie, UNIDROIT-Konvention und Folgerecht, 1997, S. 29–43, S. 34; Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 396; vgl. Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 238– 246. So nach EUR-Lex: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX: 71993 L0007:DE:NOT. Vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 180 f., Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 556 f. Vgl. dazu Siehr, Kulturgüterschutz innerhalb der Europäischen Union, ZVglRWiss 95 (1996), S. 170–187, S. 180. Vgl. Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 71. The Return of Cultural Objects Regulations 1994. Statutory Instruments number 501 of 1994, Statutory instrument (SI): Her Majesty’s Stationery Office (HMSO), Nummer: 501. European Communities (return of cultural objects) Regulations, of 24 June 1994, SI, n° 182, modified by Regulations of 28 January 1998, SI, n° 24. Legge del 30/03/1998 n. 88, norme sulla circolazione dei beni culturali. Gazzetta Ufficiale – Serie generale – del 10/04/1998 n. 84 pag. 9. Ley número 36/94 de 23/12/1994, de incorporación al ordenamiento jurídico español de la Directiva 93/7/CEE del Consejo, de 15 de marzo, relativa a la restitución de los bienes culturales que hayan salido de forma ilegal del territorio de un Estado miembro de la Unión Europea. Boletín Oficial del Estado número 307 de 24/12/1994 Página 38672 (Marginal 28512). Vgl. Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr,
144
508
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht – insbesondere im Vereinigten Königreich ist die Meinung herrschend, dass „[t]he key point to note is that the lex situs rule has not been deposed by the E.U. Directive. The Directive does not change national rules of moveable property, whether domestic provision, or conflict rule“ 360 –
bzw. die nationalen Umsetzungsakte bspw. Portugals und Dänemarks auf die Richtlinie selbst als anwendbares Recht verweisen und sich somit einer nationalen Stellungnahme zu dem spezifischen Gehalt des Art. 12 der EG-Richtlinie entziehen, haben bspw. Finnland 361, die Niederlande 362, Frankreich 363, Belgien 364, Luxemburg 365, Österreich und Deutschland dem Wortlaut nach den Umsetzungsgesetzen eine Kollisionsvorschrift beigefügt.366 So findet bspw. innerhalb der deutschen Rechtsordnung die Umsetzung der europarechtlichen Vorgabe des
360 361
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365
366
2002, S. 389 f.; Siehr, Kulturgüterschutz innerhalb der Europäischen Union, ZVglRWiss 95 (1996), S. 170–187, S. 180. Carruthers, The juridical review, part 3 (2001), S. 127 ff., S. 138. Laki Euroopan talousalueen valtion alueelta laittomasti vietyjen kulttuuriesineiden palauttamisesta (1276/94) 16/12/1994. Loi du 9.3.95, Stb. 1995, 145. Art. 1012, Titel 13, Boek 3 Wetboek van burgerlijke rechtsvordering: „De eigendom van het cultuurgoed na de teruggave ervan wordt bepaald door het nationale recht van de staat die de rechtsvordering tot teruggave heeft ingesteld“; eingeführt durch Wet van 9 maart 1995 tot wijziging van enige wetten in verband met de verplichting tot teruggave van cultuurgoederen die op onrechtmatige wijze buiten het grondgebied van een lid-staat van de Europese Unie of van een andere staat die partij is bij de Overeenkomst betreffende de Europese Economische Ruimte zijn gebracht en in verband met de uitvoer van cultuurgoederen (Implementatiewet bescherming cultuurgoederen tegen illegale uitvoer), Staatsblad 1995, nr. 145. Art. 23 Loi Numéro 95-877 du 03/08/1995 portant transposition de la directive 93-7 du 15/03/1993 du Conseil des Communautés européennes relative à la restitution des biens culturels ayant quitté illicitement le territoire d’un Etat membre, Journal Officiel du 04/08/1995 Page 11664: „La propriété du bien culturel ayant fait l’objet d’une procédure de retour sur le territoire d’un Etat membre est régie par la législation de l’Etat requérant“. Art. 8 al. 2 Loi du 28 Octobre 1996/Wet van 28 Oktober 1996: „La propriété du bien culturel est, après la restitution, régie par la loi de l’Etat requérant/De eigendom van het cultuurgoed wordt, na de teruggave ervan, bepaald door het recht van de verzoekende Staat“. Loi du 15/12/1997 modifiant la loi du 28/10/1996 relative à la restitution de biens culturels ayant quitté illicitement le territoire de certains Etats étrangers – Wet van 15/12/1997 tot wijziging van de wet van 28/10/1996 betreffende de teruggave van cultuurgoederen die op onrechtmatige wijze buiten het grondgebied van bepaalde buitenlandse Staten zijn gebracht, Moniteur belge; Loi du 28/10/1996 relative à la restitution de biens culturels ayant quitté illicitement le territoire de certains Etats étrangers – Wet van 28/10/1996 betreffende de teruggave van cultuurgoederen die op onrechtmatige wijze buiten het grondgebied van bepaalde buitenlandse Staten zijn gebracht, Moniteur belge du 21/12/1996 Page 31865; Loi du 13/04/1995, Moniteur belge. Art. 10 (2) Loi du 09/01/1998 portant transposition de la directive 93/7/CEE du 15/03/1993 relative à la restitution des biens culturels ayant quitté illicitement le territoire d’un Etat membre de l’Union européenne, Mémorial A Page 136 : La propriété du bien culturel est, après la restitution, régie par la loi de l’Etat requérant. Vgl. Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 71–77.
1. Abschnitt: Rechtswahl nach der ,lex rei sitae‘ und Sonderkollisionsnormen
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Art. 12 heute in § 5 Abs. 1 des Kulturgüterrückgabegesetzes 367 vom 18.05.2007 bei Geltendmachung des Rückgabeanspruchs für geschütztes deutsches Kulturgut (Abschnitt 2 des Kulturgüterrückgabegesetzes) und in § 9 bei Rückgabeansprüchen anderer Staaten (Abschnitt 3 des Kulturgüterrückgabegesetzes) normative Umsetzung.368 § 5 Abs. 1 Kulturgüterrückgabegesetz vom 18.05.2007: Eigentum: Das Eigentum an geschütztem deutschem Kulturgut, das nach den Bestimmungen dieses Gesetzes auf Verlangen in das Bundesgebiet zurückgegeben wird, richtet sich nach den deutschen Sachvorschriften.
145
§ 9 Kulturgüterrückgabegesetz vom 18.05.2007: Eigentum an zurückgegebenem Kulturgut: Das Eigentum an Kulturgut bestimmt sich nach erfolgter Rückgabe nach den Sachvorschriften des ersuchenden Staats.
Die Vorschriften des Kulturgüterrückgabegesetzes verdrängen somit dem Wortlaut nach innerhalb ihres Anwendungsbereichs das allgemeine internationale Sachenrecht als leges speciales. Die europarechtlichen Vorgaben der Richtlinie bei Realisierung innerhalb des innerstaatlichen Rechts wurden somit in zwei unterschiedlichen Abschnitten des deutschen Kulturgüterrückgabegesetzes umgesetzt: 369
146
Während der erste Abschnitt die §§ 1 bis 5 umfasst und sich der Geltendmachung des öffentlich-rechtlich zu qualifizierenden Anspruchs der Bundesrepublik Deutschland auf Rückgabe deutschen Kulturguts gegenüber einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union widmet, regelt der zweite Abschnitt in den §§ 6 bis 13 den umgekehrten Fall, d.h. die Geltendmachung des innereuropäischen Restitutionsanspruchs durch einen anderen europäischen Mitgliedstaat innerhalb Deutschlands.370 Vor diesem systematischen Hintergrund 371 wird verständ-
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Gesetz zur Ausführung des UNESCO-Übereinkommens vom 14. November 1970 über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der rechtswidrigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut und zur Umsetzung der Richtlinie 93/7/EWG des Rates vom 15.März 1993 über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern vom 18.05.2007, gültig ab dem 29.02.2008: BGBl. I 2007, 757 (2547). Vgl. Jayme/Kohler, Europäisches Kollisionsrecht 1998: Kulturelle Unterschiede und Parallelaktionen, IPRax 1998, S. 416 ff., S. 427; Fuchs, Kulturgüterschutz im Kulturgutsicherungsgesetz, IPRax 2000, S. 281–286; Kohls, Kulturgüterschutz: Wirkungen von Verstößen gegen Ausfuhrverbote und Möglichkeiten der Rückführung illegal verbrachter Kulturgüter – Eine vergleichende Untersuchung mit den Rechten Dänemarks, Norwegens und Schwedens, 2001, S. 156–159. Vgl. hierzu Pfeiffer, Der Stand des Internationalen Sachenrechts nach seiner Kodifikation, IPRax 2000 (Heft 4), S. 271–285, S. 278–280; Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCOKulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 238–246. Vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 182. Vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 182.
510
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
lich, dass die Vorgabe des Art. 12 der EG-Richtlinie 93/7/EW vom 15. März 1993 an zwei verschiedenen Stellen im Gesetz Eingang gefunden hat, obwohl der Regelungsgehalt letztlich identisch ist und sich das Eigentum an Kulturgut, das nach den Bestimmungen des Kulturgüterrückgabegesetzes zurückgegeben worden ist, nach den Sachvorschriften des ersuchenden Mitgliedstaats richtet.372 § 5 Abs. 2 stellt ergänzend klar, dass bürgerlich-rechtliche Ansprüche und Rechte auf das Kulturgut durch den öffentlich-rechtlichen Rückgabeanspruch der europäischen Mitgliedstaaten nicht berührt werden.373
2.
Bedeutung des Art. 12 der Richtlinie 93/7/EWG und der entsprechenden §§ 5 Abs. 1 und 9 des deutschen Kulturgüterrückgabegesetzes
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Während zumindest hinsichtlich der Funktion des Art. 12 der Richtlinie 93/7/ EWG und der entsprechenden §§ 5 Abs. 1 und 9 des Kulturgüterrückgabegesetzes Einvernehmen darüber herrscht, dass die dinglichen Folgen des mit der widerrechtlichen Ausfuhr nach dem Prinzip der lex rei sitae „an sich“ eintretenden Statutenwechsels ungeschehen gemacht werden sollen,374 ist der Streit zwischen den unterschiedlichen Theorien zum Verständnis und zu der Wirkungsweise der Vorschrift noch unentschieden.375 Bislang hat sich weder in der Theorie noch in der Praxis der Mitgliedstaaten ein einheitliches Verständnis gebildet, welcher Inhalt dem Art. 12 der Richtlinie letztlich zukommen soll – dies gilt es zu klären.376
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Dies ist nicht zuletzt auf den unklaren Wortlaut der Vorschrift 377 und auf die nicht eindeutige Begründung der Richtlinie 378 zurückzuführen.379 Der Wortlaut 372
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Vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 182. Vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 182. Begründung zu Art. 13 des Entwurfs Dok. KOM (91) 447 endg. – SYN 382, S. 30. Vgl. hierzu auch Pfeiffer, Der Stand des Internationalen Sachenrechts nach seiner Kodifikation, IPRax 2000 (Heft 4), S. 271–285, S. 278–280. Vgl. Pfeiffer, Der Stand des Internationalen Sachenrechts nach seiner Kodifikation, IPRax 2000 (Heft 4), S. 271–285, S. 278–280. Vgl. Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 68; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 79–94. Die Formulierungen des Art. 12 der Richtlinie 93/7/EWG vom 15.3.1993 in englischer, französischer und italienischer Sprache helfen aufgrund vergleichbarer Formulierungen auch nicht weiter. Vgl.: „Ownership of the cultural object after return shall be governed by that law of the requesting Member State“, vgl.: „La propriété du bien culturel après la restitution est régie par la législation de l’Etat membre requérant“ und vgl.: „La proprietà del bene cul-
1. Abschnitt: Rechtswahl nach der ,lex rei sitae‘ und Sonderkollisionsnormen
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des Art. 12 „nach erfolgter Rückgabe“ gibt für die Entscheidung, welcher Ansicht zu folgen ist, nichts her.380 Ihm kann weder entnommen werden, ob zwischenzeitlich nach der lex rei sitae erworbene Eigentumsrechte Bestand haben sollen oder nicht, noch, ob lediglich die Anerkennung wohlerworbener Rechte ausgeschlossen sein soll.381 Der Wille des Gesetzgebers und die Materialien zur Richtlinie werden unterschiedlich interpretiert und zugleich zugunsten der materiell-rechtlichen und kollisionsrechtlichen 382 oder entweder der öffentlich-rechtlichen 383 oder kollisionsrechtlichen Theorie 384 angeführt. So verdeutlichen Pfeiffer und Halsdorfer in ihren Ausführungen jeweils zutreffend, dass bspw. aus der Begründungserwägung, dass ein Eigentumserwerb nach den Vorschriften des ersuchenden Mitgliedstaats, eines anderen Mitgliedstaats oder eines Drittstaats der Anwendung der lex originis nicht entgegensteht, weder gefolgert werden könne, dass ein Eigentumserwerb nach den Sachvorschriften der lex originis möglich, noch dass er ausgeschlossen sein soll.385
a)
Materiell-privatrechtliche Theorie
Nach der von unterschiedlichen Kommentatoren sog. materiell-privatrechtlichen Theorie wird nach Art. 12 der Richtlinie eine Veränderung der Eigentumsrechtslage nach fremden Lageortsrechten in dem Zeitraum zwischen der unrechtmäßigen Verbringung und der Rückgabe vom Recht des Herkunftsstaats negiert.386 Es
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turale dopo la restituzione è disciplinata dalla legge dello Stato membro richiedente“. Den unklaren Wortlaut der Vorschrift bemängelt auch Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 289 f. Begründung zu dem Art. 12 der Richtlinie 93/7/EWG entsprechenden Art. 13 des Richtlinienentwurfs Dok. KOM (91) 447 endg. – SYN 382, S. 29 f. So die Begründung bei Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 79–94. Nach Ansicht von Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 285, spricht der Wortlaut gegen die lex originis. So die Einschätzung bei Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 287–290. Pfeiffer, Der Stand des Internationalen Sachenrechts nach seiner Kodifikation, IPRax 2000 (Heft 4), S. 271–285, S. 278. Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 289 f. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 189. Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 238– 246, unter Rekurs auf Pfeiffer, Der Stand des Internationalen Sachenrechts nach seiner Kodifikation, IPRax 2000 (Heft 4), S. 271–285, S. 278. Vgl. Siehr, Vereinheitlichung des Mobiliarsachenrechts in Europa, insbesondere im Hinblick auf Kulturgüter, RabelsZ 59 (1995), S. 454–468, S. 466 f.; Siehr, Die Richtlinie 93/7/EWG des Rates v. 15.3.1993 über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern und das Privatrecht der Mitgliedstaaten der EWG,
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Bedeutung von Art. 12 der Richtlinie 93/7/EWG vom 15.3.1993
materiell-privatrechtliche Theorie
öffentlich-rechtliche Theorie
kollisionsrechtliche Theorie
Negation einer extraterritorialen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter: Dingliche Auswirkungen auf die Eigentumsposition außerhalb des kulturellen Ursprungsstaates bleiben nach dessen Rückführung auf das Territorium des ersuchenden Mitgliedstaates ohne Rechtswirkungen
Geltung der lex rei sitae, jedoch haben öffentlichrechtliche Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze vorrangige Geltung vor schutzgesetzwidrigen, extraterritorialen Einwirkungen auf die Eigentumsposition an den Kulturgütern
Gesamt- oder eine Sachnormverweisung auf die Rechtsordnung des Ursprungsstaates des Kulturguts: Anwendung der lex originis anstatt der tradierten Rechtswahlregel der lex rei sitae
Schema 6 – Bedeutung von Art. 12 der Richtlinie 93/7/EWG vom 15.3.1993
findet also – im Gegensatz zur kollisionsrechtlichen Theorie – keine rückwirkende Ersetzung der zwischenzeitlich maßgeblichen Lageortsrechte durch das Sachrecht des Herkunftsstaats statt 387, sondern es erfolgt eine materiell-privatrechtliche Negation einer extraterritorialen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter, d.h. eine Ungültigkeitserklärung von Rechtspositionen, die nach dem Verbringen ins Ausland am Kulturgut erworben wurden.388 Praktische
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KUR (Kunstrecht und Urheberrecht) 1999, S. 225–236; dort wird ausgeführt, die Vorschrift enthalte keine Kollisionsnorm, sondern überlasse es dem Recht des jeweiligen Mitgliedstaates, die Rechtslage nach erfolgter Rückgabe zu regeln; ähnlich auch Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 Anh. I, Rdnr. 195, allerdings mit der Einschränkung, dass besondere sachrechtliche Regelungen der lex originis, die an eine unrechtmäßige Veräußerung oder Ausfuhr anknüpfen, gleichwohl gelten sollen. Vgl. zu dieser Erläuterung Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 79–94. Siehr, Vereinheitlichung des Mobiliarsachenrechts in Europa, insbesondere im Hinblick auf Kulturgüter, RabelsZ 59 (1995), S. 454–468, S. 467; Siehr, Die Richtlinie 93/7/EWG des Rates v. 15.3.1993 über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mit-
1. Abschnitt: Rechtswahl nach der ,lex rei sitae‘ und Sonderkollisionsnormen
Folge davon ist, dass Eigentumsrechte, die nach der unrechtmäßigen Verbringung gemäß den Rechtsvorschriften eines anderen Staates zwischenzeitlich wirksam erworben wurden, danach im ersuchenden Mitgliedstaat nicht anerkannt werden 389 und eine Derogation von dem Grundsatz der Anerkennung wohlerworbener Rechte erfolgt.390 „Soweit an einem Kulturgut nach dessen unrechtmäßiger Verbringung im ersuchten Mitgliedstaat Eigentumsrechte wirksam begründet worden seien, sollen diese nach Rückgabe des Kulturgutes an den ersuchenden Mitgliedstaat wieder untergehen. Umgekehrt soll die Rechtslage des ersuchten Mitgliedstaats Bestand haben, wenn nach dem Recht des ersuchenden Mitgliedstaats inzwischen ein wirksamer Eigentumswechsel stattgefunden habe.“ 391 Dieser Rechtsgehalt wird ausdrücklich in den Untersuchungen Siehrs ersichtlich, der sich schon seit Beginn der Diskussion gegen die Automatik einer rückwirkenden Anwendung des Rechts des Herkunftsstaates auf alle Erwerbsvorgänge wendet. Er erklärt, dass ein kollisionsrechtlicher Gehalt des Art. 12 der Richtlinie überflüssig und nicht notwendig sei, wenn im Ausland nach dem dort geltenden Belegenheitsrecht keine neue dingliche Sachzuordnung erfolgt wäre. Deshalb enthalte die Vorschrift auch keine Kollisionsregel über das anwendbare Recht des Herkunftsstaates. Vielmehr sei es der Entschließung eines jeden Mitgliedstaats selbst überlassen,392 wie er die Regeln des internationalen Kulturgüterpri-
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gliedstaats verbrachten Kulturgütern und das Privatrecht der Mitgliedstaaten der EWG, KUR (Kunstrecht und Urheberrecht) 1999, S. 225–236; Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes, 1994, S. 196 f. (mit rechtspolitischer Kritik); tendenziell auch Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 Anh. I Rdnr. 195; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 279 ff.; vgl. auch die eingängliche Erläuterung dieser Rechtsansicht bei Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 69–71. Vgl. die Erklärung bei Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 183–184. Siehr, Vereinheitlichung des Mobiliarsachenrechts in Europa, insbesondere im Hinblick auf Kulturgüter, RabelsZ 59 (1995), S. 454–468, S. 465 ff.; Siehr, Kulturgüterschutz innerhalb der Europäischen Union, ZVglRWiss 95 (1996), S. 170–187, S. 180 ff.; ausdrücklich Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 237: „It derogates from the principle of vested rights“, ihm folgend auch Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 390–391; so auch die Erklärung bei Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 287–290; vgl. auch Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes, 1994, S. 196. Vgl. Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 287–290. Siehr, Die Richtlinie 93/7/EWG des Rates v. 15.3.1993 über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern und das Privatrecht der Mitgliedstaaten der EWG, KUR (Kunstrecht und Urheberrecht) 1999, S. 225–236, S. 232: „Diese Vorschrift enthält keine eigenständige Kollisionsnorm über das anwendbare Recht des Herkunftsstaates; denn Artikel 12 regelt nur die Situation „nach erfolgter Rück-
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
vatrechts nach Rückgabe des Kulturguts ausgestalte, sodass sich Art. 12 in der Negierung der unter der lex rei sitae wohlerworbenen Rechte erschöpfe.493 Auch Lüderitz folgt in der Soergel-Kommentierung des EGBGB dieser Einschätzung und erklärt, Art. 12 ordne eine „Unbeachtlichkeit der Zwischenerwerbe“ an, die nur nach der jeweiligen lex rei sitae begründet sind, nicht jedoch auch nach dem Recht des Herkunftsstaats, als Anknüpfung kraft „schematisiertem ordre public“ 394. Die die Änderung ermöglichenden Rechtsnormen dürften nicht gelten, weil ihre Anwendung erst durch die illegale Ausfuhr ermöglicht wurde.395 Als Hauptargument für die Auslegung des Art. 12 i.S.d. materiell-privatrechtlichen Theorie wird regelmäßig ins Feld geführt, dass die Richtlinie 93/7/EWG allein die Wiederherstellung des status quo ante bezweckt, d.h. des vor der unrechtmäßigen Verbringung des geschützten Kulturguts in das Ausland bestehenden Zustands.396 151
Während Kreuzer innerhalb der materiell-privatrechtlichen Theorie die Norm so versteht, dass sich Art. 12 nicht allein in der Negierung fremdrechtlicher Rechtsfolgen erschöpfe, sondern auch Kulturgutschutzrechte des Herkunftsstaats berufen wolle, die die unrechtmäßige Ausfuhr des Kulturguts mit dem Verfall des
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gabe“. Nach Rückgabe kann jeder Staat bestimmen, wie die Rechtslage zu beurteilen ist (unter Verweis auf Siehr, Kulturgüterschutz innerhalb der Europäischen Union, ZVglRWiss 95 (1996), S. 170–187). Er mag es wie in Deutschland bei der traditionellen Regel der lex rei sitae belassen, oder er kann diese Regel abändern und – z.B. bei unveräußerlichen Sachen – einen gutgläubigen Erwerb im Ausland mißachten. Italien beläßt es bei der normalen Regel der Artikel 51 Abs. 2 und 53 Gesetz vom 31. März 1995 Nr. 218 über die Reform des italienischen Systems des Internationalen Privatrechts (Gazzetta uffciale Nr. 128 vom 3.6.1995, Serie generale; ebenfalls in: RabelsZ 61 (1997) S. 344). Maßgebend für die sachenrechtliche Zuordnung ist also auch nach Rückkehr nach Italien das von der jeweiligen lex rei situe berufene Recht. Artikel 10 des Gesetzes vom 30. März 1998 Nr. 88, regelt lediglich, was zu geschehen hat, wenn das zurückgegebene Kulturgut nicht dem Staat gehört. Dann kann der Staat von einer Privatperson Ersatz derjenigen Kosten verlangen, die für den Rückgabeprozeß aufgewandt werden mußten. Ist der Eigentümer unbekannt, so wird er durch Publikation in der Gazzetta ufficiale aufgefordert, sich zu melden. Meldet er sich innerhalb von fünf Jahren nach Publikation der Aufforderung nicht, so erwirbt der Staat die Sache (Art. 10 Abs. 4 des Gesetzes Nr. 88).“. Siehr, Vereinheitlichung des Mobiliarsachenrechts in Europa, insbesondere im Hinblick auf Kulturgüter, RabelsZ 59 (1995), S. 454–468, S. 465 ff., insbesondere S. 467; Siehr, Kulturgüterschutz innerhalb der Europäischen Union, ZVglRWiss 95 (1996), S. 170–187, S. 180 ff.; Siehr, Die Richtlinie 93/7/EWG des Rates v. 15.3.1993 über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern und das Privatrecht der Mitgliedstaaten der EWG, KUR (Kunstrecht und Urheberrecht) 1999, S. 225–236. Lüderitz, Internationales Sachenrecht Anh. II Art. 38, in Soergel, Bürgerliches Gesetzbuch, Band 10, 12. Aufl. 1996, EGBGB, Art. 38 Anh. II Rn. 110. Siehr, Vereinheitlichung des Mobiliarsachenrechts in Europa, insbesondere im Hinblick auf Kulturgüter, RabelsZ 59 (1995), S. 454–468, S. 466 f.; Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes, 1994, S. 196. Vgl. die Erklärung bei Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 183–184.
1. Abschnitt: Rechtswahl nach der ,lex rei sitae‘ und Sonderkollisionsnormen
Eigentums an den Herkunftsstaat sanktionieren (auch Fuchs erkennt Rechtsänderungen auf Grund von Verfallsvorschriften des Eigentums an den Staat als relevant),397 enthält die Vorschrift nach Einschätzung Siehrs keine eigenständige Kollisionsnorm über das anwendbare Recht des Herkunftsstaats – Art. 12 regele nämlich nur die Situation „nach erfolgter Rückgabe“ 398 –, und überlasse dem Herkunftsstaat die Beurteilung der sachenrechtlichen Lage nach Rückgabe des unerlaubt verbrachten Kulturgutes.399 Der Herkunftsstaat könne die Sache als dem Staat verfallen konfiszieren, die Eigentumsfrage nach den herkömmlichen Regeln des internationalen Sachenrechts beurteilen oder eine neue Regel nach dem Vorbild des Art. 12 schaffen.400 Aus diesem Grund müsste die Vorschrift nach Einschätzung Siehrs richtigerweise den folgenden Wortlaut einnehmen: „Nach erfolgter Rückgabe werden Rechte, die nach der unrechtmäßigen Verbringung im Ausland wohlerworben wurden, vom ersuchenden Staat nicht anerkannt und geschützt“ 401. Auf jeden Fall geht die rechtliche Aussagekraft der Norm über die allgemeine Rechtswirkung der lex rei sitae-Regel weit hinaus und es erfolgt danach eine Derogation von dem Grundsatz der wohlerworbenen Rechte (principle of vested rights) mit einer Verweisung unmittelbar auf die Sachnormen desjenigen Mitgliedstaates, aus dessen Hoheitsgebiet das Kulturgut unrechtmäßig verbracht wurde (sog. „ersuchender Mitgliedstaat“), anstelle der Normen des Belegenheitsstatuts zum Zeitpunkt des Restitutionsbegehrens als Ausnahme zu dem Grundsatz der Anerkennung der wohlerworbenen Rechte. Unmittelbare Folge davon ist, dass zwischenzeitlich wirksam begründete Eigentumsrechte an unrechtmäßig verbrachtem Kulturgut nach der Rückgabe an das Herkunftsland wieder untergehen können.402
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Fuchs, Kulturgüterschutz im Kulturgutsicherungsgesetz, IPRax 2000, S. 281–286, S. 285; Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 Anh. I Rdnr. 195. Siehr, Die Richtlinie 93/7/EWG des Rates v. 15.3.1993 über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern und das Privatrecht der Mitgliedstaaten der EWG, KUR (Kunstrecht und Urheberrecht) 1999, S. 225–236, S. 232. Siehr, Kulturgüterschutz innerhalb der Europäischen Union, ZVglRWiss 95 (1996), S. 170– 187, S. 181; Siehr, Die Richtlinie 93/7/EWG des Rates v. 15.3.1993 über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern und das Privatrecht der Mitgliedstaaten der EWG, KUR (Kunstrecht und Urheberrecht) 1999, S. 225–236, S. 232. So ausdrücklich Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 Anh.I, Rdnr. 195. Bei Siehr, Vereinheitlichung des Mobiliarsachenrechts in Europa, insbesondere im Hinblick auf Kulturgüter, RabelsZ 59 (1995), S. 454–468, S. 466 f., bleibt dies offen. So Siehr, Vereinheitlichung des Mobiliarsachenrechts in Europa, insbesondere im Hinblick auf Kulturgüter, RabelsZ 59 (1995), S. 454–468, S. 466 f. Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 237.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
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Da es sich kollisionsrechtsdogmatisch um die bewusste Herbeiführung eines Normenmangels handele, qualifizierten Teile der Literatur die materiell-privatrechtliche Theorie terminologisch dennoch als eine Kollisionsregel.403 „Zwar erscheint insbesondere bei der materiell-rechtlichen Theorie eine kollisionsrechtliche Einordnung auf den ersten Blick schwierig. Hier wird aber vorgeschlagen, die Sperrung jeder bürgerlich-rechtlichen Veränderung der Eigentumslage auf eine bewusst herbeigeführte Situation des Normenmangels zurückzuführen, welche kein Sachenrechtsstatut für anwendbar erklärt“ 404, sodass in der materiell-privatrechtlichen Theorie durchaus eine Kollisionsregel zu erkennen sei.405 Die Eigentumslage vor der unrechtmäßigen Ausfuhr verändert sich nach dieser Auffassung nicht und die Ansicht geht von einer Sachnormverweisung aus.406
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Gegen die Theorie einer privatrechtlichen Negation einer extraterritorialen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter wird allerdings bei Wendehorst – und ihren Ausführungen entsprechend Wiese 407 – geltend gemacht, „dass weder die Richtlinie noch das KulturGRG den Schutz des ursprünglichen Eigentümers zum Gegenstand haben.“ 408 Dies ließe sich schon daraus entnehmen, dass auch Regelungen, die einen zwischenzeitlichen staatlichen Eigentumserwerb, beispielsweise den Verfall beim unrechtmäßigen Verbringen vorsehen, angewendet werden sollen.409 Fuchs schlägt unter Verweis auf § 5 Abs. 2 des Kulturgüterrückgabegesetzes vom 18.05.2007 in dieselbe Kerbe und stellt klar, dass der öffentlich-rechtliche Rückgabeanspruch zwischen den Mitgliedstaaten von der bürgerlich-rechtlichen Eigentumslage völlig unabhängig zu sehen sei und diese nicht berühren soll.410 Es sei nicht ersichtlich, warum ein Dritterwerber nicht ge403
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Vgl. Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 79–94. Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 238– 246. Vgl. Pfeiffer, Der Stand des Internationalen Sachenrechts nach seiner Kodifikation, IPRax 2000 (Heft 4), S. 271–285, S. 278. Vgl. Siehr, Vereinheitlichung des Mobiliarsachenrechts in Europa, insbesondere im Hinblick auf Kulturgüter, RabelsZ 59 (1995), S. 454–468, S. 466 f. Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 83. So bspw. stellvertretend für Viele Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 183–184. So auch Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 238–246. So Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 238–246. Vgl. Fuchs, Kulturgüterschutz im Kulturgutsicherungsgesetz, IPRax 2000, S. 281–286, S. 285.
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schützt werden soll, wenn selbst der Herkunftsstaat seinen Rechtserwerb zuließe.411 Die geforderte „privatrechtliche Sanktion“ für einen Verstoß gegen ein öffentlich-rechtliches Exportverbot 412 wäre auch nach Einschätzung Wendehorsts „ein Novum im internationalen Kulturgüterschutz, zumal zu Gunsten gutgläubiger Erwerber nicht einmal Entschädigungszahlungen vorgesehen sind.“ 413 In diesem Zusammenhang setzt die im Rahmen der Begründung zur Richtlinie angedeutete und in der Entschädigungsregelung des § 9 weiter ausgestaltete Differenzierung (hinsichtlich der Höhe der Entschädigung danach, ob der zwischenzeitliche Erwerber nach den Vorschriften des ersuchenden Mitgliedstaats Eigentümer bleibt), die Möglichkeit eines Eigentumserwerbs voraus, sodass dies gegen eine Negation sämtlicher zwischenzeitlich erworbener Rechtspositionen spricht.414
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Tatsächlich ist eine so extensive Interpretation auch nicht zwingend.415 Vielmehr läge es nahe, dass §§ 5 Abs. 1 und 9 des Kulturgüterrückgabegesetzes „bei dieser Lesart einen Verstoß gegen die rechtsstaatlichen Prinzipien der Bestimmtheit der Norm und der Verhältnismäßigkeit darstellen würden, zumal man sich im Hinblick auf Art. 14 Abs. 1, Abs. 3 GG in einem grundrechtlich sensiblen Bereich bewegt.“ 416 Auch Kohls ist der Ansicht, dass durch diese extensive Interpretation der Regelungsbereich der Richtlinie verlassen wird. „Denn die Richtlinie begründet nicht etwa den Ausschluß der privatrechtlichen Zuordnung von Eigentumsverhältnissen an dem Kulturgut. Vielmehr wird durch die Richtlinie ein als öffentlich-rechtlich zu definierender Herausgabeanspruch geschaffen. Mit
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So auch Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 184; Pfeiffer, Der Stand des Internationalen Sachenrechts nach seiner Kodifikation, IPRax 2000 (Heft 4), S. 271–285, S. 280; Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 238–246. Vgl. Fuchs, Kulturgüterschutz im Kulturgutsicherungsgesetz, IPRax 2000, S. 281–286, S. 285. So Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 Anl. I Rdnr. 195. Vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 183–184. Vgl. Pfeiffer, Der Stand des Internationalen Sachenrechts nach seiner Kodifikation, IPRax 2000 (Heft 4), S. 271–285, S. 279 f.; Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 238–246. Vgl. Pfeiffer, Die Entwicklung des Internationalen Vertrags-, Schuld- und Sachenrechts in den Jahren 1995/96, NJW 1997, S. 1207 ff., 1216. So Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 183–184.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
diesem Herausgabeanspruch wird aber gerade nicht in das internationale Privatrecht eingegriffen, sondern die mit diesem Herausgabeanspruch verbundenen privatrechtlichen Probleme werden der Lösung durch das nationale Recht übertragen, wie sich auch aus § [5] Abs. 2 KultGüRückG ergibt. Diese Konsequenz würde in ihr Gegenteil verkehrt, würde man … in Art. 12 RL den Ansatzpunkt für die Schaffung einer res extra commercium sehen, wodurch die nach dem Privatrecht der Staaten respektierten wohlerworbenen Rechte an dem Kulturgut ignoriert würden.“ 417 156
Ein gewisses Argument gegen die Annahme eines Normenmangels folgt auch daraus, dass Art. 12 nach seiner Begründung zu einer „einheitlichen Kollisionsnorm“ führen soll, womit die Annahme eines Normenmangels schwer vereinbar ist.418 Dass eine Richtlinie nach Art. 249 Abs. 3 EGV lediglich Ziele, nicht jedoch das hierfür einzusetzende Mittel vorschreiben kann, bedeutet lediglich, dass die Richtlinie den Mitgliedstaaten nicht unmittelbar die Schaffung einer Kollisionsnorm, sondern lediglich das Ziel einer einheitlichen kollisionsrechtlichen Beurteilung nach Maßgabe der lex originis vorschreibt.419 Zusätzlich werden Zweifel an der materiell-privatrechtlichen Theorie laut, weil der europäische Gesetzgeber des Jahres 1993 zum Erlass derartiger Vorgaben für das materielle private Sachenrecht wohl keine hinreichende Kompetenz besaß,420 sodass eine materiellprivatrechtliche Auslegung von zahlreichen Stimmen in der Literatur abgelehnt wird. Insbesondere hat sich auch Fuchs dagegen ausgesprochen: Ihr erscheint „die Ansicht, über die Sonderkollisionsnormen werde ein zwischenzeitlich nach ausländischem Recht erfolgter Eigentumserwerb negiert, in zweierlei Hinsicht zu eng. Das Recht des ersuchenden Mitgliedstaates kann den Eigentumserwerb durchaus für wirksam halten; denn das KultGüRückG will lediglich die Rückgabe des Kulturgutes, nicht aber den Schutz des Eigentümers sicherstellen. Im Übrigen sind auch diejenigen Vorschriften des Herkunftsstaates anzuwenden, die etwa den Verfall des Eigentums an den Staat anordnen.“ 421 Schließlich ist an der
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Kohls, Kulturgüterschutz: Wirkungen von Verstößen gegen Ausfuhrverbote und Möglichkeiten der Rückführung illegal verbrachter Kulturgüter – Eine vergleichende Untersuchung mit den Rechten Dänemarks, Norwegens und Schwedens, 2001, S. 156–159. So Pfeiffer, Der Stand des Internationalen Sachenrechts nach seiner Kodifikation, IPRax 2000 (Heft 4), S. 271–285, S. 278–280. Vgl. Pfeiffer, Der Stand des Internationalen Sachenrechts nach seiner Kodifikation, IPRax 2000 (Heft 4), S. 271–285, S. 278–280. Vgl. Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes, 1994, S. 194; Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 238– 246; Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 183–184. Fuchs, Kulturgüterschutz im Kulturgutsicherungsgesetz, IPRax 2000, S. 281–286, S. 284– 285.
1. Abschnitt: Rechtswahl nach der ,lex rei sitae‘ und Sonderkollisionsnormen
519
kollisionsrechtsdogmatischen Einordnung des Art. 12 als bewusst herbeigeführter Normenmangel (um zu einer Unveränderlichkeit der materiell-rechtlichen Rechtsverhältnisse mangels Anwendbarkeit irgendeines Sachenrechtsstatuts zu kommen 422) zu kritisieren, dass sowohl Wortlaut und Begründung der Richtlinie als auch §§ 5 Abs. 1 und 9 des Kulturgüterrückgabegesetzes eine kollisionsrechtliche Vorgabe zugunsten eines bestimmten Rechts nahelegen und damit gerade nicht als Anordnung eines solchen Normenmangels aufgefasst werden können.423
b)
Öffentlich-rechtliche Theorie
Auch Vertreter 424 der sog. öffentlich-rechtlichen Theorie 425 sehen in Art. 12 der Richtlinie 93/7/EWG vom 15.3.1993 und den diesem entsprechenden §§ 5 Abs. 1 und 9 des deutschen Kulturgüterrückgabegesetzes vom 18.05.2007 keine Abkehr von der im internationalen Sachenrecht geltenden Situs-Regel.426 Das klassische Modell der lex rei sitae bleibe von dem Richtliniensystem vielmehr in Gänze unangetastet und unberührt.427 Dementsprechend sei allein der Besitz zu restituieren (es geht um die physische Restitution),428 weshalb sich der bisherige Eigentümer auch nach Rückgabe des Kulturguts als dessen Eigentümer behaupten werde,429 ohne dass Eigentumsfragen berührt würden.430 Art. 12 der Richt422
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So Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 238–246. So Pfeiffer, Der Stand des Internationalen Sachenrechts nach seiner Kodifikation, IPRax 2000 (Heft 4), S. 271–285, S. 278; diesem folgend auch Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 238–246. Vgl. die Darstellung bei Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 185–186. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 284 ff.; Mußgnug, Überlegungen zur Umsetzung der neuen EG-Vorschriften über den Verkehr mit Kulturgütern, in: Beyerlin/Bothe/Hofmann/Petersmann, Recht zwischen Umbruch und Bewahrung, Festschrift für Rudolf Bernhardt, 1995, S. 1225 ff., S. 1240 f.; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 290; Siehr, Internationales Sachenrecht. Rechtsvergleichendes zu seiner Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, ZVglRWiss 104 (2005), S. 145–162, S. 151 f. Vgl. auch die eingängliche Darstellung bei Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 68–69. Vgl. Carruthers, The juridical review, part 3 (2001), S. 127 ff., S. 138. Vgl. auch die Darstellung bei Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 68–69. Eberl, Probleme und Auswirkungen der EG-Vorschriften zum Kulturgüterschutz, NVwZ 1994, S. 729–736, S. 733. So die Gemeinsamkeit mit der materiell-privatrechtlichen Theorie, vgl. Siehr, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Rechtsverkehr, in: Westphalen/Sandrock, Lebendiges Recht – Von den Sumerern bis zur Gegenwart – Festschrift für Reinhold Trinkner zum
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
linie beabsichtige somit auch keine materiell-privatrechtliche Entziehung einer Eigentums- oder Besitzposition, sondern verbiete dem Berechtigten allenfalls, geschützte Kulturgüter nach der Restitution erneut außer Landes zu bringen.431 Mußgnug verdeutlicht die praktische Bedeutung dieser Interpretation – entgegen der praktischen Einschätzung Jaymes und Kohlers 432 sowie Siehrs 433 – an einem Beispiel, in dem ein bestohlenes deutsches Museum nach der Rückführung des gestohlenen Kulturguts, welches zwischenzeitlich in Italien von einem Dritten gutgläubig erworben wurde, nicht automatisch wieder als Eigentümer des Kulturguts anzusehen sei.434 Festzuhalten bleibt somit als erster Kernpunkt der öffentlich-rechtlichen Theorie, dass nach Rückgabe unrechtmäßig ausgeführter Kulturgüter die zwischenzeitlich unter einem ausländischen Belegenheitsstatut wirksam begründeten Eigentums- und sonstigen dinglichen Rechte grundsätzlich bestehen bleiben.435 Die Zivilrechtslage bleibt grundsätzlich unberührt und nach Rückgabe der unrechtmäßig verbrachten Kulturgüter wirksam begründete Eigentumswechsel haben grundsätzlich Bestand.436 Danach werden Eigentumsrechte an kulturellen Wertobjekten, die vor der Restitution wirksam begründet wurden, von der Rückgabepflicht des Eigentümers an sich nicht berührt. Wenn das Recht des Herkunftsstaats (d.h. des Mitgliedstaats, aus dessen Hoheitsgebiet das Kulturgut unrechtmäßig verbracht wurde) keine anderweitige Regelung vor-
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65. Geburtstag, 1995, S. 703–722, S. 719; Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 390. Vgl. Mußgnug, Überlegungen zur Umsetzung der neuen EG-Vorschriften über den Verkehr mit Kulturgütern, in: Beyerlin/Bothe/Hofmann/Petersmann, Recht zwischen Umbruch und Bewahrung, Festschrift für Rudolf Bernhardt, 1995, S. 1225 ff., S. 1240. Jayme/Kohler, Das Internationale Privat- und Verfahrensrecht der EG 1993 – Spannungen zwischen Staatsverträgen und Richtlinien, IPRax 1993, S. 357–371, S. 360, ausdrücklich a.A. hinsichtlich eines vergleichbaren Beispiels eines bestohlenen englischen Museums. Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 237 f. ausdrücklich a.A. hinsichtlich eines vergleichbaren Beispiels eines bestohlenen englischen Museums. So das Beispiel bei Mußgnug, zitiert bei Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 286, unter Bezugnahme auf ein unveröffentlichtes Manuskript von Mußgnug aus dem Jahre 1993, vgl. auch die Zitierung bei Wiese, Der Einfluss des EGRechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 68–69. Dem Beispiel im Ergebnis zustimmend, grundsätzlich jedoch abweichender Meinung: Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 285 f. Vgl. Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 290; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 285 f.; vgl. auch die Darstellung bei Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 79–94. Vgl. Mußgnug, Überlegungen zur Umsetzung der neuen EG-Vorschriften über den Verkehr mit Kulturgütern, in: Beyerlin/Bothe/Hofmann/Petersmann, Recht zwischen Umbruch und Bewahrung, Festschrift für Rudolf Bernhardt, 1995, S. 1225 ff., S. 1240 f.; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 287–290; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 284 ff.
1. Abschnitt: Rechtswahl nach der ,lex rei sitae‘ und Sonderkollisionsnormen
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sieht, kann der Eigentümer auch noch nach Restitution des Kulturguts weiterhin seine Eigentumsposition erhalten oder aber es dort veräußern, wobei der Erlös dann ihm gebürt.437 Gegen die öffentlich-rechtliche Auslegung des Art. 12 der Richtlinie 93/7/EWG wird jedoch regelmäßig die Bedeutungslosigkeit angesichts der gemeinschaftsweiten Verbreitung der Situs-Regel geltend gemacht 438 und darauf hingewiesen, dass die Norm „weitestgehend überflüssig“ 439 sei. Halsdorfer spricht bspw. von einem „Leerlauf der Norm“ 440, der auch in den Ausführungen Wendehorsts deutlich wird: „Nun wird man zwar den Redaktoren der Richtlinie im Hinblick auf deren zahlreiche Mängel 441 kein allzu großes Maß an kritischer Reflexion unterstellen dürfen, jedoch sollte eine Auslegung, die eine Richtliniennorm von vorneherein leer laufen lässt, nach Möglichkeit vermieden werden (effet utile).“ 442 Auch innerhalb des Report des Ministerial Advisory Panel on Illicit Trade vom Dezember 2000 des britischen Department for Culture, Media and Sport – Chairman war Norman Palmer – wurde unter Abs. 32 ausdrücklich festgestellt, dass die Richtlinie „is administratively cumbersome and appears to have had few, if any, concrete results“ 443.
158
Innerhalb der öffentlich-rechtlichen Theorie werden jedoch – je nach der Betrachtungsweise – zwei unterschiedliche Folgen des Art. 12 geltend gemacht. Ein Teil des der öffentlich-rechtlichen Theorie nahestehenden Schrifttums sieht in Art. 12 allein den Sinn einer gemeinschaftsweiten Anerkennung von Einziehungsmaßnahmen, mit deren Hilfe der Schutzstaat den illegalen Export eines Kulturguts möglicherweise ahnden kann.444 Der Regelungsgehalt des Art. 12 der Richtlinie
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Vgl. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 124. Einen Sinn in der Existenz des Art. 12 der Richtlinie 93/7/EWG scheint auch Carruthers, The juridical review, part 3, 2001, S. 127 ff., S. 138 nicht zu entdecken. So Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 185–186. Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 238– 246. Besonders anschaulich Eberl, Probleme und Auswirkungen der EG-Vorschriften zum Kulturgüterschutz, NVwZ 1994, S. 729–736, S. 731 ff. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 185–186. Vgl. die Zitierung bei Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 68–69. So Mußgnug, Überlegungen zur Umsetzung der neuen EG-Vorschriften über den Verkehr mit Kulturgütern, in: Beyerlin/Bothe/Hofmann/Petersmann, Recht zwischen Umbruch und Bewahrung, Festschrift für Rudolf Bernhardt, 1995, S. 1225 ff., S. 1241; weiterer Nachweis bei Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 284, in Bezug auf ein unveröffentlichtes Manuskript von Mußgnug aus dem Jahre 1993.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
bezieht sich in diesem Sinne nach Anschauung Mußgnugs auf die rechtliche Möglichkeit eines Mitgliedstaates, den illegalen Export von Kulturgütern mit deren Einziehung zu ahnden.445 Mit der durch die Richtlinie vorgeschriebenen Rückführung gehe „ein Übergang des betreffenden Kulturguts in das Eigentum der zuständigen Stelle im rückgabeberechtigten Herkunftsland einher“.446 Von dieser Ausnahme abgesehen, berühre die Rückgabe die Eigentums- und Besitzrechte des Rückgabepflichtigen jedoch nicht: 447 Zwischenzeitlich wirksam begründete Eigentumsrechte an illegal exportierten Kulturgütern bestehen regelmäßig auch nach der Rückgabe an das Herkunftsland, es sei denn, dieser Mitgliedstaat ahndet den illegalen Export von unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern mit deren Einziehung.448 160
In diesem Zusammenhang wurde jedoch die Frage aufgeworfen, ob die in Art. 12 fixierte Verweisung auf das Recht des Herkunftsstaates grundsätzlich auch dessen Befugnis zur staatlichen Konfiszierung und Beschlagnahme nach Rückführung an den Ursprungsstaat beinhalten dürfe. Diese Frage hat insbesondere dann gravierende Auswirkungen, wenn der restitutionsverpflichtete Eigentümer statt einer Entschädigung weiterhin seine Eigentumsposition in dem Ursprungsstaat ausüben möchte. Anders als nach Art. 6 Abs. 3 der Unidroit Convention on Stolen or Illegally Exported Cultural Objects (Rome) vom 24. Juni 1995 449 – an diese Regelung sind die Vertragsstaaten der Konvention gebunden, haben also insofern keine Gestaltungsfreiheit hinsichtlich der dinglichen Rechtslage – findet sich innerhalb der EG-Richtlinie 93/7/EWG keine explizite diesbezügliche Regelung. Müller-Katzenburg schlägt für diesen Spezialfall eine vertragskonforme Auslegung der sachenrechtlichen Sonderanknüpfung nach Art. 12 vor, wonach an den bestehenden Eigentumsverhältnissen festzuhalten sei, wenn der Eigentümer das zu restituierende Gut in seinem Herkunftsstaat nach Rückführung
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Vgl. Mußgnug, Überlegungen zur Umsetzung der neuen EG-Vorschriften über den Verkehr mit Kulturgütern, in: Beyerlin/Bothe/Hofmann/Petersmann, Recht zwischen Umbruch und Bewahrung, Festschrift für Rudolf Bernhardt, 1995, S. 1225 ff., S. 1241. Mußgnug, Überlegungen zur Umsetzung der neuen EG-Vorschriften über den Verkehr mit Kulturgütern, in: Beyerlin/Bothe/Hofmann/Petersmann, Recht zwischen Umbruch und Bewahrung, Festschrift für Rudolf Bernhardt, 1995, S. 1225 ff., S. 1241. Vgl. Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 79–94. Vgl. Mußgnug, Überlegungen zur Umsetzung der neuen EG-Vorschriften über den Verkehr mit Kulturgütern, in: Beyerlin/Bothe/Hofmann/Petersmann, Recht zwischen Umbruch und Bewahrung, Festschrift für Rudolf Bernhardt, 1995, S. 1225 ff. Art. 6 Abs. 3 Unidroit Convention on Stolen or Illegally Exported Cultural Objects (Rome) vom 24. Juni 1995: Instead of compensation, and in agreement with the requesting State, the possessor required to return the cultural object to that State may decide: (a) to retain ownership of the object; or (b) to transfer ownership against payment or gratuitously to a person of its choice residing in the requesting State who provides the necessary guarantees.
1. Abschnitt: Rechtswahl nach der ,lex rei sitae‘ und Sonderkollisionsnormen
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selbst als Eigentümer halten möchte.450 Dementsprechend enthalte Art. 12 keine Ermächtigung zur Enteignung ausländischer EU-Staatsbürger: 451 „Einschränkende Maßnahmen aufgrund der Richtlinie sind nämlich nur dann gerechtfertigt, als sie zum Schutz des nationalen Kulturguts der jeweiligen Herkunftsstaaten erforderlich sind. Das folgt zum einen aus dem bereits erwähnten Subsidiaritätsprinzip in Art. 3b) EGV. Danach gehen die Maßnahmen der Gemeinschaft nicht über das für die Erreichung der gesetzten Ziele erforderliche Maß hinaus. Entsprechend können aus ihnen auch keine weitergehenden einzelstaatlichen Eingriffsrechte hergeleitet werden. Außerdem gehört es zu den anerkannten Auslegungsgrundsätzen des Gemeinschaftsrechts, Ausnahmeregelungen zu wesentlichen Grundfreiheiten des Gemeinsamen Marktes eng zu interpretieren.“ 452 Anderen Meinungen innerhalb des Schrifttums zur öffentlich-rechtlichen Theorie des Art. 12 zufolge sollten die zivilrechtliche Sachzuordnung kultureller Güter in den Mitgliedstaaten und das zugehörige Kollisionsrecht durch die europarechtlichen Vorgaben zwar ebenfalls nicht grundsätzlich umgestaltet werden,453 bestünden jedoch in einem Staat besondere Kulturgutschutzvorschriften, die das Kulturgut bspw. zur res extra commercium machten oder einen dinglichen Verfall des Kulturguts anordneten, solle dieser sachenrechtliche Schutz nicht durch eine unrechtmäßige Verbringung in einen anderen Mitgliedstaat beseitigt werden.454 Die Situs-Regel und das Prinzip der Anerkennung wohlerworbener Rechte werden nach dieser Ansicht durch Art. 12 somit partiell, d.h. in einem eng begrenzten Rahmen zugunsten der Geltung der lex originis, verdrängt.455
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Nur auf diesem Wege könne mit der durch die Richtlinie vorgeschriebenen Restitution ein Übergang des betreffenden Kulturguts in das Eigentum der zuständigen Stelle im rückgabeberechtigten Herkunftsland einhergehen.456 Im Übrigen
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Vgl. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 125. Vgl. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 125. Vgl. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 125 unter Rekurs auf Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, Urteil vom 10.12.1968, Az.: C-7/68, Verfahren: Klage wegen Vertragsverletzung, Sammlung der Rechtsprechung, Deutsche Ausgabe, S. 634 ff., S. 644; Schwarze, Der Schutz nationalen Kulturguts im europäischen Binnenmarkt, JZ 3/1994, S. 111–117, S. 113. So Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 238–246. Vgl. Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 290. So die Erläuterung bei Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 185–186. Vgl. Mußgnug, Überlegungen zur Umsetzung der neuen EG-Vorschriften über den Verkehr mit Kulturgütern, in: Beyerlin/Bothe/Hofmann/Petersmann, Recht zwischen Umbruch und Bewahrung, Festschrift für Rudolf Bernhardt, 1995, S. 1225 ff., S. 1241.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
werde vor der Rückgabe gutgläubig erworbenes Eigentum im ersuchenden Mitgliedstaat auch dem Alteigentümer gegenüber geschützt.457 Eine Ausnahme zugunsten der Anwendung der lex originis sei dementsprechend nur bei dinglich wirkenden Kulturgutschutznormen gegeben, und zwar dann, wenn der Herkunftsstaat in seinem Sachrecht die Unveräußerlichkeit geschützten Kulturguts angeordnet habe.458 In diesem Fall sei folglich eine Veränderung der Eigentumsverhältnisse ausgeschlossen.459 Hier sollen die nationalen Kulturgüterschutzgesetze die Rechtsfolgen der zwischenzeitlich erfolgten Erwerbsvorgänge korrigieren, soweit dies zur Bewahrung und Erhaltung des nationalen Kulturerbes erforderlich sei. Wenn die Rechtsordnung des kulturellen Ursprungsstaates hingegen keine dinglich wirkenden Sonderregeln für Kulturgüter vorsehe, dann müsse der Staat wirksam begründete Rechte anderer an seinen illegal ausgeführten Kulturgütern gegen sich gelten lassen.460 Art. 12 sei dann in dieser Fallkonstellation als Gesamtverweisung auf die sachenrechtlichen Sach- und Kollisionsregeln des Herkunftsstaats zu verstehen.461 Hipp versucht diesen Teil mit dem gesetzgeberischen Willen zu begründen: 163
„Nach den Motiven des Europäischen Gesetzgebers soll die Ri 93/7 die Eigentumsordnung der Kulturgüter weder harmonisieren noch in irgendeiner Weise beeinträchtigen.462 Dies gebietet letztlich auch Art. 222 EGV, wonach der EG-Vertrag die Eigentumsordnung in den verschiedenen Mitgliedstaaten unberührt läßt. Art. 12 soll dem Umstand Rechnung tragen, daß die zivilrechtlichen Normen des ersuchten Mitgliedstaats oder eines Drittlandes, die einen (gutgläubigen) Eigentumserwerb ermöglichen, nur aufgrund der unrechtmäßigen Verbringung aus dem ersuchenden Mitgliedsstaat zur Anwendung gelangen.463 Die Motive des Europäischen Gesetzgebers sprechen dafür, der [öffentlichrechtlichen Theorie] … den Vorzug zu geben. Mit Art. 12 soll die zivilrechtliche bzw. internationalprivatrechtliche Eigentumsordnung der Kulturgüter in den Mitgliedstaaten nicht grundsätzlich umgestaltet werden. Wenn aber in einem Staat spezielle (meist öffentlichrechtliche) Kulturgutschutzvorschriften bestehen, die das Kulturgut zur res extra commercium machen, soll dieser Schutz nicht durch eine unrechtmäßige Verbringung in einen anderen Mitgliedstaat und eine daraus folgende Anwendung seiner (nicht speziell kulturgutschützenden) zivilrechtlichen Eigentumsordnung beseitigt werden können.“ 464
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Vgl. auch die Darstellung der öffentlich-rechtlichen Theorie bei Wiese, Der Einfluss des EGRechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 68–69. So ausdrücklich Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 290; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 285 f. Vgl. auch die Darstellung bei Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 79–94. Vgl. bspw. die Erläuterung bei Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 79–94. So ausdrücklich Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 285 f. KOM (91) 447 endg.; Ratsdok. 4327/92; BR-Drs. 137/92 vom 25. Februar 1992, S. 19. KOM (91) 447 endg.; Ratsdok. 4327192; BR-Drs. 137/92 vom 25. Februar 1992, S. 31. Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 287–290.
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Eine anschauliche Beschreibung dieser Fälle findet sich innerhalb des Erklärungsversuchs bei Müller-Katzenburg:
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„Der Wortlaut von Art. 12 der Richtlinie spricht gegen die Auffassung, daß hiernach die Eigentumserwerbsnormen der „lex originis“ die des früheren Belegenheitsstatuts automatisch ersetzen. Entsprechend dem Sinn dieser Norm beschränkt sich ihr Regelungsgehalt aber auch nicht nur darauf, dem ersuchenden Mitgliedstaat eine nachträgliche Änderung der bestehenden Eigentumsverhältnisse an illegal exportiertem Kulturgut zu gestatten [so aber die Vertreter der materiell-privatrechtlichen Theorie]. So wie es das generelle Ziel der Richtlinie 93/7 ist, die gegenseitige Anerkennung der einzelstaatlichen Normen zum Schutz des nationalen Kulturguts der Mitgliedstaaten sicherzustellen, so ist es der Sinn speziell von Art. 12, die Anerkennung der dinglich wirkenden Sonderregelungen zum Schutz des nationalen Kulturguts sicherzustellen. Meines Erachtens ist diese Norm daher als Gesamtverweisung auf die sachenrechtlichen Sach- und Kollisionsregeln des ersuchenden Mitgliedstaates und zwar in dem Sinn zu verstehen, daß seine dinglich wirkenden besonderen Kulturschutznormen spätestens bei der ex post-Betrachtung der zwischenzeitlich erfolgten Erwerbsvorgänge deren Rechtsfolgen erforderlichenfalls „korrigieren“. Konkret bedeutet das, daß entsprechend dem Kollisionsrecht des ersuchenden Mitgliedstaats die unter einem früheren Belegenheitsstatut wirksam begründeten Eigentums- und sonstigen dinglichen Rechte auch nach erfolgter Rückgabe grundsätzlich bestehen bleiben. Bei der Beurteilung der Wirksamkeit zwischenzeitlicher Erwerbsvorgänge wird der Herkunftsstaat allerdings die nach seinem Recht ursprünglich bestehende Sachenrechtslage der Kulturgüter zugrundelegen. Insofern wird er in Bezug auf die aktuelle Eigentumslage zurückgegebener Kulturgüter zu denselben Ergebnissen kommen, wie sie auch die dargelegte konsequente Befolgung des Prinzips der Anerkennung wohlerworbener Rechte gebietet. Wenn sein Sachrecht die Unveräußerlichkeit geschützten Kulturguts anordnet, dann ist darüberhinaus aus seiner – gemäß Art. 12 maßgeblichen – Sicht eine Veränderung der Eigentumsverhältnisse in jedem Fall von vornherein ausgeschlossen. Das muß dann auch für einen gutgläubigen Erwerb solchen Kulturguts im Ausland gelten. Dessen Verkehrsschutznormen müssen dann zugunsten des Rechts des Herkunftsstaats zurücktreten. Wenn das Recht des Herkunftsstaates dagegen keine dinglich wirkenden Sonderregeln für Kulturgüter vorsieht, dann dürfte auch Art. 12 der Richtlinie nicht daran vorbeikommen, daß ein Mitgliedstaat wirksam begründete dingliche Rechte anderer an seinen illegal exportierten Kulturgütern gegen sich gelten lassen muss. Demnach werden zwar Länder wie Frankreich, Spanien oder Italien die nach ihrem Recht für unveräußerlich erklärten Kulturgüter des Staates im Fall ihres illegalen Exports entsprechend dem richtliniengemäß umgesetzten Recht des jeweiligen Importstaats nicht nur in ihr Herkunftsland, sondern auch an den ursprünglichen Eigentümer zurückfordern können. Wenn dagegen etwa aus einem deutschen Museum ein wertvolles Kunstwerk gestohlen und später in Italien entsprechend dem dortigen Recht gutgläubig erworben wird, dann wird die Bundesrepublik gemäß dem italienischen Umsetzungsgesetz von dem neuen Eigentümer nur verlangen können, daß er das Kunstwerk nach Deutschland zurückbringt. Das Museum wird es dagegen von ihm nur dann zurückbekommen, wenn es seine Bedingungen akzeptiert.“ 465
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Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 285–286, wobei das Beispiel unter Rekurs auf Mußgnug, Überlegungen zur Umsetzung der neuen EGVorschriften über den Verkehr mit Kulturgütern, in: Beyerlin/Bothe/Hofmann/Petersmann, Recht zwischen Umbruch und Bewahrung, Festschrift für Rudolf Bernhardt, 1995, S. 1225 ff., wiedergegeben wird.
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Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Art. 12 der Richtlinie und die diesem entsprechenden §§ 5 Abs. 1 und 9 des deutschen Kulturgüterrückgabegesetzes grundsätzlich weder eine Abkehr von der lex rei sitae nach der kollisionsrechtlichen Auslegungsalternative noch eine Umgestaltung der zivilrechtlichen Sachzuordnung entsprechend der materiell-rechtlichen Theorie bewirken. In sehr begrenztem Maße erfolgt eine Ausnahme von der Anerkennung wohlerworbener Rechte, wenn ein illegaler Kulturgütertransfer und ein unrechtmäßiges Verbringen eines Kulturguts in einen anderen Mitgliedstaat die Bestimmung bestimmter Kulturgüter als res extra commercium bzw. die Anordnung des Verfalls aufgrund der unrechtmäßigen Ausfuhr mittels des nationalen Kulturgüterschutzgesetzes beeinträchtigen würden.466 Der Sinn und Zweck des Art. 12 besteht danach allein darin, die Anerkennung dinglich wirkender Sonderregelungen zum Schutz des nationalen Kulturgutes sicherzustellen. Deshalb soll von der lex rei sitae zugunsten der lex originis nur für den Ausnahmefall abzuweichen sein, dass das Recht des ersuchenden Mitgliedstaats in speziellen Kulturgutschutzvorschriften mit dem illegalen Grenzübertritt den Verfall des Kulturgutes anordnet 467 bzw. allgemein das geschützte Kulturgut zu unveräußerlichem Staatseigentum erklärt.468 „Wenn man die konsequente Anerkennung wohlerworbener Rechte als Ausfluß der traditionellen Situs-Regel begreift, dann wird diese Regel nach der hier vertretenen Auffassung durch Art. 12 der EG-Richtlinie 93/7 nur in sehr begrenztem Rahmen zugunsten der alternativen Anwendbarkeit der „lex originis“ verdrängt.“ 469 Müller-Katzenburg hält eine kollisionsrechtliche Sonderregel, wonach das Recht des Herkunftslandes bei einer Weiterveräußerung illegal exportierten Kulturguts auch das allein maßgebliche Sachstatut ist, bislang nur als eine Anregung des Schrifttums, woran sich auch mit Erlass des Art. 12 der Richtlinie 93/7/EWG vom 15.3.1993 und der diesem entsprechenden §§ 5 Abs. 1 und 9 des deutschen Kulturgüterrückgabegesetzes vom 18.05.2007 für den grenzüberschreitenden Kulturgüterverkehr innerhalb der Europäischen Gemeinschaften nichts geändert habe.470
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Vgl. Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 290; diese zitierend Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 238– 246. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 125 hält die Konfiszierung des zurückzugebenden Kulturgutes durch den Herkunftsstaat für unzulässig, wenn der Eigentümer bereit ist, es dort aufzubewahren, und will auch insoweit an den bestehenden Eigentumsverhältnissen festhalten. Vgl. Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 287–290. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 286. So Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 286.
1. Abschnitt: Rechtswahl nach der ,lex rei sitae‘ und Sonderkollisionsnormen
c)
Kollisionsrechtliche Theorie
Zumindest die überwiegende Meinung folgt heute der sog. kollisionsrechtlichen Theorie, spricht Art. 12 der Richtlinie 93/7/EWG und §§ 5 Abs. 1 und 9 des deutschen Kulturgüterrückgabegesetzes vom 18.05.2007 einen kollisionsrechtlichen Gehalt zu und stimmt darin überein, dass diese Regelungen dem Wortlaut nach eine Kollisionsnorm darstellen und eine Berücksichtigung der Vorschriften des ersuchenden Mitgliedstaates (als lex originis des Kulturguts) verlangen.471
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Theoretisches Verständnis
Nach der kollisionsrechtlichen Theorie sollen die sachenrechtlichen Vorgänge, welche nach dem unrechtmäßigen Verbringen außerhalb des ersuchenden Mitgliedstaats stattgefunden haben, rückwirkend nach dem Recht des ersuchenden Mitgliedstaats auf ihre Wirksamkeit überprüft werden.472 Art. 12 substituiere damit die althergebrachte Regel der Sachenrechtswahl nach der rei sitae, indem die Norm anstelle des Systems desjenigen Staates, in den ein Kulturgut illegal exportiert wurde und in dem es dann veräußert wurde, generell die Sachenrechtsordnung desjenigen Staates für anwendbar bestimmt, aus dessen Hoheitsgebiet das Kulturgut unrechtmäßig verbracht wurde.473 Damit erkennen die Ver-
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Vgl. die Begründung zu dem Art. 12 der Richtlinie 93/7/EWG entsprechenden Art. 13 des Richtlinienentwurfs Dok. KOM (91) 447 endg. – SYN 382, S. 29 f.; Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 69–71; Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 Anh. 1, Rdnr. 195 ff.; Fuchs, Kulturgüterschutz im Kulturgutsicherungsgesetz, IPRax 2000, S. 281–286, S. 285; Jayme, Kulturgüterschutz in ausgewählten europäischen Ländern, ZVglRWiss 95 (1996), S. 158–169, S. 168; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 285; Pfeiffer, Der Stand des Internationalen Sachenrechts nach seiner Kodifikation, IPRax 2000 (Heft 4), S. 271–285, S. 278; Roth, Angleichung des IPR durch sekundäres Gemeinschaftsrecht, IPRax 1994, S. 165–174, S. 173; Siehr, Vereinheitlichung des Mobiliarsachenrechts in Europa, insbesondere im Hinblick auf Kulturgüter, RabelsZ 59 (1995), S. 454–468, S. 466; Siehr lehnt eine Kollisionsnorm i.E. wohl ab, vgl. Siehr, Kulturgüterschutz innerhalb der Europäischen Union, ZVglRWiss 95 (1996), S. 170– 187, S. 180; Siehr, Die Richtlinie 93/7/EWG des Rates v. 15.3.1993 über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern und das Privatrecht der Mitgliedstaaten der EWG, KUR (Kunstrecht und Urheberrecht) 1999, S. 225–236; Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 187; Pfeiffer, Der Stand des Internationalen Sachenrechts nach seiner Kodifikation, IPRax 2000 (Heft 4), S. 271–285, S. 280; Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 84. Vgl. Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 238–246. Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes, 1994, S. 196 f.; Jayme/Kohler, Das Internationale Privat- und Verfahrensrecht der EG 1993 – Spannungen
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
treter dieser Ansicht in Art. 12 eine europäische Rechtsanwendungsbestimmung und normative Legitimation der lex originis-Regel für den illegalen Kulturgütertransfer innerhalb Europas.474 Ausdrücklich gelangt bspw. Wiese in seinen „Untersuchungen zum Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter“ nach Auslegung zu dem Ergebnis, dass Art. 12 „eine für alle Mitgliedstaaten verbindliche Kollisionsregel enthält, die Fragen des zivilrechtlichen Eigentums nach erfolgter Rückgabe des Kulturguts rückwirkend für die Zeit zwischen unrechtmäßiger Ausfuhr und Rückführung des Kulturguts dem Recht des ersuchenden Mitgliedstaates unterwirft, um mit dem Recht des ersuchenden Mitgliedstaates (lex originis) unvereinbare, am Kulturgut nach dem Recht der Belegenheit (lex rei sitae) erworbene dingliche Rechte abzuerkennen.“ 475 169
Effektiv bedeutet dies somit die Nichtbeachtung des Grundsatzes der sachenrechtlichen Prägung durch die frühere lex rei sitae, weshalb dieselben rechtlichen Ergebnisse wie nach Art. 2 der Resolution La vente internationale d’objets d’art sous l’angle de la protection du patrimoine culture vom 3. September 1991 (sog. Baseler Resolution) des Institut de Droit International erzielt würden.476 Vergleicht man dieses Ergebnis mit den praktischen Folgen der materiell-privatrechtlichen Theorie und deren generellen Negation einer extraterritorialen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter, kommt es nach der kollisions-
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zwischen Staatsverträgen und Richtlinien, IPRax 1993, S. 357–371, S. 360, Jayme/Kohler, Das Internationale Privat- und Verfahrensrecht der EG nach Maastricht, IPRax 1992, S. 346–356, S. 348; Jayme, Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im Internationalen Privatrecht, in : Dominicé/Patry/Reymond, Études de droit international en l’honneur de Pierre Lalive, 1993, S. 717–731, S. 729–720. Aufschlussreich für eine Auslegung des Art. 12 der Richtlinie 93/7/EWG vom 15.3.1993 ist deren nationale Umsetzung in Österreich. § 20 des Bundesgesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 93/7/EWG über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft verbrachten Kulturgütern normiert eine vom Zeitpunkt der Rückgabe des Kulturguts an rückwirkende Sachnormverweisung auf das Recht des ersuchenden Mitgliedstaates für die Zeit nach der unrechtmäßigen Verbringung und vor der Rückgabe des Kulturguts, um einen Erwerb des Eigentums am Kulturgut nach der lex rei sitae, der nach der lex originis nicht möglich gewesen wäre, nicht anzuerkennen. Es soll eine Durchsetzung der nationalen Kulturgüterschutzvorschriften des ersuchenden Mitgliedstaats erfolgen, um zum Beispiel verwaltungsrechtliche Veräußerungsverbote international wirksam zu machen. Eine Besonderheit der österreichischen Umsetzung des Art. 12 der Richtlinie ist eine Aufspaltung des Sachenrechtsstatuts in Eigentum (lex originis) und sonstige dingliche Rechte (lex rei sitae), d.h., dass die Verweisung lediglich sachenrechtliche Einwirkungen des Erwerbs oder des Verlusts des Eigentums am Kulturgut erfasst, andere dingliche Rechte als das Eigentum jedoch von der Regelung nicht umfasst werden. Diesem Ansatz wurde innerhalb der deutschen Rechtsordnung jedoch nicht gefolgt. Vgl. Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 71–77. Vgl. Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 91–92. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 284.
1. Abschnitt: Rechtswahl nach der ,lex rei sitae‘ und Sonderkollisionsnormen
529
rechtlichen Theorie – anders als nach der materiell-rechtlichen – nicht zu einer vollständigen Negation der zwischenzeitlich erworbenen Rechtspositionen. Dies beruht darauf, dass eine dingliche Sachzuordnung kultureller Wertgegenstände in denjenigen Grenzen wirksam bleibt, in denen sich ein wirksamer Rechtserwerb auch nach dem Recht des ersuchenden Staates (d.h. der Rechtsordnung des Ursprungsstaates) hätte vollziehen können.477 Dadurch soll nicht der Grundsatz durchbrochen werden, dass in jedem Land die lex rei sitae angewendet wird, sondern nur eine Derogation desselben erfolgen, so dass nach der lex rei sitae wohlerworbene Rechte auch nach dem Überschreiten der Grenze anerkannt werden.478 „So sei ohnehin zu erwarten, dass ein Herkunftsstaat, welcher grundsätzlich die lex rei sitae anwendet, dann, wenn er selbst von einer Unveräußerlichkeit des Kulturguts als res extra commercium ausgeht, seine eigenen Regeln hinsichtlich zwischenzeitlicher Erwerbsvorgänge im Ausland nach der Rückkehr in sein Territorium anwendet, und auch dann, wenn ein illegal verbrachtes Kulturgut beim Überschreiten der Grenze in sein staatliches Eigentum übergeht, diesen Übergang nach der Rückkehr berücksichtigt.“ 479 §§ 5 Abs. 1 und 9 des deutschen Kulturgüterrückgabegesetzes vom 18.05.2007 nehmen somit einen kollisionsrechtlichen Gehalt ein und verlangen eine rückwirkende Berücksichtigung der Vorschriften des ersuchenden Mitgliedstaates
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Vgl. Kreuzer, Die Vollendung der Kodifikation des deutschen Internationalen Privatrechts durch das Gesetz zum Internationalen Privatrecht der außervertraglichen Schuldverhältnisse und Sachen vom 21.5.1999, RabelsZ 65 (2001), S. 383–462, S. 437; Jayme/Kohler, Das Internationale Privat- und Verfahrensrecht der EG 1993 – Spannungen zwischen Staatsverträgen und Richtlinien, IPRax 1993, S. 357–371, S. 360; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 285; Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 388 f.; Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 238–246; Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 187; Roth, Angleichung des IPR durch sekundäres Gemeinschaftsrecht, IPRax 1994, S. 165–174, S. 173; Fuchs, Kulturgüterschutz im Kulturgutsicherungsgesetz, IPRax 2000, S. 281–286, S. 285; Pfeiffer, Der Stand des Internationalen Sachenrechts nach seiner Kodifikation, IPRax 2000 (Heft 4), S. 271–285, S. 280; Mansel, Die Bedeutung des internationalen Privatrechts in Bezug auf das Herausgabeverlangen des Eigentümers bei abhanden gekommenen Kulturgütern, in: Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste Magdeburg/Beauftragter der Bundesregierung für Kultur und Medien, Im Labyrinth des Rechts? Wege zum Kulturgüterschutz, 2007, S. 129–173, S. 144. Vgl. Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 238–246. Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 238– 246, unter Rekurs auf Roth, Angleichung des IPR durch sekundäres Gemeinschaftsrecht, IPRax 1994, S. 165–174, S. 173.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
(als lex originis des Kulturguts).480 Praktische Konsequenz des § 5 des deutschen Kulturgüterrückgabegesetzes ist bspw. im zweiten Abschnitt bei Geltendmachung des Rückgabeanspruchs für geschütztes deutsches Kulturgut die Anwendung deutschen Sachenrechts auf ausländische Vorgänge – eine derartige rückwirkende Anwendung ist jedoch grds. nichts Neues und die Konstellation ist in Art. 43 Abs. 3 EGBGB bspw. auch in den Fällen der Anwendung der deutschen lex destinationis auf nicht abgeschlossene ausländische Erwerbsvorgänge bekannt.481 171
Als erster Grund für die Anwendung der lex originis wird regelmäßig der Wortlaut der Richtlinie sowohl nach ihrem deutschen Text als auch innerhalb der englischen, französischen und italienischen Fassung 582 genannt. Die materiell-privatrechtliche Meinung, Art. 12 ordne einen Normenmangel an, sei demnach mit dem Gesetzestext nicht vereinbar und die Vorschrift müsse ohne Zweifel als kollisionsrechtliche Vorgabe zugunsten der Anwendung der Rechtsordnung des kulturellen Ursprungsstaates verstanden werden. Wer Art. 12 der Richtlinie und §§ 5 Abs. 1 und 9 des Kulturgüterrückgabegesetzes anders verstehen wolle, müsse – entsprechend den Ausführungen Siehrs 583 – konsequenterweise einen gesetzgeberischen Formulierungsfehler annehmen.584 Auch wenn ein solcher seitens des
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Vgl. die Begründung zu dem Art. 12 der Richtlinie 93/7/EWG entsprechenden Art. 13 des Richtlinienentwurfs Dok. KOM (91) 447 endg. – SYN 382, S. 29 f. Aus dem Schrifttum vgl. Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 69–71, S. 84; Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 Anh. I, Rdnr. 195 ff.; Fuchs, Kulturgüterschutz im Kulturgutsicherungsgesetz, IPRax 2000, S. 281–286, S. 285; Jayme, Kulturgüterschutz in ausgewählten europäischen Ländern, ZVglRWiss 95 (1996), S. 158–169, S. 168; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 285; Pfeiffer, Der Stand des Internationalen Sachenrechts nach seiner Kodifikation, IPRax 2000 (Heft 4), S. 271–285, S. 278; Roth, Angleichung des IPR durch sekundäres Gemeinschaftsrecht, IPRax 1994, S. 165–174, S. 173; Siehr lehnt eine Kollisionsnorm i.E. wohl ab, vgl. Siehr, Kulturgüterschutz innerhalb der Europäischen Union, ZVglRWiss 95 (1996), S. 170–187, S. 180; Siehr, Die Richtlinie 93/7/EWG des Rates v. 15.3.1993 über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern und das Privatrecht der Mitgliedstaaten der EWG, KUR (Kunstrecht und Urheberrecht) 1999, S. 225–236; Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 187; Roth, Angleichung des IPR durch sekundäres Gemeinschaftsrecht, IPRax 1994, S. 165–174, S. 173; Pfeiffer, Der Stand des Internationalen Sachenrechts nach seiner Kodifikation, IPRax 2000 (Heft 4), S. 271–285, S. 280. Vgl. Pfeiffer, Der Stand des Internationalen Sachenrechts nach seiner Kodifikation, IPRax 2000 (Heft 4), S. 271–285, S. 278–280. Abgedruckt auch bei Siehr, Kulturgüterschutz innerhalb der Europäischen Union, ZVglRWiss 95 (1996), S. 170–187, S. 180. So konsequent Siehr, Kulturgüterschutz innerhalb der Europäischen Union, ZVglRWiss 95 (1996), S. 170–187, S. 180. So Pfeiffer, Der Stand des Internationalen Sachenrechts nach seiner Kodifikation, IPRax 2000 (Heft 4), S. 271–285, S. 278–280.
1. Abschnitt: Rechtswahl nach der ,lex rei sitae‘ und Sonderkollisionsnormen
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europäischen Gesetzgebers nicht a priori auszuschließen ist, bedarf sein Vorliegen allerdings eines ausdrücklichen Beweises, der sich nach der überwiegenden Anzahl der Kommentatoren dieser Vorschrift jedoch nicht führen lasse.485 Auch Halsdorfer begründet die Anwendung der lex originis mit dem ausdrücklichen Wortlaut der Vorschrift: Dass sowohl Art. 12 der Richtlinie als auch §§ 5 Abs. 1 und 9 des deutschen Kulturgüterrückgabegesetzes die Formulierung „Recht des ersuchenden Mitgliedstaats“ verwenden, verdeutliche nach ihrer Ansicht im Zusammenspiel mit der Legaldefinition des ersuchenden Mitgliedstaats als den Staat, aus dessen Hoheitsgebiet ein Kulturgut unrechtmäßig entfernt wurde,486 dass in den genannten Vorschriften die lex originis unabhängig vom diesbezüglichen Meinungsstreit eigenständig und eindeutig definiert worden sei.487 Die gesetzgeberische Begründung des Art. 12 zeugt indessen in verschiedenerlei Hinsicht von einem zu oberflächlichen kollisionsrechtlichen Verständnis des europäischen Gesetzgebers von den Auswirkungen der Vorschrift: 488 Zwar erklären die Rechtsgestalter ausdrücklich, dass nach dieser Bestimmung die Vorschriften der lex originis „ab dem Zeitpunkt der Rückkehr des Kulturguts in das Rechtsgebiet des ersuchenden Mitgliedstaates gelten“ 489. Dann hätte die Vorschrift jedoch keinen Gehalt, da dies nach dem Prinzip der lex rei sitae ohnehin aus der Rückkehr des Kulturguts folgen würde, sodass hierin gerade nicht die von der Vorschrift gewollte Abweichung von diesem Situs-Prinzip liegen
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Vgl. Pfeiffer, Der Stand des Internationalen Sachenrechts nach seiner Kodifikation, IPRax 2000 (Heft 4), S. 271–285, S. 278–280. Art. 12 i.V.m. Artikel 1 Nr. 3 EG-Richtlinie 93/7/EWG des Rates über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern vom 15. März 1993. So Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 238–246, unter Rückgriff auf die Vorarbeiten von Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 206. Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 79–94. Der Begründung sei jedoch zu entnehmen, dass Art. 12 als einheitliche Kollisionsnorm zu verstehen ist, die von dem Grundsatz der Anknüpfung an das jeweilige Lageortsrecht im Zeitpunkt des Erwerbsvorgangs abweichen soll. Die Vorschrift legt „eine einheitliche Kollisionsnorm fest, die von einem Grundsatz des internationalen Privatrechts abweicht, demzufolge das Recht der Belegenheit je nach den Rechtsvorschriften des Landes, in dem sich der Gegenstand zum Zeitpunkt der Transaktion befindet, durch einen reinen Transfer des Gegenstandes in das Staatsgebiet eines anderen Landes nicht berührt wird“, vgl. die Begründung zu dem Art. 12 der Richtlinie 93/7/EWG entsprechenden Art. 13 des Richtlinienentwurfs Dok. KOM (91) 447 endg. – SYN 382, S. 29 f.; BRDrs. 137/92 v. 25.2.1992, S. 30 f. Dieses Verständnis von Art. 12 der Richtlinie entspreche der Auffassung, die die Vorschrift als Kollisionsnorm begreift, die das Recht des Herkunftsstaats zur Anwendung beruft. So die Zitierung bei Pfeiffer, Der Stand des Internationalen Sachenrechts nach seiner Kodifikation, IPRax 2000 (Heft 4), S. 271–285, S. 278–280.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
kann.490 Pfeiffer folgend hat der europäische Gesetzgeber hier wohl zum Ausdruck bringen wollen, dass ab dem Moment der Rückführung unrechtmäßig verbrachter Kulturgüter in den kulturellen Ursprungsstaat der Geltungsanspruch der lex originis auch durchgesetzt werden könne und müsse, wohingegen aus dieser Wendung zur Frage der rückwirkenden Anwendung auf Vorgänge vor der Rückgabe, also während der Zeit der rechtswidrigen Ausfuhr, gerade nichts herzuleiten sei.491 Während sich die Begründung zu Art. 12 der Richtlinie somit als wenig aufschlussreich erweist, nimmt Pfeiffer in seiner Begutachtung des internationalen Sachenrechts nach seiner Kodifikation auf die Begründung des Europäischen Gesetzgebers zu Art. 9 der Richtlinie Rekurs: „Daß nach der Richtlinie kein Normmangel eintritt, sondern vielmehr die rückwirkende Anwendung der lex originis vorgesehen ist, bestätigt nämlich ausdrücklich die Begründung zu Art. 10 des Entwurfs (= Art. 9 RL 93/7/EWG). Wie dort ausgeführt wird, bestimmt sich die Höhe der für die Rückgabe zu zahlenden Entschädigung an den zwischenzeitlichen Erwerber unter anderem danach, ob dieser nach den Vorschriften des ersuchenden Mitgliedstaates Eigentümer bleibt. Die Möglichkeit eines Eigentumserwerbs nach diesen Vorschriften wird folglich vorausgesetzt.“ 492 173
Ebenso wie die Vertreter einer materiell-rechtlichen Theorie die Annahme eines Normenmangels mit dem konkreten Schutzzweck der Richtlinie begründen, berufen sich auch die Repräsentanten einer kollisionsrechtlichen Interpretation des Art. 12 auf die Funktion der Vorschrift und begründen hiermit deren Charakterisierung als Kollisionsnorm und die rückwirkende Anwendung der lex originis.493
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Sinn und Zweck des Art. 12 erklären „sich unter anderem daraus, daß die unrechtmäßige Ausfuhr nach dem Recht einiger Mitgliedstaaten, selbst wenn sie durch den Eigentümer erfolgt, zu einem Verfall zugunsten des Herkunftsstaates führt.“494 Zu Recht erwähnt an dieser Stelle Roth, dass tatsächlich sowohl die
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„Wenig ergiebig ist auch die weitere Begründungserwägung zu Art. 12 RL 93/7/EWG, daß ein Eigentumserwerb nach den Vorschriften des ersuchten Mitgliedstaates, eines anderen Mitgliedstaates oder eines Drittstaates der Anwendung der lex originis nicht entgegensteht. Daraus resultiert nämlich lediglich negativ, daß nach den genannten Rechten kein Eigentumserwerb erfolgt. Hingegen läßt sich positiv weder folgern, daß ein Eigentumserwerb nach den Sachvorschriften der lex originis ausgeschlossen ist, noch daß er möglich sein soll.“ Pfeiffer, Der Stand des Internationalen Sachenrechts nach seiner Kodifikation, IPRax 2000 (Heft 4), S. 271–285, S. 278–280. Vgl. Pfeiffer, Der Stand des Internationalen Sachenrechts nach seiner Kodifikation, IPRax 2000 (Heft 4), S. 271–285, S. 278–280. Pfeiffer, Der Stand des Internationalen Sachenrechts nach seiner Kodifikation, IPRax 2000 (Heft 4), S. 271–285, S. 278–280, unter Rekurs auf Dok. KOM (91) 447 endg. – SYN 382, S. 28. Vgl. Roth, Angleichung des IPR durch sekundäres Gemeinschaftsrecht, IPRax 1994, S. 165– 174, S. 173. So Pfeiffer, Der Stand des Internationalen Sachenrechts nach seiner Kodifikation, IPRax 2000 (Heft 4), S. 271–285, S. 278–280.
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Annahme eines Normenmangels innerhalb der materiell-privatrechtlichen Theorie als auch die rückwirkende Anwendung der lex originis innerhalb der kollisionsrechtlichen Auslegung den Vorrang derartiger herkunftsstaatlicher Regeln sichern.495 Die besonders bedeutsame Funktion der Richtlinie 93/7/EWG vom 15.3.1993 liegt tatsächlich in der Sicherstellung der Anwendung derjenigen Rechtsvorschriften des Mitgliedstaates der unrechtmäßigen Ausfuhr, die bei einem unrechtmäßigen Kulturguttransfer eine dingliche Sachzuordnung an den kulturellen Ursprungsstaat vornehmen. Dabei ist Kreuzer der Meinung, dass nach Umsetzung des Art. 12 jedenfalls gewährleistet sein müsse, dass bspw. diejenigen Regeln der lex originis gelten, die im Falle der unrechtmäßigen Ausfuhr einen Verfall des Eigentums anordnen, was eine Beschränkung der Norm auf eine bloße Sperrwirkung zumindest ausschließe.496 Dem stimmt Pfeiffer insofern zu, als gerade die Durchsetzung der nationalen Kulturgüterschutzbestimmungen eine wesentliche Ratio der Richtlinie bildet.497 Andererseits macht er darauf aufmerksam, dass sich die Frage der Anwendbarkeit solcher nationaler Vorschriften sinnvollerweise ohnehin nicht mit dem Argument verneinen ließe, dass die Herrschaft der lex originis eine „juristische Sekunde“ vor der Vollendung der unrechtmäßigen Ausfuhr ende.498 In jüngerer Zeit hat sich insbesondere Wiese mit guten Gründen für eine kollisionsrechtliche Auslegung ausgesprochen.499 Er unterscheidet mit den Begriffen der materiellen und physischen Restitution zwei Funktionen und Aufgaben der internationalen Restitution von Kulturgütern. Während auf der einen Seite die physische Restitution allein die Wiederherstellung der territorialen Oberhoheit des Heimatstaates des Kulturguts anstrebe und das dem Heimatstaat entzogene Objekt wieder in sein Staatsgebiet zurückbringe, gehe auf der anderen Seite die materielle Restitution über dieses Ziel hinaus und sichere nach der physischen Rückkehr des Gegenstandes ohne weitere rechtliche Zwischenakte die extraterritoriale Effektivität des nationalen Kulturgüterschutzregimes.500 Richtig an der Unterscheidung ist, dass für den zwischenstaatlichen Anspruch auf Rückführung des Kulturguts, d.h. die physische Restitution, das internationale Kulturgüterpri-
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Für die rückwirkende Anwendung der lex originis insbesondere Roth, Angleichung des IPR durch sekundäres Gemeinschaftsrecht, IPRax 1994, S. 165–174, S. 173. Vgl. Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 EGBGB Anh. I, Rdnr. 195. Vgl. Pfeiffer, Der Stand des Internationalen Sachenrechts nach seiner Kodifikation, IPRax 2000 (Heft 4), S. 271–285, S. 278–280. Vgl. Pfeiffer, Der Stand des Internationalen Sachenrechts nach seiner Kodifikation, IPRax 2000 (Heft 4), S. 271–285, S. 278–280. Vgl. ausführlich hierzu Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 153–156. Vgl. Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 153–156.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
vatrecht irrelevant ist und dingliche Berechtigungen am Kulturgut nicht verhindern, dass der Heimatstaat des Kulturguts seinen besonderen, das Privatrecht überlagernden öffentlich-rechtlichen Rückführungsanspruch durchsetzen kann. „Änderungen an der dinglichen Rechtslage des Kulturguts auf der Grundlage der traditionellen lex rei sitae-Regel bleiben von den Zielen der physischen Restitution unberührt.“ 501 Im Gegensatz dazu zielt die materielle Restitution nach der Unterscheidung Wieses auf die extraterritoriale Anwendung der dinglichen Sachzuordnung kultureller Güter an den kulturellen Ursprungsstaat mittels seiner nationalen Kulturgüterschutzvorschriften. Damit soll vermieden werden, „dass der Heimatstaat dingliche Rechte erst noch erwerben oder entziehen muss, um einen „domaine public“ wiederherzustellen.“ 502 Innerhalb der materiellen Restitution erlange jedoch das internationale Kulturgüterprivatrecht seine besondere Bedeutung und die traditionelle Situs-Regel sei zu berichtigen, „um den Fortbestand dinglicher Rechte am Kulturgut zu unterbinden, die einen durch die Unveräußerlichkeit des Gutes gekennzeichneten „domaine public“ zerstören könnten. Nach Rückführung des entzogenen Kulturguts in das Staatsgebiet seines Heimatlandes dürfen solche Rechte nicht mehr existieren.“ 503 Die Auslegung des Art. 12 ergäbe somit, dass die Richtlinie eine materielle Restitution anstrebe und verhindert werden solle, dass gemeinschaftsweit hinkendes Eigentum am zurückgeführten Kulturgut entsteht. Deshalb enthalte die Vorschrift eine von der lex rei sitae-Regel abweichende Kollisionsnorm und die „dingliche Rechtslage am Kulturgut wird nach der Rückgabe des Kulturguts für die Zeit zwischen seinem unrechtmäßigen Verbringen und seiner Rückkehr rückwirkend dem Recht des ersuchenden Mitgliedstaates unterstellt. Hauptaufgabe dieser Kollisionsvorschrift ist es, mit dem Recht des ersuchenden Mitgliedstaates unvereinbare, am Kulturgut nach dem Recht der Belegenheit zwischenzeitlich erworbene dingliche Rechte untergehen zu lassen.“ 504
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Kritik
Auch wenn die Mehrzahl der Kommentatoren einer kollisionsrechtlichen Interpretation des Art. 12 der Richtlinie 93/7/EWG vom 15.3.1993 folgt, finden sich auch kritische Stimmen gegenüber der Charakterisierung der Vorschrift als Kollisionsregel, nach der die dingliche Sachzuordnung nach erfolgter Rückgabe des Kulturguts rückwirkend für die Zeit zwischen unrechtmäßiger Ausfuhr und
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Vgl. Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 153–156. Vgl. Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 153–156. Vgl. Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 153–156. Vgl. Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 153–156.
1. Abschnitt: Rechtswahl nach der ,lex rei sitae‘ und Sonderkollisionsnormen
535
Rückführung des Kulturguts dem Recht des ersuchenden Mitgliedstaates unterworfen wird, um mit der lex originis unvereinbare, am Kulturgut nach der lex rei sitae erworbene dingliche Rechte abzuerkennen.505 Gegen die kollisionsrechtliche Theorie wird von einigen vorgebracht, dass eine rückwirkende Beurteilung sachenrechtlicher Vorgänge nach der lex originis anstelle der lex rei sitae eine große Rechtsunsicherheit im internationalen Kunsthandel nach sich ziehen könnte.506 Halsdorfer erkennt darin jedoch eine begrenzbare Gefahr, da eine europäische Umsetzung des Art. 12 zumindest gemeinschaftsweit zu einer gleichmäßigen Verdrängung der lex rei sitae führen würde.507 Tatsächlich hat sich diese Hoffnung jedoch zerschlagen, da keine gemeinsame, inhaltlich übereinstimmende Umsetzung innerhalb der Mitgliedstaaten 508 erfolgte und in den nationalen Umsetzungsmaßnahmen bspw. des Vereinigten Königreichs, Irlands, Italiens und Spaniens eine entsprechende Vorschrift gänzlich fehlt 509, da die nationalen Umsetzungsakte bspw. Portugals und Dänemarks auf die Richtlinie selbst als anwendbares Recht verweisen und sich somit einer nationalen Stellungnahme zu dem spezifischen Gehalt des Art. 12 der EG-Richtlinie entziehen oder da andere Mitgliedstaaten, wie bspw. Finnland, die Niederlande, Frankreich, Belgien, Luxemburg, Österreich und Deutschland – zumindest dem Wortlaut nach – die Vorschrift als Kollisionsnorm umsetzten.510 Die Beeinträchtigung der Verkehrsinteressen kann jedoch nicht als gewichtiger Kritikpunkt gegen eine kollisionsrechtliche Deutung des Art. 12 der Richtlinie ins Feld geführt werden, da diese gerade mit dem Ziel der Einschränkung eines freien Wirtschaftsverkehrs mit national bedeutsamen Kulturgütern zu deren Schutz und Bewahrung erlassen
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Vgl. Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 91–92. So schon Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes, 1994, S. 196 f., nun auch Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 238–246; Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 187–189. Vgl. Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 238–246; vgl. auch Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 187–189. Vgl. Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 71–77. Vgl. Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 389 f.; Siehr, Kulturgüterschutz innerhalb der Europäischen Union, ZVglRWiss 95 (1996), S. 170–187, S. 180. So auch Spaun, Der Herausgabeanspruch bei Diebstahl oder illegalem Export von Kulturgütern, 2003, S. 196.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
wurde: Unsicherheiten hinsichtlich des Eigentumserwerbs an rechtswidrig ins Ausland verbrachten Kulturgütern waren zugunsten des Kulturgüterschutzes somit ausdrücklich gewollt und sind deshalb in den Grenzen hinzunehmen.511 178
Ein systematisches Argument gegen eine rückwirkende Anwendung der lex originis von der rechtswidrigen Ausfuhr an entnimmt Pfeiffer 512 aus Art. 9 der Richtlinie 93/7/EWG vom 15.3.1993, wonach ein gutgläubiger Erwerb und sogar ein Erwerb vom Eigentümer gegenüber dem öffentlich-rechtlichen Rückgabeanspruch in jedem Fall zurückstehen muss.513
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Er spricht sich jedoch selbst gegen eine zwingende Bedeutung dieses Einwandes aus und erkennt zu Recht, dass es im Anschluss an die Durchsetzung der öffentlich-rechtlichen Rückgabe dem ersuchenden Mitgliedstaat überlassen bleiben kann, wem alsdann das zivilrechtliche Eigentum zusteht.514 Unter Rückgriff auf die Erkenntnis bei Siehr, dass die Anwendung der lex originis den Mitgliedstaat hieran nicht hindert, weil er bei der sachrechtlichen Ausgestaltung seiner Vorschriften frei bleibt und jeder Mitgliedstaat spezielle sachrechtliche Regeln treffen kann, die an den Sachverhalt der unrechtmäßigen Ausfuhr, der unrechtmäßigen Veräußerung oder des erfolgreichen Rückgabeverlangens anknüpfen,515 schließt Pfeiffer, dass der jeweilige Staat, der unrechtmäßig ausgeführtes Kulturgut bspw. als res extra commercium behandelt wissen will, dies auch sachrechtlich anordnen kann und es einer Deutung des Art. 12 gegen seinen Wortlaut hierzu nicht bedarf.516
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Weiterhin wird gegen die rückwirkende Anwendung der lex originis ab dem Zeitpunkt der unrechtmäßigen Ausfuhr geschützter Kulturgüter geltend gemacht, dass die kollisionsrechtliche Theorie nach der Ausfuhr zu einem Eigentumswechsel nach Vorschriften führen könne, an welche die an den fraglichen Vorgängen Beteiligten nicht gedacht haben.517 Darin könnte ein Verstoß gegen das inter-
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Vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 188; Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 238–246. Vgl. Pfeiffer, Der Stand des Internationalen Sachenrechts nach seiner Kodifikation, IPRax 2000 (Heft 4), S. 271–285, S. 278–280. Begründung zu Art. 10 des Entwurfs Dok. KOM (91) 447 endg. – SYN 382, S. 27. Vgl. Pfeiffer, Der Stand des Internationalen Sachenrechts nach seiner Kodifikation, IPRax 2000 (Heft 4), S. 271–285, S. 278–280. Vgl. Vgl. Siehr, Kulturgüterschutz innerhalb der Europäischen Union, ZVglRWiss 95 (1996), S. 170–187, S. 187. Vgl. Pfeiffer, Der Stand des Internationalen Sachenrechts nach seiner Kodifikation, IPRax 2000 (Heft 4), S. 271–285, S. 278–280. Vgl. Pfeiffer, Der Stand des Internationalen Sachenrechts nach seiner Kodifikation, IPRax 2000 (Heft 4), S. 271–285, S. 278–280.
1. Abschnitt: Rechtswahl nach der ,lex rei sitae‘ und Sonderkollisionsnormen
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national-privatrechtliche Gebot einer interessengerechten Anknüpfung nach dem Prinzip der engsten Verbindung gesehen werden.518 Dieser Einwand beruht jedoch auf der in den einzelnen nationalen Rechtssystemen vorkommenden, international innerhalb des Kulturgüterschutzrechts jedoch inzwischen überholten Anschauung, dass die Rechtsordnung des Lageortes stets die engste Verbindung zu den Fällen des illegalen Kulturgüterverkehrs aufweist. Der Gedanke des internationalen Kulturgüterschutzes fördert gegenüber der Rechtswahl nach der lex rei sitae inzwischen jedoch nicht nur allein rechtsdogmatische, sondern auch judikative und legislative Entkrustungstendenzen, die das Fundament der generellen Rechtswahl nach der Situs-Regel erschüttern.519 Es setzt sich in steigendem Umfang die Rechtsansicht durch, dass Kulturgüter nicht mehr als gewöhnliche Sachen behandelt werden dürfen und dass auch innerhalb des internationalen Kulturgüterprivatrechts ein „aus einem Museum gestohlene[s] Meisterwerk mit dem in der Eisenbahn vergessenen Regenschirm [nicht] über ein und denselben Leisten“ 520 geschlagen werden darf. Kulturgüter verkörpern die kulturelle Identität ihres Sachzuordnungssubjektes, die sich auch innerhalb der Rechtswahl durchsetzen muss.521 Pfeiffer zieht diesbezüglich einen Vergleich mit den sog. res in transitu und verlangt ein Gesetzesverständnis, welches Kulturgüter „gleichsam als Enklave des Herkunftslandes“ 522 ansieht: Auch nach seiner Ansicht gibt die rückwirkende Anknüpfung an die lex originis ab dem Zeitpunkt der unrechtmäßigen Ausfuhr geschützter Kulturgüter kollisionsrechtlich durchaus Sinn.
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Schwieriger ist dem bei Halsdorfer wiedergegebenen Einwand gegen eine rückwirkende Rechtswahl nach der lex originis zu begegnen, dass einem nach einer strengen lex rei sitae gescheiterten Eigentumserwerb durch die rückwirkende Anwendung einer milderen lex originis zur Wirksamkeit verholfen werden könnte.523 Auf diese Weise wäre es bspw. möglich, dass ein in Deutschland gestohlenes Kulturgut auf einer Londoner öffentlichen Auktion nach §§ 932, 935
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So auch die Erwägung bei Pfeiffer, Der Stand des Internationalen Sachenrechts nach seiner Kodifikation, IPRax 2000 (Heft 4), S. 271–285, S. 278–280. Vgl. ausführlich 3, 392 ff. Mußgnug, Europäischer und nationaler Kulturgüter-Schutz, in: Mußgnug/Roellecke, Aktuelle Fragen des Kulturgüterschutzes: Beiträge zur Reform des deutschen Kulturgutschutzgesetzes 1955 und seiner Angleichung an den europäischen Kulturgüterschutz, 1998, S. 11 ff., S. 26. Vgl. dazu Jayme, Kulturgüterschutz in ausgewählten europäischen Ländern, ZVglRWiss 95 (1996), S. 158–169, S. 168 f. Pfeiffer, Der Stand des Internationalen Sachenrechts nach seiner Kodifikation, IPRax 2000 (Heft 4), S. 271–285, S. 278–280. Vgl. den Einwand bei Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 238–246.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Abs. 2 BGB gutgläubig erworben würde.524 Es geht also darum, dass unter Umständen der Kulturgüterschutz eher verschlechtert denn verbessert werde und es dem Schutzzweck der Kulturgüterschutzrichtlinie widerspreche, wenn eine strengere lex rei sitae durch die mildere lex originis ersetzt werden könne und damit vielleicht einem gutgläubigen Erwerb, der nach der lex rei sitae gescheitert wäre, rückwirkend zur Wirksamkeit verholfen würde.525 Wenn die Anwendung der lex originis anstelle der lex rei sitae zu einem wirksamen Rechtserwerb im Ausland führt, verringern sich die Chancen des ursprünglich Berechtigten, seine Eigentumsposition wiederzuerhalten, sodass dem Schutzzweck der EG-Richtlinie 93/7/EWG vom 15. März 1993 und des deutschen Kulturgüterrückgabegesetzes widersprochen werde.526 Auch Kreuzer spricht sich vor dem genannten Hintergrund negativ gegen eine rückwirkende Rechtswahl nach der lex originis aus und macht darauf aufmerksam, dass die Anwendung der Rechtsordnung des kulturellen Ursprungsstaates den Schutzzweck der Richtlinie verletze, weil sie einen bürgerlich-rechtlichen Eigentumswechsel während der Zeit der Ausfuhr ermögliche.527 183
Wendehorst sucht zur Lösung dieses Interessenwiderstreits Zuflucht in der teleologischen Reduktion der Vorschrift und wendet die aus Sicht des Kulturgüterschutzes ‚bessere‘ und ‚effektivere‘ Methode der Rechtswahl an.528 Sie versteht Art. 12 dahingehend, dass die Vorschrift den Rechtserwerb nach der lex rei sitae bereits voraussetzt und nur die Anerkennung nach der lex rei sitae wohlerworbener Rechte nach der Rückkehr nicht schützt, sondern nach der lex originis beurteilt. Deshalb sei eine rückwirkende Rechtswahl nach der lex originis nicht so zu verstehen, dass unter Umständen auch neue Rechte nach der lex originis geschaffen werden könnten.529 Eine teleologische Reduktion des Art. 12 der EG-Richt-
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Vgl. Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 Anh. I Rdnr. 195; diesem folgend Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 187–189. Vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 187–189. Vgl. Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 238–246. Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rdnr. 195. Vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 188. Vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl.
1. Abschnitt: Rechtswahl nach der ,lex rei sitae‘ und Sonderkollisionsnormen
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linie und eine kumulative Anwendung der Wirksamkeitsvoraussetzungen der lex rei sitae und der lex originis 530 werden jedoch von Pfeiffer zurückgewiesen, da die Geltung der lex rei sitae nicht nur durch die lex originis eingeschränkt, sondern vollständig verdrängt werden sollte.531 Die Berufung auf den Kulturgüterschutz mittels des Rechtsinstituts des Eigentums stimme nämlich mit der ausdrücklichen Begründung der Richtlinie nicht überein: Sowohl die Erwägungsgründe der EG-Richtlinie als auch ihre Begründung 532 zeigen, dass nicht die Sicherung des zivilrechtlichen Eigentums an unrechtmäßig verbrachten Kulturgütern, sondern allein die Bewahrung des nationalen Kulturguts der Mitgliedstaaten im Binnenmarkt durch die öffentlich-rechtliche bzw. völkerrechtliche Pflicht zur Rückführung unrechtmäßig verbrachter Kulturgüter in den kulturellen Ursprungsstaat als Funktion der Richtlinie diene. „Die zivilrechtliche Eigentumsordnung bleibe hiervon unberührt.“ 533 Unter Rückgriff auf den international-privatrechtlichen Grundsatz der Gleichwertigkeit aller Rechtsordnungen ist nämlich zu erwidern, dass es im Internationalen Kulturgüterprivatrecht nicht darum geht, das für den Kulturgüterschutz günstigste Recht zu finden, sondern die sachgerechteste und sachnächste Rechtsordnung auszuwählen.534 Sachgerecht ist nicht das für den Kulturgüterschutz beste Recht – dann müsse man sich in der Tat den Vorwurf gefallen lassen, Willkür wähle die passende Rechtsordnung, und gebe ein zu schützendes Mindestmaß an Rechtssicherheit im internationalen Kulturgüterverkehr gänzlich auf –, sondern diejenige Rechtsordnung, die die engste Verbindung mit einer unrechtmäßigen Verbringung kultureller Wertgegenstände aufweist.
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Bleibt ein nationaler Gesetzgeber jedoch hinter einem gewissen dinglichen Mindestschutzprogramm zurück, so liegt das Manko nicht in der Rechtswahl, sondern in der mangelhaften Ausgestaltung der materiellen Rechtsordnung des kulturellen Ursprungsstaates – wie dies bspw. die Berufung der Bundesrepublik Deutschland auf die ordre public-Widrigkeit deutscher Verjährungsgrundsätze vor englischen Zivilgerichten in der Rechtssache City of Gotha v. Sotheby’s / Cobert Finance
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2006, Art. 43, Rdnr. 188; Siehr, Vereinheitlichung des Mobiliarsachenrechts in Europa, insbesondere im Hinblick auf Kulturgüter, RabelsZ 59 (1995), S. 454–468, S. 467. So die Beschreibung bei Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 238–246. Vgl. Pfeiffer, Der Stand des Internationalen Sachenrechts nach seiner Kodifikation, IPRax 2000 (Heft 4), S. 271–285, S. 280. Vgl. Dok. KOM (91) 447 endg. – SYN 382, S. 2, 7, 18, 30 (Begründung zu Art. 14). Pfeiffer, Der Stand des Internationalen Sachenrechts nach seiner Kodifikation, IPRax 2000 (Heft 4), S. 271–285, S. 278–280. Vgl. Kienle/Weller, Die Vindikation gestohlener Kulturgüter im IPR, IPRax 2004, S. 290– 294; Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 238–246.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
S. A. (der sog. Wtewael-Fall) 535 deutlich macht! Auch Halsdorfer weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass sich der Herkunftsstaat ohnehin noch stärker als ein Eigentümer den Vorwurf gefallen lassen muss, dass ein Gesetzgeber, der seine materiell-rechtlichen Vorschriften so ausgestalten kann, dass sie einen gutgläubigen Rechtserwerb erschweren, wenn er dies im Inland hinsichtlich inländischer und ausländischer Kulturgüter unterlässt, sich daran auch im Hinblick auf deutsche Kulturgüter im Ausland festhalten lassen muss.536 „Schließlich wäre es dem deutschen Gesetzgeber unbenommen, seine materiellrechtlichen Vorschriften über den gutgläubigen Erwerb für Kulturgüter entsprechend einzuschränken. Sofern er das nicht tut und es damit in Kauf nimmt, dass Kulturgüter ungehindert im Inland zirkulieren und im Inland auch an ausländischen Kulturgütern gutgläubig Eigentum erworben werden kann, muss er sich daran auch dann festhalten lassen, wenn es um deutsche Kulturgüter im Ausland geht.“537 186
Insgesamt begegnet die kollisionsrechtliche Lösung praktisch keinen durchgreifenden Bedenken und wird daher von der überwiegenden Auffassung zu Recht als vorzugswürdig erachtet.538 Kohls beziffert die Vorschrift dementsprechend als „eigene Kollisionsnorm für Kulturgüter“ 539. Offen bleibt bislang jedoch, ob die Verweisung, die Art. 12 der Richtlinie 93/7/EWG und §§ 5 Abs. 1
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Vgl. Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 5. Teil, Rdnr. 79 ff. Vgl. Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 238–246, unter Rekurs auf Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 188; Pfeiffer, Der Stand des Internationalen Sachenrechts nach seiner Kodifikation, IPRax 2000 (Heft 4), S. 271–285, S. 279. So Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 187–189. So Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 187; Roth, Angleichung des IPR durch sekundäres Gemeinschaftsrecht, IPRax 1994, S. 165–174, S. 173; Fuchs, Kulturgüterschutz im Kulturgutsicherungsgesetz, IPRax 2000, S. 281–286, S. 284–285; Pfeiffer, Der Stand des Internationalen Sachenrechts nach seiner Kodifikation, IPRax 2000 (Heft 4), S. 271–285, S. 280; Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 84; Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 238–246; Kohls, Kulturgüterschutz: Wirkungen von Verstößen gegen Ausfuhrverbote und Möglichkeiten der Rückführung illegal verbrachter Kulturgüter – Eine vergleichende Untersuchung mit den Rechten Dänemarks, Norwegens und Schwedens, 2001, S. 156–159; Jayme/Kohler, Europäisches Kollisionsrecht 1994 – Quellenpluralismus und offene Kontraste, IPRax 1994, S. 405– 415, S. 408. Kohls, Kulturgüterschutz: Wirkungen von Verstößen gegen Ausfuhrverbote und Möglichkeiten der Rückführung illegal verbrachter Kulturgüter – Eine vergleichende Untersuchung mit den Rechten Dänemarks, Norwegens und Schwedens, 2001, S. 156–159.
1. Abschnitt: Rechtswahl nach der ,lex rei sitae‘ und Sonderkollisionsnormen
und 9 des deutschen Kulturgüterrückgabegesetzes vom 18.05.2007 aussprechen, eine Gesamt- oder eine Sachnormverweisung auf die lex originis ist.540 Die Beachtung einer kollisionsrechtlichen Verweisung innerhalb des internationalen Privatrechts des Forumstaates kann davon abhängig gemacht werden, ob das berufene Recht selbst angewandt werden will.541 Bei einer Gesamtverweisung steht die Anwendung der durch die Kollisionsregeln des Forumstaates berufenen Rechtsordnung unter dem Vorbehalt, dass diese nach ihren eigenen Kollisionsregeln ebenfalls angewandt werden will, die Rechtswahl der Kollisionsregeln des Forumstaates ist somit bedingt. Die Gesamtverweisung ist für das deutsche internationale Privatrecht als Grundsatz in Art. 4 Abs. 1 S. 1 EGBGB normiert und verweist somit auch auf die ausländischen Kollisionsregeln, die nunmehr selbst eine Rechtswahl vornehmen. Im Gegensatz dazu ist die Sachnormverweisung unbedingt und dementsprechend unabhängig vom Anwendungswunsch des fremden Rechts, sodass allein auf die materiell-inhaltlichen Sachregeln, nicht jedoch auf das Kollisionsrecht des Forumstaates verwiesen wird. Das Problem, ob Art. 12 eine Gesamt- oder eine Sachnormverweisung auf die lex originis normiert, stellt sich nicht nur innerhalb der deutschen Umsetzung der europäischen Vorgaben, sondern in den Umsetzungsakten aller europäischen Mitgliedstaaten. Beide Ausgestaltungsvarianten sind grundsätzlich möglich und würden auch nicht gegen den Vorbehalt des Art. 295 EG verstoßen.542 So ist es bspw. in den Niederlanden umstritten, ob Art. 1012 des Wetboek van Burgerlijke Rechtsvordering mit seinem Verweis auf das nationale Recht 543 eine Gesamt- oder eine Sachnormverweisung auf die Vorschriften des ersuchenden Mitgliedstaates ausspricht.544 In ähnlicher Weise kritisiert Siehr das französische Umsetzungsgesetz 545, da nicht eindeutig zum Ausdruck gebracht worden sei, dass sich die Richtlinie nur auf die Situation nach der Rückgabe beziehe, da der Verweis in Art. 23 der Loi N° 95-877 auf die „législation de l’Etat“ und nicht auf die an-
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Vgl. Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 69–71 und S. 91–92. Vgl. zu der rechts-theoretischen Unterscheidung m.w.N. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 185. Vgl. Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 105. Kritik hieran übt Siehr, Kulturgüterschutz innerhalb der Europäischen Union, ZVglRWiss 95 (1996), S. 170–187, S. 180. Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 71–77, unter Rekurs auf Staatscommissie voor het Internationaal Privaatrecht, Rapport aan de Minister van Justititie (Internationaal goederenrecht), November 1998, http:// www.justitie.nl/Images/117636.doc, unter Punkt 8.3 Implementatiewet bescherming cultuurgoederen tegen illegale uitoor. Siehr, Kulturgüterschutz innerhalb der Europäischen Union, ZVglRWiss 95 (1996), S. 170– 187, S. 180.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
sonsten üblichere „loi de l’Etat“ 546 abzielt.547 Zu Recht kritisiert hier Wiese, dass damit zwar beide nationalen Gesetze lediglich den Wortlaut des Art. 12 der Richtlinie 93/7/EWG in der jeweiligen Landessprache umsetzen, jedoch auch die auf Gemeinschaftsebene bestehenden Unsicherheiten in das nationale Recht inkorporieren.548
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Gesamtverweisung
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Insbesondere Müller-Katzenburg 549 und Wiese 550 sprechen sich aufgrund der Wertungen der Eigentumsgarantie und des Rechtsstaatsgebots 551 für eine Auslegung des Art. 12 der Richtlinie 93/7/EWG vom 15.3.1993 und der entsprechenden §§ 5 Abs. 1 und 9 des Kulturgüterrückgabegesetzes vom 18.05.2007 als Gesamtverweisung aus, sodass die Anwendung der durch die Kollisionsregeln des Forumstaates berufenen lex originis unter dem Vorbehalt steht, dass diese nach ihren eigenen Kollisionsregeln ebenfalls angewandt werden will.
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Insbesondere der Wortlaut der Vorschrift spreche nach Ansicht Müller-Katzenburgs gegen die Automatik einer Sachnormverweisung.552 Sie erklärt, dass nur dinglich wirkende Sonderregeln des Herkunftsstaates mittels einer Gesamtverweisung auf die lex originis zwischenzeitlich erfolgte Erwerbsvorgänge zugunsten des Rechts des ersuchenden Mitgliedstaates korrigieren würden. Auf diese Weise privatrechtlich abgesichert, lasse der Restitutionsanspruch die unter einem früheren Belegenheitsstaat wirksam begründeten Eigentums- und sonstigen dinglichen Rechte nach erfolgter Rückgabe im Übrigen unberührt.553 Berufe das Kollisionsrecht die lex rei sitae, werde in den Anspruch auf Fortgeltung wohlerworbener Rechte regelmäßig nicht eingegriffen, während bei einer Sachnormverweisung mit dem materiellen Recht des ersuchenden Mitgliedstaats unvereinbare Rechte auch in den Fällen aberkannt werden können, in denen tatsächlich ein Untergang der Rechte aus Kulturgüterschutzgesichtspunkten nicht zwingend notwendig sei.554
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Vgl. dazu Art. 10 (2) der luxemburger Loi du 9 janvier 1998 und Art. 8 (2) der belgischen Loi du 28 Octobre 1996. So Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 71–77. Vgl. Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 71–77. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 285. Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 106, S. l16 sowie S. 153 ff. So die Erläuterung bei Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 238–246. Vgl. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 285. Vgl. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 285. Vgl. die Ausführungen bei Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung
1. Abschnitt: Rechtswahl nach der ,lex rei sitae‘ und Sonderkollisionsnormen
543
In jüngerer Zeit hat sich insbesondere Wiese mit guten Gründen für eine Sachnormverweisung innerhalb der kollisionsrechtlichen Auslegung des Art. 12 und der Unterscheidung zwischen der physischen und materiellen Restitution ausgesprochen.555 Er erkennt zunächst an, dass die Wahrung der dinglichen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter mittels der nationalen Kulturgüterschutzgesetze der kulturellen Ursprungsstaaten sowohl als Gesamtals auch Sachnormverweisung zu erreichen ist: „Entweder wird die dingliche Rechtslage am zurückgeführten Kulturgut rückwirkend den materiellen Rechtsregeln des ersuchenden Mitgliedstaats unterstellt (Sachnormverweisung), oder es wird rückwirkend auf das Recht des ersuchenden Mitgliedstaats unter Einschluss seines Kollisionsrechts (Gesamtverweisung) verwiesen.“ 556 Dabei sieht er insbesondere auch in der Klarheit der dinglichen Rechtslage den Vorteil der Sachnormverweisung, da der Rechtsanwender davon entlastet wird, das Kollisionsrecht des ersuchenden Mitgliedstaats daraufhin zu untersuchen, welchen besonderen Verweisungsarten Kulturgüter unterstellt sind.557
189
Gleichwohl versteht Wiese Art. 12 nicht als Sachnormverweisung auf das Recht des ersuchenden Mitgliedstaats, da unter der lex rei sitae erworbene, mit dem materiellen Recht des ersuchenden Mitgliedstaats unvereinbare Rechte auch in den Fällen aberkannt würden, in denen der Untergang dieser Rechte aus der Sicht des Kulturgüterschutzrechts des ersuchenden Mitgliedstaats nicht notwendig sei.558 Da bspw. für das deutsche Recht des Kulturgüterschutzes ohne Belang ist, wer ein illegal ausgeführtes Kulturgut redlich nach den Regeln der lex rei sitae erworben hat, sei eine Sachnormverweisung deshalb für die Ziele der materiellen Restitution nicht stets erforderlich und verletze den Wesensgehalt der durch die Eigentumsgarantie geschützten, unter der lex rei sitae erworbenen dinglichen Rechte am Kulturgut, deren Fortbestand jedoch grundsätzlich zu sichern sei.559 Die Lösung liege vielmehr in der Annahme einer Gesamtverweisung und der Applikation des nationalen ordre public-Vorbehalts des die Restitution ersuchenden Mitgliedstaates:
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von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 238–246. Vgl. ausführlich hierzu Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 153–156. Vgl. Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 153–156. Vgl. Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 153–156. Vgl. Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 153–156. Vgl. Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 153–156.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
191
„Durch die Anordnung einer Gesamtverweisung wird der ordre public des ersuchenden Mitgliedstaats aus der Sicht der Kollisionsrechte der übrigen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft beachtlich. Dinglich wirkende Sonderregeln zum Schutze der Kulturgüter, insbesondere deren Extrakommerzialität gehören nach den Rechtsanschauungen derjenigen Mitgliedstaaten, die ihre Kulturgüter als res extra commercium in einem „domaine public“ schützen, regelmäßig zu dem verweisungsfesten ordre public. Die rückwirkende Berufung des Kollisionsrechts des ersuchenden Mitgliedstaats bewirkt, dass lediglich für dinglich wirkende allgemeine Regeln auf die lex rei sitae weiterverwiesen wird; im Übrigen werden die dinglich wirkenden Sonderregeln des ersuchenden Mitgliedstaats zur Anwendung berufen. Artikel 12 der RL 93/7/EWG überlässt es auf diese Art und Weise dem Recht des ersuchenden Mitgliedstaats darüber zu befinden, welche der unter der lex rei sitae am illegal ausgeführten Kulturgut erworbenen Rechte unterzugehen haben, um die Ziele einer materiellen Restitution effektiv zu verwirklichen.“ 560
192
Wichtiger praktischer Hintergrund der Entscheidung zugunsten einer Gesamtverweisung ist, dass die eine Restitution suchenden Mitgliedstaaten der Europäischen Union nicht mit Entschädigungszahlungen nach Art. 9 der Richtlinie 93/7/ EWG vom 15.3.1993 belastet werden, die als Ausgleich für den – nicht notwendigen – Untergang dinglicher Rechte nach Art. 12 seitens des die Restitution ersuchenden Mitgliedstaates zu gewähren sind. Würde man dagegen in Art. 12 eine Sachnormverweisung auf das Recht des ersuchenden Mitgliedstaats erkennen, würde dies zu einer faktischen Schmälerung des Kulturgüterschutzes führen, weil zwangsläufig eine Kostensteigerung nach Art. 9 zu erwarten wäre, die für die Ziele einer materiellen Restitution sinnlos ist. Aus diesem Grund schließt Wiese seine Überlegungen mit der Erwägung, dass der deutsche Gesetzgeber Art. 12 der Richtlinie nicht in der gehörigen Form umgesetzt und im Anschluss an die gegenteilige Rechtseinschätzung in §§ 5 Abs. 1 und 9 des Kulturgüterrückgabegesetzes vom 18.05.2007 ausdrücklich eine Sachnormverweisung auf das Recht des ersuchenden Mitgliedstaats angeordnet habe.561
193
Dass – so die genannte Einschätzung Wieses – bei einer Gesamtnormverweisung auf das Recht des ersuchenden Mitgliedstaats die dort geltenden Kulturgüterschutznormen automatisch mitberufen wären, ist, wie die Ausführungen Halsdorfers belegen, letztlich aber nicht selbstverständlich: „Wird kollisionsrechtlich alleine die lex rei sitae berufen, ohne dass eine Norm für Sonderanknüpfungen inländischer Eingriffsnormen im dinglichen Bereich besteht, und verweist die lex rei sitae auf das Recht eines Staats, welches auf der materiell-rechtlichen Ebene nicht die Berücksichtigung ausländischer Kulturgüterschutznormen vorsieht, droht der Zweck der Sonderkollisionsnormen verfehlt zu werden.“ 562 Auch die 560
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Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 153–156. Vgl. Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 153–156. Vgl. Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 238–246.
1. Abschnitt: Rechtswahl nach der ,lex rei sitae‘ und Sonderkollisionsnormen
545
von Wiese vorgeschlagene Kontrollmöglichkeit über den ordre public-Vorbehalt findet bei Halsdorfer Kritik: „Inwieweit sich der ordre public-Vorbehalt angesichts einer restriktiven Handhabung zur Durchsetzung inländischer und ausländischer Kulturgüterschutznormen eignet, ist jedoch fraglich. Auch beschränkt er sich auf eine reine Ergebniskontrolle, während eine Sachnormverweisung durch eine klare und eindeutige Anwendung die sich aus den Kulturgüterschutznormen ergebenden Rechte abzusichern vermag. Auch wenn man davon ausgeht, dass die Eigentumsgarantie auch auf der kollisionsrechtlichen Ebene zu berücksichtigen ist, so ist darauf hinzuweisen, dass die abweichende Anknüpfung an die lex originis nach deutschem Recht lediglich als Inhalts- und Schrankenbestimmung aufzufassen wäre.“ 563 Aus den genannten Gründen lehnen zahlreiche Stimmen in der Literatur eine Qualifizierung als Gesamtverweisung ab und sehen in Art. 12 der Richtlinie 93/7/EWG vom 15.3.1993 und in §§ 5 Abs. 1 und 9 des Kulturgüterrückgabegesetzes vom 18.05.2007 eine Sachnormverweisung auf die materiellen Rechtsvorschriften des ersuchenden Mitgliedstaates.
(4)
Sachnormverweisung
Der deutsche Gesetzgeber hat sich bei der Schaffung der §§ 4 und 8 des Kulturgüterrückgabegesetzes (heute entsprechen die §§ 5 Abs. 1 und 9 den genannten Vorschriften) für eine Sachnormverweisung entschieden, nachdem nicht, wie bei einer wörtlichen Übernahme der Regelungen der Richtlinie, von dem „Recht“ des ersuchenden Mitgliedstaates gesprochen wird, sondern von dessen „Sachvorschriften“.564 Auch die – soweit ersichtlich – quantitativ vorherrschende Meinung nimmt dementsprechend vergleichbar an, dass Art. 12 der Richtlinie 93/7/EWG vom 15.3.1993 für die Fragen des Eigentums am Kulturgut eine Sachnormverweisung auf das Recht des ersuchenden Mitgliedstaates beinhaltet.565
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Vgl. Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 238–246. Vgl. Kohls, Kulturgüterschutz: Wirkungen von Verstößen gegen Ausfuhrverbote und Möglichkeiten der Rückführung illegal verbrachter Kulturgüter – Eine vergleichende Untersuchung mit den Rechten Dänemarks, Norwegens und Schwedens, 2001, S. 156–159; Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 389 f.; Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 238– 246. So ausdrücklich BT-Drs. 14/343, S. 13, 15. Vgl. im Schrifttum: Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rdnr. 195; Kreuzer, La propriété mobilière en droit international priveé, Recueil des Cours, Collected Courses of the Hagur Academy of International Law, Volume 259 (1996) S. 9 ff., S. 173; Jayme, Kulturgüterschutz in ausgewählten europäischen Ländern, ZVglRWiss 95 (1996), S. 158–169, S. 168; Fuchs, Kulturgüterschutz im Kulturgutsicherungsgesetz,
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546 195
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Alle sachenrechtserheblichen Vorgänge, die sich außerhalb des kulturellen Ursprungsstaates ereignet haben, sind folglich nach dem materiellen Recht des ersuchenden Mitgliedstaates zu beurteilen, auf dessen Gebiet das Kulturgut zurückgelangt ist, ohne dass dessen Kollisionsregeln Anwendung erfahren.566 In der Begründung zu Art. 12 567 heißt es dementsprechend zunächst, dass nach dieser Vorschrift das ursprüngliche Belegenheitsstatut durch die unrechtmäßige Ausfuhr „nicht berührt wird“.568 Das legt sicherlich nahe,569 dass die Vorschrift auf eine rückwirkende Anwendung der lex originis zielt.570 Aus den Materialien
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IPRax 2000, S. 281–286, S. 284–285; Spinellis, Das Vertrags- und Sachenrecht des internationalen Kunsthandels – zugleich ein Beitrag zur Bedeutung der Eingriffsnormen im heutigen internationalen Rechtsverkehr, 2000, S. 377; Jayme/Kohler, Das Internationale Privat- und Verfahrensrecht der EG 1993 – Spannungen zwischen Staatsverträgen und Richtlinien, IPRax 1993, S. 357–371, S. 360; Jayme/Kohler, Europäisches Kollisionsrecht 1999 – Die Abendstunde der Staatsverträge, IPRax 1999, S. 401–413, S. 413; Roth, Angleichung des IPR durch sekundäres Gemeinschaftsrecht, IPRax 1994, S. 165–174, S. 173; Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes, 1994, S. 196; Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 115; Fuchs, Kulturgüterschutz im Kulturgutsicherungsgesetz, IPRax 2000, S. 281–286, S. 285; von Plehwe, European Union and the Free Movement of Cultural Goods, European Law Review, Volume 20 (1995), S. 431–450, S. 448; Pfeiffer, Der Stand des Internationalen Sachenrechts nach seiner Kodifikation, IPRax 2000 (Heft 4), S. 271–285, S. 278; Kohls, Kulturgüterschutz: Wirkungen von Verstößen gegen Ausfuhrverbote und Möglichkeiten der Rückführung illegal verbrachter Kulturgüter – Eine vergleichende Untersuchung mit den Rechten Dänemarks, Norwegens und Schwedens, 2001, S. 156–159; Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 187–189; Kurpiers, Die lex originisRegel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 79–94; de Ceuster, Les règles communautaires en matière de restitution de biens culturels ayant quitté illicitement le territoire d’un Etat membre – Analyse de la directive 93/7/CEE du mars 1993, Revue du Marché Unique européen 2 – 1993, S. 33–88, S. 46; Jayme, Kulturgüterschutz in ausgewählten europäischen Ländern, ZVglRWiss 95 (1996), S. 158–169, S. 168; Siehr, Vereinheitlichung des Mobiliarsachenrechts in Europa, insbesondere im Hinblick auf Kulturgüter, RabelsZ 59 (1995), S. 454–468, S. 465; Halsdorfer, Privatund kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 238–246; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 79–94. Vgl. ausdrücklich Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 115. Begründung zu Art. 13 des Entwurfs Dok. KOM (91) 447 endg. – SYN 382, S. 29 f. Vgl. Pfeiffer, Der Stand des Internationalen Sachenrechts nach seiner Kodifikation, IPRax 2000 (Heft 4), S. 271–285, S. 278–280. So aus der Literatur etwa Jayme/Kohler, Europäisches Kollisionsrecht 1994 – Quellenpluralismus und offene Kontraste, IPRax 1994, S. 405–415, S. 408; Roth, Angleichung des IPR durch sekundäres Gemeinschaftsrecht, IPRax 1994, S. 165–174, S. 173; Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes, 1994, S. 196 f. So etwa Rout, Angleichung des IPR durch sekundäres Gemeinschaftsrecht, IPRax 1994, S. 165 ff., S. 173.
1. Abschnitt: Rechtswahl nach der ,lex rei sitae‘ und Sonderkollisionsnormen
547
zur Richtlinie lässt sich somit schließen, dass diese Position auch dem europäischen Gesetzgeber vorschwebte.571 Dass eine solche Konstruktion zumindest dem deutschen internationalen Sachenrecht nicht ganz fremd sei, zeige nach Einschätzung Wendehorsts schon ein Blick auf Art. 43 Abs. 3 EGBGB.572 Der besondere Vorteil einer Sachnormverweisung wird dabei in der privatrechtlichen Sicherung des öffentlich-rechtlichen Restitutionsanspruchs der Richtlinie gesehen. Trotz der innerhalb einer Sachnormverweisung stärkeren und häufigeren Eingriffe aus Kulturgüterschutzgesichtspunkten soll die Anwendung der materiellen Sachzuordnungsregeln der lex originis im Falle des Eigentumserwerbs in einem anderen Mitgliedstaat nach der Rückgabe gerade zu einem Statutenwechsel führen und dieser Zweck wäre angesichts der weiten Verbreitung der lex rei sitae bei einer Gesamtverweisung gefährdet: 573 Insbesondere Jayme 574 und Kreuzer 575 weisen diesbezüglich darauf hin, dass bei Auslegung des Art. 12 der Richtlinie im Sinne einer Gesamtverweisung die Ausfuhr entgegen dem Richtlinienzweck die Geltung der lex rei sitae und die Wirksamkeit eines nach Statutenwechsel erfolgten Eigentumsübergangs bewirke. Dies wiederum hätte zur Folge, dass die Vorschrift einerseits überflüssig wäre und andererseits den Richtlinienzweck gefährdete. Die Annahme einer Gesamtverweisung würde Art. 12 der Richtlinie leerlaufen lassen, weil in den Regeln des internationalen Privatrechts aller europäischen Mitgliedstaaten sachenrechtliche Verhältnisse nach den Grundsätzen der lex rei sitae-Regel an den Belegenheitsort angeknüpft werden.576
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Vgl. eingehend Pfeiffer, Der Stand des Internationalen Sachenrechts nach seiner Kodifikation, IPRax 2000 (Heft 4), S. 271–285, S. 278 ff., auch zum Vorliegen einer Sachnormverweisung. Vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 187–189. Vgl. Jayme/Kohler, Das Internationale Privat- und Verfahrensrecht der EG 1993 – Spannungen zwischen Staatsverträgen und Richtlinien, IPRax 1993, S. 357–371, S. 360; Jayme, Kulturgüterschutz in ausgewählten europäischen Ländern, ZVglRWiss 95 (1996), S. 158– 169, S. 168; Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 389; Pfeiffer, Der Stand des Internationalen Sachenrechts nach seiner Kodifikation, IPRax 2000 (Heft 4), S. 271–285, S. 279; Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCOKulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 238–246. Jayme, Kulturgüterschutz in ausgewählten europäischen Ländern, ZVglRWiss 95 (1996), S. 158–169, S. 159. Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rdnr. 195. Jayme/Kohler, Das Internationale Privat- und Verfahrensrecht der EG 1993 – Spannungen zwischen Staatsverträgen und Richtlinien, IPRax 1993, S. 357–371, S. 360; Roth, Angleichung des IPR durch sekundäres Gemeinschaftsrecht, IPRax 1994, S. 165–174, S. 173; Pfeiffer, Der Stand des Internationalen Sachenrechts nach seiner Kodifikation, IPRax 2000
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
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Insbesondere werde mittels einer Sachnormverweisung auch ein Einklang der durch den Restitutionsanspruch begründeten öffentlich-rechtlichen mit der durch die lex rei sitae vorgegebenen privatrechtlichen Rechtslage erreicht.577 Jede andere Ansicht riskiere, dass die Schutzvorschriften des Herkunftslandes des Kulturguts leerliefen.578 Andererseits wäre damit auch der Eintritt dinglicher Rechtsänderungen außerhalb des ersuchenden Mitgliedstaats nicht ausgeschlossen, sondern könnte sich weiterhin in den Grenzen vollziehen, in denen es auch das Recht des ersuchenden Mitgliedstaats zugelassen hätte.579
198
„Diese Beurteilung beruht auf der zutreffenden Einsicht, daß es nicht der Sinn der Vorschrift sein kann, die Mitgliedstaaten dazu zu zwingen, nach erfolgter Rückgabe infolge einer Gesamtverweisung einen etwaigen Eigentumswechsel im Ausland als wirksam anerkennen zu müssen. Dieses Ziel läßt sich rechtstechnisch allerdings auf unterschiedlichem Weg erreichen. Ginge man lediglich von einer Sperre für die Anwendung der lex rei sitae und in dessen Folge von einem Normenmangel bis zur erfolgten Rückgabe aus, so wäre ein Eigentumswechsel (abgesehen von einem möglichen an die Ausfuhr geknüpften Verfall) ohnehin ausgeschlossen. Hält man nach erfolgter Rückgabe eine rückwirkende Anwendung der lex originis für geboten, so ist die Annahme einer sachrechtlichen Verweisung zwingend, um einen Eigentumserwerb infolge eines durch rechtswidrige Ausfuhr herbeigeführten Statutenwechsels zu verhindern. Ein Argument zugunsten der einen oder der anderen Lösung läßt sich aus diesem Aspekt der Problematik somit zwar nicht folgern. Die sich aus Wortlaut und Begründung ergebende Deutung im Sinne der Schaffung einer einheitlichen Kollisionsnorm wird andererseits aber auch nicht widerlegt. Sie bedarf allerdings einer Präzisierung im Sinne der Deutung als sachrechtliche Verweisung.“ 580
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Danach handelt es sich nicht nur bei §§ 5 Abs. 1 und 9 des Kulturgüterrückgabegesetzes um leges speciales zu den Art. 43 und 46 EGBGB, sondern auch Art. 12 der Richtlinie 93/7/EWG vom 15.3.1993 spricht für alle sachenrechtlichen Vorgänge rückwirkend eine Sachnormverweisung auf das Recht des ersuchenden Mitgliedstaates aus.581
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(Heft 4), S. 271–285, S. 279; Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes, 1994, S. 196 f.; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 79–94. Vgl. Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rdnr. 195. Spinellis, Das Vertrags- und Sachenrecht des internationalen Kunsthandels – zugleich ein Beitrag zur Bedeutung der Eingriffsnormen im heutigen internationalen Rechtsverkehr, 2000, S. 377, so auch die Erläuterung bei Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 69–71. Vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 187–189. Pfeiffer, Der Stand des Internationalen Sachenrechts nach seiner Kodifikation, IPRax 2000 (Heft 4), S. 271–285, S. 278–280. Fuchs, Kulturgüterschutz im Kulturgutsicherungsgesetz, IPRax 2000, S. 281–286, S. 285; Jayme/Kohler, Europäisches Kollisionsrecht 1999 – Die Abendstunde der Staatsverträge,
1. Abschnitt: Rechtswahl nach der ,lex rei sitae‘ und Sonderkollisionsnormen
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Anwendungsbereich der kollisionsrechtlichen Verweisung
Immer wieder wird die Frage nach dem Anwendungsbereich der Rechtswahl nach der lex originis und nach der Reichweite einer Abkehr von der grundsätzlich geltenden lex rei sitae aufgeworfen.582 In diesem Bereich ist „umstritten, ob die rückwirkend abweichende Anknüpfung auch dann gilt, wenn das Kulturgut auf andere Weise als durch Ersuchen im Sinne der Richtlinie 93/7/EWG in den Ursprungsstaat zurückgelangt ist, etwa zufällig dorthin gelangt oder freiwillig zurückgegeben wird.“ 583 Insbesondere wird somit hinterfragt, ob das Eigentum am Kulturgut auch dann nach § 5 Abs. 1 des Kulturgüterrückgabegesetzes nach den deutschen Sachvorschriften beurteilt werden darf, wenn das Kulturgut „zufällig“ nach Deutschland gebracht oder freiwillig zurückgegeben wird, ohne dass der Rückgabeanspruch nach § 3 geltend gemacht worden ist. Während die Richtlinienvorschrift ihren Anwendungsbereich nicht näher bestimmt, setzt § 5 Abs. 1 des deutschen Kulturgüterrückgabegesetzes für die Anwendung deutschen Sachrechts jedoch ausdrücklich voraus, dass das Kulturgut „nach den Bestimmungen dieses Gesetzes auf Verlangen in das Bundesgebiet zurückgegeben wird“, sodass eine Rückgabe aufgrund einer Erwerbskette danach also nicht erfasst wird.584 Fuchs sieht es deshalb vor diesem Hintergrund gerechtfertigt, das Anknüpfungsmoment von der beanspruchten oder zufälligen Rückgabe des Kulturguts in sein Herkunftsland abhängig zu machen:
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„Die Sonderkollisionsnormen ergänzen die Vorschriften über den staatlichen Rückgabeanspruch und wahren die Regelungsinteressen des ersuchenden Mitgliedstaates. Die Anwendung des eigenen Rechts nach Rückgabe gibt dem ersuchenden Staat die erforderliche Handlungsfreiheit. Möglich ist etwa, daß der ersuchende Staat bestimmt, daß unrechtmäßig ausgeführtes Kulturgut ex lege in staatliches Eigentum übergeht. Ziel des KultGüRückG, einschließlich seiner Kollisionsnormen, ist nicht die Sicherung privater Ansprüche. Vielmehr bleiben Sicherung und Verfolgung des Eigentums Sache des Eigentümers. Der frühere private Eigentümer kann nur mittelbar von der Geltung der Sonderkollisionsnormen profitieren. Ist dem Eigentümer eines deutschen Kulturguts bekannt, daß nach dem unrechtmäßigen Verbringen der Sache in einen anderen Mitgliedstaat eine dort wirksame Verfügung über die Sache stattgefunden hat (z.B. ein wirksamer gutgläubiger Erwerb einer gestohlenen Sache in Italien), so sollte er die Zentralstelle im jeweiligen Bundesland anregen, den öffentlich-rechtlichen Rückgabeanspruch geltend zu machen, um nach Rückgabe der Sache in den Genuß der Sonderkollisionsnorm des § … [5] KultGüRückG (und damit der Anwendung des deutschen Rechts) zu kommen. Im übrigen ist das Recht des ersuchenden Staates erst dann bestimmbar,
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IPRax 1999, S. 401–413, S. 412 f.; Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 71–77. Vgl. hierzu und zum Folgenden auch Fuchs, Kulturgüterschutz im Kulturgutsicherungsgesetz, IPRax 2000, S. 281–286, S. 284–285. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 190–191. Vgl. Fuchs, Kulturgüterschutz im Kulturgutsicherungsgesetz, IPRax 2000, S. 281–286, S. 284–285.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht wenn ein Mitgliedstaat den Rückgabeanspruch geltend gemacht hat. Bis zu diesem Zeitpunkt ist häufig nicht erkennbar, wer der „ersuchende Mitgliedstaat“ ist,585 nach welchen Sachvorschriften sich das Eigentum am Kulturgut also bestimmt. … [§§ 5 Abs. 1 und 9 des Kulturgüterrückgabegesetzes] regeln also die Folgen staatlichen Eingreifens in private Rechtsverhältnisse. Eine generelle Abkehr von der lex rei sitae für Kulturgüter ist damit nicht verbunden.“ 586
202
Siehr, und diesem folgend Stoll 587 und Wendehorst 588, sind jedoch der gegenteiligen Ansicht und machen darauf aufmerksam, dass eine Unterscheidung zwischen freiwilliger und erzwungener Rückgabe willkürlich und dass Art. 12 „eine auch außerhalb der Richtlinie zu beachtende europäische Kollisionsnorm [sei], die das bisher geltende internationale Sachenrecht verdrängt, soweit es um Kulturgüter im Sinne der Richtlinie und deren unerlaubte Verbringung innerhalb der EU geht.“ 589 Da eine Unterscheidung zwischen freiwilliger und erzwungener Rückgabe willkürlich erscheint, weil es häufig so sein wird, dass schon die Kenntnis von einem geplanten Ersuchen zur Rückgabe führt, sind §§ 5 Abs. 1 und 9 des Kulturgüterrückgabegesetzes – zumindest analog – auch dann anwendbar, wenn das Kulturgut auf andere Weise als durch Ersuchen (etwa zufällig oder freiwillig) im Sinne der Richtlinie in den Ursprungsstaat zurückgelangt ist.590
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589
590
Vgl. etwa das (erfundene) Beispiel von Eberl, Probleme und Auswirkungen der EG-Vorschriften zum Kulturgüterschutz, NVwZ 1994, S. 729–736, S. 733. Fuchs, Kulturgüterschutz im Kulturgutsicherungsgesetz, IPRax 2000, S. 281–286, S. 284– 285, unter Rekurs auf die Ausführungen bei Roth, Angleichung des IPR durch sekundäres Gemeinschaftsrecht, IPRax 1994, S. 165–174, S. 173; Falkenkötter, Das Kulturgutsicherungsgesetz und die Städte, Der Städtetag N.F. 52 (1999), S. 2–5, S. 3. Auch Jayme, Kulturgüterschutz in ausgewählten europäischen Ländern, ZVglRWiss 95 (1996), S. 158–169, S. 168 bezeichnet Art. 12 der Kulturgüterrichtlinie vorsichtig als „einen ersten Schritt in Richtung einer Anerkennung der lex originis.“. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 115. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 190–191. Siehr, Vereinheitlichung des Mobiliarsachenrechts in Europa, insbesondere im Hinblick auf Kulturgüter, RabelsZ 59 (1995), S. 454–468, S. 466; a.A. Kreuzer, La propriété mobilière en droit international priveé, Recueil des Cours, Collected Courses of the Hagur Academy of International Law, Volume 259 (1996) S. 9 ff., S. 175; Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rdnr. 195. Vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 190–191, unter Rekurs auf Siehr, Vereinheitlichung des Mobiliarsachenrechts in Europa, insbesondere im Hinblick auf Kulturgüter, RabelsZ 59 (1995), S. 454–468, S. 466.
1. Abschnitt: Rechtswahl nach der ,lex rei sitae‘ und Sonderkollisionsnormen
551
IV. Internationale Abkommen und Übereinkünfte Neben dem Europäischen Gemeinschaftsrecht als besonderes Sachstatut und der umstrittenen Auslegung der Rechtswahl nach § 5 Abs. 1 und § 9 des deutschen Kulturgüterrückgabegesetzes vom 18.05.2007 sind schließlich staatsvertragliche Regelungen als Rechtsquelle des Internationalen Kulturgüterprivatrechts zu durchforsten. Traditionell ist der Kulturgüterschutz als Domäne des internationalen öffentlichen Rechts und des Völkerrechts zu qualifizieren. „Zwar stehen Fragen des Eigentums und anderer dinglicher Rechte am Kulturgut durchaus im Vordergrund, jedoch sind Adressaten dieser Regelungswerke entweder von vorneherein nur Staaten, oder aber sie betreffen das Verhältnis zwischen Privaten und Inhabern hoheitlicher Gewalt und enthalten damit keine Regelungen, die das private Sachenrecht mehr als nur peripher tangieren.“ 591 Innerhalb des Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts bestehen jedoch zahlreiche biund multilaterale Rechtsquellen, die mit den Vorschriften des nationalen Kollisionsrechts konkurrieren bzw. diese ergänzende Bestimmungen enthalten. Hierfür kann auf die ausführliche Darstellung der zwischenstaatlichen Resolutionsmethoden innerhalb der völkerrechtlichen Regulation des internationalen Kulturgüterverkehrs verwiesen werden, an deren Speerspitze die materiellen Einheitsregeln der seitens der BRD noch nicht ratifizierten UNIDROIT-Convention on Stolen or Illegally Exported Cultural Objects (Rome) vom 24. Juni 1995 592 und der seit dem 29.02.2008 auch in Deutschland mit Erlass des Kulturgüterrückgabegesetzes 593 vom 18.05.2007 gültigen UNESCO-Convention on the Means of Prohibiting and Preventing the Illicit Import, Export and Transfer of Ownership of Cultural Property (Paris) vom 14. November 1970 594 stehen.595
591
592 593
594 595
Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 178–179. Vgl. ausführlich hierzu 3, 1348 ff. Gesetz zur Ausführung des UNESCO-Übereinkommens vom 14. November 1970 über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der rechtswidrigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut und zur Umsetzung der Richtlinie 93/7/EWG des Rates vom 15.März 1993 über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern vom 18.05.2007, gültig ab dem 29.02.2008: BGBl I 2007, 757 (2547). Vgl. ausführlich hierzu 3, 1271 ff. Vgl. auch Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Vor Art. 43, Rdnr. 8.
203
552
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
§ 8 Ergebnis: Rechtsquellen des ‚Internationalen Kulturgüterprivatrechts‘ 204
Die voranstehenden allgemeinen Ausführungen zum 3. Teil leiten das Herzstück des vorliegenden 3. Bandes zum Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht ein: das Internationale Kulturgüterprivatrecht und die Frage, welche nationale Zivilrechtsordnung über die materielle Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter, d.h. den gutgläubigen rechtsgeschäftlichen Erwerb und den originären Ersitzungserwerb sowie die Verjährung und Verwirkung eines Kunstrestitutionsanspruchs, zu entscheiden hat. Diese Bezeichnung war bislang kein feststehender terminus technicus, jedoch lassen schon die einleitenden Ausführungen zu den Rechtsquellen (zusammen mit den nachstehenden Kommentierungen) erahnen, welche rechtsdogmatische, normative und judikative Aufarbeitung die international-privatrechtlichen Fragestellungen über das auf kulturgüterschutz- und kunstrestitutionsrechtliche Sachverhalte mit Berührungspunkten zu mehr als einer Rechtsordnung anwendbare Recht und über die Bestimmung derjenigen Rechtsordnung, die die zivilrechtliche Zuweisung der dinglichen Sachherrschaft an kulturellen Wertobjekten vorzunehmen hat, innerhalb der letzten Jahrzehnte erfahren haben. Faktisch erlangt das Internationale Kulturgüterprivatrecht außerdem immensen mittelbaren Einfluss auf die Beurteilung kultureller Restitutionsverfahren: Da die Regeln des gutgläubigen rechtsgeschäftlichen Erwerbs, der Ersitzung, Verjährung und Verwirkung in den einzelnen Rechtsordnungen inhaltlich erheblich divergieren, erlangt die Frage, welche Rechtsordnung bei einer internationalen Streitigkeit Anwendung erlangen soll, in der konkreten Situation buchstäblich Fall entscheidende Bedeutung. So ist die Einführung dieser Terminologie und dieses Teilgebietes des internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts heute überfällig.
205
Im Internationalen Kulturgüterprivatrecht stehen dem Rechtsanwender heute unterschiedliche Rechtsquellen offen (wie bspw. Staatsverträge und Europäisches Gemeinschaftsrecht, auch die nationale Gesetzgebung bietet inzwischen zahlreiche, meist jedoch kulturgüterunspezifische Vorschriften), die im voranstehenden 1. Abschnitt des 3. Teils ausführliche Darstellung erfuhren. Ausgangspunkt bei der Bestimmung der anwendbaren Rechtsordnung ist dabei immer das (nationale) Internationale Kulturgüterprivatrecht des Forumstaates. Das angerufene Gericht darf somit in kulturellen Streitigkeiten mit einer Verbindung zu einer weiteren Rechtsordnung nicht unmittelbar die eigenen Kulturgüterschutzvorschriften und Privatrechtsregeln anwenden, sondern hat zunächst mittels der (eigenen) Kollisionsnormen der lex fori eine Entscheidung darüber zu fällen, welchem nationalen Recht es die materiell-rechtlichen Vorschriften zu entnehmen hat. Dabei ist hinlänglich bekannt, dass das internationale Kulturgüterprivatrecht kein Völkerrecht ist (wie der Name vermuten lässt), sondern grundsätzlich in erster Linie nationales Recht darstellt, das angibt, welchen Staates Privatrecht bei kulturellen Sachverhalten mit Auslandsberührung gelten soll.
§ 8 Ergebnis: Rechtsquellen des ,Internationalen Kulturgüterprivatrechts‘
553
Selten bestehen kulturgüterschutzspezifische Kollisionsregeln, denen dann grundsätzlich als leges specialis Vorrang vor den allgemeinen Rechtswahlgrundsätzen (etwa des internationalen Sachenrechts) zukommt. Innerhalb der zwischenstaatlichen Resolutionsmethoden normieren insbesondere die materiellen Einheitsregeln der seitens der BRD noch nicht ratifizierten UNIDROIT-Convention on Stolen or Illegally Exported Cultural Objects (Rome) vom 24. Juni 1995 596 und der seit dem 29.02.2008 auch in Deutschland mit Erlass des Kulturgüterrückgabegesetzes vom 18.05.2007 gültigen UNESCO-Convention on the Means of Prohibiting and Preventing the Illicit Import, Export and Transfer of Ownership of Cultural Property (Paris) vom 14. November 1970 597 Sondervorschriften.
206
Besondere, kulturgüterspezifische Kollisionsregeln stellen innerhalb des europäischen Gemeinschaftsrechts Art. 12 der Richtlinie 93/7/EWG des Rates der Europäischen Gemeinschaften über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates verbrachten Kulturgütern vom 15.3.1993 und – als innerdeutsche Umsetzungsakte – § 5 Abs. 1 des Kulturgüterrückgabegesetzes vom 18.05.2007 (bei Geltendmachung des Rückgabeanspruchs für geschütztes deutsches Kulturgut) und § 9 (bei Rückgabeansprüchen anderer Staaten) dar, wonach sich die Frage des Eigentums an dem Kulturgut nach erfolgter Rückgabe nach dem Recht des ersuchenden Mitgliedstaats (d.h. nach Art. 1 Nr. 3 desjenigen Mitgliedstaates, aus dessen Hoheitsgebiet das Kulturgut unrechtmäßg verbracht wurde) bestimmt. Dabei sind die richtige Auslegung und das treffende Verständnis des Inhalts der Richtlinie umstritten.
207
Eine Ansicht versteht Art. 12 der EG-Richtlinie 93/7/EWG vom 15. März 1993 nicht als Kollisionsvorschrift, sondern als materiell-privatrechtliche Negation einer extraterritorialen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter, sodass sämtliche dinglichen Auswirkungen auf die Eigentumsposition des geschützten Kulturguts außerhalb des Territoriums des kulturellen Ursprungsstaates nach dessen Rückführung auf das Territorium des ersuchenden Mitgliedstaates ohne Rechtswirkungen bleiben. Auch die Vertreter einer öffentlichrechtlichen Theorie verneinen den international-privatrechtlichen Charakter der Vorschrift und wenden zur Beurteilung der dinglichen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter weiterhin die lex rei sitae an, sprechen jedoch dem öffentlich-rechtlichen Schutzprogramm der nationalen Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze vorrangige Geltung vor schutzgesetzwidrigen, extraterritorialen Einwirkungen auf die Eigentumsposition an den Kulturgütern zu. Grundsätzlich gelten danach für die Eigentumszuordnung an unrechtmäßig verbrachten Kulturgütern weiterhin die Grundsätze der lex rei sitae, jedoch findet das öffentlich-rechtliche Kulturgüterschutzreglementarium des kulturellen
208
596 597
Vgl. ausführlich hierzu 3, 1348. Vgl. ausführlich hierzu 3, 1271.
554
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Ursprungsstaates nach Rückführung vorrangige Anwendung. Schließlich folgt die herrschende Meinung im Schrifttum einer kollisionsrechtlichen Theorie, nach der – je nach inhaltlicher Ausgestaltung der Ansichten innerhalb dieses Meinungsstranges – Art. 12 der EG-Richtlinie 93/7/EWG vom 15. März 1993 entweder eine kollisionsrechtliche Gesamt- oder eine Sachnormverweisung auf die Rechtsordnung des Ursprungsstaates des Kulturguts beinhaltet, sodass ein Abrücken von dem ehernen Grundsatz der lex rei sitae erfolgt, die sachenrechtserhebliche Einwirkung auf die Eigentumsposition an unrechtmäßig entzogenen Kulturgütern der Rechtswahl der lex originis unterfällt und somit entweder die Kollisionsvorschriften des ersuchenden Mitgliedstaates nach Rückkehr des Kulturguts die erheblichen Sachzuordnungsregeln bestimmen (Gesamtverweisung) oder sich die dingliche Sachzuordnung unmittelbar nach den materiellen Sachenrechtsregeln des kulturellen Ursprungsstaates bestimmt (Sachnormverweisung). Effektiv soll die Theorie jedoch die Nichtbeachtung des Grundsatzes der sachenrechtlichen Prägung durch die frühere lex rei sitae bezwecken. 209
Für die letztgenannte kollisionsrechtliche Theorie sprechen überzeugende Gründe, wobei sich insbesondere auch auf den Schutzzweck der Richtlinie und die Funktion der Vorschrift berufen wird (d.h., die Sicherstellung der Anwendung derjenigen Rechtsvorschriften des Mitgliedsstaates der unrechtmäßigen Ausfuhr, die bei einem unrechtmäßigen Kulturguttransfer eine dingliche Sachzuordnung an den kulturellen Ursprungsstaat vornehmen). Während die Richtlinie eine materielle Restitution anstrebt, verhindert Art. 12 die Entstehung sog. hinkenden Eigentums am zurückgeführten Kulturgut innerhalb der EU. Deshalb enthalte die Vorschrift eine von der lex rei sitae-Regel abweichende Kollisionsnorm und die „dingliche Rechtslage am Kulturgut wird nach der Rückgabe des Kulturguts für die Zeit zwischen seinem unrechtmäßigen Verbringen und seiner Rückkehr rückwirkend dem Recht des ersuchenden Mitgliedstaates unterstellt. Hauptaufgabe dieser Kollisionsvorschrift ist es, mit dem Recht des ersuchenden Mitgliedstaates unvereinbare, am Kulturgut nach dem Recht der Belegenheit zwischenzeitlich erworbene dingliche Rechte untergehen zu lassen.“ 598
210
Der Einwand, dass eine rückwirkende Beurteilung sachenrechtlicher Vorgänge nach der lex originis anstelle der lex rei sitae eine große Rechtsunsicherheit im internationalen Kunsthandel und eine Beeinträchtigung der Verkehrsinteressen nach sich ziehen könnte, kann nicht als gewichtiger Kritikpunkt gegen eine kollisionsrechtliche Deutung des Art. 12 ins Feld geführt werden, da diese gerade mit dem Ziel der Einschränkung eines freien Wirtschaftsverkehrs mit national bedeutsamen Kulturgütern zu deren Schutz und Bewahrung erlassen wurde: Unsicherheiten hinsichtlich des Eigentumserwerbs an rechtswidrig ins Ausland
598
Vgl. Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 153–156.
§ 8 Ergebnis: Rechtsquellen des ,Internationalen Kulturgüterprivatrechts‘
555
verbrachten Kulturgütern waren zugunsten des Kulturgüterschutzes somit ausdrücklich gewollt und sind deshalb in diesen Grenzen auch hinzunehmen. Schließlich kann auch dem Einwand begegnet werden, dass einem nach einer strengen lex rei sitae gescheiterten Eigentumserwerb durch die rückwirkende Anwendung einer milderen lex originis zur Wirksamkeit verholfen werden könnte und somit unter Umständen der Kulturgüterschutz eher verschlechtert denn verbessert würde. Zuzugeben ist, dass sich die Chancen des ursprünglich Berechtigten verringern, seine Eigentumsposition wiederzuerhalten, und somit dem Schutzzweck der EG-Richtlinie 93/7/EWG widersprochen würde, wenn die Anwendung der lex originis anstelle der lex rei sitae zu einem wirksamen Rechtserwerb im Ausland führt. Richtigerweise sollte diesbezüglich jedoch erkannt werden, dass – unter Rückgriff auf den international-privatrechtlichen Grundsatz der Gleichwertigkeit aller Rechtsordnungen – es im Internationalen Kulturgüterprivatrecht nicht darum geht, das für den Kulturgüterschutz günstigste Recht zu finden, sondern die sachgerechteste und sachnächste Rechtsordnung auszuwählen.599 Sachgerecht ist nicht das für den Kulturgüterschutz beste Recht – dann müsste man sich in der Tat den Vorwurf gefallen lassen, Willkür wähle die passende Rechtsordnung, und gäbe ein zu schützendes Mindestmaß an Rechtssicherheit im internationalen Kulturgüterverkehr gänzlich auf –, sondern diejenige Rechtsordnung, die die engste Verbindung mit einer unrechtmäßigen Verbringung kultureller Wertgegenstände aufweist. Bleibt ein nationaler Gesetzgeber jedoch hinter einem gewissen dinglichen Mindestschutzprogramm zurück, so liegt das Manko nicht in der Rechtswahl, sondern in der mangelhaften Ausgestaltung der materiellen Rechtsordnung des kulturellen Ursprungsstaates. Insgesamt begegnet die kollisionsrechtliche Lösung nach den obigen Untersuchungen keinen durchgreifenden Bedenken und wird daher von der überwiegenden Auffassung zu Recht als vorzugswürdig und als „eigene Kollisionsnorm für Kulturgüter“ 600 erachtet. Dabei sollten die Verweisungen in Art. 12 der Richtlinie 93/7/EWG und in §§ 5 Abs. 1 und 9 des deutschen Kulturgüterrückgabegesetzes vom 18.05.2007 entgegen einem Teil der Literatur nicht als Gesamt-, sondern richtigerweise als Sachnormverweisung auf die lex originis qualifiziert werden.601 Dies lässt sich mit folgender Überlegung begründen: Die Anwendung 599
600
601
Vgl. Kienle/Weller, Die Vindikation gestohlener Kulturgüter im IPR, IPRax 2004, S. 290– 294, S. 292; Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 238–246. Kohls, Kulturgüterschutz: Wirkungen von Verstößen gegen Ausfuhrverbote und Möglichkeiten der Rückführung illegal verbrachter Kulturgüter – Eine vergleichende Untersuchung mit den Rechten Dänemarks, Norwegens und Schwedens, 2001, S. 156–159. Während bei einer Gesamtverweisung die Anwendung der durch die Kollisionsregeln des Forumstaates berufenen Rechtsordnung unter dem Vorbehalt steht, dass diese nach ihren eigenen Kollisionsregeln ebenfalls angewandt werden will, ist eine Sachnormverweisung im Gegensatz dazu unbedingt und dementsprechend unabhängig vom Anwendungswunsch des
211
556
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
der materiellen Sachzuordnungsregeln der lex originis soll im Falle des Eigentumserwerbs in einem anderen Mitgliedstaat nach der Rückgabe gerade zu einem Statutenwechsel führen. Dieser Zweck wäre angesichts der weiten Verbreitung der lex rei sitae bei einer Gesamtverweisung jedoch gefährdet: Die Annahme einer Gesamtverweisung würde Art. 12 der Richtlinie leerlaufen lassen, weil in den Regeln des internationalen Privatrechts aller europäischen Mitgliedstaaten sachenrechtliche Verhältnisse nach den Grundsätzen der lex rei sitae-Regel an den Belegenheitsort angeknüpft werden. 212
Abschließend kann innerhalb der kulturgüterspezifischen Kollisionsregeln neben den voranstehenden internationalen und europarechtlichen Spezialvorschriften noch auf eine Neuentwicklung im belgischen Kollisionsrecht gegenüber kulturellen Wertgegenständen hingewiesen werden. In Art. 90 der Loi portant le Code de droit international privé / Wet houdende het Wetboek van internationaal privaatrecht vom 16. Juli 2004 602, einer in nationalen Kollisionsvorschriften bislang einzigartigen Norm, wird der Herkunftsstaat eines Kulturguts, aus dem das Objekt illegal exportiert wurde, ermächtigt, für die Vindikation zwischen dem Belegenheitsrecht und der lex originis zu wählen.603 Diese Bevorzugung der Interessen des Kulturgüterschutzes gilt aber nicht uneingeschränkt und es wird in S. 2 ein Ausgleich mit den Belangen des internationalen Kunsthandels und der Rechtssicherheit gesucht, indem der Schutz des guten Glaubens des redlichen Erwerbers sichergestellt bleiben muss.
213
Soweit jedoch keine der voranstehend skizzierten besonderen, kulturgüterspezifischen Kollisionsregeln eingreifen, ist immer das allgemeine (nationale) internationale Privatrecht des Forumstaates Ausgangspunkt des Gerichtes bei der Bestimmung der anwendbaren Rechtsordnung. Ebenso wenig wie das materielle Sach(en)recht in den meisten Rechtsordnungen kulturgüterspezifische Rechtsvorschriften enthält, finden sich – außer in dem oben genannten Beispiel Belgien – soweit ersichtlich, nur kulturgüterunspezifische Kollisionsnormen, sodass grundsätzlich auch das allgemeine Sachstatut über die Rechte an einem Kulturgut entscheidet. Das Sachstatut folgt weltweit nahezu unisono der Rechtswahl nach dem Grundsatz der lex rei sitae. Danach gilt – so auch innerhalb des deutschen Art. 43 EGBGB – das Recht des Ortes, an dem sich das Kulturgut zum Zeitpunkt der rechtserheblichen Einwirkung auf die dingliche Sachzuordnung befindet, d.h. das Recht des Lageortes. Dies hat das Landgericht Hamburg (schon vor Erlass des Art. 43 EGBGB im Jahre 1999) ausdrücklich für den Kunsthandel in der sog. Picasso-Entscheidung aus dem Jahre 1977 bestimmt.
602 603
fremden Rechts, sodass allein auf die materiell-inhaltlichen Sachregeln, nicht jedoch auf das Kollisionsrecht des Forumstaates verwiesen wird. Vgl. ausführlich hierzu 3, 634 ff. Vgl. Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 11–13.
§ 8 Ergebnis: Rechtsquellen des ,Internationalen Kulturgüterprivatrechts‘
557
Grundsätzlich maßgebend sind danach die Gesetze des Ortes, an dem sich das Kulturgut im Zeitpunkt der Vollendung des für den Erwerb oder den Verlust eines dinglichen Rechtes oder die sonstige Änderung der dinglichen Rechtsverhältnisse erforderlichen Tatbestandes befindet. Neben der räumlichen Komponente (Anwendbarkeit der Rechtsordnung des Lageorts) ist somit stets auch eine zeitliche Komponente (Anwendung der Rechtsordnung des Lageorts zum Zeitpunkt der rechtserheblichen Einwirkung auf die dingliche Rechtsposition) entscheidend. Die Rechtswahl nach dem Grundsatz der lex rei sitae erfolgt dabei nach den Erkenntnissen aus der britischen Entscheidung Winkworth v. Christie’s, Manson & Woods aus dem Jahre 1980 im internationalen Kulturgüterverkehr de lege lata auch unabhängig davon, ob Kulturgüter mala fides und perfid (unter Umgehung nationaler Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften) nach einem unrechtmäßigen Entziehungsakt in den Belegenheitsstaat gelangt sind. Innerhalb der deutschen Rechtsordnung wird bei der Verweisung auf das Lageortsrecht von einer Gesamtverweisung durch das deutsche Sachstatut ausgegangen.604 Rück- und Weiterverweisungen sind daher i.S.d. Art. 4 Abs. 1 EGBGB zu beachten.
214
Bei Kulturgütern als bewegliche Sachen ist davon auszugehen, dass sich Begründung und Entstehung, Fortdauer, Inhalt, Ausübung, Veränderungen und Übertragbarkeit sowie Untergang der dinglichen Rechtsverhältnisse nach der lex rei sitae richten (Inhalt und Regelungsweite der Rechtswahl). Der Anwendungsbereich der lex rei sitae umfasst damit alle sachenrechtlichen Tatbestände, insbesondere die zivilrechtliche Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter ‚in ihrer ganzen Größe‘, d.h. Fragen des Schutzumfangs der kulturellen Eigentumsposition und des Zuweisungsgehalts (d.h. sämtliche Rechte und Pflichten), des gutgläubigen derivativen Erwerbs per Rechtsgeschäft, der Verfügungs- und Veräußerungsbefugnis, des gutgläubigen originären Ersitzungserwerbs und der Verjährung sowie der Verwirkung kultureller Restitutionsansprüche aus der Eigentumsposition. Darüber hinaus sind auch Vermutungen für das Bestehen bzw. Nichtbestehen einer bestimmten dinglichen Rechtslage und Fragen des gutgläubigen Eigentumserwerbs unrechtmäßig entzogener Kulturgüter vom Nichtberechtigten sowie die Bestimmung, wann ein Kulturgut als abhandengekommen gilt und welche Anforderungen an den guten Glauben zu stellen sind, der lex rei sitae zu entnehmen. Das durch die Situs-Regel zur Anwendung berufene Sachstatut findet auch auf die für den erfolgreichen Aus-
215
604
Vgl. Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rdnr. 21; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 34–36. Vgl. aus der Rechtsprechung: KG Berlin, Urteil des 17. Zivilsenats vom 29.09.1987, Az.: 17 U 492/87, NJW 1988, S. 341–345, S. 342.
558
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
gang eines Prozesses oft entscheidende Frage Anwendung, wem die Darlegungsund Beweislast dafür obliegt, dass die für einen kulturellen Restitutionsanspruch notwendigen Voraussetzungen bzw. die Gut- oder Bösgläubigkeit eines Erwerbers zum maßgeblichen Zeitpunkt gegeben waren. 216
Teil der im voranstehenden 1. Abschnitt behandelten Fragekreise war auch die im Schrifttum und vereinzelt in der Rechtsprechung vertretene Qualifikation von Kunst- und Kulturgütern als res in transitu. Diese Überlegung ist auf den ersten Blick auch nicht von der Hand zu weisen, lässt sich im internationalen Kunstmarkt bei der Veräußerung von Kulturgütern quasi in transitu möglicherweise tatsächlich der aktuelle Lageort vielfach nicht zweifelsfrei feststellen. Auch erscheint die Anknüpfung an den jeweiligen Lageort, soweit es sich dabei um ein bloßes Transitland handelt, zudem willkürlich, sodass – ebenso wie bei sog. res in transitu – vieles gegen einen Rekurs auf die Belegenheitsrechtsordnung und einiges für die Anwendung des Rechts des Bestimmungsortes spricht. Innerhalb der kulturgüterspezifischen Rechtsprechung findet sich auch im amerikanischen Rechtskreis in der Rechtssache Autocephalous Greek-Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg eine Fallkonstellation, in der Kulturgüter, die sich zum rechtserheblichen Zeitpunkt des Eigentumserwerbs in der Freihandelszone des Genfer Flughafens in der Schweiz befanden, als res in transitu qualifiziert wurden. Dies ist jedoch abzulehnen: Schon nach allgemeiner Meinung werden nur solche Gegenstände als res in transitu qualifiziert, die sich zum Zeitpunkt der dinglichen Sachzuordnung der Kulturgüter (d.h. im Moment der Veräußerung und damit der Verfügung über die Eigentumsposition) tatsächlich auf dem Transport befinden und auf ihrer Reise Durchgangsländer berühren.605 Dies wird regelmäßig bei Konsumgütern der Fall sein, die bspw. in Masse und Quantität transportiert werden und während des Transports bereits weiterveräußert werden.606 Kunstwerke und
605
606
Vgl. Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 70–73; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 74–78. „Bei res in transitu handelt es sich typischerweise um Rohstoffe oder Getreide, die während des Transports auf hoher See oder per Flugzeug an einer Warenbörse weiterverkauft werden. Die Verfügung über ein Kulturgut während einer Ausstellungsreise rechtfertigt nicht die Annahme einer res in transitu. Jedenfalls ist der herrschenden Ansicht nach das Recht des Bestimmungsorts anzuwenden, so daß die Kulturschutznormen des Herkunftsorts nicht berücksichtigt werden. Insofern ist zu bezweifeln, daß die Behandlung der res in transitu als Ausnahme von der Situs-Regel für den illegalen Kunsthandel von großer Relevanz ist, etwa wenn Kunstwerke nach dem Diebstahl zunächst über viele Ländergrenzen verschoben werden.“ Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 74–78. A.A. aber Jaeger, Internationaler Kulturgüterschutz – Rechtslage, Rechtspraxis, Rechtsfortentwicklung, 1994, S. S. 65 f.
§ 8 Ergebnis: Rechtsquellen des ,Internationalen Kulturgüterprivatrechts‘
559
Kulturgüter werden jedoch praktisch nie während ihres Transports veräußert. Nicht zu res in transitu im engeren Sinne sollten somit Sachen und damit auch Kulturgüter zählen, die Gegenstand eines internationalen Versendungskaufs sind und über die bereits vor dem Transport verfügt wurde (während über res in transitu vielmehr während des Transports verfügt wird und der Bestimmungsort anfänglich häufig noch nicht feststeht). Im Anschluss an die ausführliche Auseinandersetzung mit dem Grundsatz der lex rei sitae unter Punkt I. wurde sich abschließend unter Punkt II. noch den Besonderheiten innerhalb der Rechtswahl der Vereinigten Staaten von Amerika zugewandt. Dabei wurde ersichtlich, dass sich das amerikanische Kollisionsrecht von Staat zu Staat sehr unterscheidet: In einigen Bundesstaaten wie bspw. in § 946 des California Civil Code, § 55-401 des Idaho Civil Code, § 67-1101 des Montana Civil Code und § 47-0701 des North Dakota Civil Code gelten noch veraltete Gesetze und bewegliche Sachen werden unter dem Einfluss der von Story anerkannten Maxime mobilia sequuntur personam der lex domicilii des Eigentümers unterstellt. In der Folge gewann aber auch in den Vereinigten Staaten die Anknüpfung an den Lageort der Sache zunächst die Oberhand und der Grundsatz der lex rei sitae nahm eine große Bedeutung ein. Inzwischen haben sich zusätzlich aber auch neuere Strömungen der amerikanischen Kollisionsrechtslehre durchgesetzt, die bei Bestimmung des anwendbaren Rechts nicht (allein) auf den territorialen Bezug eines Rechtsverhältnisses abstellen, sondern grundsätzlich nach dem Zweck der kollidierenden Sachnormen entscheiden, welche Rechtsordnung bezüglich einer bestimmten Rechtsfrage das überzeugendste Rechtsanwendungsinteresse hat. So wird bspw. in § 244 des Restatement (Second) of Conflict of Laws (1971) die Situs-Regel als das Ergebnis der Vermutung aufgefasst, dass das Recht am Ort der Belegenheit hat „the most significant relationship to the parties, the chattel and the conveyance …“. Diese Vermutung ist aber widerlegt, wenn die Situs-Regel ein Recht zur Anwendung beruft, welches keine engen Berührungspunkte zu den Parteien des Geschäfts oder dem Geschäft selbst hat. Nach dem sog. lex loci delicti commissi-Prinzip gilt in Streitfällen um die Eigentumsposition an kulturellen Wertgegenständen zwar grundsätzlich die Belegenheitsregel: „questions relating to the validity of a transfer of personal property are governed by the law of the state where the property is located at the time of the alleged transfer.“ 607 Das Gericht in der Rechtssache Autocephalous Greek-Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg & Fine Arts, Inc. hat zusätzlich aber auch einen sog. most significant contacts-Test angewendet und die Verbindungen des Sachverhalts zu Indiana und zu der Schweiz untersucht, um die Rechtsordnung mit den most significant contacts zu bestimmen:
607
Greek Orthodox Patriarchate of Jerusalem v. Christie’s, Inc., 1999 WL 673347.
217
560
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
218
Grundsätzlich fanden die Sachrechtsregeln des Ortes der unerlaubten deliktischen Handlung Anwendung, d.h. hier die Schweizer Rechtsregeln als der Ort der Veräußerung und des Erwerbs der unrechtmäßig entzogenen Mosaiken. Diesbezüglich bezeichnete das Gericht die Verbindungen der Schweizer Rechtsordnung zu dem vorliegenden Sachverhalt jedoch als „fortuitous and transitory“ und erklärte, dass die Schweizer Rechtsordnung hatte „no significant interest in the application of its law“. Das Gericht führte seine Erwägungen weiter aus und legte dar, dass keine der Parteien die Schweizer Staatsbürgerschaft innehatte, keine dinglichen Interessen Schweizer Staatsbürger an den Mosaiken betroffen waren, die Kulturgüter zu keinem Zeitpunkt im Schweizer Kunstmarkt erschienen, die Mosaiken nur vier Tage auf Schweizer Territorium verweilten (und dies allein in der Freihandelszone des Genfer Flughafens) und zu keinem Zeitpunkt die Schweizer Zollbehörden passierten. Hinzu kam, dass der überwiegende Teil der Verhandlungen zwischen den Parteien bzgl. der Veräußerung sich in den Niederlanden abspielte und nur ein kleiner Teil in der Schweiz vonstatten ging.608 Im nächsten Untersuchungsschritt wog das Gericht die nur losen Verbindungen der Schweizer Rechtsordnungen mit den connecting factors zu der Rechtsordnung Indianas ab und qualifizierte diese als „more significant“.
219
Ebenso wie der most significant contacts-Test sucht schließlich die Rechtswahl nach der sog. governmental interest analysis innerhalb der Rechtsordnungen einiger amerikanischer Bundesstaaten eine Abkehr von der generalisierenden Rechtsregel der lex rei sitae und möchte über das im konkreten Fall anwendbare Recht bestimmen. Danach ist innerhalb des internationalen Kulturgüterverkehrs festzustellen, ob spezielle governmental interests bzgl. der Anwendung eines bestimmten Rechtssatzes (sog. policy) des Forumstaates vorliegen. Das zur Entscheidung berufene Gericht bestimmt somit zunächst die rechtspolitische Funktion der im konkreten Fall in Frage kommenden materiell-inhaltlichen Rechtsnormen der unterschiedlichen Rechtsordnungen. Außerdem sind die rechtssozialen Konsequenzen hinsichtlich jeder Rechtsordnung unabhängig davon zu bestimmen, ob deren materiell-inhaltliche Normen zur Anwendung gelangen oder nicht.609
220
Damit wurde im voranstehenden 1. Abschnitt des 3. Teils ein kursorisches Verständnis von dem geltenden Normenprogramm und den grundlegenden Rechtswahlregeln im Internationalen Kulturgüterprivatrecht (nach der lex rei sitae) erlangt. Da ein Wesensmerkmal des illegalen Kunstmarktes dessen Internationalität ist, fragt sich über die voranstehenden Erläuterungen des allgemeinen Rechtswahlprozesses im internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitu608 609
Greek Orthodox Patriarchate of Jerusalem v. Christie’s, Inc., 1999 WL 673347. Vgl. Crowell, Autocephalous Greek-Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg & Feldman Fine Arts, Inc.: Choice of Law in the Protection of Cultural Property, Texas International Law Journal, Volume 27 (1992), S. 173–209, S. 183–184 und S. 204–205.
§ 8 Ergebnis: Rechtsquellen des ,Internationalen Kulturgüterprivatrechts‘
tionsrechts hinaus, welche konkreten Auswirkungen der Wechsel des Belegenheitsorts auf die dingliche Rechtslage von Kulturgütern zeitigt. Im nachstehenden 2. Abschnitt des 3. Teils des vorliegenden Bandes zum Internationalen Kulturgüterprivatrecht wird somit den speziellen Fragen und Rechtsfolgen eines sog. Statutenwechsels im internationalen Kulturgüterverkehr ausführlich Gehör geschenkt, der schon durch die bloße Verbringung von Kunst- und Kulturgütern in ein anderes Staatsgebiet eintritt und sich erheblich auf das internationale Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht auswirkt.
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2. Abschnitt Statutenwechsel im internationalen Kulturgüterverkehr 221
Besonderes Kennzeichen nicht nur des legalen, sondern auch des illegalen Kunstmarktes ist dessen Internationalität: Insbesondere unrechtmäßig entzogene Kulturgüter finden nicht nur vereinzelt den Weg auf das Parkett des internationalen Kunstmarktes, nicht selten, um aus tatsächlicher Sicht verdächtige Spuren zu verwischen und rechtlich mittels der grenzüberschreitenden Rechtsunterschiede einen Übergang der anfangs illegal transferierten Kulturgüter in einen legitimen Markt zu erreichen. Insbesondere der Transfer archäologischer Artefakte und südamerikanischer, afrikanischer und asiatischer Objekte ohne gültige Ausfuhrgenehmigung zeigt den internationalen Fluss kultureller Wertgegenstände aus oftmals finanziell schwachen, aber kulturreichen Staaten in eher kulturärmere, aber wohlhabende Kulturimportstaaten als ein bestimmendes Merkmal des kulturellen Schwarzmarktes.610 Dann stellt sich die Frage, welche Auswirkungen der Wechsel des Belegenheitsorts auf die dingliche Rechtslage der Kulturgüter hat. Hat ein Kulturgut nach einem unrechtmäßigen Entziehungsakt – etwa einem Diebstahl – mehrere Staaten passiert, kann daher auch unter verschiedenen Rechtsordnungen auf die Rechtsposition an der Sache eingewirkt worden sein.611 Diese Frage erhält insbesondere auch dann Bedeutung, wenn der Erwerbsvorgang noch andauert.612
222
Die beschriebene Internationalität wirkt sich aber nicht nur auf die zivilrechtliche Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter und die Grundsätze des privatrechtlichen Kulturgüterschutzes aus, sondern die Auswirkungen eines Lageortswechsels auf die dingliche Rechtslage an Kulturgütern erlangen im Internationalen Kulturgüterprivatrecht schon innerhalb der Frage nach der anwendbaren Rechtsordnung erstmals konkreten Sinn und sind dort von herausragender praktischer Bedeutung.613 Die Anknüpfung der Rechtswahl im internationalen Kulturgüterprivatrecht an den Lageort eines Kulturguts hat zur Konsequenz, dass schon durch die bloße Verbringung in ein anderes Staatsgebiet ein Statutenwechsel eintritt.614 Wie bereits innerhalb der Erläuterungen zur
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Hughes/Wright, International Efforts to Secure the Return of Stolen or Illegally Exported Cultural Objects: Has Unidroit Found a Global Solution?, The Canadian Yearbook of International Law, Volume XXXII (1994), S. 219–241, S. 222. Vgl. Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 58–70. Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S.79–84. Vgl. allgemein hierzu Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 523–530. Luzzatto, Trade in Art and Conflict of Laws: The Position in Italy, in: Lalive, International
2. Abschnitt: Statutenwechsel im internationalen Kulturgüterverkehr
Bedeutung des Situs-Prinzips für das Internationale Kulturgüterprivatrecht deutlich wurde 615, ergänzt per definitionem ein temporales Element die örtliche Komponente (den sog. Lageort) des kollisionsrechtlichen Grundsatzes: Es ist allein der Lageort zur Bestimmung der maßgeblichen Rechtsordnung zum Zeitpunkt des rechtserheblichen Transfers entscheidend! Da somit die jeweilige Belegenheit maßgebend ist, geht mit jedem Grenzübertritt ein Statutenwechsel einher, sodass für Vorgänge, die im Ursprungsstaat eines Kulturguts, d.h. dem Staat, in dem das Objekt ursprünglich belegen war, stattgefunden haben, dessen Recht berufen ist,616 während für rechtserhebliche Einwirkungen auf die Eigentumsposition außerhalb des kulturellen Ursprungsstaates die zivilrechtlichen Sachzuordnungsregeln des Importstaates zuständig sind. Das heißt, dass sich die dinglichen Wirkungen aller Verfügungen über Kulturgüter nach der Rechtsordnung desjenigen Ortes richten, an dem sich die Sache nunmehr befindet, sodass sich – entsprechend dem allgemeinen Verständnis der situs-Regel – keine Perpetuierung der Rechtsordnung des kulturellen Ursprungsstaates (der sog. lex originis) ergibt. Danach entscheidet bei einer territorialen Änderung des Rechtsgebiets ab dem Zeitpunkt des Lageortswechsels (temporale Komponente) das Recht am neuen Belegenheitsort auch darüber, ob, unter welchen Voraussetzungen und mit welcher Wirkung jemand Rechte an unrechtmäßig entzogenen Kulturgütern erwerben kann.617
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Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 409–424; Sandrock, Foreign Laws Regulating the Export of Cultural Property: The Respect Due to them by the Judge of the Lex Fori, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 457–482; Plutschow, Staatliche Vorkaufsrechte im Internationalen Kulturgüterschutz, 2002, S. 251–270; Reichelt International Protection of Cultural Property, Revue de droit uniform/Uniform Law Review, 1985-I, S. 42–153, S. 79 ff. Vgl. 3, 6 ff. Vgl. Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff., S. 3582. Carducci, The Growing Complexity of International Art Law: Conflict of Laws, Uniform Law, Mandatory Rules, UNSC Resolutions and EU Regulations, in: Hoffman, Art and Cultural Heritage – Law, Policy and Practice, 2006, S. 68 ff.; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 158; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 169–170; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S.79–84; Fechner, Rechtlicher Schutz archäologischen Kulturguts – Regelungen im innerstaatlichen Recht, im Europa- und Völkerrecht sowie Möglichkeiten zu ihrer Verbesserung, 1991, S. 73; Stoll, Sachenrechtliche Fragen des Kulturgüterschutzes in Fällen mit Auslandsberührung, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes – Symposium vom 22./23. Juni 1990 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 53 ff., S. 54; Siehr, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Rechtsverkehr, in: Westphalen/Sandrock, Lebendiges Recht – Von den Sumerern bis zur Gegenwart – Festschrift für Reinhold Trinkner zum 65. Geburtstag, 1995, S. 703–722, S. 712 f.; Jayme, „Entartete Kunst“ und Internationales Privatrecht, 1994, S. 26–27; Jayme, Kulturgüterschutz in ausgewählten europäischen Ländern, ZVglRWiss 95 (1996), S. 158–169, S. 167.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
A. ‚Abgeschlossene‘ und ‚offene‘ Tatbestände des internationalen Kulturgüterverkehrs 223
Wird der Lageort eines Kulturguts aus einem Staat in einen anderen verlegt, findet ein sog. Statutenwechsel statt, d.h., es kommt von nun an die Rechtsordnung des neuen Lageortes zur Anwendung.618 Für den Begriff des Statutenwechsels ist es nach allgemeiner Ansicht unerheblich, ob die Kulturgüter im Rahmen des geltenden Rechtes transferiert oder zuvor unrechtmäßig entzogen wurden 619 – denn es geht allein um die rechtlichen Konsequenzen einer neuen Sachenrechtsordnung, nicht um die Anknüpfung einer mit dem Gebietswechsel verbundenen Rechtshandlung an die eine oder andere Rechtsordnung.620 Ebenso bleibt grundsätzlich der Umstand ohne Beachtung, dass sich das Kulturgut am Lageort nur vorübergehend oder zufällig befindet.621
224
Die Lehre vom Statutenwechsel 622 (d.h. dem conflit mobile 623) befasst sich somit nach dem Vorhergesagten mit den an einer beweglichen Sache bestehenden Sachenrechtsverhältnissen, wenn die Sache in ein anderes Rechtsgebiet gelangt 624
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Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 169–174; Fechner, Rechtlicher Schutz archäologischen Kulturguts – Regelungen im innerstaatlichen Recht, im Europa- und Völkerrecht sowie Möglichkeiten zu ihrer Verbesserung, 1991, S. 73; Stoll, Sachenrechtliche Fragen des Kulturgüterschutzes in Fällen mit Auslandsberührung, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes – Symposium vom 22./23. Juni 1990 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 53 ff., S. 54; Siehr, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Rechtsverkehr, in: Westphalen/Sandrock, Lebendiges Recht – Von den Sumerern bis zur Gegenwart – Festschrift für Reinhold Trinkner zum 65. Geburtstag, 1995, S. 703–722, S. 712 f.; Jayme, „Entartete Kunst“ und Internationales Privatrecht, 1994, S. 26 f.; Jayme, Kulturgüterschutz in ausgewählten europäischen Ländern, ZVglRWiss 95 (1996), S. 158–169, S. 167. Vgl. BGH, Urteil des 8. Zivilsenats vom 08.04.1987, Az.: VIII ZR 211/86, IPRax 1987, S. 374–378. Vgl. aus dem Schrifttum: Jayme, Kulturgüterschutz in ausgewählten europäischen Ländern, ZVglRWiss 95 (1996), S. 158–169, S. 167; Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rdnr. 59 ff.; Stoll, Probleme des Statutenwechsels nach Erwerb eines Lösungsrechts an einer gestohlenen Sache (Anmerkung zu BGH, 8-4-1987 – VIII ZR 211/86), IPRax 1987, S. 357–360; Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 352. Vgl. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 352. Freilich können solche Punkte dafür sprechen, ausnahmsweise gemäß Art. 46 EGBGB von der Regelanknüpfung abzuweichen, vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 125–126. Vgl. Rigaux, Le conflit mobile en droit international privé, Rec. d. Cours 117 (1966-I) S. 329 ff. Rigaux, Le conflit mobile en droit international privé, Rec. d. Cours 117 (1966-I) S. 329–444. Vgl. Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 67–68.
2. Abschnitt: Statutenwechsel im internationalen Kulturgüterverkehr
565
und damit der dort geltenden Sachenrechtsordnung unterworfen wird.625 Das bedeutet zum einen, dass für die zivilrechtliche Sachzuordnung der Eigentumsposition an unrechtmäßig entzogenen Kulturgütern (d.h. für Entstehung, Änderung, Übergang oder Untergang dinglicher Rechte) das Recht des Staates maßgeblich ist, in dem sich die Sache zum Zeitpunkt der Verwirklichung des nach diesem Recht bedeutsamen Tatbestandes befindet.626 Durch die bloße Verbringung der Sache in ein anderes Staatsgebiet, d.h., durch eine tatsächliche Änderung des Anknüpfungsgrundes oder durch eine Änderung der territorialen Verhältnisse am Lageort, tritt ein Statutenwechsel ein. Zum anderen haben die Anknüpfung an den Lageort eines Kulturguts und das von Wendehorst sog. Trägheitsprinzip jedoch zur Folge, dass – bezogen auf ein bestimmtes dingliches Recht – nur das Rechtswirkungsstatut, nicht jedoch das Rechtsbestandsstatut geändert wird: „Die Wirkungen der an der Sache bestehenden Rechte bestimmen sich vom Zeitpunkt des Statutenwechsels an nach dem Recht, das am neuen Lageort gilt. … Der Statutenwechsel erfasst … jedoch nicht das Rechtsbestandsstatut, so dass es hinsichtlich jeder einzelnen Änderung der dinglichen Rechtslage, etwa dem Entstehen, der Übertragung oder dem Erlöschen eines dinglichen Rechts, bei der Anknüpfung an den Ort bleibt, an dem sich die Sache bei Eintritt der betreffenden Änderung befand. Zwar ist die Entwicklung der dinglichen Rechtslage an einer Sache damit nicht abgeschlossen, sondern stellt sich weiterhin als dynamischer Prozess dar. Sie unterliegt aber insofern einem „Trägheitsprinzip“, als sie so lange unverändert bleibt, wie nicht entweder durch Vollendung eines weiteren sachenrechtlichen Tatbestands oder durch Veränderungen im anwendbaren materiellen Recht eine erneute Änderung der dinglichen Rechtslage bewirkt wird. Alle Betrachtungen zum Statutenwechsel bauen auf diesem Trägheitsprinzip auf, d.h. fragen einseitig danach, ob und inwieweit eine Änderung der dinglichen Rechtslage eingetreten ist: Es ist immer diese Änderung, die begründungsbedürftig ist, nicht der Fortbestand der bestehenden dinglichen Rechtslage.“ 627
225
Innerhalb der Terminologie Statutenwechsel erfolgt nach allgemeiner Ansicht eine Unterscheidung zwischen sog. offenen und abgeschlossenen Tatbeständen. Da sich im internationalen Kulturgüterverkehr ein sachenrechtlicher Tatbestand nur selten auf einen einzigen, bei natürlicher Betrachtung unteilbaren historischen Vorgang beschränkt (innerhalb des zivilrechtlichen Kulturgüterschutzes ist bspw. an die staatliche Designation kultureller Güter zu Staatseigentum ipso iure mittels sog. umbrella statutes bzw. sog. rhetorical ownership laws zu denken), ist – bezogen auf einen bestimmten Zeitpunkt – in den Fällen, in denen sich ein sachenrechtlicher Tatbestand aus verschiedenen Teilakten zusammensetzt, die nicht gleichzeitig, sondern chronologisch versetzt vollzogen werden oder zumindest
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Vgl. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 352. Vgl. Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 67–68. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 125–126.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
chronologisch versetzt vollzogen werden können (wie bspw. innerhalb der derivativen Veräußerung kultureller Wertgegenstände nach der deutschen Rechtsordnung mittels Einigung und Übergabe) zu unterscheiden, ob ein sachenrechtlicher Tatbestand zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschlossen oder noch offen war.628 Wendehorst konkretisiert die Entscheidung auf die Prüfung, „ob der letzte Teilakt, der zur Vollendung des sachenrechtlichen Tatbestands und damit zur Änderung der dinglichen Rechtslage an der Sache erforderlich ist, bereits eingetreten ist (positiv abgeschlossen) oder endgültig nicht eingetreten ist (negativ abgeschlossen) oder noch aussteht (offen)“ 629: 227
Die Entscheidung, ob eine rechtsgeschäftliche kulturelle Veräußerung, originäre Eigentumsersitzung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter oder die staatliche Designation national bedeutsamer Kulturgüter zu Staatseigentum positiv oder negativ abgeschlossen oder noch offen ist, wird nicht seitens des Kollisionsrechts, sondern immer nur mittels des anwendbaren materiellen Sachenrechts entschieden.630 Innerhalb des Internationalen Kulturgüterprivatrechts lassen sich regelmäßig nur die bei Wendehorst sog. positiv abgeschlossenen Tatbestände einer sachenrechtlichen Zuordnung von (unrechtmäßig entzogenen) Kulturgütern identifizieren, weil in diesen Fällen unmittelbar und offensichtlich eine Änderung der dinglichen Rechtslage mittels eines staatlichen, derivativen oder originären Eigentumserwerbs eintritt. Ebenso wie innerhalb des internationalen Sachenrechts im Allgemeinen fällt auch innerhalb des internationalen Kulturgüterprivatrechts die Differenzierung zwischen negativ abgeschlossenen und noch offenen Tatbeständen schwer, weil viele zu einer Rechtsänderung erforderlichen Teilakte aus materiell-rechtlicher Sicht nachholbar sind.631 Exemplarisch kann dies bspw. bei der Veräußerung kultureller Wertgegenstände aufgezeigt werden, wenn eine Besitzübertragung nicht als Übergabe i.S.v. § 929 S. 1 BGB gewertet wird, weil der Betreffende weder Besitzmittler noch Besitzdiener oder sonstige Geheißperson des Erwerbers war, die erforderliche Übergabe des Kulturguts jedoch noch jederzeit erfolgen kann. Wendehorst empfiehlt in solchen Konstellationen eine Beurteilung „aus dem Blickwinkel des anwendbaren Rechts“ und die Untersuchung, „ob zur Herbeiführung der konkreten Rechtsfolge mindestens ein 628
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Vgl. die allgemeinen Ausführungen bei Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 127–130. So ausdrücklich Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 127–130. Vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 127–130. Vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 127–130.
2. Abschnitt: Statutenwechsel im internationalen Kulturgüterverkehr
567
sachenrechtlich relevanter Teilakt weiterhin verwertbar ist (offener Tatbestand) oder ob alle Teilakte wiederholt werden müssen bzw. die Herbeiführung der Rechtsfolge inzwischen unmöglich ist (negativ abgeschlossener Tatbestand).“ 632 Das bedeutet für die Veräußerung kultureller Güter, dass danach zu unterscheiden ist, ob bei der fehlgeschlagenen Übergabe wenigstens die Einigung weiterhin wirksam ist: Nur dann liegt ein offener Tatbestand vor, anderenfalls ein negativ abgeschlossener.633 Die Kollisionsrechtsdogmatik unterscheidet entsprechend den genannten tatsächlichen Situationen zwischen einem schlichten und einem qualifizierten Statutenwechsel – nicht zu verwechseln mit der gleichen, jedoch abweichend gebräuchlichen Terminologie im Kulturgüterschutzrecht, die für die Unterscheidung verwendet wird, ob innerhalb eines kulturellen Importstaates und damit außerhalb des kulturellen Ursprungsstaates eine sachenrechtserhebliche Einwirkung auf ein Kulturgut erfolgte und welche extraterritoriale Wirkung nationalen Kulturgüterschutzgesetzen in diesen beiden Konstellationen zukommt 634.
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Von einem schlichten Statutenwechsel im kollisionsrechtlichen Sinne wird regelmäßig dann gesprochen, wenn das neue Statut auf einen sowohl aus der Sicht des alten als auch des neuen Sachstatuts positiv oder negativ abgeschlossenen Tatbestand trifft.635 Ein abgeschlossener Tatbestand liegt somit nicht nur dann vor, wenn sich die dingliche Sachzuordnung eines Kulturguts bereits unter dem alten Statut vollzogen hat, sondern auch dann, wenn eine beabsichtigte Rechtsänderung nach dem alten Statut fehlgeschlagen ist und das neue Statut diesen Fehlschlag als endgültig betrachtet.636 Unter einen (positiv) abgeschlossenen Tatbestand fallen bspw. die Veräußerung kultureller Güter innerhalb des deutschen Territoriums mittels Einigung und Übergabe i.S.d. § 929 BGB und anschließen-
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Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 127–130. Vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 127–130. Vgl. Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 1: Illegaler Kulturgüterverkehr, 3. Teil, Rdnr. 8 ff. Vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht (4. Auflage, ohne Einbeziehung der Sicht des neuen Sachstatuts: Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, § 54 III I; Stoll, Zur gesetzlichen Regelung des internationalen Sachenrechts in Artt. 43–46 EGBGB, IPRax 2000, S. 259–270, S. 261–262. Vgl. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 523–530; Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 354 m.w.N.; Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 90–92.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
der Export in einen Drittstaat. Ein schlichter Statutenwechsel liegt auch dann vor, wenn innerhalb des Territoriums des kulturellen Ursprungsstaates alle Voraussetzungen der Verstaatlichung eines Kulturguts erfüllt sind und der Importstaat die Designation des Objektes zu Staatseigentum anerkennt. Wie bereits innerhalb der Ausführungen zu der extraterritorialen Effektivität nationaler Kulturgüterschutzgesetze zur Bewahrung und Erhaltung national bedeutsamer Objekte erfahren, geht es in den Konstellationen eines schlichten Statutenwechsels im kollisionsrechtlichen Sinne in der Regel um die Bewertung dieser abgeschlossenen Tatbestände und ihrer nach altem Sachstatut eingetretenen Rechtsfolgen durch das neue Sachstatut, d.h. um die Fragen der Anerkennung und Durchsetzung einer bestimmten sachenrechtlichen Zuweisung dinglicher Rechtspositionen an (unrechtmäßig entzogenen) Kulturgütern außerhalb des kulturellen Ursprungsstaates. Innerhalb der deutschen Rechtsordnung werden die Fälle eines schlichten Statutenwechsels kultureller Wertgegenstände in Art. 43 Abs. 2 EGBGB geregelt. 230
Sofern das alte oder das neue Sachstatut oder beide den Tatbestand als offen betrachten 637, spricht man i.d.R. auch von einem qualifizierten Statutenwechsel im kollisionsrechtlichen Sinne 638 (erinnert sei hier erneut an die gleiche Terminologie im allgemeinen zivilrechtlichen Kulturgüterschutzrecht mit unterschiedlicher Bedeutung, die die Konstellation bezeichnet, dass außerhalb des kulturellen Ursprungsstaates eine sachenrechtserhebliche Einwirkung auf ein Kulturgut und somit eine neue sachenrechtliche Zuordnung unter Geltung der Rechtsordnung des kulturellen Importstaates entgegen den Kulturgüterschutzvorschriften des Herkunftsstaates erfolgt). Theoretisch können drei unterschiedliche Konstellationen offener Tatbestände im internationalen Kulturgüterverkehr als qualifizierter Statutenwechsel bezeichnet werden.639
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Denkbar ist erstens, dass die sachenrechtliche Zuordnung von Kulturgütern sowohl aus der Sicht des alten, als auch nach der Bewertung des neuen Statuts noch nicht abgeschlossen war. In diesen Konstellationen stellt sich die Frage, wie im kulturellen Exportstaat vollzogene Teilakte der sachenrechtlichen Einwirkung auf kulturelle Wertgegenstände als mehraktiger sachenrechtlicher Tatbestand vom
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So Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 131–133. Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, § 54 III 2; Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 131–133. Vgl. zu der Unterscheidung auch Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 131–133.
2. Abschnitt: Statutenwechsel im internationalen Kulturgüterverkehr
569
neuen Sachstatut bewertet werden, es geht also um Fragen der rechtlichen Anerkennung ausländischer Tatsachen im neuen Forumstaat. Innerhalb des deutschen Kollisionsrechts findet sich eine ausdrückliche Regelung dieser Fragestellung in Art. 43 Abs. 3 EGBGB.640 Die beiden weiteren Konstellationen eines qualifizierten Statutenwechsels befassen sich mit der Möglichkeit, dass altes und neues Sachstatut die Abgeschlossenheit oder Offenheit der sachenrechtlichen Zuordnung kultureller Wertgegenstände unterschiedlich beurteilen. Ein qualifizierter Statutenwechsel im kollisionsrechtlichen Sinne ist somit zweitens auch dann gegeben, wenn das alte Sachstatut die dingliche Einwirkung auf die Rechtsposition an Kulturgütern als noch offen, das neue Sachstatut dagegen als positiv oder negativ abgeschlossen betrachtet. Als dritte Konstellation eines qualifizierten Statutenwechsels im kollisionsrechtlichen Sinne ist schließlich denkbar, dass das alte Sachstatut die sachenrechtliche Zuordnung kultureller Güter als abgeschlossen ansieht, das neue Sachstatut die Änderung der Eigentumslage an Kulturgütern dagegen als noch offen qualifiziert.641 Welche Rechtsordnung in den jeweiligen Konstellationen und Typen eines Statutenwechsels nun über die dingliche Sachzuweisung kultureller Güter im internationalen Kulturgüterverkehr zu entscheiden hat, verlangt nähere Erläuterung.
B.
‚Abgeschlossene‘ Sachzuordnung: ‚wohlerworbene Rechte‘ im internationalen Kulturgüterverkehr
Da mit jedem Grenzübertritt ein Statutenwechsel einhergeht und die jeweilige Belegenheit zum Zeitpunkt des rechtserheblichen Transfers maßgebend ist, ist für Vorgänge, die im Ursprungsstaat eines Kulturguts, d.h. dem Staat, in dem das Objekt ursprünglich belegen war, stattgefunden haben, dessen Recht berufen,642 während für rechtserhebliche Einwirkungen auf die Eigentumsposition außerhalb des kulturellen Ursprungsstaates die zivilrechtlichen Sachzuordnungs-
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„In den Fällen des Statutenwechsels ist bezüglich des Erwerbs und Verlusts von dinglichen Rechten zwischen rechtlich abgeschlossenen Tatbeständen mit Rechtsänderungswirkung (sog. schlichter Statutenwechsel) und nicht abgeschlossenen Tatbeständen (sog. qualifizierter Statutenwechsel) zu unterscheiden. Art. 43 Abs. 2 EGBGB betrifft den ersten Fall, Art. 43 Abs. 3 EGBGB primär den zweiten Fall.“ Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 36–43. Vgl. zu der Unterscheidung auch Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 131–133. Vgl. Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff., S. 3582.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
regeln des Importstaates zuständig sind.643 Das neue Sachstatut kann bei einem Statutenwechsel somit die dingliche Rechtslage nicht ohne einen Blick in die Vergangenheit beantworten 644 und das neue Forum findet Kulturgüter immer mit einer bestimmten sachenrechtlichen Prägung vor, die diese unter der Geltung früherer Sachstatute angenommen hatten. Diese sog. Prägungstheorie 645 ist die deutsche Fasson des im internationalen Sachenrecht weltweit anerkannten Grundsatzes der wohlerworbenen Rechte (international sog. principle of vested rights), dessen Bedeutung, Reichweite und Inhalt zunächst nachstehend unter Punkt I. Erörterung finden. Daran schließt sich unter Punkt II. eine ausführliche Untersuchung der Wirkungen der zivilrechtlichen Sachzuordnung kultureller Güter im Ausland nach Art. 43 Abs. 2 EGBGB innerhalb der deutschen Rechtsordnung an, wobei insbesondere anhand des schleswig-holsteinischen Münzversteigerungsfalls vom 8.4.1987 die Wirkung eines in Deutschland unbekannten Schweizer Lösungsrechts an Kulturgütern und die zivilrechtlichen Wirkungen ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften mit dinglichem Gehalt innerhalb der deutschen Rechtsordnung untersucht werden.
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Vgl. hierzu im kulturgüterspezifischen Schrifttum: Carducci, The Growing Complexity of International Art Law: Conflict of Laws, Uniform Law, Mandatory Rules, UNSC Resolutions and EU Regulations, in: Hoffman, Art and Cultural Heritage – Law, Policy and Practice, 2006, S. 68 ff., S. 76; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 169–171; Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 58–70; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 79–84. So Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43 EGBGB, Rdnr. 113–115. Ganz h.M., vgl. aus der Rechtsprechung nur BGH, Urteil des 8. Zivilsenats vom 20.03.1963, Az.: VIII ZR 130/61, BGHZ 39, S. 173–178, S. 176–177 (Anerkennung eines französischen Registerpfandrechts); BGH, Urteil des 8. Zivilsenats vom 02.02.1966, Az.: VIII ZR 153/64, BGHZ 45, S. 95–101, S. 97 (Umwandlung eines nur relativ wirksamen Eigentumsvorbehalts italienischen Rechts in einen absolut wirksamen Eigentumsvorbehalt nach deutschem Recht); BGH, Urteil des 8. Zivilsenats vom 08.04.1987, Az.: VIII ZR 211/86, IPRax 1987, S. 374–378, BGHZ 100, S. 321–328, S. 326 (Lösungsrecht des gutgläubigen Erwerbers abhanden gekommener Sachen nach schweizerischem Recht nach Statutenwechsel); BGH, Urteil des 2. Zivilsenats vom 11.03.1991, Az.: II ZR 88/90, NJW 1991, S. 1415–1417, S. 1416 (Eine in Italien wirksam bestellte Autohypothek ist in der Bundesrepublik Deutschland anzuerkennen). Der Begriff der „Prägung“ findet sich erstmals bei Lewald, Das deutsche internationale Privatrecht auf Grundlage der Rechtsprechung, 1931, S. 184 ff.
2. Abschnitt: Statutenwechsel im internationalen Kulturgüterverkehr
I.
Grundsatz der wohlerworbenen Rechte (sog. Prägungstheorie)
Da das neue Sachstatut bei einem Statutenwechsel die dingliche Rechtslage nicht ohne einen Blick in die Vergangenheit beantworten kann, hat dies für den privatrechtlichen Kulturgüterschutz und mögliche Kunstrestitutionsansprüche der ursprünglichen Eigentümer unrechtmäßig entzogener Kulturgüter zur Folge, dass ebenso wie bei der materiellen Sachzuordnung auch bei internationalen Sachverhalten stets eine chronologische Analyse der möglichen sachenrechtserheblichen Einwirkungen auf Kulturgüter vonnöten ist.646 Auch die deutsche Rechtslage setzt dieses Grundverständnis in den im Jahre 1999 neuinkorporierten Regeln des internationalen Sachenrechts voraus und aus Art. 43 Abs. 2 EGBGB wird ersichtlich, dass eine sachenrechtliche Prägung, also die an Kulturgütern bestehenden dinglichen Rechte, einen Statutenwechsel grundsätzlich überdauern. Jedoch schon vor der gesetzlichen Normierung der Art. 43 ff. EGBGB folgte die sachenrechtliche Prägung dinglicher Rechtspositionen an Mobilien im Generellen (und damit insbesondere auch an kulturellen Gütern) letztlich aus dem Gebot vom Schutz wohlerworbener Rechte im internationalen Privatrecht.647 Wichtigste Rechtsfolge einer abgeschlossenen Sachzuordnung kultureller Güter innerhalb eines schlichten Statutenwechsels ist somit, dass – so ausdrücklich der 8. Zivilsenat des deutschen BGH in seiner Entscheidung vom 20.03.1963 – das neue Statut die Kulturgüter „mit der sachenrechtlichen Prägung [übernimmt], die [ihnen] das bisherige Statut verliehen hatte. Grundsätzlich erkennt deshalb das neue Sachstatut ein Recht an der Sache, das nach den Vorschriften des früheren Statuts wirksam entstanden ist, auch in seinem Herrschaftsbereich an.“ 648 Entsprechend wird aus der Vorstellung des Gesetzgebers 649 im Jahre 1999 ersichtlich, dass das neue Sachstatut von vorneherein nur zur Beurteilung solcher Vorgänge berufen wird, die sich nach dem Statutenwechsel ereignet haben,650 also nicht zur erneuten Beurteilung des Entstehungstatbestands eines schon im Ursprungsstaat entstandenen Rechts, sondern nur zur Beurteilung dessen künftiger Wirkungen.651 Ein Eigentumserwerb, der unter
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Vgl. Siehr, Internationales Privatrecht – deutsches und europäisches Kollisionsrecht für Studium und Praxis, 2001, § 38 II 1, S. 270. Vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43 EGBGB, Rdnr. 113–115. BGH, Urteil des 8. Zivilsenats vom 20.03.1963, Az.: VIII ZR 130/61, BGHZ 39, S. 173–178, S. 175. Vgl. RegE BT-Drs. 14/343, S. 16. So eindeutig RegE BT-Drs. 14/343, S. 16. So die Formulierung bei Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43 EGBGB, Rdnr. 113–115.
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572
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
der Herrschaft des alten Statuts vollendet wurde, ist alleine nach den sachenrechtlichen Normen dieses Statuts zu bewerten.652 Die sachenrechtliche Prägung im Herkunftsland wird somit von der neuen lex rei sitae anerkannt (sog. Prägungstheorie).653 Auf der anderen Seite folgt aus dem Gebot des Verkehrsschutzes, dass – wie Art. 43 Abs. 2 EGBGB ausdrücklich anordnet – die Rechte nicht im Widerspruch zum neuen Sachstatut geltend gemacht werden dürfen.654 235
Ist somit eine Änderung der sachenrechtlichen Zuordnung kultureller Güter im ersten Belegenheitsstaat nach dessen Recht bereits abgeschlossen, so hat eine dort erworbene Rechtsinhaberstellung im neuen Belegenheitsstaat Bestand.655 Nach dem sog. Grundsatz der Anerkennung wohlerworbener Rechte 656 oder auch sog. Prägungsgrundsatz 657 (international sog. principle of vested rights 658) bleiben
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Vgl. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 295. Ständige Rechtsprechung seit BGH, Urteil des 8. Zivilsenats vom 20.03.1963, Az.: VIII ZR 130/61, BGHZ 39, S. 173–178, S. 176–177 (Anerkennung eines französischen Registerpfandrechts). Vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43 EGBGB, Rdnr. 113–115. Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 169–174; Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 481; Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 73; Fechner, Rechtlicher Schutz archäologischen Kulturguts – Regelungen im innerstaatlichen Recht, im Europa- und Völkerrecht sowie Möglichkeiten zu ihrer Verbesserung, 1991, S. 73; Siehr, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Rechtsverkehr, in: Westphalen/ Sandrock, Lebendiges Recht – Von den Sumerern bis zur Gegenwart – Festschrift für Reinhold Trinkner zum 65. Geburtstag, 1995, S. 703–722, S. 711 f. Zum Grundsatz von der Beachtung der wohlerworbenen Rechte und seiner völkerrechtlichen Begründung vgl. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 121 m.w.N. Grundlegend: Arminjoli, La notion des droits acquis en droit international privé, Recueil des Cours, Collected Courses of the Hagur Academy of International Law, Volume 44 (1933-II) S. 1 ff.; Ferrer-Correia, La doctrine des droits acquis dans un système de règles de conflit bilatérales, in: Tittel (u.a.), Multitudo legum ius unum. Festschrift für Wilhelm Wengler zu seinem 65. Geburtstag, Band 2, 1973, S. 285 ff.; Vgl. zu diesem Grundsatz aus der kulturgüterspezifischen Literatur auch Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 67–68; Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 73–76; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 36–43. „Die lex rei sitae führt in Kombination mit der in Art. 43 Abs. 2 und 3 EGBGB zum Ausdruck kommenden Prägungstheorie dazu, dass ein an der Sache nach ihrem bisherigen Lageort begründetes Recht auch noch im Anschluss an die Verbringung der Sache nach Deutschland bestehen bleibt. Mit anderen Worten: Die einmal unter der Herrschaft der früheren lex rei sitae erlangte sachenrechtliche Prägung einer Mobilie – etwa ein gutgläubiger Erwerb –
2. Abschnitt: Statutenwechsel im internationalen Kulturgüterverkehr
somit die unter dem alten Statut entstandene Rechtslage und damit die dingliche Sachzuordnung und Einwirkung auf die Eigentumsposition an Kulturgütern in der Regel unberührt.659 Die Rechtsordnung des neuen Forumstaates übernimmt kulturelle Wertgegenstände grundsätzlich in der sachenrechtlichen Prägung, die ihr das Recht des ersten Belegenheitsstaates verliehen hat, es sei denn, dies wäre mit seiner Sachenrechtsordnung völlig unverträglich.660 Der BGH verortet den Grundsatz der lex rei sitae ausdrücklich als Basis des Grundsatzes der wohlerworbenen Rechte, „wonach die dinglichen Wirkungen aller Verfügungen über eine Sache nach der Rechtsordnung des Staates beurteilt werden, in dem sich die Sache zum Zeitpunkt der Vollendung des betreffenden Tatbestandes befindet. Gelangt eine Sache in ein anderes Rechtsgebiet, nachdem der sachenrechtliche Tatbestand unter der Herrschaft des alten Statuts bereits abgeschlossen ist, so übernimmt das neue Belegenheitsstatut die Sache mit der sachenrechtlichen Prägung, die ihr das bisherige Statut verliehen hatte. Das heißt, daß die unter dem früheren Statut wirksam begründeten Rechte bestehen bleiben. Der Schutz „wohlerworbener“ dinglicher Rechte tritt nach herrschender Meinung nur dann zurück, wenn sich die vor dem Statutenwechsel entstandenen Rechte und Pflichten nicht mit der Sachenrechtsordnung des Belegenheitsstatuts vereinbaren lassen. Ihr Inhalt richtet sich aber nun nach dem neuen Belegenheitsstatut. Ansonsten bleibt die einmal entstandene sachenrechtliche Prägung einer Sache solange bestehen, bis eine entgegengesetzte Verfügung getroffen wird.“ 661
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bleibt auch nach einem Statutenwechsel bestehen.“ Kienle/Weller, Die Vindikation gestohlener Kulturgüter im IPR, IPRax 2004, S. 290–294, S. 290–291. Venturini, Private international law – chapter 21, in: International Encyclopedia of Comparative Law, 1976, S. 23. Vgl. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 354; Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 523–530. Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 169–174; Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 481; Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 73; von Schorlemer, Internationaler Kulturgüterschutz – Ansätze zur Prävention im Frieden sowie im bewaffneten Konflikt, 1992, S. 538; Jayme, „Entartete Kunst“ und Internationales Privatrecht, 1994, S. 26 f.; Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes, 1994, S. 124 f.; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 237. Verweis auf: BGH, Urteil des 8. Zivilsenats vom 08.04.1987, Az.: VIII ZR 211/86, IPRax 1987, S. 374–378, BGHZ 100, S. 321–328, S. 326 (Lösungsrecht des gutgläubigen Erwerbers abhanden gekommener Sachen nach schweizerischem Recht nach Statutenwechsel). Vgl. aus dem Schrifttum: Asam, Rechtsfragen des illegalen Handels mit Kulturgütern – Ein Überblick, in: Mansel/Pfeiffer/Kronke/Kohler/Hausmann, Festschrift für Erik Jayme, 2004, S. 1651–1668, S. 1662–1663; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 237; Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996,
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
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Im Zweifel führt danach der Statutenwechsel nicht zum Untergang bestehender dinglicher Rechte und Belastungen.662 Innerhalb der kulturgüterspezifischen Spezialliteratur findet sich regelmäßig eine Verdeutlichung der Auswirkungen des Grundsatzes der wohlerworbenen Rechte anhand des bekannten WinkworthFalles oder vergleichbarer Konstellationen: 663
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In der Rechtssache Winkworth v. Christie’s, Manson & Woods aus dem Jahre 1980 664 wurde bekanntlich eine Sammlung japanischer Holzschnitte aus der Sammlung von William Wilberfore Winkworth in England gestohlen, anschließend nach Italien verbracht und dort an den gutgläubigen italienischen Marchesen Dott. Paolo dal Pozzo D’Annone veräußert.665 Der Käufer brachte die
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Rdnr. 295 ff.; Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, § 54 III. Vgl. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 354; Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 523–530. Vgl. hierzu auch Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 36–43, der den Fall auf Deutschland „umschreibt“. Winkworth v. Christie’s, (1980) 1 AMER 1121; (1980) 2 WLR 937 (Ch.). Vgl. das folgende Schrifttum: Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 54–58; Carducci, The Growing Complexity of International Art Law: Conflict of Laws, Uniform Law, Mandatory Rules, UNSC Resolutions and EU Regulations, in: Hoffman, Art and Cultural Heritage – Law, Policy and Practice, 2006, S. 68 ff., S. 76; Collin, The Law and Stolen Art, Artifacts and Antiquities, Howard Law Journal 36 (1993), S. 17 ff., S. 23–24; Crowell, Autocephalous Greek-Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg & Feldman Fine Arts, Inc.: Choice of Law in the Protection of Cultural Property, Texas International Law Journal, Volume 27 (1992), S. 173–209, S. 198–199; Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 217 f.; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 164–165; Jefferson, An Attempt to Evade the Lex Situs Rule for Stolen Goods, The Law Quaterly Review, Volume 96 (1980), S. 508–511; Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 82 f.; Kurpiers, Die lex originisRegel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 25–27; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 159; Nott, Title to Illegally Exported Items of Historic or Artistic Worth, The International and Comparative Law Quaterly, Volume 33 (1984), S. 203–207; Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes, 1994, S. 142; Schönenberger, Gutgläubiger Erwerb gestohlener Kunstwerke? – Ein rechtsvergleichender Überblick; in: Kunst & Recht: Schwerpunktthemen für den Kunstsammler, Schriftenreihe der AXA Art Versicherung AG, 2007, S. 44; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 154 und 158; Siehr, Kunstraub und das internationale Recht, Schweizerische Juristen-Zeitung 77 (1981), S. 189–197 und S. 207–212, S. 194; Reichelt, Kulturgüterschutz und Internationales Privatrecht, IPRax 1986,
2. Abschnitt: Statutenwechsel im internationalen Kulturgüterverkehr
575
Kunstwerke in der Folge wieder zurück nach England, um sie zu seinen Gunsten durch das Auktionshaus Christie, Manson & Woods Ltd. in London versteigern zu lassen. Der ursprüngliche Eigentümer verteidigte seine Rechtsposition damit, dass die Miniaturgemälde, die zunächst in England gestohlen und in der Folge wieder auf englisches Territorium transferiert wurden, an ihn zurückzugeben seien, weil das gutgläubig erworbene Eigentum des italienischen Erwerbers in England nicht anzuerkennen sei, da ein gutgläubiger Erwerb zum Zeitpunkt der Klage in England grundsätzlich – außer der Möglichkeit des Erwerbs auch gestohlener Mobilien entsprechend der nun revidierten ‚market-overt-Regel‘ – ausgeschlossen sei.666 Das englische Gericht wendete für die Frage des Eigentumserwerbs nach dem Grundsatz der lex rei sitae italienisches Recht an: Da nach dem italienischen Zivilrechtssystem nach Art. 1153 des Codice civile italiano ein Erwerb auch an gestohlenen beweglichen Gegenständen bei Gutgläubigkeit des Erwerbers i.S.d. Art. 1147 möglich ist, hat der rechtsgeschäftliche Erwerber bei der Veräußerung innerhalb des Geltungsbereichs der italienischen Rechtsordnung das Eigentum an den entwendeten Kunstwerken erworben und der ursprüngliche englische Eigentümer seine Rechtsstellung zugunsten des gutgläubigen italienischen Erwerbers eingebüßt.667 Zwar würden auf die Zweitveräußerung ohne Diskussion englische Rechtsregeln Anwendung finden, jedoch würde die Veräußerung nicht am nemo dat-Grundsatz des Common Law-Rechtskreises scheitern, weil der Einlieferer als Berechtigter der Veräußerung zu qualifizieren ist, da die englische Rechtsordnung nach dem sog. principle of vested rights die sachenrechtliche Zuordnung der japanischen Holzschnitzereien anerkennt.668 Die Chancery Division des English High
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S. 73–75; Reichelt, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, in: Sladek, Das kulturelle Erbe im Risiko der Modernität: Salzburger Symposium 1992, 1993, S. 61 ff., S. 62 f. Jefferson, An Attempt to Evade the Lex Situs Rule for Stolen Goods, The Law Quaterly Review, Volume 96 (1980), S. 508–511. Der auf Restitution verklagte Marchese fasste in der Winkworth-Entscheidung das geltende italienische Rechtssystem wie folgt zusammen: „Under Italian law a purchaser of movables acquires a good title notwithstanding any defect in the seller’s title or in that of prior transferrers provided that (1) the purchaser is in good faith at the time of delivery (2) the transaction is carried out in a manner which is appropriate, as regards the documentation effecting or evidencing the sale, to a transaction of the type in question rather than in some manner which is irregular as regards documentation and (3) the purchaser is not aware of any unlawful origin of the goods at the time when he acquires them.“ Winkworth v. Christie, Manson & Woods Ltd., (1980) 1 All ER 1121, (1950) 2 WLR 937 (Ch. D.), S. 940. So auch die vergleichbaren Beispiele bei Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 214 f.; Fechner, Rechtlicher Schutz archäologischen Kulturguts – Regelungen im innerstaatlichen Recht, im Europa- und Völkerrecht sowie Möglichkeiten zu ihrer Verbesserung, 1991, S. 75; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 169–174.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Court folgte damit der von Cheshire and North vertretenen Meinung 669, wonach die inzwischen fest im Rechtsbereich des internationalen Privatrechts etablierte Regel der ‚vested rights‘ nicht durch solche Ausnahmen ausgehöhlt werden dürfe, die mangels präziser rechtlicher Aufarbeitung und rechtsdogmatischer Fundierung keine derart deutlich strukturierten Formen aufzuweisen vermögen, dass die internationale Forderung nach allgemeiner Rechtssicherheit und Rechtsvorhersehbarkeit gewahrt bleibt.670 Aus diesen Gründen entschied die Chancery Division, dass die im internationalen Privatrecht etablierte Regel der ‚vested rights‘ auch im internationalen Handel mit illegal transferierten Kulturgütern, im konkreten Fall im Bereich des gutgläubigen Erwerbs individuell gestohlener Kulturgüter, ihre generelle Anwendung behält: „Once a right has been acquired under the applicable lex rei sitae, this right should not be questioned once the object has changed its situs“.671 Begründet werden die zivilrechtliche Anerkennung und Durchsetzung von unter dem alten Sachstatut entstandenen dinglichen Rechten daher mit dem Gebot des Schutzes wohlerworbener Rechte.672 239
Dasselbe würde auch innerhalb der deutschen Rechtsordnung gelten: Die sachenrechtliche Prägung der Kunstwerke (hier: der gutgläubige Eigentumserwerb in Italien) würde auch vom deutschen Statut übernommen. Ein Verstoß gegen den inländischen ordre public nach Art. 6 S. 1 EGBGB als Grenze für die Anerkennung von dinglichen Rechten, die nach dem maßgebenden ausländischen Sachstatut wirksam entstanden sind,673 wäre nach wohl herrschender Meinung 674
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Cheshire/North, Private International law, 10. Aufl. 1979, S. 527. Jefferson, An Attempt to Evade the Lex Situs Rule for Stolen Goods, The Law Quaterly Review, Volume 96 (1980), S. 508–511. Winkworth v. Christie, Manson & Woods Ltd., (1980) 1 All ER 1121, (1950) 2 WLR 937 (Ch. D.). So im Ergebnis auch Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 170; Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 214 f.; Fechner, Rechtlicher Schutz archäologischen Kulturguts – Regelungen im innerstaatlichen Recht, im Europa- und Völkerrecht sowie Möglichkeiten zu ihrer Verbesserung, 1991, S. 75; Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 523–530. Vgl. Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rdnr. 63. So auch Stoll, Sachenrechtliche Fragen des Kulturgüterschutzes in Fällen mit Auslandsberührung, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes – Symposium vom 22./23. Juni 1990 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 53 ff., S. 56; Berndt, Internationaler Kulturgüterschutz: Abwanderungsschutz, Regelungen im innerstaatlichen Recht, im Europa- und Völkerrecht, 1998, S. 126 f.; Siehr, Internationales Privatrecht – deutsches und europäisches Kollisionsrecht für Studium und Praxis, 2001, S. 271; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 36–43. A.A. Mußgnug, Das
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auch innerhalb der deutschen Rechtsordnung zu verneinen: Der ordre publicVorbehalt greift dann ein, wenn das Ergebnis der Anwendung ausländischen Rechts im Einzelfall zu den Grundgedanken der deutschen Regelung und den in ihnen liegenden Gerechtigkeitsvorstellungen in einem so schwerwiegenden Widerspruch steht, dass seine Anwendung für untragbar angesehen werden muss.675 Der in Italien erfolgte gutgläubige Eigentumserwerb an den Kunstwerken stünde nicht im Widerspruch zu der deutschen Rechtsordnung, da diese nicht nur mittels des § 935 Abs. 2 BGB im Wege der öffentlichen Versteigerung den gutgläubigen rechtsgeschäftlichen Erwerb an abhandengekommenen Sachen kennt 676, sondern über § 937 BGB auch den originären Ersitzungserwerb an unrechtmäßig entzogenen Kulturgütern nach zehn Jahren erlaubt.677 Außerdem gelten dieselben Grundsätze, die in den voranstehenden Beispielen anhand einer rechtsgeschäftlichen Veräußerung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter deutlich gemacht wurden, mutatis mutandis für sämtliche Regeln der zivilrechtlichen Sachzuordnung kultureller Wertgegenstände, d.h. Fragen des originären Ersitzungserwerbs, aber auch der Präklusion kultureller Restitutionsansprüche mittels Verjährung und Verwirkung. War bspw. nach dem ersten Belegenheitsrecht eine Ersitzungsfrist abgelaufen, bevor die Sache verlagert wurde, so ist der Eigentumserwerb auch im neuen Belegenheitsstaat anzuerkennen, selbst wenn dort eine längere Ersitzungsfrist vorgesehen ist.678 Zum Teil wurde die Bedeutung dieses international-privatrechtlichen Grundsatzes in ihrer rechtserheblichen Tragweite innerhalb kulturgüterrechtlicher Streitigkeiten nicht in Gänze erfasst. Für die praktische Rechtsanwendung in kulturellen Restitutionsstreitigkeiten ist wichtig, dass im Falle des internationalen Kulturgütertransfers mit wechselnden Aufenthaltsorten kultureller Güter für jede Rechtsordnung einzeln untersucht werden muss, ob eine der verschiedenen Belegenheitsrechtsordnungen ein Recht im Wege des gutgläubigen Erwerbs derivativ oder mittels der Einwirkung des Faktors Zeit originär unentziehbar und (wohl-)erworben einem gutgläubigen Käufer oder Eigenbesitzer zuspricht.
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Kunstwerk im internationalen Recht, in: Kunst und Recht, Schriften der deutschen Richterakademie, 1985, S. 15–42, S. 23, bei Legalisierung „heißer Ware“ durch eine kurzfristige Verschickung nach Italien. Vgl. BGH, Beschluss des 4. Zivilsenats vom 18.06.1970, Az.: IV ZB 69/69, BGHZ 54, S. 123– 131, S. 130. Vgl. BGH, Urteil des 9. Zivilsenats vom 05.10.1989, Az.: IX ZR 265/88, NJW 1990, S. 899–901. Vgl. zum Ganzen auch Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 36–43. Vgl. Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 169–174; Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 481; Jayme, „Entartete Kunst“ und Internationales Privatrecht, 1994, S. 31 f.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
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So hätte bspw. in der amerikanischen Entscheidung DeWeerth v. Baldinger 679 von der auf Restitution beklagten Mrs. Baldinger vor Gericht vorgetragen werden können, dass das ursprünglich Mrs. DeWeerth gehörende Monet-Gemälde sich über einen Zeitraum von fünf Jahren im Rechtskreis der Schweiz in gutgläubigem Eigenbesitz befand und somit das Eigentum rechtswirksam – entsprechend dem Rechtsinstitut der Ersitzung – von Mrs. DeWeerth auf den gutgläubigen Eigenbesitzer hätte übergegangen sein können. Entsprechend der nach der lex rei sitae anwendbaren schweizerischen Rechtsordnung hätte der gutgläubige Eigenbesitzer im Wege der Ersitzung originäres Eigentum an dem Monet zum Ausschluss der ursprünglichen Eigentümerstellung Mrs. DeWeerths erworben. Das Gericht ging jedoch ohne nähere Prüfung davon aus, dass die New Yorker Galerie bzw. der Genfer Kunsthändler Nichtberechtigte waren. Die enge Anlehnung an die Elicofon-Entscheidung 680 – dort beschränkte sich die bekannte Erwerbskette auf den Transfer von einem Unbekannten zu dem Bekl. – mag der insoweit beweispflichtigen Partei den Blick dafür verstellt haben, dass im Fall DeWeerth die Veräußerungskette länger und deshalb nicht nur das letzte Glied zu prüfen war. „Es sind mehrere Sachverhaltskonstellationen denkbar, denen zufolge die Bekl. das Bild vom Berechtigten erworben hat. Sollte z. B. der Genfer Kunsthändler beim Erwerb des Bildes gutgläubig gewesen sein und der Transfer in der Schweiz stattgefunden haben oder sollte er es gutgläubig in der Schweiz aufbewahrt haben, so wäre nach den vom Gericht aufgestellten Anknüpfungsgrundsätzen das schweizerische Recht danach zu befragen, ob der Händler kraft guten Glaubens oder durch Ersitzung Eigentümer geworden ist.“ 681 Das bedeutet, dass nicht nur derivativ erworbene Rechte, sondern ebenso rechtswirksam originär erworbene Eigentumspositionen mittels des international-privatrechtlichen ‚Grundsatzes der wohlerworbenen Rechte‘ (principle of vested rights) bei einem nachfolgenden Wechsel des locus rei sitae als unentziehbar und wohlerworben zugunsten des neuen Rechtserwerbers an der Sache erhalten bleiben.682
242
Die Hinnahme bestehender Rechtsverhältnisse in der sachenrechtlichen Prägung des Altstatuts hat somit zur Folge, dass etwa Diebe, Raubgräber archäologischer Artefakte oder andere Hehler unrechtmäßig entzogener Kulturgüter die unterschiedlichen Ausgestaltungsvarianten des jeweiligen Sachrechts am Belegen-
679
680
681
682
Vgl. ausführlich hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 5. Teil, Rdnr. 307 ff. Vgl. ausführlich hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 5. Teil, Rdnr. 296 ff. Mansel, DeWeerth v. Baldinger – Kollisionsrechtliches zum Erwerb gestohlener Kunstwerke, IPRax 1988, S. 268–271, S. 269. Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 77.
2. Abschnitt: Statutenwechsel im internationalen Kulturgüterverkehr
579
heitsort ausnützen und das Kulturgut bewusst in eine Rechtsordnung transferieren, die einen gutgläubigen rechtsgeschäftlichen oder originären Erwerb gestohlener Sachen erlaubt. Eine für die Lauterkeit des internationalen Kunstmarkts negative marktpolitische Folge dieses Zusammenspiels zwischen lex rei sitae, Prägungstheorie und den rechtsgeschäftlichen 683 und originären 684 Eigentumserwerbsmöglichkeiten unrechtmäßig entzogener Kulturgüter ist somit, dass organisierte Schmugglerbanden im Wege des forum shopping unrechtmäßig entzogene Kulturgüter bewusst in Rechtsordnungen ‚waschen‘, die den beschriebenen rechtsgeschäftlichen bzw. originären Erwerb auch illegal transferierter Kulturgüter ermöglichen. Zusätzlich erlauben sog. kulturelle Transitstaaten, wie zur Zeit bspw. Hongkong und Macau, eine liberale Ein- wie Ausfuhrpolitik auch gegenüber illegal transferierten Kulturgütern. Solche places of bargaining shopping dienen dann als Einfallstor ‚belasteter‘ Objekte in einen legalen Kunstmarkt.
II.
Wirkungen der zivilrechtlichen Sachzuordnung kultureller Güter im Ausland innerhalb der deutschen Rechtsordnung (Art. 43 Abs. 2 EGBGB)
Kulturgüter werden als bewegliche Gegenstände recht einfach grenzüberschreitend transferiert und finden in großer Zahl auch Eingang in die Rechtsordnung Deutschlands als kultureller Importstaat, sodass regelmäßig ein Statutenwechsel vorliegt und die Gegenstände von nun an nach den deutschen Rechtsregeln behandelt werden. Nach unbestrittener Meinung in Rechtsprechung und Dogmatik übernimmt bei einem schlichen Statutenwechsel auch die deutsche Rechtsordnung als neues Sachstatut die an Kulturgütern bestehenden dinglichen Rechtsverhältnisse grundsätzlich in dem Umfang und Ausmaß, wie sie durch das bis dahin herrschende Sachstatut geprägt worden sind.685 Nach dem Vorherge683
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Vgl. ausführlich zu den Möglichkeiten des gutgläubigen Erwerbs Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 2. Teil. Vgl. ausführlich zu den unterschiedlichen Ausformungen des originären Eigentumserwerbs im Wege der Ersitzung Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 4. Teil. Vgl. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 354–357. Die Rechtsprechung hat diese von Lewald, Das deutsche internationale Privatrecht auf Grundlage der Rechtsprechung, 1931, S. 184, stammende Formulierung übernommen, vgl. BGH, Urteil des 8. Zivilsenats vom 20.03.1963, Az.: VIII ZR 130/61, BGHZ 39, S. 173–178, S. 176–177 (Anerkennung eines französischen Registerpfandrechts); BGH, Urteil des 8. Zivilsenats vom 02.02.1966, Az.: VIII ZR 153/64, BGHZ 45, S. 95–101, S. 97 (Umwandlung eines nur relativ wirksamen Eigentumsvorbehalts italienischen Rechts in einen absolut wirksamen Eigentumsvorbehalt nach deutschem Recht); BGH, Urteil des 8. Zivilsenats vom 08.04.1987, Az.: VIII ZR 211/86, IPRax 1987, S. 374–378, BGHZ 100, S. 321–328, S. 326 (Lösungsrecht des gutgläubigen Erwerbers abhanden gekommener Sachen nach schweizeri-
243
580
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
sagten trifft auch das deutsche Kollisionsrecht auf eine sachenrechtliche Prägung kultureller Wertgegenstände, die unter Geltung des kulturellen Exportstaates entstanden ist.686 Auch innerhalb des deutschen IPR galt schon vor Statuierung der Art. 43 ff. EGBGB der Grundsatz der wohlerworbenen Rechte und die deutsche Rechtsordnung übernimmt kulturelle Wertgegenstände grundsätzlich in der sachenrechtlichen Prägung, die ihr das Recht des ersten Belegenheitsstaates verliehen hat, es sei denn, dies wäre mit der deutschen Sachenrechtsordnung völlig unverträglich.687 244
Seit der Reform des deutschen internationalen Privatrechts im Jahre 1999 bestimmt Art. 43 Abs. 2 EGBGB für diese Situation ausdrücklich, dass ein schlichter Statutenwechsel einer Sache, an der Rechte begründet sind, und somit auch die im kulturellen Ursprungsstaat erfolgte privatrechtliche Sachzuordnung kultureller Wertgegenstände, „nicht im Widerspruch zu der Rechtsordnung dieses Staates ausgeübt werden“ können. Die Vorschrift des Art. 43 Abs. 2 EGBGB betrifft innerhalb des internationalen Kulturgüterverkehrs somit Konstellationen, in denen kulturelle Güter in ein anderes Staatsgebiet gelangen, und bestimmt, dass an der Sache bestehende dingliche Rechte nicht im Widerspruch zum neuen Belegenheitsrecht ausgeübt werden können. Positiv wird dadurch entsprechend dem Gebot vom Schutz wohlerworbener Rechte bestimmt, dass die unter einem anderen Sachstatut erfolgte dingliche Sachzuordnung kultureller Wertgegenstände den Statutenwechsel im Grundsatz überdauert.688 Negativ legt
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687
688
schem Recht nach Statutenwechsel); BGH, Urteil des 2. Zivilsenats vom 11.03.1991, Az.: II ZR 88/90, NJW 1991, S. 1415–1417, S. 1416 (Eine in Italien wirksam bestellte Autohypothek ist in der Bundesrepublik Deutschland anzuerkennen). Aus dem Schrifttum: Kreuzer, Die Inlandswirksamkeit fremder besitzloser vertraglicher Mobiliarsicherheiten – die italienische Autohypothek und das US-amerikanische mortgage an Luftfahrzeugen, Anmerkung zu BGH, 11-03-1991 – II ZR 88/90 und BGH, 07-10-1991 – II ZR 252/90, IPRax 1993, S. 157–162; Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 464. Vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 5–7. Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 169–174; Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 481; Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 73; von Schorlemer, Internationaler Kulturgüterschutz – Ansätze zur Prävention im Frieden sowie im bewaffneten Konflikt, 1992, S. 538; Jayme, „Entartete Kunst“ und Internationales Privatrecht, 1994, S. 26 f.; Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes, 1994, S. 124 f.; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 237. Kritisch hierzu Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 354–357, wonach die Übernahme der bestehenden Sachenrechtsverhältnisse zwar nicht auf den Schutz wohlerworbener Rechte zurückgeführt werden könne, „denn dem neuen Statut steht es frei, die unter dem früheren Statut entstandenen Rechte zu verwerfen, umzu-
2. Abschnitt: Statutenwechsel im internationalen Kulturgüterverkehr
581
Art. 43 Abs. 2 EGBGB entsprechend dem Gebot des Verkehrsschutzes, dem im internationalen Sachenrecht eine besondere Bedeutung zukommt, zugleich fest, dass die rechtliche Anerkenntnis und Durchsetzung dieser zivilrechtlichen Einwirkung auf die Eigentumsposition an Kulturgütern unter der Geltung des neuen Sachstatuts beschränkt werden.689 Dadurch wird ein Mittelweg begangen „zwischen Vertrauensschutz auf der einen Seite, indem im Ausland erworbene Rechte als wohlerworbene Rechte auch im neuen Belegenheitsstaat anerkannt werden sollen, und Verkehrssicherheit auf der anderen Seite, indem der Rechtsverkehr des Belegenheitsstaats vor der Konfrontation mit ganz unbekannten dinglichen Rechten geschützt werden soll.“ 690 Wendehorst lehnt mit guten Gründen eine Deutung des Art. 43 Abs. 2 EGBGB als Korrekturmechanismus ab: „Der Schutz wohlerworbener Rechte ebenso wie der Verkehrsschutz lassen sich sowohl auf der Ebene des neuen Sachstatuts als auch auf der Ebene des deutschen Kollisionsrechts verwirklichen. Eine erste Deutung von Art. 43 Abs. 2 geht im Ausgangspunkt von einer vollen Wandelbarkeit des Sachstatuts aus. Danach ist nach einem Statutenwechsel das neue Sachstatut dazu berufen, die dingliche Rechtslage an einer Sache umfassend selbst zu beurteilen. Alle weiteren Konsequenzen des Statutenwechsels, insbesondere der Schutz wohlerworbener Rechte und die Gewährleistung hinreichenden Verkehrsschutzes, wären danach eine Frage des am neuen Lageort geltenden Rechts. Diesem wäre es an sich theoretisch freigestellt, die dingliche Rechtslage ganz neu zu bewerten und in den Grenzen des allgemeinen deutschen ordre public (Art. 6) auch an Tatbestände, die bereits unter dem alten Sachstatut abgeschlossen waren, ganz andere Rechtsfolgen zu knüpfen. Der Umstand, dass die meisten Rechtsordnungen offenbar auf ein Wiederaufrollen abgeschlossener Vorgänge verzichten, wäre danach ein „Wohlwollen“, auf das man sich nicht endgültig verlassen könnte. Wäre diese Deutung zutreffend, dann wäre jede weitere Aussage, die etwa Art. 43 Abs. 2 zum Statutenwechsel macht, letztlich eine Einmischung in die Domäne des nunmehr berufenen Sachenrechts. Ist das berufene Sachenrecht das deutsche Recht, stellt das kein weiteres Problem dar, weil der Gesetzgeber nicht gehindert ist, gewisse materiellrechtliche Regelungen auch in den Art. 3 bis 46 zu treffen und sich das bei entsprechend engem sachlichem Zusammenhang mit echten kollisionsrechtlichen Aussagen sogar anbieten wird. Ist das berufene Sachenrecht dagegen das Recht eines anderen Staates, bedeutete das eine potenzielle Korrektur der von diesem Recht erzielten Ergebnisse und damit entweder eine spezielle Ausprägung des ordre public-Vorbehalts oder eine in Art. 43 Abs. 2 selbst enthaltene, sonderanzuknüpfende Eingriffsnorm. Eine solche Deutung ist zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, macht Art. 43 Abs. 2 aber
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formen oder ihre Ausübung zu untersagen. Im Zweifel ist jedoch davon auszugehen, daß das neue Statut mit den bestehenden Sachenrechtsverhältnissen schonend verfährt und in sie nur aus plausiblen Gründen eingreift. Bei der für solche Eingriffe maßgebenden Interessenabwägung spricht für den grundsätzlichen Fortbestand jener Rechtsverhältnisse der wichtige Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes …“ Kritisch äußert sich auch Neuhaus, Die Grundbegriffe des internationalen Privatrechts, 1976, S. 170–174; Lalive, The Transfer of Chattels in the Conflict of Laws, 1955, S. 145, hält die Lehre von den wohlerworbenen Rechten im IPR für „somewhat discredited“. Vgl. die kulturgüterunspezifischen Ausführungen bei Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 134–136. Vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 5–7.
245
582
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht doch zu einem systemwidrigen Fremdkörper im IPR. Denn gerade dann, wenn das neue Sachstatut eine ausländische Rechtsordnung ist, besteht für das deutsche Recht wenig Veranlassung, sich an deren Stelle zum Hüter der in ihrem Geltungsbereich bestehenden Verkehrsinteressen zu machen: Ein solcher „paternalistischer“ Ansatz wäre dem deutschen IPR ganz und gar fremd.“
246
Im Nachklang der Unterscheidung zwischen Rechtswirkungsstatut einerseits und Rechtsbestandsstatut andererseits ruft Art. 43 Abs. 2 EGBGB in Anlehnung an die kulturgüterunspezifischen Überlegungen Wendehorsts 691 eine „temporale Spaltung des Sachstatuts“ hervor: Während über den Bestand einer privatrechtlichen Sachzuordnung kultureller Güter an ein bestimmtes Zuordnungssubjekt, die noch im Ausgangsstaat rechtswirksam vollzogen wurde, allein die alte lex rei sitae entscheidet (Rechtsbestandsstatut), entscheidet die neue lex rei sitae über die Wirkungen, die dieser dinglichen Sachzuordnung kultureller Wertgegenstände in der neuen rechtlichen Umwelt zukommen (Rechtswirkungsstatut).692 Diese Deutung entspricht auch der Gesetzesbegründung, wonach das neue Sachstatut von vorneherein nur zur Beurteilung solcher Vorgänge berufen ist, die sich nach dem Statutenwechsel ereignet haben, bzw. zur Beurteilung solcher Wirkungen, die sich nach dem Statutenwechsel entfalten, während im Übrigen das alte Sachstatut berufen bleibt.693 „Das Recht am neuen Lageort der Sache ist nur für einen Teil der dem Sachstatut unterfallenden Rechtsfragen berufen (Rechtswirkungsstatut), und nur hinsichtlich dieses Teils ist das Sachstatut wirklich wandelbar. Dagegen bleibt das Recht am alten Lageort unwandelbar berufen, über die vor dem Statutenwechsel eingetretenen Rechtsänderungen zu befinden.“ 694
1. 247
Negativ abgeschlossene Tatbestände im internationalen Kulturgüterverkehr
Dieses Verständnis hat für den internationalen Kulturgüterverkehr zweierlei zur Folge: Ist, erstens, eine bestimmte dingliche Sachzuordnung kultureller Wertgegenstände sowohl nach dem alten als auch nach dem neuen Sachstatut endgültig nicht eingetreten 695, d.h. liegt aus der Sicht beider Rechtsordnungen ein
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Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 137–141. Vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 5–7. So eindeutig Reg-E BT-Drs. 14/343, S. 16. Vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 137–141. Zur Frage, nach welchem Recht zu beurteilen ist, ob ein Tatbestand abgeschlossen ist: Schurig, Statutenwechsel und die neuen Normen des deutschen internationalen Sachenrechts, in: Hohloch, Festschrift für Hans Stoll zum 75. Geburtstag, 2001, S. 577–590, S. 582 ff.
2. Abschnitt: Statutenwechsel im internationalen Kulturgüterverkehr
583
negativ abgeschlossener Tatbestand vor, dann vermag ein Statutenwechsel an dieser Situation nichts zu ändern und es kommt auch nach der neuen Belegenheitsrechtsordnung zu keiner Änderung der Eigentumsposition an dem Kulturgut.696 Ist bspw. der Tatbestand einer rechtsgeschäftlichen Übereignung oder originären Eigentumsersitzung eines (un-)rechtmäßig transferierten Kulturguts zwar abgeschlossen, aber nach der vorherigen lex rei sitae noch nicht zur Rechtsänderung ausreichend, erfolgt auch im neuen Statut kein Rechtserwerb. Eine nach dem Altstatut fehlgeschlagene dingliche Rechtsänderung ist endgültig. Dies gilt selbst dann, wenn nach dem neuen Sachrecht alle Voraussetzungen für den Eigentumserwerb erfüllt gewesen wären.697 Das Trägheitsprinzip 698 verhindert hier eine andere Einschätzung nach dem neuen Belegenheitsrecht.699 Eine praktisch relevante Beispielskonstellation für den internationalen Kunsthandel liegt etwa dann vor, wenn das alte Sachstatut, wie bspw. die deutsche Rechtsordnung, dem gutgläubigen Erwerber eines gestohlenen Kulturguts kein Lösungsrecht 700 gewährt: In dieser Konstellation ist der sachenrechtliche Tatbestand mit Einigung und Übergabe zwischen dem nichtberechtigten Veräußerer und dem Erwerber erfüllt, ohne dass der gutgläubige Erwerber das Eigentum an unrechtmäßig entzogenen Kulturgütern oder (zumindest) ein Lösungsrecht erwirbt. Ein solches entsteht daher auch nicht dadurch, dass das gestohlene Kulturgut nachträglich in eine Rechtsordnung, wie bspw. unter Geltung des Schweizer ZGB, gelangt, dessen Recht ein Lösungsrecht kennt.701 Die erste Folge ist
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Vgl. die kulturgüterunspezifischen Ausführungen bei Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 142–146. Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 58–70; Stoll, Zur gesetzlichen Regelung des internationalen Sachenrechts in Artt. 43–46 EGBGB, IPRax 2000 (Heft 4), S. 259–270, S. 263 f.; Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 303, 354; Schurig, Statutenwechsel und die neuen Normen des deutschen internationalen Sachenrechts, in: Hohloch, Festschrift für Hans Stoll zum 75. Geburtstag, 2001, S. 577–590, S. 582; Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rdnr. 61. Vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 142–146. „Nein bleibt Nein“ formulierte schon Raape, Internationales Privatrecht, 5. Aufl. 1961, S. 596. Vgl. ausführlich zu der Konstruktion eines Lösungsrechts Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 2. Teil, Rdnr. 130 ff. Vgl. das kulturgüterunspezifische Beispiel bei Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 142–146.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
somit, dass die unter dem alten Statut abgeschlossenen Tatbestände allein nach dem Sachenrecht dieses Statuts zu bewerten sind und es nach dem Statutenwechsel dabei bleibt, wenn die sachenrechtlichen Normen des alten Statuts dem Tatbestand die Rechtswirkung versagen.702 249
Ein anderes Beispiel für einen abgeschlossenen Tatbestand innerhalb des internationalen Kulturgüterverkehrs wäre die Konstellation, dass ein Sammler in England ein gestohlenes Gemälde erwirbt, jedoch aufgrund des nemo dat-Grundsatzes 703 nicht das Eigentum daran erlangt. Wird das Gemälde jedoch in der Folge nach Italien ausgeführt – wo bekanntlich ein gutgläubiger Erwerb auch an gestohlenen Gegenständen möglich ist 704 –, ändert der Statutenwechsel zum italienischen Recht jedoch nichts an der Eigentumsposition: Der Erwerbsvorgang war in England bereits (negativ) abgeschlossen und ist daher allein nach englischem Recht zu beurteilen.705
2. 250
Positiv abgeschlossene Tatbestände im internationalen Kulturgüterverkehr
Ist, zweitens, dagegen eine bestimmte dingliche Sachzuordnung kultureller Wertgegenstände nach altem Sachstatut zum Zeitpunkt des Statutenwechsels bereits eingetreten, insbesondere eine Einwirkung auf die Eigentumsposition schon innerhalb des alten Sachstatuts erfolgt (sog. positiv abgeschlossener Tatbestand) 706, hat auch die Rechtsordnung des nachfolgenden Belegenheitsortes, also 702
703
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Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 354–357; Raape, Internationales Privatrecht, 5. Aufl. 1961, S. 596; Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 464; Lewald, Das deutsche internationale Privatrecht auf Grundlage der Rechtsprechung, 1931, S. 178; Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rdnr. 61. Das neue Statut kann allerdings den Vorgang als nicht abgeschlossen betrachten, worüber es frei entscheidet, vgl. Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rdnr. 60. Vgl. ausführlich zur Möglichkeit des gutgläubigen Eigentumserwerbs in Großbritannien Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 2. Teil, Rdnr. 22 ff. Vgl. ausführlich zum gutgläubigen Erwerb an gestohlenen Gegenständen innerhalb der italienischen Rechtsordnung Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 2. Teil, Rdnr. 122 ff. Vgl. zu dem Beispiel auch Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 58–70. Stoll, Zur gesetzlichen Regelung des internationalen Sachenrechts in Artt. 43–46 EGBGB, IPRax 2000 (Heft 4), S. 259–270, S. 262; Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 232 f.; Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen
2. Abschnitt: Statutenwechsel im internationalen Kulturgüterverkehr
585
das neue Sachstatut, die privatrechtliche Sachzuordnung des alten Statuts anzuerkennen, selbst dann, wenn die Erwerbsvoraussetzungen nach dem neuen Sachstatut nicht gegeben wären.707 Diese Konstellation wird leicht verständlich anhand der Möglichkeit der Ersitzung gestohlener Kulturgüter grundsätzlich nach der Dreijahresfrist innerhalb der französischen Rechtsordnung nach Art. 2279 Abs. 2 Code civil 708.709 Demzufolge erlangt der Erwerber nach Verstreichen der drei Jahre das Eigentum an dem Objekt. Gelangt das Kulturgut in der Folge jedoch bspw. nach Deutschland, bleibt der Erwerber weiterhin Eigentümer, obwohl nach der neuen lex rei sitae, also dem deutschen Sachrecht, die Ersitzung nach § 937 BGB erst nach zehn Jahren eintritt.710 Die nach dem französischen Sachrecht im Wege der Ersitzung wirksam erworbene Eigentumsposition bleibt nach dem Statutenwechsel bestehen, selbst wenn nach dem Recht des neuen Lageorts (in unserem Fallbeispiel: Deutschland) nicht alle Voraussetzungen für den Eigentumserwerb erfüllt sind. Diese Rechtswirkung positiv abgeschlossener Tatbestände lässt sich mit der Unzuständigkeit des neuen Sachstatuts begründen, über Vorgänge zu urteilen, die vor dem Statutenwechsel abgeschlossen wurden.711
251
Zur Veranschaulichung eines Statutenwechsels in positiv abgeschlossenen Tatbeständen kann bspw. auch auf die Relevanz der unterschiedlichen Ausgestaltungen des allgemeinen Mobiliartransfers in den verschiedenen nationalen Zivilrechtssystemen und damit auf den allgemeinen Eigentumserwerbstatbestand an Kulturgütern verwiesen werden: 712 Neben der Übertragung des Eigentums an Kulturgütern aufgrund rechtswirksamen Kaufvertrages (in Frankreich, Großbritannien, Italien, den Vereinigte Staaten von Amerika) nach dem sog. Konsens-
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Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rdnr. 62; Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 58–70. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 142–146. Art. 2279 Abs. 2 Code civil: Néanmois celui qui a perdu ou auquel il a été volé une chose peut la revendiquer pendant trois ans, à compter du jour de Ia perte ou du vol, contre celui dans les mains duquel il la trueve; sauf à celui-ci son recours contre celui duquel il la tient. Vgl. ausführlich zu den Möglichkeiten der Ersitzung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 4. Teil. Vgl. zu dem Beispiel auch Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 58–70. Vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 142–146. Lalive, Sur le régime des objets d’art volés en droit international privé, S. 58.
586
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
prinzip, erfolgt ein Eigentumstransfer an Kulturgütern bspw. in der Schweizer Zivilrechtsordnung aufgrund rechtswirksamen Vertrages und Inbesitznahme des Vertragsgegenstandes, und, drittens, bspw. in Deutschland und Griechenland, nach dem sog. Traditionsprinzip mit abstraktem Rechtsgrund aufgrund rechtswirksamer Einigung über den Eigentumsübergang und die Übergabe des Kulturguts, d.h. nach der Inbesitznahme des Vertragsgegenstandes durch den Erwerber.713 Einerseits genügt daher bspw. in Frankreich, dessen Rechtssystem dem Konsensprinzip des römischen Rechts folgt, allein ein Kaufvertrag zur Übertragung dinglicher Rechte an Kulturgütern, während andererseits bspw. die deutschsprachigen Länder eine qualifizierte dingliche Einigung und die tatsächliche Besitzverschaffung zur Rechtsübertragung voraussetzen.714 Wird somit ein Kulturgut von Frankreich nach Deutschland verkauft und erfolgte die Übereignung nach französischem Recht durch Einigung über den Eigentumsübergang, jedoch ohne dass die im deutschen Recht notwendige Übergabe stattfand, ist fraglich, ob der nach deutschem Recht nicht abgeschlossene Erwerb in Deutschland anerkannt werden kann. 253
Entscheidend ist, welche Rechtsordnung festlegt, ob ein Erwerbstatbestand abgeschlossen ist. Richtigerweise hat das alte Statut darüber zu bestimmen, ob ein Erwerbstatbestand abgeschlossen ist oder nicht. War der Vorgang nach dem alten Statut nicht beendet, ist der Tatbestand nicht abgeschlossen, auch wenn ihn das neue Statut als abgeschlossen betrachten würde.715 Wird somit im internationalen Kunstmarkt ein Kulturgut von dem Exportstaat, der dem Konsensprinzip folgt, in einen Importstaat geliefert, der dem Traditionsprinzip folgt, hat der Käu713
714 715
Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 56. Lalive, Sur le régime des objets d’art volés en droit international privé, S. 58. Vgl. Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S.79–84. Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 67–68: „Wird die Sache während der Verwirklichung dieses Tatbestandes in das Gebiet eines anderen Staates verbracht, so entscheidet allein das Recht des neuen Lageorts, in dem sich der Tatbestand vollendet. Dies gilt auch für die noch im alten Gebiet verwirklichten Tatbestände. Ist ein Recht aufgrund eines abgeschlossenen Erwerbstatbestandes nach altem Lagerecht nicht entstanden, so entsteht es auch nicht nach der nach dem Wechsel zuständigen Rechtsordnung, selbst wenn der Erwerbstatbestand nach diesem Recht für die Entstehung ausreichen würde.“ Die Gegenansicht, wonach mit dem Grenzübertritt ein gutgläubiger Erwerb nach der neuen lex rei sitae eintritt, ohne dass ein erneuter Erwerbsakt stattfindet, ist besonders zu Art. 2279 Code civil vertreten worden. Dazu eingehend und kritisch Carducci, La restitution internationale des biens culturels et des objets d’art, 1997, S. 156 ff. Für die deutsche Rechtsordnung bspw. auch Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rdnr. 60: Es entscheidet das Neustatut. Eine dritte Meinung vertritt Lüderitz in Materialien zum Ausländischen und Internationalen Privatrecht, 1972, S. 195 f.: Ein Tatbestand ist nicht abgeschlossen, wenn er nach nur einer beteiligten Rechtsordnung nicht abgeschlossen ist.
2. Abschnitt: Statutenwechsel im internationalen Kulturgüterverkehr
587
fer schon mit der Einigung Eigentum an dem Kulturgut erlangt und behält dieses auch nach dem Statutenwechsel, auch wenn nach dem neuen Sachstatut an sich die Übergabe und Besitzverschaffung (wie bspw. nach dem Traditionsprinzip) erforderlich gewesen wäre. Dadurch wird mit kollisionsrechtlichen Mitteln Vertrauensschutz in der Form des Schutzes wohlerworbener Rechte gewährleistet.716
a)
Unbekannte Rechte an Kulturgütern – Schweizer Lösungsrecht im Münzversteigerungsfall vom 8.4.1987
Aufgrund der unterschiedlichen materiell-rechtlichen Ausgestaltungsformen der nationalen Rechtsordnungen ist es nicht ausgeschlossen, dass Kulturgüter in den Geltungsbereich der deutschen Zivilrechtsordnung transferiert werden, an denen für den deutschen Rechtskreis unbekannte Rechtspositionen bestehen. Beispielhaft kann die Behandlung unbekannter Rechtspositionen an Kulturgütern innerhalb der deutschen Rechtsordnung anhand des sog. schleswig-holsteinischen Münzversteigerungsfalls vom 8.4.1987 717 – nicht zu verwechseln mit dem sog. Antikenmünzenfall des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichtes vom 10.02.1989 718 – und der international-privatrechtlichen Qualifikation eines Lösungsrechts des gutgläubigen Erwerbers unrechtmäßig entzogener Kulturgüter aufgezeigt werden.
254
Hier hatte ein Kölner Münzhändler im Jahre 1988 bei einem Züricher Auktionshaus zwei Silbermünzen aus dem 14. Jahrhundert ersteigert. Der Münzhändler wusste nicht, dass die Münzen in den Jahren 1976 bis 1978 aus der Staatlichen
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Vgl. die kulturgüterunspezifischen Ausführungen bei Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 142–146. BGH, Entscheidung des 8. Zivilsenats vom 08.04.1987, Az: VIII ZR 211/86, BGHZ 100, 321–328, NJW 1987, 3077–3080. Vgl. die Anmerkungen zu der Entscheidung bei Schütze, Zur Irreversibilität ausländischen Rechts gemäß ZPO § 549 – Zum Bestand eines schweizerischen Lösungsrechts bei Statutenwechsel, EWiR 1987, S. 833–834; Stoll, Probleme des Statutenwechsels nach Erwerb eines Lösungsrechts an einer gestohlenen Sache, IPRax 1987, S. 357–360; Hohloch, Rechtsprechungsübersicht – Rechte des gutgläubigen Erwerbers bei Statutenwechsel, JuS 1988, S. 157–158; Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 307–308; Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 58–70; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 169–174; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 36–43; Spaun, Der Herausgabeanspruch bei Diebstahl oder illegalem Export von Kulturgütern, 2003, S. 136; Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 76–78. Vgl. ausführlich hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 1: Illegaler Kulturgüterverkehr, 3. Teil, Rdnr. 149 ff.
588
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Münzsammlung des Landes Schleswig-Holstein zusammen mit zahlreichen weiteren Münzen gestohlen worden waren. Ein Teil davon gelangte über Zwischenhändler in den Besitz einer Schweizer Bank in Zürich. Diese veranstaltete am 17.10.1978 eine Versteigerung, auf der der Kölner Münzhändler im Auftrag zweier ihrer Kunden zwei Münzen zu einem außergewöhnlich günstigen Preis von insgesamt 7.150 Schweizer Franken ersteigerte. Der Kunsthändler gab die ihm nach dem Zuschlag zunächst ausgehändigten Münzen am Ende der Auktion an den Auktionator zur Versendung in die Bundesrepublik Deutschland zurück, wo sie von ihm in Empfang genommen und an die eigenen Kunden weitergeliefert wurden. Mit Schreiben vom 11.5.1981 informierte das beklagte Land die Klägerin darüber, dass die beiden von ihr in der Schweiz ersteigerten Münzen sehr wahrscheinlich aus der Sammlung des Landes gestohlen worden seien und deshalb nach wie vor in dessen Eigentum stünden. Aus diesem Grund beschaffte sich der Kunsthändler die Münzen wieder von seinen Kunden und übergab sie schließlich der Staatlichen Münzsammlung des Landes Schleswig-Holstein. In der Folge erhob der Kölner Münzhändler Klage und forderte Zahlung aufgrund des Schweizer Lösungsrechts 719 eines gutgläubigen Erwerbers. 256
Hintergrund der Forderung des Kölner Münzhändlers ist, dass in der Schweiz ein gutgläubiger Erwerb auch bei unrechtmäßig entzogenen Kulturgütern nach Art. 714, 933 ZGB möglich ist, der Eigentümer jedoch nach Art. 934 Abs. 1 ZGB im Fall des Abhandenkommens während einer Frist von fünf Jahren die Sache zurückfordern kann. Tut er dies, muss er aber unter bestimmten Voraussetzungen dem gutgläubigen Erwerber eine Entschädigung nach Art. 934 Abs. 2 ZGB zahlen – es ist also ein sog. Lösungsrecht des gutgläubigen Erwerbers entstanden.720 Neben der Schweizer Rechtsprechung sprechen bspw. auch die Sachenrechtsregeln Frankreichs in Art. 2279, 2280 Code civil 721 und Spaniens in Art. 464 Abs. 2 Código civil dem gutgläubigen Erwerber einer beweglichen Sache in gewissen Fällen – etwa bei Erwerb gestohlener Sachen in öffentlicher Ver719
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Vgl. ausführlich hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 2. Teil, Rdnr. 142 ff. Art. 934 ZGB: 1. Der Besitzer, dem eine bewegliche Sache gestohlen wird, oder verlorengeht oder sonst wider seinen Willen abhanden kommt, kann sie während fünf Jahren jedem Empfänger abfordern. 2. Ist die Sache öffentlich versteigert oder auf dem Markt oder durch einen Kaufmann, der mit Waren der gleichen Art handelt, übertragen worden, so kann sie dem ersten und jedem späteren gutgläubigen Empfänger nur gegen Vergütung des von ihm bezahlten Preises abgefordert werden. Art. 2279 CCfr.: En fait de meubles, la possession vaut titre. Néanmoins celui qui a perdu ou auquel il a été volé une chose peut la revendiquer pendant trois ans, à compter du jour de la perte ou du vol, contre celui dans les mains duquel il la trouve; sauf à celui-ci son recours contre celui duquel il la tient. Art. 2280 CCfr.: Si le possesseur actuel de la chose volée ou perdue l’a achetée dans une foire ou dans un marché, ou dans une vente publique, ou d’un marchand vendant des choses pareilles, le propriétaire originaire ne peut se la faire rendre qu’en remboursant au possesseur le prix qu’elle lui a coûté …
2. Abschnitt: Statutenwechsel im internationalen Kulturgüterverkehr
589
steigerung oder von einem Kaufmann, der mit Waren gleicher Art handelt – zwar nicht das Eigentum zu, schützen ihn aber mittelbar durch ein sog. Lösungsrecht.722 Wurden die unrechtmäßig entzogenen Kulturgüter entweder aufgrund öffentlicher Versteigerung oder aber bei einem Händler erworben, der üblicherweise mit solchen Gegenständen Handel treibt, besteht somit nur dann eine Herausgabepflicht des gutgläubigen Erwerbers, wenn der Eigentümer dem gutgläubigen Erwerber denjenigen Preis zahlt, den dieser selbst für den Erwerb des Gegenstandes zu zahlen hatte. Einerseits wird damit wirtschaftlich eine Schlechterstellung des gutgläubigen Erwerbers im Rechtsverkehr vermieden, andererseits aber auch dem Interesse des ursprünglichen Eigentümers Rechnung getragen, der bei Kompensation des gutgläubigen Erwerbers einen Anspruch auf Herausgabe „seiner“ abhandengekommenen Kulturgüter besitzt. Nach Ablauf einer bestimmten Zeitspanne (in der Schweiz: fünf Jahre, in Frankreich: drei Jahre) verliert der Eigentümer jedoch sein Restitutionsrecht. Damit versucht das Lösungsrecht des gutgläubigen Erwerbers ein ausgeglichenes und ausbalanciertes Rechts- und Pflichtenverhältnis zwischen dem gutgläubigen Erwerber und dem ursprünglichen Eigentümer zu normieren.723 Wenn jedoch – wie im schleswig-holsteinischen Münzversteigerungsfall – ein gutgläubiger Erwerber unrechtmäßig entzogene Kulturgüter in einem Staat erwirbt, dessen Rechtsordnung das beschriebene Lösungsrecht normiert und das Kulturgut anschließend in eine Rechtsordnung transferiert, der ein derartiges Lösungsrecht fremd ist, stellt sich die Frage, ob das Lösungsrecht als wohlerworbenes Recht (hier: aus der Schweizer Rechtsordnung) entsprechend der Prägungstheorie (principle of vested rights) dem Kulturgut „anhaftet“ und auch in einem Drittstaat rechtswirksam vor Gericht geltend gemacht werden kann.
(1)
Fortbestand eines Lösungsrechts nach einem schlichten Statutenwechsel
Es ist also fraglich, ob dem Kölner Münzhändler in Deutschland ein unter Geltung der Schweizer Rechtsordnung entstandener Anspruch auf Kompensationszahlung gegenüber der Staatlichen Münzsammlung des Landes Schleswig-Holstein zusteht, nachdem er dieser die gestohlenen Münzen zurückgibt. Der BGH hatte darüber zu entscheiden, ob das entstandene Lösungsrecht des § 934 Abs. 2
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257
Vgl. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 307–308; Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 60–61. Zum Ganzen Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 307–308; Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 60–61.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
ZGB allein dadurch wieder untergegangen ist, weil die Münzen in die Bundesrepublik Deutschland und damit in den Geltungsbereich deutschen Rechts, dem die Konstruktion eines Lösungsrechts unbekannt ist, verbracht wurden. 259
Nach Ansicht der älteren Rechtsprechung wurde kollisionsrechtlich durch das Lösungsrecht eine Beschränkung der Eigentumsposition angenommen,724 sodass die lex fori über Bestand und Inhalt des Lösungsrechts zu entscheiden habe: Wie über die Formen der Rechtsverfolgung sei sie auch für deren Beschränkung maßgeblich.725 In diesem Sinne entschied auch das Reichsgericht in einem Urteil vom 19. März 1898 726 und erklärte, das Lösungsrecht (hier nach Art. 2280 des französischen Code civil) entstehe erst im Moment der Rückforderung einer Sache durch den Eigentümer, sodass dasselbe örtliche Recht, das für die Beurteilung der Vindikation maßgebend sei, auch darüber entscheiden müsse, ob und in welchem Umfang ein Lösungsrecht bestehe: 727 Dasselbe örtliche Recht müsse auch darüber entscheiden, ob und in welchem Umfang aufgrund des Lösungsrechts ein Zurückbehaltungsrecht bestehe. Demnach wäre im vorliegenden Falle das Lösungsrecht gegenüber dem erst nach Verbringung der Münzen in den Geltungsbereich des deutschen Rechts erhobenen Herausgabeanspruch noch nicht entstanden und könnte hier auch nicht entstehen, weil das für die Vindikation maßgebende deutsche Recht ein Lösungsrecht nicht kenne. Wäre der BGH dieser Einschätzung gefolgt, hätte er einen Kompensationszahlungsanspruch des Kölner Münzhändlers ablehnen müssen.
260
Die gegenteilige Auffassung geht jedoch – überzeugend und heute herrschend – davon aus, dass das Lösungsrecht eine materiell-rechtliche Funktion besitzt und es sich um eine inhaltlich beschränkte Form des Gutglaubenserwerbs handelt. Das Lösungsrecht des gutgläubigen Erwerbers einer beweglichen Sache wird dementsprechend in Rechtsprechung 728 und Schrifttum 729 richtigerweise als dingliches 724
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Vgl. zur Darstellung der älteren Rechtsprechung Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 307–308. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 307–308, unter Rekurs auf die Entscheidung des OLG Rostock, NiemZ 1892, S. 467. Auch die französische Rechtsprechung neigt dazu, Art. 2280 Code civil ohne Rücksicht auf den Ort des Erwerbs immer dann anzuwenden, wenn vor französischen Gerichten prozessiert wird, vgl. Dalloz, Répertoire de Droit Civil IV (1954), „revendication“ no. 195. Entsprechend verwirft die kanadische Rechtsprechung das Lösungsrecht, wenn es zwar bei Übereignung der Sache in Quebec nach dortigem Recht entstanden ist, jedoch in einer anderen Provinz auf Herausgabe der Sache geklagt wird, vgl. McKenna v. Prieur and Hope, (1925) 56 OntLR S. 389 ff., S. 398 f.; Phoenix Assurance Co. v. Laniel, (1926) 59 OntLR S. 55 ff., S. 60. RGZ 41, S. 152, NiemZ 1899, S. 117. Vgl. hierzu insbesondere Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 307–308. BGH, Entscheidung des 8. Zivilsenats vom 08.04.1987, Az: VIII ZR 211/86, BGHZ 100, 321–328, insb. S. 324 ff., NJW 1987, S. 3077–3080. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006,
2. Abschnitt: Statutenwechsel im internationalen Kulturgüterverkehr
591
Recht qualifiziert, das gegenüber dem Eigentümer geltend gemacht wird. Das für die Übereignung der Sache maßgebende Sachstatut gewährt das Lösungsrecht als „schwächeres Surrogat“ für den – gescheiterten – Erwerb des Eigentums.730 Wird aber diese materiell-rechtliche Position mit dem Kulturgut in eine Rechtsordnung transferiert, die den Ausgleich zwischen gutgläubigem Erwerber und ursprünglichem Eigentümer anders als über die Konstruktion eines Lösungsrechts regelt, befindet man sich inmitten des altbekannten Streits, wie das deutsche Recht mit ausländischen Rechtspositionen an Sachen, die in das Bundesgebiet gelangt sind, umzugehen hat. Fest steht, dass bei Wertungswidersprüchen innerhalb der Wirkungen zwischen dem Rechtsbestandsstatut und dem Rechtswirkungsstatut das neue Sachstatut dieses Spannungsverhältnis aufzulösen hat: Das neue Sachstatut hat in den Grenzen des ordre public selbst darüber zu befinden, wie es diese Aufgabe lösen will.731 Für die deutsche Rechtsordnung löst nun Art. 43 Abs. 2 EGBGB diesen Konflikt und bestimmt mittels seiner negativen Funktion, dass diese Rechte nicht im Widerspruch zu der Rechtsordnung des deutschen Staates ausgeübt werden können. Der konkrete Rechtsgehalt dieser Vorschrift liegt jedoch nicht offen zu Tage und schon vor gesetzlicher Einführung der Regeln des internationalen Sachenrechts in den Art. 43 ff. EGBGB war umstritten, welche Wirkungen ausländische Zivilrechtspositionen an Mobilien und damit auch an kulturellen Wertgegenständen erlangen.732
(a)
Theorie vom Reinigungseffekt
Teile der Literatur sprechen aus Verkehrsschutzgesichtspunkten einem Statutenwechsel einen gewissen „Reinigungseffekt“ zu und wandeln dementsprechend der deutschen Rechtsordnung unbekannte ausländische Rechtspositionen nach
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732
261
Art. 43, Rdnr. 60–61; Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 12 Rdnr. 19; rechtsvergleichend Siehr, Das Lösungsrecht des gutgläubigen Käufers im Internationalen Privatrecht, ZVglRWiss 83 (1984), S. 100–118; Kohls, Kulturgüterschutz: Wirkungen von Verstößen gegen Ausfuhrverbote und Möglichkeiten der Rückführung illegal verbrachter Kulturgüter – Eine vergleichende Untersuchung mit den Rechten Dänemarks, Norwegens und Schwedens, 2001, S. 152–154. So Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 307–308. Vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 142–146. Vgl. zum Ganzen auch Stoll, Zur gesetzlichen Regelung des internationalen Sachenrechts in Artt. 43–46 EGBGB, IPRax 2000 (Heft 4), S. 259–270, S. 261–264; Pfeiffer, Der Stand des Internationalen Sachenrechts nach seiner Kodifikation, IPRax 2000 (Heft 4), S. 271–285, S. 272–274; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 36–43.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Verbringung nach Deutschland mit Wirkung auch für künftige Statutenwechsel in ein funktionsähnliches inländisches Recht um (sog. Theorie vom ,,Reinigungseffekt“).733 Diese Theorie wird im Allgemeinen mit guten Gründen wegen Art. 43 Abs. 2 EGBGB abgelehnt 734, führt aber auch im internationalen Kunsthandel zu sinnwidrigen Ergebnissen: Da bei Annahme eines Reinigungseffektes eine dingliche Neubewertung nach Einfuhr in den Geltungsbereich der deutschen Rechtsordnung erfolgt, müsste das Lösungsrecht des gutgläubigen Münzhändlers mit Verbringung ins Bundesgebiet auch mit Wirkung für die Schweizer Rechtsordnung dauerhaft untergehen, selbst wenn die Münzen ohne eine Rechtseinwirkung innerhalb der deutschen Rechtsordnung wieder in die Schweiz zurückgekehrt wären.
(b) 263
Transpositions- und Hinnahmetheorie
Unterstützungswürdig ist vielmehr die von der herrschenden Meinung vertretene Transpositionstheorie, wonach mit dem Statutenwechsel zwar eine Umwandlung („Transposition“) in dasjenige inländische Rechtsinstitut erfolgt, das dem ausländischen Recht funktionell am ähnlichsten ist,735 diese Umwandlung nach der heute überzeugend vertretenen Ansicht jedoch keine Bestands-, sondern nur eine Wirkungsänderung zur Folge hat.736 Während früher Anhänger der Transpositionslehre eine dauerhafte Überleitung aller ausländischen Sachenrechte in äquivalente Rechtstypen des inländischen Rechts proklamierten (und so ebenfalls zu einem Reinigungseffekt gelangten), ist dies – spätestens seit Erlass des Art. 43 Abs. 2 EGBGB – jedoch nicht zwingend und selbst diejenigen Rechte, deren Ausübung mit dem neuen Statut unvereinbar ist, bleiben nach überwiegender Meinung bestehen, ohne dass ein Reinigungseffekt eintritt.737 Sie leben nach einem 733
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Vgl. diesbezüglich die Erläuterungen bei Stoll, Zur gesetzlichen Regelung des internationalen Sachenrechts in Artt. 43–46 EGBGB, IPRax 2000 (Heft 4), S. 259–270, S. 261–264 m.w.N. Vgl. zu den ablehnenden Gründen insb. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 147–148 m.w.N. Kreuzer, Die Vollendung der Kodifikation des deutschen Internationalen Privatrechts durch das Gesetz zum Internationalen Privatrecht der außervertraglichen Schuldverhältnisse und Sachen vom 21.5.1999, RabelsZ 65 (2001), S. 383–462, S. 445; der Sache nach (trotz z.T. abw. Terminologie) auch Junker, Die IPR-Reform von 1999 – Auswirkungen auf die Unternehmenspraxis, RIW 2000, S. 241–255, insb. S. 254. Vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 149–151. „Zu beachten ist des weiteren, daß Art. 43 Abs. 2 EGBGB erkennbar von einem Weiterbestehen der unter der ursprünglich maßgeblichen Rechtsordnung begründeten Sachenrechte ausgeht. Sie wandeln sich auch nicht in Rechtsinstitute der neuen lex rei sitae um. Lediglich ihre Ausübung wird durch diese beschränkt. Diese gesetzliche Entscheidung für die Lehre von der Ausübungsbeschränkung anstelle der Lehre von der Umwandlung hat Bedeutung insbesondere für Fälle, in denen im Anschluß an einen Statutenwechsel die Transposition
2. Abschnitt: Statutenwechsel im internationalen Kulturgüterverkehr
weiteren Statutenwechsel wieder auf, soweit die nunmehr maßgebende Rechtsordnung die Rechtsausübung zulässt.738 Das gleiche Ergebnis wird im internationalen Kulturgüterverkehr auch mit der sog. Hinnahmetheorie erzielt, wonach das ausländische dingliche Recht in seinem Bestand wie auch in den Wirkungen, die ihm nach dem Entstehungsstatut ursprünglich zukommen, grundsätzlich hingenommen wird und hinsichtlich der konkreten Rechtswirkungen ein Rückgriff auf funktionsäquivalente Figuren des deutschen Rechts stattfindet.739 Das nach dem alten Statut wirksam begründete dingliche Recht wird somit übernommen und mit den Wirkungen eines entsprechenden dinglichen Rechts des neuen Statuts ausgestattet.740 Die Transpositions- bzw. Hinnahmetheorie haben beide aber auch zur Folge, dass in Fällen, in denen kein geeignetes inländisches Rechtsinstitut existiert bzw. Rechtswirkungen bestehen, die der deutschen Rechtsordnung gänzlich fremd sind, oder in denen die Ausübung des Rechts mit zwingenden Verkehrs-
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eines Rechts infolge des „Vetos“ des Belegenheitsrechts scheitert. Kommt es zu einer Rückkehr der Sache in den räumlichen Geltungsbereich der ursprünglichen lex rei sitae und infolgedessen zu einem reversen Statutenwechsel, so stellt sich die Frage nach dem Schicksal des nicht transponierten Rechts, um deren Beantwortung die sog. „Reinigungstheorie“ einerseits und die „Wiedererweckungstheorie“ andererseits streiten. Nach der Reinigungstheorie gehen infolge eines Statutenwechsels diejenigen Sachenrechte endgültig unter, die von der neuen lex rei sitae nicht geduldet werden; ein Wiederaufleben durch einen erneuten Statutenwechsel in umgekehrter Richtung soll wegen des zwischenzeitlichen Reinigungseffekts ausgeschlossen sein [Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, 9. Aufl. 2004, § 19 III, S. 667; offenlassend die Entscheidung des BGH zum Lösungsrecht nach Art. 934 sches. ZGB, BGHZ 100, 321 = NJW 1987, 3077]. Demgegenüber wird ein solches Wiederaufleben von der wohl überwiegend vertretenen „Wiedererweckungstheorie“ befürwortet [Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rdnr. 63; Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, § 54 1b, S. 483]. Letzteres ist nach der Kodifikation allein mit dem Gesetz vereinbar, weil dieses sich für eine bloße Ausübungsbeschränkung und damit zugleich gegen ein Erlöschen entschieden hat, was zum Schutz wohlerworbener Rechte auch die vorzugswürdige Lösung darstellt.“ Pfeiffer, Der Stand des Internationalen Sachenrechts nach seiner Kodifikation, IPRax 2000 (Heft 4), S. 271–285, S. 272–274. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 354–357; Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 466; Lüderitz in Lauterbach, Vorschläge und Gutachten zur Reform des deutschen internationalen Personen- und Sachenrechts, 1972, S. 211; Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rdnr. 63; Raape, Internationales Privatrecht, 5. Aufl. 1961, S. 597, S. 609 f. Vgl. Stoll, Zur gesetzlichen Regelung des internationalen Sachenrechts in Artt. 43–46 EGBGB, IPRax 2000 (Heft 4), S. 259–270, S. 261–264; Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 356; Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 523–530. So BT-Drs. 14/343, S. 16.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
interessen unvereinbar erschiene, einer ausländischen Rechtsposition im äußersten Fall jede Wirkung versagt wird.741 264
Schon zum Zeitpunkt der Entscheidung des schleswig-holsteinischen Münzversteigerungsfalls vom 8.4.1987 stand die überwiegende Meinung in der Literatur 742 – ebenso wie das aktuelle Schrifttum 743 – entsprechend den beiden letztgenannten Theorien auf dem Standpunkt, dass ein einmal entstandenes Lösungsrecht nicht bereits durch einen derartigen schlichten Statutenwechsel wieder untergeht.744 Der BGH folgte seiner Rechtsprechung vom 20. März 1963 745 und bestimmte, dass die Rechtsverhältnisse an einer Sache mit deren Verbrin-
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Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 152–154, unter Berufung auf Stoll, Zur gesetzlichen Regelung des internationalen Sachenrechts in Artt. 43–46 EGBGB, IPRax 2000 (Heft 4), S. 259–270, S. 262–263. Stoll, Probleme des Statutenwechsels nach Erwerb eines Lösungsrechts an einer gestohlenen Sache, Anmerkung zu BGH, 8-4-1987 – VIII ZR 211/86, IPRax 1987, S. 357–360. Vgl. schon OLG Hamburg, SeuffA 49 (1894) Nr. 229, HansGZ (1894) Beibl. 303. Vgl. aus dem früheren Schrifttum: Duden, Der Rechtserwerb vom Nichtberechtigten an beweglichen Sachen und Inhaberpapieren im Deutschen Internationalen Privatrecht, 1934, S. 39–65; Lewald, Das deutsche internationale Privatrecht auf Grundlage der Rechtsprechung, 1931, S. 182 f; Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rdnr. 79. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 307; Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rdnr. 79; Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 525; Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROITÜbereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 58–70; Prengel, Münz-Fall: gutgläubiger Erwerb, Versteigerungserwerb und Lösungsrecht (BGH, Urteil vom 8.4.1987 – VIII ZR 211/86); Kohls, Kulturgüterschutz: Wirkungen von Verstößen gegen Ausfuhrverbote und Möglichkeiten der Rückführung illegal verbrachter Kulturgüter – Eine vergleichende Untersuchung mit den Rechten Dänemarks, Norwegens und Schwedens, 2001, S. 152–154. BGH, Entscheidung des 8. Zivilsenats vom 08.04.1987, Az: VIII ZR 211/86, BGHZ 100, S. 321–328, NJW 1987, S. 3077–3080, unter Verweis auf Duden, Der Rechtserwerb vom Nichtberechtigten an beweglichen Sachen und Inhaberpapieren im Deutschen Internationalen Privatrecht, 1934, S. 46 ff., 58 f.; Karrer, Der Fahrniserwerb kraft guten Glaubens im Internationalen Privatrecht, 1968, S. 84; Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rdnr. 79; Lewald, Das deutsche internationale Privatrecht auf Grundlage der Rechtsprechung, 1931, S. 182 f.; Raape, Internationales Privatrecht, 5. Aufl. 1961, S. 602; Rabel, Conflict of Laws, Vol. 4, 1958, S. 74; Siehr, Das Lösungsrecht des gutgläubigen Käufers im Internationalen Privatrecht, ZVglRWiss 83 (1984), S. 100–118, S. 108 m.w.N. A.A. etwa Nussbaum, Deutsches Internationales Privatrecht, 1932, S. 311. BGH, Entscheidung des 8. Zivilsenats vom 20.03.1963, Az: VIII ZR 130/61, BGHZ 39, S. 173–178.
2. Abschnitt: Statutenwechsel im internationalen Kulturgüterverkehr
595
gung in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zwar grundsätzlich den Vorschriften des deutschen Sachenrechts unterliegen, dieses aber die Sache grundsätzlich in derjenigen sachenrechtlichen Prägung übernimmt, die ihr das bisherige Statut verliehen hatte, es sei denn, dass dies mit der geltenden deutschen Sachenrechtsordnung völlig unverträglich wäre.746 Als materiell-rechtliche Position ist das Lösungsrecht somit international „transportfähig“ und geht nicht schon dadurch unter, dass das von einem Gutgläubigen erworbene Kulturgut durch schlichten Statutenwechsel in ein anderes Rechtsgebiet gelangt. „Wird die Sache, mit der ein Lösungsrecht verbunden ist, nach Deutschland verbracht, so stößt das Lösungsrecht auch nicht auf den Widerspruch der deutschen Sachenrechtsordnung; das nach dem Übereignungsstatut erworbene Lösungsrecht kann somit auch in Deutschland ausgeübt werden“ 747 Das Schrifttum 748 führt diesbezüglich insbesondere die Parallelen des Lösungsrechts zum dinglichen Zurückbehaltungsrecht des Besitzers gemäß § 1000 BGB an und kommt so zu der Feststellung, dass ein solches Rechtsinstitut dem deutschen Recht nicht wesensfremd, sondern mit deutschen Rechtsinstituten strukturell verwandt ist und sich mit dem deutschen Sachenrecht vereinbaren lässt. Zudem stellt das Lösungsrecht einen auch innerhalb der deutschen Rechtsordnung zu tolerierenden Mittelweg zwischen Eigentümer- und Gutglaubensschutz dar, der innerhalb der deutschen Rechtsordnung auf ähnliche Weise gesucht wird: durch den grundsätzlichen Ausschluss des gutgläubigen Erwerbs unrechtmäßig entzogener Sachen bei ausnahmsweise zulässiger Möglichkeit einer öffentlichen Versteigerung in § 935 BGB.749 Für die deutsche Rechtsordnung scheinen sich deshalb grundsätzlich keine Schwierigkeiten zu ergeben: Nach Art. 43 Abs. 2 EGBGB dürfen Rechte, welche nach dem alten Sachenrechtsstatut wirksam begründet worden sind, im Falle eines Lageortswechsels „nicht im Widerspruch“ zur neuen lex rei sitae „ausgeübt werden“. Sowohl nach der Transpositionstheo746
747 748
749
BGH, Entscheidung des 8. Zivilsenats vom 08.04.1987, Az: VIII ZR 211/86, BGHZ 100, S. 321–328, NJW 1987, S. 3077–3080, unter Verweis auf BGH, Entscheidung des 8. Zivilsenats vom 02.02.1966, Az: VIII ZR 153/64. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 307–308. So Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 307–308; Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 525; Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 60–61; Prengel, MünzFall: gutgläubiger Erwerb, Versteigerungserwerb und Lösungsrecht (BGH, Urteil vom 8.4.1987 – VIII ZR 211/86). Siehr, Das Lösungsrecht des gutgläubigen Käufers im Internationalen Privatrecht, ZVglRWiss 83 (1984), S. 100–118, S. 110; Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 58–70; Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rdnr. 70.
265
596
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
rie als auch nach der Hinnahmetheorie soll das nach dem alten Statut wirksam begründete dingliche Recht übernommen und mit den Wirkungen eines entsprechenden dinglichen Rechts des neuen Statuts ausgestattet werden.750 Im Unterschied zur Transpositionslehre muss aber bei der Hinnahmetheorie nicht zwangsläufig das Recht in ein Institut des Lageorts umgewandelt werden, sondern es genügt, dass es in seinen Wirkungen vom neuen Recht begrenzt wird. Beide Theorien erlauben aber die Anerkenntnis unbekannter Rechtspositionen an Kulturgütern innerhalb der deutschen Rechtsordnung.
(2) 266
Untergang eines Lösungsrechts nach einem qualifizierten Statutenwechsel (umstritten)
In dem Münzversteigerungsfall konnte eine gerichtliche Anerkennung des Lösungsrechts nach einem schlichten Statutenwechsel jedoch letztendlich dahingestellt bleiben, weil das Lösungsrecht an den Münzen jedenfalls durch deren im Inland erfolgte Weiterveräußerung und damit aufgrund eines qualifizierten Statutenwechsels im kulturgüterschutzrechtlichen Sinne untergegangen ist.751 Bei Weiterveräußerung eines Kulturguts, auf das sich das Lösungsrecht bezieht, hängt dessen Schicksal nämlich von der Rechtsordnung ab, welche die Weiterveräußerung beherrscht (sog. Frage der Veräußerungsbeständigkeit des Lösungsrechts). Diese Rechtsordnung bestimmt selbst, ob das Lösungsrecht bei Weiterveräußerung untergeht, weitergegeben oder in ein neues Lösungsrecht nach Maßgabe des nunmehr berufenen Sachstatuts umgeformt wird. Da innerhalb des deutschen Sachenrechts (außerhalb des Anwendungsbereichs des § 935 Abs. 2 BGB) jede Form des Gutglaubensschutzes bei unrechtmäßig entzogenen und damit abhandengekommenen Kulturgütern abgelehnt wird und dementsprechend dem BGB auch die Konstruktion eines Lösungsrechts fremd ist, muss ein im Ausland erworbenes Lösungsrecht bei Weiterveräußerung des abhandengekommenen Kulturguts in Deutschland stets untergehen, gerade auch wenn die Eigentumsübertragung nach § 935 Abs. 1 BGB trotz Gutgläubigkeit des Erwerbers scheitert.752 Da das Lösungsrecht nur bedingten Schutz gegen Sachentwehrung bezweckt, nicht aber den ehemaligen Besitzer der Sache vor Bereicherungsoder Ersatzansprüchen schützen soll, lebt es auch in der Person des Veräußerers nicht wieder auf, wenn der Eigentümer die Veräußerung des Kulturguts genehmigt und nach § 816 Abs. 1 S. 1 BGB die Herausgabe des vom Veräußerer erzielten Erlöses fordert.753 750 751
752
753
So die Erläuterung innerhalb der BT-Drs. 14/343, S. 16. Vgl. ausführlich zu den Folgen eines qualifizierten Statutenwechsels Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 1: Illegaler Kulturgüterverkehr, 3. Teil, Rdnr. 240 ff. BGH, Entscheidung des 8. Zivilsenats vom 08.04.1987, Az: VIII ZR 211/86, BGHZ 100, S. 321–328, NJW 1987, S. 3077–3080; Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 307–308. So Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 307–308.
2. Abschnitt: Statutenwechsel im internationalen Kulturgüterverkehr
597
Eine gegenteilige Mindermeinung im Schrifttum blieb vereinzelt und wurde bislang wohl mit guten Gründen zurückgewiesen: Kegel 754 pochte diesbezüglich bspw. entgegen der herrschenden Meinung der Rechtsprechung auf den Fortbestand des Lösungsrechts des Erstkäufers nach schweizerischem Recht durch dessen Angleichung, weil das deutsche Recht ein Lösungsrecht versage. Stoll widerspricht dieser Konstruktion jedoch, die der Herrschaft des deutschen Rechts über eine Veräußerung in Deutschland widerspreche.755 Entgegen der herrschenden Auffassung spricht sich auch Siehr für den Fortbestand des Lösungsrechts bei Weiterveräußerung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter aus, sofern das früher maßgebende Statut – wie bspw. im schleswig-holsteinischen Münzversteigerungsfall das schweizerische Recht in Art. 934 Abs. 2 ZGB – jedem gutgläubigen Nacherwerber ein Lösungsrecht zugesteht. Dabei beruft er sich wohl zu Recht auf den dieser Lösung inhärenten Gerechtigkeitsgehalt: „If a title in stolen property acquired bona fide abroad (e.g., in Italy or in London in market overt) can even be transferred to subsequent buyers who are aware of the dubious provenance of the goods, it seems to be inconsistent and hardly fair not to protect a subsequent bona fide purchaser of goods encumbered with a right of the buyer to get a refund.“ 756 Bei Weiterveräußerung der Sache in Deutschland müsse ein solches Lösungsrecht als wohlerworbenes Recht bestehen bleiben, weil es „reallastartig“ auf der Sache liege.757
267
Auch hier bezweifelt Stoll die Gültigkeit des Vergleichs mit einer Reallast zumindest in solchen Fällen, in denen das Lösungsrecht nach der ausländischen Rechtsordnung, die es gewährt, nur einem gutgläubigen Nacherwerber zusteht. Das bedeute nämlich, dass der Besitzer keine übertragbare Rechtsposition habe, sobald der Diebstahl des Kulturguts offenkundig sei oder den Erwerbsinteressenten bekannt gemacht werde. Anders als bspw. bei der Verjährung des dinglichen Herausgabeanspruchs, wonach der Besitzer nach deutschem Recht eine Rechtsposition erlangt, die er beliebig auf jeden Besitznachfolger übertragen kann, habe der nach schweizerischem Recht Lösungsberechtigte keine vergleichbare Rechtsposition erlangt.758
268
Rechtskonstruktiv überzeugend ist wohl schließlich der Einwand gegen den Fortbestand eines Lösungsrechts bei Weiterveräußerung unrechtmäßig ent-
269
754 755 756
757
758
Kegel, Internationales Privatrecht, 6. Aufl. 1987, S. 575. So Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 307–308. Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 78–79; Siehr, Das Lösungsrecht des gutgläubigen Käufers im Internationalen Privatrecht, ZVglRWiss 83 (1984), S. 100–118. Siehr, Das Lösungsrecht des gutgläubigen Käufers im Internationalen Privatrecht, ZVglRWiss 83 (1984), S. 100–118, S. 113. Vgl. auch die Darstellung bei Kohls, Kulturgüterschutz: Wirkungen von Verstößen gegen Ausfuhrverbote und Möglichkeiten der Rückführung illegal verbrachter Kulturgüter – Eine vergleichende Untersuchung mit den Rechten Dänemarks, Norwegens und Schwedens, 2001, S. 152–154. Vgl. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 307–308.
598
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
zogener Kulturgüter 759, dass selbst ein gutgläubiger Nacherwerber nach schweizerischem Recht nicht einfach das Lösungsrecht des Ersterwerbers geltend machen kann, sondern unabhängig von einem Lösungsrecht des Erwerbers ein eigenes Lösungsrecht erlangt.760 Der gutgläubige Erwerber kann deshalb die Herausgabe nur von der Erstattung des von ihm selbst gezahlten Preises für das unrechtmäßig entzogene Kulturgut abhängig machen. Im Ergebnis wird dementsprechend wohl der herrschenden Meinung im Schrifttum 761 und der Rechtsprechung des BGH 762 im schleswig-holsteinischen Münzversteigerungsfall zu folgen sein: Ein neues Lösungsrecht ohne rechtserzeugende Mitwirkung der Rechtsordnung, welche die Weiterveräußerung beherrscht, ist nicht begründbar.
b)
Wirkungen ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften vor deutschen Zivilforen
Schrifttum: Blass, Legal Restrictions on American Access to Foreign Cultural Property, Fordham Law Review 46 (1978), S. 1177–1204; Carducci, The Growing Complexity of International Art Law: Conflict of Laws, Uniform Law, Mandatory Rules, UNSC Resolutions and EU Regulations, in: Hoffman, Art and Cultural Heritage – Law, Policy and Practice, 2006, S. 68 ff.; Carter, Transnational Trade in Works of Art: The Position in English Private International Law, in: Lalive, International Sales of Works of Art – La vente internationale d’œuvres d’art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, S. 317–332; Fitzpatrick, Cultural Property and Art Theft – The Misguided Quest: The Clear Case against UNIDROIT, Journal of Financial Crime (the official journal of the Cambridge International Symposium on Economic Crime) 4 (1996), S. 54–58; Fuchs, Kulturgüterschutz im Kulturgutsicherungsgesetz, IPRax 2000 (Heft 4), S. 281–286; Gerstenblith, Recent International Cases and Prognosis for the Future, in: Hutt/Forsyth/Tarler, Presenting Archaeology in Court – Legal Strategies for Protecting Cultural Resources, 2006, S. 205–224; Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007; Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/Hanisch/ Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 206; Jaeger, Internationaler Kulturgüterschutz – Rechtslage, Rechtspraxis, Rechtsfortentwicklung, 1994, S. 57–106, insb. S. 90 ff.; Kohls, Kulturgüterschutz: Wirkungen von Verstößen gegen Ausfuhrverbote und Möglichkeiten der Rückführung illegal verbrachter Kulturgüter – Eine vergleichende Unter-
759 760
761
762
So Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 307–308. BGH, Entscheidung des 8. Zivilsenats vom 08.04.1987, Az: VIII ZR 211/86, BGHZ 100, S. 321–328, NJW 1987, S. 3077–3080. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 307–308; Kohls, Kulturgüterschutz: Wirkungen von Verstößen gegen Ausfuhrverbote und Möglichkeiten der Rückführung illegal verbrachter Kulturgüter – Eine vergleichende Untersuchung mit den Rechten Dänemarks, Norwegens und Schwedens, 2001, S. 152–154; Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rdnr. 79; Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 483. BGH, Entscheidung des 8. Zivilsenats vom 08.04.1987, Az: VIII ZR 211/86, BGHZ 100, S. 321–328, NJW 1987, S. 3077–3080.
2. Abschnitt: Statutenwechsel im internationalen Kulturgüterverkehr suchung mit den Rechten Dänemarks, Norwegens und Schwedens, 2001, S. 121–122 (hinsichtlich Deutschland) und S. 130–136 (hinsichtlich Schweden, Norwegen und Dänemark); Kreuzer, La propriété mobilière en droit international privé, Recueil des Cours – Collected Courses of the Hague Academy of International Law, 1996, Tome 259, 1997, S. 9–318, insb. Chapitre V. Biens culturels, S. 135–229, S. 155 ff.; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 51 ff.; Lin Lindsay, The Recovery of Cultural Artifacts: The Legacy of Our Archeological Heritage, Case Western Reserve Journal of International Law 22 (1990), S. 16–182; Mason, United States Court Issues Important Ruling on Antiquities, Art, Antiquity and Law 3 (1998), S. 61–73; McAlee, From the Boston Raphael to Peruvian Pots: Limitation on the Importation of Art into the United States, Dickinson Law Review 85 (1981), S. 565–605, S. 566–567; Moore, Enforcing Foreign Ownership Claims in the Antiquities Market, The Yale Law Journal, Volume 97, Number 3 (1988), S. 466–487; Nafziger, The New International Legal Framework for the Return, Restitution or Forfeiture of Cultural Property, Journal of International Law and Politics, Vol. 15 (1983), No. 4, S. 789–812; Niec, Legislative Models of Protection of Cultural Property, The Hastings Law Journal 27 (1976), S. 1118–1122; O’Keefe, Art Trade and Private International Law: An Australian Perspective, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 437–455; O’Keefe, The Use of Criminal Offences in UNESCO Countries: Australia, Canada and the U.S.A., Art, Antiquity and Law 6 (2001), S. 19–35, S. 24; O’Keefe, Export and Import Controls on Movement of the Cultural Heritage: Problems at the National Level, Syracuse Journal of International Law and Commerce 10 (1983), S. 352–369; O’Keefe, Trade in Antiquities – Reducing Destruction and Theft, 1997 (= O’Keefe, Le commerce des antiquités – Combattre les destructions et le vol, 1999); Olivier, The Unidroit Convention: Attempting to Regulate the International Trade and Traffic of Cultural Property, Golden Gate University Law Review 26 (1996), S. 627–665, S. 641; Prott, Problems of Private International Law for the Protection of the Cultural Heritage, in: Recueil des Cours – Collected Courses of the Hague Academy of International Law, 1989-V (Tome 217), 1990, S. 223–316, insb. S. 282 ff.; Prott/O’Keefe, Law and the Cultural Heritage – Volume I: Discovery and Excavation, 1984; Prott/O’Keefe, Law and the Cultural Heritage – Volume 3: Movement, 1989, S. 627 ff. und S. 652 ff.; Reichelt International Protection of Cultural Property, Revue de droit uniform/Uniform Law Review, 1985-I, S. 42–153, S. 95 ff., S. 131 ff.; Roodt, Legal Aspects of the Protection of Cultural Heritage, 2000, S. 174 ff.; Sandrock, Foreign Laws Regulating the Export of Cultural Property: The Respect Due to them by the Judge of the Lex Fori, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 457–482; Schack, Kunst und Recht – Bildende Kunst, Architektur, Design und Fotografie im deutschen und internationalen Recht, 2. Aufl. 2009, S. 548–554; Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 149 ff., S. 180 ff., insb. auch S. 247 ff.; Schönenberger, Restitution von Kulturgut, 2009, S. 25–37 und S. 163–167; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 93–96; Siehr, Öffentliches Recht und internationales Privatrecht beim grenzüberschreitenden Kulturgüterschutz, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes – Symposium vom 22./23. Juni 1990 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 83–104, S. 88–89; Turner, Völkerrechtliche Zuordnung von Kulturgütern und staatliches Restitutionsrecht nach illegaler Ausfuhr – Eigentumsordnung und völkerrechtliche Zuordnung, 2002, S. 71 ff., S. 101 ff.; Weller, Iran v. Barakat: Some Observations on the Application of Foreign Public Law by Domestic Courts from a Comparative Perspective, Art, Antiquity and Law, Vol. XII, Issue 3 (2007), S. 279–295; Williams, The International and National Protection of Movable Cultural Property – A Comparative Study, 1978, S. 86 ff.
