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German Pages [668] Year 2011
de Gruyter Lehrbuch
Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten Herausgegeben von
Dirk Ehlers Bearbeitet von Ulrich Becker Thilo Marauhn Christian Calliess Eckhard Pache Dirk Ehlers Matthias Ruffert Astrid Epiney Frank Schorkopf Christoph Grabenwarter Christian Tietje Jörg Gundel Robert Uerpmann-Wittzack Stefan Kadelbach Christian Walter Thorsten Kingreen Bernhard W. Wegener Peter von Wilmowsky 2., vollständig überarbeitete Auflage
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RECHT
De Gruyter Recht · Berlin
Zitiervorschlag:
ζ. Β. Becker in Ehlers, EuGR, 2. Aufl. 2005, § 9 Rn 54
Gedruckt auf säurefreiem Papier, das die US-ANSI-Norm über Haltbarkeit erfüllt
ISBN 3-89949-236-6 Bibliografische
Information
Der Deutschen
Bibliothek
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© Copyright 2005 by De Gruyter Rechtswissenschaften Verlags-GmbH, D-10785 Berlin Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany Datenkonvertierung/Satz: WERKSATZ Schmidt & Schulz GmbH, 06773 Gräfenhainichen Druck und Bindearbeiten: Druckhaus »Thomas Müntzer« GmbH, 99947 Bad Langensalza Umschlaggestaltung: Hansbernd Lindemann, 10785 Berlin
Vorwort zur zweiten Auflage Die freundliche Aufnahme des Lehrbuchs zu den Europäischen Grundrechten und Grundfreiheiten hat rund zwei Jahre nach Erscheinen des Werkes eine Neuauflage erforderlich gemacht. Die Entwicklung der Europäischen Grundrechte ist mittlerweile weiter vorangeschritten. So sind neue Zusatzprotokolle zur Europäischen Menschenrechtskonvention verabschiedet worden, die teilweise allerdings noch nicht in Kraft getreten sind. Noch gewichtiger ist, dass die Mitgliedstaaten der Europäischen Union einen Vertrag über eine Verfassung für Europa unterzeichnet haben, der im Vergleich zum bisherigen Recht mancherlei Veränderungen und im Teil II eine eigene Charta der Grundrechte der Union enthält. Auch in soweit lässt sich zum Zeitpunkt der Drucklegung dieses Buches nicht absehen, ob der Vertrag von allen Mitgliedstaaten ratifiziert werden und damit in Kraft treten wird. Die Darstellung des Lehrbuchs orientiert sich am geltenden Recht, bezieht aber sowohl die neuen Zusatzprotokolle zur Europäischen Menschenrechtskonvention als auch den Vertrag über eine Verfassung für Europa durchgehend mit ein. Das Konzept des Lehrbuches wurde beibehalten. Insbesondere wird auch in der zweiten Auflage die systematische Betrachtungsweise, der sich das Buch verpflichtet weiß, durch eingearbeitete Fälle und Lösungen ergänzt. Die Anzahl der bearbeiteten Abschnitte hat sich um einen erhöht, weil die Gleichheitsrechte (früher § 17) nunmehr aufgespalten worden sind in das „Verbot der Diskriminierung wegen Staatsangehörigkeit" (§ 13) und in den Abschnitt „Gleichheitsrechte und soziale Rechte" (§ 18). Entsprechend dem geltenden Sprachgebrauch wird nach wie vor zwischen den Europäischen Gemeinschaften und der Europäischen Union unterschieden. Da die Grundrechte sowohl die Europäischen Gemeinschaften als auch die Union binden, wird aber von Unionsgrundrechten (statt von Gemeinschaftsgrundrechten) gesprochen. Für die Neubearbeitung wurde die Rechtsquellenlage, die Rechtsprechung und die wissenschaftliche Literatur bis Anfang des Jahres 2005 berücksichtigt. Die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs und des Gerichts Erster Instanz sind nach der Veröffentlichung in der amtlichen Sammlung, die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in erster Linie (ungeachtet des Umstandes, dass es sich nicht um amtliche Übersetzungen handelt) nach der Veröffentlichung in deutschen Zeitschriften, im Übrigen nach der amtlichen Sammlung zitiert worden. Soweit nur die Daten der Entscheidungen angegeben werden (weil die Entscheidung noch nicht veröffentlicht wurden), können die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte über http://www.echr.coe.int unter der Rubrik „Judgements and Decisions", die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs über http: //www.europa.eu.int/eur-lex/de/search/search_case.html im Internet abgerufen werden. Wiederum wird darauf hingewiesen, dass nicht zwangsläufig alle Passagen des Lehrbuchs in einem Zug durchgearbeitet werden müssen. Zum einen ähnelt sich die Struktur der Grundrechte und Grundfreiheiten. Zum anderen gibt es Grundrechte und Grundfreiheiten, die nicht im Zentrum stehen und eher bei der Anfertigung von Hausarbeiten, Relationen oder Dissertationen auf Interesse stoßen werden. Wer sich nur auf die allgemeinen Examensanforderungen konzentrieren will, kann und mag sich auf das Unerlässliche beschränken. Die umfangreichen redaktionellen Arbeiten sind von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern meines Lehrstuhls durchgeführt worden. Ihnen sei auch an dieser Stelle vielmals gedankt. Besonders zu nennen ist Frau Anna Reckordt, die alle Arbeiten koordiniert hat.
V
Vorwort Für Stellungnahmen und kritische Hinweise sind Herausgeber und Autoren dankbar. Sie können auch auf elektronischem Wege übermittelt werden ([email protected]). Münster, im März 2005
VI
Dirk Ehlers
Aus dem Vorwort zur ersten Auflage Die ständig zunehmende Bedeutung des europäischen Rechts und die damit einhergehende Verdrängung, Überlagerung oder Ergänzung des nationalen Rechts betrifft nicht nur die Staaten in Europa, sondern auch und gerade die Bürger. In der reichlich vorhandenen Lehrbuchliteratur zum Europarecht spiegelt sich dies bisher nicht hinreichend wider. Es handelt sich fast durchweg um Gesamtdarstellungen des europäischen Gemeinschaftsrechts, welche sich schwerpunktmäßig mit den Institutionen befassen und die grundsätzlichen Rechtspositionen der Bürger eher am Rande streifen. Demgegenüber ist das vorliegende Buch nur den europäischen Grundrechten und Grundfreiheiten gewidmet. Es geht nicht nur um Ausdifferenzierung, sondern auch darum, der Perspektive von oben diejenige von unten an die Seite zu stellen und den Bürgern und ihren Rechten in Europa mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Eingegangen wird nicht nur auf das europäische Gemeinschaftsrecht, sondern auch auf die - immer wichtiger werdende - Europäische Menschenrechtkonvention. Ferner befasst sich ein Kapitel mit der Europäischen Charta der Grundrechte. Auch wenn dieser Charta bisher keine rechtliche Verbindlichkeit zukommt, wird sie doch nachhaltig die europäische Grundrechtsentwicklung beeinflussen. Das Buch wendet sich in erster Linie an Studierende und Referendare. Gemäß ihrer großen Bedeutung sind die europäischen Grundrechte und Grundfreiheiten heute in allen Bundesländern Bestandteile der Pflichtfächer im ersten und zweiten juristischen Examen. Die Konzeption des Lehrbuches ist eine dreifache. Zum einen ist es das Bemühen der Autoren gewesen, die europäischen Grundrechte und Grundfreiheiten auf der Grundlage einer systematischen Durchdringung darzustellen. So sind den Einzeldarstellungen die allgemeinen Lehren vorangestellt worden. Auch wird einheitlich zwischen Schutzbereich, Beeinträchtigung und Rechtfertigung der europäischen Grundrechte und Grundfreiheiten unterschieden, wobei die Grundrechte der Europäischen Menschenrechtskonvention und die Gemeinschaftsgrundrechte nach Sachbereichen zusammengefasst wurden. Des Weiteren wurde ungeachtet der Notwendigkeit, den komplexen Stoff zu reduzieren, die Absicht verfolgt, die wesentlichen Problemstellungen der europäischen Grundrechte und Grundfreiheiten zu behandeln. Hierbei haben sich gewisse Überschneidungen nicht vermeiden lassen. So versteht es sich von selbst, dass die im Rahmen der allgemeinen Lehren behandelten Fragestellungen bei der Darstellung der Einzelgrundrechte und Grundfreiheiten wieder auftauchen. Auch bestehen wegen der Bezugnahme des Gemeinschaftsrechts auf die Europäische Menschenrechtskonvention enge Verbindungen zwischen den Gemeinschaftsgrundrechten und den Grundrechten der Europäischen Menschenrechtskonvention. Herausgeber und Autoren haben versucht, dem Überlappen der Problemstellungen durch Vernetzung der Beiträge Rechnung zu tragen. Schließlich liegt dem Buch ein einheitliches didaktisches Konzept zu Grunde, weil abgesehen von der Darstellung der geschichtlichen Entwicklung der Grundrechte und Grundfreiheiten die systematische Betrachtungsweise in allen Beiträgen durch eingearbeitete Fälle und Lösungen ergänzt wird. Die zumeist der Rechtsprechung entnommenen Fälle und Lösungen sollen nicht nur zur Veranschaulichung beitragen, sondern auch den Leser in die Lage versetzen, sich den Stoff selbstständig zu erarbeiten und auf einen Lebenssachverhalt anzuwenden. Sie dienen damit zugleich der Selbstkontrolle. Das Werk ist eine Gemeinschaftsarbeit von 17 Autoren. Der Herausgeber dankt den Verfassern, dass sie zur Verwirklichung des Unterfangens bereit waren, sich in eine von VII
Vorwort ihm entworfene Gesamtkonzeption einzufügen und auch terminlich einzubringen. Dass eine so große Zahl von Autoren ein Wagnis ist, war den Beteiligten von vornherein klar. Alle Mitwirkenden hoffen aber, dass trotz aller Unterschiede im Einzelnen ein Ganzes entstanden ist, das nicht nur für die Auszubildenden eine Hilfestellung darstellt, sondern auch allen sonstigen mit dem Europarecht befassten Institutionen und Personen und damit zugleich der Praxis Anregungen zu geben vermag. Münster, im Mai 2002
VIII
Dirk Ehlers
Autoren- und Inhaltsübersicht 1. Teil: Die europäische Grundrechtsidee Dr. Christian Walter Professor an der Universität Jena § 1 Geschichte und Entwicklung der europäischen Grundrechte und Grundfreiheiten
1
2. Teil: Die Europäische Menschenrechtskonvention Dr. Dirk Ehlers Professor an der Universität Münster § 2 Allgemeine Lehren
23
Dr. Robert Uerpmann-Wittzack Professor an der Universität Regensburg § 3 Höchstpersönliche Rechte und Diskriminierungsverbot
63
Dr. Thilo Marauhn Professor an der Universität Gießen § 4 Kommunikationsgrundrechte
93
Dr. Bernhard W. Wegener Professor an der Universität Erlangen-Nürnberg §5 Wirtschaftsgrundrechte
130
Dr. Dr. Christoph Grabenwarter Professor an der Universität Graz § 6 Justiz- und Verfahrensgrundrechte
152
3. Teil: Die Grundfreiheiten der Europäischen Gemeinschaften Dr. Dirk Ehlers Professor an der Universität Münster §7 Allgemeine Lehren
177
Dr. Astrid Epiney Professorin an der Universität Freiburg Schweiz § 8 Freiheit des Warenverkehrs
227
Dr. Ulrich Becker Professor an der Universität München Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Sozialrecht § 9 Arbeitnehmerfreizügigkeit
257
Dr. Christian Tietje Professor an der Universität Halle §10 Niederlassungsfreiheit
284 IX
Autoren- und Inhaltsübersicht Dr. Eckhard Pache Professor an der Universität Würzburg §11 Dienstleistungsfreiheit
315
Dr. Peter v. Wilmowsky Professor an der Universität Erfurt §12 Freiheit des Kapital-und Zahlungsverkehrs
343
Dr. Thorsten Kingreen Professor an der Universität Regensburg § 13 Verbot der Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit
374
4. Teil: Die Grundrechte der Europäischen Union Dr. Dirk Ehlers Professor an der Universität Münster § 14 Allgemeine Lehren
383
Dr. Frank Schorkopf Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bundesverfassungsgericht §15 Persönlichkeits-und Kommunikationsgrundrechte
410
Dr. Matthias Ruffert Professor an der Universität Jena §16 Grundrecht der Berufsfreiheit
444
Dr. Christian Calliess Professor an der Universität Göttingen §17 Eigentumsgrundrecht
462
Dr. Thorsten Kingreen Professor an der Universität Regensburg §18 Gleichheitsgrundrechte und soziale Rechte
479
Dr. Jörg Gundel Professor an der Universität Bayreuth §19 Justiz- und Verfahrensgrundrechte
502
Dr. Christian Calliess Professor an der Universität Göttingen §20 Die Europäische Grundrechts-Charta
531
5. Teil: Die europäischen Bürgerrechte Dr. Stefan Kadelbach Professor an der Universität Frankfurt a. M. §21 Die Unionsbürgerrechte
X
553
Inhaltsverzeichnis Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten Autoren- und Inhaltsübersicht Inhaltsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur
IX XI XXI XXXI
ERSTER TEIL Die europäische Grundrechtsidee §1
Geschichte und Entwicklung der Europäischen Grundrechte und Grundfreiheiten I. Internationaler und Europäischer Grundrechtsschutz
1
II. Entstehungsgeschichte und Entwicklung des Menschenrechtsschutzes im Rahmen des Europarats und insbesondere durch die EMRK . . . 1. Die Entwicklung des Menschenrechtsschutzes durch die EMRK 2. Der Menschenrechtsschutz im Europarat im Allgemeinen III. Entstehungsgeschichte und Entwicklung des Grundrechtsschutzes in der EG/EU 1. Frühe Rechtsprechung 2. Entwicklung und dogmatische Begründung der Unionsgrundrechte 3. Die Diskussion um einen Beitritt zur EMRK 4. Forderungen nach einem Grundrechtskatalog für das Gemeinschaftsrecht und die Europäische Grundrechts-Charta 5. Der Geltungsbereich der Unionsgrundrechte IV. Die Grundfreiheiten des Gemeinschaftsrechts 1. Anerkennung als subjektiv-öffentliche Rechte 2. Auslegung der Grundfreiheiten als Diskriminierungs- und Beschränkungsverbote 3. Ergänzung der Personenverkehrsfreiheiten um Rechte aus der Unionsbürgerschaft 4. Drittwirkung und Schutzpflichten: Grundrechtsdogmatik in der Argumentation des EuGH zu den Grundfreiheiten V. Auswirkungen des Vertrages über eine Verfassung für Europa
1
....
VI. Zusammenfassung: Schutz der Grundrechte und Grundfreiheiten in einem Europa mehrerer Ebenen
2 3 7 8 9 9 11 13 14 15 15 16 18 18 20 20
XI
Inhaltsverzeichnis ZWEITER TEIL Die Europäische Menschenrechtskonvention §2
Allgemeine Lehren I. Die Stellung der EMRK im Gefüge des internationalen und nationalen Rechts II. Funktionen der Konventionsrechte 1. Gewährleistung des status negativus (Abwehrrechte) 2. Gewährleistung der Rechtsgleichheit 3. Gewährleistung des status positivus (Leistungsrechte) 4. Gewährleistung des status activus (staatsbürgerliche Rechte) . . . 5. Gewährleistung des status activus processualis (Verfahrensrechte) 6. Konventionsrechte als Elemente objektiver Ordnung
31 31 32 33 34 35 36 37
IV. Berechtigte der Konventionsrechte
37
VI. Räumlicher Geltungsbereich VII. Zeitliche Geltung VIII. Gewährleistungen und Beschränkungen der Konventionsrechte . . . 1. Stufen der Konventionsrechtsprüfung 2. Die Anwendbarkeit der Konvention 3. Schutzbereich, Gewährleistungsgehalt der Konventionsrechte . . . 4. Eingriff, Beeinträchtigung 5. Rechtfertigung des Eingriffs bzw der Beschränkung 6. Schematische Zusammenfassung
40 40 41 43 44 44 45 45 46 47 47 48 51
IX. Rechtsschutz 1. Rechtsschutz durch den EGMR 2. Rechtsschutz durch die nationalen Gerichte
52 52 61
Höchstpersönliche Rechte und Diskriminierungsverbot
63
I. Schutz der Privatsphäre 1. Privat- und Familienleben, Wohnung und Korrespondenz (Art 8 EMRK) 2. Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit (Art 9 EMRK) . . . II. Schutz der persönlichen Integrität 1. Verbot von Folter sowie unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung und Bestrafung (Art 3 EMRK) 2. Recht auf Leben (Art 2 EMRK) XII
23
III. Auslegung der Konventionsrechte
V. Verpflichtete der Konventionsrechte 1. Konventionsstaaten des Europarates 2. Internationale und supranationale Organisationen 3. Privatpersonen
§3
23
63 64 74 77 77 81
Inhaltsverzeichnis III. Diskriminierungsverbot 1. Das akzessorische Diskriminierungsverbot des Art 14 EMRK 2. Spezielle Gleichheitsaspekte §4
. .
Kommunikationsgrundrechte I. Die besondere Bedeutung der Kommunikationsgrundrechte im System der EMRK II. Die Meinungs- und die Informationsfreiheit 1. Schutzbereiche 2. Eingriff 3. Rechtfertigung
§5
93 93 94 94 101 103
III. Versammlungsfreiheit 1. Schutzbereich 2. Eingriff 3. Rechtfertigung
116 116 118 118
IV. Vereinigungsfreiheit 1. Schutzbereich 2. Eingriff 3. Rechtfertigung
120 120 121 121
V. Koalitionsfreiheit 1. Schutzbereich 2. Eingriff 3. Rechtfertigung
123 124 126 126
VI. Zusammenfassung
128
Wirtschaftsgrundrechte I. Einführung II. Schutz des Eigentums 1. Schutzbereich der Eigentumsgarantie 2. Beeinträchtigungen des Eigentumsrechts 3. Rechtfertigung von Eigentumsbeeinträchtigungen 4. Eigentumsrecht und andere Garantien der EMRK
§6
88 88 91
130 130 131 132 136 140 148
III. Sonstige wirtschaftsrechtliche Garantien
149
IV. Einfluss der Europäischen Sozialcharta
150
Justiz-und Verfahrensgrundrechte I. Der Schutz der persönlichen Freiheit (Art 5 EMRK) 1. Das Recht auf Freiheit und Sicherheit 2. Die Eingriffstatbestände 3. Rechte der festgenommenen Person II. Justizgrundrechte im Zusammenhang mit Verfahren vor Gerichten 1. Das Recht des fair trial gem Art 6 I EMRK 2. Nulla poena sine lege (Art 7 EMRK)
152 152 153 154 158 161 161 170 XIII
Inhaltsverzeichnis 3. Das Verbot der Doppelbestrafung und-Verfolgung 4. Recht auf Nachprüfung einer gerichtlichen Verurteilung 5. Das Recht auf Entschädigung für Fehlurteile (Art 3 7. ZP EMRK) III. Verfahrensgarantien bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen
....
IV. Das Recht auf wirksame Beschwerde
172 174 174 174 175
DRITTER TEIL Die Grundfreiheiten der Europäischen Gemeinschaften §7
Allgemeine Lehren I. Eigenart und Stellung der Grundfreiheiten im Gefüge des europäischen Gemeinschaftsrechts 1. Bedeutung der Grundfreiheiten 2. Die einzelnen Grundfreiheiten 3. Unmittelbare Geltung und Anwendbarkeit der Grundfreiheiten 4. Subjektiv-rechtlicher Charakter der Grundfreiheiten 5. Vorrang der Grundfreiheiten 6. Abgrenzung zu anderen Rechten des primären Gemeinschaftsrechts 7. Dogmatik der Grundfreiheiten II. Funktionen der Grundfreiheiten 1. Grundfreiheiten als Gleichheitsrechte 2. Die Grundfreiheiten als Freiheitsrechte 3. Die Grundfreiheiten als Leistungsrechte 4. Die Grundfreiheiten als Verfahrensrechte 5. Die Grundfreiheiten als Elemente objektiver Ordnung III. Berechtigte der Grundfreiheiten 1. Staatsangehörige der Mitgliedstaaten 2. Juristische Personen und Personenmehrheiten innerhalb der Gemeinschaft 3. Drittstaatler sowie juristische Personen und Personenmehrheiten außerhalb der Gemeinschaft IV. Verpflichtete der Grundfreiheiten 1. Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften 2. Europäische Gemeinschaften 3. Privatpersonen V. Räumlicher Geltungsbereich der Grundfreiheiten VI. Zeitlicher Geltungsbereich der Grundfreiheiten VII. Schutzbereiche, Beeinträchtigungen und Schranken der Grundfreiheiten 1. Schutzbereich der Grundfreiheiten 2. Beeinträchtigung des Schutzbereichs der Grundfreiheiten 3. Rechtfertigung einer Beeinträchtigung von Grundfreiheiten . . . . 4. Schematische Zusammenfassung
XIV
177 177 177 178 180 181 181 182 184 185 185 188 191 193 194 195 195 196 197 198 198 199 199 201 202 203 203 208 214 223
Inhaltsverzeichnis
§8
VIII. Rechtsschutz 1. Rechtsschutzmöglichkeiten des Einzelnen 2. Durchsetzung der Grundfreiheiten durch die EG-Kommission und die übrigen Mitgliedstaaten
224 224
Freiheit des Warenverkehrs
227
I. Schutzbereich II. Beeinträchtigung 1. Adressaten (Verpflichtete) 2. Einfuhrbeschränkungen und Maßnahmen gleicher Wirkung (Art 28 EGV/Art III-153 W E ) 3. Mengenmäßige Ausfuhrbeschränkungen und Maßnahmen gleicher Wirkung III. Rechtfertigung 1. Bereichsübergreifende Aspekte 2. Geschriebene Rechtfertigungsgründe 3. Ungeschriebene Schranken 4. Verhältnismäßigkeit §9
Arbeitnehmerfreizügigkeit I. Schutzbereich 1. Vorbemerkung 2. Sachlicher Schutzbereich 3. Persönlicher Schutzbereich 4. Konkurrenzen II. Beeinträchtigung 1. Diskriminierungen 2. Beschränkungen 3. Adressaten III. Rechtfertigung 1. Geschriebene Schranken 2. Ungeschriebene Schranken 3. Schranken-Schranken
§ 10 Niederlassungsfreiheit I. Einleitung 1. Grundlegende Strukturen und Probleme der Niederlassungsfreiheit im System der Grundfreiheiten 2. Das Zusammenspiel von gemeinschafts- und völkerrechtlicher Niederlassungsfreiheit II. Schutzbereich 1. Räumlicher Schutzbereich 2. Personeller Schutzbereich 3. Sachlicher Schutzbereich 4. Bereichsausnahmen
225
228 230 230 233 240 241 242 249 250 251 257 258 258 259 270 272 273 273 276 278 278 278 280 281 284 284 284 287 289 289 290 290 300 XV
Inhaltsverzeichnis III. Beeinträchtigung 1. Diskriminierungen 2. Beschränkungen
303 303 305
IV. Rechtfertigung
307
V. Die Anwendung der Niederlassungsfreiheit auf juristische Personen gemäß Art 48 EGV (Art III-142 W E ) §11 Dienstleistungsfreiheit I. Einleitung 1. Die allgemeine Bedeutung der Dienstleistungsfreiheit im Gemeinschaftsrecht 2. Struktur der Dienstleistungsfreiheit im Gemeinschaftsrecht . . . . 3. Dienstleistungsfreiheit außerhalb des EG-Vertrages 4. Liberalisierung des Dienstleistungsverkehrs durch Sekundärrecht . 5. Neue Binnenmarktstrategie der Kommission vom Januar 2001 II. Schutzbereich 1. Räumlicher Schutzbereich 2. Personeller Schutzbereich 3. Sachlicher Schutzbereich
315 315 315 316 317 318 319 320 320 321 322
III. Beeinträchtigung des Schutzbereichs 1. Adressaten 2. Diskriminierung 3. Beschränkungen
328 329 330 333
IV. Rechtfertigung 1. Ausdrückliche (geschriebene) Schranke 2. Ungeschriebene Schranken 3. Schranken-Schranken
336 336 338 339
§12 Freiheit des Kapital- und Zahlungsverkehrs I. Schutzbereich 1. Kapitalverkehr 2. Verhältnis zu den anderen Grundfreiheiten 3. Grenzübertritt 4. Zahlungsverkehr II. Beschränkungsverbot
XVI
310
343 343 343 345 346 347 348
III. Rechtfertigung von Beschränkungen innerhalb der Gemeinschaft: Die Schutzgüter des Art 58 EGV (Art HI-158 W E ) und die zwingenden Erfordernisse
350
IV. Einzelne Regelungsfelder 1. Steuerrecht: Besteuerung von Kapitalerträgen 2. Unternehmensrecht 3. Außenwirtschaftsrecht: Meldepflichten 4. Währungsrecht 5. Recht des Grundstücksverkehrs 6. Kreditsicherungsrecht
353 353 358 361 362 363 367
Inhaltsverzeichnis V. Zusätzliche Beschränkungen gegenüber Drittstaaten 1. Begründungsfreie Beschränkungen nach Art 57 EG V/Art III-157 WE 2. Befristete Beschränkungen nach Art 59 EGV(Art III-159 W E ) . 3. Wirtschaftssanktionen nach Art 60 EGV 4. Weiter reichende Auslegung des Art 58 EGV (Art III-158 W E ) und der zwingenden Erfordernisse VI. Schluss
369 370 371 372 372 373
§13 Verbot der Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit I. Rechtsquellen und systematische Einordnung II. Prüfungsaufbau 1. Schutzbereich 2. Beeinträchtigung
374 374 375 375 378
VIERTER TEIL Die Grundrechte der Europäischen Union § 14 Allgemeine Lehren I. Eigenart und Stellung der Unionsgrundrechte im Gefüge des internationalen und nationalen Rechts 1. Begriff der Grundrechte 2. Notwendigkeit der Gewährleistung von Grundrechten auf Unionsebene 3. Geltungsgrund der Unionsgrundrechte 4. Verhältnis der Unionsgrundrechte zu anderen grundrechtlichen Gewährleistungen 5. Charta der Grundrechte der Union II. Funktionen der Unionsgrundrechte 1. Gewährleistung von Freiheitsrechten 2. Gewährleistung von Gleichheitsrechten 3. Gewährleistung von Leistungsrechten 4. Gewährleistung von Unionsbürgerrechten 5. Gewährleistung von Verfahrensrechten 6. Unionsgrundrechte als Elemente objektiver Ordnung
383 383 383 384 385 387 391 394 394 394 395 395 396 396
III. Berechtigte der Unionsgrundrechte 1. Natürliche Personen 2. Juristische Personen und Personenmehrheiten
397 397 397
IV. Verpflichtete der Unionsgrundrechte 1. Europäische Union und Europäische Gemeinschaften 2. Mitgliedstaaten der Europäischen Union 3. Privatpersonen
398 398 399 400
V. Räumlicher und zeitlicher Geltungsbereich der Unionsgrundrechte
401 XVII
Inhaltsverzeichnis VI. Gewährleistungen und Beeinträchtigungen der Unionsgrundrechte 1. Schutzbereich der Unionsgrundrechte 2. Beeinträchtigungen des Schutzbereichs 3. Rechtfertigung von Beeinträchtigungen der Unionsgrundrechte 4. Schematische Zusammenfassung VII. Rechtsschutz 1. Rechtsschutzmöglichkeiten des Einzelnen 2. Rechtsschutzmöglichkeiten der Gemeinschaftsorgane und Mitgliedstaaten VIII. Weitere Formen des Schutzes von Grundrechten in der Europäischen Union §15 Würde des Menschen, Persönlichkeits-und Kommunikationsgrundrechte I. Würde des Menschen 1. Schutzbereiche 2. Beeinträchtigung 3. Rechtfertigung
407 407 409 409 410 411 411 414 414
II. Schutz der Persönlichkeit 1. Schutzbereiche 2. Beeinträchtigung 3. Rechtfertigung
416 417 429 429
III. Schutz der Kommunikation 1. Schutzbereich 2. Beeinträchtigung 3. Rechtfertigung
430 431 439 439
IV. Freiheit und Sicherheit - Ausblick
441
§16 Grundrecht der Berufsfreiheit I. Schutzbereich 1. Funktion, Bedeutung und Quellen des Unionsgrundrechts der Berufsfreiheit 2. Sachlicher Schutzbereich 3. Persönlicher Schutzbereich II. Beeinträchtigung III. Rechtfertigung 1. Schranken der Berufsfreiheit 2. Anforderungen an eine gemeinschaftsrechtskonforme Beschränkung der Berufsfreiheit §17 Eigentumsgrundrecht I. Stellung und Bedeutung des Eigentumsgrundrechts im Gemeinschaftsrecht II. Die Herleitung und dogmatische Struktur des gemeinschaftsrechtlichen Eigentumsgrundrechts XVIII
402 402 403 403 407
444 444 444 449 454 456 457 457 458 462 462 463
Inhaltsverzeichnis III. Das europäische Eigentumsgrundrecht im Einzelnen 1. Schutzbereich des Eigentumsgrundrechts 2. Beeinträchtigung des Schutzbereichs 3. Rechtfertigung
467 467 469 472
IV. Würdigung
477
§ 18 Gleichheitsgrundrechte und soziale Rechte I. Gleichheitsrechte 1. Überblick und Systematik 2. Normstruktur und Prüfungsaufbau 3. Der allgemeine Gleichheitssatz 4. Besondere Gleichheitssätze II. Soziale Rechte 1. Solidarität und soziale Rechte 2. Typologie sozialer Rechte § 19 Justiz- und Verfahrensgrundrechte I. Überblick 1. Bedeutung der Justiz- und Verfahrensgrundrechte im Gemeinschaftsrecht 2. Quellen der Verfahrensgrundrechte des Gemeinschaftsrechts . . . 3. Verpflichtete II. Verfahrensgrundrechte gegenüber den Gemeinschaftsorganen . . . . 1. Verfahrensgrundrechte gegenüber den Verwaltungsorganen der Gemeinschaft 2. Verfahrensgrundrechte vor den Gemeinschaftsgerichten III. Anforderungen der Verfahrensgrundrechte des Gemeinschaftsrechts an die Mitgliedsstaaten 1. Anwendbarkeit der Verfahrensgrundrechte auf das Handeln der Mitgliedstaaten 2. Parallele Gewährleistung von Verfahrensrechten durch die Grundfreiheiten 3. Parallele Gewährleistung von Verfahrensrechten durch das Gebot gleichwertigen und effektiven Schutzes (Art 10 EG V/Art 1-5 II W E ) IV. Besondere Probleme bei „gestuften" Verfahren und „gemischten" Entscheidungen zwischen nationalen Behörden und EG-Kommission 1. Gestufte Verfahren 2. Rechtsschutzprobleme bei „gemischten" Entscheidungen V. Zusammenfassung § 20 Die Europäische Grundrechts-Charta I. Einführung
479 479 479 481 482 484 498 498 500 502 502 502 503 506 506 506 512 519 519 520
521 526 526 528 530 531 531 XIX
Inhaltsverzeichnis II. Grundrechtliche Gewährleistungen und Schranken 1. Ein Überblick über die von der Grundrechts-Charta gewährleisteten Grundrechte 2. Die Schrankenregelungen der Grundrechts-Charta 3. Stellungnahme
533 533 537 539
III. Zum Anwendungsbereich der Grundrechts-Charta
543
IV. Zur rechtlichen Verbindlichkeit der Grundrechts-Charta vor Inkrafttreten der Europäischen Verfassung
546
V. Die europäische Agentur für Grundrechte VI. Ausblick
551 552
F Ü N F T E R TEIL Die europäischen Bürgerrechte §21 Die Unionsbürgerrechte I. Einleitung
553 553
II. Die Unionsbürgerschaft als Angelegenheit der Europäischen Gemeinschaft 1. Vom Marktbürger zum Unionsbürger 2. Die Regelungen des EG-Vertrages zur Unionsbürgerschaft . . . .
554 554 556
III. Staatsangehörigkeit, Staatsbürgerschaft und Unionsbürgerschaft . . 1. Staatsangehörigkeit und Staatsbürgerschaft 2. Staatsangehörigkeit als Voraussetzung der Unionsbürgerschaft . . 3. Unionsbürgerschaft als Ergänzung der Staatsbürgerschaft
558 558 560 564
IV. Die Unionsbürgerrechte 1. Freizügigkeit 2. Politische Rechte 3. Recht auf diplomatischen und konsularischen Schutz (Art 20 EGV/Art 1-10 lit c W E ) 4. Unionsbürgerschaft und Diskriminierungsverbot (Art 12 EGV/Art I-4/Art III-123 W E )
565 565 568
V. Bewertung
577 580 585
Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte
589
Entscheidungen des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften
600
Zusammenstellung der besprochenen Fälle
620
Sachregister
623
XX
Abkürzungsverzeichnis A a aA aaO abgedr abl ABl Abs Abschn abw aE AEMR aF AfP AJCL AHL AktG allgem allgM Alt aM amtl Begr and Änd ÄndG Anh Anl Anm Ans ao AöR ARB ArbR ArbuR ArchVR arg Art AS AT AuA Aufl ausf AuslG AWG
auch anderer Ansicht am angegebenen Ort abgedruckt ablehnend Amtsblatt Absatz Abschnitt abweichend am Ende Allgemeine Erklärung für Menschenrechte alte Fassung Archiv für Presserecht American Journal of Comparative Law American Journal of International Law Aktiengesetz allgemein allgemeine Meinung Alternative andere(r) Meinung amtliche Begründung anders Änderung Gesetz zur Änderung (von) Anhang Anlage Anmerkung Ansicht außerordentlich Archiv des öffentlichen Rechts Assoziationsratsbeschluss Arbeitsrecht Arbeit und Recht Archiv des Völkerrechts Argument Artikel Amtliche Sammlung Allgemeiner Teil Arbeit und Arbeitsrecht Auflage ausführlich Ausländergesetz Außenwirtschaftsgesetz XXI
Abkürzungsverzeichnis AWV Az
Außenwirtschaftsverordnung Aktenzeichen
Β b Β bad-württ BAG BAnz BAT BauGB BayVBl BayVGH BBankG Bd Bde Begr begr Beil Bek Bekl Bern ber bes betr BetrVG Bf BGB BGBl BGH BImSchG BIP bish BKR BR-Drs BS BSHG Bsp bspw BT-Drs Buchst Bull E G Bull E U BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE bzgl
bei Bund(es) baden-württembergisch Bundesarbeitsgericht Bundesanzeiger Bundesangestelltentarifvertrag Baugesetzbuch Bayerische Verwaltungsblätter Bayrischer Verfassungsgerichtshof Gesetz über die Deutsche Bundesbank Band Bände Begründung begründet Beilage Bekanntmachung Beklagter Bemerkung berichtigt besonders, besondere betreffend Betriebsverfassungsgesetz Beschwerdeführer Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Bundes-Immissionsschutzgesetz Bruttoinlandsprodukt bisher(ige) Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht Bundesrats-Drucksache Beamtenstatut Bundessozialhilfegesetz Beispiel beispielsweise Bundestags-Drucksache Buchstabe Bulletin der Europäischen Gemeinschaften Bulletin der Europäischen Union Bundesverfassungsgericht amtliche Sammlung der Entscheidungen des BVerfG Bundesverwaltungsgericht amtliche Sammlung der Entscheidungen des BVerwG bezüglich
XXII
Abkürzungsverzeichnis bzw C ca CD CDE CLMR CMLRev
beziehungsweise
circa Collections of Decisions, Sammlung der Entscheidungen der EKMR Cahiers de droit europeen Common Market Law Reports Common Market Law Review
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Der Betrieb Deutsche Demokratische Republik denselben derselbe dergleichen das heißt dieselben Dokument Die Öffentliche Verwaltung Decisions et Rapports der Europäischen Kommission für Menschenrechte Drucksache deutsch Datenschutz und Datensicherheit Deutsches Verwaltungsblatt
Entscheidung Europäische Atomgemeinschaft EAG-Vertrag ebenda European Community European Court O f Human Rights editor(s)/edition Europäische Gemeinschaft(en) Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuches Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft EG-Verordnung European Human Rights Law Review Einführung Einleitung Europäische Kommission für Menschenrechte European Law Journal
XXIII
Abkürzungsverzeichnis ELR ELRev EMRK endg engl entspr Entw EP EPL ER ErgBd Erl ES EStG ESZB etc ETS EU EuG EuGH EuGR EuGRZ EuGVÜ
EWR EWS EZB
European Law Reporter European Law Review Europäische Menschenrechtskonvention endgültig englisch entsprechend Entwurf Europäisches Parlament European Public Law Europarecht Ergänzungsband Erläuterung(en) Entscheidungssammlung Einkommensteuergesetz Europäisches System der Zentralbanken et cetera European Treaty Series Europäische Union Gericht 1. Instanz Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Europäisches Gemeinschaftsrecht Europäische Grundrechte-Zeitschrift Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27.10.1968 (BGBl 1972 II 774) Europarecht (Zeitschrift) Europäische Atomgemeinschaft europäisch Europawahlgesetz Europawahlrichtlinie Vertrag über die Europäische Union Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Europäischer Wirtschaftsraum Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht Europäische Zentralbank
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folgende fortfolgende Frankfurter Allgemeine Zeitung Finanzgericht Fußnote französisch Festschrift
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XXIV
Abkürzungsverzeichnis G GA GAP GASP GATS GATT GBl GBO geänd gem Ges GG ggf glA GmbH GmbHR GO GRCh grundl GS GV GVB1 GVG GWB GYIL
Generalanwalt Gemeinsame Agrarpolitik Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik General Agreement on Trade in Services General Agreement on Tariffs and Trade Gesetzblatt Grundbuchordnung geändert gemäß Gesetz Grundgesetz gegebenenfalls gleicher Ansicht Gesellschaft mit beschränkter Haftung GmbH Rundschau Geschäftsordnung Grundrechts-Charta grundlegend Gedächtnisschrift Gemeinsame Verfügung (mehrerer Ministerien) Gesetz- und Verordnungsblatt Gerichtsverfassungsgesetz Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen German Yearbook of International Law
Η hA Halbs HandwO Hdb HdBEUWirtschR Hervorh hess Hinw hL hM HRLJ Hrsg
herrschende Ansicht Halbsatz Handwerksordnung Handbuch Handbuch für Europäisches Wirtschaftsrecht Hervorhebung hessisch Hinweis herrschende Lehre herrschende Meinung Human Rights Law Journal Herausgeber
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International and Comparative Law Quarterly in der Fassung in der Regel in diesem Sinne im Ergebnis im engeren Sinne International Legal Materials
XXV
Abkürzungsverzeichnis
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im allgemeinen Informationsbrief Ausländerrecht insbesondere insgesamt Internationales Gesellschaftsrecht Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte Internationales Privatrecht Praxis des internationalen Privatrechts Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte im Sinne (von) im Sinne des/der im Sinne einer/eines in Verbindung mit im Verhältnis zu Internationaler Währungsfonds in weiterem Sinne im Zweifel
J JB1 jew JK JöR JTDE JURA JuS JZ
Juristische Blätter jeweils JURA-Karteikarte Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart Journal des Tribunaux - Droit europeen Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristenzeitung
imallg InfAuslR insb insg IntGesR IPbürgR IPR IPrax IPwirtR
Κ Kap KJ Kl KOM Komm KommunalwahlRL KonsG krit KritV KSZE KWahlG
Kapitel Kritische Justiz Kläger Europäische Kommission Kommentar Kommunalwahlrichtlinie Konsulargesetz (BGBl 12317) kritisch Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Kommunalwahlgesetz
L lfd LGB1. lit Lit
laufend Landesgesetzblatt Buchstabe Literatur
XXVI
Abkürzungsverzeichnis LS lt LV
Leitsatz laut Literaturverzeichnis
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mit Hinweis(en) mit kritischer Anmerkung (von) mit zustimmender Anmerkung Maastricht Journal of European and Comparative Law mit anderen Worten meines Erachtens Modern Law Review mit weiteren Nachweisen
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Nachweis(e) North Atlantic Treaty Organization Niedersächsische Verwaltungsblätter neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift Novelle Nummer Naamloze Vennootschap (niederländisch für Aktiengesellschaft) Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht - Rechtsprechungsreport Nordrhein-Westfalen Neue Zeitschrift für Arbeits- und Sozialrecht Neue Züricher Zeitung
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oben Ordnung oben angegeben oder ähnlich Organization for Economic Cooperation and Development oben genannt ohne Jahr österreichische GewO Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa ohne Verfasser
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persönlich haftender Gesellschafter polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen Protokoll
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Rechtsanwalt Rabeis Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht XXVII
Abkürzungsverzeichnis RAussch RdA RdErl Rdschr Reg Rev rh-pf RIW RJD RL RMC Rn Rs Rspr Rspr-Nachw RUDH
Rechtsausschuß Recht der Arbeit Runderlaß Rundschreiben Regierung Review rheinland-pfälzisch Recht der internationalen Wirtschaft Reports of Judgement and Decision Richtlinie Revue du Marche Commun Randnummer Rechtssache Rechtsprechung Rechtsprechungsnachweise Revue Universelle des Droits de l'Homme
S s S sa sο su sächs sachs-anh Sart SGb SGB Slg sog Sp st StGB StR str stRspr StuB StuW SZ
siehe Seite, Satz siehe auch siehe oben siehe unten sächsisch sachsen-anhaltisch Sartorius Die Sozialgerichtsbarkeit Sozialgesetzbuch amtliche Sammlung der Entscheidungen des EuGH sogenannt(e) Spalte ständige Strafgesetzbuch Steuerrecht strittig, streitig ständige Rechtsprechung Steuern und Bilanzen Steuer und Wirtschaft Süddeutsche Zeitung
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und anderes mehr Überblick Übereinkommen überwiegende Meinung umstritten United Nations unstreitig/unstrittig United Nations Treaty Series unveröffentlicht Urteil United States Reports (Cases Adjuged in the Supreme Court) und so weiter Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts unter Umständen und verschiedenes mehr Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb
vom/von Verfassungsbeschwerde verbundene Rechtssache Verfassung Verfassungsgerichtshof Verfahrensordnung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Versicherung Verwaltungsgericht Verfassungsgerichtshof Baden-Württemberg Verfassungsgerichtshof vergleiche vom Hundert Verordnung Volume Vorauflage Vorbemerkung Völkerrecht Vierteljahresschrift für Sozialrecht Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Vertrag über eine Verfassung für Europa Verwaltungsgerichtsordnung
weitere Nachweise bei Wertpapier-Mitteilungen - Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz World Trade Organisation
XXIX
Abkürzungsverzeichnis WuB WÜK
Entscheidungssammlung zum Wirtschafts- und Bankrecht Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen vom 24.4.1963
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Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge Wirtschafts- und Währungsunion
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Yearbook of the European Convention on Human Rights Yearbook of European Law
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zum Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zeitschrift für die Anwaltspraxis Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik zum Beispiel Zeitschrift für europäisches Privatrecht Zeitschrift für Europarechtliche Studien Zeitschrift für Arbeitsrecht Zeitschrift für deutsches und internationales Baurecht Zeitschrift für Verwaltungsrecht Zeitschrift für Gesetzgebung Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für ausländisches und internationales Arbeits- und Sozialrecht Ziffer Zeitschrift für Wirtschaftsrecht zitiert Zusatzprotokoll Zivilprozessordnung Zeitschrift für Rechtspolitik zum Teil Zeitschrift für Urheber und Medienrecht Zeitschrift für Umweltrecht zustimmend zutreffend Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft zur Zeit
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Völkerrecht, 3. Aufl, München 2004 (zit: Herdegen VR)
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Europäisches Gemeinschaftsrecht, Tübingen 1972 (zit: Η Ρ Ipsen EuGR)
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Kimminich, Otto! Hobe, Stephan
Einführung in das Völkerrecht, 8. Aufl, Stuttgart 2004 (zit: KimminichlHobe VR)
Koenig, Christian/ Haratsch, Andreas
Europarecht, 4. Aufl, Tübingen 2003 (zit: KoeniglHaratsch ER)
Kunig, Philip/ Uerpmann, Robert
Übungen im Völkerrecht, Berlin/New York 1998 (zit: Kunig! Uerpmann Übungen)
Lecheler, Helmut
Einführung in das Europarecht, 2. Aufl, München 2003 (zit: Lecheler ER)
Lecheler, Helmut/ Gundel, Jörg
Übungen im Europarecht, Berlin/New York 1999 (zit: Lecheler!Gundel Übungen) XXXIII
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Meyer-Ladewig, Jens
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Uno-Pakt über bürgerliche und politische Rechte und Fakultativprotokoll. CCPR-Kommentar, Kehl 1989 (zit: Nowak CCPR)
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Europarecht, 2. Aufl, München 1999 (zit: Oppermann ER)
Pechstein, Matthias/ Koenig, Christian
Die Europäische Union, 3. Aufl, Tübingen 2000 (zit: PechsteinlKoenig EU)
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Einführung in die Europäische Menschenrechtskonvention. Mit rechtsvergleichenden Bezügen zum deutschen Grundgesetz, München 2003 (zit: Peters EMRK)
Rengeling, Hans- Werner/ Szczekalla, Peter
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Studienbuch Europarecht. Das Wirtschaftsrecht der EG, 2. Aufl, Stuttgart 2003 (zit: Schäfer EGWirtschR)
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Internationaler Menschenrechtsschutz, Tübingen 2004 (zit: Schilling IMR)
Schwartmann, Rolf
Völker- und Europarecht. Mit WTO-Recht, Heidelberg 2004 (zit: Schwartmann VRJER)
XXXIV
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EU-Kommentar, Baden-Baden 2000 (zit: Bearbeiter in: Schwarze)
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Staatsrecht III. Staatsrecht, Völkerrecht, Europarecht, 8. Aufl, Heidelberg 2004 (zit: Schweitzer StR III)
Schweitzer, Michaeli Hummer, Waldemar
Europarecht, 6. Aufl, Neuwied 2003 (zit: Schweitzer/Hummer ER)
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Europarecht, 6. Aufl, Heidelberg 2003 (zit: Streinz ER)
Streinz, Rudolf
Thun-Hohenstein,
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Christoph
EUV/EGV. Vertrag über die Europäische Union und Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, München 2003 (zit: Bearbeiter in: Streinz) Der Vertrag von Amsterdam. Die neue Verfassung der EU. Der neue EG-Vertrag. Der neue EU-Vertrag. Erläuterungen der neuen Bestimmungen, München 1997 (zit: Thun-Hohenstein Vertrag von Amsterdam)
Thun-Hohenstein, Christoph/ Cede, Franz/Hafner, Gerhard
Europarecht. Ein systematischer Überblick mit den Auswirkungen des Vertrages von Nizza, 4. Aufl, Wien 2003 (zit: Thun-Hohenstein!Cede/Hafner ER)
Villiger, Mark E.
Handbuch der E M R K , 2. Aufl, Zürich 1999 (zit: Villiger E M R K )
Zäch, Roger
Grundzüge des Europäischen Wirtschaftsrechts, BadenBaden/Zürich 1996 (zit: Zäch EuWirtschR)
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1. Teil: Die europäische Grundrechtsidee §1
Geschichte und Entwicklung der Europäischen Grundrechte und Grundfreiheiten Christian Walter I. Internationaler und Europäischer Grundrechtsschutz Versteht man sie im Kontext internationaler und supranationaler Organisationen, insbesondere des Europarats und der EG/EU, so sind „europäische" Grundrechte und Grundfreiheiten eine Entwicklung der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg und Teil eines in dieser Zeit entstehenden internationalen Menschenrechtsschutzes. Wichtige Meilensteine des internationalen Menschenrechtsschutzes waren die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 10.10.1948, die Europäische Menschenrechtskonvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 04.09.1950 sowie die beiden ebenfalls im Rahmen der Vereinten Nationen erarbeiteten Menschenrechtspakte aus dem Jahr 1966: der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte und der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Diese internationale Rechtsentwicklung der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg knüpft an die Tradition der großen Menschenrechtserklärungen der Aufklärung, insbesondere die Französische Menschenrechtserklärung von 1789, die amerikanische Unabhängigkeitserklärung von 1776 und die „bills of rights" der Neuenglandstaaten an. Der internationale Menschenrechtsschutz ist so die völkerrechtliche Fortschreibung einer in den nationalen Verfassungen entstandenen Rechtskultur.1 Auf der regionalen Ebene Europas hat der Einigungsprozess der Nachkriegszeit eine Vielzahl internationaler Organisationen mit unterschiedlicher Zielsetzung hervorgebracht.2 Für die Entwicklung der Grundrechte und Grundfreiheiten sind vor allem der Europarat, die OSZE und die EG/EU von Bedeutung. Der Menschenrechtsschutz im Rahmen der drei Organisationen unterscheidet sich in wichtigen Punkten. Der Europarat ist die älteste der drei Organisationen. Gegründet im Jahr 1949 hat er nach Art 1 seiner Satzung die Aufgabe, eine engere Verbindung zwischen seinen Mitgliedern zum Schutze ihrer gemeinsamen Ideale und Grundsätze herzustellen. Er widmete sich vor allem der Ausarbeitung von völkerrechtlich verbindlichen Verträgen zum Schutz der Menschenrechte und zur Behandlung sozialer Fragen.3 Dabei ist ihm eine besondere Rolle als „Hüter von Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie"4 zugewachsen. Der Menschenrechtsschutz im Rahmen der OSZE zeichnete sich während der Entspannungspolitik der Sieb-
1 Dazu Η Hofmann NJW 1989, 3177 ff; allgemein zur Geschichte der Menschenrechte und Grundfreiheiten Oestreich Geschichte der Menschenrechte und Grundfreiheiten im Umriss, 2. Aufl 1978. 2 S den Überblick bei Oppermann ER Rn 121-150 und Herdegen ER Rn 5-10. 3 S im Einzelnen die Nachweise bei Oppermann ER Rn 64 ff. 4 So die Formulierung in der Erklärung des Deutschen Bundestags „50 Jahre Europarat: 50 Jahre europäischer Menschenrechtsschutz", BT-Drs 14/1568 vom 09.09.1999, S 2.
1
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Christian Walter
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ziger Jahre vor allem durch seinen prozesshaften und völkerrechtlich unverbindlichen Charakter aus.5 Dieser kommt in der damaligen Bezeichnung der heutigen OSZE als „Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE)" zum Ausdruck.6 Sowohl die im Rahmen des Europarats erarbeiteten Verträge als auch der Menschenrechtsschutz durch KSZE und OSZE sind darauf gerichtet, Menschenrechte gegenüber der Staatsgewalt der Mitgliedstaaten zu schützen. Auf einer anderen Ebene liegt die Diskussion um den Schutz von Grund- und Menschenrechten in der EG/EU. In der EU sind seit dem 01.11.1993 die drei Europäischen Gemeinschaften (EG, EGKS 7 und EAG) zusammengefasst. Vor allem die im Rahmen der EG ausgeübte Hoheitsgewalt wirkt in vielfältiger Weise in die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten hinein und ersetzt in nicht unerheblichem Umfang die staatliche Hoheitsgewalt. Dies rief eine Diskussion um den Grundrechtsschutz gegenüber Akten des Gemeinschaftsrechts hervor. Hier geht es also zunächst nicht um den internationalen Schutz von Menschenrechten gegenüber staatlicher Hoheitsgewalt, sondern um die Beachtung und Durchsetzung von Grundrechtsstandards gegenüber einer neu geschaffenen, supranationalen Hoheitsgewalt. Der folgende Überblick über die Geschichte und Entwicklung der Menschenrechte und Grundfreiheiten behandelt zunächst den Grundrechtsschutz im Rahmen des Europarats und insbesondere unter dem System der EMRK und anschließend die Entwicklung des Grundrechtsschutzes im Europäischen Gemeinschafts- und Unionsrecht. Er schließt mit einer Darstellung der Entwicklung der Grundfreiheiten im Europäischen Gemeinschaftsrecht, die ursprünglich vor allem als Mittel zur Abwehr von Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit verstanden wurden, sich heute aber zunehmend als wirtschaftliche Freiheitsrechte erweisen. II. Entstehungsgeschichte und Entwicklung des Menschenrechtsschutzes im Rahmen des Europarats und insbesondere durch die EMRK
5
Der Europarat sieht seine Aufgabe in erster Linie in der Erarbeitung von völkerrechtlich verbindlichen Verträgen zum Schutz von Menschenrechten. Von den über 170 im Rahmen des Europarats erarbeiteten Verträgen8 ist ein wichtiger Teil dem Schutz der Menschenrechte gewidmet, darunter an erster Stelle die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK).
5 In der Schlussakte von Helsinki (Bulletin der Bundesregierung Nr 102 vom 15.08.1975, 965f) wurde 1975 die Achtung der Menschenrechte als selbstständiger Grundsatz verankert (Ziff VII der Leitlinien) und Korb III enthielt ua Vereinbarungen über menschliche Kontakte, s dazu Hailbronner in: Graf Vitzthum VR 3. Abschn Rn 282. 6 Die Umbenennung in „Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa" erfolgte nach den politischen Veränderungen in Mittel- und Osteuropa (vgl die Gipfelerklärung von Helsinki „Herausforderungen des Wandels", Ziff 46, Bulletin der Bundesregierung Nr 82 vom 23.07. 1992, 777, 781). 7 Der EGKS-Vertrag ist zum 23. Juli 2002 außer Kraft getreten (Art 97 EGKS-Vertrag in der Fassung des Vertrags von Amsterdam); dazu Obwexer EuZW 2002, 517 ff. 8 Ε Klein ArchVR 39 (2001), 121, 123.
2
Geschichte und Entwicklung der Europäischen Grundrechte und Grundfreiheiten
§ 1 II 1
1. Die Entwicklung des Menschenrechtsschutzes durch die EMRK Die Europäische Menschenrechtskonvention, der zunächst nur 10 Mitgliedstaaten angehörten, hat sich in den vergangenen 50 Jahren zu einem internationalen Rechtsschutzsystem entwickelt, dem inzwischen 41 Mitgliedstaaten angehören und das durchaus mit dem der Verfassungsgerichtsbarkeit in nationalen Rechtsordnungen verglichen werden kann.9 Manche sprechen sogar von einer „Europäischen Grundrechtsverfassung"10. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte selbst verwendet den Begriff „constitutional instrument of European Public Order"
6
a) Entstehungsgeschichte Die Idee zur Schaffung einer europäischen Menschenrechtskonvention einschließlich eines Gerichtshofs zu ihrer Durchsetzung wurde auf dem 1. Kongress der Europäischen Bewegung in Den Haag formuliert.12 Während der Beratungen über den Konventionstext entfielen das im ursprünglichen Entwurf enthaltene Grundrecht auf Eigentum, das elterliche Erziehungsrecht und das Recht auf freie Wahlen.13 Außerdem wurde es zugelassen, Vorbehalte zu einzelnen Konventionsrechten zu formulieren.14 Dadurch konnten die Mitgliedstaaten den Umfang ihrer Verpflichtungen aus der EMRK selbst mitbestimmen. Die EMRK trat nach der Ratifikation durch zehn Staaten am 03.09.1953 in Kraft. Von den großen westeuropäischen Staaten hielt sich vor allem Frankreich sehr lange zurück, das die Konvention erst am 03.05.1974 ratifizierte. Als besonders schwierig erwies sich die Vereinbarung eines Individualbeschwerdeverfahrens, mit dem der einzelne Bürger Konventionsverletzungen unmittelbar vor von der Konvention geschaffenen europäischen Rechtsschutzorganen geltend machen konnte. Die Staaten waren nicht bereit, dem einzelnen einen direkten Zugang zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu verschaffen. Die schließlich gefundene Lösung bestand darin, die Individualbeschwerde vor der Europäischen Kommission für Menschenrechte zuzulassen, und es dieser zu überlassen, ob sie den Gerichtshof anruft oder nicht.15 Eine Beschwerde durch einen anderen Mitgliedstaat, die im Rahmen der traditionellen Struktur der internationalen Gerichtsbarkeit verblieb, hielt man dagegen für unproblematisch. Im Ergebnis sah die Konvention damit zwei verschiedene Verfahrensarten vor: die Staatenbeschwerde und die Individualbeschwerde. Während die Staatenbeschwerde automatisch mit dem Beitritt zur EMRK akzeptiert werden musste, bedurfte es für die Anerkennung des Individualbeschwerdeverfahrens vor der Kommission und die Unterwerfung unter die Zuständigkeit des Gerichtshofs jeweils einer gesonderten Erklärung.16 Kommission und Gerichtshof nahmen ihre Arbeit noch in den fünfziger Jahren auf. Die Europäische Kommission für Menschenrechte wurde 1954 gebildet, nachdem die nach dem damaligen Art 25 IV EMRK erforderlichen sechs Erklärungen eingegangen waren. 9 10 11 12 13
Frowin Collected Courses of the Academy of European Law, 1990, Vol I Book 2, S 267, 278. Hoffmeister Der Staat 40 (2001), 349 ff; s a Walter ZaöRV 59 (1999), 961 ff. EGMR, ZaöRV 56 (1996), 439, Rn 75 - Loizidou, mit Besprechung von Η-K Ress ebd 427 ff. Partsch ZaöRV 15 (1953/54), 631, 633ff. Ausf zur Entstehungsgeschichte Brinkmeier MenschenRechtsMagazin, Themenheft „50 Jahre EMRK", 21, 26 ff; Partsch ZaöRV 15 (1953/54), 631, 633 ff. 14 Giegerich ZaöRV 55 (1995), 713 ff. 15 Vgl die Liste der Antragsberechtigten in Art 48 EMRK aF. 16 Art 25 I u Art 461 EMRK aF.
3
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§1 III
Christian Walter
Die Errichtung des Gerichtshofs verzögerte sich, da die Staaten die Gerichtsbarkeit noch zögerlicher anerkannten als das Individualbeschwerdeverfahren vor der Kommission. Erst 1958 lagen die nach dem früheren Art 56 erforderlichen acht Erklärungen vor. b) Entwicklung der Konvention und der Rechtsprechung 10
Die Konvention wurde im Laufe der Jahre um bisher elf Zusatzprotokolle ergänzt, die sowohl die materiellen Garantien als auch das Rechtsschutzverfahren vor Kommission und Gerichtshof betrafen. Die schon während der Entstehungsgeschichte umstrittenen Grundrechte auf Eigentum, Erziehung der Kinder und freie Wahlen wurden in das 1. ZP (Art 1 bis 3) aufgenommen. Als weitere wichtige Ergänzungen sind strafrechtliche Garantien wie das Verbot der Doppelbestrafung (Art 4 des 7. ZP), das Recht auf ein Rechtsmittel gegen strafrechtliche Verurteilungen (Art 2 des 7. ZP) und die Abschaffung der Todesstrafe in Friedenszeiten (Art 1 u 2 des 6. ZP) und neuerdings unter allen Umständen (also auch in Kriegszeiten, Art 1 des 13. ZP) zu nennen. Hinzugekommen sind auch das Verbot der Schuldnerhaft (Art 1 des 4. ZP), das Freizügigkeitsrecht (Art 2 des 4. ZP), das Verbot der kollektiven Ausweisung von Ausländern (Art 4 des 4. ZP) sowie das Recht auf Gleichberechtigung der Ehegatten während der Ehe und bei ihrer Auflösung (Art 5 des 7. ZP). Anders als in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Generalversammlung der Vereinten Nationen (Art 7) und im Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (Art 14 I) fehlt es in der EMRK nach wie vor an einem allgemeinen Gleichheitssatz. Die Regelung in Art 14 EMRK bezieht sich nur auf Gleichheit beim Genus der durch die Konvention garantierten Rechte.17 Änderung verspricht hier das bisher noch nicht in Kraft getretene ZP Nr 12.
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Die ZPe 9 und 11 haben das Rechtsschutzverfahren erheblich modifiziert und bringen damit eine veränderte Stellung des Individuums im Völkerrecht zum Ausdruck. Mit dem 9. ZP erhielt der Beschwerdeführer, der das Verfahren vor der Kommission eingeleitet hatte, selbst das Recht, den Gerichtshof anzurufen.18 Das 11. ZP 19 modifizierte schließlich das gesamte Verfahren, indem es die Kommission abschaffte und damit die Zweistufigkeit beseitigte. Seither gibt es nur noch den Gerichtshof, der allerdings anders als die beiden Vorgängerinstitutionen nun zu einer ständig tagenden Einrichtung wurde. Eine weitere Änderung durch das 11. ZP liegt in der Einführung einer obligatorischen Gerichtsbarkeit, dh dass die Mitgliedschaft in der Konvention nun automatisch die Anerkennung der Zuständigkeit des Gerichtshofs zur Entscheidung über Individualbeschwerden nach sich zieht.20 Die zuvor erforderliche gesonderte Anerkennung durch die Mitgliedstaaten ist entfallen. Beibehalten wurde die Funktion des Ministerkomitees21 als Überwachungsorgan für die Ausführung der Urteile.22 Ähnlich wie das Verfassungsbeschwerdeverfahren vor dem deutschen Bundesverfassungsgericht droht das Individualbeschwerdeverfahren in Straßburg an seinem eigenen Erfolg zu ersticken. Im Jahr 2001 wurden 13.858 Beschwerden registriert, denen 889 Urteile und 8.989 Unzulässigkeitsentscheidungen und Strei-
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Dazu näher Weiß MenschenRechtsMagazin 2000, Themenheft „50 Jahre EMRK", 36,43 ff. BGBIII 1994,491. BGBl II 1995, 579. Art 34 EMRK nF; allgemein zu den Änderungen durch das 11. ZP Schiene ZaöRV 56 (1996), 905 ff. 21 Art 13 ff Satzung des Europarats. 22 Art 46 II EMRK nF.
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Geschichte und Entwicklung der Europäischen Grundrechte und Grundfreiheiten
§ 1 II 1
chungen aus der Verfahrensliste gegenüberstanden. 23 Dies rief eine lebhafte Reformdiskussion hervor, die im Mai 2004 zur Annahme des 14. Z P führte. Wichtige Änderungen betreffen die Möglichkeit von Einzelrichterentscheidungen über die Zulässigkeit von Individualbeschwerden, eine neue Zulässigkeitshürde in Form eines „significant disadvantage" und eine Stärkung des Durchsetzungsmechanismus durch das Ministerkomitee, das nach dem 14. Z P die Möglichkeit erhält, den Gerichtshof mit der Frage zu befassen, o b eine unterlegene Vertragspartei gegen ihre Verpflichtung zur Beachtung des gegen sie ergangenen Urteils verstoßen hat. Entscheidend für die Entwicklung des gesamten Konventionssystems in den vergangenen 50 Jahren war die sich erst langsam herausbildende Akzeptanz des Individualrechtsschutzes. Von den großen europäischen Staaten hatte allein Deutschland - aus historisch offensichtlichen Gründen - frühzeitig die Zuständigkeit der Kommission für Individualbeschwerden akzeptiert. Mit dem Vereinigten Königreich folgte erst 1966 ein zweiter großer europäischer Staat. Frankreich akzeptierte Individualbeschwerden erst 1981. Unter diesen Umständen offensichtlicher Zurückhaltung der Mitgliedstaaten gegenüber einem internationalen Individualrechtsschutz kann es nicht verwundern, dass Kommission und Gerichtshof vielfach „judicial self-restraint" übten. 24 Die Gründe für eine solche Zurückhaltung sind inzwischen weitgehend entfallen, und der Gerichtshof versteht die Konvention zu Recht als „living instrument which must be interpreted in the light of present-day conditions" 2 5 . Dies bewirkt, dass die Straßburger Rechtsprechung zunehmend das innerstaatliche Recht der Mitgliedstaaten beeinflusst. 26 Besonders eindrücklich zeigt sich dies am Beispiel Frankreichs, das traditionell keine nachträgliche Verfassungskontrolle von bereits in Kraft getretenen Gesetzen kennt. Hier nehmen die Fachgerichte inzwischen eine sog „contröle de conventionnalite", also eine Überprüfung von Gesetzen auf ihre Vereinbarkeit mit der E M R K , vor, und es gibt bereits Fälle, in denen (gültige) nationale Gesetze nicht angewendet wurden, weil die Gerichte bei ihrer Anwendung einen Verstoß gegen die E M R K für unvermeidlich hielten. 27 Der quasi-verfassungsgerichtliche Charakter des neuen Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zeigt sich auch daran, dass politisch so brisante Fragen wie die Strafbarkeit des politischen Führungspersonals der ehemaligen D D R wegen der Schüsse an der innerdeutschen Grenze oder Parteiverbotsverfahren in der Türkei Gegenstand seiner Entscheidungen sind. 28 Einen besonderen Schritt für die Bedeutung der E M R K in den nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten bedeutete die Inkorporierung in die britische Rechtsordnung durch den H u m a n Rights Act des Jahres 1998.29 D a ohne eine solche Inkorporierung nach britischem Verfassungsrecht ein völkerrechtlicher Vertrag nicht unmittelbar Rechte und Pflichten für den einzelnen begründen kann, gab es vor dem H u m a n Rights Act statistisch
23 Pressemitteilung des Gerichtshofs vom 21.01.2002. 24 -»zur Grundrechtsdogmatik in der EMRK § 2. 25 EGMR, EuGRZ 1979, 163, Rn 31 - Tyrer; krit gegenüber der von ihm als dynamisch angesehenen Auslegung der Konvention durch den Gerichtshof Büß DÖV 1998, 323, 328 ff. 26 Nachweise und besondere Problemfälle mit Bezug zu Deutschland bei Frowein NVwZ 2002, 29 ff. 27 S etwa die Entscheidung des französischen Conseil d'Etat vom 30.10.1998, RDP 1999, 649 Lorenzi. 28 EGMR, NJW 2001, 3035ff - Krenz; dazu Werle NJW 2001, 3001 ff; Rau NJW 2001, 3008ff; EGMR, Urt ν 31.07.2001 - Refah-Partisi; RJD 1999-VIII - ÖZDEP. 29 Dazu Grote ZaöRV 58 (1998), 309 ff; vgl auch die irische European Convention on Human Rights Bill (No 26 of 2001) vom 10.04.2001.
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gesehen relativ viele Konventionsverfahren gegen das Vereinigte Königreich.30 Seit dem Inkrafttreten des Human Rights Act zum 02.10.2000 hat sich eine umfangreiche Rechtsprechung englischer Gerichte entwickelt, die den in der EMRK gewährleisteten Rechten zusätzliche Bedeutung verleiht. In der deutschen Rechtsordnung genießt die EMRK als völkerrechtlicher Vertrag den Rang eines einfachen Bundesgesetzes. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist sie allerdings bei der Auslegung der deutschen Grundrechte zu berücksichtigen.31 Versuche in der Literatur, eine über diese bloße Auslegungshilfe hinaus gehende Bindungswirkung zu begründen,32 wurden bislang von der Rechtsprechung nicht aufgenommen.33 In den letzten Jahren war der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mehrfach mit der Frage beschäftigt, inwiefern die Mitgliedstaaten den Bindungen der EMRK unterliegen, wenn sie bislang im nationalen Bereich erledigte Aufgaben auf internationale Organisationen übertragen.34 In seiner neueren Rechtsprechung35 geht der Gerichtshof davon aus, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, für ein der EMRK im wesentlichen vergleichbares Niveau des Grundrechtsschutzes zu sorgen. Entschieden wurde dies in mehreren Verfahren über den Kündigungsschutz im Rahmen der European Space Agency (ESA).36 Eine Entscheidung, mit der eine mittelbare Bindung der Gemeinschaftsorgane an die EMRK angenommen worden wäre, gibt es bislang nicht.37 Immerhin aber hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte das Europäische Parlament als „gesetzgebende Körperschaft" im Sinne von Art 3 1. ZP EMRK qualifiziert und das Vereinigte Königreich wegen eines Verstoßes gegen diese Vorschrift verurteilt, weil es die Bewohner von Gibraltar nicht an den Wahlen zum Europäischen Parlament teilnehmen ließ.38 In dieser Rechtsprechung zeigt sich der Versuch, die Grundrechtsverbürgungen der EMRK nicht nur im innerstaatlichen Bereich der Mitgliedstaaten durchzusetzen, sondern auch vor einem Unterlaufen durch eine „Flucht in organisatorisch verselbständigte Einheiten auf zwischenstaatlicher Ebene" 39 zu bewahren. Der Gerichtshof nimmt insoweit eine Schutzpflicht der Mitgliedstaaten aus Art 1 EMRK an.40 Die von Internationalisierung
30 Nachweise bei Grote ZaöRV 58 (1998), 309, 322 ff. 31 BVerfGE 74, 358, 370; 82, 106, 115. 32 Mit unterschiedlichen Ansätzen Bleckmann EuGRZ 1994, 149 ff; Frowein Der Europäische Grundrechtsschutz und die nationale Gerichtsbarkeit, 1983, S 26; Ress FS Zeidler, 1987, S 1775, 1790ff; sowie die Nachweise bei Hoffmeister Der Staat 40 (2001), 349ff; Walter ZaöRV 59 (1999), 961 ff. 33 S ausf zum Ganzen Grabenwarter W D S t R L 60 (2000), 290,299ff. 34 Ausf zu den damit verbundenen Rechtsproblemen Winkler Der Beitritt der Europäischen Gemeinschaften zur Europäischen Menschenrechtskonvention, 2000, S 153 ff; -» § 2 Rn 31 f; § 14 Rn 14. 35 Eine frühe Kommissionsentscheidung zu diesem Problemkreis ist der Fall M, s dazu Giegerich ZaöRV 50 (1990), 836 ff. 36 EGMR, NJW 1999, 1173 ff - Waite = Ehlers JK 99, EMRK Art 6/2. 37 Das Verfahren Senator-Lines gegen die 15 Mitgliedstaaten der EU (vgl den Antrag in RUDH 12 (2000), 191ff)wurde wegen Wegfalls der Beschwer als unzulässig abgewiesen; die Frage spielt derzeit aber wieder eine Rolle in dem beim EGMR anhängigen Verfahren Emesa Sugar (Appl Nr 62023/00). 38 EGMR, EuGRZ 1999, 200 ff - Matthews = Ehlers JK 99, EMRK Art 3 1. ZP/2. 39 So die Formulierung des Bundesverfassungsgerichts in einem ähnlich gelagerten Fall, DVB12001, 1130 ff. 40 EGMR, EuGRZ 1999, 200, Rn 29 ff - Matthews = Ehlers JK 99, EMRK Art 3 1. ZP/2.
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Geschichte und Entwicklung der Europäischen Grundrechte und Grundfreiheiten
§1 Π2
und Globalisierung aufgeworfenen Rechtsprobleme werden in diesem Bereich in Zukunft zweifellos für eine weitere Entwicklung der Grundrechtsdogmatik sorgen 41 . 2. Der Menschenrechtsschutz
im Europarat im Allgemeinen
a) Vertragliche Menschenrechtsverbürgungen Aus dem Bereich der vertraglichen Verbiirgungen einzelner Menschenrechte verdienen drei Einzelentwicklungen nähere Erwähnung. Bereits 1961 wurde die Europäische Sozialcharta angenommen, mit der die Unterzeichnerstaaten das Ziel verfolgen, „den Lebensstandard ihrer Bevölkerung in Stadt und Land zu verbessern" 42 . Die Charta gibt den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, aus einem Katalog von sieben Rechten fünf als für sich verbindlich zu akzeptieren (Art 20) und sieht zur Überwachung vor, dass die Mitgliedstaaten zu den von ihnen angenommenen Artikeln im Abstand von zwei Jahren und zu den übrigen Artikeln in regelmäßigen Abständen Staatenberichte vorlegen (Art 21, 22), die von einem Sachverständigenausschuss geprüft werden (Art 24). Die Sozialcharta wurde durch mehrere Protokolle ergänzt, die 1999 in einer revidierten Sozialcharta zusammengefasst wurden. Diese trat am 01.07.1999 in Kraft, wurde aber von der Bundesrepublik bislang nicht ratifiziert 43 . Wegen seiner Präventiwerfahren verdient das Europäische Übereinkommen zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe vom 26.11. 1987 besondere Erwähnung. Es errichtet einen Ausschuss, das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe, der Besuche in den Haftanstalten 44 der Mitgliedstaaten durchführen kann und über diese Besuche Berichte erstattet, die im Einverständnis mit der betreffenden Vertragspartei öffentlich gemacht werden können. Das Besondere an der Konvention liegt in der Möglichkeit des Komitees, Empfehlungen für die zukünftige Vorgehensweise des betreffenden Mitgliedstaates auszusprechen (Art 10 I der Konvention). Das Komitee nutzt diese Befugnis nicht nur, um Vorschläge für die Beseitigung tatsächlich festgestellter Missstände zu machen, sondern es hat allgemeine Vorschläge zur Verhinderung von Misshandlungen unterbreitet und damit den Weg zu einem präventiven Schutz vor Folter geebnet. In den vergangenen Jahren widmete sich die Kodifikationsarbeit des Europarats den besonderen Problemen des Minderheitenschutzes. Am 05.11.1992 wurde die Europäische Charta der Regional- und Minderheitensprachen angenommen, deren Einhaltung ebenfalls durch einen Sachverständigenausschuss überwacht wird. Die Charta trat für Deutschland zum 01.01.1999 in Kraft. Daneben besteht das Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten vom 01.02.1995, das für die Bundesrepublik Deutschland zum 01.02.1998 in Kraft trat, das gleichfalls mit einem eigenen Überwachungsmechanismus ausgestattet ist45 und einen umfassenden Katalog von Minderheitenrechten statuiert46. Ein weiterer kürzlich entstandener Schwerpunkt der Kodifikationsarbeit betrifft
41 Dazu Walter AöR 129 (2004), 39 ff. 42 So die Motivation nach der vierten Erwägung in der Präambel der Europäischen Sozialcharta; BGBl II 1964, 1262. 43 ETS N r 163. 44 Einschließlich psychiatrischer und anderer geschlossener Anstalten, vgl Alleweldt E u G R Z 1998, 245, 247 mit Giegerich ZaöRV 50 (1990), 836 ff. 45 Zu diesem R Hofmann ZEuS 1999, 379 ff. 46 S im einzelnen R Hofmann MenschenRechtsMagazin 2000, 63 ff.
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medizinische und bioethische Fragen. Hierzu verdienen die Konvention über Menschenrechte und Biomedizin vom 04.04.1997 und ein ZP über das Verbot des Klonens von Menschen vom 12.01.1998 Erwähnung. Die Bundesrepublik Deutschland hat die Arbeiten des Europarats in diesem Bereich eher kritisch betrachtet, da man das Schutzniveau für nicht ausreichend erachtet. Weder die Konvention noch das ZP wurden von der Bundesrepublik gezeichnet. b) Die Arbeit der Parlamentarischen Versammlung nach 1989/1990 18
Eine wichtige Rolle bei der Grundrechtsdurchsetzung und Grundrechtsförderung übernahm die Parlamentarische Versammlung des Europarats in den Jahren nach dem Ende des Kalten Krieges. Die Parlamentarische Versammlung ist neben dem Ministerkomitee das zweite zentrale Organ des Europarats.47 Bereits im Jahr 1949 verpflichtete sich das Ministerkomitee, das in Art 4 der Satzung des Europarats enthaltene Recht, neue Mitglieder zum Beitritt einzuladen, nur unter Beteiligung der Parlamentarischen Versammlung auszuüben. Die Parlamentarische Versammlung nutzte dieses Beteiligungsrecht, um nach dem Ende des Kalten Krieges bei den Beitrittsanwärtern aus Mittel- und Osteuropa die Einhaltung der Menschenrechte zu prüfen. Hierzu entsandte sie Berichterstatter in die betreffenden Staaten, deren Aufgabe es war, die nationalen Rechtsordnungen auf ihre Vereinbarkeit mit den Menschenrechtsstandards des Europarats zu untersuchen und darüber einen Bericht vorzulegen. Die Parlamentarische Versammlung ging auch dazu über, in ihren Stellungnahmen zu Beitrittsvorhaben die Absicht des Kandidaten festzuhalten, die EMRK einschließlich des damals noch gesondert zu akzeptierenden Individualbeschwerdeverfahrens zu ratifizieren. Die Parlamentarische Versammlung hat diese Aufnahmebedingungen später um ein Überwachungsverfahren ergänzt, mit dem die Einhaltung der Verpflichtungen nach einem erfolgten Beitritt sichergestellt werden soll. Diese Praxis führte während des Tschetschenien-Krieges dazu, dass die Parlamentarische Versammlung die Mitgliedschaft Russlands im Europarat wegen der Form der Kriegsführung in Frage stellte.48 Die Parlamentarische Versammlung hat sich durch diese Vorgehensweise einen besonderen Ruf bei der Durchsetzung der Menschenrechtsstandards in Mittel- und Osteuropa in der Zeit nach dem Ende des Kalten Kriegs erworben. III. Entstehungsgeschichte und Entwicklung des Grundrechtsschutzes in der EG/EU
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Anders als die EMRK, die darauf gerichtet ist, einen grundrechtlichen Mindeststandard in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten durchzusetzen, betrifft die Frage nach dem Grundrechtsschutz im Rahmen des Gemeinschaftsrechts vor allem die Frage danach, wie Grundrechte gegenüber einer nicht-staatlichen Hoheitsgewalt gesichert werden können (-»§ 14Rn4ff).
47 Die Parlamentarische Versammlung setzt sich aus Mitgliedern der nationalen Parlamente zusammen (vgl Art 25 der Satzung des Europarats). 48 S Recommendation 1444 (2000) vom 27.01.2000 und Resolution 1221 (2000) vom 29.06.2000; allgemein Bowring Helsinki Monitor 11 (2000), 53 ff.
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Geschichte und Entwicklung der Europäischen Grundrechte und Grundfreiheiten 1. Frühe
§ 1 III 2
Rechtsprechung
Der Europäische Gerichtshof erweckte in seiner frühen Rechtsprechung den Eindruck mangelnder GrundrechtssensibUität49. Der Eindruck entstand dadurch, dass der Gerichtshof Rügen, die sich auf eine Verletzung nationaler Grundrechte stützten, als unzulässig zurückwies, ohne auf das Grundrechtsproblem einzugehen. 50 Dieses Vorgehen war zwar dogmatisch zwingend, denn der Gerichtshof kann nationale Vorschriften weder auslegen noch gegenüber dem Gemeinschaftsrecht anwenden. Die Kombination der (richtigen) Entscheidung, Art 14 G G finde gegenüber dem Gemeinschaftsrecht keine Anwendung, mit der Aussage, das Gemeinschaftsrecht enthalte „weder einen geschriebenen noch einen ungeschriebenen allgemeinen Rechtsgrundsatz des Inhalts, dass ein erworbener Besitzstand nicht angetastet werden d a r f ' 5 1 , musste allerdings Zweifel am Eigentumsschutz im Gemeinschaftsrecht wecken (—» ausf hierzu § 17). 2. Entwicklung
und dogmatische
Begründung
der
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Unionsgrundrechte
Der Gerichtshof hat diese zurückhaltende Rechtsprechung ab dem Ende der 1960er Jahre korrigiert und die Grundrechte als allgemeine Rechtsgrundsätze im Gemeinschaftsrecht verankert angesehen. Die Entwicklung des Grundrechtsschutzes beginnt mit der Entscheidung Stauder52. Dieser Fall betraf die Abgabe von Butter an Sozialhilfeempfanger zu herabgesetzten Preisen. U m Missbrauch zu vermeiden, verpflichtete das Gemeinschaftsrecht die Mitgliedstaaten in der deutschen Fassung der Regelung, Sorge dafür zu treffen, dass die Begünstigten „Butter nur gegen einen auf ihren N a m e n ausgestellten Gutschein" erhalten können. Die anderen sprachlichen Fassungen sprachen dagegen nur von einem „individualisierten Gutschein". Der Kläger des Ausgangsverfahrens war der Auffassung, dass es mit seinen Grundrechten unvereinbar sei, beim Erwerb seinen Namen und damit seine Identität gegenüber dem Verkäufer offen legen zu müssen. Der Gerichtshof legte die Regelung angesichts der verschiedenen sprachlichen Fassungen dahin aus, dass sie nur eine Individualisierung verlange, nicht aber eine Nennung des Namens. Im Anschluss an diese Auslegung erfolgt - gewissermaßen zusätzlich, aber für die Begründung eigentlich gar nicht mehr erforderlich - die äußerst knappe Grundlegung eines Grundrechtsschutzes im Gemeinschaftsrecht:
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„Bei dieser Auslegung enthält die streitige Vorschrift nichts, was die in den allgemeinen Grundsätzen der Gemeinschaftsrechtsordnung, deren Wahrung der Gerichtshof zu sichern hat, enthaltenen Grundrechte der Person in Frage stellen könnte."
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Für die dogmatische Begründung dieser Rechtsprechung sind die Ausführungen des Generalanwalts Römer von Bedeutung, der sich in seinen Schlussanträgen einer damals im Schrifttum vertretenen Auffassung anschließt, „durch wertende Rechtsvergleichung seien gemeinsame Wertvorstellungen des nationalen Verfassungsrechts, insbesondere der nationalen Grundrechte zu ermitteln, die als ungeschriebener Bestandteil des Gemeinschaftsrechts beachtet werden müssten" 5 - 1 .
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49 S zum Folgenden auch Kühling in: ν Bogdandy 583, 586 ff. 50 Vgl etwa EuGH, Slg 1960, 887, 920f - Ruhrkohlen-Verkaufsgesellschaft; Slg 1965, 296, 312 Sgarlata (Wortlaut des Vertragstextes geht einer grundrechtlichen Argumentation unbedingt vor). 51 EuGH, Slg 1960, 885, 921 - Ruhrkohlen-Verkaufsgesellschaft. 52 EuGH, Slg 1969,419 ff - Stauder. 53 EuGH, Slg 1969,419, 427 f - Stauder.
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Der Unterschied dieser dogmatischen Begründung gegenüber der vom Gerichtshof abgelehnten unmittelbaren Anwendung nationaler Grundrechte liegt darin, dass sie sich nicht allein auf die Grundrechte eines Mitgliedstaats stützt und auch die nationalen Grundrechte nicht selbst anwendet, sondern in ihnen nur eine Rechtserkenntnisquelle für die Ermittlung der ungeschriebenen Unionsgrundrechte sieht (-» § 14 Rn 9). Der Gerichtshof hat diese dogmatische Herleitung 1970 in der Entscheidung Internationale Handelsgesellschaft bestätigt. Dort wurde zunächst betont, dass der Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts auch das nationale Verfassungsrecht und dessen Grundrechtsgarantien betreffe. Im Anschluss stellt der Gerichtshof aber fest, dass ein gemeinschaftsrechtlicher Grundrechtsschutz durch den Gerichtshof erfolge, der von den „gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten" getragen sei.54 Neben die „gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten" trat 1974 in der Entscheidung Nold eine weitere Rechtserkenntnisquelle: Der Gerichtshof hat in diesem Verfahren anerkannt, dass die von den Mitgliedstaaten abgeschlossenen völkerrechtlichen Verträge über den Schutz der Menschenrechte „Hinweise geben [können], die im Rahmen des Gemeinschaftsrechts zu berücksichtigen sind" 55 . Diese noch sehr vorsichtig klingende Formulierung wurde in den Folgejahren hinsichtlich der EMRK verstärkt und dient inzwischen als Grundlage einer weitgehenden Berücksichtigung der Rechtsprechung des Straßburger Gerichtshofs durch den EuGH. Der EuGH hat die „besondere Bedeutung" der E M R K gegenüber anderen völkerrechtlichen Verträgen mehrfach hervorgehoben.56 Auch stützt er sich inzwischen ganz selbstverständlich auf Entscheidungen des Straßburger Gerichtshofs für Menschenrechte, wenn es um die Auslegung der E M R K geht. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel für dieses Vorgehen betrifft die Garantie eines zügigen Verfahrens. In diesem Bereich gibt es eine umfassende Rechtsprechung der Straßburger Organe zu Art 6 I EMRK 5 7 . Der EuGH hat in einer Entscheidung über die Dauer des Verfahrens vor dem Gericht erster Instanz ohne weiteres die Maßstäbe des Art 6 I E M R K angewandt und dabei zur Bestimmung des angemessenen Zeitrahmens die Rechtsprechung des Straßburger Gerichtshofs herangezogen. Die entsprechende Passage der Entscheidung erweckt geradezu den Eindruck, als fühle sich der EuGH an diese Rechtsprechung gebunden 58 . Allerdings darf die Selbstverständlichkeit, mit der sich der EuGH auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte stützt, nicht über die dogmatische Ableitung der Unionsgrundrechte hinwegtäuschen. Der EuGH hat es bislang trotz verschiedener Ansätze in der Literatur 59 abgelehnt, eine förmliche Bindung der Gemeinschaftsrechtsordnung an die EMRK anzunehmen. Beim gegenwärtigen Stand der Dogmatik bleibt es deshalb dabei, dass die E M R K nur als eine Rechtserkenntnisquelle dient. Sie ist keine eigene Rechtsquelle des Gemeinschaftsrechts. 60
54 EuGH, Slg 1970, 1125, Rn 4 - Internationale Handelsgesellschaft. 55 EuGH, Slg 1974, 491, Rn 13 - Nold. 56 Etwa EuGH, Slg 1997,1-7493, Rn 12 - Annibaldi; der Gerichtshof selbst sieht für die besondere Betonung der EMRK die Entscheidung EuGH, Slg 1986, 1651, Rn 18 - Johnston als grundlegend an, s EuGH, Slg 1991,1-2925, Rn 41 - ERT. 57 S im einzelnen Peukert in: Frowein/Peukert Art 6 EMRK Rn 136 ff. 58 S allerdings EuGH, Slg 2000,1-665, Rn 4 ff - Emesa Sugar; dazu die kritischen Bemerkungen bei KrügerlPolakiewicz EuGRZ 2001, 92, 98. 59 S etwa Hilf FS Bernhardt, 1995, S 1193, 1197 f; weitere Nachweise bei Kingreen in: Calliess/Ruffert Art 6 EUV Rn 38. 60 Kingreen in: Calliess/Ruffert Art 6 EUV Rn 35; § 14 Rn 9.
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Das Gericht erster Instanz hat dies sogar mehrfach ausdrücklich klargestellt.61 Bei dieser Form der vergleichenden Berücksichtigung lassen sich freilich Divergenzen in der Auslegung nicht ganz vermeiden. Dies gilt erst recht, wenn der Gerichtshof in Luxemburg mit einer Grundrechtsfrage befasst ist, bevor diese Gegenstand einer Entscheidung des Straßburger Gerichtshof war.62 Der Europäische Gerichtshof und das Gericht erster Instanz haben auf der Grundlage der beiden genannten Rechtserkenntnisquellen (Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten und völkerrechtliche Verträge, insbesondere EMRK) einen umfangreichen Katalog ungeschriebener Grundrechte entwickelt (—> ausf hierzu §§ 14-19). Das Bundesverfassungsgericht, das dem Grundrechtsschutz durch den EuGH zunächst skeptisch gegenüber stand und eine Überprüfungsbefugnis für sich in Anspruch nahm (Solange /-Entscheidung)63, entschied 1986, dass der vom EuGH gewährte Grundrechtsschutz dem des Grundgesetzes generell im Wesentlichen vergleichbar ist (Solange //-Entscheidung).64 Seither sind Verfassungsbeschwerden und Normenkontrollanträge, die sich gegen europäisches Gemeinschaftsrecht richten, unzulässig. Zweifel an der Fortgeltung dieser Rechtsprechung, die in der Folge des Maastricht-Urteils65 entstanden waren, beseitigte das Bundesverfassungsgericht im April 2000 in seiner Entscheidung zur Bananenmarkt-Ordnung.66 1993 fand die dogmatische Ableitung des Grundrechtsschutzes durch die Rechtsprechung des EuGH eine teilweise Absicherung67 im primären Unionsrecht: Nach Art 6 II EUV achtet die Union „die Grundrechte, wie sie in der am 04.11.1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts ergeben."
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3. Die Diskussion um einen Beitritt zur EMRK Trotz der aufgrund dieser Rechtsprechung entstandenen Grundrechtsgarantien wurde der Zustand ohne schriftlich fixierten Katalog von Grundrechten vielfach als unbefriedigend empfunden. 68 Es gab daher immer wieder sowohl Bestrebungen, einen eigenen Grundrechtskatalog für das Gemeinschaftsrecht zu formulieren,69 als auch die Absicht, einen 61 EuG, Slg 2001, 11-729, Rn 59 - Mannesmann-Röhrenwerke AG; Slg 1998, 11-1751, Rn 31 lf Mayr-Melnhof/Kommission. 62 So dürfte sich wohl die bisher deutlichste Divergenz erklären, die sich in der Rechtsprechung der beiden Gerichtshöfe feststellen lässt: Der EuGH entschied 1989 unter ausdrücklicher Heranziehung von Art 8 EMRK, dass das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung den Schutz von Geschäftsräumen nicht erfasse (EuGH, Slg 1989, 2859, Rn 18 - Hoechst). Der EGMR, der mit der gleichen Rechtsfrage erst 1992 befasst war, entschied genau umgekehrt (NJW 1993, 718, Rn29 - Niemitz = Kunig JK 93, EGMR Art 8/1). 63 BVerfGE 37,271 ff - Solange I. 64 BVerfGE 73, 339 ff - Solange II. 65 BVerfGE 89, 155 ff - Maastricht. 66 BVerfGE 102, 147 ff - Bananenmarktordnung; dazu die Bewertung bei Nicolaysen!Nowak NJW 2001, 1233, 1235 f. 67 Art 6 II EUV bezieht sich neben den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten nur auf die EMRK, während die Rechtsprechung des EuGH allgemein Verträge zum Schutz der Menschenrechte als Rechtserkenntnisquelle nennt und die EMRK nur als einen besonders wichtigen solchen Vertrag hervorhebt. 68 S statt anderer Kokott AöR 121 (1996), 599, 602. 69 Dazu sogleich unter Rn 30.
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förmlichen Beitritt der Gemeinschaft zur E M R K herbeizuführen. Für den Beitritt zur E M R K wurde und wird geltend gemacht, dass hierdurch eine Verdopplung europäischer Grundrechtsstandards vermieden und eine einheitliche institutionelle Sicherung dieser Standards durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg ermöglicht werde.70 Die Kommission hatte bereits 1979 in einem Memorandum den Beitritt der Gemeinschaft zur E M R K erwogen.71 Das Parlament unterstützte ebenfalls die Beitrittsbestrebungen. 72 Einem Beitritt stehen allerdings mehrere Hindernisse entgegen. Auf der Seite der E M R K besteht das Problem, dass diese bislang noch nur „für Mitglieder des Europarats" zur Unterzeichnung aufliegt,73 die Satzung des Europarats aber nur den Beitritt von Staaten vorsieht.74 Das 14. ZP sieht hier aber eine Änderung vor, die ausdrücklich auch den Beitritt der Europäischen Union erlauben würde. Für das Gemeinschaftsrecht war fraglich, ob dieses einen Beitritt zu einem Menschenrechtsvertrag zulassen würde. In seinem auf Antrag des Rates erstatteten Gutachten 2/94 entschied der Europäische Gerichtshof, dass der Gemeinschaft die Zuständigkeit fehle, der E M R K förmlich beizutreten. Der Gerichtshof stützte diese Entscheidung maßgeblich auf seine ständige Rechtsprechung, nach der die Gemeinschaft im Außenverhältnis nur dort ungeschriebene Kompetenzen zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge besitzt, wo sie auch im Innenverhältnis nach dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung zuständig wäre.75 Zwar sei die Achtung der Menschenrechte eine Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit des Gemeinschaftshandelns, aber mit dem Beitritt zur E M R K sei eine so grundlegende Änderung des gemeinschaftsrechtlichen Grundrechtsschutzsystems verbunden, dass der Beitritt nicht auf die Vertragsabrundungsklausel des Art 235 EGV (Art 308 EGV nF/Art 1-18 W E ) gestützt werden könne.76 Die nach dieser Rechtsprechung für einen Beitritt erforderliche Änderung des primären Gemeinschaftsrechts ist weder in Amsterdam noch in Nizza erfolgt. Die Mitgliedstaaten entschieden sich statt dessen dafür, mit der Europäischen Grundrechts-Charta einen eigenen Grundrechtskatalog für das Gemeinschaftsrecht zu formulieren77. Diese Zurückhaltung gegenüber einem Beitritt der EU zur E M R K hat sich im Rahmen der Beratungen über einen Vertrag für eine Verfassung für Europa geändert. Nachdem in verschiedenen früheren Fassungen zunächst nur von der Möglichkeit eines Beitritts und später von einer politischen Absicht die Rede war („die Union strebt an") 78 , spricht sich der am 29. Oktober 2004 in Rom unterschriebene Text jedenfalls in der deutschen und französischen Fassung für den Beitritt zur E M R K im Indikativ aus („die Union tritt bei"),
70 S etwa Wildhaber Zeitschrift für schweizerisches Recht 2000, 123, 134. 71 EuGRZ 1979, 330 ff; dazu die Bemerkungen von Bieber EuGRZ 1979, 338 ff. 72 Entschließung vom 27.04.1979, EuGRZ 1979, 257; s a die Entschließung vom 18.01.1994 zum Beitritt der Gemeinschaft zur Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte, ABl 1994 Nr C 44/32. 73 Art 5 9 1 1 EMRK. 74 Art 4 S I Satzung des Europarats; Lösungsvorschläge für dieses Problem finden sich im Memorandum der Kommission EuGRZ 1979, 330, 337 (Ziff VII); s a Bernhardt FS Everling, 1995, S 103 ff; neuerdings KrügerlPolakiewicz EuGRZ 2001, 92, 102. 75 EuGH, Slg 1971, 263, Rn 15 ff - AETR. 76 EuGH, Slg 1996,1-1759, Rn 34 - Gutachten 2/94. 77 Grabenwarter FS Steinberger 2002, S 1129, 1148 ff. 78 Dazu im einzelnen Grabenwarter EuGRZ 2004, 563, 569.
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Geschichte und Entwicklung der Europäischen Grundrechte und Grundfreiheiten
§ 1 III 4
während die englische Fassung einen Auftrag formuliert (the Union shall accede)79. Unabhängig von den sprachlichen Divergenzen wird man festhalten müssen, dass trotz der indikativischen Formulierung der Beitritt nicht automatisch mit dem Inkrafttreten des Vertrags über eine Verfassung für Europa wirksam werden kann, weil das von der EMRK vorgesehene Beitrittsverfahren einzuhalten ist. Die deutliche politische Aussage zugunsten eines Beitritts in Art 1-9 Verfassungsvertrag ist gleichwohl bemerkenswert. 4. Forderungen nach einem Grundrechtskatalog für das Gemeinschaftsrecht und die Europäische Grundrechts-Charta80 Die rechtspolitischen Forderungen nach einem eigenen Katalog geschriebener Unionsgrundrechte, die zur Proklamation der Europäischen Grundrechts-Charta auf dem Europäischen Rat von Nizza am 07.12.2000 führten,81 waren nicht neu. Schon im Jahr 1989 verabschiedete das Europäische Parlament mit der „Erklärung der Grundrechte und Grundfreiheiten" erstmals einen umfassenden Katalog.82 Die Erklärung enthält nicht nur die klassischen Freiheitsrechte, wie sie auch in der EMRK ihren Niederschlag gefunden haben, sondern außerdem einige soziale Grundrechte, wie ein Recht auf Bildung (Art 16) oder ein Recht auf sozialen Schutz (Art 15). Ein vergleichbarer Grundrechtskatalog, einschließlich der sozialen Grundrechte findet sich auch in Titel VIII der vom Parlament am 10.02.1994 angenommenen Entschließung zur Verfassung der Europäischen Union.83 Der Text der in Nizza angenommenen Europäischen Grundrechts-Charta wurde nicht in der bislang üblichen Form einer Regierungskonferenz erarbeitet, sondern in der Form eines sog „Konvents". Hierdurch wurden neue Wege der Beteiligung nationaler Parlamente und der Öffentlichkeit beschritten. Der durch den Europäischen Rat von Tampere (Finnland) geschaffene Konvent bestand aus 15 Vertretern der nationalen Regierungen, 16 Europaabgeordneten, 30 nationalen Parlamentariern und einem Vertreter der Kommission. Die hierin liegende Abkehr von einer rein intergouvernementalen Form der Erarbeitung ist Ausdruck eines Schritts von „konstitutioneller Bedeutung"84 und vermittelt der Charta eine bislang in dieser Form auf europäischer Ebene nicht erreichte (parlamentarische) Legitimation.85 Allerdings hat sich der Europäische Rat von Nizza auf eine feierliche Proklamation der Charta beschränkt und es abgelehnt, ihr rechtliche Verbindlichkeit zukommen zu lassen oder sie gar im Primärrecht zu verankern. Mit der Proklamation der Charta verbindet sich demnach zur Zeit nur eine politische Aussage zu gemeinsamen europäischen Grundrechtsstandards, aber keine rechtliche Bindung der Gemeinschaftsorgane. Man würde die Bedeutung der Charta aber unterschätzen, wenn man sie wegen ihrer rechtlichen Unverbindlichkeit als jedenfalls gegenwärtig für die Entwicklung des europäischen Grundrechtsschutzes irrelevant ansehen würde86. Die Charta enthält die modernste Systematisierung der Grundrechte und kann gerade wegen der Zusammensetzung des
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Art 1-9 W E . -» ausf zur Grundrechts-Charta § 20. ABl 2000 Nr C 364/1. ABl 1989 Nr C 120/51. ABl 1994 Nr C 61/155. Vgl Leinen!Schönlau integration 24 (2001), 26. Bernsdorff Nds\B\ 2001, 177, 178. Kühling in: ν Bogdandy 583, 593 ff.
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Konvents und des dort weitgehend verfolgten Konsensprinzips als repräsentativer Ausdruck des gegenwärtigen Grundrechtsstandards in der Gemeinschaft angesehen werden. Schon aus diesem Grund dürfte die Charta für die Zukunft wegweisend sein. Ihre systematisierende Wirkung zeigt sich schon heute daran, dass die Generalanwälte beim Europäischen Gerichtshof in ihren Stellungnahmen zu Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof die Charta vielfach heranziehen, um ein mit den bisherigen Rechtserkenntnisquellen des europäischen Grundrechtsschutzes gewonnenes Ergebnis zu bestätigen. Im Januar 2002 hat erstmals auch das Europäische Gericht erster Instanz die Charta in dieser Weise zur Bestätigung der von ihm aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ermittelten Unionsgrundrechte herangezogen.87 Der am 29. Oktober 2004 in Rom unterzeichnete Vertrag über eine Verfassung für Europa sieht in seinem Teil II die verbindliche Geltung der Grundrechts-Charta vor. 5. Der Geltungsbereich der Unionsgrundrechte 33
Ihrem historischen Kontext entsprechend konnte man die Unionsgrundrechte zunächst als ein Mittel verstehen, mit dem die Bindung der Gemeinschaftsorgane an grundrechtliche Schutzstandards gewährleistet werden sollte. Art 6 II EUV bringt heute mit der Formulierung „die Union achtet die Grundrechte ..." die Bindung der Union (und damit auch der EG) deutlich zum Ausdruck. Allerdings konnte angesichts der durch den supranationalen Charakter des Gemeinschaftsrechts bewirkten engen Verzahnung von Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht die Frage nach dem genauen Umfang der Bindungswirkung von Unionsgrundrechten, insbesondere die nach einer Erstreckung ihrer Bindungswirkung auf die Mitgliedstaaten, nicht ausbleiben.88 Der Gerichtshof hat in zwei Fallgruppen eine Bindung der Mitgliedstaaten an die Unionsgrundrechte anerkannt: beim Vollzug von unmittelbar anwendbarem Gemeinschaftsrecht durch Behörden der Mitgliedstaaten und bei zulässigen Einschränkungen der durch das Gemeinschaftsrecht gewährleisteten Grundfreiheiten durch die Mitgliedstaaten. 89 Im Übrigen hat er in einer Entscheidung aus dem Jahr 1998 ausdrücklich festgehalten, dass die Unionsgrundrechte nicht dazu führen können, „dass der Anwendungsbereich der Bestimmungen des Vertrages über die Zuständigkeiten der Gemeinschaft hinaus erweitert wird" 90 .
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Daneben gibt es im Bereich der auswärtigen Beziehungen der Gemeinschaft Elemente einer Grundrechtspolitik. Die Gemeinschaft hat in den Assoziierungsabkommen, die sie mit verschiedenen Staaten geschlossen hat, in zunehmendem Maße Grundrechtsklauseln aufgenommen, mit denen die Fortdauer der Zusammenarbeit von der Einhaltung bestimmter grundrechtlicher Mindeststandards abhängig gemacht wird.91 Über diesen sehr begrenzten Bereich hinaus gibt es bislang aber keine eigene Grundrechtspolitik der Gemeinschaft. 92 87 EuG, EuZW 2002, 186, Rn 48 - max.mobil Telekommunikation Service GmbH. 88 Dazu Ruffert EuGRZ 1995, 518 ff; § 14 Rn 33 ff. 89 EuGH, Slg 1989,2609, Rn 19 - Wachauf; Slg 1991,1-2925, Rn 42 f - ERT; ausf dazu Kingreen in: Calliess/Ruffert Art 6 EUV Rn 56 ff. 90 EuGH, Slg 1998,1-621, Rn 45 - Grant = Ehlers JK 99, EGV Art 119/1; auch der W E enthält in Art 11-111 eine solche Beschränkung. 91 Ausf zu diesen Klauseln: Hoffmeister Menschenrechts- und Demokratieklauseln in den vertraglichen Außenbeziehungen der Europäischen Gemeinschaft, 1998. 92 S dazu einerseits AlstonIWeiler in: Aiston (Hrsg) The EU and human rights, 1999, S 3ff und andererseits ν Bogdandy JZ 2001, 157 ff.
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IV. Die Grundfreiheiten des Gemeinschaftsrechts Der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital kennzeichnet nach Art 14 II E G V (Art III-130 II W E ) den von der Gemeinschaft errichteten Binnenmarkt. Die hierdurch gewährleisteten sog Markt- oder Grundfreiheiten gehören zu den wichtigsten Eckpfeilern des Gemeinschaftsrechts. Der Begriff der „Grundfreiheit" wird zwar in den Verträgen nicht ausdrücklich verwendet, hat sich aber in der deutschen rechtswissenschaftlichen Literatur eingebürgert 93 . Er wird seit Beginn der achtziger Jahre auch vom E u G H verwendet 94 und fand Eingang in die nicht-deutschsprachige Literatur. 95 Hiermit ist eine gewisse Begriffsverengung und -Verschiebung gegenüber dem früheren Sprachgebrauch verbunden. Noch im Jahr 1950 bezeichnete die E M R K die durch sie gewährleisteten Menschenrechte auch als „Grundfreiheiten". Ungeachtet grundrechtlicher Gehalte, insbesondere der durch den EG-Vertrag garantierten Personenverkehrsfreiheiten 96 , liegt es auf der Hand, dass ein jeweils unterschiedliches Begriffsverständnis vorliegt. Die E M R K verwendet den Begriff der Grundfreiheit für die in einem Katalog garantierten Menschenrechte, das Gemeinschaftsrecht bezeichnet damit die für die Herstellung des Binnenmarktes notwendigen wirtschaftlichen Freiheiten im grenzüberschreitenden Verkehr.
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Die Grundfreiheiten waren von Anfang an Bestandteil der Gemeinschaftsverträge. Sie haben allerdings im Laufe der Zeit eine erhebliche Verdeutlichung und Konkretisierung durch die Rechtsprechung des E u G H erfahren. Sie entwickelten sich in dieser Rechtsprechung von zunächst auf Abbau von Benachteiligungen aufgrund der Staatsangehörigkeit gerichteten Diskriminierungsverboten zu weit reichenden Beschränkungsverboten, in denen schließlich auch dogmatisch die Konturen wirtschaftlicher Freiheitsrechte erkennbar werden. Hinzu kommen in den vergangenen Jahren auch ein Ausbau der Personenverkehrsfreiheiten und der Unionsbürgerschaft zu einem allgemeinen Freizügigkeitsrecht. Wichtige Meilensteine dieser Entwicklung sind:
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1) die Anerkennung der Grundfreiheiten als subjektiv-öffentliche Rechte mit der Folge ihrer unmittelbaren Anwendbarkeit in den internen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten; 2) der Ausbau des Schutzbereiches der Grundfreiheiten zu umfassenden Diskriminierungs- und Beschränkungsverboten; 3) die Ergänzung der Personenverkehrsfreiheiten um Gewährleistungen aus dem mit der Unionsbürgerschaft verbundenen Freizügigkeitsrecht (Art 18 EGV/Art I-10 W E ) und schließlich 4) die Verwendung von grundrechtsdogmatischen Argumentationsmustern in Form von „Drittwirkung" und „Schutzpflichten". 1. Anerkennung als subjektiv-öffentliche
Rechte
Für die gesamte weitere Entwicklung des Gemeinschaftsrechts von zentraler Bedeutung ist die Anerkennung der Grundfreiheiten als subjektiv-öffentliche Rechte in der Entscheidung van Gend&Loos aus dem Jahr 1963. Heute ist der Grundsatz der unmittelbaren
93 Zum Begriff s Kingreen in: ν Bogdandy 631 ff. 94 EuGH, Slg 1981, 2595, Rn 8 - Casati; s näher Pfeil Historische Vorbilder und Entwicklung des Rechtsbegriffs der „Vier Grundfeiheiten" im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 1998, S 4 ff. 95 Nachweise bei Pfeil (Fn 94) S 6 ff. 96 Oppermann ER Rn 490.
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Anwendbarkeit des primären Gemeinschaftsrechts (—> vgl § 7 Rn 7) so selbstverständlich geworden, dass die damalige Position der niederländischen und der belgischen Regierung, über die unmittelbare Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts entscheide das jeweilige nationale Verfassungsrecht der Mitgliedstaaten, kaum noch nachvollziehbar erscheint. Vergleicht man die Haltung der beiden Regierungen mit der Entscheidung des EuGH, so zeigt sich, welchen erheblichen qualitativen Sprung die Gemeinschaftsrechtsordnung mit der Anerkennung der Grundfreiheiten als subjektiv-öffentliche Rechte gegenüber sonstigen völkerrechtlichen Verträgen machte.97 Nach der Entscheidung des EuGH in dem Verfahren van Gend&Loos schafft die Gemeinschaft eine „neue Rechtsordnung des Völkerrechts", deren Rechtssubjekte nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern auch die einzelnen Bürger sind. Der Vertrag solle auch dem einzelnen Rechte verleihen: „Solche Rechte entstehen nicht nur, wenn der Vertrag dies ausdrücklich bestimmt, sondern auch aufgrund von eindeutigen Verpflichtungen, die der Vertrag den einzelnen wie auch den Mitgliedstaaten und den Organen der Gemeinschaft auferlegt." 98 38
Die unmittelbare Anwendbarkeit der Grundfreiheiten (und anderer Bestimmungen, die solche „eindeutigen Verpflichtungen" begründen) führte in den Folgejahren dazu, dass das Gemeinschaftsrecht die internen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten in erheblichem Umfang beeinflusste. Die praktische Bedeutung dieser Rechtsprechung und ihre Wirkung auf die nationalen Rechtsordnungen zeigen sich daran, dass gerade die besonders umstrittenen Entscheidungen des EuGH nicht zu Fragen der Kompetenz der Gemeinschaft ergingen, sondern zur Bedeutung der Grundfreiheiten und zur unmittelbaren Anwendung des Gemeinschaftsrechts. 99 2. Auslegung der Grundfreiheiten als Diskriminierungs-
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und
Beschränkungsverbote100
Zu dieser Entwicklung trug maßgeblich bei, dass der Gerichtshof die Grundfreiheiten nach und nach zu umfassenden Wirtschaftsfreiheiten ausbaute, die nicht nur offene und versteckte Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit verbieten, sondern alle Maßnahmen untersagen, die zu einer Beschränkung des Waren- und Personenverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten führen können. Nach dem Wortlaut im Vertragstext bestehen nicht unerhebliche Unterschiede im Schutzbereich der einzelnen Grundfreiheiten. Während die Warenverkehrsfreiheit, die Dienstleistungsfreiheit und die Freiheit des Kapital· und Zahlungsverkehrs ausdrücklich Beschränkungen als unzulässig bezeichnen (vgl Art 28 u Art 49 I 1 EGV/Art III-153 u Art III-144 W E ) , statuieren die Arbeitnehmerfreizügigkeit und die Niederlassungsfreiheit zunächst einmal nur ein Verbot der Differenzierung aufgrund der Staatsangehörigkeit (Art 39 II u Art 43 EGV/Art III-133 u Art III-137 W E ) . Der EuGH hat allerdings im Laufe der Jahre alle Grundfreiheiten so ausgelegt, dass sie sowohl ein Diskriminierungs- als auch ein Beschränkungsverbot aufstellen. Insgesamt kann man sagen, dass sich die Rechtsprechung zur Warenverkehrsfreiheit als Schrittmacher für die Entwicklung bei den anderen Grundfreiheiten erwiesen hat. Das umfassende Beschränkungsverbot für die Warenverkehrsfreiheit formulierte der EuGH in dem Verfahren Dassonville. Nach der seither so genannten Dassonville-FoTmel sind unter Maßnahmen mit gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen im 97 98 99 100
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Kingreen Die Struktur der Grundfreiheiten des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999, S 24. EuGH, Slg 1963, 3, 12 - van Gend & Loos. S etwa EuGH, Slg 1998,1-1931 ff - Kohll; Slg 1998,1-1831 ff - Decker; Slg 2000,1-69ff - Kreil. -> dazu ausf § 7 Rn 18 ff.
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Sinne von Art 28 EGV alle Handelsregelungen der Mitgliedstaaten zu verstehen, die geeignet sind, „den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern." 101 Diese Formulierung macht deutlich, dass auch diskriminierungsfreie Beschränkungen des Warenverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten in den Anwendungsbereich von Art 28 EGV fallen. In letzter Konsequenz hätte diese weite Auslegung des Beschränkungsverbots dazu geführt, dass im Prinzip jedes Produkt, das in einem Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellt und/oder in den Verkehr gebracht wurde, uneingeschränkt in die anderen Mitgliedstaaten hätte eingeführt und dort vertrieben werden können.102 Aus dem Bestreben, eine so weitreichende Konsequenz zu vermeiden, erklärt sich die Caiiw-ife-Z)//'on-Rechtsprechung, die zwingende Erfordernisse des Gesundheitsund Verbraucherschutzes sowie des Schutzes des Handelsverkehrs und der steuerlichen Kontrolle schon aus dem Tatbestand des Art 28 EGV ausnimmt.103 Auch die Entscheidung in dem Verfahren Keck und Mithouard, mit der Beschränkungen von Verkaufsmodalitäten 104, also etwa Ladenöffnungszeiten 105 oder eine Apothekenpflichtigkeit bestimmter Produkte, gleichfalls schon aus dem Tatbestand des Art 28 EGV ausgenommen wurden, verfolgt das Ziel, die Wirkungen der weiten Dassonville-Formel einzuschränken. Bei der Warenverkehrsfreiheit zeigt sich also eine zunächst den Tatbestand ausweitende, dann aber für bestimmte Fallgruppen wieder einschränkende Rechtsprechung. Vergleichbare Entwicklungen lassen sich für die anderen Grundfreiheiten nachweisen. Für die Dienstleistungsfreiheit, die schon nach dem Vertragstext kein bloßes Diskriminierungsverbot aufstellt, hat der EuGH dies bereits in seiner ersten Entscheidung zu erkennen gegeben.106 Die Entscheidung Alpine Investments deutet an, dass die einschränkende Auslegung durch die Äecfc-Entscheidung grundsätzlich auf die Dienstleistungsfreiheit übertragen werden kann.107 Auch die Niederlassungsfreiheit wurde in der Rechtsprechung des Gerichtshofs vom bloßen Diskriminierungsverbot zu einem Beschränkungsverbot ausgebaut.108 In der viel beachteten Awman-Entscheidung hat der EuGH schließlich die genannten Grundsätze auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit angewandt. Dort hat er auch angedeutet, dass nicht nur der Grundgedanke des Beschränkungsverbots übertragen werden kann, sondern auch die einschränkende Auslegung nach der Formel.109 Insgesamt kann man in der Rechtsprechung der vergangenen Jahre somit eine Konvergenz zu einer gemeinsamen Dogmatik der Grundfreiheiten feststellen.110
101 102 103 104 105 106 107 108
EuGH, Slg 1974, 837, Rn 5 - Dassonville. Epiney in: Cailiess/Ruffert Art 28 EGV Rn 16. EuGH, Slg 1979, 649, Rn 8 - Rewe-Zentral-AG. EuGH, Slg 1993,1-6097, Rn 16 - Keck und Mithouard. EuGH, Slg 1994,1-2355, Rn 12f-Puntacasa. EuGH, Slg 1974, 1299, Rn 10 - van Binsbergen. EuGH, Slg 1995,1-1141, Rn 33 ff- Alpine Investment. Vgl die zusammenfassende Darstellung der Grundsätze in EuGH, Slg 1995, 1-4165, Rn 37ff Gebhard, sowie die Beschreibung der Entwicklung der Rechtsprechung zur Niederlassungsfreiheit bei Bröhmer in: Cailiess/Ruffert Art 43 EGV Rn 22ff;vgl aber auch dort Rn 30 f zur Kritik am Sprachgebrauch des Diskriminierungsbegriffs. 109 EuGH, Slg 1995, 1-4921, Rn 103 - Bosman; s deutlicher insoweit noch die Schlussanträge GA Lenz, ebd, Rn 206; s a die Erörterung des Problems und der verschiedenen vertretenen Positionen bei Ganten Die Drittwirkung der Grundfreiheiten, 2000, S 124-129. 110 HilflPache NJW 1996, 1169, 1172; Kingreen (Fn 97) S 61 f; s a Classen EWS 1995, 97ff.
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3. Ergänzung der Personenverkehrsfreiheiten um Rechte aus der Unionsbürgerschaft 42
Das Freizügigkeitsrecht aus Art 18 EGV (Art 1-10 W E ) bildet die Rechtsgrundlage für ein allgemeines, von den ökonomischen Freiheiten unabhängiges Freizügigkeitsrecht111. Die Bestimmung ist nach der neueren Rechtsprechung des EuGH jedenfalls in Verbindung mit dem Diskriminierungsverbot112 und nach nahezu einhelliger Auffassung in der Literatur unmittelbar anwendbar113. In Kombination mit dem Diskriminierungsverbot des Art 12 EGV (Art 1-4 II VVE) wirkt sie zunehmend als Katalysator für eine umfassende sozialrechtliche Gleichstellung der Unionsbürger. Deutlichstes Beispiel für diese Entwicklung ist die Entscheidung in der Rechtssache D'Hoop: Einer Belgierin wurde in Belgien ein bestimmter sozialrechtlicher Anspruch (ein Überbrückungsgeld beim Übergang von der Ausbildung in den Beruf) mit der Begründung verweigert, dass sie ihre höhere Schulausbildung nicht in Belgien, sondern in Frankreich abgeschlossen habe. Der EuGH sah darin eine nicht gerechtfertigte Benachteiligung aufgrund eines Gebrauchs des allgemeinen Freizügigkeitsrechts aus Art 18 EGV. Unabhängig davon, ob man diese Entwicklung eher negativ als „Einfallstor für einen fast grenzenlosen Anwendungsbereich des Art 12 EGV" versteht114, oder in ihr eine zu begrüßende Stärkung der Rechte des einzelnen sieht115, macht sie das Freizügigkeitsrecht aus der Unionsbürgerschaft zu einem Auffanggrundrecht in allen Fällen, die mangels eines wirtschaftlichen Bezugs nicht unter die Arbeitnehmerfreizügigkeit oder die Niederlassungsfreiheit fallen. 4. Drittwirkung und Schutzpflichten: Grundrechtsdogmatik in der Argumentation des EuGH zu den Grundfreiheiten116
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Mit der ifcwwan-Entscheidung hat der EuGH zugleich auch seine schon früher entwickelte Rechtsprechung bestätigt, nach der die Grundfreiheiten nicht nur staatliche Stellen in den Mitgliedstaaten binden, sondern auch Privatpersonen. Unklar blieb allerdings noch der Umfang dieser Drittwirkung. In den Entscheidungen Walrave117 und Bosman wurde sie für die Dienstleistungsfreiheit und die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gegenüber Sportverbänden und anderen Vereinigungen angenommen, die zur kollektiven Regelung unselbständiger Arbeit befugt sind. Aus diesem Grund wurde in der Literatur vielfach eine unmittelbare Drittwirkung nur dann angenommen, wenn die betreffenden Privatpersonen mit einer gewissen Regelungsbefugnis ausgestattet waren.118 Für die Warenverkehrsfreiheit lehnt der EuGH nach anfänglichen Unsicherheiten inzwischen generell in ständiger Rechtsprechung eine unmittelbare Drittwirkung ab.119 Im Sommer 2000 sprach der EuGH schließlich in dem Verfahren Angonese jedenfalls der Arbeitnehmerfreizügigkeit eine unmittelbare Drittwirkung auch in Fällen zu, in denen es gerade an einer sozialen
111 112 113 114 115 116 117 118 119
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Kadelbach in: ν Bogdandy 539, 552 f. EuGH, Slg 2001,1-6193, Rn 30 ff - Grzelczyk; Slg 2002,1-6191, Rn 25 ff - D'Hoop. Nachweise bei Kadelbach in: ν Bogdandy 539, 553. Bode EuZW 2002, 637, 639. So die Tendenz bei Borchardt NJW 2000, 2057, 2058. dazu ausf § 7 Rn 45 f. EuGH, Slg 1974, 1405, Rn 17 ff - Walrave. StreinzlLeible EuZW 2000,459 ff mwN. Dazu im Einzelnen die ausf Analyse der Rechtsprechung bei Ganten (Fn 109) S 34-45; Jaensch Die unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten, 1997, S 45-64; s a StreinzlLeible EuZW 2000,459,460.
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Machtausübung durch eine Vereinigung zur Wahrnehmung kollektiver Interessen fehlte. 120 Es ist kaum anzunehmen, dass damit das letzte Wort in Sachen unmittelbarer Drittwirkung gesprochen ist121. Die Entscheidung ist in der Literatur auf Kritik gestoßen. 122 Außerdem betraf sie - anders als der Fall Bosman - eine Diskriminierungssituation und erlaubt deshalb nicht zwangsläufig Rückschlüsse darauf, wie in einem vergleichbaren Fall mit einer nicht diskriminierenden, sondern nur beschränkenden M a ß n a h m e entschieden worden wäre. Schließlich bleibt das grundsätzliche Problem, eine Dogmatik zu entwickeln, mit der die Drittwirkungsproblematik für alle Grundfreiheiten gelöst werden kann. Hinzu kommt, dass mit der für die Warenverkehrsfreiheit entwickelten dogmatischen Figur der Schutzpflicht ein Instrument zur Verfügung steht, das ähnliche Ziele verfolgt. 123 Als französische Bauern immer wieder gewaltsam den Import von Agrarprodukten aus Spanien und anderen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft verhinderten und die Kommission deshalb ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Frankreich einleitete, stand der E u G H vor einem der Drittwirkungsproblematik vergleichbaren Problem. Auch hier ging es darum, die Geltung der Grundfreiheiten gegenüber einer Beschränkung durch privates Handeln durchzusetzen. Anders als bei der Dienstleistungsfreiheit wählte der Gerichtshof aber nicht den Weg über eine unmittelbare Drittwirkung, sondern leitete aus der Warenverkehrsfreiheit eine staatliche Schutzpflicht ab, Behinderungen der Warenverkehrsfreiheit durch Private zu verhindern. Er entschied deshalb, dass Frankreich gegen seine Pflichten aus dem EG-Vertrag verstoßen habe, weil es gegenüber regelmäßig wiederkehrenden gewalttätigen Protesten untätig geblieben sei.124 Auf diesem Weg wird faktisch das gleiche Ergebnis erreicht: Die Geltung der Grundfreiheiten muss auch gegenüber Störungen durch Private durchgesetzt werden. Allerdings erfolgt dies nicht durch eine unmittelbare Anwendung der entsprechenden Vertragsbestimmungen gegen die störenden Privatpersonen, sondern nur mittelbar über die Ableitung einer Schutzpflicht des Staates, der dann gehalten ist, die Störung zu unterbinden. Schon an der Begrifflichkeit und den nunmehr in Rechtsprechung und Literatur verwendeten dogmatischen Figuren zeigt sich, in welchem Umfang die Grundfreiheiten inzwischen Anleihe bei den allgemeinen Grundrechtslehren nehmen: Schutzpflicht und mittelbare oder unmittelbare Drittwirkung sind Begriffe, die der Grundrechtsdogmatik entlehnt sind und deutlich machen, dass die Grundfreiheiten sich von der ursprünglich vor allem auf der Beseitigung von Diskrimierungen liegenden Akzentsetzung 1 2 5 weit entfernt und sich durch die Rechtsprechung des E u G H inzwischen in echte wirtschaftliche Freiheitsrechte verwandelt haben. 126
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EuGH, Slg 2000,1-4139, Rn 31, 36 - Angonese = Ehlers JK 01, EGV Art 39/1. Kingreen in: ν Bogdandy 631, 677 ff. StreinzlLeible EuZW 2000,459, 464 ff. S vergleichend zur dogmatischen Begründung von Schutzpflichten Jaeckel Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, 2001, S 222 ff. 124 EuGH, Slg 1997,1-6959, Rn 30 ff - Kommission/Frankreich; dazu Szczekalla DVB1 1998, 219 ff. 125 Vgl etwa die Beschreibung des Zwecks eines Verbots von Maßnahmen mit gleicher Wirkung in Art 28 EGV bei Ipsen EuGR 588 f. 126 Gegen ein freiheitsrechtliches Verständnis und für einen materiellen Diskriminierungsbegriff argumentiert Kingreen (Fn 97) S 72 u 118 ff.
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V. Auswirkungen des Vertrags über eine Verfassung für Europa 46
Der am 29. Oktober 2004 in Rom unterzeichnete Vertrag über eine Verfassung für Europa bewirkt an den hier beschriebenen Entwicklungen keine grundsätzlichen Veränderungen, sondern schreibt sie kontinuierlich fort. Der Inhalt der Grundrechts-Charta wird mit Inkraftreten des Vertrags verbindlich (vgl bereits oben Rn 32) und man kann nach der Formulierung in Art 1-9 des Verfassungsvertrags von einem alsbaldigen Beitritt der EU zur EMRK ausgehen, sofern das 14. ZP zur EMRK ebenfalls rechtzeitig in Kraft tritt. Bei der Dogmatik der Grundfreiheiten sind ebenfalls an den hier beschriebenen Entwicklungen unmittelbar mit dem Verfassungsvertrag keine Änderungen verbunden.
VI. Zusammenfassung: Schutz der Grundrechte und Grundfreiheiten in einem Europa mehrerer Ebenen 47
Die beschriebenen Einzelentwicklungen im Recht der Europäischen Union und der EMRK entfalten Wechselwirkungen untereinander, finden aber nicht in einer einheitlichen europäischen Rechtsordnung, sondern auf unterschiedlichen Ebenen statt. Dies macht Verallgemeinerungen schwierig. Folgende Entwicklungslinien lassen sich aber zusammenfassend festhalten:
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1) Der nationale Grundrechtsschutz wurde seit 1945 um einen zunehmend sich intensivierenden internationalen Menschenrechtsschutz ergänzt. Spätestens mit der Ausgestaltung, die das Rechtsschutzsystem der EMRK durch das 11. ZP seit dem 01.11.1998 erlangt hat, übernimmt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte quasi-verfassungsgerichtliche Funktionen des Grundrechtsschutzes in Europa. 2) Für eine so intensiv in die nationalen Rechtsordnungen hineinreichende supra-nationale Rechtsordnung wie die des Gemeinschaftsrechts hat sich ein eigener Grundrechtsschutz innerhalb der Organisation als unumgänglich erwiesen. Dieser wird durch die Rechtsprechung des EuGH gewährleistet. Bislang ist die Gemeinschaft zwar der EMRK nicht förmlich beigetreten, aber die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg sorgen für eine weitgehende Parallelität der Prüfungsmaßstäbe, eine Identität des Schutzniveaus können sie freilich nicht bewirken. Die europäische Grundrechts-Charta entfaltet zwar bis zum Inkraftreten des Vertrags über eine Verfassung für Europa keine förmliche Bindungswirkung, in ihr liegt aber schon jetzt eine Systematisierungsleistung, die bewirkt, dass sie von den Generalanwälten und dem Gericht erster Instanz zur Bestätigung ihres Auslegungsergebnisses herangezogen wird. Mit dem Inkraftreten des 14. ZP zur EMRK und dem Vertrag über eine Verfassung für Europa wird ein Beitritt der Europäischen Union zur EMRK sehr wahrscheinlich. 3) Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg bemüht sich in den vergangenen Jahren zunehmend darum, das Schutzniveau der EMRK nicht nur in den innerstaatlichen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten durchzusetzen, sondern er hält die Mitgliedstaaten dazu an, die Grundrechtsverbürgungen der EMRK auch dann sicherzustellen, wenn sie Aufgaben aus dem nationalen Bereich auf internationale Organisationen verlagern. 4) Die ursprünglich vor allem für den Abbau von Diskriminierungen im innergemeinschaftlichen Waren-, Dienstleistungs- und Personenverkehr entwickelten Grundfreiheiten des Gemeinschaftsrechts haben durch die Ausformung als Beschränkungsverbote in der Rechtsprechung des EuGH zunehmend den Charakter wirtschaftlicher Grundrechte ge-
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Geschichte und Entwicklung der Europäischen Grundrechte und Grundfreiheiten
§1 VI
wonnen. Sie werden im Bereich der Personenfreiheit durch das allgemeine Freizügigkeitsrecht des Art 18 EGV ergänzt, das im Zusammenwirken mit dem allgemeinen Diskriminierungsverbot aus Art 12 EGV ein AufFanggrundrecht für diejenigen Fälle ist, in denen eine Anwendung der Arbeitnehmerfreizügigkeit und der Niederlassungsfreiheit am mangelnden wirtschaftlichen Bezug scheitert.