599
600
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
270
In diesem Zusammenhang stellt sich im internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht regelmäßig auch die Frage nach den Wirkungen ausländischer Rechte an kulturellen Wertgegenständen im Inland, wie bspw. an in ausländischen Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetzen protegierten Kulturgütern eines Ursprungsstaates nach Einfuhr in die deutsche Rechtsordnung.763
271
Der spezifische Schutz des nationalen Kulturpatrimoniums erfolgt bekanntlich neben völkerrechtlichen Resolutionsmethoden vornehmlich mittels öffentlichrechtlicher Instrumente zur Regulation eines sonst freien Kulturgüterverkehrs. Nationale Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze kontrollieren so in unterschiedlicher Intensität und Qualität einen sonst unreglementierten Kunsthandel und zielen mit diesem öffentlich-rechtlichen Resolutionsprogramm auf die Erhaltung und Bewahrung der kulturellen Schöpfung der Nation – des nationalen Kulturpatrimoniums – im eigenen Land. Zu dessen Schutz und Bewahrung implementierten somit heute nahezu alle Herkunftsländer spezielle Rechtsvorschriften, die eine dauerhafte Adjunktion national bedeutsamer Kulturgüter an das kulturelle Zuordnungssubjekt zu erreichen suchen. Auch bei einem Verstoß gegen solche nationalen Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze liegt eine Form des illegalen Kunsthandels vor und eine Ausfuhr kultureller Wertgegenstände entgegen diesen nationalen Kulturgüterschutzgesetzen ist mit dem Makel der Rechtswidrigkeit behaftet, sodass die kulturellen Herkunftsstaaten regelmäßig die Rückführung ‚ihres‘ Kulturerbes suchen.
272
Heute beschreiben die genannten innerstaatlichen Kulturgüter- und Denkmalschutzmechanismen jedoch nicht mehr nur öffentlich-rechtliche Verbots- und Beschränkungstatbestände (teilweise mit verwaltungsrechtlichem, ordnungswidrigem oder strafrechtlichem Gehalt), sondern suchen die Anwendung, Durchsetzung und Anerkennung des staatlichen Regelungsanliegens zur Erhaltung und Bewahrung des nationalen Kulturpatrimoniums gleichzeitig auch in zivilrechtlichen Sanktionstatbeständen nicht nur innerhalb, sondern insbesondere auch außerhalb der Grenzen des kulturellen Ursprungsstaates und greifen so auf das international anerkannte Sanktionensystem des Zivilrechts und dessen Möglichkeiten der Rechtsdurchsetzung auch vor ausländischen Foren zurück.
273
Eine Unterscheidung ist innerhalb der Begutachtung zivilrechtlicher Sanktionen bei Verstößen gegen öffentlich-rechtliche Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze hinsichtlich der applizierten Schutzmethoden vorzunehmen. Öffentlichrechtliche Anzeige- sowie Mitteilungs-, Vorführungs-, Eintragungs- und sonstige Informationspflichten, die staatliche Kontrolle der professionell im Kunsthandel
763
Vgl. ausführlich hierzu Anton, Kulturgüterschutz und Kunstrestitution, Band 1: Illegaler Kulturgüterverkehr, 3. Teil.
2. Abschnitt: Statutenwechsel im internationalen Kulturgüterverkehr
601
Beteiligten sowie eine kulturelle Besteuerung als indirektes Mittel der Regulation des (internationalen) Kulturgüterverkehrs wirken allein innerhalb der hoheitlichen Beziehung zwischen dem kulturellen Ursprungsstaat und den betroffenen Personen. Diesbezügliche Verstöße werden regelmäßig im Ordnungswidrigkeiten- oder Strafrecht geahndet, ohne dass unmittelbar zivilrechtliche Folgen entstünden. Anders verhält sich dies jedoch bei Anwendung nationaler Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze, die sich die dingliche Rechtswirkung der Eigentumsposition zu eigen machen (nach der deutschen Sachenrechtsordnung kann bspw. der Eigentümer einer Sache, soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen, mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen 764). Zuvörderst ist hier an solche Kulturgüterschutzgesetze zu denken, die eine öffentlich-rechtliche Designation kultureller Güter zu privatrechtlichem Staatseigentum anordnen. Dazu zählen anlässlich eines Kulturguttransfers ohne rechtmäßige Ausfuhrgenehmigung die unterschiedlichen Variationsmöglichkeiten von einem Beschlagnahme- und Konfiskationsrecht, einem Enteignungsrecht, einem staatlichen Erwerbs- und Vorkaufsrecht, dem Rechtsinstitut des sog. Ersatzkaufs sowie einer automatischen Legaldesignation national schützenswerter Kulturgüter zu Staatseigentum: einerseits aufgrund einer generellen Bestimmung näher qualifizierter Kulturgüter zu Staatseigentum (sog. umbrella statutes) und andererseits aufgrund eines automatischen Verfalls kultureller Güter an den Staat bei dem Versuch und in dem Moment der illegalen Ausfuhr (sog. automatic forfeiture clauses oder sog. rhetorical ownership statutes).
274
Bei der Designation kultureller Werte zu Staatseigentum kann nach dem Vorhergesagten eine Unterscheidung zwischen sog. ownership statutes und non ownership statutes vorgenommen werden. Zu den erstgenannten zählen die beschriebenen umbrella statutes 765 sowie automatic forfeiture clauses (auch sog. rhetorical ownership statutes) 766, da hier ohne weitere staatliche Vollzugs- und Hoheitsakte eine Einwirkung auf die Eigentumsposition an dem Kulturgut ipso iure und ex lege erfolgt. Unter die Terminologie non ownership statutes fallen dagegen Vorschriften zur Erhaltung und Bewahrung kultureller Wertgegenstände für den Ursprungsstaat, die einen Verfall kultureller Güter zu Staatseigentum erst nach tatsächlicher Beschlag- und Inbesitznahme im Fall der illegalen Ausfuhr aus dem kulturellen Ursprungsstaat bestimmen, die eine Ent-
275
764 765
766
§ 903 BGB. Vgl. Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 1: Illegaler Kulturgüterverkehr, 3. Teil, Rdnr. 58 ff. Vgl. Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 1: Illegaler Kulturgüterverkehr, 3. Teil, Rdnr. 61 ff.
602
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
eignung kultureller Güter als Rechtsinstrument des Kulturgüterschutzes anordnen, sowie solche Regularien, die staatliche Erwerbs- und Vorkaufsrechte als Mittel zur Bewahrung und Erhaltung national bedeutsamer Kulturgüter normieren767. Bei den non ownership statutes ist somit noch eine weitere (hoheitliche) Staatshandlung vonnöten, um die Einwirkung auf die Eigentumsposition zu erreichen. 276
Neben der unmittelbaren Einwirkung auf die dingliche Zuordnung kultureller Wertgegenstände stehen in den nationalen Kulturgüterschutzgesetzen oftmals die Privatrechtsautonomie einschränkende Möglichkeiten der Kontrolle des internationalen Kulturgüterverkehrs zur Verfügung. Hierzu zählen öffentlich-rechtliche Ausfuhrbeschränkungen aus dem Ursprungs- und Herkunftsstaat 768, Verbringungs-, Veräußerungs- und Verfügungsbeschränkungen 769 sowie die Deklaration kultureller Güter als res extra commercium, die die öffentlich-rechtliche Verkehrsunfähigkeit 770 bestimmt.
277
Ist dementsprechend innerhalb des kulturellen Ursprungsstaates eine privatrechtliche Einwirkung auf die dingliche Sachzuordnung erfolgt und dem Herkunftsstaat eine spezielle, dingliche Rechtsposition erwachsen, stellt sich vor den Zivilforen des kulturellen Importstaates die Frage nach den zivilrechtlichen Wirkungen nationaler (öffentlich-rechtlicher) Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften mit dinglichem Gehalt im Ausland. Diese unterschiedlichsten Ausgestaltungsvarianten sind nach einem Statutenwechsel im Ausland hinsichtlich ihrer zivilrechtlichen Wirksamkeit und ihres dinglichen Gehalts zu untersuchen. Es geht also um die Prüfung, ob dem genannten öffentlich-rechtlichen Regelungsprogramm mittels (international-)privatrechtlicher Resolutionsmethoden nicht nur im kulturellen Ursprungsstaat, sondern auch international Rechtswirksamkeit verschafft werden kann.
278
Nachstehend werden hierfür zunächst die unterschiedlichen Formen der ‚Berücksichtigung‘ ausländischer Kulturgüterschutzvorschriften vor nationalen Zivilforen im geltenden Recht zusammengefasst. Dabei wird unter Punkt (1) die bereits ausführlich im Band 1: Illegaler Kulturgüterverkehr im 3. Teil erörterte Erkenntnis offensichtlich werden, dass ausländische Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze außerhalb des Territoriums des kulturellen Ursprungsstaates zwar
767
768
769
770
Vgl. Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz galer Kulturgüterverkehr, 3. Teil, Rdnr. 68 ff. Vgl. Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz galer Kulturgüterverkehr, 3. Teil, Rdnr. 71 ff. Vgl. Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz galer Kulturgüterverkehr, 3. Teil, Rdnr. 22 ff. Vgl. Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz galer Kulturgüterverkehr, 3. Teil, Rdnr. 43 ff.
und Kunstrestitutionsrecht – Band 1: Illeund Kunstrestitutionsrecht – Band 1: Illeund Kunstrestitutionsrecht – Band 1: Illeund Kunstrestitutionsrecht – Band 1: Ille-
2. Abschnitt: Statutenwechsel im internationalen Kulturgüterverkehr
603
nicht anwendbar sind, jedoch eine aufgrund der nationalen Schutzgesetze erworbene Eigentumsposition des kulturellen Staates an einem Kulturgut vor nationalen Zivilforen schon de lege lata zumindest anerkannt und rechtlich durchgesetzt werden kann, vgl. hierzu unter Punkt (2). Daran schließt sich dann unter Punkt (3) die schwierige und in der Rechtsdogmatik bislang ungelöste Frage nach einer zivilrechtlichen Deutung auch rein öffentlich-rechtlicher Rechtspositionen außerhalb des kulturellen Ursprungsstaates an, die nicht zuletzt auch auf der großen materiell-rechtlichen Uneinheitlichkeit hinsichtlich des Verständnisses der dinglichen Rechtspositionen zwischen den unterschiedlichen Zivilrechtssystemen einerseits, aber auch innerhalb der rechtsdogmatischen Bewertung dinglicher Kulturgüterschutzvorschriften in der Rechtsliteratur andererseits beruht. Nach einem Statutenwechsel national geschützter Kulturgüter und der Zuweisung ‚bestimmter‘, teilweise im Ausland unbekannter Rechte an den kulturellen Ursprungsstaat kommt es somit häufig zu Wertungswidersprüchen innerhalb der Wirkungen der eingeräumten Rechtsposition zwischen dem Herkunftsstaat zum einen und dem kulturellen Importstaat zum anderen.
(1)
Keine unmittelbare ‚Anwendung‘ ausländischer Kulturgüterschutzvorschriften
Wie bereits ausführlich innerhalb des Bandes 1: Illegaler Kulturgüterverkehr im 3. Teil erörtert, sind ausländische Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze aufgrund ihrer Qualifikation als öffentlich-rechtliche Vorschriften innerhalb des kulturellen Importstaates de lege lata nach dem im Verwaltungsrecht geltenden Grundsatz der lex fori regelmäßig nicht durchsetzbar: Öffentlich-rechtliche Regulationsmethoden des (inter-)nationalen Kulturgüterverkehrs finden außerhalb des Anwendungsbereichs der UNESCO-Convention vom 14. November 1970, der UNIDROIT-Convention vom 24. Juni 1995 sowie der EG-Richtlinie 93/7/EWG vom 15. März 1993 und anderer zwischenstaatlicher Vereinbarungen bi- oder multilateraler Art aufgrund des Territorialitätsprinzips und des völkerrechtlichen Souveränitätsgedankens nur innerhalb des Territoriums des regelnden Staates hoheitliche Anwendung. So wird der deutsche Bundesgerichtshof häufig dahingehend zitiert, dass „ein Staat sich nicht zum Büttel der Hoheitsgewalt eines anderen“ 771 machen dürfe, sodass die Vornahme ausländischer Staatsakte und die direkte Anwendung ausländischer öffentlich-rechtlicher Kulturgüterschutzvorschriften außerhalb des kulturellen Ursprungsstaates nach Ansicht des BGH bereits per se ausgeschlossen sind.
279
Im Bereich der öffentlich-rechtlichen Transferbeschränkungstatbestände bleibt die Missachtung von Anzeige-, Mitteilungs-, Vorführungs-, Eintragungs- und
280
771
BGH, Entscheidung des 2. Zivilsenats vom 18. Februar 1957, Az: II ZR 287/54, BGHZ 23, S. 333 ff., S. 337.
604
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
sonstigen Informationspflichten zum Schutz national bedeutsamer Kulturgüter gegenüber dem regulierenden Ursprungsstaat ebenso ohne extraterritoriale Sanktionswirkung wie ein Verstoß gegen staatliche Kontrollvorschriften gegenüber dem kulturguttransferierenden Gewerbe. Entsprechendes gilt für solche Regelwerke zum Schutz des nationalen Kulturpatrimoniums, die einen Verfall illegal exportierter Kulturgüter zu Staatseigentum, ein Recht auf Enteignung, ein staatliches Vorkaufsrecht bei unrechtmäßiger Veräußerung, Verbringung und Ausfuhr erst nach einer hoheitlichen Beschlagnahme, Enteignungshandlung oder nach Ausübung des staatlichen Vorkaufsrechts durch den kulturellen Ursprungsstaat anordnen, die Kulturgüter sich jedoch bereits außerhalb der Grenzen der territorialen Staatsgewalt des kulturellen Ursprungsstaates befinden. Eine Anwendung ausländischen öffentlichen Rechts (und dazu zählen die nationalen Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze) ist zur Zeit noch regelmäßig ausgeschlossen. In diesen Konstellationen ist zwar die Ausfuhr aus dem Herkunftsstaat unrechtmäßig, es liegt gleichzeitig aber in der Regel 772 keine illegale Einfuhr auf das Territorium des kulturellen Importstaates vor.
(2)
Aber: ‚Anerkenntnis‘ und ‚Rechtsdurchsetzung‘ der Eigentumsposition des kulturellen Ursprungsstaates
281
Nachdem diese Schwäche öffentlich-rechtlicher Regelungen zur Bewahrung kulturell bedeutsamer Gegenstände innerhalb des kulturellen Ursprungsstaates erkannt wurde, hat man in neueren Kodifikationen Rechtsvorschriften geschaffen, die eine Angleichung des illegalen Exports kultureller Güter an den kulturellen Diebstahlstatbestand suchen. Die öffentlich-rechtlichen Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze regeln dementsprechend nur noch den Unrechtstatbestand, während durch die Implikation zivilrechtlicher Sanktionen eine Flucht in das Privatrecht erfolgt, um die Möglichkeit internationaler Rechtsanerkennung und -durchsetzung zu schaffen.773
282
Der illegale Export national bedeutsamer Kulturgüter unterfällt nur unter bestimmten Umständen einem zivilrechtlichen Rechtswidrigkeitsverdikt außerhalb des kulturellen Ursprungsstaates und steht dem kulturellen Diebstahlstatbestand nur dann gleich, wenn die unrechtmäßige Ausfuhr eine Rechtsverletzung
772
773
Ausnahmen stellen bspw. der kanadische Cultural Property Export and Import Act aus dem Jahre 1977, der australische Protection of Movable Cultural Heritage Act aus dem Jahre 1986 sowie ähnliche Rechtsgestaltungen in den Rechtsordnungen Polens, Portugals, der Niederlande und Syriens dar. Da auch vor den nationalen Zivilforen keine Anwendung und Durchsetzung ausländischer Exportvorschriften erfolgt, können zivilrechtliche Resolutionsmethoden jedoch nur eine eingeschränkte Regulation des illegalen Exports kultureller Güter vornehmen und es besteht eine gewisse Schwierigkeit der zivilrechtlichen Erfassung des unrechtmäßigen Exports von im kulturellen Ursprungsstaat unter besonderer Protektion stehenden Kulturgütern.
2. Abschnitt: Statutenwechsel im internationalen Kulturgüterverkehr
605
der Eigentumsposition des kulturellen Ursprungsstaates darstellt.774 Entscheidend ist, dass dieser durch den Export ohne rechtmäßige Ausfuhrgenehmigung eine Verletzung seiner Eigentumsposition an kulturellen Gegenständen vor ausländischen Zivilforen verfolgen kann. Eine derartige Möglichkeit zur Durchsetzung öffentlich-rechtlicher Kulturgüterschutzgesetze vor ausländischen Zivilforen stellt die Normierung sog. umbrella statutes dar. Mit deren Hilfe erfolgt eine generelle Zuweisung des Eigentums einer bestimmten Klasse kultureller Güter (bspw. archäologischer Objekte) an den kulturellen Ursprungsstaat, unabhängig davon, ob diese bereits entdeckt oder ausgegraben worden sind. Nach einer Raubgrabung und anschließender Ausfuhr in einen kulturellen Zielstaat liegt somit nicht nur ein Rechtswidrigkeitsverdikt aufgrund des unrechtmäßigen Exports, sondern auch aufgrund des kulturellen Diebstahls vor, und der kulturelle Ursprungsstaat kann seine Eigentumsposition im Importstaat ebenso geltend machen wie jeder andere Eigentümer. Zivilrechtliche Sanktionen sind auch dann möglich, wenn in dem Moment des Verstoßes gegen das öffentlich-rechtliche Regulationsprogramm eine automatische Legaldesignation der betroffenen Kulturgüter zu Staatseigentum des kulturellen Ursprungsstaates vorliegt. Auch hierdurch erfolgt innerhalb der Rechtsordnung des kulturellen Zielstaates ipso iure eine zivilrechtliche Anerkennung der öffentlichrechtlichen Designation kultureller Güter zu Staatseigentum. Mittels solcher sog. automatic forfeiture clauses bzw. rhetorical ownership statutes ergibt sich eine Eigentumszuweisung kulturell bedeutsamer Güter an den kulturellen Ursprungsstaat in dem Moment und der Situation der illegalen Ausfuhr, d.h., noch bevor die öffentlich-rechtlich geschützten Gegenstände das Territorium und die Staatsgewalt des kulturellen Ursprungsstaates verlassen haben. Ziel dieser Rechtsregeln ist somit die zivilrechtliche Manifestierung der rechtlichen Zuordnung kultureller Güter an den Ursprungsstaat mittels der gesetzlichen Eigentumszuweisung für die spezielle Situation des illegalen Kulturguttransfers aus dem Staatsgebiet. Versucht man eine zivilrechtliche Einordnung, lässt sich die Konstruktion als aufschiebend bedingten, gesetzlich statuierten Eigentumserwerb des kulturellen Ursprungsstaates beschreiben.775 Die aufschiebende Bedingung (als eine Bestimmung, die den Eintritt der Rechtswirkungen der Eigentumszuweisung von einem zukünftigen Ereignis abhängig macht) ist dabei die unrechtmäßige Ausfuhr national bedeutsamer Kulturgüter ohne notwendige Ausfuhrerlaubnis oder entgegen einem gesetzlichen oder behördlichen Ausfuhrverbot.
774
775
Vgl. ausführlich hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 1: Illegaler Kulturgüterverkehr, 3. Teil, Rdnr. 130 ff. So auch Siehr, Nationaler und Internationaler Kulturgüterschutz – Eingriffsnormen und der internationale Kunsthandel, in: Pfister/Will, Festschrift für Werner Lorenz zum siebzigsten Geburtstag, 1992, S. 525–542, S. 536; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 73 ff. und S. 256 ff.
283
606 284
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Es geht also nicht mehr um die Anwendung ausländischen öffentlichen Rechts vor nationalen Zivilforen, sondern um die – ausführlich innerhalb des Bandes 1: Illegaler Kulturgüterverkehr des Rechtshandbuchs Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht unter Teil 3 Rdnr. 38 ff. untersuchte – Anerkennung zivilrechtlicher Rechtspositionen des kulturellen Ursprungsstaates, die dieser innerhalb der Grenzen seiner Hoheitsgewalt und seiner Regelungsweite bestimmte, und um deren Durchsetzung vor einem fremden Zivilgericht. Erfolgte innerhalb der Hoheitsgewalt des kulturellen Ursprungsstaates auch tatsächlich ein Eigentumserwerb des Herkunftsstaates, ist eine Anerkennung der zivilrechtlichen Prägung des Staatseigentums möglich, obwohl zu keinem Zeitpunkt Besitz bei dem Staat vorhanden war. Bei Anerkennung und Durchsetzung solcher Rechtspositionen erfolgt keine (de lege lata noch nicht gewollte) mittelbare Anwendung ausländischen Straf- oder Steuerrechts. Ausländisches Staatseigentum ist vor nationalen Zivilforen ebenso zu behandeln und besitzt dieselbe Reichweite wie das Eigentum individueller Privatpersonen. Anders als bei der Frage nach der Anwendung ausländischer, öffentlich-rechtlicher Kulturgüterschutzvorschriften steht einer Anerkenntnis und Durchsetzung zivilrechtlicher Rechtspositionen des kulturellen Ursprungsstaates vor ausländischen Zivilforen somit nichts im Wege.
(3) 285
Zivilrechtliche Deutung öffentlich-rechtlicher Positionen an Kulturgütern
In zahlreichen Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetzen wird dem kulturellen Ursprungsstaat jedoch nicht das Privateigentum im beschriebenen, klassischen Sinne des (deutschen) Zivilrechts zugewiesen. In einigen Rechtsordnungen ist die dingliche Rechtsposition an national wichtigen Kulturgütern oftmals rein öffentlich-rechtlich ausgeformt, sodass diese Gegenstände nicht im Privateigentum stehen und der Anwendungsbereich der jeweiligen nationalen Zivilrechtsordnung entsprechend der Natur der ‚öffentlichen Sache‘ keine Berücksichtigung erfahren kann. An ihnen besteht lediglich eine öffentlich-rechtliche Berechtigung, die nach Weidner in Anlehnung an die privatrechtliche Terminologie teilweise ebenfalls häufig als „Eigentum“ bezeichnet wird.776 Charakteristische Beispiele solcher Kulturgüter stellen die sog. domanialen Kulturgüter 777 der französischen und der italienischen Rechtsordnungen dar.778 Darunter werden besondere Rechtsobjekte verstanden, die nach französischem bzw. italienischem Recht zum ‚öffentlichen Gut‘ (‚domaine public‘ bzw. ‚demanio pubblico‘) gehören. Der französische Code civil bzw. der italienische Codice civile finden auf solche Kulturgüter keine Anwendung, da an ihnen kein Privateigentum begründet werden 776 777
778
Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 35. Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 2. Vgl. Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 2. Teil, Rdnr. 261 ff.
2. Abschnitt: Statutenwechsel im internationalen Kulturgüterverkehr
607
kann und sie somit gänzlich dem Privatrechtsverkehr entzogen sind. Hierzu zählen aber auch die unterschiedlichen Formen eines dominum emines einiger Kulturgüterschutzgesetze südamerikanischer Staaten, die dem Ursprungsstaat eine gewisse Sachherrschaft an präkolumbianischen Objekten verleihen, diesem jedoch nicht ausdrücklich die Eigentumsposition zuweisen. Wenn ein Staat solchermaßen geschützte Kulturgüter in sog. öffentlichem Eigentum hat, an diesen also eine rein öffentlich-rechtliche Berechtigung besteht, könnte es zweifelhaft sein, ob das neue Sachstatut die Rechtsposition an dem Kulturgut als Eigentum im Sinne seines Zivilrechts charakterisiert und ob der kulturelle Ursprungsstaat nach Verbringung der Sache ins Ausland einen zivilrechtlichen Vindikationsanspruch geltend machen kann.779 Dieselben Fragen stellen sich, wenn dem Staat keine unmittelbare dingliche Eigentumsposition zugewiesen wird, dem Herkunftsstaat jedoch ein ganzes Bündel spezieller Rechte zur Bewahrung und Erhaltung des Kulturerbes zugewiesen werden, dem ebenso viele Pflichten des aktuellen Besitzers entsprechen, sodass sich die Frage stellt, ob in diesen Schutzvorschriften nach einem Statutenwechsel eine Verdinglichung der Rechtspositionen des kulturellen Ursprungsstaates besteht.780
286
In diesen Konstellationen ist in der Rechtsdogmatik der Versuch unternommen worden, aus den öffentlich-rechtlichen Beschränkungen des Privateigentums eine besondere Rechtsstellung des Ursprungsstaates abzuleiten, die als Grundlage für ein Recht auf Herausgabe von Objekten seines kulturellen Erbes dienen soll. Diese Rechtspositionen wurden in der Dogmatik teilweise als Obereigentum 781 oder dominium eminens bezeichnet.782 Mittels solcher Interpretationsversuche soll den kulturellen Ursprungsstaaten die zivilrechtliche Vindikation im Ausland erleichtert und zu einer vereinfachten Restitution unrechtmäßig ausgeführter Kulturgüter verholfen werden: Es sei „l’intention de [Etat d’origine] de récupérer certains biens culturels importants pour lui …“! 783 Innerhalb der Rechtsprechung und Literatur ist aber strittig, ob solche öffentlich-rechtlich gewährten, ‚quasidinglichen‘ Rechtspositionen nach einem Statutenwechsel auch im neuen Sach-
287
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Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 107–108. „In internationalen Fällen stellt sich das Problem der Qualifikation der staatlichen Rechtsposition. Handelt es sich um Eigentum oder ein beschränktes dingliches Recht, werden die Grundsätze des internationalen Sachenrechts angewandt. Tatsächlich macht der Staat jedoch Hoheitsrechte geltend. Er beansprucht nämlich die ausschließliche Regelungskompetenz im Hinblick auf die Eigentumslage der Objekte.“ Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 71–101. Jaeger, Internationaler Kulturgüterschutz – Rechtslage, Rechtspraxis, Rechtsfortentwicklung, 1994, S. 75. Vgl. Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 71–101. Byrne-Sutton, Le trafic international des biens culturels sous l’angle de leur revendication par l’Etat d’origine, 1988, S. 87.
608
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
statut als Mittel der dinglichen Sachzuordnung kultureller Güter an den Herkunftsstaat gedeutet werden, sodass der letztgenannte nach einer unrechtmäßigen Ausfuhr – bspw. in den deutschen Rechtsraum – als Eigentümer die Vindikation von dem aktuellen Besitzer betreiben könnte. Während die eine Sichtweise in diesen Rechtsvorschriften die Ausgestaltung einer besonderen, öffentlich-rechtlich fundierten Eigentumskategorie für Kulturgüter erkennt, deutet die Gegenansicht die genannten Regelwerke allein als eine Beschränkung der gewöhnlichen Eigentumsposition, nicht jedoch als ‚quasi-dingliche‘ Sachrechte, die auch nach einem Statutenwechsel zu einem Restitutionsanspruch berechtigt. 288
In der – insbesondere von Turner in seinen Ausführungen zum Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern 784 anschaulich analysierten – internationalen Diskussion und Judikatur werden verschiedene Vorschläge und Ideen formuliert, die öffentlich-rechtlichen Protektionsmechanismen zum Schutz national bedeutsamer Kulturgüter privatrechtlich zu deuten, im Bestreben, dem Staat eine internationale Durchsetzung zu ermöglichen.785 Inwieweit diese Deutungen spezieller Rechtspositionen jedoch eine Wirkung nach einem Statutenwechsel nach sich ziehen, scheint bislang in der Rechtsdogmatik und Judikatur ungeklärt. Für das richtige Verständnis des vorliegenden Problemkreises sei erneut darauf hingewiesen, dass es hier nicht um die Frage der extraterritorialen Anerkennung und Durchsetzung von Privateigentum des kulturellen Ursprungsstaates geht 786, sondern – quasi diesem vorgelagert – um das kollisionsrechtliche Spezialproblem, ob – durch ein nationales Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetz dem Herkunftsstaat zugewiesene – Rechtspositionen nach einem Statutenwechsel als Eigentumsrecht zu qualifizieren sind.
(a) 289
Öffentlich-rechtliche Kulturgüterschutzmechanismen als zivilrechtliche Eigentumsbeschränkung
Das klassische Verständnis qualifiziert das genannte Bündel öffentlich-rechtlicher Kulturgüterschutzmechanismen als zivilrechtliche Beschränkung der Rechtsposition des kulturellen Eigentümers und lehnt damit eine Qualifikation als besondere, öffentlich-rechtlich fundierte Eigentumskategorie für Kulturgüter neben der privatrechtlichen Ausschließlichkeitsfunktion des Privateigentums ab. Die sog. Theorie von den Eigentumsbeschränkungen verneint mittels der nationa784
785
786
Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 71–101. Vgl. zu dieser Tendenz allgemein Vischer, Der ausländische Staat als Kläger; Überlegungen zum Fall Duvalier v. Haiti, IPRax 1991, S. 209–215, S. 210. Diese Frage sollte inzwischen als geklärt bezeichnet werden können, sodass, wenn alle notwendigen Voraussetzungen vorliegen, vgl. Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 1: Illegaler Kulturgüterverkehr, 3. Teil, Rdnr. 130 ff., eine extraterritoriale Anerkenntnis und Durchsetzung von Privateigentum an Kulturgütern in der Hand des Ursprungsstaates de lege lata erfolgt.
2. Abschnitt: Statutenwechsel im internationalen Kulturgüterverkehr
609
len Kulturgüterschutzgesetze eine privatrechtliche „Eigentumsteilposition“ 787 und erkennt allein das allgemeine Privateigentum an, ohne dass spezielle, vom Privateigentum zu unterscheidende, besondere Rechtspositionen des kulturellen Ursprungsstaates begründet würden. Der Herkunftsstaat agiert somit mittels der nationalen Kulturgüterschutzvorschriften und der dinglich wirkenden Protektionstatbestände national schützenswerter Kulturgüter innerhalb des allgemeinen Rahmens seiner Hoheitsrechte, die aus der staatlichen Souveränität entspringen, welche den Staat zur Ausgestaltung und Begrenzung, zur vollen oder teilweisen Entziehung des Privateigentums berechtigt und sieht ansonsten keine besondere Rechtsposition.788 Die Theorie der Eigentumsbeschränkungen herrscht in Deutschland und Frankreich 789 fast ausschließlich und hat auch in Italien 790 eine große Anhängerschaft, auch wenn sie dort nicht (mehr) die herrschende Meinung darstellt.791 Das allgemeine Hoheitsrecht der staatlichen Souveränität berechtigt den kulturellen Ursprungsstaat innerhalb der territorialen Grenzen seiner Hoheitsmacht zur privatrechtlichen Sachzuweisung kultureller Wertgegenstände und damit auch zur Ausgestaltung und Begrenzung sowie zur vollen oder teilweisen Entziehung des Privateigentums an Kulturgütern gegenüber den Berechtigten. Diese Sichtweise handelt somit innerhalb der anerkannten Bahnen des allgemeinen Zivilrechts und nimmt eine sachenrechtliche Position des Herkunftsstaates aufgrund der öffentlich-rechtlichen Kulturgüterschutzvorschriften an, die einen sonst freien Kulturgüterverkehr reglementieren.792 Innerhalb der Sachzuordnung kultureller Güter als dominium eminens an den kulturellen Heimatstaat ist jedoch umstritten, ob zur Begründung dieses Rechts Veräußerungs- und Erwerbsbeschränkungen erforderlich sind oder eine bloße Ausfuhrregelung ausreicht.793
787
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So die Formulierung bei Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 71–101. Vgl. Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 71–101. Vgl. Brichet, Le régime des monuments historiques en France, 1952, S. 20 ff. Vgl. Grisolla, La tutela delle cose d’arte, 1952, S. 161. Vgl. Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 71–101. Die – soweit ersichtlich – einzige Ausnahme in Deutschland ist Kromer, Sachenrecht des Öffentlichen Rechts – Probleme und Grundlagen eines Allgemeinen Teils des Öffentlichen Sachenrechts, 1985, S. 148 ff. Vgl. Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 71–101. Vgl. zum Ganzen Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 71–101. Zurückhaltend Siehr, Nationaler und Internationaler Kulturgüterschutz – Eingriffsnormen und der internationale Kunsthandel, in: Pfister/Will, Festschrift für Werner Lorenz zum siebzigsten Geburtstag, 1992, S. 525–542, S. 528, und Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 261 ff. und 271 ff., die „unmittelbar dinglich wirkende Verfügungsbeschränkungen oder andere dingliche Belastungen“ verlangt, S. 271.
290
610
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
291
Innerhalb der deutschen Rechtsordnung äußerte insbesondere Stoll die Überzeugung, dass selbst ‚schlichte‘ Transferbeschränkungen, wie bspw. Verbringungsund Ausfuhrverbote in nationalen Kulturgüterschutzgesetzen in eine adäquate Sachenrechtsform des neuen Statuts zu übersetzen seien.794 Danach müssten Ausfuhrverbote dementsprechend in eine Beschränkung der Verkehrsfähigkeit umgedeutet werden, sodass internationale Veräußerungen nur mit Genehmigung des Herkunftsstaates erlaubt und wirksam seien:
292
„Die internationale Anerkennung und Durchsetzung kulturgutschützender Gesetze wird durch eine überwiegend sachenrechtliche Bewertung gefördert, bei welcher der hoheitliche Ansatz mit Rücksicht auf die auch privatrechtlich billigenswerte Zielsetzung der Gesetze in den Hintergrund tritt.“ 795 Er begründet seine Rechtsansicht mit der Vergleichbarkeit dinglich wirkender Verfügungsbeschränkungen mit der Vinkulierung einer Eigentumsposition, die in der überwiegenden Zahl nationaler Rechtsordnungen bekannt und deshalb nach einem Statutenwechsel auch mit der Sachenrechtsordnung des neuen Statuts regelmäßig vereinbar sei.796 Stoll nimmt damit zwar eine dingliche Wirkung der Verfügungsverbote an, das Vorliegen eines dinglichen Rechts und insbesondere eines Herausgaberechts des Staates lehnt er dagegen ausdrücklich ab: „Die Annahme einer den Statutenwechsel überdauernden Verfügungsbeschränkung kann indes nichts daran ändern, daß der Herkunftsstaat allein aufgrund eines Ausfuhrverbots kein dingliches Recht an dem Kulturgut hat und auch nicht dessen Herausgabe verlangen kann.“ 797
293
Diese Meinung sollte jedoch im Einklang mit der herrschenden Gegenansicht abgelehnt werden, und es sollten nur solche öffentlich-rechtlichen Kulturgüterschutzgesetze des kulturellen Ursprungsstaates mit dinglichen Wirkungen versehen werden, die auch nach der Rechtsordnung des kulturellen Ursprungsstaates auf die dingliche Rechtsposition einwirken – reine Ausfuhrbeschränkungstatbestände dürfen danach nicht genügen. Außerdem ist es unzureichend, um ein
794
795 796
797
Vgl. Stoll, Sachenrechtliche Fragen des Kulturgüterschutzes in Fällen mit Auslandsberührung, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes – Symposium vom 22./23. Juni 1990 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 53 ff., S. 66; vgl. auch die Erläuterungen bei Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 71–101. Vgl. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 179. Vgl. Stoll, Sachenrechtliche Fragen des Kulturgüterschutzes in Fällen mit Auslandsberührung, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes – Symposium vom 22./23. Juni 1990 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 53 ff., S. 66; vgl. auch die Erläuterungen bei Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 71–101. Stoll, Sachenrechtliche Fragen des Kulturgüterschutzes in Fällen mit Auslandsberührung, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes – Symposium vom 22./23. Juni 1990 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 53 ff., S. 66.
2. Abschnitt: Statutenwechsel im internationalen Kulturgüterverkehr
611
dingliches Recht zu begründen, sich auf die „unmittelbar dingliche Wirkung“ des Verfügungsverbots zu berufen.798 „Entweder fehlt von vornherein die Verfügungsbefugnis als Teilelement des subjektiven Rechts oder es besteht ein gesetzliches Verbot mit der Folge der Unwirksamkeit von Eigentumsübertragungen oder schwebender Unwirksamkeit bei Genehmigungsfähigkeit. … Auch eine Umdeutung von öffentlich-rechtlichen Eigentumsbeschränkungen wie Enteignungen und Verfallsregelungen in private Herausgabe- und Aneignungsrechte ist ausgeschlossen. Das Recht auf Herausgabe im zivilrechtlichen Sinn muß von dem Recht zu hoheitlichen Eingriffen in das Privateigentum unterschieden werden.“ 799 Vor allem innerhalb der deutschen, kulturgüterspezifischen Rechtsliteratur wird so einem klassisch zivilrechtlichen Verständnis der dinglichen Sachzuordnung kultureller Güter gefolgt: Insbesondere Siehr 800 und Müller-Katzenburg 801 qualifizieren bspw. Veräußerungs- und Verfügungs- sowie sonstige Transferbeschränkungen national bedeutsamer Kulturgüter als beschränkt dingliche Rechte. Die Qualifikation kultureller Güter als dominium eminens bedeutet somit eine dingliche Belastung des Eigentums, die mit einer durch Widmung begründeten Dienstbarkeit im deutschen öffentlichen Sachenrecht vergleichbar ist: „This notion of „dominio eminente del Estado“ can be compared with the German „öffentliche Sache, die öffentlichen Zwecken gewidmet ist“ 802 und ähnelt einer Belastung des Privateigentums mit einer öffentlich-rechtlichen Veräußerungsbeschränkung bzw. dinglichen Verfügungsbeschränkung. Dinglich sind nach Müller-Katzenburg solche „Regelungen, die in Bezug auf diese Gegenstände die dinglichen Wirkungen bestimmter Verfügungen unmittelbar modifizieren. Hierzu sind vor allem die besprochenen Erwerbsbeschränkungen für Kulturgüter zu zählen“ 803 (d.h. als beschränkt dingliche Rechte, als „dinglich wirkende Verfügungsbeschränkung“ 804 oder als „Obereigentum“ 805). Folge der Qualifizierung 798
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800
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802
803 804 805
Vgl. Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 71–101; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 261. Vgl. Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 71–101. Vgl. Siehr, Nationaler und Internationaler Kulturgüterschutz – Eingriffsnormen und der internationale Kunsthandel, in: Pfister/Will, Festschrift für Werner Lorenz zum siebzigsten Geburtstag, 1992, S. 525–542, S. 536; Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 82 f., S. 189. Vgl. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 73 ff. und 256 ff. Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 83. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 261. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 261 f. Jaeger, Internationaler Kulturgüterschutz – Rechtslage, Rechtspraxis, Rechtsfortentwicklung, 1994, S. 75, meint, das private Eigentumsrecht stehe unverjährbar und unveräußerlich
294
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
der öffentlich-rechtlichen Kulturgüterschutzmechanismen als zivilrechtliche Beschränkungen der Rechtsposition des Eigentümers ist nach einem Statutenwechsel, dass die dinglichen Rechte nach der Prägungstheorie im Ausland fortbestehen und nicht allein durch den Ortswechsel untergehen.806
(b)
Ausländische Rechtspositionen an Kulturgütern in Deutschland
295
Fraglich ist jedoch, in welcher Rechtsform die als zivilrechtliche Beschränkungen der Rechtsposition des Eigentümers qualifizierten öffentlich-rechtlichen Kulturgüterschutzmechanismen im kulturellen Importstaat (hier: Deutschland) anzusehen sind. Dabei befindet man sich inmitten des schon oben diskutierten Streits, wie das deutsche Recht mit ausländischen Rechtspositionen an Sachen, die in das Bundesgebiet gelangt sind, umzugehen hat. Auch bei der Untersuchung der Rechtswirkungen ausländischer Rechtspositionen an Kulturgütern im deutschen Rechtskreis sollte nicht der von Teilen der Literatur aus Verkehrsschutzgesichtspunkten vertretenen Theorie vom ,,Reinigungseffekt“ gefolgt und einem Statutenwechsel ein „Reinigungseffekt“ zugesprochen werden.807 Da bei Annahme eines Reinigungseffektes eine dingliche Neubewertung nach Einfuhr in den Geltungsbereich der deutschen Rechtsordnung erfolgt, müssten bspw. extrakommerziale Kulturgüter im Staatseigentum bspw. der französischen oder italienischen Rechtsordnung deren Status als unveräußerlich, unersitz-, unverjähr- und unverwirkbar mit Verbringung ins Bundesgebiet auch mit Wirkung für die französische bzw. italienische Rechtsordnung dauerhaft verlieren, selbst wenn die Kunstschätze danach wieder in ihre Ursprungsrechtsordnung zurückkehren (ohne dass eine sachenrechtserhebliche Einwirkung außerhalb des kulturellen Ursprungsstaates erfolgte).
296
Unterstützungswürdig ist vielmehr auch hier die von der herrschenden Meinung vertretene Transpositionstheorie, wonach mit dem Statutenwechsel zwar eine Umwandlung („Transposition“) in dasjenige inländische Rechtsinstitut erfolgt, das dem ausländischen Recht funktionell am ähnlichsten ist,808 diese Umwand-
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unter einer Art „Obereigentum“ des Staates, sodass Private über Kulturgüter ohne staatliche Genehmigung in keiner Weise verfügen könnten. Siehr, Nationaler und Internationaler Kulturgüterschutz – Eingriffsnormen und der internationale Kunsthandel, in: Pfister/Will, Festschrift für Werner Lorenz zum siebzigsten Geburtstag, 1992, S. 525–542, S. 536, und insbes. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 256: „… dinglich wirkende Verfügungsbeschränkungen (prägen) den sachenrechtlichen Status der Gegenstände, an denen sie lasten. Sie sollen daher wie dingliche Lasten behandelt werden, die bei einem Statutenwechsel grundsätzlich bestehen bleiben.“. Vgl. auch die Erläuterungen bei Stoll, Zur gesetzlichen Regelung des internationalen Sachenrechts in Artt. 43–46 EGBGB, IPRax 2000 (Heft 4), S. 259–270, S. 261–264 m.w.N. Kreuzer, Die Vollendung der Kodifikation des deutschen Internationalen Privatrechts durch das Gesetz zum Internationalen Privatrecht der außervertraglichen Schuldverhältnisse und
2. Abschnitt: Statutenwechsel im internationalen Kulturgüterverkehr
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lung jedoch keine Bestands-, sondern nur eine Wirkungsänderung zur Folge hat.809 Das gleiche Ergebnis wird im internationalen Kulturgüterverkehr meist auch mit der sog. Hinnahmetheorie erzielt, wonach das ausländische dingliche Recht in seinem Bestand wie auch in den Wirkungen, die ihm nach dem Entstehungsstatut ursprünglich zukommen, grundsätzlich hingenommen wird und hinsichtlich der konkreten Rechtswirkungen ein Rückgriff auf funktionsäquivalente Figuren des deutschen Rechts stattfindet.810 Das hat bspw. für den internationalen Kulturgüterverkehr mit extrakommerzialen Objekten die Folge, dass die Kulturgüter ihre Qualifikation als unveräußerlich, unersitz-, unverjähr- und unverwirkbar mit Verbringung ins Bundesgebiet nicht endgültig auch mit Wirkung für die französische bzw. italienische Rechtsordnung verlieren und diese wieder auflebt, sobald die Sache in den Geltungsbereich des alten Sachstatuts oder einer diesem sehr ähnlichen Sachenrechtsordnung zurückkehrt.811 Die domanialen Kulturgüter Frankreichs oder Italiens verlieren ihre Extrakommerzialität somit nur dann, wenn das dingliche Recht zwischenzeitlich infolge der Erfüllung eines sachenrechtlichen Tatbestands außerhalb ihrer Ursprungsrechtsordnung (wie etwa in Deutschland) erloschen ist oder in seinem Inhalt verändert wurde. Die Rechtsordnung des kulturellen Importstaates (und so auch die deutsche) würde demzufolge domaniale Objekte als ‚in Staatseigentum stehend‘ deklarieren und etwa dem französischen oder italienischen Ursprungsstaat nach einer Verbringung in die deutsche Rechtsordnung einen Herausgabeanspruch aus § 985 BGB gewähren. „Wenn eine im öffentlichen Eigentum stehende Sache in den Geltungsbereich einer Rechtsordnung kommt, die das Konzept eines rein öffentlichen Eigentums nicht kennt, geht es um die Übernahme eines dem neuen Statut unbekannten Rechtsinstituts. Das zivilrechtliche Eigentum entspricht diesem jedoch funktionell, weswegen der Staat ab Grenzübertritt die einem Privateigentümer zustehenden Rechte an der Sache ausüben kann.“ 812
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Sachen vom 21.5.1999, RabelsZ 65 (2001), S. 383–462, S. 445; der Sache nach (trotz z.T. abweichender Terminologie) auch Junker, Die IPR-Reform von 1999 – Auswirkungen auf die Unternehmenspraxis, RIW 2000, S. 241–255, insb. S. 254. Vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 149–151. Vgl. Stoll, Zur gesetzlichen Regelung des internationalen Sachenrechts in Artt. 43–46 EGBGB, IPRax 2000 (Heft 4), S. 259–270, S. 261–264; Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 356; Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 523–530. Pfeiffer, Der Stand des Internationalen Sachenrechts nach seiner Kodifikation, IPRax 2000 (Heft 4), S. 271–285, S. 273. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 107–108.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
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Die Transpositions- bzw. Hinnahmetheorie hat aber auch zur Folge, dass in Fällen, in denen kein geeignetes inländisches Rechtsinstitut existiert bzw. keine Rechtswirkungen bestehen, die der deutschen Rechtsordnung gänzlich fremd sind, oder die Ausübung des Rechts mit zwingenden Verkehrsinteressen unvereinbar erschiene, einer ausländischen Rechtsposition im äußersten Fall jede Wirkung versagt wird.813 Dies träfe bspw. bei einem Transfer domanialer Kulturgüter in die deutsche Rechtsordnung zu: Da hier Veräußerungsbeschränkungen aufgrund der Extrakommerzialität für Kulturgüter unbekannt sind und das BGB in § 137 S. 1 gerade bestrebt ist, generell keine res extra commercium entstehen zu lassen,814 sind die vorzunehmenden Modifikationen bei einer Transposition bzw. einer Hinnahme so gravierend, dass von funktioneller Äquivalenz nicht mehr gesprochen werden kann.815 Deshalb wird bei einer Veräußerung extrakommerzialer Kulturgüter in Deutschland (im Ergebnis gilt sogar: außerhalb des kulturellen Ursprungsstaates) den Gutglaubensvorschriften der neuen lex rei sitae Anwendung verliehen und den Interessen des Kulturgüterverkehrs an Rechtssicherheit Rechnung getragen. Eine Sonderanknüpfung dieser Regeln – durch die auch das Sachenrecht des BGB teilweise außer Kraft gesetzt würde – wird de lege lata (noch) abgelehnt.816
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Die bisherige (internationale) Gerichtspraxis zeigt sogar, dass selbst in denjenigen Staaten, die für ihre eigenen Kulturgüter eine Extrakommerzialität anerkennen, keine Unveräußerlichkeit für ausländische Kulturgüter angenommen wurde, wenn die Objekte außerhalb des kulturellen Ursprungsstaates veräußert wurden.817 Selbst wenn der Forumstaat die Unveräußerlichkeit bestimmter eigener Kulturgüter in etwa dem Maße und Inhalt des kulturellen Ursprungsstaates bestimmt, erkennen dieselben Gerichte keine Extrakommerzialität für ausländische Kulturgüter an.
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Die Unbeachtlichkeit ausländischer Verkehrsunfähigkeit kultureller Wertgegenstände wurde schon in der französischen Entscheidung Duc de Frias v. Baron Pichon aus dem Jahre 1886 818 bestimmt und in der italienischen Entscheidung 813
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Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 152–154, unter Berufung auf Stoll, Zur gesetzlichen Regelung des internationalen Sachenrechts in Artt. 43–46 EGBGB, IPRax 2000 (Heft 4), S. 259–270, S. 262 f. Vgl. Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff., S. 3584. Vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 149–151. Vgl. Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff., S. 3584. Vgl. auch Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 83–85. Vgl. Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 1: Illegaler Kulturgüterverkehr, 3. Teil, Rdnr. 256 ff.
2. Abschnitt: Statutenwechsel im internationalen Kulturgüterverkehr
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Stato francese c. Ministero per i beni culturali e ambientali e De Contessini 819 knapp einhundert Jahre später wiederholt: Selbst in dem Fall, dass auch das neue Forum die Extrakommerzialität kultureller Wertgegenstände vergleichbar zu der Ausgestaltung im kulturellen Ursprungsstaat anerkennt, qualifiziert das zur Entscheidung berufene Gericht nur eigene Kulturgüter des Forumstaates, jedoch keine ausländischen Kulturgüter, als unveräußerlich und entscheidet nach den Vorschriften des gutgläubigen Erwerbs vom Nichtberechtigten. Auch unveräußerliche Kulturgüter ausländischer Staaten können demnach bei gutem Glauben und Redlichkeit des Erwerbers im internationalen Kunsthandel gutgläubig rechtsgeschäftlich erworben werden.
(c)
Ausgestaltung einer öffentlich-rechtlich fundierten „Rechtskategorie“ für Kulturgüter
Besonders in Italien ist jedoch die Auffassung einer ursprünglichen Ausgestaltung einer besonderen Eigentumskategorie für Kulturgüter als spezielle staatliche Rechtsposition unabhängig bzw. neben der zivilrechtlichen Eigentumskategorie verbreitet.820 Die „beni privati d’interesse pubblico“ 821 stellen nach Ansicht eines Teils der italienischen Rechtswissenschaft, der sich auf die kulturgüterspezifischen Ausführungen Grisolias in seinem Werk „La tutela delle cose d’arte“ beruft, eine neue Rechtskategorie für Kulturgüter dar, da diese Gegenstände unmittelbar von den öffentlich-rechtlichen Schutzmechanismen in ihrer fundamentalen Bestimmung, unabhängig von den an ihnen bestehenden Eigentumsverhältnissen, erfasst und speziellen öffentlichen Zwecken dienen würden, durch besondere Eigenschaften und Funktionen von anderen Gütern objektiv abgegrenzt werden könnten und somit zu einer rechtlichen Sonderstellung führten.822 Dies habe eine rechtliche Unterscheidung dieser Kategorie von den sonstigen Objekten in Privateigentum zur Folge, die öffentlicher Regulierung unterliegen, sodass es sich nicht mehr bloß um Schranken des Privateigentums handle und der Staat eine besondere Rechtsposition an den Objekten innehabe.823
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Turner legt diesbezüglich nachvollziehbar dar, dass die Notwendigkeit einer besonderen Rechtsposition des Staates jedoch zusätzliche Anstrengungen erfordert und diese Stellung nur dann erreichbar ist, wenn entweder die Rechtsposition des Staates im Rahmen des Eigentums und der Eigentümerpositionen (und zwar
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Vgl. Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 1: Illegaler Kulturgüterverkehr, 3. Teil, Rdnr. 260 ff. Vgl. Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 71–101. Vgl. Alibrandi/Ferri, I beni culturali e ambientali, 1985, S. 20 ff. Vgl. Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 71–101. Erläutert bei Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 71–101.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
als Abspaltung eines Eigentums- oder Eigentumsteilelements etwa in Form der öffentlich-rechtlichen Dienstbarkeit) besteht oder eine vom Eigentum ganz verschiedene Rechtsposition des Staates als ein besonderes sachbezogenes Hoheitsrecht begründet wird, das aus dem allgemeinen Hoheitsrecht ausdifferenziert ist. „Zu untersuchen ist, ob die behaupteten Eigentumsteilrechte dem Staat auch tatsächlich zukommen, ob der Staat also Handlungsrechte hat, die Teilelemente des Eigentums darstellen, oder ob es besondere Gründe gibt, die es rechtfertigen, dem Staat eine besondere hoheitliche Rechtsposition im Hinblick auf die Sachen zu geben, ob diese sich also darin von anderen Objekten so weitgehend unterscheiden.“ 824 Für Deutschland sind beide Möglichkeiten für Kulturgüter in Staatseigentum de lege lata nach den Entscheidungen der Verwaltungs- und Zivilgerichte zum Hamburger Stadtsiegel-Fall 825 definitiv ausgeschlossen. Fraglich ist, wie ausländische Rechtsordnungen dies rechtsdogmatisch begründen. 303
Sandulli folgt für Italien so bspw. der erstgenannten Eigentumstheorie und gewährt der Verwaltung besondere dingliche Rechte an Kulturgütern, die der unmittelbaren Erfüllung öffentlicher Interessen dienen.826 Ähnlich argumentiert Giannini und teilt die Berechtigung an Kulturgütern in privates und staatliches Eigentum, beide Subjekte hätten sowohl Nutzungs- wie Verfügungsrechte im Hinblick auf die Sache.827 Andererseits wird in Italien aber auch der Theorie eines vom Eigentum verschiedenen dinglichen Hoheitsrechts an Kulturgütern gefolgt: Grisolia unterscheidet das staatliche Recht, das „diritto funzionale di natura reale“ als ein dingliches Recht, das vom Eigentum oder einem beschränkten dinglichen Recht verschieden sei, von dem Eigentum, das auch Privaten zustehen kann.828 Auch Giannini 829 macht sich für eine sog. Zwei-Objekte-Theorie 830 stark, nimmt die mit der Kulturguteigenschaft des Objekts zusammenhängenden Befugnisse ganz aus dem Eigentumsbegriff heraus und schreibt sie dem Staat als Inhalt eines ausschließlich ihm zustehenden Rechts zu.831 Der kulturelle Wert der Objekte als „testimonianze aventi valore di civiltà“, wonach die Sache
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Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 71–101. Vgl. Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 2. Teil, Rdnr. 345 ff. Ausführlich Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 71–101. Ausführlich Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 71–101. Ausführlich Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 71–101. Giannini, I beni culturali, Riv. trim. dir. pubbl. (1976), S. 3 ff. Vgl. Rodotà, The Civil Law Aspects of the International Protection of Cultural Property, in: International Legal Protection of Cultural Property, Proceedings of the Thirteenth Colloquy on European Law, Delphi 20–22 September 1983, 1984, S. 99 ff., S. 104. Giannini, I beni culturali, Riv. trim. dir. pubbl. (1976), S. 24.
2. Abschnitt: Statutenwechsel im internationalen Kulturgüterverkehr
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,,elemento materiale di interessi di natura immateriale e pubblica“ sei, mache die im Privateigentum stehende Sache zu einer öffentlichen Sache, die insofern vom Staat verwaltet wird.832 Andere Autoren leiten aus der Gesamtheit der öffentlich-rechtlichen Eigentumsregulierungen eine besondere, eigentumsähnliche Position des Staates an Kulturgütern ab. Nahlik 833 ordnet bspw. das nationale Interesse innerstaatlich dem individuellen Interesse über und gelangt so zu verschiedenen Eigentumsbeschränkungen „mettant ainsi en relief le principe d’un dominium eminens que detient l’Etat à l’égard de tout objet relevant du patrimoine culturel national, même lorsqu’il appartient à des particuliers.“ Besonders rechtskonstruktiv sind dabei die Einlassungen Koumantos 834, der in den öffentlich-rechtlichen Beschränkungen des Privateigentums, und dabei insbesondere in den Ausfuhrverboten, Eigentumsrechte der kulturellen Ursprungsstaaten als „droit[s] de propriété sui generis“, als „propriété au deuxiême degré“ oder „droit éminent“ erkennt.835 Auch Byrne-Sutton konstruiert ein „droit de propriété sui generis“ zugunsten des kulturellen Ursprungsstaates, das er aus den öffentlich-rechtlichen Beschränkungen des Privateigentums folgert wie Ausfuhrverboten, Enteignungs- und Vorkaufsrechten, Veräußerungsverboten, Erhaltungs- und Schutzpflichten etc.836 „Durch diese Gesetzgebung lasse der Staat erkennen, daß das Objekt zu seinem nationalen kulturellen Erbe zähle. Zugleich liege darin ein Anzeichen dafür, daß der Staat ein „droit éminent“ über die Objekte beanspruche. Eine formelle und ausdrückliche Beanspruchung des Eigentums durch den Staat sei nicht erforderlich. Für Byrne-Sutton ist die Zugehörigkeit zum nationalen Erbe die Rechtsgrundlage für ein Rückführungsrecht des Staates. Hier scheint eine öffentlich-rechtliche Interpretation der staatlichen Rechtsposition vorzuliegen.“ 837
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Vgl. Giannini, I beni culturali, Riv. trim. dir. pubbl. (1976), S. 24 einerseits, S. 25 f. andererseits. Ausführliche Erläuterungen hierzu bei Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 71–101. Nahlik, La protection internationale en cas de conflit armé, Recueil des cours, Vol. 120 (1967) I: S. 61–163, S. 156 f. Vgl. Introductory Report, in: International Legal Protection of Cultural Property, Proceedings of the Thirteenth Colloquy on European Law, Delphi 20–22 September 1983, 1984, 12 ff. und S. 159 ff. Ausführliche Erläuterungen hierzu bei Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 71–101. Koumantos, Réflexions préalables sur la protection internationale des biens culturels, in: Brem, Festschrift zum 65. Geburtstag von Mario M. Pedrazzini, 1990, S. 159 ff., S. 166 f. Koumantos nimmt darüber hinaus noch an ein „third degree ownership of cultural property which would belong to the international community“. Byrne-Sutton, Le trafic international des biens vulturels sous l’angle de leur revendication par l’Etat d’origine – Aspects de droit international privé, 1988, S. 90 f.; vgl. auch Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 71–101. So die Beschreibung der Ansicht von Byrne-Sutton, Le trafic international des biens vulturels sous l’angle de leur revendication par l’Etat d’origine – Aspects de droit international
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Unabhängig von einem – in eher weiter Zukunft zu erwartenden – Abschluss dieser rechtsdogmatischen Entwicklungen darf der Wunsch, einem kulturellen Ursprungsstaat eine durchsetzbare Anspruchsgrundlage zu verschaffen, „nicht zur Preisgabe klarer dogmatischer Begriffe“ 838 führen. In der überwiegenden Mehrzahl der diesbezüglichen Entscheidungen wurde bei internationalem Rechtsvergleich ersichtlich, dass – in der Regel – ein im Ausland durchsetzbarer Herausgabeanspruch entgegen den nationalen Kulturgüterschutzgesetzen verbrachter Kulturgüter das Eigentum des kulturellen Ursprungsstaates voraussetzt, das aber wiederum auf dem Einsatz hoheitlicher Mittel der staatlichen Ausfuhrgesetzgebung beruht. Dann ist eine Durchsetzung der kulturellen Eigentumsordnung des kulturellen Ursprungsstaates auch im Ausland möglich.839
(d) 306
Auflockerungstendenzen in der italienischen Danusso-Entscheidung vom 25.3.1982
In der Rechtssache Casa della cultura ecuadoriana c. Danusso, Matta e altri vom 25.3.1982 840 sprach das Tribunale di Torino – soweit ersichtlich – erstmals einem kulturellen Ursprungsstaat einen Herausgabeanspruch hinsichtlich archäologischer Objekte zu, ohne dass Ekuador mittels seines nationalen Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetzes Staatseigentum hieran in Ekuador erworben hatte. Das Tribunale di Torino sprach dem Staat vielmehr ausdrücklich ein dominium eminens als ein dingliches Recht des Staates an den Objekten zu, das aus den besonderen öffentlich-rechtlichen Beschränkungen des Privateigentums folge. Ein Italiener hatte in Ekuador präkolumbianische Artefakte aus Ekuador erworben.
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privé, 1988, S. 91, bei Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 71–101. So die ausdrückliche Terminologie bei Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 71–101. Diese Meinung teilt Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 71–101. Tribunale di Torino, 25. März 1982, 18 Rivista di diritto internazionale privato e processuale, 18 (1982), S. 625, bestätigt in einer unveröffentlichten Entscheidung des Appellationsgerichtshofes von Turin vom 28.1.1983. Vgl. Frigo, L’acquisto di beni mobili dal titolare apparente nel diritto internazionale privato – Il caso del trasferimento illecito di opere d’arte di proprietà dello Stato, Comunicazioni e studi, Vol. 17/18 (1985), S. 547–592; Migliorino, In margine ad una recente sentenza inglese in tema di trasferimento internazionale illecito di opere d’arte, Riv. Dir. Int. Priv. Proc. 18 (1982), S. 774–783, S. 781–783; Clerici, La protection des biens culturels vis-a-vis des règles italiennes de conflit, Riv. Dir. Int. Priv. Proc. 25 (1989), S. 799 ff., S. 805; Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 82–83; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 74–75, S. 183–184 und S. 256–258; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 102–104; Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 73–76.
2. Abschnitt: Statutenwechsel im internationalen Kulturgüterverkehr
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Der Erwerb war nach Art. 5 der Ley de patrimonio artistico vom 29.2.1960 841, dem ekuadorianischen Kulturgüterschutzgesetz, unwirksam. Danach wurden die Gegenstände nach Italien ausgeführt, ohne dass dort eine weitere eigentumsrelevante Einwirkung erfolgte. Die Casa della cultura ecuadoriana klagte in Italien gegen den aktuellen Besitzer, Giuseppe Danusso, auf Herausgabe dieser Artefakte aufgrund fortbestehender Eigentumsposition.842 Durch einen italienischen Zeitungsartikel hatte der Konsul Ekuadors erfahren, dass der Italiener Giuseppe Danusso sich im Besitz archäologischer Kulturgüter mit ekuadorianischer Herkunft befand. Es stellte sich heraus, dass dieser die genannten Kulturgüter in Ekuador von ekuadorianischen Staatsbürgern käuflich erworben und anschließend mit nach Italien genommen hatte. Auf Grundlage von Art. 58 der in dem genannten Urteil zitierten ekuadorianischen Verfassung von 1967 sind archäologische Kulturgüter Teil des „patrimonio cultural de la nación“ mit der rechtlichen Bedeutung, dass die genannten Güter sich zwar nicht zwingend im privatrechtlichen Staatseigentum befinden, sondern Privatpersonen durchaus die Eigentümerstellung einnehmen können, jedoch mit den Beschränkungen des „dominio fiscal o eminente“ des Art. 623 des ekuadorianischen Zivilgesetzbuches. Obwohl danach Privatpersonen Eigentümer von Gütern des „patrimonio cultural de la nación“ sein können, scheidet eine rechtswirksame Veräußerung ohne Genehmigung des Instituto de cultura di Ecuador aus. Die Veräußerung bzw. der Erwerb solcher Objekte war nach Art. 5 der Ley de patrimonio artistico vom 29.2.1960 843, dem damaligen ekuadorianischen Kulturgüterschutzgesetz, unwirksam.
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Die Kernfrage des Falles lautet, auf welche Rechtsposition sich Ekuador berufen konnte, um die Herausgabe zu erreichen. Im Hinblick auf die Rechtsstellung Ekuadors sind zwei Aspekte zu unterscheiden. Zunächst ist zu prüfen, ob Ekuador nach seiner innerstaatlichen Rechtslage das Eigentum an archäologischen Funden erworben hatte.844 Während heute nach Art. 9 Abs. 1 des geltenden Cultural Heritage Act vom 7. Juli 1979 845 durch Fund Staatseigentum im üblichen Sinne
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843 844
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Constitución y Leyes de la República, 1960, S. 1075. Vgl. einleitend hierzu Siehr, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Rechtsverkehr, S. 707–709. Constitución y Leyes de la República, 1960, S. 1075. So auch der Ansatz bei Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 71–101. Art. 9 Abs. 1 des Cultural Heritage Act vom 7. Juli 1979: „As from the date on which the present act enters into force, the State shall become and shall be the owner of archaeological property to be found on the land, in the subsoil or on the seabed of the territory of Ecuador … irrespective of the control which public or private institutions, including corporations of all kind and individuals, may have over the land area where they may be situated or may have been found intentionally or accidentally. Vgl. Cultural Heritage Act n° 3501 vom 2. Juli 1979 in UNESCO, Collection of legislative texts concerning the protection of cultural property, Ecuador, CLT-85/WS 23. Über Objekte, die sich vor dem Inkrafttreten des Gesetzes in pri-
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
erworben wird und die Eigentümerrechte des Staates nach Art. 9 Abs. 5 durch das National Cultural Heritage Institute ausgeübt werden, „which may keep the aforementioned archaeological property for cultural uses, or hand it over to the custody of other major public museums in the country“, erwarb nach dem damals geltenden Recht von Ekuador der Staat kein Eigentum an archäologischen Funden. Aus Art. 13 des Cultural Heritage Act von 1945, soweit vom Gericht angeführt, und entsprechend der Rechtslage nach Art. 28 des Cultural Heritage Act von 1979 ergibt sich lediglich, dass Ausgrabungen nur mit Genehmigung der Casa della Cultura Ecuadoriana durchgeführt werden durften. 309
Da Ekuador nach seiner innerstaatlichen Rechtslage keine Eigentumsposition an den archäologischen Funden erworben hatte, stellte sich die Frage, ob Ekuador die Herausgabeklage auf eine andere Rechtsgrundlage stützen konnte.846 Das Gericht sah das dominio eminente Ekuadors als eine „categoria intermedia fra i beni privati ed i beni nazionali dell’uso pubblico (beni demaniali o publici)“ 847 an, die jedoch das Privateigentum an den betroffenen Sachen nicht ausschließt. Insofern kann es wohl nicht als Eigentumsrecht qualifiziert werden („istituto giuridico distinto dalla proprietà civile“ e dalla „proprietà commune“). Andererseits verwendet das Gericht zuweilen dennoch den Begriff des „diritto di proprietà“.848 Folglich können verschiedene Auslegungsmöglichkeiten in Betracht kommen und das dominio eminente etwa als „öffentlich-rechtliches Eigentum“ 849, als „droit de propriété“ 850, als „Staatseigentum“ 851 oder nur „staatliche Treuhänderschaft“ 852 qualifiziert werden. Stoll erkannte, dass nach dem Recht Ekuadors an Gegenständen, die dem nationalen Kulturerbe zugerechnet werden, zwar Privateigentum grundsätzlich möglich ist, das dominio eminente jedoch eine Art „Obereigentum“ darstellt, das eine nicht genehmigte Veräußerung ausschließt
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vatem Besitz befanden und nicht als Objekte des nationalen kulturellen Erbes nach Art. 8 angemeldet wurden, hat der Staat nach Art. 9 Abs. 2 „exclusive control“. Vgl. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 256, wonach der Herausgabeanspruch vom Gericht nicht aus Eigentum, sondern ausschließlich aus dessen dominium eminens abgeleitet wird. Casa della cultura ecuadoriana c. Danusso, Tribunale di Torino, 25. März 1982, 18 Rivista di diritto internazionale privato e processuale, S. 625 (1982), S. 629. Casa della cultura ecuadoriana c. Danusso, Tribunale di Torino, 25. März 1982, 18 Rivista di diritto internazionale privato e processuale, S. 625 (1982), S. 629. Stoll, Sachenrechtliche Fragen des Kulturgüterschutzes in Fällen mit Auslandsberührung, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes – Symposium vom 22./23. Juni 1990 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 53 ff., S. 61–62. Byrne-Sutton, Le trafic international des biens vulturels sous l’angle de leur revendication par l’Etat d’origine – Aspects de droit international privé, 1988, S. 131–132. Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 90. Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes, 1994, S. 84.
2. Abschnitt: Statutenwechsel im internationalen Kulturgüterverkehr
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und dem Staat einen Herausgabeanspruch gibt.853 Unabhängig von der rechtlichen Qualifizierung des dominio eminente bedeutet die Entscheidung des Tribunale di Torino vom 25.3.1982 im Ergebnis jedoch, dass „… the original owner is still the owner and the Republic of Ecuador by its successful suit can make use of the artefacts as ‘dominio cultural de la nación’.“ 854 Das durch ekuadorianisches Recht anerkannte dominio eminente wurde somit vom italienischen Zivilgericht als dingliches Recht qualifiziert, das unter dem alten Belegenheitsstatut wirksam entstanden und auch durch einen Ortswechsel der damit behafteten Kulturgüter nicht untergegangen ist.855 Das unter dem ekuadorianischen Recht begründete dominio eminente hafte den Objekten auch noch nach einem schlichten Statutenwechsel an, lediglich der Inhalt dieser sachenrechtlichen Prägung werde von dem Recht des neuen Belegenheitsortes, also dem italienischen Recht, bestimmt.856 Das Gericht führte dazu aus, dass es in der italienischen Rechtsterminologie zwar keinen dem ekuadorianischen dominio eminente entsprechenden Begriff gäbe, jedoch sei der Inhalt der ekuadorianischen Gesetze in Bezug auf Erwerb, Ausübung und Beschränkung des Eigentumsrechtes an archäologischen Kulturgütern mit dem italienischen Recht „perfettamente compatibile“ 857. Daher bestünden keinerlei Hindernisse, die unter dem ausländischen Statut begründeten Rechte im Inland anzuerkennen. Das ekuadorianische dominio eminente wurde als ein den schlichten Statutenwechsel überdauerndes Recht angesehen, welches völkerrechtliche Legitimation nach dem Territorialitätsprinzip erfährt und nach dem Grundsatz der wohlerworbenen Rechte der lex rei sitae auch innerhalb einer ausländischen Zivilrechtsordnung 853 854
855
856
857
Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 178. Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 83; so auch Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 256–257; Siehr, Nationaler und Internationaler Kulturgüterschutz – Eingriffsnormen und der internationale Kunsthandel, in: Pfister/Will, Festschrift für Werner Lorenz zum siebzigsten Geburtstag, 1992, S. 525–542, S. 536; sowie Clerici, La protection des biens culturels vis-a-vis des règles italiennes de conflit, Riv. Dir. Int. Priv. Proc. 25 (1989), S. 799 ff., S. 805. A.A. Stoll, Sachenrechtliche Fragen des Kulturgüterschutzes in Fällen mit Auslandsberührung, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes – Symposium vom 22./23. Juni 1990 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 53 ff., S. 61–62: „öffentlich-rechtliches Eigentum“; Byrne-Sutton, Le trafic international des biens vulturels sous l’angle de leur revendication par l’Etat d’origine – Aspects de droit international privé, 1988, S. 131–132: „droit de propriété“; Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 90: „Staatseigentum“; Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes, 1994, S. 84: „Treuhänderschaft“. Casa della cultura ecuadoriana c. Danusso, Tribunale di Torino, 25. März 1982, 18 Rivista di diritto internazionale privato e processuale, S. 625 (1982), S. 631. Casa della cultura ecuadoriana c. Danusso, Tribunale di Torino, 25. März 1982, 18 Rivista di diritto internazionale privato e processuale, S. 625 (1982), S. 632–633.
310
622
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
einen vindikatorischen Eigentumsherausgabeanspruch zu begründen vermag – das ekuadorianische dominio eminente vertrug sich somit gut mit der italienischen Zivilrechtsordnung.
(e)
Vergleichbare Entwicklungen innerhalb der deutschen Rechtsordnung?
311
Es erscheint jedoch fraglich, was bei einem Wechsel in eine Rechtsordnung (wie bspw. Deutschlands) passiert wäre, die kein dem dominio eminente vergleichbares Rechtsinstitut für Kulturgüter kennt. Bislang ist – soweit ersichtlich – keine vergleichbare Fallkonstellation gerichtlich entschieden worden, in der bspw. präkolumbianische Kulturgüter nach Deutschland ohne rechtmäßige Ausfuhrgenehmigung transferiert worden wären. Angenommen, der Danusso-Fall hätte vor deutschen Gerichten entschieden werden müssen, hätte sich der potenziell restitutionspflichtige Besitzer in Deutschland sicherlich darauf berufen, dass kein der ekuadorianischen Rechtsposition vergleichbares bzw. inhaltsgleiches Recht in der deutschen Rechtsordnung statuiert wurde und das deutsche öffentliche Sachenrecht keine vergleichbare Rechtsposition für Kulturgüter schaffe. Auf den ersten Blick hätte deshalb wohl trotz Anwendung der Transpositionslehre bzw. der Hinnahmetheorie dem dominio eminente Ekuadors jede Wirkung versagt werden müssen, da kein geeignetes inländisches Rechtsinstitut existiert bzw. keine Rechtswirkungen bestehen, die der deutschen Rechtsordnung gänzlich fremd sind, und die Ausübung des Rechts mit zwingenden Verkehrsinteressen unvereinbar erscheint.858
312
Richtigerweise stünde aber wohl auch einem deutschen Gericht dieselbe Entscheidung wie dem Tribunale di Torino in der Danusso-Konstellation offen. Das deutsche öffentliche Sachenrecht kennt zwar seit den Entscheidungen zum Hamburger Stadtsiegel-Fall 859 keine vergleichbare Rechtsposition für Kulturgüter, jedoch nach den landesrechtlichen Spezialgesetzen für andere Rechtsobjekte, wie bspw. zu „öffentlichen Sachen“ gewidmete Objekte im Straßen-, Wasser-, Wegeund Deichrecht. Nach der überwiegend vertretenen sog. Lehre vom modifizierten Privateigentum besteht trotz eines unzweifelhaft öffentlich-rechtlichen Sachstatuts an den ‚öffentlichen Sachen‘ zugleich ein zivilrechtliches Eigentum im Sinne des § 903 BGB, unabhängig davon, ob der öffentliche Sachherr selbst Eigentümer ist oder nicht.860 Soweit die durch die Widmung bestimmte Zweckbindung der 858
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860
Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 152–154, unter Berufung auf Stoll, Zur gesetzlichen Regelung des internationalen Sachenrechts in Artt. 43–46 EGBGB, IPRax 2000, S. 259–270, S. 262 f. Vgl. ausführlich hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 2. Teil, Rdnr. 345 ff. Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 355–365.
2. Abschnitt: Statutenwechsel im internationalen Kulturgüterverkehr
623
öffentlichen Sache reicht, werden jedoch die Rechte des Eigentümers durch die Herrschaft des öffentlichen Sachherrn im Sinne einer sog. ‚öffentlich-rechtlichen Dienstbarkeit‘ überlagert.861 Die Widmung eines Gutes zu einer ‚öffentlichen Sache‘ begründet somit eine öffentlich-rechtliche Sachherrschaft, die als beschränkt dingliches Recht, als sog. Dienstbarkeit des öffentlichen Rechts, auf dem Eigentum lastet, auf den Rechtsnachfolger im Eigentum übergeht und insbesondere einen gutgläubigen, lastenfreien Erwerb (§ 936 BGB) oder eine lastenfreie Ersitzung (§ 947 BGB) ausschließt.862 Inhalt der Dienstbarkeit ist die Verpflichtung des jeweiligen Eigentümers, die Benutzung der öffentlichen Sache im Rahmen und im Umfang der durch die Widmung bestimmten Zweckbindung zu dulden. Die Widmung gibt dem öffentlichen Sachherrn ein Besitzrecht im Sinne des § 986 BGB, das dem vindikatorischen Herausgabeanspruch des Eigentümers gemäß § 985 BGB entgegensteht. Umgekehrt kann der öffentliche Sachherr entsprechend § 985 BGB vom Eigentümer oder von einem Dritten, der die Sache in Besitz hat, den Gegenstand herausverlangen, wenn dies zur Erfüllung des Widmungszwecks erforderlich ist.863 Die deutsche Rechtsordnung würde auch die Qualifizierung deutscher Kulturgüter als öffentliche Sachen erlauben, wenn eine formelle Rechtsgrundlage hierfür bereitstünde. Vor diesem Hintergrund dürfte die Rechtskonstruktion eines dominio eminente Ekuadors, das die beschriebenen Rechtswirkungen – im Gegensatz zu dem deutschen Kulturgüterschutzsystem – für sein nationales Kulturerbe ex lege bestimmt, auch vor einem deutschen Gericht Anerkennung finden.
(f)
Iran v. Barakat: Summe aller dem kulturellen Ursprungsstaat zustehenden Rechtspositionen
Internationale Stütze findet diese Haltung neuerdings in der britischen BarakatEntscheidung vom 21. Dezember 2007. Ebenso wie innerhalb der Danusso-Entscheidung musste der Londoner Court of Appeal in der Rechtssache Government of the Islamic Republic of Iran v. The Barakat Galleries Limited vom 21. Dezem861
862 863
313
Die präzise rechtliche Ausgestaltung dieser ‚öffentlich-rechtlichen Dienstbarkeit‘ ist jedoch ungeklärt. Während sich ein Teil der Literatur dafür einsetzt, dass die ‚öffentlich-rechtliche Dienstbarkeit‘ durchaus von der im BGB geregelten Dienstbarkeit zu unterscheiden sei und das Eigentum gerade nicht überlagere, sondern nur neben ihm stehe, führt der andere Teil des Schrifttums aus, dass, soweit die durch die Widmung bestimmte Zweckbindung der öffentlichen Sache reiche, die Rechte des Eigentümers durch die Herrschaft des öffentlichen Sachherrn im Sinne einer sog. ‚öffentlich-rechtlichen Dienstbarkeit‘ überlagert würden. Im Ergebnis wird jedoch wohl zu Recht meist darauf verwiesen, dass die unterschiedlichen rechtsdogmatischen Begründungen zwar divergieren, die rechtlichen Wirkungen auf das Eigentum an öffentlichen Sachen jedoch die gleichen seien. Vgl. ausführlich hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 2. Teil, Rdnr. 342 ff. Papier, Recht der öffentlichen Sachen, 3. Aufl. 1998, S. 10. Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 49.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
ber 2007 864 über einen Rückführungsanspruch illegal aus der Jiroft-Region ausgegrabener und aus dem Iran ausgeführter Kulturgüter entscheiden, ohne dass dem Ursprungsstaat eine Eigentumsposition seitens seines nationalen Kulturgüterschutzgesetzes zustand. Die Regierung der Islamischen Republik Iran verlangte die Rückführung illegal aus dem Jiroft Gebiet in der iranischen Provinz Kerman ausgeführter archäologischer Objekte aus der Sammlung der Barakat Galleries in London. 315
Die Jiroft-Region wurde unlängst aufgrund der Entdeckung von Überresten einer ca. 4.000 Jahre alten Stadt bekannt, die möglicherweise Aratta, die bislang eher mythische Herkunftsstadt der Sumerer, darstellen könnte. Heute stellt das Jiroft-Gebiet das verlorene Paradies für Archäologen dar. Obwohl seit Beginn der Entdeckung staatlich überwachte Ausgrabungen durchgeführt werden, kamen in der jüngeren Vergangenheit vermehrt Keramikfunde aus dieser Region in den Handel. Seit Beginn des Jahres 2002 ist bekannt, dass lokal ansässige Bevölkerungsteile dort illegale Raubgrabungen unternahmen und so zahlreiche Fundobjekte in den illegalen Kunsthandel gelangten. Die Regierung Irans behauptete in der vorliegenden Konstellation, dass die Barakat Galleries illegal aus dieser Region ausgeführte archäologische Objekte zum Verkauf anböten. Die Galerie berief sich hingegen darauf, dass die Gegenstände erstens nicht aus der Jiroft-Region stammen und sie zweitens gutgläubig Eigentum an den Gegenständen beim Erwerb in Frankreich, Deutschland und der Schweiz erlangt habe. Alternativ beriefen sich die Barakat Galleries darauf, dass selbst in dem Fall, dass die Islamische Republik Iran Eigentum an den archäologischen Objekten mittels ihres nationalen Kulturgüterschutzgesetzes erlangt habe, die vorliegende Klage keinen Erfolg zeitigen könne, weil bei einer Restitution eine nach der Rechtsordnung Großbritanniens verbotene unmittelbare oder indirekte Beachtung ausländischen öffentlichen Rechts und des Strafrechts erfolge.
316
Zur Entscheidung musste somit gefragt werden, ob nach den Kulturgüterschutznormen der Islamischen Republik Iran Staatseigentum an archäologischen Objekten besteht und ob vor einem englischen Zivilgericht eine Anerkennung und Durchsetzung einer solchermaßen erlangten Eigentumsposition möglich ist.865 Der Iran gründete in der Entscheidung sein Eigentumsrecht an archäologischen Artefakten in erster Linie auf den sog. National Heritage Protection Act vom 3. November 1930 i.V.m. Executive (or Administrative) Regulations of the National Heritage Protection Act 1930 vom 19. November 1932 sowie sog. Legal Bill Regarding Prevention of Unauthorized Excavations and Diggings intended to obtain antiquities and historical relics which according to international criteria, 864
865
Government of the Islamic Republic of Iran v. The Barakat Galleries Limited, (2007) EWCA Civ 1374, Case No: A2/2007/0902/QBENF, A2/2007/0902(A)/FC3. Vgl. ausführlich zu der Entscheidung auch Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 1: Illegaler Kulturgüterverkehr, 3. Teil, Rdnr. 199 ff.
2. Abschnitt: Statutenwechsel im internationalen Kulturgüterverkehr
625
have been made or have come into being one hundred or more years ago vom 17. Mai 1979. Executive (or Administrative) Regulations of the National Heritage Protection Act 1930 vom 19. November 1932: „Article 17 – Anyone who accidentally finds a movable property even thought it has been discovered in his/her own property, shall be obliged to immediately inform the Ministry of Education through its nearest representative of the Department for Education or through the Finance Officers if there is no Department for Education. After the objects has (sic) been examined by the Department for Antiquities half of the items or half of the commercial price thereof as evaluated by qualified experts shall be transferred to the finder, and the State shall have the authority to possess or transfer the other half to the finder“. Chapter 3 of the Regulations deals with Excavation. The provisions of this chapter include: Article 18 – The state possesses the exclusive rights to land excavation for the purpose of obtaining antiquities. … Article 25 – Excavation in private lands shall require the owner’s consent as well as the permission of the State. … Article 31 – The manner of sharing the antiquities discovered in a place during a season of commercial or scientific excavation, between the excavator and the State shall be as follows: The first choice of the objects discovered, up to ten items, shall be that of the State, and then the State shall equally share the remainder with the licence holder. Immovable antiquities shall pertain to the State and not be divided. In case the discovered objects shall not exceed ten items, the State, by virtue of the authority invested in it, shall possess them all and refund expenses that the excavator sustained. The holder of the excavator licence may possess his/her share of the antiquities discovered, provided that he/she had been refunded the rental value due to the owner. … Article 36 – Any person who takes measure violating the provisions of Article 10 from the law or Article 17 herein, or embark on excavation without securing proper permission at (sic) export antiquities illegally, shall be liable to a fine twenty to Two thousand Tomans, and the discovered objects shall be confiscated by the State … Article 41 – Provides that certain classes of antiquities are authorised to be traded, that ie can be bought and sold. (It is common ground that this Article is now entirely superseded). Article 48 – In case the examination by Department for Antiquites proved that some of the objects had been illegally obtained, those objects shall be seized and confiscated by the State. The owners and exporters may be prosecuted according to the Antiquities Act … Article 50 – In case the State recognises that the registered objects in the List for National Heritage, for which export permission has been requested, are beneficial for developing national collections, it shall have the authority to purchase the objects in question at the price declared by the owner. Should the owner refrain from selling the objects, export permits shall not be granted. Article 51 – The Antiquities intended to be taken out of the country without obtaining proper permission shall be confiscated.“ 866 866
Zitiert in Government of the Islamic Republic of Iran v. The Barakat Galleries Limited, (2007) EWCA Civ 1374, Case No: A2/2007/0902/QBENF, A2/2007/0902(A)/FC3, Rdnr. 23–24.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
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Nach einer Untersuchung der genannten Kulturgüterschutznormen kam die Queen’s Bench Division in einer Entscheidung vom 29. März 2007 867 „with some regret“ zu der Erkenntnis, dass Iran den Beweis des originären Eigentumserwerbs nicht erbringen konnte: „I readily accept that Iran has gone to some lengths to list and secure protection for its natural heritage and to penalise unlawful excavators and exporters. But the enactments relied on by Iran fell short in my judgment of establishing its legal ownership of the antiquities. I am not persuaded that those enactments are in certain respects consistent with State ownership but, even if all of them were, that would still in my opinion not be enough to have the effect of vesting ownership in the State, as it were, by default of as a matter of inference.“ Da Voraussetzung einer Restitution mittels einer conversion-Klage ein dingliches Besitzrecht spezieller Qualität ist („requirement that the right to possession should be a proprietary right“), ging die Queen’s Bench Division davon aus, dass die Islamische Republik Iran trotz eines automatischen Besitzrechts hinter dem geforderten „proprietary interest“ zurückblieb. Das Gericht konnte somit keinen außerhalb der eigenen Rechtsordnung anerkennungsfähigen und durchsetzbaren Rechtserwerb Irans feststellen.868
319
Der Court of Appeal revidierte die Ausgangsentscheidung jedoch in seinem Urteil vom 21. Dezember 2007 und bestimmte, dass das iranische Kulturgüterschutzgesetz hinreichend eindeutig für ein englisches Gericht ist, um hieraus das Eigentum des Staates an archäologischen Bodenfundstücken zu begründen und berief sich ergänzend auf den „cumulative effect of the relevant Iranian statutory provisions [that] is to vest ownership of the antiquities“ 869. Entscheidende Bedeutung erlangte der sog. Legal Bill Regarding Prevention of Unauthorized Excavations and Diggings intended to obtain antiquities and historical relics which according to international criteria, have been made or have come into being one hundred or more years ago vom 17. Mai 1979, der die vorherigen Regelungen des National Heritage Protection Act vom 3. November 1930 ersetzte.
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Legal Bill Regarding Prevention of Unauthorized Excavations and Diggings vom 17. Mai 1979: 870 Considering the necessity of protection of relics belonging to Islamic
867
868
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Government of the Islamic Republic of Iran v. The Barakat Galleries Limited, (2007) EWHC 705 (QB). Ausführlich hierzu Weller, Iran v. Barakat: Some Observations on the Application of Foreign Public Law by Domestic Courts from a Comparative Perspective, Art, Antiquity and Law, Vol. XII, Issue 3 (2007), S. 279–295. Vgl. hierzu Weller, Iran v. Barakat: Some Observations on the Application of Foreign Public Law by Domestic Courts from a Comparative Perspective, Kunstrechtsspiegel 04/07, S. 172– 180; Wantuch, Iran v Barakat Galleries: Eigentum an Kulturgut, das aufgrund eines öffentlich-rechtlichen Gesetzes an den Staat fällt, kann nicht vor einem englischen Gericht eingeklagt werden, Kunstrechtsspiegel 04/07, S. 181–183. Government of the Islamic Republic of Iran v. The Barakat Galleries Limited, (2007) EWCA Civ 1374, Case No: A2/2007/0902/QBENF, A2/2007/0902(A)/FC3. Zitiert in Government of the Islamic Republic of Iran v. The Barakat Galleries Limited, (2007) EWHC 705 (QB).
2. Abschnitt: Statutenwechsel im internationalen Kulturgüterverkehr
627
and cultural heritage, and the need for protection and guarding these heritages from the point of view of sociology and scientific, cultural and historical research and considering the need for prevention of plundering these relics and their export abroad, which are prohibited by national and international rules, the following Single Article is approved. 1 – Undertaking any excavation and digging intended to obtain antiquities and historical relics is absolutely forbidden and the offender shall be sentenced to six months to three years correctional imprisonment and seizure [in Farsi „zabt“] of the discovered items and excavation equipment in favour of the public treasury. If the excavation takes place in historical places that have been registered in the National Heritage: List, the offender shall be sentenced to the maximum punishment provided (in this Section). 2 – Where the objects named in this discovered accidentally, the discoverer is duty bound to submit them to the nearest office of Culture and Higher Education as soon as possible. In this case, a committee consisting of the Religious Judge, local Public-Prosecutor and the director of the office of Culture and Higher Education, or their representatives, will be formed with a specialised expert attending and who will examine the case and decide as follows: A – Where the items are discovered in a private property, in the case of precious metals and jewels, they will be weighed and a sum equal to twice the market value of the raw material thereof will be paid to the discoverer. IN the case of other objects, half of the estimated price will be paid to him. B – Where the items are discovered in non-private property, a sum equal to half of the discovery reward, provided for in Section A, will be paid to the discoverer. 3 – Antiquities means articles that according to international criteria have been made or produced 100 , or more, years ago. In the case of objects whose antiquity is less than a hundred years, the discovered objects will belong to the discoverer after he has paid a fifth of their evaluated price to the public treasury. 4 – Persons who offer the discovered objects for sale or purchase in violation of the provisions of this Act will be sentenced provided for in Section 1.
Der Finder archäologischer Objekte erlangt seit Inkrafttreten dieses Gesetzes keine Eigentumsposition an den Gegenständen, sodass sich der Court of Appeal fragte, ob irgendjemand sonst außer dem Iran Eigentumsrechte an den Gegenständen erwerben kann. Das einzige Recht, das ein Finder archäologischer Artefakte erlangt, ist der Anspruch auf eine Finderlohnzahlung, er muss jedoch seinerseits den Gegenstand schnellstmöglich einer Stelle der Culture and Higher Education abliefern, darf diesen nicht veräußern, kann keine Eigentumsrechte daran übertragen, macht sich so strafbar und der Gegenstand unterliegt der Beschlagnahme. Vor diesem Hintergrund können weder zufällige Bodenfunde noch illegal ausgegrabene Objekte als Eigentum des Finders zählen. Während das Ausgangsgericht in den vorgetragenen Rechtstexten nach einer expliziten Designation archäologischer Objekte zu Staatseigentum Irans suchte, bestimmte der Court of Appeal, dass in der Summe der dem Iran zustehenden Rechtspositionen eine Eigentumsposition zu erkennen sei: „Given our conclusion that the finder did not own the antiquities (and the fact, as was common ground, that the owner of the land from which they came had no claim to them), there are only two possibilities. Either they were “bona vacantia” to which Iran had an immediate right of possession and which would become Iran’s property once Iran obtained possession and which could not become the property of anyone else or they be-
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
longed to Iran from, at least, the moment that they were found. We consider that the former alternative is artificial. Iran’s personal rights in relation to antiquities found were so extensive and exclusive that Iran was properly to be considered the owner of the properties found.“ 871 Aus den genannten Gründen stand der Islamischen Republik Iran auch das Recht zu, aus dem durch eigenes Gesetz erworbenen Eigentum Herausgabeklage vor englischen Gerichten zu erheben, soweit nicht das Eigentum in nachfolgenden Übereignungen verloren gegangen ist. 322
Zusätzlich erklärte der Court of Appeal, dass selbst dann Besitzrechte ausreichen können, um deliktisch begründete Herausgabeklagen (sog. conversion claim) zu erheben. Das Gericht erklärte, dass „it is important to bear in mind that it is not the label which foreign law gives to the legal relationship, but its substance, which is relevant. If the rights given by Iranian law are equivalent to ownership in English law, then English law would treat that as ownership for the purposes of the conflict of laws. The issue with which we are concerned is whether the rights enjoyed by Iran in relation to the antiquities equate to those that give standing to sue in conversion under English law.“ 872 Damit war entschieden, dass nach den Kulturgüterschutznormen der Islamischen Republik Iran seit Erlass des Legal Bill Regarding Prevention of Unauthorized Excavations and Diggings vom 17. Mai 1979 ein im Ausland geltend zu machender dinglicher Rückführungsanspruch an archäologischen Objekten möglich ist. Die weitere Entwicklung ist hier mit Spannung zu beobachten.
§ 9 Ergebnis: Abgeschlossener Statutenwechsel im internationalen Kulturgüterverkehr 323
Die Internationalität des (illegalen) Kunstmarktes und die Auswirkungen eines Lageortswechsels auf die dingliche Rechtslage an Kulturgütern erlangen im Internationalen Kulturgüterprivatrecht schon innerhalb der Frage nach der anwendbaren Rechtsordnung erstmals konkreten Sinn und sind dort von herausragender praktischer Bedeutung. Da für die Anknüpfung im Internationalen Kulturgüterprivatrecht nach dem im 1. Abschnitt analysierten Grundsatz der lex rei sitae die jeweilige Belegenheit zum Zeitpunkt des rechtserheblichen Transfers maßgebend ist, geht mit jedem Grenzübertritt ein Statutenwechsel einher, sodass für Vorgänge, die im Ursprungsstaat eines Kulturguts stattgefunden haben, d.h. im Staat, in dem das Objekt ursprünglich belegen war, dessen Recht berufen ist, während für rechtserhebliche Einwirkungen auf die Eigentumsposition außerhalb des kulturellen Ursprungsstaates die zivilrechtlichen Sachzuordnungsregeln des Importstaates zuständig sind. 871
872
Government of the Islamic Republic of Iran v. The Barakat Galleries Limited, (2007) EWCA Civ 1374, Case No: A2/2007/0902/QBENF, A2/2007/0902(A)/FC3, Rdnr. 80. Government of the Islamic Republic of Iran v. The Barakat Galleries Limited, (2007) EWCA Civ 1374, Case No: A2/2007/0902/QBENF, A2/2007/0902(A)/FC3, Rdnr. 49.
§ 9 Ergebnis: Abgeschlossener Statutenwechsel im internationalen Kulturgüterverkehr
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Dabei wurden im voranstehenden 2. Abschnitt unter Punkt A. zwei Konstellationen unterschieden: In den Fällen, in denen sich ein sachenrechtlicher Tatbestand aus verschiedenen Teilakten zusammensetzt, die nicht gleichzeitig, sondern chronologisch versetzt vollzogen werden können (wie bspw. innerhalb der derivativen Veräußerung kultureller Wertgegenstände nach der deutschen Rechtsordnung mittels Einigung und Übergabe), ist zu unterscheiden, ob ein sachenrechtlicher Tatbestand zu diesem Zeitpunkt bereits abgeschlossen oder noch offen war. Zunächst wurde unter Punkt B. auf die abgeschlossene Sachzuordnung kultureller Güter Rekurs genommen. Dort wurde erkannt, dass ein abgeschlossener Tatbestand zum einen dann vorliegt, wenn sich die dingliche Sachzuordnung eines Kulturguts bereits unter dem alten Statut vollzogen hat, zum anderen aber auch dann anzunehmen ist, wenn eine beabsichtigte Rechtsänderung nach dem alten Statut fehlgeschlagen ist und das neue Statut diesen Fehlschlag als endgültig betrachtet. Ist der letzte Teilakt, der zur Vollendung des sachenrechtlichen Tatbestands und damit zur Änderung der dinglichen Rechtslage an einem Kulturgut erforderlich ist, bereits eingetreten, so spricht man von einem sog. positiv abgeschlossenen Tatbestand, während ein negativ abgeschlossener Tatbestand vorliegt, wenn dieser letzte Teilakt endgültig nicht eingetreten ist.
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Die Auswirkungen sog. negativ abgeschlossener Tatbestände auf den internationalen Kulturgüterverkehr waren leicht nachzuvollziehen: Ist eine bestimmte dingliche Sachzuordnung von Kunst- und Kulturgütern sowohl nach dem alten als auch nach dem neuen Sachstatut endgültig nicht eingetreten, dann vermag auch ein Statutenwechsel an dieser Situation nichts zu ändern und es kommt auch nach der neuen Belegenheitsrechtsordnung zu keiner Änderung der Eigentumsposition an einem Kulturgut.
325
Dies lässt sich leicht anhand eines Beispiels verdeutlichen: Erwirbt ein Sammler in England ein gestohlenes Gemälde, kann er daran aufgrund des nemo datGrundsatzes kein Eigentum erlangen. Wird das Gemälde jedoch in der Folge nach Italien ausgeführt – wo bekanntlich ein gutgläubiger Erwerb auch an gestohlenen Gegenständen möglich ist –, vermag der Statutenwechsel zugunsten des italienischen Rechts nichts an der Eigentumsposition zu ändern: Der Erwerbsvorgang war in England bereits negativ abgeschlossen und ist daher allein nach englischem Recht zu beurteilen.
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Die voranstehenden Ausführungen haben gezeigt, dass die Auswirkungen eines positiv abgeschlossenen Tatbestands auf den internationalen Kulturgüterverkehr äußerst komplex sind. Ist nämlich eine bestimmte dingliche Sachzuordnung kultureller Wertgegenstände nach altem Sachstatut zum Zeitpunkt des Statutenwechsels bereits eingetreten, insbesondere eine Einwirkung auf die Eigentumsposition schon innerhalb des alten Sachstatuts erfolgt, hat auch die Rechtsordnung des nachfolgenden Belegenheitsortes, also das neue Sachstatut, die privatrechtliche Sachzuordnung der (unrechtmäßig entzogenen) Kulturgüter des
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
alten Statuts anzuerkennen, selbst dann, wenn die Erwerbsvoraussetzungen nach dem neuen Sachstatut nicht gegeben wären.873 Dabei bestimmt das alte Statut darüber, ob ein Erwerbstatbestand abgeschlossen ist oder nicht. 328
Diese Konstellation wird leicht anhand der Möglichkeit der Ersitzung gestohlener Kulturgüter grundsätzlich nach der Dreijahresfrist innerhalb der französischen Rechtsordnung nach Art. 2279 Abs. 2 Code civil 874 verständlich.875 Demzufolge erlangt der Erwerber nach Verstreichen der drei Jahre das Eigentum an dem Objekt. Gelangt das Kulturgut in der Folge jedoch bspw. nach Deutschland, bleibt der Erwerber weiterhin Eigentümer, obwohl nach der neuen lex rei sitae, also dem deutschen Sachrecht, die Ersitzung nach § 937 BGB erst nach zehn Jahren eintritt.876 Die nach dem französischen Sachrecht im Wege der Ersitzung wirksam erworbene Eigentumsposition bleibt nach dem Statutenwechsel bestehen, selbst wenn nach dem Recht des neuen Lageorts (in unserem Fallbeispiel: Deutschland) nicht alle Voraussetzungen für den Eigentumserwerb erfüllt sind. Dabei können auch die unterschiedlichen rechtlichen Konstruktionen bei der Eigentumsübertragung in den verschiedenen Staaten praktische Auswirkungen zeitigen: Wird bspw. im internationalen Kunstmarkt ein Kulturgut von dem Exportstaat, der dem Konsensprinzip folgt (wie bspw. Frankreich), in einen Importstaat geliefert, der dem Traditionsprinzip folgt (wie bspw. Deutschland), hat der Käufer schon mit der Einigung Eigentum an dem Kulturgut erlangt und behält dieses auch nach dem Statutenwechsel, auch wenn nach dem neuen Sachstatut an sich die Übergabe und Besitzverschaffung (wie bspw. nach dem Traditionsprinzip) erforderlich gewesen wären.
329
Die voranstehenden Beispiele zeigen, dass das neue Sachstatut bei einem Statutenwechsel die dingliche Rechtslage nicht ohne einen Blick in die Vergangenheit beantworten kann und das neue Forum Kulturgüter immer mit einer bestimmten sachenrechtlichen Prägung vorfindet (sog. Prägungstheorie), die diese unter der Geltung früherer Sachstatute angenommen hatten. Nach diesem sog. Grundsatz der Anerkennung wohlerworbener Rechte (international sog. principle of vested rights) bleiben somit die unter dem alten Statut entstandene Rechtslage und damit die dingliche Sachzuordnung und Einwirkung auf die Eigentumsposition 873
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Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 142–146. Art. 2279 Abs. 2 Code civil: Néanmois celui qui a perdu ou auquel il a été volé une chose peut la revendiquer pendant trois ans, à compter du jour de Ia perte ou du vol, contre celui dans les mains duquel il la trueve; sauf à celui-ci son recours contre celui duquel il la tient. Vgl. ausführlich zu den Möglichkeiten der Ersitzung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 4. Teil. Vgl. zu dem Beispiel auch Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 58–70.
§ 9 Ergebnis: Abgeschlossener Statutenwechsel im internationalen Kulturgüterverkehr
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an Kulturgütern auch nach einem Statutenwechsel in der Regel unberührt. Dies hat für den privatrechtlichen Kulturgüterschutz und mögliche Kunstrestitutionsansprüche der ursprünglichen Eigentümer unrechtmäßig entzogener Kulturgüter zur Folge, dass ebenso wie bei der materiellen Sachzuordnung auch bei internationalen Sachverhalten stets eine chronologische Analyse der möglichen sachenrechtserheblichen Einwirkungen auf Kulturgüter vonnöten ist. (s. Abb. 39) Dies ist auch in folgender, bei Jayme skizzierten Fallkonstellation notwendig: Die als nationales Kulturgut registrierte Ölskizze ‚Tavola Doria‘ von Leonardo da Vinci (1503–1504) gelangte aus dem Besitz der genuesischen Familie Doria Anfang der 1940er Jahre ohne die in Italien vorgeschriebene Ausfuhrgenehmigung in die Schweiz, von dort über mehrere Besitzer nach Deutschland, wo sie schließlich von einem japanischen Kunstsammler erworben wurde. In diesem Fall war die Eigentumsposition an dem Gemälde zu bestimmen, da der japanische Sammler die Skizze gerne wieder in Florenz, an dem Ort ausstellen würde, für den sie ursprünglich bestimmt war. Es wird davon auszugehen sein, dass das italienische Kulturgüterschutzrecht nicht die Veräußerungen erfassen wird, die durch den ausländischen Erwerber im Ausland erfolgten. Auch nach dem italienischen Kollisionsrecht ist das jeweilige Recht des Lageorts maßgebend, sodass die ‚Tavola Doria‘ heute rechtmäßig erworben ist.877
330
Dies gilt auch für Deutschland, wie heute aus Art. 43 Abs. 2 EGBGB ersichtlich wird, wonach eine sachenrechtliche Prägung, also die an Kulturgütern bestehenden dinglichen Rechte, einen Statutenwechsel grundsätzlich überdauern. Wichtigste Rechtsfolge einer abgeschlossenen Sachzuordnung kultureller Güter ist somit – so ausdrücklich der 8. Zivilsenat des deutschen BGH in seiner Entscheidung vom 20.03.1963 schon vor Erlass des Art. 43 Abs. 2 EGBGB im Jahre 1999 –, dass das neue Statut die Kulturgüter „mit der sachenrechtlichen Prägung [übernimmt], die ihr das bisherige Statut verliehen hatte. Grundsätzlich erkennt deshalb das neue Sachstatut ein Recht an der Sache, das nach den Vorschriften des früheren Statuts wirksam entstanden ist, auch in seinem Herrschaftsbereich an.“ In der weltweit bekannten englischen Entscheidung Winkworth v. Christie’s, Manson & Woods aus dem Jahre 1980 stellte die Chancery Division darüber hinausgehend auch für den internationalen Verkehr mit gestohlenen Kunst- und Kulturgütern klar, dass die im internationalen Privatrecht etablierte Regel der ‚vested rights‘ auch im internationalen Handel mit illegal transferierten Kulturgütern, im konkreten Fall im Bereich des gutgläubigen Erwerbs individuell gestohlener Kulturgüter, ihre generelle Anwendung behält: „Once a right has
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877
Vgl. ausführlich zu dieser Konstellation Jayme, Die Rückführung von Kunstwerken zwischen Recht und Wirklichkeit, in: Jayme, Nationales Kunstwerk und Internationales Privatrecht (Vorträge – Aufsätze – Gutachten), 1998, S. 203–213, S. 208–209; Jayme, Gutachten zur Veräußerung der „Tavola Doria“ von Leonardo da Vinci, in: Jayme, Nationales Kunstwerk und Internationales Privatrecht (Vorträge – Aufsätze – Gutachten), 1998, S. 215–224.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
been acquired under the applicable lex rei sitae, this right should not be questioned once the object has changed its situs“.878 332
Innerhalb der weiteren Untersuchungen der Auswirkungen eines positiv abgeschlossenen Tatbestands auf den internationalen Kulturgüterverkehr zeigte sich anhand des schleswig-holsteinischen Münzversteigerungsfalls vom 8.4.1987 das in der Praxis des internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht bedeutsame Problem, wie ausländische, aber in der deutschen Zivilrechtsordnung unbekannte Rechtsinstitute nach einem Statutenwechsel vor deutschen Zivilforen zu behandeln sind. Aufgrund der unterschiedlichen materiell-rechtlichen Ausgestaltungsformen der nationalen Rechtsordnungen ist es nicht ausgeschlossen, dass Kulturgüter in den Geltungsbereich der deutschen Zivilrechtsordnung transferiert werden, an denen für den deutschen Rechtskreis unbekannte Rechtspositionen bestehen. Konkret ging es hier um die Wirkung eines in Deutschland unbekannten Schweizer Lösungsrechts an Kulturgütern und es stellte sich die Frage, ob das Lösungsrecht als wohlerworbenes Recht (hier: aus der Schweizer Rechtsordnung) entsprechend der Prägungstheorie dem Kulturgut „anhaftet“ und auch vor einem deutschen Gericht geltend gemacht werden kann.
333
Nach der inzwischen tradierten Theorie vom ,,Reinigungseffekt“ werden unbekannte ausländische Rechtspositionen nach Verbringung nach Deutschland mit Wirkung auch für künftige Statutenwechsel in ein funktionsähnliches inländisches Recht umgewandelt. Diese Überlegung geht jedoch fehl: Da bei Annahme eines Reinigungseffektes eine dingliche Neubewertung nach Einfuhr in den Geltungsbereich der deutschen Rechtsordnung erfolgt, müsste das Lösungsrecht des gutgläubigen Münzhändlers mit Verbringung ins Bundesgebiet auch mit Wirkung für die Schweizer Rechtsordnung dauerhaft untergehen, selbst wenn die Münzen ohne eine Rechtseinwirkung innerhalb der deutschen Rechtsordnung wieder in die Schweiz zurückgekehrt wären. Die herrschende Meinung folgt heute vielmehr der sog. Transpositionstheorie, wonach mit dem Statutenwechsel zwar eine Umwandlung („Transposition“) in dasjenige inländische Rechtsinstitut erfolgt, das dem ausländischen Recht funktionell am ähnlichsten ist. Diese Umwandlung hat jedoch keine Bestands-, sondern nur eine Wirkungsänderung zur Folge, sodass Rechte, deren Ausübung mit dem neuen Statut unvereinbar sind, nach einem weiteren Statutenwechsel wieder aufleben. Das gleiche Ergebnis wird im internationalen Kulturgüterverkehr auch mit der sog. Hinnahmetheorie erzielt, wonach das ausländische dingliche Recht in seinem Bestand wie auch in den Wirkungen, die ihm nach dem Entstehungsstatut ursprünglich zukommen, grundsätzlich hingenommen wird und hinsichtlich der konkreten Rechtswirkungen ein Rückgriff auf funktionsäquivalente Figuren des deutschen Rechts statt-
878
Winkworth v. Christie, Manson & Woods Ltd., (1980) 1 All ER 1121, (1950) 2 WLR 937 (Ch. D.).
§ 9 Ergebnis: Abgeschlossener Statutenwechsel im internationalen Kulturgüterverkehr
633
findet. In Fällen, in denen kein geeignetes inländisches Rechtsinstitut existiert bzw. Rechtswirkungen bestehen, die der deutschen Rechtsordnung gänzlich fremd sind, oder die Ausübung des Rechts mit zwingenden Verkehrsinteressen unvereinbar erschiene, wird einer ausländischen Rechtsposition jedoch nach beiden Theorien im äußersten Fall jede Wirkung versagt sein. Seit der Reform des deutschen internationalen Privatrechts im Jahre 1999 bestimmt Art. 43 Abs. 2 EGBGB für diese Situation ausdrücklich, dass bei einem schlichten Statutenwechsel einer Sache, an der Rechte begründet sind, und somit auch die im kulturellen Ursprungsstaat erfolgte privatrechtliche Sachzuordnung kultureller Wertgegenstände, „nicht im Widerspruch zu der Rechtsordnung dieses Staates ausgeübt werden“ können. Positiv wird dadurch entsprechend dem Gebot vom Schutz wohlerworbener Rechte bestimmt, dass die unter einem anderen Sachstatut erfolgte dingliche Sachzuordnung kultureller Wertgegenstände den Statutenwechsel im Grundsatz überdauert.879 Negativ legt Art. 43 Abs. 2 EGBGB entsprechend dem Gebot des Verkehrsschutzes, dem im internationalen Sachenrecht eine besondere Bedeutung zukommt, zugleich fest, dass die rechtliche Anerkenntnis und Durchsetzung dieser zivilrechtlichen Einwirkung auf die Eigentumsposition an Kulturgütern unter der Geltung des neuen Sachstatuts beschränkt werden. Im schleswig-holsteinischen Münzversteigerungsfall vom 8.4.1987 blieb das einmal entstandene Lösungsrecht somit bestehen und ist nach dem Transfer der Münzen nach Deutschland nicht wegen des Statutenwechsels wieder untergegangen. Der BGH betonte insbesondere die Parallelen des Lösungsrechts zum dinglichen Zurückbehaltungsrecht des Besitzers gemäß § 1000 BGB, zudem stellt das Lösungsrecht einen auch innerhalb der deutschen Rechtsordnung zu tolerierenden Mittelweg zwischen Eigentümer- und Gutglaubensschutz dar, der innerhalb der deutschen Rechtsordnung auf ähnliche Weise durch den grundsätzlichen Ausschluss des gutgläubigen Erwerbs unrechtmäßig entzogener Sachen bei ausnahmsweise zulässiger Möglichkeit bei einer öffentlichen Versteigerung in § 935
879
Kritisch hierzu Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 354–357, wonach die Übernahme der bestehenden Sachenrechtsverhältnisse zwar nicht auf den Schutz wohlerworbener Rechte zurückgeführt werden könne, „denn dem neuen Statut steht es frei, die unter dem früheren Statut entstandenen Rechte zu verwerfen, umzuformen oder ihre Ausübung zu untersagen. Im Zweifel ist jedoch davon auszugehen, daß das neue Statut mit den bestehenden Sachenrechtsverhältnissen schonend verfährt und in sie nur aus plausiblen Gründen eingreift. Bei der für solche Eingriffe maßgebenden Interessenabwägung spricht für den grundsätzlichen Fortbestand jener Rechtsverhältnisse der wichtige Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes …“ Kritisch äußern sich auch Neuhaus, Die Grundbegriffe des internationalen Privatrechts, 1976, S. 170–174; Lalive, The Transfer of Chattels in the Conflict of Laws, 1955, S. 145, hält die Lehre von den wohlerworbenen Rechten im IPR für „somewhat discredited“.
334
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
BGB gesucht wird. Im Münzversteigerungsfall konnte eine Entscheidung letztendlich jedoch dahingestellt bleiben, weil das Lösungsrecht an den Münzen jedenfalls durch deren im Inland erfolgte Weiterveräußerung und damit aufgrund eines qualifizierten Statutenwechsels im kulturgüterschutzrechtlichen Sinne untergegangen war. 335
Bei Weiterveräußerung eines Kulturguts, auf das sich das Lösungsrecht bezieht, hängt dessen Schicksal nämlich von der Rechtsordnung ab, welche die Weiterveräußerung beherrscht (sog. Frage der Veräußerungsbeständigkeit des Lösungsrechts). Da innerhalb des deutschen Sachenrechts (außerhalb des Anwendungsbereichs des § 935 Abs. 2 BGB) jede Form des Gutglaubensschutzes bei unrechtmäßig entzogenen und damit abhandengekommenen Kulturgütern abgelehnt wird und dementsprechend dem BGB auch die Konstruktion eines Lösungsrechts fremd ist, muss ein im Ausland erworbenes Lösungsrecht bei Weiterveräußerung des abhandengekommenen Kulturguts in Deutschland stets untergehen, gerade auch wenn die Eigentumsübertragung nach § 935 Abs. 1 BGB trotz Gutgläubigkeit des Erwerbers scheitert.
336
Die Kommentierungen zu den positiv abgeschlossenen Tatbeständen im Internationalen Kulturgüterprivatrecht enden mit einer Untersuchung der Rechtswirkungen nationaler Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften vor ausländischen (insbesondere: deutschen) Zivilforen. Nationale Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze kontrollieren bekanntermaßen in unterschiedlicher Intensität und Qualität einen sonst unreglementierten Kunsthandel und zielen mit diesem öffentlich-rechtlichen Resolutionsprogramm auf die Erhaltung und Bewahrung der kulturellen Schöpfung der Nation – des nationalen Kulturpatrimoniums – im eigenen Land. Heute beschreiben diese Schutzmechanismen jedoch nicht mehr nur öffentlich-rechtliche Verbots- und Beschränkungstatbestände (teilweise mit verwaltungsrechtlichem, ordnungswidrigem oder strafrechtlichem Gehalt), sondern suchen die Anwendung, Durchsetzung und Anerkennung des staatlichen Regelungsanliegens zur Erhaltung und Bewahrung des nationalen Kulturpatrimoniums gleichzeitig auch in zivilrechtlichen Sanktionstatbeständen nicht nur innerhalb, sondern insbesondere auch außerhalb der Grenzen des kulturellen Ursprungsstaates und greifen so auf das international anerkannte Sanktionensystem des Zivilrechts und dessen Möglichkeiten der Rechtsdurchsetzung auch vor ausländischen Foren zurück.
337
Öffentlich-rechtliche Anzeige- sowie Mitteilungs-, Vorführungs-, Eintragungsund sonstige Informationspflichten, die staatliche Kontrolle der professionell im Kunsthandel Beteiligten sowie eine kulturelle Besteuerung als indirektes Mittel der Regulation des (internationalen) Kulturgüterverkehrs wirken allein innerhalb der hoheitlichen Beziehung zwischen dem kulturellen Ursprungsstaat und den betroffenen Personen. Diesbezügliche Verstöße werden regelmäßig im Ordnungswidrigkeiten- oder Strafrecht geahndet, ohne dass unmittelbar zivilrechtliche
§ 9 Ergebnis: Abgeschlossener Statutenwechsel im internationalen Kulturgüterverkehr
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Folgen entstünden. Ganz anders verhält sich dies jedoch bei Anwendung nationaler Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze, die sich die dingliche Rechtswirkung der Eigentumsposition zu eigen machen. Zuvörderst ist hier an solche Kulturgüterschutzgesetze zu denken, die eine öffentlich-rechtliche Designation kultureller Güter zu privatrechtlichem Staatseigentum anordnen. Dazu zählen die unterschiedlichen Variationsmöglichkeiten von einem Beschlagnahme- und Konfiskationsrecht, einem Enteignungsrecht, einem staatlichen Erwerbs- und Vorkaufsrecht, dem Rechtsinstitut des sog. Ersatzkaufs sowie einer automatischen Legaldesignation national schützenswerter Kulturgüter zu Staatseigentum: einerseits aufgrund einer generellen Bestimmung näher qualifizierter Kulturgüter zu Staatseigentum (sog. umbrella statutes) und andererseits aufgrund eines automatischen Verfalls kultureller Güter an den Staat bei dem Versuch und in dem Moment der illegalen Ausfuhr (sog. automatic forfeiture clauses oder sog. rhetorical ownership statutes). Bei der Designation kultureller Werte zu Staatseigentum kann nach dem Vorhergesagten eine Unterscheidung zwischen sog. ownership statutes und non ownership statutes vorgenommen werden. Zu den erstgenannten zählen die beschriebenen umbrella statutes sowie automatic forfeiture clauses (auch sog. rhetorical ownership statutes), da hier ohne weitere staatliche Vollzugs- und Hoheitsakte eine Einwirkung auf die Eigentumsposition an dem Kulturgut ipso iure und ex lege erfolgt. Unter die Terminologie non ownership statutes fallen dagegen Vorschriften zur Erhaltung und Bewahrung kultureller Wertgegenstände für den Ursprungsstaat, die einen Verfall kultureller Güter zu Staatseigentum erst nach tatsächlicher Beschlag- und Inbesitznahme im Fall der illegalen Ausfuhr aus dem kulturellen Ursprungsstaat bestimmen, die eine Enteignung kultureller Güter als Rechtsinstrument des Kulturgüterschutzes anordnen, sowie solche Regularien, die staatliche Erwerbs- und Vorkaufsrechte als Mittel zur Bewahrung und Erhaltung national bedeutsamer Kulturgüter normieren. Bei den non ownership statutes ist somit noch eine weitere (hoheitliche) Staatshandlung vonnöten, um die Einwirkung auf die Eigentumsposition zu erreichen. Daneben stehen in den nationalen Kulturgüterschutzgesetzen oftmals die Privatrechtsautonomie einschränkende Möglichkeiten der Kontrolle des internationalen Kulturgüterverkehrs zur Verfügung. Hierzu zählen öffentlich-rechtliche Ausfuhrbeschränkungen aus dem Ursprungs- und Herkunftsstaat, Verbringungs- Veräußerungs-, und Verfügungsbeschränkungen sowie die Deklaration kultureller Güter als res extra commercium, die die öffentlich-rechtliche Verkehrsunfähigkeit bestimmt. Innerhalb der Berücksichtigung nationaler Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften vor ausländischen Zivilforen wurde unter Rdnr. 38 ff. zunächst die bereits ausführlich im 3. Teil des Bandes 1: Illegaler Kulturgüterverkehr des Rechtshandbuchs Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht erörterte Erkenntnis aufgegriffen, dass ausländische Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze außerhalb des Anwendungsbereichs der UNESCO-Convention vom 14. November 1970, der
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
UNIDROIT-Convention vom 24. Juni 1995 sowie der EG-Richtlinie 93/7/EWG vom 15. März 1993 und anderer zwischenstaatlicher Vereinbarungen aufgrund ihrer Qualifikation als öffentlich-rechtliche Vorschriften nach dem Territorialitätsprinzip und dem völkerrechtlichen Souveränitätsgedanken außerhalb des Territoriums des kulturellen Ursprungsstaates de lege lata grundsätzlich nicht anwendbar sind: So wird der deutsche Bundesgerichtshof häufig dahingehend zitiert, dass „ein Staat sich nicht zum Büttel der Hoheitsgewalt eines anderen“ 880 machen dürfe, sodass die Vornahme ausländischer Staatsakte und die direkte Anwendung ausländischer öffentlich-rechtlicher Kulturgüterschutzvorschriften außerhalb des kulturellen Ursprungsstaates nach Ansicht des BGH bereits per se ausgeschlossen sind. 339
Im nächsten Schritt konnte jedoch auf die Erkenntnis zurückgegriffen werden, dass schon heute in bestimmten Konstellationen eine Angleichung des illegalen Exports kultureller Güter an den kulturellen Diebstahlstatbestand möglich ist, wenn die unrechtmäßige Ausfuhr eine Rechtsverletzung der Eigentumsposition des kulturellen Ursprungsstaates darstellt. Dies lässt den Schluss zu, dass zwar keine extraterritoriale Anwendung, jedoch schon de lege lata eine Anerkenntnis und Rechtsdurchsetzung einer aufgrund der nationalen Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze erworbenen Eigentumsposition des kulturellen Ursprungsstaates vor ausländischen Zivilforen möglich ist:
340
Mittels sog. umbrella statutes erfolgt bekanntlich eine generelle Zuweisung des Eigentums einer bestimmten Klasse kultureller Güter (bspw. archäologischer Objekte) an den kulturellen Ursprungsstaat, unabhängig davon, ob diese bereits entdeckt oder ausgegraben worden sind. Nach einer Raubgrabung und anschließender Ausfuhr in einen kulturellen Zielstaat liegt somit nicht nur ein Rechtswidrigkeitsverdikt aufgrund des unrechtmäßigen Exports, sondern auch aufgrund des kulturellen Diebstahls vor, und der kulturelle Ursprungsstaat kann seine Eigentumsposition im Importstaat ebenso geltend machen wie jeder andere Eigentümer. Zivilrechtliche Sanktionen sind auch dann möglich, wenn in dem Moment des Verstoßes gegen das öffentlich-rechtliche Regulationsprogramm eine automatische Legaldesignation der betroffenen Kulturgüter zu Staatseigentum des kulturellen Ursprungsstaates erfolgt. Auch hierdurch ist innerhalb der Rechtsordnung des kulturellen Zielstaates ipso iure eine zivilrechtliche Anerkennung der öffentlich-rechtlichen Designation kultureller Güter zu Staatseigentum zu erkennen. Mittels solcher sog. automatic forfeiture clauses bzw. rhetorical ownership statutes ergibt sich eine Eigentumszuweisung kulturell bedeutsamer Güter an den kulturellen Ursprungsstaat in dem Moment und der Situation der
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BGH, Entscheidung des 2. Zivilsenats vom 18. Februar 1957, Az: II ZR 287/54, BGHZ 23, 333, S. 337.
§ 9 Ergebnis: Abgeschlossener Statutenwechsel im internationalen Kulturgüterverkehr
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illegalen Ausfuhr, d.h., noch bevor die öffentlich-rechtlich geschützten Gegenstände das Territorium und die Staatsgewalt des kulturellen Ursprungsstaates verlassen haben. Es geht also nicht mehr um die Anwendung ausländischen öffentlichen Rechts vor nationalen Zivilforen, sondern um die Anerkennung zivilrechtlicher Rechtspositionen des kulturellen Ursprungsstaates, die dieser innerhalb der Grenzen seiner Hoheitsgewalt und seiner Regelungsweite bestimmte, und um deren Durchsetzung vor einem fremden Zivilgericht. Darüber hinausgehend konnte dann die schwierige und in der Rechtsdogmatik bislang ungelöste Frage nach einer zivilrechtlichen Deutung auch rein öffentlich-rechtlicher Rechtspositionen außerhalb des kulturellen Ursprungsstaates angeschlossen werden. Eingangs wurde hierzu nämlich festgestellt, dass in zahlreichen nationalen Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetzen dem kulturellen Ursprungsstaat nicht das Privateigentum im beschriebenen, klassischen Sinne des (deutschen) Zivilrechts zugewiesen wird, sondern bei sog. domanialen Kulturgütern bspw. in der französischen und italienischen Rechtsordnung oder bei den unterschiedlichen Formen eines dominum emines einiger Kulturgüterschutzgesetze südamerikanischer Staaten die dingliche Rechtsposition an national wichtigen Kulturgütern oftmals rein öffentlich-rechtlich ausgeformt ist. In diesen Konstellationen ist in der Rechtsdogmatik der Versuch unternommen worden, aus den öffentlich-rechtlichen Beschränkungen eine besondere Rechtsstellung des Ursprungsstaates abzuleiten, die als eigenständige Rechtsgrundlage für ein Recht auf Herausgabe von Objekten seines kulturellen Erbes auch vor fremden Zivilforen dienen soll. Innerhalb der Rechtsprechung und Literatur ist aber strittig, ob solche öffentlich-rechtlich gewährten, ‚quasi-dinglichen‘ Rechtspositionen nach einem Statutenwechsel auch im neuen Sachstatut als Mittel der dinglichen Sachzuordnung kultureller Güter an den Herkunftsstaat gedeutet werden können, sodass der letztgenannte nach einer unrechtmäßigen Ausfuhr – bspw. in den deutschen Rechtsraum – als Eigentümer die Vindikation von dem aktuellen Besitzer betreiben könnte.
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Für das richtige Verständnis des vorliegenden Problemkreises sei erneut darauf hingewiesen, dass es hier nicht um die Frage der extraterritorialen Anerkennung und Durchsetzung von Privateigentum des kulturellen Ursprungsstaates geht 881, sondern – quasi diesem vorgelagert – um das kollisionsrechtliche Spezialproblem, ob durch ein nationales Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetz dem Herkunftsstaat zugewiesene Rechtspositionen nach einem Statutenwechsel als Eigen-
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881
Diese Frage sollte inzwischen als geklärt bezeichnet werden können, sodass, wenn alle notwendigen Voraussetzungen vorliegen, eine extraterritoriale Anerkenntnis und Durchsetzung von Privateigentum an Kulturgütern in der Hand des Ursprungsstaates de lege lata erfolgt.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
tumsrecht zu qualifizieren sind. Stoll äußerte diesbezüglich seine Überzeugung, dass selbst ‚schlichte‘ Transferbeschränkungen, wie bspw. Verbringungs- und Ausfuhrverbote in nationalen Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetzen, in eine adäquate Sachenrechtsform des neuen Statuts zu übersetzen seien. Dies würde eine neue öffentlich-rechtliche Kategorie für Kulturgüter begründen, eine vom Eigentum ganz verschiedene Rechtsposition des Staates als ein besonderes sachbezogenes Hoheitsrecht. Dem widerspricht die sog. Theorie von den Eigentumsbeschränkungen, die eine privatrechtliche „Eigentumsteilposition“ 882 mittels der nationalen Kulturgüterschutzgesetze verneint und allein das allgemeine Privateigentum anerkennt, ohne dass spezielle, vom Privateigentum zu unterscheidende, besondere öffentlich-rechtliche Rechtspositionen des kulturellen Ursprungsstaates begründet würden. 343
Vergleichbare Auflockerungstendenzen der strengen Eigentumsdogmatik können in der italienischen Rechtssache Casa della cultura ecuadoriana c. Danusso, Matta e altri vom 25.3.1982 erkannt werden. Das Gericht führte dazu aus, dass es in der italienischen Rechtsterminologie zwar keinen dem ekuadorianischen dominio eminente entsprechenden Begriff gäbe, jedoch sei der Inhalt der ekuadorianischen Gesetze in Bezug auf Erwerb, Ausübung und Beschränkung des Eigentumsrechtes an archäologischen Kulturgütern mit dem italienischen Recht „perfettamente compatibile“ 883. Daher bestünden keinerlei Hindernisse, die unter dem ausländischen Statut begründete öffentlich-rechtliche Kategorie für Kulturgüter in Italien anzuerkennen. Das ekuadorianische dominio eminente wurde vor dem italienischen Zivilforum somit als ein den schlichten Statutenwechsel überdauerndes Recht angesehen, welches völkerrechtliche Legitimation nach dem Territorialitätsprinzip erfährt und nach dem Grundsatz der wohlerworbenen Rechte der lex rei sitae auch innerhalb einer ausländischen Zivilrechtsordnung einen vindikatorischen Eigentumsherausgabeanspruch begründet.
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Nachdem diese in der Theorie des internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts entwickelten Ansätze vor Augen geführt wurden, hat sich die Frage ergeben, ob vergleichbare Tendenzen auch innerhalb der deutschen Rechtsordnung vor Gericht Gehör finden könnten und was nach einem Wechsel eines ekuadorianischen dominio eminente in eine Rechtsordnung (wie bspw. Deutschlands) passiert wäre, die kein vergleichbares Rechtsinstitut für Kulturgüter kennt. Richtigerweise stünde aber wohl auch einem deutschen Gericht dieselbe Entscheidung wie dem Tribunale di Torino in der Danusso-Konstellation offen. Das deutsche öffentliche Sachenrecht kennt zwar seit den Entscheidungen
882
883
So die Formulierung bei Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 71–101. Casa della cultura ecuadoriana c. Danusso, Tribunale di Torino, 25. März 1982, 18 Rivista di diritto internazionale privato e processuale, S. 625 (1982), S. 632–633.
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zum Hamburger Stadtsiegel-Fall keine vergleichbare Rechtsposition für Kulturgüter, jedoch nach den landesrechtlichen Spezialgesetzen für andere Rechtsobjekte, wie bspw. zu „öffentlichen Sachen“ gewidmete Objekte im Straßen-, Wasser-, Wege- und Deichrecht. Nach der überwiegend vertretenen sog. Lehre vom modifizierten Privateigentum besteht trotz eines unzweifelhaft öffentlich-rechtlichen Sachstatuts an den ‚öffentlichen Sachen‘ zugleich ein zivilrechtliches Eigentum im Sinne des § 903 BGB, unabhängig davon, ob der öffentliche Sachherr selbst Eigentümer ist oder nicht.884 Soweit die durch die Widmung bestimmte Zweckbindung der öffentlichen Sache reicht, werden jedoch die Rechte des Eigentümers durch die Herrschaft des öffentlichen Sachherrn im Sinne einer sog. ‚öffentlich-rechtlichen Dienstbarkeit‘ überlagert. Die Widmung eines Gutes zu einer ‚öffentlichen Sache‘ begründet somit eine öffentlich-rechtliche Sachherrschaft, die als beschränkt dingliches Recht, als sog. Dienstbarkeit des öffentlichen Rechts, auf dem Eigentum lastet, auf den Rechtsnachfolger im Eigentum übergeht und insbesondere einen gutgläubigen, lastenfreien Erwerb (§ 936 BGB) oder eine lastenfreie Ersitzung (§ 947 BGB) ausschließt.885 Inhalt der Dienstbarkeit ist die Verpflichtung des jeweiligen Eigentümers, die Benutzung der öffentlichen Sache im Rahmen und im Umfang der durch die Widmung bestimmten Zweckbindung zu dulden. Die Widmung gibt dem öffentlichen Sachherrn ein Besitzrecht im Sinne des § 986 BGB, das dem vindikatorischen Herausgabeanspruch des Eigentümers gemäß § 985 BGB entgegensteht. Umgekehrt kann der öffentliche Sachherr entsprechend § 985 BGB vom Eigentümer oder einem Dritten, der die Sache in Besitz hat, den Gegenstand herausverlangen, wenn dies zur Erfüllung des Widmungszwecks erforderlich ist.886
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Die deutsche Rechtsordnung würde auch die Qualifizierung deutscher Kulturgüter als öffentliche Sachen erlauben, wenn eine formelle Rechtsgrundlage hierfür bereitstünde. Vor diesem Hintergrund dürfte die Rechtskonstruktion eines dominio eminente Ekuadors, das die beschriebenen Rechtswirkungen – im Gegensatz zu dem deutschen Kulturgüterschutzsystem – für sein nationales Kulturerbe ex lege bestimmt, auch vor einem deutschen Gericht Anerkennung finden. Abschließend wurde innerhalb der Frage nach einer zivilrechtlichen Deutung auch rein öffentlich-rechtlicher Rechtspositionen außerhalb des kulturellen Ursprungsstaates noch die englische Entscheidung Government of the Islamic Republic of Iran v. The Barakat Galleries Limited vom 21. Dezember 2007 des Londoner Court of Appeal kommentiert, die weltweit eine Sonderstellung und Vorreiterrolle ein-
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Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 355–365. Papier, Recht der öffentlichen Sachen, 3. Aufl. 1998, S. 10. Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 49.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
nimmt, da schon die Summe der dem kulturellen Ursprungsstaat zustehenden Rechtspositionen als Grundlage eines Rückführungsanspruchs illegal aus der Jiroft-Region ausgegrabener und aus dem Iran ausgeführter Kulturgüter genügte, ohne dass dem Ursprungsstaat eine zivilrechtliche Eigentumsposition seitens seines nationalen Kulturgüterschutzgesetzes zustand. Der Court of Appeal berief sich ausdrücklich auf den „cumulative effect of the relevant Iranian statutory provisions [that] is to vest ownership of the antiquities“ 887. „Iran’s personal rights in relation to antiquities found were so extensive and exclusive that Iran was properly to be considered the owner of the properties found.“ 888 Zusätzlich erklärte der Court of Appeal, dass selbst dann Besitzrechte ausreichen können, um deliktisch begründete Herausgabeklagen (sog. conversion claim) zu erheben. 347
Während im voranstehenden Punkt B. die Rechtsprobleme des internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts nach einer (positiv oder negativ) abgeschlossenen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter Erläuterung fanden (d.h. der sachenrechtliche Tatbestand war nach der Rechtsordnung des kulturellen Ursprungsstaates bereits vollständig verwirklicht), ist sich nun im nachstehenden Punkt C. mit den Auswirkungen und Rechtsfolgen einer nicht abgeschlossenen Sachzuordnung kultureller Güter nach einem Statutenwechsel zu beschäftigen.
C. Nicht abgeschlossene Sachzuordnung kultureller Güter 348
In einem sog. „offenen Statutenwechsel“ 889 ist zur Herbeiführung des Eigentumserwerbs an einem (bspw. unrechtmäßig entzogenen) Kulturgut noch mindestens ein weiterer sachenrechtlich relevanter Teilakt notwendig.890 D.h., die letzte Voraussetzung, die zur Vollendung des Eigentumserwerbs und damit zur Änderung der dinglichen Rechtslage an einem Kulturgut erforderlich ist, steht noch aus.891 Mit solchen sog. gestreckten Sachverhalten 892 sind somit Konstellationen erfasst, in denen die Rechtsfolge nicht an einen zeitlich genau bestimmten und begrenz-
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Government of the Islamic Republic of Iran v. The Barakat Galleries Limited, (2007) EWCA Civ 1374, Case No: A2/2007/0902/QBENF, A2/2007/0902(A)/FC3. Government of the Islamic Republic of Iran v. The Barakat Galleries Limited, (2007) EWCA Civ 1374, Case No: A2/2007/0902/QBENF, A2/2007/0902(A)/FC3, Rdnr. 80. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 127–130. Vgl. auch Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 169–174. So ausdrücklich Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 127–130. Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 171.
2. Abschnitt: Statutenwechsel im internationalen Kulturgüterverkehr
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ten Tatbestand anknüpft, sondern der sachenrechtliche Tatbestand im ersten Belegenheitsstaat nach dessen Recht noch nicht vollständig verwirklicht ist (sog. qualifizierter Statutenwechsel im kollisionsrechtlichen Sinn) und zu diesem Zeitpunkt das Kulturgut in einen anderen Staat und somit in eine neue Sachenrechtsordnung transferiert wird.893 Bspw. sind unter der Geltung des alten Statuts noch nicht sämtliche Voraussetzungen der dinglichen Rechtsänderung erfüllt, wenn ein Österreicher Anfang des Jahres 1986 von einem Dieb guten Glaubens eine gestohlene Madonnenstatue erwirbt.894 Verlegt der Käufer im Jahre 1990 seinen Wohnsitz nach München und nimmt „seine“ Madonna mit, liegt ein Statutenwechsel vor. Erfährt nun Anfang des Jahres 1997 der bestohlene Eigentümer vom Verbleib der Statue und verklagt den Erwerber in Deutschland auf Herausgabe, wird dieser vor Gericht einwenden, er habe das Eigentum an der Madonna durch Ersitzung erworben. Unter Geltung der österreichischen lex rei sitae, d.h. bis zur Übersiedlung des Erwerbers nach München, wurde der Eigentumserwerb durch Ersitzung jedoch noch nicht abgeschlossen, da die Ersitzungsfrist für bewegliche Sachen nach §§ 1453, 1455, 1460, 1476 ABGB sechs Jahre beträgt.895 Mithin liegt in dem Beispielsfall ein offener Tatbestand vor.
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Da die nationalen Rechtsregeln des Eigentumserwerbs an (unrechtmäßig entzogenen) Kulturgütern in den unterschiedlichen Rechtsordnungen deutlich divergieren,896 sind solche Konstellationen, in denen die Eigentumsübertragung sich aus mehreren Rechtsakten zusammensetzt und währenddessen das Kulturgut in den Geltungsbereich einer anderen Rechtsordnung verbracht wird, rechtlich schwieriger als abgeschlossene Kulturguterwerbstatbestände zu erfassen.897 In erster Linie ist hier an die unterschiedlichen materiell-rechtlichen Voraussetzungen des
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Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S.79–84, weist auf das Beispiel hin, dass ein Kulturgut von Italien nach Deutschland verkauft wird, also ebenfalls in ein Land mit Traditionsprinzip, so ist möglich, dass die dingliche Einigung in Italien, die Übergabe aber erst in Deutschland erfolgt. Vgl. zu diesem konstruierten Beispiel Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 523– 530. Näher zur Mobiliarersitzung im österreichischen Recht: Gschnitzer, Österreichisches Sachenrecht, 1985, S. 117–120. Vgl. ausführlich hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel. Für einen Überblick dazu bspw. die rechtsvergleichende Übersicht bei Reichelt, International Protection of Cultural Property (Second Study) – La protection internationale des biens culturels (Deuxième étude), Uniform Law Review/Revue de droit uniforme, 1988 I, S. 52 ff., S. 156 ff. Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 79–84.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
gutgläubigen rechtsgeschäftlichen Erwerbs sowie der originären Eigentumsersitzung und Verjährung und Verwirkung dinglicher Restitutionsansprüche zu denken. 351
Insbesondere gestaltet sich die rechtliche Bewertung aber auch deshalb schwierig, weil innerhalb des rechtsgeschäftlichen Eigentumserwerbs zwischen Sachenrechtsordnungen einerseits mit einem Trennungs- und Abstraktionsprinzip und andererseits mit einem Konsensprinzip zu unterscheiden ist. Hier kann die Verknüpfung des dinglichen Erwerbsvorgangs mit dem obligatorischen Grund- bzw. Kausalgeschäft, die in zahlreichen Rechtsordnungen vorgesehen ist, die Beurteilung dinglicher Vorgänge im internationalen Kunsthandel nach einem Statutenwechsel erheblich erschweren.898 Bekanntermaßen sind solche Rechtssysteme – wie bspw. die deutsche und griechische Zivilrechtsordnung – in der Minderzahl, denen das Trennungs- und Abstraktionsprinzip zugrunde liegt.899 Für die Eigentumsübertragung bedarf es hier einer Einigung sowie einer Übergabe (oder deren Surrogate), ohne dass ein schuldrechtliches Verpflichtungsgeschäft (etwa ein Kulturgutkauf) als causa dem Eigentumserwerb zugrunde liegen muss. In eine vergleichbare Richtung gehen die Rechtsregeln solcher Common LawRechtsordnungen, die für den Eigentumsübergang eine dingliche Einigung voraussetzen.900 Rechtsordnungen mit einem sog. kausalen Traditionsprinzip (wie bspw. in Österreich 901 und der Schweiz 902) setzen dagegen neben einem wirksamen Schuldverhältnis als Rechtsgrund zusätzlich die Besitzverschaffung zur Anerkennung des Eigentumsübergangs voraus.903 Anders stellt sich wiederum die rechtliche Beurteilung einer Veräußerung kultureller Wertgegenstände im internationalen Kunsthandel bei Beteiligung solcher Rechtsordnungen – wie beispielsweise der französischen 904 – dar, die dem sog. Konsensprinzip folgen und eine Eigentumsübertragung in der Regel schon nach Abschluss des kulturellen Kaufvertrages annehmen.905
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Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 79–84. Neben Deutschland ist insbesondere auf Griechenland zu verweisen, vgl. Art. 1033 f. griechisches ZGB. Vgl. zum Ganzen auch Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 79–84. Vgl. in Großbritannien Sec. 17 und 18 des Sale of Goods Act 1979. Ähnlich für die USA der United States Uniform Commercial Code § 2-401; § 2-501. Vgl. zum Ganzen Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 79–84. §§ 380, 424 österreichisches ABGB. Art. 714 schweizerisches ZGB. Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 79–84. Art. 711, 1138 Code civil. Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 79–84.
2. Abschnitt: Statutenwechsel im internationalen Kulturgüterverkehr
Vor diesem Hintergrund lassen sich innerhalb des internationalen Kulturgüterverkehrs, ebenso wie innerhalb des sonstigen internationalen Warenverkehrs, drei unterschiedliche Konstellationen des gutgläubigen rechtsgeschäftlichen oder originären Eigentumserwerbs und der Verjährung und Verwirkung kultureller Restitutionsansprüche unterscheiden: 906 Denkbar ist (erstens), dass die sachenrechtliche Zuordnung von Kulturgütern sowohl aus der Sicht des alten, als auch nach der Bewertung des neuen Statuts noch nicht abgeschlossen war. Beurteilen altes und neues Sachstatut dagegen die Abgeschlossenheit oder Offenheit der sachenrechtlichen Zuordnung kultureller Wertgegenstände unterschiedlich, ist danach eine Unterscheidung zu treffen, ob (zweitens) das alte Sachstatut die dingliche Einwirkung auf die Rechtsposition an Kulturgütern als noch offen, das neue Sachstatut dagegen als positiv oder negativ abgeschlossen betrachtet, oder (drittens) das alte Sachstatut die sachenrechtliche Zuordnung kultureller Güter als abgeschlossen ansieht, während das neue Sachstatut die dingliche Sachzuordnung von Kulturgütern dagegen als noch offen qualifiziert.907 Welche Rechtsordnung in den jeweiligen Konstellationen und Typen eines Statutenwechsels nun über die dingliche Sachzuweisung kultureller Güter im internationalen Kulturgüterverkehr zu entscheiden hat, verlangt nähere Erläuterung.
I.
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352
Sachzuordnung eines Kulturguts sowohl aus Sicht des alten als auch des neuen Statuts noch nicht abgeschlossen
Das „Schulbeispiel“ für die Konstellation, dass die dingliche Sachzuordnung eines Kulturguts sowohl aus Sicht des alten als auch des neuen Statuts noch nicht abgeschlossen ist, stellt die Ersitzung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter dar. Diese Variante eines nicht abgeschlossenen Kulturguterwerbs erfasst in der Praxis des internationalen Kulturgüterverkehrs vornehmlich Konstellationen, in denen eine Person ein zuvor unrechtmäßig entzogenes Kunstwerk schon in einem anderen Staat längere Zeit gutgläubig in Eigenbesitz gehabt hatte und vor Ablauf der nach dem Recht dieses Staates geltenden Ersitzungsfrist mit dem Kulturgut in einen anderen Staat umzog, nach dessen Recht die Ersitzungsfrist ebenfalls noch nicht abgelaufen war.908 Ein Beispiel innerhalb des internationalen Kulturgüterverkehrs, bei dem der Eigentumserwerb an einem Kulturgut zum Zeitpunkt des
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643
Vgl. zu der Unterscheidung auch Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 131–133. Vgl. zu der Unterscheidung auch Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 131–133. Vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 160–162.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Statutenwechsels sowohl aus Sicht des alten wie auch des neuen Sachstatuts noch offen ist, ist in dem oben konstruierten Madonnen-Fall 909 nach der Übersiedlung des Erwerbers mit der Statue nach München im Jahre 1990 zu sehen, da weder die Ersitzungsfrist Österreichs noch die zehnjährige Zeitspanne des § 937 BGB nach der deutschen Rechtsordnung abgelaufen ist. Ein anderes Beispiel für diese Konstellation ist gegeben, wenn bei einem internationalen Kulturgütertransfer altes wie neues Sachstatut bei der Eigentumsübertragung vom Traditionsprinzip ausgehen und die Einigung im Ausgangsstaat, die Übergabe dagegen im Bestimmungsstaat erfolgt.910
1. 354
Alleinige Zuständigkeit des neuen Sachstatuts
Für diese Konstellationen sind sich das Schrifttum 911 und die Rechtsprechung 912 einig, dass für die Vollendung der dinglichen Sachzuordnung eines Kulturguts (und 909 910
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Vgl. 3, 349. Vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 160–162. So die allgemeine Meinung vgl. m.w.N. Baldus in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 6 Sachenrecht: §§ 854–1296, 4. Aufl. 2006, § 943, Rdnr. 8–14; Kunze, Restitution „Entarteter Kunst“ – Sachenrecht und Internationales Privatrecht, 2000, S. 143 bis 149; Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 353; Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rdnr. 60 m.w.N.; Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 523–530; Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 160–162; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 169–174; Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 483 f.; Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 73; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 210–214; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 36–43; Kreuzer, Die Vollendung der Kodifikation des deutschen Internationalen Privatrechts durch das Gesetz zum Internationalen Privatrecht der außervertraglichen Schuldverhältnisse und Sachen vom 21.5.1999, RabelsZ 65 (2001), S. 383–462, S. 449; Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 58–70; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 79–84; von Schorlemer, Internationaler Kulturgüterschutz – Ansätze zur Prävention im Frieden sowie im bewaffneten Konflikt, 1992, S. 537; Jayme, „Entartete Kunst“ und Internationales Privatrecht, 1994, S. 26 f.; Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes, 1994, S. 125. So BGH, Urteil des 2. Zivilsenats vom 29.05.2000, Az.: II ZR 334/98, IPRspr 2000, Nr. 43, S. 91–94 (Genehmigung der Verfügung eines Nichtberechtigten nach Wechsel des Lageorts).
2. Abschnitt: Statutenwechsel im internationalen Kulturgüterverkehr
damit bspw. des originären Eigentumserwerbstatbestandes) allein das neue Sachstatut zuständig ist.913 Ein offener Tatbestand beurteilt sich in seiner Gesamtheit nach dem neuen Statut. Das neue Statut entscheidet über den gesamten Erwerbsvorgang, wenn die Ersitzungsfrist im alten Statut noch nicht abgelaufen war. Dem neuen Statut ist zu entnehmen, ob eine bewegliche Sache der Ersitzung zugänglich ist und wie lange die Ersitzungsfrist andauert.914 Das neue Statut entscheidet auch darüber, ob eine unter dem alten Statut abgelaufene Besitzzeit anzuerkennen und eine Hemmung oder Unterbrechung nach dem alten Statut zu beachten ist.915 In der Regel wird das neue Statut die Bewertung des alten Statuts hinnehmen, weil sich die Beteiligten während der Herrschaft des Statuts auf dieses einzurichten hatten.916 Genauso wird die Verjährung des Vindikationsanspruchs behandelt, zumal manche Rechtsordnungen zwischen Ersitzung und Verjährung nicht genau unterscheiden.917 Für den Madonnen-Fall steht somit fest, dass allein das neue Sachstatut und damit die deutsche Rechtsordnung über
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Dagegen wurde geltend gemacht, man könne Handlungen am alten Lageort nicht berücksichtigen, da man sonst in die alleinige Zuständigkeit des alten Lagestatuts eingreife. Vgl. Rabel/Raiser, Eine Entscheidung des Deutsch-Englisch-gemischten Schiedsgerichts über den Versendungskauf, RabelsZ 3 (1929) S. 62 ff., S. 67 f. Dies ist schon deshalb nicht der Fall, weil der nicht abgeschlossene Tatbestand (in unserem Fall die dingliche Einigung) nichts weiter als ein rechtlich unselbständiges Element ist, mit dem alleine die Rechtsordnung des Herkunftsstaats noch nichts anfangen kann. Auf diese Unselbständigkeit weisen Rabel/Raiser, S. 69, selbst hin; zum Ganzen Lüderitz in Materialien zum Ausländischen und Internationalen Privatrecht, 1972, S. 193 ff. Die Berücksichtigung bereits verwirklichter Tatbestandsteile entspricht hingegen dem Interesse der Parteien, die andernfalls das Geschäft am neuen Lageort vollständig wiederholen müssten. Auch Drittinteressen werden gewahrt, da die am alten Lageort vorgenommenen Rechtshandlungen für jeden wahrnehmbar sind. Vgl. zum Ganzen Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 79–84. Vgl. Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rdnr. 31 und 77; Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 271; Strauch, Rechtsverhältnisse an Kulturgütern im Internationalen Sachenrecht, 2007, S. 139–142; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 44–51. Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rdnr. 77; Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 273; zur Ersitzung ausführlich Kunze, Restitution „Entarteter Kunst“ – Sachenrecht und Internationales Privatrecht, 2000, S. 143 ff. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 273. Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 210–214; Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 271.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
die maßgebliche Ersitzungsfrist bzw. die zum endgültigen Eigentumsübergang erforderlichen Schritte entscheidet.918 355
Innerhalb der kulturgüterspezifischen Rechtsprechung wurde dies ausdrücklich in der Entscheidung der II. Zivilabteilung des Schweizerischen Bundesgerichts in der Rechtssache Koerfer gegen Goldschmidt vom 13. Dezember 1968 919 bestätigt. Der jüdische Sammler Goldschmidt war bereits im Jahre 1931 in wirtschaftliche Bedrängnis geraten und musste zahlreiche Gemälde, die später nach Ende des Zweiten Weltkrieges Gegenstand seiner Restitutionsforderungen wurden, einer Bank sicherungsübereignen. Nachdem im Januar 1941 seine deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt und sein Vermögen als dem Deutschen Reich verfallen erklärt worden war, versteigerte das Finanzamt Moabit – gegen heftigen Protest der sicherungsnehmenden Bank – die Bilder, da es die Werke lediglich als verpfändet ansah. Auf dieser Versteigerung erwarb Jakob Koerfer die umstrittenen Gemälde ‚Le premier tricot‘ und ‚Dans la loge‘ von Toulouse-Lautrec und verbrachte sie in der Folge in die Schweiz. Dort verlangten die Rechtsnachfolger Goldschmidts die Restitution der Gemälde aufgrund fortbestehenden Eigentums. Das Schweizerische Bundesgericht hatte unter anderem festzustellen, welche Rechtsordnung auf die Frage Anwendung fand, ob die potenziellen Restitutionsschuldner durch Ersitzung Eigentümer der Bilder geworden sind. Das zuständige Schweizer Gericht lehnte im Ergebnis die Klage ab. Unter anderem stellte sich für das Bundesgericht die Frage, ob die potenziellen Restitutionsschuldner durch Ersitzung Eigentümer der Gemälde geworden sind. Dabei konnte es offenlassen, ob die Beschlagnahme und Versteigerung der Bilder durch die Nationalsozialisten nichtig gewesen seien oder Koerfer gutgläubig Eigentum
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Vgl. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 353; Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 160–162. Koerfer v. Goldschmidt, II. Zivilabteilung des Schweizerischen Bundesgerichts, Urteil vom 13. Dezember 1968; Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts aus dem Jahre 1968, Amtliche Sammlung, 94. Band, II. Teil: Zivilrecht, (BGE) 94 II, S. 297 ff. [Tribunal fédéral, 2ème Cour civile – 13 décembre 1968 – Koerfer contre Goldschmidt – ATF 94 II 297, Journal des Tribunaux 1970 I 176]. Vgl. hierzu Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 169–174; Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 78–81; von Schorlemer, Internationaler Kulturgüterschutz – Ansätze zur Prävention im Frieden sowie im bewaffneten Konflikt, 1992, S. 537 f.; Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes, 1994, S. 126 f.; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 164; Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 58–70; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 210–214.
2. Abschnitt: Statutenwechsel im internationalen Kulturgüterverkehr
647
daran erworben habe. In jedem Fall sei aber ein Eigentumsübergang durch Ersitzung nach Schweizer Recht eingetreten. Diesbezüglich entschied das Gericht, dass für die Ersitzung, solange sich die Bilder bei Jakob Koerfer in Deutschland befanden (September 1941 bis Dezember 1944), das deutsche Recht als das Recht der damaligen Ortslage maßgebend war.920 Die Bilder wurden jedoch in die Schweiz transferiert, bevor nach deutschem Recht Ersitzung eingetreten sei. Ob und wann sich die Ersitzung vollendet habe, beurteile sich nach dem Ortswechsel nach Schweizer Recht. Danach hätten Koerfers Kinder nach Art. 728 Abs. 1 ZGB Eigentum erworben, weil sie die Werke für mehr als fünf Jahre ununterbrochen, unangefochten und in gutem Glauben in Besitz gehabt hätten.921 Die II. Zivilabteilung des Schweizerischen Bundesgerichts bestätigte somit, dass sich die Ersitzungsfrist, die nach dem Recht des alten Belegenheitsstaates noch nicht abgelaufen ist, nach einem Statutenwechsel nach dem neuen Belegenheitsrecht bemisst.
2.
Ausdrückliche Berücksichtigung von Auslandssachverhalten nach Art. 43 Abs. 3 EGBGB
Eine andere Frage ist jedoch, ob die im alten Belegenheitsstaat abgelaufene Zeit bei der Ersitzungsfrist des neuen Sachstatuts angerechnet wird. Von besonderer Praxisrelevanz ist in den Fällen des internationalen Kulturgüterverkehrs (insbesondere mit unrechtmäßig entzogenen Objekten) somit darüber hinausgehend jedoch regelmäßig die Frage, ob bspw. die in Österreich vom gutgläubigen Erwerber der Statue im Madonnen-Fall oder die in Deutschland in der Rechtssache Koerfer gegen Goldschmidt vom 13. Dezember 1968 „abgesessene“ Zeit bzw. eine im Ausland erfolgte Einigung über den Eigentumsübergang berücksichtigt werden können. Mit anderen Worten stellt sich die Frage einer Anrechnung solcher Teilakte, die im Ausland unter der Geltung des alten Sachstatuts vollzogen wurden.922
a)
Anrechnung ausländischer Ersitzungsfristen in Koerfer gegen Goldschmidt vom 13. Dezember 1968
Auch hier herrscht weitgehend Entscheidungseinklang und es wird einmütig davon ausgegangen, dass das neue Sachstatut nicht nur über die Vollendung des sachenrechtlichen Tatbestands, sondern auch über die Anerkennung von unter der
920 921 922
356
Koerfer v. Goldschmidt, (BGE) 94 II, S. 297 ff. Vgl. auch Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 169–174. Vgl. ausführlich hierzu die Ausführungen bei Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 160–162; Jaeger, Internationaler Kulturgüterschutz – Rechtslage, Rechtspraxis, Rechtsfortentwicklung, 1994, S. 57–106.
357
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Geltung des alten Statuts verwirklichten Tatbestandsmerkmalen entscheidet.923 „Diese Rechtsordnung ist auch dann allein kollisionsrechtlich kompetent, wenn der für die Ersitzung oder Verjährung notwendige Tatbestand teilweise in einem anderen Rechtsgebiet verwirklicht wurde.“ 924 Per obiter dictum stellte auch die II. Zivilabteilung des Schweizerischen Bundesgerichts in der Rechtssache Koerfer gegen Goldschmidt vom 13. Dezember 1968 925 fest, dass die Zeit des Besitzes in Deutschland grundsätzlich auf die schweizerische Frist anzurechnen sei.926 Diese Kompetenzverteilung bedeutet, dass ein unter dem alten Statut begonnener Eigentumserwerb an (unrechtmäßig entzogenen) Kulturgütern, der jedoch im alten Statut nicht abgeschlossen war, nach dem Statutenwechsel nur insofern wirksam werden kann, als es das neue Statut zulässt.
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Für den Fall, dass eine Ersitzungsfrist nach dem Recht des alten Belegenheitsstaates noch nicht abgelaufen ist, bemisst sich die Ersitzungsfrist nach der Ortsverlagerung nun nach den Rechtsregeln des neuen Belegenheitsstaates, wobei die im alten Belegenheitsstatut bereits verstrichene Zeit bei der Beurteilung der Ersitzung nach dem neuen Sachstatut anzurechnen ist. Vgl. aus dem Schrifttum j.m.w.N. Baldus in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 6 Sachenrecht: §§ 854–1296, 4. Aufl. 2006, § 943, Rdnr. 8–14; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 169–174; Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 484; Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193– 224, S. 194 f.; Jayme, „Entartete Kunst“ und Internationales Privatrecht, 1994, S. 31 f.; Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes, 1994, S. 127; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 164; Strauch, Rechtsverhältnisse an Kulturgütern im Internationalen Sachenrecht, 2007, S. 139–142; Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 353; Hoffmann/ Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 523–530. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 272–273. Koerfer v. Goldschmidt, Bundesgericht vom 13. Dezember 1968; Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts aus dem Jahre 1968, Amtliche Sammlung, 94. Band, II. Teil: Zivilrecht, (BGE) 94 II, S. 297–312, S. 305 [Tribunal fédéral, 2ème Cour civile – 13 décembre 1968 – Koerfer contre Goldschmidt – ATF 94 II 297, Journal des Tribunaux 1970 I 176.]. Weitere Quellen hierzu: Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 164. Vgl. dazu Symeonides, On the Side of the Angels: Choice of Law and Stolen Cultural Property, in: Basedow/Meier/Schnyder/Einhorn/Girsberger, Private Law in the International Arena. From National Conflict Rules Towards Harmonization and Unification, Liber Amicorum Kurt Siehr, 2000, S. 747–761, S. 756 f.; Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 79 ff.; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 172; von Schorlemer, Internationaler Kulturgüterschutz – Ansätze zur Prävention im Frieden sowie im bewaffneten Konflikt, 1992, S. 537 f.; Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 58–70. Heute regelt diese Frage Art. 102 Abs. 1 des Schweizer IPRG.
2. Abschnitt: Statutenwechsel im internationalen Kulturgüterverkehr
649
Rechtskonstruktiv ist dabei zweierlei denkbar: Das neue Statut mag tolerieren, dass sich nach dem Statutenwechsel der im alten Statut initiierte Eigentumserwerb an einem Kulturgut nun im neuen Statut vollendet und gemäß dem alten Statut Rechtswirkungen entfaltet (Hinnahme der Wirkung des alten Statuts) 927, oder es mag das neue Statut selbst eine Rechtsänderung vorschreiben, indem es Tatbestandsteile, die sich vor Beginn seiner Herrschaft außerhalb seines Geltungsbereichs ereignet haben (etwa Ablauf der Ersitzungs- oder Verjährungsfrist unter dem früheren Statut), als Auslandssachverhalt in die sachenrechtliche Bewertung miteinbezieht, den Vorgang also so bewertet, als habe sich der gesamte Sachverhalt unter der Herrschaft des neuen Statuts zugetragen.928 Das hat zur Folge, dass unter Geltung des alten Sachstatuts verwirklichte Tatbestandsmerkmale bei der Anwendung der neuen lex rei sitae als Auslandssachverhalt berücksichtigt werden.929
358
Für das deutsche Recht ordnet i.S.d. letztgenannten Alternative der als einseitige Kollisionsnorm 930 formulierte Art. 43 Abs. 3 EGBGB als „Spezialvorschrift“ 931 für offene sachenrechtliche Tatbestände nunmehr ausdrücklich an, dass bei einem gestreckten Erwerbstatbestand Vorgänge in einem anderen Staat „wie inländische“ zu berücksichtigen sind. Die Vorschrift ist damit eine materiellrechtliche Norm, die nach einem Statutenwechsel eines Kulturguts ins Inland die Anwendung des deutschen Sachenrechts auf einen Auslandssachverhalt anordnet.932 Die Regelung bezieht sich dabei ausdrücklich nur auf den Fall, dass
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Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 353, weist diesbezüglich darauf hin, dass sich bspw. der Eigentumserwerb eines Finders nach dem am Fundort geltenden Recht vollenden sollte, selbst wenn die Sache vor Ablauf der von dieser Rechtsordnung vorgeschriebenen Wartefrist in ein anderes Rechtsgebiet gelangt, das den Eigentumserwerb von engeren Voraussetzungen abhängig macht. So Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 353. So Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rdnr. 60. BT-Drs. 14/343, S. 16; Pfeiffer, Der Stand des Internationalen Sachenrechts nach seiner Kodifikation, IPRax 2000 (Heft 4), S. 271–285, S. 273; Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 523–530. A.A. (internationalprivatrechtliche Sachnorm für Auslandssachverhalte): Kreuzer, Die Vollendung der Kodifikation des deutschen Internationalen Privatrechts durch das Gesetz zum Internationalen Privatrecht der außervertraglichen Schuldverhältnisse und Sachen vom 21.5.1999, RabelsZ 65 (2001), S. 383–462, S. 449, kritisch auch Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 160 ff.; Pfeiffer, Der Stand des Internationalen Sachenrechts nach seiner Kodifikation, IPRax 2000 (Heft 4), S. 271–285, S. 272–274. So ausdrücklich Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 8–10. Vgl. Stoll, Zur gesetzlichen Regelung des internationalen Sachenrechts in Artt. 43–46 EGBGB, IPRax 2000 (Heft 4), S. 259–270, S. 261–264.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
ein Kulturgut vom Ausland ins Inland gelangt: Ein im Ausland für bestimmte Zeit ausgeübter Eigenbesitz ist bei der Berechnung der Frist, die für die im Inland eintretende Ersitzung (§ 937 Abs. 1 BGB) verstrichen sein muss, anzurechnen.933 Das hat bspw. für den Madonnen-Fall zur Folge, dass aufgrund des Art. 43 Abs. 3 EGBGB das deutsche Recht im Rahmen des § 937 Abs. 1 BGB die Zeit, während der der Erwerber die Statue in Österreich in Eigenbesitz hatte, auf die Ersitzungszeit in Deutschland anrechnet,934 sodass die erforderliche Zeit von zehn Jahren verstrichen ist und der Erwerber nunmehr Eigentümer der Madonnenstatue ist.935 Soweit ein Teilakt in einem Rechtsgeschäft besteht (z.B. dingliche Einigung über den Eigentumsübergang an einem Kulturgut), wird man Art. 43 Abs. 3 EGBGB zusätzlich entnehmen dürfen, dass dieses Rechtsgeschäft im Rahmen der Anwendung deutschen Sachrechts nicht als Teilfrage bzw. Vorfrage gesondert angeknüpft werden muss: Insofern als der Auslandsbezug i.S.d. Art. 3 Abs. 1 EGBGB nur durch den Ort begründet wird, an dem sachenrechtlich relevante Vorgänge stattgefunden haben, wird er hinweggedacht und der gesamte Sachverhalt wie ein reiner Inlandssachverhalt behandelt.936 Die Anrechnungsnorm des Art. 43 Abs. 3 EGBGB bezweckt somit die Überwindung konstruktiver Schwierigkeiten in den Fällen, in welchen eine bewegliche Sache vor Vollendung eines im Ausland begonnenen Erwerbs ins Inland gelangt.937 360
Aus der von Girsberger erarbeiteten rechtsvergleichenden Studie zur „Verjährung und Verwirkung im internationalen Obligationenrecht“ 938 wird diesbe-
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Vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 8–10. Ausführlich zur Anrechnung im Rahmen der Ersitzungsfrist: Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 523–530; Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 272 f.; Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 114, jeweils m.w.N. Vgl. zum Beispiel Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 523–530. So Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 160–162, unter Berufung auf das Beispiel des OLG Koblenz, Urteil des 5. Zivilsenats vom 03.07.2003, Az.: 5 U 28/02, NJW-RR 2003, S. 1563–1564 (Ist in Frankreich ein gutgläubiger Eigentumserwerb an einem dort gestohlenen Pkw nicht erfolgt und wird das Fahrzeug nach Deutschland verbracht, sind für die dann maßgeblichen Vorschriften des deutschen Rechts sämtliche Erwerbsumstände in Frankreich so zu behandeln als seien sie in Deutschland erfolgt.). Vgl. Stoll, Zur gesetzlichen Regelung des internationalen Sachenrechts in Artt. 43–46 EGBGB, IPRax 2000 (Heft 4), S. 259–270, S. 261–264. Girsberger, Verjährung und Verwirkung im internationalen Obligationenrecht, 1989, S. 44 ff.
2. Abschnitt: Statutenwechsel im internationalen Kulturgüterverkehr
651
züglich jedoch ersichtlich, dass international ein einheitliches Verständnis dieser Problemlage besteht und – ländergrenzenüberschreitend eher überraschend – auch von einer harmonischen Gestaltung dieser Rechtsfrage auszugehen ist. Grundsätzlich werden somit diejenigen Zeitabläufe, die bereits im alten Statut angehäuft wurden, zur Frist des neuen Sachstatuts addiert. „If no right has already been acquired abroad by adverse possession, the time passed by abroad will be deemed as having passed by under the present law governing the acquisition by adverse possession following the change of situs from abroad to the … forum State.“ 939 Dieser allgemein anerkannte Rechtsgrundsatz hat so auch in Art. 102 Abs. 1 des schweizerischen Bundesgesetzes über das Internationale Privatrecht (IPRG) vom 18. Dezember 1987 normativen Niederschlag gefunden: „Gelangt eine bewegliche Sache in die Schweiz und ist der Erwerb oder der Verlust eines dinglichen Rechts an ihr nicht bereits im Ausland erfolgt, so gelten die im Ausland eingetretenen Vorgänge als in der Schweiz erfolgt.“
b)
Anrechnung ausländischer Verjährungsfristen in der ‚Sumpflegende‘-Konstellation
Dieselbe Problematik wie bei der Ersitzung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter nach einem Statutenwechsel kann sich auch bei der Verjährung eines Restitutionsanspruchs ergeben.940 Die Verjährung des dinglichen Herausgabeanspruchs ist kollisionsrechtlich ebenso zu behandeln wie die Ersitzung,941 da zahlreiche Rechtsordnungen keine materiell-rechtliche Unterscheidung zwischen einer Verjährung oder einer Ersitzung vornehmen.942 Im Falle eines Statutenwechsels während der Verjährungsfrist ist nach dem bisher Gesagten somit für den gesamten Tatbestand das Recht des Belegenheitsorts im Zeitpunkt der Vollendung der Verjährung maßgeblich.943 Die rechtliche Behandlung unterschiedlicher ausländischer Verjährungsfristen nach einem (doppelten) Statutenwechsel
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Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 89. Vgl. hierzu auch Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 89. Vgl. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 271; Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rdnr. 77; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 36–43. Vgl. hierzu Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 271 mit dem Verweis auf Art. 2219 ff. des französischen Code civile. Vgl. Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 36–43.
361
652
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
war unter anderem Thema in dem schon oben ausführlich beschriebenen Restitutionsgesuch von Jen Lissitzky hinsichtlich der ‚Sumpflegende‘ von Paul Klee.944 Das später zur Entscheidung über die Sachzuordnung des Gemäldes berufene Landgericht München I entschied im Dezember 1993, dass der Herausgabeanspruch verjährt sei.945 Neben der Frage, ob die Beschlagnahme des Gemäldes durch die Nationalsozialisten aufgrund des Gesetzes über Einziehung von Erzeugnissen entarteter Kunst vom 31. Mai 1938 rechtswidrig war und in der Folgezeit ein gutgläubiger Eigentumserwerb eingetreten bzw. eine Hemmung der Verjährung erfolgt war, war innerhalb der Sumpflegende-Konstellation umstritten, ob bei Besitzwechseln von Deutschland ins Ausland und wieder zurück die jeweiligen Besitzzeiten in Deutschland für den letzten (deutschen) Besitzer anzurechnen seien. Wegen des Transfers in die Schweiz war nämlich ein Wechsel des Sachstatuts erfolgt. Dies ist insbesondere bei Kunstobjekten von maßgeblicher Bedeutung, die aufgrund der Internationalität des Kunstmarktes ständigen Besitzwechseln und häufigen Verbringungen in unterschiedliche Rechtsordnungen unterliegen.946 362
Die 9. Zivilkammer des Landgerichts München hat in seiner Entscheidung vom 8.12.1993 947 in diesem Fall bestimmt, dass eine Anrechnung der Besitzzeiten in der Schweiz von 1962 bis 1982 zu erfolgen habe: In jedem Falle sei der Herausgabeanspruch nach § 195 BGB verjährt. Die deutsche Verjährungsfrist habe im Zeitpunkt der Einziehung des Bildes im Jahre 1937 begonnen und sei somit im Jahre 1967 abgelaufen. Die zeitweiligen Besitzverhältnisse an dem Bild in der Schweiz seien auf die 30-jährige Verjährungsfrist des § 195 BGB anzurechnen.948 Die Richter führten aus, dass der Sachverhalt zur Zeit der Entstehung des Anspruchs bestimmt, welche Verjährungsfristen für die Frist maßgebend seien. Dass als nachträgliche Änderung das Bild im ausländischen Besitz war, hatte nach der Rechtsansicht des Landgerichts München somit auf den Geltungsbereich der Verjährungsfristen keinen Einfluss.949 Aber auch dann, wenn man die im Ausland verstrichene Verjährung nicht voll anrechnen würde, wäre in diesem
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Vgl. ausführlich hierzu 2, 429 ff. Landgericht München I, 9. Zivilkammer, Entscheidung vom 8.12.1993, Az: 9 O 15935/93, abgedruckt in IPRax 1995 (Heft 1), S. 43 mit kritischer Anmerkung von Jayme, Zum Eigentumsherausgabeanspruch von Werken „entartete Kunst“ bei Auslandsbezug, IPRax 1995, S. 43. Vgl. Schnabel/Tatzkow, Nazi Looted Art – Handbuch Kunstrestitution weltweit, 2007, S. 48–51. LG München I, Entscheidung der 9. Zivilkammer vom 8.12.1993, Az: 9 O 15935/93, IPRax 1995, S. 43; vgl. auch Jayme, Zum Eigentumsherausgabeanspruch von Werken „entartete Kunst“ bei Auslandsbezug, IPRax 1995, S. 43. Vgl. Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 169–174. Leitsatz 2, LG München I, Entscheidung der 9. Zivilkammer vom 8.12.1993, Az: 9 O 15935/93, IPRax 1995, S. 43.
2. Abschnitt: Statutenwechsel im internationalen Kulturgüterverkehr
653
Fall nach Ansicht des Landgerichts eine Verjährung eingetreten (wenn man nicht die im Folgenden dargestellte Literaturansicht berücksichtigt, die hier einen Neubeginn der Verjährungsfrist annimmt). Zumindest in den Zeiträumen 1937 bis 1962 und 1982 bis 1992 habe sich das Bild auf deutschem Boden befunden, sodass sich auch hier ein Zeitraum von über 30 Jahren ergebe.950 Insbesondere haben die Rückverbringung der ‚Sumpflegende‘ im Jahre 1982 und die Wiedereinfuhr in das Gebiet der Bundesrepublik keinen Neubeginn der Verjährungsfrist zur Folge.951 Diese Entscheidung ist bei einem Teil des Schrifttums 952 mit hörenswerten Gründen auf Ablehnung gestoßen. Das Gericht habe die Vorschrift des § 221 BGB a.F. (heute § 198 BGB) über die Anrechnung von Besitzzeiten des Rechtsvorgängers verkannt. Nach Schweizer Recht sei der dingliche Herausgabeanspruch des Eigentümers unverjährbar, sodass entsprechend dem Grundsatz der lex rei sitae die Zeit, in der sich das Bild in der Schweiz befunden habe, nicht im Rahmen des § 221 BGB a.F. (heute § 198 BGB) hätte angerechnet werden dürfen. Diese Einschätzung des Schrifttums, die sich auf die Auswirkungen des Grundsatzes der wohlerworbenen Rechte und die Prägungstheorie beruft, hätte darüber hinausgehend sogar zur Folge gehabt, dass die früheren Besitzzeiten in Deutschland mit dem Wechsel des Lageortes von Deutschland in die Schweiz untergegangen seien und beim erneuten Statutenwechsel nach Deutschland nicht wieder auflebten.953 Dem neuen Sachstatut würde somit aufgrund eines Verkehrsinteresses an klaren und beständigen sachenrechtlichen Verhältnissen ein „Reinigungseffekt“ zugesprochen.954 Deshalb hätte die Wiedereinfuhr in das Gebiet der Bundesrepublik ein Neubeginn der Verjährungsfrist bedeutet, sodass Lissitzkys Restitutionsgesuch zumindest nicht an der Verjährung des dinglichen Herausgabeanspruchs gescheitert wäre.
363
Die herrschende Literaturansicht folgt jedoch der Rechtseinschätzung des Landgerichts München und sieht keinen Anlass, ein Erlöschen der Besitzzeit im Ausgangsstaat allein aufgrund der zeitweiligen Belegenheit unter einem Statut anzu-
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Vgl. Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 169–174. LG München I, Entscheidung der 9. Zivilkammer vom 8.12.1993, Az: 9 O 15935/93, IPRax 1995, S. 43. Jayme, Zum Eigentumsherausgabeanspruch von Werken „entartete Kunst“ bei Auslandsbezug, IPRax 1995, S. 43; Jayme, „Entartete Kunst“ und Internationales Privatrecht, 1994, S. 28 f.; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 169–174; Reich/Fischer, Wem gehören die als „entartete Kunst“ verfemten, von den Nationalsozialisten beschlagnahmten Werke?, NJW 1993, S. 1417–1421, S. 1418 ff. Vgl. Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 169–174. So die Terminologie bei Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 58–70.
654
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
nehmen, das die Verjährung des Herausgabeanspruchs ablehnt, und rechnet allein die Besitzzeit unter diesem Statut nicht an.955 „Nur wenn unter diesem Statut eine abweichende Verfügung über die Sache getroffen wird, kann sich dies prägend auf die Rechtslage auswirken. Andernfalls ruht die Frist lediglich. Dafür spricht auch, dass sich die laufende Frist noch nicht auf die Rechtsposition des Besitzers der Sache auswirkt. Dies ist erst mit dem Ablauf der Frist der Fall.“ 956
II.
Sachzuordnung nach altem Statut offen, nach neuem abgeschlossen
365
Die Konstellation, dass der Eigentumserwerb an einem Kulturgut sowohl aus Sicht des alten als auch des neuen Statuts noch nicht abgeschlossen ist, ist von der Situation im internationalen Kulturgüterverkehr zu unterscheiden, dass der Eigentumserwerb an einem Kulturgut nach altem Statut noch offen, nach neuem jedoch abgeschlossen ist. Hier ist danach zu unterscheiden, ob der Kulturguterwerb innerhalb des neuen Sachstatuts positiv oder negativ abgeschlossen ist.
366
Positiv abgeschlossen wäre dabei bspw. ein Kulturguterwerb im internationalen Kunsthandel, wenn der Ausgangsstaat (wie bspw. die deutsche Rechtsordnung) dem Traditionsprinzip folgt und dort nur die Einigung erfolgt ist (d.h. die Übergabe des Kulturguts weiterhin aussteht), während das neue Sachstatut (wie bspw. die französische Rechtsordnung) dem Konsensprinzip folgt. Haben sich Veräußerer und Erwerber in Deutschland über den Eigentumsübergang eines Kulturguts geeinigt (ohne dass jedoch bislang die Übergabe erfolgte) und gelangt das Kunstwerk in der Folge nach Frankreich, so stellt sich die Frage, ob die französische Rechtsordnung den bisher verwirklichten Tatbestand als vollständigen Eigentumserwerb, für den nach der dortigen Rechtsordnung Konsens genügt, anerkennt.957 Ähnlich wäre es in der Madonnen-Konstellation, wenn die nach altem 955
956
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So Raape, Internationales Privatrecht, 5. Aufl. 1961, S. 597 und S. 599; Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rdnr. 63 a.E.; Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 526 und S. 529; Kunze, Restitution „Entarteter Kunst“ – Sachenrecht und Internationales Privatrecht, 2000, S. 153 ff.; Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 58–70. Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 58–70. Vgl. zu dieser Beispielskonstellation auch Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 79–84.
2. Abschnitt: Statutenwechsel im internationalen Kulturgüterverkehr
655
Sachstatut (Österreich) geforderte Ersitzungsfrist zum Zeitpunkt des Statutenwechsels noch nicht abgelaufen wäre, die Statue aber in eine Rechtsordnung eingeführt worden wäre, die eine kürzere Ersitzungsfrist als diejenige Österreichs bestimmt.958 Für die deutsche Rechtsordnung gilt Folgendes: Gelangt ein Kulturgut vom Ausland in den Geltungsbereich der deutschen Sachenrechtsordnung, ist auch in den Konstellationen, in denen der Eigentumserwerb an einem Kulturgut nach altem Statut noch offen, nach neuem Sachstatut jedoch positiv abgeschlossen ist, Art. 43 Abs. 3 EGBGB einschlägig, wonach der Erwerbstatbestand bei Einführung in den Geltungsbereich der deutschen Sachenrechtsordnung vollendet wird.959 Wenn das alte Sachstatut den Eigentumserwerbstatbestand an einem Kulturgut als offen betrachtet, liegt zum Zeitpunkt des Statutenwechsels ein Schwebezustand als sachenrechtlich relevanter Dauerzustand vor, der auch gleichsam eine juristische Sekunde nach Einfuhr des Kulturguts nach Deutschland noch besteht und an den die deutsche Sachenrechtsordnung mit dem Grenzübertritt den Eigentumserwerb knüpft.960 Entsprechend der herrschenden Ansicht erfolgt somit auch im internationalen Kulturgüterverkehr bei einem nicht abgeschlossenen Tatbestand nach einem Statutenwechsel eine neue Bewertung des verwirklichten Sachverhalts aus Sicht des neuen Lageorts. Dementsprechend bestimmte auch das OLG Zweibrücken 961, dass der Eigentumsübergang im Moment des Grenzübertritts erfolgt, sofern der Übereignungswille der Parteien noch andauert.962 Als konsequente Einhaltung des Prinzips von der Maßgeblichkeit des Rechts am neuen Lageort ist dieses Ergebnis zu befürworten und wird auch international in diesem Sinne angewendet: Demnach führt auch der deutsch-französische Beispiels-
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960
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Vgl. aus kulturgüterunspezifischer Sicht die Erläuterungen bei Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 163– 165. So Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 79–84; Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 163–165; Lewald, Das deutsche internationale Privatrecht auf Grundlage der Rechtsprechung, 1931, S. 187. Vgl. KG Berlin, Urteil des 17. Zivilsenats vom 29.09.1987, Az.: 17 U 492/87, NJW 1988, S. 341–345, S. 342; Junker, Die IPR-Reform von 1999 – Auswirkungen auf die Unternehmenspraxis, RIW 2000, S. 241–255, S. 251; Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 163–165. OLG Zweibrücken, Urteil vom 13.7.1898, ZIR Bd. 10, S. 220, zit. nach Lewald, Das deutsche internationale Privatrecht auf Grundlage der Rechtsprechung, 1931, S. 187. Vgl. dazu ausführlich bei Lewald, Das deutsche internationale Privatrecht auf Grundlage der Rechtsprechung, 1931, S. 187 f., auch zitiert bei Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 79–84.
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656
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
fall eines Kulturgütertransfers zu einem Eigentumsübergang nach französischem Recht.963 368
Dies wurde für den internationalen Kunsthandel ausdrücklich im sog. Pistolenfall des Landgerichts Hamburg vom 20.6.1996 bestätigt.964 Der Republik Portugal wurden antike, aus dem portugiesischen Königshaus stammende Pistolen in Lissabon im Jahre 1973 gestohlen. Obwohl die Kulturgüter nach portugiesischem Recht als res extra commercium zu qualifizieren waren und dementsprechend unveräußerlich, unersitz- sowie unverjährbar waren und ihre Ausfuhr verboten war, wurden sie in Lissabon veräußert, nach Deutschland verbracht und dort im Jahre 1980 weiterveräußert. Nachdem der Erwerber die Kulturgüter seit 1982 in Eigenbesitz hielt, verbrachte er sie im Jahre 1990 nach England, um sie dort bei einem Auktionshaus versteigern zu lassen. Während die zehnjährige Ersitzungsfrist des § 937 BGB zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgelaufen war, konnte der gutgläubige Erwerber nach Sec. 3 Abs. 1 und 2 des Limitation Act 1980 nach sechsjährigem Eigenbesitz im englischen Recht originär Eigentum an den Kulturgütern erwerben. Die Klage der Republik Portugal auf Herausgabe der antiken Pistolen vor dem zuständigen Landgericht Hamburg hatte dementsprechend keinen Erfolg: Das Verbringen der Kulturgüter nach England bewirkte einen Statutenwechsel und der Eigentumserwerb war nach der englischen lex rei sitae im Zeitpunkt der Vollendung des Rechtserwerbs wirksam.965
369
Ein Beispiel innerhalb des internationalen Kulturgüterverkehrs für einen nach altem Sachstatut offenen, aus Sicht des neuen jedoch negativ abgeschlossenen Kulturguterwerbstatbestand liegt in dem Madonnen-Ersitzungsbeispiel etwa dann vor, wenn der österreichische Erwerber zwar die milderen Anforderungen erfüllt, die das alte (österreichische) Sachstatut an seine Gutgläubigkeit stellt, nicht aber die strengeren des neuen Sachstatuts.966 Auch hier liegt aus Sicht des alten Sachstatuts ein sachenrechtlich relevanter Dauerzustand vor, der nach dem neuen Statut aber ein – jedenfalls im Hinblick auf die Ersitzung – irrelevanter Zustand ist, an den sich im Regelfall nicht etwa eine negative, sondern überhaupt keine Rechtsfolge knüpfen wird. In dem Madonnen-Beispiel wäre danach ein originärer Ersitzungserwerb ausgeschlossen. Würde der Erwerber die Madonna jedoch
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Vgl. Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 79–84. LG Hamburg, Urteil vom 20.6.1996, Az.: 305 O 77/92 (unveröffentlicht), IPRspr. 1996 Nr. 55, S. 119 ff. Vgl. zum Ganzen Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 24. Vgl. zu diesem Beispiel Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 163–165.
2. Abschnitt: Statutenwechsel im internationalen Kulturgüterverkehr
657
wieder zurück nach Österreich transferieren, hätte sich die sachenrechtliche Lage erneut nicht geändert und die Ersitzungsfrist könnte im Ausgangsstaat (hier: Österreich) nach dem Ablauf der hierfür notwendigen Zeit vollendet werden.967
III. Sachzuordnung nach altem Statut abgeschlossen, nach neuem offen Schließlich sind die bisher genannten Situationen noch von der Konstellation zu unterscheiden, dass das alte Sachstatut den Eigentumserwerb an einem Kulturgut als abgeschlossen und das neue Sachstatut als offen qualifiziert. Ein Beispiel für diese Konstellation wäre etwa der mögliche Ersitzungserwerb eines Kulturguts nach sechs Jahren unter Geltung der alten Rechtsordnung, der jedoch an deren strengen Voraussetzungen an die Gutgläubigkeit scheitert. Würde das Kulturgut später im internationalen Kunsthandel in ein Sachstatut transferiert, das geringere Anforderungen an die Gutgläubigkeit stellt und nach weiteren zwei also insgesamt acht Jahren gutgläubigen Eigenbesitzes, einen originären Eigentumserwerb erlaubt, stellt sich die Frage, ob nach dem Statutenwechsel ein gutgläubiger Ersitzungserwerb bereits nach zwei Jahren (unter Anrechnung der Besitzzeit im alten Statut, trotz unzulänglicher bona fide-Voraussetzungen) oder erst nach Ablauf der vollen acht Jahre nach der Sachenrechtsordnung des neuen Statuts erfolgt.
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Hier ist dem neuen Sachstatut jedoch nach herrschender Ansicht ein „Wiederaufrollen“ 968 bzw. eine Heilung abgeschlossener Vorgänge weitgehend verwehrt: Das neue Sachstatut ist dementsprechend nur zur Beurteilung von Vorgängen berufen, die nach dem Statutenwechsel erfolgen, bzw. von Dauerzuständen, die zum Zeitpunkt des Statutenwechsels noch andauern.969 In der Beispielskonstellation war jedoch der Ersitzungserwerb des gestohlenen Kulturguts im alten Sachstatut negativ abgeschlossen, sodass ein Kulturguterwerb im neuen Sachstatut nur unter den dort normierten Voraussetzungen ohne Anrechnung der Ersitzungszeit im alten Sachstatut erfolgen wird. Eine „Heilung“ 970 fehlgeschla-
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So die kulturgüterunspezifischen Ausführungen bei Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 163–165. Vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 166–172. Vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 166–172. So die Terminologie bei Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 523–530.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
gener dinglicher Rechtsänderungen durch Statutenwechsel scheidet damit grundsätzlich aus und das neue Statut übernimmt die Rechtslage, wie sie durch das alte Statut geprägt wurde.971 Dies ist bspw. auch dann der Fall, wenn ein Kunstwerk in der Schweiz, welches dem Veräußerer zur Restaurierung anvertraut wurde, an einen gutgläubigen Erwerber veräußert wird, der der Übereignung zugrunde liegende Kaufvertrag jedoch unwirksam ist. Wegen des im Schweizer Recht geltenden Kausalitätsprinzips wird ein gutgläubiger Erwerb des Kunstwerks jedoch mangels eines wirksamen Verpflichtungsgeschäfts scheitern. Auch wenn das Gemälde im Anschluss nach Deutschland gelangt und somit unter die Geltung des Trennungs- und hier insbesondere des Abstraktionsprinzips fällt, wird sich ebenfalls nach dem Statutenwechsel am Ergebnis nichts ändern. 372
Die Vorschrift des Art. 43 Abs. 3 EGBGB betrifft somit – von den seltenen Fällen eines unterbrochenen gesetzlichen Erwerbs, etwa durch Ersitzung, abgesehen – ausschließlich internationale Verkehrsgeschäfte, die nach dem Parteiwillen erst nach dem Statutenwechsel ihren Abschluss finden sollen.972 Ist dagegen die Kulturgutveräußerung nach dem Parteiwillen schon vor dem Statutenwechsel abgeschlossen, so richtet sich der dingliche Erfolg des Geschäfts allein nach dem alten Statut, auch wenn das Kulturgut später nach Grenzübertritt in die Hände des Erwerbers gelangt. Für die Praxis des internationalen illegalen Kunsthandels hat dies somit auch zur Folge, dass ein Gutglaubenserwerb nicht auf die Bestimmungen des neuen Statuts gestützt werden kann, sofern ihn das alte Statut ablehnt.973 Es gilt der alte Grundsatz: „Das Nein des alten Statuts bleibt Nein“ 974. Überträgt man eine Entscheidung des italienischen Kassationshofs 975 auf den internationalen Kulturgüterverkehr, wird ersichtlich, dass eine Heilung durch Statutenwechsel nicht stattfindet und das Scheitern der
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KG Berlin, Urteil des 17. Zivilsenats vom 29.09.1987, Az.: 17 U 492/87, NJW 1988, S. 341–345, S. 342. So Stoll, Zur gesetzlichen Regelung des internationalen Sachenrechts in Artt. 43–46 EGBGB, IPRax 2000 (Heft 4), S. 259–270, S. 261–264. Vgl. Lewald, Das deutsche internationale Privatrecht auf Grundlage der Rechtsprechung, 1931, S. 178. Entsprechend: Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 79–84: „Erfüllt ein abgeschlossener Tatbestand die Voraussetzungen einer dinglichen Rechtsänderung nach dem Recht des alten Lageorts nicht, so tritt die Wirkung endgültig nicht ein. War bspw. bei einer Versteigerung einer gestohlenen Sache der gutgläubige Erwerb im alten Lagestaat nicht möglich, ist es aber im neuen, so wird der Ersteigerer nicht mit Grenzübertritt der Sache Eigentümer.“ Vgl. Raape, Internationales Privatrecht, 5. Aufl. 1961, S. 596. Dazu näher Stoll, Zur gesetzlichen Regelung des internationalen Sachenrechts in Artt. 43– 46 EGBGB, IPRax 2000 (Heft 4), S. 259–270, S. 261–264.
2. Abschnitt: Statutenwechsel im internationalen Kulturgüterverkehr
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Rechtsänderung endgültig ist.976 Der italienische Käufer hatte auf dem Markt von San Marino Kunstwerke erworben. Der Eigentumserwerb scheiterte nach dem Recht von San Marino, weil die Objekte dem späteren Kläger gestohlen worden waren. An diesem Resultat änderte sich nichts dadurch, dass der Erwerber die Kunstschätze nach abgeschlossenem Kauf nach Italien brachte, obwohl dort grundsätzlich ein gutgläubiger Erwerb auch an gestohlenen Gegenständen möglich ist.977 Das Gleiche gilt auch dann, wenn bspw. unter dem alten Sachstatut bereits das Eigentum an einem Kulturgut vom Verkäufer auf den Käufer übergegangen ist und dementsprechend ein Beispiel für einen positiv abgeschlossenen Eigentumserwerb im alten Sachstatut vorliegt. Hier hat die neue Sachenrechtsordnung nach einem Statutenwechsel den Eigentumserwerb grundsätzlich ohne Möglichkeit der Revision dieses Ergebnisses anzuerkennen.978 War bspw. die Ersitzung oder Verjährung unter der Herrschaft eines früheren Statuts bereits vollendet, so verliert der Besitzer den damit erworbenen Rechtsschutz nicht dadurch, dass das Kulturgut später in ein Rechtsgebiet gelangt, dessen Recht den Besitzer aufgrund des vollendeten Tatbestandes überhaupt nicht oder weniger wirksam schützt.979
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D. Besonderheiten eines ‚reversen‘ Statutenwechsels: Wiederaufleben dinglicher Rechtspositionen an Kulturgütern? Schon nach dem bisher Gesagten wurde deutlich, dass wirksam begründete dingliche Rechte an Kulturgütern auch dann fortgelten, wenn sie von einem zwischenzeitlichen Lageortsrecht nicht anerkannt wurden.980 Sie leben wieder auf,
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Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 523–530; Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 90–92; Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 303. In Anlehnung an die vergleichbare Konstellation bei Stoll, Zur gesetzlichen Regelung des internationalen Sachenrechts in Artt. 43–46 EGBGB, IPRax 2000 (Heft 4), S. 259–270, S. 261–264. Vgl. zum Ganzen auch Wendehorst, in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 166–172. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 272–273, unter Rekurs auf eine Entscheidung in den Niederlanden: Hoge Raad, NedJ 1956 Nr. 29, Clunet 1959, S. 502. Zum Ganzen auch Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 464. Vgl. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 523–530.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
sobald die Kunstschätze in das Gebiet eines Staates gelangen, mit dessen Sachenrechtsordnung das betreffende dingliche Recht vereinbar ist (sog. reverser Statutenwechsel 981).982 Das hat bspw. zur Folge, dass nach den öffentlich-rechtlichen Kulturgüterschutzvorschriften des kulturellen Ursprungsstaates als res extra commercium qualifizierte Objekte zwar nicht im kulturellen Importstaat außerhalb des Rechtsverkehrs stehen, jedoch nach Rückführung in den kulturellen Ursprungsstaat wieder unveräußer-, unersitz- und unverjährbar sind. Nur der Aufenthalt eines Kulturguts in einem Rechtsgebiet, welches das betreffende dingliche Recht (wie bspw. die Extrakommerzialität) nicht anerkennt, hat nach herrschender Meinung somit noch nicht dessen Erlöschen, sondern nur dessen „Ruhen“ zur Folge.983 Nach der sog. „Wiedererweckungstheorie“ 984 erwacht das dingliche Recht nach Verlassen des anerkennungsfeindlichen Rechtsgebiets aus seiner Ruhe.985 375
Dies gilt jedoch nur insoweit, als nicht sonstige, nach dem Recht des aktuellen Lageortes beachtliche Vorgänge am zwischenzeitlichen Lageort (z.B. Rechtsgeschäfte oder Maßnahmen der Zwangsvollstreckung) zum Erlöschen des betreffenden dinglichen Rechts geführt haben.986 Liegt somit ein qualifizierter Statutenwechsel im kulturgüterrechtlichen Sinne vor 987 und wurde ein unver-
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So die Bezeichnung bei Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 58–70. Vgl. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 523–530. Vgl. Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rdnr. 91; Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 523–530. So die Bezeichnung bei Pfeiffer, Der Stand des Internationalen Sachenrechts nach seiner Kodifikation, IPRax 2000 (Heft 4), S. 271–285, S. 273; Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rdnr. 63, 91 f., 94. Vgl. die Terminologie bei Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 523–530. Vgl. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 523–530; Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 548; Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rdnr. 91; s. auch BT-Drs. 14/343, S. 14. Vgl. ausführlich hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 1: Illegaler Kulturgüterverkehr, 3. Teil, Rdnr. 240 ff.
§ 10 Ergebnis: Offener Statutenwechsel im internationalen Kulturgüterverkehr
661
äußerliches Kulturgut außerhalb des kulturellen Ursprungsstaates veräußert, muss die Extrakommerzialität auch nach einer Rückkehr des Objektes in den kulturellen Ursprungsstaat aberkannt werden.
§ 10 Ergebnis: Offener Statutenwechsel im internationalen Kulturgüterverkehr Nachdem Punkt B. schon die Probleme einer im kulturellen Ursprungsstaat abgeschlossenen Sachzuordnung von Kunst- und Kulturgütern betraf, fokussierte der voranstehende Punkt C. auf einen sog. offenen Statutenwechsel und erläuterte die für die Praxis des internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts hierbei bedeutsamen Fragen. Die nicht abgeschlossene Sachzuordnung kultureller Güter betrifft die Auswirkungen und Rechtsfolgen solcher Sachverhalte, in denen zur Herbeiführung des Eigentumserwerbs an einem Kulturgut noch mindestens ein weiterer sachenrechtlich relevanter Teilakt notwendig ist und die letzte Voraussetzung, die zur Vollendung des Eigentumserwerbs und damit zur Änderung der dinglichen Rechtslage an einem Kulturgut erforderlich ist, noch aussteht, das Kulturgut zu diesem Zeitpunkt aber schon in einen anderen Staat und somit in eine neue Sachenrechtsordnung transferiert wird. Dabei erlangen in der Praxis des internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts drei unterschiedliche Konstellationen Bedeutung. Ist die dingliche Sachzuordnung eines Kulturguts sowohl aus Sicht des alten als auch des neuen Statuts noch nicht abgeschlossen, ist für deren Vollendung (und damit bspw. den originären Eigentumserwerbstatbestand) allein das neue Sachstatut zuständig. Das „Schulbeispiel“ für die Konstellation stellt die Ersitzung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter dar.
376
Erwirbt ein Österreicher Anfang des Jahres 1986 von einem Dieb guten Glaubens eine gestohlene Madonnenstatue,988 verlegt jedoch im Jahre 1990 seinen Wohnsitz nach München und nimmt „seine“ Madonna mit, liegt ein Statutenwechsel vor. Erfährt nun Anfang des Jahres 1997 der bestohlene Eigentümer vom Verbleib der Statue und verklagt den Erwerber in Deutschland auf Herausgabe, wird der Erwerber vor Gericht einwenden, er habe das Eigentum an der Madonna durch Ersitzung erworben. Unter Geltung der österreichischen lex rei sitae, d.h. bis zur Übersiedlung des Erwerbers nach München, wurde der Eigentumserwerb durch Ersitzung jedoch noch nicht abgeschlossen, da die Ersitzungsfrist für bewegliche Sachen nach §§ 1453, 1455, 1460, 1476 ABGB sechs Jahre beträgt. Mithin liegt in dem Beispielsfall ein offener Tatbestand vor. Die Sachzu-
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Vgl. zu diesem, konstruierten Beispiel Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 523– 530.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
ordnung der gestohlenen Madonnenstatue ist hier sowohl aus Sicht des alten als auch des neuen Statuts noch nicht abgeschlossen. Es handelt sich somit um eine Konstellation, in der eine Person ein zuvor unrechtmäßig entzogenes Kunstwerk schon in einem anderen Staat längere Zeit gutgläubig in Eigenbesitz gehabt hatte und vor Ablauf der nach dem Recht dieses Staates geltenden Ersitzungsfrist mit dem Kulturgut in einen anderen Staat umzieht, nach dessen Recht die Ersitzungsfrist ebenfalls noch nicht abgelaufen war. Dies war im Madonnen-Fall nach der Übersiedlung des Erwerbers mit der Statue nach München im Jahre 1990 der Fall, da weder die Ersitzungsfrist Österreichs noch die zehnjährige Zeitspanne des § 937 BGB nach der deutschen Rechtsordnung abgelaufen war. 378
Im Madonnen-Fall drängt sich zusätzlich jedoch die Frage auf, ob die in Österreich vom gutgläubigen Erwerber der Statue „abgesessene“ Zeit auch nach einem Statutenwechsel Berücksichtigung finden kann (entsprechend könnte sich aber auch die Frage stellen, ob eine im Ausland erfolgte Einigung über den Eigentumsübergang berücksichtigt werden kann). Es stellt sich somit das Problem der Anrechnung von solchen Teilakten, die im Ausland unter der Geltung des alten Sachstatuts vollzogen wurden. Auch diesbezüglich herrscht heute Einigkeit, dass das neue Sachstatut nicht nur über die Vollendung des sachenrechtlichen Tatbestands, sondern auch über die Anerkennung von unter der Geltung des alten Statuts verwirklichten Tatbestandsmerkmalen entscheidet. Ausdrücklich formuliert dies im deutschen EGBGB seit Normierung des internationalen Sachenrechts im Jahre 1999 Art. 43 Abs. 3 als ‚Spezialvorschrift‘ für offene Tatbestände: Bei einem gestreckten Erwerbstatbestand sind Vorgänge in einem anderen Staat „wie inländische“ zu berücksichtigen. Das hat bspw. für den Madonnen-Fall zur Folge, dass aufgrund des Art. 43 Abs. 3 EGBGB das deutsche Recht im Rahmen des § 937 Abs. 1 BGB die Zeit, während der der Erwerber die Statue in Österreich in Eigenbesitz hatte, auf die Ersitzungszeit in Deutschland anrechnet, sodass die erforderliche Zeit von zehn Jahren verstrichen ist und der Erwerber nunmehr Eigentümer der Madonnastatue ist.
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Innerhalb des Restitutionsgesuchs von Jen Lissitzky hinsichtlich der ‚Sumpflegende‘ von Paul Klee war den voranstehenden Ausführungen entsprechend für die Verjährung und die Anrechnung ausländischer Verjährungsfristen nach einem Statutenwechsel umstritten, ob bei Besitzwechseln von Deutschland ins Ausland und wieder zurück die jeweiligen Besitzzeiten in Deutschland für den letzten (deutschen) Besitzer anzurechnen seien. Die 9. Zivilkammer des Landgerichts München hat in seiner Entscheidung vom 8.12.1993 in diesem Fall bestimmt, dass eine Anrechnung der Besitzzeiten in der Schweiz von 1962 bis 1982 zu erfolgen habe: In jedem Falle sei der Herausgabeanspruch nach § 195 BGB verjährt. Die deutsche Verjährungsfrist habe im Zeitpunkt der Einziehung des Bildes im Jahre 1937 begonnen und sei somit im Jahre 1967 abgelaufen. Diese Entscheidung ist bei einem Teil des Schrifttums mit hörenswerten Gründen auf Ablehnung gestoßen, da das Gericht die Vorschrift des § 221 BGB a.F. (heute § 198
§ 10 Ergebnis: Offener Statutenwechsel im internationalen Kulturgüterverkehr
663
BGB) über die Anrechnung von Besitzzeiten des Rechtsvorgängers verkannt habe. Nach Schweizer Recht sei der dingliche Herausgabeanspruch des Eigentümers unverjährbar, sodass entsprechend dem Grundsatz der lex rei sitae die Zeit, in der sich das Bild in der Schweiz befunden habe, nicht im Rahmen des § 221 BGB a.F. (heute § 198 BGB) hätte angerechnet werden dürfen. Diese Einschätzung des Schrifttums, die sich auf die Auswirkungen des Grundsatzes der wohlerworbenen Rechte und die Prägungstheorie beruft, hätte darüber hinausgehend sogar zur Folge gehabt, dass die früheren Besitzzeiten in Deutschland mit dem Wechsel des Lageortes von Deutschland in die Schweiz untergegangen seien und beim erneuten Statutenwechsel nach Deutschland nicht wieder auflebten. Dem neuen Sachstatut würde somit aufgrund eines Verkehrsinteresses an klaren und beständigen sachenrechtlichen Verhältnissen ein „Reinigungseffekt“ zugesprochen. Deshalb hätte die Wiedereinfuhr in das Gebiet der Bundesrepublik ein Neubeginn der Verjährungsfrist bedeutet, sodass Lissitzkys Restitutionsgesuch zumindest nicht an der Verjährung des dinglichen Herausgabeanspruchs gescheitert wäre. Die Frage nach der Behandlung eines offenen Statutenwechsels im internationalen Kulturgüterverkehr ist auch dann zu stellen, wenn die Sachzuordnung eines Kulturguts nach altem Statut noch offen, nach neuem jedoch abgeschlossen ist. In dieser Konstellation ist danach zu unterscheiden, ob der Kulturguterwerb innerhalb des neuen Sachstatuts positiv oder negativ abgeschlossen ist.
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Von einem positiv abgeschlossenen Kulturguterwerb kann im internationalen Kunsthandel bspw. gesprochen werden, wenn der Ausgangsstaat (wie bspw. die deutsche Rechtsordnung) dem Traditionsprinzip folgt und dort nur die Einigung erfolgt ist (d.h. die Übergabe des Kulturguts weiterhin aussteht), während das neue Sachstatut (wie bspw. die französische Rechtsordnung) dem Konsensprinzip folgt. Haben sich Veräußerer und Erwerber in Deutschland über den Eigentumsübergang eines Kulturguts geeinigt (ohne dass jedoch bislang die Übergabe erfolgte) und gelangte das Kunstwerk in der Folge nach Frankreich, so stellt sich die Frage, ob die französische Rechtsordnung den bisher verwirklichten Tatbestand als vollständigen Eigentumserwerb, für den nach der dortigen Rechtsordnung Konsens genügt, anerkennt. Ähnlich wäre es in der Madonnen-Konstellation, wenn die nach altem Sachstatut (Österreich) geforderte Ersitzungsfrist zum Zeitpunkt des Statutenwechsels noch nicht abgelaufen war, die Statue aber in eine Rechtsordnung eingeführt worden wäre, die eine kürzere Ersitzungsfrist als diejenige Österreichs bestimmt.
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Für diese Konstellationen steht innerhalb der deutschen Rechtsordnung heute Folgendes fest: Gelangt ein Kulturgut vom Ausland in den Geltungsbereich der deutschen Sachenrechtsordnung, ist auch in den Konstellationen, in denen der Eigentumserwerb an einem Kulturgut nach altem Statut noch offen, nach neuem Sachstatut jedoch positiv abgeschlossen ist, Art. 43 Abs. 3 EGBGB einschlägig,
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
wonach der Erwerbstatbestand bei Einführung in den Geltungsbereich der deutschen Sachenrechtsordnung vollendet wird. 383
Dies wurde für den internationalen Kunsthandel ausdrücklich im sog. Pistolenfall des Landgerichts Hamburg vom 20.6.1996 bestätigt.989 Der Republik Portugal wurden antike, aus dem portugiesischen Königshaus stammende Pistolen in Lissabon im Jahre 1973 gestohlen. Obwohl die Kulturgüter nach portugiesischem Recht als res extra commercium zu qualifizieren waren und dementsprechend unveräußerlich, unersitz- sowie unverjährbar waren und ihre Ausfuhr verboten war, wurden sie in Lissabon veräußert, nach Deutschland verbracht und dort im Jahre 1980 weiterveräußert. Nachdem der Erwerber die Kulturgüter seit 1982 in Eigenbesitz hielt, verbrachte er sie im Jahre 1990 nach England, um sie dort bei einem Auktionshaus versteigern zu lassen. Während die zehnjährige Ersitzungsfrist des § 937 BGB zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgelaufen war, konnte der gutgläubige Erwerber nach Sec. 3 Abs. 1 und 2 des Limitation Act 1980 nach sechsjährigem Eigenbesitz im englischen Recht originär Eigentum an den Kulturgütern erwerben. Die Klage der Republik Portugal auf Herausgabe der antiken Pistolen vor dem zuständigen Landgericht Hamburg hatte dementsprechend keinen Erfolg: Das Verbringen der Kulturgüter nach England bewirkte einen Statutenwechsel und der Eigentumserwerb war nach der englischen lex rei sitae im Zeitpunkt der Vollendung des Rechtserwerbs wirksam.
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Ein Beispiel innerhalb des internationalen Kulturgüterverkehrs für einen nach altem Sachstatut offenen, aus Sicht des neuen jedoch negativ abgeschlossenen Kulturguterwerbstatbestand liegt in dem Madonnen-Ersitzungsfall etwa dann vor, wenn der österreichische Erwerber zwar die milderen Anforderungen erfüllt, die das alte (österreichische) Sachstatut an seine Gutgläubigkeit stellt, nicht aber die strengeren des neuen Sachstatuts. Auch hier liegt aus Sicht des alten Sachstatuts ein sachenrechtlich relevanter Dauerzustand vor, der aus der Sicht des neuen Statuts aber ein – jedenfalls im Hinblick auf die Ersitzung – irrelevanter Zustand ist, an den im Regelfall nicht etwa eine negative, sondern überhaupt keine Rechtsfolge knüpfen wird. In dem Madonnen-Beispiel wäre danach ein originärer Ersitzungserwerb ausgeschlossen. Würde der Erwerber die Madonna jedoch wieder zurück nach Österreich transferieren, hätte sich die sachenrechtliche Lage erneut nicht geändert und die Ersitzungsfrist könnte im Ausgangsstaat (hier: Österreich) nach Ablauf der hierfür notwendigen Zeit vollendet werden.
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Schließlich ist drittens von den voranstehenden Sachverhalten die Konstellation zu unterscheiden, in der die Sachzuordnung eines Kulturguts nach altem Statut zwar abgeschlossen, nach neuem jedoch noch offen ist.
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LG Hamburg, Urteil vom 20.6.1996, Az.: 305 O 77/92 (unveröffentlicht), IPRspr. 1996 Nr. 55, S.119 ff.
§ 10 Ergebnis: Offener Statutenwechsel im internationalen Kulturgüterverkehr
665
Ein Beispiel für diese Konstellation wäre etwa der mögliche Ersitzungserwerb eines Kulturguts nach sechs Jahren unter Geltung der alten Rechtsordnung, der jedoch an deren strengen Voraussetzungen an die Gutgläubigkeit scheitert. Würde das Kulturgut später im internationalen Kunsthandel in ein Sachstatut transferiert, das geringere Anforderungen an die Gutgläubigkeit stellt und wäre nach weiteren zwei (also insgesamt acht) Jahren gutgläubigen Eigenbesitzes ein originärer Eigentumserwerb erlaubt, stellt sich die Frage, ob nach dem Statutenwechsel ein gutgläubiger Ersitzungserwerb bereits nach zwei Jahren (unter Anrechnung der Besitzzeit im alten Statut, trotz unzulänglicher bona fideVoraussetzungen) oder erst nach Ablauf der vollen acht Jahre nach der Sachenrechtsordnung des neuen Statuts erfolgt.
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Hier ist dem neuen Sachstatut jedoch nach herrschender Ansicht ein „Wiederaufrollen“ 990 bzw. eine Heilung abgeschlossener Vorgänge weitgehend verwehrt: Das neue Sachstatut ist dementsprechend nur zur Beurteilung von Vorgängen berufen, die nach dem Statutenwechsel erfolgen, bzw. von Dauerzuständen, die zum Zeitpunkt des Statutenwechsels noch andauern. Für die Praxis des internationalen illegalen Kunsthandels hat dies somit auch zur Folge, dass ein Gutglaubenserwerb nicht auf die Bestimmungen des neuen Statuts gestützt werden kann, sofern ihn das alte Statut ablehnt. Es gilt der alte Grundsatz: „Das Nein des alten Statuts bleibt Nein“ 991.
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Überträgt man eine Entscheidung des italienischen Kassationshofs 992 auf den internationalen Kulturgüterverkehr, wird ersichtlich, dass eine Heilung durch Statutenwechsel nicht stattfindet und das Scheitern der Rechtsänderung endgültig ist. Der italienische Käufer hatte auf dem Markt von San Marino Kunstwerke erworben. Der Eigentumserwerb scheiterte nach dem Recht von San Marino, weil die Objekte dem späteren Kläger gestohlen worden waren. An diesem Resultat änderte sich nichts dadurch, dass der Erwerber die Kunstschätze nach abgeschlossenem Kauf nach Italien brachte, obwohl dort grundsätzlich ein gutgläubiger Erwerb auch an gestohlenen Gegenständen möglich ist. Das Gleiche gilt auch dann, wenn bspw. unter dem alten Sachstatut bereits das Eigentum an einem Kulturgut vom Verkäufer auf den Käufer übergegangen ist und dementsprechend ein Beispiel für einen positiv abgeschlossenen Eigentumserwerb im alten Sachstatut vorliegt. Hier hat die neue Sachenrechtsordnung nach einem Statutenwechsel den Eigentumserwerb grundsätzlich ohne Möglichkeit der Revision dieses Ergebnisses anzuerkennen.
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991 992
Vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 166–172. Vgl. Raape, Internationales Privatrecht, 5. Aufl. 1961, S. 596. Dazu näher Stoll, Zur gesetzlichen Regelung des internationalen Sachenrechts in Artt. 43– 46 EGBGB, IPRax 2000 (Heft 4), S. 259–270, S. 261–264.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
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Abschließend wurden im 2. Abschnitt innerhalb der Kommentierung der Auswirkungen eines Statutenwechsels im internationalen Kulturgüterverkehr noch die Besonderheiten eines sog. ‚reversen‘ Statutenwechsels begutachtet. Dabei herrscht heute Einigkeit, dass wirksam begründete dingliche Rechte an Kulturgütern auch dann fortgelten, wenn sie von einem zwischenzeitlichen Lageortsrecht nicht anerkannt wurden. Sie leben wieder auf, sobald die Kunstschätze in das Gebiet eines Staates gelangen, mit dessen Sachenrechtsordnung das betreffende dingliche Recht vereinbar ist.
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Das hat bspw. zur Folge, dass nach den öffentlich-rechtlichen Kulturgüterschutzvorschriften des kulturellen Ursprungsstaates als res extra commercium qualifizierte Objekte zwar nicht im kulturellen Importstaat außerhalb des Rechtsverkehrs stehen, jedoch nach Rückführung in den kulturellen Ursprungsstaat wieder unveräußer-, unersitz- und unverjährbar sind. Der bloße Aufenthalt eines Kulturguts in einem Rechtsgebiet, welches das betreffende dingliche Recht (wie bspw. die Extrakommerzialität) nicht anerkennt, hat nach herrschender Meinung somit noch nicht dessen Erlöschen, sondern nur dessen „Ruhen“ zur Folge. Nach der sog. „Wiedererweckungstheorie“ 993 erwacht das dingliche Recht nach Verlassen des anerkennungsfeindlichen Rechtsgebiets aus seiner Ruhe. Dies gilt jedoch nur insoweit, als nicht sonstige, nach dem Recht des aktuellen Lageortes beachtliche Vorgänge am zwischenzeitlichen Lageort (z.B. Rechtsgeschäfte oder Maßnahmen der Zwangsvollstreckung) zum Erlöschen des betreffenden dinglichen Rechts geführt haben. Liegt somit ein qualifizierter Statutenwechsel im kulturgüterrechtlichen Sinne vor und wurde ein unveräußerliches Kulturgut außerhalb des kulturellen Ursprungsstaates veräußert, muss die Extrakommerzialität somit auch nach einer Rückkehr des Objektes in den kulturellen Ursprungsstaat aberkannt werden.
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Nachdem im 1. Abschnitt des 3. Teils die Rechtsquellen des Internationalen Privatrechts und der nahezu universal geltende Grundsatz der lex rei sitae ausführliche Erläuterung fanden und nun im 2. Abschnitt umfassend die Auswirkungen der Internationalität und eines damit einhergehenden Statutenwechsels für die Praxis des internationalen (illegalen) Kulturgüterverkehrs dargestellt wurden, sind alle Voraussetzungen geschaffen, um im nachstehenden 3. Abschnitt eine Bewertung der international-privatrechtlichen Rechtswahlregeln de lege lata aus Sicht des internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts vorzunehmen. Dabei ist insbesondere zu untersuchen, inwieweit sich
993
So die Bezeichnung bei Pfeiffer, Der Stand des Internationalen Sachenrechts nach seiner Kodifikation, IPRax 2000 (Heft 4), S. 271–285, S. 273; Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rdnr. 63, 91 f., 94.
§ 10 Ergebnis: Offener Statutenwechsel im internationalen Kulturgüterverkehr
das nahezu universal einheitlich geltende Kollisionsrecht auf den illegalen Kulturgüterverkehr und die Veräußerung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter auf dem kulturellen Schwarzmarkt auswirkt. Schon vorab kann festgestellt werden, dass das am Ende des 3. Abschnitts zu formulierende Ergebnis schockierend ist: Die gravierenden Missstände des internationalen zivilrechtlichen Kulturgüterschutzes beruhen in weitem Umfang auch auf der generellen Anwendung des für sonstige Mobilien stimmigen, für den internationalen Verkehr mit kulturell wie materiell bedeutsamen Kunst- und Kulturgütern mit Unikatfunktion jedoch wenig sachdienlichen Belegenheitsrechts.
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3. Abschnitt Kritik am internationalen Kulturgüterprivatrecht ‚de lege lata‘ 392
Die international weitgehend einheitliche Rechtswahl nach den Grundsätzen der lex rei sitae steht sowohl für das allgemeine Fahrnisrecht als auch für den internationalen Kunsthandel nicht außerhalb jeglicher Kritik (vgl. nachfolgend unter Punkt A.). In gleichem Maße wird das allgemein geltende Dogma der Nichtanwendung ausländischer Kulturgüterschutzgesetze vor nationalen Zivilforen von großen Teilen des kulturgüterspezifischen Schrifttums bemängelt (vgl. nachfolgend unter Punkt B.). Beide Erwägungen führen schließlich zu dem Gedanken der ‚Auflockerung‘ und ‚Entkrustung‘ der allgemeinen Rechtswahlgrundsätze im Internationalen Kulturgüterprivatrecht (vgl. unter § 11 Ergebnis).
A. Bewertung der lex rei sitae im internationalem Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht 393
Für eine Rechtswahl nach dem Belegenheitsrecht werden traditionell gewichtige Gründe ins Feld geführt, die nachfolgend unter Punkt I. ausführlich erläutert werden. Andererseits wird die lex rei sitae im Schrifttum weniger für das Fahrnisrecht im Allgemeinen als insbesondere für den internationalen Kunsthandel im Speziellen heftig attackiert (vgl. hierzu nachstehend hierzu Punkt II.). Dabei wird in besonderem Maße auch auf die negativen Folgen der lex rei sitae auf den internationalen Kunstmarkt hingewiesen und die im Schrifttum immer deutlicher formulierte Behauptung geprüft werden, dass unser geltendes Kollisionsrecht die Illegalität des weltweiten Kunstmarktes nicht nur nicht bekämpft, sondern sogar aktiv fördert.
I. 394
Gründe für eine Anwendung des Belegenheitsrechts
Es ist der typische Zweck der Sachenrechtsnormen, alle im räumlichen Geltungsbereich der Rechtsordnung befindlichen Sachen – und damit auch Kulturgüter, ob beweglich oder unbeweglich – zu erfassen.994 Für eine Rechtswahl nach dem Belegenheitsrecht gelten auch für den internationalen Kunsthandel die traditionell angeführten Gründe. Rechtsdogmatisch wird die Anknüpfung von Mobilien und damit gleichzeitig auch von Kunst- und Kulturgütern an die lex rei sitae auf unterschiedliche Weise erklärt. Während Savigny ursprünglich die freiwillige Unterwerfung des Rechtssubjektes unter die lex rei sitae als konstruktiven
994
Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 256.
3. Abschnitt: Kritik am internationalen Kulturgüterprivatrecht ,de lege lata‘
669
Grund ansah 995, andere auf den ordre public 996 oder das allgemeine Völkerrecht 997 als Geltungsgrund für die Rechtswahl nach dem Belegenheitsrecht abstellten, wird heute nahezu einheitlich vertreten, dass der Souveränitätsanspruch des Belegenheitsstaates die Anwendung der lex rei sitae erfordert.998 Die kollisionsrechtliche Anknüpfung folgt der effektiven Regelungsmacht, die aus der Territorialhoheit für die belegenen Objekte folgt. Die Anknüpfung an die lex rei sitae beruht also auf der völkerrechtlichen Grundlage der Territorialhoheit des Belegenheitsstaates, sämtliche Rechtsverhältnisse über die in seinem Staatsgebiet belegenen Objekte selbst und eigenständig zu bestimmen. Die sachliche Begründung für die Anknüpfung von Mobilien und damit gleichzeitig auch von Kunstund Kulturgütern an die lex rei sitae ist dabei vielschichtig.999 Entsprechend dem allgemeinen Prinzip der Anknüpfungsgerechtigkeit im internationalen Privatrecht zählen im internationalen Sachenrecht hierzu bspw. der Grundsatz der Anwendung des sachnächsten Rechts, das sowohl den Parteiinteressen als auch Verkehrsund Ordnungsinteressen dient, außerdem das Vertrauensschutzprinzip, das u.a. zum Schutz wohlerworbener Rechte nach der Prägungstheorie zwingt, sowie der Grundsatz der Förderung des äußeren und inneren Entscheidungseinklangs sowie das Prinzip der Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit von Anknüpfungsergebnissen.1000 Für den allgemeinen Mobiliartransfer ist die Anwendung der am Lageort geltenden Rechtsordnung im Allgemeinen sachgerecht: Nach der Lehre Savignys, wonach die kollisionsrechtliche Anknüpfung an die Rechtsordnung am „Sitz des Rechtsverhältnisses“ zu erfolgen habe,1001 haben bewegliche Gegenstände für dingliche Rechtsverhältnisse am Lageort der Sache ihren natürlichen Schwerpunkt. So wird regelmäßig – für den allgemeinen Warenverkehr überzeugend – dargelegt,
995 996 997
998
999
1000
1001
Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Band VIII, 1849, S. 169. Frankenstein, Internationales Privatrecht, Grenzrecht, Band II, 1926–1935, S. 7. Zitelmann, Internationales Privatrecht, Band I, 1897, S. 133; Gutzwiller, Internationalprivatrecht, in: Stammler, Das gesamte deutsche Recht, Band 1, 1939, S. 1554. Frankenstein, Internationales Privatrecht, Grenzrecht, Band II, 1926–1935, S. 3 ff.; Lalive, The Transfer of Chattels in the Conflict of Laws, 1955, S. 106. Vgl. Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 66–67; Lalive, The Transfer of Chattels in the Conflict of Laws, 1955, S. 103 ff.; Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Vor Art. 43, Rdnr. 10–11; Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 256. Vgl. hierzu Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Vor Art. 43, Rdnr. 10–11. Vgl. Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Band VIII, 1849, S. 169; Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rdnr. 14; jeweils m.w.N.
395
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
dass eine bewegliche Sache keinen greifbareren Anknüpfungspunkt als ihren Lageort besitzt.1002 Der räumliche Bezug einer Sache zu ihrem Belegenheitsrecht ist danach grundsätzlich der originäre Anknüpfungspunkt und ergibt sich „aus sich selbst“ 1003, im Gegensatz bspw. zur Anknüpfung an das Heimatrecht des Eigentümers, das nur durch die Person des Eigentümers vermittelt werden könnte.1004 Da am Lageort die sachenrechtlichen Befugnisse hinsichtlich der Sache ausgeübt, dingliche Rechte erworben und gegen Verletzungen durch Dritte geschützt werden,1005 stellt der Ort der Belegenheit für Mobilien nach überzeugender Einlassung der herrschenden Meinung grundsätzlich zu Recht den natürlichen Schwerpunkt der sachenrechtlichen Verhältnisse und zugleich den klarsten und sichersten Anknüpfungspunkt für eine Rechtswahl dar.1006 396
Dabei sprechen insbesondere das Verkehrsinteresse und der allgemeine Schutz des Rechtsverkehrs für eine Anwendung des Belegenheitsrechts auch im internationalen Kulturgüterverkehr.1007 Der inländische Rechtsverkehr muss im Allgemeinen nur mit solchen dinglichen Sachzuordnungsregeln kultureller Wertgegenstände rechnen, die auch dem inländischen Recht bekannt sind.1008 Der Staat, in dem sich die Sache befindet, ist für alle Beteiligten am einfachsten feststellbar, und die Geltung seines Rechts entspricht am ehesten ihren Erwar-
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Vgl. Strauch, Rechtsverhältnisse an Kulturgütern im Internationalen Sachenrecht, 2007, S. 83–85. So schon Frankenstein, Internationales Privatrecht, Grenzrecht, Band II, 1926–1935, S. 7. Vgl. auch Müller, Kollisionsrechtliche Behandlung von Reisegepäck und individuellem Verkehrsmittel auf der Auslandsreise, RIW 1982, S. 461–470, S. 464 f.; Strauch, Rechtsverhältnisse an Kulturgütern im Internationalen Sachenrecht, 2007, S. 83–85. Siehe Frankenstein, Internationales Privatrecht, Grenzrecht, Band II, 1926–1935, S. 7. Vgl. Strauch, Rechtsverhältnisse an Kulturgütern im Internationalen Sachenrecht, 2007, S. 83–85. Siehe Strauch, Rechtsverhältnisse an Kulturgütern im Internationalen Sachenrecht, 2007, S. 83–85 Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 302; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 77; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 121–122; Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 4; Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, § 54 II; Müller, Kollisionsrechtliche Behandlung von Reisegepäck und individuellem Verkehrsmittel auf der Auslandsreise, RIW 1982, S. 461–470, S. 465; Strauch, Rechtsverhältnisse an Kulturgütern im Internationalen Sachenrecht, 2007, S. 83–85. Vgl. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 513–514; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 121–122.
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671
tungen.1009 Damit stehen die Vorschriften über den Erwerb des Eigentums an Mobilien im Allgemeinen und kulturellen Wertgegenständen im Besonderen regelmäßig mit volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten in engem Zusammenhang. „Würde man Erwerb und Verlust dinglicher Rechte an den im Staatsgebiete befindlichen, beweglichen Sachen und die Schranken, die der Ausübung solcher Rechte aus Rücksicht für das öffentliche Wohl und die Volkswirtschaft gesetzt sind, je nach der Staatszugehörigkeit oder dem Wohnsitz der Beteiligten beurteilen, so würde Verwirrung der Besitz- und Rechtsverhältnisse eintreten.“ 1010 Die Sicherheit des Rechtsverkehrs über die Anwendung einer effektiven Regelung und die „Publizität der Anknüpfungsgründe“ 1011 sind somit auch für den internationalen Kunsthandel wichtige Faktoren.1012 Hier muss eine Übertragung dinglicher Rechte ebenfalls einfach, schnell und sicher möglich sein. Im internationalen Kunsthandel kommen so für die Ermittlung des anwendbaren Rechts grundsätzlich nur solche Anknüpfungspunkte in Betracht, die auch für Außenstehende vergleichsweise leicht und eindeutig erkennbar sind: Der Lageort eines Kulturguts und die dementsprechende Rechtswahl bieten dabei jedenfalls die notwendige Sicherheit für den internationalen Kunstmarkt.1013 Das Gebot des Verkehrsschutzes soll dementsprechend auch im internationalen Kulturgüterverkehr dazu führen, dass jeder, der das Gesetz und die äußerlich sichtbaren Ver1009
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Vgl. BT-Drs. 14/343, S. 15; Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 3–4. Crisolli, Zum Streit um die russischen Kunstauktionen, Juristische Rundschau (JR) Nr. 24 (1928), S. 280–282, S. 280. So die Terminologie bei Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Vor Art. 43, Rdnr. 10–11. Vgl. dazu Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 66–67; Matin, The Doctrine of Jurisdiction in International Law, in Recueil des Cours – Collected Courses of the Hague Academy of International Law (1964-I) S. 11 ff., S. 50 f.: „It is not now open to doubt that the title to property is governed by the lex situs. The idea of international jurisdiction has played a large part in evolving this principle, though ils responsibility is neither exclusive nor decisive. Other considerations, such as the security of trade or expediency, were al work. But it is legitimate to suggest that these would not have carried the day had they not produced results, which were in harmony with the requirements of public international law.“ Vgl. so schon die Rechtsprechung des BGH, Urteil des 8. Zivilsenats vom 25.09.1996, Az.: VIII ZR 76/95, NJW 1997, S. 461–464, S. 462 m.w.N. Darauf Rekurs nimmt auch das Schrifttum: Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Vor Art. 43, Rdnr. 10–11; Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 12 Rdnr. 10. Kritisch Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 262 und 282 ff.; Stoll, Zur gesetzlichen Regelung des internationalen Sachenrechts in Artt. 43–46 EGBGB, IPRax 2000, S. 259–270, S. 264.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
hältnisse kennt, das anwendbare Recht möglichst zweifelsfrei ermitteln können soll.1014 Das ist ein Gebot des Verkehrsschutzes, der gerade bei der dinglichen Sachzuordnung (unrechtmäßig entzogener) Kulturgüter in besonderem Maße nach Rechtssicherheit und Rechtsklarheit verlangt.1015 398
Daneben spricht auch die alltägliche Gerichtspraxis für die Anknüpfung an die lex rei sitae, da der Lageort eines Kulturguts als Anknüpfungsmoment bei der kulturellen Sachzuordnung auch für ausländische Richter leicht zu ermitteln ist.1016 Der Lageort eines Kulturguts ist in der Regel der greifbarste Anknüpfungspunkt und ermöglicht so den am internationalen Kulturgüterverkehr Beteiligten eine (relativ) einfache und sichere Bestimmung der anwendbaren Rechtsordnung. Alternative Anknüpfungsmaximen sind nach dieser Einschätzung wesentlich schwieriger festzustellen und tragen so aus Sicht der Ordnungsinteressen nicht zur Förderung von Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit der Rechtsanwendung bei.
399
Außerdem führt die sitae-Regel zur Anwendung eines Rechts, das – solange die Sache noch am Erwerbsort ist – auch durchgesetzt werden kann.1017 Verurteilt bspw. ein deutsches Gericht einen Restitutionsschuldner zur Herausgabe eines in den Niederlanden belegenen Gemäldes, würde das Urteil in den Niederlanden unter sehr strengen Voraussetzungen nur theoretisch, praktisch wahrscheinlich überhaupt nicht anerkannt werden, wenn der Beklagte etwa das Bild nach niederländischem Recht gutgläubig erworben hat und dem Kläger daher kein 1014
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So Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Vor Art. 43, Rdnr. 10–11. Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff., S. 3582: Die Situs-Regel entspricht regelmäßig dem Verkehrsinteresse. In Ausnahmefällen erlaubt innerhalb des deutschen Rechtskreises Art. 46 EGBGB Abweichungen. Vgl. Mansel, DeWeerth v. Baldinger – Kollisionsrechtliches zum Erwerb gestohlener Kunstwerke, IPRax 1988, S. 268–271, S. 270; Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 513– 514; Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, § 54 I 1; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 121–122; Strauch, Rechtsverhältnisse an Kulturgütern im Internationalen Sachenrecht, 2007, S. 124–126. So Mansel, DeWeerth v. Baldinger – Kollisionsrechtliches zum Erwerb gestohlener Kunstwerke, IPRax 1988, S. 268–271, S. 270; Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 3–4; Kurpiers, Die lex originisRegel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 121–122; Strauch, Rechtsverhältnisse an Kulturgütern im Internationalen Sachenrecht, 2007, S. 83–85.
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673
Herausgabeanspruch zusteht.1018 Dagegen wird eine Entscheidung in einem Kunstrestitutionsprozess, die nach dem Sachrecht des Lageorts ergangen ist, dort auch am leichtesten vollstreckbar sein.1019 Die erfolgreiche Inanspruchnahme der Rechtsschutzorgane des Belegenheitsstaates wird am ehesten gewährleistet, wenn das anwendbare Recht den Regeln des Lageortes entspricht.1020 Wird der Belegenheitsort verändert, so tritt an die Stelle des Gedankens, ein durchsetzungsfähiges Recht anzuwenden, die Überlegung, die in einem anderen Staat erworbenen Rechte zu schützen.1021 In engem Zusammenhang mit der Anerkennung ausländischer Kunstrestitutionsentscheidungen steht schließlich, dass die Rechtswahl nach der lex rei sitae auch innerhalb des Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts zu einem internationalen Entscheidungseinklang bei kulturellen Rückführungsklagen führt.1022 Die weltweite Verbreitung der Anknüpfung an den Belegenheitsort 1023 diene somit zusammen mit ihrer Eindeutigkeit und relativen Unabhängigkeit von nationalen Systemvorstellungen auch dem internationalen Entscheidungseinklang.1024 Dies führe erneut dazu, dass die Wahrscheinlichkeit der Anerkennung ausländischer Restitutionsentscheidungen im Belegenheitsstaat erhöht würde.1025 So erlange im Interesse des Kunstmarktes Rechtssicherheit und Vor-
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Vgl. hierzu Berndt, Internationaler Kulturgüterschutz: Abwanderungsschutz, Regelungen im innerstaatlichen Recht, im Europa- und Völkerrecht, 1998, S. S. 125, auch zitiert bei Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 121–122. Zu dieser Konstellation vgl. auch LG Hamburg, Urteil vom 20.6.1996, Az.: 305 O 77/92 (unveröffentlicht), IPRspr. 1996 Nr. 55, S.119 ff. Vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 3–4. Strauch, Rechtsverhältnisse an Kulturgütern im Internationalen Sachenrecht, 2007, S. 83– 85. Vgl. Mansel, DeWeerth v. Baldinger – Kollisionsrechtliches zum Erwerb gestohlener Kunstwerke, IPRax 1988, S. 268–271, S. 270. Vgl. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 513–514. Vgl. dazu Byrne-Sutton, Le trafic international des biens vulturels sous l’angle de leur revendication par l’Etat d’origine – Aspects de droit international privé, 1988, S. 110 f.; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 121–122; Strauch, Rechtsverhältnisse an Kulturgütern im Internationalen Sachenrecht, 2007, S. 83–85: „Die Anknüpfung an das Recht des Lageortes ist die am weitesten verbreitete Anknüpfung überhaupt.“. So Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 3–4. Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rdnr. 74.
400
674
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
hersehbarkeit bei Entscheidungen in kulturellen Restitutionsverfahren volles Gewicht.1026 Zugleich wird ein Gleichlauf zwischen internationaler Zuständigkeit und anwendbarem Recht erreicht.1027
II.
Kritik an der ‚lex rei sitae‘ im internationalen Kulturgüterverkehr
Schrifttum: Anton, Special Conflict Rules in the Private International Law of Property concerning International Art Trade in Stolen Works of Art, LL.M. Thesis 2005, University of Johannesburg, South Africa; Byrne-Sutton, Qui est le propriétaire légitime d’un objet d’art volé? Une source de conflit dans le commerce international, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 483–501; Carducci, The Growing Complexity of International Art Law: Conflict of Laws, Uniform Law, Mandatory Rules, UNSC Resolutions and EU Regulations, in: Hoffman, Art and Cultural Heritage – Law, Policy and Practice, 2006, S. 68 ff.; Doyal, Implementing the UNIDROIT Convention on Cultural Property into Domestic Law: The Case of Italy, Columbia Journal of Transnational Law 39 (2001), S. 657–700, S. 661; Ferrer-Correia, Nouvelles règles de conflit de lois sur la vente internationale d’objets d’art, in: Briat/Freedberg, International Sales of Works of Art/La Vente Internationale d’Œuvres d’Art: Legal Aspects of International Art Trade, Volume IV (1993), S. 41–48; Garro, The Recovery of Stolen Art Objects From Bona Fide Purchasers, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 503-519; GrammaticakiAlexiou, The Status of Cultural Property in Greek Private International Law, Revue Hellénique de Droit International 47ème Année (1994), S. 139–160, S. 151; Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 214; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 173–174; Kienle/Weller, Die Vindikation gestohlener Kulturgüter im IPR, IPRax 2004, S. 290–294, S. 291; Köhling, Der Eigentumserwerb abhanden gekommener Kunstgegenstände im amerikanischen Recht, 1999, S. 121 ff.; Lalive, A Disturbing International Convention: UNIDROIT, Art, Antiquity and Law 4 (1999), S. 219–228, S. 220–222; Mansel, DeWeerth v. Baldinger – Kollisionsrechtliches zum Erwerb gestohlener Kunstwerke, IPRax 1988, S. 268–271, S. 270–271; Olivier, The Unidroit Convention: Attempting to Regulate the International Trade and Traffic of Cultural Property, Golden Gate University Law Review 26 (1996), S. 627–665, S. 637–638; Sandrock, Foreign Laws Regulating the Export of Cultural Property: The Respect Due to them by the Judge of the Lex Fori, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 457–482; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 158–160; Strauch, Rechtsverhältnisse an Kulturgütern im Internationalen Sachenrecht, 2007, S. 77 ff., insb. S. 85 ff.
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Die heutige nahezu universale Anwendung der lex rei sitae-Regel spiegelt jedoch nicht die Auseinandersetzungen wieder, die bei der Frage der ‚richtigen‘ Rechtswahl im internationalen Sachenrecht geführt wurden und täuscht über den
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Vgl. Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 121–122. Vgl. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 513–514.
3. Abschnitt: Kritik am internationalen Kulturgüterprivatrecht ,de lege lata‘
675
umstrittenen Gehalt des Belegenheitsgrundsatzes innerhalb der Rechtswahl sowohl bei sonstigen (Konsum-)Gegenständen als auch bei Kunst- und Kulturgütern innerhalb des Schrifttums hinweg. Insbesondere ist hier auf die negativen Folgen der lex rei sitae auf den internationalen Kunstmarkt hinzuweisen und die im Schrifttum immer deutlicher formulierte Behauptung zu prüfen, dass unser geltendes Kollisionsrecht die Illegalität des weltweiten Kunstmarktes aktiv fördert.
1.
Rechtsdogmatische Überlegungen zur ‚richtigen‘ Rechtswahl im internationalen Sachenrecht
Zum einen kaschiert die heute nahezu weltweite Geltung der lex rei sitae die Tatsache, dass intensiv und insbesondere kontrovers um die ‚richtige‘ Rechtswahl im internationalen Sachenrecht gestritten wurde.1028 In der Tat ist die Herrschaft der lex rei sitae über bewegliche Sachen niemals allgemein anerkannt und auch niemals in einem so umfassenden Sinne verstanden worden, wie bei Immobilien.1029 Bei unbeweglichen Sachen leuchtet deren Geltung ein, denn bei der Anknüpfung an das Recht des Lageortes handelt es sich um eine grundsätzlich unwandelbare Anknüpfung, da ein Statutenwechsel praktisch nur im seltenen Fall einer Gebietsabtretung oder Änderung der Staatsidentität denkbar ist.1030 Neben Erwägungen des Verkehrsschutzes sprechen für die Anwendung der lex rei sitae bei der Rechtswahl im Immobiliarrecht vornehmlich auch Überlegungen der Kontinuität und Vorhersehbarkeit der Rechtsanwendung.1031 Außerdem führen zahlreiche Staaten bei unbeweglichen Gegenständen öffentliche Register am Belegenheitsort, was durch die Anwendung der situs-Regel deutlich vereinfacht wird.1032
402
Anders stellt sich dies jedoch bei der Rechtswahl beweglicher Gegenstände dar und die genannten Argumente gelten wegen der vereinfachten Möglichkeit eines Statutenwechsels nicht oder nur in begrenztem Maße. Vielmehr ist bei beweglichen Gegenständen allgemein von einer Einschränkung der der lex rei sitae zugrunde liegenden Vermutung auszugehen, dass zwangsläufig eine besondere Verbindung eines beweglichen Objekts zu seinem Belegenheitsort besteht.1033 Die
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Vgl. ausführlich hierzu und zum Folgenden Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 126–128. Strauch, Rechtsverhältnisse an Kulturgütern im Internationalen Sachenrecht, 2007, S. 85– 89. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 253; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 178–181. Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 178–181. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 125; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 178–181. Vgl. zu diesem Gedankengang auch Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 178–181.
676
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Schwäche der lex rei sitae liegt auf der Hand: Das anwendbare Recht wechselt mit jeder Änderung des Lageorts.1034 Die lex rei sitae-Regel ist damit nicht so selbstverständlich, wie es heute scheinen mag, und zwar sowohl allgemein, als auch im besonderen Fall von Kunst- und Kulturgütern.1035 404
Bis Mitte des 19. Jahrhunderts war bei der Rechtswahl in grenzüberschreitenden Sachverhalten nahezu ausschließlich die Anknüpfung an das Wohnsitzrecht des Eigentümers maßgebend.1036 Aufbauend auf der Statutenlehre wurden bewegliche Sachen nämlich als Zubehör ihres Eigentümers betrachtet.1037 Die ältere Lehre zog damit entsprechend den Grundsätzen „mobilia ossibus inhaerent“ 1038 bzw. „mobilia sequuntur personam“ 1039 vielfach das am Wohnsitz des Eigentümers oder des Besitzers der beweglichen Sache geltende Recht (die sog. lex domicilii) 1040 der lex rei sitae vor.1041 Der Gedanke, dass es auf den Eigentümer der
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So plakativ Jayme, „Entartete Kunst“ und Internationales Privatrecht, 1994, S. 21–23. So Jayme, „Entartete Kunst“ und Internationales Privatrecht, 1994, S. 21–23. So Foelix, Traité du Droit International Privé ou du Conflit des Lois de différentes Nations, 1843, S. 62.: ,,mobilia sequntur personam: mobilia ossibus inhaerent,“ der für diese Auffassung 25 Autoren zitiert (vgl. S. 63–64). Vgl. Jayme, „Entartete Kunst“ und Internationales Privatrecht, 1994, S. 21–23; Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 126–128. Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 76–77 und S. 120–121. Wörtlich: „bewegliche Sachen hängen an den Knochen“. Wörtlich: „bewegliche Sachen folgen der Person“. Aber selbst ein Kenner des römischen Rechts wie Savigny wusste „den Ursprung jener Formel nicht anzugeben“. von Savigny, System des heutigen Römischen Rechts Band VIII, 1849, S. 171 f. Fn. e. Zum Ganzen auch Jayme, „Entartete Kunst“ und Internationales Privatrecht, 1994, S. 21–23. Gegen eine Anwendung der lex domicilii für den internationalen Kunsthandel spricht sich ausdrücklich aus Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 120–121. Es ist aber in der Literatur keine Meinung ersichtlich, die eine Rechtswahl nach der lex domicilii im internationalen Kunsthandel vertritt. Die Ansicht wird allein zur Entkräftung einer unumstößlichen Geltung der lex rei sitae angewendet. Vgl. aber Schwadorf-Ruckdeschel: „Das Kriterium der engen Verknüpfung mit dem Eigentümer leuchtet ein. Im Hinblick auf ein Kulturgut ist eine besondere Bindung dieser Sache an eine Person, wie sie bei Gegenständen, die zum täglichen Gebrauch herangezogen werden, aber nicht feststellbar. Diese die lex domicilii stützende Beziehung fehlt bei Kunstgegenständen, die als solche typischerweise nicht zum engen persönlichen Umfeld eines Menschen gehören. (Vgl. auch den Hinweis auf die generell fehlende enge Verbindung von Sachen – selbst von persönlichen Gegenständen, die jemand ständig bei sich trägt (z. B. eine Brille) – zu ihrem Eigentümer bei Sailer, Gefahrübergang, Eigentumsübergang, Verfolgungs- und Zurückbehaltungsrecht beim Kauf beweglicher Sachen im internationalen Privatrecht, 1966, S. 57). Von vorneherein ausgeschlossen ist dieses Kriterium bei Kulturgütern im Staatseigentum. Schon hier ergeben sich Zweifel, ob die Anknüpfung an die lex domicilii bei Kulturgütern überhaupt gerechtfertigt ist. Es ist aber auch zu fragen, ob sich durch die lex domicilii für die hier interessierenden Fälle überhaupt sachgerechte Ergebnisse erzielen lassen. Im internationalen Handelsverkehr erweist es sich unter Umständen schon als schwierig und folglich mit Unsicherheiten
3. Abschnitt: Kritik am internationalen Kulturgüterprivatrecht ,de lege lata‘
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Sache und nicht auf ihren Lageort ankommen solle, fand später in den Ausführungen Mancinis normative Bestätigung, der eine dementsprechende Kollisionsnorm in Art. 7 Abs. 1 „Disposizioni generali“ zum italienischen Codice civile von 1865 1042 formulierte.1043 In erster Linie entschied also nach italienischem internationalem Privatrecht die Staatsangehörigkeit des Eigentümers über dingliche Rechte an beweglichen Sachen.1044 Dem italienischen Codice civile folgend bestimmte auch der spanische Código civil von 1889 in Art. 10 Nr. 1 für Mobilien eine solche lex patriae des Eigentümers. Italien ging aber inzwischen seit 1942 und Spanien seit 1974 auch bei beweglichen Sachen zur Anknüpfung an den Lageort über.1045 Ausdrücklich gegen die Anwendung der lex domicilii wandte sich aber bereits seinerzeit Savigny. Auf ihn geht wohl zurück, dass schließlich die Auffassung zum Durchbruch gelangte, dass bewegliche Sachen kollisionsrechtlich grund-
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behaftet, den Wohnsitz eines Vertragspartners herauszufinden, der gar nicht am Vertragsschlußort liegen muß. Die Anwendung des Wohnsitzstatuts setzt jedoch auch voraus, daß man den betroffenen Gegenstand von vorneherein einer Person zuordnen kann. Es treten Probleme zu Tage, wenn die Frage beantwortet werden soll, welche von zwei Geschäftsparteien nun Eigentümer der Vertragssache ist. Gerade für den Erwerb von Kulturgütern stellt sich dies aber als eine typische Problemlage dar (Dies gilt insbesondere auch für den gutgläubigen Erwerb). Mag die lex domicilii bei der Vereinbarung von Sicherungsrechten ein klares Ergebnis bedingen (so wäre beispielsweise ein Pfandrecht an einer Mobilie nach den rechtlichen Voraussetzungen am Wohnsitzort des Eigentümers der Sache zu bestellen), kann diese Anknüpfung beim Gutglaubenserwerb in eine zirkelschlußhafte Situation führen: Um festzustellen, nach welchem Recht wer zu welchem Zeitpunkt Eigentum gehalten oder erworben hat, muß man für die Anwendung der lex domicilii im voraus wissen, wer ursprünglich Eigentümer war. Gerade bei Kulturgütern läßt sich der wahre Eigentümer aber oft nicht (mehr) feststellen. Häufig können die Wege des Objektes durch viele Hände im Nachhinein nicht rekonstruiert werden. Folglich bereitet es nicht nur Probleme, die grundsätzliche Anwendbarkeit der lex domicilii auf Kulturgüter zu begründen. Auch bei der praktischen Anwendung ergeben sich starke Einschränkungen. Die lex domicilii erscheint daher nicht geeignet, die rechtlichen Probleme der Anknüpfung des Erwerbs von Kulturgütern zu lösen.“ Die Vorschrift galt bis zum Inkrafttreten des neuen Codice civile von 1942. Heute gilt der Grundsatz der lex rei sitae gemäß Art. 22 Disp. prei: „Il possesso, la proprietà e gli altri diritti sulle cose mobili e immobili sono regolati dalla legge del luogo nel quale le cose si trovano.“ Die alte Regel wurde aber vom Schrifttum bereits im Sinne der lex rei sitae umgeformt, vgl. Jayme, „Entartete Kunst“ und Internationales Privatrecht, 1994, S. 21–23, unter Rekurs auf Diena, Principi di diritto internazionale, parte seconda, Diritto internazionale privato, 2. Aufl. 1914, S. 224 ff.; Vitta, Diritto internazionale privato, Band 3, 1975, S. 6.: „Tuttavia l’eccezione a tale regola, quale appare nel testo definitivo delle preleggi, finiva per tradire il pensiero originario del Mancini (che aveva in vista eccezioni determinate e ben definite) dando luogo ad una limitazione di portata talmente generale alla regola cui si riferisce, da distruggere in pratica la regola stessa.“ Vgl. hierzu Jayme, „Entartete Kunst“ und Internationales Privatrecht, 1994, S. 21–23. Vgl. Jayme, „Entartete Kunst“ und Internationales Privatrecht, 1994, S. 21–23. Vgl. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 126– 128.
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sätzlich nicht anders behandelt werden dürfen als unbewegliche.1046 Er rechtfertigte im 8. Band seines Systems des heutigen Römischen Rechts von 1849 den Grundsatz der lex rei sitae wie folgt: 1047 „Wer an einer Sache ein Recht erwerben, haben, ausüben will, begibt sich zu diesem Zweck an ihren Ort und unterwirft sich freiwillig … dem in diesem Gebiet herrschenden örtlichen Recht.“ Außerdem blieben bei Beteiligung mehrerer Personen „Zweifel übrig …, welcher Wohnsitz zu entscheiden hätte“.1048 Auch Ludwig von Bar wandte sich später gegen eine solche „Personifikation“ von Sachen und aus Gründen der Sicherheit des Rechtsverkehrs gegen die Rechtswahl nach dem Heimatrecht des Eigentümers.1049 Sowohl für den allgemeinen Mobiliartransfer als auch für den internationalen Kulturgüterverkehr hatte diese Hinwendung zur lex rei sitae zur Folge, dass zugunsten des Handelsverkehrs (und damit auch des Kunstmarktes) allgemein eine Bevorzugung der Interessen der Erwerber in den Vordergrund rückte und man die Belange der Eigentümer (bspw. auch unrechtmäßig entzogener Kulturgüter) eher aus den Augen verlor.1050 406
Normative Applikation findet die Anknüpfung an das Wohnsitzrecht des Eigentümers heute noch (in eingeschränktem Umfang) in Argentinien, Brasilien, Kuba sowie einzelnen Bundesstaaten der Vereinigten Staaten von Amerika.1051 So unterwirft bspw. das brasilianische und argentinische Recht bewegliche Sachen ohne festen Standort der lex domicilii des Eigentümers. Dazu zählen bspw. solche Gegenstände, die der Eigentümer stets bei sich trägt oder die zu seinem persönlichen Gebrauch dienen.1052 Auch im südafrikanischen Recht wirkt die Lehre der römisch-holländischen Schule des 17. Jahrhunderts, mobilia sequuntur personam, heute noch nach.1053 Innerhalb der einzelnen Rechtsordnungen der Bundesstaaten der Vereinigten Staaten von Amerika erklärt bspw. § 946 California Civil Code – der Lehre Storys folgend – für bewegliche Sachen die lex domicilii des Eigentümers für anwendbar mit dem Vorbehalt, dass die lex rei sitae keine 1046 1047 1048
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Vgl. Savigny, System des heutigen Römischen Rechts Band VIII, 1849, S. 169–181. Vgl. Savigny, System des heutigen Römischen Rechts Band VIII, 1849, S. 169. Auch zitiert bei Jayme, „Entartete Kunst“ und Internationales Privatrecht, 1994, S. 21– 23. von Bar, Theorie und Praxis des internationalen Privatrechts, Band 1, 2. Aufl. 1889, S. 608 (mit einer Ausnahme bei „Seeschiffen und größeren Flußschiffen“), vgl. hierzu Jayme, „Entartete Kunst“ und Internationales Privatrecht, 1994, S. 21–23. So die Einschätzung bei Jayme, „Entartete Kunst“ und Internationales Privatrecht, 1994, S. 21–23. Ferid, Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1986, § 7 Rdnr. 52, § 7 Rdnr. 34; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 120–121. Vgl. ausführlich hierzu Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 126–128. Vgl. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 126–128. Ausführlich hierzu Forsyth, Private International Law – The modern Roman-Dutch including the Jurisdiction of the High Courts, 4. Aufl. 2003, S. 342 ff.
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gegenteiligen Bestimmungen enthält.1054 Ähnliche Gesetzesvorschriften sind auch in Idaho, Montana und North Dakota erlassen worden.1055
2.
Rechtliche Perpetuierung des illegalen Kunsthandels durch die lex rei sitae
Gehörige Kritik muss sich die lex rei sitae wegen ihres umstrittenen Rechtsgehalts sowohl für Mobilien im Allgemeinen als auch für Kunst- und Kulturgüter im Besonderen gefallen lassen. Das Hauptproblem, das für die Rechtswahl bei beweglichen Gegenständen besteht, ist deren grenzüberschreitende Mobilität und damit Internationalität: Bewegliche Sachen – dies gilt in besonderem Maße für Kunst- und Kulturgüter – können jederzeit mit der Folge in ein anderes Rechtsgebiet verbracht werden, dass das für sie maßgebliche Sachstatut wechselt.1056 Nach einem solchen Statutenwechsel birgt die Anknüpfung an den Lageort jedoch die Gefahr, dass gestohlene Sachen zufällig oder in böser Absicht (mala fides) in das Hoheitsgebiet eines Staates ge- oder bewusst verbracht werden, nach dessen Recht der gutgläubige Erwerb unter erleichterten Voraussetzungen möglich ist. Dabei tritt der Statutenwechsel unabhängig davon ein, ob die Sache rechtmäßig oder rechtswidrig, mit oder gegen den Willen des Berechtigten oder etwa nur zum Zwecke der Gesetzesumgehung an den neuen Lageort gebracht wird.1057 Die unterschiedlichen materiell-rechtlichen Voraussetzungen der nationalen Sachenrechtsordnungen innerhalb der dinglichen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter 1058 haben dann zur Folge, dass durch die Anwendung der neuen lex rei sitae die Rechte des Alteigentümers erheblich geschmälert 1054
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Vgl. May, Die Regeln des internationalen Privatrechts der beweglichen Sachen in den USA, 1969, S. 8 ff.; Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 126–128. So Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 126–128. Vgl. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 126–128. Fechner, Rechtlicher Schutz archäologischen Kulturguts – Regelungen im innerstaatlichen Recht, im Europa- und Völkerrecht sowie Möglichkeiten zu ihrer Verbesserung, 1991, S. 73; Stoll, Sachenrechtliche Fragen des Kulturgüterschutzes in Fällen mit Auslandsberührung, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes – Symposium vom 22./23. Juni 1990 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 53 ff., S. 54; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 175–176; Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rdnr. 27 Anm. 84; Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 120–123. Zur Problematik des gutgläubigen Erwerbs im internationalen Privatrecht vgl. Weisflog, Der Schutz des Erwerbers beweglicher Sachen vom Nichteigentümer im internationalen Privatrecht, 1930; Duden, Der Rechtserwerb vom Nichtberechtigten an beweglichen Sachen und Inhaberpapieren im deutschen internationalen Privatrecht, 1932; Karrer, Der Fahrniserwerb kraft guten Glaubens im Internationalen Privatrecht, 1968. Vgl. ausführlich zu den unterschiedlichen materiell-rechtlichen Sachzuordnungsregeln Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel.
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werden können.1059 So weist bspw. Lüderitz in seinem Lehrbuch zum internationalen Privatrecht ausdrücklich darauf hin, dass die lex rei sitae ermöglicht, dass „Diebesgut, insbesondere Kunstgegenstände, erfolgreich in Staaten umgeschlagen wird, die den gutgläubigen Erwerb auch von gestohlenen Sachen oder Ersitzung nach kurzer Frist gestatten.“ 1060
a) 408
Zufallsergebnisse bei Anwendung der lex rei sitae
Als ein Hauptargument gegen die Rechtswahl nach dem Belegenheitsort und damit für eine Einschränkung oder Modifikation der herkömmlichen SitusRegel wird geltend gemacht, dass beim gutgläubigen Erwerb gestohlener Sachen und damit auch bei der dinglichen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter die Anknüpfung an das Recht am Lageort zu zufälligen Ergebnissen führt.1061 Schon allgemein wird kritisiert, dass der locus rei sitae ein zu sehr vom Zufall abhängiger Ort ist, um die Anwendung der lex rei sitae für internationale Transaktionen in rem anzuwenden.1062 Das Gleiche gilt mutatis mutandis für den internationalen Kulturgüterverkehr: „Die Weiterveräußerung gestohlener Kunstwerke belastet den internationalen Kunsthandel bereits an sich, insbesondere aber dadurch, dass die rechtlichen Wertungsgesichtspunkte von Rechts-
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Vgl. allgemein hierzu Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 519–520. Damit hängt der Kulturgutschutz im Internationalen Privatrecht von der Ausgestaltung des jeweiligen Sachrechts im Belegenheitsstaat ab. Die nationalen Vorschriften sind recht unterschiedlich. Vgl. die Ausführungen bei Siehr, Zivilrechtliche Fragen des Kulturgüterschutzes, in: Reichelt, Internationaler Kulturgüterschutz – Wiener Symposium 18./19. Oktober 1990, 1992, S. 41–68, S. 44 f.; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 175–176; Stoll, Sachenrechtliche Fragen des Kulturgüterschutzes in Fällen mit Auslandsberührung, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes – Symposium vom 22./23. Juni 1990 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 53 ff., S. 55; Jaeger, Internationaler Kulturgüterschutz – Rechtslage, Rechtspraxis, Rechtsfortentwicklung, 1994, S. 47 f.; Mansel, DeWeerth v. Baldinger – Kollisionsrechtliches zum Erwerb gestohlener Kunstwerke, IPRax 1988, S. 268–271; Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes, 1994, S. 129 ff., S. 153 ff. u. S. 160. Vgl. Lüderitz, Internationales Privatrecht, 2. Aufl. 1992, S. 145. Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/ Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 214; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 226, S. 232 und S. 283; Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff., S. 36, Jayme, Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im Internationalen Privatrecht, in : Dominicé/Patry/Reymond, Études de droit international en l’honneur de Pierre Lalive, 1993, S. 717–731, S. 718; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 159. Siehe Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 75.
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sicherheit, Schutz des Vertrauens und des Rechtsfriedens nach Ablauf einer gewissen Zeit mit zunehmender Internationalität häufig vom Zufall der Konstellation der jeweils anwendbaren Rechte abhängen.“ 1063 Die Praxis des internationalen Kunsthandels hat gezeigt, dass ein Eigentümer unrechtmäßig entzogener Kulturgüter aufgrund der divergierenden nationalen Sachenrechtsordnungen sein Eigentum im Ausland verlieren kann, obwohl er seine Rechtsposition im Inland nicht verloren hätte.1064 Diese Erfahrung musste bspw. der italienische Marchese Dott. Paolo dal Pozzo D’Annone innerhalb der schon wiederholt angesprochenen Rechtssache Winkworth v. Christie’s, Manson & Woods Ltd.1065 machen, als er im Jahre 1977 eine Sammlung japanischer Holzschnitte bei Christie’s, Manson & Woods Ltd. in London verkaufen wollte.
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Für die Veräußerung der innerhalb Großbritanniens entwendeten Kunstwerke auf dem Territorium Italiens stellten die italienischen Sachenrechtsregeln nach dem praktisch weltweit geltenden Grundsatz der lex rei sitae die zur Entscheidung berufene Zivilrechtsordnung dar. Da nach dem italienischen Zivilrechtssystem nach Art. 1153 des Codice civile italiano ein Erwerb auch an gestohlenen beweglichen Gegenständen bei Gutgläubigkeit des Erwerbers i.S.d. Art. 1147 möglich ist, hat der rechtsgeschäftliche Erwerber bei der Veräußerung innerhalb des Geltungsbereichs der italienischen Rechtsordnung das Eigentum an den entwendeten Kunstwerken erworben und der ursprüngliche englische Eigentümer seine Rechtsstellung zugunsten des gutgläubigen italienischen Erwerbers eingebüßt.1066 Damit war der Marchese Eigentümer geworden und konnte deshalb auch frei über seine Sammlung verfügen, sodass die Klage des englischen Kunstsammlers abgewiesen werden musste. Für William Wilberfore Winkworth war dies besonders enttäuschend, da der Common Law-Rechtskreis im Allgemeinen und das englische Recht im Speziellen den gutgläubigen Erwerb im Grundsatz
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Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/ Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 214; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 159. Vgl. hierzu auch Siehr, Kurt in Ebling/Schulze, Kunstrecht – Zivilrecht, Steuerrecht – Kulturgüterschutz, S. 124–125, Rdnr. 62–64. Winkworth v. Christie, Manson & Woods Ltd., (1980) 1 All ER 1121, (1980) 2 WLR 937 (Ch. D.). Der auf Restitution verklagte Marchese fasste in der Winkworth-Entscheidung das geltende italienische Rechtssystem wie folgt zusammen: „Under Italian law a purchaser of movables acquires a good title notwithstanding any defect in the seller’s title or in that of prior transferrers provided that (1) the purchaser is in good faith at the time of delivery (2) the transaction is carried out in a manner which is appropriate, as regards the documentation effecting or evidencing the sale, to a transaction of the type in question rather than in some manner which is irregular as regards documentation and (3) the purchaser is not aware of any unlawful origin of the goods at the time when he acquires them.“ Winkworth v. Christie, Manson & Woods Ltd., (1980) 1 All ER 1121, (1980) 2 WLR 937 (Ch. D.), S. 940.
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nicht kennen. Hätte der Marchese die Holzschnitte dagegen damals in England erworben, so hätte der Richter englisches Recht anwenden müssen, der Marchese hätte entsprechend dem nemo dat quod non habet-Grundsatz im Common LawRechtskreis kein Eigentum erworben und die Klage wäre wohl gutgeheißen worden.1067 411
Andererseits wurden aber auch Konstellationen vor Gericht entschieden, in denen der Eigentümer Glück hatte, dass zuvor unrechtmäßig entzogene Kulturgüter in der Folge ins Ausland verbracht wurden und ein Statutenwechsel erfolgte: Schützt die neue Rechtsordnung die Eigentumsposition des ursprünglichen Eigentümers stärker als die ursprüngliche Rechtsordnung, führt die lex rei sitae in Verbindung mit den divergierenden nationalen Sachzuordnungsregeln dazu, dass der Eigentümer seine Rechtsposition im Ausland behält, obwohl diese nach inländischem Recht längst verloren wäre (und bspw. auf einen gutgläubigen Erwerber im Wege des rechtsgeschäftlichen Erwerbs oder im Wege der Ersitzung übergegangen oder der Restitutionsanspruch gegenüber dem aktuellen Besitzer verjährt oder verwirkt wäre).1068 Dies wäre bspw. in der Sachverhaltskonstellation Kunstsammlungen zu Weimar v. Elicofon 1069 der Fall gewesen.1070
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Vgl. Schönenberger, Gutgläubiger Erwerb gestohlener Kunstwerke? – Ein rechtsvergleichender Überblick; in: Kunst & Recht: Schwerpunktthemen für den Kunstsammler, Schriftenreihe der AXA Art Versicherung AG, 2007, S. 44. Vgl. auch Siehr, Kulturgüterschutz, in: Ebling/Schulze, Kunstrecht – Zivilrecht, Steuerrecht, 2007, S. 124–125, Rdnr. 62–64. Vgl. hierzu Kunstsammlungen zu Weimar v. Elicofon, 536 F. Supp. 829 (EDNY 1981); bestätigt 678 F.2d 1150 (2d Cir.1982). Vgl. ausführlich hierzu Forbes, Securing the Future of Our Past: Current Efforts to Protect Cultural Property, The Transnational Lawyer 9 (1996), S. 235–272, S. 255–256. Aus dem Schrifttum: Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 177–179; Killellea, Property Law: International Stolen Art – Kunstsammlungen zu Weimar vs. Elicofon, Harvard International Law Journal 23 (1982), S. 466 ff.; Drobnig, Amerikanische Gerichte zum internationalen Sachenrecht auf dem Hintergrund der Teilung Deutschlands, IPRax 1984, S. 61–65; Mußgnug, Das Kunstwerk im internationalen Recht, in: Kunst und Recht, Schriften der deutschen Richterakademie, 1985, S. 15–42, S. 18–19; Richard/Junker, Hans und Felicitas Tucher in New York – Deutsches Sachenrecht vor amerikanischen Gerichten, JURA 1985, S. 415–424; Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 193 ff.; Walter, Rückführung von Kulturgut im Internationalen Recht, 1988, S. 22–23; Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 26–27, S. 41 ff. u. S. 75–76; Siehr, Zivilrechtliche Fragen des Kulturgüterschutzes, in: Reichelt, Internationaler Kulturgüterschutz – Wiener Symposium 18./19. Oktober 1990, 1992, S. 41–68, S. 55–56; Reichelt, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, in: Sladek, Das kulturelle Erbe im Risiko der Modernität: Salzburger Symposium 1992, 1993, S. 61 ff., S. 63–64; Stoll, Sachenrechtliche Fragen des Kulturgüterschutzes in Fällen mit Auslandsberührung, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes – Symposium vom 22./23. Juni 1990 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 53 ff., S. 54–55; Jaeger, Internationaler Kulturgüterschutz –
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Hier hatte ein amerikanisches Gericht bekanntlich zu untersuchen, ob Mr. Elicofon in den Vereinigten Staaten von Amerika zuvor gegen Ende des Zweiten Weltkriegs oder unmittelbar danach zwei in Deutschland unrechtmäßig entzogene Kunstwerke von Albrecht Dürer gutgläubig von einem ehemaligen Soldaten in New York erwerben konnte. Das Gericht stellte im konkreten Fall zunächst fest, dass die Rechtsordnung New Yorks entsprechend dem Grundsatz der lex rei sitae anzuwenden war, weil die Gemälde zum rechtserheblichen Zeitpunkt der Veräußerung örtlich innerhalb des Bundesstaates New York belegen waren, sodass für die Veräußerung nicht deutsches, sondern New Yorker materielles Recht die Frage des gutgläubigen Erwerbs von dem amerikanischen Soldaten an den potenziell restitutionspflichtigen Mr. Elicofon zu entscheiden hatte.1071 Da im Common Law-Rechtskreis nach dem nemo dat quod non habet-Grundsatz kein gutgläubiger Erwerb an unrechtmäßig entzogenen Kulturgütern möglich war, wurde der Restitutionsanspruch schließlich bejaht. Die Situs-Regel hat somit nicht notwendigerweise zur Folge, dass der Eigentümer aufgrund des durch sie zur Anwendung berufenen ausländischen Rechts seine Rechtsstellung verliert, wie es im Winkworth-Fall passierte: 1072 Nach deutschem Recht hätte Mr. Elicofon die Porträts spätesten nach Ablauf von zehn Jahren, also im Jahr 1956, nach § 937 Abs. 1 BGB ersessen gehabt, sodass eine Restitutionsklage vor deutschen Zivilgerichten sicherlich gescheitert wäre.1073 Dementsprechend betont ein Teil des Schrifttums auch die Neutralität der lex rei sitae.1074
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‚Forum shopping‘: bösgläubige Manipulation des Lageorts
Die divergierenden nationalen Rechtssysteme werden innerhalb der professionell organisierten Kunstszene aber auch gezielt zugunsten skrupelloser Geschäfte
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Rechtslage, Rechtspraxis, Rechtsfortentwicklung, 1994, S. 60–61; von Schorlemer, Internationaler Kulturgüterschutz – Ansätze zur Prävention im Frieden sowie im bewaffneten Konflikt, 1992, S. 541; Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes, 1994, S. 142 ff.; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 161. Vgl. ausführlich hierzu schon Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 2. Teil, Rdnr. 55 ff. Vgl. Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 178. Vgl. Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 82–83. Vgl. hierzu auch Siehr, Kulturgüterschutz, in: Ebling/Schulze, Kunstrecht – Zivilrecht, Steuerrecht, 2007, S. 124–125, Rdnr. 62–64. Frigo, La protezione dei beni culturali nel diritto internazionale, 1986, S. 358 f.; Byrne-Sutton, Le trafic international des biens vulturels sous l’angle de leur revendication par l’Etat d’origine – Aspects de droit international privé, 1988, S. 138, S. 150 f.; Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 82–83.
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ausgenutzt. Im Wege des sog. forum shopping ‚waschen‘ 1075 Schmugglerbanden die unrechtmäßig entzogenen Kulturgüter nicht nur durch einen tatsächlichen Transfer durch unterschiedliche Staaten, um die Spuren des unrechtmäßigen Entziehungsaktes zu verschleiern, sondern auch rechtlich durch eine Veräußerung der Objekte unter dem Regime einer Rechtsordnung, die den Erwerb auch an gestohlenen und unrechtmäßig entzogenen (kulturellen) Sachen erlaubt.1076 Andere sprechen davon, dass das „Verschieben“ 1077 unrechtmäßig entzogener Kulturgüter in Rechtsordnungen, in denen den Interessen redlicher Erwerber Vorrang vor den Interessen der ursprünglichen Eigentümer eingeräumt wird, aufgrund der traditionellen lex rei sitae-Regel ein „Säubern“ des Kulturguts von den „Altbeständen“ dinglicher Berechtigungen am Gut zur Folge habe.1078 414
Die Kombination der weltweit einheitlich applizierten Situs-Regel und der Anknüpfung einer rechtserheblichen Einwirkung auf das Kunstwerk an das Recht am Lageort zusammen mit der divergierenden Ausgestaltung der nationa-
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Bestimmte Rechtsordnungen werden zu „internationalprivatrechtlichen Waschanlagen.“ Vgl. den Diskussionsbeitrag von Heinbuch in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes – Symposium vom 22./23. Juni 1990 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 133; Nafziger, Comments on the Relevance of Law and Culture to Cultural Property Law, in: Syracuse Journal of International Law and Commerce 10 (1983), S. 323–332, S. 325; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 178–181. „In Bezug auf die Rechtssicherheit wird geltend gemacht, daß gerade die Vorhersehbarkeit der Anknüpfung an den Lageort im illegalen Kunsthandel dazu führe, „heiße Ware“ in solche Länder zu verbringen und dort zu veräußern, die einen gutgläubigen Erwerb gestohlenen oder illegal exportierten Kulturgutes zulassen.“ Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 195, unter Rekurs auf Jaeger, Internationaler Kulturgüterschutz – Rechtslage, Rechtspraxis, Rechtsfortentwicklung, 1994, S. 63. Vgl. Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 173–174; Fechner, Rechtlicher Schutz archäologischen Kulturguts – Regelungen im innerstaatlichen Recht, im Europaund Völkerrecht sowie Möglichkeiten zu ihrer Verbesserung, 1991, S. 73–74; Boochs/Ganteführer, Kunstbesitz – Kunsthandel – Kunstförderung im Zivil- und Steuerrecht, 1992, S. 34–35; Mansel, DeWeerth v. Baldinger – Kollisionsrechtliches zum Erwerb gestohlener Kunstwerke, IPRax 1988, S. 268–271; Reichelt, Kulturgüterschutz und Internationales Privatrecht, IPRax 1986, S. 73–75, S. 74; Walter, Rückführung von Kulturgut im Internationalen Recht, 1988, S. 33; Siehr, Kunstraub und das internationale Recht, Schweizerische Juristen-Zeitung 77 (1981), S. 189–197 und S. 207–212, S. 194–195; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 226, S. 232, S. 283 und insb. S. 335 ff., Berndt, Internationaler Kulturgüterschutz: Abwanderungsschutz, Regelungen im innerstaatlichen Recht, im Europa- und Völkerrecht, 1998, S. 122; Strauch, Rechtsverhältnisse an Kulturgütern im Internationalen Sachenrecht, 2007, S. 85–89; Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 73–74; Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 7–8. So Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 7–8. So die Terminologie bei Reichelt, Kulturgüterschutz und Internationales Privatrecht, IPRax 1986, S. 73–75, S. 74.
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len Gutglaubensvorschriften führt leider nicht nur zu zufälligen Ergebnissen, sondern kann zu einer gezielten (perfiden) Herbeiführung einer für den Dieb günstigen Anknüpfungssituation mala fides (ver-)führen.1079 Damit droht die Gefahr, dass die internationale Rechtslage „in der kriminellen Kunstszene gezielt zugunsten skrupelloser Geschäfte ausgenutzt“ wird.1080 Die Internationalität eröffnet somit die Option der bösgläubigen Manipulation der anwendbaren Rechtsordnungen 1081, sodass Kunstwerke vor allem in solchen Staaten veräußert werden, die einen freien Im- und Export der Objekte kennen (sog. places of bargaining shopping) 1082 und die nicht mit dem Staat identisch sind, der die Kunstwerke als nationales Kulturgut oder als Eigentümer für sich in Anspruch nimmt.1083 1079
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Vgl. j.m.w.N. Jayme, Internationaler Kulturgüterschutz – Lex originis oder lex rei sitae – Tagung in Heidelberg, IPRax 1990, S. 347–348; Ferrer-Correia, La vente internationale d’objets d’art, sous l’angle de la protection du patrimoine culturel, in: Annuaire de l’Institut de Droit International 64-I (1991), Exposé préliminaire et questionnaire, S. 9–21, und Rapport définitif, S. 140–189, S. 168 und 174; Mansel, DeWeerth v. Baldinger – Kollisionsrechtliches zum Erwerb gestohlener Kunstwerke, IPRax 1988, S. 268–271, S. 270 („Manipulationsgefahr“); Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 175–176. Vgl. auch Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 226 und S. 232: „Es ist zwar richtig, daß der Lageort bei beweglichen Sachen mehr oder weniger zufällig oder auch manipuliert sein kann. Wenn der Lageort nur vorübergehend ist, dann verlieren die Erwägungen, die der Anknüpfung des Sachstatuts an den Situs der Sache ansonsten zugrundeliegen, ihre Berechtigung. Das gilt namentlich für die Argumente der Beständigkeit und Durchsetzbarkeit der lex rei sitae und des schützenswerten Vertrauens des Rechtsverkehrs in ihre Geltung. In diesen Fällen ist ein starres Festhalten an der SitusRegel unangebracht.“ Vgl. auch Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 283. Hierzu auch Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram MüllerFreienfels, 1986, S. 193–224, S. 214 und S. 218; Ferrer-Correia, Nouvelles règles de conflit de lois sur la vente internationale d’objets d’art, in: Briat/Freedberg, International Sales of Works of Art, Volume IV, 1993, S. 41 ff., S. 43 („Zufallsergebnisse“). Vgl. Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 175–176. Vgl. Doyal, Implementing the UNIDROIT Convention on Cultural Property into Domestic Law: The Case of Italy, Columbia Journal of Transnational Law 39 (2001), S. 657–700, S. 661; Grammaticaki-Alexiou, The Status of Cultural Property in Greek Private International Law, Revue Hellénique de Droit International 47 ème Année (1994), S. 139–160, S. 151; Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/ Frank/Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 214; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 173–174; Lalive, A Disturbing International Convention: UNIDROIT, Art, Antiquity and Law 4 (1999), S. 219–228, S. 220–222; Kienle/Weller, Die Vindikation gestohlener Kulturgüter im IPR, IPRax 2004, S. 290–294, S. 291; Mansel, DeWeerth v. Baldinger – Kollisionsrechtliches zum Erwerb gestohlener Kunstwerke, IPRax 1988, S. 268–271, S. 270–271; Olivier, The Unidroit Convention: Attempting to Regulate the International Trade and Traffic of Cultural Property, Golden Gate University Law Review 26 (1996), S. 627–665, S. 637–638; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 158–160. Siehr, Zivilrechtliche Fragen des Kulturgüterschutzes, in: Reichelt, Internationaler Kulturgüterschutz – Wiener Symposium 18./19. Oktober 1990, 1992, S. 41–68, S. 51 f. Vgl. Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 175–176.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
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„It is in these locations, in other words, where the transition from illicit to licit takes place. Once in these venues, from that point on in the market chain the activity, including the shipping, negotiations through customs, wholesaling and retail functions, can all be done openly and legally. Often there is an attempt to provide some beginnings of provenance in these locations, as when the goods flow into an auction house in London or New York with the by now well known, but discredited description “from the collection of a Swiss gentleman”. It also is common in the antiquities trade that the major venues in these transition ports serve both retail and wholesale functions. Some of the elite shops in Hong Kong, for example, sell directly to collectors (and tourists, of course) in Hong Kong or other parts of Asia, while also selling onward to the dealers in locations such as New York and London.“ 1084
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Divergierende materielle Erwerbsvoraussetzungen unterschiedlicher Gutglaubensvorschriften in nationalen Sachenrechten, der praktisch universal applizierte Grundsatz der lex rei sitae und die Prägungstheorie führen bei unrechtmäßig entzogenen Kulturgütern somit zu der Gefahr der Manipulation des Lageorts 1085, da diese gezielt in Rechtsordnungen verbracht werden können, die deren gutgläubigen Erwerb gestatten.1086
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„To date, courts have struggled to enunciate choice of law principles which provide the degree of convenience and security necessary to maintain marketable title in personal property without creating safe havens by which thieves and traffickers may pass good title to stolen property. … It is not lost on sophisticated traffickers that the situs rule, combined with bona fide purchaser laws in continental Europe, can prevail even against a rightful owner. These traffickers possess the contacts and capital to shoulder the costs of transferring stolen art across borders in order to legitimate them. The lex locus situs rule permits the manipulation of stolen art in such a way that the goods will obtain market value, resulting in substantial profits.“ 1087
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Wurde das Kulturgut auf diese Weise einmal gutgläubig derivativ oder originär erworben, profitiert der fortan mit dem Kulturgut in Kontakt tretende Rechtsverkehr von dieser nunmehr „makellosen“1088 Prägung. Der ursprüngliche Eigentümer hat sein Eigentum verloren; nach deutschem Recht wäre sein Her-
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Alder, The Illicit Traffic in Asian Antiquities, Paper presented at the Australian Registrars Committee Conference, 9 October 2001, Melbourne, S. 4. Kienle/Weller, Die Vindikation gestohlener Kulturgüter im IPR, IPRax 2004, S. 290–294, S. 291. Olivier, The Unidroit Convention: Attempting to Regulate the International Trade and Traffic of Cultural Property, Golden Gate University Law Review 26 (1996), S. 627–665, S. 638: „Art thieves often take advantage of contrasting national laws and transfer stolen cultural property from common-law to civil-law countries where the original title is extinguished when the item is sold.“. Vgl. aus deutscher Sicht auch Strauch, Rechtsverhältnisse an Kulturgütern im Internationalen Sachenrecht, 2007, S. 85–89; Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 73–74. Collin, The Law and Stolen Art, Artifacts and Antiquities, Howard Law Journal 36 (1993), S. 17 ff., S. 22 und S. 24. Kienle/Weller, Die Vindikation gestohlener Kulturgüter im IPR, IPRax 2004, S. 290–294, S. 291.
3. Abschnitt: Kritik am internationalen Kulturgüterprivatrecht ,de lege lata‘
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ausgabeanspruch gemäß § 985 BGB unbegründet: 1089 „This solution favours the laundering of stolen or illicitly exported goods and is accompanied by extremely serious implications as far as the protection of cultural peroperty is concerned.“ 1090 In diesem Sinne hat auch der Direktor des Office Central pour la Répression du Vol d’œuvres et Objet d’Art mit Sitz in Paris zu dem Zusammenspiel nationaler materiell-rechtlicher Sachenrechtsregeln mit dem allgemein anerkannten international-privatrechtlichen Grundsatz der lex rei sitae ausgeführt, dass „the very great differences between legal systems … are manipulated by wrongdoers … who know how to make use of the legislation of each state. … As a result, it is not easy to get back a stolen work of art once it is located in another country and in the hands of a person whose bad faith cannot be proved.“ 1091 Grammaticaki-Alexiou stellt dabei klar, dass „[t]his solution favours the laundering of stolen or illicitly exported goods and is accompanied by extremely serious implications as far as the protection of cultural property is concerned.“ 1092 Der ursprüngliche Eigentümer hat sein Eigentum verloren und nach deutschem Recht wäre sein Restitutionsanspruch nach § 985 BGB unbegründet – eine besorgniserregende Ausgangssituation des illegalen Kunsthandels. Die Geltung der lex rei sitae erlaubt es somit insbesondere Kunstdieben, durch entsprechende Wahl des Veräußerungsortes gutgläubigen Dritten Eigentum zu verschaffen und damit das Risiko eines Rückgriffs seitens der Erwerber auszuschließen.1093
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„Enforcement efforts are further challenged by the ease with which stolen or illegally exported artifacts can be purged of their illegal taint in countries that serve as laundering nations to art thieves and traders. Moveable cultural objects are easy to conceal, so art thieves, middlemen or other perpetrators transport stolen artifacts to a country with
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Vgl. aus internationaler Sicht auch Crowell, Autocephalous Greek-Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg & Feldman Fine Arts, Inc.: Choice of Law in the Protection of Cultural Property, Texas International Law Journal, Volume 27 (1992), S. 173–209, S. 174–175. So Grammaticaki-Alexiou, The Status of Cultural Property in Greek Private International Law, Revue Hellénique de Droit International 47ème Année (1994), S. 139–160, S. 151. Lalive, A Disturbing International Convention: UNIDROIT, Art, Antiquity and Law 4 (1999), S. 219–228, S. 221–222, insb. aber S. 220: „it is the overseas resale of the stolen object and the diversity of laws and national legislative policies regarding the acquisition a non domino of chattels, which primarily promote illicit trafficking. Ease of communications, the relaxing of border controls and the constant growth of the art market all contribute towards this state of affairs.“ Hierzu auch Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 73–74. Grammaticaki-Alexiou, The Status of Cultural Property in Greek Private International Law, Revue Hellénique de Droit International 47 ème Année (1994), S. 139–160, S. 151. So auch: Crowell, Autocephalous Greek-Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg & Feldman Fine Arts, Inc.: Choice of Law in the Protection of Cultural Property, Texas International Law Journal, Volume 27 (1992), S. 173–209, S. 174–175. Vgl. Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 73–74.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht liberal bona fide purchaser laws and short statutory time periods, then stash these stolen goods in private buildings, homes or even bank vaults and await the statutory time to run. When the statutory clock has run, the cultural objects emerge onto the art market scene, cleansed of their illegal character. Once these artifacts arrive on the market scene, the art auction system operates to obscure their origins, while establishing sales records that can imitate provenance. Art dealers rush away from auction houses with their acquisitions then discreetly sell them to clients and collectors who wish to avoid taxes associated with such transfers and protect their identities.“ 1094
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Es besteht die Gefahr der gezielten Herbeiführung einer für den Erwerber günstigen Anknüpfungssituation.1095 Durch die Verbringung des Kulturguts in ein bestimmtes Land kann die anwendbare Rechtsordnung vorherbestimmt und ausgewählt werden, ohne dass zu diesem Land ansonsten eine enge Verbindung bestehen muss.1096
B. 422
Kritik an der Nichtanwendung ausländischer Kulturgüterschutzgesetze
Kritik ernten die geltenden Grundsätze des Internationalen Kulturgüterprivatrechts auch aufgrund der generellen Nichtanwendung von nationalen Kulturgüterund Denkmalschutzgesetzen der Ursprungsstaaten vor fremden Zivilforen aufgrund ihrer Qualifizierung als Normen ausländischen öffentlichen Rechts entsprechend der Territorialhoheit und Souveränität des Forumstaates.1097 1094
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Forbes, Securing the Future of Our Past: Current Efforts to Protect Cultural Property, The Transnational Lawyer 9 (1996), S. 235–272, S. 260. Vgl. Mansel, DeWeerth v. Baldinger – Kollisionsrechtliches zum Erwerb gestohlener Kunstwerke, IPRax 1988, S. 268–271, S. 270; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 178–181; Strauch, Rechtsverhältnisse an Kulturgütern im Internationalen Sachenrecht, 2007, S. 85–89. Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 178–181. Vgl. ausführlich hierzu Sandrock, Foreign Laws Regulating the Export of Cultural Property: The Respect Due to them by the Judge of the Lex Fori, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 457–482; Prott/ O’Keefe, Law and the Cultural Heritage – Volume 3: Movement, 1989, S. 63 ff.; Prott, Problems of Private International Law for the Protection of the Cultural Heritage, in: Recueil des Cours – Collected Courses of the Hague Academy of International Law, 1989-V (Tome 217), 1990, S. 223–316, insb. S. 262 ff. und S. 282 ff.; Garro, The Recovery of Stolen Art Objects From Bona Fide Purchasers, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 503–519. Vehement dagegen bspw. Heini, Die Anwendung wirtschaftlicher Zwangsmaßnahmen im internationalen Privatrecht, BerGesVR 22 (1982) S. 37 ff.; Heini, Ausländische Staatsinteressen und internationales Privatrecht, ZSR 100 1 (1981) S. 65 ff.; Mann, Sonderanknüpfung und zwingendes Recht im internationalen Privatrecht, Festschrift Beitzke (1979), S. 607 ff.; Firsching, Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (IPR-VertragsÜ) vom 11.6.1980 (zu ABl d EG Nr. L266/1 v 9.10.1980), IPRax 1981, S. 37–43, S. 40; Coing, Zur Anwendung zwingender ausländischer Verträge – Artikel 7 des Übereinkommens über
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Die Ablehnung wird regelmäßig damit gerechtfertigt, dass das „Inland … nicht Büttel eines ausländischen Staates“ 1098 und „ausländisches öffentliches Recht … im Inland undurchsetzbar“ sei.1099 „Im Vordergrund steht dabei das allgemeine Unbehagen, ausländischen Eingriffsnormen wirtschaftspolitischer oder -dirigistischer, auf andere Weise staatsegoistischer oder rein politischer (politische Maßnahmegesetze) Natur extraterritorial zur Geltung zu verhelfen. Dieser Gefahr solle durch Festhalten an den traditionellen Regeln, nämlich der grundsätzlichen Nichtanwendung ausländischen öffentlichen Rechts, begegnet werden.“ 1100 Nur wenn das ausländische öffentliche Recht „privatrechtsdienlich“ ist oder andere fest umrissene Ausnahmen anzuerkennen sind, wird ausnahmsweise eine Anwendung in Frage kommen.
423
Zutreffend erkennt Müller-Katzenburg hier den Widerstreit zwischen den Verkehrsinteressen des aktuellen Belegenheitsstaates und Erwägungen zugunsten des Schutzes wertvoller Kulturgüter des kulturellen Ursprungsstaates: „Die Besonderheit rührt von dem Hereinspielen der öffentlichen Belange, die die beteiligten privaten Interessen überlagern.“ 1101 Auch Weidner stellt in ihren Untersuchungen fest, dass der „durchschnittliche Interessenausgleich, der hinter der lex rei sitaeRegel steht, … der besonderen Situation von Kulturgütern nicht gerecht [wird], weil bei diesen neben den beteiligten privatrechtlichen Interessen auch öffentlichrechtliche Interessen eine Rolle spielen.“ 1102 Insgesamt verschiebt sich somit deren relative Beachtlichkeit:
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„Bei der Anknüpfung des Sachstatuts an den Lageort stehen die Verkehrsinteressen im Vordergrund. Demgegenüber müssen hiernach eventuell entgegenstehende Eigentümerinteressen jedenfalls bei der kollisionsrechtlichen Entscheidung hinsichtlich des anwendbaren Sachrechts regelmäßig zurücktreten. Wenn sie jedoch durch die Belange des Kulturgüterschutzes verstärkt werden, dann verlieren die Verkehrsinteressen relativ gesehen an Gewicht. Auch absolut ist das Vertrauen des Rechtsverkehrs in die Maßgeblichkeit der
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das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, WM 1981, S. 810–813, S. 812 ff.; Schulze, Das öffentliche Recht im internationalen Privatrecht, 1972, S. 142, S. 169 ff. und S. 182 f. BGH, Urteil des 2. Zivilsenats vom 18.02.1957, Az.: II ZR 287/54, BGHZ 23, S. 333–342, S. 337. Vgl. Siehr, Europäisches Recht des Kulturgüterschutzes und die Schweiz: Auswirkungen des Rechts unserer Nachbarstaaten auf die Schweiz, Aktuelle Juristische Praxis 1999, S. 962–979, S. 965–966 m.w.N.; Siehr, Die Richtlinie 93/7/EWG des Rates v. 15.3.1993 über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern und das Privatrecht der Mitgliedstaaten der EWG, KUR (Kunstrecht und Urheberrecht) 1999, S. 225–236, S. 226–227 m.w.N. Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/ Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 206. So auch: Beitzke, Nochmals zur Konfiskation von Mitgliedschaftsrechten, JZ 1956, S. 673 ff., S. 674. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 283. Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 178–181.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht lex rei sitae bei illegal exportierten Kulturgütern oft weniger schutzwürdig. Das liegt daran, dass bei erkennbar wertvollem Kulturgut ausländischer Provenienz die Nähe zum Recht des Lageorts weniger stark ausgeprägt ist.“ 1103
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Gegen die ausschließliche Anwendung der für das internationale Verwaltungsrecht allein maßgeblichen lex fori auch im Bereich öffentlich-rechtlicher Kulturgüterschutzgesetze sprechen gewichtige Gründe der Erhaltung und Bewahrung des nationalen Kulturpatrimoniums eines jeden einzelnen Ursprungsstaates. Der deutsche Bundesgerichtshof hat in seiner weltweit viel zitierten sog. Nigeria-Entscheidung vom 22.6.1972 vortrefflich festgestellt, dass das nigerianische Ausfuhrverbot national schützenswerter Kulturgüter eine Vorschrift darstellt, die „die Erhaltung des künstlerischen Erbes im Ursprungsland … bezweckt. Die Umgehung eines solchen Schutzgesetzes muß, da sie dem nach heutiger Auffassung allgemein zu achtenden Interesse aller Völker an der Erhaltung von Kulturwerten an Ort und Stelle zuwiderhandelt, als verwerflich betrachtet werden …“ 1104 Aus diesem Grund stellt das – außerhalb völkerrechtlicher Vereinbarungen – universal geltende Dogma der generellen Nichtanwendbarkeit ausländischer Kulturgüterschutzgesetze aufgrund ihrer Qualifizierung als Normen des öffentlichen Rechts einen Fehlschluss dar.1105 Es geht nicht darum, ausländische Straf-, Wirtschaftsoder Steuerinteressen im Inland durchzusetzen: Es leuchtet kultur- wie rechtspolitisch im Bereich des internationalen Kulturgüterverkehrs nicht ein, warum Schmuggler ihre gegenüber dem kulturellen Ursprungsstaat bestehenden Rechtspflichten de lege lata ohne Sanktionen im Ausland verletzen dürfen. „Dies widerspricht jeglicher Gerechtigkeit. Denn hier wird nicht etwa ausländisches Recht wegen seines unannehmbaren Inhalts abgewehrt; denn auch wir kennen gleiche oder ähnliche Pflichten. Starre Dogmen, falsch verstandene Ansprüche (z.B. Souveränität) und Ängstlichkeit (Warten auf Gegenrechte) verhindern gerechte Entscheidungen.“ 1106
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Außerdem sprechen zahlreiche Beispiele außerhalb des Internationalen Kulturgüterprivatrechts gegen eine strikte Nichtanwendung ausländischer Kulturgüterschutzgesetze aufgrund ihrer Qualifikation als Normen des öffentlichen Rechts. Eine so strenge Haltung wie im Bereich des internationalen Kulturgüterschutzund Kunstrestitutionsrechts wird vor nationalen Zivilforen international auch
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Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 283. So auch Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 178–181; Reichelt, International Protection of Cultural Property, Revue de droit uniforme/ Uniform Law Review (UNIDROIT), Semestrielle – Biannual (1985-I), S. 42–153, S. 88 f. BGH, Entscheidung des 2. Zivilsenats vom 22.6.1972, Az.: II ZR 113/70, BGHZ 59, S. 82– 87, S. 86, NJW 1972, 1575. Vgl. ausführlich hierzu und zum Schrifttum 3, 1165 ff. So auch Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 184. Siehr, Europäisches Recht des Kulturgüterschutzes und die Schweiz: Auswirkungen des Rechts unserer Nachbarstaaten auf die Schweiz, S. 965–966.
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nicht verfolgt und würde zu befremdlichen Ergebnissen führen, da sehr viele öffentlich-rechtliche Gesetze und Staatshandlungen unmittelbar auf das Zivilrecht einwirken und dementsprechend vor ausländischen Zivilforen Anwendung finden müssen: „Not only juristic entities may be created by statutes or acts of Government, but also marriage ceremonies may need some assistance from State authorities just as some contracts (e.g., sale of land to foreigners) require governmental approval in order to acquire validity. It would be more appropriate to reduce the basic rule to just the prohibition of direct enforcement of foreign public law in local courts.“1107 Anhand der genannten Beispiele wird deutlich, dass eine generelle Nichtapplikation ausländischer öffentlich-rechtlicher Vorschriften in der allgemeinen international-privatrechtlichen Praxis nicht eingehalten werden kann, sondern verschiedenste Konstellationen ersichtlich sind, in denen faktisch ausländische öffentlich-rechtliche Rechtsakte auch vor nationalen Foren rechtliche Anwendung erfahren. Die rechtlichen und politischen Realitäten namentlich im internationalen Wirtschaftsrecht, die Förderung der internationalen Entscheidungsharmonie und der Schutz der Parteien vor sich widersprechenden Normen der beteiligten Rechtsordnungen sind nur wenige Beispiele dafür, dass von einer unbesehenen und unbegrenzten Berücksichtigung statutsfremder ausländischer Eingriffsnormen heute keine Rede mehr sein kann.1108 Judikativ wie kodifikatorisch sollte dieser heute schon bestehenden Rechtslage auch im Bereich des Internationalen Kulturgüterprivatrechts Rechnung getragen werden und die herrschende Literatur-, Rechtsprechungs- und Gesetzeslage an die faktisch in anderen, rechtspolitisch schwieriger zu begründenden Konstellationen auch im Kulturgüterschutzrecht angepasst werden.1109 Soweit es um ausländische Kulturgüterschutzvorschriften
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Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 184. Vgl. Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/ Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 206–207; Drobnig, in Lando/von Hoffmann/Siehr, European Private International Law of Obligations – Acts and documents of an International Colloquium on the European Preliminary Draft Convention on the Law Applicable to Contractual and Non-Contractual Obligations held in Copenhagen on April 29 and 30, 1974, 1975, S. 82 ff.; Giuliano/Lagarde, Bericht über das Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, ABl. 1980 C 282/1; Grundmann, EG-Richtlinie und nationales Privatrecht, JZ 1996, S. 274– 287; von Hoffmann, Empfiehlt es sich, das EG-Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht in das deutsche IPR-Gesetz zu inkorporieren?. IPRax 1984, S. 10–13, S. 12; von Hoffmann, Über den Schutz des Schwächeren bei internationalen Schuldverträgen, RabelsZ 38 (1974) S. 396 ff., S. 407 ff., S. 413; Wengler, Sonderanknüpfung, positiver und negativer ordre public, JZ 1979, S. 175–177; Frank, Öffentlichrechtliche Ansprüche fremder Staaten vor inländischen Gerichten, RabelsZ 34 (1970) S. 56 ff., S. 66, 71; Schulte, Die Anknüpfung von Eingriffsnormen, insbesondere wirtschaftsrechtlicher Art, im internationalen Vertragsrecht, 1975, S. 80 ff., S. 114 ff. Vgl. auch Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
geht, die auf den internationalen Handel und den Export von Kunstgegenständen kultureller Herkunftsstaaten einwirken wollen, erscheint so bspw. auch Hanisch ein zivilrechtliches Ausnahmemodell zu dem Dogma der Nichtanwendung kultureller Exportregelungen aufgrund ihrer Qualifizierung als ausländische öffentlich-rechtliche Normen praktikabel. Die „enge Verbindung“ solcher tatsächlichen Konstellationen zu dem jeweiligen Herkunftsstaat stehe in aller Regel außer Diskussion und Natur und Gegenstand von Eingriffsnormen, die die jeweiligen Kulturgüter betreffen, seien regelmäßig auch eindeutig zu bestimmen.1110 429
Sämtliche Einwände gegen die Anwendung ausländischer öffentlich-rechtlicher Vorschriften finden regelmäßig berechtigtes Gehör im wirtschaftspolitischen oder allgemein-politischen Bereich, in dem eine Durchbrechung des Dogmas der Nichtanwendung ausländischer Eingriffsnormen erheblich problematischer ist. Anders stellt sich dies aber – im Sinne der Entscheidung des BGH im sog. Nigeria-Fall vom 22.6.1972 1111 – innerhalb der Regulation des internationalen Kulturgüterverkehrs dar.1112 Vielmehr sollte im Sinne Kegels im internationalen Privatrecht sozial- und kulturpolitischen Interessen fremder Staaten eher entgegengekommen werden als anderen politischen, insbesondere wirtschaftspolitischen Anliegen, sodass nach einem illegalen Kulturgütertransfer aus dem kulturellen Ursprungsstaat in einen Importstaat die neue lex rei sitae dem Verstoß gegen das nationale Kulturgüterschutzgesetz des kulturellen Ursprungsstaates gegenüber „nicht unsensibel“ bleiben darf.1113
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Weidner erinnert in diesem Zusammenhang an den Grundsatz des internationalen Privatrechts, dass in- und ausländisches Recht grundsätzlich als gleichrangig angesehen wird und die Anwendung ausländischen Rechts angebracht ist, wenn diese Rechtsordnung die für die Regelung des betreffenden Sachverhalts angemessene ist.1114 Dieser Grundsatz werde im Rahmen des Kulturgüterschutzes sogar noch verstärkt,1115 weil nicht nur ein Interesse der Rechtsordnung des kulturellen
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Frank/Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 206– 207. Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/ Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 211–212. BGH, Entscheidung des 2. Zivilsenats vom 22.6.1972, Az.: II ZR 113/70, BGHZ 59, S. 82– 87, hier: S. 86, NJW 1972, 1575. Vgl. ausführlich hierzu und zum Schrifttum 3, 1165 ff. Vgl. Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/ Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 211–212. Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/ Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 211–212. Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 97–100, unter Berufung auf Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, § 4 II 1. So Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 97–100.
3. Abschnitt: Kritik am internationalen Kulturgüterprivatrecht ,de lege lata‘
693
Ursprungsstaates an der Entscheidung über illegal transferierte Kulturgüter besteht, sondern es um die Durchsetzung eines Ziels (der Bewahrung und Erhaltung des jeweiligen nationalen Kulturpatrimoniums) geht, welches – im Sinne der Nigeria-Entscheidung des BGH vom 22.6.1972 1116 – von allen Staaten in gleicher Weise verfolgt wird. Gleichzeitig werde bei Anwendung ausländischer Kulturgüterschutzgesetze dem internationalen Entscheidungseinklang als einer weiteren fundamentalen Säule des internationalen Privatrechts gerecht.1117 Tatsächlich zählt das Bestreben, dass Rechtsverhältnisse nach Möglichkeit von den verschiedenen Rechtsordnungen gleich behandelt werden und keine unterschiedlichen Rechtswirkungen entfalten, zu den Grundprinzipien der Rechtswahl und kann auch unterstützend für eine Anwendung ausländischer Kulturgüterschutzgesetze de lege ferenda ins Feld geführt werden. Wie noch zu sehen sein wird 1118, werden zahlreiche Vorschriften und Regelwerke des nationalen Kulturgüterschutzes von ihren Rechtsordnungen als international zwingende Rechtsvorschriften und damit als Eingriffsnormen qualifiziert (wie bspw. solche Bestimmungen, durch die Kulturgüter zu res extra commercium werden 1119). Wird ein im kulturellen Ursprungsstaat unveräußerliches und unersitzbares Kulturgut, dessen Herausgabeanspruch des Eigentümers gegenüber jedem Besitzer nicht verjährt oder verwirkt, jedoch außerhalb des Herkunftsstaates veräußert, hat die Nichtanwendung der ausländischen Extrakommerzialitätsbestimmung im Forumstaat zur Folge, dass sog. hinkende Eigentumspositionen entstehen: 1120 Während der Erwerber – je nach nationaler Ausgestaltung der dinglichen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter 1121 – de lege lata im Forumstaat aufgrund der Nichtanwendung der res extra commerciumBestimmung des kulturellen Ursprungsstaates gutgläubig auch an gestohlenen oder anderen unrechtmäßig entzogenen Kulturgütern Eigentum erwerben kann, wird nach der Rechtseinschätzung des Herkunftsstaates kein Eigentumswechsel eingetreten sein, sodass – je nachdem, welche Rechtsordnung zu entscheiden hat – unterschiedliche Eigentumspositionen bestehen.1122 1116
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BGH, Entscheidung des 2. Zivilsenats vom 22.6.1972, Az.: II ZR 113/70, BGHZ 59, S. 82–87, S. 86, NJW 1972, 1575. Vgl. hierzu und zum Folgenden auch Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 97–100. Vgl. 3, 971 ff. Vgl. Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rdnr. 205. Darauf macht aufmerksam Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 97–100. Vgl. die Ausführungen zur dinglichen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel. So Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 97–100.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
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Das Plädoyer für die Anwendung ausländischer Kulturgüterschutzgesetze als international-privatrechtliches Ausnahmemodell zu dem Dogma der Nichtanwendung ausländischen öffentlichen Rechts lässt sich auch auf ein international einheitlich vertretenes rechts- und kulturpolitisches Bedürfnis stützen: Jeder Staat hat ein eigenes genuines Interesse am Schutz seiner bedeutendsten Kulturgüter zur Bewahrung und Erhaltung für zukünftige Generationen im eigenen Land. Dasselbe Interesse sollte in gleichem Maße auch jedem anderen Staat zuzubilligen sein. „Ein Grund für eine anerkennungsfreundliche Haltung gegenüber ausländischen Kulturgüterschutznormen ist die Aussicht, daß auf diese Weise auch die Interessen des Forumstaates gefördert werden können, weil dessen kulturgutschützende Normen in Zukunft vom ausländischen Staat vielleicht in gleicher Weise durchgesetzt werden und sich internationale Standards bilden, die allen Staaten zugute kommen. Ein Staat, der selbst erwartet, daß seine Gesetze zum Schutz von Kulturgut im Ausland beachtet werden bzw. eine Berücksichtigung begrüßen würde, darf sich auch gegenüber den betreffenden ausländischen Gesetzen nicht verschließen.“ 1123 Außerdem besteht ein dringendes Bedürfnis nach Lauter- und Redlichkeit im internationalen Kunsthandel und nach einer weitestgehenden Eliminierung des kulturellen Schwarzmarktes. Solange weder eine materielle Rechtsvereinheitlichung noch eine umfassende Kodifikation eines wirksamen völkerrechtlichen Vertrages gegenüber allen relevanten Kulturimportstaaten erfolgt ist, wird der internationale illegale Kunsthandel nur unterbunden werden, wenn nationale Kulturgüterschutzvorschriften nicht auf eine rein territoriale Geltung beschränkt sind und Kulturgüter nicht nach einem Statutenwechsel (d.h. schon durch bloße Verbringung in einen anderen Staat) ihren Schutz verlieren. „Ihr gemeinsames Ziel fordert die Staaten in besonderer Weise heraus, ausländischen Normen so weit wie möglich Beachtung zukommen zu lassen.“1 124
433
Die genannten Ziele sind mit rechtlichen Mitteln durch eine internationale Kooperationsbereitschaft innerhalb des Internationalen Kulturgüterprivatrechts zu erreichen. Eine Entkrustung des alten Dogmas der Nichtanwendung ausländischer Kulturgüterschutzvorschriften vor nationalen Zivilforen stellt hierzu ein probates Mittel dar. Dabei sind einerseits die berücksichtigungswerten kulturpolitischen nationalen Interessen der Ursprungs- und Herkunftsstaaten zu respektieren. Doch müssen andererseits diese in Einklang mit dem rechtlich ebenso schützenswerten Interesse stehen, von Menschen geschaffene Kunst für die Menschheit frei zugänglich und grundsätzlich auch weltweit marktgängig zu erhalten. Bewahrungs- und Erhaltungsinteressen müssen sich so auch mit einem
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Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 97–100. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 97–100.