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2. Teil: Die Europäische Menschenrechtskonvention §2 Allgemeine Lehren Dirk Ehlers Leitentscheidungen: EGMR, NJW 1993, 718ff - Niemitz = Kunig JK 93, EMRK Art 8/1; NVwZ 1999, 57flf- Guerra = Ehlers JK 99, EMRK Art 8/3; NJW 1999, 1173 ff - Waite u Kennedy = Ehlers JK 99, EMRK Art 6/2; NJW 1999, 3107 ff - Matthews = Ehlers JK 99, EMRK Art 3 1. ZP/2; NJW 2001, 3035 ff - Krenz; Urt ν 31.07.2001 - Verbot der islamischen Partei Refah; NJW 2004, 2647ff Caroline von Hannover = Ehlers JK 4/05 EMRK Art 8/4; BVerfG, NJW 2004, 3407 - Geltung EMRK und Bindungswirkung = Ehlers JK 3/05, GG Art 20III/39. Schrifttum: Frowein/Peukerl in: Frowein/Peukert; Grabenwarter Europäisches und nationales Verfassungsrecht, W D S t R L 60 (2001) S 290ff; ders Europäische Menschenrechtskonvention, 2003; Schilling Internationaler Menschenrechtsschutz, 2004; Meyer-Ladewig Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, 2003; Peters Einführung in die Europäische Menschenrechtskonvention, 2003; Karl Internationaler Kommentar zur Europäischen Menschenrechtskonvention, 1986, Loseblatt.
I. Die Stellung der EMRK im Gefiige des internationalen und nationalen Rechts Fall 1: (EGMR, NJW 2004, 2648 - Caroline von Hannover = Ehlers JK 4/05, EMRK Art 8/4). Die Bf (Caroline von Hannover) ist die älteste Tochter des Regierenden Fürsten von Monaco. Sie ist Vorsitzende verschiedener humanitärer und kultureller Stiftungen, übt jedoch keinerlei Amt im Fürstentum aus. Sie fühlt sich fortwährend von sog Paparazzi in ihrem Privatleben beobachtet und verfolgt und wendet sich gegen die Veröffentlichung von Fotos in der „Yellow-Presse" deutscher Zeitschriften. Ihre Klage vor deutschen Gerichten sowie eine VB hatten nur teilweise Erfolg (BGHZ 131, 332; BVerfGE 101, 361). Die Bf wendet sich mit einer Individualbeschwerde an den EGMR und rügt eine Verletzung des von Art 8 EMRK garantierten Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens. Grund- oder Menschenrechte des Einzelnen gegenüber den Trägern hoheitlicher Gewalt werden heute auf universeller, regionaler und nationaler Ebene anerkannt. Letzteres wird jedenfalls in der westlichen Welt mittlerweile als selbstverständlich erachtet. Universell gesehen sind neben zahlreichen speziellen Konventionen (zB gegen Folter, Sklaverei, Völkermord, Frauen- und Kinderarbeit) 1 vor allem die von der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 10.12.1948 beschlossene Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ( A E M R ) 2 und die Internationalen Pakte über bürgerliche und politische Rechte (IPbürgR) sowie über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPwirtR) vom 19.12.1966 3 zu nennen. Die A E M R enthält einen Katalog der wichtigsten bürgerlichen,
1 Vgl die Übersicht bei Κ Ipsen in: ders VR § 48 Rn 1 ff. 2 Sart II Nr 19 AEMR. 3 Vgl BGBl II 1973, 1534, 1570 = Sart II Nr 20 und Nr 21.
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Dirk Ehlers sozialen und politischen Rechte wie das Recht auf Leben und Freiheit, das Verbot der Sklaverei und Folter, die Gleichheit vor dem Gesetz und den Anspruch auf Rechtsschutz. Zugleich anerkennt sie die Schranken, die das Gesetz ausschließlich zu dem Zweck vorsieht, um die Anerkennung und Achtung der Rechte und Freiheiten der anderen zu gewährleisten und den gerechten Anforderungen der Moral, der öffentlichen Ordnung und der allgemeinen Wohlfahrt in einer demokratischen Gesellschaft zu genügen (Art 29). Ob die nicht mittels einer völkerrechtlichen Rechtsquelle sondern einer Resolution zur Geltung gebrachte Erklärung völkerrechtliche Bindungswirkungen erzeugt, ist umstritten.4 Jedenfalls trägt sie zur Bildung von Völkergewohnheitsrecht bei. Außerdem nehmen zahlreiche Menschenrechtsgewährleistungen auf die AEMR Bezug. So wird sie auch in der Präambel der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) erwähnt, ohne damit in die EMRK inkorporiert zu werden. Die AEMR statuiert einen Mindeststandard der Menschenrechte, an dem der Menschenrechtsschutz in den Staaten und Regionen gemessen werden kann. Politisch wird die Einhaltung des Standards durch eine Unterkommission der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen überwacht.5 Auf universeller Ebene völkerrechtlich abgesichert wurde der Menschenrechtsschutz durch den jeweils 1976 in Kraft getretenen IPbürgR und den IPwirtR. Die Pakte gelten heute in rund 75% der existierenden Staaten, darunter die Mitgliedstaaten des Europarates. Der IPbürgR wiederholt sinngemäß die liberalen Verbürgungen der AEMR, wobei die Gewährleistungen zumeist detaillierter geraten sind und nur teilweise einen Gesetzesvorbehalt kennen (vgl Art 9, 12). Es besteht aber keine Deckungsgleichheit. ZB enthält der IPbürgR im Gegensatz zur AEMR Bestimmungen über die Todesstrafe6, anders als Art 17 AEMR aber keine Garantie des Rechts auf Eigentum. Im Falle eines öffentlichen Notstandes dürfen die Rechte teilweise suspendiert werden (Art 4). Im Gegensatz zum IPbürgR enthält der auf die Initiative der damaligen sozialistischen Staaten zurückgehende IPwirtR keine unmittelbar anwendbaren (dh gerichtlich durchsetzbare) Rechtspflichten, wohl aber wirtschaftliche, soziale und kulturelle Versprechungen objektiv-rechtlicher Art. Zur Durchsetzung der in den Pakten garantierten Rechte dient ein periodisches und obligatorisches Berichtssystem der Vertragsstaaten (Art 40 IPbürgR; Art 16 IPwirtR). Die auf der Grundlage des IPbürgR erstatteten Berichte werden durch den aus gewählten unabhängigen Mitgliedern bestehenden Menschenrechtsausschuss (Art 28 IPbürgR), die Berichte iSd IPwirtR durch den aus unabhängigen Experten bestehenden Ausschuss für Wirtschaft und kulturelle Rechte, der als Hilfsorgan des Wirtschafts- und Sozialrates nach Art 68 der UN-Charta durch den Sicherheitsrat errichtet wurde, geprüft und ausgewertet.7 Zum anderen sieht der IPbürgR (nicht der IPwirtR) sowohl eine fakultative Staatenbeschwerde (Art 41) als auch eine fakultative Individualbeschwerde (Fakultativprotokoll zu dem IPbürgR ν 19.12.1966, BGBl II 1992, 1247 = Sart II Nr 20 a) vor. In beiden Fällen findet eine Überprüfung in einem gerichtsähnlichen Verfahren durch den Menschenrechtsausschuss statt, der einen Bericht über den Sachver-
4 Vgl Seidl-HohenveldernlStein Völkerrecht, 10. Aufl 2000, Rn 1585; Hailbronner in: Graf Vitzthum VR 3. Abschn Rn 222f; Epping in: Κ Ipsen VR § 7 Rn 10. 5 Vgl Schilling IMR Rn 6. 6 Vgl Art 6 sowie das Zweite Fakultativprotokoll zu dem IPbürgR zur Abschaffung der Todesstrafe vom 15.12.1989, BGBl II 1992, 391 = Sart II 20b. 7 Vgl Hailbronner (Fn 4) Rn 227. Näher zur Berichterstattung und deren Mängel Schilling IMR Rn 478 ff.
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Allgemeine Lehren halt abgibt (und nicht etwa Feststellungen über eine Vertragsverletzung trifft) 8 oder auf eine Individualbeschwerde hin seine (die Vertragsstaaten nicht bindende) Auffassung mitteilt.9 Die Bundesrepublik Deutschland hat beide Beschwerdemöglichkeiten mit gewissen Vorbehalten anerkannt.10 Das Staatenbeschwerdeverfahren wird in der Praxis nicht in Anspruch genommen. Die Möglichkeit, Individualbeschwerde zu erheben, dürfte für Europäer ebenfalls nicht von großem Interesse sein, weil die EMRK einen ungleich effektiveren Rechtsschutz zur Verfügung stellt (Rn 49ff). Das heißt aber nicht, dass die Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen in Europa vernachlässigt werden können. Sie wirken in mancherlei Hinsicht auf die EMRK ein. So garantierte IPbürgR Rechte, die in der EMRK nicht enthalten sind und erst im 7. Zusatzprotokoll (ZP) zur EMRK garantiert wurden, um den Menschenrechtsschutz der EMRK auf den Stand des IPbürgR zu bringen." Regionale Menschenrechtsverbürgungen gibt es zB in Gestalt der Amerikanischen Menschenrechtskonvention, der Afrikanischen Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker und der Arabischen Charta der Menschenrechte.12 Vor allem aber ist auf die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) vom 4.11. 195013 zu verweisen, welche die älteste regionale Menschenrechtskonvention neuzeitiger Art darstellt und zusammen mit der OSZE (-> § 1 Rn 2) und dem Recht der Euopäischen Union (Rn 9) einen Mindestgrundrechtsstandard in Europa gewährleisten will. Die EMRK ist vom Europarat14 verabschiedet worden. Dieser stellt eine von den europäischen Staaten im Jahre 1949 gebildete völkerrechtliche Organisation zur Förderung der Ideale und Grundsätze, die ihr gemeinsames Erbe bilden, sowie zur Beförderung des wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts dar.15 Im Jahre 1950 ist die Bundesrepublik Deutschland assoziiertes Mitglied, 1951 Vollmitglied des Europarates geworden. Bis Anfang des Jahres 2005 sind 46 Staaten Europas (einschließlich so großer, aber am Rande liegender Staaten wie der Russischen Föderation und der Türkei) dieser Organisation beigetreten. In Wahrnehmung seines Förderauftrags hat der Europarat nahezu 200 Konventionen oder Übereinkommen verabschiedet. So wurde zB im Jahre 1961 als sozialrechtliches Pendant zur EMRK die bisher nicht von allen Mitgliedstaaten des Europarates in Kraft gesetzte Europäische Sozialcharta erlassen. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, 10 der 19 rechtsgewährenden Artikel oder 45 Absätze dieser Artikel als bindend anzunehmen (Art 20) und Berichte über die angenommenen Bestimmungen zu verfassen (Art 21), die von einem Sachverständigenausschuss überprüft werden (Art 24f)· Weitaus die größte Bedeutung von allen Abkommen des Europarates kommt jedoch der EMRK zu. Schon
8 Art 41 I IPbürgR. 9 Art 5 IV Fakultativprotokoll zu dem IPbürgR (Fn 3). Näher zu den Beschwerden Schilling IMR Rn 487 ff. 10 Die Vorbehalte sind abgedruckt im Sart II 20, S 18; Sart II 20a, S 1. 11 Vgl einerseits Art 40 I IPbürgR und Art 16 I IPwirtR, andererseits Art 41 IPbürgR und das erste Fakultativ- bzw Zusatzprotokoll zum IPbürgR (BGBl II 1992, 1247 = Sartorius II Nr 20a). Die Frage der völkerrechtlichen Verbindlichkeit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte ist umstritten. Vgl Seidl-HohenveldernlStein (Fn 4) Rn 1585; Hailbronner in: Graf Vitzthum VR 3. Abschn Rn 222 f; Epping in: Κ Ipsen VR § 7 Rn 10. 12 Vgl den Überblick bei Κ Ipsen in: ders VR § 49 Rn 16ff; ferner Wittinger Jura 1999,405 ff. 13 BGBl II 1952, 685 = Sart II Nr 130. 14 Vgl BGBl II 1964, 1262 = Sart II Nr 115. 15 Art 1 lit a der Satzung des Europarates, BGBl I 1950, 263 = Sart II Nr 110.
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Dirk Ehlers nach Art 3 der Satzung des Europarates muss jedes Mitglied den Grundsatz der Vorherrschaft des Rechts sowie den Grundsatz anerkennen, dass jeder, welcher der Hoheitsgewalt eines Mitgliedstaates unterliegt, der Menschenrechte und Grundfreiheiten teilhaftig werden soll. Um diese Grundsätze zu bekräftigen und mit Leben zu erfüllen, ist die stark von der AEMR beeinflusste EMRK am 4.11.1950 in Rom unterzeichnet worden. Nach Ratifizierung durch zehn Staaten (darunter die Bundesrepublik Deutschland) ist die Konvention am 3.9.1953 in Kraft getreten.16 Maßgebend ist allein die englische und französische Sprachfassung.17 Die Konvention ist bis heute durch vierzehn Zusatzprotokolle ergänzt oder revidiert worden.18 Das 1. ZP EMRK schützt das Eigentum, das Recht auf Bildung und das Recht auf freie und geheime Wahlen. Das 4. ZP EMRK betrifft vor allem die Freizügigkeit von In- und Ausländern sowie Ausweisungsverbote. Das 6. ZP EMRK regelt die Abschaffung der Todesstrafe in Friedenszeiten. Das 13. ZP EMRK dehnt dieses Verbot auch auf Kriegszeiten aus. Ergänzungen der Justiz- und Verfahrensgarantien trifft das 7. ZP EMRK. Im 12. ZP EMRK wird ein allgemeineres Diskriminierungsverbot garantiert, welches das Diskriminierungsverbot des Art 14 EMRK ergänzen soll. Die ZP Nr 12 und Nr 14 EMRK sind noch nicht in Kraft getreten. Die erwähnten ZP EMRK haben die von der EMRK vorgesehenen Verfahrensüberprüfungen von evtl Konventionsverstößen verändert. Besondere Bedeutung kommt dem am 1.11.1998 in Kraft getretenen 11. Zusatzprotokoll19 zu, weil es den Rechtsschutz vereinfacht und effektiviert hat (Rn 49 ff). Seit diesem Zeitpunkt nehmen sich die Richter des Gerichtshofs hauptamtlich der eingehenden Beschwerden an (Rn 49 ff). Dies, sowie der Umstand, dass durch die stark gestiegene Zahl der Vertragsstaaten mittlerweile von Island bis Wladiwostok fast 800 Millionen Menschen potenzielle Beschwerdeführer sind, dürfte dazu führen, dass der EMRK in Zukunft noch eine weit größere Bedeutung als in der Vergangenheit zukommen wird. Gleichzeitig werden aber an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ständig wachsende Anforderungen gestellt. Allein im Jahre 2004 sind beim Gerichtshof fast 41.000 Beschwerden eingelegt worden. Um dieser Arbeitslast besser gerecht werden zu können, soll das Kontrollsystem durch das (noch nicht in Kraft getretene) ZP Nr 14 EMRK verbessert werden. Insbesondere soll in einfachen Fällen ein Einzelrichter endgültige Entscheidungen treffen dürfen (Art 27 EMRK nF). Bei der Unterzeichnung der Konvention sind zT Vorbehalte angemeldet worden (Art 57 EMRK). Auch wurden nicht alle Zusatzprotokolle von allen Mitgliedstaaten des Europarates ratifiziert.20 So ist das 7. Zusatzprotokoll bisher noch nicht von Deutschland ratifiziert worden. Daher variiert der Umfang der aus der EMRK resultierenden völkerrechtlichen Bindungen der Konventionsstaaten. Art 53 EMRK normiert, dass keine Bestimmung der EMRK als Minderung eines der Menschenrechte und Grundfreiheiten ausgelegt werden darf, die in nationalen Gesetzen oder in anderen internationalen Übereinkommen festgelegt sind.21 Diese Vorschrift belässt den Konventionsstaaten somit einen Spielraum, ein höheres Schutzniveau als nach der EMRK zu garantieren. Allerdings ist dieser Spielraum stets beschränkt,
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Vgl BGBl II 1954, 14. Vgl die Schlusserklärung nach Art 59 IV E M R K . Vgl die Übersicht bei Frowein in: Frowein/Peukert Einführung E M R K R n 2. BGBl II 1995, 579. Vgl die jährlichen Fundstellennachweise Β (Beiträge zum BGBl II). Spiegelbildliche Günstigkeitsprinzipien enthalten Art II-l 13 W E (für das Verhältnis von Unionsgrundrechten zu den internationalen Gewährleistungen und den Verfassungen der Mitgliedstaaten) sowie Art 142 G G (für das Verhältnis von Bundes- und Landesgrundrechten).
Allgemeine Lehren
wenn in das Staat-Bürger-Verhältnis ein Dritter mit kollidierenden, durch die EMRK geschützten Grundrechtsansprüchen eindringt. Dann lässt sich der weitreichendere Schutz eines nationalen Grundrechts nur durchhalten, wenn der Schutz eines kollidierenden Grundrechts dadurch nicht das durch die EMRK verbürgte Niveau unterschreitet. Dies führt in der Regel dazu, dass der Grundrechtsschutz bei mehrpoligen Grundrechtsverhältnissen an das Niveau der EMRK heranzuführen ist.22 Die Konvention überlässt es den Konventionsstaaten, in welcher Weise sie ihrer Pflicht zur Beachtung der Vertragsvorschriften genügen.23 Die Stellung der EMRK im Recht der Konventionsstaaten ist sehr unterschiedlich.24 Die Lösungen reichen vom Überverfassungsrang (zB Niederlande), Verfassungrang (zB Österreich), Übergesetzesrang (zB Belgien, Luxemburg, Frankreich), Gesetzesrang (zB Italien, Griechenland) bis hin zu einem Nachgesetzesrang (Vereinigtes Königrecht).25 Früher besaß die EMRK in einigen Konventionsstaaten auch bloß völkerrechtliche, nicht innerstaatliche Verbindlichkeit.26 In Deutschland gelten die EMRK und ihre Zusatzprotokolle als einfaches Bundesgesetz,27 soweit der Bundesgesetzgeber jeweils durch förmliches Gesetz gem Art 59 II GG zugestimmt hat.28 Allerdings könnten bestimmte Gewährleistungen der EMRK (wie zB das Verbot der Folter und der Sklaverei, Art 3, Art 4 I EMRK) zugleich allgemeine Regeln des Völkerrechts verkörpern.29 Gemäß Art 25 S 2 GG gehen solche Regeln den Gesetzen vor. Dies hat zur Folge, dass sich der Gesetzgeber nicht darüber hinwegsetzen darf. Entgegenstehendes Bundesrecht ist zwar nicht nichtig, muss aber außer Anwendung bleiben.30 Hat die EMRK grundsätzlich nur einfachen Gesetzesrang, darf der Bundesgesetzgeber an sich durch eine lex posterior von der EMRK abweichen. Jedoch gebietet die in den Art 23 ff GG zum Ausdruck kommende Völkerrechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes31, dass die 22 Dies trat im Open Door-Fall zu Tage: Nach der irischen Verfassung genießt das ungeborene Leben einen weitreichenderen Schutz als nach der EMRK. Dieser weitreichendere Schutz hätte im konkreten Fall ein Absinken des Schutzes der Meinungsfreiheit einer Schwangerenberatungseinrichtung unter das Niveau der EMRK bedeutet, so dass der weitreichendere Schutz des ungeborenen Lebens iE zur Wahrung eines EMRK-konformen Schutzniveaus der Meinungsfreiheit zurücktreten musste; EGMR, Serie A 246 - A - Open Door. Vgl hierzu Grabenwarler W D S t R L 60 (2001), 290, 298 f. 23 EGMR, EuGRZ 1976, 62 - Schwedischer Lokomotivführerverband; Series A, No 98, Nr 84 James; Geiger GG/VR § 72 VI 1. 24 Vgl Ress in: Maier (Hrsg) Europäischer Menschenrechtsschutz, 1982, S 260 ff; Frowein in: Frowein/Peukert Einführung EMRK Rn 6; vgl hierzu Grabenwarler W D S t R L 60 (2001), 290, 299 ff. 25 Vgl Frowein in: Frowein/Peukert Einführung EMRK Rn 6; Grabenwarler EMRK § 3 Rn 1 ff; Peters EMRK § 1 II. 26 Vgl Polakiewicz Die Verpflichtungen der Staaten aus den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, 1993, S 331. Zum Vereinigten Königreich vor dem „Human Rights Act 1988" vgl Grote ZaöRV 1998, 309 ff. 27 Vgl BVerfGE 74, 358, 370; 82, 106, 120; BVerfG, NJW 2004, 3407, 3408 = Ehlers JK 3/05, GG Art 20 111/39; Uerpmann Die Europäische Menschenrechtskonvention und die deutsche Rechtsprechung, 1993, S 72 ff; Oppermann ER Rn 80. AA Bleckmann EuGRZ 1994, 149, 152. 28 Eine Kompetenz des Bundes für die Zustimmung zur EMRK (Art 59 II GG) dürfte deshalb zu bejahen sein, weil sich die EMRK an die (Gesamt-) Staaten wendet und die Gewährleistungen in Deutschland die Grundrechte des Grundgesetzes ergänzen sollen. 29 Ebenso Grabenwarler W D S t R L 60 (2001), 290, 306. 30 Zum bloßen Anwendungsvorrang vgl Streinz in: Sachs (Hrsg) Grundgesetz, 3. Aufl 2003, Art 25 Rn 93. 31 BVerfG, NJW 2004, 3407, 3408 = Ehlers JK 3/05, GG Art 20 111/39.
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Dirk Ehlers Gesetze im Einklang mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland ausgelegt und angewendet werden, selbst wenn sie später als ein völkerrechtlicher Vertrag erlassen worden sind. Es ist nämlich nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber, sofern er dies nicht klar bekundet hat, von völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik abweichen oder die Verletzung solcher Verpflichtungen ermöglichen wollte.32 Der Sache nach läuft dies auf eine objektiv-rechtliche Geltung der Konventionsrechte als Maßstab für die Auslegung und Gestaltung des einfachen Rechts hinaus, in ähnlicher Weise, wie sie aus der Lüth-Rechtsprechung des BVerfG33 zur Drittwirkung der Grundrechte bekannt ist.34 Noch nicht endgültig geklärt ist, wonach sich die Auslegung des EMRK-Rechts in Deutschland bestimmt. Dies richtet sich danach, in welcher Weise das Völkerrecht in die innerstaatliche Rechtsordnung übernommen wird. Im Wesentlichen werden dazu in Deutschland (und in allen anderen Ländern, die von einer dualistischen Struktur von Völkerrecht und nationalem Recht ausgehen) zwei Auffassungen vertreten. Während nach der Transformationslehre das Völkerrecht in innerstaatliches Recht umgewandelt wird (mit der Folge, dass sich die Interpretation nach innerstaatlichem Recht beurteilt), kommt es nach der Vollzugslehre durch den innerstaatlichen Vollzugsbefehl als solches im Inland zum Tragen, (ohne in nationales Recht umgewandelt zu werden). Letzterer Ansicht ist zu folgen.35 Abgesehen von der unmittelbaren Einwirkung auf das Gesetzesrecht sind Inhalt und Entwicklungsstand der EMRK nach der zutreffenden Ansicht des BVerfG auch bei der Auslegung des Grundgesetzes in Betracht zu ziehen, sofern dies nicht zu einer Einschränkung oder Minderung des Grundrechtsschutzes nach dem Grundgesetz führt. Deshalb diene die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Grundgesetzes.36 So hat das BVerfG zB seine Ansicht über die Rechtmäßigkeit einer nur von Männern erhobenen Feuerwehrabgabe nach einer entgegenstehenden Entscheidung des EGMR37 revidiert.38 Mittelbar bekommt die EMRK auf diese Weise im innerstaatlichen Recht doch einen quasi verfassungsrechtlichen Rang. Eine Verfassungsbeschwerde (VB) vor dem BVerfG kann zwar nicht unmittelbar auf die Verletzung eines in der EMRK enthaltenen Men-
32 Grundlegend BVerfGE 74, 358, 370. Näher zur konventionskonformen Auslegung (mit weiteren Differenzierungen) Uerpmann (Fn 27) S 48 ff. 33 BVerfGE 7, 198ff. 34 Vgl auch EuGH, Slg 1997,1-3689ff - Familiapress = Erichsen JK 98, EGV Art 30/1, wonach ein innerstaatliches Verbot von Preisausschreiben in Zeitschriften nicht gegen die Freiheit des Warenverkehrs verstößt, weil das Verbot im Lichte des Art 10 EMRK ausgelegt werden müsse und diese Bestimmung zur Aufrechterhaltung der Medienvielfalt Eingriffe in die Freiheit der Meinungsäußerung zulässt. 35 Vgl auch BVerfGE 46, 342, 363, 403 f; 75, 223, 244 f. Näher aber auch BVerfG, NJW 2004, 3407, 3408 („transformiert") = Ehlers JK 3/05, GG Art 20 111/39. Näher zum Ganzen Steinberger in: Isensee/Kirchhof (Hrsg) HStR VII, 1992, § 173 Rn 42; Schweitzer StR III Rn 423, 44Iff; Geiger GG/VR § 29 II 3, 32 II 2. 36 BVerfGE 74, 358, 370; BVerfG, NJW 2004, 3407, 3408 = Ehlers JK 3/05, GG Art 20 111/39. Zur Frage, ob das BVerwG (E 104, 265 ff) dieser Maßgabe bei der Auslegung des Art 3 EMRK gerecht geworden ist, vgl Frowein DÖV 1998, 806, 810 f. 37 Vgl EGMR, NVwZ 1995, 365 f - Schmidt = Kunig JK 95, EMRK Art 14/1;—> § 3 Rn 66, 74. 38 Vgl einerseits BVerfGE 13, 167 ff, andererseits BVerfGE 92, 91 ff. Das BVerfG hat sich zwar nicht ausdrücklich der Rspr des EGMR angeschlossen, kommt in Abweichung von einer früheren Entscheidung aber zu demselben Ergebnis.
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Allgemeine Lehren schenrechts, wohl aber auf das einschlägige Grundrecht des Grundgesetzes mit der Begründung gestützt werden, die staatlichen Organe hätten wegen der Missachtung der E M R K und der dazu ergangenen Entscheidungen des EGMR die Bedeutung dieses Grundrechts verkannt. 39 Die Anknüpfung an das parallele nationale Grundrecht ist der früher favorisierten Möglichkeit vorzuziehen, die Beachtung der EGMR-Urteile über Art 2 I iVm Art 25 GG oder Art 3 I G G durchzusetzen. 40 Sind im Rahmen geltender methodischer Standards Auslegungs- und Abwägungsspielräume eröffnet, trifft deutsche Gerichte nach der Rspr des BVerfG die Pflicht, der konventionsgemäßen Auslegung den Vorrang zu geben.41 Dies dürfte dann auch für das BVerfG selbst gelten. Verfassungsgerichtlich nicht abgesichert sind die materiell-rechtliche Beachtlichkeit der EMRK und die Entscheidung des E G M R allerdings, wenn entweder die E M R K über das GG hinausgeht oder das GG anderes gebietet. Die Einwirkung der E M R K auf das nationale Verfassungsrecht ändert nichts daran, dass über die Auslegung und Anwendung des GG letztverbindlich das BVerfG entscheidet. Mittlerweile gibt es nicht nur zahlreiche Entscheidungen deutscher (und ausländischer) Fachgerichte, die der EGMR als Verstöße gegen die EMRK eingestuft hat 42 (Rn 62), sondern auch Rspr des Gerichtshofs, die von derjenigen des BVerfG abweicht. So war der EGMR im Gegensatz zum BVerfG der Meinung, dass die entschädigungslose Enteignung vererbten Bodenreformlandes aus der DDR-Zeit mit der Eigentumsgarantie des Art 1 l . Z P E M R K nicht vereinbar ist43, dass das Persönlichkeitsrecht in Abwägung mit der Pressefreiheit stärker geschützt werden muss (Rn 20) und dem Umgangsrecht von Vätern mit ihren nichtehelichen Kindern höheres Gewicht einzuräumen ist (Rn 69, 72). Lösung Fall 1: Gegen die Zulässigkeit der Individualbeschwerde (Art 34, 35 EMRK) bestehen keine Bedenken. Begründet ist die Beschwerde, wenn die Entscheidungen der deutschen Gerichte die Bf in ihrem von Art 8 I EMRK garantierten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzen. Zum Begriff des Privatlebens gehören Elemente der Identität einer Person wie das Recht am eigenen Bild. Die von der Bf gerügte Veröffentlichung von Fotos in unterschiedlichen Alltagssituationen unterfällt dem Bereich des Privatlebens. In Auslegung der §§22, 33 KUG und Herstellung eines Ausgleichs zwischen dem Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit (Art 5 1 2 GG) und dem berechtigten Interesse der Bf am Schutz ihres Privatlebens (Art 2 I, 1 I GG) haben die deutschen Gerichte entschieden, dass die Bf als absolute Person der Zeitgeschichte auch außerhalb ihrer Wohnung Schutz ihres Privatlebens genießt, vorausgesetzt, sie befinde sich in örtlicher Abgeschiedenheit. Ansonsten komme der Pressefreiheit und damit dem Recht auf Veröffentlichung der Fotos selbst dann stärkeres Gewicht zu, wenn es sich um Unterhaltungspresse handle. Diesem Ergebnis ist der EGMR nicht gefolgt. Für die Abwägung zwischen dem Schutz des Privatlebens und der Freiheit der Meinungsäußerung komme es entscheidend darauf an, ob die Fotoaufnahmen zur öffentlichen
39 Vgl BVerfG, NJW 2004, 3407, 3408, 3411 = Ehlers JK 3/05, G G Art 20 111/39. 40 Klein JZ 2004, 1176, 1178. Näher dazu Frowein FS Zeidler, Bd II, 1987, S 1763, 1770f; Dreier in: ders (Hrsg) Grundgesetz, Bd I, 2. Aufl 2004, Vorb Rn 29; Grabenwarter VVDStRL 60 (2001), 290, 306 f. 41 BVerfG, N J W 2004, 3407, 3411 = Ehlers JK 3/05, G G Art 20 111/39. 42 Vgl etwa Dreier (Fn 40) Rn 28. 43 Vgl einerseits E G M R , N J W 2004, 923 - Jahn, andererseits BVerfG-K, W M 2001, 775.
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Dirk Ehlers Diskussion über die Frage allgemeinen Interesses beitragen. Da die umstrittenen Fotos die Bf bei Tätigkeiten rein privater Art zeigten, dienten sie nur dazu, die Neugier eines bestimmten Publikums zu befriedigen. Unter besonderen Umständen könne das Recht der Öffentlichkeit auf Information zwar auch Aspekte des Privatlebens von Personen des öffentlichen Lebens einbeziehen, doch handle es sich bei der Bf nicht um eine solche Person. Somit hat der EGMR eine Verletzung des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens festgestellt und der Individualbeschwerde stattgegeben. 9
Schließlich wirkt sich die EMRK nachhaltig auf die Europäische Union und die Europäischen Gemeinschaften aus. Gemäß Art 6 II EUV achtet die Union die Grundrechte, wie sie in der EMRK gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ergeben. Dieser Grundrechtsschutz richtet sich nicht nur gegen die EU, sondern auch gegen die Europäischen Gemeinschaften als Bestandteile der EU (Art 1 III EUV) sowie gegen deren Organe (Art 46 lit d EUV). Allerdings erzeugt die EMRK keine unmittelbaren Bindungswirkungen im EU- bzw EG-Recht. Zum einen bindet die EMRK nur die Mitglieder des Europarates, zu denen die EU oder die Europäischen Gemeinschaften nicht gehören.44 Zum anderen lässt sich aus der Vorschrift eine einseitige strikte Bindung an die EMRK (und die dazu ergangene Rspr des EGMR) nicht entnehmen (weil sich eine solche nicht mit der Verpflichtung zur bloßen „Achtung" der Menschenrechte sowie der gleichzeitigen Bindung an die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten verträgt). Vielmehr stellen die EMRK und die Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten der EU wie in der Vergangenheit45 bloße Rechtserkenntnisquellen für die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts dar. Grundlegend anders wird sich die Rechtslage darstellen, wenn der Vertrag über eine Verfassung für Europa und damit für die Europäische Union entworfene Charta der Grundrechte der Union geltendes Rechts wird (-» § 14 Rn 14). Soweit die Charta Rechte iSd EMRK enthält, haben diese nach dem W E die gleiche Bedeutung und Tragweite, wie sie ihnen in der EMRK verliehen wird (Art 11-112 III W E ) . Keine Bestimmung der Charta soll als Einschränkung oder Verletzung der durch die EMRK gewährleisteten Rechte auszulegen sein (Art 11-113 W E ) . Der (noch nicht in Kraft getretene) Art 17 Nr 1 14. ZP EMRK sieht vor, dass die EU der EMRK beitreten kann. Nach Art 1-9 II W E tritt die Union der EMRK bei. Allerdings soll der Beitritt nicht die in der Verfassung festgelegten Zuständigkeiten der Union ändern. Kommt es zu einem Beitritt, wäre damit eine unmittelbare Bindung an die EMRK erreicht. Es würde sich dann allerdings die Frage stellen, wer das letzte Entscheidungsrecht in Grundrechtsfragen haben soll, der EGMR oder EuGH. Näher zum Ganzen Rn 31; § 14 Rn 14 ff.
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Im Folgenden soll zunächst der Blick auf die Funktionen der Konventionsrechte (Rn 11 ff), die Berechtigten (Rn 22 ff), die Verpflichteten (Rn 27 ff), den räumlichen Geltungsbereich (Rn 34) und die zeitliche Geltung (Rn 35 f) geworfen werden. Sodann werden der Gewährleistungsgehalt und die Schranken der Konventionsrechte untersucht (Rn37ff). Abschließend soll kurz zum Rechtsschutz Stellung genommen werden (Rn 49 ff).
44 Vgl Rn 30 ff. 45 EuGH, Slg 1970, 1125, Rn 3f - Internationale Handelsgesellschaft; Slg 1974, 491, Rn 13 - Nold.
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Allgemeine Lehren
II. Funktionen der Konventionsrechte Fall 2: (EGMR, NVwZ 1999, 57ff - Guerra = Ehlers JK 99, EMRK Art 8,10, 50/3) Die Beschwerdeführer (Bf) wohnen in der Nähe einer Chemiefabrik, in der es mehrfach zu Unfällen - bis hin zu schwerwiegenden Arsenvergiftungen - gekommen ist. Die örtlichen Behörden sind verpflichtet, die Bevölkerung über die Gefahren der Fabrik sowie die Sicherheitsvorkehrungen und das Vorgehen bei Unfällen zu informieren. Nachdem sich die Behörden mit Billigung der angerufenen nationalen Gerichte unter Hinweis auf die noch laufenden Untersuchungen geweigert haben, Informationen herauszugeben, möchten die Bf wissen, ob sich die Einlegung einer Individualbeschwerde beim EGMR empfiehlt. Bei Konventionsrechten handelt es sich um subjektive Rechte, dh um normative Verhaltensbindungen, die (auch) der Befriedigung von Individualinteressen dienen und den Geschützten die Rechtsmacht zur Durchsetzung ihrer Interessen auf dem Gerichtsweg einräumen. Inhaltlich werden grundrechtliche Gewährleistungen in Anlehnung an G Jellinek46 vielfach danach unterschieden, welchen Status (Zustand) des Einzelnen sie schützen. Der status negativus wird durch Abwehr- oder Freiheitsrechte (1), der status positivus durch Leistungsrechte (3), der status activus durch staatsbürgerliche Rechte (4) und der status activus processualis47 durch sonstige Verfahrensrechte (5) ausgeformt und gesichert. Diesen verschiedenen Schutzrichtungen lassen sich auch die Garantien der EMRK zuordnen. Darüber hinaus bedürfen die Gleichheitsrechte (2) einer gesonderten Betrachtung. Ferner ist es notwendig, das Augenmerk auf die objektiv-rechtliche Bedeutung der Konventionsrechte zu richten (6). Wegen der Gewährleistungsgehalte im Einzelnen wird auf die folgenden Paragraphen des Lehrbuchs verwiesen.48 1. Gewährleistung des status negativus
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(Abwehrrechte)
Auch die EMRK schützt schwerpunktmäßig die Freiheit des Einzelnen vor dem Staat, 13 indem sie dem Einzelnen eine bestimmte Freiheitssphäre garantiert und ihm einen Anspruch auf Unterlassung rechtswidriger Eingriffe des Staates sowie auf Beseitigung bereits vollzogener, aber noch rückgängig zu machender Eingriffe vermittelt. Inhaltlich geht es zunächst um den Schutz des Lebens (Art 2 EMRK; —> § 3 Rn 48 ff) einschließlich des Verbots der Todesstrafe (Art 1 f 6. ZP EMRK, Art 1 13. ZP EMRK; § 3 Rn 54 0, der körperlichen Integrität (Art 3 EMRK; -> § 3 Rn 38 ff) und Freiheit (Art 4 EMRK, Art 1 4. ZP EMRK) sowie der Freizügigkeit (Art 2 4. ZP EMRK 49 ). Garantiert werden ferner das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art 8 EMRK; —» § 3 Rn 3 ff), auf Erziehung durch die Eltem(Art 2 l . Z P EMRK 50 ), Eheschließung (Art 12 EMRK; §3 46 Jellinek System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl 1919, S 87, 94ff. Auf die Voraussetzungen und Schwächen der Statuslehre (vgl krit Cremer Freiheitsgrundrechte, 2003) kann hier nicht eingegangen werden. Trennt man nur zwischen staatlichen Eingriffen und Leistungen, müssen zB auch die Verfahrensrechte zu den Leistungsrechten gezählt werden. 47 Vgl zu dieser BegrifTsbildung Häberle W D S t R L 30 (1971), 43, 80 f. 48 Überblicksdarstellung aus neuerer Zeit finden sich auch bei Grabenwarter E M R K §§ 20 ff, Peters E M R K §§ 5 ff und in dem Handkommentar von Meyer-Ladewig H K S 42 ff. 49 Anders als Art 11 G G (BVerfGE 6, 32, 35 f; 72, 200, 245) schützt Art 2 II 4. Z P E M R K auch das Recht auf Ausreise und Auswanderung. 50 Die Vorschrift schließt die Freiheit der Gründung von Privatschulen ein. Vgl E G M R , E u G R Z 1976,478, Rn 5 0 - K j e l d s e n .
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Rn 11), auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit (Art 9 EMRK; § 3 Rn 31 ff), auf Meinungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit (Art 10 f EMRK; § 4 Rn 4ff) sowie auf Eigentum (Art 1 1. ZP EMRK; -> § 5 Rn 3 ff). Damit werden die meisten Grundrechtspositionen, die das Grundgesetz garantiert, auch von der E M R K anerkannt, wobei der Sinngehalt im Einzelnen differiert. Allerdings fehlt zB, von den Teilelementen des Verbotes der Sklaverei und der Zwangsarbeit (Art 4 EMRK) abgesehen, ein Schutz der Berufsfreiheit sowie des Asylrechts.51 Indem der EGMR aber kommerzielle Informationen als Schutzgut von Art 10 E M R K anerkennt, 52 wird das Fehlen des Grundrechts der Berufsfreiheit teilweise kompensiert. Erst recht garantiert die E M R K dem Einzelnen keine allgemeine Handlungsfreiheit. 2. Gewährleistung der Rechtsgleichheit 14
Gleichheitsrechte gewährleisten keinen bestimmten Status, sondern garantieren allgemein die Rechtsgleichheit zwecks Abwehr von Eingriffen, Teilhabe an gewährten Begünstigungen oder Einräumung von Verfahrensrechten und staatsbürgerlichen Rechten. Die E M R K enthält keinen allgemeinen Gleichheitssatz, sondern verbietet - als lediglich akzessorisches Recht - nur Diskriminierungen (dh ungleiche Behandlung vergleichbarer Sachverhalte) im Hinblick auf den Genuss der von der Konvention anerkannten Rechte und Freiheiten (Art 14 EMRK; § 3 Rn 66ff). 53 Zu den in der Konvention anerkannten Rechten und Freiheiten gehören auch die Zusatzprotokolle. Einen besonderen Gleichheitssatz garantiert Art 5 7. ZP EMRK, wonach Ehegatten untereinander und in ihren Beziehungen zu ihren Kindern gleiche Rechte und Pflichten privatrechtlicher Art hinsichtlich der Eheschließung, während der Ehe und bei Auflösung der Ehe haben. Ein Bezug zur Konvention besteht, wenn der Schutzbereich eines Konventionsrechts berührt wird. Art 14 E M R K zählt die Merkmale auf, nach denen eine Diskriminierung verboten ist. Doch ist die Aufzählung nicht abschließend.54 Diskriminierungen sind nach der Rspr des E G M R nicht schlechthin verboten, sondern nur dann, wenn sie sachlich nicht gerechtfertigt werden können. 55 Ungleichbehandlungen müssen ein legitimes Ziel verfolgen und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Die Kontrolldichte ist eher gering, weil der EGMR den Konventionsstaaten im Allgemeinen56 einen Beurteilunsspielraum (margin of appreciation) zugesteht (Rn 41).57 Wegen der Akzessorität des Diskriminierungsverbotes gem Art 14 E M R K kommt es auf die Diskriminierung nicht an, wenn das Konventionsrecht schon aus anderen Gründen verletzt worden ist. Eine volle Wirkung entfaltet Art 14 E M R K erst, wenn die Verletzung gerade in der Diskriminierung besteht. So ist die Untersagung des Läutens von Kirchenglocken zu Ruhezeiten zwar durch Art 9 II E M R K gedeckt, darf sich aber gleichwohl nicht nur gegen bestimmte Religionsgemeinschaften richten.58 Wegen des weiten Katalogs von Konventionsrechten wird im Ergebnis 51 Das Erbrecht wird jedoch nach Auffassung des EGMR von Art 1 1. ZP EMRK geschützt, EGMR, EuGRZ 1979,454 ff - Marckx; § 5 Rn 19. 52 Vgl EGMR, EuGRZ 1990, 261, 262 - Autronic AG; Frowein in: Frowein/Peukert Art 10 EMRK Rn 12. 53 Damit bleibt die EMRK zB gegenüber Art 7 AEMR oder Art 26 IPbürgR zurück. 54 Vgl zB EMRK, EuGRZ 2002, 234, Rn 87 ff - Pretty: zur Diskriminierung von Behinderten. 55 Grdl EGMR, EuGRZ 1975, 298 - Belgischer Sprachenfall. 56 Zu Ausnahmen vgl Grabenwarter EMRK § 26 Rn 10 ff. 57 Vgl Peters EMRK S 217ff. 58 Peukert in: Frowein/Peukert Art 14 EMRK Rn 4.
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doch eine Wirkung erzielt, welche der eines allgemeinen Gleichheitssatzes in vielen Fällen nahe kommt. Für ein nichtakzessorisches Diskriminierungsverbot spricht sich Art 1 12. ZP E M R K (bei Aufzählung gleicher Verbotstatbestände) aus. Nach Abs 1 der Vorschrift ist der Genuss eines jeden „auf Gesetz beruhenden Rechtes" (set forth by law) ohne Diskrminierung iSd Merkmale des Art 14 E M R K zu gewährleisten. Absatz 2 ergänzt, dass niemand durch die öffentliche Gewalt wegen eines der in Abs 1 genannten Gründe diskriminiert werden darf. Das 12. ZP EMRK ist bisher nicht von einer ausreichenden Anzahl von Staaten (ua nicht von Deutschland) ratifiziert worden und daher noch nicht in Kraft getreten. Ob es zu einem Inkrafttreten kommen wird, ist derzeit nicht absehbar. Falls dies der Fall ist, werden Ungleichbehandlungen in den genannten Fällen schlechthin, dh auch bezüglich solcher Rechte erfasst, die nicht in der Konvention enthalten sind. 3. Gewährleistung des status positivus
(Leistungsrechte)
a) Originäre und derivative Teilhaberechte Leistungsrechte zielen auf staatliches Handeln ab (etwa um reale Freiheit verwirklichen zu können). Sie lassen sich danach einteilen, ob sie auf originäre oder derivative Teilhabe gerichtet sind.59 Im zuerst genannten Fall geht es um das Ergreifen noch nicht vorhandener staatlicher Maßnahmen, im letzteren um den Zugang zu schon bestehenden staatlichen Einrichtungen oder Leistungen. Ein Leistungsrecht garantiert Art 3 7. ZP EMRK, wonach der Einzelne eine Entschädigung bei bestimmten Fehlurteilen beanspruchen kann. Im Übrigen finden sich in der E M R K keine Bestimmungen, die dem Einzelnen ausdrücklich ein originäres Teilhaberecht einräumen. So wird das in Art 2 1. ZP EMRK verankerte Recht auf Bildung dahingehend interpretiert, dass nur von den staatlicherseits bereits eingerichteten Ausbildungsgängen bei Vorliegen der Voraussetzungen Gebrauch gemacht werden kann. Dagegen soll auf seiner Grundlage nicht die Einrichtung neuer Ausbildungsgänge gefordert werden können 60 . Jedoch wird man der Vorschrift entnehmen müssen, dass der Staat überhaupt ein allgemein zugängliches Schulsystem zu organisieren oder zur Verfügung zu stellen hat und der Einzelne dies beanspruchen kann. Ähnliches gilt für eine Reihe weiterer Gewährleistungen, weil diese auf normative, organisatorische oder verfahrensmäßige Ausgestaltung angelegt sind. ZB setzt das Recht auf eine Beschwerde (Art 13 EMRK) die Schaffung einer innerstaatlichen Instanz voraus, die im Falle einer behaupteten Verletzung der Konvention angerufen werden kann. Das Recht auf unentgeltliche Unterstützung durch einen Dolmetscher (Art 6 III lit e EMRK) lässt sich nur verwirklichen, wenn der Staat einen Dolmetscherdienst organisiert. Auch die Freiheitsrechte verpflichten den Staat vielfach zu organisatorischen und verfahrensmäßigen Absicherungen. ZB ist aus dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art 8 EMRK) ein Recht auf Akteneinsicht, auf Anhörung, auf Information über das Beweismaterial und auf Stellungnahme abgeleitet worden. 6 ' Vielfach stehen die organisa-
59 Vgl zu dieser Unterscheidung Martens W D S t R L 30 (1971), 7, 21 ff. 60 Vgl Frowein in: Frowein/Peukert Art 2 1. ZP EMRK Rn 2; Meyer-Ladewig HK Art 2 1. ZP EMRK Rn 4. Hat der Staat in der Elementarstufe eine Schulausbildung in einer bestimmten Sprache zur Verfügung gestellt, muss er dies auch für die Sekundarstufe tun, vgl EGMR, Urt ν 10.5.2001, Rn 277 - Zypern. 61 Vgl Grabenwarter EMRK § 19 Rn 5 mit Rspr-Nachw.
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torischen verfahrensmäßigen Sicherungen in Zusammenhang mit den abwehrrechtlichen Garantien der Konventionsrechte (Rn 13), den Schutzpflichten (Rn 16) und den Verfahrensrechten (Rn 18). So verlangen die Freiheitsrechte, dass der Staat wirkungsvolle Verfahren zur Verfügung stellt, um den Eingriff zu beenden oder seine Folgen rückgängig zu machen. 62 Derivative Teilhaberechte können sich in erster Linie aus dem Gleichheitssatz ergeben (Rn 14), dem auch und gerade das Gebot gleicher Begünstigung innewohnt. b) Anspruch auf Schutz vor rechtswidrigen Eingriffen Privater 16
Wie das BVerfG und der EuGH (-> § 7 Rn 46; § 14 Rn 36) leitet auch der EGMR aus den Freiheitsrechten (und anderen Konventionsrechten) unter bestimmten Voraussetzungen Ansprüche des Einzelnen auf staatlichen Schutz vor rechtswidrigen Eingriffen Privater in die geschützte Rechtssphäre ab.63 ZB ist der Konventionsstaat nicht nur verpflichtet, Eingriffe in das Recht auf Leben (Art 2 EMRK) zu unterlassen, sondern wirksame strafrechtliche Vorschriften mit abschreckender Wirkung zu erlassen, für amtliche und wirksame Untersuchungen zu sorgen, wenn ein Mensch durch Gewaltanwendung zu Tode gekommen ist, und eine Strafverfolgung mit dem Ziel der Prävention, Unterdrückung und Bestrafung bei Verstößen gegen die strafrechtlichen Normen zu organisieren.64 Das Verbot der Folter gebietet staatliche Maßnahmen, die auch sicherstellen müssen, dass die ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Personen nicht durch Privatpersonen gefoltert, unmenschlich oder erniedrigend behandelt werden.65 Ferner verpflichtet Art 8 I E M R K den Staat nicht nur zu einer Achtung des Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz durch das Unterlassen rechtswidriger Eingriffe. Vielmehr muss der Staat diese Rechtsgüter positiv schützen.66 In vielen Entscheidungen entnimmt der EGMR auch der allgemeinen Pflicht der Konventionsstaaten zur Achtung der Menschenrechte positive Verpflichtungen (Art 1 EMRK). 67 Die Schutzpflichten binden den Staat nicht nur objektiv-rechtlich, sondern korrespondieren mit einem subjektiven Recht der Betroffenen. Der Umfang der Schutzpflicht hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Insbesondere dürfen den Behörden keine unmöglichen oder unverhältnismäßigen Lasten auferlegt werden.68 4. Gewährleistung des status activus (staatsbürgerliche
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Rechte)
Auf die Ausformung staatsbürgerlicher Grundrechte hat die E M R K weitgehend verzichtet. Als einziges staatsbürgerliches Recht ist Art 3 1. ZP E M R K zu nennen, der die Vertragsparteien verpflichtet, in angemessenen Zeitabständen freie und geheime Wahlen
62 Grabenwarter EMRK § 19 Rn 6. 63 Ausführlich dazu Szczekalla Die sogenannten grundrechtlichen Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, 2002, S 712 ff; Streuer Die positiven Verpflichtungen des Staates, 2003, S 191fF. 64 Vgl EGMR, RJD 1998-VIII, 3159 Rn 115 - Osman; Urt ν 18.07.2000; NJW 2001, 3035 Rn 86 Krenz. 65 EGMR, RJD 2001-V, Rn 73 - Ζ ua/Vereinigtes Königreich. 66 EGMR, Urt ν 02.10.2001 - Hatton; § 3 Rn 26f. Vgl ferner Wildhaberl Breitenmoser in: Karl, Art 8 Rn 74ff. 67 Vgl die Nachweise bei Szczekalla S 727 (Fn 69). 68 EGMR, RJD 1998-VIII, 3159 Rn 116 - Osman. Vgl aber auch EGMR, Urt ν 2.10.2001 - Hatton.
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unter Bedingungen abzuhalten, welche die freie Äußerung der Meinung des Volkes bei der Wahl der gesetzgebenden Körperschaften gewährleisten. Durch die zu dieser Vorschrift ergangene Rechtsprechung des EGMR ist das aktive und passive Wahlrecht weiter ausgestaltet worden. So hat der Gerichtshof zB das Prinzip der Gleichheit der Staatsbürger aus Art 3 1. ZP E M R K abgeleitet, obwohl die Wahlrechtsgleichheit in dieser Bestimmung nicht genannt wird.69 Ein gleicher Erfolgswert der abgegebenen Stimmen wird nicht verlangt. Auch schreibt die E M R K kein bestimmtes Wahlsystem vor. J. Gewährleistung des status activus processualis ( Verfahrensrechte) Besonderes Gewicht wird auf die Gewährung von Verfahrensgarantien gelegt (—> § 6 Rn 33 ff). Die Anforderungen gehen zT erheblich über diejenigen des Grundgesetzes hinaus.70 Es zeigt sich erneut, dass andere Rechtsordnungen und Kodifikationen dem Verfahrensgedanken größere Bedeutung beimessen als das deutsche Recht.71 Im Einzelnen schützt Art 5 E M R K vor ungerechtfertigten Verhaftungen, 72 Art 6 EMRK enthält Garantien für die Gerichtsverfahren, Art 7 E M R K statuiert den Grundsatz „nulla poena sine lege"73, und Art 13 E M R K garantiert ein Recht auf wirksame Beschwerde. Ausgeweitet wurden diese Bestimmungen durch das 7. Zusatzprotokoll zur EMRK, das ua verfahrensrechtliche Schutzvorschriften in Bezug auf die Ausweisung ausländischer Personen, die Garantie von Rechtsmitteln in Strafsachen oder die Beachtung des Grundsatzes „ne bis in idem" vorschreibt.74 Daneben können ähnlich wie im deutschen Recht 75 auch aus dem materiellen Konventionsrecht Verfahrensgarantien und Folgerungen für die Handhabung des nationalen Verfahrensrechts abgeleitet werden (Rn 15). ZB hat der EGMR aus Art 8 EMRK einen Anspruch auf ein angemessenes Verfahren zur Regulierung von Parkberechtigungen für Zigeunerwohnwagen hergeleitet.76 Insgesamt ist es dem Gerichtshof gelungen, einen gemeineuropäischen Standard des „fair trial" zu etablieren, der fortlaufend weiterentwickelt wird.77 Der genaue Sinngehalt der Verfahrensgarantien erschließt sich oftmals erst nach Heranziehung der maßgeblichen englischen und französischen Sprachfassung. So garantiert Art 6 1 1 EMRK jeder Person bestimmte Verfahrensrechte „in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen". Bei Berücksichtigung der englischen und französischen Ausdrücke („civil rights and obligations" bzw „droits et obligations de caractere civil") ergibt sich, dass die Vorschrift auch einen großen Teil der Streitigkeiten erfasst, die nach der deutschen Rechtsordnung in die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit fallen. Hierzu zählen etwa die beamtenrechtlichen Streitigkeiten mit Ausnahme solcher, welche die - eng zu verstehenden - allgemeinen Interes-
69 Vgl zB EGMR, Serie A, Vol 113, Rn 54 - Mathieu-Mohin. Siehe zum aktiven Wahlrecht auch Rn 36. 70 Grabenwarter W D S t R L 60 (2001), 290, 312. 71 Vgl zB Ehlers DVB1 2004, 1441, 1446, 1449f. 72 Vgl dazu EGMR, NJW 1999, 775 ff - K-F = Ehlers JK 99, EMRK Art 5 1/1; § 6 Rn 3 ff. 73 Vgl dazu EGMR, NJW 2001, 3035 ff - Krenz; -> § 6 Rn 58 ff. 74 Das 7. ZP zur EMRK ist von der Bundesrepublik Deutschland bislang nicht ratifiziert worden. 75 Vgl Hesse Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl 1995, Rn358ff. 76 EGMR, RJD - 1996-IV, 1271 Rn 76 - Buckley. 77 Oppermann ER Rn 113; Grabenwarter W D S t R L 60 (2001), 290, 312.
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sen des Staates oder anderer öffentlicher Körperschaften betreffen. 78 Das in Art 6 E M R K garantierte Recht auf ein faires Verfahren hat sich als die Vorschrift erwiesen, deren Verletzung am häufigsten geltend gemacht und bisher auch am häufigsten festgestellt wurde.79 So hat der EGMR unter Berufung auf diese Vorschrift in mehreren Fällen sogar eine überlange Verfahrensdauer des BVerfG „beanstandet". 80 Entscheiden die Fachgerichte nicht in angemessener Zeit, entnimmt der Gerichtshof Art 13 E M R K die Notwendigkeit, eine innerstaatliche Beschwerdemöglichkeit vorzusehen.81 Dies nötigt die Bundesrepublik Deutschland dazu, eine Untätigkeits- oder Beschleunigungsbeschwerde in die Prozessordnungen aufzunehmen. 6. Konventionsrechte als Elemente objektiver Ordnung 19
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Wie ausgeführt wurde (Rn 6) gilt die E M R K in der deutschen Rechtsordnung im Rang eines Bundesgesetzes und bindet demgemäß alle staatlichen Organe, auch wenn keine Rechte geltend gemacht werden. Dies hat ua zur Konsequenz, dass das nationale Recht konventionskonform ausgelegt werden muss. Lösung Fall 2: Eine auf die EMRK gestützte Individualbeschwerde (Art 34 EMRK) ist begründet, wenn der Bf in einem durch die EMRK geschützten Recht verletzt ist. Hier kommt eine Verletzung des Rechts auf Leben (Art 2 EMRK), des Rechts auf Empfang von Informationen (Art 10 I 2 EMRK) und des Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art 8 I EMRK) in Betracht. Da die Bf keinen Anspruch auf Abwehr staatlichen Handelns, sondern auf positive Verpflichtung zur Information geltend machen, können die Vorschriften nur verletzt sein, wenn sich aus ihnen Leistungsrechte ableiten lassen. Dies dürfte hinsichtlich des Konventionsrechts auf Leben (Art 2 I EMRK) hier zu verneinen sein. Was das Recht angeht, Informationen zu empfangen (Art 1012 EMRK), hat der EGMR im Zusammenhang mit der Tätigkeit von Journalisten von einem Recht der Öffentlichkeit gesprochen, angemessen informiert zu werden (vgl zB EGMR, EuGRZ 1995, 16, Rn 59 - Observer). Ein Anspruch auf Informationserteilung durch den Staat soll aber nur Journalisten zustehen. Im Übrigen bleibe es bei dem Grundsatz, dass Art 10 EMRK ein Abwehr- und nicht ein Leistungsrecht gewährt. Dagegen verpflichtet Art 8 I EMRK nach ständiger Rechtsprechung des EGMR den Staat nicht nur dazu, sich eines Eingriffs in das Privat- und Familienleben zu enthalten, sondern gebietet ihm auch positiv eine wirkungsvolle Respektierung des Privat- und Familienlebens. Da der EGMR annimmt, dass schwerwiegende Umweltverschmutzungen das Privat- und Familienleben beeinträchtigen, habe der Staat die Bf über die Risiken informieren müssen, die sie und ihre Familien dadurch eingingen, dass sie in einer im Falle eines Unfalls den Gefahren der Chemiefabrik in besonderer Weise ausgesetzten Ortschaft wohnen blieben. Der Hinweis auf die noch laufenden Untersuchungen verfange nicht, weil den Bf ein weiteres Zuwarten nicht zumutbar gewesen sei. Somit habe der Staat durch das Vorenthalten von Umweltinformationen die Garantie des Art 8 I EMRK verletzt.
78 Vgl EGMR, NVwZ 2000, 661, Rn 60ff - Pellegrin; NJW 2002, 3087, 3089 - Volkmer. Dazu Schmidt-Aßmann FS Schmitt-Glaeser, 2003, S 317, 328 f. 79 Vgl auch Peukert in: Frowein/Peukert Art 6 EMRK Rn 3. 80 Vgl EGMR, NJW 1997, 2809ff - Probstmeier; EuGRZ 1997, 310ff - Pammel; EuGRZ 2003, 228, Rn 51-Norbert Kind. 81 Vgl EGMR, NJW 2001, 2 6 9 4 - Kudla. Dazu Meyer-Ladewig NJW 2001, 2679f; Schmidt-Aßmann (Fn 78) S 331 ff; Gundel DVB12004, 17 ff.
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III. Auslegung der Konventionsrechte Die Auslegung der E M R K hat sich ebenso wie die Ermittlung der Bindungswirkungen der EGMR-Entscheidung an der gleicherweise maßgeblichen (vgl Art 33 WVK) englischen und französischen Sprachfassung zu orientieren (Rn 5). Nicht anders als sonstige völkerrechtliche Verträge (vgl Art 31 I WVK) muss die E M R K autonom im Lichte ihres Zieles und Zweckes ausgelegt werden. Wegen ihres auf dauerhafte Begrenzung der Staatsgewalt gerichteten Charakters ist ähnlich wie im Europäischen Gemeinschaftsrecht eine dynamische (im Gegensatz zur statisch-historischen) Auslegung geboten, die dem Grundsatz der Effektivität (effet utile) verpflichtet ist. Dementsprechend betont die Rspr, dass die E M R K ein „living instrument" sei, „which must be interpreted in the light of present day conditions". Garantiert werden sollen Rechte, die nicht „theoretical or illusory", sondern „practical and effective" sind.82 Der historischen Interpretation kommt nur dann eine größere Bedeutung zu, wenn es um die Auslegung von Vorbehalten der Konventionsstaaten geht. Systematisch muss das Zusammenspiel von Konvention und Zusatzprotokollen mit der Satzung des Europarates und den vor diesem Rat abgeschlossenen Abkommen sowie die Einbettung in das allgemeine Völkerrecht beachtet werden. Soweit auf das Recht der Konventionsstaaten verwiesen wird (zB Art 12 EMRK: „nach den innerstaatlichen Gesetzen"), darf dieses den Wesensgehalt des Konventionsrechts nicht antasten. 83
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IV. Berechtigte der Konventionsrechte Fall 3: (EGMR, NJW 1999, 3107ff - Matthews = Ehlers JK 99, EMRK, Art 3 1. ZP/2) Die Bf ist britische Staatsbürgerin mit Wohnsitz in Gibraltar. Sie beantragte ihre Registrierung als Wählerin für die Wahlen zum Europäischen Parlament. Unter Hinweis auf den Anhang II des Beschlusses und des Aktes zur Einführung allgemeiner und unmittelbarer Wahlen der Abgeordneten des Europäischen Parlaments vom 20.9.1976 (Sart II Nr 262) wurde dieser Antrag abgelehnt. Nach Anhang II wird das Vereinigte Königreich die Vorschriften des Wahlaktes nur auf das Vereinigte Königreich anwenden. Gibraltar ist ein vom Vereinigten Königreich abhängiges Territorium, stellt jedoch selbst keinen Teil des Vereinigten Königreiches dar. Der EGV findet gemäß Art 299 IV EGV (Art IV-440 W E ) auf Gibraltar Anwendung. Im Beitrittsvertrag von 1972 ist jedoch festgelegt, dass nicht alle Bestimmungen des EGV in Gibraltar gelten. Insbesondere ist Gibraltar nicht Teil der Zollunion und gilt als Drittstaat im Sinne der gemeinsamen Handelspolitik. Obwohl Gibraltar nicht Teil des Vereinigten Königreichs ist, gelten die dort lebenden britischen Bürger als Staatsangehörige im Sinne des EGV. Die Bf rügt mit einer gegen das Vereinigte Königreich gerichteten Individualbeschwerde die Verletzung des Art 3 l.ZP EMRK. Die Vorschrift garantiert, freie und geheime Wahlen unter Bedingungen abzuhalten, welche die freie Äußerung der Meinung des Volkes bei der Wahl der gesetzgebenden Körperschaften gewährleisten.
Wie sich aus Art 1 E M R K ergibt, werden durch die E M R K (einschließlich der Zusatzprotokolle) grundsätzlich alle der Hoheitsgewalt der Vertragsstaaten unterstehenden „Personen" geschützt. Auf die Staatsangehörigkeit kommt es anders als nach den deutschen
82 Grundlegend E G M R , E u G R Z 1979, 162, Rn 31 - Tyrer; E u G R Z 1979, 626, Rn 24 - Airey. 83 Vgl zB E G M R , Urt ν 17.10.1986 - Rees.
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Grundrechten (die zwischen Jedermanns- und Deutschenrechten unterscheiden) prinzipiell nicht an.84 Aus dem Schutzgehalt der Verbürgung kann sich allerdings ergeben, dass diese nur für bestimmte Personen von Bedeutung ist und daher auch nur diesen Personen zukommen kann. ZB steht das Recht auf Eheschließung allein „Männern und Frauen im heiratsfähigen Alter" (Art 12 EMRK), das Recht auf Einreise allein den eigenen Staatsangehörigen (Art 3 II 4. ZP EMRK) und bestimmte Verfahrensrechte in Bezug auf die Ausweisung allein ausländischen Personen (Art 1 7. ZP EMRK) zu.85 Was die E M R K unter Personen versteht, lässt sich aus der das Recht der Individualbeschwerde garantierenden Bestimmung des Art 34 herleiten (Rn 55). Danach sind natürliche Personen, nichtstaatliche Organisationen oder Personenvereinigungen gemeint. Soweit das Recht auf Leben in Rede steht, könnte (und dürfte) zu den natürlichen Personen auch der nasciturus gehören. Der EGMR hat sich hierzu bisher nicht abschließend geäußert und offen gelassen, ob die E M R K ein Recht auf Abtreibung oder ein Verbot der Abtreibung kennt respektive die Tötung eines Fötus mit Blick auf Art 2 EMRU strafrechtlich verfolgt werden muss.86 Auf das Alter oder die Geschäftsfähigkeit der natürlichen Personen kommt es nicht an. Kollidiert der Konventionsschutz der Minderjährigen mit dem ebenfalls geschützten Erziehungsrecht der Eltern (Art 2 S 2 1. ZP EMRK), muss der Staat eine verhältnismäßige Zuordnung vornehmen. Zur prozessualen Geltendmachung des Minderjährigenschutzes vgl Rn 58. Auch ein postmortaler Konventionsschutz scheint denkbar. Eine diesbezügliche Rspr gibt es hierzu bisher aber nicht. Jedoch dürfen Erben bei berechtigtem Interesse das Verfahren des verstorbenen Beschwerdeführers vor dem EGMR fortführen. 87 Zu den geschützten Organisationen und Personengruppen gehören Stiftungen und Personenvereinigungen jeglicher Art, sofern sie nichtstaatlicher Provenienz sind. Unerheblich ist, ob die Zusammenschlüsse mit Rechtsfähigkeit ausgestattet sind, nach welchem Recht sie organisiert wurden und wo sie ihren Sitz haben. 88 Demgemäß können sich insbesondere die von Privaten getragenen juristischen Personen des Privatrechts auf die E M R K berufen. Allerdings schützen viele Konventionsrechte nur Freiheitssphären, die ihrem Inhalt nach allein auf natürliche Personen anwendbar sind (zB das Recht auf Leben, der Schutz vor Folter, das Recht auf persönliche Freiheit oder das Recht auf Achtung des
84 Frowin in: Frowein/Peukert Art 1 EMRK Rn 3. 85 Das in Art 3 EMRK niedergelegte Verbot der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung und das in Art 8 EMRK garantierte Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens vermitteln Ansprüche, die dazu führen können, dass ein Ausländer nicht des Landes verwiesen werden darf. So kann aus Art 3 EMRK folgen, dass ein Ausländer nicht ausgeliefert werden darf, wenn dieser im Verfolgerstaat einer Strafe oder Behandlung ausgesetzt zu sein droht, die mit Art 3 EMRK nicht vereinbar ist. Vgl Grabenwarter W D S t R L 60 (2001), 290, 314; - » § 3 Rn 44. 86 Die (frühere) Europäische Kommission für Menschenrechte hat in der deutschen gesetzlichen Regelung über die Abtreibung keine Vertragsverletzung gesehen (EuGRZ 1978, 199). Zur Frage der strafrechtlichen Verfolgung vgl EGMR, NJW 2005, 727 Rn 85 (mit sowohl zustimmenden als auch abweichenden Auffassungen S 732ff). 87 Vgl Peukert in: Frowein/Peukert Art 25 EMRK Rn 13. 88 Vgl auch Partsch in: Bettermann/Neumann/Nipperdey (Hrsg) Die Grundrechte, Bd 1/1, 1966, S235, 295; Gornig Äußerungsfreiheit und Informationsfreiheit als Menschenrechte, 1988, S 284.
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Allgemeine Lehren
§ 2 IV
Familienlebens). Dagegen hat der EGMR 89 im Gegensatz zum EuGH 90 zB das Recht auf Achtung der Wohnung (Art 8 I EMRK) so ausgelegt, dass auch Geschäftsräume geschützt werden (-> § 3 Rn 13). Daher können auch Personenvereinigungen Träger dieses Grundrechts sein. Die Rechte der nichtstaatlichen Organisationen oder Personengruppen sind von denen ihrer Mitglieder zu unterscheiden. Dementsprechend sind die Organisationen oder Personengruppen nicht befugt, Rechte ihrer Mitglieder geltend zu machen.91 Auch nach ihrer Auflösung können Organisationen oder Personengruppen sich unter bestimmten Voraussetzungen noch auf die Konventionsrechte berufen (insbesondere wenn die Auflösung Folge der behaupteten Verletzung ist).92 Keinen Schutz genießen staatliche Organisationen oder Personengruppen. Der Staat ist Verpflichteter, nicht Berechtigter der Konventionsrechte. Dies gilt auch dann, wenn er sich privatrechtlicher Organisations- oder Handlungsformen bedient (also zB „fiskalisch" tätig wird).93 Deshalb wird zB nicht das Eigentum von Gemeinden durch Art 1 1. ZP EMRK geschützt.94 Andererseits geht es zu weit, juristischen Personen des öffentlichen Rechts generell die Konventionsrechtsfahigkeit abzusprechen.95 So sind die korporierten Religionsgemeinschaften als nichtstaatliche Organisationen bzw Personengruppen anzusehen, da es sich um gesellschaftliche Einrichtungen handelt (es sei denn, dass sie als Staatskirchen organisiert sind).96 Entsprechendes kann für Rundfunkanstalten gelten.97 Im Übrigen sind noch viele Fragen ungeklärt. Wie im deutschen Recht dürften sich auch diejenigen staatlichen Rechtsträger, die „unmittelbar dem durch die Grundrechte geschützten Lebensbereich zuzuordnen" sind (Beispiel: Meinungsäußerung staatlicher Universitäten in Wahrnehmung ihres wissenschaftlichen Auftrags),98 auf die Gewährleistungen berufen können.99 Hinsichtlich der Privatrechtssubjekte mit staatlichen und privaten Anteilseignern oder Mitgliedern (etwa gemischtwirtschaftlichen Unternehmen 10°) tendiert das Europäische Gemeinschaftsrecht dahin, auf die Beherrschungsverhältnisse abzustellen (—» § 14 Rn 30). Für die EMRK könnte ensprechendes gelten.101 Mit Staatsgewalt beliehenen Personen muss eine Berufung auf die Konventionsrechte dagegen versagt bleiben, da sie als Träger von Staatsgewalt anzusehen sind, wenn und soweit sie Hoheitsrechte ausüben. 89 EGMR, EuGRZ 1993, 65, Rn 29 ff - Niemietz = Kunig JK 93, E M R K Art 8/1; Urt ν 16.4.2002 - STES, Rn 41. 90 EuGH, Slg 1989,2919, Rn 18 - Hoechst = Kunig JK 90, EWGV Art 173/2. 91 Vgl die Nachw bei Rogge in: Karl Art 25 Rn 140; dens EuGRZ 1996, 341, 343; Peukert in: Frowein/Peukert Art 25 E M R K Rn 16. 92 Vgl die Nachw bei Peukert in: Frowein/Peukert Art 25 E M R K Rn 17. 93 Peukert in: Frowein/Peukert Art 25 E M R K Rn 16. 94 AA Tettinger FS Börner, 1992, S 625, 633 ff, wonach sich alle juristischen Personen des öffentlichen Rechts auf das Eigentumsrecht berufen können, weil nach Art 1 I 1. ZP E M R K „jede natürliche oder juristische Person" das Recht auf Achtung ihres Eigentums hat. Vgl auch Stern Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, 1988, Bd III/l, S 1103. Die von Tettinger zitierte Rspr des E G M R betraf juristische Personen des Privatrechts und gerade nicht des öffentlichen Rechts. 95 Vgl demgegenüber aber Oppermann ER Rn 85. 96 Vgl Ehlers in: Sachs (Fn 30) Art 140 GG/137 WRV Rn 19. 97 Vgl Grabenwarter E M R K § 17 Rn 5. 98 Vgl BVerfGE 31, 314, 322; 39, 302, 314. 99 Vgl Grabenwarter E M R K § 17 Rn 5. 100 Vgl zum deutschen Recht Schmidt-Aßmann FS Niederländer, 1991, S 383ff. 101 Vgl auch Barden Grundrechtsfähigkeit gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen, 2002, S 185ff.
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§2 VI
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V. Verpflichtete der Konventionsrechte 1. Konventionsstaaten des Europarates 27
Wenn die E M R K gemäß Art 1 die der Hoheitsgewalt einer Vertragspartei unterliegenden Personen berechtigt, folgt daraus als Umkehrschluss, dass die Vertragsparteien durch die Konventionsrechte verpflichtet werden. Unter Vertragsparteien sind alle Staaten des Europarates zu verstehen, welche die E M R K ratifiziert haben (Art 59 EMRK) - Konventionsstaaten. Die Bindung bezieht sich auf alle Staatsgewalten (Legislative, Exekutive und Judikative) und alle Träger von Staatsgewalt (zB auch auf die Bundesländer und kommunalen Gebietskörperschaften). Auf die Rechtsform des Handelns (öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich) kommt es nicht an. Zu den Trägern von Staatsgewalt sind ebenso wie im deutschen Recht 102 auch die Beliehenen und alle Privatrechtssubjekte zu zählen, hinter denen unmittelbar oder mittelbar allein der Staat steht (Eigengesellschaften). Entsprechendes dürfte für die vom Staat beherrschten gemischt zusammengesetzten Privatrechtsvereinigungen gelten (vgl Rn 25). Dagegen müssen die korporierten Religionsgemeinschaften, soweit es sich nicht um Staatskirchen handelt, der Sphäre der Privaten zugeordnet werden (vgl Rn 25). Der Staat ist für jede Konventionsverletzung verantwortlich, auch wenn er keine Möglichkeit der Einflussnahme hatte (wie auf die Jurisdiktion der unabhängigen Gerichte) oder Amtsträger weisungswidrig gehandelt haben.103 Neben positiven Handlungen können auch Duldungen oder Unterlassungen des Staates (zB Verweigerung der Unterstützung durch einen Dolmetscher im Falle des Art 6 III lit e EMRK) eine Verletzung der Konvention herbeiführen. 104 Ferner werden Verstöße der Konventionsstaaten gegen supranationales Recht am Maßstab der E M R K gemessen. So soll eine willkürliche NichtVorlage an den EuGH (Art 234 EGV; III-369 W E ) gegen das in Art 6 I E M R K garantierte Recht auf ein faires Verfahren verstoßen 105 und die Nichtbeachtung einer unmittelbar anwendbaren EG-Richtlinie das in Art I 1. ZP E M R K geschützte Eigentumsrecht verletzen können.106 Rechtsschutz vor dem EGMR kann wegen der Subsidiarität der Individualbeschwerde (Rn 63) allerdings nur verlangt werden, wenn die gemeinschaftsrechtlichen und innerstaatlichen Schutzmechanismen einschließlich der verfassungsrechtlichen Rechtsbehelfe nicht zum Tragen kommen.
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Nicht verantwortlich ist ein Staat für die Ausübung hoheitlicher Gewalt auf seinem Territorium, wenn die Gewalt nicht von ihm selbst, sondern von einem anderen Staat ausgeübt wird. In einem solchen Fall trifft die Verantwortlichkeit nur den anderen Staat, sofern es sich um einen Konventionsstaat handelt.' 07 Eine solche Lage kann sich insbesondere bei einem transnationalen Verwaltungshandeln auf völkerrechtlicher oder gemeinschaftsrechtlicher Grundlage ergeben. So darf die Polizei beispielsweise nach dem Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen108 unter bestimmten
102 Vgl Ehlers in: Erichsen/Ehlers (Hrsg) Allgemeines Verwaltungsrecht, 12. Aufl 2002, § 1 Rn 4. 103 EGMR, EuGRZ 1979,149, Rn 150ff - Irland. 104 Vgl auch die Rechtsprechungsbeispiele bei Frowein in: Frowein/Peukert Art 1 EMRK Rn 11 (Pflicht des Staates zum Einschreiten bei Untätigbleiben eines Pflichtverteidigers bzw der Durchsetzung des Rechts auf Trennung von Tisch und Bett). 105 EGMR, Urt ν 23.3.1999 - Desmots; Urt ν 7.9.1999 - Dotta; Urt ν 25.1.2000 - Moosbrugger. 106 Vgl EGMR, Urt ν 16.4.2002 - S.A. Jacquers Dangeville; näher dazu Breuer JZ 2003,433 ff 107 Vgl Pansch (Fn 88) S 299. 108 BGBl II 1993, 1013 = Sart II 280.
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Voraussetzungen grenzüberschreitend tätig werden.109 Auch nach Maßgabe der EMRK ist dann nur der Staat verantwortlich, der die Grenze überschritten hat, und nicht derjenige, auf dessen Territorium gehandelt worden ist. 2. Internationale und supranationale Organisationen a) Direkte Bindung Da die EMKR auf der Grundlage der Satzung des Europarates erlassen worden ist, sind 29 auch die Organe des Europarates selbst an die Konvention und ihre Zusatzprotokolle gebunden (solange sie nicht durch spätere Abkommen überlagert oder außer Kraft gesetzt werden).110 Da dem Europarat keine Herrschaftsbefugnisse übertragen wurden, kommt dieser Bindung allerdings keine große Bedeutung zu. Doch ist der Europarat verpflichtet, nur solche Mitglieder aufzunehmen, die im Prinzip (dh vorbehaltlich der Anbringung von Vorbehalten111) die in der EMRK positivierten Menschenrechte anerkennen, wie sich auch aus Art 3 seiner Satzung ergibt (Rn 5). Weitaus wichtiger ist die Frage, ob sonstige internationale oder supranationale Organi- 30 sationen, die im räumlichen Geltungsbereich der Konvention Hoheitsrechte ausüben, an die EMRK gebunden sind. Eine direkte konventionsrechtliche Verantwortung scheidet derzeit noch aus, da der Beitritt zur EMRK gemäß Art 59 I nur den Mitgliedern des Europarates und somit nur Staaten (Art 4 und 5 der Satzung des Europarates) gestattet ist.112 Ein (vielfach erwogener) Beitritt der Europäischen Gemeinschaft scheitert zudem auch am Gemeinschaftsrecht, da der Europäischen Gemeinschaft derzeit die Zuständigkeit für den Beitritt zu einer dem Menschenrechtsschutz verpflichtenden internationalen Organisation fehlt.113 Soweit das europäische Gemeinschaftsrecht und Unionsrecht auf die EMRK verweisen, wirkt diese nur als Rechtserkenntnisquelle, nicht als Rechtsquelle (vgl Rn 9ff; —» § 14 Rn 9). Anders wird sich die Rechtslage darstellen, wenn das 14. ZP EMRK und der Vertrag über eine Verfassung in Europa ( W E ) in Kraft treten (Rn 9). Nach Art 17 II 14. ZP EMRK kann die Europäische Union der EMRK beitreten. Gem Art 1-9 II W E tritt die Union der EMRK bei. Ferner enthält der W E eine Charta der Grundrechte der Union. Soweit die Charta Rechte enthält, darf nach Art II-l 12 III W E der EMRK-Standard nicht unterschritten werden (-» § 14 Rn 9; vgl Rn 9). b) Indirekte Bindung Sind die internationalen oder supranationalen Organisationen nicht Verpflichtungsadressäten der Konventionsrechte, ändert dies nichts daran, dass die Konventionsstaaten auch dann an die EMRK gebunden bleiben, wenn sie Hoheitsrechte auf eine internationale oder supranationale Organisation übertragen haben. Dies beschwört eine Kollision zwischen dem internationalen bzw supranationalen Recht einerseits und dem (auch innerstaatlich geltenden) Recht der EMRK andererseits herauf. Um dieser Kollision zu entgehen, hat die - inzwischen aufgelöste114 - Europäische Kommission für Menschenrechte
109 Vgl Art 40, 41 Schengen-Durchführungsübereinkommen. 110 Vgl auch Partsch (Fn 88) S 299 f. 111 Vgl Art 57 EMRK. 112 Vgl dazu zuletzt EGMR, NJW 1999, 3107ff - Matthews = Ehlers JK 99, E M R K Art 3 1. ZP/2. 113 EuGH, Slg 1996,1-1759ff-Gutachten 2/94. 114 Vgl Rn 50 ff.
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(EKMR) eine an die Solange //-Entscheidung des BVerfG115 angelehnte Auffassung vertreten. Danach soll eine Beschwerde auf der Grundlage der EMRK unzulässig sein, wenn im Recht der internationalen bzw supranationalen Organisationen ein vergleichbarer Grundrechtsschutz angelegt ist.116 Dies treffe namentlich auf das europäische Gemeinschaftsrecht zu. Damit hat die EKMR eine Verantwortung der Konventionsstaaten für EG-Akte de facto verneint.117 Der EGMR hat sich dieser Ansicht aber nicht angeschlossen. Bereits in seiner Entscheidung vom 15.11.1996 hat der Gerichtshof festgestellt, dass ein Konventionsstaat nicht allein deswegen von seiner konventionsrechtlichen Verantwortlichkeit für einen innerstaatlichen Rechtsakt befreit ist, weil dieser lediglich zwingende Vorgaben des europäischen Gemeinschaftsrechts umsetzt.118 In neueren Entscheidungen hat der EGMR seinen Standpunkt verdeutlicht. Zwar schließe die EMRK die Übertragung von Hoheitsrechten auf internationale oder supranationale Organisationen nicht aus. Dies ändere aber nichts an der Verantwortlichkeit der Mitgliedstaaten für die Einhaltung der Konventionsrechte. Die Konventionsstaaten müssten sicherstellen, dass die internationale oder supranationale Rechtsordnung einen der Konvention vergleichbaren Standard gewährleisten. Tun sie dies nicht, verletzt das Unterlassen die Konvention. Die Verantwortlichkeit bleibe auch im Verhältnis zum europäischen Gemeinschaftsrecht bestehen. Da die von der EMRK garantierten Rechte nicht „theoretical or illusory", sondern „practical and effective" gelten sollten und da die Wirkungen des Gemeinschaftsrechts denjenigen des innerstaatlichen Rechts entsprächen, müsse ein Mitgliedstaat die Konventionsrechte auch gegenüber Gemeinschaftsakten in vollem Umfange sichern.119 Damit geht der EGMR erheblich über die So/ange-Rechtsprechung des BVerfG hinaus. Während das BVerfG eine Überprüfungskompetenz für das europäische Gemeinschaftsrecht am Maßstab des nationalen Verfassungsrechts nur daraufhin in Anspruch nimmt, ob der unabdingbare Standard des Grundgesetzes gewahrt wurde, überprüft der EGMR, ob das europäische Gemeinschaftsrecht (oder sonstige internationale bzw supranationale Rechte) die Konventionsrechte konkret und wirksam schützt (—» § 14 Rn 14). Andernfalls werden die Vertragsstaaten nach wie vor mit als verantwortlich angesehen. Somit behält sich der EGMR die Letztentscheidungskompetenz über die Konventionsmäßigkeit jeglicher Formen von Ausübung hoheitlicher Gewalt der Konventionsstaaten in Europa vor. Indirekt überprüft der EGMR über die Verantwortung der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft für die Wahrung der Rechte aus der EMRK damit auch die Akte der Europäischen Gemeinschaft.120 Offen geblieben ist bisher, ob sich die Verantwortung auch auf das alleinige Handeln der Organe der Gemeinschaft erstreckt. In der Rechtssache Senator Lines GmbH hat der Beschwerdeführer alle EU-Staaten vor dem EGMR verklagt, weil seinen Rechtsmitteln gegen eine von der EU-Kommission auferlegte Geldbuße weder von der Kommission noch vom EuG oder vom EuGH aufschiebende Wirkung zuerkannt worden ist. Der EGMR hat die Beschwerde aus anderen Gründen zurückgewiesen (spätere Auf-
115 BVerfGE 73, 339, 375 f. Näher dazu § 14 Rn 15. 116 Vgl namentlich EKMR, ZaöRV 50 (1990), 865, 867 - M. & Co. Näher dazu Giegerich ZaöRV 1990,836 ff. 117 Zutreffend Lenz EuZW 1999, 311 ff. 118 EGMR, Recueil des arrets et decisions 1996-V, 1614 Rn 30 - Cantoni. 119 Vgl EGMR, NJW 1999, 1173ff - Waite = Ehlers JK 99, EMRK Art 6/2; NJW 1999, 3107ff Matthews = Ehlers JK 99, EMRK Art 3 1. ZP/2. Näher dazu Rn 21. 120 Zutreffend Lenz EuZW 1999, 311,313.
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Allgemeine Lehren
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hebung der noch nicht bezahlten oder vollstreckten Geldbuße), ohne die Frage nach der prinzipiellen Zulässigkeit zu beantworten. 121 Für die Staaten, die sowohl Mitglied des Europarates als auch der Europäischen Union sind, kann die Verantwortung der Konventionsstaaten für die Einhaltung des EMRK-Standards auch gegenüber dem Unionsrecht zu erheblichen Problemen führen. Folgen sie dem (nach Ansicht des EGMR) konventionswidrigen europäischen Gemeinschaftsrecht, verletzen sie die EMRK. Lassen sie dagegen das Gemeinschaftsrecht unangewendet, missachten sie dessen Vorrang gegenüber dem nationalen Recht.122 Im Zweifelsfall ist den Unionsgrundrechten (—> § 14) wegen der Bezugnahme auf die E M R K (Art 6 II EUV), dem aus Art 10 EGV ableitbaren Rücksichtnahmegebot der Gemeinschaft auf die völkerrechtlichen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten, der Unberührtheitsklausel des Art 307 I EGV für völkerrechtliche Verpflichtungen vor Beitritt zur Gemeinschaft und dem Gebot einer völkerrechtsfreundlichen Auslegung des Gemeinschaftsrechts 123 ein Inhalt beizulegen, der mit den in der EMRK eingegangenen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten vereinbar ist.124 Nach Inkrafttreten des W E wird dies durch Art II-l 12 III sichergestellt. Kommt es zu einem Beitritt der EU zur EMRK, gilt die E M R K ohnehin unmittelbar im Unionsrecht. Es dürfte dann kaum ein Weg daran vorbeiführen, dem EGMR auch im Gemeinschaftsrecht die Letztentscheidungskompetenz über die Konventionsmäßigkeit der Durchführung von Unionsrecht zuzugestehen. 3.
Privatpersonen
Entgegen einer mitunter vertretenen Ansicht 125 entfalten die Konventionsrechte keine unmittelbare Wirkung gegenüber Privatpersonen. Dies folgt bereits aus Art 1 E M R K und wird durch die Bestimmungen der Art 33 und 34 E M R K bestätigt, weil diese nur Beschwerden gegen die Konventionsstaaten, nicht aber gegen Individuen vorsehen. Allerdings wirken nicht wenige Konventionsrechte - wie etwa das Verbot der Leibeigenschaft (Art 4 I EMRK) sowie das Recht auf Eheschließung (Art 12 EMRK) oder die Gleichberechtigung der Ehegatten (Art 5 7. ZP EMRK) - auch und gerade auf das Privatrecht ein. Ferner ist bereits ausgeführt worden (Rn 16f), dass sich aus den Konventionsrechten Ansprüche auf Gewährung staatlichen Schutzes vor rechtswidrigen Eingriffen Privater entnehmen lassen. In erster Linie ist der Staat verpflichtet, Gesetze zu erlassen, die ein konventionswidriges Verhalten Dritter nicht zulassen.126 Jedenfalls in einem Fall ist der EGMR weiter gegangen und hat eine unmittelbare Verantwortung eines Konventionsstaates für eine körperliche Bestrafung durch den Direktor einer Privatschule angenommen, also nicht an ein staatliches, sondern privates Verhalten angeknüpft, dieses aber dem Staat zugerechnet.127
121 EGMR, NJW 2004, 3617, 3619 - Senator Lines GmbH. 122 Vgl zu diesem Vorrang EuGH, Slg 1964,1253,1270 f - Costa. 123 Schmalenbach in: Calliess/Ruffert Art 307 EGV Rn 15. 124 Grabenwarter W D S t R L 60 (2001), 290, 331 f. 125 BGHZ 27, 284, 285 f. Wie hier Szczekalla (Fn 63) S 900 f, 906. Ebenso wie im deutschen Recht (vgl PierothlSchlink Grundrechte, Staatsrecht II, 20. Aufl 2004, Rn 177 ff) lässt sich eine „unmittelbare Drittwirkung" auch nicht daraus herleiten, dass die staatlichen Gerichte im Streitfall zwischen privaten Rechtssubjekten zu entscheiden haben. 126 Vgl EGMR, Serie A, Vol 44, Rn 49 - Young. 127 EGMR, Serie A, Vol 247-C, Rn 27 f - Costello-Roberts. Zwar fehlte in England ein Gesetz, wel-
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VI. Räumlicher Geltungsbereich 34
Art 1 EMRK knüpft die Verpflichtung der Konventionsstaaten zur Beachtung der EMRK an die Ausübung von Hoheitsgewalt („jurisdiction" bzw „juridiction"). In der Regel übt ein Staat Hoheitsgewalt auf dem eigenen Territorium aus. Jedoch ist der räumliche Geltungsbereich der E M R K weiter. So unterstehen die diplomatischen und konsularischen Vertreter oder die staatlichen Schiffe und Flugzeuge auch außerhalb des eigenen Territoriums der Hoheitsgewalt des Staates. Entsprechendes gilt für die Streitkräfte, wenn sie bei ihrem extraterritorialen Einsatz eine effektive Kontrolle über ein fremdes Gebiet ausüben.128 Bei Bombardierungen außerhalb eines besetzten Gebietes wurde diese Voraussetzung - nicht überzeugend - verneint.129 Entscheidet ein Mitgliedstaat über die Ausweisung oder Auslieferung, trifft ihn die Verantwortung auch dann, wenn die verletzende Maßnahme im aufnehmenden Land erfolgt.130 Ferner ermöglichen es die „Kolonialklausel" des Art 56 E M R K und die entsprechenden Bestimmungen der Zusatzartikel (Art 4 1. ZP EMRK, Art 5 4. ZP EMRK, Art 5 6. ZP EMRK, Art 6 7. ZP EMRK) den Konventionsstaaten, die Konvention einschließlich ihrer Rechtsschutzmöglichkeiten auf Gebiete auszudehnen, für deren internationale Beziehungen sie verantwortlich sind (zB Niederländische Antillen, Falklandinseln usw).131
VII. Zeitliche Geltung 35
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Da die Konvention keine rückwirkende Kraft hat, werden die Konventionsstaaten erst mit dem Beitritt zur Konvention und nur für die Dauer des Beitritts gebunden (sofern kein Vorbehalt gemacht wurde, vgl Rn 38). Für Maßnahmen der Bundesrepublik Deutschland, die vor dem 3.9.1953 erlassen worden sind (dh dem Inkrafttreten der Konvention), besteht somit keine Konventionsbindung. Allerdings müssen sich vor Inkrafttreten der Konvention erlassene Maßnahmen dann auf ihre Vereinbarkeit mit der Konvention hin überprüfen lassen, wenn sie fortdauernde Auswirkungen zeitigen. Lösung Fall 3: Die zulässige Individualbeschwerde ist begründet, wenn die Bf in einem durch die EMRK geschützten Recht verletzt ist. Als verletztes Recht kommt nur das durch Art 3 1. ZP EMRK garantierte Recht auf Teilnahme an freien Wahlen zu einer gesetzgebenden Körperschaft in Betracht. Die Verletzung setzt voraus, dass der Schutzbereich des genannten Rechts betroffen ist, sich die Betroffenheit als Beeinträchtigung darstellt und einer Rechtfertigung entbehrt (vgl Rn 39 ff). Der Schutzbereich kann nur beeinträchtigt sein, wenn die Bf zum Kreis der Berechtigten gehört, das Vereinigte Königreich Verpflichtungsadressat des Konventions-
ches die körperliche Bestrafung von Schülern verbot, so dass der E G M R auf die Schutzpflicht des Staates hätte abstellen können. Er hat dies aber nicht getan. 128 Vgl zu den Streitkräften E G M R , Serie A, Vol 240, Rn 91 - Drozd = Kunig JK 93, E M R K Art 1/1; E u G R Z 1997, 555 Rn 52 - Loizidou; vgl auch E K M R , E u G R Z 1976, 33 Rn 7ff Zypern. Siehe dazu auch Rumpf E u G R Z 1992,457 ff 129 E G M R , NJW 2003,413, R n 67 ff - Bankovic. 130 E G M R , E u G R Z 1989, 314 Rn 91 - Soering. 131 Andererseits ist das Individualbeschwerderecht im Hinblick auf das Hoheitsgebiet der Isle of Man zeitweilig nicht anerkannt worden. Vgl näher dazu Peukert in: Frowein/Peukert Art 63 E M R K Rn 4 f.
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rechts ist und der räumliche Geltungsbereich der EMRK bzw des l.ZP EMRK betroffen ist. Ferner müssen die weiteren Tatbestandsvoraussetzungen der Vorschrift gegeben sein. Da Art 3 l.ZP EMRK das Wahlrecht grundsätzlich allen (erwachsenen) Personen zuerkennt, die der Hoheitsgewalt der gesetzgebenden Körperschaft unterliegen, ist die Bf als Berechtigte des Konventionsrechts anzusehen. Eine Verantwortlichkeit des Vereinigten Königreichs für die Nichtdurchführung von Wahlen zum Europäischen Parlament in Gibraltar könnte hier daran scheitern, dass der zum europäischen Gemeinschaftsrecht gehörende Anhang II des Wahlaktes eine Wahl in Gibraltar ausschließt. Da die EG nicht Mitglied des Europarats ist, unterliegen Gemeinschaftsakte nicht der Kontrolle durch den EGMR. Die Konventionsstaaten können sich durch die Übertragung von Hoheitsrechten auf internationale oder supranationale Gemeinschaften aber nicht der Verantwortung entziehen. Sie sind daher auch nach Übertragung für die Einhaltung des Konventionsschutzes verantwortlich. Somit wird das Vereinigte Königreich nach wie vor durch Art 3 1. ZP EMRK verpflichtet. Mittels der Abgabe von Erklärungen iSd Art 56 EMRK, Art 4 1. ZP EMRK hat das Vereinigte Königreich den räumlichen Geltungsbereich der EMRK und des 1. ZP auch auf Gibraltar erstreckt. Schließlich ist das Europäische Parlament als gesetzgebende Körperschaft anzusehen, da es sich nicht notwendigerweise um ein nationales Parlament handeln muss und das Europäische Parlament „the principle form of democratic, political accountability in the Community" repräsentiert. Allerdings wird das Recht auf freie Wahlen nicht absolut gewährleistet, sondern ist Beschränkungen (bzw Ausgestaltungen) unterworfen. Diese dürfen das Wahlrecht aber nicht in seinem Wesensgehalt antasten. Da hier den Bürgern von Gibraltar jede Einflussmöglichkeit auf die Zusammensetzung des Europäischen Parlaments genommen wird, ist der Wesensgehalt des Rechts auf freie Wahlen verletzt. Daher hatte die Individualbeschwerde der Bf Erfolg.
VIII. Gewährleistungen und Beschränkungen der Konventionsrechte 1. Stufen der
Konventionsrechtsprüfung
In Deutschland wird eine Grundrechtsprüfung üblicherweise in drei Stufen vorgenommen, indem zwischen Schutzbereich, Eingriff und Rechtfertigung unterschieden wird. l , : Dieser Prüfungsaufbau ist für die Abwehrfunktionen der Freiheitsrechte entwickelt worden und auch dort nicht selbstverständlich. So besteht die Tendenz zur Annahme quasi unbegrenzter natürlicher Freiheiten (im Gegensatz zu rechtlich gewährten und damit oftmals von vornherein begrenzten, gleichzeitig aber auf reale Entfaltung angelegten Freiheiten)." 1 Ferner ist zweifelhaft, ob sich die Ausgestaltung der rechts- bzw normgeprägten Grundrechte (wie etwa die Vereinigungsfreiheit oder das Eigentumsgrundrecht) auf diese Weise in den Griff bekommen lassen. Dennoch wird das Prüfungsschema mit gewissen Modifikationen 134 zumeist auch bei den anderen Grundrechtsarten (also den Gleichheits-, Leistungs-, staatlich-bürgerlichen und Verfahrensrechten) zugrunde gelegt. Für die Über-
132 Vgl etwa Starck in: ν Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg) Das Bonner Grundgesetz, 4. Aufl 1999, Bd 1, Art 1 Rn 228fT; Dreier (Fn 40) Rn 119ff; Jarass in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 7. Aufl 2004, vor Art 1 Rn 14ff; Pieroth!Schlink (Fn 125) Rn 195 ff. 133 Krit Hoffmann-Riem Der Staat 2004, 203, 226 ff (der ebenfalls einen dreistufigen Aufbau befürwortet, aber statt vom Schutzbereich vom Gewährleistungsgehalt spricht, um deutlich zu machen, dass es nicht um abgegrenzte Sphären bzw Bereiche, sondern um normative Gehalte geht). 134 Vgl Jarass in: Jarass/Pieroth (Fn 132) Vorb vor Art 1 Rn 15 ff.
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§2 VIII2
Dirk Ehlers
prüfung von EMRK-Verletzungen fehlt es bisher an einem ausgefeilten Raster. Obwohl der deutsche Prüfungsaufbau angreifbar ist, tauchen die behandelten Fragestellungen auch auf der EMRK-Ebene auf. Daher erscheint es angemessen, den deutschen Prüfungsansatz auch insoweit zugrunde zu legen.135 Zusätzlich ist die Anwendbarkeit der Konvention gesondert zu prüfen. Tendenziell sind Schutzbereich und Eingriff weit zu fassen, dafür werden den Konventionsstaaten auf der Rechtfertigungsebene aber erhebliche Gestaltungsspielräume eingeräumt (vgl Rn 67). Ebenso ist es aber auch vertretbar, nach Feststellung der Anwendbarkeit der Konvention nur zweistufig vorzugehen, dh zunächst danach zu fragen, ob der Gewährleistungsgehalt der Konventionsrechte beeinträchtigt wurde, und sodann zu prüfen, ob die Beeinträchtigung rechtmäßig ist. Ohnehin darf ein Prüfungsschema nicht schematisch angewendet werden. Geht es zB nur um die Frage, ob gegen das Diskriminierungsverbot des Art 14 E M R K verstoßen worden ist, reicht es (nach Feststellung der Einschlägigkeit der Konventionsrechte) aus zu prüfen, ob eine Ungleichbehandlung vorliegt und sich diese rechtfertigen lässt. Bei Verfahrensrechten empfiehlt es sich, darauf abzustellen, ob das Verfahrensrecht anwendbar ist (entspricht der Eröffnung des Schutzbereichs) und ob das gebotene Verfahren beachtet wurde. 2. Die Anwendbarkeit der Konvention 38
Anders als im deutschen Recht muss zunächst festgestellt werden, dass die in Rede stehenden Bestimmungen der E M R K bzw der Zusatzprotokolle überhaupt anwendbar sind. Die Zusatzprotokolle treten nur in Kraft, wenn sie von einer ausreichenden Zahl von Konventionsstaaten ratifiziert worden sind. Sie verpflichten nur jene Staaten, die diese ratifiziert haben. Dagegen gilt die E M R K selbst im Grundsatz für alle Konventionsstaaten. Allerdings kann jeder Staat gem Art 57 E M R K bei Unterzeichnung der Konvention (bzw der Zusatzprotokolle) oder bei Hinterlegung der Ratifikationsurkunde durch einseitige Erklärungen (iSd Art 2 I lit d WVK) Vorbehalte anmelden136, soweit ein zu dieser Zeit in seinem Hoheitsgebiet geltendes Gesetz mit der betreffenden Bestimmung nicht übereinstimmt. Die Vorbehalte schließen eine Konventionsbindung aus. Unzulässig sind Vorbehalte zu der Regelung, dass die Todesstrafe abgeschafft ist (Art 4 6. ZP EMRK; Art 3 13.ZP EMRK). Im Übrigen müssen die Vorbehalte auf einem bereits in Kraft befindlichen Gesetz zum Zeitpunkt der Ratifikation der E M R K oder eines Zusatzprotokolls (nicht später) beruhen. Erforderlich ist, dass die Gesetze allgemeiner Art sind (was auf bloße auslegende Erklärungen der Konventionsstaaten nicht zutrifft), mit der E M R K oder ihren Zusatzprotokollen kollidieren und dem Bestimmtheitsgebot 137 genügen. Der Vorbehalt muss mit einer kurzen Darstellung des betreffenden Gesetzes verbunden sein (Art 57 II EMRK). Die Gültigkeit der (leider zahlreichen138) Vorbehalte unterliegt der Überprüfung durch den EGMR. 139 Aufgrund einer mittlerweile restriktiven Auslegung der Voraussetzungen des Art 57 E M R K für die Erklärung von Vorbehalten zu einzelnen
135 Ebenso Grabenwarter EMRK § 18; Peters EMRK S 257. 136 Zur völkerrechtlichen Zulässigkeit von Vorbehalten vgl Art 19 WVK. 137 Erklärungen, die nicht auf bestimmte Regelungen abzielen oder unklar formuliert wurden, sind unzulässig. Vgl EGMR, EuGRZ 1989, 21, Rn 52 ff - Belilos. 138 Vgl die Zusammenstellung bei Frowein in: Frowein/Peukert S 893 ff; zu den deutschen Vorbehalten Meyer-Ladewig HK Art 57 Rn 7 ff; die Protokolle Nr 7 u 12 wurden von Deutschland nicht, das Protokoll Nr 14 noch nicht ratifiziert. 139 Vgl zB EGMR, EuGRZ 1989, 21, Rn 50 - Belilos; Urt ν 3.10.2000, Rn 28f - Eisenstecken.
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§ 2 VIII4
Allgemeine Lehren
Bestimmungen der EMRK erweisen sich viele von Mitgliedstaaten abgegebene Vorbehalte jedoch als ungültig oder in ihrer Wirkung als eingeschränkt. 140 Die Notstandsklausel des Art 15 E M R K berührt nicht die Anwendbarkeit der Regelungen, sondern ermächtigt nur dazu, von den Verpflichtungen abzuweichen (Rn 43). 3. Schutzbereich,
Gewährleistungsgehalt
der
Konventionsrechte
Unter dem Schutzbereich der Konventionsrechte lässt sich der geschützte Wirklichkeitsausschnitt (zB Äußerung einer Meinung im Falle des Art 10 EMRK), unter dem Gewährleistungsgehalt die rechtliche Garantie selbst verstehen (zB Recht auf freie Meinungsäußerung).141 Ebenso wie im deutschen Recht 142 wird auch die sog negative Freiheit geschützt (also zB die Freiheit, keine Religion zu haben).143 Zur Auslegung der Konventionsbestimmungen vgl Rn 21. Nicht auf den Konventionsschutz berufen kann sich, wer auf die Konventionsrechte verbindlich verzichtet hat oder diese missbräuchlich in Anspruch nimmt (Art 17 EMRK; vgl Rn 43). Ein Verzicht ist nur wirksam, wenn nicht Rechte anderer oder öffentliche Interessen entgegenstehen.144 Missbräuchlich in Anspruch genommen wird das durch Art 10 EMRK garantierte Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung zB, wenn der Holocaust geleugnet wird.145 4. Eingriff,
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Beeinträchtigung
Die Hoheitsrechte schützen in ihrem thematisch einschlägigen Bereich nicht vor Nachteilszufügungen jeglicher Art, sondern nur vor ungerechtfertigten staatlichen Eingriffen bzw Beeinträchtigungen. Eine Beeinträchtigung ist nur gegeben, wenn ein ausreichend enger Zusammenhang zwischen der staatlichen Maßnahme und der Belastung für den Berechtigten besteht.146 Die EMRK spricht auch von Einschränkungen (restrictions; zB Art 9 II, Art 11 II) oder Eingriffen (interferences; zB Art 8 II, Art 10 I). Eine systematische Eingriffsdogmatik zur E M R K wurde bislang nicht entwickelt. Vielmehr ist das Vorgehen kasuistisch.147 So stellt der EGMR vielfach nicht darauf ab, ob die Nachteilszufügung final oder unbeabsichtigt, unmittelbar oder mittelbar, rechtlich oder tatsächlich bzw mit oder ohne Befehl erfolgt ist.148 Im Einzelnen kann sich die Lage aber anders darstellen, zB weil ein Rechtsakt 149 oder eine gewisse Intensität der Beeinträchtigung 150 verlangt 140 Vgl zB EGMR, Serie Α 328-C - Gradinger. Siehe zu dieser Problematik auch Grabenwarter W D S t R L 60 (2001), 290, 297f. 141 Vgl zum Sprachgebrauch PierothlSchlink (Fn 125) Rn 203. 142 Krit Hellermann Die sogenannte negative Seite der Freiheitsrechte, 1993. 143 Vgl zur Religionsfreiheit Frowein in: Frowein/Peukert Art 9 EMRK Rn 2; -» vgl auch § 3 Rn31ff. 144 Ebenso Grabenwarter EMRK § 18 Rn 30. 145 EGMR, NJW 2004, 3691 - Garaudy. 146 Vgl für das deutsche Recht Jarass in: Jarass/Pieroth (Fn 132) Vorb vor Art 1 Rn 23. 147 Vgl Weber-Dürler W D S t R L 57 (1998), 57, 86. 148 Restriktiver Villiger EMRK Rn 542 (Ausklammerung mittelbarer Grundrechtsberührungen). 149 Nach der Menschenrechtskommission sind medizinische Untersuchungen oder Impfungen nur dann als Eingriff in Art 8 EMRK anzusehen, wenn sie aufgrund einer obligatorischen Anordnung erfolgen (krit hierzu WildhaberlBreitenmoser in: Karl Art 8 Rn 64). Prinzipiell ist anerkannt, dass auch Realakte (wie das Sammeln und Speichern personenbezogener Daten, vgl Frowein in: Frowein/Peukert Art 8 EMRK Rn 5) Eingriffscharakter haben können. 150 So kann von Folter iSd Art 3 EMRK nur gesprochen werden, wenn ein gewisses Minimum an
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§ 2 VIII 5
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Dirk Ehlers
wird. Grundsätzlich herrscht die Tendenz vor, keine besonderen Anforderungen an den Eingriff bzw die Beeinträchtigung zu stellen,151 um einen wirksamen Konventionsrechtsschutz zu gewährleisten. ZB kann auch die Mitwirkung an Fremdbeeinträchtigungen (Auslieferung einer Person an einen Staat, in dem der Person eine unmenschliche oder erniedrigende Strafe droht) den Konventionsrechtsschutz auslösen.152 Die Nichterfüllung positiver Handlungspflichten wird einem Eingriff gleichgestellt.153 Vom Eingriff bzw von der Beeinträchtigung zu trennen sind andere Formen der Rechtsregulierung wie insbesondere die Ausgestaltung der Konventionsrechte durch den Gesetzgeber. Wenn Art 12 E M R K das Recht auf Eheschließung „nach den innerstaatlichen Gesetzen" garantiert, stellt der Erlass diesbezüglicher Gesetze keine Beschränkung dar, sondern ermöglicht erst die Konventionsrechtsausübung. Derartige Normprägungen kennzeichnen viele Konventionsrechte, auch wenn sie im Normtext nicht immer ausdrücklich anklingen (wie zB bei dem Recht auf Achtung des Eigentums und dem Recht auf freie Wahlen, Art 1, 3 1. ZP EMRK). Die Ausgestaltungen der Konventionsrechte mutieren zum Eingriff bzw zur Beeinträchtigung, wenn das Untermaßverbot missachtet oder in eine nach bisherigem Recht bestehende Position eingegriffen wird.154 5. Rechtfertigung
des Eingriffs bzw der
Beschränkung
a) Beschränkbarkeit der Konventionsrechte 42
Beeinträchtigt ein staatliches Tun, Dulden oder Unterlassen den Schutzbereich bzw den Gewährleistungsgehalt eines Konventionsrechts, folgt daraus noch keine Rechtsverletzung. Vielmehr kann die Maßnahme gerechtfertigt sein, weil der Staat das Konventionsrecht beschränken darf. Wie das Grundgesetz unterscheidet auch die E M R K zwischen vorbehaltlos gewährleisteten Rechten und solchen mit einem Schrankenvorbehalt. Vorbehaltlos gewährleistete Rechte stellen eine Ausnahme dar. In Deutschland dürfen derartige Rechte durch kollidierendes Verfassungsrecht begrenzt werden, wobei dieses teils als Schutzbereichsbegrenzung, im Wesentlichen aber als Grundrechtsschranke fungiert und dann einer konkretisierenden gesetzlichen Grundlage bedarf.155 Entsprechendes dürfte für die E M R K gelten,156 wenn sich das Problem wegen des eingeschränkteren Schutzes auch Schwere erreicht wird (EGMR, EuGRZ 1979, 149, Rn 162 - Irland). Auch sollen geringfügige staatliche Maßnahmen und Handlungen keine Eingriffe iSd Art 8 II EMRK darstellen (WildhaberlBreitenmoser in: Karl Art 8 Rn 61). Vgl auch EGMR, EuGRZ 1995, 530ff - Lopez Ostra, wonach nur schwere Umweltverschmutzungen und damit verbundene Emissionen das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens iSd Art 8 I EMRK beeinträchtigen können. 151 Vgl Roth Faktische Eingriffe in Freiheit und Eigentum, 1994, S 58 ff. 152 Vgl Frowein in: Frowein/Peukert Art 3 EMRK Rn 18 ff. Im Falle einer Ausweisung liegt zudem so gut wie immer ein Eingriff in das durch Art 8 I EMRK geschützte Recht auf Achtung des Privatund Familienlebens vor. Vgl etwa EGMR, NJW 2003, 2595 - Adam. 153 Vgl EGMR, EuGRZ 1995, 530, Rn 54 ff - Lopez Ostra. Krit zur früheren Rspr Wildhaberl Breitenmoser in: Karl Art 8 Rn 13, 55 ff. 154 Vgl zu dem hier zugrunde gelegten Grundrechtsverständnis für das deutsche Recht BVerfGE 57, 295, 320ff; Ehlers W D S t R L 51 (1992), 211, 225; Bethge W D S t R L 57 (1998), 7, 29f. Zum Untermaßverbot vgl BVerfGE 39, 1, 42ff; Scherzberg Grundrechtsschutz und „Eingriffsintensität", 1989, S 208 ff. 155 Vgl Sachs in: ders (Fn 30) Vor Art 1 Rn 120 ff. 156 Aus dem Umstand, dass die Abs 2 der Art 8-11 EMRK ausdrücklich eine Beschränkung „zum Schutz der Rechte (und Freiheiten) anderer" zulassen, wird man nicht den Gegenschluss ziehen können, dass kollidierende Konventionsrechte im Übrigen unbeachtlich sind.
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Allgemeine Lehren
§ 2 VIII 5
ganz selten stellen wird.157 So ist davon auszugehen, dass das Verbot der Folter oder Sklaverei (Art 3, Art 4 I EMRK) keinerlei Beschränkungen zugänglich ist (-» § 3 Rn 45). Verschiedentlich hat die Rechtsprechung aber immanente, implizite oder stillschweigende Grundrechtsschranken anerkannt, um Bagatellfälle auszuklammern158 oder den Mitgliedsstaaten die Möglichkeit zu geben, die Bedingungen der Rechtsausübung (zB des Wahlrechts159 oder des Rechts auf Zugang zu einem Gericht160) zu regeln161. In Wahrheit liegt in solchen Fällen in aller Regel kein Eingriff vor, weil es um die Auslegung von Tatbestandsmerkmalen, die Anerkennung eines staatlichen Gestaltungsauftrags oder die Bestimmung der für die Annahme eines Eingriffs notwendigen Beeinträchtigungsschwelle geht. ZB schließt das Verbot einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung (Art 3 EMRK) nicht jede Gewaltanwendung aus. Ist die Gewaltanwendung wegen des Verhaltens eines Gefangenen „unbedingt erforderlich"162, fehlt es an der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung.163 Der Sache nach bedeutet dies, dass die notwendigen Abwägungen in nicht wenigen Fällen auf der Tatbestands- oder Eingriffs-, statt auf der Rechtfertigungsebene vorgenommen werden müssen. Sieht man von dem (äußerst seltenen) Fall des kollidierenden Konventionsrechts ab, dürfen die Konventionsrechte nur nach Maßgabe der vorgesehenen Schranken geschmälert werden. Zu unterscheiden ist zwischen allgemeinen und speziellen Schrankenregelungen. b) Allgemeine Schrankenregelungen Allgemeine Schrankenregelungen enthalten die Art 15-17 EMRK. Nach Art 15 I EMRK dürfen die Konventionsrechte im Falle des Krieges oder eines anderen öffentlichen Notstandes beschränkt werden, soweit die Maßnahmen unbedingt erforderlich sind und nicht im Widerspruch zu sonstigen völkerrechtlichen Verpflichtungen stehen. Das Vorliegen eines Notstandes setzt voraus, dass dieser besteht oder unmittelbar bevorsteht, Auswirkungen auf die gesamte Nation hat, eine Bedrohung für das organisierte Gemeinwesen darstellt und durch normale Maßnahmen oder Einschränkungen nicht bekämpft werden kann.164 Den nationalen Organen wird ein Beurteilungsspielraum zugestanden.165 Das Abweichen von den Konventionsverpflichtungen muss dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen. Wegen des Günstigkeitsprinzips des Art 53 EMRK (Rn 5) darf das Verfassungsrecht des Konventionsstaates nicht verletzt werden. Notstandsfest sind die in Art 15 II EMRK genannten Rechte. Nach Absatz 3 der Vorschrift muss der Generalsekretär des Europarats umfassend unterrichtet werden. Die Klausel des Art 15 EMRK hat in einer beachtlichen Anzahl von Fällen eine Rolle gespielt (Griechenland, Zypern, Türkei, Nordirland).166 Art 16 EMRK erlaubt den Konventionsstaaten, die politische Tätigkeit von
157 Einschlägige Rspr hierzu gibt es, soweit ersichtlich, nicht. 158 Vgl hierzu WildhaberlBreitenmoser in: Karl Art 8 Rn 579 f. 159 EGMR, Urt ν 02.09.1998, Rn 75 - Ahmed; Urt ν 02.03.1987, Rn 52 - Mathieu-Moin. 160 EGMR, Urt ν 21.11.2001, Rn 33 - Fogarty. 161 Vgl Rn 41. 162 Vgl EGMR, RJD 1998-IV, 1504 ff Rn 52 f - Tekin. 163 Der Rechtfertigungsebene ordnet diesen Fall dagegen Peters EMRK § 6 III zu. 164 Vgl Meyer-Ladewig HK Art 15 Rn 4 m Rspr-Nachw. 165 EGMR, EuGRZ 1979, 149, Rn 207- Irland. 166 Näher dazu Stein in: Maier (Hrsg) Europäischer Menschenrechtsschutz, Schranken und Wirkungen, 1982, S 135 ff.
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§ 2 VIII 5
Dirk Ehlers
Ausländern ohne Rücksicht auf das Diskriminierungsverbot des Art 14 EMRK einzuschränken. Die - antiquierte, in den sonstigen Menschenrechtspakten nicht enthaltene Vorschrift dürfte auf Staatsangehörige der Mitgliedstaaten der EU nicht anwendbar sein.167 Art 17 EMRK will dem Missbrauch vorbeugen (Rn 39) und lässt einerseits die Berufung von „Freiheitsfeinden" auf die Konventionsrechte nicht zu. Dies bedeutet, dass der Staat die Grundrechtsausübung verbieten und bestrafen darf. Gleichzeitig werden andererseits aber auch dem Staat weitergehende Beschränkungen der Rechte und Freiheiten als in der Konvention vorgesehen untersagt. c) Spezielle Schrankenregelungen 44
Daneben gibt es spezielle Schrankenregelungen, die jeweils nur die Einschränkung desjenigen Konventionsrechts erlauben, für das sie formuliert sind. Auch diese speziellen Regelungen weisen gewisse Gemeinsamkeiten auf. aa) Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung
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Die Beeinträchtigung nicht vorbehaltlos gewährleisteter Konventionsrechte ist nur durch oder aufgrund Gesetzes (law, loi) zulässig (vgl zB Art 5, 8-11 EMRK, Art 1 1. ZP EMRK, Art 2 4. ZP EMRK, Art 2 7. ZP EMRK). Welche Anforderungen an das Gesetz zu stellen sind, ist noch nicht vollständig geklärt.168 Möglicherweise müssen die Unterschiede in den Rechtsquellen der einzelnen Rechtssysteme in den Mitgliedstaaten Berücksichtigung finden.169 Eines Gesetzes im formellen Sinne (dh eines Parlamentsgesetzes) bedarf es nicht. Mit Rücksicht auf den Common-Law-Rechtskreis soll auch ungeschriebenes Recht in Betracht kommen.170 Jedenfalls muss das Gesetz aber zugänglich und so bestimmt sein, dass die Konsequenzen vorhersehbar sind.171 bb) Verfolgung zulässiger Zwecke
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Die Schrankenbestimmungen der EMRK enthalten eine Aufzählung von bestimmten Eingriffszwecken. ZB muss eine Einschränkung der Religionsfreiheit dem Schutz der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, der Gesundheit oder Moral oder der Rechte und Freiheiten anderer dienen (Art 9 II EMRK). Wie Art 18 EMRK (nochmals) ausdrücklich klarstellt, dürfen die Rechte und Freiheiten nur zu den vorgesehenen Zwecken eingeschränkt werden. Art 1 1. ZP EMRK erlaubt zwar eine Entziehung des Eigentums zu den durch Gesetz vorgesehenen Bedingungen, nennt diese aber nicht. Notwendig sein dürften hinreichende Gemeinwohlerfordernisse.
167 Vgl EGMR, Serie A, Vol 314, Rn 64 - Piermont; Frowein in: Frowein/Peukert Art 16 EMRK Rn 1; Grabenwarter W D S t R L 60 (2001), 290, 333. 168 Vgl auch Weiß Das Gesetz im Sinne der Europäischen Menschenrechtskonvention, 1996. 169 In diesem Sinne Grabenwarter EMRK § 18 Rn 8. 170 Grdl EGMR, EuGRZ 1979, 386, Rn 47 - Sunday Times; vgl auch EKMR, EuGRZ 1977, 419, Rn 63 ff - Klass. 171 Vgl EGMR, ÖJZ 1990, 564, Rn 30 - Kruslin; EuGRZ 1992, 535 Rn 88, 91 - Herczegfalvy; NVwZ 2000,421, Rn 34 ff - Rekvenyi.
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§ 2 VIII 6
Allgemeine Lehren cc) Verhältnismäßigkeit der Beschränkung
Viele Einschränkungsklauseln der Konvention enthalten die Formel, dass die betreffende 47 Beschränkung für die verfolgten Ziele „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" sein muss.172 Nach und nach hat der EGMR herausgearbeitet, dass der Terminus Notwendigkeit nicht mit Erforderlichkeit, sondern mit Verhältnismäßigkeit gleichzusetzen ist.173 Die Verhältnismäßigkeit wird im Sinne des deutschen Rechts verstanden. 174 Ebenso wie die deutschen Gerichte und seit längerem auch der EuGH (—> § 7 Rn 96; —» § 14 Rn 50) unterscheidet der EGMR zwischen Geeignetheit175, Erforderlichkeit176 und Angemessenheit 177 (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne) der staatlichen Maßnahmen. Anders als im Europäischen Gemeinschaftsrecht kommt es idR auf die Angemessenheitsprüfung an, dh auf die Gegenüberstellung und Bewertung der Belange der Konventionsstaaten einerseits und der Berechtigten andererseits. In der Anlehnung an diese zunächst in Deutschland entwickelten Vorstellungen dürfte hierin einer der wichtigsten Beiträge der jüngeren deutschen Rechtskultur für die europäische Rechtsordnung liegen. Allerdings ist die Kontrolldichte eine andere als in Deutschland. Tendenziell liegt sie niedriger (Rn 67). Im Einzelfall können aber andere Maßstäbe gelten. Die Verhältnismäßigkeit wirkt auch dann als Schranken-Schranke, wenn die EMRK und die Zusatzprotokolle nicht ausdrücklich auf die „Notwendigkeit" der Einschränkung verweisen. 6. Schematische
Zusammenfassung
Zusammenfassend soll die Frage, ob die Konventionsrechte verletzt worden sind (jedenfalls im Falle des Vorliegens von Freiheitsrechten), wie folgt geprüft werden: I. Anwendbarkeit der Konvention 1. Inkrafttreten der Konventionsbestimmung 2. Ratifizierung der Konventionsbestimmung durch den Konventionsstaat 3. Nichteingreifen eines Vorbehalts II. Schutzbereich des Konventionsrechts 1. Sachlicher Schutzbereich 2. Persönlicher Schutzbereich Konventionsberechtigung und Konventionsverpflichtung 3. Räumlicher Schutzbereich Extraterritoriale Wirkung 4. Zeitlicher Schutzbereich III. Eingriff in das Konventionsrecht Ausklammerung von entfernten oder geringen Beeinträchtigungen IV. Rechtfertigung des Eingriffs 1. Kollidierendes Konventionsrecht 2. Allgemeine Schrankenregelungen a) Art 15 E M R K 172 Vgl die Abs 2 der Art 8 - 11 EMRK. 173 Vgl EGMR, EuGRZ 1977, 38, Rn 48 - Handyside. 174 Vgl Grabenwarter W D S t R L 60 (2001), 290, 308. Näher dazu § 14 Rn 50. 175 Vgl EGMR, EuGRZ 1990, 255, Rn 70 - Groppera Radio AG. 176 EGMR, EuGRZ 1985, 170, Rn 52ff - Barthold. Vgl auch EGMR, EuGRZ 1983, 488, Rn 58 Dudgeon. 177 Vgl EGMR, EuGRZ 1993, 552, Rn 46 - Moustaquim.
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§ 2 IX 1
Dirk Ehlers
b) Art 1 6 E M R K c) Art 17 E M R K 3. Spezielle Schrankenregelungen a) Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung, Zugänglichkeit und Bestimmtheit b) Vorliegen zulässiger Zwecke c) Verhältnismäßigkeit der Beschränkung: Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit
IX. Rechtsschutz 1. Rechtsschutz durch den EGMR
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Fall 4: (EGMR, NJW1999,775 ff - K-F = Ehlers JK 99, EMRK Art 51/1) Der Bf (ein deutscher Staatsangehöriger) war von deutschen Polizeibeamten wegen des dringenden Tatverdachts eines Einmietbetruges und wegen Fluchtgefahr zur Identitätsfeststellung auf eine Polizeidienststelle verbracht und dort bis zum nächsten Morgen festgehalten worden. Die Zeitspanne betrug 12 Stunden und 45 Minuten. Das anschließende Ermittlungsverfahren stellte die Staatsanwaltschaft ein, weil dem Bf ein Mietbetrug nicht nachgewiesen werden konnte. Daraufhin erstattete der Bf Strafanzeige gegen die an den Geschehnissen beteiligten Polizeibeamten wegen Verdachts der Freiheitsberaubung, der versuchten Nötigung und der Beleidigung. Auch dieses Verfahren wurde eingestellt. In dem vom Bf angestrengten Klageerzwingungsverfahren stellte das OLG fest, dass die Einstellung gerechtfertigt sei. Das BVerfG nahm eine gegen diese Entscheidung gerichtete Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an. Daraufhin erhob der Bf eine Beschwerde gegen die Bundesrepublik Deutschland vor dem EGMR. Ist die Beschwerde zulässig und begründet? Volle Wirkkraft können Grundrechte erst dann entfalten, wenn ihre Einhaltung von einer unabhängigen Gerichtsbarkeit durchgesetzt werden kann. Geht es um die Einhaltung völkerrechtlicher Gewährleistungen, bedarf es einer internationalen Gerichtsbarkeit. Durch das am 1.11.1998 in Kraft getretene 11. Zusatzprotokoll zur EMRK 178 ist der - zuvor sehr kompliziert und langwierig gestaltete - Menschenrechtsschutz der E M R K grundlegend reformiert und vereinfacht worden.179 Während früher die Europäische Kommission für Menschenrechte, das Ministerkomitee und der EGMR zusammenwirken mussten, wird heute nur noch der EGMR als Kontrollinstanz tätig. Die Europäische Kommission für Menschenrechte wurde aufgelöst, das Ministerkomitee (Art 13 ff EU-Rat) überwacht nur noch die Durchführung der Urteile des EGMR (Art 46 II EMRK). Der E G M R nimmt seine Aufgaben als „ständiger Gerichtshof wahr (Art 19 S 2 EMRK) und verfügt über hauptamtlich tätige (Art 21 III EMRK), für die Dauer von sechs Jahren von der Parlamentarischen Versammlung (Art 22 EMRK) auf der Grundlage eines Listenvorschlags des jeweiligen Konventionsstaates gewählte und wieder wählbare (Art 23 EMRK) Richter. Die Richter müssen hohes sittliches Ansehen genießen und entweder die für die Ausübung richterlicher Ämter erforderlichen Voraussetzungen erfüllen oder Rechtsgelehrte von anerkanntem Ruf sein (Art 21 I EMRK). Ihre Anzahl entspricht derjenigen der Kon-
178 BGBl II 1995, 578. 179 Vgl dazu Meyer-LadewiglPetzold NJW 1999, 1165f; Schlette JZ 1999, 219ff; Schmidt-Aßmann in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner (Hrsg) VwGO, 1999, Einl Rn 145 ff; § 1 Rn 11.
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Allgemeine Lehren
§2 IX 1
ventionsstaaten (Art 20 EMRK). Der EGMR gliedert sich derzeit in drei Spruchkörper, nämlich in Ausschüsse mit drei Richtern, Kammern mit sieben Richtern und eine Große Kammer mit 17 Richtern (Art 27 I EMRK).180 Der Kammer und Großen Kammer gehört von Amts wegen der für eine als Partei beteiligte Hohe Vertragspartei gewählte Richter an. Das Plenum (Art 26 EMRK) nimmt nur Verwaltungsaufgaben wahr. Die Organisation und das Verfahren im Einzelnen richten sich nach der vom EGMR erlassenen Verfahrensordnung von 1998. Die Gerichtsbarkeit ist für alle Konventionsstaaten obligatorisch (also eines Vorbehalts nicht zugänglich).181 Anders als im europäischen Gemeinschaftsrecht (Art 222 EGV/Art III-354 W E ) wird die Arbeit des Gerichtshofs nicht durch Generalanwälte unterstützt. Um die langfristige Wirksamkeit des Kontrollsystems in Anbetracht der stetigen Zunahme der Arbeitslast des Gerichtshofs (Rn 5) zu wahren und zu verbessern, ist das nicht in Kraft getretene 14. ZP EMRK entworfen worden. Geplant ist vor allem, dass der Gerichtshof auch in Einzelrichterbesetzung entscheiden kann. Der Einzelrichter soll eine Individualbeschwerde endgültig für unzulässig erklären oder im Register streichen können, wenn eine solche Entscheidung ohne weitere Prüfung getroffen werden kann (Art 27 EMRK nF). Die folgende Darstellung orientiert sich am geltenden Recht. Doch wird jeweils auf das 14. ZP EMRK hingewiesen, sofern dieses wesentliche Neuerungen mit sich bringen wird.
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a) Staatenbeschwerde Die EMRK sieht derzeit zwei Formen des Rechtsschutzes vor, nämlich die Staatenbeschwerde (Art 33) und die Individualbeschwerde (Art 34). Künftig soll zudem das Ministerkomitee den Gerichtshof anrufen können (Rn 54). Die Staatenbeschwerde ermöglicht es jedem Konventionsstaat, den EGMR wegen jeder behaupteten Verletzung der Konvention und der Protokolle durch einen anderen Konventionsstaat anzurufen. Der beschwerdeführende Staat macht keine eigenen Rechte geltend und braucht auch kein irgendwie geartetes Interesse am Ausgang des Verfahrens deutlich zu machen. Die Zahl der Staatenbeschwerden ist gering, dennoch wird die Staatenbeschwerde als ein wirksames Mittel zur Sicherung eines Mindeststandards des Menschenrechtsschutzes in allen Konventionsstaaten angesehen.182
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b) Anrufung des EGMR durch das Ministerkomitee Nach bisherigem Recht kann der Gerichtshof auf Antrag des Ministerkomitees Gutacbten über Rechtsfragen erstatten, welche die Auslegung der Konvention und der Protokolle betreffen (Art 47 EMRK). Nach dem 14. ZP EMRK ist vorgesehen, dass sich das Ministerkomitee auch an den EGMR wenden kann, um die Überwachung des Vollzugs des endgültigen Urteils des Gerichtshofs oder dessen ordnungsgemäße Befolgung klären zu lassen (Art 46 Nr 3, 4 EMRK nF). Im zuletzt genannten Fall bedarf es einer vorherigen Mahnung der betreffenden Partei.
180 Näher zur Bildung dieser Spruchkörper Art 24 ff VerfO E M R K . 181 Die früheren Fakultativklauseln sind weggefallen. Vgl Schiene ZaöRV 1996, 905, 941. 182 Vgl Frowein JuS 1986, 845, 846. Aus neuerer Zeit vgl E G M R , E u G R Z 2001, 619f - Dänemark; Urt ν 10.5.2001 - Zypern.
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§2 IX 1
Dirk Ehlers
c) Individualbeschwerde 55
Sehr viel bedeutsamer ist die Individualbeschwerde (Art 34 EMRK), die als ein der Verfassungsbeschwerde vergleichbarer außerordentlicher Rechtsbehelf anzusehen ist.183 Sie hat keine aufschiebende Wirkung, jedoch kann der EGMR den Parteien vorläufige Maßnahmen empfehlen (Art 39 VerfO EMRK). 184 Hiervon wird idR nur Gebrauch gemacht, wenn Verletzungen der Art 2 oder 3 E M R K drohen.185 aa) Zulässigkeitsvoraussetzungen186 (1) Form, Sprache
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Die Beschwerde ist schriftlich zu erheben und vom Bf oder dessen Vertreter zu unterzeichnen (Art 45 VerfO EMRK). Die Beschwerdeschrift muss nicht in einer offiziellen Sprache (Englisch oder Französisch), sondern kann auch in der Amtssprache des Konventionsstaates (bei Beschwerden aus Deutschland also in Deutsch) eingereicht werden (Art 34 II VerfO EMRK). (2) Vereinbarkeit mit der E M R K
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Gem Art 35 III E M R K erklärt der Gerichtshof Individualbeschwerden für unzulässig, wenn er sie für unvereinbar mit der Konvention oder den Protokollen hält. Damit werden zugleich die Grenzen umschrieben, innerhalb derer der Gerichtshof tätig werden darf. Erforderlich sind vier Sachentscheidungsvoraussetzungen, die sich auf die Personen (ratione persone) sowie den räumlichen (ratione loci), zeitlichen (ratione temporis) und sachlichen (ratione materiae) Geltungsbereich der Konvention und ihrer ZP beziehen. Es wäre auch möglich, alle Anforderungen der Beschwerdebefugnis zuzuordnen. (a) Prozessfähigkeit, Postulationsfähigkeit
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Zunächst ist erforderlich, dass der Bf partei- und prozessfähig und der Beschwerdegegner Verpflichteter der Konventionsrechte ist. Die Individualbeschwerde darf von jeder natürlichen Person, nichtstaatlichen Organisation oder Personengruppe (auch nichtrechtsfähiger Art) eingelegt werden. Zu Abgrenzungen des Personenkreises kann auf die Rn 22 ff verwiesen werden. An die Prozessfähigkeit stellen die E M R K und die VerfO E M R K keine besonderen Anforderungen, so dass jeder zugelassen wird, der faktisch in der Lage ist, Prozesshandlungen vorzunehmen. 187 Dies kann auch ein Minderjähriger oder uU sogar ein Geschäftsunfähiger sein. Eine Vertretung (zB minderjähriger Bf durch die Eltern) ist zulässig. Anwaltszwang besteht nicht, jedoch kann eine Vertretung durch einen Anwalt angeordnet werden (Art 36 II VerfO EMRK). Verstirbt der Bf, dürfen bei berechtigtem Interesse (etwa wenn es um die Wahrung höchstpersönlicher Rechte geht) die Erben oder
183 Vgl ν Stackelberglv Stackelberg Das Verfahren der deutschen Verfassungsbeschwerde und der europäischen Menschenrechtsbeschwerde, 1988, S 87 ff; Peukert in: Frowein/Peukert Art 25 EMRK Rn 2; Rogge in: Karl Art 25 Rn 82. 184 VerfO EMRK ist vom Gerichtshof gem Art 26 lit d EMRK erlassen worden. 185 Vgl EGMR, EuGRZ 1991, 203, Rn 53 - Cruz Varas. 186 Vgl auch Kunig/Uerpmann Übungen S 189; Grabenwarter EMRK § 13; Peters EMRK § 35; Rogge in: Karl Art 25 Rn 1-70. 187 Vgl Murswiek JuS 1986, 8, 9.
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Allgemeine Lehren
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sonstigen Verwandten das Verfahren fortsetzen. 188 Gegenstand der Beschwerde muss ein Verhalten sein, das einem Verpflichtungsadressaten der Konventionsrechte (Rn 27 fl) zuzurechnen ist. (b) Hinsichtlich des räumlichen Anwendungsbereichs der E M R K kann auf R n 34 verwiesen werden. (c) Die zeitliche Geltung der Konvention richtet sich nach den allgemeinen Völkerrechtliehen Grundsätzen (Rn 35). (d) In sachlicher Hinsicht ist Voraussetzung, dass die E M R K auf den Streitfall anwendbar ist. Alle weiteren Zulässigkeitsprüfungen sollten im Rahmen der Erörterung, ob ein Verpflichteter in Anspruch genommen wurde (Rn 58), oder der Beschwerdebefugnis (Rn 62) angestellt werden.
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(3) Beschwerdebefugnis Nach Art 34 E M R K muss der Bf ferner behaupten, durch eine der Hohen Vertragsparteien in einem in der Konvention oder den Protokollen dazu anerkannten Recht verletzt zu sein (Art 34 E M R K ) . Es besteht Einigkeit darüber, dass die Verletzung eigener Rechte geltend zu machen ist.' 89 Die Geltendmachung soll in einem substantiierten und schlüssigen Vortrag bestehen, durch den angegriffenen Hoheitsakt oder das unterlassene Hoheitshandeln in einem bestimmten Konventionsrecht verletzt und dadurch direkt betroffen zu sein.190 Trotz der anderen Formulierung dürften im Wesentlichen dieselben Anforderungen wie nach der für die §§ 90 BVerfGG, 42 II VwGO entwickelten sog Möglichkeitstheorie 191 zu stellen sein. Die Möglichkeit einer Verletzung scheidet danach aus, wenn offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise die vom Bf behaupteten Rechte bestehen oder ihm zustehen können. Für die Annahme einer relativ geringen Substantiierungslast spricht auch der Umstand, dass der E G M R eine Beschwerde (nur) für unzulässig zu erklären hat, wenn sie offensichtlich unbegründet ist (Art 35 III E M R K ) . Richtet sich die Beschwerde gegen gesetzliche Bestimmungen, ohne dass der Vollziehungsakt angegriffen wird, muss der Bf unmittelbar (selbst und gegenwärtig) durch das Gesetz (und nicht erst die Vollziehung des Gesetzes) beeinträchtigt werden. 192 Entfallt die Beschwer nachträglich, steht dies der Sachprüfung nicht entgegen, es sei denn, der Konventionsstaat hat die Konventionsverletzung anerkannt und ggf Entschädigung geleistet. 193
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(4) Rechtswegerschöpfung Art 35 I E M R K verlangt, dass der E G M R erst „nach Erschöpfung aller innerstaatlichen Rechtsbehelfe" angerufen wird. Zu den Rechtsbehelfen sind auch formlose Behelfe zu
188 Vgl EKMR, EuGRZ 1978, 314, Rn 1 - Ensslin, Bader u Raspe; EGMR, RJD 2000-IX, 237 Rn41-Jecius. 189 Vgl Schmidt-Aßmann in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner (Fn 179) Einl Rn 147. 190 Vgl Peukert in: Frowein/Peukert Art 25 EMRK Rn 20. Vgl auch Rogge in: Karl Art 25 Rn 214ff. Der englische Text spricht von „claiming to be the victim of a violation". Unter victim wird eine direkt betroffene Person verstanden (EGMR, EuGRZ 1990, 255, Rn 47 - Groppera Radio AG). 191 Vgl zB PierothlSchlink (Fn 125) Rn 1129 ff; Wahl/Schütz in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner (Fn 200) § 42 II Rn 64 ff. 192 Vgl EGMR, EuGRZ 1979,454, Rn 27 - Marckx. 193 Peukert in: Frowein/Peukert Art 25 EMRK Rn 29; Villiger EMRK § 9 Rn 149f.
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zählen, sofern sie hinreichend zur Abhilfe geeignet sind.194 Da dem Staat die Möglichkeit gegeben werden soll, Konventionsverletzungen zu beheben, und der EMRK-Rechtsschutz nur subsidiär ist, muss die geltend gemachte Menschenrechtsverletzung „in substance" vor den innerstaatlichen Instanzen vorgebracht worden sein (ohne dass es einer ausdrücklichen Berufung auf die EMRK bedarf).195 Rügt der Bf eine überlange Verfahrensdauer (Art 6 1 1 EMRK), kommt es darauf an, ob er das Verfahren beschleunigen oder ggf auch Entschädigung wegen der überlangen Verfahrensdauer erlangen konnte.196 Der Geltendmachung von Staatshaftungsansprüchen bedarf es nicht, wenn dem Rechtsschutzziel des Bf damit nicht Genüge getan wird.197 Nicht zu den Rechtsbehelfen gehört (wegen seines außerordentlichen Charakters) das Wiederaufnahmeverfahren.198 Der Bf muss vor Anrufung des EGMR alle innerstaatlichen Gerichtsbehelfe ausgeschöpft haben. UU reicht es aus, dass die Entscheidung der letzten innerstaatlichen Instanz erst nach Anrufung (aber vor Entscheidung des EGMR über die Zulässigkeit) ergangen ist.199 Falls der Bf die Möglichkeit dazu hatte, ist der Rechtsweg erst erschöpft, wenn das höchste zuständige Gericht erfolglos angerufen wurde. Auch eine nach innerstaatlichem Recht zulässige Verfassungsbeschwerde soll grundsätzlich zur Erschöpfung des Rechtsweges gehören, sofern die Konventionsverletzung damit erfasst werden kann.200 Nach der Rspr des EGMR sind ferner die aus den von den Konventionsstaaten geschlossenen internationalen Verträgen resultierenden Strukturveränderungen bei der Auslegung der Konvention zu berücksichtigen.201 Daher können auch Rechtsbehelfe nach Maßgabe des Europäischen Gemeinschaftsrechts als „innerstaatlich" iSd Art 35 I EMRK anzusehen sein.202 Stets müssen die innerstaatlichen Rechtsbehelfe für den Bf zugänglich und geeignet gewesen sein, der behaupteten Rechtsverletzung abzuhelfen. Die Zugänglichkeit bedarf insbesondere bei Strafgefangenen oder Mittellosen und nicht der Sprache des Konventionsstaates mächtigen Bf besonderer Prüfung. Nicht erforderlich ist die Einlegung eines Rechtsbehelfs etwa, wenn sie zwar formal möglich, aber ohne jede Erfolgschance war (zB wegen einer feststehenden entgegenläufigen Rspr).203 Unterbleibt die Einlegung eines Rechtsbehelfs, der nur eine rechtliche Überprüfung, nicht aber eine Sachverhaltsermittlung ermöglicht hätte, ist maßgebend, ob es einer Tatsachenüberprüfung zwingend bedufte.204 In Zweifelsfällen neigt der EGMR zu einer rechtsschutzfreundlichen Betrachtungsweise. Beruft sich der Konventionsstaat nicht auf die Nichterschöpfung des Rechtswegs, wirkt sich dies nach dem Estoppel-Prinzip des englischen Rechts wie ein Verzicht (Art 55 VerfO EGMR) aus.205
194 Schmidt-Aßmann in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner (Fn 179) Einl Rn 148. 195 Vgl Villiger EMRK § 7 Rn 133 f. 196 EGMR, NJW 2001, 2692, 2693 - Tome Mota. 197 EGMR, RJD 1997-11, Rn 37 - Hornsby; EuGRZ 1999, 317 - Iatrids. 198 Peters EMRK S 242. 199 Grabenwarter EMRK § 13 Rn 22. 200 Vgl Peukert in: Frowein/Peukert Art 26 EMRK Rn 28. 201 EGMR, EuGRZ 1999, 200, Rn 39 - Matthews. 202 Grabenwarter W D S t R L 60 (2001), 290, 335. 203 Vgl Murswiek JuS 1986, 8, 10; Peters EMRK S 244. 204 Vgl EGMR, NJW 2001, 54, Rn 43ff - Civet. 205 Vgl Villiger EMRK § 7 Rn 114.
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(5) Beschwerdefrist Die Beschwerde kann nur innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der endgültigen innerstaatlichen Entscheidung eingelegt werden (Art 35 I EMRK). Die Frist beginnt mit der Kenntnisnahme. Muss die Entscheidung zugestellt werden (wie bei gerichtlichen Urteilen), beginnt die Frist erst mit der Zustellung und nicht bereits mit der Verkündung zu laufen.204 Als Datum der Beschwerdeerhebung dient idR das Datum der ersten Mitteilung des Bf, nicht der Zugang bei Gericht (Art 47 V VerfO EMRK). Der EGMR kann aber ein anderes Datum für maßgeblich erklären (zB wenn das Beschwerdeschreiben offensichtlich zurückdatiert worden ist).207 Vor Ablauf der Frist muss mindestens der wesentliche Gegenstand der Beschwerde mitgeteilt worden sein. Eine Hemmung der Frist kommt grundsätzlich nicht in Betracht, es sei denn, der Bf war tatsächlich (zB wegen einer Isolierhaft) verhindert, die Frist einzuhalten.
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(6) Sonstige Zulässigkeitsvoraussetzungen Art 34 u 35 EMRK statuieren eine Reihe weiterer Sachentscheidungsvoraussetzungen, die sich zT mit den bereits genannten überschneiden. So darf die Beschwerde nicht anonym (Art 35 II lit a EMRK) oder missbräuchlich (Art 35 III EMRK; vgl auch Rn 39, 43) eingelegt werden. Ferner darf sie gem Art 35 II lit b EMRK nicht mit einer schon vorher vom EGMR geprüften Beschwerde übereinstimmen oder schon einer anderen internationalen Instanz unterbreitet worden sein. Dies bedeutet, dass keine rechtskräftige Entscheidung des EGMR (res judicata) vorliegen und keine anderweitige internationale Rechtshängigkeit (Litispendenz) bestehen darf. Bf, Sachverhalt und Beschwerdegegenstand müssen identisch sein. Für die Bf reicht materielle Identität aus.208 Das 14. ZP EMRK erlaubt dem Gerichtshof ferner, eine Individualbeschwerde für unzulässig zu erklären, wenn er der Ansicht ist, das dem Bf kein erheblicher Nachteil entstanden ist, es sei denn, die Achtung der Menschenrechte, wie sie in der Konvention und dem Protokoll anerkannt sind, erfordert eine Prüfung der Begründetheit der Beschwerde. Voraussetzung ist ferner, dass eine Rechtssache nicht zurückgewiesen wird, die noch von keinem innerstaatlichen Gericht in dem entscheidenden Punkt geprüft worden ist (Art 34 III lit b EMRK nF). Schließlich muss der Bf wie jeder Rechtsschutzsuchende ein Rechtsschutzbedürfnis besitzen.209
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bb) Verfahren Das Verfahren des EGMR nach Einlegung einer Individualbeschwerde ist mehrstufig ausgestaltet. Der berichterstattende Richter oder Präsident des einschlägigen Ausschusses entscheidet, ob die Beschwerde dem Ausschuss oder der Kammer zugewiesen wird (Art 49 I lit b VerfO EGMR). Bestehen gravierende Zulässigkeitsbedenken, prüft idR bereits der Ausschuss der Kammer (Art 27 I 2 EMRK) die Zulässigkeitsvoraussetzungen. Nach
206 Vgl EGMR, RJD 1997-V, 1535 Rn 31 f - Worm; Meyer-Ladewig HK Art 35 Rn 19ff. 207 In der Praxis wird deshalb regelmäßig vom Datum des Poststempels ausgegangen. 208 Vgl EKMR, EuGRZ 1982, 15, Rn 2 - Rudolf Hess (Wiederholung der Beschwerde des Opfers durch Verwandte); Urt ν 12.10.1992 - Cereceda Martin (Beschwerde von Mitgliedern in einer Vereinigung, die als Bf vor einem anderen Verfahren auftraten). In beiden Fällen sind die Beschwerden als unzulässig erachtet worden. 209 Vgl Peukert in: Frowein/Peukert Art 25 EMRK Rn 38.
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Inkrafttreten des 14. ZP E M R K kann der Einzelrichter selbst endgültig über die Zulässigkeit entscheiden (Rn 51), wobei er keine Beschwerde gegen die Hohe Vertragspartei prüfen darf, für die er gewählt worden ist. Kommt der Ausschuss einstimmig zu dem Ergebnis, dass ohne weitere Prüfung eine Unzulässigkeit anzunehmen ist, weist er die Beschwerde durch endgültigen Beschluss oder Streichung im Register (Art 37 EMRK) ab (Art 28 EMRK). Ergeht keine negative Entscheidung, hat die Kammer über die Zulässigkeit und Begründetheit zu entscheiden (Art 29 EMRK). Nach Absatz 3 der Vorschrift soll die Entscheidung über die Zulässigkeit idR gesondert erfolgen. Wird die Beschwerde für zulässig erklärt, setzt der Gerichtshof gem Art 38 E M R K die Prüfung fort, nimmt die erforderlichen Ermittlungen vor und bemüht sich um eine gütliche Einigung (die im Erfolgsfall eine Streichung im Register zur Folge hat). Die Verhandlung ist grundsätzlich öffentlich (Art 40 EMRK). Nur in Ausnahmefällen (wenn die Sache besondere Schwierigkeiten aufweist oder die Kammer von einer früheren Entscheidung einer anderen Kammer abweichen will) legt die Kammer - bevor sie selbst eine Entscheidung getroffen hat die Rechtssache der Großen Kammer vor, sofern nicht eine Partei widerspricht (Art 30 EMRK). 210 Eine Befassung der Großen Kammer mit einer Beschwerde kommt ferner dann in Betracht, wenn eine Partei „in Ausnahmefällen" nach Erlass des Urteils der Kammer die Verweisung der Rechtssache an die Große Kammer beantragt (Art 43 EMRK). In diesem Falle bedarf es zunächst einer Annahme des Antrags durch einen Fünferausschuss der Großen Kammer, wobei es um schwerwiegende Fragen gehen muss (Art 43 II EMRK). Nimmt der Ausschuss den Antrag an, entscheidet die Große Kammer die Sache endgültig durch Urteil (Art 43 III EMRK). Kommt es zum Verfahren des Art 43 EMRK, entscheidet die Große Kammer als gerichtsinterne Rechtsmittelinstanz.211 cc) Begründetheit der Beschwerde und Wirkungen der Entscheidung des EGMR 67
Begründet ist eine Individualbeschwerde, wenn der Bf in einem Konventionsrecht verletzt worden ist (Rn 37 ff). Die gerichtliche Kontrolldichte ist eher geringer als in Deutschland, weil der EGMR den Konventionsstaaten in großzügigerer Weise Einschätzungsspielräume (margins of appreciation) zugesteht. Anders als im deutschen Rechtskreis wird nicht kategorisch zwischen unbestimmten Rechtsbegriffen mit Beurteilungsspielräumen, Ermessensspielräumen und sonstigen Rechtsbindungen unterschieden, selbst wenn die Begriffe gelegentlich genannt werden. Daher ist die Reichweite der gerichtlichen Kontrolle schwer vorherzusagen. Auf den Wortlaut der Konventionsbestimmungen wird zumeist nicht maßgeblich abgestellt. Zu unterscheiden ist, ob sich die Freiräume auf die Tatsachenfeststellung, die Tatsachenwürdigung, die Auswahl der Maßnahmen zur Einschränkung der Konventionsrechte oder auf die Schutzpflichten beziehen sollen. Bei der Erfüllung ihrer Schutzpflichten wird den Konventionsstaaten ein weiter Spielraum zugestanden. Ferner kommt es ua darauf an, wie wichtig die verfolgten Zielsetzungen sind, ob es gemeineuropäische Standards gibt und wie intensiv die Souveränität der Vertragsstaaten berührt wird.212 Auch wird die Gewährung materiell-rechtlicher Entscheidungsspielräume zu
210 Nicht verständlich ist, warum den Parteien ein Widerspruchsrecht eingeräumt wurde. 211 Problematisch erscheint, dass der Großen Kammer gemäß Art 27 III 2 EMRK mit dem Präsidenten der Kammer und dem Richter, welcher in der Kammer für den als Partei beteiligten Staat mitgewirkt hat, zwei Richter angehören, die bereits beim Erlass des zur Überprüfung stehenden Urteils mitgewirkt haben. Krit Schiene JZ 1999, 219, 225 f. 212 Vgl EGMR, 31.7.2001, Rn 40f - Refah Partisi.
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Lasten der Konventionsberechtigten eher hingenommen, wenn es verfahrensrechtliche oder organisatorische Vorkehrungen zum Schutz der Rechte der Einzelnen gibt. 213 Die Entscheidungen des E G M R sind f ü r die an dem Verfahren beteiligten Personen verbindlich und erzeugen völkerrechtliche Bindungswirkungen f ü r den verurteilten Konventionsstaat (Art 46 I E M R K ) . Inhaltlich handelt es sich um FeststeUungsurteUe (wie sich ua aus Art 41 E M R K ergibt). Dagegen vermag der E G M R nicht die konventionsverletzenden Maßnahmen (zB die nationalen Gerichtsentscheidungen) aufzuheben oder die Konventionsstaaten (abgesehen von der Auferlegung einer Entschädigung nach Art 41 E M R K ) zu Leistungen zu verurteilen. 214 Keine Aussage trifft die E M R K darüber, welche Rechtswirkungen den Entscheidungen des E G M R in der innerstaatlichen Rechtsordnung zukommen. Dies bestimmt sich nach nationalem Recht, in Deutschland nach dem Zustimmungsgesetz, durch welches der deutsche Gesetzgeber die E M R K in ihre Zusatzprotokolle für das deutsche Recht überführt hat. Infolgedessen entfalten die Deutschland betreffenden Entscheidungen des E G M R grundsätzlich Bindungswirkungen gegenüber allen Trägern von Staatsgewalt. 215 Grenzen folgen aus der Bindung der Staatsorgane an das Recht und Gesetz (Art 20 III GG), da die E M R K nur als einfaches Bundesgesetz gilt (Rn 6) und daher auch den zu ihrer Auslegung ergangenen Urteilen des E G M R keine gesetzesverdrängende Wirkung zukommen kann. Der verurteilte Konventionsstaat ist völkerrechtlich verpflichtet, das Urteil zu befolgen (Art 46 E M R K ) , dh sicherzustellen, dass die innerstaatliche Rechtsordnung mit der Konvention übereinstimmt. Folglich ist es Sache des beklagten Staates, jedes Hindernis im innerstaatlichen Recht zu beseitigen, das einer Wiedergutmachung der Situation des Bf entgegensteht. 216 Z u m ersten muss die Rechtsverletzung beendet, zum zweiten Wiedergutmachung geleistet, zum dritten eine gleichartige Verletzung in Zukunft unterbunden werden. Konventionswidrige Gesetze, Verwaltungsakte oder sonstige Verwaltungsmaßnahmen können idR ohne weiteres aufgehoben werden. Mehr Probleme bereiten die konventionswidrigen nationalen Gerichtsentscheidungen. D a zur Bindung an Gesetz und Recht (Art 20 III G G ) die Berücksichtigung der Gewährleistungen der E M R K und der Entscheidung des E G M R gehört, trifft die deutschen Gerichte, wenn das Verfahren noch nicht abgeschlossen ist, die Pflicht, im Rahmen methodisch vertretbarer Gesetzesauslegung der konventionsgemäßen Auslegung den Vorrang zu geben (Rn 74). Ist das nationale Gerichtsverfahren rechtskräftig abgeschlossen, kommt im Strafprozess nach § 359 N r 6 StPO eine Wiederaufnahme in Betracht, wenn der Gerichtshof eine Verletzung der E M R K oder ihrer Zusatzprotokolle festgestellt hat und das deutsche Urteil auf dieser Verletzung beruht. Für die sonstigen gerichtlichen
213 Näher zum Ganzen vgl beispielhaft EGMR, Urt ν 26.2.2002, Rn 28 ff - Dichand. Näher zum Ganzen Yourow, The Margin of Appreciation Doctrin in the Dynamics of the European Human Rights Jurisprudence, 1996; Rupp-Zwienty Die Doktrin von der margin of appreciation in der Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, 1999; Aray-Takahashi The Margin of Appreciation Doctrin and the Principal of Proportionality in the Jurisprudence of the ECHR, 2002; Rubel Die Gewährung von Entscheidungsfreiräumen in der Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Europäischen Gerichtshofs, 2005. 214 Ganz hM Vgl BVerfG, NJW 1986, 1425 fT; NJW 2004, 3407, 3409 = Ehlers JK 3/05, GG Art 20 111/39; Uerpmann (Fn 27) S 172 ff; Dörr in: Sodan/Ziekow (Hrsg) Nomos-Kommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung, 1998, EVR Rn 558 ff; Ehlers Die Europäisierung des Verwaltungsprozessrechts, 1999, S 139 f. 215 BVerfG, NJW 2004, 3407, 3409 = Ehlers JK 3/05, GG Art 20 III/39. 216 EGMR, EuGRZ 2004, 268, 275 - Assanidze; BVerfG, NJW 2004, 3407, 3409 = Ehlers JK 3/05, GG Art 20III/39.
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Verfahren ist nichts entsprechendes vorgesehen. Eine Verpflichtung, insoweit ein Wiederaufnahmeverfahren einzuführen217, lässt sich der EMRK nicht entnehmen, zumal der Grundsatz der Rechtssicherheit auch im Konventionsrecht beachtlich ist.218 De lege ferenda empfiehlt sich aber die Einführung eines Wiederaufnahmeverfahrens für den Fall, dass ein Bf vor dem EGMR obsiegt hat.219 Ist die Entscheidung des nationalen Gerichts noch nicht vollstreckt worden, steht Art 46 EMRK einer Vollstreckung zugunsten des Konventionsstaates entgegen.220 Gestattet das innerstaatliche Recht nur eine unvollkommene Wiedergutmachung für die Folgen der Konventionsverletzung, spricht der EGMR der verletzten Partei eine gerechte Entschädigung zu, wenn dies notwendig ist (Art 41 EMRK).221 Das setzt voraus, dass der Bf seinen Schaden und die Kausalität der Konventionsverletzung darlegt. Neben materiellen sind immaterielle Schäden ersatzfähig222 - selbst wenn es sich um juristische Personen handelt223. Bei der Bemessung des Schadensersatzes sind auch gemeinschaftsrechtliche Schadensersatzansprüche zu berücksichtigen.224 Der EGMR sieht eine Wiedergutmachung nach innerstaatlichem Recht auch dann als unvollkommen an, wenn zwar ein Schadensersatzanspruch besteht, der Bf aber zu dessen Realisierung auf das erneute Beschreiten des innerstaatlichen Rechtsweges angewiesen ist.225 Für Klagen auf Gewährung der zugesprochenen Entschädigung ist in Deutschland der Rechtsweg nach § 40 II 1 3. Alt VwGO gegeben.226
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Lösung Fall 4: Bedenken gegen die Zulässigkeit der Individualbeschwerde zum EGMR könnten nur deshalb bestehen, weil der Bf nicht alle Möglichkeiten des innerstaatlichen Rechtsweges ausgeschöpft hat. So ist er weder gegen seine Festnahme noch das Festhalten vorgegangen, sondern hat vielmehr nur ein Klageerzwingungsverfahren im Hinblick darauf angestrengt, ob sich die Polizeibeamten strafbar gemacht haben. Nach der Rspr des EGMR dient das Erfordernis der Rechtswegerschöpfung (Art 34 EMRK) dem Zweck, den Vertragsstaaten Gelegenheit zu geben, die ihnen vorgeworfenen Konventionsverletzungen zu verhindern oder ihnen abzuhelfen. Es müssten aber nur die Rechtsbehelfe erschöpft werden, die effektiv und geeignet sind, der behaupteten Verletzung abzuhelfen (Rn 63; EGMR, Recueil des arrets et decisions 1996-11, 559, Rn 33 - Remli). Zudem sei das Erfordernis der Rechtswegerschöpfung mit einem gewissen Maß an Flexibilität anzuwenden. Nach der Entscheidung des EGMR hat der Bf diesen Anforderungen hier genügt, indem er Anzeige gegen die an der
217 Vgl Ress EuGRZ 1996, 350, 352, sowie die unverbindliche Empfehlung des Ministerkomitees Recommendation Nr R (2000) 2, siehe auch Art 139 a Bundesrechtspflegegesetz der Schweiz. 218 HM. Vgl BFH, DVB1 1978, 501 f; BVerwG, DÖV 1998, 924ff; BVerfG, NJW 2004, 3407, 3410; Polakiewicz (Fn 19) S 128 ff. 219 Vgl auch Empfehlung des Ministerkomitees Nr R (2000) 2 ν 19.01.2000. 220 Vgl auch Frowein JuS 1986, 845, 850. 221 Vgl dazu Dannemann Schadensersatz bei Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention, 1994. 222 Vgl zB EGMR, NJW 2000, 2089, Rn 12f - Smith und Grady; Ossenbühl Staatshaftungsrecht, 5. Aufl 1998, S 527ff. 223 Vgl EGMR, Urt ν 6.4.2000, RJD 2000/4, Rn 35 - Comingersoll. 224 EGMR, RJD 1998-11, Rn 18 - Hornsby; Grabenwarter W D S t R L 60 (2001), 290, 335 f. 225 EGMR, Serie A, Vol 330-B, Rn 40 - Papamichalopoulos; Serie A, Vol 315-C, Rn 50 - Scollo; Serie A, Vol 285-C, Rn 17 - Barberä; Serie A, Vol 17, Rn 30 - Neumeister. 226 Vgl Frowein in: Isensee/Kirchhof (Fn 41) § 180 Rn 18.
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Festnahme und dem Festhalten beteiligten Polizeibeamten erstattet und anschließend ein Klageerzwingungsverfahren unter Berufung darauf betrieben habe, dass seine Festnahme und die Entziehung seiner Freiheit rechtswidrig gewesen seien. Das Klageerzwingungsverfahren stelle einen effektiven und geeigneten Rechtsbehelf dar, da das OLG die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung zumindest teilweise geprüft habe. Vom Bf könne nicht verlangt werden, weitere Rechtsbehelfe in Anspruch zu nehmen. Begründet ist die Beschwerde, wenn Art 5 I lit c EMRK verletzt worden ist. Ein hinreichender Tatverdacht bestand. Die Festnahme oder das Festhalten müsste aber rechtmäßig gewesen sein. Gemäß § 163c III StPO darf eine Freiheitsentziehung zum Zwecke der Feststellung der Identität die Dauer von insgesamt 12 Stunden nicht überschreiten. Hier lag eine Überschreitung um 45 Minuten vor. Daher hat der EGMR eine Verletzung des Art 5 I lit c EMRK angenommen und dem Bf eine Entschädigung in Höhe von 10.000,- DM zu Lasten der Bundesrepublik Deutschland zugebilligt. dd) Schematische Zusammenfassung Zusammenfassend wird empfohlen, die Zulässigkeit von Individualbeschwerden wie folgt zu prüfen:
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1. Ordnungsgemäße Form und Sprache 2. Vereinbarkeit der Beschwerde mit der Konvention a) In personeller Hinsicht Konventionsberechtigungen und Konventionsverpflichtungen b) In räumlicher Hinsicht c) In zeitlicher Hinsicht d) In sachlicher Hinsicht Anwendbarkeit des einschlägigen EMRK-Rechts 3. Beschwerdebefugnis 4. Rechtswegserschöpfung 5. Beschwerdefrist 6. Sonstige Zulässigkeitsvoraussetzungen a) Keine Anonymität b) Keine res judicata c) Keine Rechtsanhängigkeit bei internationalen Instanzen d) Kein Missbrauch e) Erheblicher Nachteil Nach Inkrafttreten des Art 35 III lit b E M R K n F f) Rechtsschutzbedürfnis Hinsichtlich der Begründetheitsprüfung kann auf Rn 37 ff verwiesen werden. Wird die Anwendbarkeit der einschlägigen Konventionsbestimmungen bereits im Rahmen der Zulässigkeit geprüft, entfällt dieser Punkt bei der Begründetheitsprüfung. 2. Rechtsschutz
durch die nationalen
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Gerichte
Fall 5: (BVerfG, NJW 2004, 3407 = Ehlers JK 03/05, GG Art 20111/39) Der Bf hat sich als Vater eines nichtehelich geborenen, mittlerweile von einer anderen Familie adoptierten Sohnes vergeblich vor dem letztinstanzlich zuständigen deutschen OLG um eine Übertragung des Sorgerechts und die Einräumung eines Umgangsrechtes mit seinem 61
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Sohn bemüht. Auf seine Individualbeschwerde hin hat der EGMR festgestellt, dass die Sorgerechtsentscheidung und der Ausschluss des Umgangsrechts den Bf in seinem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens aus Art 8 EMRK verletzen. Einen erneuten Antrag, ihm die elterliche Sorge zu übertragen und ein Umgangsrecht einzuräumen, hat das OLG letztinstanzlich mit der Begründung abgewiesen, dass der Urteilsspruch des EGMR nur die Bundesrepublik Deutschland als Völkerrechtssubjekt, nicht aber deren Gerichte bindet. Mit seiner dagegen vor dem BVerfG erhobenen VB rügt der Bf die Verletzung des Art 6 GG. 73
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Weil die E M R K und ihre Zusatzprotokolle in Deutschland im Rang eines einfachen Bundesgesetzes gelten (Rn 6) und den geschützten Personen subjektive Rechte vermittelt werden, können (und müssen) diese (vorrangig) auch vor deutschen Gerichten eingeklagt werden. Da es sich bei EMRK-Bestimmungen wegen der hoheitlichen Inpflichtnahme der Staaten um Vorschriften des öffentlichen Rechts oder gleichgeartete Normierungen handelt, ist vorbehaltlich abweichender Rechtswegzuweisungen der Verwaltungsrechtsweg gegeben. Wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt (Rn 68), sind die nationalen Gerichte im Rahmen methodisch vertretbarer Gesetzesauslegung zur Berücksichtigung des Konventionsrechts und der Entscheidungen des E G M R verpflichtet. Lösung Fall S: Da der Bf behaupten kann, dass das OLG bei der Auslegung des einfachen Rechts das durch Art 6 GG garantierte Grundrecht auf Familie und Kindererziehung verkannt hat, ist er gem § 90 I BVerfGG beschwerdebefugt. Sonstige Bedenken gegen die Zulässigkeit der VB bestehen nicht. Begründet ist die VB, wenn der Beschluss des OLG den Bf in seinen Grundrechten aus Art 6 GG verletzt. Die elterliche Sorge und Umgang mit dem eigenen Kind werden vom Schutzbereich des Art 6 I - III GG erfasst. Da der Beschluss des OLG dem Bf die elterliche Sorge für seinen Sohn verweigert und ihm den Umgang mit demselben verbietet, greift er in den Schutzbereich des Grundrechts ein. Der Rechtfertigung des Eingriffs könnte ein Verstoß gegen die Bindung an Gesetz und Recht aus Art 20 III GG entgegenstehen, weil das OLG das Urteil des EGMR nicht hinreichend berücksichtigt hat. Innerstaatlich gilt die EMRK im Rang eines einfachen Bundesgesetzes. Gem Art 20 III, 59 II und 19 IV GG erstreckt sich die Feststellung des EGMR, dass der Bf durch die deutsche Staatsgewalt in seinem Konventionsrecht aus Art 8 EMRK verletzt worden ist, auf alle Träger der deutschen Gewalt und damit auch auf die Gerichte, wenn diese im Rahmen methodisch vertretbarer Gesetzesauslegung die Möglichkeit haben, das Urteil in ihren Willensbildungsprozess einzubeziehen. Urteile nationaler Gerichte sind verfassungsrechtlich zwar nur daraufhin überprüfbar, ob sie willkürlich sind oder auf einer unrichtigen Anschauung von der Bedeutung eines Grundrechts oder anderer Verfassungsnormen beruhen. Das BVerfG ist jedoch dazu berufen, die fehlerhafte Anwendung völkerrechtlicher Bestimmungen durch deutsche Gerichte nach Möglichkeit zu verhindern und zu beseitigen. Aus Art 1 II und 59 II GG ergibt sich die verfassungsrechtliche Pflicht, auch bei der Anwendung der deutschen Grundrechte die EMRK in ihrer konkreten Ausgestaltung als Auslegungshilfe heranzuziehen. Die Auffassung des OLG, durch das Urteil des EGMR nicht gebunden zu sein, hat Auswirkungen auf die Rechtfertigung des Eingriffs in Art 6 GG. Indem sich das Gericht aus Verkennung der Bindungswirkungen nicht mit den Einwirkungen des Art 8 EMRK (in der Auslegung durch den EGMR) auf Art 6 GG auseinandergesetzt hat, hat es den Gewährleistungsinhalt dieses Grundrechts nicht richtig beurteilt. Das OLG hätte untersuchen müssen, wie Art 6 GG in einer den völkerrechtlichen Verpflichtungen der BRD entsprechenden Weise hätte ausgelegt werden können. Das BVerfG hat den Beschluss des OLG von daher aufgehoben und die Rechtssache zur erneuten Entscheidung an das Gericht zurückverwiesen.
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§3 Höchstpersönliche Rechte und Diskriminierungsverbot Robert Uerpmann-Wittzack Leitentscheidungen: EGMR, EuGRZ 1989, 314ff - Soering = Kunig JK 90, EMRK Art 3/1; NJW 1993, 718ff - Niemietz = Kunig JK 93, EMRK Art 8/1; NVwZ 1999, 57ff - Guerra = Ehlers JK 99, EMRK Art 8/3. Schrifttum: Breitenmoser Der Schutz der Privatsphäre gemäß Art 8 EMRK, 1986; Brötel Schutz des Familienlebens, RabelsZ 63 (1999), 580fF; Hailbronner Art 3 EMRK - ein neues europäisches Konzept der Schutzgewährung?, DÖV 1999, 617 ff; Kälin Tragweite und Begründung des Abschiebungshindernisses von Art 3 EMRK bei nichtstaatlicher Gefahrdung, in: Hailbronner/Klein (Hrsg) Einwanderungskontrolle und Menschenrechte, 1999, S 49-72; Kley-Struller Der Schutz der Umwelt durch die Europäische Menschenrechtskonvention, EuGRZ 1995, 507ff; Kugelmann Individualkommunikation, EuGRZ 2003, 16ff; Schmidt-Radefeldt Ökologische Menschenrechte, 2000, S 55-200; Schöbener Die „Lehrerin mit Kopftuch" - europäisch gewendet!, JURA 2003, 186SF; Wolfrum (Hrsg) Gleichheit und Nichtdiskriminierung im nationalen und internationalen Menschenrechtsschutz, 2003. Der folgende Abschnitt behandelt einige der materiellen Kernbestimmungen der E M R K , namentlich den Schutz des Privatlebens, den Schutz der persönlichen Integrität und das Diskriminierungsverbot. Er soll kein Detailwissen zu diesen Garantien vermitteln, sondern er will Verständnis für die Grundstrukturen wecken und so ein eigenständiges Arbeiten mit den Garantien ermöglichen. Die E M R K ist ebenso wie das deutsche Grundgesetz Teil einer gemeinsamen europäischen Grundrechtskultur. 1 Ihre Garantien weisen daher trotz signifikanter Unterschiede auch starke Parallelen auf. An diesen Parallelen und Unterschieden orientiert sich die folgende Darstellung. Sind die Grundstrukturen bekannt, ist es relativ einfach, aus der deutschen Grundrechtsdiskussion bekannte Streitstände auf die E M R K zu übertragen. Freilich hat die E M R K ihre Wirkkraft gerade auch in einigen Bereichen entfaltet, in denen deutsche Grundrechte blass geblieben sind. Das gilt etwa für den Schutz vor aufenthaltsbeendenden Maßnahmen im Ausländerrecht. Diesen Anwendungsfeldern wird ein besonderes Augenmerk gelten.
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I. Schutz der Privatsphäre Falll: Der türkische Staatsangehörige Μ ist in München geboren worden und wächst dort bei seinen Eltern auf. Die Türkei kennt er nur von Ferienaufenthalten. Türkisch spricht er kaum. Schon vor Vollendung des vierzehnten Lebensjahres tritt er wiederholt strafrechtlich in Erscheinung. Nach seinem vierzehnten Geburtstag begeht er weitere Straftaten wie Ladenund Einbruchsdiebstähle, Raubtaten, gefährliche Körperverletzungen, Nötigtingen und Hausfriedensbrüche. Er wird innerhalb von vier Jahren zu Jugendstrafen von insgesamt mehr als drei Jahren verurteilt und nach § 48 II 1 AuslG (ab 1.1.2005: § 56 II 2 AufenthG) ausgewiesen. Ist die Ausweisung konventionsgemäß?
1 Uerpmann Die Europäische Menschenrechtskonvention und die deutsche Rechtsprechung, 1993, S 117-130.
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1. Privat- und Familienleben, Wohnung und Korrespondenz (Art 8 EMRK) a) Schutzbereiche aa) Privatleben 3
Mit dem Schutz des Privatlebens, des Familienlebens, der Wohnung und der Korrespondenz enthält Art 8 I E M R K vier verschiedene Schutzbereiche. Das Privatleben ist der weiteste von ihnen. Die übrigen Schutzbereiche sind weitgehend besondere Ausprägungen des Schutzes des Privatlebens. Dem Schutz des Privatlebens kommt eine gewisse Auffangfunktion zu. Art 8 I E M R K zeigt insofern Parallelen zu Art 2 I GG. Anders als das Grundgesetz kennt die E M R K zwar kein allgemeines Freiheitsrecht, das lückenlosen Schutz gegen staatliche Eingriffe vermitteln würde. Der Schutz des Privatlebens nach Art 8 I E M R K übernimmt aber Funktionen, die in Deutschland Art 2 I G G und namentlich das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art 2 I iVm Art 1 I G G erfüllen. Beispielsweise schützen sowohl das Grundgesetz als auch die E M R K das Privatleben Prominenter vor dem aufdringlichen Zugriff der Presse. Unter dem Grundgesetz übernimmt das allgemeine Persönlichkeitsrecht diesen Schutz,2 während konventionsrechtlich Art 8 E M R K eingreift. 3 Ebenso lässt sich für den Datenschutz, der grundgesetzlich als Recht auf informationelle Selbstbestimmung im allgemeinen Persönlichkeitsrecht verankert ist,4 unter der E M R K das Recht auf Achtung des Privatlebens heranziehen. 5 Der EGMR hat zudem hervorgehoben, dass den Garantien des Art 8 E M R K das Prinzip persönlicher Selbstbestimmung zu Grunde liege.6 Auch darin zeigt sich die Nähe zu Art 2 1 GG.
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Auf eine Definition des Privatlebens hat der E G M R ausdrücklich verzichtet.7 Er folgt einem kasuistischen Ansatz, wie er für die Konventionspraxis typisch ist. Verlässliche Begriffsdefinitionen, wie sie Rechtsprechung und Lehre unter dem Grundgesetz entwickelt haben, fehlen für die E M R K weitgehend. Daher soll auch hier auf einen Definitionsversuch verzichtet werden. Statt dessen möchte der Beitrag Leitlinien vermitteln, die bei einer kasuistischen Argumentation helfen können. Der Begriff des Privatlebens ist weit zu verstehen. Er umfasst nicht nur einen inneren Bereich menschlichen Daseins, sondern auch die sozialen Beziehungen, also den Kontakt zur Außenwelt. Abzugrenzen ist das Privatleben vom öffentlich-staatlichen Bereich. Die Wahrnehmung eines öffentlichen Amtes gehört nicht zum Privatleben. Außerhalb des staatlichen Bereichs kann aber auch eine berufliche Tätigkeit unter Art 8 I E M R K fallen. Gerade im beruflichen Bereich nehmen viele Menschen Kontakte zur Außenwelt auf. Zudem lässt sich zwischen Privatleben und Beruf zumindest bei manchen Berufsgruppen
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BVerfGE 73, 118, 201; 97, 125, 146; 101, 361, 379ff. EGMR, NJW 2004, 2647, Rn 50 ff - von Hannover; Court of Appeal, The All England Law Reports 2001, Bd 2, S 289 - Douglas/Hello! Ltd; dazu AmelunglVogenauer ZEuP 2002, 341 ff; Theusinger ZRP 2001, 529 ff. 4 BVerfGE 65, 1, 41 ff - Volkszählungsurteil; dazu Kunig JURA 1993, 595 ff. 5 EGMR, HRLJ 21 (2000), 221, Rn 65 - Amann; Mock RUDH 1998, 237, 241; zum Schutz von Steuerdaten zweifelnd Schweizerisches Bundesgericht, EuGRZ 1999, 53 f; zur Verwendung von Informationen aus Stasi-Akten EGMR, NJW 2003, 3041, 3042 - Knauth = Schoch JK 04, EMRK Art 81/1. 6 EGMR, NJW 2002, 2851, Rn 61 - Pretty = Otto JK 03, StGB § 216/5; dazu Fassbender JURA 2004, 115 ff; EGMR, NJW 2004,2505, Rn 69 - Van Kück. 7 EGMR, NJW 1993, 718, Rn 29 - Niemietz = Kunig JK 93, EMRK Art 8/1; s auch Mock RUDH 1998, 237,239.
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kaum ein sinnvoller Trennstrich ziehen. So hat der E G M R im Fall Niemietz den staatlichen Zugriff auf Anwaltsakten als Eingriff in das Privatleben gewertet. 8 Nach deutschem Verfassungsrecht wäre insoweit am ehesten Art 12 I G G einschlägig. Obwohl die E M R K die Berufsfreiheit als solche nicht garantiert, kann sie über Art 8 I E M R K Schutz vor bestimmten Eingriffen in die Berufsausübung gewähren. Für diese weite Auslegung spricht auch der systematische Zusammenhang mit dem Schutz der Korrespondenz. Dort wird nicht zwischen privater und geschäftlicher Korrespondenz unterschieden. Begreift man den Schutz der Korrespondenz als besondere Ausprägung des Schutzes des Privatlebens, liegt es nahe, das Privatleben ebenfalls entsprechend weit zu fassen. Das Privatleben umfasst auch die Kommunikation mit anderen Menschen.9 Hier stellen sich allerdings Abgrenzungsprobleme zum spezielleren Schutzbereich der Korrespondenz. 10 Was als Korrespondenz von Art 8 I E M R K geschützt wird, muss nicht mehr dem Auffangschutzbereich des Privatlebens zugeordnet werden. Die traditionelle briefliche Kommunikation wird damit ausschließlich vom Schutzbereich der Korrespondenz erfasst. Bei Telefongesprächen erscheint die Zuordnung hingegen zweifelhaft. Legt man den Begriff der Korrespondenz weit aus, lassen sie sich unter diesen spezielleren Schutzbereich fassen. Anderenfalls werden sie als Teil des Privatlebens geschützt. Der E G M R hat sich insoweit nicht festgelegt. In den einschlägigen Entscheidungen führt er sowohl das Privatleben als auch die Korrespondenz a n . " Dogmatisch kann diese Unentschlossenheit nicht ganz befriedigen. Andererseits kommt es auf die Unterscheidung tatsächlich nicht an, weil Privatleben und Korrespondenz beide derselben Schrankenregelung unterliegen. Damit ist es auch weitgehend gleichgültig, wie man neue Kommunikationsformen qualifiziert. Es liegt nahe, die Übertragung von E-Mails mit dem Schutz der Korrespondenz zu versehen. 12 Anderenfalls würden sie aber jedenfalls als Teil des Privatlebens geschützt. In Abgrenzung zur Meinungsfreiheit (-» § 4 Rn 6 ff) schützt Art 8 E M R K die Vertraulichkeit der Individualkommunikation, während Kommunikationsinhalte ansonsten durch Art 10 E M R K geschützt werden. 13 Zum Privatleben gehören des Weiteren die physischen Lebensbedingungen an einem Ort. Sind die Bewohner eines Gebietes giftigen Abgasen einer Fabrik ausgesetzt, berührt dies ihr Privatleben. 14 Damit enthält Art 8 I E M R K Elemente eines Grundrechts auf Umweltschutz. 15 Ebenso ist das Privatleben betroffen, wenn eine Person etwa durch aufenthaltsbeendende Maßnahmen aus ihrem sozialen Umfeld herausgerissen wird. 16 Art 8 I E M R K ist daher insbesondere auch als Grenze für Ausweisung und Abschiebung im Aus-
8 EGMR, NJW 1993, 718, Rn 29ff - Niemietz = Kunig JK 93, EMRK Art 8/1; dazu auch Kunigl Uerpmann Übungen S 182 f. 9 Kugelmann EuGRZ 2003, 16, 21 f. 10 Zur Korrespondenz s noch u Rn 14. 11 EGMR, EuGRZ 1979, 278, Rn 41 - Klass; EuGRZ 1985, 17, Rn 64 - Malone; EuGRZ 1992, 300, Rn 39 - Lüdi; HRLJ 21 (2000), 221, Rn 44 - Amann. 12 Mock RUDH 1998,237, 243. 13 Kugelmann EuGRZ 2003, 16, 24; § 4 Rn 22. 14 EGMR, NVwZ 1999, 57, Rn 57 - Guerra = Ehlers JK 99, EMRK Art 8/3; -> § 2 Rn 6, 13; s auch schon EGMR, EuGRZ 1995, 530 ff - Lopez Ostra = Kunig JK 96, EMRK Art 8/2. 15 Ausführlich Schmidt-Radefeldt Ökologische Menschenrechte, 2000, S 105 ff; ferner Kley-Struller EuGRZ 1995, 507, 512ff. 16 Mock RUDH 1998, 237, 241; im Grundsatz ebenso ohne Unterscheidung zwischen Privat- und Familienleben EGMR, NVwZ 1998, 164, Rn 23ff - Mehemi; NVwZ 2000, 1401, Rn 32ff - Baghli.
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länderrecht relevant. Zwar garantiert die EMRK Ausländern weder ein Recht auf Einreise noch ein Recht auf Aufenthalt. Art 3 4. ZP EMRK verbietet lediglich die Verbannung eigener Staatsangehöriger und Art 4 4. ZP EMRK schützt allein vor Kollektivausweisungen. Art 1 7. ZP EMRK, das für Deutschland nicht in Kraft ist, beschränkt sich auf Verfahrensgarantien für den Fall der Ausweisung. Diese punktuellen Regelungen schließen es aber nicht aus, aufenthaltsbeendende Maßnahmen zusätzlich an allgemeinen Garantien der EMRK wie die aus Art 8 EMRK zu messen. Das Privatleben hat somit eine starke soziale Komponente. Geschützt wird die Person in ihrem jeweiligen räumlich-gesellschaftlichen Umfeld. Der Schutz erstreckt sich aber auch auf den inneren Bereich der Persönlichkeitssphäre bis hin zur geschlechtlichen Identität und zur sexuellen Selbstbestimmung. Weigert sich der Staat bei Transsexualität, eine erfolgte Geschlechtsumwandlung namens- und personenstandsrechtlich anzuerkennen, ist der Schutzbereich des Privatlebens berührt.17 Auch Homosexualität fällt in den Schutzbereich des Privatlebens.18 Vorschriften, die die Vergewaltigung und andere Verletzungen der sexuellen Selbstbestimmung unter Strafe stellen, dienen ebenfalls dem Schutz des Privatlebens.19 Zur persönlichen Identität, die als Teil des Privatlebens geschützt ist, gehört darüber hinaus die Kenntnis der eigenen Abstammung. Das Recht der Mutter, anonym zu bleiben, wird allerdings ebenso durch Art 8 I EMRK geschützt. Bei der Frage, ob der Staat Babyklappen und anonyme Geburten gestatten darf, stehen sich also Rechte des Kindes und der Mutter aus Art 8 I EMRK gegenüber. Zudem ist das öffentliche Interesse, Abtreibungen und das unkontrollierte Aussetzen von Kindern zu verhindern, zu berücksichtigen. Der EGMR hat daher die französische Regelung zur anonymen Geburt an Art 8 EMRK gemessen, befand aber letztlich, dass sie sich innerhalb des nationalen Beurteilungsspielraums bewege.20 bb) Familienleben
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Das Familienleben ist gleichfalls weit zu verstehen.21 Eine eheliche Verbindung ist nicht erforderlich.22 Auch die Beziehung eines einzelnen Elternteils zu seinem Kind wird als Familienband erfasst. Geschützt wird der tatsächliche soziale Kontakt unabhängig von seiner rechtlichen Anerkennung. Damit fällt die Beziehung eines nichtehelichen Kindes zu seinem Vater schon vor der Feststellung der Vaterschaft ebenso in den Schutzbereich des Familienlebens wie die Beziehung eines Kindes zu Adoptiv- oder Pflegeeltern.23 Auch lässt die Trennung der Eltern bei einem Kind, das bei einem Elternteil lebt, das Familienband zum anderen Eltern teil nicht abreißen, soweit beide in Kontakt bleiben.24 Nicht ausreichend ist allerdings die bloße Abstammung. Wichtig ist, dass tatsächlicher Kontakt vor-
17 EGMR, HRLJ 13 (1992), 358, Rn 4 4 - 6 3 - B; NJW-RR 2004, 289, Rn 71 ff - Goodwin. 18 EGMR, EuGRZ 1983, 488, Rn 37ff - Dudgeon; EuGRZ 1992, 477, Rn 38 - Norris; NJW 2000, 2089, Rn 70 f - Smith und Grady. 19 EGMR, EuGRZ 1985,297, Rn 22 - X und Y; dazu noch u Rn 26. 20 EGMR, NJW 2003, 2145, Rn 28f, 40ff - Odievre; dazu Lux-Wesener EuGRZ 2003, 555ff; Wittinger NJW 2003, 2138 ff. 21 Ausführlich Fahrenhorst Familienrecht und Europäische Menschenrechtskonvention, 1994, S94ff. 22 BGH, NJW 2001, 2472, 2475 = Coester-Waltjen JK 01, BGB § 1626a/l. 23 Mock RUDH 1998, 237,241. 24 EGMR, NVwZ 2001, 547, Rn 59 - Ciliz; NJW 2001,2315, Rn 43f - Eisholz.
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handen oder zumindest gewollt ist. Unter diesen Voraussetzungen werden auch die Beziehungen zu entfernteren Familienangehörigen wie Großeltern oder Tanten geschützt. 25 Der E u G H betont, dass gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften nicht vom Schutz des Familienlebens erfasst seien.26 Angesichts der Weite des Familienbegriffs, der nicht auf rechtlich-formale Bindungen abstellt, scheint dies zweifelhaft. 27 U m eine Familie handelt es sich jedenfalls, soweit in einer solchen Beziehung Kinder aufwachsen. Außerdem wird jede Lebensgemeinschaft zumindest als Teil des Privatlebens von Art 8 I E M R K geschützt. Eine Gleichstellung nichtehelicher und namentlich gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften mit der traditionellen Ehe fordert die Konvention freilich nicht. Das ergibt sich schon aus Art 12 E M R K , der das Recht zur Eheschließung gewährleistet und der Ehe damit einen besonderen Platz zuweist. Dabei geht der E G M R bisher im Einklang mit dem Wortlaut vom klassischen Bild der Ehe als Lebensgemeinschaft zwischen Partnern unterschiedlichen Geschlechts aus.28 Allerdings äußert er jüngst Zweifel, o b sich das Geschlecht stets allein biologisch bestimmen lasse.29 Im konkreten Fall wurde einer Transsexuellen auch nach ihrer Geschlechtsumwandlung zur Frau verwehrt, einen M a n n zu heiraten. Darin sah der E G M R einen Verstoß gegen das Recht zur Eheschließung nach Art 12 E M R K . 3 0 Im Übrigen kommt der Vorschrift neben dem Schutz des Familienlebens nach Art 8 I E M R K keine große Bedeutung zu. In der Praxis spielt der Schutz des Familienlebens nicht nur im Ehe- und Kindschaftsrecht 31 eine wichtige Rolle, sondern auch im Ausländerrecht, 32 wenn es um aufenthaltsbeendende M a ß n a h m e n oder Familiennachzug geht.
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cc) Wohnung Mit der Wohnung schützt Art 8 E M R K den räumlich-gegenständlichen Bereich der Individualsphäre. Zur Wohnung gehören auch die Geschäftsräume. Dies hat der E G M R im Fall Niemietz klar gestellt. 33 Für die weite Auslegung spricht das oben zum Privatleben Gesagte. Wenn das Berufsleben zum Privatleben zählt, liegt es nahe, den räumlichen Bereich, in dem sich das Berufsleben vollzieht, ebenso zu schützen wie die Wohnung ieS. Der Wöhnungsbegriff wird damit ähnlich weit ausgelegt wie bei Art 13 GG. 34 Der E u G H hatte dies in der //oec/wf-Entscheidung noch anders gesehen. 35 Geschützt werden die Räume vor jeder Form des Eindringens. Auch „Lauschangriffe" berühren den Schutzbe-
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Mock RUDH 1998, 237, 241 f. EuGH, Slg 1998,1-621, Rn 33 - Grant = Ehlers JK 99, EGV Art 119/1. Wittinger Familien und Frauen im regionalen Menschenrechtsschutz, 1999, S 42-45. EGMR, Serie A, Vol 106, Rn 49 - Rees; dazu auch Fahrenhorst (Fn 21) S 204-212. EGMR, NJW-RR 2004, 289, Rn 100 - Goodwin. EGMR, NJW-RR 2004, 289, Rn 101-104 - Goodwin; dazu Henrich FamRZ 2004, 173 f; zustimmend EuGH, NJW 2004, 1440, Rn 33 - Κ Β. S zB die in Fn 24 sowie in Rn 28 genannten Entscheidungen; allg Fahrenhorst (Fn 21) S 191 ff; Brötel Der Anspruch auf Achtung des Familienlebens, 1991, S 175 ff. ZB EGMR, NVwZ 1998, 164ff - Mehemi; NVwZ 2000, 1401 ff - Baghli; dazu allg Caroni Privatund Familienleben zwischen Menschenrecht und Migration, 1999, S 170 ff. EGMR, EuGRZ 93, 65, Rn 30-33 - Niemietz. Dazu BVerfGE 32, 54, 69 ff. EuGH, Slg 1989, 2859, Rn 18 - Hoechst = Kunig JK 90, EWGV Art 173/2; -> § 13 Rn 35, 38; -> § 14 Rn 16 ff.
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reich.36 Die Abgrenzung zum Privatleben mag im Einzelnen schwierig sein, ist aber angesichts der Parallelität der Garantien nicht ergebnisrelevant. dd) Korrespondenz 14
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Schließlich schützt Art 8 I EMRK das Postgeheimnis. Unter Korrespondenz sind schriftliche Mitteilungen37 zu verstehen, die auf einem anerkannten Beförderungsweg von einer Person zu einer anderen übermittelt werden.38 Unerheblich ist, ob die Dokumente durch eine staatliche Postverwaltung oder durch private Anbieter befördert werden. Mit der Korrespondenz ist der Vorgang der Nachrichtenübermittlung geschützt, also die Phase, in der Dritte besonders leicht auf die Dokumente zugreifen können. Ist eine Mitteilung noch nicht abgesandt worden, oder ist sie bereits beim Empfänger angekommen, handelt es sich nicht mehr um Korrespondenz.39 Dann greift allerdings der allgemeine Schutz des Privatlebens ein. Die Konventionsrechte gelten auch in sog besonderen Gewaltverhältnissen40 wie Militär, Schule oder Gefängnis. So erstreckt sich der Schutz auf die Korrespondenz von Strafgefangenen.41 Damit garantiert Art 8 I EMRK namentlich die ungehinderte Korrespondenz eines Gefangenen mit dem EGMR. 42 b) Beeinträchtigung
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Was die Rechtsbeeinträchtigung angeht, gelten zunächst allgemeine Grundsätze (—> § 2 Rn32). Das Durchsuchen einer Wohnung ist ebenso eine Beeinträchtigung wie die Beschlagnahme persönlicher Dokumente oder das Abhören eines Telefongesprächs. Umgekehrt fehlt es an einer Beeinträchtigung, wenn ein Presseorgan ohne Einwilligung des Betroffenen Fotos aus dem Privatleben eines Prominenten veröffentlicht. Mangels konventionsrechtlicher Bindung kann das Presseorgan nicht in Art 8 EMRK eingreifen.43 Verlangt der Betroffene gerichtlichen Rechtsschutz, ist die Schutzpflichtdimension44 des Konventionsrechts angesprochen. Auch aufenthaltsbeendende Maßnahmen haben Eingriffscharakter, da sie darauf angelegt sind, dem Betroffenen das Weiterleben in seinem aktuellen privaten Umfeld unmöglich zu machen. Hat die Person am Aufenthaltsort familiäre Bindungen, ist das Familienleben beeinträchtigt. Was für Art 8 EMRK weitgehend klar erscheint, ist im Parallelfall des Art 6 I GG umstritten. Die deutsche Rechtsprechung neigt dazu, bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen auf Schutzpflichten aus Art 61 GG abzustellen.45 Diese dogmatische Unstimmigkeit dürfte sich aus der unzulänglichen Schrankensystematik des Grundgeset-
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EGMR, JZ 2000, 993, Rn 25 - Khan. Zu Telefongesprächen schon ο Rn 6. Frowein in: Frowein/Peukert Art 8 EMRK Rn 34. Mock RUDH 1998, 237,243. Zum Begriff ν Münch in: ν Münch/Kunig (Hrsg) Grundgesetz-Kommentar, Bd I, 5. Aufl 2000, Vorbem Art 1-19 Rn 59. Jacobs/White The European Convention on Human Rights, 2. Aufl 1996, S 197ff, 297ff. EGMR, RJD 1998-VII, Rn 35ff - Petra; Mock RUDH 1998,237, 243 f. -> zu den Konventionsverpflichteten schon § 2 Rn 25. - * dazu schon § 2 Rn 9 sowie u Rn 26 f. BVerfGE 51, 386, 396 f; offen BVerfGE 76, 1,46; s auch PierothlSchlink Grundrechte, Staatsrecht II, 19. Aufl 2003, Rn 651.
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zes erklären. Art 6 I G G ist vorbehaltlos gewährleistet. N ä h m e man einen Eingriff an, ließe sich dieser nur in engen Grenzen über verfassungsimmanente Schranken rechtfertigen. Diese Konsequenz wird über eine Reduktion des Eingriffstatbestandes umgangen. Bei Art 8 E M R K bedarf es angesichts angemessener Schranken in Abs 2 keiner Korrektur auf der Eingriffsebene. Bei ehe- und kindschaftsrechtlichen Entscheidungen ist zu differenzieren. 46 Entzieht das Gericht einem geschiedenen Elternteil das Sorgerecht, wird man von einem Eingriff ausgehen können. Versagt hingegen ein Elternteil dem anderen den Umgang mit dem gemeinsamen Kind und wendet sich der andere hilfesuchend an das Gericht, so fehlt es an einem staatlichen Eingriff. Art 8 E M R K ist in seiner Schutzpflichtdimension angesprochen. 47 Schwierig ist die Abgrenzung auch in Umweltschutzfällen. Ein Eingriff liegt vor, wenn die Umweltbelastung unmittelbar von Hoheitsträgern verursacht wird. Das gilt etwa für Belastungen, die von einem Truppenübungsplatz ausgehen. Umweltgefährdendes Verhalten Privater lässt sich dem Staat hingegen grundsätzlich nicht zurechnen. Vielfach wird das private Verhalten allerdings staatlich genehmigt sein. Indem der Staat potenziell umweltgefährdendes Verhalten einem präventiven Verbot mit Erlaubnisvorbehalt unterwirft, kommt er seiner Schutzpflicht nach. Hebt der Staat das präventive Verbot im Einzelfall durch eine Genehmigung wieder auf, unterschreitet er möglicherweise seine Schutzpflicht. Darin allein liegt aber noch kein Eingriff. 48 Eingriffscharakter hat die Genehmigung nur, wenn und soweit sie betroffenen Dritten Duldungspflichten auferlegt, wie es etwa bei der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung nach § 14 BImSchG der Fall ist. Dieser Bereich ist auch in der deutschen Grundrechtsdogmatik umstritten. Die Konventionsdogmatik ist insoweit noch weniger entwickelt, weist aber in dieselbe Richtung. In der Sache Hatten musste der E G M R nächtlichen Fluglärm bewerten, der im Rahmen staatlich reglementierter Nachtflüge am Londoner Flughafen Heathrow entstand. Nach dem oben Gesagten lässt sich die schlichte staatliche Erlaubnis privater Nachtflüge nicht als Eingriff werten. Dementsprechend sah der E G M R in der Nachtflugreglementierung keinen Eingriff. Vielmehr prüfte er, ob das Vereinigte Königreich mit dieser Reglementierung seiner Schutzpflicht aus Art 8 I E M R K ausreichend Rechnung getragen hatte. 49 Im Fall Lopez Ostra hatte der E G M R eine schwierige Gemengelage unterschiedlichen staatlichen Verhaltens zu beurteilen. 50 Eine umweltverschmutzende Entsorgungsanlage für Gerbereiabfalle war mit staatlichen Subventionen auf einem städtischen Grundstück errichtet worden. Ohne die erforderliche Zulassung ging sie in Betrieb. Verschiedene behördliche Abhilfemaßnahmen hatten nur einen eingeschränkten Erfolg. Da eine Genehmigung gerade nicht erteilt worden war, kam ein Eingriff insoweit nicht in Betracht. Bei den behördlichen Abhilfemaßnahmen handelt es sich um möglicherweise unzureichende Schutzmaßnahmen. Solange sie die Beeinträchtigung nicht verstärken, haben sie ebenfalls keinen Eingriffscharakter. Am ehesten könnte die staatliche Förderung des Anlagenbaus als Eingriff
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EGMR, NVwZ 2001, 547, Rn 62 - Ciliz. ZB EGMR, RUDH 2000, 93, Rn 94 - Ignaccolo-Zenide. Jaeckel Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, 2001, S 150. EGMR, ÖJZ 2003, 72, Rn 95 - Hatton; dazu Kukk NVwZ 2002, 307ff; die Große Kammer maß der Unterscheidung in ihrem nachfolgenden Urt ν 8.7.2003, Rn 98, 119, demgegenüber kaum Bedeutung bei. 50 EGMR, EuGRZ 1995, 530, Rn 51 ff - Lopez Ostra = Kunig JK 96, EMRK Art 8/2.
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qualifiziert werden, doch müsste man dazu Subventionszweck und Subventionsbedingungen näher beleuchten. Der EGMR ging diesen Fragen nicht nach. Vielmehr ließ er die Frage, ob ein Eingriff vorliege, schlicht offen und begnügte sich mit einer Abwägung, wie sie sowohl bei der Eingriffsrechtfertigung als auch bei der Schutzpflichtprüfung durchzuführen ist.51 Nachdem er die Schutzmaßnahmen für unzureichend erklärt hatte, kam es auf die Frage, ob sogar ein Eingriff vorlag, nicht mehr an. c) Rechtfertigung 20
Eine Beeinträchtigung der Schutzbereiche des Art 8 I E M R K kann nach Maßgabe von Art 8 II E M R K gerechtfertigt sein. Die Schrankenbestimmung stimmt in ihrer Struktur weitgehend mit derjenigen der Art 9 bis 11 E M R K überein. Die Rechtfertigung wird vom EGMR sauber in drei Stufen geprüft (—> § 2 Rn 34ff). Die Beeinträchtigung muss (aa) gesetzlich vorgesehen sein, (bb) ein legitimes Ziel verfolgen und (cc) in einer demokratischen Gesellschaft notwendig, also verhältnismäßig sein. aa) Gesetzesvorbehalt
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Die deutsche Übersetzung verlangt in Einklang mit der französischen Fassung, dass der Eingriff gesetzlich vorgesehen sein müsse („prevu par la loi"). Das entsprechende „prescribed by law" findet sich in der ebenfalls authentischen englischen Fassung hingegen lediglich in Art 9 bis 11 EMRK. In Art 8 II E M R K heißt es statt dessen „in accordance with the law". Die englische Fassung könnte dafür sprechen, dass bei Art 8 EMRK, anders als bei Art 9 bis 11 EMRK, lediglich der Vorrang des Gesetzes gelten soll, nicht aber der Vorbehalt des Gesetzes. Diese Auslegung ist allerdings mit der gleichermaßen verbindlichen französischen Fassung nicht vereinbar. Sie entspricht auch nicht der Rechtsprechung des EGMR. 52 Zu den Vertragsstaaten der EMRK gehören auch Common-law-Systeme. Der Gesetzesbegriff der Konvention, im Englischen: „law", ist daher weiter als der kontinentaleuropäische Gesetzesbegriff. Er umfasst auch ungeschriebenes Recht.53 Erforderlich ist in jedem Fall, dass die Normen hinreichend zugänglich und vorhersehbar sind.54 Angesichts der Veröffentlichungsvorschriften, denen deutsche Parlamentsgesetze, Verordnungen und Satzungen unterliegen, wird die Zugänglichkeit regelmäßig unproblematisch sein. Mit dem Kriterium der Vorhersehbarkeit führt der EGMR ein Bestimmtheitserfordernis ein, das nicht über das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot des Grundgesetzes hinausgehen dürfte. Jede Beeinträchtigung, die von der innerstaatlichen Rechtsgrundlage nicht gedeckt ist, verstößt zugleich gegen das Konventionsrecht. Die Prüfungskompetenz des EGMR ist insoweit allerdings eingeschränkt. Die Auslegung und Anwendung nationalen Rechts ist vorrangig Aufgabe der nationalen Stellen.55 Die europäische Instanz wird erst dort einschreiten, wo nationale Stellen eine Rechtsgrundlage willkürlich heranziehen. 56 Das Ver-
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Dazu noch u Rn 27. S zB EGMR, RJD 1998-VII, Rn 36-39 - Petra. EGMR, EuGRZ 1979, 386, Rn 47 - Sunday Times; s auch Kunig JK 93, EMRK Art 1/1. EGMR, EuGRZ 1979, 386, Rn 49 - Sunday Times. Schokkenbroek HRLJ 19 (1998), 30, 33; s auch EGMR, EuGRZ 1985, 297, Rn 29 - X und Y. S auch Kunig JK 93, EMRK Art 1/1.
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hältnis des EGMR zu den nationalen Instanzen ähnelt damit demjenigen des BVerfG zu den Fachgerichten. Das europäische Verfassungsgericht beschränkt sich wie das deutsche darauf, Entscheidungen auf spezifische Verfassungsrechtsverstöße zu überprüfen. bb) Legitimes Ziel Beeinträchtigungen des Art 8 I EMRK sind nur gerechtfertigt, wenn sie eines der in Art 8 II EMRK abschließend aufgezählten Ziele verfolgen. In grundgesetzlichen Kategorien formuliert, liegt ein qualifizierter Gesetzesvorbehalt vor. Bei der Auflistung handelt es sich um autonome, gemeineuropäische Begriffe, die nicht unter Rückgriff auf spezifisch nationale Begriffsbildungen definiert werden können. So wird man die Begriffe der „nationalen oder öffentlichen Sicherheit" einerseits und der „Ordnung" andererseits nicht im Lichte der polizei- und ordnungsrechtlichen Generalklausel auslegen können. Allerdings sind die Ziele, die Art 8 II EMRK aufführt, sehr weit. In der Rechtsprechung des EGMR haben sie kaum Konturen erlangt. Meist begnügt sich der Gerichtshof mit der Feststellung, dass ein Eingriff ein oder mehrere legitime Ziele verfolge.57 Die Rechtfertigung wird fast nie an diesem Prüfungspunkt scheitern.58
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cc) Verhältnismäßigkeit Schließlich muss die Beeinträchtigung „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" sein. Der EGMR verlangt ein „dringendes soziales Bedürfnis" 59 und führt eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durch. 60 Diese Prüfung entspricht strukturell dem in Deutschland üblichen dreistufigen Vorgehen: Die Beeinträchtigung muss in Hinblick auf das verfolgte legitime Ziel geeignet, erforderlich und im engeren Sinn verhältnismäßig sein (—* § 2 Rn 39). Bei der Beurteilung, welche Maßnahmen erforderlich und angemessen sind, kommt den nationalen Stellen ein Beurteilungsspielraum 61 zu. Die jeweiligen nationalen Stellen sind am ehesten in der Lage, die jeweilige Situation vor Ort differenziert zu beurteilen. Die nationale Entscheidung unterliegt daher nur einer eingeschränkten Überprüfung durch den EGMR. Die Kontrolldichte des Gerichtshofs ist allerdings flexibel und hängt vom Einzelfall ab.62 Man wird hier Argumentationsmuster des BVerfG übernehmen können. So ist der Kontrollmaßstab strenger, je schwerer die Beeinträchtigung wiegt.63 Es ist keine Seltenheit, dass der EGMR Beeinträchtigungen als unverhältnismäßig ansieht.64
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d) Schutzpflichtdimension Art 8 E M R K ist die Konventionsnorm mit der am stärksten entwickelten Schutzpflichtdimension. Der Konventionstext, der in Art 8 I E M R K anders als in Art 9 bis 12 EMRK
57 ZB EGMR, NJW 1993, 718, Rn 36 - Niemietz = Kunig JK 93, EMRK Art 8/1; NVwZ 2001, 547, Rn 65 - Ciliz; NJW 2001, 2315, Rn 47 - Eisholz. 58 Mock RUDH 1998,237, 244. 59 „Pressing social need"/„besoin social imperieux". 60 ZB EGMR, NVwZ 2000, 1401, Rn 45 - Baghli. 61 „Margin of appreciation"/„marge d'appreciation"; dazu Ovey HRLJ 19 (1998), lOff; Schokkenbroek HRLJ 19 (1998), 30,31. 62 Mock RUDH 1998, 237, 245 f. 63 EGMR, EuGRZ 2002, 244, Rn 67 - Kutzner. 64 S zB EGMR, NJW 1993, 718, Rn 37 - Niemietz = Kunig JK 93, EMRK Art 8/1.
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nicht nur vom Recht auf die Schutzgüter spricht, sondern vom „Recht auf Achtung" 6 5 der Schutzgüter, bringt die Schutzpflicht in dieser Norm besonders deutlich zum Ausdruck. Die Leitentscheidung des E G M R im Fall X und Y erging 1985.66 Sie betraf den strafrechtlichen Schutz einer geistig behinderten Frau vor sexuellem Missbrauch. Das niederländische Recht verlangte seinerzeit einen persönlichen Strafantrag der Betroffenen, den diese aber wegen ihrer geistigen Behinderung nicht rechtswirksam stellen konnte. Da das niederländische Recht eine Vertretung ausschloss, konnte der massive Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung nicht strafrechtlich geahndet werden. Der E G M R sah darin eine konventionswidrige Schutzlücke. Mittlerweile hat die Schutzpflichtdimension namentlich beim Umweltschutz erhebliche Bedeutung erlangt. 67 Die Prüfung einer Schutzpflichtverletzung ist schwierig. Der Schrankenvorbehalt des Art 8 II E M R K bezieht sich ausdrücklich nur auf Eingriffe und ist daher nicht anwendbar. Insbesondere passt der Gesetzesvorbehalt nicht, wenn positive Maßnahmen des Staates verlangt werden. Erforderlich ist vielmehr eine Abwägung zwischen dem Schutzinteresse einerseits und sonstigen legitimen staatlichen Interessen andererseits. In dieser Abwägung treffen sich Eingriffsrechtfertigung und Schutzpflichtprüfung. 68 Dabei wird man sagen können, dass auch in der Schutzpflichtdimension insbesondere die in Art 8 II E M R K genannten Ziele legitim sind, doch wird man auch andere Ziele ins Auge fassen können. Wenn Medien über das Privatleben Prominenter berichten, steht beispielsweise dem Schutz aus Art 8 E M R K die nicht zuletzt in Art 10 E M R K verankerte Presse- und Medienfreiheit 69 gegenüber. Bei der Abwägung kommt den innerstaatlichen Stellen ein weiter Beurteilungsspielraum zu, der jedoch durch die europäische Kontrolle begrenzt wird. Im Aufsehen erregenden Fall Caroline von Monaco hat eine Kammer des E G M R dem Schutz der Prominenten vor der Veröffentlichung von Fotos aus ihrem Privatleben einen höheren Stellenwert eingeräumt als das BVerfG.70 e) Verfahrensdimension
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In neueren Entscheidungen des E G M R zum Ehe- und Kindschaftsrecht wird zudem eine Verfahrensdimension von Art 8 E M R K erkennbar. 71 Zum Schutz des Familienlebens gehört es auch, dass der Staat familiäre Beziehungen nicht über die Köpfe der Betroffenen hinweg regelt und sie auf diese Weise bevormundet. An Verfahren, in denen der Staat im Einzelfall regelnd in das Familienleben eingreift, sind daher alle Betroffenen hinreichend zu beteiligen.72 Da kindliche Aussagen in ihrer Bedeutung häufig nur schwer zu würdigen sind, kann es sogar geboten sein, psychologischen Sachverstand hinzuzuziehen. 73 Zudem 65 „Right to respect for"/„droit au respect de". 66 EGMR, EuGRZ 1985, 297, Rn 23-30 - X und Y. 67 Zu den Leitentscheidungen ο Fn 14 und Rn 19; s auch Bretel RabelsZ 63 (1999), 580, 591-593 zum Kindschaftsrecht. 68 Die Parallele betont EGMR, EuGRZ 1995, 530, Rn 51 - Lopez Ostra = Kumg JK 96, EMRK Art 8/2; NVwZ 2001, 547, Rn 61 - Ciliz; NJW 2003, 2145, Rn 40 - Odievre. 69 —»§ 4 Rn 17. 70 EGMR, NJW 2004, 2647, Rn 56ff - von Hannover; gegen BVerfGE 101, 361, 379EF; dazu Heldrich NJW 2004, 2634 ff. 71 Dazu allg Brötel DEuFamR 1999, 143 ff. 72 EGMR, Serie A, Vol 121, Rn 62ff - W; NVwZ 2001, 547, Rn 66-71 - Ciliz; Urt ν 26.2.2004, Rn 52 f - Gorgulu; Wittinger (Fn 27) S 282. 73 EGMR, NJW 2001, 2315, Rn 52 - Eisholz; EuGRZ 2001, 588, Rn 43 - Sommerfeld; (Große Kammer) FPR 2004, 344, Rn 68 ff - Sommerfeld.
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kann gerade bei Sorge- und Umgangsrechtsstreitigkeiten der bloße Zeitablauf zu einer Entfremdung zwischen Kind und Elternteil führen, die vollendete Tatsachen schafft. Daher folgt aus Art 8 E M R K insoweit auch ein Anspruch auf eine zügige Entscheidung. 74 Verfahrensgarantien hat der E G M R zudem dort angenommen, wo die inhaltliche Überprüfung durch einen Beurteilungsspielraum der nationalen Instanzen eingeschränkt ist. Ein Beispiel ist der Schutz vor Fluglärm. 75 Die Kontrolle des behördlichen und ggf gerichtlichen Verfahrens soll hier Defizite in der inhaltlichen Überprüfung kompensieren. Der Gedanke, dass Grundrechte zu ihrer Verwirklichung und Sicherung auch Verfahrensgarantien umfassen, ist aus dem deutschen Verfassungsrecht bekannt. 76 Die Konvention enthält allerdings mit Art 6 I E M R K auch spezielle, weit reichende Verfahrensgarantien (-> dazu § 6 Rn 30 ff). Systematische Argumente sprechen dafür, Verfahrensgarantien vorrangig aus Art 6 E M R K abzuleiten. Die Annahme eigener, ungeschriebener Verfahrensgarantien aus Art 8 E M R K ist insoweit weitgehend überflüssig. Der E G M R geht jedoch eher den umgekehrten Weg. Zunächst wird ein Verstoß gegen Art 8 E M R K vor allem mit einem unzulänglichen Verfahren begründet. 77 Anschließend wird knapp dargelegt, dass dieselben Umstände auch einen Verstoß gegen Art 6 I E M R K begründen, 78 oder diese Vorschrift wird überhaupt nicht mehr geprüft. 79 Art 6 I E M R K verliert damit seine eigenständige Bedeutung. Keine Konkurrenzprobleme stellen sich dort, wo der E G M R aus Art 8 E M R K Anforderungen an das Verwaltungsverfahren ableitet, wie im Fall Hatton hinsichtlich des Lärmschutzes am Flughafen Heathrow. 80 Lösung Fall 1: Da Μ bei seinen Eltern lebt, wird er vom Recht auf Achtung seines Familienlebens nach Art 8 I EMRK geschützt. Soweit sein sonstiges Lebensumfeld in München betroffen ist, kann er den Schutz seines Privatlebens geltend machen. Da die behördliche Ausweisung darauf abzielt, ihm die Fortsetzung des Familien- und Privatlebens in München unmöglich zu machen, greift sie in beide Schutzbereiche ein. Die Rechtfertigung bestimmt sich nach Art 8 II EMRK. § 48 II 1 AuslG/§ 56 II 2 AufenthG genügen den konventionsrechtlichen Anforderungen an ein Gesetz. Als legitimes Ziel kommt vor allem die Verhütung von Straftaten in Betracht. Man mag auch an die Aufrechterhaltung der Ordnung oder an den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer denken. Zweifelhaft ist, ob die Ausweisung in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist. Die Frage nach einem dringenden sozialen Bedürfnis führt zu einer Verhältnismäßigkeitsprüfung. Hier muss sich die Prüfung auf die knappen Angaben des Sachverhalts beschränken. Angesichts der bisherigen Straftaten erscheint es wahrscheinlich, dass Μ auch in Zukunft Straftaten begehen würde. Die Ausweisung ist ein geeignetes Mittel, weitere Straftaten in Deutschland zu verhindern. Angesichts der langen Liste von Vortaten ist kaum anzunehmen, dass es ein milderes, gleich geeignetes Mittel gibt.
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E G M R , Urt ν 24.4.2003, Rn 60 - Sylvester. E G M R (Große Kammer), Urt ν 8.7.2003, Rn 103 f. 128 - Hatton. ν Münch in: ν Münch/Kunig (Fn 40) Vorbem Art 1-19 Rn 25-27. E G M R , NJW 2001, 2315, Rn 52 f - Eisholz. E G M R , NJW 2001, 2315, Rn 66 - Eisholz. E G M R , Urt ν 8.4.2004, Rn 108 - Haase; dahin gehend auch Brötel RabelsZ 63 (1999), 580 (593): Spezialität von Art 8 E M R K . 80 S ο Fn 75.
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Fallentscheidend ist damit die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne, bei der das konventionsrechtlich geschützte Bleibeinteresse des Μ gegen das öffentliche Ausweisungsinteresse abzuwägen ist. Die ungewöhnliche Häufung von teilweise schwerwiegenden Straftaten spricht für die Ausweisung. Andererseits ist Μ trotz seiner fremden Staatsangehörigkeit materiell Inländer. Er hat nur in Deutschland gelebt und spricht kaum Türkisch, so dass offenbar Deutsch seine Muttersprache ist. Eine Ausweisung würde ihn vergleichbar treffen wie einen Deutschen. Wäre er Deutscher, könnte ihn Deutschland trotz seiner Straftaten nach Art 3 I 4. ZP E M R K nicht ausweisen. Deutsche Staatsgewalt müsste dem Problem dann allein mit den Mitteln des Strafrechts einerseits und der Jugendhilfe andererseits begegnen. Allein die fehlende deutsche Staatsangehörigkeit rechtfertigt es nicht, Μ als materiellen Inländer anders zu behandeln. Der Fall weist Parallelen zur Sache Mehemi auf, in der der E G M R die Abschiebung eines straffälligen Ausländers der zweiten Einwanderergeneration als unverhältnismäßig ansah. 81 Zwar hielt der E G M R die Ausweisung eines im Inland geborenen Ausländers im Fall Baghli für zulässig.82 Im dort entschiedenen Fall war der Beschwerdeführer indes volljährig, unterhielt keine engen Beziehungen zu seinen in Frankreich lebenden Verwandten und hatte seinen Militärdienst in Algerien abgeleistet.83 Die Bindung an den Aufenthaltsstaat war also viel lockerer als die des Μ in Fall 1.
2. Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit
(Art 9
EMRK)
a) Schutzbereich Art 9 E M R K ist die Parallelbestimmung zu Art 4 I, II GG. Geschützt werden Gedanken, Gewissen, Religion und Weltanschauung. Allgemein anerkannte Definitionen, wie es sie f ü r die Parallelbegriffe des Grundgesetzes gibt, 84 haben sich für Art 9 E M R K noch nicht herausgebildet. 85 Es zeigen sich jedoch erhebliche inhaltliche Übereinstimmungen. Wie bei Art 4 G G wird nicht nur die innere Überzeugung einer Person geschützt (sog forum internum), sondern auch das Bekenntnis nach außen (sog forum externum). Art 4 I, II G G gewährleistet nach Ansicht des BVerfG 86 bekanntlich nicht nur das Bekenntnis im engeren Sinn, sondern auch das Recht, sein ganzes Leben an den Regeln seines Glaubens oder seiner Weltanschauung auszurichten. Art 9 I E M R K ist insoweit noch deutlicher, indem er das Praktizieren von Bräuchen und Riten ausdrücklich in den Schutzbereich aufnimmt. Will beispielsweise eine Lehrerin aus religiösen Gründen ein Kopftuch tragen, so fällt dies ohne weiteres in den Schutzbereich von Art 9 I EMRK. 8 7 Dasselbe gilt für das religiös motivierte Schächten. 88 Das Recht der Eltern, die Erziehung ihrer Kinder nach eigenen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen zu gestalten, wird zusätzlich durch
81 EGMR, NVwZ 1998, 164, Rn 35-37 - Mehemi. 82 EGMR, NVwZ 2000, 1401, Rn 46-49 - Baghli. 83 S auch die Analyse der einschlägigen EGMR-Rechtsprechung in BVerfG (Kammer), NVwZ 2004, 852, 853 f. 84 Dazu Mager in: ν Münch/Kunig (Fn 40) Art 4 Rn 12 ff. 85 Zur konventionsrechtlichen Kasuistik s schon ο Rn 4. 86 BVerfGE 32, 98, 106 f; kritisch Mager in: ν Münch/Kunig (Fn 40) Art 4 Rn 17. 87 S EGMR, NJW 2001, 2871, 2872 - Dahlab = Schoch JK 02, EMRK Art 9/1; dazu Schöbener JURA 2003, 186ff; VG Stuttgart, NVwZ 2000, 959, 960 = Ehlers JK 01, GG Art 41, II/18. 88 EGMR, RUDH 2000, 247, Rn 73 f - Cha'are Shalom Ve Tsedek; dazu rechtsvergleichend Pabel EuGRZ 2002, 220 ff. 74
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Art 2 S 2 1. ZP E M R K abgesichert. 89 Ebenso wie Art 4 G G schützt Art 9 I E M R K neben der positiven Freiheit auch die negative Freiheit, keinen Glauben und keine Weltanschauung zu haben. Geschützt werden, wie es der E G M R formuliert, auch Atheisten, Agnostiker, Skeptiker und Gleichgültige.90 Im Übrigen kann die Religionsfreiheit nicht nur von einzelnen Gläubigen geltend gemacht werden, sondern auch von einer Religionsgemeinschaft." b) Beeinträchtigung Die Feststellung einer Beeinträchtigung kann schwierig sein. Es ergeben sich aber kaum Besonderheiten gegenüber anderen Menschen- und Grundrechten. Parallelen zum Grundgesetz zeigen sich auch hier. Beispielsweise sah der E G M R in der Versagung einer Schächtgenehmigung keinen Eingriff, weil die Gläubigen ausreichend Möglichkeiten hatten, sich aus anderen Quellen mit koscherem Fleisch zu versorgen. 92 Das BVerwG argumentierte in Hinblick auf Art 4 I, II G G ähnlich, wenngleich strenger und dogmatisch konsequenter. Es stellte darauf ab, dass kein religiöses Gebot den Verzehr von koscherem Fleisch vorschreibe. Wenn der Staat das Schächten verbiete, bleibe den Gläubigen die Möglichkeit, auf Fleischimporte zurückzugreifen oder auf Fleisch ganz zu verzichten. 93 Das BVerfG hat diesen restriktiven Eingriffsbegrifr allerdings relativiert. Es stellt darauf ab, dass der erzwungene Verzicht auf Fleisch kaum zumutbar und dass bei Fleischimporten die Unsicherheit größer sei, ob das Fleisch tatsächlich den Glaubensgeboten entspreche.94 Damit nähert es sich der Position des E G M R an. Zweifelhaft ist der Eingriffscharakter einer Abschiebung, wenn die Religions-, Gewissens- oder Gedankenfreiheit des Betroffenen in dem anderen Staat nicht gewährleistet ist. Als belastendem Staatsakt kann einer Abschiebung durchaus Eingriffsqualität zukommen, wie sich schon bei Art 8 E M R K gezeigt hat. 95 Der Akt der Abschiebung selbst verhält sich allerdings in Hinblick auf den Schutzbereich von Art 9 E M R K neutral. Dessen Schutzgüter werden erst in dem anderen Staat beeinträchtigt, ohne dass der abschiebende Staat dies beabsichtigen würde. Das spricht dafür, aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht als Eingriff in Art 9 E M R K zu qualifizieren, selbst wenn dem Betroffenen im Ausland eine Beeinträchtigung der Schutzgüter des Art 9 E M R K droht. Das bedeutet nicht, dass solche Fälle konventionsrechtlich irrelevant wären. Vielmehr kann Art 9 E M R K in seiner Schutzpflichtdimension einer Abschiebung jedenfalls dann entgegenstehen, wenn die Religionsfreiheit im Ausland gravierend beeinträchtigt wird.96 Alternativ mag man daran denken, eine Abschiebung, die den Betroffenen massiven Beschränkungen seiner Religionsfreiheit aussetzt, als unmenschlich im Sinne von Art 3 E M R K zu behandeln und so zu einem Abschiebungsschutz zu kommen. 97
89 Dazu Dujmovitis in: Grabenwarter/Thienel (Hrsg) Kontinuität und Wandel in der E M R K , 1998, S 139, 153 f. 90 E G M R , N J W 2001, 2871, 2872 - Dahlab = Schoch JK 02, E M R K Art 9/1. 91 E G M R , R U D H 2000, 247, Rn 72 - Cha'are Shalom Ve Tsedek. 92 E G M R , R U D H 2000, 247, Rn 80-83 - Cha'are Shalom Ve Tsedek. 93 BVerwGE 99, 1, 7 f; zustimmend Trute J U R A 1996, 462, 465 f. 94 BVerfGE 104, 337, 350 f = Ehlers JK 02, G G Art 41/20. 95 S Rn 17. 96 So im Ergebnis auch BVerwGE 111, 223, 229 f. 97 Zu diesem Lösungsweg noch u Rn 41 ff.
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c) Rechtfertigung 34
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Die Rechte des Art 9 I E M R K sind nur zum Teil einschränkbar. Art 9 II E M R K unterwirft die Bekenntnisfreiheit einem qualifizierten Gesetzesvorbehalt. Beschränkbar ist also nur das forum externum, während das forum internum vorbehält- und schrankenlos gewährleistet wird.98 Diese Differenzierung ist sinnvoll. Sie trägt der Unantastbarkeit innerer Überzeugungen ebenso Rechnung wie dem Bedürfnis, menschliches Verhalten, das sich auf andere Menschen auswirkt, rechtlichen Regelungen zu unterwerfen. Die Schrankensystematik der Konvention ist der grundgesetzlichen in diesem Punkt überlegen. Art 4 I, II G G wird zwar weitgehend als vorbehaltloses Grundrecht verstanden, dann aber durch verfassungsimmanente Schranken relativiert." Art 9 II EMRK gleicht strukturell dem oben 100 besprochenen Art 8 II EMRK. Die Beschränkung muss gesetzlich vorgesehen sein, und sie muss zum Schutz eines der aufgelisteten legitimen Ziele „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" sein. Im Fall einer muslimischen Lehrerin, die nur mit Kopftuch unterrichten wollte, hat das BVerfG entschieden, dass es Aufgabe der parlamentarischen Gesetzgebung sei, den grundlegenden Konflikt zwischen Kopftuchgegnern und -befürwortern im demokratischen Willensbildungsprozess zu entscheiden.101 Das BVerfG bringt damit vor allem den Demokratie schützenden Aspekt des Gesetzesvorbehalts zum Tragen. In der E M R K steht weniger die Demokratie im Vordergrund als vielmehr der Schutz individueller Freiheit und damit die rechtsstaatliche, Freiheit sichernde Dimension des Gesetzesvorbehalts. Man wird daher die Strenge, mit der das BVerfG die wesentliche Grundentscheidung dem Parlament vorbehält, nicht auf den Gesetzesvorbehalt der E M R K übertragen können. Dem besonderen Stellenwert der Religionsfreiheit entspricht es, dass der Katalog legitimer Ziele kürzer ist als bei Art 8 II EMRK, doch dürfte diese Begrenzung angesichts der Weite der verbleibenden Rechtfertigungsgründe kaum praktische Bedeutung erlangen. Geht es darum, eine moslemische Lehrerin daran zu hindern, mit Kopftuch vor der Klasse aufzutreten, lässt sich beispielsweise an den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer denken. Will der Staat Schülerinnen und Schüler vor einer religiösen Beeinflussung schützen, verfolgt er ein legitimes Ziel. Der EGMR 102 führt daneben den Schutz der öffentlichen Sicherheit und der öffentlichen Ordnung an und zeigt damit, wie wenig der Katalog legitimer Ziele als Rechtfertigungsfilter dient. Entscheidend ist die Abwägung, in der das konventionsrechtliche Schutzgut und das legitime Beschränkungsziel zum Ausgleich zu bringen sind,103 wobei den staatlichen Stellen ein Beurteilungsspielraum zukommt. In einem streng laizistischen Staat wie der Türkei hat der EGMR sogar ein Kopftuchverbot für Studentinnen an Universitäten als gerechtfertigt erachtet.104 Auf Deutschland wird sich diese Entscheidung nicht übertragen lassen. Zum einen sind Staat und Religion in Deutschland weniger konsequent getrennt. Zum anderen trifft ein Kopftuchverbot in Deutschland eine religiös-kulturelle Minderheit, so
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Dujmovitis in: Grabenwarter/Thienel (Fn 89) S 141, 152. Dazu kritisch Mager in: ν Münch/Kunig (Fn 40) Art 4 Rn 93. S Rn 20 ff. BVerfGE 108,282, 310 ff = Ehlers JK 04, GG Art 41,11/29; dazu Baerl Wrase JuS 2003, 1162. EGMR, NJW 2001, 2871 - Dahlab = Schoch JK 02, EMRK Art 9/1; dazu Schöbener JURA 2003, 186 ff. 103 Zur Praxis des EGMR Dujmovitis in: Grabenwarter/Thienel (Fn 89) S 141 ff. 104 EGMR, Urt ν 29.6.2004, Rn 97 ff - Sahin.
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dass Menschenrechte ihre Minderheiten schützende Funktion entfalten müssen. Andererseits werden Bekleidungsvorschriften für Lehrkräfte, die den Staat repräsentieren, leichter zu rechtfertigen sein als solche für Studierende.
II. Schutz der persönlichen Integrität 1. Verbot von Folter sowie unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung und Bestrafung (Art 3 EMRK) Fall 2: (EGMR, NVwZ 1998,161, Rn 50-53 - D) Der AEDS-kranke Drogenkurier D verbüßt eine Haftstrafe im Vereinigten Königreich. Dort wird seine Krankheit gut behandelt. Nach Ende seiner Haft soll D in seinen karibischen Heimatstaat St. Christoph und Nevis abgeschoben werden. Dort ließe sich seine AIDS-Therapie und Pflege nicht fortsetzen. Der Abbruch würde seine Lebenserwartung drastisch verringern. Darf D abgeschoben werden?
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a) Schutzbereiche Art 3 EMRK verbietet Folter sowie unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe. Im Grundgesetz findet diese Vorschrift keine unmittelbare Entsprechung. Sie weist sowohl Bezüge zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit iSv Art 2 II 1 G G als auch einen besonderen Menschenwürdegehalt 105 auf. Einerseits erfasst Art 3 E M R K nicht jede Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit. So wird die Anordnung und Durchführung einer Blutprobe bei Verdacht auf Trunkenheit am Steuer schon vom Schutzbereich nicht erfasst. Insoweit kann freilich der oben 106 behandelte, sehr weite Schutz des Privatlebens nach Art 8 I E M R K eingreifen.107 Andererseits kann eine Behandlung erniedrigend sein, selbst wenn sie die körperliche Unversehrtheit nicht beeinträchtigt. So würde etwa ein rassendiskriminierendes Gesetz, das Angehörige einer bestimmten Volksgruppe zwingt, in der Öffentlichkeit ein Erkennungszeichen zu tragen, von Art 3 E M R K erfasst. 108 Unter dem Grundgesetz wäre insoweit neben Art 3 III 1 G G das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art 2 I iVm Art 1 I G G einschlägig. Eine Definition der Folter findet sich in Art 1 I 1 des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984.109 Folter ist danach „jede Handlung, durch die einer Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden, zum Beispiel um von ihr oder einem Dritten eine Aussage oder ein Geständnis zu erlangen, um sie für eine tatsächlich oder mutmaßlich von ihr oder einem Dritten begangene Tat zu bestrafen oder um sie oder einen Dritten einzuschüchtern oder zu nötigen, oder aus einem anderen, auf irgendeiner Art von Diskriminierung beruhenden Grund,
105 Meyer-Ladewig NJW 2004, 981, 982; s auch die ausführliche rechtsvergleichende Analyse zum Konzept der Menschenwürde in E u G H , Rs. C-36/02 - O M E G A , Schlussanträge GA StixHackl, E u G R Z 2004, 229, Rn 74 ff. 106 S Rn 3 ff. 107 Frowein in: Frowein/Peukert Art 8 E M R K Rn 14. 108 S auch Frowein in: Frowein/Peukert Art 3 E M R K Rn 9. 109 BGBIII 1990,246.
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wenn diese Schmerzen oder Leiden von einem Angehörigen des öffentlichen Dienstes oder einer anderen in amtlicher Eigenschaft handelnden Person, auf deren Veranlassung oder mit deren ausdrücklichem oder stillschweigenden Einverständnis verursacht werden". Die Definition des UN-Übereinkommens ist für die Auslegung der E M R K nicht verbindlich. Dennoch wird man sie grundsätzlich als gelungene Begriffsbestimmung übernehmen können. Auch der EGMR bezieht sich auf sie.110 Drei Kriterien sind hervorzuheben: (1) Eine Beeinträchtigung muss eine hohe Intensität erreichen, um als Folter qualifiziert werden zu können. (2) Hinzu kommen muss ein finales Element. Wer foltert, will auf den Willen des Gefolterten oder eines Dritten einwirken, sei es um ein Geständnis zu erpressen, sei es um andere zu terrorisieren, zu verschrecken und zu verunsichern. (3) Schließlich muss das Verhalten zumindest mittelbar einem Staat zugerechnet werden können. Folter in diesem engen Sinn ist in EMRK-Staaten selten. Immerhin kann es auch hier insbesondere im Polizeigewahrsam zu Übergriffen kommen, die als Folter zu qualifizieren sind. 1 " Unmenschliche oder erniedrigende Behandlungen müssen ebenfalls eine gewisse Schwere erreichen, bleiben aber unterhalb der Schwelle der Folter. Unmenschlichkeit und Erniedrigung stehen ihrerseits in einem Stufenverhältnis, wobei die erniedrigende Behandlung die schwächste Stufe darstellt. Eine klare Abgrenzung zwischen den Alternativen der Unmenschlichkeit und der Erniedrigung ist aber weder erforderlich noch möglich. Das Feststellen einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung verlangt eine Einzelfallwertung. Wichtige Kriterien sind die Intensität und die Dauer der Beeinträchtigung. Im Laufe der Zeit haben sich Fallgruppen herausgebildet. Schon 1978 wurde die staatliche Prügelstrafe auf der Isle of Man im Fall Tyrer als erniedrigend qualifiziert.112 Im Fall Soering entschied der EGMR 1989, dass die langjährige Haft in einer Todeszelle angesichts der Haftbedingungen im Widerspruch zu Art 3 E M R K stehen könne.113 In den letzten Jahren ist das Anwendungsfeld von Art 3 EMRK vor allem in Abschiebungsfällen ausgedehnt worden. Eine Abschiebung kann namentlich dann konventionswidrig sein, wenn dem Abzuschiebenden im Heimatstaat staatliche oder nichtstaatliche Verfolgung droht. 114 Voraussetzung ist freilich das Vorliegen „substanzieller Gründe", die eine „tatsächliche Gefahr" darlegen.115 Die Begriffe des Art 3 E M R K unterliegen dabei einer dynamischen Auslegung.116 Sie bringen einen gemeineuropäischen Wertmaßstab zum Ausdruck, der sich fortentwickelt. Was, wie die Prügelstrafe auf der Isle of Man, bei der Schaffung der E M R K 1950 vielleicht noch zulässig war, konnte bereits 1978 als erniedrigend erscheinen.117 Gerade bei Übergriffen in Polizeigewahrsam stellen sich häufig Beweisfragen. An sich ist das relevante staatliche Verhalten positiv festzustellen. Bei Misshandlungen in Polizei-
110 111 112 113 114
EGMR, NJW 2001, 2001, Rn 114 - Salman. S zB EGMR, NJW 2001, 56, Rn 96-105 - Selmouni; NJW 2001, 2001, Rn 114 f - Salman. EGMR, EuGRZ 1979,163, Rn 29-35 - Tyrer. EGMR, EuGRZ 1989, 314, Rn 105-111 - Soering = Kunig JK 90, EMRK Art 3/1. Kälin in: Hailbronner/Klein (Hrsg) Einwanderungskontrolle und Menschenrechte, 1999, S 49, 54 f. 115 Trechsel in: Barwig/Brinkmann ua (Hrsg) Ausweisung im demokratischen Rechtsstaat, 1996, S223, 237-240; s auch EGMR, NVwZ 1998, 163, Rn 37 - H.L.R. 116 Kälin in: Hailbronner/Klein (Fn 114) S 57 ff; dagegen im ausländerrechtlichen Zusammenhang kritisch Hailbronner DÖV 1999, 617, 620 f. 117 EGMR, EuGRZ 1979, 163, Rn 31 - Tyrer.
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gewahrsam ist die Sicherung der nötigen Beweise allerdings vielfach fast nur dem beschuldigten Staat möglich. Daher arbeitet der E G M R hier seit einigen Jahren mit einer Beweiserleichterung. Ist eine Person bei der Ingewahrsamnahme guter Gesundheit und verlässt sie den Gewahrsam mit Verletzungen, so obliegt es dem Staat, d a f ü r eine plausible Erklärung zu liefern." 8 Vermag er das nicht, stellt der E G M R eine Verletzung von Art 3 E M R K fest. Der Sache nach handelt es sich um einen Anscheinsbeweis. 119 Den Staaten wird damit die Obliegenheit auferlegt, Verletzungen während der H a f t und ihre Ursachen zu dokumentieren, um einer Verurteilung wegen Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung zu entgehen. b) Beeinträchtigung Folter liegt schon begrifflich nur vor, wenn staatliche Organe Schmerzen oder Leiden zufügen. Auch eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe muss vom Staat ausgehen, damit eine Beeinträchtigung vorliegt. Umstritten ist, o b und wann aufenthaltsbeendende Maßnahmen als Eingriff gewertet werden können. Auf das Verhalten des Drittstaats wird man entgegen der Auffassung des 9. Senats des BVerwG 120 kaum abstellen können. Dieser ist häufig nicht einmal Vertragsstaat der E M R K . Außerdem geht es nicht um sein konventionswidriges Verhalten, sondern um die Konventionswidrigkeit der Auslieferung oder Abschiebung. 121 Maßgebend ist, o b die Auslieferung oder Abschiebung in Anbetracht ihrer Folgen unmenschlich oder erniedrigend ist.122 Gegen eine solche Qualifizierung mag man einwenden, dass der ausliefernde oder abschiebende Staat die Bedrohung in dem anderen Staat nicht zu verantworten habe. D a n n ließe sich der Schutz vor aufenthaltsbeendenden Maßnahmen nicht über die Eingriffsabwehrfunktion des Art 3 E M R K begründen, sondern nur über eine Schutzpflichtdimension. 123 Auch dieser Weg scheint aber nicht richtig. Für eine Schutzpflicht wäre das Vorverhalten des Konventionsstaates in Form der aufenthaltsbeendenden Maßnahme unerheblich. Was die Konvention ächtet, ist aber gerade die aufenthaltsbeendende Maßnahme, die den Betroffenen unmenschlichen oder erniedrigenden Bedingungen aussetzt. Dieses staatliche Tun ist daher als Beeinträchtigung zu werten. Stellt man in dieser Weise auf das Verhalten des Konventionsstaates ab, ist es unerheblich, von wem die Gefahr im Drittstaat ausgeht. 124 Verfolgung durch den Drittstaat macht die Auslieferung oder Abschiebung durch den Konventionsstaat ebenso konventionswidrig wie die Verfolgung durch andere Personen oder sonstige unmenschliche Lebensbedingungen.
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c) Rechtfertigung Die Garantie des Art 3 EMRK ist vorbehaltlos und ausweislich Art 15 II EMRK auch notstandsfest. Gibt es einen hinreichenden Grund, in die körperliche Unversehrtheit ein-
118 EGMR, EuGRZ 1996, 504, Rn 34 - Ribitsch; NJW 2001, 56, Rn 87 - Selmouni; dazu Rudolf EuGRZ 1996,497 ff. 119 Rudolf EuGRZ 1996,497, 500 f. 120 BVerwGE 99, 331, 334 f; 105, 187, 188 ff; 111,223,227. 121 Trechsel in: Barwig/Brinkmann (Fn 115) S 234. 122 Kälin in: Hailbronner/Klein (Fn 114) S 63-67. 123 Zu diesem Ansatz Jaeckel (Fn 48) S 162 f. 124 Gusy ZAR 1993, 63, 66; s auch Alleweldl Schutz vor Abschiebung bei drohender Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe, 1996, S 15, 26.
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zugreifen, wird der Eingriff regelmäßig schon nicht als unmenschlich, als erniedrigend oder gar als Folter zu qualifizieren sein. Fällt eine Behandlung dagegen in den Schutzbereich des Art 3 EMRK, steht zugleich ihre Konventionswidrigkeit fest. Art 3 E M R K hat in diesem Sinne einen absoluten Charakter. 125 Eine Parallele zur deutschen Figur verfassungsimmanenter Schranken kennt die E M R K nicht.126 Diese Figur ist Ausdruck einer unzulänglichen Schrankensystematik des Grundgesetzes. Dieses enthält mehrere vorbehaltlose Grundrechte, die offenkundig gewissen Schranken unterliegen müssen. Demgegenüber weisen die Garantien der E M R K wesentlich weiter gehende Schrankenvorbehalte auf, die immanente Schranken überflüssig machen. Art 3 E M R K ist dagegen ein Recht, das nicht nur vorbehaltlos garantiert ist, sondern auch schrankenlos. Einschränkungen werden für seltene Ausnahmefälle diskutiert. Ein realer Fall hat sich 2002 in Frankfurt/ Main ereignet.127 Der dortige Polizeivizepräsident drohte einem Entführer Folter an, damit dieser das Versteck des entführten Jungen preisgab. Im nachhinein stellte sich heraus, dass der Junge längst getötet worden war. Andere Szenarien betreffen Terroranschläge. In Hinblick auf Art 1 I G G wird erwogen, in solchen Fällen die staatliche Verpflichtung zum Schutz der Würde der Opfer gegen die Menschenwürde des Täters abzuwägen.128 Dieser Vorschlag rührt am Dogma der Absolutheit und Unabwägbarkeit der Menschenwürde. Auf die E M R K lässt er sich schon deshalb nicht übertragen, weil eine Dogmatik konventionsimmanenter Schranken angesichts der weitgehend stimmigen Schrankensystematik der E M R K mit gutem Grund nicht entwickelt worden ist. Zudem spricht die Missbrauchsgefahr gegen jeden Versuch, Folter auch nur in Ausnahmesituationen zu legalisieren. Jedenfalls kann es nicht angehen, beispielsweise zur Abwehr möglicher Terroranschläge gleichsam auf Verdacht zu foltern. Es ist bezeichnend, dass Folter letztlich auch im Frankfurter Fall ein objektiv untaugliches Mittel zur Rettung des Entführten war. Eher ist zu erwägen, in extremen Ausnahmefällen auf eine strafrechtliche Ahndung zu verzichten.129 d) Schutzmechanismen Konventionsverletzungen können nach Art 33 ff E M R K mit der Beschwerde vor dem EGMR gerügt werden (-» § 2 Rn 43 ff). Für Art 3 E M R K gilt insoweit nichts besonderes. Dieser Schutz greift allerdings nur ein, wenn eine individuelle Verletzung festgestellt werden kann. Erfahrungsgemäß drohen Verletzungen von Art 3 E M R K besonders dort, wo staatliche Stellen Personen in Gewahrsam halten. Gerade in diesen Situationen ist der Nachweis von Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung besonders schwierig. Zudem werden eingeschüchterte Betroffene sich häufig scheuen, die Angelegenheit vor Gericht zu bringen.130 Auf die Beweisprobleme hat der EGMR in den letzten Jahren mit der oben131 beschriebenen Beweiserleichterung reagiert. Unabhängig davon erschien es sinnvoll, den Schutz von Personen in staatlichem Gewahrsam durch ein zu125 126 127 128 129
EGMR, NJW 2001, 56, Rn 95 - Selmouni. Jacobs/White (Fn 41) S 299. Zum Sachverhalt Welsch BayVBl 2003, 481, 482. Wittreck DÖV 2003, 873, 879 ff. Dahingehend Wittreck DÖV 2003, 873, 876; eher ablehnend Hilgendorf JZ 2004, 331, 338f; s auch Art 4 ff der UN-Folterkonvention (Fn 109), die den Staat verpflichten, Folter als Straftat zu verfolgen. 130 Alleweldt EuGRZ 1998, 245, 246. 131 S Rn 42.
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sätzliches, präventives Verfahren 2x1 sichern. Zu diesem Zweck wurde am 26.11.1987 das Europäische Übereinkommen zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe abgeschlossen. 132 Materiellrechtlich knüpft das Übereinkommen in seiner Präambel und mit seiner Wortwahl an das Verbot des Art 3 E M R K an. 133 Verfahrensrechtlich schafft es einen Europäischen Ausschuss zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe. 134 Der Ausschuss ist mit unabhängigen Mitgliedern aus allen Vertragsstaaten besetzt. 135 Seine Aufgabe ist es, Gefängnisse und andere Haftorte zu besuchen und darüber Berichte anzufertigen. 136 Dabei hat er zum Teil alarmierende Zustände aufgedeckt, aber auch Verbesserungen bewirken können. 137 Die Schutzmechanismen der E M R K werden durch das Übereinkommen von 1987 nur ergänzt, nicht geschmälert. 138 Lösung Fall 2: Die Abschiebung des D könnte als unmenschliche Behandlung gegen Art 3 E M R K verstoßen. Entgegen der Auffassung des BVerwG139 kommt es dabei nicht darauf an, ob dem Betroffenen eine unmenschliche Behandlung durch seinen Heimatstaat droht. Maßgeblich ist allein, ob das Verhalten britischer Staatsgewalt als unmenschlich zu qualifizieren ist. Eine Abschiebung des D hätte konkret vorhersehbare, gravierende Folgen. Sie würde ihn mit Sicherheit einem nahen Tod aussetzen. Unter heutigen Bedingungen wird man davon ausgehen können, dass ein staatlicher Akt, der die Fortsetzung einer laufenden, lebensnotwendigen medizinischen Behandlung unmöglich macht, grundsätzlich unmenschlich ist. Die Abschiebung beeinträchtigt damit Art 3 EMRK. Da eine Beeinträchtigung dieser Garantie nicht zu rechtfertigen ist, darf D nicht abgeschoben werden. Für Deutschland stellt § 53 IV AuslG (ab 1.1.2005: § 60 V AufenthG) klar,140 dass ein entsprechendes Abschiebungshindernis auch innerstaatlich zu beachten ist. 2. Recht auf Leben (Art 2
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Fall 3: Terroristen haben sich in einer Wohnung verschanzt. Die Polizei sperrt den Bürgersteig vor dem Wohnhaus, bevor ein Sondereinsatzkommando das Gebäude stürmt. Dabei kommt es zu einem Schusswechsel, in dessen Verlauf eine unbeteiligte Passantin auf der gegenüberliegenden Straßenseite tödlich getroffen wird, bevor die Terroristen selbst den Tod finden. Ermittlungen wegen des Todes der Passantin werden innerhalb kurzer Zeit mit der Begründung eingestellt, dass der tödliche Schuss von den Terroristen abgegeben worden sei. Die tödliche Kugel wird nicht gefunden. Tatzeugen und namentlich die beteiligten Polizisten werden nicht vernommen. Alle Versuche des Ehemann der getöteten Passantin, eine gericht-
132 133 134 135 136 137
BGBl II 1989, 946; geändert durch zwei Zusatzprotokolle vom 4.11.1993. BGBIII 1996, 1114. Alleweldt EuGRZ 1998, 245, 248. Art 1 des Ubereinkommens. Art 4 f des Ubereinkommens. Art 7 ff des Übereinkommens. S die Würdigung von Alleweldt EuGRZ 1998, 245, 249 ff; speziell zur Türkei ders EuGRZ 2000, 193 f. 138 Art 17 II des Übereinkommens. 139 BVerwGE 99, 331, 334 f; 105, 187, 188 ff; 111,223,227. 140 Zum rein deklaratorischen Charakter der Vorschrift BVerwGE 99, 331, 333.
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liehe Klärung des Vorfalls zu erreichen, bleiben erfolglos. Als er Beschwerde zum EGMR erhebt, erklärt die Regierung, dass die Umstände des Todes der Passantin nicht mehr aufklärbar seien. Wie wird der EGMR entscheiden? a) Schutzbereich 49
Art 2 I 1 EMRK schützt menschliches Leben. Der Schutz besteht bis zum Tod. Es erscheint sachgerecht, dabei auf den Hirntod abzustellen. Schwieriger ist der Beginn des Schutzes zu bestimmen. Geschützt werden jedenfalls geborene Menschen. Der Schutz des ungeborenen Lebens ist umstritten. Der österreichische Verfassungsgerichtshof hat einen Schutz unter Hinweis auf die Schranken abgelehnt.14' Es wäre unverständlich, so der Verfassungsgerichtshof, wenn zwar sogar geborene Menschen unter Umständen getötet werden dürften, die Tötung ungeborenen Lebens hingegen selbst im Falle besonderer Indikation ausgeschlossen sei. Gegen diese Argumentation spricht, dass die Schrankenbestimmungen nur im Falle staatlicher Eingriffe Anwendung finden.142 Nimmt ein privater Arzt auf Wunsch der Schwangeren einen Schwangerschaftsabbruch vor, liegt kein Eingriff vor. Art 2 I 2, II EMRK stünden einer Abtreibung durch Private also nicht entgegen. Damit gibt es keinen durchgreifenden Grund, ungeborenes menschliches Leben aus dem Schutzbereich auszuklammern.143 Dennoch hat sich die Große Kammer des EGMR im Fall Vo gegen Frankreich der restriktiven Position im Ergebnis angeschlossen. Solange ein gemeineuropäischer Konsens fehle, falle es in den Beurteilungsspielraum der einzelnen Staaten, den Beginn des Lebens zu bestimmen.144 Wenn angesichts neuer medizinisch-technischer Entwicklungen wie der Stammzellenforschung gemeinsame Standards der europäischen Staaten nicht einmal ansatzweise erkennbar sind, kann es in der Tat nicht Aufgabe des EGMR sein, in diesem Bereich eine Vorreiterrolle zu übernehmen.145 Gleichwohl begegnet die Lösung des EGMR Bedenken. Die Figur des Beurteilungsspielraums hat ihre Berechtigung auf der Rechtfertigungsebene.146 Hier wird jedoch der Schutzbereich zur Disposition der Mitgliedstaaten gestellt, obwohl Einigkeit bestehen dürfte, dass auch ungeborenes Leben nicht völlig schutzlos sein darf.
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Im Gegensatz zu anderen Freiheitsrechten umschließt Art 2 1 1 EMRK nicht die negative Freiheit, nicht zu leben.147 Ebenso wenig wie unter dem Grundgesetz148 umfasst das Recht auf Leben unter der EMRK ein Recht auf Selbstmord oder auf aktive Sterbehilfe. Das schließt nicht aus, dass die Selbstbestimmung über das eigene Leben in den Schutzbereich von Art 8 I EMRK fällt.149 Ein Staat kann jedoch die Sterbehilfe nach Art 8 II EMRK zum Schutz des Lebensrechts der anderen Person beschränken.150 Da das Lebens141 Österreichischer VerfGH, EuGRZ 1975, 74, 78. 142 Kneihs in: Grabenwarter/Thienel (Fn 89) S 21, 37 f. 143 Frowein in: Frowein/Peukert Art 2 EMRK Rn 3; anders allerdings Kneihs in: Grabenwarter/ Thienel (Fn 89) S 40 f. 144 EGMR, Urt ν 8.7.2004, R n 8 1 f f - V o . 145 Zur Zurückhaltung der Konventionsorgane Trechsel in: Benedek/Isak/Kicker (Hrsg) Development and Developing International and European Law, 1999, S 671, 672 f. 146 Peters EMRK S 25. 147 EGMR, NJW 2002, 2851- Pretty = Otto JK 03, StGB § 216/5, Rn 39f; dazu Fassbender JURA 2004, 115ff. 148 Dazu Kunig in: ν Münch/Kunig (Fn 40) Art 2 Rn 50. 149 Zur Weite dieses Schutzbereichs schon ο Rn 3 ff. 150 EGMR, NJW 2002, 2851 - Pretty = Otto JK 03, StGB § 216/5, Rn 68 ff.
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recht nach Art 2 1 1 E M R K unverzichtbar ist, darf sich der Staat beim Verbot der Sterbehilfe auch über den Willen des Sterbewilligen hinwegsetzen. Dabei kann vor allem die Missbrauchsgefahr ein Grund dafür sein, Sterbehilfe zu verbieten. Eine räumliche Einschränkung erfährt der Schutzbereich wie bei jedem Konventionsrecht durch Art 1 EMRK (—> dazu § 2 Rn 26). Diese Einschränkung ratione loci wird vor allem bei Militäreinsätzen im Ausland relevant. Der E G M R hat sich in Zusammenhang mit den NATO-Angriffen auf Belgrad im Zuge des Kosovo-Konflikts grundsätzlich zu der Frage geäußert. 151 Art 1 E M R K beschränkt den Anwendungsbereich der Konvention auf solche Personen, die der Hoheitsgewalt der Konventionsstaaten unterstehen. Die deutsche Übersetzung ließe sich vom Wortlaut her dahin verstehen, dass jede faktische Auswirkung mitgliedstaatlicher Hoheitsgewalt der Konvention unterfällt. Dann wäre allerdings die ausdrückliche Anknüpfung an die Hoheitsgewalt in Art 1 E M R K überflüssig. Der Zusatz würde nur besagen, dass die Verantwortlichkeit stets bei einem staatlichen Verhalten ansetzt. Das versteht sich von selbst.152 Im Übrigen ist allein der Originaltext maßgeblich. Im Englischen heißt es „jurisdiction", im Französischen „juridiction". Diese Begriffe bezeichnen eher die staatliche Regelungskompetenz. Da die Hoheitsgewalt eines Staates rechtlich vor allem territorial begrenzt wird, fallen extraterritoriale Akte danach nur ausnahmsweise in den Schutzbereich der Konventionsrechte. 153 Die Konvention soll damit nach Ansicht des E G M R vorrangig solche Personen schützen, die sich in den europäischen Konventionsstaaten aufhalten, nicht aber das Handeln der Konventionsstaaten weltweit begrenzen. Ein Militäreinsatz im Ausland begründet noch keine Hoheitsgewalt über die dort lebenden Menschen, die den Anwendungsbereich der Konvention nach Art 1 E M R K eröffnen würde. Angriffe im Ausland, die dort Menschen töten, fallen also nicht in den Schutzbereich von Art 2 EMRK. 154 Anders verhält es sich beispielsweise im Falle der militärischen Besetzung, dh wenn ein Konventionsstaat die Staatsgewalt in einem fremden Gebiet effektiv kontrolliert. 155 So hatte der E G M R keine Bedenken, die Türkei für eine Verletzung von Art 2 E M R K in Nordzypern verantwortlich zu machen. 156 Dort kam allerdings zusätzlich hinzu, dass sich die Bevölkerung Nordzyperns aufgrund der Konventionsmitgliedschaft Zyperns ohnehin im räumlichen Geltungsbereich der Konvention befand. Man könnte dem E G M R vorwerfen, das Verhalten der Konventionsstaaten mit zweierlei Maß zu messen. Der starke Territorialbezug schafft einen europäischen Rechtsraum, in dem Menschenrechtsstandards verwirklicht werden, die als vorbildlich gelten, während Übergriffe europäischer Staatsgewalt außerhalb dieses Raumes von jeder Kontrolle freigestellt werden. Andererseits ist zuzugeben, dass der E G M R schnell überfordert wäre, sollte er Militäroperationen außerhalb des Konventionsraumes durchleuchten.157
151 152 153 154 155
E G M R , N J W 2003, 413, Rn 54 ff - Bankovic. S Schröder in: Graf Vitzthum VR 7. Abschn Rn 13. Frowein in: Frowein/Peukert Art 1 E M R K Rn 4. Krit Breuer E u G R Z 2003,449,450 f; Rüth/Trilsch AJIL 97 (2003), 168, 171. Detailliert Krieger ZaöRV 62 (2002), 669, 673 ff in Hinblick auf Auslandseinsätze der Bundeswehr. 156 E G M R , R J D 2001-IV, Rn 75 ff, 131 ff - Zypern; in Anknüpfung an E G M R , E u G R Z 1997, 555, Rn 52 ff - Loizidou. 157 Verständnis zeigt daher Shelton Duke Journal of Comparative and International Law 13 (2003), 95, 128.