§ 11 Ergebnis: Kritik am Internationalen Kulturgüterprivatrecht
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dritten Interesse abstimmen lassen: „[D]er freie Austausch von und der Handel mit Kunstwerken dürfen nicht durch exzessiven nationalen Egoismus am Behalten und Haben von Kunstwerken, der die Grenzen des Konsenses in der Völkergemeinschaft überschreitet, erschwert werden.“1125 Diese beiden sich diametral widerlaufenden Wertungsansätze des kulturellen Nationalitätsgrundsatzes und des Prinzips eines kulturellen Internationalismus innerhalb der Regulation des internationalen Kulturgüterverkehrs müssen somit auch im Internationalen Kulturgüterprivatrecht einem ausbalancierten Rechtsmodell zugeführt und beide Strömungen in einem integrativen Lösungsmodell vereint werden.
§ 11 Ergebnis: Kritik am Internationalen Kulturgüterprivatrecht Aufgabe des voranstehenden 3. Abschnitts war die Bewertung der geltenden Rechtswahlregeln im Internationalen Kulturgüterprivatrecht aus Sicht des internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts. Dabei sollte insbesondere untersucht werden, inwieweit sich das nahezu universal einheitlich geltende Kollisionsrecht auf den illegalen Kulturgüterverkehr und die Veräußerung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter auf dem kulturellen Schwarzmarkt auswirkt. Das nach den voranstehenden Untersuchungsergebnissen zu treffende Urteil ist schockierend: Die gravierenden Missstände des internationalen zivilrechtlichen Kulturgüterschutzes beruhen in weitem Umfang auch auf der generellen Anwendung des für sonstige Mobilien stimmigen, für den internationalen Verkehr mit kulturell wie materiell bedeutsamen Kunst- und Kulturgütern mit Unikatfunktion jedoch wenig sachdienlichen Belegenheitsrechts.
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Gewiss können für eine Rechtswahl im internationalen Mobiliarsachenrecht nach der Belegenheit die schon traditionellen Gründe des Verkehrsinteresses und der alltäglichen Gerichtspraxis ins Feld geführt werden (vgl. ausführlich hierzu oben Punkt I.): Insbesondere das Verkehrsinteresse spricht für eine Anwendung des Belegenheitsrechts auf den allgemeinen Mobiliartransfer, damit der Rechtsverkehr nur mit solchen dinglichen Sachzuordnungsregeln kultureller Wertgegenstände rechnen muss, die auch dem inländischen Recht bekannt sind. Außerdem spricht die alltägliche Gerichtspraxis für die Anknüpfung an die lex rei sitae, da der Lageort eines Kulturguts als Anknüpfungsmoment bei der kulturellen Sachzuordnung auch für ausländische Richter leicht zu ermitteln ist. Darüber hinaus sichert die nahezu universale Anwendung des Belegenheitsgrundsatzes den internationalen Entscheidungseinklang bei kulturellen Rückführungsklagen und damit die Anerkennung ausländischer Kunstrestitutionsentscheidungen auch im Belegenheitsstaat. Zugleich wird ein Gleichlauf zwischen internationaler Zuständigkeit und anwendbarem Recht erreicht.
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Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/ Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 209.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
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Beim Handel mit gewöhnlichen Mobilien und Konsumgütern, die einem Verbrauch zugänglich und theoretisch jederzeit reproduktionsfähig sind und regelmäßig nach Quantität und Masse veräußert werden, sprechen die voranstehenden Argumente eines möglichst leichtgängigen Rechtsverkehrs für sich und sind unterstützungsfähig. Andererseits wird die lex rei sitae im Schrifttum weniger für das allgemeine Fahrnisrecht im Generellen als insbesondere für den internationalen Kunsthandel und grenzüberschreitenden Kulturgüterverkehr im Speziellen heftig attackiert (hierzu oben Punkt II.). Aktuelle Literaturmeinungen zum Internationalen Kulturgüterprivatrecht monieren nämlich vor allem die kollisionsrechtliche Gleichbehandlung von ‚gewöhnlichen‘ Mobilien und materiell wie kulturell bedeutsamen und oftmals unersetzlichen Kunst- und Kulturgütern, die – anders als sonstige Güter – eine von Rechts wegen zu schützende Bindung mit ‚ihrem‘ kulturellen Zuordnungssubjekt (etwa dem Ursprungsstaat) besitzen. Während zum Verbrauch bestimmte Konsumgüter naturgemäß nur in geringem Maße mit der Rechtsordnung eines Staates, in dem sie sich befinden, faktisch verbunden sind, und bei einer internationalen Veräußerung der aktuelle Belegenheitsort grundsätzlich sowohl die Interessen des Veräußerers als auch des Erwerbers an einem sicheren Rechtsverkehr wahrt, ergibt sich für das internationale Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht eine besondere Konfliktlage, da Kulturgüter aufgrund ihrer besonderen Sachqualität regelmäßig eine besonders enge Sachbeziehung zu ‚ihren‘ kulturellen Zuordnungssubjekten und damit zur Rechtsordnung ‚ihres‘ kulturellen Ursprungsstaates einnehmen.
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Auch wenn sowohl innerhalb der öffentlich-rechtlichen als auch der völkerrechtlichen Resolutionsmethoden zur Kontrolle des (inter-)nationalen Kulturgüterverkehrs die besondere rechtliche Behandlung kultureller Güter als res sui generis aufgrund ihrer außergewöhnlichen, kulturpolitischen Bedeutung aus geschichtlichen, wissenschaftlichen, erzieherischen, ästhetischen oder sonstigen kulturellen Gründen in zahlreichen Ausgestaltungsvarianten deutlich wird, lässt es die überwiegende Zahl der nationalen Kollisionsvorschriften de lege lata an der (notwendigen) speziellen Fürsorge für bedeutsame Kulturgüter fehlen: Kulturelle Wertgegenstände mit Unikatfunktion werden ebenso behandelt wie sonstige Gebrauchswaren, die ohne Beschränkung reproduziert werden können und keine identitätsstiftende Bedeutung besitzen. Ebenso wie das materielle Zivilrecht schlagen auch das Internationale Kulturgüterprivatrecht und die überwiegende Zahl nationaler Rechtswahlregeln de lege lata somit weiterhin ein „aus einem Museum gestohlene[s] Meisterwerk mit dem in der Eisenbahn vergessenen Regenschirm über ein und denselben Leisten“1126. Dies ist um so gravierender,
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Mußgnug, Europäischer und nationaler Kulturgüter-Schutz, in: Mußgnug/Roellecke, Aktuelle Fragen des Kulturgüterschutzes: Beiträge zur Reform des deutschen Kulturgutschutzgesetzes 1955 und seiner Angleichung an den europäischen Kulturgüterschutz, 1998, S. 11 ff., S. 26.
§ 11 Ergebnis: Kritik am Internationalen Kulturgüterprivatrecht
697
weil durchaus rechtliche Gründe für eine auch kollisionsrechtliche Ungleichbehandlung kultureller Wertgegenstände mit sonstigen beweglichen Gegenständen bestehen: Kulturgüter enthalten historisch wichtige Informationsträger für nachfolgende Gesellschaften. Die anthropozentrischen, sozialen und identitätsstiftenden Elemente kultureller Wertgegenstände wirken sich unmittelbar auf die Beziehung der Kulturgüter zu ihren rechtlichen Adjunktionssubjekten aus. Deshalb sollen kulturelle Wertobjekte mit den Mitteln des Kulturgüterschutzrechts „an einem bestimmten Platz“ 1127, für den kulturellen Ursprungsstaat oder eine Nation, innerhalb einer (Glaubens-)Gemeinschaft oder im Bestand einer einzelnen, individuellen Sammlung bewahrt werden, da diese von essenziellem Wert für die Identität und das Selbstverständnis eines Staates, Gemeinwesens und jeder Bevölkerungsgruppe sind.
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„Als Produkt und Zeugnis kultureller Entwicklungen zeichnen sich Kulturgüter durch eine Bindung zu der Gesellschaft aus, deren Kultur sie repräsentieren. … Die kulturelle Zugehörigkeit und damit identitätsstiftende Wirkung von Kulturgut wird beeinträchtigt, wenn sich das Kulturgut nicht mehr im unmittelbaren Zugriffsbereich der Gesellschaft befindet, zu deren kulturellen Erbe es gehört.“ 1128 Dabei sollte auch ein individueller Privatsammler zum personellen Schutzumfang des Kulturgüterschutzes gezählt werden, nimmt doch auch dieser eine zentrale Position in der dauerhaften Bewahrung und Sicherung kultureller Güter für nachfolgende Generationen ein. „[W]orks of art lose their meaning when separated from their intended structural whole … . The beauty of the unified work is lost forever, and it cannot be recaptured. For this reason, works on a monumental and architectural scale, the movement of which of which would cause irreparable damage, should first and foremost receive protection from mutilation and destruction.“ 1129
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Ein plakatives Exempel für die ‚innere‘ Konnexität zwischen Territorium und Kulturgut verkörpert bspw. der Fundort bei archäologischen Kulturgütern. Diese stellen somit in vielen Aspekten einzigartige Gegenstände mit speziellen Qualitätsmerkmalen dar, die sich auch rechtlich widerspiegeln müssen. Hat man eine ‚innere‘ Konnexität zwischen Territorium und Kulturgut im Sinn, soll sich die Heimat eines archäologischen Kulturguts primär mit Hilfe des Fundorts bestimmen lassen. Der wissenschaftliche Erkenntniswert, der dem Fundort zukommt,
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So Fechner, Prinzipien des Kulturgüterschutzes – Eine Einführung, in: Fechner/Oppermann/Prott, Prinzipien des Kulturgüterschutzes – Ansätze im deutschen, europäischen und internationalen Recht, 1996, S. 11–45, S. 27. Odendahl, Kulturgüterschutz – Entwicklung, Struktur und Dogmatik eines ebenenübergreifenden Normensystems, 2005, S. 399–400. Bersin, The Protection of Cultural Property and the Promotion of International Trade in Art, N.Y.L. Sch. J. Int’l & Comp. L. Vol. 13 (1992), S. 125 ff., S. 136.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
steht dabei im Zentrum des Interesses der sog. Kontextarchäologie und wird von Archäologen zuweilen höher als das Objekt selbst gewertet.1130 Innerhalb der Kontexterhaltung sollen die Gesetze der Herkunftsländer zu beachten sein, um den historischen Zeugniswert der Grabungen zu erhalten, da andernfalls die Zusammenhänge unwiederbringlich zerstört würden. „Archäologische Hinterlassenschaften haben regelmäßig eine viel höhere wissenschaftliche Aussagekraft, wenn sie im Zusammenhang der sie umgebenden Schichten und Beifunde stehen. Auch diese Konnexität sollte sich bspw. im Recht des Kulturgüterschutzes widerspiegeln.“ 1131 441
Es wurde ersichtlich, dass die universal einheitliche Anwendung der lex rei sitae kombiniert mit den in den einzelnen Zivilrechtsordnungen unterschiedlichen materiell-rechtlichen Sachzuordnungsregeln für unrechtmäßig entzogene Kulturgüter im internationalen illegalen Kunsthandel zu einer Auflösung der genannten Bindungen der Kulturgüter zu ihren kulturellen Zuordnungssubjekten (d.h. zu Staaten, Nationen, Territorien, Regionen oder einzelnen Personen) führt. Es besteht die Gefahr, dass gestohlene Sachen nicht nur zufällig, sondern insbesondere auch in böser und perfider Absicht (mala fides) in das Hoheitsgebiet eines Staates ge- oder bewusst verbracht werden. Organisierte Schmugglerbanden ‚waschen‘ unrechtmäßig entzogene Kulturgüter bewusst in Rechtsordnungen, die den Erwerb auch illegal transferierter Kulturgüter erlauben (forum shopping). Dabei tritt der Statutenwechsel unabhängig davon ein, ob die Sache rechtmäßig oder rechtswidrig, mit oder gegen den Willen des Berechtigten oder etwa zum Zwecke der Gesetzesumgehung an den neuen Lageort gebracht wird. Das „Verschieben“ 1132 unrechtmäßig entzogener Kulturgüter in Rechtsordnungen, in denen den Interessen redlicher Erwerber Vorrang vor den Interessen der ursprünglichen Eigentümer eingeräumt wird, hat aufgrund der traditionellen lex rei sitaeRegel ein „Säubern“ des Kulturguts von den „Altbeständen“ dinglicher Berechtigungen zur Folge. Lüderitz weist in seinem Lehrbuch zum internationalen Privatrecht ausdrücklich darauf hin, dass die lex rei sitae ermöglicht, dass „Diebesgut, insbesondere Kunstgegenstände, erfolgreich in Staaten umgeschlagen wird, die den gutgläubigen Erwerb auch von gestohlenen Sachen oder Ersitzung nach kurzer Frist gestatten.“ 1133 Sog. kulturelle Transitstaaten, wie bspw. Hong-
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Allgemein zu dem Begriff „Kontextarchäologie“ vgl. Krinzinger, Schutz von archäologischem Kulturgut – Betrachtungen zur Kontextarchäologie, in: Reichelt, Neues Recht zum Schutz von Kulturgut – Internationaler Kulturgüterschutz: EG-Richtlinie, UNIDROITKonvention und Folgerecht, 1997, S. 45–54. Fechner, Wohin gehören Kulturgüter? Rechtliche Ansätze eines Ausgleichsmodells, in: Grupp/Hufeld, Recht – Kultur – Finanzen, Festschrift für Reinhard Mußgnug zum 70. Geburtstag am 26. Oktober 2005, 2005, S. 485 ff., S. 489–490. So Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 7–8. Vgl. Lüderitz, Internationales Privatrecht, 2. Aufl. 1992, S. 145.
§ 11 Ergebnis: Kritik am Internationalen Kulturgüterprivatrecht
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kong und Macau, erlauben zusätzlich eine liberale Ein- wie Ausfuhrpolitik auch gegenüber illegal transferierten Kulturgütern. Solche places of bargaining shopping dienen dann als Einfallstor ‚belasteter‘ Objekte in einen legalen Kunstmarkt. Kritik erntete das geltende Internationale Kulturgüterprivatrecht über bisher Gesagtes hinaus insbesondere auch aufgrund der generellen Nichtanwendung von nationalen Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetzen der Ursprungsstaaten vor fremden Zivilforen aufgrund ihrer Qualifizierung als Normen ausländischen öffentlichen Rechts entsprechend der Territorialhoheit und Souveränität des Forumstaates (vgl. voranstehend unter Punkt B.). Gegen die ausschließliche Anwendung der für das internationale Verwaltungsrecht allein maßgeblichen lex fori auch im Bereich öffentlich-rechtlicher Kulturgüterschutzgesetze sprechen jedoch gewichtige Gründe der Erhaltung und Bewahrung des nationalen Kulturpatrimoniums jeden einzelnen Ursprungsstaates. Der deutsche Bundesgerichtshof hat in seiner weltweit viel zitierten sog. Nigeria-Entscheidung vom 22.6.1972 vortrefflich festgestellt, dass das nigerianische Ausfuhrverbot national schützenswerter Kulturgüter eine Vorschrift darstellt, die „die Erhaltung des künstlerischen Erbes im Ursprungsland … bezweckt. Die Umgehung eines solchen Schutzgesetzes muß, da sie dem nach heutiger Auffassung allgemein zu achtenden Interesse aller Völker an der Erhaltung von Kulturwerten an Ort und Stelle zuwiderhandelt, als verwerflich betrachtet werden …“ 1134 Jeder Staat hat ein eigenes genuines Interesse am Schutz seiner bedeutendsten Kulturgüter zur Bewahrung und Erhaltung für zukünftige Generationen im eigenen Land. Dasselbe Interesse sollte in gleichem Maße auch jedem anderen Staat zuzubilligen sein.
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Es ist wichtig zu betonen, dass es dabei nicht darum geht, ausländische Straf-, Wirtschafts- oder Steuerinteressen im Inland durchzusetzen: Vielmehr sollte im internationalen Privatrecht sozial- und kulturpolitischen Interessen fremder Staaten leichter entgegengekommen werden als anderen politischen, insbesondere wirtschaftspolitischen Anliegen, sodass nach einem illegalen Kulturgütertransfer aus dem kulturellen Ursprungsstaat in einen Importstaat die neue lex rei sitae dem Verstoß gegen das nationale Kulturgüterschutzgesetz des kulturellen Ursprungsstaates gegenüber „nicht unsensibel“ 1135 bleiben darf. Es leuchtet kultur- wie rechtspolitisch im Bereich des internationalen Kulturgüterverkehrs nicht ein, warum heute Schmuggler ihre gegenüber dem kulturellen Ursprungsstaat bestehenden Rechtspflichten de lege lata ohne Sanktionen im Ausland verletzen dürfen. Hier besteht ein dringendes Bedürfnis nach Lauter- und Redlichkeit im
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BGH, Entscheidung des 2. Zivilsenats vom 22.6.1972, Az.: II ZR 113/70, BGHZ 59, S. 82–87, hier: S. 86, NJW 1972, 1575. Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/ Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 211–212.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
internationalen Kunsthandel und nach einer weitestgehenden Eliminierung des kulturellen Schwarzmarktes. Außerdem sprechen zahlreiche Beispiele außerhalb des Internationalen Kulturgüterprivatrechts gegen eine strikte Nichtanwendung ausländischer Kulturgüterschutzgesetze aufgrund ihrer Qualifikation als Normen des öffentlichen Rechts. Es konnte nachgewiesen werden, dass international in anderen Rechtsbereichen eine so strenge Haltung wie im Bereich des internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts vor nationalen Zivilforen auch nicht verfolgt wird und zu befremdlichen Ergebnissen führen würde, da sehr viele öffentlich-rechtliche Gesetze und Staatshandlungen unmittelbar auf das Zivilrecht einwirken und dementsprechend vor ausländischen Zivilforen Anwendung finden müssen. 444
Aus der voranstehenden Kritik an der wenig sachdienlichen lex rei sitae und der Nichtanwendung ausländischer Kulturgüterschutzvorschriften vor nationalen Zivilforen erwächst heute die Forderung nach einer ‚Auflockerung‘ und ‚Entkrustung‘ des Rechtswahlprozesses im Internationalen Kulturgüterprivatrecht: Weiträumige Plünderungen archäologischer Ausgrabungsstätten, der organisierte Diebstahl von Kunst- und Kulturgütern sowie deren weltweiter Schmuggel im kulturellen Schwarzmarkt (die illegale Verbringung unter Umgehung nationaler Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze) müssen zu einem Überdenken der lex rei sitae als kollisionsrechtlicher Anknüpfungspunkt und einem Umdenken bei der Nichtanwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze führen. Angesichts der genannten Kritik an der lex rei sitae im internationalen Kunsthandel und an der Nichtanwendung ausländischer Kulturgüterschutzvorschriften ist festzustellen, dass die bisherigen Rechtswahlgrundsätze im Internationalen Kulturgüterprivatrecht nicht passen und dementsprechend ‚aufzulockern‘ sind, wenn der zu beurteilende Sachverhalt überwiegend in das soziale Umfeld einer anderen Rechtsordnung als derjenigen des Lageortes eingebettet ist. Selbst Savigny – Begründer des lex rei sitae-Gedankens für Mobilien – leugnete schon damals nicht gewisse Besonderheiten des Mobiliarsachenrechts, da bei beweglichen Sachen deren räumliche Lage unbestimmt und wechselnd sei. Aufgrund der weiter steigenden Internationalität des Kunsthandels gilt diese Überlegung selbstredend auch für Kulturgüter. Für diese Gegenstände, so Savigny, werde man „irgendeinen Ruhepunkt aufsuchen müssen, an welchem solche Sachen auf längere, vielleicht unbestimmte Zeit zu bleiben bestimmt sind“.1136
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Das bestehende Kollisionsrecht und die Rechtswahl nach der lex rei sitae sind mit der Berufung eines solchen „Ruhepunktes“, an welchem Kulturgüter „auf längere, vielleicht unbestimmte Zeit zu bleiben bestimmt sind“, vollständig überfordert und können Streitigkeiten im Spannungsverhältnis von Kulturgüterschutz und Kunstrestitution einerseits und Kunsthandel andererseits nicht angemessen
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Vgl. Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Band VIII, 1849, S. 178.
§ 11 Ergebnis: Kritik am Internationalen Kulturgüterprivatrecht
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lösen. Es ist deshalb festzustellen, dass die international-privatrechtliche Anknüpfung des gutgläubigen originären und derivativen Erwerbs unrechtmäßig entzogener Kulturgüter zusammen mit den Fragen der Verjährung und Verwirkung kultureller Restitutionsansprüche sowie das Dogma der Nichtanwendung ausländischer Kulturgüterschutzgesetze korrekturbedürftig sind. Da im internationalen Kulturgüterverkehr der jeweilige Lageort eines Kunstwerkes regelmäßig nur vorübergehend ist, verlieren die Vorteile des geltenden Kollisionsrechts, die der Anknüpfung des Sachstatuts an den Situs des Kulturguts ansonsten zugrunde liegen, ihre Berechtigung. Das gilt namentlich für die Rechtssicherheit, die vereinfachte Anknüpfung für die Gerichtspraxis, die international einheitliche Rechtswahl bei kulturellen Rückführungsklagen und den Gleichlauf zwischen internationaler Zuständigkeit und anwendbarem Recht. Im Internationalen Kulturgüterprivatrecht ist dementsprechend de lege ferenda auch außerhalb spezieller völkerrechtlicher Vereinbarungen ein starres Festhalten an den geltenden Rechtswahlgrundsätzen zu vermeiden und eine Auflockerung der verkrusteten Säulenstruktur auch im internationalen Sachenrecht notwendig. Die Anwendung neuer Rechtswahlgrundsätze im Internationalen Kulturgüterprivatrecht steht dabei im Einklang mit dem notwendigen Methodenpluralismus im Postmodernismus des internationalen Privatrechts. Während im Kollisionsrecht innerhalb des europäischen Rechtsraums diese Entwicklungsstufe de lege lata noch aussteht, besteht vornehmlich im Rechtsgebiet der Vereinigten Staaten von Amerika und in den Bestimmungen der einzelnen Bundesstaaten eine unübersehbar starke Tendenz der differenzierenden Rechtswahl beim Transfer beweglicher Gegenstände im Allgemeinen und internationalen Kulturgüterverkehr im Besonderen. Für den europäischen und insbesondere auch deutschen Rechtsraum ist es somit eine der vordringlichsten Aufgaben der Rechtswissenschaft des Kulturgüterschutzes, weiterhin für eine Abkehr von der generellen Rechtswahl nach den lex rei sitae-Grundsätzen im Internationalen Kulturgüterprivatrecht zu plädieren und gleichzeitig eine praxistaugliche Kollisionsregel zu entwickeln, die im Spannungsverhältnis der Bedürfnisse des internationalen Kunstmarktes und der Rechtssicherheit einerseits und des Anliegens des Kulturgüterschutzes in der Bewahrung und Erhaltung kultureller Wertgegenstände und des Interesses des (ursprünglichen) Eigentümers an der Wiedererlangung seiner unrechtmäßig entzogenen Kulturgüter andererseits einen fairen und gerechten Ausgleich findet.
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Bei der Suche nach dem schwierigen Kompromiss zwischen Kulturgüterschutz und Eigentümerschutz auf der einen Seite und Verkehrsinteresse und Erwerberschutz auch unrechtmäßig entzogener Kulturgüter auf der anderen Seite und bei der ‚Auflockerung‘ der situs-Regel sowohl im Einzelfall (über Art. 46 EGBGB) als auch de lege ferenda im Generellen wird stets die allgemeine Prämisse anzuerkennen sein, dass der Verkehrsschutz (als Geltungsgrund der Rechtswahl nach dem Belegenheitsrecht) „bei Kulturgütern weitaus geringeres Gewicht [hat] als bei Ver-
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
brauchs- oder Investitionsgütern.“ 1137 Aus diesem Grund besteht durchaus Spielraum für eine eigenständige Anknüpfung: „ … aufgrund des Charakters des Vindikationsobjektes als Kulturgut“ ist eine Durchbrechung des Grundsatzes der lex rei sitae angezeigt. „Dem der lex rei sitae zugrunde liegenden Verkehrsschutzaspekt wird bei Kulturgütern ein geringerer Stellenwert beigemessen als bei sonstigen Mobilien. Der Verkehr ist naturgemäß auf der Hut, will er doch regelmäßig ein „echtes“ Oeuvre erwerben, sodass es gerechtfertigt ist, das Vertrauen auf die Anwendbarkeit des Verkehrsrechts nicht in gleichem Maße zu honorieren wie bei einem Bargeschäft des täglichen Lebens, bei welchem die Angst vor Fälschung und zwielichtiger Provenienz nicht allgegenwärtig ist.“ 1138 448
Nach den voranstehenden Erkenntnissen sollten keine Zweifel bestehen, dass eine zivilrechtliche Gleichbehandlung von Kulturgütern – mögen sie noch so schön und teuer sein – mit sonstigen Mobilien, die in Quantität gehandelt, zum Verbrauch bestimmt und jederzeit reproduziert werden können, heute keine Rechtfertigung mehr finden darf. Nachdem erkannt wurde, wie wenig sachdienlich das Kollisionsrecht de lege lata arbeitet, stellt sich im nachstehenden 4. Abschnitt die Frage nach einer Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts und nach wirkungsvollen Alternativen im Rechtswahlprozess. Mit guten Gründen sollte deshalb im heutigen Postmodernismus des internationalen Privatrechts de lege ferenda auf eine ‚Entkrustung‘ der im internationalen Kunsthandel inadäquaten und versteinerten Rechtswahl nach dem Belegenheitsrecht plädiert werden.
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Die Suche nach einer Verbesserung des Kulturgüterschutzes und der fairen Lösung kultureller Restitutionsstreitigkeiten darf nach dem Vorhergesagten auch die Möglichkeit der Änderung der geltenden Anknüpfungsmaximen im Internationalen Kulturgüterprivatrecht nicht aussparen. Es ist also der richtige ‚Sitz des Rechtsverhältnisses‘ bei kulturellen Veräußerungsgeschäften zu suchen. Im Zentrum der Suche und der Bewertung dieses natürlichen Schwerpunktes national bedeutsamer Kunst- und Kulturgüter muss in einem neuen Internationalen Kulturgüterprivatrecht jedoch stets der Ausgleich aller widerstreitenden Interessen der im internationalen Kulturgüterverkehr Beteiligten stehen an einem möglichst freien Kulturgüterverkehr innerhalb des internationalen Kunstmarktes und dem Erwerbsinteresse einerseits und an einem möglichst weitreichenden zivilrechtlichen Kulturgüterschutz und dem Bestandswahrungs- und Erhaltungsinteresse der ursprünglichen Eigentümer unrechtmäßig entzogener Kulturgüter andererseits.
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So auch Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff., S. 3582. Kienle/Weller, Die Vindikation gestohlener Kulturgüter im IPR, IPRax 2004, S. 290–294, S. 291.
4. Abschnitt Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts Das Internationale Kulturgüterprivatrecht ist aufgrund der genannten Mängel zu reformieren, bevor es sich überhaupt als solches, d.h. als eigenständiges Rechtsgebiet und Teilordnung des internationalen Sachenrechts und des internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts weiter etabliert. Nach den voranstehenden Untersuchungsergebnissen kann das bestehende Normensystem des Kollisionsrechts zusammen mit den hierzu ergangenen zivilgerichtlichen Entscheidungen dem Anliegen des Kulturgüterschutzes und einzelner Kunstrestitutionsverfahren bislang nur unzulänglich dienen. Zufallsergebnisse innerhalb der Rechtswahl und die Möglichkeit der bösgläubigen und perfiden Manipulation des Anknüpfungspunktes verstärken den internationalen illegalen Kunsthandel, führen so zu nicht hinnehmbaren Verlusten kultureller Wertgegenstände in den Ursprungsstaaten sowie individueller Einzelpersonen und bieten dem kulturellen Schwarzmarkt weiterhin Vorschub. Aus diesem Grund müssen nicht nur die materiell-rechtlichen Vorschriften der dinglichen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter der einzelnen Zivilrechtsordnungen 1139, sondern es muss zusätzlich auch das Internationale Kulturgüterprivatrecht grundlegend auf die Prüfwaage gestellt und einem neuen Verständnis im Spannungsverhältnis zwischen internationalem Kunsthandel und grenzüberschreitendem Kulturgüterschutz zugeführt werden. Dabei schließen sich materiell-rechtliche und international-privatrechtliche Lösungsalternativen keineswegs gegenseitig aus, sondern sind kumulativ auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen und gegebenenfalls vor Gericht zu testen.
450
Unter die Überschrift „Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts“ lassen sich rechtskonstruktiv zahlreiche inhaltlich divergierende Lösungsansätze subsumieren, die allesamt eine Reduktion des illegalen Kulturgüterverkehrs im weiteren Umfeld des Kollisionsrechts intendieren, hierfür jedoch gänzlich unterschiedliche Methoden anwenden.1140 Die nachstehenden Reformbestrebungen des Internationalen Kulturgüterprivatrechts umfassen alle Fragestellungen, die im Kollisionsrecht dazu eingesetzt werden können, um dem Entzug und Verlust
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Vgl. ausführlich hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel. Vgl. für einen kursorischen Überblick in die Materie auch Mußgnug, Das Kunstwerk im internationalen Recht, in: Deutsche Richterakademie, Kunst und Recht, 1985, S. 15–43, insb. S. 21–24; Schack, Kunst und Recht – Bildende Kunst, Architektur, Design und Fotografie im deutschen und internationalen Recht, 2. Aufl. 2004, S. 209–210; Droz, La protection internationale des biens culturels et des objets d’art, vue sous l’angle d’une convention de droit international privé, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 535–544.
704
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
national bedeutsamer Kunst- und Kulturgüter entgegenzuwirken.1141 Ebenso wie innerhalb der Analyse der materiell-rechtlichen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter bestehen auch innerhalb des internationalen Privatrechts hörenswerte Strömungen, die das Kollisionsrecht „in den Dienst des Kulturgüterschutzes“ 1142 stellen möchten und eine Auslegung und Weiterentwicklung der geltenden Rechtswahlregeln i.S.d. internationalen Kulturgüterschutzund Kunstrestitutionsrechts anstreben.1143 Auf verschiedenen Ebenen ist es unternommen worden, die sachenrechtlichen Anknüpfungsregeln zu modifizieren. Dementsprechend breit ist das Spektrum der vorgeschlagenen Lösungen.1144
Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
Ordre publicWidrigkeit des illegalen internationalen Kulturgüterverkehrs
Alternative Anknüpfungsmaximen im Rechtswahlprozess des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
Extraterritoriale Anwendung ausländischer Kulturgüterund Denkmalschutzgesetze als Eingriffsnormen
Gerichtliche Stigmatisierung kultureller Güter als unrechtmäßig entzogen und illegal exportiert
Materielle Privatrechtsvereinheitlichung im internationalen Kulturgüterverkehr
Schema 7 – Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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So die Problemstellung bei Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 88–99; Byrne-Sutton, le trafic international des biens vulturels sous l’angle de leur revendication par l’Etat d’origine – Aspects de droit international privé, 1988, S. 140 ff.; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 27; ähnlich auch bei Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes, 1994, S. 28; Spinellis, Das Vertrags- und Sachenrecht des internationalen Kunsthandels – zugleich ein Beitrag zur Bedeutung der Eingriffsnormen im heutigen internationalen Rechtsverkehr, 2000, S. 38; vgl. zudem Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 2; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 6; Kunze, Restitution „Entarteter Kunst“ – Sachenrecht und Internationales Privatrecht, 2000, S. 7 f.; Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 10–11. Stoll, Sachenrechtliche Fragen des Kulturgüterschutzes in Fällen mit Auslandsberührung, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes – Symposium vom 22./23. Juni 1990 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 53 ff., S. 53. So Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 218 f. Vgl. Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 10–11.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
705
Allen Reformbestrebungen des Internationalen Kulturgüterprivatrechts ist der Versuch gemein, über die missliche Diskrepanz zwischen den geltenden Anknüpfungsmomenten im Privatrecht nach der lex rei sitae und den nationalen Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften im öffentlichen Recht nach der lex fori hinwegzuhelfen.1145 Wiederholt wurde innerhalb der materiell-rechtlichen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter ersichtlich, wie intensiv die nationalen Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze als Normen des öffentlichen Rechts unmittelbar ins Privatrecht eingreifen. Während die nationalen Kulturgüterschutzgesetze früher meist nur strafrechtliche Sanktionen vorsahen, bildet sich neuestens ein eigenes privates Sachrecht für Kulturgüter aus, welches das allgemeine Zivilrecht überlagert.
452
So gehören bspw. nach Art. 29 Abs. 1 des spanischen Gesetzes 16/1985 illegal ausgeführte Kulturgüter des Patrimonio Histórico Español dem Staat: „Dichos bienes son inalienables e imprescriptibles“.1146 Solche Sonderregeln gelten teilweise auch für die Frage des Besitzes. Streiten sich so bspw. Parteien über das Eigentum an einem Kunstwerk, so kann das übergreifende öffentliche Interesse am Kulturgüterschutz dazu führen, dass – wie bspw. gegenüber einem Gemälde von El Greco in der Konstellation United States v. Herce 1147, das dem Metropolitan Museum of Art in New York überwiesen wurde – der Besitz während des Verfahrens einem Museum übertragen wird.1148 Teile des Schrifttums sprechen dies-
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Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff., S. 38–41; Jayme, Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im Internationalen Privatrecht, in: Dominicé/Patry/Reymond, Études de droit international en l’honneur de Pierre Lalive, 1993, S. 717–731, S. 720–722; Prott/O’Keefe, National Legal Control of Illicit Traffic in Cultural Property, UNESCO, 1983, S. 123 ff. Text des Gesetzes bei Fernandez, Legislación sobre Patrimonio Histórico, 1987, S. 137 ff. Vgl. auch das peruanische Recht, das Staatseigentum bei Funden präkolumbischer Kunst zuspricht. Vgl. Government of Peru v. Johnson, 729 F.Supp. 810, 814 (C.D.Cal. 1989). Vgl. auch Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff., S. 38–41; Jayme, Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im Internationalen Privatrecht, in: Dominicé/Patry/Reymond, Études de droit international en l’honneur de Pierre Lalive, 1993, S. 717–731, S. 720–722; Reichelt, International Protection of Cultural Property (Second Study) – La protection internationale des biens culturels (Deuxième étude), Uniform Law Review/Revue de droit uniforme, 1988 I, S. 52 ff., S. 124. United States v. Herce, 334 F.Supp. 111 (S.D.N.Y. 1971). Zum Ganzen Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff., S. 38–41; Jayme, Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im Internationalen Privatrecht, in: Dominicé/Patry/Reymond, Études de droit international en l’honneur de Pierre Lalive, 1993, S. 717–731, S. 720–722.
706
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
bezüglich ausdrücklich von der Bildung eines „eigenen privaten Sachrechts für Kulturgüter“, „welches das allgemeine Zivilrecht überlagert“ 1149. 454
Diese Überlagerung führt nicht nur zu gesteigerten Sorgfaltsanforderungen aller im Kunstmarkt Beteiligten innerhalb des materiellen Rechts und der dinglichen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter 1150, sondern wirkt sich auch innerhalb des Internationalen Kulturgüterprivatrechts aus. Teile der Literatur erkennen die Gefahren des illegalen Kunsthandels und sprechen sich ausdrücklich für eine rechtswirksame Bekämpfung des kulturellen Schwarzmarktes aus, ohne jedoch aus Verkehrsschutzgesichtspunkten auch im internationalen Kulturgüterverkehr eine Abkehr von der geltenden Rechtswahl nach den Grundsätzen der lex rei sitae zu erwägen. Diese Autoren sind vielmehr der Meinung, dass innerhalb der dinglichen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter stets zu prüfen sei, ob die Objekte dem Kulturerbe einer Nation zuzurechnen oder dem berechtigten Zuordnungssubjekt abhandengekommen sind und einem Eigentumswechsel deshalb aus Gründen der internationalen Solidarität wegen Verstoßes gegen den ordre public die Anerkennung zu versagen ist (vgl. hierzu unter Punkt A.).
455
Der – soweit ersichtlich – bedeutsamste Teil des Schrifttums sieht dagegen in einer allzu häufigen Berufung auf Ausnahme- und Sonderregeln nicht mehr die Möglichkeit gegeben, im internationalen Kunsthandel im Einzelfall durch das Rechtsinstitut des ordre public eine Korrektur zu erreichen, sondern sieht sich gezwungen, im grenzüberschreitenden Kulturgüterverkehr die Grundanknüpfung bei der Rechtswahl zu ändern. Größtes Gewicht kommt deshalb der Konstruktion alternativer Anknüpfungsmaximen zu (vgl. hierzu unter Punkt B.), die bei der Rechtswahl im internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht an Stelle der allgemein geltenden lex rei sitae eine engere Beziehung der zu entscheidenden Sachverhaltskonstellation zur anwendbaren Rechtsordnung herstellen möchten. Sowohl innerhalb der Rechtsdogmatik als auch in der gesetzlichen und judikativen Anwendung innerhalb der Praxis werden verstärkt Anzeichen dafür ersichtlich, dass „sich Anknüpfungsmaximen des internationalen Privatrechts unter dem Eindruck der öffentlich-rechtlichen Forderungen nach einem Schutz des nationalen Kulturguts wandeln.“ 1151 Große Teile des –
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Vgl. Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff., S. 38–41; Jayme, Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im Internationalen Privatrecht, in : Dominicé/Patry/Reymond, Études de droit international en l’honneur de Pierre Lalive, 1993, S. 717–731, S. 720–722. Vgl. ausführlich hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 3. Teil. So die Terminologie bei Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
707
insbesondere kulturgüterspezifischen – Schrifttums sind davon überzeugt, dass eine kollisionsrechtliche Sonderanknüpfung für unrechtmäßig entzogene Kulturgüter sei „apparemment une méthode attrayante“ 1152, sowohl um nationalen Kulturgüterschutzvorschriften ausländischer Protektionsmechanismen auch außerhalb des kulturellen Ursprungsstaates internationale Rechtsgeltung zu verschaffen als auch die engste und damit ‚richtige‘ Rechtsordnung zur dinglichen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter im internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht zu bestimmen.1153 Dieser Teil des Schrifttums möchte somit die Anknüpfungsmerkmale selbst einer gewissen Reform unterziehen und für Kulturgüter eigene privatrechtliche Kollisionsnormen aufstellen, die von den allgemeinen Regeln des Schuld- und Sachenrechts zu sondern sind: „Man muß sich daher fragen, ob sich nicht gänzlich neue Maximen der Anknüpfung empfehlen, welche den Kunstgegenstand einem eigenen Lebensmittelpunkt zuordnen. Dies freilich heißt, die irrationale Grundströmung, welche den internationalen Kulturgüterschutz heute bewegt, zu akzeptieren. Die Chance der postmodernen Welt besteht aber auch gerade darin, solche irrationalen Züge nicht zu verdrängen, sondern sie aufzunehmen und zu kanalisieren.“ 1154
456
Ein weiterer Reformvorschlag des Internationalen Kulturgüterprivatrechts wendet sich gegen das Dogma der Nichtanwendung ausländischer Kulturgüterschutzgesetze vor nationalen Zivilforen aufgrund ihrer Qualifikation als Normen des öffentlichen Rechts und betont, dass die Vorschriften zur Erhaltung und Bewahrung national bedeutsamer Kulturgüter als ausländische Eingriffsnormen auch vor
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Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff., S. 42; Jayme, Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im Internationalen Privatrecht, in : Dominicé/Patry/Reymond, Études de droit international en l’honneur de Pierre Lalive, 1993, S. 717–731, S. 723. So Byrne-Sutton, Le trafic international des biens vulturels sous l’angle de leur revendication par l’Etat d’origine – Aspects de droit international privé, 1988, S. 153. Vgl. Vgl. auch Carducci, The Growing Complexity of International Art Law: Conflict of Laws, Uniform Law, Mandatory Rules, UNSC Resolutions and EU Regulations, in: Hoffman, Art and Cultural Heritage – Law, Policy and Practice, 2006, S. 68 ff., S. 70. Gegen eine eigenständige Kollisionsnorm für Kulturgüter sprechen sich aus: Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 222 sowie Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rdnr. 201 ff., 203. Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff., S. 50–51; Jayme, Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im Internationalen Privatrecht, in : Dominicé/Patry/Reymond, Études de droit international en l’honneur de Pierre Lalive, 1993, S. 717–731, S. 729–730.
708
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
fremden Zivilforen extraterritoriale Anwendung erfahren müssten (vgl. hierzu nachstehend Punkt C.). Mittels einer sog. Sonderanknüpfung müssten die ausländischen bzw. inländischen Kulturgüterschutzgesetze als Normen des öffentlichen Rechts auch vor (fremden) Zivilforen im internationalen Privatrecht mit verschiedenen Techniken kollisionsrechtliche Berücksichtigung finden.1155 Eine andere Alternative erkennt ein weiterer Teil des Schrifttums in der Möglichkeit, ausländische Kulturgüterschutzgesetze im Rahmen der lex causae materiell-rechtlich als „datum“ zu berücksichtigen und so dem illegalen Kulturgüterverkehr durch ihre faktische Berücksichtigung im Rahmen der lex causae Einhalt zu gebieten. Im deutschen Rechtskreis ist dabei vor allem an die Nichtigkeit solcher kultureller Veräußerungsgeschäfte zu denken, die gegen ein gesetzliches Verbot (i.S.d. § 134 BGB), gegen die guten Sitten (i.S.d. § 138 BGB) verstoßen oder an dem allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben (i.S.d. § 242 BGB) scheitern.1156 458
Ein Kind der Praxis ist im internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht die Möglichkeit der Stigmatisierung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter für die Öffentlichkeit mit einem gerichtlichen Unrechtsverdikt hinsichtlich des kulturellen Entziehungsaktes seitens des Eigentümers (vgl. hierzu nachstehend Punkt D.). Die richterliche Feststellung eines unrechtmäßigen Entziehungsaktes ist regelmäßig wesentlich leichter, als eine Rückführung vor einem Gericht durchzusetzen und hat für das Kulturgut regelmäßig zur Folge, dass eine Veräußerung im internationalen Kunstmarkt praktisch ausgeschlossen, zumindest jedoch nur unter großer Werteinbuße möglich bleibt. Schließlich stellen eine materielle Privatrechtsvereinheitlichung im internationalen Kulturgüterschutzrecht und die inhaltliche Angleichung der dinglichen Sachzuordnungsregeln unrechtmäßig entzogener Kulturgüter ein effektives Mittel zur Verringerung des forum shopping und damit zur Bekämpfung des kulturellen Schwarzmarktes dar (vgl. hierzu nachstehend Punkt E.).
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Vgl. Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/ Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 199 ff.; Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff., S. 42; Jayme, Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im Internationalen Privatrecht, in : Dominicé/Patry/Reymond, Études de droit international en l’honneur de Pierre Lalive, 1993, S. 717–731, S. 723. Vgl. BGH, Nigeria-Entscheidung des 2. Zivilsenats vom 22.06.1972, Az.: II ZR 113/70, BGHZ 59, S. 82–87, NJW 1972, S. 1575 ff., vgl. ausführlich hierzu 3, 1156 ff.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
709
A. ‚Ordre public‘-Widrigkeit des illegalen Kulturgüterverkehrs Schrifttum: Anton, Special Conflict Rules in the Private International Law of Property concerning International Art Trade in Stolen Works of Art, LL.M. Thesis 2005, University of Johannesburg, South Africa; Berndt, Internationaler Kulturgüterschutz: Abwanderungsschutz, Regelungen im innerstaatlichen Recht, im Europa- und Völkerrecht, 1998, S. 127; Byrne-Sutton, Le trafic international des biens vulturels sous l’angle de leur revendication par l’Etat d’origine – Aspects de droit international privé, 1988, S. 113 f.; Carl, Beutekunst vor den Zivilgerichten: Auswirkungen des Londoner Urteils über das Bild von Joachim Wtewael aus Gotha, in: Genieva/Michaletz/Werner, Gesten des guten Willens und Gesetzgebung – Dokumentation der internationalen Konferenz zur Problematik kriegsbedingt verlagerter Kulturgüter; Moskau, 24. und 25. April 2001, 2001, S. 249–265, S. 251–256; de Visscher, La protection internationale des objets d’art et des monuments historiques, 16 Rev. dr. int. lég. comp. 32 (1935), S. 50–52; Fechner, Rechtlicher Schutz archäologischen Kulturguts – Regelungen im innerstaatlichen Recht, im Europa- und Völkerrecht sowie Möglichkeiten zu ihrer Verbesserung, 1991, S. 74; Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 297–298; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 174–175; Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 70–73; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 160; Mußgnug, Das Kunstwerk im internationalen Recht, in: Kunst und Recht, Schriften der deutschen Richterakademie, 1985, S. 15–42, S. 23; Pecoraro, Choice of Law in Litigation to Recover National Cultural Property: Efforts at Harmonization in private International Law, Virginia Journal of International law 31 (1990), S. 1–51; Plutschow, Staatliche Vorkaufsrechte im Internationalen Kulturgüterschutz, 2002, S. 288 ff.; Prott, Problems of Private International Law for the Protection of the Cultural Heritage, in: Recueil des Cours – Collected Courses of the Hague Academy of International Law, 1989-V (Tome 217), 1990, S. 223–316, insb. S. 282 ff.; Reichelt, International Protection of Cultural Property, Revue de droit uniforme/Uniform Law Review (UNIDROIT), Semestrielle – Biannual (1985-I), S. 42–153, S. 127 ff.; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 172–174; Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 90; Stoll, Sachenrechtliche Fragen des Kulturgüterschutzes in Fällen mit Auslandsberührung, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes – Symposium vom 22./23. Juni 1990 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 53 ff., S. 56; Walter, Rückführung von Kulturgut im Internationalen Recht, 1988, S. 195 f.; Werner, Die sachenrechtliche Zuordnung von Raub- und Beutekunst, in: Ministerium für Kultur der Russischen Föderation/Staatliche Bibliothek für Ausländische Literatur Rudomino/S.E.C.co – Gesellschaft zur Förderung des internationalen Informationsaustausches, Das schwierige Schicksal von Kulturgütern – Materialien der internationalen Konferenz Privatrecht und Probleme der Restitution von kriegsbedingt verbrachten Kulturgütern, Moskau, 27. und 28. Mai 2002, 2002, S. 261–276, S. 269–270.
Die Anwendung der durch den ausländischen Belegenheitsort berufenen Rechtsordnung gleicht dem im international-privatrechtlichen Schrifttum viel zitierten „Sprung ins Dunkle“ 1157, da bei der Anknüpfung an die lex rei sitae weder Inhalt
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Raape/Sturm, Internationales Privatrecht – Allgemeine Lehren, 6. Aufl. 1977, S. 199.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
noch ‚Gerechtigkeit‘ oder Fairness der Anwendung des ausländischen Rechts für die beteiligten Parteien Berücksichtigung finden. Auch innerhalb des Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts ist der Gehalt der materiell-rechtlichen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter aufgrund der Anwendung einer fremden nationalen Sachenrechtsordnung nicht vorherzusagen und könnte deshalb eines Korrektivs bedürfen. Dies könnte bei unrechtmäßig entzogenen Kulturgütern insbesondere dann der Fall sein, wenn die Objekte dem Kulturerbe einer Nation zuzurechnen oder dem berechtigten Zuordnungssubjekt abhandengekommen sind, sodass einem Eigentumswechsel aus Gründen der internationalen Solidarität wegen eines Verstoßes gegen den ordre public (oder die sog. public policy innerhalb des Common Law-Rechtskreises) die Anerkennung zu versagen sein könnte.1158 Teile des Schrifttums sind deshalb auch innerhalb des Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts der Ansicht, dass stets überprüft werden müsse, ob das Ergebnis der ausländischen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter nicht wesentlichen Grundsätzen der Rechtsordnung des Forumstaates widerspricht.1159
I. 460
Funktion und Voraussetzungen eines ordre public-Vorbehalts
Wiederholt wurde die Internationalität des Kulturgüterverkehrs innerhalb des Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts betont. Als Folge dieser weltweiten Mobilisierung des Privatrechtsverkehrs mit Kulturgütern besteht aufgrund unterschiedlicher Religion, Kultur, Geschichte und politischer Ideologie weltweit eine Vielzahl widersprüchlicher Lösungen für die ‚richtige‘ materiellrechtliche Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter nach den einzelstaatlichen Privatrechtsvorschriften.1160 Vor diesem Hintergrund könnte auch das Rechtsinstitut des ordre public zur „Abwehr abweichender ausländischer Wert-
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1160
So lässt sich Mußgnug, Das Kunstwerk im internationalen Recht, in: Kunst und Recht, Schriften der deutschen Richterakademie, 1985, S. 15–42, S. 23, verstehen. Walter, Rückführung von Kulturgut im Internationalen Recht, 1988, S. 195 f., denkt sogar an eine Ergänzung der deutschen ordre public-Vorschrift (heute Art. 6 EGBGB). Allgemein im Zusammenhang mit Kulturgütern für eine stärkere Berücksichtigung des ordre public, vgl. Reichelt, International Protection of Cultural Property, Revue de droit uniforme/Uniform Law Review (UNIDROIT), Semestrielle – Biannual (1985-I), S. 42–153, S. 130. Vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 193; Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 297–298. Vgl. die allgemeinen Erwägungen hierzu bei Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 272.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
711
vorstellungen“ 1161 herangezogen werden, die dem nationalen Gerechtigkeitsgehalt der innerstaatlichen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter in hohem Maße zuwiderlaufen (sog. negative Funktion des ordre public). Als weitere Domäne des ordre public wird in der Lehre auf die sog. positive Funktion hingewiesen, die zu einer internationalen Durchsetzung zwingender inländischer Vorschriften und der bevorzugten Geltung einzelner Regeln des inländischen Rechts führen muss. Man könnte folglich der Meinung sein, dass über die positive Funktion des ordre public im internationalen Kulturgüterverkehr auch die deutschen rechts- und kulturpolitischen Anschauungen Durchsetzung erfahren könnten. Diese Frage wird heute zu Recht jedoch in erster Linie innerhalb des Problems der Sonderanknüpfung von Eingriffsnormen 1162 diskutiert und hierbei eine Spezialität der Frage der Sonderanknüpfung zwingender (auch kulturpolitischer) Normen angenommen.1163
461
Mittels der allgemeinen Vorbehaltsklausel des ordre public sollen somit unerträgliche Ergebnisse bei der Anwendung ausländischen Rechts, das nach den Rechtswahlgrundsätzen der lex rei sitae unabhängig von dessen materiellem Gehalt Anwendung findet, im Einzelfall korrigiert werden. Vor diesem allgemeinen Verständnis könnte das Rechtsinstitut des ordre public somit auch innerhalb der deutschen Rechtsordnung als Korrektiv fungieren, falls die Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts widerspricht. Innerhalb des deutschen Kollisionsrechts wurden das Rechtsinstitut des ordre public (in deutsch: „öffentliche Ordnung“) und damit auch dessen negative Funktion in Art. 6 EGBGB normiert. Die Vorschrift bestimmt, dass eine Rechtsnorm eines anderen Staates dann nicht anzuwenden ist, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts (und damit insbesondere mit den deutschen Grundrechten) offensichtlich unvereinbar ist. Damit findet allein eine Ergebniskontrolle der ausländischen (materiell-rechtlichen) Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter statt, sodass sich der deutsche ordre public nicht gegen die ausländischen Normen und deren abstrakt-theoretischen Inhalt selbst, sondern nur gegen das Ergebnis ihrer Anwendung im konkreten Fall richtet.1164 Außerdem setzt das Eingreifen des ordre public einen hinreichenden Inlandsbezug voraus: Je geringer der Inlandsbezug ist, desto bedeutsamer müssen die verletzten inländischen
462
1161
1162 1163
1164
So Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 272. Vgl. ausführlich hierzu 3, 910 ff. Vgl. Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 239. Vgl. Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 240; Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 275.
712
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Rechtsgrundsätze sein (sog. Relativität des ordre public).1165 Ohne diese Notwendigkeit würde die Nichtanwendung einer ausländischen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter über den ordre public-Vorbehalt zu einer abstrakten Beurteilung ihres Inhalts werden und es würde eine rein theoretische, in der Praxis kaum zu realisierende Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter ergehen.1166 Kann eine ordre public-Widrigkeit der ausländischen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter festgestellt werden, ist die betreffende ausländische Erwerbs-, Verjährungs- oder Ersitzungsnorm im Forumstaat nicht anzuwenden 1167 und der ursprüngliche Eigentümer verliert seine Rechtsposition nicht.1168
II. 463
Ausländische Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter ordre public-widrig
Es erscheint in besonderem Maße sowohl für die deutsche, aber auch für alle anderen Rechtsordnungen innerhalb des internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts fraglich, wann im Einzelfall eine ausländische Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter als ordre public-widrig qualifiziert werden kann. Dahinter steht die allgemeine Frage, welche Standards hier zur Bestimmung des ordre public, der öffentlichen Ordnung und der public policy innerhalb Deutschlands, aber auch in anderen Rechtsordnungen herangezogen werden. Der Begriff des ordre public umschreibt nach deutscher Terminologie die „öffentliche Ordnung“ und könnte nach dem allgemeinen Verständnis des deutschen BGH dann eine ausländische Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter konterkarieren, wenn „das Ergebnis der Anwendung ausländischen Rechts … im Einzelfall zu den Grundgedanken der deutschen Regelung und den in ihnen liegenden Gerechtigkeitsvorstellungen … in einem so schwerwiegenden Widerspruch steht, daß seine Anwendung für untragbar angesehen werden
1165
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1168
Vgl. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 276–277; Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 240. Vgl. Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 240. Vgl. j.m.w.N. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 278; Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 248–249. Vgl. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 278; Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 248–249.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
713
muss“ 1169. Allgemein wird hierdurch derjenige Teil der inländischen Rechtsordnung umfasst, dessen Beachtung auch im internationalen Rechtsverkehr unverzichtbar ist.1170 Dies könnte jedoch nicht nur dann der Fall sein, wenn die Sachzuordnung den nationalen Zivilvorschriften des Forumstaates in besonderem Maße widerspricht, sondern auch dann, wenn ein grober Verstoß gegen die öffentlich-rechtlichen Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze des kulturellen Ursprungsstaates, gegen internationale Standards zur Bewahrung und Erhaltung kultureller Güter oder gegen europäische Kulturgüterschutzvorschriften vorliegt.
1.
Verstoß gegen nationale Zivilrechtsvorschriften des Forumstaates
An erster Stelle können die nationalen Zivilrechtsvorschriften des Forumstaates für ein ordre public-Verdikt der dinglichen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter im Ausland sprechen. Dabei ist zu untersuchen, ob die ausländischen Vorschriften hinsichtlich des gutgläubigen rechtsgeschäftlichen Erwerbs und der gutgläubigen Eigentumsersitzung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter sowie hinsichtlich der Verjährung und Verwirkung des Restitutionsanspruchs des ursprünglichen Eigentümers so weit von den Mindestgerechtigkeitsvorstellungen der dinglichen Sachzuordnung im Forumstaat abweichen, dass die Anwendung dieser ausländischen Rechtsvorschriften zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen der Rechtsordnung des Forumstaates – in den Worten des Art. 6 EGBGB – „offensichtlich unvereinbar“ ist. So sieht bspw. Siehr die Berufung auf die ordre public-Grundsätze als „ultimate device to avoid an intolerable result“: „Foreign substantive law will not be applied in the forum State when the result of such an application is incompatible with the basic ideas of the lex fori.“ 1171
464
Einschränkend gilt jedoch, dass im Interesse einer internationalen Ordnung inländische Vorstellungen über die ‚richtige‘ Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter nicht per se den Vorrang beanspruchen können: „Wer ausländisches Recht unter Berufung auf den ordre public nicht anwendet, schafft hinkende Rechtsverhältnisse. Daher darf sich das deutsche Recht nicht zu einem alleinigen Maßstab machen, sondern muss prinzipiell fremdartige Regelungen anderer Staaten hinnehmen.“ 1172 Ein Verstoß gegen den ordre public, die öffent-
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1172
BGH, Nigeria-Entscheidung des 2. Zivilsenats vom 22.06.1972, Az.: II ZR 113/70, BGHZ 59, S. 82–87, NJW 1972, S. 1575 ff., vgl. ausführlich hierzu 3, 1165 ff. Vgl. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 270. Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 90. Vgl. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 273.
714
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
liche Ordnung und public policy des Forumstaates ist nach allgemeinem Verständnis jedoch nicht nur gegenüber Normen möglich, die der Aufrechterhaltung öffentlicher (staatlicher) Interessen des Kulturgüterschutzes dienen, die unter Bezugnahme auf die „guten Sitten“ und den „Zweck deutscher Gesetze“ umschrieben wurden, sondern es werden heute auch Individualinteressen und somit ebenfalls die Rechtspositionen der Eigentümer unrechtmäßig entzogener Kulturgüter als Schutzobjekte erfasst.1173 So könnte das Rechtsinstitut des ordre public sowohl dem Schutz des Staates an der Bewahrung seiner national wertvollen Kulturgüter (also staatlichen Interessen) als auch des Eigentümers am Erhalt und an der Rückführung seiner gestohlenen oder auf andere Weise abhandengekommenen Kunstwerke dienen.
a)
Keine ordre public-Widrigkeit des rechtsgeschäftlichen Gutglaubenserwerbs in Italien vor englischem Forum in der Winkworth-Konstellation
466
Zunächst könnte man in Erwägung ziehen, dass bspw. ein gutgläubiger Erwerb auch unrechtmäßig entzogener Kulturgüter, der zwar in der lex causae, nicht aber in der lex fori möglich ist, gegen den ordre public des Forumstaates verstößt und an deren Stelle bspw. die Vorschriften des Forumstaates über den gutgläubigen Erwerb Anwendung finden.
467
So sind bspw. nach verbreiteter Ansicht im französischen Recht die Vorschriften der Art. 2279, 2280 des Code civil Bestandteil des französischen ordre public.1174 Der französische Tribunal civil de la Seine hat bspw. in seiner Entscheidung Duc de Frias v. Baron de Pichon vom 17. April 1885 1175 entschieden, dass „en ce qui concerne les meubles proprement dits, s’il s’agit, comme dans l’espece, d’une question de possession, l’interét d’ordre social qui a dictée la règle posée par l’art. 2279 C.c.f., exige que la loi française soit seule appliquée.“ 1176 Das hätte somit zur Folge, dass, sobald ein Gegenstand nach Frankreich gelangt, die Art. 2279, 2280 des Code civil auf die Frage Anwendung finden, ob der Besitz an 1173
1174
1175
1176
Vgl. die allgemeinen Erwägungen bei Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 270. Vgl. Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 70–73. Duc de Frias v. Baron de Pichon, Tribunal civil de la Seine, 17. April 1885, 13 Clunet (1886) 593, 595. Vgl. ausführlich zu der Fallkonstellation 3, 1054 ff. So auch De Visscher, La protection internationale des objets d’art et des monuments historiques, 16 Rev. dr. int. lég. comp. 32 (1935), S. 50–52; Byrne-Sutton, Le trafic international des biens vulturels sous l’angle de leur revendication par l’Etat d’origine – Aspects de droit international privé, 1988, S. 113 f.; Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 70–73.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
715
der Sache zum Eigentumserwerb führt. Die Vorschriften sind nach dieser Ansicht ohne Rücksicht darauf anzuwenden, ob nach der auf den Eigentumsübergang anwendbaren lex causae ein Eigentumserwerb stattgefunden hat.1177 Diese positive Ausprägung eines ordre public-Vorbehalts wurde im Schrifttum jedoch stark kritisiert, da sie den Vorschriften der nationalen Rechtsordnung über den gutgläubigen Erwerb kultureller Güter einen zu hohen Stellenwert beimisst.1178 Eine solche Konstellation lag in der vielzitierten Rechtssache Winkworth v. Christie, Manson & Woods Ltd.1179 vor, in der der italienische Marchese Dott. Paolo dal Pozzo D’Annone im Jahre 1977 eine Sammlung in London gestohlener japanischer Holzschnitte aus der Kollektion von William Wilberfore Winkworth in Italien gutgläubig erwarb, nach London reimportierte und bei Christie, Manson & Woods Ltd. erneut veräußern wollte.1180
468
Das englische Gericht wendete für die Frage des Eigentumserwerbs bekanntlich italienisches Recht an: Für die Veräußerung der innerhalb Großbritanniens entwendeten Kunstwerke auf dem Territorium Italiens stellten die italienischen Sachenrechtsregeln nach dem praktisch weltweit geltenden Grundsatz der lex rei sitae die zur Entscheidung berufene Zivilrechtsordnung dar. Da nach dem italienischen Zivilrechtssystem nach Art. 1153 des Codice civile italiano ein Erwerb auch an gestohlenen beweglichen Gegenständen bei Gutgläubigkeit des Erwerbers i.S.d. Art. 1147 möglich ist, hat der rechtsgeschäftliche Erwerber bei der Veräußerung innerhalb des Geltungsbereichs der italienischen Rechtsordnung das Eigentum an den entwendeten Kunstwerken erworben und der ursprüngliche englische Eigentümer seine Rechtsstellung zugunsten des gutgläubigen italienischen Erwerbers eingebüßt.1181 Damit war der Marchese Eigentümer gewor-
469
1177
1178
1179 1180 1181
Vgl. zum Ganzen auch Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 70–73. Lalive, The Transfer of Chattels in the Conflict of Laws, 1955, S. 103 f.; Zaphiriou, The Transfer of Chattels in Private International Law, 1956, S. 40; Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 70–73. Winkworth v. Christie Manson & Woods Ltd., (1980) 1 All ER 1121, (1980) 2 WLR 937. Vgl. hierzu schon unter 3, 9 ff. u. 46 ff. Der auf Restitution verklagte Marchese fasste in der Winkworth-Entscheidung das geltende italienische Rechtssystem wie folgt zusammen: „Under Italian law a purchaser of movables acquires a good title notwithstanding any defect in the seller’s title or in that of prior transferrers provided that (1) the purchaser is in good faith at the time of delivery (2) the transaction is carried out in a manner which is appropriate, as regards the documentation effecting or evidencing the sale, to a transaction of the type in question rather than in some manner which is irregular as regards documentation and (3) the purchaser is not aware of any unlawful origin of the goods at the time when he acquires them.“ Winkworth v. Christie, Manson & Woods Ltd., (1980) 1 All ER 1121, (1950) 2 WLR 937 (Ch. D.), S. 940.
716
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
den und konnte deshalb auch frei über seine Sammlung verfügen, sodass die Klage des englischen Kunstsammlers abgewiesen werden musste. 470
Hier akzeptierte die Klägerseite zwar zunächst die situs-Regel als rechtliche Ausgangssituation, berief sich jedoch aufgrund der „exceptional facts of the case“ auf eine Verletzung des Grundsatzes der public policy: 1182 Für William Wilberfore Winkworth war das Ergebnis der Rechtswahl nach der lex rei sitae besonders enttäuschend, da der Common Law-Rechtskreis im Allgemeinen und das englische Recht im Speziellen den gutgläubigen Erwerb grundsätzlich nicht kennen. Hätte der Marchese die Holzschnitte damals in England erworben, so hätte der Richter englisches Recht anwenden müssen, der Marchese hätte kein Eigentum erworben und die Klage wäre wohl gutgehießen worden.1183 Der englische High Court beharrte jedoch auf der Anwendbarkeit des universal anerkannten lex rei sitae-Prinzips und damit auf der Applikation italienischen Rechts und der Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs auch gestohlener Kulturgüter bei einer Veräußerung in Italien und lehnte damit zugleich einen Verstoß gegen die Grundsätze der public policy ab. Schon innerhalb der schottischen Entscheidung Todd v. Armour aus dem Jahre 1882 1184 war ein nach dem Sachstatut vollendeter Gutglaubenserwerb auch in anderen Staaten anzuerkennen, selbst wenn deren Recht keinen Gutglaubenserwerb kennt. Angesichts der beschriebenen besonderen Umstände innerhalb der Winkworth-Konstellation räumte das Gericht jedoch ein, dass die ausschließliche Fokussierung auf die lex rei sitae durchaus auch eine Härte für den früheren Eigentümer bedeuten könne und Richter Slade erwog in der Entscheidung, dass der spezielle Inhalt des italienischen Rechts dazu Anlass geben könne, dass die englische ‚public policy‘ eine Nichtbeachtung der hiernach erworbenen Rechte verlangen könne.1185 Im Ergebnis wertete jedoch auch er die rechtserheblichen Fakten nicht als Verletzung des Grundsatzes der öffentlichen Ordnung und wies die Klage ab, da auch die zum damaligen Zeitpunkt geltende market overt-Vorschrift 1186 Härten für den ursprünglichen Eigentümer zugunsten eines gutgläubigen Erwerbers mit sich brachte.1187
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1187
Hierzu auch: Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 160. Vgl. Schönenberger, Gutgläubiger Erwerb gestohlener Kunstwerke? – Ein rechtsvergleichender Überblick; in: Kunst & Recht: Schwerpunktthemen für den Kunstsammler, Schriftenreihe der AXA Art Versicherung AG, 2007, S. 44. Vgl. Todd v. Armour, (1882) 9 S C 901. Parkhouse, The Illicit Trade in Cultural Objects: Recent Developments in the United Kingdom, in: Hoffman, Art and Cultural Heritage – Law, Policy and Practice, 2007, S. 179: „… fact that the English courts retain power not to recognise either transactions or foreign limitation periods that offend public policy.“ Vgl. ausführlich hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 2. Teil, Rdnr. 40 ff. Vgl. Magnus, Englische Rechtsprechung zum Handels- und Wirtschaftsrecht – Internationales Privat- und Prozeßrecht, RIW 1981, S. 201–204, S. 203.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
b)
717
Keine ordre public-Widrigkeit des französischen Ersitzungserwerbs vor amerikanischem Forum in Greek Orthodox Patriarchate of Jerusalem v. Christie’s
In der Rechtssache The Greek Orthodox Patriarchate of Jerusalem v. Christie’s Inc. vom 30. August 1999 1188 hatte der United States District Court for the Southern District of New York darüber zu befinden, ob der gutgläubige Ersitzungserwerb in Frankreich des unter ungeklärten Umständen abhandengekommenen ‚Archimedes Palimpsest‘ gegen die public policy des amerikanischen Bundesstaates New York verstößt.
471
Ein Palimpsest ist eine antike oder mittelalterliche Manuskriptseite oder -rolle, die beschrieben, durch Schaben oder Waschen gereinigt und danach neu beschrieben wurde (lat. codex rescriptus). Das aus dem 10. Jahrhundert stammende Manuskript, das angeblich aus dem Kloster des klagenden Greek Orthodox Patriarchate of Jerusalem Anfang des letzten Jahrhunderts gestohlen wurde, und zum Zeitpunkt der Streitigkeit bei Christie’s in New York zur Versteigerung anstand, wurde von dem Greek Orthodox Patriarchate of Jerusalem vor dem Southern District of New York herausverlangt. Anfang des letzten Jahrhunderts wurde laut Einlassung der Beklagtenseite das Manuskript – entgegen den Ausführungen des Klosters – von dem französischen Geschäftsmann Guersan erworben, der es im Lauf der Jahre an seine Rechtsnachfolger vererbte. Der Patriarchate machte vor dem Southern District of New York geltend, dass das Manuskript keinesfalls veräußert, sondern aus dem Kloster gestohlen worden sei, ohne jedoch Beweise für den kulturellen Diebstahl darlegen zu können. Ebenso wenig konnten jedoch auch die Rechtsnachfolger Guersans einen rechtmäßigen Erwerb des Manuskripts mittels eines Kaufbelegs oder auf andere Art nachweisen.1189
472
Innerhalb der Frage der anwendbaren Rechtsordnung nahm der United States District Court auf die Rechtswahl nach der lex rei sitae Rekurs und billigte danach im Grundsatz einen gutgläubigen Ersitzungserwerb nach Art. 2262 des französischen Code civil nach Ablauf von 30 Jahren qualifizierten Besitzes („continue et non interrompue, paisible, publique, non équivoque, et à titre de propriétaire“).
473
1188
1189
The Greek Orthodox Patriarchate of Jerusalem v. Christie’s Inc., No. 98 Civ. 7664 (KMW), 1999 WL 673347 (S.D.N.Y. vom 30. August 1999). Vgl. Epstein, The Lachses Defense in Art Theft Litigation, IFAR Journal 4 (2001), S. 44–48; Hoffman, International Art Transactions and the Resolution of Art and Cultural Property Disputes: A United States Perspective, in: Hoffman, Art and Cultural Heritage – Law, Policy and Practice, 2006, S. 159– 177, S. 172–173. Zum Sachverhalt auch Epstein, The Lachses Defense in Art Theft Litigation, IFAR Journal 4 (2001), S. 44–48, S. 46.
718
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
474
Gegen die Anwendung der französischen Zivilrechtsordnung wand sich jedoch der Patriarchate und machte auf Grundlage des public policy-Einwandes zunächst vor Gericht geltend, dass der Bundesstaat New York ein starkes öffentliches (d.h. staatliches) Interesse an der Anwendung der eigenen Rechtsordnung in Kunstrestitutionsstreitigkeiten besitze. „The Patriarchate suggests that New York, being one of the leading centers of international commerce in art, has an interest in avoiding a reputation as a place where stolen art may be freely bought and sold. By placing the Palimpsest for auction in New York, this argument runs, the Guersan family has availed itself of the benefits of this forum and so must also be subject to its laws.“
475
Daran ist richtig, dass bspw. in der Entscheidung Solomon R. Guggenheim Foundation v. Lubell 1190 die Beweislastverteilung in Streitigkeiten über gestohlene Kunstgegenstände durch die Überlegung beeinflusst wurde, dass „New York enjoys a worldwide reputation as a preeminent cultural center.“ Auch innerhalb der Entscheidung Porter v. Wertz and Richard Feigen Gallery, Inc., Richard L. Feigen & Co., Inc., and Richard L. Feigen 1191 wurde die Notwendigkeit der
1190
1191
Solomon R. Guggenheim Foundation v. Lubell, 153 A.D. 2d 143; 550 N.Y.S. 2d 618 (App.Div. 1st Dept. 1990), leave to appeal granted 554 N.Y.S. 2d 992; affirmed 77 N.Y. 2d 311; 567 N.Y.S. 2d 623; 569 N.E. 2d 426 (N.Y. 1991). Vgl. Bolano, International Art theft Disputes: Harmonizing Common Law Principles with Article 7 (b) of the UNESCO Convention, Fordham International Law Journal, Volume 15 (1991–1992), Number 4, S. 129–173, S. 142–143; Conley, International Art Theft, Wisconsin International Law Journal 13 (1995), S. 493–512, S. 504; Forbes, Securing the Future of Our Past: Current Efforts to Protect Cultural Property, The Transnational Lawyer 9 (1996), S. 235–272, S. 256; Fox, The UNIDROIT Convention on Stolen or Illegally Exported Cultural Objects: An Answer to the World Problem of Illicit Trade in Cultural Property, American University International Law Review 9 (1993), S. 225–267, S. 241–242; Hawkins/Rothman/Goldstein, A Tale of Two Innocents: Creating an Equitable Balance between the Rights of Former Owners and Good-Faith Purchasers of Stolen Art, Fordham Law Review 64 (1995), S. 49–96; Hoffman, International Art Transactions and the Resolution of Art and Cultural Property Disputes: A United States Perspective, in: Hoffman, Art and Cultural Heritage – Law, Policy and Practice, 2006, S. 159–177, S. 170–171; Kaye, The Statute of Limitations in Art Recovery Cases: An Overview, IFAR Journal 1 (1998) Heft 3, S. 22–28, S. 25–26; Kennon, Take A Picture, It May Last Longer if Guggenheim Becomes the Law of the Land: The Repatriation of Fine Art, St. Thomas Law Review 8 (1995), S. 373–422, S. 398–399. Porter v. Wertz and Richard Feigen Gallery, Inc., Richard L. Feigen & Co., Inc., and Richard L. Feigen, 56 A.D.2d 570, 392 N.Y.S.2d 10 (1977) (Antrag auf summary judgment abgelehnt); 23 UCC Rep. Serv. 614 (Sup.Ct. 1978); 68 A.D.2d 141, 416 N.Y.S.2d 254 (Sup.Ct., App.Div. 1979); affd an other grounds 53 N.Y.2d 696, 439 N.Y.S.2d 105, 421 N.E.2d 500 (1981). Vgl. auch Borodkin, The Economics of Antiquities Looting and a Proposed Legal Alternative, Columbia Law Review 95 (1995), S. 377–417, S. 398; Collin, The Law and Stolen Art, Artifacts and Antiquities, Howard Law Journal 36 (1993), S. 17 ff., S. 27–28; DePorter Hoover, Title Disputes in the Art Market: An Emerging Duty of Care for Art Merchants, The George Washington Law Review 51 (1983), S. 443–464, S. 445–450; Spaun, Der Herausgabeanspruch bei Diebstahl oder illegalem Export von Kulturgütern, 2003, S. 83–85,
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
719
besonderen Unterschutzstellung kultureller Eigentümer ersichtlich und betont, dass „commercial indifference to ownership … facilitates traffic in stolen works of art.“ Eine Abweichung von den allgemeinen Rechtswahlgrundsätzen aus public policy-Gründen wäre nach Ansicht des United States District Court unter Rekurs auf Curley v. AMR Corp. aus dem Jahre 1998 1192 jedoch nur dann in Betracht gekommen, wenn „the application of foreign law would be violative of fundamental notions of justice or prevailing concepts of good morals.“ Während in der Rechtssache Solomon R. Guggenheim Foundation v. Lubell über eine neue Sachzuweisung auch gestohlener Kulturgüter nach Ablauf einer Frist von nur drei Jahren zu entscheiden war, hatte der District Court hier über den Ersitzungserwerb nach Ablauf einer Zeitspanne von 30 Jahren zu entscheiden.
476
Diesbezüglich konnte das Gericht jedoch feststellen, dass die „thirty-year period for prescriptive possession under French law, however, is a substantial length of time, not an indication of “commercial indifference.“ In diesem Fall sei unter keinen Umständen von einer fundamentalen Verletzung New Yorker Gerechtigkeitsvorstellungen auszugehen: „The public policy interests of the State of New York, although not insignificant, do not rise to this level. … The Patriarchate’s assertions that the choice of law issue should be resolved in favor of New York rests less on legal principles than public policy arguments.“ Insbesondere sei aber auch deshalb keine fundamentale Verletzung New Yorker Gerechtigkeitsvorstellungen anzunehmen, weil die französische und die amerikanische Sachrechtsordnung innerhalb der materiellen Zuweisung der Berechtigtenposition bei unrechtmäßig entzogenen Kulturgütern unterschiedliche Ergebnisse erzielen. So haben auch die Beklagten vor Gericht darauf hingewiesen, dass die New Yorker Ansätze zum Schutz der ursprünglichen Eigentümer in kulturellen Restitutionsstreitigkeiten eher jüngere Entwicklungen darstellen. Vielmehr bestimmte der United States District Court ausdrücklich, dass
477
„[i]t cannot be said that New York law “emphatically supports” the rights of owners based on “fundamental notions of justice” where the law on this issue was unclear until the Lubell decision in 1991 … The public policy arguments advanced by the Patriarchate, therefore, fail to justify a departure from New York’s choice of law rules. Moreover, the
478
1192
Fn. 156, S. 85; Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 35–38; Köhling, Der Eigentumserwerb abhanden gekommener Kunstgegenstände im amerikanischen Recht, 1999, S. 28–32; Bolano, International Art theft Disputes: Harmonizing Common Law Principles with Article 7 (b) of the UNESCO Convention, Fordham International Law Journal, Volume 15 (1991–1992), Number 4, S. 129–173, S. 151–153; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 321 Fn. 317. Curley v. AMR Corp., 153 F.3d 5, 12 (2d Cir. 1998).
720
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht Patriarchate’s assumption that New York law is significantly more favorable to their case than French law is ill-founded. Although the application of New York law to this case would deprive defendants of their argument that the Guersan family acquired the Palimpsest through prescriptive possession over the course of thirty years, the Patriarchate must still confront the laches defense.“ 1193
c)
Ordre public-Widrigkeit deutscher Verjährungvorschriften vor englischen Gerichten in dem sog. Wtewael-Fall
479
Andererseits sind aber auch Beispielskonstellationen ersichtlich, in denen die ausländische Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter vor nationalen Zivilgerichten als public policy-widrig erkannt wurde. So hat bspw. der Londoner High Court in der Rechtssache City of Gotha v. Sotheby’s/Cobert Finance S. A. (in dem sog. Wtewael-Fall) ausdrücklich eine mögliche Verjährung des Restitutionsanspruchs nach Ablauf der 30-jährigen Verjährungsfrist innerhalb der deutschen Rechtsordnung (als ausländische Sachzuordnung) in den Fällen der Raub- und Beutekunst als ordre public-widrig qualifiziert und dadurch eine Mitigation der restriktiven deutschen Verjährungsregelung innerhalb der Restitution unrechtmäßig entzogener Kulturgüter erreicht. (s. Abb. 40)
480
Ende des Zweiten Weltkrieges verschwand das Gemälde ‚Die Heilige Familie mit hl. Johannes, hl. Elisabeth und Engeln‘ des niederländischen Malers Joachim Antonisz Wtewael (ca. 1566–1638) aus der Sammlung der herzoglichen Familie von Sachsen-Coburg und Gotha. Es wurde Mitte der achtziger Jahre von der Frau des togolesischen Botschafters unter Ausnutzung des diplomatischen Schutzes aus Moskau herausgeschmuggelt. 1987 erschien das Gemälde kurz in Westberlin, verschwand von Neuem und tauchte erst wieder auf, als es 1992 bei Sotheby’s zum Verkauf eingeliefert wurde.1194 Die beklagten Einlieferer gaben
1193
1194
Vgl. ausdrücklich zur sog. „laches defense“, d.h. zum Verwirkungseinwand des Restitutionsschuldners gegenüber dem Gläubiger, Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 6. Teil. Vgl. die Kommentierungen in der Tagespresse: FAZ vom 26.2.1997, Bonn gegen Sotheby’s, S. 39; dpa: Beutekunst – Gotha gewinnt Prozess in London: FAZ 11.9.1998, S. 41; Barker, Looted Old Master Goes Back to Germany: ARTnewsletter of 22 September 1998, S. 1; Crüwell, Hände weg von Beutekunst: FAZ 4.11.1998, S. 41; Foster, Germany wins back looted Old Master: The Times 10.9.1998, S. 11; Aus Gotha geraubtes Gemälde Deutschland zugesprochen: NZZ 10.9.1998, S. 20; Watson-Smyth, Auction world watches fight over painting: The Independent vom 9.6.1997. Vgl. auch die rechtsdogmatischen Abhandlungen jeweils m.w.N.: Carl/Güttler/Siehr, Kunstdiebstahl vor Gericht – City of Gotha v. Sotheby’s/Cobert Finance S. A., 2001; Finkenauer, Zum Begriff der Rechtsnachfolge in § 221 BGB, JZ 2000, S. 241–247; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 165– 169; Raue, Summum ius suma iniuria: Stolen Jewish Cultural Assets under Legal Examination, in: Hoffman, Art and Cultural Heritage – Law, Policy and Practice, 2006, S. 185–190, S. 187; Carl, Beutekunst vor den Zivilgerichten: Auswirkungen des Londoner Urteils über das Bild von Joachim Wtewael aus Gotha, in: Genieva/Michaletz/Werner, Gesten des guten
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
721
vor Gericht zu, beim Erwerb bösgläubig gehandelt zu haben, beriefen sich jedoch darauf, dass sämtliche zivilrechtlichen Ansprüche der hier für die dingliche Sachzuordnung nach dem Grundsatz der lex rei sitae anwendbaren deutschen Rechtsordnung schon längst verjährt seien. Fraglich war nun für den Londoner High Court, ob das Gericht, wenn der Anspruch nach deutschem Recht verjährt wäre, nach Sec. 2 Abs. 1 des Foreign Limitation Periods Act von 1984 die Anwendung des deutschen Rechts mit der Begründung ausschließen sollte, dass es gegen den englischen ordre public verstößt. Section 2 des Foreign Limitation Periods Act von 1984: 1195 (1) In jedem Fall, in dem die Anwendung des obenstehenden § 1 in irgendeiner Weise (gemäß untenstehendem Unterabsatz (2) oder anderweitig) dem ordre public zuwiderläuft, ist dieser Paragraph in dem Ausmaß unanwendbar, in dem seine Anwendung einen Konflikt auslösen würde. (2) Die Anwendung des obenstehenden § 1 auf Klagen oder Verfahren verstößt gegen den ordre public in dem Ausmaß, in dem seine Anwendung für eine Person, die in diesen Klagen oder Verfahren Partei ist oder werden kann, eine unbillige Härte mit sich bringt.
Die Entscheidung des High Court verbirgt durchaus ironische Elemente, wenn sich die deutsche Klägerseite gegenüber der panamaischen Cobert Finance S. A. vor einem englischen Gericht darauf beruft, dass die deutsche Zivilrechtsordnung aufgrund der Ausgestaltung des Verjährungsrechts gegen den britischen ordre public verstoße. Zunächst wurde seitens des High Court klargestellt, dass der ordre public-Vorbehalt bei der Nichtanwendung einer ausländischen Verjährungsfrist nur in Ausnahmefällen in Anspruch genommen werden dürfe 1196 und nur dann ausgeschlossen werde, wenn der Verjährungseinwand einem „Grundprinzip der Gerechtigkeit“ zuwiderläuft 1197. Im Fall Oppenheimer v. Cattermole 1198 lehnte es das House of Lords mit Hinweis auf den ordre public ab, eine nach Rasse diskriminierende Gesetzgebung anzuerkennen.1199 Vorliegend stüt-
1195
1196 1197 1198 1199
Willens und Gesetzgebung – Dokumentation der internationalen Konferenz zur Problematik kriegsbedingt verlagerter Kulturgüter; Moskau, 24. und 25. April 2001, 2001, S. 249– 265, S. 251–256. Zitiert bei City of Gotha v. Sotheby’s/Cobert Finance S. A., High Court of Justice – Queen’s Bench Division, Case No. 1993 C 3428; Case No. 1997 G 185, Entscheidung vom 9. September 1998, in der deutschen Übersetzung aus dem Englischen von Hedwig Weiland und Dr. Michael H. Carl, wiedergegeben in: German Law Archive, Quelle: www.iuscomp.org, S. 79. Vgl. Arab Monetary Fund v. Hashim, (1993) 1 Llozds Rep. 543, Absatz 592. Vgl. Law Commission Report Nr. 114, 4.43 und 4.44. Vgl. Oppenheimer v. Cattermole, (1976) AC 249. „Das fundamentale Grundprinzip der Gerechtigkeit, mit dem das ausländische Recht in Konflikt steht, muß klar festzustellen sein. Das Verfahren bei dieser Feststellung darf nicht von der individuellen Auffassung eines Richters von Zweckdienlichkeit oder Fairness abhängen, sondern von der Möglichkeit, klar ein Prinzip zu erkennen, das sich aus unserem eigenen Verjährungsrecht oder einem anderen klar anerkannten allgemeinen Grundsatz des ordre public ergibt (siehe Absätze 4.35 und 4.45 des Law Commission Report Nr. 114). Eng-
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
zen sich die Bundesrepublik Deutschland und die Stadt Gotha als Restitutionsgläubiger auf die von den Beklagten unbestrittene Tatsache, dass das Gemälde seinem rechtmäßigen Eigentümer gestohlen worden war, und dass die Firma Cobert Finance S. A. noch nicht einmal behauptet, dass sie oder irgendeiner ihrer Rechtsvorgänger das Gemälde in gutem Glauben erworben habe, oder dass ihr das Eigentum an dem Gemälde zustünde. Nach Section 4 des Limitation Act von 1980 unterläge der Restitutionsanspruch bei Anwendung englischen Rechts aufgrund der Bösgläubigkeit des Besitzers keiner temporalen Präklusion. Dies genügt Justice Moses zur Anwendung des ordre public: 483
„Es scheint mir möglich, aus diesen Gesetzesmaterialien eine Regel des englischen ordre public abzuleiten, wonach der Ablauf einer Frist weder dem Dieb noch irgend jemandem, auf den der Besitz übertragen wurde und der kein gutgläubiger Käufer ist, zugute kommen soll. Das Recht begünstigt den wahren Eigentümer von gestohlenen Gegenständen, unabhängig von der Länge des Zeitraums, der seit dem ursprünglichen Diebstahl verstrichen ist. Wird die Anwendung des deutschen Verjährungsrechts nicht ausgeschlossen, führt dies dazu, daß ein Käufer begünstigt wird, der kein Eigentumsrecht an dem Gemälde hat und der noch nicht einmal behauptet, er oder seine Vorgänger hätten das Gemälde in gutem Glauben gekauft. Einer Partei, die zugibt, nicht in gutem Glauben gehandelt zu haben, zu gestatten, sich das Verstreichen der Frist anzurechnen, während die Kläger keine Kenntnis über den Verbleib des Gemäldes und keine Möglichkeit hatten, es wiederzuerlangen, verstößt meines Erachtens gegen den ordre public, der seinen gesetzlichen Ausdruck in Section 4 gefunden hat. Der Firma Cobert zum Erfolg zu verhelfen, wenn sie nach eigenem Vorbringen wußte oder vermutete, daß das Gemälde gestohlen sein könne oder daß etwas mit der Transaktion nicht in Ordnung sei, oder wenn sie sich in einer Weise gerierte, die mit dem Handeln eines ehrlichen Menschen nicht vereinbar ist, rührt an das Gewissen des Gerichts. Darüber hinaus untergräbt die Feststellung einer solchen Regel des ordre public keineswegs die Zwecke eines Verjährungsgesetzes; weder gibt es einen Grund, warum ein Beklagter in der Lage der Firma Cobert vor dem hier geltend gemachten Anspruch geschützt werden sollte, noch hält die Feststellung einer solchen Regel des ordre public Anspruchsberechtigte davon ab, ohne unbilliges Zuwarten, Gerichtsverfahren einzuleiten. Ich kann keinen Widerspruch zu dem
lische Gerichte sollten den ordre public nur dann ins Feld führen, wo ausländisches Recht ganz offenkundig mit dem ordre public nicht zu vereinbaren ist. Der Rechtsausschuß ging davon aus, daß dieser Denkansatz übernommen würde und sah daher in seinem Gesetzentwurf von einer Empfehlung ab, das Wort „manifestly“ zu verwenden (offenkundig) (Absatz 4.38). Das englische Verjährungsrecht dient dem Zweck, Beklagte vor überalterten Ansprüchen zu schützen, Anspruchsberechtigte zu ermutigen, Verfahren ohne unbillige Verzögerung einzuleiten und einem potenziellen Beklagten das Vertrauen zu vermitteln, daß er nach Verstreichen einer spezifischen Frist keiner Klage mehr ausgesetzt ist (Absatz 4.44 des Law Commission Report Nr. 114). Die Anwendung einer ausländischen Verjährungsfrist wird nicht lediglich deswegen wegen Verstoßes gegen den ordre public ausgeschlossen werden, weil sie weniger großzügig als die vergleichbare englische Bestimmung ist … Zur Berufung auf den ordre public muß ein anderer Grund als die bloße Zeitdauer aufgezeigt werden (siehe Absatz 4.46 des Law Commission Report Nr. 114).“ City of Gotha v. Sotheby’s/ Cobert Finance S. A., High Court of Justice – Queen’s Bench Division, Case No. 1993 C 3428; Case No. 1997 G 185, Entscheidung vom 9. September 1998, in der deutschen Übersetzung aus dem Englischen von Hedwig Weiland und Dr. Michael H. Carl, wiedergegeben in: German Law Archive, Quelle: www.iuscomp.org, S. 80–81.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
723
grundlegenden allgemeinen Bedürfnis an einem Verjährungsgesetz erkennen, wenn man anerkennt, daß das Opfer eines Diebstahls, das keine Möglichkeit hatte, den Anspruch eher geltend zu machen, berechtigt sein sollte, seine Rechte geltend zu machen, unabhängig davon, wie lang der Zeitraum ist, der seit dem ursprünglichen Diebstahl verstrichen ist. Entsprechend dem Vortrag von Mr. Brindle QC trifft es zu, daß das deutsche Recht, statt vorzusehen, daß bei einer Klage, die in bezug auf eine gestohlene bewegliche Sache erhoben wird, keine Verjährungsfrist gilt, eine recht lange Verjährungsfrist vorsieht. Diese Erwägung schien mir jedoch nicht ausreichend, um die Rechte des Opfers eines Diebstahls den Rechten von jemandem vorzuziehen, der nicht in gutem Glauben gehandelt hat. Es schien mir auch nicht von Belang zu sein, daß in diesem Fall der Kläger die Bundesrepublik Deutschland ist, die die Nichtanwendung ihrer eigenen Gesetze anstrebt. Die Frage, ob die Anwendung eines ausländischen Gesetzes aus Gründen des englischen ordre public ausgeschlossen werden soll, kann, so scheint es mir, nicht von der Rechtsnatur des Klägers abhängen, der die Nichtanwendung dieses Gesetzes anstrebt. Ich sollte jedoch klarstellen, daß, wenn das Opfer des Diebstahls, nachdem es die anspruchsrelevanten Fakten entdeckt hatte, selbst die Klage hinausgezögert hätte, dies sehr wohl ein Grund gegen die Nichtanwendung des ausländischen Gesetzes sein könnte (siehe Law Commission Report Nr. 114, Absatz 4.47).“ 1200
Entscheidend war, dass die Bundesrepublik Deutschland und die Stadt Gotha Opfer eines Diebstahls waren und sie in der Zeit zwischen dem Diebstahl und dem Jahr 1991 keine Möglichkeit hatten, von den Fakten Kenntnis zu erlangen, die es ihnen ermöglicht hätten, den Besitzer des Bildes und dessen Verbleib festzustellen.1201 Per obiter dictum wurde durch das Gericht ein neuer Satz des englischen ordre public aufgestellt, wonach ein englisches Gericht die deutsche 30-jährige Verjährungsfrist nicht anwenden darf, wenn dies dazu führt, dass sie einem Dieb oder einem bösgläubigen Besitzer, der seinen Besitz von einem Dieb ableitet, zugutekommt.1202 Der bestohlene Eigentümer hat Vorrang auch vor dem gutgläubigen Besitzer, gleich, wie viel Zeit vergangen ist, wenn Zweifel an den Zwischenverfügungen bestehen.1203 „D.h. sofern sich ein solches Bild in einem 1200
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City of Gotha v. Sotheby’s/Cobert Finance S. A., High Court of Justice – Queen’s Bench Division, Case No. 1993 C 3428; Case No. 1997 G 185, Entscheidung vom 9. September 1998, in der deutschen Übersetzung aus dem Englischen von Hedwig Weiland und Dr. Michael H. Carl, wiedergegeben in: German Law Archive, Quelle: www.iuscomp.org, S. 86–87. City of Gotha v. Sotheby’s/Cobert Finance S. A., High Court of Justice – Queen’s Bench Division, Case No. 1993 C 3428; Case No. 1997 G 185, Entscheidung vom 9. September 1998, in der deutschen Übersetzung aus dem Englischen von Hedwig Weiland und Dr. Michael H. Carl, wiedergegeben in: German Law Archive, Quelle: www.iuscomp.org, S. 89. Vgl. Carl, Beutekunst vor den Zivilgerichten: Auswirkungen des Londoner Urteils über das Bild von Joachim Wtewael aus Gotha, in: Genieva/Michaletz/Werner, Gesten des guten Willens und Gesetzgebung – Dokumentation der internationalen Konferenz zur Problematik kriegsbedingt verlagerter Kulturgüter; Moskau, 24. und 25. April 2001, 2001, S. 249–265, S. 248–249; Schoen, Der rechtliche Status von Beutekunst – Eine Untersuchung am Beispiel der aufgrund des Zweiten Weltkriegs nach Russland verbrachten deutschen Kulturgüter, 2004, S. 194–200. Vgl. Carl, Beutekunst vor den Zivilgerichten: Auswirkungen des Londoner Urteils über das Bild von Joachim Wtewael aus Gotha, in: Genieva/Michaletz/Werner, Gesten des guten Wil-
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Land befindet, das diese Regelung des ordre public anerkennt, würden die Herausgabeansprüche dort auch prozessual ohne Möglichkeit der Verjährungseinrede durchgesetzt werden können. Eine für Deutschland recht beschämende und eigenartige Regelung, daß die Herausgabe entwendeter Kulturgüter nicht in Deutschland, wohl aber in anderen Ländern gerichtlich durchgesetzt werden könnte. Der Eigentümer muß also zuwarten bzw. darauf hoffen, daß er eine solche Klage nicht in Deutschland, sondern in einem Land geltend macht, das das Eigentum und eine dementsprechende Regelung des ordre public anerkennt. Inzidenter hat der Londoner Richter damit auch festgestellt, daß die Regelung einer Verjährung der Herausgabeansprüche in Deutschland gegen den ordre public verstößt.“ 1204
d)
Ordre public-Widrigkeit einer ausländischen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter innerhalb der deutschen Zivilrechtsordnung?
485
Auch das deutsche kulturgüterschutzspezifische Schrifttum hat sich intensiv mit der Frage auseinandergesetzt, ob eine ausländische Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter durch einen gutgläubigen rechtsgeschäftlichen Erwerb oder Ersitzungserwerb bzw. durch die Verjährung und Verwirkung kultureller Restitutionsansprüche als Verstoß gegen die fundamentalen Sachzuordnungsregeln der entsprechenden deutschen Rechtsinstitute innerhalb des BGB angesehen werden kann. So könnte man meinen, dass im Grundsatz ein gutgläubiger rechtsgeschäftlicher Erwerb unrechtmäßig entzogener Kulturgüter wegen § 935 Abs. 1 BGB ausgeschlossen und eine Eigentumsersitzung nur unter qualifizierten Gutglaubensanforderungen und einer Provenienzerforschung möglich ist. Außerdem verjähren kulturelle Restitutionsansprüche erst nach Ablauf von 30 Jahren, sodass doch ein gewisser zivilrechtlicher Schutz der ursprünglichen Eigentümer abhandengekommener Kulturgüter besteht und ein deutliches Zurückbleiben hinter dem geforderten Mindestsoll zu einem Rückgriff auf den ordre public-Vorbehalt führen könnte.
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Die überwiegende Meinung im Schrifttum geht jedoch zu Recht davon aus, dass innerhalb des deutschen Zivilrechts auch eine deutlich abweichende ausländische Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter grundsätzlich kein ordre
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lens und Gesetzgebung – Dokumentation der internationalen Konferenz zur Problematik kriegsbedingt verlagerter Kulturgüter; Moskau, 24. und 25. April 2001, 2001, S. 249–265, S. 252. Werner, Die sachenrechtliche Zuordnung von Raub- und Beutekunst, in: Ministerium für Kultur der Russischen Föderation/Staatliche Bibliothek für Ausländische Literatur Rudomino/ S.E.C.co – Gesellschaft zur Förderung des internationalen Informationsaustausches, Das schwierige Schicksal von Kulturgütern – Materialien der internationalen Konferenz Privatrecht und Probleme der Restitution von kriegsbedingt verbrachten Kulturgütern, Moskau, 27. und 28. Mai 2002, 2002, S. 261–276, S. 269–270.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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public-Verdikt darstellt.1205 Man muss nämlich erkennen, dass in ganz besonderem Maße innerhalb des zivilrechtlichen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts eine Prüfung von Sinn und Zweck des ausländischen Rechtsinstituts zu der Erkenntnis führen wird, dass das deutsche Recht ähnliche Ziele bei der dinglichen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter verfolgt wie die Eigentumszuweisung in anderen Rechtsordnungen, sich dabei lediglich anderer Institute bedient. So nimmt bspw. der Common Law-Rechtskreis die dingliche Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter nicht innerhalb des Rechtsinstituts des gutgläubigen Erwerbs und der Ersitzung vor (so aber bspw. innerhalb der deutschen Rechtsordnung), sondern innerhalb der Frage der Verjährung und Verwirkung kultureller Restitutionsansprüche. Dieselben Erwägungen finden dort Anklang, sodass häufig zwar unterschiedliche Rechtsinstitute, jedoch gleiche Begründungsansätze bei der Streitentscheidung über die ‚richtige‘ dingliche Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter Anwendung finden.
487
Dieser Gedanke lässt sich leicht auch auf die anderen Zivilrechtsordnungen übertragen, sodass eine ordre public-Übertretung aufgrund eines schwerwiegenden Verstoßes gegen nationale Zivilrechtsvorschriften des Forumstaates innerhalb der deutschen Rechtsordnung in der Regel ebenso ausgeschlossen sein wird wie in anderen Rechtsordnungen.1206 So weist bspw. das deutsche Schrifttum zu Recht darauf hin, dass – entsprechend der Winkworth-Konstellation 1207 – ein Verstoß gegen den deutschen ordre public durch den nach italienischem Recht zulässigen gutgläubigen Erwerb an unrechtmäßig entzogenen Kulturgütern verneint werden muss, weil auch das deutsche Recht Ausnahmen von dem Grundsatz des § 935 Abs. 1 BGB (d.h. dem grundsätzlichen Ausschluss des gutgläubi-
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1205
1206
1207
So Stoll, Sachenrechtliche Fragen des Kulturgüterschutzes in Fällen mit Auslandsberührung, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes – Symposium vom 22./23. Juni 1990 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 53 ff., S. 56; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 172–173; Fechner, Rechtlicher Schutz archäologischen Kulturguts – Regelungen im innerstaatlichen Recht, im Europaund Völkerrecht sowie Möglichkeiten zu ihrer Verbesserung, 1991, S. 74; Wyss, Kultur als eine Dimension der Völkerrechtsordnung – Vom Kulturgüterschutz zur internationalen kulturellen Kooperation, 1992, S. 159; Berndt, Internationaler Kulturgüterschutz: Abwanderungsschutz, Regelungen im innerstaatlichen Recht, im Europa- und Völkerrecht, 1998, S. 127; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 174–175; Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 273; Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 297–298. Vgl. die allgemeinen Erwägungen bei Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 273. Vgl. hierzu gerade 3, 9 ff. u. 46 ff.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
gen Erwerbs gestohlener Gegenstände) kennt, insbesondere den gutgläubigen Erwerb gestohlener Sachen nach öffentlicher Versteigerung und die Ersitzung. Außerdem bejaht das deutsche Zivilrecht de lege lata auch eine Verjährung kultureller Restitutionsansprüche.1208 Auf der anderen Seite kennt selbst das italienische Recht Einschränkungen des Gutglaubenserwerbs an gestohlenen Sachen: Der Maßstab für den guten Glauben wird dort nämlich besonders hoch angesetzt. Man tut sich also schwer, Gründe für einen Verstoß gegen den ordre public auszumachen.1209 Da innerhalb der deutschen Rechtsordnung regelmäßig auch kulturelle Restitutionsansprüche gegenüber einem bösgläubigen Erwerber bzw. Besitzer nach Ablauf von 30 Jahren verjähren, wird ein Verstoß von ausländischen Ersitzungs- und Verjährungsvorschriften gegen den deutschen ordre public ebenfalls abzulehnen sein.1210 Anderes wird höchstens dann gelten, wenn die fragliche Regelung auch in ihrer Heimatrechtsordnung rechtspolitisch umstritten ist, sodass deren Durchsetzungskraft gegenüber unseren Gerechtigkeitsvorstellungen deutlich geschwächt ist.1211
2. 489
Verstoß gegen nationale Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften des kulturellen Ursprungsstaates
Zusammenfassend lässt sich somit feststellen, dass in der bisherigen Rechtspraxis nur sehr selten eine ordre public-Widrigkeit der ausländischen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter aufgrund eines schwerwiegenden Verstoßes gegen nationale Zivilrechtsvorschriften des Forumstaates festgestellt
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So Stoll, Sachenrechtliche Fragen des Kulturgüterschutzes in Fällen mit Auslandsberührung, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes – Symposium vom 22./23. Juni 1990 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 53 ff., S. 56; Fechner, Rechtlicher Schutz archäologischen Kulturguts – Regelungen im innerstaatlichen Recht, im Europa- und Völkerrecht sowie Möglichkeiten zu ihrer Verbesserung, 1991, S. 74; Wyss, Kultur als eine Dimension der Völkerrechtsordnung – Vom Kulturgüterschutz zur internationalen kulturellen Kooperation, 1992, S. 159; Berndt, Internationaler Kulturgüterschutz: Abwanderungsschutz, Regelungen im innerstaatlichen Recht, im Europa- und Völkerrecht, 1998, S. 127; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 174–175; Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 273. Vgl. Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 173. Stoll, Sachenrechtliche Fragen des Kulturgüterschutzes in Fällen mit Auslandsberührung, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes – Symposium vom 22./23. Juni 1990 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 53 ff., S. 56; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 173; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 174 f.; Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 297–298. Vgl. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 273.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
727
werden konnte, sodass auf diesem Weg in der Regel kein effektiver Kulturgüterschutz und keine Rückführung unrechtmäßig transferierter Kulturgüter erreicht werden kann. Daneben ist jedoch vorstellbar, dass auch ein fundamentaler Verstoß gegen nationale Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften des kulturellen Ursprungsstaates die ordre public-Widrigkeit der Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter nach der lex causae begründen könnte. So hat bspw. Richter Staughton – trotz späterer Abweisung des Restitutionsverfahrens des Staates Neuseeland auf Rückführung einer bedeutsamen MaoriSchnitzerei – innerhalb der Rechtssache Attorney General of New Zealand v. Ortiz aus dem Jahr 1982 1212 ausdrücklich bestimmt, dass „Comity requires that we should respect the national heritage of other countries, by according both recognition and enforcement to their laws which affect the title to property while it is within their territory. The hope of reciprocity is an additional ground of public policy leading to the same conclusion.“
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In der Praxis haben einige Gerichtsentscheidungen unter Rückgriff auf die Grundsätze der öffentlichen Ordnung, des ordre public und der public policy zumindest eine Bestätigung des Rechtswahlprozesses und eine Begründung der konkreten Entscheidung mit dem comity of nations-Prinzip erreicht: So sind etwa britische Fallbeispiele ersichtlich, in denen sich die Richter zur Frage der Anwendbarkeit ausländischer öffentlich-rechtlicher Kulturexportbestimmungen auf den Grundsatz eines nationalen oder internationalen ordre public (so in der Entscheidung Repubblica dell’Ecuador – Casa della Cultura ecuadoriana c. Danusso 1213) bzw. auf das Prinzip der comity of nations beriefen (so in der Rechtssache Bumper Development Corporation v. Commissioner of Police of the Metropolis 1214): In beiden Konstellationen wurde geprüft, ob die Berücksichtigung des ausländischen Rechts mit dem nationalen und internationalen ordre public sowie mit dem Prinzip der comity of nations vereinbar war, und schließlich festgestellt, dass die Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze hiervon geradezu auch gefordert würde.1215
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So hat bspw. der englische Court of Appeal in der Rechtssache Bumper Development Corporation v. Commissioner of Police of the Metropolis aus dem Jahre 1991 1216 hinsichtlich der Rechts- und Parteifähigkeit eines Hindu-Tempels vor
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1212
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Attorney General of New Zealand v. Ortiz, (1982) 1 Q.B. 349, per Staughton, J. 350, S. 371– 372. Vgl. ausführlich zu dieser Entscheidung 3, 42 ff. Vgl. ausführlich zu dieser Entscheidung 2, 402 ff. Ebenso Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 186. Bumper Development Corporation v. Commissioner of Police of the Metropolis, (1991) 1 WLR 1362 (CA). Weitere Quellen hierzu: Greenfield, The Return of Cultural Treasures,
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
einem englischen Zivilforum den Rückgriff auf indisches Recht mit dem Prinzip des guten Einvernehmens unter den Nationen (dem sog. principle of the comity of nations, d.h. der Völkersitte und Völkercourtoisie) gerechtfertigt.1217 Das Gericht versah ausländisches (öffentlich-rechtliches) Verfahrensrecht mit extraterritorialer Geltungskraft, um die britische Rechts- und Parteifähigkeit in einem „kulturgutfreundlichen“, also restitutionsorientierten Sinn auszulegen.1218 Die Entscheidung betraf die Restitutionsklage einer wertvollen Bronzefigur aus dem 12. Jahrhundert, die den Hindu-Gott Siva tanzend und umgeben von einem Flammenkreis darstellt (sog. Siva Nataraja). 1976 hatte ein indischer Arbeiter die Bronzefigur in der Nähe eines zerfallenen Hindu-Tempels in dem südindischen Staat Tamil Nadu beim Graben zufällig entdeckt und dann an einen indischen Händler weiterverkauft. Nachdem die Figur in den folgenden Jahren mehrere Male den Besitzer gewechselt hatte, wurde sie 1982 durch die Bumper Development Corporation gutgläubig in London von einem Antiquitätenhändler erworben. Dieser hatte die Figur zu Verkaufszwecken mit falschen Herkunftspapieren versehen. Nach dem Erwerb wurde der Siva Nataraja dem British Museum zu Schätz- und Konservierungszwecken übergeben, wo ihn die Metropolitan Police als vermutlich gestohlenen Gegenstand von religiöser Bedeutung beschlagnahmte, um ihn an den berechtigten Eigentümer zurückzugeben. Der Court of Appeal hatte zu entscheiden, ob dem ruinierten Hindutempel, in dessen Bezirk der Siva Nataraja gefunden wurde, nicht nur nach indischem Recht als juristisches Rechtsgebilde das Recht, selbst zu klagen und verklagt zu werden, zustand, sondern ob er auch in England auf Herausgabe der Bronzestatue aus dem zwölften Jahrhundert klagen durfte. Obwohl ein Tempel nach englischem Recht keine rechtsfähige Persönlichkeit darstellt, hielten sowohl das erstinstanzliche Gericht als auch der Court of Appeal den Tempel für klagebefugt, da er nach dem Recht von Tamil Nadu rechts- und parteifähig war. Damit entschied der Court of Appeal gegen die eigene lex fori und bejahte das Prozessführungsrecht des ruinierten Hindutempels. Die Anerkennung dieser Rechtsposition würde die englische public policy nämlich nicht nur nicht beeinträchtigen, sondern geradezu von dieser selbst begünstigt werden: „Indeed we think that public policy would be advantaged.“ 1219 Darüber hinaus entspräche ein derartiges Vorgehen dem allgemeinen Prinzip der comity of nations.1220
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2. Aufl., 1996, S. 178; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 185–186. Bumper Development Corporation v. Commissioner of Police of the Metropolis, (1991) 1 WLR 1362 (CA), S. 1362. Vgl. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 185–186. Bumper Development Corporation v. Commissioner of Police of the Metropolis, (1991) 1 WLR 1362 (CA), S. 1373. Bumper Development Corporation v. Commissioner of Police of the Metropolis, (1991) 1 WLR 1362 (CA), S. 1372–1373.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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Außerdem könnte man aber auch fordern, dass über die Grundsätze der öffentlichen Ordnung, des ordre public und der public policy hinaus auch eine Nichtanwendung der dinglichen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter nach den Regeln der lex causae möglich sein müsse. So könnte man bspw. erwägen, dass die Unbeachtlichkeit des dinglichen Status eines Kulturguts etwa als res extra commercium nach einem qualifizierten Statutenwechsel 1221 nach traditioneller Anwendung der lex rei sitae gegen den ordre public verstoßen könnte, da die öffentlich-rechtlichen Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften des kulturellen Ursprungsstaates unbeachtlich blieben.1222
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Dieser Gedankengang fand in der Madonna von Batz-sur-Mer-Entscheidung 1223 der niederländischen Rechtbank Rezeption. Im Jahr 1978 war eine hölzerne Madonnenstatue aus einer nichtprofanierten Kirche im französischen Batz-surMer gestohlen worden. Nachdem sie im kulturellen Schwarzmarkt mehrfach in Belgien und Holland veräußert worden war, konnte sie nach etwas mehr als drei Jahren nach dem Diebstahl auf einer Antiquitätenmesse im holländischen Maastricht wieder lokalisiert werden – d.h. genau nach Ablauf der Zeitspanne, in der nach niederländischem Recht der Anspruch auf Herausgabe einer gestohlenen Sache gegenüber einem gutgläubigen Erwerber geltend gemacht werden kann. Auch hier wird wieder ersichtlich, dass der illegale Kunsthandel bewusst den
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Vgl. 3, 228 ff. Vgl. die Erwägung auch bei Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 168–171. Madonna von Batz-sur-Mer-Entscheidung der niederländischen Rechtbank vom 18. Januar 1983, zitiert in der Instanzentscheidung des Hoge Raad vom 18. Januar 1983, Nederlandse Jurisprudentie, 1983, No. 445, S. 1402. Die erstinstanzliche Entscheidung wurde nicht veröffentlicht. Vgl. aus dem Schrifttum hierzu Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 129–130; Verheul, Foreign Export Prohibitions: Cultural Treasures and Minerals, 31 Netherlands International Law Review (1984), S. 419–427, S. 422; Frigo, La protezione dei beni culturali nel diritto internazionale, 1986, S. 351–352; Byrne-Sutton, Le trafic international des biens vulturels sous l’angle de leur revendication par l’Etat d’origine – Aspects de droit international privé, 1988, S. 158 f.; Carducci, La restitution internationale des biens culturels et des objets d’art, 1997, S. 328; Jaeger, Internationaler Kulturgüterschutz – Rechtslage, Rechtspraxis, Rechtsfortentwicklung, 1994, S. 71 f.; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 187 f.; Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 84 f.; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 168–171; Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35–52, S. 43 ff.; Kienle/Weller, Die Vindikation gestohlener Kulturgüter im IPR, IPRax 2004, S. 290–294, S. 291; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 130–131.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Verbleib unrechtmäßig entzogener Kulturgüter in solchen Staaten steuert, die für den Erwerber eine besonders günstige Neuzuordnung der Eigentumsposition ermöglichen. Nachdem die Madonna auf der Kunstmesse auf einen anonymen Hinweis hin von der niederländischen Polizei beschlagnahmt worden war, berief sich der aktuelle Besitzer darauf, dass er die Statue zuvor selbst von einem niederländischen Kunsthändler gutgläubig erworben habe. Nachdem die Staatsanwaltschaft den Kunsthändler darüber informiert hatte, dass die Statue an die Kirche in Batz-sur-Mer zurückgegeben werden solle, legte der Händler gegen diese Entscheidung Beschwerde ein. 495
In einem Strafverfahren über den Verbleib der beschlagnahmten Madonna hatte das Gericht unter anderem auch über die Sachzuordnung der Statue zu entscheiden.1224 Nach Art. 118 des niederländischen Strafprozessbuchs werden beschlagnahmte Gegenstände grundsätzlich an ihren Besitzer zurückgegeben, es sei denn, die Staatsanwaltschaft beschließt die Herausgabe an eine andere Person aus besonderen Billigkeitsgesichtspunkten. In diesem Fall steht dem früheren Besitzer der staatsanwaltschaftlich beschlagnahmten Sache die Möglichkeit offen, die Entscheidung gerichtlich überprüfen zu lassen. Der Richter entscheidet aber nicht über die Eigentumslage, da das Urteil nur vorläufigen Charakter besitzt, sodass einem zivilrechtlichen Urteil nicht vorgegriffen wird.1225 In diesem summarischen Sachzuordnungsverfahren strafrechtlich beschlagnahmter Gegenstände berücksichtigte die niederländische Arrondissementsrechtbank die zum Zeitpunkt der Entscheidung in Frankreich geltende Loi sur les monuments historiques vom 31. Dezember 1913.
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Eine Anwendung des nach dem traditionellen Rechtswahlprozess entsprechend der lex rei sitae bestimmten niederländischen Rechts sei ordre public-widrig, da dadurch die französischen Regeln zum Schutz des nationalen Kulturerbes umgangen und schließlich leerlaufen würden. Da somit in erster Linie die französische Gesetzgebung berücksichtigt werden müsse, seien nach Art. 20 der Loi sur les monuments historiques vom 31. Dezember 1913 alle Verträge nichtig, die das Erwerbsverbot kultureller Wertgegenstände nach Art. 18 des Gesetzes verletzen.
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Ein gutgläubiger Erwerber hatte in einem solchen Fall nur einen Anspruch auf Entschädigung.1226 Da die Statue nach dieser Vorschrift unter Geltung des fran-
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Vgl. zum Sachverhalt Siehr, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Rechtsverkehr, in: Westphalen/Sandrock, Lebendiges Recht – Von den Sumerern bis zur Gegenwart – Festschrift für Reinhold Trinkner zum 65. Geburtstag, 1995, S. 703–722, S. 716. Vgl. Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 129. Vgl. zum Ganzen insbesondere auch Siehr, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Rechtsverkehr, in: Westphalen/Sandrock, Lebendiges Recht – Von den Sumerern
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zösischen Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetzes unveräußerlich war, müsse folglich auch der französische Staat jederzeit die Rückführung verlangen dürfen. Die Anwendung der französischen Normen über den Kulturgüterschutz vor einem niederländischen Forum hatte deshalb zur Folge, dass die in den Niederlanden abgeschlossenen Kaufverträge nichtig waren und von den niederländischen Kunsthändlern kein Eigentumsrecht erworben werden konnte.1227 Ausdrücklich erkennt Verheul somit, dass „first of all the position under French law should be looked into, since public policy is opposed to the application of Dutch law, if French regulations protecting national cultural heritage would thereby be frustrated.“ Deswegen sei das Vorgehen des Staatsanwalts richtig gewesen. Besonderes Interesse weckt die Entscheidung, da über das Rechtsinstitut des ordre public sowohl von der lex causae (bestimmt über die lex rei sitae: hier niederländisches Recht) als auch von der lex fori (hier ebenfalls niederländisches Recht) abgewichen wurde. Es wurde also nicht nur eine Sonderanknüpfung der französischen Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze 1228 bestimmt 1229 und nicht nur die negative Funktion des ordre public-Vorbehalts zur Nichtanwendung ausländischen Rechts genutzt, sondern die ordre public-Widrigkeit der eigenen zivilrechtlichen Sachzuordnungsregeln angenommen.1230 Die niederländische Rechtbank hat somit bei der Überprüfung der nationalen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter nicht allein auf den internen ordre public abgestellt, gegen den die Anwendung der lex fori ja schwerlich verstoßen könnte,1231 sondern die ordre public-Widrigkeit aufgrund eines schwerwiegenden Verstoßes gegen nationale Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften des kulturellen Ursprungsstaates bejaht.1232
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bis zur Gegenwart – Festschrift für Reinhold Trinkner zum 65. Geburtstag, 1995, S. 703– 722, 716. Vgl. die Kassationsentscheidung des Hoge Raad vom 18.1.1983, Ned. Jur. 1983 Nr. 445 (S. 1402). Vgl. Verheul, Foreign Export Prohibitions: Cultural Treasures and Minerals, 31 Netherlands International Law Review (1984), S. 419–427, S. 420–422, unter Rekurs auf die Alnati-Entscheidung des Hoge Raad vom 13.5.1966, Ned. Jur. 1967 Nr. 3, Neth. Int. L. Rev. 1968, 82, Rev. Crit. 56 (1967) S. 522, Clunet 96 (1969) S. 1010. Vgl. ausführlich zur Sonderanknüpfung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze 3, 808 ff. u. 1068 ff. Vgl. Reichelt, International Protection of Cultural Property, Revue de droit uniforme/Uniform Law Review (UNIDROIT), Semestrielle – Biannual (1985-I), S. 42–153, S. 95. Wohlgemerkt hat das Gericht einen gültigen Eigentumserwerb aber nicht konkret geprüft, sondern nur summarisch betrachtet, um die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Staatsanwalts beurteilen zu können, vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 168–171. Der inländische ordre public ist ausschließlich zum Schutz inländischer Rechtsgrundsätze berufen, vgl. Brüning, Die Beachtlichkeit des fremden ordre public, 1997, S. 164. Vgl. zur Beachtung eines fremden drittstaatlichen ordre public auch Brüning, Die Beachtlichkeit des fremden ordre public, 1997, S. 244 ff.
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Konsequenz der Nichtanwendung des holländischen Rechts aufgrund eines ordre public-Verstoßes war hier auch nicht die Anwendung französischen Rechts, sondern allein die Nichtanwendung der niederländischen Präklusionsvorschrift des Art. 2014 B.W., sodass sich der Antiquitätenhändler nicht auf einen gutgläubigen Erwerb berufen durfte und die Statue insofern seitens der Staatsanwaltschaft nicht an ihn zurückgegeben werden musste.1233 Das französische Kulturgüter- und Denkmalschutzrecht bzw. die durch die französische Gesetzgebung verfolgten Ziele wurden nur zur Konkretisierung des ordre public-Tatbestandes herangezogen.1234
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Im Ergebnis hat der niederländische Hooge Raad in dem Berufungsverfahren das Urteil der Rechtbank jedoch wieder aufgehoben, weil die Interessen und Rechte des Kunst- und Antiquitätenhändlers einer nur unzulänglichen Würdigung zugeführt worden waren. Außerdem bestimmte der Hooge Raad, dass ein derart schwieriges Rechtsproblem nicht in einem vorläufigen Rechtshilfeverfahren nach der niederländischen Strafprozessordnung zu entscheiden war und verwies die Sache an ein Zivilgericht, um die Frage des Eigentumsübergangs zu klären. Schließlich endete das Verfahren jedoch ohne Urteilsspruch und es kam zu einem Vergleich, wonach die Madonna gegen Entschädigung des Kunsthändlers an die bestohlene französische Kirchengemeinde zurückgegeben wurde.1235
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Verstoß gegen internationale und europäische Standards im Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht
Darüber hinaus beziehen sich die Grundsätze der öffentlichen Ordnung, des ordre public und der public policy auch auf internationale Standards.1236 Zwar nimmt
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Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 168–171. Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 168–171. Vgl. Verheul, Foreign Export Prohibitions: Cultural Treasures and Minerals, 31 Netherlands International Law Review (1984), S. 419–427, S. 422. Vgl. hierzu Clerici, La protection des biens culturels vis-a-vis des règles italiennes de conflit, Riv. Dir. Int. Priv. Proc. 25 (1989), S. 799 ff., S. 805 ff.; Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 410 f.; Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 297–298; GrammaticakiAlexiou, The Status of Cultural Property in Greek Private International Law, Revue Hellénique de Droit International 47ème Année (1994), S. 139–160, S. 152; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 168–171; Bleckmann, Sittenwidrigkeit wegen Verstoßes gegen den ordre public international – Anmerkung zum Urteil des BGH vom 22. Juni 1972, Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (ZaöRV) 34 (1974), S. 112–132, S. 123 ff.; Reichelt, International Protection of Cultural Property, Revue de droit uniforme/Uniform Law Review (UNIDROIT), Semestrielle – Biannual (1985-I), S. 42–153, S. 91 ff.; Lalive, Sur le régime des objets d’art volés en
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Art. 6 EGBGB ausdrücklich und bewusst nur auf die deutsche öffentliche Ordnung Rekurs, was nach allgemeiner Ansicht die Berücksichtigung international herrschender Auffassungen aber nicht ausschließt.1237 In diesem Sinne gibt bspw. Stoll zu bedenken, dass gerade beim Erwerb gestohlener Kunstgegenstände stets zu prüfen sei, ob sie dem Kulturerbe einer Nation zuzurechnen sind und dem Eigentumswechsel deshalb aus Gründen der internationalen Solidarität wegen Verstoßes gegen den ordre public die Anerkennung zu versagen sein muss.1238 Diesem Ansatz wird auch im internationalen Schrifttum gefolgt: „It seems that the only refuge in such cases is public policy. The … courts may find that the foreign cultural object has an analogous character to that of domestic cultural property. Its protection is an obligation which is in conformity with not only the ideas on protection of cultural property pertaining in … [national] law, but also with the spirit and letter of international conventions … The latter can be achieved by a broad and openminded interpretation of the rules of the conventions, so that they do not remain powerless declarations at the time that cultural property is recognised as the common heritage of mankind.“ 1239
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Auf diesen sog. internationalen ordre public wird insbesondere im Dunstfeld des Kulturgüter- und Denkmalschutzrechts häufig verwiesen.1240 Während der interne ordre public die fundamentalen Rechtsgrundsätze der eigenen Rechtsordnung umfasst, werden allgemein unter dem internationalen ordre public die grundlegenden Überzeugungen und Prinzipien der Staatengemeinschaft verstanden.1241
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droit international privé, in: Matscher/Seidl-Hohenveldern/Karas-Waldheim, Europa im Aufbruch – Festschrift Fritz Schwind zum 80. Geburtstag, 1993, S. 51–69, S. 61; Frigo, La protezione dei beni culturali nel diritto internazionale, 1986, S. 346 f.; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 173; Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 90; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, Fn. 482, S. 184; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 130–131; Jayme, Methoden der Konkretisierung des ordre public im Internationalen Privatrecht, 1989, S. 51–53. Vgl. Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 243. Vgl. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 303. Grammaticaki-Alexiou, The Status of Cultural Property in Greek Private International Law, Revue Hellénique de Droit International 47ème Année (1994), S. 139–160, S. 152. Vgl. nur Lalive, Sur le régime des objets d’art volés en droit international privé, in: Matscher/Seidl-Hohenveldern/Karas-Waldheim, Europa im Aufbruch – Festschrift Fritz Schwind zum 80. Geburtstag, 1993, S. 51–69, S. 61; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 168–171. Auch Reichelt weist ausdrücklich auf den Nutzen des internationalen ordre public im Kulturgüter- und Denkmalschutzrecht hin: „The international protection of cultural property could be conceived at universal level by means of the concept of international ordre public.“ Reichelt, International Protection of Cultural Property, Revue de droit uniforme/Uniform Law Review (UNIDROIT), Semestrielle – Biannual (1985-I), S. 42–153, S. 91 ff., 129 ff. Vgl. Frigo, La protezione dei beni culturali nel diritto internazionale, 1986, S. 346 f.; Weid-
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So können nach einem Teil der Literatur bspw. allgemeine völkerrechtliche Grundsätze zum Kulturgüterschutz , die die Voraussetzungen des Völkergewohnheitsrechts erfüllen, schon Bestandteil der innerdeutschen Rechtsordnung aufgrund Art. 25 GG sein. Internationale Standards mit oder ohne Völkerrechtsrang könnten bspw. über die internationalen Menschenrechte Anwendung finden. Außerdem könnten besondere Maßstäbe aus der Rechtsvergleichung einen einheitlichen Bestand gemeinsamer Rechtsgrundsätze definieren. So qualifiziert das einschlägige Schrifttum im Bereich des Kulturgüter- und Denkmalschutzrechts bspw. „das von allen Völkern getragene Interesse an der Bewahrung ihres bedeutsamen (vor allem öffentlichen) Kulturguts“ und die Bekämpfung des kulturellen Schwarzmarktes als festen Bestandteil jeder Rechtsordnung. „Da fast alle Staaten bestimmte Veräußerungs- und Exportbeschränkungen kennen, kann man von internationalen Standards und Wertvorstellungen ausgehen.“ 1242 Diese Überlegungen wurden schon durch die Lösungsansätze innerhalb der Madonna von Batz-sur-Mer-Entscheidung 1243 der niederländischen Rechtbank gestützt, die in der Anwendung des nach der traditionellen lex rei sitae berufenen niederländischen Rechts ein Ergebnis erblickte, „welches das von anderen Staaten geteilte und daher anerkennenswerte Interesse Frankreichs am Schutz seines Kulturguts vereitle.“ 1244 Außerdem könnten besondere Maßstäbe aus dem internationalen Einheitsrecht einen einheitlichen Bestand gemeinsamer Rechtsgrundsätze im Kulturgüter- und Denkmalschutzrecht definieren, die dann über den internationalen ordre public zur Anwendung vor nationalen Zivilforen gelangen. Hierzu könnten bspw. die fundamentalen Grundprinzipien der UNESCO-Convention on the Means of Prohibiting and Preventing the Illicit Import, Export and Transfer of Ownership of Cultural Property (Paris) vom 14. November 1970 sowie der Unidroit Convention on Stolen or Illegally Exported Cultural Objects (Rome) vom 24. Juni 1995 ebenso zählen wie die kulturgüterschutzspezifischen Rechtsvorschriften des europäischen Gemeinschaftsrechts, die kraft ihres Vorranges gegenüber dem staatlichen Recht die Möglichkeit besitzen, in die nationalen Vorbehaltsklauseln hineinzuwirken. Dabei ist insbesondere an die Richtlinie 93/7/ EWG des Rates der Europäischen Gemeinschaften über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates verbrachten Kulturgütern vom 15.3.1993 (die sog. EG-Rückführungsrichtlinie) und die Verordnung (EG) Nr. 116/2009 des Rates über die Ausfuhr von Kulturgütern vom 18. Dezember 2008 (die sog. EU-Ausfuhrverordnung) zu denken. Fest steht aber auch, dass
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ner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 168– 171. Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 168–171. Vgl. hierzu gerade 3, 494 ff. u. 1009 ff. Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 168–171.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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sämtliche genannten internationalen und europäischen Standards im Rahmen des Art. 6 EGBGB jedoch nur Indizwirkung besitzen. Dies drückt bspw. Jayme aus: „Bei der hier vorgetragenen Methode stehen solche internationalen Standards nicht für sich; sie helfen nur bei der Unterscheidung wesentlicher und unwesentlicher Sätze des deutschen Rechts.“ 1245 So könnte bspw. die bewusste und offenkundige Missachtung der genannten internationalen und europäischen Standards mit dem Verdikt der ordre publicWidrigkeit belegt werden und – bspw. in Anlehnung an die sog. Nigeria-Entscheidung vom 22. Juni 1972 1246 des deutschen BGH – zu einer Nichtigkeit weiterer Veräußerungsgeschäfte zuvor unrechtmäßig entzogener Kulturgüter führen.
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In dieser Fallkonstellation wurden nigerianische Masken und Statuen von Port Harcourt in Nigeria nach Hamburg auf einem Frachtschiff versendet, ohne dass jedoch eine notwendige Exporterlaubnis für die für Nigeria kulturell wichtigen Kunstwerke vorgelegen hatte. Um den finanziellen Verlust aufgrund möglicher Transportschäden auszuschließen, wurden die nigerianischen Kulturgüter bei einer deutschen Versicherungsgesellschaft nach deutschem Recht versichert. Da während des Transports angeblich sechs Bronzefiguren verloren gingen, beanspruchte der Inhaber der Versicherungspolice den Ersatz der ihm aufgrund des
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Vgl. Jayme, Methoden der Konkretisierung des ordre public im Intemationalen Privatrecht, 1989, S. 53. BGH, Nigeria-Entscheidung des 2. Zivilsenats vom 22.06.1972, Az.: II ZR 113/70, BGHZ 59, S. 82–87, NJW 1972, S. 1575 ff. Ausführlich hierzu vgl. 3, 1165 ff. Vgl. aus dem Schrifttum Bleckmann, Sittenwidrigkeit wegen Verstoßes gegen den ordre public international – Anmerkung zum Urteil des BGH vom 22. Juni 1972, Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (ZaöRV) 34 (1974), S. 112–132; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 191–193; Kegel, Die Rolle des öffentlichen Rechts im internationalen Privatrecht, in: Böckstiegel/Folz/Mössner/Zemanek, Völkerrecht, Recht der Internationalen Organisationen, Weltwirtschaftsrecht – Festschrift für Ignaz Seidl-Hohenveldern, 1988, S. 243–278, S. 272–275; Kohls, Kulturgüterschutz: Wirkungen von Verstößen gegen Ausfuhrverbote und Möglichkeiten der Rückführung illegal verbrachter Kulturgüter – Eine vergleichende Untersuchung mit den Rechten Dänemarks, Norwegens und Schwedens, 2001, S. 127–128; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 182–183 und S. 295–303; O’Keefe, Export and Import Controls on Movement of the Cultural Heritage: Problems at the National Level, Syracuse Journal of International Law and Commerce 10 (1983), S. 352–369, S. 356; Radtke, Schuldstatut und Eingriffsrecht, ZglRWiss 84 (1985), S. 325–357; Reichelt, Die Rolle von UNIDROIT für den Internationalen Kulturgüterschutz – Neue methodische Ansätze im „UNIDROIT-Entwurf 1990 über gestohlene und unerlaubt ausgeführte Kulturgüter“, in: Matscher/Seidl-Hohenveldern/ Karas-Waldheim, Europa im Aufbruch – Festschrift Fritz Schwind zum 80. Geburtstag, 1993, S. 205–214, S. 210; Reichelt, Kulturgüterschutz und Internationales Privatrecht, IPRax 1986, S. 73–75; Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 190–191; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 74–75, 79, 87, 105–107, 109 und 126–130; Spaun, Der Herausgabeanspruch bei Diebstahl oder illegalem Export von Kulturgütern, 2003, S. 150–151.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Verlustes der Kulturgüter entstandenen Schäden von dem Versicherer. Auch wenn der deutsche BGH und die Vorinstanzen hier den Versicherungsvertrag als sittenwidrig qualifizierten, könnte die Urteilsfindung zur Begründung einer ordre public-Widrigkeit dienlich sein. In der Entscheidung hat sich der BGH explizit auf die zur Zeit des Gerichtsverfahrens von der Bundesrepublik Deutschland noch nicht ratifizierte UNESCO-Convention vom 14. November 1970 berufen und ausgeführt, dass „in der Völkergemeinschaft … hiernach bestimmte grundsätzliche Überzeugungen über das Recht jedes Landes auf den Schutz seines kulturellen Erbes und über die Verwerflichkeit von ‚Praktiken‘ [bestehen], die es beeinträchtigen und die bekämpft werden müssen. Die Ausfuhr von Kulturgut entgegen einem Verbot des Ursprungslandes verdient daher im Interesse der Wahrung der Anständigkeit im internationalen Verkehr mit Kunstgegenständen keinen bürgerlichrechtlichen Schutz.“ 1247 Dieser Gedanke wird im Schrifttum dahingehend ausgeweitet, dass, solange einer Durchsetzung der Vorschriften der UNESCO-Convention das Erfordernis ihrer Umsetzung in nationales Recht entgegensteht,1248 die Vorschriften „als Ausfluss einer internationalen Übereinkunft zu interpretieren“ seien, „dass die Bekämpfung des illegalen Kulturgüterhandels einer international effizienten Durchsetzung von Im- und Exportverboten und einer gegenseitigen Anerkennung der Einordnung von Kulturgütern als res extra commercium bedarf.“ 1249 507
Auch innerhalb der Entscheidung Casa delta cultura ecuadoriana v. Danusso wurde auf die UNESCO-Convention vom 14. November 1970 Rekurs genommen und die Anwendung der ausländischen (hier: ekuadorianischen) Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze mit dem internationalen ordre public begründet.
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Vielmehr sei nach Ansicht des Tribunale di Torino ein ordre public-Verdikt im umgekehrten Fall, also bei Verweigerung der Anwendung ekuadorianischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften, anzunehmen, es entstehe „una sicura disharmonia“ im internationalen Rechtsgefüge. Auf dem Gebiet des Kulturgüterverkehrs bestimme nämlich die UNESCO-Convention vom 14. November 1970 die allgemeinen Prinzipien des internationalen ordre public. Danach seien alle verfügbaren Mittel auszuschöpfen, um die verbotswidrige Einfuhr, Ausfuhr und Eigentumsübertragung von unrechtmäßig entzogenen Kulturgütern zu verhin1247
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BGH, Nigeria-Entscheidung des 2. Zivilsenats vom 22.06.1972, Az.: II ZR 113/70, BGHZ 59, S. 82–87, NJW 1972, S. 1575 ff. Vgl. Schack, Kunst und Recht – Bildende Kunst, Architektur, Design und Fotografie im deutschen und internationalen Recht, 2. Aufl. 2004, S. 218, Rdnr. 517. Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 297– 298, unter Rekurs auf Bleckmann, Sittenwidrigkeit wegen Verstoßes gegen den ordre public international – Anmerkung zum Urteil des BGH vom 22. Juni 1972, Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (ZaöRV) 34 (1974), S. 112–132.
§ 12 Ergebnis: Grds. keine ,ordre public‘-Widrigkeit des illegalen Kulturgüterverkehrs
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dern. Insofern entspräche die Entscheidung des Gerichts der in der Konvention empfohlenen Solidarität und Zusammenarbeit der Staaten.1250 Auch innerhalb der Danusso-Konstellation hatte Italien – ebenso wie die Bundesrepublik Deutschland innerhalb der Nigeria-Konstellation – zum Zeitpunkt der Rückführungsforderung die Konvention noch nicht ratifiziert, sodass sich hieraus im konkreten Fall keine völkervertragsrechtliche Verpflichtung Italiens zur Restitution der ohne Ausfuhrgenehmigung exportierten präkolumbianischen Güter ergab. Das Gericht hielt es jedoch für ausreichend, dass sich Italien durch die Ratifizierung der Konvention deren allgemeine Prinzipien habe zu eigen machen wollen.1251 Die Annahme einer ordre public-Widrigkeit aufgrund eines schwerwiegenden Verstoßes gegen internationale und europäische Standards im Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht wird teilweise jedoch kritisch betrachtet, da häufig gerade keine absolute rechtliche Verbindlichkeit solcher internationaler Grundsätze besteht – was jedoch Voraussetzung für eine Anwendung des ordre public-Vorbehalts sei. So werde häufig übersehen, dass völkerrechtliche Verträge insbesondere auch im Bereich des Kulturgüter- und Denkmalschutzrechts die Vertragsstaaten nur im Rahmen ihres Anwendungsbereichs binden und das Völkergewohnheitsrecht keine unmittelbare Quelle bspw. des deutschen Kollisionsrechts sei.1252 „Da diese Werte und Standards aber nicht bindend sind, kann der internationale ordre public kein zwingender Vorbehalt für die Anwendung des Sachstatuts sein.“ 1253
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§ 12 Ergebnis: Grds. keine ‚ordre public‘-Widrigkeit des illegalen Kulturgüterverkehrs Ungeachtet aller noch offenen Fragestellungen ist nach den voranstehenden Untersuchungsergebnissen nicht von der Hand zu weisen, dass die Qualifikation einer ausländischen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter als ordre public-widrig im Einzelfall durchaus zu einer notwendigen Korrektur des traditionellen Rechtswahlprozesses nach der lex rei sitae führen und deren
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Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 184. Vgl. hierzu auch Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, Fn. 482, S. 184. Vgl. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 274–275; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 130–131; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 168–171. Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 168–171.
510
738
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
norminterne Schwächen damit zu einem fairen Ausgleich im Internationalen Kulturgüterprivatrecht bringen kann. Steht die materiell-rechtliche Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter in einem fundamentalen Widerspruch zu den Grundgedanken der Rechtsordnung des Forumstaates, den in ihnen liegenden Gerechtigkeitsvorstellungen bzw. internationalen Standards und wird die Anwendung der lex causae im konkreten Fall für untragbar angesehen, erlaubt die Berufung auf die Grundsätze des ordre public, der öffentlichen Ordnung und der public policy in diesem Einzelfall ausnahmsweise eine Abkehr von der anwendbaren Rechtsordnung. 511
Dann stellt sich regelmäßig die Frage nach der ‚richtigen‘ Rechtsfolge des ordre public-Vorbehalts. Einfach liegt der Fall, wenn eine ‚gerechte‘ Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter durch die Nichtanwendung der betreffenden Norm der lex causae möglich ist. Kann die ausländische materiell-rechtliche Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter einfach hinweggedacht werden, hat das Rechtsinstitut des ordre public schlicht die Nichtanwendung der betreffenden Norm zur Folge, sodass der Sachverhalt im Übrigen seinem festgestellten Statut unterworfen bleibt.1254 Schwierigkeiten sind jedoch regelmäßig dann zu erwarten, wenn eine Regelungslücke entsteht 1255 und an die Stelle der abgelehnten Norm notwendig eine andere treten muss. In diesen Konstellationen schafft die Nichtanwendung der Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter der lex causae häufig aber auch Raum für die Anwendung solchen inländischen Rechts oder solcher internationaler und europäischer Standards im Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht, von denen in unerträglicher Weise abgewichen wurde oder die unbedingt angewandt sein möchten.1256 In diesen Fällen setzt sich somit das nationale inländische, internationale bzw. europäische Recht oder diese Standards gegenüber der unanwendbaren Norm der lex causae durch. Ist auch dies nicht möglich, wird Zuflucht entweder über eine Lösung „aus dem Geist des ausländischen Rechts heraus“ gesucht werden müssen, um den internationalen Entscheidungseinklang möglichst wenig zu beeinträchtigen, oder es wird letztlich eine subsidiäre Anwendung der lex fori erfolgen.1257
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So die Einschätzung bei Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 248–249. Vgl. zum Ganzen die kulturgüterunspezifischen Ausführungen bei Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 278; Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 248–249. Vgl. Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 248–249. Vgl. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 278; Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 248–249.
§ 12 Ergebnis: Grds. keine ,ordre public‘-Widrigkeit des illegalen Kulturgüterverkehrs
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Alles in allem wird die Qualifikation einer ausländischen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter als ordre public-widrig jedoch nicht über einen Nutzen aus Kulturgüterschutzgesichtspunkten im Einzelfall hinausgehen und nur ausnahmsweise bei der Rückführung unrechtmäßig verbrachter Kulturgüter erfolgsversprechend sein. Tatsächlich sind auch nur wenige Gerichtsentscheidungen im Kulturgüter- und Denkmalschutzrecht überhaupt ersichtlich, die eine ordre public-Widrigkeit der Sachzuordnung kultureller Güter nach der lex causae prüfen, allein der Londoner High Court gelangte in der Entscheidung City of Gotha v. Sotheby’s/Cobert Finance S. A. (in dem sog. Wtewael-Fall) zur ordre public-Widrigkeit deutscher Verjährungsvorschriften vor englischen Gerichten – jedoch auch nur per obiter dictum.
512
Anstatt die Anwendung von Rechtsnormen der lex rei sitae wegen Verletzung des nationalen oder internationalen ordre public abzulehnen, scheint es vorzugswürdig, ausländische Normen zum Schutz kultureller Wertgegenstände, sofern diese internationalen Standards und Wertvorstellungen entsprechen, entweder aufgrund alternativer Anknüpfungsmethoden im Internationalen Kulturgüterprivatrecht (vgl. ausführlich hierzu sogleich unter Punkt B.) oder aufgrund ihrer Qualifizierung als drittstaatliche Eingriffsnormen extraterritorial anzuwenden (vgl. ausführlich hierzu unter Punkt C.).1258 Bei Qualifikation einer ausländischen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter als ordre public-widrig wird außerdem eine allzu große Gefahr der Rechtsunsicherheit bemängelt, wenn das zur Entscheidung berufene Forum in jedem Einzelfall entscheiden müsste, „ob eine ausländische Kulturgutschutznorm internationalen Überzeugungen entspricht und ihr auf Kosten der lex rei sitae Wirkung zu verleihen ist.“ 1259
513
Insbesondere sprechen jedoch rechtsdogmatische Gründe gegen eine über den Einzelfall hinausgehende Anwendung des Rechtsinstituts des ordre public im internationalen Kulturgüter- und Denkmalschutzrecht. So hat nämlich schon Kahn im Jahre 1928 in seinen „Abhandlungen zum internationalen Privatrecht“ den ordre public mit vollem Recht als „den noch unerkannten und den noch unfertigen Teil des internationalen Privatrechts“ bezeichnet, dessen Ersetzung in der Zukunft durch konkrete Kollisionsnormen und alternative Anknüpfungsmaximen zu erfolgen habe.1260 Ebenso verhält es sich bei der Reform des Internationa-
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Auch Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 168–171 weist ausdrücklich darauf hin, „dass solche „shared values“ und internationale Standards bei der Rechtsanwendung berücksichtigt werden sollten, z.B. im Rahmen der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe oder bei der Frage, ob eine Sonderanknüpfung von Eingriffsnormen angebracht ist …“ Vgl. Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 130–131. Vgl. Kahn, Die Lehre vom ordre public (Prohibitivgesetze), in: Abhandlungen zum internationalen Privatrecht, Band 1, 1928, S. 161 ff., S. 251.
740
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
len Kulturgüterprivatrechts. „Eine allzu häufige Berufung auf Ausnahme- und Sonderregeln legt es nämlich nahe, die Grundanknüpfung zu korrigieren.“ 1261 Dieser Forderung ist auch im Internationalen Kulturgüterprivatrecht nachzukommen: Heute genügt es nicht mehr, dass im internationalen Kulturgüter- und Denkmalschutzrecht ausnahmsweise fundamental gerechtigkeitswiderstrebende Rechtswahlprozesse im Einzelfall kuriert werden, sondern es ist an der Wurzel des Problems, dem Rechtswahlprozess im Internationalen Kulturgüterprivatrecht selbst, anzusetzen. 515
Dem nachstehenden Punkt B. ist somit der Untersuchungsauftrag aufzuerlegen, alternative Anknüpfungsmaximen zur lex rei sitae für das Internationale Kulturgüterprivatrecht zu suchen und zu prüfen, ob diese einen fairen und gerechten Ausgleich der Bedürfnisse und Interessen aller Beteiligten im Spannungsverhältnis zwischen dem internationalen Kunstmarkt und der Rechtssicherheit einerseits und den Anliegen des Kulturgüterschutzes in der Bewahrung und Erhaltung kultureller Wertgegenstände und dem Interesse des (ursprünglichen) Eigentümers an der Wiedererlangung ‚seiner‘ unrechtmäßig entzogenen Kulturgüter andererseits finden.
B. 516
Alternative Anknüpfungsmaximen im Internationalen Kulturgüterprivatrecht
Zahlreiche Beiträge und Monografien widmen sich im Internationalen Kulturgüterprivatrecht allein der Frage alternativer Anknüpfungsmaximen für Kulturgüter, die bei der Rechtswahl im internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht an Stelle der allgemein geltenden lex rei sitae eine engere Beziehung der zu entscheidenden Sachverhaltskonstellation zur anwendbaren Rechtsordnung herstellen möchten.1262 Jeder kollisionsrechtlichen Entscheidung inhärent ist dabei selbstverständlich, dass das zur Entscheidung berufene Forum in dieser Konstellation keine materiell-regelnde und substanziell-inhaltliche Entscheidung hinsichtlich einer Zuordnung der kulturellen Position trifft, das Gericht also nicht unmittelbar über den Ausgang der Rechtsstreitigkeit entscheidet, sondern allein die Bestimmung derjenigen Rechtsregeln sucht, die dem kon1261
1262
So Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 240. Für einen einführenden Überblick Lalive, Sur le régime des objets d’art volés en droit international privé, in: Matscher/Seidl-Hohenveldern/Karas-Waldheim, Europa im Aufbruch – Festschrift Fritz Schwind zum 80. Geburtstag, 1993, S. 51–69, S. 61 f.; Kreuzer, La propriété mobilière en droit international priveé, Recueil des Cours, Collected Courses of the Hagur Academy of International Law, Volume 259 (1996) S. 9 ff., S. 196 ff.; Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 245 ff.; Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 120–123.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
741
kreten Kulturguttransfer am nächsten stehen. Der hinter dem kollisionsrechtlichen Ansatz stehende Gedanke beruht auf der Erwägung, dass die sachnächste Rechtsordnung eines Kulturguts gleichzeitig die fairste und in aller Regel auch sinnvollste Entscheidung innerhalb der dinglichen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Objekte trifft. Aufgrund der inhaltlich sehr stark divergierenden nationalen Vorschriften zum gutgläubigen rechtsgeschäftlichen Erwerb und zur Ersitzung der Eigentumsposition an Kunst- und Kulturgütern sowie zur Verjährung und Verwirkung kultureller Restitutionsansprüche kommt der Rechtswahl in Restitutionsverfahren jedoch eine meist fallentscheidende mittelbare Wirkung zu. In den voranstehenden tatsächlichen Fallkonstellationen wurden zahlreiche Situationen ersichtlich, in denen die dingliche Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter nach der Rechtsordnung des Belegenheitsortes für den ursprünglich berechtigten Eigentümer eine besondere Härte bedeutete. Dies war insbesondere dann der Fall, wenn die Kulturgüter gegen den Willen der ursprünglichen Eigentümer ins Ausland verbracht wurden und entsprechend den Grundsätzen des Statutenwechsels nach dem Recht des Herkunftslandes, in dem die Kulturgüter den Berechtigten entzogen wurden, ein Gutglaubenserwerb überhaupt oder unter den gegebenen Umständen ausgeschlossen gewesen wäre.1263 Große Teile des – insbesondere kulturgüterspezifischen – Schrifttums sind diesbezüglich davon überzeugt, eine kollisionsrechtliche Sonderanknüpfung für unrechtmäßig entzogene Kulturgüter sei „apparemment une méthode attrayante“ 1264, sowohl um nationalen Ausfuhrbestimmungen und ausländischen Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften internationale Rechtsgeltung zu verschaffen als auch die engste und damit ‚richtige‘ Rechtsordnung zur dinglichen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter im internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht zu bestimmen.1265
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Dementsprechend bahnt sich in letzter Zeit eine Abkehr von der lex rei sitae an, und zwar speziell für Kulturgüter.1266 Der kollisionsrechtliche Ansatz ist leicht
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Vgl. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 302. So Byrne-Sutton, Le trafic international des biens vulturels sous l’angle de leur revendication par l’Etat d’origine – Aspects de droit international privé, 1988, S. 153. Vgl. auch Carducci, The Growing Complexity of International Art Law: Conflict of Laws, Uniform Law, Mandatory Rules, UNSC Resolutions and EU Regulations, in: Hoffman, Art and Cultural Heritage – Law, Policy and Practice, 2006, S. 68 ff., S. 70. Gegen eine eigenständige Kollisionsnorm für Kulturgüter sprechen sich aus: Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 222 sowie Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rdnr. 201 ff., 203. So ausdrücklich auch die Einschätzung bei Siehr, Kulturgüterschutz, in: Ebling/Schulze, Kunstrecht – Zivilrecht, Steuerrecht, Zivilrecht, S. 123–124, Rdnr. 59–60.
742
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
nachzuvollziehen, wenn man sich bspw. die Frage vor Augen führt, warum nicht ein ursprünglicher Eigentümer darauf vertrauen darf, dass ihm der Schutz von Besitz und Eigentum, welchen bspw. das Recht des rechtmäßigen Lageortes unrechtmäßig entzogenen Kulturgütern gewährt, auch nach rechtswidriger Entziehung der Sache und nach einem Statutenwechsel erhalten bleibt.1267 Anders gewendet lässt sich fragen, mit welchen Gründen ein Erwerber bzw. Besitzer unrechtmäßig entzogener Kulturgüter ein stärkeres Recht besitzt, dass entsprechend der geltenden lex rei sitae die (zufällig oder bösgläubig und perfid zur Anwendung gebrachte) Rechtsordnung des Belegenheitsstaates zum Zeitpunkt bspw. einer Veräußerung und nicht im Moment etwa des Diebstahls oder der unrechtmäßigen Entziehung des Kulturguts Anwendung findet. Hintergrund dieses Ansatzes ist somit regelmäßig das Anliegen, mit den Mitteln des Kollisionsrechts derjenigen Rechtsordnung wenigstens teilweise zur Geltung zu verhelfen, in deren Territorium das Kulturgut gestohlen wurde, abhandengekommen oder auf andere Weise dem ursprünglich Berechtigten unrechtmäßig entzogen worden ist.1268 519
Eine einprägsame Attacke gegen das klassische internationale Privatrecht lancierte so bspw. Rigaux, der klarstellte, dass das Kollisionsrecht den Raum zu ernst nehme und dabei die Zeit vernachlässige.1269 Ein ausschließlich räumlich bestimmtes Kollisionsrecht ist aber auch nach der Einschätzung Jaymes im Zeitalter der Relativität von Raum und Zeit (und vor allem im internationalen Kulturgüterverkehr aufgrund der speziellen sozio-kulturellen Bedeutung der Objekte) nicht mehr zu vertreten und die Zeit mindestens ebenso wichtig wie der
1267
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Vgl. hierzu auch die Erwägung Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 302. Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 89; Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/ Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 215; Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff., S. 3584 f.; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 226 f., S. 304 ff. Rigaux, Espace et temps en Droit International Privé, Vortrag im „Centre Culturel Portugais“ in Paris am 6.4.1990. Der Vortrag wird in dem Sammelband des Kolloquiums ,,Droit International Privé et Droit Communautaire“ veröffentlicht; vgl. hierzu den Verweis bei Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff., S. 50–51; Jayme, Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im Internationalen Privatrecht, in: Dominicé/Patry/Reymond, „Études de droit international en l’honneur de Pierre Lalive“, 1993, S. 717–731, S. 729–730. Vgl. insbesondere zur Theorie der wohlerworbenen Rechte Rigaux, Les situations juridiques individuelles dans un système de relativité générale: cours générale de droit international privé, in: Recueil des cours (1989), volume 213-I, S. 9–407, S. 369.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
743
Raum.1270 Zahlreiche Autoren stellten sich diesbezüglich zu Recht die Frage, ob die irrationalen Grundströmungen, welche den internationalen Kulturgüterschutz heute bewegen, nicht auch rechtlich rezipiert werden können (oder besser: müssen) und sich dementsprechend nicht gänzlich neue Maximen der Anknüpfung im Internationalen Kulturgüterprivatrecht empfehlen, welche den Kunstgegenstand in das Zentrum der Entscheidung rücken und einem eigenen Lebensmittelpunkt zuordnen.1271 Nach einer rechtsvergleichenden Untersuchung nationaler und internationaler Rechtswahlregeln, der Analyse zahlreicher nationaler Gerichtsurteile mit Bezugspunkten zum Rechtswahlprozess bei Beteiligung von Kunst- und Kulturgütern und der Durchsicht des einschlägigen Schrifttums sind die nachstehenden Meinungsstränge zu extrahieren, die alternative Rechtswahlprinzipien für das Internationale Kulturgüterprivatrecht proklamieren. Teile des Schrifttums befürworten eine Anwendung der für den Kulturgüterschutz günstigeren lex fori (vgl. hierzu unter Punkt I.) und versuchen so, bei einer Klage in einer Rechtsordnung, deren lex fori sich günstiger auf den Kulturgüterschutz auswirkt als die hergebrachte Rechtswahl nach der lex rei sitae, stets der restriktiven lex fori zu folgen. Hanisch plädiert in diesem Sinne bspw. auf eine kollisionsrechtliche Verselbstständigung der Vorfrage des Abhandenkommens (vgl. hierzu unter Punkt II.). In dem Fall, dass ein Kulturgut an einem anderen Lageort im Ausland gestohlen worden ist, in der Folge ins Inland verbracht wurde und hier ein Erwerbsvorgang kraft guten Glaubens zu beurteilen ist, könne die besitzrechtliche Frage des Abhandenkommens gesondert nach dem Recht des situs im Zeitpunkt eben dieses Vorgangs zu bestimmen sein. „Dies erscheint namentlich dann erheblich, wenn italienische »tombaroli« oder lateinamerikanische »huaqueros« noch verborgene Kunstgegenstände, die nach dem Recht des betreffenden Staates für sein gesamtes Gebiet jedoch zu Staatseigentum erklärt sind, heimlich an sich nehmen, um sie ins Ausland zu veräußern. Sofern Besitz des Staates auch an noch nicht aufgefundenen Kunstgegenständen aufgrund eines generellen Besitzwillens dieses Staates an solchen auf dem Staatsgebiet befindlichen Kunstgegenständen nach dessen Recht zu bejahen ist, die neue lex rei sitae aber derartigen Besitz und daher auch unfreiwilligen Besitzverlust nicht 1270
1271
Vgl. auch die Kommentierung bei Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff., S. 50–51, Jayme, Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im Internationalen Privatrecht, in: Dominicé/Patry/Reymond, „Études de droit international en l’honneur de Pierre Lalive“, 1993, S. 717–731, S. 729–730. Vgl. Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff., S. 50–51, Jayme, Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im Internationalen Privatrecht, in: Dominicé/Patry/Reymond, „Études de droit international en l’honneur de Pierre Lalive“, 1993, S. 717–731, S. 729–730.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Neue Anknüpfungsmaximen im Internationalen Kulturgüterprivatrecht
Kollisionsrechtliche Verselbstständigung der Vorfrage des Abhandenkommens
Anwendung der für den Kulturgüterschutz günstigeren lex fori
Fiktive Immobilität unrechtmäßig entzogener Kulturgüter
Anknüpfung an den Ort der unrechtmäßigen Entziehung – die sog. lex furti
‚Fraus legis‘ im internationalen illegalen Kunsthandel
Rechtswahl nach der sog. ‚lex originis‘ im internationalen Kunsthandel
Alternative Anknüpfungsmaximen in Art. 46 EGBGB – ‚de lege ferenda‘ oder ‚de lege lata‘ ?
Schema 8 – Neue Anknüpfungsmaximen im Internationalen Kulturgüterprivatrecht
anerkennt, ergeben sich konträre Rechtsfolgen. Indes ist die Frage des Abhandenkommens für die nach der neuen lex rei sitae zu beurteilende Hauptfrage des gutgläubigen Erwerbs eine Vorfrage. Wird diese selbständig angeknüpft, so ist die lex rei sitae zur Zeit des »Diebstahls« der Sache das zur Beurteilung berufene Recht.“1272 An dritter Stelle ist an eine Instrumentalisierung des Grundsatzes der ‚fraus legis‘ (der sog. Gesetzesumgehung) im internationalen illegalen Kunsthandel zu denken (vgl. hierzu unter Punkt III.). Werden Kulturgüter bewusst in Rechtsordnungen und Staaten veräußert, die eine neue dingliche Sachzuordnung auch unrechtmäßig entzogener Kulturgüter im Wege des gutgläubigen rechtsgeschäftlichen oder originären Ersitzungserwerbs sowie der Verjährung und Verwirkung kultureller Restitutionsansprüche erlauben oder die eine freie Einfuhr auch illegal exportierter Kulturgüter erlauben, ist nicht auszuschließen, dass es sich bei der Verbringung ins Ausland um eine bösgläubige und perfide Gesetzesumgehung mala fides handelt. Daher wurde von Teilen des Schrifttums erwogen, unter Rückgriff auf das Institut der fraus legis den durch die Verschiebung des
1272
Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/ Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 215.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
745
Kulturgutes manipulierten Anknüpfungspunkt bei der Rechtswahl nicht zu beachten und so die Sachnormen, welche umgangen werden sollen, trotzdem anzuwenden. Vergleichbar schlagen andere die kollisionsrechtliche Anknüpfung des Erwerbsstatuts an den Diebstahlsort und damit die Anwendung einer sog. lex furti vor (vgl. hierzu unter Punkt IV.). Danach soll in dem Fall, in dem ein Kulturgut dem Eigentümer unrechtmäßig entzogen worden ist, das Recht desjenigen Staates maßgeblich sein, in dem das Gut abhandengekommen ist. Der gesamte Vorgang des derivativen und originären gutgläubigen Erwerbs wird somit von derjenigen Sachenrechtsordnung geregelt, in der das Kulturgut vor seiner Veräußerung im und vor dem illegalen Transfer ins Ausland dem Eigentümer unrechtmäßig entzogen wurde. Auf einen sukzessiv nach dem Abhandenkommen des Kulturguts erfolgten gutgläubigen Erwerb ist folglich das Recht desjenigen Staates anzuwenden, in dessen Gebiet die Sache zur Zeit des Diebstahls belegen war. Es wird im Rahmen dieser Rechtsanknüpfung jedoch nicht auf die Herbeiführung des für den Schutz des ursprünglichen Eigentümers günstigsten Rechts abgestellt, sondern es soll diesem genau das Maß an Schutz gewährt werden, das ihm zu dem Zeitpunkt zukam, als er die Belegenheit der Sache noch selbst beeinflussen konnte. Alternativ wird die Anknüpfung an den Diebstahlsort durch eine fingierte Immobilität unrechtmäßig entzogener Kulturgüter erwogen (vgl. hierzu unter Punkt V.). Ebenso wie die kollisionsrechtliche Anknüpfung des Erwerbsstatuts an den Diebstahlsort zielt die Anknüpfung an den Diebstahlsort durch fingierte Immobilität des gestohlenen Kulturguts auf die Applikation der Sachenrechtsordnung desjenigen Staates, in dem das Kulturgut entzogen wurde. Rechtsmethode stellt hier eine fiktive Kontinuität und Permanenz eines kulturellen Gutes als bewegliche Sache zu demjenigen Grundstück und derjenigen Rechtsordnung dar, von dem und aus der es unrechtmäßig entzogen wurde. Den überzeugendsten (und deshalb unterstützungswürdigen) kollisionsrechtlichen Ansatz stellt die Anknüpfung der Rechtswahl an die sog. lex originis dar (vgl. hierzu unter Punkt VI.). Insbesondere Jayme 1273 fördert die Theorie, privatrechtliche Verhältnisse an Kulturgütern einem sog. Heimatrecht des Kulturguts zu unterstellen. Rechtlich anerkennenswerte Kriterien, die der Bestimmung der Nationalität eines Kulturguts und damit auch des Heimatlandes und folglich des
1273
Jayme, Internationaler Kulturgüterschutz – Lex originis oder lex rei sitae – Tagung in Heidelberg, IPRax 1990, S. 347–348; Jayme, Die Nationalität des Kunstwerks als Rechtsfrage, in: Reichelt, Internationaler Kulturgüterschutz – Wiener Symposium 18./19. Oktober 1990, 1992, S. 7–30; Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff. Vorsichtig optimistisch zu diesem Lösungsansatz SchwadorfRuckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 113 ff., insbesondere 118–119.
521
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Heimatrechts dienen, sind nach Jayme der Ort der kultischen Verehrung, die Nationalität des Schöpfers eines Kulturgutes, der ‚Sitz‘ des Kulturgutes sowie der Fundort archäologischer Objekte.1274 Während das internationale Sachenrecht die Veränderung der Lage akzeptiert und die engste Beziehung des Kulturguts durch den jeweiligen Lageort konkretisiert, zielt die Nationalisierung des Kulturguts im internationalen Kulturgüterschutz darauf, die permanente Zuordnung gewisser Kulturgüter zu der Rechtsordnung des kulturellen Ursprungsstaates zu bestimmen. 522
Neben diesen – bedeutendsten – Vorschlägen einer alternativen Sonderanknüpfung für Kulturgüter bestehen noch weitere kollisionsrechtliche Möglichkeiten zur Einschränkung des internationalen illegalen Kulturgüterverkehrs. Während das internationale private Sachenrecht bislang mittels der lex rei sitae jede Veränderung der Belegenheit eines Kulturguts akzeptiert und die engste Beziehung des Objekts durch den jeweiligen Lageort konkretisiert, zielen die nachfolgend analysierten unterschiedlichen alternativen Anknüpfungsmaximen im internationalen Kulturgüterschutz darauf, eine sachnähere Zuordnung gewisser Kulturgüter als die zufällig entscheidende und mala fides manipulierbare lex rei sitae festzulegen. Ein solcher alternativer Rechtswahlprozess wird vor einem deutschen Gericht sicherlich aber nur dann Anerkennung finden werden, wenn die rechtsdogmatische Entwicklung eine im Internationalen Kulturgüterprivatrecht alternative Anknüpfungsregel für den internationalen Kunsthandel (mit unrechtmäßig entzogenen Kulturgütern) hinreichend präzise ausgebildet hat und diese eine faire Lösung des Interessenwiderstreits zwischen ursprünglichem Eigentümer und Kulturgüterschutz einerseits und internationalem Kunsthandel und Rechtssicherheit andererseits erreicht.
523
Gewiss ist dabei der Einschätzung Asams zu folgen: „Die Diskussion darüber, ob im Interesse eines effizienteren Kulturgüterschutzes eine Änderung der herkömmlichen kollisionsrechtlichen Anknüpfungsmerkmale geboten erscheint und die Anknüpfung an den Belegenheitsort der Sache aufgelockert oder gar aufgegeben werden soll, hat international gerade erst begonnen, ohne dass sich bislang klare Tendenzen herausgebildet haben.“ 1275 Auch Armbrüster macht dies ausdrücklich deutlich und betont, dass „die Diskussion über eine „Auflockerung“ der Situs-Regel … international gerade erst begonnen“ 1276 habe. Deshalb sind in der Folge mögliche alternative Rechtswahlgrundsätze auf ihre Praxistauglichkeit zu untersuchen. Dabei ist insbesondere zu fragen, ob deren Anknüpfungskriterien eine sachnähere Rechtsordnung bestimmen können als dies die lex rei sitae
1274 1275
1276
Vgl. ausführlich hierzu unter 3, 670 ff. So Asam, Rechtsfragen des illegalen Handels mit Kulturgütern – Ein Überblick, in: Mansel/ Pfeiffer/Kronke/Kohler/Hausmann, Festschrift für Erik Jayme, 2004, S. 1651–1668, S. 1663. Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff., S. 3582–3583.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
747
mittels des Belegenheitsorts vermag. Um kulturelle Wertgegenstände unter den Geltungsbereich einer Sonderanknüpfung einzuordnen, muss ein Kulturgut eine wesentlich engere Beziehung zur Rechtsordnung seines Herkunftsstaates oder zu einer anderen Rechtsordnung 1277 aufweisen als zu seinem Belegenheitsort.1278 Nur dann scheint die abschließend unter Punkt VII. formulierte Idee einer alternativen Anknüpfung auch innerhalb der deutschen Rechtsordnung mittels des Art. 46 EGBGB – de lege ferenda oder de lege lata? – vor deutschen Zivilgerichten in zivilrechtlichen Streitigkeiten im internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht auf fruchtbaren Boden zu fallen.
I.
Anwendung der für den Kulturgüterschutz günstigeren lex fori
Einige nationale Sachenrechtsordnungen wirken sich für den Kulturgüterschutz günstiger aus als andere, da deren materiell-rechtliche Sachzuordnungsregeln eher den ursprünglichen Eigentümer unrechtmäßig entzogener Kulturgüter als den gutgläubigen Erwerber oder Besitzer schützen. Bspw. betont das deutsche Sachrecht mit der grundsätzlichen Ablehnung des gutgläubigen Erwerbs an abhandengekommenen Kulturgütern und einer 30-jährigen Ausschlussfrist für deren Rückforderung die Position des Eigentümers gegenüber Dritten, die ihre Rechtsstellung nicht von jenem ableiten können.1279 Deshalb könnte man meinen, diese materiell-rechtliche Wertung müsse auch im Kollisionsrecht Geltungskraft erlangen und bei einer Klage in einer Rechtsordnung, deren lex fori sich günstiger auf den Kulturgüterschutz auswirkt als die hergebrachte Rechtswahl nach der lex rei sitae, müsse stets der restriktiven lex fori gefolgt werden.1280 Dies hätte eine Bevorzugung der persönlichen Interessen der ursprünglichen Eigentümer zu Lasten der Interessen gutgläubiger Erwerber und Besitzer zur Folge.
524
Ein solcher Ansatz würde andererseits aber dem objektiven Interesse an Rechtssicherheit im Kunstmarkt widersprechen, da die Bestimmung der anwendbaren Rechtsordnung für die Beteiligten praktisch unvorhersehbar wäre. Schließlich widerspricht der Ansatz dem allgemeinen Gerechtigkeitsgehalt des Kollisionsrechts, das bei der Rechtswahl nicht die gerechteste, materiell-inhaltlich ‚beste‘
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1277
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1280
„Wann indes eine wesentlich engere Verbindung im Sinne des Art. 46 EGBGB vorliegt, lässt sich nicht in präzise Formen kleiden; entscheidend sind vielmehr sämtliche Umstände des Einzelfalls.“ Kienle/Weller, Die Vindikation gestohlener Kulturgüter im IPR, IPRax 2004, S. 290–294, S. 292. So auch Kienle/Weller, Die Vindikation gestohlener Kulturgüter im IPR, IPRax 2004, S. 290–294, S. 292. Vgl. zu diesem Ansatz auch Mansel, DeWeerth v. Baldinger – Kollisionsrechtliches zum Erwerb gestohlener Kunstwerke, IPRax 1988, S. 268–271, S. 271. Vgl. Mansel, DeWeerth v. Baldinger – Kollisionsrechtliches zum Erwerb gestohlener Kunstwerke, IPRax 1988, S. 268–271, S. 271.
748
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
sachliche Lösung, sondern die sachlich nächste mit der engsten Verbindung zu der Sachverhaltskonstellation sucht: Gegen den genannten Ansatz sprechen somit praktisch dieselben Einwendungen, die auch gegen die Rechtswahl nach der situs-Regel sprechen: Der Sachverhalt wird oft nur eine lose Beziehung zum Gerichtsstand haben und dem Eigentümer würde ein Schutz gewährt, mit dem er nach dem Recht des Staates, in welchem die Sache zur Zeit der unrechtmäßigen Entziehung belegen war, nicht rechnen konnte. Aus Sicht des internationalen Privatrechts ist ein Eigentümer jedoch nur insoweit kollisionsrechtlich schutzwürdig, als er auf die Geltung eines bestimmten Sachrechts vertrauen konnte, d.h. soweit er die Belegenheit des Kulturguts beeinflusste. Einen solchen Einfluss hat ein Eigentümer unrechtmäßig entzogener Kulturgüter jedoch nur bis zum Zeitpunkt des unrechtmäßigen Entziehungsaktes.1281
II. 526
Kollisionsrechtliche Verselbstständigung der Vorfrage des Abhandenkommens
Auch Hanisch bricht innerhalb des Internationalen Kulturgüterprivatrechts mit der allgemein vertretenen situs-Regel und plädiert de lege ferenda auf eine kollisionsrechtliche Verselbstständigung der Vorfrage des Abhandenkommens.1282 Nach dem geltenden kollisionsrechtlichen Verständnis wird auch innerhalb des deutschen internationalen Privatrechts auf den Erwerb vom Nichtberechtigten und für die gegebenenfalls sich stellende Frage des gutgläubigen Erwerbs gestohlener oder sonst abhandengekommener Sachen konsequent die lex rei sitae appliziert.1283 Kommt es im Rahmen der Prüfung eines gutgläubigen Erwerbs gemäß dem Recht des aktuellen Orts der Belegenheit darauf an, ob die Sache dem Berechtigten abhandengekommen oder gestohlen worden ist, so soll grundsätzlich auch dieses Recht über die Tatbestandsmerkmale des Abhandenkommens 1281
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Zu der letzten Erwägung Mansel, DeWeerth v. Baldinger – Kollisionsrechtliches zum Erwerb gestohlener Kunstwerke, IPRax 1988, S. 268–271, S. 271. Schrifttum: Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/ Frank/Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 214– 218. So schon Weisflog, Der Schutz des Erwerbers beweglicher Sachen vom Nichteigentümer im internationalen Privatrecht, 1930, S. 33–35. Vgl. hierzu auch Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 226–227; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 168–169; Spaun, Der Herausgabeanspruch bei Diebstahl oder illegalem Export von Kulturgütern, 2003, S. 156–157; Stoll, Sachenrechtliche Fragen des Kulturgüterschutzes in Fällen mit Auslandsberührung, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes – Symposium vom 22./23. Juni 1990 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 53 ff., S. 57–60. Vgl. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 231 ff.; Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rdnr. 70.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
749
bzw. Diebstahls bestimmen.1284 Hierbei stellte Hanisch die Untersuchung an, ob dies auch dann zu gelten habe, wenn das Kulturgut an einem anderen Lageort im Ausland gestohlen oder auf andere Weise unrechtmäßig entzogen worden ist, dann ins Inland verbracht wurde und hier ein Erwerbsvorgang kraft guten Glaubens zu beurteilen ist. Die besitzrechtliche Frage des Abhandenkommens könne nämlich sehr wohl gesondert nach dem Recht des situs im Zeitpunkt eben dieses Vorgangs zu bestimmen sein. Der besondere Vorteil besteht für den Schutz national bedeutsamer Kulturgüter insbesondere darin, dass bspw. in solchen Staaten, die archäologische Gegenstände aus unrechtmäßigen Ausgrabungen zu (besitzlosem) Staatseigentum deklarieren, die kollisionsrechtliche Verselbstständigung der Vorfrage des Abhandenkommens und die Rechtswahl nach der lex rei sitae zum Zeitpunkt der unrechtmäßigen Entziehung sowohl die illegale Ausgrabung als auch die unrechtmäßige Ausfuhr als abhandenkommen qualifizieren würden, weil die Rechtsordnung des Ausgrabungsstaates den Besitz nicht als Voraussetzung ansieht oder jedenfalls von einem generellen Besitzwillen des Staates an unausgegrabenen Kulturgütern ausgeht, während die lex causae ein Abhandenkommen bspw. mangels Besitzverlustes ausschließen könnte.1285 Die Anknüpfung der Vorfrage an den Ort der unrechtmäßigen Entziehungshandlung hat somit in Hinsicht illegaler Ausgrabungen den Vorteil, dass selbst bei einem nur generellen Besitzwillen des Staates ein Diebstahl vorliegen kann,1286 der auch vor ausländischen Gerichten leichter seitens des Eigentümers geahndet werden kann.
1.
Rechtsdogmatische Konstruktion und judikative Fundierung
Hanisch ist hier der Meinung, dass in dem Fall, dass ein Kulturgut an einem anderen Lageort im Ausland gestohlen oder auf andere Art unrechtmäßig entzogen worden ist, in der Folge ins Inland verbracht wurde und hier ein Erwerbsvorgang kraft guten Glaubens oder eine dingliche Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter aus Gründen der Ersitzung, Verjährung oder Verwirkung zu beurteilen ist, die besitzrechtliche Frage des Abhandenkommens gesondert nach dem Recht des situs im Zeitpunkt eben dieses Vorgangs zu bestimmen sei.1287 „Dies erscheint namentlich dann erheblich, wenn italienische
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Vgl. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 232 m. Nachw. aus der älteren Literatur. Vgl. die Erwägung auch bei Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 142–144. Vgl. Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 93–94. Aus der kulturgüterunspezifischen Literatur zum internationalen Privatrecht lässt sich eine der kollisionsrechtlichen Verselbstständigung der Vorfrage des Abhandenkommens vergleichbare Konstruktion in Form einer Aufspaltung der Anknüpfung des gutgläubigen Erwerbs beweglicher Sachen vom Nichtberechtigten bei den Ausführungen Rauschers er-
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750
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
»tombaroli« oder lateinamerikanische »huaqueros« noch verborgene Kunstgegenstände, die nach dem Recht des betreffenden Staates für sein gesamtes Gebiet jedoch zu Staatseigentum erklärt sind, heimlich an sich nehmen, um sie ins Ausland zu veräußern. Sofern Besitz des Staates auch an noch nicht aufgefundenen Kunstgegenständen aufgrund eines generellen Besitzwillens dieses Staates an solchen auf dem Staatsgebiet befindlichen Kunstgegenständen nach dessen Recht zu bejahen ist, die neue lex rei sitae aber derartigen Besitz und daher auch unfreiwilligen Besitzverlust nicht anerkennt, ergeben sich konträre Rechtsfolgen. Indes ist die Frage des Abhandenkommens für die nach der neuen lex rei sitae zu beurteilende Hauptfrage des gutgläubigen Erwerbs eine Vorfrage.“1288 Wird diese selbstständig angeknüpft, hat folglich die lex rei sitae zum Zeitpunkt des unrechtmäßigen Entziehungsaktes des Kulturguts das zur Beurteilung berufene Recht zu bestimmen.1289 528
Die nach dem Sachenrecht am Belegenheitsort für die Beurteilung des gutgläubigen Erwerbs vom Nichtberechtigten erhebliche Vorfrage des Abhandenkommens oder Diebstahls eines Kulturguts wird somit selbstständig dem Recht am Ort der unrechtmäßigen Entziehungshandlung unterstellt. Das bedeutet bspw., dass bei einer im Land A entwendeten und später im Land B veräußerten Sache die Sachenrechtsordnung des Landes B darüber entscheidet, ob, unter welchen Voraussetzungen und mit welcher Wirkung ein Gutglaubenserwerb möglich ist, wobei sie die Vorfrage des Abhandenkommens beziehungsweise Diebstahls der Sache nach dem im Land A geltenden Recht als dem Ort der unrechtmäßigen Entziehungshandlung beurteilt.1290
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kennen. Vgl. Rauscher, Internationales Privatrecht, 2. Aufl. 2002, S. 314 f., auch zitiert bei Strauch, Rechtsverhältnisse an Kulturgütern im Internationalen Sachenrecht, 2007, S. 110–111. Nach dessen Einschätzung ist die Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs wesentlich enger mit der lex rei sitae zum Zeitpunkt des Abhandenkommens verbunden als mit der am Belegenheitsort geltenden Rechtsordnung, wobei die Voraussetzungen des gutgläubigen Erwerbs allerdings der aktuellen lex rei sitae entnommen werden sollen. Vgl. Rauscher, Internationales Privatrecht, 2. Aufl. 2002, S. 314 f., darauf verweisend auch Strauch, Rechtsverhältnisse an Kulturgütern im Internationalen Sachenrecht, 2007, S. 110–111. Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/ Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 215. Zu dem Vorschlag, die Vorfrage des Abhandenkommens oder Diebstahls dem Recht des Ortes dieser Vorgänge zu unterstellen, vgl. Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram MüllerFreienfels, 1986, S. 193–224, S. 215 f. Dazu kritisch Stoll, Sachenrechtliche Fragen des Kulturgüterschutzes in Fällen mit Auslandsberührung, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes – Symposium vom 22./23. Juni 1990 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 53 ff., S. 57; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 226 f.; Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 120–123. Vgl. Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
751
Vorteil dieser Auffassung ist nach Ansicht Strauchs 1291 die Ausdehnung des Schutzes der Rechtsordnung, in deren Geltungsbereich das Kulturgut abhandengekommen ist oder gestohlen wurde, auf den Fall eines späteren gutgläubigen Erwerbs des Kulturguts im Ausland. Richtig ist daran zumindest, dass vor allem den Erwartungen des Eigentümers an den Schutzumfang der Rechtsordnung entsprochen wird, in deren Geltungsbereich er das Kulturgut vor dessen Abhandenkommen zuletzt willentlich belassen hatte.
529
Nach Ansicht Hanischs erfolgte bspw. innerhalb der amerikanischen Entscheidung Kunstsammlungen zu Weimar v. Elicofon 1292 eine kollisionsrechtliche Verselbstständigung der Vorfrage des Abhandenkommens und damit eine Rechtswahl nach der lex rei sitae zum Zeitpunkt der unrechtmäßigen Entziehung. In dem Urteil wurde die Restitution der beiden Porträts von ‚Hans und Felicitas Tucher‘ von Albrecht Dürer vor Gericht beantragt.1293 Die Sachverhaltskonstel-
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Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 215–216; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 226–227. Vgl. Strauch, Rechtsverhältnisse an Kulturgütern im Internationalen Sachenrecht, 2007, S. 107–110. Vgl. hierzu Kunstsammlungen zu Weimar v. Elicofon, 536 F. Supp. 829 (EDNY 1981); bestätigt 678 F.2d 1150 (2d Cir.1982). Vgl. ausführlich hierzu Forbes, Securing the Future of Our Past: Current Efforts to Protect Cultural Property, The Transnational Lawyer 9 (1996), S. 235–272, S. 255–256; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 177–179; Killellea, Property Law: International Stolen Art – Kunstsammlungen zu Weimar vs. Elicofon, Harvard International Law Journal 23 (1982), S. 466 ff.; Drobnig, Amerikanische Gerichte zum internationalen Sachenrecht auf dem Hintergrund der Teilung Deutschlands, IPRax 1984, S. 61–65; Mußgnug, Das Kunstwerk im internationalen Recht, in: Kunst und Recht, Schriften der deutschen Richterakademie, 1985, S. 15–42, S. 18–19; Richard/Junker, Hans und Felicitas Tucher in New York – Deutsches Sachenrecht vor amerikanischen Gerichten, JURA 1985, S. 415–424; Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram MüllerFreienfels, 1986, S. 193–224, S. 193 ff.; Walter, Rückführung von Kulturgut im Internationalen Recht, 1988, S. 22–23; Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 26– 27, S. 41 ff. u. S. 75–76; Siehr, Zivilrechtliche Fragen des Kulturgüterschutzes, in: Reichelt, Internationaler Kulturgüterschutz – Wiener Symposium 18./19. Oktober 1990, 1992, S. 41– 68, S. 55–56; Reichelt, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, in: Sladek, Das kulturelle Erbe im Risiko der Modernität: Salzburger Symposium 1992, 1993, S. 61 ff., S. 63–64; Stoll, Sachenrechtliche Fragen des Kulturgüterschutzes in Fällen mit Auslandsberührung, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes – Symposium vom 22./23. Juni 1990 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 53 ff., S. 54–55; Jaeger, Internationaler Kulturgüterschutz – Rechtslage, Rechtspraxis, Rechtsfortentwicklung, 1994, S. 60–61; von Schorlemer, Internationaler Kulturgüterschutz – Ansätze zur Prävention im Frieden sowie im bewaffneten Konflikt, 1992, S. 541; Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes, 1994, S. 142 ff.; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 161. Vgl. ausführlich zu den Sachverhaltsangaben 3, 82 ff.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
lation Kunstsammlungen zu Weimar v. Elicofon ist Gegenstand von sieben amerikanischen Gerichtsentscheidungen 1294, die in den Jahren 1970 bis 1982 ergangen sind.1295 Die Urteile betreffen die Restitutionsansprüche zweier, unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkriegs auf der Schwarzburg bei Rudolstadt in Thüringen verwahrter, von einem unbekannten amerikanischen Soldaten nach New York verbrachter und von dem Rechtsanwalt und Kunstsammler Elicofon im Jahre 1946 erworbener Dürer-Gemälde. Die Kunstsammlungen zu Weimar, die Erbgroßherzogin von Sachsen-Weimar-Eisenach und die Bundesrepublik Deutschland beanspruchten die Restitution der beiden Dürer-Porträts von dem gutgläubigen Erwerber der Gemälde jeweils an sich selbst. Der beklagte Elicofon berief sich in der Sache auf einen gutgläubigen Eigentumserwerb seines Rechtsvorgängers, hilfsweise auf Ersitzung durch 20-jährigen ununterbrochenen und gutgläubigen Eigenbesitz an den Gemälden i.S.d. § 937 BGB.1296 531
In seiner Analyse der Entscheidung gelangt Hanisch zu der Erkenntnis, dass das zur Entscheidung berufene New Yorker Gericht für den Erwerb von Elicofon New Yorker Recht, für die Beurteilung des Abhandenkommens der beiden Porträts von Dürer indes deutsches Recht als lex rei sitae zum Zeitpunkt der unrechtmäßigen Entziehungshandlung angewandt habe: Hatte der amerikanische Soldat selbst die Bilder in Deutschland gestohlen, so war der gutgläubige Erwerb in New York ohne Zweifel ausgeschlossen. Das Gericht hatte dabei die Frage zu klären, ob nicht ein deutscher Architekt, der als Verwahrer auf der Schwarzburg agierte, die Bilder zuvor an sich gebracht und dann an den gutgläubigen amerikanischen Soldaten veräußert hatte, der sodann die Bilder als Eigentümer in Amerika verkaufte. Hierzu bestimmte das Gericht, dass dies von der nach deutschem Recht zu beurteilenden Frage abhinge, ob der Architekt mit Willen des Eigentümers Besitzer oder Besitzdiener i.S.d. § 855 BGB war. Im ersteren Fall hätte bereits der Soldat gutgläubig Eigentum erworben; im zweiten Fall nicht, da der Deutsche die Bilder ohne Willen des Besitzers (und Eigentümers) weggegeben hätte, sodass die Bilder nach deutschem Recht als abhandengekommen zu qualifizieren seien. Aus diesen Gründen wurde das genannte Urteil als Präzedenzfall für diejenige Rechtsidee gefeiert, die davon ausgeht, dass die Klassifizierung bestimmter Güter als gestohlen oder sonst wie abhandengekommen nach derjenigen Rechtsordnung vorzunehmen sei, in der sich der unrechtmäßige Entziehungsakt ereignet habe, nach der sog. lex loci furti.1297
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Zu den förmlichen Prozessvoraussetzungen vgl. die Ausführungen bei Richard/Junker, Hans und Felicitas Tucher in New York – Deutsches Sachenrecht vor amerikanischen Gerichten, JURA 1985, S. 415–424, S. 418–419 m.w.N. Richard/Junker, Hans und Felicitas Tucher in New York – Deutsches Sachenrecht vor amerikanischen Gerichten, JURA 1985, S. 415–424, S. 415. Kunstsammlungen zu Weimar v. Elicofon, 678 F.2d 1150, 1153 (2d Cir. 1982). Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/ Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 215–217.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
2.
753
Kritik
Sowohl Hanischs Konstruktion der Rechtswahl nach einer lex furti als auch seine Auslegung der amerikanischen Entscheidung Kunstsammlungen zu Weimar v. Elicofon in diesem Sinne sehen sich in der Literatur starker Kritik ausgesetzt.1298 Neben rein tatsächlichen Problemen bei der Beurteilung der faktischen Situation, ob ein Kunstwerk als gestohlen oder sonst wie abhandengekommen zu bezeichnen ist, sprechen vor allem rechtliche Gesichtspunkte hiergegen. Eine selbstständige Anknüpfung der Vorfrage des Abhandenkommens funktioniert nämlich nur in solchen Rechtsordnungen, die ihrerseits beim gutgläubigen Erwerb zwischen abhandengekommenen und nichtabhandengekommenen Sachen unterscheiden: Einerseits eröffnen sich besondere rechtliche Schwierigkeiten, wenn das Recht des Ortes der unrechtmäßigen Entziehungshandlung gerade nicht zwischen der Veräußerung bspw. gestohlener und nichtgestohlener Güter unterscheidet. Dieselbe Schwierigkeit ergibt sich in der gegenteiligen Fallkonstellation aber auch dann, wenn zwar das Recht des Entziehungsortes zwischen dem Transfer gestohlener und nichtgestohlener (Kultur-)Güter differenziert, nicht aber die neue lex rei sitae bzw. das nun den Eigentumsübergang regelnde und schon deshalb das neue Forum keine Motivation aufweist, die Frage nach einem Abhandenkommen zu stellen.1299
532
Dies wäre bspw. der Fall, wenn unrechtmäßig entzogene Kulturgüter in Italien veräußert würden, da Art. 1153 des italienischen Codice civile generell den gutgläubigen Erwerb vom Nichteigentümer gestattet und keine Unterscheidung zwischen abhandengekommenen und nichtabhandengekommenen Gegenstän-
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Vgl. bspw.: Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 80–81; Stoll, Sachenrechtliche Fragen des Kulturgüterschutzes in Fällen mit Auslandsberührung, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes – Symposium vom 22./23. Juni 1990 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 53 ff., S. 57–58; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 226–227; Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 302; Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rdnr. 200–201; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 169; Spaun, Der Herausgabeanspruch bei Diebstahl oder illegalem Export von Kulturgütern, 2003, S. 156–157; Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 93–94; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 142–144; Strauch, Rechtsverhältnisse an Kulturgütern im Internationalen Sachenrecht, 2007, S. 107– 110; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 137. Vgl. Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 80–81.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
den trifft.1300 Hier bietet die selbstständige Anknüpfung der Vorfrage des Abhandenkommens kultureller Güter keinen gegenüber der traditionellen lex rei sitae verbesserten Schutz des früheren Eigentümers. Aspekte des Kulturgüterschutzes bleiben ebenso ungewiss wie bei Anwendung der lex rei sitae, weil die Frage, ob nach dem materiellen Recht des späteren Erwerbsorts das Merkmal des Abhandenkommens in der gewünschten Weise den Gutglaubenserwerb verhindert, von den Grundsätzen des jeweiligen nationalen Sachrechts abhängt.1301 534
Darüber hinaus dürfen aber auch hier die Bedürfnisse des Kunstmarktes nach Rechtssicherheit und Verkehrsschutz nicht außer Acht gelassen werden. Gegner einer kollisionsrechtlichen Verselbstständigung der Vorfrage des Abhandenkommens weisen diesbezüglich darauf hin, dass eine Rechtsordnung regelmäßig selber darüber entscheiden wolle, in welchem Maße der Rechtsverkehr dadurch erschwert werde, dass ein unrechtmäßig entzogenes Kulturgut im Inland wegen des ihm anhaftenden Makels des Diebstahls oder sonstigen Abhandenkommens nicht oder nur eingeschränkt erworben werden könne.1302 Eine Einschränkung der Sicherheit des Rechtsverkehrs und der Verkehrsfähigkeit kultureller Güter sei zugunsten des Kulturgüterschutzes zwar grundsätzlich hinnehmbar, aber nur, wenn eine Garantie dafür bestehe, dass die Anknüpfung an den Ort des Abhandenkommens die Interessen des Kulturgüterschutzes in allen Fällen mehr berücksichtigt. Dies könne mit der kollisionsrechtlichen Verselbstständigung der Vorfrage des Abhandenkommens jedoch nicht erreicht werden.1303 Zudem garantiert auch dieser Ansatz nicht unbedingt einen besseren Schutz des bestohlenen Eigentümers: Zufällige Ergebnisse sind hier ebenso wenig ausgeschlossen wie bei der Anwendung der herkömmlichen lex situs-Regel.1304 Das schließt nicht aus, dass den Rechtsvorschriften des Herkunftsstaates bei Anwendung des Sach-
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Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, S. 169; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1995, S. 226–227. Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 169. So Stoll, Sachenrechtliche Fragen des Kulturgüterschutzes in Fällen mit Auslandsberührung, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes – Symposium vom 22./23. Juni 1990 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 53 ff., S. 58; Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 302. So auch Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 169; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 142–144. Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 142–144. So nunmehr auch Hanisch, Der Fall des Liotard und die nationale Zuordnung eines Kunstwerks, in: Frank, Recht und Kunst – Symposium aus Anlaß des 80. Geburtstags von Wolfram Müller-Freienfels, 1996, S. 19–36, S. 31. Darauf verweisend auch Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 93.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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statuts als „Datum“ 1305 Rechnung getragen wird. Stoll verdeutlicht dies an dem Beispiel, dass etwa archäologische Funde, die der ausländische Herkunftsstaat für unveräußerliches Staatseigentum erklärt, als abhandengekommen i.S.d. § 935 BGB gelten können, auch wenn der Herkunftsstaat niemals Besitzer der Gegenstände war.1306 Insgesamt bezweifelt ein Teil des Schrifttums, ob es sich bei der Frage des Abhandenkommens überhaupt um eine Vorfrage handelt.1307 Gewiss wird die Frage, in welchen Fällen des unfreiwilligen Besitzverlustes ein gutgläubiger Erwerb ausgeschlossen ist, von den verschiedenen Rechtsordnungen unterschiedlich beurteilt – was somit durchaus für eine Vorfrage spricht.1308 Nach Ansicht Weidners handelt es sich dabei aber „um Tatbestandsmerkmale einer einheitlichen und in sich geschlossenen Sachrechtsnorm und nicht um ein präjudizielles Rechtsverhältnis, welches im Tatbestand verschiedener Normen eine Rolle spielt (wie z. B. die klassische Vorfrage des Bestehens einer Ehe) und einer eigenen Kollisionsnorm unterliegt.“1309 Richtig an diesem Einwand ist, dass innerhalb einer Rechtsordnung die Normen über Besitz, unfreiwilligen Besitzverlust und gutgläubigen Eigentumserwerb fein aufeinander abgestimmt sind.1310 Dabei wird das jeweilige Zusammenspiel der Normen nach dem Maß bestimmt, in welchem nach dem Willen des zuständigen nationalen Gesetzgebers die Interessen der Verkehrssicherheit und des Eigentümerschutzes Berücksichtigung finden sollen. Eine Vorfragenverweisung für die Beurteilung des Abhandenkommens oder Gestohlenseins einer Sache kann dieses Gleichgewicht innerhalb des Normensystems empfindlich stören.1311 1305 1306
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Vgl. hierzu 3, 1183 ff. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 302, unter Rekurs auf Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 305. Hierzu und zum Folgenden Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 142–144; Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 93–94. Teilweise ist dies nur bei Diebstahl der Fall, im deutschen Recht kommen auch sonstige Fälle des unfreiwilligen Besitzverlusts hinzu. Das spanische Recht fasst das Merkmal noch weiter, vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 142–144. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 142–144. Würde man die Vorfrage des Abhandenkommens selbstständig anknüpfen, bringe dies das Gleichgewicht und die Abstimmung der Normen über Besitz, unfreiwilligen Besitzverlust und gutgläubigen Erwerb durcheinander, vgl. Kono, Diskussionsbeitrag, in: Dolzer/Jayme/ Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes – Symposium vom 22./23. Juni 1990 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 105, S. 118. „Bei der Frage des Erwerbs vom Nichtberechtigten sind die Normen über den unfreiwilligen Besitzverlust und den gutgläubigen Erwerb innerhalb einer Rechtsordnung aufeinander abgestimmt. Wenn man sich das deutsche Recht anschaut, entdeckt man in den §§ 929, 932,
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Auch die Auslegung Hanischs hinsichtlich der amerikanischen Entscheidung Kunstsammlungen zu Weimar v. Elicofon im Sinne der lex furti unterliegt Kritik. Bei unbefangener Durchsicht der Entscheidung wird ersichtlich, dass das Gericht keineswegs eine Grundsatzentscheidung dahingehend bestimmte, dass die Klassifizierung beweglicher Güter als gestohlene Kulturgüter sich allein nach dem Recht desjenigen Ortes bestimmte, an dem das Gut zum Zeitpunkt des Diebstahls örtlich belegen war: „The courts simply disposed of the defendant’s defence that the Dürer paintings were not stolen but converted by people in charge of taking care of these canvasses“.1312 Tatsächlich hat das Gericht vielmehr zunächst geprüft, ob unter Umständen bereits ein gutgläubiger Eigentumserwerb in Deutschland stattgefunden habe.1313 Nur insoweit hat das Gericht die Frage des Abhandenkommens nach deutschem Recht, der für den potentiv ersten Erwerbsvorgang maßgeblichen lex rei sitae beurteilt.1314 Auch andere diesbezügliche Urteile innerhalb der Vereinigten Staaten berücksichtigten ausländische Vorschriften in ihrer Entscheidungsfindung zwar mit, nicht jedoch in Form einer selbstständigen Anknüpfung der Vorfrage des Abhandenkommens (also zusätz-
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935 Abs. 1 und 2 BGB ein fein abgewogenes Regel und Ausnahme-Zusammenspiel der Normen. Es ist sinnvoller, diese Normverschachtelung einheitlich zugrundezulegen und nur, falls die konkrete Situation es erfordert, durch Auslegung dem Eigentümer- oder Erwerberinteresse ein stärkeres Gewicht beizumessen. Dies führt zu einer flexibleren Handhabe und damit zu gerechteren Ergebnissen.“ Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 142–144, unter Rekurs auch auf Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 226–227. Darüber hinaus kritisiert Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 169, dass durch die selbstständige Frage des Abhandenkommens ein wertendes Element in die Bestimmung der Rechtswahl eingeführt würde, sodass die Position des Schutzlands einseitig gestärkt würde – ein Ergebnis, das mit der Neutralitätsverpflichtung des Kollisionsrechts grundsätzlich unvereinbar sei. Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 81. In der Entscheidung Kunstsammlungen zu Weimar v. Elicofon nahm J. Mishler hierzu Stellung: „New York courts do not concern themselves with the question of where the theft took place, but simply whether one took place.“ (536 F. Supp. 829 (1981, E.D.N.Y.) sowie 678 F. 2d 1150 (1982, U.S. Ct. App. 2d Cir.)). Dieser Entscheidung ist keine Regel zu entnehmen, der Diebstahl der Sache müsse gesondert angeknüpft werden (so aber Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 216 und von Schorlemer, Internationaler Kulturgüterschutz – Ansätze zur Prävention im Frieden sowie im bewaffneten Konflikt, 1992, S. 541). Das Gericht hat zwar geprüft, ob nach deutschem Recht ein Diebstahl vorlag. Dies geschah jedoch im Zusammenhang mit der Frage, ob bereits in Deutschland ein gutgläubiger Eigentumserwerb stattgefunden hatte, was nach einem Diebstahl gemäß § 935 BGB ausgeschlossen gewesen wäre. Diese Rechtsposition hätte das New Yorker Statut dann nach der allgemeinen Regel der lex rei sitae zum Zeitpunkt der Verfügung anerkannt (536 F. Supp. 829 (S. 839 ff.)). Vgl. hierzu auch Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 93–94. Entsprechend Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 227.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
lich zur lex rei sitae) 1315: Sowohl in United States v. Hollinshead 1316 und in United States v. McClain 1317 legen die Richter den Begriff der „stolen goods“ im Sinne des amerikanischen National Stolen Property Act aus und zwar unter Berücksichtigung des im guatemaltekischen und mexikanischen Recht vorgesehenen staatlichen Eigentums an Kulturgütern, aber dennoch autonom entsprechend den nationalen Rechtsvorstellungen.1318 Solange keine international abweichenden Vereinbarungen in bi- oder multilateralen Abkommen (wie etwa der UNIDROIT-Convention vom 24. Juni 1995) bestehen, ist die Klassifizierung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter als abhandengekommen kein local datum, welches sich nach dem Recht der unrechtmäßigen Entziehungshandlung bestimmt, sondern folgt vielmehr demjenigen Recht, das auf den Eigentumsübergang selbst Anwendung findet, jedoch nur insoweit, wie diese Rechtsordnung auch zwischen gestohlenen und sonst wie abhandengekommenen Gegenständen einerseits und nichtgestohlenen Gütern andererseits unterscheidet. So bestimmt bspw. auch der amerikanische National Stolen Property Act keine eigenständige Definition dafür, welche Güter als ‚gestohlen‘ im Sinne der genannten Rechtsinstrumente anzusehen sind, sondern zählt nicht nur individuell gestohlene, sondern vor allem auch illegal exportierte Kulturgüter unter den Anwendungsbereich der genannten Rechtsinstrumente.1319
III. ‚Fraus legis‘ im internationalen illegalen Kunsthandel Schrifttum: Anton, Special Conflict Rules in the Private International Law of Property concerning International Art Trade in Stolen Works of Art, LL.M. Thesis 2005, University of Johannesburg, South Africa; Fechner, Rechtlicher Schutz archäologischen Kulturguts – Regelungen im innerstaatlichen Recht, im Europa- und Völkerrecht sowie Möglichkeiten zu ihrer Verbesserung, 1991, S. 75; Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, S. 278–279, S. 299–300; Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224,
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Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 226–227. United States v. Hollinshead, 495 F. 2d 1154 (9th Cir. 1974). Vgl. ausführlich hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 1: Illegaler Kulturgüterverkehr, 3. Teil, Rdnr. 153 ff. Zu dieser Frage vgl. auch das folgende Schrifttum: Abramson/Huttler, The Legal Response to the Illicit Movement of Cultural Property, Law and Policy in International Business 5 (1973), S. 932–970, S. 939–940; Bersin, The Protection of Cultural Property and the Promotion of International Trade in Art, N.Y.L. Sch. J. Int’l & Comp. L. Vol. 13 (1992), S. 125 ff., S. 145–146. United States v. McClain, 545 F. 2d 988 (5th Cir. 1977), 551 F. 2d 52 (5th Cir. 1977), 593 F. 2d 658 (5th Cir. 1979), 62 L. Ed.2. 173 (5th Cir. 1979). Vgl. ausführlich hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 1: Illegaler Kulturgüterverkehr, 3. Teil, Rdnr. 153 ff. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 226–227. Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 81.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht S. 218; Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 82–83; Mansel, DeWeerth v. Baldinger – Kollisionsrechtliches zum Erwerb gestohlener Kunstwerke, IPRax 1988, S. 268–271, S. 270 f.; Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes, 1994, S. 165 ff., S. 170; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 170–172; Siehr, Zivilrechtliche Fragen des Kulturgüterschutzes, in: Reichelt, Internationaler Kulturgüterschutz – Wiener Symposium 18./19. Oktober 1990, 1992, S. 41–68, S. 51 f.; Spaun, Der Herausgabeanspruch bei Diebstahl oder illegalem Export von Kulturgütern, 2003, S. 155–156; Strauch, Rechtsverhältnisse an Kulturgütern im Internationalen Sachenrecht, 2007, S. 92–93; von Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 264–269; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 188–189.
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Werden Kulturgüter bewusst in Rechtsordnungen und Staaten veräußert, die eine neue dingliche Sachzuordnung auch unrechtmäßig entzogener Kulturgüter im Wege des gutgläubigen rechtsgeschäftlichen oder originären Ersitzungserwerbs sowie der Verjährung und Verwirkung kultureller Restitutionsansprüche erlauben (sog. forum shopping) oder die eine freie Einfuhr auch illegal exportierter Kulturgüter (sog. places of bargaining shopping) dulden, ist nicht auszuschließen, dass es sich bei der Verbringung ins Ausland um eine Gesetzesumgehung mala fides handelt.1320 Dieser Verdacht liegt auch dann nahe, wenn Kunst- und Kulturgüter aus einem kulturellen Ursprungsstaat, dessen Rechtsordnung ‚seine‘ national wertvollen Objekte zu sog. res extra commercium designiert , illegal exportiert werden, damit sie im Ausland als res in commercio veräußert werden können. Da ein auch gutgläubiger Erwerb solcher extrakommerzialer Kulturgüter im Ursprungsstaat nicht durchführbar gewesen wäre, ist auch in solchen Konstellationen die Möglichkeit nicht von der Hand zu weisen, dass es sich bei der Verbringung ins Ausland um eine bewusste Gesetzesumgehung handelt. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass dem illegalen Kunsthandel zahlreiche Wege im internationalen Kulturgüterverkehr zur bewussten Manipulation des Lageorts offenstehen, um so anderweitig geltende Schutzvorschriften zu eliminieren. Daher wurde von Teilen des Schrifttums erwogen, unter Rückgriff auf das Institut der fraus legis den durch die Verschiebung des Kulturgutes manipulierten Anknüpfungspunkt bei der Rechtswahl nicht zu beachten.1321
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Dieser Verdacht lag auch im Fall Winkworth v. Christie Manson & Woods Ltd., (1980) 1 All ER 1121, (1980) 2 WLR 937; vgl. 3, 9 ff. u. 46 ff. Vgl. zum Problem der Gesetzesumgehung im internationalen Privatrecht Schwimann, Grundriß des internationalen Privatrechts. Mit besonderer Berücksichtigung der IPRStaatsverträge, 1982, S. 42 f. m.w.N.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
1.
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Rechtsdogmatische Konstruktion der ‚fraus legis‘
Auch wenn die Berechtigung des Rechtsinstituts der fraus legis im internationalen Sachenrecht umstritten ist und ihre Grenzen sowie ihre Voraussetzungen unklar sind 1322, wird von einer Gesetzesumgehung sowohl im materiellen Recht als auch im internationalen Privatrecht 1323 nach allgemeinem Verständnis dann gesprochen, „wenn die Anwendung einer Norm umgangen oder erschlichen wird.“ 1324
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Rechtsfolge der fraus legis wäre im internationalen illegalen Kunsthandel, dass der neue Belegenheitsort (nach dem Statutenwechsel) als Anknüpfungsmoment ignoriert würde und so die Sachnormen, welche umgangen werden sollen, trotzdem eingreifen.1325 Das hätte zum einen zur Folge, dass die dingliche Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter an den ursprünglichen Eigentümer (zum Nachteil eines gutgläubigen Erwerbers) nach den umgangenen Sachvorschriften anstelle derjenigen zur Anwendung gelangen würde, deren Geltung die Beteiligten durch die manipulative Verbringung in eine andere lex rei sitae anstrebten.1326 „Insbesondere der entsprechenden Wahl des Veräußerungsortes
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So Mansel, DeWeerth v. Baldinger – Kollisionsrechtliches zum Erwerb gestohlener Kunstwerke, IPRax 1988, S. 268–271, S. 270. Während innerhalb des deutschen EGBGB die Gesetzesumgehung nicht ausdrücklich normiert wurde, finden sich andere Rechtsordnungen, die eine entsprechende Vorschrift statuierten, vgl. bspw. Art. 13 Abs. 3 liecht. IPRG; Art. 21 port. C.c.; Art. 8 rumän. IPRG; Art. 12 Abs. 4 span. C.c.; § 8 ung. IPRG. Nach herrschender Meinung wird die fraus legis aber auch innerhalb der deutschen Rechtsordnung als Rechtsfigur anerkannt. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 188–189; Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 299– 300; Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes, 1994, S. 165. Eine ausdrückliche Normierung wird nicht für notwendig erachtet, vgl. Fechner, Rechtlicher Schutz archäologischen Kulturguts – Regelungen im innerstaatlichen Recht, im Europa- und Völkerrecht sowie Möglichkeiten zu ihrer Verbesserung, 1991, S. 75; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 188; Sabine Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes, 1994, S. 165. Teilweise wird eine Heranziehung ohne eine ausdrückliche Regelung wegen des vorrangigen berechtigten Geltungsinteresses der neuen lex rei sitae bei der Verbringung von Kulturgütern über die Grenze abgelehnt, vgl. Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgutem, 1995, S. 170 ff. So Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 264. Vgl. Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 299–300. Rechtsfolge der Gesetzesumgehung ist, dass nicht das aufgrund des veränderten Anknüpfungspunktes anwendbare Recht, sondern die umgangene Norm Anwendung findet. Es handelt sich insofern nicht um eine besondere kollisionsrechtliche Anknüpfung; nur die Wandlung des Anknüpfungspunktes wird nicht beachtet. Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 188–189.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
könnte durch dieses Institut begegnet werden und so die Berücksichtigung von Kulturgüterschutznormen, aber auch von restriktiven Vorschriften hinsichtlich des Erwerbs gestohlener oder abhanden gekommener Sachen ermöglicht werden.“ 1327 Das hätte außerdem zur Folge, dass diejenigen Sachnormen, die umgangen werden sollten, so dennoch zum Zuge kämen, sodass auch sachenrechtsrelevante Vorschriften der nationalen Kulturgüterschutzgesetze nach einem manipulativen Statutenwechsel nicht ihre Wirkung verlören.1328 Damit handelt es sich nach allgemeinem Verständnis nicht um eine besondere alternative Anknüpfungsmethode auch im Bereich des internationalen Kunsthandels, „sondern um die sachrechtliche Reaktion auf die mißbräuchliche Ausnutzung einer Kollisionsnorm. Nicht die Kollisionsregel ändert sich, sondern das anwendbare Sachrecht.“ 1329 540
Hätten die Voraussetzungen des Rechtsinstituts der fraus legis bspw. in der bekannten Winkworth-Konstellation 1330 vorgelegen, hätten die zur Entscheidung berufenen Richter englisches Recht als Recht des dem Erwerbsort vorhergehenden Lageorts anwenden können, sodass im Ergebnis nach dem nemo dat-Grundsatz 1331 des Common Law-Rechtskreises ein gutgläubiger Erwerb an den gestohlenen Gegenständen nach der verdrängten italienischen Rechtsordnung ausgeschlossen gewesen wäre.1332
a) 541
Umgehungshandlung
Um die böswillige Umgehung einer ohne Manipulation eigentlich anwendbaren Rechtsordnung im illegalen Kulturgüterverkehr zu verhindern, sieht ein Teil des Schrifttums 1333 in der Gesetzesumgehung ein eigenständiges Rechtsinstitut, das tatbestandlich zunächst eine Umgehungshandlung voraussetzt. Rechtlich relevant 1327
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Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 299– 300, unter Rekurs auf Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 170 ff.; Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes, 1994, S. 165. Vgl. hierzu die kulturgüterunspezifischen Ausführungen bei Raape/Sturm, Internationales Privatrecht – Allgemeine Lehren, 6. Aufl. 1977, S. 331. Vgl. Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 299–300. Vgl. ausführlich hierzu 3, 9 ff u. 46 ff. Vgl. ausführlich hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 2. Teil, Rdnr. 22 ff. Dies wäre zumindest an der Gutgläubigkeit des italienischen Erwerbers gescheitert, da diesem keine bösgläubige Umgehungsabsicht hätte nachgewiesen werden können. Vgl. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 264–265; Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 158–160.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
761
ist dabei im internationalen Sachenrecht insbesondere die Beeinflussung anknüpfungserheblicher Tatsachen, d.h. bei Kulturgütern als bewegliche Sachen die Einwirkung auf den Lageort. Da im internationalen Kunsthandel die Parteien, wie bereits einleitend festgestellt, mit den Mitteln des internationalen Privatrechts durch die tatsächliche Änderung der anknüpfungserheblichen Tatsachen, d.h. durch eine Veräußerung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter nach einem Statutenwechsel, die Rechtswahl erheblich selbst beeinflussen können, scheint eine Umgehungshandlung zumindest nicht ausgeschlossen.
b)
Umgehung rechtsmissbräuchlich
Hinzutreten muss (zweitens), dass die Umgehung rechtsmissbräuchlich ist,1334 d.h. die Schaffung oder Veränderung von anknüpfungs- bzw. qualifikationserheblichen Tatsachen in Relation zu dem von den Beteiligten damit verfolgten Zweck als verwerflich anzusehen ist. Eine Gesetzesumgehung ist nach allgemeinem Verständnis nur dann verwerflich, wenn die Autorität des Gesetzes in besonderem Maße untergraben wird, die umgangene Norm eine überragende Bedeutung einnimmt 1335 oder das Vorgehen bzw. die Motive der Beteiligten die Gesetzesumgehung als rechtsmissbräuchlich erscheinen lassen.1336 Um den Anwendungsbereich der fraus legis als Ausnahme zu konzipieren sowie nicht ausufern zu lassen und eine Abgrenzung der Gesetzesumgehung von rechtmäßigem Handeln zu erreichen, weist die Literatur darauf hin, dass das Rechtsinstitut bei einer Gesamtwürdigung der sachlichen Umstände nur dann erfüllt sein wird, „wenn der erzielte Erfolg in krassem Widerspruch zum Gesetzeszweck steht.“ 1337
542
Auch diese Voraussetzung scheint nicht nur nicht a priori ausgeschlossen, sondern wird im internationalen Kunsthandel regelmäßig dann erfüllt sein, wenn bspw. extrakommerziale Kulturgüter in eine andere Rechtsordnung verbracht werden, damit die Hürde der Unveräußerlichkeit überwunden wird. Aber auch dann, wenn die Objekte aus einer Rechtsordnung, die den gutgläubigen Erwerb unrechtmäßig entzogener Kulturgüter im Grundsatz ausschließt (wie bspw. innerhalb des Common Law-Rechtskreises oder der deutschen Rechtsordnung
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Vgl. ausführlich zum Ganzen insbesondere Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 265; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 188–189. In Anlehnung an Raape/Sturm, Internationales Privatrecht – Allgemeine Lehren, Band 1, 6. Aufl. 1977, S. 330. So die Erwägung bei Ferid, Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1986, § 3 Rdnr. 178; Raape/ Sturm, Internationales Privatrecht – Allgemeine Lehren, Band 1, 6. Aufl. 1977, S. 331. So ausdrücklich Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 265, unter Rekurs auf Raape/Sturm, Internationales Privatrecht – Allgemeine Lehren, Band 1, 6. Aufl. 1977, S. 328.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
wegen § 935 BGB), aus- und in eine Rechtsordnung eingeführt werden, die, wie bspw. Italien, einen gutgläubigen Erwerb oder schon nach kurzer Zeit eine Ersitzung auch an unrechtmäßig entzogenen Kulturgütern erlaubt, steht das Ergebnis des bewussten Statutenwechsels „in krassem Widerspruch“ zu der Risikoverteilung zwischen Eigentümer und Erwerber der ursprünglichen Rechtsordnung.
c) 544
Umgehungsabsicht
Damit die Rechtsfolgen der fraus legis schließlich eintreten, muss (drittens) aus Gründen der Rechtssicherheit den Beteiligten eine Umgehungsabsicht nachgewiesen werden.1338 Letztgenannte Forderung wird nur dann vorliegen, wenn die anknüpfungs- bzw. qualifikationserheblichen Tatsachen bewusst und mit dem Ziel der Umgehung (d.h. mala fides) verändert wurden.1339 Da im internationalen Handel mit unrechtmäßig entzogenen Kulturgütern jedoch regelmäßig nur der Veräußerer bösgläubig 1340, der Erwerber jedoch in der Regel nicht mala fides und mit Umgehungsabsicht handelt 1341 – sonst wäre er auch schwerlich als gut1338
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Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 188–189; Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 264–265. Vgl. Raape/Sturm, Internationales Privatrecht – Allgemeine Lehren, Band 1, 6. Aufl. 1977, S. 328. „Die Feststellung und Sanktionierung einer Gesetzesumgehung ist jedoch insofern schwierig, als lediglich die Voraussetzung einer beiderseitigen Umgehungsabsicht allgemein anerkannt ist, weitere Voraussetzungen und Grenzen der fraus legis jedoch nicht hinreichend geklärt sind. Auch bleibt offen, ob eine Umgehungsabsicht bei beiden ein gezieltes manipulatives Handeln voraussetzt oder wie im Rahmen des § 134 und §138 I BGB eine Kenntnis der maßgeblichen Tatsachen genügen kann oder bereits ein Erwerb in einem gutglaubensfreundlichen Land sie offensichtlich werden.“ Vgl. Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 299–300, unter Rekurs auf SchwadorfRuckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 166. In den Untersuchungen bei Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 170–172, wird die Frage aufgeworfen, ob die Umgehungsabsicht des Anbieters alleine ausreichen würde (so auch bei Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes, 1994, S. 165 f.). „Denn der Käufer, dem diese Absicht fehlt, darf auf die Ordnungsgemäßheit des Erwerbs vertrauen. Ihn mit den Folgen der fraus legis zu bestrafen, obwohl er an ihr nicht wissentlich beteiligt war, widerspräche dem Interesse an einem sicheren Rechtsverkehr.“ So Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 170–172, unter Rekurs auf Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 218. „Allerdings könnte selbst mit dieser Einschränkung die Arglisteinrede in den Fällen helfen, in denen ein für beide Seiten mehr oder weniger offensichtlich kollusiver Zwischenhandel in einem gutglaubensfreundlichen Land stattfindet (etwa, wenn gestohlene Ware in Italien weiterveräußert wird). … Es wird aus praktischen Gründen meist gar nicht möglich sein, die Umgehungsabsicht nachzuweisen.“ Vgl. Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes, 1994,
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gläubig zu bezeichnen, sodass ihm bereits per se das Objekt auch unter Geltung der neuen Rechtsordnung nach einem Statutenwechsel sachrechtlich nicht zugeordnet würde –, muss der Versuch, der geschickten Wahl des Ortes der Weiterveräußerung in bewusster Gesetzesumgehung mit dem Rechtsinstitut der fraus legis zu begegnen, regelmäßig daran scheitern, dass bei einem gutgläubigen Erwerber das Bewusstsein einer Gesetzesumgehung fehlt.1342 Ein Rückgriff auf die fraus legis kommt daher nur in seltenen Ausnahmesituationen in Betracht: 1343 „Der Nachweis, dass der durch die Verbringung eines Kulturgutes herbeigeführte Statutenwechsel einzig in Umgehungsabsicht erfolgte, wird generell kaum zu erbringen und im Fall des Erwerbs durch einen gutgläubigen Dritten überhaupt unmöglich sein.“ 1344
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S. 166. „Ob ein Kulturgut nach dem Diebstahl ins Ausland gebracht wird, um dort eine günstige Anknüpfungslage vorzufinden, oder nur, um Spuren zu verwischen, kann kaum festgestellt werden. In vielen Fällen ist ungeklärt, wie das Kulturgut in das anknüpfungsgünstige Land gelangt ist.“ Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 170–172. Vgl. Mansel, DeWeerth v. Baldinger – Kollisionsrechtliches zum Erwerb gestohlener Kunstwerke, IPRax 1988, S. 268–271, S. 270; Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCOKulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 278–279. Selbst wenn Veräußerer und Erwerber mehr oder weniger offensichtlich zusammenwirken, etwa bei einer Veräußerung unter einer Rechtsordnung, die den gutgläubigen Erwerb großzügig gestattet, wird der Nachweis dieser Arglist in den allerwenigsten Fällen gelingen. So fürchten Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes, 1994, S. 165 f. und Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 171 f.; Strauch, Rechtsverhältnisse an Kulturgütern im Internationalen Sachenrecht, 2007, S. 92–93. Weidner macht bspw. darauf aufmerksam, dass eine Gesetzesumgehung dann im Raum stehen könne, wenn bspw. das Veräußerungsgeschäft zwischen zwei Parteien im Heimatstaat des Kulturguts geplant worden sei und die Sache nur zum Zweck der Vornahme der Eigentumsübertragung kurz in einen anderen Staat verbracht würde, um die Schutzbestimmungen des kulturellen Ursprungsstaates auszuschalten. Dies wäre aber nur bei unrechtmäßiger Ausfuhr national wertvoller Kulturgüter durch den Eigentümer und einer anschließenden Veräußerung im kulturellen Importstaat der Fall, andernfalls würde es wieder an der Gutgläubigkeit des Erwerbers mangeln. Vgl. zum Ganzen Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 188–189. Spaun, Der Herausgabeanspruch bei Diebstahl oder illegalem Export von Kulturgütern, 2003, S. 155–156. Schwimann, Grundriß des internationalen Privatrechts. Mit besonderer Berücksichtigung der IPR-Staatsverträge, 1982, S. 184, betont ausdrücklich die Irrelevanz der Art und Weise der Verbringung und einer dahinter stehenden Umgehungsabsicht für den Statutenwechsel. Zur Ablehnung der fraus legis zur Bekämpfung des illegalen Kunsthandels, vgl. Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 218; Mansel, DeWeerth v. Baldinger – Kollisionsrechtliches zum Erwerb gestohlener Kunstwerke, IPRax 1988, S. 268–271, S. 270; Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes, 1994, S. 165 ff., Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 170 ff., jeweils m.w.N.
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Kritik
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Im internationalen illegalen Kunsthandel ist die Anwendung der fraus legis nach dem Vorhergesagten gewiss nicht generell ausgeschlossen, um die Geltung einer Rechtsordnung zu vereiteln, die bewusst und manipulativ durch einen Statutenwechsel zur Anwendung gebracht wurde, um die Interessen des Erwerbers zu bevorzugen. Eine Restitution unrechtmäßig entzogener Kulturgüter zugunsten des ursprünglichen Eigentümers über das genannte Rechtsinstitut wird in der Zukunft jedoch meist praktisch ausgeschlossen sein, da dem Erwerber ein kollusives Zusammenwirken mit dem bösgläubigen Veräußerer nachgewiesen werden müsste.
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Neben diesem Einwand aus der Praxis sieht sich die Anwendung der fraus legis im internationalen Handel mit unrechtmäßig entzogenen Kulturgütern jedoch noch weiteren (rechtskonstruktiven) Vorwürfen ausgesetzt. So verneint ein Teil des sowohl kulturgüterspezifischen 1345 als auch -unspezifischen 1346 Schrifttums die Anwendung des Rechtsinstituts der fraus legis generell im internationalen Sachenrecht 1347, während andere diese nur für den Fall der kurzfristigen und nur vorübergehenden Verbringung in ein anderes Staatsgebiet bejahen.1348 Die Stimmen berufen sich meist auf den Gedanken, dass der Belegenheitsstaat grundsätzlich ein Interesse an der Anwendung seiner Rechtsordnung habe 1349 und berück1345
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Vgl. m.w.N. Mansel, DeWeerth v. Baldinger – Kollisionsrechtliches zum Erwerb gestohlener Kunstwerke, IPRax 1988, S. 268–271, S. 270. A.A. etwa Hanisch, Aspects juridiques du commerce international de l’art en République fédérale d’Allemagne, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 157–190, S. 188. Vgl. m.w.N. Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rdnr. 53; Frankenstein, Internationales Privatrecht, Grenzrecht, Band II, 1926–1935, S. 43: Die auf der tatsächlichen Beherrschung der Sache beruhende Rechtsmacht einer Rechtsordnung entfällt, wenn die Sache ihr entzogen wird. Auch im Kollisionsrecht bestehen mit der ordre public-Klausel des Art. 6 EGBGB oder mit der sachenrechtlichen Ausweichklausel des Art. 46 EGBGB Mittel, um eine Gesetzesumgehung zu verhindern. Siehe nur Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, § 23 II am Ende; Strauch, Rechtsverhältnisse an Kulturgütern im Internationalen Sachenrecht, 2007, S. 92– 93. Die Figur der fraus legis sei deshalb für das internationale Sachenrecht überflüssig. Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 188–189. Das wird damit begründet, dass am neuen Lageort die neue lex rei sitae gelte, während der Einfluss des alten Rechts an der Grenze ende. Vgl. Raape/Sturm, Internationales Privatrecht – Allgemeine Lehren, 6. Aufl. 1977, S. 332; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 170–172; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 188–189. Die neue lex situs habe dementsprechend grundsätzlich ein berechtigtes und vorrangiges Geltungsinteresse und sei in der Lage, der Gesetzesumgehung auf materiellrechtlichem Wege zu begegnen.
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sichtigt werden müsse, dass meist auch die Interessen gutgläubiger Dritter betroffen seien,1350 „welche nicht wissen können, wie lange sich die Sache schon im Belegenheitsstaat befindet und aus welchen Gründen sie dorthin gebracht worden ist. Bei Kulturgütern beruht die Verbringung ins Ausland häufig auch nicht nur einzig und allein auf dem Grund, die Veräußerung einem anderen Recht zu unterstellen, sondern auch darauf, daß die illegale Herkunft des Kulturguts dort möglicherweise leichter zu verdecken ist und eine Veräußerung vor sich gehen kann, ohne daß der ursprüngliche Eigentümer davon erfährt. Diese Motive machen das Vorgehen des Kunstdiebs bzw. -schmugglers zwar nicht weniger verwerflich; sie sprechen aber trotzdem gegen das Vorliegen einer Gesetzesumgehung.“ 1351 Das Rechtsinstitut der Gesetzesumgehung ist insofern aus systematischen und praktischen Gründen nicht geeignet, die Probleme des illegalen Kunsthandels zu lösen.1352 Vielmehr sollte der Gesetzgeber de lege ferenda bzw. der Rechtsanwender de lege lata über die Ausweichklausel des Art. 46 EGBGB zur Vorbeugung einer manipulativen Veränderung des Anknüpfungsmomentes entweder einen bestimmten Zeitpunkt für die Anknüpfung festlegen und die Rechtswahl – so wie bspw. in Art. 15 EGBGB der Zeitpunkt der Eheschließung – an den Belegenheitsort zum Zeitpunkt der unrechtmäßigen Entzugshandlung anknüpfen (vgl. zur sog. lex furti und sog. lex inexportabiles sogleich unter Punkt IV.) oder von der fehlgehenden Anwendung der lex rei sitae schon im Grundsatz Abstand nehmen und für den Handel mit Kulturgütern als Objekte res sui generis ein wesentlich schwerer veränderbares Anknüpfungsmoment wählen, wie bspw. die Rechtsordnung des kulturellen Ursprungsstaates bei der Rechtswahl nach der lex originis (vgl. hierzu unter Punkt VI.).1353
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Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/ Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 218. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 188–189. Ebenso Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes, 1994, S. 166; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 170–172; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 188–189; Strauch, Rechtsverhältnisse an Kulturgütern im Internationalen Sachenrecht, 2007, S. 92–93. Vgl. die kulturgüterunspezifischen Erwägungen hierzu bei Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 266.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
IV. Anknüpfung an den Ort der unrechtmäßigen Entziehungshandlung kultureller Güter – die sog. lex furti Schrifttum: Anton, Special Conflict Rules in the Private International Law of Property concerning International Art Trade in Stolen Works of Art, LL.M. Thesis 2005, University of Johannesburg, South Africa; Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff., S. 3582; Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 89–92; Byrne-Sutton, le trafic international des biens vulturels sous l’angle de leur revendication par l’Etat d’origine – Aspects de droit international privé, 1988, S. 146 ff.; Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 278–279; Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 215 f.; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 195; Jefferson, An Attempt to Evade the Lex Situs Rule for Stolen Goods, The Law Quaterly Review, Volume 96 (1980), S. 508–511, S. 511 (hinsichtlich der englischen Winkworth-Entscheidung); Kienle/Weller, Die Vindikation gestohlener Kulturgüter im IPR, IPRax 2004, S. 290–294, S. 291; Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 83–84; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 138–142; Mansel, DeWeerth v. Baldinger – Kollisionsrechtliches zum Erwerb gestohlener Kunstwerke, IPRax 1988, S. 268–271, S. 271; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 227–228; Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 250–251; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 165–168; Spaun, Der Herausgabeanspruch bei Diebstahl oder illegalem Export von Kulturgütern, 2003, S. 157–158; Strauch, Rechtsverhältnisse an Kulturgütern im Internationalen Sachenrecht, 2007, S. 112–118 und S. 121–122 und S. 126–129; Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 120–123; von Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 519–520; Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 372–374; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 181–186; Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 204–205.
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Die Rechtswahl innerhalb des internationalen Kulturgüterprivatrechts nach der lex rei sitae birgt nach einem Statutenwechsel bekanntlich die Gefahr, dass unrechtmäßig entzogene Kulturgüter mala fides in das Hoheitsgebiet solcher Staaten verbracht werden, nach deren nationalen Sachzuordnungsregeln der gutgläubige rechtsgeschäftliche Erwerb oder Ersitzungserwerb bzw. eine Verjährung oder Verwirkung kultureller Restitutionsansprüche unter erleichterten Voraussetzungen möglich sind. Dies hat bekanntermaßen zur Folge, dass durch die Anwendung der neuen lex rei sitae die Rechte des Alteigentümers durch das Internationale Kulturgüterprivatrecht erheblich geschmälert werden können. Deshalb wird von Teilen der Literatur erwogen, dass im Internationalen Kulturgüterprivatrecht zwar weiterhin auf den Lageort abgestellt werden muss, jedoch
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nicht wie bei der lex rei sitae zum Zeitpunkt der rechtserheblichen sachenrechtlichen Einwirkung, sondern zum Zeitpunkt des unrechtmäßigen Entzugsaktes.1354 Die Begründung für die Perpetuierung der Rechtsordnung zum Zeitpunkt des Diebstahls, der unrechtmäßigen Ausfuhr oder einer sonstigen Entzugshandlung ist leicht nachvollziehbar: Da die Kulturgüter ohne Wissen bzw. Veranlassung des Eigentümers entzogen und daraufhin ins Ausland gebracht wurden, ist dieser weiterhin schutzwürdig. Diese Beurteilung der Rechtswahl im internationalen Kunsthandel kann sich auf eine früher im amerikanischen Recht vertretene Ansicht stützen, wonach am Ort der neuen Belegenheit unrechtmäßig entzogener Kulturgüter keine Zuständigkeit (jurisdiction) besteht, um eine Entscheidung über das Eigentumsrecht eines im Ausland ansässigen Eigentümers zu treffen, wenn das Kulturgut ohne den Willen des Eigentümers in das Land gekommen ist und der Eigentümer sich nicht der Gerichtsbarkeit des Landes unterworfen hat.1355 Die Annahme, dass kein Wechsel des Belegenheitsorts im Falle einer heimlichen Entfernung kultureller Wertgegenstände erfolgt und die Rechtsordnung des unrechtmäßigen Entziehungsaktes Anwendung findet, schützt demzufolge den ursprünglichen Eigentümer vor der Anwendung eines fremden Rechts auf die Eigentumsverhältnisse, ohne dass er dem zugestimmt hat.1356
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‚Lex furti‘
Ein Großteil der Literatur schlägt im internationalen Handel mit gestohlenen Kulturgütern die kollisionsrechtliche Anknüpfung des Erwerbsstatuts an den Diebstahlsort und damit die Anwendung einer sog. lex furti im Internationalen Kulturgüterprivatrecht vor.1357 Danach soll in dem Fall, in dem ein Kulturgut dem 1354
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Vgl. die allgemeinen Erwägungen bei Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 519– 520. Vgl. ausführlich hierzu auch Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 83–84 m.w.N. So ausdrücklich formuliert in der amerikanischen Entscheidung Weissman v. Banque de Bruxelles, 254 N.Y. 488, 173 N.E. 835 (1930): „The distinction rests upon an enlarged policy to protect the rightful owner from one who carries the owner’s property into a jurisdiction where he can give good title under its laws.“. Vgl. Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff., S. 3582; Byrne-Sutton, Le trafic international des biens vulturels sous l’angle de leur revendication par l’Etat d’origine – Aspects de droit international privé, 1988, S. 146 f., im Endeffekt aber ablehnend, S. 150 f.; Byrne-Sutton, Qui est le propriétaire légitime d’un objet d’art volé? Une source de conflits dans le commerce international, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 483–499, S. 492 ff.; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 195; Jefferson, An Attempt to Evade the Lex Situs Rule for Stolen Goods, The Law Quat-
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Eigentümer gestohlen wurde, das Recht desjenigen Staates maßgeblich sein, auf dessen Territorium das Gut abhandengekommen ist.1358 Der gesamte Vorgang des derivativen und originären gutgläubigen Erwerbs sowie Fragen der Verjährung und Verwirkung kultureller Wertgegenstände 1359 werden von derjenigen Sachenrechtsordnung geregelt, in der das Kulturgut vor seiner Veräußerung im und vor dem illegalen Transfer ins Ausland dem Eigentümer gestohlen wurde.1360 Diese sog. lex furti muss dabei nicht nur für den ersten Transfer des Gegenstandes, sondern auch für alle später vollzogenen Übertragungen und materiellrechtlichen Sachzuordnungen unrechtmäßig entzogener Kulturgüter gelten, da nur so spätere Manipulationen des Anknüpfungspunktes zu verhindern sind.1361 Folglich ist auch auf einen nach dem Abhandenkommen des Kulturguts erfolgten gutgläubigen Erwerb nach einem Statutenwechsel allein das Recht desjenigen Staates anzuwenden, in dessen Gebiet die Sache zur Zeit des Diebstahls belegen war.
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erly Review, Volume 96 (1980), S. 508–511, S. 511 (hinsichtlich der englischen WinkworthEntscheidung); Kienle/Weller, Die Vindikation gestohlener Kulturgüter im IPR, IPRax 2004, S. 290–294, S. 291; Kunze, Restitution „Entarteter Kunst“ – Sachenrecht und Internationales Privatrecht, 2000, S. 136 ff; ähnlich, aber für eine Lösung de lege ferenda wohl Mansel, DeWeerth v. Baldinger – Kollisionsrechtliches zum Erwerb gestohlener Kunstwerke, IPRax 1988, S. 268–271, S. 271; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 227–228; Reichelt, Kulturgüterschutz und Internationales Privatrecht, IPRax 1986, S. 73–75, S. 74, die auf die lex furti als alternatives, „materielles“ Anknüpfungskriterium („caractère substantiel“) zurückgreifen will, wenn die lex rei sitae eine völlig inhaltsleere Anknüpfung darstellen würde; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 165–168; Spaun, Der Herausgabeanspruch bei Diebstahl oder illegalem Export von Kulturgütern, 2003, S. 157–158. Maßgeblich soll danach die Sachenrechtsordnung des Landes sein, in dem das Kulturgut vor seiner Veräußerung im Ausland dem früheren Eigentümer widerrechtlich entzogen wurde. Vgl. Mansel, DeWeerth v. Baldinger – Kollisionsrechtliches zum Erwerb gestohlener Kunstwerke, IPRax 1988, S. 268–271, S. 271; Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 250–251. Mansel, DeWeerth v. Baldinger – Kollisionsrechtliches zum Erwerb gestohlener Kunstwerke, IPRax 1988, S. 268–271, S. 271. Auch Symeonides schlägt eine Kollisionsnorm dieses Inhalts – allerdings mit Modifikationen – vor: „A person who is considered the owner of a thing under the law of the state in which the thing is situated at the time of the theft shall be entitled to the protection of that law even if the thing is later removed to another state whose law denies such protection unless: (a) the other state has a materially greater connection to the case; and (b) the person knew or should have known of facts that would enable a diligent owner to take effective legal action against the possessor of the thing.“ Symeonides, On the Side of the Angels: Choice of Law and Stolen Cultural Property, in: Basedow/Meier/Schnyder/Einhorn/Girsberger, Private Law in the International Arena. From National Conflict Rules Towards Harmonization and Unification, Liber Amicorum Kurt Siehr, 2000, S. 747–761, S. 751 ff. Vgl. Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes, 1994, S. 172; Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 278–279.
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Auch wenn zugestanden wird, dass der Eigentümerschutz im deutschen Sachrecht nur durch die relativ lange Ersitzungsdauer und den Nichtausschluss der Rückforderungsansprüche aus Vertrag und Leistungskondiktion (aber eben nicht der Eingriffskondiktion) gewährleistet ist,1362 sich also als schwächer gegenüber dem derivativen Erwerb darstellt, soll die Anknüpfung des Erwerbsstatuts an den Ort des Diebstahls kultureller Güter nicht nur im Falle der derivativen Akquisition eines redlichen Erwerbers, sondern auch in Konstellationen des originären Ersitzungserwerbs Anwendung finden.1363 Für die identische Rechtswahl sprechen die Uniformität parallel zu entscheidender Sachverhaltskonstellationen, der Umstand der gegenseitigen Abstimmungsbedürftigkeit sowie die enge funktional-tatsächliche Verknüpfung beider Rechtsinstitute. Das eben Gesagte muss aus denselben Gründen auch für die Verjährung und Verwirkung kultureller Restitutionsansprüche gelten, die als weitere Bestandteile einer einheitlichen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter neben dem rechtsgeschäftlichen und originären Eigentumserwerb stehen. Da die meisten Staaten bei der Rechtswahl im Internationalen Kulturgüterprivatrecht an die Belegenheit der Sache zum Zeitpunkt der Übereignung anknüpfen, muss die lex furti als Sachnormverweisung verstanden werden, damit sie nicht durch einen renvoi unterlaufen wird.1364
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Rechtsdogmatische Konstruktion
Dabei wird – entsprechend den allgemeinen Grundsätzen des internationalen Privatrechts – nicht auf die Herbeiführung des für den Schutz des ursprünglichen Eigentümers günstigsten Rechts abgestellt, sondern es soll diesem im Falle des Diebstahls genau das Maß an Schutz gewährt werden, das ihm zu dem Zeitpunkt zukam, als er die Belegenheit des Kulturguts noch selbst beeinflussen konnte.1365 Der Eigentümer soll nicht durch einen minderwertigen Eigentumsschutz belastet, aber auch nicht durch einen effektiveren rechtlichen Schutz als in seiner Heimatrechtsordnung begünstigt werden: Das Vertrauen des Eigentümers in einen besseren Schutz in der neuen lex rei sitae ist somit ebenso wenig schutzwürdig, da das Recht des späteren Veräußerungsortes ihm möglicherweise einen Schutz gewährt, mit dem er nicht rechnen konnte.1366 1362
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Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 195. Mansel, DeWeerth v. Baldinger – Kollisionsrechtliches zum Erwerb gestohlener Kunstwerke, IPRax 1988, S. 268–271, S. 271; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 181–186. Vgl. hierzu Mansel, DeWeerth v. Baldinger – Kollisionsrechtliches zum Erwerb gestohlener Kunstwerke, IPRax 1988, S. 268–271, S. 271. Mansel, DeWeerth v. Baldinger – Kollisionsrechtliches zum Erwerb gestohlener Kunstwerke, IPRax 1988, S. 268–271, S. 270–271; Spaun, Der Herausgabeanspruch bei Diebstahl oder illegalem Export von Kulturgütern, 2003, S. 157. Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 166.
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Bei unbefangener Betrachtung überzeugt der Vorschlag insoweit, als die lex furti einen Aspekt in den Vordergrund rückt, der von der lex rei sitae nicht berücksichtigt wird: den Willen des ursprünglichen Eigentümers. Hintergrund ist, dass die Anknüpfung an den Lageort in dem Moment an Überzeugungskraft einbüßt, in dem das gestohlene Kulturgut die Einflusssphäre seines Eigentümers ohne dessen Wissen und Willen verlässt.1367 Hier beginnt der Bereich des Unkontrollierbaren und Zufälligen.1368 Außerdem sichert die lex furti eine manipulationsresistente Fixierung des Anknüpfungszeitpunktes im Internationalen Kulturgüterprivatrecht 1369 entsprechend der internationalen Tendenz, die Rechte des Eigentümers stärker zu betonen.1370 Während nach der lex rei sitae generell Verkehrsschutzgesichtspunkte im Vordergrund stehen, die einem Erwerber zugute kommen, ist bei unrechtmäßig entzogenen Kulturgütern fraglich, ob nicht vielmehr der ursprüngliche Eigentümer schutzwürdig(er) erscheint.
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„Tauchen gestohlene oder abhanden gekommene Kulturgüter im Handel wieder auf und werden sie von dem ursprünglichen Eigentümer wieder erkannt, will dieser im Regelfall weder auf die Versicherungssumme noch auf Schadensersatzansprüche gegen den Verkäufer verwiesen werden und erst recht nicht auf solche gegen den Dieb, die als praktisch uneinbringlich gelten. Er möchte das gestohlene oder abhanden gekommene Kulturgut wiederhaben und ist folglich an einer
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Anders aber Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 181–186: „Die Annahme, daß ein Eigentümer auf die Rechtsordnung des letzten Belegenheitsortes vertraut hat und sich deswegen ein nachfolgender Erwerb durch einen Dritten nach dieser Rechtsordnung richten müsse, erscheint jedoch zu weit hergeholt. Von Vertrauen auf eine andere Rechtsordnung kann man meines Erachtens immer nur bei einer bewußten und aktiven juristisch relevanten Handlung sprechen. Wenn z. B. jemand eine Sache erwirbt, vertraut er darauf, daß sich dieser Erwerb nach dem Recht des Belegenheitsortes richtet. Es gibt jedoch keinen Vertrauensschutz des Eigentümers im Hinblick darauf, daß seine Sache, nachdem sie ihm abhanden gekommen ist, nur nach einer bestimmten Rechtsordnung gutgläubig erworben werden könne. Das Vertrauen des Eigentümers kann hier nicht an einem konkreten Akt oder Zeitpunkt festgemacht werden, bei dem die Annahme der Geltung einer Rechtsordnung nahelag.“. Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 166–167. Kienle/Weller, Die Vindikation gestohlener Kulturgüter im IPR, IPRax 2004, S. 290–294, S. 291; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 175 f., S. 195; Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 250–251; Torsen, From the Aegean to the Baltic and Beyond: An Analysis of Cultural Property Dispersion, Art Antiquity and Law 2004, S. 154; Mansel, DeWeerth v. Baldinger – Kollisionsrechtliches zum Erwerb gestohlener Kunstwerke, IPRax 1988, S. 268–271, S. 270 f.; Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 278–279. Siehr, Der gutgläubige Erwerb beweglicher Sachen – Neue Entwicklungen zu einem alten Problem, ZVglRWiss 80 (1981) S. 273–292, S. 281; Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 250–251.
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Wiederherstellung des status quo ante interessiert.“ 1371 Die Rechtswahl nach der lex furti lässt die allgemeinen Verkehrsinteressen und das Bedürfnis nach Rechtssicherheit im internationalen Kunstmarkt hinter das Interesse des bestohlenen Eigentümers an der Bewahrung und Erhaltung ‚seiner‘ Kulturgüter nach einem Diebstahl oder einem anderen unrechtmäßigen Entziehungsakt zurücktreten und nimmt insoweit eine mögliche Beeinträchtigung des internationalen Kunsthandels in Kauf.1372 Die absichtliche Herbeiführung einer günstigen Anknüpfungssituation wird verhindert und so die Position des ursprünglichen Eigentümers gewahrt: 1373 „Indem auf den Zeitpunkt des Diebstahls bei der Anknüpfung abgestellt wird, wird die Weiterveräußerung gestohlener Kunstwerke … erschwert, denn die gezielte Herbeiführung einer für den Gutglaubenserwerb günstigen Anknüpfungslage ist dabei nicht mehr möglich.“ 1374 Dabei wird eine Schwächung des auch schützenswerten Interesses gutgläubiger Erwerber, die von dem Diebstahl nichts wissen und nicht mit einer abweichenden Anknüpfung rechnen können 1375, bewusst in Kauf genommen und die Interessen des ursprünglichen Eigentümers unrechtmäßig entzogener Kulturgüter bezüglich einer Beeinträchtigung des internationalen Kunsthandels werden als vorrangig bewertet, „sofern trotz der vielen restriktiven materiell-rechtlichen Vorschriften hinsichtlich eines gutgläubigen Erwerbs bei gestohlenen Sachen überhaupt von einer solchen Beeinträchtigung ausgegangen werden kann.“ 1376 Befürworter weisen diesbezüglich unterstützend darauf hin, dass die Rechtswahl nach dem Diebstahlsort keine tiefgreifenden Änderungen des deutschen internationalen Sachenrechts und dessen Anknüpfungsgrundsätze bewirkt, da allein der Anknüpfungszeitpunkt eine Änderung erfährt, nicht jedoch der Anknüpfungsort: 1377 1371
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Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 278– 279, unter Rekurs auf die Untersuchungsergebnisse bei Siehr, Internationales Sachenrecht. Rechtsvergleichendes zu seiner Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, ZVglRWiss 104 (2005), S. 145–162, S. 151; Schack, Kunst und Recht – Bildende Kunst, Architektur, Design und Fotografie im deutschen und internationalen Recht, 2. Aufl. 2004, S. 200, Rdnr. 484. Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 195. Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 165–166. Mansel, DeWeerth v. Baldinger – Kollisionsrechtliches zum Erwerb gestohlener Kunstwerke, IPRax 1988, S. 268–271, S. 271. So der Einwand bei Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes, 1994, S. 172; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 167. Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 278– 279 unter Rekurs auf die diesbezüglichen Einschränkungen bei Mansel, DeWeerth v. Baldinger – Kollisionsrechtliches zum Erwerb gestohlener Kunstwerke, IPRax 1988, S. 268– 271, S. 271. „Im Grunde genommen handelt es sich bei dieser Anknüpfung nicht um ein wirkliches Abweichen vom Grundsatz der lex rei sitae; lediglich der Zeitpunkt, der für die Anknüp-
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Es wird grundsätzlich an der lex rei sitae festgehalten, nur der Moment des Diebstahls wird zum neuen, dauerhaften Anknüpfungszeitpunkt.
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Rechtswahl nach der ‚lex furti‘ in der Praxis
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Prüft man die Rechtswahl nach der lex furti in der Praxis, lassen sich tatsächlich tragfähige und für den Kulturgüterschutz (meist 1378) verbesserte Ergebnisse erzielen: Die Sonderanknüpfung an das Recht am Diebstahlsort hätte bspw. in der Fallsituation Winkworth v. Christie, Manson & Woods Ltd.1379 im Gegensatz zu der Rechtssituation de lege lata dazu geführt, dass der Kunstsammler William Wilberfore Winkworth seine asiatischen Kunstwerke, die diesem in England gestohlen, anschließend nach Italien verbracht und dort an einen italienischen Marchesen veräußert wurden, wieder erlangt hätte, da nach englischem Recht der gutgläubige Erwerb gestohlener Sachen ausgeschlossen, nach der italienischen Rechtsordnung möglich gewesen wäre.1380
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Außerdem würde eine Anknüpfung an die lex furti bei zu res extra commercium designierten Kulturgütern zu einem wesentlich weitreichenderen Schutz, insbesondere auch nach einem Statutenwechsel, führen,1381 wenn diese – ihrem Sinn und Zweck als öffentliche Kulturgüter des kulturellen Ursprungsstaates entsprechend – im Territorium desjenigen Staates gestohlen wurden, dessen Rechtsordnung sie als res extra commercium bestimmt.1382 „Die Beurteilung aller sachenrechtlichen Vorgänge nach dem Recht des Diebstahlsorts hätte also zur Folge, daß auch nach einem Statutenwechsel die besonderen Schutzvorschriften, welche zur Verkehrsunfähigkeit der Sachen führen, angewandt werden. In allen Fällen, in denen Kulturgüter aus Museen, Bibliotheken, Archiven etc. gestohlen oder veruntreut würden, hätte ein Herausgabeanspruch des öffentlichen Eigentümers unter Berufung auf die Extrakommerzialität des Kulturguts Erfolg, auch wenn die Sache ins Ausland gelangt und nach dem dortigen Recht gutgläubig erwor-
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fung maßgeblich ist, wird verschoben.“ Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 181–186, unter Rekurs auf Mansel, DeWeerth v. Baldinger – Kollisionsrechtliches zum Erwerb gestohlener Kunstwerke, IPRax 1988, S. 268– 271, S. 271. Vgl. ausführlich zu den verschlechterten Ergebnissen bei Anwendung der lex furti aus Sicht des Kulturgüterschutzes die nachfolgende Kritik an dieser Sonderanknüpfung, 3, 560 ff. Winkworth v. Christie Manson & Woods Ltd., (1980) 1 All ER 1121, (1980) 2 WLR 937. Vgl. ausführlich hierzu 3, 9 ff. u. 46 ff. Vgl. auch Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 166; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 195. Ausführlich hierzu und zum Folgenden Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 181–186. Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 181–186.
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ben worden ist.“ 1383 Der besondere Schutz extrakommerzialer Kulturgüter bei Anwendung der lex furti wäre bspw. in der italienischen Entscheidung Stato Francese e. De Contessini vom 27. Juni 1987 1384 ersichtlich geworden. Zwei die Odyssee betreffende Gobeline, die sich in französischem Staatseigentum befanden, wurden innerhalb Frankreichs gestohlen, illegal nach Italien transferiert und dort an einen gutgläubigen Erwerber veräußert. Die französische Regierung beantragte vor einem italienischen Zivilgericht die Restitution der illegal aus Frankreich transferierten Kulturgüter und gründete ihr Begehr auf den Diebstahl der Kulturgüter in Frankreich vor dem Transfer nach Italien. Während der Tribunale di Roma entsprechend der lex rei sitae die Veräußerung auf italienischem Territorium der Sachenrechtsordnung Italiens unterwarf und dementsprechend nach Art. 1153 und 1154 des Codice civile italiano auch den gutgläubigen Erwerb der in Frankreich gestohlenen Tapisserien trotz deren Unveräußerbarkeit in Frankreich erlaubte, hätte das Gericht bei einer Anknüpfung an die lex furti französisches Recht anwenden und wegen der Klassifizierung der Teppiche nach der Loi sur les monuments historiques vom 31.12.1913 und ihrer Qualifizierung als unveräußerlich, unersitzbar und unverjährbar nach Art. 2279 Abs. 1 und 2 des Code civil einen gutgläubigen Erwerb drei Jahre nach dem Diebstahl ablehnen müssen.1385 „In diesem Fall hätte die Anknüpfung an das Recht des Diebstahlsortes also dazu geführt, daß sich die Qualifizierung des Kulturguts als res extra commercium auch im Ausland durchgesetzt und das besondere Interesse des Herkunftsstaats an der Bewahrung seines Kulturguts Berücksichtigung gefunden hätte.“ 1386
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„Eine Schutzlücke bestünde allerdings für den Fall, daß der Gegenstand von einem Museum etc. zeitweilig (z.B. im Rahmen einer Ausstellung) ins Ausland ausgeliehen und dort gestohlen worden ist. Dann wäre lex furti die Rechtsordnung des Ausstellungsstaates, in deren Geltungsbereich der Gegenstand zur Zeit des Diebstahls belegen gewesen ist. Ein gutgläubiger Erwerb würde sich nach einem Recht beurteilen, das den Gegenstand als verkehrsfähig ansieht; sein „heimatrechtlicher“ Status als res extra commercium würde sich nicht durchsetzen.“ Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 181–186. Stato francese c. Ministero per i beni culturali e ambientali e De Contessini, Tribunale di Roma, 27 June 1987, 71 Rivista di diritto internazionale, S. 920 (1988); Monaco, Sulla restituzione di beni culturali rubati all’estero secondo la Convenzione dell’UNESCO, 71 Rivista di diritto internazionale (1988), S. 842 ff.; Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 187–189; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 71–72; Siehr, Handel mit Kulturgütern in der Europäischen Union und in der Schweiz, in: Walder, Aspekte des Wirtschaftsrechts – Festgabe zum Schweizerischen Juristentag, 1994, S. 353–372, S. 355. Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 181–186. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 181–186.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Im Ergebnis hätte die Anwendung der lex furti zur Folge, dass die Unveräußerlichkeit eines im Staatseigentum stehenden Kulturguts den Eigentumsübergang selbst dann ausschließen würde, wenn die Sache in dem Staat, in dem die Veräußerung stattgefunden hat, nicht als res extra commercium anerkannt würde.1387 In kulturellen Restitutionsstreitigkeiten würde eine Anknüpfung an den Ort der unrechtmäßigen Entziehungshandlung somit zu einer erheblichen Verbesserung der Aussichten des Herkunftsstaates auf die Herausgabe der unrechtmäßig entzogenen Kulturgüter führen.1388
2. 560
Kritik
Das überwiegende Schrifttum lehnt eine Rechtswahl nach der lex furti und damit eine Anknüpfung an den Ort der unrechtmäßigen Entziehungshandlung im Internationalen Kulturgüterprivatrecht sowohl de lege ferenda als auch im Einzelfall schon de lege lata über Art. 46 EGBGB mit gewichtigen Gründen ab.1389
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Vgl. Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 89–92. Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 181 ff. Kritisch zur lex furti: Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 89–92; Byrne-Sutton, Le trafic international des biens vulturels sous l’angle de leur revendication par l’Etat d’origine – Aspects de droit international privé, 1988, S. 146 ff., S. 152; Byrne-Sutton, Qui est le propriétaire légitime d’un objet d’art volé? Une source de conflits dans le commerce international, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 483–499, S. 469 f.; Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 279–281; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 195; Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 519–520; Jaeger, Internationaler Kulturgüterschutz – Rechtslage, Rechtspraxis, Rechtsfortentwicklung, 1994, S. 68; Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 84; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 138–142; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 227 f.; Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 250–251; Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes, 1994, S. 171–172; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 167; Spaun, Der Herausgabeanspruch bei Diebstahl oder illegalem Export von Kulturgütern, 2003, S. 157–158; Stoll, Sachenrechtliche Fragen des Kulturgüterschutzes in Fällen mit Auslandsberührung, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes – Symposium vom 22./23. Juni 1990 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 53 ff., S. 59 f.; Strauch, Rechtsverhältnisse an Kulturgütern im Internationalen Sachen-
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Allgemeine Erwägungen gegen eine Anknüpfung an den Ort der unrechtmäßigen Entziehungshandlung
Zunächst machen Gegner einer lex furti geltend, dass nicht ersichtlich sei, wieso durch den unfreiwilligen Besitzverlust aus kollisionsrechtlicher Sicht eine wesentlich engere Verbindung der Sache zum Staat des Abhandenkommens als zum Belegenheitsort begründet werden soll.1390 Eine engere Verbindung zur Rechtsordnung der unrechtmäßigen Entziehungshandlung sei allenfalls für illegal außer Landes geschmuggelte archäologische Objekte zu ihren Grabungsorten anzuerkennen, nicht jedoch in dieser Allgemeinheit für Kulturgüter im Generellen.1391 „Nicht jedes Kunstwerk weist einen besonderen Bezug zu dem Ort seines Diebstahls auf. Schließlich befinden sich auch Kunstgegenstände bisweilen nur zufällig und kurzfristig in einem Staat. Werden sie dort gestohlen besteht kein Anhaltspunkt für eine besonders enge Verbindung just zu diesem Staat.“ 1392 Die Anknüpfung an den Diebstahlsort hat den Nachteil, nicht aus der Gesamtbetrachtung des Sachverhalts gewonnen zu werden, sodass „der Ansatz ebenso punktuell wie die lex rei sitae [ist], deren Korrektur beabsichtigt ist.“ 1393
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Kurpiers verdeutlicht dies anhand eines eingängigen fiktiven Beispiels: „Wird ein als deutsches Kulturgut eingetragenes Gemälde von Dürer einer Ausstellung in Italien für eine kurze Zeit leihweise zur Verfügung gestellt und dort gestohlen, so besteht eine engere Beziehung zu Deutschland und dem deutschen Recht als zu dem italienischen, obwohl das Kunstwerk in Italien gestohlen wurde. Dafür spricht in erster Linie der bestimmungsgemäße Belegenheitsort des Kunstwerks in Deutschland im Vergleich zur kurzzeitigen, nur vorübergehenden Belegenheit in Italien, die Bedeutung des Kunstwerks in Deutschland und schließlich die Nationalität des Künstlers.“ 1394 In diesen Fällen wird auch die Rechtsordnung
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recht, 2007, S. 112–114, S. 115–118 und S. 121–122; Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 372–374; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 181–186. Vgl. Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff., S. 3582; Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 250–251; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 138–141. Vgl. Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 89–92. Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 89–92. Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 167. So Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
eines späteren Veräußerungsortes des gestohlenen Dürers nicht weniger sachnah sein und eine größere Beziehung zum Kunstwerk aufweisen als die italienische Rechtsordnung als Ort des Diebstahls.1395 Festzuhalten bleibt, dass nicht zwingend eine „wesentlich engere Verbindung“ zu dem Recht des Diebstahlsorts als zu demjenigen der nachfolgenden Veräußerung besteht. 563
Darüber hinaus halten Teile der Literatur der kollisionsrechtlichen Anknüpfung an den Ort des Diebstahls eine international-privatrechtliche Systemwidrigkeit entgegen,1396 da es nicht Aufgabe einer an sich neutralen Kollisionsregel sei, in den grundsätzlichen Widerspruch zwischen Eigentümer- und Erwerberinteressen einzugreifen und dadurch eine Wertung vorzunehmen, die eigentlich den materiell-sachrechtlichen Vorschriften obliege.1397 Bei einer wertausfüllenden Rechtswahl nach materiellen Gerechtigkeitsgesichtspunkten drohe die Gefahr der Manifestierung von Interessenjurisprudenz 1398, obwohl Kollisionsnormen grundsätzlich wertneutral sind.
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Die ‚richtige‘ dingliche Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter obliege vielmehr den Regeln des anwendbaren Sachrechts.1399 So warnt auch Stoll vor einem Abweichen von der allgemeinen situs-Regel aufgrund eines vorrangigen Zwecks einer konkurrierenden Sachnorm, da leicht das jeweils ge-
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privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 138–141. Vgl. Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 138–141. Byrne-Sutton, Qui est le propriétaire légitime d’un objet d’art volé? Une source de conflits dans le commerce international, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 483–499, S. 469 f.; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 165–166. Vgl. Jaeger, Internationaler Kulturgüterschutz – Rechtslage, Rechtspraxis, Rechtsfortentwicklung, 1994, S. 68; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 166; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 185 f.; Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 279–281; Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 89–92. Vgl. hierzu insbesondere Byrne-Sutton, Qui est le propriétaire légitime d’un objet d’art volé? Une source de conflits dans le commerce international, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 483–499, S. 469 f. Byrne-Sutton, Qui est le propriétaire légitime d’un objet d’art volé? Une source de conflits dans le commerce international, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 483–499, S. 496 f.; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 167; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 181–186.
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wünschte materielle Ergebnis in den Sinn der Sachnorm gelegt wird und diese dann zweckkonform interpretiert wird. Daran anschließend erhebt vor allem auch Schwadorf-Ruckdeschel Bedenken gegen die einseitige Parteinahme durch eine Kollisionsvorschrift. Der Konflikt zwischen ursprünglichem Eigentümer und Erwerber sei nämlich gerade materiell-rechtlicher Natur und müsse grundsätzlich durch das nationale Sachrecht und dessen dingliche Sachzuordnungsregeln unrechtmäßig entzogener Kulturgüter gelöst werden, ohne dass kollisionsrechtliche Neutralität und materielle Wertungen vermengt würden.1400 Die Verschiebung des Anknüpfungszeitpunkts auf das Ereignis des Diebstahls sei daher im internationalen Privatrecht systemwidrig.1401 Gegen eine Anknüpfung an den Ort der unrechtmäßigen Entziehungshandlung sprechen nach Ansicht des Schrifttums insbesondere aber auch die Verkehrsinteressen des internationalen Kunstmarktes: 1402 Während allgemein der Grundsatz gilt, dass ein Erwerber, dem die ausländische Herkunft der Sache nicht bekannt ist, nicht mit der Geltung ausländischen Rechts rechnen muss,1403 beeinträchtigt nach Ansicht großer Teile des Schrifttums die Rechtswahl nach der lex
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Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 167. Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 166; Spinellis, Das Vertrags- und Sachenrecht des internationalen Kunsthandels – zugleich ein Beitrag zur Bedeutung der Eingriffsnormen im heutigen internationalen Rechtsverkehr, 2000, S. 397; Strauch, Rechtsverhältnisse an Kulturgütern im Internationalen Sachenrecht, 2007, S. 112–114; Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 89–92. Vgl. Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes, 1994, S. 172; Stoll, Sachenrechtliche Fragen des Kulturgüterschutzes in Fällen mit Auslandsberührung, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes – Symposium vom 22./23. Juni 1990 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 53 ff., S. 59; Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 84; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 167; Spaun, Der Herausgabeanspruch bei Diebstahl oder illegalem Export von Kulturgütern, 2003, S. 158; Schack, Kunst und Recht – Bildende Kunst, Architektur, Design und Fotografie im deutschen und internationalen Recht, 2. Aufl. 2004, Rdnr. 504; Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 89–92; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 181–186. Vgl. von Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 519–520; Stoll, Sachenrechtliche Fragen des Kulturgüterschutzes in Fällen mit Auslandsberührung, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes – Symposium vom 22./23. Juni 1990 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 53 ff., S. 57 ff.; MüllerKatzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 226 f.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
furti die Verkehrssicherheit über Gebühr,1404 da das Recht am Ort der unrechtmäßigen Entziehungshandlung in den meisten Fällen dem gutgläubigen Käufer verborgen bleiben und – im Gegensatz zum Recht am Ort der jeweiligen Belegenheit – nur bei speziellem Hintergrundwissen dem Erwerber bekannt sein wird (andernfalls wird er nicht als gutgläubig anzusehen sein).1405 566
„Die Parteien des Erwerbsgeschäfts sollten darauf vertrauen können, daß sich der Erwerb nur nach dem ihnen vermutlich bekannten Recht des Ortes richtet, an dem sich die Kaufsache aktuell befindet. Jede Abweichung von diesem Grundsatz bringt Unwägbarkeiten mit sich.“ 1406 Bei Applikation der lex furti auf unrechtmäßig ausgegrabene archäologische Objekte wird das anwendbare Recht nur schwer erkennbar sein. „[Ein Erwerber] kann kaum feststellen, ob die Sache illegal ausgegraben wurde und wo dies geschah. Im Gegensatz dazu hat die lex rei situs zum Zeitpunkt des Erwerbs ihre leichte Feststellbarkeit und Durchsetzbarkeit für sich.“ 1407 Aus diesem Grund wurde auch innerhalb des Common Law bei gestohlenen Gegenständen die ursprüngliche Anknüpfung an den Ort der unrechtmäßigen Entziehungshandlung wieder aufgegeben und eine solche Ausnahme von der situs-Regel sowohl in der Lehre als auch in der Rechtsprechung
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Weidner schränkt die Kritik an der lex furti aufgrund fehlender Rechtssicherheit dahingehend ein, dass die Sicherheit des Rechtsverkehrs immer in einem gewissen Maße beschränkt werde, wenn man ein anderes Recht als das des Belegenheitsortes bzw. einzelne Rechtsregeln einer anderen Rechtsordnung anwendet. Würde man der inländischen Verkehrs- und Rechtssicherheit eine solch absolute Bedeutung zumessen, könnte man ausländischen Bestimmungen, die Kulturgüter zu res extra commercium erklären, nie Geltung verschaffen. Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 181–186. Teilweise wird innerhalb des Schrifttums aus Gründen der Rechtssicherheit auch kritisiert, dass sich die Sonderanknüpfung der lex furti entweder nur auf Kunstwerke bzw. nur auf Ausgrabungsgegenstände beziehen oder sämtliche bewegliche Sachen umfassen könne. Bei der Beschränkung der Sonderanknüpfung auf Kunstwerke stellt sich nach Ansicht von Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 89–92, bereits die schwierige Frage der Definition dieses Begriffs, da international keine Einigkeit über dessen Inhalt bestehe. Carducci, La restitution internationale des biens culturels et des objets d’art, 1997, S. 13, S. 170, schafft in diesem Bereich tatsächlich eine weitere Differenzierung, indem er „objets d’art“ und „véritables biens culturels“ unterscheidet. Der gutgläubige Erwerb der ersteren soll sich nach der lex rei sitae zum Zeitpunkt der Veräußerung, derjenige letzterer nach der lex originis richten. Auch dieser Ansatz führt zu erheblichen Definitions- und Unterscheidungsschwierigkeiten. Kritisch Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 89–92. Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 167. Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 89–92.
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einmütig abgelehnt 1408, weil sie die Anknüpfung erschwert und damit die Sicherheit des Handelsverkehrs beeinträchtigt.1409 Am schwersten wiegt im Schrifttum 1410 schließlich der Einwand gegen eine Anknüpfung an den Ort der unrechtmäßigen Entziehungshandlung, dass sie zu ebenso zufälligen Ergebnissen wie die Rechtswahl nach der lex rei sitae führe und dem Kulturgüterschutz damit ebenso wenig dienlich sei,1411 da der Eigentümer
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Schon das amerikanische Restatement (First) of Conflict of Law hob entgegen der lex furti den Aspekt der Zuständigkeit des neuen Belegenheitsstaats hervor. Vgl. Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 83–84. Cammell v. Sewell, (1860) 5 H. & N. 728, 157 Eng. Rep. 1371 (Exch.Ch.) (Byles J., dissenting); aff’g (1858) 3 H. & N. 617 (Exch.). In der Entscheidung sank ein Schiff vor der norwegischen Küste mit einer Ladung Holz, welche aus Russland nach England verkauft war. Der Kapitän veräußerte die Fracht in Norwegen. Der gutgläubige Käufer erwarb Eigentum nach norwegischem Recht. Er brachte die Ware nach England, wo der Erstkäufer ihn wegen conversion verklagte. Das englische Gericht nahm auf die Rechtssicherheit Rekurs: „We do not think that the goods which wrecked here would on that account be less liable to our laws as to market overt, because the owner did not foresee that they would come to England.“ Vgl. hierzu und zum Folgenden: Hanisch, Der Fall des Liotard und die nationale Zuordnung eines Kunstwerks, in: Frank, Recht und Kunst – Symposium aus Anlaß des 80. Geburtstags von Wolfram Müller-Freienfels, 1996, S. 19–36, S. 31; Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 250–251; Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 83–84; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 195; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 227–228; Stoll, Sachenrechtliche Fragen des Kulturgüterschutzes in Fällen mit Auslandsberührung, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes – Symposium vom 22./23. Juni 1990 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 53 ff., S. 59 f.; Jaeger, Internationaler Kulturgüterschutz – Rechtslage, Rechtspraxis, Rechtsfortentwicklung, 1994, S. 68; Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes, 1994, S. 171 f.; Byrne-Sutton, Le trafic international des biens vulturels sous l’angle de leur revendication par l’Etat d’origine – Aspects de droit international privé, 1988, S. 146 ff.; Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 89–92; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 138–141; Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35–52, S. 51. Kurpiers kritisiert, dass der Belegenheitsort beim Diebstahl bzw. der unrechtmäßigen Entziehungshandlung nicht nur zufällig sei, sondern manipulierbar bleibe. „Die gezielte Herbeiführung einer für den Gutglaubenserwerb günstigen Anknüpfungslage wird zwar wesentlich erschwert, jedoch sind Konstellationen denkbar, in denen dies möglich ist. Wenn ein Kunstwerk auf Ausstellungsreise in verschiedenen Ländern ist, so kann sich der Dieb das Land zur Begehung der Straftat aussuchen, das einen gutgläubigen Erwerb gestohlener
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nicht zwangsläufig besser gestellt würde.1412 „Man kann nämlich gar nicht mit Sicherheit vorhersagen, daß das dem Eigentümer vertraute Recht ihn besser schützt als das Recht am neuen Belegenheitsort.“ 1413 Maßgeblich ist insoweit allein, ob das Recht am Ort der unrechtmäßigen Entziehungshandlung eine neue dingliche Sachzuordnung trotz der Qualifikation als Abhandenkommen erlaubt und so bspw. einen gutgläubigen Erwerb auch gestohlener Kulturgüter kennt. „Dies führt zwar zu anderen, aber nicht unbedingt zu dem Kulturgutschutz besser dienlichen Ergebnissen als die Anknüpfung an den Lageort.“ 1414 568
Gewiss wurde bei Applikation der lex furti in der Winkworth-Konstellation 1415 eine Besserstellung des Eigentümers und damit auch des Kulturgüterschutzes erreicht, da die Kunstwerke in England gestohlen wurden und der Common LawRechtskreis im Grundsatz einen gutgläubigen Erwerb gestohlener Kulturgüter ausschließt. Anders wird das Ergebnis aber ausfallen, wenn Kulturgüter unter Geltung einer Rechtsordnung gestohlen werden oder abhandenkommen, die eine neue Sachzuordnung auch unrechtmäßig entzogener Kulturgüter erlaubt, während die neue Rechtsordnung nach einem Statutenwechsel einen gutgläubigen rechtsgeschäftlichen Erwerb und eine originäre Eigentumsersitzung ausschließt und keine Verjährung oder Verwirkung des kulturellen Restitutionsanspruchs
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Sachen gestattet oder eine nur kurze Ersitzungsfrist kennt. Eigentümer von Kunstwerken, die sie zu Ausstellungszwecken in ein anderes Land bringen, werden dann Länder meiden, nach deren Rechtsordnungen sie ihr Eigentum verlieren könnten. Zu denken ist an die immer weiter steigende Bedeutung des internationalen Leihverkehrs und die Versicherungssummen, die für eine Ausstellung in Italien aufgebracht werden müßten.“ Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 138–141. „Der Belegenheitsort kann auch bei der vorgeschlagenen Anknüpfungsregel zufällig sein. Dies ist dann der Fall, wenn das Kunstwerk sich z.B. auf einer Ausstellungsreise befindet und nur für eine kurze Zeit in dem jeweiligen Land verbleibt. Zur Verdeutlichung soll der folgende Beispielsfall dienen: Der deutsche Eigentümer eines Kunstwerks leiht dieses an ein italienisches Museum aus, damit es dort für einen Monat der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden kann. In dieser Zeit wird es gestohlen und sogleich nach Deutschland gebracht. In Deutschland wird das Kunstwerk an einen Gutgläubigen veräußert. Der deutsche Eigentümer begehrt dort die Herausgabe. Folgt man der Anknüpfung an den Ort des Diebstahls, so ist auf den Erwerbsvorgang italienisches Recht anwendbar, das den gutgläubigen Erwerb gestohlener Sachen gemäß Artt. 1153, 1154 C.c.it, gestattet. Das Eigentum wäre verloren und die Wertung des § 935 Abs. 1 BGB zugunsten des bestohlenen Eigentümers ausgehebelt.“ Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 138–141. So Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 83–84. So Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 195. Vgl. ausführlich zur Applikation der lex furti auf die Winkworth-Konstellation 3, 556.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
781
kennt. Rechtsdogmatischer Hintergrund ist, dass es der lex furti jedoch nicht um die aus Kulturgüterschutzgesichtspunkten günstigste, sondern sachnächste und engste Rechtsordnung zu einem Sachverhalt geht. Dies wird ersichtlich, wenn man die britische Winkworth-Konstellation mit der amerikanischen Entscheidung Kunstsammlungen zu Weimar v. Elicofon 1416 kontrastiert – hier hätte die lex furti zu einem ungünstigeren Ausgang der Restitutionsstreitigkeit aus Sicht des Anspruchstellers als bei Anwendung der lex rei sitae geführt.1417 Das amerikanische Gericht hatte bekanntlich zu untersuchen, ob Mr. Elicofon in den Vereinigten Staaten von Amerika gegen Ende des Zweiten Weltkriegs zwei in Deutschland unrechtmäßig entzogene Kunstwerke von Albrecht Dürer gutgläubig von einem ehemaligen Soldaten in New York erwerben konnte. Hier hätte die Applikation der lex furti – anders als in der Winkworth-Konstellation und anders als die der lex rei sitae folgenden Richter in der vorliegenden Entscheidung – dazu geführt, dass den Kunstsammlungen an den unmittelbar im Anschluss an den Zweiten Weltkrieg in Deutschland abhandengekommenen Porträts kein Restitutionsrecht zugestanden hätte, weil das Recht am Diebstahlsort, also deutsches Recht, maßgeblich gewesen wäre und der Beklagte Elicofon die beiden bereits im Jahre 1946 von ihm erworbenen Dürer-Porträts nach § 937 BGB längst gutgläubig ersessen gehabt hätte. Somit wäre in der Fallkonstellation Kunstsammlungen zu Weimar v. Elicofon bei Applikation des Rechts des Diebstahlsorts eine Schlechterstellung der Rechtsposition des ursprünglichen Eigentümers eingetreten und hätte diesem zum Schaden gereicht 1418, weil nach der Rechtsordnung Deutschlands der Herausgabeanspruch des ursprünglichen Eigentümers, der Kunstsammlungen zu Weimar, hätte abgelehnt werden müssen, während bei Anwendung der lex rei sitae das amerikanische Gericht auf Restitution entscheiden durfte.1419
569
Dieses Ergebnis ist nach den Befürwortern der lex furti jedoch richtig und kollisionsrechtlich ‚gerecht‘, da die Kunstsammlungen zu Weimar als Eigentümerin in der vorliegenden Konstellation nicht damit haben rechnen dürfen, dass die Porträts unter einem den Eigentümerschutz stärker berücksichtigenden Statut erworben würden, und sie diesbezüglich dementsprechend auch kein schutzwür-
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Kunstsammlungen zu Weimar v. Elicofon, 536 F. Supp. 829 auf Seite 840 (EDNY 1981), 678 F.2d, 1164. Vgl. ausführlich hierzu 3, 82 ff. So auch Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 84; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 181–186. So Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 84; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 181–186. Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 195.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
diges Vertrauen haben.1420 Die Entscheidung verdeutlicht aber, dass die Beurteilung nach dem Recht des Diebstahlsortes nicht immer den ursprünglichen Eigentümer begünstigt und der Vorwurf, der locus rei sitae sei ein zu sehr vom Zufall abhängiger Ort, um die Anwendung der lex rei sitae für internationale Transaktionen in rem anzuwenden, analog auf die kollisionsrechtliche Sonderanknüpfung an den Diebstahlsort zu übertragen ist.1421
b)
Alternativanknüpfung von ‚lex rei sitae‘ und ‚lex furti‘
571
Eine generelle Bevorzugung der Interessen ursprünglicher Eigentümer unrechtmäßig entzogener Objekte und des Kulturgüterschutzes wäre insofern nur durch eine Alternativanknüpfung von lex rei sitae und lex furti zu erreichen.1422 So hat bspw. das belgische IPR in Art. 92 ein Wahlrecht des ursprünglichen Eigentümers zwischen dem Recht des Staats, in dem der Diebstahl stattgefunden hat, und dem Recht des Staats, in dem sich das Kulturgut im Zeitpunkt der Rückforderung befindet, statuiert.1423 In ähnlicher Weise eröffnet die UNIDROIT-Convention on Stolen or Illegally Exported Cultural Objects (Rome) vom 24. Juni 1995 in Art. 9 Abs. 1 den Vertragsstaaten die Möglichkeit, nach dem Grundsatz der favor legis nationalis anstelle ihrer eigenen Regelungen auf für die Restitution günstigere nationale Bestimmungen zurückzugreifen.1424
572
Ob eine solche Rechtswahl noch dem Gerechtigkeitsgehalt des internationalen Privatrechts entsprechen würde, ist jedoch fraglich und könnte sich nicht nur an einer nicht gerechtfertigten Überbewertung der Eigentümerinteressen gegenüber den Erwerberinteressen, sondern ebenso an dem auch im internationalen Kunstmarkt notwendigen Bedürfnis nach Rechtssicherheit stoßen.1425 Nach dem
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Vgl. Mansel, DeWeerth v. Baldinger – Kollisionsrechtliches zum Erwerb gestohlener Kunstwerke, IPRax 1988, S. 268–271, S. 271, so auch Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 181–186. Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff., S. 3582; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 167. In diesem Sinne wohl Reichelt, Kulturgüterschutz und Internationales Privatrecht, IPRax 1986, S. 73–75, S. 74; Reichelt, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, in: Sladek, Das kulturelle Erbe im Risiko der Modernität: Salzburger Symposium 1992, 1993, S. 61 ff., S. 63; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 181–186. Vgl. Siehr, Internationales Sachenrecht. Rechtsvergleichendes zu seiner Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, ZVglRWiss 104 (2005), S. 145–162, S. 152; Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 279–281. Vgl. auch Thorn, Internationaler Kulturgüterschutz nach der UNIDROIT-Konvention, 2005, S. 108; Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 279–281. Vgl. Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungs-
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
783
Grundgedanken der Gleichwertigkeit aller Rechtsordnungen sollte kollisionsrechtlich nur das sachlich nächste, nicht aber das für den ursprünglichen Eigentümer günstigste oder ‚beste‘ Recht ermittelt werden.1426
c)
Zusammenfassende Bewertung
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass eine Anknüpfung an den Ort der unrechtmäßigen Entziehungshandlung kultureller Güter – die sog. lex furti – eine leicht zu bestimmende Rechtswahl für das zur Entscheidung berufene Gericht ermöglicht und den Eigentümerschutz in vielen Fällen durch den nahezu vollständigen Ausschluss der Möglichkeit der manipulativen Einflussnahme (d.h. mala fides) auf das Anknüpfungsmoment im internationalen Kunsthandel stärkt. Ebenso wie bei Anwendung der lex rei sitae bleibt die Rechtswahl jedoch weiterhin vom Zufall abhängig und der Kulturgüterschutz bestimmt sich danach, ob die Rechtsordnung der unrechtmäßigen Entziehungshandlung eine neue dingliche Sachzuordnung auch bei gestohlenen Kulturgütern zugunsten eines gutgläubigen Erwerbers bzw. Besitzers erlaubt oder die Interessen des ursprünglichen Eigentümers wahrt. Umfassender gestaltet sich der Rechtsschutz grundsätzlich nur für solche Rechtsordnungen, die ihre Kulturgüter zu res extra commercium designieren. Hier führt die Anknüpfung an den Ort der unrechtmäßigen Entziehungshandlung, wenn dieser mit dem Heimatrecht des kulturellen Ursprungsstaates identisch ist, zu einer Anerkennung der Extrakommerzialität auch im Ausland.1427 Bei einer Gesamtschau des internationalen illegalen Kulturgüterverkehrs nimmt der unrechtmäßige Transfer von Kulturgütern als res extra commercium insgesamt jedoch nur ein geringes Volumen ein, sodass die Nachteile einer Anknüpfung an den Ort der unrechtmäßigen Entziehungshandlung insbesondere hinsichtlich der Verkehrs- und Rechtssicherheit des Kunstmarktes die nur eingeschränkten Vorteile eher überwiegen.1428
573
Da von Teilen des Schrifttums bei einer Anknüpfung an den Ort der unrechtmäßigen Entziehungshandlung positiv hervorgehoben wird, dass die lex furti mit der Rechtsordnung des Herkunftsstaats – also der sog. lex originis – zusammen-
574
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1428
gesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rdnr. 200; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 233; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 181–186. Vgl. Kienle/Weller, Die Vindikation gestohlener Kulturgüter im IPR, IPRax 2004, S. 290– 294, S. 292; Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 279–281. Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 181–186. So bspw. auch Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 181–186.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
falle und so eine Anknüpfung an den Ort der unrechtmäßigen Entziehungshandlung schließlich dazu führe, dass die Protektionsmechanismen der nationalen Kulturgüterschutzgesetze auch im Ausland Anwendung fänden,1429 wird ersichtlich, dass hinter der Anknüpfung an den Diebstahlsort eigentlich der Wunsch steht, nationale Kulturgüterschutzvorschriften extraterritorial zur Anwendung zu bringen.1430 Da jedoch die lex furti und die lex originis nicht immer identisch sind – man denke nur an die Beispiele, dass ins Ausland verliehene Kulturgüter gestohlen oder nach einer zeitlich befristeten Ausfuhrgenehmigung nicht in den kulturellen Ursprungsstaat zurückgebracht, sondern in einen Drittstaat veräußert werden – zeigt sich, dass die Anknüpfung an den Ort der unrechtmäßigen Entziehungshandlung nicht die für das Internationale Kulturgüterprivatrecht sachgerechte alternative Rechtswahl ist und im Grund ‚auf halbem Wege‘ stehen bleibt. Zum ‚großen Wurf‘ und der dementsprechenden Rechtswahl nach der lex originis wird nach der Diskussion einer fiktiven Immobilität unrechtmäßig entzogener Kulturgüter Stellung bezogen.
V.
Fiktive Immobilität unrechtmäßig entzogener Kulturgüter
Schrifttum: Anton, Special Conflict Rules in the Private International Law of Property concerning International Art Trade in Stolen Works of Art, LL.M. Thesis 2005, University of Johannesburg, South Africa; Byrne-Sutton, le trafic international des biens vulturels sous l’angle de leur revendication par l’Etat d’origine – Aspects de droit international privé, 1988, S. 142 ff.; Fechner, Prinzipien des Kulturgüterschutzes – Eine Einführung, in: Fechner/Oppermann/Prott, Prinzipien des Kulturgüterschutzes – Ansätze im deutschen, europäischen und internationalen Recht, 1996, S. 11–45, S. 33; Gonzalez-Campos/Virgos-Soriano, Le commerce international de l’art en droit espagnol, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 333–355, S. 350; Grammaticaki-Alexiou, The Status of Cultural Property in Greek Private International Law, Revue Hellénique de Droit International 47ème Année (1994), S. 139–160, S. 147–148; Jayme, „Entartete Kunst“ und Internationales Privatrecht (1994), in: Jayme, Nationales Kunstwerk und Internationales Privatrecht – Vorträge, Aufsätze – Gutachten, Gesammelte Schriften, 1998, S. 109–130, S. 122; Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/ Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff., S. 44–45; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 228–230; Prott, Problems of Private International Law for the Protection of the Cultural Heritage, Recueil des Cours – Collected Courses of the Hague Academy of International Law 1989 V 217, S. 215–317, S. 240; Prott/O’Keefe, Law and the Cultural Heritage – Volume 3: Movement, 1989, Rdnr. 927; Reichelt, International Protection of Cultural Property, Revue de droit uniforme/Uniform Law Review (UNIDROIT), Semestrielle – Biannual (1985-I), S. 42–153, S. 99; Reichelt, Kulturgüterschutz und Internationales Privatrecht, IPRax 1986, S. 73–75; Reichelt, Kulturgüterschutz und
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1430
So ausdrücklich bspw. Byrne-Sutton, Le trafic international des biens vulturels sous l’angle de leur revendication par l’Etat d’origine – Aspects de droit international privé, 1988, S. 147, S. 151. So Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 181–186.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
785
Internationales Verfahrensrecht, IPRax 1989 (Heft 4), S. 254–255; Siehr, Die EG-Richtlinie von 1993 über die Rückgabe von Kulturgütern und der Kunsthandel, in: Reichelt, Neues Recht zum Schutz von Kulturgut. Internationaler Kulturgüterschutz. EG-Richtlinie, UNIDROIT-Konvention und Folgerecht, 1997, S. 29–43, S. 38; Reichelt International Protection of Cultural Property, Revue de droit uniform/Uniform Law Review, 1985-I, S. 42–153, S. 97 ff.; Spaun, Der Herausgabeanspruch bei Diebstahl oder illegalem Export von Kulturgütern, 2003, S. 154–155; Spinellis, Das Vertrags- und Sachenrecht des internationalen Kunsthandels – zugleich ein Beitrag zur Bedeutung der Eingriffsnormen im heutigen internationalen Rechtsverkehr, 2000, S. 392; Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 76; Stoll, Sachenrechtliche Fragen des Kulturgüterschutzes in Fällen mit Auslandsberührung, in: Dolzer/ Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes – Symposium vom 22./23. Juni 1990 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 53 ff., insb. S. 57; Strauch, Rechtsverhältnisse an Kulturgütern im Internationalen Sachenrecht, 2007, S. 103–104; Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 33 f.; von Schorlemer, Internationaler Kulturgüterschutz – Ansätze zur Prävention im Frieden sowie im bewaffneten Konflikt, 1992, S. 65 ff.; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 189–193; Weisflog, Der Schutz des Erwerbers beweglicher Sachen vom Nichteigentümer im internationalen Privatrecht, 1930, S. 30–33; Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 9 und S. 165–169.
Alternativ wird die Anknüpfung an den Diebstahlsort durch eine fiktive Immobilisierung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter erwogen.1431 Ebenso wie die kollisionsrechtliche Anknüpfung des Erwerbsstatuts an den Diebstahlsort zielt die „fingierte Immobilität“ von Kulturgütern auf die Anwendung der Sachenrechtsordnung desjenigen Staates, in dem das Kulturgut unrechtmäßig entzogen wurde. Rechtsmethode stellt hier eine fiktive Kontinuität und Permanenz eines kulturellen Gutes als bewegliche Sache zu demjenigen Grundstück und derjenigen Rechtsordnung dar, von dem und aus der es unrechtmäßig entzogen wurde. Kulturgüter sollen danach bei der kollisionsrechtlichen Rechtswahl wie Immobilien behandelt und unwandelbar an einen bestimmten Lageort angeknüpft werden,1432 um unter Beibehaltung der traditionellen lex rei sitae-Regel nach Art. 43 Abs. 1 EGBGB eine Anknüpfung an das Heimatrecht des Kulturguts zu erreichen.1433 1431
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Vgl. j.m.w.N. Reichelt, Kulturgüterschutz und Internationales Privatrecht, IPRax 1986, S. 73–75, S. 74; Grammaticaki-Alexiou, The Status of Cultural Property in Greek Private International Law, Revue Hellénique de Droit International 47ème Année (1994), S. 139–160, S. 147–148; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 228–230; Spaun, Der Herausgabeanspruch bei Diebstahl oder illegalem Export von Kulturgütern, 2003, S. 154–155. Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 189–193. In diesem Sinne Reichelt, International Protection of Cultural Property, Revue de droit uniforme/Uniform Law Review (UNIDROIT), Semestrielle – Biannual (1985-I), S. 42–153, S. 99; Reichelt, Kulturgüterschutz und Internationales Privatrecht, IPRax 1986, S. 73–75, S. 74; Reichelt, Kulturgüterschutz und Internationales Verfahrensrecht, IPRax 1989 (Heft 4), S. 254–255, S. 255; Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschafts-
575
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Eine solche alternative Anknüpfungsmethode leuchtet innerhalb des Internationalen Kulturgüterprivatrechts insbesondere dann ein, wenn der Erhalt eines Ensembles betroffen ist, in dessen Kontext ein Kulturgut eingebettet ist.1434 576
Rechtskonstruktiv bleibt bei der Anknüpfung aller Einzelbestandteile an den Lageort eines kulturellen Gesamtensembles unabhängig von dem jeweiligen tatsächlichen Belegenheitsort der einzelnen beweglichen Kulturgegenstände die lex rei sitae-Regel aufrechterhalten, materiell-inhaltlich kommt die fiktive Immobilisierung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter im Ergebnis aber einer Anknüpfung an das ,,Heimatrecht“ des Kulturgutensembles und damit einer Rechtswahl nach der lex originis gleich. „Das Kunstwerk erhält dann ein immobiles, d.h. nicht veränderbares Heimatrecht“.1435 Einen neuen Inhalt erhält lediglich der situs des betroffenen Kulturguts: „Die Belegenheit des Kulturguts wird in einem anderen Staat als statisch fingiert.“ 1436 Diejenigen Teile der Literatur, die eine solche alternative Anknüpfungsmethode unterstützen, haben inzwischen die fiktive Immobilisierung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter auf andere Objekte als „kulturelle Gesamtensembles“ erweitert.1437 So wurden bspw. nicht nur archäologische Gegenstände unabänderlich mit ihrem Fundort verbunden, sondern auch Sakralgegenstände, die Gegenstand eines ausgeübten Kultes sind, gehören nach Ansicht Jaymes „ihrer Natur nach dorthin, wo sie ihre Funktionen entfalten können.“ 1438
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forum Heidelberg, 1994, S. 35 ff., S. 44 f.; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 228 f. So insbesondere Reichelt, Kulturgüterschutz und Internationales Verfahrensrecht, IPRax 1989 (Heft 4), S. 254–255; Reichelt, International Protection of Cultural Property, Revue de droit uniforme/Uniform Law Review (UNIDROIT), Semestrielle – Biannual (1985-I), S. 42–153, S. 99; vgl. auch Jayme, „Entartete Kunst“ und Internationales Privatrecht (1994), in: Jayme, Nationales Kunstwerk und Internationales Privatrecht – Vorträge, Aufsätze – Gutachten, Gesammelte Schriften, 1998, S. 109–130, S. 122. Vgl. Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff., S. 44; Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 165–169. Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 165–169. Die Idee ist älter, Weisflog, Der Schutz des Erwerbers beweglicher Sachen vom Nichteigentümer im internationalen Privatrecht, 1930, S. 30–33, verweist auf Ansichten der Diskussion in den 1920er und 30er Jahren. Bei Weisflog, Der Schutz des Erwerbers beweglicher Sachen vom Nichteigentümer im internationalen Privatrecht, 1930, S. 33 taucht auch bereits das immer noch zitierte Beispiel der nach dem französischen Code civile immobilen Brieftaube auf, die nicht dadurch mobil werde, dass sie sich ins Ausland verfliegt. Das Beispiel findet sich in der Literatur auch mit Bienenkörben. Vgl. zum Ganzen auch Strauch, Rechtsverhältnisse an Kulturgütern im Internationalen Sachenrecht, 2007, S. 103–104. Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes,
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
1.
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‚Ville de Genève et Fondation Abegg c. Consorts Margail‘: Immobilisierung unrechtmäßig entzogener Fresken durch die Cour d’Appel de Montpellier
Die französische Cour d’Appel de Montpellier hat in der Entscheidung Ville de Genève et Fondation Abegg c. Consorts Margail vom 18.12.1984 1439 den Gedanken einer rechtlichen Fiktion der Immobilität kultureller Wertgegenstände aufgegriffen.1440
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In dieser Fallkonstellation waren romanische Fresken im Jahre 1954 aus dem Innern einer profanierten französischen Kapelle in Casenoves (Roussillon) ohne Erlaubnis und ohne die erforderliche Zustimmung einiger Miteigentümer von den Wänden gelöst worden.1441 Obwohl der Besitzer seitens des örtlich zuständi-
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Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff., S. 44. Dames Margail contre Ville de Genève et Fondation Abegg, Tribunale de Grande Instance de Perpignan vom 25.6.1984 (nicht veröffentlicht), bestätigt durch Cour d’Appel de Montpellier vom 18.12.1984, D. 1985, 207 mit Note Maury, S, 210; Cour de Cassation ass. Pl. vom 15.4.1988, D. 1988, 325 mit Note von Maury, S. 329. Weitere Quellen hierzu: Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 228–230; Stoll, Sachenrechtliche Fragen des Kulturgüterschutzes in Fällen mit Auslandsberührung, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes – Symposium vom 22./23. Juni 1990 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 53 ff., S. 56–57; Reichelt, Kulturgüterschutz und Internationales Privatrecht, IPRax 1986, S. 73–75; Reichelt, Kulturgüterschutz und Internationales Verfahrensrecht, IPRax 1989 (Heft 4), S. 254–255; Reichelt, International Protection of Cultural Property, Revue de droit uniforme/Uniform Law Review (UNIDROIT), Semestrielle – Biannual (1985-I), S. 42–153, S. 99; Reichelt, Kulturgüterschutz und Internationales Privatrecht, IPRax 1986, S. 73–75, S. 74; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 189–193; Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 165–169; Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/ Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff., S. 43; Jayme, „Entartete Kunst“ und Internationales Privatrecht (1994), in: Jayme, Nationales Kunstwerk und Internationales Privatrecht – Vorträge, Aufsätze – Gutachten, Gesammelte Schriften, 1998, S. 109–130, S. 122; Fechner, Prinzipien des Kulturgüterschutzes – Eine Einführung, in: Fechner/Oppermann/Prott, Prinzipien des Kulturgüterschutzes – Ansätze im deutschen, europäischen und internationalen Recht, 1996, S. 11–45, 33; Prott, Problems of Private International Law for the Protection of the Cultural Heritage, Recueil des Cours – Collected Courses of the Hague Academy of International Law 1989 V 217, S. 215–317, S. 240; Strauch, Rechtsverhältnisse an Kulturgütern im Internationalen Sachenrecht, 2007, S. 103–104; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 12 f.; von Schorlemer, Internationaler Kulturgüterschutz – Ansätze zur Prävention im Frieden sowie im bewaffneten Konflikt, 1992, S. 65 ff.; Spaun, Der Herausgabeanspruch bei Diebstahl oder illegalem Export von Kulturgütern, 2003, S. 154; Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 154 f. Schon Ende der 1950er bis in die 1980er Jahre mussten französische Gerichte zu dieser Fallkonstellation Stellung beziehen, vgl. Cour d’Appel de Montpellier, 2.1.1963, Gaz. Pal.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
gen französischen Gerichts daraufhin zur Rückgabe der Fresken schon im Jahre 1957 verurteilt wurde 1442, verschwanden diese im „circuit commercial et secret des antiquaires spécialisés“ 1443 und gelangten in der Folge in die Schweiz, und zwar zum Teil in die Kunstsammlung des Werner Abegg im Kanton Bern und zum Teil in ein Museum der Stadt Genf.1444 Die schweizerische Stiftung Abegg und die Stadt Genf, in Frankreich auf Rückgabe der Fresken verklagt, wendeten die Unzuständigkeit der französischen Gerichte ein. Zur Entscheidung über die Zulässigkeit der Klage musste von dem französischen Zivilgericht entschieden werden, ob die Fresken als bewegliche oder unbewegliche Gegenstände zu qualifizieren waren, da entsprechend dem zur Zeit der Entscheidung noch geltenden Französisch-Schweizerischen Vertrag aus dem Jahre 1869 die Zulässigkeit der Klage hätte verneint werden müssen, wenn die Fresken nach der Entfernung aus der französischen Kapelle als bewegliche Sachen zu qualifizieren gewesen wären und zum Zeitpunkt der Klage nicht in Frankreich, sondern in der Schweiz belegen waren.1445 579
Sicherlich unbestritten mussten die Fresken vor ihrer Lösung von den Innenwänden der französischen Kapelle als unbewegliche Sachen zusammen mit der Kapelle selbst gelten. Die Frage, ob die Fresken nach Entfernung von den Wänden noch immer als unbewegliche, zum Grundeigentum der Kapelle zugehörige Immobilien anzusehen seien, war jedoch umstritten. Hintergrund der Entscheidung war, dass die französischen Gerichte nur bei einer Qualifikation der Fresken als Immobilie zivilverfahrensrechtlich zuständig und damit eigenständig fähig waren, kulturelle Güter der genannten Art für Frankreich zu schützen. Die Qualifizierung der Fresken als unbewegliches Kulturgut hätte nicht nur zur Folge gehabt, dass die internationale Zuständigkeit der französischen Gerichte für die Herausgabeklage gegen die Schweizer Erwerber rechtswirksam begründet, son-
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1963.1.193; Cour de Cass., 25.1.1965, D. 1965, 217. Nachdem die Fresken in die Schweiz transferiert worden waren, stellten sich besondere kollisionsrechtliche Probleme, vgl. hierzu Cour d’Appel de Montpellier, 18.12.1984, D. 1985, 208; Cour de Cass.ass.pl., 15.4.1988, D. 1988, 325. Die Cour d’Appel de Montpellier, auf deren Entscheidung in anderem Zusammenhang noch näher eingegangen werden soll, bemühte eine „fiction d’immobilisation“ der Fresken, um diese noch als in der französischen Kapelle belegen anzusehen, Cour d’Appel de Montpellier, 18.12.1984, D. 1985, 208 (209) – Ville de Genève et Fondation Abegg c. Consorts Margail. Ausführlich zum Ganzen auch Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 9. Vgl. Cour d’Appel de Montpellier, 18.12.1984, D. 1985, 208 (208) – Ville de Genève et Fondation Abegg c. Consorts Margail. Cour d’Appel de Montpellier, 18.12.1984, D. 1985, 208 (208) – Ville de Genève et Fondation Abegg c. Consorts Margail. Vgl. ausführlich zur Sachverhaltskonstellation auch Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 165–169. Nach Art. 4 des franko-helvetischen Staatsvertrages vom 15. Juni 1869 war die internationale Zuständigkeit französischer Gerichte nur im Falle eines dinglichen Anspruchs aus einer in Frankreich belegenen, unbeweglichen Sache zu bejahen.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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dern auch dass die Möglichkeit eines gutgläubigen Erwerbs der unrechtmäßig entzogenen Kulturgüter gemäß Art. 2278 Code civil ausgeschlossen gewesen wäre. Wohl auch aus diesem letztgenannten Grund bemühte die französische Cour d’Appel de Montpellier im auch sog. Fresques de Casenoves-Fall 1446 zum Schutze der aus der Kapelle von Casenoves entfernten Wandfresken ausdrücklich eine „fiction légale qui a pour effet de considérer comme des immeubles des choses qui, à s’en tenir à leur nature physique, n’en sont pas“ 1447. Die Richter waren hier der Ansicht, dass die als Bestandteil der Kapelle ursprünglich unbeweglichen Fresken nur mittels eines neuen Verfahrens von den Wänden hätten abgelöst werden können. Diese technische Neuerung konnte nach Ansicht des Gerichts jedoch nicht dazu führen, dass sie nun bewegliche Sachen seien. Deshalb seien die Fresken weiterhin als „immeubles par destination“ i.S.d. Art. 524-526 des französischen Code civil anzusehen, also als Sachen, die wegen ihrer Zweckverbindung mit einem Grundstück auch nach ihrer Trennung de iure als dessen Bestandteile zu gelten haben.1448
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Als Hintergrund dieser, an Kulturgüterschutzgesichtspunkten orientierten 1449 Rechtsqualifikation des Tribunale de Grande Instance de Perpignan und der Cour d’Appel de Montpellier wird in der Entscheidung der Cour d’Appel de Montpellier explizit der Schutz der Fresken zugunsten der profanierten Kapelle von Casenoves genannt: Allein die physische Entfernung der Fresken von der Kapelle genügte dementsprechend nach Ansicht des Gerichts nicht, sie zu beweglichen Sachen werden zu lassen, da nicht alle Eigentümer zugestimmt hatten: 1450
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„La fiction légale … a sa raison dans la volonté de donner à ces biens le statut des immeubles plus protecteur que celui des meubles, d’éviter la dissociation de choses dont la réunion présente un intérêt économique et sociale … La protection résultant de la fiction d’immobilisation est d’autant plus nécessaires à ces ensembles que les immeubles ou les sites naturels à caractère artistique, historique ou archéologique, sont de plus en plus exposés à des divertissements, des spoliations, voire à des pillages.“
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Dames Margail contre Ville de Genève et Fondation Abegg, Tribunale de Grande Instance de Perpignan vom 25.6.1984 (nicht veröffentlicht), bestätigt durch Cour d’Appel de Montpellier vom 18.12.1984, D. 1985, 207 mit Note Maury, S, 210; Cour de Cassation ass. Pl. vom 15.4.1988, D. 1988, 325 mit Note von Maury, S. 329. Weitere Quellen hierzu: Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 228–230; Reichelt, Kulturgüterschutz und Internationales Privatrecht, IPRax 1986, S. 73–75; Reichelt, Kulturgüterschutz und Internationales Verfahrensrecht, IPRax 1989 (Heft 4), S. 254–255. Cour d’Appel de Montpellier, 18.12.1984, D. 1985, 208 (209) – Ville de Genève et Fondation Abegg c. Consorts Margail – mit Anm. Maury D. 1985, 210. Dames Margail contre Ville de Genève et Fondation Abegg, Tribunale de Grande Instance de Perpignan vom 25.6.1984 (nicht veröffentlicht), bestätigt durch Cour d’Appel de Montpellier vom 18.12.1984, D. 1985, 207 mit Note Maury, S, 210. So zu Recht Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 229. Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 189–193.