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b) Beeinträchtigung 52
In der Eingriffsabwehrfunktion verbietet Art 2 E M R K Tötungen, die dem Staat zuzurechnen sind. Ein Tötungsvorsatz ist nicht erforderlich. 158 Eine Beeinträchtigung liegt insbesondere dann vor, wenn staatlicher Schusswaffengebrauch zum Tode führt, gleichviel ob der Tod beabsichtigt war oder lediglich eine ungewollte Folge ist. Beruht der Tod auf privatem Verhalten oder auf Naturereignissen, liegt kein Eingriff vor. Das gilt etwa in dem oben angesprochenen Fall des Schwangerschaftsabbruchs. Auch wenn ein Privater in Notwehr nach § 32 StGB einen Menschen tötet, liegt kein Eingriff vor. Art 2 1 1 E M R K kommt dann nur in seiner Schutzpflichtdimension zum Tragen. 159 Bleibt unklar, ob eine Tötung von staatlichen Stellen ausgegangen ist, kann eine Beeinträchtigung und damit eine Verletzung von Art 2 E M R K in der Eingriffsabwehrdimension nicht festgestellt werden. Der E G M R verlangt vielmehr, dass die Tötung ohne vernünftigen Zweifel dem Staat zugeordnet werden kann. 160
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An sich sind die Umstände, die die staatliche Verantwortlichkeit für den Tod begründen, positiv festzustellen. Stirbt eine Person in polizeilichem Gewahrsam, wird ein solcher Nachweis häufig allerdings ähnlich schwer zu führen sein wie in den oben 161 angesprochenen Fällen von Folter oder unmenschlicher Behandlung. Daher arbeitet der E G M R hier mit einer Beweislastumkehr. 162 Ist eine Person bei der Ingewahrsamnahme guter Gesundheit und weist der Leichnam später Verletzungen auf, so ist es Sache des Staates, dies zu erklären. Vermag er angesichts dieser Indizien nicht nachzuweisen, dass der Tod ohne staatliche Einwirkung eingetreten ist, wird ein Eingriff festgestellt. Fraglich ist, ob die Auslieferung bei drohender Todesstrafe in das Recht auf Leben eingreift. Begnügt m a n sich damit, dass der ausliefernde Staat eine notwendige Bedingung f ü r eine spätere Verurteilung und Hinrichtung setzt, lässt sich ein Eingriff annehmen. D a f ü r spricht auch, dass die Auslieferung gerade zum Zwecke der Strafverfolgung und -Vollstreckung erfolgt. Liefert der Staat trotz drohender Todesstrafe aus, nimmt er diese Folge zumindest billigend in Kauf. Lässt man den indirekten Zurechnungszusammenhang f ü r eine Tötungshandlung nicht ausreichen, wäre Art 2 E M R K in seiner Schutzpflichtdimension angesprochen. Außerdem wäre dann eine Lösung über Art 3 E M R K zu erwägen. Es lässt sich ohne weiteres annehmen, dass eine Auslieferung bei drohender Todesstrafe eine unmenschliche Behandlung darstellt. Der E G M R entschied 1989 im Fall Soering anders. 163 Damals hatte aber das Vereinigte Königreich als Beschwerdegegner das 6. Zusatzprotokoll, das die Todesstrafe verbietet, noch nicht ratifiziert. Unter Geltung des 6. Zusatzprotokolls ist anders zu entscheiden. 164
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c) Rechtfertigung 55
Art 2 E M R K enthält keine einheitliche Schrankenbestimmung, sondern mehrere Ausnahmen und Schranken, die auf Abs 1 S 2 und Abs 2 verteilt sind. Die beiden Sätze sind in
158 159 160 161 162 163 164
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EGMR, NJW 2001, 1991, Rn 78 - Ogur; NJW 2001, 2001, Rn 98 - Salman. Dazu u Rn 61 ff. EGMR, Urt ν 28.7.1998, Rn 78 - Ergi. S Rn 42. EGMR, NJW 2001, 2001, Rn 100-103 - Salman. EGMR, EuGRZ 1989, 314, Rn 101-103 - Soering = Kunig JK 90, EMRK Art 3/1. S auch Trechsel in: Benedek/Isak/Kicker (Fn 145) S 678.
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der sprachlichen Konstruktion nicht gut aufeinander abgestimmt, was die Auslegung erschwert. Ergänzt werden die Schrankenbestimmungen durch das Verbot der Todesstrafe im 6. und 13. Zusatzprotokoll. aa) Einschränkung und Verbot der Todesstrafe 1950 wurde die Todesstrafe konventionsrechtlich noch nicht verboten. Art 2 1 2 EMRK stellt lediglich besondere Rechtfertigungsanforderungen. Die Verhängung der Todesstrafe steht danach unter Gesetzes- und Gerichtsvorbehalt. Außerdem wird die Verhängung auf Verbrechen, also auf besonders schwere Straftaten begrenzt. Das 6. Zusatzprotokoll vom 28.4.1983 schafft die Todesstrafe in Art 1 ab. Verhängung und Vollstreckung sind verboten. Lediglich in Kriegszeiten sind nach Art 2 6. ZP EMRK Ausnahmen zulässig. Ansonsten ist das Verbot nach Art 3 notstands- und nach Art 4 6.ZP EMRK vorbehaltsfest. Das 13. Zusatzprotokoll vom 3.5.2002165 lässt auch die Ausnahmen für Kriegszeiten entfallen, so dass das Verbot der Todesstrafe absolut gilt. Dieses Zusatzprotokoll ist bislang für 26 der 45 Konventionsstaaten in Kraft. Die deutsche Ratifikation steht bevor.166 Aufbauend auf dieser Entwicklung hat der EGMR im Fall Öcalan erwogen, die Konventionsstaaten könnten Art 2 1 2 EMRK zumindest hinsichtlich der Erlaubnis der Todesstrafe in Friedenszeiten unabhängig von der konkreten Geltung des 6.ZP EMRK konkludent abbedungen haben.167 Diese Überlegungen sind allerdings dogmatisch höchst problematisch und praktisch weitgehend irrelevant, nachdem nur Russland das 6.ZP EMRK noch nicht ratifiziert hat und auch dieser Staat die Todesstrafe nicht mehr anwendet.
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bb) Verteidigung von Personen Nach Art 2 II lit a EMRK ist eine Tötung gerechtfertigt, wenn sie aus einer GewaltanWendung folgt, die zur Verteidigung einer Person gegen rechtswidrige Gewalt unbedingt erforderlich ist. Das betrifft vor allem den polizeilichen Schusswaffengebrauch. Es fällt auf, dass die Vorschrift keinen Gesetzesvorbehalt enthält, sondern lediglich materielle Anforderungen normiert.168 Der Text stellt allein auf den Schutz von Personen ab. Die Verteidigung von Sachwerten rechtfertigt tödliche Schüsse nach der Konvention nicht. Fraglich ist, ob Art 2 II EMRK auch einen sog finalen Todesschuss zu rechtfertigen vermag. Dagegen könnte Art 2 12 EMRK sprechen. Wird dort die absichtliche Tötung mit Ausnahme der Todesstrafe verboten, scheint Abs 2 nur unbeabsichtigte Tötungen zu erfassen. Es erscheint allerdings kaum stimmig, die rein repressive Tötung eines Menschen im Rahmen des Strafrechts zu erlauben, hingegen die gezielte Tötung zur Rettung anderer Menschenleben ausnahmslos auszuschließen. Abs 2 ist daher als gleichberechtigte Schranke neben Abs 1 S 2 zu lesen. Auch die gezielte Tötung eines Menschen kann durch Art 2 II lit a EMRK gerechtfertigt sein.169
165 BGBl II 2004 982. 166 Das Zustimmungsgesetz wurde am 12.7.2004 verkündet, s Fn 165. 167 EGMR, EuGRZ 2003, 472, Rn 189-198 - Öcalan; dazu Breuer EuGRZ 2003, 449, 453; Kühne JZ 2003, 670, 673 f; Künzli LJIL 17 (2004), 141, 152 ff. 168 Trechsel in: Benedek/Isak/Kicker (Fn 145) S 681. 169 EGMR, HRLJ 16 (1995), 260, Rn 148, 199 f - McCann; Kneihs in: Grabenwarter/Thienel (Fn 89) S 33 f.
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Freilich setzt Art 2 II EMRK voraus, dass die Gewaltanwendung „unbedingt erforderlich" ist. Im Vergleich zu Art 8 II EMRK, wo es heißt, dass der Eingriff „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" sein muss, stellt Art 2 II EMRK mit dem qualifizierenden „unbedingt" gesteigerte Rechtfertigungsanforderungen.170 Der Gewalteinsatz unterliegt damit besonders strengen Verhältnismäßigkeitsanfordeningen. So wird beispielsweise einem gezielten Schuss regelmäßig ein Warnschuss vorauszugehen haben, es sei denn, dass er ausnahmsweise den Verteidigungserfolg konterkarieren würde. Je höher das Risiko ist, dass der Angreifer getötet wird, desto größer muss die abzuwendende Gefahr sein. cc) Weitere Schranken
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Art 2 II EMRK kennt weitere Fälle, in denen staatliche Gewalt, die zum Tode führt, gerechtfertigt ist. Lit b nennt die Gewaltanwendung zur Festnahme oder zur Fluchtverhinderung, lit c die Gewaltanwendung, um Aufruhr oder Aufstand niederzuschlagen. In beiden Fällen gelten die strengen Verhältnismäßigkeitsanforderungen, die schon unter Rn 58 angesprochen wurden. Gezielte Todesschüsse werden hier kaum je zu rechtfertigen sein. Eine letzte Ausnahme sieht Art 15 EMRK vor. Die selten angewandte Vorschrift gestattet in ihren Abs 1, 2 unter engen Voraussetzungen die Einschränkung der Konvention im Kriegs- oder Notstandsfall. Nach Art 15 II EMRK sind unter diesen Voraussetzungen auch Tötungen infolge rechtmäßiger Kriegshandlungen zulässig. Die Konvention verweist damit auf die Rechtmäßigkeitsanforderungen des humanitären Völkerrechts, wie sie namentlich in den vier Genfer Rot-Kreuz-Konventionen von 1949 sowie im 1. Zusatzprotokoll zu diesen Konventionen von 1977 niedergelegt sind.171 Bei Militäreinsätzen außerhalb des Konventionsgebietes bedarf es der speziellen Rechtfertigung über Art 15 EMRK nicht. Sie fallen nach dem oben172 Gesagten von vornherein nicht in den Anwendungsbereich der Konvention. d) Schutzpflichtdimension
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Geht der Tod nicht auf staatliches Verhalten zurück, sondern auf privates Verhalten oder auf ein Naturereignis, so ist Art 2 11 EMRK in seiner Schutzpflichtdimension angesprochen. Dabei sind nicht nur präventive Maßnahmen zum Schutz des Lebens geboten.173 Vielmehr muss der Staat das Leben auch dadurch schützen, dass Tötungen unter Strafe gestellt und verfolgt werden.174 Auf der Ebene des materiellen Strafrechts ist vor allem die Notwehrproblematik umstritten. Grundsätzlich hat der Staat das private Notwehrrecht so zu beschränken, dass das Leben des Angreifers ausreichend geschützt wird.175 Dabei gelten aber nicht die engen 170 EGMR, NJW 2001, 1991, Rn 78 - Ogur; NJW 2001, 2001, Rn 98 - Salman; Kneihs in: Grabenwarter/Thienel (Fn 89) S 31 ff. 171 Dazu Bothe in: Graf Vitzthum VR 8. Abschn Rn 56 ff. 172 S Rn 50. 173 Zur Versagung medizinischer Versorgung EGMR, RJD 2001-IV, Rn 219 - Zypern. 174 Trechsel in: Benedek/Isak/Kicker (Fn 145) S 673 ff. 175 Das deutsche strafrechtliche Schrifttum nimmt diese Schutzpflichtdimension kaum zur Kenntnis; s Lertckner!Perron in: Schönke/Schröder (Hrsg) Strafgesetzbuch, 26. Aufl 2001, § 32 Rn 62; Tröndlel Fischer Strafgesetzbuch, 52. Aufl 2004, § 32 Rn 21; sowie KleinknechtlMeyer-Goßner Strafprozessordnung, 47. Aufl 2004, A 4 MRK, Art 2 Rn 3; jeweils mwN.
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Schranken des Art 2 II lit a EMRK. 176 So kann unter Umständen auch die Verteidigung von Sachwerten mit lebensgefahrlicher Gewalt hingenommen werden, ohne dass der Staat seine Schutzpflicht verletzen würde. Bei einem extremen Missverhältnis zwischen dem verteidigten Rechtsgut und der Lebensbedrohung wird der Staat aber einschreiten müssen. Bei der notwendigen Abwägung kann man sich auch an den Wertungen des Art 2 II EMRK orientieren,' 77 wenn man berücksichtigt, dass diese Schranken gerade nicht unmittelbar anwendbar sind. In der Gerichtspraxis spielt die konventionsrechtliche Notwehrproblematik nahezu keine Rolle.178 Das mag allerdings auch daran liegen, dass entsprechende Fälle von vornherein nicht zur Anklage gebracht werden. Der strafrechtliche Schutz darf nicht nur auf dem Papier stehen, sondern er muss effektiv durchgesetzt werden. Das bedeutet insbesondere, dass der Staat dort, wo die Todesursache nicht von vornherein klar ist, eine Untersuchung mit den Ziel einzuleiten hat, die Todesursache zu klären und Beweise zu sichern.179 Die Ermittlungen müssen geeignet sein, zur Identifizierung und Bestrafung etwaiger Verantwortlicher zu führen. 180 Das setzt namentlich voraus, dass die Untersuchungsbehörde hinreichend unabhängig ist.181 Staatlicher Ermittlungen bedarf es insbesondere auch dann, wenn eine Person in staatlichem Gewahrsam zu Tode kommt.182 Der EGMR hat damit aus der Schutzpflicht eine Verfahrensdimension abgeleitet, die der des Art 8 EMRK 183 ähnelt.184 Lösung Fall 3: Man könnte an der Zulässigkeit der Beschwerde zweifeln, weil der Ehemann nicht in seinem eigenen Recht auf Leben verletzt ist. Im Interesse eines effektiven Konventionsrechtsschutzes müssen jedoch auch Verstöße gegen Art 2 EMRK vom EGMR überprüft werden können. Daher sind im Falle der Tötung einer Person nahe Angehörige wie der Ehemann als Opfer im Sinne von Art 34 Satz 1 EMRK beschwerdebefugt.185 Mit der Tötung der Passantin ist der Schutzbereich nach Art 2 I 1 EMRK eröffnet. Allerdings lässt sich nicht ohne jeden vernünftigen Zweifel feststellen, dass der tödliche Schuss von einem Polizisten abgegeben wurde. Damit fehlt es an einer Beeinträchtigung, die dem Staat zuzurechnen wäre.186 Art 2 EMRK greift in seiner Eingriffsabwehrfunktion nicht ein. Aus der Konventionsgarantie ergibt sich jedoch auch eine Schutzpflicht.187 Es liegt nicht fern, dass bei einem Einsatz der vorliegenden Art Querschläger die gegenüberliegende Straßenseite erreichen. Daher hätte die Polizei die Umgebung zum Schutz unbeteiligter Passanten weiträumig absperren müssen. Es sind keine Gründe ersichtlich, die das polizeiliche Unterlassen rechtfertigen könnten. Art 2 EMRK ist somit in seiner Schutzpflichtdimension
176 S R n 54 ff. 177 So Kneihs in: Grabenwarter/Thienel (Fn 89) S 38 f; ähnlich Frowein in: Frowein/Peukert Art 2 E M R K R n 2 , 11. 178 Uerpmann (Fn 1) S 25 f. 179 E G M R , N J W 2001, 2001, Rn 104 f - Salman. 180 E G M R , N J W 2001, 1991, Rn 88 - Ogur; N J W 2001, 1989-Grams. 181 E G M R , NJW 2001, 1991, Rn 9 1 - O g u r . 182 E G M R , NJW 2001, 2001, Rn 105 - Salman. 183 S R n 2 8 . 184 Grabenwarter E M R K § 19 Rn 9. 185 Meyer-Ladewig H K Art 34 Rn 12. 186 S auch Rn 52. 187 S R n 62.
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verletzt. Zudem ergibt sich aus Art 2 EMRK die staatliche Verpflichtung, bei unklaren Todesfallen hinreichende Anstrengung zu unternehmen, um mögliche Täter zu ermitteln.188 Diese Verpflichtung bestand hier umso mehr, als der tödliche Schuss möglicherweise von staatlichen Organen abgegeben worden war. Dieser Pflicht sind die Strafverfolgungsbehörden, die nicht einmal die beteiligten Polizisten vernommen haben, nicht nachgekommen. Auch unter diesem Gesichtspunkt wird der EGMR einen Verstoß gegen Art 2 EMRK feststellen.189 III. Diskriminierungsverbot
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Fall 4: (EGMR, EuGRZ 1995, 392ff - Karlheinz Schmidt = Kunig JK 95, EMRK Art 14/1) In Baden-Württemberg und Bayern bestand bis Mitte der 90er Jahre eine Feuerwehrdienstpflicht für Männer. Männer, die keinen Dienst leisteten, mussten stattdessen eine Abgabe zahlen. Tatsächlich wurde niemand gegen seinen Willen zum Dienst in der Freiwilligen Feuerwehr verpflichtet, doch war die Feuerwehrabgabe ein wichtiges Finanzierungsinstrument. Frauen unterlagen keiner Dienst- und damit auch keiner Abgabenpflicht. Ein Mann aus Baden-Württemberg griff die ihn treffende Abgabenpflicht mit der Beschwerde in Straßburg an.
1. Das akzessorische Diskriminierungsverbot
des Art 14 EMRK
a) Akzessorietät 67
Art 14 EMRK ist ein akzessorischer Gleichheitssatz. Er knüpft an den „Genuss der in dieser Konvention anerkannten Rechte und Freiheiten" an und greift daher nur ein, wenn ein anderes Recht der Konvention zumindest vom Schutzbereich her einschlägig ist.190 Auf eine Verletzung des anderen Rechts kommt es nicht an. Nicht einmal ein Eingriff in das andere Recht muss festgestellt werden.191 Zu den Konventionsrechten, an die Art 14 EMRK anknüpft, zählen auch die Garantien der Zusatzprotokolle. Die Vorschrift spricht zwar nur von Konventionsrechten, doch sind ihnen die Rechte der Zusatzprotokolle durch entsprechende Vorschriften in den Zusatzprotokollen192 gleichgestellt. Die Akzessorietät führt dazu, dass der EGMR staatliches Verhalten in Sachbereichen, die die EMRK thematisch nicht erfasst, auch nicht auf Gleichheitsverstöße überprüfen kann. Das gilt namentlich im Bereich sozialer Rechte. Die EMRK unterscheidet sich insoweit vom Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19.12.1966. Dessen Art 26 ist vom Wortlaut her nicht akzessorisch. Dementsprechend wendet ihn der UN-Menschenrechtsausschuss auch im Bereich sozialer Rechte an.193 Die Akzessorietät mag früher sinnvoll gewesen sein. Heute wirkt sie zunehmend anachronistisch. Daher wurde am 4.11.2000 ein 12. Zusatzprotokoll zur EMRK abgeschlossen.194 Sein Art 1 greift den Wortlaut von 188 S Rn 64. 189 S auch in einem von der rechtlichen Würdigung her ähnlichen Fall EGMR, Urt ν 28.7.1998, Rn 77 ff - Ergi. 190 EGMR, NJW 2003, 2145, Rn 54 - Odievre. 191 EGMR, RXJDH 2000, 247, Rn 86 f - Cha'are Shalom Ve Tsedek. 192 Art 5 l.ZP, Art 6 4. ZP, Art 6 6. ZP, Art 7 7. ZP. 193 Zu den damit verbundenen Problemen KuniglUerpmann Übungen S 208. 194 Abrufbar unter http://conventions.coe.int/.
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Art 14 E M R K auf, formt das Recht aber zu einem allgemeinen Diskriminierungsverbot aus.195 Bislang ist dieses Zusatzprotokoll noch nicht in Kraft getreten. Die Akzessorietät führt dazu, dass Art 14 E M R K relativ geringe Bedeutung hat. Ist bereits ein Freiheitsrecht verletzt, verzichtet der EGMR häufig darauf, zusätzlich einen Gleichheitsverstoß zu prüfen. 196 Ist der Eingriff in ein Freiheitsrecht gerechtfertigt, wird in den meisten Fällen auch keine sachwidrige Ungleichbehandlung vorliegen. Art 14 E M R K kommt daher nur selten zum Zuge.
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b) Ungleichbehandlung Art 14 E M R K verbietet Diskriminierungen, also sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlungen. Die Vorschrift führt eine Reihe von Merkmalen auf, die als Anknüpfungspunkt für Ungleichbehandlungen grundsätzlich unzulässig sind. Sie ähnelt insoweit dem speziellen Gleichheitssatz des Art 3 III GG. Die Aufzählung ist jedoch ausweislich des Wortes „insbesondere" nur beispielhaft. Verboten ist jede Diskriminierung, gleich aus welchen Gründen. 197 Insbesondere erfasst die Vorschrift nicht nur personenbezogene Merkmale.198 Zwar stellt Art 14 in der deutschen Übersetzung ebenso wie im englischen Original speziell auf Unterscheidungen wegen des „Status" ab. Der ebenfalls authentische französischen Text spricht jedoch nicht von status-, sondern von situationsbezogenen Unterscheidungen. Dementsprechend hat der EGMR beispielsweise mögliche Unterscheidungen zwischen Hochsee- und Küstenfischerei an Art 14 EMRK gemessen.199 Es handelt sich somit um einen allgemeinen Gleichheitssatz, der Art 3 I G G entspricht. Daher stimmt die Prüfungsstruktur der beiden Gleichheitsrechte bis auf die Akzessorietätsproblematik weitgehend überein. Bei beiden Normen ist eine Ungleichbehandlung festzustellen, die den Anwendungsbereich des Gleichheitssatzes eröffnet.
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c) Rechtfertigung Eine verbotene Diskriminierung liegt nur vor, wenn die festgestellte Ungleichbehandlung nicht sachlich gerechtfertigt ist. In Deutschland ist die Gleichheitsdogmatik relativ weit ausdifferenziert. Es wird zwischen dem allgemeinen und speziellen Gleichheitssätzen unterschieden, und innerhalb des allgemeinen Gleichheitssatzes hat das BVerfG mit der sog neuen Formel 200 weitere Differenzierungen eingeführt. In der E M R K ist die Unterscheidung zwischen allgemeinen und besonderen Gleichheitssätzen bis auf wenige, unten 201 anzusprechende Ansätze unbekannt. Auch innerhalb von Art 14 EMRK ist die dogmatische Strukturbildung noch nicht so weit fortgeschritten.202 Der EGMR fragt nach einem berechtigten Ziel, das die Ungleichbehandlung zu rechtfertigen vermag, wobei den Mitgliedstaaten ein Beurteilungsspielraum zukommt. Entsprechend variiert die Kontrolldichte. Grundsätzlich bestehen keine Bedenken, Gedanken, die von Art 3 I GG her
195 Trechsel in: Wolfrum (Hrsg) Gleichheit und Nichtdiskriminierung im nationalen und internationalen Menschenrechtsschutz, 2003, 119, 122-124. 196 ZB EGMR, EuGRZ 1985, 297, Rn 32 - X und Y; NJW 2000, 2089, Rn 115f-Smith und Grady. 197 Bayefsky HRLJ 11 (1990), 1, 5 f. 198 So aber Peters EMRK, S 216 f. 199 EGMR, Urt ν 24.9.2002, Rn 79 ff - Posti und Rahko. 200 BVerfGE 88, 87, 96 f = Kunig JK 93, GG Art 3 1/18 und dazu BrydelKleindiek JURA 1999, 36 ff. 201 S Rn 71 ff. 202 Krit Nolle in: Wolfrum (Fn 195) 235, 250-252.
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bekannt sind, ebenso bei Art 14 EMRK fruchtbar zu machen.203 So ist die vom BVerfG formulierte Frage, ob Unterschiede von solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleichen Rechtsfolgen zu rechtfertigen vermögen,204 auch bei Art 14 EMRK sachgerecht. In diesem Sinne fragt der EGMR bei Art 14 EMRK danach, ob ein angemessenes Verhältnis zwischen den angewendeten Mitteln und dem verfolgten Ziel besteht.205 Man wird zudem davon ausgehen können, dass die Auflistung in Art 14 EMRK besonders wichtige Differenzierungsverbote enthält. Je näher die Differenzierungsgründe im konkreten Fall den in Art 14 EMRK genannten stehen, desto höher sind die Rechtfertigungsanforderungen. Im Übrigen dürften die Rechtfertigungsanforderungen steigen, je mehr an unverfügbare, personenbezogene Merkmale angeknüpft wird.206 Daher wird zB eine Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts nur ganz ausnahmsweise gerechtfertigt sein.207 Das schließt positive Fördermaßnahmen zum Ausgleich faktischer Benachteiligungen von Frauen nicht aus. Anders als Art 3 II GG208 enthält die EMRK zwar keinen Auftrag zur Verwirklichung der Gleichberechtigung auch im gesellschaftlichen Bereich und zur Bekämpfung faktischer Ungleichheiten. Setzt sich ein Mitgliedstaat die faktische Gleichheit zum Ziel, kann dies aber eine Ungleichbehandlung zu Lasten von Männern rechtfertigen.209 71
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Richtig entfalten kann sich eine Gleichheitsdogmatik unter der EMRK vermutlich erst nach Inkrafttreten des 12. Zusatzprotokolls. Bislang sind die Lösungen des EGMR stark freiheitsrechtlich geprägt. Das zeigt die Transsexuellen-Rechtsprechung. In Deutschland steht Art 3 I GG 210 im Vordergrund, unter der EMRK Art 8 2 ". Hier zeigt sich auch, dass Freiheitsrechte und Gleichheitsrechte bis zu einem gewissen Grad funktional äquivalent sind. Lösung Fall 4: In Fall 4 drängt sich die Gleichheitsproblematik auf. Da die EMRK bislang kein selbständiges Diskriminierungsverbot kennt, ist zunächst zu prüfen, ob ein anderes Konventionsrecht einschlägig ist. Art 4 II EMRK verbietet Zwangs- und Pflichtarbeit. Darunter könnte man auch die Feuerwehrdienstpflicht fassen. Allerdings nimmt Art 4 III lit d EMRK Arbeiten oder Dienstleistungen von dem Verbot aus, die zu den üblichen Bürgerpflichten gehören. Diesen Ausnahmetatbestand sah der EGMR zu Recht als gegeben an, so dass Art 4 II EMRK nicht verletzt war. Fraglich ist, ob nun Art 14 EMRK iVm Art 4 EMRK geprüft werden kann. Geht man vom Wortlaut aus, werden Dienstpflichten nach Art 4 III EMRK nicht einmal vom Schutzbereich des Art 4 II EMRK erfasst. Dann wäre Art 14 EMRK unanwendbar. Der EGMR sah dies anders. Indem Art 4 III lit d EMRK diese Dienstpflicht regele, falle sie in den Anwendungsbereich der Konvention. Damit greife Art 14 EMRK ein. Dieses Verständnis erscheint sachgerecht. Es überspannt die Akzessorietätsanforderungen
Zu den Parallelen Walter in: Wolfrum (Fn 195) 253, 255 fr. BVerfGE 88, 87, 96 f = Kunig JK 93, GG Art 3 1/18 und dazu Bryde/Kleindiek JURA 1999, 36 ff. EGMR, NJW 2001, 2871, 2873 - Dahlab = Schoch JK 02, EMRK Art 9/1. S auch BVerfGE 88, 87, 96 = Kunig JK 93, GG Art 3 1/18. Wittinger (Fn 27) S 163 f. Dazu BVerfGE 85, 191, 206f = Erichsen JK 92, GG Art 3 II/6; Osterloh in: Sachs (Hrsg), Grundgesetz, 3. Aufl 2003, Art 3 Rn 261 ff. 209 Wittinger (Fn 27) S 165f; zur Bestätigung dieser Rechtslage durch das 12. Zusatzprotokoll Wittinger EuGRZ 2001, 272, 279. 210 BVerfGE 88, 87, 96IT = Kunig JK 93, GG Art 3 1/18. 211 Besonders deutlich EGMR, NJW 2004, 2505, Rn 91 f - Van Kück; s auch Rn 8. 203 204 205 206 207 208
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nicht und stellt doch sicher, dass nur solche Diskriminierungen erfasst werden, die im Zusammenhang mit den übrigen Gewährleistungen der Konvention stehen. Die Abgabenpflicht berührt für sich genommen weder Art 4 EMRK noch ein anderes Konventionsrecht. Wegen des engen Zusammenhangs mit der Dienstpflicht bezieht sie der EGMR dennoch in den Anwendungsbereich des Art 14 EMRK mit ein. Die Dienstpflicht, die an das Geschlecht anknüpft, stellt eine klare Ungleichbehandlung dar. Da die Abgabenpflicht über die Dienstpflicht mittelbar mit dem Geschlecht verknüpft ist, liegt auch hierin eine Ungleichbehandlung. Die Frage nach der Rechtfertigung stellt sich für die Dienstpflicht und für die Abgabenpflicht unterschiedlich. Der EGMR äußert zunächst Zweifel an der Rechtfertigung der Dienstpflicht. Er fordert insoweit objektive und vernünftige Gründe sowie ein angemessenes Verhältnis zwischen Mittel und Zweck. Dabei macht er deutlich, dass an eine Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechtes strenge Anforderungen zu stellen sind. Der Umstand, dass andere Bundesländer eine Feuerwehrdienstpflicht für Frauen kennen und dass auch in Süddeutschland Frauen freiwillig Dienst leisteten und leisten, spricht gegen eine Rechtfertigung. Der EGMR ließ dies offen, weil die Dienstpflicht ohnehin nur auf dem Papier bestand. Damit kam es allein auf die Rechtfertigung der Abgabenpflicht an. Da niemand zwangsverpflichtet wurde, kam ihr keine Ausgleichs-, sondern eine reine Finanzierungsfunktion zu. Für die Entscheidung, nur den männlichen Teil der Bevölkerung zur Finanzierung der Freiwilligen Feuerwehr heranzuziehen, war kein hinreichender Grund ersichtlich. Damit war die Abgabenpflicht konventionswidrig. Das BVerfG hat die Entscheidung des EGMR zum Anlass genommen, die Feuerwehrabgabe, die bis dahin als verfassungskonform galt,212 kurz darauf auch am Grundgesetz scheitern zu lassen.2'3 Dabei ist das Ergebnis grundgesetzlich viel einfacher zu begründen als konventionsrechtlich. Art 3 III 1 GG ist offenkundig beeinträchtigt und mangels Rechtfertigung ohne weiteres verletzt. 2. Spezielle
Gleichheitsaspekte
Punktuell finden sich Gleichheitsaspekte auch außerhalb von Art 14 EMRK. Mit der Gleichberechtigung der Ehegatten enthält Art 5 7. ZP E M R K einen speziellen Gleichheitssatz. Die Vorschrift hat noch keine bedeutende Rolle gespielt.214 Sie ergänzt die Konventionsgarantien kaum, schränkt sie aber auch nicht ein.215 Für Deutschland ist das ganze Protokoll nicht in Kraft. In der Konvention selbst werden Gleichheitsmomente vor allem in den Justizgarantien des Art 6 EMRK 216 erkennbar. Das wichtigste Beispiel ist Art 6 III lit e E M R K mit dem Recht auf einen unentgeltliehen Dolmetscher im Strafverfahren. Vom Wortlaut her handelt es sich um eine verfahrensrechtliche Garantie, die einen fairen Prozess gewährleisten soll, ohne eine Gleichheitskomponente aufzuweisen. Zunächst ging man jedenfalls in Deutschland davon aus, dass die Unentgeltlichkeit nur bis zum Abschluss des Verfahrens gelten sollte. Man hielt es für zulässig, den Verurteilten im Rahmen der Gerichtskosten auch mit den Dolmetscherkosten zu belasten. Zur Sicherung eines fairen Verfahrens reicht es in der Tat grundsätzlich
212 S BVerwG, BayVBl 1994, 315ff sowie die kritische Bestandsaufnahme von Rozek BayVBl 1993, 646 fr. 213 BVerfGE 92, 91 ff. 214 Dazu Wittinger (Fn 27) S 177-179. 215 EGMR, RUDH 1994, 27, Rn 22 f - Burghartz. 216 —• zu dieser Vorschrift im einzelnen § 6 Rn 30 ff. 91
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aus, wenn der Dolmetscher zunächst aus der Staatskasse bezahlt wird, so dass seine Beiziehung nicht an der Kostenfrage scheitern kann. Im Fall Luedicke entschied der E G M R jedoch, dass auch der Verurteilte nicht mit angefallenen Dolmetscherkosten belastet werden dürfe.217 Diese Entscheidung ist schlüssig, wenn man Art 6 III lit e E M R K als speziellen Gleichheitssatz interpretiert. Über seine Primärfunktion, eine effektive Verteidigung zu sichern, hinaus soll er den Angeklagten, der der Gerichtssprache nicht mächtig ist, von allen sich daraus ergebenden zusätzlichen finanziellen Lasten freistellen und den Sprachunkundigen so mit dem Sprachkundigen gleichstellen.2,8 Der Grundsatz des fairen Verfahrens weist ebenfalls Aspekte eines speziellen Gleichheitssatzes auf. Das gilt namentlich für das Prinzip der Waffengleichheit, das der EGMR als Ausprägung des /mV-?na/-Gedankens ansieht und an dem er die Stellung der Verfahrensbeteiligten misst.219
217 EGMR, EuGRZ 1979, 34, Rn 38 ff - Luedicke. 218 Das Argument klingt in den Gründen der Luedicke-Entscheidung, EuGRZ 1979, 34 ff, vor allem in Rn 42 an. 219 EGMR, EuGRZ 1991, 519, Rn 24 - Borgers.
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§4 Kommunikationsgrundrechte Thilo Marauhn I. Die besondere Bedeutung der Kommunikationsgrundrechte im System der EMRK Kommunikationsgrundrechte leisten einen wesentlichen Beitrag zur Persönlichkeitsentfaltung des Menschen, indem sie das grundlegende menschliche Bedürfnis nach Mitteilung und Auseinandersetzung mit anderen Menschen schützen. Darüber hinaus ist freie Kommunikation von erheblicher gesellschaftlicher und politischer Bedeutung, denn ohne sie ist Demokratie nicht denkbar. Der EGMR hat diese beiden Funktionen der Kommunikationsgrundrechte stets betont und hervorgehoben, dass die Gewährleistung einer offenen geistigen Auseinandersetzung den Kern freiheitlicher zwischenmenschlicher Kommunikation bildet.' Die EMRK schützt die freie Kommunikation nicht als solche, sondern garantiert in den Art 92, 10 und 11 EMRK mehrere nebeneinander stehende Freiheiten, die in ihrer wechselseitigen Verschränkung und Bedingtheit die vielfaltigen Kommunikationsvorgänge der Lebenswirklichkeit erfassen. Die zentrale Vorschrift des Art 10 EMRK gewährleistet eine Vielzahl von Grundrechten: die Meinungsbildungsfreiheit, die Meinungsäußerungsfreiheit, die Freiheit, Mitteilungen zu empfangen, die Pressefreiheit sowie die Freiheit von Rundfunk, Fernsehen und Film3. In der Kombination von Meinungsäußerungs- und Informationsfreiheit kommt zum Ausdruck, dass menschliche Kommunikation kein einseitiger, sondern ein gegenseitiger Prozess ist, auch wenn die Gegenseitigkeit echter Dialoge rechtlich ansonsten kaum fassbar ist.4 Art 10 EMRK erfahrt eine spezifische Ergänzung durch die in Art 11 EMRK gewährleisteten Grundfreiheiten: die Versammlungsfreiheit, die Vereinigungsfreiheit und die Koalitionsfreiheit. Ähnlich wie der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten, der die in der US-amerikanischen Verfassung nicht ausdrücklich garantierte Vereinigungsfreiheit aus der im Ersten Zusatzartikel enthaltenen Meinungsfreiheit abgeleitet hat,5 betont der EGMR den systematischen Zusammenhang zwischen Art 10 und Art 11 EMRK. Nach seiner Auffassung handelt es sich bei den Garantien des Art 11 EMRK um leges speciales im Verhältnis zu denen des Art 10 EMRK. 6 Dieses Spezialitätsverhältnis wirkt sich nicht nur auf den Anwendungsbereich der beiden Vorschriften aus. Es führt auch zu einer parallelen Auslegung der Schutzbereiche und der Schranken.7 1 EGMR, EuGRZ 1977, 38, Rn 49 - Handyside; EuGRZ 1986, 424, Rn 41 - Lingens; EuGRZ 1991, 216, Rn 58 - Oberschlick; EuGRZ 1995, 16, Rn 59 - Observer und Guardian; ÖJZ 2002, 814, Rn 83 - Feldek. 2 Zu Art 9 EMRK, der in diesem Kapitel nicht näher erläutert wird, s Frowein in: Grote/Marauhn (Hrsg) Religionsfreiheit zwischen individueller Selbstbestimmung, Minderheitenschutz und Staatskirchenrecht, 2001, S 73 ff. Eingehend auch Weber ZevKR 2002, 265 ff; Grabenwarter EMRK § 22 Rn 66 ff; Sahlfeld Aspekte der Religionsfreiheit, 2004. 3 Grabenwarter (Fn 2) § 23 Rn 2 ff. 4 Müller Grundrechte in der Schweiz, 3. Aufl 1999, S 184 f. 5 US Supreme Court, NAACP/Alabama ex rel Patterson, 357 US 449 (1958). 6 EGMR, HRLJ 1991, 185, Rn 62 - Ezelin. 7 EGMR, RJD 1998-1, 1, Rn 42 - Vereinigte Kommunistische Partei der Türkei.
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Neben den notstandsfesten Grundfreiheiten stehen die Kommunikationsgrundrechte an der Spitze aller weiteren Gewährleistungen der EMRK, denn ohne freie Kommunikation ist eine wirksame Verteidigung fundamentaler Rechte nicht möglich.8 Dem hat die Straßburger Spruchpraxis insoweit Rechnung getragen, als sie im Interesse von Pluralismus und Toleranz weite Schutzbereiche anerkannt und Eingriffe nur unter engen Voraussetzungen als gerechtfertigt angesehen hat. Eine konturenscharfe Abgrenzung der einzelnen in Art 10 und Art 11 EMRK enthaltenen Gewährleistungen ist weder durchgängig möglich noch unbedingt erforderlich, denn die beiden Vorschriften sollen die zwischenmenschliche Kommunikation umfassend schützen.9 Allerdings ist den Differenzierungen bei der Rechtfertigung staatlicher Eingriffe zumindest im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung Rechnung zu tragen.10
II. Die Meinungs- und die Informationsfreiheit Leitentscheidungen: EGMR, EuGRZ 1977, 38ff - Handyside; EuGRZ 1986, 424ff - Lingens; EuGRZ 1988, 543ff - Müller; EuGRZ 1990, 255ff - Groppera Radio AG; EuGRZ 1991, 216ff Oberschlick; EuGRZ 1992, 484ff - Open Door and Dublin Well Woman; EuGRZ 1994, 549 ff Informationsverein Lentia; HRLJ 1994, 371 ff - Otto-Preminger-Institut; EuGRZ 1995, 590 ff Vogt; EuGRZ 1995, 16ff - Observer und Guardian; EuGRZ 1996, 302ff - markt intern Verlag GmbH & Klaus Beermann; EuGRZ 1999, 8 ff - Janowski; EuGRZ 1999, 453 ff - Bladet Tromse; RJD 2000-III, 1ff- Özgür Gündem; ÖJZ 2002, 814 - Feldek; EuGRZ 2004,404 ff - von Hannover. Schrifttum: Calliess AfP 2000, 248ff; Engel AfP 1994, Iff; Frowein AfP 1986, 197ff; FroweinIPeukert Europäische Menschenrechtskonvention, Kommentar, 2. Aufl 1996; Gornig Äußerungsfreiheit und Informationsfreiheit als Menschenrechte, 1988; Grabenwarter Europäische Menschenrechtskonvention, 2003, S 267ff; Hoffmeister EuGRZ 2000, 538ff; Klein AfP 1994, 9 ff; Kühling AfP 1999, 214ff; Malinverni HRLJ 1983, 443 ff; Peters Einführung in die Europäische Menschenrechtskonvention, 2003, §§ 9-14.
1.
Schutzbereiche
a) Die Meinungsfreiheit 4
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Die in Art 10 I 2 EMRK geschützte Meinungsfreiheit ist die Grundlage und der Oberbegriff der in Satz 1 gewährleisteten Meinungsäußerungsfreiheit.11 Die Meinungsfreiheit schützt - insoweit der in Art 9 EMRK gewährleisteten Gedankenfreiheit vergleichbar das forum internum, die innere Meinungsbildung. Der Staat ist daran gehindert, den Bürgern Meinungen durch Indoktrinierung oder andere Mittel aufzudrängen.12 Ebenso dürften eine gezielt einseitige staatliche Informationspolitik wie auch eine gezielt einseitige Berichterstattung in staatlichen Massenmedien konventionswidrig sein.13 Anders als das Bundesverfassungsgericht, das - methodisch nicht überzeugend - den Begriff der „Meinung" über vage Umschreibungen zu erschließen sucht,14 hat der EGMR 8 9 10 11 12
Peukert FS Mahrenholz, 1994, S 277 f. EGMR, EuGRZ 1985, 150, Rn 42 - Barthold. Villiger EMRK S 390. Guradze Die Europäische Menschenrechtskonvention, 1968, S 142. EGMR, EuGRZ 1976, 478, Rn 53 - Kjeldsen, Busk Madsen und Pedersen (Indoktrinierungsverbot vom EGMR ausdrücklich formuliert für die Schule auf der Grundlage von Art 10 EMRK und Art 2 1. ZP EMRK). 13 So auch Frowein in: Frowein/Peukert Art 10 EMRK Rn 4. 14 Vgl nur BVerfGE 61, 1, 8 f.
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Kommunikationsgrundrechte
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den Begriff der „Meinung" bislang nicht abstrakt definiert. Man mag diese Zurückhaltung des E G M R kritisieren, sollte aber bedenken, dass Synonyme und wenig präzise Umschreibungen, die das Schutzgut nicht hinreichend verdeutlichen, die Gefahr bergen, die Tatbestands- und die Eingriffsebene zu vermengen. Außerdem kann sich der E G M R auf den Wortlaut der Äußerungsfreiheit zurückziehen, der so weit gefasst ist, dass insbesondere keine Notwendigkeit besteht, zwischen „Meinungen" und „Tatsachenmitteilungen" zu unterscheiden. 15 b) Die Äußerungsfreiheit Die Äußerungsfreiheit schließt die Meinungsäußerungsfreiheit und die Freiheit zur Mitteilung von Informationen und Ideen (gelegentlich auch als aktive Informationsfreiheit bezeichnet' 6 ) ein. Unter Berücksichtigung der authentischen englischen („freedom of expressions") und französischen („liberte d'expression") Texte kommt daher eine Einschränkung auf „Meinungen" nicht in Betracht. In einer jeweils am Einzelfall orientierten Spruchpraxis hat der E G M R alle Mitteilungen von Sinngehalten, wie Tatsachen, Meinungen und Unterhaltungsbeiträge,' 7 unter die Äußerungsfreiheit subsumiert. Der Schutz der Äußerungsfreiheit erstreckt sich insbesondere auch auf solche Inhalte, die den Staat oder einen Teil der Bevölkerung verletzen, schockieren oder beunruhigen.' 8 Es sind nicht nur unproblematische oder unkritische Inhalte geschützt. Dem E G M R geht es nämlich um den Schutz einer offenen geistigen Auseinandersetzung als Kern der Meinungsäußerungsfreiheit. Dazu gehört auch die Aufrechterhaltung von Pluralität im Informationssektor. Neben politischen Äußerungen werden auch kommerzielle Meinungsäußerungen vom E G M R dem Schutzbereich von Art 10 I E M R K zugeordnet." Dazu gehören sowohl kritische Äußerungen über bestimmte Geschäftspraktiken 20 als auch Werbemaßnahmen 2 '. Kritik lässt sich gegenüber dieser weiten Auslegung allenfalls damit begründen, dass erfolgreiche Werbung darauf beruht, dem Verbraucher Kaufimpulse auf eine nicht notwendig bewusste Weise zu vermitteln. Es findet demnach keine offene geistige Auseinandersetzung statt, um die es doch bei Art 10 I E M R K eigentlich geht.22 Weder der Wortlaut noch der systematische Zusammenhang legen aber eine restriktive Interpretation des Schutz-
15 Insoweit kritisch zur Rechtsprechung des BVerfG, die den Unterschied zwischen „Meinungen" und „Tatsachenmitteilungen" schon im Schutzbereich für wesentlich erachtet, vgl Erichsen Jura 1996, 85 ff - Der E G M R unterscheidet zwischen „Meinungen" und „Tatsachenmitteilungen" allerdings im Rahmen der Rechtfertigung von Einschränkungen; vgl dazu Peters Einführung in die Europäische Menschenrechtskonvention, 2003, S 59. 16 So Peters (Fn 15) S 70 ff. 17 E G M R , E u G R Z 1990, 255, Rn 54f - Groppera Radio AG. 18 E G M R , E u G R Z 1977, 38, Rn 49 - Handyside. 19 Eingehend dazu Nolte RabelsZ 1999, 507 ff. 20 E G M R , E u G R Z 1996, 302, Rn 35 - markt intern Verlag G m b H & Klaus Beermann. 21 E G M R , E u G R Z 1985, 150, Rn 58 - Barthold; H R L J 1994, 184, Rn 35 - Casado Coca ( E G M R verneinte in diesem Fall eine Verletzung von Art 10 E M R K , weil es sich nicht um ein absolutes Werbeverbot für Anwälte handelte). Vgl auch E K M R , E u G R Z 1991, 525 - Hempfing ( E K M R verneinte eine Verletzung von Art 10 E M R K in diesem Fall, wo der Beschwerdeführer, ein Anwalt, disziplinarisch verwarnt wurde, weil er in einem Rundschreiben die Kunden aufforderte, ihn zu „testen"). 22 Zu dieser Kritik vgl für das G G etwa Ipsen Staatsrecht II, Grundrechte, 7. Aufl 2004, Rn 394.
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bereichs nahe, die allein daraus abzuleiten sein soll, dass es keinen Grund gebe, die kommerzielle Meinungsäußerung gegenüber anderen wirtschaftlichen Tätigkeiten zu privilegieren. Art 10 I EMRK schützt nicht nur Substanz und Inhalt der Mitteilung, sondern auch die Form und die Darstellung der Mitteilung.23 Auch Realhandlungen, die das Missfallen an Tätigkeiten anderer ausdrücken, sind von Art 10 I EMRK geschützt.24 Meinungsäußerungen bedürfen grundsätzlich weder hinsichtlich ihrer Form noch hinsichtlich ihrer Darstellung einer besonderen Zulassung. Die Grenze zieht Art 10 I 3 EMRK, der für bestimmte technische Medien einen Genehmigungsvorbehalt vorsieht. c) Die Informationsfreiheit
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Art 5 1 1 GG schützt die Freiheit, sich aus „allgemein zugänglichen Quellen" zu informieren, während Art 10 I 1 EMRK ohne nähere Präzisierung der Quellen die „Freiheit zum Empfang ... von Nachrichten oder Ideen" gewährleistet. Das Bundesverfassungsgericht hat in Bezug auf Art 5 1 1 GG solche Informationsquellen als „allgemein zugänglich" anerkannt, die technisch geeignet und bestimmt sind, der Allgemeinheit Informationen zu verschaffen. Insbesondere verlieren Quellen diesen Charakter nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht dadurch, dass gegen ihre Verbreitung Maßnahmen ergriffen werden.25 Damit hat das Gericht zwar - gemessen am Wortlaut - einen relativ weiten Schutzbereich eröffnet. Es ist jedoch nicht zu verkennen, dass die deutsche Rechts- und Verfassungstradition sich durch eine bemerkenswerte Zurückhaltung gegenüber an staatliche Stellen gerichteten Informationsansprüchen auszeichnet. Erst in jüngster Zeit wächst - auch in Anbetracht des so genannten Informationszeitalters - die Erkenntnis, dass die Informationsfreiheit im demokratischen Gemeinwesen Bedingung rationaler Meinungsund Entscheidungsbildung ist.26 Es ist aber nicht nur die demokratisch-politische Funktion der Informationsfreiheit, die es in den Blick zu nehmen gilt. Die Möglichkeit, an Informationen teilzuhaben, ist nicht nur Voraussetzung sozialer Kompetenz. Sie ist auch unabdingbare Voraussetzung persönlicher Entfaltung. Auch kann die Informationsfreiheit einen Beitrag zur Effizienz des Gemeinwesens leisten, indem sie dessen Problemlösungskapazität und Innovationsfahigkeit erhöht.27
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Bedauerlicherweise haben die Konventionsorgane die Empfangsfreiheit bislang eher restriktiv ausgelegt und insbesondere eine positive Informationspflicht staatlicher Behör-
23 Zutreffend Frowein in: Frowein/Peukert Art 10 EMRK Rn 5. 24 EGMR, RJD 1998-VII, 2719, Rn 92 iVm Rn 7 - Steel; RUDH 1999, 331, Rn 28 - Hashmann und Harrup. 25 BVerfGE 27, 71, 83 f; 33, 52, 65; 90, 27, 32 (stRspr). 26 Auf der Ebene des Landesverfassungsrechts und des Landesverwaltungsrechts sind in den letzten Jahren Informationsansprüche eingeführt worden, die über den grundgesetzlichen Mindeststandard hinausgehen, vgl etwa Art 19 der Verfassung des Landes Brandenburg sowie das Akteneinsichts- und Informationszugangsgesetz Brandenburgs (GVB1 1/1998, 46), das Gesetz zur Förderung der Informationsfreiheit im Land Berlin (GVB1 1999, 561), das Gesetz über die Freiheit des Zugangs zu Informationen für das Land Schleswig-Holstein (GVB1 2000, 166) sowie das Gesetz über die Freiheit des Zugangs für Informationen für das Land Nordrhein-Westfalen (GVBI 2001, 806). Zu diesen Entwicklungen Frenzel Zugang zu Informationen der deutschen Behörden, Speyerer Arbeitshefte 131,2000. 27 Müller (Fn 4) S 278 f.
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den verneint,28 obwohl der Wortlaut eine solche Auslegung durchaus zulassen würde. Zwar hat der EGMR betont, dass die Medien die Aufgabe haben, Informationen zu verbreiten. Auch habe die Öffentlichkeit das Recht, diese Informationen zu empfangen. 29 Nach Auffassung des EGMR garantiert Art 1 0 1 1 E M R K aber nur den Empfang allgemein zugänglicher Informationen 30 und deckt sich insoweit mit Art 5 I 1 GG. Innerhalb dieses Rahmens schützt die Informationsfreiheit in erster Linie das Recht des Rezipienten, ungehindert Meldungen, Nachrichten und Meinungen zu empfangen - ein Recht, das für das Rundunkwesen von besonderer Bedeutung ist. Anders als Art 5 11 G G stellt Art 1011 E M R K ausdrücklich klar, dass dieses Recht ohne Rücksicht auf die Landesgrenzen gewährleistet ist. In den Grenzen von Art 1013 und Art 10 II EMRK schließt dies die Nutzung der erforderlichen Empfangsgeräte ein.31 Über das bloße (passive) Recht auf Informationsempfang hinaus ist umstritten, ob auch die (aktive) Freiheit zur Informationsbeschaffung vom Schutzbereich des Art 1 0 1 1 E M R K erfasst wird. Zwar unterscheidet sich der Wortlaut dieser Gewährleistung von den vergleichbaren Bestimmungen des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (Art 19 II) und der Amerikanischen Menschenrechtskonvention (Art 13 I). Es ist jedoch vertretbar, diesen Wortlautunterschied als Redaktionsversehen zu qualifizieren, denn immerhin enthielt einer der EMRK-Entwürfe ein Recht auf Informationsbeschaffung. 32 Da ohne Recherchen und aktive Informationsbeschaffung keine wirksame Mitteilungs- und Verbreitungsarbeit geleistet werden und eine Mitteilung nicht erfolgen kann, ist es vertretbar, die Freiheit zur Informationsbeschaffung im Wege der teleologischen Auslegung unter Art 10 I 1 EMRK zu subsumieren.33 Schließlich kann es nicht Sinn und Zweck der Konvention sein, die Äußerungsfreiheit dadurch auszuhebein, dass die Freiheit zur Informationsbeschaffung schutzlos gestellt wird. Art 10 E M R K enthält kein ausdrückliches Zensurverbot. Beschränkungen der Gewährleistungen aus Art 10 I E M R K sind jedoch nur im Rahmen von Art 10 II EMRK zulässig,34 so dass insbesondere aus dem in Art 10 I 3 E M R K vorgesehenen Zulassungsverfahren keine Rechtfertigung staatlicher Vorzensur für Programme und Sendungen abgeleitet werden kann. 35
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d) Die Kunstfreiheit Fall 1: (EGMR, EuGRZ 1988, 543 ff - Müller) Der Künstler Μ malte im Rahmen einer Ausstellung an Ort und Stelle drei große Gemälde mit dem Titel „Drei Tage, drei Nächte". Die Bilder stellten ua homosexuelle Aktivitäten
28 E G M R , R J D 1998-1, 210, Rn 53 - Guerra. Auch ein (positives) Recht auf Empfang bestimmter Informationen seitens der Behörden kann aus der Informationsfreiheit nicht abgeleitet werden; vgl E G M R , Serie A, Vol 160, Rn 52 - Gaskin. 29 E G M R , E u G R Z 1979, 386, Rn 65 - Sunday Times (Nr 1). 30 E G M R , E u G R Z 1986,424, Rn 41 - Lingens; Serie A, Vol 116, Rn 74 - Leander. 31 Vgl dazu Villiger (Fn 10) S 413. 32 Vgl Gornig Äußerungsfreiheit und Informationsfreiheit als Menschenrechte, 1988, S 291. 33 Probst Art 10 E M R K - Bedeutung für den Rundfunk in Europa, 1996, S 24 f. 34 S dazu Meyer-Ladewig H K Art 10 E M R K Rn 17 unter Hinweis auf E G M R , HRLJ 2001, 217 Zypern/Türkei, wonach eine allgemeine Zensur für Schulbücher Art 10 E M R K verletzt. 35 Gornig (Fn 32) S 294.
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und Sodomie dar. Am Tage der Eröffnung beschwerte sich ein Vater über die Bilder, nachdem seine minderjährige Tochter heftig darauf reagiert hatte. In der Folge wurden die Bilder eingezogen. Μ wurde wegen unzüchtiger Veröffentlichungen bestraft. Außerdem wurde die Vernichtung der Bilder angeordnet. 15
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Die Kunstfreiheit wird in Art 10 EMRK nicht ausdrücklich erwähnt. Es handelt sich jedoch auch bei der künstlerischen Äußerung um eine Form der Äußerung im Sinne von Art 101 EMRK, denn der Künstler bringt durch sein schöpferisches Wirken seine persönliche Weltanschauung und seine Gedanken über die Gesellschaft zum Ausdruck.36 Es ist daher grundsätzlich anerkannt, dass Art 10 EMRK die Freiheit des Kunstschaffens in allen Ausprägungen einschließt. Sie schließt den Werk- und den Wirkbereich ein, erstreckt sich also auch auf Personen, die Kunstwerke interpretieren, verbreiten oder ausstellen.37 Lösung Fall 1: Die Aktivitäten des M, das Erstellen der Kunstwerke und deren Ausstellung, fallen in den Schutzbereich der Meinungsäußerungsfreiheit, denn diese ist nicht auf Äußerungen verbaler Art beschränkt. Nicht nur Realhandlungen, sondern auch Kunstwerke und Filme fallen in den Schutzbereich von Art 101 EMRK. Die Verurteilung des Μ und die vorgesehene Vernichtung der Bilder stellen Eingriffe in die Meinungsäußerungsfreiheit des Künstlers dar. Ein solcher Eingriff muss, um konventionsrechtlich gerechtfertigt zu sein, auf einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage beruhen und einen nach Art 10 II EMRK zulässigen Eingriffszweck verfolgen. In Betracht zu ziehen ist der Schutz der öffentlichen Moral. Bei der Beurteilung, ob die Maßnahmen diesem Zweck dienen, kommt den zuständigen Organen der Konventionsstaaten ein Beurteilungsspielraum zu, der nur eingeschränkt überprüfbar ist. Die Verurteilung des Μ dürfte den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes genügen, anders als die angedrohte Vernichtung der Bilder. Im Fall der Vernichtung könnte Μ seine Bilder nicht mehr dort ausstellen, wo sie willkommen sein mögen. Daraus dürfte die UnVerhältnismäßigkeit der angedrohten Vernichtung resultieren. Auch eine Rückgabe der Bilder ändert nichts an der UnVerhältnismäßigkeit der Androhung (anders aber der Straßburger Gerichtshof)· e) Presse- und Medienfreiheit
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Die Pressefreiheit wird in Art 10 I EMRK nicht ausdrücklich, sondern als Bestandteil der allgemeinen Äußerungs- und Informationsfreiheit geschützt.38 Die EMRK folgt damit der Tradition anderer internationaler Menschenrechtsinstrumente, in denen die Pressefreiheit nicht ausdrücklich genannt, aber ohne Zweifel geschützt wird. Der EGMR hat die zentrale (demokratische) Funktion der Presse, die Öffentlichkeit über Fragen von allgemeinem Interesse zu informieren,39 stets betont und die ihr zukommende Wächterrolle („public watchdog"), die Öffentlichkeit auf Mängel, Fehler und rechtswidrige Machen-
36 EKMR, EuGRZ 1986, 702, Rn 70 - Müller. Vgl auch EGMR, RJD 1996-V, 1937ff - Wingrove und HRLJ 1994, 371 ff - Otto-Preminger-Institut. 37 EGMR, HRLJ 1994, 371, Rn 56 - Otto-Preminger-Institut. 38 Die Presse wird lediglich in Art 6 1 2 EMRK im Zusammenhang mit dem Ausschluss der Öffentlichkeit von mündlichen Gerichtsverhandlungen ausdrücklich erwähnt. 39 EGMR, EuGRZ 1979, 386, Rn 65 - Sunday Times (Nr 1).
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Schäften in Politik und Gesellschaft hinzuweisen, 40 als Grundlage eines umfassenden Grundrechtsschutzes fruchtbar gemacht. Der funktionale Schutzbereich der Pressefreiheit schließt auch die kritische Auseinandersetzung mit dem Geschäftsgebaren einzelner Unternehmen im Wirtschaftsleben ein.41 Generell ist beim Schutz der Pressefreiheit zwischen drei Fallgruppen zu unterscheiden: der mit journalistischen Meinungen verbundenen Presseberichterstattung, der Wiedergabe fremder Meinungen und der Wiedergabe fremder Tatsachenbehauptungen oder Materialien. Diese Differenzierungen wirken sich vor allem im Kontext der presserechtlichen Sorgfaltspflichten aus. 42 Der Schutz der Pressefreiheit erstreckt sich auf alle Informationen und Ideen, die mittels Druckerpresse oder anderer Reproduktionsmethoden der Öffentlichkeit vermittelt werden. 43 O b und inwieweit auch inhaltsferne Hilfsfunktionen, die vom Bundesverfassungsgericht in den Schutzbereich der Pressefreiheit nach Art 5 1 2 G G einbezogen werden, 44 und damit nicht zuletzt die gesamte Infrastruktur der Presse (also etwa der Zeitungsvertrieb) unter die Gewährleistung von Art 10 I E M R K fallen, ist noch nicht abschließend geklärt. Berücksichtigt man aber, dass der E G M R auch die erforderlichen Übertragungs- und Empfangsmittel in den Schutzbereich der Gewährleistungen des Art 10 I E M R K einbezogen hat, 45 und anerkennt man, dass es beim Schutz der Pressefreiheit nicht nur um den Schutz individueller Presseerzeugnisse geht, sondern gerade auch um den Schutz des Pressewesens als solchem, dann kann man nicht die Augen davor verschließen, dass Eingriffe in die Verteilung der Presseerzeugnisse die Presse als Institution sehr empfindlich treffen können. Im Wege der teleologischen Auslegung ist daher die Infrastruktur des Pressewesens in den Schutzbereich der (ungeschriebenen) Pressefreiheit einzubeziehen. 46 Umstritten ist, ob Art 10 I E M R K zur Einführung eines Gegendarstellungsrechts verpflichtet. Obwohl das Gegendarstellungsrecht im Bewusstsein seiner Existenz nicht in die E M R K aufgenommen wurde, gibt es gute Gründe, in Verbindung mit Art 8 E M R K jedenfalls für die Fälle, „in denen das Persönlichkeitsrecht durch Presseveröffentlichungen verletzt worden ist", ein konventionsrechtlich gewährleistetes Gegendarstellungsrecht anzunehmen. 47 Es dürfte allerdings überzeugender sein, das Gegendarstellungsrecht allein in Art 8 I E M R K zu verankern 48 und es als medienspezifische Form des Ehrschutzes den nach Art 10 II E M R K gerechtfertigten Eingriffen in die Pressefreiheit zuzuordnen. 49
40 EGMR, HRLJ 1992, 30, Rn 50 - Sunday Times (Nr 2); HRLJ 1992, 440, Rn 63 - Thorgeirson; EuGRZ 1995,16, Rn 59 - Observer und Guardian. 41 EGMR, EuGRZ 1996, 302, Rn 35 - markt intern Verlag GmbH & Klaus Beermann; ähnlich gelagert sind die Urteile des EGMR in den Fällen Serie A, Vol 177 - Weber; RJD 1998-VI, 2298 Hertel und ÖJZ 2002, 855 - Verein gegen Tierfabriken (VGT). 42 Eingehend zu dieser Differenzierung unter Aufarbeitung der neueren Rspr des EGMR Hoffmeister EuGRZ 2000, 358, 363 ff; zur Einordnung der presserechtlichen Sorgfaltspflichten vgl Rn 47ff; nicht ganz unproblematisch EGMR, RJD 2000-III, 1, Rn 58 - Özgür Gündem. 43 Vgl Villiger (Fn 10) S 405. 44 BVerfGE 77, 346, 353 f. 45 EGMR, EuGRZ 1990, 261, Rn 47 - Autronic. 46 Zum Schutz des Verlegers einer Zeitschrift vgl EGMR, ÖJZ 2000, 394, Rn 39 - NEWS Verlags GmbH & Co KG. 47 Frowein in: Frowein/Peukert Art 10 EMRK Rn 16. 48 Malinverni HRLJ 1983,443,448. 49 So das BVerfG zu Art 5 II GG, BVerfGE 63, 131, 142 f.
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Art 10 I 3 EMRK bestätigt, dass die in Art 10 I EMRK garantierten Freiheiten der Äußerung und der Information auch die Freiheit von Rundfunk, Film und Fernsehen einschließen. Diese Freiheit umfasst die Herstellung, die Ausstrahlung und den Empfang von Sendungen und Programmen. Die Vorschrift unterscheidet nicht nach der Art der Übermittlung der Information, sondern schließt alle Übermittlungsarten (Äther, Kabel, Satelliten, etc) ein. Im Rahmen der Rundfunk-, Film- und Fernsehfreiheit ist besonders hervorzuheben, dass Art 101 EMRK den freien internationalen Informationsfluss schützt, denn der Schutz wird „ohne Rücksicht auf die Landesgrenzen" gewährleistet. Soweit es um Herstellung, Ausstrahlung und Empfang unabhängig vom organisationsrechtlichen Rahmen geht, ist der Schutzbereich dieser Teilgewährleistung allenfalls hinsichtlich der Berechtigung öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten problematisch. Dass der persönliche Geltungsbereich von Art 10 I EMRK auch Personenvereinigungen und juristische Personen des Privatrechts erfasst, wirft keine besonderen Fragen auf.50 Es dürfte aber auch unzweifelhaft sein, dass ein staatliches Rundfunk- und Fernsehunternehmen gegenüber staatlichen Einflüssen eine ausreichende Freiheit haben muss.51 Anderenfalls würde die Freiheit im Falle staatlicher Monopole, die bis in die 1970er Jahre in Europa üblich waren, leer laufen. Es bleibt die Frage, welche Bedeutung der Schutzbereich des Art 10 I EMRK für die neuen Medien entfaltet. Ähnlich wie das Grundgesetz unterscheidet die EMRK zwischen dem Schutz von Individual- (Art 8 EMRK) und Massenkommunikation (Art 10 EMRK). Es liegt daher nahe, hinsichtlich neuer Medien bei den Gewährleistungsgehalten eine Differenzierung in Anlehnung an die verschiedenen Kommunikationsformen vorzunehmen.52 Das Versenden und das Empfangen elektronischer Nachrichten (e-mail) fallen in den Schutzbereich von Art 8 EMRK, während die Präsentation von Informationen auf einer Internet-Seite (homepage) durch Art 10 EMRK geschützt wird. Schwierigkeiten ergeben sich allerdings bei Kommunikationsformen, die nicht eindeutig der Individual- oder der Massenkommunikation zuzuordnen sind. Lassen sich bei Diskussionsforen noch Differenzierungen danach vornehmen, ob es sich um moderierte oder offene Foren handelt, so dürfte die Grenze zwischen Individual- und Massenkommunikation bei anderen interaktiven Medien zunehmend verschwimmen. Dies ist für die EMRK vor allem deshalb nicht ganz unproblematisch, weil es in der Konvention - anders als im deutschen Grundgesetz kein Auffanggrundrecht gibt. Es dürfte deshalb auch kaum möglich sein, im Wege der Auslegung oder der lückenfüllenden Ergänzung der EMRK ein Recht der Internet-Freiheit53 zu begründen. Da aber andererseits auch nicht davon auszugehen ist, dass die Konvention bestimmte Kommunikationsformen schutzlos stellen will, sollte jeweils anhand der konkreten Einzelfälle einer den unterschiedlichen Schutzfunktionen der Art 8 und 10 EMRK entsprechende Zuordnung der einzelnen Handlungen erfolgen.54 Eine solche Lösung kann auch den differenzierten Schranken der EMRK Rechnung tragen.
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Vgl nur EGMR, EuGRZ 1990, 261, Rn 47 - Autronic; § 2 Rn 25. Frowein in: Frowein/Peukert Art 10 EMRK Rn 19. Vgl dazu Grote KritV 1999, 27, 29 ff. Für die Diskussion zum deutschen Recht vgl Mecklenburg ZUM 1997, 525 ff. Zur Multimedia-Diskussion Dörr FS Kriele, 1997, S 1417ff; vgl auch Bröhmer Europäisches Medienrecht 1998, S 79 ff.
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Eingriff
Fall 2: (EGMR, RUDH 1999,182 ff - Wille) W, Präsident der Verwaltungsbeschwerdeinstanz des Staates L und ehemaliges Regierungsmitglied, hatte im Rahmen eines wissenschaftlichen Vortrags die Auffassung vertreten, dass dem Staatsgerichtshof des Landes bei einem Streit zwischen Regierung und Parlament über die Auslegung der Verfassung eine Entscheidungskompetenz zukomme. Nach Presseberichten über diesen Vortrag richtete das Staatsoberhaupt ein Schreiben an W, in dem ausgeführt wurde, dass W's Aussagen gegen Sinn und Wortlaut der Verfassung verstießen und das Staatsoberhaupt, in Ausübung der ihm eingeräumten Rechte, W deshalb nicht mehr für ein öffentliches Amt ernennen werde, auch wenn das Parlament ihn dafür vorschlagen sollte. In einem sich anschließenden Briefwechsel legten der Präsident der Verwaltungsbeschwerdeinstanz und das Staatsoberhaupt ihre gegensätzlichen Standpunkte ohne Annäherung in der Sache erneut dar. W wurde dem Staatsoberhaupt später vom Parlament für eine weitere Amtszeit als Präsident der Verwaltungsbeschwerdeinstanz vorgeschlagen. Das Staatsoberhaupt lehnte die neuerliche Ernennung ab. W ist der Auffassung, die Entscheidung des Staatsoberhaupts, ihn für keine neue Amtszeit zu ernennen, sei eine Sanktion für seine bei einem akademischen Vortrag geäußerten Ansichten über die Verfassung und verletze Art 10 EMRK. Art 10 II E M R K eröffnet Spielräume für staatliche Eingriffe in die Freiheiten des Art 101 E M R K . Ausdrücklich genannt werden bestimmte Eingriffsmodalitäten: Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafandrohungen. Auf der Grundlage dieser Aufzählung lässt sich allerdings weder eine Eingriffstypologie entwickeln, wie schon der weite Begriff „Einschränkungen" deutlich macht, noch lassen sich die Probleme des Eingriffsbegriffs umfassend erschließen. Ausgangspunkt ist vielmehr die allgemeine Überlegung, dass nicht jede Einschränkung der Grundfreiheiten des Art 10 I E M R K einen rechtfertigungsbedürftigen Eingriff im Sinne der Konvention darstellt. Herkömmlich muss der staatliche Hoheitsakt unmittelbar und wesentlich in das Recht der geschützten Person eingreifen. Dieser Eingriffsbegriff erfasst ohne Zweifel Veröffentlichungsverbote, wobei zu beachten ist, dass der E G M R eine Vorzensur im Regelfall nicht zulässt, weil sie das für den Schutzbereich und die Rechtfertigung von Eingriffen zentrale Verhältnis zwischen Regel und Ausnahme tendenziell verkehrt. 55 Unter den „klassischen" Eingriffsbegriff fallen aber auch Sanktionen disziplinarrechtlicher, verwaltungs- oder gar strafrechtlicher Art, die an bestimmte Mitteilungen geknüpft werden. 56 Der enge Begriff des „Grundrechtseingriffs", der im Rahmen der Art 8 bis 11 E M R K grundsätzlich zur Anwendung kommt, 57 wird in Bezug auf die Kommunikationsgrundrechte seit geraumer Zeit kritisch hinterfragt und weiterentwickelt. Erste Ansätze einer Weiterentwicklung haben indirekte Sanktionen wie etwa Berufsverbote und Schadensersatzrisiken thematisiert, denn auch auf diese Weise können unerwünschte Meinungsäußerungen unter Umständen sehr wirksam beschränkt werden. 58 Die Kritik am engen 55 Zwar hat der E G M R im Fall Observer und Guardian, E u G R Z 1995, 16, Rn 60. Verbotsanordnungen vor der Veröffentlichung nicht ausgeschlossen, hierfür aber einen strengen Prüfungsmaßstab verlangt. Zur Bewertung dieser Entscheidung Frowein in: Frowein/Peukert Art 10 E M R K Rn 24; vgl auch Probst (Fn 33) S 25. 56 Villiger (Fn 10) S 391 f. 57 Villiger (Fn 10) S 344; vgl auch Grabenwarter E M R K § 18 Rn 5-6; -> ausf dazu § 2 Rn 40 f. 58 Näher dazu Frowein in: Frowein/Peukert Art 10 E M R K Rn 36.
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Eingriffsbegriff geht aber darüber hinaus und greift zwei weitere Fragestellungen auf: einerseits wird im Schrifttum die so genannte Drittwirkung der Kommunikationsgrundrechte thematisiert, 59 andererseits musste sich der EGMR selbst mit der Frage auseinandersetzen, ob bereits ein faktischer Einschüchterungsversuch als Eingriff zu qualifizieren ist.60 Ausgehend von der Überlegung, dass „gezielt einseitige Berichterstattung und Beeinflussung im staatlichen Rundfunk und Fernsehen einen Verstoß gegen die Freiheit der Meinungsbildung" 61 darstellen kann, ist zu diskutieren, ob die immer stärker anwachsende private Medienmacht und die private Medienkonzentration die Meinungsfreiheit in vergleichbarer Weise beeinträchtigen können. Die E M R K thematisiert die Drittwirkung als solche nicht. Entsprechend zurückhaltend sind die Konventionsorgane, 62 und es ist kaum damit zu rechnen, dass diese Zurückhaltung in absehbarer Zeit aufgegeben wird. Andererseits eröffnet das Konzept „positiver Pflichten", das - weniger im Kontext von Art 10 EMRK 6 3 als vielmehr anhand wichtiger Streitfälle im Rahmen von Art 8 E M R K (—> vgl dazu § 3 Rn 26 f) - von den Konventionsorganen anerkannt worden ist, Spielräume, den für die demokratische Gesellschaft im Sinne von Art 10 II EMRK so zentralen Pluralismus effektiv zu sichern.64 Im konkreten Fall ging es bei Schutzpflichten dann weniger um eine Rechtfertigung anhand von Art 10 II EMRK, sondern um eine Abwägung zwischen den Interessen der Allgemeinheit und den betroffenen Individualinteressen im Rahmen von Art 10 I EMRK. 65 Mag man schon indirekte Sanktionen zu den subtileren Beeinträchtigungen der Meinungsfreiheit zählen, so gilt dies erst recht für die Androhung von Sanktionen, deren Ausführung selbst kein Konventionsrecht entgegensteht. Nach Auffassung des EGMR kommt es in einem solchen Fall weder darauf an, ob der Inhalt der Drohung konventionswidrig ist, noch darauf, ob die Drohung selbst unmittelbare Rechtswirkungen entfaltet. Maßgeblich ist allein, ob die Maßnahme bezweckt, die Meinungsfreiheit zu unterdrücken.66 Anknüpfend an vorsichtige Modifikationen des Eingriffsbegriffs in Richtung auf eine Öffnung gegenüber anderen als gezielten Einwirkungen auf den Schutzbereich in früheren Entscheidungen 67 hat der EGMR nunmehr bestätigt, dass auch faktische Einschüchterungsversuche einen Eingriff darstellen können. 68 Diese Entwicklungen sprechen dafür, bei der Prüfung einschlägiger Sachverhalte zunächst vom klassischen Eingriffsbegriff auszugehen, dann aber im Hinblick auf Modifikationen, die sich angesichts spezifischer Grundrechtsgefährdungen kaum von der Hand weisen lassen, fallspezifische Weiterungen zuzulassen.
59 Probst (Fn 33) S 27 f; Peukert FS Mahrenholz, 1994, S 285 f;
auch § 2 Rn 33.
60 Vgl dazu EGMR, RJD 1998-VII, 2719 ff - Steel, sowie RTJDH 1999, 331 ff - Hashmann und Harrup. 61 Frowein in: Frowein/Peukert Art 10 EMRK Rn 4.
62 Näher dazu Probst (Fn 33) S 27; vgl EKMR, DR 62, 151ff- Rommelfanger. 63 Vgl aber EKMR, DR 49, 5 ff - X. 64 Zum Pluralismus als Grundlage der Meinungs- und Pressefreiheit in einer demokratischen Gesellschaft EGMR, EuGRZ 1994, 549, Rn 38 - Informationsverein Lentia. 65 So jedenfalls der Prüfungsansatz bei Art 8 EMRK: EGMR, Serie A, Vol 160, Rn 42 - Gaskin; Serie A, Vol 172, Rn 41 - Powell und Rayner. 66 Hoffmeister EuGRZ 2000, 358, 359.
67 Vgl etwa EGMR, EuGRZ 1986,424, Rn 44 - Lingens; Serie A, Vol 149, Rn 29 - Barfod. 68 EGMR, RUDH 1999,182, Rn 44 ff - Wille. 102
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Lösung Fall 2: Prima facie könnte man annehmen, es gehe in diesem Fall hauptsächlich um den Zugang zum öffentlichen Dienst. Ein solches Recht wurde nicht in die Konvention aufgenommen. Trotzdem können sich öffentliche Bedienstete gegen ihre Abberufung wehren, falls diese Abberufung ihre aus der Konvention erwachsenden Rechte verletzen würde. Hier kommt die Meinungsäußerungsfreiheit in Betracht, deren Schutzbereich im konkreten Fall eröifnet ist. Es ist dann zu prüfen, ob ein EingrifT in die Freiheit der Meinungsäußerung in Form einer „Formalität, Bedingung, Beschränkung oder Strafe" vorliegt oder ob die Maßnahme im Bereich des Zugangs zum öffentlichen Dienst lag, das nicht im Schutzbereich der Konvention liegt. Das Hauptaugenmerk bei Prüfung dieser Frage ist auf den Brief des Staatsoberhaupts an W zu richten. Diesen Brief erhielt W während seiner Amtszeit als Präsident der Verwaltungsbeschwerdeinstanz, ohne dass eine Neubesetzung dieser Position aktuell gewesen wäre. Aus dem Inhalt des Briefes geht hervor, wie sich das Staatsoberhaupt in Ausübung der ihm eingeräumten Rechte zukünftig gegenüber W zu verhalten gedenke. Zu prüfen ist also, ob bereits der bloßen Absichtserklärung Eingriffscharakter zuzumessen ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Ankündigung des Staatsoberhauptes, W nicht mehr für ein öffentliches Amt ernennen zu wollen, eine Rüge für die von W getätigten Äußerungen darstellte und diesen entmutigen sollte, sie in Zukunft zu wiederholen. Zwar ist die Nichternennung als solche nicht konventionswidrig. Die Androhung zielt aber darauf, die Meinungsäußerungsfreiheit des W zu unterdrücken. Sie stellt daher, obwohl sie selbst nicht unmittelbar rechtlich wirkt, einen Eingriff in das Recht des W auf Freiheit der Meinungsäußerung dar und lässt sich nicht als ein den späteren Rechtsakt lediglich vorbereitender Akt qualifizieren.
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Unter der Annahme, dass der Eingriff gesetzlich vorgesehen war und einen legitimen Zweck verfolgte, ist weiter zu prüfen, ob dieser in einer demokratischen Gesellschaft notwendig war. Dabei könnte der Stellung W's als hochrangigem Richter besondere Bedeutung zukommen, denn bei der Freiheit der Meinungsäußerung solcher Personen bekommen die Pflichten und die Verantwortung in Art 10 II EMRK eine besondere Bedeutung. Insbesondere kann von W Zurückhaltung bei der Ausübung dieses Rechts erwartet werden, um nicht die Autorität und Unparteilichkeit der Rechtsprechung in Frage zu stellen. Der Vortrag war Teil einer Reihe akademischer Vorlesungen zum Thema Verfassungsrecht und hatte fast zwangsläufig auch politische Zusammenhänge. Allein wegen dieser Tatsache sollte W aber nicht davon abgehalten werden, sich zu solchen Themen äußern zu können. Die Ansichten waren zudem nicht unhaltbar. Die Ansichten des W hatten zudem offensichtlich keinen Einfluss auf seine Amtsführung als Präsident der Verwaltungsbeschwerdeinstanz. Daher ist der Eingriff in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendig. Es liegt eine Verletzung von Art 10 E M R K vor. 3.
Rechtfertigung
Eingriffe in die durch Art 10 I E M R K geschützten Freiheiten sind gerechtfertigt und damit konventionsgemäß, wenn sie auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen, einen der in Art 10 II E M R K abschließend genannten Zwecke verfolgen und „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" sind. Diese Bedingungen müssen kumulativ vorliegen. Was die von Art 10 II E M R K zugelassenen Eingriffszwecke betrifft, so fällt auf, dass es sich im Vergleich mit den anderen Konventionsgewährleistungen um den umfangreichsten Beschränkungskatalog der Konvention handelt. 69 Ungewöhnlich ist auch, dass Art 10 II
69 So auch Frowein in: Frowein/Peukert Art 10 E M R K Rn 23.
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EMRK der Aufzählung der zugelassenen Eingriffszwecke eine Begründung voranstellt: dass die Ausübung der gewährleisteten Kommunikationsgrundrechte Pflichten und Verantwortung mit sich bringt. Nachdem der EGMR in einer frühen Entscheidung noch betont hatte, dass derjenige, der die Kommunikationsfreiheiten des Art 10 I EMRK ausübt, Pflichten und Verantwortlichkeiten „übernimmt",70 hat er später klar gestellt, dass aus dieser Eingangs- oder Begründungsformel keine eigene Grundlage für Einschränkungen folgt.71 Möglicherweise sollten mit der Formel eher die weitreichenden Beschränkungsmöglichkeiten mit dem spezifischen Gefahrenpotential von Massenmedien in Verbindung gebracht und damit legitimiert werden.72 a) Die zulässigen Eingriffszwecke Im Rahmen der nach Art 10 II EMRK zulässigen Eingriffszwecke, die den Bezugspunkt für die Überprüfung der Verhältnismäßigkeit bilden, kommt dem Schutz des guten Rufes anderer zentrale Bedeutung zu. Da Beleidigungstatbestände je nach Fassung und Anwendung die Meinungsfreiheit erheblich einschränken können, ist in Anbetracht der Bedeutung der Meinungsfreiheit für die Demokratie (auf die Art 10 II EMRK mit der typischen Formulierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes „in einer demokratischen Gesellschaft ... notwendig" hinweist) sowohl eine restriktive Auslegung des Eingriffszwecks als auch besondere Sorgfalt bei der Prüfung der Rechtfertigung hierauf beruhender Eingriffe geboten.73 Nur auf diese Weise lässt sich die vom Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten als „chilling effect"74 bezeichnete Gefahr in Grenzen halten, dass Menschen Äußerungen allein deshalb unterlassen, weil sie befürchten, dass ihnen aus der Meinungsäußerung Nachteile erwachsen. Andererseits hat der EGMR nie einen Zweifel daran gelassen, dass Beleidigungsvorschriften zum Schutz des Rechtsfriedens notwendig sind. Insbesondere gilt der Beleidigungsschutz auch für Politiker.75 Allerdings hat der Gerichtshof, insoweit einer demokratisch-funktionalen Auslegung folgend, die Grenzen einer Kritik an Politikern weiter gezogen als im Fall von Privatpersonen.76 Dies ist letztlich eine Frage der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs. Ein besonderes Problem stellt der „Ehrschutz" von staatlichen Institutionen dar. Nachdem der EGMR zunächst einen solchen Beleidigungsschutz anerkannt hatte,77 scheint er nunmehr davon abzurücken. So hat er die Bestrafung eines Wehrpflichtigen wegen Kollektivbeleidigung der griechischen Armee unter dem Gesichtspunkt der nationalen und öffentlichen Sicherheit als unverhältnismäßig angesehen.78 70 71 72 73 74
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EGMR, EuGRZ 1977, 38, Rn 49 - Handyside. EGMR, HRLJ 1992,440, Rn 46 - Thorgeirson. Probst (Fn 33) S 28. Differenzierend Peukert FS Mahrenholz, 1994, S294ff; ähnlich Frowein in: Frowein/Peukert Art 10 EMRK Rn 32. Zum „chilling effect" vgl US Supreme Court, NAACP/Alabama ex rel Patterson, 357 US 449 (1958); zu Lehre und Rspr in Deutschland s Grimm NJW 1995, 1703ff; zur EMRK vgl insb EGMR, HRLJ 1992,440, Rn 68 - Thorgeirson und Prepeluh ZaöRV 2001, 771, 819 f. EGMR, EuGRZ 1986,424, Rn 36 - Lingens. EGMR, EuGRZ 1986, 424, Rn 42 - Lingens; EuGRZ 1991, 216, Rn 59 - Oberschlick; vgl dazu Peukert FS Mahrenholz, 1994, S 294 ff. EGMR, HRLJ 1992, 440, Rn 59 - Thorgeirson (Ehrschutz öffentlicher Einrichtungen); Serie A, Vol 236, Rn 46 - Castells (Ehrschutz der Regierung). EGMR, RJD 1997-VII, 2575, Rn 47 - Grigoriades; zur Geltung von Art 10 EMRK für Soldaten vgl EGMR, Serie A, Vol 302, Rn 36 - Vereinigung demokratischer Soldaten Österreichs und Gubi.
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Indem der E G M R die Funktionsfähigkeit der Armee zum geschützten Rechtsgut erhob, dürfte er implizit nunmehr einen besonderen Ehrschutz von staatlichen Institutionen ablehnen. 79 Eng verwandt mit dem Beleidigungsschutz ist der Schutz der Rechte anderer. Dieser Eingriffszweck überschneidet sich teilweise mit dem des Ehrschutzes. Allerdings lassen sich dem Schutz der Rechte anderer weitere Eingriffszwecke zuordnen. So hat der E G M R anerkannt, dass der Schutz der religiösen Auffassungen anderer 8 0 wie auch der Schutz der Privat- und Intimsphäre anderer 81 Eingriffe in die Meinungs- und in die Informationsfreiheit rechtfertigt. In Erwägung zu ziehen ist der Schutz der Rechte anderer auch im Zusammenhang mit der Verbreitung kommerzieller Informationen. Eingriffe auf der G r u n d lage von Regelungen über den unlauteren Wettbewerb lassen sich diesem Eingriffszweck zuordnen. 82 Neuerdings qualifiziert der E G M R auch das Recht auf effektive Demokratie als „Recht anderer". 8 3 Es ist nicht zu verkennen, dass sich dieser Eingriffszweck damit zu einer Art Generalklausel entwickelt. Im Hinblick auf die Zulässigkeit und Notwendigkeit politischer Kritik erweisen sich auch die Eingriffszwecke der nationalen Sicherheit, der territorialen Unversehrtheit und der öffentlichen Sicherheit als ausgesprochen sensibel. Das Verteilen von Flugblättern, die eine Aufforderung zur Fahnenflucht verbunden mit konkreten Hinweisen auf Desertionsmöglichkeiten enthalten, lässt sich ohne Zweifel als eine Gefahr für die nationale Sicherheit ansehen. 84 Nichts anderes gilt für das Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen, 85 wobei diesbezüglich auch der Schutz der Rechte anderer in Erwägung zu ziehen ist. Eher zweifelhaft ist es, die Veröffentlichung der Erinnerungen eines früheren Mitglieds des Geheimdienstes ohne weiteres dem Schutz der nationalen Sicherheit zuzuordnen, insbesondere wenn man sich des Eindrucks nicht erwehren kann, dass es eher um den Schutz des Geheimdienstes als den der nationalen Sicherheit geht. 86 In einer Reihe von Fällen gegen die Türkei hat der E G M R nunmehr auch ausdrücklich auf den Schutz der territorialen Unversehrtheit Bezug genommen und anerkannt, dass die Unterdrückung separatistischer pro-kurdischer Aussagen aus diesem G r u n d ebenso wie aus Gründen der nationalen Sicherheit erfolgen kann. 87
79 So ausdrücklich Richter Jambrek in seinem Sondervotum: EGMR, RJD 1997-VII, 2595, Rn 3-4 - Grigoriades. Eingehend zur Beleidigungsfahigkeit von Streitkräften Nolle AfP 1996, 313 ff. 80 EGMR, HRLJ 1994, 371, Rn 47f - Otto-Preminger-Institut; RJD 1996-V, 1937, Rn 5 2 f f - Wingrove. 81 Dazu jetzt EGMR, RJD 2001-1, 263, Rn 68f - Tammer; NJW 2004, 2647 Rn 63-66 - von Hannover (entgegen BVerfGE 101, 361, 390f)· Zuvor schon Frowein in: Frowein/Peukert Art 10 EMRK Rn 33, unter Bezugnahme auf Art 8 EMRK. 82 EGMR, EuGRZ 1985, 150ff - Barthold; EuGRZ 1996, 302ff - markt intern Verlag GmbH & Klaus Beermann; HRLJ 1994, 184ff- Casado Coca. 83 EGMR, RJD 1998-VI, 2356, Rn 54 - Ahmed; zuvor schon angedeutet in EGMR, RJD 1998-1, 175, Rn 38 - Bowmann; näher dazu Hoffmeister EuGRZ 2000, 358, 360. 84 EKMR, DR 19, 5, 38 f - Arrowsmith. 85 EKMR, DR 56,205, 209 - Kühnen. 86 So die zutreffende Kritik von Frowein in: Frowein/Peukert Art 10 EMRK Rn 29 am EGMR im Fall Observer und Guardian EuGRZ 1995, 16, Rn 56 und 69; vgl auch die Sondervoten der Richter Petitti (dem sich Richter Pinheiro Farinha anschloss) und Morenilla, zusammengefasst in EuGRZ 1995, 23 ff. 87 Vgl statt aller EGMR, RJD 2002-X, 301, Rn 40 und Rn 48-49 - Arslan (mit kritischen Anmerkungen des EGMR zum konkreten Fall). Wenn Äußerungen mit einem Aufruf zur Gewalt ver-
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Der Eingriffszweck der Aufrechterhaltung der Ordnung (und der Verbrechensbekämpfung) schützt nicht nur die öffentliche Ordnung als solche, sondern ermöglicht auch den Schutz der Ordnung spezifischer sozialer Gruppen oder von Institutionen.88 Zu denken ist in diesem Kontext etwa an den Schutz der Streitkräfte,89 den Schutz von Strafanstalten,90 aber auch an Standesregeln,91 die im Zusammenhang mit der Verbreitung kommerzieller Informationen bemüht wurden. Soweit sich die Verbreitung rassistischer Äußerungen92 oder auch der Auschwitzlüge93 nicht oder nur teilweise anderen Eingriffszwecken zuordnen lassen, ist ein Rückgriff auf die Aufrechterhaltung der Ordnung (gegebenenfalls auch kumulativ) in Erwägung zu ziehen. Die Ausgestaltung der Rundfunkordnung, die schon Art 10 I 3 EMRK insoweit ermöglicht, als in diesem Bereich tätige Unternehmen einem Genehmigungsverfahren unterworfen werden können, lässt sich, soweit es dabei um wirtschaftspolitische Ordnungsvorstellungen geht, nur dann zweifelsfrei Art 10 II EMRK zuordnen, wenn in diesem Zusammenhang der Eingriffszweck der Aufrechterhaltung der Ordnung bemüht wird.94 Zu beachten ist dabei allerdings, dass im Rahmen der Gewährleistungen der Art 8-11 EMRK allein Art 8 II EMRK ausdrücklich auf „das wirtschaftliche Wohl des Landes" Bezug nimmt. Zu den eher problematischen Eingriffszwecken, die sich eigentlich nur durch eine strikte Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf ein dem Schutz der Kommunikationsfreiheiten gerecht werdendes Maß reduzieren lassen, gehört der Schutz der Moral, der sich für staatliche Behörden als erheblich attraktiver erweist als der in unmittelbarem Zusammenhang damit genannte Schutz der Gesundheit. Der Schutz der Moral ist insbesondere im Zusammenhang mit pornographischen Schriften und Videofilmen bemüht worden. Gelegentlich tritt der Schutz der Moral gleichwertig neben den Schutz der Rechte anderer, etwa im Zusammenhang mit dem Schutz religiöser Überzeugungen. Die besondere Problematik beim Schutz der Moral liegt sicherlich darin, dass der Schutz der Moral stark von unterschiedlichen Vorstellungen geprägt ist, dass es keine europäische Konzeption der Moral gibt und dass der EGMR möglicherweise weniger zur Beurteilung der Lage geeignet ist als staatliche Behörden.95 Das Problem des an dieser Stelle in Gestalt eines den staatlichen Behörden und Gerichten verbleibenden Beurteilungsspielraums („margin of appreciation"/„marge d'appreciation")96 ist anhand des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu diskutieren.
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knüpft sind, lässt der EGMR einen größeren Beurteilungsspielraum zu; kritisch dazu, dass der EGMR bislang noch keine klaren Kriterien dafür entwickelt hat, wann von einem Aufruf zur Gewalt auszugehen ist, Hoffmeister EuGRZ 2000, 358, 362. Frowein in: Frowein/Peukert Art 10 EMRK Rn 30. EGMR, EuGRZ 1976, 221, Rn 98 - Engel. EGMR, EuGRZ 1975, 91, Rn 45 - Golder (zu Art 8 II EMRK). Vgl auch LaeuchlUBosshard Die Meinungsfreiheit gern Art 10 EMRK unter Berücksichtigung der neueren Entscheidungen und der neuen Medien, 1990, S 165 ff. EGMR, HRLJ 1994, 184 ff-Casado Coca. EGMR, Serie A, Vol 298, Rn 33-35 - Jersild. EKMR, DR 29, 194 ff - X; DR 82, 117ff - Remer. Der Gerichtshof hat nunmehr in einem obiter dictum festgestellt, dass das Leugnen der geschichtlichen Tatsache des Holocausts kraft Art 17 EMRK nicht dem Schutz von Art 10 EMRK unterfalle; EGMR, RJD 1998-VII, 2864, Rn 47 Lehideux und Isorni. Zum Verhältnis zwischen Art 101 3 und Art 10 II EMRK vgl unten Rn 54. EGMR, EuGRZ 1977, 38, Rn 48 - Handyside; EuGRZ 1988, 543, Rn 34 - Müller. Allgemein zum Beurteilungsspielraum Brems ZaöRV 1996, 240 ff; zum Beurteilungsspielraum im Kontext der Pressefreiheit Prepeluh ZaöRV 2001, 771 ff.
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Der Schutz der Verbreitung von vertraulichen Nachrichten hat bislang in der Spruchpraxis keine besondere Rolle gespielt. Bei staatlichen Nachrichten liegt hier ein Zusammenhang mit dem Schutz nationaler Sicherheit nahe.97 Ob und inwieweit dieser Eingriffszweck auch zum Schutz der Vertraulichkeit privater Nachrichten herangezogen werden kann, dürfte in Anbetracht neuerer technischer Entwicklungen noch zu klären sein. Immerhin sehen nationale telekommunikationsrechtliche Regelungen den Vertraulichkeitsschutz auch für private Nachrichten vor. Zwar schützt Art 8 E M R K die private Kommunikation vor dem Zugriff Privater allenfalls in engen Grenzen, so dass ein (positiver) Schutzanspruch aus der E M R K nur unter bestimmten, hier nicht näher zu diskutierenden Voraussetzungen in Betracht kommt. 98 Werden aber private Nachrichten durch die staatliche Gesetzgebung geschützt, so können sich diese Schutzmaßnahmen durchaus als Eingriffe in den Schutzbereich von Art 10 I E M R K darstellen, deren Rechtmäßigkeit anhand von Art 10 II E M R K zu prüfen ist.
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Der Schutz des Ansehens und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung war aus der deutsehen Perspektive lange von eher geringer Bedeutung, wurde dieser Grund doch in erster Linie zum Schutz des Rechtsinstituts des „contempt of court", wie er in den Rechtsordnungen des common law bekannt ist, aufgenommen. 99 Allerdings ist dieser Eingriffszweck (neben dem der Aufrechterhaltung der Ordnung) heute im Zusammenhang mit der Berichterstattung über Gerichtsverfahren zu beachten. 100
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b) Das Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage Fall 3: (EGMR, RJD 1998-VII, 2719 fT - Steel) Α stellte sich bei einer Demonstration von Tierschützern gegen die Moorhuhnjagd vor einen Jäger und hinderte diesen so am Schießen. Sie wurde wegen Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung festgenommen und verurteilt. Das Gericht zweiter Instanz forderte Α auf, einer Anordnung zuzustimmen, nach der sie verpflichtet wäre, für die nächsten zwölf Monate nicht gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu verstoßen, widrigenfalls eine zu hinterlegende Kaution verfiele. Da A dies ablehnte, wurden über sie 28 Tage Haft verhängt. Α behauptet eine Verletzung von Art 10 EMRK. Vorausgesetzt wird in der Regel eine die Behörde zum Eingriff ermächtigende generellabstrakte Norm, der innerstaatlich Gesetzeskraft zukommt. Dies schließt ungeschriebenes Recht ein. Allerdings muss die gesetzliche Grundlage hinreichend zugänglich und vorhersehbar sein (—> § 2 Rn 45). Probleme treten insbesondere im Zusammenhang mit der Verwendung eines erweiterten Eingriffsbegriffs auf. Werden nämlich faktische Einschüchterungsversuche als Eingriff qualifiziert, 101 so wird es häufig schwierig sein, eine spezielle Rechtsgrundlage im Sinne von Art 10 II E M R K zu finden. Dies führt nicht per se zur Unzulässigkeit des Eingriffs, wenn man berücksichtigt, dass Art 10 II E M R K von seiner
97 So LaeuchlUBosshard (Fn 90) S 180. Vgl im Übrigen die Kommissionsentscheidungen: Yearbook of the European convention on human rights 13, 888 ff - X und D R 35, 224ff - Ζ. 98 Zur Bedeutung von Art 8 E M R K für die Verwendung kryptographischer Verfahren vgl Diregger D u D 1998, 28 ff. 99 E G M R , E u G R Z 1979, 386, Rn 56 f - Sunday Times (Nr 1). 100 So nunmehr E G M R , R J D 1997-V, 1534, Rn 49 - Worm. Vgl auch die rechtsvergleichende Perspektive bei Gehring Z R P 2000, 197 ff. 101 Vgl dazu ο Rn 23 ff.
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Struktur her eigentlich auf rechtliche Eingriffe zugeschnitten ist. Es dürfte bei faktischen Eingriffen daher zulässig sein, vom Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage abzusehen, soweit die Maßnahme im Übrigen dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügt.102 39
Lösung Fan 3: Zunächst ist zu klären, ob überhaupt der Schutzbereich der Meinungsäußerungsfreiheit betroffen ist. Α hat den Jäger physisch an der Ausübung der Jagd gehindert. Es handelt sich also um eine Realhandlung. Allerdings soll diese mit einem gewissen Störungspotential das Missfallen an der Mohrhuhnjagd zum Ausdruck bringen. Die Handlung lässt sich als solche also dem Schutzbereich von Art 10 I EMRK zuordnen. Fraglich ist allerdings, ob die Unfriedlichkeit dieser Handlung und die somit durch drittstörendes Tun vermittelte Meinungsäußerung der Einordnung in den Schutzbereich entgegensteht. Die Störung Dritter ist jedoch kein Problem des Schutzbereichs, sondern eines der konventionsrechtlichen Rechtfertigung des Eingriffs. Der Eingriff liegt in der gerichtlichen Verurteilung und der Verhängung von Haft. Eine Rechtfertigung ist grundsätzlich nur möglich, wenn der Eingriff vom Gesetz vorgesehen ist. Die Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung wurde in den letzten Jahrzehnten von der innerstaatlichen Rechtsprechung des betroffenen Landes so präzisiert, dass es nun hinlänglich klar ist, dass eine solche nur vorliegt, wenn das Verhalten einer Person einen Schaden gegenüber einer anderen Person oder Sache verursacht oder verursachen könnte. Es ist ebenso ausreichend klar, dass eine solche Person deswegen festgenommen und angehalten werden kann. Das von der Konvention verlangte Mindestmaß an Deutlichkeit innerstaatlicher Rechtsnormen ist demnach gegeben. Die Festnahme von Α verfolgte die legitimen Zwecke Aufrechterhaltung der Ordnung und Schutz der Rechte anderer. Die verhängte Haft verfolgte überdies den Zweck, das Ansehen der Rechtsprechung im Sinne von Art 10 II EMRK zu gewährleisten. Die innerstaatlichen Gerichte konnten wegen der Weigerung A's, sich zu verpflichten, für die nächsten zwölf Monate nicht gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu verstoßen, begründeterweise annehmen, dass sie mit ihren Protestaktivitäten in dieser Art und Weise fortfahren würde. Wegen der großen Bedeutung, die der Rechtsstaatlichkeit und dem Ansehen der Rechtsprechung in einer demokratischen Gesellschaft zukommen, kann die Haft der Α trotz der Dauer von 28 Tagen (noch) als verhältnismäßig angesehen werden. c) Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
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Wie bei den übrigen Einschränkungsklauseln der Art 8-11 EMRK ist auch bei der Rechtfertigung von Eingriffen in die Schutzbereiche von Art 10 I EMRK nicht nur zu prüfen, ob ein zulässiger Zweck verfolgt wird. Vielmehr müssen Eingriffe in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein, um den Anforderungen von Art 10 II EMRK zu genügen. Ob dies der Fall ist, entscheiden die Konventionsorgane. In Anbetracht der besonderen Bedeutung der Kommunikationsfreiheiten des Art 101 EMRK für demokratisch verfasste Gesellschaften kommt der Prüfung der Notwendigkeit eines Eingriffs und damit der Verhältnismäßigkeitsprüfung bei Art 10 II EMRK besondere Bedeutung zu (allgem zur Ver-
102 So auch Hoffmeister E u G R Z 2000, 358, 359. Alternativ ist eine Reduzierung der Bestimmtheitsanforderungen an die gesetzliche Grundlage denkbar; so wohl Grabenwarter E M R K § 23 Rn 20. Eine solche Reduzierung ist durchaus mit dem Rechtsstaatsprinzip zu vereinbaren; vgl Degenhart Staatsrecht I, 20. Aufl 2004, Rn 281.
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hältnismäßigkeitsprüfung —> § 2 Rn 39).103 Nicht nur müssen die oben genannten Eingriffszwecke als Ausnahmen eng interpretiert und ein Eingriff überzeugend begründet werden. Vielmehr besteht grundsätzlich sogar eine Vermutung für die Zulässigkeit einer Meinungsäußerung.104 Dies ist auf den ersten Blick überzeugend, hat aber eine nicht unproblematische Differenzierung zur Folge, die sich gerade aus dem zwischen demokratischer Ordnung und Meinungsäußerungsfreiheit bestehenden Zusammenhang ergibt. Der EGMR privilegiert nämlich die politische Meinungsäußerung gegenüber anderen Meinungsäußerungen bei der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes105 und interpretiert Art 10 EMRK insoweit demokratisch-funktional.106 Auch wenn man die daraus resultierende Diskriminierung kommerzieller und anderer nicht-politischer Meinungsäußerungen nicht teilt, so wird man dem EGMR zumindest konzedieren müssen, dass die Differenzierung mit guten Gründen nicht schon am Schutzbereich ansetzt, sondern erst im Rahmen der Rechtfertigung von Eingriffen zum Tragen kommt. Allein dieser Ansatz ist dogmatisch haltbar. Für eine Differenzierung des Schutzbereichs gibt Art 10 I EMRK insoweit nichts her. Auch wenn die Straßburger Spruchpraxis bei der Anwendung des Verhältnismäßig- 41 keitsgrundsatzes regelmäßig nicht zwischen der Geeignetheit, der Erforderlichkeit und der Angemessenheit eines Eingriffs unterscheidet, so lassen sich doch Anhaltspunkte für eine Struktur der Verhältnismäßigkeitsprüfung im Rahmen von Art 10 II EMRK ausmachen. Dabei ist es trotz der Zurückhaltung des EGMR zu empfehlen, zunächst die Geeignetheit eines Eingriffs und dessen Erforderlichkeit zu prüfen. Schon an der Geeignetheit eines Veröffentlichungsverbots dürfte es fehlen, wenn - wie 42 im Fall der Erinnerungen eines früheren Mitgliedes des britischen Geheimdienstes - das betreffende Werk im Ausland (im konkreten Fall in den Vereinigten Staaten) schon veröffentlicht worden war.107 Auch das Verbot, in Irland über Abtreibungsmöglichkeiten in Großbritannien zu informieren, wirft Fragen der Geeignetheit auf, wenn interessierte Frauen die Auskünfte ohne großen Aufwand auch anderweitig (etwa über britische Telefonbücher oder Zeitschriften) einholen können.108 Die Erforderlichkeit von Eingriffen ist insbesondere in den Fällen indirekter Sanktio- 43 nen für Meinungsäußerungen ein Problem. In Betracht zu ziehen ist hier in erster Linie die Spruchpraxis zu den so genannten „Berufsverboten". Wenig überzeugend hatte der EGMR zunächst in zwei Fällen die Auffassung vertreten, eine Verletzung von Art 10 EMRK liege deshalb nicht vor, weil es um den Zugang zum öffentlichen Dienst gehe, der
103 So auch der E G M R , HRLJ 1992,440, Rn 63 - Thorgeirson; Serie A, Vol 236, Rn 42 - Castells. 104 Frowem in: Frowein/Peukert Art 10 E M R K Rn 26. 105 So auch die Einschätzung von Villiger (Fn 10) S 400 und Brems ZaöRV 1996, 240, 274 f. Dazu, dass der weite Beurteilungsspielraum nationaler Behörden im Bereich des wirtschaftlichen Lebens in bestimmten Fallkonstellationen Einschränkungen erfahren hat, vgl Prepeluh ZaöRV 2001, 771, 805 ff. 106 Zum Zusammenhang zwischen Grundrechtstheorie und Grundrechtsinterpretation nach wie vor einschlägig: Böckenförde N J W 1974, 1529 ff. 107 Wenig überzeugend insoweit E G M R , E u G R Z 1995, 16, Rn 66ff - Observer und Guardian; vgl dazu die Kritik bei Frowein in: Frowein/Peukert Art 10 E M R K Rn 27. 108 E G M R , E u G R Z 1992, 484, Rn 55 - Open Door and Dublin Well Woman; eingehend zu dieser Entscheidung Zimmermann NJW 1993, 2966 ff und Langenfeld/Zimmermann ZaöRV 1992, 259 ff (hier auch zur einschlägigen Rechtsprechung des E u G H in Bezug auf die Dienstleistungsfreiheit).
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von der Konvention nicht gewährleistet werde. Dabei übersah der Gerichtshof, dass es nicht um den Zugang zum öffentlichen Dienst ging (in einem Fall war die Ernennung einer Lehrerin auf Probe wegen Täuschung zurückgenommen,109 im anderen Fall ein Beamter wegen rechtsradikaler Äußerungen entlassen worden110), sondern um die Reichweite von an Beamte zu stellenden Loyalitätsanforderungen. Man wird annehmen müssen, dass der EGMR sich mit dem eigentlichen Problem in der Phase des Kalten Krieges nicht befassen wollte. Erst nach dem Ende des (ideologischen) Konflikts zwischen Ost und West setzte sich der EGMR kritisch mit den Loyalitätsanforderungen auseinander und entschied, dass die Festlegung einer Loyalitätspflicht zwar zulässig, ihre Anwendung aber ohne Berücksichtigung der vom Beamten ausgeübten Funktion und ohne Würdigung der Auswirkungen einer bloßen Parteimitgliedschaft auf die Erfüllung der Dienstpflichten unverhältnismäßig sei.111 Dem Erforderlichkeitsgrundsatz hätte im konkreten Fall allenfalls eine andere Maßnahme genügt. Als nicht erforderlich und deshalb unverhältnismäßig sind auch extrem hohe Schadensersatzsummen wegen Beleidigung anzusehen.112 Jenseits der Kriterien der Geeignetheit und der Erforderlichkeit sind im Rahmen von Art 10 II EMRK einige Differenzierungen entwickelt worden, die Auswirkungen auf die Kontrolldichte der Verhältnismäßigkeitsprüfung haben. Dabei geht es um die Privilegierung politischer Kommunikation, um Anforderungen an rufschädigende und ehrverletzende Äußerungen, um den staatlichen Beurteilungs- oder Ermessensspielraum bei Eingriffen zum Schutz der Moral und um eigenständige Prüfungsmaßstäbe bei Eingriffen in die Rundfunk- und Fernsehfreiheit. d) Die Privilegierung politischer Kommunikation
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Die politische Kommunikation wird dadurch besonders geschützt, dass Eingriffe, die politische Kritik mehr oder weniger unmöglich machen, grundsätzlich als unverhältnismäßig und damit konventionswidrig angesehen werden müssen. So hat der EGMR in mehreren Entscheidungen das Erfordernis eines Wahrheitsbeweises bei Werturteilen im Rahmen politischer Auseinandersetzungen als unverhältnismäßig angesehen und gelegentlich Äußerungen, die von nationalen Gerichten als Tatsachenbehauptungen angesehen wurden, als Werturteile qualifiziert.113 Auch die Forderung, bei einem Bericht über Gerüchte und Erzählungen anderer von Polizeibrutalität, den Nachweis der Richtigkeit zu erbringen," 4 und die Verurteilung eines dänischen Journalisten, der in einer Sendung rassistische Äußerungen von Interviewpartnern verbreitet, sich aber nach Auffassung des EGMR davon eindeutig distanziert hatte, ließ der EGMR am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
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EGMR, EuGRZ 1986,497 ff - Glasenapp. EGMR, EuGRZ 1986, 509 ff - Kosiek. EGMR, EuGRZ 1995, 590, Rn 59-61 - Vogt. EGMR, HRLJ 1995, 295 ff - Tolstoy Miloslavsky. Wird für Werturteile ein Wahrheitsbeweis verlangt, so liegt in aller Regel eine Verletzung von Art 10 EMRK vor; vgl EGMR, EuGRZ 1986,424, Rn 46 - Lingens; EuGRZ 1991, 216, Rn 63 Oberschlick; Serie A, Vol 242-B, Rn 34 - Schwabe; ÖJZ 2002, 468, Rn 45-46 - Unabhängige Initiative Informationsvielfalt. Anders dagegen die Entscheidung im Fall Castells, Serie A, Vol 236, Rn 48, wo es um Tatsachen ging, die prinzipiell dem Beweis zugänglich waren, die im konkreten Fall aber nicht in das Verfahren eingebracht werden konnten. 114 EGMR, HRLJ 1992,440, Rn 65 - Thorgeirson.
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scheitern.115 Allerdings machte der E G M R auch deutlich, dass tatsächliche Äußerungen nicht ohne jede Grundlage oder gar böswillig gemacht werden dürfen." 6 Steht eine Äußerung in einem wirtschaftlichen Kontext, findet ein weniger strenger Maßstab Anwendung; 117 der staatliche Beurteilungsspielraum ist deutlich weiter. So können etwa die Verbreitung richtiger Tatsachenbehauptungen 118 oder die Übersendung von Zeitungsartikeln" 9 durch Regelungen des unlauteren Wettbewerbs beschränkt werden, ohne dass allein dadurch schon der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletzt wäre. Dies gilt nur eingeschränkt für Standesregeln und darauf gestützte Werbeverbote. Eine extensive Interpretation und Anwendung standesrechtlicher Bestimmungen kommt in diesem Zusammenhang wohl eher nicht in Betracht. Der E G M R betont mit Recht die besondere Bedeutung der Beteiligung fachlich kompetenter Personen an einer öffentlichen Diskussion und macht die Zulässigkeit eines Eingriffs in die Rechte des Art 10 I E M R K davon abhängig, ob der an den Standesregeln zu messende Werbeeffekt eines Diskussionsbeitrages (einer Anwaltkanzlei oder einer Arztpraxis) primär oder bloß sekundär ist.120
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e) Anforderungen an potentiell rufschädigende und ehrverletzende Äußerungen, insbesondere: Sorgfaltspflichten der Presse Fall 4: (EGMR, EuGRZ 1999,453 - Bladet Tromse) Die B-Zeitung hatte den Bericht eines vom zuständigen Ministerium ernannten RobbenfangInspektors über seine Jagd-Saison-Beobachtung auf einem namentlich genannten Schiff abgedruckt. Der Inspektor stellte in diesem Bericht die Behauptung auf, einige nicht namentlich genannte Mannschaftsmitglieder hätten Roben lebendig gehäutet und eine bestimmte Robbenart vorschriftswidrig gefangen. Der Bericht war im Kontext einer längeren öffentlichen Debatte über den Robbenfang erschienen, in der alle vertretenen Interessen in der B-Zeitung zu Wort kamen. Allerdings war der Zeitung im Zeitpunkt der Veröffentlichung bekannt, dass der in diesem Fall grundsätzlich gewährte Zugang der Öffentlichkeit zum Bericht vom Ministerium unterbunden worden war, weil die strafrechtlich relevanten Anschuldigungen gegen die Mannschaftsmitglieder geprüft werden sollten. Sowohl der Inspektor als auch die B-Zeitung wurden in der Folge zu Schadensersatzleistungen verurteilt, weil sie den Wahrheitsbeweis für die Tatsachenbehauptungen nicht führen konnten. Der Inspektor und die B-Zeitung behaupten eine Verletzung von Art 10 EMRK.
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E G M R , Serie A, Vol 298, Rn 33-36 - Jersild. E G M R , H R L J 1992, 440, Rn 63, 67 - Thorgeirson. S CaUiess AfP 2000, 248 ff und Grabenwarter ÖZW 2002, 1 ff. E G M R , E u G R Z 1996, 302, Rn 35-36 - markt intern Verlag G m b H & Klaus Beermann. E G M R , E u G R Z 1996, 306, Rn 26-30 - Jacubowski; krit dazu die Mindermeinung im Gericht; zur Kritik an dem den Staaten eingeräumten weiten Beurteilungsspielraum in der genannten Entscheidung sowie in E G M R , E u G R Z 1996, 302, Rn 35-36 - markt intern Verlag GmbH & Klaus Beermann; vgl auch Calliess E u G R Z 1996, 293, 295ff. 120 So die zutreffende Würdigung durch Villiger (Fn 10) S 404, unter Bezugnahme auf E G M R , E u G R Z 1985, 150, Rn 58 - Barthold; vgl aber auch E G M R , HRLJ 1994, 184, Rn 55-56 - Casado Coca, wo der E G M R angesichts der uneinheitlichen Situation in Europa eine weitere Lockerung der Standesregeln über Art 10 E M R K nicht durchsetzen wollte. In der Entscheidung E G M R , R J D 1998-III, 1042, Rn 30-34 - Schöpfer, akzeptierte der E G M R eine einem Anwalt auferlegte Buße als verhältnismäßig, weil dieser in einer Pressekonferenz die Justiz in unangemessener Form angegriffen hatte, statt zu Gunsten seines Klienten zunächst den ordentlichen Rechtsweg zu beschreiten.
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Der grundsätzliche Schutz auch heftiger Kritik an Politikern durch Art 10 I EMRK erfährt zu Gunsten des Ehrschutzes insoweit eine erhebliche Einschränkung, als es eine ständige Straßburger Spruchpraxis gibt, die in diesen Fällen die Meinungsäußerung einer Verhältnismäßigkeitsprüfung unterzieht.121 Dies ist auf den ersten Blick erstaunlich, denn es sollte eigentlich um die Verhältnismäßigkeit des zu rechtfertigenden staatlichen Eingriffs gehen und nicht um die Angemessenheit der Ausübung von Grundfreiheiten. Vor diesem Hintergrund ist die einschlägige Spruchpraxis insbesondere wegen der potentiellen Umkehrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses zwischen Grundfreiheit und zu rechtfertigendem Eingriff kritisch zu bewerten. Der EGMR prüft in diesen Fällen, ob die vom Grundrechtsträger geäußerte Meinung auf andere Weise mit gleicher Wirkung hätte vorgetragen werden können. Vor allem mit Blick auf die Art und Weise der Äußerung, insbesondere deren Schärfe, soll abgewogen werden, ob persönliche Angriffe unbedingt notwendig waren.122 Für den Gerichtshof sind unwahre Tatsachen, ehrenrührige Behauptungen, nicht notwendige Schärfen sowie Werturteile, denen jegliche Faktengrundlage fehlt, daher im Ergebnis nicht geschützt, weil Eingriffe auf dieser Grundlage regelmäßig verhältnismäßig sein dürften.123 Während die einzelnen Fallbeispiele aus der Rechtsprechung im Ergebnis durchaus zu überzeugen vermögen, verdient das methodische Vorgehen Kritik. Im Zusammenhang mit der Wiedergabe fremder Tatsachenbehauptungen oder Materialien hat der EGMR eine Reihe von Sorgfaltspflichten für die Presse entwickelt, die sich unmittelbar auf die Verhältnismäßigkeit staatlicher Eingriffe auswirken. Einerseits hat der EGMR anerkannt, dass für eine im Umlauf befindliche Information kein dringendes Geheimhaltungsinteresse mehr besteht.124 Bei anonymen Informanten dürfte das Quellenschutzinteresse jedenfalls dann überwiegen, wenn dem Betroffenen auf der anderen Seite nur ein geringer Schaden droht.125 Insoweit ist die Presse von Sorgfaltspflichten noch weitgehend freigestellt. Wird der Presse Material anonym zugesandt, so stellt sich die Frage, ob und inwieweit sich der Journalist vergewissern muss, dass die Informationen zutreffend sind. Grundsätzlich können solche Informationen wohl nur veröffentlicht werden, wenn der Journalist deren Authentizität überprüft hat,126 es sei denn es gibt besondere Gründe, die Presse von dieser Verpflichtung zu entbinden, wie etwa die Vertrauenswürdigkeit der erlangten Informationen.127 Festzuhalten ist, dass der Abdruck ehrenrühriger Tatsachenbehauptungen selbst dann zulässig sein kann, wenn deren Wahrheitsgehalt auch nachträglich nicht bewiesen werden kann.128
121 StRspr seit EGMR, EuGRZ 1986,424, Rn 46 - Lingens. 122 EGMR, Serie A, Vol 149, Rn 33-35 - Barfod; krit hierzu Frowein in: Frowein/Peukert Art 10 EMRK Rn 25. 123 EGMR, ÖJZ 1997, 912, Rn 47 - De Haes und Gijsels; ÖJZ 2002, 468, Rn 47 - Unabhängige Initiative Informationsvielfalt. Im letzten Fall wurde eine hinreichende Basis für den Vorwurf „rassistischer Agitation" gegenüber der FPÖ im Zusammenhang mit einem von ihr veranstalteten Volksbegehren zur Begrenzung der Immigration bejaht. 124 EGMR, Serie A, Vol 306-A, Rn 44 ff - Vereniging Weekblad Bluß. 125 EGMR, RJD 1996-11,483, Rn 42-45 - Goodwin. 126 EGMR, EuGRZ 1999, 5, Rn 53-55 - Fressoz und Roire. 127 EGMR, EuGRZ 1999,453, Rn 66 - Bladet Troms0. 128 Prepeluh ZaöRV 2001, 771, 801; Hoffmeister EuGRZ 2000, 358, 366.
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Lesung Fall 4: Weitgehend unproblematisch zu bejahen sind die Einschlägigkeit des Schutzbereichs, das Vorhandensein eines Eingriffs sowie die Einschlägigkeit des Ehrschutzes als eines zulässigen Eingriffszwecks. Zu prüfen ist darüber hinaus, ob der Eingriff einem zwingenden sozialen Bedürfnis entsprach, ob er in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten legitimen Zweck stand und ob die Begründung der innerstaatlichen Behörden nach Art 10 II EMRK ausreichend war. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Zeitung nicht nur diesen einen Artikel über die Robbenjagd veröffentlicht hatte, sondern über einen längeren Zeitraum alle unterschiedlichen Standpunkte zu Wort kommen ließ. Die umstrittenen Artikel sollten demnach nicht einzelne Personen diffamieren, sondern eine ausgewogene Berichterstattung gewährleisten. Das Recht der Journalisten, Informationen zu Fragen von allgemeinem Interesse zu verbreiten, wird von Art 10 EMRK jedoch nur insoweit geschützt, als sie sich im guten Glauben und auf Grundlage exakter Tatsachen äußern, die journalistische Berufsethik gewahrt ist, sowie zuverlässige und sachliche Informationen liefern. Zu prüfen ist, ob im vorliegenden Fall besondere Gründe vorlagen, die die Zeitung von der Verpflichtung, Tatsachenbehauptungen auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen, entbunden hätten. Diese Frage hängt etwa auch von der Art und Intensität der gemachten Äußerungen ab. Obwohl manche Anschuldigungen schwerwiegend waren, wurde deren potentielle nachteilige Wirkung auf Ruf und Rechte jedes einzelnen Robbenjägers dadurch abgeschwächt, dass die Kritik nicht gegen die gesamte Besatzung oder einzelne namentlich genannte Besatzungsmitglieder gerichtet war. Zudem konnte die B-Zeitung zum damaligen Zeitpunkt dem Bericht des Inspektors vernünftigerweise vertrauen, handelte es sich doch um einen offiziellen Bericht, hinsichtlich dessen im Übrigen auch nicht absehbar war, dass die Veröffentlichung eventuell rechtswidrig wäre. Würde man der Presse hier noch die Pflicht zu eigenen Recherchen auferlegen, könnte sie ihre „Kontroll"-Funktion in öffentlichen Angelegenheiten nicht mehr ohne weiteres erfüllen. Wägt man den vergleichsweise geringen Schaden für die einzelnen Besatzungsmitglieder und den Kenntnisstand der B-Zeitung ab, so kann man nicht daran zweifeln, dass diese in gutem Glauben handelte. Der Eingriff stellt sich damit als unverhältnismäßig dar.
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0 Der staatliche Beurteilungsspielraum bei Eingriffen zum Schutz der Moral und zum Schutz religiöser Uberzeugungen Der E G M R hat stets betont, dass es keine europäische Konzeption von Moral gibt und dass die staatlichen Behörden grundsätzlich besser in der Lage seien, die Angemessenheit von Eingriffen in die Rechte des Art 10 I E M R K zu diesem Zweck zu beurteilen. So hielt er die englischen Gerichte für berechtigt, schädliche Wirkungen für die Moral von Kindern und Heranwachsenden bei der Beurteilung eines umstrittenen Buches zu bejahen. 1 - 9 In ähnlicher Weise hat der E G M R religiösen Vorstellungen Raum gelassen. Ausdrücklich stellte er fest, dass es nicht möglich sei, in Europa Einvernehmen über den Stellenwert bestimmter religiöser Überzeugungen in der Gesellschaft zu erzielen. 1 - 0 Obwohl für Beschränkungen der Meinungsfreiheit im Rahmen politischer und sonstiger öffentlicher Auseinandersetzungen grundsätzlich wenig Raum bleibt, ist es zum Schutz religiöser Überzeugungen vor allem auch wegen der Unmöglichkeit, europaweit einheitliche Wertvorstellungen auszumachen, in erster Linie Sache staatlicher Behörden, die Verhältnismäßigkeit
129 EGMR, EuGRZ 1977, 38, Rn 52 - Handyside. 130 EGMR, HRLJ 1994, 371, Rn 50 - Otto-Preminger-Institut. Vgl auch Grabenwarter ZaöRV 1995,128 ff.
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von Eingriffen zu beurteilen. Der EGMR begründet dies auch damit, dass die staatlichen Behörden direkten und ständigen Kontakt mit den gesellschaftlichen Kräften ihrer Länder haben.131 Illustrativ für die Zurückhaltung der Straßburger Organe ist der Fall eines Belgiers, der für die Verteilung einer in den Niederlanden frei erhältlichen Zeitschrift verurteilt wurde. Die Kommission hielt selbst diesen Eingriff für verhältnismäßig.132 Nicht überzeugend ist die Entscheidung des EGMR im Fall eines Künstlers, der Bilder pornographischen Inhalts gemalt und ausgestellt hatte. Der Künstler sollte nicht nur bestraft werden, sondern es sollten auch seine Bilder vernichtet werden. Während die Kommission nur die Verurteilung für verhältnismäßig hielt, erachtete der EGMR sowohl diese als auch die angedrohte Vernichtung als verhältnismäßig.133 Obwohl die Bilder tatsächlich noch nicht vernichtet und dem Beschwerdeführer dann in der Tat wenige Monate vor dem Urteil des Gerichtshofs zurückgegeben worden waren, hat es der EGMR in diesem Fall versäumt, eine umfassende Angemessenheitsprüfung in Anbetracht des von den Maßnahmen verfolgten Zieles vorzunehmen. Begründen lässt sich diese Entscheidung nur damit, dass der EGMR überfordert wäre, wenn er einheitliche Moralvorstellungen für alle Vertragsstaaten herbeiführen müsste. Immer dann, wenn es um Eingriffe geht, die dem Schutz der Moral oder der Religion dienen, greift der vom EGMR stets betonte staatliche Beurteilungsspielraum, der die Kontrolldichte bei der Verhältnismäßigkeitsprüfung erheblich lockert. g) Der Prüfungsmaßstab bei Eingriffen in die Rundfunk- und Fernsehfreiheit
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Für die Rundfunk- und Fernsehfreiheit kommt es im Wesentlichen darauf an, welche Vorgaben Art 10 I 3 EMRK für die Regelung der Rundfunkorganisation macht. Ohne Zweifel verbleibt den Mitgliedstaaten eine gewisse Freiheit, die technischen Aspekte von Radio- und Fernsehen zu regeln. In diesem Zusammenhang bietet Satz 3 die Grundlage für die Durchsetzung völkerrechtlicher Bestimmungen des Telekommunikationsrechts.134 Dabei ist allerdings der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten. So hielt der EGMR die Verweigerung einer behördlichen Genehmigung durch schweizerische Behörden zum Empfang eines Rundfunkprogramms für unverhältnismäßig, weil - abgesehen von einer fehlenden Einwilligung in den Empfang eines sowjetischen Rundfunkprogramms seitens der damaligen UdSSR - keine Gründe ersichtlich waren, den Empfang eines unverschlüsselten, für die Allgemeinheit in der UdSSR bestimmten Programms zu verbieten.135 In ähnlicher Weise dürfte die Beschränkung der Errichtung individueller Empfangsanlagen auf der Grundlage denkmalschutzrechtlicher und baurechtlicher Vorschriften jedenfalls dann einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung unterliegen, wenn eine Kollektivantenne kein gleichwertiges Empfangsangebot ermöglicht.136 Ein unverhältnismäßiger Eingriff liegt vor, wenn die Informationsfreiheit in ihrem Kern getroffen wird.137 131 EGMR, RJD 1996-V, 1937, Rn 58 - Wingrove; vgl dazu auch Kolonovits in: Grabenwarter/ Thienel (Hrsg) Kontinuität und Wandel der EMRK, 1998, S 169 ff. 132 EKMR, DR 9, 13 ff Χ, Y und Z. 133 EGMR, EuGRZ 1988, 543, Rn 35-36 und 43 - Müller. 134 EGMR, EuGRZ 1990, 255, Rn 60 f - Groppera Radio AG. 135 EGMR, EuGRZ 1990, 261, Rn 63 - Autronic. 136 EGMR, EuGRZ 1990, 261, Rn 47 - Autronic. Vgl außerdem die nachfolgenden Kommissionsentscheidungen Radio X/Schweiz, DR 37, 236; A/Schweiz, DR 41, 141; Autronic/Schweiz (Kommissionsbericht), Rn 49; Ebner/Schweiz, Beschwerde Nr 13253/87 (Zulässigkeitsentscheidung der Kommission), Rn 3. 137 Vgl dazu Laeuchli-Bosshard (Fn 90) S 31 ff; Villiger (Fn 10) S 413.
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Soweit die Bestimmung nicht nur technische Aspekte regelt, hat der Gerichtshof das Lizenzierungsverfahren den Bedingungen von Art 10 II E M R K unterstellt. Mit dieser dogmatisch nicht ohne weiteres nachvollziehbaren, teleologisch aber überzeugenden, weil dem technischen Fortschritt und den gesellschaftlichen Veränderungen Rechnung tragenden - Interpretation von Art 1 0 1 3 E M R K gehört die Freiheit des Privatrundfunks und Privatfernsehens' 38 nicht nur zum Schutzbereich des Grundrechts, sondern ein staatliches Radio- und Fernsehmonopol erscheint auch als unverhältnismäßig. 139 Jedenfalls dann, wenn ein an die E M R K gebundener Staat das (überkommene) Radio- oder Fernsehmonopol gelockert und Genehmigungen für private Sender eingeführt hat, ist die Erteilung und die Verteilung der Genehmigungen an Art 10 II E M R K zu messen. Dies hindert die Staaten nicht daran, andere als technische Aspekte bei der Erteilung einer Genehmigung zu berücksichtigen, wie beispielsweise Natur und Ziele einer Station, den kulturellen Pluralismus, Besonderheiten der staatlichen Organisation (wie zB bundesstaatliche Eigenheiten) oder auch nicht-technische Verpflichtungen aus völkerrechtlichen Verträgen.140 Soweit damit Einschränkungsziele verfolgt werden, die nicht nach Art 10 II E M R K gerechtfertigt sind, hält der Gerichtshof dies grundsätzlich für unschädlich und für durch Art 1 0 1 3 E M R K gedeckt,141 verlangt jedoch die Beachtung der anderen Voraussetzungen von Art 10 II E M R K , insbesondere das Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage sowie die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs.142
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Weitere Vorgaben für die Regelung der Rundfunkorganisation ergeben sich nicht ausdrücklich aus dem Wortlaut der Vorschrift, lassen sich aber in der Spruchpraxis der Konventionsorgane ausmachen. Insbesondere hat der E G M R das Gebot des Medienpluralismus anerkannt und dieses im Zusammenhang mit Art 10 II E M R K und dem „Schutz der Rechte anderer" berücksichtigt. 143 Allerdings haben die Konventionsorgane - anders als die nicht immer überzeugenden „Fernsehurteile" des Bundesverfassungsgerichts 144 - eine begrüßenswerte Zurückhaltung insoweit geübt, als sie der Versuchung widerstanden haben, auf der Grundlage der Rundfunk- und Fernsehfreiheit eine umfassende Rechtsordnung für die Massenmedien zu entwickeln. Insbesondere ist nicht erkennbar, dass der E G M R der Rundfunk- und Fernsehfreiheit gar einen Gestaltungsauftrag für den Gesetzgeber entnehmen würde. Damit besteht für Straßburg auch keine Gefahr, dass grundrechtsdogmatisch eine Metamorphose der Medienfreiheit hin zur Pflicht stattfindet. 145
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138 Vgl allgemein Engel Privater Rundfunk vor der Europäischen Menschenrechtskonvention, 1993. 139 E G M R , E u G R Z 1994, 549, Rn 39 und 41-43 - Informationsverein Lentia; vgl auch die friedliche Streitbeilegung im Fall Telesystem Tirol Kabeltelevision, R J D 1997-III, 970, sowie die Entscheidung E G M R , R J D 1997-VI, 2188, Rn 31-33 - Radio ABC. Der E G M R (ÖJZ 2001, 156 fT - Tele 1 Privatfernsehgesellschaft MBH) hielt ein Monopol für terrestrisches Fernsehen bei gleichzeitig vorhandener Möglichkeit der Verbreitung von Fernsehprogrammen über Kabel allerdings nicht für unverhältnismäßig und damit nicht für konventionswidrig. 140 Frowein in: Frowein/Peukert Art 10 E M R K Rn 19. 141 E G M R , E u G R Z 1994, 549, Rn 32 - Informationsverein Lentia. 142 E G M R , E u G R Z 1990, 255, Rn 61 - Groppera Radio AG; E u G R Z 1994, 549, Rn 32f - Informationsverein Lentia. 143 E G M R , E u G R Z 1990, 255, Rn 69 und 70 - Groppera Radio AG; zustimmend Probst (Fn 33) S26. 144 Vgl dazu Stock JZ 1997, 583 ff. 145 Vgl die Kritik an der Rspr des BVerfG bei Engel AfP 1994, 185 ff.
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ΠΙ. Versammlungsfreiheit Leitentscheidungen: EGMR, EuGRZ 1989, 522ff - Plattform „Ärzte für das Leben"; HRLJ 1991, 185 - Ezelin; RJD 2001-IX, 273 - Stankov & Vereinigte Mazedonische Organisation Ilinden; RJD 2002-III, 1 - Cisse; EKMR, EuGRZ 1980, 36 ff - Rassemblement jurassien und Unite jurassienne. Schrifttum: FitzpatrickITaylor EHRLR 1998, 292 ff; Grabenwarter Europäische Menschenrechtskonvention, 2003, S 296ff; Peters Einführung in die Europäische Menschenrechtskonvention, 2003, § 15.
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Ebenso wie das Recht der Meinungsfreiheit gehört das Recht der Versammlungsfreiheit, das in Art 11 I EMRK gewährleistet wird, zu den für ein demokratisch verfasstes Gemeinwesen grundlegenden Freiheiten. Die Versammlung ist nicht nur eine besondere Form der Meinungsäußerung. Sie löst Isolierung auf, vermittelt ein Gefühl von Zusammengehörigkeit und ermöglicht die Bildung und Äußerung individueller wie auch kollektiver Meinungen. Damit trägt die Versammlungsfreiheit zur Gewährleistung der Meinungsäußerungsfreiheit bei und sichert als bedeutender Faktor im Vorfeld institutionalisierter politischer Entscheidung die Demokratie.146 Geschützt sind sowohl die Organisatoren von Versammlungen als auch deren Teilnehmer. Fall 5: (EGMR, RJD 2001-IX, 273 ff - Stankov & Vereinigte Mazedonische Organisation Ilinden) S war Vorsitzender einer Organisation, die mit dem Ziel gegründet worden war, eine spezifische ethnische Minderheit auf einer religiösen und kulturellen Basis zu einigen und deren Anerkennung als Minderheit in Β zu erreichen. Nachdem der Organisation die Eintragung als Vereinigung von den Gerichten mit der Begründung verweigert worden war, dass ihre Ziele in Wahrheit gegen die Einheit der Nation und auf die Förderung von ethnischem Hass gerichtet wären und sie eine Gefahr für die territoriale Integrität des Staates darstellen würde, wurde dem S und seiner Organisation über einen Zeitraum von mehreren Jahren hinweg wiederholt die Abhaltung von Versammlungen oder Gedenkfeiern an historischen Plätzen behördlich untersagt. Die dagegen angerufenen Gerichte wiesen die Rechtsmittel jeweils mit der Begründung ab, dass aufgrund der Tatsache, dass es sich bei der Organisation um eine verbotene Vereinigung handle, begründete Bedenken bestanden hätten, dass die Versammlungen oder Gedenkfeiern die öffentliche Ordnung und die Rechte und Freiheiten anderer gefährden würden. S und die Organisation sehen sich in ihrem Recht auf Versammlungsfreiheit nach Art 11 EMRK verletzt. 1.
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Schutzbereich
Der Begriff der Versammlung wird in Art I I I EMRK nicht definiert. In Übereinstimmung mit Rechtsprechung und Literatur ist darunter das Zusammenkommen von Menschen mit dem Zweck, untereinander oder gegenüber Dritten Meinungen mitzuteilen, zu diskutieren oder ihnen symbolischen Ausdruck zu geben, zu verstehen.147 Fehlt einer Gruppe von Menschen das Bewusstsein, der gemeinsame Zweck oder ein Mindestmaß an Organisation, so kann man kaum von einer Versammlung sprechen. Ein Menschenauflauf ist keine Versammlung. Trotz des Beitrags, den die Versammlungsfreiheit zur Demokratie leistet, sollte der Schutzbereich nicht auf politische Zusammenkünfte beschränkt werden.
146 EGMR, EuGRZ 1981, 559, Rn 57 - Young, James und Webster; HRLJ 1991, 185, Rn 37 - Ezelin. 147 EGMR, EuGRZ 1989, 522, Rn 12 - Plattform „Ärzte für das Leben".
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Es ist nicht ersichtlich, warum Versammlungen zu gesellschaftlichen Zwecken nur den Schutz von Art 8 EMRK genießen sollen,148 obwohl sie im Einzelfall durchaus meinungsbildende Funktion aufweisen können.149 Art 11 I EMRK schützt unterschiedliche Erscheinungsformen von Versammlungen, deren Vorbereitung und deren Durchführung: Zusammenkünfte mit öffentlichem oder privatem Charakter, Versammlungen unter freiem Himmel oder in geschlossenen Räumen, ortsgebundene Veranstaltungen und Umzüge sowie Veranstaltungen von kurzer oder unbegrenzter Dauer. Die Versammlungsfreiheit ist nicht nur in privaten Räumen oder auf privaten Grundstücken geschützt. Vielmehr sind im Besonderen auch öffentliche Plätze für die Realisierung der Versammlungsfreiheit von Bedeutung, kann doch gerade dort die kollektive Meinungsäußerung ihre Wirkung entfalten.150 Art 11 I EMRK gewährleistet daher nicht nur die (engere) Versammlungsfreiheit, sondern auch die (weitere) Demonstrationsfreiheit, in deren Schutzbereich beispielsweise auch „sit-ins" fallen.151 So ist auch die von der Kirchenleitung geduldete Besetzung einer Kirche durch eine Gruppe von Ausländern ohne Aufenthaltsgenehmigung als Versammlung angesehen worden.152 Im Gegensatz zu Art 8 GG, der die Versammlungsfreiheit „ohne Anmeldung oder Erlaubnis" garantiert, stellen bloße Anmelde- und formelle Genehmigungserfordernisse in Bezug auf die Nutzung der öffentlichen Straße allerdings keine Einschränkungen des Rechts der Versammlungsfreiheit dar.153 Schon von ihrer Funktion als unentbehrlicher Bestandteil einer demokratischen und rechtsstaatlichen Ordnung her ist nur die gewaltfreie Kommunikation in einer demokratischen Gesellschaft geschützt. Der Wortlaut von Art 11 I EMRK bezieht ausdrücklich nur friedliche Versammlungen in den Schutzbereich ein. Da insbesondere bei Demonstrationen auch die gezielte Provokation ein wesentliches Ausdrucksmittel ist, dürfen nur krasse Fälle der Gewalttätigkeit dazu führen, Versammlungen a priori vom Schutzbereich des Art 11 I EMRK auszunehmen. Unfriedlich sind in erster Linie solche Versammlungen, die von Anfang an von den Veranstaltern zur gewaltsamen Durchsetzung von Zielen geplant sind. Nicht ausreichend sind unfriedliche Ereignisse am Rande einer Demonstration oder der Versuch von Extremisten, Versammlungen zu unterlaufen.154 In diesem Zusammenhang ist von Bedeutung, dass Art 11 I EMRK den Staaten auch die positive Verpflichtung auferlegt, für den Schutz von Demonstrationen zu sorgen. Sonst könnte aus Furcht vor gewaltsamen Gegendemonstrationen die Ausübung des Rechtes aus Art 11 I EMRK praktisch verhindert werden.155 Dabei obliegt dem Staat allerdings die Wahl der Mittel. Diese positive Schutzpflicht hat auch Auswirkungen auf die Zulässigkeit von Gegendemonstrationen. Es ist durchaus vertretbar, diese jedenfalls dann nicht mehr dem Schutzbereich von Art 11 I EMRK zuzuordnen, wenn sie ausschließlich darauf abzielen, eine andere Demonstration zu stören. Vorzugswürdig dürfte allerdings eine Bewertung von Gegendemonstrationen anhand von Art 11 II EMRK sein. 148 149 150 151 152 153 154
So aber Frowein in: Frowein/Peukert Art 11 EMRK Rn 2 und Grabenwarter EMRK § 23 Rn 47. Müller (Fn 4) S 327 f. EKMR, EuGRZ 1980, 36, Rn 3 - Rassemblement jurassien und Unite jurassienne. EKMR, DR 60,256, Rn 2 - X . EGMR, RJD 2002-III, 1, Rn 35-39 - Cisse. EKMR, EuGRZ 1980, 36, Rn 3 - Rassemblement jurassien und Unite jurassienne. EGMR, HRLJ 1991, 185, Rn 39 - Ezelin; EKMR, EuGRZ 1981, 216, Rn 4 - Christians against Racism and Facism. 155 EGMR, EuGRZ 1989, 522, Rn 32 - Plattform „Ärzte für das Leben".
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Eingriff
Während ein Genehmigungserfordernis für die Durchführung von Veranstaltungen auf öffentlichen Plätzen nicht als Eingriff zu werten ist, stellt ein Versammlungsverbot ohne Zweifel einen Eingriff in die Versammlungsfreiheit dar. Auch andere Einschränkungen der Versammlungsfreiheit, die sich auf die Vorbereitung, Organisation und Durchführung von Versammlungen beziehen, lassen sich ohne Probleme als Eingriff qualifizieren. Ebenso stellen spätere disziplinarische oder strafrechtliche Sanktionen wegen der Teilnahme an einer Demonstration einen Eingriff in die Versammlungsfreiheit dar.156 3.
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Rechtfertigung
Art 11 II 1 EMRK folgt dem Muster der Eingriffsrechtfertigungen der Art 8 bis 10 EMRK. Eingriffe in die Versammlungsfreiheit sind danach gerechtfertigt, wenn sie auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen, einen der in Art 11 II 1 EMRK abschließend genannten Zwecke verfolgen und „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" sind. Diese Bedingungen müssen kumulativ vorliegen. a) Zulässige Eingriffszwecke
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Unter den in Art 11 II 1 EMRK genannten Zwecken, die der Rechtfertigung von Eingriffen in die Versammlungs-, die Vereinigungs- und die Koalitionsfreiheit dienen, kommen Maßnahmen im Interesse der öffentlichen Sicherheit und zur Aufrechterhaltung der Ordnung für die Versammlungsfreiheit besondere Bedeutung zu. Die übrigen Eingriffszwecke (nationale Sicherheit,157 Verbrechensverhütung, Schutz der Gesundheit und der Moral, Schutz der Rechte und Freiheiten anderer) haben in der Praxis bislang allenfalls eine untergeordnete Rolle gespielt. b) Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
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Der Prüfung der Verhältnismäßigkeit staatlicher Maßnahmen kommt im Rahmen von Art 11 II 1 EMRK entscheidende Bedeutung zu. Dabei ist zwischen direkten und indirekten Eingriffen sowie zwischen Versammlungsverboten und milderen Eingriffen zu unterscheiden. Indirekte Eingriffe unterliegen insofern einer strengen Prüfung, als disziplinarische und strafrechtliche Sanktionen nur unter engen Voraussetzungen und nur in Bezug auf die Personen angewendet werden dürfen, die selbst vorwerfbare Akte begehen. Für andere Personen darf das Recht zur friedlichen Versammlung in Anbetracht seiner Bedeutung nicht auf diesem Wege eingeschränkt werden.158 Direkte Eingriffe sind in der Gestalt von Versammlungsverboten nur ausnahmsweise zulässig. Ein allgemeines Veranstaltungsverbot über einen Zeitraum von zwei Tagen im Zusammenhang mit den teilweise gewaltsamen Auseinandersetzungen um die Bildung des 156 EGMR, HRLJ 1991, 185, Rn 39 - Ezelin. In einem anderen Fall wurden die Teilnehmer eines Kirchenasyls in Folge der Räumung teilweise festgenommen, abgeschoben oder ausgewiesen. Auch darin sah der EGMR einen Eingriff in das Recht aus Art 11 EMRK; EGMR, RJD 2002III, 1, Rn 40 - Cisse. 157 Vgl auch EKMR, DR 36, 187fF - Vereinigung X und Y; EGMR, RJD 2001-IX, 273 - Stankov & Vereinigte Mazedonische Organisation Ilinden. 158 EGMR, HRLJ 1991, 185, Rn 53 - Ezelin; vgl auch EKMR, DR 29, 194, Rn 2 - X.
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Kantons Jura wurde von der früheren Kommission als verhältnismäßig angesehen.159 Auch ein sehr viel weiter gehendes, für zwei Monate geltendes Demonstrationsverbot in der Londoner Innenstadt wurde als verhältnismäßig angesehen. Allerdings betonte die frühere Kommission in diesem Fall den Ausnahmecharakter eines solchen generellen Verbots.160 Unterhalb der Schwelle von Versammlungsverboten ist die Verhältnismäßigkeit direkter Eingriffe anhand einer Abwägung zwischen privaten und öffentlichen Interessen zu beurteilen, bei der die mit der Durchführung der Veranstaltung verbundenen Beeinträchtigungen der in Art 11 II 1 EMRK genannten Schutzgüter, das Ausmaß des Eingriffs und die Möglichkeit weniger weitgehender Maßnahmen in ein angemessenes Verhältnis zueinander zu bringen sind. In Anbetracht erheblicher Beeinträchtigungen der öffentlichen Ordnung ist es etwa zulässig, die Wahl des Ortes einer Versammlung oder der Route einer Demonstration zu beschränken.161
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c) Besondere Einschränkungen für staatliche Bedienstete Die besonderen Einschränkungen für staatliche Bedienstete, die in Art 11 II 2 EMRK vorgesehen sind, haben bislang nur geringe praktische Bedeutung erlangt - und dies auch eher im Kontext der Vereinigungsfreiheit, wo sie näher behandelt werden, als bei der Prüfung von Eingriffen in die Versammlungsfreiheit. In einem Verfahren, bei dem es um die Verhältnismäßigkeit disziplinarischer Maßnahmen gegenüber niederländischen Soldaten ging, konnte der EGMR sich darauf zurückziehen, dass die Betroffenen nicht wegen ihrer Teilnahme an einer Versammlung bestraft worden waren.162 Lösung Fall 5: Da nicht ersichtlich ist, dass die Organisatoren der Versammlungen oder Gedenkfeiern gewalttätige Absichten gehabt hätten, ist der Schutzbereich der Versammlungsfreiheit eröffnet. In Gestalt der Versammlungsverbote liegt ein Eingriff in das Recht auf Versammlungsfreiheit vor. Eine gesetzliche Grundlage unterstellt, verfolgte der Eingriff das legitime Ziel des Schutzes der nationalen Sicherheit und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung. Fraglich ist, ob der Eingriff in einer demokratischen Gesellschaft notwendig war. Ausgehend von dem engen Zusammenhang zwischen Art 10 EMRK und Art 11 EMRK ist es in diesem Fall besonders problematisch, dass die Eingriffe in die Versammlungsfreiheit zumindest teilweise in Reaktion auf die von den Teilnehmern vertretenen Ansichten erfolgten. Es besteht kein Zweifel, dass die Einwohner einer Region eines Landes berechtigt sind, Vereinigungen zur Förderung der speziellen regionalen Charakteristika zu bilden. Insbesondere ist die Tatsache, dass eine solche Vereinigung ein „Minderheitenbewusstsein" geltend macht, für sich allein noch kein Grund für einen Eingriff in die Rechte des Art 11 EMRK. Auch die Verweigerung der Eintragung genügt nicht, um eine Praxis von systematischen Verboten bezüglich der Abhaltung von Versammlungen zu rechtfertigen. Weder der behauptete Einsatz von Waffen noch eine Gefahr für die öffentliche Ordnung ließen sich hinreichend belegen. Allenfalls die Verbreitung separatistischer Ideen ließ sich im konkreten Fall nachweisen. Dies reicht aber nicht aus, um ein Versammlungsverbot zu
159 E K M R , E u G R Z 1980, 36, Rn 11 - Rassemblement jurassien und Unite jurassienne. 160 E K M R , E u G R Z 1981, 216, Rn 5 - Christians against Racism and Facism. 161 Zum Verbot einer Demonstration auf dem Trafalgar Square in London vgl E K M R , D R 81-A, 146fT - „Negotiate Now". 162 E G M R , E u G R Z 1976, 221, Rn 108 - Engel.
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rechtfertigen. In einer demokratischen Gesellschaft, die auf dem Rechtsstaatsprinzip beruht, muss politischen Ideen, welche die bestehende Ordnung angreifen und deren Verwirklichung durch friedliche Mittel angestrebt wird, angemessene Gelegenheit zur Verbreitung, wie etwa durch Versammlungen oder andere gesetzliche Mittel, gegeben werden. Insgesamt stellt sich der Eingriff daher als in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendig dar. Art 11 EMRK ist verletzt. IV. Vereinigungsfreiheit Leitentscheidungen: EGMR, EuGRZ 1981, 551 ff - Le Compte, Van Leuven and De Meyere; RJD 1998-1, 1 ff - Vereinigte Kommunistische Partei der Türkei; NJW 1999, 3695 fT - Chassagnou; EuGRZ 2003, 206 fT - Refah Partisi, Erbakan, Kazan und Tekdal. Schrifttum: Grabenwarter Europäische Menschenrechtskonvention, 2003, S 305 ff; Klein ZRP 2001, 397ff; Koch DVB1 2002, I388ff; Tomuschat in: Macdonald ua (Hrsg) The European System for the Protection of Human Rights, 1993, S 493f; Wildhaber FS Schefold, 2001, S 257ff.
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Fall 6: (EGMR, EuGRZ 2003,206ff - Refah Partisi, Erbakan, Kazan und Tekdal) Die W. wurde 1983 als politische Partei in der Türkei gegründet. Nachdem sie in den Parlamentswahlen 1995 mit ca. 22% der Stimmen zur stärksten Partei im türkischen Parlament wurde, war sie an einer Koalitionsregierung beteiligt. Anfang 1998 wurde die W. vom türkischen Verfassungsgerichtshof aufgelöst, da die Partei ein „Zentrum von Aktivitäten gegen das Prinzip des Säkularismus" sei. In seiner Urteilsbegründung betonte der Verfassungsgerichtshof das Prinzip des Säkularismus als unverzichtbare Voraussetzung der Demokratie. Vertreter der Partei hätten in öffentlichen Reden wiederholt die Trennung von Staat und Religion in Frage gestellt. Zudem hätten Parlamentsabgeordnete der Partei zu einem „heiligen Krieg" gegen ihre politischen Gegner und zur Einführung der Scharia aufgerufen. Zusätzlich entzog der Verfassungsgerichtshof den Parlamentsabgeordneten der W. das Mandat und verbot ihnen, für die Dauer von fünf Jahren irgendeine Funktion in einer anderen Partei zu übernehmen. 1.
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Die Vereinigungsfreiheit schützt den freien Zusammenschluss von Personen zu rechtmäßigen Zwecken. Der Staat muss also in seiner Rechtsordnung Möglichkeiten zum Zusammenschluss vorsehen, ohne dass daraus ein Anspruch auf bestimmte Rechtsformen resultieren würde. Grundsätzlich steht es den Staaten frei, die Voraussetzungen für die Gründung juristischer Personen zu regeln. Insbesondere schützt Art 11 I EMRK nicht die Gründung öffentlich-rechtlicher Institutionen. Selbst wenn es sich dabei um Zwangskörperschaften handeln sollte, liegt ein Eingriff in den Schutzbereich nach Auffassung des EGMR nur vor, wenn gleichzeitig die Bildung freier einschlägiger Vereinigungen ausgeschlossen ist.'63 Ob und inwieweit die Vereinigungsfreiheit Auswirkungen auf das Gesellschaftsrecht etwa im Sinne einer Einführung neuer Organisationsformen - hat, ist im Einzelnen umstritten.164 Dagegen hat die Vereinigungsfreiheit in den letzten Jahren als Parteienfreiheit
163 EGMR, EuGRZ 1981, 551, Rn 65 - Le Compte, Van Leuven and De Meyere. 164 Vgl dazu Marauhn RabelsZ 1999, 537, 550 ff.
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zunehmend Bedeutung für das Parteienrecht erlangt. Parteien sind vom Schutzbereich des Art 11 I EMRK auch dann erfasst, wenn sie nach nationalem Recht einem Sonderregime unterstehen. Restriktive staatliche Maßnahmen gegen aus Sicht des betroffenen Staates als verfassungsrechtlich eingestufte Parteien entziehen diesen nicht den Schutz der Vereinigungsfreiheit.165 In den Schutzbereich der Vereinigungsfreiheit fällt neben dem Zusammenschluss auch die Tätigkeit der Vereinigung, soweit sich dies aus der Konkretisierung in Gestalt der Koalitionsfreiheit ergibt.166 Nicht gewährleistet ist damit allerdings auch schon die Erreichung des Zwecks, für den die Vereinigung gegründet wurde.167 Obwohl Art I I I EMRK (anders als Art 20 II der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte) keine allgemeine Aussage über die so genannte negative Vereinigungsfreiheit, also die Freiheit, aus einer Vereinigung auszutreten oder ihr fernzubleiben, enthält, geht der EGMR davon aus, dass diese Freiheit Bestandteil von Art 11 I EMRK ist.168 Diese Freiheit ist vor allem für die so genannte negative Koalitionsfreiheit, auf die noch zurückzukommen ist, von Bedeutung.
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2. Eingriff Eingriffe können sowohl eine breite Vielfalt von Adressaten betreffen als auch sehr unterschiedliche Formen annehmen. Das Verbot von Vereinigungen und die Unterbindung bestimmter Aktivitäten dieser Vereinigungen lassen sich unproblematisch als Eingriffe qualifizieren. Ebenfalls als Eingriff zu werten ist darüber hinaus nationales Recht, das an die Mitgliedschaft oder Nicht-Mitgliedschaft in Vereinigungen Sanktionen knüpft. Dies gilt sowohl für gewerkschaftliche Beschäftigungsmonopole („closed shop")169, auf die im Zusammenhang mit der Koalitionsfreiheit näher einzugehen ist, als auch für die NichtBeschäftigung im oder Entlassung aus dem Staatsdienst wegen Mitgliedschaft in einer (nicht verbotenen) politischen Partei.170
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3. Rechtfertigung Wie im Fall der Versammlungsfreiheit sind Eingriffe in die Vereinigungsfreiheit dann gerechtfertigt, wenn sie auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen,171 einen der in Art 11 II 1 EMRK abschließend genannten Zwecke verfolgen und „in einer demokratischen Gesell165 Grabenwarter EMRK § 23 Rn 61 unter Bezugnahme auf EGMR, RJD 1998-1, 1, Rn 27 - Vereinigte Kommunistische Partei der Türkei. Vgl auch EGMR, RJD 1998-III, 1233, Rn 29 Sozialistische Partei ua. 166 EGMR, EuGRZ 1975, 562, Rn 38-39 - Nationale Belgische Polizeigewerkschaft. 167 EKMR, DR 9, 5, Rn 52 - Vereinigung X. 168 EGMR, Serie A, Vol 264, Rn 35 - Sigurdur Siguijönsson; vgl zuletzt auch NJW 1999, 3695, Rn 103 - Chassagnou. 169 EGMR, EuGRZ 1981, 559, Rn 49 und 51-53 - Young, James und Webster. 170 EGMR, EuGRZ 1995, 590, Rn 44 - Vogt. Ein Eingriff liegt auch in dem Verbot für Parteivorsitzende, in Zukunft kein ähnliches Amt in einer anderen Partei zu bekleiden; EGMR, RJD 1999VIII, 293, Rn 27 - Partei der Freiheit und Demokratie (ÖZDEP). 171 EGMR, RJD 2001-IX, Rn 26, 31 f - N. F. In diesem Fall hielt der EGMR ein Gesetz, auf dessen Grundlage der Beitritt eines Richters zu einer Freimaurerloge sanktioniert wurde, für so vage und damit für den Betroffenen nicht vorhersehbar, dass letztlich vom Fehlen einer gesetzlichen Grundlage auszugehen war. Vgl auch die ähnlich gelagerte Entscheidung des EGMR, Urt ν 17.02.2004, Rn 42 - Maestri.
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schaft notwendig" sind. Nicht unproblematisch ist die Bezugnahme auf „die nationale oder öffentliche Sicherheit" im Zusammenhang mit der Verteidigung nationaler kultureller Traditionen und nationaler historischer und kultureller Symbole. Dies dürfte grundsätzlich unzulässig sein, auch wenn der EGMR in einer Griechenland betreffenden Entscheidung das Vereinsverbot erst am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz scheitern ließ.172 Im Übrigen kann hinsichtlich der zulässigen Eingriffszwecke auf die Ausführungen zur Versammlungsfreiheit verwiesen werden. Besondere Bedeutung hat die Prüfung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in den letzten Jahren im Zusammenhang mit der Bildung und dem Fortbestand politischer Parteien erlangt. Weder kann eine Partei allein aufgrund ihres Namens 173 noch allein aufgrund ihres regierungskritischen Engagements für die Rechte von Minderheiten verboten werden.174 Etwas anderes kann freilich dann gelten, wenn eine Partei verfassungsfeindliche, insbesondere anti-demokratische und menschenrechtswidrige Ziele verfolgt und dabei gewaltsame Mittel zur Erreichung dieser Ziele nicht ausschließt. Dann kommt dem Staat ein erheblicher Beurteilungsspielraum zu, innerhalb dessen der E G M R die Rechtfertigung von Eingriffen nicht im Einzelnen überprüft. 175 Im Fall Vogt stellte der E G M R eine Verletzung der Vereinigungsfreiheit fest, weil die Beschwerdeführerin wegen ihrer Mitgliedschaft in der Deutschen Kommunistischen Partei aus dem Staatsdienst entlassen worden war, das Bundesverfassungsgericht diese Partei jedoch nicht verboten hatte.176 Zwar hat der EGMR ausdrücklich offen gelassen, ob Art 1 1 1 2 E M R K auch auf deutsche Lehrer im Beamtenverhältnis Anwendung findet. Ein aus der Treuepflicht staatlicher Bediensteter (soweit der personelle Anwendungsbereich dieser Vorschrift reicht) resultierendes Verbot, einer bestimmten Vereinigung beizutreten, dürfte aber in Ausnahmefällen jedenfalls dann von der besonderen Einschränkung gedeckt sein, wenn das Verbot auf gesetzlicher Grundlage beruht und ohne Willkür angewendet wird.177 Lösung Fall 6: Unstreitig ist der Schutzbereich der Vereinigungsfreiheit eröffnet. Auch ist unproblematisch, dass die Auflösung der W. und die damit einhergehenden Maßnahmen einen Eingriff darstellen. Ein solcher Eingriff ist dann gerechtfertigt, wenn er gesetzlich vorgesehen ist, eines der in Art 11 II EMRK genannten legitimen Ziele verfolgt und in einer demokratischen Gesellschaft zur Durchsetzung dieser Ziele notwendig (also verhältnismäßig) ist. Der türkische Verfassungsgerichtshof ist gesetzlich befugt, eine Partei aufzulösen, die gegen Verfassungsprinzipien verstößt. Zu den Verfassungsprinzipien gehören auch der Gleichheitssatz und der Grundsatz einer demokratischen und säkularen Republik. Der Eingriff ist daher gesetzlich vorgesehen. Auch verfolgt der Eingriff mehrere der in Art 11 II EMRK genannten legitimen Ziele, nämlich den Schutz der nationalen und öffentlichen Sicherheit, die Aufrechterhaltung der Ordnung und die Verhütung von Straftaten und den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Nach stRspr müssen ausreichende Beweise für eine Gefahrdung der Demokratie vorliegen. Die Handlungen der Funktionäre der Partei sind dieser zurechenbar, soweit sich aus ihnen
172 173 174 175 176 177
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EGMR, EGMR, EGMR, EGMR, EGMR, EKMR,
RJD 1998-IV, Rn 47 - Sidiropoulos. RJD 1998-1, 1, Rn 54 - Vereinigte Kommunistische Partei der Türkei. RJD 2002-11, 369, Rn 56-57 und 60 - Yazar, Karata?, Aksoy und Halkin Emegi Partisi. EuGRZ 2003, 206, Rn 80-83 - Refah Partisi, Erbakan, Kazan und Tekdal. EuGRZ 1995, 590, Rn 60 f und 66 ff - Vogt. DR 50, 228, 240 - Council of Civil Service Unions.
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ein Gesamtbild des von der Partei angestrebten Gesellschaftsmodells ergibt. Der türkische Verfassungsgerichtshof begründete die Verfassungswidrigkeit der W. in diesem Zusammenhang vor allem mit der angestrebten Einführung verschiedener Rechtssysteme für die Angehörigen unterschiedlicher Religionen sowie der damit verbundenen Anwendung der Scharia und dem möglichen Rückgriff auf Gewalt als politischem Mittel. In der Tat kann die Einführung verschiedener Rechtssysteme nicht als vereinbar mit der EMRK betrachtet werden. Ein solches System würde die Rolle des Staates als Garant individueller Rechte und Freiheiten weitgehend abschaffen. Überdies würde es dem Diskriminierungsverbot des Art 14 EMRK widersprechen. Auch ist die Scharia unvereinbar mit den grundlegenden Prinzipien der Demokratie, die in der Konvention festgeschrieben sind. Die Feststellung der Unvereinbarkeit der von der W. angestrebten Einführung der Scharia mit der Demokratie durch den Verfassungsgerichtshof war daher gerechtfertigt. In Anbetracht der Unvereinbarkeit ihrer Ziele mit der Demokratie und der Tatsache, dass sie auch die Anwendung von Gewalt zum Erreichen dieser Ziele nicht ausgeschlossen hat, entspricht die Auflösung der W. und der vorübergehende Entzug bestimmter politischer Rechte einzelner Funktionäre einem dringenden gesellschaftlichen Bedürfnis und ist verhältnismäßig zum verfolgten Ziel. Der Eingriff ist daher notwendig in einer demokratischen Gesellschaft.
V. Koalitionsfreiheit Leitentscheidungen: EGMR, EuGRZ 1975, 562ff - Nationale Belgische Polizeigewerkschaft; EuGRZ 1976, 62ff - Schwedischer Lokomotivführerverband; EuGRZ 1981, 559ff - Young, James u Webster; HRLJ 1996, 118 ff - Gustafsson; EKMR, DR 50, 228 ff -Council of Civil Service Unions. Schrifttum: Hendy EHRLR 1998, 582ff; Marauhn RabelsZ 1999, 537ff; Wildhaber FS Vischer, 1983, S 349ff;ders GYIL, 1976, 239 ff. Neben der Versammlungs- und der Vereinigungsfreiheit gewährleistet Art 11 I E M R K in Anlehnung an Art 20 und Art 23 N r 4 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte das Recht, Gewerkschaften zum Schutz ihrer Mitglieder zu bilden und diesen beizutreten. Die ausdrückliche Gewährleistung der Koalitionsfreiheit ist keine Privilegierung dieses wichtigen Bestandteils des allgemeinen Rechts der Vereinigungsfreiheit gegenüber anderen Teilgewährleistungen. 178 Vielmehr handelt es sich dabei um eine Klarstellung mit dem Ziel, die Gewerkschaftsfreiheit unabhängig davon zu gewährleisten, ob Koalitionen nach nationalem Recht als Vereinigungen anzusehen sind. 179 Fall 7: (EGMR, HRLJ 1996, 118 ff - Gustafsson) G war Inhaber eines Restaurants. Er verweigerte die Mitgliedschaft im Hotel- und Gaststättenverband, so dass die Arbeitsverträge seiner Angestellten nicht den Kollektivverträgen unterlagen. Die Unterzeichnung eines entsprechenden Zusatzabkommens lehnte G ebenfalls ab. Daraufhin boykottierten ihn die Gewerkschaften, ua durch die Einstellung von Lieferungen an sein Restaurant. G ersuchte daraufhin die Regierung darum, auf die Gewerkschaften zwecks Einstellung der Boykottmaßnahmen einzuwirken. Diese verwies ihn auf die Zuständigkeit ordentlicher Gerichte. Rechtsmittel gegen die Untätigkeit der Regierung blieben
178 Frowein in: Frowein/Peukert Art 11 EMRK Rn 9. 179 van Dijklvan Hoof Theory and Practice of the European Convention on Human Rights, 2. Aufl 1990, S 431; Tomuschat in: Macdonald ua (Hrsg) The European System for the Protection of Human Rights, 1993, S 493, 494.
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erfolglos. Aufgrund von durch den Boykott verursachten finanziellen Schwierigkeiten musste G schließlich sein Restaurant verkaufen. G sieht sich durch die Untätigkeit der Regierung in seinen Rechten aus Art 11 EMRK verletzt. 1.
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Die in Art 11 I EMRK gewährleistete Koalitionsfreiheit schützt sowohl den einzelnen Staatsbürger als auch die Vereinigung selbst und ist daher ein Doppelgrundrecht. Speziell für die Tätigkeit der Gewerkschaften ergibt sich darüber hinaus unmittelbar aus der Formulierung „zum Schutze ihrer Interessen" eine Gewährleistung für die Ausübung ihrer Tätigkeit. Verpflichtungsadressat ist der Staat. Art I I I EMRK entfaltet keine unmittelbare Drittwirkung. Allerdings kann man von einer mittelbaren Drittwirkung in dem Sinne sprechen, dass eine staatliche Schutzverpflichtung gegenüber Beeinträchtigungen durch Dritte besteht.180 Ist der Staat selbst Arbeitgeber, so greift Art 11 EMRK unmittelbar.181 a) Individuelle Koalitionsfreiheit
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Zur individuellen Koalitionsfreiheit des Art I I I EMRK gehört zunächst das Recht, eine Gewerkschaft zu gründen und ihr beizutreten. Arbeitgebervereinigungen werden nicht ausdrücklich benannt. Es ist aber unstreitig, dass deren Bildung durch die allgemeine Vereinigungsfreiheit geschützt wird.182 Der EGMR billigte auch freien Ärztevereinigungen den Schutz des Art I I I EMRK zu.183 Öffentlich-rechtliche Zwangszusammenschlüsse fallen dagegen - wie schon dargelegt - nicht unter Art 11 EMRK. 184 Das Recht, einer Koalition beizutreten, besteht nur im Rahmen der Statuten dieser Koalition, die insoweit aufgrund von Art I I I EMRK Autonomie genießt.185 Die eigentliche Bedeutung der Straßburger Spruchpraxis zur individuellen Koalitionsfreiheit liegt in der Anerkennung der negativen Koalitionsfreiheit. Diese Spruchpraxis wurde zunächst in der Auseinandersetzung mit so genannten „closed shop"-Regelungen entwickelt. Zwar ist der Abschluss einer Vereinbarung zwischen einem privaten Arbeitgeber und einer Gewerkschaft, wonach nur Arbeitnehmer mit einer bestimmten Gewerkschaftszugehörigkeit bei dem betreffenden Arbeitgeber beschäftigt werden dürfen, grundsätzlich von der Vertragsfreiheit beider Seiten gedeckt und fällt mangels unmittelbarer Drittwirkung des Art 11 I EMRK nicht in dessen Schutzbereich. Sanktioniert der Staat jedoch dieses System, indem er Entlassungen durch private Arbeitgeber wegen fehlender Gewerkschaftszugehörigkeit zulässt und in diesen Fällen keinen oder nur eingeschränkten Kündigungsschutz gewährt, so stellt sich unmittelbar die Frage nach der negativen Koali-
180 Vgl dazu eingehend Frowein in: Frowein/Peukert Art 11 EMRK Rn 15; Tomuschat (Fn 179) S504f; van Dijkhan Hoof (Fη 179) S 435 und 437f; EGMR, EuGRZ 1981, 559, Rn 49 - Young, James u Webster. Vgl hierzu auch Wildhaber FS Vischer, 1983, S 349, 358 f. 181 EGMR, EuGRZ 1976, 62, Rn 37 - Schwedischer Lokomotivführerverband; EuGRZ 1976, 68, Rn 33 - Schmidt und Dahlström. 182 Frowein in: Frowein/Peukert Art 11 EMRK Rn 1; Tomuschat (Fn 179) S 494. 183 EGMR, EuGRZ 1981, 551, Rn 65 - Le Compte, Van Leuven and De Meyere. 184 EGMR, EuGRZ 1981, 551, Rn 62fF - Le Compte, Van Leuven and De Meyere; EuGRZ 1983, 190, Rn 43 f - Albert und Le Compte. 185 EKMR, DR 42, 178, 185 f - Ernest Dennis Cheall.
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tionsfreiheit des betroffenen Arbeitnehmers. 186 In ihrer Spruchpraxis betonten die Straßburger Instanzen, sie hätten nicht zur Konventionskonformität des „closed shop" als solchem Stellung genommen. 187 Keine Verletzung von Art 11 I E M R K sah der Gerichtshof in einem Fall, in dem der Arbeitnehmer an einem ihm von seinem Arbeitgeber angebotenen anderen Arbeitsplatz hätte weiterarbeiten können. 188 Art 11 I E M R K ist nach Auffassung des Gerichtshofs auch auf Boykottmaßnahmen von Gewerkschaften anwendbar, die das Ziel verfolgen, einen Arbeitgeber zur Mitgliedschaft in einem Berufsverband oder zur Teilnahme an einem Kollektiwertragssystem zu zwingen. 189 Derartige Maßnahmen berühren den Schutzbereich der negativen Vereinigungsfreiheit. Allerdings soll der Staat nur dann zum Eingreifen verpflichtet sein, wenn die Boykottmaßnahmen tatsächliche Auswirkungen auf die Vereinigungsfreiheit zeigten. b) Kollektive Koalitionsfreiheit, insbesondere Tarifautonomie und Arbeitskampffreiheit Art 11 E M R K schützt nicht nur die individuelle, sondern auch die kollektive Koalitionsfreiheit. Dies ergibt sich unmittelbar aus dem Wortlaut der Norm. Die kollektive Koalitionsfreiheit haben die Konventionsorgane in den 1970er Jahren ausdifferenziert. 190 Art 11 I E M R K gewährleistet allerdings weder ein spezifisches Konsultationsrecht der Gewerkschaften gegenüber privaten oder staatlichen Arbeitgebern in Berufsangelegenheiten noch einen Anspruch auf den Abschluss bestimmter Tarifverträge. 191 In Abgrenzung zu Art 6 der Europäischen Sozialcharta räumt der E G M R lediglich ein, die Gewerkschaft müsse gehört werden, 192 sie müsse also „die Möglichkeit haben ..., in der Öffentlichkeit zu wirken" 193 . Hieraus lassen sich kaum eindeutige Aussagen hinsichtlich der Reichweite der gewerkschaftlichen Betätigungsfreiheit im Rahmen von Art 11 I E M R K ableiten. 194 Auch lassen sich keine Aussagen zu Mitbestimmungsregelungen treffen. 195 Dies ist allerdings vor dem Hintergrund hinnehmbar, dass die Rechte der Gewerkschaften in einer Vielzahl völkerrechtlicher Verträge erheblich detaillierter ausgestaltet sind.
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Besteht also weder ein Anspruch auf Aufnahme von Verhandlungen noch ein solcher auf vertragliche Fixierung der Verhandlungsergebnisse, so ist zu fragen, wie es sich mit anderen Kollektivmaßnahmen, insbesondere dem Streikrecht verhält. Der Gerichtshof hat das Streikrecht zwar als eine der wichtigsten Kollektivmaßnahmen bezeichnet, sogleich aber auf die Einschränkungsmöglichkeiten, die auch in der Europäischen Sozialcharta vorgesehen sind, verwiesen. Kollektivmaßnahmen sollen grundsätzlich von Art 11 E M R K garantiert sein, dem Staat bleibe aber ein weiter Spielraum hinsichtlich der Zulässigkeit einzelner Maßnahmen. Danach scheint es zulässig zu sein, den Gewerkschaften an Stelle
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So zutreffend dargelegt bei Tomuschat (Fn 179) S 502 f. EGMR, EuGRZ 1981, 559, Rn 61 - Young, James u Webster. EGMR, Serie A, Vol 258-A, Rn 29 - Sibson. EGMR, HRLJ 1996, 118 ff - Gustafsson. Eingehend Wildhaber GYIL 1976, 238 ff. EGMR, EuGRZ 1975, 562, Rn 38 - Nationale Belgische Polizeigewerkschaft; EuGRZ 1976, 62, Rn 39 - Schwedischer Lokomotivführerverband. EGMR, EuGRZ 1975, 562, Rn 39 - Nationale Belgische Polizeigewerkschaft. Frowein in: Frowein/Peukert Art 11 EMRK Rn 11. Frowein in: Vassilouni (Hrsg) Aspects of the protection of individual and social rights, 1995, S203, 213. Öhlinger Verfassungsrechtliche Probleme der Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Unternehmen, 1982, S 145 f.
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eines Streikrechts andere angemessene Mittel zum Schutz der Interessen ihrer Mitglieder zur Verfügung zu stellen.196 In dieser Allgemeinheit kann eine solche Schlussfolgerung allerdings nicht überzeugen. Abzustellen ist vielmehr darauf, dass Art 11 EMRK den typischen Zweck gewerkschaftlicher Organisation schützt. Neben einer grundsätzlichen Gleichbehandlung mit dem Einzelnen hinsichtlich der Wahrnehmung ihrer Interessen in Berufsangelegenheiten wird man den Schutzbereich von Art 11 EMRK jedenfalls so weit ausdehnen müssen, wie Gewerkschaften eine Funktion wahrnehmen, die ein Einzelner gerade nicht wahrnehmen kann.197 Der völlige Ausschluss des Streikrechts dürfte nicht mehr mit Art 11 EMRK vereinbar sein.198 2.
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In die Koalitionsfreiheit kann auf unterschiedliche Art und Weise eingegriffen werden. In der Spruchpraxis der Straßburger Organe hat neben direkten Eingriffen, wie einem Gewerkschaftsverbot, in erster Linie die staatliche Sanktionierung der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses wegen fehlender Gewerkschaftszugehörigkeit eine Rolle gespielt. Auch die Zwangsmitgliedschaft in einer privatrechtlichen Vereinigung für Selbstständige wurde im Fall eines Taxifahrers, dem in der Folge seines Austritts aus einer Berufsvereinigung seine Taxikonzession entzogen worden war, als Eingriff angesehen.199 Darüber hinaus sind - wie schon dargelegt - auch gewerkschaftliche Boykottmaßnahmen, die einen Arbeitgeber zur Teilnahme an einem Kollektiwertragsystem veranlassen sollen, als Eingriffe zu werten.200 3.
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Weder die individuelle noch die kollektive Koalitionsfreiheit werden von Art 11 EMRK unbegrenzt gewährleistet. Eingriffe sind gerechtfertigt, wenn sie auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen, einen der in Art 11 II 1 EMRK abschließend genannten Zwecke verfolgen und „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig" sind. Hinsichtlich der zulässigen Eingriflszwecke kann auf die Ausführungen zur Versammlungsfreiheit verwiesen werden. Besondere Bedeutung kommt besonders bei der Koalitionsfreiheit der Beschränkungsklausel des Art 11 II 2 EMRK zu. Diese Bestimmung ist in mehrfacher Hinsicht problematisch. Zunächst stellt sich die Frage, wer zu den Mitgliedern der Staatsverwaltung zu rechnen ist, die neben denen der Streitkräfte und der Polizei genannt werden. Die offene Formulierung birgt Unsicherheiten hinsichtlich des Anwendungsbereichs. Man wird wohl in Anlehnung an die frühere Kommission fordern müssen, dass es sich um Personen handeln muss, die lebensnotwendige Funktionen zum Schutz der nationalen Sicherheit wahrnehmen.201 Es ist also eine funktionale Betrachtung vorzunehmen.202 So wurde das Gewerkschaftsverbot für Angehörige eines britischen Telekommunikationszentrums für 196 So die Einschätzung von Villiger (Fn 10) S 417 f. 197 So überzeugend Tomuschat (Fn 179) S 500 f. 198 Frowein in: Frowein/Peukert Art 11 EMRK Rn 13; Frowein (Fn 194) S 213. Ebenso Hendy European human rights law review 1998, S 582, 587 und 608 ff. 199 EGMR, Serie A, Vol 264, Rn 35 - Sigurdur Sigurjönsson. 200 EGMR, HRLJ 1996, 118, Rn 4 4 ^ 5 - Gustafsson. 201 EKMR, DR 50,228, 239 - Council of Civil Service Unions. 202 Tomuschat (Fn 179) S 511.
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militärische und andere amtliche Nachrichtensendungen unter Bezugnahme auf Art 11 II 2 EMRK für konventionsgemäß gehalten.203 Andererseits hat der Gerichtshof ausdrücklich offen gelassen, ob deutsche Lehrer im Beamtenverhältnis unter die besondere Einschränkung fallen.204 Neben dem personellen Anwendungsbereich der Vorschrift ist außerdem ungeklärt, ob die Bestimmung nur die Ausübung der Rechte oder auch ihre Existenz für den genannten Personenkreis besonderen staatlichen Beschränkungen zugänglich macht. Einerseits mag man argumentieren, dass die Ausübung der Rechte vollständig untersagt werden kann, sofern der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt bleibt.205 Auf der anderen Seite besteht aber ein grundsätzlicher Unterschied zwischen der Ausübung von Rechten und der Rechtsinhaberschaft, der jedenfalls nahe legt, dass ein Anknüpfen der staatlichen Beschränkung an die Ausübung eine differenziertere Lösung ermöglicht.206 In einer unveröffentlichten Kommissions-Entscheidung wird offensichtlich das gegenüber einem belgischen Polizeibeamten verhängte Koalitionsverbot unter Bezugnahme auf Art 11 II 2 E M R K für konventionsgemäß gehalten. Diese Entscheidung ist deshalb kritisiert worden, weil sie den betroffenen Personen die Koalitionsfreiheit vorenthält, obwohl es eigentlich ausreichen sollte, die Modalitäten der Ausübung dieser Freiheit zu beschränken.207 Schließlich stellt sich mit Blick auf Satz 2 noch die Frage, ob für derartige staatliche Beschränkungen der Koalitionsfreiheit eine gesetzliche Grundlage erforderlich ist. Nicht zu überzeugen vermag eine von der früheren Kommission geäußerte Auffassung, diese Beschränkungen müssten lediglich den allgemeinen Rechtsmäßigkeitsanforderungen genügen.208 Art 1112 E M R K ersetzt nämlich lediglich die Zweckbestimmung der Beschränkungsklausel des Satzes 1, nicht aber die übrigen Anforderungen an staatliche Beschränkungen.209 Dies gilt in jedem Fall für den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. 210 Darüber hinaus wird man trotz des unterschiedlichen Wortlauts im Vergleich zu den in Art 8 bis 10 und Art 1 1 1 1 E M R K verwendeten Beschränkungsklauseln für Art 1 1 1 2 EMRK auch eine ähnlich klare Rechtsgrundlage fordern müssen, 2 " wenn man nicht den grundsätzlich auch diesen Trägern staatlicher Funktionen zustehenden Schutz der Versammlungs-, Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit erheblich relativieren will. Lösung Fall 7: Zunächst ist zu prüfen, ob der Schutzbereich der Koalitionsfreiheit überhaupt betroffen ist. Die Boykottmaßnahmen der Gewerkschaften zielten darauf ab, G zur Teilnahme am Kollektiwertragssystem zu zwingen. G standen dafür zwei Möglichkeiten offen: entweder die Mitgliedschaft im Hotel- und Restaurantverband oder die Unterzeichnung eines Zusatzabkommens. Darin liegt eine Beeinträchtigung der negativen Koalitionsfreiheit des G, die in den Schutzbereich von Art 11 EMRK fällt.
203 Zu den in diesem Zusammenhang bei der Internationalen Arbeitsorganisation eingelegten Beschwerden vgl Mills European Human Rights Law Review 1997, S 35,41 ff. 204 EGMR, EuGRZ 1995, 590, Rn 68 - Vogt. 205 So wohl Frowein in: Frowein/Peukert Art 11 E M R K Rn 18. 206 Velu/Ergec La convention europeenne des droits de l'homme, 1990, S 659. 207 van Dijkhan Hoof (Fn 179) S 439 (dort ist auch die Kommissionsentscheidung nachgewiesen). 208 EKMR, D R 50, 228, 240 - Council of Civil Service Unions. 209 So überzeugend Tomuschat (Fn 179) S 512. 210 Ausdrücklich van Dijkhan Hoof (Fn 179) S 439. 211 Davon geht offensichtlich auch Villiger aus (Fn 10) S 419.
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Ein Eingriff liegt nur vor, wenn der Staat zum Handeln verpflichtet ist. Eine solche positive Pflicht gemäß Art 11 EMRK ist dann gegeben, wenn die gerügten Handlungen tatsächliche Aliswirkungen auf die Vereinigungsfreiheit zeigen. Die Ausübung von Zwang allein - auch wenn dies wie hier wirtschaftliche Schäden verursachte - bedingt diese Pflicht noch nicht. Auch wenn man die Bedeutung der Kollektivverträge im Arbeitsrecht berücksichtigt und somit der Auffassung ist, dass die umstrittenen Boykottmaßnahmen der Gewerkschaften einen legitimen Zweck verfolgten, bestehen doch erhebliche Zweifel an der Verhältnismäßigkeit. In der Untätigkeit der Regierung kann man eine Verletzung des Untermaßverbotes sehen.212
VI. Zusammenfassung 94
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Die hohe Bedeutung der Kommunikationsgrundrechte im System der EMRK kommt in dem umfassenden Schutz, der durch differenzierte Teilgewährleistungen sichergestellt werden solle, zum Ausdruck. Das Nebeneinander vieler Teilfreiheiten in Art 10 und 11 EMRK soll Schutzlücken verhindern. Dabei geht der Gerichtshof davon aus, dass die Gewährleistungen des Art I I I EMRK gegenüber denen aus Art 10 I EMRK die spezielleren sind und deshalb vorrangig zu prüfen sind, weil die Versammlungs- und die Vereinigungsfreiheit besondere Formen der Meinungsäußerung schützen.2'3 Innerhalb der Freiheiten des Art I I I EMRK ist die Koalitionsfreiheit ein besonderer Fall der Vereinigungsfreiheit. Abgesehen von der Koalitionsfreiheit, bei der sich eine Reihe von Besonderheiten aus dem Verhältnis zur Europäischen Sozialcharta und zu anderen völkerrechtlichen Gewährleistungen gewerkschaftlicher Aktivitäten ergeben, sind die Schutzbereiche der Kommunikationsgrundrechte grundsätzlich weit auszulegen. Nur so lässt sich der demokratischen Funktion dieser Grundrechte Rechnung tragen, obwohl Art 10 und 11 EMRK nicht auf diese Funktion beschränkt sind. Eingriffe in die Kommunikationsgrundrechte können auch indirekt erfolgen. Es ist dann bei der Rechtfertigung zu differenzieren. Bei der Prüfung der Rechtfertigung sind dann regelmäßig strenge Maßstäbe sowohl an die Eingriffszwecke als auch an die Prüfung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes anzulegen. Ob und inwieweit beide Grundrechte auf wirtschaftliche Sachverhalte angewendet werden können, ist nach wie vor in der Diskussion. Trotz des offenen Wortlauts vertritt eine Reihe von Autoren die Auffassung, dass die Kommunikationsgrundrechte wirtschaftliche Freiheiten eher nicht gewährleisten. Nicht nur habe die Konvention ursprünglich keine erwerbswirtschaftlichen Freiheitsrechte gewährleistet, auch schützten die Kommunikationsgrundrechte nicht bestimmte Inhalte, sondern in erster Linie bestimmte Kommunikationsformen. Beide Argumente vermögen nicht zu überzeugen, zumal sich Art I I I EMRK sowohl der Kategorie der politischen als auch dem Bereich der wirtschaftlichen Rechte zuordnen lässt. Zur wirtschaftlichen Dimension der in Art 10 I EMRK gewährleisteten Rechte liegt nunmehr in ausreichendem Maße Rechtsprechung vor, die klarstellt, dass Art 10 EMRK auch Informationen wirtschaftlicher Natur schützt.214 Die Kommuni-
212 Der EGMR hat im konkreten Fall allerdings keine Verletzung festgestellt, vgl EGMR, HRLJ 1996, 118, Rn 54-55 - Gustafsson. 213 EGMR, HRLJ 1991, 185, Rn 35 - Ezelin. 214 EGMR, EuGRZ 1996, 302, Rn 26 - markt intern Verlag GmbH Klaus Beermann; vgl auch HRLJ 1994, 184, Rn 35 - Casado Coca.
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kationsgrundrechte lassen sich eben nicht auf bloße Ausübungsrechte reduzieren, auch wenn etwa im Rahmen der Vereinigungsfreiheit die Erreichung des Vereinigungszwecks nicht gewährleistet wird.215 Letztlich vermag keines der Argumente für eine restriktive, auf nicht-wirtschaftliche beschränkte Interpretation der Kommunikationsgrundrechte zu überzeugen, so ist davon auszugehen, dass Art 10 und 11 EMRK mit ihrem offenen Wortlaut auch die wirtschaftliche Dimension der Kommunikation schützen.
215 Frowein in: Frowein/Peukert Art 11 EMRK Rn 7 mwN - Interessant ist die verfassungsrechtliche Parallele: Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts schützt Art 9 I GG auch die werbewirksame Selbstdarstellung eines Vereins (BVerfGE 84, 372 ff).
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§5 Wirtschaftsgrundrechte Bernhard W. Wegener Leitentscheidimgen: EGMR, EuGRZ 1977, 38ff - Handyside; EuGRZ 1983, 523ff - Sporrong und Lönnroth; EuGRZ 1988, 341 ff - James; EuGRZ 1988, 350ff - Lithgow; EuGRZ 1988, 513ff AGOSI; RUDH 1989, 578ff - Tre Traktörer AB; HRLJ 1992, 36ff - Pine Valley; EuGRZ 2004, 57ff Jahn. Schrifttum: Condorelli in: Pettiti/Decaux/Imbert La Convention Europeenne des droits de l'homme, 1999, S 971 ff; ν Danwitz in: ν Danwitz/Depenheuer/Engel Bericht zur Lage des Eigentums, 2002, S 215 ff; Fiedler Die Europäische Menschenrechtskonvention und der Schutz des Eigentums, EuGRZ 1996, 354ff; Frowein Der Eigentumsschutz in der Europäischen Menschenrechtskonvention in: FS Rowedder, 1994, S 49 ff; Gelinsky Der Schutz des Eigentums gemäß Art 1 des 1. ZP zur EMRK, 1996; Grabenwarter Europäische Menschenrechtskonvention, 2003, S 412-425; Hartwig Der Eigentumsschutz nach Art 1 des 1. ZP zur EMRK, RabelsZ 63 (1999) S 561 ff; HarrislO'Boyle/Warbrick Law of the European convention on human rights, 1995, S 516fif; Mitteiberger Der Eigentumsschutz nach Art 1 des 1. ZP zur EMRK im Lichte der Rechtsprechung der Straßburger Organe, 2000; ders Die Rechtsprechung des ständigen Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zum Eigentumsschutz, EuGRZ 2001, 364fif; Müller-Michaels Grundrechtlicher Eigentumsschutz in der Europäischen Union, 1997, S 62ff; Peters Einführung in die Europäische Menschenrechtskonvention, 2003, S193-201; Peukert Der Schutz des Eigentums nach Art 1 des 1. ZP zur EMRK, EuGRZ 1981, 97 ff; Reininghaus Eingriffe in das Eigentumsrecht nach Art 1 des 1. ZP zur EMRK, 2002.
I. Einführung 1
Der internationalrechtliche Schutz der Wirtschaftsgrundrechte ist keine Selbstverständlichkeit. Im Gegenteil verzichten völkerrechtliche Regelungen des Grundrechtsschutzes nicht selten auf die Normierung entsprechender Garantien. Zwar normierte schon die allgemeine Erklärung der Menschenrechte der U N von 1948 in Art 17 eine Gewährleistung des Eigentums.1 Anlässlich der Verhandlungen über die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) konnte man sich aber zunächst nicht auf einen Schutz der Eigentumsfreiheit verständigen, so dass diese 1950 ohne eine entsprechende Garantie verabschiedet wurde. Bereits zwei Jahre später einigte man sich dann aber auf ihre Aufnahme in das am 20. März 1952 unterzeichnete 1. Zusatzprotokoll zur EMRK. 2 Jenseits der Eigentumsgarantie fehlt es der E M R K bis heute nahezu völlig an weitergehenden Gewährleistungen wirt-
1 „1. Jeder hat das Recht, sowohl allein als auch in Gemeinschaft mit anderen Eigentum innezuhaben. 2. Niemand darf willkürlich seines Eigentums beraubt werden." Zur ursprünglichen Absicht des Rechtsausschusses der Beratenden Versammlung des Europarates, eine Eigentumsgarantie der EMRK in Form der Bezugnahme auf Art 17 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte vorzuschlagen und zu weiteren Einzelheiten der Vorgeschichte von Art 1 1. ZP EMRK: Peukert EuGRZ 1981, 97 fmwN. 2 Zur Entstehungsgeschichte von EMRK und 1. ZP EMRK vgl Robertson Human Rights in Europe, 1977, S 5 ff; ν Danwitz in: ν Danwitz/Depenheuer/Engel Bericht zur Lage des Eigentums, 2002, S 220 ff.
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Wirtschaftsgrundrechte
§ 5 II
schaftlicher und sozialer Grundrechte.3 Insbesondere verzichtet sie auf eine eigenständige Normierung der Garantie der Berufsfreiheit.4 Motive dieser Zurückhaltung waren - neben dem historisch überwundenen Systemgegensatz - vor allem die Unterschiede in den nationalen Vorstellungen über die Ausgestaltung der eigenen Wirtschaftsordnung sowie die Sorge vor ihrer zu weitgehenden völkerrechtlichen Überformung und vor einem Verlust einzelstaatlicher Gestaltungsfreiheit zugunsten eines grundrechtlich angeleiteten „gouvernement des juges" im Bereich der Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftspolitik.5 Angesichts der im europäischen und globalen Maßstab wachsenden Angleichung der Wirtschafts- und Sozialordnungen haben sich diese Motive in den letzten Jahrzehnten sicherlich relativiert. In der Vergangenheit aber prägte die Zurückhaltung bei der Normierung internationaler Garantien der Wirtschaftsfreiheit, die ihren Niederschlag auch in einer betont eingeschränkten Formulierung der entsprechenden Garantien gefunden hat,6 die eher vorsichtige und tastende Entwicklung der Spruchpraxis des EGMR. 7 In jüngster Zeit nimmt die Zahl der festgestellten Grundrechtsverstöße jedoch deutlich zu.8
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II. Schutz des Eigentums Art 1 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK, das bislang von 43 der 46 Mitgliedstaaten des Europarates ratifiziert wurde,9 garantiert den „Schutz des Eigentums"10 wie folgt:
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„Jede natürliche oder juristische Person hat ein Recht auf Achtung ihres Eigentums. Niemandem darf sein Eigentum entzogen werden, es sei denn, dass das öffentliche Interesse es verlangt, und nur unter den durch Gesetz und durch die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts vorgesehenen Bedingungen. Die vorstehenden Bedingungen beeinträchtigen jedoch in keiner Weise das Recht des Staates, diejenigen Gesetze anzuwenden, die er für die Regelung der Benutzung des Eigentums in Übereinstimmung mit dem Allgemeininte-
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3 Frowein The Protection of Property in: MacDonald/Matscher/Petzold The European System for the Protection of Human Rights, 1993, S 515. 4 Näher dazu u Rn 12 und 61. 5 Vgl dazu mit Blick auf die Garantie der Eigentumsfreiheit: Fiedler EuGRZ 1996, 354: „rechtspolitisch delikat", „ureigene Dispositionsbereich des Staates", „existentiellen Lebensnerv". 6 Vgl die entsprechende Bewertung der Garantie des Eigentumsrechts in Art 1 1. ZP EMRK durch Harris!O'BoylelWarbrick ECHR 1995, 516: „a much qualified right, allowing the state a wide power to interfere with property". 7 Kritischer noch spricht Mitteiberger EuGRZ 2001, 364, 366 mit Blick auf die Rechtsprechung zu Art 1 1. ZP EMRK von einer „Phase ..., während welcher der Gerichtshof größtenteils zu Ergebnissen kam, die dem Eigentumsschutz in Europa nicht unbedingt dienlich waren"; vgl zur Kritik im Übrigen: Fromont GS Geck, 1990, S 213 f; Dolzer FS Zeidler, 1987, S 1679. 8 Kritisch zur älteren Rechtsprechung zu Art 1 1. ZP EMRK: Clements European Human Rights Taking A Case Under The Convention, 1994, S 201: „Article 1 of the First Protocol is frequently invoked, but violations are seldom found". Tendenziell aA Frowein FS Rowedder, 1994, S 49, wonach die Rechtsprechung seit den achtziger Jahren stärkere Konturen gewonnen habe. 9 Zu den drei Staaten, die bis zum 5.10.2004 das 1. Zusatzprotokoll nicht ratifiziert hatten, gehören die Schweiz (Mitglied seit 1963), Andorra (Mitglied seit 1994) und Monaco (Mitglied seit 2004). 10 Überschrift des Art 1 1. ZP EMRK.
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§ 5 III
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resse oder zur Sicherung der Zahlung der Steuern, sonstiger Abgaben oder von Geldstrafen für erforderlich hält." 11 5
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Das hier gewährleistete Grundrecht unterscheidet sich von den entsprechenden Garantien des nationalen Verfassungsrechts vor allem durch seine fehlende Anbindung an eine konkrete rechtlich konstituierte Eigentums- und Wirtschaftsordnung. Es ist daher weniger „normgeprägt" als die Garantien des nationalen Rechts.12 Daraus folgt allerdings - entgegen einer gelegentlich vertretenen Meinung 13 - nicht, dass Art 1 des 1. ZP E M R K zugleich der Charakter einer Institutsgarantie abzusprechen wäre. Die Prüfung einer Verletzung des hier gewährleisteten Grundrechts kann grundsätzlich entsprechend dem aus dem deutschen Recht vertrauten Dreischritts von Schutzbereich, Eingriff und Rechtfertigung erfolgen.14 1. Schutzbereich der
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Eigentumsgarantie
Fall 1: (nach EGMR, JZ 1997,405 ff - Gaygusuz) G ist türkischer Staatsangehöriger und arbeitete als sozialversicherter Arbeitnehmer elf Jahre in Österreich. Nach dem Verlust seines Arbeitsplatzes bezog er Arbeitslosenunterstützung. Nach deren Auslaufen beantragt er die Gewährung der sich anschließenden sog „Notstandshilfe", die nach österreichischem Recht zeitlich unbefristet an diejenigen gezahlt wird, die keinen Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung mehr haben. Sein Antrag wird mit dem Hinweis darauf abgewiesen, Notstandshilfe werde nach der gesetzlichen Regelung allein österreichischen Staatsangehörigen gewährt. a) Allgemeines
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Eigentum im Sinne des Art 1 des 1. ZP EMRK meint nicht allein das Eigentum an beweglichen und unbeweglichen Sachen. Erfasst werden vielmehr grundsätzlich alle wohlerworbenen Vermögenswerten Rechte (acquired rights, droits acquis).15 Zu ihnen zählen etwa
11 Zusatzprotokoll zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 20. März 1952, BGBl II 1956, 1879. Die authentische englische Fassung lautet: "Every natural or legal person is entitled to the peaceful enjoyment of his possessions. No one shall be deprived of his possessions except in the public interest and subject to the conditions provided for by law. The preceding provisions shall not, however, in any way impair the right of a State to enforce such laws as it deems necessary to control the use of property in accordance with the general interest or to secure the payment of taxes or other contributions or penalties." Mit der vielfach kritisierten Verwendung der unterschiedlichen Begriffe „possessions / property" bzw „propriete / biens" in den engl bzw franz Originalfassungen verbindet sich kein unterschiedlicher Sinngehalt. Schon in seiner ersten Entscheidung zum Eigentumsrecht betonte der EGMR, dass jeweils das Eigentum in einem einheitlichen Sinne gemeint sei, vgl dazu EGMR, EuGRZ 1977, 38 fT - Handyside; sowie später EGMR, EuGRZ 1979, 454 ff - Marckx; näher dazu Peukert in: Frowein/Peukert Art 1 1. ZP EMRK Rn 4. 12 Ähnlich Grabenwarter EMRK § 25 Rn 2; zur Eigenständigkeit des Eigentumsbegriffs der EMRK gegenüber dem der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten des Europarates: EKMR, EuGRZ 1993, 607, 609 - Heilige Klöster. 13 Grabenwarter EMRK S 413. 14 Zur Möglichkeit einer solchen Übertragung, ihren Funktionen und ihren Grenzen: § 2 Rn 37. 15 Frowein (Fn 8) S 49, 50.
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auch Anteile an Handelsgesellschaften16 und ähnliche geldwerte Vermögenspositionen17. Die Rechtsprechung der Konventionsorgane bezieht in ihre weite und autonom konventionsrechtliche Auslegung auch solche Rechte mit ein, die nach der Rechtsordnung des Staates, gegen den Beschwerde geführt wird, nicht geschützt sind.18 Träger des Eigentumsrechts sind nach der ausdrücklichen Formulierung des Art 1 I des 1. ZP EMRK nicht allein natürliche, sondern auch juristische19 Personen.20 Ob angesichts dieses Umstandes die Interpretation des Eigentumsrechts der EMRK allein an seinem Charakter als einem „Menschenrecht" orientiert werden kann,21 erscheint zumindest zweifelhaft.22
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b) Schutz des Bestandes, nicht des Erwerbs Vom Begriff des Eigentums nicht umfasst werden bloße Erwartungen und Chancen, die sich noch nicht zu einer Vermögenswerten und rechtlich gesicherten Position verfestigt haben.23 Gewissermaßen spiegelbildlich stellt auch die bloße Hoffnung, ein ehemals bestehendes und in den Zeitläufen entwertetes und bestrittenes Eigentumsrecht werde wieder erstarken, als solche kein Eigentum dar.24 Insoweit kann in Ubereinstimmung mit der Spruchpraxis der Kommission25 davon gesprochen werden, ein Recht zum Eigentumserwerb werde nicht geschützt.26 Geschützt sind jedoch verfestigte schuldrechtliche Positionen,27 da diese als Vermögenswerte Rechte Eigentum iSd Art 1 des 1. ZP EMRK sind.
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c) Goodwill Vom Schutzbereich des Eigentums nach Art 1 des 1. ZP EMRK werden auch die geschäftlichen Beziehungen erfasst, die sich ein Unternehmen oder ein Unternehmer in der Vergangenheit erarbeitet hat und die den Vermögenswert des Geschäfts über den reinen Substanzwert hinaus beeinflussen.28 Bedeutung hat der Schutz dieses sogenannten „good-
16 Vgl dazu EGMR, EuGRZ 1988, 350 ff - Lithgow. 17 Zur Frage, ob auch das Vermögen als solches in den Anwendungsbereich des Art 1 1. ZP EMRK fällt, s Müller-Michaels Grundrechtlicher Eigentumsschutz in der Europäischen Union, 1997, S 69; aA ν Danwitz (Fn 2) S 233 f. 18 EGMR, EuGRZ 1983, 523 ff - Sporrong und Lönnroth; RUDH 1989, 578 ff - Tre Traktörer AB; EuGRZ 2001, 397ff - Ehemaliger König; Harris!O'Boylel Warbrick ECHR, 1995, 516, 517f; Gelinsky Der Schutz des Eigentums gemäß Art 1 1. ZP zur EMRK, 1996, S 200. 19 Zum Schutz des Eigentums juristischer Personen des Öffentlichen Rechts s Grabenwarter EMRK § 25 Rn 7 sowie § 13 Rn 10; Müller-Michaels (Fn 17) S 70. 20 Zur (zweifelhaften) Bedeutung der Bestimmung für die kollisionsrechtliche Frage nach Sitz- oder Gründungstheorie des internationalen Gesellschaftsrechts: Engel ZEuP 1993, 150 ff. 21 So aber Gelinsky (Fn 18) S 36 ff; zu diesem Ansatz im Übrigen: Riedel Theorie des Menschenrechtsstandards, 1986, S 65 ff, 118 f. 22 Ahnlich Frowein (Fn 8) S 49; van Dijklvan Hoof Theory and Practice of the European Convention on Human Rights, 1990, S 454. 23 HarrislO'Boylel Warbrick ECHR, 1995, S 517. 24 EGMR, EuGRZ 2001, 466 ff - Fürst Hans-Adam II. von und zu Lichtenstein. 25 Vgl dazu die Nachw bei Peukert in: Frowein/Peukert Art 1 1. ZP EMRK Fn 12. 26 So Villiger EMRK Rn 669. 27 Dazu ν Danwitz (Fn 2) S 227 f; s auch Grabenwarter EMRK § 25 Rn 3. 28 Nach Gelinsky (Fn 18) S 28 findet sich eine Anerkennung dieser Rechtsfigur der Sache nach erstmals in EGMR, EuGRZ 1988, 35 ff - van Marie; zum eigentumsrechtlichen Schutz der „Kunden-
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will"29 vor allem für die wenig durchsichtige Entscheidungspraxis der Konventionsorgane hinsichtlich der Entziehung von Gewerbeerlaubnissen gewonnen. Danach kann eine solche Entziehung jedenfalls dann, wenn die Erteilung der Erlaubnis von Anfang an an zwischenzeitlich entfallene Bedingungen geknüpft war, keine Eigentumsverletzung darstellen. Ein eigentumsrechtlicher Schutz gegenüber den entsprechenden Maßnahmen soll sich aber aus einer mit der Entziehung einhergehenden Beeinträchtigung des dem Erlaubnisinhaber entgegengebrachten „goodwill" ergeben können. 30 In dieser eigentümlich weiten Interpretation des als Eigentum geschützten „goodwill" manifestiert sich das Bemühen des EGMR, im Sinne eines möglichst umfassenden und effektiven Grundrechtsschutzes den sehr begrenzten Katalog der durch die E M R K geschützten Wirtschaftsgrundrechte ausgreifend zu verstehen. So werden Schutzbereiche dem Eigentumsschutz zugeschlagen, die nach herkömmlichem nationalem Verständnis eher den - von der Konvention nicht gewährleisteten - Garantien der Berufsfreiheit oder der allgemeinen wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit zuzuordnen wären. d) Öffentlich-rechtliche Ansprüche
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Von besonderer praktischer Bedeutung - aber auch in besonderer Weise umstritten - ist die Einbeziehung öffentlich-rechtlicher Ansprüche in den Schutzbereich des Eigentumsrechts. Zu diesen Ansprüchen zählen etwa Ansprüche aus der Sozialversicherung, besoldungsrechtliche Ansprüche der Beamten oder Ansprüche auf Rückerstattung zu Unrecht bezahlter Abgaben. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erkennt einen Schutz sozialversicherungsrechtlicher Ansprüche dann an, wenn diese „nach Art eines Ausschließlichkeitsrechts dem Rechtsträger als privatnützig zugeordnet" sind, „auf nicht unerheblichen Eigenleistungen des Versicherten" beruhen und „der Sicherung seiner Existenz" dienen.31 Die Spruchpraxis der EKMR zeigte sich dagegen gegenüber einer Einbeziehung öffentlich-rechtlich begründeter vermögenswerter Positionen in den Schutzbereich des Eigentumsrechts eher zurückhaltend. 32 Auch solche Ansprüche, die - wie etwa Pensionsansprüche - wenigstens zum Teil aus einer eigenen Leistung der Anspruchsinhaber resultierten, sollten danach grundsätzlich keinen Schutz genießen.33 Eine Ausnahme sollte nur insoweit gelten, als zwischen der Höhe der geleisteten Beiträge und der Höhe der Pensions- oder Rentenansprüche eine unmittelbare Verbindung dergestalt bestand, dass dem Berechtigten ein „identifizierbarer Anspruch auf einen Anteil am Versicherungsfonds"
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Stämme" eines Rechtsanwalts und eines Steuerberaters, vgl EGMR, NJW 2001, 1556 - Döring und NJW 2001, 1558 - Olbertz. Kritisch zur Anerkennung des „goodwill" als geschütztes Eigentum: Hartwig RabelsZ 63 (1999) S 566, der eine Transformierung der Eigentumsgarantie zu einer Absicherung künftiger Gewinnerwartungen befürchtet. S dazu auch ν Danwitz (Fn 2) S 233. EGMR, RUDH 1989, 578 ff - Tre Traktörer AB; vgl auch EGMR, HRLJ 1991, 93 ff - Fredin (Nr. 1); zum Ganzen eingehender Gelinsky (Fn 18) S 27 ff. BVerfGE 69, 272, 300; vgl auch BVerfGE 53, 257; 72, 9, 18; 75, 78; 76, 220, 235; zur traditionell weitaus zurückhaltenderen Rechtsprechung des Österreichischen Verfassungsgerichtshofs: Pech in: Grabenwarter/Thienel (Hrsg) Kontinuität und Wandel der EMRK: Studien zur Europäischen Menschenrechtskonvention, 1998, S 233 f. Kritisch dazu Gelinsky (Fn 18) S 29 ff, 36 ff; Pech in: Grabenwarter/Thienel (Hrsg) Kontinuität und Wandel der EMRK: Studien zur Europäischen Menschenrechtskonvention, 1998, S. 233 ff. Zur abweichenden Sicht vgl van Dijklvan Hoof (Fn 22) S 455 f.
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zustand. Daran sollte es fehlen, wenn das Versicherungssystem dem Gedanken einer generationenübergreifenden Solidargemeinschaft verpflichtet sei.34 Auch ein nach diesen Kriterien dem Grunde nach in den Schutzbereich des Eigentumsrechts fallender öffentlich-rechtlicher Anspruch ist nach der Spruchpraxis der Kommission aber nicht unbedingt geschützt. Vielmehr soll mit Rücksicht auf haushaltspolitische Erfordernisse allein eine erhebliche nachträgliche Reduktion der einmal erworbenen Ansprüche als vom Schutzbereich der Eigentumsfreiheit umfasst angesehen werden können. 35 Wenn der Spruchpraxis der E K M R dennoch schon in der Vergangenheit zumindest eine Tendenz zu einer weitergehenden Einbeziehung öffentlich-rechtlicher Ansprüche in den Schutzbereich des Eigentumsrechts entnommen worden ist,36 so wird diese Auffassung ua 3 7 durch das in seiner Interpretation wie in seinem Ergebnis allerdings umstrittene Urteil des EGMR in der Sache Gaygusuz bestätigt. 38 Lösung Fall 1: Einen Anspruch aus Art 1 des 1. ZP EMRK (iVm dem allgemeinen Diskriminierungsverbot des Art 14 EMRK 39 ) kann G nur dann erfolgreich geltend machen, wenn es sich bei der beantragten „Notstandshilfe" um Eigentum im Sinne dieser Bestimmung handelt. Öffentlich-rechtliche Ansprüche können aber wenigstens nach der älteren Rechtsprechung der Konventionsorgane nur dann als Eigentum angesehen werden, wenn sie zumindest auch auf einer eigenen Leistung des Versicherten beruhen und diesem insoweit ein identifizierbarer Teilanspruch zusteht. Auch wenn dies im Fall der Notstandshilfe nach österreichischem Recht durchaus als fraglich angesehen werden kann,40 hat der EGMR im konkreten Fall wohl mit Rücksicht auf die in der Verweigerung liegende Diskriminierung nach der Staatsangehörigkeit - eine Verletzung des Eigentumsrechts bejaht.41
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e) Geistiges Eigentum Die allgemein zum geistigen Eigentum gezählten Immaterialgüterrechte wie Urheber-, Patent-, Verlags-, Marken- und andere Schutzrechte dienen der wirtschaftlichen Nutzung
34 EKMR, C D 38 (1972), 9 ff = YB 14, 224 - X/Niederlande; bestätigt in: DR 43 (1985), 190, 191 f Vos; DR 42 (1985), 162, 166 - Kleine Staarmann; zu Recht kritisch zu der dem zugrunde liegenden und zu formal anmutenden Unterscheidung zwischen Kapitalhäufungs- und intergenerationellem Umlageverfahren: ν Danwit: (Fn 2) S 235. 35 E K M R , DR 3 (1976), 31, 3 2 - M ü l l e r . 36 Peukert in: Frowein/Peukert Art 1 l . Z P E M R K Rn 17 f. 37 Vgl im Übrigen die Nachw bei ν Danwitz (Fn 2) S 236, Fn 100. 38 IdS Pech (Fn 32) S 233, 241, wonach angesichts dieser Entscheidung „überhaupt keine Zweifel" mehr bestehen, „dass die zentralen Ansprüche aus dem Sozialversicherungssystem, also Pensionsansprüche und Ansprüche aus der Kranken- oder Unfallversicherung, nunmehr in den Schutzbereich der Eigentumsgarantie des Art 1 1. Z P E M R K fallen". 39 Zur rechtlichen Konstruktion und Funktion dieser Verbindung, s u Rn 57. 40 Vgl Hailbronner JZ 1997,397,398, der die Leistung mit Rücksicht auf ihre teilweise Finanzierung nicht allein aus Versicherungsbeiträgen, sondern auch aus staatlichen Mitteln als Element der Sozialfürsorge begreift. (Nur) insoweit erscheint - wie Hailbronner zu Recht ausführt - eine Einordnung als eigentumsrechtlich geschützte Forderung kaum gerechtfertigt. Für eine Einbeziehung von Ansprüchen auf Arbeitslosengeld in den Schutzbereich des Eigentumsrechts nach Art 14 G G vgl etwa BVerfGE 72, 9, 18; 74, 203, 213. 41 E G M R , JZ 1997,405 ff - Gaygusuz.
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unter Ausschluss von Dritten und können veräußert werden. Auch diese Rechte unterfallen daher nach allgemeiner Meinung dem Eigentumsbegriff des Art 1 des 1. ZP EMRK. 42 Die Kommission hat dementsprechend den Eigentumscharakter eines nach niederländischem Recht begründeten Patents bejaht. 43 f) Erbrecht 19
Anders als Art 14 G G nimmt Art 1 des 1. ZP E M R K das Erbrecht nicht ausdrücklich in Bezug. Dennoch sieht der EGMR das Recht des Eigentümers, über sein Vermögen von Todes wegen zu verfügen, als vom Schutzbereich des Art 1 des 1. ZP E M R K umfasst an.44 Er hat es aber ausdrücklich abgelehnt, eine gesetzliche Regelung der Erbfolge auf Antrag des potentiellen Erben am Eigentumsrecht zu messen. Art 1 des 1. ZP E M R K schütze allein das aktuelle Eigentum lebender Personen, nicht aber bloße Erbanwartschaften. 45 2. Beeinträchtigungen des Eigentumsrechts
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Fall 2: (nach EGMR, EuGRZ 1983, 523 ff - Sporrong und Lönnroth) Für Grundstücke der S besteht eine staatliche Enteignungsgenehmigung zugunsten der Kommune. Die Enteignungsgenehmigung ist mit einem Bauverbot verknüpft, das Neubauten auf den Grundstücken untersagt. Eine Entschädigung für zwischenzeitlich getätigte Renovierungen der vorhandenen Bebauung oder für Vermögenseinbußen, die aus der ungewissen Lage hinsichtlich der betroffenen Grundstücke resultieren, wird in den einschlägigen nationalen Vorschriften ausgeschlossen. Die zunächst auf drei Jahre befristete Enteignungsgenehmigung wird von der Kommune nicht in Anspruch genommen aber auf ihr Drängen sukzessive verlängert. Erst nach einem Zeitraum von über zwanzig Jahren werden die Genehmigung und das Bauverbot aufgehoben, weil sich die ursprünglich verfolgten Stadtentwicklungspläne zwischenzeitlich verändert haben. S, die zwischenzeitlich mehrfach vergeblich versucht hat ihre Grundstücke zu verkaufen, die notwendige Renovierungen zurückgestellt hat und Mietausfälle beklagt, sieht sich in ihrem Eigentumsrecht verletzt. Zumindest die ältere Spruchpraxis der Konventionsorgane EGMR und E K M R unterscheidet zwischen drei verschiedenen Eingriffsformen: Enteignungen, nutzungsregelnden Maßnahmen und sonstigen Eingriffen. 46 Maßgeblich für die Unterscheidung sind die Zielrichtung der jeweiligen Maßnahme und die Eingriffsintensität. Ohne Bedeutung ist, ob der Eingriff gezielt erfolgte oder sich als unbeabsichtigte Nebenfolge staatlichen Handelns darstellt. Auch seine Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit nach nationalem Recht spielt für die Einordnung keine Rolle.47
42 43 44 45 46
Peukert EuGRZ 1981, 97, 103; Gelinsky (Fn 18) S 32; Riedel (Fn 21) S 69. EKMR, DR 66 (1990), 70, 79 - Smith Kline/Niederlande. EGMR, EuGRZ 1979,454 ff - Marckx. EGMR, EuGRZ 1979,454 ff - Marckx. Zur älteren Entscheidungspraxis, die von einer eigenständigen Kategorie „sonstiger Eingriffe" ausgeht, zu der an ihr geäußerten Kritik und zu neueren Tendenzen in der Rechtsprechung des EGMR sogleich u Rn 32 ff. 47 Gelinsky (Fn 18) S 200.
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Fall 3: (nach EGMR, EuGRZ 1988, 513 ff-AGOSI) Die deutsche Goldhandelsfirma Α verkauft dem britischen Staatsbürger X im Jahre 1975 Krügerrand-Goldmünzen im Wert von 120000 £. Das Eigentum bleibt bis zur Bezahlung vorbehalten. Weil die Bezahlung nicht erfolgt und Α den Kaufvertrag später erfolgreich anficht, bleiben die Münzen Eigentum der Α. X transportiert die Münzen ohne Wissen der A nach Großbritannien. Bei der nach britischem Recht illegalen Einfuhr werden die Münzen vom Zoll beschlagnahmt. Ein Herausgabeverlangen der Α wird von den britischen Behörden abgelehnt. Die Münzen seien rechtmäßig beschlagnahmt worden und das Eigentum an ihnen nach den einschlägigen Vorschriften verfallen.
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a) Enteignungen Während das BVerfG den Begriff der Enteignung nach Art 14 III G G tendenziell eng versteht, 48 neigt der E G M R dazu, die Position des Eigentümers gegenüber staatlichen Eingriffen zu stärken, 49 indem er den Anwendungsbereich des Art 1 I 2 des 1. ZP E M R K großzügig auslegt. Der Gerichtshof kleidet dies in die Formulierung, die Konvention solle „konkrete und wirksame" Rechte schützen. 50 Die Prüfung einer nationalen Maßnahme am Maßstab der Enteignungsnorm des Art 1 I 2 des 1. ZP E M R K setzt nicht voraus, dass ein formeller Eigentumstransfer stattgefunden hat. Zur Sicherung eines effektiven Eigentumsschutzes werden vielmehr auch faktische Eigentumsentziehungen einbezogen." Für die Abgrenzung zu Nutzungsregelungen nach Art 1 II des 1. ZP E M R K kommt es vor allem darauf an, ob von den betroffenen Vermögenswerten weiterhin in wirtschaftlich sinnvoller Weise Gebrauch gemacht werden kann. 52 Darüber hinaus können auch nutzungsregelnde nationale Maßnahmen an der Enteignungsnorm des Art 1 I 2 des 1. ZP E M R K zu messen sein, wenn die Maßnahmen der Vorbereitung einer Enteignung dienen und es deshalb an einer bloß nutzungsregelnden Intention des nationalen Hoheitsträgers fehlt. 53 In jüngster Zeit beschäftigt den E G M R vermehrt die Rechtmäßigkeit von Enteignungen im Rahmen der europäischen Nachkriegsordnung. Das Ende des Kalten Krieges und der Systemwechsel in Mittel- und Osteuropa stellen die Staaten vor erhebliche Probleme bei der Bewältigung des hier geübten (Un-)Rechts.
48 Vgl etwa BVerfG, Beschluss ν 6.10.2000, W M 2001, 775 ff. 49 Zu sonstigen Unterschieden zwischen der Garantie des Art 14 G G und der des Art 1 1. ZP E M R K vgl Grabenwarter E M R K § 25 Rn 2, der zu Recht auch auf Momente eines schwächeren Eigentumsschutzes nach Art 1 1. ZP E M R K aufmerksam macht. 50 E G M R , E u G R Z 2004, 57 ff - Jahn. 51 Vgl etwa E G M R , E u G R Z 2004, 57 ff - Jahn; zur Unterscheidung zwischen formellen und de facto - Eingriffen s Grabenwarter E M R K § 25 Rn 9 ff. 52 Zur Abgrenzung der formellen Enteignung von der Nutzungsregelung s auch Mitteiberger E M R K S 92 ff; zur Abgrenzung der de facto-Enteignung von der Nutzungsregelung s auch Müller-Michaels (Fn 17) S 74 f sowie Mitteiberger E M R K S 86 ff. 53 Allgemein zur Enteignung nach Art 1 I 2 1. ZP E M R K : Peukert E u G R Z 1988, 510 ff; Gelinskv (Fn 18) S 42 ff.
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Fall 4: (nach EGMR, EuGRZ 2004,57ff - Jahn) 54 Α hatte noch vor der Wende 1989 nach dem Recht der D D R kraft Erbfolge Eigentum an einem Grundstück aus der sog Bodenreform erlangt. Die Bodenreform hatte von 1945 bis 1949 in der sowjetischen Besatzungszone stattgefunden. Dabei waren Großgrundstücke enteignet und in einen Bodenfonds übergeführt worden, aus dem anschließend kleine Parzellen landlosen oder landarmen Bauern sog. „Neubauern" zugeteilt worden waren. Das „Eigentum" an diesen Grundstücken war nach dem Recht der D D R zwar grundsätzlich vererblich, im Übrigen jedoch in vielfacher Hinsicht beschränkt. Über die Grundstücke durfte nicht frei verfügt werden. Zur Zeit der D D R erlassene Besitzwechselverordnungen regelten die Falle der Rückführung der Grundstücke in den Bodenfonds und erlaubten die Zuteilung an Dritte nur unter der Voraussetzung, dass diese sich verpflichteten, die Grundstücke landwirtschaftlich zu nutzen. Das am 16. März 1990 in Kraft getretene Modrow-Gesetz hob sämtliche Verfügungsbeschränkungen für die Grundstücke aus der Bodenreform auf und machte deren Besitzer zu vollwertigen Eigentümern. Die ersten freien Wahlen fanden in der D D R am 18. März 1990 statt. Am 22. Juli 1992 trat das vom bundesdeutschen Gesetzgeber verabschiedete Zweite Vermögensrechtsänderungsgesetz über die Abwicklung der Bodenreform in den Ländern im Gebiet der ehemaligen D D R in Kraft. Nach den danach in Art 233 EGBGB eingefügten §§ 11 ff geht das Eigentum an Bodenreformgrundstücken kraft Gesetzes grds auf die Person über, die bei Ablauf des 15.3.1990 im Grundbuch als Eigentümer eingetragen war, oder an deren Erben. Letzteres allerdings nur dann, wenn es keine „besserberechtigte" Person gibt, die einen Anspruch auf unentgeltliche Auflassung des Grundstücks hat und diesen auch erhebt. War der im Grundbuch eingetragene Eigentümer bereits bei Inkrafttreten des Modrow-Gesetzes verstorben, gilt der Fiskus des Landes, in dem das Grundstück liegt, als besserberechtigt, wenn nicht der Erbe bei Ablauf des 15.3.1990 in der Land- oder Forstwirtschaft tätig war. 1994 ließ A, der zu keinem Zeitpunkt in der Landoder Forstwirtschaft tätig war, sich in das Grundbuch eintragen. 1996 wurde Α dazu verurteilt, sein Grundstück an das Land L unentgeltlich aufzulassen.
b) Nutzungsregelnde Maßnahmen 27
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Grundsätzlich werden als Nutzungsregelung M a ß n a h m e n angesehen, die zwar in die Eigentümerposition eingreifen, dieser jedoch noch eine „Substanz" lassen. 55 So hat der E G M R etwa den gesetzlichen Ausschluss polizeilicher Mithilfe bei der Räumung einer zu Recht gekündigten Wohnung als Art 1 II des 1. Z P E M R K verletzende Nutzungsregel beurteilt. 56 Allerdings hat der E G M R auch solche Maßnahmen als Nutzungsregelung nach Art 1 II des 1. Z P E M R K begriffen, die eine vollständige Entziehung des Eigentums zur Folge hatten. D a f ü r soll es ausreichen, wenn die entziehenden M a ß n a h m e n sich als Sanktion der Verletzung einer Nutzungsregelung darstellen. 57
54 Das „Jahn-Urteil" wird in der deutschen Literatur kontrovers diskutiert, s etwa Cremer EuGRZ 2004, 134 ff; Kämmerer DVB1 2004, 995 ff; Hornickel NVwZ 2004, 567 ff. 55 Zum Begriff und den Voraussetzungen für die Nutzungsregelung s auch Hartwig (Fn 29) S 569 f; ν Danwitz (Fn 2) S 243 ff; Mitteiberger EMRK S 66, 69 f, der auch zahlreiche Beispiele für typische Anwendungsfälle der Nutzungsänderung erwähnt, S 66 ff. 56 EGMR, ECHR 1999-V, 73 ff - Immobilare Saffi, vgl dazu näher Peters EMRK S 197. 57 Vgl dazu das - im Übrigen viel kritisierte - Urteil in der Sache EGMR, EuGRZ 1988, 513 ff AGOSI. Hinsichtlich der Einordnung solcher „Konfiskationen" in die Kategorie der Nutzungsregelung zustimmend Gelinsky (Fn 18) S 47 f, 54.
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Art 1 II des 1. ZP E M R K enthält neben den Nutzungsregelungen als weitere Untergruppe Ermächtigungen zur Auferlegung von Abgaben, insbesondere Steuern, und von Geldstrafen. 58 Nach der Rechtsprechung der Konventionsorgane sind die Mitgliedstaaten grundsätzlieh nicht zur Entschädigung für nutzungsregelnde Eingriffe in das Eigentum gemäß Art 1 II des 1. ZP E M R K verpflichtet. Hierin konkretisiert sich die auch aus dem deutschen Recht vertraute Sozialbindung des Eigentums. 59 Wie nach Art 14 I 2 G G können aber auch unter der Geltung der E M R K zulässige Inhaltsbestimmungen ausnahmsweise entschädigungspflichtig sein, sofern unbillige Härten anders nicht vermieden werden können. Dies legt schon die Herleitung der Entschädigungspflicht aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nahe. 60 Lösung Fall 3: Der Verfall der Krügerrand-Goldmünzen stellt einen Eingriff in das von Art 11 des 1. ZP EMRK geschützte Eigentum dar. Obwohl der Verfall der Münzen diese der Eigentümerin dauerhaft entzieht, sieht der EGMR darin keine Enteignung, sondern nur die rechtliche Folge des Verbots der Einfuhr. Weil letzteres lediglich eine Nutzungsregelung darstelle, sei auch der Verfall als „Nutzungsregel" gemäß Art 1 II des 1. ZP EMRK zu beurteilen."
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c) „Sonstige" Beeinträchtigungen Die Anerkennung einer eigenständigen Kategorie sonstiger Eingriffe nach Art 1 I 1 des l . Z P E M R K durch den EGMR 6 2 wird in der Literatur vielfach abgelehnt. Der Eingangssatz des Art 1 des 1. ZP E M R K beschreibe allein den Schutzbereich der Eigentumsgarantie und mache die nachfolgend eröffneten Eingriffsmöglichkeiten rechtfertigungspflichtig. Er habe insoweit eingriffsbeschränkende, nicht aber eingriffsermöglichende Funktion. 63 In seiner jüngeren Rechtsprechung scheint sich der E G M R dieser Auffassung zumindest insoweit anzunähern, als er eine explizite Unterscheidung zwischen einzelnen Eingriffsarten jedenfalls in komplexen Sachverhalten für entbehrlich ansieht und den Eingriff an der die Eigentumsfreiheit begründenden Grundnorm des Art 1 I 1 des 1. ZP E M R K misst.64 In jüngeren Entscheidungen ist außerdem nunmehr von drei in Art 1 des 1. Z P E M R K enthaltenen „Regeln" die Rede, von denen sich die zweite (enteignende Eingriffe gem Art 1 I 2 des 1. ZP EMRK) und die dritte (nutzungsregelnde Eingriffe gem Art 1 II des 1. ZP EMRK) mit spezifischen Begrenzungen des Rechts auf Achtung des Eigentums beschäf-
58 59 60 61
Dazu ν Danwitz (Fn 2) S 246; Mitteiberger E M R K S 71; Müller-Michaels (Fn 17) S 73. Zu dieser Parallele Frowein (Fn 8) S 49, 50. Vgl dazu u Rn 45 ff. E G M R , E u G R Z 1988, 513ff - AGOSI. Nach Auskunft von Frowein (Fn 8) S 49, 65 bekam die Firma im Anschluss an das Urteil die Hälfte des Wertes der Münzen erstattet. 62 Vgl dazu E G M R , E u G R Z 1983, 523 ff - Sporrong und Lönnroth; vgl aber auch die schon zu diesem Urteil insoweit geäußerte abweichende Ansicht von acht Richtern. Vgl aus jüngerer Zeit: E G M R , NJW 2003, 654 ff - Beyerle. Zur Unterscheidung auch Mitteiberger E u G R Z 2001, 364, 366. 63 Gelinsky (Fn 18) S 86 ff; aA Peters E M R K S 198, die dem Grundgedanken der Schaffung eines Auffangtatbestandes grundsätzlich positiv gegenübersteht. 64 E G M R , R J D 2000-1, Ziff 106 - Beyeler; Späte Ausübung eines Vorkaufsrechts für ein Gemälde von Vincent van Gogh; s auch E G M R , E u G R Z 2004, 472 ff - Broniowski.
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tigten, die im Lichte des allgemeinen Grundsatzes der ersten Regel (Art I I I des 1. ZP EMRK) auszulegen seien.65 Auch soll eine Prüfung „sonstiger Eingriffe" allein anhand der ersten Regel nur dann in Frage kommen, wenn für eine Anwendung der Eingriffsnormen der zweiten und dritten Regel kein Raum ist.66 Soweit der E G M R sonstige Eigentumsbeeinträchtigungen für zulässig erachtet, gelten diese nur dann als mit Art 1 I 1 des 1. ZP E M R K vereinbar, sofern eine Entschädigungsregelung existiert oder aber das nationale Recht anderweitige Vorkehrungen zum Ausgleich der erlittenen Nachteile vorsieht. An die Rechtfertigung sonstiger Eingriffe werden damit höhere Anforderungen gestellt als an die nutzungsregelnder Maßnahmen. 67 Lösung Fall 2: Die Enteignungsgenehmigung stellt keine Enteignung iSv Art 1 I 2 des 1. ZP EMRK dar. Eine solche hat zu keinem Zeitpunkt stattgefunden und ist nach Aufhebung der Genehmigung auch nicht mehr zu erwarten. Die Beschränkung der Eigentumsrechte der S erreichte auch während der Gültigkeit der Enteignungsgenehmigung nicht ein solches Ausmaß, dass sie in ihren Wirkungen einer Enteignung gleichzusetzen gewesen wäre. Der EGMR sieht sich allerdings auch gehindert, die Enteignungsgenehmigung nach ihren Wirkungen als eine Regelung der „Nutzung des Eigentums" iSv Art 1 II des 1. ZP EMRK einzuordnen. Die Genehmigung habe zu keinem Zeitpunkt darauf abgezielt, die Nutzung zu beschränken oder zu kontrollieren. Als (später nicht verwirklichte) Anfangsstufe einer Enteignung könne sie als „sonstige Beschränkung" allein an Art 1 I 1 des 1. ZP EMRK gemessen werden.68 In der Sache erweist sich die Enteignungsgenehmigung wegen ihrer unangemessen langen Dauer und wegen des Ausschlusses eines Ersatzes der aus ihr resultierenden Vermögensschäden als Verletzung des Eigentumsrechts der EMRK. 69 3. Rechtfertigung von
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Eigentumsbeeinträchtigungen
Nach dem Text des Art 1 des 1. ZP E M R K und der Rechtsprechung der Konventionsorgane bemisst sich die Rechtfertigung von Eingriffen in das Eigentumsrecht an drei kumulativen Voraussetzungen. Die entsprechenden staatlichen Maßnahmen müssen gesetzmäßig erfolgen, dem öffentlichen Interesse dienen und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen.70
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Vgl dazu etwa EGMR, EuGRZ 2001, 397 ff - Ehemaliger König. EGMR, EuGRZ 1988, 341 ff-James. Gelinsky (Fn 18) S 203. Zur Kritik an dieser dogmatischen Einordnung bereits soeben Rn 32 f. EGMR, EuGRZ 1983, 523 ff - Sporrong und Lönnroth. Dazu, dass die unangemessen lange Dauer eines Flurbereinigungsverfahrens sich als eine neben einer Verletzung von Art 6 I EMRK selbständige Verletzung auch des Art 1 I 1. ZP EMRK erweisen kann: EGMR, NJW 1989, 650 ff - Poiss; zu einer Verneinung einer überlangen Verfahrensdauer hinsichtlich eines eigentumsrechtlichen Entschädigungsverfahrens: EGMR, EuGRZ 1999, 319 - Papachelas. 70 Ob diese Voraussetzungen allerdings einheitlich auf alle drei Eigentumseingriffe angewendet werden können, wird unterschiedlich beurteilt. Grabenwarter EMRK § 25 Rn 12 ff sowie MüllerMichaels (Fn 17) S 78 ff differenzieren bei der Rechtfertigung von Eigentumsbeeinträchtigungen nochmals zwischen den einzelnen Eigentumseingriffen. Dem Erfordernis der Einhaltung der „durch die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts vorgesehenen Bedingungen" bei Enteignungen, s Art 1 I 1. ZP EMRK, kommt jedoch keine besondere Bedeutung zu, so dass sich die Voraussetzungen der Rechtfertigung von Nutzungsregelungen und Enteignungen insofern gleichen.
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Fall 5: (nach EGMR, EuGRZ 1977, 38 ff - Handyside) Der britische Verleger Η will die englische Fassung eines dänischen Buches mit dem Titel „The little Red Schoolbook" auf den Markt bringen. Das Buch behandelt als Nachschlagewerk für Schüler allgemeine Fragen von Erziehung und Unterricht und thematisiert in einem Umfang von etwa 10% seines Inhalts Fragen der Sexualkunde. Das Buch wird von der britischen Polizei beschlagnahmt. In den nachfolgenden Verfahren vor britischen Gerichten wird Η wegen Verstoßes gegen den Obscene Publications Act zu einer Geldstrafe verurteilt. Zudem wird die Einziehung und Vernichtung der beschlagnahmten Bücher angeordnet.
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a) Gesetzmäßigkeit der Beeinträchtigung Nach Art 1 I 2 des 1. ZP E M R K ist eine Enteignung nur unter den durch Gesetz und durch die Allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts 71 vorgesehenen Bedingungen zulässig. Auch Art 1 II des 1. ZP E M R K erlaubt nur eine gesetzmäßige Regelung der Nutzung des Eigentums. Der Entzug oder die Ausgestaltung des Inhalts des Eigentums verlangt dabei nach einer hinreichend bestimmten rechtlichen Grundlage, die insb eine hinreichende Berechenbarkeit und Vorhersehbarkeit der staatlichen Eingriffe ermöglichen muss.72 Nach der jüngeren Rechtsprechungspraxis des E G M R ist die Gesetzmäßigkeit des Eigentumseingriffes die erste und bedeutendste Voraussetzung zu seiner Rechtfertigung. 73 So hat der E G M R entschieden, dass eine fortdauernde Entziehung von Eigentum konventionswidrig sei, wenn diese im Widerspruch zu Normen des nationalen Rechts erfolgt sei oder aufrechterhalten werde.74 Allerdings reklamiert der Gerichtshof angesichts der Besonderheiten des jeweiligen nationalen Rechts insoweit nur eine begrenzte eigene Prüfungskompetenz.75 In erster Linie sei es Aufgabe der innerstaatlichen Behörden und Gerichte, das nationale Recht auszulegen und anzuwenden und ggf über seine Verfassungsmäßigkeit zu entscheiden. 76 Der Gerichtshof beschränkt seine Prüfung der Gesetzmäßigkeit deshalb auf die Frage, ob die Auslegung der anwendbaren Normen „willkürlich" sei.77 Unklarheiten des anwendbaren nationalen Rechts müssen dabei dennoch nicht zwangsläufig zu
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Ob allerdings an die Voraussetzungen teilweise unterschiedliche Anforderungen zu stellen sind, ist ebenfalls str. S dazu und insb zu dem Streit, ob das „Öffentliche Interesse" (Abs 1) mit dem „Allgemeininteresse" (Abs 2) gleichzusetzen ist, Mitteiberger EMRK S 115 ff. Ähnlich wie hier: ν Danwit: (Fn 2) S 250 ff. Diesem Merkmal kommt in der Entscheidungspraxis des EGMR allerdings schon deshalb eine vergleichsweise geringe Bedeutung zu, weil das Völkerrecht Regeln für die Enteignung nur hinsichtlich des Eigentums von Ausländern kennt. Eine einfache Übertragung der im Völkerrecht anerkannten und mit der Formulierung des Art 1 I 2 1. ZP EMRK in Bezug genommenen (vgl dazu Weiß Die europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, 1954, S 20) Beschränkungen und Kompensationserfordernisse auf die Enteignung der eigenen Staatsangehörigen lehnt der EGMR aus teleologischen Gründen ab, vgl EGMR, EuGRZ 1988, 341 ff - James. Mitteiberger EuGRZ 2001, 364, 367. EGMR, EuGRZ 1999, 317 ff - Iatridis; EuGRZ 2001, 397 ff - Ehemaliger König. EGMR, EuGRZ 1999, 317 ff - Iatridis, Aufrechterhaltung der Wirkungen einer Zwangsräumung trotz gegenteiliger Entscheidungen der nationalen Gerichtsbarkeit. EGMR, EuGRZ 1992, 5 ff - Häkansson und Sturesson. EGMR, EuGRZ 2001, 397 ff - Ehemaliger König. EGMR, EuGRZ 2004, 57 ff - Jahn.
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Lasten des jeweiligen Beschwerdeführers gehen. Im Gegenteil verlangt gerade das Kriterium der Gesetzmäßigkeit des Eingriffs nach einer für den Betroffenen hinreichend zugänglichen, präzisen und vorhersehbaren Ausgestaltung des nationalen Rechts.78 b) Schutz des öffentlichen Interesses 38
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Art 1 I 2 des 1. ZP EMRK erlaubt Enteignungen im „öffentlichen Interesse". Art 1 II des 1. ZP EMRK spricht von der Möglichkeit der Rechtfertigung von nutzungsregelnden Eigentumsbeschränkungen durch das „Allgemeininteresse". Beide Begriffe werden in Rechtsprechung und Literatur als deckungsgleich verstanden.79 Auch für „sonstige Eingriffe" verlangt der EGMR eine Legitimation durch ein im öffentlichen Interesse liegendes Ziel der jeweiligen Maßnahme.80 Dabei formuliert der EGMR zurückhaltend, die innerstaatlichen Stellen verfügten aufgrund ihrer „unmittelbaren Kenntnis" der lokalen Situation oder der „jeweiligen gesellschaftlichen Bedürfnisse" über einen weiten Einschätzungsspielraum bei der Bestimmung des Allgemeininteresses an einer Beschränkung des Eigentums.81 Die gerichtliche Prüfung durch den EGMR beschränkt sich allein darauf, zu prüfen, ob die entsprechenden Motive des Gesetzgebers sich als „offensichtlich unbegründet" darstellen.82 Insbesondere kann auch die Begünstigung privater Dritter im „öffentlichen Interesse" liegen. Unzulässig ist eine solche Begünstigung allerdings dann, wenn sie den alleinigen Zweck der hoheitlichen Maßnahme darstellt und eine Förderung sonstiger öffentlicher Interessen nicht erkennbar ist.83 Verlangt wird im Übrigen keine Übertragung des Eigentums in den Gemeingebrauch. Vielmehr können sozial- oder wirtschaftspolitische Erwägungen den Gesetzgeber auch zu einer Umverteilung von Eigentum zugunsten bestimmter Bevölkerungsgruppen berechtigen.84 Soweit erkennbar ist in Anwendung dieser Maßstäbe erst in einer Entscheidung des EGMR ein öffentliches Interesse hinsichtlich einer Eigentumsbeeinträchtigung verneint worden.85 Lösung Fall 5: Die Beschlagnahme der Bücher wie die Anordnung ihrer Einziehung und Vernichtung greifen in das in Art 1 des 1. ZP EMRK geschützte Eigentumsrecht des Η ein. Weil die Beschlagnahme, Einziehung und Vernichtung sich als konfiskatorische Konsequenz eines Publikationsverbots für obszöne Schriften darstellen, werden sie vom EGMR einheitlich als Ergeb-
78 EGMR, EuGRZ 1996, 593 ff - Hentrich; EuGRZ 1988, 350 ff - Lithgow; RJD 2000-1, Ziff 109 Beyeler. 79 Dazu EGMR, EuGRZ 1988, 341 ff - James; Peukert in: Frowein/Peukert Art 1 l . Z P EMRK Rn 48; Mitteiberger EuGRZ 2001, 364, 367. 80 EGMR, RJD 2000-1, Ziff 111 - Beyeler. 81 Vgl etwa EGMR, RUDH 1991, 551 ff - Wiesinger, unter Hinweis auf EGMR, HRLJ 1991, 93 ff Fredin (Nr. 1); sowie EGMR, RUDH 1994,21 ff - Raimondo. 82 EGMR, EuGRZ 1988, 341 ff - James. 83 Vgl dazu VerfGH Wien, EuGRZ 1990, 425 ff wonach die Verweigerung einer Ausfuhrbewilligung für Kupferdrahtabfälle nicht allein damit begründet werden kann, durch sie ginge einem inländischen Produzenten eine vergleichsweise günstige inländische Bezugsquelle für Kupfer verloren, das er deshalb auf dem Weltmarkt zu deutlichen höheren Preisen beschaffen müsse. 84 EGMR, EuGRZ 1988, 341 ff-James. 85 EGMR, RUDH 1994, 21 ff - Raimondo, kein öffentliches Interesse an der Verzögerung einer gerichtlich angeordneten Restitution zuvor zu Unrecht konfiszierten Eigentums.
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nis der Anwendung einer nationalen Vorschrift begriffen, die nicht der Entziehung, sondern lediglich der Regelung der Benutzung des Eigentums iSv Art 1 II des 1. ZP EMRK dient." Nach Auffassung des EGMR setzt dieser zweite Absatz aber „die Vertragsstaaten als alleinige Richter über die .Notwendigkeit' eines Eingriffs ein" und eröffnet ihnen einen besonders weiten Beurteilungsspielraum. An einer von der der nationalen Instanzen abweichenden Beurteilung der moralischen Verwerflichkeit des Schulbuches sieht sich der Gerichtshof deshalb gehindert.87 c) Verhältnismäßigkeit der Beeinträchtigung Wesentlichste88 Frage und damit zentrales richterliches Instrument bei der Beurteilung von staatlichen Eigentumsbeeinträchtigungen ist auch für den Grundrechtsschutz nach der E M R K die allgemeine Frage nach der Verhältnismäßigkeit des Eingriffs.89 Der E G M R begreift das Verhältnismäßigkeitserfordernis in ständiger Rechtsprechung als ungeschriebene Rechtfertigungsvoraussetzung des Art 1 des 1. ZP EMRK. 9 0
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aa) Legitimer Zweck Nach der Rechtsprechung des E G M R muss jede eigentumsbeeinträchtigende Maßnahme einen berechtigten Zweck verfolgen.91 Die Prüfung dieses Punktes deckt sich inhaltlich mit der Frage nach dem die Maßnahme rechtfertigenden „öffentlichen Interesse" iSv Art 1 I 2 des l . Z P EMRK. 9 2
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bb) Erforderlichkeit Dem Kriterium der Erforderlichkeit einer eigentumsbeschränkenden staatlichen Maßnahme ist in der Spruchpraxis der Konventionsorgane wegen des den Mitgliedstaaten insoweit zugebilligten weiten Prognosespielraums93 bislang noch keine besondere Bedeutung zugewachsen.94 Die Kommission hat kurz vor Ende ihrer Tätigkeit sogar noch festgestellt, Art 1 des 1. ZP E M R K enthalte überhaupt kein Erforderlichkeitskriterium. 95 Auch dem E G M R ist der Vorwurf gemacht worden, er berücksichtige in seiner Rechtsprechung nicht hinreichend, ob die konkret gerügten Eigentumsbeeinträchtigungen nicht durch eingriffsmildernde Maßnahmen hätten vermieden werden können. 96 In der Tat hat der
86 Vgl dazu schon Rn 28, insb Fn 57. 87 EGMR, EuGRZ 1977, 38 fT - Handyside. 88 Vgl ν Danwit: (Fn 2) S 252, zur insoweit wachsenden Bedeutung des Gesetzmäßigkeitsprinzips. Auch ν Danwitz betont aber die ganz wesentliche Bedeutung, die dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit als Abwägungskriterium zukommt, S 253. 89 Dazu Cremona FS Bernhardt, 1995, S 323; Eissen in: Pettiti/Decaux/Imbert La Convention Europeenne des droits de l'homme, 1999, S 65 fT; Fiedler EuGRZ 1996, 354, 355; - > § 2 R n 47. 90 Mitteiberger EuGRZ 2001, 364, 368 f. 91 EGMR, RJD 2000-1, ZifF 1 1 1 - Beyeler. 92 Vgl dazu schon ο Rn 38. 93 Vgl dazu insbesondere EGMR, EuGRZ 1977, 38 fT - Handyside. 94 Mitteiberger EuGRZ 2001, 364, 368 spricht gar davon, das Kriterium der Erforderlichkeit sei „nicht von Bedeutung". 95 Vgl EGMR, EuGRZ 2001, 397 fT - Ehemaliger König. 96 Gelinsky (Fn 18) S 203 unter Hinweis auf die Entscheidung in der Sache EGMR, EuGRZ 1988, 513 f f - A G O S I .
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EGMR ausdrücklich festgestellt, in Art 1 des 1. ZP EMRK könne kein „Erfordernis einer strikten Notwendigkeit" hineingelesen werden. Die bloße Möglichkeit alternativer Verfahrensweisen mache für sich genommen eine nationale Maßnahme noch nicht ungerechtfertigt. Sie biete lediglich „einen Gesichtspunkt unter anderen", der berücksichtigt werden müsse, um festzustellen, ob die gewählten Mittel als vernünftig und angemessen zur Erzielung des legitimen Zwecks erachtet werden könnten. Innerhalb dieser Grenzen sei es dem Gerichtshof „verwehrt festzustellen, ob" eine Maßnahme „die beste Lösung des Problems" darstelle oder ob das den nationalen Stellen einzuräumende Ermessen anders hätte ausgeübt werden müssen.97 cc) Gerechter Ausgleich der Interessen 44
Zum zentralen Argumentationstopos avanciert dabei in der Rechtsprechung der Konventionsorgane die Frage, ob zwischen den Forderungen des Allgemeininteresses und den Erfordernissen eines effektiven Individualrechtsschutzes ein „gerechter Ausgleich" oder auch ein „Gleichgewicht" besteht.98 Die Rechtsprechung erstreckt die eigene Prüfung nationaler Maßnahmen, die der Sache nach einer Prüfung ihrer Angemessenheit oder Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne nach deutschem Rechtsverständnis weithin entspricht, mit Hilfe dieses Abwägungstopos auch auf die tatsächlichen Einzelheiten des konkret zu beurteilenden Einzelfalles.99 dd) Kompensationserfordernis
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Fan 6: (nach EGMR, EuGRZ 1988, 341 ff - James) Durch Gesetz werden sog „Langzeitpächter" berechtigt, die von ihnen bewohnten und instand gehaltenen Häuser zu gesetzlich festgelegten Konditionen zu erwerben und so den vertraglich vereinbarten „Heimfall" an den Verpächter zu verhindern. Die den ehemaligen Verpächtern zu zahlenden Kaufpreise liegen dabei deutlich unter den am Markt zu erzielenden Preisen. Art 1 des 1. ZP EMRK enthält - anders als Art 14 GG - keine ausdrückliche Bestimmung zur Notwendigkeit einer Entschädigung. Die „durch die allgemeinen Grundsätze des Völkerrechts vorgesehenen Bedingungen", auf die die Norm verweist, beinhalten eine Entschädigungspflicht nur für solche staatlichen Maßnahmen, die sich gegen das Eigentum von Ausländern richten.100 Dennoch hält der EGMR seit der Entscheidung in der Sache James die Enteignung oder die sonstige (faktische) vollständige Wegnahme des Eigentums auch von Inländern ohne Entschädigung unter Hinweis auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit101 für nur 97 E G M R , E u G R Z 1988, 341 ff- James. 98 Engl/franz: „proper balance"/,juste equilibre", vgl etwa E G M R , R U D H 1991, 551 ff - Wiesinger; ähnlich für die Beurteilung des Verhältnisses von Enteignung und Kompensation E G M R , HRLJ 1995, 30 ff - Heilige Klöster: „fair balance". Zu den aus der Verwendung dieses Begriffs drohenden „Gefahren beliebig steuerbarer Ergebnisse" Fiedler E u G R Z 1996, 354, 355. 99 Vgl dafür E G M R , E u G R Z 1996, 593 ff - Hentrich. In einer Gesamtbetrachtung aber dennoch kritisch gegenüber der in der Rechtsprechung (nicht) erreichten Kontrollintensität: Gelinsky (Fn 18) S 202 f. 100 Zu den dogmatischen Schwächen dieser Argumentation ν Danwitz (Fn 2) S 221, 255 mwN. 101 ν Danwitz (Fn 2) S 256.
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in Ausnahmefällen rechtfertigungsfähig.102 Sei der Eigentumseingriff gesetzmäßig erfolgt und nicht willkürlich gewesen, mache das Fehlen einer Entschädigung nicht eo ipso und stets den Eigentumsentzug unzulässig.103 Es bleibe zu ermitteln, ob die Beschwerdeführer im Rahmen einer gesetzmäßigen Eigentumsentziehung eine unverhältnismäßige und übermäßige Last zu tragen hatten. Umgekehrt kann eine gesetzlich vorgesehene Entschädigung die Härten eines Eigentumsentzugs oder einer Eigentumsbeschränkung so weit abmildern, dass sich die Maßnahmen insgesamt als verhältnismäßig erweisen.104 Voraussetzung ist allerdings, dass die vorgesehene Kompensation den betroffenen Eigentümern auch tatsächlich zukommt und für sie der Sache nach nicht völlig ohne Wert ist. So hat der EGMR die Berechtigung zur Jagd auf fremden Grundstücken als untaugliche Kompensation der gesetzlich auferlegten Pflicht zur Duldung der Jagd durch Dritte auf dem eigenen Grundstück angesehen. Wer wie die Beschwerdeführer - die Jagd aus ethischen Gründen ablehne, für den sei die Einräumung eines solchen kompensatorischen Rechts ohne Wert.105 Die Entschädigungspflicht106 gilt gegenüber Inländern wie gegenüber Ausländern.107 Auch für die Ermittlung der Höhe der damit notwendigen Kompensation ziehen EGMR und Kommission das Kriterium des gerechten Ausgleichs heran. Dabei muss nicht in jedem Fall der volle Verkehrswert des entzogenen Eigentums gezahlt werden.108 So kann unter Umständen auf einen Ausgleich für inflationsbedingte Vermögenseinbußen verzichtet werden, die sich bis zum Zeitpunkt der Auszahlung der Entschädigung ergeben.109 Insgesamt begründet sich nach der Rechtsprechung des EGMR allein eine Pflicht zur „angemessenen" Entschädigung.'10 Ablehnend steht der Gerichtshof allerdings solchen rechtlichen Regelungen gegenüber, die die zu leistende Entschädigung unter Hinweis auf unwiderlegliche gesetzliche Fiktionen pauschal mindern. Verworfen wurde deshalb eine griechische Entschädigungsregelung, nach der der Bau einer Nationalstraße für die betroffenen Anwohner stets als eine Wertsteigerung anzusehen sei, die bei der Berechnung der Entschädigung für die teilenteigneten Grundstücke pauschal in Anrechung zu stellen sei. Auch Argumente der Verwaltungspraktikabilität sollen ein solches System wegen seiner „exzessiven Starrheit" nicht rechtfertigen können.111
102 EGMR, EuGRZ 1988, 341 ff - James: „the protection of the right of property ... would be largely illusionary and ineffective in the absence of any equivalent principle"; vgl auch EGMR, HRLJ 1995, 30 ff - Heilige Klöster; EuGRZ 2001, 397 ff - Ehemaliger König. Näher zur Bedeutung des Kompensationserfordernisses auch für die Fälle der de-facto-Enteignung: Frowein (Fn 8) S 49, 58 ff; Fiedler EuGRZ 1996, 354, 355 f. 103 EGMR, EuGRZ 2004, 57, Rn 83 - Jahn. 104 EGMR, EuGRZ 2001, 397 ff - Ehemaliger König. 105 EGMR, NJW 1999, 3695 ff - Chassagnou. 106 Zu ihr eingehend Riedel EuGRZ 1988, 333 ff. 107 Allerdings lehnt der EGMR eine Übertragung der für die Enteignung von Ausländern geltenden strengen kompensationsrechtlichen Regeln, wie sie sich aus den in Art 1 1 1 1 . ZP EMRK in Bezug genommenen „allgemeinen Regeln des Völkerrechts" ergeben, auf die Enteignung von Inländern ab. Eine „Inländerdiskriminierung" im Bereich der Enteignungsentschädigung ist deshalb zulässig; vgl dazu EGMR, EuGRZ 1988, 341 ff - James. 108 EGMR, EuGRZ 1988, 341 ff-James. 109 EGMR, EuGRZ 1988, 350 ff - Lithgow; näher dazu Gelinsky (Fn 18) S 144 ff. 110 Wie hier: Peters EMRK S 195 f. 111 EGMR, EuGRZ 1999, 319 ff mwN - Papachelas.
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Im Übrigen verlangt der EGMR lediglich, dass die Höhe der Entschädigung in einem „vernünftigen Zusammenhang" zum Wert des enteigneten Objekts steht.112 Dabei billigt der EGMR den Mitgliedstaaten einen weiten Ermessensspielraum bei der Festsetzung der Entschädigung zu. So soll insbesondere auch der „soziale" oder auch „sozialisierende" Charakter 113 der staatlichen Maßnahme Berücksichtigung finden können, sofern er den Grundsätzen einer „demokratischen Gesellschaft" noch entspricht.114 Enteignende Maßnahmen zum Zwecke der Durchsetzung von Wirtschafts- und Agrarreformen können demnach auch bei geringer oder fehlender Kompensation eher auf Akzeptanz stoßen als sonstige, eher im Einzelfall veranlasste Enteignungen. Lösung Fail 6: Der durch Gesetz begründete Zwang zum Verkauf der ursprünglich bloß verpachteten Häuser stellt sich als Eigentumsentziehung nach Art 1 1 2 des 1. ZP EMRK dar. Diese Enteignung liegt, auch wenn sie private Dritte begünstigt, im von der Vorschrift vorausgesetzten „öffentlichen Interesse". Die Enteignungen werden auch nicht dadurch konventionswidrig, dass sie keine vollständige Entschädigung der betroffenen Alteigentümer vorsehen. Zwar hält der EGMR eine Entschädigung für grundsätzlich geboten. In ihrer Höhe müsse sie jedoch nicht dem Marktpreis entsprechen. Insbesondere sind die Härten, die sich aus der Anwendung einer allgemeinen Enteignungsmaßnahme im Einzelfall ergeben können, im Interesse der Gleichförmigkeit, Rechtssicherheit und Schnelligkeit der Enteignung insgesamt grundsätzlich hinzunehmen.115
Die Herleitung der Entschädigungspflicht aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit macht die Anerkennung einer Fallgruppe der entschädigungspflichtigen Nutzungsbestimmung wahrscheinlich. Noch hat der EGMR dazu aber - soweit erkennbar - noch nicht entschieden. 116 Wenn der EGMR auch durchaus gewillt ist, nationale Besonderheiten wie etwa die deutsche Wiedervereinigung mit ihren Schwierigkeiten zu berücksichtigen,117 so setzt er doch hohe Anforderungen an einen Eingriff in das Eigentumsrecht. Er differenziert nicht nach der Art und Weise, auf die das Eigentum erworben wurde, sondern fragt nur danach, ob überhaupt Eigentum zu dem Zeitpunkt vorgelegen hat, in dem die EMRK Gel-
112 EGMR, EuGRZ 1988, 350 ff - Lithgow: „an amount reasonably related to its value"/„raisonnablement en rapport avec la valeur du bien"; für eine weitere Ausdifferenzierung der angewandten Kriterien vgl Condorelli in: Pettiti/Decaux/Imbert S 990 ff. 113 Vgl dafür schon EGMR, EuGRZ 1988, 341 ff - James: „greater social justice"/, justice social". 114 Für diese Formeln vgl EGMR, EuGRZ 1988, 350 fT - Lithgow; unter Berufung darauf ablehnend zu einer „klassenspezifisch orientierten Kollektivierung" und zur Perpetuierung der Wirkungen der kommunistischen Bodenreform zwischen 1945 und 1949 in Ostdeutschland: Fiedler EuGRZ 1996, 354, 356. 115 EGMR, EuGRZ 1988, 341 fT - James; Vgl auch EGMR, EuGRZ 1988, 350 fT - Lithgow, für die Beschränkung des Maßes der Entschädigung in Fällen der Verstaatlichung bestimmter Industriezweige. 116 Ähnlich wie hier: Weber Anrechnung von (mittelbaren) Enteignungsvorteilen? in: Bröhmer (Hrsg) Der Grundrechtsschutz in Europa, 2002, S 115. Einstweilen hält Weber aber wie Peters EMRK S 194 an der gerade durch die Entschädigungspflicht konstituierten Unterscheidung von Enteignung und Nutzungsbeschränkung fest. 117 EGMR, EuGRZ 2004, 57, Rn 89 - Jahn.