790 583
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Damit folgte die Cour d’Appel de Montpellier bewusst einer rechtlichen Immobilisierung der Fresken, die sich rechtlich noch in der französischen Kapelle befinden sollten 1451, zum Schutz des kulturellen Gesamtensembles.1452 Die Entscheidung der Cour d’Appel de Montpellier fand in der kulturgüterspezifischen Literatur regen Zuspruch 1453 und könnte analog auch auf archäologische Kulturgüter und Schatzfunde erstreckt werden, die ebenso eine besondere, nicht allein durch den Abtransport zu zerstörende kulturelle Verbindung zu ihrem Fundort besitzen, die rechtlichen Schutzes bedarf. „Diese Entscheidung vereint viele Aspekte des nationalen und internationalen Kulturgüterschutzes. Sie zeigt, wie diese Zwecke auf die Auslegung der Kollisionsnormen einwirken.“ 1454 Rechtskonstruktiv begründete die Cour d’Appel de Montpellier dieses Ergebnis durch ein Neuverständnis der ‚richtigen‘ Qualifikation.1455 Ein konkreter Lebenssachverhalt oder eine bestimmte Rechtsfrage (hier: Fresken als Ensemble der Kapelle) mussten einer bestimmten kollisionsrechtlichen Verweisungsnorm (die Rechtsverhältnisse an unbeweglichen Sachen richten sich nach der lex rei sitae der Immobilie) zugeordnet werden.1456 In diesem Sinne qualifizierte der Appella-
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Jayme, „Entartete Kunst“ und Internationales Privatrecht (1994), in: Jayme, Nationales Kunstwerk und Internationales Privatrecht – Vorträge, Aufsätze – Gutachten, Gesammelte Schriften, 1998, S. 109–130, S. 122. Vgl. Spaun, Der Herausgabeanspruch bei Diebstahl oder illegalem Export von Kulturgütern, 2003, S. 154; Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 165–169. So insbesondere Reichelt, Kulturgüterschutz und Internationales Verfahrensrecht, IPRax 1989 (Heft 4), S. 254–255; Reichelt, International Protection of Cultural Property, Revue de droit uniforme / Uniform Law Review (UNIDROIT), Semestrielle – Biannual (1985–I), S. 42–153, S. 99; Fechner, Prinzipien des Kulturgüterschutzes – Eine Einführung, in: Fechner/Oppermann/Prott, Prinzipien des Kulturgüterschutzes – Ansätze im deutschen, europäischen und internationalen Recht, 1996, S. 11–45, 33). So Reichelt, Kulturgüterschutz und Internationales Privatrecht, IPRax 1986, S. 73–75, S. 74. Siehr, Internationales Privatrecht – deutsches und europäisches Kollisionsrecht für Studium und Praxis, 2001, § 49 II 1, S. 429. Zu eng Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, 9. Aufl. 2004, § 7 I, S. 327, wonach das Qualifikationsproblem ausschließlich die Frage der Systembegriffszugehörigkeit von Sachnormen betreffe; dagegen zu Recht Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, § 15 II 4, S. 118; Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 165–169. Zwar ist zu beachten, dass der Appellationsgerichtshof die Frage danach, ob die Fresken beweglich oder unbeweglich waren, im Rahmen seiner internationalen Zuständigkeit klärte und sich deshalb – an sich – einer Aussage über das anwendbare materielle Recht enthielt. Vgl. Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 165–169. Jedoch hat Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff., S. 44, zu Recht darauf hingewiesen, dass durch die Immobilisierung von Kulturgütern zum Zwecke der Jurisdiktion zugleich auch die lex rei sitae neu bestimmt wird.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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tionsgerichtshof die Fresken als unbewegliche Sachen, weil sie dem Ensemble der Kapelle, also einer unbeweglichen Sache per se, zugehörig seien.1457 Die Cour d’Appel de Montpellier erklärte damit die für Immobilien geltende Verweisungsnorm des Art. 3 Abs. 2 des französischen Code Civil – „Les immeubles, même ceux possédés par des étrangers, sont régis par la loi française.“ – auch für auf Kulturgüter anwendbar.1458
2.
Bewertung der fiktiven Immobilität
Bei Anwendung einer rechtsfiktiven Immobilisierung kultureller Güter zur Rechtsordnung ihres kulturellen Ursprungsortes stellt sich die Frage, ob eine solche (hier: französische) Entscheidung überhaupt im Ausland (hier: in der Schweiz) vollstreckt werden könnte.1459 Letztlich widersprach die Cour de Cassation in ihrer Entscheidung vom 15.4.1988 den Ausgangsentscheidungen aus rechtskonstruktiven Gründen.1460
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Der Generalanwalt stellte in seinen Schlussanträgen insbesondere heraus, dass nur eine „meuble par nature“ eine „immeuble par destination“ werden könne 1461, die vom Eigentümer zu einem wirtschaftlichen Zweck mit der unbeweglichen Sache verbunden worden sei. Eine „immeuble par destination“ sei dann durch ihre Verbundenheit „à leur fonds à perpétuelle demeure“ gekennzeichnet.1462 Dies treffe bei den Fresken aber nicht zu 1463, da diese vor ihrer Trennung
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Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 19; Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 165–169. Vgl. Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 165–169. So Reichelt, Kulturgüterschutz und Internationales Privatrecht, IPRax 1986, S. 73–75, S. 74; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 189–193. Im Verhältnis der Vertragsstaaten des EuGVÜ (bzw. des LGVÜ, heute der EuGVVO) zueinander könnte nach Ansicht von Siehr, Die EG-Richtlinie von 1993 über die Rückgabe von Kulturgütern und der Kunsthandel, in: Reichelt, Neues Recht zum Schutz von Kulturgut. Internationaler Kulturgüterschutz. EG-Richtlinie, UNIDROIT-Konvention und Folgerecht, 1997, S. 29–43, S. 38, die Entscheidung jedoch aufgrund der Art. 25 ff. EuGVÜ anzuerkennen und zu vollstrecken sein. Cour de Cass. ass. pl., 15.4.1988, D.1988, 325, 328–329 – Fondation Abegg c. Ville de Genève et autres; Ville de Genève c. Veuve Ribes et autres. Art. 524 franz. Code civile: (1) Les objets que le propriétaire dun fonds y a placés pour le service et l’exploitation de ce fonds, sont immeubles par destination. … (3) Sont aussi immeubles par destination, tous effets mobiliers que le propriétaire a attachés au fonds à perpétuelle demeure. Conclusions de M. Jean Cabannes, premier avocat général. D.1988, 325, 327–328, zitiert bei Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 165–169. Cass., Entsch. v. 15.4. 1988, D. S. 1988, 325 ff., 329.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
„immeuble par nature“ gewesen seien, d.h. Bestandteile der Kapellenwand.1464 Nur bewegliche Sachen könnten deshalb zu „immeubles par destination“ werden, wohingegen die Fresken früher ein fester integrierter Bestandteil des Gebäudes und daher „immeubles par nature“ gewesen waren und durch die Trennung zu beweglichen Sachen wurden.1465 Die Qualifizierung als „immeubles par destination“ scheiterte also daran, dass sich im Zeitpunkt ihres Anbringens niemand hätte vorstellen können, dass sie einmal würden entfernt werden können.1466 Damit lehnte die Cour de Cassation im Ergebnis eine rechtsfiktive Immobilisierung kultureller Güter ab, sodass im konkreten Fall auch nicht die Zuständigkeit französischer Gerichte gegeben war, die Fresken nicht dem französischen Schutz als „immeubles par destination“ i.S.d. Art. 524–526 des Code civil unterlagen und somit nicht als Sachen galten, die wegen ihrer Zweckverbindung mit einem Grundstück auch nach ihrer Trennung de iure als dessen Bestandteile gelten.1467 Die Klage wurde in der Schweiz später nicht weiterverfolgt.1468 586
Im kulturgüterspezifischen Schrifttum 1469 wurde die Entscheidung der Cour de Cassation als formalistisch und „wenig phantasiereiche Interpretation“ 1470 kriti-
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Vgl. schon Cour d’Appel de Montpellier, 18.12.1984, D.1985, 208, 208 – Ville de Genève et Fondation Abegg e. Consorts Margail: „… ce qui leur donnait un caractère d’immeuble par nature au même titre que les murs eux-mêmes.“. Conclusions de M. Jean Cabannes, premier avocat général. D.1988, 325, 327–328, zitiert bei Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 165–169. Prott, Problems of Private International Law for the Protection of the Cultural Heritage, Recueil des Cours – Collected Courses of the Hague Academy of International Law 1989 V 217, S. 215–317, S. 239; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 189–193. Cour de Cass. ass. pl., 15.4.1988, D.1988, 325 (328 f.) – Fondation. Abegg c. Ville de Genève et autres; Ville de Genève c. Veuve Ribes et autres. Vgl. hierzu Wiese, Der Einfluss des EGRechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 165–169; Spaun, Der Herausgabeanspruch bei Diebstahl oder illegalem Export von Kulturgütern, 2003, S. 154. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 229. Vgl. Prott/O’Keefe, Law and the Cultural Heritage – Volume 3: Movement, 1989, Rdnr. 927; Prott, Problems of Private International Law for the Protection of the Cultural Heritage, Recueil des Cours – Collected Courses of the Hague Academy of International Law 1989 V 217, S. 215–317, S. 240; Reichelt, Einführung in die Thematik, in: Reichelt, Internationaler Kulturgüterschutz – Wiener Symposium 18./19. Oktober 1990, 1992, S. 31–38, S. 33; Reichelt, International Protection of Cultural Property, Revue de droit uniforme/Uniform Law Review (UNIDROIT), Semestrielle – Biannual (1985-I), S. 42–153, S. 99; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 189–193. A.A.: Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 229 f.; ByrneSutton, Le trafic international des biens vulturels sous l’angle de leur revendication par l’Etat d’origine – Aspects de droit international privé, 1988; Stoll, Sachenrechtliche Fragen des Kulturgüterschutzes in Fällen mit Auslandsberührung, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes – Symposium vom 22./23. Juni 1990 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 53 ff., S. 57; Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 165–169.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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siert 1471 und die Gleichbehandlung kultureller Güter als res sui generis mit gewöhnlichen Mobilien und Konsumgütern bemängelt.1472 Insbesondere Prott kritisierte das Urteil und vermisste eine Reaktion der Rechtswissenschaft, wenn der Fortschritt in den technischen Möglichkeiten dazu führte, dass ehemals unbeweglichen Kunstgegenständen wie Fresken ein geringerer Schutz zukomme und sie daher in größerem Maße den Gefahren des illegalen Kunsthandels ausgesetzt seien.1473 Außerdem perpetuiere die Entscheidung ein widersprüchliches Ergebnis der französischen Rechtsordnung, wonach ein Kulturgut in stärkerem Maße geschützt wird, wenn es sich um eine bewegliche Sache handelt, die mit einer unbeweglichen Sache in dauerhafter Absicht verbunden wurde, als wenn etwas als fester Bestandteil einer unbeweglichen Sache geschaffen wird und aufgrund technischer Neuerungen später davon getrennt werden kann.1474 Im deutsch-sprachigen Rechtsraum setzte sich insbesondere Reichelt dafür ein, bewegliche Kulturgüter, die mit einer unbeweglichen Sache in Verbindung stehen, im Wege einer Gesamtqualifikation als unbewegliche Sache anzusehen und damit unwandelbar an das Belegenheitsstatut derselben anzuknüpfen.1475 An anderer Stelle geht Reichelt darüber hinaus und fordert eine völlige Aufgabe der Unterteilung von Kulturgütern in bewegliche und unbewegliche Sachen: „It therefore appears quite clear that a genuine international protection of cultural property calls for the abandoning of the distinction, in respect of such property, between movables and immovables, cultural property ought not to be accorded greater or lesser protection depending an whether it is an integral part of a whole or has been detached from it, or an whether it is qualified as movable or immov1470
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Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 189–193. Vgl. auch Prott: „… a result perhaps pleasing to adherents of strict interpretation of the Civil Code and limitation of legal fiction but disappointing to those who believe that laws are created to meet needs, and that developments … may need imaginative solutions.“ Prott/O’Keefe, Law and the Cultural Heritage – Volume 3: Movement, 1989, Rdnr. 927. Teilweise beschränkt sich dieser Vorschlag auf Sachen, die (wie Fresken, Mosaiken) Bestandteil des Gebäudes sind, solange sie nicht gewaltsam davon getrennt werden, also physisch mit diesem verbunden sind. Prott/O’Keefe, Law and the Cultural Heritage – Volume 3: Movement, 1989, Rdnr. 927. Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 189–193. Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 189–193. Vgl. Prott, Problems of Private International Law for the Protection of the Cultural Heritage, Recueil des Cours – Collected Courses of the Hague Academy of International Law 1989 V 217, S. 215–317, S. 240. Prott, Problems of Private International Law for the Protection of the Cultural Heritage, Recueil des Cours – Collected Courses of the Hague Academy of International Law 1989 V 217, S. 215–317, S. 240, darauf verweisend Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 189–193. Reichelt, Kulturgüterschutz und Internationales Verfahrensrecht, IPRax 1989 (Heft 4), S. 254–255.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
able property.“ 1476 Damit kann sie sich insbesondere auch auf die Rechtseinschätzung Merrymans stützen, der Kunstgegenstände, bei denen eine enge und notwendige Beziehung zu ihrem (früheren) Lageort besteht, als „culturally immovable“ bezeichnet, ohne allerdings eine kollisionsrechtliche Schlussfolgerung zu ziehen.1477 Noch einen Schritt weiter geht Fechner und immobilisiert nicht nur archäologische Artefakte 1478, sondern schlichtweg alle Kunstgegenstände, bei denen eine nur kulturelle Verbindung zu dem Gebäude besteht und die mit diesem als einheitliches Kulturgut (Ensemble) angesehen werden können.1479 Selbst Savigny liegt ein solcher Gedanke nicht fern, wenn „bewegliche Sachen eine Bestimmung erhalten haben, die sie an einen bleibenden Aufenthalt fest bindet. So geschieht es mit dem Mobiliar eines Hauses, mit einer daselbst aufgestellten Bibliothek oder Kunstsammlung, mit dem Inventar eines Landgutes.“ 1480 588
Andere Teile des Schrifttums folgen der Entscheidung der Cour de Cassation und lehnen eine rechtsfiktive Immobilisierung kultureller Güter sowohl für den Ensembleschutz als auch generell ab.1481 Vor dem Hintergrund international-privatrechtlicher Gerechtigkeit könne die Respektierung von Vorschriften, die bewegliche Kulturgüter dauerhaft einem (ausländischen) Grundstück rechtlich zuordnen, von dem aktuellen Belegenheitsstaat allenfalls dann erwartet werden, wenn sich solche Kulturgüter nur vorübergehend außerhalb des kulturellen 1476
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1480 1481
Reichelt, International Protection of Cultural Property, Revue de droit uniforme/Uniform Law Review (UNIDROIT), Semestrielle – Biannual (1985-I), S. 42–153, S. 99. Zum Ganzen ausführlich bei Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 189–193. Fechner, Rechtlicher Schutz archäologischen Kulturguts – Regelungen im innerstaatlichen Recht, im Europa- und Völkerrecht sowie Möglichkeiten zu ihrer Verbesserung, 1991, S. 106. Dies entspricht einer Anknüpfung ihrer dinglichen Rechtsverhältnisse an das Recht ihres Fundorts. Fechner, Rechtlicher Schutz archäologischen Kulturguts – Regelungen im innerstaatlichen Recht, im Europa- und Völkerrecht sowie Möglichkeiten zu ihrer Verbesserung, 1991, S. 33. Allerdings wurde es in Großbritannien vom Secretary of State for the Environment abgelehnt, die in einem von dem Auftraggeber eigens für sie errichteten Tempel ausgestellte Statuengruppe ‚Die drei Grazien‘ von Canova deswegen als unbeweglich anzusehen, vgl. O’Keefe, Formulating General Principles by Reference to International Standards. An Example from the Council of Europe, in: Fechner/Oppermann/Prott, Prinzipien des Kulturgüterschutzes – Ansätze im deutschen, europäischen und internationalen Recht, 1996, S. 277–294, S. 279. Zum Ganzen ausführlich bei Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 189–193. Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Band VIII, 1849, S. 179. Siehe nur Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 229 f.; Stoll, Sachenrechtliche Fragen des Kulturgüterschutzes in Fällen mit Auslandsberührung, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes – Symposium vom 22./23. Juni 1990 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 53 ff., S. 57; Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 165–169; Strauch, Rechtsverhältnisse an Kulturgütern im Internationalen Sachenrecht, 2007, S. 103–104.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
795
Ursprungsstaates befinden.1482 „Ist aber der Statutenwechsel definitiv, dann muß der Verkehrsschutz nach dem am neuen Lageort geltenden Recht den Vorrang haben.“ 1483 Im Falle eines definitiven Statutenwechsels wird die Verbindung zu dem Grundstück aufgrund einer fiktiven Immobilitätsbestimmung in der Tat endgültig aufgehoben sein und es bestehen keinerlei Anhaltspunkte mehr, die eine entsprechende dauerhafte rechtliche Zuordnung (auch per Fiktion) über Ländergrenzen hinaus legitimieren könnten.1484 „In dieser Situation ist auch das berechtigte Interesse an einem wirksamen Ensembleschutz für Kulturgüter kein Argument für die … Fiktion der andauernden Immobilität von widerrechtlich entfernten Teilen.“ 1485 Außerdem darf im Internationalen Kulturgüterprivatrecht und bei unrechtmäßig entzogenen Kulturgütern im internationalen illegalen Kunsthandel der Schutz nicht davon abhängen, ob eine rechtsfiktive Immobilisierung prinzipiell beweglicher Kulturgüter möglich ist. Die enge kulturelle Verbindung zum Herkunftsort ist nämlich ein Gesichtspunkt, der auch bei andern Kulturgütern und nicht nur bei denen zum Tragen kommt, die einmal Bestandteil eines Grundstücks waren.1486 Überhaupt lässt sich damit das sachenrechtliche Konzept der Zusammengehörigkeit eines Grundstücks mit den dazuzählenden Zubehörstücken nicht auf eine allgemeine Verbundenheit eines Staatsterritoriums mit seinem kulturellen Erbe übertragen.1487
589
Eine besondere rechtliche Behandlung kultureller Güter im Kollisionsrecht darf somit nicht davon abhängen, ob bestimmte Güter als beweglich oder unbeweglich qualifiziert werden. Der Versuch der Cour d’Appel de Montpellier, alle Sachen, die eine enge kulturelle Verbindung zu ihrem Herkunftsort haben, generell zu Immobilien zu erklären 1488, wird von Siehr zu Recht so beschrieben, dass
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Vgl. Stoll, Sachenrechtliche Fragen des Kulturgüterschutzes in Fällen mit Auslandsberührung, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes – Symposium vom 22./23. Juni 1990 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 53 ff., S. 57: mit Hinweis auf die analoge Situation in Fällen hypothekarischer Mithaftung des Grundstückzubehörs. Stoll, Sachenrechtliche Fragen des Kulturgüterschutzes in Fällen mit Auslandsberührung, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes – Symposium vom 22./23. Juni 1990 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 53 ff., S. 57. Diese Argumentation wird auch von Spaun, Der Herausgabeanspruch bei Diebstahl oder illegalem Export von Kulturgütern, 2003, S. 155, aufgegriffen. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 229–230. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 229–230. So zu Recht Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 33 f., der der Frage von Kulturgütern als Pertinenzen des Territoriums des Schutzstaates nachgeht. Vgl. auch Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 165–169. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 229–230.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
„without clear guidance by statutes or international conventions courts tend to hide their policies, prejudices and parochial attitudes behind a wonderful screen of judicial piecemeal arguments“. Der Wunsch, durch die rechtliche Immobilisierung beweglicher Kulturgüter nationale Schutzvorschriften extraterritorial zur Anwendung zu bringen, verdeutlicht – ebenso wie bei dem Versuch der Rechtswahl nach der lex furti – das eigentliche Bestreben, die Rechtsordnung des Herkunftsstaats – also die sog. lex originis – und eine Anwendung seiner Protektionsmechanismen und nationalen Kulturgüterschutzgesetze auch im Ausland zu erreichen. Die Immobilisierung kultureller Güter, die zu einem kulturellen Gesamtensemble gehören, bleibt, ebenso wie die lex furti, im Grunde ‚auf halbem Wege‘ stehen. Zum ‚großen Wurf‘ und zu der Rechtswahl nach der lex originis wird deshalb sogleich unter Punkt VI. Stellung bezogen. 591
Aus den vorgenannten Gründen lehnte wohl auch der Londoner High Court of Justice in der englischen Rechtssache The Islamic Republic of Iran v. Berend aus dem Jahr 2007 1489 die Immobilisierung eines Reliefs nach dessen Abtrennung von der ursprünglichen Wand ausdrücklich ab. Die Parteien stritten sich um ein Kalksteinrelief aus der Zeit der altpersischen Residenzstadt Persepolis, gegründet im Jahre 520 v. Chr. im Süden des heutigen Iran in der Region Persis. Das Relief wurde von Denyse Berend im Jahre 1974 bei einer Versteigerung in New York erworben und hing seit diesem Zeitpunkt seit inzwischen mehr als 30 Jahren in ihrer Pariser Wohnung. Im Jahre 2005 lieferte die inzwischen 85-jährige Witwe das Relief bei Christie’s in London zur Auktion ein, jedoch wurde die Versteigerung am 19. April per einstweiliger Verfügung durch den Iran verhindert. Iran strengte in der Folge die Restitution des Objektes als Teil seines nationalen Kulturpatrimoniums an und stützte sich dabei auf seine nationalen Kulturgüterschutzvorschriften. Hier lehnte der Londoner High Court of Justice ausdrücklich die Qualifikation als Immobilie ab: „as a matter of English law and of French law the fragment ist to be charaterized as movable Property.“
§ 13 Ergebnis: Alternative Anknüpfungsmaximen in der rechtswissenschaftlichen und praktischen Diskussion 592
Nachdem voranstehend in § 12 als Ergebnis festgestellt werden konnte, dass die Qualifikation einer ausländischen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter als ordre public-widrig nicht über einen Einzelfall-Nutzen hinausgeht und die ordre public-Kontrolle als der noch unfertige Teil des internationalen Privatrechts erkannt wurde, genügt es heute nicht mehr, dass ausnahmsweise fundamental gerechtigkeitswiderstrebende Rechtswahlprozesse im internationalen Kulturgüter- und Denkmalschutzrecht im Einzelfall kuriert werden, sondern es ist an der ‚Wurzel des Problems‘, dem Rechtswahlprozess im Internationalen
1489
The Islamic Republic of Iran v. Berend, [2007], EWHC 132 (QB).
§ 13 Ergebnis: Alternative Anknüpfungsmaximen
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Kulturgüterprivatrecht selbst, anzusetzen. Den voranstehenden Ausführungen wurde dementsprechend der Untersuchungsauftrag auferlegt, für das Internationale Kulturgüterprivatrecht alternative Anknüpfungsmaximen zur lex rei sitae zu suchen, die einen fairen und gerechten Ausgleich finden zwischen den Bedürfnissen der im internationalen Kunstmarkt Beteiligten und der Rechtssicherheit einerseits und den Interessen des Kulturgüterschutzes an der Bewahrung und Erhaltung kultureller Wertgegenstände und den Anliegen der (ursprünglichen) Eigentümer an der Wiedererlangung ‚ihrer‘ unrechtmäßig entzogenen Kulturgüter andererseits. So machte bspw. Mansel den Vorschlag der generellen Anwendung der für den Kulturgüterschutz günstigeren lex fori, da sich einige nationale Sachenrechtsordnungen für den Kulturgüterschutz günstiger auswirken als andere und deren materiell-rechtliche Sachzuordnungsregeln eher den ursprünglichen Eigentümer unrechtmäßig entzogener Kulturgüter als den gutgläubigen Erwerber oder aktuellen Besitzer schützen. Die für den Kulturgüterschutz und ursprünglichen Eigentümer günstigere materiell-rechtliche Wertung würde so auch im Kollisionsrecht Geltungskraft erlangen und bei einer Klage in einer Rechtsordnung, deren lex fori sich günstiger auf den Kulturgüterschutz auswirkt als die hergebrachte Rechtswahl nach der lex rei sitae, müsse stets der restriktiven lex fori gefolgt werden.
593
Ein solcher Ansatz würde aber vehement dem objektiven Interesse an Rechtssicherheit im Kunstmarkt widersprechen, da die Bestimmung der anwendbaren Rechtsordnung für die Beteiligten praktisch unvorhersehbar wäre. Außerdem ist aus Sicht des internationalen Privatrechts ein Eigentümer auch nur insoweit kollisionsrechtlich schutzwürdig, als er auf die Geltung eines bestimmten Sachrechts vertrauen konnte, d.h. soweit er die Belegenheit des Kulturguts beeinflusste. Einen solchen Einfluss hat ein Eigentümer unrechtmäßig entzogener Kulturgüter jedoch nur bis zum Zeitpunkt des unrechtmäßigen Entziehungsaktes.
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Aufgrund der letztgenannten Erwägung präferiert Hanisch die Idee einer kollisionsrechtlichen Verselbstständigung der Vorfrage des Abhandenkommens. Wurde ein Kulturgut im Ausland gestohlen oder auf andere Art unrechtmäßig entzogen, in der Folge ins Inland verbracht und ist hier ein Erwerbsvorgang kraft guten Glaubens oder eine dingliche Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter aus Gründen der Ersitzung, Verjährung oder Verwirkung erfolgt, müsse die besitzrechtliche Frage des Abhandenkommens gesondert nach dem Recht des situs im Zeitpunkt eben der unrechtmäßigen Entziehungshandlung zu bestimmen sein. Der besondere Vorteil besteht für den Schutz national bedeutsamer Kulturgüter dabei insbesondere darin, dass bspw. solche Staaten, die archäologische Gegenstände aus unrechtmäßigen Ausgrabungen zu (besitzlosem) Staatseigentum deklarieren, die kollisionsrechtliche Verselbstständigung
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
der Vorfrage des Abhandenkommens und die Rechtswahl nach der lex rei sitae zum Zeitpunkt der unrechtmäßigen Entziehung, sowohl die illegale Ausgrabung als auch die unrechtmäßige Ausfuhr als abhandenkommen qualifizieren würden, weil die Rechtsordnung des Ausgrabungsstaates den Besitz nicht als Voraussetzung ansieht oder jedenfalls von einem generellen Besitzwillen des Staates an unausgegrabenen Kulturgütern ausgeht, während die lex causae ein Abhandenkommen bspw. mangels Besitzverlustes ausschließen könnte. Folge davon wäre somit eine Ausdehnung des Schutzes der Rechtsordnung, in deren Geltungsbereich das Kulturgut abhandengekommen war, womit zumindest den Erwartungen des Eigentümers an den Schutzumfang der Rechtsordnung entsprochen würde. 596
Bei der kollisionsrechtlichen Verselbstständigung der Vorfrage des Abhandenkommens bestehen jedoch rechtskonstruktive Schwierigkeiten, wenn der Ort der unrechtmäßigen Entziehungshandlung nicht zwischen der Veräußerung bspw. gestohlener und nichtgestohlener Güter unterscheidet. Dieselbe Schwierigkeit ergibt sich in der gegenteiligen Fallkonstellation aber auch dann, wenn zwar das Recht des Entziehungsortes zwischen gestohlenen und nichtgestohlenen (Kultur-) Gütern, jedoch die neue lex rei sitae bzw. das nun den Eigentumsübergang regelnde Recht nicht zwischen dem Transfer gestohlener oder nichtgestohlener Kulturgüter differenziert. Darüber hinaus sollten aber auch hier die Bedürfnisse des Kunstmarktes nach Rechtssicherheit und Verkehrsschutz nicht außer Acht gelassen werden. Zudem garantiert auch dieser Ansatz nicht unbedingt einen besseren Schutz des bestohlenen Eigentümers: Zufällige Ergebnisse sind hier ebenso wenig ausgeschlossen wie bei der Anwendung der herkömmlichen lex situs-Regel.
597
Werden Kulturgüter mittels des sog. forum shopping (mala fides und perfide) in Rechtsordnungen und Staaten veräußert, die eine dingliche Sachzuordnung auch unrechtmäßig entzogener Kulturgüter im Wege des gutgläubigen rechtsgeschäftlichen oder originären Ersitzungserwerbs bzw. der Verjährung oder Verwirkung kultureller Restitutionsansprüche erlauben und zusätzlich eine freie Einfuhr auch illegal exportierter Kulturgüter (sog. places of bargaining shopping) ermöglichen, ist nicht auszuschließen, dass es sich bei der Verbringung ins Ausland um eine bewusste Gesetzesumgehung handelt. Daher wurde von Teilen des Schrifttums erwogen, unter Rückgriff auf das Institut der fraus legis den durch die Verschiebung des Kulturgutes manipulierten Anknüpfungspunkt bei der Rechtswahl nicht zu beachten. Dies hätte zur Rechtsfolge, dass der neue Belegenheitsort (nach dem Statutenwechsel) als Anknüpfungsmoment ignoriert würde und so die Sachnormen, welche umgangen werden sollen, trotzdem eingreifen.
598
Im internationalen Kulturgüterverkehr ist die Anwendung der fraus legis gewiss im Einzelfall theoretisch denkbar, um die Geltung einer Rechtsordnung zu vereiteln, die bewusst und manipulativ durch einen Statutenwechsel zur Anwendung
§ 13 Ergebnis: Alternative Anknüpfungsmaximen
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gebracht wurde und so die Interessen des Erwerbers bevorzugt. Eine Restitution unrechtmäßig entzogener Kulturgüter zugunsten des ursprünglichen Eigentümers wird über das genannte Rechtsinstitut in der Praxis jedoch meist ausgeschlossen sein, da dem Erwerber ein kollusives Zusammenwirken mit dem bösgläubigen Veräußerer nachgewiesen werden müsste. Meist werden hiergegen aber die Interessen gutgläubiger Dritter sprechen. Diese machen das Vorgehen des Kunstdiebs bzw. -Schmugglers zwar nicht weniger verwerflich, sprechen aber in der Regel trotzdem gegen das Vorliegen einer gemeinschaftlichen Gesetzesumgehung. Da die Rechtswahl innerhalb des internationalen Kulturgüterprivatrechts nach der lex rei sitae nach einem Statutenwechsel bekanntlich die Gefahr birgt, dass unrechtmäßig entzogene Kulturgüter mala fides in das Hoheitsgebiet solcher Staaten verbracht werden, nach deren nationalen Sachzuordnungsregeln der gutgläubige rechtsgeschäftliche Erwerb oder Ersitzungserwerb bzw. eine Verjährung oder Verwirkung kultureller Restitutionsansprüche unter erleichterten Voraussetzungen möglich sind, wird von Teilen der Literatur erwogen, dass im Internationalen Kulturgüterprivatrecht zwar weiterhin auf den Lageort abgestellt werden muss, jedoch nicht wie bei der lex rei sitae zum Zeitpunkt der rechtserheblichen sachenrechtlichen Einwirkung, sondern zum Zeitpunkt des unrechtmäßigen Entzugsaktes. Diese sog. lex furti soll den ursprünglichen Eigentümer schützen, da die Kulturgüter ohne dessen Wissen bzw. Veranlassung unrechtmäßig entzogen und daraufhin ins Ausland gebracht wurden. Danach soll in dem Fall, in dem ein Kulturgut dem Eigentümer gestohlen wurde, auch auf einen nach dem Abhandenkommen des Kulturguts erfolgten gutgläubigen Erwerb nach einem Statutenwechsel das Recht desjenigen Staates maßgeblich sein, auf dessen Territorium das Gut abhandengekommen ist.
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Dabei wird – entsprechend den allgemeinen Grundsätzen des internationalen Privatrechts – nicht auf die Herbeiführung des für den Schutz des ursprünglichen Eigentümers günstigsten Rechts abgestellt. Dem Eigentümer soll im Falle des Diebstahls vielmehr genau das Maß an Schutz gewährt werden, das ihm zu dem Zeitpunkt zukam, als er die Belegenheit des Kulturguts noch selbst beeinflussen konnte. Einmal soll der Eigentümer auf diese Weise nicht durch einen minderwertigen Eigentumsschutz der zufälligen lex rei sitae belastet werden. Die lex furti bietet damit eine leicht zu bestimmende Rechtswahl und manipulationsresistente Fixierung des Anknüpfungszeitpunktes im Internationalen Kulturgüterprivatrecht und lässt die allgemeinen Verkehrsinteressen und das Bedürfnis nach Rechtssicherheit im internationalen Kunstmarkt hinter das Interesse des bestohlenen Eigentümers an der Bewahrung und Erhaltung ‚seiner‘ Kulturgüter nach einem Diebstahl oder einem anderen unrechtmäßigen Entziehungsakt zurücktreten und nimmt insoweit eine mögliche Beeinträchtigung des internationalen Kunsthandels in Kauf. In Rechtsordnungen, die ihre Kulturgüter zu res extra commercium designieren, führt die Anknüpfung an den Ort der unrechtmäßigen
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Entziehungshandlung, wenn dieser mit dem Heimatrecht des kulturellen Ursprungsstaates identisch ist, zu einer Anerkennung der Extrakommerzialität kultureller Güter auch im Ausland. Andererseits soll der Eigentümer aber auch nicht durch einen effektiveren rechtlichen Schutz als in seiner Heimatrechtsordnung begünstigt werden, wenn das Recht des späteren Veräußerungsortes eines unrechtmäßig entzogenen Kulturguts ihm möglicherweise einen Schutz gewährt, mit dem er nicht rechnen konnte. 601
Dennoch wird die Anknüpfung an den Ort der unrechtmäßigen Entziehungshandlung von großen Teilen der Literatur kritisch betrachtet, da nicht ersichtlich sei, wieso durch den unfreiwilligen Besitzverlust aus kollisionsrechtlicher Sicht eine wesentlich engere Verbindung der Sache zum Staat des Abhandenkommens als zum Belegenheitsort begründet werden soll. Da nicht jedes Kunstwerk einen besonderen Bezug zu dem Ort seines Diebstahls aufweist, sei der Ansatz damit ebenso punktuell wie die lex rei sitae, deren Korrektur hierdurch beabsichtigt sei. Außerdem sprächen gegen eine Anknüpfung an den Ort der unrechtmäßigen Entziehungshandlung nach Ansicht eines Teils des Schrifttums insbesondere aber auch die Verkehrsinteressen des internationalen Kunstmarktes, da einseitig auf den Schutz des ursprünglichen Eigentümers fokussiert würde. Am schwersten wiegt im Schrifttum jedoch schließlich der nachvollziehbare Einwand, dass die lex furti zu ebenso zufälligen Ergebnissen wie die Rechtswahl nach der lex rei sitae führe und dem Kulturgüterschutz damit ebenso wenig dienlich sei, da der Eigentümer nicht zwangsläufig besser gestellt würde: „Man kann nämlich gar nicht mit Sicherheit vorhersagen, daß das dem Eigentümer vertraute Recht ihn besser schützt als das Recht am neuen Belegenheitsort.“ 1490 Maßgeblich ist insoweit allein, ob das Recht am Ort der unrechtmäßigen Entziehungshandlung eine neue dingliche Sachzuordnung trotz der Qualifikation als Abhandenkommen erlaubt und so bspw. einen gutgläubigen Erwerb auch gestohlener Kulturgüter kennt. „Dies führt zwar zu anderen, aber nicht unbedingt zu dem Kulturgutschutz besser dienlichen Ergebnissen als die Anknüpfung an den Lageort.“ 1491 Dieses Ergebnis ist nach den Befürwortern der lex furti jedoch richtig und kollisionsrechtlich ‚gerecht‘, da ein Eigentümer unrechtmäßig entzogener Kulturgüter nicht damit rechnen darf, dass die Objekte bei Anwendung der lex furti unter einem den Eigentümerschutz besonders stark zu berücksichtigenden Statut erworben werden dürfen, und er diesbezüglich auch kein schutzwürdiges Vertrauen hat.
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Eine generelle Bevorzugung der Interessen ursprünglicher Eigentümer unrechtmäßig entzogener Objekte und des Kulturgüterschutzes wäre insofern nur durch 1490
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So Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 83–84. So Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 195.
§ 13 Ergebnis: Alternative Anknüpfungsmaximen
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eine Alternativanknüpfung von lex rei sitae und lex furti zu erreichen. So hat bspw. das belgische IPR in Art. 92 ein Wahlrecht des ursprünglichen Eigentümers zwischen dem Recht des Staats, in dem der Diebstahl stattgefunden hat, und dem Recht des Staats, in dem sich das Kulturgut im Zeitpunkt der Rückforderung befindet, statuiert. Ob eine solche Rechtswahl jedoch noch dem Gerechtigkeitsgehalt des internationalen Privatrechts entsprechen würde, ist fraglich und könnte sich nicht nur an einer nicht gerechtfertigten Überbewertung der Eigentümerinteressen gegenüber den Erwerberinteressen, sondern auch an dem im internationalen Kunstmarkt notwendigen Bedürfnis nach Rechtssicherheit stoßen. Nach dem Grundgedanken der Gleichwertigkeit aller Rechtsordnungen sollte kollisionsrechtlich nur das sachlich nächste, nicht aber das für den ursprünglichen Eigentümer günstigste oder ‚beste‘ Recht ermittelt werden. Eine weitere Alternative neuer Anknüpfungsmomente im Internationalen Kulturgüterprivatrecht stellt die fiktive Immobilität „kultureller Gesamtensembles“ dar, wonach Kunst- und Kulturgüter (wie bspw. Fresken und Statuen) aus unbeweglichen Kulturdenkmälern bei der kollisionsrechtlichen Rechtswahl wie Immobilien behandelt werden sollen und unwandelbar an einen bestimmten Lageort angeknüpft werden. Diese Theorie kann sich rechtshistorisch auf einen prominenten Mitstreiter berufen: Selbst Savigny, der seinerzeit die Grundzüge für die Anwendung der lex rei sitae für Mobilien formulierte, liegt ein solcher Gedanke nicht fern, wenn „bewegliche Sachen eine Bestimmung erhalten haben, die sie an einen bleibenden Aufenthalt fest bindet. So geschieht es mit dem Mobiliar eines Hauses, mit einer daselbst aufgestellten Bibliothek oder Kunstsammlung, mit dem Inventar eines Landgutes.“ 1492 Rechtskonstruktiv bleibt bei der Anknüpfung aller Einzelbestandteile an den Lageort eines kulturellen Gesamtensembles somit unabhängig von dem jeweiligen tatsächlichen Belegenheitsort der einzelnen beweglichen Kulturgegenstände im Grundsatz die lex rei sitae-Regel aufrechterhalten, materiell-inhaltlich kommt die fiktive Immobilisierung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter im Ergebnis aber einer Anknüpfung an das ,,Heimatrecht“ eines Kulturgutensembles und damit einer Rechtswahl nach der lex originis gleich. Die französische Cour d’Appel de Montpellier hat in der Entscheidung Ville de Genève et Fondation Abegg c. Consorts Margail vom 18.12.1984 von den Wänden entfernte Fresken ausdrücklich wegen ihrer Zweckverbindung mit der Kapelle von Casenoves auch nach ihrer Trennung de iure als deren Bestandteile angesehen: Allein die physische Entfernung der Fresken genügte zum Schutz des kulturellen Gesamtensembles dementsprechend nicht, diese zu beweglichen Sachen werden zu lassen. Inzwischen hat das einschlägige Schrifttum die fiktive Immobilisierung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter auf andere Objekte als „kulturelle Gesamtensembles“ erweitert und bspw. archäologische Gegenstände auf diese Weise unabänderlich mit ihrem Fundort verbunden. 1492
Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Band VIII, 1849, S. 179.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
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Die oben genannte Entscheidung wurde jedoch seitens der französischen Cour de Cassation am 15.4.1988 wieder aufgehoben, was das kulturgüterspezifische Schrifttum als „wenig phantasiereiche Interpretation“ 1493 kritisierte und bezüglich der Gleichbehandlung kultureller Güter als res sui generis mit gewöhnlichen Mobilien und Konsumgütern bemängelte. Auch nach der Entscheidung der Revisionsinstanz tritt ein Teil des Schrifttums weiterhin dafür ein, bewegliche Kulturgüter, die mit einer unbeweglichen Sache in Verbindung stehen, im Wege einer Gesamtqualifikation als unbewegliche Sache anzusehen und damit unwandelbar an das Belegenheitsstatut derselben anzuknüpfen. Teilweise wurde inzwischen auch der sachliche Anwendungsbereich der fiktiven Immobilisierung erweitert und nicht nur archäologische Artefakte immobilisiert, sondern schlichtweg alle Kunstgegenstände, bei denen eine kulturelle Verbindung zu einem Gebäude besteht und die mit diesem als einheitliches Kulturgut (Ensemble) angesehen werden können. Es wird jedoch tatsächlich im Einklang mit der Cour de Cassation eine Immobilisierung beweglicher Kunst- und Kulturgüter abzulehnen sein: Im Falle eines definitiven Statutenwechsels wird die ursprünglich bestehende Verbindung zu dem Grundstück in der Tat endgültig aufgehoben sein und es bestehen keinerlei Anhaltspunkte mehr, die eine entsprechende dauerhafte rechtliche Zuordnung (auch per Fiktion) über Ländergrenzen hinaus legitimieren könnten. Außerdem darf im internationalen Kulturgüterprivatrecht und beim Schutz unrechtmäßig entzogener Kulturgüter im internationalen illegalen Kunsthandel die Protektion national wertvoller Objekte nicht davon abhängen, ob eine rechtsfiktive Immobilisierung prinzipiell beweglicher Kulturgüter möglich ist. Die enge kulturelle Verbindung zum Herkunftsort ist nämlich ein Gesichtspunkt, der auch bei andern Kulturgütern und nicht nur bei denen zum Tragen kommt, die einmal Bestandteil eines Grundstücks waren.
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Nach den voranstehenden Überlegungen zu alternativen Anknüpfungsmaximen im Internationalen Kulturgüterprivatrecht ist folgende Erkenntnis festzuhalten: Sowohl die kollisionsrechtliche Verselbstständigung der Vorfrage des Abhandenkommens, die Instrumentalisierung des Rechtsinstituts der fraus legis, die Anknüpfung an den Ort der unrechtmäßigen Entziehung (die sog. lex furti) als auch die rechtliche Immobilisierung auch beweglicher Objekte eines kulturellen Gesamtensembles suchen allesamt die extraterritoriale Anwendung der dinglichen Sachzuordnungsregeln unrechtmäßig entzogener Kulturgüter und der nationalen Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze der kulturellen Ursprungsstaaten. Das eigentliche Bestreben zielt somit auf die Anwendung der Rechts1493
Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 189–193. Vgl. Auch Prott/O’Keefe: „ … a result perhaps pleasing to adherents of strict interpretation of the Civil Code and limitation of legal fiction but disappointing to those who believe that laws are created to meet needs, and that developments … may need imaginative solutions.“ Prott/O’Keefe, Law and the Cultural Heritage – Volume 3: Movement, 1989, Rdnr. 927.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
ordnung des kulturellen Heimatstaates – also der sog. lex originis – und deren Protektionsmechanismen im Ausland. Die voranstehend genannten Alternativen bleiben daher im Grunde ‚auf halbem Wege‘ stehen, ohne die eigentliche Notwendigkeit zu erreichen. Deshalb ist im nachstehenden Punkt VI. die Forderung einer Rechtswahl nach der lex originis im Internationalen Kulturgüterprivatrecht auf ihre Praxistauglichkeit zu prüfen und zu fragen, ob diese einen fairen und gerechten Ausgleich findet zwischen den Bedürfnissen der im internationalen Kunstmarkt Beteiligten und der Rechtssicherheit einerseits und den Interessen des Kulturgüterschutzes an der Bewahrung und Erhaltung kultureller Wertgegenstände und den Anliegen der (ursprünglichen) Eigentümer an der Wiedererlangung ‚ihrer‘ unrechtmäßig entzogenen Kulturgüter andererseits.
VI. Rechtswahl nach der sog. ‚lex originis‘ Schrifttum: Anton, Special Conflict Rules in the Private International Law of Property concerning International Art Trade in Stolen Works of Art, LL.M. Thesis 2005, University of Johannesburg, South Africa; Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff., insb. 3581–3582 und 3584; Armbrüster, La revendication de biens culturels du point de vue du droit international privé, Rev. crit. dr. int. pr. 2004, vol. IV, S. 723–743, insb. S. 731; Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 94–98; Berndt, Internationaler Kulturgüterschutz: Abwanderungsschutz, Regelungen im innerstaatlichen Recht, im Europa- und Völkerrecht, 1998, S. 123 ff.; Bila, Nationaler Kulturgüterschutz in der Europäischen Union, 1997, S. 130 ff.; Blumenwitz, Rechtliche Schwierigkeiten bei der Rückgabe rechtswidrig nach Deutschland verbrachter Kunstschätze an die Herkunftsstaaten und künftige Lösungsansätze, in: Bröhmer/Bieber/Callies/Langenfeld/Weber/Wolf, Internationale Gemeinschaft und Menschenrecht – Festschrift für Georg Ress zum 70. Geburtstag am 21. Januar 2005, 2005, S. 3 ff., insb. S. 14–16; Boguslavsky, Der Begriff des Kulturguts und seine rechtliche Relevanz, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, „Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes – Symposium vom 22./23. Juni 1990 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg“, 1994, S. 3 ff., S. 8; Byrne-Sutton, Le trafic international des biens vulturels sous l’angle de leur revendication par l’Etat d’origine – Aspects de droit international privé, 1988, S. 91, 104 f. und 146 ff.; Byrne-Sutton, Qui est le propriétaire légitime d’un objet d’art volé? Une source de conflits dans le commerce international, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 483–499, S. 496; Cannada-Bartoli, Sul trasferimento di beni fuori commercio nel diritto internazionale privato, in Rivista di diritto internazionale 72 (1989), S. 618 ff.; Carducci, La restitution internationale des biens culturels et des objets d’art, 1997, S. 170, 184 ff., 315 ff., 326 ff.; Carducci, The Growing Complexity of International Art Law: Conflict of Laws, Uniform Law, Mandatory Rules, UNSC Resolutions and EU Regulations, in: Hoffman, Art and Cultural Heritage – Law, Policy and Practice, 2006, S. 68 ff., S. 77–78; Carter, Transnational Trade in Works of Art: The Position in English Private International Law, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 317 ff., S. 328; Duboff, The protection of cultural property in time of peace, Annuaire de l’A.A.A., Volume 44 (1974), S. 45–62; Droz, La protection internationale des biens culturels et des objets d’art, vue sous l’angle d’une convention de droit international privé, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 535–544, S. 537; Engstler, Die territoriale Bindung von Kulturgütern im Rahmen des Völkerrechts, 1964, S. 18 f.; Fechner, Wohin gehören Kulturgüter? Rechtliche Ansätze eines Ausgleichsmodells, in: Grupp/Hufeld, Recht –
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht Kultur – Finanzen, Festschrift für Reinhard Mußgnug zum 70. Geburtstag am 26. Oktober 2005, S. 485–498; Ferrer-Correia, La vente internationale d’objets d’art, sous l’angle de la protection du patrimoine culturel, in: Annuaire de l’Institut de Droit International 64-I (1991), Rapport définitif, S. 140–189; Ferrer-Correia, Nouvelles règles de conflit de lois sur la vente internationale d’objets d’art, in: Briat/Freedberg, International Sales of Works of Art, Volume IV, 1993, S. 41 ff., S. 45; Fincham, How Adopting the Lex Originis Rule Can Impede the Flow of Illicit Cultural Property, Quelle: www.ssrn.com; Fraoua, Le trafic illicite des biens culturels et leur restitution, 1985, S. 119 ff., S. 124 f., S. 184 ff.; Fuchs, Kulturgüterschutz im Kulturgutsicherungsgesetz, IPRax 2000, S. 281–286, S. 284–285; Fuentes-Camacho, El tráfico ilicito internacional de bienes culturales, 1993, S. 379 ff., insb. S. 400 f.; Genius-Devine, Bedeutung und Grenzen des Erbes der Menschheit im völkerrechtlichen Kulturgüterschutz, 1996, S. 134; González-Campos, La technique conflictuelle et les objectifs et valeurs du droit matériel: le rattachement des biens culturels à la lex originis, in: Université Nationale et Capodistrienne D’Athènes/ Fondation Prof. E. Krispis et Dr. Samara-Krispi, La Protection internationale des biens culturels – Regard dans l’avenir (Colloquium: Athens, 23 November 2001), 2003, S. 47–64; GonzalezCampos/Virgos-Soriano, Le commerce international de l’art en droit espagnol, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 333–355; Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, S. 281–282; Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 199 ff., S. 205–209, S. 211–213 und S. 222; Hanisch, Der Fall des Liotard und die nationale Zuordnung eines Kunstwerks, in: Frank, Recht und Kunst – Symposium aus Anlaß des 80. Geburtstags von Wolfram MüllerFreienfels, 1996, S. 19–36, S. 24, S. 32–35; Heilmeyer, Schutz archäologischer Kulturgüter aus der Sicht der Archäologie, ZVglRWiss 95 (1996) S. 117–126; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 197–199; Jaeger, Internationaler Kulturgüterschutz – Rechtslage, Rechtspraxis, Rechtsfortentwicklung, 1994, S. 61, 67, 71 f., 90–104; Jayme, Nationales Kunstwerk und Internationales Privatrecht; Vorträge – Aufsätze – Gutachten, 1998; Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/ Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, 2004, S. 35 ff., S. 42 ff.; Jayme, Kulturgüterschutz in ausgewählten europäischen Ländern, ZVglRWiss 95 (1996), S. 158–169, S. 167–168; Jayme, „Entartete Kunst“ und Internationales Privatrecht, 1994, S. 24; Jayme, „Entartete Kunst“ und Internationales Privatrecht (1994), in: Jayme, Nationales Kunstwerk und Internationales Privatrecht – Vorträge, Aufsätze – Gutachten, Gesammelte Schriften, 1998, S. 109–130, S. 122; Jayme, Internationaler Kulturgüterschutz – Lex originis oder lex rei sitae – Tagung in Heidelberg, IPRax 1990, S. 347–348; Jayme, Kunstwerke als Kriegsbeute, IPRax 1995, S. 260; Jayme, Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im Internationalen Privatrecht, in: Dominicé/Patry/Reymond, „Études de droit international en l’honneur de Pierre Lalive“, 1993, S. 717–731, S. 724 ff.; Jayme, Die Nationalität des Kunstwerks als Rechtsfrage, in: Reichelt, Internationaler Kulturgüterschutz – Wiener Symposium 18./19. Oktober 1990, 1992, S. 7–30, S. 7 ff.; Jayme, Globalisation in Art Law: Clash of Interests and International Tendencies, Vanderbilt Journal of Transnational Law 2005, S. 927 ff., S. 935; Jayme, Rechtsbegriffe und Kunstgeschichte, in: Reichelt, Neues Recht zum Schutz von Kulturgut, 1997, S. 11 ff., S. 16 ff.; Jayme, Protection of Cultural Property and Conflict of Laws: The Basel Resolution of the Institute of International Law, IJCP, 6 (1997), S. 376–378; Jayme, Kunstwerk und Nation: Zuordnungsprobleme im internationalen Kulturgüterschutz, 1991; Jayme, Antonio Canova und die Nationalisierung der Kunst, in: Basedow/Meier/Schnyder/Einhorn/Girsberger, Private Law in the International Arena. From National Conflict Rules Towards Harmonization and Unification, Liber Amicorum Kurt Siehr, 2000, S. 281–288, S. 288; Jayme, Die Entstehung des „nationalen“ Kunstwerks: Zu seiner Deutung anhand Antonio Canovas „Italia“, Zeitschrift für neuere Rechtsgeschichte (ZNR), 26 (2004), Nr. 3/4, S. 217–226; Kenety, Who Owns the Past? The Need for Legal Reform and Reciprocity in the International Art Trade, Cornell International Law Journal, Volume 23 (1990), S. 1–46, S. 6 f.; Jayme/Kohler, Das Internationale Privat-
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts und Verfahrensrecht der EG 1993 – Spannungen zwischen Staatsverträgen und Richtlinien, IPRax 1993, S. 357–371, S. 360; Jayme/Kohler, Das Internationale Privat- und Verfahrensrecht der EG nach Maastricht, IPRax 1992, S. 346–356, S. 348; Karinshak, Relics of the Past – To Whom Do They Belong? The Effect of an Archaeological Excavation on Property Rights, Emory Law Journal, 46 (1997), S. 867–911; Kienle/Weller, Die Vindikation gestohlener Kulturgüter im IPR, IPRax 2004, 290 ff., S. 291; Knoepfler, Le commerce de l’art en droit international privé suisse, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 359–387, S. 379 ff.; Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 84 ff., S. 126–132; Kohls, Kulturgüterschutz: Wirkungen von Verstößen gegen Ausfuhrverbote und Möglichkeiten der Rückführung illegal verbrachter Kulturgüter – Eine vergleichende Untersuchung mit den Rechten Dänemarks, Norwegens und Schwedens, 2001, S. 123 ff.; Koumantos, La protection des biens culturels en droit civil, in: Institute of Hellenic Constitutional History and Constitutional Law, Archaeological heritage – current trends in its legal protection; international conference, Athens, 26.–27. November 1992, 1995, S. 169 ff., S. 170 f.; Koumantos, Réflexions préalables sur la protection internationale des biens culturels, in: Brem, Festschrift zum 65. Geburtstag von Mario M. Pedrazzini, 1990, S. 159 ff., S. 165 ff.; Kreuzer, Buchbesprechung Carducci, La restitution internationale des biens culturels et des objets d’art volés ou illicitement exportés, RabelsZ 64 (2000) S. 164 ff., S. 169; Kreuzer, La propriété mobilière en droit international priveé, Recueil des Cours, Collected Courses of the Hagur Academy of International Law, Volume 259 (1996) S. 9 ff., S. 205 ff.; Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1–38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rdnr. 200–201; Kunze, Restitution „Entarteter Kunst“ – Sachenrecht und Internationales Privatrecht, 2000, S. 133, S. 138 f.; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 141–147, S. 184–217; Lagarde, Le commerce de l’art en droit international privé francais, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 389–408, S. 405 f.; Lalive, Une avancée du droit international: La Convention de Rome de l’Unidroit sur les biens culturels volés ou illicitement exportés, Revue de droit uniforme N.S. 1 (1996), S. 40 ff., S. 46; Lalive, Sur le régime des objets d’art volés en droit international privé, in: Matscher/Seidl-Hohenveldern/Karas-Waldheim, Europa im Aufbruch – Festschrift Fritz Schwind zum 80. Geburtstag, 1993, S. 51–69, S. 62; Lhuilier, Les œuvres d’art, res sacrae? R. R. J. 1998, S. 513 ff., S. 549; Mansel, DeWeerth v. Baldinger – Kollisionsrechtliches zum Erwerb gestohlener Kunstwerke, IPRax 1988, S. 268–271, S. 270 f.; Maurer, Die Ausfuhr von Kulturgütern in der Europäischen Union, 1995, S. 58; Merryman, Thinking about the Elgin Marbles, Michigan Law Review Vol. 83 (1985), S. 1881–1923, S. 1915; Merryman, The Public Interest in Cultural Property, California Law Review, Volume LXXVII (1989), S. 339–364, S. 362; Merryman, “Protection” of the Cultural “Heritage”?, The American Journal of Comparative Law, Vol. 38 (1990), S. 513–522, S. 521–522; Merryran/Elsen, Law, Ethics and the Visual Arts, 4. Aufl. 2002, S. 200 ff.; Moustakas, Group Rights in Cultural property: Justifying Strict Inalienability, Cornell Law Review, Vol. 74 (1989), S. 1179–1227; Mußgnug, Die Staatsangehörigkeit des Kulturguts, in: Bröhmer/Bieber/Calliess/Langenfeld/Weber/ Wolf, Internationale Gemeinschaft und Menschenrechte – Festschrift für Georg Ress zum 70. Geburtstag am 21. Januar 2005, 2005, S. 1531–1542; Muir-Watt, La revendication internationale des biens culturels: à propos de la décision américaine Eglise Autocéphale, Revue Critique de Droit International Privé 81 (1992), S. 1–34, S. 30 ff.; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S.149, S. 230–232, S. 279–282, S. 287 ff., S. 313; Nafziger, Controlling the Northward Flow of Mexican Antiquities, Lawyer of the Americas 7 (1975), S. 68 ff.; Pecoraro, Choice of Law in Litigation to Recover National Cultural Property: Efforts at Harmonization in private International Law, Virginia Journal of International law 31 (1990), S. 1–51; Pfeiffer, Der Stand des Internationalen Sachenrechts nach seiner Kodifikation, IPRax
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht 2000 (Heft 4), S. 271–285, S. 275, 280; Pieroth/Hartmann, Rechtswegbeschränkung zur Sicherung des Leihverkehrs mit ausländischen Kulturgütern, NJW 2000 (Heft 30), S. 2129–2135, S. 2130; Prott, Cultural Rights as People’s Rights in International Law, in: Crawford, the Rights of Peoples, 1988, S. 93–115; Prott/O’Keefe, National Legal Control of Illicit Traffic in Cultural Property, UNESCO-Doc. CLT-83/WS/16, S. 126; Reichelt, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, in: Sladek, Das kulturelle Erbe im Risiko der Modernität: Salzburger Symposium 1992, 1993, S. 61 ff., S. 63; Reichelt, Kulturgüterschutz und Internationales Privatrecht, IPRax 1986, S. 73–75, S. 74; Reichelt, Kulturgüterschutz und Internationales Verfahrensrecht, IPRax 1989 (Heft 4), S. 254–255, S. 255; Reichelt, International Protection of Cultural Property, Revue de droit uniforme/Uniform Law Review (UNIDROIT), Semestrielle – Biannual (1985-I), S. 42–153; Ress, Kultur und Europäischer Binnenmarkt – Rechtliche Auswirkungen des Europäischen Binnenmarktes auf die Kulturpolitik in der Bundesrepublik Deutschland, 1991, S. 83; Rigaux, Institut de Droit international – 64 Session in Santiago de Compostela vom 4–14 September 1989, RabelsZ 54 (1990), S. 139–143; Rodotà, The Civil Law Aspects of the International Protection of Cultural Property, in: International Legal Protection of Cultural Property, Proceedings of the Thirteenth Colloquy on European Law, Delphi 20–22 September 1983, 1984, S. 99 ff., S. 106; Sandrock, Foreign Laws Regulating the Export of Cultural Property: The Respect Due to Them by the Judge of the Lex Fori, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 457–481, S. 474; Schack, Kunst und Recht – Bildende Kunst, Architektur, Design und Fotografie im deutschen und internationalen Recht, 2. Aufl. 2009, S. 542–545; Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 248–250, S. 253–264, S. 265–279; Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes, 1994, S. 56, S. 171 ff.; Schoen, Kulturgüterschutz bei – illegaler – Rückkehr kriegsbedingt verbrachter Kulturgüter aus Russland nach Deutschland, NJW 2001, S. 537–543, S. 540; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 113–119; Siehr, Nationaler und Internationaler Kulturgüterschutz – Eingriffsnormen und der internationale Kunsthandel, in: Pfister/Will, Festschrift für Werner Lorenz zum siebzigsten Geburtstag, 1992, S. 525–542, S. 538–542; Siehr, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Rechtsverkehr, in: Westphalen/Sandrock, Lebendiges Recht – Von den Sumerern bis zur Gegenwart – Festschrift für Reinhold Trinkner zum 65. Geburtstag, 1995, S. 703–722, S. 715–716, S. 720; Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 75, S. 84 ff., S. 182–203; Siehr, Vereinheitlichung des Mobiliarsachenrechts in Europa, insbesondere im Hinblick auf Kulturgüter, RabelsZ 59 (1995), S. 454–468, S. 458; Siehr, Öffentliches Recht und internationales Privatrecht beim grenzüberschreitenden Kulturgüterschutz, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes – Symposium vom 22./23. Juni 1990 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 83–104, S. 96 ff.; Siehr, Internationales Sachenrecht. Rechtsvergleichendes zu seiner Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, ZVglRWiss 104 (2005), S. 145–162, S. 152; Siehr, Kulturgüterschutz, in: Ebling/Schulze, Kunstrecht – Zivilrecht, Steuerrecht, 2007, S. 123–124, Rdnr. 59–64; Siehr, Protection of Cultural Property – Reforms and Developments in the Member States of the European Union and in Some Other Countries, in: Schneider/Schneider, Cultural Property Protection (Istanbul Conference, Summer 2004), 1995, S. 77–95, S. 91 ff.; Spaun, Der Herausgabeanspruch bei Diebstahl oder illegalem Export von Kulturgütern, 2003, S. 158–160; Spinellis, Das Vertrags- und Sachenrecht des internationalen Kunsthandels – zugleich ein Beitrag zur Bedeutung der Eingriffsnormen im heutigen internationalen Rechtsverkehr, 2000, S. 450, S. 379 ff., S. 398; Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, Rdnr. 295–296, Rdnr. 302; Stoll, Zur gesetzlichen Regelung des internationalen Sachenrechts in Artt. 43–46 EGBGB, IPRax 2000, S. 259–270, S. 269; Stoll, Sachenrechtliche Fragen des Kulturgüterschutzes in Fällen mit Auslandsberührung, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes – Symposium vom 22./23. Juni 1990 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 53 ff.; Strauch, Rechtsverhältnisse an Kulturgütern im Internationalen Sachenrecht, 2007, S. 104–107; Stumpf, Kulturgüterschutz im
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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internationalen Recht unter besonderer Berücksichtigung der deutsch-russischen Beziehungen, 2003, S. 240; Symeonides, On the Side of the Angels: Choice of Law and Stolen Cultural Property, in: Basedow/Meier/Schnyder/Einhorn/Girsberger, Private Law in the International Arena: From National Conflict Rules Towards Harmonization and Unification – Liber Amicorum Kurt Siehr, 2001, S. 747–761; Symeonides, A Choice-of-Law Rule for Conflicts Involving Stolen Cultural Property, in: Vanderbilt Journal of Transnational Law, 2005, S. 1177 ff.; Thorn, Internationaler Kulturgüterschutz nach der UNIDROIT-Konvention, 2005, S. 267; Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 127–139; Uhl, Der Handel mit Kunstwerken im europäischen Binnenmarkt – Freier Warenverkehr versus nationaler Kulturgutschutz, 1993, S. 156 f.; Verheul, Foreign Export Prohibitions: Cultural Treasures and Minerals, 31 Netherlands International Law Review (1984), S. 419–427, S. 420–421; Vischer, General Course an Private International Law, Rec. des Cours 232 [1992-I] S. 9 ff., 124; von Schorlemer, Internationaler Kulturgüterschutz – Ansätze zur Prävention im Frieden sowie im bewaffneten Konflikt, 1992, S. 551; Vrellis, UNIDROIT-Konvention 1995 über gestohlene oder unerlaubt ausgeführte Kulturgüter: Bedeutung der lex originis, in: Reichelt, Neues Recht zum Schutz von Kulturgut. Internationaler Kulturgüterschutz. EG-Richtlinie, UNIDROIT-Konvention und Folgerecht, 1997, S. 69–93, S. 71 f. sowie S. 82; Walter, Rückführung von Kulturgut im Internationalen Recht, 1988, S. 14; Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 372–374, S. 405 ff.; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 193 ff., S. 208–210, S. 218–220; Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 11 ff., S. 163–164, S. 204 ff.
Sowohl in der Rechtsdogmatik als auch in internationalen Rechtsinstrumenten deutet sich für den Handel mit Kulturgütern als Objekte res sui generis 1494 in den letzten Jahren verstärkt eine Entkrustung der versteinerten Rechtswahl nach der lex rei sitae an und eine Unterwerfung privatrechtlicher Rechtsverhältnisse an Kulturgütern einem sog. Heimatrecht.1495 Den Begriff der Heimat („patrie“) für Kunstwerke 1496 verwendete bereits der italienische Bildhauer Antonio Canova in einem Streitgespräch mit Talleyrand über die Rückführung der von den napoleonischen Truppen Frankreichs aus Rom nach Paris verbrachten Kunstwerke. Canova war einer der ersten, der auf die Bindung bestimmter Kulturgüter an einen Ort oder eine Nation aufmerksam machte und deren Rückführung forderte.1497
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Kulturgüter können danach „auch kollisionsrechtlich nicht wie normale Sachen behandelt werden, sondern ihrer besonderen Stellung müßte durch eine spezielle Kollisionsregel Rechnung getragen werden.“ Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 193–194. Vgl. Siehr, Kulturgüterschutz, in: Ebling/Schulze, Kunstrecht – Zivilrecht, Steuerrecht, 2007, S. 123–124, Rdnr. 59–60. Vgl. die Aufzeichnung Canovas über das Gespräch im September oder Oktober 1815, zitiert bei Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff., S. 38–41; Jayme, Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im Internationalen Privatrecht, in: Dominicé/Patry/Reymond, Études de droit international en l’honneur de Pierre Lalive, 1993, S. 717–731, S. 720–722. Vgl. dazu auch Jayme, Antonio Canova und die Nationalisierung der Kunst, in: Basedow/
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Aber auch heute wird im Schrifttum regelmäßig vergleichbar auf die „ley del Estado de origen del bien“ 1498 Rekurs genommen und eine Heimatrechtsordnung kultureller Güter in die aktuelle Diskussion eingeführt. Vor diesem Hintergrund hat im Anschluss an die Resolution La vente internationale d’objets d’art sous l’angle de la protection du patrimoine culture vom 3. September 1991 1499 des Institut de Droit international 1500 bspw. der belgische Gesetzgeber erst kürzlich in Art. 92 Abs. 1 des Code de droit international privé von 2004 1501 die lex originis für Kulturgüter, zumindest wahlweise, per Gesetz für anwendbar erklärt. 607
Die Relevanz des Belegenheitsortes wird in der Zukunft voraussichtlich auch in anderen Rechtsordnungen durch eine Rechtswahl nach der lex originis (the law of the place of origin) 1502 ersetzt. Es ist die Behauptung zu wagen, dass Kunstrestitutionsstreitigkeiten im internationalen Rechtsvergleich vermehrt nach der Rechtsordnung des kulturellen Ursprungsstaates entschieden werden.1503 Die
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Meier/Schnyder/Einhorn/ Girsberger, Private Law in the International Arena. From National Conflict Rules Towards Harmonization and Unification, Liber Amicorum Kurt Siehr, 2000, S. 281–288. Virgós Soriano, S. 532. Kritisch Merryman, „Protection“ of the Cultural „Heritage“, in: Hazard/Wagner, U.S. Law in an Era of Democratization, 1990, S. 513 ff., S. 521–522. Den Schutz amerikanischen nationalen Kulturguts fordert dagegen Kenety, Who Owns the Past? The Need for Legal Reform and Reciprocity in the International Art Trade, Cornell International Law Journal, Volume 23 (1990), S. 1–46, S. 41 ff. Vgl. ausführlich hierzu 3, 1303 ff. Vgl. Annuaire de l’Institut de Droit International 64 II (Session de Bâle 1991) S. 402 ff. Vgl. Carlier/Fallon/Martin-Body, Code de droit international privé, 2004, Nr. 111.1, 581, 608. Vgl. im internationalen Schrifttum insbesondere Ferrer-Correia, Nouvelles règles de conflit de lois sur la vente internationale d’objets d’art, in: Briat/Freedberg, International Sales of Works of Art, Volume IV, 1993, S. 41 ff., S. 45; Jayme, Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im Internationalen Privatrecht, in: Dominicé/Patry/Reymond, „Études de droit international en l’honneur de Pierre Lalive“, 1993, S. 717–731, S. 720; Koumantos, La protection des biens culturels en droit civil, in: Institute of Hellenic Constitutional History and Constitutional Law, Archaeological heritage – current trends in its legal protection; international conference, Athens, 26–27 November 1992, 1995, S. 169 ff., S. 170 f.; Lhuilier, Les œuvres d’art, res sacrae? R. R. J. 1998, S. 513 ff., S. 549. Vgl. jeweils m.w.N. Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff., S. 3582; Fuchs, Kulturgüterschutz im Kulturgutsicherungsgesetz, IPRax 2000, S. 281–286, S. 284; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 197–199; Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff.; Jayme, Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im Internationalen Privatrecht, in: Dominicé/Patry/Reymond, „Études de droit international en l’honneur de Pierre Lalive“, 1993, S. 717–731; Jayme, Kulturgüterschutz in ausgewählten europäischen Ländern, ZVglRWiss 95 (1996), S. 158–169, S. 167– 168; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 230–232; Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 75; Spaun, Der Herausgabeanspruch bei Diebstahl oder illegalem Export
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
Perpetuierung des vom Herkunftsstaat gewährten Sachenrechtsschutzes wird dann bei einem rechtswidrigen Statutenwechsel aufgrund des Vertrauensgedankens folgerichtig dazu führen, dass nicht nur die Vorfrage des Abhandenkommens oder der unrechtmäßige Entzugsakt eines Kulturguts, sondern die gesamten Rechtsfragen der dinglichen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter (d.h. der gutgläubige rechtsgeschäftliche sowie der originäre Ersitzungserwerb und die Verjährung und Verwirkung zivilrechtlicher Restitutionsansprüche) und ihre gesamten Wirkungen gesondert angeknüpft und dem Recht des Herkunftsstaates sowie den zivilrechtlichen Sanktionen der ausländischen Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze unterstellt werden.1504 Es wird also die Belegenheit als Anknüpfungspunkt beibehalten, jedoch als Lageort von Kulturgütern fiktiv und statisch ihr Herkunftsland angesehen.1505 Danach wird für den Schutz von Kulturgütern, die dem kulturellen Erbe einer Nation zuzurechnen sind, und somit auch für die mangelnde Verkehrsfähigkeit solcher Güter ausschließlich das Recht des Herkunftsstaates als maßgeblich betrachtet, wo auch immer die Sache veräußert wird.1506 Nicht mehr die Belegenheit des Kulturguts, sondern dessen rechtliche und kulturelle Verbundenheit mit seinem Herkunftsland sind danach ausschlaggebendes Anknüpfungsmoment.1507 „Anzuknüpfen seien
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von Kulturgütern, 2003, S. 158–160; Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 127–131. Byrne-Sutton, Le trafic international des biens vulturels sous l’angle de leur revendication par l’Etat d’origine – Aspects de droit international privé, 1988, S. 146 ff.; Mansel, DeWeerth v. Baldinger – Kollisionsrechtliches zum Erwerb gestohlener Kunstwerke, IPRax 1988, S. 268–271, S. 270 f.; Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rdnr. 70. Reichelt, Kulturgüterschutz und Internationales Verfahrensrecht, IPRax 1989 (Heft 4), S. 254–255; Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff., S. 44; Jayme, „Entartete Kunst“ und Internationales Privatrecht (1994), in: Jayme, Nationales Kunstwerk und Internationales Privatrecht – Vorträge, Aufsätze – Gutachten, Gesammelte Schriften, 1998, S. 109–130, S. 122; Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 11. Vgl. insbesondere Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff.; Jayme, Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im Internationalen Privatrecht, in: Dominicé/Patry/Reymond, „Études de droit international en l’honneur de Pierre Lalive“, 1993, S. 717–731; Siehr, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Rechtsverkehr, in: Westphalen/Sandrock, Lebendiges Recht – Von den Sumerern bis zur Gegenwart – Festschrift für Reinhold Trinkner zum 65. Geburtstag, 1995, S. 703–722, S. 715–717 m.w.N. Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff., S. 3582; Jayme, Kulturgüterschutz in ausgewählten europäischen Ländern, ZVglRWiss 95 (1996), S. 158–169, S. 167 f.; Jayme/Kohler, Das Internationale
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
dingliche Rechtsverhältnisse an Kulturgütern an die Herkunfts- oder Schutzlandsrechtsordnung, an die so genannte lex originis.“ 1508 608
Sinn und Zweck der Anknüpfung an das Heimatrecht ist die Angleichung des Privatrechts an die Bestrebungen innerhalb der öffentlich-rechtlichen Regulation des internationalen Kulturgüterverkehrs, die eine immer stärker werdende Tendenz zu einer Nationalisierung kultureller Wertgegenstände aufweist. Der Begriff der Nationalität kultureller Güter gewinnt im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr mehr und mehr Bedeutung.1509 Dabei geht es um die „Bindung eines Kulturgutes an eine bestimmte Nation“ 1510, die durch Ausfuhrverbote gesichert wird. Ziel der Ausfuhrverbote ist, dass „das nationale Kulturgut im Lande verbleibt oder zurückgeführt wird“ 1511. Aus diesem Gesetzeszweck lassen sich Ansätze einer internationalen Zuordnung kultureller Wertgegenstände erkennen, die sich auch auf das (internationale) Privatrecht auswirken 1512 und dementsprechend zu einer „Fixierung der Anknüpfung“ führen müssen: 1513 „Während das internationale Sachenrecht die Veränderungen der Lage akzeptiert und die engste Beziehung des Kulturgutes durch den jeweiligen Lageort konkretisiert, zielt die Nationalisierung des Kulturgutes im internationalen Kulturgüterschutz darauf, die Zuordnung gewisser Kulturgüter festzulegen.“ 1514 Diese Entwicklung rechtfertigt im Internationalen Kulturgüterprivatrecht neue Anknüpfungsmaximen für den internationalen Kulturgüterverkehr i.S.d. lex originis. Die Ausdehnung auf den Bereich des Privatrechts wird dabei nicht für problematisch erachtet, da sie mit der Tendenz zur Ausdehnung des Schutzes übereinstimme.1515
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Privat- und Verfahrensrecht der EG 1993 – Spannungen zwischen Staatsverträgen und Richtlinien, IPRax 1993, S. 357–371, S. 360. Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 11–13. Vgl. Jayme, Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im Internationalen Privatrecht, in: Dominicé/Patry/Reymond, „Études de droit international en l’honneur de Pierre Lalive“, 1993, S. 717–731, S. 718; darauf verweisend auch Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 127–139. Jayme, Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im Internationalen Privatrecht, in: Dominicé/Patry/Reymond, „Études de droit international en l’honneur de Pierre Lalive“, 1993, S. 717–731, S. 719. Jayme, Kunstwerk und Nation: Zuordnungsprobleme im internationalen Kulturgüterschutz, 1991, S. 7. Jayme, Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im Internationalen Privatrecht, in: Dominicé/Patry/Reymond, „Études de droit international en l’honneur de Pierre Lalive“, 1993, S. 717–731, S. 727. So auch die Umschreibung bei Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 127–139. Jayme, Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im Internationalen Privatrecht, in: Dominicé/Patry/Reymond, „Études de droit international en l’honneur de Pierre Lalive“, 1993, S. 717–731, S. 720. Jayme, Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im Internationalen Privatrecht,
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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Die Festigung alternativer Anknüpfungsmaximen in Form der lex originis ist damit ein weiterer Teil der Entwicklung eines eigenen privaten Sachrechts für Kulturgüter, welches das allgemeine Zivilrecht mehr und mehr überlagert.1516 Insbesondere Jayme 1517 fördert innerhalb des kulturgüterspezifischen deutschen Schrifttums die Theorie, privatrechtliche Verhältnisse an Kulturgütern ihrem sog. Heimatrecht zu unterstellen. Rechtlich anerkennenswerte Kriterien, die der Bestimmung der Nationalität eines Kulturguts und damit auch zur Bestimmung des Heimatlandes und folglich des Heimatrechts dienen, sind nach dessen Einschätzung der Ort der kultischen Verehrung 1518, die Nationalität des Schöpfers eines Kulturgutes 1519, der ‚Sitz‘ des Kulturgutes 1520 sowie der Fundort archäolo-
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in: Dominicé/Patry/Reymond, „Études de droit international en l’honneur de Pierre Lalive“, 1993, S. 717–731, S. 720 f. Jayme, Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im Internationalen Privatrecht, in: Dominicé/Patry/Reymond, „Études de droit international en l’honneur de Pierre Lalive“, 1993, S. 717–731, S. 722. Jayme, Internationaler Kulturgüterschutz – Lex originis oder lex rei sitae – Tagung in Heidelberg, IPRax 1990, S. 347–348; Jayme, Die Nationalität des Kunstwerks als Rechtsfrage, in: Reichelt, Internationaler Kulturgüterschutz – Wiener Symposium 18./19. Oktober 1990, 1992, S. 7–30; Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff. Vorsichtig optimistisch zu diesem Lösungsansatz SchwadorfRuckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 113 ff., insbesondere 118–119. Dabei soll aber nicht jedes religiöse Kulturgut ortsgebunden sein, sondern nur solche, deren Entfernung vom Kultort die Religion ihres ‚Zentrums’ berauben würde. Jayme, Kunstwerk und Nation: Zuordnungsprobleme im internationalen Kulturgüterschutz, 1991, S. 29; Jayme, Die Nationalität des Kunstwerks als Rechtsfrage, in: Reichelt, Internationaler Kulturgüterschutz – Wiener Symposium 18./19. Oktober 1990, 1992, S. 7–30, S. 25; Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff., S. 43 ff. Jayme, Die Nationalität des Kunstwerks als Rechtsfrage, in: Reichelt, Internationaler Kulturgüterschutz – Wiener Symposium 18./19. Oktober 1990, 1992, S. 7–30, S. 15–16, Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff., S. 45 ff. Dabei soll insbesondere auch die ‚Rezeption‘, die ein Kulturgut in einem Land erfährt, eine Rolle spielen. Jayme, Die Nationalität des Kunstwerks als Rechtsfrage, in: Reichelt, Internationaler Kulturgüterschutz – Wiener Symposium 18./19. Oktober 1990, 1992, S. 7–30, S. 16 ff., Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff., S. 48.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
gischer Objekte 1521. Während das internationale private Sachenrecht die Veränderung der Lage akzeptiert und die engste Beziehung des Kulturguts durch den jeweiligen Lageort konkretisiert, zielt die Nationalisierung des Kulturguts im internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht darauf, die permanente Zuordnung gewisser Kulturgüter zu ihrer Heimatrechtsordnung als der wesentlich engeren Verbindung zu bestimmen (im Gegensatz zu dem zufällig oder mala fides manipulierten Lageort zum Zeitpunkt der jeweiligen Veräußerung).
Anwendung der lex originis im Internationalen Kulturgüterprivatrecht
Beispiele für eine normative Statuierung der lex originis und Anwendung einer Heimatrechtsordnung kultureller Güter de lege lata
Rechtsdogmatische Fundierung der lex originisRegelung in der Lehre
Bestimmung des kulturellen Ursprungsstaates und einer Heimatrechtsordnung eines Kuturguts
Bewertung einer Rechtswahl nach der lex originis im internationalen Kulturgüterverkehr
Schema 9 – Anwendung der lex originis im Internationalen Kulturgüterprivatrecht
1. 610
Normative Statuierung
Für eine Rechtswahl nach der lex originis gibt es seit Erlass der Resolution La vente internationale d’objets d’art sous l’angle de la protection du patrimoine culture vom 3. September 1991 des Institut de Droit international – zu der auch sog. Baseler Resolution sogleich unter Punkt a) – und der umstrittenen Kollisionsregel innerhalb des europäischen Gemeinschaftsrechts in Art. 12 der Richtlinie 93/7/EWG des Rates der Europäischen Gemeinschaften über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates verbrachten Kulturgütern vom 15.3.1993 – vgl. unter Punkt b) – und deren nationalen Umsetzungsakten (wie bspw. in § 5 Abs. 1 des Kulturgüterrückgabegesetzes vom 18.05.2007 1521
Jayme, Die Nationalität des Kunstwerks als Rechtsfrage, in: Reichelt, Internationaler Kulturgüterschutz – Wiener Symposium 18./19. Oktober 1990, 1992, S. 7–30, S. 26; Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff., S. 49.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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bei Geltendmachung des Rückgabeanspruchs für geschütztes deutsches Kulturgut und in § 9 bei Rückgabeansprüchen anderer Staaten) prominente zwischenstaatliche gesetzliche Vorgaben. Von besonderem Interesse ist innerhalb der Normierung der lex originis heute sicherlich aber Art. 92 Abs. 1 des Code de droit international privé von 2004: Der belgische Gesetzgeber hat darin erst kürzlich die lex originis für Kulturgüter, zumindest wahlweise, per Gesetz für anwendbar erklärt – vgl. hierzu unter Punkt c).
a)
Resolution La vente internationale d’objets d’art sous l’angle de la protection du patrimoine culture vom 3. September 1991
Schrifttum: Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 94–98; Carducci, La restitution internationale des biens culturels et des objets d’art, 1997, S. 179 ff.; Carducci, The Growing Complexity of International Art Law: Conflict of Laws, Uniform Law, Mandatory Rules, UNSC Resolutions and EU Regulations, in: Hoffman, Art and Cultural Heritage – Law, Policy and Practice, 2006, S. 68 ff., S. 77; Ferrer-Correia, La vente internationale d’objets d’art, sous l’angle de la protection du patrimoine culturel, in: Annuaire de l’Institut de Droit International 64-I (1991), Rapport définitif, S. 140–189; Ferrer-Correia, Nouvelles règles de conflit de lois sur la vente internationale d’objets d’art, in: Briat/Freedberg, International Sales of Works of Art, Volume IV, 1993, S. 41 ff.; Jayme, Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im Internationalen Privatrecht, in: Dominicé/Patry/Reymond, „Études de droit international en l’honneur de Pierre Lalive“, 1993, S. 717–731, S. 724 ff.; Jayme, Protection of Cultural Property and Conflict of Laws: The Basel Resolution of the Institute of International Law, IJCP, 6 (1997), S. 376–378, S. 376; Jayme, Kulturgüterschutz in ausgewählten europäischen Ländern, ZVglRWiss 95 (1996), S. 158–169, S. 168; Jayme/Kohler, Das Internationale Privat- und Verfahrensrecht der EG 1993 – Spannungen zwischen Staatsverträgen und Richtlinien, IPRax 1993, S. 357–371, S. 360; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 143–147; Lalive, Sur le régime des objets d’art volés en droit international privé, in: Matscher/Seidl-Hohenveldern/KarasWaldheim, Europa im Aufbruch – Festschrift Fritz Schwind zum 80. Geburtstag, 1993, S. 51–69, S. 60; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 231; Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 295–296; Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 405–410; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 203–204; Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 11–13; Spaun, Der Herausgabeanspruch bei Diebstahl oder illegalem Export von Kulturgütern, 2003, S. 158–160.
Eine ausdrückliche normative Fixierung der Rechtswahl nach der lex originis erfolgte – soweit ersichtlich – erstmals in einer Resolution des Institut de Droit international mit dem Titel La vente internationale d’objets d’art sous l’angle de la protection du patrimoine culture vom 3. September 1991 1522, die das Institut
1522
Vgl. Annuaire de l’Institut de Droit International 64 II (Session de Bâle 1991), S. 402 ff., auch abgedruckt in IPRax 1991, S. 432; RabelsZ 56 (1992), S. 566 ff.; IJCP, 6 (1997), No. 2, S. 377 f. (englischer Text).
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
auf seiner 65. Sitzung in Basel verabschiedete.1523 Das Institut de Droit international ist eine am 8. September 1873 in Gent in Belgien gegründete Vereinigung von Rechtsgelehrten, welche die Entwicklung des internationalen Rechts wissenschaftlich verfolgt und durch innovative Vorschläge beeinflusst. Die Mitglieder erstellen keine internationalen Konventionen, die einen bindenden Charakter aufweisen,1524 sondern nehmen erhebliches Gewicht bei der Bildung von „soft law“ ein, das höchstens mittelbar dann herangezogen werden kann, etwa wenn ein Gericht über unbestimmte Rechtsbegriffe zu entscheiden hat.1525 612
In der Präambel zu der Resolution vom 3. September 1991 betonten die Mitglieder die wachsende Bedeutung der Bewahrung und Erhaltung des nationalen Kulturerbes sowohl innerhalb der Völkergemeinschaft wie auch auf nationaler und regionaler Ebene und anerkannten ausdrücklich sowohl eine Pflicht als auch ein Recht eines jeden Staates zum Schutz seiner national wertvollen Kulturgüter. Zum Schutz solcher Kulturgüter, die Teil der „integral elements of the cultural heritage of the country“ sind, wird ausdrücklich eine verhältnismäßige Einschränkung eines sonst freien Kulturgüterverkehrs toleriert. Ausdrücklich wird dabei innerhalb der Präambel betont, dass „measures, while being justified by the need to safeguard this heritage, should be reconciled as far as possible with the general interests of the international trade of works of art“, und dass „such measures, which interfere with the export of works of art, should be justified by the general interest in protecting the national cultural heritage or the common cultural heritage of international society“. Das Ziel der Resolution ist somit der Schutz des nationalen kulturellen Erbes im Einklang mit den Interessen des
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Vgl. dazu Ferrer-Correia, La vente internationale d’objets d’art, sous l’angle de la protection du patrimoine culturel, in: Annuaire de l’Institut de Droit International 64-I (1991), S. 90–192, S. 140–186. Die Lehre hat die Resolution positiv aufgenommen; vgl. etwa FerrerCorreia, Nouvelles règles de conflit de lois sur la vente internationale d’objets d’art, in: Briat/Freedberg, Legal aspects of International Art Trade (International Sales of Works of Art, Volume 4), 1993, S. 41–46, S. 45; Jayme/Kohler, Das Internationale Privat- und Verfahrensrecht der EG nach Maastricht, IPRax 1992, S. 346–356, S. 347 f.; Jayme/Kohler, Das Internationale Privat- und Verfahrensrecht der EG 1993 – Spannungen zwischen Staatsverträgen und Richtlinien, IPRax 1993, S. 357–371, S. 360; Mansel, DeWeerth v. Baldinger – Kollisionsrechtliches zum Erwerb gestohlener Kunstwerke, IPRax 1988, S. 268–271, S. 271; Gonzalez-Campos/Virgos-Soriano, Le commerce international de l’art en droit espagnol, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. S. 333–355, S. 348–353. So Jayme, Protection of Cultural Property and Conflict of Laws: The Basel Resolution of the Institute of International Law, IJCP, 6 (1997), S. 376–378, S. 376. So Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 143–147, unter Verweis auf BGH, Nigeria-Entscheidung des 2. Zivilsenats vom 22.06.1972, Az.: II ZR 113/70, BGHZ 59, S. 82–87, NJW 1972, S. 1575 ff.
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internationalen Kunsthandels.1526 Zur internationalen Verwirklichung dieses Kulturgüterschutzgedankens weist das Institut in der Präambel abschließend ausdrücklich darauf hin, dass die nationalen Kulturgüterschutzvorschriften der kulturellen Ursprungsstaaten auch extraterritoriale Berücksichtigung finden sollen, insbesondere innerhalb der Rechtsordnung des aktuellen Belegenheitsstaates nach einer unrechtmäßigen Ausfuhr von Teilen des nationalen Kulturpatrimoniums. Aus diesen Gründen lancieren die Mitglieder in der Resolution vom 3. September 1991 ausdrücklich die Empfehlung an Staaten, mittels der folgenden Grundsätze den Kulturgüterschutzgesetzen ausländischer Staaten extraterritoriale Geltung zu verschaffen: La vente internationale d’objets d’art sous l’angle de la protection du patrimoine culture (3 septembre 1991) Article premier 1. Au sens de la présente Résolution, on entend par : a) objet d’art, celui qui est identifié comme appartenant au patrimoine culturel d’un pays par son classement, enregistrement ou tout autre procédé de publicité internationalement admis en la matière ; b) pays d’origine d’un objet d’art, celui auquel, du point de vue culturel, l’objet en question se trouve rattaché par le lien le plus étroit. 2. La présente Résolution porte sur toute vente conclue avant ou après la sortie de l’objet d’art du territoire du pays d’origine en violation de la législation non rétroactive de ce pays en matière d’exportation de biens culturels. 3. La Résolution s’applique à tous les cas futurs où l’objet d’art aura été volé ou soustrait d’une autre manière illicite à son propriétaire ou possesseur, ou illégalement exporté. Article 2 Le transfert de la propriété des objets d’art appartenant au patrimoine culturel du pays d’origine du bien est soumis à la loi de ce pays. Article 3 Les dispositions de la loi du pays d’origine concernant l’exportation d’objets d’art sont applicables. Article 4 1. Si, au regard de la loi du pays d’origine, aucun changement dans la titularité du bien ne s’est produit, le pays d’origine pourra, dans un délai raisonnable, réclamer le retour de l’objet dans son territoire, à condition de prouver que l’absence de l’objet porterait une atteinte significative à son patrimoine culture. 2. Lorsque des objets d’art appartenant au patrimoine culturel d’un pays ont été exportés du pays d’origine dans les circonstances prévues à l’article premier, le possesseur ne peut invoquer la présomption de bonne foi. Le pays d’origine devrait accorder une indemnité équitable au possesseur qui aura prouvé sa bonne foi.
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Siehe dazu die vierte Erwägung der Präambel der Resolution. Vgl. Ferrer-Correia, La vente internationale d’objets d’art, sous l’angle de la protection du patrimoine culturel, in: Annuaire de l’Institut de Droit International 64-I (1991), S. 90–192, S. 93 f.; Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 244; Vischer, General Course an Private International Law, Rec. des Cours 232 [1992-I] S. 13 ff., S. 124.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht 3. Aux fins du paragraphe 2, est un possesseur de bonne foi celui qui, au moment de l’acquisition, ignorait et n’était pas raisonnablement censé connaître l’absence ou les vices du titre du disposant ou le fait que l’objet avait été exporté en violation des dispositions du pays d’origine en matière d’exportation. En cas de donation ou de succession, le possesseur ne peut bénéficier d’un statut plus favorable que celui de son ayant cause.
(1) 614
Situativer Anwendungsbereich
Der Anwendungsbereich der Resolution wird in deren Art. 1 Abs. 2 und 3 bestimmt. Nach Art. 1 Abs. 2 wird jede Veräußerung kultureller Güter erfasst, die vor oder nach dem Export eines Kunstgegenstands unter Verstoß gegen nichtretroaktive Ausfuhrbestimmungen des Herkunftsstaats geschlossen wurde.1527 Das Regelwerk der Resolution soll dementsprechend nach Art. 1 Abs. 3 auf alle künftigen Fälle anwendbar sein, in denen Kulturgut gestohlen oder sonst wie seinem Eigentümer oder Besitzer abhandengekommen oder illegal ausgeführt worden ist.1528 Obwohl dies aus Art. 1 Abs. 3 nicht klar hervorgeht, ist die Resolution damit sowohl in den Fällen eines Exportverstoßes als auch bei gleichzeitigem Diebstahl oder sonstigem Abhandenkommen anwendbar.1529 Innerhalb dieses situativen Anwendungsbereichs zieht Kurpiers in Zweifel, ob die Resolution auch Fälle erfasst, in denen der Gegenstand gestohlen wird oder auf sonstige Weise abhandenkommt, in der Folge aber ohne Verstoß gegen die Ausfuhrbestimmungen des Herkunftsstaates außer Landes gebracht wird. Dagegen spreche, dass nach Art. 1 Abs. 1 a) der Resolution nur solche Gegenstände sachlich erfasst würden, die das Herkunftsland zuvor als Bestandteil seines Kulturerbes registriert oder auf andere Weise öffentlich dokumentiert hatte. Solche Gegenstände werden in der Regel auch durch Ausfuhrbestimmungen geschützt.1530
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So Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 143–147. Vgl. Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 405–410. So Kreuzer, La propriété mobilière en droit international priveé, Recueil des Cours, Collected Courses of the Hagur Academy of International Law, Volume 259 (1996) S. 9 ff., S. 181, obwohl dies nach seiner Auffassung aufgrund von Art. 1 Abs. 2 und 3 der Resolution nicht klar wird. Zur Unterstützung dieser Theorie verweist Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 232, auf die Präambel und den Entwurf der Resolution. Art. 1 Abs. 3 des Entwurfs lautet: „La résolution s’applique tout aussi bien au cas où l’objet d’art aurait été volé … qu’à celui de simple exportation illégale.“ Zum Ganzen auch Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 143–147. Vgl. Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 143–147.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
(2)
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Rechtswahl nach der lex originis
Obwohl im Vorfeld der Sitzung in Basel eine Verbesserung des Schutzes von national wertvollen Kulturgütern insbesondere im Wege der materiellen Rechtsvereinheitlichung 1531 bzw. mit Hilfe einer Sonderanknüpfung von Eingriffsnormen 1532 diskutiert wurde 1533, waren die Mitglieder der 12. Kommission des Institut de droit international schließlich überwiegend der Auffassung, dass dem grenzüberschreitenden Kulturgüterschutz und der Bekämpfung des kulturellen Schwarzmarktes am besten mittels einer kollisionsrechtlichen Anknüpfung des Eigentumserwerbs von Kunstgegenständen an die Rechtsordnung des Ursprungslandes (die sog. lex originis) Rechnung getragen werden könne.1534 Mittels der Resolution vom 3. September 1991 soll somit auf den Eigentumsübergang an Kunstwerken, die zum Kulturerbe eines Landes gehören (Art. 2), das Recht des Staates angewandt werden, mit dessen Kultur das Kunstwerk am engsten verbunden ist („pays d’origine d’un objet d’art“, vgl. Art. 1 Abs. 1 b)).1535 Damit findet auf einen Eigentumsübergang an Kulturgütern, die zum nationalen Kulturpatrimonium eines Staates gehören, das Recht der Heimatrechtsordnung, die lex originis, Anwendung,1536 ohne dass dabei unmittelbar selbst eine materiell-rechtliche Entscheidung des Rechtsstreits getroffen wird.1537
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Dabei kann es sich allein um eine Sachnormverweisung (d.h. eine Anwendungsbestimmung der materiellen Rechtsordnung des kulturellen Ursprungsstaates und nicht dessen internationalen Privatrechts) handeln, da nur auf diese Weise die Vorschrift sinnvolle Anwendung erfahren kann. Angesichts der universalen Geltung der lex rei sitae wäre die lex originis überflüssig, da die situs-Regel des kulturellen Ursprungsstaates wieder auf die Rechtsordnung des Belegenheitsstaates rückverweisen und deshalb nur den bestehenden Rechtszustand bestätigen würde.1538 Innerhalb der Beratungen zur Resolution wurde dabei ausdrück-
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1538
Vgl. ausführlich hierzu 3, 1260 ff. Vgl. ausführlich hierzu 3, 1068 ff. Ferrer-Correia, La vente internationale d’objets d’art, sous l’angle de la protection du patrimoine culturel, in: Annuaire de l’Institut de Droit International 64-I (1991), S. 90–192, S. 113 ff.; und S. 168 ff.; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 203–204. Vgl. auch Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 203–204. Vgl. einführend hierzu Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 295–296. Vgl. Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 11–13. Vgl. Carducci, The Growing Complexity of International Art Law: Conflict of Laws, Uniform Law, Mandatory Rules, UNSC Resolutions and EU Regulations, in: Hoffman, Art and Cultural Heritage – Law, Policy and Practice, 2006, S. 68 ff., S. 77. Vgl. auch Jayme, Kulturgüterschutz in ausgewählten europäischen Ländern, ZVglRWiss 95 (1996), S. 158–169, S. 168.
818
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
lich darauf verwiesen, dass hierdurch insbesondere solche Kulturgüter extraterritoriale Unterschutzstellung erfahren, die nach der Rechtsordnung des kulturellen Ursprungsstaates zu res extra commercium designiert wurden. Bei Anwendung der ausländischen Schutzvorschriften bleiben die Kunstschätze auch vor fremden Foren unveräußerlich und unersitzbar und Herausgabeansprüche bleiben auch im neuen Belegenheitsstaat unverjähr- und unverwirkbar.1539 Die Resolution zielt damit auf den Vorrang des Schutzes und der Bewahrung von Kulturgut vor dem Verkehrsschutz ab.1540 617
Während ein Teil des Schrifttums der Ansicht ist, dass über Art. 2 der Resolution nur auf privatrechtlich oder öffentlich-rechtlich ausgestaltete Sonderregeln für Kulturgüter Bezug genommen wird 1541, gelangen nach der überzeugenden Gegenansicht sowohl die zivilrechtlichen Regelungen wie auch die öffentlichrechtlichen Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze des Herkunftsstaats zur Anwendung: Das bedeutet, dass die dingliche Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter insgesamt der Rechtsordnung des Herkunftsstaats unterstellt wird.1542 Eine Beschränkung des anwendbaren Rechts des Herkunftsstaats auf Sonderregeln für Kulturgüter ergibt sich weder aus dem Wortlaut des Art. 2 noch aus den Ausführungen des Berichterstatters.1543
618
Dass dies auch zu negativen Folgen aus Sicht des Kulturgüterschutzes führen kann, wird anhand der Rechtssache Kunstsammlungen zu Weimar v. Elicofon 1544
1539
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1541
1542
1543
1544
Vgl. Ferrer-Correia, La vente internationale d’objets d’art, sous l’angle de la protection du patrimoine culturel, in: Annuaire de l’Institut de Droit International 64-I (1991), S. 90–192, S. 100 ff. und S. 167, 178; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 203–204. So Ferrer-Correia, La vente internationale d’objets d’art, sous l’angle de la protection du patrimoine culturel, in: Annuaire de l’Institut de Droit International 64-I (1991), S. 90–192, S. 112 f. Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 405–410. Nach der Einschätzung Turners, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 246, sind nur Sonderregeln für Kulturgüter in öffentlichem Eigentum, besondere Regeln für Kulturguteigentum schlechthin, sowie Regeln, in denen der Staat eine Veräußerung von Kulturgütern im Privateigentum von seiner Genehmigung abhängig macht, anwendbar. Danach wäre bei deutschem Recht als dem Recht des Herkunftsstaats eine Anwendung der §§ 929 ff. BGB ausgeschlossen. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 280; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 143–147. Ferrer-Correia, La vente internationale d’objets d’art, sous l’angle de la protection du patrimoine culturel, in: Annuaire de l’Institut de Droit International 64-I (1991), S. 90–192, S. 177 ff.; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 143–147. Vgl. ausführlich hierzu 3, 82 ff.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
819
ersichtlich: Die Anwendung der lex originis ist hier für den ursprünglichen Eigentümer ungünstiger als die lex rei sitae, da bei Anwendung des deutschen Rechts entsprechend dem kulturellen Ursprungsstaat der auf Restitution beklagte Elicofon durch gutgläubige Ersitzung nach § 937 BGB Eigentum an den beiden Dürer-Porträts erworben hätte.1545 Dies wird rechtspolitisch aber auch nicht beanstandet, da der kulturelle Ursprungsstaat ungünstige Ergebnisse durch eine Änderung seiner Gesetze schließlich selbst beheben könne.1546 Als Herkunftsstaat ist ausweislich des Art. 1 Abs. 1 b) der Resolution der Ort anzusehen, zu dem das Objekt die engste kulturelle Verbindung (le lien le plus étroit) aufweist: Innerhalb des „Exposé préliminaire“ der Resolution wird diesbezüglich auf die in Art. 4 der UNESCO-Convention on the Means of Prohibiting and Preventing the Illicit Import, Export and Transfer of Ownership of Cultural Property (Paris) vom 14. November 1970 1547 genannten Kriterien und innerhalb des „Rapport définitif“ zusätzlich auf die Sachzuordnung kultureller Güter zu ihrem Herkunftsstaat nach der Unidroit Convention on Stolen or Illegally Exported Cultural Objects (Rome) vom 24. Juni 1995 verwiesen.1548 Während dies nach Ansicht bei Kreuzer nur eine „Leerformel“ darstellt und in der praktischen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter bei kulturellen Restitutionsstreitigkeiten meist nicht zielführend sein wird 1549, muss nach Ansicht von Ferrer-Correia das unrechtmäßig ausgeführte Kulturgut als signifikanter Ausdruck („comme une expression significative“) der nationalen Kultur desjenigen Staates
1545
1546
1547 1548
1549
Vgl. dazu auch Ferrer-Correia, La vente internationale d’objets d’art, sous l’angle de la protection du patrimoine culturel, in: Annuaire de l’Institut de Droit International 64-I (1991), S. 90–192, S. 177. Ferrer-Correia, La vente internationale d’objets d’art, sous l’angle de la protection du patrimoine culturel, in: Annuaire de l’Institut de Droit International 64-I (1991), S. 90–192, S. 177: „Tant s’en faut, car c’est évidemment à l’Etat lui-même qu’il appartient de prendre les mesures qu’il estimera nécessaires et adéquates à la réservation de ses trésors artistiques. Il ne faut pas être plus royaliste que le roi …“ Vgl. ausführlich hierzu 3, 1271 ff. Art. 4 UNESCO-Convention on the Means of Prohibiting and Preventing the Illicit Import, Export and Transfer of Ownership of Cultural Property (Paris) vom 14. November 1970: Die Vertragsstaaten erkennen an, dass im Sinne dieses Übereinkommens das zu folgenden Kategorien gehörende Gut Teil des kulturellen Erbes jedes Staates ist: a) Kulturgut, das durch die individuelle oder kollektive Schöpferkraft von Angehörigen des betreffenden Staates entstanden ist, und für den betreffenden Staat bedeutsames Kulturgut, das in seinem Hoheitsgebiet von dort ansässigen Ausländern oder Staatenlosen geschaffen wurde; b) im Staatsgebiet gefundenes Kulturgut; c) durch archäologische, ethnologische oder naturwissenschaftliche Missionen mit Zustimmung der zuständigen Behörden des Ursprungslands erworbenes Kulturgut; d) Kulturgut, das auf Grund freier Vereinbarung ausgetauscht worden ist; e) Kulturgut, das als Geschenk entgegengenommen oder mit Zustimmung der zuständigen Behörden des Ursprungslands rechtmäßig gekauft wurde. Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rdnr. 203.
619
820
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
anzusehen sein, der seine Rückführung verlangt.1550 Diese Verbindung („attache intime“) zwischen dem Kunstwerk („oeuvre d’art“) und der Kultur des betroffenen Staates beschreibt dieser in Form von sechs Kriterien: 620
„1) Bestandteile von Bauwerken oder von Komplexen von Bauwerken; 2) religiöse Gegenstände eines lebenden Kultes, die von großer Bedeutung sind; 3) Kunstwerke, die von herausragenden Künstlern geschaffen wurden, die Staatsangehörige des Staats sind oder den dort befindlichen Schulen entstammen; 4) Gegenstände aus archäologischen Ausgrabungen; 5) Kunstwerke in öffentlichen oder privaten Sammlungen, die von ausländischen Künstlern geschaffen wurden und die Ausdruck einer ausländischen Kultur sind, aber seit beträchtlicher Zeit integraler Bestandteil dieser Sammlungen sind, so daß ihre Entfernung die Integrität dieser Sammlungen verletzen würde; 6) Kunstgegenstände, die im Herkunftsstaat legal erworben wurden und nunmehr zum kulturellen Erbe des Erwerberstaats gehören.“ 1551
621
Während die ersten vier Fallsituationen den ursprünglichen Belegenheitsort des Gegenstands und die Nationalität des Künstlers in den Vordergrund stellen und die Zugehörigkeit zu einem Ensemble, die Bedeutung eines lebenden Kults für einen Ort, die Nationalität des Künstlers bzw. die Zugehörigkeit zu einer Schule und der Ausgrabungsort bei archäologischen Gegenständen als Kriterien genannt werden, beziehen sich die beiden letzten Fallsituationen auf Gegenstände aus ursprünglich fremden Kulturen, die aber Bestandteil des kulturellen Erbes des aktuellen Belegenheitsstaats geworden sind.1552 Diese sog. „Rezeption“ eigentlich fremder Kulturgüter zum Patrimonium eines neuen kulturellen Herkunftsstaates setzt nach allgemeiner Rechtsansicht einen legalen Erwerb der Objekte, die rechtmäßige Ausfuhr aus dem kulturellen Ursprungsstaat und die legitime Einfuhr in den Importstaat voraus, ohne dass eine besondere kulturelle Verbindung zu dem neuen Herkunftsstaat vonnöten wäre. Es genügt also eine rechtliche Rezeption,1553 sodass der legale Erwerb eines Kunstgegenstandes zur
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1553
Vgl. Ferrer-Correia, La vente internationale d’objets d’art, sous l’angle de la protection du patrimoine culturel, in: Annuaire de l’Institut de Droit International 64-I (1991), S. 90–192, S. 97. Ferrer-Correia, La vente internationale d’objets d’art, sous l’angle de la protection du patrimoine culturel, in: Annuaire de l’Institut de Droit International 64-I (1991), S. 90–192, S. 153 f., in deutsch zitiert bei Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 143–147. Vgl. dazu auch Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 280 f.; Rigaux, Institut de Droit international – 65 Session in Basel vom 26 August–3 September 1991, RabelsZ 56 (1992), S. 547–552, S. 551; Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 174 f.; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 143–147. Vgl. dazu Ferrer-Correia, La vente internationale d’objets d’art, sous l’angle de la protection du patrimoine culturel, in: Annuaire de l’Institut de Droit International 64-I (1991), S. 90–192, S. 97. Anders aber Ferrer-Correia in Annuaire de l’Institut de Droit International
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
821
Begründung einer „attache intime“ zwischen dem Gegenstand und der Kultur des betroffenen Staats ausreichen soll.1554 Als „Etat d’origine“ i.S.d. Resolution ist somit grundsätzlich der Staat der ursprünglichen Belegenheit des Kulturguts anzusehen („primus situs de l’objet d’art“), ausnahmsweise aber auch der Staat, der einen Gegenstand legal erworben hat.1555
(3)
Anwendung ausländischer Kulturgüterschutzgesetze vor fremden Foren
Ergänzt wird die Rechtswahl nach der lex originis durch Art. 3 der Resolution, wonach ausfuhrbeschränkende Vorschriften des kulturellen Ursprungsstaates (Regelungen des kulturellen Exports) trotz ihrer Qualifikation als Normen des öffentlichen Rechts auch vor fremden Foren Anwendung finden. Die Anwendung ausländischen öffentlichen Rechts des Herkunftsstaats durch ein Gericht der lex fori wird dementsprechend ohne weitere Begründung angenommen. Dies entspricht dem schon traditionellen Verständnis des Institut de droit international, das bspw. ausdrücklich in der Resolution L’application du droit public étranger vom 11. August 1975 anlässlich der Sitzung in Wiesbaden die Anwendung auch ausländischen öffentlichen Rechts bestimmte und mit den Erfordernissen der internationalen Solidarität und der Übereinstimmung der Interessen der Staaten begründete.1556 Da nach überzeugender Ansicht schon mittels der Kollisionsvorschrift des Art. 2 die nationalen Kulturgüterschutzvorschriften trotz ihrer Qualifikation als Normen des öffentlichen Rechts zur Anwendung berufen werden, nimmt nach einem Teil der Literatur Art. 3 lediglich eine Klarstellungsfunktion ein.1557 Anderer Einschätzung nach erklärt Art. 3 der Resolution die Ausfuhrbestimmungen des kulturellen Ursprungsstaates anwendbar, wenn der illegale Export nicht mit einer Eigentumsübertragung verbunden ist. „Dies ist der Fall, wenn keine Verfallsregelung anwendbar ist und der Gegenstand nicht von einem Dritten erworben wird. Während Art. 2 nur die Übertragung von Eigentum dem
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1557
64-II (1992), S. 152 ff., S. 281, wonach Voraussetzung einer engen Beziehung sei, „que l’objet en cause peut être considéré comme une expression significative (voir même très significative) de la culture nationale de l’Etat qui réclame son retour.“ Dieser Einschätzung folgend auch Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 174. Vgl. hierzu auch Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 143–147. Vgl. Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 143–147. Vgl. Ferrer-Correia, La vente internationale d’objets d’art, sous l’angle de la protection du patrimoine culturel, in: Annuaire de l’Institut de Droit International 64-I (1991), S. 90–192, S. 104 f., S. 179. Vgl. auch die Resolution von Oslo in AIDI 57 II, 1977, S. 328 ff. So Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 279 f.
622
822
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Recht des Herkunftsstaats unterstellt, erklärt Art. 3 die Ausfuhrbestimmungen des Herkunftsstaats ohne Einschränkungen für anwendbar.“ 1558
(4)
Originärer materiell-rechtlicher Rückführungsanspruch
623
Die Anwendung des lex originis-Grundsatzes erfolgt insgesamt somit nicht nur auf die erste Veräußerung unrechtmäßig transferierter Kulturgüter, sondern auch auf jede weitere Eigentumsübertragung.1559 Während sich so nach Ansicht Ferrer-Correias in der Anknüpfung an den Herkunftsort der Anknüpfungspunkt der Belegenheit der Sache nicht verändert, sondern nur zeitlich fixiert wird und das Anknüpfungssystem von einem beweglichen zu einem unbeweglichen wechselt – „Le facteur de rattachement ne changerait pas – ce serait toujours le situs rei: non pas, certes, la situation actuelle, mais une localisation précédente“ 1560 – weist Turner zu Recht einschränkend darauf hin, dass der kulturelle Ursprungsstaat im rechtlichen Sinne der Resolution nach legaler, d.h. kulturgüterschutzgesetzkonformer Ausfuhr und rechtsgeschäftlicher Übertragung wechseln könne.1561
624
Hinsichtlich der Effektivität der Resolution für den Schutz und den Erhalt der national bedeutsamen Kulturgüter der Herkunftsstaaten ist jedoch ergänzend darauf hinzuweisen, dass allein auf Grund der kollisionsrechtlichen Verweisung auf die eigene Rechtsordnung keine Restitution erreicht werden kann und grundsätzlich nur dann eine Rückführung vom aktuellen Besitzer möglich ist, wenn dem Ursprungsstaat ein entsprechendes dingliches Recht an dem unrechtmäßig transferierten Kulturgut zusteht. Führt der private Eigentümer selbst den Gegenstand unrechtmäßig (d.h. kulturgüterschutzgesetzwidrig) aus dem Ursprungsstaat aus, so bewirken nur Verfallsregelungen einen Übergang des Eigentums auf den Herkunftsstaat, während schlichte Ausfuhrverbots- und Veräuße1558
1559
1560
1561
So die Erläuterung dieser Ansicht bei Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 143–147. Diese Ansicht darf aber nicht so verstanden werden, dass einem Ausfuhrverbot ein privatrechtlicher Anspruch auf Rückgabe unrechtmäßig transferierter Kulturgüter zukäme. Bedeutung gewinnt diese Auffassung deshalb nur dann, wenn Art. 4 Abs. 1 der Resolution eine, wenn auch unwirksame, Veräußerung voraussetzen würde. Fuentes-Camacho, El tráfico ilicito internacional de bienes culturales, 1993, S. 400 f.; Vischer, General Course an Private International Law, Rec. des Cours 232 [1992-I] S. 13 ff., S. 124. Ferrer-Correia, La vente internationale d’objets d’art, sous l’angle de la protection du patrimoine culturel, in: Annuaire de l’Institut de Droit International 64-I (1991), S. 90–192, S. 174, S. 176; Ferrer-Correia, Nouvelles règles de conflit de lois sur la vente internationale d’objets d’art, in: Briat/Freedberg, Legal aspects of International Art Trade (International Sales of Works of Art, Volume 4), 1993, S. 41–46, S. 45: „(I)l ne s’agit que de passer d’un système de rattachement mobile à un système de rattachement fixe“. Vgl. Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 245.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
823
rungsverbotsvorschriften oder genehmigungspflichtige Veräußerungen nach Maßgabe der lex originis nur die Erhaltung des Eigentums bewirken bzw. zur Unwirksamkeit der Eigentumsübertragung führen.1562 Deshalb sieht die Resolution in Art. 4 Abs. 1 zusätzlich eine Regelung vor, wonach der kulturelle Ursprungsstaat, solange nach dessen Recht kein Eigentumsübergang stattgefunden hat, innerhalb einer angemessenen Frist die Rückführung der ausgeführten Kunstwerke verlangen kann, wenn deren Abwesenheit das kulturelle Erbe des Staates wesentlich beeinträchtigen würde, auch wenn diesem keine dingliche Rechtsposition an dem Objekt zusteht. Diese materiell-rechtliche Regelung ergänzt die Kollisionsregel des Art. 2, um dadurch das letztlich beabsichtigte materielle Ergebnis sicherzustellen.1563 Der Rückführungsanspruch ist öffentlich-rechtlicher Natur und beinhaltet die Rückführung des Kulturguts auf das Territorium des Herkunftsstaats.1564
625
Damit wird dem Herkunftsstaat ermöglicht, die Rückführung von Kunstgegenständen von dem Besitzer auch dann zu verlangen, wenn ihm kein dingliches Recht an dem Gegenstand zusteht.1565 Ohne eine solche zusätzliche materielle Regelung könnten den Ursprungsstaaten nur solche Kulturgüter im Falle des illegalen Exports restituiert werden, die sich bereits zuvor im Staatseigentum befunden haben (bspw. mittels einer generellen Designation kultureller Güter zu Staatseigentum ) oder eine sachenrechtliche Prägung mittels solcher nationaler Exportregularien gefunden haben, die dem Staat ein aufschiebend bedingtes Eigentumsrecht oder ein sonstiges dingliches privatrechtsbeschränkendes Recht im Falle des illegalen Exports kultureller Güter gewährten, nicht jedoch im Rahmen solcher nationaler Kulturexportregularien, die sog. schlichte kulturgutschützende Spezialnormen ohne sachenrechtlich prägende Rechtskonstrukte darstellen.
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Vgl. Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 143–147. Vgl. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 282; Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 405–410; Rigaux, Institut de Droit international – 64 Session in Santiago de Compostela vom 4–14 September 1989, RabelsZ 54 (1990), S. 139–143. Vgl. Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 248; Vischer, General Course an Private International Law, Rec. des Cours 232 [1992-I] S. 13 ff., S. 125; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 143–147. Hierbei orientiert sich die Resolution am Beispiel des Art. 7 (b) (ii) der UNESCO-Konvention, vgl. Ferrer-Correia, La vente internationale d’objets d’art, sous l’angle de la protection du patrimoine culturel, in: Annuaire de l’Institut de Droit International 64-I (1991), S. 90–192, S. 116 f.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
(5)
Entschädigungsanspruch eines gutgläubigen Besitzers
627
Der Einwand des gutgläubigen Erwerbs oder des gutgläubigen Eigenbesitzes ist einem Rückgabeschuldner im Anwendungsbereich der Resolution als Restitutionshindernis verwehrt. Um jedoch einen Ausgleich zwischen dem Rückführungsinteresse unrechtmäßig transferierter Kulturgüter an den kulturellen Ursprungsstaat und dem Interesse des gutgläubigen Rückgabeschuldners zu erreichen, bestimmt Art. 4 Abs. 2 der Resolution in einer weiteren materiellrechtlichen Regelung einen Entschädigungsanspruch eines gutgläubigen Besitzers.1566 Anders als in den meisten nationalen Zivilrechtsordnungen 1567 steht dem Besitzer hier auch nicht die Vermutung des guten Glaubens zur Seite. Kann der Rückführungsschuldner jedoch seine Gutgläubigkeit nachweisen, hat der Ursprungsstaat nach Art. 4 Abs. 2 eine nicht näher präzisierte Entschädigung zu zahlen. Gutgläubig i.S.d. Art. 4 Abs. 2 ist nach Abs. 3 nur derjenige, der zum Zeitpunkt des Erwerbs des Kulturguts weder von der fehlenden Eigentumsposition des Veräußerers noch von der Ausfuhr entgegen den nationalen Kulturgüterschutzvorschriften des Ursprungsstaates wusste oder hätte wissen müssen. Außerdem darf nach Art. 4 Abs. 3 S. 2 der Besitzer des Kulturguts im Falle der Schenkung bzw. der Erbfolge nicht besser stehen als dessen Vorbesitzer.
628
In der Literatur wird teilweise die Auffassung vertreten, Art. 4 Abs. 2 der Resolution sei auch auf einen privatrechtlichen Herausgabeanspruch des Staats oder eines Privaten anzuwenden.1568 Gegen diese Auffassung wendet die herrschende Meinung aber den Wortlaut von Art. 4 Abs. 2 ein, wonach nur der Herkunftsstaat, nicht aber ein privater Eigentümer zur Zahlung einer Entschädigung verpflichtet sei.1569 „Bei einer kollisionsrechtlichen Verweisung auf das Recht des Herkunftsstaats sollte es diesem überlassen werden, einen Ausgleich zwischen den beteiligten Interessen des ursprünglichen Eigentümers und des gutgläubigen
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Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 282; Reichelt, Die Rolle von UNIDROIT für den Internationalen Kulturgüterschutz – Neue methodische Ansätze im „UNIDROIT-Entwurf 1990 über gestohlene und unerlaubt ausgeführte Kulturgüter“, in: Matscher/Seidl-Hohenveldern/Karas-Waldheim, Europa im Aufbruch – Festschrift Fritz Schwind zum 80. Geburtstag, 1993, S. 205–214, S. 209, spricht von einer „Art Lösungsrecht“. Zum Ganzen auch Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 405–410. Vgl. ausdrücklich hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 3. Teil, Rdnr. 169 ff. So Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 249. Vgl. Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 143–147.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
825
Erwerbers herbeizuführen. Das Recht des Herkunftsstaats kann auch ein Lösungsrecht vorsehen.“1570
(6)
Gegenständlicher Anwendungsbereich der Resolution: Einschränkung auf das nationale Kulturerbe
Um eine ungebührliche Einschränkung des internationalen Kunsthandels und zu weitreichende Beeinträchtigungen der Verkehrssicherheit zu verhindern und nur solche Kulturgüter auch nach einem Statutenwechsel ihrer Heimatrechtsordnung zu unterwerfen, die tatsächlich zum unersetzbaren Teil des nationalen Kulturpatrimoniums des kulturellen Ursprungsstaates zählen, wird in Art. 1 Abs. 1 a) zusätzlich zum Kriterium der engsten Verbindung noch gefordert, dass die Objekte von der Rechtsordnung, die sie als zu ihrem kulturellen Erbe gehörig ansieht, auch als solche registriert, klassifiziert oder mittels eines anderen international anerkannten Publizitätsaktes bestimmt worden sind.1571 „Kunstwerke“ sind dementsprechend nur solche Gegenstände, die durch einen Publizitätsakt1572 zum kulturellen Erbe einer Nation erklärt worden sind.1573 Gegenstände, die keinem Identifikationsprozess unterworfen sind, werden von der Resolution nicht erfasst.1574 Dadurch soll sichergestellt werden, dass nur solche Rechtsordnungen angewandt werden, die auch ein Interesse an der Bestimmung des rechtlichen Schicksals des betreffenden Kulturguts haben.1575
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„Diese Voraussetzung erleichtert die Bestimmung der lex originis, verhindert aber auf der anderen Seite auch, daß noch unbekannte Kulturgüter, z.B. unausgegrabene archäologische Gegenstände, durch Anknüpfung an ihre lex originis geschützt werden. Viele der als res extra commercium behandelten Kulturgüter werden durch diese Einschränkung aber nicht betroffen, da sie dem besonderen dinglichen Regime in der Regel aufgrund eines Klassifikationsaktes unterliegen oder/und inventarisiert worden sind. Insgesamt
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Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 143–147. Vgl. Ferrer-Correia, La vente internationale d’objets d’art, sous l’angle de la protection du patrimoine culturel, in: Annuaire de l’Institut de Droit International 64-I (1991), S. 90–192, S. 96, 98; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 203–204. Lalive, Sur le régime des objets d’art volés en droit international privé, in: Matscher/SeidlHohenveldern/Karas-Waldheim, Europa im Aufbruch – Festschrift Fritz Schwind zum 80. Geburtstag, 1993, S. 51–69, S. 62: „II est vrai que l’audace de ces propositions est tempérée par la limitation de leur portée, la Resolution prétendant s’appliquer seulement à l’objet identifié comme appartenant au patrimoine culturel d’un pays par son classement, enregistrement ou tout autre procédé de publicité internationale admis en la matière“. Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 203–204. Vgl. Siehr, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Rechtsverkehr, in: Westphalen/Sandrock, Lebendiges Recht – Von den Sumerern bis zur Gegenwart – Festschrift für Reinhold Trinkner zum 65. Geburtstag, 1995, S. 703–722, S. 721. Vgl. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 231.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht unterstützt die Resolution des Institut de droit international aufgrund der Anknüpfung an die lex originis eine internationale Anerkennung des Status eines Kulturguts als res extra commercium.“1576
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Die Rechtswahl nach der lex originis hat somit für den Erwerber eines Kunstwerks zur Folge, dass er die in Art. 1 Abs. 1 a) beschriebenen Methoden der Unterschutzstellung beiziehen und feststellen muss, ob und unter welchen Voraussetzungen die Veräußerung geschützter Kulturgüter möglich ist, d.h. ob ein solcher Verkauf verboten ist oder einer Genehmigung bedarf.1577
(7) 632
Die Resolution vom 3. September 1991 hat innerhalb des Schrifttums nicht nur Anhänger gefunden und wird bspw. von Stoll kritisiert.1578 Nach dessen Einschätzung ist es bedenklich, dass die Ausnahmeregelung der lex originis die Bestimmung des anwendbaren Rechts „von unklaren, auslegungsbedürftigen Begriffen abhängig“ macht, „so von dem Begriff des zum nationalen Kulturerbe gehörenden Kunstwerkes (Art. 1 Abs. 1a) und der engsten kulturellen Verbindung des Kunstwerkes zu einem Land (Art. 1 Abs. 1b).“ 1579 Darüber hinaus müsse dem Belegenheitsstaat, in dessen Bereich der Veräußerungsvorgang stattgefunden habe, die Entscheidung darüber zugestanden werden, ob dem Verkehrsinteresse oder den Interessen eines Staates der Vorrang gebührt, der das Kunstwerk als Kulturerbe in Anspruch nimmt. Ob andere Staaten, insbesondere der kulturelle Herkunftsstaat, diese Entscheidung anerkennen, sei aber letztlich eine nach den Umständen zu beurteilende Frage des ordre public. Insgesamt muss aber auch Stoll anerkennen, dass in zunehmendem Maße alle Staaten von der vordringenden Idee eines allen zustehenden Rechts auf Schutz ihres kulturellen Erbes international durchdrungen werden.1580
b) 633
Kritik an der Resolution
Art. 12 der EG-Richtlinie 93/7/EWG vom 15. März 1993 (str.)
Eine „praktische Tendenz zur Auflockerung der lex rei sitae“1581 scheint aber nicht nur Art. 2 der Resolution des Institut de Droit international zu enthalten, sondern auch Art. 12 der EG-Richtlinie 93/7/EWG des Rates über die Rückgabe
1576
1577
1578
1579 1580 1581
So Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 203–204. Vgl. Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 107; Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 405–410. Hierzu Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 295– 296. So Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 295–296. So Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 295–296. So die Terminologie bei Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 405–410.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern vom 15. März 1993 und – als nationale Umsetzungsakte innerhalb Deutschlands – § 5 Abs. 1 des Kulturgüterrückgabegesetzes1582 vom 18.05.2007 bei Geltendmachung des Rückgabeanspruchs für geschütztes deutsches Kulturgut und § 9 bei Rückgabeansprüchen anderer Staaten. Danach bestimmt sich innerhalb des innereuropäischen Restitutionsverfahrens unrechtmäßig verbrachter Kulturgüter ausdrücklich die Frage des Eigentums an den Objekten nach erfolgter Rückgabe ausdrücklich nach dem Recht des ersuchenden Mitgliedstaats. Wie bereits ausführlich dargestellt wurde1583, herrscht jedoch innerhalb der Literatur Streit um die richtige Auslegung und das treffende Verständnis des Inhalts der Richtlinie. Zumindest die quantitativ herrschende Meinung folgt heute jedoch – ganz im Sinne der vorliegenden Untersuchung – der sog. kollisionsrechtlichen Theorie, spricht Art. 12 der Richtlinie 93/7/EWG und §§ 5 Abs. 1 und 9 des deutschen Kulturgüterrückgabegesetzes vom 18.05.2007 einen kollisionsrechtlichen Gehalt zu und stimmt darin überein, dass diese Regelungen dem Wortlaut nach eine Kollisionsnorm darstellen und eine Rechtswahl nach der lex originis des Kulturguts verlangen.1584 Je nach inhaltlicher Ausgestaltung der Ansichten innerhalb dieses Meinungsstranges beinhaltet Art. 12 entweder eine Gesamt- oder eine Sachnormverweisung auf die Rechtsordnung des Ursprungsstaates des Kulturguts, sodass ein Abrücken von dem ehernen Grundsatz der lex rei sitae erfolgt, die sachenrechtserhebliche Einwirkung auf die Eigentumsposition an unrechtmäßig entzogenen Kulturgütern der Rechtswahl der lex originis unterfällt und somit entweder die Kollisionsvorschriften des ersuchenden Mitgliedstaates nach Rückkehr des Kulturguts die erheblichen Sachzuordnungsregeln bestimmen (Gesamtverweisung) oder sich die dingliche Sachzuordnung unmittelbar nach den materiellen Sachenrechtsregeln des kulturellen Ursprungsstaates bestimmt (Sachnormverweisung). Art. 12 substituiert danach die althergebrachte Regel der Sachenrechtswahl nach der lex rei sitae, indem die Norm anstelle des Systems desjenigen Staates, in den ein Kulturgut illegal exportiert wurde und in dem es dann veräußert wurde, generell die Sachenrechtsordnung desjenigen Staates für anwendbar bestimmt, aus dessen Hoheitsgebiet das Kulturgut unrechtmäßig verbracht wurde.1585 Damit erkennen die Vertreter dieser Ansicht in Art. 12 eine
1582
1583 1584 1585
Gesetz zur Ausführung des UNESCO-Übereinkommens vom 14. November 1970 über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der rechtswidrigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut und zur Umsetzung der Richtlinie 93/7/EWG des Rates vom 15.März 1993 über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern vom 18.05.2007, gültig ab dem 29.02.2008: BGBl. I 2007, 757 (2547). Vgl. ausführlich hierzu 3, 138 ff. Vgl. ausführlich hierzu m.w.N. 3, 167 ff. Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes, 1994, S. 196 f.; Jayme/Kohler, Das Internationale Privat- und Verfahrensrecht der EG 1993 – Spannungen zwischen Staatsverträgen und Richtlinien, IPRax 1993, S. 357–371, S. 360, Jayme/Kohler, Das Internationale Privat- und Verfahrensrecht der EG nach Maastricht, IPRax 1992,
827
828
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
europäische Rechtsanwendungsbestimmung und normative Legitimation der lex originis-Regel für den illegalen Kulturgütertransfer innerhalb Europas.1586
c)
Wahl zwischen der ‚lex originis‘ und der ‚lex rei sitae‘ in Belgien
634
Besonders hervorhebenswert sind innerhalb der normativen Statuierungsanstrengungen der lex originis insbesondere die jüngsten Reformbemühungen des internationalen Sachenrechts der Kulturgüter im Königreich Belgien.1587
635
Art. 90 der Loi portant le Code de droit international privé/Wet houdende het Wetboek van internationaal privaatrecht vom 16. Juli 2004:1588 Lorsqu’un bien qu’un Etat inclut dans son patrimoine culturel a quitté le territoire de cet Etat de manière illicite au regard du droit de cet Etat au moment de son exportation, sa revendication par cet Etat est régie par le droit dudit Etat en vigueur à ce moment ou, au choix de celui-ci, par le droit de l’Etat sur le territoire duquel le bien est situé au moment de sa revendication. Toutefois, si le droit de l’Etat qui inclut le bien dans son patrimoine culturel ignore toute protection du possesseur de bonne foi, celui-ci peut invoquer la protection que lui assure le droit de l’Etat sur le territoire duquel le bien est situé au moment de sa revendication.
636
Diese, in nationalen Kollisionsvorschriften bislang einzigartige Norm ermächtigt den Herkunftsstaat eines Kulturguts, aus dem das Kulturgut illegal exportiert wurde, für die Vindikation zwischen dem Belegenheitsrecht und der lex origi-
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S. 346–356, S. 348; Jayme, Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im Internationalen Privatrecht, in: Dominicé/Patry/Reymond, „Études de droit international en l’honneur de Pierre Lalive“, 1993, S. 717–731, S. 729–730. Aufschlussreich für eine Auslegung des Art. 12 der Richtlinie 93/7/EWG vom 15.3.1993 ist deren nationale Umsetzung in Österreich. § 20 des Bundesgesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 93/7/EWG über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft verbrachten Kulturgütern normiert eine vom Zeitpunkt der Rückgabe des Kulturguts an rückwirkende Sachnormverweisung auf das Recht des ersuchenden Mitgliedstaates für die Zeit nach der unrechtmäßigen Verbringung und vor der Rückgabe des Kulturguts, um einen Erwerb des Eigentums am Kulturgut nach der lex rei sitae, der nach der lex originis nicht möglich gewesen wäre, nicht anzuerkennen. Es soll eine Durchsetzung der nationalen Kulturgüterschutzvorschriften des ersuchenden Mitgliedstaats erfolgen, um zum Beispiel verwaltungsrechtliche Veräußerungsverbote international wirksam zu machen. Eine Besonderheit der österreichischen Umsetzung des Art. 12 der Richtlinie ist eine Aufspaltung des Sachenrechtsstatuts in Eigentum (lex originis) und sonstige dingliche Rechte (lex rei sitae), d.h., dass die Verweisung lediglich sachenrechtliche Einwirkungen des Erwerbs oder des Verlusts des Eigentums am Kulturgut erfasst, andere dingliche Rechte als das Eigentum jedoch von der Regelung nicht umfasst werden. Diesem Ansatz wurde innerhalb der deutschen Rechtsordnung jedoch nicht gefolgt. Vgl. Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 71–77. Vgl. dazu auch Siehr, Internationales Sachenrecht. Rechtsvergleichendes zu seiner Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, ZVglRWiss 104 (2005), S. 145–162, S. 152; Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 11–13. Moniteur belge du 27/07/2004, S. 57344. Deutsche Übersetzung bei Siehr, Internationales Sachenrecht. Rechtsvergleichendes zu seiner Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, ZVglRWiss 104 (2005), S. 145–162, S. 152 f.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
829
nis zu wählen.1589 Diese Bevorzugung der Interessen des Kulturgüterschutzes gilt aber nicht uneingeschränkt und es wird in S. 2 ein Ausgleich mit den Belangen des internationalen Kunsthandels und der Rechtssicherheit gesucht, indem der Schutz des guten Glaubens des redlichen Erwerbers sichergestellt bleiben muss. Vergleichbares sieht auch der neue Art. 92 der Loi portant le Code de droit international privé/Wet houdende het Wetboek van internationaal privaatrecht vom 16. Juli 2004 zugunsten eines bestohlenen Eigentümers vor:
637
Art. 90 der Loi portant le Code de droit international privé/Wet houdende het Wetboek van internationaal privaatrecht vom 16. Juli 2004:1590 La revendication d’un bien volé est régie, au choix du propriétaire originaire, soit par le droit de l’Etat sur le territoire duquel le bien était situé au moment de sa disparition, soit par celui de l’Etat sur le territoire duquel le bien est situé au moment de sa revendication.
638
Die Sonderkollisionsnorm für den Bereich aller gestohlenen Sachen, also nicht nur für Kulturgüter, steht in Übereinstimmung mit dem Vorschlag Mansels1591, der auf das Recht am Diebstahlsort abstellt, und fixiert somit die lex rei sitae zeitlich. Auch hier wird aus Gründen der Flexibilität von der starren und uneingeschränkten Geltung der lex rei sitae abgewichen. Nichtsdestotrotz wird aber aus den entsprechenden Gesetzgebungsmaterialien1592 ersichtlich, dass der neue Art. 90 des belgischen Kollisionsrechts vom 16. Juli 2004 im Übrigen nach Art. 87 weiterhin auf der lex rei sitae-Regel aufbaut:1593
639
„Selon l’article 87, qui a une portée générale, l’acquisition des droits réels est régie par le droit de l’État sur le territoire duquel le bien se trouve au moment de Ia transaction. Les articles 90 et 92 énoncent un régime spécifique concernant les bien culturels et un problème spécifique, à savoir celui régissant la revendication. L’article 90 ne dit pas qui est le propriétaire ni comment la propriété s’acquiert. Il se borne à régler le problème de la revendication. Lesdites dispositions sont intéressantes pour ce qui est du problème de la spoliation.“1594
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Vgl. Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 11–13. Moniteur belge du 27/07/2004, S. 57344. Mansel, DeWeerth v. Baldinger – Kollisionsrechtliches zum Erwerb gestohlener Kunstwerke, IPRax 1988, S. 268–271, S. 271. Documents du Sénat: 3-27-2003-2004: N°7: Proposition de loi portant le Code de droit international privé, Rapport fait au nom de la Commission de la Justice par Mme Nyssens et M. Willems, S. 353. Vgl. Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 11–13. Zitiert bei Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 11–13.
830
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
2.
Rechtsdogmatische Fundierung der lex originis-Regelung in der Lehre
641
Die rechtstheoretischen Stützen der lex originis-Regel innerhalb des Schrifttums betonen, dass eine Anwendungsbestimmung der Rechtsordnung des kulturellen Ursprungsstaates einen besonders großen Nutzen aus Kulturgüterschutzgesichtspunkten zur Folge hat und zugleich eine tolerierbare Eingrenzung des internationalen Kunsthandels mit sich bringt. Die Anknüpfung an die Rechtsordnung des Ursprungsstaats eines Kulturguts stelle nämlich keine unmittelbare Abkehr von dem allgemein anerkannten Prinzip der lex rei sitae dar, sondern korrigiere bzw. revidiere den traditionellen Anknüpfungspunkt der örtlichen Belegenheit einer Sache im Rahmen der Rechtswahl allein dahingehend, dass die ursprüngliche lex rei sitae (d.h. die Rechtsordnung des kulturellen Ursprungsstaates) permanent fixiert bzw. perpetuiert werde:1595 „Il s’agit que de passer d’un systeme de rattachement fixe.“1596 Betrachte man eine Anknüpfung nach der lex originis aus diesem Blickwinkel, könne man somit allein von einer (zeitlichen) Modifikation der Rechtswahl nach der örtlichen Belegenheit der Sache, nicht aber von einer vollständigen Abkehr von dem situs-Prinzip ausgehen, um den konkreten Interessen im internationalen Kulturgütertransfer besser zu begegnen.1597
642
Ein völkerrechtlicher Anspruch des Ursprungsstaates auf extraterritoriale Beachtung seiner Kulturgutschutzgesetzgebung und damit auf die Anerkennung einer dinglichen Sachzuordnung der Objekte des nationalen kulturellen Erbes bzw. auf „exclusive sovereignty“ ist heute noch äußerst strittig.1598 Die ausnahmsweise erfolgende extraterritoriale Anwendung ausländischer Kulturgüterund Denkmalschutzgesetze als Normen öffentlichen Rechts des kulturellen Ausfuhrstaates im Falle illegal exportierter Kulturgüter wird von Teilen der Literatur mit „comitas“1599, von anderen mit „internationaler Solidarität oder Kooperation“1600 oder dem „Grundsatz vom Schutz der Kulturgüter als Erbe der 1595
1596
1597 1598
1599
1600
Jayme, Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im Internationalen Privatrecht, in: Dominicé/Patry/Reymond, „Études de droit international en l’honneur de Pierre Lalive“, 1993, S. 717–731, S. 729–730. Ferrer-Correia, La vente internationale d’objets d’art, sous l’angle de la protection du patrimoine culturel, in: Annuaire de l’Institut de Droit International 64-I (1991), S. 90–192, S. 174; Ferrer-Correia, Nouvelles règles de conflit de lois sur la vente internationale d’objets d’art, in: Briat/Freedberg, Legal aspects of International Art Trade (International Sales of Works of Art, Volume 4), 1993, S. 41–46, S. 45. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 282. So Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 127–139. Vgl. Kreuzer, La propriété mobilière en droit international priveé, Recueil des Cours, Collected Courses of the Hagur Academy of International Law, Volume 259 (1996) S. 9 ff., S. 213. Vgl. Fuentes-Camacho, El tráfico ilicito internacional de bienes culturales, 1993, S. 391, 393.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
831
Menschheit“1601 begründet.1602 Rechtskonstruktiv hat die Anknüpfung nach den Grundsätzen der lex originis in diesem Sinne zur Folge, dass zur Sicherung des nationalen Kulturerbes des Ursprungsstaats auch eine unmittelbare Anwendungsbestimmung ausländischer Kulturgüterschutzvorschriften trotz deren Qualifizierung als Normen des öffentlichen Rechts vorgenommen werde und somit stillschweigend eine Derogation von dem Prinzip der Nichtanwendbarkeit kulturgutschützender Gesetze aufgrund ihrer Qualifizierung als Normen ausländischen öffentlichen Rechts erfolge.1603 Wie bereits voranstehend skizziert, fordert in diesem Sinne bspw. auch die Präambel der Resolution La vente internationale d’objets d’art sous l’angle de la protection du patrimoine culture (Resolution von Basel) vom 3. September 19911604 – ebenso wie das Institut bereits zuvor in den Resolutionen von Wiesbaden aus dem Jahre 1975 („L’application du droit public étranger“) und Oslo aus dem Jahre 1977 („Les demandes fondées par une autorité étrangère ou par un organisme public étranger sur des dispositions de son droit public“) – unter bestimmten Umständen die Rechtsanwendung auch ausländischer öffentlich-rechtlicher Normen vor nationalen Zivilforen. So wird bspw. in Art. 1 b) der Resolution von Oslo die Auffassung vertreten, dass die Applikation ausländischen öffentlichen Rechts unter anderem durch die Notwendigkeit der internationalen Solidarität und die übereinstimmenden Interessen der Staaten geboten sei. Insofern verlautbart auch im Zusammenhang mit der Resolution von Basel vom 3. September 1991 immer wieder, dass gerade der Schutz des nationalen Kulturerbes und die Bekämpfung des illegalen Kulturgüterverkehrs im übereinstimmenden Interesse der Staaten liegen und für ihre erfolgreiche Umsetzung der internationalen Solidarität bedürfen.1605 Aufbauend auf diesen Erwägungen machen sowohl das Institut de Droit International als auch die herrschende Rechtsdogmatik deutlich, dass auch die nationalen Kulturgüterschutzgesetze und deren kultu1601
1602
1603
1604 1605
So S. Ferrer-Correia, La vente internationale d’objets d’art, sous l’angle de la protection du patrimoine culturel, in: Annuaire de l’Institut de Droit International 64-I (1991), S. 90–192, S. 90 ff. Vgl. zum Ganzen Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 127–139. „Auffallend ist zudem, dass sich sämtliche Normen und Regelungsvorschläge, welche die lex originis als maßgebliches Sachstatut für Kulturgut etablieren, nicht daran stören, dass öffentliche Belange und Interessen mit den Mitteln des Privatrechts erreicht werden.“ Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 265–271. Vgl. ausführlich hierzu 3, 1303 ff. Vgl. Carducci, The Growing Complexity of International Art Law: Conflict of Laws, Uniform Law, Mandatory Rules, UNSC Resolutions and EU Regulations, in: Hoffman, Art and Cultural Heritage – Law, Policy and Practice, 2006, S. 68 ff., S. 77; Ferrer-Correia, La vente internationale d’objets d’art, sous l’angle de la protection du patrimoine culturel, in: Annuaire de l’Institut de Droit International 64-I (1991), S. 90–192, S. 112–113; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 281.
643
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
relle Ausfuhrbeschränkungen durch die Notwendigkeit der internationalen Solidarität und der übereinstimmenden Interessen gefordert sind und dass aus diesen Gründen der Anwendung ausländischen öffentlichen Rechts vor nationalen Zivilforen keine Bedenken entgegenstehen. Hierbei ist aber klarzustellen, dass auch über die lex originis nur die zivilrechtlichen Wirkungen der nationalen Kulturgüterschutzgesetze extraterritoriale Anwendung erfahren (wie bspw. ein möglicher Eigentumsverfall unrechtmäßig exportierter Kulturgüter an den kulturellen Ursprungsstaat oder die Ausübung eines dinglichen Vorkaufsrechts, insbesondere aber Vorschriften zur Extrakommerzialität kultureller Wertgegenstände und deren Unveräußerlich-, Unersitz-, Unverjähr- und Unverwirkbarkeit), nicht jedoch unmittelbar öffentlich-rechtliche Herausgabeansprüche des kulturellen Ursprungsstaates Anwendung finden. 644
Im internationalen Kunsthandel mit zuvor unrechtmäßig entzogenen Kulturgütern steht insbesondere die Abwägung von Eigentümer- und Verkehrsschutzinteressen im Vordergrund.1606 „Effectivement il arrive souvent que les besoins de protection spécifiques du propriétaire d’un objet d’art, qui représentent également certains intérêts généraux (par exemple la nécessité de combattre les vols, ou de sauver un patrimoine national ou mondial), ne soient pris en considération; et d’autres fois les intérêts des acquéreurs de bonne foi et de la fluidité du commerce sont complètement méconnus.“1607 Der ursprüngliche Eigentümer und der gutgläubige Erwerber sind beide „unschuldige“ Parteien, die grundsätzlich Schutz verdienen.1608 Die oben genannten Auflockerungstendenzen des situsGrundsatzes sind vor diesem Hintergrund aber Ausdruck der Erkenntnis, dass zum Schutz des nationalen Kulturpatrimoniums die herkömmliche Interessenbewertung der lex rei sitae, welche einseitig den Verkehrsschutz und die Belange gutgläubiger Erwerber unrechtmäßig entzogener Kulturgüter in den Vordergrund stellt,1609 nicht passt.1610 1606
1607
1608 1609
1610
Vgl. diese Fragestellung auch bei Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217. Zitiert bei Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217. Jayme, „Entartete Kunst“ und Internationales Privatrecht, 1994, S. 7 ff., S. 35. Die situs-Regel berücksichtigt einseitig die Erwerberinteressen. Vgl. Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217. Vgl. auch Lalive, Sur le régime des objets d’art volés en droit international privé, in: Matscher/Seidl-Hohenveldern/Karas-Waldheim, Europa im Aufbruch – Festschrift Fritz Schwind zum 80. Geburtstag, 1993, S. 51–69, S. 66: „Il nous paraît tout à fait justifié dans le cas particulier du transfert de la propriété des œuvres d’art – un domaine où, nul ne l’ignore, la passion du collectionneur ou l’esprit de lucre conduit trop d’acheteurs à acquérir, sinon les yeux fermés, du moins en s’inquiétant trop peu de l’origine de l’objet et du pouvoir du vendeur d’en disposer.“.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
833
Dies gilt umso mehr, als bei einem unrechtmäßigen Entziehungsakt kultureller Wertgegenstände der ursprüngliche Eigentümer keinen Einfluss auf den Belegenheitsort des Kulturguts mehr ausüben kann und die Verbindung zwischen dem Kulturgut und der lex rei sitae nicht mehr Ausdruck derjenigen Rechtsordnung ist, die den Beteiligten eines Kulturguttransfers am besten bekannt ist: Da die freiwillige Unterwerfung unter eine Rechtsordnung Voraussetzung für die Anwendung der situs-Regel ist, kann von einer solchen nicht mehr gesprochen werden, wenn das Kulturgut gegen oder ohne den Willen des Eigentümers in ein anderes Land gebracht wird.1611
645
„En effet, le propriétaire originaire d’un objet volé ne sait justement pas où se trouve son objet, ni donc le droit applicable, bien qu’étant directement en cause lors d’une vente ultérieure dont dépendra peut-être la perte de son titre. Cette idée d’admettre une autre règle de conflit pour la revendication de biens volés peut paraître encore plus attrayante lorsqu’il s’agit d’objets d’art, puisque, comme nous l’avons vu, le propriétaire dépossédé se trouve dans une situation particulièrement précaire, et cue divers intérêts spécifiques sont en cause.“1612 Deshalb ist Kurpiers der Ansicht, dass sich der Eigentümer auf den Schutz durch das Recht am Belegenheitsort seiner Wahl verlassen können müsse:1613 „Auf die Anwendung dieses Rechts sollte er auch dann vertrauen können, wenn sich die Belegenheit des Kulturguts ohne oder gegen seinen Willen ändert.“1614
646
Dementsprechend müsse eine Perpetuierung des vom Herkunftsstaat gewährten Sachenrechtsschutzes bei rechtswidrigem Statutenwechsel aufgrund des Vertrauensgedankens erfolgen, sodass nicht nur die Vorfrage des Abhandenkommens oder Diebstahls der Sache, sondern die gesamte dingliche Sachzuordnung
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1612
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Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217. Byrne-Sutton, Qui est le propriétaire légitime d’un objet d’art volé? Une source de conflits dans le commerce international, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 483–499, S. 491. Darauf verweisend auch Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217. „Die Anwendung der jeweiligen lex rei sitae ist somit nur dann gerechtfertigt, wenn sich der Eigentümer der am Belegenheitsort gültigen Rechtsordnung freiwillig unterworfen hat. In diesem Umfang ist der Eigentümer schutzwürdig. Wird eine Sache gestohlen oder kommt sie sonst abhanden, so ist eine freiwillige Unterwerfung des Eigentümers unter die am neuen Belegenheitsort gültige Rechtsordnung zu verneinen.“ Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217. So ausdrücklich Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
unrechtmäßig entzogener Kulturgüter gesondert angeknüpft und dem Recht des Herkunftsstaates unterstellt werden müsse.1615 Die Anknüpfung an die lex originis steht dabei im Gegensatz zu dem Interesse an einem freien und unbeschränkten Kulturgüterverkehr, das hier aber zurücktreten müsse, weil es gegenüber dem von allen Staaten geteilten Interesse, national bedeutsames Kulturgut im Land zu bewahren, nur einen eingeschränkten Schutz verdient.1616 648
Wie bereits einleitend festgestellt, steht die lex originis dann auch nicht im Widerspruch zu dem theoretischen Konstrukt Savignys – dem Begründer der lex rei sitae.1617 Dieser fragt allgemein, „ob denn ein innerer Grund vorhanden ist, die dinglichen Rechte an beweglichen Sachen nach einem anderen örtlichen Recht zu beurtheilen, als die an unbeweglichen“1618. Sollten Kulturgüter – mit den Worten Savignys – „eine Bestimmung erhalten haben, die sie an einem bleibenden Aufenthalt fest bindet“1619, könnte zwar „auch bei solchen Sachen die Absicht geändert, sie können an einen anderen Ort, in ein anderes Land gebracht werden; allein diese Veränderungen sind zufällig, und liegen außer dem gegenwärtigen Bewußtseyn und Willen des Besitzers“1620 Da Kulturgüter nach dem Willen des Eigentümers (oder eines anderen kulturellen Zuordnungssubjektes) an einem bestimmten Ort permanent aufbewahrt werden sollen und dazu bestimmt sind, an einem bleibenden Aufenthaltsort fest verbunden zu sein, besteht auch nach dem Savigny’schen Grundmodell nicht zur zufälligen oder manipulativ in Kraft gesetzten lex rei sitae, sondern zur Rechtsordnung des kulturellen Ursprungsortes die engste Verbindung: „So geschieht es mit dem Mobiliar eines Hauses, mit einer daselbst aufgestellten Bibliothek oder Kunstsammlung, mit dem Inventar eines Landgutes.“1621 Diese bei Savigny geforderte Bindung kultureller Wertgegenstände an den ‚richtigen‘ Bestimmungsort bzw. das richtige Zuordnungssubjekt kann sinnvollerweise nur durch die Wahl eines schwer
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1618 1619
1620 1621
Vgl. dazu Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 302. Vgl. Ferrer-Correia, Nouvelles règles de conflit de lois sur la vente internationale d’objets d’art, in: Briat/Freedberg, Legal aspects of International Art Trade (International Sales of Works of Art, Volume 4), 1993, S. 41–46, S. 45; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 193–194. Vgl. hierzu ausführlich Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Band VIII, 1849, S. 169 ff., S. 179. Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Band VIII, 1849, S. 169, S. 177. So Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Band VIII, 1849, S. 169, S. 179. Ganz anders als etwa bei der Qualifizierung kultureller Güter als res in transitu, so auch Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217. A.A. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 199, wonach die Vorstellung von einem Sitz des Kulturguts an die Sonderregel für Transportmittel in Art. 45 EGBGB erinnere. So Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Band VIII, 1849, S. 169, S. 179. Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Band VIII, 1849, S. 179.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
835
veränderlichen Anknüpfungsmomentes für das Internationale Kulturgüterprivatrecht und damit insbesondere durch Bezugnahme auf die lex originis erfolgen. So ist auch nach dem Begründer der lex rei sitae bei Kunstsammlungen als bewegliche Sachen, jedoch „von bleibender räumlicher Bestimmung“1622 ein Abweichen von der lex rei sitae zugunsten der lex originis möglich,1623 ähnlich dem Wohnsitz einer Person, der als bleibend gedacht sei und in der Zukunft stets veränderlich bleibe.1624 Aus diesem rechtstheoretischen Ansatz lassen sich nach Ansicht Kurpiers für die heutige Diskussion drei Schlussfolgerungen ziehen: „(1) Der Herkunftsort eines Kulturguts ist der, der als Belegenheitsort nach dem Willen des Eigentümers als bleibend gedacht ist. (2) Wird das Kulturgut für eine begrenzte Zeit an einen anderen Ort gebracht, um dort ausgestellt oder restauriert zu werden, so bleibt der bestimmungsgemäße Belegenheitsort doch der, an dem sich das Kulturgut permanent befinden soll. Vergleichbar ist dies mit dem Wohnsitz einer Person. Der Wohnsitz bleibt auch dann bestehen, wenn diese Person eine Urlaubsreise in ein anderes Land unternimmt. (3) Der Herkunftsort, an dem sich ein Kulturgut bestimmungsgemäß befindet, kann sich bei einer legalen Veräußerung ändern. Wird das Kulturgut legal veräußert, dann bestimmt der Käufer als neuer Eigentümer den Ort, an dem sich das Kulturgut permanent befinden soll. Nunmehr ändert sich der als permanent gedachte Belegenheitsort des Kulturguts, ähnlich einer Person, die ihren Wohnsitz wechselt.“1625
649
Dabei ist insbesondere darauf hinzuweisen, dass bei national wertvollen Kulturgütern, welche gegen eine unrechtmäßige Verbringung und Veräußerung durch öffentlich-rechtliche Vorschriften besonders geschützt werden, ihre ausländische Herkunft auch regelmäßig erkennbar und deshalb ihre Verbindung zum Herkunftsland stärker ausgeprägt ist als zum Lageort.1626 Nahezu sämtliche Staaten mit einem bewahrungs- und schützenswerten nationalen Kulturpatrimonium haben in ihren nationalen Kulturgüterschutzvorschriften eine solche rechtliche Bindung zu ‚ihren‘ kulturellen Wertgegenständen statuiert, wie dies innerhalb der unterschiedlichen Methoden zur öffentlich-rechtlichen Regulation des internationalen Kulturgüterverkehrs augenscheinlich wurde. Insbesondere mittels
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1624 1625
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Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Band VIII, 1849, S. 169, S. 180. Vgl. zum Ganzen auch Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217. Vgl. Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Band VIII, 1849, S. 169, S. 179. Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217. Vgl. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 283; Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 265–271.
836
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
der unterschiedlichsten Ausfuhrbeschränkungen national wertvoller Kulturgüter machen kulturelle Ursprungsstaaten öffentlich kenntlich, dass die Objekte innerhalb ihres Territoriums für zukünftige Generationen verbleiben sollen und zu ihrem jeweiligen kulturellen Erbe zählen.1627 Diese Bindungen national wertvoller Kulturgüter zu ihren kulturellen Ursprungsstaaten werden rechtlich auch innerhalb der unterschiedlichen internationalen Konventionen abgebildet1628, wie bspw. der UNESCO-Convention on the Means of Prohibiting and Preventing the Illicit Import, Export and Transfer of Ownership of Cultural Property (Paris) vom 14. November 1970 und der Unidroit Convention on Stolen or Illegally Exported Cultural Objects (Rome) vom 24. Juni 1995.
3. 651
Bestimmung des kulturellen Ursprungsstaates
Die lex originis befürwortet die in neuerer Zeit zunehmend proklamierte vollständige Abkehr von der Anknüpfung an den Lageort nach der lex rei sitae. Es stellt sich aber die Frage, durch welche Faktoren ein Kulturgut zu einem nationalen Kulturgut wird1629 und wie der ‚richtige‘ Herkunftsstaat und die sachnächste Rechtsordnung bestimmt werden können. Neuere Teile des Schrifttums sind dabei der Überzeugung, dass die lex originis auf diese Weise nicht nur für unrechtmäßig verbrachte oder gestohlene, sondern gar für sämtliche Kulturgüter herangezogen werden könne, wenn die Heimatrechtsordnung anhand objektiver Kriterien bestimmt würde.1630 Nicht mehr die Belegenheit des Kulturguts zum Zeitpunkt der sachenrechtserheblichen Einwirkung, sondern dessen rechtliche bzw. kulturelle Verbundenheit mit einem Ursprungsstaat ist danach das ausschlag1627
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Vgl. auch die Überlegungen bei Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217. So Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, 2004, S. 35–52, S. 37; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 46 ff. So Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217. So González-Campos, La technique conflictuelle et les objectifs et valeurs du droit matériel: la lex originis pour les biens culurels, in: Ethnikon kai Kapodistriakon Panepistemion (Athenai), La protection internationale des biens culturels – regard dans l’avenir; colloquium Athens, 23 November 2001, 2003, S. 49; Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, 2004, S. 35–52, S. 43 ff.; Blumenwitz, Rechtliche Schwierigkeiten bei der Rückgabe rechtswidrig nach Deutschland verbrachter Kunstschätze an die Herkunftsstaaten und künftige Lösungsansätze, in: Bröhmer/Bieber/Callies/ Langenfeld/Weber/Wolf, Internationale Gemeinschaft und Menschenrecht – Festschrift für Georg Ress zum 70. Geburtstag am 21. Januar 2005, 2005, S. 3 ff., S. 14; Halsdorfer, Privatund kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 281–282.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
837
gebende Anknüpfungsmoment bei der Rechtswahl im internationalen Kunsthandel. Dabei ist entweder denkbar, zur Bestimmung des Ursprungsstaats und demzufolge der ‚Heimatrechtsordnung‘ eines Kulturguts auf die Rechtsordnung desjenigen Staates abzustellen, in dem sich das Kulturgut vor seinem verbotswidrigen Export und vor seinem kulturgüterschutzgesetzwidrigen Transfer befand,1631 oder die lex originis anhand solcher, zunächst außerrechtlicher Kriterien zu bestimmen,1632 die zwischen einer Rechtsordnung und einem Kulturgut ein „lien le plus étroit du point de vue culturel“1633, ein „lien idéologique“ oder eine „appartenance culturelle“ spannen1634 – es wäre somit nicht nur eine rechtliche, sondern alternativ oder kumulativ eine kulturelle Beziehung zwischen Staat und Objekt erforderlich.1635 Demzufolge ist zwischen der Bestimmung einer ‚rechtlichen‘ und einer ‚kulturellen‘ Verbundenheit oder der Beziehung eines Kunstgegenstandes zu ‚seinem‘ Ursprungsstaat zu unterscheiden.
652
Dabei ist umstritten, ob es genügt, die Verbundenheit eines Kulturguts mit seinem Ursprungsstaat allein territorial im Sinne der Belegenheit zum Zeitpunkt der illegalen Ausfuhr oder der kulturgüterschutzgesetzwidrigen Verfügung zu verstehen, oder ob zusätzlich oder alternativ ein kultureller Bezug zu verlangen und somit ein spezifisch kulturgüterrechtliches Kriterium anzuwenden ist.1636 Stellt man
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So insbesondere Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff., S. 3582; Symeonides, A Choice-of-Law Rule for Conflicts Involving Stolen Cultural Property, in: Vanderbilt Journal of Transnational Law, 2005, S. 1177 ff., S. 1186. So insbesondere Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, 2004, S. 35–52, S. 42; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 197. Entsprechend der Resolution La vente internationale d’objets d’art sous l’angle de la protection du patrimoine culture vom 3. September 1991 des Institut de Droit international. Einen vergleichbaren Ansatz vgl. auch bei Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 127–139, und Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 281–282. Vgl. Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 127–139. So die Einschätzung bei Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 134; Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 281–282. Vgl. dazu Knoepfler, Le commerce de l’art en droit international privé suisse, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 359–387, S. 379; Carducci, La restitution internationale des biens culturels et des objets d’art, 1997, S. 329 f. Byrne-Sutton, Le trafic international des biens vulturels sous l’angle de leur revendication par l’Etat d’origine – Aspects de droit international privé, 1988, S. 163–164, stellt allgemein auf die völkerrechtlichen Voraussetzungen der Ausübung staatlicher Jurisdiktion ab. Danach muss sich das ausländische Recht
838
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Bestimmung des kulturellen Ursprungsstaates und der Heimat eines Kulturguts
‚Rechtliche‘ Verbundenheit eines Kulturguts mit ‚seinem‘ Ursprungsstaat – sog. lex inexportabiles
Rechtsdogmatische Begründung der lex inexportabiles
‚Kulturelle‘ Verbundenheit eines Kulturguts mit ‚seinem‘ Ursprungsstaat
Praktische Anwendung der lex inexportabiles
Spezielle Gründe gegen eine Rechtswahl nach der lex inexportabiles
Ort der kultischen Verehrung – sog. lex cultus Nationalität des Künstlers
Entstehungsort des Kulturguts
Bestimmungsort des Kulturguts
‚Sitz‘ des Kulturguts
Kulturelle Rezeption eines Kulturguts Fundort archäologischer Objekte Geschichtlicher Zusammenhang mit dem Ursprungsstaat Schema 10 – Bestimmung des kulturellen Ursprungsstaates und der Heimat eines Kulturguts
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
839
ausschließlich auf ein territoriales Kriterium ab, so genügt die frühere Belegenheit am Ort des unrechtmäßigen Entziehungsaktes bzw. des kulturgüterschutzgesetzwidrigen Transfers, um eine enge Beziehung zu bejahen. Um eine solche Beziehung auszuschließen, wird ein „éloignement significatif de l’objet“ erforderlich.1637 Verlangt man andererseits (zusätzlich oder alternativ) ein kulturelles Band zwischen Objekt und Ursprungsrechtsordnung, so wird auch durch einen längeren Aufenthalt außerhalb der ursprünglichen Heimatrechtsordnung die enge Beziehung zur lex originis noch nicht gelöst:1638 „Il semblerait nécessaire que les vicissitudes géographiques de l’objet aient été telles, et surtout suffisamment prolongés dans le temps, qu’elles affaiblissent le lien intrinsèque avec le pays d’origine (lex originis) au point que ce lien ne soit même pas un lien ,étroit‘. De telles vicissitudes sur l’objet ne sauraient, a priori, que se produire rarement et exceptionellement.“1639
a)
‚Rechtliche‘ Verbundenheit eines Kulturguts mit ‚seinem‘ Ursprungsstaat – sog. ‚lex inexportabiles‘
Ein Teil des Schrifttums stellt bei der Bestimmung des Ursprungsstaats und demzufolge auch der ‚Heimatrechtsordnung‘ eines Kulturguts allein auf die Rechtsordnung desjenigen Staates ab, in dem sich das Kulturgut vor seinem verbotswidrigen Export und damit vor seinem kulturgüterschutzgesetzwidrigen Transfer befand (Rechtswahl nach der sog. lex inexportabiles).1640 Nach dieser Theorie ist nicht
1637
1638
1639 1640
im völkerrechtlich zulässigen Bereich halten, es darf nicht „zu extraterritorial“ sein. Ähnlich Kreuzer, La propriété mobilière en droit international priveé, Recueil des Cours, Collected Courses of the Hagur Academy of International Law, Volume 259 (1996) S. 9 ff., S. 223. Ein kulturelles Band diskutieren Carducci, La restitution internationale des biens culturels et des objets d’art, 1997, S. 329, der ein lien étroit der lex originis bejaht, und Byrne-Sutton, Le trafic international des biens vulturels sous l’angle de leur revendication par l’Etat d’origine – Aspects de droit international privé, 1988, S. 164 („la nationalité de l’objet (son origine)“). Vgl. auch Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 231. So Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 127–139, unter Rekurs auf Carducci, La restitution internationale des biens culturels et des objets d’art, 1997, S. 329. Vgl. Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 127–139, unter besonderem Verweis auf Carducci, La restitution internationale des biens culturels et des objets d’art, 1997, S. 330. Carducci, La restitution internationale des biens culturels et des objets d’art, 1997, S. 330. So insbesondere Seidl-Hohenveldern, La protection internationale du patrimoine culturel national, RGDIP 97 (1993), S. 395 ff., S. 402 ff., S. 407; Carducci, La restitution internationale des biens culturels et des objets d’art, 1997, S. 103, 180, 299, 303, 306; Fuentes-Camacho, El tráfico ilicito internacional de bienes culturales, 1993, S. 405 ff.; Kreuzer, La propriété mobilière en droit international priveé, Recueil des Cours, Collected Courses of the Hagur Academy of International Law, Volume 259 (1996) S. 9 ff., S. 407 ff. Neuerdings so auch Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff., S. 3582; Armbrüster, La revendication de biens culturels
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840
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
die komplizierte Zuordnung nach der ‚kulturellen‘ Zugehörigkeit1641 ausschlaggebend, sondern es wird einfach auf den Staat abgestellt, aus dem das Objekt illegal ausgeführt wurde.
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Rechtsdogmatische Begründung der lex inexportabiles
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Ein Kulturgut ist mit dem Ursprungsstaat und dessen Rechtsordnung dann rechtlich verbunden, wenn sich das Objekt vor seinem verbotswidrigen Export bzw. vor seinem kulturgüterschutzgesetzwidrigen Transfer dort befand.1642 Schon Seidl-Hohenveldern griff zur Bestimmung des kulturellen Ursprungsstaates im internationalen Kulturgüterverkehr auf die rechtliche Verbundenheit kultureller Wertgegenstände mit ihren Ursprungsstaaten zurück und erklärte, dass die „provenance physique de l’object par rapport au territoire de l’Etat l’ayant défini comme faisant partie de son patrimoine national“ ausreichend sei. Unter Rückgriff auf die Bedeutung der Territorialhoheit1643 lehnte dieser eine darüber hinausgehende „provenance idéologique“ und die Notwendigkeit einer kulturellen Verbindung zum Herkunftsstaat für den internationalen Kulturgüterverkehr ausdrücklich ab.1644 Auch Turner folgt diesem Verständnis:
656
„Damit zeigt sich auch im internationalen Privatrecht bei der Frage der Anknüpfung die Bedeutung der Territorialhoheit für die Bestimmung des restitutionsberechtigten Staates. Ausschlaggebend für die Bestimmung des Ursprungsstaates ist die frühere Ausübung von Territorialhoheit. … Die Anknüpfung, d.h. die Bestimmung des Ursprungsstaates bzw. der lex originis, erfolgt dabei in Übereinstimmung mit dem Grundprinzip der Anknüpfung an die lex rei sitae. Die völkerrechtliche Grundlage der lex rei sitae ist die durch die effektive Ausübung der Territorialhoheit über die Objekte begründete Regelungsberechtigung. Im Fall der lex originis gilt nun, daß der Staat der früheren Belegenheit völkerrechtlich den Anspruch erhebt, weiterhin zur Ausübung von Territorialhoheit berechtigt
1641 1642
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1644
du point de vue du droit international privé, rev.crit.dr.int. pr. 2004, vol. IV, S. 723–743, S. 741 ff.; Symeonides, A Choice-of-Law Rule for Conflicts Involving Stolen Cultural Property, in: Vanderbilt Journal of Transnational Law, 2005, S. 1177 ff., S. 1186; Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 127–139; Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 205 ff., insb. S. 207–208; Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 287. Vgl. hierzu sogleich 3, 670 ff. Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff., S. 3582–3583; Armbrüster, La revendication de biens culturels du point de vue du droit international privé, rev.crit.dr.int. pr. 2004, vol. IV, S. 723–743, S. 741 f.; Asam, Rechtsfragen des illegalen Handels mit Kulturgütern – Ein Überblick, in: Mansel/Pfeiffer/Kronke/Kohler/Hausmann, Festschrift für Erik Jayme, 2004, S. 1651–1668, S. 1664; vgl. hierzu auch Kienle/Weller, Die Vindikation gestohlener Kulturgüter im IPR, IPRax 2004, S. 290–294, S. 291. So die Erläuterung bei Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 127–139. Vgl. Seidl-Hohenveldern, La protection internationale du patrimoine culturel national, RGDIP 97 (1993), S. 395 ff., S. 402 ff., S. 402 zur Frage der illegalen Ausfuhr.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
841
zu sein. Der zur Ausübung von Territorialhoheit berufene Staat ist dann auch zur Regelung der Eigentumslage berechtigt, nicht dagegen wie im Normalfall der Staat der jeweiligen zufälligen Belegenheit. Rechtsgrundlage ist das Recht des Staates an seinem nationalen kulturellen Erbe. Das darauf beruhende Recht auf Restitution in seiner eigentumsbezogenen Form wirkt sich in dem Anspruch auf Durchsetzung der staatlichen Eigentumsordnung im Ausland aus.“1645
Auch Carducci erwog den Staat der illegalen Ausfuhr als den berechtigten Staat und als Ursprungsland anzuerkennen und lobt die Rechtswahl nach dieser lex inexportabiles als eine Lösung „simple et pragmatique“.1646 Damit werde vermieden, dass sich Drittstaaten oder der Einfuhrstaat auf eine kulturelle Beziehung zu dem Objekt berufen und seine Herausgabe beanspruchen bzw. verweigern.1647 Die rechtlich schutzwürdige Beziehung zum Ort der Ausfuhr beschreibt dieser wie folgt: „Le lien retenu est ainsi celui du lieu de l’exportation illicite, ce qui assure au moins que le bien ait été préalablement présent sur le territoire de cet Etat requérant.“1648 Aus der kulturgüterspezifischen Literatur bestimmt ausdrücklich auch Kreuzer denjenigen Staat als restitutionsberechtigt, aus dem das Kulturgut zuvor illegal ausgeführt worden war, d.h. den Staat, dessen Ausfuhrgesetzgebung verletzt wurde. „Dieser Staat ist Ursprungsstaat im Sinne der lex originis.“1649
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Neuerdings beruft sich insbesondere Armbrüster auf die Geltung der lex inexportabiles: „Ist ein Kulturgut unter Verstoß gegen ein ausländisches Exportverbot nach Deutschland verbracht worden, so richten sich die Eigentumsverhältnisse abweichend von Art. 43 Abs. 1 EGBGB allein nach dem Recht des Staates, in dem das Kulturgut sich vor dem verbotswidrigen Export befand (Gesamtverweisung).“1650 Die lex inexportabiles verlangt allgemein, dass Kulturgüter entgegen den Vorschriften der nationalen Kulturgüter- und Denkschutzgesetze und damit unrechtmäßig ins Ausland transferiert wurden. Diese Voraussetzung ist schon dann erfüllt, wenn ein Kulturgut unter Verstoß gegen ein staatliches Exportverbot in einen anderen Staat verbracht wurde. Das durch die Anknüpfung an den Ort des Exportverbots berufene materielle Sachrecht solle dann ent-
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Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 127–139. So Carducci, La restitution internationale des biens culturels et des objets d’art, 1997, S. 103, 180, 299. So die Erläuterung bei Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 127–139. Carducci, La restitution internationale des biens culturels et des objets d’art, 1997, S. 305. Vgl. a. S. 303: „le lien de l’objet avec son lieu de situation actuelle peut l’emporter sur son lien d’origine avec la nationalité de l’auteur ou avec le lieu de sa création.“. Vgl. Kreuzer, La propriété mobilière en droit international priveé, Recueil des Cours, Collected Courses of the Hagur Academy of International Law, Volume 259 (1996) S. 9 ff., S. 212. Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff., S. 3587.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
scheiden, unter welchen Voraussetzungen ein gutgläubiger Erwerb oder ein Eigentumserwerb durch Ersitzung möglich ist.1651 Auch Asam erscheint „die – als unwandelbar ausgestaltete – Anknüpfung an das Recht des Exportstaates“ am überzeugendsten, „weil sich dadurch die zum Zwecke des wirksamen Eigentumserwerbs gezielt herbeigeführten manipulativen Statutenwechsel wohl am ehesten vermeiden lassen.“1652 In diesem Sinne bestätigt auch Wiese, dass „die lex originis eines Kulturguts anhand der von einem Staat vorgenommenen Einstufung des Gutes als nationales Kulturgut bestimmt werden sollte.“1653 659
Dadurch dass die lex inexportabiles verlangt, dass Kulturgüter entgegen den Vorschriften der nationalen Kulturgüterschutzgesetze und damit unrechtmäßig ins Ausland transferiert wurden, wird zugleich eine rechtliche Verbundenheit zwischen dem Kulturgut und derjenigen Rechtsordnung geschaffen, die sich um dessen Erhaltung und Bewahrung sorgt und es mittels ihres nationalen Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetzes dauerhaft innerhalb des eigenen Staatsterritoriums zu bewahren sucht. „Im Verstoß gegen ein Exportverbot liegt ein praktisch handhabbares und zugleich sachgerechtes Kriterium, um eine Anknüpfung der Rechte an Kulturgütern an das Recht des „Exportstaats“ zu begründen.“1654 Während die Begründung für die Perpetuierung der Rechtsordnung zum Zeitpunkt des Diebstahls nach der lex furti 1655 leicht nachvollziehbar ist, da die Kulturgüter ohne Wissen bzw. Veranlassung des Eigentümers entzogen und daraufhin ins Ausland gebracht wurden, sodass der Eigentümer weiterhin schutzwürdig ist und schon aus diesem Grund eine wesentlich engere Verbindung zur Rechtsordnung der Entzugshandlung besteht, bedarf die Anknüpfung an die Rechtsordnung des Exportstaates innerhalb der Rechtswahl einer näheren Begründung: Die Anstrengungen eines Staates zur Bewahrung und Erhaltung kultureller Wertgegenstände für zukünftige Generationen innerhalb seines Territoriums und die Statuierung kultureller Exportbeschränkungen für das nationale Kulturpatrimonium zeigen jedoch nach dieser Anschauung, dass eine wesentlich engere Verbindung zum kulturellen Exportstaat besteht, „als der oft flüchtige und zufällige Umstand der jetzigen Belegenheit in einem anderen Staat sie zu begründen vermag. Exportverbote sind ja gerade darauf gerichtet, die Verbringung des Kulturguts außer Landes zu verhindern. Sie untersagen damit genau jenen Real-
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Vgl. Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 141–142. Asam, Rechtsfragen des illegalen Handels mit Kulturgütern – Ein Überblick, in: Mansel/ Pfeiffer/Kronke/Kohler/Hausmann, Festschrift für Erik Jayme, 2004, S. 1651–1668, S. 1664. So Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 207–208. Vgl. Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff., S. 3582–3583. Vgl. ausführlich zur lex furti, 3, 548 ff.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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akt, der nach der Situs-Regel zur Geltung einer anderen Rechtsordnung führen würde.“1656 Dass einem Staat am Verbleib von Kulturgütern auf seinem Territorium so sehr gelegen ist, dass er sie einem Exportverbot unterwirft, begründet damit nach dieser Einschätzung eine wesentlich engere Beziehung zur Rechtsordnung des Exportstaates und deklassiert die lex rei sitae zu einer extrem sachfernen Rechtsordnung. Diese vom neueren Schrifttum vorgeschlagene eigenständige Anknüpfung an die lex inexportabiles führt damit nicht zu einer generellen Abkehr von der situsRegel, sondern greift diese auf, berücksichtigt aber bei der Rechtswahl nicht nur den Raum, sondern auch die Zeit der illegalen Ausfuhr als Anknüpfungsmoment und verfestigt diesen Zeitpunkt zu einem „unwandelbaren Statut“1657. Damit wird nach dieser Ansicht nicht etwa nationalen Kulturgüterschutzvorschriften als Normen ausländischen öffentlichen Rechts zu extraterritorialer Geltung verholfen und ausländische Exportverbote werden nicht vor fremden Zivilforen durchgesetzt, sondern es wird allein der Versuch unternommen, einen sachgerechten Anknüpfungspunkt im Internationalen Kulturgüterprivatrecht zu bestimmen.
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Armbrüster sieht in einer solchen lex inexportabiles und der eigenständigen Anknüpfung der Rechte an Kulturgütern eine Gesamtverweisung i.S.d. Art. 4 Abs. 1 S. 1 EGBGB, sodass vorrangig das Kollisionsrecht des kulturellen Exportstaates berufen würde. Kennt das internationale Privatrecht des Exportstaats keine eigenständige Anknüpfung der Rechte an Kulturgütern, so ist das materielle Recht des Exportstaats wegen der Gesamtverweisung nicht gegen dessen Willen anzuwenden und es wird regelmäßig auf die lex rei sitae verwiesen. Da die Rückverweisung auf deutsches Recht gem. Art. 4 Abs. 1 S. 2 EGBGB eine Sachnormverweisung ist, wäre wiederum das BGB als materielle Rechtsordnung zur Entscheidung berufen und man würde zum selben Ergebnis gelangen wie bei einer unmittelbaren Anwendung der situs-Regel.1658 Nimmt das Kollisionsrecht des kulturellen Exportstaates jedoch die Verweisung an, so entfällt zugleich das Problem eines mala fides herbeigeführten Statutenwechsels und der Exporteur könnte nicht allein dadurch, dass er das Kulturgut in einen Staat mit „erwerbsfreundlicheren“ Regeln schafft, die Geltung eines für ihn günstigeren Rechts als die lex rei sitae herbeiführen. Zunächst überzeugt der Vorschlag damit insoweit, als er die gezielte Herbeiführung einer für den Erwerber günstigen Anknüp-
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Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff., S. 3582–3583. Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff., S. 3582–3583. Vgl. auch die Erläuterungen bei Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff., S. 3582–3583.
844
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
fungssituation verhindert.1659 Das hätte bspw. für illegale Raubgrabungen und den internationalen illegalen Antikenhandel zur Folge, dass durch den Realakt der tatsächlichen Verbringung der Objekte eine Rechtsordnung Geltungskraft erlangt, die zufällige Ergebnisse erzielt oder bewusst zugunsten der Raubgräber oder Hehler ausgenutzt werden kann:1660 „Die Schwierigkeiten beim Nachweis eines manipulativen Statutenwechsels lassen sich durch eine unwandelbare Anknüpfung an das Recht des Exportstaats vermeiden.“1661 662
Auch bei der Anknüpfung an das Recht des Staates, in dem sich das Kulturgut vor seinem verbotswidrigen Export bzw. vor seinem kulturgüterschutzgesetzwidrigen Transfer befand, wird aber – entsprechend den allgemeinen Grundsätzen des internationalen Privatrechts und ebenso wie innerhalb der lex furti – nicht auf die Herbeiführung des für den Schutz der Kulturgüter für den Ursprungsstaat günstigsten Rechts abgestellt, sondern es soll dem kulturellen Herkunftsstaat im Falle der unrechtmäßigen Ausfuhr genau das Maß an Schutz gewährt werden, das diesem zum Zeitpunkt der Belegenheit der Objekte innerhalb ‚seines‘ Territoriums zukam und er einen (illegalen) Transfer ins Ausland (rechtlich) noch selbst beeinflussen konnte. Nimmt also das Kollisionsrecht des „Exportstaates“ die Verweisung an und gilt sein materielles Recht, „ist jenes nicht zwangsläufig im Ergebnis „restitutionsfreundlicher“ als das Recht des Staates, in dem sich das Kulturgut gegenwärtig befindet.“1662 1659
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Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 141–142. „Ziel des Ansatzes ist es, den im Land des Diebstahls bestehenden staatlichen Schutzvorschriften und dort insbesondere denen, die noch unentdeckte Kulturgüter zu Staatsvermögen machen, zur Durchsetzung zu verhelfen. Wenn sich ein genereller Besitzwille des Staates an allen auf seinem Territorium befindlichen Kulturgütern nachweisen ließe, würde das heimliche Verbringen der Stücke außer Landes das Merkmal des Abhandenskommens erfüllen. So könnte nach dem berufenen nationalen Sachrecht des Staates, in dem ein Weiterverkauf stattfindet, der Gutglaubenserwerb verhindert werden (vorausgesetzt, diese Rechtsordnung läßt den Gutglaubenserwerb an gestohlenen Sachen nicht zu). Hierdurch wäre in erster Linie Staaten geholfen, die besonders unter der Plünderung von Grabungsgut leiden. Man macht sich dabei zunutze, daß sich alleine durch die Tatsache des existierenden hoheitlichen Eigentums das Abhandenkommen begründen läßt. Auf die Frage, ob die Sache aus staatlicher Obhut gestohlen wurde oder welchen Weg sie weiter nahm, kommt es nicht an. Der Ansatz ist insoweit zu begrüßen, als er dem Anwendungsdefizit ausländischer Schutzbestimmungen, das bereits festgestellt wurde, entgegenwirkt. In praktischer Hinsicht hat der Vorschlag den Vorteil, daß sich staatliche Schutzvorschriften leicht feststellen lassen und man der oft mühsamen Aufgabe enthoben ist, die Umstände der Entwendung des Kulturguts und seiner Verbringung ins Ausland in allen Einzelheiten darzutun.“ SchwadorfRuckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 168–169. Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff., S. 3582–3583. Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff., S. 3582–3583.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
(2)
845
Praktische Anwendung der lex inexportabiles
Praktische Beispiele für eine Inkraftsetzung der rechtlichen Verbundenheit zwischen Kulturgut und Herkunftsstaat und eine Umsetzung der lex inexportabiles finden sich bspw. innerhalb der Unidroit Convention on Stolen or Illegally Exported Cultural Objects (Rome) vom 24. Juni 1995 und der EG-Richtlinie 93/7/EWG des Rates über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern vom 15. März 1993. Nach Art. 1 b) und 5 Abs. 1 der Unidroit Convention vom 24. Juni 19951663 findet das Übereinkommen Anwendung auf Ansprüche internationaler Art betreffend die Rückführung von Kulturgütern, die aus dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats unter Verletzung seiner Rechtsvorschriften, welche die Ausfuhr von Kulturgütern im Hinblick auf den Schutz seines kulturellen Erbes regeln, entfernt wurden. Ein Vertragsstaat kann ein Gericht oder eine andere zuständige Behörde eines anderen Vertragsstaats um die Anordnung der Rückführung eines rechtswidrig aus dem Hoheitsgebiet des ersuchenden Staates ausgeführten Kulturguts ersuchen.
663
Die Notwendigkeit einer rechtlichen Verbindung zwischen Kulturgut und kulturellem Ursprungsstaat wird auch aus der Definition des nach der EG-Richtlinie 93/7/EWG vom 15. März 1993 entscheidenden Begriffs des „ersuchenden Mitgliedstaates“ deutlich. Maßgeblich ist hier in Art. 1 Nr. 3 nicht eine kulturelle Verknüpftheit, sondern das unrechtmäßige Verbringen des Kulturguts aus dem Staatsgebiet des Herkunftslandes.1664 Dies entspricht dem Anknüpfungsmodell der §§ 5 Abs. 1 und 9 des deutschen Kulturgüterrückgabegesetzes vom 18.05.2007. Die dort definierte lex originis, die an sich erst rückwirkend nach der Restitution des Kulturguts anzuwenden ist, wird für die Fälle vor der Rückführung des Kulturguts in den ersuchenden Mitgliedstaat vorweggenommen.1665
664
(3)
Spezielle Gründe gegen eine Rechtswahl nach der lex inexportabiles
Gegen diese heute insbesondere von Armbrüster vertretene Rechtswahl nach der lex inexportabiles für unrechtmäßig aus ihrem kulturellen Ursprungsstaat exportierte oder entgegen den Bestimmungen der Kulturgüter- und Denkmalschutz-
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Unidroit Convention on Stolen or Illegally Exported Cultural Objects (Rome) vom 24. Juni 1995: Art. 1: This Convention applies to claims of an international character for: … (b) the return of cultural objects removed from the territory of a Contracting State contrary to its law regulating the export of cultural objects for the purpose of protecting its cultural heritage (hereinafter “illegally exported cultural objects”). Art. 5 Abs. 1: A Contracting State may request the court or other competent authority of another Contracting State to order the return of a cultural object illegally exported from the territory of the requesting State. Vgl. Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 205–206. Vgl. Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 206.
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846
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
vorschriften des kulturellen Ursprungsstaates transferierte Kulturgüter werden verschiedene Einwände geltend gemacht und es wird sich ausdrücklich gegen die Anknüpfung an das Recht des Staates ausgesprochen, in dem sich das Kulturgut vor seinem verbotswidrigen Export bzw. vor seinem kulturgüterschutzgesetzwidrigen Transfer befand. So wendet sich bspw. ausdrücklich Wendehorst allgemein gegen eine Rechtswahl nach der lex inexportabiles und weist darauf hin, dass mit dem Rekurs auf den Ort des Exportverbots der Normbefehl der Art. 43 und 46 EGBGB missachtet werde und das Schrifttum unter Berufung auf diese Norm außerhalb des geltenden Rechts rechtsschöpferisch tätig werde.1666 666
Andere bemängeln, dass die Rechtswahl nach der lex inexportabiles im Widerspruch zum international-privatrechtlichen Grundsatz der Nichtanwendung ausländischen öffentlichen Rechts stehen könne, da die nationalen Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze zur Bewahrung und Erhaltung bedeutsamer Kulturgüter innerhalb des Territoriums des Ursprungsstaates öffentlich-rechtlicher Natur seien.1667 Die lex inexportabiles hätte somit bspw. zur Folge, dass ein fremder Staat schlicht durch Erlass eines Exportverbots über die Anknüpfung von in Deutschland belegenen Kulturgütern entscheiden könne, sodass „mit der Wahl des Anknüpfungspunktes „Exportverbot“ die Entscheidung über die kollisionsrechtliche Behandlung eines Kulturgutes aus der Hand“1668 gegeben würde.1669 Darüber hinaus wird innerhalb der Anwendung einer lex inexportabiles zur Diskussion gestellt, wie Exportverbote mit einem exorbitanten Anwendungsbereich zu behandeln sind, da zahlreiche Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze nicht nur das nationale Kulturpatrimonium, sondern auch Objekte erfassen, die nach
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Vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 5. Strauch, Rechtsverhältnisse an Kulturgütern im Internationalen Sachenrecht, 2007, S. 115–118, hält dem jedoch entgegen, dass es vielmehr um die Ausfüllung des Normbefehls des Art. 46 EGBGB und um die Bestimmung einer wesentlich engeren Verbindung bei Export eines Kulturguts entgegen einer bestehenden Verbotsgesetzgebung gehe. So bspw. Strauch, Rechtsverhältnisse an Kulturgütern im Internationalen Sachenrecht, 2007, S. 115–118. So die Kritik bei Strauch, Rechtsverhältnisse an Kulturgütern im Internationalen Sachenrecht, 2007, S. 115–118. Dieser Einwand wird jedoch von Strauch, Rechtsverhältnisse an Kulturgütern im Internationalen Sachenrecht, 2007, S. 115–118, unmittelbar selbst relativiert: „Ein Verbot der Anwendung ausländischen öffentlichen Rechts ist aber bestritten und wird zum Teil als rein theoretisches Konstrukt angesehen. Weil der Verweisungsumfang einer Kollisionsnorm ohnehin weit auszulegen ist, kann das Kollisionsrecht daher auch Normen zur Anwendung berufen, die aus deutscher Sicht als öffentlichrechtlich zu werten sind. Bei der Verweisung kommt es danach nicht entscheidend auf den Charakter der berufenen Normen an, sondern auf ihre funktionelle Qualifikation: sie müssen zu dem Anknüpfungsgegenstand zählen, den die Kollisionsnorm umschreibt. Insoweit steht nicht zu befürchten, daß aufgrund der … Verweisung fremdes öffentliches Recht systemwidrig durchgesetzt würde.“.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
847
deutscher Auffassung nicht schutzwürdig sind und kulturpolitisch nicht an einen kulturellen Ursprungsstaat rückgeführt werden sollen.1670 Weitere Unsicherheiten könnten dann aufkommen, wenn ein Kulturgut, das von einem Exportverbot umfasst wird, zu Ausstellungszwecken oder aus anderen Gründen rechtmäßig und nicht verbotswidrig in einen anderen Staat gelangt, dort jedoch gestohlen oder vom Berechtigten bewusst an einen Gutgläubigen veräußert wird. Kurpiers wirft hier die Frage auf, ob dies einem verbotswidrigen Export gleichzustellen sei.1671 Dass eine solche Konstruktion nicht nur ein theoretisches Gedankenkonstrukt bleibt, sondern mögliche Realität in der Praxis werden kann, zeigt die sog. Ensor-Konstellation:1672 (s. Abb. 41)
667
Der Eigentümer von James Ensors ‚Einzug Christi in Brüssel‘, ein nach der belgischen Rechtsordnung als res extra commercium deklariertes und dementsprechend unveräußerliches, unersitz- sowie unverjähr- und unverwirkbares Kulturgut, bekam von den zuständigen belgischen Behörden eine Ausfuhrgenehmigung zum Export in die Schweiz, um das Gemälde in Zürich restaurieren zu lassen. Nachdem das Kunstwerk aus Belgien aus- und auf das Territorium der Schweiz eingeführt worden war, veräußerte der Eigentümer das Objekt an das amerikanische Getty Museum. Hier erscheint zumindest fraglich, ob die unrechtmäßige Entzugshandlung, an die innerhalb der lex inexportabiles zur Bestimmung der anwendbaren Rechtsordnung angeknüpft wird, überhaupt in Belgien stattgefunden hatte (etwa weil hier schon mala fides gehandelt und zum illegalen Export nach Amerika ‚angesetzt‘ wurde), oder ob der Entzugsakt nicht eher durch die Veräußerung auf Schweizer Territorium erfolgte. Nur nach der ersten, schwieriger zu begründenden Alternative bliebe die Extrakommerzialität des Gemäldes weiterhin bestehen, wohingegen bei Anwendung der Schweizer Rechtsordnung die belgische Unveräußerlichkeit unbeachtlich bliebe.
668
Unabhängig von allen vorgenannten rechtssystematischen Kritikpunkten ist schließlich der aktuelle (nicht jedoch der theoretisch mögliche) Nutzen einer lex inexportabiles für deutsche Kulturgüter zu bezweifeln: Da bislang praktisch keine im öffentlichen Eigentum befindlichen für Deutschland national wertvollen Kulturgüter dem Ausfuhrverbot der Art. 1 Abs. 4, 4 Abs. 1 und 5 des Gesetzes zum Schutz deutschen Kulturguts gegen Abwanderung vom 6.8.1955 unterfallen und
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So der Einwand bei Strauch, Rechtsverhältnisse an Kulturgütern im Internationalen Sachenrecht, 2007, S. 115–118. Vgl. hierzu Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 141–142. Vgl. dazu F.A.Z., Der verlorene Ensor, Artikel vom 15.10.1987, S. 27; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 141–142.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
insgesamt nur etwa 1.000 Objekte in privatem Eigentum in eines der Länderverzeichnisse national wertvoller Kulturgüter eingetragen sind, bleiben die meisten Kunstwerke und sonstigen Kulturgüter in Museen und privaten Kunstsammlungen außer Schutz.
b)
‚Kulturelle‘ Verbundenheit eines Kulturguts mit ‚seinem‘ Ursprungsstaat
670
Über die voranstehende rechtliche Verbundenheit kultureller Wertgegenstände mittels nationaler Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften hinaus verlangt eine im Vordringen befindliche Meinung im Schrifttum von einem modernen Internationalen Kulturgüterprivatrecht außerdem, dass kumulativ oder alternativ zur rechtlichen Bande auch die kulturelle Verbundenheit von Kunstgegenständen mit ‚ihrem‘ Ursprungsstaat rechtliche Anerkennung finden müsse. Diese kulturelle Beziehung wird im Schrifttum auch „lien idéologique“1673 oder „appartenance culturelle“1674 bezeichnet. Danach sind außerrechtliche, d.h. soziale, kunsthistorische, ethische, religiöse und archäologische sowie künstlerische Beziehungen1675 von Kunst- und Kulturgegenständen zu ihren Zuordnungssubjekten aufzugreifen und es ist zu fragen, ob diese eine so enge Verbindung der Objekte zu einer bestimmten Rechtsordnung widerspiegeln, dass nur diese über die dingliche Sachzuordnung (etwa nach einem unrechtmäßigen Entziehungsakt) zur Entscheidung berufen ist und im Recht rezipiert werden kann: „The ,cultural link‘ between the State and certain art objects representing the cultural heritage becomes relevant for determining the applicable law.“1676
671
Diese Aufgabe ist nicht nur dem internationalen Privatrecht nach richtigem Verständnis wohl bekannt, sondern vielmehr sedes materiae jeder selbstständigen Kollisionsnorm, die für einen bestimmten sog. Anknüpfungsgegenstand als materiell-rechtlichen Systembegriff eines Lebenssachverhaltes (im internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht: die dingliche Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter) über ein sog. Anknüpfungsmoment als das zur Entscheidung über die anwendbare Rechtsordnung maßgebliche Kriterium zur anwendbaren Rechtsordnung (lex causae) gelangt. Dieses Anknüpfungsmoment soll die lex originis als eine Art „Heimatrecht“1677 des Kulturguts sein, ver-
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1677
So Seidl-Hohenveldern, zitiert bei Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 135. Carducci, La restitution internationale des biens culturels et des objets d’art, 1997, S. 329. Vgl. auch Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217. Jayme, Protection of Cultural Property and Conflict of Laws: The Basel Resolution of the Institute of International Law, IJCP, 6 (1997), S. 376–378, S. 376. So die Terminologie bei Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
849
gleichbar mit der Staatsangehörigkeit natürlicher Personen („Analogie zur Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit“1678). Das Kulturgut wird gewissermaßen „personifiziert“1679, sodass Teile der Literatur schon von einer „Vermenschlichung des Kunstwerks“1680 oder „Staatsangehörigkeit des Kulturguts“1681 sprechen.1682 Das Kunstwerk selbst wird als Person gesehen unter Berufung auf die Praxis, Kulturgegenstände wie Personen zu behandeln.1683 Praktische Beispiele für eine normative Inkraftsetzung einer kulturellen Verbundenheit zwischen Kulturgut und Herkunftsstaat finden sich bspw. innerhalb des Art. 1 Abs. 1b) der Resolution La vente internationale d’objets d’art sous l’angle de la protection du patrimoine culture vom 3. September 19911684 des Institut de Droit international („le lien le plus étroit du point de vue culturel“)1685 und insbesondere in Art. 4 der UNESCO-Convention on the Means of Prohibiting and Preventing the Illicit Import, Export and Transfer of Ownership of Cultural Property (Paris) vom 14. November 1970:
672
Art. 4 UNESCO-Convention vom 14. November 1970: The States Parties to this Convention recognize that for the purpose of the Convention property which belongs to the following categories forms part of the cultural heritage of each State:
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1685
Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff., S. 42. Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 127–139. Diese Formulierung wählt Jayme, Kunstwerk und Nation: Zuordnungsprobleme im internationalen Kulturgüterschutz, 1991, S. 20. Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 130. Jayme verweist diesbezüglich auf das US-amerikanische Zivilprozessrecht, das Kulturgüter bei Verfahren in rem selbst als Prozesspartei betrachtet und somit als Personen behandelt, vgl. Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff., S. 45. Mußgnug, Die Staatsangehörigkeit des Kulturguts, in: Bröhmer u.a., Internationale Gemeinschaft und Menschenrechte, Festschrift Ress, S. 1531 ff. Vgl. hierzu auch Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 94–98. Jayme, Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im Internationalen Privatrecht, in: Dominicé/Patry/Reymond, „Études de droit international en l’honneur de Pierre Lalive“, 1993, S. 717–731, S. 727: „Die Nationalität des Künstlers personalisiert das Kunstwerk“. S. a. Kunstwerk und Nation. S. 20, darauf verweisend auch Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 127–139. Art. 1 Abs. 1 b) La vente internationale d’objets d’art sous l’angle de la protection du patrimoine culture vom 3. September 1991: 1. Au sens de la présente Résolution, on entend par: … pays d’origine d’un objet d’art, celui auquel, du point de vue culturel, l’objet en question se trouve rattaché par le lien le plus étroit. Vgl. so auch Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 127–139.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht (a) Cultural property created by the individual or collective genius of nationals of the State concerned, and cultural property of importance to the State concerned created within the territory of that State by foreign nationals or stateless persons resident within such territory; (b) cultural property found within the national territory; (c) cultural property acquired by archaeological, ethnological or natural science missions, with the consent of the competent authorities of the country of origin of such property; (d) cultural property which has been the subject of a freely agreed exchange; (e) cultural property received as a gift or purchased legally with the consent of the competent authorities of the country of origin of such property.
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Der kulturelle „connection test“1686 der UNESCO-Convention vom 14. November 1970 zählt ein Kulturgut dann zum Teil des kulturellen Erbes eines Mitgliedstaates, wenn es (Punkt a)) durch die individuelle oder kollektive Schöpferkraft von Angehörigen des betreffenden Staates entstanden ist und für den betreffenden Staat ein bedeutsames Kulturgut darstellt, das in seinem Hoheitsgebiet von dort ansässigen Ausländern oder Staatenlosen geschaffen wurde, (Punkt b)) im Staatsgebiet gefunden wurde, (Punkt c)) durch archäologische, ethnologische oder naturwissenschaftliche Missionen mit Zustimmung der zuständigen Behörden des Ursprungslands erworben oder (Punkt d)) aufgrund freier Vereinbarung ausgetauscht wurde oder wenn es (Punkt e)) als Geschenk entgegengenommen oder mit Zustimmung der zuständigen Behörden des Ursprungslands rechtmäßig gekauft wurde. Insbesondere von Jayme1687 wurde die Möglichkeit, privatrechtliche Rechtsverhältnisse an Kulturgütern einem sog. „Heimatrecht“ des Kulturguts zu unterstellen, zur Diskussion gestellt und verschiedene kulturelle Kriterien wurden extrahiert, die rechtliche Rezeption innerhalb der Rechtswahl finden können.1688 In Anlehnung an diese Kennzeichen für eine kulturelle Ver-
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So die Formulierung bei Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 127–139. Vgl. Jayme, Kunstwerk und Nation: Zuordnungsprobleme im internationalen Kulturgüterschutz, 1991, S. 29; Jayme, Die Nationalität des Kunstwerks als Rechtsfrage, in: Reichelt, Internationaler Kulturgüterschutz – Wiener Symposium 18./19. Oktober 1990, 1992, S. 7– 30, S. 25; Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff., S. 42 ff.; Jayme, Kunstwerk und Nation: Zuordnungsprobleme im internationalen Kulturgüterschutz, 1991, S. 7 ff.; Jayme, Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im Internationalen Privatrecht, in: Dominicé/Patry/Reymond, „Études de droit international en l’honneur de Pierre Lalive“, 1993, S. 717–731; Jayme, Die Nationalität des Kunstwerks als Rechtsfrage, in: Reichelt, Internationaler Kulturgüterschutz – Wiener Symposium 18./19. Oktober 1990, 1992, S. 7–30. So zuvor bereits Prott/O’Keefe, National Legal Control of Illicit Traffic in Cultural Property, UNESCO-Doc. CLT-83/WS/16, 1983, S. 126. Zum Ganzen auch Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 197; Spaun, Der Herausgabeanspruch bei Diebstahl oder illegalem Export von Kulturgütern, 2003, S. 158–160; Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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bundenheit wird in der Literatur eine Vielzahl von Kriterien genannt, mit denen sich die Nationalität bzw. der Herkunftsstaat eines Kulturguts bestimmen lassen sollen:1689 Der Ort der kultischen Verehrung bei Sakralgegenständen, vgl. hierzu unter Punkt (1), die Nationalität des Künstlers, vgl. hierzu unter Punkt (2), wenn der Schöpfer des Kunstwerks für die Identität der Nation eine besondere Rolle spielt, der Entstehungsort, vgl. hierzu unter Punkt (3), sowie der Bestimmungsort des Kulturguts, vgl. hierzu unter Punkt (4), etwa bei Auftragsarbeiten oder bei Schenkungen oder Leihgaben des Eigentümers, der sog. ‚Sitz‘ kultureller Wertgegenstände, vgl. hierzu unter Punkt (5), die gesellschaftliche Rezeption eines Kunstwerkes in einem bestimmten Staat, vgl. hierzu unter Punkt (6), der Fundort bei archäologischen Gegenständen, vgl. hierzu unter Punkt (7) sowie schließlich der geschichtliche Zusammenhang der Objekte, vgl. hierzu unter Punkt (8), stellen solche Indizien dar, die zur inhaltlichen Ausgestaltung des Anknüpfungsmomentes „Heimatrecht“ führen sollen.1690 Der aktuelle Aufenthaltsort soll dabei nur noch ausnahmsweise maßgeblich sein, und auch nur dann, wenn sich das Kulturgut nicht gegen den Willen des Herkunftsstaates dort befindet.1691
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Ort der kultischen Verehrung – sog. lex cultus
Bei Sakralgegenständen sind sich die oft heterogenen Einschätzungen bei der Bestimmung einer kulturellen Verbindung zwischen einem Objekt und dem kulturellen Zuordnungssubjekt (wie etwa einem Heimatstaat, einer Religions-
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des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 282–284; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 113 ff.; Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 248–250; Blumenwitz, Rechtliche Schwierigkeiten bei der Rückgabe rechtswidrig nach Deutschland verbrachter Kunstschätze an die Herkunftsstaaten und künftige Lösungsansätze, in: Bröhmer/Bieber/Callies/Langenfeld/Weber/ Wolf, Internationale Gemeinschaft und Menschenrecht – Festschrift für Georg Ress zum 70. Geburtstag am 21.Januar 2005, 2005, S. 3 ff., S. 16; Kienle/Weller, Die Vindikation gestohlener Kulturgüter im IPR, IPRax 2004, S. 290–294; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 193–194. Vgl. auch Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217. In diesem Sinne spricht Schaffrath davon, dass in einem Kunstwerk „geistige Energien“ verkörpert seien, die als Ausdruck der Identität des Künstlers bzw. der Nation, die es als das ihre betrachte, anzusehen seien. Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 248–250, auch unter Rekursnahme auf Jayme, „Entartete Kunst“ und Internationales Privatrecht, 1994, S. 24. Vgl. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 150; Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 248–250.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
stätte1692 bzw. einer Glaubensgruppe von Menschen1693) meist einig1694 und erkennen diese als Gegenstände an, denen neben ihrem ästhetischen, wissenschaftlichen oder historischen Gehalt auch ein religiöser Wert innewohnt1695, der von den Angehörigen des Kultes, dem sie zugeordnet werden, als Botschaft des Glaubens empfunden wird.1696 Für solche Gegenstände, denen aufgrund ihrer Benutzung ein religiöser Wert innewohnt,1697 besteht ein Bedürfnis, sie an ihrem angestammten kulturellen Ort zu bewahren bzw. nach einem unrechtmäßigen Entziehungsakt wieder dahin zurückzuführen.1698 Aus diesem Grund restituierte bspw. die Stiftung Preußischer Kulturbesitz im Jahr 2000 ein Relief aus dem neunten Jahrhundert an Nepal, welches zuvor im Jahre 1982 aus einem Tempel1692
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Auch nach Ansicht Weidners, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 194–196, können religiöse Kulturguter aus kultischen Gründen in einer engen Beziehung zu einem bestimmten Ort stehen. Sie verweist dabei bspw. auf die Diskussion um die Rückführung des Quedlinburger Domschatzes (vgl. Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 1: Illegaler Kulturgüterverkehr, 4. Teil, Rdnr. 9 ff.), dazu auch Kogelfranz/Korte, Quedlinburg – Texas und zurück: Schwarzhandel mit geraubter Kunst, 1994. So Fechner, Rechtlicher Schutz archäologischen Kulturguts – Regelungen im innerstaatlichen Recht, im Europa- und Völkerrecht sowie Möglichkeiten zu ihrer Verbesserung, 1991, S. 29. Sogar Merryman, einer der stärksten Kritiker der Tendenz, nationale Kulturgüterschutzgesetze auch im Ausland zu berücksichtigen, sieht die kultische Bedeutung eines Kunstwerkes als Grund für die Rückführung eines Kulturguts an, Merryman, A Licit International Trade in Cultural Objects, in: Briat/freedberg, International Sales of Works of Art (ISWA), Volume V, 1996, S. 3 ff., S. 17 f.; Merryman, Il controllo nazionale sull’esportazione die beni culturali, Rivista di diritto civile 34 (1988), S. 633–645, S. 637 f.; ebenso Church, Evaluating the Effectiveness of Foreign Laws on National Ownership of Cultural Property in U.S. Courts, Columbia Journal of Transnational Law, Volume 30 (1992), S. 180–229, S. 225. Darauf verweist auch Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 194–196. So Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 194–196. Vgl. dazu auch Belting, Bild und Kult: Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst, 6. Aufl. 2004. So auch Ferrer-Correia, La vente internationale d’objets d’art, sous l’angle de la protection du patrimoine culturel, in: Annuaire de l’Institut de Droit International 64-I (1991), S. 90–192, S. 153 f.; Maurer, Die Ausfuhr von Kulturgütern in der Europäischen Union, 1995, S. 58; Siehr, Freizügigkeit und Kulturgüterschutz in der Europäischen Union, in: Immenga/Möschel/Reuter, Festschrift fur Ernst-Joachim Mestmäcker zum siebzigsten Geburtstag, 1996, S. 483–496, S. 494 f.; Siehr, Nationaler und Internationaler Kulturgüterschutz – Eingriffsnormen und der internationale Kunsthandel, in: Pfister/Will, Festschrift für Werner Lorenz zum siebzigsten Geburtstag, 1992, S. 525–542, S. 540; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217. Vgl. Art. 10 (a) des Konventionsentwurfes von Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 267: „… the term “object of national cultural heritage” means any registered object of outstanding artistic, archaeological, historical, spiritual, ritual or other cultural importance for the State of origin.“.
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bezirk in der Nähe von Kathmandu gestohlen und illegal außer Landes gebracht worden war.1699 Bekanntestes Beispiel zur Verdeutlichung der inneren Konnexität zwischen Sakralgegenstand und Kultort ist der Fall der Afo-A-Kom-Statue.1700 Dabei handelt es sich um eine Gottkönigsstatue des Stammes Kom in Kamerun, die auf ungeklärte Weise von ihrem angestammten Platz in Kamerun abhandenkam und schließlich in den 1970er Jahren bei einem New Yorker Kunsthändler wieder auftauchte.1701 Nachdem ihr Verbleib in New York bekannt wurde, verlangte die Regierung Kameruns unter Verweis auf den besonderen immateriellen Wert und die ausstehende Bedeutung der Statue für die betroffene Bevölkerungsgruppe, die innewohnende kultische Bedeutung und ihre Zugehörigkeit zu einem bestimmten Ort oder einer Gemeinschaft, die Rückführung: „It is beyond money, beyond value. It is the heart of the Kom, what unifies the tribe, the spirit of the nation, what holds us together. It is not an object of art for sale and could not be.“1702 Diese kultische Bedeutung zeigte „auf eindrückliche Weise die fehlende Kommerzialisierbarkeit bestimmter Kulturgüter, welche sich juristisch als Extra-
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Vgl. hierzu FAZ, Artikel vom 10.8.2000, S. B 32; FAZ, Artikel vom l1.8.2000, S. 47; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 194– 196. Vgl. zu dieser Sachverhaltskonstellation insbesondere DuBoff, Art Law – Domestic and International, 1975, S. 423–425; Merryman, Il controllo nazionale sull’esportazione die beni culturali, Rivista di diritto civile 34 (1988), S. 633–645; Merryran/Elsen, Law, Ethics and the Visual Arts, 4. Aufl. 2002, S. 200 ff.; Merryman, A Licit International Trade in Cultural Objects, in: Briat/freedberg, International Sales of Works of Art (ISWA), Volume V, 1996, S. 3 ff., S. 17 f.; Williams, The international and national protection of movable cultural property: a comparative study, 1978, S. 134; Fechner, Rechtlicher Schutz archäologischen Kulturguts – Regelungen im innerstaatlichen Recht, im Europa- und Völkerrecht sowie Möglichkeiten zu ihrer Verbesserung, 1991, S. 43; Kenety, Who Owns the Past? The Need for Legal Reform and Reciprocity in the International Art Trade, Cornell International Law Journal, Volume 23 (1990), S. 1–46, S. 6 f.; Siehr, Freizügigkeit und Kulturgüterschutz in der Europäischen Union, in: Immenga/Möschel/Reuter, Festschrift fur Ernst-Joachim Mestmäcker zum siebzigsten Geburtstag, 1996, S. 483–496, S. 494 f.; Siehr, Nationaler und Internationaler Kulturgüterschutz – Eingriffsnormen und der internationale Kunsthandel, in: Pfister/Will, Festschrift für Werner Lorenz zum siebzigsten Geburtstag, 1992, S. 525–542, S. 540; Siehr, Diskussionsbeitrag, in: in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 14; Walter, Rückführung von Kulturgut im Internationalen Recht, 1988, S. 15; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 194–196; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217. Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 194–196. Die Statue wurde von Francois Xavier Tehoungiu, dem damaligen Kulturattaché von Kamerun (und Angehörigen des Stammes der Kom), seinerzeit auf diese Art beschrieben, zitiert nach Merryman, A Licit International Trade in Cultural Objects, in: Briat/freedberg, International Sales of Works of Art (ISWA), Volume V, 1996, S. 3 ff., S. 17.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
kommerzialität auswirken kann.“1703 Infolge einer Vereinbarung zwischen dem Department of State, dem Justizdepartment, dem Botschafter von Kamerun in den USA und dem U.S. Custom Service wurde die Statue durch das Museum of African Art in Washington, D.C. erworben und schließlich nach Kamerun zurückgebracht.1704 Teile des Schrifttums weisen allerdings darauf hin, dass die Statue kurze Zeit später erneut gestohlen worden, in den kulturellen Schwarzmarkt und schließlich in eine Privatsammlung gelangt sei.1705 677
Sakralgegenstände bilden damit „eine eigene Kategorie, die durch die gegenwärtige Bedeutung für die Ausübung der Religion oder des Kults gekennzeichnet ist.“1706 Vor diesem Hintergrund kann in solchen Situationen, in denen Kulturgüter Gegenstand eines noch ausgeübten Kultes sind, die Anknüpfung an die sog. lex cultus und damit an die Rechtsordnung desjenigen Ortes, an dem die Religion ausgeübt und gelebt wird, das Heimatrecht des Kulturgutes bestimmen.1707
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Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 194–196. So Williams, The international and national protection of movable cultural property: a comparative study, 1978, S. 134. So Fechner, Rechtlicher Schutz archäologischen Kulturguts – Regelungen im innerstaatlichen Recht, im Europa- und Völkerrecht sowie Möglichkeiten zu ihrer Verbesserung, 1991, S. 43; Walter, Rückführung von Kulturgut im Internationalen Recht, 1988, S. 15 m.w.N. Die Statue soll bei einem New Yorker Antiquitätenhändler entdeckt und danach in eine Privatsammlung verschwunden sein. Vgl. Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217. So Ferrer-Correia, La vente internationale d’objets d’art, sous l’angle de la protection du patrimoine culturel, in: Annuaire de l’Institut de Droit International 64-I (1991), S. 90–192, S. 153; Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff., S. 44; Jayme, Die Nationalität des Kunstwerks als Rechtsfrage, in: Reichelt, Internationaler Kulturgüterschutz – Wiener Symposium 18./19. Oktober 1990, 1992, S. 7–30, S. 25; Jayme, Kunstwerk und Nation: Zuordnungsprobleme im internationalen Kulturgüterschutz, 1991, S. 7 ff., S. 29 f.; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 194–196; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184– 217; Strauch, Rechtsverhältnisse an Kulturgütern im Internationalen Sachenrecht, 2007, S. 104–107; Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 282–284; Fechner, Die Vorhaben der EG zum Kulturgüterschutz, Die öffentliche Verwaltung (DÖV), Heft 14 (1992), S. 609–618, S. 611; Siehr, Nationaler und Internationaler Kulturgüterschutz – Eingriffsnormen und der internationale Kunsthandel, in: Pfister/ Will, Festschrift für Werner Lorenz zum siebzigsten Geburtstag, 1992, S. 525–542, S. 540; Siehr, Freizügigkeit und Kulturgüterschutz in der Europäischen Union, in: Immenga/Möschel/Reuter, Festschrift fur Ernst-Joachim Mestmäcker zum siebzigsten Geburtstag, 1996, S. 483–496, S. 494 f.; González-Campos, La technique conflictuelle et les objectifs et
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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In diesen Fällen treten andere kulturelle Verbindungen der Wertgegenstände zu einer Ursprungsrechtsordnung, wie etwa die Bedeutung des Künstlers und die Umstände ihrer Entstehung, in den Hintergrund.1708 Die Sakralgegenstände werden deshalb weniger aufgrund ihrer Art, Gattung, Schaffung oder künstlerischen Wertschätzung, sondern insbesondere aufgrund ihres Gebrauchs einer bestimmten Rechtsordnung dauerhaft zugeordnet:1709 Als Heimatrecht könne deshalb nur das Recht des Ortes anzusehen sein, „an welchem das Kulturgut seine kultische Bedeutung entfaltet“1710. Dementsprechend betont das Schrifttum, dass nur „Kunstgegenstände, die religiös verehrt werden, dem Recht am Ort der Verehrung unterstellt werden“1711 sollen. Merryman fordert sogar, dass eine Rückführung nur dann Rechtfertigung fände, wenn die Religion ohne den Kultgegenstand ihr Zentrum verlöre.1712 Von der überwiegenden Rechtseinschätzung wird somit verlangt, dass die religiöse Zweckerfüllung im Mittelpunkt stehen muss, sodass eine Anknüpfung an die lex cultus nur im Falle der Fortdauer der Verehrung und der weiterbestehenden sakralen Funktionserfüllung Bestand haben kann.1713 Demgegenüber betont Schaffrath in ihren Unter-
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valeurs du droit matériel: la lex originis pour les biens culurels, in: Ethnikon kai Kapodistriakon Panepistemion (Athenai), La protection internationale des biens culturels – regard dans l’avenir; colloquium Athens, 23 November 2001, 2003, S. 57; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 114. Vgl. Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217. Vgl. hierzu Deb, Stealing Gods, Art Antiquity and Law, 2005, S. 31; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 115; Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 284–286. Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 282–284, unter Rekurs auf González-Campos, La technique conflictuelle et les objectifs et valeurs du droit matériel: la lex originis pour les biens culurels, in: Ethnikon kai Kapodistriakon Panepistemion (Athenai), La protection internationale des biens culturels – regard dans l’avenir; colloquium Athens, 23 November 2001, 2003, S. 57; Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/ Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff., S. 43 ff.; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 197. Strauch, Rechtsverhältnisse an Kulturgütern im Internationalen Sachenrecht, 2007, S. 104–107. Vgl. Merryman, Il controllo nazionale sull’esportazione die beni culturali, Rivista di diritto civile 34 (1988), S. 633–645, S. 637 f. Vgl. Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff., S. 43 ff.
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suchungen zur Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat eher „eine Erweiterung dieser Fallgruppe auf all diejenigen Gegenstände …, die dem Kult zugeordnet werden können, d.h. sämtliche für gewöhnlich zur Religionsausübung verwendete Gegenstände, sowie bei Kirchen oder ähnlichen Räumen, in denen Glaubensgemeinschaften zur Ausübung ihres gemeinsamen Glaubens regelmäßig zusammenkommen, das gesamte dort vorhandene, einen kulturellen Bezug aufweisende Inventar. Damit würden zwar auch Gegenstände wie Heiligenbilder, Messkelche und ähnliches erfasst, bei welchen die Religion zwar nicht unausübbar würde; dennoch schafft die dortige bestimmungsgemäße Belegenheit und die Zugehörigkeit zu den Gesamtgegenständen des Kultes eine nähere Beziehung als der von vielen Zufälligkeiten abhängige Belegenheitsort zum Zeitpunkt der Veräußerung.“1714 Gleiches müsse ihrer Ansicht nach auch für Kultgegenstände gelten, die zwar heute nicht mehr verwendet werden, aber ebenso in diesen Zusammenhang gehören, weil sich der frühere Kult fortentwickelt hat.“1715 679
Außer Diskussion stand die religiöse Zweckerfüllung jedoch in der vor dem niederländischen Hooge Raad entschiedenen sog. Madonna von Batz-sur-Mer-Entscheidung vom 18. Januar 19831716. Hier war eine Madonna aus einer nichtprofanierten Kirche in Frankreich gestohlen und in die Niederlande geschmuggelt worden. Dort wurde sie von einem Kunsthändler erworben, der sie in den Niederlanden an einen anderen Kunsthändler weiterveräußerte. In einem Strafverfahren über den Verbleib der beschlagnahmten Madonna hatte das Gericht über das Eigentum an ihr zu entscheiden.1717 Hierbei berücksichtigte die Arrondissementsrechtbank die zum Zeitpunkt der Entscheidung in Frankreich geltende Loi sur les monuments historiques vom 31. Dezember 1913, deren Art. 20 Verträge, die ein Erwerbsverbot kultureller Wertgegenstände nach Art. 18 dieses Gesetzes
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So Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 253–264. Seien die Kulturen jedoch längst untergegangen, so sollte das Kriterium des Sitzortes i.S.d. Aufbewahrungsortes zum Zuge kommen, sodass sich der Ort durchsetzen wird, an dem die Objekte über viele Jahre aufbewahrt wurden, z.B. in Tempeln, Sammlungen oder Museen. „Denn aus diesem Aufbewahrungszusammenhang wurde der Gegenstand letztlich entfernt und dem illegalen Handel zugeführt.“ Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 253–264. Hoge Raad vom 18. Januar 1983, Nederlandse Jurisprudentie, 1983, No. 445, S. 1402. Hierzu auch Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff., S. 43 ff.; Kienle/Weller, Die Vindikation gestohlener Kulturgüter im IPR, IPRax 2004, S. 290–294, S. 291. Vgl. zum Sachverhalt Siehr, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Rechtsverkehr, in: Westphalen/Sandrock, Lebendiges Recht – Von den Sumerern bis zur Gegenwart – Festschrift für Reinhold Trinkner zum 65. Geburtstag, 1995, S. 703–722, S. 716.
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verletzen, für nichtig erklärt. Ein gutgläubiger Erwerber hat in einem solchen Fall nur einen Anspruch auf Entschädigung.1718 Die Anwendung der französischen Normen über den Kulturgüterschutz vor einem niederländischen Forum hatte deshalb zur Folge, dass die in den Niederlanden abgeschlossenen Kaufverträge nichtig waren und von den niederländischen Kunsthändlern kein Eigentumsrecht erworben werden konnte.1719 Im Ergebnis hat jedoch der niederländische Hooge Raad in dem Berufungsverfahren zunächst die Entscheidung der Rechtbank aufgehoben und ausgeführt, dass keine sachliche Entscheidung vorgenommen werden kann, sondern hat allein formal festgestellt, dass ein derart schwieriges Rechtsproblem keinesfalls in einem vorläufigen Rechtshilfeverfahren nach der niederländischen Strafprozessordnung zu entscheiden sei und verwies die Sache an ein Zivilgericht zurück. Schließlich kam es zu einem Vergleich, wonach die Madonna gegen Entschädigung des Kunsthändlers an die Bestohlenen zurückgegeben wurde.1720 Die Entscheidung zeigt, dass eine Anknüpfung an die lex cultus eine extraterritoriale Anerkennung des verkehrsfeindlichen Status von Kulturgütern mit sich bringen würde, wenn Sakralgegenstände in ihrer Heimatrechtsordnung zu res extra commercium erklärt sind. So werden bspw. in Frankreich nicht nur im Dienst befindliche Sakralgegenstände, sondern auch profanierte Kirchen im Eigentum des Staates samt der darin aufbewahrten Kunstgegenstände zum domaine public gerechnet.1721 Auch nach Art. 28 Abs. 1 der spanischen Ley (16/85) del Patrimonio Histórico Español vom 25.6.1985 dürfen klassifizierte oder inventarisierte Kulturgüter, die sich im Besitz kirchlicher Einrichtungen befinden, nur an den Staat, an juristische Personen des öffentlichen Rechts oder an andere kirchliche Institutionen übertragen werden, sind also im Übrigen unveräußerlich sowie unersitz-, unverjähr- sowie unverwirkbar und unterfallen nach Art. 29 des Gesetzes einem absoluten Ausfuhrverbot.1722 1718
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Vgl. zum Ganzen insbesondere auch Siehr, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Rechtsverkehr, in: Westphalen/Sandrock, Lebendiges Recht – Von den Sumerern bis zur Gegenwart – Festschrift für Reinhold Trinkner zum 65. Geburtstag, 1995, S. 703– 722, S. 716. Vgl. die Kassationsentscheidung des Hoge Raad vom 18. Januar 1983, Nederlandse Jurisprudentie, 1983, No. 445, S. 1402. Vgl. Verheul, Foreign Export Prohibitions: Cultural Treasures and Minerals, 31 Netherlands International Law Review (1984), S. 419–427, S. 420–422, unter Rekurs auf die Alnati-Entscheidung des Hoge Raad vom 13.5.1966, Nederlandse Jurisprudentie, 1967 Nr. 3, Netherlands International Law Review 1968, S. 82; Rev. Crit. 56 (1967) 522; Clunet 96 (1969) 1010. Vgl. Verheul, Foreign Export Prohibitions: Cultural Treasures and Minerals, 31 Netherlands International Law Review (1984), S. 419–427, S. 422. Vgl. hierzu bspw. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 194–196. Vgl. dazu Gonzalez-Campos/Virgos-Soriano, International Sales of Works of Art (ISWA), Volume II: Export/Import/Taxation/’Dation en paiement’/Appraisal/Insurance, 1990, S. 103 ff., S. 116; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenz-
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Der Vorteil einer Rechtswahl nach der lex cultus für eine Rückführung unrechtmäßig entzogener Sakralgegenstände hätte bspw. in der Rechtssache Duc de Frias v. Baron Pichon aus dem Jahre 18861723 zu einer Rückführung des umstrittenen Ziboriums aus der Kathedrale von Burgos in Kastilien-León im Nordwesten Spaniens geführt, nachdem sich die Äbtissin gezwungen sah, dieses aus Geldsorgen zu verkaufen.1724 Baron Pichon erwarb das Ziborium in Paris. Kurze Zeit später verlangten die Kathedrale von Burgos und der Herzog von Frias als Nachkomme des ursprünglichen Donators, der das Ziborium als unveräußerliches Gut der Kathedrale von Burgos schenkte, das Objekt aus dem Besitz von Baron Pichon wieder heraus. Der Tribunal civil de la Seine verweigerte jedoch einen Restitutionsanspruch: Nachdem das Gericht entsprechend der lex rei sitae von der Anwendbarkeit französischen Rechts aufgrund der Veräußerung des Ziboriums in Paris ausging, wurde auf Art. 2279 Code civile als Vorschrift von „l’interêt d’ordre social“ verwiesen und im Ergebnis die Anerkennung einer auf spanischem Recht beruhenden Unveräußerlichkeit der Sache aufgrund der Veräußerung des in Streit stehenden Gutes in Frankreich abgelehnt. Der Tribunal civil de la Seine bestimmte, dass ein als res extra commercium klassifiziertes Kulturgut, das außerhalb des Geltungsbereichs derjenigen Rechtsordnung veräußert wird, die die Unveräußerlichkeit normiert, den Charakter als res extra commercium verliert.1725 Wäre die Veräußerung in Paris jedoch nach spanischem Recht entsprechend der Rechtswahl nach der lex cultus entschieden worden, hätte der Tribunal civil de la Seine auch in Frankreich die Unveräußerlichkeit des Ziboriums und den Fortbestand des Eigentums der Kathedrale von Burgos erkennen müssen, sodass ein Rückführungsanspruch hätte bejaht werden müssen, da das Ziborium auch nach Auffassung des Gerichts religiösen Handlungen, nämlich zur Aufbewahrung der geweihten Hostie, diente.
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überschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217. Duc de Frias v. Baron Pichon, Tribunal de la Seine, 17. April 1885, 13 Journal du droit international privé, S. 593 (1886). Weitere Quellen hierzu: Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 72; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 73; Siehr, Handel mit Kulturgütern in der Europäischen Union und in der Schweiz, in: Walder, Aspekte des Wirtschaftsrechts – Festgabe zum Schweizerischen Juristentag 1994, 1994, S. 353–372, S. 355. Und dies, obwohl die französische Rechtsordnung ihrerseits ein Recht anerkennt, bestimmte Güter als res extra commercium zu qualifizieren: Nach der Rechtseinschätzung des Tribunal civil de la Seine machte es in dem Fall somit keinen Unterschied, dass auch die französische Rechtsordnung als lex causae selbst eine Rechtsinstitution entsprechend der res extra commercium anerkennt, und es musste das ursprünglich unveräußerliche Recht des Kulturgutträgers durch die Veräußerung außerhalb des kulturellen Ursprungsstaates erlöschen.
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Nationalität des Künstlers
Eine kulturelle Verbundenheit von Kunstgegenständen mit ‚ihrem‘ Ursprungsstaat könnte auch mittels der Person und Nationalität des Künstlers geschaffen werden.1726 Dass die Kultur einer Nation durch ein Kulturgut verkörpert werden kann, das ein Angehöriger dieser Nation geschaffen hat, leuchtet ein, da „c’est la création artistique qui compte, l’objet matériel qui l’incarne ayant été converti en bien culturel par l’inspiration de l’artiste.“1727 So formuliert Jayme, dass in einem Kulturgut „geistige Energien“ verkörpert sind, die als Ausdruck der Identität des Künstlers und der Nation, der er angehört, anzusehen seien,1728 sodass die Werke als Ausdruck der Kunst dieses Landes oder einer bestimmten Epoche angesehen werden können.1729 Die Nationalität des Künstlers personalisiert danach das Kulturgut.1730
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Dieser Gedanke fand sowohl in Art. 4 der UNESCO-Convention vom 14. November 1970 auf internationaler Basis als auch in nationalen Kulturgüterschutz-
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Vgl. hierzu Jayme, Kunstwerk und Nation: Zuordnungsprobleme im internationalen Kulturgüterschutz, 1991, S. 16–17; Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff., S. 45 ff.; Ferrer-Correia, La vente internationale d’objets d’art, sous l’angle de la protection du patrimoine culturel, in: Annuaire de l’Institut de Droit International 64-I (1991), S. 90–192, S. 153 f.; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 197; Maurer, Die Ausfuhr von Kulturgütern in der Europäischen Union, 1995, S. 58; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 149; Uhl, Der Handel mit Kunstwerken im europäischen Binnenmarkt – Freier Warenverkehr versus nationaler Kulturgutschutz, 1993, S. 155 f.; Berndt, Internationaler Kulturgüterschutz: Abwanderungsschutz, Regelungen im innerstaatlichen Recht, im Europa- und Völkerrecht, 1998, S. 145; Strauch, Rechtsverhältnisse an Kulturgütern im Internationalen Sachenrecht, 2007, S. 104–107; Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 248–250; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 115; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 196–197; Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 207–208. Ferrer-Correia, Annuaire de l’Institut de Droit International II (1992), S. 280, darauf verweisend auch Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217. Jayme, „Entartete Kunst“ und Internationales Privatrecht, 1994, S. 7 ff., S. 24. So Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217. Vgl. Strauch, Rechtsverhältnisse an Kulturgütern im Internationalen Sachenrecht, 2007, S. 104–107.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
gesetzen zur Qualifizierung bestimmter Objekte als „national wertvoll“ rechtliche Rezeption. So bestimmt bspw. ausdrücklich Art. 5 des schwedischen Kulturgüterschutzgesetzes vom 30.6.1988, dass „[t]he term Swedish items of historic interest refers to items which were actually or presumably made in Sweden or in some other country by a Swede. The term foreign Items of historic interest refers to items made in another country by a Swede.“ Bei einer Gesamtschau kultureller Rückführungsklagen unrechtmäßig aus dem kulturellen Ursprungsstaat exportierter Kulturgüter wird außerdem ersichtlich, dass es sich in zahlreichen Fallkonstellationen um Werke eines nationalen Künstlers handelte. So war bspw. in der Rechtssache Kingdom of Spain v. Christie, Manson & Woods Ltd.1731 ein Gemälde von Goya Gegenstand des Rechtsstreits und in der Konstellation Kunstsammlungen zu Weimar v. Elicofon1732 wurde um zwei Dürer-Porträts gestritten. Aus politischen Gründen erhob zunächst die Bundesrepublik Deutschland Klage. Die Kunstsammlungen zu Weimar wurden erst 1975 nach Anerkennung der DDR durch die USA als alleiniger Kläger zugelassen.1733 684
Innerhalb der judikativen Rezeption der Zuordnung kultureller Güter zu einem kulturellen Ursprungsstaat nach der Nationalität des Künstlers wird aber ersichtlich, dass Person und Nationalität des Künstlers auch als Negativkriterien wirken können und die Zugehörigkeit eines Kunstwerks zum nationalen Kulturerbe eines Landes ausschließen können.1734 In der Rechtssache Jeanneret v. Vichey1735 erbte Anna Vichy, Tochter des bedeutenden italienischen Kunstsammlers Frua De Angeli, nach dem Tod ihres Vater das Matisse-Gemälde ‚Visage sur Fond Jaune‘ (1952).1736 (s. Abb. 42) 1731 1732
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Kingdom of Spain v. Christie, Manson & Woods Ltd. (1986) 1 W.L.R. 1120 (Ch.D.). Kunstsammlungen zu Weimar v. Elicofon, 536 F.Supp. 829 (E.D.N.Y. 1981), affirmed 678 F.2d 1150 (2d Cir. 1982). Vgl. zu diesem Verweis Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217. So auch Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 196–197. Anders aber Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217: „Aus der Argumentation des Gerichts kann dagegen nicht geschlossen werden, daß die Nationalität des Künstlers bei der Zuordnung eines Kulturguts als Negativkriterium in Betracht kommt. Dies würde bedeuten, daß allein diese entscheidend ist. Das Gericht sah die Nationalität des Künstlers nicht als ausschließliches Kriterium für die Bestimmung der Nationalität des Kulturguts an. Jedenfalls reichte die Wertschätzung, die Italien dem Bild entgegenbrachte, indem es das Werk als zu seinem kulturellen Erbe gehörend notifiziert hatte, nicht aus.“. Jeanneret v. Vichey, 541 F. Supp. 80 (S. D. N. Y. 1982) 693 F 2d 259 (2d Cir. 1982). Vgl. hierzu Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 147–148, S. 186–187 und S. 212–213; Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff., S. 45–46, Jayme, Anknüpfungsmaximen
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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Das Gemälde wurde über die Schweiz nach New York gebracht und dort von der Schweizer Kunsthändlerin Marie Louise Jeanneret erworben. Mittlerweile erhob der italienische Staat Ansprüche auf das Gemälde als Bestandteil des italienischen Kulturpatrimoniums. Die italienische Regierung machte geltend, dass das Kunstwerk nicht ohne Genehmigung hätte ausgeführt werden dürfen, nachdem das italienische Kulturministerium das Werk zum nationalen Kulturgut erklärt hatte. Nachdem Jeanneret erfuhr, dass das Matisse-Gemälde ohne gültige Exportlizenz aus Italien unrechtmäßig ausgeführt worden war, machte sie als Käuferin Schadensersatzansprüche gegen die Verkäuferin Vichy geltend.1737 Zunächst gab das Bundesgericht der Klage statt und erläuterte, dass der Verstoß gegen ausländische Exportbestimmungen den Marktwert eines Kunstwerks mindere, da es sich im legalen Kunsthandel nicht mehr ohne weiteres verkaufen lasse, außerdem der gute Ruf des Besitzers eines solchen Objektes geschädigt würde und er der Möglichkeit der zoll-, zivil- und strafrechtlichen Beschlagnahme ebenso wie einer möglichen finanziellen Inanspruchnahme kultureller Ursprungsund Herkunftsstaaten ausgesetzt sei.1738
685
Das Berufungsgericht hat diese Entscheidung jedoch wieder aufgehoben und zur Neuverhandlung zurückverwiesen1739, da es die Anwendbarkeit der italienischen Exportbestimmungen auf ein eher als „französisch“ zu bezeichnendes Gemälde fragwürdig erachtete. Nicht nur dem Court of Appeals erschien es unschlüssig1740, dass Italien ein Gemälde von Henri Matisse, einem französischen Staatsbürger, beanspruchte, der das Porträt zusätzlich auch in Frankreich malte.1741 Zwar
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für den Kulturgüterschutz im Internationalen Privatrecht, in: Dominicé/Patry/Reymond, „Études de droit international en l’honneur de Pierre Lalive“, 1993, S. 717–731, S. 726–727; Jayme, Kunstwerk und Nation: Zuordnungsprobleme im internationalen Kulturgüterschutz, 1991, S. 16–17; Jayme, Die Nationalität des Kunstwerks als Rechtsfrage, in: Reichelt, Internationaler Kulturgüterschutz – Wiener Symposium 18./19. Oktober 1990, 1992, S. 7–30, S. 15–16; Buranich, The Art Collecting Countries and Their Export Restrictions on Cultural Property: Who Owns Modern Art?, California Western International Law Journal 19 (1988), S. 153–172, S. 166–168. Vgl. Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff., S. 45–46, Jayme, Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im Internationalen Privatrecht, in: Dominicé/Patry/Reymond, „Études de droit international en l’honneur de Pierre Lalive“, 1993, S. 717–731, S. 726–727. Jeanneret v. Vichy, 541 F.Supp. 80 (S.D.N.Y. 1982), S. 84–86; siehe Buranich, The Art Collecting Countries and Their Export Restrictions on Cultural Property: Who Owns Modern Art?, California Western International Law Journal 19 (1988), S. 153–172, S. 166–167; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 186–187. Vgl. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 147–148. Vgl. Buranich, The Art Collecting Countries and Their Export Restrictions on Cultural Property: Who Owns Modern Art?, California Western International Law Journal 19 (1988), S. 153–172, S. 167. Vgl. auch Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüter-
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
konnte nicht eindeutig geklärt werden, wie lange sich das Kunstwerk auf dem Territorium Italiens befand, jedoch erscheint es unwahrscheinlich, dass die Regierung Italiens rechtmäßigerweise das Gemälde als Teil des italienischen Kulturpatrimoniums aufgrund seines spezifischen kulturellen Wertes für Italien beanspruchen sollte. In diesem Sinne führt auch Buranich aus, dass das Alter eines Kulturgutes bzw. die Zeit der örtlichen Belegenheit in dem Territorium eines Staates kein rechtlich anerkennenswerter Parameter innerhalb der Zuordnung kultureller Wertgegenstände an einen Staat sei: „A Renoir which is handed down from generation to generation in an American family for a century does not make it an American painting. It remains the work of a French citizen created in France and reflective of a period of French history.“1742 Auch der Court of Appeals gelangte so zu der Ansicht, dass „embargoes as broad as Italy’s should be discouraged“1743. Die nationale Zuordnung eines Bildes von Matisse an Italien könne nämlich nicht – so aber die italienischen Behörden1744 – dadurch gerechtfertigt werden, dass es auf der Biennale in Venedig gezeigt worden sei und außerdem einer in italienischen Sammlungen selten vertretenen europäischen Stilrichtung angehöre, die auf Motive der Klassik und Renaissance zurückgreift.1745 Für die Rechtmäßigkeit der Zuordnung des Kunstwerks zum italienischen Kulturerbe wurde aus amerikanischer Sicht also auf die Nationalität des Künstlers abgestellt, ohne dass allerdings der Umkehrschluss gezogen wurde und das Bild dem französischen Recht unterstellt wurde.1746 Das Gericht brachte die entscheidende Erwägung auf den Punkt: „Matisses Porträt sur Fond Jaune bore no such relation to Italy as a Raphael or a Bellini Madonna.“1747 Damit deutete das Gericht eine gewisse Einschränkung an:1748 687
„Schutzfähig sind offenbar nur Werke derjenigen Künstler, welche für die Nation eine besondere Bedeutung haben. Der Begriff des Nationalen hat also im Recht des interna-
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schutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff., S. 45–46, Jayme, Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im Internationalen Privatrecht, in: Dominicé/Patry/Reymond, „Études de droit international en l’honneur de Pierre Lalive“, 1993, S. 717–731, S. 726–727; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 147–148. Buranich, The Art Collecting Countries and Their Export Restrictions on Cultural Property: Who Owns Modern Art?, California Western International Law Journal 19 (1988), S. 153–172, S. 170. Vgl. Jeanneret v. Vichy, 693 F.2d 259 (2d Cir. 1982), S. 263–264. Vgl. Jeanneret v. Vichy, 693 F.2d 259 (2d Cir. 1982), S. 263–264. Vgl. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 147–148. Vgl. Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff., S. 47; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 196–197. Vgl. Jeanneret v. Vichy, 693 F.2d 259 (2d Cir. 1982), S. 267. So auch Jayme, Kunstwerk und Nation: Zuordnungsprobleme im internationalen Kulturgüterschutz, 1991, S. 17.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
863
tionalen Kulturgüterschutzes eine Doppelfunktion. Zum einen geht es um die Zuordnung von Kunstwerken zu einer bestimmten Nation, zum anderen um die Bezeichnung einzelner Kunstgegenstände, deren besondere Bedeutung den nationalen Schutz rechtfertigt. Es sind in der Regel auch nur solche Werke betroffen, für deren Verbleiben im Inland die Staaten vor den Gerichten des Auslandes kämpfen. Ein Bild von Matisse für Italien zu retten, gelang dagegen nicht.“1749
Das Schrifttum weist ein uneinheitliches Bild in der Bestimmung derjenigen Nation auf, welcher ein Künstler angehört. Sicher scheint, dass der Begriff der Nationalität nicht mit dem der Staatsangehörigkeit gleichgesetzt werden darf,1750 denn viele Staaten haben zu der Zeit, in der ein bestimmtes Kunstwerk entstanden ist, noch nicht oder nicht in dieser Form bestanden bzw. es gab keine Staatsangehörigkeitsgesetze in dem uns bekannten Sinn.1751 So verdeutlicht Jayme plastisch, dass „[i]talienische Kunstwerke eben auch solche sind, die vor der Einigung Italiens entstanden sind.“1752
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Außerdem wird die Nationalität auch vom Geburtsort eines Künstlers zu unterscheiden sein.1753 Kurpiers geht so davon aus, dass in dem Fall, dass der Künstler die Nationalität wechselt, dies zugleich auch seine Verbindung zu der neuen Nation ausweist.1754 So stritten bspw. in der Rechtssache Ernst v. Ernst1755 die Erben des Künstlers Max Ernst um einige seiner Werke vor einem amerikanischen Forum. Die französische Nationalität des Künstlers im Zeitpunkt seines Todes war einer von vielen Gesichtspunkten der „public and private interests“, weshalb das Gericht nach der forum non conveniens-Lehre1756 Frankreich für das geeignetere Forum für die Erbauseinandersetzung der amerikanischen Erben
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Jayme, Kunstwerk und Nation: Zuordnungsprobleme im internationalen Kulturgüterschutz, 1991, S. 17. Jayme, Die Nationalität des Kunstwerks als Rechtsfrage, in: Reichelt, Internationaler Kulturgüterschutz – Wiener Symposium 18./19. Oktober 1990, 1992, S. 7–30, S. 7 ff., S. 12; Kotting, Diskussionsbeitrag, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 124–125; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 196–197. Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 196–197. Vgl. Jayme, Die Nationalität des Kunstwerks als Rechtsfrage, in: Reichelt, Internationaler Kulturgüterschutz – Wiener Symposium 18./19. Oktober 1990, 1992, S. 7–30, S. 7 ff., S. 12. So auch Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217. So aber Uhl, Der Handel mit Kunstwerken im europäischen Binnenmarkt – Freier Warenverkehr versus nationaler Kulturgutschutz, 1993, S. 156 f., die die Nationalität des Künstlers mit seinem Geburtsort gleichsetzt. Vgl. Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217. Ernst v. Ernst, 722 F.Supp. 61 (S.D.N.Y. 1989). Vgl. ausführlich hierzu 2, 358 ff. u. 362 ff.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
hielt und deshalb seine internationale Zuständigkeit verneinte.1757 So könnte auch bspw. bei Marc Chagall eine Verbindung zu Frankreich bestehen. 690
Die Nationalität des Künstlers wird regelmäßig aber im Sinne von Johann Gottfried von Herders Begriff der „Kulturnation“ als Zugehörigkeit zu einer sich auf gemeinsame Sprache und Kultur stützenden Gemeinschaft verstanden werden.1758 Außerdem schränken Teile der Literatur die kulturelle Verbundenheit von Kunstgegenständen zu ‚ihrem‘ Ursprungsstaat mittels der Person und Nationalität des Künstlers dahingehend ein, dass ein Bezug zu einer Nation nur bei „namhaften“1759 oder „herausragenden“1760 Künstlern vorliegt1761 und es dann nicht zu leugnen sei, dass „bestimmte Künstler von außerordentlicher Bedeutung für ihr Heimatland gewesen sind und ihr Werk als repräsentativ für die Kunst dieses Landes oder jedenfalls für eine bestimmte Epoche angesehen wird.“1762 Nach anderer Ansicht genügt allein eine gewisse „Wertschätzung“1763, die einem Werk entgegengebracht wird.
691
Die Bestimmung der kulturellen Verbundenheit von Kunstgegenständen mit ‚ihrem‘ Ursprungsstaat mittels der Person und Nationalität des Künstlers wird von Teilen des Schrifttums auch kritisch betrachtet. So macht bspw. Weidner darauf aufmerksam, dass „die Nationalität des Künstlers als allein ausschlaggebendes Kriterium … zu einer nicht erstrebenswerten, extrem nationalistischen
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Siehe dazu auch Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff., S. 47; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217. Zitiert bei Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 196–197. So Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 149. So Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 115. Die kulturelle Verbundenheit von Kunstgegenständen zu ‚ihrem‘ Ursprungsstaat mittels der Person und Nationalität des Künstlers wird auch nach Ansicht Halsdorfers, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 282–284, insbesondere dann ersichtlich, wenn der Schöpfer des Kunstwerks für die Identität der Nation eine besondere Rolle spielt. So auch Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff., S. 48; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 197 f. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 196–197. So Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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Betrachtungsweise führen [würde]. Seit Jahrhunderten haben viele Künstler in anderen Ländern und für diese gearbeitet und sich auf diese Weise sowohl selbst neue Anstöße und Anregungen geholt als auch durch ihr Werk die Kultur des Auslandes bereichert und beeinflußt.“1764 Auch Wiese kritisiert, dass die Nationalität eines Künstlers „nicht zwingend etwas mit dem Bedürfnis eines Staates gemein“ habe, „ein Kulturgut als Bestandteil seines nationalen Erbes besonders zu schützen. Es sind oft die Werke fremder Künstler, die für die weitere kunstgeschichtliche Entwicklung in einem Land entscheidenden Einfluss gewannen.“1765
(3)
Entstehungsort des Kulturguts
Über die bisher genannten Anknüpfungsmöglichkeiten hinaus kann auch der Entstehungsort eines Kulturguts seine kulturelle Verbundenheit mit seinem Ursprungsstaat ausweisen.1766 „Widmet sich der Künstler einer anderen Kultur, sei es, daß er dort in die Lehre geht, sich einer bestimmten Schule oder Stilrichtung anschließt oder auf andere Weise ausdrückt, daß er sich dieser neuen Kultur zuwendet, so besteht eine Verbindung zu dem Staat, auf dessen Territorium er tätig wird.“1767 Normative Rezeption fand der Entstehungsort eines Kulturguts bspw. in Art. 4 der UNESCO-Convention vom 14. November 1970 auf internationaler Basis, soweit der Künstler seinen Wohnsitz in dem betreffenden Staat hatte. Tatsächlich kann es zutreffen, dass die Wahl des Wohnsitzes in dem betreffenden Land von einer Verbindung mit der Kultur dieses Staats zeugt, sodass der Künstler durch diese Kultur beeinflusst wird und umgekehrt die Kultur dieses Staats mitgestaltet.1768 Dieser Verbundenheit zwischen einem Kulturgut und einem ent1764
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So Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 196–197. So Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 207–208, unter Rekurs auf Warnke, Geschichte der deutschen Kunst, 2003, Band 2, S. 8; vgl. auch Bila, Nationaler Kulturgüterschutz in der Europäischen Union, 1997, S. 125. Vgl. hierzu Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 197; Jayme, Die Nationalität des Kunstwerks als Rechtsfrage, in: Reichelt, Internationaler Kulturgüterschutz – Wiener Symposium 18./19. Oktober 1990, 1992, S. 7–30, S. 27 f.; Jayme, Kunstwerk und Nation: Zuordnungsprobleme im internationalen Kulturgüterschutz, 1991, S. 33; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–21; Uhl, Der Handel mit Kunstwerken im europäischen Binnenmarkt – Freier Warenverkehr versus nationaler Kulturgutschutz, 1993, S. 156; Hanisch, Der Fall des Liotard und die nationale Zuordnung eines Kunstwerks, in: Frank, Recht und Kunst – Symposium aus Anlaß des 80. Geburtstags von Wolfram Müller-Freienfels, 1996, S. 19–36, S. 23. So Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217. Vgl. Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
sprechenden Staat würde mittels der Anknüpfung an die lex originis auch bei der dinglichen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter aus dem Staat des Entstehungsortes Achtung geschenkt. 693
Im Schrifttum wird zur Verdeutlichung einer solchen Konnexion mit dem Entstehungsort von Kunstwerken exemplarisch auf das Schaffen des deutsch-amerikanischen Malers Lyonel Feininger verwiesen, der im Rahmen eines Studienaufenthaltes zwischen 1929 und 1931 zahlreiche Kunstwerke in Halle zeichnete: Diese Stadtansichten wurden im Jahre 1932 vom Städtischen Museum in der Moritzburg (der heutigen Staatlichen Galerie Moritzburg) erworben. Diese kulturelle Verbindung sollte auch nach einem Diebstahl aufrechterhalten werden und entsprechend der lex originis nach einer Veräußerung innerhalb des kulturellen Schwarzmarktes außerhalb Deutschlands die Anwendung deutschen Sachrechts zur Folge haben.1769
694
Insgesamt sollte aber eine Anknüpfung an den Entstehungsort des Kulturguts nicht überbewertet werden und es besteht auch aus kultureller Sicht zwischen dem Schaffensort und dem Kunstwerk regelmäßig nur eine relativ schwache Bindung. Insbesondere genügt kein nur flüchtiger oder vorübergehender Aufenthalt. So besteht nach einhelliger Einschätzung bspw. keine Veranlassung, die Zeichnungen und Aquarelle, die August Macke auf seiner Tunisreise malte, nach tunesischem Recht zu beurteilen.1770 Eine Ausnahme von diesem nur losen Nexus wird nur dann anzunehmen sein, wenn das Kunstwerk im Rahmen eines Auftrags entstanden ist und am Entstehungsort dauerhaft verbleiben sollte.1771 Dies ist bspw. dann der Fall und es steht der Entstehungsort im Vordergrund, wenn Pierre Bonnard nach Hamburg eingeladen wird, um die Alster zu malen.1772
(4) 695
Bestimmungsort des Kulturguts
Es ist wiederholt angeklungen, dass auch der Bestimmungsort, für den ein Kulturgut geschaffen wurde, seine kulturelle Verbundenheit mit seinem Ursprungsstaat ausdrückt und als Anknüpfungsmoment bei der Rechtswahl fungieren kann.1773
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1773
Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 197. Vgl. zu diesem Beispiel Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 197; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217. So auch die Einschätzung bei Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 197. Vgl. dazu Jayme, Kunstwerk und Nation: Zuordnungsprobleme im internationalen Kulturgüterschutz, 1991, S. 32. Jayme, Kunstwerk und Nation: Zuordnungsprobleme im internationalen Kulturgüterschutz, 1991, S. 18; Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
Innerhalb der lex cultus1774 wurde vergleichbar schon betont, dass der Bestimmungsort bei Sakralgegenständen dann besondere Relevanz besitzt, wenn die Gegenstände zu einem fortwirkenden Kult gehören, und für diesen von so herausragender religiöser, ritueller oder spiritueller Bedeutung sind, dass „ohne die physische Präsenz des Kultgegenstandes am Kultort die Religion selbst ihr Zentrum verlöre“1775. Aber auch bei anderen Kulturgütern als Sakralgegenstände kann der Bestimmungsort eines Kulturguts eine besondere kulturelle Verbindung zwischen dem Objekt und einem Staat aufweisen, die auch innerhalb des Rechts rezipiert werden sollte. Auch andere Kulturgüter als Sakralgegenstände können somit von vornherein für den dauerhaften Verbleib in einer bestimmten Kulturgemeinschaft bestimmt sein. Eine besondere kulturelle Verbindung besteht in diesem Sinne nach einem Teil des Schrifttums insbesondere zu dem Aufbewahrungsort eines Kunstwerks, welches im Rahmen einer Auftragsarbeit geschaffen
1774 1775
Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff., S. 48; Jayme, Kunstwerk und Nation: Zuordnungsprobleme im internationalen Kulturgüterschutz, 1991, S. 33; Jayme, Die Nationalität des Kunstwerks als Rechtsfrage, in: Reichelt, Internationaler Kulturgüterschutz – Wiener Symposium 18./19. Oktober 1990, 1992, S. 7–30, S. 16; Jayme, Internationaler Kongreß für Rechtsvergleichung in Athen – Fragen des Internationalen Privatrechts, IPRax 1994, S. 481–482; Jayme, Die Nationalität des Kunstwerks als Rechtsfrage, in: Reichelt, Internationaler Kulturgüterschutz – Wiener Symposium 18./19. Oktober 1990, 1992, S. 7–30, S. 17; Ferrer-Correia, La vente internationale d’objets d’art, sous l’angle de la protection du patrimoine culturel, in: Annuaire de l’Institut de Droit International 64-I (1991), S. 90–192, S. 153; Vrellis, UNIDROIT-Konvention 1995 über gestohlene oder unerlaubt ausgeführte Kulturgüter: Bedeutung der lex originis, in: Reichelt, Neues Recht zum Schutz von Kulturgut. Internationaler Kulturgüterschutz. EG-Richtlinie, UNIDROIT-Konvention und Folgerecht, 1997, S. S. 69–93, S. 70; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 198; Reichelt, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, in: Sladek, Das kulturelle Erbe im Risiko der Modernität: Salzburger Symposium 1992, 1993, S. 61 ff., S. 66; von Schorlemer, Internationaler Kulturgüterschutz – Ansätze zur Prävention im Frieden sowie im bewaffneten Konflikt, 1992, S. 38 ff.; Hanisch, Der Fall des Liotard und die nationale Zuordnung eines Kunstwerks, in: Frank, Recht und Kunst – Symposium aus Anlaß des 80. Geburtstags von Wolfram Müller-Freienfels, 1996, S. 19–36, S. 25 ff.; Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 282–284; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 198; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 117; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 150 f. Vgl. hierzu 3, 675 ff. So Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff., S. 45; Jayme, Kunstwerk und Nation: Zuordnungsprobleme im internationalen Kulturgüterschutz, 1991, S. 18. Vgl. auch Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 248–250.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
worden ist oder zu dem Ort, an dem sich die Sache nach dem Willen ihres Schöpfers dauerhaft befindet.1776 696
Meist zitiertes Beispiel in diesem Zusammenhang ist Antonio Canovas Statuengruppe der ‚Drei Grazien‘, welche 1817 für den Duke von Bedford John Russell angefertigt und an diesen veräußert wurde.1777 Canova war schon zuvor im Jahre 1815 nach England gereist, um den Herzog hinsichtlich der späteren Aufstellung der Skulptur in seiner Galerie zu beraten.1778 Obwohl es sich um das in Italien geschaffene Werk eines italienischen Künstlers handelt, kommt man nicht darum, die Grazien zum englischen Kulturerbe zuzurechnen. Dies sah auch die britische Regierung so und verhängte im Jahr 1989, als die ‚Drei Grazien‘ in die USA veräußert werden sollten, aufgrund ihrer Bedeutung für das englische Kulturerbe i.S.d. Waverly-Kriterien1779 ein temporäres Exportverbot.1780 In Fallkonstellationen, in denen Herkunft und legaler Aufbewahrungsort auf verschiedene Länder hindeuten, formuliert somit Jayme folgende These: „Wird ein Kunstwerk durch einen ausländischen Künstler für einen gewissen Ort geschaffen oder hat er es dorthin bringen lassen …, gibt der legale Aufbewahrungsort den Ausschlag, wenn die Nationalität des Kunstwerks in Frage steht.“1781 (s. Abb. 43)
697
Von demselben Künstler stammt das „seltene Beispiel“1782 eines seit Schaffung öffentlich-rechtlich gebundenen Kunstwerks, nämlich der Canova-Statuengruppe ‚Herakles und Lichas‘. Der Kirchenstaat verlangte von dem Fürsten Torlonia, sich und seine Erben zu verpflichten, dass die Statuengruppe den Kirchenstaat niemals verlassen dürfe. „Als der Palazzo Torlonia später den Erweiterungen der Piazza Venezia weichen mußte und abgerissen wurde, gelangte das Werk in den Besitz des italienischen Staates und zwar unter der Bedingung, daß es in der 1776
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Vgl. auch die Überlegungen bei Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 198. Jayme, Die Nationalität des Kunstwerks als Rechtsfrage, in: Reichelt, Internationaler Kulturgüterschutz – Wiener Symposium 18./19. Oktober 1990, 1992, S. 7–30, S. 16. Allerdings weist Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 198, unter Berufung auf Bush, The protection of British Heritage: Woburn Abbey and „The Three Graces“, International Journal of Cultural Property (IJCP) 5 (1996) S. 269– 290, darauf hin, dass es sich nicht, wie von Jayme behauptet, um das ursprünglich für Josephine Bonaparte geschaffene Werk handelt, sondern um eine von Canova eigens für den Duke of Bedford angefertigte Replik, welcher das Original 1814 bei Canova in Italien gesehen hatte. Vgl. Bush, The protection of British Heritage: Woburn Abbey and „The Three Graces“, International Journal of Cultural Property (IJCP) 5 (1996) S. 269–290, S. 270. Vgl. ausführlich hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 3: Nationales Kulturgüter- und Denkmalschutzrecht. Bush, The protection of British Heritage: Woburn Abbey and „The Three Graces“, International Journal of Cultural Property (IJCP) 5 (1996) S. 269–290, S. 277 ff. Jayme, Kunstwerk und Nation: Zuordnungsprobleme im internationalen Kulturgüterschutz, 1991, S. 19. Jayme, Kunstwerk und Nation: Zuordnungsprobleme im internationalen Kulturgüterschutz, 1991, S. 19.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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Nationalgalerie des Palazzo Corsini aufzustellen sei“1783. Heute befindet sich die Statuengruppe in der Galleria Nazionale d’Arte Moderna in Rom. (s. Abb. 44) Doch nicht nur der dauerhafte Aufbewahrungsort eines Auftragswerkes, sondern auch der nach einem natürlichen Verständnis zu erkennende kulturelle Funktionszusammenhang von Kulturgütern mit einem bestimmten Ort machen die Bestimmung kultureller Wertgegenstände aus und könnten dementsprechend auch als permanente Anknüpfungspunkte dienen. Das Schrifttum verweist hier insbesondere auf solche Gegenstände, die ursprünglich integrierender Bestandteil eines Gebäudes waren oder zu einem Gesamtkomplex, mit dem sie in einem kulturhistorischen Zusammenhang standen, gehörten und auf unrechtmäßige Weise von diesem entfernt wurden.1784 Auch solche Objekte können dem kulturellen Erbe des Landes zugerechnet werden, in dem sich das maßgebliche Gebäude befindet, und als Anknüpfungsmoment innerhalb der Rechtswahl nach der lex originis dienen.1785 Sinn und Zweck der rechtlichen Rezeption eines kulturellen Funktionszusammenhangs zwischen Kulturgut und Bestimmungsort ist dabei, dass dem im Kulturgüter- und Denkmalschutz wichtigen Prinzip des kulturellen Ensembleschutzes auch innerhalb der Rechtswahl und der Anknüpfung an die lex originis Beachtung geschenkt und Rechnung getragen werden könnte.1786
698
Dass der Bestimmungsort aber auch als Negativkriterium dienen kann, zeigt der im Urteil des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 5.6.1985 wiedergegebene Sachverhalt:1787 Der Eigentümer einer völkerkundlichen Sammlung hatte von
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Jayme, Kunstwerk und Nation: Zuordnungsprobleme im internationalen Kulturgüterschutz, 1991, S. 20. Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 198. Jayme, Internationaler Kongreß für Rechtsvergleichung in Athen – Fragen des Internationalen Privatrechts, IPRax 1994, S. 481–482; Ferrer-Correia, La vente internationale d’objets d’art, sous l’angle de la protection du patrimoine culturel, in: Annuaire de l’Institut de Droit International 64-I (1991), S. 90–192, S. 153; Vrellis, UNIDROIT-Konvention 1995 über gestohlene oder unerlaubt ausgeführte Kulturgüter: Bedeutung der lex originis, in: Reichelt, Neues Recht zum Schutz von Kulturgut. Internationaler Kulturgüterschutz. EG-Richtlinie, UNIDROIT-Konvention und Folgerecht, 1997, S. 69–93, S. 70. Vgl. So Reichelt, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, in: Sladek, Das kulturelle Erbe im Risiko der Modernität: Salzburger Symposium 1992, 1993, S. 61 ff., S. 66; Vrellis, UNIDROIT-Konvention 1995 über gestohlene oder unerlaubt ausgeführte Kulturgüter: Bedeutung der lex originis, in: Reichelt, Neues Recht zum Schutz von Kulturgut. Internationaler Kulturgüterschutz. EG-Richtlinie, UNIDROIT-Konvention und Folgerecht, 1997, S. S. 69–93, S. 73. Vgl. zur Bedeutung des Ensembleschutzes auch von Schorlemer, Internationaler Kulturgüterschutz – Ansätze zur Prävention im Frieden sowie im bewaffneten Konflikt, 1992, S. 38 ff.; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 198. VerwG Gelsenkirchen, Entscheidung vom 5.6.1985, Az.: 4 K 1357/84 (unveröffentlicht), zitiert bei Jayme, Kunstwerk und Nation: Zuordnungsprobleme im internationalen Kulturgüterschutz, 1991, S. 29–30.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
den zuständigen staatlichen Stellen vergeblich die Eintragung seiner Sammlung in das Verzeichnis national wertvollen Kulturguts verlangt. Das Gericht stellte fest, dass es in erster Linie um die Unterschutzstellung eines „Kult-Groß-Krokodils“ von 7,5 Metern Länge gehe, dieses und die weiteren Objekte jedoch weder einen Bezug zur deutschen Kulturgut hatten, noch von Künstlern internationalen Ranges geschaffen worden seien. Solche Gegenstände besitzen durchaus einen Bestimmungsort und können selbstverständlich von einem bestimmten Volk oder Stamm als identitätsbegründend verstanden werden, nicht jedoch von der Nation Deutschlands.1788
(5)
Sitz des Kulturguts
700
Darüber hinaus kann auch der ‚Sitz‘ eines Kulturguts eine kulturelle Verbundenheit mit seinem Ursprungsstaat ausdrücken. Während Jayme unter dem ‚Sitz‘ eines Kulturguts an einer Stelle nur dessen Entstehungs- und Bestimmungsort gemeinsam zusammenfasst1789, versteht er an anderer Stelle unter dem ‚Sitz‘ eines Kunstwerks denjenigen Ort, an dem sich das legal erworbene Kulturgut nach dem Wunsch des letzten Eigentümers permanent befindet.1790 Da einerseits Entstehungs- und Bestimmungsort und andererseits der Ort, an dem sich das legal erworbene Kulturgut nach dem Wunsch des letzten Eigentümers permanent befindet, voneinander abweichen können (viele Kunstgegenstände befinden sich, jedenfalls zivilrechtlich gesehen, legal an einem bestimmten Ort, für den sie aber nie bestimmt gewesen sind)1791, hat sich dieser Unterscheidung ein Teil des neueren Schrifttums angeschlossen und sieht in dem ‚Sitz‘ des Kulturguts ein eigenständiges Anknüpfungsmoment innerhalb der Rechtswahl nach der lex originis:
701
„Das Kriterium des permanenten, legalen Aufbewahrungsortes kommt einer fiktiven Immobilisierung von Kulturgütern gleich. Eine Anknüpfung an den so verstandenen Sitz würde dazu führen, daß ein Kulturgut, auch wenn es für eine Ausstellung ausgeliehen wird, nach dem Recht seines üblichen Aufbewahrungsorts, an den es immer wieder zurückkehrt, beurteilt wird. Ebenfalls bleibt dieses Recht 1788
1789
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1791
Jayme, Kunstwerk und Nation: Zuordnungsprobleme im internationalen Kulturgüterschutz, 1991, S. 29–30. Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff., S. 48. Diesem folgend auch Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 248–250. So Jayme, Kunstwerk und Nation: Zuordnungsprobleme im internationalen Kulturgüterschutz, 1991, S. 28; Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff., S. 48. So Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 198–199.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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maßgeblich, wenn es gestohlen oder unterschlagen und in ein anderes Rechtsgebiet verbracht wird.“1792 Diese Ansicht findet auch in Art. 4 der UNESCOConvention vom 14. November 1970 Stütze, wonach Kulturgüter zum kulturellen Erbe eines Staates gehören, die aufgrund freier Vereinbarung ausgetauscht worden sind bzw. die als Geschenk entgegengenommen wurden oder rechtmäßig mit Billigung der zuständigen Behörden des Ursprungslandes käuflich erworben wurden. Teile der Literatur fordern als Voraussetzung einer rechtlichen Rezeption des kulturellen Bestimmungsorts von Kunstwerken innerhalb des international-privatrechtlichen Rechtswahlprozesses jedoch, dass das jeweilige Objekt eine gewisse Verweildauer in dem betreffenden Land aufweisen muss, um nicht jeder flüchtigen Verbindung als Anknüpfungsmoment Rechnung tragen zu müssen.1793 Ausdrücklich formuliert Uhl in ihren diesbezüglichen Untersuchungen, dass der nationale Bezug „zeitlich wachsen“ müsse.1794 Offen blieb innerhalb der Lehre bislang, ob dies tatsächlich der Fall ist, und wenn ja, wie lange ein Objekt unter Geltung einer Rechtsordnung belegen sein muss, um seinen ‚Sitz‘ i.S.d. lex originis permanent gefestigt zu haben. Auch ist fraglich, welche Voraussetzungen vorliegen müssen, um einen nationalen Bezug annehmen zu können, und ob dies überhaupt der Fall sein kann, wenn sich die Objekte ohne Ausnahme in nichtöffentlichem Privatbesitz befanden und von der Nation nicht wahrgenommen werden konnten.
702
Aus der Rechtsprechung scheinen zwei Fallkonstellationen mit einer vergleichbaren Rechtsfrage konfrontiert gewesen zu sein. In dem sog. Pagenstecher-Fall vom 23. September 1991 (Pagenstecher c. Provincia autonoma di Bolzano)1795 musste entschieden werden, ob dreizehn Gemälde von französischen Impressionisten und Postimpressionisten, insbesondere von Sisley, Utrillo, Vlaminck, Cézanne, Renoir, Matisse und Monet, einer britischen Eigentümerin als ‚italienische‘ Kulturgüter qualifiziert werden konnten.1796 Diese Kunstwerke hatte
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So Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 198–199. So Hugger, Rückführung nationaler Kulturgüter und internationales Recht am Beispiel der Elgin Marbles, JuS 1992, S. 997–1004, S. 1003; Uhl, Der Handel mit Kunstwerken im europäischen Binnenmarkt – Freier Warenverkehr versus nationaler Kulturgutschutz, 1993, S. 155. So Uhl, Der Handel mit Kunstwerken im europäischen Binnenmarkt – Freier Warenverkehr versus nationaler Kulturgutschutz, 1993, S. 155. Pagenstecher c. Provincia autonoma di Bolzano, Consiglio di Stato 24 January 1989, n. 22 (Pagenstecher c. Provincia autonoma di Bolzano), 40 Il Consiglio di Stato, Rassegna di giurisprudenza e dottrina, I, p. 41 (1989); Consiglio di Stato 23 September 1991, n. 7, 29 Rivista di diritto internazionale privato e processuale, S. 431 (1993). Vgl. Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 238; Siehr, Freizügigkeit und Kulturgüterschutz in der Europäischen Union, in: Immenga/Möschel/Reuter, Festschrift fur Ernst-Joachim Mestmäcker
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Lucy Irma Pagenstecher nach Italien eingeführt, als sie etwa 20 Jahre vor der Kontroverse mit dem italienischen Denkmalschutzamt von London nach Italien zu ihrem österreichischen Ehemann Hermann von Lutterotti di Caldaro zog.1797 Nach dem Tod ihres Ehemannes im Jahre 1982 beabsichtigte Frau Pagenstecher zurück nach London zu ziehen und beantragte ordnungsgemäß die staatliche Erlaubnis zur Ausfuhr ihrer dreizehn Gemälde bei den zuständigen italienischen Behörden1798 und gab den Exportwert dieser Kulturgüter mit demjenigen Wert an, den sie bei deren Einfuhr deklariert hatte, nämlich mit ca. 550 Millionen Lire (zum damaligen Zeitpunkt etwa 550.000 DM). Am 4.12.1987 übte die Provinz Bozen ein gesetzliches Recht zum Ankauf von elf der insgesamt dreizehn Gemälde zum deklarierten Wert von 345 Millionen Lire (ca. 345.000 DM) als nationale Kulturgüter aus.1799 Hier könnte man i.S.d. Sitztheorie innerhalb der lex originis fragen, ob die 20-jährige Belegenheit der hauptsächlich französischen Gemälde einer Britin als Eigentümerin diese zu italienischen Kulturgütern transformierte, sodass weder französisches noch englisches Recht, sondern die italienische Rechtsordnung über die Eigentumsposition nach einem etwaigen unrechtmäßigen Entziehungsakt entscheiden müsste. 704
Auch in dem sog. Fall des Liotard war fraglich, ob das Gemälde ‚M. Levett et Mlle Glavani en costume turc‘ (ca. 1740) des Genfer Malers Jean Etienne Liotard als französisches Kulturgut qualifiziert werden konnte, nachdem es 250 Jahre auf französischem Territorium in einer Privatsammlung verbrachte.1800 Man könnte
1797
1798 1799 1800
zum siebzigsten Geburtstag, 1996, S. 483–496, S. 484–485; Siehr, Kulturgüterschutz innerhalb der Europäischen Union, ZVglRWiss 95 (1996), S. 170–187, S. 183–184; Siehr, Die Richtlinie 93/7/EWG des Rates v. 15. 3. 1993 über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern und das Privatrecht der Mitgliedstaaten der EWG, KUR (Kunstrecht und Urheberrecht) 1999, S. 225–236, S. 233; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 16; Mussgnug, Die Staatsangehörigkeit des Kulturguts, in: Bröhmer/Bieber/Calliess/Langenfeld/Weber/Wolf, Internationale Gemeinschaft und Menschenrechte – Festschrift für Georg Ress zum 70. Geburtstag am 21. Januar 2005, 2005, S. 1531–1542, S. 1533–1534. Vgl. ausführlich die Angaben zum Sachverhalt bei Siehr, Freizügigkeit und Kulturgüterschutz in der Europäischen Union, in: Immenga/Möschel/Reuter, Festschrift fur ErnstJoachim Mestmäcker zum siebzigsten Geburtstag, 1996, S. 483–496, S. 484–485. Vgl. Art. 36 Gesetz Nr. 1089: Tutela delle cose d’interesse artistico e storico vom 1.6.1939. Art. 39 Abs. 1 Gesetz Nr. 1089: Tutela delle cose d’interesse artistico e storico vom 1.6.1939. Vgl. Hanisch, Der Fall des Liotard und die nationale Zuordnung eines Kunstwerks, in: Frank, Recht und Kunst – Symposium aus Anlaß des 80. Geburtstags von Wolfram MüllerFreienfels, 1996, S. 19–36; Siehr, Die Richtlinie 93/7/EWG des Rates v. 15.3.1993 über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern und das Privatrecht der Mitgliedstaaten der EWG, KUR (Kunstrecht und Urheberrecht) 1999, S. 225–236, S. 227–228. FAZ, Nicht ohne Zertifikat, Artikel vom 26.9.1993, S. 33 ff.; Schwarze, Der Schutz nationalen Kulturguts im europäischen Binnenmarkt, JZ 3/1994, S. 111–117, S. 114; Merryman, The UNIDROIT-Convention: Three Significant Departures from the Urtext, International Journal of Cultural Property (IJCP) 5 (1996), S. 11 ff., S. 12.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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hier durchaus der Meinung sein, dass trotz eines 250 Jahre andauernden Sitzes des Kulturguts in Frankreich nicht die französische Rechtsordnung anzuwenden sein könnte, weil das in französischem Privatbesitz befindliche Gemälde keinerlei kulturhistorische Beziehung zu Frankreich besitzt. Merryman bestimmt ausdrücklich: „Clearly, although the objects in question may be valuable, to suggest that any of them is part of the French “cultural heritage” deprives that term of its normal meaning.“1801 (s. Abb. 45) Es ist also fraglich, ob bei der Bestimmung des ‚Sitzes‘ eines Kulturguts innerhalb des Rechtswahlprozesses nach der lex originis ein Objekt als Teil des nationalen Kulturgutes gewisse historische Mindestbeziehungen zu dem Staat aufweisen muss, wie dies bspw. innerhalb des europäischen Kulturgüterschutzsystems als Voraussetzung eines Rückführungsanspruchs der Fall ist. Dies ist zwar innerhalb der internationalen und europäischen Rückführungsmöglichkeiten illegal verbrachter Kulturgüter zwingende Voraussetzung, kann jedoch innerhalb des Privatrechts und der Frage der ‚richtigen‘ Rechtsordnung zur dinglichen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter keine rechtliche Relevanz besitzen. Da innerhalb der Definition des ‚Sitzes‘ eines Kulturguts ausdrücklich auf „legal erworbene Kulturgüter“ Bezug genommen wird, erlaubt die Anknüpfung an den ‚Sitz‘ des Kulturguts im Rahmen der Rechtswahl, dass sich der ‚Sitz‘ und damit auch die lex originis jederzeit wandeln können, wenn das Kulturgut legal veräußert und exportiert wird.1802 Das führt dazu, dass der Ort demgemäß entsprechend dem gegenwärtigen Willen des jeweiligen Eigentümers veränderbar bleibt1803 und das Kulturgut dann unmittelbar der Rechtsordnung des neuen Belegenheitsstaates zugeordnet wird, ohne dass ein spezieller nationaler Bezug „zeitlich wachsen“ muss.
705
Mit dem ‚Sitz‘ eines Kulturguts wird dann in der praktischen Rechtsanwendung regelmäßig der Ort gemeint sein, an den das Werk letztlich bestimmungsgemäß zurückkehren soll, bspw. ein Museum, eine Kirche oder sonstige Kultstätte oder auch eine private Sammlung.1804 Wechsel des Belegenheitsorts für eine begrenzte
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Merryman, The UNIDROIT-Convention: Three Significant Departures from the Urtext, International Journal of Cultural Property (IJCP) 5 (1996), S. 11 ff., S. 12. „Den Sitz des Kulturguts bestimmt der Eigentümer. Der Sitz des Kulturguts ist der Ort, an dem sich das Kulturgut nach dem Willen des Eigentümers auf Dauer befindet.“ Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217. Vgl. Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217. Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff., S. 48. Darauf verweisend Strauch, Rechtsverhältnisse an Kulturgütern im Internationalen Sachenrecht, 2007, S. 104–107.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Zeit zum Zweck der Ausstellung des Kulturguts oder seiner Restaurierung sind demzufolge unbeachtlich und führen innerhalb der Rechtswahl bei grenzüberschreitenden Sachverhalten zu keinem Statutenwechsel.1805 Damit unterscheidet sich die Anknüpfung an den ‚Sitz‘ des Kulturguts auch deutlich von einer Anknüpfung an die lex furti 1806, da bspw. nach einem Diebstahl eines Gemäldes während einer Ausstellung im Ausland und einer anschließenden Veräußerung im internationalen kulturellen Schwarzmarkt „nicht das Recht des Diebstahlsorts, zu dem die Sache ansonsten möglicherweise gar keine Verbindungen hat, Anwendung findet, sondern das Recht des Ortes, an den das Kunstwerk nach der Ausstellung planmäßig wieder zurückgekehrt wäre.“1807
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Kulturelle Rezeption eines Kulturguts
Neuere, sich im Vordringen befindende Tendenzen innerhalb der Rechtswahl nach der lex originis bestimmen die Heimat eines Kulturguts nach der sog. Rezeptionstheorie.1808 Danach gehört zum nationalen Kulturgut eines Staates, dessen 1805
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So auch Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217. Vgl. ausführlich hierzu 3, 548 ff. So Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 198–199. Vgl. hierzu Kienle/Weller, Die Vindikation gestohlener Kulturgüter im IPR, IPRax 2004, S. 290–294, S. 291; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 115; Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 248–250; Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 282–284; Jayme, Globalisation in Art Law: Clash of Interests and International Tendencies, Vanderbilt Journal of Transnational Law 2005, S. 927 ff., S. 935; Jayme, Antonio Canova und die Nationalisierung der Kunst, in: Basedow/Meier/Schnyder/Einhorn/Girsberger, Private Law in the International Arena. From National Conflict Rules Towards Harmonization and Unification, Liber Amicorum Kurt Siehr, 2000, S. 281–288, S. 287–288; Jayme, Archäologie und Internationales, IPRax 1996, S. 66–67; Jayme, Die Nationalität des Kunstwerks als Rechtsfrage, in: Reichelt, Internationaler Kulturgüterschutz – Wiener Symposium 18./19. Oktober 1990, 1992, S. 7–30, S. 30; Jayme, Die Rückführung von Kunstwerken zwischen Recht und Wirklichkeit, in: Jayme, Nationales Kunstwerk und Internationales Privatrecht – Vorträge, Aufsätze – Gutachten, Gesammelte Schriften, 1998, S. 203–214, S. 207; Jayme, Rechtsbegriffe und Kunstgeschichte, in: Reichelt, Neues Recht zum Schutz von Kulturgut, 1997, S. 11 ff., S. 17; Jayme, Identité culturelle et intégration: le droit international privé postmoderne, Recueil des cours, tome 251 (1995), S. 9 ff., S. 198 ff.; Ress, Kultur und Europäischer Binnenmarkt – Rechtliche Auswirkungen des Europäischen Binnenmarktes auf die Kulturpolitik in der Bundesrepublik Deutschland, 1991, S. 83; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 200–201; Merryman, Thinking about the Elgin Marbles, Michigan Law Review Vol. 83 (1985), S. 1881–1923, S. 1915; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217.
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Rechtsordnung die dingliche Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter vorzunehmen hat, nicht zwangsläufig jedes Kulturgut, das auf dessen Territorium entstanden, gefunden oder von einem Angehörigen dieses Staats geschaffen wurde. Vielmehr fordern diese Teile der Literatur zusätzlich eine Rezeption durch den jeweiligen Staat, derzufolge dem Kulturgut nationale Bedeutung zukommt.1809 Dieser Lösungsansatz zur Bestimmung des kulturellen Ursprungsstaates stellt neben der Nationalität des Künstlers, dem Entstehungsund Bestimmungsort und dem Sitz eines Kulturguts insbesondere auch auf dessen kulturellen Funktionszusammenhang ab, in dem das Kunstwerk für das bestimmte kulturelle Zuordnungssubjekt rezipiert wurde.1810 Auch der Begründer der lex originis innerhalb des deutschen Rechtsraums, Jayme, erachtet heute eine zu starke Fokussierung auf die Nationalität des Künstlers zumindest als problematisch, da die Nationalität des Kunstwerks nach den aktuellen Interessen eines Staats zu beurteilen sei, dessen Gesellschaft ein Kunstwerk als Teil seiner Identität betrachtet. Daher seien es weniger die Nationalität des Künstlers und andere kulturelle Anknüpfungsmomente als die besonders exklusive Wertschätzung, die ein Kunstwerk in einem Staat erfährt, welche die nationalen Interessen an einem Abwanderungsschutz beeinflusst.1811 Auch das neuere Schrifttum stellt verstärkt auf dieses „subjektive Element der Wertschätzung“ ab, wonach ein „Kulturgut einen nationalen Charakter durch die besondere Wertschätzung einer nationalen oder regionalen Kulturgemeinschaft“1812 erhalte.1813 „Die Kulturgemeinschaft erklärt nach ihrem subjektiven Empfinden ein Objekt zu ihrem nationalen Kulturgut. Es kommt demnach auf die Bedeutung an, die ein Kulturgut für bestimmte Gruppen von Menschen hat.“1814 Walter formuliert ironisch, dass einerseits ein afrikanischer Fetisch Bewohner westlicher Länder an einen Staubwedel erinnern könnte, er aber in seinem Heimatland eine Gottheit verkörpert, andererseits aber auch ein Gemälde Goyas mit einer Himmelsszene voller Engel in Teilen Afrikas Befremden hervorrufen könnte.1815 1809
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Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 115. Vgl. Kienle/Weller, Die Vindikation gestohlener Kulturgüter im IPR, IPRax 2004, S. 290– 294, S. 291. Jayme, Globalisation in Art Law: Clash of Interests and International Tendencies, Vanderbilt Journal of Transnational Law 2005, S. 927 ff., S. 935; auch zitiert bei Halsdorfer, Privatund kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 282–284. Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217. So Walter, Rückführung von Kulturgut im Internationalen Recht, 1988, S. 14. Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217. Walter, Rückführung von Kulturgut im Internationalen Recht, 1988, S. 14.
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Die Rezeptionstheorie setzt danach für eine Rechtswahl nach der Heimatrechtsordnung zwingend voraus, dass die betreffende (Heimat-)Nation das jeweilige Kunstwerk als Teil ihrer nationalen kulturellen Identität ansieht und ihm eine dementsprechende Bedeutung beimisst. Im Vordergrund soll innerhalb der Bestimmung der Heimat eines Kulturguts und dementsprechend auch der lex originis die Wertschätzung und Rezeption stehen, die der Gegenstand derzeit von einer Nation erfährt.1816 Rechtliche Anerkennung wird die international-privatrechtliche Rechtswahl nach der Heimatrechtsordnung eines Kulturguts damit nur dann finden, wenn das Kulturgut die Kultur und Geschichte einer Nation im Unterschied zu anderen Nationen verkörpert und damit zugleich Ausdruck der Identität gerade dieser Nation und nicht einer anderen ist. Nationalität sei daher das Ergebnis einer Rezeption des Kunstwerks durch eine Nation.1817
710
Süss definiert diese nationale Identität einer Nation „als ein historisch entstandenes und sich entwickelndes soziales Verhältnis … innerhalb dessen sich eine Nation, ein Volk oder ein ähnlich gearteter sozial-ethnischer Verband zu den äußeren Bedingungen seines Daseins … in einer Weise verhält und sich diese aneignet, durch die er sich von anderen gleichartigen oder ähnlichen sozial-ethnischen Einheiten unterscheidet und welche spezifische soziale Interessen und kulturelle Reflexionen zeitigt, kurzum all das, was die Individualität dieses Gesellschaftsverbandes ausmacht.“1818 Bei Kulturgütern von künstlerischem Wert1819 sieht Kurpiers zwar den „Schöpfer des Kulturguts als Ausgangspunkt,
1816
1817
1818 1819
Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 248–250; Jayme, Globalisation in Art Law: Clash of Interests and International Tendencies, Vanderbilt Journal of Transnational Law 2005, S. 927 ff.; Jayme, Antonio Canova und die Nationalisierung der Kunst, in: Basedow/Meier/Schnyder/ Einhorn/Girsberger, Private Law in the International Arena. From National Conflict Rules Towards Harmonization and Unification, Liber Amicorum Kurt Siehr, 2000, S. 281–288, S. 288. Jayme, Archäologie und Internationales, IPRax 1996, S. 66–67; Jayme, Die Rückführung von Kunstwerken zwischen Recht und Wirklichkeit, in: Jayme, Nationales Kunstwerk und Internationales Privatrecht – Vorträge, Aufsätze – Gutachten, Gesammelte Schriften, 1998, S. 203–214, S. 207; Jayme, Identité culturelle et intégration: le droit international privé postmoderne, Recueil des cours, tome 251 (1995), S. 9 ff., S. 198 ff.; Jayme, Antonio Canova und die Nationalisierung der Kunst, in: Basedow/Meier/Schnyder/Einhorn/Girsberger, Private Law in the International Arena. From National Conflict Rules Towards Harmonization and Unification, Liber Amicorum Kurt Siehr, 2000, S. 281–288, S. 287 f.; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217. Süss, asien, afrika, lateinamerika 18 (1990), S. 785 ff., S. 788. Bei Kulturgütern von geschichtlichem, religiösem und archäologischem Wert tritt dagegen nach Kurpiers die Bedeutung des Schöpfers in den Hintergrund. „Oft handelt es sich um Güter, die nicht durch menschliches Wirken geschaffen wurden, oder um Gebrauchsgüter, die im Laufe der Zeit Wertschätzung erfahren haben.“ Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf
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der mindestens durch eine Kultur vorgeprägt ist und im Laufe seines Lebens weitere Einflüsse durch Lehre und Schaffensperioden, Zugehörigkeit zu Künstlergruppen und Stilrichtungen erfährt. Andererseits prägt er selber Kulturen durch seine Werke, in denen seine geistigen Energien verkörpert sind.“1820 Insbesondere gegenüber Kulturgütern von künstlerischem Wert wird die lex originis aber nicht zwingend im Zeitpunkt ihres Entstehens unabänderlich festgelegt, sondern kann, auch wenn ein Kulturgut ursprünglich mit einem Land nichts zu tun hatte, von diesem rezipiert werden.1821 Die Rezeptionstheorie stellt nicht auf den Künstler ab, sondern auf die Bedeutung, die ein Kulturgut für die Identität einer Nation und der sie bildenden Menschen im Laufe der Entwicklung erhalten hat.1822 Als Beispiel werden regelmäßig Kunstwerke angeführt, die sich, obwohl sie von einem ausländischen Künstler in einem anderen Land geschaffen wurden, seit langer Zeit im Inland befinden. Sie haben an dem Ort, an dem sie sich befinden, Einfluss ausgeübt und werden mit diesem identifiziert, sodass auch eine international-privatrechtliche Rechtswahl auf diese Rechtsordnung bei einem Streit um die dingliche Sachzuordnung zurückgreifen muss.1823 Ein Bezug eines Kulturguts zu ‚seiner‘ Ursprungsnation besteht danach insbesondere auch dann, wenn sich Kunstwerke, die selbst nicht aus dem Land stammen, aber sich seit langer Zeit in einer Sammlung dieses Landes befunden haben, sich so in diese Sammlung eingefügt haben, dass sie von dieser nicht getrennt werden könnten, ohne den besonderen kulturellen Wert der Sammlung zu zerstören.1824
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Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217. So Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217. Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 200–201. So Jayme, Archäologie und Internationales, IPRax 1996, S. 66–67; Jayme, Die Rückführung von Kunstwerken zwischen Recht und Wirklichkeit, in: Jayme, Nationales Kunstwerk und Internationales Privatrecht – Vorträge, Aufsätze – Gutachten, Gesammelte Schriften, 1998, S. 203–214, S. 207; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 200–201. So Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 200–201. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 200–201, unter Rekurs auf Engstler, Die territoriale Bindung von Kulturgütern im Rahmen des Völkerrechts, 1964, S. 18 f.; Ferrer-Correia, La vente internationale d’objets d’art, sous l’angle de la protection du patrimoine culturel, in: Annuaire de l’Institut de Droit International 64-I (1991), S. 90–192, S. 154; Fechner, Die Vorhaben der EG zum Kulturgüterschutz, Die öffentliche Verwaltung (DÖV), Heft 14 (1992), S. 609–618, S. 610; Rigaux, Le commerce des œuvres d’art dans le Marché Commun, in: Dominicé/Patry/Reymond, „Études de droit international en l’honneur de Pierre Lalive“, 1993, S. S. 733 ff., S. 739; Seidl-Hohenveldern, Völkerrechtswidrigkeit der Konfiskation eines Gemäldes aus der Sammlung des Fürsten von Liechtenstein als angeblich „deutsches“ Eigentum (Anmerkung zu LG Köln, 10-10-1995 – 5 O 182/92), IPRax 1996, S. 410–412, S. 412.
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Zur Bestimmung dieser „kulturellen Identität einer Nation“ und damit zugleich auch der anwendbaren Rechtsvorschriften als Heimatrechtsordnung verlangt in diesem Zusammenhang ein Teil des Schrifttums eine Objektivierung des Rezeptionsgedankens und erkennt nur dann einen objektiven Bezug des Kulturguts zu ‚seiner‘ Ursprungsnation an, wenn diese das entsprechende Kulturgut mittels seines nationalen Kulturgüter- bzw. Denkmalschutzgesetzes als „national wertvoll“ bestimmt und zur Erhaltung und Bewahrung für zukünftige Generationen mittels seines öffentlich-rechtlichen Regulationsmechanismus schützt. Es geht somit nicht – wie unter Anwendung einer rechtlichen Verbundenheit eines Kulturguts zu seinem Ursprungsstaat mittels der lex inexportabiles 1825 – darum, auf den Staat der illegalen Ausfuhr abzustellen (jeder Staat schützt seine national wertvollen Objekte auf unterschiedliche Weise), sondern es wird nur gefragt, ob das Kulturgut vom sachlichen Protektionsmechanismus eines nationalen Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetzes dinglich erfasst wird (und nicht, ob ein Ausfuhrverbot besteht). Ausgangspunkt für die Bestimmung eines nationalen Kulturguts ist demnach der Schutz des Kulturguts durch die Gesetze eines Staates:1826 „II faut en tirer la lecon que, d’une manière réaliste, an ne peut donner qu’une définition positiviste: est bien culturel celui qui a été désigné comme tel par l’autorité compétente … Et l’autorité compétente est certes l’Etat sur le territoire duquel se trouve le bien culturel, mais uniquement pour son territoire.“1827
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Wie sich die kulturelle Wertschätzung äußert und auf welche Weise sich eine Nation ein Kulturgut als „national wertvoll“ begreift (und ein Objekt in seinen nationalen Gesetzen mittels der öffentlich-rechtlichen Regulationsmechanismen unter Schutz stellt), lässt sich exemplarisch anhand des Unterschutzstellungsverfahrens „national wertvollen Kulturguts“ mittels des deutschen Gesetzes zum Schutz deutschen Kulturguts gegen Abwanderung vom 6.8.1955 verdeutlichen. Nach § 1 Abs. 1 werden Kunstwerke und anderes Kulturgut – einschließlich Bibliotheksgut –, deren Abwanderung aus dem Geltungsbereich dieses Gesetzes einen wesentlichen Verlust für den deutschen Kulturbesitz bedeuten würde, in dem Bundesland, in dem sie sich bei Inkrafttreten dieses Gesetzes befinden, in ein „Verzeichnis national wertvollen Kulturgutes“ eingetragen, das nach Bedarf ergänzt wird. Durch das Verfahren der Eintragung eines Kulturguts in die jeweiligen Länderverzeichnisse wird die Wertschätzung eines Kulturguts für die deutsche Identität formuliert und eine objektivierte und sachlich nachvollziehbare Rezeption erreicht: Zu den vom Schutzumfang des Kulturgüterschutzgesetzes erfassten Objekten zählen „Kunstwerke“ und „anderes Kulturgut“, „Biblio1825 1826
1827
Vgl. hierzu 3, 654 ff. So Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217. So Kreuzer, La propriété mobilière en droit international priveé, Recueil des Cours, Collected Courses of the Hagur Academy of International Law, Volume 259 (1996) S. 9 ff., S. 206.
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theksgut“ und „Archivgut“1828, die sich durch ihren Bezug zur Kultur und durch ihre Einmaligkeit oder Rarität von der kulturgutrechtlich irrelevanten schlichten Handelsware abheben.1829 Eine Unterschutzstellung durch Eintragung der genannten Kunstwerke sowie der Kultur- und Bibliotheksgüter findet ausweislich des Gesetzeswortlauts nur dann Rechtfertigung, wenn deren Abwanderung einen „wesentlichen Verlust des deutschen Kulturbesitzes“ bedeuten würde 1830. Entsprechend müssen Archive, archivalische Sammlungen, Nachlässe und Briefmarkensammlungen eine „wesentliche Bedeutung für die deutsche politische Kultur- und Wirtschaftsgeschichte“ aufweisen.1831 Auch innerhalb einer solchen objektivierten Rezeption eines Kulturguts durch eine Nation wird die lex originis nicht zwingend im Zeitpunkt seines Entstehens unabänderlich festgelegt, sondern kann, auch wenn ein Kulturgut ursprünglich mit einem Land nichts zu tun hatte, von diesem rezipiert werden. Normative Umsetzung fand dieser Gedanke bspw. in Art. 4 der UNESCO-Convention vom 14. November 1970, wonach Kulturgüter, die als Geschenk entgegengenommen oder mit Zustimmung der zuständigen Behörden des Ursprungslands rechtmäßig erworben wurden, Teil des kulturellen Erbes des kulturellen Importstaates sind. So war bspw. in dem Landesverzeichnis des Bundeslandes Berlin lange Zeit nur ein einziges Gemälde als „deutsches nationales Kulturgut“ registriert, und zwar das Gemälde ‚Embarquement pour Cythère‘ von Antoine Watteau, welches von Friedrich dem Großen aus einer Haager Kunstsammlung erworben und nach Berlin gebracht wurde.1832 (s. Abb. 46)
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Nachdem die Stiftung Preußischer Kulturbesitz als staatliches Museum das Gemälde erworben hatte, wurde es aus dem Landesverzeichnis wieder gelöscht. Das Kunstwerk hing seit 1829 im Berliner Stadtschloss und schmückte später den Salon der Kaiserin Auguste Viktoria. Es blieb im Privatbesitz des Hauses Hohenzollern. Ohne Zweifel kann somit das Gemälde als deutsches Kulturerbe angese-
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1828 1829
1830 1831 1832
§§ 1 und 10 des deutschen Kulturgüterschutzgesetzes. Mußgnug, Kunstwerke und anderes Kulturgut (Anhang III zur AWV), in: Hohmann/John, Ausfuhrrecht, 2002, S. 1818 ff., S. 1821. § 1 Abs. 1 S. 1 Kulturgüterschutzgesetz. § 10 Abs. 1 S. 1 Kulturgüterschutzgesetz. So Jayme, Die Nationalität des Kunstwerks als Rechtsfrage, in: Reichelt, Internationaler Kulturgüterschutz – Wiener Symposium 18./19. Oktober 1990, 1992, S. 7–30, S. 26; Jayme, Kunstwerk und Nation: Zuordnungsprobleme im internationalen Kulturgüterschutz, 1991, S. 30 f.; Mußgnug, Diskussionsbeitrag, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes – Symposium vom 22./23. Juni 1990 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 144; Siehr, Nationaler und Internationaler Kulturgüterschutz – Eingriffsnormen und der internationale Kunsthandel, in: Pfister/Will, Festschrift für Werner Lorenz zum siebzigsten Geburtstag, 1992, S. 525–542, S. 531; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 200– 201; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217.