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Wirtschaftsgrundrechte
§ 5 113
tung erlangt hat. Dies führt zu Differenzen zwischen der Rechtsprechung des BVerfG zu Art 14 GG und der des EGMR zu Art 1 des 1. ZP EMRK." 8 Lösung Fall 4: Bei der Verpflichtung zur unentgeltlichen Auflassung des Grundstücks durch Α an das Land L handelt es sich um eine Entziehung des Eigentums gemäß Art 1 I 2 des 1. ZP EMRK. Α ist nach dem Wegfall der Beschränkungen hinsichtlich der Bodenreformgrundstücke durch das Modrow-Gesetz rechtmäßig vollwertiger Eigentümer geworden. Dieses Eigentumsrecht ist durch die deutsche Wedervereinigung Bestandteil des Rechts der Bundesrepublik Deutschland geworden, wodurch es in den Geltungsbereich der EMRK gelangte. Die Rechtmäßigkeit des auf diese Weise erworbenen vollwertigen Eigentums kann nicht dadurch in Zweifel gezogen werden, dass die Bundesregierung anschließend dieses Eigentum als unrechtmäßig erworben beurteilt. Allein entscheidend ist, dass Α nach der deutschen Wiedervereinigung in das Grundbuch eingetragen worden war und zunächst frei über sein Eigentum verfügen konnte. Der so festgestellte Eigentumsentzug ist zwar gesetzmäßig. Auch sind mit der gesetzlichen Regelung die Kriterien der Zugänglichkeit, Genauigkeit und Vorhersehbarkeit gewahrt; die Auslegung der einschlägigen Normen durch die deutschen Gerichte und die Bejahung der Verfassungsmäßigkeit durch das BVerfG ist nicht willkürlich. Außerdem hegt der EGMR keinen Zweifel daran, dass der Wille des Gesetzgebers, die Eigentumsfragen im Zusammenhang mit der Bodenreform zu klären und die Auswirkungen des Modrow-Gesetzes zu korrigieren, dem öffentlichen Interesse dient. Der Eingriff ist jedoch nicht verhältnismäßig, da Α kein Anspruch auf Entschädigung zusteht. Zwar erklärt der EGMR, er sei sich der „unendlich großen Aufgabe", die der deutsche Gesetzgeber hinsichtlich des Eigentums beim Übergang von einem sozialistischen Eigen118 Anders als der E G M R , der eine Entziehung des Eigentums nach Art 1 I 2 1. ZP bejaht, hatte das BVerfG eine Enteignung im Sinne des Art 14 III G G im vorliegenden Fall verneint (BVerfG, Beschluss ν 6.10.2000, W M 2001, 775 ff). Das BVerfG sieht in Art 233 §§ 11 III, 12 II, III EGBGB eine Regelung über die Bestimmung von Inhalt und Schranken des (Grundstücks-) Eigentums im Sinne von Art 14 I 2 GG. Enteignung sei der staatliche Zugriff auf das Eigentum des Einzelnen. Ihrem Zweck nach sei sie auf die vollständige oder partielle Entziehung konkreter subjektiver, durch Art 14 I 1 G G geschützter Positionen zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben gerichtet. Demgegenüber gehe es bei Art 233 §§ 11 bis 16 EGBGB um die nachträgliche Korrektur der durch das Modrow-Gesetz erfolgten ersatzlosen Aufhebung der Besitzwechselvorschriften und um die Schaffung klarer Eigentumsverhältnisse an den aus der Bodenreform stammenden Grundstücken. Der Gesetzgeber dürfe im Rahmen seiner Regelungsbefugnis nach Art 14 1 2 G G bei der generellen Neugestaltung eines Rechtsgebietes unter bestimmten Voraussetzungen auch bestehende, durch die Eigentumsgarantie geschützte Rechtspositionen beseitigen. Die Verhältnismäßigkeit der Inhalts- und Schrankenbestimmung sieht das BVerfG hauptsächlich deswegen gewahrt an, da Α nicht in schützenswerter Weise darauf vertrauen konnte, das Eigentum an dem nur wegen der unterbliebenen Umsetzung der Besitzwechselverordnungen der D D R erlangten Grundstück behalten zu dürfen. Vertrauen in den Fortbestand von Rechtsvorschriften der D D R habe sich in der Zeit nach der Wende mit Blick auf eine mögliche Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten nicht allgemein bilden können, sondern nur dort, wo besonderer Anlass für die Erwartung bestand, dass das Recht der D D R ausnahmsweise in Kraft bleiben werde. Das Vertrauen in die grundsätzliche Anerkennung von vor dem Inkrafttreten des Grundgesetzes im Beitrittsgebiet erworbenen Grundrechtspositionen könne nicht denselben weitgehenden Schutz beanspruchen wie das Vertrauen in den Fortbestand von Rechten, die unter der Geltung des Grundgesetzes erlangt worden seien.
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§ 5 114
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tumssystem zu einem Marktwirtschaftssystem zu bewältigen hatte, bewusst. Dennoch hält er es nicht für gerechtfertigt, das Eigentum des Α als „illegitim" zu betrachten. Seiner Ansicht nach hat Α mit Inkrafttreten des Modrow-Gesetzes rechtmäßig vollwertiges Eigentum an dem Grundstück erlangt. Der deutsche Gesetzgeber durfte das Modrow-Gesetz zwar noch zwei Jahre später korrigieren. Er durfte aber eine solche Eigentunisentziehung zu Gunsten des Staates nicht vornehmen, ohne eine angemessene Entschädigung für die Betroffenen vorzusehen. Die Frage nach der Höhe der Entschädigung sieht der EGMR als noch nicht spruchreif an. Bei der Festsetzung einer solchen Entschädigung können die besonderen Umstände des Eigentumserwerbs und das Unrecht, das die ehemaligen Eigentümer der Bodenreformgrundstücke, die 1945 enteignet wurden,"9 erlitten hatten, entschädigungsmindernd Berücksichtigung finden.120 4. Eigentumsrecht
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und andere Garantien der
EMRK
Fall 7: (nach EGMR, HRLJ 1992, 36 fT - Pine Valley) Die Firma Η erwirbt ein Gelände, das außerhalb der normalen Bauzonen liegt, für das aber eine besondere Planungsgenehmigung zum Bau eines Kaufhauses existiert. Die Planungsgenehmigung ist in ein öffentliches Register eingetragen. Nach Erwerb des Grundstückes wird die Planungsgenehmigung in einem Musterprozess vom Obersten Gerichtshof des Landes für nichtig erklärt. Während für eine Vielzahl vergleichbarer anderer Fälle ein Gesetz die Nichtigkeit nachträglich beseitigt und die Wirkung der ursprünglich rechtswidrig erteilten besonderen Planungsgenehmigungen wiederherstellt, unterbleibt dies für das Grundstück der H.
119 Die Große Kammer des EGMR hat die Beschwerden der ehemaligen Eigentümer, die zwischen 1945 und 1949 in der sowjetischen Besatzungszone oder nach 1949 in der DDR enteignet wurden, in einer Entscheidung vom 02.03.2005 (EGMR - von Maltzan und andere) für unzulässig erklärt. Diese Eigentümer sahen sich durch das Entschädigungs- und Ausgleichsgesetz von 1994 und ein bereits ergangenes Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 22.11.2000 (BVerfGE 102, 254) in ihrem Recht auf Eigentum gemäß Art 1 1. ZP verletzt, da sie der Meinung waren, dass die Ausgleichsbeträge, die sie erhalten hatten, weit unter dem tatsächlichen Wert ihrer unrechtmäßig enteigneten Güter lagen. Der EGMR verneint eine berechtigte Erwartung der Beschwerdeführer auf einen gegenwärtigen und einklagbaren Anspruch auf Rückgabe der Güter oder auf Ausgleichsleistungen für Enteignungen zwischen 1945 und 1949 bzw. Entschädigungszahlungen für die Enteignungen nach 1949 in einer bestimmten, in einem angemessenen Bezug zum tatsächlichen Grundstückswert stehenden Höhe. Eine berechtigte Erwartung, die konkret und auf eine gesetzliche Grundlage gestützt werden oder eine solide Grundlage in der Rechtsprechung haben muss, habe nicht vorgelegen. Die Beschwerdeführer hätten nicht dargelegt, dass sie Inhaber von hinreichend nachgewiesenen und mithin klagbaren Ansprüchen waren. Der EGMR verneint seine Zuständigkeit, die Umstände der Enteignungen oder ihre bis heute fortwirkenden Folgen zu untersuchen. Denn die Bundesrepublik sei weder für die von der sowjetischen Besatzungsmacht veranlassten Handlungen noch für die der DDR verantwortlich, auch wenn sie später die Rechtsnachfolge der DDR angetreten habe. Im Übrigen billigt der EGMR der Bundesrepublik einen weiten Ermessensspielraum bei der Ausgestaltung der Entschädigungsregelungen zu. 120 Grund zu der Annahme, die Große Kammer könne nach einer Vorlage durch die Bundesregierung anders als die im Jahn-Fall entscheidende Kammer der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts folgen, besteht seit der Entscheidung Broniowski/Polen nicht mehr. In diesem dem JahnFall ähnlich gelagerten Fall hat nun auch die Große Kammer das Vorliegen einer Eigentumsverletzung bejaht, vgl EGMR, EuGRZ 2004,472 ff - Broniowski.
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Wirtschaftsgrundrechte
§ 5 III
Der durch Art 1 des 1. ZP EMRK garantierte Schutz des Eigentums erfahrt in besonde- 56 ren Fällen eine Verstärkung durch weitere Garantien der EMRK. Eine solche Funktion hat etwa das Diskriminierungsverbot des Art 14 E M R K (allgem 57 —> § 3 Rn 66 ff). Zwar soll der Bestimmung nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs „keine eigenständige Bedeutung" zukommen. Sie soll vielmehr den Einzelnen nur vor einer unberechtigten Ungleichbehandlung hinsichtlich des Gebrauchs seiner in anderen Vorschriften der Konvention und der ergänzenden Protokolle normierten Freiheiten schützen. Soweit der Gerichtshof bereits auf eine Verletzung der in Art 1 des 1. ZP E M R K garantierten Eigentumsfreiheit erkennt, hält er es deshalb regelmäßig für entbehrlich, auch noch eine Verletzung des Diskriminierungsverbotes zu prüfen. Anderes soll nur gelten, wenn eine klare Ungleichbehandlung bei der Ausübung des Eigentumsrechts einen wesentlichen Aspekt des Streitfalles darstellt. Als einen solchen gerade in der Ungleichbehandlung sich manifestierenden Verstoß gegen Art 1 I des 1. ZP E M R K iVm Art 14 E M R K hat der Gerichtshof eine französische Gesetzgebung gewertet, die lediglich die Eigentümer kleiner Grundstücke verpflichtete, den Zutritt Dritter zum Zwecke der Jagd zu dulden, Eigentümer größerer Grundstücke aber von dieser Verpflichtung ausnahm. 121 Eine den Eigentumsschutz verstärkende Funktion kann daneben vor allem der Bestim- 58 mung über das faire Verfahren in Art 6 E M R K zukommen.' 22 Lösnng Fall 7: Obwohl die Planungsgenehmigung von Anfang an nichtig war, sieht der EGMR in der dies feststellenden gerichtlichen Entscheidung einen Eingriff in das Eigentum der H. Mit Rücksicht auf die Rechtswidrigkeit der Genehmigung und auf die Kenntnis der Η von den insoweit bestehenden rechtlichen Zweifeln hält der Gerichtshof die Nichtigerklärung allerdings für verhältnismäßig und als solche für nicht entschädigungspflichtig. Eine Entschädigungspflicht ergibt sich allerdings angesichts der nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung aus Art 1 11, II des 1. ZP EMRK iVm dem Diskriminierungsverbot des Art 14 EMRK.123
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III. Sonstige wirtschaftsrechtliche Garantien Neben dem Eigentumsrecht kennt die EMRK im Unterschied zur Universellen Erklärung der Menschenrechte der UN keine weiteren Wirtschaftsgrundrechte. Lediglich einen eher unbedeutenden Sonderfall normiert Art 1 des 4. ZP: Danach darf „niemandem ... die Freiheit allein deshalb entzogen werden, weil er nicht in der Lage ist, eine vertragliche Verpflichtung zu erfüllen." Die Regelung, nach der das Instrument des „Schuldturms" 124 konventionswidrig ist, macht die Beugehaft, die Art 5 I lit b EMRK ausdrücklich anerkennt, nicht unzulässig.125 Die Anordnung der Haft zur Erzwingung einer eidesstattlichen
121 Vgl E G M R , NJW 1999, 3695 ff - Chassagnou. 122 Zu Art 6 E M R K § 6 Rn 33 ff. Zur Bedeutung des Art 6 I E M R K für eigentumsrelevante Verfahren, vgl ο in Fn 69. Speziell zur Funktion des Art 6 E M R K im EG-Kartellrecht: Weiß EWS 1997, 253, 255 f; dort auch zum Schutz von Geschäftsräumen durch Art 8 E M R K . 123 E G M R , HRLJ 1992, 36 ff - Pine Valley. 124 Der entsprechende Sinn der Bestimmung ergibt sich nicht zuletzt aus dem 11. ZP, das für sie die Überschrift: „Verbot der Freiheitsentziehung wegen Schulden" eingeführt hat. 125 Villiger (Fn 26) Rn 682.
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§5 IV
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Versicherung gemäß § 901 ZPO und ähnliche Vorschriften werden durch Art 1 des 4. ZP nicht berührt.126 Im Übrigen fehlt es an der Gewährleistung wichtigerer Wirtschaftsgrundrechte, etwa der Berufs- oder Gewerbefreiheit.127 Letztere soll sich auch nicht im Wege der Ableitung einer allgemeinen Handlungsfreiheit ergeben können. Auch für sie findet sich jedenfalls nach herrschender Meinung in der Konvention kein hinreichender Anhaltspunkt.128 Bislang haben die Konventionsorgane den gelegentlichen Bemühungen um eine Erweiterung des Kreises der Wirtschaftsgrundrechte weithin wiederstanden.129
IV. Einfluss der Europäischen Sozialcharta 62
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Fall 8: (nach BVerwGE 91, 327 ff - Landeserziehungsgeld) Die T, eine türkische Staatsangehörige, wohnt seit mehreren Jahren zusammen mit ihrem türkischen Ehemann, der als Arbeitnehmer tätig ist, in Baden-Württemberg. Sie beantragt für das gemeinsame Kind Landeserziehungsgeld. Ihr Antrag wird von der zuständigen Behörde abgelehnt, weil die einschlägigen Richtlinien des Landesministeriums eine Auszahlung des Erziehungsgelds nur für Staatsangehörige von Mitgliedstaaten der EU vorsehen. Die EMRK verzichtet nach dem Gesagten weithin auf den Schutz anderer als der klassischen wirtschaftlichen Freiheitsgrundrechte. Insb enthält sie keine sozialen Leistungsrechte (—> vgl § 2 Rn 15). Solche enthält auch die vom Europarat als „sozialrechtliches Pendant zur EMRK" 130 beschlossene Europäische Sozialcharta (ESC)131 von 1961 nur in einer strukturell abgeschwächten Variante.132 Die Rechte der Sozialcharta, wie etwa das Recht auf Arbeit (Art 1 ESC), auf ein gerechtes Arbeitsentgelt (Art 4 ESC), auf soziale Sicherheit (Art 12 ESC) und auf Fürsorge (Art 13 ESC) oder das Vereinigungs- (Art 5 ESC) und Streikrecht (Art 6 IV ESC) sind lediglich als Programmbestimmungen ausgestaltet, die von den Vertragsstaaten in ihr nationales Recht umgesetzt werden müssen. Dies folgt aus Teil III des Anhangs zur ESC.133 Danach enthält die Charta „rechtliche Verpflichtungen internationalen Charakters ..., deren Durchführung ausschließlich der in ihrem Teil IV vorgesehenen Überwachung unterliegt." Die in Art 21 bis 29 ESC geregelte „Überwachung" sieht aber - anders als die EMRK - weder behördliche noch gerichtliche Kontrollen innerhalb der einzelnen Vertragsstaaten, sondern lediglich ein Berichts-, Prüfungs- und Empfehlungsverfahren auf zwischenstaatlicher Ebene vor. Die von der Parla-
126 EKMR, Yb 14, 692, 697 f - X/Deutschland; hier zit nach Frowein/Peukert in: dies Art 1 des 4. ZP EMRK. 127 Frowein in: Frowein/Peukert Art 4 EMRK. 128 Laule EuGRZ 1996, 357, 362; Peukert in: Frowein/Peukert Art 5 EMRK Rn 7 f; vgl -> § 2 Rn 14, § 3 Rn 3. 129 Vgl dazu insb Melchior Rights Not Covered by the Convention in: MacDonald/Matscher/Petzold The European System for the Protection of Human Rights, 1993, S 593, 599 f. 130 Hailbronner JZ 1997, 397, 398. 131 Vgl BGBl II 1964, 1262, Sartorius II Nr 115. 132 Allgemein zur ESC vgl Agnelli!Berenstein ua Die Europäische Sozialcharta - Wege zu einer europäischen Sozialordnung, 1978. Zur gewerkschaftlichen Kritik an der rechtlichen Schwäche der ESC vgl GabagliolFonteneaulLörcher ArbuR 1997, 345 ff. 133 Der Anhang ist nach Art 38 ESC verbindlicher Bestandteil der Charta selbst.
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Wirtschaftsgrundrechte
§ 5 IV
mentarischen Versammlung des Europarates angeregte Schaffung eines Europäischen Sozialgerichtshofs oder einer für die Kontrolle der Einhaltung der in der ESC enthaltenen Bestimmungen zuständigen Kammer des EGMR ist auch im Rahmen der unlängst erfolgten Revision der ESC nicht umgesetzt worden.134 Unmittelbar aus den Bestimmungen der ESC lassen sich nach herrschender Meinung deshalb keine individuellen Rechte ableiten.135 Nicht nur ihrer gerichtlichen Durchsetzungsschwäche wegen, sondern auch inhaltlich wird die Wirkkraft der in der ESC normierten Rechte wenigstens zum Teil als stark beschränkt angesehen. Die ESC umschreibe „primär und wesentlich den bereits als vorhanden vorausgesetzten Mindeststandard von Rechtsinstitutionen sozialer Sicherheit" und ziele anders als das Sozialrecht der EG nicht auf die Veränderung des Rechts der Mitgliedstaaten. 136 Ob sich diese Bewertung angesichts der umfangreichen Verpflichtungstatbestände der ESC und der Vorbehalte, die selbst Vertragsstaaten wie die Bundesrepublik für erforderlich hielten137, aufrechterhalten lässt, mag allerdings bezweifelt werden.138 Lösung Fall 8: Die Τ hat keinen Anspruch auf die Zahlung des Landeserziehungsgeldes. Ein solcher Anspruch ergibt sich insbesondere nicht aus Art 16 ESC. Zwar verpflichtet die Bestimmung die Vertragsstaaten, den wirtschaftlichen, gesetzlichen und sozialen Schutz des Familienlebens, insbesondere durch Sozial- und Familienleistungen zu fördern. Einen individuell einklagbaren Anspruch auf konkrete Fördermittel begründet die Vorschrift aber angesichts des bloß völkerrechtlichen Charakters der ESC nicht. Der Umstand, dass sowohl die Türkei als auch Deutschland als Signatarstaaten der ESC die entsprechende Verpflichtung als für sich verbindlich anerkannt haben, verpflichtet die Landesbehörden auch in Verbindung mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art 3 I GG nicht, die Regelungen über das von ihr auf freiwilliger haushaltsrechtlicher Basis gewährte Landeserziehungsgeld so auszugestalten, dass sie auch türkische Staatsangehörige erfassen.139
134 Dazu und zu den Veränderungen durch die am 1.7.1999 in Kraft getretene, von Deutschland aber noch nicht ratifizierte „Revidierte Europäische Sozialcharta" vgl Dötsch AuA 2001, 27 ff. 135 Vgl dazu BVerwGE 65, 188, 196; 66, 268, 274; BAG, JZ 1985, 445 ff mit ablehnender Besprechung Konzen JZ 1986, 157 ff; VGH Mannheim, DÖV 2000, 874; Wengler Die Unanwendbarkeit der Europäischen Sozialcharta im Staat, 1969, S 11 f; Pischel Die Bedeutung der europäischen Sozialcharta für das Recht in der Bundesrepublik Deutschland, 1966; Harris The European Social Charter, 1964, S 290; Zuleeg ZaöRV 35 (1975) 341, 352. Für den tastenden Versuch der Begründung einer abweichenden Ansicht vgl Lörcher EuZW 1991, 395 f. 136 So Eichenhofer in: Oetker/Preis EAS, Β 1200, 1995, Rn 4; konsequent wird in dieser Darstellung des Europäischen Sozialrechts denn auch auf Ausführungen zur ESC weitestgehend verzichtet. 137 Die Bundesrepublik hat von der in Art 20 ESC vorgesehenen Möglichkeit einer nur eingeschränkten Ratifikation der Charta Gebrauch gemacht und den Art 4 IV (Recht auf angemessene Kündigungsfrist), Art 7 I (Mindestbeschäftigungsalter 15 Jahre), Art 8 II (Verbot der Kündigung während Mutterschaftsurlaubs) und Art 8 IV (Sonderregelungen für Nachtarbeit und gefährliche Arbeiten von Arbeitnehmerinnen) sowie Art 10 IV (finanzielle Unterstützung der beruflichen Bildung) ESC nicht zugestimmt; vgl dazu Art 1 des Zustimmungsgesetzes zur ESC: BGBl II 1964, 1262, Sartorius II Nr 115. 138 Für eine positivere, allerdings auch schon ältere, Einschätzung der „praktischen Auswirkungen der Europäischen Sozialcharta" vgl Fuchs in: Agnelli/Berenstein ua (Fn 132) S 289 ff mwN. 139 So BVerwGE 91, 327, 330 mwN; anders noch die Vorinstanz: VGH Mannheim, NVwZ-RR 1993, 83 ff.
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§6 Justiz- und Verfahrensgrundrechte Christoph Grabenwarter Leitentscheidungen: EGMR, NJW 1989, 652 - Deumeland = Kunig JK 89, EMRK Art 61/1; EuGRZ 1996, 577ff - Amuur; NJW 2001, 3035 - Kreuz; Urt ν 29.5.2001 - Fischer.1 Schrifttum: Frowein GS Ryssdal, 2000, S 545 ff; Grabenwarter Verfahrensgarantien in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, 1997; Murdoch ICLQ 42 (1993), 494 fT; Trechsel in: Macdonald/Matscher/Petzold (Hrsg) The European System for the Protection of Human Rights, 1993, S 277 ff.
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Im folgenden Abschnitt werden jene Garantien der EMRK behandelt, die Verfahrensrechte in einem weiteren Sinn zum Gegenstand haben. Verglichen mit den Grundrechten des Grundgesetzes enthält die EMRK eine weit größere Zahl von Verfahrensgrundrechten. Sie sind - beeinflusst vom anglo-amerikanischen Recht - um einiges detaillierter gefasst und überwiegen auch quantitativ in der Rspr die klassischen Freiheitsrechte. Demgemäß überrascht es nicht, dass die Verfassungsordnungen zahlreicher Mitgliedstaaten gerade in diesem Bereich maßgeblichen Einfluss erfahren haben.2 Nicht zufällig definierte das BVerfG die Bedeutung der EMRK im deutschen Recht aus Anlass der zwar nach der EMRK, nicht aber nach dem Grundgesetz explizit grundrechtlich verankerten Unschuldsvermutung.3 Unter Justiz- und Verfahrensgrundrechten werden durchaus unterschiedliche Rechtspositionen zusammengefasst, die jedoch ihrerseits einen gemeinsamen Bezugspunkt haben, nämlich den Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes als Ausdruck eines europäischen Verfassungsprinzips der Rechtsstaatlichkeit.4 I. Der Schutz der persönlichen Freiheit (Art 5 EMRK)
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Der Inhalt des Art 5 EMRK lässt sich geleitet von der Regelungsstruktur des Grundgesetzes in drei Teile teilen. Art 5 I 1 EMRK enthält die allgemeine Garantie der Freiheit der Person (vergleichbar Art 2 II 2 GG), Satz 2 enthält die Zulässigkeitsbedingungen für bestimmte Eingriffstatbestände (vergleichbar Art 104 I GG), Art 5 II bis V EMRK enthalten schließlich besondere Verfahrensgarantien im Zusammenhang mit Freiheitsentziehungen (vgl Art 104 II und III GG). Der W E erkennt in Art 11-66 das Recht auf Freiheit und Sicherheit an.5 Fall 1: (EGMR, EuGRZ 1996, 577 ff - Amuur) Somalische Staatsbürger kommen am 9.3.1992 mit dem Flugzeug aus Syrien auf dem Flughafen Paris-Orly an. Da ihre Pässe gefälscht sind, wird ihnen die Einreise verweigert. Die Rückreise nach Syrien ist nicht möglich. Die Somalier suchen um Asyl an und werden in
1 Aktuelle Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte können im Internet unter http://www.echr.coe.int/ abgerufen werden. 2 Für Bsp vgl Grabenwarter FS Steinberger, 2002, S 1129, 1130 f. 3 BVerfGE 74, 358, 370; 82,106, 115. 4 Grabenwarter Verfahrensgarantien in der Verwaltungsgerichtsbarkeit, 1997, S 6961Γ. 5 Zum Gewährleistungsumfang vgl Grabenwarter DVB12001, 1,4.
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Justiz- und Verfahrensgrundrechte
§6 I I
einem zur „Transitzone" erklärten Teil eines Hotels am Flughafen angehalten. Ihr Ansuchen bleibt erfolglos. Am 29.3.1992 werden sie nach diplomatischen Verhandlungen nach Syrien zurückgeschickt, das nicht Mitglied der Genfer Flüchtlingskonvention ist. Eine gesetzliche Grundlage für die Anhaltung gibt es nicht. Vor dem EGMR machen die Flüchtlinge eine Verletzung ihres Rechts auf Freiheit der Person nach Art 5 IEMRK geltend. Zu Recht? 1. Das Recht auf Freiheit und Sicherheit Der sachliche Schutzbereich des Art 5 E M R K umfasst neben dem Verbot der willkürliehen Festnahme und Freiheitsentziehung (Abs l) 6 die Garantie der richterlichen Kontrolle des Freiheitsentzugs. Art 5 E M R K ist auch bei kurzzeitiger Freiheitsentziehung anwendbar. 7 Bei der Beurteilung, ob eine Freiheitsentziehung iSd Art 5 EMRK vorliegt, ist von der konkreten Situation des Betroffenen auszugehen. 8 Obwohl die Begriffe „Freiheit und Sicherheit" in Art 5 I E M R K getrennt aufgeführt sind, hat das „Recht auf Sicherheit" nur geringe eigenständige Bedeutung erlangt. 9 Das Recht auf Sicherheit kann einen gewissen Schutz vor staatlichen Maßnahmen außerhalb des Hoheitsgebietes eines Mitgliedstaates gewähren, es verpflichtet aber keineswegs die Konventionsstaaten, Personen, deren Sicherheit im Herkunftsland bedroht ist, ein Einreiserecht, einen Anspruch auf Nicht-Ausweisung oder ein allgemeines Asylrecht zu gewähren. Hinsichtlich des Schutzgutes von Art 5 EMRK bestehen Abgrenzungsschwierigkeiten mit der Freizügigkeitsgarantie des Art 2 4. ZP EMRK, der die Bewegungs-, Niederlassungs- und Ausreisefreiheit schützt. Nach der Rechtsprechung des EGMR sind in diesen Fällen die konkreten Umstände des Einzelfalls, wie sie sich durch Art und Weise der Beschränkung, ihre Dauer sowie ihre Auswirkungen ergeben, zu berücksichtigen. 10 Des Weiteren erfasst der Schutzbereich des Art 5 I EMRK auch nicht die Bedingungen der Haft." Die in diesem Zusammenhang aufgeworfenen Rechtsfragen sind in erster Linie im Lichte des Art 3 E M R K zu prüfen. 12
6 EGMR, EuGRZ 1996, 577, Rn 42 - Amuur; EuGRZ 1979, 650, Rn 37 - Winterwerp; Serie A, Vol 3, Rn 14 - Lawless; RJD 1997-11, Rn 41 - Lokanov. 7 Villiger EMRK 494 fT. 8 EGMR, EuGRZ 1986, 5, Rn 41 - X/Vereinigtes Königreich; EuGRZ 1983, 633, Rn 92 - Guzzardi; EuGRZ 1976, 221, Rn 59 - Engel. 9 Im Urteil EGMR, EuGRZ 1987, 101, Rn 54, 60 - Bozano wird das „Recht auf Sicherheit" erwähnt, ohne dass Konsequenzen daraus gezogen werden; van Dijkhan Hoof Theory and Practice of the European Convention on Human Rights, 3. Aufl 1998, S 344 f; Kopetzki in: Machacek/Pahr/Stadler (Hrsg) Grund- und Menschenrechte in Österreich, Bd III, 1997, S 261, 290; Trechsel EuGRZ 1980, 514, 518; ders Liberty, S 282f. Im Urteil EGMR, EuGRZ 2003, 472, Rn 88 - Öcalan sah der EGMR das Recht auf Sicherheit als betroffen an, wenn eine Verhaftung durch Organe eines Konventionsstaates auf dem Territorium eines anderen Staates erfolgt. 10 EGMR, EuGRZ 1996, 577, Rn 42 - Amuur; EuGRZ 1983, 633, Rn 92 - Guzzardi; EuGRZ 1976, 221, Rn 58-Engel. 11 EGMR, RJD 2001-IX, Rn 16 - Vittorio; dazu Uerpmann, Rn 37 fT. 12 Vgl hinsichtlich der Problematik der Haftbedingungen Suchtmittel- und Geisteskranker Rn 17.
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Christoph Grabenwarter Eingriffstatbestände
Ein Eingriff in Art 5 I E M R K liegt bei jeder Freiheitsentziehung durch staatliche Organe vor, wobei Art 5 I lit a bis f E M R K einen abschließenden Katalog mit zulässigen Beschränkungen der persönlichen Freiheit enthält. Die entsprechenden Tatbestände sind restriktiv auszulegen.13 Die Kontrolle der Eingriffsvoraussetzungen erfolgt in erster Linie durch die nationalen Gerichte. Der EGMR überprüft nur den betreffenden Einzelakt, nicht auch das zugrunde liegende anwendbare nationale Recht. Eine Ausnahme besteht jedoch dann, wenn die E M R K selbst - wie in Art 5 I E M R K - auf das innerstaatliche Recht verweist.14 Damit ein Eingriff gerechtfertigt ist, muss er auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen, in Übereinstimmung mit dem gesetzlich vorgeschriebenen innerstaatlichen Verfahren erfolgen und materiell gerechtfertigt sein, dh es muss einer der in Art 5 I lit a bis f E M R K enthaltenen Tatbestände erfüllt sein. Das innerstaatliche geschriebene oder ungeschriebene Recht muss hinreichend präzise sein, um es dem Betroffenen zu ermöglichen, - auch unter Einholung von Rechtsrat - die Folgen seines Handelns vorauszusehen. 15 Ausreichend für die Rechtmäßigkeit ist eine gefestigte Rspr zur Auslegung verfahrensrechtlicher Normen. 16 Hinsichtlich der Übereinstimmung mit dem nationalen Verfahren verlangt der EGMR, dass das innerstaatliche Recht konventionskonform ist und im Einzelfall tatsächlich eingehalten wird.17 Die materielle Rechtmäßigkeit der Haft richtet sich, wie bereits erwähnt, nach Art 5 I lit a bis f EMRK: a) Verurteilung
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Verurteilungen iSv Art 5 I lit a E M R K umfassen straf- oder disziplinarrechtliche Tatbestände und setzen die Feststellung einer Schuld voraus.18 Das „Gericht" iSd Art 5 I lit a E M R K muss von der Exekutive unabhängig sein.19 Entscheidend ist, dass die Haft der Verurteilung nicht nur zeitlich nachfolgt, sondern kausal von ihr abhängt, 20 wobei in diesem Zusammenhang die Haft ab der erstinstanzlichen Verurteilung, nicht erst ab Rechtskraft des Urteils gemeint ist21. Aus Art 5 I lit a E M R K lässt sich kein Recht auf Aussetzung der Haft ableiten, zB bei einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe nach Ermessen.22
13 EGMR, RJD 1997-11, Rn 41 - Lokanov; Serie A, Vol 311, Rn 42 - Quinn; Serie A, Vol 148, Rn 41 - Ciulla; Serie A, Vol 129, Rn 43 - Bouamar. 14 EGMR, EuGRZ 1979, 650, Rn 46 - Winterwerp; grundsätzlich anders vgl Serie A, Vol 13, Rn 97 Ringeisen. 15 EGMR, RJD 1998-VII, Rn 54 - Steel. 16 EGMR, RJD 2001-XI, Rn 51 - Laumont. 17 EGMR, Serie A, Vol 296-C, Rn 37 - Kemmache (Nr 3). 18 EGMR, RUDH 1990, 158, Rn 38 - B/Österreich; Vitiiger EMRK Rn 330; Kopetzki (Fn 9) S 323; Trechsel (Fn 9) S 297; ders EuGRZ 1980, 518, 523 ff. 19 EGMR, EuGRZ 1976, 221, Rn 68 - Engel. 20 EGMR, RUDH 1990, 158, Rn 38 - B/Österreich; Serie A, Vol 115, Rn 40 - Monnell; EuGRZ 1988, 316, Rn 42 - Weeks; EuGRZ 1987, 101, Rn 53 - Bozano. 21 EGMR, RUDH 1990, 158, Rn 36 - B/Österreich; Serie A, Vol 7, Rn 9 - Wemhoff; aA Reindl in: Grabenwarter, S 45, 48: Bis Rechtskraft des erstinstanzlichen Urteils Untersuchungshaft iSd Art 5 I lit c EMRK. 22 Villiger EMRK Rn 332 mwN. Vgl zur Zulässigkeit des Wiederauflebens von Haftstrafen von zu lebenslanger Haft Verurteilten auch EGMR, Serie A, Vol 114, Rn 42, 50 ff - Weeks; RJD 2002IV, Rn 81 - Stafford.
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b) Nichtbefolgung von Gerichtsbeschlüssen oder einer durch Gesetz vorgesehenen Verpflichtung Bei dem Haftgrund der „Nichtbefolgung eines rechtmäßigen Gerichtsbeschlusses oder ... einer durch Gesetz vorgesehenen Verpflichtung" gern Art 5 I lit b EMRK entspricht der Begriff des „Gerichts" dem des Art 5 I lit a.23 Ein „Gerichtsbeschluss" kann auch bei Handeln einer Verwaltungsbehörde gegeben sein.24 Während die auf die Nichtbefolgung eines gerichtlichen Beschlusses hin angeordnete Haft repressiven Charakter hat,25 weist die Haft aufgrund der Nichtbefolgung des Zwangs, eine Verpflichtung zu erfüllen (zB den Pass bei sich zu tragen26), keinen punitiven Charakter auf, denn sobald der Betroffene die ihm obliegende Verpflichtung erfüllt hat, fällt der Haftgrund weg.27 Um einer allzu extensiven Interpretation von Art 5 I lit b EMRK entgegenzutreten, verlangt die Rechtsprechung, dass eine Freiheitsentziehung nach Art 5 I lit b EMRK nur dann zulässig ist, wenn das nationale Recht die Inhaftnahme einer Person zu dem Zweck erlaubt, sie zur Erfüllung einer konkreten und spezifischen Pflicht, der sie bislang nicht nachgekommen ist, zu zwingen.28
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c) Präventiv- und Untersuchungshaft Die Präventiv- und Untersuchungshaft gem Art 5 I lit c EMRK dient der Sicherung der strafrechtlichen Untersuchung und steht stets in einem strafrechtlichen Kontext.29 Die Untersuchungshaft beginnt mit der Inhaftnahme und endet mit dem Urteil erster Instanz.30 Ihr Zweck muss die Vorführung vor die zuständige Gerichtsbehörde sein.31 Der Begriff der Gerichtsbehörde entspricht dem „Richter" bzw dem „richterlichen Beamten" in Art 5 III EMRK. Die EMRK verlangt nur die unverzügliche Vorführung vor den Richter (Art 5 III EMRK), nicht jedoch die Anordnung der Untersuchungshaft selbst durch einen Richter.32 Der Inhalt der strafbaren Handlung bestimmt sich nach dem innerstaatlichen Recht.33 Art 5 I lit c EMRK nennt als kumulative Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Haft den Zweck der richterlichen Vorführung sowie den Tatverdacht oder die Ausführungsoder Fluchtgefahr. Fehlt eine dieser Voraussetzungen, ist Art 5 I lit c EMRK verletzt.34 Grundvoraussetzung für die Untersuchungshaft ist der hinreichende Tatverdacht,35 Bei der Inhaftnahme genügt er als ausschließlicher Haftgrund, nicht aber bei der Fortdauer 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35
Dazu ο Rn 9. Peukert in: Frowein/Peukert Art 5 EMRK Rn 67. Peukert in: Frowein/Peukert Art 5 EMRK Rn 64. EKMR, DR 52, III, 118. EKMR, DR 25, 15, 81; Kopetzki (Fn 9) S 330. EGMR, EuGRZ 1976, 221, Rn 69 - Engel. EGMR, Serie A, Vol 148, Rn 38 - Ciulla. S Meyer-Ladewig HK, Art 5 Rn 12; aA Reindl in: Grabenwarter, S 46 ff. EGMR, HRLJ 1994, 331, Rn 68 - Murray; Serie A, Vol 25, Rn 199 - Irland; Serie A, Vol 3, Rn 13 f - Lawless. EKMR, DR 9, 210,212. Peukert in: Frowein/Peukert Art 5 EMRK Rn 72, zu der Frage, ob darunter auch bloßes Ordnungsunrecht fallt. Vgl EGMR, HRLJ 1994, 331, Rn 55 - Murray; RUDH 1990, 418, Rn 32 - Fox; EuGRZ 1983, 633, Rn 102 - Guzzardi. Ausführlich dazu Grabenwarter EMRK § 21 Rn 8.
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der Untersuchungshaft, 36 für die wiederum Art 5 III EMRK maßgeblich ist.37 Sieht das innerstaatliche Recht eine höhere Eingriffsschwelle vor, so ist diese entscheidend,38 mit der Folge, dass neben dem in Art 5 I lit c EMRK ausdrücklich genannten hinreichenden Tatverdacht und der Fluchtgefahr auch die klassischen Haftgründe der Verdunkelungs- und Wiederholungsgefahr konventionsrechtlich erheblich sind, soweit sie nach dem innerstaatlichen Recht Voraussetzung für die Untersuchungshaft sind.39 Das Vorliegen eines hinreichenden Tatverdachts ist zu bejahen, wenn genügend Tatsachen vorliegen, die objektiv darauf schließen lassen, dass der Betroffene die strafbare Handlung hätte begehen können.40 Nicht erforderlich ist eine bereits vollständig erfolgte Sachverhaltsaufklärung. Die Nachprüfung dieser Voraussetzungen durch den EGMR beschränkt sich auf eine Willkürkontrolle.41 Des Weiteren ist die Festnahme einer Person zwecks Vorführung vor das zuständige Gericht rechtmäßig, wenn dies notwendig erscheint um den Betreffenden an der Begehung einer Straftat zu hindern. Gem Art 5 I lit c EMRK muss nicht notwendig die Wiederholungsgefahr gegeben sein, sondern es genügt bereits die bloße Ausführungsgefahr. Voraussetzung für die Haft ist in diesem Fall das Vorliegen konkreter Gründe, die auf die Begehung einer bestimmten künftigen strafbaren Handlung schließen lassen.42 Schließlich bildet auch die Fluchtgefahr nach Begehung einer Straftat einen zulässigen Haftgrund. Da jedoch gem Art 5 I lit c EMRK bei hinreichendem Tatverdacht eine Inhaftierung auch ohne weitere Haftgründe zulässig ist, findet diese Alternative nur dann Anwendung, wenn es um die Frage der Zulässigkeit der Fortdauer der Untersuchungshaft geht.43 d) Inhaftnahme Minderjähriger
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Die Inhaftnahme Minderjähriger (lit d) umfasst Maßnahmen der Fürsorge und des Jugendstrafrechts,44 so dass auch die vorübergehende Inhaftnahme bis zur Entscheidung über eventuelle Erziehungsmaßnahmen zulässig ist.45 Eine elterliche Entscheidung für ein psychiatrisches Kinderkrankenhaus fällt hingegen nicht in den Anwendungsbereich des Art 5 EMRK. 46 Die Freiheitsentziehung nach lit d kann auch von einer Verwaltungsbehörde angeordnet werden.47
36 37 38 39 40 41 42 43 44 45 46 47
EGMR, Serie A, Vol 7, Rn 4 - Stögmüller; EuGRZ 1985, 700, Rn 44 - De Jong. Dazu u Rn 24 ff. Villiger EMRK Rn 346. EGMR, Serie A, Vol 296-C, Rn 42 - Kemmache (Nr 3); EKMR, DR 34, 119, 124. Zum Sonderfall der Terrorismusbekämpfung vgl EGMR, RUDH 1990, 418, Rn 32 - Fox, HRLJ 1994, 331, Rn 50 ff - Murray; Urt ν 16.10.2001, Rn 34 - O'Hara. EGMR, RJD 1997-VI, Rn 51 f - Erdagöz; RUDH 1990, 418, Rn 34 - Fox; EKMR, DR 88-B, 94, 113; DR 16, 111,118; DR 54, 35, 38; Peukert in: Frowein/Peukert Art 5 EMRK Rn 75 ff. EGMR, EuGRZ 1983, 633, Rn 102 f - Guzzardi. Auführlich dazu Reindl Untersuchungshaft und Menschenrechtskonvention, 1997, S 65 ff. EGMR, Serie A, Vol 129, Rn 50, 52 - Bouamar. EGMR, Serie A, Vol 129, Rn 50 - Bouamar. EGMR, Serie A, Vol 144, Rn 72 - Nielsen. Villiger EMRK Rn 335.
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e) Unterbringung Kranker und Landstreicher Bei der Unterbringung Kranker oder Landstreicher nach Art 5 I lit e E M R K liegt der Beurteilungsspielraum in erster Linie bei den nationalen Behörden, 48 da Art 5 I lit e E M R K selbst keine inhaltliche Begrenzung enthält. Art 5 I lit e E M R K lässt eine Inhaftnahme bei Vorliegen ansteckender Krankheiten zu, die zwingend durch ein objektives ärztliches Attest festzustellen sind, 49 ferner bei Alkohol- oder Rauschgiftsucht sowie bei Geisteskrankheit. Die die H a f t rechtfertigende Gefährlichkeit der betreffenden Person kann f ü r die Allgemeinheit oder für die in H a f t genommene Person selbst bestehen. 50 Eine entsprechende Gefahr kann in der Ausbreitung ansteckender Krankheiten liegen. 51 Art 5 I E M R K verlangt aber auch, dass zwischen dem Grund f ü r eine gerechtfertigte Freiheitsentziehung und den Bedingungen der H a f t ein angemessenes Verhältnis bestehen muss.52 Folglich kann den Konventionsstaaten aus Art 5 I lit e E M R K auch die Pflicht erwachsen, in hinreichendem U m f a n g Plätze in derartigen Einrichtungen bereitzustellen. 53
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f) Verhinderung des unberechtigten Eindringens in das Staatsgebiet, Abschiebungsund Auslieferungshaft Art 5 I lit f E M R K sieht drei Haftgründe vor: Einerseits die Verhinderung des unberechtigten Eindringens in das Staatsgebiet, andererseits die geplante Abschiebung oder Auslieferung. Die Rechtmäßigkeit dieser Inhaftierungen erfordert über die Einhaltung der Verfahrens- und materiellrechtlichen Vorschriften hinaus auch die Beachtung des Gesamtziels des Art 5 EMRK. 5 4 Die M a ß n a h m e muss staatlichem und internationalem Recht entsprechen. 55 U m eine Verfälschung des Haftgrundes zu vermeiden, darf die Festnahme in Fällen der Auslieferung oder Abschiebung ausschließlich zu diesem Zweck erfolgen. 56 Anders als bei Art 5 I lit c E M R K kommt es bei Art 5 I lit f E M R K alleine darauf an, ob ein schwebendes Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren besteht. Ob die Auslieferung selbst rechtmäßig ist, ist für Art 5 E M R K irrelevant. 57 Allerdings sind weitere vom innerstaatlichen Recht vorgesehene Voraussetzungen auch vom E G M R zu beachten. 58
48 EGMR, EuGRZ 1992, 535, Rn 63 - Herczegfalvy; EuGRZ 1985, 642, Rn 27 - Luberti; EuGRZ 1982, 101, Rn 43 - X/Vereinigtes Königreich; EuGRZ 1979, 650, Rn 40 - Winterwerp. 49 EGMR, EuGRZ 1986, 8, Rn 37 - Ashingdane; EuGRZ 1982, 101, Rn 40 - X/Vereinigtes Königreich; EuGRZ 1979, 650, Rn 39 - Winterwerp. 50 EGMR, EuGRZ 1983, 633, Rn 98 - Guzzardi. 51 Kopetzki (Fn 9) S 333. 52 EGMR, RJD 2003-IV, Rn 48 - Hutchison Reid. 53 EGMR, Urt ν 11.5.2004, Rn 65 f - Brand; Urt ν 11.5.2004, Rn 48 f - Morsink. In seiner älteren Rechtsprechung, RJD 1996-V, Rn 32 ff - Bizzotto, hatte der EGMR noch eine Verletzung von Art 5 I EMRK verneint, da seiner damaligen Meinung nach die nicht gesetzeskonforme Unterbringung von drogenabhängigen Straftätern nichts an der Konventionsmäßigkeit der Haft an sich ändere. Vgl hierzu auch Grabenwarter EMRK § 21 Rn 12. 54 EGMR, RUDH 1997, 365, Rn 129 - Chahal. 55 EKMR.DR 12, 14,27. 56 EGMR, RUDH 1997, 365, Rn 112 - Chahal. 57 Die Rechtmäßigkeit des Ausweisungs- und Auslieferungsverfahrens richtet sich nach Art 1 7. ZP EMRK, dazu u Rn 67. 58 EGMR, Urt ν 9.10.2003 (Große Kammer), Rn 151 - Slivenko.
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Lösung Fall 1: Da den Asylbewerbern die Einreise nach Frankreich verwehrt wird und eine Ausreise nach Syrien nur nach diplomatischen Verhandlungen zwischen Frankreich und Syrien möglich ist, mithin nur theoretisch möglich ist, hegt in der Anhaltung eine Freiheitsbeschränkung, die einer Freiheitsentziehung gleichzuhalten ist. Zudem bestanden für die Flüchtlinge in Syrien, das die Genfer Flüchtlingskonvention nicht ratifiziert hatte, keine vergleichbaren Garantien wie in Frankreich. Der Schutzbereich des Art 5 I EMRK ist eröffnet, in der Anhaltung liegt ein Eingriff in das Grundrecht. Art 5 I EMRK wurde verletzt, da keine hinreichende gesetzliche Grundlage besteht.59 3. Rechte der festgenommenen
Person
a) Informationsrecht 22
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Gem Art 5 II E M R K muss jeder Festgenommene in möglichst kurzer Frist und in einer ihm verständlichen Sprache über die Gründe seiner Festnahme informiert werden. Nach dem Wortlaut bezieht sich die Informationspflicht des Staates nur auf die „Festnahme". Diese Garantie gilt jedoch für alle in Art 5 I E M R K vorgesehenen Formen der Freiheitsentziehung.60 Art und Umfang der Unterrichtung richten sich nach den Umständen des Einzelfalls. Die Unterrichtung muss jedenfalls in einer dem Festgenommenen verständlichen Sprache erfolgen und die tatsächlichen und juristischen Gründe der Freiheitsentziehung darlegen.61 Mit der Information soll dem Festgehaltenen die Möglichkeit gegeben werden, effektiven Rechtsschutz gem Art 5 IV E M R K zu erlangen. Die Fristen, innerhalb derer die Unterrichtung erfolgen soll, müssen „möglichst kurz" 62 sein und sollten in der Regel 24 Stunden nicht überschreiten, wobei die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind.63 b) Angemessene Haftdauer und richterliche Vorführung gem Art 5 III EMRK
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Art 5 III E M R K ergänzt Art 5 I lit c EMRK, der die Untersuchungshaft regelt, und enthält zwei Garantien: Die Vorführung vor den Richter und bei Aufrechterhaltung der vorläufigen Festnahme die Durchführung eines zügigen Verfahrens verbunden mit der raschen Erlangung eines Urteils.
59 EGMR, EuGRZ 1996, 577, Rn 48, 53 - Amuur; der EGMR betont überdies, dass die Aufenthaltsbedingungen der Asylbewerber keiner gerichtlichen Kontrolle unterlagen und dass diese keinerlei Zugang zu rechtlicher, humanitärer oder sozialer Betreuung hatten; dazu Kriebaum in: Grabenwarter, S 71 ff. 60 EGMR, RUDH 1990, 60, Rn 27 f - Van der Leer; EuGRZ 1982, 101, Rn 66 - X/Vereinigtes Königreich; EKMR, DR 16, 111, 117; DR 34, 119, 124; anders EGMR, RUDH 1990,466, Rn 22 Keus. 61 EGMR, RUDH 1990, 418, Rn 40 - Fox; RUDH 1990, 60, Rn 27 f - Van der Leer; EuGRZ 1982, 101, Rn 66 - X/Vereinigtes Königreich; EKMR, DR 16, 111,117. 62 EGMR, RUDH 1990,418, Rn 40 - Fox. 63 Villiger EMRK Rn 351; EGMR, HRLJ 1994, 331, Rn 78 - Murray (3 Stunden); RUDH 1990, 60, Rn 31 - Van der Leer (zufällige Kenntnisnahme der Haftgründe genügt nicht); RUDH 1990, 418, Rn 42 - Fox (7 Stunden); EKMR, DR 21, 250, 253 f; DR 30, 93, 95.
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Die Vorführung muss vor einen Richter oder richterlichen Beamten erfolgen. Die Zuständigkeit können die Staaten wahlweise einem Gericht oder einer Behörde übertragen. 64 Erforderlich ist jedoch die Unabhängigkeit des Richters oder richterlichen Beamten gegenüber der Exekutive 65 sowie das Recht bindende Entscheidungen treffen zu können 66 . Der E G M R verlangt, dass die Behörde bei Feststellung der Haftgründe „besondere Sorgfalt" im Verfahren walten lässt.67 Eine Vorführung ist „unverzüglich", wenn eine Frist von 24 bis 48 Stunden 68 , in besonderen Fällen von bis zu vier Tagen 69 , nicht überschritten wird. Die zulässige Dauer der Untersuchungshaft ist abhängig vom Einzelfall, sie kann für Verdächtige terroristischer Straftaten länger sein,70 aber schon sechs Tage ohne richterliche Überprüfung wurden als zu lang angesehen. 71 Die Beurteilung, ob eine „angemessene Frist" für die Dauer der Untersuchungshaft eingehalten wurde, unterliegt in erster Linie der Beurteilung durch die nationalen Gerichte. 72 Es handelt sich hierbei um eine Einzelfallentscheidung, der eine Abwägung zwischen den Allgemeininteressen einerseits und den Interessen des Betroffenen andererseits zugrunde liegt.73 Zunächst ist das Fortbestehen eines hinreichenden Tatverdachts conditio sine qua non für die Rechtmäßigkeit der Aufrechterhaltung der Haft, 74 aber nach einiger Zeit genügt dieser alleine als Begründung nicht mehr. Vielmehr muss dann überprüft werden, ob andere Motive wie Schwere der Tat, Störung der öffentlichen Ordnung, Fluchtgefahr, Verdunkelungsgefahr, Wiederholungsgefahr oder die Ermöglichung einer ordentlichen Verfahrensführung ebenfalls fortbestehen. 75 Liegen ausreichende Haftgründe vor, überprüft der E G M R in einem zweiten Schritt, ob die nationalen Behörden das Verfahren mit der erforderlichen Sorgfalt betrieben haben, 76 insb ob sie die Ermittlungstätigkeiten zügig vor-
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E G M R , E u G R Z 1980, 202, Rn 27 - Schiesser. E G M R , EuGRZ 1980, 202, Rn 31 - Schiesser. E G M R , Urt ν 11.12.2003, Rn 166 - Yankov; R J D 1999-11, Rn 51 - Nikolova. E G M R , Urt ν 8.4.2004, Rn 74 - Belchev; Urt ν 6.4.2004, Rn 51 - J G/Polen; R J D 2000-IV, Rn 152 f - Labita. So Villiger E M R K Rn 358. E G M R , HRLJ 1988, 293, Rn 62 - Brogan. E G M R , HRLJ 1988, 293, Rn 61 - Brogan. E G M R , Urt ν 16.10.2001, Rn 46 - O'Hara (6 Tage); HRLJ 1997, 221, Rn 78 - Aksoy (14 Tage); R J D 1998-VI, Rn 40 - Demir (16 und 23 Tage); R J D 1997-VII, Rn 45 - Sakik (12 und 14 Tage). E G M R , Serie A, Vol 321, Rn 55 - Van der Tang; HRLJ 1995, 286, Rn 50 - Yagci; Serie A, Vol 319-B, Rn 52 - Mansur; EuGRZ 1994, 101, Rn 84 - Tomasi; HRLJ 1992, 112, Rn 67 - Toth; HRLJ 1992, 42, Rn 45 - Kemmache (Nr 1 & 2); HRLJ 1991, 302, Rn 35 - Letellier; Serie A, Vol 8, Rn 5 - Neumeister; Serie A, Vol 7, Rn 12 - Wemhoff; zum insoweit bestehenden Unterschied zu Art 6 E M R K : E G M R , Serie A, Vol 9, Rn 5 - Stögmüller. E G M R , Urt ν 4.10.2001, Rn 58 - Ilowiecki; R J D 1996-VI, Rn 74 - Scott; Serie A, Vol 321, Rn 55 - Van der Tang; E u G R Z 1993, 384, R n 30 - W/Schweiz; vgl Serie A, Vol 7, Rn 10 - Wemhoff. E G M R , Urt ν 4.10.2001, Rn 59 - Ilowiecki; R U D H 1990, 158, Rn 42 - B/Österreich; Serie A, Vol 9, Rn 4 - Stögmüller. E G M R , Urt ν 20.1.2004, Rn 84 G K/Polen; R J D 1997-11, 374, Rn 35 - Muller; Serie A, Vol 321, Rn 55 - Van der Tang; E u G R Z 1993, 384, Rn 30 - W/Schweiz; E u G R Z 1994, 101, Rn 84 Tomasi; HRLJ 1992, 117, Rn 36 - Clooth; HRLJ 1992, 112, Rn 67 - Toth; HRLJ 1992,42, Rn 45 - Kemmache (Nr 1 & 2); HRLJ 1991, 302, Rn 35 - Letellier; Urt ν 20.1.2004, Rn 84 - G K/Polen. E G M R , Urt ν 31.7.2001, Rn 46 - Zannouti; Urt ν 26.7.2001, Rn 42 ff - Kreps.
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angebracht und das Verfahren nicht durch behördeninterne Schwierigkeiten verzögert haben.77 c) Recht auf richterliche Haftprüfung gem Art 5 IV EMRK 29
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Das in Art 5 IV EMRK garantierte Recht auf richterliche Haftprüfung spiegelt die angelsächsische „Habeas corpus-Doktrin" wider. Die Garantie des Art 5 IV EMRK gilt für alle in Art 5 I EMRK vorgesehenen Formen der Haft. Die Kontrolle der Gesetzmäßigkeit der Inhaftnahme („lawfulness") erfolgt am Maßstab des internen Rechts und des Völkerrechts.78 Die Haftpriifung muss beantragt werden.79 Der Anspruch entsteht immer dann, wenn eine Verwaltungsbehörde die Inhaftnahme verfügt hat.80 Hat hingegen ein Gericht die Haft angeordnet, so ist zu differenzieren zwischen der Haft im Anschluss an die Verurteilung und der Untersuchungshaft. In dem Urteil des zuständigen Gerichts findet grundsätzlich die Überprüfung der Haft im Sinne des Art 5 IV EMRK statt.81 Bei Fortdauer der Haft besteht ein Anspruch auf Haftprüfung nur dann, wenn neue Umstände die Rechtmäßigkeit der Haft nachträglich in Frage stellen können.82 Die Haftprüfung muss „in angemessenen Abständen" erfolgen.83 Die überprüfende Behörde muss gerichtlichen Charakter aufweisen.84 Sie darf nicht nur beratend tätig werden, sondern muss verbindliche Entscheidungen treffen können. Im Haftprüfungsverfahren müssen nicht alle Verfahrensgarantien des Art 6 EMRK erfüllt werden. Grundlegende Garantien wie der Grundsatz der Waffengleichheit85 sind jedoch zu gewährleisten. Im Einzelnen verlangt die Rechtsprechung die persönliche Anhörung 86 , den Anspruch auf Rechtsvertretung87, die Angabe einer Begründung für die Inhaftierung sowie das Recht auf umfassende Akteneinsicht.88 d) Das Recht auf Haftentschädigung
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Art 5 V EMRK sieht eine Entschädigung für EMRK-widrige Haft vor. Die Vorschrift begründet direkte Ansprüche für Privatpersonen.89 Die Voraussetzungen für einen Scha77 EGMR, Urt ν 2.12.2003, Rn 85 - Matwiejczuk; Serie A, Vol 224, Rn 76 f - Toth. 78 EGMR, RUDH 1997, 365, Rn 127 - Chahal; EuGRZ 1988, 316, Rn 57 - Weeks. 79 EGMR, Serie A, Vol 12, Rn 82 f - De Wilde; Serie A, Vol 129, Rn 55 - Bouamar; Villiger EMRK Rn 366. 80 EGMR, EuGRZ 1985, 642, Rn 31 - Luberti; EuGRZ 1976, 221, Rn 77 - Engel; Serie A, Vol 12, Rn 76 f - D e Wilde. 81 EGMR, Urt ν 20.1.2004, Rn 19 - König; Serie A, Vol 325-C, Rn 30 - Perez. 82 EGMR, EuGRZ 1979, 650, Rn 55 - Winterwerp; EuGRZ 1984, 6, Rn 45 ff - Van Droogenbroeck; Serie A, Vol 325-C, Rn 30 - Perez; EKMR, DR 40, 5, 26; Villiger EMRK Rn 368. 83 EGMR, EuGRZ 1979, 650, Rn 55 - Winterwerp; dazu auch Urt ν 24.7.2001, Rn 37 ff - Hirst. 84 EGMR, HRLJ 1993,184, Rn 58 - Brannigan. 85 EGMR, Urt ν 21.7.2003, Rn 118 - Hristov; NJW 2002, 2015, Rn 44 - Schöps. 86 EGMR, Urt ν 20.1.2004, Rn 93 f - G K/Polen; RJD 1999-11 (Große Kammer), Rn 58 - Nikolova; EuGRZ 1979, 650, Rn 60 - Winterwerp. 87 Peukert in: Frowein/Peukert Art 5 EMRK Rn 143. 88 EGMR, NJW 2002, 2018, Rn 42 - Garcia Alva; NJW 2002, 2013, Rn 47 - Lietzow; NJW 2002, 2015, Rn 44 - Schöps. Dazu KieschkelOsterwald Art 5 IV EMRK contra § 147 II StPO, NJW 2002, 2003 ff. 89 Charrier Code de la Convention europeenne des Droits de l'Homme, 2000, Art 5 Rn 45.
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Justiz- und Verfahrensgrundrechte
§6 III
densersatzanspruch sind, dass der Betroffene unter Verletzung der Art 5 I bis IV in Haft genommen wurde und er infolgedessen einen materiellen oder immateriellen Schaden erlitten hat.90 Für die Anwendbarkeit von Art 5 V ist es jedoch unerheblich, ob die Konventionswidrigkeit der Haft durch ein nationales Gericht festgestellt worden ist.91 Nach ständiger Rechtsprechung des EGMR ist Art 5 V dann verletzt, wenn der Geschädigte weder vor noch nach der Feststellung der Konventionswidrigkeit einen durchsetzbaren Anspruch auf Entschädigung hat.92 Für die Bemessung des immateriellen Schadens gelten die Grundsätze des Art 41 EMRK. 93 II. Justizgrandrechte im Zusammenhang mit Verfahren vor Gerichten 1. Das Recht des fair trial gem Art 61 EMRK Art 6 I EMRK bildet das Kernstück der Justizgrundrechte der EMRK. Die in ihm enthaltene Gerichtsgarantie lässt sich in Organisationsgarantien und in Verfahrensgarantien aufgliedern. Zu den Organisationsgarantien gehört das Recht auf Zugang zu einer mit gewissen Mindestgarantien ausgestatteten Spruchinstanz (b). Die Verfahrensgarantien umfassen neben der allgemeinen Garantie des fairen Verfahrens einschließlich besonderer Verfahrensrechte im Strafprozess (c) das Gebot der Verfahrensöffentlichkeit (d) sowie das Gebot der angemessenen Verfahrensdauer (e). Art 11-107 und Art 11-108 W E enthalten ebenfalls entsprechende Rechtsgarantien, ohne jedoch die Beschränkungen des Schutzbereichs des Art 6 EMRK aufzuweisen.
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a) Der Schutzbereich des Art 6 I EMRK Wie bei keinem anderen Grundrecht der EMRK hat die Umschreibung des Schutzbereichs Aufmerksamkeit in Judikatur und Lehre erfahren. Art 6 I EMRK garantiert die Verfahrensgrandrechte für alle Verfahren, in denen entweder über zivilrechtliche Streitigkeiten („civil rights") oder über die Stichhaltigkeit einer strafrechtlichen Anklage („criminal charge") entschieden wird. Zum Inhalt des Begriffs „civil rights" gelangt man auf der Grundlage einer rechtsinhaltsbezogenen Unterscheidung von Zivilrecht und öffentlichem Recht auf der Basis der Rechtsvergleichung, wobei die klassische kontinental-europäische Begriffsbildung maßgeblich ist. Der Begriff umfasst nicht nur zivilrechtliche Streitigkeiten zwischen Privaten ieS, sondern auch bestimmte öffentlich-rechtliche Verfahren, welche Auswirkungen auf Vertragsbeziehungen94 oder auf Vermögenswerte Positionen95 („Auswirkungsjudikatur") haben. In Verfahren über sozialversicherungsrechtliche Ansprüche und Abgaben wird eine Abwägung zwischen privat- und öffentlich-rechtlichen Aspekten der Streitigkeit vor-
90 E G M R , Serie A, Vol 145-B, Rn 67 - Brogan; R U D H 1990, 425, Rn 38 - Wassink; R U D H 1990, 466, Rn 29 - Keus; R J D 1997-III, Rn 64 ff - Tsirlis; E K M R , D R 19, 213, 219; D R 42, 127, 131; D R 52, 236, 242; D R 77-A, 98, 107; D R 81-B, 130, 133. 91 E G M R , Urt ν 16.10.2003, Rn 31 - Wynne; Serie A, Vol 190-A, Rn 82 - Thynne, Wilson und Gunnel. 92 E G M R , Serie A, Vol 182, Rn 46 - Fox, Campbell und Hartley; Serie A, Vol 145-B, Rn 67 - Brogan. 93 Villiger E M R K Rn 374. 94 E G M R , E u G R Z 1978,406, Rn 90 - König. 95 E G M R , HRLJ 1992,419, Rn 40 - Editions Periscope.
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genommen („Abwägungsjudikatur"). 96 Für die Frage der Anwendbarkeit auf beamtenrechtliche Streitigkeiten kommt es nach der jüngeren Judikatur des EGMR für die Eröffnung des Schutzbereichs darauf an, welche Funktion der Beamte bekleidet. War der Beamte zur Ausübung von hoheitlichen Befugnissen ermächtigt, so ist die Streitigkeit regelmäßig nicht vom Grundrecht erfasst.97 Schließlich fallen auch Verfahren, die einen Vermögenswerten Gegenstand haben oder sich auf behauptete Verletzungen gründen, die ihrerseits Vermögenswerte Rechte betreffen, ungeachtet verwaltungsbehördlicher Zuständigkeiten in den Schutzbereich des Art 6 EMRK. 98 Hierzu gehört auch das verfahrensgegenständliche Recht selbst, und nicht nur die Auswirkungen auf ein vermögenswertes Recht.99 Nicht in den Schutzbereich fallen von vornherein Streitigkeiten aus dem Kernbereich des öffentlichen Rechts. Dazu gehören staatsbürgerschaftliche Angelegenheiten, Asylverfahren, Verfahren über das Aufenthaltsrecht von Ausländern, Verfahren über das Wahlrecht sowie abgabenrechtliche Verfahren, welche den Umfang der Verpflichtung zur Zahlung von Steuern betreffen.100 Auch die Abgrenzung der strafrechtlichen Streitigkeiten ist letzten Endes rechtsinhaltsbezogen. Denn der EGMR wählt das nationale Recht als Ausgangspunkt und ordnet alle strafrechtlichen Verfahren nach nationalem Recht dem Schutzbereich zu. Darüber hinausgehend sind aber alle Verfahren von Art 6 E M R K erfasst, bei denen eine Zuordnung nach der Natur der Zuwiderhandlung sowie der Art und Schwere der Sanktion sinnvoll erscheint, wobei von diesen drei Kriterien jeweils nur eines vorliegen muss.101 Auf der Tatbestandsseite ist hierbei entscheidend, dass der sachliche und persönliche Anwendungsbereich der Norm nicht von vornherein auf spezifische Personengruppen beschränkt ist. Auf der Rechtsfolgenseite ist entscheidend, dass Sanktionen mit präventivem und repressivem Charakter drohen. Nach diesem Kriterium fällt etwa das Ordnungswidrigkeitenrecht unter Art 6 EMRK, 102 nicht aber das Disziplinarrecht. Das Disziplinarrecht ist nur dann von Art 6 E M R K umfasst, wenn das dritte Kriterium einer gewichtigen Strafdrohung erfüllt ist. Dies ist dann der Fall, wenn das Gewicht der insgesamt zu gewärtigenden negativen Konsequenzen, die für den Beschuldigten auf dem Spiel stehen, hinreichend ist.103 Das wird in der Rspr jedenfalls für mehr als nur geringfügige Haftstrafen sowie für Geldstrafen angenommen, wenn ersatzweise eine Freiheitsstrafe verhängt wird oder droht. 104 Auch der Entzug der Berufsberechtigung als typische schwerste Sanktion des Disziplinarrechts freier Berufe begründet die Anwendbarkeit des Art 6 E M R K unter strafrechtlichen
96 EGMR, Serie A, Vol 304, Rn 51 - Schouten; NJW 1989, 652, Rn 60 ff - Deumeland = Kunig JK 89, EMRK Art 61/1. 97 EGMR, NVwZ 2000, 661, Rn 64 ff - Pellegrin. Der EGMR verweist für die Abgrenzung dabei hilfsweise auf die Ausnahme des Art 39 IV EGV; zu dieser Problematik umfassend Widmaier ZBR 2002, 244,252 ff. 98 EGMR, RJD 1997-11, Rn 30 - Paskhalidis ua; Serie A, Vol 234-B, Rn 40 - Editions Periscope; vgl dazu Grabenwarter (Fn 4) S 44 ff. 99 EGMR, EGRZ 1988,452 Rn 32 - Boden. 100 Aus der Judikatur EGMR, RUDH 1997, 73, Rn 45 ff - Pierre-Bloch; RJD 2000-X, Rn 35 ff Maaouia; RJD 2001-VII, Rn 29 - Ferrazzini; sowie die Nachw bei Grabenwarter (Fn 4) S 49 ff. 101 Näheres bei Grabenwarter EMRK § 24 Rn 12 ff. 102 EGMR, EuGRZ 1985, 62, Rn 47 ff - Öztürk. 103 EGMR, Urt ν 9.10.2003 (Große Kammer), Rn 130 - Ezeh und Connors. 104 EGMR, Serie A, Vol 177, Rn 22, 34 - Weber.
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Gesichtspunkten. 105 Schließlich unterliegt auch der Begriff der Anklage („charge") einer autonomen Interpretation im Sinne der Konvention, wobei der EGMR davon ausgeht, dass eine „criminal charge" ab dem Zeitpunkt vorliegt, in dem der Betreffende offiziell von der zuständigen Behörde darüber informiert wird, dass ihm die Begehung einer Straftat vorgeworfen wird.106 b) Zugang zu einem unabhängigen und unparteiischen Gericht Das Recht auf Zugang zu einem auf Gesetz beruhenden, unabhängigen und unparteiischen Gericht („tribunal") bildet eine Organisationsgarantie. Mit dem Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage sollen ad hoc-Zugriffe auf die Gerichtsorganisation durch die Exekutive vermieden werden, es dient mittelbar auch der Unabhängigkeit. Dieser Gesetzesvorbehalt umfasst vor allem die Zusammensetzung des Gerichts, seine Organisation im Übrigen sowie seine Zuständigkeit. 107 Die Unabhängigkeit des Gerichts setzt die (grundsätzliche) Unabsetzbarkeit der Mitglieder, ihre Unversetzbarkeit, ihre Weisungsfreiheit und eine bestimmte Mindestamtsdauer voraus. Die Unabhängigkeit ist zugleich auch eine Voraussetzung der Unparteilichkeit eines Gerichts.108 Unparteiisch ist ein Gericht nur dann, wenn weder in objektiver noch in subjektiver Hinsicht eine Befangenheit der Richter des betreffenden Gerichts gegeben ist. Die subjektive Prüfung stellt auf die persönliche Beziehung zwischen dem konkreten Richter und der Partei des Verfahrens ab; sie wird bis zum Beweis des Gegenteils vermutet. Der Betroffene kann auf die Unparteilichkeit des Gerichts verzichten.109 Eine rassistische Bemerkung eines Mitglieds des Gerichts in einem Verfahren gegen einen afrikanischen Einwanderer kann die Unparteilichkeit in dieser Hinsicht vernichten.110 Die objektive Prüfung abstrahiert von den Einzelpersonen und fragt abstrakt, ob nach den Organisations- und Verfahrensvorschriften, insb nach der Reichweite und Natur der von einem Richter im Vorfeld des Verfahrens gesetzten Maßnahmen, eine Befangenheit angenommen werden muss. 1 " Schließlich muss das Gericht über hinreichende Entscheidungsbefugnisse in Rechts- und Tatsachenfragen verfügen." 2
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Das Recht auf Zugang zu Gericht ist nicht absolut gewährleistet, sondern unterliegt Beschränkungen, die zulässig sind, solange sie ein legitimes Ziel verfolgen und soweit ein vernünftiges Verhältnis zwischen den eingesetzten Mitteln und den damit angestrebten Zielen besteht. Die Schranken dürfen den Gerichtszugang nicht so erschweren, dass der Wesensgehalt („very essence") des Rechts verletzt wird." 3 Der Zugang zum Gericht darf mit anderen Worten Beschränkungen unterworfen werden, die im Hinblick auf das ver-
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105 Grabenwarter (Fn 4) S 100 f; österreichischer Verfassungsgerichtshof Slg 11506/1987; die Rspr des EGMR lässt die Frage offen, ob Berufsverbote eine ausreichend schwere Strafe bilden, bejaht aber die Anwendbarkeit von Art 6 EMRK, da er in der Verhängung eines Berufsverbots eine Entscheidung über ein civil right sieht; zB EGMR, Serie A, Vol 325-A, Rn 28 - Diennet; EuGRZ 1981, 551, Rn 53 - Le Compte ua. 106 EGMR, EuGRZ 1980, 667, Rn 46 - Deweer. 107 Ausf dazu Grabenwarter EMRK § 24 Rn 21. 108 Peukert in: Frowein/Peukert Art 6 EMRK Rn 129. 109 Näheres dazu bei Grabenwarter EMRK § 18 Rn 29 f. 110 EGMR, RJD 1996-11, Rn 47 f - Remli. 111 EGMR, EuGRZ 1985,407, Rn 26 - De Cubber; RJD 2000-VI, Rn 45 - Morel. 112 Vgl EGMR, RUDH 1993, 399, Rn 29 - Zumtobel. 113 EGMR, EuGRZ 1986, 8, Rn 57 - Ashingdane; EuGRZ, 1988, 350, Rn 194 - Lithgow; EuGRZ 1991, 335, Rn 59 - Philis; Villiger EMRK Rn 431. 163
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folgte Ziel dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Für die Frage nach dem legitimen Ziel und den in der Abwägung zu berücksichtigenden Mitteln finden sich mehrfach Hinweise in der Rspr des EGMR. Beginnend mit dem Fall Golder führt der EGMR in stRspr aus, dass das Recht auf Zugang zu Gericht schon seiner Natur nach nach einer Regelung durch den Staat verlange, die nach Ort und Zeit wechseln könne, abhängig von den Bedürfnissen und den Mitteln der Gemeinschaft und der Einzelpersonen.114 Beschränkungen des Zugangs zu Gericht können Ziele verfolgen, die sich je nach Art der Beschränkung, je nach Art des Gerichts und je nach der betroffenen Rechtsordnung unterscheiden können. Sie können im Schutz vor missbräuchlichen und wiederholten Klagen115 ebenso liegen wie in der Vermeidung eines Durcheinanders von Rechtsbehelfen einer Vielzahl von Aktionären im Falle einer weitreichenden Verstaatlichungsmaßnahme116 oder in der Sicherung der Unabhängigkeit des Berichtswesens von Kontrollorganen über die Geschäftsführung von bestimmten Kapitalgesellschaften " 7 . Eine weitere Gruppe möglicher Beschränkungen bilden die Bedingungen, die das nationale Verfahrensrecht für die Zulässigkeit von Klagen oder Rechtsmitteln, wie Fristen, (absoluter oder relativer) Anwaltszwang, Formvorschriften, Genehmigung der Prozessführung118, Sicherheiten für Kosten oder Klageerhebungsgebühren119 aufstellt. Ferner können auch völkerrechtliche Immunitäten 120 und die parlamentarische Immunität eine angemessene Beschränkung des Zugangs zu Gericht bilden.121 c) Der Grundsatz des fairen Verfahrens
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Das Recht, „in billiger Weise" gehört zu werden, bringt den Grundsatz des fairen Verfahrens („fair hearing") zum Ausdruck. Es beinhaltet eine Vielzahl von Teilgarantien, die alle auf das Ziel eines Verfahrensablaufs gerichtet sind, in dem die Parteien unter im Wesentlichen gleichartigen Bedingungen ihren Prozessstandpunkt vertreten können.122 Dieser Anspruch verlangt insb, dass der Betroffene seine Rechtsposition effektiv vertreten kann. Zum Fairnessgrundsatz gehören zunächst Teilgewährleistungen, wie der Grundsatz der Waffengleichheit, das Recht auf Akteneinsicht, der Anspruch auf rechtliches Gehör sowie das Recht auf Begründung von Entscheidungen. Daneben werden Rechte des Angeklagten als Ausdruck des Fairnessgebots angesehen, die einerseits in Art 6 III und II EMRK verankert sind und andererseits in der Rspr entwickelt wurden, wie zB der Grundsatz des nemo tenetur. In manchen Fällen begnügt sich der Gerichtshof auch mit der Feststellung, dass das betreffende Verfahren insgesamt nicht den Erfordernissen eines fairen Verfahrens genügt, ohne eine der Teilgarantien speziell als verletzt zu erachten.123
114 115 116 117 118 119
120 121 122 123
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EGMR, EuGRZ 1975, 91, Rn 38 - Golder. EGMR, EuGRZ 1986, 8, Rn 58 - Ashingdane. EGMR, EuGRZ, 1988, 350, Rn 197 - Lithgow. EGMR, HRLJ 1994, 344, Rn 70 - Fayed. EGMR, Serie A, Vol 93, Rn 59 - Ashingdane. EGMR, RJD 2001-VI, Rn 61 ff - Kreuz (Einhebung einer Klageerhebungsgebühr in der Höhe eines durchschnittlichen Jahresgehalts als unverhältnismäßige Erschwerung des Zugangs zu Gericht). EGMR, NJW 1999, 1173, Rn 59 ff - Waite = Ehlers JK 99, EMRK Art 6/2. Dazu Matscher ÖZÖR 1980, 20 f. Mieslerl Vogler in: Internationaler Kommentar zur EMRK, Art 6 Rn 341. So etwa in EGMR, NJW 2004, 2505, Rn 55 ff, 62 ff - Van Kück.
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aa) Der Grundsatz der Waffengleichheit Der Grundsatz der Waffengleichheit ist Bestandteil des Fairnessgebots des Art 6 I EMRK und bildet gleichzeitig eine besondere Ausprägung des Gleichheitssatzes.124 Danach muss jede Partei Gelegenheit haben, ihren Fall einschließlich ihrer Beweise zu präsentieren, und zwar unter Bedingungen, die keinen wesentlichen Nachteil gegenüber ihrem Gegner darstellen.125 Das bedeutet, dass die einander gegenüberstehenden Parteien verfahrensrechtlich grundsätzlich gleichgestellt werden müssen. Es kommt nicht darauf an, ob die Gegenpartei den Vorteil tatsächlich ausgenutzt hat, sondern ob ein solcher abstrakt besteht, und ob dieser von der Partei ausgenutzt werden könnte.126
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bb) Anspruch auf rechtliches Gehör Aus Art 6 EMRK folgt auch eine dem Art 103 I GG korrespondierende Garantie. Voraussetzung für die effektive Ausübung des rechtlichen Gehörs ist es, dass die Parteien Kenntnis vom Akteninhalt, insb von den von der gegnerischen Partei vorgebrachten Stellungnahmen und Beweismitteln haben.'27 Wesentlich ist in diesem Zusammenhang unter dem Gesichtspunkt der Waffengleichheit auch, über welche Möglichkeiten der Stellungnahme die Gegenseite verfügte. Gab es hier einen Wissensvorsprung einer Partei gegenüber den anderen Parteien und konnte diese folglich weitergehende Stellungnahmerechte ausüben, so bedeutet das regelmäßig eine Verletzung des Art 6 EMRK. 128 Werden dem Angeklagten bestimmte Beweismittel wegen des Schutzes widerstreitender Interessen, wie etwa jenen der öffentlichen Sicherheit oder des Schutzes von Zeugen, nicht offengelegt, so muss durch die Einhaltung verfahrensrechtlicher Garantien insgesamt sichergestellt werden, dass dem Angeklagten ein faires Verfahren zuteil geworden ist.129 Ebenso muss es dem Betroffenen möglich sein, die Authentizität und die Verwendung von Beweismitteln, die unter Bruch eines anderen Konventionsrechts erlangt worden sind, in allen Verfahrensstadien in Frage zu stellen.130 Mit dem Anspruch auf rechtliches Gehör ist auch der Anspruch auf Begründung der Entscheidungen verbunden. Das Ausmaß der Begründungspflicht hängt dabei entscheidend von der konkreten Verfahrenssituation und dem Rechtssystem ab. So hängt es von der jeweiligen nationalen Rechtsstaatsvorstellung ab, wie groß das Ausmaß der Begründung sein muss.131 Aus der Perspektive der Verfahrenssituation ist maßgeblich, welches Parteivorbringen im Verfahren erfolgte, ob es sich um eine Entscheidung erster Instanz oder höherer Instanz handelte und schließlich von welcher Präzision die angewendeten gesetzlichen Bestimmungen sind. Bei Ermessensentscheidungen ist die Begründungspflicht regelmäßig höher.132
124 125 126 127 128 129 130 131 132
Vgl Grabenwart er (Fn 4) S 596 f. EGMR, RUDH 1993, 426, Rn 33 - Dombo Beheer; RJD 1996-V, Rn 38 - Ankerl. EGMR, EuGRZ 1991, 519, Rn 27 f - Borgers. EGMR, EuGRZ 1992, 190, Rn 66 f - Brandstetter; EuGRZ 1993, 453, Rn 63 - Ruiz-Mateos. EGMR, EuGRZ 1993,453, Rn 67 - Ruiz-Mateos. EGMR, Urt ν 19.6.2001, Rn 40 f - Atlan; R J D 2000-11, Rn 61 - Rowe und Davis. EGMR, RJD 2000-V, Rn 38 ff - Khan. EGMR, Serie A, Vol 303-B, Rn 27 - Hiro Balani. EGMR, RUDH 1994,401, Rn 55 - De Moor; Serie A, Vol 127-B, Rn 53 - H/Belgien.
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cc) Besondere Rechte des Angeklagten 45
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Art 6 III EMRK enthält eine demonstrative Aufzählung von Rechten des Angeklagten.133 In der Rspr des EGMR ist klargestellt, dass diese ihrerseits Bestandteile des Konzepts des fairen Verfahrens nach Art 6 I EMRK sind. Alle diese Garantien sind vom Gedanken der Effektivität der Verteidigung geprägt, sei es, dass ein bestimmtes Zeitmoment normiert ist,134 sei es, dass Nachteile aus Sprachproblemen des Angeklagten hintangehalten werden,135 sei es, dass der Kontakt mit dem Verteidiger sichergestellt wird,136 sei es, dass ökonomische Nachteile für die Verteidigung ausgeglichen werden137 oder sei es, dass die Effektivität und die Waffengleichheit in der Hauptverhandlung sichergestellt werden.138 Insb zum Zeugen- und Sachverständigenbeweis hat sich eine umfangreiche Judikatur des EGMR herausgebildet. Nach Art 6 III lit d EMRK hat der Angeklagte das Recht, Fragen an die Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen und die Ladung und Vernehmung der Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen wie die der Belastungszeugen zu erwirken. Bei der Ermittlung der Pflichten des Gerichts zur Ladung von Zeugen und Sachverständigen ist nach der Judikatur des EGMR zu fragen, ob die Nichtladung oder Nichtzulassung von Fragerechten durch legitime Gründe gerechtfertigt werden kann. Dabei ist zwischen dem Gewicht dieser Gründe und den Nachteilen für den Angeklagten abzuwägen.139 Zu den Rechten des Angeklagten gehört auch das Recht, zu schweigen und sich nicht selbst zu beschuldigen („nemo tenetur"), das im deutschen Recht in § 136 I 2 StPO positiviert ist und in der Menschenwürde nach Art 1 I GG wurzelt.140 Der „nemo tenetur"Grundsatz ist in Art 6 EMRK nicht ausdrücklich erwähnt, wird vom Gerichtshof aber zum Kernbereich eines fairen Verfahrens gerechnet, wobei dieser stets auf den engen Zusammenhang mit der Unschuldversmutung gem Art 6 II EMRK hinweist.141 Es obliegt der Strafverfolgungsbehörde, den Beschuldigten zu überführen, ohne hierfür auf Beweismittel zurückzugreifen, die durch Zwangs- oder Druckmittel ohne den Willen des Beschuldigten erlangt wurden.142 Die Garantie ist nicht lediglich auf Aussagen beschränkt,143
133 Ein systematischer Vergleich zwischen den Verfahrensgarantien im deutschen Strafprozess und den Gewährleistungen der EMRK findet sich bei Eisele JR 2004, 12 ff. 134 Möglichst kurze Frist der Information über Art und Grund der Beschuldigung - Art 6 III lit a EMRK; ausreichende Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung der Verteidigung - lit b. 135 „Verständliche Sprache" der Information über die Anklage - Art 6 III lit a EMRK; unentgeltliche Beiziehung eines Dolmetschers - lit e. 136 Art 6 III lit c EMRK. 137 Unentgeltlicher Pflichtverteidiger - Art 6 III lit c EMRK; unentgeltliche Beiziehung eines Dolmetschers - lit e. 138 Recht auf Anwesenheit und eigene Verteidigung - lit c; Waffengleichheit beim Zeugenbeweis litd. 139 Für Einzelheiten vgl Grabenwarter (Fn 4) S 636 ff mit umfangreichen Nachw aus der Rspr des EGMR. 140 BVerfGE 38, 105, 114 f; 55, 144, 150; 56, 37, 43; Dreier in: Dreier (Hrsg) Grundgesetz-Kommentar, Bd 1, 1996, Art 1 I Rn 81. Ausf zum Ganzen Müller EuGRZ 2001, 546 ff. 141 EGMR, RJD 2000-XII, Rn 40 - Heany; RJD 1996-VI, Rn 68 - Saunders; EuGRZ 1996, 587, Rn 46, 58 - Murray. 142 EGMR, RJD 2000-XII, Rn 40 - Heany; RJD 1997-VI, Rn 46 - Serves; RJD 1996-VI, Rn 68 Saunders. 143 Das Recht zu schweigen ist nicht auf unmittelbar selbstbelastende Aussagen beschränkt, son-
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sondern umfasst auch den Zwang zur eigenhändigen Herausgabe von Beweismaterial. 144 Nicht geschützt sind Ergebnisse von Atem-, Blut-, Urin- oder Körpergewebeproben, die unter Zwang erreicht wurden, deren Existenz jedoch nicht vom Willen des Beschuldigten abhängen. 145 Es handelt sich weiterhin nicht um ein absolutes Recht. 146 So ist etwa das Ziehen nachteiliger Schlüsse aus dem Schweigen des Beschuldigten unter bestimmten Voraussetzungen vereinbar mit der Garantie. 147 So verneint der E G M R beispielsweise eine Verletzung von Art 6 I E M R K , wenn ein Strafverfahren zum Zeitpunkt der Aussageverweigerung noch gegen unbekannt und nicht gegen den Auskunftspflichtigen geführt wird und allenfalls als Folge der (verweigerten) Aussage gegen diesen eingeleitet wird, sofern der Zusammenhang mit den Strafverfahren lose und hypothetisch bleibt. 148 Schließlich gehört das Prinzip der Unschuldsvermutung zu den Rechten des Angeklagten, wenngleich es neben der Garantie des fair trial selbständig geregelt ist. Das Bundesverfassungsgericht hat unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Art 6 II E M R K ein entsprechendes rechtsstaatliches Gebot nach dem Grundgesetz angenommen. 149 Das Gebot der Unschuldsvermutung hat mehrere Dimensionen. Im Vorfeld und während eines Strafverfahrens verbietet es Äußerungen staatlicher Behörden und Gerichte, wonach eine bestimmte Person eine strafbare Handlung begangen habe, noch bevor sie gerichtlich verurteilt wurde. 150 Daneben verbietet es Art 6 II E M R K , wenn ein Angeklagter trotz Einstellung des Verfahrens und daher mangels Feststellung seiner Schuld dennoch zur Tragung der Verfahrenskosten verpflichtet wird, weil hieraus Schuldannahmen abgeleitet werden können. 151 Selbst wenn Zweifel an der Unschuld bereits im Freispruch ausgedrückt werden oder wenn dieser nur aus Mangel an Beweisen erfolgt, ist jeder Ausdruck eines Schuldverdachts nach einem rechtskräftigen Freispruch mit dem Grundsatz der Unschuldsvermutung unvereinbar. 152 Schließlich hat der Staat auch eine Schutzpflicht gegenüber vorverurteilender Medienberichterstattung. 153
144 145 146 147
148 149 150 151 152
153
umfasst auch Aussagen, die auf den ersten Blick nicht belastend erscheinen. Entscheidend ist, welche Verwendung die unter Zwang erlangten Aussagen im Verlauf eines Strafverfahrens finden (EGMR, RJD 1996-VI, Rn 71 - Saunders). EGMR, RUDH 1993, 232, Rn 44 - Funke (Anders als etwa Art 14 § 3g IPBPR). EGMR, RJD 2000-XII, Rn 40 - Heany; EGMR, RJD 1996-VI, Rn 69 - Saunders; Villiger EMK.R Rn 502. EGMR, RJD 2000-XII, Rn 47 - Heany; RJD 2000-V, Rn 56 - Condron; EuGRZ 1996, 587, Rn 47 - Murray; sa EGMR, ZulE ν 5.12.2000, Rn 2 - Randall. EGMR, Urt ν Β.10.2002, Rn 53 ff - Beckles; vgl hierzu AshworthlStrange E.H.R.L.R. 2004, 121, 134 ff; RJD 2000-V, Rn 61 f - Condron; EuGRZ 1996, 587, Rn 50 f, 54 - Murray; sa EGMR, ZulE ν 5.12.2000, Rn 2 - Randall. Hierzu auch Kühne EuGRZ 1996, 571 ff. Im Zusammenhang mit dem Recht auf den Beistand eines Verteidigers EGMR, RJD 2000-VI, Rn 43 - Magee. EGMR, ÖJZ 2004, 853, Rn 53 ff - Weh (Verweigerung der Aussage über den Fahrzeuglenker seitens des Halters des Fahrzeuges - Zulassungsbesitzer - nach österreichischem Recht). BVerfGE 74, 358, 370. EGMR, EuGRZ 1988, 390, Rn 51 - Schenk; RUDH 1995, 295, Rn 41 - Allenet de Ribemont. Beginnend mit EGMR, RUDH 1993, 358, Rn 29 ff - Sekanina; dazu Pilnacek, ÖJZ 2001, 546 ff; aus jüngerer Zeit EGMR, Urt ν 21.3.2000, Rn 31 f - A s a n Rushiti. EGMR, Urt ν 21.3.2000, Rn 31 f - Asan Rushiti; anders hingegen, wenn das Verfahren ohne Endurteil über Schuld oder Unschuld eingestellt worden ist (vgl hierzu auch ZulE ν 1.4.2004 Reinmüller. EKMR, DR 14, 112 f.
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d) Die Öffentlichkeit des Verfahrens 49
Art 6 EMRK schreibt die Öffentlichkeit des Verfahrens in zweierlei Hinsicht vor: Zum einen gebietet er mündliche Verhandlungen, die der Öffentlichkeit zugänglich sind, zum anderen wird die Öffentlichkeit der verfahrensbeendenden Entscheidungen gefordert. Explizit wird die Medienöffentlichkeit im Rahmen der Ausschlusstatbestände erwähnt. Journalisten erfüllen in qualifizierter Weise den Begriff der Öffentlichkeit iSv Art 6 I EMRK, da sie durch ihre Berichterstattung den Hauptanteil an der Veröffentlichung des Verfahrens tragen. Davon zu unterscheiden ist jedoch die Frage der Zulässigkeit von Ton- oder Bildaufzeichnungen während der Verhandlung. Während die Öffentlichkeit der Entscheidungen vorbehaltlos gewährleistet wird, steht die Öffentlichkeit von Verhandlungen unter einem unmittelbar anwendbaren Eingriffsvorbehalt: Die Öffentlichkeit kann während der gesamten Verhandlung oder eines Teiles derselben im Interesse der Sittlichkeit, der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit in einem demokratischen Staat ausgeschlossen werden, ferner wenn die Interessen von Jugendlichen oder der Schutz des Privatlebens der Prozessparteien es verlangen oder unter besonderen Umständen, wenn die Öffentlichkeit die Interessen der Rechtspflege beeinträchtigen würde (in diesem Fall jedoch nur in dem nach Auffassung des Gerichts erforderlichen Umfang). Dieser Vorbehalt weist inhaltlich große Parallelen zu den Gesetzesvorbehalten der Art 8 bis 11 EMRK auf.154
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Daneben hat die Rspr weitere Gründe entwickelt, aus denen eine öffentliche Verhandlung oder die öffentliche Verkündung eines Urteils unterbleiben kann. Für die öffentliche Verhandlung geht die stRspr davon aus, dass keine Verletzung des Grundrechts vorliegt, wenn die betroffene Prozesspartei auf das Recht verzichtet hat. Ein solcher Verzicht wird angenommen, wenn er freiwillig und unzweideutig erfolgt ist. Das Kriterium der Unzweideutigkeit des Verzichts kann nach der Rspr des EGMR nicht nur bei einer ausdrücklichen Erklärung vorliegen, sondern auch dann, wenn diese durch eine konkludente Handlung erfolgt.155 Für strafrechtliche Verfahren gelten jedoch strengere Anforderungen hinsichtlich der Eindeutigkeit eines Verzichts, als dies bei zivilrechtlichen Verfahren der Fall ist, da bei ersteren ein Verzicht ausdrücklich erklärt werden muss.156 In zivilrechtlichen Verfahren hingegen liegt ein antragsbedürftiges Recht auf Abhaltung einer öffentlichen Verhandlung vor, wenn die Anberaumung einer solchen vom nationalen Gesetz nicht zwingend vorgesehen, sondern in das Ermessen des Gerichts gestellt ist. Ein stillschweigender Verzicht wird folglich nur dann ausgeschlossen, wenn das Gesetz ausdrücklich vorsieht, dass keine mündliche Verhandlung stattfindet, ein Antrag daher mit Sicherheit erfolglos bliebe.157 In Fällen, in denen eine Verhandlung ausschließlich auf Antrag oder entweder auf Antrag oder von Amts wegen anberaumt wird, verlangt der EGMR einen Antrag des Betroffenen, insb dann, wenn in der Praxis dieses Gerichts und vergleichbarer Gerichte entsprechende Verfahren regelmäßig ohne Verhandlung stattfinden. 158 Ausnahmsweise ist ein Verzicht zur Rechtfertigung des Unterbleibens der Verhandlung aber dann nicht hinreichend, wenn dieser einem wichtigen öffentlichen Interesse zuwiderlaufen
154 Für Einzelheiten und Abweichungen vgl ausf Grabenwarter (Fn 4) S 481 ff. 155 EGMR, Serie A, Vol 263, Rn 58 - Schuler-Zgraggen; EGMR, EuGRZ 1992, 5, Rn 66 Häkansson und Sturesson; EuGRZ 1981, 551, Rn 59 - Le Compte ua. 156 EGMR, Urt ν 20.12.2001, Rn 26 - Baischer. 157 EGMR, Serie A, Vol 325-A, Rn 31 - Diennet; Serie A, Vol 127-B, Rn 54 - H/Belgien. 158 EGMR, RUDH 1994, 25, Rn 22 - Fredin (Nr. 2); Serie A, Vol 312-A, Rn 44 - Fischer; vgl hierzu Grabenwarter EMRK § 24 Rn 35.
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würde.159 In Rechtsmittelverfahren kann die Verhandlung auch ohne Verzicht unterbleiben, es sei denn, die Bedeutung und Notwendigkeit einer Verhandlung für die Beweiserhebung und -Würdigung sowie für die Lösung von Rechtsfragen oder die Bedeutung des Verfahrensausgangs für den Betroffenen machen sie erforderlich.160 Das Recht auf öffentliche Verkündung der Entscheidungen nach Art 6 I E M R K hat der EGMR in einer teleologischen Reduktion auf einen Ansprach auf Veröffentlichung des Urteils beschränkt, um dem Standard der Urteilsveröffentlichung in den Vertragsstaaten zu entsprechen. Dabei reicht es aus, wenn der Kontrollzweck der Veröffentlichung durch eine andere Art und Weise, in der das Urteil der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, ebenso gut wie bei öffentlicher Verkündung erfüllt wird.161 Die Beschränkungstatbestände für Verhandlungen sind auf die Urteilsveröffentlichung nicht anwendbar. Dem Gebot des Schutzes der Privatsphäre nach Art 8 EMRK kann durch Anonymisierungen von Entscheidungen Rechnung getragen werden.
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e) Das Gebot angemessener Verfahrensdauer Nach Art 6 I EMRK hat das Gericht „innerhalb einer angemessenen Frist" zu entscheiden. Diese Garantie ist einerseits Bestandteil des Gebots effizienten gerichtlichen Rechtsschutzes, steht andererseits aber in einem Spannungsverhältnis zu den einzelnen Gewährleistungen des fairen Verfahrens, da ein Mehr an Verfahrensrechten regelmäßig das Verfahren verlängert.162 Insb im Strafverfahren geht es darum, die Ungewissheit über den Ausgang eines Strafverfahrens möglichst kurz zu halten. Die Berechnung der für das Grundrecht maßgeblichen Zeitspanne beginnt in Zivilverfahren mit der Erhebung der Klage,163 im Strafverfahren bereits vor Beginn des Hauptverfahrens in dem Zeitpunkt, in dem erste Schritte der Strafuntersuchung nach außen hin gesetzt werden.164 Bei verwaltungsgerichtlichen Verfahren kann auch die Dauer des vorangehenden Verwaltungsverfahrens zu berücksichtigen sein. Das Ende des Verfahrens bildet regelmäßig die abschließende Entscheidung der letzten Instanz sowie eines nachfolgenden verfassungsgerichtlichen Verfahrens.165 Für die Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer stellt die Judikatur auf eine Einzelfallbetrachtung ab, in der vier Kriterien zur Anwendung gelangen.166 Bedeutung der Sache für den Beschwerdeführer. Wenn der Ausgang des Verfahrens für den Betroffenen von besonderer Bedeutung ist, so führt regelmäßig bereits eine kürzere Zeitspanne zu einer Verletzung. Besondere Bedeutung wird in Strafverfahren bei Inhaftierung des Beschwerdeführers, im Zivilverfahren bei familienrechtlichen Angelegenheiten oder bei Verfahren mit Auswirkungen auf den Lebensunterhalt des Betroffenen, wie etwa 159 160 161 162 163 164
EGMR, EuGRZ 1992, 5, Rn 66 - Häkansson und Sturesson; RJD 1997-III, Rn 62 - Pauger. Vgl Grabenwarter (Fn 4) S 526 mwN. EGMR, EuGRZ 1985, 548, Rn 27 - Pretto. EGMR, EuGRZ 1978, 406, Rn 100 - König. EGMR, HRLJ 1992,419, Rn 43 - Editions Periscope. EGMR, Urt ν 2.10.2003, Rn 32 - Hennig; Serie A, Vol 195-B, Rn 16 - Manzoni; Serie A, Vol 57, Rn 34 - Corigliano; Serie A, Vol 51, Rn 73 - Eckle; vgl hierzu auch Leigh in: Weissbrodt/ Wolfrum (Hrsg), The Right to a Fair Trial, 1997, S 653. 165 EGMR, NJW 2001, 213, Rn 29 - Klein. Krit dazu Breuer Sonderheft Weber, Beilage zur NJW 2002, 6 fr. 166 Vgl hierzu exemplarisch EGMR, NJW 1989, 652, Rn 78 fT - Deumeland = Küttig JK 89, EMRK Art 61/1.
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bei arbeitsrechtlichen167 und schadensersatzrechtlichen168 Verfahren oder Entscheidungen über Rentenansprüche' 69 , angenommen. Komplexität des Falles: Wenn ein Verfahren im Hinblick auf Sach- oder Rechtsfragen besondere Komplexität aufweist, kann eine vergleichsweise längere Verfahrensdauer gerechtfertigt sein (zB komplexe Wirtschafts n0 - und Umweltstrafsachen m ) . Verhalten des Beschwerdeführers: Wenn der Beschwerdeführer durch sein Verhalten das Verfahren verzögert hat, so ist das bei der Beurteilung der Verfahrensdauer zu berücksichtigen. Nicht zum Nachteil des Betroffenen darf berücksichtigt werden, wenn dieser alle ihm zur Verfügung stehenden Rechtsmittel ergreift.172 Vor allem im Strafverfahren ist nicht gefordert, dass der Angeklagte mit den Strafverfolgungsbehörden aktiv zusammenarbeitet.173 Verhalten der Behörden: Maßgeblich ist schließlich, ob die Behörden und Gerichte des Staates das Verfahren zügig betrieben haben oder aber längere Phasen der Inaktivität gezeigt haben. Auch punktuelle oder länger andauernde Überlastungen von Gerichten können zu Lasten des Staates gehen. Nach der Rspr hat der Staat sein Gerichtssystem so einzurichten, dass er den Anforderungen des Art 6 EMRK gerecht werden kann.174 Folglich kann auch die Nichtabberufung eines säumigen gerichtlich bestellten Sachverständigen seitens des Gerichts175 sowie das Nichtergreifen adäquater Mittel gegen das wiederholte Nichterscheinen von Zeugen und Beschuldigten vor Gericht176 zu Lasten der Behörde gehen. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass den Konventionsstaaten auch aus Art 13 EMRK die Pflicht erwächst, ein effektives Rechtsmittel gegen eine unangemessen lange Verfahrensdauer bereitzustellen.177 2. Nulla poena sine lege (Art 7 EMRK)
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Fall 2: (EGMR, NJW 2001, 3042 ff - W/Deutschland) Der 50-jährige W hatte sich von 1970 bis 1973 zum Wehrdienst der Nationalen Volksarmee der ehemaligen DDR verpflichtet. Am 15.2.1972 tötete er mit fünf kurzen Feuerstößen von je zwei Schüssen einen Flüchtling, der versucht hatte, von Ost-Berlin durch die Spree schwimmend nach West-Berlin zu gelangen. Er wurde beglückwünscht, erhielt das Leistungsabzeichen der Grenztruppen der DDR und eine Geldprämie in Höhe von 150 Mark. Am 17.6.1993 verurteilte ihn die Jugendkammer des LG Berlin nach dem zur Tatzeit geltenden Recht der DDR (§113 StGB-DDR), wandte jedoch dann das mildere Strafgesetz der Bundesrepublik an und bestrafte ihn nach §§ 212, 213 StGB und §§ 1, 105 I Nr 1 JGG. Ist diese Verurteilung konventionskonform?
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EGMR, Urt ν 29.1.2004, Rn 56 - Kormacheva. EGMR, Urt ν 30.9.2004, Rn 70 - Krastanov. EGMR, RJD 1996-IV, Rn 61 - Süßmann. Vgl EGMR, Urt ν 13.7.2004, Rn 47 - Lislawska. Vgl EGMR, Urt ν 24.7.2003, Rn 86 - Smirnova. EGMR, Urt ν 11.12.2003, Rn 56 - Girardi; Serie A, Vol 117, Rn 57 - Poiss; EuGRZ 1985, 548, Rn 34 - Pretto; vgl aber andererseits EGMR, Urt ν 24.7.2003, Ζ. 86 - Smirnova. EGMR, EuGRZ 1983, 371, Rn 82 - Eckle. EGMR, RJD 1997-IV, Rn 40 - Philis (Nr 2); RJD 1998-VIII, Rn 38 - Podbielski. Vgl EGMR, Urt ν 23.9.2004, Rn 90 - Rachevi; Urt ν 8.7.2004, Rn 52 - Wohlmeyer Bau GmbH. EGMR, Urt ν 21.9.2004, Rn 65 - Kusmierek. Näheres dazu in Rn 68.
Justiz- und Verfahrensgrundrechte
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Der Grundsatz nulla poena sine lege (keine Strafe ohne Gesetz) in Art 7 E M R K enthält ein Rückwirkungsverbot und ein Klarheitsgebot für den Gesetzgeber. Der Anwendungsbereich dieser Garantie entspricht dem des Art 6 E M R K , umfasst also neben dem Strafrecht auch das Ordnungswidrigkeitenrecht und Teile des Disziplinarrechts. Das Bonner Grundgesetz enthält ein dem Art 7 E M R K entsprechendes Grundrecht in Art 103 II. Art 11-109 W E geht über Art 7 E M R K hinaus, indem es einerseits normiert, dass eine mildere Strafe zu verhängen ist, wenn der Gesetzgeber nach der Begehung der Tat eine mildere eingeführt hat (Art 11-109 I Satz 3 W E ) und andererseits in Art 11-109 III ein Gebot der Verhältnismäßigkeit des Strafmaßes enthält. Das Rückwirkungsverbot ergibt sich aus dem Wortlaut des Art 7 E M R K . Danach darf niemand wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden, die zur Zeit ihrer Begehung nach inländischem oder internationalem Recht nicht strafbar war. Bei der Beurteilung der Frage, ob Handlungen eines Beschwerdeführers zur Tatzeit bereits Straftaten waren, genießen die innerstaatlichen Gerichte einen Spielraum. Es ist vorrangig deren Aufgabe, das staatliche Recht auszulegen und anzuwenden. 178 Speziell für das Vorliegen von Rechtfertigungsgründen nach innerstaatlichem Recht berücksichtigt der E G M R , o b ein Beschwerdeführer selbst an der Begründung einer Staatspraxis mitgewirkt hat, welche die Strafbarkeit beseitigen soll. Ein Angeklagter könne - so der E G M R - sein zunächst rechtswidriges Verhalten, das zu seiner Verurteilung geführt habe, nicht mit der einfachen Feststellung rechtfertigen, dass es dieses Verhalten tatsächlich gab und in der Praxis ein dieses Verhalten legitimierender Rechtfertigungsgrund vorhanden war.179 Der Hinweis auf das internationale Recht in Art 7 II E M R K nimmt Bezug auf Tatbestände des Völkerstrafrechts wie Kriegsverbrechen, Völkermord uä. 180 Neben dem Rückwirkungsverbot enthält Art 7 E M R K auch ein Gesetzmäßigkeits- und Klarheitsgebot. N u r ein Gesetz darf einen Straftatbestand bestimmen und eine Strafe androhen. Das Gesetz darf nicht zu Lasten eines Angeklagten extensiv ausgelegt werden, etwa durch Analogie. Daraus folgt, dass ein Straftatbestand eindeutig vom Gesetz festgelegt sein muss. Diesem Erfordernis wird dann Genüge getan, wenn dem Wortlaut der jeweiligen Vorschrift, soweit erforderlich mit Hilfe der Auslegung durch die Gerichte, zu entnehmen ist, für welche Handlungen und Unterlassungen der Einzelne strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden kann. Art 7 E M R K enthält daher kein Verbot einer schrittweisen Klärung der Vorschriften über die strafrechtliche Verantwortlichkeit durch richterliche Auslegung, vorausgesetzt, die Entwicklung ist iE mit dem Wesen des Straftatbestandes vereinbar und ausreichend vorhersehbar. 181 Der E G M R bejaht die Vorhersehbarkeit einer Verurteilung selbst dort, wo die staatliche Praxis für die Dauer der Effektivität der maßgeblichen Rechtsordnung nicht nur jede Strafbarkeit des späteren Angeklagten ausschloss, sondern den Betroffenen vielmehr bei Unterlassen des später mit Strafe belegten Verhaltens sogar mit negativen Konsequenzen belegt hatte.
178 EGMR, NJW 2001, 3035, Rn 49, 51, 66 - Krenz. 179 EGMR, NJW 2001, 3035, Rn 7 4 - Krenz. 180 Harris! Ο'Boy lel Warbrick Law of the European Convention on Human Rights, 1995, S 277; Kreicker Art 7 EMRK und die Gewalttaten an der deutsch-deutschen Grenze, 2002, S 81 f. 181 EGMR, Serie A, Vol 335-B, Rn 34 ff - S W/Vereinigtes Königreich.
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Lösung Fall 2: Da W wegen einer Handlung oder Unterlassung strafrechtlich verurteilt worden ist, kommt Art 7 EMRK zur Anwendung. Fraglich ist, ob die Tötung an der Berliner Mauer zum Zeitpunkt ihrer Begehung strafbar war. Kein Zweifel besteht daran, dass die Tötung den Tatbestand des § 113 StGB-DDR (Totschlag) erfüllte. Fraglich ist, ob Rechtfertigungsgründe vorliegen. Bei richtiger Sicht wurden solche durch die - wenngleich rechtsstaatlichen Standards nicht entsprechende - Staatspraxis in der DDR begründet, wonach die diensttuenden Grenzsoldaten im Fall einer geglückten Flucht mit strafrechtlichen Ermittlungen durch die Militärstaatsanwalt zu rechnen hatten. Der EGMR ist anderer Ansicht. Er räumt zwar ein, dass es eine solche Staatspraxis gegeben habe. Die dieser Staatspraxis zu Grunde liegende Staatsräson müsse jedoch ihre Grenzen in der Verfassung und in der Gesetzgebung der DDR selbst finden, wobei zu berücksichtigen sei, dass das Recht auf Leben zur Tatzeit bereits international den obersten Rang in der Wertehierarchie der Menschenrechte einnahm.182 Die Praxis habe offensichtlich gegen die in der DDR-Verfassung verankerten Grundrechte sowie gegen die völkerrechtliche Verpflichtung zur Wahrung von Menschenrechten verstoßen, die unter anderem durch die Ratifikation des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte begründet wurde. Mit dieser Ansicht verkennt der EGMR - wie schon zuvor das Bundesverfassungsgericht - , dass der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte nicht in innerstaatliches DDR-Recht transformiert wurde und so jedenfalls für den Grenzsoldaten keine Wirkung entfalten konnte.183 Der EGMR bejaht im Übrigen auch die Vorhersehbarkeit der Verurteilung. Zwar sei W als junger Soldat der Indoktrinierung der jungen Rekruten der Volksarmee ausgesetzt gewesen und riskierte die Einleitung strafrechtlicher Ermittlungen bei geglücktem Grenzübertritt eines Flüchtlings. Doch handelte es sich bei der Verfassung und dem StGB der DDR nicht um obskure Verordnungen, weshalb der Grundsatz „Niemand kann sich auf Unkenntnis des Gesetzes berufen" auch für W gelte. Außerdem habe sich W freiwillig auf drei Jahre verpflichtet, und er kannte wie jeder Bürger der DDR die Art des Grenzregimes. Er musste also wissen, dass die Verpflichtung zum Wehrdienst die Möglichkeit einschloss, an die Grenze abkommandiert zu werden und auf unbewaffnete Flüchtlinge schießen zu müssen. Ein einfacher Soldat könne sich überdies „nicht voll und blindlings" auf Befehle berufen, die offensichtlich nicht nur die ureigenen Rechtsgrundsätze der DDR, sondern auch die völkerrechtlich geschützten Menschenrechte verletzten, insb das Recht auf Leben, das den obersten Rang in der Wertehierarchie der Menschenrechte einnehme. Die Verurteilung verstoße daher iE nicht gegen Art 7 EMRK. Mit dieser Argumentation bemüht der EGMR wie schon vor ihm das Bundesverfassungsgericht die Radbruch'sche Formel, indem er sie völkerrechtlich variiert und reformuliert. Eine rechtsdogmatische Begründung beinhaltet sie nicht.184 3. Das Verbot der Doppelbestrafung
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und-Verfolgung
Art 4 7. ZP E M R K beinhaltet das Verbot der Doppelbestrafung („ne bis in idem"). Deutschland hat das 7. Zusatzprotokoll zwar unterzeichnet, bisher allerdings nicht ratifiziert. Im Grundgesetz findet sich die Gewährleistung als eines der sog grundrechtsgleichen Rechte in Art 103 III GG. 185 Art II-l 10 W E enthält ein Art 4 7. ZP E M R K entsprechendes Recht, nach dem niemand wegen einer Straftat, deretwegen er bereits in der Union
182 183 184 185
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E G M R , NJW 2001, 3035, Rn 72 - Krenz. Vgl bereits Dreier JZ 1997, 421,425. Krit zum Urteil Rau N J W 2001, 3008 ff, sowie Roellecke N J W 2001, 3024 f. S hierzu BVerfGE 3, 248, 250 ff; 75, 1, 8 ff.
Justiz- und Verfahrensgrundrechte
§6 113
nach dem Gesetz rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen ist, in einem Strafverfahren erneut verfolgt oder bestraft werden darf. Art 4 7. ZP EMRK besagt, dass niemand „wegen einer strafbaren Handlung, wegen der er bereits nach dem Gesetz oder dem Strafverfahrensrecht eines Staates rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren desselben Staates erneut vor Gericht gestellt oder bestraft werden" darf. Art 4 7. ZP EMRK entfaltet keine zwischenstaatliche Geltung, sondern schützt nur vor einer erneuten Bestrafung oder Verhandlung der Sache durch „denselben" Staat.186 Voraussetzung für die „Sperrwirkung" der Norm ist ein durch rechtskräftiges Urteil oder Freispruch endgültig abgeschlossenes strafrechtliches Verfahren.187 Anwendbar ist die Garantie nur, soweit es sich um (zwei) strafrechtliche Sanktionen iSd EMRK handelt. Von der „Sperrwirkung" des Art 4 7. ZP EMRK nicht erfasst sind daher erneute Sanktionierungen anderer Art (zB disziplinarrechtliche Maßnahmen).188 Der Begriff „strafrechtlich" entspricht dem StrafrechtsbegrifT der Art 6 und 7 EMRK. 189 Liegen zwei strafrechtliche Sanktionen vor, so stellt sich die Frage, ob diese wegen derselben „strafbaren Handlung" („offence/infraction") verhängt wurden.190 Entscheidend ist nicht, dass den Bestrafungen dieselbe tatsächliche Handlung zugrunde liegt.191 Der Umstand allein, dass ein und dieselbe tatsächliche Handlung mehrere Straftatbestände verwirklicht, verstößt noch nicht gegen das Verbot der Doppelbestrafung.192 Allerdings können zwei unterschiedliche Straftatbestände dasselbe strafrechtliche Unrecht abdecken. Ein Verstoß liegt dann vor, wenn jemand wegen derselben tatsächlichen Handlung aufgrund derselben Vorschrift oder aufgrund unterschiedlicher, materiell jedoch mindestens teilweise identischer Vorschriften bestraft wird.193 Der Gerichtshof untersucht, ob die Straftatbestände in ihren „wesentlichen Elementen" identisch sind („the same essential elements").194 Ist das der Fall, so liegt ein Fall der Gesetzeskonkurrenz und damit eine Verletzung vor. Kein Verstoß liegt vor, wenn die Straftatbestände im Verhältnis der Idealkonkurrenz zueinander stehen.195 In Art 4 II 7. ZP EMRK ist klargestellt, dass der Grundsatz des ne bis in idem nicht die Wiederaufnahme eines Verfahrens ausschließt, soweit neue oder neu bekannt gewordene Tatsachen vorliegen oder das frühere Verfahren schwere, den Ausgang des Verfahrens berührende Mängel196 aufweist.197
186 Zur zwischenstaatlichen Geltung der grundgesetzlichen Gewährleistung siehe Specht Die zwischenstaatliche Geltung des ne bis in idem, 1999. 187 EGMR, Urt ν 29.5.2001, Rn 22 - Fischer; JB1 1995, 577, Rn 53 - Gradinger (m Anm Grabenwar ter). 188 Europarat, Explanatory Report relating to Protocol N° 7, HRLJ 1985, 82, Rn 32. 189 Charrier (Fn 89), S 352; Van DijkIVan Hoof (F η 9), S 690. S ο Rn 56. 190 Hierzu EGMR, RJD 1998-V, 1990, Rn 26 f - Oliveira; Urt ν 29.5.2001, Rn 23 ff - Fischer. Überholt ist das Urteil des EGMR, JB1 1995, 577, Rn 55 - Gradinger. 191 So aber noch EGMR, JB1 1995, 577, Rn 55 - Gradinger. 192 EGMR, Urt ν 29.5.2001, Rn 25 - Fischer. 193 EGMR, Urt ν 29.5.2001, Rn 25, 29 - Fischer. 194 EGMR, Urt ν 29.5.2001, Rn 25 - Fischer. 195 EGMR, RJD 1998-V, 1990, Rn 26 - Oliveira. 196 FroweinIPeukert in: Frowein/Peukert Art 4 7. ZP EMRK Rn 3 nennt beispielhaft die Bedrohung oder Bestechung von Zeugen oder Richtern. 197 EGMR, Urt ν 20.7.2004, Rn 45 ff - Nikitin.
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§6 III
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4. Recht auf Nachprüfung einer gerichtlichen Verurteilung 65
Nach Art 2 7. ZP EMRK hat jeder, der von einem Gericht wegen einer strafbaren Handlung verurteilt wurde, das Recht, das Urteil von einem übergeordneten Gericht nachprüfen zu lassen. Das nachprüfende Gericht muss nicht dieselben Kompetenzen haben wie ein Gericht im Sinn des Art 6 EMRK. Auch bloße Revisionsinstanzen oder Gerichte, die über die Annahme oder Zulassung eines Rechtsmittels entscheiden, erfüllen dieses Merkmal.198 Darüber hinaus kann der Gesetzgeber Ausnahmen vorsehen für Bagatellsachen in Fällen, in denen ein Höchstgericht das Verfahren in erster Instanz geführt hat, und schließlich wenn die Verurteilung erst in zweiter Instanz auf Grund eines Rechtsmittels gegen den Freispruch der ersten Instanz erfolgte (Art 2 II 7. ZP EMRK). 5. Das Recht auf Entschädigung für Fehlurteile (Art 3 7. ZP
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EMRK)
Bei rechtskräftiger Verurteilung und nachfolgender Wiederaufnahme des Verfahrens mit dem Ergebnis der Unschuld des Verurteilten sieht Art 3 7. ZP EMRK eine Entschädigungspflicht des Staates für den bereits verbüßten Teil der ungerechtfertigten Strafe vor. Zweifelhaft ist, ob dem Betroffenen jegliche Entschädigung zu versagen ist, wenn die Zurückhaltung der entsprechenden Tatsachen auch anderen Personen zuzuschreiben ist.199 Die Entschädigungspflicht entfällt, wenn der Betroffene die Schuld daran trägt, dass die neu auftretenden Tatsachen nicht rechtzeitig bekannt geworden sind. Art 3 7. ZP EMRK ist folglich nicht anwendbar, wenn die Anklage abgewiesen wurde oder der Angeklagte durch das erstinstanzliche Gericht oder nach der Einlegung von Rechtsmitteln durch ein höheres Gericht freigesprochen wurde.200 Des Weiteren muss die Unschuld des Betroffenen im Nachhinein eindeutig durch das die rechtskräftige Verurteilung aufhebende Urteil bzw den das Urteil aufhebenden Gnadenakt anerkannt werden.201 III. Verfahrensgarantien bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen
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Art 1 7. ZP EMRK enthält einige Verfahrensgarantien in Bezug auf die Ausweisung von Ausländern. Als rechtsstaatliches Mindesterfordernis wird vorgeschrieben, dass ein Ausländer, der zuvor seinen rechtmäßigen Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines Staates hat, nur auf Grund einer rechtmäßig ergangenen Entscheidung ausgewiesen werden darf. Darüber hinaus werden als Mindestverfahrensgarantien bestimmte Rechte normiert, die in ausgebauter Form in Art 6 I und III EMRK enthalten sind. Der Ausländer muss die Möglichkeit haben, Gründe vorzubringen, die gegen seine Ausweisung sprechen, ferner seinen Fall prüfen lassen können und schließlich drittens sich zu diesem Zweck vor der zuständigen Behörde vertreten lassen können.202 Ausnahmsweise kann gem Art 1 II 7. ZP EMRK ein Ausländer ohne Gewährung dieser Rechte ausgewiesen werden, wenn die Ausweisung im Interesse der öffentlichen Ordnung erforderlich ist oder aus Gründen der nationalen Sicherheit erfolgt.
198 199 200 201 202
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EGMR,ZulEv31.8.1999,-Hubner. Van Dijk/Van Hoof (Fn 9) S 689 schlagen in solchen Fällen eine teilweise Entschädigung vor. Explanatory Report, HRLJ 5 (1985), 85. Frowein/Peukert in: Frowein/Peukert Art 3 7. ZP EMRK Rn 1. Für Einzelheiten vgl Wiederin Aufenthaltsbeendende Maßnahmen im Fremdenpolizeirecht, 1993, S 85 ff.
Justiz- und Verfahrensgrundrechte
§ 6 IV
IV. Das Recht auf wirksame Beschwerde Nach Art 13 E M R K hat jedermann, der eine Verletzung seiner durch die Konvention geschützten Rechte behauptet, das Recht einer „wirksamen Beschwerde" bei einer nationalen Instanz. Art 13 E M R K kann nur iVm einer anderen Bestimmung der E M R K oder eines Zusatzprotokolls gerügt werden. Wie bei Art 19 IV G G ist nicht die Rechtsverletzung selbst Voraussetzung, es genügt vielmehr, dass der Beschwerdeführer die Verletzung geltend macht. 203 Voraussetzung ist jedoch, dass die Verletzung in vertretbarer Weise angenommen werden kann. 204 Art 11-107 W E enthält eine vergleichbare Garantie, ihr Anwendungsbereich ist jedoch weiter, da er sich allgemein auf die durch das Recht der Union garantierten Rechte und Freiheiten erstreckt. Die nationale Instanz kann in einem Gericht, insb in einem Verfassungsgericht bestehen. Sie muss jedoch nicht notwendigerweise gerichtlich organisiert sein, entscheidend ist, dass die Befugnisse und Verfahrensgarantien vor der Instanz wirksam sind. 205 Auch verpflichtet Art 13 E M R K die Mitgliedstaaten nicht zur Einführung eines Normenkontrollverfahrens. 206 Voraussetzung ist lediglich, dass es einen Rechtsanspruch auf Zugang und Entscheidung gibt und dass die Entscheidung eine adäquate Abhilfemöglichkeit im Falle einer Rechtsverletzung bietet. Diese kann in der Aufhebung der angefochtenen Maßnahme, aber auch in einer Entschädigung bestehen. Die Reichweite der Verpflichtungen aus Art 13 E M R K hängt von dem jeweiligen Konventionsrecht ab, in dessen Verbindung es geltend gemacht wird. So gewährleistet zB Art 13 iVm Art 3 E M R K bei Verdacht der Misshandlung von Inhaftierten neben der dem Staat aus Art 3 E M R K obliegenden Pflicht, eine sorgfältige und effektive Untersuchung der Vorfälle durchzuführen, ein subjektives Recht des Betroffenen auf Zugang zu einem wirksamen Untersuchungsverfahren und unter Umständen auch auf Zahlung einer Entschädigung. 207 Für die Anwendbarkeit der Garantie des Art 13 E M R K ist es nicht erforderlich, dass die Verletzung einer in der Konvention gewährleisteten materiellen Garantie tatsächlich feststeht. Art 13 E M R K muss dahingehend interpretiert werden, dass jedem, der mit einer gewissen Plausibilität darlegt, in einem Konventionsrecht verletzt worden zu sein, die Berufung auf das Recht auf wirksame Beschwerde zustehen muss.208 Ist diese Voraussetzung erfüllt, so untersucht der E G M R eine mögliche Verletzung des Art 13 E M R K auch dann, wenn ein Verstoß gegen das andere angerufene Konventionsrecht verneint wird, 209 sofern eine Verletzung eines anderen Konventionsrechts in vertretbarer Weise angenommen werden konnte. 210 Entgegen der früheren Rspr des E G M R 2 " ist es nunmehr nicht ausgeschlossen, dass Art 13 E M R K auch mit der behaupteten Verletzung einer der in Art 5 IV oder Art 6 I E M R K gewährleisteten Verfahrensgarantien Anwendung findet. So sind beispielsweise
203 204 205 206 207 208 209 210
EGMR, EuGRZ 1979, 278, Rn 64 - Klaas. EGMR, Serie A, Vol 131, Rn 52 -Boyle und Rice. EGMR, EuGRZ 1984, 147, Rn 113 - Silver. EGMR, Serie A, Vol 98, Rn 85 - James; Serie A, Vol 102, Rn 206 - Lithgow. EGMR RJD 1996-VI; Rn 98 - Aksoy. EGMR, NJW 1979, 1755, Rn 6 4 - Klass. EGMR, Serie A, Vol 247-C, Rn 59 - Costello-Roberts. EGMR, Serie A, Vol 172, Rn 33 - Powell und Rayner; Serie A, Vol 131, Rn 52 - Boyle und Rice; Serie A, Vol 116, Rn 77 - Leander. 211 EGMR, EuGRZ 1979, 626, Rn 35 - Airey; Serie A, Vol 52, Rn 88 - Sporrong.
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Beschwerden wegen der in Art 6 I EMRK enthaltenen Verpflichtung zu einer Gerichtsentscheidung innerhalb einer angemessenen Frist zusätzlich auch auf eine Verletzung von Art 13 EMRK hin zu prüfen.212 Hinsichtlich einer behaupteten Verletzung des Rechts auf Leben, wie es in Art 2 EMRK normiert ist, nimmt der Gerichthof auch eine aus Art 13 EMKR resultierende Verpflichtung der Konventionsstaaten an, ein Verfahren vorzusehen, mit dem die mögliche Verantwortlichkeit der staatlichen Stellen geklärt werden kann.213 Darüber hinaus muss der Betroffene die Möglichkeit haben, für die durch die Konventionsverletzung erlittenen materiellen und immateriellen Schäden Schadenersatz zu erhalten.214 Der EGMR stellt in solchen Fällen nunmehr sowohl eine Verletzung von Art 2 EMRK als auch eine von Art 13 EMRK fest.215
212 EGMR, RJD 2001-VIII, Rn 63 - Horvat; NJW 2001, 2694, Rn 149 - Kudla. 213 EGMR, Urt ν 20.4.2004, Rn 103 ff -Buldan; Urt ν 30.3.2004, Rn 191 - Nuray §en (Nr 2); Urt ν 15.1.2004, Rn 96 - Tekdag; RJD 2001-V, Rn 107 - Τ Ρ und Κ M/Vereinigtes Königreich; RJD 1998-1, Rn 107 - Kaya. 214 EGMR, RJD 2002-11, Rn 97 - Paul und Audrey Edwards; RJD 2001-V, Rn 109 - Ζ ua/Vereinigtes Königreich; RJD 1998-1, Rn 107 - Kaya. 215 Vgl EGMR, Urt ν 15.1.2004, Rn 95 ff - Tekdag; Urt ν 9.5.2003, Rn 195 ff - Tepe; RJD 2002-11, Rn 96 ff - Paul und Audrey Edwards; RJD 2001-V, Rn 108 ff - Ζ ua/Vereinigtes Königreich.
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3. Teil: Die Grundfreiheiten der Europäischen Gemeinschaften §7 Allgemeine Lehren Dirk Ehlers Leitentscheidungen: EuGH, Slg 1963, 3 ff - van Gend & Loos; Slg 1964, 1251 ff - Costa/ENEL; Slg 1974, 837 ff - Dassonville; Slg 1974, 1299 ff - van Binsbergen; Slg 1974, 1405 ff - Walrave; Slg 1979, 649ff - Cassis de Dijon; Slg 1991, I-2357ff - Vlassopoulou; Slg 1993, 1-6097 - Keck; Slg 1995, 1-1141 ff - Alpine Investments; Slg 1995,1-4165 ff - Gebhard; Slg 1995,1-4921 ff - Bosman, Slg 1997, 1-3689 ff - Familiapress = Erichsen JK 98, EGV Art 30/1; Slg 1997,1-6959 ff - Kommission/Frankreich = Erichsen JK 98, EGV Art 30/2; Slg 2000,1-4139ff - Angonese = Ehlers JK 01, EGV Art 39/1; Slg 2002, 1-4781 - Elf-Aquitaiene; Slg 2002, 1-6279 - Carpenter = Ehlers JK 12/02, EGV Art 49/6; Slg 2003,1-5659 - Schmidberger = Schoch JK 11/03, EGV Art 28/3; NJW 2004, 131 - DocMorris = Schoch JK 5/04, EGV Art 28/4; DVB12004, 1476 - Omega = Ehlers JK 6/05, EGV Art 49/13. Schrifttum: Jarass Elemente einer Dogmatik der Grundfreiheiten, EuR 1995, 202 ff; ders Elemente einer Dogmatik der Grundfreiheiten II, EuR 2000, 705 ff; Kingreen Die Struktur der Grundfreiheiten des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999; ders Grundfreiheiten in: ν Bogdandy (Hrsg) Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S 630 ff; Frenz Handbuch Europarecht Bd 1 Europäische Grundfreiheiten, 2004.
I. Eigenart und Stellung der Grundfreiheiten im Gefüge des europäischen Gemeinschaftsrechts 1. Bedeutung der Grundfreiheiten Die Europäische Gemeinschaft (EG) ist zwar nicht nur, aber auch und gerade eine Wirtschafts- und Währungsunion mit einem gemeinsamen Markt.1 Ihre Tätigkeit umfasst unter anderem die Errichtung eines Binnenmarktes, der durch die Beseitigung der Hindernisse für den freien Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr zwischen den Mitgliedstaaten gekennzeichnet ist (Art 3 I lit c EGV/Art 1-2,4,1 W E ) . Die angesprochenen Freiheiten stellen zugleich die Stützpfeiler der gemeinschaftsrechtlichen Wirtschaftsverfassung dar.2 Sie gelangen insbesondere zur Anwendung, wenn mitgliedstaatliche Regelungen den innergemeinschaftlichen Wirtschaftsverkehr behindern. So sind Importverbote für nicht nach dem deutschen Reinheitsgebot gebraute Biere aus dem EG-Ausland,3 Niederlassungsverbote für im EG-Ausland gegründete Gesellschaften mit ausschließlicher Geschäftstätigkeit im Inland, 4 Ablehnungen der Kostenerstattung für ärztliche Behand-
1 Vgl bereits Art 2 EGV (Art 1-2,1-3 W E ) . 2 Vgl a Kingreen Die Struktur der Grundfreiheiten des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999, S 13. Zur Frage des Verfassungscharakters des Vertragsrechts der Gemeinschaften vgl Pernice DVB12000, 1751, 1753; Huber DVB1 2000, 1754 f. 3 EuGH, Slg 1987, 1227 - Kommission/Deutschland. 4 EuGH, Slg 1999, I-1459ff - Centres; Slg 2002, 1-9919 - Überseering = Ehlers JK 5/03, EGV Art 43/3; Slg 2003,1-10155 - Inspire Art = Ehlers JK 6/04, EGV Art 43/4.
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lungen in einem anderen Mitgliedstaat 5 sowie Genehmigungsvorbehalte für den Grundstückserwerb durch Ausländer oder für den Verkauf von Gesellschaftsanteilen 6 für unvereinbar mit den Grundfreiheiten erklärt worden. Bestimmte Vereinbarungen von Privaten - etwa Ausländerregelungen der Berufs-Fußballverbände in Europa 7 - hat dasselbe Verdikt getroffen. Dies zeigt beispielhaft, dass die Grundfreiheiten die Regulierungsspielräume der Mitgliedsstaaten und der Privaten vornehmlich auf dem Gebiet des Wirtschaftsund Sozialrechts zum Zwecke der Gewährleistung von Freiheit erheblich einengen. 2. Die einzelnen Grundfreiheiten 2
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Obwohl der Begriff „Grundfreiheit" im Text des (derzeit geltenden) 8 EG-Vertrages nicht auftaucht, 9 besteht Übereinstimmung darüber, dass sich je nach Zählweise vier oder sechs Grundfreiheiten unterscheiden lassen: nämlich die Freiheit des Warenverkehrs (Art 23, 28, 29 EGV/Art III-151, 153 W E ; —> § 8), die Freiheit des Personenverkehrs, bestehend aus der Freizügigkeit der Arbeitnehmer (Art 39 EGV/Art III-133 W E ; § 9) und der Niederlassungsfreiheit (Art 43 EGV/Art III-137 W E ; -> § 10), die Freiheit des Dienstleistungsverkehrs (Art 49 EGV/Art III-144 W E ; —>§11) und die Freiheit des Kapital- und Zahlungsverkehrs (Art 56 EGV/Art III-156 W E ; -> § 12). Der Vertrag über eine Verfassung für Europa ( W E ) erwähnt zunächst den freien Personen- und sodann den Dienstleistungs-, Waren- und Kapitalverkehr (Art 1-41; III-133 ff W E ) . Die Warenverkehrsfreiheit bezieht sich in erster Linie auf die grenzüberschreitende Mobilität von Produkten, 10 dh von körperlichen oder sonstigen handelbaren Gegenständen." Diese müssen aus der Gemeinschaft stammen oder sich im freien Verkehr eines Mitgliedstaates befinden (Art 23 II EGV/Art III-151 II W E ) . 1 2 Während Art 25 EGV (Art III151 IV W E ) Ein- und Ausfuhrzölle sowie Abgaben gleicher Wirkung verbietet (sog tarifäre Handelshemmnisse), untersagen die Art 28, 29 EGV (Art III-153 W E ) alle mengenmäßigen Ein- und Ausfuhrbeschränkungen sowie Maßnahmen gleicher Wirkung (nichttarifäre Handelshemmnisse).
5 EuGH, Slg 1998,1-1931 - Kohll (vgl Rn 77); Slg 2001,1-5473 - Garaets-Smits; Slg 2003,1-4509 Müller-Faure. 6 Zur Vereinbarkeit „Goldener Aktien" mit der Kapitalverkehrsfreiheit vgl EuGH, Slg 2002,1-4731 - Kommission/Portugal = Ehlers JK 10/02, EGV Art 56/1; Slg 2002,1-4783 - Kommission/Frankreich. 7 EuGH, Slg 1995,1-4921 - Bosman. 8 Vertrag von Nizza vom 26.2.2001, BGBl II 2001, 1667, geändert durch die Akte zum Beitrittsvertrag vom 16.4.2003, BGBl II 2003, 1410 (Sart II Nr 150). 9 Dagegen wird der Begriff in der EMRK (Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten) sowie in der Verweisungsnorm des Art 6 II EUV verwendet, hat dort aber eine andere Bedeutung. Vgl nunmehr auch Art 1-41 W E . 10 Vgl Jarass EuR 1995,202, 205. 11 Wie zB Elektrizität. 12 Waren stammen aus der Gemeinschaft, wenn sie in einem Mitgliedstaat der EG vollständig gewonnen, hergestellt oder wesentlich be- oder verarbeitet worden sind, vgl Art 23 ff Zollkodex VO 2913/92, ABl 1992 Nr L 302/1. Im freien Verkehr eines Mitgliedstaates befinden sich diejenigen Waren aus dritten Ländern, für welche die Einfuhr-Förmlichkeiten erfüllt sowie die vorgeschriebenen Zölle und Abgaben erhoben und nicht ganz oder teilweise rückvergütet worden sind (Art 24 EGV/Art III-151 III W E ) .
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Die Personenverkehrsfreiheit in Gestalt der Arbeitnehmerfreizügigkeit und der Niederlassungsfreiheit ist primär einschlägig, wenn Unionsbürger (Art 17 EGV/Art 1-10 W E ) oder (im Falle der Niederlassung) Gesellschaften (Art 48 EGV/Art III-142 W E ; -> § 10 Rn 62 f!) dauerhaft in den anderen Mitgliedstaat übersiedeln wollen, um sich dort unselbständig als (Arbeitnehmer) oder selbständig auf der Grundlage einer festen Einrichtung wirtschaftlich zu betätigen. Doch geht der Schutz weiter. So umfasst die Arbeitnehmerfreizügigkeit zB auch das Recht, sich um im EG-Ausland angebotene Stellen zu bewerben, sich zu diesem Zweck im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und nach Beendigung einer Beschäftigung im Hoheitsgebiet zu verbleiben.13 Ferner können sich auch die Familienangehörigen des Arbeitnehmers 14 (—> § 9 Rn 29) sowie der Arbeitgeber 15 auf die Freiheit berufen. Während die Freizügigkeit der Arbeitnehmer vor allem die abhängig Beschäftigten schützt, 16 wendet sich die Niederlassungsfreiheit an die selbstständig Erwerbstätigen 17 und erstreckt sich auch auf die Gründung und Leitung von Unternehmen sowie von Agenturen und Zweigniederlassungen (Art 43 II EGV/Art III137 II W E ) . Die Berechtigten werden sowohl vor Reglementierungen des Wegzugstaates 18 als auch des Zuzugsstaates 19 geschützt.
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Die Dienstleistungsfreiheit bezieht sich auf in der Regel entgeltlich erbrachte Leistungen, soweit sie nicht den Vorschriften über den freien Waren- und Kapitalverkehr und über die Freizügigkeit der Personen unterliegen (Art 50 EGV/Art III-145 W E ; —» § 11 Rn20). 20 Die Dienstleistungen können nicht nur dadurch erbracht werden, dass Leistungserbringer und Leistungsempfänger in ihrem Aufenthaltsstaat verbleiben und nur die Leistung die Grenze überquert, es ist auch möglich, dass sich entweder die Leistungserbringer (aktive Dienstleistungsfreiheit) oder die Leistungsempfänger (passive Dienstleistungsfreiheit) vorübergehend in den anderen Mitgliedstaat begeben oder dass Leistungserbringer und Leistungsempfänger zum Zwecke der Erbringung der Dienstleistung gemeinsam einen dritten Mitgliedstaat aufsuchen. 21 Insoweit garantiert die Dienstleistungsfreiheit auch einen freien Personenverkehr. Geschützt werden sowohl die Leistungserbringer als auch die Leistungsempfänger. 22 Die Kapitalverkehrsfreiheit gewährleistet die Übertragung von Geld und ähnlichen Werten über die Grenzen eines Mitgliedstaates der Gemeinschaft hinweg (primär zu Anlagezwecken). Der Freiheit des Zahlungsverkehrs unterfallen alle Zahlungen mit grenz-
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Vgl Art 39 III lit a, b, d EGV (Art III-133 lit a, b, d W E ) ; § 9 Rn 19 ff. Zu den Kindern vgl EuGH, Slg 2002,1-7091, Rn 52 - Baumbast. EuGH, Slg 1998,1-2521, Rn 16 ff - Clean Car; - » § 9 Rn 28. Vgl Art 1 I V O 1612/68, ABl 1968 257/2 („Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis"). Geschützt wird auch die selbständig ausgeübte Prostitutionstätigkeit, vgl EuGH, Slg 2001, 1-8615, Rn 32 ff - Jany = Ehlers JK 7/02, EGV Art 43/2. Vgl zB E u G H , DVB1 2004, 551 - de Lasteyrie du Saillant = Schoch JK 9/04, EGV Art 43/5 (Verbot der Wegzugsbesteuerung). Vgl zB EuGH, Slg 2002,1-10155 - Inspire Art = Ehlers JK 6/04, EGV Art 43/4 (Gründung einer Gesellschaft im EG-Ausland zwecks Umgehung der Vorschriften des inländischen Gesellschaftsrechts). Vgl Müller-Graf in: Streinz Art 49 EGV Rn 15 ff; Holoubek in: Schwarze Art 50 EGV Rn 5 ff. Vgl Roth in: HdBEUWirtschR Ε I Rn 100; Kluth in: Calliess/Ruffert Art 50 EGV Rn 24 f. Geschützt wird selbst die Prostitutionstätigkeit, vgl E u G H , Slg 2003, 1-721, Rn 12ff - Kommission/Italien = Schoch, JK 8/03, EGV Art 49/7.
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überschreitendem Bezug (—> § 12 Rn 6).23 Zum Verhältnis der Grundfreiheiten zueinander vgl Rn 55. 3. Unmittelbare Geltung und Anwendbarkeit der Grundfreiheiten 7
Das Gemeinschaftsrecht stellt eine von den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten unabhängige Rechtsordnung mit unmittelbarer Geltung in den Mitgliedstaaten dar.24 Unmittelbare Geltung bedeutet, dass die Normen des Gemeinschaftsrechts vom Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an geltendes Recht auch in den Mitgliedstaaten werden. Diese wird teils aus der Eigenständigkeit der Gemeinschaftsrechtsordnung, 25 teils aus der Übertragung der nationalen Hoheitsgewalt auf die EG abgeleitet.26 Von der unmittelbaren Geltung des Gemeinschaftsrechts ist die unmittelbare Wirkung oder Anwendung (Anwendbarkeit) zu unterscheiden. 27 Eine unmittelbare Wirkung respektive Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts im innerstaatlichen Rechtskreis liegt bei Zugrundelegung eines weiten Verständnisses bereits dann vor, wenn irgendwelche Adressaten des innerstaatlichen Rechtskreises das Gemeinschaftsrecht beachten müssen. Dies können zB auch die mitgliedstaatlichen Gesetzgeber sein, wenn und soweit sie eine Richtlinie umsetzen. Zumeist wird von unmittelbare Wirkung respektive Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts aber nur in einem engeren Sinne gesprochen. Danach soll es darauf ankommen, ob das Gemeinschaftsrecht den Unionsbürgern und sonstigen Privatpersonen Rechte verleiht oder Pflichten auferlegt.28 Ob dies der Fall ist, hängt von der Auslegung der Regelungen ab.29 Alle Grundfreiheiten legen ihren Adressaten (Rn 42 ff) unbedingte Verpflichtungen auf. Die früher generell vorgesehenen Übergangszeiten 30 sind abgelaufen, so dass grundsätzlich alle Grundfreiheiten im innerstaatlichen Rechtskreis unmittelbar anwendbar sind. Allerdings geht das einschlägige primärrechtskonforme Sekundärrecht den Grundfreiheiten vor, weil ebenso wie im nationalen Recht 31 diejenige Rechtsquelle anzuwenden ist, die dem zu entscheidenden Fall am nächsten steht.32 Nur wenn das Sekundärrecht keine
23 Vgl Bröhmer in: Calliess/Ruffert Art 56 EGV Rn 5, 22 -» § 12 Rn 6; Sedlaczeck in: Streinz Art 56 EGV Rn 7 ff. 24 Anderes gilt nur im Falle ausdrücklich vorgesehener Ausnahmen (zB späteres Inkrafttreten einzelner Vorschriften im Falle eines Beitritts); vgl Fn 36. 25 Oppermann ER Rn 672; Borchardt EU Rn 112. 26 In Deutschland bestimmt sich die Übertragung der Hoheitsrechte auf die Europäische Gemeinschaft nach Art 2312 GG. 27 Die Begriffsbildung ist weder in der Rspr noch in der Lit einheitlich. Vgl zB JarasslBeljin Casebook, Grundlagen des EG-Rechts, 2003, S 55 ff; Ruffert in: Calliess/Ruffert Art 249 EGV Rn 18. 28 EuGH, Slg 1963, 3, 24 ff - van Gend & Loos; Slg 1978, 629, 643 f - Simmenthai II; Kadelbach Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluß, 1999, S 57 ff; Borchardt EU Rn 113. 29 Die unmittelbare Wirkung braucht nicht ausdrücklich angeordnet zu werden, vgl EuGH, Slg 1963, 3,25 - van Gend & Loos. 30 Art 7 I, Art 31, 33, 35, Art 48 I, Art 521, Art 591, Art 67 EWGV. 31 Vgl Ehlers in: Erichsen/Ehlers (Hrsg) Allgemeines Verwaltungsrecht, 12. Aufl 2002, § 4 Rn 4. 32 EuGH, Slg 1979, 649, Rn 8 - Cassis de Dijon; Slg 1993, 1-4947, Rn 9 - Vanacker; Slg 2001, 1-9897, Rn 32 - DaimlerChrysler; ν Bogdandy JZ 2001, 157, 166; Oexle AbfallR 2003, 284, 288. Enthält das Sekundärrecht ein Verbot, steht dieses entgegen EuGH, NJW 2004, 131, Rn 52 DocMorris = Schoch JK 5/04, EGV Art 28/4, dem Rückgriff auf die Grundfreiheiten nicht entgegen, vielmehr bezieht sich das Sekundärrecht nur auf die Rechtfertigung der Beeinträchtigung der jeweiligen Grundfreiheiten.
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Allgemeine Lehren
abschließende Regelung trifft, entfalten die Grundfreiheiten ihre Wirkung. Stets muss das Sekundärrecht aber mit den (höherrangigen) Grundfreiheiten vereinbar sein und in derem Lichte ausgelegt werden. Die Rspr des EuGH wird dem nicht gerecht, weil das Sekundärrecht bisher kaum jemals auf seine Konformität mit den Grundfreiheiten hin überprüft und soweit ersichtlich noch niemals wegen Verstoßes gegen die Grundfreiheiten für nichtig erklärt worden ist. Da somit an den Gemeinschaftsgesetzgeber andere Anforderungen als an die Mitgliedstaaten gestellt werden, wird mit zweierlei Maß gemessen. Treten neue Mitglieder der EG bei, können in der Beitrittsakte (oder im Vertragsrecht) wiederum Übergangsvorschriften vorgesehen werden. Hiervon ist im Hinblick auf bestimmte Grundfreiheiten bei dem Beitritt 10 weiterer Staaten zur EU mit Wirkung vom 1.5.2004 Gebrauch gemacht worden (Rn 49).33 4. Subjektiv-rechtlicher
Charakter der Grundfreiheiten
Ein freier Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr zwischen den MitgliedStaaten (Art 3 I lit c EGV/Art 1-4 W E ) kann sich nur entwickeln, wenn die Grundfreiheiten nicht nur Bindungen erzeugen, sondern dem Einzelnen die Rechtsmacht eingeräumt wird, sich gegenüber den Verpflichteten auf die Freiheitsverbürgungen zu berufen. Seit dem Urteil van Gend & Loos des EuGH 34 besteht Übereinstimmung darüber, dass die Grundfreiheiten nicht nur objektiv-rechtliche Wirkungen entfalten, sondern dem Schutz der einzelnen Wirtschaftsteilnehmer zu dienen bestimmt sind. Somit stellen sie (iSd deutschen Terminologie) subjektive Rechte dar.35 Dies bedeutet, dass sie vor den Gemeinschaftsgerichten und den nationalen Gerichten geltend gemacht werden können (Rn 99 ff).
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5. Vorrang der Grundfreiheiten Für die Grundfreiheiten gelten die zum Verhältnis von Gemeinschaftsrecht und nationalern Recht entwickelten Grundsätze. Kollidieren Gemeinschaftsrecht und nationales Recht, kommt dem Gemeinschaftsrecht - nach Ansicht des EuGH in jedem Falle,36 nach Ansicht des BVerfG nur in den Grenzen der sog So/ange-Rechtsprechung37 - Vorrang zu. Hierbei ist grundsätzlich von einem bloßen Anwendungsvorrang auszugehen.38 Dies bedeutet, dass das gemeinschaftsrechtswidrige staatliche Recht gültig bleibt und insoweit unanwendbar ist, als das Gemeinschaftsrecht selbst unmittelbare Anwendung verlangt. Zur Nichtanwendung des dem Gemeinschaftsrecht widersprechenden nationalen Rechts sind alle mit der Rechtssache befassten Instanzen (also auch die erstinstanzlichen Gerichte und
33 Vgl Art 24 der Beitrittsakte (Sart II Nr 149) iVm Anhang IV-XIV, ABl L 236, 23.9.2003, 33 ff, 987 ff. 34 Vgl Fn 19; EuGH, Slg 1963, 3, 25 - van Gend & Loos. 35 Allgemein zur Frage, wann klagefähige Rechte aus dem europäischen Gemeinschaftsrecht hergeleitet werden können, vgl Ehlers Die Europäisierung des Verwaltungsprozeßrechts, 1999, S 47 ff; dens DVB1 2004, 1441, 1445 f. 36 Vgl EuGH, Slg 1964, 1251, 1271 - Costa; Slg 1970, 1125, Rn 3 - Internationale Handelsgesellschaft; Slg 1990,1-2433, Rn 18 - Factortame. 37 Vgl BVerfGE 37, 271, 280ff - Solange I; 73, 339, 375 ff - Solange II; 89, 155, 174 f; BVerfGE 102, 147, 161 ff. 38 EuGH, Slg 1991,1-297, Rn 19 - Nimz; BVerfGE 75, 223, 244; 85, 191, 204; JarasslBeljin NVwZ 2004, 1ff.Zu den Ausnahmen (Nichtigkeit) vgl Ehlers in: Erichsen/Ehlers (Fn 31) § 3 Rn 46.
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die Verwaltungsbehörden 39 ) - und darüber hinaus möglicherweise auch die privaten Verpflichtungsadressaten des Gemeinschaftsrechts (Rn 45) - verpflichtet. 6. Abgrenzung zu anderen Rechten des primären 10
Gemeinschaftsrechts
Das Primärrecht der Europäischen Gemeinschaften (dh das Vertragsrecht inklusive Protokolle und Anhänge, die ungeschriebenen allgemeinen Rechtsgrundsätze und das die Verträge ergänzende Gewohnheitsrecht) gewährleistet neben den Grundfreiheiten zahlreiche weitere Rechte. Sie sind von den Grundfreiheiten abzugrenzen. Unterschieden werden kann zwischen geschriebenen und ungeschriebenen Rechten. a) Geschriebene Rechte aa) Das allgemeine Diskriminierungsverbot des Art 12 EGV (Art 1-4 II W E )
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Art 12 EGV (Art 1-4 II W E ) verbietet im Anwendungsbereich des EG-Vertrages „unbeschadet besonderer Bestimmungen dieses Vertrags" jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit (—> § 13). Wie der Vorbehalt zeigt, kommt Art 12 EGV (Art 1-4 II W E ) nur zum Zuge, wenn „der Vertrag keine besondere Regel der Nichtdiskriminierung vorsieht." 40 Dementsprechend steht Art 12 EGV (Art 1-4 II W E ) in einem Subsidiaritätsverhältnis zu den Grundfreiheiten, 41 tritt also hinter diese zurück. Da die Vorschrift nur eine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verbietet, verdrängt sie auch nicht den allgemeinen Gleichheitssatz (Art 11-80 WE). 4 2 Zum Anwendungsbereich des EG-Vertrages iSd Art 12 EGV (Art 1-4 II W E ) gehören auch die Vorschriften über die Unionsbürgerschaft. Daraus hat der EuGH gefolgert, dass sich die Unionsbürger in allen vom sachlichen Anwendungsbereich des EG-Rechts erfassten Fällen auf Art 12 EGV (Art 1-4 II W E ) berufen können, wenn sie sich rechtmäßig im Gebiet eines Mitgliedstaates aufhalten (—> § 21 Rn 85).43 Dies bedeutet zugleich, dass Unionsbürger im Falle der Ausübung ihres Rechts auf Freizügigkeit (Art 18 EGV/Art 1-10 II lit a W E ) nicht schlechter gestellt werden dürfen als die Staatsbürger des jeweiligen Mitgliedstaates.44 Umstritten ist, ob die Vorschrift „unmittelbare Drittwirkung" entfaltet. Dies dürfte sich nach den gleichen Maßstäben bestimmen wie bei den Grundfreiheiten (Rn 41). Zur Frage, ob Art 12 EGV (Art 1-4 II W E ) im Falle der Einschränkung ein absolutes Diskriminierungsverbot enthält, vgl -> § 13 Rn 19.
39 Vgl EuGH, Slg 1989, 1839, Rn 28 ff - Costanzo. Krit Schmidt-Aßmann in: Ehlers/Krebs (Hrsg) Grundfragen des Verwaltungsrechts und Kommunalrechts, 2000, S 1, 17 ff. 40 EuGH, Slg 1996,1-929, Rn 20 - Skanavi & Chryssanthakopoulos. Vgl zB aber auch EuGH, Slg 1993,1-5145, Rn 17 - Collins. 41 Zum Charakter der Grundfreiheiten als Diskriminierungsverbote vgl die Ausführungen bei Rn 19. 42 Vgl EuGH, Slg 1980, 3005, Rn 7 f - Hochstrass. 43 Grdl EuGH, Slg 2001,1-6193, Rn 34 ff - Grzelczyk = Ehlers JK 02, EGV Art 12/1; krit Kluth in: Calliess/Ruffert Art 18 EGV Rn 5 (der einen Anspruch auf Inländergleichbehandlung nur anerkennen will, wenn die Handlungen in einem sachlichen Zusammenhang mit dem Aufenthaltszweck stehen und seiner erkennbaren Ausübung dienen); Hailbronner NJW 2004, 2185 ff. 44 Krit Kluth in: Calliess/Ruffert Art 18 EGV Rn 5.
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bb) Besondere Gleichheitsrechte Neben Art 12 EGV (Art 1-4 II W E ) ergeben sich aus dem EG-Vertrag in erheblichem Ausmaße weitere besondere Gleichheitsrechte. Zumeist geht es um das Verbot einer Schlechterstellung der EG-Ausländer gegenüber den Inländern sowie um die Verhinderung von Wettbewerbsverzerrungen auf dem Gemeinsamen Markt. Hinzuweisen ist etwa auf die auch den Einzelnen schützenden Verbote der Art 25,45 31,46 72,47 9048 und 294 EGV (Art III-151 IV, 155, 237, 170 I W E ) . Die Vorschriften verdrängen als leges speciales die Grundfreiheiten. Gelegentlich verbieten die EG-Vorschriften auch andere Ungleichbehandlungen. ZB sind nach Art 34 II 2 EGV (Art III-228 II 2 W E ) Diskriminierungen zwischen Erzeugern oder Verbrauchern innerhalb der Gemeinschaft im Rahmen einer gemeinsamen Organisation der Agrarmärkte auszuschließen. Besondere Bedeutung kommt der Bestimmung des Art 141 EGV (Art III-214 W E ) zu, die den Frauen und Männern mit unmittelbarer Wirkung 49 auch im Verhältnis zu nichtstaatlichen Arbeitgebern ein gleiches Entgelt garantiert (selbst wenn nur Inländer betroffen sind) und darüber hinaus weitere Festlegungen für die Gleichberechtigung von Frauen und Männern in Arbeits- und Beschäftigungsfragen trifft (-> § 18 Rn 37 ff).50 Vorschriften der genannten Art haben einen anderen Regelungsgehalt als die Grundfreiheiten und treten daher neben diese. Der W E garantiert sowohl den allgemeinen Gleichheitssatz (Art II-80 W E ) als auch zahlreiche neuartige Gleichheitssätze (Art 11-81 ff W E ) .
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cc) Sonstige Rechte Weiterhin kennt der EG-Vertrag Rechtsverbürgungen, die sich nicht auf den Einzelnen als Wirtschaftssubjekt beziehen, sondern ihn in seiner Eigenschaft als Unionsbürger (Art 17 EGV/Art 1-10 W E ) ansprechen. Hinzuweisen ist auf das Recht auf Freizügigkeit (Art 18 EGV/Art 1-10 II lit a W E ) , das Wahlrecht zum Europäischen Parlament und bei den Kommunalwahlen (Art 19 EGV/Art 1-10 II lit b W E ) , das Recht auf diplomatischen und konsularischen Schutz in Drittländern (Art 20 EGV/Art 1-10 II lit c W E ) und das Petitionsrecht (Art 21 EGV/Art 1-10 II lit d W E ) . Daneben ergibt sich aus Art 255 EGV (ArtIII-358 W E ) ein Recht auf Zugang zu Dokumenten der Gemeinschaftsorgane. Diese Gewährleistungen stehen nicht in einem Konkurrenzverhältnis zu den Grundfreiheiten, sondern ergänzen diese (—> ausf § 21).
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b) Ungeschriebene Rechte Von den Grundfreiheiten abzugrenzen sind schließlich die ungeschriebenen allgemeinen Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts, die der EuGH auf der Grundlage des Art 220 I EGV (Art 1-29 I W E ) aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitglied45 46 47 48 49 50
Vgl EuGH, Slg 1963, 3, 24 f - van Gend & Loos. Vgl EuGH, Slg 1976, 91, Rn 15 f - Manghera. Vgl EuGH, Slg 1992,1-3141, Rn 13 ff - Kommission/Deutschland. Vgl EuGH, Slg 1966, 257, 265 ff - Lütticke. EuGH, Slg 1976,455, Rn 4 ff - Defrenne. Die Quotenregelungen im öffentlichen Dienst (vgl EuGH, Slg 1995, 1-3051, Rn 21 ff - Kaianke; Slg 1997,1-6363, Rn 23 ff - Marschall; Slg 2000,1-1875 ff - Badeck) sowie die Beschäftigung von Frauen in den Streitkräften (vgl EuGH, Slg 1999,1-7403 ff - Sirdar; Slg 2000,1-69 ff - Kreil) sind bisher nur am sekundären Gemeinschaftsrecht gemessen worden.
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Staaten und den internationalen Verträgen, insbesondere der Europäischen Menschenrechtskonvention, im Wege der wertenden Rechtsvergleichung abgeleitet hat. Zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen gehören insbesondere die Uliionsgrundrechte (—> § 14 Rn 5 ff), die neuerdings in der (noch nicht in Kraft getretenen) Charta der Grundrechte kodifiziert worden sind (Art 11-61 ff W E ; -> § 21). Die Unionsgrundrechte binden in erster Linie die Gemeinschaften und die EU, bei der Durchführung des Gemeinschaftsrechts respektive im Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts aber auch die Mitgliedstaaten (-» § 14 Rn 32 ff). Damit können sich die Anwendungsbereiche der Grundfreiheiten und der Unionsgrundrechte überschneiden. Nach der hier vertretenen Ansicht stellen die Grundfreiheiten spezielle Formen der Grundrechte dar, welche den allgemeinen Grundrechten vorgehen und diese verdrängen, soweit sie anwendbar sind (was einen grenzüberschreitenden Sachverhalt voraussetzt).51 Dies entspricht auch der Bestimmung des Art ΙΙΙ 12 II W E , wonach die Ausübung der durch die Charta anerkannten Rechte, die in anderen Teilen der Verfassung geregelt sind, im Rahmen der dort festgelegten Bedingungen und Grenzen erfolgt. Kommen die Grundfreiheiten zum Zuge, entfalten die auf parallelen Schutz abzielenden Unionsgrundrechte in ihrer Eigenschaft als Schranken-Schranke insoweit ihre volle Wirkung, als es um die Beurteilung der Rechtfertigung von Beeinträchtigungen der Grundfreiheiten geht (Rn 94; —» § 14 Rn 13). Die Grundfreiheiten werden verletzt, wenn ihre Beeinträchtigung den Unionsgrundrechten widerspricht. Andererseits können die Unionsgrundrechte aber auch mit den Grundfreiheiten kollidieren. Es ist dann im Wege einer der praktischen Konkordanz verpflichteten Abwägung zu ermitteln, welche primärrechtliche Verbürgung sich im konkreten Einzelfall durchsetzt (Rn 86; § 14 Rn 13). 7. Dogmatik der Grundfreiheiten 16
Obwohl die Grundfreiheiten von konstitutiver Bedeutung für den Wirtschaftsverkehr in der Gemeinschaft sind, besteht über ihre dogmatische Strukturierung keine Einigkeit. Auch der EuGH verfolgt keineswegs immer eine klare Linie. Nach der hier vertretenen Ansicht lassen sich aber in allen Grundfreiheiten Strukturidentitäten feststellen, die einheitliche dogmatische Lösungen erfordern. Insofern kann von einer Konvergenz der Grundfreiheiten gesprochen werden.52 Diesem Ansatz folgend sollen die übergreifenden Aspekte der Grundfreiheiten in den Blick genommen werden, ohne auf die Freiheiten im Einzelnen einzugehen. Zunächst wird das Augenmerk auf die Funktionen der Grundfreiheiten (Rn 17 ff), die Berechtigten (Rn 36 ff), die Verpflichteten (Rn 42 ff), den räumlichen Geltungsbereich (Rn 48) und die zeitliche Geltung (Rn 49) gerichtet. Sodann werden die Schutzbereiche, Beeinträchtigungen und Schranken der Grundfreiheiten untersucht (Rn50ff). Abschließend soll kurz zum Rechtsschutz Stellung genommen werden (Rn99ff).
51 Vgl auch —»§ 14 Rn 13. 52 Deutlich zurückhaltender Steinberg EuGRZ 2002, 13 ff.
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§ 7 III
Allgemeine Lehren
II. Funktionen der Grundfreiheiten Fan 1: (EuGH, NJW 2004,131 - DocMorris = Schock JK 5/04, EGV Art 28/4) Das in den Niederlanden ansässige Unternehmen DocMorris betreibt einen staatlich genehmigten Versandhandel mit apothekenpflichtigen Medikamenten. Für das Internet werden Humanarzneimittel auch in deutscher Sprache zum Kauf angeboten. Der deutsche Apothekerverband sah darin einen Verstoß gegen das deutsche Arzneimittelgesetz 1998 (AMG Sart Ergb Nr 272) und klagte vor dem Landgericht auf Unterlassung nach den §§ 1, 13 UWG. Das Landgericht hatte Zweifel an der Gemeinschaftsrechtskonformität der maßgeblichen Bestimmung des AMG und legte dem EuGH nach Art 234 EGV (Art III-369 W E ) die Frage vor, ob die Bestimmung mit Art 28 EGV (Art ΠΙ-153 W E ) vereinbar ist. Den Grundfreiheiten kommen verschiedene Funktionen zu. Zum einen stellt sich die Frage, ob es sich bei den Grundfreiheiten nur um Gleichheitsrechte (Rn 19 ff) oder auch um Freiheitsrechte (Rn 24 ff) handelt, die dem Einzelnen Abwehrrechte vermitteln. Zum anderen könnten die Grundfreiheiten auch Leistungsrechte (Rn 28 ff) und Verfahrensrechte (Rn 34) enthalten sowie von objektiv-rechtlicher Bedeutung (Rn 35) sein. Dagegen erscheint es von vornherein ausgeschlossen, den Grundfreiheiten staatsbürgerliche oder unionsbürgerliche Rechte zu entnehmen. 53 1. Grundfreiheiten als
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Gleichheitsrechte
a) Das Diskriminierungsverbot der Grundfreiheiten Den Grundfreiheiten werden in erster Linie Diskriminierungsverbote entnommen, die das allgemeine Diskriminierungsverbot des Art 12 EGV (Art 1-4 II W E ) bereichsspezifisch konkretisieren. 54 Ein Binnenmarkt lässt sich nicht verwirklichen, wenn EG-Ausländer im Falle eines grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehrs schlechter als Inländer behandelt werden. Dementsprechend bestimmt Art 30 S 2 EGV (Art III-154 S 2 W E ) , dass Einfuhr· oder Ausfuhrbeschränkungen zwar unter gewissen Voraussetzungen zulässig sind, diese aber niemals „ein Mittel der willkürlichen Diskriminierung" sein dürfen. Die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gebietet „die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung" (Art 39 II EGV/ähnlich Art III-133 II W E ) , die Niederlassungsfreiheit umfasst die Aufnahme und die Ausübung von Tätigkeiten „nach den Bestimmungen des Aufnahmestaates für seine eigenen Angehörigen" (Art 43 II EGV/Art III-137 II W E ) und die Dienstleistungsfreiheit ermöglicht den vorübergehenden Aufenthalt in einem anderen Staat „unter den Voraussetzungen, welche dieser Staat für seine eigenen Angehörigen vorschreibt" (Art 50 III EGV/Art III-145 III W E ) . Der Kapital- und Zahlungsverkehr schützt vor Beschränkungen „zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern" (Art 56 I, II EGV/Art III-155 I, II W E ) . Bei den Beschränkungen kann es sich auch und gerade um diskriminierende Belastungen handeln.
53 Vgl aber auch EuGH, Rs 465/01 - Kommission/Österreich: Verletzung des Art 39 EGV (Art III133 W E ) wegen Ausschlusses der Arbeitnehmer und Angestellten aus anderen Mitgliedsstaaten der EU (oder des EWR) vom passiven Wahlrecht in der Kammer für Arbeiter und Angestellte. 54 Vgl Epiney Umgekehrte Diskriminierungen, 1995, S 7; —>§17 Rn 18; Meyer Das Diskriminierungsverbot des Gemeinschaftsrechts als Grundsatznorm und Gleichheitsrecht, 2002, S 29 f; vgl aber auch Plötscher Der Begriff der Diskriminierung im Europäischen Recht, 2003, S 136.
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b) Der Vergleichsmaßstab 20
Wann eine Diskriminierung im Sinne der Grundfreiheiten vorliegt, hängt von dem zugrunde zu legenden Vergleichsmaßstab ab. Die Grundfreiheiten beziehen sich auf Maßnahmen „zwischen den Mitgliedstaaten." 55 Sie richten sich auf Marktzugang, nicht auf vollständige Marktgleichheit im gesamten Gemeinschaftsgebiet. Daher erfassen sie nach der zutreffenden stRspr des EuGH 5 6 - anders als die Gemeinschaftsgrundrechte - nur grenzüberschreitende Sachverhalte37 (wobei allein die hypothetische Möglichkeit eines Grenzübertritts nicht ausreicht 58 ). Demgemäß ist ein Vergleich zwischen dem inländischen und dem ausländischen Sachverhalt anzustellen.59 Dagegen fungieren die Grundfreiheiten nicht als Maßstab für sonstige Ungleichbehandlungen. Insbesondere können rein innerstaatliche Sachverhalte nicht an den Grundfreiheiten gemessen werden.60 Dies impliziert zugleich, dass den Mitgliedstaaten eine (reine) Inländerdiskriminierung durch die Grundfreiheiten nicht untersagt wird.61 Selbst wenn sich aus dem Diskriminierungsverbot des Art 12 EGV (Art 1-4 II W E ) iVm den Bestimmungen über die Unionsbürgerschaft entgegen der hier vertretenen Auffassung das Verbot einer Inländerdiskriminierung ableiten lassen sollte,62 würden die Grundfreiheiten diesen Vorschriften als leges speciales vorgehen. Deshalb ist es zB nicht gemeinschaftsrechtswidrig, das deutsche Reinheitsgebot für Bier nur für deutsche Brauereien oder die Meisterprüfung nach der Handwerksordnung nur für deutsche Handwerker aufrechtzuerhalten. Auch das deutsche Verfassungsrecht verbietet eine solche Diskriminierung in der Regel nicht. Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art 3 I G G scheidet aus, weil die Vorschrift nur Bindungswirkungen für den jeweiligen Hoheitsträger innerhalb seines Kompetenzbereichs entfaltet. Die deutschen Freiheitsrechte (namentlich Art 12 GG) stehen einer Inländerdiskriminierung nur entgegen, wenn das Regelungsziel wegen der Ausklammerung der EG-Ausländer nicht mehr erreicht werden kann.
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Das Diskriminierungsverbot der Grundfreiheiten verbietet, EG-Ausländer schlechter als Inländer zu behandeln. Doch kommt das Diskriminierungsverbot auch den Inländern zugute, wenn sie sich aufgrund ihres Verhaltens gegenüber ihrem Mitgliedstaat in einer Lage befinden, die sich mit derjenigen anderer Personen, die in den Genuss der durch den Vertrag garantierten Rechte und Freiheiten kommen, vergleichbar ist.63 So ist ein grenzüberschreitender Sachverhalt ebenfalls gegeben, wenn ein Inländer (respektive eine nach inländischen Vorschriften gegründete juristische Person) eine Ware in einen anderen Mitgliedstaat ausführen will,64 sich zwecks Annahme einer Arbeit, einer Niederlassung oder 55 So zB Art 28 EGV (Art III-153 W E ) . 56 Vgl zB EuGH, Slg 1992,1-341, Rn 9 - Steen I; Slg 1994,1-2715, Rn 9 - Steen II. Weitere Nachw bei Lackhoff Die Niederlassungsfreiheit des EGV - nur ein Gleichheits- oder auch ein Freiheitsrecht?, 2000, S 55 mit Fn 167. 57 AA zB Epiney (Fn 54) S 201, 203, 209 f; Lackhoff (Tn 56) S 55 ff, 67 ff. 58 EuGH, Slg 1984, 2539, Rn 18 - Moser; Slg 1997,1-2629, Rn 16 - Kremzow. 59 Geht es nicht um die Beurteilung einer mitgliedstaatlichen, sondern einer EG-Maßnahme, ist stets ein grenzüberschreitender Sachverhalt anzunehmen. 60 Im Einzelnen kann es schwierig sein, interne von grenzüberschreitenden Sachverhalten abzugrenzen. Vgl zB Kingreen (Fn 2) S 140 ff. 61 Vgl zB Streinz ER Rn 685. 62 ZB Borchardt EU Rn 687. AA zu Recht Kingreen -> § 18 Rn 13 ff; Kadelbach -> § 21 Rn 85 ff. 63 EuGH, Slg 1979, 399, Rn 24 - Knoors; Slg 1996,1-3089, Rn 32 - Asscher. 64 Zur Verlagerung des Sitzes der Geschäftsleitung einer Gesellschaft in das EG-Ausland vgl EuGH, Slg 1988, 5483, Rn 1 ff - Daily Mail.
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Allgemeine Lehren
§7 I I I
Erbringung einer Dienstleistung in das EG-Ausland begeben möchte,65 vom Inland aus dienstleistend in anderen EG-Staaten in Erscheinung zu treten beabsichtigt oder einen Kapital- und Zahlungsverkehr mit dem EG-Ausland abwickeln möchte. In allen diesen Fällen greift eine Berufung des Inländers auf die Grundfreiheiten gegenüber dem eigenen Staat durch. Ferner kann auch eine frühere Ansässigkeit in einem anderen EG-Mitgliedstaat ausreichend sein. Hat ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats zuvor in einem anderen Mitgliedstaat die erforderliche Qualifikation für einen bestimmten Beruf erlangt, darf er sich seinem eigenen Mitgliedstaat gegenüber auf die Personenverkehrsfreiheiten berufen, um im Inland Zugang zu dem Beruf zu erlangen.66 Darüber hinaus kommen die Grundfreiheiten auch den Vertragspartnern der die Freiheit ausübenden Personen zugute,67 etwa die Freizügigkeit der Arbeitnehmer den Arbeitgebern68 oder die Dienstleistungsfreiheit den Dienstleistungsempfängern (Rn 5). ZB kann sich ein Tourist aus dem EG-Ausland, von dem in einem staatlichen Museum höhere Eintrittsgelder als von den Einheimischen erheben werden, auf die Dienstleistungsfreiheit berufen.69 Bei den Vertragspartnern kann es sich auch um Inländer handeln. Schließlich ist bereits erwähnt worden, dass die Personenfreiheiten auch die (aus- oder inländischen) Familienangehörigen der (primär) Berechtigten schützen (Rn 4). Diskriminierend sind auch Maßnahmen, die nicht alle Inländer begünstigen, sondern zB nur die Bewohner einer bestimmten Region.70 Statt von einem Verbot der Schlechterbehandlung wird in der Literatur häufig von einem Gebot der Inländergleichbehandlung gesprochen.71 Doch sind beide Begriffe nicht deckungsgleich, weil das Verbot einer Schlechterstellung die sog Inländerdiskriminierung nicht ausschließt (Rn 20). c) Arten der Diskriminierung Eine Diskriminierung kann offen, unmittelbar, formal bzw rechtlich oder aber versteckt, mittelbar, materiell bzw faktisch sein.72 Im ersten Fall ergibt sich die Differenzierung zwischen inländischen und grenzüberschreitenden Sachverhalten zum Nachteil der die Grenze überschreitenden Produkte oder Personen ausdrücklich aus der getroffenen Regelung (zB weil auf die ausländische Herkunft einer Ware oder die Staatsangehörigkeit abgestellt wird), im zweiten (in der Praxis weitaus häufigeren) Fall werden die Produkte oder Personen ausländischer Herkunft 73 zwar nicht als solche angesprochen, aber typischerweise stärker betroffen.74 Eine versteckte Diskriminierung ist bspw gegeben, wenn eine Kenn65 EuGH, Slg 1999, 1-2517 ff - Ciola = Ehlers JK 00, EGV Art 49/1; Slg 1999, 1-7641, Rn 20 Vestergaard. 66 Vgl EuGH, Slg 1979, 399, Rn 24 f - Knoors; Slg 1981, 2311, Rn 19 - Broekmeulen. 67 Jarass EuR 2000, 705, 708. 68 EuGH, Slg 1998,1-2521, Rn 16 ff - Clean Car. 69 EuGH, Slg 1994, 1-911, Rn 10 - Kommission/Spanien; Slg 2003, 1-721, Rn 14 f - Kommission/Italien = Schach JK 8/03, EGV Art 49/7. 70 EuGH, Slg 2000,1-4139, Rn 41 - Angonese = Ehlers JK 01, EGV Art 39/1; Slg 2003,1-721 Rn 14 - Kommission/Italien = Schoch JK 8/03, EGV Art 49/7. 71 Vgl zB Frenz Rn 2103 ff. 72 Die Begriffe werden synonym verwendet. Ausführlich dazu Plötscher (Fn 54). 73 Soweit eine Grenzüberschreitung trotz Inländerbetroffenheit gegeben ist, werden die inländischen Produkte oder Personen den ausländischen gleichgestellt. 74 Vgl etwa EuGH, Slg 1974, 153, Rn l l f - Sotgiu; Slg 1988, 4635, Rn 30 - Beentjes; Slg 1996, 1-2617, Rn 17 ff - O'Flynn; NJW 2004, 131, Rn 74 f - DocMorris (vgl Fall 1).
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§7112
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Zeichnungspflicht für Verbrauchsgüter in der Sprache des Gebietes besteht, in welches das Erzeugnis auf den Markt gebracht werden soll.75 Auch Vorschriften, die nach dem Wohn-, Aufenthalts- oder Beschäftigungsort unterscheiden, können als versteckte Diskriminierung anzusehen sein, weil sie sich auf EG-Ausländer meist anders auswirken als auf die im eigenen Land wohnenden oder arbeitenden Personen.76 Der EuGH legt einen sehr weiten Diskriminierungsbegriff zugrunde. Auf eine Benachteiligungsabsicht des Mitgliedstaates kommt es nicht an. Die Unterscheidung von offenen und versteckten Diskriminierungen ist insbesondere auch für die Beschränkung der Grundfreiheiten von Bedeutung (vgl Rn 47 ff). d) Wirkungsweise des Diskriminierungsverbots 23
Greift das Diskriminierungsverbot durch, hat der Berechtigte ein Abwehrrecht, dh einen Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch, wenn es um Nachteilszufügungen geht. Beruht die Diskriminierung auf der Vorenthaltung einer Vergünstigung, hat der Berechtigte einen Anspruch auf neue Regelung oder sogar auf Gleichstellung (Rn 30). 2. Die Grundfreiheiten als Freiheitsrechte
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Der durch die Grundfreiheiten geschützte freie Produkt- und Personenverkehr kann nicht nur durch diskriminierende, sondern auch durch unterschiedslos geltende mitgliedstaatliche Regelungen, welche In- und Ausländer in gleicher Weise betreffen, behindert oder unmöglich gemacht werden. So ist der selbstständige Betrieb eines zulassungspflichtigen Handwerks in Deutschland grundsätzlich nur Personen gestattet, wenn der Betriebsleiter die Meisterprüfung bestanden hat.77 Würde dieses Erfordernis auf EG-Ausländer erstreckt,78 die dauernd handwerkliche Leistungen in Deutschland erbringen wollen, könnte der Maßnahme zwar uU eine (versteckte) Diskriminierungswirkung abgesprochen werden. Sie hätte aber gleichwohl zur Folge, dass der Marktzutritt von EG-Ausländern nahezu ausgeschlossen wird, weil es Meisterprüfungen im Ausland (von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen) nicht gibt und nicht erwartet werden kann, dass die Ausländer oder die für sie arbeitenden Personen in leitender Stellung vor ihrer selbstständigen beruflichen Betätigung in Deutschland erst eine Meisterprüfung ablegen. Die Maßnahme müsste deshalb als Verstoß gegen die Niederlassungs- oder Dienstleistungsfreiheit (sowie gegen das Sekundärrecht79) gewertet werden, weil die Grundfreiheiten nicht nur Diskriminierungs-, sondern auch Beschränkungsverbote enthalten. Dies kommt bereits im Wortlaut der Vertragsbestimmungen zum Ausdruck.80 Der EuGH hat den Grundfreiheiten allerdings erst nach und nach neben Diskriminierungsverboten auch Beschränkungsverbote entnommen. Die Ausweitung erfolgte im Jahre 1974 zunächst für die Waren- und Dienstleistungsfreiheit. In der (bis heute gültigen) Leitentscheidung Dassonville sah er als Maßnahme gleicher Wirkung (Art 28 EGV/Art III-153 W E ) „jede Handelsregelung der Mitglied-
75 76 77 78
Vgl EuGH, Slg 1999,1-3175 ff - Colim. Vgl die Rspr-Nachw bei Plötscher (Fn 54) S 116. Vgl §§ 1, 7 HandwO. Tatsächlich ist dies nicht der Fall. Vgl § 9 HandwO iVm EWG/EWR-HandwerkVO (BGBl I 1966, 469). 79 Vgl § 9 HandwO iVm EWG/EWR-HandwerkVO (BGBl 1 1966,469). 80 Nur die Arbeitnehmerfreizügigkeit ist sprachlich etwas anders formuliert.
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Allgemeine Lehren
§7 112
Staaten (an), die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell zu behindern."81 Unter Beschränkungen iSd Dienstleistungsfreiheit (Art 49 EGV/Art III-144 W E ) sollen alle Anforderungen fallen, die „geeignet sind, die Tätigkeiten des Leistenden zu unterbinden, zu behindern oder weniger attraktiv zu machen."82 Ob die Personenverkehrsfreiheiten als Beschränkungsverbote ausgelegt werden können, war lange strittig.83 In seinem (das unterschiedslos im In- und Ausland angewandte Transfersystem im Profifußball betreffenden) BosmanAJrtzW84 hat der EuGH die Frage für die Arbeitnehmerfreizügigkeit positiv beantwortet. Mitte der neunziger Jahre wurde in verschiedenen Urteilen die Niederlassungsfreiheit entsprechend interpretiert.85 Eine Beschränkung der Personenverkehrsfreiheiten liegt insbesondere vor, wenn sich zwar keine offene oder versteckte Schlechterstellung grenzüberschreitender Vorgänge feststellen lässt, wohl aber die Grenzüberschreitung selbst behindert wird.86 Eine solche Behinderung kann selbst dann gegeben sein, wenn die Inländer noch schlechter als die EG-Ausländer behandelt werden.87 Dass die Freiheit des Kapital- und Zahlungsverkehrs (Art 56 EGV/Art III-156 W E ) auch unterschiedslos geltende Beschränkungen verbietet, folgt bereits aus dem eindeutigen Wortlaut („alle" Beschränkungen).88 Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass eine Beschränkung der Grundfreiheiten anzunehmen ist, wenn nationale Maßnahmen die Ausübung dieser „Freiheiten behindern oder weniger attraktiv machen können."89 Ergeben sich aus allen Grundfreiheiten nicht nur Diskriminierungs-, sondern auch Beschränkungsverbote, stellen sich diese zugleich als Freiheitsrechte dar. Im Schrifttum ist dieses Verständnis der Grundfreiheiten zwar nach wie vor umstritten.90 Doch hätte es ansonsten der Verbürgungen wegen des ohnehin schon bestehenden Diskriminierungsverbotes des Art 12 EGV (Art 1-4 II W E ) nicht bedurft. Auch lässt sich nur so eine weiter-
81 EuGH, Slg 1974, 837, Rn 5 - Dassonville. 82 EuGH, Slg 1974, 1299, Rn 10 ff - van Binsbergen. 83 Für Beschränkungsverbote bereits Ehlers NVwZ 1990, 810, 811; Behrens EuR 1992, 145, 151 ff; Roth in: HdBEUWirtschR Ε I Rn 69 ff. 84 EuGH, Slg 1995,1-4921, Rn 92 ff- Bosman. 85 Vgl namentlich EuGH, Slg 1993,1-1663, Rn 16 f - Kraus; Slg 1995,1-4165, Rn 34 ff - Gebhard; vgl zum Letzteren Ehlers!Lackhoff JZ 1996, 467, 468. Ausf zum Ganzen Lackhoff (Fn 56) S 358 ff. 86 Vgl etwa für die Gründung von Zweigniederlassungen EuGH, Slg 1999,1-1459 ff - Centres. Nach der Rechtssache Graf (Slg 2000, 1-493, Rn 23) hat der EuGH eine unterschiedslos anwendbare Regelung über Kündigungsabfindungen als Beeinträchtigung der Arbeitnehmerfreizügigkeit eingestuft, weil sie die Staatsangehörigen eines Mitgliedstaates daran hindern oder davon abhalten kann, ihr Herkunftsland zu verlassen. S auch Jarass EuR 2000, 705, 711. 87 Vgl EuGH, Slg 2000, 1-2681, Rn 47 ff - Lehtonen, wonach Transferfristen für Basketballspieler die Arbeitnehmerfreizügigkeit von EG-Ausländern selbst dann verletzen können, wenn für inländische Spieler noch längere Fristen gelten. 88 Näher zu dem (vom EuGH bisher noch nicht hinreichend definierten) Begriff der Kapitalverkehrsbeschränkungen Bröhmer in: Calliess/Ruffert Art 56 EGV Rn 16 ff. 89 EuGH, Slg 1995,1-4165, Rn 37 - Gebhard. Vgl auch Slg 1996,1-1905, Rn 10 - Guiot; Slg 1999, 1-8453, Rn 33 - Arblade; Slg 2001,1-2189, Rn 22 - Mazzoleni u ISA. 90 Für ein gleichheitsrechtliches Verständnis der Grundfreiheiten zB Kingreen (Fn 2) S 115 fF; ders in: ν Bogdandy S 652 ff. Vgl auch Jarass EuR 1995, 202, 216 ff, der jedenfalls nunmehr den Grundfreiheiten aber auch Beschränkungsverbote entnimmt (EuR 2000, 705, 710 ff). Eine Trennung von Grundfreiheiten und Grundrechten befürwortend Gebauer Die Grundfreiheiten des EG-Vertrages und Gemeinschaftsgrundrechte, 2004, S 346 ff.
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gehende Marktöffnung erreichen. Da die Grundfreiheiten nur anwendbar sind, wenn ein grenzüberschreitender Sachverhalt vorliegt (Rn 20), setzt allerdings auch das Beschränkungsverbot Transnationalität voraus. Der grenzüberschreitende Sachverhalt wird aber umfassend (dh unabhängig von der Behandlung rein innerstaatlicher Vorgänge) geschützt. Die Eindringtiefe des Gemeinschaftsrechts in das Recht der Mitgliedstaaten erhöht sich somit erheblich. In der Entscheidung Carpenter hat der EuGH sogar die Ausweisung einer sich illegal im Vereinigten Königreich aufhaltenden philippinischen Staatsangehörigen, die mit einem britischen Staatsangehörigen verheiratet war, als Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit des Ehemanns angesehen, weil sich die Trennung der Eheleute nachteilig auf das durch Art 9 I EMRK und damit zugleich durch die Unionsgrundrechte geschützte Familienleben sowie auf die Bedingungen auswirke, unter denen der Ehemann von der Dienstleistungsfreiheit Gebrauch machen könne (—» § 11 Rn 55).91 Bei einem so weiten Verständnis erfassen die Grundfreiheiten nahezu alle nationalen Regulierungen, die auch grenzüberschreitende Auswirkungen haben. Es muss jedoch stets ein Anknüpfungspunkt zu dem von den Grundfreiheiten erfassten Sachverhalt bestehen, dh ein Binnenmarktnutzen92 gegeben sein. Ob sich im Fall Carpenter ein hinreichend spezifischer Zusammenhang zwischen dem Schutz der Ehe und der durch Art 49 EGV (Art III-144 W E ) geschützten Dienstleistungsfreiheit herstellen ließ, ist sehr zweifelhaft.93 26
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Rechtstechnisch ergeben sich aus Beschränkungsverboten Abwehr-, dh Unterlassungsund Beseitigungsansprüche, wenn der verpflichtete Hoheitsträger einem Beschränkungsverbot zuwiderhandelt oder zuwiderzuhandeln droht. Zum Verhältnis von Diskriminierungen und Beschränkungen vgl Rn 78. Lösung Fall 1: Gegen die Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens gem Art 234 I lit a, II EGV (Art III-3691 lit a, II W E ) bestehen keine Bedenken. 1. Schutzbereich der Freiheit des Warenverkehrs: Art 28 EGV (Art III-153 W E ) verbietet Einfuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung zwischen den Mitgliedsstaaten. Das Verbot des AMG betrifft den Handel zwischen den Mitgliedsstaaten (vgl zum Kriterium des grenzüberschreitenden Sachverhalts Rn 19ff,24 f, 50). Im Hinblick auf den Schutzbereich der Freiheit des Warenverkehrs unterscheidet der EuGH, ob die Arzneimittel in Deutschland zugelassen sind oder nicht. In Deutschland nicht zugelassene Arzneimittel dürfen nach § 73 I AMG unabhängig vom Verkaufsmodus nicht in das deutsche Hoheitsgebiet eingeführt werden. Da § 73 AMG nur Art 6 I RL 2001/83/EG umsetzt, soll die Vorschrift nach Ansicht des EuGH nicht als Maßnahme gleicher Wirkung im Sinne des Art 28 EGV (Art III-153 W E ) bewertet werden können. Dies erscheint problematisch, weil die Vereinbarkeit von Beschränkungsmaßnahmen mit dem Sekundärrecht noch nichts darüber aussagt, ob der Schutzbereich einer Grundfreiheit betroffen ist, und im Übrigen auch das Sekundärrecht an der Grundfreiheit gemessen werden muss. Soweit sich das Verbot des Versandhandels auf in Deutschland zugelassene Arzneimittel erstreckt, nimmt der EuGH (nach Feststellung, dass das Sekundärrecht der Gemeinschaft nicht abschließend ist) an, dass der Schutzbereich der durch Art 28 EGV (Art III-153 W E ) garantierten Freiheit des Warenverkehrs einschlägig ist.
91 EuGH, Slg 2002,1-6279, Rn 39 - Carpenter = Ehlers JK 12/02, EGV Art 49/6. 92 Vgl Gebauer (Fn 90) S 308 ff, 346 ff. 93 Vgl auch Puth EuR 2002, 860, 865 ff; Mager JZ 2003, 204, 206 f; Kingreen EuGRZ 2004, 570, 573.
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§ 7 113
Allgemeine Lehren
2. Beeinträchtigung des Schutzbereichs: Das in § 43 I AMG 1998 geregelte Verbot des Versandhandels mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln misst der EuGH nicht am Diskriminierungs-, sondern am Beschränkungsverbot des Art 28 EGV (Art III-153 W E ) . Die Kriterien der Dassonville-Formel (Rn 72), wonach jede Regelung, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern, als eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßig Beschränkung anzusehen ist, sind erfüllt. Keine mengenmäßigen Beschränkungen sind nach der Äecfc-Rspr allerdings bloße Verkaufsmodalitäten (Rn 74). Dies gilt indessen nur, wenn die Regelung sowohl für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelten, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben (was hier der Fall ist), als auch den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedsstaaten rechtlich wie tatsächlich in gleicher Weise berühren. Letzteres verneint hier der EuGH, weil die inländischen Apotheker die Möglichkeit hätten, die Arzneimittel in ihren Apotheken zu verkaufen, so dass sich das Verbot des Versandhandels auf sie weniger stark auswirke als auf die ausländischen Apotheker. Die AufTassung ist nicht zweifelsfrei, weil das Verbot des Versandhandels nicht das Produkt Arzneimittel, sondern den Vertrieb betrifft. Folgt man dem EuGH, stellt das Verbot des § 43 I AMG 1998 eine Maßnahme gleicher Wirkung dar. 3. Rechtfertigung der Beeinträchtigung: Die Rechtfertigungsnorm des Art 30 EGV (Art III154 W E ) kommt nur zum Zuge, wenn nicht der Sachbereich durch sekundäres EG-Recht abschließend geregelt worden ist (ansonsten könnte die gemeinschaftsrechtliche Harmonisierung durch nationales Recht unterlaufen werden). Da dies auf den Versandhandel von Arzneimitteln nicht zutrifft, kann § 43 I AMG 1998 auf den Rechtfertigungsgrund „Schutz der Gesundheit und des Lebens" iSd Art 30 EGV (Art III-154 W E ) gestützt werden. Weiterhin muss der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt sein. Insbesondere muss die nationale Maßnahme zur Erreichung des Schutzziels erforderlich sein. Hierbei differenziert der EuGH zwischen verschreibungspflichtigen und verschreibungsfreien Arzneimitteln. Im zuletzt genannten Fall sei das Gefahrenpotential gering. Auch könne über das Internet eine für diese Medikamente hinreichende Information oder Beratung vorgesehen werden. Dagegen sei bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln der persönliche Kundenkontakt notwendig. Deshalb verletze die Regelung des § 43 I AMG 1998 den Art 28 EGV (Art III-153 W E ) insoweit, als sie sich auf Medikamente erstreckt, die im Importstaat zugelassen sind und nicht der Verschreibungspflicht unterliegen. 3. Die Grundfreiheiten
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Leistungsrechte
Fall 2: (EuGH, Slg 1997,1-6959 fT - Kommission/Italien = Erichsen JK 99, EGV Art 30/2) Nach erfolgloser Abgabe einer begründeten Stellungnahme erhebt die EG-Kommission vor dem EuGH Klage auf Feststellung, dass die Französische Republik gegen Art 28 EGV (Art III-153 W E ) verstoßen hat. Begründet wird dies damit, dass französische Landwirte seit vielen Jahren Anschläge auf Lastwagen verüben, mit denen Obst und Gemüse aus Spanien und Italien nach Frankreich importiert wird. Die französische Regierung verteidigt sich mit dem Hinweis, dass sie die ihr zur Verfügung stehenden Maßnahmen getroffen habe. Leistungsrechte zielen auf positives hoheitliches Handeln ab. Sie lassen sich danach einteilen, ob sie auf abgeleitete Teilhabe (Rn 30), hoheitlichen Schutz (Rn 31) oder originäre Teilhabe (Rn 33) gerichtet sind.
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Dirk Ehlers
a) Abgeleitete Teilhaberechte 30
Abgeleitete Teilhaberechte wurzeln im Gleichheitssatz und räumen dem gleichheitswidrig Ausgeschlossenen das Recht auf Teilhabe an einer gewährten hoheitlichen Begünstigung ein. Handelt es sich bei den Grundfreiheiten in erster Linie um Diskriminierungsverbote und somit um Gleichheitsrechte, kann nichts anderes gelten. Allerdings folgt aus einem rechtswidrigen Begünstigungsausschluss noch nicht notwendigerweise, dass die Leistung gewährt werden muss. So ist im nationalen Recht anerkannt, dass sich ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz auf dreifache Weise beheben lässt: Die Begünstigung wird ausgedehnt, sie wird allen entzogen oder der Verstoß wird zum Anlass genommen, den Sachverhalt auf andere Weise neu zu regeln. Einen Anspruch auf die Leistung hat der Bürger nur in Ausnahmefällen, nämlich wenn eine verfassungsrechtliche oder (im Falle eines Verwaltungshandelns) gesetzliche Verpflichtung zur gleichheitswidrig vorenthaltenen Begünstigung besteht, wenn der Gesetzgeber ein komplexes Regelungssystem geschaffen hat und erkennbar daran festhalten will oder wenn eine Selbstbindung eingetreten ist (was grundsätzlich nur im Hinblick auf die Verwaltung denkbar erscheint).94 Im Gemeinschaftsrecht stellt sich die Rechtslage anders dar, weil normalerweise nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Beseitigung der Diskriminierung zu Lasten der Inländer erfolgen soll. Wird etwa den ausländischen Arbeitnehmern zu Unrecht eine Arbeitsunterstützung vorenthalten, ist nicht damit zu rechnen, dass zur Wiederherstellung der Gleichheit auch die inländischen Arbeitnehmer die Unterstützung verlieren sollen. Zudem muss auch ein nur zeitweiliger Vorteil der Inländer unterbunden werden. Somit richtet sich das Diskriminierungsverbot der Grundfreiheiten auf Teilhabe, wenn und soweit die Diskriminierung der EG-Ausländer auf der Vorenthaltung einer den Inländern gewährten Begünstigung beruht.95 Dem nationalen Gesetzgeber bleibt die Möglichkeit, den Sachverhalt in Übereinstimmung mit den Grundfreiheiten neu zu regeln. b) Recht auf hoheitliche Schutzgewähr
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Im deutschen Recht wird aus den Freiheitsgrundrechten unter bestimmten Voraussetzungen ein Anspruch gegen den Staat auf Schutz vor rechtswidrigen Eingriffen Privater abgeleitet.96 Entsprechende Wirkungen vermögen auch die Grundfreiheiten zu entfalten.97 Handelshemmnisse können nicht nur von den Mitgliedstaaten oder den Europäischen Gemeinschaften selbst, sondern auch von Privaten ausgehen. Die Mitgliedstaaten (oder die EG) sind in ihrer Eigenschaft als Garanten der Grundfreiheiten 98 ggf verpflichtet, hiergegen einzuschreiten. Das gilt allerdings nur, wenn sich die beeinträchtigenden Handlungen der Privaten im Bereich legitimer Grundrechtsausübung bewegen. So kann die Nichtuntersagung einer die Freiheit des Warenverkehrs beeinträchtigenden Versammlung (Sperrung der Brenner-Autobahn, um gegen die Umweltbelastung zu demonstrieren) wegen der Versammlungsfreiheit geboten sein.99 Besteht eine Verpflichtung zum Schutz 94 Vgl dazu auch Pieroth/Schlink Grundrechte, 20. Aufl 2004, Rn 485 f. 95 Vgl auch Kingreen (Fn 2) S 192; Frenz Rn 184. 96 Vgl die Rechtsprechungsnachweise bei Sachs in: Sachs (Hrsg) Grundgesetz, 3. Aufl 2003, Vor Art 1 GG Rn 35 mit Fn 69. Näher dazu Dietlein Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, 1992, S 51 ff; krit Isensee FS Großfeld, 1999, S 485, 500 ff. 97 Frenz Rn 190 ff. 98 Vgl Burgi EWS 1999, 327, 329 f. 99 EuGH, Slg 2003, 1-5659 - Schmidberger = Schoch JK 11/03, EGV Art 28/3. Näher dazu Kadelbach!Petersen EuGRZ 2002, 213 ff.
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§ 7 114
Allgemeine Lehren
der Grundfreiheiten, kann diese mit einem Anspruch des Schutzbedürftigen korrespondieren. Allerdings steht das Wie des Schutzes grundsätzlich im Ermessen der Mitgliedstaaten. Eine Verpflichtung zu einem bestimmten Einschreiten kann es nur in Ausnahmefallen geben. Wann der Einzelne einen Anspruch auf fehlerfreie Entscheidung bzw auf Vornahme bestimmter Schutzmaßnahmen hat, ist (ebenso wie im nationalen Recht) noch nicht hinreichend geklärt.100 Ein Anspruch dürfte erst anzunehmen sein, wenn das Untätigbleiben einer Beschränkung gleichkommt. Von den aus den Grundfreiheiten abzuleitenden Schutzpflichten sind die Schutzpflichten der Unionsgrundrechte (und der nationalen Grundrechte) zu unterscheiden (—> § 14 Rn 24), die uU eine Beschränkung der Grundfreiheiten gebieten können (Rn 83). Lösung Fall 2: Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage bestehen nicht. Die Kommission hat das in Art 226 EGV (Art III-360 W E ) vorgesehene Verfahren eingehalten. Begründet ist die Klage, wenn Frankreich gegen Art 28 EGV (Art III-153 W E ) verstoßen hat. Der freie Warenverkehr kann nicht nur durch Handlungen, sondern auch durch Unterlassungen eines Mitgliedstaates beeinträchtigt werden, wenn Privatpersonen den Handelsverkehr stören. Es steht im Ermessen der für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung allein zuständigen Mitgliedstaaten, zu entscheiden, welche Maßnahmen in einer solchen Situation am geeignetsten sind, um Beeinträchtigungen der Einfuhr zu beseitigen. Da sich Frankreich im vorliegenden Fall aber offenkundig und beharrlich geweigert hat, ausreichende und geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die Sachbeschädigungen zu unterbinden, hat der EuGH zu Recht einen Verstoß gegen Art 28 EGV (Art III-153 W E ) angenommen.
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c) Recht auf originäre Teilhabe Sieht man von den Ansprüchen auf Gewährung von Schutz sowie den sogleich zu behandelnden verfahrensrechtlichen Ansprüchen ab, lässt sich aus den Grundfreiheiten ein Anspruch auf Schaffung noch nicht vorhandener Einrichtungen oder die Gewährung zusätzlicher Vergünstigungen sonstiger Art nicht ableiten. Die normativen Grundlagen geben dies nicht her. Eine Umpolung der Grundfreiheiten von Diskriminierungs- und Beschränkungsverboten in Leistungsgebote würde diese auch überfordern, den Spielraum der Mitgliedstaaten und des Gemeinschaftsgesetzgebers zu weit zurückdrängen und der europäischen Gerichtsbarkeit zu viel Raum geben. Allenfalls in krassen Ausnahmefällen könnte etwas anderes gelten.101 4. Die Grundfreiheiten als
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Verfahrensrechte
Aus den Grundfreiheiten dürften sich ferner Verfahrensgarantien entnehmen lassen. In Rechtsprechung und Literatur hat diese Dimension der Grundfreiheiten bisher allerdings kaum Aufmerksamkeit gefunden. Dies mag darauf zurückzuführen sein, dass auch die Anwendung des Diskriminierungs- oder Beschränkungsverbots oftmals verfahrensrecht-
100 Näher zu den grundfreiheitlichen Schutzpflichten und den damit verbundenen Konsequenzen Schwarze EuR 1998, 53ff; Szczekalla DVB1 1998, 219ff; Burgi EWS 1999, 327ff; Kühling NJW 1999, 403 f. 101 ZB dürfte die Gründung einer juristischen Person in einem anderen Mitgliedstaat nach dem Recht dieses Mitgliedstaates nicht dadurch unmöglich gemacht werden, dass überhaupt keine Rechtsformen für juristische Personen vorgesehen werden.
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§ 7 115
Dirk Ehlers
liehe Auswirkungen haben kann, ohne dass es notwendigerweise einer unmittelbaren Ableitung von Verfahrensrechten aus den Grundfreiheiten bedarf. Wird zB ein Anwalt aus einem anderen Mitgliedstaat in Deutschland nicht zugelassen, weil er kein deutsches Staatsexamen abgelegt hat, stellt dies eine Diskriminierung oder eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit dar. Die Diskriminierung oder Beschränkung ist gerechtfertigt, wenn das deutsche Recht ein Verfahren zur Verfügung stellt, in dem die Gleichwertigkeit des im Herkunftsland erworbenen Diploms geprüft wird und wenn der Anwalt die Möglichkeit erhält, die noch fehlenden Kenntnisse und Fähigkeiten (zB im Hinblick auf den deutschen Rechtskreis) in einer (vom Staatsexamen zu unterscheidenden) Zusatzprüfung nachzuweisen. Statt negativ zu argumentieren, könnte aber auch positiv aus der Niederlassungsfreiheit ein Recht auf die genannten Verfahrensvorkehrungen abgeleitet werden, wenn die Zulassung zum Anwaltsberuf nach nationalem Recht vom Besitz eines Diploms oder einer beruflichen Qualifikation abhängt. So hat der EuGH in seiner VlassopoulouEntscheidung davon gesprochen, dass eine „Prüfung ... nach einem Verfahren vorgenommen werden muss, das mit den Erfordernissen des Gemeinschaftsrechts ... in Einklang steht." 102 Unabhängig von der juristischen Konstruktion zeigt das Beispiel, dass sich aus den Grundfreiheiten nicht nur gelegentlich, sondern oftmals Verfahrensrechte ergeben.103 Auch die Schutzrechte laufen oftmals auf den Ausbau von Verfahrenspositionen hinaus. Schließlich hat der EuGH dem Gemeinschaftsrecht im Falle seiner unmittelbaren Anwendung und subjektivrechtlichen Wirkung einen Anspruch des Einzelnen auf effektiven Rechtsschutz entnommen. 104 Daher sollen die Mitgliedstaaten im Interesse der Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts auch zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes verpflichtet sein.105 Der EuGH hat sich hierbei zwar in erster Linie auf Art 10 EGV (Art 1-5 II W E ) berufen. Kommt es aber auf den Effet-utile-Gedanken an, kann dieses Gebot auch den Grundfreiheiten selbst entnommen werden. 5. Die Grundfreiheiten als Elemente objektiver Ordnung Von einer objektiv-rechtlichen Geltung der Grundfreiheiten wird kaum gesprochen. Gelegentlich wird eine solche Wirkung ausdrücklich abgelehnt.106 Indessen lassen sich subjektive Rechte nur aus dem objektiven Recht herleiten.107 Objektives Recht und subjektives Recht können sich, müssen sich aber nicht entsprechen, weil nicht alle Verhaltensbindungen des objektiven Rechts mit einem subjektiven Recht korrespondieren. Die Grundfreiheiten haben eine objektiv-rechtliche Bedeutung. So strahlen sie auf alle Rechtsgebiete der Mitgliedstaaten sowie auf das von den Organen der Gemeinschaft erlassene Recht aus. Dies hat zur Folge, dass das gesamte mitgliedstaatliche Recht (einschließlich des Privatrechts) und das Sekundärrecht der Gemeinschaften den Grundfreiheiten entsprechend
102 EuGH, Slg 1991,1-2357, Rn 22 - Vlassopoulou. 103 Vgl statt vieler auch EuGH, Slg 1996,1-2691, Rn 8 ff - Kommission/Italien. 104 Vgl EuGH, Slg 1986, 1651, Rn 18f - Johnston; Slg 1987, 4097, Rn 14 - Heylens; Slg 2001, 1-9517, Rn 57 - Kühne; Slg 2002, 1-6677 Rn 39 - Pequeiios Agricultores; Tonne Effektiver Rechtsschutz durch staatliche Gerichte als Forderung des europäischen Gemeinschaftsrechts, 1997, S 200ff; Ehlers DVB12004,1441 f. 105 Vgl EuGH, Slg 1990,1-2433, Rn 19 - Factortame. 106 Kingreen (Fn 2) S 200 f. Wie hier neuerdings Frenz Rn 213 ff. 107 Missverständlich daher zB auch BVerfGE 7, 198, 205; 50, 290, 337, wonach die deutschen Grundrechte „auch" eine objektive Wertordnung enthalten.
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Allgemeine Lehren
§7 IUI
und grundfreiheitskonform ausgelegt werden muss.108 Ferner verpflichten die Grundfreiheiten die Mitgliedstaaten (und Gemeinschaften) unter bestimmten Voraussetzungen zur Gewährung hoheitlichen Schutzes (Rn 31) und zu Verfahrensvorkehrungen (Rn 34). Da den Grundfreiheiten möglichst reale Geltung verschafft werden soll, können ihnen bereits dann (nicht einklagbare) Bindungswirkungen zu entnehmen sein, wenn ein Anspruch (sei es auch nur auf ermessensfehlerfreie Entscheidung) noch nicht gegeben ist.109 Auch im Falle Carpenter (Rn 25) dürfte die objektiv-rechtliche Dimension der Grundfreiheiten zum Zuge gekommen sein, weil einem Rechtsbehelf der nicht durch die Dienstleistungsfreiheit geschützten Ehefrau gegen ihre Ausweisung wegen Verletzung der Dienstfreiheit des Mannes stattgegeben wurde. In keinem Falle wirken die Grundfreiheiten kompetenzbegründend oder kompetenzerweiternd. Will die EG die Grundfreiheiten konkretisieren oder erweitern oder das einschlägige mitgliedstaatliche Recht angleichen, muss von den Ermächtigungen zur Ausgestaltung der Grundfreiheiten (zB Art 40, 44, 47, 52, 53 EGV/ Art III-134, 138, 141, 147, 148 W E ) Gebrauch gemacht werden.
III. Berechtigte der Grundfreiheiten Fall 3: Die deutsche Großstadt Κ ist alleinige Gesellschafterin einer Stadtwerke-GmbH, die vielfaltige Leistungen auf dem Gebiet des Verkehrs-, Energie-, Wasser- und des Beratungssektors erbringt. Die GmbH möchte ihre wirtschaftlichen Dienste künftig in allen Mitgliedstaaten der Europäischen Union anbieten. Als die staatliche Kommunalaufsichtsbehörde davon erfährt, fordert sie die Stadt Κ auf, darauf hinzuwirken, dass dies unterbleibt. Zur Begründung beruft sich die Behörde darauf, dass Gemeinden und damit auch deren wirtschaftliche Unternehmen an das in Deutschland geltende kommunalrechtliche Örtlichkeitsprinzip gebunden seien, sie sich von der Ausnahme der interkommunalen Zusammenarbeit abgesehen also grundsätzlich nur auf dem Gebiet der Gemeinde betätigen dürften. Κ möchte wissen, ob das Verlangen der Behörde mit den Grundfreiheiten des Gemeinschaftsrechts vereinbar ist.
1. Staatsangehörige
der
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Mitgliedstaaten
Träger der Grundfreiheiten sind vor allem die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten. Dies ergibt sich für die Arbeitnehmer-, Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit aus den Art 39 II, 43 I, 49 I EGV (Art III-133 II, 137 I, 144 W E ) . Für die Freiheit des Warensowie des Kapital- und Zahlungsverkehrs kann nichts anderes gelten. Über den Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit entscheiden grundsätzlich 110 die Mitgliedstaaten allein. Als deutsche Staatsangehörige sind alle Deutschen iSd Art 116 G G anzusehen." 1 Zu den Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten gehören zT auch die Angehörigen
108 Vgl auch Jarass EuR 1991, 211, 222; dens EuR 1995, 202, 211; Zuleeg W D S t R L 53 (1993), 154, 165 ff. 109 Allgemein zur Wirkung von Grundrechten als Elemente objektiver Ordnung Hesse Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl 1999, § 9 Rn 290 ff. Krit W Cremer Freiheitsgrundrechte - Funktionen und Strukturen, S 198 ff. 110 Zu den Ausnahmen vgl Wölkerl Grill in: vd Groeben/Schwarze Vorb Art 39 bis 41 EGV Rn 49. 111 Dies ergibt sich auch aus einer in die Schlussakte aufgenommenen Erklärung der Bundesrepublik Deutschland bei der Unterzeichnung der Römischen Verträge (BGBl II 1957, 764).
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§7 III2
Dirk Ehlers
überseeischer Länder und Hoheitsgebiete wie zB von Gibraltar oder Martinique112 (vgl näher dazu Rn 48). Berechtigt werden in erster Linie die EG-Ausländer, bei Vorliegen eines grenzüberschreitenden Sachverhalts (Rn 20) auch die Inländer. Besitzt eine Person sowohl die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der EG als auch eines Drittstaates, reicht Ersteres aus."3 Teilweise werden weitere Anforderungen gestellt. ZB gesteht Art 43 I 2 EGV (Art III-137 I 2 W E ) nur Ansässigen die Errichtung einer sekundären Niederlassung zu. Unerheblich ist, ob die Staatsangehörigen volljährig oder geschäftsfähig sind. Hierauf kann es nur für die Geltendmachung (zB in einem gerichtlichen oder einem Verwaltungsverfahren) ankommen (Rn 99 ff). 2. Juristische Personen und Personenmehrheiten innerhalb der Gemeinschaft 38
Kraft ausdrücklicher Anordnung der Art 48 I, Art 55 EGV (Art III-142 I, 150 W E ) werden im Bereich der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit die Gesellschaften den natürlichen Personen, die Angehörige der Mitgliedstaaten sind, gleichgestellt. Unter Gesellschaften versteht der EG-Vertrag Gesellschaften des bürgerlichen Rechts und des Handelsrechts einschließlich der Genossenschaften und die sonstigen juristischen Personen des öffentlichen und privaten Rechts mit Ausnahme derjenigen, die keinen Erwerbszweck verfolgen (Art 48 II EGV/Art III-142 II W E ) . Auf eine rechtliche Verselbstständigung kommt es nicht an. Entscheidend ist nur eine rechtlich vorstrukturierte Organisationsform, so dass deutsche Gesellschaften bürgerlichen Rechts auch dann erfasst werden, wenn man ihnen neben der Rechtsfähigkeit auch eine Teilrechtsfähigkeit abspricht.114 Aus der Erwähnung von Genossenschaften und juristischen Personen des öffentlichen Rechts folgt, dass der Begriff des Erwerbszwecks weit zu verstehen ist und nicht iSe Gewinnstrebens ausgelegt werden darf. Ausreichend ist vielmehr jede Teilnahme am Wirtschaftsleben mittels Angebots einer entgeltlichen, auf teilweise Kostendeckung abzielenden Tätigkeit.115 Zu den juristischen Personen gehören neben den Stiftungen und Vereinen auch die juristischen Personen des öffentlichen Rechts staatlicher Provenienz und sogar die Staaten selbst, sofern sie sich (zB durch nichtrechtsfähige Betriebe) im EG-Ausland wirtschaftlich betätigen wollen. Gleichstellungsvoraussetzung mit den natürlichen Personen ist aber, dass die „Gesellschaften" nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates gegründet worden sind und in der Gemeinschaft eine Präsenz (satzungsmäßigen Sitz, Hauptverwaltung, Hauptniederlassung) haben (Art 48 I EGV/Art III-142 I W E ) . Auf die Staatsangehörigkeit der Gesellschafter"6 kommt es ebenso wenig wie auf das Vorliegen einer tatsächlichen dauerhaften Verbindung mit der Wirtschaft eines Mitgliedstaates an.117 Im Falle des Art 43 I 2 EGV (Art III-137 I 2 W E ) muss die Gesellschaft in der Gemeinschaft ansässig sein.
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Da sich ein Binnenmarkt nicht verwirklichen lässt, wenn sich Gesellschaften iSd Art 48 II EGV (Art III-142 II W E ) nicht auf die Freiheit des Waren- sowie des Kapital- und des Zahlungsverkehrs berufen können, gilt insoweit dasselbe wie für die Inanspruchnahme der
112 Näher dazu Wölker/Grill in: vd Groeben/Schwarze Vorb Art 39 bis 41 EGV Rn 51 ff. 113 Vgl EuGH, Slg 1992,1-4239, Rn 11 - Micheletti. 114 HM vgl Randelzhofer in: Grabitz/Hilf Art 58 EGV Rn 3. Krit Bröhmer in: Calliess/Ruffert Art 48 EGV Rn 4. Zur Teilrechtsfähigkeit von BGB-Gesellschaften vgl BGHZ 146, 341. 115 Vgl a Oppermann ER Rn 1586; Scheuer in: Lenz Art 48 EGV Rn 1. 116 Vgl Ahlt/Deisenhofer Europarecht, 3. Aufl 2003, S 193 f. 117 Lackhoff (Fn 56) S 193 f.
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Allgemeine Lehren
§ 7 III 3
Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit. Selbst die Arbeitnehmerfreizügigkeit soll nach der Rechtsprechung des EuGH nicht nur natürlichen Personen zugute kommen. Vielmehr könne sich auch ein Arbeitgeber auf Art 39 EGV (Art III-133 W E ) berufen, wenn er im Mitgliedstaat seiner Niederlassung einen Angehörigen aus einem anderen Mitgliedstaat mangels dessen Wohnsitzes im Inland nicht beschäftigen dürfe.118 Unerheblich ist, ob es sich bei dem Arbeitgeber um eine natürliche oder juristische Person handelt. Lösung Fall 3: Wie sich aus Art 55 (ΙΠ-150 W E ) iVm 48 EGV (Art III-142 W E ) ergibt, können sich alle juristischen Personen des öffentlichen und privaten Rechts mit Ausnahme deijenigen, die keinen Erwerbszweck verfolgen, und somit auch die öffentlichen Unternehmen auf die Grundfreiheiten berufen. Dies gilt uneingeschränkt gegenüber den anderen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft. Die Grundfreiheiten vermitteln den privaten Unternehmen auch ein Marktaustrittsrecht gegen den eigenen Mitgliedstaat (so dass die Unternehmen europaweit tätig werden dürfen). Vielfach wird angenommen, dass für die öffentlichen Unternehmen entsprechendes zu gelten hat.119 Dem ist nicht zu folgen.120 Das Gemeinschaftsrecht interessiert sich nicht für die Organisation der Mitgliedstaaten, sondern behandelt diese als Einheit. Betreffen die mitgliedstaatlichen Bindungen des Gemeinschaftsrechts alle Untergliederungen des Staates (Bund, Länder, Kommunen, sonstige Verwaltungsträger), kann das Gemeinschaftsrecht den als Einheit verstandenen Staat auch nicht vor sich selbst schützen. Eine erlaubte Selbstbeschränkung hegt auch vor, wenn der Bund oder ein Land den Kommunen oder ihren Unternehmen Bindungen nach Art des deutschen kommunalen Wirtschaftsrechts auferlegt, welche Privaten gegenüber nicht gelten. Geht man entgegen der hier vertretenen Auffassung wegen der Personenverschiedenheit von einer Beschränkung aus, wäre diese jedenfalls gerechtfertigt. Somit gewähren die Grundfreiheiten den öffentlichen Unternehmen im Gegensatz zu den Privaten kein Marktaustrittsrecht gegenüber dem eigenen Mitgliedstaat.
3. Drittstaatler sowie juristische Personen und Personenmehrheiten der Gemeinschaft
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außerhalb
Unter bestimmten Voraussetzungen können sich auch Drittstaatler oder juristische Personen und Personenmehrheiten außerhalb der Gemeinschaft auf die Grundfreiheiten berufen. So unterfallen der Warenverkehrsfreiheit auch Waren aus dritten Ländern, die sich im freien Verkehr eines Mitgliedstaates befinden (Art 23 II, 24 EGV/Art III-151 II, III VVE). Dies spricht dafür, alle mit solchen Waren handelnde Personen unabhängig von der Staatsangehörigkeit oder Zugehörigkeit zu einem Mitgliedstaat in den Schutz einzubeziehen.121 Entsprechendes ist für den freien Kapital- und Zahlungsverkehr anzunehmen, weil
118 EuGH, Slg 1998,1-2521, Rn 19 ff - Clean Car. 119 Vgl Nagel Gemeindeordnung als Hürde?, 1999, S 48 ff; dens NVwZ 2000, 758, 761; Becker Z N E R 2000, 259, 261; Schwintowski NVwZ 2001, 607. 610, 612; Jarass Kommunale Wirtschaftsunternehmen im Wettbewerb, 2002, S 41 ff. 120 Vgl auch Manthey Bindung und Schutz öffentlicher Unternehmen durch die Grundfreiheiten des europäischen Gemeinschaftsrechts, 2001, S 115ff; Weiß DVB1 2002, 564ff; Ehlers in: Wurzel/ Schraml/Becker (Hrsg) Rechtspraxis der kommunalen Unternehmen, 2005, Β Rn 12. 121 Ebenso Jarass EuR 2000, 705, 708. AA Kingreen (Fn 2) S 79 mit dem Hinweis darauf, dass die Warenverkehrsfreiheit gem Art 310 EGV (Art III-324 VVE) Gegenstand von Assoziierungsabkommen sein kann.
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§ 7 IV 1
Dirk Ehlers
dieser auch Beschränkungen „zwischen den Mitgliedstaaten und dritten Ländern" verbietet und damit die freie Zirkulation von Kapital in der Gemeinschaft ungeachtet seiner Herkunft ermöglichen soll.122 Schließlich schützen die Arbeitnehmerfreizügigkeit und die Niederlassungsfreiheit auch die (möglicherweise aus Drittstaaten stammenden) Familienangehörigen der Berechtigten und vermitteln ihnen einen selbstständigen Anspruch auf Einhaltung der Freiheiten (Rn 4).123 Gemäß Art 11-27 III W E haben die Staatsangehörigen dritter Länder, die im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten arbeiten dürfen, Anspruch auf Arbeitsbedingungen, die denen der Unionsbürgerinnen und Unionsbürger entsprechen. IV. Verpflichtete der Grundfreiheiten
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Fall 4: (EuGH, Slg 2000,1-4139 ff - Angonese = Ehlers JK 01, EGV Art 39/1) Der Kl des Ausgangsverfahrens ist italienischer Staatsangehöriger deutscher Muttersprache und hat sein Studium in Österreich absolviert. Er bewarb sich auf eine Ausschreibung hin bei einer privaten Bankgesellschaft in Bozen (Bekl). Für die Zulassung zum Auswahlverfahren forderte die Bankgesellschaft den Beweis der Zweisprachigkeit in Form einer Bescheinigung der öffentlichen Verwaltung, die nur in Bozen ausgestellt wird. Da der Kl die Bescheinigung nicht beibrachte, wurde seine Bewerbung abgewiesen. Nach Einreichung einer Klage bei einem italienischen Gericht setzte dieses das Verfahren aus und ersuchte den EuGH um Vorabentscheidung der Frage, ob der in Art 39 EGV (Art III-133 W E ) niedergelegte Grundsatz der Freizügigkeit einer Beschränkung des Nachweises der Zweisprachigkeit auf ein bestimmtes Diplom entgegensteht. 1. Mitgliedstaaten
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der Europäischen
Gemeinschaften
Verpflichtungsadressaten der Grundfreiheiten sind in erster Linie die Mitgliedstaaten. Da die Grundfreiheiten unmittelbare Wirkung im innerstaatlichen Recht entfalten (Rn 7), ist der Begriff des Mitgliedstaates in einem funktionalen Sinne zu verstehen. Erfasst werden alle Träger von Staatsgewalt. Dazu gehören neben Bund, Ländern und Kommunen sowie den sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts staatlicher Provenienz einschließlich der Kammern, 124 die zur Gänze unmittelbar oder mittelbar von einer juristischen Person des öffentlichen Rechts getragenen juristischen Personen des Privatrechts (wie die staatlichen oder kommunalen Eigengesellschaften). Gebunden wird sowohl der Mitgliedstaat, in dem der Empfänger der wirtschaftlichen Leistung sitzt oder in dem die Niederlassung begehrt wird, als auch der Ausgangsstaat. 125 Unerheblich ist, welcher Handlungsformen sich die Mitgliedstaaten bedienen.126 Ferner werden alle Einrichtungen, deren Verhalten einem Mitgliedstaat aufgrund des von ihm ausgeübten beherrschenden Einflusses zugerechnet werden kann, in Anspruch genommen.127 Einen beherrschenden 122 Im Ergebnis ebenso Weber in: Lenz Art 56 EGV Rn 24. 123 So auch Brechmann in: Calliess/RufFert Art 39 EGV Rn 8; Lackhoff (Fn 57) S 182. Zur Dienstleistungsfreiheit vgl dagegen Rn 25 (Fall Carpenter). 124 Vgl zu den Standesorganisationen mit hoheitlichen oder hoheitsähnlichen Befugnissen EuGH, Slg 1989,1295, Rn 15 f - Royal Pharmaceutical Society; Slg 1993,1-6787, 6821 - Hünermund. 125 Jarass EuR 2000, 705, 714. 126 Vgl EuGH, Slg 1982,4005, Rn 3 fT - Kommission/Irland. 127 Vgl EuGH, Slg 1983, 4083, Rn 16f - Apple and Pear Development Council; Slg 1990, 1-4625, Rn 1 6 f f - H e n n e n Olie.
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Allgemeine Lehren
§ 7 IV 3
Einfluss kann der Staat zB ausüben, wenn die Mitglieder der nicht zur staatlichen Verwaltungsorganisation gehörenden Einrichtung vom Staat ernannt und aus öffentlichen Mitteln finanziert werden128 oder wenn die der staatlichen Aufsicht unterstehende Einrichtung mit Rechten ausgestattet wird, „die über diejenigen hinausgehen, die nach den Vorschriften für die Beziehungen zwischen Privatpersonen gelten." 129 2. Europäische
Gemeinschaften
Neben den Mitgliedstaaten sind auch die Europäischen Gemeinschaften selbst und ihre Organe an die Grundfreiheiten gebunden. 130 Zum einen kann der Binnenmarkt ebenfalls durch Maßnahmen der Europäischen Gemeinschaften behindert werden. Zum anderen sollen die Grundfreiheiten im gesamten Gemeinschaftsgebiet Beachtung finden. Sie stehen als primärrechtliche Rechtsquellen an der Spitze der gemeinschaftsrechtlichen Normenhierarchie und gehen daher im Kollisionsfall dem Sekundärrecht (Art 249 I EGV: „nach Maßgabe dieses Vertrags"; Art 1-33 I W E : „nach Maßgabe von Teil III") vor.'31 Es wäre auch widersprüchlich, wenn die Gemeinschaften den Mitgliedstaaten Pflichten auferlegen dürften, die für sie selbst nicht gelten. Soweit ersichtlich, haben der EuGH und das Gericht erster Instanz eine Verletzung der Grundfreiheiten durch die Gemeinschaftsorgane bisher allerdings noch nicht bejaht. 132 Zur Kritik vgl Rn 7. 3.
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Privatpersonen
Nicht eindeutig geklärt ist, ob die Grundfreiheiten auch für Privatpersonen verpflichtende Wirkungen zu entfalten vermögen. Der EuGH hat eine unmittelbare Bindung Privater an die Grundfreiheiten (sog unmittelbare Drittwirkung) jedenfalls im Hinblick auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit, die Dienstleistungsfreiheit sowie das allgemeine Diskriminierungsverbot des Art 12 EGV (Art 1-4 II W E ) anerkannt. 133 Es soll verhindert werden, dass Beschränkungen, die den Mitgliedstaaten untersagt sind, durch Handlungen Privater in Ausnutzung ihrer Vertragsfreiheit errichtet werden. Die Fälle betrafen aber vor allem Maßnahmen, in denen es um den Schutz Einzelner vor der Macht privater Verbände (insbesondere Sportverbände) ging.134 In der neueren Rspr scheint der EuGH darüber hinauszugehen und auch im Übrigen eine unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten gegen-
128 EuGH, Slg 1990,1-4625, Rn 15 - Hennen Olie. 129 Vgl EuGH, Slg 1990,1-3313, Rn 18 - Foster. 130 Vgl E u G H , Slg 1984, 1229, Rn 18 - REWE; Slg 1994, 1-3879, Rn 11 - Meyhui; Jarass EuR 1995, 202, 211; Schwemer Die Bindung des Gemeinschaftsgesetzgebers an die Grundfreiheiten, 1995, S 45; KingreenlStürmer EuR 1998, 263, 277. 131 Zum Anwendungsvorrang des niederrangigen Rechts vgl Rn 7. Vgl aber auch ν Bogdandy JZ 2001, 157, 166, der der Rspr des E u G H entnimmt, dass lediglich offensichtliche Verstöße der Rechtssetzungsorgane der Union verboten sind. 132 Vgl EuGH, Slg 1984, 2171, Rn 13ff - Denkavit; Slg 1994, 1-3879, Rn 9ff - Meyhui; Slg 1997, 1-3629, Rn 24 ff - KiefFer. 133 Vgl EuGH, Slg 1974, 1405, Rn 16ff - Walrave; Slg 1976, 1333, Rn 17ff - Donä; Slg 1995, 1-4921, Rn 84 - Bosman; Slg 2000, 1-2681 ff - Lehtonen. Zur Warenverkehrsfreiheit vgl E u G H , Slg 1981, 181, Rn 16ff - Dansk Supermarked (dazu Roth FS Everling, Bd II, 1995, S 1231, 1234 0, zur Niederlassungsfreiheit EuGH, Slg 1977, 1091, Rn 28 - van Ameyde. 134 Vgl Herdegen ER Rn 284.
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über privaten Wirtschaftsteilnehmern jedenfalls in einem gewissen Umfange anerkennen zu wollen.135 Die Annahme einer unmittelbaren Drittwirkung der Grundfreiheiten ist problematisch. Schon der Wortlaut der Bestimmungen („zwischen den Mitgliedstaaten") knüpft zumeist an ein staatliches Handeln an. Auch die Rechtfertigungsgründe für die Beschränkung der Grundfreiheiten (insbesondere: öffentliche Ordnung und Sicherheit) sind auf ein staatliches Tätigwerden zugeschnitten. Ob diese Gründe auch von Privatpersonen geltend gemacht werden können (wie der EuGH annimmt136), ist sehr zweifelhaft, da Private andere Zwecke als die Träger von Staatsgewalt verfolgen. Zwar gewähren die Grundfreiheiten Schutz vor diskriminierenden oder freiheitsbeschränkenden privatrechtlichen Normen, weil diese den Staaten zuzurechnen sind. Geht es dagegen um ein diskriminierendes oder freiheitsbeschränkendes privatautonomes Handeln, spricht vieles für die Annahme, dass die Grundfreiheiten ähnlich wie die nationalen Grundrechte nur Ansprüche gegen den Staat (oder die EG) auf Schutz vor rechtswidrigen Eingriffen Privater vermitteln können (Rn 39).137 Im Übrigen bliebe der Schutz gegenüber privaten Handlungen dann den Wettbewerbsvorschriften (Art 81 ff EGV138/Art III-161 ff W E ) und dem Sekundärrecht überlassen. Lösung Fall 4: I. Zulässigkeit der Vorlage: Die Vorlage bezieht sich auf die Auslegung des Art 39 EGV (Art III-133 W E ) und damit auf die Auslegung des Vertrages iSv Art 234 I lit a EGV (Art III-369 I lit a W E ) . Bedenken gegen die Zulässigkeit der Vorlage könnten sich deshalb ergeben, weil es auf die Entscheidung des EuGH uU nicht ankommt. Die EG-Grundfreiheiten beziehen sich nur auf grenzüberschreitende Sachverhalte (Rn 20). Da der Kl, der von Geburt an Bewohner der Provinz Bozen war, nie in einem anderen Staat eine wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt hat und das Studium in Österreich in keinem spezifischen Zusammenhang zum Rechtsstreit steht, lässt sich hier an einem Gemeinschaftsbezug des Falles zweifeln. Der EuGH überprüft jedoch grundsätzlich nicht die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung. Nach stRspr darf das Ersuchen eines nationalen Gerichts nur zurückgewiesen werden, wenn „offensichtlich" kein Zusammenhang zwischen der erbetenen Auslegung des Gemeinschaftsrechts und dem Gegenstand des Ausgangsverfahrens besteht (so zB EuGH, Slg 1998,1-2055,2065 - Cabour). Eine solche Offensichtlichkeit verneint der EuGH hier. II. Vereinbarkeit des Sprachennachweises mit Art 39 EGV (Art 11-133 WE): Die Frage der Vereinbarkeit stellt sich nur, wenn Art 39 EGV auch Privatpersonen bindet. Obwohl es hier nicht um intermediäre Gewalten (gesellschaftliche Institutionen mit besonderen Macht-
135 Vgl Rn 39. Femer EuGH, Slg 1998,1-2521, Rn 19 ff - Clean Car. 136 Vgl besonders deutlich EuGH, Slg 1995,1-4921, Rn 86 f - Bosman. 137 Krit zur Rspr des E u G H auch Jaensch Die unmittelbare Drittwirkung der Grundfreiheiten, 1997, 81 ff; Kluth AöR 122 (1997) 557, 568ff; Streinz/Leible EuZW 2000, 459, 464ff; KadelbachI Petersen EuGRZ 2002, 213, 220. Für eine unmittelbare Drittwirkung Steindorff FS Lerche, 1993, 575, 581 ff; Ganten Die Drittwirkung der Grundfreiheiten, 2000, 56 ff; Wernicke Die Privatwirkung im europäischen Gemeinschaftsrecht, 2002, S 20Iff; Parpart Die unmittelbare Bindung Privater an die Personenverkehrsfreiheit im europäischen Gemeinschaftsrecht, 2003, S 185 ff. 138 Durch die Wettbewerbsvorschriften werden nicht sämtliche handelsbehindernde private Verhaltensweisen verboten, sondern nur solche, die zu einer Handlungsbeeinträchtigung geeignet sind. Zudem werden weitere Voraussetzungen verlangt (spürbare Wettbewerbsverfalschung, unternehmerisches und nicht rein privates Handeln, marktbeherrschende Stellung), vgl Streinz/Leible EuZW 2000,459,464.
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befugnissen) geht, kommt der EuGH zu dem Ergebnis, dass das in Art 39 EGV (Art III-133 W E ) ausgesprochene Verbot der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit auch für Privatpersonen gilt. Das Gericht stützt sich hierbei auf drei Argumente: seinem Wortlaut nach schließe Art 39 EGV (Art III-133 W E ) eine unmittelbare Anwendung auf Privatpersonen nicht aus (1), die Arbeitnehmerfreizügigkeit könne nicht nur durch staatliche, sondern auch durch private Maßnahmen behindert werden (2) und schließlich gebiete es die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts, Art 39 EGV (Art III-133 W E ) nicht anders als Art 12 (1-4 II W E ) und 141 EGV (Art III-214 W E ) auszulegen, die ebenfalls jegliche Diskriminierung verhindern sollten (3). Folgt man dieser (keineswegs zwingenden) Argumentation, ist auch die verklagte private Bankgesellschaft an Art 39 EGV (Art III-133 W E ) gebunden. Die von der Bekl aufgestellte Verpflichtung, wonach der Zugang zu einem Auswahlverfahren zur Einstellung von Personal vom Besitz einer einzigen Sprachenbescheinigung der Verwaltung in Bozen abhängig ist, stellt auch eine (versteckte) Diskriminierung dar, da es für Personen, die nicht in der Provinz Bozen wohnen, schwierig oder unmöglich ist, die Bescheinigung zu erwerben, und die Staatsangehörigen der anderen Mitgliedstaaten im Verhältnis zu den Einwohnern der Provinz Bozen benachteiligt werden. Die Diskriminierung lässt sich nach Ansicht des EuGH auch nicht rechtfertigen. Zwar sei es legitim, von einem Bewerber um eine Stelle Sprachkenntnisse eines bestimmten Niveaus zu verlangen. Es müsse aber als unverhältnismäßig angesehen werden, wenn es unmöglich sei, die Nachweise auf andere Weise zu erbringen als durch ein einziges in einer einzigen Provinz eines Mitgliedstaates ausgestelltes Diplom. Daher hat der EuGH ein Zuwiderhandeln gegen Art 39 EGV (Art III-133 W E ) angenommen.
V. Räumlicher Geltungsbereich der Grundfreiheiten Den räumlichen Geltungsbereich des EG-Vertrages und damit den der Grundfreiheiten umschreibt Art 299 EGV (Art IV-440 W E ) . Angeknüpft wird an das Staatsgebiet der Mitgliedstaaten, dh jenen Teil der Erdoberfläche, des darunter befindlichen Bodens, des Luftraums sowie der Gewässer, über die der Staat nach völkerrechtlichen Grundsätzen 119 die Gebietshoheit ausübt. Da an die Mitgliedstaaten als solche angeknüpft wird, gilt das Prinzip der beweglichen Vertragsgrenzen. Verändert sich das Hoheitsgebiet eines Staates (wie zB nach der deutschen Wiedervereinigung), wird damit (vorbehaltlich vertraglicher Sonderregelungen) der Geltungsbereich des EG-Vertrages einschließlich der Grundfreiheiten ausgedehnt. Bestimmte überseeische und sonstige Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten unterfallen dem EG-Vertrag (Art 299 II, IV, V EGV/Art IV-440 II, IV, V W E ) , während andere Gebiete (Art 299 III iVm Anh Ii/Art IV-440 III W E ) ebenso wie die europäischen Zwergstaaten (zB Andorra, Monaco, San Marino, Vatikanstadt) ganz oder teilweise ausgenommen sind.140 Besonderheiten regelt Art 299 VI EGV (Art IV-440 VI W E ) . ZB findet der Vertrag nach Art 299 VI lit c EGV (Art IV-440 VI lit c W E ) nur teilweise Anwendung. Art 2 des Protokolls Nr 3 zur Beitrittsakte betreffend die Kanalinseln und die Insel Man 141 fest, dass für die Staatsangehörigen dieser Gebiete nicht die Gemeinschaftsbestimmungen über die Freizügigkeit und den freien Dienstleistungsverkehr gelten.
139 Vgl Graf Vitzthum in: Graf Vitzthum VR 5. Abschn Rn 15; Klpsen VR § 5 Rn 4. 140 Vgl auch die Protokolle zu den Gemeinschaftsverträgen, zB Protokoll Nr 16 betreffend den Erwerb von Immobilien in Dänemark (Sart II Nr 151). 141 BGBIII 1997, 1, 1338.
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Somit können sich die Staatsangehörigen nicht hierauf berufen.142 Von den Grundfreiheiten erfasst werden alle Rechtsbeziehungen, die aufgrund des Ortes, an dem sie entstanden sind oder an dem sie ihre Wirkung entfalten, einen räumlichen Bezug zum Gebiet der Gemeinschaft aufweisen.143 Ferner wirken die Grundfreiheiten über die Außengrenzen der Gemeinschaft hinaus, wenn sie einen engen Bezug zum Recht eines Mitgliedstaates und damit zu den einschlägigen Regeln des Gemeinschaftsrechts besitzen. So hat der EuGH etwa entschieden, dass sich eine belgische Staatsangehörige, die in der deutschen Botschaft in Algier beschäftigt ist, auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit berufen kann.144 Auch wenn die Mitgliedstaaten Nutzungsrechte außerhalb ihrer Hoheitsgewässer besitzen, sind sie an die Freiheiten des Personenverkehrs und an die Dienstleistungsfreiheit gebunden.145 VI. Zeitlicher Geltungsbereich der Grundfreiheiten Der Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ist am 01.01.1958 in Kraft getreten. Mit Ablauf der Übergangsfristen haben die Grundfreiheiten unmittelbare Wirkung erlangt (Rn 7). Für neu beigetretene Staaten richtet sich der Zeitpunkt des Inkrafttretens der Grundfreiheiten nach der Beitrittsakte (Rn 7). Gem Art 312 EGV (Art IV-446 W E ) gilt der Vertrag auf unbegrenzte Zeit. Eine Kündigung sieht das bisherige Recht im Gegensatz zu Art 1-60 W E nicht vor. Da die Mitgliedstaaten die Herren der Verträge geblieben sind,146 kommt aber eine außerordentliche Kündigung nach Maßgabe des (restriktiv auszulegenden) allgemeinen Völkerrechts (Art 60 ff WVRK) in Betracht. Ein Ausschluss von Mitgliedstaaten dürfte kaum in Frage kommen, allenfalls kann eine einstweilige Suspendierung von mitgliedstaatlichen Rechten zulässig sein (im Hinblick auf die Grundfreiheiten nur, wenn diese für die Mitgliedstaaten günstig sind).147 Der Verfassungsvertrag normiert in Art 1-59 W E , dass bestimmte mit der Union verbundene Rechte ausgesetzt werden können. In zeitlicher Hinsicht bestimmt sich die Auslegung der Grundfreiheiten grundsätzlich nach dem Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens und der unmittelbaren Anwendbarkeit.148 In seltenen Ausnahmefällen (wenn eine objektiv existierende, bedeutende Unsicherheit über die Tragweite der Gemeinschaftsbestimmung bestand und die Gefahr schwerwiegender wirtschaftlicher Auswirkungen gegeben ist149) kann sich aus dem gemeinschaftsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit die Notwendigkeit ergeben, die Rechtswirkungen einer die Grundfreiheit konkretisierenden Entscheidungen des EuGH auf die Zukunft zu beschränken.150
142 Vgl HessVGH, GewArch 2005, 17. 143 Vgl im Hinblick auf einen auch außerhalb der Gemeinschaft tätigen Radsportverband EuGH, Slg 1974, 1405, Rn 28 f - Walrave. 144 EuGH, Slg 1996,1-2253, Rn 15 ff - Boukhalfa. 145 Vgl Streinz ER Rn 96. 146 AA Pernice DVB12000, 1751 ff. 147 Vgl Art 7 EUV und Art 309 EGV (Art 1-51 W E ) . 148 Vgl EuGH, Slg 1995, 1-2229, Rn 42 - Roders; Slg 1998, 1-5325, Rn 46 - Kommission/Frankreich. 149 EuGH, Slg 1995,1-2229, Rn 43 - Roders; EuGH, Slg 2001,1-6193, Rn 53 - Grzelczyk = Ehlers JK 02, EGV Art 12/1. 150 EuGH, Slg 2000,1-3625, Rn 39 - Buchner.
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VII. Schutzbereiche, Beeinträchtigungen und Schranken der Grundfreiheiten Für die Überprüfung der Vereinbarkeit von Maßnahmen mit den Grundfreiheiten des europäischen Gemeinschaftsrechts hat sich bisher kein festes Schema eingebürgert. Doch lässt sich ähnlich wie bei der Prüfung von Grundrechtsverletzungen (—» § 14 Rn 53) danach unterscheiden, ob der Schutzbereich (bzw Anwendungs- und Gewährleistungsbereich) einer Grundfreiheit berührt wird (Rn 51), ob eine Beeinträchtigung vorliegt (Rn 66 ff) und ob die Beeinträchtigung gerechtfertigt ist (Rn 80 ff).
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1. Schutzbereich der Grundfreiheiten Fall 5: (EuGH, Slg 1991,1-5627 ff - Bleis) Die deutsche Staatsangehörige Β hat beim französischen Bildungsministerium die Zulassung zum externen Auswahlverfahren für den Erwerb eines Befähigungsnachweises für das Lehramt an höheren Schulen im Fach Deutsch beantragt. Der Antrag wurde wegen ihrer Staatsangehörigkeit abgelehnt. Das daraufhin angerufene französische Gericht hat dem EuGH die Frage vorgelegt, ob die Beschäftigung als Lehrkraft für das höhere Lehramt eine Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung iSd Art 39 IV EGV (Art III-133 IV W E ) darstellt. Die Grundfreiheiten vermögen ihren Schutz nur zu entfalten, wenn ein Tun, Dulden oder Unterlassen in sachlicher, personeller, räumlicher und zeitlicher Hinsicht an den Grundfreiheiten gemessen werden kann.
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a) Sachlicher Schutzbereich Der Schutz der Grundfreiheiten kommt in sachlicher Hinsicht nur zum Zuge, wenn fünf Voraussetzungen gegeben sind:
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aa) Anwendbarkeit der Grundfreiheiten Zunächst müssen die Grundfreiheiten anwendbar sein. Das ist nicht der Fall, wenn das Sekundärrecht eine abschließende Regelung trifft (Rn 6). Liegt eine solche vor, ist zu prüfen, ob das Sekundärrecht gültig ist. Diese Voraussetzungen sind ua dann nicht gegeben, wenn das Sekundärrecht mit den Grundfreiheiten kollidiert. Deshalb sind diese insoweit auch bei dem Vorliegen abschließenden Sekundärrechts als Kontrollmaßstäbe heranzuziehen.
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bb) Grenzüberschreitender Bezug Sodann muss ein grenzüberschreitender Bezug gegeben sein (vgl Rn 19 ff u 24 0·
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cc) Geschützte Verhaltensweisen Des Weiteren werden nur bestimmte Verhaltensweisen von Personen geschützt: nämlich solche, die sich auf den Warenverkehr, die Betätigung von Arbeitnehmern, die Niederlassung, den Dienstleistungsverkehr sowie den Kapital- oder Zahlungsverkehr beziehen (vgl Rn 2 ff). Die einschlägigen Garantien sind eigenständig (dh autonom und nicht nach den Maßstäben des nationalen Rechts) auszulegen. Der EuGH bevorzugt die systematischteleologische Methode, wobei er sich vom effet utile des Gemeinschaftsrechts leiten lässt. Dies hat zur Folge, dass der Schutzbereich der Grundfreiheiten weit, die Ausnahme- und Beschränkungsmöglichkeiten entgegen eng ausgelegt werden.
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Da die Grundfreiheiten einen unterschiedlichen Schutzbereich haben, entscheidet die Bestimmung des Schutzbereichs zugleich über die Abgrenzung der Grundfreiheiten. ZB kann die Werbung für ein Produkt als flankierendes Recht der Warenverkehrsfreiheit anzusehen sein (Annexrecht 151 ), die Werbung kann sich aber ebenso als Dienstleistung darstellen.'52 Fällt ein Verhalten unter den Schutzbereich mehrerer Grundfreiheiten, sind die Grundfreiheiten grundsätzlich nebeneinander anwendbar. Das ist zumal dann der Fall, wenn sich das Verhalten in Teilkomplexe aufspalten lässt. Möchte sich zB eine Gesellschaft aus dem EG-Ausland im Inland niederlassen, um von dort aus Dienstleistungen in ein anderes EG-Land zu erbringen, ist wegen der Trennbarkeit der Verhaltensweisen sowohl die Niederlassungs- als auch die Dienstleistungsfreiheit betroffen. Auch wenn es sich um einen einheitlichen Vorgang handelt, schließen sich die Grundfreiheiten schon wegen der unterschiedlichen Normzwecke nicht notwendigerweise aus.153 ZB soll der Kapitaltransfer zum Zwecke der Gründung einer Gesellschaft ins Ausland sowohl die Kapitalverkehrs- als auch die Niederlassungsfreiheit berühren. 154 Lässt sich dagegen eine Handlungsweise nach ihrem Schwerpunkt eindeutig einer Grundfreiheit zuordnen und sind auch die anderen Grundfreiheiten demgegenüber „völlig zweitrangig", ist deren Schutzbereich gar nicht erst eröffnet. 155 So wird man etwa die Mitnahme des Umzugsguts beim Umzug von einem Mitgliedstaat in einen anderen zwecks Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit sowie die in diesem Zusammenhang erfolgenden Direktinvestitionen der Niederlassung- und nicht der Warenverkehrs- bzw der Kapitalverkehrsfreiheit zuzuordnen haben. Für die Abgrenzung der Grundfreiheiten voneinander sowie von anderen Gewährleistungen ist ferner bedeutsam, ob ein Spezialitätsverhältnis besteht. Beispielsweise hat die Dienstleistungsfreiheit nur subsidiären Charakter, weil Dienstleistungen nur Leistungen sind, die „nicht den Vorschriften über den freien Waren- und Kapitalverkehr und über die Freizügigkeit der Personen unterliegen" (Art 50 I EGV/Art III145 I W E ) . Gem Art 305 EGV gehen die Bestimmungen des EAGV denen des EG-Vertrages und damit auch den Grundfreiheiten vor.156 dd) Keine missbräuchliche Inanspruchnahme der Grundfreiheiten
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Der EuGH hat in zahlreichen Entscheidungen davon gesprochen, dass eine missbräuchliche oder betrügerische Berufung auf das Gemeinschaftsrecht (und damit auch auf die Grundfreiheiten) nicht statthaft ist.157 Von Missbrauch kann gesprochen werden, wenn der 151 Zur Unvereinbarkeit eines diskriminierenden Werbeverbots für Waren mit der Warenverkehrsfreiheit vgl Rn 79. 152 Vgl zB EuGH, Slg 1995,1-1141 - Alpine Investments. 153 Die Rspr des EuGH ist nicht eindeutig. So hat der EuGH teilweise davon gesprochen, dass die Schutzbereiche der Art 39, 43 u 49 EGV (Art III-133, 137, 144 W E ) einander ausschließen (EuGH, Slg 1995,1-4165, Rn 20 - Gebhard), andererseits begnügt er sich mit einer Gesamtschau oder stellt einen Verstoß gegen „Art 48, 52" (heute Art 39 u 43 EGV/Art III-133, 137 W E ) fest (EuGH, Slg 1996,1-1307, Rn 24 - Kommission/Frankreich; Slg 1997,1-3327, Rn 16 - Kommission/Irland). Wie hier Müller-Graff in: vd Groeben/Schwarze Art 28 EGV Rn 332. 154 Vgl EuGH, Slg 1995, 1-3955, Rn 8 ff - Svensson und Gustavsson; Slg 2002, 1-4809, Rn 58 f Kommission/Belgien; Frenz Rn 371. 155 Vgl zB EuGH, Slg 1994,1-1039, Rn 20 ff - Schindler; Slg 1994,1-4837, Rn 14 - van Schaik; Slg 2002,1-607, Rn 31 - Canal Satelite Digital; DVB1 2004, 1476, Rn 24 - Omega = Ehlers JK 6/05, EGV Art 49/13. 156 Eine entsprechende Bestimmung kennt der W E nicht mehr. 157 Vgl grundlegend EuGH, Slg 1999,1-1459, Rn 24 - Centres mit zahlreichen w Nachw.
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grenzüberschreitende Wirtschaftsverkehr dazu benutzt werden soll, sich ungerechtfertigte Vorteile zu verschaffen. Indessen ist größte Zurückhaltung bei der Annahme von Missbrauchstatbeständen geboten. Vielfach dürfte es sich nur um „immanente" Schutzbereichsbegrenzungen handeln, die sich aus der Einheit des Unionsrechts ergeben. So können sich Rauschgifthändler deshalb nicht auf die Freiheit des Warenverkehrs berufen, weil dies der Menschenwürde (Art II-61 W E ) und den grundrechtlichen Schutzpflichten zuwiderlaufen würde. Ob man dies als Rechtsmissbrauch bezeichnet, ist eine Frage der terminologischen Verständigung. Zumeist läuft die Prüfung, ob die konkrete Ausübung der Grundfreiheit missbräuchlich ist, nur darauf hinaus, die inhaltliche Tragweite der Freiheit selbst zu ermitteln (also zB festzustellen, ob wirklich ein grenzüberschreitender Sachverhalt vorliegt).158 Grundsätzlich ist es gerade der Sinn der Grandfreiheiten, den Einzelnen die Möglichkeit einzuräumen, sich die Vorteile des grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehrs zunutze zu machen. Dementsprechend steht es zB im Belieben des Einzelnen, eine Gesellschaft in dem Mitgliedstaat zu errichten, dessen gesellschaftsrechtliche Vorschriften ihm die größte Freiheit lassen, mag die Gesellschaft in diesem Staat auch keinerlei Tätigkeit entfalten. Ein missbräuchliches oder betrügerisches Verhalten ist hierin nicht zu sehen.159 Schließlich ist es in erster Linie Sache der Mitgliedstaaten, Maßnahmen zu ergreifen, um zu verhindern, dass sich einige ihrer Staatsangehörigen unter Missbrauch der durch Gemeinschaftsrecht geschaffenen Erleichterungen der Anwendung des nationalen Rechts entziehen. Betroffen ist also grundsätzlich nicht die Schutzbereichs- sondern die Rechtfertigungsebene.160 ee) NichtVorliegen von Bereichsausnahmen Ferner darf keine Bereichsausnahme vorliegen, dh keine Ausklammerung aus dem Schutzbereich der Grundfreiheiten. Der EG-Vertrag kennt verschiedene ausdrückliche Bereichsausnahmen. So findet die Garantie der Arbeitnehmerfreizügigkeit keine Anwendung auf die Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung (Art 39 IV EGV/Art III-133 IV W E ; -> § 9 Rn 27). Ferner erstrecken sich die Bestimmungen über die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit nicht auf die Tätigkeiten, die in einem Mitgliedstaat dauernd oder zeitweise mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind (Art 45 I iVm Art 55 EGV/Art III-139 I iVm 150 W E ; -> § 10 Rn 42; § 11 Rn 33). Zudem kann der Rat mit qualifizierter Mehrheit auf Vorschlag der Kommission beschließen, dass die Kapitel über die Niederlassungsund die Dienstleistungsfreiheit auf bestimmte Tätigkeiten keine Anwendung finden (Art 45 II iVm Art 55 EGV/Art III-139 iVm 150 W E ) . Für Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind oder den Charakter eines Finanzmonopols haben, gelten gem Art 86 II 1 EGV (Art III-166 II 1 W E ) die Vorschriften des Vertrages nur, soweit die Anwendung dieser Vorschrift nicht die Erfüllung der ihnen übertragenen besonderen Aufgabe rechtlich oder tatsächlich verhindert. Teilweise werden die genannten Bestimmungen nicht als sachliche Bereichsausnahmen, sondern als Schrankenregelungen in Gestalt von Rechtfertigungsnormen angesehen. Während sich eine Grenze des sachlichen Anwendungsbereichs durch eine abstrakte Festlegung sowie dadurch auszeichne, dass es nicht auf die relative Bedeutung kollidierender
158 Vgl GA La Pergola, E u G H , Slg 1999,1-1459, 1477 - Centres. 159 EuGH, Slg 2003,1-10155, Rn 132 ff - Inspire Art = Ehlers JK 6/04, EGV Art 43/4. 160 Vgl EuGH, Slg 1999,1-1459, Rn 20 - Centres.
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Rechtsgüter ankomme, sei für die Rechtfertigung einer Maßnahme kennzeichnend, dass sie verhältnismäßig sein müsse.161 Dieser Betrachtungsweise ist nicht zu folgen.162 Zum einen ist der Wortlaut der genannten EG-Vorschriften eindeutig („keine Anwendung", „gelten ..., soweit"; im englischen Text: „shall not apply", „shall be the subject of the rules ... insofar"). Des Weiteren zeigt auch die Gegenüberstellung von Art 45 und 46 EGV (Art III-139, 140 W E ) , dass der EG-Vertrag zwischen Bereichsausnahmen und Rechtfertigungsbestimmungen unterscheidet. In Art 46 EGV (Art III-140 W E ) wird die Rechtfertigungsebene ausdrücklich angesprochen. Wäre Art 45 EGV (Art III-139 W E ) ebenfalls eine Rechtfertigungsnorm, gäbe eine gesonderte Regelung keinen Sinn. Schließlich sind Bereichsausnahmen ebenso wie unbestimmte Rechtsbegriffe im Tatbestand einer Norm durchaus einer relativierenden Abwägung zugänglich.163 Der Abwägungsprozess verläuft aber nicht identisch wie bei Rechtfertigungsvorschriften. So geht es hier nicht darum, eine praktische Konkordanz zwischen kollidierenden Rechtsgütern herzustellen, sondern die Bereichsausnahmen teleologisch im Lichte der Vertragsbestimmungen nachvollziehend auszulegen. In diesem Sinne spricht der EuGH zB davon, dass die Ausnahmen nicht weiter reichen dürfen, „als der Zweck es erfordert, um dessen Willen sie vorgesehen sind." 164 Da es sich bei den Bereichsausnahmen um gemeinschaftsrechtliche Freistellungsregelungen handelt, bestimmt sich deren Reichweite nach dem Gemeinschaftsrecht und nicht nach mitgliedstaatlichem Recht (vgl auch Rn 56).165 Es besteht Übereinstimmung darüber, dass die Vorschriften ihrem Ausnahmecharakter entsprechend eng auszulegen sind. So zählen zu den Beschäftigungen in der öffentlichen Verwaltung iSv Art 39 IV EGV (Art III-133 IV W E ) nur diejenigen Stellen, die „eine unmittelbare oder mittelbare Teilnahme an der Ausübung hoheitlicher Befugnisse und an der Wahrnehmung solcher Aufgaben mit sich bringen, die auf die Wahrung der allgemeinen Belange des Staates oder anderer öffentlicher Körperschaften gerichtet sind." 166 Unter die Ausnahmeregelung fallen zB Richter, Soldaten und Polizisten, nicht aber Beschäftigte der öffentlichen Verwaltung in den Bereichen Forschung, Bildungswesen, Gesundheitswesen oder Versorgung mit Wasser, Gas und Elektrizität.167 Eine Ausübung öffentlicher Gewalt iSv Art 45 I EGV (Art III-139 I W E ) ist nur anzunehmen, wenn die Tätigkeit mit dem Recht verbunden ist, einseitig verbindliche Anordnungen zu treffen.168 Auch bei der Anwendung des Art 86 II EGV (Art III-166
161 Vgl namentlich Jarass EuR 1995, 202, 221 f; dens FS Everling Bd I, 1995, S 593, 604f; dens EuR 2000, 705, 717 f. 162 Vgl Ehlers NVwZ 1990, 810, 812; Kingreen (Fn 2) S 76 f; Streinz ER Rn 697; Lackhoff (Fn 56) S 152 f. 163 Vgl etwa BVerwGE, NVwZ 1995, 1129, wonach ein Ausweisungsgrund schwerwiegend iSd § 48 I AuslG ist, wenn das öffentliche Interesse an der Erhaltung von öffentlicher Sicherheit und Ordnung im Vergleich zu dem vom Gesetz bezweckten Schutz des Ausländers ein deutliches Ubergewicht hat. 164 Vgl EuGH, Slg 1974, 631, Rn 42 f - Reyners. Vgl ferner EuGH, Slg 1988, 1637, Rn 10 - Kommission/Griechenland. 165 Vgl etwa (für Art 39 IV EGV/Art III-133 IV W E ) EuGH, Slg 1980, 3881 f - Kommission/Belgien. 166 EuGH, Slg 1980, 3881 - Kommission/Belgien; Slg 1996, I-3285ff - Kommission/Griechenland. Nach hM müssen die Kriterien kumulativ vorliegen. Vgl Brechmann in: Calliess/Ruffert Art 39 EGV Rn 107; Schneider/Wunderlich in: Schwarze Art 39 EGV Rn 135; - > § 9 R n 27. 167 Vgl Schneider/Wunderlich in: Schwarze Art 39 EGV Rn 140 mit Rspr-Nachw. 168 Vgl auch Schlussanträge GA Mayras, EuGH, Slg 1974, 631, 665 - Reyners (wenn der Staat „dem Bürger gegenüber von Sonderrechten, Hoheitsprivilegien und Zwangsbefugnissen
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II W E ) wird betont, dass die Ausnahme von der Geltung der Vertragsvorschriften erforderlich sein muss.169 Ohnehin darf nach Art 86 II 2 EGV (Art III-166 II 2 W E ) die Entwicklung des Handelsverkehrs nicht in einem Ausmaße beeinträchtigt werden, das dem Interesse der Gemeinschaft zuwiderläuft. Fraglich ist, ob es neben den geschriebenen auch ungeschriebene Bereichsausnahmen gibt. Seit seiner grundlegenden Cassis de ßyon-Entscheidung aus dem Jahre 1979170 geht der EuGH in stRspr davon aus, dass die Grundfreiheiten auch durch „zwingende Erfordernisse" (im Allgemeininteresse liegende Zwecke171) begrenzt oder eingeschränkt werden dürfen. Ob es sich hierbei um Bereichsausnahmen in Form negativer Tatbestandsmerkmale oder um Rechtfertigungsgründe handelt, ist umstritten. 172 Die Rspr des EuGH ist nicht eindeutig. In der Casiw-Entscheidung scheint der EuGH von Tatbestandsmerkmalen des Art 30 EGV (heute Art 28 EGV/Art III-153 W E ) ausgegangen zu sein. In anderen (insbesondere neueren) Entscheidungen wird aber ausdrücklich von Rechtfertigung gesprochen.173 Da eine volle Verhältnismäßigkeitsprüfung durchzuführen ist, empfiehlt es sich, die zwingenden Erfordernisse der Rechtfertigungsebene zuzuordnen.