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hen werden, obwohl es von einem Franzosen geschaffen wurde und im Zeitpunkt seines Entstehens eindeutig Frankreich zugeordnet worden wäre.1833 Insbesondere ist eine kulturelle Verbindung zwischen dem Gemälde und der Bundesrepublik Deutschland darin zu sehen, dass es als geschichtliches Zeugnis des Lebens eines deutschen Herrscherhauses qualifiziert werden kann.1834 Während Weidner eine Rezeption schon nach einer längeren Belegenheit eines Kulturguts im Territorium des deutschen Staates anerkennt,1835 hätte es nach Ansicht Kurpiers dagegen nicht ausgereicht, dass sich ‚der Watteau‘ allein über einen langen Zeitraum in Deutschland befunden hat. „Hätte sich das Bild nicht über Generationen im Hause der Hohenzollern befunden, dann wäre eine Verbindung des Gemäldes eines Franzosen zur deutschen Kultur nicht gegeben.“1836 715
Auch wenn nach einem Teil des Schrifttums oft ein zeitlicher Abstand notwendig ist, um die Bedeutung eines Kulturguts für eine Nation zu erkennen,1837 führt die Tatsache, dass es sich so lange Zeit in Deutschland befunden hat, dazu, dass es zum ‚deutschen Kulturbesitz‘ i.S.d. Gesetzes zum Schutz deutschen Kulturguts gegen Abwanderung vom 6.8.1955 zählt und sich die Frage der dinglichen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter entsprechend der lex originis nach der deutschen Sachenrechtsordnung richten würde.1838 Insbesondere bei der dinglichen Sachzuordnung von zu res extra commercium erklärten Kulturgütern und der Frage, wie eine internationale, einen Statutenwechsel überdauernde Anerkennung des Status eines Kulturguts als unveräußerlich, unersitz-, unverjähr- und unverwirkbar erreicht werden kann, knüpft Weidner bei der Bestimmung des Heimatrechts eines Kulturguts auch direkt an diesen Status an: 1833
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Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 200–201. Vgl. Jayme, Kunstwerk und Nation: Zuordnungsprobleme im internationalen Kulturgüterschutz, 1991, S. 31: „Für die Zuordnung gab hier die Nationalität und die Bedeutung der Besitzer den Ausschlag, der Künstler trat demgegenüber zurück“. In Frankreich gehören zur „domaine public“ als „mobilier national“ Gemälde, welche für die Ausschmückung öffentlicher Gebäude bestimmt sind; vgl. dazu Poli, La protection des biens culturels meubles, 1996, S. 277 f.; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 200. Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217. So Ress, Kultur und Europäischer Binnenmarkt – Rechtliche Auswirkungen des Europäischen Binnenmarktes auf die Kulturpolitik in der Bundesrepublik Deutschland, 1991, S. 83. Vgl. Jayme, Die Nationalität des Kunstwerks als Rechtsfrage, in: Reichelt, Internationaler Kulturgüterschutz – Wiener Symposium 18./19. Oktober 1990, 1992, S. 7–30, S. 26. Vgl. auch Merryman, Thinking about the Elgin Marbles, Michigan Law Review Vol. 83 (1985), S. 1881–1923, S. 1915, in bezug auf die Elgin Marbles.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
„Heimatrecht des Kulturguts wäre danach das Recht, welches die Sache als res extra commercium behandelt. Daß mehrere Staaten ein und dasselbe Kulturgut als res extra commercium behandeln, ist eher unwahrscheinlich, zumal die Deklarierung in einigen Rechtsordnungen einen besonderen verwaltungsrechtlichen Akt voraussetzt. Bei den regelmäßig im Eigentum der öffentlichen Hand stehenden zu res extra commercium erklärten Kulturgütern handelt es sich um für die Nation besonders wichtige Kulturgüter, weil sie – anders als die meisten im Eigentum Privater stehenden Kulturgüter – in öffentlichen Museen oder sonstigen Gebäuden ausgestellt und damit der Öffentlichkeit zugänglich sind. Die Deklarierung eines Kulturguts zur res extra commercium durch einen Staat kann als Zeichen für die besondere Verbindung zwischen diesem Staat und dem betreffenden Kulturgut angesehen werden und könnte daher die Zuordnung zu der Rechtsordnung als lex originis rechtfertigen. Allerdings betrifft dieser Gesichtspunkt nur einen kleinen Teil sämtlicher Kulturgüter und kann daher kein allgemeines Kriterium für die Bestimmung der lex originis von Kulturgütern sein.“1839 Insgesamt wird man aber festhalten können, dass eine objektivierte Rezeption die Zugehörigkeit eines Kulturguts zum nationalen Kulturerbe und die Anknüpfung der sachenrechtlichen Verhältnisse an die Rechtsordnung dieses Landes die Anwendung der lex originis rechtfertigen kann.1840
(7)
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Fundort archäologischer Objekte
Besonders nahe liegt der Gedanke einer kulturellen Verbundenheit insbesondere von archäologischen Altertumsfunden mit ihrem Fundort und der Rechtswahl nach dessen Rechtsordnung.1841 Die UNESCO-Convention vom 14. November 1970 1839
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Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 201. So Jayme, Die Nationalität des Kunstwerks als Rechtsfrage, in: Reichelt, Internationaler Kulturgüterschutz – Wiener Symposium 18./19. Oktober 1990, 1992, S. 7–30, S. 26; Jayme, „Entartete Kunst“ und Internationales Privatrecht, 1994, S. 30; Jayme, Rechtsbegriffe und Kunstgeschichte, in: Reichelt, Neues Recht zum Schutz von Kulturgut, 1997, S. 11 ff., S. 17; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 200–201. Jayme, Kunstwerk und Nation: Zuordnungsprobleme im internationalen Kulturgüterschutz, 1991, S. 28; Byrne-Sutton, Le trafic international des biens vulturels sous l’angle de leur revendication par l’Etat d’origine – Aspects de droit international privé, 1988, S. 55; Ferrer-Correia, La vente internationale d’objets d’art, sous l’angle de la protection du patrimoine culturel, in: Annuaire de l’Institut de Droit International 64-I (1991), S. 90–192, S. 154; Fechner, Rechtlicher Schutz archäologischen Kulturguts – Regelungen im innerstaatlichen Recht, im Europa- und Völkerrecht sowie Möglichkeiten zu ihrer Verbesserung, 1991, S. 11 ff.; Fechner, Die Vorhaben der EG zum Kulturgüterschutz, Die öffentliche Verwaltung (DÖV), Heft 14 (1992), S. 609–618, S. 611; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 151; González-Campos, La technique conflictuelle et les objectifs et valeurs du droit matériel: la lex originis pour les biens culurels, in: Ethnikon kai Kapodistriakon Panepistemion (Athenai), La protection internationale des biens culturels – regard dans l’avenir; colloquium Athens, 23 November 2001, 2003, S. 56; Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privat-
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882
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
nennt den Fundort als Zuordnungskriterium ausdrücklich in Art. 4 und auch innerhalb der kulturgüterspezifischen Rechtsliteratur wird heute zunehmend anerkannt, dass der Fundort Aufschluss über die Zuordnung einer Sache zu einer bestimmten Kultur gibt und deshalb eine enge und aus Rechtsgründen zu schützende Verbindung zu dem Objekt darstellt.1842 Diese gesteigerte Bedeutung des Fundorts entspricht der neuen Tendenz in der Archäologie, die sich immer weniger als Kunst- bzw. Schatz-, sondern als Kontextarchäologie1843 begreift.1844 International ist nicht mehr nur das Objekt selbst, sondern daneben auch die sog. „preservation of information“1845 im Schutzumfang erfasst: Kulturgüter enthalten historisch wichtige Informationsträger1846 und insbesondere die archäolo-
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recht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff., S. 49; Jayme, Internationaler Kongreß für Rechtsvergleichung in Athen – Fragen des Internationalen Privatrechts, IPRax 1994, S. 481–482; Jayme, Schutz des Kulturerbes und Internationales Privatrecht – Gründungstagung der Griechisch-Deutschen Juristenvereinigung in Athen, IPRax 1991, S. 357–358; Jayme, Archäologie und Internationales, IPRax 1996, S. 66–67; Jayme, Kulturgüterschutz in ausgewählten europäischen Ländern, ZVglRWiss 95 (1996), S. 158–169, S. 169; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 116 f.; Heilmeyer, Schutz archäologischer Kulturgüter aus der Sicht der Archäologie, ZVglRWiss 95 (1996) S. l17–126; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 198; Maurer, Die Ausfuhr von Kulturgütern in der Europäischen Union, 1995, S. 58; Engstler, Die territoriale Bindung von Kulturgütern im Rahmen des Völkerrechts, 1964, S. 67; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 199–200; Strauch, Rechtsverhältnisse an Kulturgütern im Internationalen Sachenrecht, 2007, S. 104–107; Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 248–250; Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 282–284; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217. Vgl. Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 116 f.; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 199–200. Brodie, An Archaeologist’s View of the Trade in Unprovenanced Antiquities, in: Hoffman, Art and Cultural Heritage – Law, Policy and Practice, 2006, S. 52–63, S. 52–53; DeAngelis, How much Provenance Is Enough? Post-Schultz Guidelines for Art Museum Acquisition of Archaeological Materials and Ancient Art, in: Hoffman, Art and Cultural Heritage – Law, Policy and Practice, 2006, S. 398–399; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 32–33. Dazu Heilmeyer, Schutz archäologischer Kulturgüter aus der Sicht der Archäologie, ZVglRWiss 95 (1996) S. l17–126; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 199–200. Merryman, The Public Interest in Cultural Property, California Law Review, Volume LXXVII (1989), S. 339–364, S. 356–357; Merryman, Cultural Property Export Controls, UFITA, Band 111 (1989), S. 63–99, S. 88–92; Brodie, An Archaeologist’s View of the Trade in Unprovenanced Antiquities, in: Hoffman, Art and Cultural Heritage – Law, Policy and Practice, 2006, S. 52–63, S. 52–53. Zu dem Informationsverlust aufgrund illegalen Transfers vor allem archäologischer Artefakte siehe vertiefend Nowell, American Tools to Control the Ilegal Movement of Foreign
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gische Kontexterhaltung und damit die Erforschung des Fundzusammenhangs1847 treten im Kulturgüterschutz neben die Substanzerhaltung und das Ziel der Erhaltung und Bewahrung der Objekte an ihrem ursprünglichen Ort für zukünftige Generationen („preservation of information that would be lost by undocumented removal of an object from its context“1848).1849 Gegenüber Altertumsfunden besteht – im Gegensatz zu sonstigen Gattungen kultureller Wertgegenstände – eine gesteigerte Gefahr der Zerstörung spezieller Informationen aufgrund des illegalen Transfers solcher archäologischer Artefakte:1850 Diese Klasse kultureller Güter ist neben dem nur künstlerischen und ästhetischen Interesse vor allem hinsichtlich des historischen Wertes von Bedeutung:1851 Archäologische Artefakte verkörpern historische Informationen hinsichtlich früherer Kulturen und Religionen, beinhalten die sich verändernden soziologischen Verhaltensmuster früherer Bevölkerungsgruppen, die nach ihrem Gesamtinformationsgehalt allein im Zusammenhang mit den lokalen Gegebenheiten und vergleichbaren Funden wissenschaftlich ausgewertet werden können (sog. Bodeninformationen1852). Neben dem rein materiellen Wertverlust für den Ursprungsstaat durch die tatsächliche Entziehung des konkreten Gutes stehen in diesem Zusammenhang somit vornehmlich die Negativfolgen hinsichtlich des
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Origin Archaeological Material: Criminal and Civil Approaches, Syracuse Journal of International Law and Commerce 6 (1978), S. 77–110, S. 77–78; Brodie, An Archaeologist’s View of the Trade in Unprovenanced Antiquities, in: Hoffman, Art and Cultural Heritage – Law, Policy and Practice, 2006, S. 52–63, S. 52–53; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 32–33. So Jayme, Kulturgüterschutz in ausgewählten europäischen Ländern, ZVglRWiss 95 (1996), S. 158–169, S. 169; Jayme, Internationaler Kongreß für Rechtsvergleichung in Athen – Fragen des Internationalen Privatrechts, IPRax 1994, S. 481–482; Jayme, Archäologie und Internationales, IPRax 1996, S. 66–67; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 199–200. So bspw. Merryman, „Protection“ of the Cultural „Heritage“?, The American Journal of Comparative Law, Vol. 38 (1990), S. 513–522, S. 522; Merryman, The Public Interest in Cultural Property, California Law Review, Volume LXXVII (1989), S. 339–364, S. 355–358; Merryman, Cultural Property Export Controls, UFITA, Band 111 (1989), S. 63–99, S. 88–92. Vgl. auch die auf dem 13. Internationalen Kongreß für Klassische Archäologie in Berlin entworfene, international beachtete, sog. „Berliner Erklärung“ über Kunstexport, Neuerwerbungen und Leihgaben. Die sog. Berlin Resolution 2003 vom 25.5.2003 ist abgedruckt bei Heilmeyer/Eule, Illegale Archäologie – Internationale Konferenz über zukünftige Probleme bei unerlaubtem Antikentransfer, 23.–25.5.2003 in Berlin, aus Anlass des 15. Jahrestages der Berliner Erklärung, 2004, S. 124 ff. Zu dem Informationsverlust aufgrund illegalen Transfers vor allem archäologischer Artefakte siehe vertiefend Borodkin, The Economics of Antiquities Looting and a Proposed Legal Alternative, Columbia Law Review 95 (1995), S. 377–417, S. 378; Nowell, American Tools to Control the Ilegal Movement of Foreign Origin Archaeological Material: Criminal and Civil Approaches, Syracuse Journal of International Law and Commerce 6 (1978), S. 77–110, S. 77–78. Vgl. zum Folgenden Borodkin, The Economics of Antiquities Looting and a Proposed Legal Alternative, Columbia Law Review 95 (1995), S. 377–417, S. 378. Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 32–33.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Auseinanderreißens der archäologischen und kulturwissenschaftlichen Informationsinkorporation archäologischer Kulturgüter in Rede: 719
„Once a site has been worked over by looters in order to remove a few salable objects, the fragile fabric of its history is largely destroyed. Changes in soil color, the traces of ancient floors and fires, the imprint of vanished textiles and foodstuffs, the relation between one object and another, and the position of a skeleton-all of these sources of fugitive information are ignored and obliterated by archaeological looters.“1853
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Deshalb stellt der Fundort bei archäologischen Kulturgütern eine besonders exemplarische Ausprägung des Gedankens einer ‚inneren‘ Konnexität zwischen Territorium und Kulturgut dar (in the case of an archaeological item, the site of its discovery).1854 Archäologische Kulturgüter stellen in vielen Aspekten einzigartige Objekte mit speziellen Qualitätsmerkmalen dar, die sich auch rechtlich widerspiegeln sollen. Diese ‚innere‘ Konnexität zwischen Territorium und Kulturgut1855 muss deshalb auch Auswirkungen bei der Bestimmung der Heimat eines archäologischen Kulturguts zeigen und es ist auf den Fundort Rekurs zu nehmen.1856 Gerade der allgemein-wissenschaftliche und kulturelle Erkenntniswert,
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Coggins, Archaeology and the Art Market, 175 Science 263 (1972), zitiert bei Borodkin, The Economics of Antiquities Looting and a Proposed Legal Alternative, Columbia Law Review 95 (1995), S. 377–417, S. 383. Schrifttum: Brodie, An Archaeologist’s View of the Trade in Unprovenanced Antiquities, in: Hoffman, Art and Cultural Heritage – Law, Policy and Practice, 2006, S. 52–63, S. 52–53; Greenfield, The Return of Cultural Treasures, 2. Aufl., 1996, S. 256–267; Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/ Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff., S. 49; Jayme, Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im Internationalen Privatrecht, in: Dominicé/Patry/Reymond, „Études de droit international en l’honneur de Pierre Lalive“, 1993, S. 717–731, S. 728; Fechner, Wohin gehören Kulturgüter? Rechtliche Ansätze eines Ausgleichsmodells, in: Grupp/Hufeld, Recht – Kultur – Finanzen, Festschrift für Reinhard Mußgnug zum 70. Geburtstag am 26. Oktober 2005, 2005, S. 485 ff., S. 489–491; Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 242–244; Merryman, Notes Toward a Clarification of the Antiquities Conflict, in: The American Society of International Law (ASIL), Proceedings of the 89th Annual Meeting – When the Quest for Cultural Objects Divides North from South, 1995, S. 438– 439; Bersin, The Protection of Cultural Property and the Promotion of International Trade in Art, N.Y.L. Sch. J. Int’l & Comp. L. Vol. 13 (1992), S. 125 ff., S. 137; Blass, Legal Restrictions on American Access to Foreign Cultural Property, Fordham Law Review 46 (1978), S. 1177–1204, S. 1179; Borodkin, The Economics of Antiquities Looting and a Proposed Legal Alternative, Columbia Law Review 95 (1995), S. 377–417, S. 379–384; Church, Evaluating the Effectiveness of Foreign Laws on National Ownership of Cultural Property in U.S. Courts, Columbia Journal of Transnational Law, Volume 30 (1992), S. 180–229, S. 226; Jayme, Kulturgüterschutz in ausgewählten europäischen Ländern, ZVglRWiss 95 (1996), S. 158–169, S. 159–161. Brodie, An Archaeologist’s View of the Trade in Unprovenanced Antiquities, in: Hoffman, Art and Cultural Heritage – Law, Policy and Practice, 2006, S. 52–63, S. 52–53. Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes,
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der dem Fundort im Zusammenhang mit dem Objekt selbst zukommt1857, ist der auch rechtlich schützenswerte Aspekt der Kontextarchäologie.1858 So „wird … die Regel aufgestellt, daß die Gesetze der Herkunftsländer zu beachten seien, um den historischen Zeugniswert der Grabungen zu erhalten, da andernfalls die Zusammenhänge unwiederbringlich zerstört würden.“1859 Der besondere kulturelle und deshalb auch rechtlich schützenswerte Verdienst der Kontexterhaltung in der Archäologie1860 liegt darin, dass „[a]rchäologische Hinterlassenschaften … regelmäßig eine viel höhere wissenschaftliche Aussagekraft [haben], wenn sie im Zusammenhang der sie umgebenden Schichten und Beifunde stehen. Auch diese Konnexität sollte sich im Recht des Kulturgüterschutzes widerspiegeln.“1861 Zu dem Sinn der Erhaltung archäologischer Kulturgüter an Ort und Stelle kommt noch der Erziehungszweck, den das Kunstwerk nur an demjenigen Ort zu erfüllen vermag, an dem es aus dem Gesamtzusammenhang heraus erklärbar
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Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff., S. 49; Jayme, Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im Internationalen Privatrecht, in: Dominicé/Patry/Reymond, „Études de droit international en l’honneur de Pierre Lalive“, 1993, S. 717–731, S. 728; Jayme, Kulturgüterschutz in ausgewählten europäischen Ländern, ZVglRWiss 95 (1996), S. 158–169, S. 169. DeAngelis, How much Provenance Is Enough? Post-Schultz Guidelines for Art Museum Acquisition of Archaeological Materials and Ancient Art, in: Hoffman, Art and Cultural Heritage – Law, Policy and Practice, 2006, S. 398–399. Jayme, Kulturgüterschutz in ausgewählten europäischen Ländern, ZVglRWiss 95 (1996), S. 158–169, S. 169; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 27: „Vor allem bei archäologischen Grabungsfunden kommt als zusätzliche Gefahr der Verlust wertvoller Informationen hinzu. Solche Objekte sind wegen ihres speziellen Befundes besonders aufschlußreich. Die sich aus dem Fundzusammenhang ergebenden Informationen gehen jedoch bei unautorisierten, ohne wissenschaftliche Dokumentationsmethoden durchgeführten Raubgrabungen unwiederbringlich verloren.“ Vgl. auch Brodie, An Archaeologist’s View of the Trade in Unprovenanced Antiquities, in: Hoffman, Art and Cultural Heritage – Law, Policy and Practice, 2006, S. 52–63, S. 52–53; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 32–33. In ihrer Beilage „Literatur und Kunst“ vom 15. Juni 1990 widmete die Zürcher Zeitung zwei Seiten den verschiedenen Stimmen aus der Museumswelt zur Aneignung von Antiken. Abgedruckt ist dort auch die „Berliner Erklärung“ über Kunstexport, Neuerwerbungen und Leihgaben, die auf dem 13. Kongreß für Klassische Archäologie im Oktober 1987 angenommen wurde. Quelle: Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff., S. 49; Jayme, Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im Internationalen Privatrecht, in: Dominicé/Patry/Reymond, „Études de droit international en l’honneur de Pierre Lalive“, 1993, S. 717–731, S. 728. Jayme, Kulturgüterschutz in ausgewählten europäischen Ländern, ZVglRWiss 95 (1996), S. 158–169, S. 159–161, S. 169; Merryman, The Public Interest in Cultural Property, California Law Review, Volume LXXVII (1989), S. 339–364, S. 353–354. Fechner, Wohin gehören Kulturgüter? Rechtliche Ansätze eines Ausgleichsmodells, in: Grupp/Hufeld, Recht – Kultur – Finanzen, Festschrift für Reinhard Mußgnug zum 70. Geburtstag am 26. Oktober 2005, 2005, S. 485 ff., S. 489–490.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
ist.1862 Außerdem sollen einzelne Ausgrabungsstücke entsprechend dem im Kulturgüterschutzrecht allgemein geltenden Prinzip des organischen Ensembleschutzes als unzertrennliche Einheit an ihrem Fundort zusammengehalten werden.1863 721
Engstler kann diesen zentralen Gedanken auf § 8 des Anhangs zu Art. 421 des Friedensvertrags von Sèvres vom 10.8.1920 1864 zwischen den Alliierten des Ersten Weltkriegs und der Türkei stützen, wonach die erfassten archäologischen Objekte dann nicht zwischen Ausgräber und dem türkischen Staat verteilt werden sollen, wenn mit Rücksicht auf wissenschaftliche Interessen eine Teilung unmöglich ist.1865
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Aus diesen Gründen plädieren zahlreiche Autoren bei illegal transferierten archäologischen Objekten eindeutig für eine Rückführung an den Ursprungsort als sinnvolle und meist einzig richtige Lösung.1866 Innerhalb des international-privatrechtlichen Rechtswahlprozesses zur ‚richtigen‘ dinglichen Sachzuordnung unrechtmäßig verbrachter (archäologischer) Objekte wird die Anknüpfung an den Fundort regelmäßig dazu führen, dass Bestimmungen zum Schutz des archäologischen Kulturguts leichter Anwendung finden, sodass bspw. Normen, die archäologische Funde zum ausschließlichen unveräußerlichen, unersitz-, unverjähr- und unverwirkbaren Eigentum des kulturellen Ursprungsstaates erklären, auch extraterritoriale Anwendung erfahren und nicht an den rechtlichen Grenzen eines qualifizierten Statutenwechsels 1867 scheitern.1868
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Teile des Schrifttums sehen bei der Bestimmung des Fundorts archäologischer Objekte die Gefahr, dass die Provenienz archäologischer Funde oft verschleiert und
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Jayme, Kulturgüterschutz in ausgewählten europäischen Ländern, ZVglRWiss 95 (1996), S. 158–169, S. 160. Vgl. Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217. Der Vertrag ist von der Türkei nicht ratifiziert worden. Vgl. dazu Engstler, Die territoriale Bindung von Kulturgütern im Rahmen des Völkerrechts, 1964, S. 67, siehe auch Byrne-Sutton, Le trafic international des biens vulturels sous l’angle de leur revendication par l’Etat d’origine – Aspects de droit international privé, 1988, S. 55. Unter anderen zählen hierzu auch Fechner, Wohin gehören Kulturgüter? Rechtliche Ansätze eines Ausgleichsmodells, S. 491; Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff., S. 49; Jayme, Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im Internationalen Privatrecht, in: Dominicé/Patry/Reymond, „Études de droit international en l’honneur de Pierre Lalive“, 1993, S. 717–731, S. 728. Vgl. ausführlich hierzu 3, 228 ff. Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 199–200.
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deren Nachweis schwer zu führen sein wird.1869 Insbesondere werde dies in noch stärkerem Maße gelten, „wenn die Offenlegung des Fundorts dazu führen würde, daß die Rechtsordnung des Fundortes anwendbar wäre und damit auch die dort geltenden besonderen Vorschriften über Ausgrabungen und die Eigentumslage an den archäologischen Funden. Die Anknüpfung sachenrechtlicher Verhältnisse an das Recht des Fundorts stößt daher auf praktische Probleme.“1870 Eher unproblematisch werden die Bedenken einzuschätzen sein, dass nicht sicher sei, ob die Anknüpfung bei der dinglichen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Altertumsfunde an den Lageort auf Dauer gelten solle oder „ob nicht irgendwann, insbesondere im Fall einer legalen Veräußerung in ein anderes Land, andere Kriterien eine größere Bedeutung gewinnen können bzw. müssen.“1871 Ebenso wie bei der Bestimmung des ‚Sitzes‘ eines Kulturguts ist aber auch hier davon auszugehen, dass legal, d.h. in Übereinstimmung mit der zivilrechtlichen Sachzuordnung und den öffentlich-rechtlichen Kulturgüterschutzvorschriften des kulturellen Fundortstaates erworbene Altertumsfunde zu einer Änderung des ‚Sitzes‘ auch archäologischer Objekte führen. Der ‚Sitz‘ und damit auch die lex originis von Altertumsfunden können sich jederzeit wandeln, wenn diese legal veräußert und exportiert werden.1872 Das führt dazu, dass die ‚Heimat‘ auch archäologischer Objekte entsprechend dem gegenwärtigen Willen des jeweiligen Fundortstaates und Eigentümers veränderbar bleibt1873 und auch archäologische Gegenstände unmittelbar der Rechtsordnung des neuen Belegenheitsstaates zugeordnet werden, ohne dass ein spezieller nationaler Bezug „zeitlich wachsen“ muss.1874 1869
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Fechner, Rechtlicher Schutz archäologischen Kulturguts – Regelungen im innerstaatlichen Recht, im Europa- und Völkerrecht sowie Möglichkeiten zu ihrer Verbesserung, 1991, S. 11 ff.; darauf verweist auch Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 199–200. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 199–200. So Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 199–200. „Den Sitz des Kulturguts bestimmt der Eigentümer. Der Sitz des Kulturguts ist der Ort, an dem sich das Kulturgut nach dem Willen des Eigentümers auf Dauer befindet.“ Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217. Vgl. Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217. „Anders stellt sich die Situation dar, wenn es sich um bereits ausgegrabene archäologische Materialien handelt, die als Teil einer Sammlung in einem bestimmten Aufbewahrungszusammenhang stehen. Darauf wird auch in der Berliner Erklärung hingewiesen. Hier setzt sich dann wieder der bestimmungsgemäße Aufbewahrungsort, der „Sitzort“, gegenüber dem Fundort durch. Die neue rechtmäßige territoriale Belegenheit kann damit vom ursprünglichen Fundort abweichen und das letztlich entscheidende Anknüpfungsmoment bieten.“ Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 253–264.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
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Geschichtlicher Zusammenhang eines Kulturguts mit dem kulturellen Ursprungsstaat
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Aktuelle Beiträge zur Bestimmung der Heimatrechtsordnung schließen insbesondere auch aus dem geschichtlichen Zusammenhang eines Kulturguts auf dessen kulturelle Verbindung mit ‚seinem‘ Ursprungsstaat.1875 Nach allgemeinem Verständnis sind Kulturgüter von geschichtlichem Wert solche, die geeignet sind, eine Epoche zu illustrieren und mit den Vorkommnissen zu jener Zeit in Verbindung stehen. Auch nach Art. 1 (b) der UNESCO-Convention vom 14. November 1970 gelten als Kulturgüter die von jedem Staat aus religiösen oder weltlichen Gründen als für Archäologie, Vorgeschichte, Geschichte, Literatur, Kunst oder Wissenschaft besonders wichtig bezeichneten Objekte, die sich auf die Geschichte einschließlich der Geschichte von Wissenschaft und Technik sowie der Militär- und Sozialgeschichte, das Leben nationaler Führer, Denker, Wissenschaftler und Künstler und Ereignisse von nationaler Bedeutung beziehen.1876
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Dementsprechend kommt es bei der Bestimmung des geschichtlichen Zusammenhangs kultureller Güter mit einem Ursprungsstaat darauf an, „ob sie Zeugnis der Geschichte einer Nation ablegen können.“1877 Dies wird in erster Linie bspw. bei der Sachzuordnung von historischen Dokumenten und Archiven der Fall sein. Bei diesen ist die „Nationalität“ ihres Urhebers oder ihr Entstehungsort für die nationale Zuordnung meist weniger wichtig als die Bedeutung, die sie für die Geschichte eines Landes, Staates oder einer Nation haben.1878 Dementsprechend ist das kulturgüterspezifische Schrifttum der Ansicht, dass schriftliche Zeugnisse der nationalen oder regionalen Geschichte eine besonders intensive Verbindung
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Vgl. hierzu Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 201; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217; Fechner, Die Vorhaben der EG zum Kulturgüterschutz, Die öffentliche Verwaltung (DÖV), Heft 14 (1992), S. 609–618, S. 611; Siehr, Nationaler und Internationaler Kulturgüterschutz – Eingriffsnormen und der internationale Kunsthandel, in: Pfister/Will, Festschrift für Werner Lorenz zum siebzigsten Geburtstag, 1992, S. 525–542, S. 540; Siehr, Freizügigkeit und Kulturgüterschutz in der Europäischen Union, in: Immenga/Möschel/Reuter, Festschrift fur Ernst-Joachim Mestmäcker zum siebzigsten Geburtstag, 1996, S. 483–496, S. 494 f. So auch der Verweis bei Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217. Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 201, weist zusätzlich aber noch darauf hin, dass es gerade bei historischen Dokumenten denkbar ist, dass sie mit der Geschichte verschiedener Länder in Zusammenhang stehen, sodass die ‚richtige‘ Sachzuordnung zu einem Heimatstaat Schwierigkeiten bereiten wird.
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zu dieser Nation begründen.1879 Selbsterklärend ist dies bspw. bei den aus der irakischen Nationalbibliothek geraubten Koran-Manuskripten in verschiedenen Formen der arabischen Kalligrafie, die für die Regionalgeschichte Mesopotamiens von unersetzbarer Bedeutung sind.1880 „Die schriftlichen Zeugnisse der Vergangenheit sind für die Entstehung einer nationalen Identität des „modernen Irak“ ein wichtiger Faktor.“1881 Innerhalb der Rückführungsbestrebungen ohne rechtmäßige Ausfuhrgenehmigung und dementsprechend illegal nach Großbritannien exportierter historischer italienischer Dokumente hätte bspw. auch der italienische Staat innerhalb der Rechtssache King of Italy v. Marquis Cosimo de Medici 1882 aus den Jahren 1918/19 auf diese innere kulturelle Verbindung der historischen Archive zu der Geschichte Italiens hinweisen können.1883 Der italienische Marquis Cosimo de Medici beabsichtigte die Versteigerung des für die italienische Geschichte besonders bedeutsamen Schriftguts bei Christie, Manson & Woods in London. Es handelte sich um eine Sammlung historischer Dokumente, die sich seit Jahrhunderten in Familienbesitz befunden hatten, wie z.B. Briefe aus der Zeit von Lorenzo des Prächtigen.1884 Die Kulturgüter standen zum Teil im Eigentum des italienischen Staates, die übrigen Dokumente befanden sich jedoch im Privateigentum
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Fechner, Die Vorhaben der EG zum Kulturgüterschutz, Die öffentliche Verwaltung (DÖV), Heft 14 (1992), S. 609–618, S. 611; Siehr, Nationaler und Internationaler Kulturgüterschutz – Eingriffsnormen und der internationale Kunsthandel, in: Pfister/Will, Festschrift für Werner Lorenz zum siebzigsten Geburtstag, 1992, S. 525–542, S. 540; Siehr, Freizügigkeit und Kulturgüterschutz in der Europäischen Union, in: Immenga/Möschel/Reuter, Festschrift fur Ernst-Joachim Mestmäcker zum siebzigsten Geburtstag, 1996, S. 483–496, S. 494 f.; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217. Vgl. dazu Heine, Gedächtnisverlust, Der Tagesspiegel, Artikel vom 19.4.2003, S. 23, darauf verweist auch Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217. Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217. King of Italy v. Marquis Cosimo de Medici, 34 The Times Law Reports, S. 623 (Ch. D.) (1917/18), als auch in 14 Riv. dir. int. 1921/22, S. 197 ff. Vgl. Merryman, Thinking about the Elgin Marbles, Michigan Law Review Vol. 83 (1985), S. 1881–1923, S. 1890; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 87–88, 176–177 und 189; O’Keefe, Export and Import Controls on Movement of the Cultural Heritage: Problems at the National Level, Syracuse Journal of International Law and Commerce 10 (1983), S. 352–369, S. 352; Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 184. Vgl. Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217.
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des Marquis Cosimo de Medici selbst.1885 Hinsichtlich der sich im Staatseigentum Italiens befindenden Dokumente ordnete das Gericht ohne zu zögern die Restitution an Italien an.1886 Diese Vindikation der im Eigentum Italiens stehenden Kulturgüter heilt die Eigentumsverletzung de Medicis und ist auf das fortbestehende Eigentumsrecht Italiens auch nach einem Transfer der Dokumente nach England als reinem Ortswechsel zu betten. Der Eigentümer kultureller Wertgegenstände hat nämlich – unabhängig davon, ob das Privateigentum dem (hier: italienischen) Staat oder einer sonstigen individuellen Person zusteht – „indubbiamente diritto d’intervenire per impedire atti di disposizione della sua proprietà da parte di chiunque non è a ciò autorizzato“1887. Hinsichtlich der allein im Eigentum de Medicis stehenden Dokumente lehnte das englische Gericht im Einklang mit der aktuellen herrschenden Rechtsansicht jede Rückführungsmöglichkeit bereits a priori ab (d.h. ohne Untersuchung etwaiger italienischer Spezialnormen der dinglichen Sachzuordnung unrechtmäßig transferierter Kulturgüter), da sich die italienischen Kulturgüterschutzvorschriften allein auf solche Gegenstände beziehen könnten, die sich noch in Italien befänden. Hätte das Gericht jedoch der engen kulturellen Verbundenheit der Archive zu dem Staat Italien i.S.d. lex originis auch rechtlich Anerkennung gezollt, wäre zumindest die Möglichkeit der dinglichen Sachzuordnung nach den italienischen Sachenrechtsregeln in Betracht zu ziehen gewesen (unabhängig davon, ob diese für den italienischen Staat günstiger gewesen wären, hätte zumindest das kulturell sachnächste Recht Anwendung erfahren). 727
Dass aber auch außerhalb des Beispiels Archivwesen manche Gegenstände gleichsam als Symbol für eine bestimmte historische Entwicklung angesehen werden, leuchtet ohne weiteres bei dem Verweis auf die in Philadelphia aufbewahrte Liberty Bell im Zusammenhang mit der amerikanischen Unabhängigkeit ein.1888 Auf diese Weise kann eine qualifizierte Verbindung eines Kulturguts zu einem Staat somit auch dann bestehen, wenn das Objekt für eine Nation oder eine Region eine symbolische Bedeutung im geschichtlichen Gesamtzusammenhang aufweist.1889 Als Beispiel für eine solche Verbindung zwischen Kulturgut und
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Vgl. zur dieser Differenzierung vor allem Merryman, Thinking about the Elgin Marbles, Michigan Law Review Vol. 83 (1985), S. 1881–1923, S. 1890. So auch Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 87. King of Italy v. Marquis Cosimo de Medici, 14 Riv. dir. int. 1921/22, S. 197 ff., S. 197. Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 201. Fechner, Die Vorhaben der EG zum Kulturgüterschutz, Die öffentliche Verwaltung (DÖV), Heft 14 (1992), S. 609–618, S. 611; Siehr, Nationaler und Internationaler Kulturgüterschutz – Eingriffsnormen und der internationale Kunsthandel, in: Pfister/Will, Festschrift für Werner Lorenz zum siebzigsten Geburtstag, 1992, S. 525–542, S. 540; Siehr, Freizügigkeit und Kulturgüterschutz in der Europäischen Union, in: Immenga/Möschel/Reuter, Festschrift fur Ernst-Joachim Mestmäcker zum siebzigsten Geburtstag, 1996, S. 483–496, S. 494 f.; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüber-
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
891
Ursprungsrechtsordnung kommt insbesondere die amerikanische Fallkonstellation Dole v. Carter aus dem Jahre 1977 in den Sinn1890, die die Rückgabe der ungarischen Stephanskrone und weiterer Kronjuwelen an Ungarn betraf, welche seit Ende des Zweiten Weltkrieges in den USA aufbewahrt wurden.1891 (s. Abb. 47) Nach langwierigen Verhandlungen wurde sie nach einem Entscheid des Präsidenten der Vereinigten Staaten Carter im Jahre 1978 an Ungarn zurückgegeben. Der amerikanische Senator Dole versuchte, die Rückgabe an das kommunistische Ungarn mit dem Argument zu verhindern, die Rückgabe stelle einen Vertrag dar, der der Zustimmung des Senats bedürfe. Kläger des Rechtsstreits war somit Senator Dole, der befürchtete, dass die Rückführung der Stephanskrone nach Ungarn eine internationale Bestätigung des sowjetisch dominierten Regierungssystems Ungarns zur Folge hätte, was im Ergebnis zu einer internationalen Legitimierung in der Öffentlichkeit geführt hätte. Allgemeiner Rechtsrahmen der Klage war ein inneramerikanischer Verfassungsstreit mit der Fragestellung, ob Präsident Carter die Rückgabe der Krone an Ungarn ohne Zustimmung des Senates mit der ungarischen Regierung vereinbaren durfte. Dahinter stand aber auch das die Zuordnung kultureller Güter betreffende Problem, ob die Krone des Königreichs an die Regierung des nunmehr sozialistischen und kommunistisch regierten Ungarns ausgeliefert werden konnte. Das Gericht stellte dabei primär fest, dass es sich bei der Stephanskrone um ein Symbol der ungarischen Identität handele und dass im vorliegenden Fall niemand beanspruche, dass sie US-amerikanisches Eigentum sei. Die Frage, wer staatsrechtlich die Rückgabe der Krone an Ungarn verfügen dürfe, erschien damals als eine nicht justiziable Kontroverse, weshalb das Gericht darüber nicht entscheiden müsse. Die ungarische Nation war hier wichtiger als der aktuelle Staat.1892
1890
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1892
schreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217. Dole v. Carter, 444 F.Supp. 1065 (D.C.Kan.1977), affirmed per curiam 569 F.2d 1109 (10th Cir. 1977). Vgl. dazu Kenety, Who Owns the Past? The Need for Legal Reform and Reciprocity in the International Art Trade, Cornell International Law Journal, Volume 23 (1990), S. 1–46, S. 6 f. Vgl. hierzu Buranich, The Art Collecting Countries and Their Export Restrictions on Cultural Property: Who Owns Modern Art?, California Western International Law Journal 19 (1988), S. 153–172, S. 161; Kenety, Who Owns the Past? The Need for Legal Reform and Reciprocity in the International Art Trade, Cornell International Law Journal, Volume 23 (1990), S. 1–46, S. 6–7; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217. Jayme, Die Nationalität des Kunstwerks als Rechtsfrage, in: Reichelt, Internationaler Kulturgüterschutz – Wiener Symposium 18./19. Oktober 1990, 1992, S. 7–30, S. 12.
728
892
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
4. 729
Mit der Bestimmung einer ‚Heimat‘ eines Kulturguts, der Änderung des kollisionsrechtlichen Anknüpfungspunktes und der damit folgenden Rechtswahl im grenzüberschreitenden Kulturgüterverkehr nach der lex originis ist in den Reformbestrebungen zur Bestimmung der sachnächsten und damit ‚richtigen‘ Rechtsordnung für die dingliche Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter im internationalen Kunsthandel vorläufig der „Höhepunkt“1893 erreicht: „Jedenfalls soweit eine Sachnormverweisung auf die lex originis eingefordert wird, kann kulturgüterschützendes materielles Privatrecht im Internationalen Privatrecht keine stärkere Berücksichtigung finden, als wenn es – auf diese Art und Weise – selbst zum Anknüpfungspunkt gerät.“1894 Innerhalb des Schrifttums wird jedoch intensiv darüber gestritten, ob die Vorteile einer Rechtswahl nach der lex originis, vgl. hierzu zunächst unter Punkt a), deren Nachteile, vgl. hierzu die nachfolgenden Punkte b) bis d), ausgleichen können.
a) 730
Bewertung der ‚lex originis‘ im internationalen Kulturgüterverkehr
Vorteile für den Kulturgüterschutz und die Rückführung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter
Ein erster wichtiger Vorteil der Rechtswahl nach der lex originis ist, dass durch die Anknüpfung an die Heimatrechtsordnung als unwandelbares Anknüpfungsstatut die willkürlichen Ergebnisse, die aus einer Anknüpfung an den oft zufälligen Lageort i.S.d. lex rei sitae herrühren, vermieden werden. Es können aber nicht nur zufällige Ergebnisse bei der Rechtswahl im internationalen Kunsthandel ausgeschlossen werden, die durch eine unbewusste Verbringung kultureller Wertgegenstände zur Veräußerung in eine Rechtsordnung entstehen, die praktisch keine Verbindung zu dem Sachverhalt aufweist.1895 „Le résultat auquel ladite règle nous mène est aléatoire: il dépend du droit matériel du pays où les faits déterminant le prétendu transfert le propriété ont eu lieu. Le sort d’une demande introduite par l’État d’origine du bien est lié au hasard des concrétisations successives du facteur de rattachement de la règle de conflit.“1896 Insbesondere
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1895
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So die Terminologie bei Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 11–13. So Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 11–13. Damit haftet der lex originis nicht die Zufälligkeit an, die der lex situs-Regel in Bezug auf bewegliche Sachen zum Vorwurf gemacht wird. Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 193–194; Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 409; Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 94–98. Ferrer-Correia, La vente internationale d’objets d’art, sous l’angle de la protection du patrimoine culturel, in: Annuaire de l’Institut de Droit International 64-I (1991), S. 90–192,
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
893
könnte durch die Wahl der lex originis als unwandelbares Anknüpfungsstatut aber auch die Manipulierbarkeit des anwendbaren Rechts mala fides durch die Verbringung der Sache in ein bestimmtes Land und unter Geltung einer Rechtsordnung ausgeschlossen werden, die auch an unrechtmäßig entzogenen Kulturgütern eine neue dingliche Sachzuordnung unter erleichterten Voraussetzungen bestimmt, als dies bspw. die Heimatrechtsordnung eines Kulturguts erlaubte.1897 „Wird stets an den Herkunftsstaat bzw. die origo des Kulturguts angeknüpft, ist es zwecklos, das Kulturgut in ein anderes Land zu verbringen, um eine vorteilhafte Rechtslage herbeizuführen.“1898 In der Perpetuierung des Belegenheitsorts der kulturellen Heimat wird nach einem unrechtmäßigen Entziehungsakt ein Statutenwechsel vermieden, sodass der Vorschlag im Ansatzpunkt den Vorteilen der Anknüpfung an den Diebstahlsort bzw. an den Ort des Abhandenkommens i.S.d. lex furti 1899 entspricht.1900 Die Sonderanknüpfung an die Rechtsordnung des Ursprungsstaates kultureller Güter führt in vielen, nicht aber notwendigerweise in allen Fällen zu demselben Ergebnis wie eine Sonderanknüpfung an die Rechtsordnung des Diebstahlsortes. Bei Anwendung der lex originis darf sich der Eigentümer nämlich zusätzlich – im Gegensatz zur Rechtswahl nach der lex furti – auf die Anwendung des Rechts des auf Dauer gedachten Belegenheitsorts der Heimat des Kulturguts auch dann verlassen, wenn das Kulturgut kurzzeitig aufgrund einer vorzunehmenden Restaurierung oder einer Ausstellung den Belegenheitsort wechselt.1901 Durch den nahezu vollständigen Ausschluss des forum shopping im
1897
1898
1899 1900
1901
S. 174. So auch Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 405–410. Vgl. Jayme, The Status of Cultural Property in German Private International Law, in: Jayme, German National Reports in Civil Law Matters for the XIVth Congress of Comparative Law in Athens 1994, 1994, S. 87 ff., S. 94; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 193–194. So Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 94–98. Vgl. auch: „Der Dieb oder Treubrecher kann nicht mehr bestimmen, welche Rechtsordnung auf einen Eigentumsübergang Anwendung finden soll, indem er die Sache zur Veräußerung in den Geltungsbereich dieser Rechtsordnung verbringt.“ Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217. Vgl. dazu auch Karrer, Der Fahrniserwerb kraft guten Glaubens im Internationalen Privatrecht, 1968, S. 504. Vgl. ausführlich hierzu 3, 548 ff. Vgl. so auch Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217. Vgl. dazu Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, 9. Aufl. 2004, § 3 IX, Ferid, Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1986, § 7 Rdnr. 52 ff.; von Bar, Theorie und Praxis des internationalen Privatrechts, Band 1, 2. Aufl. 1889, S. 401 ff.; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf
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kulturellen Schwarzmarkt, das durch die Verschiedenheit der Vorschriften zum Eigentum in den Rechtsordnungen der Welt möglich ist,1902 wird eine bewusste Manipulation der Rechtswahlgrundsätze vermieden und so eine merkliche Reduktion des illegalen Kunsthandels erreicht werden. Dieben, Kunstschmugglern, Raubgräbern, zwielichtigen Gestalten im Antikenhandel und deren Hehlern werden so die Absatzmöglichkeiten ‚heißer‘ Ware erschwert und unrechtmäßig entzogene Kulturgüter finden nur vereinzelt den Weg in einen legalen Kunstmarkt. 732
Der besondere Nutzen der Rechtswahl nach der lex originis liegt aber darin, dass besondere zum Schutz der jeweiligen Kulturgüter erlassene Rechtsvorschriften des kulturellen Ursprungsstaates insoweit Anwendung finden, wenn sie auf die dingliche Sachzuordnung der Objekte einwirken, unabhängig von der Qualifikation dieser Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze als Normen des öffentlichen Rechts.1903 Je nachdem, wie weit man den Verweis auf die Protektionsmechanismen des kulturellen Ursprungsstaates zieht, finden auch diese Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften vor einem ausländischen Zivilforum entgegen dem allgemeinen Grundsatz der Nichtanwendung ausländischen öffentlichen Rechts extraterritoriale Anwendung.1904 Während das moderne Verständnis einer Anknüpfung nach der lex originis sämtliche sachenrechtserheblichen Bestimmun-
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1904
Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217. Byrne-Sutton, Le trafic international des biens vulturels sous l’angle de leur revendication par l’Etat d’origine – Aspects de droit international privé, 1988, S. 104 f.; Carter, Transnational Trade in Works of Art: The Position in English Private International Law, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 317 ff., S. 328; Reichelt, International Protection of Cultural Property, Revue de droit uniforme/Uniform Law Review (UNIDROIT), Semestrielle – Biannual (1985-I), S. 42–153; Reichelt, International Protection of Cultural Property (Second Study) – La protection internationale des biens culturels (Deuxième étude), Uniform Law Review/Revue de droit uniforme, 1988 I, S. 52 ff. Vgl. hierzu auch Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 193–194. „Die Etablierung einer Sonderkollisionsnorm für Kulturgut, die in Abkehr von der herkömmlichen lex rei sitae die Anwendung des Rechts des Ursprungsstaates vorsieht, hätte zur Folge, dass neben den herkömmlichen sachrechtlichen Vorschriften über den Erwerb von Gegenständen sämtliche Kulturgutschutzgesetze mitsamt der einschlägigen Ausfuhrbestimmungen als Teil der berufenen Rechtsordnung Anwendung finden.“ Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 271–279. „Dies bedeutet … eine erzwingende Anwendung von ausländischem öffentlichen Recht.“ Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 127–139. Vgl. auch Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 405–410; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217.
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gen ausländischer Kulturgüterschutzvorschriften auch außerhalb des kulturellen Ursprungsstaates zur Anwendung bringen möchte, stehen dem teilweise Stimmen gegenüber, die einerseits lediglich den verkehrsfeindlichen Status eines Kulturguts (res extra commercium) nicht mehr dem Recht der jeweiligen Belegenheit unterstellen1905 und eine Unveräußerlichkeit, die aus dem Recht des Herkunftslandes herrührt, auch in der neuen lex rei sitae aufrechterhalten wollten,1906 oder die andererseits allein die Unveräußerlichkeit1907 bestimmter Kulturgüter oder Ausfuhrbeschränkungen1908 ausländischer Kulturgüterschutzgesetze im Recht einer neuen Belegenheit gesondert anknüpfen möchten.1909 „Die Entwicklung einer kollisionsrechtlichen Sonderregel, die für Kulturgut abweichend von der Situs-Regel die „lex originis“ zur Anwendung beruft, leuchtet als Lösungsweg, um zur internationalen Anerkennung kulturgutschützender Gesetze zu gelangen, unmittelbar ein: Indem der Erwerb von Kulturgut insgesamt der Rechtsordnung des Herkunftslandes unterstellt wird, gelangen auch dessen Kulturschutzgesetze einschließlich der einschlägigen Ausfuhrbestimmungen zur Anwendung („offene Verweisung“). Auf diese Weise wird ihre Geltung über die innerterritorialen Grenzen hinaus sozusagen perpetuiert. Denn auch wenn das Recht am neuen Belegenheitsort großzügige Regelungen zum Schutz der Besitzer und gutgläubigen Erwerber vorsieht, werden diese Bestimmungen von den anders gerichteten Normen des Herkunftslandes des Kulturguts überlagert.“1910
733
Die besondere Effektivität der lex originis-Regel zur Bewahrung und Erhaltung kultureller Wertgegenstände für ihren Ursprungsstaat wird insbesondere für solche Objekte ersichtlich, die in ihrem kulturellen Ursprungsstaat zu res extra commercium designiert wurden.
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So die traditionelle Sicht, vgl. nur Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 295. So im Ergebnis, jedenfalls soweit das neue Belegenheitsrecht ebenfalls res extra commercium kennt, Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 128. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 168; Siehr, Nationaler und Internationaler Kulturgüterschutz – Eingriffsnormen und der internationale Kunsthandel, in: Pfister/Will, Festschrift für Werner Lorenz zum siebzigsten Geburtstag, 1992, S. 525–542, S. 542; Schurig, Zwingendes Recht, „Eingriffsnormen“ und neues IPR, RabelsZ 54 (1990), S. 217–250, S. 240. von Schorlemer, Internationaler Kulturgüterschutz – Ansätze zur Prävention im Frieden sowie im bewaffneten Konflikt, 1992, S. 551; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 228 ff.; Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff., S. 3584. Dies betrifft einmal Verfallsregelungen bei illegaler Ausfuhr, zum andern Ausfuhr- und Veräußerungsverbote. Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 127–139. Vgl. zu dieser Aufarbeitung der Literatur auch Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 11. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 282.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
735
Bei Anwendung der herkömmlichen lex rei sitae musste nach der Veräußerung extrakommerzialer Kulturgüter außerhalb des kulturellen Ursprungsstaates (einem sog. qualifizierten Statutenwechsel) die Frage, ob die Extrakommerzialität auch außerhalb des kulturellen Ursprungsstaates und bspw. in Deutschland erfolgende Verfügungen erfasst, verneint werden.1911 Es gilt der Grundsatz, dass den Gutglaubensvorschriften der neuen lex rei sitae Anwendung verliehen und den Interessen des Kulturgüterverkehrs an Rechtssicherheit Rechnung getragen wird (innerhalb der deutschen Rechtsordnung sind bspw. Veräußerungsbeschränkungen aufgrund der Extrakommerzialität für Kulturgüter unbekannt und das BGB ist in § 137 S. 1 gerade bestrebt, keine res extra commercium entstehen zu lassen1912). Die bisherige Gerichtspraxis hat gezeigt, dass selbst in denjenigen Staaten, die für ihre eigenen Kulturgüter eine Extrakommerzialität anerkennen, keine Unveräußerlichkeit für ausländische Kulturgüter angenommen wurde, wenn die Objekte außerhalb des kulturellen Ursprungsstaates veräußert wurden.1913 Auch unveräußerliche Kulturgüter ausländischer Staaten konnten demnach bei Anwendung der tradierten lex rei sitae bei gutem Glauben und Redlichkeit des Erwerbers im internationalen Kunsthandel gutgläubig rechtsgeschäftlich erworben werden.
736
Die kollisionsrechtliche Anknüpfung an die lex originis würde im Gegensatz zur Rechtswahl nach dem Belegenheitsrecht dazu führen, dass nach der Rechtsordnung des kulturellen Ursprungsstaates extrakommerziale Kulturgüter diesen Status auch im Ausland nicht verlieren und weiterhin als nicht verkehrsfähig gelten. Die extraterritoriale Anwendung der Rechtsfolgen der Extrakommerzialität kultureller Wertgegenstände bedeutet damit, dass auch in der Konstellation eines qualifizierten Statutenwechsels und der Veräußerung unveräußerlicher Kulturgüter außerhalb des Territoriums des kulturellen Ursprungsstaates keine neue dingliche Sachzuordnung der unrechtmäßig entzogenen Kulturgüter erfolgt und die Objekte weiterhin unveräußerlich und unersitzbar sind und Restitutionsansprüche der ursprünglichen Eigentümer weder verjähren noch verwirken.1914 1911 1912
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Vgl. ausführlich hierzu 3, 72 ff. Vgl. Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff., S. 3584. Selbst wenn der Forumstaat die Unveräußerlichkeit bestimmter eigener Kulturgüter in etwa dem Maße und Inhalt des kulturellen Ursprungsstaates bestimmt, erkennen dieselben Gerichte keine Extrakommerzialität für ausländische Kulturgüter an. Die Unbeachtlichkeit ausländischer Verkehrsunfähigkeit kultureller Wertgegenstände wurde schon in der französischen Entscheidung Duc de Frias v. Baron Pichon aus dem Jahre 1886 (vgl. ausführlich hierzu 3, 72 ff.) bestimmt und der italienischen Entscheidung Stato francese c. Ministero per i beni culturali e ambientali e De Contessini (vgl. ausführlich hierzu 3, 72 ff.) knapp einhundert Jahre später wiederholt. Vgl. auch Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 83–85. Der Einwand der Verwirkung eines Rechts bzw. Anspruchs bleibt nach Rechtseinschätzung bei Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 202–203, aber auch bei der Vindikation einer res extra commercium möglich.
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„Einzige Voraussetzung ist, daß die Rechtsordnung des Staates, in dessen Eigentum das extrakommerzielle Kulturgut steht, auch als lex originis angesehen wird, was in den meisten Fällen zutreffen wird, jedenfalls wenn man für die Bestimmung der lex originis in erster Linie auf den Sitz des Kulturguts und seine Rezeption in diesem Land abstellt und weniger auf die ursprüngliche Herkunft. Eine kollisionsrechtliche Anknüpfung käme insofern einer internationalen Anerkennung der res extra commercium sehr entgegen.“ 1915 Die Bestimmungen des Rechts des Herkunftslandes werden über einen (auch qualifizierten) Statutenwechsel hinaus „verlängert“ und überlagern somit anderweitige, gegebenenfalls verkehrsfreundlichere Normen über die dingliche Sachzuordnung auch unrechtmäßig entzogener Kulturgüter (wie etwa den gutgläubigen rechtsgeschäftlichen Erwerb oder die originäre Eigentumsersitzung) am neuen Belegenheitsort.1916 Praktische Folge davon ist, dass dem Schutz und der Bewahrung von Kulturgut an seinem Heimatort gegenüber dem Verkehrsschutz bewusst der Vorrang 1917 eingeräumt wird.1918 Trotz dieser augenscheinlichen Vorteile einer Rechtswahl nach der Heimatrechtsordnung bezüglich unrechtmäßig entzogener Kulturgüter im Kulturgüterschutzund Kunstrestitutionsrecht steht die lex originis in starker Kritik. Zunächst wird hinsichtlich der praktischen Anwendung einer Rechtswahl nach dem Ursprung eines Kulturguts in Zweifel gezogen, ob mittels der genannten Kriterien überhaupt die ‚richtige‘ Heimatrechtsordnung und damit die kollisionsrechtlich sachnächste Rechtsordnung zur Entscheidung kultureller Restitutionsstreitigkeiten gefunden werden kann, vgl. hierzu unter Punkt b). In der kultur- und rechtspolitischen Dogmatik wird darüber hinausgehend gefragt, ob mittels der Rechtswahl nach der lex originis nicht der Tendenz einer Übersteigerung eines ‚kulturellen Nationalismus‘ Vorschub geleistet und dem international anerkannten Bedürfnis nach internationalem Kulturgüteraustausch zu wenig Beachtung eingeräumt wird. Schließlich bezweifeln Teile der Literatur aber auch die tatsächliche Effektivität einer Rechtswahl nach der Heimatrechtsordnung kultureller Wertgegenstände, da zum einen zwar eine Manipulation der Rechtswahl und eine Einflussnahme mala fides bei Anwendung der lex originis, nicht aber Zufallsergebnisse in der Rechtswahl ausgeschlossen seien, vgl. hierzu unter Punkt c), und zum 1915
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Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 202–203. Das räumt trotz Kritik an einer kollisionsrechtlichen Sonderbehandlung von Kulturgütern auch Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 313, ein. Stoll, Zur gesetzlichen Regelung des internationalen Sachenrechts in Artt. 43–46 EGBGB, IPRax 2000 (Heft 4), S. 259–270, S. 269; Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 271–279. Ferrer-Correia, La vente internationale d’objets d’art, sous l’angle de la protection du patrimoine culturel, in: Annuaire de l’Institut de Droit International 64-I (1991), S. 90–192, S. 112–113. Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 271–279.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
anderen keine Restitution unrechtmäßig entzogener Kulturgüter ohne materielle Rechtsposition des kulturellen Ursprungsstaates erfolgen könne, vgl. hierzu unter Punkt d).
b) 738
Weite Teile des Schrifttums zeigen gegenüber einer Anknüpfung an die lex originis in der Bestimmung der ‚richtigen‘ Sachenrechtsordnung im internationalen Kunsthandel große Skepsis, da – im Gegensatz zur lex rei sitae – unüberwindliche Schwierigkeiten bei der Feststellung der ‚Nationalität‘ im Sinne eines eigenen Lebensmittelpunktes des Kulturguts als Anknüpfungsmoment auftreten könnten, sodass sich eine Rechtswahl nach der lex originis zur Lösung des Zuordnungsproblems auf der kollisionsrechtlichen Ebene nicht empfehle.1919
(1) 739
Zweifel bei der Bestimmung der ‚richtigen‘ Heimatrechtsordnung
‚Heimat‘ kulturgüterschutzgesetzwidrig veräußerter Kulturgüter – Übersteigerung eines ‚kulturellen Nationalismus‘?
Zumindest innerhalb der Bestimmung einer ‚Heimat‘ kulturgüter- und denkmalschutzgesetzwidrig veräußerter Kulturgüter ergeben sich regelmäßig bei der Feststellung der ‚richtigen‘ Heimatrechtsordnung im internationalen Kunsthandel keine Probleme, wenn auf die ‚rechtliche‘ Verbundenheit eines Kulturguts mit ‚seinem‘ Ursprungsstaat mittels der sog. lex inexportabiles Rekurs genommen werden kann und allein auf die Rechtsordnung desjenigen Staates abgestellt wird, in dem sich das Kulturgut vor seiner kulturgüterschutzgesetzwidrigen Veräußerung befand.1920 Da die lex inexportabiles verlangt, dass Kulturgüter entgegen den Vorschriften der nationalen Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze 1921 und damit unrechtmäßig ins Ausland transferiert wurden, wird zugleich eine rechtliche Verbundenheit zwischen dem Kulturgut und derjenigen Rechtsordnung geschaffen, die sich um dessen Erhaltung und Bewahrung sorgt und es mittels dieser Schutzvorschriften dauerhaft innerhalb des eigenen Staatsterritoriums zu bewahren sucht. „Im Verstoß gegen ein Exportverbot liegt ein praktisch handhabbares und zugleich sachgerechtes Kriterium, um eine Anknüpfung der Rechte an Kulturgütern an das Recht des „Exportstaats“ zu begründen.“1922 1919
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Vgl. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 231; Stoll, Diskussionsbeitrag, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes – Symposium vom 22./23. Juni 1990 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 127; Strauch, Rechtsverhältnisse an Kulturgütern im Internationalen Sachenrecht, 2007, S. 104–107; Spaun, Der Herausgabeanspruch bei Diebstahl oder illegalem Export von Kulturgütern, 2003, S. 158–160. Vgl. ausführlich zur ‚rechtlichen‘ Verbundenheit eines Kulturguts zu ‚seinem‘ Ursprungsstaat, 3, 654 ff. Vgl. ausführlich hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 4: Nationales Kulturgüter- und Denkmalschutzrecht. Vgl. Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff., S. 3582–3583.
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Eine Präzisierung derjenigen Kulturgüter, deren Rechtswahl nach den Grundsätzen der lex originis zu erfolgen hat, wird somit durch eine Beschränkung des Anwendungsbereichs der Kollisionsregel auf solche Kulturgüter erreicht, die in ihrem Heimatland einem rechtlich vorbestimmten und für alle offenkundigen Identifikationsprozess in Form einer Klassifikation, Kategorisierung oder Registrierung der national schützenswerten Kulturgüter unterworfen worden sind.1923 Dieser Rechtsmethode folgt bspw. die Resolution La vente internationale d’objets d’art sous l’angle de la protection du patrimoine culture vom 3. September 1991 des Institut de Droit international:1924
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Um eine ungebührliche Einschränkung des internationalen Kunsthandels und zu weitreichende Beeinträchtigungen der Verkehrssicherheit zu verhindern und nur solche Kulturgüter auch nach einem Statutenwechsel ihrer Heimatrechtsordnung zu unterwerfen, die tatsächlich zum unersetzbaren Teil des nationalen Kulturpatrimoniums des kulturellen Ursprungsstaates zählen, wird in Art. 1 Abs. 1 a) zusätzlich zum Kriterium der engsten Verbindung noch gefordert, dass die Objekte von der Rechtsordnung, die sie als zu ihrem kulturellen Erbe gehörig ansieht, auch als solche registriert, klassifiziert oder mittels eines anderen international anerkannten Publizitätsaktes bestimmt worden sind.1925 „Kunstwerke“ i.S.d. Resolution sind dementsprechend nur solche Gegenstände, die durch die Offenkundbarmachung1926 zum kulturellen Erbe einer Nation erklärt worden sind,1927 nicht jedoch solche Objekte, die keinem Identifikationsprozess unterworfen sind.1928
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Dennoch hegen Teile des Schrifttums weiterhin Zweifel, da in einigen nationalen Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetzen ganze Kategorien von Gegenständen unter Schutz gestellt werden (Zuordnungsprobleme bei der Übersteigerung eines ‚kulturellen Nationalismus‘), unabhängig davon, ob diese tatsächlich zum un-
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Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 218–220. Vgl. ausführlich hierzu 3, 1303 ff. Vgl. Ferrer-Correia, La vente internationale d’objets d’art, sous l’angle de la protection du patrimoine culturel, in: Annuaire de l’Institut de Droit International 64-I (1991), S. 90–192, S. 96, S. 98; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 203–204. Lalive, Sur le régime des objets d’art volés en droit international privé, in: Matscher/SeidlHohenveldern/Karas-Waldheim, Europa im Aufbruch – Festschrift Fritz Schwind zum 80. Geburtstag, 1993, S. 51–69, S. 62: „II est vrai que l’audace de ces propositions est tempérée par la limitation de leur portée, la Resolution prétendant s’appliquer seulement à l’objet identifié comme appartenant au patrimoine culturel d’un pays par son classement, enregistrement ou tout autre procédé de publicité internationale admis en la matière“. Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 203–204. Vgl. Siehr, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Rechtsverkehr, in: Westphalen/Sandrock, Lebendiges Recht – Von den Sumerern bis zur Gegenwart – Festschrift für Reinhold Trinkner zum 65. Geburtstag, 1995, S. 703–722, S. 721.
900
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
ersetzlichen Teil des nationalen Kulturerbes zählen, sodass eine Ausuferung des Anwendungsbereichs der lex originis drohe.1929 743
In der Folge ginge damit eine einseitige Bevorzugung der Schutzinteressen der Herkunftsstaaten einher, die gleichzeitig eine Zunahme staatlichen Protektionismus fördere.1930 Das Problem, ob ein Gegenstand geschütztes Kulturgut ist, werde dann nur auf die Frage verlagert, ob er in die geschützte Kategorie falle. Der extraterritorialen Anwendung unangemessen weitreichender Kulturschutzregelungen könne dann nur durch den Rückgriff auf den kollisionsrechtlichen ordre public entgegengewirkt werden. Jedoch seien Anknüpfungsregeln, die häufig zur Anwendung der Vorbehaltsklausel führten, international-privatrechtlich untauglich.1931 Außerdem sei es problematisch, den Anwendungsbereich einer Kollisionsregel indirekt von der Gesetzgebung ausländischer Staaten abhängig zu machen, da dies zu einer Ungleichbehandlung führen könne, wenn ähnliche Gegenstände aus liberaleren Herkunftsstaaten, die dort keinem Identifikationsprozess unterworfen worden sind, nach der allgemeinen lex rei sitae-Regel beurteilt würden.1932
744
Diese Bedenken sind zunächst nicht von der Hand zu weisen.1933 So erklärte bspw. die mexikanische Ley Federal Sobre Monumentos Y Zonas Arqueologicos, Artisticos E Historicos vom 6. Mai 1972 als eines der weltweit restriktivsten Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze sämtliche auf seinem Territorium befindlichen präkolumbianischen Altertumsfunde zum unverkäuflichen Eigentum der mexikanischen Nation, unabhängig von deren kultureller, geschichtlicher, künstlerischer oder materieller Bedeutung.1934 Aber auch in zahlreichen anderen
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Vgl. bspw. hierzu auch die Überlegungen bei Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 218–220. Vgl. Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 253–264. Vgl. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 302; Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rdnr. 203; Spaun, Der Herausgabeanspruch bei Diebstahl oder illegalem Export von Kulturgütern, 2003, S. 158–160. Vgl. zu diesen Einwänden Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 218–220. Vgl. Strauch, Rechtsverhältnisse an Kulturgütern im Internationalen Sachenrecht, 2007, S. 104–107; Spinellis, Das Vertrags- und Sachenrecht des internationalen Kunsthandels – zugleich ein Beitrag zur Bedeutung der Eingriffsnormen im heutigen internationalen Rechtsverkehr, 2000, S. 381 f. Diese Bedenken sind bspw. nach Ansicht von Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 253–264, zum Teil berechtigt: „Denn die lex originis als Anknüpfungspunkt im internationalen Sachenrecht bietet den Staaten die Möglichkeit, sämtliches, auf ihrem Territorium befindliches Kulturgut zum nationalen, nicht veräußerlichen Kulturgut zu erklären, mit Exportverboten zu belegen und so unhandelbare Güter zu schaffen.“. Vgl. Jote, International Legal Protection of Cultural Heritage, 1994, S. 153 ff.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
901
nationalen (europäischen) Kulturgüter- und Denkmalschutzbestimmungen ist zur Unterschutzstellung nicht notwendig, dass die jeweiligen Kulturgüter einen spezifisch nationalen Bezug aufweisen müssen, um sie in ihren Geltungsbereich einzubeziehen und es genügt nach den Vorgaben des völkerrechtlichen Territorialitätsprinzips die örtliche Belegenheit im Geltungsbereich des jeweiligen Gesetzes.1935 Dies ist nicht nur im Bereich des illegalen Exports national bedeutsamer Kulturgüter der Fall, wie bspw. hinsichtlich der nach Ende des Zweiten Weltkriegs aus der sowjetischen Besatzungszone nach Russland verbrachten Beutekunst 1936 ersichtlich wird, die mittels des russischen Kulturgüterschutzgesetzes vom 15. April 1998 zu russischem Eigentum erklärt wurde.1937 Aber auch innerhalb der deutschen Rechtsordnung wird ersichtlich, dass zur Qualifikation eines Kulturguts als „national wertvoll“ i.S.d. Gesetzes zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung vom 6. August 1955 keine besondere Dauer der Belegenheit kultureller Güter innerhalb der Bundesrepublik vonnöten ist: So erwägt bspw. die deutsche Kultusministerkonferenz in ihrem Kriterienkatalog zum Vollzug des Kulturgüterschutzgesetzes vom 6. August 1955, dass „auch Kulturgut [erfasst wird], das nicht aus Deutschland stammt. Auch Kunstwerke, die erst kürzlich aus dem Ausland eingeführt wurden, sind nicht anders zu beurteilen als solche, die sich schon längere Zeit im Geltungsbereich des Gesetzes befinden.“1938 Auch nach Ansicht des VGH Mannheims ist „für die Zugehörigkeit zum deutschen Kulturbesitz“ nicht erforderlich, „dass das Kulturgut in Deutschland entstanden und somit ein wichtiges Zeugnis gerade der deutschen Kultur ist. Vielmehr werden alle Kulturgüter erfasst, die sich nicht nur vorübergehend im Geltungsbereich des Gesetzes befinden. … Maßgeblich ist die Belegenheit des Kulturbesitzes in der Bundesrepublik Deutschland, gleichgültig, ob er deutscher oder ausländischer Herkunft ist und ob er sich schon lange oder erst kurze Zeit im Geltungsbereich des Gesetzes befindet.“1939 Aus diesen Beispielen wird ersichtlich, dass „es die einzelnen Staaten in der Hand“ haben, „durch umfassende Eigentumszuweisung an Funden und Verfallsregelungen bei Privateigentum zugunsten des Staates, kombiniert mit anschließender Unveräußerlichkeit für sämtliches auf dem Territorium befindliches Staatseigentum, einen großen Kreis 1935
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Vgl. zu diesem Problem, dass das Kulturgut allein durch sein Verbringen in eine Rechtsordnung den dortigen Schutzgesetzen unterfallen kann, Mußgnug, Die Staatsangehörigkeit des Kulturguts, in: Bröhmer u.a., Internationale Gemeinschaft und Menschenrechte, Festschrift Ress, S. 1531 ff., 1534. Vgl. auch Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 253–264. Vgl. ausführlich hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 1: Illegaler Kulturgüterverkehr, 4. Teil, Rdnr. 91 ff. Zum Ganzen auch Stumpf, Kulturgüterschutz im internationalen Recht unter besonderer Berücksichtigung der deutsch-russischen Beziehungen, 2003, S. 129 ff. GMBl. 1983 Nr. 27, S. 442. Darauf verweist auch Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 253–264. Vgl. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof München, Urteil des 7. Senats vom 04.12.1991, Az.: 7 B 89.349, NJW 1992, S. 2584–2586, S. 2586.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
von Objekten dem privaten Verkehr zu entziehen. Insbesondere durch weitreichende Verfallsregelungen bei illegalem Export würde so auch übertriebenen Exportverboten über den Umweg des hoheitlichen Eigentums als Grundlage für die Rückforderung zur Geltung verholfen.“ 1940 746
Um einem ungerechtfertigten kulturellen Nationalismus innerhalb des Internationalen Kulturgüterprivatrechts keinen Vorschub zu leisten und ihn mit dem Gedanken eines weltweit freien Austauschs kultureller Wertgegenstände i.S.d. Prinzips eines kulturellen Internationalismus in Einklang zu bringen, wird richtigerweise die extraterritoriale Anwendung nationaler Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze davon abhängig zu machen sein, ob ein illegal ausgeführtes Kulturgut dem rückfordernden Staat auch international verträglich zugeordnet werden kann. Ziel der Anknüpfung an die lex originis ist bei illegal exportierten Kulturgütern in erster Linie nicht der Schutz privaten Eigentums an Kulturgütern, sondern der Schutz des Interesses des kulturellen Ursprungsstaates am Erhalt seiner national besonders bedeutsamen Kulturgüter innerhalb seines Territoriums für zukünftige Generationen.
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Das aber setzt voraus, dass das Kulturgut einem Staat zurechenbar ist.1941 Voraussetzung für eine solche Zurechnung und dementsprechend auch für die Anwendung der lex originis bei unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern ist somit kumulativ eine rechtliche und kulturelle Verbundenheit des Objektes mit seinem Ursprungsstaat. Dies ist nach richtigem Verständnis nicht schon bei einer ‚rechtlichen‘ Verbundenheit eines Kulturguts mit ‚seinem‘ Ursprungsstaat, sondern erst dann der Fall, wenn über den Ort der kultischen Verehrung bei Sakralgegenständen, über die Nationalität des Künstlers, wenn der Schöpfer des Kunstwerks für die Identität der Nation eine besondere Rolle spielt, über den Entstehungs- sowie Bestimmungsort des Kulturguts bzw. den sog. Sitz kultureller Wertgegenstände, über eine Rezeption eines Kunstwerkes in einem bestimmten Staat, über den Fundort bei archäologischen Gegenständen bzw. schließlich über einen geschichtlichen Zusammenhang zusätzlich eine ‚kulturelle‘ Verbundenheit des Kulturguts mit ‚seinem‘ rechtlich verbundenen Ursprungsstaat besteht. Das entsprechende Objekt muss somit zusätzlich zur rechtlichen Verbundenheit eine signifikante Nähebeziehung zu einer bestimmten Nation aufweisen und damit für den kulturellen Ursprungsstaat zudem von besonderer kultureller Bedeutung sein.1942
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Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 253–264. Vgl. Spaun, Der Herausgabeanspruch bei Diebstahl oder illegalem Export von Kulturgütern, 2003, S. 158–159. Vgl. Jayme, Kunstwerk und Nation: Zuordnungsprobleme im internationalen Kulturgüterschutz, 1991, S. 7 ff., S. 17, spricht insoweit von einer Doppelfunktion; so auch Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 151.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts „Geht die interne Zuordnung in den einzelstaatlichen Schutzgesetzen, welche die Verkehrsfähigkeit von Kulturgut ausschließen oder beschränken, über das hinaus, was als anerkennungsfähig erachtet wird, so wird man folgern können, dass in diesen Fällen keine Schutzinteressen des Herkunftslandes betroffen sind, die gegenüber den Verkehrsinteressen des Forumstaates vorrangige Beachtung verdienen. Nur dann, wenn ein signifikantes Näheverhältnis des Kulturguts zu der es schützenden nationalen Rechtsordnung besteht und es eine besondere Bedeutung für die kulturelle Identität der betreffenden Nation aufweist, sollten sich die von der Kulturgutschutzgesetzgebung der lex originis angeordneten Rechtsfolgen auch bei einem gutgläubigen Weitererwerb außerhalb des Herkunftsstaates durchsetzen. Das Kulturgut muss mithin schutzwürdig sein. Auf diese Weise würden übertriebene Handelsrestriktionen unbeachtet bleiben.“1943
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Heimat ‚gestohlener‘, aber nichtkulturgüterschutzgesetzwidrig veräußerter Kulturgüter – Zuordnungsprobleme
Außerhalb des Bereichs kulturgüterschutzgesetzwidriger internationaler Veräußerungen lehnt ein beachtlicher Teil des Schrifttums bei der Bestimmung der für die dingliche Sachzuordnung gestohlener Kulturgüter zuständigen materiellen Sachregeln jedoch einen Rekurs auf die lex originis ab, da die Gefahr bestehe, dass mit der Anknüpfung an das Recht des Herkunftslandes ein Recht zur Anwendung gelange, welches hieran letztlich gar kein Interesse habe.1944 Es herrscht die Befürchtung vor, dass die lex originis bei der Berufung der kulturellen Heimatrechtsordnung zur Anwendung eines sachfernen Rechts führe, da die Bestimmung einer kulturellen Verbindung zwischen Kulturgut und Ursprungsstaat „ein schwieriges und nicht immer eindeutig zu lösendes Unterfangen“ 1945 darstelle. Die eigentliche Schwierigkeit einer Sonderkollisionsregel für Kulturgüter liege daher in der Ermittlung der lex originis.1946 1943
903
So Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 253–264, die diesbezüglich Forderung der völkerrechtsspezifischen Literatur umsetzend: Wyss, Kultur als eine Dimension der Völkerrechtsordnung – Vom Kulturgüterschutz zur internationalen kulturellen Kooperation, 1992, S. 149; Abele, Ist das Verhältnis von Kulturgüterschutz und Eigentum ein Finanzierungsproblem? Daneben auch ein Beitrag zum Begriff des Kulturgüterschutzes, in: Fechner/Oppermann/Prott, Prinzipien des Kulturgüterschutzes – Ansätze im deutschen, europäischen und internationalen Recht, 1996, S. 67–90, S. 82; Siehr, Nationaler und Internationaler Kulturgüterschutz – Eingriffsnormen und der internationale Kunsthandel, in: Pfister/Will, Festschrift für Werner Lorenz zum siebzigsten Geburtstag, 1992, S. 525–542, S. 542; Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 133 ff.; Seidl-Hohenveldern, Ausfuhr und Rückführung von Kulturgütern, in: Haller/Kölz/Müller/Thürer, „Im Dienst an der Gemeinschaft“ Festschrift für Dietrich Schindler zum 65. Geburtstag, 1995, S 137–145, S. 139 ff. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 230; Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 248–250. So die Terminologie bei Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 231–232. Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, nach
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
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Da das Heimatrecht eines Kunstwerkes nicht abstrakt feststellbar ist und nur über den Ort der kultischen Verehrung, über die Nationalität des Künstlers, über den Entstehungs- sowie Bestimmungsort bzw. den Sitz kultureller Wertgegenstände, über eine Rezeption eines Kunstwerkes in einem bestimmten Staat, über den Fundort bei archäologischen Gegenständen und schließlich über einen geschichtlichen Zusammenhang und damit aus einer Vielzahl von Kriterien herausgelesen werden müsse, die im Einzelfall ganz unterschiedliche Bedeutungen haben können1947 und deren Verständnis „von unklaren und auslegungsbedürftigen Begriffen abhängig gemacht werde“1948 erwachse aus der Anwendung dieser unterschiedlichen Kriterien zur Bestimmung einer kulturellen Verbindung eines Kulturguts zu ‚seinem‘ Ursprungsstaat eine „große Unsicherheit“, die eine Anknüpfung an die lex originis bei gestohlenen, jedoch nichtkulturgüterschutzgesetzwidrig transferierten Kulturgütern erheblich erschwere. Deren Kriterien zur Bestimmung einer ‚kulturellen‘ Verbundenheit eines Kulturguts mit ‚seinem‘ Ursprungsstaat sind nach dieser Ansicht noch so ungenau, dass eine praktische Anwendung durch den Richter bisher ausscheiden müsse.1949 Vor diesem Hintergrund stellt bspw. auch Müller-Katzenburg fest, dass eine alternative Anknüpfungsmaxime, die die Heimatrechtsordnung aufgrund kultureller Kriterien zum maßgeblichen Sachstatut erklärt, „die Nachteile dieser Unbestimmtheit in Kauf nehmen“ müsse.1950
751
Kulturelle Zuordnungsprobleme bestehen insbesondere bei kulturellen Verbindungen eines Objekts zu mehreren Ursprungsrechtsordnungen. Teile des Schrifttums fragen deshalb, welche Rechtsordnung eine kulturelle Verbindung zu einem Kunstwerk aufweist, wenn im Streitfall mehrere Rechtsordnungen angewendet
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Art. 38 EGBGB Anh. I Rdnr. 204 f.; Lhuilier, Les œuvres d’art, res sacrae? R. R. J. 1998, S. 513 ff., S. 549; Hanisch, Der Fall des Liotard und die nationale Zuordnung eines Kunstwerks, in: Frank, Recht und Kunst – Symposium aus Anlaß des 80. Geburtstags von Wolfram Müller-Freienfels, 1996, S. 19–36, S. 34; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 218–220. Vgl. auch Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 231; Vrellis, UNIDROIT-Konvention 1995 über gestohlene oder unerlaubt ausgeführte Kulturgüter: Bedeutung der lex originis, in: Reichelt, Neues Recht zum Schutz von Kulturgut. Internationaler Kulturgüterschutz. EG-Richtlinie, UNIDROIT-Konvention und Folgerecht, 1997, S. S. 69–93, S. 71; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 202. Spaun, Der Herausgabeanspruch bei Diebstahl oder illegalem Export von Kulturgütern, 2003, S. 158–160; Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 295; Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rdnr. 203. Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 119. Vgl. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 231–232.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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werden wollen1951 und die vorgeschlagenen Kriterien zur Bestimmung der lex originis zueinander in Konkurrenz treten.1952 Dann entsteht das bei Carducci beschriebene Problem der Zuordnung, der Bestimmung des Ursprungslandes:1953 „La question de l’appartenance culturelle d’un bien à un certain pays constitue une question complexe…. Les critères envisageables sont nombreux. Que l’on songe notamment à la nationalité de l’auteur, au lieu de création de l’oeuvre, ou à celui de sa situation dans les siècles, les décennies, voire les années, écoulées depuis sa création etc. Si les critères sont multiples, chacun d’entre eux n’appréhende qu’un aspect de l’ensemble des composantes qui donnent à l’object une signification culturelle.“1954
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Da die lex originis in diesen Fällen zu keinem eindeutigen Anknüpfungspunkt führe1955 und sich mit den kulturellen Verbindungskriterien regelmäßig mehrere Bezüge herstellen ließen1956, sei mit großer „Rechtsunsicherheit“1957 zu rechnen und die Rechtswahl nach der Heimatrechtsordnung sei „außerordentlich unpraktikabel“ 1958 und „extrèmement difficile“:1959 „Liegen mehrere mögliche kulturelle Beziehungen vor, so muß auf die engste abgestellt werden. Es erfolgt also eine
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Vgl. Byrne-Sutton, Le trafic international des biens vulturels sous l’angle de leur revendication par l’Etat d’origine – Aspects de droit international privé, 1988, S. 160; Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 127–139. Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 118; Strauch, Rechtsverhältnisse an Kulturgütern im Internationalen Sachenrecht, 2007, S. 104–107; Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCOKulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 284–286; Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 253–264; Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 127–139. Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 127–139. Carducci, La restitution internationale des biens culturels et des objets d’art, 1997, S. 300 und S. 303. So Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 248–250. Spinellis, Das Vertrags- und Sachenrecht des internationalen Kunsthandels – zugleich ein Beitrag zur Bedeutung der Eingriffsnormen im heutigen internationalen Rechtsverkehr, 2000, S. 379 ff.; Kreuzer, La propriété mobilière en droit international priveé, Recueil des Cours, Collected Courses of the Hagur Academy of International Law, Volume 259 (1996) S. 9 ff., S. 205 ff.; Berndt, Internationaler Kulturgüterschutz: Abwanderungsschutz, Regelungen im innerstaatlichen Recht, im Europa- und Völkerrecht, 1998, S. 123; Jaeger, Internationaler Kulturgüterschutz – Rechtslage, Rechtspraxis, Rechtsfortentwicklung, 1994, S. 67; Spaun, Der Herausgabeanspruch bei Diebstahl oder illegalem Export von Kulturgütern, 2003, S. 159. Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff., S. 3582. Hanisch, Der Fall des Liotard und die nationale Zuordnung eines Kunstwerks, in: Frank, Recht und Kunst – Symposium aus Anlaß des 80. Geburtstags von Wolfram MüllerFreienfels, 1996, S. 19–36, S. 24. Kreuzer, La propriété mobilière en droit international priveé, Recueil des Cours, Collected Courses of the Hagur Academy of International Law, Volume 259 (1996) S. 9 ff., S. 204.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Abwägung der Intensität der kulturellen Beziehung. Dabei suchen die Autoren verzweifelt nach einer Gewichtung der verschiedenen Kriterien für eine Beziehung. Die Frage hat einer dogmatischen Aufarbeitung bislang widerstanden und ihre Beantwortung wird nicht selten als aussichtslos angesehen.“1960 Selbst Jayme, der vehementeste Fürsprecher einer lex originis innerhalb des deutschen Schrifttums, räumt ein, dass die Feststellung der „Nationalität“ von Kulturgütern höchst „problematisch“ sein könne und weist damit selbst auf eine gravierende Schwäche seines Ansatzes hin.1961 754
So ist bspw. Weidner der Ansicht, dass insbesondere „das Verhältnis zwischen den Kriterien, die auf eine inhaltliche Beziehung zwischen dem Land und dem Kulturgut abstellen und dem Kriterium des legalen Aufbewahrungsortes (sogenannter Sitz) problematisch“ sei: „Wenn es für einen Statutenwechsel darauf ankommen soll, ob ein Kulturgut rechtmäßig in einen anderen Staat veräußert oder verbracht worden ist, ist die Entscheidung, zu welchem Staat eine inhaltliche kulturelle Verbindung besteht, für die Frage nach der anwendbaren Rechtsordnung im Grunde ohne Belang.“1962 Zudem kann sich nach den Untersuchungen Schaffraths das Problem stellen, dass auf den ersten Blick manche Gegenstände von den aufgestellten Kriterien gar nicht erfasst würden, „so z.B. Kultgegenstände eines bereits ausgestorbenen Kults oder religiöse Gegenstände, die zwar für den Glauben eine wichtige Bedeutung entfalten, aber dennoch die Religionsausübung nicht unmöglich machen.“1963 Kreuzer ist innerhalb der Rechtswahl nach der kulturellen Verbundenheit eines Kulturguts mit ‚seinem‘ Ursprungsstaat bspw. nicht nur die Zuordnung von Van Gogh-Gemälden unklar, die in Aix-en-Provence entstanden sind, sondern auch von Gemälden Picassos.1964 Außerdem sei völlig offen, wie ein ursprüngliches griechisches Kulturgut, das aus der Türkei illegal exportiert wurde, zu behandeln sei und ob ein ur-
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Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 127–139. Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff., S. 38; darauf verweisend auch Spaun, Der Herausgabeanspruch bei Diebstahl oder illegalem Export von Kulturgütern, 2003, S. 158–159. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 202. Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 253–264, unter Rekurs auf Spinellis, Das Vertrags- und Sachenrecht des internationalen Kunsthandels – zugleich ein Beitrag zur Bedeutung der Eingriffsnormen im heutigen internationalen Rechtsverkehr, 2000, S. 379; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 115. Kreuzer, La propriété mobilière en droit international priveé, Recueil des Cours, Collected Courses of the Hagur Academy of International Law, Volume 259 (1996) S. 9 ff., S. 205.
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sprünglich römisches Kulturgut, welches aus dem heutigen Tunesien stamme, an Tunesien oder gar Italien herauszugeben sei.1965 Kritiker einer Rechtswahl nach der kulturellen Verbundenheit eines Kulturguts mit ‚seinem‘ Ursprungsstaat möchten die Zweifel bei der Bestimmung der ‚richtigen‘ Heimatrechtsordnung insbesondere anhand der englischen Gerichtsentscheidung Winkworth v. Christie’s, Manson & Woods aus dem Jahre 1980 1966 nachweisen,1967 in der der italienische Marchese Dott. Paolo dal Pozzo D’Annone im Jahre 1977 eine Sammlung japanischer Holzschnitte bei Christie, Manson & Woods Ltd. in London verkaufen wollte.1968 Die Kunstwerke waren einige Jahre zuvor aus der Sammlung von William Wilberfore Winkworth in England gestohlen, anschließend nach Italien verbracht und dort an den gutgläubigen italienischen Marchese veräußert worden. Der Käufer brachte die Kunstwerke in der Folge wieder zurück nach England, um sie zu seinen Gunsten durch das Auktionshaus Christie, Manson & Woods Ltd. versteigern zu lassen. Als der ursprüngliche Eigentümer Winkworth erfuhr, dass seine Holzschnitte bei Christie’s zum Verkauf angeboten wurden, versuchte er mittels einer einstweiligen Verfügung im vorläufigen Rechtsschutz diesen Verkauf gerichtlich zu verhindern. Müller-Katzenburg erwägt hier, den Erwerb der japanischen Kunstwerke, die dem Kunstsammler Winkworth aus seinem Haus in England gestohlen worden waren,
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Vgl. Kreuzer, La propriété mobilière en droit international priveé, Recueil des Cours, Collected Courses of the Hagur Academy of International Law, Volume 259 (1996) S. 9 ff., S. 206. Vgl. auch Rudolf, Über den internationalen Schutz von Kulturgütern, Hailbronner/ Ress/Stein, Staat und Völkerrechtsordnung – Festschrift für Karl Doehring, 1989, S. 853– 871, S. 869; Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 253–264 zu Problemen der Feststellung des Ursprungsstaates. Winkworth v. Christie Manson & Woods Ltd., (1980) 1 All ER 1121, (1980) 2 WLR 937. Vgl. ausführlich hierzu schon 3, 9 ff. u. 46 ff. Zur hypothetischen Anwendbarkeit der lex originis auf diese Konstellation vgl. Kreuzer, La propriété mobilière en droit international priveé, Recueil des Cours, Collected Courses of the Hagur Academy of International Law, Volume 259 (1996) S. 9 ff., S. 205; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 230–232; Seidl-Hohenveldern in Ferrer-Correia, La vente internationale d’objets d’art, sous l’angle de la protection du patrimoine culturel, in: Annuaire de l’Institut de Droit International 64-I (1991), S. 134, 135; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217; Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 253–264; Strauch, Rechtsverhältnisse an Kulturgütern im Internationalen Sachenrecht, 2007, S. 104–107; Spinellis, Das Vertrags- und Sachenrecht des internationalen Kunsthandels – zugleich ein Beitrag zur Bedeutung der Eingriffsnormen im heutigen internationalen Rechtsverkehr, 2000, S. 379 und S. 382; Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 248–250; Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROITÜbereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 94–98.
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908
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
unter Umständen nach japanischem Recht zu beurteilen.1969 „Und falls sich unter den „japanischen“ Kunstwerken zufällig ein Objekt mit besonders enger Verbindung zur chinesischen oder koreanischen Kultur befand, so wäre insofern die Anwendung chinesischen oder koreanischen Sachenrechts in Betracht zu ziehen gewesen. Das Beispiel zeigt, dass die Anknüpfung an das Herkunftsland ebenfalls zu mehr oder weniger zufälligen Ergebnissen führen kann und außerdem dazu, daß gegebenenfalls ein Recht zur Anwendung gelangt, das hieran gar kein Interesse hat.“1970 756
Die Befürchtung der Anwendung sachfernen Rechts bei der Bestimmung der kulturellen Heimatrechtsordnung besteht jedoch nicht innerhalb der Resolution La vente internationale d’objets d’art sous l’angle de la protection du patrimoine culture vom 3. September 1991 des Institut de Droit International, da diese nur auf solche Kulturgüter anwendbar ist, die das Herkunftsland als Bestandteil seines Kulturerbes registriert oder auf andere Weise als solche dokumentiert hat. Voraussetzung für die lex originis ist dort also stets, dass das betreffende Kulturgut kulturgüterschutzgesetzwidrig transferiert und bspw. illegal exportiert wurde. Nur in diesen Fällen habe das Herkunftsland durch seine spezielle Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetzgebung sein Interesse bekundet, das rechtliche Schicksal der gesetzlich erfassten Kulturgüter mitzubestimmen.1971 In der Rechtssache Winkworth v. Christie, Manson & Woods Ltd. wäre daher auch nach der vom Institut de Droit International befürworteten Kollisionsregel nur dann ein anderes als das italienische Sachenrecht zur Anwendung gelangt, wenn ein Ursprungsstaat die gestohlenen Kunstwerke als Teil seines Kulturerbes registriert und ihre Ausfuhr reglementiert hätte 1972 – da in der vorliegenden Konstellation keiner der potenziellen Ursprungsorte eine nationale Unterschutzstellung der japanischen Holzschnitte vorgenommen hatte, hätte es bei der lex rei sitae bleiben müssen.
757
Vor dem Hintergrund dieser praktischen Zuordnungsprobleme gestohlener Kulturgüter bei Verbindungen zu mehreren Ursprungsrechtsordnungen und der Modelllösung des Institut de Droit International sei eine Anknüpfung an die Rechtsordnung des kulturellen Ursprungsstaates vor den Bedürfnissen des Kunsthandels, der Rechtssicherheit und Verkehrsfähigkeit kultureller Güter allenfalls dann sachgerecht und zu rechtfertigen, wenn zwischen dem Kulturgut und dem Herkunftsstaat nicht nur eine kulturelle, sondern zusätzlich auch eine
1969
1970 1971 1972
Insofern ausdrücklich gegen eine Zuordnung der japanischen Kunstwerke zu England auch Seidl-Hohenveldern in Ferrer-Correia, La vente internationale d’objets d’art, sous l’angle de la protection du patrimoine culturel, in: Annuaire de l’Institut de Droit International 64-I (1991), S. 134, 135. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 230–232. Vgl. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 230–232. Vgl. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 230–232.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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rechtliche Verbindung bestehe, es damit auch in der Sache um die Zuordnung eines Kulturguts zu ‚seiner‘ Rechts- und Kulturgemeinschaft gehe, mithin, dass betreffende Kulturgüter entgegen nationalen Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetzen in ein anderes Land verbracht werden, die der Erhaltung und Bewahrung nationalen Erbes dienen, nicht aber im Rahmen des bloßen Diebstahls.1973 „Die Theorie von der Nationalität der Objekte aufgrund ihrer kulturellen Beziehung … vermag nicht zu überzeugen. Sie versucht, eine Art Staatsangehörigkeit der Objekte zu begründen, indem sie über die territoriale Belegenheit oder die Person der Künstlers oder Eigentümers eine Beziehung zu einem Staat herstellt. Dies ist jedoch für die Begründung eines Restitutionsrechts einerseits nicht ausreichend, denn gefordert wird die Herkunft aus dem Territorium, die ,,provenance physique“.“1974 Danach soll also die lex originis-Regel nur im Rahmen illegal exportierter Kulturgüter Anwendung finden, nicht jedoch im Rahmen des bloßen Diebstahls kultureller Wertgegenstände. Die Rechtswahl nach der lex originis „sollte nur dann unternommen werden, wenn es auch in der Sache um die Zuordnung von Kulturgut zu einer bestimmten Rechts- und Kulturgemeinschaft geht, also um deren Interesse an der Bewahrung ihres Kulturerbes. Nur in den Fällen, in denen die Rechtslage von Kulturgütern zu beurteilen ist, die unter Verstoß gegen Gesetze ins Ausland gebracht worden sind, die der Bewahrung nationalen Kulturguts dienen, kann das erkennbare Interesse des Herkunftslandes an den betroffenen Kulturgütern eine kollisionsrechtliche Sonderregel zugunsten der „lex originis“ rechtfertigen.“1975 Dies hätte jedoch zur Folge, dass für gestohlene, aber nichtkulturgüterschutzgesetzwidrig veräußerte Kulturgüter weiterhin die lex rei sitae Anwendung finden müsste, sodass nicht nur zufällige, sondern insbesondere auch mala fides herbeigeführte Statutenwechsel eine Manipulation des Rechtswahlprozesses erlauben würden – eine Situation, die zur dringenden Forderung der Modifikation des Rechtswahlprozesses im internationalen Kulturgüterverkehr führte.1976 Zur Bekämpfung des illegalen Kunsthandels hält deshalb die Gegenansicht, insbesondere vertreten durch Jayme 1977, die Entwicklung „international verträglicher“ und rechtlich rezipierbarer Zuordnungskriterien und Lösungsschemata für komplizierte Zuordnungsfälle durchaus für möglich.1978 Teilweise werden die einzelnen 1973
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Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 248–250, unter Rekurs auf Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 231 f. Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 127–139. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 231–232. Vgl. hierzu ausführlich 3, 392 ff. u. 401 ff. Jayme, Die Nationalität des Kunstwerks als Rechtsfrage, in: Reichelt, Internationaler Kulturgüterschutz – Wiener Symposium 18./19. Oktober 1990, 1992, S. 7–30, S. 8 und 27. Carducci hält eine eindeutige Zugehörigkeit eines Kulturguts zu einem bestimmten Ort, Land bzw. einer Nation nur in seltenen Fällen für möglich und zieht die Konsequenz, nur
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Kriterien der kulturellen Verbundenheit eines Kulturguts mit ‚seinem‘ Ursprungsstaat im Sinne einer „Anknüpfungsleiter“1979 verstanden, die einer inneren Gewichtung der einzelnen Kriterien folgt – Spinellis stellt bspw. die Privatinteressen verfolgenden Kriterien an den Beginn der Anknüpfungsleiter (1.: bestimmungsgemäßer Sitz des Kunstwerks, 2.: Nationalität des Kunstwerks) und verortet nachrangig die den staatlichen Interessen dienenden Kriterien (3.: Fundort archäologischer Gegenstände, 4.: Bedeutung für eine religiöse Gemeinschaft). Richtigerweise werden sämtliche Kriterien jedoch prinzipiell gleichrangige Indizien bei der Bestimmung des kulturellen „Heimatstaates“ eines Kulturguts darstellen, ohne dass diese eine Rangfolge besitzen oder allesamt gleichzeitig auf eine Rechtsordnung verweisen müssten.1980 Es geht nicht darum, die verschiedenen Gesichtspunkte in eine Rangfolge ihrer Bedeutung zu bringen, sondern nur, alle potenziell möglichen Beziehungen zu einem Land zu beachten. So werden bspw. bei der Bestimmung der kulturellen Verbundenheit eines Kulturguts mit ‚seinem‘ Ursprungsstaat zahlreiche Konstellationen ersichtlich werden, in denen bspw. die Nationalität des Künstlers oder der Entstehungsort in keine Beziehung zu dem Kunstwerk gesetzt werden können oder die Bestimmungskriterien auf verschiedene Länder verweisen.1981 Bei Anwendung der lex originis im internationalen Kunsthandel wird es auf diese Weise regelmäßig eine lösbare Aufgabe des Rechtsanwenders sein, die rechtlich entscheidenden kulturellen Kriterien zu extrahieren. 759
Rechtsmethodisch ist die kulturelle Verbundenheit mittels einer Adskription eines Kulturguts zu ‚seinem‘ Ursprungsstaat nach einer „Gesamtbetrachtung aller
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solche bestimmte Kulturgüter einer besonderen Kollisionsregel zu unterwerfen und im Sachenrecht an die lex originis anzuknüpfen, während alle anderen Kulturgüter den Normen der lex rei sitae unterliegen sollen. Carducci, La restitution internationale des biens culturels et des objets d’art, 1997, S. 170: „ … l’acquisition a non domino des objets d’art (lato sensu) peut être soumise à la loi du lieu d’acquisition, pour les raisons évoquées, et celle des véritables biens culturels (stricto sensu) soumise directement à la loi de l’État d’origine (lex originis).“ Dies ist aber abzulehnen und würde zu großen Abgrenzungsproblemen führen. So auch Kreuzer, Buchbesprechung Carducci, La restitution internationale des biens culturels et des objets d’art volés ou illicitement exportés, RabelsZ 64 (2000) S. 164 ff., S. 169. „Letztlich liefe eine so formulierte Kollisionsregel auf eine Sonderanknüpfung im Bereich des Handels mit Kulturgütern hinaus, weil eine Abweichung von der lex rei sitae zugunsten einer anderen Rechtsordnung vom konkreten Einzelfall abhängig gemacht würde. Explizite Kollisionsnormen müssen aber klar formuliert werden und dürfen nicht selbst noch auslegungsbedürftig sein.“ Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 218–220. So Spinellis, Das Vertrags- und Sachenrecht des internationalen Kunsthandels – zugleich ein Beitrag zur Bedeutung der Eingriffsnormen im heutigen internationalen Rechtsverkehr, 2000, S. 382; Strauch, Rechtsverhältnisse an Kulturgütern im Internationalen Sachenrecht, 2007, S. 104–107. So auch Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 202. Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 202.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
911
Umstände“1982 zu erreichen,1983 und damit letztlich das Recht desjenigen Landes anzuwenden, zu welchem das Kulturgut nach einer Abwägung aller kulturellen Verbindungslinien die engste Beziehung aufweist.1984 Die Lösung liegt somit darin, „durch eine Abwägung der verschiedenen Kriterien zur Bestimmung des Landes mit der engsten Beziehung zum Objekt zu gelangen“1985 und dazu im Wege einer Einzelbetrachtung eine Art „grouping of contacts“ 1986 vorzunehmen.1987 Auch Schaffrath ist innerhalb der Bestimmung der Heimat ‚gestohlener‘, aber nichtkulturgüterschutzgesetzwidrig veräußerter Kulturgüter der Ansicht, dass nach dieser Methode keine Zuordnungsprobleme bei Verbindungen zu mehreren Ursprungsrechtsordnungen entstehen: „Zumeist kann man … diese Fälle lösen, indem man die verschiedenen Anknüpfungspunkte nicht absolut sieht, sondern miteinander verknüpft und stuft: Nach der hier vertretenen Auffassung könnte das so aussehen, dass man den Kultort, die Nationalität und den Fundort von Kulturgut zunächst als Ausgangspunkt betrachtet. In einem weiteren Schritt sind diese Anknüpfungsmomente anhand des Entstehungs- und Bestimmungsortes („Sitzort“), worunter auch der Ort des langjährigen Aufenthalts, verstanden im Sinne einer rechtmäßigen territorialen Belegenheit, zu fassen ist, zu überprüfen.“1988 Damit werde auch der im Schrifttum vielfach vertretenen rein territorialen Zuordnung gerecht.1989 Auch Reichelt und ihr folgend Kienle und 1982
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Vgl. Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 284–286. Vgl. Jayme, Kunstwerk und Nation: Zuordnungsprobleme im internationalen Kulturgüterschutz, 1991, S. 31; Bila, Nationaler Kulturgüterschutz in der Europäischen Union, 1997, S. 131; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 154. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 154; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 198. Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 127–139. Das ist die Meinung von Hanisch, Der Fall des Liotard und die nationale Zuordnung eines Kunstwerks, in: Frank, Recht und Kunst – Symposium aus Anlaß des 80. Geburtstags von Wolfram Müller-Freienfels, 1996, S. 19–36, S. 24; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 154. So die Formulierung bei Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217. Diesen Ansatz vertreten Hanisch, Der Fall des Liotard und die nationale Zuordnung eines Kunstwerks, in: Frank, Recht und Kunst – Symposium aus Anlaß des 80. Geburtstags von Wolfram Müller-Freienfels, 1996, S. 19–36, S. 24; Maurer, Die Ausfuhr von Kulturgütern in der Europäischen Union, 1995, S. 58. Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 253–264. Vgl. Engstler, Die territoriale Bindung von Kulturgütern im Rahmen des Völkerrechts, 1964, S. 78 ff.; Rudolf, Über den internationalen Schutz von Kulturgütern, Hailbronner/ Ress/Stein, Staat und Völkerrechtsordnung – Festschrift für Karl Doehring, 1989, S. 853– 871, S. 861; Stumpf, Kulturgüterschutz im internationalen Recht unter besonderer Berücksichtigung der deutsch-russischen Beziehungen, 2003, S. 240.
760
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Weller sehen eine Notwendigkeit für diese Ergänzung, um sicherzugehen, die engste Verbindung des Sachverhalts zu einer Rechtsordnung zu erhalten.1990 761
Folgt man diesem Verständnis in der Bestimmung der kulturellen Verbundenheit eines Kulturguts mit ‚seinem‘ Ursprungsstaat, ist auch in den von Kritikern einer lex originis-Regel angeführten Beispielen ohne rechtliche Probleme eine Zuordnung der Objekte zu einem einzigen Ursprungsstaat vorzunehmen. Mit den vorgenannten Erwägungen lassen sich so zunächst die oben von Kreuzer aufgeworfenen Überlegungen lösen. Befindet sich ein von einem griechischen Künstler gefertigtes, ursprünglich griechisches Kulturgut heute in der Türkei, so ist dieses der Türkei zuzuordnen, wenn diese rechtmäßig die territoriale Hoheitsmacht daran erworben hat und es dort seit langer Zeit in einem bestimmten Aufbewahrungszusammenhang steht.1991 Der Sitz des Objektes und die Rezeption überwiegen in einer solchen Situation ohne Zweifel auch dann die Nationalität des Künstlers, wenn der Schöpfer des Kunstwerks für die Identität der Nation eine besondere Rolle spielt. Auch hinsichtlich des zweiten bei Kreuzer angeführten Beispiels bestehen keine Zuordnungsprobleme: Ein römisches Kulturgut ist nicht allein deshalb Italien zuzuordnen, weil es ursprünglich der Kultur der Römer zuzurechnen ist, deren Verbreitungsgebiet im heutigen Italien seinen Ausgangspunkt fand.1992 Bei der lex originis-Anknüpfung soll es allein „um den rechtlichen Schutz des jetzigen Bestandes an Kulturgütern, wie er sich heute darstellt“1993, gehen. Die Instrumentarien des Internationalen Kulturgüterprivatrechts können schon nach allgemeinem Verständnis nicht zur Repatriierung kolonialbedingt verlagerter Kulturgüter der Ursprungsstaaten eingesetzt werden und halten keine Handhabe zugunsten der kulturellen Ursprungsstaaten bereit, ihre kolonialbedingt verlorenen Kunstwerke wieder aus den westlichen Museen zurückzuerhalten. In der überwiegenden Zahl der Fälle kann nach detaillierten kulturhistorischen Forschungen von der zivilrechtlichen Rechtmäßigkeit der Erwerbungen ausgegangen werden1994, sodass auch in der Bestimmung der kulturellen Verbundenheit kolonialbedingt verlorener Kulturgüter weniger die Nationalität des Künstlers, wenn der Schöpfer des Kunstwerks für die Identität der Nation eine besondere Rolle spielte, oder der Entstehungsort des Kulturguts, als vielmehr der neue Sitz des Objektes und dessen Rezeption in dem neuen Be1990
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Reichelt, Kulturgüterschutz und Internationales Privatrecht, IPRax 1986, S. 73–75, S. 74; Kienle/Weller, Die Vindikation gestohlener Kulturgüter im IPR, IPRax 2004, S. 290–294, S. 292. Vgl. Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 253–264. So Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 253–264. Jayme, Kunstwerk und Nation: Zuordnungsprobleme im internationalen Kulturgüterschutz, 1991, S. 7 ff., S. 14. Vgl. ausführlich hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 1: Illegaler Kulturgüterverkehr, 8. Teil.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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legenheitsstaat ins Gewicht fällt. Das Internationale Kulturgüterprivatrecht kann allein die Probleme des heutigen illegalen Kunsthandels angehen, jedoch nicht zur Rückführung von Kulturgut an ehemals kolonisierte Herkunftsstaaten instrumentalisiert werden oder eine grundsätzliche Neuordnung und Umverteilung des Bestandes an Kulturgütern und Kunstschätzen auf dieser Erde erreichen.1995 Aber auch innerhalb der sog. „present day interests“ des internationalen Kulturgüterverkehrs1996 bestehen jedoch bei richtigem Verständnis in der Bestimmung der kulturellen Verbundenheit eines Kulturguts mit ‚seinem‘ Ursprungsstaat keine Probleme. Kritiker versuchten ihre Zweifel bei der Bestimmung der ‚richtigen‘ Heimatrechtsordnung insbesondere anhand der englischen Gerichtsentscheidung Winkworth v. Christie’s, Manson & Woods aus dem Jahre 19801997 nachzuweisen1998 und erwogen, den Erwerb der japanischen Kunstwerke, die dem Kunstsammler Winkworth aus seinem Haus in England gestohlen worden waren, nach japanischem Recht zu beurteilen und, „falls sich unter den „japanischen“ Kunstwerken zufällig ein Objekt mit besonders enger Verbindung zur chinesischen oder koreanischen Kultur befand, so wäre insofern die Anwendung chinesischen oder koreanischen Sachenrechts in Betracht zu ziehen gewesen“ 1999. Dies ist falsch und entspricht nicht der Rechtswahl nach der lex originis. Folgende Anknüpfungsmomente wären richtigerweise im Wege einer Einzelbetrachtung in einer Art „grouping of contacts“ in eine Abwägung einzustellen.
762
Zwar könnten die Nationalität des Künstlers, wenn der Schöpfer der japanischen Holzschnitzereien für die Identität Japans eine besondere Rolle spielte, und deren Entstehungsort auf eine kulturelle Verbundenheit der Kunstwerke zu Japan hinweisen, jedoch müssen diese Anknüpfungsmomente nach richtigem Verständnis der lex originis ohne Zweifel zurücktreten, da die Objekte rechtmäßig von dem britischen Sammler Winkworth erworben und ohne Verstoß gegen ausländische Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze ausgeführt und legal in die Rechtsordnung Großbritanniens eingeführt wurden, sodass sich der rechtmäßige ‚Sitz‘ der japanischen Holzschnitzereien entsprechend dem Prinzip des kulturellen Internationalismus allein in England befinden kann.2000 Dies unter-
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1997 1998 1999 2000
Vgl. Jayme, Kunstwerk und Nation: Zuordnungsprobleme im internationalen Kulturgüterschutz, 1991, S. 7 ff., S. 14; Jayme, Globalisation in Art Law: Clash of Interests and International Tendencies, Vanderbilt Journal of Transnational Law 2005, S. 927 ff.: „presentday interests“. Darauf verweist auch Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 253–264. Jayme, Globalisation in Art Law: Clash of Interests and International Tendencies, Vanderbilt Journal of Transnational Law 2005, S. 927 ff. Winkworth v. Christie Manson & Woods Ltd., (1980) 1 All ER 1121, (1980) 2 WLR 937. Vgl. ausführlich hierzu schon 3, 9 ff. u. 46 ff. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 230–232. „Die Ausführungen zeigen, dass man regelmäßig bei jedem Kulturgut ein Hauptkriterium bzw. einen Ausgangspunkt für die Zuordnung zu einer Rechtsordnung finden kann: die
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
stützt auch Schaffrath: „Überträgt man diese Kriterien auf die Praxis, so wäre man auch im Falle Winkworth sicher nicht zum japanischen Recht gekommen. Denn die Holzschnitte befanden sich nach dem Willen ihres rechtmäßigen Eigentümers dauerhaft in England und nicht in Japan. Steht damit also für ein bestimmtes Kulturgut die Nationalität des Künstlers nicht im Vordergrund, weil er von seinem Heimatstaat nicht als national bedeutungsvoller Künstler angenommen und auch von jenem Künstler keine Bestimmung für den Aufenthalt seines Kunstwerkes getroffen wurde, übernimmt das Kulturgut den Stempel der Rechtsordnung, unter welcher es sich nach dem Willen seines rechtmäßigen Eigentümers ständig befindet. … Die Anpassungsfähigkeit der lex originis an die besonderen Merkmale und Umstände jedes einzelnen Kulturguts ist daher ein Gewinn und die adäquateste Anknüpfungsmethode für den sensiblen Bereich des Kulturgüterverkehrs, bei dem die zugrunde liegenden Objekte und ihre Wertschätzung einem stetigen Wandel der Bedeutungsauffassung unterworfen sind und sich darüber hinaus von Nation zu Nation unterscheiden.“2001 Die GegenAnknüpfungsmoment
Ursprungsstaat
Aktueller Aufenthaltsort vor der unrechtmäßigen Entziehung
England
Ort der kultischen Verehrung bei Sakralgegenständen
–
Nationalität des Künstlers, wenn der Schöpfer des Kunstwerks für die Identität der Nation eine besondere Rolle spielt
Japan
Entstehungsort des Kulturguts
Japan
Bestimmungsort des Kulturguts, etwa bei Auftragsarbeiten, bei Schenkungen, bei Leihgaben des Eigentümers oder bei einem anderen funktionalen Zusammenhang
–
Sitz kultureller Wertgegenstände
England
Rezeption eines Kunstwerkes in einem bestimmten Staat
–
Unterschutzstellung mittels eines nationalen Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetzes
–
Fundort bei archäologischen Gegenständen
–
Geschichtlicher Zusammenhang der Objekte mit einem bestimmten Staat
–
Schema 11 – Bestimmung der kulturellen Verbundenheit eines Kulturguts mit ‚seinem‘ Ursprungsstaat
2001
Nationalität des Künstlers, den Kultort oder den Fundort. Diese Anknüpfungsmomente bedürfen sodann in einem zweiten Schritt einer kritischen Überprüfung, ob sie dem Prinzip der engsten Verbindung gerecht werden. Dies sollte anhand des Sitzkriteriums erfolgen, wodurch der bisherigen Belegenheit des Kulturguts Rechnung getragen werden kann.“ Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 253–264. Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 253–264.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
915
ansicht knüpft zu Unrecht allein an den Ort der Erschaffung zur Inhaltsausfüllung des Ursprungsstaates an und vernachlässigt die Möglichkeit des rechtmäßigen Austauschs kultureller Güter. Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn der Verfügungsberechtigte die Kunstschätze nur zeitweilig verlagert, nicht aber darauf verzichten möchte, sie jederzeit wieder in ihre alte Heimat zurückzubringen.2002
c)
Zufallsergebnisse auch bei Anwendung der ‚lex originis‘
Stellt man nach der im Vordringen befindlichen Meinung innerhalb des kulturgüterspezifischen Schrifttums auf den Nationalitätsgedanken und Funktionszusammenhang kultureller Güter mit einem Ursprungsstaat ab,2003 sieht man in der lex originis die engste Beziehung eines Kulturguts zu einer Rechtsordnung und ordnet Kulturgüter im internationalen Privatrecht denjenigen Staaten zu, in denen ihnen der größte Identifikations- und Erfahrungswert zukommt. Folge davon ist jedoch nicht nur, dass die Zufälligkeit und Manipulierbarkeit der Anknüpfung an die lex rei sitae verhindert werden2004, sondern zugleich, dass das Kulturgut den Stempel der Sachenrechtsordnung seines Heimatstaates trägt und diese somit an der kulturellen Identität des Objektes teilhat.2005
(1)
Lex rei sitae teilweise günstiger für Kulturgüterschutz als lex originis
Gegner einer speziellen Rechtswahl nach der Heimatrechtsordnung kultureller Wertgegenstände im internationalen Kulturgüterverkehr weisen aufgrund dieser Prägung jedoch zu Recht darauf hin, dass die lex originis nicht zwingend zu einem erhöhten Kulturgüterschutz führt, da das Recht des Lageortes aus Kulturgüterschutzgesichtspunkten günstiger sein kann als die dingliche Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter nach der Rechtsordnung des kulturellen Ursprungsstaates.2006 „Damit kommt dem Objekt also der Schutzgehalt zu, den seine Heimatrechtsordnung ihm gewährt; gleich ob diese das Kulturgut im Verhältnis zur Rechtsordnung des jeweiligen Belegenheitsstaates bevorzugt oder
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2004
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So auch Mußgnug, Die Staatsangehörigkeit des Kulturguts, in: Bröhmer u.a., Internationale Gemeinschaft und Menschenrechte, Festschrift Ress, S. 1531 ff., S. 1538. So die Formulierung bei Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 265–271. Jayme, Internationaler Kulturgüterschutz – Lex originis oder lex rei sitae – Tagung in Heidelberg, IPRax 1990, S. 347–348. Vgl. die Formuleirung bei Kienle/Weller, Die Vindikation gestohlener Kulturgüter im IPR, IPRax 2004, S. 290–294, S. 291. Vgl. Hanisch, Der Fall des Liotard und die nationale Zuordnung eines Kunstwerks, in: Frank, Recht und Kunst – Symposium aus Anlaß des 80. Geburtstags von Wolfram MüllerFreienfels, 1996, S. 19–36, S. 34; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 198 f.; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 230; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 218–220.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
benachteiligt. Die von der Heimatrechtsordnung erfahrene Prägung trägt das Kulturgut daher mit sich.“2007 Es hängt also vom Zufall ab, ob die Rechtsordnung des Ursprungsstaates (lex originis) oder der örtlichen Belegenheit zum Zeitpunkt der Weiterveräußerung (lex rei sitae) eine neue dingliche Sachzuordnung auch unrechtmäßig entzogener Kulturgüter über den gutgläubigen rechtsgeschäftlichen Erwerb und die originäre Eigentumsersitzung sowie die Verjährung und Verwirkung des kulturellen Restitutionsanspruchs erlaubt.2008 Ist das Recht des Belegenheitsorts günstiger als das des Herkunftsorts, unterfallen Kulturgüter bei der Rechtswahl nach der lex originis somit einem unzulänglicheren Kulturgüterschutz als nach der lex rei sitae.2009 766
Gewiss würde bei Applikation der lex originis in der Winkworth-Konstellation2010 eine Besserstellung des Eigentümers und damit auch des Kulturgüterschutzes erreicht, da der kulturelle ‚Sitz‘ der Objekte in London verortet wurde, folglich England als Heimatrechtsordnung anzusehen wäre und der Common LawRechtskreis entsprechend dem nemo dat-Prinzip einen gutgläubigen Erwerb der gestohlenen japanischen Holzschnitzereien hier ausgeschlossen hätte.2011 Ebenso würde die Rechtswahl nach der lex originis den kulturgutschützenden Vorschriften des Herkunftslandes zur extraterritorialen Anwendung verhelfen und extrakommerziale Kulturgüter würden auch nach einem qualifizierten Statutenwechsel nicht ihren Status als unveräußerlich, unersitz-, unverjähr- und unverwirkbar verlieren. In anderen Fällen hängt das Ergebnis jedoch wie bei der lex situs stets von den unterschiedlichen nationalen Sachrechtsregeln ab.2012
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Anders wird das Ergebnis nämlich ausfallen, wenn Kulturgüter ihre engste Verbindung zu einer Rechtsordnung aufweisen, die eine neue Sachzuordnung auch 2007
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2010 2011
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Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 265–271. Die Anknüpfung an das Heimatrecht wird deshalb nicht zwangsläufig eine verbesserte Berücksichtigung der Belange des Eigentümers bringen, weil durchaus auch die aktuelle lex rei sitae in ihren Schutzwirkungen über diejenigen der lex originis hinausgehen könne. Strauch, Rechtsverhältnisse an Kulturgütern im Internationalen Sachenrecht, 2007, S. 104–107. Vgl. Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217. Vgl. ausführlich zur Apllikation der lex furti auf die Winkworth-Konstellation 3, 556. Vgl. ausführlich zum Ausschluss des gutgläubigen rechtsgeschäftlichen Erwerbs innerhalb des Common Law-Rechtskreises, Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 2. Teil, Rdnr. 23 ff. So Hanisch, Der Fall des Liotard und die nationale Zuordnung eines Kunstwerks, in: Frank, Recht und Kunst – Symposium aus Anlaß des 80. Geburtstags von Wolfram MüllerFreienfels, 1996, S. 19–36, S. 34; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 198 f.; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 218 f.; Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 94–98.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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unrechtmäßig entzogener Kulturgüter erlaubt, während die Belegenheitsrechtsordnung einen gutgläubigen rechtsgeschäftlichen Erwerb und eine originäre Eigentumsersitzung ausschließt und keine Verjährung oder Verwirkung des kulturellen Restitutionsanspruchs kennt. Dies wird ersichtlich, wenn man die britische Winkworth-Konstellation mit der amerikanischen Entscheidung Kunstsammlungen zu Weimar v. Elicofon 2013 kontrastiert – hier hätte die lex originis zu einem ungünstigeren Ausgang der Restitutionsstreitigkeit aus Sicht des Anspruchstellers als bei Anwendung der lex rei sitae geführt.2014 Das amerikanische Gericht hatte bekanntlich zu untersuchen, ob Mr. Elicofon in den Vereinigten Staaten von Amerika gegen Ende des Zweiten Weltkriegs zwei in Deutschland unrechtmäßig entzogene Kunstwerke von Albrecht Dürer gutgläubig von einem ehemaligen Soldaten in New York erwerben konnte. Hier hätte die Applikation der lex originis – anders als in der Winkworth-Konstellation und anders als nach Ansicht der der lex rei sitae folgenden Richter in der vorliegenden Entscheidung – dazu geführt, dass den Kunstsammlungen an den abhandengekommenen Porträts kein Restitutionsrecht zugestanden hätte, weil das Recht des kulturellen Ursprungsstaates, also deutsches Recht, maßgeblich gewesen wäre und der Beklagte Elicofon die beiden bereits im Jahre 1946 von ihm erworbenen DürerPorträts nach § 937 BGB längst gutgläubig ersessen gehabt hätte. Somit wäre in der Fallkonstellation Kunstsammlungen zu Weimar v. Elicofon bei Anwendung der lex originis eine Schlechterstellung der Rechtsposition des ursprünglichen Eigentümers eingetreten und hätte diesem zum Schaden gereicht2015, weil nach der Rechtsordnung Deutschlands der Herausgabeanspruch des ursprünglichen Eigentümers, der Kunstsammlungen zu Weimar, hätte abgelehnt werden müssen, während bei Anwendung der lex rei sitae das amerikanische Gericht auf Restitution entscheiden durfte.2016 Deshalb sieht bspw. Müller-Katzenburg in dem Bestreben, die situs-Regel durch eine „andere, ebenso starre Anknüpfungsregel zu ersetzen“, keinen sinnvollen Lösungsansatz „zumal die diskutierten Alternativen selber zu zufälligen Ergebnissen führen können.“2017 Die Entscheidung verdeutlicht somit, dass die Beurteilung nach dem Recht der Heimatrechtsordnung nicht immer den ursprünglichen Eigentümer begünstigt
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Kunstsammlungen zu Weimar v. Elicofon, 536 F. Supp. 829 auf Seite 840 (EDNY 1981), 678 F.2d, 1164. Vgl. ausführlich hierzu 3, 82 ff. So auch Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 84; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 181–186. So Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 84; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 181–186. Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 195. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 232.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
und der Vorwurf, der locus rei sitae sei ein zu sehr vom Zufall abhängiger Ort, um die Anwendung der lex rei sitae für internationale Transaktionen in rem anzuwenden, analog auf die kollisionsrechtliche Sonderanknüpfung nach der lex originis zu übertragen ist.2018
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Lex originis kollisionsrechtlich gerecht
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Dieses Ergebnis ist nach den Befürwortern der lex originis jedoch richtig und kollisionsrechtlich ‚gerecht‘, da die Kunstsammlungen zu Weimar als Eigentümerin in der vorliegenden Konstellation nicht habe damit rechnen dürfen, dass die Porträts unter einem den Eigentümerschutz stärker berücksichtigenden Statut erworben würden, und sie diesbezüglich auch kein schutzwürdiges Vertrauen habe.2019 Die Anwendung der lex originis wird deshalb unabhängig vom konkreten Sachergebnis befürwortet. Rechtsdogmatischer Hintergrund ist, dass es keinem Anknüpfungsmoment, und damit auch nicht der lex originis, um die aus Kulturgüterschutzgesichtspunkten günstigste, sondern sachnächste und engste Rechtsordnung zu einem Sachverhalt gehen muss. So wird betont, dass mit dem lex originis-Ansatz nicht intendiert werde, „bestimmte materiell-rechtliche Interessen und Wertungen von ihrem Ergebnis her zu bevorzugen. Die lex originis soll gerade unabhängig vom konkreten Ergebnis in der Sache angewandt werden und zwar auch dann, wenn sie im Einzelfall zu einem für den rückfordernden Staat nachteiligeren Ergebnis führt als unter Anwendung der herkömmlichen lex rei sitae. Es geht also nicht um das Auffinden des sachlich besten Rechts, denn dies würde bereits dem System des IPR widersprechen, das sich der Anwendung des sachlich nächsten Rechts verpflichtet sieht.“2020 Ansonsten entstünde ein nicht hinzunehmender Widerspruch zu dem kollisionsrechtlichen Grundsatz der Gleichrangigkeit und Gleichwertigkeit der einzelnen Sachrechtsordnungen.
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Innerhalb des Bereichs kulturgüterschutzgesetzwidrig transferierter Kulturgüter ist es vielmehr Sache des kulturellen Heimatstaates, die notwendigen Maßnahmen zum Schutze seines Kulturguts zu treffen.2021 Wenn die nationalen Kultur2018
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Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff., S. 3582; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 167. Vgl. Mansel, DeWeerth v. Baldinger – Kollisionsrechtliches zum Erwerb gestohlener Kunstwerke, IPRax 1988, S. 268–271, S. 271, so auch Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 181–186. So Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 265–271, unter Rekurs auf Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 25. So auch Ferrer-Correia, La vente internationale d’objets d’art, sous l’angle de la protection du patrimoine culturel, in: Annuaire de l’Institut de Droit International 64-I (1991), S. 90–192, S. 177; Garro, The Recovery of Stolen Art Objects From Bona Fide Purchasers, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985,
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güter- und Denkmalschutzgesetze jedoch keine diesbezüglichen materiellen Sachzuordnungsregeln treffen, könne auch ein kultureller Ursprungsstaat nicht erwarten, dass ein anderes, die Rückgabe favorisierendes Recht angewandt würde.2022 Eine zielführende Methode der internationalen Kontrolle des grenzüberschreitenden Kulturguttransfers für den seine national wichtigen Kulturgüter schützenden Ursprungsstaat stellt bspw. die Extrakommerzialität (und damit Verkehrsunfähigkeit) kultureller Güter dar. Während bei Geltung der lex rei sitae der Status als res extra commercium allein nach einem schlichten Statutenwechsel Bestand behält, werden die ausländischen Schutzvorschriften bei einer Rechtswahl nach der lex originis auch nach einem qualifizierten Statutenwechsel Anwendung finden, sodass die Objekte weiterhin außerhalb des Rechtsverkehrs stehen und vom berechtigten kulturellen Ursprungsstaat herausverlangt werden können. Und innerhalb des Bereichs gestohlener oder aus anderem Grund abhandengekommener Kulturgüter liegt ein möglicher Eigentumsverlust bei der Anwendung der lex originis in der Risikosphäre des Eigentümers, dem immer die Möglichkeit offensteht, seine Kunstwerke oder andere Kulturgüter an dem Ort permanent aufzubewahren, an dem ein Recht anwendbar ist, durch das er sich ausreichend geschützt fühlt.2023 „Das Recht des Herkunftsstaats schützt den Eigentümer so stark, wie es die nationale Gesetzgebung für erforderlich hält. Darauf kann sich der Eigentümer einstellen.“2024
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Volume I, S. 503–519, S. 513; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217. So die Einschätzung bei Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 218–220. So auch Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217; Kunze, Restitution „Entarteter Kunst“ – Sachenrecht und Internationales Privatrecht, 2000, S. 139. Hanisch bemerkt zu Recht, es sei nicht erkennbar, dass die Anwendung der lex originis die Lösung der Probleme des privaten Kulturgüterschutzes in Gleichklang mit dem öffentlich-rechtlichen im Vergleich mit der Anwendung der lex rei sitae erleichtern würde, vgl. Hanisch, Der Fall des Liotard und die nationale Zuordnung eines Kunstwerks, in: Frank, Recht und Kunst – Symposium aus Anlaß des 80. Geburtstags von Wolfram Müller-Freienfels, 1996, S. 19–36, S. 35. Vgl. auch Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 127–139; Lalive, Une avancée du droit international: La Convention de Rome de l’Unidroit sur les biens culturels volés ou illicitement exportés, Revue de droit uniforme N.S. 1 (1996), S. 40 ff., S. 46; Watt, La revendication internationale des biens culturels: à propos de la décision américaine Eglise Autocéphale, Revue Critique de Droit International Privé 81 (1992), S. 1–34, S. 25, 30 ff.; Carducci, La restitution internationale des biens culturels et des objets d’art, 1997, S. 189. Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217.
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Allgemein gilt die Erkenntnis: „… il ne faut pas être plus royaliste que le roi …“2025 Dies erscheint dem Schrifttum deshalb sachgerecht, weil jeder Staat dazu angehalten werden soll, für den Schutz seiner Kulturgüter ausreichend Sorge zu tragen und gleichzeitig für seine eigene Rechtsordnung den gutgläubigen Erwerb, die Ersitzung sowie Verjährung und Verwirkung gestohlener Sachen zu überdenken.2026 „Tut er das nicht, so muss er die notwendigen Konsequenzen tragen, indem die durch seine Untätigkeit verbleibenden Risiken dem Kulturgut anhaften.“2027 Deshalb zeigt das Schrifttum Unverständnis für die Einlassungen Deutschlands vor der Queen’s Bench Division des Londoner High Court of Justice in der Rechtssache City of Gotha v. Sotheby’s/Cobert Finance S. A.2028 (der sog. Wtewael-Fall)2029: „So ist es doch geradezu paradox, wenn ein Staat für den eigenen Rechtsraum in Anspruch nimmt, dem freien Handel und dem Verkehrs-
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So in diesem Zusammenhang Ferrer-Correia, La vente internationale d’objets d’art, sous l’angle de la protection du patrimoine culturel, in: Annuaire de l’Institut de Droit International 64-I (1991), S. 90–192, S. 177. So Siehr, Vereinheitlichung des Rechts der Kulturgüter in Europa?, in: Basedow/Drobnig/ Ellger/Hopt/Kötz/Kulms/Mestmäcker, Aufbruch nach Europa. 75 Jahre Max-Planck-Institut für Privatrecht, 2001, S. 811–827, S. 824; Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 265–271. So Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 265–271. Sog. Wtewael-Fall: City of Gotha v. Sotheby’s/Cobert Finance S. A., High Court of Justice – Queen’s Bench Division, Case No. 1993 C 3428; Case No. 1997 G 185, Entscheidung vom 9. September 1998, in englischer und deutscher Sprache veröffentlicht in Carl/Güttler/Siehr, Kunstdiebstahl vor Gericht – City of Gotha v. Sotheby’s/Cobert Finance S.A., 2001, S. 78–219. Vgl. die Kommentierungen in der Tagespresse: FAZ vom 26.2.1997, Bonn gegen Sotheby’s, S. 39; dpa, Beutekunst – Gotha gewinnt Prozess in London: FAZ 11.9.1998, S. 41; Barker, Looted Old Master Goes Back to Germany: ARTnewsletter of 22 September 1998, S. 1; Crüwell, Hände weg von Beutekunst: FAZ 4.11.1998, S. 41; Foster, Germany wins back looted Old Master, The Times 10.9.1998, S. 11; NZZ, Aus Gotha geraubtes Gemälde Deutschland zugesprochen, Artikel vom 10.9.1998, S. 20; Watson-Smyth, Auction world watches fight over painting, The Independent vom 9.6.1997. Vgl. auch die rechtsdogmatischen Abhandlungen jeweils m.w.N.: Carl/Güttler/Siehr, Kunstdiebstahl vor Gericht – City of Gotha v. Sotheby’s/Cobert Finance S.A.; Finkenauer, Zum Begriff der Rechtsnachfolge in § 221 BGB, JZ 2000, S. 241–247; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 165–169; Raue, Summum ius suma iniuria: Stolen Jewish Cultural Assets under Legal Examination, in: Hoffman, Art and Cultural Heritage – Law, Policy and Practice, 2006, S. 185–190, S. 187; Carl, Beutekunst vor den Zivilgerichten: Auswirkungen des Londoner Urteils über das Bild von Joachim Wtewael aus Gotha, in: Genieva/Michaletz/Werner, Gesten des guten Willens und Gesetzgebung – Dokumentation der internationalen Konferenz zur Problematik kriegsbedingt verlagerter Kulturgüter; Moskau, 24. und 25. April 2001, 2001, S. 249–265, S. 251–256; Franz, Beutekunst-Musterprozess entschieden: Wtewael-Gemälde zurück in Deutschland, Kunstrecht und Urheberrecht 1 (1999), S. 298–301; Lomas/Orton, Potential Repercussions from the City of Gotha Decision, Art, Antiquity and Law 4 (1999), S. 159–165; Mair, Misappropriation and Skulduggery in Germany and Russia: The Case of Wtewael’s ‘The Holy Family’, Art, Antiquity and Law 3 (1998), S. 413–415. Vgl. ausführlich hierzu 1, 51 ff.
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schutz des Erwerbers durch die Möglichkeit des Gutglaubenserwerbs und der Ersitzung und Verjährung von Herausgabeansprüchen den Vorrang einzuräumen; für Fälle aber, in welchen wertvolles eigenes Kulturgut zurückgefordert wird, unter ordre public-Gesichtspunkten die eigene, nach der lex rei sitae zur Anwendung berufene Rechtsordnung ausschließen zu wollen.“2030
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Alternative Anknüpfung an die lex rei sitae, die lex originis und die lex furti
Andererseits mutet es einem Teil der Literatur aber wiederum befremdlich an, dass sich ein gutgläubiger Erwerber, der ein Kulturgut nach dem Recht des Lageortes nicht hätte erwerben können, aufgrund einer Kollisionsregel, die eigentlich auf die Bewahrung der ursprünglichen Eigentumsverhältnisse abzielt, auf die Geltung des Heimatrechts des Kulturguts berufen können soll.2031 Kollisionsrechtlich könne ein solches Ergebnis nach Ansicht von Müller-Katzenburg nur dann vermieden werden und eine generelle Eigentümerbegünstigung nur dadurch erreicht werden, dass die dingliche Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter alternativ an den Lageort des gestohlenen Kulturguts, seinen Ursprungsstaat oder den Diebstahlsort angeknüpft werde, „je nachdem, wo die Rechtsordnung gilt, die die Eigentümerinteressen am wirksamsten schützt“.2032 Auch Weidner denkt zur Realisierung eines „absoluten und perfekten Schutz[es] von Kulturgütern“ daran, diese immer nach dem sie am besten schützenden Recht zu beurteilen und alternativ jeweils die eine und die andere Kollisionsregel zu benutzen.2033 Diese Einschätzungen können bereits auf die Vorüberlegungen bei Reichelt zurückgreifen, die eine Anknüpfung „de caractère substantiel“ fordert,2034 die über das Auffinden der Rechtsordnung mit der engsten Verbindung zu einem Kulturgut hinausgeht. Auch der amerikanischen Rechtsordnung ist eine solche Rechtswahl nach dem sog. better law approach nicht fremd.2035 In 2030
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Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 265–271, unter Rekurs auf Remien, Vindikationsverjährung und Eigentumsschutz – Oder: Welche Rechte bestehen an vor langer Zeit abhanden gekommenen Sachen, insbesondere Kunstwerken?, AcP, Band 201 (2001), S. 730–756, S. 752, empfindet es als grotesk, dass die deutsche h.M. die Vindikationsverjährung bejaht, deutsche staatliche Museen jedoch von den abweichenden Rechtsanschauungen in England oder den USA profitieren wollen und den dortigen ordre public gegen die Anwendung deutschen Rechts ins Feld führen. So Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 218–220. So Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 233. Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 204–205. Vgl. Reichelt, Kulturgüterschutz und Internationales Privatrecht, IPRax 1986, S. 73–75, S. 74; Reichelt, Internationaler Kulturgüterschutz – rechtliche und kulturpolitische Aspekte, 1988, S. 24 f. Vgl. von Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 2 Rn. 47–48.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
diesem Sinne könnte auch innerhalb der deutschen Rechtsordnung und des Internationalen Kulturgüterprivatrechts eine Besserstellung des ursprünglichen Eigentümers bei alternativer Applikation entweder der Rechtsordnung des Ursprungsstaates oder der lex rei sitae erreicht werden, sodass allein zu entscheiden wäre, welche Rechtsordnung den ursprünglichen Eigentümer besser schützt.2036 Neuerdings beruft sich auch Siehr auf diese Überlegung und bestimmt, dass in Zukunft „die lex originis nur wahlweise neben der lex rei sitae gelten“ solle.2037 773
Für eine innerdeutsche Ausgestaltung einer vergleichbaren Kollisionsnorm de lege ferenda könnte auch auf die Vorarbeiten des belgischen Gesetzgebers zurückgegriffen werden, der in Art. 90 der neuen Loi portant le Code de droit international privé/Wet houdende het Wetboek van internationaal privaatrecht vom 16. Juli 20042038 eine in den nationalen Bestimmungen zum internationalen Privatrecht bislang einzigartige Kollisionsregel, den Herkunftsstaat, aus dem das Kulturgut illegal exportiert wurde, ermächtigt, für die Vindikation zwischen dem Belegenheitsrecht und der lex originis zu wählen.2039 Vergleichbares sieht auch der neue Art. 92 der Loi portant le Code de droit international privé/Wet houdende het Wetboek van internationaal privaatrecht vom 16. Juli 2004 zugunsten eines bestohlenen Eigentümers vor: Die Sonderkollisionsnorm für den Bereich aller gestohlenen Sachen, also nicht nur für Kulturgüter, steht in Übereinstimmung mit dem Vorschlag Mansels 2040, der auf das Recht am Diebstahlsort abstellt, und fixiert somit die lex rei sitae zeitlich. Auch hier wird aus Gründen der Flexibilität von der starren und uneingeschränkten Geltung der lex rei sitae abgewichen. Obwohl aus Kulturgüterschutzgesichtspunkten eine solche alternative Anknüpfungsregel sich auch innerhalb des deutschen Kollisionsrechts für Kulturgüter empfehlen würde, meint die bislang herrschende Rechtsansicht in der Literatur, dass eine derartige Alternativität mit den Interessen eines sicheren Kulturgütertransfers und den Verkehrsinteressen eines deutschen Kunstmarktes nicht mehr vertretbar sei.2041 2036
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Spaun, Der Herausgabeanspruch bei Diebstahl oder illegalem Export von Kulturgütern, 2003, S. 156. Vgl. Siehr, Kulturgüterschutz, in: Ebling/Schulze, Kunstrecht – Zivilrecht, Steuerrecht, 2007, S. 124–125, Rdnr. 62–64. Moniteur belge du 27/07/2004, S. 57344. Deutsche Übersetzung bei Siehr, Internationales Sachenrecht. Rechtsvergleichendes zu seiner Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, ZVglRWiss 104 (2005), S. 145–162, S. 152 f., dort Fn. 32. Vgl. Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 11–13. Mansel, DeWeerth v. Baldinger – Kollisionsrechtliches zum Erwerb gestohlener Kunstwerke, IPRax 1988, S. 268–271, S. 271. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 302; Stoll, Sachenrechtliche Fragen des Kulturgüterschutzes in Fällen mit Auslandsberührung, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes – Symposium vom 22./23. Juni 1990 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 53 ff.; Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Ein-
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
d)
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Keine Restitution unrechtmäßig entzogener Kulturgüter ohne materielle Rechtsposition des kulturellen Ursprungsstaates
Bedeutendster Schwachpunkt der Rechtswahl nach der lex originis ist aus Sicht des Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts jedoch die Tatsache, dass im Bereich des illegalen Exports national bedeutsamer Kulturgüter die Schaffung einer Sonderkollisionsnorm im Allgemeinen und die Rechtswahl nach der Heimatrechtsordnung im Speziellen allein nicht zu einem Rückführungsanspruch der unrechtmäßig ausgeführten Kulturgüter führen, wenn dem kulturellen Ursprungsstaat nicht selbst ein dingliches Recht (wie etwa die Eigentumsposition) an den Objekten zusteht.
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Ein solches dingliches Recht steht einem kulturellen Ursprungsstaat jedoch regelmäßig nur an Kulturgütern zu, die schon ursprünglich in seinem Eigentum standen und vor der illegalen Ausfuhr (bspw. aus einem öffentlichen Museum) gestohlen worden waren. Befinden sich dagegen die national bedeutsamen Kulturgüter im Eigentum individueller Einzelpersonen und werden die Objekte seitens der Berechtigten entgegen den nationalen Schutzmechanismen aus dem Ursprungsstaat ausgeführt, steht dem kulturellen Heimatstaat ein dingliches Recht an den Kulturgütern nur zu, wenn die nationalen Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze dem Ursprungsstaat aufgrund des unrechtmäßigen Exports eine dingliche Sachposition an den Objekten zuweisen.2042
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Dies ist – wie bspw. innerhalb des deutschen Kulturgüterschutzrechts nach dem Gesetz zum Schutz deutschen Kulturguts gegen Abwanderung vom 6.8.1955 – jedoch regelmäßig nicht der Fall, wenn national wertvolle Objekte ‚nur‘ wegen öffentlich-rechtlicher Ausfuhr-, Verbringungs- Veräußerungs- oder Verfügungsbeschränkungen nicht aus dem Herkunftsstaat ausgeführt werden dürfen und Zuwiderhandlungen ‚nur‘ ordnungswidrigkeits- oder strafbewehrt sind, nicht jedoch Auswirkungen auf die Eigentumsposition an dem Kulturgut zeitigen.
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führungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rdnr. 200–201. Eine Unterscheidung ist innerhalb der Begutachtung zivilrechtlicher Sanktionen bei Verstößen gegen öffentlich-rechtliche Kulturgüterschutzgesetze hinsichtlich der applizierten Schutzmethoden vorzunehmen. Öffentlich-rechtliche Anzeige- sowie Mitteilungs-, Vorführungs-, Eintragungs- und sonstige Informationspflichten hinsichtlich des (inter-)nationalen Transfers kultureller Güter gegenüber dem regulierenden Staat, die staatliche Kontrolle des kulturguttransferierenden Gewerbes sowie eine kulturelle Besteuerung als indirektes Mittel der Regulation des (internationalen) Kulturgüterverkehrs wirken allein innerhalb der hoheitlichen Beziehung zwischen dem kulturellen Ursprungsstaat und den betroffenen Personen. Diesbezügliche Verstöße werden regelmäßig im Ordnungswidrigkeiten- oder Strafrecht geahndet, ohne dass unmittelbar zivilrechtliche Folgen entstünden. Vgl. ausführlich hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 4: Nationales Kulturgüter- und Denkmalschutzrecht.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Auch bei sog. non ownership statutes innerhalb der nationalen Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze steht einem kulturellen Ursprungsstaat keine dingliche Rechtsposition und damit auch kein Restitutionsanspruch zu, da ein möglicher Verfall kultureller Güter zu Eigentum des kulturellen Ursprungsstaates erst nach tatsächlicher Beschlag- und Inbesitznahme im Fall der illegalen Ausfuhr erfolgt, jedoch Staatsakte außerhalb des eigenen Territoriums auch bei Anwendung der lex originis nicht möglich sind. Ebenso wie bei Anwendung der lex rei sitae steht einem kulturellen Ursprungsstaat ein solches dingliches Recht nur dann zu, wenn aufgrund einer generellen Bestimmung näher qualifizierter Kulturgüter zu Staatseigentum (sog. umbrella statutes) und andererseits aufgrund eines automatischen Verfalls kultureller Güter an den Staat bei dem Versuch und in dem Moment der illegalen Ausfuhr (sog. automatic forfeiture clauses oder sog. rhetorical ownership statutes) der Heimatstaat Eigentum an den unrechtmäßig ausgeführten Objekten ipso iure erwirbt. Vorteil bei der Rechtswahl nach der lex originis ist dabei jedoch, dass ein solcher automatischer Verfall zu Eigentum des kulturellen Ursprungsstaates – anders als nach den Grundsätzen der lex rei sitae – auch noch dann Erfolg zeitigen würde, wenn die Objekte das Territorium des kulturellen Ursprungsstaates bereits verlassen haben.2043 777
Festzuhalten bleibt, dass die Unvollständigkeit jeden kollisionsrechtlichen Ansatzes insbesondere bei illegal exportiertem Kulturgut zum Tragen kommt und die Schaffung einer Sonderkollisionsnorm zugunsten des Rechts des Herkunftsstaates – außerhalb des Anwendungsbereichs internationaler Vereinbarungen – nicht zu einem Rückführungsanspruch des Heimatstaates allein aufgrund des illegalen Exports führt, wenn ihm kein dingliches Recht an dem Kulturgut zusteht. „Denn die lex originis kann nicht die Vollstreckung und damit Durchsetzung des Exportverbotes mit der Folge einer Rückgabeanordnung bewirken. Hierfür schafft sie keinerlei Rechtsgrundlage. … Die kollisionsrechtliche Anknüpfung an das Recht des Herkunftsstaates führt nur dann zu einer Herausgabe, wenn der rückfordernde Staat Eigentümer des Kulturguts ist.“2044 Da die Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts zugunsten einer lex originis keine eigenständige Lösung ist,2045 sondern immer nur eine materiell-rechtliche Lösung
2043 2044
2045
Vgl. ausführlich zu dieser Problematik 3, 732. Vgl. Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 271–279, unter Rekurs auf Jaeger, Internationaler Kulturgüterschutz – Rechtslage, Rechtspraxis, Rechtsfortentwicklung, 1994, S. 96 f., 100 f. „Die kollisionsrechtliche Abweichung zugunsten der lex originis im Sachenrecht bedarf der Schaffung einer eigenständigen Kollisionsnorm. Da aber allein eine Veränderung der kollisionsrechtlichen Anknüpfung für sich genommen nicht ausreicht, muss neben einer eigenständigen Kollisionsnorm eine … Rechtsgrundlage für einen Rückgabeanspruch illegal exportierten Kulturguts geschaffen werden.“ Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 271–279.
§ 14 Ergebnis: Plädoyer für eine Rechtswahl nach der ,lex originis‘
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international perpetuieren kann, sieht die Resolution La vente internationale d’objets d’art sous l’angle de la protection du patrimoine culture vom 3. September 1991 des Institut de Droit International einen eigenständigen Rückgabeanspruch als materiell-rechtliche Ergänzung vor.2046 Nach Art. 4 Abs. 1 kann der kulturelle Ursprungsstaat, solange nach dessen Recht kein Eigentumsübergang stattgefunden hat, innerhalb einer angemessenen Frist die Rückführung der ausgeführten Kunstwerke verlangen, wenn deren Abwesenheit das kulturelle Erbe des Staates wesentlich beeinträchtigen würde, auch wenn diesem keine dingliche Rechtsposition an dem Objekt zusteht. Diese materiell-rechtliche Regelung ergänzt die Kollisionsregel des Art. 2, um dadurch das letztlich beabsichtigte materielle Ergebnis sicherzustellen.2047 Dasselbe Prinzip verfolgen auch die EG-Richtlinie 93/7/EWG des Rates über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern vom 15. März 1993 und ihre deutsche Umsetzung und bestimmen einen eigenständigen, im Verwaltungsrechtsweg durchsetzbaren Rückführungsanspruch.
§ 14 Ergebnis: Plädoyer für eine Rechtswahl nach der ‚lex originis‘ Schon die weiter oben unter Punkt II. bis V. analysierten alternativen Anknüpfungsmaximen verdeutlichten, dass zur Bekämpfung des kulturellen Schwarzmarktes im Internationalen Kulturgüterprivatrecht eine Auflockerung und Entkrustung der fehlgehenden Anwendung der lex rei sitae unausweislich sind. Um die Mittel und Einflussmöglichkeiten des internationalen Privatrechts in den Dienst des Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts zu stellen, so hat sich gezeigt, muss der Anknüpfungspunkt der Belegenheit selbst in Frage gestellt werden. Die Besonderheiten des grenzüberschreitenden Kulturgüterverkehrs, die außergewöhnliche Gefahranfälligkeit des internationalen Kunsthandels und dessen Tendenz zu illegalen Veräußerungsgeschäften sowie nicht zuletzt die besondere Sachqualität der kulturellen Wertgegenstände als res sui generis ‚lechzen‘ förmlich nach einer Derogation der lex rei sitae im Internationalen Kulturgüterprivatrecht. Nach den voranstehenden Untersuchungen kann festgestellt werden, dass die bei Nichtanwendung des Belegenheitsrechts entstehende Lücke im Rechtswahlprozess sinnvoll und effektiv mittels der Grundsätze der lex originis geschlossen werden kann.
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Vgl. Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 271–279. Vgl. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 282; Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 405–410; Rigaux, Institut de Droit international – 64 Session in Santiago de Compostela vom 4–14 September 1989, RabelsZ 54 (1990), S. 139–143.
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Eine Rechtswahl nach der lex originis bestimmt für den Schutz von Kulturgütern, die dem kulturellen Erbe einer Nation zuzurechnen sind, ausschließlich das Recht des kulturellen Ursprungs- und Herkunftsstaates als maßgeblich, unabhängig davon, in welchem Staat und unter Geltung wessen Rechtsregimes das Kulturgut veräußert wird. Dabei geht es um die Bindung eines Kulturgutes an eine bestimmte Nation: Nicht mehr die Belegenheit des Kulturguts, sondern dessen rechtliche und kulturelle Verbundenheit mit seinem Herkunftsland ist danach das ausschlaggebende Anknüpfungsmoment im Rechtswahlprozess. Während das internationale private Sachenrecht bislang die Veränderung der Lage als Statutenwechsel akzeptierte und die engste Beziehung des Kulturguts durch den jeweiligen Lageort konkretisierte, zielt die Nationalisierung des Kulturguts im internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht auf eine permanente Zuordnung gewisser Kulturgüter zu ihrer Heimatrechtsordnung als der engsten Verbindung – im Gegensatz zu dem zufällig oder insbesondere mala fides manipulierten Lageort zum Zeitpunkt der jeweiligen Veräußerung.
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Dabei konnte festgestellt werden, dass die Anknüpfung an die Rechtsordnung des Ursprungsstaats eines Kulturguts keine vollständige Abkehr von dem allgemein anerkannten Prinzip der lex rei sitae darstellt, sondern den traditionellen Anknüpfungspunkt der örtlichen Belegenheit einer Sache grundsätzlich beibehält, jedoch dahingehend korrigiert, dass die ursprüngliche lex rei sitae (d.h. die Rechtsordnung des kulturellen Ursprungsstaates) permanent (d.h. auch nach einem Statutenwechsel) fixiert bzw. perpetuiert wird. Dies ist für den Kulturgüterschutz besonders sinnvoll, da bei einem unrechtmäßigen Entziehungsakt kultureller Wertgegenstände der ursprüngliche Eigentümer keinen Einfluss auf den Belegenheitsort des Kulturguts mehr ausüben kann und die Verbindung zwischen dem Kulturgut und der lex rei sitae bei einer zufälligen, insbesondere aber bei einer perfiden Änderung des Belegenheitsortes mala fides gerade nicht mehr Ausdruck derjenigen Rechtsordnung ist, die den Beteiligten eines Kulturgüterverkehrs am besten bekannt ist und für den konkreten Transfer besonders sachnah ist.
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Rechtsfolge einer Anknüpfung an die lex originis ist in erster Linie die Unterwerfung privatrechtlicher Rechtsverhältnisse an Kulturgütern einem sog. Heimatrecht. Außerdem hat die Theorie zur Folge, dass zur Sicherung des nationalen Kulturerbes des Ursprungsstaats auch eine unmittelbare Anwendungsbestimmung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften trotz deren Qualifizierung als Normen des öffentlichen Rechts vorgenommen wird.
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Bei diesem Verständnis steht die lex originis auch nicht im Widerspruch zu dem theoretischen Konstrukt Savignys – dem Begründer der lex rei sitae –, sondern fügt diese sogar passgenau in dessen Rechtswahlprozess ein: Haben bewegliche Gegenstände nämlich – in den Worten Savignys – „eine Bestimmung erhalten …,
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die sie an einem bleibenden Aufenthalt fest bindet“2048, und werden diese Objekte daraufhin unrechtmäßig ins Ausland transferiert, sei diese Veränderung „zufällig“ und liege „außer dem gegenwärtigen Bewußtseyn und Willen des Besitzers“2049. Da gerade Kulturgüter grundsätzlich an einem bestimmten Ort permanent aufbewahrt werden sollen und national bedeutsame Kunst- und Kulturgüter mit dem Ursprungsstaat als ‚Heimat‘ regelmäßig kulturell fest verbunden sind, besteht auch nach dem Savigny’schen Grundmodell nicht zur zufälligen oder manipulativ in Kraft gesetzten lex rei sitae, sondern zur Rechtsordnung des kulturellen Ursprungsortes die engste Verbindung: „So geschieht es“, nach den Worten Savignys, „mit dem Mobiliar eines Hauses, mit einer daselbst aufgestellten Bibliothek oder Kunstsammlung, mit dem Inventar eines Landgutes.“2050 Diese auch schon bei Savigny geforderte Bindung kultureller Wertgegenstände an den ‚richtigen‘ Bestimmungsort bzw. das richtige Zuordnungssubjekt kann sinnvollerweise nur durch die Wahl eines schwer veränderlichen Anknüpfungsmomentes für das Internationale Kulturgüterprivatrecht und damit insbesondere durch Bezugnahme auf die lex originis erfolgen. Eine solche Rechtswahl findet einen tragbaren Kompromiss zwischen den Bedürfnissen der im internationalen Kunstmarkt Beteiligten und der Rechtssicherheit einerseits und den Interessen des Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts in der Bewahrung und Erhaltung kultureller Wertgegenstände und den Anliegen der (ursprünglichen) Eigentümer an der Wiedererlangung ‚ihrer‘ unrechtmäßig entzogenen Kulturgüter andererseits.
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Für eine Rechtswahl nach der lex originis gibt es seit Erlass der Resolution La vente internationale d’objets d’art sous l’angle de la protection du patrimoine culture vom 3. September 1991 eine rechtsdogmatische Konzeption seitens des Institut de Droit international, die sowohl in den Fällen eines bloßen Exportverstoßes als auch bei gleichzeitigem Diebstahl oder sonstigem Abhandenkommen anwendbar ist. Die Resolution zielt auf die Anwendung des Rechts desjenigen Staates ab, mit dessen Kultur das Kunstwerk am engsten verbunden ist. Zusätzlich zum Kriterium der engsten Verbindung fordert Art. 1 Abs. 1 a) außerdem, dass die Objekte von der Rechtsordnung, die sie als zu ihrem kulturellen Erbe gehörig ansieht, auch als solche registriert, klassifiziert oder mittels eines anderen
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So Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Band VIII, 1849, S. 169, S. 179. Ganz anders als etwa bei der Qualifizierung kultureller Güter als res in transitu, so auch Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 184–217. A.A. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 199, wonach die Vorstellung von einem Sitz des Kulturguts an die Sonderregel für Transportmittel in Art. 45 EGBGB erinnere. So Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Band VIII, 1849, S. 169, S. 179. Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Band VIII, 1849, S. 179.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
international anerkannten Publizitätsaktes bestimmt worden sind: „Kunstwerke“ sind dementsprechend nur solche Gegenstände, die durch einen Publizitätsakt zum kulturellen Erbe einer Nation erklärt worden sind. Als Herkunftsstaat ist ausweislich des Art. 1 Abs. 1 b) der Ort anzusehen, zu dem das Objekt die engste kulturelle Verbindung (le lien le plus étroit) aufweist. Hierfür muss das unrechtmäßig ausgeführte Kulturgut als signifikanter Ausdruck der nationalen Kultur desjenigen Staates anzusehen sein, der seine Rückführung verlangt. Ausdrücklich bestimmt Art. 3 der Resolution, dass ausfuhrbeschränkende Vorschriften des kulturellen Ursprungsstaates (Regelungen des kulturellen Exports) trotz ihrer Qualifikation als Normen des öffentlichen Rechts auch vor fremden Foren Anwendung finden. Da allein auf Grund der kollisionsrechtlichen Verweisung auf die Rechtsordnung des Ursprungsstaates kein Restitutionsanspruch entsteht und grundsätzlich nur dann eine Rückführung vom aktuellen Besitzer möglich ist, wenn dem Ursprungsstaat ein entsprechendes dingliches Recht an dem unrechtmäßig transferierten Kulturgut zusteht, sieht die Resolution in Art. 4 Abs. 1 zusätzlich eine Regelung vor, wonach der kulturelle Ursprungsstaat, solange nach dessen Recht kein Eigentumsübergang stattgefunden hat, innerhalb einer angemessenen Frist die Rückführung der ausgeführten Kunstwerke verlangen kann, wenn das kulturelle Erbe des Staates wesentlich beeinträchtigt ist (originärer materiell-rechtlicher Rückführungsanspruch). Um jedoch einen Ausgleich zwischen dem Rückführungsinteresse unrechtmäßig transferierter Kulturgüter an den kulturellen Ursprungsstaat und dem Interesse des gutgläubigen Rückgabeschuldners zu erreichen, bestimmt Art. 4 Abs. 2 der Resolution in einer weiteren materiell-rechtlichen Regelung einen Entschädigungsanspruch eines gutgläubigen Besitzers. 785
Weitere normative Beispiele für eine Rechtswahl nach der lex originis sind einmal für den innereuropäischen Kulturgüterverkehr nach umstrittener, aber zutreffender Ansicht die Kollisionsregel in Art. 12 der Richtlinie 93/7/EWG vom 15.3.1993 und zum anderen – als Beispiel einer nationalen Kollisionsregel – Art. 92 Abs. 1 des belgischen Code de droit international privé von 2004: Der belgische Gesetzgeber hat darin erst kürzlich die lex originis für Kulturgüter per Gesetz wahlweise neben der lex rei sitae für anwendbar erklärt, sodass die berechtigte Hoffnung besteht, dass das Belegenheitsrecht in der Zukunft aufgrund der wachsenden Bedeutung der Bewahrung und Erhaltung des nationalen Kulturerbes sowohl innerhalb der Völkergemeinschaft, wie auch auf nationaler und regionaler Ebene voraussichtlich auch in anderen Rechtsordnungen durch eine Rechtswahl nach der lex originis ersetzt oder sogar als Wahloption wie in Belgien ergänzt werden wird.
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Des ‚Pudels Kern‘ wird innerhalb der Rechtswahl nach der lex originis die konkrete Bestimmung des kulturellen Ursprungsstaates sein. Weite Teile des Schrifttums zeigen gegenüber einer Anknüpfung an die lex originis in der Bestimmung der ‚richtigen‘ Sachenrechtsordnung im internationalen Kunsthandel insbeson-
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dere deshalb große Skepsis, da – im Gegensatz zur lex rei sitae – Zweifel bei der Bestimmung der ‚richtigen‘ Heimatrechtsordnung bestünden und unüberwindliche Schwierigkeiten bei der Feststellung der ‚Nationalität‘ im Sinne eines „eigenen Lebensmittelpunktes“2051 des Kulturguts als Anknüpfungsmoment auftreten könnten, sodass sich eine Rechtswahl nach der lex originis zur Lösung des Zuordnungsproblems auf der kollisionsrechtlichen Ebene nicht empfehle. Insbesondere bei kulturellen Verbindungen eines Objekts zu mehreren Ursprungsrechtsordnungen herrsche große Rechtsunsicherheit, sodass eine Rechtswahl nach der Heimatrechtsordnung „außerordentlich unpraktikabel“ sei. Schließlich bestehe die Gefahr, dass mit der Anknüpfung an das Recht des Herkunftslandes ein Recht zur Anwendung gelange, welches hieran letztlich gar kein Interesse habe. Es herrscht also die Befürchtung vor, dass die lex originis bei der Berufung der kulturellen Heimatrechtsordnung zur Anwendung eines sachfernen Rechts führe, da die Bestimmung einer kulturellen Verbindung zwischen Kulturgut und Ursprungsstaat „ein schwieriges und nicht immer eindeutig zu lösendes Unterfangen“ 2052 darstelle. In den voranstehenden Untersuchungen mussten deshalb für die tägliche Praxis des internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts handhabbare Faktoren, Kriterien und Indizien extrahiert werden, die ein Kulturgut zu einem ‚nationalen Kulturgut‘ erheben. Bei der Bestimmung des ‚richtigen‘ Herkunftsstaates und damit der sachnächsten Rechtsordnung für einen internationalen Kulturgüterverkehr ist danach nicht mehr die Belegenheit des Kulturguts zum Zeitpunkt der sachenrechtserheblichen Einwirkung, sondern dessen rechtliche bzw. kulturelle Verbundenheit mit einem Ursprungsstaat entscheidend. Die erstgenannte ‚rechtliche‘ Verbundenheit eines Kulturguts mit ‚seinem‘ Ursprungsstaat sollte stets als Ausgangspunkt bei der Bestimmung der Nationalität bzw. der Heimatrechtsordnung eines Kulturguts instrumentalisiert werden. Diese Rechtswahl nach der sog. lex inexportabiles wendet die Rechtsordnung desjenigen Staates zur Entscheidung internationaler Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsverfahren an, unter deren Sachherrschaft sich das Kulturgut vor seinem unrechtmäßigen Entziehungsakt, vor dem verbotswidrigen Export und damit vor dem kulturgüter- und denkmalschutzgesetzwidrigen Transfer befand.
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Ein Kulturgut ist danach mit einem ausländischen Ursprungsstaat und dessen Rechtsordnung in erster Linie dann rechtlich verbunden, wenn es unter Verstoß gegen das ausländische Exportverbot bspw. nach Deutschland verbracht worden
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Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff., S. 51. So die Terminologie bei Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 231–232.
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ist. Dann richten sich die Eigentumsverhältnisse abweichend von Art. 43 Abs. 1 EGBGB allein nach dem Recht des Staates, in dem das Kulturgut sich vor dem verbotswidrigen Export befand. Durch die kulturgüter- und denkmalschutzgesetzwidrige Verbringung ins Ausland wird zugleich eine rechtliche Verbundenheit zwischen dem Kulturgut und derjenigen Rechtsordnung geschaffen, die sich um dessen Erhaltung und Bewahrung sorgt und es dauerhaft für zukünftige Generationen innerhalb des eigenen Staatsterritoriums zu bewahren und erhalten sucht. Die Anstrengungen eines Staates zur Bewahrung und Erhaltung kultureller Wertgegenstände für zukünftige Generationen innerhalb seines Territoriums und die Statuierung kultureller Exportbeschränkungen für das nationale Kulturpatrimonium zeigen, dass eine wesentlich engere Verbindung zum kulturellen Exportstaat besteht, als der oft flüchtige und zufällige Umstand der jetzigen Belegenheit in einem anderen Staat sie zu begründen vermag. Vorteil bei der Anwendung der lex inexportabiles ist, dass dem kulturellen Herkunftsstaat im Falle der unrechtmäßigen Ausfuhr genau der Schutz gewährt werden kann, der diesem zum Zeitpunkt der Belegenheit der Objekte innerhalb ‚seines‘ Territoriums zukam und der Ursprungsstaat einen (illegalen) Transfer ins Ausland (rechtlich) noch selbst beeinflussen konnte. 789
Die ‚Heimat‘ und ‚Nationalität‘ eines Kulturguts sind kumulativ zu der rechtlichen Verbundenheit über die lex inexportabiles immer auch mit der ‚kulturellen‘ Verbundenheit eines Kulturguts mit ‚seinem‘ Ursprungsstaat zu begründen. Das Internationale Kulturgüterprivatrecht hat die Bestimmung der sachnächsten Rechtsordnung für den internationalen Kulturgüterverkehr zur Aufgabe, sodass zusätzlich zur rechtlichen Bande auch die kulturelle Verbundenheit von Kunstgegenständen zu ‚ihrem‘ Ursprungsstaat als ‚lien idéologique‘ (als sog. ‚cultural link‘) und als ‚appartenance culturelle‘ Berücksichtigung im Rechtswahlprozess finden muss. Aufgrund der besonderen Sachqualität kultureller Güter als res sui generis innerhalb der geltenden Rechtssysteme sind danach auch im Kollisionsrecht außerrechtliche, d.h. soziale, kunsthistorische, ethische, religiöse und archäologische sowie künstlerische Beziehungen von Kunst- und Kulturgegenständen zu ihren Zuordnungssubjekten aufzugreifen und es ist zu fragen, ob diese eine so enge Verbindung der Objekte zu einer bestimmten Rechtsordnung widerspiegeln, dass nur diese über die dingliche Sachzuordnung (etwa nach einem unrechtmäßigen Entziehungsakt) zur Entscheidung berufen sein kann. Dies ist die ureigenste Aufgabe des allgemeinen internationalen Privatrechts: So wie in jedem anderen Rechtswahlprozess eine selbstständige Kollisionsnorm für einen bestimmten sog. Anknüpfungsgegenstand (als materiell-rechtlichen Systembegriff eines Lebenssachverhaltes) über ein sog. Anknüpfungsmoment (als das zur Entscheidung über die anwendbare Rechtsordnung maßgebliche Kriterium) die im konkreten Fall anwendbare Rechtsordnung (die sog. lex causae) bestimmt, hat das Internationale Kulturgüterprivatrecht für die dingliche Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter als Anknüpfungsgegenstand über
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die ‚Heimat‘ und ‚Nationalität‘ eines Kulturguts als Anknüpfungsmoment die lex causae zu bestimmen. Dadurch wird das Kulturgut gewissermaßen „personifiziert“2053, sodass Teile der Literatur schon von einer „Vermenschlichung des Kunstwerks“2054 oder „Staatsangehörigkeit des Kulturguts“2055 sprechen.2056 Kunst- und Kulturgüter werden kollisionsrechtlich quasi als Personen gesehen.2057 Für eine solche kulturelle Verbundenheit wird der aktuelle Aufenthaltsort nur noch ausnahmsweise maßgeblich sein (wenn sich das Kulturgut nicht gegen den Willen des Herkunftsstaates dort befindet) und es lässt sich aus den internationalen Rechtsinstrumenten, nationalen Kollisionsregeln, judikativen Entscheidungen und rechtswissenschaftlichen Abhandlungen eine Vielzahl von Kriterien, Indizien und Hinweiszeichen extrahieren, mit denen sich die Nationalität und der Herkunftsstaat eines Kulturguts bestimmen lassen und die zur inhaltlichen Ausgestaltung des Anknüpfungsmomentes „Heimatrecht“ führen:
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Die enge sachliche Verbindung zwischen Kulturgut und religiösem Zuordnungssubjekt sollte auch im internationalen Privatrecht über den Ort der kultischen Verehrung rezipiert und als Anknüpfungsmoment die sog. lex cultus anerkannt werden. Bei der Bestimmung einer kulturellen Verbindung zwischen einem Sakralgegenstand und dem kulturellen Zuordnungssubjekt (wie etwa einem Heimatstaat, einer Religionsstätte bzw. einer Glaubensgruppe von Menschen) besteht meist Einigkeit: Religiöse Objekte bilden aufgrund der inneren Konnexität zwischen Sakralgegenstand und Kultort eine eigene Kategorie, da diesen Objekten neben ihrem ästhetischen, wissenschaftlichen oder historischen Gehalt regelmäßig auch ein religiöser Wert innewohnt, der von den Angehörigen des Kultes, dem sie zugeordnet werden, als Botschaft des Glaubens empfunden wird.
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Diese Formulierung wählt Jayme, Kunstwerk und Nation: Zuordnungsprobleme im internationalen Kulturgüterschutz, 1991, S. 20. Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 130. Jayme verweist diesbezüglich auf das US-amerikanische Zivilprozessrecht, das Kulturgüter bei Verfahren in rem selbst als Prozesspartei betrachtet und somit als Personen behandelt, vgl. Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff., S. 45. Mußgnug, Die Staatsangehörigkeit des Kulturguts, in: Bröhmer u.a., Internationale Gemeinschaft und Menschenrechte, Festschrift Ress, S. 1531 ff. Vgl. hierzu auch Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 94–98. Jayme, Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im Internationalen Privatrecht, in: Dominicé/Patry/Reymond, „Études de droit international en l’honneur de Pierre Lalive“, 1993, S. 717–731, S. 725, vgl. auch S. 727: „Die Nationalität des Künstlers personalisiert das Kunstwerk“. Zum Ganzen auch Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 127–139.
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Für solche Gegenstände, denen aufgrund ihrer Benutzung und sakralen Indienststellung ein religiöser Wert innewohnt, besteht ein allgemein anerkanntes Bedürfnis, sie an ihrem angestammten kulturellen Ort zu bewahren bzw. nach einem unrechtmäßigen Entziehungsakt wieder dahin zurückzuführen. 792
Eine kulturelle Verbundenheit von Kunstgegenständen zu ‚ihrem‘ Ursprungsstaat kann auch mittels der Person und Nationalität des Künstlers geschaffen werden. Dass die Kultur einer Nation durch ein Kulturgut verkörpert werden kann, das ein Angehöriger dieser Nation geschaffen hat, leuchtet ein: So formuliert Jayme, dass in einem Kulturgut „geistige Energien“ verkörpert sind, die als Ausdruck der Identität des Künstlers und der Nation, der er angehört, anzusehen seien,2058 sodass die Werke als Ausdruck der Kunst dieses Landes oder einer bestimmten Epoche gelten können. Die Nationalität des Künstlers personalisiert danach das Kulturgut. Betont man hier insbesondere den Begriff der „Kulturnation“ als Zugehörigkeit zu einer sich auf gemeinsame Sprache und Kultur stützenden Gemeinschaft, wird eine gewisse „Wertschätzung“ des Künstlers zu verlangen sein und einen im internationalen Privatrecht zu rezipierenden Bezug zu einer Nation nur bei „namhaften“ oder „herausragenden“ Künstlern annehmen. Aus der Rechtsprechung wurde darüber hinaus ersichtlich, dass die Person und Nationalität des Künstlers auch als Negativkriterien wirken können und die Zugehörigkeit eines Kunstwerks zum nationalen Kulturerbe eines Landes ausschließen können. Innerhalb der Rechtssache Jeanneret v. Vichey anerkannte ein amerikanisches Gericht das Matisse-Gemälde ‚Visage sur Fond Jaune‘ (1952) nicht als italienisches Kulturgut, nur weil es auf der Biennale in Venedig gezeigt und sich für eine bestimmte Verweildauer auf italienischem Boden befand. Ein französischer Künstler „bore no such relation to Italy as a Raphael or a Bellini Madonna.“2059
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Über die bisher genannten Anknüpfungsmöglichkeiten hinaus kann auch der Entstehungsort eines Kulturguts die kulturelle Verbundenheit von Kunstgegenständen zu ‚ihrem‘ Ursprungsstaat ausweisen. Tatsächlich kann es zutreffen, dass die Wahl des Wohnsitzes in dem betreffenden Land von einer Verbindung mit der Kultur dieses Staats zeugt, sodass der Künstler durch diese Kultur beeinflusst wird und umgekehrt die Kultur dieses Staats mitgestaltet. In den obenstehenden Untersuchungen ist außerdem wiederholt angeklungen, dass auch der Bestimmungsort, für den ein Kulturgut bspw. im Rahmen einer Auftragsarbeit geschaffen wurde, oder der Ort, an dem sich die Sache nach dem Willen ihres Schöpfers dauerhaft und rechtmäßig befindet, die kulturelle Verbundenheit von Kunstgegenständen zu ‚ihrem‘ Ursprungsstaat ausdrücken und als Anknüpfungsmomente bei der Rechtswahl im Internationalen Kulturgüterprivatrecht fun-
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Jayme, „Entartete Kunst“ und Internationales Privatrecht, 1994, S. 7 ff., S. 24. Vgl. Jeanneret v. Vichy, 693 F.2d 259 (2d Cir. 1982), S. 267.
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gieren können (kultureller Funktionszusammenhang von Kulturgütern zu einem bestimmten Ort). Insgesamt sollte aber eine Anknüpfung an den Entstehungsort bzw. den Bestimmungsort eines Kulturguts nicht überbewertet werden und es besteht auch aus kultureller Sicht insbesondere zwischen dem Schaffensort und dem Kunstwerk regelmäßig nur eine relativ schwache Bindung. Ein Urteil des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 5.6.1985 zeigte, dass der Bestimmungsort aber auch als Negativkriterium dienen kann: Der Eigentümer einer völkerkundlichen Sammlung hatte von den zuständigen staatlichen Stellen vergeblich die Eintragung seiner Sammlung in das deutsche Verzeichnis national wertvollen Kulturguts verlangt. Das Gericht stellte fest, dass es in erster Linie um die Unterschutzstellung eines „Kult-Groß-Krokodils“ von 7,5 Metern Länge gehe, dieses und die weiteren Objekte jedoch weder einen Bezug zur deutschen Kultur hatten, noch von Künstlern internationalen Ranges geschaffen worden seien. Solche Gegenstände besitzen durchaus einen Bestimmungsort und können selbstverständlich von einem bestimmten Volk oder Stamm als identitätsbegründend verstanden werden, nicht jedoch von der Kulturnation Deutschlands. Darüber hinaus, kann auch der ‚Sitz‘ eines Kulturguts die kulturelle Verbundenheit von Kunstgegenständen zu ‚ihrem‘ Ursprungsstaat ausdrücken. Darunter versteht man den Ort, an dem sich das legal erworbene Kulturgut nach dem Wunsch des letzten Eigentümers permanent befindet. Da einerseits Entstehungsund Bestimmungsort und andererseits der Ort, an dem sich das legal erworbene Kulturgut nach dem Wunsch des letzten Eigentümers permanent befindet, voneinander abweichen können (viele Kunstgegenstände befinden sich, jedenfalls zivilrechtlich gesehen, legal an einem bestimmten Ort, für den sie aber nie bestimmt gewesen sind), hat sich dieser Unterscheidung ein Teil des neueren Schrifttums angeschlossen und sieht in dem ‚Sitz‘ des Kulturguts ein eigenständiges Anknüpfungsmoment innerhalb der Rechtswahl nach der lex originis: Mit dem ‚Sitz‘ eines Kulturguts kann in der praktischen Rechtsanwendung regelmäßig der Ort gemeint sein, an den das Werk letztlich bestimmungsgemäß zurückkehren soll, bspw. ein Museum, eine Kirche oder sonstige Kultstätte oder auch eine private Sammlung. Damit steht die Bestimmung der Heimat eines Kulturguts nach der sog. Rezeptionstheorie in engem sachlichen Zusammenhang: Danach gehört zum nationalen Kulturgut eines Staates, dessen Rechtsordnung die dingliche Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter vorzunehmen hat, nicht zwangsläufig jedes Kulturgut, das auf dessen Territorium entstanden, gefunden oder von einem Angehörigen dieses Staats geschaffen wurde. Vielmehr fordern diese Teile der Literatur eine zusätzliche Rezeption durch den jeweiligen Staat, derzufolge dem Kulturgut nationale Bedeutung zukommt. Dieser Lösungsansatz stellt neben der Nationalität des Künstlers, dem Entstehungs- und Bestimmungsort und dem Sitz eines Kulturguts insbesondere auch auf dessen kulturellen Funktionszusammenhang und ein „subjektives Element der Wertschätzung“ ab, in dem das Kunstwerk für das bestimmte kul-
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
turelle Zuordnungssubjekt rezipiert wurde. Die Rezeptionstheorie setzt danach für eine Rechtswahl nach der Heimatrechtsordnung zwingend voraus, dass die betreffende (Heimat-)Nation das jeweilige Kunstwerk als Teil ihrer nationalen kulturellen Identität ansieht und ihm eine dementsprechende Bedeutung beimisst. Rechtliche Anerkennung soll die Rechtswahl nach der Heimatrechtsordnung nur dann finden, wenn das Kulturgut die Kultur und Geschichte einer Nation im Unterschied zu anderen Nationen verkörpert und damit zugleich Ausdruck der Identität gerade dieser Nation und nicht einer anderen ist. 795
Besonders nahe liegt darüber hinaus der Gedanke einer kulturellen Verbundenheit insbesondere von archäologischen Altertumsfunden zu ihren jeweiligen Fundorten und der Rechtswahl nach deren Rechtsordnungen. Archäologische Artefakte verkörpern historische Informationen hinsichtlich früherer Kulturen und Religionen, beinhalten die sich verändernden soziologischen Verhaltensmuster früherer Bevölkerungsgruppen, die nach ihrem Gesamtinformationsgehalt allein im Zusammenhang mit den lokalen Gegebenheiten und vergleichbaren Funden wissenschaftlich ausgewertet werden können (sog. Bodeninformationen2060). Der Fundort gibt deshalb Aufschluss über die Zuordnung einer Sache zu einer bestimmten Kultur und stellt so eine enge und aus Rechtsgründen zu schützende Verbindung zu dem Objekt her. Diese gesteigerte Bedeutung des Fundorts entspricht der neuen Tendenz in der Archäologie, die sich immer weniger als Kunstbzw. Schatz-, sondern als Kontextarchäologie begreift – es geht primär um die „preservation of information“2061, da Kulturgüter historisch wichtige Informationsträger darstellen. Gegenüber Altertumsfunden besteht somit – im Gegensatz zu sonstigen Gattungen kultureller Wertgegenstände – eine gesteigerte Gefahr der Zerstörung spezieller Informationen aufgrund des illegalen Transfers solcher archäologischer Artefakte, sodass der Gedanke einer ‚inneren‘ Konnexität zwischen Territorium und Altertumsfund auch im Internationalen Kulturgüterprivatrecht Rezeption finden muss. Unterstützung findet der Ansatz durch das sog. Prinzip des organischen Ensembleschutzes, das Kulturgüter als unzertrennliche Einheit an ihrem Fundort zusammenhält.
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Aktuelle Beiträge zur Bestimmung der Heimatrechtsordnung schließen auch aus dem geschichtlichen Zusammenhang eines Kulturguts auf dessen kulturelle Verbindung mit ‚seinem‘ Ursprungsstaat. Dabei kommt es darauf an, ob die einzelnen Kulturgüter Zeugnis der Geschichte einer Nation ablegen können, wie dies bspw. in erster Linie bei der Sachzuordnung von historischen Dokumenten und
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Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 32–33. Merryman, The Public Interest in Cultural Property, California Law Review, Volume LXXVII (1989), S. 339–364, S. 356–357; Merryman, Cultural Property Export Controls, UFITA, Band 111 (1989), S. 63–99, S. 88–92; Brodie, An Archaeologist’s View of the Trade in Unprovenanced Antiquities, in: Hoffman, Art and Cultural Heritage – Law, Policy and Practice, 2006, S. 52–63, S. 52–53.
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Archiven der Fall ist. Über diese enge Kategorie hinausgehend kann eine qualifizierte Verbindung auch anderer Kategorien von Kunst- und Kulturgütern zu einem Staat bestehen, wenn die Objekte für eine Nation oder eine Region eine symbolische Bedeutung im geschichtlichen Gesamtzusammenhang aufweisen. Nach der ausführlichen Analyse der voranstehenden rechtlichen und kulturellen Zuordnungskriterien von Kunst- und Kulturgütern zu einem kulturellen Ursprungsstaat und deren Applikation in konkreten Sachverhaltskonstellationen ist – entgegen einem Teil des Schrifttums – festzustellen, dass heute die Entwicklung „international verträglicher“ und rechtlich rezipierbarer Zuordnungskriterien und Lösungsschemata für komplizierte Zuordnungsfälle im internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht grundsätzlich für möglich zu halten ist. Teilweise werden die einzelnen Kriterien der kulturellen Verbundenheit eines Kulturguts mit ‚seinem‘ Ursprungsstaat im Sinne einer „Anknüpfungsleiter“ verstanden, die einer inneren Gewichtung der einzelnen Kriterien folgt. Rechtsmethodisch treffender wird jedoch eher die Feststellung der rechtlichen und kulturellen Verbundenheit mittels einer Adskription eines Kulturguts zu ‚seinem‘ Ursprungsstaat nach einer „Gesamtbetrachtung aller Umstände“ zu erreichen sein. Im Internationalen Kulturgüterprivatrecht ist folglich im Wege einer Einzelbetrachtung eine Art „grouping of contacts“ vorzunehmen, um so letztlich zur Anwendung der Rechtsordnung desjenigen Landes zu gelangen, zu welchem das Kulturgut nach einer Abwägung aller rechtlichen wie kulturellen Verbindungslinien die engste Beziehung aufweist.
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Ist dieses Hindernis überwunden, zeichnet sich die Anwendung der lex originis im Internationalen Kulturgüterprivatrecht durch zahlreiche Vorteile für den Kulturgüterschutz und die Rückführung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter aus. Ein erster wichtiger Nutzen besteht darin, dass durch die Anknüpfung an die Heimatrechtsordnung als unwandelbares Anknüpfungsstatut die willkürlichen Ergebnisse, die aus einer Anknüpfung an den oft zufälligen Lageort i.S.d. lex rei sitae herrühren, vermieden werden. Insbesondere wird durch die Wahl der lex originis als unwandelbares Anknüpfungsstatut die Manipulierbarkeit des anwendbaren Rechts mala fides durch die Verbringung der Sache in ein bestimmtes Land und unter Geltung einer Rechtsordnung ausgeschlossen, die auch an unrechtmäßig entzogenen Kulturgütern eine neue dingliche Sachzuordnung unter erleichterten Voraussetzungen bestimmt, als dies bspw. die Heimatrechtsordnung eines Kulturguts erlaubte. Durch den nahezu vollständigen Ausschluss des forum shopping im kulturellen Schwarzmarkt, das durch die Verschiedenheit der Vorschriften zum Eigentum in den Rechtsordnungen der Welt möglich ist, wird eine bewusste Manipulation der Rechtswahlgrundsätze und die bewusste Anwendung einer für den Erwerber ‚günstigen‘ Rechtsordnung durch eine Veräußerung in sog. places of bargaining shopping vermieden – und so eine merkliche Reduktion des illegalen Kunsthandels erreicht!
798
936
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
799
Zweiter wichtiger Vorteil bei der Rechtswahl nach der lex originis ist, dass nationale Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften entgegen dem allgemeinen Grundsatz der Nichtanwendung ausländischen öffentlichen Rechts auch vor einem ausländischen Zivilforum extraterritoriale Anwendung finden. Die besondere Effektivität der lex originis-Regel zur Bewahrung und Erhaltung kultureller Wertgegenstände für ihren Ursprungsstaat wird beispielhaft für solche Objekte ersichtlich, die in ihrem kulturellen Ursprungsstaat zu res extra commercium designiert wurden: Extrakommerziale Kulturgüter verlieren diesen Status auch im Ausland nicht und gelten weiterhin als nicht verkehrsfähig. Die extraterritoriale Anwendung der Rechtsfolgen der Extrakommerzialität kultureller Wertgegenstände bedeutet damit, dass auch in der Konstellation eines qualifizierten Statutenwechsels und der Veräußerung unveräußerlicher Kulturgüter außerhalb des Territoriums des kulturellen Ursprungsstaates keine neue dingliche Sachzuordnung erfolgt und die Objekte weiterhin unveräußerlich und unersitzbar sind und Restitutionsansprüche der ursprünglichen Eigentümer weder verjähren noch verwirken (internationale Anerkennung der res extra commercium).
800
Trotz dieser augenscheinlichen Vorteile einer Rechtswahl nach der Heimatrechtsordnung steht die lex originis im Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht nicht nur hinsichtlich der genannten praktischen Bedenken bei der Bestimmung des kulturellen Ursprungsstaates in starker Kritik. Insbesondere wird darauf verwiesen, dass auch bei Anwendung der lex originis Zufallsergebnisse zu erwarten seien und die lex rei sitae teilweise günstiger für den Kulturgüterschutz als die lex originis sein könne. Dem ist zuzugeben, dass die lex originis nicht zwingend zu einem erhöhten Kulturgüterschutz führt und das Recht des Lageortes aus Kulturgüterschutzgesichtspunkten günstiger sein kann als die dingliche Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter nach der Rechtsordnung des kulturellen Ursprungsstaates. Der Vorwurf, der locus rei sitae sei ein zu sehr vom Zufall abhängiger Ort, um die Anwendung der lex rei sitae für internationale Transaktionen in rem anzuwenden, lässt sich dementsprechend analog auf die kollisionsrechtliche Sonderanknüpfung nach der lex originis übertragen.
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Dem ist jedoch zu erwidern, dass dieses Ergebnis nach der rechtsdogmatischen Konstruktion der lex originis als Rechtswahlregel des internationalen Privatrechts richtig, gewollt und insbesondere kollisionsrechtlich ‚gerecht‘ ist, da die Eigentümer von Kunst- und Kulturgütern genau mit dem Schutzprogramm der lex originis rechnen, das in der Heimatrechtsordnung der Kulturgüter besteht. Ebenso wenig wie die Eigentümer nach einer perfiden Verbringung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter mala fides in eine den illegalen Kulturgüterverkehr begünstigende Rechtsordnung mit den erleichterten Möglichkeiten des gutgläubigen rechtsgeschäftlichen Erwerbs und der Ersitzung bzw. der Verjährung und Verwirkung kultureller Restitutionsansprüche belastet werden sollen, besteht nach den allgemeinen Rechtswahlgrundsätzen und der kollisionsrechtlichen Annahme der Gleichwertigkeit aller Rechtsordnungen kein Grund,
§ 14 Ergebnis: Plädoyer für eine Rechtswahl nach der ,lex originis‘
937
die ursprünglichen Eigentümer zu Lasten gutgläubiger Erwerber bei einer günstigeren lex rei sitae zu bevorzugen. Vielmehr besteht in den Fällen, in denen die tradierten Rechtswahlregeln der lex rei sitae – ausnahmsweise – eine Besserstellung des ursprünglichen Eigentümers unrechtmäßig entzogener Kulturgüter bestimmen, kein schutzwürdiges Vertrauen der Eigentümer auf diese Besserstellung. In solchen Konstellationen durfte ein Eigentümer schon nicht damit rechnen, dass die unrechtmäßig entzogenen Kulturgüter zufällig unter einem den Eigentümerschutz stärker berücksichtigenden Statut erworben würden, als dies nach der lex originis der Fall wäre. Für den materiellen Schutz von Kunst- und Kulturgütern haben somit in erster Linie die materiellen Sachrechtsregeln zu sorgen. Das Internationale Kulturgüterprivatrecht hat jedoch die Aufgabe, dass eine faire und gerechte Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter nicht mala fides im Wege des forum shopping und mit den Mitteln des Kollisionsrechts torpediert wird – genau dieses Ergebnis wird aber durch die Anwendung der lex originis erreicht! Rechtsdogmatischer Hintergrund ist, dass es keinem Anknüpfungsmoment, und damit auch nicht der lex originis, um die aus Kulturgüterschutzgesichtspunkten günstigste, sondern sachnächste und engste Rechtsordnung zu einem Sachverhalt gehen muss. So wird betont, dass mit dem lex originis-Ansatz nicht intendiert werde, „bestimmte materiell-rechtliche Interessen und Wertungen von ihrem Ergebnis her zu bevorzugen. Die lex originis soll gerade unabhängig vom konkreten Ergebnis in der Sache angewandt werden und zwar auch dann, wenn sie im Einzelfall zu einem für den rückforderndem Staat nachteiligeren Ergebnis führt als unter Anwendung der herkömmlichen lex rei sitae. Es geht also nicht um das Auffinden des sachlich besten Rechts, denn dies würde bereits dem System des IPR widersprechen, das sich der Anwendung des sachlich nächsten Rechts verpflichtet sieht.“2062 Ansonsten entstünde ein nicht hinzunehmender Widerspruch zu dem kollisionsrechtlichen Grundsatz der Gleichrangigkeit und Gleichwertigkeit der einzelnen Sachrechtsordnungen. Innerhalb des Bereichs kulturgüterschutzgesetzwidrig transferierter Kulturgüter ist es vielmehr Sache des kulturellen Heimatstaates, die notwendigen Maßnahmen zum Schutze seines Kulturguts zu treffen.
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Lässt sich dagegen über die Rechtsfolgen der lex originis hinaus vor einem nationalen Parlament weitergehend eine alternative Anknüpfung an die lex rei sitae, die lex originis und vielleicht sogar die lex furti trotz der Einschränkung der Verkehrsinteressen des internationalen Kunsthandels und der Rechtssicherheit im Rechtswahlprozess erreichen, ist dies kulturpolitisch uneingeschränkt zu unter-
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2062
So Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 265–271, unter Rekurs auf Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 25.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
stützen. Es mutet aus Sicht des Kulturgüterschutzes in der Tat befremdlich an, dass sich ein gutgläubiger Erwerber, der ein Kulturgut nach dem Recht des Lageortes nicht hätte erwerben können, aufgrund einer Kollisionsregel, die eigentlich auf die Bewahrung der ursprünglichen Eigentumsverhältnisse abzielt, auf die Geltung des Heimatrechts des Kulturguts berufen können soll. Kollisionsrechtlich kann ein solches Ergebnis tatsächlich nur dann vermieden und eine generelle Eigentümerbegünstigung nur dadurch erreicht werden, dass die dingliche Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter alternativ an den Lageort des gestohlenen Kulturguts, seinen Ursprungsstaat oder den Diebstahlsort angeknüpft werde, „je nachdem, wo die Rechtsordnung gilt, die die Eigentümerinteressen am wirksamsten schützt“.2063 Neuerdings beruft sich auch Siehr auf diese Überlegung und bestimmt, dass in Zukunft „die lex originis nur wahlweise neben der lex rei sitae gelten“ solle,2064 wie dies beispielhaft in der bislang einzigartigen Kollisionsregel des Art. 90 der neuen Loi portant le Code de droit international privé/ Wet houdende het Wetboek van internationaal privaatrecht vom 16. Juli 2004 in Belgien bestimmt wurde. Darin wird der Herkunftsstaat, aus dem das Kulturgut illegal exportiert wurde, ermächtigt, für die Vindikation zwischen dem Belegenheitsrecht und der lex originis zu wählen. 804
Bedeutendster und nicht zu kurierender Schwachpunkt der Rechtswahl nach der lex originis ist aus Sicht des Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts jedoch die Tatsache, dass im Bereich des illegalen Exports national bedeutsamer Kulturgüter die Schaffung einer Sonderkollisionsnorm im Allgemeinen und die Rechtswahl nach der Heimatrechtsordnung im Speziellen allein nicht zu einem Rückführungsanspruch unrechtmäßig ausgeführter Kulturgüter führen werden, wenn dem kulturellen Ursprungsstaat nicht selbst ein dingliches Recht (wie etwa die Eigentumsposition) an den Objekten zusteht (keine Restitution unrechtmäßig entzogener Kulturgüter ohne materielle Rechtsposition des kulturellen Ursprungsstaates). Dem kulturellen Heimatstaat steht ein dingliches Recht an den national bedeutsamen Kulturgütern jedoch nur zu, wenn die nationalen Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze dem Ursprungsstaat aufgrund des unrechtmäßigen Exports eine dingliche Sachposition an den Objekten zuweisen. Ist dies jedoch nicht der Fall und führt der berechtigte Eigentümer die Objekte aus, wird auch die Anwendung der lex originis nicht zu einem Restitutionsanspruch führen. Aus diesem Grund sieht die Resolution La vente internationale d’objets d’art sous l’angle de la protection du patrimoine culture vom 3. September 1991 des Institut de Droit International einen eigenständigen Rückgabeanspruch als materiellrechtliche Ergänzung vor.
2063 2064
So Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 233. Vgl. Siehr, Kulturgüterschutz, in: Ebling/Schulze, Kunstrecht – Zivilrecht, Steuerrecht, 2007, S. 124–125, Rdnr. 62–64.
§ 14 Ergebnis: Plädoyer für eine Rechtswahl nach der ,lex originis‘
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Alles in allem sind die voranstehenden Ausführungen zu alternativen Anknüpfungsmaximen im Internationalen Kulturgüterprivatrecht mit einem Plädoyer für die Rechtswahl nach der lex originis und die Anwendung der ‚kulturellen Heimatrechtsordnung‘ bei der Veräußerung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter zu beschließen. Die bedeutendsten Errungenschaften sind, dass die willkürlichen Ergebnisse des forum shopping vermieden werden, die aus einer Anknüpfung an den zufälligen, häufig aber auch male fides zur Veräußerung gewählten Lageort der lex rei sitae herrühren, und dass nationale Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften entgegen dem allgemeinen Grundsatz der Nichtanwendung ausländischen öffentlichen Rechts auch vor einem ausländischen Zivilforum extraterritoriale Anwendung finden. Die Rechtswahl nach der lex originis spiegelt nach den Kriterien der rechtlichen und kulturellen Verbundenheit von Kunst- und Kulturgütern zu ‚ihrer‘ Heimatrechtsordnung die sachnächste Rechtsordnung zur Streitentscheidung von Kunstrestitutionsverfahren wider und ist kollisionsrechtlich ‚gerecht‘, da die Eigentümer von Kunst- und Kulturgütern genau mit dem Schutzprogramm rechnen, das in der Heimatrechtsordnung der Kulturgüter besteht. Lässt sich über die Rechtsfolgen der lex originis hinaus vor einem nationalen Parlament weitergehend eine alternative Anknüpfung an die lex rei sitae, die lex originis und vielleicht sogar die lex furti trotz der Einschränkung der Verkehrsinteressen des internationalen Kunsthandels und der Rechtssicherheit im Rechtswahlprozess erreichen, ist dies kulturpolitisch uneingeschränkt zu unterstützen.
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Für die internationale Museumslandschaft, teilweise auch für bedeutsame Teile des Kunsthandels, ist diese Praxis inzwischen längst anerkannt, auch wenn dies nicht ausdrücklich mit der Anwendung der lex originis begründet wird: So stimmten im Jahr 2006 bspw. das Metropolitan Museum of Art in New York und das Boston Museum of Fine Arts der Rückführung illegal während der letzten Dekaden aus Italien exportierter und geschmuggelter archäologischer Artefakte zu. Im Jahr 2007 verkündeten auch das J. Paul Getty Museum und das Princeton University Art Museum die Rückführung von Antiken nach Italien. So kündigte das Getty Museum die Rückführung von 40 Objekten an – die bislang höchste Einzelsumme amerikanischer Museen überhaupt. Im Zuge dieser Erklärungen wurden seitens der italienischen Regierung zwar die zivilrechtlichen Rückführungsansprüche gegen die Kuratorin des Getty Museum, Marion True, und den Kunsthändler Robert Hecht eingestellt, nicht aber das strafrechtliche Verfahren gegen diese in Italien.2065 Außerdem führte das Getty Museum auch illegal transferierte Statuen und andere Antiken an Griechenland zurück, die J. Paul Getty selbst bereits im Jahre 1955 erworben hatte. In Griechenland wurde in der Folge dann auch das Strafverfahren gegen Marion True eingestellt. Das Princeton University Art Museum vereinbarte am 30. Oktober 2007 die Rückführung von ins-
806
2065
Vgl. ausführlich hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 7. Teil, Rdnr. 33 ff.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
gesamt acht Objekten nach Italien, von denen vier Gegenstände noch für vier Jahre in der Ausstellung in Amerika verbleiben sollen. In dem Abkommen wurde aber auch die rechtmäßige Eigentumsposition von sieben weiteren Objekten zugunsten des Princeton University Art Museum anerkannt und vereinbart, dass Studenten der Universität besondere Forschungsmöglichkeiten in Italien eingeräumt werden und Italien als Leihgeber anderer Antiken fungieren wird. Schließlich hat im Jahr 2007 erstmalig auch ein privater Kunsthändler, Jerome Eisenberg von der Royal Athena Galleries in New York, der Rückführung von insgesamt acht bedeutsamen römischen und etruskischen Artefakten an Italien mit einem Wert von etwa 500.000 US-Dollar zugestimmt, die teilweise gestohlen aber auch illegal ausgegraben und außer Landes geschmuggelt worden waren. Schließlich hat Italien im Jahr 2007 auch gegenüber Japan eine Rückführungsforderung von nahezu 100 illegal exportierten antiken Artefakten lanciert, wovon etwa 50 Gegenstände sich in dem privaten Miho Museum in Shiga befinden.2066 807
Da nach den voranstehenden Ausführungen die Rechtswahl nach der lex originis einen tragbaren Kompromiss findet zwischen den Bedürfnissen der im internationalen Kunstmarkt Beteiligten und der Rechtssicherheit einerseits und den Interessen des Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts in der Bewahrung und Erhaltung kultureller Wertgegenstände und den Anliegen der (ursprünglichen) Eigentümer an der Wiedererlangung ‚ihrer‘ unrechtmäßig entzogenen Kulturgüter andererseits, schließt sich unmittelbar die nachstehend unter Punkt VII. zu beantwortende Frage an, ob auch innerhalb des deutschen Kollisionsrechts den Tendenzen des Internationalen Kulturgüterprivatrechts gefolgt werden soll und im Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht eine Anknüpfung an die Heimatrechtsordnung von Kunst- und Kulturgütern möglich ist.
VII. Alternative Anknüpfungsmaximen innerhalb des deutschen Art. 46 EGBGB – ‚de lege ferenda‘ oder ‚de lege lata‘? 808
Sieht man die Zweifel innerhalb der Bestimmung der ‚richtigen‘ Heimatrechtsordnung mittels der beschriebenen rechtlichen und kulturellen Zuordnungskriterien als überwunden an und versteht, dass die lex originis die engste Beziehung eines Kulturguts zu einer Rechtsordnung sucht und Kulturgüter im internationalen Privatrecht – unabhängig von dem materiellen Ergebnis des Rechtswahlprozesses – denjenigen Staaten zuordnet, in denen ihnen der größte Identifikations- und Erfahrungswert zukommt, werden zufällige Ergebnisse bei der Rechtswahl im internationalen Kunsthandel und eine manipulative Einflussnahme auf das anwendbare Recht mala fides durch die Verbringung der Sache in
2066
Vgl. zum Voranstehenden auch Roussin, Museum, in: Hutt/Tarler, Yearbook of Cultural Property Law 2006, S. 87–100, S. 88–89.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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ein bestimmtes Land ausgeschlossen. Folge davon wäre eine merkliche Reduktion des illegalen Kunsthandels, insbesondere – so wurde ersichtlich – für solche Objekte, die in ihrem kulturellen Ursprungsstaat zu res extra commercium designiert wurden. Die kollisionsrechtliche Anknüpfung an die lex originis würde im Gegensatz zur Rechtswahl nach dem Belegenheitsrecht dazu führen, dass nach der Rechtsordnung des kulturellen Ursprungsstaates extrakommerziale Kulturgüter diesen Status auch im Ausland nicht verlieren und weiterhin als nicht verkehrsfähig gelten. Auch in der Konstellation eines qualifizierten Statutenwechsels und dem Transfer unveräußerlicher Kulturgüter außerhalb des Territoriums des kulturellen Ursprungsstaates würde keine neue dingliche Sachzuordnung der unrechtmäßig entzogenen Kulturgüter erfolgen und die Objekte wären weiterhin unveräußerlich und unersitzbar und Restitutionsansprüche der ursprünglichen Eigentümer würden weder verjähren noch verwirken. Für die deutsche Rechtsordnung und das Internationale Kulturgüterprivatrecht ist folglich fraglich, ob die beschriebenen alternativen Anknüpfungsmöglichkeiten kultureller Güter im internationalen Kunsthandel schon de lege lata vor deutschen Zivilforen Anwendung finden oder nur de lege ferenda nach einer entsprechenden Gesetzesänderung zu geltendem Recht werden können. Eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage für die Anwendung der lex originis findet sich – im Gegensatz zur neu kodifizierten Rechtsordnung bspw. Belgiens2067 – innerhalb des deutschen EGBGB nicht. Vielmehr hat der deutsche Gesetzgeber bei Statuierung des internationalen Sachenrechts im Jahre 1999 und der gesetzlichen Festschreibung der lex rei sitae in Art. 43 EGBGB eine Sonderkollisionsnorm für Kulturgüter ausweislich der Gesetzesbegründung ausdrücklich ausgeschlossen.2068 Immerhin hat der Gesetzgeber in Art. 46 EGBGB aber eine sog. Ausweichklausel 2069 geschaffen, wonach das Recht desjenigen Staates Anwendung zu finden hat, mit dessen Recht „eine wesentlich engere Verbindung“ besteht „als mit dem Recht, das nach den Artikeln 43 bis 45 maßgebend wäre“.2070
2067 2068
2069
2070
Vgl. ausführlich hierzu 3, 772 f. BT-Drs. 14/343, S. 15. Vgl. hierzu auch Wagner, Der Regierungsentwurf eines Gesetzes zum Internationalen Privatrecht für außervertragliche Schuldverhältnisse und für Sachen, IPRax 1998, S. 429 ff., S. 435; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 178–181. Die UNIDROIT-Konvention ist von Deutschland allerdings noch nicht ratifiziert worden und es besteht auch in naher Zukunft keine Aussicht auf eine Ratifikation. Nach der Intention des Gesetzgebers soll es sich dabei um eine „Ausweichklausel“ handeln, vgl. BT-Drs. 14/343, S. 19. Synonym werden die Begriffe Ausnahmeklauseln, Ausnahmevorbehalte oder Berichtigungsklauseln verwandt. Vgl. dazu Kreuzer, Zur Funktion von kollisionsrechtlichen Berichtigungsnormen, ZfRV 1992, S. 168–192, S. 168 f.; Strauch, Rechtsverhältnisse an Kulturgütern im Internationalen Sachenrecht, 2007, S. 93 ff. Vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 46, Rdnr. 1–2.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
810
Neben dieser Vorbehaltsregelung des Art. 46 für das internationale Sachenrecht bestehen im deutschen EGBGB auch für Schuldverträge in Art. 28 Abs. 5 und für außervertragliche Schuldverhältnisse in Art. 41 Ausweichklauseln,2071 die zugunsten der engsten oder engeren Verbindung von der Regelanknüpfung eine Abweichung ermöglichen.2072 Allgemeiner Hintergrund für die Schaffung solcher Ausnahmetatbestände innerhalb der Rechtswahl ist die Erkenntnis, dass gesetzliche Rechtswahlgrundsätze nicht allen möglichen Fallgestaltungen Rechnung tragen können2073 und eine Vorsorge für nicht vorhersehbare Interessenkonstellationen notwendig ist.2074 Aufgrund der undifferenzierten Allgemeinheit der Regelanknüpfungsnormen2075 ergibt sich somit ein Bedürfnis für Ausweichklauseln, die das Erfordernis einer gewissen Anpassungsfähigkeit des Kollisionsrechts für nicht vorhersehbare Sachlagen oder atypische Fälle erfüllen,2076 sodass Art. 46 EGBGB nach dem Willen des Gesetzgebers die Entwicklung von Sonderanknüpfungen ermöglichen soll.2077
811
Die Grundregel bleibt also weiterhin die Rechtswahl nach der lex rei sitae-Regel i.S.d. Art. 43, es wird jedoch zusätzlich – quasi als zweiter Prüfungsschritt – die Suche nach einer wesentlich engeren Verbindung zu einer anderen Rechtsordnung verlangt, die ausnahmsweise die Belegenheitsrechtsordnung verdrängen
2071
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So auch Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 60–63. Vgl. nur von Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 2 Rn. 54. Davon zu unterscheiden sind Verweisungsnormen, die von vornherein auf die engsten Beziehungen als Anknüpfungspunkt abstellen, ohne eine andere Kollisionsnorm zu verdrängen, vgl. Kreuzer, Zur Funktion von kollisionsrechtlichen Berichtigungsnormen, ZfRV 1992, S. 168–192, S. 168 f.; a.A. von Bar, Theorie und Praxis des internationalen Privatrechts, Band 1, 2. Aufl. 1889, Rdnr. 555, der noch jede Kollisionsnorm, welche die engste Verbindung für maßgeblich erklärt, als Ausweichklausel bezeichnete. Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 186–188; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 60–63. BT-Drs. 14/343, S. 18 f. Vgl. Pfeiffer, Der Stand des Internationalen Sachenrechts nach seiner Kodifikation, IPRax 2000 (Heft 4), S. 271–285, S. 275. So die Terminologie bei Kreuzer, Zur Funktion von kollisionsrechtlichen Berichtigungsnormen, ZfRV 1992, S. 168–192, S. 184 f. Vgl. Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 60–63. BT-Drs. 14/343, S. 18. Vgl. Wagner, Der Regierungsentwurf eines Gesetzes zum Internationalen Privatrecht für außervertragliche Schuldverhältnisse und für Sachen, IPRax 1998, S. 429 ff., S. 437; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 58–59.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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kann.2078 Wenn der Normzweck, einen Sachverhalt derjenigen Rechtsordnung zuzuweisen, zu der die stärkste Verbindung besteht, bei Anwendung der Regelnorm verfehlt wird, muss er mit Hilfe der Ausnahmeregel durchgesetzt werden.2079 Die gesetzliche Ausweichklausel beabsichtigt somit, allzu starre Anknüpfungsregeln zu vermeiden und dem Rechtswahlprozess die nötige Flexibilität zu verleihen, um Einzelfallgerechtigkeit zu gewährleisten und auf atypische Interessenlagen sowie auf solche Sachverhalte adäquat reagieren zu können, die sich einer generellen Regelung entziehen.2080 Vor diesem rechtsdogmatischen Verständnis liegt es nicht fern, einerseits aufgrund der besonderen Gefahranfälligkeit des internationalen Kunsthandels sowie der tatsächlichen Dimensionen des kulturellen Schwarzmarktes eine solche „atypische Interessenlage“ gegenüber dem übrigen Warenhandel zu bejahen und andererseits, aufgrund ihrer Qualifizierung als res sui generis und ihrer Unikatfunktion aus kulturellen, künstlerischen, geschichtlichen bzw. ideologischen Gründen, in der dinglichen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter „Sachverhalte“ zu erkennen, „die sich einer generellen Regelung entziehen“. Die Ausweichklausel des Art. 46 EGBGB könnte deshalb das Tor für eine sinnvolle Fortentwicklung des internationalen Sachenrechts öffnen und innerhalb des Internationalen Kulturgüterprivatrechts schon de lege lata erlauben, die starren Grundregeln der lex rei sitae für den internationalen Kulturgüterverkehr durch die Anwendung der lex originis aufzulockern.2081 Dies wiederum hätte zur Folge, dass auch für die deutsche Rechtsordnung nicht erst eine Gesetzesänderung vonnöten wäre, um eine Entkrustung der steinernen Rechtswahl nach dem Belegenheitsort zu erreichen. Deutsche Gerichte könnten innerhalb des (inter-)nationalen Kulturgüterverkehrs als Handel mit nicht wiederherstellbaren Unikaten aufgrund der besonderen soziokulturellen Bedeutung des Handelsgegenstandes folglich schon heute die Fortentwicklung des internationalen Privatrechts durch eine Rechtswahl nach der rechtlichen und kulturellen Verbundenheit eines Kulturguts mit ‚seinem‘ Ursprungsstaat für den grenzüberschreitenden Kulturgüterverkehr rezipieren. Damit stünde das deutsche Internationale Kulturgüterprivatrecht im internationalen Vergleich auch nicht allein: So folgt bspw. Art. 15 des schweizerischen IPRG einer allgemein gehaltenen Ausweichklausel für alle Verweisungen 2078
2079
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2081
Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 58–59. Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 186–188. Vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 46, Rdnr. 1–2. Vgl. grundsätzlich so auch Stoll, Zur gesetzlichen Regelung des internationalen Sachenrechts in Artt. 43–46 EGBGB, IPRax 2000 (Heft 4), S. 259–270, S. 269–270; Strauch, Rechtsverhältnisse an Kulturgütern im Internationalen Sachenrecht, 2007, S. 93 ff.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
des Schweizer Kollisionsrechts und § 244 des amerikanischen Restatement Second of Conflicts of Laws (1971) stellt bei der Rechtswahl schon seit Jahrzehnten nicht als Ausnahmevorschrift, sondern als Grundtatbestand auf die „most significant relationship“ bzw. die „most significant contacts“ eines Rechts zu einem Geschäft ab (wobei jedoch für einen Eigentumserwerb von Mobilien auch in den Vereinigten Staaten von Amerika grundsätzlich zunächst die Vermutung gilt, dass die Rechtsordnung der örtlichen Belegenheit die engste Beziehung aufweist).2082 Der Gedanke der abweichenden engeren Verbindung kann sich hinsichtlich seiner inhaltlichen Ausgestaltung somit an das amerikanische Recht anlehnen, das an Stelle von starren Anknüpfungen die kollisionsrechtliche Entscheidung nach den Besonderheiten jedes Einzelfalls trifft.2083
1. 813
Rechtstheoretische Funktionen des Art. 46 EGBGB im Internationalen Kulturgüterprivatrecht
Ob, und wenn ja, in welcher Form Art. 46 EGBGB als Instrument des Kulturgüterschutzes Nutzen erlangen kann, ist innerhalb des Schrifttums stark umstritten, ohne dass sich bislang – soweit ersichtlich – eine herrschende Meinung herausgebildet hätte. Diese unterschiedlichen Einschätzungen beruhen darauf, dass der Gesetzgeber bei Aufnahme von Art. 46 nicht klarstellte, in welchem Ausmaß die Heranziehung der Ausweichklausel Ausnahmecharakter trägt oder Bestandteil der Regelfindung ist.2084 Das Meinungsspektrum hierzu ist in der Literatur denkbar breit, und die Materialien aus dem Gesetzgebungsverfahren geben nur wenig Aufschluss.2085 Auch einschlägige Gerichtsentscheidungen haben sich bislang nicht so dezidiert mit einer möglichen Alternativanknüpfung im internationalen Kulturgüterverkehr auseinandergesetzt, dass eine judikative Prärogative bestehen würde. Systematisiert man die unterschiedlichen Mei-
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2085
Vgl. Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 85. Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes, 1994, S. 167; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 161; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 186–188. Die Ausweichklausel wurde bspw. durch den Deutschen Rat für IPR nicht empfohlen, vgl. Henrich, Vorschläge und Gutachten zur Reform des deutschen internationalen Sachen- und Immaterialgüterrechts, 1991, S. 11. Empfohlen wird eine Ausweichklausel dagegen im Gutachten von Kreuzer, Gutachtliche Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Internationalen Privatrechts, Sachenrechtliche Bestimmungen, in: Henrich, Vorschläge und Gutachten zur Reform des deutschen internationalen Sachen- und Immaterialgüterrechts, 1991, S. 37 ff., S. 156 ff. Vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 46, Rdnr. 1–2.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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nungsstränge im Schrifttum, lassen sich drei Lösungsalternativen hinsichtlich der funktionalen Bedeutung des Art. 46 EGBGB im internationalen Kulturgüterprivatrecht extrahieren: Während ein Teil des Schrifttums, vgl. hierzu zunächst Punkt a), der sich auf die Gesetzesbegründung bei Erlass der Art. 43 ff. EGBGB berufen kann und dem auf den ersten Blick auch die sog. Meretitis-Entscheidung des 10. Zivilsenats des Kammergerichts Berlin vom 16. Oktober 20062086 folgt, eine abweichende Anknüpfung zur lex rei sitae wegen einer engeren Verbindung kultureller Güter zu ihrem Herkunftsstaat aufgrund einer rechtlichen oder kulturellen Verbundenheit i.S.d. lex originis generell ausschließt (und dementsprechend eine Möglichkeit zur Anwendung der lex originis nur de lege ferenda erkennt), sind die gegensätzlichen Meinungen im Schrifttum der Ansicht, dass im heutigen Rechtswahlprozess ein Rekurs auf Art. 46 EGBGB nicht a priori ausgeschlossen sein dürfe und – wenn dessen Voraussetzungen vorlägen – schon de lege lata zumindest im Einzelfall eine Abweichung zugunsten der lex originis möglich sein müsse, vgl. hierzu Punkt b), möglicherweise Kulturgüter im internationalen Kulturgüterprivatrecht aber auch generell als eigener Sachtyp anzuknüpfen und nach der lex originis zu bestimmen seien (vgl. hierzu schließlich Punkt c).
a)
Anwendung der ‚lex originis‘ nur ‚de lege ferenda‘
Teile sowohl des kulturgüterspezifischen als auch -unspezifischen Schrifttums lehnen eine abweichende Anknüpfung zur lex rei sitae wegen einer engeren Verbindung kultureller Güter zu ihrem Herkunftsstaat aufgrund einer rechtlichen oder kulturellen Verbundenheit generell ab und erkennen dementsprechend eine Möglichkeit zur Anwendung der lex originis nur de lege ferenda, d.h. nach einer formellen Gesetzesänderung. Um die in Art. 43 bis 45 EGBGB erfolgte Kodifizierung des internationalen Sachenrechts nicht zu einer „leeren Hülle“ verkommen zu lassen, sei es dringend angeraten, von der Ausweichklausel nur sehr zurückhaltend Gebrauch zu machen und ihren Anwendungsbereich auf extreme Ausnahmefälle zu beschränken.2087
814
Aus der Gesetzgebungsgeschichte der Art. 43 ff. EGBGB werde für die Rechtswahl im Internationalen Kulturgüterprivatrecht augenscheinlich, dass im internationalen Kulturgüterverkehr kein solcher „extremer Ausnahmefall“ vorläge. Während des deutschen Kodifikationsvorhabens zum internationalen Sachenrecht innerhalb des EGBGB wurde nämlich vor dem deutschen Gesetzgeber auf
815
2086 2087
Ausführlich hierzu 3, 827. Für eine Beschränkung des Anwendungsbereichs auf seltene Ausnahmen mit jeweils unterschiedlichen Argumenten vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 46, Rdnr. 1–2; Junker, Die IPR-Reform von 1999 – Auswirkungen auf die Unternehmenspraxis, RIW 2000, S. 241–255, S. 252; Pfeiffer, Der Stand des Internationalen Sachenrechts nach seiner Kodifikation, IPRax 2000 (Heft 4), S. 271–285, S. 274.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
die genannten Unzulänglichkeiten der lex rei sitae insbesondere auch innerhalb des internationalen Kunsthandels hingewiesen und vorgeschlagen, diese Regel in entsprechenden Konstellationen durch eine alternative Anknüpfungsnorm (wie etwa die lex originis oder die lex furti) zu ersetzen.2088 Aus diesem Grund äußerte sich der Gesetzgeber auch in den Erläuterungen zum Regierungsentwurf zum Thema des Kulturgüterschutzes, vertrat dort aber die Meinung, dass es angesichts der besonderen Vorschriften der Richtlinie 93/7/EWG des Rates der Europäischen Gemeinschaften über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates verbrachten Kulturgütern vom 15.3.19932089 und der UNIDROITConvention on Stolen or Illegally Exported Cultural Objects vom 24. Juni 19952090 im internationalen Sachenrecht keiner gesetzlichen Sonderregel für Kulturgüter bedürfe:2091 816
„Auch für Kulturgüter ist keine ausdrückliche Regelung erforderlich. In Ergänzung nationaler Regeln des öffentlichen Rechts (vgl. das Gesetz zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung) enthält die in Deutschland noch nicht umgesetzte Richtlinie 93/7/EWG des Rates vom 15. März 1993 über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern … eine Kollisionsnorm in Artikel 12 …, die von der allgemeinen sachenrechtlichen Anknüpfungsregel der Lex rei sitae abweicht. Nach dieser Sonderanknüpfungsregel entscheidet nach Rückgabe des Kulturguts das Recht des ersuchenden Mitgliedstaats über die Eigentumsverhältnisse. Über den Bereich der EU hinaus gibt es zudem Bestrebungen, Kulturgüter durch die Schaffung von Einheitsrecht vor Diebstahl zu schützen (vgl. das von der Bundesrepublik Deutschland nicht ratifizierte UNIDROIT-Übereinkommen vom 24.Juni 1995 über gestohlene oder rechtswidrig ausgeführte Kulturgüter …).“2092
817
Unter Berufung auf diese Erläuterungen zum Regierungsentwurf ist der (wohl zahlenmäßig überwiegende2093) Teil der Literatur der Ansicht, dass für den deutschen Rechtskreis alternative kollisionsrechtliche Resolutionsmethoden zur aktuell im internationalen Sachenrecht geltenden lex rei sitae generell verschlossen sind:2094 Der deutsche Gesetzgeber habe aus Gründen der Rechtssicherheit und 2088
2089 2090 2091
2092 2093
2094
Vgl. so auch Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 178–181. Vgl. ausführlich hierzu 3, 1316 ff. Vgl. ausführlich hierzu 3, 1348 ff. BT-Drs. 14/343, S. 15. Vgl. hierzu auch Wagner, Der Regierungsentwurf eines Gesetzes zum Internationalen Privatrecht für außervertragliche Schuldverhältnisse und für Sachen, IPRax 1998, S. 429 ff., S. 435; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 178–181. Die UNIDROIT-Konvention ist von Deutschland allerdings noch nicht ratifiziert worden und es besteht auch in naher Zukunft keine Aussicht auf eine Ratifikation. BT-Drs. 14/343, S. 15. „Überwiegend wird die Auffassung vertreten, daß an der Geltung der lex rei sitae festzuhalten sei und etwaige Lücken im Kulturgutschutz auf anderen Wegen zu schließen seien.“ Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 195. So Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes, 1994, S. 128; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 232 f.; Fuchs, Kulturgüterschutz im Kulturgutsicherungsgesetz, IPRax 2000, S. 281–286, S. 284; Wende-
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
947
des Verkehrsinteresses ausdrücklich an der Alleingeltung des Grundsatzes der lex rei sitae zur Bestimmung der anwendbaren Rechtsordnung auch im Zusammenhang mit der Veräußerung kultureller Wertgegenstände im internationalen Sachenrecht festgehalten. Deshalb sei konträren Stellungnahmen im Schrifttum, die für eine generelle Abweichung von der Situs-Regel plädiert haben,2095 der Boden entzogen.2096 Diese Einschätzung wird neuerdings insbesondere von Wendehorst vertreten, die dem Vorschlag, auch „für Kulturgüter im Wege über Art. 46 eigene, sachgerechtere Anknüpfungsgrundsätze zu entwickeln“ eine deutliche Absage erteilt, da der Gesetzgeber „die Situs-Regel in Verbindung mit den besonderen, speziell für Kulturgüter erlassenen Kollisionsnormen für ausreichend erachtet“ habe und „Lösungen für davon nicht erfasste Einzelfälle … primär nicht über Art. 46, sondern über eine sachgerechte Fortentwicklung der Sondervorschriften zu suchen“ seien.2097 Auch Beck folgt in ihren Ausführungen zur Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter dieser Einschätzung und bestimmt ausdrücklich, dass die lex originis „nach der Kodifizierung des Internationalen Sachenrechts … lediglich de lege ferenda in Erwägung gezogen werden“ könne und „in diesem Zusammenhang … eine Anwendung des Art. 46 EGBGB nicht gerechtfertigt“ sei.2098
818
Denjenigen Stimmen in der Literatur, die bemängeln, dass das geltende Kollisionsrecht den Raum zu ernst nehme und dabei die Zeit vernachlässige2099, obwohl
819
2095
2096
2097
2098
2099
horst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 192; Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 169. Für eine kursorische Übersicht vgl. Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rdnr. 200 ff. m.w.N. So ausdrücklich Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 192. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 46, Rdnr. 50, unter Rekurs auf BT-Drs. 14/343, S. 15 und die Ausführungen bei Stoll, Zur gesetzlichen Regelung des internationalen Sachenrechts in Artt. 43–46 EGBGB, IPRax 2000 (Heft 4), S. 259–270, S. 269. So Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 94–98. Rigaux, Espace et temps en Droit International Privé, Vortrag im „Centre Culturel Portugais“ in Paris am 6.4.1990. Der Vortrag wird in dem Sammelband des Kolloquiums ,,Droit International Privé et Droit Communautaire“ veröffentlicht; vgl. hierzu den Verweis bei Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994,
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
diese bei der Rechtswahl mindestens ebenso wichtig wie der Raum sei2100, wird erwidert, dass der Kunstgriff, durch zeitliche Fixierung der Anknüpfung an den Lageort auf den Zeitpunkt des Abhandenkommens unter scheinbarer Aufrechterhaltung der Situs-Regel doch noch zur lex originis2101 oder zumindest zur lex furti 2102 zu gelangen2103, nicht gangbar sei, da der Gesetzgeber auf eine eigene Regelung für Kulturgüter ausdrücklich verzichtet habe.2104 Diesem ausdrücklich so formulierten gesetzgeberischen Willen müsse dementsprechend auch von der Judikative wie Rechtsdogmatik Achtung geschenkt werden, sodass auch über den Weg des Art. 46 EGBGB und der Anknüpfung an die Rechtsordnung mit einer „wesentlich engeren Verbindung“ zu der Sachverhaltskonstellation als die der lex rei sitae im Kulturgüterverkehr innerhalb der deutschen Rechtsordnung keine alternative Rechtswahl möglich sei. Solange keine geforderte2105 Gesetzesänderung erfolge und ausdrücklich ein diesbezüglicher parlamentarischer Wunsch keine normative Umsetzung finde, müssten deutsche Gerichte diesem Willen des Gesetzgebers Folge leisten.2106
2100
2101 2102
2103
2104
2105
2106
S. 35 ff., S. 50–51; Jayme, Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im Internationalen Privatrecht, in: Dominicé/Patry/Reymond, „Études de droit international en l’honneur de Pierre Lalive“, 1993, S. 717–731, S. 729–730. Vgl. insbesondere zur Theorie der wohlerworbenen Rechte Rigaux, Les situations juridiques individuelles dans un système de relativité générale, Cours général de droit international privé, Recueil de Cours 213 (1989-I), S. 152 ff., S. 369. Vgl. auch die Kommentierung bei Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff., S. 50–51, Jayme, Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im Internationalen Privatrecht, in: Dominicé/Patry/Reymond, „Études de droit international en l’honneur de Pierre Lalive“, 1993, S. 717–731, S. 729–730. Vgl. ausführlich hierzu 3, 606 ff. Zum Begriff Mansel, DeWeerth v. Baldinger – Kollisionsrechtliches zum Erwerb gestohlener Kunstwerke, IPRax 1988, S. 268–271, S. 271; Kienle/Weller, Die Vindikation gestohlener Kulturgüter im IPR, IPRax 2004, S. 290–294, S. 291. Insgesamt ausführlich hierzu 3, 548 ff. So Mansel, DeWeerth v. Baldinger – Kollisionsrechtliches zum Erwerb gestohlener Kunstwerke, IPRax 1988, S. 268–271, S. 271; tendenziell auch Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff., S. 50 f. m.w.N. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 192, unter Rekurs auf BT-Drs. 14/343, S. 15. Siehr, Internationales Sachenrecht. Rechtsvergleichendes zu seiner Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, ZVglRWiss 104 (2005), S. 145–162, S. 153 sowie S. 162. Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 277– 278; Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 192; Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 169.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
Damit bejaht dieser Teil der Literatur auch die im Kunstrecht weithin bekannte Entscheidung des Londoner High Court in der Rechtssache Winkworth v. Christie, Manson & Woods Ltd.2107, in der bekanntermaßen japanische Kunstwerke in England von dem Sammler William Wilberfore Winkworth gestohlen, anschließend nach Italien verbracht und dort an einen italienischen Marchesen veräußert wurden und der Erwerber die Kunstwerke in der Folge wieder zurück nach England verbrachte, um sie durch das Auktionshaus Christie, Manson & Woods Ltd. versteigern zu lassen.2108 Innerhalb des Rechtswahlprozesses anerkannte der Kläger zwar die situs-Regel als rechtliche Ausgangssituation, hielt jedoch im vorliegenden Fall aufgrund der „exceptional facts of the case“ eine Sonderanknüpfung 2109 für erforderlich, um der Sachnähe der Fallkonstellation mit der englischen Rechtsordnung gerecht zu werden.2110 Der englische High Court hielt jedoch – ganz im Sinne der oben dargestellten Literaturansicht – eine Ausnahmekonstellation für den internationalen Kunsthandel nicht für angebracht, beharrte auf der Anwendung des universal anerkannten lex rei sitae-Prinzips und damit auf der Applikation italienischen Rechts für die Veräußerung in Italien. Trotz zahlreicher vom Kläger explizit aufgeführter Anknüpfungspunkte der Sachverhaltskonstellation zu England (ursprüngliches Eigentum und tatsächliche Sachherrschaft wurden in England ausgeübt, Eigentümer und Besitzer hatte seinen Wohnsitz in England und war englischer Staatsangehöriger, Diebstahl der Kulturgüter in England, Rücktransfer nach England, örtliche Belegenheit der Kulturgüter in England zum Zeitpunkt der Klagestellung, Klage vor einem englischen Forum) schloss das Gericht aus, die Rechtsstreitigkeit nach englischem Recht zu entscheiden, weil es darin keinen ausreichenden Grund für die Anerkennung eines im Ausland nach dem ausländischen Recht wirksam erworbenen Eigentumstitels erkannte. Selbst die Literatur, die bei der Rechtswahl dem sog. proper law of the transfer folgt und die Anwendung der lex rei sitae ablehnt, wenn die Anknüpfung an den Lageort zufällig und willkürlich erscheint, führt die Winkworth-Entscheidung als folgerichtige Konsequenz der situs-Regel an.2111
2107 2108 2109
2110
2111
Winkworth v. Christie Manson & Woods Ltd., (1980) 1 All ER 1121, (1980) 2 WLR 937. Vgl. ausführlich hierzu 3, 9 ff. u. 46 ff. Jefferson, An Attempt to Evade the Lex Situs Rule for Stolen Goods, The Law Quaterly Review, Volume 96 (1980), S. 508–511, S. 510–511. Hierzu auch: Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 159–160. Jefferson, An Attempt to Evade the Lex Situs Rule for Stolen Goods, The Law Quaterly Review, Volume 96 (1980), S. 508–511, S. 510–511 mit weiteren Gründen.
949 820
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
b)
Anwendung der ‚lex originis‘ als Ergebniskorrektur im Einzelfall ‚de lege lata‘
821
Der andere Teil des Schrifttums ist jedoch der Ansicht, dass im Internationalen Kulturgüterprivatrecht bei der Rechtswahl ein Rekurs auf Art. 46 EGBGB nicht a priori ausgeschlossen sein dürfe und – wenn dessen eng auszulegenden und dementsprechend restriktiven Voraussetzungen2112 vorlägen – schon de lege lata zumindest im Einzelfall eine Abweichung zur lex originis möglich sein müsse und ein zur Entscheidung über die Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter berufenes Gericht ohne Zweifel auch vor einer diesbezüglichen gesetzlichen Statuierung die Anwendung der Rechtsordnung mit der engsten rechtlichen und kulturellen Verbundenheit mit dem Kulturgut bestimmen könne.2113
822
Unabhängig von der Frage, ob Art. 46 EGBGB für eine Rechtswahl nach alternativen Anknüpfungsmaximen ein geeignetes Instrument darstellt, kann nämlich der zuvor unter Punkt a) genannten Auffassung sowohl in der Sache als auch in der Begründung nicht gefolgt werden. International-privatrechtliche Modelllösungen rezipieren den Gedanken kultureller Güter als res sui generis und stellen wirkungsvolle Mittel im Kampf gegen den illegalen Kunsthandel dar und sind deshalb zu unterstützen – besonders in der Zusammenwirkung mit materiellen Lösungsansätzen2114. Die Annahme, dass die gesetzliche Normierung der lex rei sitae-Regel in Art. 43 Abs. 1 EGBGB auch für bewegliche Sachen in rechtskonstruktiver Hinsicht zur Folge habe, dass für deutsche Gerichte ein Abweichen von der Rechtswahl nach dem Belegenheitsrecht zugunsten einer alternativen Anknüpfungsregel durch eine Änderung der ständigen Rechtsprechung ausgeschlossen wäre, ist nach richtiger Ansicht nicht zwingend.2115 Dies gilt sowohl vor dem Hintergrund des Art. 46 EGBGB und einer Abweichung von der situs-Regel aufgrund einer wesentlich engeren Verbindung des konkreten Kulturgütertransfers zu einer anderen Rechtsordnung als dem Belegenheitsrecht für die individuelle Rechtswahl im Einzelfall und generell über Art. 46 für Kulturgüter als Sachtypen ‚sui generis‘2116 als auch für eine generelle Modifikation der im internationalen Kunsthandel geltenden Anknüpfungsmaxime de lege ferenda.
823
Aus den Erläuterungen zum Regierungsentwurf wird allein ersichtlich, dass der Gesetzgeber im Jahre 1999 bei Erlass der Art. 43 ff. EGBGB zum internationalen
2112 2113
2114 2115
2116
Vgl. zu den Voraussetzungen 3, 833 ff. So insbes. ausdrücklich auch Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff., S. 3582 ff; Kienle/Weller, Die Vindikation gestohlener Kulturgüter im IPR, IPRax 2004, S. 290–294, S. 291 f. Vgl. ausführlich hierzu 3, 1260 ff. So aber Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 178–181. Vgl. ausführlich hierzu 3, 1094 ff. u. 4, 5.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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Sachenrecht keine generelle gesetzliche Speziallösung für Kulturgüter statuieren wollte, nicht jedoch, dass eine Weiterentwicklung alternativer Anknüpfungsmaximen in der Lehre und – bei hinreichend präziser rechtsdogmatischer Aufarbeitung und Ausgestaltung – bspw. eine alternative Rechtswahl über Art. 46 EGBGB auch für die Zukunft ausgeschlossen sein sollen. Im Gegensatz zur Auslegung der herrschenden Lehre erkennt der Gesetzgeber in der Erläuterung zu Art. 46 EGBGB des Regierungsentwurfes vielmehr ausdrücklich an, dass der „Zuschnitt des gesamten Abschnitts und die grundsätzliche Strenge des Sachenrechts … es erforderlich [machen], für Fälle, in denen die gesetzlich festgeschriebene Anknüpfung ausnahmsweise zur Anwendung extrem sachferner Rechtsordnungen führen würde, eine Ausweichklausel vorzusehen“2117 sei. Es wurde schon festgestellt, dass Kulturgüter aufgrund ihrer Grenzen überschreitenden Mobilität und damit Internationalität jederzeit ohne tatsächliche wie rechtliche Schwierigkeiten leicht in ein anderes Rechtsgebiet verbracht werden können mit der Folge, dass das für sie maßgebliche Sachstatut wechselt.2118 Bei einem solchen Statutenwechsel birgt die Anknüpfung an den Lageort jedoch die Gefahr, dass unrechtmäßig entzogene Kulturgüter zufällig oder in böser Absicht (mala fides) in das Hoheitsgebiet eines Staates ge- oder bewusst verbracht werden, nach dessen Recht eine neue Sachzuordnung, bspw. ein gutgläubiger Erwerb, unter erleichterten Voraussetzungen möglich ist. In diesen Fällen führt die lex rei sitae im internationalen Kunsthandel jedoch zur Anwendung einer so ausdrücklich in der Erläuterung zu Art. 46 EGBGB des Regierungsentwurfes beschriebenen „extrem sachferne[n] Rechtsordnung“, die oft nur flüchtige Verbindungen zu der Tatsachenkonstellation besitzt. Richtigerweise gab damit der Gesetzgeber in der Erläuterung zu Art. 43 EGBGB des Regierungsentwurfes nur eine Begründung für die Ablehnung einer gesetzlichen Sonderanknüpfung, wollte die Rechtsprechung und Lehre jedoch auch im Bereich des internationalen Kulturgüterschutzrechts nicht von ihrer (auch über Art. 46 EGBGB zu erfüllenden) Aufgabe entheben, die Bestimmung der Anwendung derjenigen Rechtsregeln zu konkretisieren, die dem internationalen Kulturgüterverkehr am nächsten stehen. Auch im Internationalen Kulturgüterprivatrecht gilt, dass regelmäßig nur die sachnächste Rechtsordnung eines Kulturguttransfers die fairste und in aller Regel auch sinnvollste Entscheidung innerhalb der dinglichen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Objekte trifft – völlig unabhängig von der Frage, ob dies in kulturellen Restitutionsstreitigkeiten zu einer Begünstigung des ursprünglichen Eigentümers oder des gutgläubigen Erwerbers oder aktuellen Besitzers und damit zugunsten des Kulturgüterschutzes führt.
2117 2118
BT-Drs. 14/343, S. 19. Vgl. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 126–128.
824
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
825
Die sog. Strickmaschinen-Entscheidung des BGH hat in diesem Zusammenhang gezeigt, dass eine Auflockerung der Regelanknüpfung insbesondere dann möglich ist, wenn die sonst im Sachenrecht maßgeblichen Verkehrsinteressen nicht zur Anwendung der lex rei sitae zwingen.2119 Da schon an vielen Stellen wiederholt festgestellt wurde, dass der Verkehrsschutz (als Geltungsgrund der Rechtswahl nach dem Belegenheitsrecht) „bei Kulturgütern weitaus geringeres Gewicht [hat] als bei Verbrauchs- oder Investitionsgütern“2120, sind „die Interessen von Verkehrskreisen, die mit Kunstgegenständen mit Potenzial zum nationalen Kulturgut handeln, nicht in solch zwingendem Maße schutzwürdig, zumal die Beteiligten regelmäßig in der Lage sein dürften, die Herkunft eines Kulturgutes zu erkennen.“2121 Außerdem verweist der Gesetzgeber in seinen Erläuterungen zum Regierungsentwurf selbst auf die alternativen Anknüpfungsmaximen für Kulturgüter der EU-Rückführungsrichtlinie vom 15.3.1993 und der UNIDROITConvention vom 24. Juni 1995 und erkennt damit indirekt ein Bedürfnis der Praxis für kulturelle Sonderanknüpfungstatbestände an. Ein Ausschluss alternativer Anknüpfungsmaximen sollte für den internationalen Kulturgüterverkehr schließlich auch innerhalb des deutschen internationalen Sachenrechts deshalb nicht generell und bereits a priori angenommen werden, weil die Bundesrepublik bislang – und wohl auch in nächster Zukunft – keine Ratifikation der UNIDROIT-Convention vom 24. Juni 1995 ins Auge gefasst hat, sodass ein Teil der Gesetzesbegründung bei Kodifikation des internationalen Sachenrechts nicht gegeben ist. Insbesondere vor dem Hintergrund der Vorschrift des Art. 46 EGBGB können deshalb die verschiedenen alternativen Anknüpfungsmaximen nicht nur de lege ferenda, sondern theoretisch auch de lege lata, Ausdruck einer „wesentlich engeren Verbindung“ sein als mit dem Recht, das nach den Art. 43 und 45 EGBGB maßgebend wäre, sodass jenen alternativen Kollisionsnormen zu folgen sein könnte.2122
826
Somit sollten die Anwendung des Art. 46 EGBGB und bei Vorliegen sämtlicher Voraussetzungen auch eine Rechtswahl nach einer Sonderanknüpfung mit der
2119 2120
2121
2122
BGH, Urteil des 8. Zivilsenats vom 02.02.1966, Az.: VIII ZR 153/64, BGHZ 45, 95–101. So auch Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff., S. 3582, der darauf hinweist, dass dieser Umstand im Schrifttum häufig vernachlässigt wird, bspw. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 302. Kienle/Weller, Die Vindikation gestohlener Kulturgüter im IPR, IPRax 2004, S. 290–294, S. 292. Anders: Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 178–181, wonach ein „Abweichen von diesem Grundsatz jetzt durch eine bloße Änderung der Rechtsprechung nicht mehr möglich [ist]. Der Kritik an der lex rei sitaeRegel für bewegliche Sachen und insbesondere für Kulturgüter konnte durch die Vorschrift aber nicht begegnet werden. Daher behalten die Überlegungen hinsichtlich einer alternativen kollisionsrechtlichen Anknüpfung ihre Gültigkeit, auch wenn sie jetzt Vorschläge „de lege ferenda“ darstellen.“.
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engsten rechtlichen und kulturellen Verbundenheit eines Kulturguts zu seinem Heimatstaat nicht bereits a priori ausgeschlossen und schon de lege lata möglich sein. Innerhalb dieses Meinungsblocks ist aber fraglich, ob mittels des Art. 46 EGBGB nur eine Abweichung zugunsten der lex originis als Ergebniskorrektur im Einzelfall oder generell für Kulturgüter als Sachtypen ‚sui generis‘ möglich sein sollte.2123 Nach dem Wortlaut der Vorschrift lassen sich wohl beide Meinungen vertreten.2124 Dies muss vom Regelungsauftrag und Funktionszusammenhang der Ausweichklausel des Art. 46 EGBGB selbst abhängen. Folgt man der Rechtsansicht Kreuzers, geht es bei der Anwendung der Ausweichklausel „um die Durchsetzung der Billigkeitsidee im Sinne der Einzelfallgerechtigkeit“2125, sodass Berichtigungsklauseln im internationalen Privatrecht nur Mittel zur Durchsetzung der kollisionsrechtlichen Einzelfallgerechtigkeit gegenüber dem starren Verweisungsrecht sein können.2126 Auch Wendehorst sieht die Funktion des Art. 46 EGBGB in der „Gewährleistung einer Korrekturmöglichkeit für den Fall, dass die Anwendung der Art. 43 bis 45 im konkreten Einzelfall zu einem kollisionsrechtlich gänzlich unbefriedigenden Ergebnis führen sollte.“2127 Das hätte für die Rechtswahl im Internationalen Kulturgüterprivatrecht zur Folge, dass eine Korrektur des Anknüpfungsergebnisses zugunsten der lex originis allein auf die Beurteilung des Einzelfalls zu beschränken und nicht generell für Kulturgüter als Sachtypen ‚sui generis‘ möglich ist.2128
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Vgl. Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 277–278. So die Einschätzung bei Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 265–271. Kreuzer, Berichtigungsklauseln im Internationalen Privatrecht, in: Graveson/Kreuzer, Festschrift für Imre Zajtay, 1982, S. 295 ff., S. 315. Kreuzer, Berichtigungsklauseln im Internationalen Privatrecht, in: Graveson/Kreuzer, Festschrift für Imre Zajtay, 1982, S. 295 ff., S. 315; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 60–63. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 46, Rdnr. 3–6. „Allerdings sprechen die besseren Gründe dafür, Art. 46 EGBGB als ausreichende Rechtsgrundlage einer grundsätzlichen Abweichung von der lex rei sitae für eine ganze Fallgruppe abzulehnen. Zwar werden sich zwangsläufig im Laufe der Zeit gewisse Fallgruppen durch die Rechtsprechung bilden. Dies muss aber von einer generellen Festlegung einer bestimmten Fallgruppe bereits im Vorfeld streng unterschieden werden. Darüber hinaus ist gerade im Bereich des Sachenrechts eine enge Auslegung von Ausnahmevorschriften geboten, da dieses vom Grundsatz des Typenzwanges beherrscht wird. Zudem ist fraglich, ob die deutsche Rechtsprechung bereit sein wird, auf der Grundlage von Art. 46 EGBGB eine eigenständige Fallgruppe für Kulturgut zu entwickeln. Immerhin wurde bislang stetig am Grundsatz der lex rei sitae festgehalten. Ohne eine eigenständige Kollisionsnorm wird sich daher der lex-originis-Ansatz kaum verwirklichen lassen. Eine eigenständige Norm hätte schließlich den Vorteil, dass sie besser auf die Bedürfnisse der Beteiligten im Kulturgüter-
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Diesem Ergebnis entspricht auch die richtig verstandene Auslegung der sog. Meretitis-Entscheidung2129 des 10. Zivilsenats des Kammergerichts Berlin vom 16. Oktober 2006. Der Staat Ägypten stellte hier einen Ausfuhrverbotsantrag für archäologische Gegenstände im Wege der einstweiligen Verfügung und musste nach §§ 935, 940 ZPO und §§ 861, 985 und 1007 BGB Eigentum oder Besitz an archäologischen Gegenständen glaubhaft machen. Innerhalb der Frage der anwendbaren Rechtsordnung bestätigte das Berliner Kammergericht zwar die Anwendung der lex rei sitae und lehnte – unter Berufung auf die oben genannte Gegenansicht von Wendehorst – eine alternative Anknüpfung wegen Art. 43 Abs. 1 EGBGB ab: „Nach der Situs-Regel des Art. 43 Abs. 1 BGB ist auf den Herausgabeanspruch deutsches Sachrecht anzuwenden. Da der Gesetzgeber auf eine eigene Regelung für Kulturgüter ausdrücklich verzichtet hat, kommt eine generelle Abweichung von der Situs-Regel nicht in Betracht …“2130 Andererseits prüft das Berliner Kammergericht danach ausdrücklich Art. 46 EGBGB: Zwar gelangen die Richter hier (d.h. im konkreten Meretitis-Fall) nicht zu einer abweichenden Rechtswahl aufgrund der gegebenen Faktenlage („Eine wesentliche engere Verbindung mit dem Recht eines anderen Staates (Art. 46 EGBGB) besteht nicht.“ 2131), jedoch bedeutet dies nicht, dass in anderen Fallkonstellationen des internationalen Kulturgüterverkehrs (etwa mit unrechtmäßig entzogenen Kulturgütern) eine Abweichung von der situs-Regel möglich wäre. Zwar kann der Entscheidung des Berliner Kammergerichts ausweislich des systematischen Aufbaus der Urteilsgründe die Ablehnung einer generellen Sonderanknüpfung zugunsten der lex originis für Kulturgüter als Sachtypen ‚sui generis‘ entnommen werden, jedoch werden ein Rekurs auf Art. 46 EGBGB und eine Korrektur des Anknüpfungsergebnisses zugunsten der lex originis im Einzelfall nicht ausgeschlossen.
c) 828
Generelle Sonderanknüpfung zugunsten der ‚lex originis‘ für Kulturgüter ‚de lege lata‘
Mit beachtlichen Gründen kann aber innerhalb einer Sonderanknüpfung der engsten rechtlichen und kulturellen Verbundenheit eines Kulturguts zu seinem
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handel abgestimmt werden könnte als eine Norm, die den gesamten Bereich des Sachenrechts erfasst.“ Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 265–271; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 60–63. KG Berlin, 10. Zivilsenat, Entscheidung vom 16.10.2006, Az: 10 U 286/05, NJW 2007, S. 705–707, vorgehend LG Berlin, 15. November 2005, Az: 9 O 511/05. KG Berlin, 10. Zivilsenat, Entscheidung vom 16.10.2006, Az: 10 U 286/05, NJW 2007, S. 705–707, vorgehend LG Berlin, 15. November 2005, Az: 9 O 511/05. KG Berlin, 10. Zivilsenat, Entscheidung vom 16.10.2006, Az: 10 U 286/05, NJW 2007, S. 705–707, vorgehend LG Berlin, 15. November 2005, Az: 9 O 511/05.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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Heimatstaat nicht nur eine Korrektur des Anknüpfungsergebnisses zugunsten der lex originis im Einzelfall, sondern generell eine Sonderanknüpfung schon de lege lata zugunsten der lex originis für Kulturgüter als Sachtypen sui generis im Rahmen des Art. 46 EGBGB vertreten werden. Ausweislich der Gesetzesbegründung zur Ausweichklausel soll Art. 46 nicht nur die Abweichung von einer Kollisionsnorm im Einzelfall, sondern auch die Entwicklung von „Sonderanknüpfungen“2132 ermöglichen und es Aufgabe der Rechtsprechung bleiben, diesbezügliche Grundsätze zu entwickeln.2133 Hier sind Teile des Schrifttums2134 deshalb der Meinung, dass „die einzelfallbezogene Anwendung des Art. 46 EGBGB noch zurückhaltender zu erfolgen [habe] als diejenige der auf Art. 46 EGBGB gestützten Sonderkollisionsnormen“2135 für spezielle Sachtypen, sodass die Ausweichklausel als Auftrag für Rechtsprechung und Lehre interpretiert wird, im Bereich des internationalen Sachenrechts rechtsfortbildend tätig zu werden.2136 Da es der Gesetzgeber selbst versäumt hat, durch Regelbeispiele oder präzisere Formulierungen klarzustellen, inwieweit der Ausweichklausel Ausnahmecharakter zukommt,2137 sehen sich Teile des Schrifttums in der Pflicht, spezielle Fallkonstellationen und abstrakt-generelle Regelungsbereiche zu kreieren,2138 wenn der Gesetzgeber regelungsbedürftige Fall2132 2133 2134
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BT-Drs. 14/343, S. 19. BT-Drs. 14/343, S. 14. Dieser Ansicht zufolge gestattet Art. 46 EGBGB im Wege der Rechtsfortbildung eigenständige Anknüpfungsregeln für ganze Sachtypen zu entwickeln, vgl. Stoll, Zur gesetzlichen Regelung des internationalen Sachenrechts in Artt. 43–46 EGBGB, IPRax 2000 (Heft 4), S. 259–270, S. 269; Kreuzer, Die Vollendung der Kodifikation des deutschen Internationalen Privatrechts durch das Gesetz zum Internationalen Privatrecht der außervertraglichen Schuldverhältnisse und Sachen vom 21.5.1999, RabelsZ 65 (2001), S. 383–462, S. 455 f.; Pawlytta, Das neue Kulturgütertransfergesetz der Schweiz und die Rechtslage in Deutschland, ZErb 2005, S. 34–40, S. 37; Spickhoff, Die Restkodifikation des Internationalen Privatrechts – Außervertragliches Schuld- und Sachenrecht, NJW 1999, S. 2209–2215, S. 2210. So die Schwerpunktsetzung von Mansel, Normzweck und Tatbestandsstruktur des Art. 46 EGBGB, in: Festschrift für Andreas Heldrich zum 70. Geburtstag, 2005, S. 899–906, S. 902. Vgl. Stoll, Zur gesetzlichen Regelung des internationalen Sachenrechts in Artt. 43–46 EGBGB, IPRax 2000 (Heft 4), S. 259–270, S. 269 f.; Kreuzer, Die Vollendung der Kodifikation des deutschen Internationalen Privatrechts durch das Gesetz zum Internationalen Privatrecht der außervertraglichen Schuldverhältnisse und Sachen vom 21.5.1999, RabelsZ 65 (2001), S. 383–462, S. 456; Mansel, Normzweck und Tatbestandsstruktur des Art. 46 EGBGB, in: Festschrift für Andreas Heldrich zum 70. Geburtstag, 2005, S. 899–906, S. 901; Pfeiffer, Der Stand des Internationalen Sachenrechts nach seiner Kodifikation, IPRax 2000 (Heft 4), S. 271–285, S. 275. Abl. dagegen Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 46, Rdnr. 3–6. Vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Vor. Art. 43–46, Rdnr. 19; Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 265–271. Streit herrscht nach Ansicht von Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 265–271, inwieweit
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
gruppen entweder übersehen hat oder verschiedene Fallgruppen zwar vom Gesetzgeber erkannt wurden, jedoch so selten vorkommen, dass sich eine Sonderanknüpfungsnorm für jede einzelne Fallgruppe nicht lohnt.2139 Insbesondere Stoll und Kreuzer vertreten auf dieser Grundlage die Auffassung, hauptsächlich für ganze Sachtypen, hinsichtlich derer man die gesetzlichen Regelanknüpfungen für unbefriedigend hält, eigenständige Anknüpfungsregeln zu entwickeln.2140 „Die Einführung einer generellen Ausweichklausel in das internationale Sachenrecht begründet freilich auch die Gefahr, daß das feste Fundament jener Grundregeln gelockert wird auf Kosten der Rechtssicherheit. Es ist deshalb unerläßlich, daß sich Rechtsprechung und Lehre darum bemühen, die Ausweichklausel zu konkretisieren durch Anerkennung gewisser Grundgedanken und typischer Fallgruppen, bei welchen deren Anwendung angezeigt ist.“2141 830
So wird eine Sonderanknüpfung über Art. 46 EGBGB nicht nur für sog. res in transitu2142, für Kraftfahrzeuge2143, für Reisegepäck2144, für Sicherungsübereig-
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der Ausnahmeklausel ein Auftrag an die Rechtsprechung und Literatur entnommen werden kann, rechtsfortbildend tätig zu werden. Vgl. Kreuzer, Zur Funktion von kollisionsrechtlichen Berichtigungsnormen, ZfRV 1992, S. 168–192, S. 185. So Stoll, Zur gesetzlichen Regelung des internationalen Sachenrechts in Artt. 43–46 EGBGB, IPRax 2000 (Heft 4), S. 259–270, S. 269; Kreuzer, Die Vollendung der Kodifikation des deutschen Internationalen Privatrechts durch das Gesetz zum Internationalen Privatrecht der außervertraglichen Schuldverhältnisse und Sachen vom 21.5.1999, RabelsZ 65 (2001), S. 383–462, S. 455–456. Stoll, Zur gesetzlichen Regelung des internationalen Sachenrechts in Artt. 43–46 EGBGB, IPRax 2000 (Heft 4), S. 259–270, S. 269–270. Vgl. Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, 9. Aufl. 2004, § 19 VI, S. 774 f. (allerdings ohne Art. 46 EGBGB zu nennen); Staudinger, Das Gesetz zum Internationalen Privatrecht für außervertragliche Schuldverhältnisse und für Sachen vom 21.5.1999, DB 1999, S. 1589–1594, S. 1593; Geisler, Die engste Verbindung im internationalen Privatrecht, 2001, S. 334; beschränkt auf bestimmte Verfügungen auch Junker, Die IPR-Reform von 1999 – Auswirkungen auf die Unternehmenspraxis, RIW 2000, S. 241–255; Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, § 54 IV; von Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 12 Rdnr. 39 f.; bei Vorliegen eines zusätzlichen Indizes auf das Bestimmungsortsrecht auch Wolf, Der Begriff der wesentlich engeren Verbindung im Internationalen Sachenrecht, 2002, S. 106 f. Geisler, Die engste Verbindung im internationalen Privatrecht, 2001, S. 334 f.; Pfeiffer, Der Stand des Internationalen Sachenrechts nach seiner Kodifikation, IPRax 2000 (Heft 4), S. 271–285, S. 275, mit Einschränkungen auf Kfz, die dauerhaft dem internationalen Personen- oder Güterverkehr dienen; von Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 12 RdNr. 42. Zweifelnd dagegen Junker, Die IPR-Reform von 1999 – Auswirkungen auf die Unternehmenspraxis, RIW 2000, S. 241–255, S. 245–246; Wolf, Der Begriff der wesentlich engeren Verbindung im Internationalen Sachenrecht, 2002, S. 150 f. Vgl. Wolf, Der Begriff der wesentlich engeren Verbindung im Internationalen Sachenrecht, 2002, S. 137 ff.; tendenziell auch von Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 12 RdnNr. 12.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
nungen im Ausland lagernder Ware 2145, für den grenzüberschreitenden Erwerb vom Nichtberechtigten2146, für die Übereignung im Ausland befindlicher Schiffe2147, für gesetzliche Pfandrechte des Spediteurs2148 oder ganz allgemein für internationale Verkehrsgeschäfte2149 angenommen.2150 Nach Rechtseinschätzung von Armbrüster und diesem folgend auch Kienle und Weller sollen darüber hinausgehend insbesondere auch Kulturgüter unter Heranziehung von Art. 46 generell abweichenden Anknüpfungsregeln unterliegen.2151 Dem folgt neuerdings auch Kurpiers in seinen Untersuchungen zur lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht: „Die Funktion einer Ausweichklausel sollte aufgrund der Rechtssicherheit in erster Linie in der Entwicklung einer verfeinerten Regelbildung bestehen. Die Herausbildung von typisierten Fallgruppen ermöglicht eine deutlichere Abgrenzung von den Grundregeln. Insbesondere durch die Ausweichklausel Art. 46 EGBGB wird dem Richter die Möglichkeit eröffnet, modo
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Stoll, Zur gesetzlichen Regelung des internationalen Sachenrechts in Artt. 43–46 EGBGB, IPRax 2000 (Heft 4), S. 259–270, S. 265. Ablehnend Junker, Die IPR-Reform von 1999 – Auswirkungen auf die Unternehmenspraxis, RIW 2000, S. 241–255, S. 253; Geisler, Die engste Verbindung im internationalen Privatrecht, 2001, S. 334; Wolf, Der Begriff der wesentlich engeren Verbindung im Internationalen Sachenrecht, 2002, S. 135 („niemals Fallgruppe des Art. 46“). Wolf, Der Begriff der wesentlich engeren Verbindung im Internationalen Sachenrecht, 2002, S. 107 ff. Stoll, Zur gesetzlichen Regelung des internationalen Sachenrechts in Artt. 43–46 EGBGB, IPRax 2000 (Heft 4), S. 259–270, S. 267. Stoll, Zur gesetzlichen Regelung des internationalen Sachenrechts in Artt. 43–46 EGBGB, IPRax 2000 (Heft 4), S. 259–270, S. 270. Für eine schuldrechtsakzessorische Anknüpfung Kreuzer, Die Vollendung der Kodifikation des deutschen Internationalen Privatrechts durch das Gesetz zum Internationalen Privatrecht der außervertraglichen Schuldverhältnisse und Sachen vom 21.5.1999, RabelsZ 65 (2001), S. 383–462, S. 456. Vgl. die Aufzählungen und die entsprechenden Literaturverweise bei Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 46, Rdnr. 3–6. Wolf, Der Begriff der wesentlich engeren Verbindung im Internationalen Sachenrecht, 2002, S. 2 f., zählt die Bildung von Fallgruppen als Untersuchungsgegenstand. So ausdrücklich Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff., 3582; Armbrüster, La revendication de biens culturels du point de vue du droit international privé, rev.crit.dr.int. pr. 2004, vol. IV, S. 723–743, S. 737; Kienle/Weller, Die Vindikation gestohlener Kulturgüter im IPR, IPRax 2004, S. 290–294, S. 292; a.A. Stoll, Zur gesetzlichen Regelung des internationalen Sachenrechts in Artt. 43–46 EGBGB, IPRax 2000 (Heft 4), S. 259–270, S. 269. Zuvor bereits in Ansätzen Reichelt, Kulturgüterschutz und Internationales Privatrecht, IPRax 1986, S. 73–75, S. 74; Mansel, Die Bedeutung des internationalen Privatrechts in Bezug auf das Herausgabeverlangen des Eigentümers bei abhanden gekommenen Kulturgütern, in: Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste Magdeburg/Beauftragter der Bundesregierung für Kultur und Medien, Im Labyrinth des Rechts? Wege zum Kulturgüterschutz, 2007, S. 129–173, S. 146; Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes, 1994, S. 170.
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958
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
legislatoris eine Regel zu bilden, die auch für weitere, ähnliche Fälle anwendbar ist. Die Ausweichklausel wird somit zu einem Instrument einer institutionalisierten Rechtsfortbildung.“2152 831
Eine so weitgehende generelle Sonderanknüpfung zugunsten der lex originis für Kulturgüter als Sachtypen sui generis über Art. 46 EGBGB schon de lege lata wird von weiten Teilen des Schrifttums jedoch vehement bestritten. Insbesondere Wendehorst sieht die Gefahr, dass die „früheren Meinungsstreitigkeiten und Unklarheiten“, aufgrund derer der Gesetzgeber ausdrücklich keine gesetzliche Statuierung einer Sonderregel für Kulturgüter bei Neukodifikation des internationalen Sachenrechts rezipierte, „in die neue Rechtslage hineingetragen“ werden:2153 „Mit dem hohen Stellenwert der Verkehrssicherheit im internationalen Sachenrecht erscheint es unvereinbar, besondere Anknüpfungen für bestimmte Sachtypen zu entwickeln, die weder klar abgegrenzt sind (was ist alles ein „Kulturgut“?) noch über einen Kamm geschoren werden dürfen (Differenzierung zwischen rechtmäßiger und rechtswidriger Ausfuhr, zwischen verschiedenen Formen von Kulturgütern, nach dem völkerrechtlichen Kontext usw.).“2154 Eine Sonderanknüpfung zugunsten der lex originis für Kulturgüter als Sachtypen sui generis bedeute „eine Missachtung des Normbefehls, wie er sich aus dem Wortlaut von Art. 46 unter Berücksichtigung des Inhalts ergibt, der dem Gedanken der „engsten Verbindung“ als Maxime der Normbildung … seit den Anfängen des Kollisionsrechts gegeben wurde.“2155 Insbesondere wirft sie Armbrüster in dessen Bemühungen zur Anwendung der lex originis schon de lege lata vor, unter Berufung auf Art. 46 „rechtsschöpfend tätig zu werden“, die Kodifizierung des internationalen Sachenrechts zu entwerten und diese zu einer bloßen „Merkzettelgesetzgebung“ zu degradieren.2156
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Ob diese harsche Kritik vor dem Ergebnis der Rechtswahl nach der lex originis Rechtfertigung finden darf, mag bezweifelt werden, insbesondere weil Wendehorst selbst ausdrücklich anerkennt, dass zweifellos „eine in Bahnen fester Fall-
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Vgl. Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 60–63. Vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 46, Rdnr. 3–6. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 192. So Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 46, Rdnr. 3–6. Vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 46, Rdnr. 3–6.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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gruppen bzw. typisierten Sachverhalten verlaufende Anwendung von Art. 46 besser als eine Kette unsystematischer Einzelfallentscheidungen“ ist.2157 Wenn man anerkennt, dass im internationalen Kunsthandel und grenzüberschreitenden Transfer kultureller Wertgegenstände aufgrund der gravierenden Bedenken gegen die Rechtswahl nach dem Belegenheitsort eine Abkehr von der lex rei sitae unausweichlich ist2158, überzeugt die Überlegung, zumindest dahingehend Rechtssicherheit zu schaffen, dass Kulturgüter als Sachtypen sui generis generell der sachnächsten Rechtsordnung unterstehen, die sich nach dem heutigen Entwicklungsstand doch präzise aus der rechtlichen und kulturellen Verbundenheit der Objekte zu ihrer Heimatrechtsordnung ergibt. Die voranstehenden rechtskonstruktiven Ausführungen zur inhaltlichen Ausgestaltung der lex originisRegel haben in diesem Sinne aber gezeigt, dass die Anknüpfung kultureller Güter nach klaren, eindeutigen und rechtlich rezipierbaren Strukturen erfolgen kann und sich die Rechtswahl bei der dinglichen Sachzuordnung (unrechtmäßig entzogener) Kulturgüter aus den kritischen Fallgruppen herausgehoben hat, sodass die Restzweifel hinsichtlich einer etwaigen Rechtsunsicherheit weniger stark ins Gewicht fallen als eine mögliche zufällige oder manipulativ herbeigeführte Anwendungsbestimmung einer Rechtsordnung mit nur flüchtigen oder keinen Berührungspunkten zur Sachverhaltskonstellation außer der Belegenheit innerhalb der Rechtswahl nach der lex rei sitae-Regel. Deshalb sollte innerhalb des Internationalen Kulturgüterprivatrechts keinesfalls schon von vornherein von der Unanwendbarkeit des Art. 46 EGBGB und der Rechtswahl nach der lex originis nur de lege ferenda ausgegangen werden, sondern zumindest von der Applikation der lex originis-Regel als Ergebniskorrektur im Einzelfall, besser aber von einer generellen Sonderanknüpfung zugunsten der lex originis für Kulturgüter als Sachtypen sui generis schon de lege lata, wenn die strengen Voraussetzungen des Art. 46 EGBGB vorliegen – ob diese vorliegen, ist Prüfungsgegenstand des nachfolgenden Punktes 2.
2.
Voraussetzungen einer Abweichung über Art. 46 EGBGB
Ausweislich des Gesetzeswortlauts sind die Voraussetzungen der Ausweichklausel des Art. 46 EGBGB und die Anwendung einer lex originis im Internationalen Kulturgüterprivatrecht dann gegeben, wenn mit der Rechtsordnung des kulturellen Ursprungsstaates „eine wesentlich engere Verbindung“ besteht „als mit dem Recht, das nach den Artikeln 43 bis 45 maßgebend wäre“. Zusätzlich zu dieser „wesentlich engeren Verbindung“ aufgrund einer besonderen Sachferne des nach
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So ausdrücklich Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 46, Rdnr. 3–6. Vgl. ausführlich zu der Kritik an der lex rei sitae, 3, 392 ff. u. 401 ff.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
der lex rei sitae berufenen Rechts und einer speziellen Sachnähe der Rechtsordnung des kulturellen Ursprungsstaates, vgl. hierzu unter Punkt a), muss für eine Anwendung des Art. 46 EGBGB die Sonderanknüpfung zusätzlich mit den Grundwertungen der Art. 43 ff. EGBGB vereinbar sein und den Anforderungen einer Abwägung zwischen Verkehrsschutz und Marktinteressen einerseits und Kulturgüter- und Eigentümerschutzbedürfnissen andererseits genügen, vgl. hierzu unter Punkt b). Aus der Rechtsnatur einer Ausweichklausel, den Gründen des Verkehrsschutzes und eines freien Kunstmarktes wird das Pendel nur ausnahmsweise zugunsten einer Sonderanknüpfung für den internationalen Kulturgüterverkehr ausschlagen und es wird in Deutschland in nur exzeptionellen Fällen aufgrund einer solch „wesentlich engeren Verbindung“ mit Hilfe der Ausweichklausel von der Anwendung der lex rei sitae abgewichen werden können.2159 Ob dies im internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht der Fall ist, gilt es nachstehend zu prüfen.
a) 834
„Wesentlich engere Verbindung“
Zunächst muss im Wege einer Gesamtschau aller Umstände mit der Rechtsordnung des kulturellen Ursprungsstaates „eine wesentlich engere Verbindung“ bestehen „als mit dem Recht, das nach den Artikeln 43 bis 45 maßgebend wäre“.2160 Diese Voraussetzung einer „wesentlich engeren Verbindung“ ist nicht leicht zu erfüllen und es muss im Rahmen einer Gesamtabwägung aller Umstände, die einen Bezug zu einer Rechtsordnung begründen können und eine kollisionsrechtliche Indizwirkung haben2161, neben einer besonderen Sachferne des nach der lex rei sitae berufenen Rechts – hierzu zunächst unter Punkt (1) – auch eine spezielle Sachnähe mit der Rechtsordnung des kulturellen Ursprungsstaates erkennbar werden – hierzu nachstehend unter Punkt (2). In einem wertenden Verfahren hat der Rechtsanwender zur Feststellung der engsten Verbindung eines Sachverhalts mit einer Rechtsordnung alle maßgeblichen Kriterien von unbedeutenden Umständen zu extrahieren, diese zu gewichten und schließlich gegeneinander abzuwägen.2162 Dabei ist nicht von einer nur rein numerischen Einbeziehung der unterschiedlichen Anknüpfungspunkte auszugehen, sondern – in den Worten Mankowskis – die richtige „grouping and weighing of contacts“2163 zu erreichen und sicherzustellen, dass das Schwerpunktrecht auch das ist, mit dem
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So auch die Einschätzung bei Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 186–188. So ausdrücklich die gesetzliche Forderung in Art. 46 EGBGB. So Wolf, Der Begriff der wesentlich engeren Verbindung im Internationalen Sachenrecht, 2002, S. 18. Vgl. hierzu auch Wolf, Der Begriff der wesentlich engeren Verbindung im Internationalen Sachenrecht, 2002, S. 18. So die Terminologie bei Mankowski in von Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, 2. Aufl. 2003, § 7 Rn. 92.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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der Sachverhalt wesentlich enger verbunden ist,2164 d.h. die Verbindung zu der Ursprungsrechtsordnung enger ist als die zum Recht des Erwerbsorts.2165
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Lex rei sitae „extrem sachferne Rechtsordnung“
Ausweislich der Gesetzesbegründung muss die Regelanknüpfung an den Belegenheitsort i.S.d. Art. 43 zur Anwendbarkeit einer extrem sachfernen Rechtsordnung führen.2166 Zu Recht begründet das Schrifttum dieses nicht unmittelbar dem Wortlaut des Art. 46 entnehmbare Tatbestandsmerkmal mit „Sinn und Zweck sowie dem Anliegen des Gesetzgebers, die Heranziehung der Vorschrift auf außergewöhnliche Situationen zu beschränken.“2167 Für den allgemeinen Mobiliartransfer weist bereits Wendehorst darauf hin, dass insbesondere das Kriterium des häufigen Lageortswechsels und das damit einhergehende Element der Zufälligkeit, das dem Lageort zu einem bestimmten Zeitpunkt somit innewohnt, zur Einstufung der berufenen Rechtsordnung als sachfern beitragen können.2168
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Dies gilt in besonderem Maße innerhalb des internationalen (illegalen) Kulturgüterverkehrs: Kunstwerke werden regelmäßig auf einem internationalen Marktplatz veräußert und wandern bereits traditionell grenzüberschreitend. Insbesondere werden auch unrechtmäßig entzogene Objekte regelmäßig außer Landes geschafft und unter Geltung einer Rechtsordnung veräußert, die – außer der örtlichen Belegenheit der Gegenstände innerhalb ihres Territoriums – keine Verbindung zu dem Kulturgütertransfer aufweist und Produkt reiner Zufälligkeit ist. Überdies werden die divergierenden nationalen Rechtssysteme innerhalb der professionell organisierten Kunstschmuggelszene aber auch gezielt zugunsten skrupelloser Geschäfte ausgenutzt. Im Wege dieses sog. forum shopping ‚waschen‘2169 Schmugglerbanden die unrechtmäßig entzogenen Kulturgüter nicht
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Vgl. Wolf, Der Begriff der wesentlich engeren Verbindung im Internationalen Sachenrecht, 2002, S. 20. Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 186–188. BT-Drs. 14/343 S. 19. Vgl. auch Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 46, Rdnr. 13–15. Vgl. BT-Drs. 14/343 S. 19. Vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 46, Rdnr. 13–15. So Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 46, Rdnr. 13–15. Bestimmte Rechtsordnungen werden zu „internationalprivatrechtlichen Waschanlagen.“ Vgl. Heinbuch, Diskussionsbeitrag, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes – Symposium vom 22./23. Juni 1990 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 133; vgl. auch Nafziger, Comments on the Relevance of Law and Culture to Cultural Property Law, in: Syracuse Journal of International law and Commerce 10 (1983) S. 323–332, S. 325; Prott, Problems of Private International
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
nur durch einen tatsächlichen Transfer durch unterschiedliche Staaten, um die Spuren des unrechtmäßigen Entziehungsaktes zu verschleiern, sondern auch in rechtlicher Hinsicht durch eine Veräußerung der Objekte unter dem Regime einer Rechtsordnung, die den Erwerb auch an gestohlenen und unrechtmäßig entzogenen (kulturellen) Sachen erlaubt.2170 Da die Anwendung der lex rei sitae somit nicht nur zu zufälligen Ergebnissen, sondern auch zu einer gezielten Herbeiführung einer bspw. für einen Dieb oder Hehler günstigen Anknüpfungssituation mala fides (ver-)führen kann2171, droht die Gefahr, dass die internationale Rechts-
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Law for the Protection of the Cultural Heritage, Recueil des Cours – Collected Courses of the Hague Academy of International Law 1989 V 217, S. 215–317, S. 258; auch zitiert bei Lagarde, Le commerce de l’art en droit international privé francais, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 389–408, S. 405; Reichelt, International Protection of Cultural Property, Revue de droit uniforme/Uniform Law Review (UNIDROIT), Semestrielle – Biannual (1985-I), S. 42–153, S. 91; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 178–181. „In Bezug auf die Rechtssicherheit wird geltend gemacht, daß gerade die Vorhersehbarkeit der Anknüpfung an den Lageort im illegalen Kunsthandel dazu führe, „heiße Ware“ in solche Länder zu verbringen und dort zu veräußern, die einen gutgläubigen Erwerb gestohlenen oder illegal exportierten Kulturgutes zulassen.“ Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 195, unter Rekurs auf Jaeger, Internationaler Kulturgüterschutz – Rechtslage, Rechtspraxis, Rechtsfortentwicklung, 1994, S. 63. Vgl. Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 173–174; Fechner, Rechtlicher Schutz archäologischen Kulturguts – Regelungen im innerstaatlichen Recht, im Europaund Völkerrecht sowie Möglichkeiten zu ihrer Verbesserung, 1991, S. 73–74; Boochs/Ganteführer, Kunstbesitz – Kunsthandel – Kunstförderung im Zivil- und Steuerrecht, 1992, S. 34–35; Mansel, DeWeerth v. Baldinger – Kollisionsrechtliches zum Erwerb gestohlener Kunstwerke, IPRax 1988, S. 268–271; Reichelt, Kulturgüterschutz und Internationales Privatrecht, IPRax 1986, S. 73–75, S. 74; Walter, Rückführung von Kulturgut im Internationalen Recht, 1988, S. 33; Siehr, Kunstraub und das internationale Recht, Schweizerische Juristen-Zeitung 77 (1981), S. 189–197 und S. 207–212, S. 194–195; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 226, S. 232 und S. 283 und insbesondere S. 335 ff., Berndt, Internationaler Kulturgüterschutz: Abwanderungsschutz, Regelungen im innerstaatlichen Recht, im Europa- und Völkerrecht, 1998, S. 122; Strauch, Rechtsverhältnisse an Kulturgütern im Internationalen Sachenrecht, 2007, S. 85–89; Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 73–74; Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 7–8. Vgl. j.m.w.N. Jayme, Internationaler Kulturgüterschutz – Lex originis oder lex rei sitae – Tagung in Heidelberg, IPRax 1990, S. 347–348; Ferrer-Correia, La vente internationale d’objets d’art, sous l’angle de la protection du patrimoine culturel, in: Annuaire de l’Institut de Droit International 64-I (1991), S. 90–192, S. 168 und 174; Mansel, DeWeerth v. Baldinger – Kollisionsrechtliches zum Erwerb gestohlener Kunstwerke, IPRax 1988, S. 268–271, S. 270 („Manipulationsgefahr“); Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 175–176. Vgl. auch Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 226 und S. 232: „Es ist zwar richtig, daß der Lageort bei beweglichen Sachen mehr oder weniger zufällig oder auch manipuliert sein kann. Wenn der Lageort nur vorübergehend ist, dann verlieren die Erwägungen, die der Anknüpfung des Sachstatuts an den Situs der Sache ansonsten zugrundeliegen, ihre Berechtigung. Das gilt namentlich für
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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lage „in der kriminellen Kunstszene gezielt zugunsten skrupelloser Geschäfte ausgenutzt“2172 und eine Herbeiführung einer für den Erwerber günstigen Anknüpfungssituation erreicht wird.2173 Insbesondere bei der bösgläubigen Manipulation der anwendbaren Rechtsordnungen2174 gelangt die traditionelle lex rei sitae zur Anwendbarkeit extrem sachfremder Rechtsordnungen, die häufig keinerlei intrinsische Verbindung zum kulturellen Veräußerungsgeschäft, zum Kulturgut selbst, zu den Parteien oder anderen Umständen der Sachverhaltskonstellation aufweisen. Tendieren in solchen Situationen andere Anknüpfungsmöglichkeiten (als die Belegenheit einer Sache) auf eine alternative Rechtsordnung als die nach der lex rei sitae bestimmten hin, dann sollte nach Ansicht von Reichelt – dem Grundsatz der engsten Beziehung entsprechend – eine Korrektur einer vollkommen inhaltsleeren Rechtswahl nach dem Belegenheitsort durch einen qualifizierten Anknüpfungspunkt erfolgen.2175 An der bisherigen mechanischen Rechtswahl innerhalb des deutschen Internationalen Kulturgüterprivatrechts ist zu bemängeln, dass die lex rei sitae selbst nur Ausdruck einer durchschnittlichen Interessenwertung ist,
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die Argumente der Beständigkeit und Durchsetzbarkeit der lex rei sitae und des schützenswerten Vertrauens des Rechtsverkehrs in ihre Geltung. In diesen Fällen ist ein starres Festhalten an der Situs-Regel unangebracht.“ Vgl. auch Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 283; Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 214 und S. 218; Ferrer-Correia, Nouvelles règles de conflit de lois sur la vente internationale d’objets d’art, in: Briat/Freedberg, Legal aspects of International Art Trade (International Sales of Works of Art, Volume 4), 1993, S. 41–46, S. 43 („Zufallsergebnisse“). Vgl. Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 175–176. Vgl. Mansel, DeWeerth v. Baldinger – Kollisionsrechtliches zum Erwerb gestohlener Kunstwerke, IPRax 1988, S. 268–271, S. 270; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 178–181; Strauch, Rechtsverhältnisse an Kulturgütern im Internationalen Sachenrecht, 2007, S. 85–89. Vgl. Doyal, Implementing the UNIDROIT Convention on Cultural Property into Domestic Law: The Case of Italy, Columbia Journal of Transnational Law 39 (2001), S. 657–700, S. 661; Grammaticaki-Alexiou, The Status of Cultural Property in Greek Private International Law, Revue Hellénique de Droit International 47 ème Année (1994), S. 139–160, S. 151; Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/ Frank/Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 214; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 173–174; Lalive, A Disturbing International Convention: UNIDROIT, Art, Antiquity and Law 4 (1999), S. 219–228, S. 220–222; Kienle/Weller, Die Vindikation gestohlener Kulturgüter im IPR, IPRax 2004, S. 290–294, S. 291; Mansel, DeWeerth v. Baldinger – Kollisionsrechtliches zum Erwerb gestohlener Kunstwerke, IPRax 1988, S. 268–271, S. 270–271; Olivier, The Unidroit Convention: Attempting to Regulate the International Trade and Traffic of Cultural Property, Golden Gate University Law Review 26 (1996), S. 627–665, S. 637–638; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 158–160. Vgl. Reichelt, Kulturgüterschutz und Internationales Privatrecht, IPRax 1986, S. 73–75, S. 74.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
die sich unter besonderen Umständen als unrichtig erweisen kann.2176 Solche exzeptionellen Gegebenheiten liegen in den beschriebenen Konstellationen des internationalen Kulturgüterverkehrs vor, sodass die situs-Regel der Anpassung oder Modifikation zugunsten einer im Internationalen Kulturgüterprivatrecht notwendigen „Auflockerung“ zugänglich sein sollte. Dies ist seit Inkraftsetzung des Art. 46 EGBGB über die Ausweichklausel zu erreichen.2177 In diesen Situationen besteht andererseits eine realistische Gefahr, dass Kulturgüter durch ihre Verbringung in ein bestimmtes Land bei einer Veräußerung einer Rechtsordnung unterfallen, zu der ansonsten keine, über den Aufenthaltsort hinausgehende Verbindung besteht.2178 Damit ist die Sachferne der lex rei sitae im internationalen Kunsthandel möglich.
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Sachnähe der lex originis
Die Anwendung der Ausweichklausel setzt nicht nur voraus, dass die Rechtswahl nach der lex rei sitae zu einer „extrem sachfernen Rechtsordnung“ führt, sondern es muss an zweiter Stelle eine wesentlich engere Verbindung mit einem anderen Recht vorliegen.2179 Im Grundsatz wird man jedoch davon ausgehen können, dass eine Sache hauptsächlich mit dem Rechtsverkehr des Ortes verbunden ist, an dem sie sich örtlich befindet und dass es im internationalen Sachenrecht stärker als in anderen Rechtsgebieten auf den territorialen Bezug der Sache ankommt.2180 Dies wird im Ausgangspunkt auch für Kulturgüter als eine spezielle Gattung beweglicher Gegenstände Anerkennung finden. Andererseits gilt schon für den allgemeinen Mobiliartransfer, dass sich die Verbindung zum Belegenheitsrecht mit der fortschreitenden Flüchtigkeit der Beziehung des Objektes zu seinem gegenwärtigen Lageort lockert und, je flüchtiger sich diese Beziehung darstellt, desto weniger Verkehrsinteressen der Belegenheitsrechtsordnung betroffen sind, die eine Anwendung der Situs-Regel erfordern.2181 Das wiederum 2176
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Vgl. zur rechtsdogmatischen Konstruktion auch Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 130–133. Vgl. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 130–133. Vgl. Lagarde, Le commerce de l’art en droit international privé francais, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 389–408, S. 405; Reichelt, International Protection of Cultural Property, Revue de droit uniforme/ Uniform Law Review (UNIDROIT), Semestrielle – Biannual (1985-I), S. 42–153, S. 91; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 178–181. Vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 46, Rdnr. 16–17. Vgl. Paffenholz, Die Ausweichklausel des Art. 46 EGBGB – Möglichkeiten und Grenzen der Lösung von Anknüpfungsproblemen im internationalen Mobiliarsachenrecht mit Hilfe des Grundsatzes der wesentlich engeren Verbindung, 2006, S. 101. Vgl. Paffenholz, Die Ausweichklausel des Art. 46 EGBGB – Möglichkeiten und Grenzen der Lösung von Anknüpfungsproblemen im internationalen Mobiliarsachenrecht mit Hilfe des Grundsatzes der wesentlich engeren Verbindung, 2006, S. 101.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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hat auch für den internationalen Kunsthandel zur Folge, dass die engste Beziehung eines Kulturguts zu dem Ort und der Rechtsordnung bestehen kann, an dem es dauerhaft belegen ist, auch wenn es sich zum Zeitpunkt der rechtserheblichen Einwirkung auf seine sachenrechtliche Zuordnung (etwa auch nach einem unrechtmäßigen Entziehungsakt) gerade im Ausland örtlich befindet. Nach dem Vorhergesagten könnte für die dingliche Sachzuordnung (unrechtmäßig entzogener) Kulturgüter insbesondere die lex originis erheblich sachnäher als die lex rei sitae sein. Es liegt also nahe, dass insbesondere in der kulturellen ‚Heimat‘ und im Ursprungsort eine dauerhafte engste Beziehung eines Kulturguts zu ‚seiner‘ Heimatrechtsordnung gesehen wird und die Rechtswahl nach der kulturellen Heimatrechtsordnung eine wesentlich engere rechtliche Beziehung zu dem Kulturgut wiedergibt als die lex rei sitae. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass es sich um eine konkret bestimmbare Rechtsordnung handelt, sodass es nicht ausreichend ist, wenn mehrere denkbare Rechtsordnungen existieren, von denen keine vollends zu befriedigen vermag, bzw. die sich in ihrer Sachnähe nur geringfügig unterscheiden.2182 Dass innerhalb dieses objektivierten Feststellungsverfahrens aller rechtserheblichen Umstände und Verbindungen zu einer sachnäheren Rechtsordnung als die lex rei sitae nur dann eine wesentlich engere Verbindung vorliegt, „wenn fast alle potenziellen Anknüpfungspunkte in eine Richtung weisen“2183, ist jedoch nicht zwingend2184, sondern es kommt auch auf die richtige Gewichtung der einzelnen Anknüpfungspunkte an. Neben dem gewöhnlichen Lageort eines Kulturguts kann es innerhalb der Bestimmung der engsten Verbindung zu einer Rechtsordnung im internationalen Sachenrecht auch auf den künftigen Lageort, den Ort der Registrierung eines Kulturguts, aber auch den gewöhnlichen Aufenthalt der Parteien, ihre Staatsangehörigkeit, das Statut des Kausalgeschäfts oder den Geschäftsort ankommen.2185 Insbesondere sind jedoch zusätzlich sämtliche rechtlichen2186 und kulturellen Verbindungen2187 eines Kulturguts zu ‚seiner‘ Heimatrechtsordnung in die Abwägungsentscheidung miteinzubeziehen.
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So Mansel, Normzweck und Tatbestandsstruktur des Art. 46 EGBGB, in: Festschrift für Andreas Heldrich zum 70. Geburtstag, 2005, S. 899–906, S. 904. So die Forderung bei Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 46, Rdnr. 16–17. So wohl auch Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 292–294. Vgl. zu diesen Anknüpfungspunkten insbesondere Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 46, Rdnr. 16–17. Vgl. 3, 654 ff. Vgl. 3, 670 ff.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
(a) 840
Vorgaben innerhalb des amerikanischen internationalen Kulturgüterprivatrechts
Da die kontinentaleuropäische, insbesondere aber auch die deutsche Rechtsordnung bislang praktisch keine Erfahrungen innerhalb der Bestimmung der sachnächsten Rechtsordnung im Internationalen Kulturgüterprivatrecht sammeln konnten, lohnt der Blick auf die US-amerikanische Rechtsprechung und deren Rechtswahl nach dem sog. most significant contacts-Test.2188 Da die kollisionsrechtliche Entscheidung nicht abstrakt und ohne Würdigung der spezifischen Problematik des einzelnen Falles getroffen werden könne, missbilligen Vertreter dieser Theorie eine „mechanische“ Anknüpfungsregel im Rechtswahlprozess, lösen insbesondere im Mobiliarsachenrecht die feststehende Anknüpfung an das Belegenheitsrecht auf und verlangen stets eine genaue Analyse der in Betracht kommenden Partei- und Gemeininteressen innerhalb der Abwägung der Zwecke und Rechtsschutzziele, die den kollidierenden Sachnormen zugrunde liegen.2189 Zwar wird auch innerhalb des amerikanischen Rechtswahlprozesses zunächst dem situs-Grundsatz entsprechend vermutet, dass das Recht des Staats der örtlichen Belegenheit zum rechtserheblichen Zeitpunkt die engste Verbindung sowohl zu den betroffenen Parteien, den umstrittenen Gegenständen als auch dem Transfer selbst habe. Diese Vermutung wird jedoch „aufgelockert“2190 und gilt als widerlegt, wenn die Umstände des Einzelfalles eine engere Beziehung zu einem anderen Recht als dem am Belegenheitsort aufweisen.2191 Man könnte sich das amerikanische Verständnis von Sinn und Zweck der lex rei sitae auch für die deutsche Rechtsordnung zunutze machen, indem die situs-Regel als unter dem Vorbehalt einer Ausweichklausel stehend angesehen wird.2192 Dann würde die dingliche Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter ausnahmsweise nicht vom Recht am Ort der jeweiligen Belegenheit der Sache beherrscht, wenn das Geschäft eine engere Beziehung zum Recht eines anderen Staates aufweist.2193 2188 2189 2190 2191
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Vgl. ausführlich hierzu bereits 3, 112 ff. u. 124 ff. Vgl. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 130–133. So Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 160. Restatement Second, Conflict of Laws, § 244 Abs. 1; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 160–161; Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 71 ff. So die Erwägung bei Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 84–88. Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 84–88; Jefferson, An Attempt to Evade the Lex Situs Rule for Stolen Goods, The Law Quaterly Review, Volume 96 (1980), S. 508–511, S. 510–511. Kritisch gegenüber der Ausweichklausel generell Schurig, Kollisionsnorm und Sachrecht – zu Struktur, Standort und Methode des internationalen Privatrechts, 1981, S. 338–342.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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Eine der zeitlich frühesten Gerichtsentscheidungen zur Restitution während des Zweiten Weltkriegs abhandengekommener Kulturgüter, die Rechtsstreitigkeit Kunstsammlungen zu Weimar v. Elicofon 2194, greift dieses Spannungsfeld zwischen der lex rei sitae und einer möglichen Abweichung aufgrund einer wesentlich engeren Verbindung mit einer anderen Rechtsordnung als der örtlichen Belegenheit auf.2195
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Zwei Porträts von Albrecht Dürer kamen kurz vor dem Zweiten Weltkrieg oder unmittelbar danach aus einer Burg in der Nähe von Weimar abhanden und tauchten einige Zeit später wieder in den Vereinigten Staaten von Amerika auf. Der Beklagte berief sich innerhalb einer zivilrechtlichen Restitutionsklage der Kunstsammlungen zu Weimar darauf, dass er die Gemälde gutgläubig in Amerika erworben habe. Vor Gericht war fraglich, welche Rechtsordnung darüber zu befinden hatte, ob der Erwerber Elicofon Eigentum an den beiden Dürer-Porträts erwerben konnte. Entsprechend der Grundregel des § 246 Restatement (Second) of Conflict of Laws – „[A] state where a chattel is situated has a dominant interest in determining the circumstances under which an interest in that chattel will be transferred …“ – musste zunächst der Ort der Belegenheit bei der Rechtswahl die Rechtsordnung des Bundesstaates New York zur Anwendung berufen: „New York’s choice of law dictates that questions relating to the validity of a transfer of personal property are governed by the law of the state where the property is located at the time of the alleged transfer.“2196 Dann wurde geprüft, ob die Sachverhaltskonstellation möglicherweise engere Verbindungen zur deutschen Rechtsordnung aufwies. Hierfür sprach, dass die beiden Gemälde in Deutschland abhandenkamen, sich im Besitz und Eigentum der deutschen Kunstsammlungen zu Weimar als ursprüngliche Eigentümerin in Deutschland befanden, die ihrerseits ihren rechtlichen Sitz in Deutschland hatten. Andererseits bestehen aber auch enge Verbindungen zur Rechtsordnung New Yorks: Die Porträts wurden nach Amerika transferiert, dort gutgläubig von dem Restitutionsbeklagten Elicofon rechtsgeschäftlich erworben und befanden sich daselbst für mehr als 30 Jahre. Außerdem waren die beiden Kunstwerke im Geltungsbereich der Rechtsordnung des Bundesstaates New York zum Zeitpunkt der Klage (vor einem Forum des Bundesstaates New York) örtlich belegen. Im Ergebnis hielt das New Yorker Gericht nach einer Gesamtabwägung aller in Rede stehenden Anknüpfungsmög-
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Kunstsammlungen zu Weimar v. Elicofon, 536 F. Supp. 829 auf Seite 840 (EDNY 1981). Vgl. zur Frage des Rechtswahlprozesses insbeondere auch: Collin, The Law and Stolen Art, Artifacts and Antiquities, Howard Law Journal 36 (1993), S. 17 ff., S. 24–25; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 161–162; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 63–68. Vgl. ausführlich zu dieser Fallkonstellation 3, 82 ff. Kunstsammlungen zu Weimar v. Elicofon, 536 F.Supp. 829, 845 f. (E.D.N.Y. 1981).
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
lichkeiten Deutschlands „connection with the controversy“ nicht für ausreichend, um in dieser Konstellation ein Abweichen von der Situs-Regel zu rechtfertigen: „In contrast, the contacts of the case with New York, i.e., Elicofon purchased and holds the paintings here, are indeed relevant to effecting its interest in regulating the transfer of title in personal property in a manner which best promotes its policy. The fact that the theft of the paintings did not occur in New York is of no relevance. In applying the New York rule that a purchaser cannot acquire good title from a thief, New York courts do not concern themselves with the question of where the theft took place, but simply whether one took place. Similarly, the residence of the true owner is not significant for the New York policy is not to protect resident owners, but to protect owners generally as a means to preserve the integrity of transactions and prevent the state from becoming a marketplace for stolen goods.“2197 843
Da der Rechtswahlprozess hier die engste Beziehung der Sachverhaltskonstellation zur Rechtsordnung des Bundesstaates New York bestimmte, entschied New Yorker Sachrecht die Frage, ob Elicofon das Eigentum an den Bildern erlangt hatte. Ursprünglich waren die Kunstsammlungen zu Weimar Eigentümerin der Dürer-Porträts, welche weder durch den Diebstahl in Deutschland im Jahre 1945 noch durch deren Ausfuhr aus dem Territorium Deutschlands verlustig gingen. Zum Zeitpunkt des Erwerbs der Kunstwerke durch Elicofon im Jahre 1946 war aufgrund der Belegenheit in dem rechtserheblichen Moment der Veräußerung in New York dessen Bundesrecht anzuwenden, sodass Elicofon trotz möglicher Gutgläubigkeit keine Eigentumsposition an den Gemälden erlangen konnte, da der rechtsgeschäftliche Erwerb gestohlener Gegenstände selbst bei Gutgläubigkeit des Erwerbers ausgeschlossen ist. Das Gericht qualifizierte auch die Ersitzung als Form des Eigentumserwerbs, auf die ebenfalls New Yorker Sachrecht anzuwenden ist, sodass ein Eigentumserwerb qua Ersitzung ausschied. Da die Verjährungsfrist für den Anspruch aus ‚conversion‘ nach New Yorker Recht und der demand and refusal rule erst dann zu laufen beginnt, wenn der Berechtigte den Besitzer zur Herausgabe aufgefordert hat,2198 konnten die Kunstsammlungen zu Weimar nach mehr als dreißig Jahren nach dem Abhandenkommen der
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Kunstsammlungen zu Weimar v. Elicofon, 536 F.Supp. 836; affd 678 F.2d 1160. Vgl. Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 84–88. Zu dem Ergebnis kommend, dass der Sachverhalt enger mit Deutschland verbunden ist, Marcuse, International Choice of Law: A Proposal for a New ,,Enclave“ of Federal Common Law, Fordham International Law Journal, 5 (1982), S. 319 ff., S. 364–368, das New Yorker Recht will nur die Anwohner des Staates schützen, während die deutschen Ersitzungsvorschriften auch auf den Kauf deutscher Güter im Ausland Anwendung finden. Ebenso Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 161.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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beiden Dürer-Gemälde ihren zivilrechtlichen Restitutionsanspruch gegen Elicofon durchsetzen. Die beschriebene Methode des Rechtswahlprozesses in der Elicofon-Entscheidung fand in der Rechtssache DeWeerth v. Baldinger 2199 Bestätigung.2200 In der vorliegenden Konstellation ging es um das Gemälde ‚Champs de blé à Vétheuil‘ bzw. ‚Wheat Field‘ (1881) von Claude Monet, das der Klägerin DeWeerth gegen Ende des Zweiten Weltkriegs gestohlen wurde und im Jahre 1956 in einer New Yorker Galerie auftauchte, die es von einem Genfer Kunsthändler in Kommission genommen hatte. (s. Abb. 48)
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Im Jahre 1957 veräußerte die Galerie das Bild an Mrs. Baldinger, die es seitdem ununterbrochen in ihrer New Yorker Wohnung aufbewahrte. Nachdem DeWeerth im Jahre 1981 vom Verbleib und von der Identität der Besitzerin des Kunstwerks erfuhr, erhob sie vor dem District Court Klage auf Herausgabe des Monet.2201 Das Gericht hatte innerhalb des Rechtswahlprozesses zu entscheiden, ob entweder die Rechtsordnung Deutschlands, wo sich der behauptete Diebstahl ereignete (und somit nach allgemeinem amerikanischem Verständnis auch der Klagegrund entstanden ist), oder diejenige Rechtsordnung von New York Anwendung erfahren sollte, unter deren Rechtswirkungen das illegal transferierte Gemälde an Mrs. Baldinger veräußert wurde.2202 Das Gericht übertrug die im Elicofon-Fall explizit nur für die Ersitzung entwickelte ratio decidendi ausdrücklich auch auf den gutgläubigen Erwerb vom Nichtberechtigten. Ebenso wie in der Elicofon-Konstellation seien „questions relating to the validity of a transfer of personal property“ zunächst grundsätzlich nach der lex rei sitae zu lösen, wobei der Anknüpfungszeitpunkt der Moment des potenziellen Erwerbsaktes sei. Das Gericht wendete folglich auch in der Baldinger-Konstellation New Yorker Sachrecht auf den gutgläubigen Erwerb in New York an. Das Genannte gelte aber nur, wenn keine andere Rechtsordnung eine wesentlich engere Verbindung zu der Sachverhaltskonstellation besitze. Diesbezüglich bestätigte das Gericht die Entscheidung neben dem Verweis auf § 246 Restatement Second (1971) vor allem mit der im Restatement Second in §§ 6 und 222 normierten Anwendung einer „most significant relationship analysis“: Danach seien die Beziehungen zu New
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DeWeerth v. Baldinger, v. Wildenstein & Co., Inc., 658 F.Supp. S. 688 ff. (US S.D.N.Y. 1987), aufgehoben durch Urteil des US C.A. 2d Cir. v. 30.12.1987, Nos. 87-7392, 87-7402 1987 U.S.App.LEXIS 17044). Vgl. hierzu und zum Folgenden Mansel, DeWeerth v. Baldinger – Kollisionsrechtliches zum Erwerb gestohlener Kunstwerke, IPRax 1988, S. 268–271, S. 269. Vgl. Vgl. Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 63–68. McKenna, Problematic Provenance: Toward a Coherent United States Policy on the International Trade in Cultural Property, Journal of International Business Law 12 (1991), S. 83–124, S. 105.
970
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
York im konkreten Fall enger als zu Deutschland, da das Gemälde dort von der Beklagten gekauft und über 30 Jahre lang aufbewahrt worden sei. Demgegenüber seien der Ort des Diebstahls, der Aufenthaltsort der Klägerin und die Tatsache, dass die Klägerin das Bild in Deutschland ererbt hatte, im konkreten Sachverhalt irrelevant. Schließlich stützte sich das Gericht zur Legitimation der kollisionsrechtlichen Frage noch auf die lex loci delicti-Regel, von der im erforderlichen Fall keine Abweichung notwendig gewesen sei, da der Deliktsort New York sei, weil die Beklagte dort den Besitz am Bild erhielt und die Herausgabe verweigerte.2203 Der Richter verwies schlussendlich auf die „New York policy“, wonach der Eigentümer zu schützen sei „as a means to preserve the integrity of transactions and preserve the state from becoming a market place for stolen goods“2204. 846
Während die zur Entscheidung berufenen Richter sowohl in Kunstsammlungen zu Weimar v. Elicofon als auch in DeWeerth v. Baldinger die situs-Grundregel mittels des most significant contacts-Tests festigten und im Belegenheitsrecht auch die Rechtsordnung mit der engsten Verbindung zur konkreten Sachverhaltskonstellation erkannten, führte der Rechtswahlprozess nach dem most significant contacts-Test innerhalb der Entscheidung Autocephalous Greek Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg & Feldman Fine Arts Inc.2205 (dem sog. „Fall der gestohlenen Engel“) zu der Abkehr von der lex rei sitae.
847
Es ist bekannt, dass die zur Entscheidung berufenen Gerichte zu den Eigentumsverhältnissen an wertvollen byzantinischen Mosaiken aus dem frühen 6. Jahrhundert Stellung nehmen mussten, die zuvor aus einer griechisch-orthodoxen Kirche im nördlichen und von der Türkei besetzten Gebiet der Republik Zypern von den Wänden gelöst, erst nach München und dann in die Freihandelszone des Genfer Flughafens in der Schweiz transferiert wurden, um sie dort 2203
2204
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Vgl. Ausführlich zum Ganzen Mansel, DeWeerth v. Baldinger – Kollisionsrechtliches zum Erwerb gestohlener Kunstwerke, IPRax 1988, S. 268–271, S. 269. DeWeerth v. Baldinger v. Wildenstein & Co. Inc., 658 F. Supp. S. 688 ff., 693 (US D.Ct.S.N.Y.1987). Autocephalous Greek Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg & Feldman Fine Arts Inc., 717 F. Supp. 1374, auf S. 1394; siehe auch 917 F. 2d 278 (7th Cir. 1990). Schrifttum zur Frage der anwendbaren Rechtsordnung in dieser Fallkonstellation: Bourloyannis/Morris, Cultural property – recovery of stolen art works – choice of law – recognition of governments: Autocephalous Greek-Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg & Feldman Fine Arts, Inc., American Journal of International Law, Volume 86 (1992), S. 128–133, S. 130; Knott, Neue Tendenzen im Recht des internationalen Kunsthandels in den USA, S. 554–555; SchwadorfRuckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 162–165; Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 9–10; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 186–188; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 63–68.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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an die amerikanische Kunsthändlerin Peg Goldberg aus Indiana zu veräußern. Die Erwerberin erwarb im Juli 1988 vier Teile dieser Mosaiken zu einem Preis von US-$ 1.080.000 und transferierte diese in der Folge in die Vereinigten Staaten von Amerika, um sie dort gewinnbringend zu veräußern. Als sie kurze Zeit später die Mosaiken dem J. Paul Getty Museum zum Kauf anbot, setzte eine Mitarbeiterin entsprechend den selbstauferlegten Erwerbsregeln und Verhaltensstandards des Museums die Regierung Zyperns über den Verbleib der Mosaiken in Kenntnis. Zypern erhob daraufhin Klage auf Herausgabe der Kunstwerke, die zu den wenigen (sechs oder sieben) byzantinischen Mosaiken gehören, die während des Bilderstreits im 8. Jahrhundert nicht zerstört wurden.2206 Da die unterschiedlichen nationalen Rechtsordnungen Zyperns, Deutschlands, der Schweiz und der Vereinigten Staaten von Amerika zum Teil erhebliche Differenzen beim gutgläubigen Erwerb und bei der Ersitzung unrechtmäßig entzogener Güter aufweisen, war die Frage nach der anwendbaren Rechtsordnung hier von fallentscheidender Bedeutung. In der Entscheidung hatte der Federal District Court von Indiana deshalb zu urteilen, ob der Ort der rechtsgeschäftlichen Anbahnung (Deutschland), der situs der aktuellen Transaktion (Freihandelszone des Genfer Flughafens in der Schweiz) oder der Ort der tatsächlichen Finanzierung des konkreten Rechtsgeschäfts (Indiana) den engsten Anknüpfungspunkt an den Transfer der Mosaiken bieten würde. Die Erwerberin Peg Goldberg berief sich gegenüber dem zypriotischen Herausgabeanspruch in diesem Sinne darauf, dass nach dem Prinzip der lex rei sitae aufgrund des Erwerbs der Mosaiken in der Freihandelszone des Genfer Flughafens in dem konkreten Fall schweizerisches Recht anwendbar sei und sie deshalb entsprechend Art. 934 Abs. 1 i.V.m. Art. 714 ZGB gutgläubig Eigentum an den unstreitig bereits zwischen 1976 und 1979 in Zypern gestohlenen Mosaiken erworben habe. Die Schweizer Rechtsordnung billigt zum Zeitpunkt der Klage den gutgläubigen originären Erwerb auch gestohlener Kulturgüter, wenn seit dem Diebstahl eine Frist von fünf Jahren verstrichen war.2207 Dagegen hätte die Erwerberin nach dem Recht des Staates Indiana nach der Common Law-Regel des nemo dat quod non habet-Grundsatzes kein Eigentum an den gestohlenen Mosaiken erwerben können.2208
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Da das Restitutionsbegehren Zyperns auf Rückführung der zuvor illegal transferierten Mosaiken auf das Rechtsinstitut der unerlaubten Handlung (law of torts bzw. law of delict) gestützt wurde, fand zunächst die sog. lex loci delicti com-
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Zum Sachverhalt auch Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 162; Borodkin, The Economics of Antiquities Looting and a Proposed Legal Alternative, Columbia Law Review 95 (1995), S. 377–417, S. 400. Vgl. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 162. Vgl. Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 63–68.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
missi-Regel Anwendung. Erscheint die Verbindung zwischen dem Ort der unerlaubten Handlung und dem konkreten Klageanspruch rechtlich beachtenswert, muss das Gericht die Sachregeln der Rechtsordnung desjenigen Staates anwenden, in dem die unerlaubte Handlung begangen wurde.2209 In der vorliegenden Konstellation musste der District Court feststellen, dass die Rechtsordnung der Schweiz als Ort, an dem die illegale Transaktion vorgenommen wurde, nur wenige Anknüpfungsmomente zu der Sachverhaltskonstellation aufwies („place of wrong ‘bears little connection’ to the legal action“2210) und dass demzufolge nur eine unbedeutende und rechtlich unbeachtliche Verbindung zu der Rechtsordnung der Schweiz bestand:2211 „[N]o Swiss citizen has or ever had an interest in this action, as none of the parties, actors in the transaction, or past or current interestholders are Swiss citizens; and the temporal and geographical connection between the mosaics and Switzerland were ‘fortuitous and transitory,’ as the mosaics were on Swiss soil for only four days, never passed through Swiss customs (they remained in the ‘free port‘ area of the Geneva airport), and never otherwise entered the Swiss stream of commerce.“ 850
Da das Gericht nur eine rechtlich unbedeutende Verbindung zwischen dem Ort der unerlaubten Handlung und dem konkreten Klageanspruch erkannte, musste festgestellt werden, welcher Staat die stärkste Verbindung bzw. die engsten Kontakte zu dem Sachverhalt aufwies („the more significant relationship or contacts“2212). Die Vermutung, dass das Recht des Staats der örtlichen Belegenheit zum rechtserheblichen Zeitpunkt die engste Verbindung sowohl zu den betroffenen Parteien, den umstrittenen Gegenständen als auch dem Transfer selbst habe, ist somit widerlegt, wenn die Umstände des Einzelfalles auf eine engere Beziehung zu einem anderen Recht als dem am Belegenheitsort hinweisen.2213 Dabei hat das Gericht sämtliche relevanten Faktoren zu berücksichtigen, die auf eine Verbindung zwischen den Sachverhaltsangaben und der Rechtsordnung eines Staates hinweisen. Als für die Entscheidung relevante tatsächliche Parameter beziffert das Gericht „(1) the place where the conduct causing the injury occured; (2) the
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Autocephalous Greek Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg & Feldman Fine Arts Inc., 717 F. Supp. 1374, auf S. 1393. Autocephalous Greek Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg & Feldman Fine Arts Inc., 717 F. Supp. 1374, auf S. 1393. Autocephalous Greek Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg & Feldman Fine Arts Inc., 917 F. 2d 278 (7th Cir. 1990), S. 287; die Entscheidung des District Courts wurde in der Berufungsentscheidung vor dem Seventh Circuit bestätigt. Autocephalous Greek Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg & Feldman Fine Arts Inc., 717 F. Supp. 1374, auf S. 1393. Restatement Second, Conflict of Laws, § 244 Abs. 1. Vgl. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 160–161; Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 71 ff.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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residence or place of business of the parties; and (3) the place where the relationship is centered“2214. Dabei stellte das Gericht fest, dass in der vorliegenden Konstellation die Rechtsordnung Indianas die engsten Beziehungen zu der Sachverhaltskonstellation aufwies2215: „[T]he defendants, those who financed and effected the transfer of the mosaics, and those who now hold the principal monetary interest in the mosaics are all Indiana citizens2216; the money used to purchase the mosaics came from an Indiana bank; the agreement among [the parties] stipulates that Indiana law will apply, indicating Goldberg’s reliance on the law of her home state; and the mosaics are presently being held in Indiana, where they have been stored since they entered the U.S. in July, 1988. … Therefore, the Court concludes that Indiana has the most significant contacts to this suit. Indiana law applies.“ Aufbauend auf diesen Überlegungen bestimmten sowohl der District Court als auch der Seventh Circuit in der Entscheidung Autocephalous Greek Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg & Feldman Fine Arts Inc. die Anwendbarkeit der Sachrechtsregeln des amerikanischen Bundesstaates Indiana: Die Mosaiken befanden sich nur vier Tage in der Schweiz, bis sie auf das Territorium der Vereinigten Staaten von Amerika transferiert wurden, keine der Parteien hatte irgendwelche Verbindungen zu der Schweiz, wohingegen Wohnsitz und Niederlassung der Beklagten in Indiana seien.2217 Aufbauend auf diesen Erwägungen entschied das Gericht, dass die Sachverhaltskonstellation „the most significant relationship“ nicht zu der Schweiz, sondern zu der Rechtsordnung Indianapolis aufweise.2218 Im Recht von
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Dies stellte das Gericht fest unter Verweis auf Hubbard Mfg. v. Greeson, 515 N.E.2d 1071, S. 1073–1074 (Ind. 1987), zitiert in Autocephalous Greek Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg & Feldman Fine Arts Inc., 717 F. Supp. 1374, auf S. 1394. Autocephalous Greek Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg & Feldman Fine Arts Inc., 917 F. 2d 278 (7th Cir. 1990), S. 287. In tatsächlicher Hinsicht hat die Indiana Bank, die den Erwerb der Mosaiken durch Goldberg mittels eines Darlehens ermöglichte, ein Sicherungsrecht an den Mosaiken in Höhe von US-$ 1.2 erhalten. Darüber hinaus hat die Bank auch ein wirtschaftliches Interesse an dem gewinnbringenden Weiterverkauf der Mosaike ebenso wie weitere Staatsbürger Indianas, da der erzielte Profit neben Goldberg an einen anderen hier wohnhaften Kunsthändler, den Vice Chairman der Bank und andere Investoren zu verteilen gewesen wäre. Entsprechend: Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 162. „Dennoch ist zu bezweifeln, daß das Gericht im Fall einer selbstständigen Anknüpfung der (Vor-)Frage nach dem Eigentumserwerb in starrer Anwendung der sachenrechtlichen SitusRegel zur Einschlägigkeit des Schweizer Sachrechts gelangt wäre. Dafür ist die Neigung der amerikanischen Kollisionsrechte zu einer differenzierenden, the most significant relationship bevorzugenden Anknüpfung zu stark und waren die Verbindungen des konkreten Falls mit der Schweiz zu schwach.“ Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 163, unter Rekurs auf Knott, Neue Tendenzen im Recht des internationalen Kunsthandels in den USA, RIW 1991 (Heft 7), S. 553–559, S. 556.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Indiana gebe es „long established rules of law … that a thief never obtains title to stolen items, and that one can pass no greater title than one has.“2219 852
Zur Untermauerung des Ergebnisses sicherte sich das Gericht durch einen Rückgriff auf das Schweizer Recht ab und nahm sowohl auf das internationale Privatrecht als auch das materielle Recht der Schweiz Rekurs.2220 International-privatrechtlich knüpft die Schweiz – wie in der Entscheidung Koerfer v. Goldschmidt des Schweizerischen Bundesgerichts vom 13. Dezember 1968 bestätigt2221 und nun seit dem 18. Dezember 1987 in Art. 100 des schweizerischen Bundesgesetzes über das internationale Privatrecht2222 normiert – bei Eigentumsübertragungen grundsätzlich an den Aufenthaltsort zum rechtserheblichen Zeitpunkt an.2223 Während der amerikanischen Gerichtsverhandlung wurde ein Schweizer Sachverständiger dazu befragt, ob die Schweiz ein begründetes Interesse daran habe, dass schweizerisches Recht zur Anwendung gelange.2224 Der Sachverständige verneinte diese Fragestellung mit der Begründung, die Mosaiken seien als res in transitu2225 zu qualifizieren, weshalb entsprechend dem schweizerischen internationalen Privatrecht im Ergebnis das den Eigentumsübergang betreffende Recht sich nach dem Recht des Bestimmungsortes – d.h. im konkreten Fall dem Recht Indianas – zu entscheiden hätte (dies ist seit Normierung des schweizerischen Bundesgesetzes über das internationale Privatrecht in Art. 101 normiert2226).2227 Diese Ausnahme und damit die Applikation des Rechts von Indiana hielt der District Court im 2219
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Autocephalous Greek-Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg & Feldman Fine Arts Inc., 717 F.Supp. 1374, 1398 (S.D.Ind. Aug. 03, 1989). Vgl. auch Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 9–10. Koerfer v. Goldschmidt, Bundesgericht vom 13. Dezember 1968; Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts aus dem Jahre 1968, Amtliche Sammlung, 94. Band, II. Teil: Zivilrecht, (BGE) 94 II, S. 297–312, S. 305, Tribunal fédéral, 2ème Cour civile – 13 décembre 1968 – Koerfer contre Goldschmidt – ATF 94 II 297, Journal des Tribunaux 1970 I 176. Art. 100 des schweizerisches Bundesgesetzes über das internationale Privatrecht: 2. Bewegliche Sachen, a. Grundsatz: (1) Erwerb und Verlust dinglicher Rechte an beweglichen Sachen unterstehen dem Recht des Staates, in dem die Sache im Zeitpunkt des Vorgangs, aus dem der Erwerb oder der Verlust hergeleitet wird, liegt. (2) Inhalt und Ausübung dinglicher Rechte an beweglichen Sachen unterstehen dem Recht am Ort der gelegenen Sache. Vgl. Autocephalous Greek-Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg & Feldman Fine Arts Inc., 717 F.Supp. 1374, 1395 (S.D.Ind. Aug. 03, 1989). Hinsichtlich materiell-inhaltlicher Fragestellungen bzgl. der schweizer Rechtsordnung wurde von dem District Court auf die Ausführungen Professor von Mehrens zurückgegriffen, Autocephalous Greek Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg & Feldman Fine Arts Inc., 717 F. Supp. 1374, auf S. 1400. Vgl. ausführlich hierzu 3, 98 ff. Art. 101 des schweizerisches Bundesgesetzes über das internationale Privatrecht: 2. Bewegliche Sachen, b. Sachen im Transit: Rechtsgeschäftlicher Erwerb und Verlust dinglicher Rechte an Sachen im Transit unterstehen dem Recht des Bestimmungsstaates. Vgl. Autocephalous Greek-Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg & Feldman Fine Arts Inc., 717 F.Supp. 1374, 1395 (S.D.Ind. Aug. 03, 1989).
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konkreten Fall für richtig, da die Mosaiken, als sie im zollfreien Bereich des Genfer Flughafens belegen waren, sich aus schweizerischer Sicht auf der Durchreise befunden hätten.2228 Nicht nur das Schweizer Kollisionsrecht, sondern auch das materielle Schweizer Sachenrecht hätten das Ergebnis des District Court bestätigt, da aufgrund besonderer „suspicious circumstances“ ein gutgläubiger Erwerb auch bei Anwendung der Schweizer Rechtsordnung ausgeschlossen gewesen wäre.2229 In der vorliegenden Fallkonstellation hätte die richtige Rechtswahl sicherlich zur uneingeschränkten, unmittelbaren und nicht nur hilfsweisen Anwendung Schweizer Rechts gelangen müssen:2230 Die gestohlenen Mosaiken hatten zum rechtserheblichen Zeitpunkt der Veräußerung an Mrs. Goldberg einen schweizerischen locus rei sitae, wonach die Frage des gutgläubigen Eigentumserwerbs eindeutig nach schweizerischem materiellem Recht, bei grundsätzlicher Anwendbarkeit gutgläubigen Erwerbs entsprechend Art. 934 schweizerischen ZGBs, zu entscheiden gewesen wäre. Außerdem hätte auch der most significant contacts-Test zur Anwendung Schweizer Sachrechts geführt: „No other jurisdiction has nearly so strong a connection to this transaction as does Switzerland. Cyprus can claim to be the place of origin of the mosaics, Indiana can claim to be the home of their buyer, and the Federal Republic of Germany can claim to be the home of their seller. Only in Switzerland, however, did all the elements coincide.“2231 Aufgrund der Gesamtumstände der Veräußerung der Mosaiken gerade nicht öffentlich in den allgemeinen Verkaufsräumen eines Kunsthändlers, sondern eher heimlich innerhalb der Freihandelszone des Genfer Flughafens, hätte durchaus nicht nur entsprechend amerikanischem Recht, sondern auch nach schweizerischem Sachrecht ein gutgläubiger Erwerb der Mosaiken verneint werden müssen, sodass schlussendlich kein konfligierendes Ergebnis sowohl der Rechtsordnung Indianas als auch der Schweiz zu erwarten gewesen wäre.2232 Der Vollständigkeit halber sei jedoch darauf hingewiesen, dass das schweizerische Zivilgesetzbuch 2228
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Autocephalous Greek Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg & Feldman Fine Arts Inc., 717 F. Supp. 1374, auf S. 1393–1395, auch zitiert bei Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 163. Autocephalous Greek-Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg & Feldman Fine Arts Inc., 717 F.Supp. 1374, 1402 (S.D.Ind. Aug. 03, 1989). So Crowell, Autocephalous Greek-Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg & Feldman Fine Arts, Inc.: Choice of Law in the Protection of Cultural Property, Texas International Law Journal, Volume 27 (1992), S. 173–209, S. 181; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 63–68. Post-Trial Brief of the Defendants (at 46), Autocephalous Greek-Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg & Feldman Fine Arts, Inc., 717 F. Supp. 1374 (S.D. Ind. 1989), aff’d, 917 F.2d 278 (7th Cir. 1990) (No. IP89-304C). So auch Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 79.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
bei ähnlicher Fallkonstellation heute seit Einführung durch Art. 32 Ziff. 1 des Kulturgütertransfergesetzes vom 20. Juni 2003, in Kraft seit 1. Juni 2005, abweichend von Art. 934 Abs. 1 hinsichtlich eines Rückforderungsrechts für Kulturgüter in Art. 934 Abs. 1 bis ZGB neu bestimmt, dass das Rückforderungsrecht für Kulturgüter im Sinne von Artikel 2 Absatz 1 des Kulturgütertransfergesetzes vom 20. Juni 2003, die gegen den Willen des Eigentümers abhandengekommen sind, erst nach Ablauf eines Jahres verjährt, nachdem der Eigentümer Kenntnis erlangt hat, wo und bei wem sich das Kulturgut befindet, spätestens jedoch 30 Jahre nach dem Abhandenkommen. 854
Das vorstehend beschriebene Rechtsfindungsprinzip der amerikanischen Rechtsordnung – grundsätzliche Anwendung der lex rei sitae und Derogation durch die Rechtsordnung mit der engsten Verbindung zur konkreten Sachverhaltskonstellation – findet im Schrifttum aber nicht nur Anhänger. Insbesondere Crowell bemängelt, dass im Fall der gestohlenen Engel nicht nur die willkürliche und von Zufällen geprägte Natur des most significant contacts-Tests zur international-privatrechtlichen Bestimmung der im konkreten Fall einschlägigen Rechtsordnung ersichtlich werde, sondern dass eine im internationalen Güterverkehr generell notwendige und innerhalb dieser Doktrin völlig vernachlässigte Vorhersehbarkeit der Rechtswahlfindung zur rechtssicheren Bestimmung einer berechenbaren Rechtslage fehle:2233
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„Had the court considered the issue of true ownership and title in its analysis, the analysis would have concluded that Switzerland, as opposed to Indiana, had the “most significant contacts” with the legal action. … Even in deciding that Switzerland did not have sufficient contacts with the case to apply the modified lex loci rule under the first step of Indiana’s choice-of-law rule, the court should have nevertheless concluded under the second step that Swiss substantive law applied to the case. The second step of the analysis weighs the contacts with all jurisdictions to determine which has the “most significant contacts.” At least two of the factors that the court considered in determining which state had the “most significant contacts” weigh in favor of applying Swiss law: (1) the place where the conduct causing the injury occurred; and (2) the place where the relationship is centered. One could argue that the same two factors point to the application of Cyprus law because the original injury occurred when the mosaics were stolen from Cyprus and that “the relationship” between the parties came from the theft and is, therefore, centered around Cyprus. This further demonstrates the difficulty of making any sense of the “most significant contacts” rule. The third factor, the residence or place of business of the parties, points to applying Indiana or Cyprus law equally. If the “injury” that is being addressed in the suit is Goldberg’s possession of the mosaics, the conduct that caused the injury was the sale of the mosaics to Goldberg. Goldberg purchased and took possession of the mosaics in Geneva, Switzerland. Subsequently, this sale gave rise to the dispute between the Cyprus government and Goldberg. The only place that “the relationship,” if any, between Goldberg and Cyprus could logically be centered is where the conduct that
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Vgl. Crowell, Autocephalous Greek-Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg & Feldman Fine Arts, Inc.: Choice of Law in the Protection of Cultural Property, Texas International Law Journal, Volume 27 (1992), S. 173–209, S. 180–181.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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created the relationship occurred. Thus, even if the court applied the “most significant contacts” test quantitatively, by adding up the number of contacts with each jurisdiction, Swiss law should still apply. … Instead, the court implicitly gave overwhelming weight to “the residence or place of business of the parties” and “other relevant factors,” such as Goldberg’s loan from an Indiana bank and the location of the mosaics at the time of suit. Thus, by over-emphasizing these factors at the expense of the other two, the court determined that Indiana’s contacts were more significant than Switzerland. The court’s selective emphasis of certain factors illustrates the most serious problem with the “most significant contacts” analysis: courts can easily manipulate the contacts to justify applying forum law. To be sure, the application of forum law may be a desirable end in itself, however, the court must achieve this end by rationally and consistently applying a choice-oflaw rule. Although the court in Goldberg reached a result that is putatively correct under Indiana’s substantive law, the court chose to apply that law by ignoring the policy behind both Indiana and Switzerland’s choice-of-law rules: forums should respect the interests of other forums. A choice-of-law rule should take into account these interests rather than providing a vehicle for courts to apply an arbitrary and superficial rule like the “most significant contacts” test to satisfy their own idiosyncratic goals.“2234
(b)
Übertragung des amerikanischen Rechtswahlprozesses auf das deutsche internationale Kulturgüterprivatrecht
Diese amerikanischen Wertungen können im Ansatz auch auf den Rechtswahlprozess des Art. 46 EGBGB übertragen werden, da unsere Vorschrift keine Kriterien nennt, die den Begriff der „wesentlich engeren Verbindung“ näher präzisieren könnten, und die Begründung des Gesetzgebers bei Erlass der Vorschrift nur „die Entwicklung von Sonderanknüpfungen“ und „die Abweichung von einer Kollisionsnorm im Einzelfall“ als deren Ziele nennt.2235 Diese in der Literatur als Auffangklausel für Fälle, „die der Gesetzgeber im übrigen nicht näher regeln konnte oder wollte“2236 bezeichnete Vorschrift sollte somit in Anlehnung an die Erfahrungen des amerikanischen Rechtswahlprozesses auch für Deutschland bei der Bestimmung der „engsten Verbindung“ inhaltlich ausgestaltet werden, sodass die für Kulturgüter relevanten kollisionsrechtlichen Interessen analysiert werden müssen, „um im Vergleich zu anerkannten Fallgruppen im Bereich des Internationalen Sachenrechts Regelungsanalogien herauszuarbeiten, die für Kulturgüter eine Anknüpfung an die lex originis nahe legen.“2237
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Aus dem voranstehenden Rechtswahlprozess innerhalb der im Internationalen Kulturgüterprivatrecht der Vereinigten Staaten von Amerika einschlägigen Ent-
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Crowell, Autocephalous Greek-Orthodox Church of Cyprus v. Goldberg & Feldman Fine Arts, Inc.: Choice of Law in the Protection of Cultural Property, Texas International Law Journal, Volume 27 (1992), S. 173–209, S. 180–181. BR-Drs. 759/98, S. 48 (= BT-Drs. 14/343, S. 19). Spickhoff, Die engste Verbindung im interlokalen und internationalen Familienrecht, JZ 1993, S. 336–344, S. 336. Als „Scheinregelung“ bezeichnen deshalb Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, 9. Aufl. 2004, § 6 14b cc, S. 308, solche Ausweichklausen. So die Einschätzung bei Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 210–211.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
scheidungen muss die deutsche Rechtsordnung bei Anwendung der Ausweichklausel des Art. 46 EGBGB profitieren, sodass – ebenso wie innerhalb der beschriebenen amerikanischen Fallkonstellationen – auch innerhalb des deutschen Internationalen Kulturgüterprivatrechts in einem ersten Schritt von der lex rei sitae auszugehen ist, um dann in einem zweiten Schritt im Wege einer Gesamtbetrachtung die engste Verbindung des Sachverhalts zu anderen Rechtsordnungen zu untersuchen.2238 Ebenso wie innerhalb der rechtlichen und kulturellen Verbindung kultureller Wertgegenstände zu ihrer ‚Heimatrechtsordnung‘ innerhalb der lex originis wurden auch in den analysierten amerikanischen Gerichtsentscheidungen zur Bestimmung einer engsten Verbindung verschiedene Kriterien herangezogen, so z.B. der Erwerbsort, die dauernde Belegenheit der Kunstwerke, der Wohnsitz aller beteiligten Parteien, das schädigende Verhalten, schuldrechtliche Rechtswahlklauseln und der Mittelpunkt der Rechtsbeziehung.2239 Es wurde – bei gleichzeitiger Einschränkung der Rechtssicherheit im Rechtswahlprozess und der Tendenz, das Recht des angerufenen Forums für anwendbar zu erklären, um damit auch die „policy“ des Forum-Staats durchzusetzen – in einer gewichtenden Abwägungsentscheidung durch das berufene Gericht jeweils festgestellt, welche Kriterien in dem konkreten Fall berücksichtigungsfähig waren und welchen Verbindungslinien aufgrund einer besonderen Bedeutung ein Vorrang eingeräumt werden musste.2240 Darüber hinaus ist – ebenso wie innerhalb der amerikanischen Rechtsprechung – auch innerhalb der deutschen Ausweichklausel der Gedanke in den Rechtswahlprozess zu integrieren, dass die Nähe des Sachverhalts zu einer bestimmten Rechtsordnung auch davon abhängt, „ob die Sachnormen des Staates, dessen Recht in Betracht steht, auf den Sachverhalt angewandt werden wollen und wie stark das Regelungsinteresse dieses Staates ist. In dieser Hinsicht berühren sich die als revolutionär empfundenen Lehren der amerikanischen Neuerer und die Auflockerungstendenzen des klassischen Kollisionsrechts.“2241 858
Diese Überlegungen hätten folgendes Prüfungsschema innerhalb des Art. 46 EGBGB zur Folge: In einem ersten Schritt ist davon auszugehen, dass der Grundsatz der Belegenheit als Vermutung der engsten Beziehung zwischen Kulturgut und anwendbarer Rechtsordnung gilt. Die lex rei sitae bleibt damit auch innerhalb der Ausweichklausel erstes Indiz und Hinweiszeichen auf die engste Beziehung eines Kulturguts zu der anwendbaren Rechtsordnung. In einem zweiten Schritt ist 2238
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2241
Vgl. Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 63–68. Vgl. Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 63–68. Vgl. Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 63–68. So Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 130–133.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
979
dann eine Kontrolle dieser vermuteten Sachnähe durch eine wertende Abwägungsentscheidung aller möglichen Beziehungen eines Kulturguts zu einer Rechtsordnung vorzunehmen. Soll ausnahmsweise von der Rechtswahl nach der Belegenheitsrechtsordnung abgewichen werden, besteht innerhalb der Abwägungsentscheidung aller Anknüpfungspunkte eines Kulturguts zu einer Rechtsordnung eine ‚Bringschuld‘ solcher spezieller Kriterien, die ohne Zweifel eine eindeutige Sachnähe zu einer anderen Rechtsordnung als der lex rei sitae ersichtlich machen. Dies erfolgt (erstens) durch die rechtliche Verbundenheit eines Kulturguts zu ‚seiner‘ Heimatrechtsordnung.2242 Innerhalb der lex originis wurde eine solche bejaht, wenn sich das Objekt vor seinem verbotswidrigen Export bzw. vor seinem kulturgüterschutzgesetzwidrigen Transfer dort befand.2243 „Ist ein Kulturgut unter Verstoß gegen ein ausländisches Exportverbot nach Deutschland verbracht worden, so richten sich die Eigentumsverhältnisse abweichend von Art. 43 Abs. 1 EGBGB allein nach dem Recht des Staates, in dem das Kulturgut sich vor dem verbotswidrigen Export befand.“2244 Zur Bestimmung der dinglichen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter wäre danach die Rechtsordnung desjenigen Staates berufen, aus dem das Kulturgut zuvor illegal ausgeführt worden war, d.h. der Staat, der das Kulturgut in seinem nationalen, öffentlich-rechtlichen Kulturgüterschutzgesetz unter Schutz stellte und dessen Ausfuhrgesetzgebung folglich verletzt wurde. „Dieser Staat ist Ursprungsstaat im Sinne der lex originis.“2245
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Eine nähere Beziehung als zur Rechtsordnung des Belegenheitsstaates kann sich innerhalb der Abwägungsentscheidung (zweitens) aber auch durch die kulturelle Verbundenheit eines Kulturguts zu einer Heimatrechtsordnung ergeben.2246 Der Ort der kultischen Verehrung bei Sakralgegenständen, die Nationalität des Künstlers, wenn der Schöpfer des Kunstwerks für die Identität der Nation eine besondere Rolle spielt, der Entstehungs- sowie der Bestimmungsort des Kulturguts, etwa bei Auftragsarbeiten oder bei Schenkungen oder Leihgaben des
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2242 2243
2244
2245
2246
Vgl. ausführlich hierzu 3, 654 ff. Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff., S. 3582–3583; Armbrüster, La revendication de biens culturels du point de vue du droit international privé, rev.crit.dr.int. pr. 2004, vol. IV, S. 723–743, S. 741 f.; Asam, Rechtsfragen des illegalen Handels mit Kulturgütern – Ein Überblick, in: Mansel/ Pfeiffer/Kronke/Kohler/Hausmann, Festschrift für Erik Jayme, 2004, S. 1651–1668, S. 1664; vgl. hierzu auch Kienle/Weller, Die Vindikation gestohlener Kulturgüter im IPR, IPRax 2004, S. 290–294, S. 291. Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff., S. 3587. Vgl. a. Kreuzer, La propriété mobilière en droit international priveé, Recueil des Cours, Collected Courses of the Hagur Academy of International Law, Volume 259 (1996) S. 9 ff., S. 212. Vgl. ausführlich hierzu 3, 670 ff.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Eigentümers, der sog. Sitz kultureller Wertgegenstände, die Rezeption eines Kunstwerkes in einem bestimmten Staat, der Fundort bei archäologischen Gegenständen sowie schließlich der geschichtliche Zusammenhang der Objekte stellen solche Indizien dar, die zur inhaltlichen Ausgestaltung des Anknüpfungsmomentes „Heimatrecht“ führen sollen.2247 Der aktuelle Aufenthaltsort soll dabei nur noch ausnahmsweise maßgeblich sein, und auch nur dann, wenn sich das Kulturgut nicht gegen den Willen des Herkunftsstaates dort befindet.2248 Entscheidend ist dabei nicht, dass der Verkehr ein besonderes Interesse an der Anwendung des jeweiligen Lageortsrechts haben könnte, sondern dass durch die kulturelle Verbundenheit eine rechtlich rezipierbare Verbindung zum Heimatstaat des Kulturguts aufrechterhalten wurde. Innerhalb dieser kulturellen Kriterien weist insbesondere das Auswirkungsprinzip auf eine wesentlich engere Verbindung von Kulturgütern mit der lex originis hin. Insbesondere die Rezeption eines Kulturgutes2249 durch ein bestimmtes Volk, das das Gut als nationales Kulturgut begreift2250, lässt international-privatrechtlich schutzwürdige Belange entstehen.2251 „Diese Belange erlauben es, die Funktion von Kulturgütern als Verkörperung nationaler kultureller Identität bei diesen Gütern in den Vordergrund zu rücken. Sie weisen zu einer Anknüpfung an das Recht des Staates, der als Sachwalter über diesen kulturellen Identitätsgehalt wacht.“2252 Es geht also um die Bestimmung derjenigen Rechtsordnung, die unter Berücksichtigung der Interessen aller im internationalen Kunstmarkt Beteiligten und der Allgemeinheit über die konkrete Zuordnung eines (zuvor unrechtmäßig entzogenen) Kulturguts entscheiden soll, sodass sich über die Individualinteressen hinaus auch überragende Allgemeinwohlbelange in der Regulation des Kunstmarktes einstellen. „Im Bereich des Kulturgüterschutzes verweist ein so verstandenes Auswirkungsprinzip auf die Rechtsordnung, die das Gut zum Kulturgut erhoben hat. Von ihr abweichende Rechtsregeln in der lex rei sitae, die zum Beispiel den gutgläubigen
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2249 2250
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In diesem Sinne spricht Schaffrath davon, dass in einem Kunstwerk „geistige Energien“ verkörpert seien, die als Ausdruck der Identität des Künstlers bzw. der Nation, die es als das ihre betrachte, anzusehen seien. Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 248–250, unter Rekursnahme auf Jayme, „Entartete Kunst“ und Internationales Privatrecht, 1994, S. 24. Vgl. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 150; Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 248–250. Vgl. ausführlich hierzu 3, 707 ff. Siehe dazu Jayme, Die Nationalität des Kunstwerks als Rechtsfrage, in: Reichelt, Internationaler Kulturgüterschutz – Wiener Symposium 18./19. Oktober 1990, 1992, S. 7–30, S. 26. Jayme, Kulturgüterschutz in ausgewählten europäischen Ländern, ZVglRWiss 95 (1996), S. 158–169, S. 168 f.; Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 214–215. Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 214–215, unter Rekurs auf Pfeiffer, Der Stand des Internationalen Sachenrechts nach seiner Kodifikation, IPRax 2000 (Heft 4), S. 271–285, S. 280.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
981
Erwerb des Kulturguts gestatten, könnten ansonsten die Sachwalterfunktion der lex originis verletzen und unbrauchbar machen. Dem Sachwalterstaat kommt das entscheidende internationale Ordnungsinteresse hinsichtlich seines Kulturguts zu. Er entscheidet durch seine Sachenrechtsordnung, ob er die Verkehrsfähigkeit des Kulturguts als Ware einschränken oder sogar vollkommen entziehen will.“2253 Überdies kann (drittens) auch die Verbindung an den Ort der unrechtmäßigen Entziehungshandlung, d.h. sog. lex furti, in die Abwägungsentscheidung aller potenziellen Anknüpfungsfaktoren eingestellt werden.2254 Die Regelanknüpfung nach der lex rei sitae kann insbesondere auch dann eine Abweichung erfahren, wenn eine besondere Beziehung des Kulturguts zu dem Ort der unrechtmäßigen Entziehungshandlung besteht, sodass das Recht desjenigen Staates maßgeblich sein soll, auf dessen Territorium das Gut abhandengekommen ist.2255 Auch hier darf der Abwägungsentscheidung nicht der Vorwurf gemacht werden, zur Herbeiführung des für den Schutz des ursprünglichen Eigentümers günstigsten oder des der lex fori bekanntesten Rechts zu gereichen, sondern es wird – entsprechend den allgemeinen Grundsätzen des internationalen Privatrechts – unrechtmäßig entzogenen Kulturgütern genau das Maß an (zivilrechtlichem) Kulturgüterschutz gewährt, das diesen zum Zeitpunkt zukam, als in die Belegenheit des Kulturguts noch nicht durch den unrechtmäßigen Entziehungsakt eingegriffen wurde.2256 Dadurch wird der Eigentümer kultureller Wertgegenstände nicht durch einen minderwertigen Eigentumsschutz belastet, aber auch nicht durch einen effektiveren rechtlichen Schutz als in seiner Heimatrechtsordnung begünstigt: Das Vertrauen des gutgläubigen Erwerbers kultureller Wertgegenstände in besonders günstige Erwerbstatbestände auch unrechtmäßig entzogener Kulturgüter nach dem Belegenheitsrecht ist dabei ebenso wenig schutzwürdig wie das Vertrauen des ursprünglichen Eigentümers in einen besseren Schutz in der neuen lex rei sitae, da das Recht des späteren Veräußerungsortes ihm möglicherweise einen Schutz gewährt, mit dem er gar nicht rechnen konnte.2257
2253
2254 2255
2256
2257
Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 214–215. Vgl. ausführlich hierzu 3, 548 ff. Maßgeblich soll danach die Sachenrechtsordnung des Landes sein, in dem das Kulturgut vor seiner Veräußerung im Ausland dem früheren Eigentümer widerrechtlich entzogen wurde. Vgl. Mansel, DeWeerth v. Baldinger – Kollisionsrechtliches zum Erwerb gestohlener Kunstwerke, IPRax 1988, S. 268–271, S. 271; Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 250–251. Mansel, DeWeerth v. Baldinger – Kollisionsrechtliches zum Erwerb gestohlener Kunstwerke, IPRax 1988, S. 268–271, S. 270–271, vgl. auch Spaun, Der Herausgabeanspruch bei Diebstahl oder illegalem Export von Kulturgütern, 2003, S. 157. Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 166.
861
982 862
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Schließlich kann (viertens) auch der Gedanke einer fiktiven Immobilität beweglicher Kulturgüter zu einem kulturellen Gesamtensemble eine Verbindung eines Kulturguts zu ‚seiner‘ Heimatrechtsordnung ausdrücken und innerhalb der Abwägungsentscheidung einer engsten Verbindung zu rezipieren sein.2258 Die Aufnahme dieses Ansatzes in die Wertung des Art. 46 EGBGB korrespondiert „mit der richtigen Erkenntnis, dass Kulturgüter – trotz ihrer Eigenschaft als bewegliche Sachen – in einem gewissen Maße rechtlich immobilisiert sind. Exportverbote zielen darauf ab, Kulturgüter auf dem Staatsgebiet zu halten. Unabhängig von einem etwaigen privatrechtsgestaltenden Inhalt untersagen sie jenen Realakt, der Grundlage eines nach der lex rei sitae-Regel zu beachtenden Statutenwechsels ist und der zur Anwendung des neuen Belegenheitsrechts führt.“2259
b) 863
Vereinbarkeit mit Grundwertungen der Art. 43 ff. EGBGB
Bislang wurde festgestellt, dass für die Beurteilung der betroffenen privatrechtlichen Interessen die lex rei sitae nicht das ‚richtige‘ Recht darstellt, wenn der Bezug des gesamten Sachverhalts zum Belegenheitsort nur gering ist und neben den zu regelnden privatrechtlichen Beziehungen insbesondere ein höher zu bewertendes öffentliches Interesse besteht, welches die Berücksichtigung ausländischer Schutznormen fordert.2260 Damit aber auch die Rechtsordnung mit der engsten Verbindung zur Sachverhaltskonstellation Anwendung erfahren wird, muss für eine Anwendung des Art. 46 EGBGB zusätzlich zu dieser „wesentlich engeren Verbindung“ aufgrund einer besonderen Sachferne des nach der lex rei sitae berufenen Rechts und einer speziellen Sachnähe der Rechtsordnung des 2258 2259
2260
Vgl. ausführlich hierzu 3, 575 ff. Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 211, unter Rekurs auf Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff., S. 3582. Wiese schränkt diese Bedeutung in der Folge aber wieder deutlich ein: „Das Vorliegen einer Ausfuhrbeschränkung allein kann hingegen nicht ausschlaggebend sein, bereits eine wesentlich engere Verbindung eines Kulturguts zu seiner lex originis zu postulieren. Grundlage der Geltung des Belegenheitsrechts ist gerade nicht die Frage danach, auf welche Weise die Sache an ihren neuen Lageort gelangt ist. Dies ist vielmehr für die Geltung der lex rei sitae-Regel grundsätzlich ohne Belang. Ob die rechtliche Immobilisierung immer die Aufrechterhaltung des anzuwendenden Belegenheitsrechts bezweckt, ist zudem äußerst zweifelhaft. Jedenfalls nach deutschem Recht, das keinen über privatrechtliche Unveräußerlichkeiten zu schützenden „domaine public“ kennt, dient sie regelmäßig nicht dazu, die in den §§ 929 ff. BGB zum Ausdruck kommende Gewichtung der beteiligten materiellen Privatinteressen aufrecht zu erhalten, sondern vor allem der effektiven Durchsetzung staatlicher Hoheitsinteressen über das betroffene Gut (privatrechtsneutrales Ordnungsrecht). Die rechtliche Immobilisierung von Kulturgütern bietet deshalb nur einen schwachen Anhaltspunkt, der es rechtfertigt, Kulturgüter an die lex originis anzuknüpfen.“ Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 211, unter Rekurs auf Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 260. Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 221.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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kulturellen Ursprungsstaates die Sonderanknüpfung mit den Grundwertungen der Art. 43 ff. vereinbar sein und den Anforderungen einer Abwägung zwischen Verkehrsschutz und Marktinteressen einerseits und Kulturgüter- und Eigentümerschutzbedürfnissen andererseits genügen. Da die Ausweichklausel in der rechtsdogmatischen Konzeption nur als „äußerster Notbehelf“ angesehen wird, „wenn das Anknüpfungsziel völlig verfehlt worden ist“2261, muss sich somit die in der Abwägungsentscheidung des Art. 46 EGBGB für richtig befundene und von der Rechtswahl nach dem Belegenheitsort abweichende Rechtswahl nach der engsten Verbindung eines Kulturguts zu seiner Heimatrechtsordnung in die Grundstruktur des deutschen internationalen Privatrechts einfügen.2262 Insbesondere darf die regelwidrige Anknüpfung nach Art. 46 nicht zu einer ungerechtfertigten Beeinträchtigung des Verkehrsschutzes und der Freiheit des Kulturgüterverkehrs im internationalen Kunstmarkt führen, weil deren Gewährleistung zu den tragenden Prinzipien des deutschen internationalen Sachenrechts gehört.2263 Im internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht ist deshalb zu fragen, ob die infolge der Rechtswahl nach der engsten Verbindung zur kulturellen Heimatrechtsordnung erfolgenden Beeinträchtigungen zwingender Bedürfnisse des Kunsthandels, der Rechtssicherheit und Verkehrsfähigkeit kultureller Güter, vgl. hierzu zunächst unter Punkt (1), aufgrund der besonderen Gefahranfälligkeit des Kunsthandels und der Unikatfunktion der Kulturgüter Rechtfertigung finden, vgl. hierzu folgend unter Punkt (2).
(1)
Rechtssicherheit und Verkehrsfähigkeit kultureller Güter im Markt
Kritiker einer lex originis-Rechtswahl befürchten, dass mit der Ausweichklausel eine ungebührliche Missachtung zwingender Bedürfnisse des Kunsthandels, der Rechtssicherheit und Verkehrsfähigkeit kultureller Güter einhergehe und insbesondere der Verkehrsschutz im Belegenheitsort des betreffenden Kulturgutes gegenüber dem Schutz des Eigentümers in unverhältnismäßiger Weise benachteiligt werde.2264 Die berechtigten Verkehrsschutzinteressen gutgläubiger Dritter, denen 2261
2262
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2264
Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 221. Dies verlangt auch Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 210–211. Pfeiffer, Der Stand des Internationalen Sachenrechts nach seiner Kodifikation, IPRax 2000 (Heft 4), S. 271–285, S. 274; Geisler, Die engste Verbindung im internationalen Privatrecht, 2001, S. 334; Mansel, Normzweck und Tatbestandsstruktur des Art. 46 EGBGB, in: Festschrift für Andreas Heldrich zum 70. Geburtstag, 2005, S. 899–906, S. 906; Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 46, Rdnr. 22–23. Vgl. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 302 m.w.N.; Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rdnr. 203; Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
zum großen Teil eine zuvor bewirkte Gesetzesumgehung gar nicht bewusst sein wird, fordern dementsprechend die grundsätzliche Geltung des Ortsrechts.2265 Die Rechtswahl nach dem Belegenheitsort ist im internationalen Sachenrecht tatsächlich vornehmlich an dem Verkehrsinteresse ausgerichtet und verlangt eine leichte und verlässliche Bestimmung des anwendbaren Rechts. Außerdem sollen nach dem Grundsatz des individuellen Vertrauensschutzes die an einem sachenrechtlichen Vorgang beteiligten Personen auf die Anwendung derjenigen Rechtsordnung vertrauen dürfen, mit der nach den Anschauungen des Verkehrs im Allgemeinen zu rechnen ist: In der Regel wird deshalb für die Rechtswahl im Mobiliarverkehr bestimmt, dass aus den genannten Gründen „die Anschauungen des Verkehrs und die berechtigten Erwartungen der beteiligten Personen auch Richtschnur und Schranke … für die Auflockerung der gesetzlichen Grundregeln mittels der Ausweichklausel“ sein sollen.2266
(a) 865
Kritik im Schrifttum
Die bislang herrschende Literaturansicht ist dementsprechend der Meinung, dass bei Anwendung der Ausweichklausel im Internationalen Kulturgüterprivatrecht die genannten Grenzen der Belastung des grenzüberschreitenden Kulturgüterverkehrs überschritten und mit einer alternativen Anknüpfungsregel als Ersatz der lex rei sitae Verkehrsschutz und Rechtssicherheit im Belegenheitsstaat des betreffenden Kulturgutes gegenüber dem Schutz des Eigentümers in unverhältnismäßiger Weise benachteiligt würden.2267
2265
2266
2267
nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 253–264; Strauch, Rechtsverhältnisse an Kulturgütern im Internationalen Sachenrecht, 2007, S. 104–107. So im Ergebnis auch Reichelt, Kulturgüterschutz und Internationales Privatrecht, IPRax 1986, S. 73–75, S. 74; Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes, 1994, S. 173; wohl auch Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 233; Mansel, DeWeerth v. Baldinger – Kollisionsrechtliches zum Erwerb gestohlener Kunstwerke, IPRax 1988, S. 268–271, S. 271; Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 208–210. Stoll, Zur gesetzlichen Regelung des internationalen Sachenrechts in Artt. 43–46 EGBGB, IPRax 2000 (Heft 4), S. 259–270, S. 269–270. Vgl. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 302 m.w.N.; Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rdnr. 203; Spaun, Der Herausgabeanspruch bei Diebstahl oder illegalem Export von Kulturgütern, 2003, S. 158–160; Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 253–264; Strauch, Rechtsverhältnisse an Kulturgütern im Internationalen Sachenrecht, 2007, S. 104–107 und S. 130–137; Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 479; Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 84; von Schorlemer, Internationaler Kulturgüterschutz – Ansätze zur Prävention im Frieden sowie im bewaffneten Konflikt,
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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„Streit wäre vorprogrammiert, das Interesse an Rechtssicherheit empfindlich berührt.“2268 Insbesondere Stoll spricht sich ausdrücklich gegen die Vereinbarkeit der Ausweichklausel des Art. 46 EGBGB mit den Grundwertungen des internationalen Sachenrechts aus: „Art. 46 EGBGB deckt ebenso wenig die Anwendung des Rechts des Herkunftsstaates, wenn über Kulturgut, das aus dem Herkunftsstaat unrechtmäßig ausgeführt oder fortgeschafft worden ist, in einem anderen Staat verfügt wird. Grundsätzlich ist nach der Sachenrechtsordnung dieses Staates zu bestimmen, ob das Kulturgut verkehrsfähig ist oder Verfügungsbeschränkungen unterliegt.“2269 Die analoge Anwendung des § 5 Abs. 1 des Kulturgüterrückgabegesetzes vom 18.05.2007 bei Geltendmachung des Rückgabeanspruchs für geschütztes deutsches Kulturgut und des § 9 bei Rückgabeansprüchen anderer Staaten2270 auf ähnliche Sachverhalte der Verfügung über unrechtmäßig ausgeführtes Kulturgut könne „jedenfalls nicht mit der Ausweichklausel des Art. 46 EGBGB begründet werden.“2271
866
Diese Erwägungen lassen sich leicht nachvollziehen, da der Ort der Belegenheit eines Kulturguts als entscheidendes Kriterium bei der Rechtswahl in kulturellen Veräußerungsgeschäften für jeden offen zu Tage liegt, während ein möglicher Erwerber nicht zwingend die Heimatrechtsordnung eines Kulturguts ad hoc bestimmen können wird:2272 „the locus originis … can hardly be known to people trading the object bona fide.“2273 So ist zumindest im Einzelfall durchaus denkbar, dass
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1992, S. 539; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 194; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 232–233; Berndt, Internationaler Kulturgüterschutz: Abwanderungsschutz, Regelungen im innerstaatlichen Recht, im Europa- und Völkerrecht, 1998, S. 124–125; Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 292–294. So Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 313; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 197–199; Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff., S. 3582. So Stoll, Zur gesetzlichen Regelung des internationalen Sachenrechts in Artt. 43–46 EGBGB, IPRax 2000 (Heft 4), S. 259–270, S. 269–270. Vgl. ausführlich hierzu 3, 138 ff. So Stoll, Zur gesetzlichen Regelung des internationalen Sachenrechts in Artt. 43–46 EGBGB, IPRax 2000 (Heft 4), S. 259–270, S. 269–270. „The other objection is that the lex originis is for those people even more fortuitous (they cannot even fix it very often) than the lex rei sitae [How could Mrs. Baldinger of New York and Mr. Wildenstein of New York know that an unregistered painting of Claude Monet of unknown provenance had been stolen in Germany and why should German law apply to the transfer of title? DeWeerth v. Baldinger, 658 F. Suppl. 688 (SDNY 1987)], i.e. the law at the place where they are transferring the object. The lex originis may be suitable for means of transport such as ships or aircraft which indicate their country of origin by flags, symbols or licence plates. Art objects should be protected differently.“ Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 75. Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 75.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
sich die Parteien eines Rechtsgeschäftes über die Herkunft und damit das anzuwendende Heimatrecht eines Kulturguts nicht im Klaren sind,2274 sodass die Anwendung einer unvorhersehbaren Rechtsordnung dem Gebot der Rechtssicherheit zuwiderlaufen kann.2275 Da die Parteien eines Rechtsgeschäfts zwar oft, aber nicht immer um die nationale Zuordnung eines Kulturguts wissen, würde die Anwendung einer teilweise weder vom Veräußerer noch vom Erwerber bekannten Rechtsordnung dem Gebot der Sicherheit des Rechtsverkehrs widersprechen.2276 868
Ausdrücklich wird bemängelt, dass die „Durchbrechung des vom Sachstatut gewährten Rechtsschutzes durch Sonderanknüpfung des Gutglaubenserwerbs … schon deshalb nicht gerechtfertigt [sei], weil die an dem Veräußerungsvorgang Beteiligten mit der Anwendung der sich auf eine frühere Herkunft der Sache beziehenden Rechtsordnung regelmäßig nicht rechnen können“2277 und der Geschäftsverkehr durch die Anknüpfung an ihm bis dahin vielleicht nicht bekannte historische Fakten überrascht würde. Hanisch greift diesen Gedanken auf: „Die Mechanismen der weithin ähnlichen internationalen Sachenrechte der Staaten arbeiten im Fall gestohlener Kunstwerke besonders deshalb grob und im Ergebnis oft zufällig und unbefriedigend, weil Kunstwerke als nur ein Mal vorhandene Sachen für den Eigentümer bei Verlust seines Eigentums unersetzbar sind. Gleichwohl besteht auch für Kunstgegenstände kein genügender Grund, von den festen Regeln des internationalen Sachenrechts abzuweichen, denn Rechtsklarheit und Rechtssicherheit in diesem Bereich erfordern feste Regeln. Daher sollte auch dem Gedanken an ein Sonder-Internationalprivatrecht für Kunstgegenstände nicht nachgegeben werden ebenso wie den allgemeinen Ten-
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So Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 119; Pfeiffer, Der Stand des Internationalen Sachenrechts nach seiner Kodifikation, IPRax 2000 (Heft 4), S. 271–285, S. 279; Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 253–264. So Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes, 1994, S. 173; Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 253–264; Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 405–410; Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 94–98; Strauch, Rechtsverhältnisse an Kulturgütern im Internationalen Sachenrecht, 2007, S. 104–107. Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 119. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 302; Stoll, Sachenrechtliche Fragen des Kulturgüterschutzes in Fällen mit Auslandsberührung, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes – Symposium vom 22./23. Juni 1990 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 53 ff., S. 58–60; Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 462.
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denzen zum Sonderprivatrecht, das nicht systemintegriert ist, so wenig als möglich zu folgen ist.“2278 Eine Benachteiligung der Verkehrsschutzinteressen sei insbesondere dann unzulässig, wenn das Vertrauen des Berechtigten auf die Anwendung einer lex originis zu seinen Gunsten nicht berechtigt sei, wenn das unrechtmäßig entzogene Kulturgut bspw. nachlässig verwahrt worden sei und mit seiner Verbringung ins Ausland zu rechnen war. Aus diesem Grund werde dem „Bedürfnis nach erhöhtem Schutz von Kunstgegenständen zur Erhaltung des Kulturerbes einer Nation … besser durch eine flexible Anwendung der Vorbehaltsklausel entsprochen, die durch den Gedanken der internationalen Solidarität aufzuwerten“ und soweit inländisches Recht anzuwenden sei, wie „durch strenge Anforderungen an den guten Glauben (§ 932 BGB) sowie extensive Auslegung des § 935 BGB den Umständen des Falles hinreichend Rechnung getragen werden“ könne.2279 Zudem sei die lex originis in diesen Fällen für die betroffenen Personen aus Verkehrsschutzgesichtspunkten noch zufälliger als die althergebrachte lex rei sitae,2280 die 2278
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Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/ Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 222. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 302. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 218–220, macht darüber hinausgehend geltend, dass gegen eine generelle Sonderkollisionsregel für das Kulturgütersachenrecht auch spreche, „daß eine Rücksichtnahme auf die besondere Situation von Kulturgütern nur eine Beachtung kulturgutspezifischer Schutznormen erfordert. Ein Abweichen vom Grundsatz der lex rei sitae aufgrund einer besonderen Kollisionsnorm würde jedoch zu einer Anwendung sämtlicher, überhaupt nicht kulturgutbezogener Sachenrechtsnormen des Heimatrechts führen. Es ist aber nicht einzusehen, warum beispielsweise ein frei veräußerliches deutsches Kulturgut in Frankreich nicht nach dem Konsensprinzip übereignet werden kann, sondern das Abstraktionsprinzip Anwendung findet, nur weil es das deutsche Heimatrecht so vorsieht, oder warum ein österreichisches Kulturgut in Deutschland ohne Übertragung des Besitzes nicht sicherungsübereignet werden kann.“ Außerdem spreche gegen eine lex originis-Regel, „daß IPR-Normen grundsätzlich dem Ausgleich von privatrechtlichen Interessen dienen, besondere Regelungen zum Schutz von Kulturgütern dagegen im Interesse der Öffentlichkeit bestehen. Während die Kollisionsregel der lex rei sitae die betroffenen öffentlichen Interessen nicht berücksichtigt, ist es auf der anderen Seite auch nicht notwendig, sämtliche Sachenrechtsregeln der lex originis zu unterstellen. Hinsichtlich derjenigen Normen, die nur den Privatrechtsverkehr regeln und keinen kulturgutspezifschen Inhalt haben, muß vom Grundsatz der lex rei sitae nicht abgewichen werden.“ Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 218–220, unter Rekurs auf Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rdnr. 202. Vgl. auch Pecoraro, Choice of Law in Litigation to Recover National Cultural Property: Efforts at Harmonization in private International Law, Virginia Journal of International law 31 (1990), S. 1–51, S. 16 f.: „In addition, such a rule would not distinguish between vindication of public and purely private interests: the latter are less compelling and do not warrant the creation of an entirely new and anomalous regime an their behalf.“. So Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 75.
869
988
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
zumindest einer der wenigen Bereiche darstelle, in denen die Staaten nahezu weltweit eine übereinstimmende Regelung getroffen haben und auch praktizieren.2281 Durch die Anknüpfung an den Belegenheitsort sei die notwendige Sicherheit und Vorhersehbarkeit der kollisionsrechtlichen Entscheidung im internationalen Sachenrecht nicht mehr gewährleistet und es träte eine „schwerwiegende Gefährdung des Rechtsverkehrs“2282 ein.2283 Damit verfehle die lex originis ihr selbsterklärtes Ziel, zufällige Ergebnisse zu verhindern und erweise sich für die Parteien als noch unberechenbarer als die lex rei sitae.2284
(b)
Unsicherheit im Kulturgüterverkehr in der sog. PistolenfallEntscheidung des LG Hamburg vom 20.6.1996
870
Aus den genannten Gründen erfolgte in der sog. Pistolenfall-Entscheidung des LG Hamburg vom 20.6.1996 2285 auch innerhalb der deutschen Rechtsprechung eine Ablehnung einer alternativen Anknüpfungsregel für Kulturgüter:2286
871
Die Republik Portugal klagte in Deutschland gegen den Besitzer von zwei antiken Pistolen, die aus dem Besitz von König Pedro IV. (1798–1834, regierte 1830–1832) stammten und im Jahre 1817 im Königreich Portugal hergestellt wurden,2287 auf Herausgabe, obwohl sich die Objekte seinerzeit in England befanden und im Jahre 1990 einem Londoner Auktionshaus zur Versteigerung
2281
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2287
So Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes, 1994, S. 172; Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 405–410. So ausdrücklich Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes, 1994, S. 172, die an der Anwendbarkeit der lex rei sitae festhält. Vgl. Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 405–410. Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 75; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 230; Hanisch, Der Fall des Liotard und die nationale Zuordnung eines Kunstwerks, in: Frank, Recht und Kunst – Symposium aus Anlaß des 80. Geburtstags von Wolfram Müller-Freienfels, 1996, S. 19–36, S. 34 f.; Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 130 f. Das Problem der mangelnden Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit sieht auch Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff., S. 49; Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 94–98. LG Hamburg, Urteil vom 20.6.1996, Az.: 305 O 77/92, unveröffentlicht; abgedr. in: IPRspr. 1996 Nr. 55. Vgl. ausführlich sowohl zu den tatsächlichen Angaben als auch zu einer rechtlichen Einschätzung der Pistolenfall-Entscheidung die Ausführungen bei Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 372–374. So LG Hamburg, Urteil vom 20.6.1996, Az.: 305 O 77/92, unveröffentlicht; abgedr. in: IPRspr. 1996 Nr. 55.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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angeboten wurden. Das Auktionshaus gab die antiken Gegenstände jedoch nicht zur Versteigerung frei, da die portugiesische Polizei dieses darüber in Kenntnis setzte, dass nicht auszuschließen sei, dass die Pistolen zuvor gestohlen worden waren. Als der Besitzer die beiden Waffen ein halbes Jahr später erneut zur Versteigerung einlieferte, rief das Auktionshaus zur Klärung der Eigentumsverhältnisse die englischen Gerichte an. Da nach Art. 2 Abs. 1 GVÜ als Wohnsitzgerichtsstand des Beklagten Hamburg zuständig sei, erklärten sich diese jedoch erstinstanzlich für international unzuständig, sodass Portugal in Deutschland auf Herausgabe der Pistolen klagte.2288 Die Regierung Portugals machte vor Gericht geltend, die Pistolen seien im Jahre 1973 in Lissabon gestohlen worden, und der Beklagte habe sie unter Geltung der portugiesischen Rechtsordnung erworben. Da die Pistolen jedoch als Kulturgut und Museumsgegenstände in den Jahren 1972/73 inventarisiert worden waren und demzufolge in öffentlichem Eigentum standen, seien sie als res extra commercium nicht verkehrsfähig. Diese Sacheigenschaft habe nicht nur in Portugal, sondern auch in Deutschland und England Geltung. Außerdem berief sich Portugal vor Gericht auf die unrechtmäßige Ausfuhr der Pistolen aus portugiesischem Territorium, da der Beklagte die Kulturgüter ohne Verzollung und ohne Ausfuhrpapiere bösgläubig nach Deutschland geschmuggelt habe.2289 Demgegenüber berief sich der Beklagte darauf, dass – im Gegensatz zu den Ausführungen der portugiesischen Regierung – nicht ein schlichter, sondern ein qualifizierter Statutenwechsel 2290 vorläge, da er selbst die Pistolen nicht in Portugal, sondern in Deutschland in den Jahren 1981/82 von seinem Vater gemeinsam mit einer ganzen Sammlung für 500.000 DM erworben habe. Dieser wiederum habe die Gegenstände im Jahre 1973 gutgläubig von einem Antiquitätenhändler gekauft.2291 Nachdem sich das Landgericht Hamburg nach Art. 2 Abs. 1 GVÜ international und nach § 13 ZPO örtlich zuständig erklärt hatte, musste mithilfe des Kollisionsrechts die zur Entscheidung über die dingliche Sachzuordnung der unrechtmäßig entzogenen Kulturgüter anwendbare Sachenrechtsordnung bestimmt werden. Hier bestätigten die Richter ausdrücklich die Geltung der lex rei sitae 2288
2289
2290 2291
Vgl. zum Sachverhalt insbesondere auch Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 372–374. Art. 31 Abs. 2 des portugiesischen Kulturgutschutzgesetzes Nr. 13 vom 6.7.1985 („São nulas e nenhum efeito as transacções realizadas em território português sobre bens culturais móveis provenientes de países estrangeiros quando efectuadas com infracção das disposições da respectiva legislação interna reguladora da sua alienação ou exportação.“) war dagegen nicht anwendbar, weil die Nichtigkeit des Veräußerungsgeschäfts (hier Kaufvertrag) nur „fremde“ Kulturgüter betrifft, also diejenigen Kulturgüter, die unter Verletzung von Bestimmungen des Herkunftslands nach Portugal eingeführt worden sind, vgl. Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 372–374. Vgl. ausführlich hierzu 3, 228 ff. Vgl. zu der Einlassung des Beklagten auch Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 372–374.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
und erklärten, dass sich die Frage des Eigentums allein nach englischem Recht als Rechtsordnung der Belegenheit der Sache beurteile. Da zum Zeitpunkt der Entscheidung das internationale Sachenrecht in den heutigen Art. 43 ff. EGBGB noch nicht kodifiziert war, entschied das Gericht, dass die lex rei sitae im deutschen internationalen Sachenrecht kraft Gewohnheitsrechts auch für bewegliche Sachen und damit auch für den Fall gestohlener Kunstgegenstände gelte.2292 Das Gericht erachtete sowohl die von Mansel erwogene Anknüpfung an den Ort des Diebstahls (die sog. lex loci delicti commissi)2293 ebenso wie die Rechtswahl nach dem Herkunftsort (der sog. lex originis) als zu unbestimmt, sodass zwingende Bedürfnisse des Kunsthandels, der Rechtssicherheit und Verkehrsfähigkeit kultureller Güter nicht hinreichend Beachtung fänden.2294 Nach Art. 4 Abs. 1 EGBGB handele es sich um eine Gesamtverweisung auf das anwendbare ausländische Recht, sodass auch das Kollisionsrecht des Staats zur Anwendung komme, auf dessen Recht verwiesen werde, sofern es nicht dem Sinn der Verweisung widerspreche.2295 Da auch das englische internationale Privatrecht der lex rei sitae folgte, musste in der vorliegenden Konstellation englisches Sachrecht die ‚richtige‘ dingliche Zuweisung der gestohlenen Pistolen vornehmen.2296 873
Da nach Sect. 21 (1) des englischen Sale of Goods Act aus dem Jahre 1979 der Käufer nicht mehr Rechte erwerben könne als dem Verkäufer zustehen, – „where goods are sold by a person who is not their owner, and who does not sell them under the authority or with the consent of the owner, the buyer acquires no better title to the goods than the seller had“ – war ein gutgläubiger rechtsgeschäftlicher Erwerb vom Nichtberechtigten entsprechend dem nemo dat-Grundsatz2297 des Common Law-Rechtskreises ausgeschlossen.2298 Während ursprünglich nach Sect. 22 (1) des britischen Sale of Goods Act ein Eigentumserwerb von gestohlenen Sachen, die auf einem öffentlichen Markt erworben wurden, noch möglich war, ist dies seit dem 3. Januar 1995 durch Sect. I, 3 (2) des Sale of Goods Amendment Act aus dem Jahre 1994 ausgeschlossen. Da nach Sect. 3 und 4 des briti2292
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LG Hamburg, Urteil vom 20.6.1996, Az.: 305 O 77/92, unveröffentlicht; abgedr. in: IPRspr. 1996 Nr. 55, unter Rekurs auf BGH, Urteil des 8. Zivilsenats vom 20.03.1963, Az.: VIII ZR 130/61, BGHZ 39, S. 173–178, S. 174; BGH, Urteil des 8. Zivilsenats vom 08.04.1987, Az.: VIII ZR 211/86, BGHZ 100, S. 321–328, S. 324. Vgl. Mansel, DeWeerth v. Baldinger – Kollisionsrechtliches zum Erwerb gestohlener Kunstwerke, IPRax 1988, S. 268–271, S. 271. LG Hamburg, Urteil vom 20.6.1996, Az.: 305 O 77/92, unveröffentlicht; abgedr. in: IPRspr. 1996 Nr. 55, 121 m.w.N. LG Hamburg, Urteil vom 20.6.1996, Az.: 305 O 77/92, unveröffentlicht; abgedr. in: IPRspr. 1996 Nr. 55, 121 m.w.N. Zur Rechtswahl vgl. auch die Ausführungen bei Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 372–374. Vgl. ausführlich hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 2. Teil, Rdnr. 23 ff. Vgl. Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 372–374.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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schen Limitation Act aus dem Jahre 1980 der gutgläubige Besitzer von gestohlenen Sachen nach Ablauf von sechs Jahren Eigentümer wurde, können dingliche Herausgabeansprüche folglich nur innerhalb der sechsjährigen Ersitzungsfrist geltend gemacht werden.2299 Dies erfolgte auch hier, da der Beklagte die Pistolen seit 1981/82 gutgläubig in Besitz hatte und deshalb die Ersitzungsfrist nach englischem Recht bereits 1988 abgelaufen war.2300 Ausdrücklich erklärte das Landgericht Hamburg in der Folge jedoch, dass die Frage, ob die gestohlenen Pistolen nach portugiesischem Recht wirksam als res extra commercium qualifiziert worden seien, offenbleiben könne, weil nach englischem Recht auch in einem solchen Fall der privatrechtliche Eigentumserwerb nach dem Limitation Act aus dem Jahre 1980 nicht ausgeschlossen sei (Situation des qualifizierten Statutenwechsels 2301).2302
(2)
Abweichung von der lex rei sitae über die Ausweichklausel mit den Grundwertungen des internationalen Sachenrechts vereinbar
Andererseits ist jede Reformbestrebung des Internationalen Kulturgüterprivatrechts, die die Mittel und Einflussmöglichkeiten des Kollisionsrechts in den Dienst des Kulturgüterschutzes stellen möchte, gezwungen, den Anknüpfungspunkt der Belegenheit selbst in Frage zu stellen2303 und zu klären, ob die Besonderheiten des grenzüberschreitenden Kulturgüterverkehrs, die Gefahranfälligkeit des internationalen Kunsthandels und dessen Tendenz zu illegalen Veräußerungsgeschäften sowie nicht zuletzt die besondere Sachqualität der kulturellen Wertgegenstände ein Abweichen von dem international-privatrechtlichen Interesse an Verkehrsschutz und Rechtssicherheit und die Aufgabe der lex rei sitae-Regel gestatten.2304 Denjenigen Stimmen, die ein Abweichen von der allgemeinen situsRegel wegen einer übergebührlichen Beeinträchtigung des Handels ablehnen,
2299
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2302
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2304
So die Wertung bei Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 372–374. Vgl. Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 372–374. Vgl. ausführlich hierzu 3, 228 ff. Der Sachverhalt ist in Bezug auf die Unveräußerlichkeit der Kulturgüter jedoch ungewiss. Die Klägerin behauptete lediglich, die Pistolen seien öffentliches Eigentum, „nämlich als Kulturgut und Museumsgegenstände inventarisiert“, vgl. LG Hamburg, Urteil vom 20.6.1996, Az.: 305 O 77/92, unveröffentlicht; abgedr. in: IPRspr. 1996 Nr. 55, 120. Gemäss Art. 34 Abs. 1 des portugiesischen Kulturgutschutzgesetzes Nr. 13 vom 6.7.1985 ist die dauernde Ausfuhr von unter Denkmalschutz gestellten Kulturgütern verboten. Vgl. Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 372–374. Vgl. Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 372–374. So Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 204. In diesem Sinne auch Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff., S. 3582.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
wird die Frage gestellt, ob die beschriebene Rechtsunsicherheit nicht hinzunehmen ist, weil der Schutz des bestohlenen Eigentümers und damit zugleich Kulturgüterschutzgesichtspunkte Vorrang haben sollten.2305
(a)
Gesteigerte Gefahranfälligkeit des internationalen Kunsthandels
875
An erster Stelle ist hier auf die besondere, gegenüber sonstigen Konsumgütern deutlich gesteigerte Gefahranfälligkeit kultureller Wertgegenstände zu verweisen, als Objekte des kulturellen Schwarzmarktes gehandelt zu werden. Der Kunsthandel stellt einen besonders gefahranfälligen Geschäftsbereich dar, der sich vom sonstigen Rechtsverkehr mit gewöhnlichen Konsumgütern fühlbar unterscheidet. Kunstgegenstände werden aufgrund ihres großen Wertes besonders häufig als Hehlerware auf dem Schwarzmarkt vertrieben. Diese Qualifikation des Kulturgüterverkehrs gilt allgemein: So hat bspw. Quack innerhalb seiner Kommentierung des gutgläubigen Fahrniserwerbs im Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch den Kunsthandel ausdrücklich als Beispiel für eine verkehrstypische Gefahrensituation des illegalen Transfers unrechtmäßiger Gegenstände neben dem Gebrauchtwagenhandel aufgeführt.2306 Auch Wiegand nennt innerhalb der Staudinger-Kommentierung zu der Frage der generellen Nachforschungsobliegenheiten gutgläubiger Erwerber kultureller Wertgegenstände den Kunsthandel als verkehrstypische Gefahrensituation exempli causa.2307 Innerhalb des kulturgüterspezifischen Schrifttums bezeichnet bspw. Grell den Kunsthandel als „anfälligen Geschäftsbereich“2308: „Diese Ansicht wird auch durch die zahlreichen Diebstähle von Kunstwerken und durch die häufigen Fälle unrechtmässigen Handelns solcher Kunstwerke im Kunsthandel untermauert, die heute als allgemein bekannt vorausgesetzt werden dürfen.“2309
876
Vor diesem Hintergrund sind alternative Anknüpfungsmomente innerhalb der Ausweichklausel des Art. 46 EGBGB durchaus mit den Grundwertungen des internationalen Sachenrechts zu vereinbaren und sollten bei der kollisionsrechtlichen Rechtswahl aus kulturpolitischer Sicht in der empirischen Wirklichkeit ihre Rechtfertigung finden. Zur Bekämpfung des kulturellen Schwarzmarktes müssen spezielle rechtliche Schritte unternommen werden. Aufgrund der tatsäch-
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2306
2307 2308
2309
So auch Mansel, DeWeerth v. Baldinger – Kollisionsrechtliches zum Erwerb gestohlener Kunstwerke, IPRax 1988, S. 268–271, S. 271. Ausdrücklich Quack in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 6 Sachenrecht: §§ 854–1296, 4. Aufl. 2006, § 932, Rdnr. 41–48. Wiegand, Wolfgang in Staudinger – BGB: Buch 3 Sachenrecht (2004), § 932, Rdnr. 132–133. Vgl. Grell, Entartete Kunst – Rechtsprobleme der Erfassung und des späteren Schicksals der sogenannt Entarteten Kunst, 1999, S. 146–159, unter Berufung auf Urteil des Schweizer BGer vom 24.9.1987, BGE 113 II 397 (S. 399/4(X)). Vgl. Grell, Entartete Kunst – Rechtsprobleme der Erfassung und des späteren Schicksals der sogenannt Entarteten Kunst, 1999, S. 146–159, unter Berufung auf Urteil des Schweizer BGer vom 24.9.1987, BGE 113 II 397 (S. 399/4(X)).
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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lichen Dimensionen des illegalen Kunsthandels erscheint deshalb eine Rechtswahl nach der lex originis dringend geboten: Dadurch muss der Vertrauensschutz der Erwerber von Kulturgütern zu einem hinnehmbaren Maß hinter das Bestandsinteresse der Eigentümer unrechtmäßig entzogener Kulturgüter auch innerhalb der Bestimmung der zur dinglichen Sachzuordnung anwendbaren Rechtsordnung grundsätzlich zurücktreten. Es ist unumgänglich, die Bedürfnisse des Kunsthandels, der Rechtssicherheit und Verkehrsfähigkeit kultureller Güter zu einem Mindestmaß auch innerhalb der international-privatrechtlichen Rechtswahl einzuschränken. Überdies ist das Vertrauen des Rechtsverkehrs in die Maßgeblichkeit der lex rei sitae bei illegal exportierten Kulturgütern oft weniger schutzwürdig, „da bei erkennbar wertvollem Kulturgut ausländischer Herkunft die Nähe zum Recht des Lageorts weniger stark ausgeprägt ist.“2310 Auch ist der Lageort der beweglichen Sache oft zufällig. Dieser kann sogar bewusst zum Zweck einer vorübergehend günstigen Anknüpfungssituation manipuliert sein, sodass die Anwendbarkeit der klassischen Kollisionsregel zu zufälligen Ergebnissen führt.2311 Außerdem ist zu bezweifeln, ob für den (inter-)nationalen Kunsthandel überhaupt eine spürbare Beeinträchtigung zu besorgen ist, da sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene zahlreiche Rechtsordnungen und Regelwerke eine Beeinträchtigung der Verkehrsinteressen ohnehin hinnehmen und bspw. einen Gutglaubenserwerb ablehnen.2312 Obwohl das Kulturgüterschutzrecht noch ein relativ junges Rechtsgebiet darstellt, wurde inzwischen ein umfangreiches Regelungsvolumen in sämtlichen Bereichen geschaffen, in denen rechtliche Normen wirken können.
877
So bestehen heute zahlreiche völkerrechtliche, öffentlich-rechtliche und strafrechtliche Resolutionsmethoden zur Regulation des illegalen Kulturgüterverkehrs und die professionell am Kunsthandel Beteiligten unterwerfen sich zusätzlich durch selbstauferlegte Verhaltensstandards einer Selbstregulation. Diesem Anspruch wird inzwischen rechtsnormenübergreifend2313 international wie national Rechnung getragen. In internationalen Konventionen und zwischen-
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So die zutreffende Einschätzung bei Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 405–410. Vgl. Ferrer-Correia, La vente internationale d’objets d’art, sous l’angle de la protection du patrimoine culturel, in: Annuaire de l’Institut de Droit International 64-I (1991), S. 90–192, S. 168, S. 174, S. 185; Ferrer-Correia, Nouvelles règles de conflit de lois sur la vente internationale d’objets d’art, in: Briat/Freedberg, Legal aspects of International Art Trade (International Sales of Works of Art, Volume 4), 1993, S. 41–46, S. 45; Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 405–410. So auch Mansel, DeWeerth v. Baldinger – Kollisionsrechtliches zum Erwerb gestohlener Kunstwerke, IPRax 1988, S. 268–271, S. 271. Vgl. hierzu Odendahl, Kulturgüterschutz – Entwicklung, Struktur und Dogmatik eines ebenenübergreifenden Normensystems, 2005.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
staatlichen Rechtsinstrumenten, wie bspw. der UNESCO Convention vom 14. November 1970, der UNIDROIT Convention vom 24. Juni 1995 und der Richtlinie 93/7/EWG vom 15. März 1993, werden unterschiedliche grenzüberschreitende Regulationsmechanismen des internationalen Kulturgüterverkehrs vorgeschlagen, um dem illegalen Kunsthandel ‚Herr‘ zu werden. Auch innerstaatliche Normen zum Schutz national bedeutsamer Kulturgüter lassen sich in praktisch allen entwickelten Gesellschaften finden, sodass der Kulturgüterschutz heute aus nationaler Sicht „als unabdingbarer Bestandteil und wesentliches Merkmal einer Zivilisation“2314 gilt. 879
Diese Schutztatbestände protegieren national bedeutsame Kulturgüter in erster Linie wegen ihres kulturellen Wertes und dienen damit der Sicherung der historischen, künstlerischen, ästhetischen und wissenschaftlichen Funktion der Gegenstände für den kulturellen Ursprungsstaat.2315 Auch die professionell am Kunsthandel Beteiligten haben die Einschränkung eines völlig unreglementierten Kunsthandels, der Rechtssicherheit und Verkehrsfähigkeit kultureller Güter anerkannt, um im gewerblichen Kulturgüterverkehr den Zielen des Kulturgüterschutzes gerecht zu werden. International tätige Organisationen, nationale Verbände und Berufszusammenschlüsse sowie einzelne im (inter-)nationalen Kulturgüterverkehr tätige Institutionen und Firmen auferlegten sich selbst spezielle Programmsätze zur Bekämpfung des illegalen Kunsthandels. Vor diesem Hintergrund scheint die tatsächliche Belastung des Kunsthandels aufgrund einer Anknüpfung an die Heimatrechtsordnung nur marginal.
(b) 880
Unikatfunktion kultureller Wertgegenstände
Schließlich rechtfertigt die besondere, gegenüber sonstigen Konsumgütern deutlich unterscheidbare Unikatfunktion kultureller Wertgegenstände eine Abweichung von der lex rei sitae und die Vereinbarkeit der Rechtswahl im internationalen Kunsthandel über die Ausweichklausel des Art. 46 EGBGB. Eine alternative Anknüpfung an die Heimatrechtsordnung kultureller Wertgegenstände ist innerhalb des internationalen Kulturgüterverkehrs als Handel mit nicht wieder-
2314
2315
Vgl. Odendahl, Kulturgüterschutz – Entwicklung, Struktur und Dogmatik eines ebenenübergreifenden Normensystems, 2005, S. 7. Vgl. Hammer, Zur Geschichte des rechtlichen Kulturgüter- und Denkmalschutzes, in: Fechner/Oppermann/Prott, Prinzipien des Kulturgüterschutzes – Ansätze im deutschen, europäischen und internationalen Recht, 1996, S. 47–66, S. 47–48; Adriani, Das Recht der Kulturdenkmalpflege – unter besonderer berücksichtigung der Verhältnisse in Niedersachsen, 1962, S. 15–16. Die ausführlichste historische Darstellung des deutschen Denkmalrechts (als ein Teil des Kulturgüterschutzrechts) bietet Hammer, Die geschichtliche Entwicklung des Denkmalrechts in Deutschland, 1995. Zum Ganzen auch Odendahl, Kulturgüterschutz – Entwicklung, Struktur und Dogmatik eines ebenenübergreifenden Normensystems, 2005, S. 7.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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herstellbaren Unikaten aufgrund der besonderen soziokulturellen Bedeutung des künstlerischen Handelsgegenstandes auch innerhalb der deutschen Gesetzessystematik als notwendige und zulässige Präzisierung des gesetzlichen Tatbestandes zu qualifizieren. Es ist falsch, dass die zivilrechtlichen Resolutionsmethoden Kunstwerke – mögen sie auch schön und teuer sein – im Grundsatz noch immer als normale, wiederherstellbare Sachen behandeln. Schon Boguslavsky wies im Jahre 1990 darauf hin, dass Kulturgüter Objekte besonderer Art sind, die regelmäßig nicht als gewöhnliche Eigentumsobjekte zu behandeln sind und eigenständigen Rechtsregeln unterfallen.2316 Auch Müller-Chen nahm an der rechtlichen Gleichbehandlung von Kulturgütern und Konsumprodukten Anstoß: „Kunst- und Kulturgüter sind keine „normalen“ Handelsgüter, die beliebig reproduzierbar sind. Aufgrund ihrer statistischen Einmaligkeit und Individualität sowie der unter Umständen bestehenden kultur- und gesellschaftspolitischen Bedeutung der Objekte stellt sich die Frage, ob diese Regelung sachgemäss ist. Eine Vase aus der Ming-Dynastie (1368–1644) oder Oscar Kokoschkas „Windsbraut“ dürfen rechtlich nicht mit einem Wassereimer oder einem Laser-Drucker gleichgesetzt werden. Besonders Kulturgüter stehen häufig in einer wechselseitigen Beziehung zu ihrer angestammten Umgebung. Es steht ausser Frage, dass jede Nation ein Recht darauf hat, ihre Identität zu bewahren. Dies beinhaltet auch das Recht, gewisse wichtige Kulturgüter, welche materielles Zeugnis von zivilisatorischem Wert ablegen, im eigenen Territorium zu behalten, um damit den Menschen ihre kulturelle Identität erhalten zu können.“2317 Auch Schönenberger verdeutlicht: „Ein Goya Stillleben, eine Skulptur von Chillida oder eine Ming-Vase fallen damit in die gleiche Kategorie wie ein Auto, ein altes Fahrrad oder eine Waschmaschine.“2318 Kulturgüter sind nicht in erster Linie „leicht handelbares Alltagsgut“2319, sondern Gegenstände, „die das kulturelle Gedächtnis der Menschheit“ bewahren.2320 2316
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Boguslavsky, Der Begriff des Kulturguts und seine rechtliche Relevanz, in: Dolzer/Jayme/ Mußgnug, „Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes – Symposium vom 22./23. Juni 1990 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg“, 1994, S. 3 ff., S. 8. Müller-Chen, Die Crux mit dem Eigentum an Kunst, Aktuelle juristische Praxis 2003 Heft 11, S. 1267–1279, S. 1276. Schönenberger, Gutgläubiger Erwerb gestohlener Kunstwerke? – Ein rechtsvergleichender Überblick; in: Kunst & Recht: Schwerpunktthemen für den Kunstsammler, Schriftenreihe der AXA Art Versicherung AG, 2007, S. 45. So Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 253–264. Vgl. Blumenwitz, Rechtliche Schwierigkeiten bei der Rückgabe rechtswidrig nach Deutschland verbrachter Kunstschätze an die Herkunftsstaaten und künftige Lösungsansätze, in: Bröhmer/Bieber/Callies/Langenfeld/Weber/Wolf, Internationale Gemeinschaft und Menschenrecht – Festschrift für Georg Ress zum 70. Geburtstag am 21. Januar 2005, 2005, S. 3 ff., S. 14, darauf verweist auch Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 253–264.
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996 882
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Die Rechtswahl beim Transfer kultureller Güter erfolgt aus rechtsvergleichender Sicht nach den allgemeinen internationalen Sachenrechtsregeln, ohne dass (bis auf wenige Ausnahmen in einzelnen Rechtsordnungen) de lege lata spezielle Rechtsregeln für Kulturgüter anerkannt sind oder deren Interessen innerhalb der bestehenden Regeln angemessen gewahrt werden.2321 Auch wenn sowohl innerhalb der öffentlich-rechtlichen als auch der völkerrechtlichen Resolutionsmethoden zur Kontrolle des (inter-)nationalen Kulturgüterverkehrs die besondere rechtliche Behandlung kultureller Güter als res sui generis aufgrund ihrer außergewöhnlichen, kulturpolitischen Bedeutung aus geschichtlichen, wissenschaftlichen, erzieherischen, ästhetischen oder sonstigen kulturellen Gründen in zahlreichen Ausgestaltungsvarianten und Facetten deutlich wird, lassen die Kollisionsrechtsregeln bislang eine (notwendige) spezielle Fürsorge für bedeutsame Kulturgüter missen, indem sie kulturelle Wertgegenstände mit Unikatfunktion ebenso behandeln wie sonstige Gebrauchswaren, die ohne Beschränkung reproduziert werden können, nach Quantität und Masse ‚umgeschlagen‘ werden und keine identitätsstiftende Bedeutung für den Heimatstaat besitzen.2322 Dies ist umso gravierender, weil durchaus rechtliche Gründe für eine Ungleichbehandlung kultureller Wertgegenstände und sonstiger beweglicher Gegenstände auch im internationalen Privatrecht und in der Bestimmung der ‚richtigen‘ Rechtsordnung zur Sachzuweisung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter bestehen: Während das internationale Sachenrecht im Allgemeinen mit der lex rei sitae in erster Linie das Verkehrsinteresse berücksichtigt und den inländischen Rechtsverkehr nur solchen dinglichen Belastungen aussetzen möchte, die diesem auch bekannt sind, und mit dem Lageort ein leicht zu ermittelndes Anknüpfungsmoment bietet,2323 steht
2321
2322
2323
Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 155; Siehr, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Rechtsverkehr, in: Westphalen/Sandrock, Lebendiges Recht – Von den Sumerern bis zur Gegenwart – Festschrift für Reinhold Trinkner zum 65. Geburtstag, 1995, S. 703–722, S. 705; Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes, 1994, S. 108; Bila, Nationaler Kulturgüterschutz in der Europäischen Union, 1997, S. 93. „Diese Gleichschaltung des öffentlichen Kunst- und Kulturgutbesitzes mit dem Plunder, den die Fundbüros versteigern und die Second-Hand-Shops feilbieten, ist ein Unding.“ Mußgnug, Europäischer und nationaler Kulturgüter-Schutz, in: Mußgnug/Roellecke, Aktuelle Fragen des Kulturgüterschutzes: Beiträge zur Reform des deutschen Kulturgutschutzgesetzes 1955 und seiner Angleichung an den europäischen Kulturgüterschutz, 1998, S. 11 ff., S. 26. So auch Fuentes-Camacho, El tráfico ilicito internacional de bienes culturales, 1993, S. 375. Vgl. auch die Diskussionsbeiträge von Jayme und Stoll in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes – Symposium vom 22./23. Juni 1990 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 126 ff.; a.A. Byrne-Sutton, Qui est le propriétaire légitime d’un objet d’art volé? Une source de conflits dans le commerce international, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 483–499, S. 496: „En effet, l’application de la lex rei sitae ne favorise a priori ni l’acquéreur de bonne foi, ni le propriétaire originaire, puisque la protection de l’un ou de lautre dépend uniquement du „hasard“ du droit interne désigné dans le cas d’espèce“.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
997
innerhalb des Schutzes kultureller Wertgegenstände aufgrund ihrer Unikatfunktion grundsätzlich die Zuordnung jedes einzelnen Kulturguts in specie im Zentrum des Interesses. Während bspw. im Kriegsvölkerrecht diese Unterscheidung erkannt wurde, eine Entwicklung weg von dem Schutz kultureller Güter über den allgemeinen Schutz des Eigentums bei kriegerischen Auseinandersetzungen und hin zu einer autozentrierten Rechtsfigur mit eigenständigem Schutz kultureller Güter aus eigenen Rechtsgründen erfolgte, schlägt das allgemeine internationale Privatrecht weiterhin ein „aus einem Museum gestohlene[s] Meisterwerk mit dem in der Eisenbahn vergessenen Regenschirm über ein und denselben Leisten“2324. Erkennt man die spezielle Sachqualität kultureller Wertgegenstände an, erscheint es auch Wiese „möglich, für Kulturgüter nicht diejenigen Kollisionsnormen anzuwenden, die für gewöhnliche Sachen gelten, sondern deren Funktion als Verkörperung nationaler kultureller Identität bei der Suche angemessenerer Anknüpfungspunkte in den Vordergrund zu rücken.“2325 Kulturgüter sind damit aufgrund ihrer kulturellen Unikatfunktion und der besonderen kulturpolitischen Bedeutung für die Gesellschaft im Rechtsverkehr als res sui generis zu qualifizieren und verlangen deshalb auch innerhalb des Internationalen Kulturgüterprivatrechts eine Revision des bisher geltenden Rechtsempfindens. Während das internationale Sachenrecht auf die Bedürfnisse eines möglichst leichtgängigen Warenverkehrs mit Konsumgütern ausgerichtet ist und keinen Rekurs auf die Sicherung der Sache in specie nimmt, muss das Internationale Kulturgüterprivatrecht – im Gegensatz zum Warenverkehr mit praktisch unbegrenzt reproduzierbaren Gegenständen – auch auf die Sicherung der Interessen an den individuell bestimmbaren Kunstwerken abzielen. Da innerhalb des internationalen Kunsthandels regelmäßig der Transfer mit individualisierten und spezifizierten Gegenständen erfolgt, die einer charakteristischen Vergangenheit in Form eines Pedigrees als Stammbaum des Kulturguts fähig sind, wird nur eine Anknüpfung
2324
2325
Vgl. auch Jaeger, Internationaler Kulturgüterschutz – Rechtslage, Rechtspraxis, Rechtsfortentwicklung, 1994, S. 68. Mußgnug, Europäischer und nationaler Kulturgüter-Schutz, in: Mußgnug/Roellecke, Aktuelle Fragen des Kulturgüterschutzes: Beiträge zur Reform des deutschen Kulturgutschutzgesetzes 1955 und seiner Angleichung an den europäischen Kulturgüterschutz, 1998, S. 11 ff., S. 26. Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 208–210, unter Rekurs auf Pfeiffer, Der Stand des Internationalen Sachenrechts nach seiner Kodifikation, IPRax 2000 (Heft 4), S. 271–285, S. 280; für das Eingreifen der Ausweichklausel bei Kulturgütern ebenfalls Spinellis, Das Vertrags- und Sachenrecht des internationalen Kunsthandels – zugleich ein Beitrag zur Bedeutung der Eingriffsnormen im heutigen internationalen Rechtsverkehr, 2000, S. 398; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 232; vgl. auch Art. 15 Abs. 1 des Schweizer IPRG.
883
998
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
an die Rechtsordnung mit der engsten Verbindung (insbesondere an die lex originis) über die Ausweichklausel des Art. 46 EGBGB dieser speziellen Sachqualität kultureller Wertgegenstände gerecht werden. 884
Für eine solche Sonderanknüpfung spricht außerdem, dass sich Kulturgüter von anderen Sachen typischerweise durch ihre regionalen Bezüge unterscheiden, die auch durch das Recht gewahrt werden müssen. Ebenso wie innerhalb der materiellen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter 2326 ist somit auch für das Internationale Kulturgüterprivatrecht festzustellen, dass sich in vielen Situationen die Interessen des Kulturgüterschutzes mit den Interessen der (ursprünglichen) Eigentümer kultureller Wertgegenstände verbinden und gemeinsam zu einer Einschränkung der Verkehrsinteressen führen. Hier fließen die spezifischen Erwägungen des Kulturgüterschutzes mit ein in den Widerstreit zwischen dem Sacherhaltungsinteresse des (ursprünglichen) Eigentümers zum einen und den Verkehrsschutzgesichtspunkten der Allgemeinheit und dem Interesse gutgläubiger Erwerber und Besitzer zum anderen. Die Anknüpfung an die Heimat eines Kulturguts und die dementsprechende Rechtswahl nach der lex originis bieten somit auch innerhalb des deutschen Internationalen Kulturgüterprivatrechts eine faire Risikoverteilung der Gefahren des illegalen Kunstmarktes im Speziellen und dienen zugleich der Eindämmung des kulturellen Schwarzmarktes in nicht unerheblichem Ausmaße im Allgemeinen. Somit ist es mit den Art. 43 bis 46 EGBGB vereinbar, „dingliche Rechtsverhältnisse an Kulturgütern unwandelbar an das Recht des Staates, in dem das Kulturgut sich vor seinem verbotswidrigen Export befand (lex originis), anzuknüpfen. Es besteht eine äußerst enge, rechtliche Beziehung von Kulturgütern zu ihrer lex originis, die es wegen der besonderen Qualität eines Kulturguts als Verkörperung nationaler, kultureller Identität gestattet, gemäß Art. 46 EGBGB die lex originis als Sachenrechtsstatut zu berufen.“2327
3. 885
Rechtsfolgen
Die Anwendung der Ausweichklausel des Art. 46 EGBGB bewirkt im Internationalen Kulturgüterprivatrecht, dass die materiell-rechtliche Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter nicht nach der von der Regelanknüpfung nach der lex rei sitae berufenen Rechtsordnung des Belegenheitsstaates, sondern – je nach Einschätzung der rechtstheoretischen Funktion des Art. 46 – generell2328 oder im Einzelfall2329 von der Rechtsordnung mit der engsten Verbin-
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2328 2329
Vgl. ausführlich hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 2: Zivilrecht – Guter Glaube im internationalen Kunsthandel, 8. Teil, Rdnr. 2 ff. Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 215–218. So 3, 828. So 3, 821 ff.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
999
dung zu dem Kulturgut entschieden werden soll.2330 Innerhalb der Rechtsanwendungsbestimmung liegt aber nicht offen zu Tage, ob die Verweisung nach Art. 46 EGBGB eine Sachnorm- oder eine Gesamtverweisung (auch sog. Kollisionsnormverweisung) darstellt.2331 Grundsätzlich besagt Art. 4 Abs. 1 S. 1 EGBGB, dass bei einem Verweis auf das Recht eines anderen Staates von einer Gesamtverweisung und damit von der Anwendung auch der Regeln des fremden internationalen Privatrechts auszugehen ist.2332 Damit steht – prinzipiell auch für das internationale Sachenrecht – das Regel-Ausnahme-Verhältnis, es ist im Grundsatz von einer Gesamtverweisung auszugehen und Sachnormverweisungen i.S.d. Art. 3 Abs. 1 S. 2 EGBGB als Ausnahmen anzuerkennen.2333 Innerhalb des internationalen Sachenrechts geht dementsprechend auch Dörner2334 davon aus, dass die Annahme einer Gesamtverweisung dem Sinn der Verweisung gemäß Art. 4 Abs. 1 S. 1 EGBGB entspricht. Sonnentag begründet die Annahme einer Gesamtverweisung mit der Überlegung, dass eine bloße Ausweichklausel – also eine kollisionsrechtliche Verlegenheitslösung – keine stärkere Verweisung beinhalten sollte als die Regelanknüpfung.2335 Wendehorst vermag dem jedoch mit guten Gründen zu widersprechen und erkennt diese Argumentation nur für solche Ausweichklauseln an, „die herangezogen werden, weil die primär vorgesehenen Anknüpfungspunkte nicht zum Erfolg führen, insbesondere ins Leere gehen“ 2336. Dementsprechend geht die zutreffende Meinung heute davon aus, dass die Annahme einer Gesamtverweisung dem Sinn der Verweisung gemäß Art. 4 Abs. 1 S. 1 widerspricht.2337 2330
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Vgl. die allgemeinen Erwägungen zur Rechtsfolge des Art. 46 EGBGB bei Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 46, Rdnr. 28–29. Vgl. zu diesem Streit insbesondere Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 215–218; Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 46, Rdnr. 28–29. Vgl. Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, 9. Aufl. 2004, § 10 II, S. 391 f. Vgl. Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, § 24 II 1, S. 166 f.; Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 215–218. Hk-BGB/Dörner, 5. Aufl. 2007, Rdnr. 1. In diese Richtung Sonnentag, Der Renvoi im Internationalen Privatrecht, 2001, S. 179; Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 46, Rdnr. 28–29. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 46, Rdnr. 28–29. So Siehr, Engste Verbindung und Renvoi, in: Coester/Martiny/Prinz von Sachsen Gesaaphe, Privatrecht in Europa. Vielfalt Kollision, Kooperation. Festschrift für Hans Jürgen Sonnenberger, 2004, S. 667–675, S. 671 (alle Ausweichklauseln seien „renvoi-feindlich“); Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungs-
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1000 887
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Da die Anwendung des Art. 46 EGBGB im Internationalen Kulturgüterprivatrecht auf Grund einer Würdigung aller im Einzelfall maßgeblichen Interessen die Rechtsordnung des kulturellen Ursprungsstaates abweichend von der Rechtswahl nach dem Belegenheitsort des Objektes „für am sachnächsten und geeignetsten hält“2338, würde eine Gesamtverweisung diese materielle Wertung bei einem renvoi – der nahezu sicher wieder zur lex rei sitae führen würde, die der Rechtswahl nach dem Belegenheitsort nahezu universale Geltungskraft verschafft! – unterlaufen, sodass nur die Annahme einer Sachnormverweisung Sinn macht und etwaige Rück- oder Weiterverweisungen auf eine andere Rechtsordnung als unbeachtlich betrachtet werden.2339 Da ein Gesamtverweis somit die Gefahr in sich birgt, dass der Herkunftsstaat des Kunstwerks eine Anknüpfung nach der sachnäheren Rechtsordnung nicht kennt und daher zurückverweist,2340 und folglich dem Sinn einer individualisierten Sachstatutbestimmung widerspricht,2341 ist bei Art. 46 EGBGB von einer Sachnormverweisung auszugehen.2342 Ob das
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gesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 46, Rdnr. 28 ff. So die Formulierung bei Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 46, Rdnr. 28–29. So die h.M., vgl. j.m.w.N. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 46, Rdnr. 28–29; von Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 12 Rdnr. 27; Kreuzer, Die Vollendung der Kodifikation des deutschen Internationalen Privatrechts durch das Gesetz zum Internationalen Privatrecht der außervertraglichen Schuldverhältnisse und Sachen vom 21.5.1999, RabelsZ 65 (2001), S. 383–462, S. 455; Siehr, Engste Verbindung und Renvoi, in: Coester/Martiny/Prinz von Sachsen Gesaaphe, Privatrecht in Europa. Vielfalt Kollision, Kooperation. Festschrift für Hans Jürgen Sonnenberger, 2004, S. 667–675, S. 671; Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 292. So Stoll, Bemerkungen zu den Vorschriften über den „Allgemeinen Teil“ im Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Neuregelung des IPR (Art. 3–9, 11–12), IPRax 1984, S. 1–5, S. 2; Siehr, Das internationale Erbrecht nach dem Gesetz zur Neuregelung des IPR, IPRax 1987, S. 4–8, S. 5; Rauscher, Sachnormverweisungen aus dem Sinn der Verweisung, NJW 1988, S. 2151–2154, S. 2154; Kienle/Weller, Die Vindikation gestohlener Kulturgüter im IPR, IPRax 2004, S. 290–294, S. 292; ähnlich auch Schröder, Vom Sinn der Verweisung im internationalen Schuldvertragsrecht, IPRax 1987, S. 90–92, S. 93; Mansel, DeWeerth v. Baldinger – Kollisionsrechtliches zum Erwerb gestohlener Kunstwerke, IPRax 1988, S. 268–271, S. 271. In Anlehnung an Kienle/Weller, Die Vindikation gestohlener Kulturgüter im IPR, IPRax 2004, S. 290–294, S. 292. Vgl. dazu Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 58–59; Kreuzer, Die Vollendung der Kodifikation des deutschen Internationalen Privatrechts durch das Gesetz zum Internationalen Privatrecht der außervertraglichen Schuldverhältnisse und Sachen vom 21.5.1999, RabelsZ 65 (2001), S. 383–462, S. 455.
§ 15 Ergebnis: Anknüpfung an die ,lex originis‘ über Art. 46 EGBGB de lege lata
1001
fremde Recht diese Verweisung auch annehmen will, bleibt dann ohne Belang, weil sich aus deutscher Sicht die stärkste Verbindung mit diesem Recht bereits durchgesetzt hat.2343 Das gefundene Ergebnis lässt sich gut in das Prinzipienprogramm des Kollisionsrechts einfügen: Insbesondere die Anknüpfung an die lex originis innerhalb der Ausweichklausel des Art. 46 EGBGB rechtfertigt sich aus dem Gedanken, „dass der Heimatrechtsordnung des Kulturguts das entscheidende internationale Ordnungsinteresse zukommt, die Sachwalterfunktion über ihr Kulturgut auszuüben. Der Anknüpfung liegen also vor allem materielle Vorstellungen über eine angemessene Anknüpfung zugrunde, die nicht durch die Wertungen des fremden Kollisionsrechts wieder zunichte gemacht werden dürfen. Die Individualisierung des Anknüpfungspunktes innerhalb einer Ausweichklausel im Sinne des Art. 46 EGBGB erfordert deshalb nach ihrem Sinn und Zweck eine Ausnahme vom Grundsatz der Gesamtverweisung. Auch das Ideal des internationalen Entscheidungseinklangs, das als Hauptgrund für die Beachtung des fremden Kollisionsrechts genannt wird und das durch Sachnormverweisungen gestört werden kann, führt nicht zwingend zu einem anderen Ergebnis. Im Bereich des Kulturgüterschutzes ist der internationale Entscheidungseinklang schon auf der Grundlage einer weltweit akzeptierten lex rei sitae-Regel bereits dadurch stark eingeschränkt, dass infolge von ordre public-Grundsätzen2344 vieler Staaten im Ergebnis sogar „hinkende Eigentumslagen“ an Kulturgütern entstehen können.“2345
888
§ 15 Ergebnis: Anknüpfung an die ‚lex originis‘ über Art. 46 EGBGB de lege lata Nach dem unter § 14 formulierten Plädoyer für die Anwendung der lex originis im Internationalen Kulturgüterverkehr schloss sich unmittelbar die Frage an, ob auch innerhalb des deutschen Kollisionsrechts den neuen Tendenzen des Internationalen Kulturgüterprivatrechts gefolgt werden kann und im Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht eine Anknüpfung an die Heimatrechtsordnung von Kunst- und Kulturgütern schon de lege lata theoretisch möglich oder ob zwingend ein diesbezügliches Tätigwerden seitens der Gesetzgebungsorgane de lege ferenda zu fordern ist. Nach den voranstehend unter Punkt VII. erörterten rechtsdogmatischen Erwägungen zu der Bedeutung, Funktionsweise und
2343
2344 2345
Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 215–218. Vgl. ausführlich hierzu 3, 459 ff. Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 215–218; wohl auch Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, § 24 II 2a, S. 167 f.; Ebenroth/Eyles, Der Renvoi nach der Novellierung des deutschen Internationalen Privatrechts, IPRax 1989, S. 1–12, S. 11.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
praktischen Anwendung der Ausweichklausel des Art. 46 EGBGB kann ein überraschendes Fazit gezogen werden: Trotz der im Ausland bekannten und schon traditionell verkehrsfreundlich zu bezeichnenden Ausrichtung des deutschen Zivilrechts im Allgemeinen und der Rechtswahlregeln des EGBGB im Speziellen erlaubt Art. 46 EGBGB theoretisch auch im deutschen Kollisionsrecht die Anerkennung der res sui generis-Stellung kultureller Güter, eine Rezeption des lex originis-Grundsatzes und damit zugleich eine Öffnung des internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts für neue internationale Tendenzen auch im deutschen Rechtsraum – schon innerhalb der Bahnen des geltenden Kollisionsrechts, ohne dass hierfür ein Eingreifen des Gesetzgebers notwendig wäre! 890
Nach Art. 46 EGBGB hat das Recht desjenigen Staates Anwendung zu finden, mit dessen Recht „eine wesentlich engere Verbindung“ besteht „als mit dem Recht, das nach den Artikeln 43 bis 45 maßgebend wäre“. Hinter der Ausweichklausel steht die Erkenntnis, dass gesetzliche Rechtswahlgrundsätze nicht allen möglichen Fallgestaltungen Rechnung tragen können und deshalb eine Vorsorge für nicht vorhersehbare Interessenkonstellationen notwendig ist. Aufgrund der undifferenzierten Allgemeinheit der Regelanknüpfungsnormen ist folglich eine gewisse Anpassungsfähigkeit des Kollisionsrechts für nicht vorhersehbare Sachlagen oder atypische Fälle erforderlich, sodass über Art. 46 EGBGB nach dem Willen des Gesetzgebers die Entwicklung von Sonderanknüpfungen ermöglicht werden soll. Die gesetzliche Ausweichklausel beabsichtigt somit, allzu starre Anknüpfungsregeln zu vermeiden und dem Rechtswahlprozess die nötige Flexibilität zu verleihen, um Einzelfallgerechtigkeit zu gewährleisten und auf atypische Interessenlagen sowie auf solche Sachverhalte adäquat reagieren zu können, die sich einer generellen Regelung entziehen.
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Bei diesem rechtsdogmatischen Verständnis liegt es nicht fern, einerseits aufgrund der besonderen Gefahranfälligkeit des internationalen Kunsthandels sowie der tatsächlichen Dimensionen des kulturellen Schwarzmarktes eine solche „atypische Interessenlage“ gegenüber dem übrigen Warenhandel zu bejahen und andererseits, aufgrund der Qualifizierung von Kunst- und Kulturgütern als res sui generis und ihrer Unikatfunktion aus kulturellen, künstlerischen, geschichtlichen, soziologischen bzw. ideologischen Gründen, in der dinglichen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter „Sachverhalte“ zu erkennen, „die sich einer generellen Regelung entziehen“. Im Schrifttum ist stark umstritten, ob innerhalb des deutschen Internationalen Kulturgüterprivatrechts schon de lege lata eine Auflockerung der starren Grundregeln der lex rei sitae für den internationalen Kulturgüterverkehr durch die Anwendung der lex originis möglich ist. Das Meinungsspektrum hierzu ist in der Literatur denkbar breit, die Materialien aus dem Gesetzgebungsverfahren geben nur wenig Aufschluss und einschlägige Gerichtsentscheidungen haben sich bislang nicht dezidiert mit einer möglichen Alternativanknüpfung im internationalen Kulturgüterverkehr auseinandergesetzt, sodass eine judikative Prärogative bestehen würde.
§ 15 Ergebnis: Anknüpfung an die ,lex originis‘ über Art. 46 EGBGB de lege lata
1003
Systematisiert man die unterschiedlichen Meinungsstränge im Schrifttum, lassen sich drei Lösungsalternativen hinsichtlich der funktionalen Bedeutung des Art. 46 EGBGB im Internationalen Kulturgüterprivatrecht extrahieren: Während ein Teil des Schrifttums, der sich auf die Gesetzesbegründung bei Erlass der Art. 43 ff. EGBGB berufen kann und dem auf den ersten Blick auch die sog. Meretitis-Entscheidung des Kammergerichts Berlin folgt, eine abweichende Anknüpfung zur lex rei sitae wegen einer engeren Verbindung kultureller Güter zu ihrem Herkunftsstaat aufgrund einer rechtlichen oder kulturellen Verbundenheit i.S.d. lex originis generell ausschließt (und dementsprechend eine Möglichkeit zur Anwendung der lex originis nur de lege ferenda erkennt), sind die gegensätzlichen Meinungen im Schrifttum der Ansicht, dass im heutigen Rechtswahlprozess ein Rekurs auf Art. 46 EGBGB nicht a priori ausgeschlossen sein dürfe und – wenn dessen Voraussetzungen vorlägen – schon de lege lata zumindest im Einzelfall eine Abweichung zur engeren lex originis möglich sein müsse und eventuell Kulturgüter im Internationalen Kulturgüterprivatrecht aber auch generell als eigener Sachtyp anzuknüpfen und nach der lex originis zu bestimmen seien.
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Um die in Art. 43 bis 45 EGBGB erfolgte Kodifizierung des internationalen Sachenrechts nicht zu einer „leeren Hülle“ verkommen zu lassen, sei es dringend angeraten, von der Ausweichklausel des Art. 46 nur sehr zurückhaltend Gebrauch zu machen und ihren Anwendungsbereich auf extreme Ausnahmefälle zu beschränken, sodass eine Anwendung der lex originis im Internationalen Kulturgüterprivatrecht nur de lege ferenda, d.h. nach einer formellen Gesetzesänderung, erfolgen könne. Aus der Gesetzgebungsgeschichte der Art. 43 ff. EGBGB werde für die Rechtswahl im Internationalen Kulturgüterprivatrecht augenscheinlich, dass im internationalen Kulturgüterverkehr kein solcher „extremer Ausnahmefall“ vorläge. Bei der Reform des deutschen Kollisionsrechts wurde in den Erläuterungen zum Regierungsentwurf zum Thema des Kulturgüterschutzes ausdrücklich ausgeführt und festgestellt, dass es im internationalen Sachenrecht keiner gesetzlichen Sonderregel für Kulturgüter bedürfe und alternative kollisionsrechtliche Resolutionsmethoden zur aktuell im internationalen Sachenrecht geltenden lex rei sitae aus Gründen der Rechtssicherheit und des Verkehrsinteresses generell verschlossen seien, sodass der Gesetzgeber ausdrücklich auf eine eigene Regelung für Kulturgüter verzichtete.
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Dieser Einschätzung kann jedoch mit guten Gründen entgegengetreten werden: Aus den Erläuterungen zum Regierungsentwurf wird nur ersichtlich, dass der Gesetzgeber im Jahre 1999 bei Erlass der Art. 43 ff. EGBGB zum internationalen Sachenrecht keine generelle gesetzliche Speziallösung für Kulturgüter statuieren wollte, nicht jedoch, dass eine Weiterentwicklung alternativer Anknüpfungsmaximen in der Lehre und – bei hinreichend präziser rechtsdogmatischer Aufarbeitung und Ausgestaltung – bspw. eine alternative Rechtswahl über Art. 46 EGBGB auch für die Zukunft ausgeschlossen sein soll. Da bei einem Statutenwechsel die Anknüpfung an den Lageort die wiederholt beschriebene Gefahr
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
birgt, dass unrechtmäßig entzogene Kulturgüter zufällig oder in böser Absicht (mala fides) in das Hoheitsgebiet eines Staates ge- oder bewusst verbracht werden, nach dessen Recht eine neue Sachzuordnung, bspw. ein gutgläubiger Erwerb, unter erleichterten Voraussetzungen möglich ist, führt die lex rei sitae im internationalen Kunsthandel gerade zu einer – so ausdrücklich in den Erläuterungen zu Art. 46 EGBGB des Regierungsentwurfes benannten – Anwendung einer „extrem sachferne[n] Rechtsordnung“, die oft nur flüchtige Verbindungen zu der Tatsachenkonstellation besitzt. Dies erlaubt den Schluss, dass die Anwendung des Art. 46 EGBGB und bei Vorliegen sämtlicher Voraussetzungen auch eine Rechtswahl nach einer Sonderanknüpfung mit der engsten rechtlichen und kulturellen Verbundenheit eines Kulturguts zu seinem Heimatstaat nicht bereits a priori ausgeschlossen sein sollten. 895
Richtigerweise sollte dann innerhalb dieses Meinungsblocks auch davon ausgegangen werden, dass mittels des Art. 46 EGBGB nicht nur eine Abweichung zugunsten der lex originis im Einzelfall, sondern auch eine Ergebniskorrektur generell für Kulturgüter als Sachtypen ‚sui generis‘ möglich sein sollte. Die Entscheidung hängt davon ab, welcher Regelungsauftrag und Funktionszusammenhang Art. 46 EGBGB zugesprochen werden. Möchte man mittels der Ausweichklausel gegenüber dem starren Verweisungsrecht Einzelfallgerechtigkeit verwirklichen, so wird eine Korrektur des Anknüpfungsergebnisses zugunsten der lex originis nur auf die Beurteilung des Einzelfalls zu beschränken sein. Mit beachtlichen Gründen kann aber innerhalb einer Sonderanknüpfung der engsten rechtlichen und kulturellen Verbundenheit eines Kulturguts zu seinem Heimatstaat nicht nur eine Korrektur des Anknüpfungsergebnisses zugunsten der lex originis im Einzelfall, sondern generell eine Sonderanknüpfung schon de lege lata zugunsten der lex originis für Kulturgüter als Sachtypen sui generis im Rahmen des Art. 46 EGBGB vertreten werden. Dies lässt sich mit der Erwägung begründen, dass dem Erfordernis nach Rechtssicherheit eher mit der Entwicklung einer verfeinerten Regelbildung in Bahnen fester Fallgruppen gedient wird als mit einer Kette unsystematischer Einzelfallentscheidungen: Die Herausbildung von typisierten Sachverhalten ermöglicht eine deutlichere Abgrenzung von den Grundregeln. Insbesondere durch die Ausweichklausel des Art. 46 EGBGB wird dem Richter so die Möglichkeit eröffnet, modo legislatoris eine Regel zu bilden, die auch für weitere, ähnliche Fälle anwendbar ist. Die Ausweichklausel wird somit zu einem Instrument einer institutionalisierten Rechtsfortbildung. Dementsprechend ist festzustellen, dass eine generelle Sonderanknüpfung zugunsten der lex originis für Kulturgüter als Sachtypen sui generis über Art. 46 EGBGB heute mindestens ebenso gerechtfertigt ist wie die relativ unbestrittenen Sonderanknüpfungen für sog. res in transitu, Kraftfahrzeuge, Reisegepäck, Sicherungsübereignungen im Ausland lagernder Ware, den grenzüberschreitenden Erwerb vom Nichtberechtigten, die Übereignung im Ausland befindlicher Schiffe, gesetzliche Pfandrechte des Spediteurs oder ganz allgemein für internationale Verkehrsgeschäfte.
§ 15 Ergebnis: Anknüpfung an die ,lex originis‘ über Art. 46 EGBGB de lege lata
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Erkennt man im Einklang mit den voranstehenden Ausführungen die theoretische Möglichkeit einer generellen Sonderanknüpfung zugunsten der lex originis für Kulturgüter als Sachtypen sui generis an, musste in einem weiteren Untersuchungspunkt (voranstehend unter Punkt 2.) festgestellt werden, ob im internationalen Kulturgüterverkehr überhaupt die strengen Voraussetzungen des Art. 46 EGBGB vorliegen. Voraussetzungen einer Abweichung über die Ausweichklausel sind eine „wesentlich engere Verbindung als mit dem Recht, das nach den Artikeln 43 bis 45 maßgebend wäre“ (d.h. eine besondere Sachferne des nach der lex rei sitae berufenen Rechts und eine spezielle Sachnähe der Rechtsordnung des kulturellen Ursprungsstaates) und zusätzlich muss die Sonderanknüpfung mit den Grundwertungen der Art. 43 ff. EGBGB vereinbar sein und den Anforderungen einer Abwägung zwischen Verkehrsschutz und Marktinteressen einerseits und Kulturgüter- und Eigentümerschutzbedürfnissen andererseits genügen.
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Die für eine „wesentlich engere Verbindung“ mit der Rechtsordnung des kulturellen Ursprungsstaates zunächst notwendige besondere Sachferne des nach der lex rei sitae berufenen Rechts wurde bereits mehrfach beschrieben: Die Rechtswahl nach dem Belegenheitsort weist bei der Veräußerung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter in der Mehrzahl der Fallkonstellationen keine Verbindung zu dem konkreten Kulturgütertransfer auf und ist Produkt reiner Zufälligkeit. Darüber hinaus (ver-)führt die Möglichkeit des forum shopping leicht zu einer gezielten Herbeiführung einer bspw. für einen Dieb oder Hehler günstigen Anknüpfungssituation mala fides. Da die Rechtswahl nach der lex rei sitae meist auch keinerlei intrinsische Verbindung zum kulturellen Veräußerungsgeschäft, zum Kulturgut selbst, zu den Parteien oder anderen Umständen der einzelnen Sachverhaltskonstellationen aufweist, ist die lex rei sitae als „extrem sachferne Rechtsordnung“ im internationalen Kulturgüterverkehr zu bezeichnen.
897
In den entsprechenden inhaltlichen Ausführungen zur Rechtswahl nach der lex originis konnte dagegen nachgewiesen werden, dass in der kulturellen ‚Heimat‘ und im Ursprungsort eine dauerhaft engste Beziehung eines Kunst- und Kulturguts zu ‚seiner‘ Heimatrechtsordnung gesehen werden kann und die Rechtswahl nach der lex originis eine wesentlich engere rechtliche Beziehung zu dem Kulturgut wiedergibt als die lex rei sitae. Die spezielle Sachnähe mit der Rechtsordnung des kulturellen Ursprungsstaates wird im Rahmen einer Abwägungsentscheidung getroffen, in die alle rechtlichen und kulturellen Verbindungen eines Kunst- und Kulturguts zu ‚seiner‘ Heimatrechtsordnung nach der richtigen Gewichtung der einzelnen Anknüpfungspunkte miteinbezogen werden.
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Da unsere Vorschrift keine Kriterien nennt, die den Begriff der „wesentlich engeren Verbindung“ näher präzisieren könnten, und die Begründung des Gesetzgebers bei Erlass der Vorschrift nur „die Entwicklung von Sonderanknüpfungen“ und „die Abweichung von einer Kollisionsnorm im Einzelfall“ als deren Ziele nennt, kann der deutsche Jurist in Anlehnung an die Vorgaben des most signifi-
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
cant contacts-Tests innerhalb des amerikanischen Internationalen Kulturgüterprivatrechts aus der Rechtsvergleichung lernen: Zwar wird auch innerhalb des amerikanischen Rechtswahlprozesses zunächst dem situs-Grundsatz entsprechend vermutet, dass das Recht des Staats der örtlichen Belegenheit zum rechtserheblichen Zeitpunkt die engste Verbindung sowohl zu den betroffenen Parteien, den umstrittenen Gegenständen als auch dem Transfer selbst aufweise. Diese Vermutung wird jedoch aufgelockert und gilt als widerlegt, wenn die Umstände des Einzelfalles auf eine engere Beziehung zu einem anderen Recht als dem am Belegenheitsort hinweisen. 900
Diese amerikanischen Wertungen können im Ansatz auch auf den Rechtswahlprozess des Art. 46 EGBGB im Internationalen Kulturgüterprivatrecht übertragen werden. In einem ersten Schritt ist davon auszugehen, dass der Grundsatz der Belegenheit als Vermutung der engsten Beziehung zwischen Kulturgut und anwendbarer Rechtsordnung gilt. Die lex rei sitae bleibt damit auch innerhalb der Ausweichklausel erstes Indiz und Hinweiszeichen auf die engste Beziehung eines Kulturguts zu der anwendbaren Rechtsordnung. In einem zweiten Schritt ist dann eine Kontrolle dieser vermuteten Sachnähe durch eine wertende Abwägungsentscheidung aller möglichen Beziehungen eines Kulturguts zu einer Rechtsordnung vorzunehmen. Hierzu zählen – (erstens) die rechtliche Verbundenheit eines Kulturguts zu ‚seiner‘ Heimatrechtsordnung2346, – (zweitens) die kulturelle Verbundenheit eines Kulturguts zu ‚seiner‘ Heimatrechtsordnung2347, – (drittens) die Verbindung an den Ort der unrechtmäßigen Entziehungshandlung, d.h. sog. lex furti 2348 und schließlich – (viertens) auch der Gedanke einer fiktiven Immobilität beweglicher Kulturgüter im Hinblick auf ein kulturelles Gesamtensemble2349.
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In einer gewichtenden Abwägungsentscheidung („grouping and weighing of contacts“) ist dann durch das zur Streitentscheidung berufene Gericht jeweils festzustellen, welche Kriterien in dem konkreten Fall berücksichtigungsfähig sind und welchen Verbindungslinien aufgrund einer besonderen Bedeutung ein Vorrang eingeräumt werden muss. Wenn man anerkennt, dass im internationalen Kunsthandel und grenzüberschreitenden Transfer kultureller Wertgegenstände aufgrund der gravierenden Bedenken gegen die Rechtswahl nach dem Belegenheitsort eine Abkehr von der lex rei sitae unausweichlich ist2350, überzeugt die Überlegung, zumindest dahingehend Rechtssicherheit zu schaffen, dass Kultur-
2346 2347 2348 2349 2350
Vgl. ausführlich hierzu unter 3, 654 ff. Vgl. ausführlich hierzu unter 3, 670 ff. Vgl. ausführlich hierzu unter 3, 548 ff. Vgl. ausführlich hierzu unter 3, 575 ff. Vgl. ausführlich zu der Kritik an der lex rei sitae, 3, 392 ff.
§ 15 Ergebnis: Anknüpfung an die ,lex originis‘ über Art. 46 EGBGB de lege lata
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güter als Sachtypen sui generis generell der sachnächsten Rechtsordnung unterstehen, die sich nach dem heutigen Entwicklungsstand doch präzise aus der rechtlichen und kulturellen Verbundenheit der Objekte zu ihrer Heimatrechtsordnung ergibt. Die Ausführungen zur inhaltlichen Ausgestaltung der lex originisRegel (auf die voranstehend verwiesen wird) haben in diesem Sinne gezeigt, dass die Anknüpfung kultureller Güter nach der lex originis nach klaren, eindeutigen und rechtlich rezipierbaren Strukturen erfolgen kann und sich die Rechtswahl bei der dinglichen Sachzuordnung (unrechtmäßig entzogener) Kulturgüter aus den kritischen Fallgruppen herausgehoben hat, sodass die Restzweifel hinsichtlich einer etwaigen Rechtsunsicherheit weniger stark ins Gewicht fallen als eine mögliche zufällige oder manipulativ herbeigeführte Anwendungsbestimmung einer Rechtsordnung mit nur flüchtigen oder keinen Berührungspunkten zur Sachverhaltskonstellation außer der Belegenheit innerhalb der Rechtswahl nach der lex rei sitae-Regel. Schließlich führte auch die Abwägung zwischen Verkehrsschutz und Marktinteressen einerseits und Kulturgüter- und Eigentümerschutzbedürfnissen andererseits zu der Erkenntnis, dass die Anwendung der lex originis im deutschen Internationalen Kulturgüterprivatrecht auch nicht mit den Grundwertungen der Art. 43 ff. EGBGB bricht. Letzte Voraussetzung für eine Anwendung der Ausweichklausel ist nämlich, dass eine Anknüpfung nach Art. 46 nicht zu ungerechtfertigten Beeinträchtigungen zwingender Bedürfnisse des Kunsthandels, der Rechtssicherheit, des Verkehrsschutzes und der Freiheit des Kulturgüterverkehrs im internationalen Kunstmarkt führen darf.
902
Kritiker einer lex originis-Rechtswahl befürchten jedoch, dass mit der Ausweichklausel eine ungebührliche Missachtung zwingender Bedürfnisse des Kunsthandels, der Rechtssicherheit und Verkehrsfähigkeit kultureller Güter einhergehe und insbesondere der Verkehrsschutz im Belegenheitsort des betreffenden Kulturgutes gegenüber dem Schutz des Eigentümers in unverhältnismäßiger Weise benachteiligt werde. Die bislang herrschende Literaturansicht ist dementsprechend der Meinung, dass bei Anwendung der Ausweichklausel im Internationalen Kulturgüterprivatrecht die genannten Grenzen der Belastung des grenzüberschreitenden Kulturgüterverkehrs überschritten und mit einer alternativen Anknüpfungsregel als Ersatz der lex rei sitae Verkehrsschutz und Rechtssicherheit im Belegenheitsstaat des betreffenden Kulturgutes gegenüber dem Schutz des Eigentümers in unverhältnismäßiger Weise benachteiligt würden. Außerdem wird kritisch zu bedenken gegeben, dass ein möglicher Erwerber nicht zwingend die Heimatrechtsordnung eines Kulturguts ad hoc bestimmen können wird, sodass die lex originis in diesen Fällen für die betroffenen Personen aus Verkehrsschutzgesichtspunkten noch zufälliger als die althergebrachte lex rei sitae sei. In der sog. Pistolenfall-Entscheidung des LG Hamburg vom 20.6.1996 erachtete das Gericht aus den voranstehenden Gründen sowohl die von Mansel erwogene Anknüpfung an den Ort des Diebstahls (die sog. lex loci delicti commissi) ebenso
903
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
wie die Rechtswahl nach dem Herkunftsort (der sog. lex originis) als zu unbestimmt. 904
Richtigerweise wird man jedoch davon ausgehen müssen, dass die infolge der Rechtswahl nach der engsten Verbindung zur kulturellen Heimatrechtsordnung (der lex originis) erfolgenden Beeinträchtigungen der Verkehrsfähigkeit kultureller Güter aufgrund der Besonderheiten des grenzüberschreitenden Kulturgüterverkehrs, der gesteigerten Gefahranfälligkeit des Kunsthandels und dessen Tendenz zu illegalen Veräußerungsgeschäften sowie der besonderen Sachqualität der kulturellen Wertgegenstände und der daraus folgenden Unikatfunktion von Kunstund Kulturgütern als res sui generis Rechtfertigung finden, sodass Abweichungen von der lex rei sitae über die Ausweichklausel mit den Grundwertungen des internationalen Sachenrechts vereinbar sind. Da der Verkehrsschutz (als Geltungsgrund der Rechtswahl nach dem Belegenheitsrecht) gleichzeitig bei Kulturgütern weitaus geringeres Gewicht besitzt als bei Verbrauchs-, Konsum- oder Investitionsgütern, sind „die Interessen von Verkehrskreisen, die mit Kunstgegenständen mit Potenzial zum nationalen Kulturgut handeln, nicht in solch zwingendem Maße schutzwürdig, zumal die Beteiligten regelmäßig in der Lage sein dürften, die Herkunft eines Kulturgutes zu erkennen.“2351 Schließlich sind für den (inter-) nationalen Kunsthandel keine spürbaren Beeinträchtigungen bei einer Rechtswahl nach der lex originis zu befürchten und die tatsächliche Belastung des Kunsthandels aufgrund einer Anknüpfung an die Heimatrechtsordnung ist nur marginal, da sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene zahlreiche Rechtsordnungen und Regelwerke eine Beeinträchtigung der Verkehrsinteressen ohnehin hinnehmen und bspw. einen Gutglaubenserwerb unrechtmäßig entzogener Kulturgüter ablehnen.
905
An erster Stelle konnte in den voranstehenden Untersuchungen auf die besondere, gegenüber sonstigen Konsumgütern deutlich gesteigerte Gefahranfälligkeit kultureller Wertgegenstände verwiesen werden, als Objekte des kulturellen Schwarzmarktes gehandelt zu werden. Der Kunsthandel stellt schon traditionell einen besonders gefahranfälligen Geschäftsbereich dar, der sich vom sonstigen Rechtsverkehr mit gewöhnlichen Konsumgütern fühlbar unterscheidet. Kunstgegenstände werden aufgrund ihres großen Wertes häufiger als Hehlerware auf dem Schwarzmarkt vertrieben als andere Verbrauchs- und Investitionsgüter. Es ist deshalb unumgänglich, die Bedürfnisse des Kunsthandels, der Rechtssicherheit und Verkehrsfähigkeit kultureller Güter zu einem Mindestmaß auch innerhalb der international-privatrechtlichen Rechtswahl einzuschränken. Überdies ist das Vertrauen des Rechtsverkehrs in die Maßgeblichkeit der lex rei sitae bei illegal
2351
Kienle/Weller, Die Vindikation gestohlener Kulturgüter im IPR, IPRax 2004, S. 290–294, S. 292.
§ 15 Ergebnis: Anknüpfung an die ,lex originis‘ über Art. 46 EGBGB de lege lata
1009
exportierten Kulturgütern oft weniger schutzwürdig, da bei erkennbar wertvollen Kunst- und Kulturgütern ausländischer Herkunft die Nähe zum Recht des Lageorts weniger stark ausgeprägt ist. Schließlich rechtfertigt die besondere, gegenüber sonstigen Konsumgütern deutlich unterscheidbare Unikatfunktion kultureller Wertgegenstände eine Abweichung von der lex rei sitae und die Vereinbarkeit der Rechtswahl im internationalen Kunsthandel über die Ausweichklausel des Art. 46 EGBGB. Kunst- und Kulturgüter sind keine „normalen“ Handelsgüter, sondern Objekte besonderer Art. Die deutschen Kollisionsrechtsregeln lassen bislang jedoch die (notwendige) Fürsorge für bedeutsame Kunst- und Kulturgüter missen, indem sie kulturelle Wertgegenstände mit Unikatfunktion ebenso behandeln wie sonstige Gebrauchswaren, die ohne Beschränkung reproduziert werden können, nach Quantität und Masse ‚umgeschlagen‘ werden und keine identitätsstiftende Bedeutung für den Heimatstaat besitzen. Dies ist umso gravierender, weil durchaus rechtliche Gründe für eine Ungleichbehandlung kultureller Wertgegenstände und sonstiger beweglicher Gegenstände auch im internationalen Privatrecht und der Bestimmung der ‚richtigen‘ Rechtsordnung zur Sachzuweisung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter bestehen. Kulturgüter sind nämlich aufgrund ihrer kulturellen Unikatfunktion und ihrer besonderen kulturpolitischen Bedeutung für die Gesellschaft im Rechtsverkehr als res sui generis zu qualifizieren und verlangen deshalb auch innerhalb des Internationalen Kulturgüterprivatrechts eine Revision des bisher geltenden Rechtsempfindens.
906
Auf diese Weise verbinden sich die Interessen des Kulturgüterschutzes mit den Interessen der (ursprünglichen) Eigentümer kultureller Wertgegenstände und führen gemeinsam zu einer Einschränkung der Verkehrsinteressen, ohne dass das Gefüge der Art. 43 ff. EGBGB hierdurch ins Ungleichgewicht verlagert würde. Die Anknüpfung an die Heimat eines Kulturguts und die dementsprechende Rechtswahl nach der lex originis bieten somit auch innerhalb des deutschen Internationalen Kulturgüterprivatrechts eine faire Risikoverteilung der Gefahren des illegalen Kunstmarktes im Speziellen und dienen zugleich der Eindämmung des kulturellen Schwarzmarktes in nicht unerheblichem Ausmaße im Allgemeinen. Da ein Gesamtverweis die Gefahr in sich birgt, dass der Herkunftsstaat des Kunstwerks eine Anknüpfung nach der sachnäheren Rechtsordnung nicht kennt und daher zurückverweist, und dies vehement dem Sinn einer individualisierten Sachstatutbestimmung widerspricht, sollte bei Art. 46 EGBGB von einer Sachnormverweisung auf die Rechtsordnung des kulturellen Ursprungsstaates ausgegangen werden.
907
Nach den voranstehenden Ausführungen steht somit fest, dass Art. 46 EGBGB die Anerkennung der res sui generis-Stellung kultureller Güter, eine Rezeption des lex originis-Grundsatzes und damit zugleich eine Öffnung des Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts für neue internationale Tendenzen
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
theoretisch auch innerhalb des deutschen Kollisionsrechts erlaubt – schon innerhalb der Bahnen des geltenden Kollisionsrecht, ohne dass hierfür ein Eingreifen des Gesetzgebers notwendig wäre! Die Betonung des voranstehenden Erkenntnissatzes hat jedoch bislang (leider) auf dem Wort „theoretisch“ zu liegen. Gleichwohl des besonderen Nutzens im internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht ist nämlich stets zu beachten, dass bislang noch kein deutsches Forum ein vergleichbares Urteil ausgesprochen hat. Erst jüngst lehnte der 10. Zivilsenat des Kammergerichts Berlin in der sog. MeretitisEntscheidung vom 16. Oktober 20062352 eine Sonderanknüpfung für illegal transferierte ägyptische Altertumsfunde in der konkreten Sachverhaltskonstellation ab. Zwar wurde aus dem Aufbau der Entscheidungsgründe ersichtlich, dass das Kammergericht eine mögliche Instrumentalisierung des Art. 46 EGBGB nicht generell ablehnte, sondern nur in der konkreten Situation nicht angewandt sehen wollte. Dennoch ist im deutschen Rechtsraum bislang noch keine Gerichtsentscheidung ergangen, die im Rechtswahlprozess die lex originis instrumentalisierte. 909
Aus diesem Grunde dürfen die Untersuchungen zum Internationalen Kulturgüterprivatrecht an dieser Stelle noch nicht stoppen (obwohl die bestmögliche Rechtswahl aus Sicht des internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts in der lex originis gesehen werden sollte), sondern haben weitere Alternativen im Rechtswahlverfahren zu prüfen und nach unkonventionellen Ideen zu suchen, die zwar hinter dem Ergebnis der lex originis zurückbleiben, aber möglicherweise dann in Kunstrestitutionsverfahren zur Anwendung gelangen können, wenn ein nationales Zivilforum heute noch nicht bereit ist, die ‚Heimat‘ und ‚Nationalität‘ eines Kunst- und Kulturguts tatsächlich im Rechtswahlprozess zu rezipieren und dieser speziellen Gattung beweglicher Gegenstände eine res sui generis-Stellung im internationalen Privatrecht zuzusprechen. Die bedeutendste Alternative zur Rechtswahl nach der lex originis stellt dabei die Möglichkeit der extraterritorialen Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze dar, die im nachstehenden Punkt C. ausführliche Erläuterung finden soll.
C. Extraterritoriale ‚Anwendung‘ ausländischer Kulturgüterund Denkmalschutzgesetze als Eingriffsnormen Schrifttum: Antoniou, Völkerrechtlicher und verfassungsrechtlicher Kulturgüterschutz – insbesondere die Frage der Rückkehr des Parthenon-Fries, in: Gornig/Schiller/Wesemann, Griechenland in Europa, Band 1, 2000, S. 97–117, S. 108; Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff., S. 3584; Asam, Rechtsfragen des illegalen Handels mit Kulturgütern – Ein Überblick, in: Mansel/Pfeiffer/Kronke/
2352
Ausführlich hierzu 3, 827.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts Kohler/Hausmann, Festschrift für Erik Jayme, 2004, S. 1651–1668, S. 1664; Audit, Le statut des biens culturels en droit international privé francais, Revue internationale de droit comparé (R.I.D.C.), quarante-sixième année, n°2 (1994), S. 405–422, S. 420–421; Berndt, Internationaler Kulturgüterschutz: Abwanderungsschutz, Regelungen im innerstaatlichen Recht, im Europaund Völkerrecht, 1998, S. 123 ff., S. 126; Biondi, The Merchant, the Thief and the Citizen: The Circulation of Works of Art within the European Union, Art, Antiquity and Law 4 (1999), S. 205–218, S. 215; Bleckmann, Sittenwidrigkeit wegen Verstoßes gegen den ordre public international – Anmerkung zum Urteil des BGH vom 22. Juni 1972, Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (ZaöRV) 34 (1974), S. 112–132, S. 114–120 und124–132; Busse, Die Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen durch die deutsche Rechtsprechung, ZVglRWiss 95 (1996), S. 386–418, S. 394 ff.; Byrne-Sutton, le trafic international des biens vulturels sous l’angle de leur revendication par l’Etat d’origine – Aspects de droit international privé, 1988, S. 152 ff., S. 158 ff., S. 162 ff.; Cannada-Bartoli, Sul trasferimento di beni fuori commercio nel diritto internazionale privato, in Rivista di diritto internazionale 72 (1989), S. 618 ff., S. 622 f.; Carducci, The Growing Complexity of International Art Law: Conflict of Laws, Uniform Law, Mandatory Rules, UNSC Resolutions and EU Regulations, in: Hoffman, Art and Cultural Heritage – Law, Policy and Practice, 2006, S. 68 ff., S. 82–84; Carducci, La restitution internationale des biens culturels et des objets d’art, 1997, S. 184 ff., 315 ff., 335 ff.; Droz, La protection internationale des biens culturels et des objets d’art, vue sous l’angle d’une convention de droit international privé, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 535–544, S. 536–537; Ehrenzweig, Conflicts in a Nutshell, 3. Aufl. 1974, S. 11 f., 95 ff.; Ehrenzweig, Local and Moral Data in the Conflict of Laws, 16 Buffalo Law Review (1966), S. 55–60; Ehrenzweig, Private International Law – A Comparative Treatise on American International Conflicts Law, Including the Law of Admiralty, 1967, S. 77–82, 83–85; Fechner, Prinzipien des Kulturgüterschutzes – Eine Einführung, in: Fechner/Oppermann/Prott, Prinzipien des Kulturgüterschutzes – Ansätze im deutschen, europäischen und internationalen Recht, 1996, S. 11–45, S. 45; Fikentscher/Waible, Ersatz im Ausland gezahlter Bestechungsgelder – Zur Klage auf Provision aus einem Vertrag über die Vermittlung eines ausländischen Regierungsauftrags, der durch die Bestechung von Staatsbediensteten erlangt werden sollte, IPRax 1987, S. 86–90, S. 86; Fitzpatrick, Cultural Property and Art Theft – The Misguided Quest: The Clear Case against UNIDROIT, Journal of Financial Crime (the official journal of the Cambridge International Symposium on Economic Crime) 4 (1996), S. 54–58, S. 55–56; Frank, Öffentlichrechtliche Ansprüche Fremder Staaten vor inländischen Gerichten, RabelsZ 34 (1970), S. 56–75, S. 64; Fraoua, Le trafic illicite des biens culturels et leur restitution, 1985, S. 124 f.; Fuchs, Kulturgüterschutz im Kulturgutsicherungsgesetz, IPRax 2000, S. 281–286, S. 283; Gonzalez-Campos/Virgos-Soriano, Le commerce international de l’art en droit espagnol, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 333–355, S. 348–350, 352–353; Grammaticaki-Alexiou, The Status of Cultural Property in Greek Private International Law, Revue Hellénique de Droit International 47ème Année (1994), S. 139–160, S. 150; f., S. 177, S. 170; Habscheid, Territoriale Grenzen staatlicher Rechtsetzung, BerGesVR 11 (1973), S. 47 ff., S. 69 ff.; Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCOKulturgutübereinkommens 1970; Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 199–209, S. 212–213; Heini, Ausländische Staatsinteressen und internationales Privatrecht, ZSR 100 I (1981), S. 65 ff., S. 70 ff., 76; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 191–193, S. 196–197; von Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 37–38, S. 468–473; Jaeger, Internationaler Kulturgüterschutz – Rechtslage, Rechtspraxis, Rechtsfortentwicklung, 1994, S. 90, S. 97 ff., S. 101 ff.; Jayme, Ausländische Rechtsregeln und Tatbestand inländischer Sachnormen – Betrachtungen zu Ehrenzweigs Datum-Theorie, in: Jayme/Kegel, Gedächtnisschrift für Albert A. Ehrenzweig, 1976, S. 35–49, S. 42–43; Jayme, Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im Internationalen Privatrecht, in: Dominicé/Patry/Rey-
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht waffneten Konflikt, 1992, S. 518 ff., insb. S. 525–559; Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 365–414; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 104–106, 132 f., 147–168, 205–208, 221–223; Weller, Iran v. Barakat: Some Observations on the Application of Foreign Public Law by Domestic Courts from a Comparative Perspective, Art, Antiquity and Law, Vol. XII, Issue 3 (2007), S. 279–295; Wengler, Die Anknüpfung des zwingenden Schuldrechts im internationalen Privatrecht, ZvglRWiss 54 (1941), S. 168–212; Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 8–9, 11, S. 175–204; Wyss, Kultur als eine Dimension der Völkerrechtsordnung – Vom Kulturgüterschutz zur internationalen kulturellen Kooperation, 1992, S. 208; Ziegler, Russische Kapitalverkehrs- und Kulturgüterschutzbestimmungen im deutschen Internationalen Privatrecht, 2006, S. 35 ff., S. 161 ff.; Zimmer, Ausländisches Wirtschaftsrecht vor deutschen Zivilgerichten – Zur Unterscheidung zwischen einer normativen Berücksichtigung fremder zwingender Normen und einer bloßen Beachtung ihrer tatsächlichen Folgen, IPRax, 1993, S. 65–69; Zweigert, Nichterfüllung aufgrund ausländischer Leistungsverbote, RabelsZ 14 (1942), S. 283–307.
910
Alternative Anknüpfungsmaximen – wie bspw. die lex originis – werden häufig dahingehend kritisiert, dass eine abweichende Rechtswahl von der lex rei sitae nicht nur die entscheidenden Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften etwa eines kulturellen Ursprungsstaates zur Streitentscheidung beruft, sondern zum Nachteil der Rechtssicherheit und des Vertrauens der Beteiligten des Kulturgüterverkehrs das gesamte Rechtsverhältnis unter die Geltung unerwarteter Zivilrechtsvorschriften stellt. Wird bspw. ein national wertvolles Kulturgut Deutschlands in Großbritannien veräußert, könnte es somit genügen, dass Deutschlands Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze auch vor englischen Foren Anwendung finden, es muss aber nicht zwangsläufig das deutsche Traditionsprinzip bei der Veräußerung in Großbritannien zur Anwendung gelangen – so aber nach der lex originis, die den gesamten sachenrechtsrelevanten Vorgang unter Geltung der Rechtsordnung des kulturellen Ursprungsortes stellt. Aus diesem Grund könnte an die Integration allein ausländischer kulturgüterrechtlicher Regeln in das Sachenrechtsstatut gedacht werden, wohingegen das Rechtsverhältnis im Übrigen weiterhin der Rechtswahl nach der lex rei sitae untersteht. Dieses Ergebnis könnte über die sog. extraterritoriale Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze als Eingriffsnormen erreicht werden und wird selbst von denjenigen – wie bspw. Wendehorst – in Erwägung gezogen, die sich entschieden gegen eine alternative Rechtswahl im Kulturgüter- und Kunstrestitutionsrecht aus Verkehrsschutzgesichtspunkten aussprechen:
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„Zur Vermeidung untragbarer Ergebnisse bieten einstweilen die Sonderanknüpfung von Eingriffsnormen, die Anerkennung einer im Herkunftsstaat erlangten sachenrechtlichen Prägung und der Vorbehalt des ordre public (Art. 6) ein hinreichendes Instrumentarium.“2353 Die Anwendbarkeit einer Eingriffsnorm bedeutet 2353
Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 192.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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im Internationalen Kulturgüterprivatrecht somit, dass nationale Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften, gleichgültig ob es sich um inländische oder ausländische Normen (des kulturellen Ursprungsstaates) handelt, im inländischen Forumstaat bei Vorliegen des Tatbestandes unmittelbar die vorgesehenen Rechtsfolgen entfalten.2354 Zum einen unterscheidet sich eine extraterritoriale Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften deutlich von der bloßen Anerkenntnis und Durchsetzung einer im kulturellen Ursprungsstaat erlangten sachenrechtlichen Prägung eines Kulturguts:2355
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Schon de lege lata wird eine Eigentumsposition des kulturellen Ursprungsstaates, die dieser innerhalb seines Territoriums bspw. durch sog. umbrella statutes 2356 oder sog. automatic forfeiture clauses (bzw. auch sog. rhetorical ownership statutes)2357 erlangte, auch im Ausland anerkannt und der kulturelle Ursprungsstaat kann bspw. durch den Export ohne rechtmäßige Ausfuhrgenehmigung eine Verletzung seiner Eigentumsposition auch vor ausländischen Zivilforen durchsetzen. Eine sachenrechtliche Prägung erfolgt bspw. auch bei der Bestimmung der Extrakommerzialität oder Unveräußerlichkeit kultureller Güter in Staatseigentum. Die Grenzen einer bloßen Anerkenntnis und Durchsetzung einer im kulturellen Ursprungsstaat erlangten sachenrechtlichen Prägung sind aber schnell erreicht: Der kulturelle Ursprungsstaat kann nur bei einem schlichten Statutenwechsel – d.h. der sachenrechtliche Tatbestand (bspw. die Veräußerung eines
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Vgl. auch das allgemeine Verständnis bei Sonnenberger in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR, Rdnr. 65. Vgl. ausführlich hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 1: Illegaler Kulturgüterverkehr, 3. Teil. Mittels sog. umbrella statutes erfolgt eine generelle Zuweisung des Eigentums einer bestimmten Klasse kultureller Güter (bspw. archäologischer Objekte) an den kulturellen Ursprungsstaat, unabhängig davon, ob diese bereits entdeckt oder ausgegraben worden sind. Nach einer Raubgrabung und anschließender Ausfuhr in einen kulturellen Zielstaat liegt somit nicht nur ein Rechtswidrigkeitsverdikt aufgrund des unrechtmäßigen Exports, sondern auch aufgrund des kulturellen Diebstahls vor, und der kulturelle Ursprungsstaat kann seine Eigentumsposition im Importstaat ebenso geltend machen wie jeder andere Eigentümer. Zivilrechtliche Sanktionen sind de lege lata auch dann möglich, wenn in dem Moment des Verstoßes gegen das öffentlich-rechtliche Regulationsprogramm eine automatische Legaldesignation der betroffenen Kulturgüter zu Staatseigentum des kulturellen Ursprungsstaates vorliegt. Mittels sog. automatic forfeiture clauses bzw. rhetorical ownership statutes ergibt sich eine Eigentumszuweisung kulturell bedeutsamer Güter an den kulturellen Ursprungsstaat in dem Moment und der Situation der illegalen Ausfuhr, d.h., noch bevor die öffentlich-rechtlich geschützten Gegenstände das Territorium und die Staatsgewalt des kulturellen Ursprungsstaates verlassen haben. Auch hier kann außerhalb des kulturellen Ursprungsstaates eine zivilrechtliche Anerkennung und Druchsetzung der öffentlich-rechtlichen Designation kultureller Güter zu Staatseigentum des kulturellen Ursprungsstaates erfolgen.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Kulturguts) war nach den Voraussetzungen des alten Statuts (d.h. des kulturellen Ursprungsstaates) vollendet und nach einer Ausfuhr des Kulturguts aus dem kulturellen Ursprungsstaat erfolgte keine sachenrechtserhebliche Einwirkung auf das Eigentumsrecht – seine Eigentumsposition gegenüber dem Besitzer und die Extrakommerzialität bzw. Unveräußerlichkeit geltend machen. Bei der im internationalen Kunsthandel jedoch häufig anzutreffenden Konstellation der Veräußerung sachenrechtlich geprägter Kulturgüter außerhalb des kulturellen Ursprungsstaates unter Geltung einer neuen lex rei sitae (sog. Konstellation eines qualifizierten Statutenwechsels) können die Objekte jedoch eine neue Prägung erlangen, sodass ein gutgläubiger Erwerb der im Staatseigentum stehenden Kulturgüter möglich ist, auch wenn diese im kulturellen Ursprungsstaat als res extra commercium qualifiziert werden. 914
Die extraterritoriale Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften geht jedoch über diese bloße Anerkenntnis und Durchsetzung nationaler Protektionsmechanismen deutlich hinaus: In ausländischen Zivilforen wird nicht nur die sachenrechtliche Prägung des kulturellen Ursprungsstaates anerkannt und durchgesetzt, sondern sämtliche „privatrechtlichen Sanktionen“ ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften (als „öffentlichrechtliche Verbotsnormen“2358) werden entgegen dem Territorialitätsprinzip unmittelbar angewandt.
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Die nationalen Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften können, insoweit ihre Auswirkungen in das Zivilrecht reichen (wie etwa die Eigentumsposition an Kulturgütern oder die Extrakommerzialität solcher Objekte) und sie als „Privatrecht mit öffentlich-rechtlichem Hintergrund“2359 oder als „öffentliches Recht mit privatrechtlicher Wirkung“2360 qualifiziert werden, direkt als Eingriffsnormen auch vor ausländischen Foren angewandt werden: Das hat möglicherweise zur Folge, dass bspw. Ausfuhrverbote national wertvoller Kulturgüter auch außerhalb des kulturellen Ursprungsstaates als Verbotsgesetze qualifiziert werden können und eine Veräußerung und Eigentumsübertragung zunichte machen oder dass die Bestimmung der Extrakommerzialität des Kulturpatrimoniums eines Ursprungsstaates auch bei einem qualifizierten Statutenwechsel Bestand hat und Kulturgüter auch bei einer Veräußerung außerhalb des kulturellen Ursprungsstaates unveräußer- bzw. unersitzbar bleiben und die Herausgabeansprüche des Herkunftslandes nicht verjähren bzw. verwirken (obwohl sich die Objekte außerhalb des Territoriums des kulturellen Ursprungsstaates und dementsprechend außerhalb dessen Machtbereichs befinden).
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Vgl. zu dieser Terminologie Neumayer, RabelsZ 25 (1960) S. 651. So die Terminologie bei Wengler, Die Anknüpfung des zwingenden Schuldrechts im Internationalen Privatrecht, ZVglRWiss. 54 (1941) S. 168 ff., S. 187. So Stoll, RabelsZ 24 (1959), S. 635.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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Zum anderen unterscheidet sich die extraterritoriale Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze als Eingriffsnormen aber auch deutlich von der Instrumentalisierung eines ordre public-Vorbehalts. Wie dort bereits festgestellt, erlaubt die Berufung auf die Grundsätze des ordre public, der öffentlichen Ordnung und der public policy nur in konkreten Einzelfällen eine Abkehr von der anwendbaren Rechtsordnung, wenn die materiell-rechtliche Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter ausnahmsweise in einem fundamentalen Widerspruch zu den Grundgedanken der Rechtsordnung des Forumstaates und den in ihnen liegenden Gerechtigkeitsvorstellungen bzw. internationalen Standards steht.2361 Das Rechtsinstitut des ordre public löst damit nur den noch „unerkannten“ und „unfertigen Teil des internationalen Privatrechts“2362, dessen Ersetzung in der Zukunft durch den Gesetzgeber und das Schrifttum mit generell anwendbaren Rechtswahlprozessen erfolgen muss. Im internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht genügt es aber heute schon nicht mehr, dass ausnahmsweise fundamental gerechtigkeitswiderstrebende Rechtswahlprozesse im Einzelfall kuriert werden, sondern es besteht für das Internationale Kulturgüterprivatrecht ein Bedürfnis nach einer generellen ‚Beachtung‘ von Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften der Ursprungsstaaten. „Eine allzu häufige Berufung auf Ausnahme- und Sonderregeln legt es nämlich nahe, die Grundanknüpfung zu korrigieren.“2363 Diese generelle Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts kann nicht nur in einer alternativen Anknüpfungsregel – wie etwa der lex originis 2364 – sondern auch in der extraterritorialen Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze als Eingriffsnormen gesehen werden.
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Die Rechtsregeln des internationalen Privatrechts haben traditionell jedoch nur die Aufgabe, Rechtsbeziehungen von Privatpersonen durch in der Regel allseitige Kollisionsnormen dem in- oder ausländischen Recht zuzuordnen, von dem angenommen wird, dass sie zu ihm eine hinreichend relevante Nähebeziehung in Form eines gewissen Schwerpunktes besitzen.2365 Dieses Recht wird rechtspolitisch2366 als das geeignetste angesehen, die Interessen der Beteiligten zum Aus-
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Vgl. ausführlich hierzu 3, 459 ff. Vgl. Kahn, Die Lehre vom ordre public (Prohibitivgesetze), in: Abhandlungen zum internationalen Privatrecht, Band 1(1928), S. 161 ff., S. 251. So Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 240. Vgl. ausführlich hierzu 3, 606 ff. Vgl. Sonnenberger in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR, Rdnr. 35–38. Vgl. auch Hartwieg, RabelsZ 42 (1978), S. 436 ff.; Rehbinder, Zur Politisierung des Internationalen Privatrechts, JZ 1973, S. 151–158, S. 153.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
gleich zu bringen.2367 Anders als im Rechtswahlprozess bei internationalen Streitigkeiten zwischen Privatpersonen im allgemeinen Wirtschaftskollisionsrecht geht es bei der Rechtsanwendungsbestimmung im Internationalen Kulturgüterprivatrecht jedoch zusätzlich um die Belange ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze. Dieses sog. „Privatrecht mit öffentlich-rechtlichem Hintergrund“2368 oder auch sog. „öffentliche Recht mit privatrechtlicher Wirkung“2369 erklärt Kulturgüter zu Zwecken der Bewahrung und Erhaltung für zukünftige Generationen zum Bestandteil des nationalen Kulturpatrimoniums und verbietet so etwa die Ausfuhr oder Veräußerung, bspw. von Kulturgütern als res extra commercium. Somit geht es bei den Rechtsbeziehungen Privater im Bereich des internationalen Kulturgüterverkehrs nicht mehr nur um den Ausgleich privater Interessen, sondern es treffen „die Beziehungen Privater vielfältig auf Interessen der staatlich verfassten Gemeinschaft an einem bestimmten politischen Ordnungsgefüge …, auf deren Gewährleistung ein Staat auch dann nicht verzichten kann, wenn sein IPR an sich auf das Recht verweist, zu dem ein Sachverhalt eine signifikante Beziehung hat, auch wenn dieses ein fremdes ist.“2370 Hinter den Schutzmechanismen der Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze stehen somit öffentliche „überindividuelle Gemeininteressen“2371 der kulturellen Ursprungsstaaten, die in den genannten Spezialgesetzen „privatrechtliche Sanktionen“ als „öffentlichrechtliche Verbotsnormen“2372 statuieren. 918
Im internationalen Kulturgüterverkehr überwiegen bei der Gestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen Privatpersonen die öffentlichen Gemeininteressen so stark, dass die Grenzziehung zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht verschwimmt. Das internationale Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht ist hierfür ein besonders plakatives Beispiel und ein Rechtsgebiet, in dem die richtige Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter zwischen einerseits dem ursprünglichen Eigentümer gestohlener, kriegsbedingt entzogener oder verstaatlichter Kulturgüter und andererseits dem (gutgläubigen) Erwerber und Besitzer solcher Objekte als individuelle Privatinteressen eine enge Symbiose mit den öffentlichen Interessen an der Erhaltung und Bewahrung national wertvol-
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Vgl. Sonnenberger in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR, Rdnr. 35–38. So die Terminologie bei Wengler, Die Anknüpfung des zwingenden Schuldrechts im Internationalen Privatrecht, ZVglRWiss. 54 (1941) S. 168 ff., S. 187. So Stoll, RabelsZ 24 (1959), S. 635. Sonnenberger in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR, Rdnr. 35–38. Sonnenberger in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR, Rdnr. 35–38. Vgl. zu dieser Terminologie Neumayer, RabelsZ 25 (1960) S. 651.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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ler Kulturgüter für zukünftige Generationen und an dem Schutz des Funktionierens, der Seriosität und Vertrauenswürdigkeit des internationalen Kunstmarktes eingeht.2373 Deshalb verwischt die an der intern-sachrechtlichen Differenzierung orientierte Kategorienbildung zwischen der Anknüpfung öffentlichen Rechts nach der lex fori und den zivilrechtlichen Fragestellungen nach der jeweiligen Anknüpfungsnorm2374, sodass – analog zu den kulturgüterrechtsunspezifischen Überlegungen Sonnenbergers – „die besondere Blickrichtung, die im öffentlichrechtlichen Kollisionsrecht dominiert, auch für Rechtsbereiche nötig sein kann, für die internrechtliche Schemata, die den Begriffen des öffentlichen Rechts und des Privatrechts zu Grunde liegen, nicht zutreffen.“2375 Die extraterritoriale Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze als Eingriffsnormen fällt somit unter die allgemeine Thematik des wegen Gemeininteressen privatrechtliche Beziehungen gestaltenden oder auf sie einwirkenden „öffentlichen“ Eingriffsrechts.2376 Auch im kulturgüterspezifischen Schrifttum wird inzwischen darauf verwiesen, dass das internationale Privatrecht verstärkt einem gewissen Funktionswandel unterliegt, der nicht nur dem Ausgleich rein privater Interessen, sondern auch der Verwirklichung von Staatsinteressen dient, „da das Kollisionsrecht Inhalt und Zweck solcher Normen nicht einfach ignorieren dürfe.“2377 Die extraterritoriale Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze bedeutet somit ein generelles „Überwirken fremder kulturgüterrechtlicher Regelungen in das jeweilige Belegenheitsstatut“2378 und unterscheidet sich von anderen statutsinternen Reform-
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2377
2378
Vgl. auch das Beispiel aus dem Wettbewerbs- und Kapitalmarktrecht bei Sonnenberger in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR, Rdnr. 35–38. Vgl. bspw. Geimer, Auslegung des Begriffs „Zivil- und Handelssachen“ und internationaler Gerichtsstand der Erfüllung nach ZustZHÜbk, NJW 1977, S. 492–493; Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, § 3 II 4; Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, 9. Aufl. 2004, § 2 IV 2. Daher ist auch die systematische Stellung einer Norm nicht aussagekräftig, Siehr, Ausländische Eingriffsnormen im inländischen Wirtschaftskollisionsrecht, RabelsZ 52 (1988), S. 41–103, S. 74 f., S. 91. Vgl. Sonnenberger in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR, Rdnr. 35–38. Ausführlich zum Ganzen Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, § 3 II; Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, 9. Aufl. 2004, § 2 IV 2; von Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 2 Rdnr. 55. Vgl. diese Formulierung etwa bei Spaun, Der Herausgabeanspruch bei Diebstahl oder illegalem Export von Kulturgütern, 2003, S. 145–150 m.w.N. Vgl. Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 175–177.
919
1020
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
bestrebungen im Internationalen Kulturgüterprivatrecht – übrigens ebenso wie bei Anwendung der lex originis – durch die Berücksichtigung von „statutsfremden Schutzregeln des Heimatrechts des Kulturguts“ als Eingriffsnormen.2379 Deshalb gilt es auch im Internationalen Kulturgüterprivatrecht der Erwägung nachzugehen, dass die Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze auf einem von öffentlich-rechtlichen Überlegungen getragenen kollisionsrechtlichen Rechtsanwendungsbefehl beruhen muss, während für den Ausgleich der betroffenen privatrechtlichen Interessen die allgemeine internationalprivatrechtliche Regel der lex rei sitae zuständig bleibt.2380 920
Unabhängig von der hierfür notwendigen rechtsdogmatischen Konstruktion hätte dies zur Konsequenz, dass ausländische Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze dann als privatrechtswirksame Eingriffsnormen im Rahmen der lex rei sitae angewandt werden könnten.2381 Im Gegensatz zur kollisionsrechtlichen Veränderung des Anknüpfungsmomentes des gesamten sachenrechtlichen Erwerbsvorganges kultureller Wertgegenstände – wie etwa bei der lex originis – betrifft die extraterritoriale Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze nur die besonderen Schutzvorschriften, die die übrigen, nach den Grundsätzen der lex rei sitae bestimmten Sachzuordnungsregeln unrechtmäßig entzogener Kulturgüter nur insoweit überlagern, wie ihr konkreter gesetzlicher Anwendungsbefehl seitens des kulturellen Ursprungsstaates reicht.2382 Die nachstehenden Ausführungen zur extraterritorialen Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze als Eingriffsnormen lassen sich wie folgt gliedern:
2379
2380
2381
2382
Vgl. Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 175–177. Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 221–223; Kreuzer in Münchener zum Kommentar Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rdnr. 202 f., 205. Gegen eine unterschiedliche Anknüpfung für öffentlichrechtliche und privatrechtliche Normen Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/ Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff., S. 41. Überlegungen in dieser Richtung sind schon zu finden bei Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rdnr. 205. Speziell hinsichtlich der Extrakommerzialität kultureller Güter vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 221–223. Vgl. Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 271–279.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
1021
Extraterritoriale Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze als Eingriffsnormen
Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften als Eingriffsnormen
Unterschiedliche Konstellationen der extraterritorialen Anwendung von Kulturgüterund Denkmalschutzgesetzen
Unmittelbare Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze im deutschen Kollisionsrecht
Materiellrechtliche Berücksichtigung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften
Geltung kulturpolitisch zwingender Eingriffsnormen der lex causae Geltung kulturpolitisch zwingender Eingriffsnormen der lex fori Geltung kulturpolitisch zwingender Eingriffsnormen eines Drittstaates Schema 12 – Extraterritoriale Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze als Eingriffsnormen
I.
Kulturgüterschutzvorschriften als Eingriffsnormen
Eine extraterritoriale Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze kommt überhaupt nur dann in Betracht, wenn diese als sog. „Eingriffsnormen“ qualifiziert werden können.2383 Ein erstes Problem besteht somit regelmäßig in der Bestimmung derjenigen Qualifikationsmerkmale, die eine bestimmte Norm gerade zu einer „Eingriffsnorm“ nach deutscher bzw. zu einer „lois de police“, „lois application immédiate“ oder „dispositions impératifs“ nach französischer Terminologie bzw. zu „mandatory rules or provisions“ im Common Law-Rechtskreis erheben.2384
2383
2384
Grundlegend Zweigert, Nichterfüllung aufgrund ausländischer Leistungsverbote, RabelsZ 14 (1942), S. 283–307; Wengler, Die Anknüpfung des zwingenden Schuldrechts im internationalen Privatrecht, ZvglRWiss 54 (1941), S. 168–212; Radtke, Schuldstatut und Eingriffsrecht, ZVglRWiss 84 (1985), S. 325–357, S. 325 f. Vgl. zur Terminologie Jaeger, Internationaler Kulturgüterschutz – Rechtslage, Rechtspraxis, Rechtsfortentwicklung, 1994, S. 90; Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 127–139.
921
1022
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
1.
Eingriffsnormen als öffentlich-rechtliche Ordnungsvorschriften des Gemeinwohlinteresses
922
Zusammenfassend kann die überwiegende moderne Lehre dahin charakterisiert werden, dass „Eingriffsnormen“ nicht nur formal die Unverzichtbarkeit ihrer Anwendung als sog. application immédiate und international zwingend erfordern sowie allein durch ihren öffentlichen Charakter 2385 umschrieben werden, sondern zusätzlich zu diesen Merkmalen ein ordnungspolitisches Recht verkörpern müssen, das an den Bedürfnissen des Gemeinwohls ausgerichtet ist2386. Dieses Gemeinwohlinteresse bezieht sich seinerseits vor allem auf Angelegenheiten der politischen Ordnung sowie der Wirtschafts- und Sozialordnung2387 oder der Kultur- und Gesellschaftspolitik.2388
923
In diesem Sinne verlangen bspw. auch Kegel und Schurig Normen mit politischem oder öffentlich-rechtlichem Einschlag2389, sodass eine Unterscheidung vorgenommen werden muss, ob eine Vorschrift Parteiinteressen oder staats- und wirtschaftspolitischen Zwecken dient. Vergleichbar sind auch die Überlegungen Kreuzers, der zwischen der Makro- und Mikrofunktion einer Vorschrift unterscheidet und nur erstere den Eingriffsnormen zurechnet: Makrofunktionen erfüllen Normen, die der Wirtschafts- und Marktsteuerung dienen, Mikrofunktionen nützen dem Interessenausgleich beteiligter Privater.2390 Auch Rehbinder 2391 schlägt – ähnlich wie Francescakis2392 in Frankreich, dem Ursprungsland der lois de police – ausgehend von den regulativen Zwecken und Funktionen einer Norm ein ergänzendes kollisionsrechtliches System nur für „soziales, wirtschafts- und unternehmensordnendes Privatrecht“ vor und verlangt, dass es sich, von einigen 2385 2386
2387
2388
2389 2390
2391
2392
Schulze, Das öffentliche Recht im internationalen Privatrecht, 1972, S. 112 f. Vgl. Sonnenberger in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR, Rdnr. 50. Teilweise werden auch Normen einbezogen, die Privatinteressen verfolgen und zum Eingriffsrecht gerechnet werden, weil man dem Staat eine Garantenpflicht auferlegt, in der Gemein- und Privatinteresse verfließen. Der BGH, Urteil des 7. Zivilsenats vom 17.12.1959, Az.: VII ZR 198/58, BGHZ 31, S. 367–373, S. 371, verwendet eine relativ offene Formulierung, betont jedoch insbesondere den sozialen Schutznormcharakter und qualifiziert insbesondere solzialpolitische Normen als Eingriffsnormen. Vgl. Sonnenberger in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR, Rdnr. 50. Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, 9. Aufl. 2004, § 2 IV 2. Vgl. Kreuzer, Ausländisches Wirtschaftsrecht vor deutschen Gerichten – zum Einfluß fremdstaatl. Eingriffsnormen auf private Rechtsgeschäfte, 1986, S. 82. Rehbinder, Zur Politisierung des Internationalen Privatrechts, JZ 1973, S. 151–158, S. 156; Sonnenberger in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR, Rdnr. 46–49. Vgl. Francescakis, Rép. Dr. Int., Conflit de lois (1968), Nr. 136 ff.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
1023
Spezialgesetzen abgesehen, immer nur um einzelne besonders ordnungsrelevante Normen, Normenkomplexe oder Kernbereiche des Privatrechts handelt, bei denen es nicht um Privatinteressen, sondern – so Basedow – um „Gruppen- und Institutionenschutz“2393 geht. Insgesamt lässt sich somit festhalten, dass bei Rechtsvorschriften, die eine am verfolgten Interesse orientierte gesonderte kollisionsrechtliche Behandlung erfordern, eine Qualifizierung als Eingriffsrecht anhand der politischen Ordnungsfunktion einer Norm erfolgt2394, die gleichzeitig weniger Individual-, sondern vornehmlich Gemeinwohlinteressen verfolgt.
2.
Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften als Ausdruck von Gemeinwohlinteressen mit kulturpolitischer Ordnungsfunktion
Soll nicht der Willkür und dem Zufall das Tor geöffnet werden2395, muss für ein Abweichen von den allgemeinen Rechtswahlgrundsätzen nach der internationalprivatrechtlichen lex causae und für eine immediate extraterritoriale Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze die kulturpolitische Ordnungsfunktion als Ausdruck von Gemeinwohlinteressen explizit festgestellt werden.2396 Es ist somit auch für Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze positiv, entweder per Gesetz2397 festzulegen oder durch die Rechtsanwendungsorgane im Einzelfall zu prüfen, welche Funktionen eine Norm hat und ob man diese als Eingriffsnorm kennzeichnen kann.2398 Vor diesem Hintergrund fällt die Qualifizierung nationaler Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze als Eingriffsnormen recht leicht, da diese Protektionsmechanismen – obwohl sie in das Privatrecht ‚hineinragen‘, im öffentlichen kulturpolitischen Interesse auf private Rechtsverhältnisse einwirken, die persönliche Freiheit im internationalen Kulturgüterverkehr beschränken und bspw. über die Eigentumsposition oder Veräußerungsverbote 2393
2394
2395
2396
2397
2398
924
So Basedow, Wirtschaftskollisionsrecht – Theoretischer Versuch über die ordnungspolitischen Normen des ForumstaatesRabelsZ 52 (1988), S. 8–40, S. 20 und S. 27 ff. Vgl. Sonnenberger in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR, Rdnr. 46–49. So die Einschränkungsbegründung bei Sonnenberger in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR, Rdnr. 42–45. Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, 9. Aufl. 2004, § 2 IV 2 spricht zutreffend von Qualifikation einer Norm als Eingriffsnorm. Der Gesetzgeber ist in der Bestimmung von Eingriffsnormen frei, so Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, § 52 IX vor 1. Vgl. Sonnenberger in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR, Rdnr. 42–45.
925
1024
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Rechtsbeziehungen zwischen individuellen Privatpersonen betreffen – unmittelbar „ein überindividuelles Gemeininteresse gewährleisten“2399. Die unterschiedlichen, das Zivilrecht tangierenden Vorschriften der nationalen Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze stellen im weitesten Sinne auch Außenwirtschaftsregulierungen dar und dienen mit Handelsbeschränkungen, kulturellen Im- und Exportverboten2400 verknüpft mit staatlichen Rückgabeansprüchen, mit Beschränkungen der Verkehrsfreiheit wie etwa Bestimmungen der Extrakommerzialität2401 2399
2400
2401
So Magnus in Magnus, J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen – Art. 34 EGBGB, Rdnr. 110–145; Sonnenberger in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR, Rdnr. 56. Ausdrücklich in Bezug auf Exportverbote für Kulturgüter: Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 199: „Die … angeführten Verbote gehören zu den sogenannten zwingenden Normen. insbesondere zu den öffentlich-rechtlichen Eingriffsnormen, die auch und besonders darauf gerichtet sind, in privatrechtliche Verhältnisse einzugreifen. Sie gehören dem öffentlichen Recht an und verfolgen den staatlichen Zweck des Schutzes des nationalen Kulturgutes vor Verlust im Interesse des (jedenfalls national so verstandenen) Gemeinwohls.“ So auch Knoepfler, Le commerce de l’art en droit international privé suisse, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 359–387, S. 379–380; Fraoua, Le trafic illicite des biens culturels et leur restitution, 1985, S. 124. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 288–289: Anerkannterweise gehören Exportverbote zu den sog. zwingenden Normen, insbesondere zu den Eingriffsnormen, die im öffentlichen Interesse in die privatrechtlichen Verhältnisse eingreifen. A.A. wohl Byrne-Sutton, Le trafic international des biens vulturels sous l’angle de leur revendication par l’Etat d’origine – Aspects de droit international privé, 1988, S. 162–163. „Es handelt bei … Normen [die Kulturgüter zu res extra commercium erklären] um öffentlichrechtliche Bestimmungen, die erlassen worden sind, um bestimmte Kulturgüter, die entweder für die Erfüllung öffentlichrechtlicher Aufgaben des Staates oder einer öffentlichen Einrichtung notwendig sind oder an denen ein großes öffentliches Interesse besteht, für die Öffentlichkeit zu bewahren und zu verhindern, daß sie zum Handelsobjekt werden und damit ihrer eigentlichen Bestimmung, der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stehen und Zeugnis über die Geschichte und Kultur eines Landes abzugeben, nicht mehr dienen können. Eine Norm, die ein Kulturgut extra commercium stellt, dient somit nicht den privaten Eigentümerinteressen, sondern dem öffentlichen Interesse an diesem Gegenstand. Aus der Sicht ihrer Heimatrechtsordnung bleibt die Sache res extra commercium, auch wenn sie ins Ausland ausgeführt wird und die neue lex rei sitae sie nicht als solche ansieht. Kehrt das Kulturgut in sein Herkunftsland zurück, werden von dessen Rechtsordnung, auch wenn diese grundsätzlich dem Prinzip vom Schutz wohlerworbener Rechte folgt, die im Ausland begründeten Rechte nicht anerkannt. Die res extra commercium-Bestimmung findet Anwendung, auch wenn der Sachverhalt eigentlich von einer anderen Rechtsordnung beurteilt werden müßte. Nur so realisiert sich im vollen Maße der Schutz, den die Bestimmung bezweckt. Normen, die Kulturgüter zu res extra commercium erklären, stellen deswegen Eingriffsnormen dar, weil sie vom öffentlichen Interesse getragen werden und von dem Staat, der sie erlassen hat, als international zwingende Normen auf jeden Sachverhalt unabhängig von dem nach allgemeinem Kollisionsrecht anwendbaren Recht angewandt werden.“ Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 153.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
1025
bzw. Unveräußerlichkeit kultureller Güter2402 und auch mit einzelnen Berufsausübungsbeschränkungen im Bereich der Vermarktung und des Vertriebs von Kunstwerken in besonderem Maße der Bewahrung und Erhaltung national wertvoller Kulturobjekte für zukünftige Generationen. Die das allgemeine Zivilrecht überlagernden Vorschriften der nationalen Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze sind so öffentlich-rechtliche Ordnungsvorschriften des kulturellen Ursprungsstaates, liegen nicht nur im Interesse individueller Privatpersonen, sondern gewährleisten als Eingriffsnormen überindividuelle Gemeininteressen.2403
II.
Drei Konstellationen extraterritorialer Anwendung von Kulturgüterschutzgesetzen
Innerhalb der Frage der extraterritorialen Anwendung nationaler Kulturgüterund Denkmalschutzgesetze als Eingriffsnormen sind drei divergierende tatsäch-
2402
2403
Spaun, Der Herausgabeanspruch bei Diebstahl oder illegalem Export von Kulturgütern, 2003, S. 145–150: „Bei staatlichen Kulturschutznormen wie Ausfuhrverboten, Veräußerungsverboten, Ausfuhr- und Veräußerungsbeschränkungen handelt es sich meist um Eingriffsnormen, also um zwingende, im öffentlichen Interesse erlassene staatliche (öffentlichund/oder privatrechtliche) Lenkungsvorschriften, die in private Rechtsverhältnisse eingreifen. Sie dienen dem im öffentlichen Interesse liegenden Ziel, den Bestand an national wertvollen Kulturgütern zu sichern.“. Vgl. so auch Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 468; Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 18; Magnus in Magnus, J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen – Art. 34 EGBGB, Rdnr. 107–108; Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/ Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 199; Luzzatto, Trade in Art and Conflict of Laws: The Position in Italy, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 409–424; Knoepfler, Le commerce de l’art en droit international privé suisse, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 359–387, S. 379 f.; Fraoua, Le trafic illicite des biens culturels et leur restitution, 1985, 124; Siehr, Ausländische Eingriffsnormen im inländischen Wirtschaftskollisionsrecht, RabelsZ 52 (1988), S. 41–103, S. 61; Byrne-Sutton, Le trafic international des biens vulturels sous l’angle de leur revendication par l’Etat d’origine – Aspects de droit international privé, 1988, S. 162 f.; Jaeger, Internationaler Kulturgüterschutz – Rechtslage, Rechtspraxis, Rechtsfortentwicklung, 1994, S. 90; Carducci, La restitution internationale des biens culturels et des objets d’art, 1997, S. 319; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 287; Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 127–139; Kohls, Kulturgüterschutz: Wirkungen von Verstößen gegen Ausfuhrverbote und Möglichkeiten der Rückführung illegal verbrachter Kulturgüter – Eine vergleichende Untersuchung mit den Rechten Dänemarks, Norwegens und Schwedens, 2001, S. 119–120; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 152–153; Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 410–414.
926
1026
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
liche Konstellationen zu unterscheiden.2404 Diesbezüglich wird innerhalb des Schrifttums bspw. von drei unterschiedlichen „Ebenen der Beachtung zwingender Bestimmungen“2405 gesprochen. Zwingende Kulturgüterschutzvorschriften können als sog. Eingriffsnormen – (erstens) auf der Ebene der durch das Kollisionsrecht zur Streitentscheidung berufenen Rechtsordnung Beachtung finden (Frage nach der Geltung zwingender Normen der lex causae), – (zweitens) auf der Ebene der lex fori, die einen Grundbestand eigener Rechtsvorstellungen stets durchsetzen will (Frage nach der Geltung zwingender Normen der lex fori), und – (drittens) auf der Ebene solcher drittstaatlicher Rechtsordnungen, die ebenfalls Berührungspunkte zum Fall aufweisen und an der Anwendung ihrer zwingenden Bestimmungen interessiert sind, obwohl diese weder über die lex causae noch über die lex fori gelten (Frage nach der Geltung drittstaatlicher Eingriffsnormen).2406 927
In diesem „Bermudadreieck“2407 der Anwendung international zwingender Normen des Kulturgüter- und Denkmalschutzrechts gilt es, eine angemessene Balance zwischen der grundsätzlichen Geltung der lex causae, dem moderaten Einfluss der lex fori und einer ausnahmsweisen Anerkennung zwingender drittstaatlicher Normen zu finden. Dabei ist deutlich klarzustellen, dass es bei der extraterritorialen Anwendung von Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetzen als Eingriffsnormen allein um die Berücksichtigung der zivilrechtlichen Folgen und Reflexwirkungen der nationalen Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze geht, obwohl diese Rechtsvorschriften von Wengler als „Privatrecht mit öffentlichrechtlichem Hintergrund“2408, von Stoll als „öffentliches Recht mit privatrechtlicher Wirkung“2409 bzw. von Neumayer als „privatrechtliche Sanktion einer 2404
2405
2406
2407
2408
2409
Vgl. Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/ Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 200–203; Kohls, Kulturgüterschutz: Wirkungen von Verstößen gegen Ausfuhrverbote und Möglichkeiten der Rückführung illegal verbrachter Kulturgüter – Eine vergleichende Untersuchung mit den Rechten Dänemarks, Norwegens und Schwedens, 2001, S. 118–119; Magnus in Magnus, J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen – Art. 34 EGBGB, Rdnr. 10–25. Vgl. diese Bezeichnung bei Magnus in Magnus, J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen – Art. 34 EGBGB, Rdnr. 10–25. Vgl. zu dieser Unterscheidung Magnus in Magnus, J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen – Art. 34 EGBGB, Rdnr. 1–6. So die Terminologie bei Magnus in Magnus, J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen – Art. 34 EGBGB, Rdnr. 1–6. Wengler, Die Anknüpfung des zwingenden Schuldrechts im internationalen Privatrecht, ZVglRWiss. 54 (1941) S. 168 ff., S. 187. Stoll, RabelsZ 24 (1959), S. 635.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
1027
öffentlichrechtlichen Verbotsnorm“2410 bezeichnet wurden.2411 Der Einwand, es handele sich hier um öffentliches Recht, das nur territoriale Wirkung entfalte und außerhalb seines Ursprungslandes nicht angewandt werden könne, darf nicht durchschlagen, da nicht die unmittelbare Durchsetzung der ausländischen Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften als Eingriffsgesetz mit hoheitlichem Zwang (d.h. bspw. durch eine Beschlagnahme illegal exportierter Kulturgüter durch die Behörden des Forumstaates) in Rede steht, sondern lediglich die Beachtung der privatrechtlichen Reflexwirkungen dieser Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze bei der Prüfung eines zivilrechtlichen Anspruchs. Außer im Fall völkerrechtlicher oder europarechtlicher Spezialregelungen ist deshalb auch keine Beschlagnahme unrechtmäßig verbrachter Kulturgüter außerhalb des kulturellen Ursprungsstaates durch die Behörden des Forumstaates aufgrund der Anwendung ausländischer Eingriffsnormen des Kulturgüter- und Denkmalschutzrechts möglich: Es geht lediglich um die Anwendung der zivilrechtlichen Folgen und Reflexwirkungen der nationalen Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze. Freilich herrscht schon hierüber beträchtliche Unsicherheit, wann eine solche Anwendung ausländischen Eingriffsrechts in Betracht kommt.2412
1.
Geltung kulturpolitisch zwingender Eingriffsnormen der lex causae
An erster Stelle ist zu fragen, ob Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze als Eingriffsnormen auf der Ebene der durch das Kollisionsrecht zur Streitentscheidung berufenen Rechtsordnung Beachtung finden (Frage nach der Geltung zwingender Normen der lex causae). In diesem Fall sind die ausländischen Eingriffsnormen zwingendes Recht der im konkreten Fall anwendbaren lex causae, es beansprucht somit eine Eingriffsnorm der lex causae selbst Geltungskraft. Es handelt sich dabei somit um eine „statutsabhängige Berücksichtigung von Eingriffsnormen“2413, da fraglich ist, ob die Schutzvorschriften national wertvoller Kulturgüter der nach den allgemeinen Grundsätzen des Kollisionsrechts zur Anwendung bestimmten Rechtsordnung selbst berufen sind.
2410 2411
2412
2413
Neumayer, RabelsZ 25 (1960) S. 651. Vgl. zum Ganzen auch Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 23. Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 480–481. Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/ Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 200–204; Kohls, Kulturgüterschutz: Wirkungen von Verstößen gegen Ausfuhrverbote und Möglichkeiten der Rückführung illegal verbrachter Kulturgüter – Eine vergleichende Untersuchung mit den Rechten Dänemarks, Norwegens und Schwedens, 2001, S. 119.
928
1028
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
a)
Repubblica dell’ Ecuador – Casa della Cultura ecuadoriana c. Danusso
929
Ein Beispiel für eine solche Konstellation ist die vor dem Tribunale di Torino am 25. März 1982 entschiedene Rechtssache Repubblica dell’ Ecuador – Casa della Cultura ecuadoriana c. Danusso 2414.2415
930
Aufgrund eines italienischen Zeitungsartikels hat der Konsul Ekuadors erfahren, dass der Italiener Giuseppe Danusso sich im Besitz archäologischer Kulturgüter mit ekuadorianischer Herkunft befand. Es stellte sich heraus, dass dieser die Objekte in Ekuador von ekuadorianischen Staatsbürgern käuflich erworben und anschließend mit nach Italien genommen hatte. Ekuador strengte in der Folge die Restitution der in Staatseigentum befindlichen und als unveräußerlich deklarierten Kulturgüter vor italienischen Zivilgerichten an. In der Entscheidung hat sich das Tribunale di Torino bei der Rechtswahl auf Art. 22 Disp. Prel.2416 berufen und ekuadorianisches Recht als lex causae auf die Frage angewandt, ob Danusso an den präkolumbianischen Gegenständen Eigentum erworben hatte.2417 Dabei stellt sich die Frage, ob vor einem italienischen Gericht auch die Kulturgüterund Denkmalschutzvorschriften als Eingriffsnormen Ekuadors Beachtung finden konnten (wohlgemerkt war die Rechtsordnung Ekuadors hier gleichzeitig nach den allgemeinen Kollisionsvorschriften zur Streitentscheidung berufen). Auf Grundlage von Art. 58 der in dem genannten Urteil zitierten ekuadorianischen Verfassung von 1967 wären die archäologischen Kulturgüter dann nämlich als Teil des „patrimonio cultural de la nación“ zu qualifizieren, mit den Beschränkungen des „dominio fiscal o eminente“ des Art. 623 des ekuadorianischen Zivilgesetzbuches belastet und ohne Genehmigung des Instituto de cultura di Ecuador unveräußerlich gewesen: Der Erwerb solcher Objekte wäre dann nach Art. 5 der Ley de patrimonio artistico vom 29.2.19602418, dem damaligen ekuadorianischen Kulturgüterschutzgesetz, unwirksam gewesen.
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Repubblica dell’ Ecuador – Casa della Cultura ecuadoriana c. Danusso, Tribunale di Torino, 25. März 1982, 18 Rivista di diritto internazionale private e processuale, S. 625 ff. (1982). Hierzu und zum Folgenden auch Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 82–83; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 74–75, S. 159 und S. 183–184; Church, Evaluating the Effectiveness of Foreign Laws on National Ownership of Cultural Property in U.S. Courts, Columbia Journal of Transnational Law, Volume 30 (1992), S. 180–229, S. 210–211; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 73 und 78–79 und 86–87. Art. 22 der Disposizioni preliminari des italienischen Codice civile von 1942: Il possesso, la proprietà e gli altri diritti sulle cose mobili e immonili sono regolati dalla legge del luogo nel quale le cose si trovano. Casa della cultura ecuadoriana c. Danusso, Tribunale di Torino, 25. März 1982, 18 Rivista di diritto internazionale privato e processuale, S. 625 (1982). Constitución y Leyes de la República, 1960, S. 1075.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
Im Ergebnis wurde in der Entscheidung die Anwendung der ekuadorianischen Kulturgüterschutzvorschriften trotz deren Qualifizierung als Rechtsnormen des öffentlichen Rechts bestimmt, da die rechtserhebliche Einwirkung auf die Eigentumsposition an den Objekten – die Veräußerung der Kulturgüter an Giuseppe Danusso in Ekuador – entsprechend der lex rei sitae nach der Rechtsordnung Ekuadors (als lex causae) entschieden wurde. Im Grundsatz besteht in der Frage nach der Geltung zwingender Normen der lex causae Einigkeit und Eingriffsnormen der vom allgemeinen Kollisionsrecht berufenen Rechtsordnung finden auch vor fremden Foren Berücksichtigung.2419 Damit schließt die Anwendung der lex causae zunächst die Geltung aller zwingenden Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften des berufenen Rechts (hier der Rechtsordnung Ekuadors) mit ein.2420 Ob sie – wie vielfach – dem öffentlichen Recht entstammen, ist nach Ansicht der herrschenden Lehre hier gleichgültig. Das frühere, auf Souveränitätsgründen fußende Dogma der generellen Nichtanwendung ausländischen öffentlichen Rechts ist insoweit (d.h. innerhalb der Frage nach der Geltung zwingender Normen der lex causae) jedenfalls überwunden.2421 Die Danusso-Konstellation ist somit ein Beispielsfall für die Anwendung ausländischer öffentlichrechtlicher Kulturgüterschutzbestimmungen als Eingriffsnormen und Teil der einschlägigen lex causae, auch wenn sich die Schutzobjekte nicht mehr innerhalb des Territoriums des kulturellen Ursprungsstaates befinden.
b)
2420
2421
2422 2423
931
Art. 13 S. 2 IPRG und der sog. Grabstelen-Fall der Sammlung Ludwig
Eine vergleichbare gesetzliche ‚Entkrustung‘ der früher zunächst unumstößlichen Grundregel der nationalen Kollisionsrechte, dass ausländische öffentlichrechtliche Rechtsvorschriften keine unmittelbare und direkte Anwendung vor ausländischen Zivilforen erfahren können, findet sich explizit in Art. 13 S. 2 des Schweizer Bundesgesetzes über das Internationale Privatrecht (IPRG) vom 18. Dezember 19872422, wonach eine Anwendung ausländischen Rechts wegen seines öffentlichen Charakters nicht von vornherein ausgeschlossen ist.2423
2419
1029
Vgl. für das Vertragsstatut Magnus in Magnus, J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen – Art. 34 EGBGB, Rdnr. 10–25. Vgl. hierzu innerhalb des Vertragsstatuts: Magnus in Magnus, J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen – Art. 34 EGBGB, Rdnr. 10–25. Vgl. zur Rechtslage in Deutschland die Begründung BT-Drucks 10/504, S. 83; vorsichtig bereits BGH, Urteil des 7. Zivilsenats vom 17.12.1959, Az.: VII ZR 198/58, BGHZ 31, S. 367–373; Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, § 22 II 2. AS 1988, 1776, abgedruckt in IPrax 8 (1988) S. 376 ff. Siehe auch Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 180.
932
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
933
Art. 13 des Schweizer Bundesgesetzes über das Internationale Privatrecht (IPRG) vom 18.Dezember 1987: Die Verweisung dieses Gesetzes auf ein ausländisches Recht umfasst alle Bestimmungen, die nach diesem Recht auf den Sachverhalt anwendbar sind. Die Anwendbarkeit einer Bestimmung des ausländischen Rechts ist nicht allein dadurch ausgeschlossen, dass ihr ein öffentlichrechtlicher Charakter zugeschrieben wird.
934
Verweist das Kollisionsrecht somit auf die ohnehin anwendbare ausländische Rechtsordnung, so können gem. Art. 13 S. 2 auch das öffentliche Recht dieses ausländischen Staates und damit auch dessen Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften direkt anzuwenden sein.2424 Der Schweizer Richter kann mithin nach der lex fori direkt ausländische Exportvorschriften über Kulturgüter im Inland durchsetzen.2425 Die Vorschrift fand bereits innerhalb des Restitutionsbegehrs der Republik Türkei hinsichtlich vier antiker Grabstelen und eines antiken Türsteins gegenüber der Sammlung Ludwig des Antikenmuseums Basel gerichtliche Beachtung.2426
935
Hier hatte somit ein Schweizer Gericht über die Eigentumszuweisung der Objekte mittels der türkischen Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften zu entscheiden2427 (es ging um die Anwendung sog. umbrella statutes): Das kunstgeschichtliche Schrifttum kann die Altertumsfunde, auch wenn im Katalog des Museums für drei Stelen keine Provenienz angegeben wird, dem heutigen Territorium der Türkei zuordnen.2428 „Diese Kunstwerke erhielt das Antikenmuseum Basel geschenkt und stellte sie erstmals im Jahr 1979 bzw. 1988 aus. Wann die Stelen aus der Türkei verbracht worden sind, steht dagegen nicht fest. Im Jahr 1973 will ein englischer Archäologe zwei der Stelen im Dorf Gökçeler (Provinz Kütahya) gesehen und dies den zuständigen türkischen Behörden mitgeteilt haben. Erst sehr viel später (wohl erst 1989 oder 1990) habe er diese Behörden davon benachrichtigt, die Stelen befänden sich im Antikenmuseum Basel. Ob die übrigen drei Objekte ebenfalls aus derselben Provinz stammen könnten, ist ungeklärt.“2429 Nachdem die Republik Türkei dem Antikenmuseum Basel und Peter Ludwig im November 1990 gerichtlich verbot, über die Stelen zu verfügen, wurde am 15.4.1991 vor dem Zivilgericht des Kantons Basel-Stadt gegen das Antiken-
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Vgl. Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 410–414. Vgl. Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 410–414. Vgl. ausführlich zu dieser Sachverhaltskonstellation 3, 932 ff. Vgl. ausführlich zu der Konstellation Siehr/Üstün, Antike Grabstelen aus der Türkei bleiben in der Schweiz (zu Schweiz. Bundesgericht, 22.5.1996 – 5 P.438/1995/szu), IPRax 1999, S. 489–492. So Siehr/Üstün, Antike Grabstelen aus der Türkei bleiben in der Schweiz (zu Schweiz. Bundesgericht, 22.5.1996 – 5 P.438/1995/szu), IPRax 1999, S. 489–492. Siehr/Üstün, Antike Grabstelen aus der Türkei bleiben in der Schweiz (zu Schweiz. Bundesgericht, 22.5.1996 – 5 P.438/1995/szu), IPRax 1999, S. 489–492.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
1031
museum Basel und Peter Ludwig auf Herausgabe der fünf Altertumsfunde geklagt. Gegenüber dem verklagten Kanton Basel-Stadt (als öffentlicher Träger) wurde die internationale und örtliche Zuständigkeit gem. Art. 98 Abs. 1 des Schweizer Bundesgesetzes über das Internationale Privatrecht (IPRG) vom 18.12. 1987 auf den Sitz des Antikenmuseums und gegenüber dem in Aachen wohnhaften Peter Ludwig (1925–1996) gem. Art. 98 Abs. 2 auf die Belegenheit der streitbefangenen Mobilien im Kanton Basel-Stadt gestützt.2430 Da die Republik Türkei ihr Restitutionsbegehr (als Herausgabeklage gemäß Art. 100 Abs. 2 IPRG, Art. 641 Abs. 2 des schweizerischen Zivilgesetzbuchs) auf ihre mit Auffinden der Objekte in der Türkei nach türkischem Kulturgüter- und Denkmalschutzrecht erworbene Eigentumsposition stützte, richtete sich die Frage der dinglichen Sachzuordnung der vier antiken Grabstelen und des antiken Türsteins gem. Art. 100 Abs. 1 IPRG entsprechend dem allgemeinen Grundsatz der lex rei sitae nach dem Recht des Staates, in dem die Sache im Zeitpunkt des behaupteten Erwerbs belegen war, d.h. nach türkischem Recht.2431 Dabei stand außer Streit, dass Art. 697 des türkischen ZGB über den Fund von Altertümern auch vor einem Schweizer Zivilgericht selbst dann anwendbar war, wenn diese Vorschrift über den Erwerb von Staatseigentum öffentlicher Natur sein sollte. Denn Art. 13 des Schweizer IPRG über den Umfang der kollisionsrechtlichen Verweisung schließt die Anwendung ausländischen Rechts nicht allein deswegen aus, weil „ihr ein öffentlich-rechtlicher Charakter zugeschrieben wird“. Im Ergebnis wurde die Klage jedoch am 16.8.1993 abgewiesen2432, dieses erstinstanzliche Urteil am 18.8.1995 vom Appellationsgericht des Kantons BaselStadt bestätigt2433 und die staatsrechtliche Beschwerde gegen diese Entscheidung mit Urteil vom 22.5.1996 durch das Schweizer Bundesgericht abgelehnt.2434
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Vgl. zu Zuständigkeitsfragen Siehr/Üstün, Antike Grabstelen aus der Türkei bleiben in der Schweiz (zu Schweiz. Bundesgericht, 22.5.1996 – 5 P.438/1995/szu), IPRax 1999, S. 489–492. Vgl. Siehr/Üstün, Antike Grabstelen aus der Türkei bleiben in der Schweiz (zu Schweiz. Bundesgericht, 22.5.1996 – 5 P.438/1995/szu), IPRax 1999, S. 489–492. Zivilgericht Basel-Stadt, Urteil vom 16.8.1993, Basler Juristische Mitteilungen 1995, S. 17–21 (Auszug). Appellationsgericht Basel-Stadt, Urteil vom 18.8.1995, Basler juristische Mitteilungen 1997, S. 17 ff., S. 21–26, mit Bem.. Schwander, SZIER 4 (1997) 492. Vgl. Basler Zeitung, Antike Grabsteine können in Basel bleiben, Artikel vom 19.8.1995, Teil III; NZZ, Türkische Grabsteine verbleiben im Basler Museum, Artikel vom 21.8.1995, S. 15. BGer., Entscheidung vom 22.5.1996, in: Felber, Bundesgerichtsentscheide. Die vollständigen NZZ-Berichte zu publizierten und uupublizierten Urteilen 1996 (1997), S. 213.
936
1032
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
2.
Anwendung kulturpolitisch zwingender Eingriffsnormen der lex fori
937
Von der Geltung zwingender Normen der lex causae ist die Frage nach der Geltung zwingender Normen der lex fori zu trennen. Dabei ist festzustellen, ob der Forumstaat einen Grundbestand eigener (kulturpolitischer) Rechtsvorstellungen im Kulturgüter- und Kunstrestitutionsrecht (möglicherweise auch neben den zur Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter berufenen Grundsätzen der lex causae) stets durchsetzen kann. Hier ist also zu prüfen, ob eine Eingriffsnorm der lex fori auch dann Geltungskraft beansprucht, obwohl auf den konkreten Sachverhalt eine ausländische lex causae anwendbar ist. Auch hier steht heute außer Diskussion, dass eigene zwingende Schutzvorschriften des Forumstaates für inländische oder ausländische Kulturgüter auch bei Geltung einer ausländischen lex causae einem freien Kulturgüterverkehr entgegenstehen können.2435 Zwingende Rechtsregeln der lex fori sind grundsätzlich auch bei der Geltung einer abweichenden lex causae anzuwenden2436 und setzen sich gegebenenfalls auch gegenüber einer ausländischen Rechtsregel der lex causae durch.
938
Wann Eingriffsnormen der lex fori in internationalen Sachverhalten zu berücksichtigen sind, war erstmals, wenn auch vage, in Art. 7 Abs. 2 des Übereinkommens von Rom über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 19. Juni 1980 (sog. Europäisches Schuldvertragsübereinkommen, EVÜ) geregelt.2437 Das EVÜ wurde inzwischen durch die Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 17. Juni 2008 (sog. Rom I-Verordnung) ersetzt. Art. 9 Abs. 2 der Rom I-Verordnung bestimmt hinsichtlich der Geltung von Eingriffsnormen der lex fori im Schuldvertragsrecht ausdrücklich, dass die Verordnung die Anwendung der Eingriffsnormen des Rechts des angerufenen Gerichts unberührt lässt. Die europäische Vorgabe von Art. 7 Abs. 2 des Übereinkommens von Rom über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 19. Juni 1980 wurde für das deutsche internationale Vertragsrecht ausdrücklich in
2435
2436
2437
Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/ Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 200–204; Kohls, Kulturgüterschutz: Wirkungen von Verstößen gegen Ausfuhrverbote und Möglichkeiten der Rückführung illegal verbrachter Kulturgüter – Eine vergleichende Untersuchung mit den Rechten Dänemarks, Norwegens und Schwedens, 2001, S. 119 Vgl. Kohls, Kulturgüterschutz: Wirkungen von Verstößen gegen Ausfuhrverbote und Möglichkeiten der Rückführung illegal verbrachter Kulturgüter – Eine vergleichende Untersuchung mit den Rechten Dänemarks, Norwegens und Schwedens, 2001, S. 121. Art. 7 Abs. 2 Übereinkommen von Rom über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 19. Juni 1980 (sog. Europäisches Schuldvertragsübereinkommen, EVÜ): Dieses Übereinkommen berührt nicht die Anwendung der nach dem Recht des Staates des angerufenen Gerichtes geltenden Bestimmungen, die ohne Rücksicht auf das auf den Vertrag anzuwendende Recht den Sachverhalt zwingend regeln.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
1033
Art. 34 EGBGB umgesetzt. Die Vorschrift greift insbesondere die Frage der Geltung zwingender Vorschriften des deutschen Rechts, der lex fori, auf, wenn gleichzeitig ausländisches Recht als Vertragsstatut (lex causae) gilt.2438 Für diesen Fall bestimmt Art. 34 EGBGB, dass die Anwendung derjenigen deutschen Vorschriften unberührt bleibt, die den Sachverhalt ohne Rücksicht auf das an sich anwendbare Recht zwingend regeln. Damit kann bspw. bei einer Veräußerung national schützenswerter Kulturgüter trotz abweichenden Vertragsstatuts solchen Vorschriften des deutschen Kulturgüter- und Denkmalschutzrechts zur Geltung verholfen werden, an deren uneingeschränkter Durchsetzung aus kulturpolitischen Gründen ein starkes innerstaatliches Interesse besteht.2439 Insoweit in einem solchen Fall die deutschen Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften reichen, wird das allgemeine Anknüpfungssystem außer Kraft gesetzt. Damit ist die Frage nach der Geltung zwingender Normen der lex fori über Art. 34 EGBGB auch leicht von der Bedeutung des ordre public-Vorbehalts2440 des Art 6 EGBGB innerhalb der deutschen Rechtsordnung abzugrenzen: Während Art. 6 EGBGB im Internationalen Kulturgüterprivatrecht im Einzelfall eine Veräußerung oder inakzeptable Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter untersagt und damit ausnahmsweise die Abwehr untragbarer fremder Rechtsvorstellungen bezweckt, zielt Art. 34 EGBGB auf die Durchsetzung bestimmter eigener kulturpolitischer Vorstellungen des deutschen Kulturgüter- und Denkmalschutzrechts ohne Rücksicht auf fremdes Recht.2441 Auch wenn die Wirkung beider Rechtsinstitute im Ergebnis gleich sein wird, zielt der ordre public-Vorbehalt damit funktional auf die Außenperspektive und beschränkt im Ausnahmefall das Ergebnis der ausländischen Veräußerung oder Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter, während Art. 34 EGBGB auf die Innenperspektive zielt und bei der Veräußerung bestimmter Kulturgüter trotz ausländischer lex causae deutsche Grundsätze des Kulturgüter- und Denkmalschutzrechts mit Auswirkungen auf den Kauf bzw. Erwerb solcher Objekte positiv zur Anwendung bestimmt.2442 Entsprechend stehen beide Vorschriften unabhängig nebeneinander und können im Internationalen Kulturgüterprivatrecht theoretisch gleichzeitig anzuwenden sein.
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2439
2440 2441
2442
Erst recht gelten die deutschen Eingriffsnormen, wenn deutsches Recht auch Vertragsstatut ist. In Anlehnung an die allgemeinen Erwägungen bei Magnus in Magnus, J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen – Art. 34 EGBGB, Rdnr. 1–6. Vgl. ausführlich hierzu 3, 459 ff. In Anlehnung an die allgemeinen Erwägungen bei Magnus in Magnus, J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen – Art. 34 EGBGB, Rdnr. 40. Vgl. Magnus in Magnus, J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen – Art. 34 EGBGB, Rdnr. 40.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
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In der Praxis des internationalen Kulturgüterverkehrs könnte Art. 34 EGBGB bspw. Bedeutung erlangen, wenn ein in die Liste national wertvoller Kulturgüter eingetragenes deutsches Objekt ins Ausland veräußert und dorthin transferiert werden soll und die Parteien für den schuldrechtlichen Kaufvertrag die Geltung ausländischen Rechts bestimmen. In diesem Fall richten sich Erwerb und Veräußerung grundsätzlich nach der gewählten lex causae, nicht nach deutschem Recht. Nichtsdestotrotz bestimmt Art. 34 EGBGB, dass bei einem Rechtsstreit über den Kulturguttransfer vor einem deutschen Forum die Ausfuhrbeschränkungen des Gesetzes zum Schutz deutschen Kulturguts gegen Abwanderung aus dem Jahre 1955 als kulturpolitische Eingriffsnormen auch anwendbar bleiben: Art. 34 EGBGB bestätigt lediglich den allgemein anerkannten Grundsatz, dass die vertragsrechtlichen Kollisionsnormen nicht die Anwendung jener Bestimmungen des deutschen Rechts berühren, die ohne Rücksicht auf das für den Vertrag maßgebende Recht den Sachverhalt zwingend regeln, wenn die Norm überwiegend oder zumindest stark im öffentlichen Interesse liegt (d.h. nicht nur im Interesse der Vertragsparteien) und eine gewisse Inlandsbeziehung besteht, wie sie auch ein Eingreifen des ordre public voraussetzt.2443 Von Hoffmann und Thorn begründen dies mit der Überlegung, dass für zwingend anwendbare Eingriffsnormen der lex fori nicht die Kollisionsnormen des internationalen Privatrechts, sondern diejenigen des internationalen Verwaltungsrechts maßgeblich sind, sodass es für die Anwendung deutscher Eingriffsnormen des Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetzes gleichgültig ist, ob deutsches oder ausländisches Recht Vertragsstatut ist.2444 Auch wenn das deutsche Außenwirtschaftsrecht zwar grundsätzlich von der Freiheit des Außenhandels ausgeht, werden Beschränkungen bei der Ausfuhr „deutschen Kulturbesitzes“ über Art. 34 EGBGB auch bei ausländischem Schuldstatut angewendet und die auf den Export gerichtete Veräußerung wird über § 134 BGB trotz ausländischer lex causae nichtig sein.
941
Innerhalb der deutschen Rechtsordnung hat das Problem des Eingriffsrechts im Allgemeinen und der Anwendung kulturpolitisch zwingender Eingriffsnormen im Speziellen erstmals, beschränkt auf das Schuldvertragsrecht, eine Anerkennung in Art. 34 EGBGB erhalten. Das Problem ist aber nicht auf das Schuldvertragsrecht und den Kauf oder Verkauf kultureller Wertgegenstände beschränkt, sondern stellt sich in allen Bereichen des internationalen Kulturgüterverkehrs, innerhalb des Internationalen Kulturgüterprivatrechts, insbesondere auch innerhalb der dinglichen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter.2445 Auch in die-
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2445
Vgl. Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 475–476. Vgl. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 469. Vgl. Schramm, Ausländische Eingriffsnormen im Deliktsrecht – ein Beitrag zu Art. 19 IPRG und Art. 12 Abs. 1 des Entwurfes einer Rom II-Verordnung, 2004; Sonnenberger in
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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sen Rechtsbereichen ist heute allgemein anerkannt, dass die kulturpolitischen Eingriffsnormen der lex fori eine zweite Ebene und Quelle zwingender Normen des Kulturgüter- und Denkmalschutzrechts darstellen:2446 Die am Gerichtsort geltenden Normen drängen auch dann zur Anwendung, wenn eine Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsstreitigkeit trotz ihres Auslandsbezugs zwingende kulturpolitische Vorstellungen und Interessen des Gerichtsstaates berührt.2447 Universal gilt somit der Grundsatz, dass sich jede Rechtsordnung einen angemessenen Einfluss der lex fori vorbehält, der über die bloße Abwehrfunktion des ordre public hinausgeht. So gilt diesbezüglich bspw. für die österreichische Rechtsordnung, dass die Veräußerung eines einzelnen Objektes aus einer als Einheit unter Denkmalschutz gestellten Sammlung an einen Ausländer ohne behördliche Genehmigung nach § 6 Abs. 5 des österreichischen Denkmalschutzgesetzes nichtig ist, gleichgültig welchem Recht er untersteht.2448 Einschränkend ist für die diesbezügliche Gerichtspraxis jedoch zu fordern, dass der Einsatz von kulturpolitischen Eingriffsnormen der lex fori die Ausnahme darstellen muss, soll nicht das System der im Internationalen Kulturgüterprivatrecht geltenden Anknüpfungsregeln weitgehend überflüssig werden.2449 Ob innerhalb dieser Ausnahme jedoch das Primat eigener zwingender Kulturgüterschutzvorschriften der lex fori auf die eigene Gesetzgebungsprärogative, den ordre public oder eine Sonderanknüpfung gestützt wird, ist letztendlich nur eine Begründungsfrage, das Ergebnis steht heute jedoch außer Frage.2450
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Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR, Rdnr. 35–38; Spinellis, Das Vertrags- und Sachenrecht des internationalen Kunsthandels – zugleich ein Beitrag zur Bedeutung der Eingriffsnormen im heutigen internationalen Rechtsverkehr, 2000, S. 450, S. 508 ff. „Inländische Eingriffsnormen (Eingriffsnormen des Gerichtsstaates) werden nach unbestrittener Meinung nach ihrem Geltungswillen unabhängig von der lex causa angewendet. Sie entscheiden auch über ihre privatrechtliche Wirkung, die lex causa kommt nur subsidiär zur Anwendung, wenn die Eingriffsnorm darüber nichts aussagt.“ Spaun, Der Herausgabeanspruch bei Diebstahl oder illegalem Export von Kulturgütern, 2003, S. 145–150. Vgl. zu dieser Annahme innerhalb des Vertragsrechts Magnus in Magnus, J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen – Art. 34 EGBGB, Rdnr. 10–25. Vgl. zu dem Beispiel Spaun, Der Herausgabeanspruch bei Diebstahl oder illegalem Export von Kulturgütern, 2003, S. 145–150. So auch die Forderung bei Magnus in Magnus, J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen – Art. 34 EGBGB, Rdnr. 10–25. Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/ Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 204 m.w.N.; Kohls, Kulturgüterschutz: Wirkungen von Verstößen gegen Ausfuhrverbote und
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
3.
Geltung kulturpolitisch zwingender Eingriffsnormen eines Drittstaates
943
Schließlich können kulturpolitische Eingriffsnormen auch auf der Ebene sog. drittstaatlicher Rechtsordnungen zur Anwendung gelangen, die neben der lex fori als dem Gerichtsort und der lex causae als zur Streitentscheidung berufenen Rechtsordnung ebenfalls Berührungspunkte zu einer internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsstreitigkeit aufweisen und an der Anwendung ihrer zwingenden Bestimmungen interessiert sind oder tatsächlich auf den Sachverhalt einwirken. Da drittstaatliche Kulturgüterschutzvorschriften, die aufgrund eines „irgendwie“ gegebenen Zusammenhangs mit dem zu entscheidenden Rechtsverhältnis Gültigkeit beanspruchen, grundsätzlich weder über die lex causae noch über die lex fori Berücksichtigung finden, stellt sich im Internationalen Kulturgüterprivatrecht die generelle Frage nach der Geltung drittstaatlicher Eingriffsnormen. Dieses sog. Problem einer „statutsunabhängigen Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen“2451 hat somit die Anwendung kulturpolitischer Eingriffsnormen eines Drittstaates aufgrund einer besonderen Nähekonstellation außerhalb der Rechtskreise sowohl der lex fori als auch der lex causae zu klären.
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Auch wenn die neuseeländische Regierung in der bekannten Konstellation Attorney General of New Zealand v. Ortiz nicht ausdrücklich die extraterritoriale Anwendung drittstaatlicher Eingriffsnormen vor Gericht geltend machte, kann der Sachverhalt vor der Queens Bench Division aus dem Jahr 19822452 und dem Court of Appeals aus dem Jahr 19842453 als Beispiel für die Frage nach der Geltung drittstaatlicher Eingriffsnormen zitiert werden.2454 Englische Gerichte hatten sich
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Möglichkeiten der Rückführung illegal verbrachter Kulturgüter – Eine vergleichende Untersuchung mit den Rechten Dänemarks, Norwegens und Schwedens, 2001, S. 121. „Sodann ist anerkannt, dass bei deutschem Schuldstatut auch die Eingriffsnormen des deutschen Rechts gelten. Dieser Grundsatz lässt sich jetzt dem mit Art. 7 Abs. 2 EVÜ übereinstimmenden Art. 34 EGBGB entnehmen. Die Eingriffsnormen der lex fori sind danach nicht nur bei ausländischem Vertragsstatut, sondern stets, also erst recht bei deutschem Vertragsstatut anzuwenden.“ Magnus in Magnus, J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen – Art. 34 EGBGB, Rdnr. 10–25. Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/ Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 200–204; Kohls, Kulturgüterschutz: Wirkungen von Verstößen gegen Ausfuhrverbote und Möglichkeiten der Rückführung illegal verbrachter Kulturgüter – Eine vergleichende Untersuchung mit den Rechten Dänemarks, Norwegens und Schwedens, 2001, S. 119. Attorney General of New Zealand v. Ortiz, (1982) 2 WLR 10 (QB). Attorney General of New Zealand v. Ortiz, (1984) 1 AC, 1 (CA, HL). Schrifttum zu dieser Entscheidung: Biondi, The Merchant, the Thief and the Citizen: The Circulation of Works of Art within the European Union, Art, Antiquity and Law 4 (1999), S. 205–218, S. 214–216; Blake, Export Embargoes and the International Antiquities market: The Turkish Experience, Art, Antiquity and Law 2 (1997), S. 233–250, S. 245; Cater, The
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
1037
in dieser Rechtssache mit dem Restitutionsbegehr einer zuvor illegal aus dem Territorium Neuseelands exportierten Maori-Schnitzerei und der Frage nach der unmittelbaren Anwendung des neuseeländischen Kulturgüterschutzgesetzes als ausländische öffentlich-rechtliche Normen vor englischen Zivilgerichten auseinanderzusetzen. Maorische Holzschnitzereien wurden ohne rechtmäßige Ausfuhrgenehmigung im Jahre 1973 aus Neuseeland exportiert, nach New York transferiert und an den Erwerber George Ortiz veräußert. Für die Veräußerung war somit die Privatrechtsordnung des Bundesstaates New York lex causae. Ortiz transferierte die Objekte danach nach Großbritannien und musste die Holzschnitzereien später bei Sotheby’s in London versteigern. Da Neuseeland das Objekt von Sotheby’s als unersetzbarer Teil seines nationalen Kulturpatrimoniums herausverlangte, nahm das Versteigerungshaus die Schnitzerei aus der Versteigerung des 29. Juni 1978 heraus. Die englischen Gerichte hatten deshalb in der Folge unter anderem darüber zu entscheiden, ob die Regierung Neuseelands eine Rückführung der ohne Ausfuhrgenehmigung exportierten Schnitzerei erreichen konnte. Betrachtet man den vorliegenden Sachverhalt aus dem Blickwinkel der drei zu unterscheidenden tatsächlichen Konstellationen bei der extraterritorialen Anwendung von Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetzen als Eingriffsnormen, galt für die Veräußerung in New York als lex causae die Privatrechtsordnung des Bundesstaates New York und, da vor einem britischen Gericht auf Rückführung geklagt wurde, die englische lex fori als Rechtsordnung des Verfahrensstaates. Somit hätte das neuseeländische Kulturgüter- und Denkmalschutzrecht nur dann vor der Queens Bench Division bzw. dem Court of Appeals Wirkung entfalten können, wenn die einschlägigen Vorschriften als kulturpolitische Eingriffsnormen des Drittstaates Neuseeland unmittelbar vor einem britischen Forum anwendbar gewesen wären. Die neuseeländischen Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze waren hier somit weder Teil der lex fori, noch der lex causae.
Taranaki Panels – a case-study in recovery of cultural heritage, Museum (UNESCO), Volume XXXIV, No. 1 (1982), S. 256–258; Church, Evaluating the Effectiveness of Foreign Laws on National Ownership of Cultural Property in U.S. Courts, Columbia Journal of Transnational Law, Volume 30 (1992), S. 180–229, S. 210; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 80–81, 178–179 und 263–264; Nafziger, The New International Legal Framework for the Return, Restitution or Forfeiture of Cultural Property, N.Y.U.J. Int’l L. & Pol., Volume 15 (1983), No. 4, S. 789–812, S. 795–799; Nott, Title to Illegally Exported Items of Historic or Artistic Worth, The International and Comparative Law Quaterly, Volume 33 (1984), S. 203–207; O’Keefe, Export and Import Controls on Movement of the Cultural Heritage: Problems at the National Level, Syracuse Journal of International Law and Commerce 10 (1983), S. 352–369, S. 352–369; O’Keefe, The Use of Criminal Offences in UNESCO Countries: Australia, Canada and the U.S.A., Art, Antiquity and Law 6 (2001), S. 19–35, S. 21–22; Spaun, Der Herausgabeanspruch bei Diebstahl oder illegalem Export von Kulturgütern, 2003, S. 138–141.
945
1038 946
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Die Frage der extraterritorialen Geltung kulturpolitisch zwingender Eingriffsnormen eines Drittstaates ist bislang ein ungeklärtes Feld und in Gesetzgebung, Lehre und Rechtsprechung stark umstritten. Dass solche kulturpolitischen Eingriffsnormen dritter Staaten – wenn überhaupt – nur ausnahmsweise und unter sehr engen Voraussetzungen zum Zug kommen können, erscheint als selbstverständlich, wenn das geltende Anknüpfungssystem des Internationalen Kulturgüterprivatrechts nicht grundsätzlich in Frage gestellt werden soll.2455 Um schließlich eine Beantwortung der aufgeworfenen Frage für die deutsche Rechtsordnung treffen zu können (vgl. ausführlich hierzu weiter unten unter Punkt III.) – der deutsche Gesetzgeber hat die Frage bewusst offen gelassen und das Problem der Geltung zwingender Eingriffsnormen dritter Staaten dem Schrifttum und der Rechtsprechung überlassen –, sind vergleichbare Regelungsansätze in kulturgüterunspezifischen, vgl. ausführlich hierzu unter Punkt a). und kulturgüterspezifischen internationalen Rechtsinstrumenten, vgl. ausführlich hierzu unter Punkt b), zu analysieren, der Vergleich ist sodann zu anderen nationalen Ausgestaltungsvarianten zu ziehen, vgl. ausführlich hierzu unter Punkt c), und schließlich sind Anklänge in der Rechtsprechung des internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts für eine unmittelbare Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze von Drittstaaten zu suchen, vgl. ausführlich hierzu unter Punkt d).
a)
Kulturgüterunspezifische internationale Rechtsinstrumente
947
Schon im Jahre 1975 hat das Institut de Droit international anlässlich der Session de Wiesbaden die Resolution L’application du droit public étranger angenommen.
948
The Institute of International Law, Considering that ideas vary from one legal system to another as to the validity, criteria and effects, and even the existence, of the distinction between public and private law; Noting that in the field of comparative law this distinction is of a relative and evolving nature, that there is an increasing interpenetration of the two branches of domestic law, and that changes have occurred in fact and in concepts as to the role of the State, especially as regards the regulation and protection of the interests of individuals and the management of the economy; Taking account of the needs of an international society characterized at one and the same time by the diversity of conflict of laws, policies and State interests and by the aspiration for international co-operation and for coexistence or harmonization of national legal systems; Wishing to promote a just solution of questions of the conflict of laws whilst respecting the acknowledged principles of public international law, the legitimate interests of States and the rights or interests of individuals, a solution which also takes account of the desirable progress in the field of international co-operation;
2455
So die Einschätzung bei Magnus in Magnus, J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen – Art. 34 EGBGB, Rdnr. 10–25.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
1039
Having regard to the favourable effect which may result in this field from the awareness, on the one hand, of the need for peaceful co-operation and mutual assistance between States and, on the other, of the special solidarity that exists within groups of States united by close links of friendship, alliance or integration; Being of the opinion that it is opportune to state some principles likely to provide for or facilitate the solution of certain issues of the conflict of laws involving foreign public law, Adopts the … Resolutions …
Vor diesem rechtspolitischen Hintergrund ist es wenig überraschend, dass das Institut de Droit international in der genannten Resolution insbesondere unter A. Punkt II eine ‚Entkrustung‘ der bislang herrschenden Regel der Nichtanwendbarkeit ausländischer Rechtsvorschriften des öffentlichen Rechts aufgrund des Territorialitätsprinzips fordert:
949
I. 1. The public law character attributed to a provision of foreign law which is designated by the rule of conflict of laws shall not prevent the application of that provision, subject however to the fundamental reservation of public policy. 2. The same shall apply whenever a provision of foreign law constitutes the condition for applying some other rule of law or whenever it appears necessary to take the former provision into consideration. II. The so-called principle of the inapplicability a priori of foreign public law, like that of its absolute territoriality, a principle invoked, if not actually applied, in judicial decisions and legal writings of certain countries : a) is based on no cogent theoretical or practical reason, and b) often duplicates with the principles of public policy, c) may entail results that are undesirable and inconsistent with contemporary needs for international co-operation. III. The same applies for similar reasons to the inapplicability a priori of certain categories of provisions of foreign public law, such as provisions which do not concern the protection of private interests but primarily serve the interests of the State. IV. The scope of the preceding rule and statements shall in no way be affected by the fact that foreign law which is regarded as public law is still applied less frequently for various reasons, and mainly : a) because the question does not arise owing to the nature of the social relationships referred to in the rule of conflict of laws or to the very subject of the foreign provision, or b) because the foreign provision is restricted in its scope to the territory of the legislator from whom it originates and because such restriction is in principle respected, or c) because authorities of the State of the forum often hold either that they have no jurisdiction to apply certain foreign laws which are regarded as public law, notably in giving administrative or constitutive judgments, or that they need not assist in the application of such provisions in the absence of treaties, of reciprocity or of a convergence of the economic or political interests of the States with which the situation is connected.
950
Ausdrücklich wurde die Geltung von zwingenden Eingriffsnormen eines Drittstaates erstmals in Art. 16 der Hague Convention on the Law Applicable to Agency vom 14. May 1978 der Hague Conference on Private International Law kodifiziert2456. Eine entsprechende Rechtsregel findet sich auch in Art. 16 der Hague 2456
Conférence de La Haye de droit international privé, Recueil des Conventions 1951–1988, Den Haag (1988), S. 253.
951
1040
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Convention on the Law Applicable to Trusts and on their Recognition vom 1. Juli 1985 2457. 952
Art. 16 der Hague Convention on the Law Applicable to Agency vom 14. May 1978: In the application of this Convention, effect may be given to the mandatory rules of any State with which the situation has a significant connection, if and in so far as, under the law of that State, those rules must be applied whatever the law specified by its choice of law rules. Art. 16 der Hague Convention on the Law Applicable to Trusts and on their Recognition vom 1. Juli 1985: (1) The Convention does not prevent the application of those provisions of the law of the forum which must be applied even to international situations, irrespective of rules of conflict of laws. (2) If another State has a sufficiently close connection with a case then, in exceptional circumstances, effect may also be given to rules of that State which have the same character as mentioned in the preceding paragraph. (3) Any Contracting State may, by way of reservation, declare that it will not apply the second paragraph of this Article. Art. 15 der Hague Convention on the Law Applicable to Trusts and on their Recognition vom 1. Juli 1985: The Convention does not prevent the application of provisions of the law designated by the conflicts rules of the forum, in so far as those provisions cannot be derogated from by voluntary act, relating in particular to the following matters – a) the protection of minors and incapable parties; b) the personal and proprietary effects of marriage; c) succession rights, testate and intestate, especially the indefeasible shares of spouses and relatives; d) the transfer of title to property and security interests in property; e) the protection of creditors in matters of insolvency; f) the protection, in other respects, of third parties acting in good faith. If recognition of a trust is prevented by application of the preceding paragraph, the court shall try to give effect to the objects of the trust by other means.
953
Wann drittstaatliche Eingriffsnormen, die weder Teil der lex causae noch der lex fori sind, in internationalen Sachverhalten zu berücksichtigen sind, war ausdrücklich auch Gegenstand in Art. 7 Abs. 1 des Übereinkommens von Rom über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 19. Juni 1980 (sog. Europäisches Schuldvertragsübereinkommen, EVÜ)2458 für das Schuldvertragsrecht.2459 2457
2458
2459
Conférence de La Haye de droit international privé, Recueil des Conventions 1951–1988, Den Haag (1988), S. 315. Die Bundesrepublik Deutschland hat gegen Art. 7 einen nach Art. 22 Abs. 1 (a) des Übereinkommens zulässigen Vorbehalt eingelegt und die Norm nicht übernommen, vgl. Art. 34 EGBGB. Siehe dazu Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes, 1994, S. 85; Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 127–139. Vgl. hierzu auch Sandrock, Foreign Laws Regulating the Export of Cultural Property: The Respect Due to them by the Judge of the Lex Fori, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 457–482; Biondi, The Merchant, the Thief and the Citizen: The Circulation of Works of Art within the European Union, Art, Antiquity and Law 4 (1999), S. 205–218, S. 215; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 196–197; Kohls, Kulturgüterschutz: Wirkungen von Verstößen gegen Ausfuhrverbote und Möglichkeiten der Rückführung illegal verbrachter Kulturgüter – Eine vergleichende Untersuchung mit den Rechten Dänemarks, Norwegens und Schwedens, 2001, S. 122–123; Spaun, Der Herausgabeanspruch bei Diebstahl oder illegalem Export von
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
1041
Art. 7 Abs. 1 Übereinkommen von Rom über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 19. Juni 1980 (sog. Europäisches Schuldvertragsübereinkommen, EVÜ): Bei Anwendung des Rechts eines bestimmten Staates aufgrund dieses Übereinkommens kann den zwingenden Bestimmungen des Rechts eines anderen Staates, mit dem der Sachverhalt eine enge Verbindung aufweist, Wirkung verliehen werden, soweit diese Bestimmungen nach dem Recht des letztgenannten Staates ohne Rücksicht darauf anzuwenden sind, welchem Recht der Vertrag unterliegt. Bei der Entscheidung, ob diesen zwingenden Bestimmungen Wirkung zu verleihen ist, sind ihre Natur und ihr Gegenstand sowie die Folgen zu berücksichtigen, die sich aus ihrer Anwendung oder ihrer Nichtanwendung ergeben würden.
954
Damit stellt Art. 7 Abs. 1 eine Generalklausel dar, die eine allgemeine Richtlinie vorgibt, insofern aber nicht vorschreibt, dass drittstaatliche Eingriffsnormen bei bestimmten Konstellationen angewandt werden müssen.2460 Durch die Bestimmung wird folglich lediglich ‚negativ‘ klargestellt, dass nichts dagegen spricht, auch Eingriffsnormen einer Rechtsordnung zu berücksichtigen, die weder der lex fori noch der lex causae angehören, und dass diese Berücksichtigung unter Umständen sogar geboten sein kann.2461 Allerdings ist erneut deutlich hervorzuheben, dass sich der Anwendungsbereich des EVÜ auf vertragliche Schuldverhältnisse beschränkt und sich nicht auf die dingliche Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter bezieht. Einschränkend ist außerdem darauf hinzuweisen, dass die Bundesrepublik Deutschland gegen Art. 7 Abs. 1 EVÜ vom 19. Juni 1980 einen nach Art. 22 Abs. 1 lit. a zulässigen Vorbehalt eingelegt und die Regelung nicht in das deutsche EGBGB übernommen hat.2462 Zur Begründung wurde angeführt, dass die Bestimmung eine nicht vertretbare Rechtsunsicherheit zur Folge habe, weil die Parteien die von der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe abhängige und im freien Ermessen des Richters stehende Anwendung von zwingenden Vorschriften eines anderen Staates nicht voraussehen könnten.2463
955
Das EVÜ wurde inzwischen durch die Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 17. Juni 2008 (sog. Rom I-Verordnung) ersetzt. Art. 9 der Rom I-Verordnung legaldefiniert zunächst in Abs. 1 das Verständnis einer „Eingriffsnorm“ und bestimmt in Abs. 3 die Geltung von Eingriffsnormen des Schuldvertragsrechts, die weder Teil der lex causae noch der lex fori sind:
956
Art. 9 Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 17. Juni 2008 (sog. Rom I-VO): Eingriffsnormen
957
2460
2461
2462 2463
Kulturgütern, 2003, S. 145–150; Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 127–139. Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 158. Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 158. Vgl. BT-Drs. 10/5632, S. 45 und BT-Drs. 10/504, S. 100 und S. 106. Vgl. Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 196–197.
1042
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht (1) Eine Eingriffsnorm ist eine zwingende Vorschrift, deren Einhaltung von einem Staat als so entscheidend für die Wahrung seines öffentlichen Interesses, insbesondere seiner politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Organisation, angesehen wird, dass sie ungeachtet des nach Maßgabe dieser Verordnung auf den Vertrag anzuwendenden Rechts auf alle Sachverhalte anzuwenden ist, die in ihren Anwendungsbereich fallen. … (3) Den Eingriffsnormen des Staates, in dem die durch den Vertrag begründeten Verpflichtungen erfüllt werden sollen oder erfüllt worden sind, kann Wirkung verliehen werden, soweit diese Eingriffsnormen die Erfüllung des Vertrags unrechtmäßig werden lassen. Bei der Entscheidung, ob diesen Eingriffsnormen Wirkung zu verleihen ist, werden Art und Zweck dieser Normen sowie die Folgen berücksichtigt, die sich aus ihrer Anwendung oder Nichtanwendung ergeben würden.
958
Bei einer Gesamtschau der kulturgüterunspezifischen internationalen Rechtsinstrumente lassen sich heute gewichtige Beispielsnormen erkennen, die eine Abkehr von dem allgemeinen Prinzip der generellen Nichtanwendbarkeit von öffentlich-rechtlichen Normen in internationalen Sachverhaltskonstellationen fordern. Damit ist die Frage erlaubt, ob diese Entkrustungstendenzen auch innerhalb der kulturgüterspezifischen internationalen Rechtsinstrumente des Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts nachgezeichnet wurden.
b) 959
Kulturgüterspezifische internationale Rechtsinstrumente
Die voranstehenden allgemeinen Auflockerungstendenzen bei der Anwendung ausländischer Normen öffentlichen Rechts konnten innerhalb der kulturgüterspezifischen internationalen Rechtsinstrumente des Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts nicht nur nachgezeichnet, sondern ihnen konnten insbesondere auch neue Akzente hinzugesetzt werden.
(1)
UNESCO-Konvention vom 14. November 1970
960
Das früheste international mit weltweiter Anerkennung bedachte kulturgüterspezifische Rechtsinstrument, das die extraterritoriale Anwendung auch ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften fordert, die weder Teil der lex fori noch der lex causae sind, ist die UNESCO Convention on the Means of Prohibiting and Preventing the Illicit Import, Export and Transfer of Ownership of Cultural Property (Paris) vom 14. November 1970. Nach Art. 13d) der Konvention verpflichten sich die Vertragsstaaten im Rahmen ihrer innerstaatlichen Rechtsordnungen dazu, das unantastbare Recht jedes Vertragsstaats anzuerkennen, bestimmte Kulturgüter als unveräußerlich einzustufen und zu erklären, dass bestimmte Kulturgüter ipso facto nicht ausgeführt werden dürfen. Außerdem unterwerfen sich die Vertragsstaaten hierzu der Verpflichtung, die Wiedererlangung unrechtmäßig ausgeführter und entgegen der Extrakommerzialitätsbestimmung des kulturellen Ursprungsstaates veräußerter Objekte zu erleichtern.
961
Art. 13 UNESCO Convention on the Means of Prohibiting and Preventing the Illicit Import, Export and Transfer of Ownership of Cultural Property (Paris) vom 14. November 1970: The States Parties to this Convention also undertake, consistent with the laws
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
1043
of each State: … (d) to recognize the indefeasible right of each State Party to this Convention to classify and declare certain cultural property as inalienable which should therefore ipso facto not be exported, and to facilitate recovery of such property by the State concerned in cases where it has been exported.
Damit fordert Art. 13d) der UNESCO-Konvention entgegen der internationalen Rechtslage de lege lata die extraterritoriale Anwendung ausländischer Vorschriften, die ihr nationales Kulturerbe als res extra commercium unveräußerlich und unersitzbar und den diesbezüglichen Restitutionsanspruch unverjähr- und unverwirkbar erklären.
962
Dies ist theoretisch ein großer Fortschritt, da im internationalen Kulturgüterund Denkmalschutzrecht die Designation kultureller Güter als unveräußerlich, unersitz-, unverjähr- und unverwirkbar außerhalb solcher internationalen Verpflichtungen nur eingeschränkte Bedeutung erlangt. Nur bei einem nationalen Sachverhalt oder bei einem schlichten Statutenwechsel (d.h. bei der Veräußerung des extrakommerzialen Kulturguts innerhalb des kulturellen Ursprungsstaates und anschließendem Transfer in einen Drittstaat) besteht ein absoluter Schutz für den kulturellen Verwaltungsträger vor einem Rechtsverlust. Erfolgt jedoch eine Veräußerung durch einen Nichtberechtigten außerhalb des Geltungsbereichs der Kulturgüterschutzvorschriften des kulturellen Ursprungsstaates (sog. Konstellation des qualifizierten Statutenwechsels), richtet sich der gutgläubige Erwerb allein nach den Sachenrechtsregeln des neuen Statuts. Selbst in dem Fall, dass auch das neue Forum die Extrakommerzialität kultureller Wertgegenstände vergleichbar zu der Ausgestaltung im kulturellen Ursprungsstaat anerkennt, qualifizieren bislang die zur Entscheidung berufenen Gerichte nur eigene Kulturgüter des Forumstaates, jedoch keine ausländischen Kulturgüter als unveräußerlich, und entschieden nach den Vorschriften des gutgläubigen Erwerbs vom Nichtberechtigten. Auch unveräußerliche Kulturgüter ausländischer Staaten können demnach de lege lata bei gutem Glauben und Redlichkeit des Erwerbers im internationalen Kunsthandel gutgläubig rechtsgeschäftlich erworben werden.
963
Vor diesem Hintergrund ist die Anwendung einer extraterritorialen Extrakommerzialitätsanordnung innerhalb des Art. 13 d) der UNESCO-Konvention eigentlich „revolutionär“2464. Leider hat die internationale Festschreibung bestimmter kultureller Güter als res extra commercium im internationalen Kulturgüterverkehr jedoch in keiner Weise die von vielen Rechtsgelehrten erwünschte Rechtsverbindlichkeit erfahren, die der avantgardistische Inhalt der Vorschrift auf den ersten Blick vermuten lässt. Bedingt durch die Einschränkung in dem einleitenden Satz von Art. 13, dass sich die Vertragsstaaten nur „im Rahmen ihrer innerstaatlichen Rechtsordnung“ („consistent with the laws of each State“) inter-
964
2464
Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 104.
1044
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
national verpflichten, wird die Internationalität der extraterritorialen Extrakommerzialitätsanordnung außerhalb der Grenzen des kulturellen Ursprungsstaats heute in der Praxis des internationalen Kulturgüterverkehrs keine Anwendung erfahren, da – soweit ersichtlich – kein Vertragsstaat der Konvention eine diesbezügliche Rechtsnorm innerhalb des innerstaatlichen Umsetzungsverfahrens erlassen hat oder nach dem geltenden Zivilrechtssystem innerhalb des Vertragsstaates eine Anwendung ausländischer Extrakommerzialitätsanordnungen auch nach einem qualifizierten Stautenwechsel keine Berücksichtigung finden wird. 965
Faktisch hat dies auch innerhalb der Vertragsstaaten der UNESCO-Konvention zur Folge, dass fremde als unveräußerlich deklarierte Kulturgüter nur dann international anerkannt werden, wenn sich der rechtswidrige Transfer des kulturellen Gutes innerhalb des kulturellen Ursprungsstaates ereignete, der die Unveräußerlichkeit in seinen nationalen Rechtsvorschriften normiert hatte (sog. schlichter Statutenwechsel). Erfolgt jedoch eine Veräußerung außerhalb der Grenzen des kulturellen Ursprungsstaates (sog. qualifizierter Statutenwechsel), finden die gewöhnlichen Rechtsregeln des internationalen Privatrechts und der danach bestimmten dinglichen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter Anwendung, welche nach der internationalen Rechtsordnung de lege lata keine internationale Anwendung einer nationalen Unveräußerlichkeitserklärung auch über die Grenzen des betreffenden Staates hinaus mit Geltungskraft belegen – mit der logisch zwingenden Folge des gutgläubigen Erwerbs auch unrechtmäßig entzogener Kulturgüter.2465
(2) 966
European Convention on Offences Relating to Cultural Property vom 23. Juni 1985
Neben der UNESCO-Konvention vom 14. November 1970 könnte auch die European Convention on Offences Relating to Cultural Property vom 23. Juni 1985 (Delphi) eine extraterritoriale Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften fordern. Die Konvention mit strafrechtlichem Hintergrund zielt in erster Linie auf die Rückführung unrechtmäßig verbrachter Kulturgüter, die im Anschluss an einen Gesetzesverstoß von dem Territorium einer Vertragspartei auf das Staatsgebiet einer anderen gelangt sind (Art. 6 normiert eine zwischenstaatliche Kooperationspflicht2466 und Art. 7 präzisiert die formalen Notifikationspflichten2467). Zentrale Vorschrift ist Art. 8: 2465
2466
2467
Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 104. Article 6 European Convention on Offences Relating to Cultural Property vom 23. Juni 1985 (Delphi): The Parties undertake to co operate with a view to the restitution of cultural property found on their territory, which has been removed from the territory of another Party subsequent to an offence relating to cultural property committed in the territory of a Party, notably in conformity with the provisions that follow. Article 7 European Convention on Offences Relating to Cultural Property vom 23. Juni 1985
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
1045
Art. 8 European Convention on Offences Relating to Cultural Property vom 23. Juni 1985 (Delphi): (1) Each Party shall execute in the manner provided for by its law any letters rogatory relating to proceedings addressed to it by the competent authorities of a Party that is competent in accordance with Article 13 for the purpose of procuring evidence or transmitting articles to be produced in evidence, records or documents. (2) Each Party shall execute in the manner provided for by its law any letters rogatory relating to proceedings addressed to it by the competent authorities of a Party that is competent in accordance with Article 13 for the purpose of seizure and restitution of cultural property which has been removed to the territory of the requested Party subsequent to an offence relating to cultural property. Restitution of the property in question is however subject to the conditions laid down in the law of the requested Party. (3) Each Party shall likewise execute any letters rogatory relating to the enforcement of judgments delivered by the competent authorities of the requesting Party in respect of an offence relating to cultural property for the purpose of seizure and restitution of cultural property found on the territory of the requested Party to the person designated by the judgment or that person’s successors in title. To this end the Parties shall take such legislative measures as they may consider necessary and shall determine the conditions under which such letters rogatory are executed. (4) Where there is a request for extradition, the return of the cultural property mentioned in paragraphs 2 and 3 shall take place even if extradition, having been agreed to, cannot be carried out owing to the death or escape of the person claimed or to other reasons of fact. (5) The requested Party may not refuse to return the cultural property on the grounds that it has seized, confiscated or otherwise acquired rights to the property in question as the result of a fiscal or customs offence committed in respect of that property.
967
In Art. 8 Abs. 4 wird eine völkerrechtlich verpflichtende Restitutionsnorm geschaffen, die dann große Rechtswirksamkeit und praktische Bedeutung für den internationalen Kulturgüterverkehr zeitigen würde, wenn der in Appendix III zu der Konvention angeführte Verstoß gegen nationale Exportbestimmungen –
968
(Delphi): (1) Any Party that is competent under Article 13 shall, if it thinks fit, notify as soon as possible the Party or Parties to whose territory cultural property has been removed, or is believed to have been removed, subsequent to an offence relating to cultural property. (2) Any Party from whose territory cultural property has been removed, or is believed to have been removed, subsequent to an offence relating to cultural property, shall notify as soon as possible the Party that is competent in accordance with Article 13, paragraph 1, sub paragraph e. (3) If such cultural property is found on the territory of a Party which has been duly notified, that Party shall immediately inform the Party or Parties concerned. (4) If cultural property is found on the territory of a Party and if that Party has reasonable grounds to believe that the property in question has been removed from the territory of another Party subsequent to an offence relating to cultural property, it shall immediately inform the other Party or Parties presumed to be concerned. (5) The communications referred to in the preceding paragraphs shall contain all information concerning the identification of the property in question, the offence subsequent to which it was removed and the circumstances concerning the discovery. (6) The Parties shall ensure the fullest possible distribution of the notifications which they receive pursuant to the provisions of paragraph 1.
1046
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht Appendix III European Convention on Offences Relating to Cultural Property vom 23. Juni 1985 (Delphi): 2 (h) (i) actual or attempted exportation of cultural property the exportation of which is prohibited by the law of a Party; (ii) exportation or attempted exportation, without authorisation of the competent authorities, of cultural property the exportation of which is made conditional on such an authorisation by the law of a Party.
nicht nur fakultativ nach Art. 3 Abs. 2 i.V.m. Appendix III, paragraph 2, sondern verbindlich als „Gesetzesverstoß“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Appendix III, paragraph 2 des Übereinkommens gelten würde.2468 Voraussetzung einer „restitution“ i.S.d. Konvention ist, dass (erstens) das Kulturgut auf dem Territorium eines Vertragsstaates (Staat A) aufgefunden wurde, (zweitens) das Objekt aus dem Staatsgebiet eines anderen Vertragsstaates (Staat B) verbracht wurde und (drittens) sich diese Verbringung als Resultat eines strafrechtlich relevanten Delikts gegenüber Kulturgütern eines anderen Vertragsstaates (Staat C) darstellt. Dabei kann Staat C nicht nur der Staat A oder Staat B, sondern insbesondere auch ein sog. Drittstaat sein, sodass im Ergebnis die Ausfuhrverbotsvorschriften dieses Staates extraterritoriale Wirkung zeitigen würden. 969
Einschränkend ist hinsichtlich der praktischen Anwendbarkeit der Konvention jedoch darauf hinzuweisen, dass es sich um ein rein strafrechtliches Übereinkommen handelt. Dies hat zur Folge, dass unrechtmäßig transferierte Kulturgüter zwar dem Täter, nicht jedoch einem gutgläubigen Erwerber entzogen werden können, dem seitens der Strafverfolgungsbehörden kein Wissen um die unrechtmäßige Verbringung nachgewiesen werden kann.2469 Die in dem ursprünglichen Entwurf für das Europaratsübereinkommen formulierte Bestimmung über den gutgläubigen Erwerb eines gestohlenen oder illegal exportierten Kulturguts in Art. 12 des Entwurfs wurde angesichts der unterschiedlichen nationalen Regelungen auf diesem Gebiet nicht in das Übereinkommen aufgenommen2470 und 2468
2469
2470
Art. 3 European Convention on Offences Relating to Cultural Property vom 23. Juni 1985 (Delphi): (1) For the purposes of this Convention, the acts and omissions listed in Appendix III, paragraph 1, are offences relating to cultural property. (2) Any Contracting State may, at any time, declare that, for the purposes of this Convention, it also deems to be offences relating to cultural property the acts and omissions listed in any one or more sub paragraphs of Appendix III, paragraph 2. (3) Any Contracting State may, at any time, declare that, for the purposes of this Convention, it also deems to be offences relating to cultural property any one or more acts and omissions that affect cultural property and are not listed in Appendix III. So auch Fechner, Rechtlicher Schutz archäologischen Kulturguts – Regelungen im innerstaatlichen Recht, im Europa- und Völkerrecht sowie Möglichkeiten zu ihrer Verbesserung, 1991, S. 95; im Anschluss an Walter, Rückführung von Kulturgut im Internationalen Recht, 1988, S. 216; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 97. Vgl. Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 75; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 97.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
1047
nach mehreren Jahren der Diskussion unter Verweis auf die inzwischen entwickelte UNIDROIT-Convention on Stolen or Illegally Exported Cultural Objects vom 24. Juni 1995 unberücksichtigt gelassen.2471 Insgesamt hat das Europaratsübereinkommen von 1985 die gehegten Erwartungen nicht erfüllt. Insbesondere wird kritisiert, dass es nur einige praktische Erleichterungen vorsieht, rechtlich jedoch in der Frage der Rückführung von Kulturgut über bereits bestehende Rechtshilfeabkommen nicht hinausgeht. In der praktischen Anwendung blieb die European Convention on Offences Relating to Cultural Property vom 23. Juni 1985 damit deutlich hinter den erhofften Erwartungen zurück. Enttäuscht zeigt sich das Schrifttum insbesondere, dass praktisch nur verfahrensrechtliche Erleichterungen geschaffen werden ohne materielle Regelungen zur Restitution zu treffen.2472 Das Abkommen „shall enter into force on the first day of the month following the expiration of a period of one month after the date on which three member States of the Council of Europe have expressed their consent to be bound by the Convention“.2473 Zwar wurde die Konvention inzwischen von sechs Staaten gezeichnet (Türkei, Griechenland, Italien, Liechtenstein, Portugal und Zypern), jedoch von noch keinem Staat ratifiziert, sodass die Konvention bisher noch nicht in Kraft getreten ist.
(3)
Resolution ‚La vente internationale d’objets d’art sous l’angle de la protection du patrimoine culture‘ vom 3. September 1991
Innerhalb der kulturgüterunspezifischen internationalen Rechtsinstrumente wurde bereits auf die vom Institut de Droit international anlässlich der Session de Wiesbaden im Jahre 1975 angenommene Resolution L’application du droit public étranger verwiesen, die ausdrücklich eine Abkehr vom Dogma der Nichtanwendung ausländischen öffentlichen Rechts forderte. Speziell für den Bereich des Kulturgüter- und Denkmalschutzrechts nahm das Institut de Droit international anlässlich der Session de Bâle im Jahre 1991 die Resolution La vente internationale d’objets d’art sous l’angle de la protection du patrimoine culture an. Schon die
2471
2472
2473
Vgl. Walter, Rückführung von Kulturgut im Internationalen Recht, 1988, S. 62; Prott/ O’Keefe, Law and the Cultural Heritage – Volume 3: Movement, 1989, Rdnr. 1324; Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 175 f.; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 97. Vgl. Fechner, Rechtlicher Schutz archäologischen Kulturguts – Regelungen im innerstaatlichen Recht, im Europa- und Völkerrecht sowie Möglichkeiten zu ihrer Verbesserung, 1991, S. 95; im Anschluss an Walter, Rückführung von Kulturgut im Internationalen Recht, 1988, S. 62; Prott/O’Keefe, Law and the Cultural Heritage – Volume 3: Movement, 1989, Rdnr. 1317 ff., insbes. Rdnr. 1323 f. Vgl. auch Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 97. Art. 21 Abs. 1 European Convention on Offences Relating to Cultural Property vom 23. Juni 1985.
970
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Präambel beschränkt die Verkehrs- und Rechtssicherheitsinteressen zugunsten des Bedürfnisses an der internationalen Berücksichtigung der öffentlich-rechtlichen Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften der kulturellen Ursprungsstaaten: 971
Präambel der Resolution La vente internationale d’objets d’art sous l’angle de la protection du patrimoine culture (Auszug): L’Institut de Droit international, Considérant l’importance croissante attachée par la société internationale et par les communautés nationales ou régionales à la protection et la conservation du patrimoine culture, Considérant que chaque pays a le droit et le devoir de prendre des mesures visant la préservation de son patrimoine culture, Considérant que de telles mesures entraînent dans plusieurs cas des restrictions à la libre circulation des objets d’art tenus pour éléments intégrants du patrimoine culturel du pays, Considérant que lesdites dispositions, tout en se justifiant par le besoin d’assurer la sauvegarde de ce patrimoine, devraient être conciliées dans la mesure du possible avec les intérêts généraux du commerce international des objets d’art, Considérant que de telles mesures, qui font l’obstacle à l’exportation des objets d’art, devraient être justifiées par l’intérêt général à la protection du patrimoine culturel national ou du patrimoine culturel commun de la société internationale, Estimant souhaitable que les mesures de protection du patrimoine culturel en vigueur dans le pays d’origine de l’objet d’art soient reconnues dans d’autres pays, notamment dans celui de la situation actuelle du bien,
972
Dabei wird den kulturellen Ursprungsstaaten insbesondere das Recht zum Erlass öffentlich-rechtlicher Kulturgüterschutzbestimmungen für Objekte von nationaler Wichtigkeit zugeschrieben, die zwangsläufig auch den internationalen Kulturgüterverkehr und die Ausfuhr solcher Objekte beschränken. Ausdrücklich wird dabei die Berücksichtigung dieser Protektionsmechanismen auch außerhalb der kulturellen Ursprungsstaaten gefordert.
973
Article 3 Resolution La vente internationale d’objets d’art sous l’angle de la protection du patrimoine culture vom 3. September 1991: Les dispositions de la loi du pays d’origine concernant l’exportation d’objets d’art sont applicables.
974
Normativ wurde für den internationalen Kulturgüterverkehr diese Forderung nach einer extraterritorialen Anwendung von Exportbeschränkungen auch außerhalb des Territoriums des kulturellen Ursprungsstaates in Art. 3 der Resolution bestimmt: Danach wird für den Erwerb von registriertem Kulturgut2474 die Geltungskraft der Kulturexportregularien des Ursprungsstaates generell für anwendbar erklärt.
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Vgl. hierzu Article premier a) Resolution La vente internationale d’objets d’art sous l’angle de la protection du patrimoine culture vom 3. September 1991: 1. Au sens de la présente Résolution, on entend par: a) objet d’art, celui qui est identifié comme appartenant au patrimoine culturel d’un pays par son classement, enregistrement ou tout autre procédé de publicité internationalement admis en la matière; …
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
(4)
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EG-Richtlinie 93/7/EWG vom 15. März 1993
Praktisch wichtigstes Beispiel für eine extraterritoriale Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze ist die Richtlinie 93/7/EWG des Rates über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern vom 15. März 1993.2475 Darin wurden bzw. werden zukünftige Mitgliedstaaten der Europäischen Union verpflichtet, in nationalen Umsetzungsakten der Richtlinie eine Regelung dafür zu schaffen, dass Ausfuhrbeschränkungen für Kulturgüter i.S.d. Europarechts anderer Mitgliedstaaten auch vor den eigenen Instanzen Anwendung finden. Die EG-Richtlinie vom 15. März 1993 führte in Art. 2 und 5 für alle europäischen Mitgliedstaaten die innerstaatliche und damit nationale Verpflichtung zur Restitution ohne rechtmäßige Ausfuhrgenehmigung illegal exportierter Kulturgüter eines jeden Mitgliedstaates der Europäischen Union ein:
975
Richtlinie 93/7/EWG vom 15. März 1993: Art. 2: Die unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgüter werden nach den in dieser Richtlinie vorgesehenen Verfahren und Bedingungen zurückgegeben.
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Art. 5: Der ersuchende Mitgliedstaat kann gegen den Eigentümer und ersatzweise gegen den Besitzer bei dem zuständigen Gericht des ersuchten Mitgliedstaats Klage auf Rückgabe eines Kulturguts erheben, das sein Hoheitsgebiet unrechtmäßig verlassen hat. Die Klage auf Rückgabe ist nur dann zulässig, wenn der Klageschrift folgendes beigefügt ist: – ein Dokument mit der Beschreibung des Gutes, das Gegenstand der Klage ist, und der Erklärung, daß es sich dabei um ein Kulturgut handelt; – eine Erklärung der zuständigen Stellen des ersuchenden Mitgliedstaats, wonach das Kulturgut unrechtmäßig aus seinem Hoheitsgebiet verbracht wurde.
Damit werden die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, eine in ihrem innerstaatlichen Recht geltende Rechtsregel zu erlassen, die die Rückführung zuvor aus dem Territorium eines der anderen europäischen Mitgliedstaaten illegal exportierter Kulturgüter zum Inhalt hat. Art. 8 der Richtlinie gibt die Voraussetzungen eines mitgliedstaatlichen Restitutionsanspruchs illegal exportierter Kulturgüter wieder:
977
Art. 8 Richtlinie 93/7/EWG vom 15. März 1993: Vorbehaltlich der Artikel 7 und 13 wird die Rückgabe des Kulturguts von dem zuständigen Gericht angeordnet, wenn erwiesen ist, daß es sich dabei um ein Kulturgut im Sinne des Artikels 1 Nummer 1 handelt und die Verbringung aus dem Hoheitsgebiet unrechtmäßig war.
978
Werden Kulturgüter, die unter den Anwendungsbereich nationaler Kulturgüterschutzgesetze und entweder unter eine Kategorie des Anhangs der Richtlinie 93/7/EWG vom 15. März 1993 fallen oder im Bestandsverzeichnis öffentlicher Sammlungen oder kirchlicher Einrichtungen aufgeführt sind (Kulturgüter i.S.d.
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2475
Amtsblatt der EG, 1993 Nr. L 74/74.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Art. 1 Nr. 1 der Richtlinie 93/7/EWG),2476 nach dem 1.1.19932477 entgegen den nationalen Kulturgüterschutzgesetzen eines Mitgliedstaates der Europäischen Union aus dem Hoheitsgebiet eines Herkunftsstaates oder entgegen der Verordnung (EWG) Nr. 3911/92 des Rates über die Ausfuhr von Kulturgütern vom 9. Dezember 1992 in einen anderen Mitgliedstaat verbracht bzw. nach Ablauf der Frist für eine vorübergehende rechtmäßige Verbringung bzw. entgegen einer anderen Bedingung für diese vorübergehende Verbringung nicht wieder zurückgebracht (unrechtmäßige Verbringung i.S.d. Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 93/7/ EWG) 2478, so hat der Mitgliedstaat, in dem sich das Kulturgut unrechtmäßigerweise befindet, auf Ersuchen des Herkunftsstaates nach Art. 2 der Richtlinie 93/7/EWG 2479 das Objekt in den Herkunftsstaat zurückzugeben.2480 Der ersuchende Mitgliedstaat kann nach Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie gegen den Eigentümer und ersatzweise gegen den Besitzer bei dem zuständigen Gericht des er2476
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Art. 1 Nr. 1 Richtlinie 93/7/EWG des Rates über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern vom 15. März 1993: Im Sinne dieser Richtlinie gilt als „Kulturgut“: ein Gegenstand, – der vor oder nach der unrechtmäßigen Verbringung aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats nach den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Verwaltungsverfahren im Sinne des Artikels 36 des Vertrages als „nationales Kulturgut von künstlerischem, geschichtlichem oder archäologischem Wert“ eingestuft wurde und – unter eine der im Anhang genannten Kategorien fällt oder, wenn dies nicht der Fall ist, – zu öffentlichen Sammlungen gehört, die im Bestandsverzeichnis von Museen, von Archiven oder von erhaltenswürdigen Beständen von Bibliotheken aufgeführt sind. Für die Zwecke dieser Richtlinie gelten als „öffentliche Sammlungen“ diejenigen Sammlungen, die im Eigentum eines Mitgliedstaats, einer lokalen oder einer regionalen Behörde innerhalb eines Mitgliedstaats oder einer im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats gelegenen Einrichtung stehen, die nach der Rechtsordnung dieses Mitgliedstaats als öffentlich gilt, wobei dieser Mitgliedstaat oder eine lokale oder regionale Behörde entweder Eigentümer dieser Einrichtung ist oder sie zu einem beträchtlichen Teil finanziert; – im Bestandsverzeichnis kirchlicher Einrichtungen aufgeführt ist; … Art. 13 Richtlinie 93/7/EWG des Rates über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern vom 15. März 1993: Diese Richtlinie gilt nur in Fällen, in denen Kulturgüter ab dem 1. Januar 1993 unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbracht werden. Art. 1 Nr. 2 Richtlinie 93/7/EWG des Rates über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern vom 15. März 1993: Im Sinne dieser Richtlinie gilt als „unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbracht“: – jede Verbringung aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats entgegen dessen Rechtsvorschriften für den Schutz nationaler Kulturgüter oder entgegen der Verordnung (EWG) Nr. 3911/92 sowie – jede nicht erfolgte Rückkehr nach Ablauf der Frist für eine vorübergehende rechtmäßige Verbringung bzw. jeder Verstoß gegen eine andere Bedingung für diese vorübergehende Verbringung … Art. 2 Richtlinie 93/7/EWG des Rates über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern vom 15. März 1993: Die unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgüter werden nach den in dieser Richtlinie vorgesehenen Verfahren und Bedingungen zurückgegeben. Vgl. Siehr, Handel mit Kulturgütern in der Europäischen Union und in der Schweiz, in: Walder, Aspekte des Wirtschaftsrechts – Festgabe zum Schweizerischen Juristentag 1994, 1994, S. 353–372, S. 358–361.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
1051
suchten Mitgliedstaats Klage auf Rückgabe eines Kulturguts erheben, das sein Hoheitsgebiet unrechtmäßig verlassen hat.2481 Nach Art. 7 der Richtlinie besteht eine relative Frist von einem Jahr nach Kenntnis der Belegenheit des Kulturgutes und der Identität des Besitzers sowie eine absolute Frist von 30 Jahren bzw. 75 Jahren für Kulturgüter öffentlicher Sammlungen.2482 Wird die Rückgabe angeordnet, so hat das zuständige Gericht des ersuchten Mitgliedstaats nach Art. 9 der Richtlinie dem Eigentümer in der Höhe, die es im jeweiligen Fall als angemessen erachtet, eine Entschädigung zu gewähren, sofern es davon überzeugt ist, dass der Eigentümer beim Erwerb mit der erforderlichen Sorgfalt vorgegangen ist. Die Richtlinie arbeitet innerhalb des europäischen Rechtsraums wirksam, ausgewogen und effektiv. Ausländische Ausfuhrbeschränkungen der nationalen Kulturgüterschutzgesetze erfahren trotz ihrer Qualifikation als Normen des öffentlichen Rechts innerhalb der Europäischen Union direkte Anwendung.2483 Forum shopping und die Suche nach dem place of bargaining shopping werden so für ‚europäische‘ Kulturgüter seitens des illegalen Kunsthandels vermieden: Die praktisch universal geltenden Regeln der lex rei sitae des internationalen Sachenrechts und die Anwendung der Rechtsordnung des Lageorts zum Zeitpunkt der rechtserheblichen Einwirkung auf die Eigentumsposition an dem Kulturgut werden insofern modifiziert, als eine gemeinschaftsrechtliche Rückgabepflicht eines gutgläubigen Erwerbers selbst dann besteht, wenn er nach der lex rei sitae unanfechtbar Eigentum erworben hat.2484 Schließlich richten sich die Fristen für eine Rückga-
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2483 2484
Fuchs, Kulturgüterschutz im Kulturgutsicherungsgesetz, IPRax 2000, S. 281–286, S. 283: „Nunmehr ist innerhalb der EU die Klage eines Staates auf Rückgabe eines unrechtmäßig verbrachten Kulturguts ex lege zulässig.“ Art. 7 Richtlinie 93/7/EWG des Rates über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern vom 15. März 1993: (1) Die Mitgliedstaaten sehen in ihren Rechtsvorschriften vor, dass der Rückgabeanspruch gemäß dieser Richtlinie ein Jahr nach dem Zeitpunkt erlischt, zu dem der ersuchende Mitgliedstaat von dem Ort der Belegenheit des Kulturguts und der Identität seines Eigentümers oder Besitzers Kenntnis erhält. In jedem Fall erlischt der Rückgabeanspruch 30 Jahre nach dem Zeitpunkt, zu dem das Kulturgut unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet des ersuchenden Mitgliedstaats verbracht wurde. Handelt es sich jedoch um Kulturgüter, die zu öffentlichen Sammlungen gemäß Artikel 1 Nummer 1 gehören, sowie um kirchliche Güter in den Mitgliedstaaten, in denen sie nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften besonderen Schutzregelungen unterliegen, so erlischt der Rückgabeanspruch nach 75 Jahren; hiervon ausgenommen sind die Mitgliedstaaten, in denen der Rückgabeanspruch unverjährbar ist, sowie bilaterale Abkommen zwischen Mitgliedstaaten, in denen eine Verjährungsfrist von über 75 Jahren festgelegt ist. (2) Die Rückgabeklage ist unzulässig, wenn das Verbringen aus dem Hoheitsgebiet des ersuchenden Mitgliedstaats zu dem Zeitpunkt, zu dem die Klage erhoben wird, nicht mehr unrechtmäßig ist. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 234 und 273. Vgl. auch Siehr, Handel mit Kulturgütern in der Europäischen Union und in der Schweiz, in: Walder, Aspekte des Wirtschaftsrechts – Festgabe zum Schweizerischen Juristentag 1994, 1994, S. 353–372, S. 358–361.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
beklage nicht nach der nach den kollisionsrechtlichen Grundsätzen zu bestimmenden nationalen Rechtsordnung, sondern nach den vereinheitlichten Fristen der Richtlinie.2485 Nationale Ausfuhrbeschränkungen finden so innerhalb des Territoriums aller Mitgliedstaaten der Europäischen Union unmittelbare Anwendung. „Kulturgüter, die aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union in einen anderen unrechtmäßig verbracht worden sind, müssen einerlei ob gestohlen oder nicht, in den Herkunftsstaat zurückgeführt werden. Die Richtlinie und ihre nationalen Ausführungsbestimmungen führen also zu einer Durchsetzung ausländischer Exportverbote durch inländische Rückführungsgebote. Kulturgüter im Sinne der Richtlinie werden damit zumindest res extra commercium europeum mit langen Fristen für Verfahren zur Rückführung von gestohlenem oder geschmuggeltem Kulturgut.“2486 Die direkte Anwendung der Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften anderer Mitgliedstaaten innerhalb der Europäischen Union führte somit zur innereuropäischen Durchbrechung des Prinzips der Unanwendbarkeit ausländischen öffentlichen Rechts. 981
Wäre die EG-Rückführungsrichtlinie vom 15. März 1993 oder eine vergleichbare Rechtsregel schon früher anwendbar gewesen, wären im Kulturgüterschutzrecht bedeutsame Gerichtsurteile im Ergebnis anders entschieden worden. So hätte weder das italienische Gericht in der Entscheidung Stato francese c. Ministero per i beni culturali e ambientali e De Contessini 2487 das Begehr der französischen Regierung, die illegal aus Frankreich exportierten Aubusson-Teppiche, die sich in französischem Staatseigentum befanden und ohne rechtmäßige Ausfuhrerlaubnis und damit illegal nach Italien exportiert und dort an einen gutgläubigen Erwerber transferiert wurden, nach Italien zu restituieren, ablehnen können noch hätte in dem Beispielsfall King of Italy v. Marquis Cosimo de Medici 2488 das englische Zivilgericht die Restitution aus italienischem Territorium ohne rechtmäßige Ausfuhrerlaubnis illegal exportierter historischer italienischer Dokumente an Italien verweigern können. Nach innerstaatlicher Umsetzung der EGRichtlinie hätte auch der englische Richter anders zu entscheiden und die Rückgabe auch derjenigen Dokumente anordnen müssen, die im individuellen Eigentum de Medici selbst standen. Andererseits wäre es aber auch bei Geltung der EG-Richtlinie vom 15. März 1993 französischen Gerichten in der Entscheidung Duc de Frias v. Baron Pichon 2489 verwehrt gewesen, die Restitution illegal 2485
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2487 2488 2489
Vgl. auch Siehr, Handel mit Kulturgütern in der Europäischen Union und in der Schweiz, in: Walder, Aspekte des Wirtschaftsrechts – Festgabe zum Schweizerischen Juristentag 1994, 1994, S. 353–372, S. 358–361. So die Terminologie bei Siehr, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Rechtsverkehr, in: Westphalen/Sandrock, Lebendiges Recht – Von den Sumerern bis zur Gegenwart – Festschrift für Reinhold Trinkner zum 65. Geburtstag, 1995, S. 703–722, S. 719. Vgl. ausführlich hierzu 3, 1050 ff. Vgl. ausführlich hierzu 3, 1046 ff. Vgl. ausführlich hierzu 3, 1054 ff.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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aus dem Mitgliedstaat Spanien exportierter Kulturgüter bei einer Klage auf Eigentumsherausgabe an den spanischen Ursprungsstaat zu verweigern. Zwar wurde in dieser Fallstudie nicht explizit die Frage entschieden, ob ein spanisches Exportverbot kultureller Güter als ausländische öffentlich-rechtliche Norm vor französischen Zivilgerichten Anwendung erfahren sollte, jedoch befand sich das Gericht faktisch in einer vergleichbaren Situation: Nachdem sich die Äbtissin der Kathedrale von Burgos in Kastilien-León im Nord-Westen Spaniens dazu gezwungen sah, ein wertvolles Ziborium aus Geldsorgen an Baron Pichon zu verkaufen, hätte Spanien, bei Erfüllung sämtlicher weiterer Voraussetzungen der Richtlinie, das Recht zugestanden, von dem Erwerber Pichon das Ziborium herauszuverlangen. Mit Umsetzung der Richtlinie können innerhalb der Europäischen Union nun auch illegal durch den Eigentümer selbst exportierte Kulturgüter2490 – d.h. durch diejenige Person, die die tatsächliche Sachherrschaft über das Kulturgut für sich selbst ausübt – bzw. hilfsweise von dem Besitzer2491 – d.h. von derjenigen Person, die die tatsächliche Sachherrschaft über das Kulturgut für andere ausübt – durch die jeweiligen Herkunftsstaaten zurückverlangt werden. Rechtsstreitigkeiten analog zu dem Restitutionsbegehr der französischen Aubusson-Teppiche, der italienischen Medici-Dokumente sowie des spanischen Ziboriums werden daher von den Gerichten der europäischen Mitgliedstaaten nicht mehr unter Verweis auf das Dogma der Nichtanwendbarkeit ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze aufgrund ihrer Qualifizierung als ausländische öffentlich-rechtliche Normen entschieden werden können.2492
(5)
UNIDROIT-Convention on Stolen or Illegally Exported Cultural Objects vom 24. Juni 1995
Schließlich stellt die UNIDROIT-Convention on Stolen or Illegally Exported Cultural Objects vom 24. Juni 1995 ein praxisrelevantes Beispiel für ein kulturgüter2490
2491
2492
Art. 1 Nr. 6 EG-Richtlinie 93/7/EWG des Rates über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern vom 15. März 1993: „Eigentümer“: die Person, die die tatsächliche Sachherrschaft über das Kulturgut für sich selbst ausübt. Art. 1 Nr. 7 EG-Richtlinie 93/7/EWG des Rates über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern vom 15. März 1993: „Besitzer“: die Person, die die tatsächliche Sachherrschaft über das Kulturgut für andere ausübt. Ergänzend enthält die EG-Richtlinie 93/7/EWG des Rates über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern vom 15. März 1993 in Art. 12 auch eine spezielle, das Rechtsregime des Sachenrechts betreffende Kollisionsregel, worin hinsichtlich entstehender eigentumsrechtlicher Fragen ohne rechtmäßige Ausfuhrgenehmigung illegal exportierter Kulturgüter auf das Recht des Herkunfts- bzw. Ursprungsstaates verwiesen wird: Artikel 12 EG-Richtlinie 93/7/EWG des Rates über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern vom 15. März 1993: Die Frage des Eigentums an dem Kulturgut nach erfolgter Rückgabe bestimmt sich nach dem Recht des ersuchenden Mitgliedstaats. Vgl. ausführlich hierzu 3, 135 ff.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
spezifisches Instrument des internationalen Rechts dar, das die extraterritoriale Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften bestimmt. Dies erfolgt in so weiter Form, dass die Konvention für zahlreiche kulturelle Importstaaten zur Vereinheitlichung der innerstaatlichen Rechtsvorschriften (leider noch) nicht konsensfähig ist und bislang lediglich in 29 Staaten in Kraft getreten ist, wobei die überwiegende Mehrzahl der Vertragsstaaten zu den kulturellen Quellenstaaten zählt und selbst keinen erheblichen Kulturgutimport aufweist. 983
Während die Rückführung gestohlener Kulturgüter in Kapitel II. statuiert wurde, behandelt Kapitel III. die Rückführung rechtswidrig ausgeführter und damit entgegen den nationalen Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetzen exportierter Objekte. Nach Art. 1 b) findet das Übereinkommen nämlich auf Ansprüche internationaler Art betreffend die Rückführung von Kulturgütern Anwendung, die aus dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats unter Verletzung seiner Rechtsvorschriften, welche die Ausfuhr von Kulturgütern im Hinblick auf den Schutz seines kulturellen Erbes regeln (in der Konvention als „rechtswidrig ausgeführte Kulturgüter“ bezeichnet), entfernt wurden.
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Art. 1 UNIDROIT-Convention vom 24. Juni 1995: This Convention applies to claims of an international character for: … (b) the return of cultural objects removed from the territory of a Contracting State contrary to its law regulating the export of cultural objects for the purpose of protecting its cultural heritage (hereinafter „illegally exported cultural objects“).
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In der Konvention wird einem Vertragsstaat das Recht eingeräumt, ein Gericht oder eine andere zuständige Behörde eines anderen Vertragsstaats um die Anordnung der Rückführung eines rechtswidrig aus dem Hoheitsgebiet des ersuchenden Staates ausgeführten Kulturguts anzurufen.2493 Das Gericht oder jede andere zuständige Behörde des ersuchten Staates ordnet die Rückführung eines rechtswidrig ausgeführten Kulturguts an, wenn der ersuchende Staat nachweist, dass die Entfernung des Gutes aus seinem Hoheitsgebiet alternativ oder kumulativ die materielle Erhaltung des Gutes oder seiner Umgebung, die Unversehrtheit eines komplexen Gutes, die Erhaltung von Informationen, z.B. wissenschaftlicher oder historischer Art bzw. den traditionellen oder rituellen Gebrauch des Gutes durch eine Eingeborenen- oder Stammesgemeinschaft wesentlich beeinträchtigt oder das Gut für den ersuchenden Staat von wesentlicher kultureller Bedeutung ist.
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Art. 5 Abs. 1 UNIDROIT-Convention vom 24. Juni 1995. Nach Art. 5 Abs. 2 gilt auch ein Kulturgut, das vorübergehend aus dem Hoheitsgebiet des ersuchenden Staates, namentlich zu Ausstellungs-, Forschungs- oder Restaurierungszwecken, aufgrund einer die Ausfuhr von Kulturgütern regelnden Rechtsvorschrift zum Schutz seines kulturellen Vermögens erteilten Genehmigung ausgeführt und nicht gemäß den Bedingungen dieser Genehmigung zurückgeführt wurde, als rechtswidrig ausgeführt.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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Art. 5 Abs. 3 UNIDROIT-Convention vom 24. Juni 1995: (3) The court or other competent authority of the State addressed shall order the return of an illegally exported cultural object if the requesting State establishes that the removal of the object from its territory significantly impairs one or more of the following interests: (a) the physical Preservation of the object or of its context; (b) the integrity of a complex object; (c) the preservation of information of, for example, a scientific or historical character; (d) the traditional or ritual use of the object by a tribal or indigenous community, or establishers that the object is of significant cultural importance for the requesting State.
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Der Restitutionsanspruch illegal ausgeführter Kulturgüter ist innerhalb einer Frist von drei Jahren ab dem Zeitpunkt zu stellen, an welchem dem ersuchenden Staat die Belegenheit des Guts und die Identität des Besitzers bekannt waren (sog. relative Verjährungsfrist), und in jedem Fall innerhalb einer Frist von fünfzig Jahren ab der Ausfuhr (sog. absolute Verjährungsfrist). Art. 6 beinhaltet ein Kompensationsrecht bei Rückführungspflicht unrechtmäßig ausgeführter kultureller Güter:2494 Um die Interessen gutgläubiger Erwerber unrechtmäßig ausgeführter Kulturgüter zu wahren, wird bei Restitution unrechtmäßig ausgeführter Kulturgüter die Zahlung einer angemessenen Entschädigung durch den ersuchenden Staat bestimmt. Bei der Rückführung unrechtmäßig ausgeführter Kulturgüter erfolgt die Kompensationszahlung unter dem Vorbehalt, dass dem Besitzer bei seinem Erwerb nicht bekannt war oder vernünftigerweise nicht hätte bekannt sein müssen, dass das Gut rechtswidrig ausgeführt worden war.
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Die UNIDROIT-Convention wendet damit innerhalb der Rückführung unrechtmäßig ausgeführter Kulturgüter unmittelbar ausländische Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze des kulturellen Ursprungsstaates in besonders weiter Fassung an: Es berechtigt zwar nicht jede Ausfuhr entgegen den Vorschriften des kulturellen Ursprungsstaates zu einem Herausgabeanspruch, jedoch wirken die in Art. 5 Abs. 3 der UNIDROIT-Convention genannten Limitierungen einer zu weitreichenden Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschrif-
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2494
Art. 6 UNIDROIT-Convention vom 24. Juni 1995: (1) The possessor of a cultural object who acquired the object after it was illegally exported shall be entitled, at the time of its return, to payment by the requesting State of fair and reason compensation, provided that the possessor neither knew nor ought reasonably to have known at the time of acquisition that the object had been illegally exported. (2) In determining whether the possessor knew or ought reasonably to have known that the cultural object had been illegally exported, regard shall be had to the circumstances of the acquisition, including the absence of an export certificate required under the law of the requesting State. (3) Instead of compensation, and in agreement with the requesting State, the possessor required to return the cultural object to that State may decide: (a) to retain ownership of the object; or (b) to transfer ownership against payment or gratuitously to a person of its choice residing in the requesting State who provides the necessary guarantees. (4) The cost of returning the cultural object in accordance with this article shall be borne by the requesting State, without prejudice to the right of that State to recover costs from any other person. (5) The possessor shall not be in a more favourable position than the person from whom it acquired the cultural object by inheritance or otherwise gratuitously.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
ten und eines sonst zu extensiv ausgestalteten Restitutionsanspruchs nur in einem begrenzten Maße einschränkend. In Art. 5 Abs. 3 sahen die Vertragsgestalter den notwendigen Ausgleich zwischen dem Interesse der Exportstaaten an der Bewahrung ihres nationalen Kulturerbes und dem entgegenstehenden Interesse der Importstaaten an einem freien Kunsthandel (dass die Pflicht zur Rückführung illegal exportierter Kulturgüter tatsächlich allein dem Kulturgüterschutz und nicht einem übersteigerten Kulturnationalismus dient).2495 989
Kulturelle Importstaaten machen demgegenüber jedoch geltend, dass der Grundsatz einer generellen Rückführungspflicht (die etwa für gestohlene Kulturgüter anerkannt ist) nicht auf Sachverhaltskonstellationen übertragen werden dürfe, in denen kulturelle Güter allein ohne rechtmäßige Ausfuhrgenehmigung illegal exportiert, nicht jedoch zugleich auch gestohlen wurden. Die internationale Gemeinschaft sei nämlich hilflos, wenn einzelne kulturelle Quellenstaaten – möglicherweise sogar unter Verletzung verfassungsrechtlicher Grundsätze wie bspw. der Eigentumsgarantie2496 und europarechtlichen Leitlinien der Warenverkehrsfreiheit – so restriktive Kulturgüterschutzgesetze normieren (die folglich über die UNIDROIT-Convention auch in allen Vertragsstaaten des Übereinkommens unmittelbare Anwendung finden werden), dass quasi jedes Kulturgut einer Ausfuhrsperre unterliegt oder zu Eigentum des kulturellen Ursprungsstaates designiert wird. Unter das Restitutionsregime unrechtmäßig ausgeführter Kulturgüter der UNIDROIT-Convention fallen nämlich mehr oder weniger sämtliche Kulturgüter, die ein aus religiösen oder weltlichen Gründen für Archäologie, Vorgeschichte, Geschichte, Literatur, Kunst oder Wissenschaft bedeutungsvolles Gut darstellen und einer der in der Anlage zu der UNIDROIT-Convention aufgeführten Kategorien kultureller Wertgegenstände angehören. Unterliegen somit praktisch alle national geschützten Kulturgüter einer internationalen Restitutionspflicht nach der UNIDROIT-Convention, wird nach Ansicht der kulturellen Zielstaaten entgegen den Grundsätzen des kulturellen Internationalismus zu weitgehend in den freien Kunsthandel eingegriffen und durch die unmittelbare Anwendung zu exzessiver nationaler Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze in den Vertragsstaaten der UNIDROIT-Convention der grenzüberschreitende Austausch kulturell bedeutsamer Wertgegenstände beschnitten.2497 Solche restriktiv ausgestalteten nationalen Kulturgüterschutzgesetze dürften jedoch im internationalen Kunsthandel keine extraterritoriale Anwendung erfahren und eine Restitution unrechtmäßig ausgeführter Objekte dürfe demnach allein dann extraterritoriale Beachtung finden, wenn die in Rede stehenden Kulturgüter als fester
2495 2496
2497
Vgl. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 109. Grundsätze des Eigentumsschutzes werden beeinträchtigt bei extensiv modellierten Kulturexportregularien. Vgl. Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 223.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
1057
Bestandteil des nationalen Kulturpatrimoniums zu qualifizieren und als Bestandteil des kulturellen Erbes für den Herkunftsstaat von immenser kultureller Wichtigkeit seien.
c)
Nationale Vorschriften zur Anwendung drittstaatlicher Eingriffsnormen
Überdies ist der Vergleich von kulturgüterunspezifischen und -spezifischen internationalen Rechtsinstrumenten zu nationalen Ausgestaltungsvarianten zu ziehen und festzustellen, ob auch innerstaatliche Rechtsvorschriften die unmittelbare Anwendung kulturpolitisch zwingender Eingriffsnormen eines Drittstaates kennen. An erster Stelle ist hier auf das Schweizer Kollisionsrecht zu verweisen und Art. 19 des schweizerischen Bundesgesetzes über das Internationale Privatrecht vom 18.12.19872498 zu nennen.2499
990
Art. 19 Schweizer Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht (IPRG) vom 18. Dezember 1987: VII. Berücksichtigung zwingender Bestimmungen eines ausländischen Rechts: (1) Anstelle des Rechts, das durch dieses Gesetz bezeichnet wird, kann die Bestimmung eines andern Rechts, die zwingend angewandt sein will, berücksichtigt werden, wenn nach schweizerischer Rechtsauffassung schützenswerte und offensichtlich überwiegende Interessen einer Partei es gebieten und der Sachverhalt mit jenem Recht einen engen Zusammenhang aufweist. (2) Ob eine solche Bestimmung zu berücksichtigen ist, beurteilt sich nach ihrem Zweck und den daraus sich ergebenden Folgen für eine nach schweizerischer Rechtsauffassung sachgerechte Entscheidung.
991
Anders als Art. 7 Abs. 1 des Übereinkommens über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (sog. Rom Convention) vom 19. Juni 1980 2500 und Art. 9 der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom
992
2498 2499
2500
AS 1988, 1776 (= IPrax 8 (1988) S. 376 ff.). Vgl. hierzu Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 127–139; Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 410–414; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 158–159; Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 271–279; Siehr/ Üstün, Antike Grabstelen aus der Türkei bleiben in der Schweiz (zu Schweiz. Bundesgericht, 22.5.1996 – 5 P.438/1995/szu), IPRax 1999, S. 489–492; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 291–292; Knoepfler, Le commerce de l’art en droit international privé suisse, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 359–387, S. 379–381; Siehr, Nationaler und Internationaler Kulturgüterschutz – Eingriffsnormen und der internationale Kunsthandel, in: Pfister/Will, Festschrift für Werner Lorenz zum siebzigsten Geburtstag, 1992, S. 525–542, S. 539–542; Overbeck, Das neue schweizerische Bundesgesetz über das internationale Privatrecht, IPRax 1988, S. 329 ff., S. 334. Vgl. ausführlich hierzu 3, 938 ff. u. 953 ff.
1058
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
17. Juni 2008 (sog. Rom I-Verordnung)2501, die allein auf vertragliche Sachverhaltssituationen beschränkt sind, erfasst Art. 19 des Schweizer IPRG vom 18. Dezember 1987 als allgemeine Norm, die den einzelnen Kollisionsregeln vorangestellt ist, auch andere als schuldrechtliche Tatbestände und bestimmt eine umfassende Anwendung drittstaatlicher Eingriffsnormen für sämtliche internationale Rechtskonstellationen. Auf diese Weise können gegebenenfalls auch die kulturgutbewahrenden Bestimmungen des Herkunftslands eines illegal in die Schweiz gelangten Kulturguts zur Anwendung gelangen.2502 Bei jeder Verweisung kann geprüft werden, ob nicht Eingriffsnormen eines anderen Staates die Anwendung des generell maßgeblichen Statuts ausschließen, modifizieren oder ergänzen.2503 Somit kommt ausdrücklich auch bei der Beurteilung der dinglichen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter eine unmittelbare Anwendung drittstaatlicher Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze in Frage. Obwohl somit bspw. die dingliche Veräußerung eines Kulturguts nach dem Recht des Staates, in dem dieses zum maßgeblichen Zeitpunkt belegen war (nach der lex rei sitae), beurteilt wird, können unter den Voraussetzungen des Art. 19 des Schweizer IPRG auch Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften des kulturellen Ursprungsstaates, welche bspw. bestimmte Kulturgüter als res extra commercium qualifizieren und eine Übereignung aufgrund der Verkehrsunfähigkeit der Objekte ausschließen, extraterritorial berücksichtigt werden.2504 993
Unter den genannten Voraussetzungen ist es somit einem schweizerischen Richter gestattet, von der – gemäß Art. 100 des Schweizer IPRG vom 18. Dezember 1987 auch in der Schweiz – üblichen Anknüpfung an den Lageort abzuweichen und die Bestimmung eines anderen als des von der Situs-Regel berufenen Rechts bei der dinglichen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter anzuwenden. Damit verdeutlicht Art. 19 des Schweizer IPRG – übrigens ebenso wie Art. 7 Abs. 1 der Rom Convention vom 19. Juni 1980 und Art. 9 der Rom I-Verordnung vom 17. Juni 2008 – nur die Möglichkeit einer Beachtung drittstaatlicher Eingriffsnormen und legt deren Anwendung nicht zwingend fest.2505 Das Ziel ist, wie Art. 19 Abs. 2 festhält, „eine nach schweizerischer Rechtsauffassung sachge-
2501 2502
2503
2504
2505
Vgl. ausführlich hierzu 3, 956 ff. Vgl. Knoepfler, Le commerce de l’art en droit international privé suisse, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 359–387, S. 379–381; Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 410–414. Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 158–159. Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 158–159. Knoepfler, Le commerce de l’art en droit international privé suisse, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 359–387, S. 381; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 158–159.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
1059
rechte Entscheidung“, sodass dem Richter ein gewisser Ermessensspielraum zusteht.2506 Der Richter kann die Anwendung flexibel handhaben und auch eine andere als die von der ausländischen Eingriffsnorm vorgesehene Rechtsfolge wählen.2507 Nicht ganz unumstritten ist jedoch, ob bei Applikation von Art. 19 des Schweizer IPRG vom 18. Dezember 1987 auf diese Weise auch die nationalen Kulturexportregularien der jeweiligen Ursprungsstaaten eines illegal auf das Territorium der Schweiz exportierten Kulturguts zur Anwendung gelangen.2508 Dies ist problematisch, da nach dem Wortlaut der Vorschrift bei Klagen kultureller Herkunftsstaaten „schützenswerte und offensichtlich überwiegende Interessen einer Partei es gebieten“ können, ausländische Exportverbote für Kulturgüter zu berücksichtigen.2509 Dies ist jedoch unproblematisch auch zugunsten der kulturellen Ursprungsstaaten zu bejahen: Der entstehungsgeschichtliche authentische französische Wortlaut der Norm enthält den Zusatz „einer Partei“ nicht, sodass im Einzelfall auch die nach schweizerischer Rechtsauffassung als schützenswert erachteten Interessen eines ausländischen Staates, die den Interessen beider Parteien eines Rechtsstreits zuwiderlaufen, die Berücksichtigung eines ausländischen Verbots gebieten können.2510 Im Bereich des Kulturgüterschutzes ist die Vorschrift bislang jedoch – soweit ersichtlich – noch nicht zur praktischen Anwendbarkeit gelangt.2511
994
Damit befindet sich die Schweizer Rechtsordnung bei einem internationalen Vergleich jedoch keineswegs allein: Eine der Schweizer Vorschrift des Art. 19 IPRG vergleichbare Vorschrift ist bspw. in Art. 10 des niederländischen Schets van een
995
2506
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2510
2511
Für eine zwingende Sonderanknüpfung aber Mülbert, Ausländische Eingriffsnormen als Datum, IPRax 1986, S. 140–142. S. 140 f., zitiert bei Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 410–414. Knoepfler, Le commerce de l’art en droit international privé suisse, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 359–387, S. 381; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 158–159. Vgl. zu dieser Frage Knoepfler, Le commerce de l’art en droit international privé suisse, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 359–387, S. 379–381. Vgl. Siehr, Nationaler und Internationaler Kulturgüterschutz – Eingriffsnormen und der internationale Kunsthandel, in: Pfister/Will, Festschrift für Werner Lorenz zum siebzigsten Geburtstag, 1992, S. 525–542, S. 539–542. So von Overbeck, Das neue schweizerische Bundesgesetz über das internationale Privatrecht, IPRax 1988, S. 329 ff., S. 334; Knoepfler, Le commerce de l’art en droit international privé suisse, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 359–387, S. 379–381; Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 410–414. So auch Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 410–414.
1060
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
algemene wet betreffende het internationaal privaatrecht normiert.2512 Eine ähnliche Regel enthält auch Art. 3079 des neuen Code civil von Québec: 996
Art. 3079 Code civil du Québec: (1) Lorsque les intérêts légitimes et manifestement prépondérants l’exigent, il peut être donné effet à une disposition impérative de la loi d’un autre État avec lequel la situation présente un lien étroit. (2) Pour en décider, il est tenu compte du but de la disposition, ainsi que des conséquences qui découleraient de son application.
997
Von besonderem Interesse ist auch eine vergleichbare kulturgüterspezifische Kollisionsnorm Portugals in Art. 31 Abs. 2 des portugiesischen Kulturgüterschutzgesetzes vom 6.7.1985: Ebenso wie die Resolution La vente internationale d’objets d’art sous l’angle de la protection du patrimoine culture vom 3. September 1991 hat auch der portugiesische Gesetzgeber2513 den in besonderem Maße im internationalen Kulturgüter- und Denkmalschutzrecht zu beobachtenden Trend zu einer aufgeschlosseneren Einstellung gegenüber ausländischen Vorschriften, die auch jenseits der Landesgrenzen angewandt sein wollen, aufgegriffen und in Art. 31 des Gesetzes über das Património cultural português2514 normiert, dass Rechtsgeschäfte auf portugiesischem Territorium, die gegen Erwerbs- oder Exportvorschriften der jeweiligen Ursprungs- und Herkunftsländer verstoßen, rechtlich als unwirksam zu betrachten sind:2515
998
Art. 31 Abs. 2 des portugiesischen Kulturgüterschutzgesetzes vom 6.7.1985: Nichtig und ohne Wirkung sind auf portugiesischem Territorium abgeschlossene Rechtsgeschäfte über bewegliche Kulturgüter, die aus ausländischen Staaten stammen, wenn (diese Rechtsgeschäfte) unter Verletzung der Bestimmungen der jeweiligen internen Gesetzgebung über deren Veräußerung oder Export erfolgt sind.
999
Einschränkend ist jedoch entsprechend Abs. 3 darauf hinzuweisen, dass die Vorschrift im Verhältnis zu anderen Ländern allerdings nur auf der Basis von Gegenseitigkeit anwendbar ist. In der Begründung zu dem inhaltlich fast wortgleichen Vorgängergesetz2516 wurde insofern das Ziel betont, auf diesem Weg die internationale Kooperation im Kulturgüterbereich zu stärken und dadurch dem Kulturerbe der ganzen Menschheit in der Hoffnung zu dienen, dass weitere Staaten in ihren nationalen Vorschriften zur Regelung des Kulturgütertransfers inhalt-
2512 2513
2514 2515
2516
Nederlands internationaal privaatrecht, S. 454 (1992). Vertiefend hierzu: Jayme, Kulturgüterschutz in ausgewählten europäischen Ländern, ZVglRWiss 95 (1996), S. 158–169, S. 165. Lei n° 13/85 vom 6.7.1985, Diário da República 1985 Sér. 1 – N° 153 vom 6.7.1985, S. 1866. In deutscher Sprache zitiert bei Jayme, Kulturgüterschutz in ausgewählten europäischen Ländern, ZVglRWiss 95 (1996), S. 158–169, S. 165. Art. 1 der portugiesischen Rechtsverordnung Nr. 27.633 vom 3.4.1937, zitiert bei Prott/ O’Keefe, Law and the Cultural Heritage – Volume 3: Movement, 1989, Rdnr. 1146; sowie Ferrer-Correia, La vente internationale d’objets d’art, sous l’angle de la protection du patrimoine culturel, in: Annuaire de l’Institut de Droit International 64-I (1991), S. 90–192, S. 118 und S. 172–173.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
1061
lich entsprechende Methoden zur Kontrolle des internationalen Kulturgüterverkehrs erlassen würden.2517 Auch wenn die praktische Bedeutung der Bestimmung des Art. 31 Abs. 2 noch als gering eingeschätzt wird2518, so ist jedoch die Aufgeschlossenheit gegenüber der Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetzgebung von Drittstaaten als vorbildlich zu bezeichnen und als Ausdruck einer weiteren nationalen ‚Entkrustung‘ des allgemeinen Dogmas der Nichtanwendung drittstaatlicher Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften als Normen des öffentlichen Rechts zu werten. Entsprechende nationale Rechtsvorschriften, die eine extraterritoriale Anwendung kulturpolitisch zwingender Eingriffsnormen vor nationalen Zivilforen ermöglichen, schreiben bspw. für die eigenen Verwaltungsbehörden die Beschlagnahme, Sicherstellung und Inverwahrnahme illegal exportierter Kulturgüter auch kultureller Drittstaaten fest. So bestimmt bspw. Art. 15 der Regulations for Antiquities vom 3.8.19722519 für die Rechtsordnung Saudi-Arabiens unter der Voraussetzung der gegenseitigen Hilfe bei der Rückerlangung illegal exportierter Kulturgüte die unmittelbare Anwendung nationaler Kulturexportregularien trotz ihrer Qualifikation als ausländisches öffentliches Recht.2520 Vergleichbare Rechtsvorschriften gelten bspw. auch in Süd-Korea mit Art. 78 des südkoreanischen Cultural Property Protection Act in der Fassung von 19822521 und in Nicaragua mit Art. 27 des nicaraguanischen Law on the Protection of the Nation (Decree No. 1142) vom 29.9.1982.2522
d)
Gerichtliche Sonderanknüpfung von Eingriffsnormen
Bei Anwendung drittstaatlicher Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze, die weder Teil der lex fori noch der lex causae sind, kann zwischen einer nur indirekten und mittelbaren Berücksichtigung und einer direkten und unmittelbaren Anwendung kulturpolitisch zwingender Normen unterschieden werden.
2517
2518
2519 2520
2521
2522
1000
Prott/O’Keefe, Law and the Cultural Heritage – Volume 3: Movement, 1989, Rdnr. 1146; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 181. Jayme, Kulturgüterschutz in ausgewählten europäischen Ländern, ZVglRWiss 95 (1996), S. 158–169, S. 165. Royal Decree No. M/26, 3.8.1972. Vgl. Prott/O’Keefe, Law and the Cultural Heritage – Volume 3: Movement, 1989, Rn. 1270; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, Fn. 473, S. 181. Vgl. Prott/O’Keefe, Law and the Cultural Heritage – Volume 3: Movement, 1989, Rn. 1270; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, Fn. 473, S. 181. Vgl. Prott/O’Keefe, Law and the Cultural Heritage – Volume 3: Movement, 1989, Rn. 1270; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, Fn. 473, S. 181.
1001
1062
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
(1)
Indirekte und mittelbare Anwendung (Berücksichtigung) drittstaatlicher Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften
1002
Schließlich sind auch in der internationalen Rechtsprechung Anklänge für eine unmittelbare Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze von Drittstaaten vor nationalen Zivilforen zu suchen. Teilweise wird innerhalb des Schrifttums bei der Suche nach gerichtlichen Beispielen für die extraterritoriale Anwendung kulturpolitischer Eingriffsnormen von Drittstaaten auf die sog. Nigeria-Entscheidung vom 22. Juni 19722523 des deutschen BGH verwiesen.
1003
In dieser Fallkonstellation wurden nigerianische Masken und Statuen von Port Harcourt in Nigeria nach Hamburg auf einem Frachtschiff versendet, ohne dass jedoch eine notwendige Exporterlaubnis für die für Nigeria kulturell wichtigen Kunstwerke vorgelegen hatte. Um den finanziellen Verlust aufgrund möglicher Transportschäden auszuschließen, wurden die nigerianischen Kulturgüter bei einer deutschen Versicherungsgesellschaft nach deutschem Recht versichert. Da während des Transports angeblich sechs Bronzefiguren verloren gingen, beanspruchte der Inhaber der Versicherungspolice den Ersatz der ihm aufgrund des Verlustes der Kulturgüter entstandenen Schäden von dem Versicherer. Auch wenn der deutsche BGH und die Vorinstanzen hier den Versicherungsvertrag als sittenwidrig qualifizierten, wird die Urteilsfindung auch zur Begründung der
2523
BGH, Nigeria-Entscheidung des 2. Zivilsenats vom 22.06.1972, Az.: II ZR 113/70, BGHZ 59, S. 82–87, NJW 1972, S. 1575 ff. Vgl. aus dem Schrifttum: Bleckmann, Sittenwidrigkeit wegen Verstoßes gegen den ordre public international – Anmerkung zum Urteil des BGH vom 22. Juni 1972, Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (ZaöRV) 34 (1974), S. 112–132; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 191–193; Kegel, Die Rolle des öffentlichen Rechts im internationalen Privatrecht, in: Böckstiegel/Folz/Mössner/Zemanek, Völkerrecht, Recht der Internationalen Organisationen, Weltwirtschaftsrecht – Festschrift für Ignaz Seidl-Hohenveldern, 1988, 243–278, S. 272–275; Kohls, Kulturgüterschutz: Wirkungen von Verstößen gegen Ausfuhrverbote und Möglichkeiten der Rückführung illegal verbrachter Kulturgüter – Eine vergleichende Untersuchung mit den Rechten Dänemarks, Norwegens und Schwedens, 2001, S. 127–128; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 182–183 und S. 295–303; O’Keefe, Export and Import Controls on Movement of the Cultural Heritage: Problems at the National Level, Syracuse Journal of International Law and Commerce 10 (1983), S. 352–369, S. 356; Radtke, Schuldstatut und Eingriffsrecht, ZglRWiss 84 (1985), S. 325–357; Reichelt, Die Rolle von UNIDROIT für den Internationalen Kulturgüterschutz – Neue methodische Ansätze im „UNIDROIT-Entwurf 1990 über gestohlene und unerlaubt ausgeführte Kulturgüter“, in: Matscher/Seidl-Hohenveldern/Karas-Waldheim, Europa im Aufbruch – Festschrift Fritz Schwind zum 80. Geburtstag, 1993, S. 205–214, S. 210; Reichelt, Kulturgüterschutz und Internationales Privatrecht, IPRax 1986, S. 73–75; Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 190–191; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 74–75, 79, 87, 105–107, 109 und 126–130; Spaun, Der Herausgabeanspruch bei Diebstahl oder illegalem Export von Kulturgütern, 2003, S. 150–151.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
1063
direkten Anwendung drittstaatlicher Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften zitiert. In der Entscheidung hat sich der BGH explizit auf die zur Zeit des Gerichtsverfahrens von der Bundesrepublik Deutschland noch nicht ratifizierte UNESCO-Convention vom 14. November 1970 berufen und ausgeführt, dass „in der Völkergemeinschaft … hiernach bestimmte grundsätzliche Überzeugungen über das Recht jedes Landes auf den Schutz seines kulturellen Erbes und über die Verwerflichkeit von ‚Praktiken‘ [bestehen], die es beeinträchtigen und die bekämpft werden müssen. Die Ausfuhr von Kulturgut entgegen einem Verbot des Ursprungslandes verdient daher im Interesse der Wahrung der Anständigkeit im internationalen Verkehr mit Kunstgegenständen keinen bürgerlichrechtlichen Schutz.“2524 Dieser Gedanke wird im Schrifttum dahingehend ausgeweitet, dass solange einer Durchsetzung der Vorschriften der UNESCO-Convention das Erfordernis ihrer Umsetzung in nationales Recht entgegensteht,2525 die Vorschriften „als Ausfluss einer internationalen Übereinkunft zu interpretieren“ seien, „dass die Bekämpfung des illegalen Kulturgüterhandels einer international effizienten Durchsetzung von Im- und Exportverboten und einer gegenseitigen Anerkennung der Einordnung von Kulturgütern als res extra commercium bedarf.“2526 Richtigerweise ist in der Nigeria-Entscheidung des BGH vom 22. Juni 1972 jedoch keine direkte und unmittelbare, sondern nur indirekte und mittelbare Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze von Drittstaaten als Vorschriften des öffentlichen Rechts vor einem deutschen Zivilforum zu erkennen. Aus der Urteilsbegründung wird nämlich ersichtlich, dass der BGH die zwingenden Kulturgüterschutzvorschriften Nigerias, die hier weder zur lex fori (Gerichtsort war hier Deutschland) noch zur lex causae (das Schuldvertragsstatut des Versicherungsvertrages) zählten, nur indirekt als Verbotsgesetz i.S.d. § 134 BGB oder als sittenwidrigkeitsbegründend i.S.d. § 138 Abs. 1 BGB anerkannte. Eine vergleichbare indirekte und mittelbare Anwendung drittstaatlicher Eingriffsnormen aus dem Bereich des Kulturgüter- und Denkmalschutzrechts wurde in der Entscheidung Jeanneret v. Vichy aus dem Jahre 19822527 ersichtlich.2528 2524
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2527 2528
BGH, Nigeria-Entscheidung des 2. Zivilsenats vom 22.06.1972, Az.: II ZR 113/70, BGHZ 59, S. 82–87, NJW 1972, S. 1575 ff. Vgl. Schack, Kunst und Recht – Bildende Kunst, Architektur, Design und Fotografie im deutschen und internationalen Recht, 2. Aufl. 2004, S. 218, Rdnr. 517. Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 297– 298, unter Rekurs auf Bleckmann, Sittenwidrigkeit wegen Verstoßes gegen den ordre public international – Anmerkung zum Urteil des BGH vom 22. Juni 1972, Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (ZaöRV) 34 (1974), S. 112–132. Jeanneret v. Vichy, 541 F.Supp. 80 (S.D.N.Y. 1982), 693 F.2d 259 (2d Cir. 1982). Vgl. hierzu Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 147–148, S. 186–187 und S. 212–213; Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internatio-
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
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Anna Vichy, Tochter des bedeutenden italienischen Kunstsammlers Frua De Angeli, erbte nach dem Tod ihres Vaters das Matisse-Gemälde‚ Visage sur Fond Jaune‘ (1952). Das Gemälde wurde über die Schweiz nach New York gebracht und dort von der Schweizer Kunsthändlerin Marie Louise Jeanneret erworben. Mittlerweile erhob der italienische Staat Ansprüche auf das Gemälde als Bestandteil des italienischen Kulturpatrimoniums. Die italienische Regierung machte geltend, dass das Kunstwerk nicht ohne Genehmigung hätte ausgeführt werden dürfen, nachdem das italienische Kulturministerium das Werk zum nationalen Kulturgut erklärt hatte. Nachdem die Erwerberin Jeanneret erfuhr, dass das Matisse-Gemälde ohne gültige Exportlizenz aus Italien unrechtmäßig ausgeführt worden war, machte sie als Käuferin Schadensersatzansprüche gegen die Verkäuferin Vichy geltend. Die Kunsthändlerin verlangte den Kaufpreis zurück und forderte außerdem Schadensersatz für entgangenen Gewinn, da das Gemälde schlichtweg unverkäuflich sei. Als professionelle Kunsthändlerin verbiete es sich ihr zudem, unrechtmäßig ausgeführte Kunstwerke in ihrer eigenen Galerie zum Verkauf anzubieten.2529
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Das New Yorker Eingangsgericht hatte dabei in erster Linie die Frage zu beantworten, ob das italienische Kulturgüter- und Denkmalschutzrecht im Rahmen der Section 2-312 des Uniform Commercial Code („breach of implied warranty of title“) zu berücksichtigen ist und ob Mrs. Jeanneret Gewährleistungsansprüche zustehen, weil eine „implied warranty“ von der Verkäuferin Mrs. Vichey verletzt worden war. Im Ergebnis berücksichtigte das erstinstanzliche Gericht die italienischen Kulturgüterschutzvorschriften innerhalb des amerikanischen Sachmängelgewährleistungsrechts, gab der Klage wegen „breach of implied warranty of title“ und „breach of contract“ statt2530 und entschied, dass Verkäufer unrechtmäßig ausgeführter Kulturgüter ihre Garantie für die Freiheit von Rechtsmängeln der Verkaufsobjekte verletzen und sich aus diesen Gründen gegenüber gut-
2529
2530
nalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff., S. 45–46, Jayme, Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im Internationalen Privatrecht, in: Dominicé/Patry/Reymond, „Études de droit international en l’honneur de Pierre Lalive“, 1993, S. 717–731, S. 726–727; Jayme, Kunstwerk und Nation: Zuordnungsprobleme im internationalen Kulturgüterschutz, 1991, S. 16–17; Jayme, Die Nationalität des Kunstwerks als Rechtsfrage, in: Reichelt, Internationaler Kulturgüterschutz – Wiener Symposium 18./19. Oktober 1990, 1992, S. 7–30, S. 15–16; Buranich, The Art Collecting Countries and Their Export Restrictions on Cultural Property: Who Owns Modern Art?, California Western International Law Journal 19 (1988), S. 153–172, S. 166–168. Vgl. Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff., S. 45–46, Jayme, Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im Internationalen Privatrecht, in: Dominicé/Patry/Reymond, „Études de droit international en l’honneur de Pierre Lalive“, 1993, S. 717–731, S. 726–727. Vgl. Jeanneret v. Vichey, 541 F.Supp. 80 (1982).
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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gläubigen Erwerbern schadensersatzpflichtig machen.2531 Das Bundesgericht hielt es in seiner Begründung für maßgebend, dass der Verstoß gegen ausländische Exportbestimmungen den Marktwert eines Kunstwerks mindere, da es sich im legalen Kunsthandel nicht mehr ohne weiteres verkaufen lasse, außerdem der gute Ruf des Besitzers eines solchen Objektes geschädigt würde und er der Möglichkeit der zoll-, zivil- und strafrechtlichen Beschlagnahme ebenso wie einer möglichen finanziellen Inanspruchnahme kultureller Ursprungs- und Herkunftsstaaten ausgesetzt sei.2532 Im Ergebnis sprach das erstinstanzliche Gericht somit den Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften Italiens vor einem New Yorker Zivilgericht indirekte und mittelbare Anwendung innerhalb des Sachmängelgewährleistungsrechts zu, obwohl die Privatrechtsordnung des Bundesstaates New York in dieser Entscheidung sowohl lex fori als auch lex causae war und damit die italienischen Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften als Normen eines Drittstaats Berücksichtigung fanden. Das Berufungsgericht hat diese Entscheidung zwar wieder aufgehoben und zur Neuverhandlung zurückverwiesen2533, jedoch allein wegen tatsächlicher Unklarheiten im Bezug auf das Alter des streitigen Matisse-Gemäldes und offener Fragen der Anwendbarkeit der italienischen Exportbestimmungen auch auf ein eher „französisch“ zu bezeichnendes Gemälde. Nicht nur dem Court of Appeals erschien es unschlüssig2534, dass Italien ein Gemälde von Henri Matisse, einem französischen Staatsbürger, beanspruchte, der das Porträt zusätzlich auch in Frankreich malte.2535 Zwar konnte nicht eindeutig geklärt werden, wie lange sich das Kunstwerk auf dem Territorium Italiens befand, jedoch erscheint es unwahrscheinlich, dass die Regierung Italiens rechtmäßigerweise das Gemälde als Teil des italienischen Kulturpatrimoniums aufgrund seines spezifischen kulturellen Wertes für Italien beanspruchen sollte. In diesem Sinne führt auch Buranich aus, dass das Alter eines Kulturgutes bzw. die Zeit der örtlichen Belegenheit in dem Territorium eines Staates kein rechtlich anerkennenswerter Parameter innerhalb 2531 2532
2533 2534
2535
Vgl. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 186–187. Jeanneret v. Vichy, 541 F.Supp. 80 (S.D.N.Y. 1982), S. 84–86; siehe Buranich, The Art Collecting Countries and Their Export Restrictions on Cultural Property: Who Owns Modern Art?, California Western International Law Journal 19 (1988), S. 153–172, S. 166–167; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 186–187. Vgl. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 147–148. Vgl. Buranich, The Art Collecting Countries and Their Export Restrictions on Cultural Property: Who Owns Modern Art?, California Western International Law Journal 19 (1988), S. 153–172, S. 167. Vgl. auch Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff., S. 45–46, Jayme, Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im Internationalen Privatrecht, in: Dominicé/Patry/Reymond, „Études de droit international en l’honneur de Pierre Lalive“, 1993, S. 717–731, S. 726–727; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 147–148.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
der Zuordnung kultureller Wertgegenstände an einen Staat sei: „A Renoir which is handed down from generation to generation in an American family for a century does not make it an American painting. It remains the work of a French citizen created in France and reflective of a period of French history.“2536 Auch der Court of Appeals gelangte zu der Ansicht, dass „embargoes as broad as Italy’s should be discouraged“2537. Die nationale Zuordnung eines Bildes von Matisse an Italien könne nämlich nicht – so aber die italienischen Behörden2538 – dadurch gerechtfertigt werden, dass es auf der Biennale in Venedig gezeigt worden sei und außerdem einer in italienischen Sammlungen selten vertretenen europäischen Stilrichtung angehöre, die auf Motive der Klassik und Renaissance zurückgreift:2539 „Matisses Porträt sur Fond Jaune bore no such relation to Italy as a Raphael or a Bellini Madonna.“2540 1008
Auch wenn somit nur solche nationalen Kulturgüterschutzgesetze Berücksichtigung finden können, „die eine international konsensfähige Zuordnung von Kulturgut vornehmen“2541, änderte diese Entscheidung nichts an der richtigen Einschätzung des Ausgangsgerichtes: Drittstaatliche Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften, die weder Teil der lex fori noch der lex causae sind, können vor nationalen Zivilforen indirekte und mittelbare Anwendung innerhalb des Sachmängelgewährleistungsrechts oder anderer zivilrechtlichen Generalklauseln und wertausfüllungsbedürftigen Rechtsbegriffen erlangen.
(2) 1009
Direkte und unmittelbare Anwendung drittstaatlicher Kulturgüterund Denkmalschutzvorschriften
Andererseits sind aber auch kulturgüterspezifische Beispiele nationaler Gerichtsentscheidungen bekannt, in denen eine direkte und unmittelbare Anwendung drittstaatlicher Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften erfolgte. Dieser Gedankengang fand bspw. in der Madonna von Batz-sur-Mer-Entscheidung2542 der niederländischen Rechtbank Rezeption.
2536
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Buranich, The Art Collecting Countries and Their Export Restrictions on Cultural Property: Who Owns Modern Art?, California Western International Law Journal 19 (1988), S. 153–172, S. 170. Vgl. Jeanneret v. Vichy, 693 F.2d 259 (2d Cir. 1982), S. 263–264. Vgl. Jeanneret v. Vichy, 693 F.2d 259 (2d Cir. 1982), S. 263–264. Vgl. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 147–148. Vgl. Jeanneret v. Vichy, 693 F.2d 259 (2d Cir. 1982), S. 267. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 147–148. Madonna von Batz-sur-Mer-Entscheidung der niederländischen Rechtbank vom 18. Januar 1983, zitiert in der Instanzentscheidung des Hoge Raad vom 18. Januar 1983, Nederlandse Jurisprudentie, 1983, No. 445, S. 1402. Die erstinstanzliche Entscheidung wurde nicht veröffentlicht. Vgl. aus dem Schrifttum hierzu Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 129–130; Verheul, Foreign Export Prohibitions: Cultural Treas-
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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Im Jahr 1978 war eine hölzerne Madonnenstatue aus einer nichtprofanierten Kirche im französischen Batz-sur-Mer gestohlen worden. Nachdem sie im kulturellen Schwarzmarkt mehrfach in Belgien und Holland veräußert worden war, konnte sie nach etwas mehr als drei Jahren nach dem Diebstahl auf einer Antiquitätenmesse im holländischen Maastricht wieder lokalisiert werden – d.h. genau nach Ablauf der Zeitspanne, nach der nach niederländischem Recht zum Zeitpunkt der Entscheidung der Anspruch auf Herausgabe einer gestohlenen Sache gegenüber einem gutgläubigen Erwerber geltend gemacht werden kann. Nach der polizeilichen Beschlagnahme der Madonna auf der Kunstmesse berief sich der aktuelle Besitzer darauf, dass er die Statue zuvor selbst von einem niederländischen Kunsthändler gutgläubig erworben habe. Nachdem die Staatsanwalt den Kunsthändler darüber informiert hatte, dass die Statue an die Kirche in Batz-sur-Mer zurückgegeben werden solle, legte der Händler gegen diese Entscheidung Beschwerde ein.
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In dem daraufhin angestrengten strafrechtlichen Verfahren über den Verbleib der beschlagnahmten Madonna hat die niederländische Arrondissementsrechtbank die zum Zeitpunkt der Entscheidung in Frankreich geltende Loi sur les monuments historiques vom 31. Dezember 1913 direkt und unmittelbar angewandt:2543 Die Berücksichtigung der französischen Gesetzgebung führe dazu,
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2543
ures and Minerals, 31 Netherlands International Law Review (1984), S. 419–427, S. 422; Frigo, La protezione dei beni culturali nel diritto internazionale, 1986, S. 351–352; ByrneSutton, Le trafic international des biens vulturels sous l’angle de leur revendication par l’Etat d’origine – Aspects de droit international privé, 1988, S. 158 f.; Carducci, La restitution internationale des biens culturels et des objets d’art, 1997, S. 328; Jaeger, Internationaler Kulturgüterschutz – Rechtslage, Rechtspraxis, Rechtsfortentwicklung, 1994, S. 71 f.; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 187 f.; Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 84 f.; Siehr, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Rechtsverkehr, in: Westphalen/Sandrock, Lebendiges Recht – Von den Sumerern bis zur Gegenwart – Festschrift für Reinhold Trinkner zum 65. Geburtstag, 1995, S. 703–722, S. 716; Spaun, Der Herausgabeanspruch bei Diebstahl oder illegalem Export von Kulturgütern, 2003, S. 151–152; Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 127–139; Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 365–367, S. 410–414; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 168–171; Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 8–9; Jayme, Neue Anknüpfungsmaximen für den Kulturgüterschutz im internationalen Privatrecht, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, Symposium vom 22./23. Juni 1990 im internationalen Wirtschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 35 ff., S. 43 ff.; Kienle/Weller, Die Vindikation gestohlener Kulturgüter im IPR, IPRax 2004, S. 290–294, S. 291; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 130–131. Dies wurde zuvor schon in der sog. Alnati-Entscheidung des niederländischen Hoge Raad vom 15. Mai 1966 festgestellt, Schip en Schade, 1966, No. 50, S. 126. Vgl. L. I. de Winter,
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
dass nach Art. 20 der Loi sur les monuments historiques vom 31. Dezember 1913 alle Verträge nichtig sein müssen, die das Erwerbsverbot kultureller Wertgegenstände nach Art. 18 des Gesetzes verletzen. Ein gutgläubiger Erwerber habe in einem solchen Fall nur einen Anspruch auf Entschädigung, ihm stehe jedoch kein Behaltensrecht hinsichtlich des gestohlenen Kulturguts selbst zu.2544 Da die Statue nach diesen Vorschriften unter Geltung des französischen Kulturgüterund Denkmalschutzgesetzes unveräußerlich war, müsse folglich auch der französische Staat jederzeit die Rückführung verlangen dürfen. Als Mittel der Inkorporation der französischen Kulturgüterschutzvorschriften wurde der niederländische ordre public gewählt.2545 Die niederländische Rechtbank war somit der Ansicht, dass in Bezug auf einen französischen Kunstgegenstand primär französisches Recht zu beachten sei, da der privatrechtliche ordre public der Anwendung des niederländischen Rechts entgegenstehe, wenn hierdurch die französischen Regelungen zum Schutz des nationalen Kunstbesitzes leerlaufen würden: Die niederländische Rechtbank entschied, dass „nu het betreft een kunstvoorwerp dat toebehoort aan de Franse staat, allereerst dient de worden overwogen wat rechtens is volgens het Franse recht, zulks op grond dat de openbare orde in privaatrechtelijke zin des woords zich verzet tegen toepassing van het nationale kunstbezit hun effect zou worden ontnormen“2546. Die direkte und unmittelbare Anwendung der französischen Normen über den Kulturgüterschutz vor einem niederländischen Forum hatte deshalb zur Folge, dass die in den Niederlanden abgeschlossenen Kaufverträge nichtig waren und von den niederländischen Kunsthändlern kein Eigentumsrecht erworben werden konnte,2547 sodass der französische Staat sein Eigentum jederzeit und von jedem Besitzer herausverlangen könne.2548 Ausdrücklich erkennt Verheul somit, dass „first of all the position
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2545 2546
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„Het Alnati-arrest“, Nederlands Juristenblad, 1966, S, 933; Schultz, Dutch Antecedents and Parallels to Article 7 of the EEC Contract Convention of 1980, Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht, (1983) S. 267 ff., S. 273. Vgl. zum Ganzen insbeondere auch Siehr, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Rechtsverkehr, in: Westphalen/Sandrock, Lebendiges Recht – Von den Sumerern bis zur Gegenwart – Festschrift für Reinhold Trinkner zum 65. Geburtstag, 1995, S. 703– 722, S. 716. Vgl. ausführlich hierzu 3, 459 ff. Die Entscheidung der niederländischen Rechtbank wird wiedergegeben in Hoge Raad vom 18. Januar 1983, Nederlandse Jurisprudentie, 1983, No. 445, S. 1402, S. 1405–1406. Vgl. die Kassationsentscheidung des Hoge Raad vom 18.1.1983, Ned. Jur. 1983 Nr. 445 (S. 1402). Vgl. Verheul, Foreign Export Prohibitions: Cultural Treasures and Minerals, 31 Netherlands International Law Review (1984), S. 419–427, S. 420–422, unter Rekurs auf die Alnati- Entscheidung des Hoge Raad vom 13.5.1966, Ned. Jur. 1967 Nr. 3, Neth. Int. L. Rev. 1968, 82; Rev. Crit. 56 (1967) 522; Clunet 96 (1969) 1010. Hoge Raad vom 18. Januar 1983, Nederlandse Jurisprudentie, 1983, No. 445, S. 1402, S. 1405–1406; siehe hierzu auch: Verheul, Foreign Export Prohibitions: Cultural Treasures and Minerals, 31 Netherlands International Law Review (1984), S. 419–427, S. 422; aber anderer Ansicht: Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Heraus-
§ 16 Ergebnis: Extraterritoriale ,Anwendung‘ ausländischer Kulturgüterschutzgesetze
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under French law should be looked into, since public policy is opposed to the application of Dutch law, if French regulations protecting national cultural heritage would thereby be frustrated.“ Aufgrund der Sonderanknüpfung der französischen Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze sei das Vorgehen der niederländischen Staatsanwaltschaft richtig gewesen.2549 Im Ergebnis hat jedoch der niederländische Hooge Raad in dem Berufungsverfahren das Urteil der Rechtbank wieder aufgehoben, weil die Interessen und Rechte des Kunst- und Antiquitätenhändlers einer nur unzulänglichen Würdigung zugeführt worden waren. Außerdem bestimmte der Hooge Raad, dass ein derart schwieriges Rechtsproblem nicht in einem vorläufigen Rechtshilfeverfahren nach der niederländischen Strafprozessordnung entschieden werden dürfe und verwies die Sache an ein Zivilgericht, um die Frage des Eigentumsübergangs zu klären. Schließlich endete das Verfahren jedoch ohne Urteilsspruch und es kam zu einem Vergleich, wonach die Madonna gegen Entschädigung des Kunsthändlers an die bestohlene französische Kirchengemeinde zurückgegeben wurde.2550 Damit ist jedoch der rechtlich maßgebende Grund der Aufhebung der Entscheidung allein in dem summarischen Charakter des zugrunde liegenden speziellen Verfahrens der niederländischen Strafprozessordnung zu sehen, das grundsätzlich nur für provisorische Maßnahmen vorgesehen ist. Vor einem niederländischen zivilrechtlichen Forum wäre es allerdings „arguably possible for a Dutch court to apply French law to an action for recovery instituted by the French State against a Dutch possessor, even as regards the rights of an innocent purchaser, in spite of the normal Dutch conflict rule“2551.
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§ 16 Ergebnis: Extraterritoriale ‚Anwendung‘ ausländischer Kulturgüterschutzgesetze im Rechtsvergleich Auch wenn eine Rezeption des lex originis-Grundsatzes die Königsdisziplin für das internationale Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht innerhalb der aktuellen Reformbestrebungen des Internationalen Kulturgüterprivatrechts darstellt und über Art. 46 EGBGB theoretisch auch schon innerhalb der Bahnen des geltenden deutschen Kollisionsrechts ohne ein Eingreifen des Gesetzgebers möglich wäre, muss gleichwohl anerkannt werden, dass bislang noch kein deutsches
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gabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 130 und Frigo, La protezione dei beni culturali nel diritto internazionale, 1986, S. 351–352. Vgl. Reichelt, International Protection of Cultural Property, Revue de droit uniforme/Uniform Law Review (UNIDROIT), Semestrielle – Biannual (1985-I), S. 42–153, S. 95. Vgl. Verheul, Foreign Export Prohibitions: Cultural Treasures and Minerals, 31 Netherlands International Law Review (1984), S. 419–427, S. 422. Verheul, Foreign Export Prohibitions: Cultural Treasures and Minerals, 31 Netherlands International Law Review (1984), S. 419–427, S. 422.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Forum ein vergleichbares Urteil ausgesprochen hat und die Rechtswahl nach der Heimatrechtsordnung von Kunst- und Kulturgütern bislang auch im Schrifttum stark umstritten ist. Es ist deshalb nach weiteren Alternativen zu suchen, um einem deutschen Zivilgericht trotz einer möglichen Ablehnung der Rechtswahl nach den Grundsätzen der lex originis Mittel und Wege aufzuzeigen, um in zukünftigen Streitigkeiten im Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht zu einer Berücksichtigung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften zu gelangen. 1014
Ist ein nationales Zivilforum heute noch nicht dazu bereit, die ‚Heimat‘ und ‚Nationalität‘ eines Kunst- und Kulturguts tatsächlich im Rechtswahlprozess zu rezipieren, ist in dem Versuch der extraterritorialen Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze eine weitere Reformbestrebung im Internationalen Kulturgüterprivatrecht zu sehen. Dieser Ansatz geht über diese bloße Anerkenntnis und Durchsetzung nationaler Protektionsmechanismen deutlich hinaus: In ausländischen Zivilforen wird nicht nur die sachenrechtliche Prägung des kulturellen Ursprungsstaates anerkannt und durchgesetzt, sondern sämtliche privatrechtlichen Sanktionen ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften entgegen dem Territorialitätsprinzip unmittelbar angewandt. Dabei hat eine extraterritoriale Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze sogar einen gewissen Vorteil gegenüber der Rechtswahl nach der lex originis: Während die letztgenannte Theorie nicht nur die für das Kulturgüterschutzrecht bedeutsamen Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften eines Ursprungsstaates zur Streitentscheidung beruft, sondern zum Nachteil der Rechtssicherheit und des Vertrauens der Beteiligten am grenzüberschreitenden Kulturgüterverkehr das gesamte Rechtsverhältnis unter die Geltung unerwarteter Zivilrechtsvorschriften stellt, führt der hier zur Diskussion gestellte Ansatz zur Integration allein ausländischer kulturgüterrechtlichen Regeln in das Sachenrechtsstatut.
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Während die Rechtsregeln des internationalen Privatrechts grundsätzlich in Rechtsbeziehungen zwischen Privatpersonen anwendbar sind, geht es bei der Rechtsanwendungsbestimmung im Internationalen Kulturgüterprivatrecht zusätzlich auch um die Belange ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze als „Privatrecht mit öffentlich-rechtlichem Hintergrund“2552 bzw. „öffentliches Recht mit privatrechtlicher Wirkung“2553. Hinter den Schutzmechanismen der Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze stehen somit insbesondere auch öffentliche „überindividuelle Gemeininteressen“2554 der kulturellen Ursprungs-
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2553 2554
So die Terminologie bei Wengler, Die Anknüpfung des zwingenden Schuldrechts im internationalen Privatrecht, ZVglRWiss. 54 (1941) S. 168 ff., S. 187. So Stoll, RabelsZ 24 (1959), S. 635. Sonnenberger in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Ein-
§ 16 Ergebnis: Extraterritoriale ,Anwendung‘ ausländischer Kulturgüterschutzgesetze
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staaten an der Erhaltung und Bewahrung national wertvoller Kulturgüter für zukünftige Generationen sowie an der Seriosität und Vertrauenswürdigkeit des internationalen Kunstmarktes, sodass im Internationalen Kulturgüterprivatrecht die Grenzziehung zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht verwischt. Damit befindet man sich inmitten der Thematik des wegen Gemeininteressen privatrechtliche Beziehungen gestaltenden oder auf sie einwirkenden „öffentlichen“ Eingriffsrechts. Deshalb gilt es auch im Internationalen Kulturgüterprivatrecht der Erwägung nachzugehen, dass die Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze auf einem von öffentlich-rechtlichen Überlegungen getragenen kollisionsrechtlichen Rechtsanwendungsbefehl beruhen muss, während für den Ausgleich der betroffenen privatrechtlichen Interessen weiterhin die allgemeine international-privatrechtliche Regel der lex rei sitae zuständig bleibt. Dabei sollte außer Debatte stehen, dass die Protektionsmechanismen der nationalen Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze – obwohl sie in das Privatrecht ‚hineinragen‘, im öffentlichen kulturpolitischen Interesse auf private Rechtsverhältnisse einwirken, die persönliche Freiheit im internationalen Kulturgüterverkehr beschränken und bspw. über die Eigentumsposition oder Veräußerungsverbote Rechtsbeziehungen zwischen individuellen Privatpersonen bewirken – unmittelbar zu den öffentlich-rechtlichen Ordnungsvorschriften des kulturellen Ursprungsstaates zählen und als Eingriffsnormen überindividuelle Gemeininteressen gewährleisten.
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Innerhalb der Frage der extraterritorialen Anwendung nationaler Kulturgüterund Denkmalschutzgesetze als Eingriffsnormen sind drei divergierende tatsächliche Konstellationen zu unterscheiden. Ausländische Kulturgüterschutzvorschriften können als Eingriffsnormen – (erstens) auf der Ebene der durch das Kollisionsrecht zur Streitentscheidung berufenen Rechtsordnung Beachtung finden (Frage nach der Geltung zwingender Normen der lex causae), – (zweitens) auf der Ebene der lex fori, die einen Grundbestand eigener Rechtsvorstellungen stets durchsetzen will (Frage nach der Geltung zwingender Normen der lex fori), und – (drittens) auf der Ebene solcher drittstaatlicher Rechtsordnungen, die ebenfalls Berührungspunkte zum Fall aufweisen und an der Anwendung ihrer zwingenden Bestimmungen interessiert sind, obwohl diese weder über die lex causae noch über die lex fori gelten (Frage nach der Geltung drittstaatlicher Eingriffsnormen).
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Heute steht im Internationalen Kulturgüterprivatrecht außer Diskussion, dass Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze als Eingriffsnormen der lex causae unmit-
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führungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR, Rdnr. 35–38.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
telbare Anwendung finden. D.h., auf der Ebene der durch das Kollisionsrecht zur Streitentscheidung berufenen Rechtsordnung beansprucht somit eine Eingriffsnorm der lex causae selbst Geltungskraft. So wurde bspw. in der Rechtssache Repubblica dell‘ Ecuador – Casa della Cultura ecuadoriana c. Danusso die Anwendung der ekuadorianischen Kulturgüterschutzvorschriften trotz deren Qualifizierung als Rechtsnormen des öffentlichen Rechts bestimmt, da die rechtserhebliche Einwirkung auf die Eigentumsposition an den Objekten – die Veräußerung der Kulturgüter an Giuseppe Danusso in Ekuador – entsprechend der lex rei sitae nach der Rechtsordnung Ekuadors (als lex causae) entschieden wurde. Es kann also festgehalten werden, dass bei der Frage nach der Geltung zwingender Normen der lex causae heute im Grundsatz Einigkeit besteht und Eingriffsnormen der vom allgemeinen Kollisionsrecht berufenen Rechtsordnung auch vor fremden Foren Berücksichtigung finden. Eine gesetzliche ‚Entkrustung‘ der früher zunächst unumstößlichen Grundregel der nationalen Kollisionsrechte, dass ausländische öffentlich-rechtliche Rechtsvorschriften keine unmittelbare und direkte Anwendung vor ausländischen Zivilforen erfahren können, findet sich explizit in Art. 13 S. 2 des Schweizer Bundesgesetzes über das Internationale Privatrecht (IPRG) vom 18. Dezember 19872555, wonach eine Anwendung von ausländischem Recht wegen seines öffentlichen Charakters nicht von vornherein ausgeschlossen ist. 1019
Von der Geltung zwingender Normen der lex causae ist die Frage nach der Geltung der Kulturgüterschutzvorschriften der lex fori zu trennen. Hier war also zu prüfen, ob Kulturgüterschutzmechanismen der lex fori auch dann Geltungskraft beanspruchen dürfen, obwohl auf den konkreten Sachverhalt eine ausländische lex causae anwendbar ist. Auch diesbezüglich herrscht heute kaum noch Streit: Nationale Kulturgüter- und Denkmalschutztatbestände der lex fori sind grundsätzlich auch bei der Geltung einer abweichenden lex causae anzuwenden2556 und setzen sich gegebenenfalls auch gegenüber einer ausländischen Rechtsregel durch, sodass der Forumstaat einen Grundbestand eigener (kulturpolitischer) Rechtsvorstellungen im Kulturgüter- und Kunstrestitutionsrecht stets neben den zur Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter berufenen Grundsätzen der lex causae wahren kann.
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In diesem Sinne bestimmte bspw. Art. 7 Abs. 2 des Übereinkommens von Rom über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 19. Juni 1980, inzwischen inhaltlich vergleichbar ersetzt durch Art. 9 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 17. Juni 2008 (sog. Rom 2555 2556
AS 1988, 1776 (= IPrax 8 (1988), S. 376 ff.). Vgl. Kohls, Kulturgüterschutz: Wirkungen von Verstößen gegen Ausfuhrverbote und Möglichkeiten der Rückführung illegal verbrachter Kulturgüter – Eine vergleichende Untersuchung mit den Rechten Dänemarks, Norwegens und Schwedens, 2001, S. 121.
§ 16 Ergebnis: Extraterritoriale ,Anwendung‘ ausländischer Kulturgüterschutzgesetze
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I-Verordnung) hinsichtlich der Geltung von Eingriffsnormen der lex fori im Schuldvertragsrecht ausdrücklich, dass die Verordnung die Anwendung der Eingriffsnormen des Rechts des angerufenen Gerichts unberührt lässt. Auch innerhalb des deutschen internationalen Vertragsrechts kann mittels Art. 34 EGBGB auf den schuldrechtlichen Part einer Veräußerung national schützenswerter Kulturgüter trotz abweichenden Vertragsstatuts solchen Vorschriften des deutschen Kulturgüter- und Denkmalschutzrechts zur Geltung verholfen werden, an deren uneingeschränkter Durchsetzung aus kulturpolitischen Gründen ein starkes innerstaatliches Interesse besteht. In der Praxis könnte dies Bedeutung erlangen, wenn ein in die Liste national wertvoller Kulturgüter eingetragenes deutsches Objekt ins Ausland veräußert und dorthin transferiert werden soll und die Parteien für den schuldrechtlichen Kaufvertrag die Geltung ausländischen Rechts bestimmen. In diesem Fall richten sich Erwerb und Veräußerung grundsätzlich nach der gewählten lex causae, nicht nach deutschem Recht. Nichtsdestotrotz bestimmt Art. 34 EGBGB, dass bei einem Rechtsstreit über den Kulturguttransfer vor einem deutschen Forum die Ausfuhrbeschränkungen des Gesetzes zum Schutz deutschen Kulturguts gegen Abwanderung aus dem Jahre 1955 als kulturpolitische Eingriffsnormen auch anwendbar bleiben. Eine in Gesetzgebung, Lehre und Rechtsprechung wirklich umstrittene Konstellation liegt schließlich vor, wenn Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften sog. drittstaatlicher Rechtsordnungen zur Anwendung gelangen können, die weder zur lex fori noch zur lex causae gehören, aber dennoch Berührungspunkte zu einer internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsstreitigkeit aufweisen und an der Anwendung ihrer zwingenden Bestimmungen interessiert sind oder tatsächlich auf den Sachverhalt einwirken. Da drittstaatliche Kulturgüterschutzvorschriften, die aufgrund eines ‚irgendwie‘ begründeten Zusammenhangs mit dem zu entscheidenden Rechtsverhältnis Gültigkeit beanspruchen, grundsätzlich weder über die lex causae noch über die lex fori Berücksichtigung finden, stellt sich im Internationalen Kulturgüterprivatrecht die generelle Frage nach der ‚statutsunabhängigen‘ Berücksichtigung drittstaatlicher Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften. Dass solche kulturpolitischen Eingriffsnormen dritter Staaten – wenn überhaupt – nur ausnahmsweise und unter sehr engen Voraussetzungen zum Zug kommen können, erscheint als selbstverständlich, wenn das geltende Anknüpfungssystem des Internationalen Kulturgüterprivatrechts nicht grundsätzlich in Frage gestellt werden soll.
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Verschiedene kulturgüterunspezifische internationale Rechtsinstrumente sprechen sich ausdrücklich für die Geltung drittstaatlicher Eingriffsnormen aus: Schon im Jahre 1975 hat das Institut de Droit international anlässlich der Session de Wiesbaden die Resolution L’application du droit public étranger angenommen, die eine ‚Entkrustung‘ der bislang herrschenden Regel der Nichtanwendbarkeit ausländischer Rechtsvorschriften des öffentlichen Rechts aufgrund des Territorialitätsprinzips fordert. Ausdrücklich wurde die Geltung von zwingenden Eingriffsnor-
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
men eines Drittstaates erstmals in Art. 16 der Hague Convention on the Law Applicable to Agency vom 14. May 1978, der Hague Conference on Private International Law, kodifiziert. Eine entsprechende Rechtsregel findet sich auch in Art. 16 der Hague Convention on the Law Applicable to Trusts and on their Recognition vom 1. Juli 1985. Außerdem war die Frage, wann drittstaatliche Eingriffsnormen, die weder Teil der lex causae noch der lex fori sind, in internationalen Sachverhalten zu berücksichtigen sind, ausdrücklich auch Gegenstand in Art. 7 Abs. 1 des Übereinkommens von Rom über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 19. Juni 1980 (sog. Europäisches Schuldvertragsübereinkommen, EVÜ) für das Schuldvertragsrecht. Die Bundesrepublik Deutschland hat hiergegen jedoch einen Vorbehalt eingelegt und die Regelung nicht in das deutsche EGBGB übernommen, weil die Parteien die von der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe abhängige und im freien Ermessen des Richters stehende Anwendung von zwingenden Vorschriften eines anderen Staates nicht voraussehen könnten. Das EVÜ wurde inzwischen durch die Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 17. Juni 2008 (sog. Rom I-Verordnung) ersetzt. Art. 9 der Rom I-Verordnung legaldefiniert zunächst in Abs. 1 das Verständnis einer „Eingriffsnorm“ und bestimmt in Abs. 3 die Geltung von Eingriffsnormen des Schuldvertragsrechts, die weder Teil der lex causae noch der lex fori sind. 1023
Heute bestehen darüber hinaus auch zahlreiche kulturgüterspezifische internationale Rechtsinstrumente, die ausdrücklich die Geltung drittstaatlicher Kulturgüter- und Denkmalschutztatbestände fordern.
1024
So verpflichten sich bspw. nach Art. 13 d) die Vertragsstaaten der UNESCO Convention vom 14. November 1970 im Rahmen ihrer innerstaatlichen Rechtsordnungen dazu, das unantastbare Recht jedes Vertragsstaats anzuerkennen, bestimmte Kulturgüter als unveräußerlich einzustufen und zu erklären, dass diese ipso facto nicht ausgeführt werden dürfen. Außerdem unterwerfen sich die Vertragsstaaten hierzu der Verpflichtung, die Wiedererlangung unrechtmäßig ausgeführter und entgegen der Extrakommerzialitätsbestimmung des kulturellen Ursprungsstaates veräußerter Objekte zu erleichtern. Auch die – bislang noch nicht in Kraft getretene – European Convention on Offences Relating to Cultural Property vom 23. Juni 1985 (Delphi) fordert eine extraterritoriale Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften: In Art. 8 Abs. 4 wird eine völkerrechtlich verpflichtende Restitutionsnorm geschaffen, die aber nur dann zu einer Anwendung ausländischer Kulturgüterschutzvorschriften geführt hätte, wenn der Verstoß gegen nationale Exportbestimmungen nicht nur fakultativ, sondern verbindlich als „Gesetzesverstoß“ Geltung erlangt hätte. Auch die Resolution La vente internationale d’objets d’art sous l’angle de la protection du patrimoine culture des Institut de Droit international aus dem Jahr 1991 fordert in der Präambel die Berücksichtigung der öffentlich-rechtlichen Kulturgüter- und Denkmal-
§ 16 Ergebnis: Extraterritoriale ,Anwendung‘ ausländischer Kulturgüterschutzgesetze
1075
schutzvorschriften der kulturellen Ursprungsstaaten. Ausdrücklich wird in Art. 3 für den Erwerb von registriertem Kulturgut die Geltungskraft der Kulturexportregularien des Ursprungsstaates generell für anwendbar erklärt. Außerdem sind die Mitgliedstaaten der Europäischen Union nach der EG-Richtlinie 93/7/EWG vom 15. März 1993 dazu verpflichtet, eine Regelung dafür zu schaffen, dass Ausfuhrbeschränkungen für Kulturgüter i.S.d. Europarechts anderer Mitgliedstaaten auch vor den eigenen Instanzen Anwendung finden. Ausländische Ausfuhrbeschränkungen der mitgliedstaatlichen Kulturgüterschutzgesetze erfahren trotz ihrer Qualifikation als Normen des öffentlichen Rechts innerhalb der Europäischen Union direkte Anwendung, sodass die Gefahren des forum shopping und die Suche nach dem place of bargaining shopping für ‚europäische‘ Kulturgüter praktisch in Gänze vermieden werden. Kulturgüter im Sinne der Richtlinie werden so zu den im Schrifttum sog. res extra commercium europeum. Schließlich bestimmt auch die – von Deutschland bislang nicht ratifizierte – UNIDROIT-Convention on Stolen or Illegally Exported Cultural Objects vom 24. Juni 1995 eine extraterritoriale Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften. Inzwischen sind auch zahlreiche nationale Vorschriften bekannt, die eine Anwendung drittstaatlicher Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften ermöglichen. So bestimmt bspw. Art. 19 des schweizerischen Bundesgesetzes über das Internationale Privatrecht vom 18.12.1987 eine umfassende Anwendung drittstaatlicher Eingriffsnormen für sämtliche internationale Rechtskonstellationen, sodass auf diese Weise gegebenenfalls auch die kulturgutbewahrenden Bestimmungen des Herkunftslands eines illegal in die Schweiz transferierten Kulturguts zur Anwendung gelangen können.
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Vergleichbare Regelungen gelten nach Art. 10 des niederländischen Schets van een algemene wet betreffende het internationaal privaatrecht, nach Art. 3079 des neuen Code civil von Québec, nach Art. 31 des Gesetzes über das Património cultural português, nach Art. 15 der Regulations for Antiquities vom 3.8.1972 für die Rechtsordnung Saudi-Arabiens, nach Art. 78 des südkoreanischen Cultural Property Protection Act in der Fassung von 1982 und nach Art. 27 des nicaraguanischen Law on the Protection of the Nation (Decree No. 1142) vom 29.9.1982.
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Schließlich konnten aus der Rechtsvergleichung auch Beispiele einer gerichtlichen Sonderanknüpfung von ausländischen Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften als Eingriffsnormen aufgeführt werden. Eine direkte und unmittelbare Anwendung französischer Kulturgüterschutztatbestände erfolgte bspw. in der Madonna von Batz-sur-Mer-Entscheidung vor der niederländischen Arrondissementsrechtbank innerhalb eines strafrechtlichen Verfahrens: Da die gestohlene Madonnenstatue nach der Loi sur les monuments historiques vom 31. Dezember 1913 unveräußerlich war, durfte folglich auch der französische Staat jederzeit die Rückführung verlangen. Die Berücksichtigung der französischen Gesetzgebung
1027
1076
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
führte in dem Fall dazu, dass nach Art. 20 der Loi sur les monuments historiques vom 31. Dezember 1913 alle Verträge nichtig waren, die das Erwerbsverbot kultureller Wertgegenstände nach Art. 18 des Gesetzes verletzten. Ein gutgläubiger Erwerber habe nach Ansicht des Gerichts in einem solchen Fall nur einen Anspruch auf Entschädigung, ihm stehe jedoch kein Behaltensrecht hinsichtlich des gestohlenen Kulturguts selbst zu. Im Ergebnis hat jedoch der niederländische Hooge Raad in dem Berufungsverfahren das Urteil der Rechtbank wieder aufgehoben, weil die Interessen und Rechte des Kunst- und Antiquitätenhändlers in diesem vorläufigen Gerichtsverfahren einer nur unzulänglichen Würdigung zugeführt worden waren. 1028
In den voranstehenden Ausführungen wurden zahlreiche Beispiele für eine extraterritoriale Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften als Eingriffsnormen in internationalen Konventionen, Abkommen und Resolutionen sowie in nationalen Rechtsstatuten und in einzelnen Gerichtsverfahren ersichtlich. Aus diesem Grund liegt die nachstehend unter Punkt III. näher zu untersuchende Erwägung nicht fern, auch innerhalb des deutschen internationalen Privatrechts an eine extraterritoriale Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften zu denken. Inwieweit dies möglich ist, ist Untersuchungsgegenstand der nachstehenden Ausführungen.
III. Direkte und unmittelbare Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze in Deutschland 1029
Anders als zahlreiche nationale Rechtsordnungen lässt das deutsche EGBGB offen, ob und wann Eingriffsnormen ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze entweder der lex causae oder dritter Staaten zu beachten sind.2557 Während die Frage der Anwendung deutscher Eingriffsnormen vor deutschen 2557
Vgl. Magnus in Magnus, J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen – Art. 34 EGBGB, Rdnr. 10–25. Die Anwendung ausländischen öffentlichen Rechts ist von dessen rechtlicher Anerkenntnis und Durchsetzung zu unterscheiden (vgl. ausführlich hierzu Anton, Rechtshandbuch Kulturgüterschutz und Kunstrestitutionsrecht – Band 1: Illegaler Kulturgüterverkehr, 3. Teil). Vgl. Sandrock, Foreign Laws Regulating the Export of Cultural Property: The Respect Due to them by the Judge of the Lex Fori, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 457–482; Prott, Problems of Private International Law for the Protection of the Cultural Heritage, in: Recueil des Cours – Collected Courses of the Hague Academy of International Law, 1989-V (Tome 217), 1990, S. 223–316, insb. S. 291 ff.; Knoepfler, Le commerce de l’art en droit international privé suisse, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 359–387; O’Keefe, Export and Import Controls on Movement of the Cultural Heritage: Problems at the National Level, Syracuse Journal of International Law and Commerce 10 (1983), S. 352–369, S. 362 ff.; Spinellis, Das Vertrags- und Sachenrecht des internationalen Kunsthandels, 2001, S. 433–530; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreiten-
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
1077
Foren in Art. 34 EGBGB geregelt ist, gibt es im deutschen Recht keine ausdrückliche Entscheidung hinsichtlich der Anwendung zwingender Normen der lex causae oder eines Drittstaates.2558 So hatte die Bundesrepublik Deutschland etwa bei der Zustimmung zum Europäischen Schuldvertragsübereinkommen vom 19. Juni 1980 gem. Art. 22 Abs. l lit. a) einen Vorbehalt eingelegt und die Bestimmungen in Art. 7 Abs. 1 hinsichtlich der extraterritorialen Berücksichtigung von Eingriffsnormen einer Rechtsordnung, die weder der lex fori noch der lex causae angehören, nicht in das innerstaatliche Recht umgesetzt. Zwar enthielt der Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Neuregelung des deutschen EGBGB aus dem Jahre 1983 für das Schuldvertragsrecht in Art. 34 Abs. 1 EGBGB noch eine Umsetzung des Art. 7 Abs. 1 EVÜ 2559, jedoch wurde die Norm später mit der Begründung gestrichen, dass sie aufgrund der Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe2560 ein zu hohes Maß an Rechtsunsicherheit2561 für den Warenverkehr beinhalte.2562 Außerdem sprach sich auch der Bundesrat gegen die extraterritoriale Anwendung eines fremden ordre public aufgrund der sich daraus ergebenden Mehrbelastung der deutschen Gerichte wegen der Ermittlung ausländischen Rechts aus.2563 Auch die deutsche Rechtsprechung hat es bislang unterlassen, ausländischen Eingriffsnormen direkte und unmittelbare Anwendung zu verleihen. Drittstaatliche kulturpolitische Interessen an der Erhaltung und Bewahrung national wertvoller Kulturgüter wurden bislang allein mittelbar und indirekt über die deutschen Generalklauseln des materiellen Rechts berücksichtigt:
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So wurde bspw. in der Nigeria-Entscheidung des BGH vom 22. Juni 19722564 keine direkte und unmittelbare, sondern nur indirekte und mittelbare Anwendung aus-
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den rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 96 f.; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 104–106 und insbesondere die Entscheidung Attorney General of New Zealand v. Ortiz and Others, vgl. 3, 943 ff. Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 159–160. BT-Drs. 10/504, S. 14, S. 83. Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 271–279. So insbesondere der Bundesrat, BT-Drs. 10/504, S. 100; im Anschluss daran zustimmend die Bundesregierung, BT-Drs. 10/504, S. 106 und ebenso der Rechtsausschuss des Bundestages, BT-Drs. 10/5632, S. 45. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, Bericht der Abgeordneten Eylmann und Stiegler, BT-Drs. 10/5632, S. 45. Vgl. Magnus in Magnus, J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen – Art. 34 EGBGB, Rdnr. 1–6. BR-Drs. 222/83, S. 9. Vgl. auch die Darstellung bei Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 159–160. Vgl. ausführlich hierzu 3, 1165 ff.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
ländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze von Drittstaaten als Vorschriften des öffentlichen Rechts vor einem deutschen Zivilforum bestimmt. Aus der Urteilsbegründung wurde ersichtlich, dass der BGH die zwingenden Kulturgüterschutzvorschriften Nigerias, die hier weder zur lex fori (Gerichtsort war Deutschland) noch zur lex causae (das Schuldvertragsstatut des Versicherungsvertrages) zählten, nur indirekt als Verbotsgesetz i.S.d. § 134 BGB oder mittelbar als sittenwidrigkeitsbegründend i.S.d. § 138 Abs. 1 BGB anerkannte. 1032
Nichtsdestotrotz ist aber auch für das deutsche Kollisionsrecht festzuhalten, dass eine direkte und unmittelbare Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze vor deutschen Zivilforen ausweislich der Gesetzesmaterialien schon de lege lata möglich ist und nicht gegen geltendes deutsches Recht verstößt.2565 So werden für das deutsche Internationale Kulturgüterprivatrecht „zunehmende Auflösungserscheinungen“ des Prinzips der Unanwendbarkeit ausländischen öffentlichen Rechts erkannt. „Insbesondere in Bezug auf die zwingenden Normen anderer Staaten lässt sich eine wachsende Bereitschaft erkennen, ihnen auch außerhalb des Erlaßstaats Wirkung zu verleihen.“2566 Der Gesetzgeber wollte diesen Schritt nur der weiteren rechtsdogmatischen Entwicklung in Rechtsprechung und Lehre überlassen.2567
1033
Diese zögerliche Haltung des deutschen Gesetzgebers – anders als die Vorbildvorschrift im EVÜ regelt Art. 34 EGBGB nicht den Aspekt, wann deutsche Gerichte ausländisches zwingendes Recht gegenüber einem abweichenden Vertragsstatut zu beachten haben2568 – hat somit nicht zugleich zur Folge, dass nach den Grundsätzen des deutschen Kollisionsrechts eine Anwendung ausländischer Eingriffsnormen vor deutschen Zivilforen generell ausgeschlossen sein sollte.2569 Daraus ist gerade nicht abzuleiten, dass fremde Eingriffsnormen stets unbeachtlich seien. Vielmehr ist es heute einhellige Meinung, dass der Gesetzgeber keine generelle Ablehnung der Anwendung fremder Eingriffsnormen bestimmte, sondern
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So spricht Mann bspw. von der „unglückseligen Lehre von dem Sondercharakter ausländischen öffentlichen Rechts“, vgl. Mann, Anm. zu BGH vom 22.6.1972 (Nigeria-Fall), NJW, 1972, S. 2179. Vgl. auch Frank, Öffentlichrechtliche Ansprüche fremder Staaten vor Inländsichen gerichten, RabelsZ 34 (1970), S. 56–75, S. 64. Aus dem internationalen Schrifttum vgl. auch Lalive, L’application du droit public étranger (Rapports préliminaire et définitif et projets de résolution) AIDI, Session Wiesbaden 1975, 56 (1975), S. 157 ff.; Rigaux, Les situations juridiques individuelles dans un système de relativité générale, Cours général de droit international privé, Recueil de Cours 213 (1989-I), S. 152 ff., S. 193. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 287. So auch die zutreffende Einschätzung bei Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 159–160. Vgl. Magnus, Ulrich in Magnus, Ulrich, J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen – Art. 34 EGBGB, Rdnr. 1–6. So Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, § 52 IX 3; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 288.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
1079
diese Frage ohne gesetzliche Grundlage zu beantworten ist und der weiteren Entwicklung in Rechtsprechung und Schrifttum überlassen bleiben sollte.2570 Der Rechtsprechung bleibt es daher auch in Deutschland unbenommen, in geeignet erscheinenden Fällen den in Art. 7 Abs. 1 EVÜ und Art. 19 Abs. 1 des schweizerischen IPRG enthaltenen Lösungsansatz heranzuziehen, um zur inländischen Wirkung ausländischen zwingenden Rechts zu gelangen.2571 Eine unmittelbare Anwendung von ausländischem zwingendem Recht würde somit nicht gegen geltendes Recht verstoßen. Insofern wurde auch innerhalb des kulturgüterspezifischen Schrifttums eine Änderung des EGBGB durch Umsetzung des Art. 7 Abs. 1 EVÜ oder sogar die Einführung einer noch umfassenderen Norm – etwa vergleichbar mit dem Regelungsumfang des Art. 19 des Schweizer IPRG – gefordert, „weil die ausdrückliche Statuierung der Möglichkeit, drittstaatliche Eingriffsnormen anzuwenden, eventuell zu einer Änderung der Rechtsprechung beitragen könnte.“2572 Seit Erlass der Verordnung (EG) Nr. 593/ 2008 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 17. Juni 2008 (sog. Rom I-Verordnung) gilt jedoch auch für das deutsche Kollisionsrecht zumindest im Schuldvertragsrecht für Verträge, die nach dem 17. Dezember 2009 geschlossen wurden, aufgrund der unmittelbaren Anwendbarkeit (ohne nationalen Umsetzungsakt) von Verordnungen der Europäischen Union der Grundsatz des Art. 9 der Rom I-Verordnung:
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Den Eingriffsnormen des Staates, in dem die durch den Vertrag begründeten Verpflichtungen erfüllt werden sollen oder erfüllt worden sind, kann insoweit Wirkung verliehen werden, als diese Eingriffsnormen die Erfüllung des Vertrags unrechtmäßig werden lassen. Bei der Entscheidung, ob diesen Eingriffsnormen Wirkung zu verleihen ist, werden Art und Zweck dieser Normen sowie die Folgen berücksichtigt, die sich aus ihrer Anwendung oder Nichtanwendung ergeben würden. Für das deutsche Schuldvertragsrecht gilt somit auch die Definition von Eingriffsnormen des Art. 9 Abs. 1 der Rom I-Verordnung, wonach eine Eingriffsnorm eine zwingende Vorschrift ist, „deren Einhaltung von einem Staat als so
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So Magnus, Ulrich in Magnus, Ulrich, J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen – Art. 34 EGBGB, Rdnr. 1–6; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 159– 160. Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, § 52 VIII 3.; Zimmer, Ausländisches Wirtschaftsrecht vor deutschen Zivilgerichten – Zur Unterscheidung zwischen einer normativen Berücksichtigung fremder zwingender Normen und einer bloßen Beachtung ihrer tatsächlichen Folgen, IPRax 1993, S. 65–69; Martiny, Der deutsche Vorbehalt gegen Art.7 Abs. 1 des EG-Schuldvertragsübereinkommens vom 19.06.1989 – seine Folgen für die Anwendung ausländischen zwingenden Redits, IPRax 1987, S. 277–280. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 159–160. In diesem Sinne auch von Schorlemer, Internationaler Kulturgüterschutz – Ansätze zur Prävention im Frieden sowie im bewaffneten Konflikt, 1992, S. 558.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
entscheidend für die Wahrung seines öffentlichen Interesses, insbesondere seiner politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Organisation, angesehen wird, dass sie ungeachtet des nach Maßgabe dieser Verordnung auf den Vertrag anzuwendenden Rechts auf alle Sachverhalte anzuwenden ist, die in ihren Anwendungsbereich fallen.“ Seit Inkrafttreten der Rom I-Verordnung vom 17. Juni 2008 am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union steht somit auch im deutschen Schuldvertragsrecht für Verträge, die nach dem 17. Dezember 2009 geschlossen wurden, die gesetzliche Möglichkeit der Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze als Eingriffsnormen trotz ihrer Qualifizierung als Vorschriften ausländischen öffentlichen Rechts entgegen dem Dogma der Nichtanwendbarkeit ausländischen öffentlichen Rechts offen. 1036
Ob, wann und wie ausländische Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften als Eingriffsnormen, sei es der lex causae oder dritter Staaten (auch außerhalb des Schuldvertragsrechts, wie etwa im Bereich der dinglichen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter im internationalen Sachenrecht) vor deutschen Foren Anwendung finden, ist jedoch stark umstritten.2573 Zwar besteht zumindest innerhalb des Schuldvertragsrechts in der Sache weite Übereinstimmung, dass Eingriffsnormen einer ausländischen lex causae oder eines dritten beteiligten Staates in bestimmten Situationen Beachtung finden müssen2574, und selbst die Frage, wann das zu geschehen hat, ist zwar in Einzelheiten streitig, wird im Ergebnis aber vielfach einheitlich beurteilt.2575 Weniger deutlich sind diese Fragen jedoch im Internationalen Kulturgüterprivatrecht und im Bereich der dinglichen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter auf der Seite des internationalen Sachenrechts. Überhaupt ist nach wie vor der dogmatische Weg für eine Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften als Eingriffsnormen stark umstritten und es werden unterschiedliche Ansätze vertreten.2576 2573
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Vgl. hierzu auch von Schorlemer, Internationaler Kulturgüterschutz – Ansätze zur Prävention im Frieden sowie im bewaffneten Konflikt, 1992, S. 518 ff., insb. S. 525–559. Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, § 52 IX. Eingehend zu den unterschiedlichen Methoden Siehr, Ausländische Eingriffsnormen im inländischen Wirtschaftskollisionsrecht, RabelsZ 52 (1988), S. 41–103, S. 62 ff.; Magnus, Ulrich in Magnus, Ulrich, J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen – Art. 34 EGBGB, Rdnr. 110–145. Vgl. Magnus, Ulrich in Magnus, Ulrich, J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen – Art. 34 EGBGB, Rdnr. 110–145. Dabei wird allerdings auch weitgehend anerkannt, dass ausländische Eingriffsnormen nicht ebenso umfassend wie inländische zu beachten sind, vgl. Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. § 52 IX vor 1. Für einen Überblick über die unterschiedlichen dogmatischen Ansätze vgl. auch Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 99–102.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
1081
Extraterritoriale Anwendung ausländischer Kulturgüterschutzgesetze vor deutschen Zivilforen
Völkerrechtliches Territorialitätsprinzip und kollisionsrechtliche Machttheorie
Generelle Nichtanwendung ausländischer Kulturgüterschutzgesetze
Kollisionsrechtliche Schuldstatutstheorie und Einheitsanknüpfung im Internationalen Kulturgüterprivatrecht
Anwendung der Kulturgüterschutzvorschriften der lex causae, nicht aber dritter kultureller Ursprungsstaaten
Theorie der Sonderanknüpfung ausländischer Eingriffsnormen
Anwendung ausländischer Kulturgüterschutzvorschriften bei eigenem inländischen Anwendungsinteresse des Forumstaates, enger Beziehung zum Kulturguttransfer und Beschränkung auf national bedeutsame Objekte
Schema 13 – Extraterritoriale Anwendung ausländischer Kulturgüterschutzgesetze vor deutschen Zivilforen
1.
Völkerrechtliches Territorialitätsprinzip und kollisionsrechtliche Machttheorie
Die ständige Rechtsprechung des deutschen Bundesgerichtshofs folgt dem sog. Territorialitätsprinzip 2577 und geht – übrigens im Einklang mit der weit überwiegenden Rechtseinschätzung internationaler Gerichtsentscheidungen – im Grundsatz davon aus, dass ausländische Normen des öffentlichen Rechts (und somit auch nationale Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften) – außerhalb einer möglichen materiell-rechtlichen Berücksichtigung – grundsätzlich nur ‚ter-
2577
Vgl. Sonnenberger in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR, Rdnr. 420–423. Vgl. aus der Rechtsprechung: BGH, Urteil des 7. Zivilsenats vom 17.12.1959, Az.: VII ZR 198/58, BGHZ 31, S. 367–373, S. 371; BGH, Beschluss des Großen Senats für Zivilsachen vom 21.05.1974, Az.: GSZ 2/72, BGHZ 62, S. 340–351, S. 343; BGH, sog. August Vierzehn-Entscheidung des 1. Zivilsenats vom 16.04.1975, Az.: I ZR 40/73, BGHZ 64, S. 183–193, S. 189. Kritisch zur verfehlten Berufung auf das Territorialitätsprinzip vgl. Sonnenberger, Ordre public als Schranke einer Bürgeninanspruchnahme nach internationalem Privatrecht, EWiR 1988, S. 675–676; Behrens, Der ausländische Enteignungsstaat als Bürgschaftsgläubiger des Enteigneten (Anmerkung zu BGH, 28-4-1988 – IX ZR 127/87), IPRax 1989, S. 217–223, S. 221.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
ritoriale‘ Geltung beanspruchen können und keine Anwendung vor ausländischen Zivilforen erfahren, vgl. hierzu sogleich unter Punkt a).2578 Kollisionsrechtliche Umsetzung des völkerrechtlichen Territorialitätsgrundsatzes ist die internationalprivatrechtliche Machttheorie, wonach öffentlich-rechtliche Eingriffsnormen eines anderen Staates als der lex fori als internationales öffentliches Recht nur dann zu berücksichtigen sind, wenn der sie normierende Staat die Macht hat, sie auch durchzusetzen. Das wird im internationalen Kulturgüterverkehr – ganz im Sinne des völkerrechtlichen Territorialitätsprinzips – nur dann angenommen, wenn sich die umstrittenen Kulturgüter noch auf dem Gebiet des Eingriffsstaates befinden oder sich rechtserhebliche Tatsachen (etwa für die dingliche Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter) dort abspielen, vgl. hierzu sogleich unter Punkt b).
a) 1038
Völkerrechtliches Territorialitätsprinzip und internationale Staatssouveränität in der ständigen Rechtsprechung des BGH
Nach herrschender Meinung in der deutschen Rechtsprechung und dem Schrifttum dürfen kulturelle Ursprungsstaaten im Ausland aus Achtung vor der Souveränität und der Herrschaftsgewalt auf dem Staatsgebiet eines fremden Staates und als Ausdruck des völkerrechtlichen Territorialitätsgrundsatzes keine hoheitlichen Staatshandlungen zur Erhaltung und Bewahrung ihres nationalen Kulturerbes vornehmen.2579 „Öffentliches Recht ist Ausdruck der Staatsgewalt selbst und jeder Staat verwirklicht primär seine eigenen Staatszwecke. Die Anweisung an die inländischen Exekutivorgane, ausländisches öffentliches Recht unmittelbar zu realisieren und ihnen hierfür Zuständigkeit zu verleihen, ist zwar rechtslogisch möglich, tatsächlich aber im gegenwärtigen Zustand der Weltordnung vorbehaltlich völkervertraglicher oder supranationaler Regelungen … eine Ausnahmeerscheinung“2580. In gleichem Maße werden aber auch ausländische Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze kultureller Ursprungsstaaten als Vorschriften
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Dem Begriff Territorialitätsprinzip werden zahlreiche, auch inhaltlich divergierende Bedeutungen zugewiesen, vgl. Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, § 22. Wenn der Grundsatz der Nichtanwendung ausländischen öffentlichen Rechts durch den Territorialitätsgrundsatz untermauert wird, wird nur auf die negative Territorialität abgestellt, vgl. Busse, Die Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen durch die deutsche Rechtsprechung, ZVglRWiss 95 (1996), S. 386–418, S. 395 f.; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 104–106. Vgl. etwa BGH, Urteil des 7. Zivilsenats vom 17.12.1959, Az.: VII ZR 198/58, BGHZ 31, S. 367–373, S. 371, wenn auch mit gewissen Einschränkungen; BGH, sog. August VierzehnEntscheidung des 1. Zivilsenats vom 16.04.1975, Az.: I ZR 40/73, BGHZ 64, S. 183–193, S. 189; näher Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, 9. Aufl. 2004, § 23 I. Sonnenberger in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR, Rdnr. 401–406.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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öffentlichen Rechts in ihrer Geltung vielfach auf das Staatsgebiet des Erlassstaates begrenzt und sind nach herrschender Meinung in der deutschen Rechtsprechung und dem Schrifttum prinzipiell vor fremden Zivilforen des kulturellen Importstaates unanwendbar.2581 Dahinter steht als Grund die völkerrechtliche Souveränität jedes Staates, die er ebenso für hoheitliche Äußerungen jedes anderen Staates zu respektieren hat. Daraus wurde vielfach ein Grundsatz der Unanwendbarkeit ausländischen öffentlichen Rechts abgeleitet.2582 Die deutsche Rechtsprechung steht somit auf dem Standpunkt, dass ausländische Normen des öffentlichen Rechts – außerhalb einer möglichen materiellrechtlichen Berücksichtigung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften – grundsätzlich nur ‚territoriale‘ Geltung beanspruchen können (sog. Territorialitätsprinzip). Bei Sachverhalten mit Auslandsberührung hat das internationale Privatrecht grundsätzlich die Aufgabe, diejenige Zivilrechtsordnung zur Anwendung zu berufen, die in Sachverhaltskonstellationen mit Auslandsberührung als Entscheidungsgrundlage für das nationale Gericht zu dienen hat. Um einer ausländischen Norm im Inland Geltung zu verschaffen, wird kol-
2581
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Vgl. Blass, Legal Restrictions on American Access to Foreign Cultural Property, Fordham Law Review 46 (1978), S. 1177–1204, S. 1189; Carducci, The Growing Complexity of International Art Law: Conflict of Laws, Uniform Law, Mandatory Rules, UNSC Resolutions and EU Regulations, in: Hoffman, Art and Cultural Heritage – Law, Policy and Practice, 2006, S. 68 ff., S. 77; Fitzpatrick, Cultural Property and Art Theft – The Misguided Quest: The Clear Case against UNIDROIT, Journal of Financial Crime (the official journal of the Cambridge International Symposium on Economic Crime) 4 (1996), S. 54–58, S. 55; Fuchs, Kulturgüterschutz im Kulturgutsicherungsgesetz, IPRax 2000, S. 281–286, S. 283; Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 206; Kohls, Kulturgüterschutz: Wirkungen von Verstößen gegen Ausfuhrverbote und Möglichkeiten der Rückführung illegal verbrachter Kulturgüter – Eine vergleichende Untersuchung mit den Rechten Dänemarks, Norwegens und Schwedens, 2001, S. 121–122 (hinsichtlich Deutschland) und S. 130–136 (hinsichtlich Schweden, Norwegen und Dänemark); Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 51 ff.; Lindsay, The Recovery of Cultural Artifacts: The Legacy of Our Archeological Heritage, Case Western Reserve Journal of International Law 22 (1990), S. 165–182, S. 179–180; McAlee, From the Boston Raphael to Peruvian Pots: Limitation on the Importation of Art into the United States, Dickinson Law Review 85 (1981), S. 565–605, S. 566–567; Niec, Legislative Models of Protection of Cultural Property, The Hastings Law Journal 27 (1976), S. 1089–1122, S. 1118–1122; O’Keefe, The Use of Criminal Offences in UNESCO Countries: Australia, Canada and the U.S.A., Art, Antiquity and Law 6 (2001), S. 19–35, S. 24; Olivier, The Unidroit Convention: Attempting to Regulate the International Trade and Traffic of Cultural Property, Golden Gate University Law Review 26 (1996), S. 627–665, S. 641; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 93–96. Vgl. Magnus, Ulrich in Magnus, Ulrich, J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen – Art. 34 EGBGB, Rdnr. 110–145.
1039
1084
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
lisionsrechtlich auf das fremde Recht verwiesen.2583 Da das internationale Privatrecht jedoch allein Zivilrechtsregeln zur Anwendung beruft, wenden nationale Zivilgerichte kein ausländisches öffentliches Recht an.2584 Die Regeln des internationalen Privatrechts berufen grundsätzlich nur die privatrechtlichen Normen eines Staates zur Anwendung, nicht jedoch öffentlich-rechtliche Eingriffsnormen.2585 1040
Die nationalen Kulturgüterschutzgesetze wirken gewiss auf private Rechte oder Rechtsverhältnisse ein, indem sie zivilrechtliche Rechtsmacht, d.h. die Eigentümerstellung bzw. die Privatautonomie und die Möglichkeit eines freien Kulturgütertransfers, beschränken.2586 Ohne Zweifel ist jedoch nicht von einer privatrechtlichen, sondern von einer öffentlich-rechtlichen Charakterisierung der nationalen Kulturgüterschutzvorschriften auszugehen, da durch die Regeln zur Erhaltung und Bewahrung des nationalen Kulturpatrimoniums nicht der Zweck verfolgt wird, das Verhältnis unter den Parteien eines Erwerbsgeschäfts zu regeln, sondern die Regeln wirtschafts-, kultur- und sozialpolitischen Zielen dienen und damit jedenfalls eine staatseigene Funktion erfüllen.2587 Das hat nach Ansicht des BGH und des Territorialitätsprinzips auf der kollisionsrechtlichen Stufe zur Folge, dass ausländisches öffentliches Recht außerhalb seines Ursprungslandes vor fremden Zivilforen in der Regel keine Anwendung erfahren wird.2588 Nationale Kulturgüterschutzvorschriften sind als Bestandteil der öffentlich-rechtlichen Resolutionsmethoden des kulturellen Ursprungsstaates nach einem Statutenwechsel des geschützten Kulturguts infolgedessen unanwendbar. Bei grenzüberschreitenden Sachverhalten mit Bezugspunkten zu mehr als einer Rechtsordnung hat die Bestimmung der anzuwendenden Kulturgüterund Denkmalschutzvorschriften somit nicht nach den Vorschriften des allgemeinen Privatrechts, sondern nach den Grundsätzen des internationalen öffentlichen Rechts zu erfolgen. Die Frage nach der Anwendbarkeit öffentlich-rechtlicher Resolutionsmethoden zur Regulation des (inter-)nationalen Kulturgüterverkehrs vor ausländischen Gerichten stellt dabei nur einen Ausschnitt aus dem weiten Spannungsverhältnis zwischen dem internationalen öffentlichen (Wesen der
2583 2584
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2587
2588
Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 234. Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 183. Kohls, Kulturgüterschutz: Wirkungen von Verstößen gegen Ausfuhrverbote und Möglichkeiten der Rückführung illegal verbrachter Kulturgüter – Eine vergleichende Untersuchung mit den Rechten Dänemarks, Norwegens und Schwedens, 2001, S. 121–122. Vgl. Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 93–95. Ausführlich zur Abgrenzung gegenüber zwingenden Normen des Privatrechts Schulze, Das öffentliche Recht im internationalen Privatrecht, 1972, S. 112 ff. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 176–181; Asam, Rechtsfragen des illegalen Handels mit Kulturgütern – Ein Überblick, in: Mansel/ Pfeiffer/Kronke/Kohler/Hausmann, Festschrift für Erik Jayme, 2004, S. 1651–1668, S. 1664.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
1085
hoheitlichen Maßnahme als tatbestandliche Schutzvorschrift kultureller Wertgegenstände) und privaten Recht (Wirkung der Maßnahme innerhalb der allgemeinen zivilrechtlichen Rechtsinstitute) dar, das bis heute noch zahlreiche Unklarheiten innerhalb des internationalen Kulturgüterverkehrs aufweist.2589 Das aus der Souveränität der einzelnen Staaten ausfließende Territorialitätsprinzip des Völkerrechts bedeutet somit, dass öffentlich-rechtliche Schutzvorschriften zur Bewahrung und Erhaltung national schützenswerter Kulturgüter, mit denen der kulturelle Ursprungsstaat auf ein bereits im Ausland belegenes Kulturgut zugreifen will, aus der Sicht des kulturellen Import- und Forumstaates unanwendbar sind. Dem allgemeinen Verständnis entsprechend führt hier stellvertretend für die überwiegende Rechtsansicht Schwadorf-Ruckdeschel aus, dass in diesen grenzübergreifenden Maßnahmen „eine nicht hinzunehmende Überschreitung der Macht des zugreifenden Staates gegenüber dem Lagestaat [liegt], der bereits selbst Territorialhoheit über die Sache ausübt.“2590 Die nationalen Gerichte2591 leisten unter Berufung auf den öffentlich-rechtlichen Charakter kultureller Exportgesetze ausländischen Staaten bei dem Ziel des Kulturgüterschutzes keine Rechtshilfe, da die Anwendung öffentlichen Rechts auf das Gebiet des rechtsetzenden Staates beschränkt ist. So wird der deutsche Bundesgerichtshof häufig dahingehend zitiert, dass „ein Staat sich nicht zum Büttel der Hoheitsgewalt eines anderen“2592 machen dürfe, sodass die Vornahme ausländischer Staatsakte und die direkte Anwendung ausländischer öffentlich-rechtlicher Kulturgüterschutzvorschriften außerhalb des kulturellen Ursprungsstaates nach Ansicht des BGH bereits per se ausgeschlossen sind. Diese sog. Territorialität des öffentlichen Rechts versteht sich als exklusive Anwendungsbestimmung allein desjenigen öffentlichen Rechts, das auch von den gesetzgebenden und rechtsetzenden Organen und Institutionen des Forumstaates erlassen wurde.2593 Es gilt das Prinzip der Nichtanwendbarkeit ausländischen öffentlichen Rechts. Das bedeutet für den internationalen Kulturgüterschutz, dass der Verstoß gegen aus2589
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Vgl. auch Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 93–95. Vgl. Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 93–95. Vgl. auch die ständige (kulturgüterunspezifische) Rechtsprechung des deutschen Bundesgerichtshofs: BGH, Urteil des 7. Zivilsenats vom 17.12.1959, Az.: VII ZR 198/58, BGHZ 31, S. 367–373, S. 371, wenn auch mit gewissen Einschränkungen; BGH, sog. August VierzehnEntscheidung des 1. Zivilsenats vom 16.04.1975, Az.: I ZR 40/73, BGHZ 64, S. 183–193, S. 189; BGH, Urteil des 7. Zivilsenats vom 19. April 1962, Az: VII ZR 162/60: NJW 1962, S. 1251. BGH, Entscheidung des 2. Zivilsenats vom 18. Februar 1957, Az: II ZR 287/54, BGHZ 23, S. 333 ff., S. 337. Vgl. auch im Schrifttum: Mann, RabelsZ 21 (1965), S. 1–20; Beitzke, Nochmals zur Konfiskation von Mitgliedschaftsrechten, JZ 1956, S. 673 ff., S. 674; Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, § 22 II 2.
1041
1086
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
ländische Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze von inländischen Gerichten grundsätzlich unbeachtet bleibt.2594 1042
Im Bereich der öffentlich-rechtlichen Transferbeschränkungstatbestände bleibt die Missachtung von Anzeige-, Mitteilungs-, Vorführungs-, Eintragungs- und sonstigen Informationspflichten zum Schutz national bedeutsamer Kulturgüter gegenüber dem regulierenden Ursprungsstaat ebenso ohne extraterritoriale Sanktionswirkung wie ein Verstoß gegen staatliche Kontrollvorschriften gegenüber dem kulturguttransferierenden Gewerbe. Entsprechendes muss für die sog. non ownership statutes zum Schutz des nationalen Kulturpatrimoniums gelten, die einen Verfall illegal exportierter Kulturgüter zu Staatseigentum, ein Recht auf Enteignung, ein staatliches Vorkaufsrecht bei unrechtmäßiger Veräußerung, Verbringung und Ausfuhr erst nach einer hoheitlichen Handlung des kulturellen Ursprungsstaates wie einer Beschlagnahme, Enteignungshandlung oder nach Ausübung des staatlichen Vorkaufsrechts anordnen, sich die Kulturgüter jedoch aufgrund eines Statutenwechsels schon außerhalb der Grenzen der territorialen Staatsgewalt des kulturellen Ursprungsstaates befinden. Selbstredend scheidet hier – außerhalb zwischenstaatlicher Vereinbarungen – die eigene Ausübung hoheitlicher Akte des kulturellen Ursprungsstaates im Importstaat aus. Es ist aber auch eine Anwendung ausländischen öffentlichen Rechts (und dazu zählen die nationalen Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze) durch die Gerichte des Importstaates zur Zeit noch regelmäßig ausgeschlossen, sodass Ausfuhr-, Verbringungs- oder Veräußerungsbeschränkungen national wertvoller Kulturgüter (etwa aufgrund der Qualifizierung als res extra commercium) bei einer Veräußerung außerhalb des kulturellen Ursprungsstaates (d.h. bei einem sog. qualifizierten Statutenwechsel) keine Anwendung finden. In diesen Konstellationen ist zwar regelmäßig eine Ausfuhr aus dem Herkunftsstaat unrechtmäßig, es liegt gleichzeitig aber in der Regel2595 keine illegale Einfuhr auf das Territorium des kulturellen Importstaates vor.
b) 1043
Kollisionsrechtliche Machttheorie
Kollisionsrechtliche Umsetzung des völkerrechtlichen Territorialitätsgrundsatzes ist die international-privatrechtliche Machttheorie, wonach öffentlich-rechtliche Eingriffsnormen der Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze kultureller Ursprungsstaaten als internationales öffentliches Recht nur dann zu berücksich-
2594
2595
Müller-Katzenburg, Besitz- und Eigentumssituation bei gestohlenen und sonst abhanden gekommenen Kunstwerken, S. 2553; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 179 ff. Ausnahmen stellen bspw. der kanadische Cultural Property Export and Import Act aus dem Jahre 1977, der australische Protection of Movable Cultural Heritage Act aus dem Jahre 1986 sowie ähnliche Rechtsgestaltungen in den Rechtsordnungen Polens, Portugals, der Niederlande und Syriens dar.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
1087
tigen sind, wenn der sie normierende Staat die Macht hat, sie auch durchzusetzen.2596 Das wird im internationalen Kulturgüterverkehr – ganz im Sinne des völkerrechtlichen Territorialitätsprinzips – nur dann angenommen, wenn sich die umstrittenen Kulturgüter auf dem Gebiet des kulturellen Ursprungsstaates befinden oder sich rechtserhebliche Tatsachen für die dingliche Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter auf dessen Territorium abspielten (Situation eines schlichten Statutenwechsels 2597). Nach dieser – insbesondere bei Hoffmann und Thorn vertretenen – Machttheorie sind ausländische Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze nur dann anzuwenden, wenn der ausländische Staat, der die Norm erlassen hat, die Macht besitzt, sie auch durchzusetzen. Dies soll bspw. nur dann der Fall sein, wenn sich der Kaufgegenstand noch in dem (kulturellen Ursprungs-)Land befindet, dessen Rechtsordnung den Export untersagt. Außerdem setzen Hoffmann und Thorn voraus, dass der Normzweck von der internationalen Rechtsgemeinschaft getragen wird (dies wird bspw. ausdrücklich auch für den Kulturgüterschutz unter Verweis auf die Nigeria-Entscheidung des BGH 2598 bejaht), und der Zweck der ausländischen Norm mit Zwecken des deutschen Gesetzgebers übereinstimmt. Hat der deutsche Gesetzgeber also entsprechende Eingriffsnormen erlassen, so ist das ausländische Verbotsgesetz von uns anzuwenden. Aber selbst wenn der deutsche Gesetzgeber keine entsprechende Norm statuiert hat, genügt nach dieser Einschätzung die Kompatibilität der ausländischen Eingriffsnorm mit unseren Interessen.2599 Liegen diese Voraussetzungen vor, finden auch ausländische Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften extraterritoriale Anwendung. Finden sich dagegen die Kulturgüter außerhalb des kulturellen Ursprungsstaates oder
2596
2597 2598
2599
Vgl. Magnus, Ulrich in Magnus, Ulrich, J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen – Art. 34 EGBGB, Rdnr. 110–145. Anklänge in der Rechtsprechung: BGH, Urteil des 7. Zivilsenats vom 17.12.1959, Az.: VII ZR 198/58, BGHZ 31, S. 367–373, S. 370 ff.; BGH, sog. August Vierzehn-Entscheidung des 1. Zivilsenats vom 16.04.1975, Az.: I ZR 40/73, BGHZ 64, S. 183–193, S. 189; BGH, Urteil des 3. Zivilsenats vom 17.11.1994, Az.: III ZR 70/93, BGHZ 128, S. 41–53, S. 52; Kegel/ Seidl-Hohenveldern, Zum Territorialitätsprinzip im internationalen öffentlichen Recht, Festschrift Ferid (1978), S. 233 ff. Vgl. aus dem kulturgüterspezifischen Schrifttum Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/ Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 200–204; Kohls, Kulturgüterschutz: Wirkungen von Verstößen gegen Ausfuhrverbote und Möglichkeiten der Rückführung illegal verbrachter Kulturgüter – Eine vergleichende Untersuchung mit den Rechten Dänemarks, Norwegens und Schwedens, 2001, S. 124–125. Vgl. auch die Darstellung der Machttheorie bei Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 99–102. Vgl. hierzu 3, 228 ff. BGH, Nigeria-Entscheidung des 2. Zivilsenats vom 22.06.1972, Az.: II ZR 113/70, BGHZ 59, S. 82–87, NJW 1972, S. 1575 ff. So Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 472–473.
1044
1088
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
wurde außerhalb des kulturellen Ursprungsstaates in rechtserheblicher Weise auf die dingliche Sachzuordnung der Objekte eingewirkt (Situation eines qualifizierten Statutenwechsels 2600), finden dagegen die Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften des kulturellen Ursprungsstaates keine Anwendung.2601
c) 1045
International einheitliche Nichtanwendbarkeit ausländischer Kulturgüterschutzgesetze
Bei Anwendung des völkerrechtlichen Territorialitätsprinzips und der Machttheorie im Kollisionsrecht entscheiden die deutsche Rechtsprechung und das Schrifttum bislang (leider) im Einklang mit den ausländischen Vorstellungen in kulturgüterspezifischen Gerichtsentscheidungen. Vor diesem rechtstheoretischen Hintergrund ist bis heute für den grenzüberschreitenden Verkehr mit national geschützten Kulturgütern grundsätzlich davon auszugehen, dass – außerhalb des Anwendungsbereichs spezieller zwischenstaatlicher Vereinbarungen wie etwa der UNESCO-Convention vom 14. November 1970 2602, der UNIDROIT-Convention vom 24. Juni 19952603 und der EG-Richtlinie 93/7/EWG vom 15. März 19932604 – zwar jeder Staat sein eigenes nationales Kulturgut (auch vor den eigenen Zivilgerichten) schützt, dass de lege lata jedoch keine nationalen Regularien zum Schutz fremden Kulturpatrimoniums oder zur Bewahrung bestimmter fremder nationaler Wertobjekte nach einem Statutenwechsel zu konstatieren sind. Öffentlich-rechtliche Regulationsmethoden des (inter-)nationalen Kulturgüterverkehrs finden nur innerhalb des Territoriums des regelnden Staates hoheitliche Anwendung. „Auch Schutzgesetze, die sich auf ein Ausfuhrverbot beschränken, greifen in die dinglichen Rechte ein, wenngleich sie nur die Rechtsübertragung behindern, nicht aber den Inhalt der dinglichen Rechte berühren. Eben deshalb ist die Durchsetzung solcher Gesetze nach einem sachenrechtlichen Statutenwechsel nur schwer zu erreichen.“2605 Die ständige Rechtsprechung im internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht hat diese Einschätzung in rechtsvergleichender Sicht bestätigt.
2600 2601
2602 2603 2604 2605
Vgl. hierzu 3, 72 ff. u. 228 ff. Dieser Ansicht sind wohl auch Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 469, die für eine Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze fordern, dass der ausländische Staat, der die Norm erlassen hat, die Macht besitzt, sie auch durchzusetzen (Bsp.: Kaufgegenstand befindet sich noch in dem Land, dessen Rechtsordnung den Export untersagt). Vgl. 3, 1271 ff. Vgl. 3, 1348 ff. Vgl. 3, 925 ff. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 178.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
(1)
1089
Keine Anwendung italienischer Kulturgüterschutzvorschriften vor britischen Zivilforen nach der Entscheidung King of Italy v. Marquis Cosimo de Medici
Das Prinzip der Unanwendbarkeit ausländischer Kulturgüterschutzgesetze als Normen des öffentlichen Rechts vor fremden Zivilforen kann exemplarisch anhand der Rechtssache King of Italy v. Marquis Cosimo de Medici 2606 Darstellung finden.2607
1046
In dieser Konstellation begehrte Italien die Restitution ohne rechtmäßige Ausfuhrgenehmigung2608 illegal nach Großbritannien exportierter historischer italienischer Dokumente. Der italienische Marquis Cosimo de Medici beabsichtigte die Versteigerung des für die italienische Geschichte besonders bedeutsamen Schriftguts bei Christie, Manson & Woods in London, das ohne rechtmäßige Ausfuhrgenehmigung aus dem Territorium Italiens illegal exportiert wurde. Von rechtserheblichem Interesse war in der genannten Fallstudie, dass sich die Kulturgüter zu einem Teil im Eigentum des italienischen Staates befunden haben, die übrigen Dokumente jedoch im Privateigentum des Marquis Cosimo de Medici selbst standen. Die italienische Regierung sowie der König Italiens beantragten vor einem englischen Zivilgericht gegenüber dem Beklagten und dem Auktionshaus Christie, Manson & Woods neben der Unterlassung der Versteigerung der Dokumente vor allem die Rückführung sowohl der in ihrem Eigentum stehenden Kulturgüter als auch derer, die allein im Eigentum des Marquis Cosimo de Medici selbst standen.2609
1047
In der Entscheidung wurde insbesondere die divergierende rechtliche Behandlung gestohlener und entgegen den nationalen Schutzvorschriften zur Erhaltung und Bewahrung national bedeutsamer Kulturgüter unrechtmäßig ausgeführter Gegenstände deutlich. Von rechtserheblichem Interesse ist an dieser Stelle nur der Streit um diejenigen Kulturgüter, die im Alleineigentum de Medicis selbst standen. Zu Recht ordnete das Gericht nämlich hinsichtlich der sich im Staatseigen-
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2606
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King of Italy v. Marquis Cosimo de Medici, 34 The Times Law Reports, S. 623 (Ch. D.) (1917/18), als auch in 14 Riv. dir. int. 1921/22, S. 197 ff. Vgl. Merryman, Thinking about the Elgin Marbles, Michigan Law Review Vol. 83 (1985), S. 1881–1923, S. 1890; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 87–88; 176–177, 189; O’Keefe, Export and Import Controls on Movement of the Cultural Heritage: Problems at the National Level, Syracuse Journal of International Law and Commerce 10 (1983), S. 352–369, S. 352; Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 184. Vgl. zu dem italienischen Kulturgüterschutzrecht Maurer, Die Ausfuhr von Kulturgütern in der Europäischen Union, 1995, S. 160–165; Uhl, Der Handel mit Kunstwerken im europäischen Binnenmarkt – Freier Warenverkehr versus nationaler Kulturgutschutz, 1993, S. 73–79. Vgl. zur dieser Differenzierung vor allem Merryman, Thinking about the Elgin Marbles, Michigan Law Review Vol. 83 (1985), S. 1881–1923, S. 1890.
1090
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
tum Italiens befindenden Dokumente ohne zu zögern die Restitution an Italien an.2610 Diese Vindikation der im Eigentum Italiens stehenden Kulturgüter heilt die Eigentumsverletzung de Medicis und ist auf das fortbestehende Eigentumsrecht Italiens auch nach einem Transfer der Dokumente nach England zu betten, also nach bloßem Ortswechsel, ohne dass in dieser Fallkonstellation über weitere im Ausland erfolgte Transfers zu entscheiden war. Der Eigentümer kultureller Wertgegenstände – unabhängig davon, ob das Privateigentum dem (hier: italienischen) Staat oder einer sonstigen individuellen Person zusteht – hat nämlich „indubbiamente diritto d’intervenire per impedire atti di disposizione della sua proprietà da parte di chiunque non è a ciò autorizzato“2611. 1049
Hinsichtlich der allein im Eigentum de Medicis stehenden Dokumente musste das englische Gericht jedoch über die Frage der Geltendmachung einer Eigentumsposition an kulturellen Wertgegenständen hinausgehend die Frage entscheiden, ob ein italienisches Exportverbot kultureller Güter als ausländische öffentlichrechtliche Norm vor englischen Zivilgerichten rechtliches Gehör erfahren sollte. Das in Rede stehende Ausfuhrverbot beruhte in dem konkreten Fall auf Art. 8 und 9 der Legge 20 giugnio 1909 no. 364 sulle antichità e le belle arti 2612, die die Ausfuhr von Gegenständen von historischem Interesse verboten. In seinem Urteil verneinte das Gericht diese Frage, weil eine Restitution illegal aus Italien ausgeführter Kulturgüter allein aufgrund eines Verstoßes gegen italienische Exportgesetze zu einer direkten und unmittelbaren Anwendung ausländischer öffentlichrechtlicher Normen vor englischen Zivilgerichten führen würde. Die italienischen Ausfuhrbestimmungen könnten sich allein auf solche Gegenstände beziehen, die sich noch in Italien befänden. Mit der unrechtmäßigen Ausfuhr der geschützten Objekte würde die italienische Schutzgesetzgebung jedoch unanwendbar. Auch in Bezug auf Art. 33 des italienischen Kunst- und Antiquitätengesetzes, der die Beschlagnahme illegal exportierter Kulturgüter zugunsten des italienischen Staates bestimmt, hielt es das Gericht für „evidente“, dass derartige Vorschriften allein innerhalb des Territoriums Italiens zur Anwendung kommen könnten und deshalb ohne Rechtswirkung auf solche Sachen seien, die nach dem Export bereits die Grenzen der italienischen Staatsgewalt verlassen hätten.2613 Dies wurde damit begründet, dass es sei „evidente, che questa disposizione, riguardando la confisca, può riferirsi soltanto al caso in cui le cose vengono sequestrate prima che escano dall’Italia, perché una disposizione che ordina la confisca a profitto dell’Italia non potrebbe di certo avere effetto alcuno su beni che si tro-
2610 2611 2612
2613
So auch Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 87. King of Italy v. Marquis Cosimo de Medici in 14 Riv. dir. int. 1921/22, S. 197 ff., S. 197. Zitiert in King of Italy v. Marquis Cosimo de Medici in 14 Riv. dir. int. 1921/22, S. 197 ff., S. 197–198. Hierzu und zum folgenden Zitat: King of Italy v. Marquis Cosimo de Medici in 14 Riv. dir. int. 1921/22, S. 197 ff., S. 194, 199; siehe hierzu auch: Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 88 und 176–177.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
1091
vano fuori d’Italia“. Seit dieser Entscheidung aus den 1920er Jahren wurde, soweit ersichtlich, keine weitere zivilrechtliche Klage mit dem Inhalt der unmittelbaren und direkten Anwendung ausländischer Kulturgüterschutzgesetze als öffentlich-rechtliche Normen eines fremden Staates vor englischen Zivilgerichten gesucht.
(2)
Keine Anwendung französischer Kulturgüterschutzvorschriften vor italienischen Foren nach der Entscheidung Stato francese c. Ministero per i beni culturali e ambientali e De Contessini vom 27. Juni 1987
Allgemein hat diese Rechtsprechung zur Folge, dass zwar jeder Staat sein eigenes nationales Kulturgut schützt, dass jedoch grundsätzlich keine nationalen Regularien zum allgemeinen Schutz nationaler Kulturpatrimonien im Generellen oder zur Bewahrung eines bestimmten fremden nationalen Kulturerbes zu konstatieren sind. Diese Tendenz lässt sich bei rechtsvergleichender Betrachtung ähnlicher Sachverhalte bestätigen. Auch wenn in den Konstellationen Stato francese c. Ministero per i beni culturali e ambientali e De Contessini und Duc de Frias v. Baron Pichon noch eine eigentumserhebliche Einwirkung auf die Rechtsposition des Eigentümers innerhalb des kulturellen Importstaates erfolgte und dementsprechend ein qualifizierter Statutenwechsel 2614 anzunehmen war, lässt sich aus einer Gesamtschau dieser Entscheidungen erkennen, dass außerhalb spezieller kulturgüterspezifischer zwischenstaatlicher Vereinbarungen jeder Staat vor seinen nationalen Zivilforen nur sein eigenes nationales Kulturgut schützt und fremde Kulturgüterschutzvorschriften aufgrund ihrer Qualifizierung als ausländische Normen öffentlichen Rechts keine Anwendung erfahren.
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In der Entscheidung Stato francese c. Ministero per i beni culturali e ambientali e De Contessini vom 27. Juni 19872615 verweigerten italienische Zivilgerichte die Anwendung französischer Kulturgüterschutzvorschriften als Normen öffentlichen Rechts und damit zugleich auch das Begehr der französischen Regierung, zwei die Odyssee betreffende Gobeline, die entgegen dem französischen Kulturgüterschutzsystem aus dem französischen Territorium nach Italien exportiert wurden, an Frankreich zu restituieren. Wertvolle Tapisserien waren aus Riom in
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2614
2615
Vgl. ausführlich zu der rechtlichen Behandlung eines qualifizierten Statutenwechsels innerhalb des internationalen Kulturgüterverkehrs 3, 72 ff. u. 228 ff. Stato francese c. Ministero per i beni culturali e ambientali e De Contessini, Tribunale di Roma, 27 June 1987, 71 Rivista di diritto internazionale, 920 (1988): Cass. 24.11.1995, n. 12166, Foro italiana 1996, 1, Sp. 907. Vgl. hierzu Monaco, Sulla restituzione di beni culturali rubati all’estero secondo la Convenzione dell’Unesco, Rivista di diritto internazionale (1988), S. 842–855; Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 187–189; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 71–72.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
der französischen Auvergne gestohlen und nach Italien veräußert worden.2616 Diese Tapisserien gehörten zu dem domaine public Frankreichs und waren zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt nach Art. 52 des Code du domaine de l’Etat 2617 als nationale Kulturgüter unveräußerlich, unverjährbar und nicht ersitzbar. Außerdem unterlagen die Objekte speziellen Ausfuhrbeschränkungen und durften nicht ohne Genehmigung außer Landes transferiert werden.2618 Die sog. Aubusson-Teppiche, die sich in französischem Staatseigentum befanden, wurden somit ohne rechtmäßige Ausfuhrerlaubnis nach Italien exportiert und dort an einen gutgläubigen Erwerber transferiert. 1052
Aufgrund der rechtserheblichen Einwirkung außerhalb des kulturellen Ursprungsstaates auf die Eigentumsposition durch die Weiterveräußerung (neben der unrechtmäßigen Ausfuhr stellt dies eine weitere rechtserhebliche Fragestellung dar) handelt es sich hier eigentlich um die Konstellation eines qualifizierten Statutenwechsels 2619, der Tribunale di Roma hatte jedoch ausdrücklich zu der Frage Stellung genommen, ob ein französisches Exportverbot kultureller Güter als ausländische öffentlich-rechtliche Norm vor italienischen Zivilgerichten Anwendung erfahren sollte. Zwar gründete Frankreich vor dem Tribunale di Roma sein Restitutionsbegehr zusätzlich noch darauf, dass die Kulturgüter in Frankreich vor dem Transfer nach Italien gestohlen wurden und dass sie deshalb als unveräußerlich zu behandeln seien, von primärem Interesse für die hier diskutierte Rechtslage ist jedoch die Berufung Frankreichs auf den illegalen Export der Wandteppiche ohne rechtmäßige Ausfuhrerlaubnis.2620 Sicherlich hätte Frankreich die Restitution der Wandteppiche bei einer Klage zur heutigen Zeit auf Grundlage der UNESCO-Convention vom 14. November 1970 erreicht: Zwar ist die UNESCO-Convention aus dem Jahre 1970 in Italien bereits seit dem 2. Januar 1979 in Geltung, Frankreich ratifizierte die Konvention jedoch erst am 7. Januar 1997, sodass erst bei innerfranzösischer Geltungskraft seit dem 7. April 1997 die Restitution zuvor illegal exportierter Kulturgüter im zwischenstaatlichen Rechtsbereich hätte Erfolg zeichnen können. Der Beklagte Livio De Con-
2616
2617 2618 2619
2620
Vgl. hierzu und zu den folgenden Sachverhaltsangaben auch Siehr, Die Richtlinie 93/7/ EWG des Rates v. 15.3.1993 über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern und das Privatrecht der Mitgliedstaaten der EWG, KUR (Kunstrecht und Urheberrecht) 1999, S. 225–236, S. 226–227. Vgl. Code administratif (Paris 1994) S. 213. Loi du 23 juin 1941 relative à l’exportation des œuvres d’art, Journal officiel 19.7.1941, 3030. Vgl. ausführlich zu einer rechtlichen Begutachtung eines qualifizierten Statutenwechsels 3, 72 ff. u. 228 ff. Ausführlich zum aktuellen Kulturgüterschutzrecht Frankreichs Gourdon, Excerpt from the Memoire „Le Regime Juiridique et Fiscal Francais des Importations et Exportations d’Œuvres d’Art“, in: Hoffman, Art and Cultural Heritage – Law, Policy and Practice, 2006, S. 197–198.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
1093
tessini hatte die Tapisserien gutgläubig erworben, und ihre Eigenschaft als domaine public zählte vor dem Tribunale di Roma und damit außerhalb des kulturellen Ursprungsstaates ebenso wenig wie die Tatsache, dass die Kulturgüter Frankreich illegal verlassen hatten.2621 Außerhalb des Anwendungsbereichs der UNESCO-Konvention qualifizierte der Tribunale di Roma das französische Kulturgüterschutzgesetz als Normen des öffentlichen Rechts und berief sich ohne weitere Ausführungen auf den international anerkannten Grundsatz der Nichtanwendbarkeit ausländischer öffentlich-rechtlicher Vorschriften vor einem italienischen Forum. Da die Klage vor dem Tribunale di Roma erfolglos blieb, kaufte Frankreich die Tapisserien schließlich zurück.2622
(3)
1053
Keine Anwendung spanischer Kulturgüterschutzvorschriften vor französischen Zivilforen nach der Entscheidung Duc de Frias v. Baron Pichon vom 17. April 1887
Während der Tribunale di Roma damit im Ergebnis ein Urteil erließ, das sicherlich so nicht ergangen wäre, wenn italienische und nicht französische Kulturgüter Streitgegenstand gewesen wären, haben auch französische Gerichte ebenso wenig fremdnützig entschieden. In der Rechtssache Duc de Frias v. Baron Pichon vom 17. April 1887 2623 hatten schon einhundert Jahre zuvor französische Zivilgerichte die Restitution illegal aus einem anderen Staat exportierter Kulturgüter bei einer Klage auf Eigentumsherausgabe an den, im konkreten Fall, spanischen Ursprungsstaat verweigert, wenn auch in dieser Fallstudie nicht explizit die Frage entschieden wurde, ob ein spanisches Exportverbot kultureller Güter als ausländische öffentlich-rechtliche Norm vor französischen Zivilgerichten Anwendung erfahren sollte. Das Gericht befand sich jedoch faktisch in einer vergleichbaren Situation, da die Applikation eines spanischen Exportverbots kultureller Güter bestand.
1054
In Duc de Frias v. Baron Pichon sah sich die Äbtissin der Kathedrale von Burgos in Kastilien-León im Nord-Westen Spaniens gezwungen, ein wertvolles Ziborium aus Geldsorgen zu verkaufen. Baron Pichon erwarb das Ziborium in Paris. Kurze Zeit später verlangten die Kathedrale von Burgos und der Herzog von Frias als Nachkomme des ursprünglichen Donators, der das Ziborium als unver-
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Vgl. Siehr, Die Richtlinie 93/7/EWG des Rates v. 15.3.1993 über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern und das Privatrecht der Mitgliedstaaten der EWG, KUR (Kunstrecht und Urheberrecht) 1999, S. 225–236, S. 226–227. Bourguignon, Retour en France d’une tapisserie volée: Le Journal des arts, November 1994. S. 2. Duc de Frias v. Baron Pichon, Tribunal de la Seine, 17. April 1885, 13 Journal du droit international privé, S. 593 (1886).
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
äußerliches Gut der Kathedrale von Burgos schenkte, dieses von Baron Pichon wieder heraus. Ebenso wie innerhalb der Rechtssache Stato francese c. Ministero per i beni culturali e ambientali e De Contessini lag in der vorliegenden Konstellation aufgrund der Veräußerung des spanischen Kulturguts in Frankreich ein qualifizierter Statutenwechsel vor (neben der unrechtmäßigen Ausfuhr stellt die Veräußerung in Paris eine aus Sicht des Zivilrechts erhebliche Einwirkung auf das Kulturgut dar), jedoch hätte auch in der vorliegenden Konstellation die Frage der Anwendung spanischer Kulturgüterschutzvorschriften vor dem französischen Gericht gestellt werden können. Der Tribunal civil de la Seine ging jedoch zu keinem Zeitpunkt auf spanische Rechtsvorschriften zur Bewahrung und Erhaltung national bedeutsamer Kulturgüter für den spanischen Ursprungsstaat ein und verweigerte im Ergebnis aufgrund des qualifizierten Statutenwechsels eine Rückführung nach Spanien: Nachdem das Gericht von der Anwendbarkeit französischen Rechts aufgrund der Veräußerung des Ziboriums in Paris ausging, wurde auf Art. 2279 Code civile als Vorschrift von „l’interêt d’ordre social“ verwiesen und im Ergebnis auf die Anerkennung einer auf spanischem Recht beruhenden Unveräußerlichkeit der Sache aufgrund der Veräußerung des in Streit stehenden Gutes in Frankreich verwiesen. 1056
Nationale Kulturgüterschutzgesetze gehören zum öffentlichen Recht und gewähren dem kulturellen Ursprungsstaat keinen privatrechtlichen Rückgabeanspruch, der nach den Anknüpfungsmaximen der unterschiedlichen internationalen Privatrechtsregeln auch außerhalb des Herkunftsstaates Anwendung erlangen könnte.2624 Auch Art. 19 des Schweizer Bundesgesetzes über das Internationale Privatrecht (IPRG)2625 über die Berücksichtigung des Rechts von Drittstaaten nimmt dabei unmittelbar keine Sonderstellung ein, da diese Vorschrift nur neben einem privatrechtlichen Anspruch zur Anwendung kommt – und dementsprechend eine Veräußerung bei einem Verstoß entgegen den nationalen Kulturgüterschutzvorschriften des Herkunftsstaates für ungültig erklären könnte2626,
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Vgl. Siehr, Europäisches Recht des Kulturgüterschutzes und die Schweiz: Auswirkungen des Rechts unserer Nachbarstaaten auf die Schweiz, Aktuelle Juristische Praxis 1999, S. 962–979, S. 965–966. Art. 19 Schweizer Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht (IPRG): (1) Anstelle des Rechts, das durch dieses Gesetz bezeichnet wird, kann die Bestimmung eines andern Rechts, die zwingend angewandt sein will, berücksichtigt werden, wenn nach schweizerischer Rechtsauffassung schützenswerte und offensichtlich überwiegende Interessen einer Partei es gebieten und der Sachverhalt mit jenem Recht einen engen Zusammenhang aufweist. (2) Ob eine solche Bestimmung zu berücksichtigen ist, beurteilt sich nach ihrem Zweck und den daraus sich ergebenden Folgen für eine nach schweizerischer Rechtsauffassung sachgerechte Entscheidung. Bspw. hinsichtlich der Versicherung geschmuggelter nigerianischer Masken BGH, NigeriaEntscheidung des 2. Zivilsenats vom 22.06.1972, Az.: II ZR 113/70, BGHZ 59, S. 82–87, NJW 1972, S. 1575 ff.
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1095
jedoch keine öffentlich-rechtlichen Rückgewähransprüche gewährt, die im Ausland Anwendung finden.2627 Diese allgemeine Rechtsansicht konnte exemplarisch an den genannten italienischen, französischen und englischen Entscheidungen aufgezeigt werden: Während in der Fallstudie Stato francese c. Ministero per i beni culturali e ambientali e De Contessini italienische Zivilgerichte das Begehr der französischen Regierung verweigerten, illegal aus Frankreich exportierte Kulturgüter nach Frankreich zu restituieren, suchte Italien in der Entscheidung King of Italy v. Marquis Cosimo de Medici die Restitution von aus seinem eigenen Territorium ohne rechtmäßige Ausfuhrerlaubnis illegal nach Großbritannien exportierter Kulturgüter vor englischen Zivilgerichten seinerseits vergeblich. Beide Beispiele sind ebenso wie die Entscheidung Duc de Frias v. Baron Pichon „nicht gerade ein Ruhmesblatt europäischer Kulturpolitik und zwischenstaatlicher Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Schutzes von Kulturgütern vor Diebstahl und Schmuggel.“2628 Die Versuche kultureller Ursprungsstaaten, eine direkte Anwendung ausländischer Kulturgüterschutzgesetze trotz ihrer Qualifizierung als öffentliche Rechtsnormen zu erreichen, scheiterten nicht nur bereits im vorletzten und vorigen Jahrhundert. Auch in unseren Tagen ist es außerhalb des Anwendungsbereichs zwischenstaatlicher Rechtsinstrumente und außerhalb der EG-Richtlinie 93/7/ EWG vom 15. März 1993 zu keinem Zeitpunkt gelungen, ausländische Schutzgesetze zur Bewahrung und Erhaltung kulturell bedeutsamer Objekte für den Ursprungsstaat im ausländischen Forumstaat durchzusetzen.2629
(4)
Weitere Fallbeispiele zur Bestätigung der Unanwendbarkeit ausländischer Kulturgüterschutzgesetze vor fremden Zivilforen
Weder direkte Transferbeschränkungstatbestände (Verbringungs-, Veräußerungsund Ausfuhrbeschränkungen kulturell wertvoller Objekte) noch öffentlich-rechtliche Verfalls- oder Enteignungstatbestände kultureller Güter zu Staatseigentum oder staatliche Erwerbs- und Vorkaufsrechte, die eine Staatshandlung wie etwa die Beschlagnahme- und Inbesitznahme im Fall der illegalen Ausfuhr aus dem kulturellen Ursprungsstaat voraussetzen, können nach der geltenden Staaten-
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Vgl. Siehr, Europäisches Recht des Kulturgüterschutzes und die Schweiz: Auswirkungen des Rechts unserer Nachbarstaaten auf die Schweiz, Aktuelle Juristische Praxis 1999, S. 962–979, S. 965–966. Siehr, Die Richtlinie 93/7/EWG des Rates v. 15.3.1993 über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern und das Privatrecht der Mitgliedstaaten der EWG, KUR (Kunstrecht und Urheberrecht) 1999, S. 225–236, S. 226–227. Vgl. hierzu und zum Folgenden auch Siehr, Europäisches Recht des Kulturgüterschutzes und die Schweiz: Auswirkungen des Rechts unserer Nachbarstaaten auf die Schweiz, Aktuelle Juristische Praxis 1999, S. 962–979, S. 965–966.
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praxis außerhalb des Territoriums des kulturellen Ursprungsstaates und dessen Geltungsbereichs der nationalen Schutzvorschriften Anwendung erlangen. 1059
So konnte bspw. auch George Ortiz die aus Neuseeland ohne rechtmäßige Ausfuhrlizenz exportierten Maori-Schnitzereien, die der Generalstaatsanwalt von Neuseeland in London aufgrund eines illegalen Exports herausverlangte, bei Sotheby’s versteigern lassen.2630 Ebenso wenig konnte das Königreich Spanien die Restitution des aus Spanien unrechtmäßig ausgeführten Gemäldes ‚La Marquesa de Santa Cruz‘ von Francisco de Goya in England erreichen.2631 Nachdem das Gemälde entgegen Art. 5 der Ley 16/1985 del Patrimonio Histórico Español vom 25. Juni 1985 über das historische Kulturgut Spaniens unrechtmäßig aus dem Territorium Spaniens ausgeführt und in England importiert worden war, sollte das Meisterwerk, das individuellen Privatpersonen gehörte, bei Christie, Manson & Woods Ltd. versteigert werden. Dies suchte die spanische Regierung jedoch innerhalb der Rechtssache Kingdom of Spain v. Christie, Manson & Woods Ltd. aus dem Jahre 1986 zu verhindern.2632 Nach Erlass der gerade genannten Entscheidung Attorney General of New Zealand v. Ortiz aus dem Jahre 1984 2633 war der Regierung Spaniens jedoch bewusst, dass britische Gerichte ausländische Exportverbote nicht vor nationalen Gerichten anwenden. Folge dieser Erkenntnis war, dass Spanien nicht unmittelbar die Restitution des unrechtmäßig ausgeführten Gemäldes suchte, sondern schlicht auf Feststellung klagte, dass das Goya-Gemälde mit gefälschten Exportdokumenten aus Spanien ausgeführt worden war.2634 Durch diese Stigmatisierung des Gemäldes mit dem Verdikt der Illegalität 2635 erreichte die spanische Regierung, dass das Gemälde im seriösen Kunsthandel unverkäuflich wurde und der Eigentümer dieses für sechs Millionen US-$ an Spanien veräußerte.2636 Heute kann Goyas Gemälde im Prado in Madrid bewundert werden.2637 Es bleibt jedoch anzumerken, dass sich nach mitgliedstaatlicher Umsetzung der EG-Richtlinie 93/7/EWG vom 15. März 1993
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2633 2634 2635 2636 2637
Attorney General of New Zealand v. Ortiz, (1982) 2 W.L.R. l0 (Q.B.); (1984) 1 A.C. 1 (CA., HL.). Vgl. ausführlich hierzu 3, 943 ff. Kingdom of Spain v Christie, Manson & Woods Ltd., vgl. ausführlich hierzu 3, 1242 ff. Vgl. allgemein hierzu Siehr, Die Richtlinie 93/7/EWG des Rates v. 15.3.1993 über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern und das Privatrecht der Mitgliedstaaten der EWG, KUR (Kunstrecht und Urheberrecht) 1999, S. 225–236, S. 226–227. Attorney General of New Zealand v. Ortiz, (1984) 1 A.C. 1 (H.L.). Kingdom of Spain v. Christie, Manson & Woods Ltd., (1986) 1 W.L.R. 1120 (Ch.D.). Vgl. ausführlich hierzu 3, 1239 ff. Vgl. Greenfield, The Return of Cultural Treasures, 2. Aufl., 1996, S. 213. Vgl. Siehr, Die Richtlinie 93/7/EWG des Rates v. 15.3.1993 über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern und das Privatrecht der Mitgliedstaaten der EWG, KUR (Kunstrecht und Urheberrecht) 1999, S. 225–236, S. 226–227.
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1097
die Situation im innereuropäischen Kulturgüterschutz merklich gebessert hat, nicht jedoch in sonstigen internationalen Konstellationen.
d)
Ablehnung des strengen Territorialitätsprinzips und der Machttheorie
Früher galt auch innerhalb des Schrifttums uneingeschränkt der Grundsatz, dass ausländisches öffentliches Recht (und damit auch fremde Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften) vor inländischen Gerichten unbeachtlich ist.2638 Kein Staat hilft außerhalb völkervertraglicher Verpflichtungen, den Machtbereich eines fremden Staates zu erweitern.2639 In dieser Strenge gelten das völkerrechtliche Territorialitätsprinzip und die kollisionsrechtliche Machttheorie heute innerhalb des überwiegenden Schrifttums jedoch allgemein als überwunden. Mittlerweile ist es herrschende Meinung, dass es keinen Grundsatz der prinzipiellen Nichtanwendbarkeit ausländischen öffentlichen Rechts gibt,2640 und es wird meist allein eine Antwort auf die Frage gesucht, unter welchen Voraussetzungen und in welchen Grenzen ausländisches öffentliches Recht zu beachten ist.2641
1060
Insbesondere wird gegen die generelle Nichtanwendbarkeit ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze vorgebracht, dass sowohl das Territorialitätsprinzip als auch die Machttheorie generell vernachlässigen, dass eine extraterritoriale Anwendung solcher Eingriffsnormen insbesondere auch des internationalen Kulturgüter- und Denkmalschutzrechts zur Bekämpfung des kulturellen Schwarzmarktes und des Kunstschmuggels durchaus auch im Interesse kultureller Importstaaten zur Lauterkeit des nationalen (deutschen) Kunsthandels geboten ist, es sich andererseits aber um Zielvorgaben handelt, die der Erlassstaat faktisch oder aus sonstigen Gründen nicht allein durchsetzen kann, sondern auf die internationale Rechtsgemeinschaft angewiesen ist.
1061
Außerdem ist es häufig schwer auszumachen, ob eine ausländische Norm privatoder öffentlich-rechtlichen Ursprungs ist.2642 Insbesondere die für die richtige Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter in den nationalen Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften normierten zivilrechtlichen Folgen und Reflexwirkungen finden sich teilweise in öffentlichen Vorschriften, teilweise aber
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Allgemeine Erwägungen gegen das Territorialitätsprinzip finden sich bei Sonnenberger in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR, Rdnr. 420–423. Vgl. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 471–473. So auch Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 104–106. Vgl. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 471–473. Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 104–106.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
auch in den nationalen Zivilrechtskodifikationen. So bestehen auch zahlreiche unterschiedliche terminologische Umschreibungen solcher Eingriffsnormen, die bspw. von Wengler als „Privatrecht mit öffentlich-rechtlichem Hintergrund“2643, von Stoll als „öffentliches Recht mit privatrechtlicher Wirkung“2644 bzw. von Neumayer als „privatrechtliche Sanktion einer öffentlich-rechtlichen Verbotsnorm“2645 bezeichnet wurden.2646 Die Überschneidung von öffentlich-rechtlichen und privatrechtlichen Normen zeigt sich besonders stark im Sachenrecht.2647 Innerhalb des Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts sind bspw. Verbringungs-, Ausfuhr- und Veräußerungsbeschränkungen sowohl in öffentlich-rechtlichen als auch zivilrechtlichen Rechtsvorschriften zu finden. Insbesondere bei der Anordnung kultureller Güter als res extra commercium können Normen, welche die Verkehrsfähigkeit von Kulturgütern einschränken, möglicherweise im Zivilrecht (wie bspw. die Regeln über die Unveräußerlichkeit des demanio pubblico im italienischen Codice civile), ebenso gut aber auch im öffentlichen Recht zu finden sein.2648 Vor diesem Hintergrund sprechen sich große Teile im Schrifttum gegen die Anwendung eines strengen Territorialitätsprinzips aus. Weidner vergleicht deshalb die generelle Nichtbeachtung des öffentlichen Rechts angesichts der Verflechtung von öffentlichem Recht und Privatrecht ausdrücklich mit einer „Verstümmelung der anwendbaren Rechtsordnung“2649 und Siehr spricht von einer „planvollen Denaturierung“ des ausländischen Rechts.2650 „Eine Differenzierung zwischen privatrechtlichen und öffentlichrechtlichen Normen würde auch der Vorgabe widersprechen, daß der Ausgangspunkt des IPR die Lösung von Lebenssachverhalten und nicht der Anwendungsbereich von Privatrechtsnormen ist.“2651 Richtigerweise wird darüber hinaus auch darauf hingewiesen, dass zahlreichen Rechtsordnungen die im deutschen Rechtskreis penibel befolgte Unterscheidung zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht in dieser Form 2643
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Wengler, Die Anknüpfung des zwingenden Schuldrechts im internationalen Privatrecht, ZVglRWiss. 54 (1941) S. 168 ff., S. 187. Stoll, RabelsZ 24 (1959), S. 635. Neumayer, RabelsZ 25 (1960) S. 651. Vgl. zum Ganzen auch Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 23. Stoll, Sachenrechtliche Fragen des Kulturgüterschutzes in Fällen mit Auslandsberührung, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes – Symposium vom 22./23. Juni 1990 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 53 ff., S. 53; Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 3. Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 104–106. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 104–106. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 104–106. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 104–106.
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unbekannt ist2652 und sie allein die ‚richtige‘ Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter bestimmen. Schließlich steht dem Dogma der generellen Nichtanwendbarkeit ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften aufgrund ihrer Qualifizierung als Normen des öffentlichen Rechts auch das Interesse an einem internationalen Entscheidungseinklang entgegen, weil die dingliche Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Objekte in dem einen Staat trotz Anwendung des Rechts eines ausländischen Staates anders als in genau diesem Staat beurteilt würde.2653 Im Ganzen vermag damit das „absolute“ Territorialitätsprinzip 2654 kein überzeugendes Gesamtkonzept für die Berücksichtigung fremder Eingriffsnormen zu bieten. Die Dogmen des Territorialitätsgrundsatzes und der Machttheorie, dass deutsche Gerichte ausländische Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze aufgrund ihrer Qualifizierung als öffentliches Recht generell nicht anwenden dürfen, werden als Gesamtkonzept bei der Anwendung ausländischer Eingriffsnormen weithin mit guten Gründen abgelehnt.2655 Nicht der Anwendungsbereich des öffentlichen Rechts ist notwendig territorial, noch besteht eine absolute Territorialität der Wirkung: Vielmehr ist heute, entsprechend der bei Kropholler sog. „relativen“ Territorialität 2656, außerhalb spezieller internationaler Verpflichtungen in völkerrechtlichen Konventionen davon auszugehen, dass nur die unmittelbare Wirkung im Über- und Unterordnungsverhältnis zwischen Staat und individuellem Bürger, d.h. die Durchsetzung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften mit hoheitlichem (behördlichem oder verwaltungsgerichtlichem) Zwang, grundsätzlich auf das Gebiet des kulturellen Ursprungsstaates beschränkt ist. Damit bleiben solche Kulturgüterschutzvorschriften ohne extraterritoriale Wirksamkeit, die einen Verfall illegal exportierter Kulturgüter zu Staatseigentum, ein Recht auf Enteignung, ein staatliches Vorkaufsrecht bei unrechtmäßiger Veräußerung, Verbringung und Ausfuhr erst nach einer hoheit2652
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2656
Frigo, L’acquisto di beni mobili dal titolare apparente nel diritto internazionale privato – Il caso del trasferimento illecito di opere d’arte di proprietà dello Stato, Comunicazioni e studi, Vol. 17/18 (1985), S. 547–592, S. 567; Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes, 1994, S. 87; Siehr, Ausländische Eingriffsnormen im inländischen Wirtschaftskollisionsrecht, RabelsZ 52 (1988), S. 41–103, S. 76. So Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes, 1994, S. 85; Siehr, Ausländische Eingriffsnormen im inländischen Wirtschaftskollisionsrecht, RabelsZ 52 (1988), S. 41–103, S. 76; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 104–106. So die Terminologie bei Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 149–151. Vgl. Magnus, Ulrich in Magnus, Ulrich, J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen – Art. 34 EGBGB, Rdnr. 110–145; Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 149–151. So die Terminologie bei Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 149–151.
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lichen Handlung der Behörden oder des Gerichtes des kulturellen Ursprungsstaates wie einer Beschlagnahme, Enteignungshandlung oder nach Ausübung des staatlichen Vorkaufsrechts anordnen, wenn sich die Kulturgüter aufgrund eines Statutenwechsels schon außerhalb der Grenzen der territorialen Staatsgewalt des kulturellen Ursprungsstaates befinden. 1064
Ganz anders verhält sich dies jedoch für ‚privatrechtliche Reflexwirkungen ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften‘ trotz ihrer öffentlichrechtlichen Natur, sodass eine Anwendung ausländischer Ausfuhr-, Verbringungsoder Veräußerungsbeschränkungen national wertvoller Kulturgüter (etwa aufgrund ihrer Qualifizierung als res extra commercium) bei einer Veräußerung außerhalb des kulturellen Ursprungsstaates (d.h. bei einem sog. qualifizierten Statutenwechsel) durchaus auch im Inland festgestellt und geltend gemacht werden könnte.2657 Da grundsätzlich die Verweisungsnormen des Kollisionsrechts privatrechtliche Sachverhalte regeln2658, bedeutet die Ablehnung eines strengen Territorialitätsprinzips und der Machttheorie aber noch nicht, dass ausländische Kulturgüterund Denkmalschutzgesetze als Vorschriften des öffentlichen Rechts generell und immer zu berücksichtigen sind.2659
2. 1065
Übertragung der Schuldstatutstheorie in das internationale Kulturgüterprivatrecht – die sog. Einheitsanknüpfung
Im internationalen Vertragsrecht wurde früher insbesondere die sog. Schuldstatutstheorie oder auch sog. Einheitsanknüpfung 2660 vertreten.2661 Danach werden gleichzeitig mit dem Vertragsstatut auch die Eingriffsnormen dieser Rechtsordnung berufen, soweit ihrer Anwendung nicht der deutsche ordre public entgegensteht.2662 Überträgt man den Ansatz der Schuldstatutstheorie in das Internatio2657
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2662
Vgl. Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 149–151, unter Rekurs auf Art. 13 S. 2 des schweizerischen IPRG. So auch Schulze, Das öffentliche Recht im Internationalen Privatrecht, 1972. So Frigo, L’acquisto di beni mobili dal titolare apparente nel diritto internazionale privato – Il caso del trasferimento illecito di opere d’arte di proprietà dello Stato, Comunicazioni e studi, Vol. 17/18 (1985), S. 547–592, S. 569. So auch Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 104–106. Teilweise auch sog. Theorie der Gesamtverweisung, vgl. Kohls, Kulturgüterschutz: Wirkungen von Verstößen gegen Ausfuhrverbote und Möglichkeiten der Rückführung illegal verbrachter Kulturgüter – Eine vergleichende Untersuchung mit den Rechten Dänemarks, Norwegens und Schwedens, 2001, S. 125–126; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 99–102. Zum Begriff siehe Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, § 52 X 1, S. 496 m.w.N. Vgl. Magnus, Ulrich in Magnus, Ulrich, J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen – Art. 34 EGBGB, Rdnr. 110–145; Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationa-
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nale Kulturgüterprivatrecht, so hat die Einheitsanknüpfung zur Folge, dass für die dingliche Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter auch die zwingenden Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften der nach den Rechtswahlgrundsätzen berufenen lex causae unmittelbare und direkte Anwendung erfahren. Für eine Anwendung nationaler Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften der lex causae genügt somit nach der analog anzuwendenden Schuldstatutstheorie, dass die Eingriffsordnung durch die einschlägige Kollisionsnorm gleichzeitig mitberufen wird. Der früher herrschenden Einheitsanknüpfung folgen heute uneingeschränkt nur noch wenige Stimmen.2663 Die Theorie reicht auch im Internationalen Kulturgüterprivatrecht nicht weit genug und bleibt auf „halbem Wege stehen“, denn zwingende drittstaatliche Eingriffsnormen nationaler Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften sind als solche generell unbeachtlich und können nach der Lehre von der materiell-rechtlichen Berücksichtigung ausländischer öffentlicher Rechtsvorschriften 2664 nur im Rahmen des materiellen Rechts mittelbar und indirekt Anwendung erfahren. Damit wird die schematische Anwendung allein der Eingriffsnormen der lex causae der heutigen Globalisierung und Liberalisierung des internationalen Kulturgüterverkehrs nicht mehr gerecht.2665
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Insbesondere wird gegen die generelle Nichtanwendbarkeit drittstaatlicher Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze vorgebracht, dass eine extraterritoriale Anwendung solcher öffentlich-rechtlicher Eingriffsnormen in besonderem Maße zur Bekämpfung des kulturellen Schwarzmarktes und des Kunstschmuggels durchaus auch im Interesse kultureller Importstaaten zur Lauterkeit des nationalen (deutschen) Kunsthandels geboten ist. Diese Aufgabe kann auch der kulturelle Ur-
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len Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 481; Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 200–204; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 99–102; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 154. Gegen die Schuldstatutstheorie in dieser allgemeinen Form sind Magnus, Ulrich in Magnus, Ulrich, J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen – Art. 34 EGBGB, Rdnr. 10–25; Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, § 52 IX 1; Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 410–414; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 99–102. Vgl. hierzu 3, 1136 ff. Vgl. die allgemeinen Erwägungen bei Magnus, Ulrich in Magnus, Ulrich, J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen – Art. 34 EGBGB, Rdnr. 110–145. Vgl. auch Kohls, Kulturgüterschutz: Wirkungen von Verstößen gegen Ausfuhrverbote und Möglichkeiten der Rückführung illegal verbrachter Kulturgüter – Eine vergleichende Untersuchung mit den Rechten Dänemarks, Norwegens und Schwedens, 2001, S. 125.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
sprungsstaat selbst faktisch oder aus sonstigen Gründen nicht allein durchsetzen und ist somit auf die internationale Rechtsgemeinschaft und die kulturellen Importstaaten angewiesen. Es wurde bereits mehrfach festgestellt, dass die im Internationalen Kulturgüterprivatrecht grundsätzlich universal anwendbare lex rei sitae nicht dazu taugt, die ‚richtige‘ und sachnächste Rechtsordnung für die dingliche Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter zu bestimmen, sodass die Anwendung der Eingriffsnormen der Belegenheitsrechtsordnung keine relevante Beschränkung des illegalen Kulturgüterverkehrs und Kunstschmuggels bewirken kann. Die im Internationalen Kulturgüterprivatrecht allein an Verkehrsinteressen und der Rechtssicherheit des internationalen Kulturgüterverkehrs ausgerichtete lex rei sitae taugt ebenso wenig wie das nach dem internationalen Vertragsrecht berufene Schuldstatut (das allein an den Parteiinteressen ausgerichtet ist) dazu, über die Anwendung nationaler Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften kultureller Ursprungsstaaten als zwingend anwendbare Eingriffsnormen zu entscheiden, die überwiegend im öffentlichen kulturpolitischen Interesse des Herkunftsstaates erlassen wurden.2666 „Dies gilt insbesondere auch für nationale Kulturgüterschutzvorschriften. Nachdem Kulturgüter illegal exportiert wurden, ist es unwahrscheinlich, daß ihr Herkunftsrecht noch einmal Geltung als Vertrags- oder Realstatut erlangt. Ein legitimes Bedürfnis nach Berücksichtigung der Schutzvorschriften besteht aber unabhängig von dem den Sachverhalt grundsätzlich regelnden Recht.“2667
3.
Kollisionsrechtliche Sonderanknüpfung
Schrifttum: Als grundlegende, kulturgüterrechtsunspezifische Arbeiten in Deutschland sind hierbei anzusehen: Wengler, Die Anknüpfung des zwingenden Schuldrechts im IPR, ZVglRWiss. 54 (1941) S. 168 ff.; Zweigert, Nichterfüllung auf Grund ausländischer Leistungsverbote, RabelsZ 14 (1942) S. 283 ff.; Neumayer, Die Notgesetzgebung des Wirtschaftsrechts im internationalen Privatrecht, BerGesVR 2 (1957) S. 35 ff. Vgl. zur Anwendung dieser Methode im Kulturgüterschutzrecht: Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff., S. 3583 f.; Byrne-Sutton, Le trafic international des biens vulturels sous l’angle de leur revendication par l’Etat d’origine – Aspects de droit international privé, 1988, S. 152 ff. („le rattachement spécial est apparemment une méthode ettrayante dans un domaine où quasiment tous les Etats du monde sont intervenus législativement pour protéger leur patrimoine culturel national“), im Ergebnis aber ablehnend, insb. S. 165; Carducci, La restitution internationale des biens culturels et des objets d’art, 1997, S. 184 ff., S. 315 ff.; Fraoua, Le trafic illicite des biens culturels et leur restitution, 1985, S. 124 f.; Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 295–296; Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/Hanisch/Simitis, Festschrift für
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In Anlehnung an die kulturgüterunspezifischen Erwägungen bei Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 481; Kreuzer, Ausländisches Wirtschaftsrecht vor deutschen Gerichten – zum Einfluß fremdstaatl. Eingriffsnormen auf private Rechtsgeschäfte, 1986, S. 81 ff. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 154.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 200–204; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 196–197; Jaeger, Internationaler Kulturgüterschutz – Rechtslage, Rechtspraxis, Rechtsfortentwicklung, 1994, S. 90; Kohls, Kulturgüterschutz: Wirkungen von Verstößen gegen Ausfuhrverbote und Möglichkeiten der Rückführung illegal verbrachter Kulturgüter – Eine vergleichende Untersuchung mit den Rechten Dänemarks, Norwegens und Schwedens, 2001, S. 123–124; Kreuzer, La propriété mobilière en droit international priveé, Recueil des Cours, Collected Courses of the Hagur Academy of International Law, Volume 259 (1996) S. 9 ff., S. 193 ff.; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 290 f.; Reichelt, Kulturgüterschutz und Internationales Privatrecht, IPRax 1986, S. 73–75, S. 73 f.; Sandrock, Foreign Laws Regulating the Export of Cultural Property: The Respect Due to them by the Judge of the Lex Fori, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 457–482; Siehr, Nationaler und Internationaler Kulturgüterschutz – Eingriffsnormen und der internationale Kunsthandel, in: Pfister/Will, Festschrift für Werner Lorenz zum siebzigsten Geburtstag, 1992, S. 525–542, S. 539 ff.; Spaun, Der Herausgabeanspruch bei Diebstahl oder illegalem Export von Kulturgütern, 2003, S. 145–150; von Schorlemer, Internationaler Kulturgüterschutz – Ansätze zur Prävention im Frieden sowie im bewaffneten Konflikt, 1992, S. 550 f.; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 168; Wiese, Der Einfluss des EGRechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 177–197.
Während die Vertreter der Einheitstheorie (bezüglich Eingriffsnormen auf dem Gebiet des Schuldrechts auch Schuldstatutstheorie genannt) gleichzeitig mit der lex causae auch die Eingriffsnormen (allein) dieser Rechtsordnung berufen, folgt die heute weit überwiegende Gegenansicht im europäischen Schrifttum2668 einem kollisionsrechtsinternen Ansatz, der sog. Sonderanknüpfung ausländischer Eingriffsnormen 2669, und gelangt so zu einer unmittelbaren und direkten Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze. 2668
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Kreuzer, Ausländisches Wirtschaftsrecht vor deutschen Gerichten – zum Einfluß fremdstaatl. Eingriffsnormen auf private Rechtsgeschäfte, 1986, S. 81 ff.; Schurig, Zwingendes Recht, „Eingriffsnormen“ und neues IPR, RabelsZ 54 (1990), S. 217–250; Zimmer, Ausländisches Wirtschaftsrecht vor deutschen Zivilgerichten – Zur Unterscheidung zwischen einer normativen Berücksichtigung fremder zwingender Normen und einer bloßen Beachtung ihrer tatsächlichen Folgen, IPRax, 1993, S. 65–69; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 180 und S. 287–293; Vischer, Zwingendes Recht und Eingriffsgesetze nach dem schweizerischen IPR-Gesetz, RabelsZ 53 (1989), S. 438–461; Siehr, Ausländische Eingriffsnormen im inländischen Wirtschaftskollisionsrecht, RabelsZ 52 (1988), S. 41–103; Sonnenberger in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR, Rdnr. 40; Magnus, Ulrich in Magnus, Ulrich, J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen – Art. 34 EGBGB, Rdnr. 110–145; Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, § 52 IX 3; von Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, § 10 Rdnr. 93 ff.; Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, 9. Aufl. 2004, § 2 IV 2. Für diese Eingriffsnormen stellt die Lehre von der Sonderanknüpfung ein neben der normalen Anknüpfung stehendes, eigenes Anknüpfungssystem mit eigenem Anknüpfungsgegenstand auf.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
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Die Sonderanknüpfungstheorie geht davon aus, dass „Rechtsnormen, die ausschließlich bzw. überwiegend unverzichtbare Gemeininteressen verfolgen, auch wenn sie an Privatpersonen adressiert sind, nicht von den gleichen Kollisionsnormen auf Grund der gleichen Anknüpfungskriterien berufen werden können, die zwecks Ausgleich von Privatinteressen gleichrangig in- oder ausländisches Recht (als Schuld-, Sachen-, Familienrechtsstatut usw.) berufen und inländischem Recht nur ausnahmsweise den Vortritt lassen, wenn dies ebenfalls Privatinteressen gebieten“2670. Folge dieser Erkenntnis ist die von Kropholler beschriebene „Zweipoligkeit“2671 bzw. die von Sonnenberger sog. „Zweigleisigkeit“2672 des Kollisionsrechts, das einmal die lex causae bestimmt und zum anderen die Anwendung ausländischer Eingriffsnormen – unabhängig davon, ob diese der lex causae (so aber nur die Einheitsanknüpfung) oder der Rechtsordnung eines Drittstaates angehören.2673 Die Sonderanknüpfungstheorie bedeutet somit, dass eine Rechtsordnung oder ein besonderer Rechtssatz angewandt wird, ohne dass die allgemeine Kollisionsnorm darauf verweisen würde. Dadurch wird neben dem klassischen kollisionsrechtlichen System praktisch ein zweites Anknüpfungssystem für Eingriffsnormen geschaffen („Methode einer doppelten Verweisung“2674). Konsequenz ist, dass ausländische Eingriffsnormen nicht als vom allgemeinen Kollisionsrecht bestimmtes anwendbares Recht, sondern gesondert angeknüpft werden.2675
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Während zu Beginn der Diskussion um die Anwendung ausländischer Eingriffsnormen der statutistische Ansatz vom Anwendungswillen der ausländischen Nor-
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So Sonnenberger in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR, Rdnr. 40. Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 482–484. Sonnenberger in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR, Rdnr. 40. Der deutsche BGH hat sich den kollisionsrechtlichen Lösungsweg mit dem Satz verbaut, dass deutsche Gerichte ausländisches öffentliches Recht grundsätzlich nicht anzuwenden hätten; vgl. Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 482–484, unter Rekurs auf BGH, Urteil des 7. Zivilsenats vom 17.12.1959, Az.: VII ZR 198/58, BGHZ 31, S. 367–373, S. 371; kritisch dazu Drobnig, Die Beachtung von ausländischen Eingriffsgesetzen – eine Interessenanalyse, in: FS Neumayer (1985) S. 159 ff., S. 160–161; Berger, Die Einwirkung drittstaatlicher Eingriffsnormen auf internationale Verträge am Beispiel islamischer Zinsverbote, in: Herrmann/Berger/Wackerbarth, Deutsches und Internationales Bank- und Wirtschaftsrecht im Wandel, 1997, S. 322 ff., S. 328 ff. Vgl. Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 175–177. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 155–157.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
men ausging 2676, ist das heute im Vordringen befindliche Schrifttum sich im Großen und Ganzen einig, dass sich die extraterritoriale Anwendung ausländischer Eingriffsnormen aus den besonderen Interessen, die Eingriffsnormen verfolgen, ergibt.2677 Diese speziellen Gemeininteressen öffentlich-rechtlicher Eingriffsnormen, wie insbesondere auch im Bereich des Kulturgüter- und Denkmalschutzrechts, verbieten es – im Gegensatz zu der Einschätzung der sog. Einheitstheorie –, ausländische Eingriffsnormen mit Vorschriften allein zum Ausgleich von Privatinteressen unter die gleichen Kollisionsnormen zu „bündeln“2678. Die Vertreter einer kollisionsrechtlichen Sonderanknüpfung sehen damit, ebenso wie bei der Bestimmung der lex causae, auch in der Bestimmung zwingender ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften, deren Funktion in der Wahrung kulturpolitisch bedeutsamer Gemeininteressen besteht, eine positive Angelegenheit des Kollisionsrechts des Forumstaates.2679 Während schon die frühen Entscheidungen des BGH vergleichbar auf diesen Gedanken abzielten2680, dann jedoch lange Zeit allein auf das Territorialitätsprinzip abstellten, enthalten die neueren Entscheidungen diesen Bezug nicht mehr,2681 sodass im Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht zwar die Anwendung ausländischen Eingriffsrechts im Inland nicht die Regel ist, die Berücksichtigung ausländischer Kultur2676
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Diese zum Beginn der ganzen Diskussion dominierende Sichtweise, vgl. Wengler, Die Anknüpfung des zwingenden Schuldrechts im IPR, ZVglRWiss. 54 (1941) S. 168 ff.; Zweigert, Nichterfüllung auf Grund ausländischer Leistungsverbote, RabelsZ 14 (1942) S. 283 ff., wird im neueren Schrifttum nur noch vereinzelt vertreten, vgl. Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, § 3 II 2. Zutr. Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, 9. Aufl. 2004, § 6 V 2. Vgl. speziell aus dem Bereich des Kulturgüterschutzrechts Kreuzer, RabelsZ 64 (2000), S. 173 f. Allgemein ist die Einschätzung bei Sonnenberger in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR, Rdnr. 40. Vgl. zu dieser Terminolgoie Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, 9. Aufl. 2004, § 6 II 2; Sonnenberger in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR, Rdnr. 40. So Sonnenberger in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR, Rdnr. 40. BGH, Urteil des 7. Zivilsenats vom 17.12.1959, Az.: VII ZR 198/58, BGHZ 31, S. 367–373, S. 370; BGH, Urteil des 7. Zivilsenats vom 18.02.1965, Az.: VII ZR 240/63, BGHZ 43, S. 162–168 (Für eine Forderung, die einem fremden Schuldstatut unterliegt, ist nach den Grundsätzen des vermuteten Parteiwillens ein neues Währungsstatut zu bestimmen, wenn sich ihr Inhalt durch spätere Währungseingriffe des fremden Landes und deren unmittelbare Folgen grundlegend ändern würde und wenn die Beteiligten im Zeitpunkt dieses Eingriffs jede Beziehung zu dem fremden Lande verloren haben.); BGH, sog. August VierzehnEntscheidung des 1. Zivilsenats vom 16.04.1975, Az.: I ZR 40/73, BGHZ 64, S. 183–193. Vgl. aus der kulturgüterunspezifischen Rechtsprechung bspw. BGH, Urteil des 7. Zivilsenats vom 07.12.2000, Az.: VII ZR 404/99, NJW 2001, S. 1936–1937; BGH, Urteil des 7. Zivilsenats vom 27.02.2003, Az.: VII ZR 169/02, NJW 2003, S. 2020–2022.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
güter- und Denkmalschutzvorschriften aber auch nicht von vornherein ausgeschlossen sein sollte.2682 1071
Da kein Forumstaat im Grundsatz einen Anlass hat, ausländische Kulturgüterund Denkmalschutzvorschriften anzuwenden und kulturpolitische Gemeininteressen eines anderen Staates wahrzunehmen, sind auf den ersten Blick ausländische Eingriffsnormen ganz allgemein nicht anzuwenden. Insoweit enthält die Territorialitätstheorie an sich einen richtigen Kern.2683 Deshalb erkennt das neuere Schrifttum zutreffend, dass der Forumstaat selbst die besonderen Anknüpfungspunkte zu formulieren und zu definieren hat, die zur Anwendbarkeit ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze als kulturpolitische Eingriffsnormen des öffentlichen Rechts im eigenen Interesse des Forumstaates führen.2684 Aus der Rechtsvergleichung ist zu lernen, dass auch Art. 7 Abs. 1 S. 1 des Europäischen Schuldvertragsübereinkommens 2685 und Art. 9 der Rom I-Verordnung 2686 im internationalen Schuldvertragsrecht sowie bspw. Art. 13 S. 2 des Schweizer Bundesgesetzes über das Internationale Privatrecht (IPRG) vom 18. Dezember 19872687, wonach eine Anwendung von ausländischem Recht wegen seines öffentlichen Charakters nicht von vornherein ausgeschlossen ist,2688 nur Öffnungsklauseln sind, die verhindern, dass ausländischem Eingriffsrecht a priori ein Riegel vorgeschoben wird.2689 Auch in Deutschland ist unter Geltung des EGBGB ausländisches Eingriffsrecht inländischer Anwendung nicht völlig unzugänglich.2690 2682
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Allgemein ist die Einschätzung bei Sonnenberger in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR, Rdnr. 40. Vgl. so die aktuellen Erwägungen bei Sonnenberger in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR, Rdnr. 76–78. Vgl. Schurig, Zwingendes Recht, „Eingriffsnormen“ und neues IPR, RabelsZ 54 (1990), S. 217–250. Dem folgend insbesondere auch Sonnenberger in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR, Rdnr. 76–78. Vgl. zu dem Übereinkommen von Rom über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 19. Juni 1980, 3, 938 ff. u. 953 ff. Vgl. zu der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht vom 17. Juni 2008, 3, 956 ff. AS 1988, 1776 (= IPrax 8 (1988) S. 376 ff.). Siehe auch Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 180. Vgl. Roth, Verbraucherschutz über die Grenze (Anmerkungen zu BGH, 26-10-1993 – XI ZR 42/93, RIW 1994 S 154 ff.), RIW 1994, S. 275–278, S. 277; Sonnenberger in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR, Rdnr. 76–78. Schnyder, Wirtschaftskollisionsrecht – Sonderanknüpfung und extraterritoriale Anwendung wirtschaftsrechtlicher Normen unter besonderer Berücksichtigung von Marktrecht, 1990, Nr. 288; Sonnenberger in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR, Rdnr. 76–78.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
Die Theorie der kollisionsrechtlichen Sonderanknüpfung bedeutet somit für das internationale Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht zunächst, dass eine strikte und generelle Unanwendbarkeit ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften nicht zu vertreten ist.2691 Zwingende Eingriffsnormen im kulturpolitischen Gemeininteresse kultureller Ursprungsstaaten sind auch nicht deshalb anzuwenden, weil die lex causae ausländisches Recht ist und sie Teil derselben sind (so aber die Theorie der Einheitsanknüpfung 2692) oder weil sie nach dem Willen des ausländischen Gesetzgebers anzuwenden sind (so aber der statutistische Ansatz). Vielmehr sollte heute davon ausgegangen werden, dass ausländische Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften als zwingende Eingriffsnormen im kulturpolitischen Gemeininteresse der kulturellen Ursprungsstaaten dann anzuwenden sind, wenn eine völkerrechtliche, vgl. hierzu Punkt a), und vor allem europarechtliche Verpflichtung, vgl. hierzu Punkt b), hierzu besteht oder wenn – ausnahmsweise – die autonomen Anwendungsvoraussetzungen aus der Sicht des inländischen Forumstaates in dessen eigenem Interesse vorliegen, vgl. hierzu Punkt c), und die weiteren Anwendungsvoraussetzungen gegeben sind, vgl. hierzu Punkt d).2693
a)
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Anwendung ausländischer Kulturgüterschutzvorschriften bei völkervertraglicher Verpflichtung
Ausländische Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze werden als Eingriffsnormen somit nur dann angewandt, wenn der Forumstaat die kollisionsrechtliche Anknüpfung selbst definiert. Dies ist zunächst immer dann der Fall, wenn der Forumstaat völkerrechtlich, insbesondere völkervertragsrechtlich verpflichtet ist, ausländische Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften anzuwenden und ihre Wirkungen hinzunehmen.2694 Beschränken oder verbieten ausländische Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze die Veräußerung kultureller Wertgegenstände und müssen diese Vorschriften aufgrund völkerrechtlicher Verträge, die nach Art 59 GG in Bundesrecht transformiert worden sind, beachtet werden, sind diese Verbotsgesetze dann ausnahmsweise nach § 134 BGB zu berücksichtigen.
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Vgl. die kulturgüterunspezifische Zusammenfassung der Theorie der kollisionsrechtlichen Sonderanknüpfung bei Sonnenberger in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR, Rdnr. 83. Vgl. ausführlich hierzu 3, 1065 ff. Vgl. die kulturgüterunspezifischen Erwägungen bei Sonnenberger in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR, Rdnr. 83. Vgl. Sonnenberger in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR, Rdnr. 42–45 und Rdnr. 76–78; Kreuzer (Fn. 119) S. 75 f.; Mestmäcker, Staatliche Souveränität und offene Märkte – Konflikte bei der extraterritorialen Anwendung von Wirtschaftsrecht, RabelsZ 52 (1988), S. 205–255, S. 234.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Vielfach werden jedoch insoweit Sonderregelungen die Anwendung von § 134 BGB entbehrlich machen.2695 1074
Dies ist innerhalb der deutschen Rechtsordnung bspw. seit Ratifikation und innerstaatlicher Umsetzung der UNESCO Convention vom 14. November 1970 der Fall, die in Art. 13 d) die Vertragsstaaten im Rahmen ihrer innerstaatlichen Rechtsordnungen dazu verpflichtet, das unantastbare Recht jedes Vertragsstaats anzuerkennen, bestimmte Kulturgüter als unveräußerlich einzustufen und zu erklären, dass bestimmte Kulturgüter ipso facto nicht ausgeführt werden dürfen. Damit fordert Art. 13d) der UNESCO-Konvention entgegen der internationalen Rechtslage de lege lata die extraterritoriale Anwendung ausländischer Vorschriften, die ihr nationales Kulturerbe als res extra commercium unveräußerlich und unersitzbar und den diesbezüglichen Restitutionsanspruch unverjähr- und unverwirkbar erklären. Bedingt durch die Einschränkung in dem einleitenden Satz von Art. 13, dass sich die Vertragsstaaten nur „im Rahmen ihrer innerstaatlichen Rechtsordnung“ („consistent with the laws of each State“) international verpflichten, wird die Vorschrift jedoch nur eine eingeschränkte Wirkung erfahren. Dasselbe würde gelten, wenn die Bundesrepublik die UNIDROIT Convention vom 24. Juni 1995 ratifizieren würde, die in Kapitel III. die Rückführung rechtswidrig ausgeführter und damit entgegen den nationalen Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetzen exportierter Objekte regelt. Nach Art. 1 b) findet das Übereinkommen auf Ansprüche internationaler Art betreffend die Rückführung von Kulturgütern Anwendung, die aus dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats unter Verletzung seiner Rechtsvorschriften, welche die Ausfuhr von Kulturgütern im Hinblick auf den Schutz seines kulturellen Erbes regeln (in der Konvention als „rechtswidrig ausgeführte Kulturgüter“ bezeichnet), entfernt wurden. Auch die UNIDROIT-Convention wendet damit innerhalb der Rückführung unrechtmäßig ausgeführter Kulturgüter unmittelbar ausländische Kulturgüterund Denkmalschutzgesetze des kulturellen Ursprungsstaates an.
b) 1075
Anwendung ausländischer Kulturgüterschutzvorschriften bei europarechtlicher Verpflichtung
Europäische Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze werden in der deutschen Rechtsordnung als Eingriffsnormen fremden Gemeinwohlinteresses heute auch über die Vorgaben des Europarechts angewandt.2696 In der Richtlinie 93/7/EWG
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Vgl. Sack, in J von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, Buch 1, Allgemeiner Teil, §§ 134–163 (Allgemeiner Teil 4), Neubearbeitung 2003, § 134 Rdnr. 47–53, S. 23–24. Vgl. auch Sonnenberger in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR, Rdnr. 42–45.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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vom 15. März 1993 wurden die Mitgliedstaaten der Europäischen Union verpflichtet, in nationalen Umsetzungsakten der Richtlinie eine Regelung dafür zu schaffen, dass Ausfuhrbeschränkungen für Kulturgüter i.S.d. Europarechts anderer Mitgliedstaaten auch vor den eigenen Instanzen Anwendung finden. Werden Kulturgüter, die unter den Anwendungsbereich nationaler Kulturgüterschutzgesetze und entweder unter eine Kategorie des Anhangs der Richtlinie 93/7/EWG vom 15. März 1993 fallen oder im Bestandsverzeichnis öffentlicher Sammlungen oder kirchlicher Einrichtungen aufgeführt sind (Kulturgüter i.S.d. Art. 1 Nr. 1 der Richtlinie 93/7/EWG),2697 nach dem 1.1.19932698 entgegen den nationalen Kulturgüterschutzgesetzen eines Mitgliedstaates der Europäischen Union aus dem Hoheitsgebiet eines Herkunftsstaates oder entgegen der Verordnung (EWG) Nr. 3911/92 des Rates über die Ausfuhr von Kulturgütern vom 9. Dezember 1992 in einen anderen Mitgliedstaat verbracht bzw. nach Ablauf der Frist für eine vorübergehende rechtmäßige Verbringung bzw. entgegen einer anderen Bedingung für diese vorübergehende Verbringung nicht wieder zurückgebracht (unrechtmäßige Verbringung i.S.d. Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 93/7/ EWG) 2699, so hat der Mitgliedstaat, in dem sich das Kulturgut unrechtmäßigerweise befindet, auf Ersuchen des Herkunftsstaates nach Art. 2 der Richtlinie
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Art. 1 Nr. 1 Richtlinie 93/7/EWG des Rates über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern vom 15. März 1993: Im Sinne dieser Richtlinie gilt als „Kulturgut“: ein Gegenstand, – der vor oder nach der unrechtmäßigen Verbringung aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats nach den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Verwaltungsverfahren im Sinne des Artikels 36 des Vertrages als „nationales Kulturgut von künstlerischem, geschichtlichem oder archäologischem Wert“ eingestuft wurde und – unter eine der im Anhang genannten Kategorien fällt oder, wenn dies nicht der Fall ist, – zu öffentlichen Sammlungen gehört, die im Bestandsverzeichnis von Museen, von Archiven oder von erhaltenswürdigen Beständen von Bibliotheken aufgeführt sind. Für die Zwecke dieser Richtlinie gelten als „öffentliche Sammlungen“ diejenigen Sammlungen, die im Eigentum eines Mitgliedstaats, einer lokalen oder einer regionalen Behörde innerhalb eines Mitgliedstaats oder einer im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats gelegenen Einrichtung stehen, die nach der Rechtsordnung dieses Mitgliedstaats als öffentlich gilt, wobei dieser Mitgliedstaat oder eine lokale oder regionale Behörde entweder Eigentümer dieser Einrichtung ist oder sie zu einem beträchtlichen Teil finanziert; – im Bestandsverzeichnis kirchlicher Einrichtungen aufgeführt ist; … Art. 13 Richtlinie 93/7/EWG des Rates über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern vom 15.März 1993: Diese Richtlinie gilt nur in Fällen, in denen Kulturgüter ab dem 1. Januar 1993 unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbracht werden. Art. 1 Nr. 2 Richtlinie 93/7/EWG des Rates über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern vom 15. März 1993: Im Sinne dieser Richtlinie gilt als „unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbracht“: – jede Verbringung aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats entgegen dessen Rechtsvorschriften für den Schutz nationaler Kulturgüter oder entgegen der Verordnung (EWG) Nr. 3911/92 sowie – jede nicht erfolgte Rückkehr nach Ablauf der Frist für eine vorübergehende rechtmäßige Verbringung bzw. jeder Verstoß gegen eine andere Bedingung für diese vorübergehende Verbringung …
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
93/7/EWG 2700 das Objekt in den Herkunftsstaat zurückzugeben.2701 Ausfuhrbeschränkungen der europäischen Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze erfahren somit trotz ihrer Qualifikation als Normen des öffentlichen Rechts innerhalb der Europäischen Union direkte Anwendung.2702
c) 1077
Eigenes (inländisches) Interesse zur Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften
Schließlich kann jeder Forumstaat – neben der Anwendungsbestimmung eigener Eingriffsnormen zur Gewährleistung seiner auf nationale oder universell anerkannte Rechtsgüter gerichteten überindividuellen Gemeininteressen (wie etwa spezialgesetzlich in Art. 34 EGBGB im deutschen Schuldvertragsrecht) – selbst autonome Anwendungsregeln für ausländische Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze als Eingriffsnormen kulturpolitischen Gemeinwohlinteresses kultureller Ursprungsstaaten im eigenen Interesse erlassen.2703 Für eine extraterritoriale Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze 2704 ist notwendig, dass der inländische Staat auf Grund inländischer Gemeininteressen, die von seinen eigenen Zielsetzungen getragen sind, selbst die Anwendung dieser ausländischen Eingriffsnormen vorsieht.2705 Gefragt ist somit nach einem eigenständigen kollisionsrechtlichen Verweisungsbefehl, der Schutznormen zugunsten besonderer öffentlicher Interessen losgelöst von demjenigen des internationalen Privatrechts zur Anwendung beruft.2706 Auch der deutsche Bundesgerichtshof 2707 hatte dies anfänglich so ausgesprochen und im Zusammenhang mit amerikani-
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Art. 2 Richtlinie 93/7/EWG des Rates über die Rückgabe von unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgütern vom 15. März 1993: Die unrechtmäßig aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verbrachten Kulturgüter werden nach den in dieser Richtlinie vorgesehenen Verfahren und Bedingungen zurückgegeben. Vgl. Siehr, Handel mit Kulturgütern in der Europäischen Union und in der Schweiz, in: Walder, Aspekte des Wirtschaftsrechts – Festgabe zum Schweizerischen Juristentag 1994, 1994, S. 353–372, S. 358–361. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 234 und 273. Vgl. Sonnenberger in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR, Rdnr. 79–81. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 179: Dabei sind gerade in Bezug auf kulturgutschützende Gesetze – nicht nur im Rahmen der EU – Forderungen laut geworden, die darauf abzielen, deren extraterritoriale Wirkung anzuerkennen. So die allgemeine rechtsdogmatische Begründung für die Anwendung ausländischer Eingriffsnormen bei Sonnenberger in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR, Rdnr. 79–81. Siehe dazu Mankowski, Zur Frage der Anwendung oder Auswirkung drittstaatlicher Eingriffsnormen im internationalen Vertragsrecht, RIW 1994, S. 688–692, S. 692. BGH, Urteil des 8. Zivilsenats vom 21.12.1960, Az.: VIII ZR 1/60, BGHZ 34, S. 169–178, S. 177.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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schen Embargovorschriften festgestellt, dass deren Beachtung „im Interesse des gesamten freiheitlichen Westens und damit auch im Interesse der Bundesrepublik Deutschland lag.“ Während Kropholler aus dem Blickwinkel eines „politischen Standpunkt[s]“ die Anwendung fremder Eingriffsnormen für das inländische Recht nicht akzeptiert, „wenn deren Zielsetzung der inländischen Rechtspolitik nicht entspricht“ 2708 sieht Sonnenberger – positiv formuliert – ein solches Inlandsinteresse als „erforderlicher und ausreichender Legitimationsgrund“ für die Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze als fremde Eingriffsnormen an.2709 Kreuzer spricht plastisch von einer „Nostrifizierung der ausländischen Eingriffsnorm“ und Siehr verlangt zutreffend einen „inländischen Anwendungsbefehl“ ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften.2710
(1)
Inländischer Legitimationsgrund für die Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze
Da ein Forumstaat außerhalb völkerrechtlicher oder europarechtlicher Vorgaben keine Veranlassung zur Anwendung von Normen hat, die ausländische Gemeininteressen betreffen, bedarf es nach dem Vorhergesagten eines hinreichenden inländischen Legitimationsgrundes für die Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften vor deutschen Zivilforen.2711 Gesetzliche Rechtfertigungsnormen, die eine modo legislatoris vorzunehmende Interessenprüfung erübrigen würden, sind nicht vorhanden,2712 jedoch wird heute allgemein zu Recht gefordert, dass die Beachtung ausländischer Eingriffsnormen an die Voraussetzung geknüpft ist, dass sie nach inländischen Vorstellungen „anwendungsfähig“ sind.2713 2708
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Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, § 3 II 2, S. 21. Die allgemeinen Ausführungen bei Sonnenberger in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR, Rdnr. 79–81, übertragen in das Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht. Vgl. hierzu auch Remien, Außenwirtschaftsrecht in kollisionsrechtlicher Sicht – Zur internationalen Reichweite von Aus- und Einfuhrverboten, RabelsZ 54 (1990), S. 431–480, S. 446; Göthel, Grenzüberschreitende Reichweite ausländischen Kapitalmarktrechts, IPRax 2001, S. 411–419, S. 418 (gleiche Interessenwertung). Siehr, Ausländische Eingriffsnormen im inländischen Wirtschaftskollisionsrecht, RabelsZ 52 (1988), S. 41–103, S. 84, siehe auch S. 96, 98. Vgl. hierzu bereits Kahn, Gesetzeskollisionen, Ein Beitrag zur Lehre des IPR, JherJb. 30 (1891), S. 1–143, S. 129. Erforderlich ist danach also, „dass wir die Anwendung der fremden Eingriffsnorm rechtspolitisch selbst in der Hand behalten“; ähnlich Hentzen, Zur Anwendung fremden Eingriffsrechts seit der IPR-Reform, RIW 1988, S. 508–511, S. 510. Vgl. Sonnenberger in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR, Rdnr. 424–431. Vgl. Lalive, L’application du droit public étranger (Rapports préliminaire et définitif et projets de résolution) AIDI, Session Wiesbaden 1975, 56 (1975), S. 157 ff., S. 162 f.; Weber,
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Sonnenberger sieht so bspw. allgemein ein Interesse zur internationalen Kooperation, Gegenseitigkeitserwartungen und der Vollzug internationaler Zielsetzungen, die sich der inländische Staat zu eigen gemacht hat, als hinreichende Legitimationsgründe zur Anwendung ausländischer Eingriffsnormen an.2714 Kreuzer betont vergleichbar die besondere Rolle des inländischen Anwendungsinteresses einer ausländischen Eingriffsnorm und präzisiert dieses dahingehend, dass die fremde Norm selbst inländische Interessen fördert, diese durch inländische Anwendung der Norm gefördert werden, die Anwendung eine dem Sinn deutscher Politik dienliche internationale Koordination fördert oder durch die Anwendung erreicht wird, dass entsprechende deutsche Normen im Ausland angewendet werden (Gegenseitigkeit).2715
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Dahinter steht zunächst der Gedanke eines gemeinsamen Interessen- und Wertegleichklangs zwischen der ausländischen Eingriffsnorm und der inländischen Rechtsordnung.2716 Diese „shared values“2717, die man auch als „Wertegleichklang“2718 oder „internationale Interessensympathie“2719 bezeichnen kann,2720 greift auch Art. 19 Abs. 1 des schweizerischen IPRG auf,2721 wonach anstelle des Vertragsstatuts „die Bestimmung eines andern Rechts, die zwingend angewandt sein will, berücksichtigt werden [kann], wenn nach schweizerischer Rechtsauffassung schützenswerte und offensichtlich überwiegende Interessen einer Partei es gebieten und der Sachverhalt mit jenem Recht einen engen Zusammenhang aufweist“.2722 Da der gleichberechtigte französische Wortlaut den Zusatz „einer
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Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 410–414. Sonnenberger in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR, Rdnr. 79–81. So Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 271–279; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 155–157; Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes, 1994, S. 99 f. Im Ansatz so schon Wengler, Die Anknüpfung des zwingenden Schuldrechts im IPR, ZVglRWiss. 54 (1941) S. 168 ff., später auch Zweigert, Nichterfüllung auf Grund ausländischer Leistungsverbote, RabelsZ 14 (1942) S. 283 ff. Vgl. Magnus, Ulrich in Magnus, Ulrich, J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen – Art. 34 EGBGB, Rdnr. 110–145. Vgl. zu diesem Begriff Hentzen, Zur Anwendung fremden Eingriffsrechts seit der IPRReform, RIW 1988, S. 508–511, S. 510. So Hentzen, Zur Anwendung fremden Eingriffsrechts seit der IPR-Reform, RIW 1988, S. 508–511, S. 509 f. So Schurig, Zwingendes Recht, „Eingriffsnormen“ und neues IPR, RabelsZ 54 (1990), S. 217–250, S. 240. Vgl. Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 188–191. So der Verweis bei Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 482–484. Vgl. zum Ganzen von Overbeck, Yearbook of Privat International Law 1 (1999), S. 119 ff.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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Partei“ nicht enthält, sollen in bestimmten Fällen auch als schützenswert erachtete Interessen des ausländischen Staates, die den Interessen beider Parteien zuwiderlaufen, eine Berücksichtigung der Norm gebieten.2723 Dieser Ansatz wurde auch innerhalb der kulturgüterspezifischen Literatur rezipiert, wonach ausländische Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften „legitime Interessen des Herkunftslandes normieren [müssen], die mit den inländischen Wertvorstellungen vereinbar sind; dies gehe daraus hervor, daß nahezu jedes Land der Erde solche Normen erlassen habe.“2724 Diese Vorgaben sind innerhalb des internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts leicht erfüllt:2725 Da nahezu jeder Staat mehr oder weniger weitreichend ‚seinen‘ Bestand national wertvoller Kulturgüter für zukünftige Generationen zu erhalten und bewahren sucht, besteht zwischen den Staaten (und somit auch aus Sicht der Bundesrepublik) ein starkes Interesse an internationaler Kooperation in Fragen des Kulturgüterschutzes: „[D]er Gleichlauf der Wertungen folgt daraus, dass auch nach deutscher Vorstellung im Grundsatz ein legitimes Interesse eines Staates daran besteht, auf dem eigenen Territorium befindliche Kulturgüter vor einer Ausfuhr zu schützen“2726. Insbesondere auch deshalb, weil kulturelle Ursprungsstaaten alleine regelmäßig keine hinreichenden Grenzkontrollen zur Verhinderung einer unrechtmäßigen Ausfuhr aus tatsächlichen Gründen bewerkstelligen können und so in ihrem Schutzauftrag auf die internationale Unterstützung angewiesen sind. Insofern handelt es sich bei dem Bemühen, den illegalen Kunsthandel zu bekämpfen, um ein Interesse, welches von allen Staaten geteilt wird.2727 Damit werden zugleich auch die entsprechenden Gegenseitigkeitserwartungen der kulturellen Ursprungsstaaten in der Anwendung kulturpolitischer Eingriffsnormen erfüllt.2728 2723
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Vgl. zur Problematik Vischer, Zwingendes Recht und Eingriffsgesetze nach dem schweizerischen IPR-Gesetz, RabelsZ 53 (1989), S. 438 ff., S. 452 ff.; von Overbeck, Das neue schweizerische Bundesgestz über das internationale privatrecht, IPRax 1988, S. 329 ff., S. 334. So Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 196–197; Byrne-Sutton, Le trafic international des biens vulturels sous l’angle de leur revendication par l’Etat d’origine – Aspects de droit international privé, 1988, S. 153; von Schorlemer, Internationaler Kulturgüterschutz – Ansätze zur Prävention im Frieden sowie im bewaffneten Konflikt, 1992, S. 551; Siehr, Kunstraub und das internationale Recht, Schweizerische Juristen-Zeitung 77 (1981), S. 189–197 und S. 207–212, S. 196. Vgl. hierzu auch die Überlegungen bei Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rdnr. 205. So ausdrücklich Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff., S. 3584, unter Rekurs auf BGH, Nigeria-Entscheidung des 2. Zivilsenats vom 22.06.1972, Az.: II ZR 113/70, BGHZ 59, S. 82–87, NJW 1972, S. 1575 ff. Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 165–168. „Angesichts der Tatsache, dass heute fast alle Staaten Gesetze zur Bewahrung ihres nationalen Kulturguts erlassen haben, erscheint es aber widersprüchlich, wenn solche Gesetze
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Schließlich dient die Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften gleichzeitig auch dem Vollzug internationaler Zielsetzungen im Kulturgüterschutzrecht, wie sie beispielhaft in der UNESCO-Convention vom 14. November 1970, der UNIDROIT-Convention vom 24. Juni 1995 und der Richtlinie 93/7/EWG vom 15. März 1993 welt- bzw. europaweit zum Ausdruck kommen und von der deutschen Rechtsordnung nach Umsetzung der Richtlinie und Ratifikation und Umsetzung der UNESCO-Convention zu eigen gemacht wurden.2729 In diesem Sinne formulierte auch der BGH in seiner sog. NigeriaEntscheidung ein „nach heutiger Auffassung allgemein zu achtendes Interesse aller Völker an der Erhaltung von Kulturwerten an Ort und Stelle“ und betonte, dass „[i]n der Völkergemeinschaft … hiernach bestimmte grundsätzliche Überzeugungen über das Recht jedes Landes auf den Schutz seines kulturellen Erbes und über die Verwerflichkeit von „Praktiken“ … [bestehen], die es beeinträchtigen und die bekämpft werden müssen.“2730 Die Sonderanknüpfung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze ist somit „nicht nur durch die comitas (Entgegenkommen gegenüber dem fremden Staat) geboten, sondern auch im Hinblick auf das Interesse am internationalen Entscheidungseinklang“2731, es ist mithin auch die Forderung erfüllt, dass der „Normzweck von der internationalen Rechtsgemeinschaft getragen wird“.2732
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Weidner kann zudem nachweisen, dass auch die Anwendung eines Gesetzes, welches Kulturgüter als res extra commercium für unveräußerlich erklärt, dem Inlandsinteresse entspricht, „wenn der inländische Staat selbst ähnliche Schutznormen für seine Kulturgüter aufgestellt hat, wenn er sich von einer Berücksichtigung ausländischer zwingender Normen eine Anwendung seiner eigenen Kulturgüterschutzgesetzgebung im Ausland erhoffen darf oder wenn für die Beachtung eine von einem Großteil der Staaten getragene internationale Überzeugung spricht.“2733 Erklärt der Forumstaat in seinen Kulturgüterschutzvor-
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von ausländischen Gerichten nicht beachtet werden. Die Widersprüchlichkeit wird dadurch verschärft, dass die verpflichtende Wirkung dieser Gesetze durch zahlreiche internationale Instrumente und die selbstauferlegten Verhaltensregeln des Kunsthandels bestätigt werden.“ Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 224– 225, derselbe Rechtsgedanke wird geäußert auf S. 288. So zuvor bereits Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 289. BGH, Nigeria-Entscheidung des 2. Zivilsenats vom 22.06.1972, Az.: II ZR 113/70, BGHZ 59, S. 82–87, NJW 1972, S. 1575 ff. Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff., S. 3584. So ausdrücklich Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 472–473, der auf den Kulturgüterschutz und den BGH verweist, Nigeria-Entscheidung des 2. Zivilsenats vom 22.06.1972, Az.: II ZR 113/70, BGHZ 59, S. 82–87, NJW 1972, S. 1575 ff. So Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 165–168.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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schriften somit selbst Kulturgüter zu res extra commercium, kann ein Interesse des Forumstaates an der Sonderanknüpfung von res extra commercium-Bestimmungen nicht verneint werden und es bestehen „shared values“, weil beide Staaten genau demselben Konzept des Kulturgüterschutzes folgen.2734 Lässt man sich von dieser Argumentation überzeugen, bestimmte die bisherige Gerichtspraxis – sowohl die französische Rechtssache Duc de Frias v. Baron Pichon aus dem Jahre 18862735 als auch die italienische Rechtssache Stato francese c. Ministero per i beni culturali e ambientali e De Contessini vom 27. Juni 1987 2736 – wohl zu Unrecht, dass selbst in denjenigen Staaten, die für ihre eigenen Kulturgüter eine Extrakommerzialität anerkennen, keine Unveräußerlichkeit für ausländische Kulturgüter angenommen wurde, wenn die Objekte außerhalb des kulturellen Ursprungsstaates veräußert wurden.2737 Selbst wenn der Forumstaat die Unveräußerlichkeit bestimmter eigener Kulturgüter in etwa dem Maße und Inhalt des kulturellen Ursprungsstaates bestimmte, erkannten dieselben Gerichte – entgegen der Forderung Weidners – bislang keine Extrakommerzialität für ausländische Kulturgüter an. Noch einen Schritt weiter geht Carducci bei der Annahme, dass auch dann, wenn die Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze des Forumstaates keine Verkehrsunfähigkeit kultureller Güter kennen, ein inländischer Legitimationsgrund für eine Sonderanknüpfung innerhalb des Forumstaates vorläge, „wenn er trotz anderer juristischer Umsetzung eine ähnliche Kulturgüterschutzpolitik betreibt. Für die Sonderanknüpfung einer Norm kommt es nicht in erster Linie darauf an, ob eine bestimmte Rechtsnorm oder ein juristisches Konzept international verbreitet und anerkannt ist, sondern ob das dahinter stehende Interesse gebilligt wird. Wie ein Staat den Schutz seiner Kulturgüter verwirklicht, kann ihm letztlich nicht vorgeschrieben werden.“2738 Diese Wertung findet Stütze in Art. 13d) der UNESCO-Convention vom 14. November 1970, wonach sich die Vertragsstaaten zwar ‚nur‘ „im Rahmen ihrer innerstaatlichen Rechtsordnung“ dazu verpflichten, das unantastbare Recht jedes Vertragsstaats anzuerkennen, bestimmtes Kulturgut als unveräußerlich einzustufen und zu erklären, dass es daher ipso facto nicht ausgeführt werden darf, und die Wiedererlangung solchen Gutes durch den betreffenden Staat in Fällen zu erleichtern, in denen es ausgeführt 2734
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So Carducci, La restitution internationale des biens culturels et des objets d’art, 1997, S. 332. Duc de Frias v. Baron Pichon, Tribunal de la Seine, 17. April 1885, 13 Journal du droit international privé, S. 593 (1886). Stato francese c. Ministero per i beni culturali e ambientali e De Contessini, Tribunale di Roma, 27 June 1987, 71 Rivista di diritto internazionale, 920 (1988). Vgl. auch Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 83–85. So ausdrücklich Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 165–168, unter Rekurs auf die Voruntersuchungen bei Carducci, La restitution internationale des biens culturels et des objets d’art, 1997, S. 331.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
worden ist. „Die als res extra commercium behandelten Kulturgüter machen nur einen Teil des gesamten Kulturguts eines Landes aus; sie stehen im Eigentum der öffentlichen Hand und sind in Museen etc. öffentlich zugänglich. Es handelt sich also um Gegenstände, bei denen das Interesse des Herkunftsstaats an der Bewahrung im nationalen Kulturerbe eine besondere Berechtigung hat.“2739
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Kein Entgegenstehen inländischer Schutzzwecke (sachenrechtlicher Verkehrsschutz)
Schließlich dürfen diesen Legitimationsgründen für eine extraterritoriale Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften keine vorrangigen inländischen Schutzzwecke entgegenstehen.2740 Dabei kommen allein eine unausgewogene Beschränkung des internationalen Kulturgüterverkehrs, der Interessen des Kunsthandels und somit der inländische sachenrechtliche Verkehrsschutz in Betracht.2741 Zur Beantwortung dieser Frage ist eine Abwägung notwendig2742, in der zu überlegen ist, ob die Besonderheiten des grenzüberschreitenden Kulturgüterverkehrs, die Gefahranfälligkeit des internationalen Kunsthandels und dessen Tendenz zu illegalen Veräußerungsgeschäften sowie nicht zuletzt die besondere Sachqualität der kulturellen Wertgegenstände ein Abweichen von dem bislang in Rechtsprechung und Schrifttum herrschenden Dogma der Nichtanwendbarkeit ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften gestatten. Denjenigen Stimmen, die hier eine Unanwendbarkeit ausländischer Kulturgüterund Denkmalschutzvorschriften wegen einer übergebührlichen Beeinträchtigung des Handels ablehnen, wird die Frage gestellt, ob die beschriebene Rechtsunsicherheit nicht hinzunehmen ist, weil der Schutz des bestohlenen Eigentümers und damit zugleich Kulturgüterschutzgesichtspunkte Vorrang haben sollten.2743 Es gelten dieselben Abwägungsgründe, die bereits innerhalb der Frage der Abweichung von der traditionellen lex rei sitae über Art. 46 EGBGB ins Feld geführt wurden.2744
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2741
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2744
So Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 165–168. Vgl. Sonnenberger in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR, Rdnr. 79–81. Diese Konfliktlage wird auch bei Spinellis, Das Vertrags- und Sachenrecht des internationalen Kunsthandels – zugleich ein Beitrag zur Bedeutung der Eingriffsnormen im heutigen internationalen Rechtsverkehr, 2000, S. 517 ff. untersucht. So Sonnenberger in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR, Rdnr. 79–81. So auch Mansel, DeWeerth v. Baldinger – Kollisionsrechtliches zum Erwerb gestohlener Kunstwerke, IPRax 1988, S. 268–271, S. 271. Vgl. ausführlich hierzu 3, 864 ff.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
Hier wie dort wird im Ergebnis festzustellen sein, dass keine vorrangigen Verkehrsschutzgesichtspunkte des internationalen Kunsthandels und der freien Transferierbarkeit kultureller Wertgegenstände einer Sonderanknüpfung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften entgegenstehen. Neben der gesteigerten Gefahranfälligkeit des internationalen Kunsthandels, vgl. hierzu Punkt (a), ist insbesondere auf die Unikatfunktion kultureller Wertgegenstände und die besondere Schutzbedürftigkeit solcher unersetzbarer Objekte hinzuweisen, vgl. hierzu Punkt (b).
(a)
1117 1086
Gesteigerte Gefahranfälligkeit des internationalen Kunsthandels
An erster Stelle ist hier auf die besondere, gegenüber sonstigen Konsumgütern deutlich gesteigerte Gefahranfälligkeit kultureller Wertgegenstände zu verweisen, als Objekte des kulturellen Schwarzmarktes gehandelt zu werden. Der Kunsthandel stellt einen besonders gefahranfälligen Geschäftsbereich dar, der sich vom sonstigen Rechtsverkehr mit gewöhnlichen Konsumgütern fühlbar unterscheidet. Kunstgegenstände werden aufgrund ihres großen Wertes besonders häufig als Hehlerware auf dem Schwarzmarkt vertrieben.2745 Vor diesem Hintergrund ist die Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze durchaus mit den Grundwertungen des internationalen Privatrechts zu vereinbaren. Zur Bekämpfung des kulturellen Schwarzmarktes müssen spezielle rechtliche Schritte unternommen werden. So weist bspw. Magnus ausdrücklich darauf hin, dass „die Internationalisierung und Liberalisierung des Handels dazu“ drängt, „die von einem Fall berührten Rechtsordnungen zumindest hinsichtlich ihrer wichtigen Grundentscheidungen in die Gesamtbeurteilung mit einzubeziehen. Nur so lässt sich verhindern, dass Unterschiede zwischen den Rechtsordnungen in unangemessener Weise – sei es durch Rechtswahl, sei es durch entsprechende Verlagerung der Anknüpfungselemente (insbes. Sitz) – ausgenutzt und aus internationaler Sicht berechtigte Verbote z.B. von Schmuggel, Bestechung, Kunstoder Waffenexport gezielt umgangen werden.“2746
1087
Aufgrund der tatsächlichen Dimensionen des illegalen Kunsthandels erscheint deshalb die extraterritoriale Berücksichtigung der Protektionsmechanismen kultureller Ursprungsstaaten mit Auswirkungen auf die dingliche Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter dringend geboten: Dadurch muss der Vertrauensschutz der Erwerber bei Kulturgütern zu einem hinnehmbaren Maß hin-
1088
2745
2746
So ausdrücklich Quack in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 6 Sachenrecht: §§ 854–1296, 4. Aufl. 2006, § 932, Rdnr. 41–48; Wiegand, Wolfgang in Staudinger – BGB: Buch 3 Sachenrecht (2004), § 932, Rdnr. 132–133; Vgl. Grell, Entartete Kunst – Rechtsprobleme der Erfassung und des späteren Schicksals der sogenannt Entarteten Kunst, 1999, S. 146–159, unter Berufung auf Urteil des Schweizer BGer vom 24.9.1987, BGE 113 II 397 (S. 399/4(X)). Magnus, Ulrich in Magnus, Ulrich, J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen – Art. 34 EGBGB, Rdnr. 110–145.
1118
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
ter das Bestandsinteresse der Eigentümer unrechtmäßig entzogener Kulturgüter auch innerhalb der Anwendung der lex causae grundsätzlich zurücktreten. Deshalb ist es unumgänglich, die Bedürfnisse des Kunsthandels, der Rechtssicherheit und Verkehrsfähigkeit kultureller Güter zu einem Mindestmaß durch die Anwendung zwingender kulturpolitischer Eingriffsnormen kultureller Ursprungsstaaten auch vor fremden Zivilforen einzuschränken. Überdies ist das Vertrauen des Rechtsverkehrs allein auf eine Geltung der dinglichen Sachzuordnungsregeln der lex causae bei illegal exportierten Kulturgütern oft weniger schutzwürdig, da bei erkennbar wertvollem Kulturgut ausländischer Herkunft die Anwendung der Schutzvorschriften des kulturellen Ursprungsstaates oftmals bewusst und heimlich umgangen wird und somit kein Schutzbedürfnis besteht. 1089
„Dabei kann den Verkehrsschutzinteressen des Belegenheitsstaates dadurch Rechnung getragen werden, daß sie ebenfalls als zwingendes Recht berücksichtigt werden. Die dann vorzunehmende Abwägung wird in der Regel zu einer vorrangigen Anwendung der Verkehrsschutznormen der lex rei sitae führen. Je größer jedoch im konkreten Fall das berechtigte Interesse des Herkunftsstaates an der Beachtung seiner Kultur ist, desto eher mögen die betroffenen Verkehrsinteressen zurückgedrängt werden. Das kann etwa darauf hinausführen, daß bei einem wertwollen Kulturgut, das entgegen einem Veräußerungs- oder Exportverbot ausgeführt und dann von einem Dritten erworben wurde, selbst der gutgläubige Erwerber zur Rückgabe an den Herkunftsstaat verpflichtet ist, – das möglicherweise aber nur gegen Erstattung seines Kaufpreises. Mit der Zubilligung eines Entschädigungsanspruchs, selbst wenn er von den Kulturschutznormen des Herkunftsstaates nicht vorgesehen ist, könnte in einem solchen Fall den verdrängten Verkehrsschutznormen des Belegenheitsstatuts jedenfalls teilweise Rechnung getragen werden.“2747
1090
Außerdem ist zu bezweifeln, ob für den (inter-)nationalen Kunsthandel überhaupt eine spürbare Beeinträchtigung zu besorgen ist, da sowohl auf nationaler als auch internationaler Ebene zahlreiche Rechtsordnungen und Regelwerke eine Beeinträchtigung der Verkehrsinteressen ohnehin hinnehmen und bspw. einen Gutglaubenserwerb ablehnen.2748 Obwohl das Kulturgüterschutzrecht noch ein relativ junges Rechtsgebiet darstellt, wurde inzwischen ein umfangreiches Regelungsvolumen in sämtlichen Bereichen geschaffen, in denen rechtliche Normen wirken können.
1091
So bestehen heute zahlreiche völkerrechtliche, öffentlich-rechtliche und strafrechtliche Resolutionsmethoden zur Regulation des illegalen Kulturgüterverkehrs und die professionell am Kunsthandel Beteiligten unterwerfen sich zusätzlich durch selbstauferlegte Verhaltensstandards einer Selbstregulation. Diesem
2747
2748
Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 290–291. Für einen ständigen Vorrang der Verkehrsschutzinteressen: Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 212–213. So auch Mansel, DeWeerth v. Baldinger – Kollisionsrechtliches zum Erwerb gestohlener Kunstwerke, IPRax 1988, S. 268–271, S. 271.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
1119
Anspruch wird inzwischen rechtsnormenübergreifend 2749 international wie national Rechnung getragen. In internationalen Konventionen und zwischenstaatlichen Rechtsinstrumenten, wie bspw. der UNESCO Convention vom 14. November 1970, der UNIDROIT Convention vom 24. Juni 1995 und der EG-Richtlinie 93/7/EWG vom 15. März 1993, werden unterschiedliche grenzüberschreitende Regulationsmechanismen des internationalen Kulturgüterverkehrs vorgeschlagen, um dem illegalen Kunsthandel ‚Herr‘ zu werden. Auch innerstaatliche Normen zum Schutz national bedeutsamer Kulturgüter lassen sich in praktisch allen entwickelten Gesellschaften finden, sodass der Kulturgüterschutz heute aus nationaler Sicht „als unabdingbarer Bestandteil und wesentliches Merkmal einer Zivilisation“2750 gilt. Diese Schutzgesetze protegieren national bedeutsame Kulturgüter in erster Linie wegen ihres kulturellen Wertes und dienen damit der Sicherung der historischen, künstlerischen, ästhetischen und wissenschaftlichen Funktion der Gegenstände für den kulturellen Ursprungsstaat.2751 Auch die professionell am Kunsthandel Beteiligten haben die Einschränkung eines völlig unreglementierten Kunsthandels, der Rechtssicherheit und Verkehrsfähigkeit kultureller Güter anerkannt, um im gewerblichen Kulturgüterverkehr den Zielen des Kulturgüterschutzes gerecht zu werden. International tätige Organisationen, nationale Verbände und Berufszusammenschlüsse sowie einzelne im (inter-) nationalen Kulturgüterverkehr tätige Institutionen und Firmen auferlegten sich selbst spezielle Programmsätze zur Bekämpfung des illegalen Kunsthandels. Vor diesem Hintergrund scheint die tatsächliche Belastung des Kunsthandels aufgrund einer extraterritorialen Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze nur marginal.
(b)
Unikatfunktion kultureller Wertgegenstände
Außerdem rechtfertigt die besondere, gegenüber sonstigen Konsumgütern deutlich unterscheidbare Unikatfunktion kultureller Wertgegenstände eine extraterritoriale Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze. Die
2749
2750
2751
Vgl. hierzu Odendahl, Kulturgüterschutz – Entwicklung, Struktur und Dogmatik eines ebenenübergreifenden Normensystems, 2005. Vgl. Odendahl, Kulturgüterschutz – Entwicklung, Struktur und Dogmatik eines ebenenübergreifenden Normensystems, 2005, S. 7. Vgl. Hammer, Zur Geschichte des rechtlichen Kulturgüter- und Denkmalschutzes, in: Fechner/Oppermann/Prott, Prinzipien des Kulturgüterschutzes – Ansätze im deutschen, europäischen und internationalen Recht, 1996, S. 47–66, S. 47–48; Adriani, Das Recht der Kulturdenkmalpflege – unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse in Niedersachsen, 1962, S. 15–16. Die ausführlichste historische Darstellung des deutschen Denkmalrechts (als ein Teil des Kulturgüterschutzrechts) bietet Hammer, Die geschichtliche Entwicklung des Denkmalrechts in Deutschland, 1995. Zum Ganzen auch Odendahl, Kulturgüterschutz – Entwicklung, Struktur und Dogmatik eines ebenenübergreifenden Normensystems, 2005, S. 7.
1092
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
direkte und unmittelbare Berücksichtigung kulturpolitisch zwingender Eingriffsnormen kultureller Ursprungsstaaten ist innerhalb des (inter-)nationalen Kulturgüterverkehrs als Handel mit nicht wiederherstellbaren Unikaten aufgrund der besonderen soziokulturellen Bedeutung des künstlerischen Handelsgegenstandes auch innerhalb der deutschen Gesetzessystematik als notwendige und zulässige Präzisierung des kollisionsrechtlichen Rechtswahlprozesses zu qualifizieren. Es ist falsch, wenn das Zivilrecht und das Internationale Kulturgüterprivatrecht Kunstwerke – mögen sie noch so schön und teuer sein – im Grundsatz noch immer als normale, wiederherstellbare Sachen behandeln. 1093
Schon Boguslavsky wies im Jahre 1990 darauf hin, dass Kulturgüter Objekte besonderer Art sind, die regelmäßig nicht als gewöhnliche Eigentumsobjekte zu behandeln sind und eigenständigen Rechtsregeln unterfallen.2752 Auch MüllerChen nahm an der rechtlichen Gleichbehandlung von Kulturgütern und Konsumprodukten Anstoß: „Kunst- und Kulturgüter sind keine „normalen“ Handelsgüter, die beliebig reproduzierbar sind. Aufgrund ihrer statistischen Einmaligkeit und Individualität sowie der unter Umständen bestehenden kulturund gesellschaftspolitischen Bedeutung der Objekte stellt sich die Frage, ob diese Regelung sachgemäss ist. Eine Vase aus der Ming-Dynastie (1368–1644) oder Oscar Kokoschkas „Windsbraut“ dürfen rechtlich nicht mit einem Wassereimer oder einem Laser-Drucker gleichgesetzt werden. Besonders Kulturgüter stehen häufig in einer wechselseitigen Beziehung zu ihrer angestammten Umgebung. Es steht ausser Frage, dass jede Nation ein Recht darauf hat, ihre Identität zu bewahren. Dies beinhaltet auch das Recht, gewisse wichtige Kulturgüter, welche materielles Zeugnis von zivilisatorischem Wert ablegen, im eigenen Territorium zu behalten, um damit den Menschen ihre kulturelle Identität erhalten zu können.“2753 Auch Schönenberger verdeutlicht: „Ein Goya Stillleben, eine Skulptur von Chillida oder eine Ming-Vase fallen damit in die gleiche Kategorie wie ein Auto, ein altes Fahrrad oder eine Waschmaschine.“2754 Kulturgüter sind nicht in erster Linie „leicht handelbares Alltagsgut“2755, sondern Gegenstände, „die das kulturelle Gedächtnis der Menschheit“ bewahren.2756 2752
2753
2754
2755
2756
Boguslavsky, Der Begriff des Kulturguts und seine rechtliche Relevanz, in: Dolzer/Jayme/ Mußgnug, „Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes – Symposium vom 22./23. Juni 1990 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg“, 1994, S. 3 ff., S. 8. Müller-Chen, Die Crux mit dem Eigentum an Kunst, Aktuelle juristische Praxis 2003 Heft 11, S. 1267–1279, S. 1276. Schönenberger, Gutgläubiger Erwerb gestohlener Kunstwerke? – Ein rechtsvergleichender Überblick; in: Kunst & Recht: Schwerpunktthemen für den Kunstsammler, Schriftenreihe der AXA Art Versicherung AG, 2007, S. 45. So Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 253–264. Vgl. Blumenwitz, Rechtliche Schwierigkeiten bei der Rückgabe rechtswidrig nach Deutschland verbrachter Kunstschätze an die Herkunftsstaaten und künftige Lösungsansätze, in: Bröhmer/Bieber/Callies/Langenfeld/Weber/Wolf, Internationale Gemeinschaft und Menschenrecht – Festschrift für Georg Ress zum 70. Geburtstag am 21. Januar 2005, 2005,
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
1121
Die besondere rechtliche Behandlung kultureller Güter als res sui generis aufgrund ihrer außergewöhnlichen, kulturpolitischen Bedeutung aus geschichtlichen, wissenschaftlichen, erzieherischen, ästhetischen oder sonstigen kulturellen Gründen sowohl innerhalb der öffentlich-rechtlichen als auch völkerrechtlichen Resolutionsmethoden muss sich in den Rechtswahlprozess und das Internationale Kulturgüterprivatrecht verlängern. Bislang lassen die deutschen Kollisionsvorschriften jedoch die (notwendige) spezielle Fürsorge für bedeutsame Kulturgüter missen, indem sie kulturelle Wertgegenstände mit Unikatfunktion ebenso behandeln wie sonstige Gebrauchswaren, die ohne Beschränkung reproduziert werden können, nach Quantität und Masse ‚umgeschlagen‘ werden und keine identitätsstiftende Bedeutung für den Heimatstaat besitzen.2757 Dies ist umso gravierender, weil durchaus rechtliche Gründe für eine Ungleichbehandlung kultureller Wertgegenstände und sonstiger beweglicher Gegenstände auch im internationalen Privatrecht bestehen: Während das internationale Sachenrecht und das deutsche Wirtschaftskollisionsrecht in erster Linie das Verkehrsinteresse berücksichtigen und den inländischen Rechtsverkehr nur solchen dinglichen Belastungen aussetzen möchten, die diesem auch bekannt sind, steht innerhalb des Schutzes kultureller Wertgegenstände aufgrund ihrer Unikatfunktion grundsätzlich die Zuordnung jedes einzelnen Kulturguts in specie im Zentrum des Interesses. Während bspw. im Kriegsvölkerrecht diese Unterscheidung erkannt wurde, eine Entwicklung weg von dem Schutz kultureller Güter über den allgemeinen Schutz des Eigentums bei kriegerischen Auseinandersetzungen und hin zu einer autozentrierten Rechtsfigur mit eigenständigem Schutz kultureller Güter aus eigenen Rechtsgründen erfolgte, schlägt das allgemeine internationale Privatrecht weiterhin ein „aus einem Museum gestohlene[s] Meisterwerk mit dem in der Eisenbahn vergessenen Regenschirm über ein und denselben Leisten“2758.
1094
Erkennt man die spezielle Sachqualität kultureller Wertgegenstände und deren Funktion als Verkörperung nationaler kultureller Identität an, gestatten die Besonderheiten des grenzüberschreitenden Kulturgüterverkehrs sowie die Gefahr-
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2757
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S. 3 ff., S. 14, darauf verweist auch Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 253–264. „Diese Gleichschaltung des öffentlichen Kunst- und Kulturgutbesitzes mit dem Plunder, den die Fundbüros versteigern und die Second-Hand-Shops feilbieten, ist ein Unding.“ Mußgnug, Europäischer und nationaler Kulturgüter-Schutz, in: Mußgnug/Roellecke, Aktuelle Fragen des Kulturgüterschutzes: Beiträge zur Reform des deutschen Kulturgutschutzgesetzes 1955 und seiner Angleichung an den europäischen Kulturgüterschutz, 1998, S. 11 ff., S. 26. Mußgnug, Europäischer und nationaler Kulturgüter-Schutz, in: Mußgnug/Roellecke, Aktuelle Fragen des Kulturgüterschutzes: Beiträge zur Reform des deutschen Kulturgutschutzgesetzes 1955 und seiner Angleichung an den europäischen Kulturgüterschutz, 1998, S. 11 ff., S. 26.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
anfälligkeit des internationalen Kunsthandels und dessen Tendenz zu illegalen Veräußerungsgeschäften ein Abweichen von dem bislang in Rechtsprechung und Schrifttum herrschenden Dogma der Nichtanwendbarkeit ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften. Kulturgüter sind damit aufgrund ihrer kulturellen Unikatfunktion und besonderen kulturpolitischen Bedeutung für die Gesellschaft im Rechtsverkehr als res sui generis zu qualifizieren und verlangen deshalb auch innerhalb des internationalen Kulturgüterprivatrechts eine Revision des bisher geltenden Rechtsempfindens. Während das allgemeine Wirtschaftskollisionsrecht mit gutem Recht auf die Bedürfnisse eines möglichst leichtgängigen Warenverkehrs mit Konsumgütern ausgerichtet ist und keinen Rekurs auf die Sicherung der Sache in specie nimmt, muss das internationale Kulturgüterprivatrecht – im Gegensatz zum Warenverkehr mit praktisch unbegrenzt reproduzierbaren Gegenständen – auch auf die Sicherung der Interessen an den individuell bestimmbaren Kunstwerken abzielen. Da innerhalb des internationalen Kunsthandels regelmäßig der Transfer mit individualisierten und spezifizierten Gegenständen erfolgt, die einer charakteristischen Vergangenheit in Form eines Pedigrees als Stammbaum des Kulturguts fähig sind, greift eine kollisionsrechtliche Sonderanknüpfung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften diese spezielle Sachqualität kultureller Wertgegenstände auf. 1096
Für eine solche Sonderanknüpfung spricht außerdem, dass sich Kulturgüter von anderen Sachen typischerweise durch ihre regionalen Bezüge unterscheiden, die auch durch das Recht gewahrt werden müssen. Ebenso wie innerhalb der materiellen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter ist somit auch für das Internationale Kulturgüterprivatrecht festzustellen, dass sich in vielen Situationen die Interessen des Kulturgüterschutzes mit den Interessen der (ursprünglichen) Eigentümer kultureller Wertgegenstände verbinden und gemeinsam zu einer Einschränkung der Verkehrsinteressen durch eine unmittelbare und direkte Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften führen. Hier fließen die spezifischen Erwägungen des Kulturgüterschutzes mit ein in den Widerstreit zwischen dem Sacherhaltungsinteresse des (ursprünglichen) Eigentümers zum einen und den Verkehrsschutzgesichtspunkten der Allgemeinheit und dem Interesse gutgläubiger Erwerber und Besitzer zum anderen. Eine Sonderanknüpfung zwingender kulturpolitischer Eingriffsnormen kultureller Ursprungsstaaten bietet auch für das deutsche Internationale Kulturgüterprivatrecht eine faire Risikoverteilung der Gefahren des illegalen Kunstmarktes im Speziellen und dient zugleich der Eindämmung des kulturellen Schwarzmarktes in nicht unerheblichem Ausmaße im Allgemeinen.
(3) 1097
Sonderanknüpfung auch im Sachenrecht
Die Entwicklung der Lehre von der kollisionsrechtlichen Sonderanknüpfung begann innerhalb des internationalen Vertragsrechts. Zwingende Eingriffsnormen fanden im internationalen Schrifttum bislang fast ausschließlich in diesem Kon-
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
1123
text Berücksichtigung und führten regelmäßig zur Nichtigkeit eines Vertrags aufgrund ihrer Qualifizierung als Verbotsgesetz (in der deutschen Rechtsordnung bspw. i.S.d. § 134 BGB).2759 Diese Sonderanknüpfung im Bereich des Schuldvertragsrechts begann auch für das deutsche Kollisionsrecht mit Art. 7 des Übereinkommens von Rom über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht 2760 vom 19. Juni 19802761 und wurde zumindest hinsichtlich der Berücksichtigung von Eingriffsnormen der lex fori in internationalen Sachverhalten für das deutsche internationale Vertragsrecht ausdrücklich in Art. 34 EGBGB umgesetzt. Es ist indes umstritten geblieben, ob Sonderkollisionsnormen außerhalb des Art. 34 EGBGB und des Schuldvertragsrechts im deutschen Recht existieren.2762 Der Gesetzgebungsgeschichte zu Art. 34 EGBGB sind keine Hinweise zu entnehmen, wie mit ausländischem Eingriffsrecht außerhalb des Schuldvertragsrechts, wie etwa im Bereich des internationalen Sachenrechts, umzugehen ist.2763 Weil ausweislich der Gesetzesbegründung ausschließlich Fragen des internationalen Vertragsrechts behandelt wurden,2764 enthielt sich der deutsche Gesetzgeber auch einer Aussage darüber, ob sich deutsches Eingriffsrecht im Bereich des internationalen Sachenrechts durchsetzt.2765 Da aber im Internationalen Kulturgüterprivatrecht die typischen Fälle, in denen es auf die Berücksichtigung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften ankommt, es aber nicht vertragliche Ansprüche sind, sondern dingliche Klagen der Herkunftsländer auf ihre illegal exportierten Kulturgüter bzw. der Eigentümer auf Rückführung ihrer unrechtmäßig entzogenen Eigentumsposition,2766 ist zu klären, ob die Lehre von der Sonderanknüpfung überhaupt auf das internationale Sachenrecht übertragbar ist. Während Teile der Literatur die Auffassung vertreten, dass die Theorie von der kollisionsrechtlichen Sonderanknüpfung zwingender Normen auf vertragsrechtliche Sachverhalte beschränkt und daher bei dinglichen Herausgabeklagen illegal exportierter Kulturgüter nicht anwendbar sei,2767 geht die heute zu Recht überwiegende Meinung im Schrifttum davon aus, 2759
2760 2761 2762
2763
2764 2765
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Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 160–163. BT-Drs. 10/503, S. 10 f. Vgl. ausführlich hierzu 3, 938 ff. u. 953 ff. Vgl. Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 179–180. Vgl. Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 179–180. Vgl. BT-Drs. 10/504, S. 83, 100, 106 und BT-Drucksache 10/5632, S. 45. Vgl. Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 179–180. Vgl. Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 410–414. So im Wesentlichen Byrne-Sutton, Le trafic international des biens vulturels sous l’angle de leur revendication par l’Etat d’origine – Aspects de droit international privé, 1988,
1098
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
dass die Lehre von der Sonderanknüpfung auf das internationale Sachenrecht übertragbar ist.2768 1099
Gegen eine Sonderanknüpfung kulturpolitisch zwingender Eingriffsnormen im internationalen Sachenrecht wird teilweise geltend gemacht, dass eine solche nur im Schuldvertragsrecht Sinn mache, weil die Parteien selbst eine Rechtswahl vornehmen dürfen und infolgedessen die gewählte Rechtsordnung nur eine schwache Beziehung zu den Parteien oder zu dem Vertrag aufweisen kann. Dies sei eine Konsequenz der grundsätzlichen Freiheit der Parteien in der Wahl des Vertragsstatuts2769, die durch die Berücksichtigung zwingend anwendbarer Eingriffsnormen eines Drittstaates abgemildert werden soll. Im Bereich des internationalen Sachenrechts stelle sich die Situation jedoch ganz anders dar, da durch das Kriterium des Lageortes immer eine ausreichende Beziehung des Sachverhalts zu der berufenen Rechtsordnung gegeben sei. Das Interesse der Rechtsordnung, in deren Gebiet die Sache belegen sei, auf den Eigentumserwerb Anwendung zu finden, sei legitim und beherrschend,2770 sodass im internationalen Sachenrecht über die
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S. 158–165, im Wesentlichen mit der Begründung, dass dadurch der Gutglaubensschutz nicht mehr gewährleistet sei; ebenso Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 130 f. So Droz, La protection internationale des biens culturels et des objets d’art, vue sous l’angle d’une convention de droit international privé, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 535–544, S. 536 f.; Knoepfler, Le commerce de l’art en droit international privé suisse, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 359–387, S. 379–38 I; Verheul, Foreign Export Prohibitions: Cultural Treasures and Minerals, 31 Netherlands International Law Review (1984), S. 419–427, S. 422; Gonzalez-Campos/Virgos-Soriano, Le commerce international de l’art en droit espagnol, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 333–355, S. 352 f.; Jaeger, Internationaler Kulturgüterschutz – Rechtslage, Rechtspraxis, Rechtsfortentwicklung, 1994, S. 101 f.; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 290 f.; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 196–197; Siehr, Nationaler und Internationaler Kulturgüterschutz – Eingriffsnormen und der internationale Kunsthandel, in: Pfister/Will, Festschrift für Werner Lorenz zum siebzigsten Geburtstag, 1992, S. 525– 542, S. 540–542; Siehr, Ausländische Eingriffsnormen im inländischen Wirtschaftskollisionsrecht, RabelsZ 52 (1988), S. 41–103, S. 61; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 160–163; Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 410–414; Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat; Spinellis, Das Vertrags- und Sachenrecht des internationalen Kunsthandels – zugleich ein Beitrag zur Bedeutung der Eingriffsnormen im heutigen internationalen Rechtsverkehr, 2000, S. 508. Vgl. Byrne-Sutton, Le trafic international des biens vulturels sous l’angle de leur revendication par l’Etat d’origine – Aspects de droit international privé, 1988, S. 159. So Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 130.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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Berücksichtigung der Eingriffsnormen der lex causae (bestimmt nach der lex rei sitae) hinaus eine Anwendung weiterer Eingriffsnormen (entweder der lex fori oder eines Drittstaates) keine Rechtfertigung finde. Insgesamt wird somit gegen eine Sonderanknüpfung vorgebracht, dass sie im internationalen Sachenrecht „ungewöhnlich erscheine“2771 und dem Bedürfnis des internationalen Rechtsverkehrs nach klaren sachenrechtlichen Verhältnissen nicht ausreichend Rechnung trage und einseitig die Interessen des rückfordernden Staates bevorzuge.2772 Diese Einschätzung beruht auf zwei Fehlschlüssen: Zum einen wurde bereits erkannt, dass die Rechtswahl nach der lex rei sitae im Internationalen Kulturgüterprivatrecht in besonderem Maße vom Zufall, teilweise auch von einer bewussten Manipulation des Lageortes abhängt, sodass die Belegenheitsrechtsordnung nicht zwingend die engste Verbindung des Kulturgüterverkehrs zu der anwendbaren Rechtsordnung widerspiegelt. Außerdem ist einzuwenden, dass über die Theorie der Sonderanknüpfung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften eine besondere Beziehung des Kulturguts als res sui generis zu einer weiteren Rechtsordnung auch rechtliche Rezeption erfahren soll, deren Anwendungsinteresse über den Anknüpfungspunkt der lex rei sitae – die schlichte Belegenheit des Kulturguts zu einem bestimmten Zeitpunkt – hinausgeht und so ein gesteigertes und vorrangiges Anwendungsinteresse zur Entscheidung der dinglichen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter besitzt.2773 Kritiker einer generellen Sonderanknüpfung im Internationalen Kulturgüterprivatrecht sehen in der Berücksichtigung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze aber auch eine übergebührliche Begünstigung der ursprünglichen Eigentümer unrechtmäßig entzogener Kulturgüter und der kulturellen Ursprungsstaaten. So seien deren Interessen an der Rückführung unrechtmäßig ver-
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So die Terminologie bei Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 271–279. So Byrne-Sutton, Le trafic international des biens vulturels sous l’angle de leur revendication par l’Etat d’origine – Aspects de droit international privé, 1988, S. 159 f.; Carducci, La restitution internationale des biens culturels et des objets d’art, 1997, S. 337; Berndt, Internationaler Kulturgüterschutz: Abwanderungsschutz, Regelungen im innerstaatlichen Recht, im Europa- und Völkerrecht, 1998, S. 123 ff.; Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 130 f. „Mit der grundsätzlichen Bejahung einer Sonderanknüpfung auch im Bereich des Sachenrechts wird die lex rei sitae nicht völlig verdrängt: Diese bleibt als allgemeine Kollisionsnorm maßgeblich; es handelt sich insofern nicht um eine alternative, sondern um eine kumulative Anknüpfung.“ Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 160–163, unter Rekurs auf Jaeger, Internationaler Kulturgüterschutz – Rechtslage, Rechtspraxis, Rechtsfortentwicklung, 1994, S. 101.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
brachter Kulturgüter und der Erhaltungs- und Bewahrungsauftrag national wertvoller Kulturgüter für zukünftige Generationen nicht ausreichend, die von der maßgeblichen lex rei sitae geschützten Verkehrsinteressen des internationalen Kunsthandels zu überwiegen.2774 Richtig daran ist, dass stets eine Abwägung des Legitimationsgrundes für eine Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze mit den inländischen Schutzzwecken wie etwa dem sachenrechtlichen Verkehrsschutz und dem Gedanken der Rechtssicherheit bei Anwendung allein der lex rei sitae erfolgen muss, diese Überlegung im Internationalen Kulturgüterprivatrecht grundsätzlich jedoch zugunsten der Sonderanknüpfung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze ausfällt.2775 Zusätzlich zu den von der lex rei sitae allein berücksichtigten Privatinteressen, des ursprünglichen Eigentümers einerseits und des gutgläubigen Erwerbers andererseits, ist bei Kulturgütern neben den privatrechtlichen Interessen regelmäßig jedoch noch ein ebenfalls berechtigtes öffentliches Interesse an der Erhaltung und Bewahrung der nationalen wertvollen Objekte in die Abwägung miteinzustellen,2776 dem bei alleiniger Geltung der lex rei sitae keine Bedeutung verschafft werden kann, weil es sich um das Interesse eines anderen Staates handelt, das von den Gesetzen der lex rei sitae nicht beachtet wird:2777 „La règle lex rei sitae a été conçue en jonction de certains objectifs de politique législative par rapport aux biens parmi lesquels n’est pas inclus le besoin de protéger les objets d’art ayant une grande valeur pour le patrimoine culturel d’un pays.“2778 Das hat zur Folge, dass mittels einer Sonderanknüpfung auch drittstaatliche Eingriffsnormen angewandt werden, um diese im Einzelfall betroffenen öffentlichen Interesse an der Erhaltung und Bewahrung der Objekte für zukünftige Generationen kultureller Ursprungsstaaten zu sichern, während für sachenrechtliche Fragen die lex
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So Byrne-Sutton, Le trafic international des biens vulturels sous l’angle de leur revendication par l’Etat d’origine – Aspects de droit international privé, 1988, S. 161. Auch Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 291, wendet ein, dass zwar auch die Verkehrsschutzinteressen der Belegenheitsstaaten als zwingendes Recht behandelt werden können, welches in der Regel vorrangig zu beachten ist, jedoch je größer das Interesse des Herkunftsstaates an der Beachtung seiner Kulturgüterschutznormen ist, desto eher die Verkehrsinteressen der Belegenheitsstaaten zurückgedrängt werden können. Die Sonderanknüpfung im Sachenrecht führt also durch eine konkrete Abwägung der kollidierenden zwingenden Normen zu flexibleren Ergebnissen. Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 160–163. Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 160–163. Vgl. auch Gonzalez-Campos/Virgos-Soriano, Le commerce international de l’art en droit espagnol, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. S. 333–355, S. 348.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
1127
rei sitae gilt, die für einen Ausgleich und eine Abwägung der betroffenen privatrechtlichen Interessen sorgt.2779 Sind diese Bedenken ausgeräumt, ist kein zwingender Grund ersichtlich, warum eine kollisionsrechtliche Sonderanknüpfung ausländischer Eingriffsnormen nicht auch im Sachenrecht möglich sein sollte,2780 und die früher dagegen vorgebrachten Bedenken gelten als überholt: 2781 Vielmehr ist davon auszugehen, dass das Bedürfnis nach einer Sonderanknüpfung ausländischer Eingriffsnormen aus denselben Gründen wie im Bereich des Schuldvertragsrechts auch im Sachenrecht besteht: „Wenn ein Staat zur Wahrung besonderer politischer und öffentlicher Interessen für einen Sachverhalt zwingende Normen erlassen hat, soll diesen, wenn die dafür erforderlichen Voraussetzungen vorliegen, auch Geltung verschafft werden.“ 2782 International zwingendes Recht ist damit ein Phänomen, das auch außerhalb des Vertrags- und Schuldrechts vorkommt.2783 „Die ausländische Norm, welche die Verkehrsfähigkeit des Kulturguts ausschließt, will gerade auch außerhalb ihres Territoriums Geltung beanspruchen, um das Kulturgut dem Herkunftsland zu erhalten; eine hinreichend enge Verbindung des Sachverhalts zum Recht des Herkunftslandes besteht dadurch, dass der Erwerb entgegen dessen Vorschriften stattgefunden hat; schließlich entspricht die Bewahrung nationalen Kulturguts letztlich auch einem legitimen Interesse der einzelnen Staaten, welches von der internationalen Staatenwelt grundsätzlich anerkannt wird.“2784 Damit ist kein zwingender Grund ersichtlich, warum eine 2779
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So die richtige Einschätzung bei Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 160–163. So Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 410–414. Spinellis, Das Vertrags- und Sachenrecht des internationalen Kunsthandels – zugleich ein Beitrag zur Bedeutung der Eingriffsnormen im heutigen internationalen Rechtsverkehr, 2000, S. 508; Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 271–279. Vgl. zu weiteren Argumenten gegen eine Sonderanknüpfung im Sachenrecht und ihre Entkräftung, Jaeger, Internationaler Kulturgüterschutz – Rechtslage, Rechtspraxis, Rechtsfortentwicklung, 1994, S. 100 ff. m.w.N. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 160–163, unter Rekurs auf Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 213; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 290. Siehe nur Sonnenberger, Eingriffsrecht – Das trojanische Pferd im IPR oder notwendige Ergänzung?, IPRax 2003, S. 104–116, S. 104. Einen Beleg hierfür bietet auch Art. 19 des Schweizer IPRG, dessen Anwendungsbereich sich nicht auf das Vertragsrecht beschränkt, darauf verweist Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 179–180. So Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 271–279. Letzteres betont der BGH, Nigeria-Entscheidung des 2. Zivilsenats vom 22.06.1972, Az.: II ZR 113/70, BGHZ 59, S. 82–87, NJW 1972, S. 1575 ff. Aus dem Schrifttum vgl. auch Armbrüster, La revendication de biens culturels du point de vue du droit international privé, rev.crit.dr.int. pr. 2004, vol. IV, S. 723–743, S. 735.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
kollisionsrechtliche Sonderanknüpfung ausländischer Eingriffsnormen nicht auch im Sachenrecht möglich sein sollte.2785 „Die Förderung internationaler Zusammenarbeit und Entscheidungsharmonie spielt im internationalen Sachenrecht eine ebenso große Rolle wie im internationalen Vertragsrecht. Das gilt ganz besonders für wertvolle Kunstgegenstände und andere einmalige Güter, bei denen den Eigentums- und Besitzrechten eine ungleich höhere Bedeutung zukommt als schuldrechtlichen Ansprüchen. Gerade hier wird daher auch sachenrechtlich ein Bedürfnis zur Sonderanknüpfung gesehen.“2786 1102
Das letztlich durchschlagende Argument für eine Sonderanknüpfung auch im internationalen Sachenrecht2787 kann aus der Rechtsvergleichung gewonnen werden, bleibt jedoch meist im Schrifttum unberücksichtigt: Man muss wissen, dass die deutsche Rechtsordnung mit dem Trennungs- und Abstraktionsgrundsatz bei der Veräußerung kultureller Wertgegenstände und der daraus folgenden Unterscheidung zwischen einem schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäft zur Übergabe und Übereignung eines Kulturguts und dem dinglichen Erfüllungsgeschäft zur Übertragung des Eigentums von dem Veräußerer an den Erwerber international isoliert steht, da die meisten Rechtsordnungen dem schuldrechtlichen Vertrag entweder unmittelbar dingliche Wirkung zumessen (und das Eigentum an einem Kulturgut ohne weiteren dinglichen Erfüllungsakt übergeht) oder die Wirksamkeit der Übereignung zumindest von dem Vorliegen eines gültigen Verpflichtungsgeschäfts abhängig machen. Anders als innerhalb der deutschen Sachenrechtsordnung, in der die Sonderanknüpfung innerhalb des Vertragsstatuts keinen Einfluss auf das dingliche Rechtsgeschäft zeitigt, führt in Fällen, in
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2786 2787
Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/ Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 213; Jaeger, Internationaler Kulturgüterschutz – Rechtslage, Rechtspraxis, Rechtsfortentwicklung, 1994, S. 103, Verheul, Foreign Export Prohibitions: Cultural Treasures and Minerals, 31 Netherlands International Law Review (1984), S. 419–427, S. 422, Fraoua, Le trafic illicite des biens culturels et leur restitution, 1985, S. 124–125; Gonzalez-Campos/Virgos-Soriano, Le commerce international de l’art en droit espagnol, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. S. 333–355, S. 352–353; Knoepfler, Le commerce de l’art en droit international privé suisse, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 359–387, S. 379–381; Siehr, Nationaler und Internationaler Kulturgüterschutz – Eingriffsnormen und der internationale Kunsthandel, in: Pfister/Will, Festschrift für Werner Lorenz zum siebzigsten Geburtstag, 1992, S. 525–542, S. 540–542: unmittelbare Beachtung ausländischer Kulturexportregularien nach Art. 19 schweizerisches IPRG bzw. Art. 7 Abs. 1 EuSchVÜ, soweit es um wichtige Kulturgüter geht. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 290. So ausdrücklich schon im Schrifttum Zimmer, Ausländisches Wirtschaftsrecht vor deutschen Zivilgerichten – Zur Unterscheidung zwischen einer normativen Berücksichtigung fremder zwingender Normen und einer bloßen Beachtung ihrer tatsächlichen Folgen, IPRax, 1993, S. 65–69 m.w.N.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
1129
denen die lex rei sitae nicht dem Abstraktionsprinzip folgt, eine Sonderanknüpfung im Bereich des Schuldstatuts schon dazu, dass sich drittstaatliche Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften als Eingriffsnormen gleichzeitig auch bei der dinglichen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter und damit auch im Bereich des sachenrechtlichen Tatbestands auswirken.2788 Bereits die Unwirksamkeit des schuldrechtlichen Veräußerungsvertrags verhindert einen wirksamen Eigentumsübergang, wenn die lex rei sitae eine kausale Übereignung kennt und nicht dem Abstraktionsprinzip folgt.2789 Das Ergebnis darf im Bereich einer Rechtsordnung, die diese Verknüpfung von Schuldvertrag und dinglichem Geschäft nicht kennt, kein anderes sein, da die abstrakt-dingliche Einigung, rechtsvergleichend gesehen, Ausnahme und nicht Regel ist.2790 Im Internationalen Kulturgüterprivatrecht bietet somit die Möglichkeit einer Sonderanknüpfung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften gegenüber einer einheitlichen Anknüpfung den Vorteil, dass entsprechend den Umständen des Einzelfalls differenzierte kollisionsrechtliche Lösungen gefunden werden können2791: „[S]ince public law has gained an increasing importance in all modern states, the tendency in our time is not to simply take foreign public law rules into consideration, but also to enforce them. As far as cultural property is concerned, the application of foreign mandatory rules of public law nature is probably the only way to safeguard the rights of the state of origin of the cultural goods when they have been taken away from it.“
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Weitere Voraussetzungen der Sonderanknüpfung
Bislang wurde festgestellt, dass eine unmittelbare und direkte Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften als Normen des öffentlichen Rechts nicht generell und a priori innerhalb der deutschen Rechtsordnung des Internationalen Kulturgüterprivatrechts ausgeschlossen ist und – wie bereits innerhalb der rechtsdogmatischen Erfassung der Lehre von der Sonderanknüpfung festgestellt – eine besondere Rechtfertigung durch ein inländisches Anwen-
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Ebenso Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 160–163. Hierzu Siehr, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Rechtsverkehr, in: Westphalen/Sandrock, Lebendiges Recht – Von den Sumerern bis zur Gegenwart – Festschrift für Reinhold Trinkner zum 65. Geburtstag, 1995, S. 703–722, S. 713 f. m.w.N. In diesem Sinne Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 212. Zustimmend auch Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 160–163. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 290–291. Für einen ständigen Vorrang der Verkehrsschutzinteressen: Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 212–213.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
dungsinteresse bei der Bekämpfung des kulturellen Schwarzmarktes und der Bewahrung national wertvoller Kulturgüter für zukünftige Generationen trotz der hier ebenfalls tangierten Interessen an einem freien Kulturgüterverkehr findet. Nichtsdestotrotz hat das deutsche Recht auch die weiteren Entscheidungen zu treffen, ob ausländisches öffentliches Recht und in welchem Umfang dieses angewendet werden kann.2792 Dies wird bildhaft bei Sonnenberger verdeutlicht, wonach die Bejahung eines Eigeninteresses des Forumstaates im internationalen öffentlichen Recht nicht ohne weiteres zur Anwendung der ausländischen Normen führt, sondern lediglich „die grundsätzlich gegen ihre Anwendbarkeit errichtete Schranke geöffnet wird, die sich daraus ergibt, dass sie per se keinen Bezug zu inländischen Ordnungszielen haben.“2793 1104
Es müssen also noch weitere Voraussetzungen vorliegen, um ausländische Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze außerhalb der lex fori bzw. der lex causae anzuwenden.2794 Bei einer Gesamtschau der einschlägigen Literatur müssen zusätzlich noch drei weitere Bedingungen erfüllt sein.2795 Zunächst muss eine enge Verbindung des Sachverhalts mit der Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschrift des kulturellen Ursprungsstaates bestehen, vgl. ausführlich hierzu unter Punkt (1). Weitere Voraussetzung ist, dass die ausländischen kulturpolitischen Eingriffsnormen auch einen internationalen Anwendungswillen aus Sicht der Rechtsordnung des kulturellen Ursprungsstaates besitzen, vgl. ausführlich hierzu unter Punkt (2). Schließlich dürfen die ausländischen Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften nicht so restriktiv ausgestaltet sein und tiefgreifend in einen freien Kulturgüterverkehr eingreifen, dass praktisch jeder Handel mit wertvollen Objekten des betreffenden Staates in Gänze unterbunden ist und auch unbedeutende Kulturgüter erfasst werden, vgl. ausführlich hierzu unter Punkt (3).2796 Wenn ein eigenes inländisches Anwendungsinteresse des Forumstaates besteht und die genannten weiteren Bedingungen erfüllt sind, sollen ausländische Kulturgüter- und Denk-
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Vgl. Sonnenberger in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR, Rdnr. 411–412. So Sonnenberger in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR, Rdnr. 424–431. Vgl. Magnus, Ulrich in Magnus, Ulrich, J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen – Art. 34 EGBGB, Rdnr. 110–145. Grundlegend Wengler, Die Anknüpfung des zwingenden Schuldrechts im internationalen Privatrecht, ZVglRWiss. 54 (1941) S. 168 ff., S. 197 ff. Anhand von Art. 19 des schweizerischen IPR-Gesetzes bzw. Art. 18 des entsprechenden Projektes werden die Voraussetzungen einer Sonderanknüpfung diskutiert von ByrneSutton, Le trafic international des biens vulturels sous l’angle de leur revendication par l’Etat d’origine – Aspects de droit international privé, 1988, S. 162 ff.; Knoepfler, Le commerce de l’art en droit international privé suisse, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 359–387, S. 379 ff.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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malschutzgesetze trotz aller unterschiedlichen rechtsdogmatischen Begründungstheorien neben dem den Sachverhalt ansonsten regelnden Recht angewandt werden, egal ob sie zu der von der allgemeinen kollisionsrechtlichen Verweisung erfassten lex causae oder zu einer dritten Rechtsordnung gehören.2797
(1)
Enge ‚Beziehung‘ der Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschrift zur Frage der dinglichen Sachzuordnung eines Kulturguts
Einmündig wird in der Wissenschaft zur Eingrenzung des Anwendungsbereichs fremder Eingriffsnormen, die nach dem Recht des Ursprungsstaates angewandt sein wollen, das im internationalen Privatrecht zentrale Kriterium der engen Verbindung zum Sachverhalt gefordert.2798 Voranzustellen ist, dass lediglich eine enge Verbindung Voraussetzung ist und die einschlägigen Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften nicht zwangsläufig die engste Verbindung zur Sachverhaltskonstellation besitzen müssen.2799 Ebenso leuchtet es ein, dass bei der Bestimmung der Beziehung des Sachverhalts zu einer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschrift nicht abschließend auf eine „räumliche Verbundenheit“2800 des Kulturguts zu seinem Lageort i.S.d. Rechtswahlgrundsatzes der lex rei sitae abgestellt werden darf, sodass auf den ersten Blick die Frage nach der Art der Verbindung im jeweiligen konkreten Fall nicht einfach zu beantworten ist.
1105
Für die ausschließlich durch die lex fori zu bestimmende Frage, wann die geforderte enge Verbindung zwischen dem normsetzenden Staat und dem in Frage stehenden Sachverhalt besteht, gibt es kein einheitliches Kriterium,2801 sie kann aber räumlicher, funktionaler oder persönlicher Natur sein und ist für jede Fallgruppe gesondert zu bestimmen. Auch wenn das Schrifttum einhellig erklärt, dass eine genauere Festlegung der notwendigen Verknüpfung für die verschiedenen Fallgestaltungen und damit auch die Entwicklung eines insoweit eigenständigen internationalen Wirtschaftskollisionsrechts noch an ihrem Anfang stehen, so lässt sich zumindest für den Bereich des Internationalen Kulturgüterprivatrechts heute eine recht treffende Bestimmung einer Nähebeziehung zwischen einer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschrift einerseits und der Frage der
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Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 155–157. Siehe bereits Wengler, Die Anknüpfung des zwingenden Schuldrechts im internationalen Privatrecht, ZVglRWiss. 54 (1941) S. 168 ff., S. 185 ff.: „enge Beziehung“. Einen Überblick über weitere, in der Wissenschaft vertretene Ansätze gibt Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 482–484. So Carducci, La restitution internationale des biens culturels et des objets d’art, 1997, S. 329. So Magnus, Ulrich in Magnus, Ulrich, J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen – Art. 34 EGBGB, Rdnr. 110–145. Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 155–157.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
dinglichen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter andererseits vornehmen. Hierfür kann auf die Ausführungen zur lex originis und die Bestimmung des kulturellen Ursprungsstaates verwiesen werden.2802 Dort wurde bereits ein konkretes Verfahren zur Festsetzung einer besonderen Sachnähe einer Rechtsordnung zur dinglichen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter für treffend erachtet, das hier mutatis mutandis auf die Bestimmung der geforderten engen Beziehung der Eingriffsnorm zu einem Sachverhalt übertragen werden kann. Somit ist in einem ersten Schritt davon auszugehen, dass die Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften des Belegenheitsortes aufgrund der räumlichen Verbindung zwischen Objekt und Sachrechtsvorschrift Ausdruck der geforderten Nähebeziehung sind. In einem zweiten Schritt ist dann eine Kontrolle dieser vermuteten Sachnähe durch eine wertende Abwägungsentscheidung der rechtlichen ebenso wie kulturellen Beziehungen eines Kulturguts zu ausländischen Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften vorzunehmen. Soll ausnahmsweise eine unmittelbare und direkte Anwendung fremder kulturpolitischer Eingriffsnormen erfolgen, besteht auch hier – ebenso wie bei einer möglichen Abkehr von dem situs-Grundsatz aufgrund einer wesentlich engeren Verbindung des Sachverhalts zu der lex originis über Art. 46 EGBGB – eine ‚Bringschuld‘ spezieller Kriterien, die die deutliche Sachnähe zu den konkreten Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften besitzen.
(2) 1107
Internationaler Anwendungswille der ausländischen Kulturgüterund Denkmalschutzvorschrift
Neben einem eigenen (inländischen) Anwendungsinteresse des Forumstaates sowie einer engen Verbindung zwischen der Eingriffsnorm und der Frage der dinglichen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter müssen die ausländischen Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften auch nach ihrem „eigenen Geltungswillen anwendbar“2803 sein.2804 Gefordert ist somit zusätzlich ein „internationaler Geltungswille“2805 der Eingriffsnorm und die Bedingungen, unter denen sie selbst gelten will, sind auch bei einer extraterritorialen Anwen-
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Vgl. ausführlich hierzu 3, 670 ff. Wengler, Die Anknüpfung des zwingenden Schuldrechts im internationalen Privatrecht, ZVglRWiss. 54 (1941) S. 168 ff., S. 181. Ausführlich hierzu aus rechtsdogmatischer Sicht auch Sonnenberger in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR, Rdnr. 82. Vgl. Coester, Die Berücksichtigung fremden zwingenden Rechts neben dem Vertragsstatut – Rechtsmethodische und -politische Überlegungen zu Art. 7 Abs. 1 des europäischen Vertragsübereinkommens vom 19.6.1980, ZVglRWiss 82 (1983), S. 1–30, S. 9; Junker, Die „zwingenden Bestimmungen“ im neuen internationalen Arbeitsrecht, IPRax 1989, S. 69– 75, S. 73.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
1133
dung einzuhalten.2806 Auch Kropholler macht dies allgemein zur Voraussetzung und erklärt, dass ausländische Gesetze nur dann anzuwenden sind, „wenn sie – wiederum nach ihrer ausdrücklichen Bestimmung oder nach Sinn und Zweck – gelten wollen“.2807 Der „extraterritoriale Anwendungswille“2808 ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften wird hinsichtlich kultureller Ausfuhr-, Verbringungsund Veräußerungsbeschränkungen im Schrifttum weitgehend unumstritten bejaht2809 – dies liege „bei einer Exportgesetzgebung für Kulturgut in der Natur der Sache.“2810 Im Schrifttum wurde die Beachtung ausländischer Kulturgüterschutzgesetze jedoch nicht nur im Hinblick auf Ausfuhr- und Verbringungsbeschränkungen diskutiert.2811 Neuerdings steht eine solche auch hinsichtlich kultureller Veräußerungsbeschränkungen und der Designation kultureller Güter als res extra commercium in Diskussion, weil ein internationaler Anwendungswille bei solchen Schutzmechanismen nur selten aus dem ausdrücklichen Wortlaut erkenntlich sein wird 2812 und man deswegen annehmen könnte, sie seien nur darauf gerichtet, den inländischen Rechtsverkehr zu regeln und das Kulturgut durch Statuierung der Verkehrsunfähigkeit davon auszunehmen.2813
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Zwar liegt die bei Luzzatto für den italienischen Rechtsraum geprägte Einschätzung nahe, dass die Extrakommerzialität von Kulturgütern für den Schutzstaat
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So die Terminologie bei Magnus, Ulrich in Magnus, Ulrich, J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen – Art. 34 EGBGB, Rdnr. 110–145. Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 19. Siehr, Ausländische Eingriffsnormen im inländischen Wirtschaftskollisionsrecht, RabelsZ 52 (1988), S. 41–103, S. 92. „Der Anwendungswille besteht in aller Regel“, vgl. Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff., S. 3584. Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 196–197; Jaeger, Internationaler Kulturgüterschutz – Rechtslage, Rechtspraxis, Rechtsfortentwicklung, 1994, S. 101. A.A. aber Byrne-Sutton, Le trafic international des biens vulturels sous l’angle de leur revendication par l’Etat d’origine – Aspects de droit international privé, 1988, S. 162 f., der verlangt, dass der extraterritoriale Anwendungswille ausdrücklich im Gesetz normiert ist. So bspw. bei Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 127 ff.; MüllerKatzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 287 ff.; von Schorlemer, Internationaler Kulturgüterschutz – Ansätze zur Prävention im Frieden sowie im bewaffneten Konflikt, 1992, S. 551. Vgl. Byrne-Sutton, Le trafic international des biens vulturels sous l’angle de leur revendication par l’Etat d’origine – Aspects de droit international privé, 1988, S. 163. Anders aber Byrne-Sutton, Le trafic international des biens vulturels sous l’angle de leur revendication par l’Etat d’origine – Aspects de droit international privé, 1988, S. 163, wonach sich kein klares Bild ergibt, das für einen internationalen Geltungswillen derjenigen Vorschriften sprechen könnte, die die Extrakommerzialität anordnen.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
so wesentlich ist, dass er diese stets mit einem internationalen Geltungswillen ausgestattet hat.2814 Letztlich entzieht sich diese Annahme jedoch eines positiven Beweises2815 und wird sowohl für den französischen2816 als auch spanischen2817 Rechtskreis im kulturgüterrechtsspezifischen Schrifttum bezweifelt: „II n’est dès lors pas du tout évident … que les législateurs aient songé à réglementer le régime juridique d’objets culturels situés à l’étranger suite à une exportation illicite.“2818 Wiese weist diesbezüglich auch zu Recht darauf hin,2819 dass der internationale Geltungswille fremder kulturgüterrechtlicher Schutzbestimmungen nicht gleichzusetzen ist mit den eigenen „beliefs how far certain policies ought to reach.“2820 1110
Richtigerweise hat aber inzwischen Weidner entsprechend Sinn und Zweck der Extrakommerzialität kultureller Wertgegenstände nachgewiesen, dass auch die Anordnung der Verkehrsunfähigkeit national wertvoller Objekte dem Erhalt und der Bewahrung für die Öffentlichkeit des jeweiligen Staates dient, dieser Schutzzweck aber um so mehr gefährdet ist, wenn die Sache aus dem Land ausgeführt wird. „Bei als res extra commercium behandelten Kulturgütern ergibt sich das Ausfuhrverbot bereits aus der Natur der Sache. Wenn durch eine Norm der innerstaatliche und internationale Handel verhindert werden soll, soll sie aber auch dazu dienen, verbotswidrig veräußerte und ausgeführte Gegenstände wieder zurückzuverlangen. Das setzt ihren extraterritorialen Geltungsanspruch voraus. Der imperative Anwendungswille von Normen, die Kulturgüter zu res extra commercium erklären, ist daher zu bejahen.“2821
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So für das italienische Recht Luzzatto, Trade in Art and Conflict of Laws: The Position in Italy, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 409–424, S. 419. So Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 180–188. Erst nachträglich greife ein ordre public-Vorbehalt. Vgl. hierzu Gonzalez-Campos/Virgos-Soriano, Le commerce international de l’art en droit espagnol, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. S. 333–355, S. 348. Byrne-Sutton, Le trafic international des biens vulturels sous l’angle de leur revendication par l’Etat d’origine – Aspects de droit international privé, 1988, S. 163. Vgl. Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 180–188. So die Formulierung bei Brilmayer, Interest Analysis and the Myth of Legislative Intent, 78 Michigan Law Review (1980) S. 392–431, S. 400 in ihrer Kritik gegen die Methodik der „governmental interest analysis“ des amerikanischen Kollisionsrechts. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 164–165, unter Rekurs auf Knoepfler, Le commerce de l’art en droit international privé suisse, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 359–387, S. 379 f.; Luzzatto, Trade in Art and Conflict of Laws: The Position in Italy, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 409–424, S. 419; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 135.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
(3)
Keine extraterritoriale Anwendung exorbitanter Kulturgüterund Denkmalschutzvorschriften
Schließlich wird bei der Sonderanknüpfung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze auf die Gefahr hingewiesen, dass Staaten mit liberalen und maßvollen Exportregelungen, wie etwa die Bundesrepublik Deutschland, ohne Kontrollmöglichkeit auch die exzessiven Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften solcher Staaten anwenden müssten, die besonders extensive Bestimmungen anordnen und möglicherweise sogar alle Objekte unter Schutz stellen, ohne dass diese eine besonders wertvolle Bedeutung beim Erhalt und der Bewahrung des nationalen, identitätsstiftenden Kulturpatrimoniums für die jeweilige Bevölkerung und Gesellschaft besitzen.2822 In praktischer Hinsicht wird dementsprechend bezweifelt, dass kulturelle Importstaaten ohne eine Absicherung durch Gegenseitigkeit dazu bereit sein werden, einseitig eine Sonderanknüpfung aus Sicht des Forumstaates solcher zu weitreichender ausländischer Schutzvorschriften in ihr Internationales Kulturgüterprivatrecht einzuführen.2823 Aus den genannten Gründen fordert so bspw. Siehr, dass nur für „besonders bedeutende nationale Kulturgüter“ ausländische Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften extraterritoriale Anwendung finden sollen.2824 Eine Sonderanknüpfung soll danach nur für solche Kulturgüter in Frage kommen, die „aus der Sicht eines weltoffenen und gegenüber fremden Kulturen aufgeschlossenen Richters mit dem Herkunftsland, dessen Kultur, dessen Tradition oder mit einem Gesamt-
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So formuliert bei Siehr, Nationaler und Internationaler Kulturgüterschutz – Eingriffsnormen und der internationale Kunsthandel, in: Pfister/Will, Festschrift für Werner Lorenz zum siebzigsten Geburtstag, 1992, S. 525–542, S. 539 ff.; Siehr, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Rechtsverkehr, in: Westphalen/Sandrock, Lebendiges Recht – Von den Sumerern bis zur Gegenwart – Festschrift für Reinhold Trinkner zum 65. Geburtstag, 1995, S. 703–722, S. 715 f.; Fechner, Prinzipien des Kulturgüterschutzes – Eine Einführung, in: Fechner/Oppermann/Prott, Prinzipien des Kulturgüterschutzes – Ansätze im deutschen, europäischen und internationalen Recht, 1996, S. 11–45, S. 45; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 99–102; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 196–197; Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes, 1994, S. 106 f. will dem in einem internationalen Abkommen Rechnung tragen. Vgl. Siehr, Nationaler und Internationaler Kulturgüterschutz – Eingriffsnormen und der internationale Kunsthandel, in: Pfister/Will, Festschrift für Werner Lorenz zum siebzigsten Geburtstag, 1992, S. 525–542, S. 539 ff.; Fechner, Prinzipien des Kulturgüterschutzes – Eine Einführung, in: Fechner/Oppermann/Prott, Prinzipien des Kulturgüterschutzes – Ansätze im deutschen, europäischen und internationalen Recht, 1996, S. 11–45, S. 45; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 196–197. Siehr, Öffentliches Recht und internationales Privatrecht beim grenzüberschreitenden Kulturgüterschutz, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes – Symposium vom 22./23. Juni 1990 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 83–104, S. 96–103, kritisch hierzu Wyss, Kultur als eine Dimension der Völkerrechtsordnung – Vom Kulturgüterschutz zur internationalen kulturellen Kooperation, 1992, S. 201–223.
1111
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
kunstwerk in diesem Staat so eng zusammenhängen, dass eine Rückführung eine fast zwingende Notwendigkeit ist.“2825 Dagegen müsse eine Sonderanknüpfung für sonstige, nicht überragend bedeutsame Kulturgüter ausscheiden und könne nur durch materielles Sonderrecht geschaffen werden.2826 1112
Wie jedoch diese Forderung im Internationalen Kulturgüterprivatrecht umgesetzt werden und auf welche Art und Weise eine Einschränkung der Anwendung exorbitanter ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften erfolgen kann, die ausnahmsweise den internationalen Kulturgüterverkehr über Gebühr belasten, wird im Schrifttum unterschiedlich bewertet. Nach einer Ansicht kann einer übermäßigen Bevorzugung des die Restitution unrechtmäßig entzogener Kulturgüter beanspruchenden Staates im Einzelfall mittels des nationalen ordre public-Vorbehalts begegnet werden.2827
1113
So sieht bspw. auch Kropholler innerhalb der Sonderanknüpfung von Eingriffsnormen als Voraussetzung, dass „die öffentlichrechtliche Vorschrift nicht den ordre public des Urteilsstaates verletzt“2828. Dies sei bei einer wirtschaftlichen Sanktion bspw. dann anzunehmen, wenn der Urteilsstaat selbst der Betroffene oder mit dem betroffenen Staat verbündet oder auch neutral ist.2829 Da hiernach eine unmittelbar und direkt anwendbare Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschrift nicht über „einen angemessenen Anwendungsbereich“2830 hinausgehen darf, muss ein Richter des Forumstaates im Einzelfall stets überprüfen, ob die Anwendung einer ausländischen Kulturgüterschutzvorschrift nach Art. 6 Abs. 1 EGBGB gerechtfertigt ist. Kreuzer spezifiziert diese Überlegung im innereuropäischen Kulturgüterverkehr dahingehend, dass im Verhältnis zu anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union der als Ausnahmevorschrift eng auszu2825
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So Siehr, Öffentliches Recht und internationales Privatrecht beim grenzüberschreitenden Kulturgüterschutz, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes – Symposium vom 22./23. Juni 1990 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 83–104, S. 102 f. So Siehr, Öffentliches Recht und internationales Privatrecht beim grenzüberschreitenden Kulturgüterschutz, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes – Symposium vom 22./23. Juni 1990 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 83–104, S. 103. So ausdrücklich Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 271–279; Jaeger, Internationaler Kulturgüterschutz – Rechtslage, Rechtspraxis, Rechtsfortentwicklung, 1994, S. 100; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern. So Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 149–151. Vgl. Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 149–151. Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 149–151.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
1137
legende Art. 30 EG zu berücksichtigen sei, wonach im Rahmen des Erforderlichen Erhaltungs- und Bewahrungsmaßnahmen kultureller Güter nur zum Schutz des insoweit ebenfalls restriktiv auszulegenden nationalen Kulturguts getroffen werden dürfen.2831 „Geht es um den überzogenen Schutz des Kulturguts eines anderen Mitgliedstaates, der gegen das Willkürverbot des Art. 30 Satz 2 EGV verstößt, so besteht auch zivilrechtlich kein Anlass, seine Schutzmaßnahmen gesondert anzuknüpfen.“2832 Überzeugender ist hier jedoch die Gegenansicht, die keinen Rückgriff auf Art. 6 EGBGB und den nationalen ordre public-Vorbehalt benötigt und davon ausgeht, dass bei exorbitanten Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften aufgrund einer zu weitreichenden und übergebührlichen Beschränkung der Verkehrsinteressen des internationalen Kunsthandels schon kein interner Anwendungswille und kein eigenes Interesse des Forumstaates an der Anwendung ausländischer Eingriffsnormen öffentlichen Rechts bestehen.2833 Da der kollisionsrechtliche Grund für eine Sonderanknüpfung ausländischer Eingriffsnormen nach überzeugender Ansicht nicht im Willen und Machtanspruch des ausländischen Gesetzgebers liegt, sondern das Inlandsinteresse des Forumstaates bekanntlich als zwingend notwendiger „Legitimationsgrund“ für die Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze gesehen wird,2834 können solche Vorschriften schon dann abgewiesen werden, wenn ihnen aus Sicht der lex fori keine berechtigten Erwägungen zugrunde liegen.2835 Der gefürchtete „Freibrief“ 2836 oder „blank
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Vgl. Kreuzer in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-38), Internationales Privatrecht, 3. Aufl. 1998, Nach Art. 38 EGBGB Anh. I Rdnr. 205. „Auf die Kategorien des Anhangs der Richtlinie 93/7/EWG braucht sich die Sonderanknüpfung fremder Ausfuhrbestimmungen hingegen nicht zu beschränken. Dies ergibt sich mittelbar aus Art. 14 Abs. 1 der RL 93/7/EWG, der es den Mitgliedstaaten gestattet, die Rückgabeverpflichtung auf andere Kategorien von Kulturgütern auszudehnen. Auch besteht keine Grenze der Interessengleichheit, die es verböte, Ausfuhrbestimmungen, die vor dem 1. Januar 1993 verletzt wurden, gesondert anzuknüpfen (vgl. Art. 14 Abs. 2 der RL 93/7/EWG). Hier besteht weiterhin Interessengleichheit, weil es der Solidaritätsgesichtspunkt (Art. 10 EGV) gebietet, auch hier von einem kulturgüterrechtlichen Wertegleichklang unter den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft auszugehen.“ So die Einschätzung bei Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 188–191. Vgl. auch Spaun, Der Herausgabeanspruch bei Diebstahl oder illegalem Export von Kulturgütern, 2003, S. 145–150. Sonnenberger in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR, Rdnr. 76–78. So auch Magnus, Ulrich in Magnus, Ulrich, J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen – Art. 34 EGBGB, Rdnr. 110–145. So die Formulierung bei Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 160–163.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
check“2837 bei der extraterritorialen Anwendung ausländischer exorbitanter Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze bleibt somit aus und eine Sonderanknüpfung solcher Eingriffsnormen ist a priori nur möglich, wenn „dies mit dem Recht des Forumstaates prinzipiell vereinbar scheint.“2838
e) 1115
Rechtsfolgen einer Sonderanknüpfung
Die Lehre von der Sonderanknüpfung führt dazu, dass die Rechtsfolge – soweit möglich – direkt und unmittelbar den ausländischen Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetzen zu entnehmen ist, ohne dass es grundsätzlich eines Rückgriffs auf nationale Regelungen bedarf.2839 Bestimmen die ausländischen Kulturgüterschutzvorschriften so bspw. die Nichtigkeit eines Kulturguttransfers, der auf eine unrechtmäßige Verbringung, Veräußerung oder Ausfuhr gerichtet ist, so kann das Gericht des Forumstaates die Nichtigkeit unmittelbar aus den direkt anwendbaren ausländischen Kulturgüterschutzvorschriften entnehmen. Ordnen die ausländischen Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften die Extrakommerzialität des nationalen Kulturpatrimoniums an, sind weitere Veräußerungen – unabhängig davon, ob sie innerhalb oder außerhalb des kulturellen Ursprungsstaates erfolgen, d.h. sowohl bei einem schlichten als auch bei einem qualifizierten Statutenwechsel – unmittelbar und direkt aufgrund der Verkehrsunfähigkeit der Objekte nichtig, das Eigentum kann nicht ersessen werden und der Herausgabeanspruch des Eigentümers ist unverjähr- und unverwirkbar. Nur wenn die kulturpolitischen Eingriffsnormen keine präzise Rechtsfolge vorsehen, muss grds. die lex causae oder, wenn auch diese keine Rechtsfolgenanordnung bestimmt, die lex fori die Rechtsfolgen eines Verstoßes festlegen.2840 Vor einem deutschen Gericht kann sich somit die Nichtigkeit einer kulturellen Veräußerung entgegen einer unmittelbar und direkt anwendbaren ausländischen Kulturgüterund Denkmalschutzvorschrift über die Sonderanknüpfungslehre auch aus § 134 BGB ergeben, sodass ein Rückgriff auf § 138 BGB, wie der BGH dies in der Nige-
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Der Begriff wurde von Bator, An Essay on the International Trade in Art, Stanley Law Review 34 (1982), S. 275 ff., S. 328, geprägt. Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 160–163. Mankowski, Zur Frage der Anwendung oder Auswirkung drittstaatlicher Eingriffsnormen im internationalen Vertragsrecht, RIW 1994, S. 688–692; Magnus, Ulrich in Magnus, Ulrich, J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen – Art. 34 EGBGB, Rdnr. 110–145. Anders aber allerdings etwa Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, § 52 IX 4, der eine Geltung der lex causae (wörtlich: des Vertragsstatuts) befürworten. Vgl. Magnus, Ulrich in Magnus, Ulrich, J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen – Art. 34 EGBGB, Rdnr. 110–145.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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ria-Entscheidung im Jahre 19722841 für die Transportversicherung illegal zu exportierender Kulturgüter vertrat,2842 entbehrlich ist.2843 Im Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht sind aus Sicht des deutschen Rechtsverständnisses dabei jedoch zwei Fallkonstellationen zu unterscheiden:2844 Die Sonderanknüpfung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften betrifft einmal die vertragsrechtliche Frage der Nichtigkeit des der Veräußerung zugrunde liegenden Kausalgeschäfts – d.h. des kulturellen Kaufvertrags – wegen kulturgüterrechtlicher Spezialnormen des kulturellen Ursprungsstaates bzw. wegen Gesetzesverstoßes.2845 Neben der Frage der Nichtigkeit des kulturel-
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BGH, Nigeria-Entscheidung des 2. Zivilsenats vom 22.06.1972, Az.: II ZR 113/70, BGHZ 59, S. 82–87, NJW 1972, S. 1575 ff. Zustimmend Mann, NJW 1972, S. 2179; Bleckmann, Sittenwidrigkeit wegen Verstoßes gegen den ordre public international – Anmerkung zum Urteil des BGH vom 22. Juni 1972, Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (ZaöRV) 34 (1974), S. 112–132, S. 130; Siehr, Öffentliches Recht und internationales Privatrecht beim grenzüberschreitenden Kulturgüterschutz, in: Dolzer/Jayme/ Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes – Symposium vom 22./ 23. Juni 1990 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 83–104, S. 98; Jaeger, Internationaler Kulturgüterschutz – Rechtslage, Rechtspraxis, Rechtsfortentwicklung, 1994, S. 92. Vgl. ausführlich zu dieser materiell-rechtlichen Berücksichtigung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften, 3, 1136 ff. So auch Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff., S 3584. Allerdings erfasst die Nichtigkeit nach § 134 BGB seiner Ansicht nach nur solche Übereignungen, bei denen das zu Grunde liegende Kausalgeschäft auf einen verbotswidrigen Export gerichtet ist. „Für den praktisch wichtigeren Fall, dass das Kulturgut bereits nach Deutschland geschafft wurde, bevor es veräußert wird, bleibt eine Sonderanknüpfung ausländischer Exportverbote folgenlos. Die Übereignung eines bereits hier zu Lande befindlichen Kulturguts wird nicht dadurch unwirksam, dass das Kulturgut einst unter Verstoß gegen ein Exportverbot importiert wurde.“ So wie hier aber auch Siehr, Nationaler und Internationaler Kulturgüterschutz – Eingriffsnormen und der internationale Kunsthandel, in: Pfister/Will, Festschrift für Werner Lorenz zum siebzigsten Geburtstag, 1992, S. 525–542, S. 528. Vgl. hierzu auch besonders Carducci, La restitution internationale des biens culturels et des objets d’art, 1997, S. 335 ff.; Byrne-Sutton, Le trafic international des biens vulturels sous l’angle de leur revendication par l’Etat d’origine – Aspects de droit international privé, 1988, S. 156 ff.; Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 127–139. Auf diesen Aspekt beschränken sich Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 87 f., 194 ff.; Luzzatto, Trade in Art and Conflict of Laws: The Position in Italy, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 409–424, S. 421 f. Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 200 ff., die vertragsrechtlichen Probleme und auf S. 210 ff. die sachenrechtliche Seite. Zur mittelbaren und indirekten materiellrechtlichen Berücksichtigung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften, die zur Nichtigkeit wegen Sittenwidrigkeit i.S.d. § 138 BGB führen. Vgl. zum Ganzen auch Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 127–139.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
len Kaufvertrages geht es aus Sicht der deutschen Zivilrechtsordnung insbesondere aber um die sachenrechtlichen Fragen der Veräußerbarkeit des kulturgüterschutzgesetzwidrig transferierten Kulturguts und des Eigentumserwerbs.2846 Dass diese Unterscheidung aber international meist unbedeutend ist, zeigt uns die Rechtsvergleichung, da die Eigentumsübertragung grundsätzlich in drei Kategorien eingeteilt werden kann:2847 Neben dem Eigentumsübergang allein aufgrund rechtswirksamen Kaufvertrages (Frankreich, Großbritannien, Italien, Vereinigte Staaten von Amerika) nach dem sog. Konsensprinzip erfolgt ein Eigentumstransfer bspw. in der Schweizer Zivilrechtsordnung aufgrund rechtswirksamen Vertrages und Inbesitznahme des Vertragsgegenstandes und bspw. in Deutschland und Griechenland nach dem sog. Traditionsprinzip mit abstraktem Rechtsgrund aufgrund rechtswirksamer Einigung über den Eigentumsübergang und Übergabe des Kulturguts, d.h. der Inbesitznahme des Vertragsgegenstandes, grundsätzlich unabhängig von einem zugrunde liegenden Kaufvertrag.2848 Während so in den Staaten, die dem Konsensprinzip des römischen Rechts folgen, schon die Nichtigkeit des kulturellen Kaufvertrages einen Eigentumsverlust des kulturellen Ursprungsstaates ausschließt, führt in Deutschland nach dem Trennungs- und Abstraktionsgrundsatz die Nichtigkeit des kulturellen Kaufvertrages wegen eines Verstoßes gegen ausländische Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften nicht unmittelbar auch zur Nichtigkeit der Eigentumsübertragung. Verfügungen sollen unabhängig davon wirken, ob ihnen eine wirksame Verpflichtung zugrunde liegt. Letztendlich sollen und werden sich in der Praxis des internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts jedoch keine Unterschiede aufgrund der unterschiedlichen Konstruktionen beim Eigentumsübergang ergeben, da auch innerhalb der deutschen Rechtsordnung bei Anwendung des Traditionsprinzips die Wirksamkeitsgrenzen des Abstraktionsprinzips überschritten sind und sich die Abstraktion zwischen schuldrechtlichem Kausalgeschäft und dinglicher Eigentumsübertragung wegen sog. Fehleridentität nicht auswirkt. Derselbe Unwirksamkeitsgrund – d.h. die Veräußerung entgegen den Bestimmungen ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften – wirkt sich nämlich sowohl auf den kulturellen Kaufvertrag als auch die Verfügung über die Eigentumsposition an den unrechtmäßig entzogenen Kulturgütern aus. 1117
Der Vollständigkeit halber ist hinsichtlich der Effektivität jedoch darauf hinzuweisen, dass der kulturelle Ursprungsstaat auch innerhalb der Sonderanknüpfung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze bei unrechtmäßig aus-
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Vgl. Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 127–139. Lalive, Sur le régime des objets d’art volés en droit international privé, in: Matscher/SeidlHohenveldern/Karas-Waldheim, Europa im Aufbruch – Festschrift Fritz Schwind zum 80. Geburtstag, 1993, S. 51–69, S. 58. Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 56.
§ 17 Ergebnis: ,Anwendung‘ ausländischer Kulturgüterschutzvorschriften
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geführten Kulturgütern in Privateigentum vor einem Problem bei der Rückführung steht, da dem kulturellen Ursprungsstaat – außerhalb des Anwendungsbereichs spezieller zwischenstaatlicher Rechtsinstrumente – meist kein dinglicher Herausgabeanspruch gegenüber dem aktuellen Besitzer im Forumstaat zustehen wird: Auch eine Sonderanknüpfung gibt dem Herkunftsstaat nur dann einen zivilrechtlichen Herausgabeanspruch, wenn er aufgrund seiner Gesetzgebung Eigentümer des illegal exportierten Kulturgutes ist2849 oder der Herkunftsstaat zumindest ein eigentumsähnliches Recht an dem Gegenstand hatte, welches ihn zur Rückforderung berechtigt.2850 Dies wird aber nur im Rahmen sog. ownership statutes und einer automatischen Legaldesignation national schützenswerter Kulturgüter zu Staatseigentum möglich sein: Einerseits aufgrund einer generellen Bestimmung näher qualifizierter Kulturgüter zu Staatseigentum (sog. umbrella statutes)2851 und andererseits aufgrund eines automatischen Verfalls kultureller Güter an den kulturellen Ursprungsstaat bei dem Versuch und in dem Moment der illegalen Ausfuhr (sog. automatic forfeiture clauses oder sog. rhetorical ownership statutes)2852, da hier ohne weitere staatliche Vollzugs- und Hoheitsakte die Eigentumsposition an dem Kulturgut ipso iure und ex lege auf den kulturellen Ursprungsstaat übergeht.
§ 17 Ergebnis: ‚Anwendung‘ ausländischer Kulturgüterschutzvorschriften im deutschen Kollisionsrecht Untersuchungsauftrag der voranstehenden Ausführungen war die Frage, ob die neue internationale Tendenz des Internationalen Kulturgüterprivatrechts zur extraterritorialen Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften vor nationalen Zivilforen auch innerhalb der deutschen Rechtsordnung und vor deutschen Zivilgerichten in Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsstreitigkeiten Rezeption finden könnte. Während die Frage der Anwendung deutscher Eingriffsnormen vor deutschen Foren in Art. 34 EGBGB geregelt ist, musste fest-
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2851 2852
So auch Jaeger, Internationaler Kulturgüterschutz – Rechtslage, Rechtspraxis, Rechtsfortentwicklung, 1994, S. 103; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 196– 197; Siehr, Nationaler und Internationaler Kulturgüterschutz – Eingriffsnormen und der internationale Kunsthandel, in: Pfister/Will, Festschrift für Werner Lorenz zum siebzigsten Geburtstag, 1992, S. 525–542, S. 539 ff.; Siehr, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Rechtsverkehr, in: Westphalen/Sandrock, Lebendiges Recht – Von den Sumerern bis zur Gegenwart – Festschrift für Reinhold Trinkner zum 65. Geburtstag, 1995, S. 703–722, S. 715 f.; Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes, 1994, S. 106 f. will dem in einem intemationalen Abkommen Rechnung tragen; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 99–102. So auch Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 160–163. Vgl. 3, 283 ff. Vgl. ausführlich hierzu 3, 283 ff.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
gestellt werden, dass es im deutschen Recht hinsichtlich der Anwendung zwingender Normen der lex causae oder eines Drittstaates noch keine gefestigte Meinung gibt. Bislang wurden in Deutschland noch keine Beispiele aus der Judikative bekannt, die über die Frage der Anwendung ausländischer Kulturgüterschutzgesetze als Eingriffsnormen zu entscheiden hatten. Im Schrifttum sind die Fragen, ob, wann und wie ausländische Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften als Eingriffsnormen, sei es der lex causae oder dritter Staaten, vor deutschen Foren Anwendung finden, deshalb stark umstritten und es werden im Ergebnis sehr unterschiedliche Ansätze vertreten. 1119
Die ständige Rechtsprechung folgt dem völkerrechtlichen Territorialitätsprinzip und geht im Grundsatz davon aus, dass ausländische Normen des öffentlichen Rechts (und somit auch nationale Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften) grundsätzlich nur ‚territoriale‘ Geltung beanspruchen können und keine Anwendung vor ausländischen Zivilforen erfahren. Ausländische Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze sind als Vorschriften öffentlichen Rechts in ihrer Geltung auf das Staatsgebiet des kulturellen Ursprungsstaates begrenzt und sind nach herrschender Meinung in der deutschen Rechtsprechung und dem Schrifttum prinzipiell vor fremden Zivilforen des kulturellen Importstaates unanwendbar. Auch der deutsche Bundesgerichtshof anerkannte die völkerrechtliche Souveränität eines jeden Staates und prägte den bekannten Satz, dass „ein Staat sich nicht zum Büttel der Hoheitsgewalt eines anderen“2853 machen dürfe, sodass die Vornahme ausländischer Staatsakte und die direkte Anwendung ausländischer öffentlich-rechtlicher Kulturgüterschutzvorschriften außerhalb des kulturellen Ursprungsstaates bereits per se ausgeschlossen sein müssen. Kollisionsrechtliche Umsetzung des völkerrechtlichen Territorialitätsgrundsatzes ist die internationalprivatrechtliche Machttheorie, wonach öffentlich-rechtliche Eingriffsnormen eines anderen Staates als der lex fori als internationales öffentliches Recht nur dann zu berücksichtigen sind, wenn der sie normierende Staat die Macht hat, sie auch durchzusetzen. Das wird im internationalen Kulturgüterverkehr – ganz im Sinne des völkerrechtlichen Territorialitätsprinzips – nur dann angenommen, wenn sich die umstrittenen Kulturgüter noch auf dem Gebiet des Eingriffsstaates befinden oder sich rechtserhebliche Tatsachen (etwa für die dingliche Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter) dort abspielen.
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Dabei steht die deutsche Rechtsprechung im Einklang mit den ausländischen Vorstellungen in kulturgüterspezifischen Gerichtsentscheidungen, wonach jeder Staat zwar sein eigenes nationales Kulturgut schützt, de lege lata sind jedoch keine nationalen Regularien zum Schutz fremden Kulturpatrimoniums oder zur Bewahrung bestimmter fremder nationaler Wertobjekte nach einem Statutenwechsel zu
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BGH, Entscheidung des 2. Zivilsenats vom 18. Februar 1957, Az: II ZR 287/54, BGHZ 23, 333, S. 337.
§ 17 Ergebnis: ,Anwendung‘ ausländischer Kulturgüterschutzvorschriften
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konstatieren: Öffentlich-rechtliche Kulturgüterschutzvorschriften finden nur innerhalb des Territoriums des regelnden Staates hoheitliche Anwendung. So erfolgte innerhalb der Entscheidung King of Italy v. Marquis Cosimo de Medici keine Anwendung italienischer Kulturgüterschutzvorschriften vor britischen Zivilforen, in der Entscheidung Stato francese c. Ministero per i beni culturali e ambientali e De Contessini vom 27. Juni 1987 keine Berücksichtigung französischer Kulturgüterschutzvorschriften vor italienischen Foren und in der Entscheidung Duc de Frias v. Baron Pichon vom 17. April 1887 keine Anwendung spanischer Kulturgüterschutzvorschriften vor französischen Zivilforen. In dieser Strenge gelten das völkerrechtliche Territorialitätsprinzip und die kollisionsrechtliche Machttheorie heute innerhalb des überwiegenden Schrifttums jedoch allgemein als überwunden. Mittlerweile ist es herrschende Meinung, dass es keinen Grundsatz der generellen Nichtanwendbarkeit ausländischen öffentlichen Rechts gibt, und es wird meist allein eine Antwort auf die Frage gesucht, unter welchen Voraussetzungen und in welchen Grenzen ausländisches öffentliches Recht vor nationalen Zivilforen zu beachten ist. Diese Entwicklung hat auch die sog. Schuldstatutstheorie aufgegriffen und beruft gleichzeitig mit dem Vertragsstatut auch die Eingriffsnormen dieser Rechtsordnung zur Anwendung, soweit diese nicht dem deutschen ordre public entgegenstehen. Überträgt man den Ansatz der Schuldstatutstheorie in das Internationale Kulturgüterprivatrecht, so hat die hier sog. Einheitsanknüpfung zur Folge, dass für die dingliche Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter auch die zwingenden Kulturgüterund Denkmalschutzvorschriften der nach den Rechtswahlgrundsätzen berufenen lex causae unmittelbare und direkte Anwendung erfahren. Für eine Anwendung nationaler Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften der lex causae genügt somit, dass die Eingriffsordnung durch die einschlägige Kollisionsnorm gleichzeitig mitberufen wird.
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Diese Theorie reicht jedoch im Internationalen Kulturgüterprivatrecht nicht weit genug und bleibt auf „halbem Wege stehen“, denn zwingende drittstaatliche Eingriffsnormen nationaler Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften sind als solche generell unbeachtlich. Damit wird die schematische Anwendung allein der Eingriffsnormen der lex causae der heutigen Globalisierung und Liberalisierung des internationalen Kulturgüterverkehrs nicht mehr gerecht. Insbesondere wird gegen die generelle Nichtanwendbarkeit drittstaatlicher Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze vorgebracht, dass eine extraterritoriale Anwendung solcher öffentlich-rechtlicher Eingriffsnormen in besonderem Maße zur Bekämpfung des kulturellen Schwarzmarktes und des Kunstschmuggels – durchaus auch im Interesse kultureller Importstaaten – zur Lauterkeit des nationalen (deutschen) Kunsthandels geboten ist. Diese Aufgabe kann der kulturelle Ursprungsstaat in der Regel mit den eigenen Mitteln nicht allein durchsetzen und ist somit auf die internationale Rechtsgemeinschaft und die kulturellen Importstaaten angewiesen.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
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Der dritte Meinungsstrang fordert für ausländische Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften eine Sonderanknüpfung und gelangt so zu einer unmittelbaren und direkten Anwendung ausländischer Schutzmechanismen als Eingriffsnormen. Die Sonderanknüpfungstheorie geht im Internationalen Kulturgüterprivatrecht davon aus, dass Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften, die überwiegend unverzichtbare kulturpolitische Gemeininteressen verfolgen, auch wenn sie an Privatpersonen adressiert sind, nicht von den gleichen Kollisionsnormen auf Grund der gleichen Anknüpfungskriterien berufen werden können, wie dies bei der Veräußerung kultureller Güter im Grundsatz die lex rei sitae übernimmt. Folge dieser Erkenntnis ist die von Kropholler beschriebene „Zweipoligkeit“2854 bzw. die von Sonnenberger sog. „Zweigleisigkeit“2855 des Kollisionsrechts, das einmal die lex causae und zum anderen die Anwendung ausländischer Eingriffsnormen bestimmt – unabhängig davon, ob diese der lex causae (so aber nur die Einheitsanknüpfung) oder der Rechtsordnung eines Drittstaates angehören. Die Sonderanknüpfungstheorie bedeutet somit, dass eine Rechtsordnung oder ein besonderer Rechtssatz angewandt wird, ohne dass die allgemeine Kollisionsnorm darauf verweist.
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Da jedoch kein Forumstaat im Grundsatz Anlass dazu hat, ausländische Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften anzuwenden und fremde kulturpolitische Gemeininteressen eines anderen Staates wahrzunehmen, hat jeder Forumstaat selbst die besonderen Anknüpfungspunkte zu formulieren, die zur Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze als kulturpolitische Eingriffsnormen des öffentlichen Rechts im eigenen Interesse des Forumstaates führen. Jeder Staat hat somit auf Grund inländischer Gemeininteressen und seiner eigenen Zielsetzungen selbst die Anwendung dieser ausländischen Eingriffsnormen zu bestimmen, sodass bei einer Übertragung dieser Theorie ins Internationale Kulturgüterprivatrecht neben dem allgemeinen Kollisionsrecht autonome Anwendungsregeln für ausländische Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze bestehen. Es bedarf damit eines eigenständigen kollisionsrechtlichen Verweisungsbefehls, der ausländische Kulturgüterschutzvorschriften zugunsten besonderer öffentlicher Interessen losgelöst von demjenigen des internationalen Privatrechts zur Anwendung beruft. Dann ist das eigene Inlandsinteresse ausreichender Legitimationsgrund und gleichzeitig „inländischer Anwendungsbefehl“ für die Berücksichtigung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze vor nationalen Zivilforen. In Anlehnung an das allgemeine Schrifttum kann dann plastisch von einer „Nostrifizierung“2856 der ausländischen Kulturgüterschutzvorschriften gesprochen werden. 2854
2855
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Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 482–484. Sonnenberger in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR, Rdnr. 40. Zu diesem Begriff voranstehend Kreuzer.
§ 17 Ergebnis: ,Anwendung‘ ausländischer Kulturgüterschutzvorschriften
1145
Als inländischer Legitimationsgrund für die Anwendung ausländischer Eingriffsnormen erkennt das Schrifttum so bspw. allgemein ein Interesse zur internationalen Kooperation, Gegenseitigkeitserwartungen und den Vollzug internationaler Zielsetzungen, die sich der inländische Staat zu eigen gemacht hat. Ausländische Kulturgüterschutzvorschriften müssen für ihre extraterritoriale Anwendung in Deutschland somit deutsche Interessen fördern und die Anwendung muss eine dem Sinn deutscher Politik dienliche internationale Koordination unterstützen.
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Diese Vorgaben sind innerhalb des internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts erfüllt: Da nahezu jeder Staat mehr oder weniger weitreichend ‚seinen‘ Bestand national wertvoller Kulturgüter für zukünftige Generationen zu erhalten und bewahren sucht, besteht zwischen den Staaten (und somit auch aus Sicht der Bundesrepublik) ein starkes Interesse an internationaler Kooperation in Fragen des Kulturgüterschutzes. Die Gegenseitigkeitserwartungen der kulturellen Ursprungsstaaten in der jeweiligen Anwendung ihrer kulturpolitischen Eingriffsnormen sind insbesondere auch deshalb erfüllt, weil kulturelle Ursprungsstaaten alleine regelmäßig keine hinreichenden Grenzkontrollen zur Verhinderung einer unrechtmäßigen Ausfuhr aus tatsächlichen Gründen bewerkstelligen können und so in ihrem Schutzauftrag auf die internationale Unterstützung angewiesen sind. Dabei handelt es sich bei dem Bemühen, den illegalen Kunsthandel zu bekämpfen, um ein Interesse, welches von allen Staaten und somit auch von der Bundesrepublik Deutschland geteilt wird. Die Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften bezweckt außerdem den Vollzug internationaler Zielsetzungen im Kulturgüterschutzrecht, wie sie beispielhaft in der UNESCO-Convention vom 14. November 1970, der UNIDROITConvention vom 24. Juni 1995 und der Richtlinie 93/7/EWG vom 15. März 1993 welt- bzw. europaweit zum Ausdruck kommen und von der deutschen Rechtsordnung nach Umsetzung der Richtlinie und Ratifikation und Umsetzung der UNESCO-Convention zu eigen gemacht wurden. Insgesamt kann somit von einem hinreichenden inländischen Legitimationsgrund für die Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze auch vor deutschen Zivilforen ausgegangen werden.
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Ein eigenes Interesse des Forumstaates (Deutschland) an der Anwendung ausländischer Kulturgüterschutzvorschriften wird über bisher Gesagten hinaus jedoch nur dann bestehen, wenn keine vorrangigen inländischen Schutzzwecke entgegenstehen. Dabei kommt allein eine unausgewogene Beschränkung des internationalen Kulturgüterverkehrs, der Interessen des Kunsthandels und damit des inländischen sachenrechtlichen Verkehrsschutzes in Betracht. Im Rahmen einer Abwägung musste also untersucht werden, ob die Besonderheiten des grenzüberschreitenden Kulturgüterverkehrs, die Gefahranfälligkeit des internationalen Kunsthandels und dessen Tendenz zu illegalen Veräußerungsgeschäften sowie nicht zuletzt die besondere Sachqualität der kulturellen Wertgegenstände ein Abweichen von dem bislang in Rechtsprechung und Schrifttum herrschenden
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Dogma der Nichtanwendbarkeit ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften gestatten. Hier gelten dieselben Abwägungsgründe, die bereits innerhalb der Frage der Abweichung von der traditionellen lex rei sitae über Art. 46 EGBGB mittels des lex originis-Grundsatzes ins Feld geführt wurden. 1128
Hier wie dort wird im Ergebnis festzustellen sein, dass keine vorrangigen Verkehrsschutzgesichtspunkte des internationalen Kunsthandels und der freien Transferierbarkeit kultureller Wertgegenstände einer Sonderanknüpfung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften entgegenstehen. An erster Stelle war auch hier auf die besondere, gegenüber sonstigen Konsumgütern deutlich gesteigerte Gefahranfälligkeit kultureller Wertgegenstände zu verweisen, als Objekte des kulturellen Schwarzmarktes gehandelt zu werden. Der Kunsthandel stellt einen besonders gefahranfälligen Geschäftsbereich dar, der sich vom sonstigen Rechtsverkehr mit gewöhnlichen Konsumgütern fühlbar unterscheidet. Dadurch muss der Vertrauensschutz der Erwerber bei Kulturgütern zu einem hinnehmbaren Maß hinter das Bestandsinteresse der Eigentümer unrechtmäßig entzogener Kulturgüter auch innerhalb der Anwendung der lex causae grundsätzlich zurücktreten. Deshalb ist es unumgänglich, die Bedürfnisse des Kunsthandels, der Rechtssicherheit und Verkehrsfähigkeit kultureller Güter zu einem Mindestmaß durch die Anwendung zwingender kulturpolitischer Eingriffsnormen kultureller Ursprungsstaaten auch vor fremden Zivilforen einzuschränken. Außerdem ist zu bezweifeln, ob für den (inter-)nationalen Kunsthandel überhaupt eine spürbare Beeinträchtigung zu besorgen ist, da sowohl auf nationaler als auch internationaler Ebene zahlreiche Rechtsordnungen und Regelwerke eine Beeinträchtigung der Verkehrsinteressen ohnehin hinnehmen und bspw. einen Gutglaubenserwerb ablehnen. Darüber hinaus rechtfertigt die besondere, gegenüber sonstigen Konsumgütern deutlich unterscheidbare Unikatfunktion kultureller Wertgegenstände eine extraterritoriale Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze. Die direkte und unmittelbare Berücksichtigung kulturpolitisch zwingender Eingriffsnormen kultureller Ursprungsstaaten ist innerhalb des (inter-)nationalen Kulturgüterverkehrs als Handel mit nicht wiederherstellbaren Unikaten aufgrund der besonderen soziokulturellen Bedeutung des künstlerischen Handelsgegenstandes auch innerhalb der deutschen Gesetzessystematik als notwendige und zulässige Präzisierung des kollisionsrechtlichen Rechtswahlprozesses zu qualifizieren. Es ist falsch, wenn das Zivilrecht und das Internationale Kulturgüterprivatrecht Kunstwerke – mögen sie noch so schön und teuer sein – im Grundsatz noch immer als normale, wiederherstellbare Sachen behandeln. Die besondere rechtliche Behandlung kultureller Güter als res sui generis aufgrund ihrer außergewöhnlichen, kulturpolitischen Bedeutung aus geschichtlichen, wissenschaftlichen, erzieherischen, ästhetischen oder sonstigen kulturellen Gründen muss sich in den Rechtswahlprozess und das Internationale Kulturgüterprivatrecht verlängern und zu einer Revision des bisher geltenden Rechtsempfindens führen.
§ 17 Ergebnis: ,Anwendung‘ ausländischer Kulturgüterschutzvorschriften
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Erkennt man die spezielle Sachqualität kultureller Wertgegenstände und deren Funktion als Verkörperung nationaler kultureller Identität an, gestatten die Besonderheiten des grenzüberschreitenden Kulturgüterverkehrs sowie die Gefahranfälligkeit des internationalen Kunsthandels und dessen Tendenz zu illegalen Veräußerungsgeschäften ein Abweichen von dem bislang in Rechtsprechung und Schrifttum herrschenden Dogma der Nichtanwendbarkeit ausländischer Kulturgüterschutzvorschriften. Dabei verbinden sich die Interessen des Kulturgüterschutzes mit denen der (ursprünglichen) Eigentümer kultureller Wertgegenstände und können so gemeinsam zu einer Einschränkung der Verkehrsinteressen durch eine unmittelbare und direkte Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften führen. Dabei werden regelmäßig auch die weiteren Voraussetzungen vorliegen, die das Schrifttum für eine Anwendung ausländischer Eingriffsnormen außerhalb der lex fori bzw. der lex causae verlangt:
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Einmündig wird in der Wissenschaft zur Eingrenzung des Anwendungsbereichs fremder Eingriffsnormen das im internationalen Privatrecht zentrale Kriterium der engen Verbindung zum Sachverhalt gefordert. Zumindest für den Bereich des Internationalen Kulturgüterprivatrechts kann heute eine recht treffende Bestimmung einer Nähebeziehung zwischen einer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschrift einerseits und der Frage der dinglichen Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter andererseits vorgenommen werden. Hierfür kann auf die Ausführungen zur lex originis und die Bestimmung des kulturellen Ursprungsstaates verwiesen werden.2857 Danach sind die Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften des Belegenheitsortes aufgrund der räumlichen Verbindung zwischen Objekt und Sachrechtsvorschrift zunächst prima facie Ausdruck der geforderten Nähebeziehung. In einem zweiten Schritt ist dann eine Kontrolle dieser vermuteten Sachnähe durch eine wertende Abwägungsentscheidung der rechtlichen ebenso wie kulturellen Beziehungen eines Kulturguts zu ausländischen Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften vorzunehmen.
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Außerdem konnte in den voranstehenden Untersuchungen nachgewiesen werden, dass die ausländischen Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften auch nach ihrem eigenen Geltungswillen international anwendbar sind. Dies wird hinsichtlich kultureller Ausfuhr-, Verbringungs- und Veräußerungsbeschränkungen im Schrifttum weitgehend unumstritten bejaht – dies liege „bei einer Exportgesetzgebung für Kulturgut in der Natur der Sache.“2858 Richtigerweise konnte inzwischen unter Verweis auf Sinn und Zweck der Extrakommerzialität kultu-
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2857 2858
Vgl. 3, 670 ff. Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 196–197; Jaeger, Internationaler Kulturgüterschutz – Rechtslage, Rechtspraxis, Rechtsfortentwicklung, 1994, S. 101. A.A. aber Byrne-Sutton, Le trafic international des biens vulturels sous l’angle de leur revendication par l’Etat d’origine – Aspects de droit international privé, 1988, S. 162 f., der verlangt, dass der extraterritoriale Anwendungswille ausdrücklich im Gesetz normiert ist.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
reller Wertgegenstände nachgewiesen werden, dass auch die Anordnung der Verkehrsunfähigkeit national wertvoller Objekte dem Erhalt und der Bewahrung für die Öffentlichkeit des jeweiligen Staates dient, dieser Schutzzweck aber um so mehr gefährdet ist, wenn die Sache aus dem Land ausgeführt wird. 1132
Schließlich wird bei der Sonderanknüpfung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze auf die Gefahr hingewiesen, dass Staaten mit liberalen und maßvollen Exportregelungen, wie etwa die Bundesrepublik Deutschland, ohne Kontrollmöglichkeit auch die exzessiven Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften solcher Staaten anwenden müssten, die besonders extensive Bestimmungen anordnen und möglicherweise sogar alle Objekte unter Schutz stellen, ohne dass diese eine besonders wertvolle Bedeutung für den Erhalt und die Bewahrung des nationalen, identitätsstiftenden Kulturpatrimoniums für die jeweilige Bevölkerung und Gesellschaft besitzen. Rechtfertigung findet die extraterritoriale Anwendung ausländischer Kulturgüterschutzvorschriften somit nur für besonders bedeutsame Kulturgüter. Nach einer Ansicht kann einer übermäßigen Bevorzugung des die Restitution unrechtmäßig entzogener Kulturgüter beanspruchenden Staates im Einzelfall mittels des nationalen ordre public-Vorbehalts begegnet werden. Überzeugender ist hier jedoch die Gegenansicht, die keinen Rückgriff auf Art. 6 EGBGB und den nationalen ordre public-Vorbehalt benötigt und davon ausgeht, dass bei exorbitanten Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften aufgrund einer zu weitreichenden und übergebührlichen Beschränkung der Verkehrsinteressen des internationalen Kunsthandels schon kein interner Anwendungswille und kein eigenes Interesse des Forumstaates an der Anwendung ausländischer Eingriffsnormen öffentlichen Rechts bestehen. Da der kollisionsrechtliche Grund für eine Sonderanknüpfung ausländischer Eingriffsnormen nach überzeugender Ansicht nicht im Willen und Machtanspruch des ausländischen Gesetzgebers liegt, sondern das Inlandsinteresse des Forumstaates bekanntlich als zwingend notwendiger „Legitimationsgrund“ für die Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze gesehen wird, können solche Vorschriften schon dann abgewiesen werden, wenn ihnen aus Sicht der lex fori keine berechtigten Erwägungen zugrunde liegen. Der gefürchtete „Freibrief“ oder „blank check“ bei der extraterritorialen Anwendung ausländischer exorbitanter Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze bleibt somit aus.
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Nach den voranstehenden Ausführungen ist als Ergebnis des Untersuchungspunktes III. festzuhalten, dass auch innerhalb des deutschen internationalen Privatrechts eine extraterritoriale Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften als Eingriffsnormen rechtstheoretisch möglich ist – schon innerhalb der Bahnen des geltenden Kollisionsrechts, ohne dass hierfür ein Eingreifen des Gesetzgebers notwendig wäre!
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Dies würde dazu führen, dass die Rechtsfolge – soweit möglich – direkt und unmittelbar den ausländischen Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetzen zu ent-
§ 17 Ergebnis: ,Anwendung‘ ausländischer Kulturgüterschutzvorschriften
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nehmen ist, ohne dass es grundsätzlich eines Rückgriffs auf nationale Regelungen bedarf. Bestimmen die ausländischen Kulturgüterschutzvorschriften so bspw. die Nichtigkeit eines Kulturguttransfers, der auf eine unrechtmäßige Verbringung, Veräußerung oder Ausfuhr gerichtet ist, so kann das Gericht des Forumstaates die Nichtigkeit unmittelbar aus den direkt anwendbaren ausländischen Kulturgüterschutzvorschriften entnehmen. Ordnen die ausländischen Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften die Extrakommerzialität des nationalen Kulturpatrimoniums an, sind weitere Veräußerungen – unabhängig davon, ob sie innerhalb oder außerhalb des kulturellen Ursprungsstaates erfolgen, d.h. sowohl bei einem schlichten als auch qualifizierten Statutenwechsel – unmittelbar und direkt aufgrund der Verkehrsunfähigkeit der Objekte nichtig, das Eigentum kann nicht ersessen werden und der Herausgabeanspruch des Eigentümers ist unverjähr- und unverwirkbar. Nur wenn die kulturpolitischen Eingriffsnormen keine präzise Rechtsfolge vorsehen, muss grds. die lex causae oder, wenn auch diese keine Rechtsfolgenanordnung festlegt, die lex fori die Rechtsfolgen eines Verstoßes bestimmen. Die Betonung des voranstehenden Erkenntnissatzes hat jedoch bislang (leider) auf dem Wort „theoretisch“ zu liegen. Gleichwohl des besonderen Nutzens im internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht ist nämlich bei der Frage nach der unmittelbaren Anwendung ausländischer Kulturgüterschutzvorschriften aufgrund ihrer Qualifikation als Eingriffsnormen stets zu beachten, dass bislang noch kein deutsches Forum ein vergleichbares Urteil ausgesprochen hat. Zudem wird eine Sonderanknüpfung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze im Schrifttum teilweise auch sehr zurückhaltend beurteilt2859, da sie als „ungewöhnlich“ erscheint („le rattachement spécial n’est pas une réalité dans le domaine des droits réels“ 2860) und den Bedürfnissen des internationalen Kulturgüterverkehrs nach Klarheit in den sachenrechtlichen Verhältnissen insgesamt abträglich sei.2861 Aus diesem Grund gilt erneut, dass die Untersu2859
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2861
Skeptisch Carducci, La restitution internationale des biens culturels et des objets d’art, 1997, S. 337; Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 212; ablehnend Byrne-Sutton, Le trafic international des biens vulturels sous l’angle de leur revendication par l’Etat d’origine – Aspects de droit international privé, 1988, S. 158 ff.; Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 130 f.; Berndt, Internationaler Kulturgüterschutz: Abwanderungsschutz, Regelungen im innerstaatlichen Recht, im Europa- und Völkerrecht, 1998, S. 123 ff. Byrne-Sutton, Le trafic international des biens vulturels sous l’angle de leur revendication par l’Etat d’origine – Aspects de droit international privé, 1988, S. 164. Byrne-Sutton, Le trafic international des biens vulturels sous l’angle de leur revendication par l’Etat d’origine – Aspects de droit international privé, 1988, S. 159 f.; Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes, 1994, S. 173; Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – International-
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
chungen zum Internationalen Kulturgüterprivatrecht an dieser Stelle noch nicht stoppen dürfen, um dem Rechtsanwender ebenso wie bspw. einem deutschen Richter, der in der Zukunft eine vergleichbare Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsstreitigkeit zu entscheiden hat, weitere Alternativen im Rechtswahlverfahren aufzuzeigen. Finden die spezifischen Vorschriften zur Bewahrung und Erhaltung des nationalen Kulturpatrimoniums ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze weder über eine alternative Rechtswahl nach den Grundsätzen der lex originis noch über die Forderung nach einer unmittelbaren und direkten kollisionsrechtlichen Anwendung als Eingriffsnormen rechtliches Gehör, sollte zumindest vor einem nationalen Zivilforum versucht werden, eine materiell-rechtliche Berücksichtigung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften im internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht zu erreichen. Inwieweit dies möglich ist, ist Untersuchungsgegenstand der nachstehenden Ausführungen in Punkt IV.
IV. Materiell-rechtliche ‚Berücksichtigung‘ ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften 1136
Anders als die herrschende Theorie der Sonderanknüpfung folgt die deutsche Rechtsprechung bei der extraterritorialen Berücksichtigung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften innerhalb des deutschen Kulturgüterprivatrechts jedoch keiner kollisionsrechtlichen Lösung, sondern einer (nur) mittelbaren und indirekten Anwendung mittels einer sog. materiell-rechtlichen Berücksichtigung.2862 Eine Möglichkeit, den Besonderheiten des Handels mit Kultur-
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privatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 130; Lagarde, Le commerce de l’art en droit international privé francais, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 389–408, S. 405 f. Zum Ganzen auch Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 127–139. Zum unterschiedlichen Charakter dieser „Berücksichtigung“ Zimmer, Ausländisches Wirtschaftsrecht vor deutschen Zivilgerichten – Zur Unterscheidung zwischen einer normativen Berücksichtigung fremder zwingender Normen und einer bloßen Beachtung ihrer tatsächlichen Folgen, IPRax, 1993, S. 65–69. Ausdrücklich aus der Sicht des Kulturgüterschutzrechts Sandrock, Foreign Laws Regulating the Export of Cultural Property: The Respect Due to them by the Judge of the Lex Fori, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 457–482; Prott, Problems of Private International Law for the Protection of the Cultural Heritage, in: Recueil des Cours – Collected Courses of the Hague Academy of International Law, 1989-V (Tome 217), 1990, S. 223–316, insb. S. 291 ff.; Spinellis, Das Vertrags- und Sachenrecht des internationalen Kunsthandels, 2001, S. 433–530; Hanisch, Aspects juridiques du commerce international de l’art en République Fédérale d’Allemagne, in: Lalive, International Sales of Works of Art – La vente internationale d’œuvres d’art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, S. 157–193, insb. S. 163 ff.; Ziegler, Russische Kapitalverkehrs- und Kulturgüterschutzbestimmungen im deutschen Internationalen Privatrecht, 2006, S. 271 ff.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
1151
gütern ohne Schaffung besonderer Kollisions- oder Sachnormen Rechnung zu tragen, ist somit der Versuch, die Interessen des Kulturgüterschutzes bei der Auslegung des materiellen Rechts zu berücksichtigen.2863 Da fremdes öffentliches Recht, dem auch die ausländischen Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften vielfach angehören, nach Ansicht der deutschen Rechtsprechung entsprechend dem Territorialitätsprinzip und dem völkerrechtlichen Souveränitätsgrundsatz vor deutschen Gerichten nicht unmittelbar angewendet werden darf (da dieses grundsätzlich nur im Territorium des Erlassstaates Geltung erlangt)2864, berücksichtigte die Rechtsprechung ausländische Eingriffsnormen in zahlreichen Gerichtsentscheidungen materiell-rechtlich als zivilrechtliche Reflexwirkungen bei Anwendung der lex causae. Auch im internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht lässt sich deshalb fragen, inwieweit ausländischen Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften als kulturpolitische Eingriffsnormen des kulturellen Ursprungsstaates eine solche indirekte und mittelbare Geltungskraft zukommt. Als Instrumente zur Inkorporation ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften dienen die allgemeinen zivilrechtlichen Generalklauseln der lex causae. Nach der Rechtsprechung, die fremde Eingriffsnormen innerhalb eines deutschen Vertragsstatuts nur materiell-rechtlich berücksichtigt,2865 müssen sich auch die Rechtsfolgen ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften konsequenterweise aus der lex causae ergeben.2866 Im deutschen Rechtskreis ist dabei vor allem
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Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 132–133. BGH, Urteil des 7. Zivilsenats vom 17.12.1959, Az.: VII ZR 198/58, BGHZ 31, S. 367–373, S. 371, wenn auch gewisse Ausnahmemöglichkeiten andeutend (Zur Bedeutung eines fremdstaatlichen Abtretungsverbots: Durch die in § 8 des sowjetzonalen Gesetzes vom 1950-12-15 enthaltene Verfügungsbeschränkung ist der in der Bundesrepublik wohnende Zessionar einer in der sowjetischen Besatzungszone begründeten Forderung nicht gehindert, diese gegen den in der Bundesrepublik wohnhaften Schuldner einzuklagen.); BGH, sog. August Vierzehn-Entscheidung des 1. Zivilsenats vom 16.04.1975, Az.: I ZR 40/73, BGHZ 64, S. 183–193. Kritisch: Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. § 52 IX. Vgl. hierzu auch Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 482–484. Vgl. den Gedanken in Anlehnung an BGH, Urteil des 8. Zivilsenats vom 21.12.1960, Az.: VIII ZR 1/60, BGHZ 34, S. 169–178 (Ein Kaufvertrag deutscher Kaufleute, der die Umgehung amerikanischer Embargo-Bestimmungen durch vereinbarte Täuschung amerikanischer Dienststellen zum Inhalt hat, kann wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nichtig sein.); BGH, Urteil des 2. Zivilsenats vom 24.05.1962, Az.: II ZR 199/60, NJW 1962, S. 1436–1438 (Seetransportversicherungsvertrag: Nichtigkeit: Der Seetransportversicherungsvertrag über eine Beförderung, bei der strategisch wichtige Güter aus den USA unter Verstoß gegen die dort geltenden Embargobestimmungen ausgeführt werden sollen, ist bei Kenntnis beider Parteien nach BGB § 138 Abs. 1 nichtig, bei fehlender Kenntnis des Versicherers mangels versicherbaren Interesses unwirksam.); BGH, Nigeria-Entscheidung
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
an die Nichtigkeit solcher Rechtsgeschäfte zu denken, die gegen ein gesetzliches Verbot i.S.d. § 134 BGB (vgl. ausführlich hierzu unter Punkt 1.) bzw. gegen die guten Sitten i.S.d. § 138 BGB (vgl. ausführlich hierzu unter Punkt 2.) verstoßen. Abschließend ist die Möglichkeit der Berücksichtigung ausländischer Kulturgüterschutzbestimmungen bei Auslegung der Gutgläubigkeit i.S.d. § 932 BGB und des ‚Abhandenkommens‘ i.S.d. § 935 BGB zu prüfen (vgl. ausführlich hierzu unter Punkt 3.). 1138
Überwiegend hatte die Rechtsprechung bislang Fälle zu entscheiden, in denen deutsches Recht als lex causae anwendbar war und es um die Berücksichtigung drittstaatlicher Eingriffsnormen ging. Soweit ersichtlich, wurde bislang noch nicht entschieden, inwieweit drittstaatliche Eingriffsnormen bei ausländischer lex causae zu berücksichtigen sind.2867 Dementsprechend ist bislang ungeklärt, ob die Gerichte einer materiell-rechtlichen Lösung auch dann folgen würden, wenn ausländisches Recht als Vertrags- oder Sachstatut berufen ist.2868 Ähnlich zu den genannten deutschen Generalklauseln finden sich in nahezu sämtlichen Privatrechtsordnungen vergleichbare Rechtsgrundsätze und Zivilrechtsinstitutionen, sodass in der mittelbaren und indirekten Berücksichtigung ausländischer öffentlich-rechtlicher Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften auch ein grundlegendes Konzept zur Bekämpfung des illegalen Kunsthandels gesehen werden kann, das der nachstehenden näheren Kommentierung bedarf.2869
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Kulturgüterschutzgesetzwidrige Veräußerung als Gesetzwidrigkeitsverdikt
Bei der materiell-rechtlichen Berücksichtigung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften ist zunächst daran zu denken, den Vorschriften ein gesetzliches Verbot zu entnehmen,2870 sodass bspw. bei Geltung des deutschen Rechts als Sachenrechtsstatut die Ausfuhrverbote des Heimat- und Schutzstaats des Kulturguts im Rahmen des § 134 BGB anzuwenden und Verfügungen über das Kulturgut – unter den Voraussetzungen des § 134 BGB – nichtig wären.2871
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des 2. Zivilsenats vom 22.06.1972, Az.: II ZR 113/70, BGHZ 59, S. 82–87, NJW 1972, S. 1575 ff. – Rechtsfolge jeweils nach deutschem Vertragsstatut. Vgl. die entsprechenden Erwägungen zum Schuldvertragsstatut bei Magnus, Ulrich in Magnus, Ulrich, J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen – Art. 34 EGBGB, Rdnr. 110–145. Vgl. Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 482–484. Vgl. aus Sicht Österreichs Spaun, Der Herausgabeanspruch bei Diebstahl oder illegalem Export von Kulturgütern, 2003, S. 145–150. Vgl. zum Beispiel auch Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 175–177. Vgl. Sandrock, Foreign Laws Regulating the Export of Cultural Property: The Respect Due to them by the Judge of the Lex Fori, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 457–482; Hanisch, Aspects juridiques du
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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Funktion des § 134 BGB ist allgemein die Bewahrung der Rechtsordnung vor inneren Widersprüchen: Dieser Gedanke könnte auch im internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht gelten, denn wenn ein Kulturguttransfer durch die nationalen Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften gesetzlich verboten ist, darf nicht durch Rechtsgeschäft dem Gehalt der Verbotsnorm widersprochen werden. D.h., wenn ein Kulturguttransfer zugleich gesetzlich verboten wäre und mittels eines kulturellen Veräußerungsgeschäfts Wirksamkeit erlangen könnte, würde ein unerträglicher Selbstwiderspruch der Rechtsordnung eintreten. International widerspräche dies zugleich auch der Forderung nach internationalem Entscheidungseinklang.
a)
Berücksichtigung ausländischer Kulturgüterund Denkmalschutzvorschriften über § 134 BGB im Schrifttum
Im allgemeinen rechtsgeschäftlichen Bereich wird heute im Schrifttum2872 zunehmend eine materiell-rechtliche Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen, die die Nichtigkeit eines Geschäfts anordnen, i.V.m. § 134 BGB bei deutscher lex causae bejaht, vorausgesetzt selbstverständlich, die Eingriffsnorm ist in Deutschland zur Anwendung berufen. Dabei kann sich die Literaturansicht 2873 auf eine Entscheidung des deutschen Reichsgerichts aus dem Jahre 1916 2874 berufen, wonach bei einem Verstoß gegen § 134 BGB im Einzelfall zu prüfen sei, welche Bedeutung nach der deutschen Rechtsordnung dem fremden Verbot zu-
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commerce international de l’art en République Fédérale d’Allemagne, in: Lalive, International Sales of Works of Art – La vente internationale d’œuvres d’art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, S. 157–193, insb. S. 163 ff.; Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff., S. 3584; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 298; Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 191–197. Vgl. Schurig, Zwingendes Recht, „Eingriffsnormen“ und neues IPR, RabelsZ 54 (1990), S. 217–250, S. 240; Zimmer, Ausländisches Wirtschaftsrecht vor deutschen Zivilgerichten – Zur Unterscheidung zwischen einer normativen Berücksichtigung fremder zwingender Normen und einer bloßen Beachtung ihrer tatsächlichen Folgen, IPRax, 1993, S. 65–69; Metschkoll, Eingriffe in Aussenhandelsverträge – die privatrechtliche Bedeutung außenwirtschaftlicher Maßnahmen im Warenverkehr, 1992, S. 312 ff.; Sonnenberger in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR, Rdnr. 65. Im Ergebnis wohl auch Spindler, RabelsZ 66 (2002), S. 661 ff. Verneinend Mankowski, Zur Frage der Anwendung oder Auswirkung drittstaatlicher Eingriffsnormen im internationalen Vertragsrecht, RIW 1994, S. 688–692. Die Rspr. lehnt bislang jedoch die Anwendung des § 134 BGB ab. Vgl. hierzu auch Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 191–197. RG, Urteil vom 22.12.1916, II 265/16, LZ 1917, S. 387; vgl. auch RG, Urteil vom 16.4.1912, II 39/12, WarnRspr 1912, S. 276 („nicht unbedingt“); ähnlich auch noch RG, Urteil vom 17.6.1939, II 19/39, RGZ 161, S. 296 ff., S. 299.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
komme.2875 Überträgt man diese Grundsätze auf Veräußerungsgeschäfte im internationalen Kulturgüterverkehr, muss Folgendes gelten:2876 Gelangt ein deutsches Gericht zur Anwendbarkeit einer ausländischen lex causae, so entscheidet grundsätzlich diese über die Folgen des Verstoßes gegen ausländische Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften, ohne dass die deutsche Vorschrift des § 134 BGB anwendbar ist.2877 Gelangt der Rechtswahlprozess dagegen zur Anwendbarkeit deutschen Sachrechts, läge es nahe, dass – entsprechend den Vorstellungen des deutschen Schrifttums zum internationalen Schuldvertragsrecht – § 134 BGB bei einem Verstoß gegen ausländische Verbotsgesetze anwendbar sei und kulturelle Veräußerungsgeschäfte entgegen ausländischen Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften nichtig seien und ohne Rechtswirkungen blieben. 1141
Die Verletzung einer ausländischen Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschrift kann jedoch nur dann zur Nichtigkeit eines sachenrechtlichen Rechtsgeschäfts führen, wenn diese als Verbotsgesetz im Sinne des § 134 BGB zu qualifizieren ist.2878 Verbotsgesetze im Sinne des § 134 BGB sind Gesetze im formellen Sinn, Rechtsverordnungen oder Gewohnheitsrecht, aber auch Landesrecht, (d.h. Rechtsnormen i.S.d. Art. 2 EGBGB), die eine nach unserer Rechtsordnung grundsätzlich mögliche rechtsgeschäftliche Regelung wegen ihres Inhalts oder der Umstände ihres Zustandekommens untersagen.2879 Das Verbot muss sich gegen die Vornahme des Rechtsgeschäfts richten2880 und insbesondere über eine bloße Ordnungsvorschrift hinausgehen.2881 2875
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Hier wurde § 138 BGB noch nicht geprüft; vgl. auch BGH, Urteil des 8. Zivilsenats vom 21.12.1960, Az.: VIII ZR 1/60, BGHZ 34, S. 169–178, S. 178, das die Frage einer Anwendbarkeit des § 134 BGB in Verbindung mit einem ausländischen Verbotsgesetz noch offen ließ. Vgl. hierzu und zum Folgenden Sack, Rolf, in J von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, Buch 1, Allgemeiner Teil, §§ 134–163 (Allgemeiner Teil 4), 2003, § 134 Rdnr. 47–53, S. 23–24. So BGH, Urteil des 8. Zivilsenats vom 17.02.1971, Az.: VIII ZR 84/69, BGHZ 55, S. 334–339, S. 339 betr. französische Devisenbestimmungen; BGH, Nigeria-Entscheidung des 2. Zivilsenats vom 22.06.1972, Az.: II ZR 113/70, BGHZ 59, S. 82–87, NJW 1972, S. 1575 ff. (Ausfuhr von Masken entgegen einem nigerianischen Ausfuhrverbot für bestimmte Kulturgüter). Vgl. Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 191–197. Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Urteil des 11. Zivilsenats vom 11.12.1992, Az.: 11 U 154/92, NJW 93, S. 1335–1336. BGH, Urteil des 8. Zivilsenats vom 08.06.1983, Az.: VIII ZR 77/82, NJW 83, S. 2873–2874 (Keine Nichtigkeit eines Kaufvertrages wegen Verstoß gegen deutsche Einfuhrvorschriften, wenn Einfuhr als solche nicht Gegenstand der Vertragsleistung ist: Ein zwischen einem inländischen Verkäufer und einem inländischen Käufer abgeschlossener Kaufvertrag, den der Verkäufer nur nach Beschaffung der Ware aus dem Ausland unter Verletzung von Einfuhrvorschriften des Außenwirtschaftsgesetzes erfüllen könnte, ist nicht wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot nichtig, wenn die Einfuhr nicht Gegenstand oder Bestandteil der Vertragsleistung ist.). Siehe nur BGH, Urteil des 8. Zivilsenats vom 27.09.1989, Az.: VIII ZR 57/89, BGHZ 108,
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
Wiese stellt Letzteres in Frage, wenn bspw. ein Anspruch auf Erteilung einer Ausfuhrgenehmigung eines Kulturguts zwar materiell vorliegt, das Kulturgut jedoch nur unter einem formellen Verstoß gegen die Exportbestimmungen aus dem Schutzstaat verbracht wird. „Missbilligt das ausländische Recht die Art und Weise des Verbringens, nicht jedoch den Inhalt des Rechtsgeschäfts selbst, so liegt eine reine Ordnungsvorschrift vor.“2882 Selbst wenn allgemein anerkannt sei, dass „kulturelle Ausfuhrverbote vor allem dem Schutzstaat die physische Präsenz des Kulturguts im Inland vorbehalten wollen“2883, sei es „ebenfalls nicht selbstverständlich, dass Erwerbsgeschäfte und dingliche Rechtsänderungen am Objekt im Ausland rechtlich missbilligt werden“2884. Trotz dieser Idee eines privatrechtneutralen Ordnungsrechts nimmt Wiese jedoch bei illegal außer Landes verbrachten, staatseigenen res extra commercium unmittelbar den Charakter als Verbotsnorm an: „Ausfuhrbeschränkungen dienen hier unter anderem dazu, die Unveräußerlichkeit des Gutes im Inland abzusichern, um die Eigentümerstellung des Staates zum Wohle des „domaine public“ zu erhalten.“2885 Allgemein wird man aber bei genehmigungspflichtigen Veräußerungsgeschäften kultureller Wertgegenstände nicht nur dann Nichtigkeit annehmen müssen, wenn der Kulturguttransfer von beiden Seiten in Umgehungsabsicht der nationalen Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze abgeschlossen wurde2886, sondern auch dann,
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S. 364–372, S. 368; BGH, Urteil des 3. Zivilsenats vom 17.01.1985, Az.: III ZR 135/83, BGHZ 93, S. 264–271, S. 267. Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 191–197, unter Rückgriff auf die Rechtsprechung des BGH, Urteil des 5. Zivilsenats vom 30.11.1979, Az.: V ZR 214/77, BGHZ 75, S. 366–375, S. 368. Dieser bei Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff., S. 3584 entwickelte Gedanke wird aufgegriffen bei Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 191–197. Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 191–197. Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 191–197. So ausdrücklich außerhalb kulturgüterschutzgesetzwidriger Verfügungen BGH, Urteil des 5. Zivilsenats vom 28.06.1968, Az.: V ZR 77/65, NJW 68, S. 1928 (Der Grundsatz, daß ein wegen Fehlens der Wohnsiedlungsgenehmigung schwebend unwirksamer Grundstückskaufvertrag mit dem Wegfall des Genehmigungserfordernisses gemäß des Bundesbaugesetzes § 186 Abs. 1 Nr. 10 seine volle Wirksamkeit erlangte (BGHZ 37, 233, 236 = Nr. 1 zu BBauG § 19), ist dann nicht anwendbar, wenn die Vertragspartner einen unrichtigen Kaufpreis haben beurkunden lassen und dabei von vornherein die Absicht hatten, für den wirklich gewollten, aber nicht beurkundeten Vertragsinhalt keine Genehmigung der Wohnsiedlungsbehörde einzuholen; schwebende Unwirksamkeit lag in diesem Falle nicht vor, sondern das Vertragsverhältnis war schon bei Beginn endgültig unwirksam.). Dagegen ist die Umgehungsabsicht nur einer Partei unschädlich, vgl. BGH, Urteil des 5. Zivilsenats vom 19.06.1953, Az.: V ZR 83/51, NJW 53, S. 1587 (Schwebende Unwirksamkeit bei einseitiger Umgehungsabsicht: Hatte beim Abschluß eines nach dem MRG 52 genehmigungspflichtigen Vertrages nur eine Partei die Vereitelungsabsicht oder Umgehungsabsicht, so ist der Vertrag nicht nichtig, sondern nur schwebend unwirksam.).
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
wenn die Genehmigung seitens des kulturellen Ursprungsstaates abgelehnt wird.2887 1143
Schließlich ist hinsichtlich der Rechtsfolge eines Verstoßes gegen § 134 BGB fraglich, inwieweit ausländische Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften gerade den in Frage stehenden Kulturguttransfer untersagen wollen und können. Armbrüster 2888 und ihm folgend Wiese 2889 sind hier der Auffassung, dass von der Nichtigkeitsfolge des § 134 BGB nur diejenigen sachenrechtlichen Vorgänge erfasst sein können, bei denen das zugrunde liegende Kausalgeschäft auf einen verbotswidrigen Export gerichtet ist.2890 Das habe zur Folge, dass in den eigentlich praktisch bedeutsameren Fällen, in denen ein Kulturgut nach vorangegangenem Ausfuhrverstoß an einen unbeteiligten, gutgläubigen Dritten veräußert wird, die ausländischen Ausfuhrbestimmungen nur ausnahmsweise zu einer Nichtigkeit der sachenrechtlichen Erwerbsgeschäfte im Inland nach § 134 BGB führen können.2891 Richtig daran ist, dass entsprechend dem deutschen Trennungs- und Abstraktionsgrundsatz die Nichtigkeit des Verpflichtungsgeschäfts die Gültigkeit des Erfüllungsgeschäfts in der Regel unberührt lässt. Allerdings gilt dies dann nicht, wenn die Umstände, die den Gesetzesverstoß begründen, zugleich und unmittelbar auch das Erfüllungsgeschäft betreffen.2892 Da die einschlägigen ausländischen Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften als Ver2887
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Schließlich ist innerhalb der Anwendung des § 134 BGB umstritten, ob es auf subjektive Elemente wie bspw. das gemeinsame (kollusive) Wissen der Beteiligten von dem Verbotensein ankommt. Mit guten Gründen wendet sich die herrschende Meinung gegen das Bedürfnis eines Wissenselements als zwingend notwendiger Voraussetzung, sodass Nichtigkeitsfolge nur bei positiver Kenntnis der Parteien von einem kulturgüterschutzgesetzwidrigen Transfer angenommen werden könnte. Deshalb können auch solche gegen ein ausländisches Kulturexportregulativ verstoßende Veräußerungen Nichtigkeit erlangen, in denen zumindest eine, womöglich aber auch beide Parteien gutgläubig davon ausgehen dürfen, rechtmäßig exportierte Kulturgüter zu transferieren. Vgl. Canaris, Gesetzliches Verbot und Rechtsgeschäft, 1983, S. 21–22. Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff., S. 3584. Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 191–197. Vgl. zum Ganzen auch Siehr, Nationaler und Internationaler Kulturgüterschutz – Eingriffsnormen und der internationale Kunsthandel, in: Pfister/Will, Festschrift für Werner Lorenz zum siebzigsten Geburtstag, 1992, S. 525–542, S. 538 f. So Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 191–197. So die ständige, kulturgüterunspezifische Rechtsprechung, vgl. BGH, Urteil des 8. Zivilsenats vom 10.07.1991, Az.: VIII ZR 296/90, BGHZ 115, S. 123–131, S. 130 (Nichtigkeit einer Forderungsabtretung an privatärztliche Verrechnungsstelle ohne Zustimmung des Patienten wegen Verstoßes gegen ärztliche Schweigepflicht: Die Abtretung einer ärztlichen oder zahnärztlichen Honorarforderung an eine gewerbliche Verrechnungsstelle, die zum Zwecke der Rechnungserstellung und Einziehung unter Übergabe der Abrechnungsunterlagen erfolgt, ist wegen Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht (StGB § 203 Abs. 1 Nr. 1) gemäß BGB § 134 nichtig, wenn der Patient ihr nicht zugestimmt hat.).
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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botsgesetze eine (unrechtmäßige) Vermögensverschiebung national wertvoller Kulturgüter verhindern sollen, wird sich das Verbot nicht nur gegen das kausale Verpflichtungs-, sondern generell auch gegen das Erfüllungsgeschäft richten.2893 So formuliert auch Armbrüster, dass bei kulturellen Ausfuhrverboten „ein derartiges „Durchschlagen“ anzunehmen“ sei: „Solche Verbote zielen gerade darauf, dass das Kulturgut nicht auf Dauer dem Exportstaat entzogen wird.“2894 Dies muss insbesondere aber auch dann gelten, wenn die Konstellation eines qualifizierten Statutenwechsels 2895 und einer Veräußerung außerhalb des kulturellen Ursprungsstaates erfolgten.2896 Dies steht außer Frage, wenn die ausländischen Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften die Rechtsfolge der Nichtigkeit unmittelbar anordnen, sodass die eigentliche Bedeutung des § 134 BGB daher bei denjenigen Verbotsgesetzen liegt, die nicht dem Zivilrecht angehören und auch bloß außerzivilrechtliche Sanktionen wie etwa die Strafbarkeit oder die Widerruflichkeit einer verwaltungsrechtlichen Erlaubnis aussprechen: Solche Gesetze, die direkt nichts über die privatrechtliche Wirksamkeit der ihnen widersprechenden zivilrechtlichen Geschäfte aussagen, bedürfen am ehesten der Wirkung des § 134 BGB, der einzelne ausländische Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften erst zu zivilrechtlichen leges perfectae macht.
b)
BGH: Ausländische Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften keine Verbotsgesetze i.S.d. § 134 BGB
Den voranstehenden Überlegungen ist jedoch schon die überwiegende Rechtsprechung des Reichsgerichts nicht gefolgt und auch die ständige Rechtsprechung des BGH stellt § 134 BGB generell nicht zur materiell-rechtlichen Berücksichtigung ausländischer Verbotsgesetze in Dienst.2897 In der Rechtsprechung
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Vgl. BGH, Urteil des 8. Zivilsenats vom 11.12.1991, Az.: VIII ZR 4/91, BGHZ 116, S. 268–278, S. 277. Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff., S. 3584. Vgl. 3, 228 ff. Vgl. aus der kulturgüterunspezifischen Rechtsprechung etwa BGH, Urteil des 9. Zivilsenats vom 25.03.1993, Az.: IX ZR 192/92, BGHZ 122, S. 115–122, S. 122, NJW 1993, S. 1638– 1640 (Verschwiegenheitspflicht: Nichtigkeit der Abtretung von Rechtsanwaltsgebühren: Ohne Zustimmung des Mandanten ist die Abtretung der Honorarforderung eines Rechtsanwalts wegen der damit nach BGB § 402 verbundenen umfassenden Informationspflicht in der Regel nichtig.). RGZ 108, S. 241 ff., S. 243 a.E.; RGZ 161, S. 296 ff., S. 299; BGH, Urteil des 8. Zivilsenats vom 17.02.1971, Az.: VIII ZR 84/69, BGHZ 55, S. 334–339, S. 339; speziell für das Kulturgüterschutzrecht: BGH, Nigeria-Entscheidung des 2. Zivilsenats vom 22.06.1972, Az.: II ZR 113/70, BGHZ 59, S. 82–87, insb. S. 85, NJW 1972, S. 1575 ff. (Ausfuhr von Masken entgegen einem nigerianischen Ausfuhrverbot für bestimmte Kulturgüter); BGH, Urteil des 3. Zivilsenats vom 29.09.1977, Az.: III ZR 164/75, BGHZ 69, S. 295–302, insb. S. 296 (Rechtswirksamkeit von Fluchthelferverträgen: Ein Vertrag, durch den sich jemand verpflichtet, dem anderen Vertragsteil für die sog Ausschleusung eines Einwohners der Deut-
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
herrscht eine mittlerweile als Dogma verfestigte Überzeugung, über § 134 BGB seien Verstöße gegen ausländische Verbotsnormen nicht zu sanktionieren.2898 Die mittelbare Berücksichtigung ausländischer Verbotsgesetze wurde so bspw. ausdrücklich bei Verstößen gegen ausländische Einfuhr- und Ausfuhrverbote 2899 und gegen Zollgesetze2900 seitens der deutschen Rechtsprechung verneint, sodass heute auch bei Verstößen gegen ausländische Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften nicht davon ausgegangen werden kann, dass die aktuelle Rechtsprechung für eine materiell-rechtliche Berücksichtigung ausländischer Kulturgüterund Denkmalschutzgesetze innerhalb des § 134 BGB votieren wird.2901 Begründet wird die Nichtberücksichtigung kulturgüterschutzgesetzwidriger Veräußerungen über § 134 BGB damit, dass ausländischen Verbotsgesetzen im Inland keine unmittelbare Verbindlichkeit zukomme.2902 Verträge, die gegen drittstaatliche Verbotsgesetze verstoßen, sind somit nicht über § 134 BGB nichtig, da diese
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schen Demokratischen Republik ein Entgelt zu zahlen (Fluchthelfervertrag), verstößt weder gegen ein gesetzliches Verbot (BGB § 134) noch ohne weiteres gegen die guten Sitten (BGB § 138 Abs. 1). Vgl. aus dem Schrifttum: Mankowski, Zur Frage der Anwendung oder Auswirkung drittstaatlicher Eingriffsnormen im internationalen Vertragsrecht, RIW 1994, S. 688–692, S. 689. Siehe nur BGH, Urteil des 3. Zivilsenats vom 29.09.1977, Az.: III ZR 164/75, BGHZ 69, S. 295–302, insb. S. 296 (Fluchthelfervertrag); BGH, Nigeria-Entscheidung des 2. Zivilsenats vom 22.06.1972, Az.: II ZR 113/70, BGHZ 59, S. 82–87, insb. S. 85, NJW 1972, S. 1575 ff. (Ausfuhr von Masken entgegen einem nigerianischen Ausfuhrverbot für bestimmte Kulturgüter). So schon die Rechtsprechung des Reichsgerichts, vgl. RG, Urteil vom 17.6.1939, II 19/39, RGZ 161, S. 296 ff., S. 299; RG, Urteil vom 3.10.1923, V 886/22, RGZ 108, S. 241 ff., S. 243; RG, Urteil vom 22.12.1916, H 265/16, LZ 1917, S. 387; RG, Urteil vom 16.4.1912, II 39/12, WarnRspr 1912, S. 276. So schon aus der Zeit vor Inkrafttreten des BGB: RG, Urteil vom 5.11.1898, Rep. 1283/98, RGZ 42, S. 295 ff., S. 296. Vgl. hierzu Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 191–197. Vgl. BGH, Nigeria-Entscheidung des 2. Zivilsenats vom 22.06.1972, Az.: II ZR 113/70, BGHZ 59, S. 82–87, insb. S. 85; Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Urteil des 6. Zivilsenats vom 06.05.1993, Az.: 6 U 3/93, RIW 1994, S. 686–688, S. 687 (Nichtigkeit eines Vertrages wegen Verstoßes gegen nigerianisches Verbotsgesetz: Ein Verstoß gegen nigerianische Einfuhr- und Zollbestimmungen führt nicht zur Nichtigkeit eines Vertrages gemäß BGB § 138 Abs. 1). Vgl. Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Urteil des 6. Zivilsenats vom 06.05.1993, Az.: 6 U 3/93, RIW 1994, S. 686–688, S. 687. Vgl. Sack, Rolf, in J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, Buch 1, Allgemeiner Teil, §§ 134–163 (Allgemeiner Teil 4), Neubearbeitung 2003, Sellier – de Gruyter, Berlin, § 134 Rdnr. 47–53, S. 23–24. Schon RG, Urteil vom 17.6.1939, RGZ 161, S. 296 ff., S. 300; BGH, Nigeria-Entscheidung des 2. Zivilsenats vom 22.06.1972, Az.: II ZR 113/70, BGHZ 59, S. 82–87, insb. S. 85; BGH, Urteil des 3. Zivilsenats vom 29.09.1977, Az.: III ZR 164/75, BGHZ 69, S. 295–302, insb. S. 296 (Fluchthelfervertrag), zustimmend: Fikentscher/Waible, Ersatz im Ausland gezahlter Bestechungsgelder – Zur Klage auf Provision aus einem Vertrag über die Vermittlung eines ausländischen Regierungsauftrags, der durch die Bestechung von Staatsbediensteten erlangt werden sollte, IPRax 1987, S. 86–90.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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Vorschrift ausländische Gesetze nicht erfasst.2903 „Ausländische Verbotsgesetze kommen als Nichtigkeitsgrund für § 134 BGB nur in Betracht, wenn das Rechtsgeschäft internationalprivatrechtlich diesem Auslandsrecht unterliegt.“2904 Daher wäre nach der Rechtsprechung – außerhalb völkerrechtlicher und europarechtlicher Spezialvorschriften – bspw. eine nach deutschem Recht zu beurteilende Veräußerung national wertvoller Kulturgüter Frankreichs trotz Verstoßes gegen die französische Extrakommerzialitätsanordnung wirksam und nicht wegen § 134 BGB nichtig. Diese Vorschrift kann danach also nur eingreifen, wenn auf das kulturelle Veräußerungsgeschäft deutsches Sachrecht anwendbar ist und wenn die Veräußerung eines Kulturguts außerdem gegen ein deutsches Verbotsgesetz verstößt. Die herrschende Meinung verlangt somit, dass ein Verbotsgesetz im Sinne des § 134 BGB ein inländisches Gesetz ist.2905 Da nach der heute einhelligen Einschätzung der deutschen Rechtsprechung Verbotsgesetze i.S.d. § 134 BGB somit nur im Inland unmittelbar verbindliche Gesetze sind,2906 werden auch ausländische Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften vor deutschen Zivilforen keine materiell-rechtliche Berücksichtigung über § 134 BGB erfahren.
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In der Literatur wird sich neuerdings jedoch gegen die absolute Geltung des Grundsatzes, dass ausländischen Verboten in Deutschland unmittelbar keine Verbindlichkeit zukomme, zur Wehr gesetzt und – bspw. bei Wiese – die Verbindung zur kollisionsrechtlichen Sonderanknüpfung ausländischer Kulturgüterund Denkmalschutzgesetze2907 entgegen der überwunden geglaubten Einheitsanknüpfung (Schuldstatutslehre)2908 gezogen. „Denn kraft der durch eine Sonderanknüpfung ausgesprochenen Verweisung wird den ausländischen Verboten eine innerstaatliche Verbindlichkeit zugesprochen. Da es sich um eine gesonderte
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BGH, Nigeria-Entscheidung des 2. Zivilsenats vom 22.06.1972, Az.: II ZR 113/70, BGHZ 59, S. 82–87, insb. S. 85; jetzt auch die kulturgüterunspezifische Rechtsprechung des BGH, Urteil des 3. Zivilsenats vom 29.09.1977, Az.: III ZR 164/75, BGHZ 69, S. 295–302, insb. S. 296 (Fluchthelfervertrag); BGH, Urteil des 3. Zivilsenats vom 17.11.1994, Az.: III ZR 70/93, BGHZ 128, S. 41–53, S. 53. Vgl. aus dem Schrifttum Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 482–484. Medicus, Allgemeiner Teil des BGB – Ein Lehrbuch, 8. Aufl. 2002, § 43, Rn. 658. Siehe aus dem Schrifttum nur Fikentscher/Waible, Ersatz im Ausland gezahlter Bestechungsgelder – Zur Klage auf Provision aus einem Vertrag über die Vermittlung eines ausländischen Regierungsauftrags, der durch die Bestechung von Staatsbediensteten erlangt werden sollte, IPRax 1987, S. 86–90; Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 191–197. Vgl. Sack, Rolf, in J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen, Buch 1, Allgemeiner Teil, §§ 134–163 (Allgemeiner Teil 4), Neubearbeitung 2003, § 134 Rdnr. 47–53, S. 23–24. Vgl. ausführlich hierzu 3, 808 ff. u. 1068 ff. Vgl. ausführlich hierzu 3, 1065 ff.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Anknüpfung der ausländischen Verbotsnorm neben dem Sachstatut handelt, geht auch der Hinweis fehl, § 134 BGB sei nur anwendbar, wenn ein kollisionsrechtlicher Anwendungsbefehl ausschließlich das deutsche Recht berufe.“2909 Auch dem insbesondere von Mankowski formulierten Einwand, das Grundrecht des Art. 14 Abs. 1 GG verbiete es, über § 134 BGB – in Verbindung mit einer ausländischen Verbotsvorschrift – in eigentumsrechtlich geschützte Positionen einzugreifen, solange der deutsche Gesetzgeber diesen Eingriff nicht in Form einer ausdrücklichen Verweisungsnorm legitimiert habe,2910 wird entgegengetreten, da die deutschen Verfassungsgrundsätze nicht jegliche Fort- und Weiterbildung des Kollisionsrechts ohne ausdrückliche Rechtsgrundlage verbieten. Insbesondere im Bereich der Sonderanknüpfung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften seien die Voraussetzungen der Anwendung kulturpolitischer Eingriffsnormen hinreichend klar ausformuliert, sodass § 134 BGB deshalb für gesondert anzuknüpfende Verbotsgesetze gelten müsse.2911 1147
Es ist jedoch abschließend ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass die materiellrechtliche Berücksichtigung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften als Verbotsgesetze allein die Meinung eines Teils des Schrifttums wiedergibt, die deutsche Rechtsprechung jedoch zu keinem Zeitpunkt so entschieden hatte und voraussichtlich auch nicht in diesem Sinne entscheiden wird. Wenn ausländisches Recht anwendbar ist, entscheidet dieses über die Wirksamkeit und die Rechtsfolgen des Kulturguttransfers. Ist auf die kulturelle Veräußerung hingegen kollisionsrechtlich deutsches Recht anzuwenden, so ist nicht § 134 BGB einschlägig, da ausländische Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften nicht zu den Verbotsgesetzen i.S.v. § 134 BGB zählen – hierzu gehören nur deutsche Gesetze.2912 Von einer dem Art. 9 der Rom I-Verordnung vom 17. Juni 2008 bzw. dem Art. 7 Abs. 1 des Europäischen Schuldvertragsübereinkommens (EVÜ)
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So Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 191–197, unter Rekurs auf Mankowski, Zur Frage der Anwendung oder Auswirkung drittstaatlicher Eingriffsnormen im internationalen Vertragsrecht, RIW 1994, S. 688–692, S. 690. Vgl. Mankowski, Zur Frage der Anwendung oder Auswirkung drittstaatlicher Eingriffsnormen im internationalen Vertragsrecht, RIW 1994, S. 688–692, S. 689. So aus dem kulturgüterspezifischen Schrifttum bspw. Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff., S. 3584; Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 191–197. Aus dem allgemeinen Schrifttum vgl. Zimmer, Ausländisches Wirtschaftsrecht vor deutschen Zivilgerichten – Zur Unterscheidung zwischen einer normativen Berücksichtigung fremder zwingender Normen und einer bloßen Beachtung ihrer tatsächlichen Folgen, IPRax, 1993, S. 65–69, S. 69; Schurig, Zwingendes Recht, „Eingriffsnormen“ und neues IPR, RabelsZ 54 (1990), S. 217–250, S. 240 ff.; Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, 9. Aufl. 2004, § 2 IV 2 (S. 156); Zweigert, Nichterfüllung aufgrund ausländischer Leistungsverbote, RabelsZ 14 (1942), S. 283–307, S. 301. Vgl. allgemein auch Sack in Staudinger – BGB: Buch 1 Allgemeiner Teil: §§ 134–163 (Allgemeiner Teil 4) (2003), § 138, Rdnr. 481–489.
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vom 19. Juni 1980 entsprechenden Regelung, wonach ausländische Eingriffsnormen unter bestimmten Voraussetzungen im Inland zu beachten sind, hat der deutsche Gesetzgeber bei der Neufassung der IPR-Vorschriften des EGBGB bewusst abgesehen.2913 Vielmehr beschränkt sich die deutsche Rechtsprechung auf die mittelbare Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen im Rahmen des § 138 BGB.2914
2.
Kulturgüterschutzgesetzwidrige Veräußerung als Sittenwidrigkeitsverdikt
Auch wenn die deutsche Rechtsprechung bislang eine unmittelbare und direkte Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften über die Methode der Sonderanknüpfung fremden öffentlichen Rechts und eine Berücksichtigung aufgrund eines Gesetzwidrigkeitsverdikts i.S.d. § 134 BGB abgelehnt hat, findet nach ständiger Rechtsprechung dennoch vor deutschen Zivilgerichten eine mittelbare und indirekte Anwendung ausländischen öffentlichen Rechts als tatsächlicher Sachumstand innerhalb des Sittenwidrigkeitstatbestandes des § 138 BGB statt.2915 Eine solche materiell-rechtliche Berücksichtigung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften über den Sittenwidrigkeitstatbestand bedarf für den deutschen Rechtsraum jedoch einer ausdrücklichen Begründung, da bspw. bei deutscher lex causae zunächst kein Grund ersichtlich ist, warum Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften eines anderen Staates überhaupt die rechtliche Beurteilung einer Kulturgüterschutzund Kunstrestitutionsstreitigkeit und damit die dingliche Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter beeinflussen sollen.2916
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BT-Drs. 10/504, S. 100, BR-Drs. 224/1/83 S 2. So Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 482–484. Vgl. für einen Überblick Sandrock, Foreign Laws Regulating the Export of Cultural Property: The Respect Due to them by the Judge of the Lex Fori, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 457–482; Hanisch, Aspects juridiques du commerce international de l’art en République Fédérale d’Allemagne, in: Lalive, International Sales of Works of Art – La vente internationale d’œuvres d’art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, S. 157–193, insb. S. 163 ff.; Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 194–195; Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 131–132. Für eine Beurteilung aus Sicht des Common Law, vgl. Nott, Title to Illegally Exported Items of Historic or Artistic Worth, The International and Comparative Law Quaterly, Volume 33 (1984), S. 203–207, S. S. 205. Vgl. Busse, Die Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen durch die deutsche Rechtsprechung, ZVglRWiss 95 (1996), S. 386–418; Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCOKulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 300.
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Ausländische Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften können ein Urteil in Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsstreitigkeiten grundsätzlich auch über Tatsachen beeinflussen, indem sie zur Bewertung eines Sachverhaltselements oder zur Konkretisierung einer Rechtsfolge im Rahmen der auslegungsbedürftigen Begriffe des nach den international-privatrechtlichen Kollisionsnormen anwendbaren Sachrechts der lex causae herangezogen werden.2917 Dies ist insbesondere auch bei Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften von praktischer Relevanz, da diese als Eingriffsnormen2918 aus der Natur ihrer Zielsetzung der Durchsetzung von kulturpolitischen Gemeininteressen in privaten Rechtsangelegenheiten dienen. Es ist also für das Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht bei Anwendung der inländischen oder einer fremden lex causae zu hinterfragen, inwieweit auch vor einem deutschen Forum in die Tatbestands- und Rechtsfolgenbegriffe des anwendbaren Rechts und insbesondere in die Konkretisierung der Generalklauseln spezielle Wertungen drittstaatlicher Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften einfließen oder von diesen Rechtsnormen geschaffene tatsächliche Lagen die zivilrechtliche Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter beeinflussen.2919
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Im Schrifttum ist so schon lange bekannt, dass ausländische Gesetze und Eingriffsnormen unter Umständen mittelbar und indirekt wirken und für die Frage beachtlich sein können, ob eine Veräußerung gegen die guten Sitten verstößt, wenn diese einem gemeinsamen übernationalen Interesse dienen.2920 Auch der 2917
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Vgl. zu diesem Ansatz schon Schurig, Zwingendes Recht, „Eingriffsnormen“ und neues IPR, RabelsZ 54 (1990), S. 217–250; Zimmer, Ausländisches Wirtschaftsrecht vor deutschen Zivilgerichten – Zur Unterscheidung zwischen einer normativen Berücksichtigung fremder zwingender Normen und einer bloßen Beachtung ihrer tatsächlichen Folgen, IPRax, 1993, S. 65–69, S. 67 f.; Sonnenberger in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR, Rdnr. 436–438. Vgl. ausführlich zu dieser Qualifizierung 3, 921 ff. Vgl. Sonnenberger in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR, Rdnr. 436–438. Vgl. so für das allgemeine Schrifttum jeweils m.w.N. Medicus, Allgemeiner Teil des BGB – Ein Lehrbuch, 8. Aufl. 2002, § 43, Rdnr. 658; Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 482–484; Busse, Die Berücksichtigung ausländischer Eingriffsnormen durch die deutsche Rechtsprechung, ZVglRWiss 95 (1996), S. 386–418, S. 410. Aus dem kulturgüterspezifischen Schrifttum vgl. bspw. Halsdorfer, Privat- und kollisionsrechtliche Folgen der Verletzung von Kulturgüterschutznormen auf der Grundlage des UNESCO-Kulturgutübereinkommens 1970, 2007, S. 300; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 129; Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 212; Jaeger, Internationaler Kulturgüterschutz – Rechtslage, Rechtspraxis, Rechtsfortentwicklung, 1994, S. 92; Siehr, Nationaler und Internationaler Kulturgüterschutz – Eingriffsnormen und der internationale Kunsthandel, in: Pfister/Will, Festschrift für Werner Lorenz zum siebzigsten Geburts-
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deutsche Bundesgerichtshof, der es bisher abgelehnt hat, ausländische Normen außerhalb des Sachstatuts anzuwenden, hat so speziell für das Kulturgüterschutzrecht in der bekannten Nigeria-Entscheidung vom 22. Juni 19722921 in der Missachtung einer ausländischen öffentlich-rechtlichen Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschrift einen Sittenverstoß erkannt. Da sich das deutsche Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht nach allgemeinem Verständnis über die auslegungsbedürftigen Generalklauseln und sachlichen Tatbestände anderen Sollensordnungen wie bspw. einer allgemeinen Sozialmoral, standesethischen Regeln wie etwa den Verhaltensstandards der öffentlichen und privaten Museen, Verhaltenskodizes des Kunsthandels und anderen internationalen Verhaltenskodizes öffnet2922, kann eine kulturgüterschutzgesetzwidrige Veräußerung insoweit auch als Sitten- und Regelverstoß in dem Maße zu beachten sein, als die inländische Privatrechtsordnung auf solche außerrechtlichen Wertmaßstäbe der guten Sitten Bezug nimmt.2923 Auch aus Sicht des Schrifttums spricht mit den Worten Sonnenbergers nichts dagegen, „dass solche Öffnungen neben Verhaltensnormen außerstaatlicher auch solche ausländischer Herkunft erfassen, sofern sie zugleich Ausdruck dessen sind, was in Deutschland als gute Sitten verstanden wird. Dies gilt umso mehr, als sich für die Bundesrepublik auf Grund ihrer internationalen Verflechtungen trotz fehlender rechtlicher Verpflichtung uU eine moralische Pflicht zur Respektierung solcher Normen ergeben kann. Folglich kann an sich nicht anwendbares ausländisches öffentliches Recht gemäß § 138 BGB zu beachten sein oder ein Leistungsbegehren als unvereinbar mit Treu und Glauben gemäß 242 BGB oder sogar eine Schädigung als sittenwidrig nach § 826 BGB … erscheinen.“2924 Diese faktische, materiell-rechtliche und (nur) mittelbare und indirekte Wirkung drittstaatlicher Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften bei der Anwendung der vom internationalen Privatrecht berufenen lex causae (bspw. über §§ 138, 242, 826 BGB innerhalb der deutschen Rechtsordnung)2925 ist damit rechts-konstruk-
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tag, 1992, S. 525–542, S. 538 f.; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 298; Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 11 und S. 197–204; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 147–151. BGH, Nigeria-Entscheidung des 2. Zivilsenats vom 22.06.1972, Az.: II ZR 113/70, BGHZ 59, S. 82–87, insb. S. 85. Vgl. die allgemeinen, kulturgüterunspezifischen Überlegungen hierzu bei Meessen, Internationale Verhaltenskodizes und Sittenwidrigkeitsklauseln, NJW 1981, S. 1131–1132. Vgl. auch hierzu die kulturgüterunspezifischen Ausführungen bei Sonnenberger in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR, Rdnr. 436– 438. Sonnenberger in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR, Rdnr. 436–438. Siehr, Öffentliches Recht und internationales Privatrecht beim grenzüberschreitenden Kulturgüterschutz, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüter-
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tiv deutlich von der direkten und unmittelbaren Anwendung ausländischer Eingriffsnormen über die kollisionsrechtliche Methode der Sonderanknüpfung zu unterscheiden.2926 Diese Generalklauseln der einzelnen Zivilrechtsordnungen wirken somit der allgemeinen Gefahr im internationalen Kulturgüterverkehr entgegen, dass die dem Kunsthandel und den einzelnen Eigentümern von den verschiedenen Zivilrechtsordnungen gewährten Befugnisse der Privatautonomie, durch Rechtsgeschäfte eine eigenverantwortliche dingliche Sachzuordnung auch unrechtmäßig entzogener kultureller Wertgegenstände vorzunehmen, die innere Verbindung zwischen kulturellem Zuordnungsobjekt und dem berechtigten Zuordnungsobjekt lösen. Ein völlig unreglementierter internationaler Kunsthandel beinhaltet somit die Gefahr des Missbrauchs, ohne dass die vielfältigen Missbrauchsmöglichkeiten durch die bereits normierten Schutzvorschriften in den nationalen Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetzen abschließend erfasst werden könnten. Aus diesem Grund sieht die Rechtsprechung in den genannten Generalklauseln ein notwendiges Korrektiv der Privatautonomie des internationalen Kunstmarkts, das einer unbegrenzten Veräußerung kultureller Wertgegenstände dort eine Grenze setzt, wo sie in Widerspruch zu den Grundprinzipien des nationalen und internationalen Kulturgüter- und Denkmalschutzes als Ausdruck auch unserer Rechts- und Sittenordnung tritt. Insbesondere § 138 BGB, der im Anschluss an eine gemeinrechtliche Formel (boni mores) auf die „guten Sitten“ verweist, möchte so einem Missbrauch der Privatautonomie in einem sonst international freien Kulturgüterverkehr entgegenwirken. Ausländische Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften finden auf diese Weise im Rahmen der maßgeblichen Sachnormen tatsächliche Berücksichtigung2927, sodass eine mittelbare und indirekte Anwendung sowohl dieser Schutzmechanismen als auch der internationalen Standards des grenzüberschreitenden Kulturgüterverkehrs über nationale Generalklauseln auch außerhalb des Territoriums des kulturellen Ursprungsstaates möglich scheint.2928
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schutzes – Symposium vom 22./23. Juni 1990 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 83–104, S. 97; Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 197–204. Vgl. Sonnenberger in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR, Rdnr. 66. Jayme, Ausländische Rechtsregeln und Tatbestand inländischer Sachnormen – Betrachtungen zu Ehrenzweigs Datum-Theorie, in: Jayme/Kegel, Gedächtnisschrift für Albert A. Ehrenzweig, 1976, S. 35–49, S. 35 und S. 42–43; Mülbert, Ausländische Eingriffsnormen als Datum, IPRax 1986, S. 140–142. Siehr, Öffentliches Recht und internationales Privatrecht beim grenzüberschreitenden Kulturgüterschutz, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes – Symposium vom 22./23. Juni 1990 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 83–104, S. 96; Turner, Das Restitutionsrecht des Staates nach illegaler Ausfuhr von Kulturgütern, 2002, S. 69.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
Zunächst werden unter Punkt a) die Voraussetzungen der Nichtigkeit eines Kulturguttransfers nach § 138 BGB dargestellt. Besonderen Raum nimmt anschließend unter Punkt b) die Kommentierung der zu weltweiter Bekanntheit gelangten Nigeria-Entscheidung des deutschen BGH vom 22. Juni 1972 ein. Nachdem dann unter Punkt c) die Nichtigkeitsfolge des Sittenwidrigkeitsverdiktes Darstellung findet, wird unter Punkt d) mittels Ehrenzweigs ‚Datums-Theorie‘ eine rechtsdogmatische Grundlage einer materiell-rechtlichen Berücksichtigung ausländischer Kulturgüterschutzgesetze gefunden.
a)
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Voraussetzungen der Nichtigkeit eines Kulturguttransfers nach § 138 BGB
Über § 138 BGB sollen grundlegende soziale Wertvorstellungen in unsere Rechtsordnung einfließen und so die Rechts- an die Sittenordnung angleichen. Eine Veräußerung kultureller Wertgegenstände, die gegen diese Grundprinzipien und allgemein anerkannten Werte verstößt, soll mit den Mitteln des Rechts verhindert werden.2929 Über den Inhalt der Rechts- und Sittenordnung entscheidet nach ständiger Rechtsprechung2930 und herrschender Lehre2931 das „Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden“. Nach einer Formulierung des BVerfG muss bei der inhaltlichen Ausgestaltung der guten Sitten „in erster Linie von der Gesamtheit der Wertvorstellungen ausgegangen werden, die das Volk in einem bestimmten Zeitpunkt seiner geistig kulturellen Entwicklung erreicht und in seiner Verfassung fixiert hat“2932. Im internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht dürfen § 138 BGB und die Anwendung der Anstandsformel jedoch nicht zu einer versteckten Kollisionsnorm mutieren2933 und Ersatz für die de lege lata (noch) unterbliebene unmittelbare Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften des kulturellen Ursprungsstaates
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Vgl. Medicus, Allgemeiner Teil des BGB – Ein Lehrbuch, 8. Aufl. 2002, Rdnr. 680. So schon zu § 826 BGB das Reichsgericht in einer Entscheidung vom 11.4.1901, RGZ 48, S. 114 ff., S. 124. Vgl. nur BGH, Urteil des 4. Zivilsenats vom 09.07.1953, Az.: IV ZR 242/52, BGHZ 10, S. 228–234, S. 232; BGH, Urteil des 8. Zivilsenats vom 10.03.1982, Az.: VIII ZR 74/81, NJW 1982, S. 1455–1457. Vgl. Sack in Staudinger – BGB: Buch 1 Allgemeiner Teil: §§ 134–163 (Allgemeiner Teil 4), 2003, § 138, Rdnr. 13 ff.; Armbrüster in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 1 Allgemeiner Teil, 1. Halbband: §§ 1–240, ProstG, 5. Aufl. 2006, § 138, Rdnr. 14–15. Ausführlich hierzu Arzt, Die Ansicht aller billig und gerecht Denkenden, 1962; Haberstumpf, Die Formel vom Anstandsgefühl, 1976; Sack, Das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden und die Moral als Bestimmungsfaktoren der guten Sitten, NJW 1985, S. 761–769. So BVerfG, sog. Lüth-Urteil des 1. Senats vom 15.01.1958, Az.: 1 BvR 400/51, BVerfGE 7, S. 198–230, S. 206, NJW 1958, S. 257. So aber bei Lehmann, Eingriffsnormen dritter Staaten und die deutsche IPR-Reform, ZRP 1987, S. 319–321, der in § 138 BGB eine Art versteckter Kollisionsnorm sieht.
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kraft Sonderanknüpfung sein.2934 Da § 138 BGB somit keine kollisionsrechtliche Wertung bestimmt, ist die Sittenwidrigkeitssanktion insoweit deutlich einzuschränken, sodass die Beachtung der ausländischen Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze nicht nur im Interesse des kulturellen Ursprungsstaates liegen darf.
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Kulturgüterschutzgesetzwidriges Verhalten
Eine kulturgüter- und denkmalschutzgesetzwidrige Veräußerung ist vor deutschen Zivilforen jedoch immer dann als sittenwidrig zu qualifizieren, wenn sie nicht allein ausländischen kulturpolitischen Interessen, sondern gleichzeitig auch deutschen Interessen widerspricht.2935 Analog zu den allgemeinen, kulturgüterunspezifischen Ausführungen des BGH 2936 sind die Annahme einer Sittenwidrigkeit bei Verletzung oder Umgehung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze eines kulturellen Ursprungsstaates vor deutschen Zivilforen und die Anwendung des § 138 BGB somit gerechtfertigt, wenn diese mittelbar auch 2934
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Vgl. Sonnenberger in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR, Rdnr. 436–438; Mankowski, Zur Frage der Anwendung oder Auswirkung drittstaatlicher Eingriffsnormen im internationalen Vertragsrecht, RIW 1994, S. 688–692, S. 690 f.; Mankowski, Art. 34 EGBGB erfaßt § 138 BGB nicht!, RIW 1996, S. 8–12. Einhellige Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum. Vgl. aus der Rechtsprechung: BGH, Urteil des 8. Zivilsenats vom 21.12.1960, Az.: VIII ZR 1/60, BGHZ 34, S. 169–178, S. 177; BGH, Nigeria-Entscheidung des 2. Zivilsenats vom 22.06.1972, Az.: II ZR 113/70, BGHZ 59, S. 82–87, insb. S. 85, NJW 1972, S. 1575 ff. (Ausfuhr von Masken entgegen einem nigerianischen Ausfuhrverbot für bestimmte Kulturgüter); BGH, Urteil des 3. Zivilsenats vom 29.09.1977, Az.: III ZR 164/75, BGHZ 69, S. 295–302, insb. S. 298 (Fluchthelfervertrag). Vgl. aus dem Schrifttum: Sack in Staudinger – BGB: Buch 1 Allgemeiner Teil: §§ 134–163 (Allgemeiner Teil 4) (2003), § 138, Rdnr. 481–489; Fikentscher/Waible, Ersatz im Ausland gezahlter Bestechungsgelder – Zur Klage auf Provision aus einem Vertrag über die Vermittlung eines ausländischen Regierungsauftrags, der durch die Bestechung von Staatsbediensteten erlangt werden sollte, IPRax 1987, S. 86–90. BGH, Urteil des 8. Zivilsenats vom 21.12.1960, Az.: VIII ZR 1/60, BGHZ 34, S. 169–178 (Kaufvertrag – Umgehung amerikanischer Embargobestimmungen: Ein Kaufvertrag deutscher Kaufleute, der die Umgehung amerikanischer Embargo-Bestimmungen durch vereinbarte Täuschung amerikanischer Dienststellen zum Inhalt hat, kann wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nichtig sein.); BGH, Urteil des 3. Zivilsenats vom 29.09.1977, Az.: III ZR 164/75, BGHZ 69, S. 295–302, insb. S. 298 (Fluchthelfervertrag); BGH, Urteil des 4a. Zivilsenats vom 08.05.1985, Az.: IVa ZR 138/83, BGHZ 94, S. 268–275, S. 271 (Zur Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Vertrag über die Vermittlung eines Regierungsauftrags in einem ausländischen Staat nichtig ist, wenn der Auftrag durch die Bestechung von Staatsbediensteten erlangt werden soll.); BGH, Urteil des 6. Zivilsenats vom 20.11.1990, Az.: VI ZR 6/90, NJW 1991, S. 634–637 (Schadensersatz wegen sittenwidriger Schädigung durch Inkaufnahme eines Schiffsarrests wegen embargowidrigen Warentransports: Zur Frage eines Schadensersatzanspruchs des Schiffseigentümers nach BGB § 826, wenn das Schiff von dem Charterer zu einem embargowidrigen Warentransport eingesetzt wird und in der Folge ein Käufer der Ware, der diese trotz Vorlage des Konnossements nicht erhält, einen Schiffsarrest erwirkt.).
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
deutsche Interessen schützen oder auf allgemeinen, im deutschen Verfassungsraum anerkannten rechtlichen Erwägungen2937 beruhen.2938 Die ausländische Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschrift muss somit Ausdruck der in Deutschland herrschenden Rechts- und Sozialmoral sein2939 und mit deutschen Rechts- und Gerechtigkeitsvorstellungen übereinstimmen.2940 Ist das nicht der Fall, so kann sich die Sittenwidrigkeit nach Sonnenberger außerdem aus dem Gesamtverhalten ergeben, das die Beteiligten den ausländischen Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften gegenüber an den Tag gelegt haben.2941 Darüber hinaus ist – analog zu den kulturgüterunspezifischen Rechtsprechungsgrundsätzen – von einem Sittenwidrigkeitsverdikt bei Verstoß gegen ausländische Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften auszugehen,2942 wenn durch ihre Missachtung dem allgemein zu achtenden Interesse der Völker zuwidergehandelt wird2943 oder wenn die Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften auf gemeinsamen sittlich-rechtlichen Vorstellungen aller Kulturstaaten beruhen.2944 2937
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RGZ 108, S. 241 ff., S. 243–244; BGH, Nigeria-Entscheidung des 2. Zivilsenats vom 22.06.1972, Az.: II ZR 113/70, BGHZ 59, S. 82–87, insb. S. 85 f. (vorangehend: Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Urteil des 6. Zivilsenats vom 06.05.1993, Az.: 6 U 3/93, RIW 1994, S. 686–688, S. 687); BGH, Urteil des 3. Zivilsenats vom 29.09.1977, Az.: III ZR 164/75, BGHZ 69, S. 295–302, insb. S. 298 (Fluchthelfervertrag); BGH, Urteil des 4a. Zivilsenats vom 08.05.1985, Az.: IVa ZR 138/83, BGHZ 94, S. 268–275, S. 271 f. Danach ist § 138 BGB und nicht § 134 maßgebend, wenn ein Rechtsgeschäft gegen ein ausländisches Gesetz verstößt. Vgl. dazu Sonnenberger in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR, Rdnr. 436–438. Für einen Überblick über die deutsche Rspr. vgl. Lehmann, Zwingendes Recht dritter Staaten im internationalen Vertragsrecht, 1986, S. 46 ff. Mankowski, Zur Frage der Anwendung oder Auswirkung drittstaatlicher Eingriffsnormen im internationalen Vertragsrecht, RIW 1994, S. 688–692, S. 690; Mayer-Maly, Was leisten die guten Sitten?, AcP 194 (1994), S. 105 ff., S. 145. Ähnlich wie hier BGH, sog. Asbestimporte-Urteil des 1. Zivilsenats vom 09.05.1980, Az.: I ZR 76/78, JuS 1981, S. 691–692 GRUR 1980, S. 858 ff., S. 860, wo Sittenwidrigkeit i.S.d. § 1 UWG angenommen wurde bei der im Ausland erfolgten Verletzung von „Anforderungen, die an jede menschliche und staatliche Ordnung zu richten sind.“: Der Vertrieb importierter Asbestware, die im Ausland nach den dortigen Vorschriften ordnungsgemäß, aber ohne Beachtung von Sicherheitsbestimmungen hergestellt worden ist, wie sie im Inland zum Schutz der Arbeitnehmer vor Asbestose bestehen, ist nicht wettbewerbswidrig i.S.d. UWG § 1. Vgl. Sonnenberger in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR, Rdnr. 436–438. Vgl. hierzu auch Sack in Staudinger – BGB: Buch 1 Allgemeiner Teil: §§ 134–163 (Allgemeiner Teil 4) (2003), § 138, Rdnr. 481–489. Vgl. BGH, Urteil des 3. Zivilsenats vom 29.09.1977, Az.: III ZR 164/75, BGHZ 69, S. 295–302, insb. S. 298 (Fluchthelfervertrag). Vgl. BGH, Nigeria-Entscheidung des 2. Zivilsenats vom 22.06.1972, Az.: II ZR 113/70, BGHZ 59, S. 82–87, insb. S. 85 f. (vorangehend: Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Urteil des 6. Zivilsenats vom 06.05.1993, Az.: 6 U 3/93, RIW 1994, S. 686–688, S. 687); BGH, Urteil des 3. Zivilsenats vom 29.09.1977, Az.: III ZR 164/75, BGHZ 69, S. 295–302, insb. S. 298 (Fluchthelfervertrag); BGH, Urteil des 4a. Zivilsenats vom 08.05.1985, Az.: IVa
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
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Grundsätzlich können die Rechtsvorschriften des internationalen Kulturgüterund Denkmalschutzrechts alle voranstehenden Voraussetzungen erfüllen. Zunächst besteht regelmäßig ein hinreichendes eigenes (inländisches) Interesse des Forumstaates Deutschland an der Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften vor deutschen Zivilforen: „[D]er Gleichlauf der Wertungen folgt daraus, dass auch nach deutscher Vorstellung im Grundsatz ein legitimes Interesse eines Staates daran besteht, auf dem eigenen Territorium befindliche Kulturgüter vor einer Ausfuhr zu schützen“2945. Die deutschen Vorstellungen ergeben sich dabei aus dem Gesetz zum Schutz deutschen Kulturguts gegen Abwanderung vom 6.8.1955 i.d.F. vom 18.5.20072946 (das sog. Kulturgüterschutzgesetz)2947, das national wertvolle Kulturgüter Deutschlands für zukünftige Generationen vor Abwanderung ins Ausland zu bewahren sucht. Auch ausländische Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften beruhen auf demselben Schutzgedanken und damit zugleich auch auf den allgemeinen, im deutschen Verfassungsraum anerkannten rechtlichen Erwägungen. Auch wenn ausländische Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften unterschiedliche Schutzmethoden zur Erhaltung und Bewahrung des nationalen Kulturpatrimoniums im eigenen Territorium instrumentalisieren, sind diese dennoch mit deutschen Wertvorstellungen vergleichbar.
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Da somit nahezu jeder Staat mehr oder weniger weitreichend ‚seinen‘ Bestand national wertvoller Kulturgüter für zukünftige Generationen zu erhalten und bewahren sucht2948, besteht zwischen den Staaten (und somit auch aus Sicht der
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ZR 138/83, BGHZ 94, S. 268–275, S. 271 f. Aus dem Schrifttum: Hailbronner, Frachtgut gesunkener Schiffe und Kulturgüterschutz vor deutschen Gerichten, JZ 2002, S. 957–963, S. 961. Ausdrücklich a.A. RGZ 161, S. 296 ff., insb. S. 300. So ausdrücklich Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff., S. 3584, unter Rekurs auf BGH, Nigeria-Entscheidung des 2. Zivilsenats vom 22.06.1972, Az.: II ZR 113/70, BGHZ 59, S. 82–87, insb. S. 86. BGBl. I S. 757 ff. Für einen Überblick zum Ganzen vgl. Mummenthey, Kulturgutschutz in Deutschland – Neuer Schwung durch die Ratifizierung des UNESCO-Übereinkommens von 1970?, Archivar 2008, S. 116 ff.; S. 119; Siehr, Kulturgüterschutz, in: Ebling/Schulze, Kunstrecht, 2007, S. 105 ff., S. 112 und S. 128; Mußgnug, Kunstwerke und anderes Kulturgut (Anhang III zur AWV), in: Hohmann/John, Ausfuhrrecht, 2002, S. 1818 ff., S. 1823; El-Bitar, Der deutsche und der französische Kulturgüterschutz nach der Umsetzung der Kulturgüterrückgaberichtlinie, 2007, S. 86–88; Pieroth/Kampmann, Außenhandelsbeschränkungen für Kunstgegenstände, NJW 1990, S. 1385–1390, S. 1388. So Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 196–197; Byrne-Sutton, Le trafic international des biens vulturels sous l’angle de leur revendication par l’Etat d’origine – Aspects de droit international privé, 1988, S. 153; von Schorlemer, Internationaler Kulturgüterschutz – Ansätze zur Prävention im Frieden sowie im bewaffneten Konflikt, 1992, S. 551; Siehr, Kunstraub und das internationale Recht, Schweizerische Juristen-Zeitung 77 (1981), S. 189–197 und S. 207–212, S. 196.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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Bundesrepublik) ein starkes Interesse an internationaler Kooperation in Fragen des Kulturgüterschutzes: Dieses drückt sich insbesondere auch dadurch aus, dass kulturelle Ursprungsstaaten alleine regelmäßig keine hinreichenden Grenzkontrollen zur Verhinderung einer unrechtmäßigen Ausfuhr aus tatsächlichen Gründen bewerkstelligen können und so in ihrem Schutzauftrag auf die internationale Unterstützung angewiesen sind. Insofern handelt es sich bei dem Bemühen, den illegalen Kunsthandel zu bekämpfen, um ein Interesse, welches von allen Staaten geteilt wird2949 und erst bei konzertiertem Verhalten Erfolg versprechend ist. Damit widerspricht der Verstoß gegen ausländische Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften gleichzeitig auch deutschen Interessen. Der Schutz des nationalen Kulturpatrimoniums ist Ausdruck der in Deutschland vorherrschenden Rechts- und Sozialmoral und es besteht in der Regel ein gemeinsamer Interessenund Wertegleichklang zwischen der ausländischen Eingriffsnorm und der inländischen Rechtsordnung. Außerdem werden dadurch mittelbar auch kulturpolitische Interessen Deutschlands geschützt: In Anlehnung an die kulturpolitischen Erwägungen des Court of Appeals of New York in der Entscheidung Solomon R. Guggenheim Foundation v. Lubell 2950 kann man vergleichbar auch in der vorliegenden Konstellation feststellen, dass weniger kulturgüterschutzfreundliche Regelungen dazu führen würden, dass der Kunstmarktplatz Deutschland zu einem Zentrum des illegalen Kunsthandels mit unrechtmäßig entzogenen Kulturgütern avancieren würde – ein Ergebnis, das sich kein Marktpartizipant wünscht. Als hinreichende Legitimationsgründe zur mittelbaren Anwendung ausländischer Schutzmechanismen über § 138 BGB genügen schließlich die außen- und kulturpolitischen Gegenseitigkeitserwartungen und der Vollzug internationaler Zielsetzungen, die sich die einzelnen Staaten beispielhaft in der UNESCO-Convention vom 14. November 1970, der UNIDROIT-Convention vom 24. Juni 1995 und der Richtlinie 93/7/EWG vom 15. März 1993 welt- bzw. europaweit zu eigen gemacht haben und von der deutschen Rechtsordnung nach Umsetzung der Richtlinie und Ratifikation und Umsetzung der UNESCO-Convention im deutschen Kulturgüterrückgabegesetz vom 18.05.2007 rezipiert wurden. In diesem Sinne formulierte auch der BGH in seiner sog. Nigeria-Entscheidung das „nach heutiger Auffassung allgemein zu achtende Interesse aller Völker an der Erhaltung von Kulturwerten an Ort und Stelle“ und betonte, dass „[i]n der Völkergemeinschaft … hiernach bestimmte grundsätzliche Überzeugungen über das Recht jedes Landes auf den Schutz seines kulturellen Erbes und über die Verwerflichkeit von „Praktiken“ … [bestehen], die es beeinträchtigen und die bekämpft werden müs-
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Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 165–168. Solomon R. Guggenheim Foundation v. Lubell, 569 N.E. 2d 426 (N.Y. 1991).
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
sen.“2951 Da somit ein Vertrag sittenwidrig und nach § 138 BGB nichtig war, der ein ausländisches Ausfuhrverbot verletzt, das den Schutz nationalen Kulturguts bezweckt, besteht nach heutiger Auffassung ein allgemein zu achtendes Interesse aller Völker an der Erhaltung ihrer Kulturwerke an Ort und Stelle und damit innerhalb des kulturellen Ursprungslandes.2952 Obwohl zum Zeitpunkt der Entscheidung die UNESCO-Convention vom 14. November 1970 von Deutschland noch nicht ratifiziert und dementsprechend noch nicht in Kraft getreten war, erkannte der BGH in der Verhinderung der Ausfuhr afrikanischer Masken und Figuren ein auch für Deutschland rechtserhebliches Interesse Nigerias2953 und bestätigte so eine dementsprechende Überzeugung der Völkergemeinschaft insgesamt.2954 Dies führte im vorliegenden Fall nach § 138 BGB nicht nur zur Nichtigkeit des Kaufvertrages, der gegen das ausländische Ausfuhrverbot verstieß, sondern auch des dazugehörenden Transportversicherungsvertrages.2955 1158
Nach dem Vorhergesagten ist somit klargestellt, dass ein Sittenwidrigkeitsverdikt wegen Verletzung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften nicht schon deshalb ausgeschlossen ist, weil die Protektionsmechanismen in erster Linie fremde außen-, kultur- und handelspolitische Ziele der kulturellen Ursprungsstaaten verfolgen.2956 Kulturelle Veräußerungen, – die dem internationalen Kunstschmuggel dienen2957 und
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BGH, Nigeria-Entscheidung des 2. Zivilsenats vom 22.06.1972, Az.: II ZR 113/70, BGHZ 59, S. 82–87, insb. S. 85 f. (vorangehend: Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Urteil des 6. Zivilsenats vom 06.05.1993, Az.: 6 U 3/93, RIW 1994, S. 686–688, S. 687). Vgl. Sack in Staudinger – BGB: Buch 1 Allgemeiner Teil: §§ 134–163 (Allgemeiner Teil 4) (2003), § 138, Rdnr. 481–489. BGH, Nigeria-Entscheidung des 2. Zivilsenats vom 22.06.1972, Az.: II ZR 113/70, BGHZ 59, S. 82–87, insb. S. 85. Vgl. Sack in Staudinger – BGB: Buch 1 Allgemeiner Teil: §§ 134–163 (Allgemeiner Teil 4) (2003), § 138, Rdnr. 481–489. BGH, Nigeria-Entscheidung des 2. Zivilsenats vom 22.06.1972, Az.: II ZR 113/70, BGHZ 59, S. 82–87. Vgl. Sack in Staudinger – BGB: Buch 1 Allgemeiner Teil: §§ 134–163 (Allgemeiner Teil 4) (2003), § 138, Rdnr. 481–489. Als „sittenwidrig“ bezeichnete das RG auch eine Vereinbarung, die unter Verletzung ausländischer Zoll- oder Einfuhrbestimmungen unmittelbar auf die Förderung gewerbsmäßigen Schmuggels abzielt, vgl. RGZ 96, S. 282 f.; RG, JW 1920, S. 1027; RG, JW 1924, S. 1359; RG, JW 1926, S. 2169; RG, JW 1927, S. 2287; RG, JW 1929, S. 244; RG, JW 1931, S. 928; vgl. auch die Entscheidung des OLG Köln, MDR 1957, S. 34. Aus dem Schrifttum vgl. dazu Kreuzer, Ausländisches Wirtschaftsrecht vor deutschen Gerichten, 1986, S. 13 ff.; Schricker, Gesetzesverletzung und Sittenverstoß, 1970, S. 62 f., S. 71 ff. Den Vorwurf der Sittenwidrigkeit begründete das RG, RGZ 96, S. 282 ff., S. 283, damit, dass der gewerbsmäßige Schmuggel eine dem Gemeinwohl gefährliche Verwirrung und Verwilderung der sittlichen Begriffe erzeuge. Im gegenteiligem Sinne hat allerdings in neuerer Zeit das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg in der sog. Nigeria-Konstellation entschieden, Urteil des 6. Zivilsenats vom 06.05.1993, Az.: 6 U 3/93, RIW 1994, S. 686–688, S. 687 und in der Verletzung ausländischer (hier: nigerianischer) Zoll- oder Einfuhrbestimmungen kein Sitten-
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
– so dem kulturellen Schwarzmarkt Vorschub leisten2958 oder – die eine Umgehung ausländischer Exportbeschränkungen kultureller Wer zum Gegenstand haben2959, sind aufgrund eines Sittenwidrigkeitsverdikts auch innerhalb der lex fori unwirksam, obwohl die Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze ausländischen öffentlich-rechtlichen Bestimmungen angehören: „In short: what is illegal under foreign law (if it were applicable) may be immoral under the lex fori because the conduct is corrupt and such contracts cannot be enforced in local courts.“2960
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verstoß erkannt, wenn diese allein handelspolitischen Beschränkungen des freien Warenverkehrs, fiskalischen Interessen an der Erlangung von Einfuhrzoll sowie der Verhinderung verschleierten Devisentransfers ins Ausland dienen. Anders aber der BGH in der Revision, Nigeria-Entscheidung des 2. Zivilsenats vom 22.06.1972, Az.: II ZR 113/70, BGHZ 59, S. 82–87, insb. S. 85 f. Sittenwidrig sind aber schon seit der Rechtsprechung des RG Verträge über den Transport und die Lagerung von Schmuggelware, vgl. RGZ 42, S. 295 ff., S. 296 f.; RGZ 56, S. 179 ff., S. 181; RGZ 96, S. 282 ff., sowie die Darlehensgewährung zur Ermöglichung von Schmuggelgeschäften (RG, JW 1927, S. 2287). Vgl. zum Ganzen Sack in Staudinger – BGB: Buch 1 Allgemeiner Teil: §§ 134–163 (Allgemeiner Teil 4) (2003), § 138, Rdnr. 481–489. Vergleichbar sind aus der kulturgüterunspezifischen Rechtsprechung folgende Fallkonstellationen: In Foster v. Driscoll, [1929] 1 KB 470 (CA) waren die Pflichten innerhalb einer englischen Partnership, die auf den Export von Whisky auf das Territorium der Vereinigten Staaten von Amerika entgegen deren Verbotsgesetze ausgerichtet war, nicht einklagbar und in einer Entscheidung des Handelsgerichts Zürich vom 9. Ma. 1968, Schweizerische Juristen Zeitung, 1968, S. 354, war ein Transportvertrag unwirksam, der einen Vertragspartner zum Schmuggel von mehreren Tonnen Kaffee nach Italien verpflichtete. Vgl. hierzu Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993VI), S. 194–195. Vgl. hierzu aus der kulturgüterunspezifischen Rechtsprechung bspw. Regazzoni v. K. C. Sethia Ltd., (1958) AC 301 (HL), wonach ein englischer Vertrag zur Umgehung der indischen Exportbeschränkung gegenüber Südarfrika in Großbritannien nicht durchsetzbar ist. In einer Entscheidung des deutschen BGH, Urteil des 8. Zivilsenats vom 21.12.1960, Az.: VIII ZR 1/60, BGHZ 34, S. 169–178, wurde die Nichtigkeit eines Exportvertrages von Borax in osteuropäische Staaten aufgrund eines Verstoßes gegen ein amerikanisches Ausfuhrverbot auf Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB gestützt. Täuschungshandlungen zur Umgehung ausländischer Embargovorschriften, die Ausdruck allgemeiner Gemeinschaftsanforderungen im Kampf für Freiheit und Frieden sind, sind sittenwidrigkeitsbegründend. Diese Entscheidung fand in einem Urteil vom 24. Mai 1962, NJW 1962, S. 1436, Bestätigung. Schließlich hat auch das Handelsgericht St. Gallen in einer Entscheidung vom 20. Juni 1956, Schweizerische Juristen-Zeitung, 1958 S. 218, Vergleichbares bestimmt und einen Vertrag für unwirksam deklariert, der mittels eines gefälschten Exportdokuments den Export von Kupfer auf das Territorium des Tschechoslowakei beabsichtigte. Vgl. hierzu Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 194–195. Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 194–195.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
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Keine Anwendung exorbitanter Kulturgüterund Denkmalschutzvorschriften über § 138 BGB
Ebenso wie innerhalb einer unmittelbaren Sonderanknüpfung2961 ist auch innerhalb der mittelbaren materiell-rechtlichen Berücksichtigung ausländischer Kulturgüterund Denkmalschutzgesetze auf die Gefahr hinzuweisen, dass Staaten mit liberalen und maßvollen Exportregelungen, wie etwa die Bundesrepublik Deutschland, ohne Kontrollmöglichkeit auch exzessive Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften solcher Staaten anwenden müssten, die besonders extensive Bestimmungen anordnen und möglicherweise sogar alle Objekte unter Schutz stellen, ohne dass diese eine besonders wertvolle Bedeutung beim Erhalt und der Bewahrung des nationalen, identitätsstiftenden Kulturpatrimoniums für die jeweilige Bevölkerung und Gesellschaft besitzen.2962 In der Literatur wird deshalb die Ansicht vertreten, dass nur für „besonders bedeutende nationale Kulturgüter“2963 und für solche Objekte ausländische Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften materiell-rechtliche Berücksichtigung über den Sittenwidrigkeitstatbestand finden sollen, die „aus der Sicht eines weltoffenen und gegenüber fremden Kulturen aufgeschlossenen Richters mit dem Herkunftsland, dessen Kultur, dessen Tradition oder mit einem Gesamtkunstwerk in diesem Staat so eng zusammenhängen, dass eine Rückführung eine fast zwingende Notwendigkeit ist.“2964 Dagegen müsse ein
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Vgl. 3, 808 ff. u. 1068 ff. So formuliert bei Siehr, Nationaler und Internationaler Kulturgüterschutz – Eingriffsnormen und der internationale Kunsthandel, in: Pfister/Will, Festschrift für Werner Lorenz zum siebzigsten Geburtstag, 1992, S. 525–542, S. 539 ff.; Siehr, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Rechtsverkehr, in: Westphalen/Sandrock, Lebendiges Recht – Von den Sumerern bis zur Gegenwart – Festschrift für Reinhold Trinkner zum 65. Geburtstag, 1995, S. 703–722, S. 715 f.; Fechner, Prinzipien des Kulturgüterschutzes – Eine Einführung, in: Fechner/Oppermann/Prott, Prinzipien des Kulturgüterschutzes – Ansätze im deutschen, europäischen und internationalen Recht, 1996, S. 11–45, S. 45; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 99–102; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 196–197; Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes, 1994, S. 106 f. will dem in einem internationalen Abkommen Rechnung tragen; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 147– 151. Siehr, Öffentliches Recht und internationales Privatrecht beim grenzüberschreitenden Kulturgüterschutz, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes – Symposium vom 22./23. Juni 1990 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 83–104, S. 96–103, kritisch hierzu Wyss, Kultur als eine Dimension der Völkerrechtsordnung – Vom Kulturgüterschutz zur internationalen kulturellen Kooperation, 1992, S. 201–223. So Siehr, Öffentliches Recht und internationales Privatrecht beim grenzüberschreitenden Kulturgüterschutz, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes – Symposium vom 22./23. Juni 1990 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 83–104, S. 102 f.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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Sittenwidrigkeitsverdikt für sonstige, nicht überragend bedeutsame Kulturgüter ausscheiden.2965 Da jedoch in Rechtsprechung2966 und Lehre2967 Einigkeit darüber besteht, dass ausländische Bestimmungen nicht anzuerkennen und nicht über die deutsche Sittenwidrigkeitsklausel des § 138 BGB mit Sanktionen zu versehen sind, die inländischen Rechtsvorstellungen widersprechen, spiegeln exorbitante Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze nicht das (inländische) Interesse des Forumstaates Deutschlands wider, beruhen nicht auf den allgemeinen, im deutschen Verfassungsraum anerkannten rechtlichen Erwägungen und dienen so schließlich weder außen- und kulturpolitischen Gegenseitigkeitserwartungen noch dem Vollzug internationaler Zielsetzungen. Somit fehlen bei exorbitanten Kulturgüter- und Denkmalschutzbestimmungen kultureller Ursprungsstaaten schon die notwendigen Minimalvoraussetzungen einer materiell-rechtlichen Nichtigkeitssanktion über § 138 BGB. Das Prinzip des kulturellen Internationalismus schützt so ein Mindestmaß an internationalem Kulturaustausch, sodass ausländische Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze keine Anerkennung verdienen, wenn sie – entsprechend dem kulturellen Nationalitätsprinzip – bspw. für sämtliche Kulturgüter eines Ursprungsstaates den Handel im deutschen Wirtschaftsraum unterbinden würden2968 und so auf unsachlichen Gründen beruhen.2969
(3)
Kenntnis von dem Verstoß gegen das ausländische Kulturgüterund Denkmalschutzgesetz?
Schließlich ist noch klärungsbedürftig, ob für ein Sittenwidrigkeitsverdikt über § 138 BGB die beteiligten Parteien Kenntnis davon besitzen müssen, dass die Veräußerung kultureller Güter entgegen ausländischen Kulturgüter- und Denkmalschutzbestimmungen des kulturellen Ursprungsstaates erfolgte. Teile der kulturgüterspezifischen Literatur (die „noch hM“2970) setzen für eine solche Nichtigkeitssanktion eine subjektive Komponente der Sittenwidrigkeit voraus.
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Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 147–151. Vgl. so schon die Entscheidung des Reichsgerichts, RGZ 108, S. 241 ff., S. 244, unter Hinweis darauf, dass die staatssozialistischen Rechtsgrundsätze Russlands bzw. der Sowjetunion den deutschen Rechtsanschauungen widersprechen; BGH, Urteil des 3. Zivilsenats vom 29.09.1977, Az.: III ZR 164/75, BGHZ 69, S. 295–302, insb. S. 298 (Fluchthelfervertrag). Vgl. Sack in Staudinger – BGB: Buch 1 Allgemeiner Teil: §§ 134–163 (Allgemeiner Teil 4) (2003), § 138, Rdnr. 481–489. Vgl. aus der kulturgüterunspezifischen Rechtsprechung BGH, Urteil des 8. Zivilsenats vom 21.12.1960, Az.: VIII ZR 1/60, BGHZ 34, S. 169–178, S. 176 f. Vgl. die kulturgüterunspezifischen Ausführungen hierzu bei Sack in Staudinger – BGB: Buch 1 Allgemeiner Teil: §§ 134–163 (Allgemeiner Teil 4) (2003), § 138, Rdnr. 481–489. Sack in Staudinger – BGB: Buch 1 Allgemeiner Teil: §§ 134–163 (Allgemeiner Teil 4), 2003, § 138, Rdnr. 61.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
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So macht bspw. Knott geltend, dass die Eigentumsübertragung an einem Kunstwerk, das illegal exportiert worden ist, nur dann sittenwidrig sei, wenn der für den Eigentumsübergang relevante Vertrag „mit dem Wissen abgeschlossen wurde, daß das Werk unter Verstoß gegen das Recht des Herkunftsstaats exportiert wurde oder noch exportiert werden muß.“2971 Vergleichbar ist Siehr der Überzeugung, dass eine kulturelle Veräußerung deshalb trotz eines Sittenverstoßes Rechtswirksamkeit entfalten muss, auch wenn „the art object has already been stolen and/or illegally exported and the object is traded between persons unconnected with the theft or illegal export, … because of the unknown provenance of the object.“2972 Auch ein Teil der kulturgüterrechtsunspezifischen Rechtsprechung setzt generell eine verwerfliche Gesinnung zur Annahme von Sittenwidrigkeit voraus2973 und hält eine solche nur für gerechtfertigt, wenn die Beteiligten zumindest alle sittenwidrigkeitsbegründenden Tatumstände gekannt oder sich deren Kenntnis bewusst verschlossen oder entzogen haben.2974
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Dies wurde für das internationale Kulturgüterschutzrecht ausdrücklich im sog. Pistolenfall des Landgerichts Hamburg vom 20.6.1996 bestätigt.2975 Der Republik Portugal wurden antike, aus dem portugiesischen Königshaus stammende Pistolen in Lissabon im Jahre 1973 gestohlen. Obwohl die Kulturgüter nach portugiesischem Recht als res extra commercium zu qualifizieren und dementsprechend unveräußerlich, unersitz- sowie unverjährbar waren und ihre Ausfuhr verboten war, wurden sie in Lissabon verkauft, nach Deutschland verbracht und dort im Jahre 1980 weiterveräußert. Nachdem der Erwerber die Kulturgüter seit 1982 in Eigenbesitz hielt, verbrachte er sie im Jahre 1990 nach England, um sie dort bei einem Auktionshaus versteigern zu lassen. Während die zehnjährige Ersitzungsfrist des § 937 BGB zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgelaufen war, konnte – nach einem Statutenwechsel und der neuen, britischen lex rei sitae – der gutgläu-
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Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 131–132. Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 194–195. Vgl. BGH, Urteil des 7. Zivilsenats vom 09.06.1960, Az.: VII ZR 228/58, BGHZ 32, S. 361–367, S. 366; dezidiert BGH, Urteil des 5. Zivilsenats vom 02.07.2004, Az.: V ZR 213/03, BGHZ 160, S. 8–17, S. 14, NJW 2004, S. 2671–2674, S. 2673 („unerlässlich“), zuvor bereits die Rechtsprechung des RG, RGZ 150, S. 1 ff., S. 5. Vgl. m.w.N. auf die Literatur und die Rechtsprechung Sack in Staudinger – BGB: Buch 1 Allgemeiner Teil: §§ 134–163 (Allgemeiner Teil 4), 2003, § 138, Rdnr. 61. LG Hamburg, Urteil vom 20.6.1996, Az.: 305 0 77/92: unveröffentlicht, IPRspr. 1996 Nr. 55 S. 119 ff.; ausführlich hierzu bereits unter 3, 368 u. 870 ff. Vgl. dazu auch Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 372–374; Siehr, Internationales Privatrecht – deutsches und europäisches Kollisionsrecht für Studium und Praxis, 2001, S. 270; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 24.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
1175
bige Erwerber nach Sec. 3 Abs. 1 und 2 des Limitation Act 1980 nach sechsjährigem Eigenbesitz im englischen Recht originär Eigentum an den Kulturgütern erwerben. Schließlich war sich mit der Frage zu beschäftigen, ob die portugiesischen Kulturgüterschutzvorschriften – als ausländische Rechtsvorschriften – im deutschen Inland über § 138 BGB durchgesetzt werden können. Dabei entschied das Landgericht Hamburg ausdrücklich als Voraussetzung einer Sittenwidrigkeit i.S.d. § 138 BGB, dass beiden Vertragsparteien sämtliche die Sittenwidrigkeit begründenden Umstände als subjektive Bedingung bekannt sein müssen – woran es nach dem Ergebnis des Beweisverfahrens im vorliegenden Fall aber scheitern müsse. Da die Richtlinie 93/7/EWG vom 15. März 1993 nach Art. 13 ausdrücklich nur für nach dem 1.1.1993 unrechtmäßig in das Hoheitsgebiet eines anderen EU-Mitgliedstaats verbrachte Kulturgüter gilt und die UNESCO-Convention vom 14. November 1970 zum Zeitpunkt der Klage nur von Portugal, aber noch nicht von Deutschland oder dem Vereinigten Königreich ratifiziert worden war, mussten auch die europäischen und internationalen Rechtsinstrumente wirkungslos bleiben und die Klage der Republik Portugal auf Herausgabe der antiken Pistolen vor dem zuständigen Landgericht Hamburg hatte dementsprechend auch aus diesen Rechtsgründen keinen Erfolg. Dem ist jedoch mit guten Gründen entgegenzutreten und es gebührt der Ansicht (der neueren Rechtsprechung2976) der Vorzug, die allein auf objektive Sittenwidrigkeit abstellt (wenn nicht im konkreten Einzelfall die Sittenwidrigkeit gerade auf der Verwirklichung des subjektiven Tatbestandes beruht, wie bspw. einer sittenwidrigen Zielsetzung).2977 Die Veräußerung bedeutsamer Kulturgüter entgegen ausländischen Vorschriften zum Schutz des nationalen Kulturpatrimoniums führt einen Zustand herbei, „den die Rechtsordnung nicht zulassen kann“2978, unabhängig davon, ob den Beteiligten eine verwerfliche Gesinnung fehlt. Richtigerweise sollte demnach auch dann von Sittenwidrigkeit ausgegangen werden, sowohl wenn alle Beteiligten keine Kenntnis von dem Sittenwidrigkeitsurteil des
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Vgl. aus der kulturgüterunspezifischen Rechtsprechung bspw. BGH, Urteil des 4a. Zivilsenats vom 08.05.1985, Az.: IVa ZR 138/83, BGHZ 94, S. 268–275, S. 272 f., wonach der BGH in einem Urteil zu Schmiergeldzahlungen an ausländische Amtsträger allein auf die objektive Sittenwidrigkeit abgestellt hat. Vgl. auch BGH, Urteil des 5. Zivilsenats vom 10.10.1997, Az.: V ZR 74/96, WM 1998, S. 513–516, S. 514; BGH, Urteil des 9. Zivilsenats vom 07.01.1993, Az.: IX ZR 199/91, NJW 1993, S. 1587–1589, S. 1588 (Notarhaftung aus unterlassener Belehrung über die Sittenwidrigkeit einer knebelnden Vertragsklausel). Dieser Einschätzung folgt auch ein großer Teil des Schrifttums: Armbrüster in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 1: Allgemeiner Teil, 1. Halbband: §§ 1–240 ProstG, 5. Aufl. 2006, § 138, Rdnr. 129 ff.; Mayer-Maly, Das Bewusstsein der Sittenwidrigkeit, 1971, S. 25 ff.; Sack, Der subjektive Tatbestand des § 826 BGB, NJW 2006, S. 945–951, S. 949. RGZ 99, S. 107 ff., S. 109.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
kulturellen Transfergeschäfts bzw. von den die Sittenwidrigkeit auslösenden Umständen besitzen als auch wenn dies nur bei einer der beiden Parteien vorliegt. So hat der BGH in einer Entscheidung aus dem Jahr 1985 dezidiert entschieden, dass „Rechtsgeschäfte, die schon nach ihrem objektiven Inhalt sittlichrechtlichen Grundsätzen widersprechen, … ohne Rücksicht auf die Vorstellungen der das Rechtsgeschäft vornehmenden Personen nichtig“ seien. Soweit die bisherige Gerichtspraxis subjektive Voraussetzungen verlangt habe, habe es sich entweder um Fälle gehandelt, „in denen sich die Sittenwidrigkeit nicht ohne weiteres aus dem objektiven Inhalt des Rechtsgeschäfts ergab, oder um solche, in denen auch bei Zugrundelegung der im Schrifttum herrschenden Ansicht nicht anders zu entscheiden gewesen wäre“2979. Dieser objektiven Theorie ist auch bei einer Veräußerung von Objekten entgegen ausländischen Gesetzen zur Bewahrung und Erhaltung national wertvoller Kulturgüter der Ursprungsstaaten zu folgen und grds. allein aufgrund der objektiven Umstände Sittenwidrigkeit anzunehmen, ohne dass ein subjektiver Umstand hinzutreten muss.2980 Nur in seltenen Ausnahmekonstellationen können subjektive Umstände dazu dienen, einer objektiv anstößigen Veräußerung national unter Schutz stehender Kulturgüter die Sittenwidrigkeit zu nehmen.2981
b)
Nigeria-Entscheidung des deutschen BGH vom 22. Juni 1972
Schrifttum: Berndt, Internationaler Kulturgüterschutz: Abwanderungsschutz, Regelungen im innerstaatlichen Recht, im Europa- und Völkerrecht, 1998, S. 117 ff.; Bleckmann, Sittenwidrigkeit wegen Verstoßes gegen den ordre public international – Anmerkung zum Urteil des BGH vom 22. Juni 1972, Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (ZaöRV) 34 (1974), S. 112–132; Byrne-Sutton, Le trafic international des biens vulturels sous l’angle de leur revendication par l’Etat d’origine – Aspects de droit international privé, 1988, S. 156 f.; Drobnig, Die Beachtung von ausländischen Eingriffsgesetzen – eine Interessenanalyse, in: Barfuß, Festschrift für Neumayer, 1985 S. 159 ff., S. 173; Droz, La Convention d’UNIDROIT sur le retour international des biens culturels volés ou illicitement exportés (Rome, 24 juin 1995), Rev. Crit. Dr. Int. Privé, 86 (1997), S. 239–281; Fechner, Rechtlicher Schutz archäologischen Kulturguts – Regelungen im innerstaatlichen Recht, im Europa- und Völkerrecht sowie Möglichkeiten zu ihrer Verbesserung, 1991, S. 76 f.; Fraoua, Le trafic illicite des biens culturels et leur restitution, 1985, S. 147 f.; Hailbronner, Frachtgut gesunkener Schiffe und Kulturgüterschutz vor deutschen Gerichten, JZ 2002, S. 957–963, S. 961; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 191–193; Jaeger, Internationaler Kulturgüterschutz – Rechtslage, Rechtspraxis, Rechtsfortentwicklung, 1994, S. 91 f.; Kegel, Die Rolle des öffentlichen Rechts im internationalen Privatrecht, in: Böckstiegel/Folz/Mössner/Zemanek, Völkerrecht, Recht der Internationalen Organisationen, Weltwirtschaftsrecht – Festschrift für Ignaz Seidl-Hohenveldern, 1988, 243–278, S. 272–275; Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch 2979
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BGH, Urteil des 4a. Zivilsenats vom 08.05.1985, Az.: IVa ZR 138/83, BGHZ 94, S. 268–275, S. 272 a.E. Vgl. Sack in Staudinger – BGB: Buch 1 Allgemeiner Teil: §§ 134–163 (Allgemeiner Teil 4), 2003, § 138, Rdnr. 63. Vgl. Armbrüster in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 1: Allgemeiner Teil, 1. Halbband: §§ 1–240 ProstG, 5. Aufl. 2006, § 138, Rdnr. 130.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 132; Kohls, Kulturgüterschutz: Wirkungen von Verstößen gegen Ausfuhrverbote und Möglichkeiten der Rückführung illegal verbrachter Kulturgüter – Eine vergleichende Untersuchung mit den Rechten Dänemarks, Norwegens und Schwedens, 2001, S. 127–128; Kreuzer, Ausländisches Wirtschaftsrecht vor deutschen Gerichten, 1986, S. 19 ff.; Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 482–484; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 124–127; Magnus, Ulrich in Magnus, Ulrich, J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen – Art. 34 EGBGB, Rdnr. 110–145; Mann, See-Güterversicherungsvertrag ohne versicherbares Interesse, Entscheidungsanmerkung, NJW 1972, S. 1575; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 182–183 und S. 295–303; O’Keefe, Export and Import Controls on Movement of the Cultural Heritage: Problems at the National Level, Syracuse Journal of International Law and Commerce 10 (1983), S. 352–369, S. 356; Pieroth/Kampmann, Außenhandelsbeschränkungen für Kunstgegenstände, NJW 1990, S. 1385–1390; Radtke, Schuldstatut und Eingriffsrecht, ZglRWiss 84 (1985), S. 325–357; Reichelt, Die Rolle von UNIDROIT für den Internationalen Kulturgüterschutz – Neue methodische Ansätze im „UNIDROIT-Entwurf 1990 über gestohlene und unerlaubt ausgeführte Kulturgüter“, in: Matscher/Seidl-Hohenveldern/Karas-Waldheim, Europa im Aufbruch – Festschrift Fritz Schwind zum 80. Geburtstag, 1993, S. 205–214, S. 210; Reichelt, Einführung in die Thematik, in: Reichelt, Internationaler Kulturgüterschutz – Wiener Symposium 18./19. Oktober 1990, 1992, S. 31–38, S. 32 f.; Reichelt, International Protection of Cultural Property, Revue de droit uniforme/Uniform Law Review (UNIDROIT), Semestrielle – Biannual (1985-I), S. 42–153, S. 91 f.; Reichelt, Kulturgüterschutz und Internationales Privatrecht, IPRax 1986, S. 73–75; Reichelt, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes, in: Sladek, Das kulturelle Erbe im Risiko der Modernität: Salzburger Symposium 1992, 1993, S. 61 ff., S. 65; Rudolf, Über den internationalen Schutz von Kulturgütern, Hailbronner/Ress/Stein, Staat und Völkerrechtsordnung – Festschrift für Karl Doehring, 1989, S. 853–871, S. 853 ff.; Sack in Staudinger – BGB: Buch 1 Allgemeiner Teil: §§ 134–163 (Allgemeiner Teil 4) (2003), § 138, Rdnr. 481–489; Sonnenberger in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR, Rdnr. 436–438; Sandrock, Foreign Laws Regulating the Export of Cultural Property: The Respect Due to Them by the Judge of the Lex Fori, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 457–481, S. 473; Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 193–198; Schmeinck, Internationalprivatrechtliche Aspekte des Kulturgüterschutzes, 1994, S. 87 f.; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 74– 75, 79, 87, 105–107, 109 und 126–130; Seidl-Hohenveldern, Ausfuhr und Rückführung von Kulturgütern, in: Haller/Kölz/Müller/Thürer, „Im Dienst an der Gemeinschaft“ Festschrift für Dietrich Schindler zum 65. Geburtstag, 1995, S 137–145, S. 138 f.; Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 9 ff., 190–191; Siehr, Kunstraub und das internationale Recht, Schweizerische Juristen-Zeitung 77 (1981), S. 189–197 und S. 207–212, S. 196; Siehr, Nationaler und Internationaler Kulturgüterschutz – Eingriffsnormen und der internationale Kunsthandel, in: Pfister/Will, Festschrift für Werner Lorenz zum siebzigsten Geburtstag, 1992, S. 525–542, S. 525 f.; Siehr, Völkerrecht und Internationaler Kulturgüterschutz vor Gericht, in: Frank, Recht und Kunst – Symposium aus Anlaß des 80. Geburtstags von Wolfram Müller-Freienfels, 1996, S. 57–72, S. 66; Spaun, Der Herausgabeanspruch bei Diebstahl oder illegalem Export von Kulturgütern, 2003, S. 150–151; Spinellis, Das Vertrags- und Sachenrecht des internationalen Kunsthandels, 2001, S. 433–530; von Schorlemer, Internationaler Kulturgüterschutz – Ansätze zur Prävention im Frieden sowie im bewaffneten Konflikt, 1992, S. 527 ff.; Walter, Rückführung von Kulturgut im Internationalen Recht, 1988, S. 34 f. u. 193 ff.; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationa-
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht len Sachenrecht, 2001, S. 147–151; Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 191–197; Wyss, Kultur als eine Dimension der Völkerrechtsordnung – Vom Kulturgüterschutz zur internationalen kulturellen Kooperation, 1992, S. 158.
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Einen Meilenstein2982 in der deutschen Rechtsprechung zum Kulturgüterschutzund Kunstrestitutionsrecht und in der materiell-rechtlichen Berücksichtigung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften vor fremden Zivilforen stellt die sog. Nigeria-Entscheidung des deutschen BGH vom 22. Juni 19722983 dar.
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Darin stand zwischen einem deutschen Versicherungsunternehmen und dem Versicherungsnehmer das versicherbare Interesse eines Seegüterversicherungsvertrages über nigerianische Masken und Bronzefiguren wegen eines möglichen Verstoßes gegen die guten Sitten i.S.d. § 138 BGB in Streit, da die Kulturgüter ohne die nach Sec. 22 des nigerianischen Kulturgüterschutzgesetzes aus dem Jahre 19532984 zum Schutze seines nationalen Kunstbesitzes erforderliche Exportgenehmigung der sog. Antiquity Commission unrechtmäßig aus dem kulturellen Ursprungsstaat Nigeria angeblich von Port Harcourt abgehend am 12. Januar 1967 nach Hamburg ausgeführt worden waren. Der Kläger machte einen Anspruch auf Entschädigung wegen des Verlustes von sechs Bronzefiguren i.H.v. 37.262,05 DM geltend, die auf der Seereise (angeblich) verloren gingen. Das beklagte deutsche Versicherungsunternehmen berief sich dagegen auf die Unwirksamkeit des Versicherungsvertrags, weil der versicherte Transport gegen das nigerianische Ausfuhrverbot für Kunstgegenstände verstieß.
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Eine wirksame Versicherung setzt ein erlaubtes versichertes Interesse voraus, was sich im vorliegenden Fall nach deutschem Recht beurteilte. Da eine Anwendung des § 134 BGB nach den voranstehenden Untersuchungen2985 bei einem ausländischen Verbotsgesetz nicht in Betracht kommt, „weil dieses im Inland unmittel-
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So die Bezeichnung bei Byrne-Sutton, Le trafic international des biens vulturels sous l’angle de leur revendication par l’Etat d’origine – Aspects de droit international privé, 1988, S. 156 ff.; Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 132; Prott/O’Keefe, Law and the Cultural Heritage – Volume 3: Movement, 1989, S. 659 ff.; Reichelt, International Protection of Cultural Property, Revue de droit uniforme/Uniform Law Review (UNIDROIT), Semestrielle – Biannual (1985-I), S. 42–153, S. 91 ff. BGH, Nigeria-Entscheidung des 2. Zivilsenats vom 22.06.1972, Az.: II ZR 113/70, BGHZ 59, S. 82–87. Vgl. dazu Shyllon, Cultural Heritage Legislation and Management in Nigeria, International Journal of Cultural Property (IJCP) 5 (1996), S. 235–268, S. 237. Das aktuelle nigerianische Kulturgüterschutzgesetz aus dem Jahre 1979, der sog. National Commission for Museums and Monument Act, sieht in Sec. 25 ebenfalls ein solch generelles Exportverbot vor. Vgl. 3, 1139 ff.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
1179
bar keine Verbindlichkeit besitzt“2986, war hier zu entscheiden, ob ein ausländisches Gesetz unter Umständen mittelbar für die Frage beachtlich ist, ob die versicherte Unternehmung gegen die guten Sitten verstößt und der Versicherungsvertrag deshalb unwirksam ist. Ein Interesse ist dann nicht versicherbar, „wenn der Versicherer, sofern er den Verstoß gegen die guten Sitten gekannt hätte, den Versicherungsschutz nicht hätte übernehmen können, ohne daß der Vertrag nach § 138 BGB nichtig gewesen wäre“.2987 Das Berufungsgericht war dabei noch der Ansicht, dass keine der alternativen Voraussetzungen zur materiell-rechtlichen Berücksichtigung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften und zur Nichtigkeitssanktion des § 138 BGB vorlägen, da das nigerianische Ausfuhrverbot zum Schutze vor der Ausplünderung des Landes durch ausländische Kunstliebhaber nicht das Interesse der (deutschen) Allgemeinheit berühre. Ein Sittenverstoß bei einer Zuwiderhandlung gegen dieses Verbot sei zu verneinen, da die unrechtmäßige Ausfuhr der nigerianischen Masken und Bronzefiguren weder deutschen Interessen noch internationalen Rechts- und Gerechtigkeitsvorstellungen widerspreche, nicht Ausdruck allgemeiner, im deutschen Verfassungsraum anerkannter rechtlicher Erwägungen und der in Deutschland herrschenden Rechtsund Sozialmoral sei und schließlich nicht auf den gemeinsamen sittlich-rechtlichen Vorstellungen aller Kulturstaaten beruhe: „Es betreffe keine vitalen Interessen Nigerias, wie es z.B. bei der Seuchenbekämpfung oder der Hebung des Wohlstandes im Lande der Fall sei.“2988
(1)
Kein (mittelbarer) Schutz deutscher Interessen durch das nigerianische Kulturgüterschutzgesetz
Der BGH bestätigte als Revisionsinstanz zunächst die Einschätzung des Berufungsgerichts dahingehend, dass durch das nigerianische Ausfuhrverbot keine deutschen Interessen geschützt würden (auch nicht mittelbar) und nicht schon deshalb eine Anwendung des § 138 BGB notwendig sei.2989 Vielmehr handele es sich hier um ein Verbot, das die Erhaltung des künstlerischen Erbes im Ursprungsland Nigeria und den Schutz dieses Landes vor einer Ausplünderung durch ausländische Kunstliebhaber und Händler bezwecke.
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Nach den voranstehend skizzierten Voraussetzungen einer Nichtigkeitsanordnung über § 138 BGB scheint es jedoch fraglich, ob deutsche Interessen nicht ein-
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BGH, Nigeria-Entscheidung des 2. Zivilsenats vom 22.06.1972, Az.: II ZR 113/70, BGHZ 59, S. 82–87, VersR 1972, 849, NJW 1972, 1575, MDR 1972, 934–934, NJW 1972, 2179. BGH, Nigeria-Entscheidung des 2. Zivilsenats vom 22.06.1972, Az.: II ZR 113/70, BGHZ 59, S. 82–87; MDR 1972, 934–934, NJW 1972, 2179. BGH, Nigeria-Entscheidung des 2. Zivilsenats vom 22.06.1972, Az.: II ZR 113/70, BGHZ 59, S. 82–87. Unter Rekurs auf BGH, Urteil des 8. Zivilsenats vom 21.12.1960, Az.: VIII ZR 1/60, BGHZ 34, S. 169–178, S. 177.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
mal mittelbar verletzt wurden.2990 So wurde ersichtlich, dass nahezu jeder Staat, mehr oder weniger weitreichend, ‚seinen‘ Bestand national wertvoller Kulturgüter für zukünftige Generationen zu erhalten und bewahren sucht. Da kulturelle Ursprungsstaaten alleine regelmäßig keine hinreichenden Grenzkontrollen zur Verhinderung einer unrechtmäßigen Ausfuhr aus tatsächlichen Gründen bewerkstelligen können und so in ihrem Schutzauftrag auf die internationale Unterstützung angewiesen sind, könnte folglich zwischen den Staaten (und somit auch aus Sicht der Bundesrepublik) ein eigenes mittelbares Interesse an internationaler Kooperation in Fragen des Kulturgüterschutzes bestehen und schon aus diesem Grund der Tatbestand des § 138 BGB erfüllt sein. Insofern handelt es sich bei dem Bemühen, den illegalen Kunsthandel zu bekämpfen, um ein Interesse, welches von allen Staaten geteilt wird2991 und erst bei konzertiertem Verhalten Erfolg versprechend ist. Außerdem könnte ein eigenes mittelbares Interesse Deutschlands an der materiell-rechtlichen Berücksichtigung ausländischer Kulturgüterschutzgesetze bestehen, da weniger kulturgüterschutzfreundliche Regelungen dazu führen, dass der Kunstmarktplatz Deutschland zu einem Zentrum des illegalen Kunsthandels mit unrechtmäßig entzogenen Kulturgütern avancieren würde – ein Ergebnis, das sich kein Marktpartizipant wünscht. Hier hätte also vom BGH zur Begründung einer materiell-rechtlichen Berücksichtigung des nigerianischen Kulturgüterschutzgesetzes schon auf die Interessengleichheit abgestellt werden können.2992
(2)
„Interesse aller Völker an der Erhaltung ihrer Kulturwerke an Ort und Stelle“
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Da nach heutiger Auffassung jedoch ein allgemein zu achtendes Interesse aller Völker an der Erhaltung ihrer Kulturwerke an Ort und Stelle (und damit innerhalb des Territoriums des kulturellen Ursprungsstaates) besteht, gelangt der BGH im Ergebnis dennoch nach § 138 BGB zur Sittenwidrigkeit und Nichtigkeit des Seegüterversicherungsvertrages, der hier ein ausländisches Ausfuhrverbot verletzt, das den Schutz nationalen Kulturguts bezweckt:
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„Die Umgehung eines solchen Schutzgesetzes muß, da sie dem nach heutiger Auffassung allgemein zu achtenden Interesse aller Völker an der Erhaltung von Kulturwerten an Ort und Stelle zuwiderhandelt, als verwerflich betrachtet werden. Die Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (Unesco) hat es bereits im Jahre 1964 durch ihre Generalkonferenz als notwendig bezeichnet, den Schutz des kultu-
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Diese Frage wirft auch Kegel, Die Rolle des öffentlichen Rechts im internationalen Privatrecht, S. 272–275, auf. Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 165–168. Vgl. Kegel, Die Rolle des öffentlichen Rechts im internationalen Privatrecht, in: Böckstiegel/ Folz/Mössner/Zemanek, Völkerrecht, Recht der Internationalen Organisationen, Weltwirtschaftsrecht – Festschrift für Ignaz Seidl-Hohenveldern, 1988, 243–278, S. 272–275.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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rellen Erbes der Völker auf internationaler Ebene durch enge Zusammenarbeit wirkungsvoll zu gestalten. Auf der 16. Tagung ihrer Generalkonferenz in Paris im Jahre 1970 hat die Unesco ausgesprochen, daß jeder Staat sich in zunehmendem Maße der Verpflichtung bewußt sein müsse, sein kulturelles Erbe und das aller Nationen zu achten. Ferner hat die Generalkonferenz erklärt, die unzulässige Ausfuhr von Kulturgut stehe der Verständigung der Nationen im Wege. … In der Völkergemeinschaft bestehen hiernach bestimmte grundsätzliche Überzeugungen über das Recht jedes Landes auf den Schutz seines kulturellen Erbes und über die Verwerflichkeit von „Praktiken“ …, die es beeinträchtigen und die bekämpft werden müssen. Die Ausfuhr von Kulturgut entgegen einem Verbot des Ursprungslandes verdient daher im Interesse der Wahrung der Anständigkeit im internationalen Verkehr mit Kunstgegenständen keinen bürgerlich-rechtlichen Schutz, auch nicht durch die Versicherung einer Beförderung, durch die Kulturgut aus dem von der ausländischen Rechtsordnung beherrschten Gebiet dem seiner Sicherung dienenden Ausfuhrverbot zuwider ausgeführt werden soll. Einem solchen Vertrag liegt ein versicherbares Interesse nicht zugrunde … Die in früherer Zeit übliche und geduldete Mißachtung des Wunsches anderer Völker, im Besitz ihrer Kunstschätze zu bleiben oder sie selbst zu verwerten, die das Berufungsgericht erwähnt, kann nicht zum Maßstab des nach heutiger Auffassung mit den guten Sitten Verträglichen gemacht werden.“2993
Das Ergebnis der Entscheidung „konnte schwerlich Zweifeln unterliegen“2994: Ausschlaggebend für die Begründung der Sittenwidrigkeit war aber nach Ansicht des BGH kein eigenes Interesse Deutschlands an der Einhaltung des nigerianischen Kulturgüterschutzgesetzes, sondern dass der Export national schützenswerter Kulturgüter ohne Ausfuhrgenehmigung – entgegen den lange Zeit geltenden Vorstellungen hinsichtlich des nationalen und internationalen Kulturgüterschutzes – als ein Verstoß gegen die herrschende „Überzeugung der Völkergemeinschaft“2995 und gegen den Ausdruck der von der UNESCO betriebenen und von der Bundesrepublik Deutschland mitgetragenen Politik der Erhaltung von Kulturwerten an Ort und Stelle 2996 betrachtet wurde.2997 Im Schrifttum wur-
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BGH, Entscheidung des 2. Zivilsenats, Urteil vom 22. Juni 1972, Az: II ZR 113/70, BGHZ 59, 82–87, VersR 1972, 849, NJW 1972, 1575, MDR 1972, 934–934, NJW 1972, 2179. Mann, See-Güterversicherungsvertrag ohne versicherbares Interesse, Entscheidungsanmerkung, NJW 1972, S. 1575. Sack in Staudinger – BGB: Buch 1 Allgemeiner Teil: §§ 134–163 (Allgemeiner Teil 4) (2003), § 138, Rdnr. 481–489. Vgl. Sonnenberger in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR, Rdnr. 436–438; Bleckmann, Sittenwidrigkeit wegen Verstoßes gegen den ordre public international – Anmerkung zum Urteil des BGH vom 22. Juni 1972, Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (ZaöRV) 34 (1974), S. 112–132, S. 114–120. Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 124–127; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 191–193; Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 191–197; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 147–151; Kegel, Die Rolle des öffentlichen Rechts im internationalen Privatrecht, S. 272–275.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
den die vom BGH in seiner Entscheidung perpetuierten und auf allgemeinem Konsens beruhenden Grundüberzeugungen zum Teil als neuen „internationalen ordre public“2998 oder als „internationale Kollektivinteressen“2999 bezeichnet. Vergleichbar hat später auch Richter Staughton – trotz späterer Abweisung des Restitutionsverfahrens des Staates Neuseeland auf Rückführung einer bedeutsamen Maori-Schnitzerei 3000 – innerhalb der Rechtssache Attorney General of New Zealand v. Ortiz aus dem Jahr 19823001 argumentiert und festgestellt, dass „Comity requires that we should respect the national heritage of other countries, by according both recognition and enforcement to their laws which affect the title to property while it is within their territory. The hope of reciprocity is an additional ground of public policy leading to the same conclusion.“
(3) 1173
UNESCO-Convention vom 14. November 1970 als Ausdruck internationaler Rechtsüberzeugung
Der BGH bezog sich zur Begründung des ‚neuen‘ Sittlichkeitsmaßstabs auf die UNESCO-Convention vom 14. November 1970, die die Bundesrepublik zum Zeitpunkt der Entscheidung zwar noch nicht ratifiziert und dementsprechend auch nicht in nationales Recht umgesetzt hatte, die aber als öffentliche Bestätigung für die Überzeugung der Völkergemeinschaft hinsichtlich des Rechts eines jeden Landes auf den Schutz seines kulturellen Erbes angesehen wurde.3002 Heute wird dieser Sittlichkeitsmaßstab über die UNESCO-Convention vom 14. November 1970 hinaus insbesondere auch durch die Grundsätze der UNIDROIT-Convention vom 24. Juni 1995 sowie im europäischen Raum mittels der EG-Richtlinie 93/7/EWG vom 15. März 1993 ausgefüllt.
2998
2999
3000 3001 3002
Vgl. bspw. Berndt, Internationaler Kulturgüterschutz: Abwanderungsschutz, Regelungen im innerstaatlichen Recht, im Europa- und Völkerrecht, 1998, S. 117 f.; Rudolf, Über den internationalen Schutz von Kulturgütern, Hailbronner/Ress/Stein, Staat und Völkerrechtsordnung – Festschrift für Karl Doehring, 1989, S. 853–871, S. 864; Hailbronner, Frachtgut gesunkener Schiffe und Kulturgüterschutz vor deutschen Gerichten, JZ 2002, S. 957–963, S. 961; Schaffrath, Die Rückführung unrechtmäßig nach Deutschland verbrachten Kulturguts an den Ursprungsstaat, 2007, S. 193–198. Bleckmann, Sittenwidrigkeit wegen Verstoßes gegen den ordre public international – Anmerkung zum Urteil des BGH vom 22. Juni 1972, Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (ZaöRV) 34 (1974), S. 112–132, S. 113, 131. Vgl. ausführlich zur Sachverhaltskonstellation 3, 943 ff. Attorney General of New Zealand v. Ortiz, (1982) 1 Q.B. 349, S. 371–372. Sack in Staudinger – BGB: Buch 1 Allgemeiner Teil: §§ 134–163 (Allgemeiner Teil 4) (2003), § 138, Rdnr. 481–489; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 124–127; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 191–193; Wiese, Der Einfluss des EGRechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 191–197; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 147–151.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts „[Die UNESCO Generalkonferenz] hat daher ein internationales Übereinkommen für diesen Zweck angenommen … Das Übereinkommen hat hiernach für die Bundesrepublik noch keine verbindliche Kraft (für Nigeria in Kraft seit 26. April 1972). Die Beratungen der Unesco und die Annahme des Übereinkommens durch die Generalkonferenz ergeben aber deutlich, daß die für die internationale kulturelle Zusammenarbeit zuständige Organisation die Ausfuhr von Kulturgut entgegen den Verboten eines Staates seit langem als ein gemeinschädliches und die Verständigung zwischen den Nationen hinderndes Verhalten auffasst. Sie hält die Zeit für gekommen, diese Überzeugung in ein verbindliches internationales Übereinkommen zu kleiden. In diesem Übereinkommen sollen die Vertragsstaaten anerkennen, daß die unzulässige Einfuhr, Ausfuhr oder Übereignung von Kulturgut eine der Hauptursachen für die Verarmung der Ursprungsländer an kulturellem Erbe bedeute und daß die internationale Zusammenarbeit eines der wirksamsten Mittel zum Schutz des Kulturgutes jedes Landes gegen alle sich daraus ergebenden Gefahren darstelle.“3003
c)
3004
3005 3006
1174
Nichtigkeitsfolge des Sittenwidrigkeitsverdiktes
Der BGH stellte schließlich in seiner Entscheidung fest, dass die Ausfuhr kultureller Güter entgegen einem Verbot des Ursprungslandes im Interesse der Wahrung der Anständigkeit im internationalen Verkehr mit Kunstgegenständen keinen bürgerlich-rechtlichen Schutz verdiene, auch nicht durch die Versicherung einer Beförderung, durch die Kulturgüter aus dem von der ausländischen Rechtsordnung beherrschten Gebiet – dem seiner Sicherung dienenden Ausfuhrverbot zuwider – ausgeführt werden sollen.3004 Einem solchen Vertrag liege kein versicherbares Interesse zugrunde.3005 Das Schrifttum geht einhellig davon aus, dass die Nichtigkeitssanktion des BGH aufgrund des Sittenwidrigkeitsverdiktes nicht nur den Versicherungsvertrag betreffen dürfe, sondern auch auf andere Verpflichtungsgeschäfte (wie bspw. den Kaufvertrag unter Schutz stehender Kulturgüter) zu übertragen sei.3006 So muss innerhalb des deutschen Rechtskreises jedes 3003
1183
BGH, Nigeria-Entscheidung des 2. Zivilsenats, Urteil vom 22. Juni 1972, Az: II ZR 113/70, BGHZ 59, 82–87, VersR 1972, 849, NJW 1972, 1575, MDR 1972, 934–934, NJW 1972, 2179. Zustimmend Bleckmann, Sittenwidrigkeit wegen Verstoßes gegen den ordre public international – Anmerkung zum Urteil des BGH vom 22. Juni 1972, Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (ZaöRV) 34 (1974), 112–132, S. 130; Siehr, Öffentliches Recht und internationales Privatrecht beim grenzüberschreitenden Kulturgüterschutz, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes – Symposium vom 22./23. Juni 1990 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 83–104, S. 96 ff.; Siehr, Kunstraub und das internationale Recht, Schweizerische JuristenZeitung 77 (1981), S. 189–197 und S. 207–212, S. 196; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 295 f.; Berndt, Internationaler Kulturgüterschutz: Abwanderungsschutz, Regelungen im innerstaatlichen Recht, im Europa- und Völkerrecht, 1998, S. 118. Vgl. Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 191–193. Vgl. Berndt, Internationaler Kulturgüterschutz: Abwanderungsschutz, Regelungen im innerstaatlichen Recht, im Europa- und Völkerrecht, 1998, S. 118; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 149; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche An-
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1184
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Rechtsgeschäft über den Sittenwidrigkeitstatbestand als nichtig deklariert werden, wenn Kulturgüter entgegen ausländischen Vorschriften – im Einklang mit der internationalen Rechtsüberzeugung – zur Bewahrung und Erhaltung des nationalen Kulturpatrimoniums innerhalb des eigenen Territoriums transferiert werden. Gleichzeitig zur Nichtigkeit des Transportversicherungsvertrages hätte dies in der Nigeria-Entscheidung somit auch zur Ungültigkeit bspw. des Kaufvertrages über die nigerianischen Masken und Bronzefiguren nach § 138 BGB geführt, der in gleichem Maße gegen das ausländische Ausfuhrverbot innerhalb des nigerianischen Kulturgüterschutzgesetzes verstieß.3007 1176
Außerdem sind in einer solchen Konstellation auch innerhalb der deutschen Rechtsordnung bei Anwendung des Traditionsprinzips und des Trennungsgrundsatzes die Wirksamkeitsgrenzen des deutschen Abstraktionsgedankens überschritten, sodass sich die Entstehungs- und Wirksamkeitsunabhängigkeit zwischen schuldrechtlichem Kausalgeschäft und dinglicher Eigentumsübertragung an den unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern wegen sog. Fehleridentität nicht auswirkt. Da sich der verbotswidrige Zustand gerade in dem dinglichen Geschäft manifestiert, wirkt sich derselbe Unwirksamkeitsgrund der Sittenwidrigkeit – d.h. die Veräußerung entgegen den Bestimmungen ausländischer Kulturgüterund Denkmalschutzvorschriften – nämlich sowohl auf den kulturellen Kaufvertrag als auch die Verfügung über die Eigentumsposition an den unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern aus.3008 Da die nationalen Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze gerade den Zweck verfolgen, das nationale Kulturpatrimonium vor Abwanderung ins Ausland zu schützen, müssen sowohl der schuldrechtliche Kaufvertrag über ein illegal in die Bundesrepublik Deutschland importiertes Kulturgut als auch seine Eigentumsübertragung unwirksam sein,3009 sodass
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sprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 124–127. Sack in Staudinger – BGB: Buch 1 Allgemeiner Teil: §§ 134–163 (Allgemeiner Teil 4) (2003), § 138, Rdnr. 481–489. Berndt, Internationaler Kulturgüterschutz: Abwanderungsschutz, Regelungen im innerstaatlichen Recht, im Europa- und Völkerrecht, 1998, S. 119; Jaeger, Internationaler Kulturgüterschutz – Rechtslage, Rechtspraxis, Rechtsfortentwicklung, 1994, S. 92; Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 132; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 298, Reichelt, International Protection of Cultural Property (Second Study) – La protection internationale des biens culturels (Deuxième étude), Uniform Law Review/Revue de droit uniforme, 1988 I, S. 52 ff., S. 65; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 147–151. Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 191–193; Jaeger, Internationaler Kulturgüterschutz – Rechtslage, Rechtspraxis, Rechtsfortentwicklung, 1994, S. 92; Fechner, Rechtlicher Schutz archäologischen Kulturguts – Regelungen im innerstaatlichen Recht, im Europa- und Völkerrecht sowie Möglichkeiten zu ihrer Verbesserung, 1991, S. 77; MüllerKatzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 298; Berndt, Interna-
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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keine unterschiedlichen Ergebnisse nach dem in Deutschland vorherrschenden Traditionsprinzip und bspw. in Frankreich, Großbritannien, Italien und den Vereinigten Staaten von Amerika geltenden Konsensprinzip erzielt werden. Die Unabhängigkeit des Verfügungs- von dem Verpflichtungsgeschäft ist zudem eine Besonderheit des deutschen Rechts, weswegen es widersprüchlich wäre, wenn deutsche Gerichte die Übereignung bei der Berücksichtigung ausländischer Verbotsgesetze von der Verbotswirkung ausnehmen würden.3010 Schließlich ist noch die Frage zu beantworten, ob von dem Sittenwidrigkeitsverdikt nur solche Veräußerungen erfasst werden, die den kulturgüterschutzgesetzwidrigen Transfer unmittelbar selbst betreffen (wie bspw. der Versicherungsvertrag innerhalb der Nigeria-Entscheidung die illegale Ausfuhr der nigerianischen Masken und Bronzefiguren unmittelbar betraf) oder ob auch solche Veräußerungen von der Nichtigkeitssanktion des § 138 BGB erfasst werden, die über ein bereits illegal ausgeführtes Kulturgut (also nach einem Statutenwechsel) innerhalb des Importstaates unter Geltung einer neuen Rechtsordnung abgeschlossen werden.3011 Wurde ein Kulturgut bspw. unrechtmäßig (d.h. ohne die nach dem Kulturgüterschutzgesetz des kulturellen Ursprungsstaates notwendige Ausfuhrgenehmigung) von dem Eigentümer illegal ausgeführt und möchte dieser das Objekt nun im kulturellen Importstaat an einen Dritten veräußern, ist fraglich, ob auch diese Veräußerung dem „Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden“ widerspricht und so einem Sittenwidrigkeitsverdikt unterfällt.
1177
Ein Teil der Literatur ist hier der Ansicht, dass nur gegenüber einer das Kulturgut selbst exportierenden Partei geltend gemacht werden könne, die Veräußerung verstoße gegen die Kulturgüterschutzbestimmungen des Exportstaats und sei deshalb nichtig.3012 Dementsprechend wäre ein Kaufvertrag, der in Deutschland über ein vorher illegal ausgeführtes Kulturgut abgeschlossen wurde, bzw. die
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tionaler Kulturgüterschutz: Abwanderungsschutz, Regelungen im innerstaatlichen Recht, im Europa- und Völkerrecht, 1998, S. 119. Vgl. Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 106; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 147–151. Vgl. hierzu auch Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 147–151. Vgl. zu dieser Frage aus Sicht des Common Law: Nott, Title to Illegally Exported Items of Historic or Artistic Worth, The International and Comparative Law Quaterly, Volume 33 (1984), S. 203–207, S. 205. Siehr, Nationaler und Internationaler Kulturgüterschutz – Eingriffsnormen und der internationale Kunsthandel, in: Pfister/Will, Festschrift für Werner Lorenz zum siebzigsten Geburtstag, 1992, S. 525–542, S. 538 f.; Sandrock, Foreign Laws Regulating the Export of Cultural Property: The Respect Due to Them by the Judge of the Lex Fori, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 457–481, S. 479 f.; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 124–127.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Übereignung nicht als sittenwidrig anzusehen, wenn die Parteien an der illegalen Ausfuhr aber selbst nicht beteiligt waren. Vergleichbar sieht Sandrock ein Rechtsgeschäft nur dann wegen Verstoßes gegen Exportbestimmungen als sittenwidrig an, wenn sich die Sache noch innerhalb des Hoheitsgebiets des kulturellen Ursprungsstaates, der auch das Ausfuhrverbot erlassen hat, befindet, weil andernfalls die Verpflichtungen der Vertragsparteien nicht die Vornahme von – diese Exportregeln verletzenden – Handlungen beinhalten.3013 Zur Begründung des Sittenwidrigkeitsverdikts nur die illegale Ausfuhr unmittelbar bezweckender Veräußerungen werden die Überlegungen des BGH in der Nigeria-Entscheidung herangezogen, wonach ausdrücklich die „Ausfuhr von Kulturgut entgegen einem Verbot des Ursprungslandes … keinen bürgerlich-rechtlichen Schutz“ verdient, sodass nur solche Rechtsgeschäfte erfasst seien, „durch die Kulturgut aus dem von der ausländischen Rechtsordnung beherrschten Gebiet dem seiner Sicherung dienenden Ausfuhrverbot zuwider ausgeführt werden soll“3014. Dies wiederum hätte zur Folge, dass eine Veräußerung zuvor unrechtmäßig ausgeführter Kulturgüter keine Verletzung des Exportverbots des kulturellen Ursprungsstaates mehr bedeuten könne und die Handlungen der Parteien keinem Sittenwidrigkeitsverdikt mehr unterfielen.3015 Für diese Sichtweise kann beispielhaft auch die britische Entscheidung Attorney General of New Zealand v. Ortiz aus dem Jahr 19823016 angeführt werden,3017 in der Richter Staughton zwar ausdrücklich feststellte, dass „Comity requires that we should respect the national heritage of other countries“, später jedoch eine Sittenwidrigkeit und mögliche Restitution einer bedeutsamen Maori-Schnitzerei an den Staat Neuseeland ablehnte, da das Kulturgut von dem Beklagten in New York erworben wurde, nachdem es bereits zuvor aus Neuseeland ausgeführt worden war. Hier hatte das Gericht die Wirksamkeit des Kulturguterwerbs wegen Sittenwidrigkeit nicht in Frage gestellt.3018 1179
Es erscheint bei dieser Frage jedoch auch möglich, mit guten Gründen für die Gegenseite einzutreten3019 und heute in der Veräußerung zuvor illegal exportierter 3013
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Sandrock, Foreign Laws Regulating the Export of Cultural Property: The Respect Due to Them by the Judge of the Lex Fori, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 457–481, S. 479. BGH, Entscheidung des 2. Zivilsenats, Urteil vom 22. Juni 1972, Az: II ZR 113/70, BGHZ 59, 82–87, VersR 1972, 849, NJW 1972, 1575, MDR 1972, 934–934, NJW 1972, 2179. So Sandrock, Foreign Laws Regulating the Export of Cultural Property: The Respect Due to Them by the Judge of the Lex Fori, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 457–481, S. 479; diesem folgend auch Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 124–127. Attorney General of New Zealand v. Ortiz, (1982) 1 Q.B. 349, S. 371–372. Vgl. ausführlich zur Sachverhaltskonstellation 3, 943 ff. Vgl. Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 124–127. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001,
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
1187
Kulturgüter außerhalb des kulturellen Ursprungsstaates selbst eine sittenwidrige Abrede zu sehen, die sogar über die unrechtmäßige Ausfuhr als rein tatsächliche Handlung hinausgeht und diese rechtlich perpetuiert (und damit eine Rückführung durch den Exporteur endgültig von Rechts wegen verunmöglicht).3020 Häufig geht mit einem solchen qualifizierten Statutenwechsel 3021 und der Veräußerung unrechtmäßig ausgeführter Kulturgüter zugleich auch ein Rechtsverlust des kulturellen Ursprungsstaates innerhalb sog. ownership laws einher, wenn dieser bspw. an illegalen Raubgrabungen mittels sog. umbrella statutes3022 oder im Moment der illegalen Ausfuhr mittels sog. automatic forfeiture clauses 3023 (bzw. auch sog. rhetorical ownership statutes 3024) selbst Eigentum an den unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern erworben hatte, welches er jedoch bei einer Veräußerung nach einem qualifizierten Statutenwechsel an einen gutgläubigen Erwerber verlieren kann. Außerdem wäre es für jeden Kunstschmuggler ein Leichtes, die voranstehende Sittenwidrigkeit zu vermeiden, indem die Veräußerung erst nach und nicht vor der illegalen Ausfuhr erfolgt. Schließlich sollte der Zeitpunkt der Veräußerung national als Kulturpatrimonium geschützter Objekte kein entscheidungsrelevanter Faktor in der Qualifikation einer Kulturgutveräußerung als sittenwidrig oder nicht sein. Deshalb liegt es nahe, dass die Gegenansicht mit derselben Begründung, mit der der BGH den Versicherungsvertrag in der Nigeria-Entscheidung für sittenwidrig erklärt hat, auch die Veräußerung eines illegal exportierten Kulturguts außerhalb des kulturellen Ursprungsstaates für sittenwidrig hält.3025 Auch die Veräußerung unter Schutz gestellter Kulturgüter nach Ausfuhr aus dem kulturellen Ursprungsstaat kann somit eine Umgehung nationaler Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften darstellen, dem vom BGH beschriebenen „Interesse aller Völker an der Erhaltung von Kulturwerten an Ort und Stelle“ widersprechen und so als verwerflich
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S. 147–151, macht darauf aufmerksam, dass der BGH für die Bejahung der Sittenwidrigkeit des Versicherungsvertrags nur auf die Kenntnis des Versicherers abstelle, was erst recht für den Erwerber gelten müsse (vgl. so auch Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 298). Daraus könne man schließen, dass die Beteiligung der Parteien an der illegalen Ausfuhr selbst keine Voraussetzung für die Anwendung von § 138 BGB sei, sondern schon die Kenntnis davon ausreicht. Insgesamt seien die Ausführungen des BGH diesbezüglich aber wohl nicht verallgemeinerungsfähig. So Jaeger, Internationaler Kulturgüterschutz – Rechtslage, Rechtspraxis, Rechtsfortentwicklung, 1994, S. 92; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 298, S. 352. Vgl. ausführlich hierzu 3, 228 ff. Vgl. ausführlich hierzu 3, 289 ff. Vgl. ausführlich hierzu 3, 283 ff. So Merryman, Cultural Property Export Controls, UFITA, Band 111 (1989), S. 63–99, S. 73. Vgl. Berndt, Internationaler Kulturgüterschutz: Abwanderungsschutz, Regelungen im innerstaatlichen Recht, im Europa- und Völkerrecht, 1998, S. 117 f.; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 298.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
betrachtet werden. Vergleichbar zu der Ausfuhr von Kulturgut entgegen einem Verbot des Ursprungslandes könnte deshalb mit guten Gründen – mit den Worten des BGH – „im Interesse der Wahrung der Anständigkeit im internationalen Verkehr mit Kunstgegenständen“ auch die Veräußerung unrechtmäßig exportierter Kulturgüter „keinen bürgerlich-rechtlichen Schutz“ verdienen. Dabei stünde Deutschland auch keineswegs isoliert bei einem internationalen Vergleich: Eine ähnliche Wirkung erzielt bspw. die Lei n.º 13/85 de Base do Património Cultural Português vom 6. Juli 1985 in Art. 31, wonach in Portugal geschlossene Verträge über Kulturgüter, die unter Verstoß ausländischer Ausfuhrverbote importiert worden sind, für ungültig erklärt werden, wenn Portugal unter der Rechtsordnung des kulturellen Ursprungsstaates eine vergleichbare Rechtsstellung innehat (Voraussetzung ist somit Reziprozität). Zur Unterstützung können hierfür auch die Begründungserwägungen des LG Hamburg in dem Rechtsstreit um die antiken Pistolen vom 20.6.1996 3026 angeführt werden:3027 Das Gericht prüfte im Rahmen eines Bereicherungsanspruchs die Sittenwidrigkeit der Veräußerung illegal exportierter Kulturgüter nach § 138 BGB, lehnte diese aber nur ab, weil die subjektive Voraussetzung einer Sittenwidrigkeit und damit die Kenntnis beider Vertragsparteien des Kaufvertrages von den die Sittenwidrigkeit begründenden Umständen nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht bekannt waren. 1181
Ausführlich werden von Weidner auch die materiell-rechtliche Berücksichtigung einer Deklaration kultureller Güter als res extra commercium in ausländischen Kulturgüterschutzvorschriften und die Möglichkeit der Nichtigkeitssanktion kultureller Veräußerungsgeschäfte entgegen der Extrakommerzialitätsanordnung aufgrund Sittenwidrigkeit diskutiert.3028 Freilich scheitert eine Veräußerung bereits dann, wenn der Erwerber eines als res extra commercium behandelten Kulturguts diesen Status kennt, da er in der Regel gleichzeitig auch bösgläubig hinsichtlich der Verfügungsberechtigung des Veräußerers ist und das Sittenwidrigkeitsverdikt Rechtswirkungen allein hinsichtlich des schuldrechtlichen Kaufvertrages zeitigen würde. Wurde ein extrakommerziales Kulturgut jedoch bereits von seinem Veräußerer außerhalb des kulturellen Ursprungsstaates gutgläubig erworben oder ersessen, wäre die Zweitveräußerung ein Erwerb vom Berechtigten, sodass sich die Kenntnis des Erwerbers von dem besonderen Status des Kulturguts nicht im Rahmen des gutgläubigen Eigentumserwerbs auswirken würde und einer materiell-rechtlichen Berücksichtigung dann eigenständige Bedeutung zukäme. „Da aus der Sicht des Heimatrechts die Sache immer noch res extra commercium ist“, läge nach Weidner „in der Veräußerung ein Verstoß gegen aus-
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LG Hamburg, Urteil vom 20.6.1996 (unveröffentlicht), IPRspr. 1996 Nr. 55 5.119 ff. Vgl. ausführlich hierzu 3, 870 ff. Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 147–151.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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ländische Kulturgüterschutznormen“3029 und es müsse – zumindest bei Kenntnis von einem illegalen Export – von Sittenwidrigkeit ausgegangen werden, weil das Ausfuhrverbot bei als res extra commercium behandelten Kulturgütern aus der Natur der Sache folgt:3030 „Eine Sittenwidrigkeit könnte allerdings sogar noch eher anzunehmen sein, weil in der Veräußerung selbst ein Verstoß gegen ausländisches Recht, aus dessen Sicht die Sache immer noch res extra commercium ist, liegt, wohingegen sich bei einem bloßen Exportverbot der Gesetzesverstoß in der einmaligen Ausfuhr erschöpft und ein späterer Erwerber daran nicht mehr beteiligt ist. Das Wissen eines Erwerbers, daß er durch sein Verhalten das Eigentumsrecht eines Staates (welches bei Rückkehr in dieses Land immer wieder aufleben würde) oder einer ausländischen öffentlichrechtlichen Person verletzt, selbst wenn er nach der geltenden Rechtsordnung vom Berechtigten erwirbt, ist sicherlich ausreichend, um sein Verhalten als moralisch verwerflich und sittenwidrig zu bewerten. Allerdings wird es die Situation, daß ein Erwerber zwar vom Berechtigten erwirbt, aber trotzdem die Herkunft des Kulturguts und seinen früheren Status als res extra commercium kennt, in der Praxis wahrscheinlich nicht häufig geben.“3031
d)
Ehrenzweigs ‚Datum-Theorie‘ als rechtsdogmatische Grundlage
Wenn sich Teile eines Sachverhalts im Ausland zugetragen haben oder eine Sachverhaltskonstellation enge tatsächliche Bindungen mit der Rechtsordnung eines Drittstaates besitzt (und somit ein Auslandssachverhalt vorliegt), kann es geboten sein, den besonderen Gegebenheiten im Ausland Rechnung zu tragen, auch wenn nach den eigentlichen Rechtswahlregeln des Kollisionsrechts das eigene materielle Recht (die lex fori) oder eine dritte Rechtsordnung (die lex causae) für die Entscheidung maßgeblich ist, nicht jedoch die Rechtsordnung, mit der eine eigene enge Bindung besteht.3032 Im Internationalen Kulturgüterprivatrecht zählen hierzu die in Rede stehenden Konstellationen, in denen Kulturgüter entgegen den Vorschriften des kulturellen Ursprungsstaates von dessen Territorium exportiert und veräußert wurden, ohne dass nach der international-privatrechtlichen Rechtsanwendungsbestimmung die Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften des kulturellen Ursprungsstaates Anwendung finden. Bezogen auf den Nigeria-Fall geht es dabei vor allem um die rechtsdogmatische Begründung der Frage, warum der im Tatbestand des § 138 BGB (als deutsche Sachnorm) verwendete unbestimmte Rechtsbegriff des „sittenwidrigen Rechtsgeschäfts“ (d.h. des Verstoßes gegen „die guten Sitten“) mit Hilfe ausländischer Kulturgüterund Denkmalschutzvorschriften (als fremde Sachnormen) konkretisiert werden 3029
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1182
Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 147–151. Unter Rekurs auf Frier, L’exportation des biens culturels, L’Actualité juridique (AJDA), Droit administratif n° 4 (20 avril 1993), S. 264–270, S. 266. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 147–151. Vgl. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 37–38.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
darf.3033 Damit soll dem im Internationalen Kulturgüterprivatrecht – aufgrund der Anwendung der lex rei sitae – regelmäßig auftretenden Problem der Veräußerung kultureller Güter Rechnung getragen werden, die trotz der wiederholt beschriebenen tatsächlichen Nähebeziehung der Objekte zu der Rechtsordnung des kulturellen Ursprungsstaates nach den geltenden Rechtswahlregeln nicht nach dieser ‚Heimatrechtsordnung‘ eines Kulturguts entschieden wird. 1184
Die Berücksichtigung ausländischer Kulturgüterschutzvorschriften bei der Veräußerung im Rahmen einer Sittenwidrigkeitskontrolle erfolgt somit nicht nach der Methode einer doppelten kollisionsrechtlichen Verweisung sowohl auf die lex rei sitae als auch auf die Regelungen des Heimat- und Schutzstaats des Kulturguts3034, sondern es ist davon auszugehen, dass letztlich nur eine kollisionsrechtliche Verweisung (bspw. auf die lex rei sitae) vorliegt, jedoch die kulturgüterschützenden Regelungen des kulturellen Ursprungsstaates im Rahmen der tatsächlichen Bewertung der Umstände des Falles berücksichtigt werden.3035 Da „die Gesetzessprache keine in ihrem Umfang genau festgelegten Begriffe [verwendet], sondern mehr oder minder flexible Ausdrücke, deren mögliche Bedeutung innerhalb einer weiten Bandbreite schwankt und je nach den Umständen und der Sachbezogenheit … unterschiedlich sein kann“ 3036, ist es Aufgabe der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe und Wertausfüllung von Generalklauseln, den für den jeweiligen Sachverhalt konkret geltenden Inhalt festzustellen. Weidner erinnert bei diesem Vorgang völlig zu Recht daran, dass „die besondere „Natur“ und „Sachstruktur“ von Kulturgütern, ihre Einmaligkeit, ihr hoher, nicht nur kommerzieller, sondern auch kultureller Wert und ihre Bedeutung für einen bestimmten Ort oder ein Land … bei der Auslegung der anwendbaren Normen mitberücksichtigt werden [müssen], was dazu führt, daß bei der Gewichtung der
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Vgl. hierzu auch Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 212; Jaeger, Internationaler Kulturgüterschutz – Rechtslage, Rechtspraxis, Rechtsfortentwicklung, 1994, S. 92; Siehr, Nationaler und Internationaler Kulturgüterschutz – Eingriffsnormen und der internationale Kunsthandel, in: Pfister/Will, Festschrift für Werner Lorenz zum siebzigsten Geburtstag, 1992, S. 525–542, S. 538 f.; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 298; Wiese, Der Einfluss des EGRechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 175–177. So aber Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/ Frank/Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 211 f.; Jaeger, Internationaler Kulturgüterschutz – Rechtslage, Rechtspraxis, Rechtsfortentwicklung, 1994, S. 90 ff. So Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 299; vgl. auch Siehr, Nationaler und Internationaler Kulturgüterschutz – Eingriffsnormen und der internationale Kunsthandel, in: Pfister/Will, Festschrift für Werner Lorenz zum siebzigsten Geburtstag, 1992, S. 525–542, S. 542; Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 175–177. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1991, S. 298.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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verschiedenen Interessen andere Maßstäbe angelegt werden können.“3037 In gleichem Maße muss aber auch beachtet werden, dass die deutschen Sachvorschriften in erster Linie für rein deutsche Sachverhalte geschaffen worden sind und in Auslandssachverhalten aber auch Bezüge zu einem anderen Land bestehen, denen bei der Rechtsfindung durch Auslegung und Konkretisierung der anwendbaren Sachnormen besonders Rechnung zu tragen ist.3038
(1)
Bedeutung und Reichweite der Datum-Theorie
Dieser Vorgang der materiell-rechtlichen Berücksichtigung ausländischer Rechtsgrundsätze und -überzeugungen außerhalb des kollisionsrechtlichen Rechtswahlprozesses kann mit der von Brainerd Currie und Albert Ehrenzweig entwickelten Datum-Theorie begründet werden.3039 Danach soll ausländisches Recht nicht nur kraft ausdrücklicher kollisionsrechtlicher Anordnung anwendbar sein, sondern
3037
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Vgl. auch Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 132–133. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 301; Siehr, Zivilrechtliche Fragen des Kulturgüterschutzes, in: Reichelt, Internationaler Kulturgüterschutz – Wiener Symposium 18./19. Oktober 1990, 1992, S. 41–68, S. 67. Vgl. ausführlich hierzu Ehrenzweig, Local and Moral Data in the Conflict of Laws: Terra incognita, Buffalo Law Review 16 (1966), S. 58 ff.; Ehrenzweig, Private International Law, 1967, S. 77–82, 83–85; Ehrenzweig, Conflicts in a Nutshell, 3. Aufl. 1974, S. 11 f., S. 95 ff. Vgl. auch die Rezeption innerhalb des deutschen Schrifttums: Jayme, Ausländische Rechtsregeln und Tatbestand inländischer Sachnormen – Betrachtungen zu Ehrenzweigs DatumTheorie, in: Jayme/Kegel, Gedächtnisschrift für Albert A. Ehrenzweig, 1976, S. 35–49; Jayme, in: Serick/Niederlander/Jayme, Albert A. Ehrenzweig und das internationale Privatrecht – Symposium veranstaltet vom Institut fur Auslandisches und Internationales Privat- und Wirtschaftsrecht der Universitat Heidelberg am 17. Juli 1984, S.19; Mülbert, Ausländische Eingriffsnormen als Datum, IPRax 1986, S. 140–142. S. 141; Hessler, Sachrechtliche Generalklausel und internationales Familienrecht, in: Serrick, Albert A. Ehrenzweig und das internationale Privatrecht – Symposium am 17. Juli 1984, veranst. vom Inst. für Ausländ. u. Internat. Privat- u. Wirtschaftsrecht d. Univ. Heidelberg, 1986, S. 138 ff., S. 169 ff.; Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 40–41; Schurig, Zwingendes Recht, „Eingriffsnormen“ und neues IPR, RabelsZ 54 (1990), S. 217–250, S. 241 f.; Kienle/Weller, Die Vindikation gestohlener Kulturgüter im IPR, IPRax 2004, S. 290–294, S. 293; Kohls, Kulturgüterschutz: Wirkungen von Verstößen gegen Ausfuhrverbote und Möglichkeiten der Rückführung illegal verbrachter Kulturgüter – Eine vergleichende Untersuchung mit den Rechten Dänemarks, Norwegens und Schwedens, 2001, S. 128–130; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 299 ff.; Schulze, DatumTheorie und narrative Norm – Zu einem Privatrecht für die multikulturelle Gesellschaft, in: Jayme, Kulturelle identität und Internationales Privatrecht, 2003, S. 155–178; Hoffmann/ Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 37–38; Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 197–204; Kurpiers, Die lex originisRegel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 127–128.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
auch als Tatsache (als sog. „Datum“) im Rahmen des Tatbestandes einer Sachnorm berücksichtigt werden. Voraussetzung ist eine so starke Verbindung des Sachverhalts zu diesen Rechtssätzen, dass der Richter im Forum um ihre Beachtung gleichsam nicht herumkommt.3040 Ehrenzweigs in Deutschland vielbeachtete und wiederholt von Jayme 3041 rezipierte Datum-Theorie ist in den amerikanischen lex fori-approach und das Misstrauen einzubetten, Gerichte würden auf Befehl einschlägiger Kollisionsnormen wirklich ausländisches Recht anwenden. Der Ansatz wird damit vom Denkstil des sog. legal realism und dem diesem inhärenten „Mißtrauen gegenüber generalisierenden Rechtsregeln geprägt, welche nach ihrer Ansicht die wahren Entscheidungsgründe eher verdecken als erklären.“3042 Ehrenzweig lehnte so das vom materiellen Recht losgelöste Kollisionsrecht (als sog. „superlaw“) im Sinne des traditionellen von Savigny-Ansatzes ab, sodass grundsätzlich die lex fori anzuwenden sei und ausländische Rechtssätze nur als local data und fremde Wertmaßstäbe nur als moral data Eingang in die Entscheidung finden dürfen.3043 Die Datum-Lehre besitzt auf diese Weise einen gänzlich anderen Ausgangspunkt als das kollisionsrechtliche Verweisungssystem: Während dieses in der klassischen Prägung von Savignys nach dem „Sitz eines Rechtsverhältnisses“ sucht und von den sachrechtlichen Anknüpfungsgegenständen her denkt, denen es typisierend geeignete Anknüpfungspunkte zuweist, stellt sich die Datum-Theorie gegen diesen objektivrechtlichen Ordnungsgedanken, setzt bei den Beteiligten an und fragt nach den Rechtswirkungen, denen die Beteiligten faktisch unterworfen sind sowie nach den sie leitenden Rechtserwartungen.3044 1186
Ungeklärt ist das Verhältnis dieser Methode zur klassischen kollisionsrechtlichen Verweisung auf ausländisches Recht. Um im Rahmen der berufenen Sachnormen Tatbestandswirkung zu entfalten, kann Ehrenzweigs Theorie als rechtsdogmatisches Erklärungsmodell für die faktische Berücksichtigung eines ausländischen 3040
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3043
3044
Vgl. Schulze, Datum-Theorie und narrative Norm – Zu einem Privatrecht für die multikulturelle Gesellschaft, in: Jayme, Kulturelle identität und Internationales Privatrecht, 2003, S. 155–178, S. 157. Von Jayme in das deutsche IPR übertragen, vgl. Jayme, Ausländische Rechtsregeln und Tatbestand inländischer Sachnormen – Betrachtungen zu Ehrenzweigs Datum-Theorie, in: Jayme/Kegel, Gedächtnisschrift für Albert A. Ehrenzweig, 1976, S. 35–49. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 57–60. Von der Anwendung der lex fori sei lediglich dann Abstand zu nehmen und das inländische Gericht habe nicht ausländisches Recht anzuwenden, sondern den ausländischen Gerichten die Zuständigkeit zu überlassen, wenn ihre Auslegung unter Zugrundelegung der policy des Forums zu dem Recht eines anderen Staates führt („law of a proper forum“, „forum conveniens“). Vgl. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 57–60. In Anlehnung an Schulze, Datum-Theorie und narrative Norm – Zu einem Privatrecht für die multikulturelle Gesellschaft, in: Jayme, Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, 2003, S. 155–178, S. 162.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetzes als vorgegebenes „Datum“ dienen, das weder ein Bestandteil der lex fori noch der lex causae ist und somit eigentlich nicht zur Streitentscheidung berufen wäre.3045 Ausländischen Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften wird nicht nur unmittelbar und direkt durch eine international-privatrechtliche Verweisung auf ausländische Rechtsregeln mittels einer allgemein anerkannten Kollisionsnorm Rechnung getragen, sondern darüber hinaus auch durch deren Berücksichtigung im Rahmen des berufenen materiellen Sachrechts. Diese data sollen auch bei der Maßgeblichkeit inländischen Rechts – gleichsam auf der zuvor durch das Kollisionsrecht berufenen Sachrechtsebene – als Teil des Sachverhalts am Subsumtionsvorgang teilnehmen können.3046 Auf diese Weise wird die Bedeutung ausländischer Rechtsregeln als data offensichtlich: Sie dienen der Konkretisierung der Tatbestandsmerkmale des anwendbaren Rechts, treffen aber selbst keine Rechtsfolgenanordnung.3047 Insgesamt wird von Jayme zu Recht von einer Zweistufentheorie des internationalen Privatrechts gesprochen, wobei sich die Zweistufigkeit dadurch ergibt, dass die Datum-Theorie und die Berücksichtigung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften auf der Ebene des Sachrechts erst eingreifen, nachdem mit herkömmlichen kollisionsrechtlichen Mitteln das anwendbare Recht bestimmt worden ist.3048 In einer ersten Stufe werden somit die nationalen Sachzuordnungsregeln unrechtmäßig entzogener Kulturgüter mit Hilfe der allgemeinen Anknüpfungsmerkmale bestimmt, während in einem zweiten Schritt durch Auslegung und Konkretisierung der Generalklauseln des anwendbaren (deutschen) Sachrechts die Wertungen ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften faktisch Eingang in den Entscheidungsprozess finden.3049 Auf diese
3045 3046
3047
3048
3049
Vgl. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 236–237. Jayme, Ausländische Rechtsregeln und Tatbestand inländischer Sachnormen – Betrachtungen zu Ehrenzweigs Datum-Theorie, in: Jayme/Kegel, Gedächtnisschrift für Albert A. Ehrenzweig, 1976, S. 35–49, S. 49; Kienle/Weller, Die Vindikation gestohlener Kulturgüter im IPR, IPRax 2004, S. 290–294, S. 293. Vgl. Jayme, Ausländische Rechtsregeln und Tatbestand inländischer Sachnormen – Betrachtungen zu Ehrenzweigs Datum-Theorie, in: Jayme/Kegel, Gedächtnisschrift für Albert A. Ehrenzweig, 1976, S. 35–49, S. 45. Jayme, Versorgungsausgleich mit Auslandsberührung und Theorie des internationalen Privatrechts: Begriffe und Instrumente, in: Zacher, Der Versorgungsausgleich im internationalen Vergleich und in der wischenstaatlichen Praxis – Colloquium des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Sozialrecht 1984, 1985, S. 423 ff.; Jayme, Kulturelle Identität und Kindeswohl im internationalen Kindschaftsrecht, IPRax 1996, S. 237–244, S. 242; Schulze, Datum-Theorie und narrative Norm – Zu einem Privatrecht für die multikulturelle Gesellschaft, in: Jayme, Kulturelle identität und Internationales Privatrecht, 2003, S. 155–178, S. 163–164; kritisch Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 37–38. Vgl. Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 127–128.
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Weise kann dem Auslandssachverhalt nicht nur durch eine Verweisung auf ausländische Rechtsregeln sondern auch durch deren Berücksichtigung im Rahmen des berufenen Sachrechts Rechnung getragen werden.3050 1187
Diese Erklärung lässt sich gut anhand der Entscheidung des Nigeria-Falles nachvollziehen, da dort auf den Seegüterversicherungsvertrag deutsches Recht Anwendung fand und die Rechtswahlgrundsätze die nigerianischen Kulturgüterschutzvorschriften nicht zur Anwendung beriefen. Diese wurden vom BGH nicht unmittelbar angewandt, jedoch im Rahmen des Tatbestandes des § 138 BGB und der Auslegung des Sittenwidrigkeitsverständnisses mittelbar und indirekt berücksichtigt. Die ausländischen Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften dienen dann der Konkretisierung des deutschen Tatbestandes und finden auf diese Weise ohne international-privatrechtliche Rechtsanwendungsbestimmung faktischen Eingang in die Streitentscheidung, auch wenn die Rechtsfolge der Sittenwidrigkeit nach wie vor dem deutschen materiellen Recht entnommen wurde.3051 Die Auslegung des nach den allgemeinen Kollisionsnormen des internationalen Privatrechts anwendbaren Sachrechts entscheidet darüber, wann und wie ausländisches Recht materiell-rechtlich Eingang in die konkrete Entscheidungsfindung erfährt. Daraus wird innerhalb der Nigeria-Entscheidung die von Ehrenzweig beschriebene rechtskonstruktive Unterscheidung zwischen „rules of decision“ und sog. „foreign rules … which are fixed data needed for the application of the forum rule of decision“ augenscheinlich3052, wobei er „the concept of datum“ der Vorfragenanknüpfung gegenüberstellt.3053 Im Unterschied zur Anwendung ausländischen Rechts kraft kollisionsrechtlicher Verweisung, bei der die ausländischen Normen als Recht – und nicht als Tatsache – direkte und unmittelbare Anwendung finden, erlangt die Datum-Theorie nur eine tatsächliche und faktische mittelbare Berücksichtigung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften.3054 Nach diesem Verständnis ist die Datum-Theorie als Korrekturmechanismus zu verstehen, „um die unvermeidlich holzschnittartigen Anwendungsbefehle sub specie zu ergänzen.“
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Ausländische Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften gelangen somit nicht aufgrund einer international-privatrechtlichen Anwendungsbestimmung des allgemeinen Kollisionsrechts zur Anwendung, sondern die Berücksichtigung
3050 3051
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3054
Vgl. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 299. Vgl. auch Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 37–38. Vgl. Ehrenzweig, Local and Moral Data in the Conflict of Laws: Terra incognita, Buffalo Law Review 16 (1966), S. 58 f. Vgl. Schulze, Datum-Theorie und narrative Norm – Zu einem Privatrecht für die multikulturelle Gesellschaft, in: Jayme, Kulturelle identität und Internationales Privatrecht, 2003, S. 155–178, S. 158. Vgl. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 37–38.
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ausländischer Vorschriften zur Erhaltung und Bewahrung national wertvoller Kulturgüter ist als eigenständige Regelbildung innerhalb der anwendbaren Rechtsordnung zu betrachten3055 (Ehrenzweig spricht von der materiell-rechtlichen Berücksichtigung ausländischer Rechtsregeln als „nonchoice“-Frage3056). Anders als bei der kollisionsrechtlichen Behandlung von Vorfragen3057 ergibt sich allein aus der Berücksichtigung ausländischer Rechtsnormen noch keine abschließende Entscheidung hinsichtlich einzelner Rechtsfragen. Es handelt sich also nicht um das „altbekannte Problem der Vorfrage“.3058 Den ausländischen Kulturgutschutzvorschriften kann somit keine normative Wirkung beigemessen werden und es kann allein um die Beurteilung der faktischen Auswirkungen dieser Regelwerke gehen.3059 Auch Wiese grenzt auf die vorgenannte Weise die Methodik der doppelten kollisionsrechtlichen Verweisung von der Berücksichtigung der ausländischen Rechtsregeln als Tatsachen (als sog. Methodik der faktischen Berücksichtigung) ab.3060 Andere Teile des Schrifttums3061 sind jedoch der Meinung, dass es der Terminologie der Datum-Theorie zur Erklärung einer materiell-rechtlichen Berücksichtigung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften eigentlich nicht bedarf. Sonnenberger sieht so die Datum-Theorie als eine ganz herkömmliche Frage der Auslegung des berufenen Sachrechts an. Ausländisches Sachrecht sei hier nicht anders Wertungsfaktor als in anderem Zusammenhang etwa eine standesethische Ordnung oder ein gesellschaftlicher Verhaltenskodex und werde auch nicht anders als diese in die Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe bzw. Auslegung der kollisionsrechtlich zur Anwendung berufenen Sachnormen einbezogen.3062 Außerdem sei nach Ansicht von Hoffmanns und Thorns bei 3055 3056
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Vgl. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 301. Ehrenzweig, Private International Law – A Comparative Treatise on American International Conflicts Law, Including the Law of Admiralty, 1967, S. 83 ff. Vgl. hierzu Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 242 ff. So aber Siehr, Normen mit eigener Bestimmung ihres räumlich-persönlichen Anwendungsbereichs im Kollisionsrecht der Bundesrepublik Deutschland, RabelsZ 46 (1982), S. 357– 380, S. 373–374. Siehe dazu Schurig, Zwingendes Recht, „Eingriffsnormen“ und neues IPR, RabelsZ 54 (1990), S. 217–250, S. 242. Vgl. Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 175–177. Insbesondere Siehr, Ausländische Eingriffsnormen im inländischen Wirtschaftskollisionsrecht, RabelsZ 52 (1988), S. 41–103, S. 80 f.; Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 37–38. von Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 37–38; Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, 8. Aufl. 2000, S. 58. Zum Ganzen auch Schulze, Datum-Theorie und narrative Norm – Zu einem Privatrecht für die multikulturelle Gesellschaft, in: Jayme, Kulturelle identität und Internationales Privatrecht, 2003, S. 155–178, S. 163–164.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Anwendung der Datum-Theorie einerseits die Rechtssicherheit zu besorgen, andererseits würde der Bevorzugung der lex fori zu Lasten ausländischen Rechts Vorschub geleistet.3063 Richtig daran ist, dass die Datum-Theorie selbst offen lässt, wann, nach welchen Kriterien und in welcher Weise ausländisches Recht als Datum Aufmerksamkeit verdient.3064
(2)
Unterscheidung zwischen ‚local‘ und ‚moral data‘
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Für die Anhänger der Datum-Theorie bedarf die „Anwendung gewisser Regeln – inländischer oder ausländischer – … keiner theoretischen Überlegung. Ihre Anwendbarkeit versteht sich sozusagen von selbst“3065. Bei dieser mittelbaren Anwendung unterscheidet die Datum-Theorie zwei unterschiedliche Quellen ausländischer Wertmaßstäbe, die einmal als sog. local data und zum anderen als moral data materiell-rechtliche Berücksichtigung erfahren sollen: Vereinfacht gesprochen geht es der Datum-Theorie mithin darum, im Ausland geltende, ortsgebundene Regeln als sog. local data und Sitten, Bräuche, Anstand und sonstige „equitable defenses“ als sog. moral data nicht nur auf der kollisionsrechtlichen Ebene, sondern insbesondere bei der Frage des anwendbaren Rechts zu berücksichtigen.3066
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Die local data „sind ortsgebundene Regeln, die Teil eines zu beurteilenden Sachverhalts sind wie andere Fakten auch. Zur Begründung derartiger tatbestandlicher Selbstverständlichkeiten bedarf es keiner generellen Anwendbarkeit aufgrund konkreter Bestimmung einer Kollisionsnorm, sondern es geht allein darum, dass ausländisches Recht als Teil des Sachverhalts am Subsumtionsvorgang unter die ,,rule of decision“ teilnimmt.“3067 Local data sind in diesem Sinne ortsgebundene Regeln und von statutsfremden Normen erzeugte Rechtswirkungen, die aufgrund ihrer faktischen Auswirkung auf den Sachverhalt als Tatsachen und Gegebenheiten in die Sachrechtsanwendung einfließen.3068
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Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 57–60, § 1 Rn. 129. Vgl. Magnus, Ulrich in Magnus, Ulrich, J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen – Art. 34 EGBGB, Rdnr. 110–145. Jayme, Ausländische Rechtsregeln und Tatbestand inländischer Sachnormen – Betrachtungen zu Ehrenzweigs Datum-Theorie, in: Jayme/Kegel, Gedächtnisschrift für Albert A. Ehrenzweig, 1976, S. 35–49, S. 39. Vgl. für einen Überblick Kienle/Weller, Die Vindikation gestohlener Kulturgüter im IPR, IPRax 2004, S. 290–294, S. 293. Jayme, Ausländische Rechtsregeln und Tatbestand inländischer Sachnormen – Betrachtungen zu Ehrenzweigs Datum-Theorie, in: Jayme/Kegel, Gedächtnisschrift für Albert A. Ehrenzweig, 1976, S. 35–49, S. 39. Vgl. Schulze, Datum-Theorie und narrative Norm – Zu einem Privatrecht für die multikulturelle Gesellschaft, in: Jayme, Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, 2003, S. 155–178, S. 159.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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Zur Verdeutlichung der Funktionsweise der Datum-Theorie und der Berücksichtigung solcher local data dient die deliktische Beurteilung eines Verkehrsunfalles im Ausland. Dabei sind dem Deliktsstatut grundsätzlich alle Voraussetzungen einer Haftung aus unerlaubter Handlung zu entnehmen, beispielsweise der Kreis der geschützten Rechtsgüter, die Kausalität, die Rechtswidrigkeit und das Verschulden einschließlich der Deliktsfähigkeit. Eine faktische Berücksichtigung in der Streitentscheidung außerhalb des Deliktsstatuts gilt bei Verkehrsunfällen jedoch bspw. für örtliche Verhaltensregeln und die im Ausland geltenden Verkehrsvorschriften (wie etwa das Rechtsfahrgebot oder die Gurtanlegepflicht), die auch dann dem Recht des Handlungsortes zu entnehmen sind, wenn dieses Recht nicht Deliktsstatut ist.3069 Auch bei der Höhe des Schmerzensgeldes sind die Richtsätze am gewöhnlichen Aufenthalt des Verletzten als local data zu berücksichtigen.3070 Bestimmte Verhaltensregeln des Tatorts verlangen so unbedingte Anwendung und konkretisieren als local data die Tatbestandsmerkmale eines fremden Deliktsstatuts. Allgemein lässt sich somit festhalten, dass ortsgebundene Regeln als sog. local data auch ohne kollisionsrechtliche Anwendungsbestimmung auf die Tatsachenlage faktisch einwirken, die Tatbestandsmerkmale der kollisionsrechtlich berufenen Sachnorm auf diese Weise konkretisieren und mitbestimmen und so bei der Verweisung zu beachten sind, ohne jedoch innerhalb des anwendbaren Statuts eine eigenständige Rechtsfolgenanordnung zu treffen.3071
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Ehrenzweig stellte diesen local data wertungsausfüllende Begriffe wie Sitte, Brauch und Anstand (und somit rechtliche und vorrechtliche Gerechtigkeitsvor-
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Vgl. Junker, Internationales Privatrecht, S. 393; Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 57–60. So ausdrücklich OLG München, Urteil vom 10.12.1982, Az.: 10 U 3675/82, VersR 1984, S. 745–749 (mit Anmerkung von Mansel, Zum anwendbaren Recht bei einem Verkehrsunfall in Portugal bei Beteiligung eines Deutschen und mit einer Portugiesin verheirateten Spaniers). Vgl. Jayme, Ausländische Rechtsregeln und Tatbestand inländischer Sachnormen – Betrachtungen zu Ehrenzweigs Datum-Theorie, in: Jayme/Kegel, Gedächtnisschrift für Albert A. Ehrenzweig, 1976, S. 35–49, S. 45; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 299; Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 197–204; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 127– 128; Mülbert, Ausländische Eingriffsnormen als Datum, IPRax 1986, S. 140–142. S. 141; Hessler, Sachrechtliche Generalklausel und internationales Familienrecht, in: Serrick, Albert A. Ehrenzweig und das internationale Privatrecht – Symposium am 17. Juli 1984, veranst. vom Inst. für Ausländ. u. Internat. Privat- u. Wirtschaftsrecht d. Univ. Heidelberg, 1986, S. 138 ff. Aus strafrechtlicher Sicht Grundmann, Berücksichtigung ausländischer Rechtsvorstellungen im Strafrecht: Zur Datumtheorie im internationalen Strafrecht, NJW 1985, S. 1251–1255.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
stellungen) gegenüber, die er als moral data verstanden wissen will.3072 Von ihnen meinte Ehrenzweig, dass ein Richter sie grundsätzlich nur mit Maßstäben der lex fori bestimmen und ausländische Maßstäbe gegenüber inländischen in diesem Bereich grundsätzlich nicht durchsetzen werde3073 („Geht es um „moral data“, so bedarf es keiner Bestimmung des anwendbaren Rechts; es gilt die lex fori.“3074). Trotz der Anerkenntnis, dass moral data grundsätzlich der lex fori entspringen und der Rechtsanwender in der Regel auf seine eigenen Wertvorstellungen zurückgreifen wird,3075 können jedoch nach der Rezeption der Datum-Theorie innerhalb der deutschen Rechtsordnung auch solche moralischen Wertvorstellungen ohne kollisionsrechtliche Rechtsanwendungsbestimmung ebenso wie die voranstehend genannten local data im anwendbaren Statut ihre materiell-rechtlichen Wirkungen entfalten,3076 wenn sich ein ausländischer moralischer Maßstab und die darin inhärenten „rechtsethischen Werturteile“3077 zu einer orts-
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Ehrenzweig, Private International Law – A Comparative Treatise on American International Conflicts Law, Including the Law of Admiralty, S. 77: „… [T]here is one potentially very large group of such rules whose application is ordinarily removed from choice of law and conflicts theory. Here, the displacement of the domestic rule is rarely put in issue because it is phrased in terms of, or is interpreted as requiring, what I have called the forum’s “moral data”.“ Vgl. auch Jayme, Ausländische Rechtsregeln und Tatbestand inländischer Sachnormen – Betrachtungen zu Ehrenzweigs Datum-Theorie, in: Jayme/Kegel, Gedächtnisschrift für Albert A. Ehrenzweig, 1976, S. 35–49, S. 39; Hessler, Sachrechtliche Generalklausel und internationales Familienrecht, in: Serrick, Albert A. Ehrenzweig und das internationale Privatrecht – Symposium am 17. Juli 1984, veranst. vom Inst. für Ausländ. u. Internat. Privat- u. Wirtschaftsrecht d. Univ. Heidelberg, 1986, S. 138 ff., S. 140; Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 197–204. Jayme, Ausländische Rechtsregeln und Tatbestand inländischer Sachnormen – Betrachtungen zu Ehrenzweigs Datum-Theorie, in: Jayme/Kegel, Gedächtnisschrift für Albert A. Ehrenzweig, 1976, S. 35–49, S. 39. Jayme, Ausländische Rechtsregeln und Tatbestand inländischer Sachnormen – Betrachtungen zu Ehrenzweigs Datum-Theorie, in: Jayme/Kegel, Gedächtnisschrift für Albert A. Ehrenzweig, 1976, S. 35–49, S. 41. Hessler, Sachrechtliche Generalklausel und internationales Familienrecht, in: Serrick, Albert A. Ehrenzweig und das internationale Privatrecht – Symposium am 17. Juli 1984, veranst. vom Inst. für Ausländ. u. Internat. Privat- u. Wirtschaftsrecht d. Univ. Heidelberg, 1986, S. 138 ff., S. 140; Jayme, Ausländische Rechtsregeln und Tatbestand inländischer Sachnormen – Betrachtungen zu Ehrenzweigs Datum-Theorie, in: Jayme/Kegel, Gedächtnisschrift für Albert A. Ehrenzweig, 1976, S. 35–49, S. 39; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 300. Hessler, Sachrechtliche Generalklausel und internationales Familienrecht, in: Serrick, Albert A. Ehrenzweig und das internationale Privatrecht – Symposium am 17. Juli 1984, veranst. vom Inst. für Ausländ. u. Internat. Privat- u. Wirtschaftsrecht d. Univ. Heidelberg, 1986, S. 138 ff., S. 140. Jayme, Ausländische Rechtsregeln und Tatbestand inländischer Sachnormen – Betrachtungen zu Ehrenzweigs Datum-Theorie, in: Jayme/Kegel, Gedächtnisschrift für Albert A. Ehrenzweig, 1976, S. 35–49, S. 46.
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gebundenen Regel verdichten3078 und eine Formation konkreter Rechtsregeln darstellen, die speziell mit dem Sitz des Sachverhalts verbunden sind.3079 Die Einschränkung Ehrenzweigs, Begriffe wie Sitte, Brauch und Anstand aus psychologischen Gründen immer nur nach der Wertvorstellung des eigenen Rechts auszulegen, fand im deutschsprachigen Schrifttum somit keine Rezeption,3080 sodass Bewertungsmaßstäbe wie „die Werte einer multikulturellen Gesellschaft, die Achtung der kulturellen Identität, der Sprache, der Religion und Weltanschauung, ja die Pluralität als selbstständiger Rechtswert und Kennzeichen einer postmodernen Gesellschaft“ 3081 als moral data materiell-rechtliche Berücksichtigung außerhalb des international-privatrechtlichen Rechtsanwendungsprozesses erfahren können.3082 Die Rechtsprechung zu § 138 Abs. 1 BGB und die Berücksichtigung ausländischer Verbotsgesetze lassen erkennen, „dass ein psychologisch erklärbarer Drang auch zugunsten fremder Gerechtigkeitsund Moralvorstellungen gehen konnte, sofern diese von einer inländischen Rechtsauffassung – etwa dem Grundsatz zwischenstaatlicher Zusammenarbeit – unterstützt wurde“3083 und entsprechende Moralvorstellungen und rechtliche
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Vgl. Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 197–204. Vgl. Hessler, Sachrechtliche Generalklausel und internationales Familienrecht, in: Serrick, Albert A. Ehrenzweig und das internationale Privatrecht – Symposium am 17. Juli 1984, veranst. vom Inst. für Ausländ. u. Internat. Privat- u. Wirtschaftsrecht d. Univ. Heidelberg, 1986, S. 138 ff., S. 140; Siehr, Ehrenzweigs lex-fori-Theorie und ihre Bedeutung für das amerikanische und deutsche Kollisionsrecht, RabelsZ 34 (1970), S. 585–635, S. 605. Vgl. Jayme, Ausländische Rechtsregeln und Tatbestand inländischer Sachnormen – Betrachtungen zu Ehrenzweigs Datum-Theorie, in: Jayme/Kegel, Gedächtnisschrift für Albert A. Ehrenzweig, 1976, S. 35–49, S. 46; Schulze, Datum-Theorie und narrative Norm – Zu einem Privatrecht für die multikulturelle Gesellschaft, in: Jayme, Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, 2003, S. 155–178, S. 158; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 127–128. Schulze, Datum-Theorie und narrative Norm – Zu einem Privatrecht für die multikulturelle Gesellschaft, in: Jayme, Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, 2003, S. 155–178, S. 166. „Wenn Ehrenzweig meinte, dass der Richter nur seine eigenen Billigkeitsvorstellungen verwirklichen könne, so ergibt sich von hier an die Frage, ob und wie man in die Mechanismen des Entscheidungsvorgangs wünschenswerte Steuerungen einbauen kann, die den Blick über die Grenze lenken. Hier ist manches weiterzuentwickeln.“ Jayme, Ausländische Rechtsregeln und Tatbestand inländischer Sachnormen – Betrachtungen zu Ehrenzweigs Datum-Theorie, in: Jayme/Kegel, Gedächtnisschrift für Albert A. Ehrenzweig, 1976, S. 35– 49, S. 49. Schulze, Datum-Theorie und narrative Norm – Zu einem Privatrecht für die multikulturelle Gesellschaft, in: Jayme, Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, 2003, S. 155–178, S. 158, unter Rekurs auf Jayme, Ausländische Rechtsregeln und Tatbestand inländischer Sachnormen – Betrachtungen zu Ehrenzweigs Datum-Theorie, in: Jayme/ Kegel, Gedächtnisschrift für Albert A. Ehrenzweig, 1976, S. 35–49, S. 46.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Wertungen bei den Beteiligten effektiv vorherrschen und ihr Verhalten bestimmen.3084 Somit können ausländische Moralvorstellungen bei der Auslegung und Konkretisierung inländischer Generalklauseln mittelbare und faktische Anwendung finden, wenn sich dafür im ausländischen Recht bereits feste Maßstäbe gebildet haben.3085 1195
So unbestritten und „evident“3086 die faktischen Auswirkungen dieses Prinzips für die Streitentscheidung sind, so problematisch kann es im Internationalen Kulturgüterprivatrecht sein, diejenigen Verhaltensnormen ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften zu bestimmen, die weder der lex causae noch der lex fori unterliegen, aber dennoch im Wege der materiell-rechtlichen Berücksichtigung mittels der Datum-Theorie unbedingt anzuwenden sind – es ist selten so einfach wie beim Rechts- oder Linksfahrgebot.3087 Bzgl. der NigeriaEntscheidung steht für die Rechtswissenschaft zwar fest, dass keine international-privatrechtliche Anknüpfung an eine ausländische Rechtsordnung als lex causae bestimmt wurde, sondern dass das Versicherungsverhältnis der streitbefangenen Parteien eindeutig der deutschen Rechtsordnung unterlag und das nigerianische Kulturgüterschutzrecht allein mittels einer materiell-rechtlichen Berücksichtigung über den Sittenwidrigkeitstatbestand des § 138 BGB streitentscheidende Bedeutung erlangen konnte. Ob ausländische Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze jedoch nun als local data oder als moral data zu qualifizieren sind, wird im deutschen Schrifttum unterschiedlich bewertet. Es stellt sich nämlich die Frage, welche inländischen ethisch-moralischen Maßstäbe der Sittlichkeit verletzt sind.3088
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Nach Mülbert, und diesem folgend Müller-Katzenburg, basieren ausländische Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften und das Ausfuhrverbot national wertvoller Kulturgüter auf Sachgesichtspunkten und seien deshalb als local data 3084
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Hessler, Sachrechtliche Generalklausel und internationales Familienrecht, in: Serrick, Albert A. Ehrenzweig und das internationale Privatrecht – Symposium am 17. Juli 1984, veranst. vom Inst. für Ausländ. u. Internat. Privat- u. Wirtschaftsrecht d. Univ. Heidelberg, 1986, S. 138 ff., S. 140; Schulze, Datum-Theorie und narrative Norm – Zu einem Privatrecht für die multikulturelle Gesellschaft, in: Jayme, Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, 2003, S. 155–178, S. 158; Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 127–128. Nach Siehr, Ehrenzweigs lex-fori-Theorie und ihre Bedeutung für das amerikanische und deutsche Kollisionsrecht, RabelsZ 34 (1970), S. 585–635, S. 605, sind nur präzise ausländische Maßstäbe für die Beurteilung von „moral data“ als „local data“ dem Ortsrecht zu entnehmen. Schulze, Datum-Theorie und narrative Norm – Zu einem Privatrecht für die multikulturelle Gesellschaft, in: Jayme, Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, 2003, S. 155–178, S. 158. Vgl. Junker, Internationales Privatrecht, S. 395–396. Vgl. Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 197–204.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
zu qualifizieren.3089 Allgemein sei jedenfalls der in ausländischen Verbotstatbeständen (wie Export- oder Importverboten kultureller Güter) enthaltene Maßstab hinreichend präzise, um als local data inländische moral data konkretisieren zu können.3090 Insofern müsse das Vorgehen des BGH den Ausführungen Ehrenzweigs zur Tatbestandswirkung ausländischer local data entsprechen.3091 Die Gegenansicht berücksichtigt ausländische Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften und denen inhärente Ausfuhrverbotstatbestände innerhalb des Sittenwidrigkeitsverdiktes des § 138 BGB dagegen als moral data, die sich durchsetzen, wenn ihre Zwecke von der inländischen Rechtsauffassung her unterstützt werden.3092 Dieses Verständnis findet auch in der Begründung des BGH innerhalb seiner Nigeria-Entscheidung Anklang: Das allgemein zu achtende „Interesse aller Völker an der Erhaltung ihrer Kulturwerke an Ort und Stelle“ und das „Recht jedes Landes auf den Schutz seines kulturellen Erbes und über die Verwerflichkeit von „Praktiken“ …, die es beeinträchtigen und die bekämpft werden müssen“ – wie sie zum Zeitpunkt der Entscheidung in der UNESCO-Convention vom 14. November 1970 und heute insbesondere auch in der UNIDROIT-Convention vom 24. Juni 1995 sowie im europäischen Raum in der EG-Richtlinie 93/7/EWG vom 15. März 1993 Ausdruck finden – erhalten nach der deutschen Rechtsauffassung Unterstützung, haben sich als internationale Standards etabliert3093 und entfalten so Rechtswirkungen für die Parteien und deren Rechtserwartungen.3094 Schlüssiger ist es jedoch, das Sittenwidrigkeitsverdikt auf einen allgemeinen moralischen Konsens in der Bevölkerung zu stützen, der besagt, dass innerhalb der internationalen Völkergemeinschaft Kulturwerte an Ort und
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Mülbert, Ausländische Eingriffsnormen als Datum, IPRax 1986, S. 140–142. S. 141; MüllerKatzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 302. Mülbert, Ausländische Eingriffsnormen als Datum, IPRax 1986, S. 140–142, S. 141. Vgl. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 302. Vgl. Jayme, Ausländische Rechtsregeln und Tatbestand inländischer Sachnormen – Betrachtungen zu Ehrenzweigs Datum-Theorie, in: Jayme/Kegel, Gedächtnisschrift für Albert A. Ehrenzweig, 1976, S. 35–49, S. 46; Schulze, Datum-Theorie und narrative Norm – Zu einem Privatrecht für die multikulturelle Gesellschaft, in: Jayme, Kulturelle Identität und Internationales Privatrecht, 2003, S. 155–178, S. 158. Vgl. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 302. Vgl. so auch Kurpiers, Die lex originis-Regel im internationalen Sachenrecht – Grenzüberschreitende privatrechtliche Ansprüche auf Herausgabe von abhanden gekommenen und unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern, 2005, S. 127–128. Vgl. aus der ausländischen Rechtsprechung auch die vergleichbaren Entscheidungen: Cour d’appel Luxembourg, Urteil vom 2.3.2000, Pasicrisie luxembourgeoise 31 (2000), S. 279 ff.: Auskunftsverlangen über die Sittenwidrigkeit eines Darlehens nach deutschem Recht (dazu Jayme/Kohler, Europäisches Kollisionsrecht 2001 – Anerkennungsprinzip statt IPR?, IPRax 2001, S. 501–514, S. 511 f.; aber auch BGH, Urteil des 8. Zivilsenats vom 21.12.1960, Az.: VIII ZR 1/60, BGHZ 34, S. 169–178: US-Ausfuhrverbot in osteuropäische Staaten. Junker entwickelt daraus einen shared values approach, vgl. Junker, Schadensersatzpflicht bei einem Verstoß gegen ein ausländisches Embargo – Zugleich eine Besprechung der Entscheidung des BGH vom 20.11.1990, JZ 1991, S. 699–702, S. 701.
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Stelle belassen werden müssen.3095 „Unter dieser Prämisse liegt der zu erhebende Sittlichkeitsvorwurf jedoch nicht in der Verletzung oder Umgehung ausländischer Schutzgesetze, sondern darin, dass ein Kulturgut aus seinem angestammten Kontext entfernt wurde.“3096 1197
Wie dem auch sei: Das kulturgüterspezifische Schrifttum nutzt heute die DatumTheorie und deren Rechtswirkungen, um die in der Nigeria-Entscheidung getroffenen Wertungen auch rechtsdogmatisch zu begründen und so ausländische Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze und die darin inkorporierten Ausfuhrverbotstatbestände im Rahmen des § 138 BGB materiell-rechtlich zu berücksichtigen. Je nach Einschätzung habe der BGH die nigerianischen Bestimmungen zur Erhaltung und Bewahrung der national wertvollen Masken und Bronzefiguren innerhalb des Territoriums Nigerias als local data oder als moral data zur Auslegung, Präzisierung und Konkretisierung der eigenen Wertvorstellungen hinsichtlich des „Anstandsgefühls aller billig und gerecht Denkenden“ herangezogen, um innerhalb des deutschen Sittenwidrigkeitstatbestandes die Wirksamkeit des Seegüterversicherungsvertrages zu negieren.3097 Speziell für den Bereich des Internationalen Kulturgüterprivatrechts, in dem kollisionsrechtliche Verweisungsnormen (wie das eherne und eiserne Prinzip der lex rei sitae) als zu starr erscheinen und die Berücksichtigung der local data über die Normengruppe hinausgeht, die von einer Verweisungsregel umfasst wird, kann die grundlegende Systematik der Datum-Theorie auch für das internationale Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht fruchtbar gemacht werden, in dem in besonderem Maße ausländisches öffentliches Recht Bedeutung erlangt. Die Maßgeblichkeit einer bestimmten lex causae schließt somit nicht aus, dass ausländische Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften auch vor nationalen Gerichten Beachtung finden können.3098
3.
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Berücksichtigung ausländischer Kulturgüterschutzbestimmungen bei Auslegung der Gutgläubigkeit i.S.d. § 932 BGB und des ‚Abhandenkommens‘ i.S.d. § 935 BGB
Schließlich ist in kulturellen Veräußerungen entgegen den nationalen Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetzen des kulturellen Ursprungsstaates, in denen die Regeln des internationalen Privatrechts das deutsche Sachrecht zur Streitent3095
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So Hailbronner, Frachtgut gesunkener Schiffe und Kulturgüterschutz vor deutschen Gerichten, JZ 2002, S. 957–963, S. 961. Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 197–204. Vgl. zum Ganzen auch Wiese, Der Einfluss des EG-Rechts auf das Internationale Sachenrecht der Kulturgüter, 2005, S. 197–204. Vgl. Jayme, Ausländische Rechtsregeln und Tatbestand inländischer Sachnormen – Betrachtungen zu Ehrenzweigs Datum-Theorie, in: Jayme/Kegel, Gedächtnisschrift für Albert A. Ehrenzweig, 1976, S. 35–49, S. 49.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
scheidung berufen, in Anlehnung an die Nigeria-Entscheidung des BGH 3099 daran zu denken, mittels der Grundsätze der Datum-Theorie das Rechtswidrigkeitsverdikt eines Kulturguttransfers nach den Bestimmungen ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften und deren Rechtswirkungen bei Auslegung und Konkretisierung der Tatbestandsmerkmale der Gutgläubigkeit in § 932 Abs. 2 BGB und des Abhandenkommens in § 935 Abs. 1 BGB materiellrechtlich zu berücksichtigen.3100 Die mittelbare Berücksichtigung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften innerhalb materiell-rechtlicher Vorschriften kann somit auch hier innerhalb des Konkretisierungsprozesses wertausfüllungsbedürftiger nationaler Generalklauseln der anwendbaren lex causae erfolgen, die aufgrund ihrer unbestimmten Tatbestandsmerkmale geradezu paradigmatisch die Möglichkeit wahren, ausländische local und moral data im Rahmen des anwendbaren Rechts mitzuberücksichtigen. So ist die Datum-Theorie keinesfalls a priori auf den engen Kreis inländischer Generalklauseln zu limitieren,3101 sondern immer dann, wenn im Wege der Auslegung wertausfüllungs-
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So spricht auch Bleckmann, Sittenwidrigkeit wegen Verstoßes gegen den ordre public international – Anmerkung zum Urteil des BGH vom 22. Juni 1972, Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (ZaöRV) 34 (1974), S. 112–132, S. 114–115, der Entscheidung „größte Bedeutung“ zu, „weil sie das auch in anderen Normen enthaltene Tatbestandsmerkmal der Sittenwidrigkeit generell beeinflussen, der Verstoß gegen den ordre public international folglich auch im Rahmen der unerlaubten Handlungen zum Schadensersatz [§ 826 BGB] und im Rahmen des ordre public-Vorbehalts zur Nichtanwendung fremden Rechts [aus Art. 30 EGBGB] oder zur Nichtanerkennung ausländischer Hoheitsakte [§ 328 Abs. 1 Ziff. 4 ZPO] führen kann.“ Vgl. zu diesem Ansatz auch Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff., S. 3584 f.; Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 88–89; Fechner, Rechtlicher Schutz archäologischen Kulturguts – Regelungen im innerstaatlichen Recht, im Europaund Völkerrecht sowie Möglichkeiten zu ihrer Verbesserung, 1991, S. 105 f.; Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 215; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 200; Jayme, Ausländische Rechtsregeln und Tatbestand inländischer Sachnormen – Betrachtungen zu Ehrenzweigs Datum-Theorie, in: Jayme/ Kegel, Gedächtnisschrift für Albert A. Ehrenzweig, 1976, S. 35–49, S. 43–44; Kenety, Who Owns the Past? The Need for Legal Reform and Reciprocity in the International Art Trade, Cornell International Law Journal, Volume 23 (1990), S. 1–46, S. 34; Kohls, Kulturgüterschutz: Wirkungen von Verstößen gegen Ausfuhrverbote und Möglichkeiten der Rückführung illegal verbrachter Kulturgüter – Eine vergleichende Untersuchung mit den Rechten Dänemarks, Norwegens und Schwedens, 2001, S. 143; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 304 ff.; Mülbert, Ausländische Eingriffsnormen als Datum, IPRax 1986, S. 140–142. S. 141; Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 89; Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 302; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 144–145. So Mülbert, Ausländische Eingriffsnormen als Datum, IPRax 1986, S. 140–142. S. 141.
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bedürftige Tatbestandselemente eine richterliche Konkretisierung zu erfahren haben, ist an die Berücksichtigung ausländischer Fakten zu denken.3102 1199
Voraussetzung hierfür ist, dass man – im Einklang mit den obenstehenden Ausführungen – die Rechtswirkungen sog. ownership laws nationaler Kulturgüterund Denkmalschutzvorschriften und die Entstehung besitzlosen Staatseigentums mittels sog. umbrella statutes und rhetorical ownership statutes anerkennt.3103 Bekanntlich werden bei Anwendung sog. umbrella statutes den kulturellen Ursprungsstaaten per Gesetz sämtliche Rechtspositionen an entdeckten als auch noch unentdeckt im Boden befindlichen archäologischen Altertumsfunden zugesprochen, sodass der Finder selbst keine eigenen Rechte an den Objekten erwirbt. Auch bei der automatischen Legaldesignation kultureller Wertgegenstände zu Staatseigentum des kulturellen Ursprungsstaates mittels sog. rhetorical ownership statutes bzw. sog. automatic forfeiture clauses erfolgt noch auf dem Territorium des kulturellen Ursprungsstaates und somit innerhalb dessen Gewalthoheit der Verfall sämtlicher dinglicher Rechte an den Herkunftsstaat.
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Wird in diesen Konstellationen ein in ausländischem Staatseigentum befindliches Kulturgut an einen gutgläubigen Erwerber auf deutschem Territorium veräußert, entscheiden nach dem international-privatrechtlichen Rechtsanwendungsbefehl der lex rei sitae die deutschen Sachenrechtsvorschriften über die dingliche Sachzuordnung der Objekte, sodass ausländische Kulturgüter- und Denkmalschutzbestimmungen sowohl innerhalb der Frage der Gutgläubigkeit des Erwerbers nach § 932 Abs. 2 BGB, vgl. hierzu zunächst unter Punkt a), als auch innerhalb des Problems des Abhandenkommens in § 935 Abs. 1 BGB materiell-rechtlich berücksichtigt werden könnten, vgl. hierzu nachfolgend unter Punkt b). Kienle und Weller sehen so bereits in der „Kulturguteigenschaft ein datum“, das „auf Sachnormebene unabhängig davon Wirkungen entfalten muss, ob inländisches oder ausländisches Sachenrecht Anwendung findet“, und fordern, dass „ein deutsches Gericht auch bei Anwendung ausländischen Sachrechts dessen Anforderungen an den gutgläubigen Erwerb den Besonderheiten des Kulturgüterschutzes anzupassen hat.“3104 Völlig zu Recht wird diese „doppelte Heranziehung der Kulturguteigenschaft als datum“ im Einklang mit dem Tenor dieses Rechtshandbuches „mit der allen Rechtsordnungen gemeinen, universellen Anerkennung der Kulturguteigenschaft als etwas Besonderes, als über
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So auch Jayme, Ausländische Rechtsregeln und Tatbestand inländischer Sachnormen – Betrachtungen zu Ehrenzweigs Datum-Theorie, in: Jayme/Kegel, Gedächtnisschrift für Albert A. Ehrenzweig, 1976, S. 35–49, S. 43–44. So auch Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 144–145. Kienle/Weller, Die Vindikation gestohlener Kulturgüter im IPR, IPRax 2004, S. 290–294, S. 293.
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ein ordinäres Mobilium hinausgehendes Verfügungsobjekt“ begründet und ein Kunstwerk im Vergleich zu anderen Mobilien, die in Quantität und Masse transferiert werden und auf Konsum ausgerichtet sind, als aliud angesehen, welches es normativ rechtfertigt, Ausnahmen von generellen Rechtsregeln zuzulassen.3105
a)
Anforderungen an den ‚guten Glauben‘ i.S.d. § 932 BGB bei schutzgesetzwidrig transferierten Kulturgütern
Zunächst könnte man daran denken, den notwendigen Sorgfaltsmaßstab gutgläubiger Erwerber bei Akquisition kulturgüterschutzgesetzwidrig transferierter Objekte i.S.d. § 932 Abs. 2 BGB zu modifizieren und bei Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs des „guten Glaubens“ die Wertung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze materiell-rechtlich zu berücksichtigen (obwohl nicht diese, sondern die deutschen Sachrechtsregeln mittels des international-privatrechtlichen Rechtswahlprozesses unmittelbar zur Anwendung bestimmt wurden). Ausdrücklich bestimmt § 932 Abs. 2 BGB, dass ein Erwerber nur dann „nicht in gutem Glauben“ ist, „wenn ihm bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt ist, dass die Sache nicht dem Veräußerer gehört.“ Hier könnte man daran denken, Bösgläubigkeit auch dann anzunehmen, wenn dem Erwerber bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben ist, dass ein Kulturgut entgegen den Bestimmungen zur Erhaltung und Bewahrung national wertvoller Kulturgüter aus dem Ursprungsstaat ausgeführt worden war. So wird bspw. im kulturgüterspezifischen Schrifttum empfohlen, den guten Glauben des Erwerbers schon dann abzulehnen, wenn er wusste oder wissen musste, dass das Kulturgut in seinem Herkunftsland res extra commercium ist.3106
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Unweigerlich fühlt man sich an die kanadische Entscheidung R. v. Yorke 3107 erinnert, in der der Nova Scotia Court of Appeal bestimmte, dass ein Kunsthändler sich beim Erwerb und Export kultureller Wertgegenstände aus dem kulturellen Ursprungsstaat über die bestehenden Kulturgüterschutzgesetze zur Erhaltung und Bewahrung national wertvoller Objekte innerhalb des Territoriums des Ursprungsstaates zu informieren hat.3108
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Kienle/Weller, Die Vindikation gestohlener Kulturgüter im IPR, IPRax 2004, S. 290–294, S. 293. Dazu Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 133 ff.; Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 88–89. R. v. Yorke, 122 C.C.C.3d 298 (N.S.C.A. 1998). Vgl. Hughes, The Trend Toward Liberal Enforcement of Repatriation Claims in Cultural Property Disputes, The George Washington International Law Review, Volume 33 (2000), S. 131–153, S. 143–144; O’Keefe, The Use of Criminal Offences in UNESCO Countries: Australia, Canada and the U.S.A., Art, Antiquity and Law 6 (2001), S. 19–35, S. 26–28. Vgl. auch Prott, Commentary on the UNIDROIT Convention on Stolen and Illegally Exported Cultural Objects 1995, 1997, S. 63–68.
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Der beklagte Yorke lebte zwischen 1976 und 1985 in Südamerika, zumeist in Bolivien. Er agierte zu dieser Zeit als Händler indigener Textil- und Webwaren der südamerikanischen Kulturen. Im Jahre 1985 stellten kanadische Zollbehörden fest, dass nicht nur gefälschte Exportdokumente bei der Einfuhr bolivianischer Kulturgüter benutzt wurden, sondern dass darüber hinaus Kulturgüter nach Kanada importiert wurden, die unzweifelhaft zum nationalen Kulturerbe Boliviens gehörten. In der Folge wurden mehr als 6.000 Kulturgüter bei Yorke konfisziert, sowohl wegen Verletzung allgemeiner Zollvorschriften bei der Einfuhr beweglicher Gegenstände als auch aufgrund einer Verletzung des kanadischen Cultural Property Export and Import Act aus dem Jahre 1977. Der Nova Scotia Court of Appeal stellte diesbezüglich fest, dass damit zugleich auch der hierfür entsprechende Straftatbestand verwirklicht war und nun dem beklagten Yorke, wenn er eine Verurteilung umgehen wollte, der Nachweis oblag, dass er die notwendige Sorgfalt bei der Bestimmung der Frage an den Tag legte, ob die Gegenstände unter das bolivianische Kulturexportregulativ fielen.
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Das Gericht stellte also fest, dass es regelmäßig zu den notwendigen Sorgfaltsanforderungen gutgläubiger Erwerber dazugehört, sich über die bestehenden Kulturgüterschutzvorschriften innerhalb des kulturellen Ursprungsstaates zu informieren. Auch wenn das Gericht im Ergebnis zur Bestimmung der Strafbarkeit nicht auf die bolivianischen Rechtsinstrumente zurückgriff, sondern eine Verurteilung schon aufgrund eines Verstoßes gegen die kanadischen Einfuhrgesetze für rechtens hielt, führte das Gericht zu dem anzuwendenden Sorgfaltsmaßstab wie folgt aus:
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„Yorke was … in the process of publishing a book on Aymara weavings to come out in April of 1988. From all the documentation and from his own demeanour and questions, publications, correspondence, it is very apparent that the accused is extremely knowledgeable about the weavings … the accused conducted a portion of the cross-examination. His questions on cross-examination were lengthy and frequently amounted to an exposition rather than a question. By these questions he displayed his extensive knowledge of Bolivia, its government, its indigenous people, its culture and weavings. His discussions … were extremely enlightening on this vast knowledge of the textile industry. I would find that the accused had a wealth of knowledge about native history and culture. He had a reliable business practice for recording and describing in detail his collection of antique weavings … The business-like manner with which the accused went about collecting, cataloguing, detailed descriptions and his business connections in Bolivia indicate that the accused was or should have been aware of the laws and regulations pertaining to this industry.“3109 Hinsichtlich der speziellen subjektiven 3109
Vgl. R. v. Yorke, 122 C.C.C.3d 298 (N.S.C.A. 1998), auch zitiert bei Prott, Commentary on the UNIDROIT Convention on Stolen and Illegally Exported Cultural Objects 1995, 1997, S. 63–68.
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Eigenschaften Yorkes bestimmte das Gericht, dass „a person whose business is the trading in and importation of cultural property and artwork clearly has a duty to make greater inquiries [than a tourist]. Such a person has access to consular offices, Customs and police officials and other traders in the foreign lands. It is not unreasonable to expect of such persons that they make reasonable inquiries about the status of the property they propose to export from that foreign land.“3110 Die Entscheidung ist verallgemeinerungsfähig und mahnt auch europäische Kunsthändler und Galeristen ebenso wie Museen, die national schützenswerte Objekte erwerben oder aus dem kulturellen Ursprungsstaat exportieren. Nähere Anhaltspunkte für die Gutgläubigkeit beim Erwerb kulturgüterschutzgesetzwidrig transferierter Objekte können heute auch aus dem innerhalb der UNIDROIT-Convention vom 24. Juni 1995 statuierten Sorgfaltsprogramm gewonnen werden. Der Vertragstext gibt Anhaltspunkte zur Begriffsbestimmung des Kennens oder Kennenmüssens und damit zur Bestimmung der Gut- und Bösgläubigkeit vor. Dies erleichtert die autonome und einheitliche Auslegung und schließt zugleich ein Ausweichen auf die Grundsätze der lex fori oder eines anderen Sachrechts aus.3111 Maßgeblich sind nach Art. 6 Abs. 2 die Umstände des Erwerbs und insbesondere das Fehlen einer Exportgenehmigung, sofern diese nach dem Recht des ersuchenden Staates erforderlich ist.3112 Darüber hinaus kann auch das Fehlen einer gemäß den Rechtsvorschriften des die Restitution ersuchenden kulturellen Ursprungsstaats erforderlichen Ausfuhrbescheinigung maßgeblich sein. Das Nichtvorliegen einer erforderlichen Exportlizenz gilt somit nur als eines von mehreren Kriterien zur Beurteilung des guten Glaubens.3113 „The phrase “knew or ought reasonably to have known” was chosen to align the text with Article 4 (1) although other alternatives (“should at least have had doubts”, “purchaser on notice”, absence of certificate would raise an irrebuttable presumption of bad faith) had been proposed.“ 3114 Liegt keine Ausfuhrbescheinigung vor, stellt dies somit noch keinen unwiderlegbaren Beweis der Bösgläubigkeit des Erwerbers dar.3115 3110
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R. v. Yorke (1998), 166 N.S.R. (2d) 130 At 143, auch zitiert bei O’Keefe, The Use of Criminal Offences in UNESCO Countries: Australia, Canada and the U.S.A., Art, Antiquity and Law 6 (2001), S. 19–35, S. 27. Vgl. Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 253–257. Vgl. Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 253–257. Schneider, 1995 Unidroit Convention on Stolen or Illegally Exported Cultural Objects: Explanatory Report prepared by the Unidroit Secretariat, Uniform Law Review/Revue de droit uniforme 2001–3, S. 477 ff., S. 536. Prott, Commentary on the UNIDROIT Convention on Stolen and Illegally Exported Cultural Objects 1995, 1997, S. 63–68. „Finally there are certain classes of antiquities where illicit origin should be presumed unless a clear chain of title can be shown. The known corpus of Cycladic figures is now
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
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Thorn weist darüber hinaus darauf hin, dass neben den genannten Kriterien zu berücksichtigen sei, ob der Erwerber über einschlägige Branchenkenntnisse verfügt:3116 „Personen oder Institutionen, die berufsmäßig am Verkehr mit Kulturgütern beteiligt sind, sind strengeren Beurteilungsmaßstäben unterworfen als Erwerber ohne nachweisliches Sachverständnis. In Fachkreisen kann die Kenntnis der speziellen Verfügungs- und Ausfuhrbestimmungen der Herkunftsländer in der Regel vorausgesetzt werden. Wegen ihrer beruflichen Verantwortung, besonderen Kenntnisse und des erleichterten Zuganges zu weiterführenden Informationsquellen ist ein besonders strenger Maßstab hinsichtlich der Gutgläubigkeit von im Kunst- und Antiquitätenhandel tätigen Personen und Institutionen durchaus gerechtfertigt. Verfügt der Erwerber selbst über keine ausreichende Sachkenntnis, kann ihm im Einzelfall auch zugemutet werden, Fachpersonen zu Rate zu ziehen.“3117 Hier liegt der Verweis auf die Entscheidung des Nova Scotia Court of Appeal in der Rechtssache R. v. Yorke auf der Hand!
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Möchte somit ein Antiquitätenhändler, der auf den Handel mit mesopotamischen Altertumsfunden spezialisiert ist, ein archäologisches Objekt aus dem heutigen Irak, Iran, Kuwait, Saudi-Arabien, Jordanien, Syrien oder der Türkei erwerben, ist von ihm zu verlangen, dass er die dort existierenden Kulturgüterund Denkmalschutzgesetze kennt und dementsprechend wissen muss, dass zahlreiche Objekte ex lege im Eigentum des kulturellen Ursprungsstaates stehen,
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reckoned at about 1600; a few are casual finds, about 143 have been recovered archaeologically; the other 1400 or so have … appeared on the market or in the possession of private collections inside or outside Greece with no declared recent history as to their movements between their places in the ground and the present proprietor … About 90 per cent of the corpus, then is practically without history. [Chippindale, C./Gill, D. in Tubb, Antiquities Trade or Betrayed – legal, ethical and conservation issues – Cycladic figures: art versus archaeology?, S. 132] In December 1985 large numbers of Apulian vases were offered sale at Sotheby’s. A three volume publication of more than 6,000 Apulian vases listed every known and legally excavated vase from the area up to 1983. One or two might have been missed, but not more. None of those offered for sale were listed [The Observer 1 December 1985, 1; The Times 7 December 1985, 2, 10 December, 10].“ Prott, Commentary on the UNIDROIT Convention on Stolen and Illegally Exported Cultural Objects 1995, 1997, S. 41–51. Vgl. Thorn, Internationaler Kulturgüterschutz nach der UNIDROIT-Konvention, 2005, S. 149–158; Winter, The Application of the Unidroit Convention on Stolen or Illegally Exported Objects in Relations between member States of the European Union, in: Denters, Reflections on international law from the low countries in honour of Paul de Waart, 1998, S. 347–372, S. 364; Vrellis, UNIDROIT-Konvention 1995 über gestohlene oder unerlaubt ausgeführte Kulturgüter: Bedeutung der lex originis, in: Reichelt, Neues Recht zum Schutz von Kulturgut: Internationaler Kulturgüterschutz, EG-Richtlinie, UNIDROIT Konvention und Folgerecht, 1997, S. 89–90. So Thorn, Internationaler Kulturgüterschutz nach der UNIDROIT-Konvention, 2005, S. 149–158, unter Rekurs auf Raschèr, Kulturgütertransfer und Globalisierung: UNESCOKonvention 1970 – Unidroit-Konvention 1995 – EG-Verordnung 3911/92 – EG-Richtlinie 93/7 – Schweizerisches Recht, 2000, S. 95–96; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 323.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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(zumindest ohne rechtswirksame Ausfuhrbescheinigung) die nicht rechtswirksam veräußert werden dürfen und ein gutgläubiger Erwerb a priori ausscheidet. Ausländische Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze sollten somit auf diese Weise als datum innerhalb der Auslegung des „guten Glaubens“ i.S.d. § 932 Abs. 2 BGB materiell-rechtliche Berücksichtigung erfahren.
b)
Illegaler Kulturgüterverkehr als ‚Abhandenkommen‘ i.S.d. § 935 Abs. 1 BGB
Vergleichbar ist auch daran zu denken, die Wirkung ausländischer Kulturgüterund Denkmalschutzvorschriften innerhalb der Auslegung und Konkretisierung des Tatbestandsmerkmals des ‚Abhandenkommens‘ i.S.d. § 935 Abs. 1 BGB materiellrechtlich zu berücksichtigen. Nachdem zunächst aus rechtsvergleichender Sicht der Idee der Gleichstellung einer Raubgrabung unter Punkt (1) und eines illegalen Exports unter Punkt (2) mit dem Tatbestandsmerkmal des ‚Diebstahls‘ bzw. des ‚Abhandenkommens‘ nachgegangen wird, wird anschließend unter Punkt (3) zu fragen sein, ob eine solche Rechtskonstruktion auch vor deutschen Gerichten Bestand haben könnte.
(1)
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Raubgrabung als ‚Abhandenkommen‘
So ist es vorstellbar, dass aufgrund sog. umbrella statutes zu Staatseigentum designierte archäologische Kulturgüter im Falle des illegalen Exports aus dem kulturellen Ursprungsstaat (als Legalbesitzer) ohne dessen Willen ausgeführt werden und als abhandengekommen zu qualifizieren sind, sodass grundsätzlich ein gutgläubiger Erwerb ausgeschlossen sein muss. Bei Anwendung dieser umbrella statutes werden den kulturellen Ursprungsstaaten bekanntlich regelmäßig per Gesetz sämtliche Rechtspositionen an den inzwischen entdeckten als auch noch unentdeckt im Boden befindlichen archäologischen Altertumsfunden zugesprochen und die Entdecker erwerben regelmäßig keine eigene Rechtsposition an den Objekten. Dabei wird die Überlegung aufgegriffen, dass § 935 Abs. 1 BGB bei der Auslegung an die besondere Konzeption des Staatseigentums angepasst werden muss und auch illegale Ausgrabungen von noch nicht entdeckten archäologischen Gütern als Abhandenkommen qualifiziert und dem Diebstahlstatbestand gleichgestellt werden müssen. So formuliert bspw. Kenety die Hoffnung, „that governments will use this principle to recover art that has been literally stolen from government lands.“3118
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Insbesondere für den Fall illegal ausgegrabener Kulturgüter und der Veräußerung außerhalb des Ausgrabungslandes fordert das deutsche kulturgüterspezi-
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3118
So Kenety, Who Owns the Past? The Need for Legal Reform and Reciprocity in the International Art Trade, Cornell International Law Journal, Volume 23 (1990), S. 1–46, S. 34.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
fische Schrifttum3119, dass die Trennung des Gegenstands von dem Territorium des kulturellen Ursprungsstaates dem Entzug der Sachherrschaft gleichgestellt werden müsse, selbst wenn es sich um besitzloses Eigentum handelt. Im Falle des illegalen Exports seien die zu Staatseigentum designierten archäologischen Kulturgüter aus dem kulturellen Ursprungsstaat als regelmäßig unmittelbarer Legalbesitzer ohne dessen Willen ausgeführt worden, sodass diese bei materiell-rechtlicher Auslegung des § 935 Abs. 1 BGB i.S.d. ausländischen umbrella statutes als abhandengekommen zu qualifizieren sein müssten und so grundsätzlich ein gutgläubiger Erwerb ausgeschlossen werden müsste. Eine solche tatbestandliche Gleichstellung einer Raubgrabung mit dem Diebstahl kultureller Güter ist vorbildhaft aus den viel zitierten und bereits ausführlich in Band 1: Illegaler Kulturgüterverkehr des vorliegenden Rechtshandbuchs analysierten amerikanischen Entscheidungen United States v. Hollinshead aus dem Jahr 19743120 und United States v. McClain aus den Jahren 1977 und 1979 3121 bekannt, in denen die Gerichte den Rechtsbegriff „stolen goods“ des amerikanischen Rechts autonom auslegten und zur Konkretisierung und Inhaltsbestimmung dieses amerikanischen Tatbestandsmerkmals Rekurs auf die guatemaltekischen und mexikanischen Kulturgüterschutzvorschriften für präkolumbianische Artefakte nahmen.3122 1212
Wie bereits erläutert, handelte es sich in der Rechtssache United States v. Hollinshead bei dem in Streit stehenden Objekt um ein archäologisches Gut, das bereits einige Jahre zuvor aufgefunden und ausgegraben worden war und somit den Behörden Guatemalas als bekannt galt.3123 Die sog. ‚Machaquilá-Stele Nr. 2‘ war in einem offiziellen Verzeichnis dokumentiert, wurde jedoch ohne die notwendige Erlaubnis aus Guatemala auf das Territorium der Vereinigten Staaten ausgeführt. Über die gesetzliche Eigentumserklärung hinaus bestand somit in dieser Sachverhaltsvariante bereits eine gewisse tatsächliche Kontrollgewalt des
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Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 304 ff., S. 307, offenlassend, ob es sich dabei noch um eine Normauslegung oder bereits eine Normangleichung bzw. -berichtigung oder materiellrechtliche Normanpassung handelt. So ausdrücklich neuerdings auch Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 88–89. United States v. Hollinshead, 495 F. 2d 1154 (9th Cir. 1974). United States v. McClain, 545 F. 2d 988 (5th Cir. 1977), 551 F. 2d 52 (5th Cir. 1977), 593 F. 2d 658 (5th Cir. 1979), 62 L. Ed.2. 173 (5th Cir. 1979). Vgl. Stoll, Sachenrechtliche Fragen des Kulturgüterschutzes in Fällen mit Auslandsberührung, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes – Symposium vom 22./23. Juni 1990 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 53 ff., S. 58; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 227. Vgl. von Schorlemer, Internationaler Kulturgüterschutz – Ansätze zur Prävention im Frieden sowie im bewaffneten Konflikt, 1992, S. 518 ff., insb. S. 543 ff.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
1211
Staates.3124 Auch die Umstände der Fallstudie United States v. McClain sind bekannt: Die Amerikanerin Patty McClain hatte zusammen mit vier anderen Amerikanern präkolumbianische archäologische Grabungsfunde (Terrakottafiguren, Keramiken, Perlen und einige Stuckarbeiten) ohne die nach mexikanischem Recht erforderlichen Ausfuhrgenehmigungen von Mexiko 3125 auf das Territorium der Vereinigten Staaten von Amerika geschmuggelt, wo ein Verkauf angestrengt wurde. In beiden Fallkonstellationen standen die illegal exportierten archäologischen Funde mittels sog. umbrella statutes im Staatseigentum der Ursprungsländer Guatemala und Mexiko.3126 Nach Ansicht der beiden zur Entscheidung angerufenen amerikanischen Gerichte wurden die ohne rechtmäßige Ausfuhrgenehmigung illegal exportierten archäologischen Objekte als ‚stolen‘ im Sinne des National Stolen property Act (Verbot des Handels mit gestohlenen Gütern nach § 2314 Abs. 1 NSPA3127) qualifiziert, weil sie aufgrund der beschriebenen Mantelgesetzgebung für alle präkolumbianischen Altertumsfunde im Staatseigentum einmal Mexikos und zum anderen Guatemalas standen. Damit stellten die amerikanischen Gerichte den illegalen Export archäologischer Objekte aus ihren Ursprungsländern, die mit-
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Vgl. hierzu Moore, Enforcing Foreign Ownership Claims in the Antiquities Market, The Yale Law Journal, Volume 97, Number 3 (1988), S. 466–487, S. 474–475; Knott, Der Anspruch auf Herausgabe gestohlenen und illegal exportierten Kulturguts – Internationalprivatrechtliche und rechtsvergleichende Aspekte zum Herausgabeanspruch des privaten Eigentümers und des Herkunftsstaates, 1990, S. 97; Prott/O’Keefe, Law and the Cultural Heritage – Volume 3: Movement, 1989, Rdnr. 713; Bator, An Essay on the International Trade in Art, Stanley Law Review 34 (1982), S. 275 ff.; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 245. Vgl. ausführlich zum aktuellen nationalen Kulturgüterschutzrecht Mexicos, Delgadillo, Cultural Property Legislation in Mexico: Past, Present, and Future in Hoffman, Art and Cultural Heritage – Law, Policy and Practice, 2006, S. 114–118; Niec, Legislative Models of Protection of Cultural Property, The Hastings Law Journal 27 (1976), S. 1089–1122, S. 1109–1111. Ein schlichter Verstoß gegen ausländische Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften führt bekanntlich (außerhalb des Anwendungsbereichs internationaler Abkommen und Übereinkünfte) grds. weder zur Anwendung des amerikanischen National Stolen Property Act noch zu einem sonstigen Klagegrund zur Herausgabe der ohne rechtmäßige Ausfuhrgenehmigung transferierten Kulturgüter. Auch ein Import stellt außerhalb der mittlerweile geltenden Umsetzung der UNESCO-Convention vom 14. November 1970 durch den Convention on Cultural Property Implementation Act aus dem Jahre 1982 sowie hinsichtlich des Imports präkolumbianischer Kulturgüter aus lateinamerikanischen Staaten der Regulation of Importation of Pre-Columbian Monumental or Architectural Sculpture or Murals aus dem Jahre 1972 grundsätzlich keinen Verstoß gegen US-amerikanisches Recht dar. Title 18 Sec. 2314 United States Code (National Stolen Property Act): Transportation of stolen goods, securities, moneys, fraudulent State tax stamps, or articles used in counterfeiting: Whoever transports, transmits, or transfers in interstate or foreign commerce any goods, wares, merchandise, securities or money, of the value of $5,000 or more, knowing the same to have been stolen, converted or taken by fraud; … shall be fined under this title or imprisoned not more than ten years, or both.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
tels der bekannten umbrella statutes im Staatseigentum des kulturellen Ursprungsstaates stehen, mit solchen Konstellationen rechtsgleich, in denen Kulturgüter gestohlen wurden. Dabei haben die Gerichte in den beiden Fallkonstellationen weder eine kollisionsrechtliche Anknüpfung des Erwerbsstatuts an den Diebstahlsort3128 noch eine kollisionsrechtliche Verselbstständigung der Vorfrage des Abhandenkommens 3129 vorgenommen, sondern vielmehr die ausländischen Schutzvorschriften für archäologische Objekte als Teil des konkret zu beurteilenden Sachverhalts in den Subsumtionsvorgang mit einfließen lassen. Diese materiell-rechtliche Berücksichtigung der Wertungen ausländischer Kulturgüterschutzgesetze hat wiederum für den amerikanischen Rechtsraum zur Folge, dass illegal exportierte und mittels umbrella statutes im Staatseigentum des kulturellen Ursprungsstaates stehende archäologische Objekte aufgrund des nemo datPrinzips des Common Law nicht gutgläubig erworben werden können und die Weiterveräußerung auf amerikanischem Territorium als Hehlerei strafrechtliche Konsequenzen zeitigt.3130 Ebenso wie in der Nigeria-Entscheidung des deutschen BGH die nigerianischen Kulturgüterschutzvorschriften zur Auslegung und Interpretation des wertausfüllungsbedürftigen Begriffs der „guten Sitten“ in § 138 BGB materiell-rechtliche Berücksichtigung fanden, wurden innerhalb der amerikanischen Fallkonstellationen United States v. Hollinshead und United States v. McClain die ausländischen Kulturgüterschutzvorschriften Guatemalas und Mexikos gleichsam als data zur Konkretisierung des Tatbestandsmerkmals „stolen goods“ der jeweils anwendbaren amerikanischen Sachrechtsordnung (lex causae) herangezogen, ohne dass diese Kulturgüterschutzvorschriften jedoch selbst eine Rechtsfolgenanordnung trafen (übrigens ebenso wenig wie innerhalb der Nigeria-Entscheidung des BGH).3131
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Illegaler Export als ‚Abhandenkommen‘
Auch wenn Olivier die Tragweite ihrer Aussage wohl nicht erkannte, formulierte sie doch die generelle rechtliche Gleichbehandlung von abhandengekommenen und illegal exportierten Kulturgütern: „The second form of art theft is the illegal export of cultural property.“3132 Gleiches wie bei Anwendung von umbrella sta3128 3129 3130
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Ausführlich hierzu, 3, 548 ff. Ausführlich hierzu, 3, 526 ff. „The exporting country can use the criminal laws of the United States to aid in enforcing its own export rules by simply making declaration of ownership.“ Antonio, The Current Status of the International Art Trade, Suffolk Transnational Law Journal 10 (1986), S. 51–86, S. 78. Dies wird auch von Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 304, so beurteilt. Olivier, The Unidroit Convention: Attempting to Regulate the International Trade and Traffic of Cultural Property, Golden Gate University Law Review 26 (1996), S. 627–665, S. 633.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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tutes könnte nach einem illegalen Export kultureller Güter aber auch bei Instrumentalisierung sog. rhetorical ownership statutes bzw. sog. automatic forfeiture clauses in nationalen Kulturgüterschutzgesetzen gelten. Auch bei der automatischen Legaldesignation kultureller Wertgegenstände zu Staatseigentum des kulturellen Ursprungsstaates mittels sog. rhetorical ownership statutes bzw. sog. automatic forfeiture clauses erfolgt bekanntermaßen noch auf dem Territorium des kulturellen Ursprungsstaates und somit innerhalb dessen Gewalthoheit der Verfall sämtlicher dinglicher Rechte an den Herkunftsstaat. Die unrechtmäßige Ausfuhr würde dann aufgrund des Verfalls der Objekte zu Staatseigentum durch die nationalen Kulturgüterschutzgesetze dem Diebstahl dinglich gleichgesetzt werden müssen und würde damit neben dem tatsächlichen Besitzverlust auch das Element der Unfreiwilligkeit dieses Besitzverlustes beinhalten.3133 Dabei wird anerkannt, dass durch die nationalen Kulturgüterschutzgesetze ebenso wie im Fall der ex lege Eigentumszuweisung archäologischer Objekte die Besitzstellung des kulturellen Ursprungsstaates gesetzlich fingiert ist und dementsprechend eine Ausfuhr entgegen den nationalen Kulturgüterschutzgesetzen ohne den Willen des kulturellen Ursprungsstaates erfolgt (und so die Voraussetzungen des Diebstahls bzw. Abhandenkommens erfüllt sind).
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Materiell-rechtliche Berücksichtigung ausländischer ‚ownership statutes‘ im deutschen Recht?
Es ist zu klären, ob auch das deutsche Recht ausländische ownership statutes eines kulturellen Ursprungsstaates, aus dessen Territorium die Altertumsfunde illegal ausgegraben bzw. die national wertvollen Kulturgüter unrechtmäßig ausgeführt wurden, bei Auslegung und Konkretisierung der wertausfüllungsbedürftigen Rechtsbegriffe und Tatbestandsmerkmale des ‚guten Glaubens‘ und des ‚Abhandenkommens‘ materiell-rechtlich berücksichtigt (wenn das Kollisionsrecht die deutschen Sachzuordnungsregeln und nicht die ausländischen Kulturgüterschutzvorschriften zur Anwendung beruft).3134 Dem deutschen Zivilrecht liegt allgemein die Konzeption zugrunde, dass ein gutgläubiger Eigentumserwerb ausgeschlossen ist, wenn die Sache dem unmittelbaren Besitzer gestohlen worden, verloren gegangen oder sonst abhandengekommen ist (außer es liegt der 3133
3134
In jedem Fall setzt eine solche Auslegung des Begriffs des Abhandenkommens voraus, dass man diese Art von besitzlosem Staatseigentum überhaupt anerkennt. Vgl. hierzu auch Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 144–145; Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 88–89. Vgl. Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 302; knapp Schwadorf-Ruckdeschel, Rechtsfragen des grenzüberschreitenden rechtsgeschäftlichen Erwerbs von Kulturgütern, 1995, S. 89; Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 88–89.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Fall einer öffentlichen Versteigerung im Sinne des § 383 Abs. 3 BGB vor). Die Tatsache, dass der Eigentümer seine Sache nicht weggegeben hat, lässt sein Erhaltungsinteresse schutzwürdiger erscheinen als das Erwerbsinteresse, außer in dem Fall der öffentlichen Versteigerung, in dem das Eigentümerinteresse hinter den Bedürfnissen des Rechtsverkehrs zurücktritt. Würden bspw. ohne rechtmäßige Ausfuhrgenehmigung illegal exportierte Kulturgüter als „abhanden gekommene Sachen“ im Sinne des § 935 BGB qualifiziert, wäre auch nach der deutschen Zivilrechtsordnung eine Veräußerung ausgeschlossen. 1216
Ob eine materiell-rechtliche Berücksichtigung ausländischer ownership statuts in der Systematik der §§ 932 und 935 BGB möglich erscheint, ist durch Auslegung und analoge Anwendung des Tatbestandsmerkmals ‚Abhandenkommen‘ auf Auslandssachverhalte zu ermitteln. Nach dem schon traditionellen Verständnis des deutschen Bundesverfassungsgerichts heißt ein Gesetz auslegen, seinen Sinn zu erforschen, wobei es nicht auf den subjektiven Willen des historischen Gesetzgebers ankommt, der in der Regel kaum feststellbar und bald überholt ist, sondern auf dessen objektiven Willen.3135 Seit der Rechtsprechung des deutschen Reichsgerichts wird bei sprachlich-grammatikalischer Auslegung ‚Abhandenkommen‘ einer Sache nur dann angenommen, wenn der Eigentümer den unmittelbaren Besitz ohne – nicht notwendigerweise gegen – seinen Willen verloren hat.3136 Der Begriff des Abhandenkommens setzt somit den Verlust des unmittelbaren Besitzes sowie die Unfreiwilligkeit des Besitzverlustes voraus.3137 Die Erfüllung des Willensmomentes kann beim illegalen Export zu Eigentum des kulturellen Ursprungsstaates designierter Kulturgüter unproblematisch angenommen werden, da der Verlust des unter Schutz stehenden Kulturguts ohne tatsächlichen Willen des Ursprungsstaates erfolgt. Da in den meisten Konstellationen der Bewahrung und Erhaltung national wertvoller Kulturgüter mittels umbrella statutes bzw. rhetorical ownership statutes der kulturelle Ursprungsstaat in der Regel keinen tatsächlichen Besitz an den für das nationale Kulturpatrimonium wichtigen Kulturgütern erlangt und bspw. bei illegalen Raubgrabungen teilweise noch nicht einmal Kenntnis von der Existenz der Objekte besitzt (sei es, weil archäologisch wichtige Kulturgüter im Zuge illegaler Ausgrabungen entdeckt werden und anschließend ohne rechtmäßige Ausfuhrgenehmigung ins Ausland transferiert werden oder weil einzelne national wichtige Kulturgüter nicht in öffentlichen Sammlungen belegen sind, sondern in individuellem Privatbesitz gehalten werden, und von diesen Personen oder von Zwischenerwerbern ohne rechtmäßige Ausfuhrgenehmigung illegal ins Ausland transferiert werden), wird dem
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3136 3137
BVerfG, Urteil des 2. Senats vom 21.05.1952, Az.: 2 BvH 2/52 BVerfGE 1, S. 299–322, S. 312; BVerfG, Entscheidung des 1. Senats vom 15.12.1959, Az.: 1 BvL 10/55, BVerfGE 10, S. 234–250, S. 244. RG, RGZ 101, S. 224 ff. Baur/Stürner, Sachenrecht, 17. Aufl. 1999, S. 607–608.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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ersten Anschein nach die Annahme des Abhandenkommens der geschützten Objekte regelmäßig an der Bedingung des unmittelbaren Besitzverlustes aus Sicht des kulturellen Ursprungsstaaten scheitern. Fragt man nach dem Bedeutungszusammenhang der Terminologie ‚Abhandenkommen‘ und versucht so eine systematische Auslegung, wird einem schnell in den Sinn kommen, dass das BGB auch den Verlust des fiktiven Erbenbesitzes als unmittelbaren Besitzverlust in § 935 Abs. 1 anerkennt. Der unmittelbare Besitz des Erblassers geht nach § 857 BGB auf den jeweiligen Erben über, auch in dem Fall, dass dieser die tatsächliche Gewalt über die Sache noch nicht ausübt oder ausüben kann, da er möglicherweise von der Erbschaft noch gar keine Kenntnis hat. Veräußert somit bspw. jemand eine zum Nachlass gehörige Sache, ist sie abhandengekommen, wenn der Erwerber unmittelbarer Besitzer nach § 857 BGB geworden ist.3138 Sieht man so die einzelne Tatbestandsvoraussetzung der Terminologie ‚Abhandenkommen‘ im Gesamtzusammenhang der Rechtsordnung, wird ersichtlich, dass die tatsächliche Sachherrschaft über einen Gegenstand (bspw. über ein Kulturgut im Privatbesitz oder das immediate Wissen über den Fund eines archäologischen Guts) nicht unumstößliche Bedingung für die Annahme der Voraussetzung des Abhandenkommens im Sinne des § 935 BGB sein muss und davon im Einzelfall gesetzlich abgewichen werden kann.
1217
Schließlich ist nach dem Gesetzeszweck des § 935 BGB zu fragen und herauszufinden, ob Sinn und Zweck der Gutglaubenssystematik eine materiell-rechtliche Berücksichtigung ausländischer ownership statutes gebieten. Ratio legis der §§ 932, 935 BGB ist innerhalb des internationalen Kunstmarktes einerseits der faire und gerechte Ausgleich des Wiederherstellungsinteresses des status quo ante des ursprünglichen Eigentümers und kulturellen Ursprungsstaates unrechtmäßig entzogener Kulturgüter und andererseits des Bestandswahrungsinteresses des aktuellen Besitzers und des Verkehrsschutzinteresses des internationalen Kulturgüterverkehrs insgesamt. Da deutsche Sachregeln grundsätzlich zur Regelung nationaler Sachverhalte ausgestaltet wurden, ist bei internationalen Konstellationen (obwohl nicht ausländisches, sondern deutsches Recht zur Streitentscheidung berufen wurde) im Allgemeinen eine eher großzügige Begriffsauslegung vorzunehmen, wenn das für ihre sinngerechte Anwendung auf einen Auslandssachverhalt geboten ist und nur so die Besonderheiten bei der Beurteilung der Rechtsverhältnisse angemessen berücksichtigt werden können.
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So macht bspw. auch Müller-Katzenburg darauf aufmerksam, dass es im Hinblick auf eine materiell gerechte Beurteilung regelmäßig der tatbestandlichen Berücksichtigung ausländischer Rechtsvorstellungen in der Weise bedürfe, dass inländische Sachnormen in ihrer konkreten Anwendung an die Besonderheiten
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3138
Baur/Stürner, Sachenrecht, 17. Aufl. 1999, S. 609.
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des Auslandssachverhalts angepasst würden.3139 Vor diesem Hintergrund fordert Fechner ausdrücklich einen Ausschluss des gutgläubigen Erwerbes illegal ausgegrabener archäologischer Gegenstände: Auch wenn er schon de lege lata eine erweiternde Auslegung des Begriffs des Abhandenkommens für denkbar hält, zieht er jedoch aus dogmatischen Gesichtspunkten und aus Gründen der Rechtsklarheit eine diesbezügliche gesetzliche Erweiterung des § 935 Abs. 1 BGB vor.3140 Prüft ein deutsches Gericht, ob im Inland ein Eigentumserwerb stattgefunden hat, fordert ausdrücklich auch Armbrüster schon de lege lata die materiell-rechtliche Berücksichtigung der Wertungen kultureller Ursprungsstaaten für die Frage des Abhandenkommens i.S.d. § 935 Abs. 1 BGB, in deren räumlichem Geltungsbereich die Sache im Zeitpunkt der Besitzergreifung belegen war: „Die Regeln über das Abhandenkommen sollen nämlich denjenigen schützen, dem ein Rechtsverlust droht. Ein Kulturgut ist mithin bereits dann als abhanden gekommen anzusehen, wenn das Recht des Staates, in dem es sich bei der Besitzergreifung befand, eine parallele Wertung trifft. Dafür spricht, dass es sich um eine besitzrechtliche Frage handelt und der Vorgang auf ausländischem Territorium stattfindet. Jedenfalls bei Kulturgütern ist insoweit die Situs-Regel heranzuziehen, da hier der Verkehrsschutz geringer wiegt als das Eigentümerinteresse.“ 3141 Der Sache nach ähnlich verlangt Hanisch eine Derogation von der Möglichkeit des gutgläubigen Erwerbs, der aber die Frage des Abhandenkommens als Vorfrage einordnet.3142 Indessen existiert insoweit keine gesonderte Kollisionsnorm, so dass sich die Frage einer selbstständigen Anknüpfung3143 nicht stellt. Vielmehr geht es darum, bei der Auslegung eines Rechtsbegriffs der lex causae die Wertungen einer anderen, sachnahen Rechtsordnung zu berücksichtigen.3144 3139
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Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 305; dieser folgend auch Asam, Rechtsfragen des illegalen Handels mit Kulturgütern – Ein Überblick, in: Mansel/Pfeiffer/Kronke/Kohler/Hausmann, Festschrift für Erik Jayme, 2004, S. 1651– 1668, S. 1666. Fechner, Rechtlicher Schutz archäologischen Kulturguts – Regelungen im innerstaatlichen Recht, im Europa- und Völkerrecht sowie Möglichkeiten zu ihrer Verbesserung, 1991, S. 105 f. Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff., S. 3585. Hanisch, Internationalprivatrechtliche Fragen im Kunsthandel, in: Dieckmann/Frank/ Hanisch/Simitis, Festschrift für Wolfram Müller-Freienfels, 1986, S. 193–224, S. 215. Vgl. dazu Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, 9. Aufl. 2004, § 9. Vgl. Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff., S. 3585; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 226 f. (zurückhaltend; vgl. aber auch S. 304 ff.); Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROITÜbereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 88–89. Den Ansatz von Hanisch ablehnend Stoll, Sachenrechtliche Fragen des Kulturgüterschutzes in Fällen mit Auslandsberührung, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes – Symposium vom 22./23. Juni 1990 im Internationalen Wissen-
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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Den verschiedenen Stimmen ist bei teleologischer Auslegung der Gutglaubenssystematik der §§ 932, 935 BGB insoweit zuzustimmen, dass die den Gutglaubensvorschriften des Zivilrechts zugrunde liegende These, dass der vom Besitz bzw. seiner Verschaffungsmacht ausgehende Rechtsschein das Vertrauen eines gutgläubigen Erwerbers von Kunstwerken rechtfertige, nicht zuungunsten kultureller Ursprungsstaaten bei einer unrechtmäßigen Ausfuhr von zu Staatseigentum designierten Kunstwerken gelten darf. Ohne Zweifel dient der Ausschluss des gutgläubigen Erwerbs gestohlener Sachen dem Eigentümerschutz. Die Tatsache, dass der Eigentümer seine Sache nicht weggegeben hat, lässt sein Erhaltungsinteresse grundsätzlich schutzwürdiger erscheinen als das Erwerbsinteresse (außer in dem Fall der öffentlichen Versteigerung, in dem das Eigentümerinteresse hinter den Bedürfnissen des Rechtsverkehrs zurücktritt). Der fehlende Vorbesitz des kulturellen Ursprungsstaates innerhalb der ownership statutes sollte somit die Anwendbarkeit von § 935 BGB nur dann ausschließen, wenn er sich seines unmittelbaren Besitzes freiwillig begeben und dadurch einen anderen in die Lage versetzt hat, tatsächlich über die Sache zu verfügen: „Wenn aber bis dahin noch unentdeckte archäologische Funde – der häufigste Fall „besitzlosen“ Staatseigentums an Kulturgütern – bereits illegal ausgegraben oder jedenfalls nach ihrer Entdeckung rechtswidrig zurückbehalten und dann illegal exportiert werden, dann fehlt es genauso an einem freiwilligen Aus-der-Hand-geben des Eigentümers wie bei einem unfreiwilligen Besitzverlust. Deshalb ist er in beiden Situationen gleich schutzbedürftig.“3145
1220
Die vergleichbare Interessenlage illegal ausgegrabener und gestohlener Kulturgüter innerhalb der Frage des ‚Abhandenkommens‘ des § 935 BGB wird bspw. auch von Art. 3 Abs. 2 der UNIDROIT-Convention vom 24. Juni 1995 bestimmt, wonach ein rechtswidrig ausgegrabenes oder rechtmäßig ausgegrabenes, jedoch rechtswidrig einbehaltenes Kulturgut als gestohlen gilt, wenn dies mit den Rechtsvorschriften des Staates, in dem die Ausgrabungen stattgefunden haben, vereinbar ist. In diesem Sinne geht auch Prott ohne Begründung ganz selbstverständlich davon aus, dass Kulturgüter aus illegalen Grabungen ,,lorsqu’il se déclare propriétaire du sous-sol archéologique“ dem Herkunftsstaat gestohlen sind.3146 Wegen der übereinstimmenden Merkmale der Herrschaftsgewalt eines Staates über die Sachen innerhalb seines Hoheitsgebietes und der Sachherrschaft eines Besitzers erscheint es ebenso wie innerhalb der UNIDROIT-Konvention
1221
3145
3146
schaftsforum Heidelberg, 1994, S. 53 ff., S. 58; eine Berücksichtigung als „Datum“ erwägend aber Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 303. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 305 f. Zustimmend unter Einschränkungen Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 144–145. In UNIDROIT 1993. Etude LXX – Doc. 36, 7 und Doc. 42, 4 und 12, zitiert bei Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 307.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
auch innerhalb der deutschen Gesetzessystematik vertretbar, „die illegal ausgegrabenen Kulturgüter, die nach dem Recht des Herkunftslandes zu Staatseigentum erklärt worden sind, spätestens im Fall ihres illegalen Exports als gestohlen anzusehen. In diesem Fall kann die widerrechtliche Trennung des Eigentumsgegenstandes von seinem Herkunftsland dem Entzug seiner Sachherrschaft gleichgestellt werden. … Bei angemessener Berücksichtigung sowohl der Eigentumsrechte eines Herkunftsstaates als auch seiner speziellen Ausfuhrbestimmungen ist es daher gerechtfertigt, verbotswidrig exportierte Kulturgüter, die ihrem Herkunftsland gehören, als gestohlene Sachen anzusehen, mit der Konsequenz, daß gemäß § 935 BGB ein gutgläubiger Eigentumserwerb an solchen Gegenständen ausscheidet.“3147 1222
Wenn der Staat nie Besitz hatte, hat er auch nicht dazu beigetragen, dass ein anderer an der Sache Besitz ergreifen konnte.3148 In diesen Fällen sollte der kulturelle Ursprungsstaat als Eigentümer der illegal ausgeführten Kunstwerke ebenso wie in der Konstellation des kulturellen Diebstahls als schutzwürdiger qualifiziert werden als ein möglicher gutgläubiger Erwerber, sodass ein Abhandenkommen zu bejahen und dementsprechend ein bona fide-Erwerb prinzipiell ausgeschlossen sein sollte. Eine unrechtmäßige Ausfuhr kultureller Wertgegenstände soll somit nicht den endgültigen Rechtsverlust für den Eigentümer nach sich ziehen, sodass der Bestandsschutz des Eigentums an illegal exportierten Kulturgütern im Staatseigentum grundsätzlich Vorrang vor dem Interesse an der Sicherheit und Leichtigkeit des (inter-)nationalen Kulturgüterverkehrs hat.3149 Deshalb sollte an unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern im Eigentum des kulturellen Herkunftsstaates der Erwerb vom Nichtberechtigten i.d.R. ausgeschlossen sein3150 – nur dies entspricht der Billigkeit und dem Regel-Ausnahme-Verhältnis der
3147 3148
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3150
Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 307. Vgl. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 144–145. Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff., S. 3584 f.; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 304 ff. Stoll kommt zu demselben Ergebnis, indem er die Rechtsvorschriften des Herkunftsstaates bei der Anwendung des Sachstatuts als „Datum“ berücksichtigt, Stoll in Staudinger, Internationales Sachenrecht, 13. Bearbeitung 1996, Rdnr. 302. Dagegen Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 81, da es sich gerade nicht um ein Datum wie z.B. eine Verkehrsregel, sondern eben um eine Wertung handele. Bedenken ergeben sich vor allem unter dem Gesichtspunkt, dass auch die Berücksichtigung der ausländischen Gesetze nicht ohne eigene Wertung auskommt. Dies widerspreche aber der Idee der Berücksichtigung als Datum – hier sei eine Wertung nämlich gerade ausgeschlossen. Vgl. auch Kohls, Kulturgüterschutz: Wirkungen von Verstößen gegen Ausfuhrverbote und Möglichkeiten der Rückführung illegal verbrachter Kulturgüter – Eine vergleichende Untersuchung mit den Rechten Dänemarks, Norwegens und Schwedens, 2001, S. 143; Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 88–89.
§ 18 Ergebnis: Materiell-rechtl. ,Berücksichtigung‘ ausl. Kulturgütergesetze
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§§ 932, 935 BGB.3151 „Richtigerweise ist diese Ansicht aber dahingehend einzuschränken, daß es darauf ankommen muß, ob der Staat die Möglichkeit der Inbesitznahme hatte. Wenn das nämlich der Fall war, der Staat aber selbst keinerlei Anstrengungen unternommen hat, sein Eigentumsrecht durchzusetzen, kann ihm die Inbesitznahme durch einen anderen sehr wohl zugerechnet werden. … Das ist einerseits der Fall, wenn die Existenz archäologischer Gegenstände bekannt ist, diese aber ohne daß rechtfertigende Gründe vorliegen, sondern wegen bloßen Desinteresses nicht geborgen werden; andererseits wenn sich die Gegenstände mit Wissen des Staates im Besitz von jemand anderem befinden. In diesem Fall sollte nach der hier vertretenden Ansicht gar kein Eigentum des Staates anerkannt werden … .“.3152
§ 18 Ergebnis: Materiell-rechtliche ‚Berücksichtigung‘ ausländischer Kulturgüterschutzvorschriften Während die deutsche Rechtsprechung bei der Frage einer extraterritorialen Berücksichtigung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften innerhalb des deutschen Kulturgüterprivatrechts bislang noch keiner kollisionsrechtlichen Lösung folgte und einer Rechtswahl bspw. nach der lex originis aufgrund einer ‚Heimat‘ bzw. ‚Nationalität‘ eines Kulturguts bis heute ebenso wenig Gehör schenkte wie der Forderung nach einer unmittelbaren und direkten kollisionsrechtlichen Sonderanknüpfung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze, berücksichtigt der deutsche Bundesgerichtshof ausländische Normen des öffentlichen Rechts schon traditionell nur mittelbar und indirekt innerhalb des materiellen Sachrechts. Die voranstehenden Ausführungen hatten dementsprechend die Feststellung als Untersuchungsauftrag, ob in der mittelbaren und indirekten Anwendung ausländischer Kulturgüterschutzgesetze ein tragfähiges Konzept zur Bekämpfung des illegalen Kunsthandels innerhalb des Internationalen Kulturgüterprivatrechts erkannt werden kann.
1223
Am Anfang der voranstehenden Untersuchungen wurde die Frage aufgeworfen, ob kulturgüterschutzgesetzwidrige Veräußerungen möglicherweise einem Gesetzwidrigkeitsverdikt innerhalb des deutschen BGB unterfallen können. Die ständige Rechtsprechung des BGH stellt § 134 BGB zur materiell-rechtlichen Berücksichtigung ausländischer Kulturgüterschutzvorschriften jedoch generell nicht in Dienst. In der Rechtsprechung herrscht die mittlerweile als Dogma verfestigte Überzeugung vor, dass Verstöße gegen ausländische Verbotsnormen nicht über § 134 BGB zu sanktionieren sind. Die Nichtberücksichtigung kulturgüterschutzgesetzwidriger Veräußerungen über § 134 BGB wird damit begrün-
1224
3151
3152
Ausnahme stellt lediglich die im Wege öffentlicher Versteigerung erfolgte Veräußerung i.S.d. §§ 935 Abs. 2 i.V.m 383 BGB dar. Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 144–145.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
det, dass ausländischen Verbotsgesetzen im Inland keine unmittelbare Verbindlichkeit zukommen dürfe. 1225
Nach ständiger Rechtsprechung findet vor deutschen Zivilgerichten jedoch eine mittelbare und indirekte Anwendung ausländischen öffentlichen Rechts als tatsächlicher Sachumstand innerhalb des Sittenwidrigkeitstatbestandes des § 138 BGB statt. Auch der deutsche Bundesgerichtshof, der es bisher abgelehnt hat, ausländische Normen außerhalb des Sachstatuts anzuwenden, hat so speziell für das Kulturgüterschutzrecht in der bekannten Nigeria-Entscheidung vom 22. Juni 1972 in der Missachtung einer ausländischen öffentlich-rechtlichen Kulturgüterund Denkmalschutzvorschrift einen Sittenverstoß erkannt. Damit war für die deutsche Rechtsordnung der Weg einer faktischen, materiell-rechtlichen, gleichzeitig aber (nur) mittelbaren und indirekten Wirkung drittstaatlicher Kulturgüterund Denkmalschutzvorschriften bei der Anwendung der vom internationalen Privatrecht berufenen lex causae eröffnet (bspw. über §§ 138, 242, 826 BGB).
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Die Annahme einer Sittenwidrigkeit des illegalen Kulturgüterverkehrs i.S.d. § 138 BGB ist vor deutschen Zivilforen nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen gerechtfertigt, wenn die ausländischen Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze mittelbar auch deutsche Interessen schützen oder auf allgemeinen, im deutschen Verfassungsraum anerkannten rechtlichen Erwägungen beruhen. Die ausländischen Schutztatbestände müssen somit Ausdruck der in Deutschland herrschenden Rechts- und Sozialmoral sein und mit deutschen Rechts- und Gerechtigkeitsvorstellungen übereinstimmen. Darüber hinaus ist von einem Sittenwidrigkeitsverdikt bei Verstoß gegen ausländische Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften auszugehen, wenn durch ihre Missachtung dem allgemein zu achtenden Interesse der Völker zuwidergehandelt wird oder wenn die Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften auf gemeinsamen sittlich-rechtlichen Vorstellungen aller Kulturstaaten beruhen.
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Diese Vorgaben sind bei ausländischen Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften erfüllt: Zwar ist ein hinreichendes eigenes (inländisches) Interesse des Forumstaates Deutschland an der Anwendung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften noch umstritten, jedoch besteht zwischen allen Staaten ein starkes Interesse an internationaler Kooperation in Fragen des Kulturgüterschutzes: Dieses drückt sich insbesondere auch dadurch aus, dass kulturelle Ursprungsstaaten alleine regelmäßig keine hinreichenden Grenzkontrollen zur Verhinderung einer unrechtmäßigen Ausfuhr aus tatsächlichen Gründen bewerkstelligen können und so in ihrem Schutzauftrag auf die internationale Unterstützung angewiesen sind. Außerdem werden dadurch mittelbar auch kulturpolitische Interessen Deutschlands geschützt, da weniger kulturgüterschutzfreundliche Regelungen dazu führen würden, dass der Kunstmarktplatz Deutschland zu einem Zentrum des illegalen Kunsthandels mit unrechtmäßig entzogenen Kulturgütern avancieren würde – ein Ergebnis, das sich kein Markt-
§ 18 Ergebnis: Materiell-rechtl. ,Berücksichtigung‘ ausl. Kulturgütergesetze
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partizipant wünscht. Als hinreichende Legitimationsgründe zur mittelbaren Anwendung ausländischer Schutzmechanismen über § 138 BGB genügen schließlich die außen- und kulturpolitischen Gegenseitigkeitserwartungen und der Vollzug internationaler Zielsetzungen, die sich die einzelnen Staaten beispielhaft in der UNESCO-Convention vom 14. November 1970, der UNIDROIT-Convention vom 24. Juni 1995 und der Richtlinie 93/7/EWG vom 15. März 1993 welt- bzw. europaweit zu eigen gemacht haben und die von der deutschen Rechtsordnung nach Umsetzung der Richtlinie und Ratifikation und Umsetzung der UNESCOConvention im deutschen Kulturgüterrückgabegesetz vom 18.05.2007 rezipiert wurden. Danach sind kulturelle Veräußerungen, die dem internationalen Kunstschmuggel dienen und so dem kulturellen Schwarzmarkt Vorschub leisten oder die eine Umgehung ausländischer Exportbeschränkungen kultureller Wertgegenstände zum Gegenstand haben, aufgrund eines Sittenwidrigkeitsverdikts auch innerhalb der lex fori unwirksam, obwohl die Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze ausländischen öffentlich-rechtlichen Bestimmungen angehören. Teile der kulturgüterspezifischen Literatur setzen für eine solche Nichtigkeitssanktion eine subjektive Komponente der Sittenwidrigkeit voraus. So entschied bspw. das Landgericht Hamburg in der sog. Pistolenfall-Entscheidung vom 20.6.1996 ausdrücklich als Voraussetzung einer Sittenwidrigkeit i.S.d. § 138 BGB, dass beiden Vertragsparteien sämtliche die Sittenwidrigkeit begründenden Umstände als subjektive Bedingung bekannt sein müssen. Dem ist jedoch mit guten Gründen entgegenzutreten und es gebührt der Ansicht der Vorzug, die allein auf die objektive Sittenwidrigkeit abstellt. Die Veräußerung bedeutsamer Kulturgüter entgegen ausländischen Vorschriften zum Schutz des nationalen Kulturpatrimoniums führt einen von der Rechtsordnung nicht tolerierbaren Zustand herbei, unabhängig davon, ob den Beteiligten eine verwerfliche Gesinnung fehlt. Richtigerweise sollte demnach auch dann von Sittenwidrigkeit ausgegangen werden, wenn alle Beteiligten keine Kenntnis von dem Sittenwidrigkeitsurteil des kulturellen Transfergeschäfts bzw. von den Sittenwidrigkeit auslösenden Umständen besitzen und wenn dies nur bei einer der beiden Parteien vorliegt.
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Die voranstehenden Überlegungen fanden in der bekannten Nigeria-Entscheidung des deutschen BGH vom 22. Juni 1972 Bestätigung, in der die Sittenwidrigkeit und Nichtigkeit eines Seegüterversicherungsvertrages bestätigt wurde, der ein Ausfuhrverbot für nigerianische Masken und Bronzefiguren verletzte. Entscheidend für die Begründung der Sittenwidrigkeit war nach Ansicht des BGH kein eigenes Interesse Deutschlands an der Einhaltung des nigerianischen Kulturgüterschutzgesetzes, sondern dass der Export national schützenswerter Kulturgüter ohne Ausfuhrgenehmigung – entgegen den lange Zeit geltenden Vorstellungen hinsichtlich des nationalen und internationalen Kulturgüterschutzes – als ein Verstoß gegen die herrschende „Überzeugung der Völkergemeinschaft“ und gegen den Ausdruck der von der UNESCO betriebenen und von der Bun-
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
desrepublik Deutschland mitgetragenen Politik der Erhaltung von Kulturwerten an Ort und Stelle betrachtet wurde. Der BGH bezog sich zur Begründung des ‚neuen‘ Sittlichkeitsmaßstabs auf die UNESCO-Convention vom 14. November 1970, die die Bundesrepublik zum Zeitpunkt der Entscheidung zwar noch nicht ratifiziert und dementsprechend auch nicht in nationales Recht umgesetzt hatte, die aber als öffentliche Bestätigung für die Überzeugung der Völkergemeinschaft hinsichtlich des Rechts eines jeden Landes auf den Schutz seines kulturellen Erbes angesehen wurde. 1230
Das Schrifttum geht einhellig davon aus, dass die Nichtigkeitssanktion des BGH aufgrund des Sittenwidrigkeitsverdiktes nicht nur den Versicherungsvertrag betreffen dürfe, sondern auch auf andere Verpflichtungsgeschäfte (wie bspw. den Kaufvertrag unter Schutz stehender Kulturgüter) zu übertragen sei, da diese in gleichem Maße gegen das ausländische Ausfuhrverbot innerhalb des nigerianischen Kulturgüterschutzgesetzes verstießen. Außerdem sind in einer solchen Konstellation auch innerhalb der deutschen Rechtsordnung bei Anwendung des Traditionsprinzips und des Trennungsgrundsatzes die Wirksamkeitsgrenzen des deutschen Abstraktionsgedankens überschritten, sodass sich die Entstehungs- und Wirksamkeitsunabhängigkeit zwischen schuldrechtlichem Kausalgeschäft und dinglicher Eigentumsübertragung an den unrechtmäßig ausgeführten Kulturgütern wegen sog. Fehleridentität nicht auswirkt. Schließlich konnte in den voranstehenden Untersuchungen festgestellt werden, dass von dem Sittenwidrigkeitsverdikt nicht nur solche Veräußerungen erfasst werden, die den kulturgüterschutzgesetzwidrigen Transfer unmittelbar selbst betreffen (wie bspw. der Versicherungsvertrag innerhalb der Nigeria-Entscheidung die illegale Ausfuhr der nigerianischen Masken und Bronzefiguren unmittelbar betraf), sondern dass auch solche Veräußerungen von der Nichtigkeitssanktion des § 138 BGB erfasst werden, die über ein bereits illegal ausgeführtes Kulturgut (also nach einem Statutenwechsel) innerhalb des Importstaates unter Geltung einer neuen Rechtsordnung abgeschlossen werden. Somit ist in der Veräußerung zuvor illegal exportierter Kulturgüter außerhalb des kulturellen Ursprungsstaates selbst eine sittenwidrige Abrede zu sehen, die sogar über die unrechtmäßige Ausfuhr als rein tatsächliche Handlung hinausgeht und diese rechtlich perpetuiert (und damit eine Rückführung durch den Exporteur endgültig von Rechts wegen verunmöglicht). Diese Überlegung sollte Zustimmung erfahren, andernfalls wäre es für jeden Kunstschmuggler ein Leichtes, die voranstehende Sittenwidrigkeit zu vermeiden, indem die Veräußerung erst nach und nicht vor der illegalen Ausfuhr erfolgt.
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Unklar blieb in den voranstehenden Ausführungen bislang noch die zutreffende rechtsdogmatische Begründung der Frage, warum der im Tatbestand des § 138 BGB verwendete unbestimmte Rechtsbegriff des „sittenwidrigen Rechtsgeschäfts“ mit Hilfe ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften (als fremde Sachnormen) konkretisiert werden darf (obwohl keine kollisionsrechtliche Verweisung vorliegt). Dieser Vorgang der materiell-rechtlichen Be-
§ 18 Ergebnis: Materiell-rechtl. ,Berücksichtigung‘ ausl. Kulturgütergesetze
1223
rücksichtigung ausländischer Rechtsgrundsätze und -überzeugungen außerhalb des kollisionsrechtlichen Rechtswahlprozesses konnte jedoch anschaulich mit der von Brainerd Currie und Albert Ehrenzweig entwickelten Datum-Theorie begründet werden. Danach soll ausländisches Recht nicht nur kraft ausdrücklicher kollisionsrechtlicher Anordnung anwendbar sein, sondern ausländische Rechtssätze sollen als local data und fremde Wertmaßstäbe als moral data im Rahmen des Tatbestandes einer Sachnorm berücksichtigt werden. Voraussetzung ist eine so starke Verbindung des Sachverhalts zu diesen Rechtssätzen, dass ein Richter um ihre Beachtung gleichsam nicht umherkommt. Dabei kann von einer sog. Zweistufentheorie gesprochen werden, wobei sich die Zweistufigkeit dadurch ergibt, dass die Datum-Theorie und die Berücksichtigung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften auf der Ebene des Sachrechts erst eingreifen, nachdem mit herkömmlichen kollisionsrechtlichen Mitteln das anwendbare Recht bestimmt worden ist. Das bedeutet mit anderen Worten, dass in einer ersten Stufe stets die nationalen Sachzuordnungsregeln unrechtmäßig entzogener Kulturgüter mit Hilfe der allgemeinen Anknüpfungsmerkmale bestimmt werden, während in einer zweiten Stufe durch Auslegung und Konkretisierung der Generalklauseln des anwendbaren (deutschen) Sachrechts die Wertungen ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften faktisch Eingang in den Entscheidungsprozess finden. Diese Erklärung lässt sich gut anhand der Entscheidung des Nigeria-Falles nachvollziehen, da dort auf den Seegüterversicherungsvertrag deutsches Recht Anwendung fand und die Rechtswahlgrundsätze die nigerianischen Kulturgüterschutzvorschriften nicht zur Anwendung beriefen. Diese wurden vom BGH deshalb auch nicht unmittelbar angewandt, jedoch im Rahmen des Tatbestandes des § 138 BGB und der Auslegung des Sittenwidrigkeitsverständnisses mittelbar und indirekt berücksichtigt. Die ausländischen Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften dienen dann der Konkretisierung des deutschen Tatbestandes und finden auf diese Weise ohne international-privatrechtliche Rechtsanwendungsbestimmung faktischen Eingang in die Streitentscheidung, auch wenn die Rechtsfolge der Sittenwidrigkeit nach wie vor dem deutschen materiellen Recht entnommen wurde.
1232
Das kulturgüterspezifische Schrifttum nutzt heute auf diese Weise die DatumTheorie und deren Rechtswirkungen, um die in der Nigeria-Entscheidung getroffenen Wertungen auch rechtsdogmatisch zu begründen und so ausländische Kulturgüter- und Denkmalschutzgesetze und die darin inkorporierten Ausfuhrverbotstatbestände im Rahmen des § 138 BGB materiell-rechtlich zu berücksichtigen. Die Maßgeblichkeit einer bestimmten lex causae schließt somit nicht aus, dass ausländische Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften auch vor nationalen Gerichten faktische Beachtung finden können. Abgeschlossen wurden die voranstehenden Ausführungen unter Punkt 3. mit der Erkenntnis, dass ausländische Kulturgüter- und Denkmalschutzbestimmungen im internationalen illegalen Kulturgüterverkehr, in denen die Regeln des internationalen Privatrechts
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
das deutsche Sachrecht zur Streitentscheidung berufen, mittels der Grundsätze der Datum-Theorie sowohl innerhalb der Frage der Gutgläubigkeit des Erwerbers nach § 932 Abs. 2 BGB als auch in dem Problem des Abhandenkommens in § 935 Abs. 1 BGB materiell-rechtlich berücksichtigt werden können. 1234
Auf diesem Weg sollte bspw. von Bösgläubigkeit ausgegangen werden, wenn dem Erwerber bekannt wurde oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt geblieben ist, dass ein Kulturgut entgegen den Bestimmungen zur Erhaltung und Bewahrung national wertvoller Kulturgüter aus dem Ursprungsstaat ausgeführt worden war. So wird bspw. im kulturgüterspezifischen Schrifttum auch empfohlen, den guten Glauben des Erwerbers schon dann abzulehnen, wenn er wusste oder wissen musste, dass das Kulturgut in seinem Herkunftsland res extra commercium ist. Vergleichbar ist daran zu denken, die Wirkung ausländischer Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften innerhalb der Auslegung und Konkretisierung des Tatbestandsmerkmals des ‚Abhandenkommens‘ i.S.d. § 935 Abs. 1 BGB materiell-rechtlich zu berücksichtigen. Danach können auch illegale Ausgrabungen von noch nicht entdeckten archäologischen Gütern als Abhandenkommen qualifiziert und dem Diebstahlstatbestand gleichgestellt werden. Auch die unrechtmäßige Ausfuhr national bedeutsamer Kulturgüter kann so aufgrund des Verfalls der Objekte zu Staatseigentum durch die nationalen Kulturgüterschutzgesetze dem Diebstahl dinglich gleichgesetzt werden, sodass in beiden Fallkonstellationen neben dem tatsächlichen Besitzverlust auch das Element der Unfreiwilligkeit dieses Besitzverlustes zu bejahen wäre.
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Insgesamt betonen die Fürsprecher einer materiell-rechtlichen Berücksichtigung ausländischer Kulturgüterschutzvorschriften insbesondere deren Flexibilität im Rechtsfindungsprozess, da ein zur Streitentscheidung berufener Richter jeweils auf die Situation des konkreten Falles eingehen könne 3153 und so die Problematik starrer Verweisungsregeln zu umgehen sei.3154 Damit füge sich die materiellrechtliche Berücksichtigung ausländischer Kulturgüterschutztatbestände bestens in das allgemeine Kollisionsrecht ein, das nicht durch komplizierte Rechtswahlgrundsätze oder Sonderanknüpfungen überladen werden dürfe.3155 So könne auf 3153
3154
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So Sandrock, Foreign Laws Regulating the Export of Cultural Property: The Respect Due to Them by the Judge of the Lex Fori, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 457–481, S. 473. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 300; Stoll, Diskussionsbeitrag, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes – Symposium vom 22./23. Juni 1990 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 140 f. Sandrock, Foreign Laws Regulating the Export of Cultural Property: The Respect Due to Them by the Judge of the Lex Fori, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 457–481, S. 462; Stoll, Diskussionsbeitrag, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes – Symposium vom 22./23. Juni 1990 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 139 f.
§ 18 Ergebnis: Materiell-rechtl. ,Berücksichtigung‘ ausl. Kulturgütergesetze
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den konkreten Fall abgestellt werden, materiell-rechtliche Billigkeitserwägungen würden mit in die Entscheidungsfindung einfließen und es würde auf diese Weise schrittweise ein bestimmter Bereich geschützter Kulturgüter entstehen.3156 Eine ausschließlich materiell-rechtliche Berücksichtigung ausländischer Kulturgüterschutzvorschriften mittels der Datum-Theorie wird von großen Teilen des Schrifttums – zu Recht – auch kritisch bewertet.3157 Dabei wird meist weder der rechtsdogmatische Ansatz noch die Öffnung des Sachrechts für ausländische Kulturgüterschutzvorschriften an sich bemängelt, sondern meist darauf abgestellt, dass eine Berücksichtigung bspw. eines Ausfuhrverbots national bedeutsamer Kulturgüter nur verschleiere, dass es im Wesentlichen um die Anwendung ausländischer Kulturgüterschutzmechanismen gehe.3158 Es müsse vielmehr erkannt werden, dass diesem Anliegen eher die Annahme einer Sonderanknüpfung gerecht werde, wie sie „nicht nur durch die comitas (Entgegenkommen gegenüber dem fremden Staat) …, sondern auch im Hinblick auf das Interesse am internationalen Entscheidungseinklang“ 3159 geboten sei. Ebenso wenig wie andere kollisionsrechtliche Ansätze vermag auch eine materiell-rechtliche Berücksichtigung ausländischer Kulturgüterschutztatbestände darüber hinaus keinen Herausgabeanspruch für den kulturellen Ursprungsstaat zu begründen, wenn Kulturgüter in Privateigentum illegal ausgeführt werden und der Herkunftsstaat nicht mittels sog. umbrella oder rhetorical ownership statutes Eigentümer der illegal exportierten Objekte wurde (im Übrigen wirkt die Nichtigkeit der Rechtsgeschäfte nur zwischen Veräußerer und Erwerber).3160 Insgesamt unterliegt der Ansatz auch der Kritik, weil vorausgesetzt wird, dass deutsches Recht lex causae ist, während 3156
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Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 215–218; Stoll, Diskussionsbeitrag, in: Dolzer/Jayme/Mußgnug, Rechtsfragen des internationalen Kulturgüterschutzes – Symposium vom 22./23. Juni 1990 im Internationalen Wissenschaftsforum Heidelberg, 1994, S. 127, S. 140 f. Im Allgemeinen kritisch zur Datum-Theorie vgl. Kreuzer, Erklärung eines generellen Vorbehalts zu Art. 7 Abs. 1 des Übereinkommens vom 1980-06-19 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht? – Kritische Bemerkungen zu dem entsprechenden Vorschlag des Bundesrats, IPRax 1984, S. 293–295, S. 295. Schurig, Zwingendes Recht, „Eingriffsnormen“ und neues IPR, RabelsZ 54 (1990), S. 217–250, S. 241–242; von Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 472–473. So Armbrüster, Privatrechtliche Ansprüche auf Rückführung von Kulturgütern ins Ausland, NJW 2001, S. 3581 ff., S. 3584. Jaeger, Internationaler Kulturgüterschutz – Rechtslage, Rechtspraxis, Rechtsfortentwicklung, 1994, S. 92; Walter, Rückführung von Kulturgut im Internationalen Recht, 1988, S. 35. Ähnlich Siehr, Nationaler und Internationaler Kulturgüterschutz – Eingriffsnormen und der internationale Kunsthandel, in: Pfister/Will, Festschrift für Werner Lorenz zum siebzigsten Geburtstag, 1992, S. 525–542, S. 538 f., der darauf hinweist, dass sich der Staat auch nicht auf § 823 BGB als Anspruchsgrundlage für eine Herausgabeklage stützen könne, da das staatliche Interesse, Kulturgüter vor Abwanderung zu schützen, kein absolutes Recht im Sinne des § 823 BGB sei, das durch Missachtung ausländischer Exportvorschriften verletzt würde.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
bei der kollisionsrechtlichen Anwendung ausländischen Rechts diesem überlassen bliebe, ob und inwieweit ein deutsches Forum drittstaatliche Kulturgüterschutztatbestände zu berücksichtigen habe.3161 Damit hat sich die Rechtsprechung zwar ein sehr flexibles Instrument zur Berücksichtigung ausländischer Kulturgüterschutzvorschriften geschaffen, deren Ergebnisse aber kaum vorauszusehen sind, weil die Begründungen je nach Sachlage wechseln und sich hierfür bislang noch keine standardisierten Vorgaben entwickelten.3162 1237
Abschließend ist ein Gesamtergebnis für den Untersuchungspunkt C. und damit sowohl für die unmittelbare und direkte Anwendung ausländischer Kulturgüterund Denkmalschutzgesetze als Eingriffsnormen mittels der Sonderanknüpfungstheorie als auch für deren mittelbare und indirekte Berücksichtigung in den Generalklauseln des materiellen Rechts zu finden. Am Anfang dieser zusammenfassenden Stellungnahme hat die Erkenntnis zu stehen, dass die Bestrebungen einer kollisionsrechtlichen Anwendung ausländischer Kulturgüterschutzmechanismen und ihre Berücksichtigung als tatsächliche Sachumstände nach den Maßgaben der Sachnormen der lex causae zwei rechtsdogmatisch voneinander unabhängige Vorgänge auf verschiedenen, sich nicht ausschließenden Ebenen sind, die eigenen kollisions- und sachrechtlichen Kriterien folgen.3163 Ist es nach den allgemeinen Rechtswahlgrundsätzen vor einem Zivilforum möglich, einen ausländischen Kulturgüterschutztatbestand kraft kollisionsrechtlicher Sonderanknüpfung ohne Rücksicht auf das als lex causae maßgebliche Recht anzuwenden, so wird eine zusätzliche materiell-rechtliche Berücksichtigung nach Maßgabe der Sachnormen der lex causae obsolet.3164 Auch rechtsdogmatisch erscheint es zunächst vorzugswürdig, primär den kollisionsrechtlichen Lösungsweg in Betracht zu ziehen:3165 Nur auf diese Weise entsteht – neben der alternativen Reformbestrebung der kollisionsrechtlichen Anknüpfung an die lex originis – ein weiteres umfassendes theoretisches Konzept, um das Problem der extraterritorialen Anwendung der Kulturgüter- und Denkmalschutztatbestände kultureller Ursprungsstaaten sachgerecht zu erfassen. Dagegen wird die materiell-rechtliche Berücksichtigung aus-
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Vgl. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, S. 472–473. Vgl. Magnus, Ulrich in Magnus, Ulrich, J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen – Art. 34 EGBGB, Rdnr. 110–145. So insbesondere Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, § 52 X 3 e; Sonnenberger in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR, Rdnr. 85–87. Vgl. die kulturgüterunspezifischen Erwägungen bei Sonnenberger in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR, Rdnr. 85–87. Vgl. Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 482–484.
§ 18 Ergebnis: Materiell-rechtl. ,Berücksichtigung‘ ausl. Kulturgütergesetze
1227
ländischer Kulturgüterschutzmechanismen über die wertausfüllungsbedürftigen Generalklauseln der nationalen Zivilrechtsordnungen nicht die Funktion eines systematischen Schutzkonzepts national bedeutsamer Kulturgüter einnehmen können, sondern nur Teilerklärungen liefern und sich auf den Einzelfallschutz beschränken.3166 Wird aber – und darin liegt die besondere Bedeutung dieses Ansatzes, wie bspw. zur Zeit (noch) seitens der deutschen Zivilrechtsprechung – eine Sonderanknüpfung ausländischer Kulturgüterschutzvorschriften im Kollisionsrecht abgelehnt, so sollten die Wertmaßstäbe und Rechtsvorgaben ausländischer Kulturgüterschutzvorschriften zumindest im weitestgehenden Umfang innerhalb der Generalklauseln und wertausfüllungsbedürftigen Rechtsbegriffe der lex causae und der von diesen verfolgten Privatinteressen Beachtung finden.3167 In diesem Sinne wagte Jayme bereits im Jahre 1976 die Vorhersage, dass Fälle, in denen ausländisches Recht in der konkreten Anwendung vor nationalen Foren mitgestaltet wird, in der Weise zunehmen werden, dass die traditionelle Verweisungstechnik des internationalen Privatrechts schon in naher Zukunft wahrscheinlich nur eine unter anderen Methoden sein wird, um Fälle mit Auslandsberührung zu lösen3168 – so liegt es auch hier! Einen Ausweg aus den sich einem Zivilrichter in Kunstrestitutionsverfahren bietenden und inzwischen vielbeschriebenen Konflikten des Internationalen Kulturgüterprivatrechts kann jedoch eine stärkere zwischenstaatliche Kooperation im Bereich des internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts bieten.3169 Gewiss ist der die Reformbemühungen des Internationalen Kulturgüterprivatrechts abschließende und unter Punkt E. ausführlich kommentierte Weg einer materiellen Privatrechtsvereinheitlichung für den internationalen Kulturgüterverkehr aufgrund der zahlreichen divergierenden kulturpolitischen Interessen kultureller Exportstaaten an der Erhaltung und Bewahrung ‚ihrer‘ Kulturschätze einerseits und der Bedürfnisse kultureller Importstaaten an einem möglichst freien und ungehinderten Kulturgüterverkehr andererseits als außergewöhnlich ‚steinig‘ zu bezeichnen. Er hat jedoch den großen Vorteil, dass sich sämtliche Rechtswahlgrundsätze erübrigen, eine einheitliche Sachzuordnung kultureller Güter die Option des forum shopping weitestgehend ausschließt und
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3167
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3169
Vgl. Magnus, Ulrich in Magnus, Ulrich, J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen – Art. 34 EGBGB, Rdnr. 110–145. Vgl. Sonnenberger in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Einl. IPR, Rdnr. 85–87. Jayme, Ausländische Rechtsregeln und Tatbestand inländischer Sachnormen – Betrachtungen zu Ehrenzweigs Datum-Theorie, in: Jayme/Kegel, Gedächtnisschrift für Albert A. Ehrenzweig, 1976, S. 35–49, S. 43 m.w.N. So auch die kulturgüterunspezifischen Erwägungen bei Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 482–484.
1238
1228
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
so besonders effektiv der kulturelle Schwarzmarkt bekämpft wird. Zunächst wird jedoch noch kursorisch im nachstehenden Punkt D. die Bedeutung der Stigmatisierung kultureller Güter als unrechtmäßig entzogen und illegal exportiert erläutert.
D. Stigmatisierung kultureller Güter als unrechtmäßig entzogen und illegal exportiert 1239
In dem Moment, in dem ohne rechtmäßige Ausfuhrerlaubnis exportierte oder auf andere Weise unrechtmäßig entzogene Kulturgüter auf dem Parkett des internationalen Kunstmarktes erscheinen, droht bei einer Einverleibung des Objektes in eine Privatsammlung oder bei dem Versuch einer weiteren Veräußerung innerhalb des internationalen Kulturgüterverkehrs in den meisten Konstellationen der definitive Verlust des Kulturguts für das nationale Kulturerbe des Ursprungsstaates. Da nach den voranstehenden Erkenntnissen nicht sicher vorherzusagen ist, ob und in welchem Umfang ausländische Kulturgüterschutzgesetze zur Bewahrung und Erhaltung national bedeutsamer Kulturgüter grenzüberschreitend Anwendung finden oder berücksichtigt werden, haben sich kulturelle Ursprungsstaaten den ganzen Erfindungsreichtum des Internationalen Kulturgüterprivatrechts zu eigen gemacht und eine weitere, interessante Handlungsmöglichkeit entdeckt: Finden alternative Anknüpfungsmaximen wie bspw. die lex originis oder eine extraterritoriale Anwendung ausländischer Kulturgüterund Denkmalschutzgesetze (entweder unmittelbar über eine Sonderanknüpfung oder mittelbar über eine materiell-rechtliche Berücksichtigung im Wege des Sittenwidrigkeitstatbestandes oder wertausfüllungsbedürftige Rechtsbegriffe der lex causae) kein gerichtliches Gehör, besteht in der Stigmatisierung unrechtmäßig entzogener und illegal exportierter Kulturgüter vor ausländischen Zivilforen eine weitere Reaktionsmöglichkeit ursprünglicher Eigentümer und kultureller Ursprungsstaaten. Diese können nämlich versuchen, eine wirtschaftliche Entwertung von mit einem Makel der Rechtswidrigkeit behafteten Kunstwerken aufgrund ihrer praktischen Unveräußerbarkeit vor ausländischen Zivilforen zu erreichen.
1240
Auch wenn außerhalb des kulturellen Ursprungsstaates bislang regelmäßig keine Restitution allein aufgrund der unrechtmäßigen Ausfuhr erreichbar ist, hat eine gerichtliche Feststellung der unrechtmäßigen Ausfuhr bzw. der unrechtmäßigen Kulturgutentziehung eine Stigmatisierung solcher Kulturgüter mit dem Makel der Illegalität und damit zugleich auch einem erheblichen Wertverlust zur Folge: Kulturgüter mit ‚belasteter‘ Provenienz besitzen nur noch einen Bruchteil des Marktwertes vergleichbarer legal ausgeführter Kulturgüter. Sarah Jackson, Historic Claims Director bei dem Art Loss Register, verdeutlichte dies hinsichtlich Beute- und Raubkunst, kulturellem Fluchtgut und entarteter Kunst:
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts „The current problems in relation to the Holocaust pose very significant issues for the art trade who may well find themselves holding looted items which should be restituted on moral if not legal grounds. The effect of buyers not wishing to purchase an item once its Holocaust origins become known, the value decreasing, or the work becoming unsaleable on the open market are key issues that the art trade needs to confont.“3170
I.
1229 1241
Kingdom of Spain v. Christie, Manson & Woods Ltd. aus dem Jahre 1986
Die Reichweite der Stigmatisierungswirkung durch die gerichtliche Inkenntnissetzung der Öffentlichkeit über die Illegalität kultureller Transferleistungen kann anhand der britischen Gerichtsentscheidung Kingdom of Spain v. Christie, Manson & Woods Ltd.3171 aus dem Jahre 1986 verdeutlicht werden.3172
1242
In der sog. Marquesa de Santa Cruz-Konstellation ging es um das 1805 entstandene Goya-Porträt der ‚Marquesa de Santa Cruz‘. Ursprünglich besaß Señora Valdes das Gemälde, das schon unzählige Kunstsammler unwiderstehlich anzog: Als Lousine Havemeyer, die ihre und die Kunstsammlung ihres Mannes dem Metropolitan Museum of Art in New York vermachte, im Jahre 1909 Spanien bereiste und den Duke of Alba, den damaligen Eigentümer des Gemäldes fragte, ob das Kunstwerk zum Verkauf anstünde, antwortete dieser aufrichtig: „I cannot sell my grandmother, can I?“3173 Ein dreiviertel Jahrhundert später wurde das Gemälde innerhalb von drei Jahren vier Mal veräußert, war Streitgegenstand einer der spektakulärsten Gerichtsentscheidungen des Kunstrechts und fand schließlich seinen (vorerst) letzten Ausstellungsort im Museo del Prado in Madrid. Im Jahre 1983 veräußerte Señora Valdes das Goya Porträt an Saorin Bosch für US-$ 180.000, ein im Vergleich zu den vorherigen Angeboten für das Gemälde extrem niedriger Kaufpreis. Nachdem das Bild nach Zürich transferiert
1243
3170
3171 3172
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Vgl. auch Jackson, Provenance Research – Looking for Looted Art, in: International Foundation for Art Research (IFAR), Provenance & Due Diligence – Proceedings of Workshop/Conference: April 29, 2000, S. 19. Kingdom of Spain v. Christie, Manson & Woods Ltd., (1986) 1 W.L.R. 1120 (Ch.D.). Vgl. Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 182–183; Jayme, Die Nationalität des Kunstwerks als Rechtsfrage, in: Reichelt, Internationaler Kulturgüterschutz – Wiener Symposium 18./19. Oktober 1990, 1992, S. 7–30, S. 15; Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 88–90, S. 183 und 308–310; Roellecke, Warum schützen wir Kulturgüter?, in: Mußgnug/Roellecke, Aktuelle Fragen des Kulturgüterschutzes: Beiträge zur Reform des deutschen Kulturgutschutzgesetzes 1955 und seiner Angleichung an den europäischen Kulturgüterschutz, 1998, S. 31–32; Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 167–168 und 196–200; Spaun, Der Herausgabeanspruch bei Diebstahl oder illegalem Export von Kulturgütern, 2003, S. 152–153. Havemeyer/Stein, Sixteen to sixty: memoirs of a collector, 1993, S. 172; Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), Fn. 599, S. 196.
1230
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
wurde, veräußerte dieser das Porträt an die Khamsin Ltd. für ungefähr US-$ eine Million, welche ihrerseits das Gemälde unmittelbar an die Overseas Art Investment Ltd. veräußerte, eine Gesellschaft, die in Liberia gegründet wurde und auf den British Virgin Islands ihren Geschäftssitz hat. Diese wiederum bot Goyas Porträt dem J. Paul Getty Museum in Malibu in Kalifornien an, wo es während des Sommers 1983 bereits ausgestellt wurde, zum Kaufpreis in Höhe von US-$ zwölf Millionen. Nun stellte sich jedoch heraus, dass das Bild entgegen den spanischen Exportbeschränkungen aufgrund gefälschter Ausfuhrlizenzen illegal aus Spanien exportiert worden war, woraufhin das J. Paul Getty Museum einen Erwerb ablehnte und das Gemälde spurlos verschwand. Im Januar 1986 bot die Overseas Art Investment Ltd. der spanischen Regierung das Gemälde ebenfalls zu einem Kaufpreis in Höhe von US-$ zwölf Millionen an, welche jedoch einen Erwerb ablehnte. Unmittelbar danach wurde in der Presse laut, dass Goyas Porträt der „Marquesa de Santa Cruz“ bei Christie, Manson & Woods Ltd. am 11. April 1986 in London versteigert werden sollte. (s. Abb. 49) 1244
Ziel der spanischen Regierung war die Unterlassung der Versteigerung durch Christie, Manson & Woods Ltd., um einen weiteren Handel auf dem illegalen Kunstmarkt zu unterbinden. Wissend um den Ausgang der vor englischen Gerichten ergangenen Entscheidung Attorney General of New Zealand v. Ortiz 3174, dass eine Klage auf Restitution des aus spanischem Territorium illegal exportierten Kulturgutes aufgrund der Nichtanwend- und -durchsetzbarkeit spanischer öffentlich-rechtlicher Ausfuhrregularien vor englischen Foren keinen Rechtserfolg zeitigen werde, klagte das Königreich Spanien gegen das Auktionshaus Christie, Manson & Woods Ltd. allein auf die gerichtliche Feststellung, dass das Bild mit gefälschten Exportpapieren das Territorium Spaniens verlassen habe. Klageziel war somit folgende gerichtliche Erklärung:
1245
„1. That the first of the above mentioned instruments [purporting to be official documents of the Government of Spain authorizing the export of the picture from Spain] is false in that it purports to have been altered on 30 March 1983 by the addition of stamps and seals purporting to be of a department of the Government of Spain, namely the Ministerio de Cultura, Dirección General del Patrimonio Artistico Archivos y Museos (which was in March 1983 called Dirección General de Bellas Artes y Archivos), and by the addition of the signature of the Secretary General thereof, whereas no person had authority to or did make the said alterations on behalf of the Government of Spain and the signature is not that of the said Secretary General. 2. That the second of the above mentioned instruments is false in the same respects as the first of the above mentioned documents. 3. That the third of the above mentioned instruments is false in that it purports to have been made signed and sealed on the authority of the Ministerio de Comercio of the Government of Spain on 5 April 1983 whereas no person had authority to or did make or sign the said document on behalf of the Government of Spain on the said date or at all, the seal is not that of the Ministerio de Comercio (of which the correct name was in
3174
Vgl. 3, 943 ff.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
1231
March 1983 Ministerio de Economía y Hacienda Secretaria de Estado de Comercio) and the signature is not that of any signatory thereof. 4. That the export from Spain of the oil painting known as ‚La Marquesa de Santa Cruz‘ by Goya was in violation of the laws of Spain.“3175
Bei einer Klage auf Feststellung der illegalen Ausfuhr kultureller Güter erfolgt keine Rechtsfolgenanordnung des ausländischen öffentlichen Rechts, da allein der Sachverhalt zu ermitteln und unter den Tatbestand der einschlägigen ausländischen Norm zu subsumieren ist, ohne dass deren imperativer Teil in den Subsumtionsvorgang miteinzubeziehen wäre. Hierfür bedarf es keines kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehls, sondern lediglich der Feststellung hinsichtlich des räumlich-sachlichen Anwendungswillens der ausländischen Normen3176, weshalb auch solche Rechtsregeln, die wegen ihrer Qualifikation als ausländisches öffentliches Recht keinen unmittelbaren Anwendungsbefehl mittels einer international-privatrechtlichen Kollisionsnorm erhalten, zumindest extraterritoriale Berücksichtigung finden.3177 Die gerichtliche Klärung der Eigentumsfrage blieb von Klägerseite unerwähnt. Ebenso wie die seit 1986 in Kraft gesetzte Ley del Patrimonio Histórico Español verlangte nämlich auch das auf den Export des GoyaPorträts noch anwendbare spanische Kulturschutzgesetz von 1933 für den Export eines solchen Kunstwerkes die Erteilung einer Ausfuhrgenehmigung. An-
3175
3176 3177
Kingdom of Spain v. Christie, Manson & Woods Ltd. (1986) 1 W.L.R. 1120 (Ch.D.), S. 1121–1122. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 309. Die geforderte Unterlassung der Versteigerung sollte nach Ansicht der klagenden spanischen Regierung im Falle der gerichtlichen Feststellung, dass das Bild mit gefälschten Ausfuhrpapieren das Territorium Spaniens verlassen habe und deshalb illegal exportiert wurde, auch deshalb möglich sein, weil sich die britischen Kunsthändler und -versteigerer entsprechend Art. 2 des damaligen Dealers Code of Practice dazu verpflichteten, keinen Transfer illegal exportierter Kulturgüter vorzunehmen: „1. In view of the world-wide concern expressed over the traffic in stolen antiques and works of art and the illegal export of such objects, the UK fine art and antiques trade wishes to codify its standard practice as follows: 2. Members of the UK fine art and antiques trade undertake, to the best of their ability, not to import, export or transfer the ownership of such objects where they have reasonable cause to believe: … (b) That an imported object has been acquired in or exported from its country of export in violation of that country’s laws … 4. Where a member of the UK fine art and antiques trade comes into possession of an object that can be demonstrated beyond reasonable doubt to have been illegally exported from its country of export and the country of export seeks its return within a reasonable period, that member, if legally free to do so, will take responsible steps to co-operate in the return of that object to the country of export. Where the code has been breached unintentionally, satisfactory reimbursement should he agreed between the parties.“ Die beklagte Christie, Manson & Woods Ltd. hingegen versah Art. 2 (b) des damaligen Dealers Code of Practice vielmehr mit derjenigen Bedeutung, dass das in den selbstauferlegten Verhaltensregeln niedergeschriebene Transferverbot zuvor illegal aus einem Ursprungsstaat exportierter Kulturgüter doch nur dann zur Anwendung berufen sei, wenn der Veräußerer selbst die rechtswidrige Ausfuhr vorgenommen habe, keinesfalls jedoch dann, wenn dieser ein irgendwann einmal illegal exportiertes Kulturgut viele Jahre später selbst gutgläubig und unverschuldet erworben habe.
1246
1232
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
ders als es das nunmehr geltende Recht vorsieht3178, konnte nach damaliger Gesetzeslage der spanische Staat bei illegal exportierten Kunstwerken keine Eigentumsrechte geltend machen.3179
II.
Klagegrund umstritten
1247
Die Klage auf Feststellung des illegalen Exports kultureller Güter aus Spanien durch ein britisches Gericht sollte nach Ansicht der klagenden spanischen Regierung hier zulässig sein, da das Porträt mit gefälschten Ausfuhrpapieren das Territorium Spaniens verlassen hatte und deshalb illegal exportiert worden war und sich alle britischen Kunsthändler und -versteigerer entsprechend Art. 2 des damaligen Dealers Code of Practice dazu verpflichteten, keinen Transfer illegal exportierter Kulturgüter vorzunehmen:
1248
„1. In view of the world-wide concern expressed over the traffic in stolen antiques and works of art and the illegal export of such objects, the UK fine art and antiques trade wishes to codify its standard practice as follows: 2. Members of the UK fine art and antiques trade undertake, to the best of their ability, not to import, export or transfer the ownership of such objects where they have reasonable cause to believe: … (b) That an imported object has been acquired in or exported from its country of export in violation of that country’s laws … 4. Where a member of the UK fine art and antiques trade comes into possession of an object that can be demonstrated beyond reasonable doubt to have been illegally exported from its country of export and the country of export seeks its return within a reasonable period, that member, if legally free to do so, will take responsible steps to co-operate in the return of that object to the country of export. Where the code has been breached unintentionally, satisfactory reimbursement should he agreed between the parties.“3180
1249
Christie, Manson & Woods Ltd. waren hingegen der Ansicht, dass das in den selbstauferlegten Verhaltensregeln niedergeschriebene Veräußerungsverbot illegal aus einem Ursprungsstaat exportierter Kulturgüter nur dann zur Anwendung gelange, wenn der Veräußerer selbst die rechtswidrige Ausfuhr vorgenommen habe, keinesfalls jedoch dann, wenn dieser ein irgendwann einmal illegal exportiertes Kulturgut viele Jahre später selbst gutgläubig und unverschuldet erworben habe. Aus diesen Gründen wurde an dem Versteigerungstermin des 11. April 1986 seitens des Auktionshauses Christie, Manson & Woods Ltd. festgehalten, nicht jedoch ohne folgende Verkaufsbedingung Nr. 3 mit zusätzlichen „Terms of Sales“ in den Versteigerungskatalog mit aufzunehmen:
1250
„Condition 3: The seller will transfer to the buyer only such title as the seller may have in the lot. The seller is Overseas Art Investments Ltd., a company principally owned by one
3178 3179 3180
Vgl. Art. 29 Abs. 1 des Ley del Patrimonio Histórico Español aus dem Jahre 1986. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 89. Kingdom of Spain v. Christie, Manson & Woods Ltd. (1986) 1 W.L.R. 1120 (Ch.D.), S. 1121–1122.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
1233
of Lord Wimborne’s family trusts and in which there are other minority interests. Claims have been made by the Government of Spain concerning the circumstances in which the painting left Spain, and in particular they have alleged illegal export. Christie’s give no independent warranties. … Purchasers should note that this lot is not being sold on Christie’s Standard Conditions of Sale and that the seller is selling only such title as it has to the picture, as set out in clause 3 of the Conditions of Sale in this catalogue. The purchasers should take their own advice. Further information as to the recent history of the picture is available from the seller to whom purchasers and their advisers are refered.“3181
Da nach dem Grundsatz ubi remedium ibi ius3182 eine Klage vor englischen Gerichten unzulässig ist, wenn kein gerichtlicher Klagegrund und kein anerkannter Rechtsbehelf bestehen, und in der vorliegenden Konstellation sich die spanische Regierung weder auf ein möglicherweise bestehendes Staatseigentum an dem Gemälde oder den Exportpapieren berief, noch die Klage unmittelbar gegen Christie, Manson & Woods Ltd. richtete, drohte die Gefahr, die Klage als unzulässig (und damit ohne Sachentscheidung) abweisen zu müssen. Dahinter steht der Gedanke, dass eine Feststellungsklage generell dann unzulässig ist, wenn der Kläger sein Ziel auch durch eine Leistungsklage erreichen kann.3183 Auch hier begehrte die spanische Regierung allein die gerichtliche Feststellung, dass keine rechtmäßigen Ausfuhrpapiere bestehen, nicht die Restitution des Gemäldes selbst: „It simply sought the declaration that the export papers were false in order to protect future genuine export documents issued by the Spanish Government and thereby protecting an equitable right with respect to State property and Spanish people from any loss or damage.“3184
1251
Mit der ganzen Erfindungskraft, die einem Richter des Common law zu Gebote steht3185, entschied jedoch das Gericht, dass Spanien ein „equitable right“3186 zustehe, eine von Billigkeitsgründen getragene Rechtsposition, eine solche Feststellung zu verlangen, um die für das spanische Kulturpatrimonium unerlässlich wichtigen Kunstwerke zu schützen. Das Gericht berief sich bei diesem Urteil auf das Präjudiz Emperor of Austria v. Day and Kossuth 3187 aus dem 19. Jahrhundert, in dem der ungarische Flüchtling Kossuth in England ungarische Geldnoten drucken ließ, was Österreich zu untersagen beantragte, weil dem Staat durch die
1252
3181 3182
3183 3184
3185
3186
3187
Kingdom of Spain v. Christie, Manson & Woods Ltd. (1986) 1 W.L.R. 1120 (Ch.D.), S. 1126. Vgl. Die Ausführungen bei Samuael, G./Rinkes, J., Contractual and Non-Contractual Obligations in English Law, 1992, S. 25 und 239, zitiert bei Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 199. Vgl. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 309. Hierzu und zum vorangegangenen: Siehr, International Art Trade and the Law, Hague Academy of International Law, Volume 243 (1993-VI), S. 200. Jayme, Die Nationalität des Kunstwerks als Rechtsfrage, in: Reichelt, Internationaler Kulturgüterschutz – Wiener Symposium 18./19. Oktober 1990, 1992, S. 7–30, S. 15. Kingdom of Spain v. Christie, Manson & Woods Ltd., (1986) 1 W.L.R. 1120 (Ch.D.), S. 1121–1122. Emperor of Austria v. Day and Kossuth, (1861) 3 D.F. & J. 217.
1234
3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Fertigung von Falschgeld ein Schaden zugefügt würde. Hier wurde festgestellt, dass ein ausländischer Staat vor englischen Gerichten klagen darf, wenn er auf diese Weise einen geldwerten Schaden von sich oder seinen Einwohnern abwehren kann.3188 Auch innerhalb der sog. Marquesa de Santa Cruz-Konstellation waren die spanische Nation und ihre kulturelle Identität so stark betroffen, dass den handelnden Stellen offenbar keine andere Wahl blieb. Der ununterbrochene Gebrauch gefälschter Exportdokumente entwertete die rechtmäßig für spanische Kulturgüter ausgestellten Ausfuhrlizenzen und damit die darin (auch zukünftig) erfassten Kunstwerke. Außerdem würden dadurch die Kosten des spanischen Staates für den Rückkauf seiner Kulturgüter, gleichzeitig die Attraktivität des illegalen Exports und damit auch der zu erwartende Schaden für Spanien erhöht.3189
III. Feststellung der unrechtmäßigen Ausfuhr aus Spanien vor britischem Forum 1253
Im Ergebnis konnte das britische Gericht somit die unrechtmäßige Ausfuhr des Goya-Gemäldes feststellen und damit das Kunstwerk mit dem Makel der Illegalität stigmatisieren. Dies führte dazu, dass der spanische Staat später das Gemälde für 882 Millionen Peseten (ungefähr US-$ sechs Millionen) zurückerwerben konnte. Durch die gerichtliche Stigmatisierung bestimmter kultureller Gegenstände als illegal transferiert wird das internationale Marktverhalten im Kunsthandel ausgenutzt: Nur für Kulturgüter mit einer unbelasteten Provenienz werden Maximalpreise erzielt. Dies wurde auch in der Entscheidung Jeanneret v. Vichy aus dem Jahre 19823190 ersichtlich. Darin veräußerte die beklagte Anna Vichy das ohne Ausfuhrgenehmigung aus Italien und nach Ansicht der italienischen Regierung deshalb illegal exportierte Matisse-Porträt ‚Visage sur fond jaune‘ an die Schweizer Kunsthändlerin Marie Louise Jeanneret. Unabhängig davon, ob Italien nach seinen Kulturgüterschutzvorschriften wirklich einen Anspruch auf Rückführung eines Gemäldes geltend machen darf, das von einem französischen Staatsbürger in Frankreich gemalt wurde und sich nur wenige Jahre in Italien in einer Privatsammlung ohne Zugang der Öffentlichkeit befand und auch sonst keine relevanten Hinweise für ein ‚italienisches‘ Kulturgut ersichtlich sind, führte John Tancock, Vizepräsident des Auktionshauses Sotheby Parke Bernet, als Zeuge in der Entscheidung aus, dass das Gemälde ohne den 3188
3189 3190
Zitiert bei Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, Fn. 144, S. 89. Müller-Katzenburg, Internationale Standards im Kulturgüterverkehr, 1996, S. 89. Jeanneret v. Vichy, 541 F.Supp. 80 (S.D.N.Y. 1982), 693 F.2d 259 (2d Cir. 1982). Vgl. ausführlich hierzu Pearlstein, Jeanneret v. Vichy: Sales of Illegally Exported Art Under the Uniform Commercial Code, Northwestern Journal of International Law & Business, 6 (1984), S. 275–319.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
1235
Makel der illegalen Ausfuhr wohl einen Marktwert von US-$ 750.000 besaß, ohne rechtmäßige Ausfuhrdokumente der von einer Ausfuhr betroffenen Staaten jedoch unverkäuflich sei: „No reputable auction house or dealer would be prepared to handle it.“3191 Dies hätte zur Folge, dass „on the legitimate market its value is zero.“3192 Graham Leader, ein unabhängiger Kunsthändler, erwartete eine Veräußerung des Gemäldes in Höhe von mehr als einer Million Schweizer Franken an einen Interessenten, verweigerte jedoch nach eigenen Worten die Transaktion „from the moment that I learned that the painting had been clandestinely exported from Italy by its former owner, Mme. Vichey-Frua DeAngeli and that it could thus be subject to suit by any authority.“3193 Bei einem Erwerb unrechtmäßig entzogener Kulturgüter muss regelmäßig eine eingeschränkte internationale Transferierbarkeit durch den Erwerber hingenommen werden, da bei einem späteren Import in fremde Staaten immer mit einer möglichen Beschlagnahme und einer gerichtlichen Auseinandersetzung zu rechnen ist. Diese Auswirkungen machte sich somit die spanische Regierung in der Rechtssache Kingdom of Spain v. Christie, Manson & Woods Ltd. zunutze, um aufgrund der eingeschränkten Marktgängigkeit derart stigmatisierter Kulturgüter einen nur geringen Ablösepreis zum eigenen Erwerb aufbringen zu müssen. Allgemein gilt, dass die Gefahr der Stigmatisierung und der infolgedessen eintretenden wirtschaftlichen Entwertung illegal transferierter Kulturgüter für den internationalen Kunstmarkt nicht nur innerhalb der Rechtsordnung Großbritanniens besteht. Deshalb sollten die am internationalen Kunstmarkt beteiligten Museen, Kunsthändler, Galeristen und Auktionshäuser ebenso wie die individuellen Privatsammler beim Erwerb kultureller Wertgegenstände immer mit der notwendigen Sorgfalt versuchen, unrechtmäßig ausgeführte Kulturgüter zu erkennen und von einem Erwerb Abstand zu nehmen.3194 So stellt bspw. auch Peter Marks, Kunsthändler und ehemaliger President der National Association of Dealers in Ancient, Oriental, and Primitive Art, fest, dass „[m]any clients who visit my gallery, particularly museum directors and curators, ask about provenance before they even look seriously at an object. If provenance information appears to be inadequate, the object ceases to exist for them.“3195 Zusätzlich wahren die im Kunstmarkt aktiven Personenkreise bei Einhaltung angemessener Sorgfaltsanforderungen auch ihren Ruf und werden nicht in Verbindung zu dem kulturellen
3191 3192 3193 3194
3195
Zitiert in Jeanneret v. Vichy, 693 F.2d 259 (2d Cir. 1982). Zitiert in Jeanneret v. Vichy, 693 F.2d 259 (2d Cir. 1982). Zitiert in Jeanneret v. Vichy, 693 F.2d 259 (2d Cir. 1982). Vgl. Gerstenblith, Acquisition and Deacquisition of Museum Collections and the Fiduciary Obligations of Museums to the Public, Cardozo Journal of International and Comparative Law 11 (2003), S. 409 ff. Marks, Provenance: A Dealer’s View, in: International Foundation for Art Research (IFAR), Provenance & Due Diligence – Proceedings of Workshop/Conference: April 29, 2000, S. 37.
1254
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Schwarzmarkt gesetzt – dies stellt in dem sensiblen Kunstmarkt eine häufig unterschätzte wirtschaftliche Komponente dar. 1255
„For a museum, an antiquity without provenance is a potential time bomb. It may have been in circulation for decades, which would make it a legitimate acquisition. It may have been first obtained secretly through clandestine excavation, which would make it unidentifiable and therefore a safe, if unethical, acquisition. However, it may also have been stolen from a preexisting collection, which would make it traceable. At any moment, new evidence may come to light that exposes the true nature of a piece. Public embarrassment, and possibly financial loss, will follow when the museum is forced to return the piece to its country of origin. In the United States, at least, by law, museum trustees have a fiduciary responsibility towards the institutions they serve, and it has been argued that they are in breach of this responsibility if they do not ensure acquisitions policies and diligence procedures that guard against such eventualities.“3196
§ 19 Ergebnis: Gerichtliche Stigmatisierung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter 1256
Ein rechtsdogmatisch weniger eleganter, teilweise für die Praxis aber effektiver Weg besteht für einen Eigentümer oder kulturellen Ursprungsstaat in internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsverfahren in der Möglichkeit der gerichtlichen Stigmatisierung kultureller Güter als unrechtmäßig entzogen und illegal exportiert. Da ohne rechtmäßige Ausfuhrerlaubnis exportierte oder auf andere Weise unrechtmäßig entzogene Kulturgüter bei Erscheinen auf dem Parkett des internationalen Kunstmarktes möglicherweise auf nicht absehbare Zeit für den ursprünglichen Eigentümer unerreichbar werden, so der definitive Verlust des Kulturguts für das nationale Kulturerbe des Ursprungsstaates droht und nach den voranstehenden Untersuchungsergebnissen nicht sicher vorherzusagen ist, ob und in welchem Umfang ausländische Kulturgüterschutzgesetze zur Bewahrung und Erhaltung national bedeutsamer Kulturgüter grenzüberschreitend Anwendung finden oder berücksichtigt werden, haben sich kulturelle Ursprungsstaaten den ganzen Erfindungsreichtum des Internationalen Kulturgüterprivatrechts zu eigen gemacht und in der Stigmatisierung unrechtmäßig entzogener und illegal exportierter Kulturgüter vor ausländischen Zivilforen eine weitere Reaktionsmöglichkeit ursprünglicher Eigentümer und kultureller Ursprungsstaaten entwickelt. Dabei zielen die ursprünglich Berechtigten auf eine wirtschaftliche Entwertung der mit dem Makel der Rechtswidrigkeit behafteten Kunstwerke: Eine gerichtliche Feststellung der unrechtmäßigen Ausfuhr bzw. der unrechtmäßigen Kulturgutentziehung hat nämlich zugleich einen erheblichen Wertverlust zur Folge und Kulturgüter mit ‚belasteter‘ Provenienz besitzen nur noch einen Bruchteil des Marktwertes vergleichbarer legal ausgeführter Kulturgüter.
3196
Brodie, An Archaeologist’s View of the Trade in Unprovenanced Antiquities, in: Hoffman, Art and Cultural Heritage – Law, Policy and Practice, 2006, S. 52–63, S. 56.
§ 19 Ergebnis: Gerichtliche Stigmatisierung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter
Die Reichweite der Stigmatisierungswirkung durch die gerichtliche Inkenntnissetzung der Öffentlichkeit über die Illegalität kultureller Transferleistungen wurde anhand der britischen Gerichtsentscheidung Kingdom of Spain v. Christie, Manson & Woods Ltd. aus dem Jahre 1986 offenkundig, in der die spanische Regierung die Unterlassung der Versteigerung des mit gefälschten Exportdokumenten unrechtmäßig ausgeführten Goya-Gemäldes der ‚Marquesa de Santa Cruz‘ durch Christie, Manson & Woods Ltd. und damit einen weiteren Handel auf dem illegalen Kunstmarkt unterbinden wollte. Bei einer Klage auf Feststellung der illegalen Ausfuhr kultureller Güter erfolgt keine Rechtsfolgenanordnung des ausländischen öffentlichen Rechts, da allein der Sachverhalt zu ermitteln und unter den Tatbestand der einschlägigen ausländischen Norm zu subsumieren ist, ohne dass deren imperativer Teil in den Subsumtionsvorgang miteinzubeziehen wäre. Hierfür bedarf es folglich auch keines kollisionsrechtlichen Anwendungsbefehls, sondern lediglich der Feststellung hinsichtlich des räumlich-sachlichen Anwendungswillens der ausländischen Normen, weshalb auch solche Rechtsregeln, die wegen ihrer Qualifikation als ausländisches öffentliches Recht keinen unmittelbaren Anwendungsbefehl mittels einer international-privatrechtlichen Kollisionsnorm erhalten, zumindest de facto extraterritoriale Berücksichtigung finden. Mit der ganzen Erfindungskraft, die einem Richter des Common law zu Gebote steht, entschied das Gericht, dass Spanien ein „equitable right“ zustehe, eine von Billigkeitsgründen getragene Rechtsposition, eine solche Feststellung zu verlangen, um die für das spanische Kulturpatrimonium unerlässlich wichtigen Kunstwerke zu schützen. Das Gericht berief sich bei diesem Urteil auf das Präjudiz Emperor of Austria v. Day and Kossuth aus dem 19. Jahrhundert, in dem der ungarische Flüchtling Kossuth in England ungarische Geldnoten drucken ließ, was Österreich zu untersagen beantragte, weil dem Staat durch die Fertigung von Falschgeld ein Schaden zugefügt würde. Hier wurde festgestellt, dass ein ausländischer Staat vor englischen Gerichten klagen darf, wenn er auf diese Weise einen geldwerten Schaden von sich oder seinen Einwohnern abwehren kann. Auch innerhalb der sog. Marquesa de Santa Cruz-Konstellation waren die spanische Nation und ihre kulturelle Identität stark betroffen: Der ununterbrochene Gebrauch gefälschter Exportdokumente entwertete die rechtmäßig für spanische Kulturgüter ausgestellten Ausfuhrlizenzen und damit die darin (auch zukünftig) erfassten Kunstwerke. Außerdem würden dadurch die Kosten des spanischen Staates für den Rückkauf seiner Kulturgüter, gleichzeitig die Attraktivität des illegalen Exports und damit auch der zu erwartende Schaden für Spanien erhöht. Im Ergebnis konnte das britische Gericht somit die unrechtmäßige Ausfuhr des Goya-Gemäldes feststellen und damit das Kunstwerk mit dem Makel der Illegalität stigmatisieren. Dies führte dazu, dass der spanische Staat später das Gemälde für 882 Millionen Peseten (ungefähr US-$ sechs Millionen) zurückerwerben konnte. Durch die gerichtliche Stigmatisierung bestimmter kultureller Gegenstände als illegal transferiert wird das internationale Marktverhalten im Kunsthandel ausgenutzt: Nur für Kulturgüter mit einer unbelasteten Provenienz
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
werden Maximalpreise erzielt, ohne rechtmäßige Ausfuhrdokumente der von einer Ausfuhr betroffenen Staaten sind diese jedoch de facto unverkäuflich. 1258
Dies zeigte sich auch bei den Bemühungen um die Rückführung von fünf mittelalterlichen Elfenbeinfiguren mit Aposteldarstellungen, welche am Ende des Zweiten Weltkrieges wahrscheinlich von marokkanischen Soldaten aus deren Auslagerungsort, dem Hessischen Landesmuseum in Rauhenzell, gestohlen worden waren. Als die Figuren im Jahre 1993 auf einer Auktion im Hotel Drouot in Paris veräußert werden sollten, konnte die geplante Versteigerung jedoch nicht im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verhindert werden. Die Bemühungen des Museums um die Rückführung waren aber nicht ohne Erfolg, da sich bei der Versteigerung kein Käufer fand. Völlig richtig ist hier Jayme der Ansicht, dass „Kriegsbeute … ein Makel an[haftet], der offenbar ihren Preis sinken läßt“3197.
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Die Ausführungen zu den bedeutsamsten Reformbemühungen des Internationalen Kulturgüterprivatrechts abschließend, ist nun nachstehend unter Punkt E. der wohl effektivste, in der Praxis jedoch beschwerlichste Weg der Fortbildung des internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts zu dokumentieren: Einen besonders unterstützungswürdigen Ausweg aus den sich einem Zivilrichter in Kunstrestitutionsverfahren bietenden und inzwischen vielbeschriebenen Konflikten des Internationalen Kulturgüterprivatrechts kann sowohl de lege lata als auch de lege ferenda eine Intensivierung der zwischenstaatlichen Kooperationen im Bereich des internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts bieten.3198 Gewiss ist der Weg einer materiellen Privatrechtsvereinheitlichung für den internationalen Kulturgüterverkehr aufgrund der zahlreichen divergierenden kulturpolitischen Interessen kultureller Exportstaaten an der Erhaltung und Bewahrung ‚ihrer‘ Kulturschätze einerseits und den Bedürfnissen kultureller Importstaaten an einem möglichst freien und ungehinderten Kulturgüterverkehr andererseits als außergewöhnlich ‚steinig‘ zu bezeichnen. Da diese Alternative jedoch den großen Vorteil bietet, dass sich innerhalb des Anwendungsbereichs internationaler Konventionen, Abkommen und Übereinkünfte nahezu sämtliche Probleme des allgemeinen Rechtswahlprozesses erübrigen, eine einheitliche Sachzuordnung kultureller Güter die Option des forum shopping weitestgehend ausschließt und so besonders effektiv der kulturelle Schwarzmarkt bekämpft wird, hat sich Punkt E. abschließend ausführlich mit den Möglichkeiten der materiellen Privatrechtsvereinheitlichung im internationalen Kulturgüterschutzrecht auseinanderzusetzen. 3197
3198
Jayme, Kunstwerke als Kriegsbeute: Restitution und Internationales Privatrecht im deutsch-französischen Rechtsverkehr (zu Trib. gr. instance Paris, Ordonnance v. 28.9.1993, IPRAX 1995, S. 255), Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts 15 (1995), S. 260–261. So auch die kulturgüterunspezifischen Erwägungen bei Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 482–484.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
E.
Materielle Privatrechtsvereinheitlichung im internationalen Kulturgüterverkehr
Schrifttum: Anton, Special Conflict Rules in the Private International Law of Property concerning International Art Trade in Stolen Works of Art, LL.M. Thesis 2005, University of Johannesburg, South Africa; Antoniou, Völkerrechtlicher und verfassungsrechtlicher Kulturgüterschutz – insbesondere die Frage der Rückkehr des Parthenon-Fries, in: Gornig/Schiller/Wesemann, Griechenland in Europa, 2000, S. 97–117, S. 107; Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, insb. S. 119–140; Bogouslavski, L’union soviétique et la protection internationale des biens culturels, 1979, S. 40–83; Byrne-Sutton, Le trafic international des biens vulturels sous l’angle de leur revendication par l’Etat d’origine – Aspects de droit international privé, 1988, S. 215 ff.; Carducci, The Growing Complexity of International Art Law: Conflict of Laws, Uniform Law, Mandatory Rules, UNSC Resolutions and EU Regulations, in: Hoffman, Art and Cultural Heritage – Law, Policy and Practice, 2006, S. 68 ff., S. 78–80; Carducci, International legal mechanisms – the 1970 UNESCO and 1995 UNIDROIT Conventions, in: Korean National Commission for UNESCO/Cultural Properties Administration of the Republic of Korea/UNESCO, International Expert Meeting on the Return of Cultural Property and the Fight against its Illicit Trafficking, 2002, S. 173–176; Droz, La protection internationale des biens culturels et des objets d’art, vue sous l’angle d’une convention de droit international privé, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 535–544; Esposito/Fiorillo, The Harmonisation of National Legal Systems, in: Council of Europe/Conseil de l’Europe, Proceddings of the Thirteenth Colloquy on European Law, Delphi, 20–22 September 1983: International Legal Protection of Cultural Property, 1984, S. 117–120; Fox, The UNIDROIT Convention on Stolen or Illegally Exported Cultural Objects: An Answer to the World Problem of Illicit Trade in Cultural Property, American University International Law Review 9 (1993), S. 225–267, S. 229–230; Goy, Les objets de musée en droit international, Annuaire de l’A.A.A., Volume 44 (1974), S. 22–33; Herscher, International Control Efforts: Are There Any Good Solutions?, in: Messenger, Whose Culture? Whose Property? The Ethics of Collecting Cultural Property, 2. Aufl. 1999, S. 117–128; Hjerner, The United Nations Convention on Contracts for the International sale of Goods, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 545–556; Hipp, Schutz von Kulturgütern in Deutschland, 2000, S. 199–206; Hondius, Activities of the Council of Europe, in: Briat, International Sales of Works of Art – La Vente Internationale d’Œuvres d’Art, Export/Import/Taxation/Dation en paiement’/Appraisal/Insurance, Volume II, 1990, S. 81–88; Jaeger, Internationaler Kulturgüterschutz – Rechtslage, Rechtspraxis, Rechtsfortentwicklung, 1994, S. 133–158; Kohls, Kulturgüterschutz: Wirkungen von Verstößen gegen Ausfuhrverbote und Möglichkeiten der Rückführung illegal verbrachter Kulturgüter – Eine vergleichende Untersuchung mit den Rechten Dänemarks, Norwegens und Schwedens, 2001, S. 96–97; Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 92 ff.; Kropholler, Internationales Einheitsrecht, 1975; Lehman, The Continued Struggle with Stolen Cultural Property: The Hague Convention, the UNESCO Convention, and the UNIDROIT Draft Convention, Arizona Journal of International and Comparative Law 14, No. 2 (1997), S. 527–550; Levine, Legal Approaches to International Trafficking in Stolen and Looted Cultural Heritage, in: Hutt/Forsyth/Tarler, Presenting Archaeology in Court – Legal Strategies for Protecting Cultural Resources, 2006, S. 191–204; Mercier, Quelques considérations sur le commerce international de l’art selon des conventions récentes, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 597–609; Merryman, Draft Principles to Govern a Licit International Traffic in Cultural Property, in: Briat/Freedberg, International Sales of Works of Art/La Vente Internationale d’Œuvres d’Art – Legal Aspects of International Trade in Art/Les Aspects Juridique du Commerce International de l’Art, Volume V (1996), S. 103–105 (kritische Auseinandersetzung
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht unterschiedlicher Autoren damit bis S. 140); Monaco, La contribution d’Unidroit à la protection internationale des biens culturels, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 567–574; Müller-Rappard, La Convention Européenne sur les infractions visant des biens culturels, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 575–580; Nafziger, Towards a More Collaborative Regime of Transnational Cultural Property Law, in: Basedow/Meier/Schnyder/ Einhorn/Girsberger, Private Law in the International Arena. From National Conflict Rules Towards Harmonization and Unification, Liber Amicorum Kurt Siehr, 2000, S. 497–509; Nafziger, UNESCO-Centered Management of International Conflict Over Cultural Property, Hastings Law Journal 27 (1975–1976), S. 1051–1067; Nafziger, The New International Legal Framework for the Return, Restitution or Forfeiture of Cultural Property, International Law and Politics, Vol. 15 (1983), S. 789–812; Nott, Title to Illegally Exported Items of Historic or Artistic Worth, The International and Comparative Law Quaterly, Volume 33 (1984), S. 203– 207, S. 206; Nowell, American Tools to Control the Ilegal Movement of Foreign Origin Archaeological Material: Criminal and Civil Approaches, Syracuse Journal of International Law and Commerce 6 (1978), S. 77–110, S. 78–84; Ognik/Rotfeld, Cultural Heritage and the CSCE Process (Selected Documents), 1991; O’Keefe, Activities of International Organisations in the Protection of Cultural Objects, Uniform Law Review/Revue de droit uniforme, 1996/1, S. 88–95; Papademetriou, International Aspects of Cultural Property – An Overview of Basic Instruments and Issues, International Journal of Legal Information (IJLI), 24 (1996), S. 270–301; Pescatore, Le commerce de l’art et le Marché Commun, in: Lalive, International Sales of Works of Art, Geneva Workshop, 11–13 April 1985, Volume I, S. 581–596; Plutschow, Staatliche Vorkaufsrechte im Internationalen Kulturgüterschutz, 2002, S. 293 ff.; Prott, UNESCO and UNIDROIT: a partnership against trafficking in cultural objects, in: Palmer, The Recovery of Stolen Art, 1998, S. 205–216; Prott, International Control of Illicit Movement of the Cultural Heritage: The 1970 UNESCO Convention and Some Possible Alternatives, Syracuse Journal of International law and Commerce, 10 (1983), S. 333–351; Raschèr, Kulturgütertransfer: Grundlagen, in: Mosimann/Renold/Raschèr, Kultur – Kunst – Recht: Schweizerisches und Internationales Recht, 2009, S. 273–291; Reichelt, Europäischer Kunstmarkt, Österreichische JuristenZeitung (ÖJZ) 49. Jahrgang (1994), S. 339–342; Reichelt, Kulturgüterschutz und Internationales Privatrecht, IPRax 1986, S. 73–75; Shyllon, The Recovery of Cultural Objects by African States through the UNESCO and UNIDROIT Conventions and the Role of Arbitration, Uniform Law Review 2000-2, S. 219–241; Siehr, Rechtsschutz archäologischer Kulturgüter, in: Niemeyer, Archäologie, Raubgrabungen und Kunsthandel, 1995, S. 49–54; Siehr, Protection of Cultural Property – Reforms and Developments in the Member States of the European Union and in Some Other Countries, in: Schneider/Schneider, Cultural Property Protection (Istanbul Conference, Summer 2004), 1995, S. 77–95, S. 90 ff.; Spaun, Der Herausgabeanspruch bei Diebstahl oder illegalem Export von Kulturgütern, 2003, S. 89–91; Strauch, Rechtsverhältnisse an Kulturgütern im Internationalen Sachenrecht, 2007, S. 52–76; Streinz, Handbuch des Museumsrechts 4: Internationaler Schutz von Museumsgut, 1998, S. 69 ff.; Thorn, Internationaler Kulturgüterschutz nach der UNIDROIT-Konvention, 2005, S. 55 ff.; von Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2004, S. 15–16, 23; Vrellis, The Draft Unidroit Agreement and the Proposal for a Council (EEC) Directive: A Parallel Retrogression?, in: Institute of Hellenic Constitutional History and Constitutional Law (Prof. Kassimatis), Studies 5: Archaeological Heritage: Current Trends in Its Legal Protection, International Conference (Athens, 26–27 November 1992), 1995, S. 173–192; Weber, Unveräußerliches Kulturgut im nationalen und internationalen Rechtsverkehr, 2002, S. 384 ff.; Weidner, Kulturgüter als res extra commercium im internationalen Sachenrecht, 2001, S. 224 ff.; Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 192; Williams, The International and National Protection of Movable Cultural Property – A Comparative Study, 1978, S. 170 ff.; Winter, The Application of the Unidroit Convention on Stolen or Illegally Exported Objects in Relations between
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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member States of the European Union, in: Denters, Reflections on international law from the low countries in honour of Paul de Waart, 1998, S. 347–372.
Eine für den Kulturgüterschutz und das Kunstrestitutionsrecht effektive Alternative zu den de lege lata geltenden Grundsätzen des Internationalen Kulturgüterprivatrechts besteht schließlich in der materiellen Privatrechtsvereinheitlichung im internationalen Kulturgüterverkehr. Schon nach allgemeinem Verständnis umfasst der Begriff des internationalen Sachenrechts in einem weiteren Sinn auch materielle sachenrechtliche Vorschriften, die entweder auf Grund ihres völker- oder europarechtlichen Ursprungs (als sog. Einheitsrecht) oder zumindest auf Grund ihres spezifisch auf grenzüberschreitende Sachverhalte zugeschnittenen Regelungsgehalts internationalen Charakter haben.3199 Unter der Terminologie „internationales Einheitsrecht“ werden allgemein diejenigen Rechtssätze zusammengefasst, die in wenigstens zwei Staaten gleichlautend gelten und ihrem Sinn und Zweck nach auch so gelten sollen.3200 Einheitsrecht zeichnet sich im internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht also dadurch aus, dass zwei oder mehrere Staaten gezielt inhaltlich übereinstimmende Rechtsregeln setzen, die anschließend in das nationale Recht übernommen werden.3201 Die einheitliche Geltung dieser Rechtssätze ist ratio conventionis und stellt den besonderen Zweck der zwischenstaatlichen Vereinbarungen und abgestimmten Regulationsmechanismen dar.3202 Während die Kollisionsregeln des Internationalen Kulturgüterprivatrechts als sog. „Verweisungsrecht“3203 die Verantwortung für Fälle mit überwiegender Auslandsbeziehung in erster Linie dem Ausland überlassen, regelt das materielle Sonderrecht in internationalen Konstellationen die privatrechtlichen Sachverhalte mit einer Außenbeziehung als sog. „Entscheidungsrecht“ unmittelbar selbst.3204 Das bedeutet für den inter-
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So Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Vor Art. 43, Rdnr. 8. Vgl. Kropholler, Internationales Einheitsrecht, 1975; Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 93. Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 93; Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 121–124. Kropholler, Internationales Einheitsrecht, 1975, S. 1 f., S. 9; Beck, Die Rückgabe gestohlener und rechtswidrig ausgeführter Kulturgüter nach dem UNIDROIT-Übereinkommen 1995 und das deutsche Internationale Privatrecht, 2007, S. 121–124. Das Begriffspaar „Entscheidungsrecht“ und „Verweisungsrecht“ stammt von Dölle, 5. Beiheft zur DRZ (1948) 5 N. 10. Eine vergleichbare Terminologie („dispositive law“ und „indicative law“) findet sich für das englische Recht bei Taintor, Louisiana Law Review 1 (1938/39) S. 696 ff. Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 92.
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
nationalen Kulturgüterverkehr, dass die Regelungen des internationalen Einheitsrechts nicht das anzuwendende Recht bestimmen,3205 sondern selbst die dingliche Sachzuordnung unrechtmäßig entzogener Kulturgüter vornehmen und so die nationalen Kollisionsnormen ebenso verdrängen wie das nationale materielle Recht. Innerhalb des internationalen Kulturgüterverkehrs ist dann das autonome Kollisionsrecht der lex rei sitae aufgrund einer eigenen materiellen Sachentscheidung des internationalen Einheitsrechts unanwendbar.3206 1261
Innerhalb des internationalen Einheitsrechts kann einheitliches Kollisionsrecht von einheitlichem materiellen Recht unterschieden werden. Zu dem Erstgenannten zählen bspw. innerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union Art. 12 der Richtlinie 93/7/EWG vom 15.3.1993 und dessen nationalen Umsetzungsakte – bspw. in Deutschland § 5 Abs. 1 des Kulturgüterrückgabegesetzes vom 18.05.2007 bei Geltendmachung des Rückgabeanspruchs für geschütztes deutsches Kulturgut und § 9 bei Rückgabeansprüchen anderer Staaten. Einheitliches Kollisionsrecht bestimmt bspw. aber auch die Resolution La vente internationale d’objets d’art sous l’angle de la protection du patrimoine culture vom 3. September 1991 des Institut de droit international.3207 In Art. 2 findet sich bekanntlich eine Abkehr von der traditionellen lex rei sitae und eine Festschreibung der lex originis.
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Als mögliche Alternative zum internationalen Kulturgüterprivatrecht interessiert hier jedoch vor allem das materielle Einheitsrecht, das im Bereich des Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrechts insbesondere durch spezielle Staatsverträge und internationale Konventionen sowie die gemeinschaftsrechtlichen Grundsätze der Europäischen Union zum Ausdruck gebracht wird. So ist bspw. in besonderem Maße der UNESCO-Convention on the Means of Prohibiting and Preventing the Illicit Import, Export and Transfer of Ownership of Cultural Property (Paris) vom 14. November 1970 und der UNIDROIT Convention on Stolen or Illegally Exported Cultural Objects vom 24. Juni 1995 ein sachenrechtlicher Gehalt zuzusprechen. Als Beispiele für eine Norm mit spezifisch auf grenzüberschreitende Sachverhalte zugeschnittenem Regelungsgehalt können bspw. aber auch § 20 Abs. 3 des Gesetzes zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung vom 6. August 1955 und die darin enthaltene Zusage freien Geleits3208 genannt werden.3209 So sehen auch große Teile des Schrifttums im internationalen
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Vgl. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, 8. Aufl. 2004, S. 23. „Das internationale Einheitsrecht verdrängt IPR und nationales materielles Recht.“ Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, 8. Aufl. 2004, S. 23. Vgl. ausführlich hierzu schon 3, 611 ff. Vgl. ausführlich hierzu 3, 138 ff. Vgl. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Vor Art. 43, Rdnr. 8.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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bzw. europäischen Einheitsrecht das richtige Instrument zur Durchsetzung des internationalen Kulturgüterschutzgedankens.3210 Die nachstehenden völkerrechtlichen Verträge, die ein einheitliches Sachrecht zur Regulation des internationalen Kulturgüterverkehrs schaffen, verdrängen so – innerhalb ihres Anwendungsbereichs – sowohl das nationale Kollisionsrecht als auch die einzelstaatlichen Sachnormen. Die Anwendungsbestimmung materiellen Einheitsrechts geschieht bisweilen durch eigene Kollisionsregeln, im Einheitsrecht für internationale Sachverhalte aber in der Regel durch spezielle Abgrenzungs- und Anwendungsnormen, die festlegen, welche internationalen Fälle erfasst sind.3211 „Derartige Abgrenzungsnormen enthalten meist versteckt die Aussage, daß in den genannten internationalen Fällen die Konventionsregelung ohne Vorschaltung autonomen oder vereinheitlichten Kollisionsrechts zum Zuge kommen soll.“3212 Somit bestimmen die Vorschriften, die die sachliche, persönliche und zeitliche Geltung eines Staatsvertrages festlegen, ebenfalls über die Rechtsanwendung des internationalen Rechts,3213 sodass darin selbst Normen mit kollisionsrechtlicher Funktion erkannt werden können.3214 Entsprechend dem in Art. 3 Abs. 2 S. 1 EGBGB festgelegten Grundsatz gehen sie den allgemeinen Kollisionsnormen wegen ihres völkerrechtlichen Ursprungs und ihres Charakters als Spezialvorschriften vor.3215 Die nachstehenden materiellen Einheitsregeln verdrängen die nationalen Rechtswahlgrundsätze jedoch nur insoweit, als in Fallkonstellationen des internationalen Kulturgüterverkehrs das Einheitsrecht gegenüber dem Wirkungskreis der berührten nationalen Rechtsordnung abgegrenzt werden muss. Außerdem bleiben im einheitlichen Sachrecht zahlreiche Rechtsfragen planmäßig (wie bei ausdrücklich offen gelassenen Nebenfragen) oder planwidrig unbeantwortet, sodass ergänzend autonomes staatliches Recht berufen werden muss (es werden also stets anwendungsbestimmende und anwendungsergänzende Normen benötigt).3216 3210
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Vgl. m.w.N. Wendehorst in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch – Band 10 Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (Art. 1-46) – Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2006, Art. 43, Rdnr. 192. Vgl. Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 94. Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 94. von Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, 8. Aufl. 2004, S. 15–16. Vgl. Hoffmann/Thorn, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundzüge des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 8. Aufl. 2005, 8. Aufl. 2004, S. 15–16. Vgl. Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 94. „Von einer planwidrigen Lücke im Einheitsrecht oder fehlgeschlagener Rechtsvereinheitlichung kann man sprechen, wenn die Auslegung eines einheitlichen Gesetzes oder die Ausfüllung einer nicht beabsichtigten Lücke seines Textes in konstanter Rechtsprechung ver-
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
Materielle Privatrechtsvereinheitlichung im internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht
Entwicklung des materiellen Einheitsrechts im internationalen Kulturgüterschutzrecht
Materielle Rechtsvereinheitlichung innerhalb der Europäischen Union
Rechtsvereinheitlichung aufgrund der UNESCOConvention vom 14. November 1970
Rechtsvereinheitlichung aufgrund der Konvention von San Salvador vom 16. Juni 1976
Materielle Rechtsvereinheitlichung durch UNIDROIT
Resolution ‚La vente internationale d’objets d’art’ vom 3. September 1991
Sonstige Bestrebungen der materiellen Rechtsvereinheitlichung in internationalen Konventionen
Schema 14 – Materielle Privatrechtsvereinheitlichung im internationalen Kulturgüterschutzund Kunstrestitutionsrecht
I. 1264
Entwicklung materiellen Einheitsrechts im Kulturgüterschutz
Das Institut International pour l’Unification du Droit Privé (UNIDROIT) hat zusammen mit dem Office International des Musée schon im Jahre 1933 das sog. Projet de Convention sur le rapatriement des objets d’intérêt artistique, historique ou scientifique, perdus ou volés, ou ayant donné lieu à aliénation ou exportation illicite3217 mit dem Ziel der Unterschutzstellung kultureller Güter in Zeiten des Friedens als Vorläufer der erst sehr viel später erlassenen Convention on the Means of Prohibiting and Preventing the Illicit Import, Export and Transfer of Ownership of Cultural Property vom 14. November 1970 ins Leben gerufen. Auch aufgrund dringlicherer Aufgaben in der Vorzeit des Zweiten Weltkriegs fanden dessen
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schiedener beteiligter Länder uneinheitlich erfolgt. Dann sind die mehreren Auslegungen wie verschiedene nationale Gesetze nach den Regeln des IPR zu behandeln. Auf solche Weise kann man wenigstens noch zu internationaler Entscheidungsgleichheit für den Einzelfall gelangen, indem derselbe Sachverhalt überall nach derselben Version des Einheitsrechts beurteilt wird.“ Kropholler, Internationales Privatrecht – einschließlich der Grundbegriffe des Internationalen Zivilverfahrensrechts, 4. Aufl. 2001, S. 94–95; Kropholler, Internationales Einheitsrecht, 1975. Text abgedruckt unter Office International des Musées, Art et Archéologie: Recueil de legislation comparé et de droit international 1939, S. 51–52.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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Grundsätze und die Prinzipien der nachfolgenden Konventionsprojekte zum damaligen Zeitpunkt leider noch keine normative Geltung, sind angesichts ihrer rechtsdogmatischen Konzeption für das spätere materielle Einheitsrecht im Kulturgüter- und Denkmalschutz im Allgemeinen und der zwischenstaatlichen Hilfe bei Wiedererlangung unrechtmäßig entzogener Objekte des nationalen Kulturpatrimoniums aber so bedeutend, dass eine kursorische Übersicht zu erfolgen hat. Die für das internationale Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht zentralen Bestimmungen lauten wie folgt: Projet de Convention sur le rapatriement des objets d’intérêt artistique, historique ou scientifique, perdus ou volés, ou ayant donné lieu à aliénation ou exportation illicite aus dem Jahre 1933: ARTICLE PREMIER. – Les Hautes Parties contractantes s’engagent à ne pas reconnaître la validité de transactions portant sur des objets mobiliers ou immobiliers, de caractère artistique, historique ou scientifique, en cas d’infraction aux dispositions par lesquelles une desdites Parties aurait, conformément à sa législation, interdit l’aliénation ou l’exportation de ces objets. ART. 2. – Les Hautes Parties contractantes s’engagent à se prêter leurs bons offices pour faire restituer ou rapatrier, dans le plus bref délai, tout objet compris dans la définition de l’article 1 de la présente Convention, introduit sur leur territoire à la suite d’une perte, d’un vol, d’une aliénation ou exportation illicite. ART. 3. – L’acquéreur de bonne foi a droit à une indemnité qui ne peut excéder le prix et les loyaux coûts du contrat effectivement payés par lui. ART. 4. – La bonne foi de l’acquéreur ne peut être admise si la disparition de l’objet et une description de cet objet permettant de l’identifier ont été signalées, antérieurement à l’acquisition, dans une publication officielle de l’Office international des Musées rattaché à la Société des Nations.
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Kern des Projet de Convention stellen die in Art. 1 bestimmte Nichtanerkenntnis einer Veräußerung von Gegenständen kulturellen, historischen oder wissenschaftlichen Charakters entgegen den Veräußerungs- oder Ausfuhrverboten der Vertragsstaaten und der in Art. 2 verbürgte Rückführungsanspruch aller abhandengekommenen, gestohlenen, unrechtmäßig veräußerten oder illegal exportierten Kulturgüter an die kulturellen Ursprungsstaaten dar. Damit sollte ein eigener materiellrechtlicher Rückführungsanspruch zwischen den Vertragsstaaten formuliert werden, der – so wird aus Art. 3 f. ersichtlich – außerhalb der zivilrechtlichen Eigentumsposition an den Kulturwerten besteht. Um auch den Bestandswahrungsinteressen gutgläubiger Erwerber und Besitzer gerecht zu werden, dient der Einwand gutgläubigen Erwerbs zwar nicht als Restitutionshindernis, jedoch der finanziellen Kompensation für den Restitutionsschuldner. Damit versuchte das Projet de Convention einen weitestgehenden Schutz für das nationale Kulturpatrimonium sicherzustellen. Da jedoch zum damaligen Zeitpunkt mit dem vorstehenden Ansatz eine zu weitgehende Einschränkung der Interessen an einem möglichst freien Kulturgüterverkehr verbunden wurde, konnte die Staatengemeinschaft hierfür nicht überzeugt werden.
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Die vorstehenden Entwicklungen wurden in der Convention pour la protection des patrimoines historiques et artistiques nationaux aus dem Jahre 1936 fort-
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3. Teil: Internationales Kulturgüterprivatrecht
geführt und die Vertragsstaaten anerkannten erneut das Recht auf Rückführung aller abhandengekommenen, gestohlenen und entgegen den nationalen Kulturgüter- und Denkmalschutzvorschriften des kulturellen Ursprungsstaates veräußerten oder illegal exportierten Objekte mit einem beachtenswerten paläontologischen, archäologischen, historischen oder kulturellen Interesse an, die sich nun auf dem Territorium eines Mitgliedstaates befinden. Auf der Konferenz von Kairo wurden diese Grundsätze vom Office International des Musée angenommen. Schließlich fanden die Bestrebungen eine erneute Einschränkung in der Convention pour la protection des collections nationales d’art et d’histoire aus dem Jahre 1939, nach der allein solche abhandengekommenen, gestohlenen oder aus vergleichbaren Umständen verlorenen Kulturgüter an einen Mitgliedstaat rückgeführt werden konnten, die zuvor von diesem enumerativ erfasst und im Einzelfall als Teil einer Kollektion eines Vertragsstaates inventarisiert worden waren. Gleichzeitig sah die Konvention für einen gutgläubigen Besitzer eine Kompensationszahlung vor. 1268
Schließlich kann im internationalen Kulturgüterschutz- und Kunstrestitutionsrecht der Treaty on the Protection of movable Property of Historic Value vom 15. April 1935 als das erste multinationale Übereinkommen benannt werden, das sich ausschließlich dem Kulturgüterschutz widmet. Der Geltungsbereich des Vertrages war allerdings auf einige Staaten Süd- und Mittelamerikas (Chile, El Salvador, Guatemala, Mexiko, Nicaragua) beschränkt.
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Article 1. For the purpose of this Treaty, the following shall be considered as movable monuments a) Of the pre-Columbian period: arms of war and implements of labor, pottery, woven fabrics, jewels and amulets, engravings, drawings and codices, quipus, costumes, adornments of all sorts, and in general all movable objects which by their nature or origin show that they are separated from some immovable monument which belongs authentically to that period of history. b) Of the Colonial period: arms of war and implements of labor, costumes, medals, coins, amulets and jewels, drawings, paintings, plans and geographical charts, codices, and rare books, objects of gold and silver, porcelain, ivory, tortoise-shell, and lace, and, in general association articles having historic or artistic value. c) Of the period of emancipation and the republic: objects included in the above paragraph which belong to this period. d) Of all periods: 1) Official and institutional libraries, private libraries valuable as a whole, national archives and collections of manuscripts, both official and private, having a high historic significance; 2) as natural movable wealth, zoological specimens of beautiful and rare species threatened with extermination or natural extinction and whose preservation may be necessary to the study of the fauna. Art. 2. In order that these movable monuments may be imported into any of the signatory countries, custom houses shall require from the importer the official documents authorizing exportation from the country of origin, when his country is a party to this treaty. Art. 3. The countries of origin shall so arrange that an obligatory permit will be necessary for the exportation of any movable monument, which permit shall be granted only in case other identical specimens or those having a value similar to the one to be exported are still in the country.
4. Abschnitt: Reform des Internationalen Kulturgüterprivatrechts
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Art. 4. The signatory countries understand that those who have objects declared to be movable monuments, can only enjoy the usufruct, which is transferable only within the same country, and they undertake to legislate to that effect. Art. 5. The custom houses of the country into which the importation of movable monuments from a signatory country is attempted without the necessary authorization shall confiscate them and return them to the Government of the country of origin for the appropriate penalty for illegal exportation. Art. 6. When any signatory Government receives knowledge of an illicit exportation from its own country subsequent to the present treaty, it may address itself to the Government of the country to which the monument has been taken in order that the latter may proceed to return it to the applicant. …
In dem auch sog. Washingtoner Vertrag werden die Bedingungen für den Import und Export bestimmter historischer Kulturgüter aus der präkolumbianischen Epoche, der Kolonialperiode oder der Zeit der Emanzipation und Errichtung der südamerikanischen Republik festgelegt. Zu diesen sog. movable monuments i.S.d. Art. 1 zählen aber auch die Bestände staatlicher wie privater Bibliotheken und nationaler Archive und Manuskriptsammlungen von historischer Bedeutung sowie – und das ist außergewöhnlich – ‚natürliche‘ Gegenstände wie bspw. zoologische Objekte vom Aussterben bedrohter Pflanzen- oder Tierarten, deren Bewahrung und Erhaltung besonderer Notwendigkeit unterliegt. Der Import solcher Gegenstände ist nach Art. 2 nur zulässig, wenn eine entsprechende Ausfuhrgenehmigung des mitgliedstaatlichen Ursprungsstaates vorliegt. Deshalb besteht nach Art. 3 die Verpflichtung der Vertragsstaaten, für geschützte Objekte ein Exportgenehmigungsverfahren einzurichten, innerhalb dessen movable objects nur dann ausgeführt werden dürfen, wenn sich auch nach Ausfuhr noch vergleichbare Objekte innerhalb des Ursprungsstaates befinden. Die Zollbehörden des Belegenheitsstaates müssen danach movable monuments, die ohne Exportgenehmigung importiert wurden, beschlagnahmen und an den Herkunftsstaat zurückgeben. Deshalb wird in Art. 5 ein eigenständiges materiell-rechtliches Restitutionsrecht bestimmt, wonach generell illegal exportierte Objekte an den Herkunftsstaat zurückzugeben sind. Dabei wirkt der Washingtoner Vertrag auch unmittelbar auf die dingliche Sachzuordnung solcher movable monuments ein und bestimmt in Art. 4, dass diese grundsätzlich im Staatseigentum stehen und Privatpersonen an ihnen lediglich eine Art Nießbrauchrecht i.S. eines dinglichen Nutzungsrechts erwerben können, das nur innerhalb des Hoheitsgebietes des betreffenden Ursprungsstaates übertragbar ist.
II.
UNESCO-Convention vom 14. November 1970
Schrifttum: Anton, Special Conflict Rules in the Private International Law of Property concerning International Art Trade in Stolen Works of Art, LL.M. Thesis 2005, University of Johannesburg, South Africa; Abramson/Huttler, The Legal Response to the Illicit Movement of Cultural Property, Law and Policy in International Business 5 (1973), S. 932–970, S. 948–968; Asam, Rechtsfragen des illegalen Handels mit Kulturgütern – Ein Überblick, in: Mansel/Pfeiffer/ Kronke/Kohler/Hausmann, Festschrift für Erik Jayme, 2004, S. 1651–1668, S