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b) Personeller, räumlicher und zeitlicher Schutzbereich Die Grundfreiheiten schützen nur bestimmte Personen (Rn 36 ff). Ferner setzt ihre Anwendung voraus, dass der Geltungsbereich der Grundrechte in räumlicher (Rn 48) und zeitlicher (Rn 49) Hinsicht gegeben ist. Wegen der Einzelheiten kann auf die oben getroffenen Ausführungen verwiesen werden. Lösung Fall 5: Gegen die Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens gem Art 234 EGV (Art III-369 W E ) bestehen keine Bedenken. Eine Beschäftigung iSv Art 39 IV EGV (Art III-133 IV W E ) ist nur anzunehmen, wenn eine Teilnahme an der Ausübung hoheitlicher Befugnisse und an der Wahrnehmung solcher Aufgaben gegeben ist, die auf die Wahrung der allgemeinen Belange des Staates (oder anderer öffentlicher Körperschaften) gerichtet sind und deshalb ein Verhältnis besonderer Verbundenheit des Stelleninhabers zum Staat sowie die Gegenseitigkeit von Rechten und Pflichten voraussetzen, die dem Staatsangehörigkeitsband zugrunde liegen. Als Ausnahme vom Grundprinzip der Arbeitnehmerfreizügigkeit ist Art 39 IV EGV (Art III-133 IV W E ) so auszulegen, dass sich seine Tragweite auf das beschränkt, was zur Wahrung der durch die Norm geschützten Interessen unbedingt erforderlich ist. Die pädagogische Tätigkeit eines Lehrers ist nicht typischerweise mit hoheitlichen (einseitigen)
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Gebrauch macht"). Näher dazu Jarass R I W 1993, 1, 4; Tiedje/Troberg in: vd Groeben/Schwarze Art 45 EGV Rn 7 ff; Lackhoff (Fn 56) S 158. Vgl statt vieler ν Burchard in: Schwarze Art 86 EGV Rn 51 ff, 71 ff. EuGH, Slg 1979, 649 ff - Cassis de Dijon. EuGH, Slg 1997,1-3689, Rn 8 - Familiapress = Erichsen JK 98, EGV Art 30/1. Für immanente Tatbestandsausnahmen zB JestedtlKaestle EWS 1994, 26, 27; Schilling EuR 1994, 50, 52; AhltlDeisenhofer (Fn 116) S 172. Für die Einordnung als Rechtfertigungsgründe Hirsch ZEuS 1999, 503, 511; Lecheler/Gundel Übungen im Europarecht, 1999, S 107, 109 f; Jarass EuR 2000, 705, 719. Vgl zB EuGH, Slg 1997, 1-3689, Rn 18 - Familiapress = Erichsen JK 98, EGV Art 30/1; Slg 1997,1-3843 ff - De Agostini.
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Befugnissen verbunden. Zudem ist nicht ein Verhältnis besonderer Verbundenheit des Stelleninhabers zum Staat unerlässlich. Daher stellt die Beschäftigung als Lehrkraft für das höhere Lehramt keine Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung iSd Art 39 IV EGV (Art III133IV W E ) dar. 2. Beeinträchtigung des Schutzbereichs der Grundfreiheiten
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Fall 6: (EuGH, Slg 1995,1-1923 ff - Mars) Die M-GmbH führt aus Frankreich Eiscremeriegel nach Deutschland ein, die in Frankreich von einem amerikanischen Konzern zum Zwecke des europaweiten Vertriebs rechtmäßig hergestellt werden. Im Rahmen einer Werbekampagne ist die Menge der Eisriegel um 10% erhöht worden. Auf der Verpackung wurde hierauf mittels des Aufdrucks „plus 10%" auf farblich hervorgehobener Fläche hingewiesen, wobei der Hinweis deutlich mehr als 10% der Gesamtfläche des Riegels ausmacht. Ein in Deutschland gegründeter Verein zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs klagt vor einem deutschen Gericht auf Unterlassung der Werbeaktion. Einerseits liege ein Verstoß gegen das GWB vor. Der Aufdruck „plus 10%" sei geeignet, beim Verbraucher die Vorstellung hervorzurufen, das neue Erzeugnis werde zum gleichen Preis wie das alte angeboten. Die Händler dürften daher nicht den Preis erhöhen. Eine Preisbindung sei aber nicht mit dem GWB vereinbar. Andererseits sei die optische Gestaltung irreführend, da Verbraucher annehmen könnten, die Vergrößerung sei bedeutender als angegeben. Das deutsche Gericht möchte der Klage stattgeben, hat aber Bedenken, ob dies mit Art 28 EGV (Art III-153 W E ) vereinbar ist. a) Handeln, Dulden oder Unterlassen eines Verpflichteten
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Der Schutzbereich der Grundfreiheiten kann nur durch ein Tun, Dulden oder Unterlassen eines Verpflichteten beeinträchtigt werden. Es ist gut vertretbar, dieses Erfordernis bereits im Rahmen der Schutzbereichsbestimmung zu überprüfen. Duldungen oder Unterlassungen sind nur dann dem Handeln gleichzustellen, wenn eine Rechtspflicht zum Tätigwerden besteht - zB in Form der Gewährung hoheitlichen Schutzes (Rn 31) oder der Vornahme von Verfahrensvorkehrungen (Rn 34). Als Verpflichtungsadressaten der Grundfreiheiten kommen nach der Rspr des EuGH nicht nur die Mitgliedstaaten und die Europäischen Gemeinschaften, sondern uU auch Privatpersonen in Betracht (vgl näher dazu Rn 42 ff). b) Art und Weise der Beeinträchtigung aa) Erfordernis einer Diskriminierung oder Beschränkung
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Eine Beeinträchtigung der Grundfreiheiten setzt weiter voraus, dass die Verpflichteten in bestimmter Weise auf die Grundfreiheiten einwirken. Als Modalitäten der Einwirkung kommen Diskriminierungen (Rn 20 ff) sowie unterschiedslose Beschränkungen (Rn 25 ff) in Betracht. bb) Vorliegen einer Diskriminierung oder Beschränkung (1) Diskriminierungsbegriff
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Der EuGH legt einen sehr weiten Diskriminierungsbegriff zugrunde (Rn 20). Eine Diskriminierung ist anzunehmen, wenn das nationale Recht oder der Rechtsanwender einen grenzüberschreitenden Vorgang notwendig oder typischerweise schlechter als einen rein 208
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internen behandelt. Das Diskriminierungsverbot enthält somit ein ScMechterstellungsverbot.174 Dieses ist in der Regel, aber nicht notwendigerweise gleichbedeutend mit einer Inländergleichbehandlung (weil zur Beseitigung der Diskriminierung auch eine Besserstellung der EG-Ausländer gegenüber den Inländern in Betracht kommt).175 Relevant sind nur Schlechterstellungen im Hinblick auf den grenzüberschreitenden Vorgang, nicht sonstige Ungleichbehandlungen (zB allein von Erzeugern und Verbrauchern oder Männern und Frauen). Eine Schlechterstellung in diesem Sinne ist anzunehmen, wenn sich die Differenzierungen nicht ohne Rückgriff auf ein Kriterium mit grenzüberschreitendem Bezug oder grenzüberschreitender Auswirkung (zB Staatsangehörigkeit, Wohnsitz, Herstellungsort, Niederlassungsort, Sprache usw) begründen lässt. Neben offenen werden auch versteckte Diskriminierungen erfasst (Rn 22). Unerheblich ist, ob die Schlechterstellung des grenzüberschreitenden Vorgangs -
auf finalem Handeln beruht oder unbeabsichtigt war, auf einen Rechts- oder einen Realakt zurückgeht, unmittelbar oder mittelbar verursacht worden ist, tatsächlich oder potentiell wirkt und sie schwerwiegende oder geringe Beeinträchtigungen nach sich zieht.176
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Ganz entfernte Wirkungszusammenhänge dürften allerdings auszuscheiden sein.177 Das gilt zumal dann, wenn ein Verstoß Privater gegen Grundfreiheiten in Betracht kommt.
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(2) Beschränkungsbegriff Dem weiten Diskriminierungsbegriff entspricht ein ebenso weiter Beschränkungsbegriff. Dies lässt sich besonders deutlich am Beispiel der Rspr zur Warenverkehrsfreiheit zeigen. Art 28 EGV verbietet nicht nur mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen (die heute kaum noch vorkommen), sondern auch alle Maßnahmen gleicher Wirkung. Nach der Dassonviüfe-Formel des EuGH fällt darunter jede Handelsregelung der Mitgliedstaaten, „die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern."178 Dies bedeutet, dass es auf die Finalität, Vorhersehbarkeit und rechtliche Qualität der Maßnahme nicht ankommt und auch noch nicht eingetretene, aber mögliche Behinderungen sowie geringfügige Schutzbereichsbeeinträchtigungen als Beschränkungen anzusehen sind. Im Ergebnis ist danach nur auf die Wirkung der Maßnahme bzw auf den Erfolg abzustellen. Eine Beschränkung liegt bereits dann vor, wenn die (grenzüberschreitende) Ausübung der Warenverkehrsfreiheit in irgendeiner Weise behindert oder weniger attraktiv gemacht wird. Entsprechendes ist für die anderen Grundfreiheiten anzunehmen (Rn 24). Ob die Dassonville-Formel auch dann anwendbar ist, wenn Private die Grundfreiheiten tangieren, lässt sich der EuGH-Rspr bisher nicht entnehmen. Der äußerst weite Beschränkungsbegriff des EuGH, der sich deutlich von den an das Vorliegen von Grundrechtseingriffen in Deutschland gestellten Anforderungen absetzt, führte dazu, dass eine schier unübersehbare Zahl mitgliedstaatlicher Maßnahmen im Hin174 175 176 177
Vgl zB EuGH, Slg 1989, 195, Rn 10 ff - Cowan; Jarass EuR 1995, 202, 216. Für ein Recht der Inländer auf Gleichbehandlung dagegen Lackhoff (Fn 56) S 222 ff. Vgl Gebauer (Fn 90) S 353 f. Die Rechtslage ist insoweit ebenso wie bei den Beschränkungen. Vgl dazu die folgenden Ausführungen. 178 Vgl EuGH, Slg 1974, 837, Rn 5 - Dassonville.
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blick auf ihre Vereinbarkeit mit den Grundfreiheiten einem Rechtfertigungstest unterzogen werden konnten und mussten. So hat der EuGH zB auch das Sonntagsverkaufsverbot in Wales179 oder das (früher) in Deutschland geltende wettbewerbsrechtliche Verbot einer Preisgegenüberstellung'80 als Beschränkungen der Warenverkehrsfreiheit angesehen. Es sei zwar wenig wahrscheinlich, dass sich die Verbraucher durch derartige Regelungen vom Erwerb der Erzeugnisse abhalten ließen. Gleichwohl könnten aber negative Folgen für das Verkaufsvolumen und folglich auch für das Einfuhrvolumen nicht ausgeschlossen werden.181 Um einer uferlosen Ausdehnung der Grundfreiheiten und einer damit verbundenen Überlastung des EuGH entgegenzuwirken, hat der Gerichtshof in dreifacher Hinsicht versucht, zu einer Eingrenzung der Grundfreiheiten zu kommen. Zunächst hat er in seiner Cassis-Rspr herausgearbeitet, dass Beschränkungen der Grundfreiheiten hingenommen werden müssen, wenn sie auf zwingenden Erfordernissen beruhen.182 Hierbei handelt es sich nach der hier vertretenen Ansicht allerdings nicht um eine Tatbestandsbeschränkung, sondern um die Zulassung weiterer Rechtfertigungsgründe (Rn 63). Dagegen hat der Gerichtshof erstmals in der Rechtssache Keck eine Tatbestandsreduzierung vorgenommen.183 Schließlich hat der EuGH verschiedentlich darauf hingewiesen, dass eine gewisse Nähebeziehung zwischen Maßnahme und beeinträchtigender Wirkung gegeben sein müsse. Eine Beeinträchtigung der Grundfreiheiten soll danach ausscheiden, wenn die Auswirkungen einer Maßnahme zu unbestimmt und zu mittelbar sind.184 Wo die Grenze einer solchen die DassonviUe-¥oTTciz\ beschränkende „rule of remoteness" zu ziehen ist, ist bislang nicht hinreichend deutlich geworden und dürfte sich auch nur im Einzelfall klären lassen.185 Dagegen stellt der EuGH bisher nicht auf die Spürbarkeit der Beeinträchtigung a
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Besonderes Interesse verdient die Einschränkung der Reichweite der Grundfreiheiten durch die Äec&-Rspr des EuGH (—» § 8 Rn 37 ff). In der Rechtssache Keck hat es der Gerichtshof abgelehnt, das französische Verbot, Waren unter Einkaufspreis weiterzuverkaufen, an der Garantie des Art 28 EGV (Art III-153 W E ) zu messen. Entgegen der bis dahin geltenden Rspr seien mitgliedstaatliche Regelungen, die nur bestimmte Verkaufsmodalitäten betreffen, nicht als Maßnahmen gleicher Wirkung anzusehen, weil sie iSd Urteils Dassonville nicht geeignet seien, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu be-
179 EuGH, Slg 1989, 3851 ff - Torfaen Borough Council; vgl auch EuGH, Slg 1991, 1-1027 ff Marchandise; Slg 1992,1-6635 ff - Β & Q. 180 EuGH, Slg 1993, 1-2361, Rn l l f - Yves Rocher = Küttig JK 94, EWGV Art 30/4; vgl auch EuGH, Slg 1982,4575, Rn 14 f - Oosthoek. 181 So für das Sonntagsverkaufsverbot EuGH, Slg 1991,1-997, Rn 8 - Conforama. 182 EuGH, Slg 1979, 649 ff - Cassis de Dijon. 183 EuGH, Slg 1993, 1-6097, Rn 14ff - Keck. Siehe hierzu statt vieler Behrens EuR 1992, 145fif; Roth ZHR 1995, 78, 86 f; Oliver Free movement of goods in the European Community, 3. Aufl 1996, S 100 ff; dens CMLRev 1999, 97 ff. 184 Vgl namentlich EuGH, Slg 1996, 1-2975, Rn 32 - Semeraro; ferner Slg 1993, 1-5009, Rn 9 CMC Motorradcenter; Slg 1994, 1-3453, Rn 24 - Peralta; Slg 1999,1-6269, Rn 16 - BASF; Slg 2000,1-493, Rn 24 f - G r a f . 185 Vgl näher dazu Becker EuR 1994, 162, 170; Ebenroth FS Pieper, 1998, S 133, 142; Oliver CMLRev 1999, 97 ff; DeckertlSchroeder JZ 2001, 88, 90. 186 Vgl Ehlers in: Wurzel/Schraml/Becker (Hrsg) Rechtspraxis KommUntern, 2005, S. 15; Frenz Rn419f.
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hindern. Voraussetzung ist nach der Entscheidung des EuGH allerdings, dass die Regelungen erstens für alle betreffenden Wirtschaftsteilnehmer gelten, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben (Universalitätskriterium) und zweitens den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedsstaaten rechtlich wie tatsächlich in gleicher Weise berühren (Neutralitätskriterium). 187 Zweifelhaft geblieben ist, ob und ggf wie sich das Neutralitätskriterium von einer Diskriminierung abgrenzen lässt. Gegen eine Gleichsetzung spricht, dass es im Falle der Bejahung einer Diskriminierung ohnehin nicht auf die Beschränkung der Grundfreiheit ankommt. Es dürfte anzunehmen sein, dass der Diskriminierungsbegriff (trotz der gebotenen weiten Auslegung) enger als das Neutralitätskriterium ist. So können Doppelbelastungen der Rechtsordnungen den Absatz der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedsstaaten rechtlich wie tatsächlich zusätzlich behindern, während es für die Frage der Diskriminierung nur auf die inländische Rechtsordnung ankommt (Rn 20).188 Über das Vorliegen der Voraussetzung der Keck-Kriterien entscheidet letztverbindlich der EuGH. 189 Die ÄTec^-Rspr, die durch zahlreiche Entscheidungen des EuGH bestätigt worden ist,190 zwingt dazu, produkt- und vertriebsbezogene Maßnahmen voneinander abzugrenzen. Im Gegensatz zu den ersteren stellen sich letztere nicht als Beeinträchtigungen der Warenverkehrsfreiheit dar, wenn sie unterschiedslos wirken. Die Abgrenzung von produkt- und vertriebsbezogenen Maßnahmen kann erhebliche Schwierigkeiten bereiten. Eine schematische Trennung lässt sich nicht durchführen. 191 So stellen Werbeverbote zumeist Verkaufsmodalitäten dar. Wird auf einem Produkt geworben (vgl Rn 66, 79) oder handelt es sich um ein generelles Werbeverbot, ist die Rechtslage eine andere.192 Leitend dürfte der Gedanke sein, dass eine Erschwerung des Zugangs zu einem Markt in einem anderen Mitgliedstaat immer an Art 28 EGV (Art III-153 W E ) gemessen werden muss, während eine unterschiedslos wirkende Regulierung zugelassener Waren den Mitgliedstaaten überlassen bleiben kann. 193 Nicht hinreichend geklärt ist ferner, ob sich die Grundsätze der Äscfc-Rspr auf die anderen Grundfreiheiten übertragen lassen. Am nahe liegendsten ist eine Übertragung auf die Dienstleistungsfreiheit, weil jedenfalls dann, wenn nur die Dienstleistung die Grenze überschreiten soll, die Mobilität einer produktähnlichen Leistung in Rede steht (—» aA § 11 Rn 49). Der EuGH hat deshalb in der Entscheidung Alpine Investments (in der es um das Verbot einer grenzüberschreitenden Telefonwerbung ging) die Kriterien der Keck-Entscheidung auch für die Dienstleistungsfreiheit fruchtbar gemacht. 194 Doch dürfte der
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EuGH, Slg 1993,1-6097, Rn 16 - Keck. Vgl a Plötscher (Fn 54). Krit Lenz N J W 2004, 332 f. Vgl zur Rspr die Angaben bei Müller-Graff in: vd Groeben/Schwarze Art 28 EGV Rn 255; Epiney in: Callies/Ruffert Art 28 EGV Rn 29. Vgl auch Kingreen (Fn 2) S 125; Becker in: Schwarze Art 28 EGV Rn 49; - » § 8 Rn 34 ff. Vgl Stein EuZW 1995, 435,436. Nach den Ausführungen im Urteil Keck „fallen nationale Bestimmungen, die bestimmte Verkaufsmodalitäten beschränken oder verbieten, nur dann nicht in den Anwendungsbereich des Art 28 EG, wenn diese nicht geeignet sind, den Marktzugang für Erzeugnisse aus einem anderen Mitgliedstaat zu versperren oder stärker zu behindern, als sie dies für inländische Erzeugnisse tun". Vgl auch EuGH, Slg 2001, I-1795ff - Gourmet International; Becker in: Schwarze Art 28 EGV Rn 49. EuGH, Slg 1995,1-1141, Rn 33 ff - Alpine Investments. (Vgl ferner die ßocAforrw-Entscheidung
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Grundgedanke der Keck-Rspr auch bei den anderen Grundfreiheiten insofern heranzuziehen sein, als es darum geht, den überaus weiten Anwendungsbereich der Grundfreiheiten dann näher einzugrenzen, wenn nicht der Markt- oder Berufszugang (dh das Ob der wirtschaftlichen Betätigung), sondern das Verhalten im Markt oder die Berufsausübung (also das Wie der wirtschaftlichen Betätigung) in Rede steht.195 Voraussetzung ist allerdings stets, dass es sich um unterschiedslos wirkende (neutrale und universale) Beschränkungen für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer handelt. cc) Abgrenzung von Diskriminierungen und Beschränkungen 78
In welchem Verhältnis das Diskriminierungs- und das Beschränkungsverbot der Grundfreiheiten zueinander stehen, lässt sich der Rspr und Literatur nicht eindeutig entnehmen. Vielfach enthält eine Beschränkung zugleich eine (zumindest versteckte) Diskriminierung und umgekehrt. So lag in der Rechtssache Cassis de Dijonm, in der es um die Beschränkung des Warenverkehrs für alkoholische Getränke durch Festsetzung eines Mindestalkoholgehalts ging, zwar formal eine für In- und Ausländer unterschiedslos geltende Maßnahme vor. Tatsächlich war die Inlandsproduktion aber im Vorteil, weil sie typischerweise bereits dem Standard entsprach und somit ohne zusätzliche Anpassungskosten vermarktet werden konnte.197 In keiner Weise diskriminierend, sondern nur beschränkend wirken dagegen zB allgemein geltende Transferregeln im professionellen Sport,198 nationale Regelungen, nach denen inländischen und EG-ausländischen Arbeitnehmern kein Abfindungsanspruch zusteht, wenn sie ihr Arbeitsverhältnis selbst kündigen,199 sowie nationale Regelungen, die inländische und EG-ausländische Arbeitgeber zur Zahlung eines Mindestlohns an ihre Arbeitnehmer verpflichten.200 Eine Verletzung (nur) des Beschränkungsverbots ist sogar denkbar, wenn die Inländer typischerweise schlechter als die EG-Ausländer behandelt werden.201 Der EuGH tendiert dazu, bei offenen Diskriminierungen nur hierauf (und nicht auf die Beschränkung) abzustellen.202 Im Falle eines Zusammentreffens von versteckten Diskriminierungen und Beschränkungen wird jedenfalls dann, wenn der Markt- oder Berufszugang als solcher behindert und damit in den Kernbereich der Gewährleistung eingegriffen wird, vielfach nur das Beschränkungsverbot geprüft. 203 Geht es
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NJTW 2004, 131 ff, wonach das Verbot eines Versandhandels mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln die ausländischen Apotheker stärker iSd Äecft-Rspr als die inländischen berühren soll, weil die inländischen Apotheker andere Vertriebswege haben). Vgl für die Arbeitnehmerfreizügigkeit Brechmann in: Calliess/Ruffert Art 39 EGV Rn 49, für die Niederlassungsfreiheit Schlag in: Schwarze Art 43 EGV Rn 55, für die Freiheit des Kapitalverkehrs Bröhmer in: Calliess/Ruffert Art 56 EGV Rn 20. Wie hier DeckertlSchroeder JZ 2001, 88 ff. EuGH, Slg 1979, 649 ff - Cassis de Dijon. Gundel Jura 2001, 79, 83. Vgl EuGH, Slg 1995,1-4921, Rn 99 - Bosman. Nach Epiney (Fn 54) S 61 f, ist es nicht möglich, versteckte Diskriminierungen und Beschränkungen auseinander zu halten. EuGH, Slg 2000,1-493, Rn 15 ff - Graf. EuGH, Slg 2002,1-787, Rn 16 ff - Portugaia Constn^öes = Ehlers JK 8/02, EGV Art 49 ff/5. Vgl Hirsch ZEuS 1999, 503, 509, mit Hinweis auf EuGH, Slg 1998, 1-47fT - Schöning (in dem Fall ging es um die Anwendbarkeit einer BAT-Regelung, die eine Höhergruppierung von Fachärzten im öffentlichen Dienst vorsieht, wenn sie über eine bestimmte Zeitdauer als Fachärzte im BAT-Anwendungsbereich tätig waren). Vgl zB EuGH, Slg 1994,1-911, Rn 10 - Kommission/Spanien. Hierfür ist die Cassis de Dijon-Entscheidung ein Beispiel.
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dagegen um den Randbereich der Gewährleistungen (zB um die Einzelheiten der Ausübung eines selbstständigen Berufs), wird oft nur danach gefragt, ob eine Diskriminierung vorliegt.204 So ergibt sich aus der Aecfc-Rspr, dass die Regelung von Verkaufsmodalitäten nur an den Grundfreiheiten gemessen werden kann, wenn eine Diskriminierung respektive keine universelle oder neutrale Betroffenheit vorliegt. Hieraus ist gefolgert worden, dass sich das Beschränkungsverbot und das Verbot einer (faktischen) Diskriminierung nicht überschneiden, sondern die Grundfreiheiten im Kernbereich nur Beschränkungsverbote, im Randbereich nur Diskriminierungsverbote darstellen.205 Nach der hier vertretenen Ansicht können indessen Diskriminierungs- und Beschränkungsverbote nebeneinander stehen. Hierfür spricht auch, dass die Grundfreiheiten primär als Diskriminierungsverbote formuliert sind, sich Kern- und Randbereichsbeeinträchtigungen oft schwer auseinander halten lassen und jedenfalls offene Diskriminierungen auch im Falle von Zugangsbeschränkungen nicht einfach als unerheblich abgestempelt werden dürfen. Wenn und soweit sowohl ein Diskriminierungs- als auch ein Beschränkungsverbot gilt, müssen beide getrennt untersucht werden. Überschneiden sich Diskriminierung und Beschränkung, kommt es auf das Auseinanderhalten dieser beiden Beeinträchtigungsformen jedoch dann nicht entscheidend an, wenn die Rechtfertigungsgründe identisch sind (vgl Rn 80 ff).
Lösung Fall 6: Da die Eisriegel des amerikanischen Konzerns in Frankreich hergestellt werden, handelt es sich um eine aus einem Mitgliedstaat stammende Ware (Art 23 II EGV/Art III-151 II W E ) . Ein staatliches (durch Wettbewerbsvorschriften und Gerichtsurteil ausgesprochenes) Verbot, das sich gegen das Inverkehrbringen der Ware in Deutschland richtet, stellt sich iSd DassonviV/e-Formel als eine Maßnahme gleicher Wirkung dar, weil der innergemeinschaftliche Handel beschränkt wird. Es geht auch nicht nur um eine bloße Verkaufsmodalität iSd KeckRspr. Der Produktbezug ergibt sich aus dem Umstand, dass die angegriffene Werbung auf der Verpackung angebracht ist und ein Verbot Μ oder den Konzern zwingen würde, die Ausgestaltung der Ware durch eine neue Verpackung zu verändern. Die Rechtfertigungsgründe (vgl Rn 83 ff) des Art 30 EGV (Art III-154 W E ) greifen nicht ein. Die unterschiedslos geltenden Beschränkungen sind auch nicht durch zwingende Erfordernisse gerechtfertigt. Die Interessen der Verbraucher wurden gewahrt. Die Preise sind nicht erhöht worden. Auch kann ein verständiger Verbraucher zwischen der Größe des Werbeaufdrucks und der Mengenerhöhung unterscheiden. Soweit die Händler während der kurzen Dauer der fraglichen Werbekampagne mittelbar gezwungen werden, ihre Preise nicht zu erhöhen, dient dies dem Verbraucherschutz, so dass das Werbeverbot nicht auf ein zwingendes Erfordernis gestützt werden kann. Zumindest würde ein Werbeverbot die Warenverkehrsfreiheit unverhältnismäßig beschränken. Daher muss das Gericht die Unterlassungsklage abweisen.
204 Vgl zB EuGH, Slg 1999,1-2517, Rn 14 ff - Ciola = Ehlers JK 00, EGV Art 49/1. 205 Vgl Lecheler/Gundel (Fn 172) S 177 f; S ferner Jarass EuR 2000, 705, 711, wonach ein Eingriff in den Kernbereich der Grundfreiheiten generell als Beschränkung einzustufen ist, unabhängig davon, ob er zu einer Schlechterbehandlung im jeweiligen Fall führt. Zum Ganzen auch Eilmannsberger JB1 1999, 347 ff.
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3. Rechtfertigung einer Beeinträchtigung von Grundfreiheiten 80
Liegt eine Beeinträchtigung von Grundfreiheiten vor, stellt sich die Frage, ob sich die Beeinträchtigung rechtfertigen lässt. Dies ist nur der Fall, wenn eine Grundlage für die Beeinträchtigung besteht (Rn 81), eine ausdrückliche (Rn 83ff), anderweitige gemeinschaftsrechtliche (Rn 86 f) oder ungeschriebene (Rn 88 ff) Schrankenregelung zur Anwendung gelangt und die Schranken-Schranken (Rn 92 ff) beachtet wurden. a) Bestehen einer Grundlage der Beeinträchtigung aa) Grundlage im Sekundärrecht der Europäischen Gemeinschaft
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Trifft das Sekundärrecht der Europäischen Gemeinschaft eine abschließende Regelung, sind die Grundfreiheiten nach der Rspr des EuGH ohnehin nicht anwendbar (Rn 7, 54). Nach der hier vertretenen Ansicht gilt dies nur, soweit der Gewährleistungsgehalt der Grundfreiheiten wiederholt oder ausgeformt wird, es also nicht um eine Beeinträchtigung der Freiheit geht. Unabhängig davon, muss das Sekundärrecht stets an den Grundfreiheiten gemessen werden. Dies ist auch und gerade der Fall, wenn das Sekundärrecht eine Beeinträchtigung der Grundfreiheiten gestattet. Stützt sich das eine Grundfreiheit beeinträchtigende Tun, Dulden oder Unterlassen eines Mitgliedstaates (oder eines Privaten) zu Recht unmittelbar oder mittelbar auf (nicht abschließendes) Sekundärrecht206, fungiert dieses und nicht das mitgliedstaatliche Recht als Schranke der Grundfreiheiten. bb) Gesetzliche Grundlage im mitgliedstaatlichen Recht
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Nach der Rspr des EuGH „bedürfen in allen Mitgliedstaaten Eingriffe der öffentlichen Gewalt in die Sphäre der privaten Betätigung jeder - natürlichen oder juristischen - Person einer Rechtsgrundlage."207 Der EuGH hat somit den Vorbehalt des Gesetzes als allgemeinen Rechtsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts anerkannt.208 Die zitierten Ausführungen beziehen sich allerdings auf die Einschränkung eines Unionsgrundrechts. Ob das Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage auch für die Beeinträchtigung der Grundfreiheiten gelten soll, lässt sich der Rspr des EuGH bisher nicht eindeutig entnehmen. Geht man von einem allgemeinen Rechtsgrundsatz des Gesetzmäßigkeitsprinzips aus und sieht man die Grundfreiheiten nur als spezielle Ausprägungen der Unionsgrundrechte an (Rn 15), kann für die Grundfreiheiten nichts anderes als für die Grundrechte gelten.209 Hierfür spricht auch, dass Art 46 I EGV (Art III-140 W E ) eine Einschränkung der Niederlassungsfreiheit nur durch „Rechts- und Verwaltungsvorschriften" vorsieht. Welche Anforderungen an das Erfordernis einer gesetzlichen Grundlage zu stellen sind, ist bislang allerdings ganz unklar geblieben.2'0 Mit Rücksicht auf den Common-Law-Rechtskreis lässt der EGMR eine Einschränkung der EMRK-Rechte auch durch ungeschriebenes Recht zu
206 Mittelbar ist das Sekundärrecht betroffen, wenn zwar eine nationale Vorschrift angewendet wird, diese aber auf einer korrekten Umsetzung einer Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft beruht. 207 EuGH, Slg 1989,2859, Rn 19 - Hoechst. 208 —»Zu den Anforderungen an den Gesetzesvorbehalt vgl auch § 13 Rn 41. 209 Im Ergebnis tendenziell ebenso Jarass EuR 1995, 202,222. 210 Vgl auch Jarass EuR 1995, 202, 222; Kingreen (Fn 2) S 153.
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(—» § 2 Rn 45). Gleiches könnte auch für die Grundfreiheiten anzunehmen sein. In jedem Falle bedarf die Beeinträchtigung der Grundfreiheiten einer ausreichend klaren und bestimmten Rechtsgrundlage. b) Ausdrückliche Schranken Der EG-Vertrag enthält für alle Grundfreiheiten ausdrückliche Schrankenregelungen (Art 30, 39 III, 46 iVm 55, 57 I, 58 I EGV/Art III-154, 133 III, 140 iVm 150, 157 I, 158 I W E ) . Alle Regelungen erlauben zumindest eine Beschränkung aus Gründen der öffentlichen Ordnung und (oder) Sicherheit. Für die Beschränkung des Warenverkehrs nennt der Vertrag zahlreiche weitere Rechtfertigungsgüter (Sittlichkeit, Gesundheit, Leben, nationales Kulturgut, gewerbliches und kommerzielles Eigentum). Die Arbeitnehmer-, Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit darf ua aus Gründen der Gesundheit beschränkt werden (bei den zuletzt genannten Freiheiten allerdings nur, wenn es um Sonderregelungen für Ausländer geht). Eine Beschränkung der Freiheit des Kapital- und Zahlungsverkehrs ist insbesondere im Verhältnis zu Drittstaaten (Art 57 EGV/Art III-157 W E ) sowie aus steuerlichen Gründen erlaubt, wobei die Schranken der Niederlassungsfreiheit unberührt bleiben (Art 58 II EGV/Art III-158 II W E ) . Die Schrankenregelungen gelten für sämtliche Formen der Beeinträchtigungen der Grundfreiheiten. Welche Zwecke mit einer gesetzlichen Regelung verfolgt werden, richtet sich nicht nur nach der erklärten Absicht des Gesetzgebers, sondern auch nach der objektiven Zweckrichtung des Gesetzes.211 Verfolgen die Mitgliedstaaten Zwecke, die mit dem sonstigen Gemeinschaftsrecht - namentlich dem Sekundärrecht - kollidieren, vermögen diese nicht die Beeinträchtigung der Grundfreiheiten zu rechtfertigen. Als Öffnungsklausel für die Rechtfertigung mitgliedstaatlicher Maßnahmen könnte vor allem der Begriff „öffentliche Ordnung und (oder) Sicherheit" in Frage kommen. Diese gemeinschaftsrechtlichen Rahmenbegriffe sind indessen - gänzlich anders als im deutschen Recht - nach stRspr des EuGH eng auszulegen.212 Dies wird insbesondere aus dem Ausnahmecharakter hergeleitet. Es müssen staatliche Interessen von fundamentaler Bedeutung berührt sein,213 die die Grundinteressen der Gesellschaft 214 (öffentliche Ordnung) oder die innere oder äußere Sicherheit (öffentliche Sicherheit) betreffen. Nicht dazu gehört beispielsweise der Verbraucherschutz. 215 Die konkreten Umstände, die zB die Berufung auf den Begriff der öffentlichen Ordnung rechtfertigen, können von Land zu Land und im zeitlichen Wechsel verschieden sein. Deshalb billigt der EuGH den zuständigen innerstaatlichen Behörden einen Beurteilungsspielraum innerhalb der durch den EGV gesetzten Grenzen zu.216 Ist das nationale Recht durch Sekundärrecht vollständig harmonisiert worden, richtet sich die Rechtfertigung der Beeinträchtigungen nach dem Sekundärrecht und nicht nach dem nationalen Recht.217 IdR sind dann die Grundfreiheiten
211 Vgl Cremer NVwZ 2004, 668, 673. 212 Vgl etwa EuGH, Slg 1974, 1337, Rn 18 - Van Duyn; Slg 1977, 5, Rn 12 ff - Bauhuis; Slg 1981, 1625, Rn 7 - Kommission/Irland; Slg 1991, 1361, 1377 - Kommission/Griechenland. 213 Vgl Becker in: Schwarze Art 30 EGV Rn 11. 214 EuGH, Slg 2000,1-1335, Rn 17 - Scientologie. 215 Vgl EuGH, Slg 1984, 3651, Rn 1 8 f - K o h l l . 216 EuGH, Slg 1974, 1337, Rn 18 - Van Duyn; Slg 1977, 1999, Rn 33 - Bouchereau; DVB1 2004, 1476, Rn 31 - Omega = Ehlers JK 06/05, EGV Art 49/13. 217 Vgl EuGH, NJW 2004, 131, Rn 102 - DocMorris.
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bereits nicht anwendbar (Rn 54). Zur Anwendung der Schrankenregelungen im Falle einer Beeinträchtigung der Grundfreiheiten durch Private vgl Rn 46. c) Anderweitige gemeinschaftsrechtliche Schranken 86
Neben den ausdrücklichen Schrankenregelungen können auch andere Vorschriften des Gemeinschaftsrechts die Grundfreiheiten partiell zurückdrängen. So können die Grundfreiheiten mit den gleichen Rang genießenden Unionsgrundrechten kollidieren. Beispielsweise hat der E u G H in der Rechtssache Schmidberger (—» § 8 Rn 15, 21) eine Beeinträchtigung der Warenverkehrsfreiheit wegen des Nichteinschreitens der österreichischen Behörden gegen die Sperrung der Brenner-Autobahn durch Demonstranten für gerechtfertigt erachtet und sich hierbei auch und gerade auf die Grundrechte der Demonstranten auf Meinungsäußerung- und Versammlungsfreiheit berufen. Die Grundrechte seien geeignet, eine Beschränkung von Verpflichtungen zu rechtfertigen, die nach dem Gemeinschaftsrecht bestehen. 218 Die Grundrechte sollen demnach nicht nur der Ausfüllung der ausdrücklichen oder ungeschriebenen Schranken dienen, sondern auch selbständige Bedeutung haben können. Der Sache nach macht es keinen Unterschied aus, ob man die Grundrechte als selbständige Schrankenregelungen oder als Bestimmungsfaktoren respektive Auslegungsregeln für die Interpretation der Schrankenregelungen ansieht. Nicht hinreichend deutlich gemacht hat der EuGH, ob es sich um Unionsgrundrechte handeln muss oder ein nationaler Grundrechtschutz ausreichend ist. Da sich allein nach den Rahmenbestimmungen des Gemeinschafts- (Unions-)rechts bestimmt, welchen Schranken die Grundfreiheiten unterliegen, kommen als selbständige Schranken nur die Unionsgrundrechte in Betracht. 219 Die nationalen Grundrechte entfalten ihre Wirkung aber insofern, als sie dazu beitragen, die ausdrücklichen Schranken des EG-Vertrages (zB die Frage, was unter öffentlicher Ordnung oder unter öffentlicher Sicherheit zu verstehen ist) oder die ungeschriebenen Schranken zu konkretisieren. Hierbei ist freilich zu berücksichtigen, dass es nicht Aufgabe des E u G H oder des Gerichts erster Instanz ist, zu prüfen, ob eine nationale Maßnahme die nationalen Grundrechte verletzt.
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Ferner vermag sonstiges Primärrecht uU eine Beeinträchtigung der Grundfreiheiten zu rechtfertigen. So stellt ein nationales Gesetz, das den in bestimmten Teilen eines Staatsgebiets ansässigen Betrieben einen prozentualen Anteil an öffentlichen Lieferaufträgen garantiert, nicht nur eine Maßnahme gleicher Wirkung, sondern auch eine Beihilfe dar. Wendet man Art 28 (III-153 W E ) und Art 87 EGV (Art III-167 W E ) parallel an, können die besonderen Regelungen der Art 87 ff EGV (Art III-167 ff W E ) , insbesondere die Rechtfertigungsvorschriften, unterlaufen werden. Daher wird man in solchen Fällen davon auszugehen haben, dass sich das Ob der Förderung allein nach den Art 87 ff EGV (Art III-167 ff W E ) bestimmt, während das Wie, dh die nähere Ausgestaltung der Beihilfe, auch am Maßstab der Art 28 ff EGV (Art III-153 ff W E ) zu überprüfen ist.220
218 EuGH, Slg 2003,1-5659, Rn 74 - Schmidberger = Schock JK 11/03, EGV Art 28/3. 219 Vgl auch KadelbachlPetersen EuGRZ 2002, 213, 215 f. 220 Vgl Ehlers JZ 1992, 199 f. AA wohl EuGH, Slg 1990,1-889, Rn 22 ff - Du Pont de Nemours Italians.
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d) Ungeschriebene Schranken Fall 7: (EuGH, Slg 1998,1-1931 ff - Kohll) Nach luxemburgischen Recht werden die Kosten einer ärztlichen Behandlung im Ausland von der gesetzlichen Krankenversicherung nur erstattet, wenn auf einer Auslandsreise ein Notfall eintritt oder der Patient zuvor eine Genehmigimg der Krankenversicherung eingeholt hat. Der luxemburgische Staatsangehörige Κ möchte eine Zahnregulierung in Deutschland vornehmen lassen. Die Genehmigung hierfür ist ihm aber verweigert worden. Er möchte wissen, ob dies mit den Grundfreiheiten vereinbar ist.
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aa) Entwicklung der Rechtsprechung Entnimmt man einerseits den Grundfreiheiten nicht nur ein weites Diskriminierungs-, sondern auch ein weites Beschränkungsverbot und legt man andererseits die Schrankenregelungen des EG-Vertrages äußerst eng aus, führt dies zu einem sehr geringen Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten. Dies wird der Regelungsintention der Grundfreiheiten jedoch nicht gerecht. Der EuGH hat deshalb in der Cassis de £>(/'on-Entscheidung zwingende Erfordernisse der Mitgliedstaaten als ungeschriebene Rechtfertigungsgründe anerkannt (Rn 63, 74). Als solche wurden „insbesondere" die Erfordernisse einer wirksamen steuerlichen Kontrolle, des Schutzes der öffentlichen Gesundheit, der Lauterkeit des Handelsverkehrs und des Verbraucherschutzes hervorgehoben. Doch kommen auch sonstige im Allgemeininteresse liegende Zwecke mit Ausnahme rein wirtschaftlicher Gründe 221 in Betracht. Existiert Sekundärrecht der Europäischen Gemeinschaft, müssen sich die zwingenden Erfordernisse allerdings auch daran messen lassen. Die zunächst für den freien Warenverkehr entwickelten ungeschriebenen Schranken sind später auf alle anderen Grundfreiheiten übertragen worden, wobei die Terminologie ohne Unterschied in der Sache leicht variiert.222 Der Cassis-Rspr ist ein Wertungswiderspruch vorgeworfen worden, weil die enge Auslegung der ausdrücklichen Schrankenregelungen und die Verneinung ihrer Analogiefähigkeit nicht mit der großzügigen Anerkennung ungeschriebener Rechtfertigungsgründe in Einklang gebracht werden könne.223 In methodischer Hinsicht wird dafür plädiert, die ausdrücklichen Tatbestandsmerkmale „öffentliche Ordnung" und „öffentliche Sicherheit" erweiternd auszulegen.224 Doch wird das Vorgehen des Gerichtshofs jedenfalls dann verständlich, wenn man die geschriebenen Schrankenregelungen auf alle Formen der Beeinträchtigung, die ungeschriebenen Rechtfertigungsgründe dagegen nur auf bestimmte Beeinträchtigungen bezieht (vgl die folgenden Ausf)·
221 Vgl EuGH, Slg 1998,1-1831, Rn 39 - Decker; Slg 2000,1-151, Rn 33 - Schutzverband gegen den unlauteren Wettbewerb = Schoch JK 00, EGV Art 28/1. 222 Vgl für die Arbeitnehmerfreizügigkeit zB EuGH, Slg 1996,1-2617, Rn 19 - O'Flynn: „objektive Erwägungen"; für die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit EuGH, Slg 1991, 1-4221, Rn 15fT - Säger; Slg 1997, 1-3589, Rn 8 - Familiapress: „Allgemeininteresse" = Erichsen JK 98, EGV Art 30/1; Slg 1998, 1-1931, Rn 41 - Kohll; Slg 1999, 1-2835, Rn 19 - Pfeiffer: „zwingende Gründe des Gemeinwohls"; Slg 2003,1-4509, Rn 73 - Müller-Faure. 223 Vgl Kingreen (Fn 2) S 52, 120 f. 224 Vgl Schweitzer!Hummer ER Rn 1135.
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bb) Geltung der ungeschriebenen Schranken für diskriminierende Beeinträchtigungen 90
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Die Cass/s-Rspr ist für unterschiedslos anwendbare Maßnahmen, dh ausschließlich für nicht diskriminierende Beschränkungen, entwickelt worden.225 In vielen neueren Entscheidungen hat der EuGH den Rechtfertigungsgrund der zwingenden Erfordernisse auch auf versteckte Diskriminierungen bezogen.226 In der Literatur wird teilweise die Auffassung vertreten, dass jegliche Diskriminierung durch zwingende Erfordernisse gerechtfertigt werden kann.227 Diese Auffassung geht jedoch zu weit. Da offene Diskriminierungen besonders schwer wiegen und dem Binnenmarktkonzept diametral zuwiderlaufen, lassen diese sich nur durch ausdrückliche Schrankenregelungen rechtfertigen. Dagegen ist mit der überwiegenden Rspr in der neueren Zeit davon auszugehen, dass die zwingenden Gründe des Allgemeinwohls auch Grundlage für die Rechtfertigung versteckter Diskriminierungen sein können.228 Abgesehen davon, dass sich Beschränkungen und faktische Diskriminierungen nur schwer voneinander abgrenzen lassen, wäre ein geschlossener, nicht erweiterungsfähiger Kanon von Rechtfertigungsmotiven für die Fallgruppe der faktisch diskriminierenden Maßnahmen ebenso unangemessen wie im Falle der „reinen" Beschränkungen.229 In jedem Falle wirkt die Verhältnismäßigkeitsprüfung (Rn 96) als Korrektiv. Lösung Fall 7: Auch wenn das Gemeinschaftsrecht die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten zur Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit unberührt lässt, müssen die Grundfreiheiten beachtet werden. Das Genehmigungserfordernis wirkt grenzüberschreitend und berührt die Dienstleistungsfreiheit (Art 49 EGV/Art III-144 W E ) des Dienstleistungserbringers (Arzt) und Dienstleistungsempfängers (K). Da die luxemburgische Regelung auf den Ort der Behandlung, nicht die Nationalität des Erbringers oder Empfängers, anknüpft und die Kosten in Luxemburg praktizierender Ärzte aus dem EG-Ausland erstattet werden, liegt keine offene Diskriminierung vor. Die Regelung wirkt sich aber typischerweise nachteüig auf Angehörige anderer Mitgliedstaaten aus. Daher ist eine mittelbare Diskriminierung anzunehmen. Auch wenn nicht die Entgegennahme der Leistung durch den Patienten verboten, sondern nur die Erstattung der Kosten abgelehnt wird, liegt eine erhebliche Behinderung des Zugangs zu den Dienstleistungen vor. Somit stellt sich die Maßnahme auch als Beschränkung dar. Als Rechtfertigungsgründe kommen sowohl Art 46 EGV iVm Art 55 EGV (Art III-140 iVm 150 W E ) als auch die zwingenden Gründe des Allgemeininteresses in Betracht. Die
225 Vgl zB EuGH, Slg 1981, 1625, Rn 10 - Kommission/Irland; Slg 1994,1-1039, Rn 51 ff - Schindler; Slg 1999,1-6067, Rn 31 - Läärä. 226 Vgl EuGH, Slg 1999,1-7641, Rn 21 ff - Vestergaard; Slg 2003,1-721, Rn 21 ff - Kommission/Italien = Schoch JK 8/03, EGV Art 49/7; vgl auch EuGH, Slg 2001,1-2099, Rn 73 - PreussenElektra (dazu Frenz Rn 492 ff); NowaklSchnitzler EuZW 2000, 627 ff; Nowak VerwArch 93 (2002), 368, 374; Gundel Jura 2001, 79 ff - mit umfangreichen Nachw der Rspr; aA aber wohl EuGH, Slg 1999, 1-2517, Rn 16 - Ciola = Ehlers JK 00, EGV Art 49/1 (diskriminierende Maßnahmen lassen sich mit dem Gemeinschaftsrecht nur vereinbaren, wenn sie unter eine „ausdrücklich abweichende Bestimmung" fallen). 227 Vgl Weiß EuZW 1999, 493, 497; Hakenberg in: Lenz Art 49/50 EGV Rn 26; Leible in: Grabitz/ Hilf Art 28 EGV Rn 20; -> § 8 Rn 61. 228 Wie hier Boger Die Anwendbarkeit der Cassis-Formel auf Ungleichbehandlungen im Rahmen der Grundfreiheiten, 2004, S 197 ff. 229 Gundel Jura 2001, 79, 83.
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iVm 150 W E ) als auch die zwingenden Gründe des Allgemeininteresses in Betracht. Die luxemburgische Regelung soll dem Gesundheitsschutz, der Sicherstellung einer flächendeckenden Versorgung sowie der Erhaltung der finanziellen Leistungsfähigkeit des Sozialversicherungssystems dienen. Hierbei handelt es sich um relevante Gesichtspunkte und nicht nur um rein wirtschaftliche Gründe. Jedoch ist eine Geiahrdung der geschützten Interessen nicht ersichtlich. Das gilt auch für die Leistungsfähigkeit des Sozialversicherungssystems, wenn nur Behandlungskosten nach den Tarifen des Versicherungsstaats erstattet werden. Somit darf die luxemburgische Regelung nicht angewendet werden.230 e) Schranken-Schranken Fall 8: (EuGH, DVB12004, 1476 - Omega = Ehlers JK 6/05, EGV Art 49/13.) Die deutsche O-GmbH, die Spielhallen betreibt, ist dazu übergegangen, in eine Anlage mit dem Namen „Laserdrome" Unterhaltungsspiele mit simulierten Tötungshandlungen an Menschen zu betreiben, wobei die Spieler mit maschienenpistolenähnlichen Laserzielgeräten auf die an der Kleidung der Spieler angebrachten Sensorenempfanger zielen. In Großbritannien sind solche Spiele üblich. Die Berechtigung, das Spiel in Deutschland zu betreiben, hat Α von einer englischen Firma erworben. Außerdem wird die Ausrüstung der Spieler von der englischen Firma geliefert. Die zuständige deutsche Behörde hat den Betrieb des Spiels verboten, weil es menschenverachtend sei. Nach Anrufung der deutschen Gerichte, wendet sich das BVerwG an den EuGH mit der Frage, ob die Untersagung des Spiels mit den Grundfreiheiten des Gemeinschaftsrechts vereinbar ist. Dürfen die Grundfreiheiten beschränkt werden, unterliegt diese ihrerseits Gegenschranken respektive Schranken-Schranken. Darunter sind die Beschränkungen zu verstehen, die für die Verpflichteten der Grundfreiheiten (namentlich die Mitgliedstaaten) gelten, wenn sie dem Gebrauch der Grundfreiheiten (etwa wegen zwingender Erfordernisse) Schranken ziehen. Als Schranken-Schranken kommen namentlich die Unionsgrundrechte und die sonstigen Primärrechtsbestimmungen (Rn 94), das sekundäre Gemeinschaftsrecht (Rn 95) und vor allem der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Rn 96) in Betracht.
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aa) Unionsgrundrechte und sonstige Primärrechtsbestimmungen Die Grundfreiheiten können nur dann wirksam eingeschränkt werden, wenn die Maßnahmen auch den Anforderungen des primären Gemeinschaftsrechts im Übrigen gerecht werden. So muss die Gemeinschaft bei einer Einschränkung der Grundfreiheiten die Anforderungen der kompetenzrechtlichen Schrankentrias des Art 5 EGV (Art 1-11 W E ) beachten. Ferner sind die Unionsgrundrechte sowohl von den Gemeinschaften selbst als auch von den Mitgliedstaaten (bei Durchführung des Gemeinschaftsrechts) zu beachten (Rn 15). Die Unionsgrundrechte können nicht nur mit den Grundfreiheiten kollidieren (Rn 86), sondern auch den Schutz der Grundfreiheiten verstärken (§ 14 Rn 13). Dementsprechend hat der Gerichtshof entschieden, dass die Schrankenregelungen 211 und zwingenden Erfor-
230 Die Grundfreiheiten finden auch auf Krankenversicherungssysteme Anwendung, denen - wie das deutsche und anders als das luxemburgische - das Sachleistungsprinzip zugrunde liegt, EuGH, Slg 2001, 1-5473, Rn 55 - Geraets-Smits. Grundlegend zur Übernahme von Krankheitskosten im EU-Ausland neuerdings auch EuGH, Slg 2003,1-4509 - Müller-Faure. 231 EuGH, Slg 1991,1-2925, Rn 43 - ERT.
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dernisse232 „im Lichte der allgemeinen Rechtsgrundsätze und insbesondere der Grundrechte auszulegen sind." So stellen die Gesichtspunkte „Aufrechterhaltung der Medienvielfalt" und „Verbraucherschutz" grundsätzlich zwingende Erfordernisse dar. Wird aus diesen Gründen der Verkauf von Presseerzeugnissen mit anschließender Gewinnverlosung verboten, müssen daher die Auswirkungen auf das von der Gemeinschaftsrechtsordnung geschützte Grundrecht der Meinungsfreiheit in Rechnung gestellt werden. Dies gebietet die Einheitlichkeit der Gemeinschaftsrechtsordnung. 233 In der Rechtssache Carpenter (Rn25) hat der EuGH eine Beeinträchtigung der Dienstleistungsfreiheit deshalb für gemeinschaftsrechtswidrig erachtet, weil die Beeinträchtigung im konkreten Fall dem Grundrecht auf Achtung des Familienlebens widersprach. Die Unionsgrundrechte binden zwar die Union sowie die Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Gemeinschaftsrechts unmittelbar. Stets muss das Gemeinschafts- bzw Unionsrecht aber anwendbar sein. Begrenzen die Unionsgrundrechte die Einschränkbarkeit der Grundfreiheiten (§14 Rn 13), entfalten sie ihre Wirkung nicht als selbständige Gegenschranken, sondern als Auslegungsregeln für die Interpretation der Schrankenregelungen. Nicht zu prüfen ist vom EuGH oder vom Gericht erster Instanz, ob die Beschränkung der Grundfreiheiten mit den nationalen Grundrechten vereinbar ist (Rn 86). bb) Sekundäres Gemeinschaftsrecht 95
Ahnliches wie für die Unionsgrundrechte gilt für das sekundäre Gemeinschaftsrecht. Zwar sagt die Übereinstimmung einer Maßnahme mit dem sekundären Gemeinschaftsrecht nichts über die Vereinbarkeit mit den Grundfreiheiten aus (vgl Rn 51). Ein Mitgliedstaat (oder ein privater Verpflichtungsadressat der Grundfreiheiten) kann aber eine die Grundfreiheiten einschränkende Maßnahme dann nicht rechtfertigen, wenn und soweit gültiges Sekundärrecht ihm dies untersagt, zB weil Harmonisierungsmaßnahmen getroffen worden sind, die hinsichtlich des konkret verfolgten Schutzziels anderes vorsehen.234 Dies ergibt sich für die Mitgliedstaaten aus dem Vorrang des Gemeinschaftsrechts (Rn 9). Hat das Sekundärrecht in zulässiger Weise eine abschließende Regelung getroffen, fehlt den Mitgliedstaaten die Kompetenz zum Erlass abweichender Vorschriften.235 In diesen Fällen sind die Grundfreiheiten wegen des Anwendungsvorrangs des niederrangigen Rechts (Rn 54) ohnehin nicht anwendbar. cc) Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
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Schließlich muss die Beschränkung der Grundfreiheiten nach stRspr des EuGH verhältnismäßig sein.236 Die Notwendigkeit einer Verhältnismäßigkeitsprüfung lässt sich sowohl aus den Schrankenregelungen, die „gerechtfertigte" Maßnahmen verlangen (Art 30, 39
232 EuGH, Slg 1997,1-3689, Rn 24 - Familiapress = Erichsen JK 98, EGV Art 30/1. 233 Lackhoff (Fn 56) S 459 f; krit Kingreen (Fn 2) S 166 ff. 234 Vgl EuGH, Slg 1989, 617, Rn 7 ff - Schumacher; Slg 1994, 1-2039, Rn 12 ff - Kommission/ Deutschland; Slg 1994,1-5243, Rn 14 - Ortscheit; Slg 1996,1-2553, Rn 18 ff - Hedley Lomas. 235 Jarass EuR 2000, 705, 719 f, vgl aber Art 95 IV EGV. 236 Vgl dazu statt vieler Craiglde Bürca EU Law, 2. Aufl 2003, S 371 ff; Pache NVwZ 1999, 1033 ff; Jarass EuR 2000, 705, 721 ff; Schwab Der Europäische Gerichtshof und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, 2001; Koch Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Rechtssprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften, 2003; Frenz Rn 523 ff - jeweils mit zahlreichen Nachw der Rspr.
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III, 46 iVm 55, 58 I EGV/Art III-154, 133 III, 140 iVm 150, 158 I W E ) als auch aus dem Begriff der „zwingenden" Erfordernisse oder Gründe des Allgemeinwohls ableiten. Im Übrigen stellt der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (der auch als Übermaßverbot bezeichnet werden kann 237 ) einen allgemeinen Rechtsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts dar, der nicht nur die Kompetenzabgrenzung zwischen Europäischer Gemeinschaft und Mitgliedstaaten 238 , sondern auch und gerade die Grundrechte und damit zugleich die Grundfreiheiten betrifft, weil er sich aus den Freiheitsrechten (vgl zum künftigen Recht Art II-1121 W E ; —> § 14 Rn 50) und dem Rechtsstaatsprinzip (Art 1-2 W E ) herleiten lässt. Wie im deutschen Recht (und wohl in allen anderen entwickelten Rechtsordnungen) kommt es für die Beurteilung beeinträchtigender Maßnahmen zumeist entscheidend auf die Verhältnismäßigkeitsprüfung an. Die Verhältnismäßigkeit einer Maßnahme setzt zunächst voraus, dass legitime Zwecke verfolgt werden. Sodann müssen die eingesetzten Mittel als solche eingesetzt werden dürfen. Schließlich muss der Einsatz des Mittels zur Erreichung des Zwecks geeignet, erforderlich und angemessen sein.239 Geeignetheit bedeutet, dass das Mittel den Zweck fördern muss. Erforderlich ist ein Mittel, wenn der Zweck nicht durch eine geringere Belastung bei gleicher Wirksamkeit erreicht werden kann. Als angemessen ist eine Maßnahme anzusehen, wenn sie in einem recht gewichteten und wohl abgewogenen Verhältnis zu dem Gewicht und der Bedeutung der Grundfreiheit steht. Der EuGH und das Gericht erster Instanz prüfen die Verhältnismäßigkeit einer Beeinträchtigung der Grundfreiheiten sehr viel grobmaschiger als im deutschen Recht (vgl auch —» § 14 Rn 50). Da das Sekundärrecht kaum am Maßstab der Grundfreiheiten gemessen wird (Rn 7), kommt es in aller Regel auch nicht zu einer Überprüfung der Verhältnismäßigkeit der Regelungen. Soweit der EuGH eine Bindung Privater an die Grundfreiheiten anerkennt (Rn 45), existiert noch keine ausgeformte Rspr, aus der sich ergibt, welche Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit zu stellen sind. Werden die Grundfreiheiten durch die Mitgliedstaaten beeinträchtigt, wird diesen zumeist eine weite Einschätzungsprärogative zugestanden. Manche Entscheidungen ähneln an den Wednesbury-Test des englischen Rechts (der sich mit der Überprüfung begnügt, ob eine Maßnahme vernünftig oder irrational ist).240 Allerdings hängt das Ausmaß der Prüfung mit von der Gewichtigkeit der mitgliedstaatlichen Interessen ab. So ist der Kontrollmaßstab tendenziell strenger, wenn es um die Freiheit des Waren-, Dienstleistungs-, Kapital- oder Zahlungsverkehrs (und nicht um die Arbeitnehmerfreizügigkeit oder Niederlassungsfreiheit) sowie um offene Diskriminierungen (und nicht unterschiedslos anwendbare Beeinträchtigungen) geht.241 Dies dürfte darauf zurückzuführen sein, dass die Arbeitnehmerfreizügigkeit und Niederlassungsfreiheit die Interessen der Mitgliedstaaten besonders stark berühren. Andererseits lassen sich für offene Diskriminierungen kaum überzeugende Gründe finden. Vor allem aber ist festzustellen, dass sich die Rspr im Falle des Bestehens legitimer Zielsetzungen vielfach mit einer zweistufigen Prüfung begnügt, dh mit einer Überprüfung der Geeignetheit und Erforderlichkeit, nicht aber der Angemessenheit der Maßnahme. 242 Maßgebend ist in aller 237 238 239 240 241 242
Zur Terminologie vgl Krebs Jura 2001, 228 ff. Art 5 III EGV (Art 1-11 IV W E ) . Vgl auch EuGH, Slg 1989,2237, Rn 21 - Schräder; Slg2001,1-837, Rn 31 f - Mac Quen. Vgl ν Dannwitz EWS 2003, 393, 397. Vgl auch Jarass EuR 2000, 705, 723. Typisch EuGH, Slg 2003, 1-10155, Rn 133 mwN - Inspire Art = Ehlers JK 6/04, EGV Art 43/4. Krit statt vieler ν Dannwitz EWS 2003, 393, 395 ff. Teilweise wird die Angemessenheit zwar erwähnt, aber durch die Erforderlichkeit definiert, vgl EuGH, Slg 2003, 1-4581, Rn 69 - Kommission/Spanien; EuZW 2004, 499, Rn 35 f - Loi Evin; Frenz Rn 534.
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Regel die Erforderlichkeitsprüfung, also die Frage, ob das angestrebte Ziel durch weniger restriktive Mittel erreicht werden kann. Der Umstand, dass andere Mitgliedstaaten weniger strenge Schutzvorschriften erlassen haben, spricht noch nicht gegen die Erforderlichkeit.243 Nicht erforderlich ist eine nationale Regelung aber zB, wenn das Ziel der Maßnahme durch gleichwertige Anforderungen des Herkunftsstaates erreicht wird.244 So bedarf es keiner erneuten Überprüfung von Personen und Produkten, wenn bereits ausreichende Kontrollen im Herkunftsland durchgeführt worden sind.245 Die Beeinträchtigung der Niederlassungsfreiheit einer in einem anderen Mitgliedstaat gegründeten Gesellschaft aus Gründen des Gläubigerschutzes wegen einer geringeren Mindestkapitalausstattung ist dann nicht erforderlich, wenn die Gesellschaft als eine solche ausländischen Rechts auftritt. Die potentiellen Gläubiger sind in diesem Falle hinreichend darüber unterrichtet, dass andere Mindestkapitalaufbringungs- und -erhaltungsvorschriften als im Inland gelten.246
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Lösung Fall 8: In Betracht kommt ein Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit (Art 49 EGV/Art III-144 W E ) und die Freiheit des Warenverkehrs (Art 28 EGV/Art III-153 W E ) . 1. Schutzbereich der Dienstleistungsfreiheit: Die Grundfreiheiten setzen das Vorliegen eines grenzüberschreitenden Sachverhalts voraus. Ein solcher ist hier gegeben, weil die O-GmbH ihr „Laserdrome" in der von einer englischen Firma entwickelten und vermarkteten Spielvariante betreibt. Sachlich umfasst die Dienstleistungsfreiheit das Erbringen von Leistungen, die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden, soweit sie nicht den Vorschriften über den freien Waren- und Kapitalverkehr und über die Freizügigkeit der Personen unterliegen (Art 50 I EGV/Art III-145 I W E ) . Das trifft auf die Vermarktung des englischen Spiels zu. Da sich nicht nur der Erbringer, sondern auch der Empfänger (hier die deutsche Gesellschaft) im Falle der Erbringung von Dienstleistungen auf die Freiheit berufen kann, ist der Schutzbereich der Dienstleistungsfreiheit betroffen. 2. Schutzbereich der Freiheit des Warenverkehrs: Da Spielausrüstung eine Ware darstellt, fällt der Erwerb der Ausrüstung aus Großbritannien unter die durch Art 28 EGV (Art ΙΠ153 W E ) geschützte Freiheit des Warenverkehrs. Durch die ergangene Untersagung kann die O-GmbH davon abgehalten werden, die fragliche Ausrüstung zu erwerben. Nach der Rspr des EuGH kann eine nationale Maßnahme, wenn sie sowohl den freien Dienstleistungen und den Dienstleistungs- als auch den Warenverkehr beeinträchtigen, nur im Hinblick auf eine der beiden Grundfreiheiten zu prüfen sein, wenn sich herausstellt, dass im konkreten Fall eine der beiden Freiheiten der anderen gegenüber völlig zweitrangig ist und ihr zugeordnet werden kann (EuGH, Slg 1994,1-1039, Rn 22 - Schindler). Dies trifft hier zu, da die Einfuhr von Waren nur hinsichtlich der speziell für die untersagte Laserspielvariante entwickelte Ausrüstung beschränkt wird und dies eine zwangsläufige Folge der Beschränkung in Bezug auf die von der englischen Firma erbrachten Dienstleistungen ist.
243 Vgl EuGH, Slg 1995, 1-1141, Rn 50ff - Alpine Investments; Slg 1996, 1-6511, Rn 42 - Broede; Slg 1999,1-7289, Rn 34 - Zenatti; Slg 2001,1-837, Rn 33 f - Mac Quen; EuZW 2004,499, Rn 37 - Loi Evin. 244 Vgl EuGH, Slg 1991,1-4221, Rn 15 ff - Säger; Slg 1994,1-4249, Rn 19 - Houtwipper; Slg 1995, 1-4186, Rn 38 f - G e b h a r d . 245 EuGH, Slg 1991,1-2357, Rn 15 ff - Vlassopoulou. 246 Vgl EuGH, Slg 2003,1-10155, Rn 135 - Inspire Art = Ehlers JK 6/04, EGV Art 43/4; näher dazu DeDiego Die Niederlassungsfreiheit von Scheinauslandsgesellschaften in der Europäischen Gemeinschaft, 2004, 124 ff.
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Allgemeine Lehren
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3. Beeinträchtigung des Schutzbereichs der Dienstfreiheit: Die Untersagungsverfügung der deutschen Behörde ist ohne Ansehen der Staatangehörigkeit des Erbringers oder des Empfängers der Dienstleistung ergangen. Es liegt somit keine Diskriminierung, sondern eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs vor. 4. Rechtfertigung der Beeinträchtigung: Die Untersagungsverfügung ist zwar auf ein deutsches Gesetz gestützt worden (§ 14 I OBG NRW). Dieses müsste aber eine zulässige Schrankenregelung der Dienstleistungsfreiheit konkretisieren. Nach Art 55 iVm 46 EGV (Art III-150 iVm 140 W E ) darf die Dienstleistungsfreiheit aus Gründen der öffentlichen Ordnung beschränkt werden. Der Begriff ist eng zu verstehen. Es muss eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahrdung vorliegen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Das von der deutschen Behörde verfolgte Ziel, die Menschenwürde zu schützen, ist „unzweifelhaft" mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar, ohne dass es insoweit eine Rolle spielt, dass in Deutschland der Grundsatz der Achtung der Menschenwürde die besondere Stellung eines selbständigen Grundrechts (Art 1 I GG) zukommt (vgl zum künftigen Recht Art 11-61 W E ) . Die Maßnahme ist auch geeignet, die Menschenwürde zu schützen. Nicht erforderlich ist eine Untersagungsverfügung, wenn das verfolgte Ziel mit Maßnahmen erreicht werden kann, die den freien Dienstleistungsverkehr weniger einschränken. Hierbei müssen aber nicht alle Mitgliedstaaten die gleiche Auffassung vertreten. Die Erforderlichkeit scheitert daher nicht bereits schon daran, dass in Großbritannien das Spiel betrieben werden kann. Vielmehr ist zu untersuchen, ob die Maßnahme über das hinausgeht, was zur Erreichung des von der zuständigen Behörde verfolgten Ziels erforderlich ist. Ein milderes Mittel ist hier nicht ersichlich, da die Untersagungsverfügung nur eine bestimmte Variante des Laserspiels betrifft (Verbot auf menschliche Ziele zu schießen und somit das Töten von Menschen zu spielen). Auch gegen die Angemessenheit der Maßnahme bestehen keine Bedenken. Somit verstößt die behördliche Verfügung nicht gegen die Dienstleistungsfreiheit. 4. Schematische
Zusammenfassung
Fasst man die Überlegungen zusammen, sollten die Grundfreiheiten wie folgt geprüft werden: I. Schutzbereich der Grundfreiheit 1. Sachlicher Schutzbereich a) Kein abschließendes primärrechtskonformes Sekundärrecht b) Vorliegen eines grenzüberschreitenden Sachverhalts c) Vorliegen einer sachlich geschützten Tätigkeit ggf Abgrenzung der Grundfreiheiten voneinander d) Keine missbräuchliche Inanspruchnahme der Grundfreiheit 2. Persönlicher Schutzbereich 3. Räumlicher Schutzbereich 4. Zeitlicher Schutzbereich II. Beeinträchtigung des Schutzbereichs 1. Handeln, Dulden oder Unterlassen eines Verpflichteten Alternativ: Abhandlung im Rahmen der Prüfung des persönlichen Schutzbereichs 2. Vorliegen einer Diskriminierung a) Offene Diskriminierung b) Versteckte Diskriminierung 3. Vorliegen einer Beschränkung a) Dassonville-Formel oder entsprechende Umschreibungen
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b) Keine Ausklammerung iSd .Kecfc-Rspr c) Hinreichende Nähebeziehung III. Rechtfertigung der Beeinträchtigung 1. Erfordernis einer Ermächtigungsgrundlage a) Grundlage im Sekundärrecht b) Gesetzliche Grundlage im mitgliedstaatlichen Recht 2. Ausdrückliche Schranken 3. Anderweitige gemeinschaftsrechtliche Schranken 4. Ungeschriebene Schranken a) Offene Diskriminierungen (nur durch ausdrückliche Schranken) b) Versteckte Diskriminierungen und Beschränkungen (auch durch ungeschriebene Schranken) c) Beschränkungen (auch durch ungeschriebene Schranken) 5. Schranken-Schranken a) Unionsgrundrechte und sonstige Primärrechtsbestimmungen b) Sekundäres Gemeinschaftsrecht c) Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
VIII. Rechtsschutz 1. Rechtsschutzmöglichkeiten
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des Einzelnen
Fall 9: In der Stadthalle der Gemeinde G findet einmal im Jahr ein beliebter Regionalmarkt statt, auf dem typische Produkte aus der Region veräußert werden. Betrieben wird die Stadthalle von einer gemeindeeigenen GmbH. Deren Bestimmungen sehen vor, dass Mietverträge für die Marktstände nur mit regionalen Betrieben geschlossen werden. Κ stellt in einer Fabrik in Portugal Trachtenbekleidung her, darunter auch Jacken, die in der Region von G traditionell getragen werden. Diese Jacken möchte er auf dem kommenden Regionalmarkt in G anbieten. Die GmbH hat auf seine Anfrage jedoch erklärt, dass er nicht berücksichtigt werden könne, da sein Betrieb nicht aus der Region stamme. Κ fragt, auf welchem Rechtsweg er gegen G vorgehen kann. Da die Grundfreiheiten unmittelbar anwendbar sind (Rn 7) und dem Einzelnen Rechte verleihen (Rn 8), kann sich dieser gegen eine Verletzung der Grundfreiheiten vor Gericht zur Wehr setzen. Richtet sich das Rechtsschutzbegehren gegen eine mitgliedstaatliche Maßnahme, sind die jeweiligen mitgliedstaatlichen Gerichte zuständig. Der Rechtsweg bestimmt sich nach nationalem Prozessrecht.247 In Deutschland sind (vorbehaltlich abdrängender Sonderzuweisungen) die Verwaltungsgerichte zuständig, weil sich die Grundfreiheiten als primär staatsbezogene, sekundär gemeinschaftsbezogene Vorschriften (Rn 43 ff) iSd Kriterien der Subjektstheorie 248 als öffentlich-rechtliche Vorschriften darstellen oder zumindest solchen Vorschriften gleichzustellen sind und diesbezügliche Streitigkeiten somit als öffentlich-rechtliche nichtverfassungsrechtlicher Art anzusehen sind. An der Betrachtungsweise ändert sich nichts, wenn die Mitgliedstaaten privatrechtlich in Erschei-
247 Zu den Einwirkungen des Gemeinschaftsrechts vgl Ehlers DVB12004, 1441 ff. 248 Ehlers in: Erichsen/Ehlers (Fn 31) § 2 Rn 17 ff.
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Allgemeine Lehren
nung treten und hierbei die Grundfreiheiten verletzen. Sollten die Grundfreiheiten - nicht nur partiell - unmittelbare Drittwirkung entfalten können (abl Rn 46), müssten sie nach der hier vertretenen Ansicht der Kategorie des gemeinsamen Rechts zugeschlagen werden.249 Dies würde bedeuten, dass sie dem Privatrecht zuzuordnen wären, wenn ein Privater verpflichtet wird, dem öffentlichen Recht, wenn Verpflichtungsadressat ein Träger von Staatsgewalt oder supranationaler Gewalt ist. Die hM müsste demgegenüber konsequenterweise stets Jedermannsrecht und damit Privatrecht annehmen. Ist die Auslegung der Grundfreiheiten nicht zweifelsfrei, können oder müssen sich die nationalen Gerichte im Wege des Vörabentscheidungsverfahrens gem Art 234 EGV (Art III-369 W E ) an den EuGH wenden. Die Verletzung einer Grundfreiheit durch deutsche Staatsgewalt kann auch zu einer Verletzung deutscher Grundrechte führen. Darf sich zB ein EG-Ausländer auf deutsche Grundrechte berufen 250 und liegt ein Grundrechtseingriff vor, führt die Verletzung einer Grundfreiheit wegen des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts dazu, dass sich der Grundrechtseingriff nicht rechtfertigen lässt. Demgemäß können Verletzungen der Grundfreiheiten auch mittels Erhebung einer Verfassungsbeschwerde geltend gemacht werden, wenn und soweit zugleich eine Beeinträchtigung nationaler Grundrechte vorliegt. Dies zeigt ein weiteres Mal die Verzahnung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnung mit der Gemeinschaftsrechtsordnung. Wendet sich der Einzelne gegen das Verhalten fremder Mitgliedstaaten, können grandsätzlich nur deren Gerichte Rechtsschutz gewähren. Anders ist die Rechtslage, wenn die fremden Mitgliedstaaten im Inland tätig werden und nicht hoheitlich in Erscheinung treten.251 So haben die deutschen Gerichte gem Art 5 Nr 5 VO (EG Nr 44/2001)252 über Klagen gegen öffentliche Unternehmen aus dem europäischen Ausland zu entscheiden, wenn diese von einer Niederlassung in der Bundesrepublik aus tätig werden. Kontrollmaßstab können auch die Grundfreiheiten sein. Rügt der Einzelne eine Verletzung des Gemeinschaftsrechts durch die Europäischen Gemeinschaften, kommt nur eine Nichtigkeitsklage gem Art 230 IV EGV (Art III-364 IV W E ) in Betracht, die gem Art 225 EGV (Art III-358 W E ) vor dem Gericht erster Instanz zu erheben wäre. Voraussetzung ist, dass eine an den Betroffenen adressierte Entscheidung oder eine Entscheidung vorliegt, die, obwohl sie als Verordnung oder als eine an eine andere Person gerichtete Entscheidung ergangen ist, den Einzelnen unmittelbar und individuell betrifft. Zum künftigen Recht vgl Art III-365 IV W E (Eröffnung des Rechtsweges auch gegen Verordnungen, die den Einzelnen unmittelbar betreffen und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen). 2. Durchsetzung der Grundfreiheiten durch die und die übrigen Mitgliedstaaten
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EG-Kommission
Neben den individuell Beeinträchtigten kann auch die EG-Kommission im Wege eines Vertragsverletzungsverfahrens gem Art 226 EGV (Art III-360 W E ) die Beachtung der Grundfreiheiten durch die Mitgliedstaaten durchsetzen. Dieselbe Möglichkeit steht den
249 Vgl Ehlers in: Erichsen/Ehlers (Fn 31) § 2 Rn 23. 250 Näher dazu Wemsmann Jura 2000, 657 ff. 251 Bei hoheitlichem Auftreten genießen die fremden Staaten Immunität. Vgl BVerfGE 16, 27, 61 f.
Näher zum Ganzen Ehlers (Fn 35) S 7 ff. 252 Sart II Nr 161.
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Dirk Ehlers
Mitgliedstaaten nach Art 227 EGV (Art III-361 W E ) zu, wenn sie der Auffassung sind, dass andere Mitgliedstaaten gegen eine Grundfreiheit verstoßen haben. Schließlich können auch die Mitgliedstaaten und EG-Organe nach Maßgabe des Art 230 II u III EGV (Art III-365 II u III W E ) Nichtigkeitsklage erheben.
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Lösung Fall 9: In Betracht kommen der Verwaltungsrechtsweg gem § 40 I 1 VwGO und der Weg zu den ordentlichen Gerichten nach § 13 GVG. Die Verwaltungsgerichte sind danach zuständig für öffentlich-rechtliche Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art. Die ordentlichen Gerichte entscheiden über bürgerliche Rechtsstreitigkeiten. Eine Streitigkeit ist öffentlich-rechtlich, wenn sie nach Maßgabe öffentlichen Rechts zu entscheiden ist. Hierbei kommt es auf den öffentlich-rechtlichen Charakter des geltend gemachten Anspruchs an. Κ begehrt von G, ihm durch Einwirkung auf die Betreibergesellschaft Zugang zu dem Regionalmarkt zu verschaffen. Somit kommen Ansprüche aus den kommunalrechtlichen Benutzungsbestimmungen und aus Art 3 1 G G in Betracht. Diese Ansprüche sind öffentlich-rechtlicher Natur, so dass der Verwaltungsrechtsweg gegeben ist. Hinzu kommt ein möglicher Anspruch aus Art 28 EGV (Art III-153 W E ) wegen Beeinträchtigung der Warenverkehrsfreiheit. Würde man die Grundfreiheiten dem Jedermannsrecht und damit dem Privatrecht zuordnen, wäre dieser Anspruch bürgerlich-rechtlichen Charakters, so dass die ordentlichen Gerichte hierüber zu entscheiden hätten. Da gem § 17 II 1 GVG das Gericht des zulässigen Rechtswegs (zur Vermeidung einer Rechtswegspaltung) auch für rechtswegfremde Ansprüche zuständig ist, hätte Κ ein Wahlrecht, an welche Gerichtsbarkeit er sich wendet. Nach hier vertretener Auffassung sind die Grundfreiheiten jedoch dem öffentlichen Recht zuzuordnen. Daher ist nur der Verwaltungsrechtsweg gegeben (es sei denn, es stehen weitere privatrechtliche Anspruchsgrundlagen - etwa § 826 BGB oder § 19 IGWB - zur Verfügung).
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§8 Freiheit des Warenverkehrs Astrid Epiney Leitentscheidungen: EuGH, Slg 1974, 837ff - Dassonville; Slg 1979, 649fF - Cassis de Dijon; Slg 1993, 1-6097ff - Keck; Slg 1995, I-1923ff - Mars; Slg 1997, I-3843fT - de Agostini; EuGH, NJW 2004, 131 fT - DocMorris. Schrifttum: Ahlfeld Zwingende Erfordernisse im Sinne der Cassis-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Art 30 EGV, 1997; Frenz Handbuch Europarecht. Bd I., Europäische Grundfreiheiten, 2004; Füller Grundlagen und inhaltliche Reichweite der Warenverkehrsfreiheiten nach dem EGVertrag, 2000; Hoffmann Die Grundfreiheiten des EG-Vertrags als koordinationsrechtliche und gleichheitsrechtliche Abwehrrechte, 2000; Kingreen Die Struktur der Grundfreiheiten des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999; Millarg Die Schranken des freien Warenverkehrs in der EG, 2001.
Die Freiheit des Warenverkehrs wird nach der Konzeption des EG-Vertrages durch eine ganze Reihe von Bestimmungen gewährleistet: Art 25 ff EGV enthalten die für die Zollunion maßgeblichen Vorschriften. Im Einzelnen ist hier einerseits der Abbau von Ein- und Ausfuhrzöllen sowie von Abgaben gleicher Wirkung (Art 25 EGV/Art III-151 IV W E ) , andererseits die Einführung eines Gemeinsamen Zolltarifs gegenüber Drittstaaten (Art 26 EGV/Art III-151 V W E ) vorgesehen. Während Art 25 EGV (Art III-151 IV W E ) unmittelbar wirksam ist, Einzelnen entsprechende Rechte verleiht und insofern dieselben Charakteristika wie die Grundfreiheiten 1 aufweist, 2 wird der Gemeinsame Zolltarif (notwendigerweise) durch gemeinschaftliches Sekundärrecht eingeführt. 3 Das Verbot der mengenmäßigen Ein- und Ausfuhrbeschränkungen und der Maßnahmen gleicher Wirkung (Art 28-30 EGV/Art III-153-154 W E ) ergänzt das in Art 25 EGV (Art III-151 IV W E ) ausgesprochene Verbot der tarifären durch ein solches der nichttarifären Handelshemmnisse und liefert somit einen wesentlichen Beitrag zur Öffnung der Märkte in Bezug auf die grenzüberschreitende Warenzirkulation. Art 31 EGV (Art III-155 W E ) schließlich sieht die Umformung staatlicher Handelsmonopole vor. Diese die Verbote der tarifären und nicht tarifären Handelshemmnisse ergänzende Bestimmung soll verhindern, dass das Verhalten staatlicher Handelsmonopole die Wirksamkeit der Regeln über den freien Warenverkehr einschränkt. 4 Die folgenden Ausführungen beschränken sich - im Sinne der Anlage dieses Bandes auf den an zweiter Stelle genannten Aspekt, dem im Übrigen auch in der (gerichtlichen) Praxis die weitaus größte Bedeutung zukommt. In Bezug auf die inhaltliche Tragweite der Art 28, 29 E G V (Art III-153 W E ) kann - entsprechend den ausgeführten allgemeinen Lehren (—> § 7 Rn 50ff) - zwischen Schutzbereich (1.), Beeinträchtigung (2.) und Recht-
1 -> Zum Begriff § 7 Rn 7. 2 Während der Begriff der Zölle relativ klar ist, wirft derjenige der Abgaben gleicher Wirkung einige Fragen auf. Vgl hierzu mwN aus der Rspr Epiney in: Bieber/Epiney/Haag EU § 13 Rn 20 fT. 3 Vgl hierzu ausf Voß in: Grabitz/Hilf Art 23 EGV Rn 17 fT. 4 Allerdings werden staatliche Handelsmonopole nicht verboten, sondern (auch) den Regeln des freien Warenverkehrs unterstellt. Vgl im Einzelnen zu der Bestimmung und ihrer Auslegung durch den EuGH mwN Epiney in: Calliess/Ruffert Art 31 EGV.
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Astrid Epiney fertigung (3.) unterschieden werden. Dabei werden die bereits allgemein ausgeführten Probleme nur am Rande angesprochen, so dass der Akzent auf den für den Bereich des Warenverkehrs spezifischen oder besonders relevanten Fragestellungen liegt.
I. Schutzbereich 6
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Der räumliche Anwendungsbereich der Art 28, 29 EGV (Art III-153 W E ) ergibt sich aus Art 299 EGV (Art IV-440 W E ) und entspricht damit dem Geltungsbereich des EG-Vertrags.5 Art 23 II EGV (Art III-151 II W E ) ist der sachliche Anwendungsbereich der Art 28, 29 EGV (Art III-153 W E ) zu entnehmen. Danach sind zwei Aspekte von Bedeutung: Erstens muss es sich um eine „Ware" handeln. Dieser Begriff wird im Vertrag nicht definiert; allerdings ist er durch die Rechtsprechung des EuGH 6 einer gewissen Klärung zugeführt worden. Danach sind unter Waren bewegliche körperliche Sachen zu verstehen, denen grundsätzlich ein Geldwert zukommt, so dass sie Gegenstand von Handelsgeschäften sein können. Der EuGH legt hier teilweise aber auch eine pragmatische Sicht zugrunde, so wenn er die Warenqualität von Abfall wegen der ansonsten auftretenden Abgrenzungsschwierigkeiten - Abfall kommt manchmal, aber nicht immer ein Geldwert zu, und diese Beurteilung kann sich auch recht schnell ändern - bejaht.7 Elektrischer Strom und Gas sind ebenfalls als Ware anzusehen,8 wofür insbesondere ihre Handelsfähigkeit und ihre praktische Handhabung als geldwertes Gut sprechen. Hinzuweisen ist allerdings darauf, dass diesen Abgrenzungsfragen insofern keine große praktische Relevanz zukommen dürfte, als im Falle der Verneinung der Einschlägigkeit des Art 28 EGV (Art III-153 W E ) die Dienstleistungsfreiheit (Art 49 EGV/Art III-144 W E ) zum Zuge käme. Auch wenn es um bewegliche Sachen geht, kann die Wareneigenschaft und damit die Einschlägigkeit von Art 28, 29 EGV (Art III-153 W E ) dann zu verneinen sein, wenn der beweglichen Sache als solcher gar keine Bedeutung und kein bzw ein vergleichsweise zu vernachlässigender Wert zukommt, insb weil der Schwerpunkt der wirtschaftlichen Tätigkeit auf einem anderen Gebiet zu suchen ist. So ist etwa die Beschlagnahme von Lotterielosen und des diesbezüglichen Werbematerials im Gefolge der Anwendung eines allgemeinen Verbots von Lotterieveranstaltungen nicht unter dem Gesichtspunkt der Warenverkehrs-, sondern demjenigen der Dienstleistungsfreiheit zu prüfen, steht doch die Versendung der Materialien in untrennbarem Zusammenhang mit der Durchführung von Lotterieveranstaltungen.9 Hingegen ist die Wareneigenschaft zu bejahen, wenn ein Produkt als „Speicherungsbehälter" dient, wie etwa bei Schallplatten.10 Zweitens muss die Ware entweder aus den Mitgliedstaaten stammen oder aber - im Fall von aus Drittstaaten stammenden Waren - sich in den Mitgliedstaaten im freien Verkehr befinden. Der Nachweis des Gemeinschaftscharakters der Waren ist im Einzelnen im Zollkodex geregelt."
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- » I m Einzelnen § 7 Rn 48. Vgl etwa EuGH, Slg 1999,1-7319, Rn 30 ff - Jägerskiöld. EuGH, Slg 1992,1-4431, Rn 22 ff - Kommission/Belgien = Kunig JK 93, EWGV Art 30/3. EuGH, Slg 1994,1-1477, Rn 28 - Almelo; EuGH, Slg 2001,1-2099, Rn 68 ff - Preussen Elektra. EuGH, Slg 1994,1-1039, Rn 22 f - Schindler. Hierzu und zur Abgrenzung von den „Erfindungen" Voß in: Grabitz/Hilf Art 23 E G V R n 12. Hierzu ausf Voß in: Grabitz/Hilf Art 23 E G V Rn 16 ff.
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Freiheit des Warenverkehrs Noch nicht abschließend geklärt ist die Frage, ob die Wareneigenschaft aus ethischen Gründen ausgeschlossen werden soll.' 2 Diese Problematik wird etwa bei Leichen oder auch bei Embryonen oder Stammzellen relevant und kann sich entsprechend auch im Rahmen anderer Grundfreiheiten stellen. Im Ergebnis sprechen die besseren Gründe gegen eine grundsätzliche Einschränkung des WarenbegrifTs aus ethischer Sicht: Zunächst ist die Frage der möglichen Reichweite einer solchen Einschränkung kaum wirklich allgemein-abstrakt und damit vorhersehbar zu beantworten, differieren doch die Ansichten darüber, was „ethisch" ist und was nicht, erheblich, wie die derzeitige Diskussion über die Stammzellen exemplarisch aufzuzeigen vermag. Weiter und insbesondere geht die Systematik der Art 28 ff EGV (Art III-153 W E ) davon aus, dass solche Probleme im Rahmen der Rechtfertigung zu lösen sind, nimmt doch Art 28 EGV (Art III-153 W E ) grundsätzlich gerade keine Rücksicht auf die rechtliche Einordnung eines bestimmten Produkts in einem Mitgliedstaat. Diesem Aspekt wird vielmehr auf der Rechtfertigungsebene (Art 30 EGV/III-154 W E und zwingende Erfordernisse, insbesondere öffentliche Ordnung) Rechnung getragen. Daher erscheint es sinnvoller, die möglicherweise bestehende ethische Fragwürdigkeit des Handels mit bestimmten Produkten auf dieser Ebene zu lösen; auf diese Weise kann dann auch der unterschiedlichen Beantwortung solcher Fragen durch die Mitgliedstaaten Rechnung getragen werden.
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Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang sodann auf Sonderregelungen für spezifisehe Waren und Bereichsausnahmen: Erstere bestehen hinsichtlich der dem EAG-Vertrag unterfallenden Waren, wobei aber dieser Vertrag ebenfalls den Abbau der Binnenschranken vorsieht. In Erwägung ziehen könnte man, die Vorschriften des EG-Vertrages jedenfalls subsidiär anzuwenden, 13 was dann in Betracht kommt, wenn die konkreten Garantien des EG-Vertrages weiter gehen.14 Auf die landwirtschaftlichen Erzeugnisse finden ua die Vorschriften über den freien Warenverkehr soweit Anwendung, als Art 33-38 EGV (Art III-227—232 W E ) nichts Abweichendes bestimmen (Art 32 II EGV/Art III-226 II W E ) . Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass der Handel mit Waffen, Munition und Kriegsmaterial gemäß Art 296 I lit b) EGV (Art III-436 I lit b W E ) eingeschränkt werden kann. Auch die Anwendbarkeit der Art 28 ff EGV (Art III-153 ff W E ) setzt im Übrigen nach der Rechtsprechung des EuGH einen grenzüberschreitenden Sachverhalt voraus.15 Sog „umgekehrte Diskriminierungen" - dh solche Fälle, in denen inländische Erzeugnisse im Gefolge der Anwendung des Gemeinschaftsrechts (zB des Art 28 EGV/Art III-153 W E ) schlechter gestellt sind als aus dem EU-Ausland eingeführte Waren - sind danach aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht zulässig. In Anbetracht der Entwicklung des Gemeinschaftsrechts - insb der Einführung des Ziels der Errichtung eines „grenzenlosen" Binnenmarktes - dürfte jedoch das ausschließliche Abstellen auf eine Grenzüberschreitung als Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts seinem Stand nicht mehr Rechnung tragen. Angemessener wäre hier eine differenzierendere Betrachtungsweise, so dass das Fehlen eines grenzüberschreitenden Elements zwar bei der Art und
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12 Zu diesem Problem Frenz Handbuch Europarecht Bd I Rn 701 f. 13 So Voß in: Grabitz/Hilf Art 23 EGV Rn 14. 14 So enthält der EAG-Vertrag etwa nur ein Verbot mengenmäßiger Beschränkungen, nicht aber Maßnahmen gleicher Wirkung. 15 Hierzu bereits im Einzelnen § 7 Rn 20, 25; vgl aus der Rspr speziell zu Art 28 EGV, EuGH, Slg 1987, 809, Rn 12 - Mathot; Slg 1987, 995, Rn 7 - Rousseau.
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§8 I I I
Weise der Prüfung des Art 28 EGV (Art III-153 W E ) auf der Rechtfertigungsebene von Bedeutung sein könnte, nicht jedoch schon von vornherein die Anwendung dieser Bestimmung ausschlösse.16 Letztlich dürfte auch die Rechtsprechung des EuGH, der das Vorliegen eines grenzüberschreitenden Elements immer weiter fasst,17 die Fragwürdigkeit des Abstellens auf die „Grenzüberschreitung" illustrieren. II. Beeinträchtigung 14
Art 28, 29 EGV (Art III-153 W E ) verbieten mengenmäßige Ein- und Ausfuhrbeschränkungen sowie Maßnahmen gleicher Wirkung, wobei beide Bestimmungen auf Grund ihrer unterschiedlichen inhaltlichen Tragweite18 getrennt erörtert werden sollen (2., 3.). Von vornherein können diese Bestimmungen aber nur unter der Voraussetzung eingreifen, dass ein Verpflichteter handelt (1.). 1. Adressaten
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(Verpflichtete)
Fall 1: (EuGH, Slg 2003,1-5659 - Schmidberger/Österreich) Auf der Brenner-Autobahn, eine zentrale Nord-Süd-Transitachse, kam es 1998 zu einer Demonstration von Umweltschützern, die sich gegen den (wachsenden) Transitverkehr wandten. Die Demonstration wurde von den zuständigen österreichischen Behörden (nach Einreichung eines entsprechenden Antrags) nicht untersagt und führte zu einer 30-stündigen Blockade der Autobahn. Die österreichischen Behörden informierten einige Zeit vor der Demonstration umfassend über diese und schlugen verschiedene Ausweichstrecken vor. Eugen Schmidberger, ein Spediteur, klagte vor dem OLG Innsbruck gegen die Republik Österreich und beantragte Schadensersatz dafür, dass seine LKWs während dieser Zeit nicht genutzt werden konnten und er dadurch einen genauer bezifferten Verdienstausfall erlitten habe. Das OLG Innsbruck stellt sich im Rahmen dieses Verfahrens die Frage, ob die Republik Österreich gegen ihre gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen verstoßen hat, da sie die Demonstration nicht untersagt hat. Normadressaten der Art 28 ff EGV (Art III-153 W E ) sind in erster Linie die Mitgliedstaaten, von denen auch in der Praxis der weitaus größte Teil der Beschränkungen dieser Grundfreiheiten ausgeht. In Verbindung mit Art 10 EGV (Art 1-5 II W E ) ergibt sich im Übrigen auch eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten, unter bestimmten Voraussetzungen gegen Handelshindernisse einzuschreiten, die von Privaten ausgehen.19 Unklar ist hier auf der Grundlage der Formulierungen in der jüngeren Rechtsprechung20, ob es für die tatbestandliche Einschlägigkeit der Art 28 iVm Art 10 EGV (Art III-153 iVm Art 1-5 II W E ) ausreicht, dass das Verhalten Privater zu irgendeiner, wenn auch nur minimalen Beeinträchtigung des freien Warenverkehrs führt oder ob eine bestimmte Beeinträchtigungs-
16 Ausf zu diesem Ansatz Epiney Umgekehrte Diskriminierungen, 1995, insb S 200ff; zum Problemkreis auch Hammerl Inländerdiskriminierung, 1997. 17 Vgl aus jüngerer Zeit insbesondere EuGH, Slg 2002, 1-6279, Rn 28 ff - Carpenter = Ehlers JK 12/02, EGV Art 49/6; Slg 2003,1-11613 ff - Garcia Avello. 18 Zumindest auf der Grundlage der Rspr und der hier vertretenen Ans. 19 EuGH, Slg 1997,1-6959, Rn 24 ff - Kommission/Frankreich = Erichsen JK 99, EGV Art 30/3. -> Hierzu ausf § 7 Rn 46. 20 EuGH, Slg 2003,1-5659 - Schmidberger = Schoch JK 11/03, EGV Art 28/3.
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schwelle notwendig ist. Jedenfalls ist im Rahmen der Rechtfertigung anderen Interessen, so insbesondere grundrechtlichen Gewährleistungen, Rechnung zu tragen. Eine staatliche Maßnahme liegt auch dann vor, wenn Private ihre gewerblichen Schutzrechte geltend machen: Zwar muss der Rechtsinhaber seinen Anspruch geltend machen; die dann einfuhrbeschränkende Maßnahme - Beschlagnahme, Vermarktungsverbot unter bestimmten Voraussetzungen oä - geht aber von staatlichen Organen (Behörden oder Gerichten) aus.2' Unerheblich ist es im Übrigen, ob die staatliche Maßnahme zwingenden Charakters ist oder nicht; entscheidend ist allein die diskriminierende oder beschränkende Wirkung. 22 So sah der EuGH etwa eine Werbekampagne der irischen Behörden, vermehrt einheimische Produkte zu kaufen, als Maßnahme gleicher Wirkung wie eine Einfuhrbeschränkung an.23 Aber auch die Gemeinschaftsorgane selbst müssen sich an die Vorgaben der Art 28 ff EGV (Art III-153 ff W E ) halten,24 was sich schon aus der Normenhierarchie (Primärrecht geht Sekundärrecht vor) ergibt. Ob und inwieweit Privatpersonen durch Art 28 ff EGV (Art III-153 ff W E ) verpflichtet 25 werden, ist - ebenso wie im Rahmen der übrigen Grundfreiheiten (—> § 7 Rn 45f) (noch) nicht abschließend geklärt. Die Rechtsprechung hierzu dürfte mittlerweile davon ausgehen, dass Art 28 ff EGV (Art III-153 ff W E ) keine umfassende Drittwirkung zukommt. 26 Allerdings betont die jüngere Rechtsprechung auch, dass formal private Gesellschaften, die im Zuge gesetzlicher Vorgaben errichtet worden sind, auf Grund gesetzlicher Zuweisungen bestimmte Zielsetzungen zu verfolgen haben, bestimmte öffentlich-rechtliche Vorgaben bei der Tätigkeit zu beachten haben und durch Pflichtbeiträge bestimmter Personen finanziert sind, die Vorgaben des Art 28 EGV (Art III-153 W E ) beachten müssen, wenn sie eine allen Betrieben der betreffenden Wirtschaftszweige zugängliche Regelung einführen, die sich wie eine staatliche Regelung auf den innergemeinschaftlichen Handel auswirken kann. 27 Bei Vorliegen einer solchen Konstellation geht der EuGH offenbar von einer Zurechnung des Verhaltens der privaten Gesellschaft zum Staat aus.28 Eine Verneinung einer umfassenden Drittwirkung liegt jedenfalls im Rahmen der Art 28 ff EGV (Art III-153 ff W E ) vor dem Hintergrund der Funktion und Zielsetzungen der Art 28 ff EGV (Art III-153ff W E ) im Gesamtsystem des Vertrages nahe: Denn zunächst
21 Vgl aus der Rspr zB E u G H , Slg 1994,1-2789, Rn 33 f - Ideal Standard; Slg 1990,1-3711, Rn 8 f Haag II; aus der Literatur nur Leible in: Grabitz/Hilf Art 29 EGV Rn 6. 22 Hierzu noch sogleich u. 23 EuGH, Slg 1981, 1625, Rn 12 - Kommission/Irland. 24 EuGH, Slg 1994,1-3879, Rn 11 - Meyhui. 25 Privatpersonen sind (selbstverständlich) insoweit Adressaten der Art 28 ff EGV, als sie sich auf diese Bestimmungen berufen können. 26 EuGH, Slg 1982,4005, Rn 6 ff - Kommission/Irland; Slg 1988, 5249, Rn 11 - Bayer; die entgegengesetzte Aussage in EuGH, Slg 1981, 181, Rn 17 f - Dansk Supermarked hat der Gerichtshof später nicht mehr aufgegriffen, so dass davon ausgegangen werden kann, dass der E u G H nunmehr einer Drittwirkung ablehnend gegenübersteht; auch E u G H , Slg 1997,1-6959, Rn 24 ff - Kommission/Frankreich = Erichsen JK. 99, EGV Art 30/3 dürfte in diese Richtung gehen, denn der Umstand, dass der E u G H mit keinem Wort auf die Frage der möglichen Verantwortlichkeit der Privaten einging, deutet wohl darauf hin, dass er eine Drittwirkung ablehnt. 27 EuGH, Slg 2002, 1-9977 - Kommission/Deutschland (CMA-Gütezeichen) = Schoch JK 4/03, EGV Art 28/2. 28 Vgl aber zu den durch dieses Urteil aufgeworfenen offenen Fragen Epiney NVwZ 2004, 555, 561.
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sollen diese Bestimmungen im Wesentlichen das Verbot von Zöllen und Abgaben gleicher Wirkung durch die Unterbindung nichttarifärer Handelshemmnisse ergänzen. Auch ist es für die effektive Verwirklichung des freien Warenverkehrs nicht unbedingt notwendig, private Verhaltensweisen zu erfassen, sind diese doch Gegenstand anderer Bestimmungen des Vertrages, nämlich der Wettbewerbsregeln (Art 81 f EGV/Art III-161 W E ) . Im Übrigen erscheint eine nunmehr auch offenbar vom EuGH im Rahmen des Art 39 EGV (Art III-133 W E ) zugrunde gelegte umfassende Drittwirkung 29 grundsätzlich problematisch: Denn sie dürfte der ebenfalls zu beachtenden Privatautonomie und Vertragsfreiheit kaum Rechnung tragen und insofern auch über die Funktion der Grundfreiheiten hinausgehen, ganz abgesehen von den damit einhergehenden Auslegungs- und Anwendungsproblemen, etwa auf der Rechtfertigungsebene. Der bislang in der Rechtsprechung vorherrschende Ansatz der Beschränkung der Drittwirkung auf Regelungswerke, die eine ähnliche rechtliche oder faktische Bindungswirkung entfalten wie staatliche Normen, 30 erscheint daher überzeugender: Er erlaubt die effektive Durchsetzung der Grundfreiheiten in den problematischen Bereichen und ist schon deshalb ausreichend, weil ansonsten die staatliche Schutzpflicht greift. Insofern vermag die erwähnte jüngere Rechtsprechung im Grundsatz zu überzeugen, verneint sie doch offenbar eine allgemeine Drittwirkung des Art 28 EGV (Art III-153 W E ) und bejaht vielmehr eine Zurechnung des Verhaltens Privater zum Staat und damit eine Bindung an Art 28 EGV (Art III-153 W E ) nur unter der Voraussetzung, dass der Staat mit privatrechtlichen Mitteln eine öffentliche Aufgabe wahrnimmt, in verschiedener Hinsicht die Gesellschaft kontrolliert und die Regelung der Gesellschaft sich wie eine staatliche Regelung auf den innergemeinschaftlichen Warenverkehr auswirkt.
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Lösung Fall 1: Das Verhalten Österreichs (kein Verbot der Demonstration auf der Brenner-Autobahn bzw Genehmigung der Kundgebung) könnte gegen Art 28 iVm Art 10 EGV verstoßen. Diese Bestimmungen verpflichten die Mitgliedstaaten dazu, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit die Möglichkeit der tatsächlichen Wahrnehmung der Warenverkehrsfreiheit nicht durch das Verhalten (anderer) Privater beeinträchtigt wird. Im vorliegenden Fall liegt eine solche Beeinträchtigung vor, da es die Blockade der Autobahn dem Spediteur verunmöglicht, die Waren in einer wirtschaftlich vertretbaren Zeit zu transportieren; auch die Behinderung oder Verunmöglichung der Durchfuhr von Waren stellt nämlich eine Beeinträchtigung des Art 28 EGV dar. Daher stellt die Genehmigung der besagten Demonstration eine Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung dar. Allerdings kann diese Einschränkung des freien Warenverkehrs durch den Schutz der Grundrechte, namentlich der in Art 10, 11 EMRK garantierten Meinungsäußerungs- und Versammlungsfreiheit gerechtfertigt werden. Diese Grundsätze stellen nämlich berechtigte Interessen dar, die grundsätzlich geeignet sind, eine Beschränkung des freien Warenverkehrs zu rechtfertigen. Damit stehen sich zwei Interessen - die Verwirklichung der Freiheit des Warenverkehrs auf der einen und der genannten Grundrechte auf der anderen Seite gegenüber, die anhand sämtlicher Umstände des Einzelfalls abzuwägen sind. Im vorliegenden Fall ist dabei insbesondere darauf hinzuweisen, dass es sich um eine genehmigte Demonstration handelte, dass die Autobahn (nur) ein einziges Mal für 30 Stunden blockiert war, dass die Blockade geografisch begrenzt war, dass die Demonstration sich nicht gegen den Handel mit Waren einer bestimmten Art oder Herkunft richtete, dass die Behörden ver-
29 EuGH, Slg 2000,1-4139, Rn 34 ff - Angonese = Ehlers JK 01, EGV Art 3 9 / l ; - > § 9 R n 46. 30 Vgl schon EuGH, Slg 1974, 1405 ff - Walrave; s sodann Slg 1995,1-4921ff- Bosman.
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schiedene Rahmen- und Begleitmaßnahmen getroffen hatten, um die Störungen des Straßenverkehrs möglichst gering zu halten und dass ein schlichtes Verbot der Versammlung einen nicht hinnehmbaren Eingriff in die Versammlungsfreiheit bedeutet hätte und strengere Auflagen der Demonstration einen wesentlichen Teil ihrer Wirkung hätten nehmen können. Unter Berücksichtigung all dieser Umstände war die durch die österreichischen Behörden im vorliegenden Fall vorgenommene Abwägung nicht unvertretbar, so dass sie das ihnen zustehende weite Ermessen nicht überschritten haben. Eine Verletzung der Art 28, 10 EGV ist somit zu verneinen. 2. Einfuhrbeschränkungen und Maßnahmen gleicher (Art 28 EGV!Art III-153 VVE)
Wirkung
a) Mengenmäßige Beschränkungen Art 28 E G V (Art III-153 W E ) verbietet zunächst Einfuhrbeschränkungen. Hierunter sind Maßnahmen zu verstehen, die die Wareneinfuhr der Menge oder dem Wert nach begrenzen." Konkret nehmen Einfuhrbeschränkungen in der Regel die Form von Kontingenten an; erfasst sind aber auch - als stärkste Form der Beschränkung - Ein- oder Durchfuhrverbote. Damit geht auch die Feststellung einher, dass sonstige, nicht unmittelbar die Einfuhr selbst beschränkende Maßnahmen - also insb solche, die bestimmte Anforderungen an die Beschaffenheit von Produkten stellen - als Maßnahmen gleicher Wirkung anzusehen sind bzw sein können. 32 Einfuhrbeschränkungen sind per defmitionem (offen) diskriminierend; nicht diskriminierende Maßnahmen sind daher unter dem Gesichtspunkt der Maßnahmen gleicher Wirkung zu prüfen. Mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen kommen allerdings derzeit allenfalls ausnahmsweise (zB bei umweltpolitisch motivierten Maßnahmen etwa zum Artenschutz) vor, so dass ihre praktische Bedeutung vernachlässigt werden kann.
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b) Maßnahmen gleicher Wirkung Fall 2: (EuGH, Slg 2001,1-2001,1-1795 - Gourmet International.) In Schweden besteht ein Werbeverbot für alkoholische Getränke in Zeitungen und ZeitSchriften sowie Rundfunk und Fernsehen. Gestützt auf dieses Verbot beantragte der Konsumentombudsman (Verbraucherbeauftragte) beim zuständigen Gericht, Gourmet International Products AB (GIP) zu verbieten, Werbeanzeigen für alkoholische Getränke in Zeitungen, Zeitschriften sowie Rundfunk und Fernsehen veröffentlichen zu lassen. Das Gericht möchte der Klage stattgeben, hegt aber Zweifel an der Vereinbarkeit eines solchen Verbots mit Art 28 EGV. Zentral für die Tragweite und Bedeutung des Art 28 E G V (Art III-153 W E ) ist das Verbot von Maßnahmen gleicher Wirkung wie Einfuhrbeschränkungen. Ihre Einbeziehung in den Tatbestand des Art 28 EGV (Art III-153 ff VVE) ist vor dem Hintergrund zu sehen,
31 EuGH, Slg 1973, 865, Rn 7 - Geddo. 32 Vgl aus der Rspr etwa EuGH, Slg 1983, 203, Rn 21 f - Kommission/Vereinigtes Königreich; Slg 1989, 229, Rn 4 f - Kommission/Deutschland. Zu Einzelfragen der Abgrenzung mwN Epinev in: Calliess/RufTert Art 28 EGV Rn 8 ff.
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dass der freie Warenverkehr häufig durch nicht quantifizierbare Maßnahmen ebenso „wirksam", aber weniger „sichtbar" wie durch Einfuhrbeschränkungen behindert wird bzw werden kann. Für die Bestimmung des Begriffs der Maßnahmen gleicher Wirkung ist vor diesem Hintergrund in erster Linie die Wirkung einer Maßnahme entscheidend: Entfaltet diese gleiche oder vergleichbare Folgen für die Einfuhr von Waren aus anderen Mitgliedstaaten wie Einfuhrbeschränkungen, wird sie vom Tatbestand des Art 28 EGV (Art III-153 W E ) erfasst. Im Einzelnen können damit in Abhängigkeit von dem „Ob" und „Wie" einer Diskriminierung verschiedene Arten von Maßnahmen gleicher Wirkung unterschieden werden. aa) Offene Diskriminierungen
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Zunächst fallen all diejenigen Maßnahmen, die ausdrücklich nach der Warenherkunft (Inland einerseits, EU-Ausland andererseits) differenzieren, unter den Begriff der Maßnahmen gleicher Wirkung. Beispiele aus der Praxis in diesem Zusammenhang sind etwa obligatorische gesundheitspolizeiliche Untersuchungen für eingeführte Waren" oder Kennzeichnungspflichten nur für eingeführte Waren34. bb) Versteckte Diskriminierungen
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Verboten sind aber auch versteckte Diskriminierungen, also solche Maßnahmen, die zwar an ein „neutrales" Kriterium anknüpfen, jedoch in der Sache im Wesentlichen eingeführte Produkte betreffen bzw benachteiligen (—» allgem hierzu § 7 Rn 22). Die Abgrenzung versteckter Diskriminierungen von den sogleich zu behandelnden Beschränkungen ist im Einzelnen problematisch und wohl kaum praktikabel unter Zugrundelegung allgemein handhabbarer Kriterien, jedenfalls im Anwendungsbereich der Grundfreiheiten.35 Im Übrigen kommt dieser Unterscheidung jedenfalls im Rahmen des Art 28 EGV (Art III-153 W E ) keine praktische Bedeutung zu, da sich die Rechtfertigungsgründe für versteckte Diskriminierungen und Beschränkungen decken.36 Die in der Literatur 37 teilweise vertretene Ansicht, im „Kernbereich" - also zB dem Zugang selbst zu einer Beschäftigung im Rahmen des Art 39 EGV (Art III-133 W E ) der Grundfreiheiten gelte ein allgemeines Beschränkungsverbot, während in den „Randbereichen" - zB der Regelung der Ausübung einer Beschäftigung im Anwendungsbereich des Art 39 EGV (Art III-133 W E ) - nur ein (weit verstandenes) Diskriminierungsverbot gelte, kommt jedenfalls im Zusammenhang mit Art 28 EGV (Art III-153 W E ) auf der Grundlage der Rechtsprechung (der in der Literatur weitgehend gefolgt wird) keine Bedeutung zu: Denn Art 28 EGV (Art III-153 W E ) ist allgemein als Beschränkungsverbot auszulegen, und Einschränkungen des Tatbestandes ergeben sich aus der sog KeckFormel, so dass für eine Differenzierung nach „Kern- und Randbereichen" der Grundfreiheiten kein Raum mehr bleibt und auch kein Bedürfnis besteht. Im Übrigen ist diese Differenzierung schon vom Ansatz her problematisch: Zunächst impliziert sie, dass im 33 34 35 36 37
Vgl den Sachverhalt in EuGH, Slg 1989, 3997 ff - Kommission/Deutschland. Vgl den Sachverhalt in EuGH, Slg 1981, 1625 ff - Kommission/Irland. Vgl zu Art 12 EGV und den hier maßgeblichen Kriterien Epiney (Fn 16) S 102 ff. S u Rn 48 ff u - » § 7 Rn 90. Vgl etwa Lecheler/Gundel Übungen, S 177; in diese Richtung wohl auch Jarass EuR 2000, 705, 711.
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Falle des Kernbereichs allgemein ein schwererer Eingriff in die Rechte der Betroffenen vorliege, was aber jedenfalls nicht zwingend ist, können doch zB bestimmte Beschäftigungsmodalitäten möglicherweise zumindest faktisch zu Zugangsbeschränkungen führen. Damit in engem Zusammenhang steht die Überlegung, dass sich Kern- und Randbereich häufig wohl nur schwer voneinander trennen lassen. Vor diesem Hintergrund wird im Folgenden auf eine Abgrenzung zwischen versteckten Diskriminierungen und Beschränkungen verzichtet, und die Problembereiche werden im Folgenden im Zusammenhang mit der Erörterung der Beschränkungen behandelt.
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cc) Beschränkungen Auch nicht diskriminierende, sondern „nur" den Warenverkehr beschränkende MaBnatamen fallen grundsätzlich unter den Tatbestand des Art 28 EGV (Art III-153 W E ) , was schon insofern nahe liegt, als auch diese im Ergebnis ähnliche Wirkungen wie Einfuhrbeschränkungen entfalten können. Als Beispiel kann man etwa an Regelungen der Produktbeschaffenheit oder die Werbung betreffende Vorschriften denken. Allerdings bedarf das Vorliegen der Voraussetzungen, unter denen eine solche Beschränkung vorliegt, der Präzisierung, denn ansonsten könnten alle Maßnahmen, die einen irgendwie gearteten Bezug zum freien Warenverkehr aufweisen, von Art 28 EGV (Art III-153 W E ) erfasst werden. Ausgangspunkt hierfür ist nach wie vor die sog Dassonvi'We-Formel: Danach ist unter einer Maßnahme gleicher Wirkung jede staatliche Regelung, „die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell zu behindern", zu verstehen. 38 Damit ist also die beschränkende Wirkung der Maßnahmen entscheidend, so dass die Eignung einer Maßnahme, handelsbeschränkende Wirkungen zu entfalten, maßgeblich ist. Unerheblich ist dabei, ob diese tatsächlich eingetreten sind oder nicht. 39 Diese weite Fassung des Begriffs der Maßnahmen gleicher Wirkung hat zur Folge, dass Waren, die in einem Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellt worden sind, grundsätzlich in die anderen Mitgliedstaaten eingeführt und dort vermarktet werden können, auch wenn sie nicht den nationalen Anforderungen (insbesondere Produkt- oder Zulassungserfordernissen) entsprechen. Vorbehalten bleibt aber natürlich das Vorliegen von Rechtfertigungsgründen. Darüber hinaus können auch nicht produktbezogene Regelungen, wie etwa Produktions- und Vermarktungsvorschriften, unter die Dassonville-FormeX fallen. Denn auch sie sind grundsätzlich geeignet, (negative) Auswirkungen auf das Volumen (bestimmter) eingeführter Produkte zu entfalten. Deutlich wird damit auch, dass die konsequente Anwendung der Dassonville-¥oimt\ zur Folge hat, dass der Tatbestand des Art 28 EGV (Art III-153 W E ) sehr weit ausgedehnt wird und kaum eine staatliche Maßnahme nicht erfasst werden kann, entfalten doch zahlreiche Regelungen zumindest mittelbar und potenziell Rückwirkungen auf die Einfuhr von Produkten, so dass eine kaum eingrenzbare Zahl nationaler Vorschriften an den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts, konkret an Art 28 EGV (Art III-153 W E ) , gemessen werden kann bzw könnte. Vor diesem Hintergrund hat die Rechtsprechung verschiedene Ansätze entwickelt, die die tatbestandliche Reichweite des Art 28 EGV (Art III-153 W E ) im Vergleich zur Dassonville-Formel eingrenzen.
38 EuGH, Slg 1974, 837, Rn 5 - Dassonville. 39 Ausdrücklich EuGH, Slg 1984, 1299, Rn 20 - Prantl.
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Zu nennen sind zunächst verschiedene Urteile des Gerichtshofs, in denen dieser einen hinreichend engen Bezug zum freien Warenverkehr verneinte. So lehnte der EuGH das Vorliegen einer Maßnahme gleicher Wirkung wie eine Einfuhrbeschränkung in seiner Entscheidung zum deutschen Nachtbackverbot (Verbot der Auslieferung von Brötchen vor 6 Uhr morgens) mit der Begründung ab, hier gehe es um eine nationale Verkaufsregelung, die keinen grenzüberschreitenden Bezug aufweise und deshalb den Handel zwischen den Mitgliedstaaten nicht beeinträchtigen könne.40 Ebensowenig erachtete der Gerichtshof Art 28 EGV (Art III-153 W E ) in Bezug auf das belgische Verbot des Ausschanks von Alkoholika zu Nachtzeiten für einschlägig: Denn die Maßnahme stehe in keinem Zusammenhang mit der Einfuhr von Waren, so dass sie schon nicht geeignet sei, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen.41 Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof es mit ähnlicher Begründung ablehnte, Sonntagsverkaufsverbote am Maßstab des Art 28 EGV (Art III-153 W E ) zu messen.42 Interessant sind diese Urteile insb deshalb, weil bei allen fraglichen Maßnahmen letztlich eine mittelbare und potenzielle Beeinträchtigung des Einfuhrvolumens von Produkten kaum zu verneinen war, so dass allein auf der Grundlage der Dassonville-Formel der Tatbestand des Art 28 EGV (Art III-153 W E ) hätte bejaht werden müssen. Besonders auffallend ist dies beim belgischen Nachtausschankverbot für Alkoholika: Denn dessen Sinn und Zweck besteht ja gerade darin, nachfrage- und damit auch einfuhrhemmend zu wirken. Ableiten kann man aus dieser „frühen" - weil vor der A"ecfc-Rspr43 angesiedelten - Rspr 44 nur, dass gerade bei nicht (offen oder versteckt) diskriminierenden Maßnahmen potenzielle Markteinbußen und damit Auswirkungen auf das Volumen eingeführter Produkte nicht in jedem Fall ausreichen, damit der Tatbestand des Art 28 EGV (Art III-153 W E ) eröffnet ist. Allerdings wurde nicht klar, nach welchen Kriterien genau die Tragweite der Dassonv///e-Formel eingeschränkt werden sollte.
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Insofern leitete dann das Äecft-Urteil aus dem Jahr 199345 eine gewisse auch dogmatische Klarstellung ein. Gegenstand des Urteils war das französische Verbot des Verkaufs bestimmter Waren zum Verlustpreis, das nicht am Maßstab des Art 28 EGV (Art III-153 W E ) gemessen werden könne. Zur Begründung stellte der EuGH darauf ab, dass „bestimmte Verkaufsmodalitäten" nicht in den Anwendungsbereich des Art 28 EGV (Art III-153 W E ) fielen, sofern sie zwei Voraussetzungen erfüllten: Erstens müssten sie für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelten, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben, und zweitens müsse der Absatz inländischer und eingeführter Erzeugnisse rechtlich wie tatsächlich gleich berührt sein.46 Die Keck-Rspr schränkt damit schon den Tatbestand des Art 28 EGV (Art III-153 W E ) ein, dies im Gegensatz zu der zeitlich vor ihr entwickelten sog Cassis-de-Dijon-Rcchtsprechiing, die aus dogmatischer Sicht auf der Rechtfertigungsebene anzusiedeln ist.47 40 41 42 43 44
EuGH, Slg 1981, 1993, Rn lO-Oebel. EuGH, Slg 1982, 1211, Rn 9 - Blesgen. EuGH, Slg 1989, 3851, Rn 14-Torfaen Borough. S sogleich im Text im nächsten Abs. Vgl neben den angeführten Fällen noch die weiteren Nachweise bei Middeke Nationaler Umweltschutz im Binnenmarkt, 1994, S 132 f, unter Berücksichtigung der verschiedenen Ansätze zu ihrer dogmatischen Einordnung; ausf zu der einschlägigen Rspr auch Hammer Handbuch zum freien Warenverkehr, 1998, S 35 ff. 45 EuGH, Slg 1993,1-6097 ff - Keck. 46 EuGH, Slg 1993,1-6097, Rn 1 6 - Keck. 47 S u Rn 53 ff u § 7 Rn 63.
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Da der EuGH den Begriff der „bestimmten Verkaufsmodalitäten" allerdings nicht definierte, stellte sich schon bald die Frage, welche nationalen Maßnahmen genau denn nun nicht (mehr) in den Anwendungsbereich des Art 28 EGV (Art III-153 W E ) fallen sollen. Gewisse Anhaltspunkte lassen sich einmal aus der Äecfc-Formel selbst, zum anderen aber auch aus der Folgerechtsprechung entwickeln, wobei in erster Linie folgende Aspekte von Bedeutung sind: Maßnahmen, die sich in irgendeiner Form auf die Beschaffenheit von Produkten (unter Einschluss ihrer Verpackungen, jedenfalls sofern diese untrennbar mit dem Produkt verbunden ist) selbst beziehen, stellen keine Verkaufsmodalitäten dar. So ist etwa das Verbot, die Verpackung eines Schokoladenriegels unter bestimmten Voraussetzungen mit dem Zusatz „+10%" zu kennzeichnen, als Maßnahme gleicher Wirkung anzusehen und am Maßstab des Art 28 EGV (Art III-153 W E ) zu prüfen. 48 Ebensowenig ist das Verbot, bestimmte Erzeugnisse unter einer gewissen Bezeichnung zu vermarkten, als bestimmte Verkaufsmodalität iSd Äecfc-Formel anzusehen, so etwa das Verbot, ein kosmetisches Mittel unter dem Namen „Clinique" zu vermarkten. 49 Aufgrund der engen Verbundenheit mit dem zu verkaufenden Produkt ist auch das Verbot, in Zeitschriften oder sonstigen Drucksachen Gewinnspiele anzubieten, als Maßnahme gleicher Wirkung wie Einfuhrbeschränkungen anzusehen. 50 Maßnahmen, die die Art und Weise der Vermarktung eines Produkts bestimmen, ohne jedoch mit diesem „verbunden" zu sein, sind grundsätzlich als Verkaufsmodalitäten anzusehen. So ist das Gebot, Säuglingsnahrung nur in Apotheken zu verkaufen, als Verkaufsmodalität einzustufen. 51 Aber auch die Regelung der Öffnungszeiten von Tankstellen wird vom EuGH als Verkaufsmodalität angesehen. 52 Bei den Grenzfällen kommt es nach der Rechtsprechung des E u G H iE darauf an, ob eine bestimmte Maßnahme bereits den Marktzugang eines Produkts verhindert oder einschränkt, also maW zur Folge hat, dass das jeweilige Produkt erst gar nicht auf den Markt des betroffenen Mitgliedstaates gelangen kann oder dies behindert wird und daher eine diesbezügliche Ungleichbehandlung einheimischer und eingeführter Produkte zu bejahen ist.53 Bei vertriebsbezogener Werbung etwa geht es nicht um den Zugang zum Markt, wird dieser doch „schrankenlos" gewährleistet, sondern um die Art und Weise des Vermarktens des Produkts. So ist denn auch nach der Rspr des EuGH das Verbot der Fernsehwerbung für bestimmte Erzeugnisse grundsätzlich als Verkaufsmodalität einzuordnen, es sei denn, ein solches Verbot entfaltet stärkere Auswirkungen auf Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten. 54 48 EuGH, Slg 1995,1-1923, Rn 12 f - Mars. 49 EuGH, Slg 1994,1-317 ff- Clinique; s auch Slg 1996,1-6039 ff - Graffione. 50 EuGH, Slg 1997,1-3689, Rn 12 - Familiapress = Erichsen JK 98, EGV Art 30/1 = -> § 14 Rn 31, 38. 51 EuGH, Slg 1995,1-1621, Rn 15 - Kommission/Griechenland. 52 EuGH, Slg 1994,1-2199, Rn 13 ff - t'Heukske. 53 In diese Richtung etwa EuGH, Slg 1995,1-1621, Rn 11 f - Kommission/Griechenland; Slg 1995, 1-1141, Rn 37 - Alpine Investments; ausdrücklich nunmehr EuGH, Slg 2001, 1-1795, Rn 18 Gourmet International: Nach den Ausführungen im Urteil Keck „fallen nationale Bestimmungen, die bestimmte Verkaufsmodalitäten beschränken oder verbieten, nur dann nicht in den Anwendungsbereich des Art 28 EGV, wenn diese nicht geeignet sind, den Marktzugang für Erzeugnisse aus einem anderen Mitgliedstaat zu versperren oder stärker zu behindern, als sie dies für inländische Erzeugnisse tun". 54 EuGH, Slg 1995,1-179, Rn 20 ff - Leclerc; Slg 1997,1-3843, Rn 39 f - de Agostini.
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In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass Verkaufsmodalitäten allgemein jedenfalls dann nicht vorliegen können, wenn eine Maßnahme unterschiedliche Wirkungen für einheimische und eingeführte Produkte entfaltet, letztere also offen oder versteckt diskriminiert. Dies sei etwa bei einer Regelung der österreichischen Gewerbeordnung der Fall, wonach nur derjenige Lebensmittel „herumziehend" feilbieten darf, der in dem betreffenden oder einem angrenzenden Gewerbebezirk eine ortsfeste Niederlassung unterhält, führe diese Regelung doch dazu, dass Anbietern aus dem Ausland damit der Zugang zu diesem Spektrum des österreichischen Marktes verwehrt wäre.55 Ähnlich argumentierte der EuGH in Bezug auf das sehr umfassende schwedische Verbot der Werbung mit Alkohol: Eine solche Regelung führe dazu, dass der Marktzugang für Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten stärker behindert werde als für die ohnehin schon besser bekannten einheimischen Produkte.56 Auch das deutsche Verbot des Versandhandels mit Arzneimitteln stellt nach Ansicht des EuGH keine Verkaufsmodalität dar, da es die ausländischen Apotheken (und damit die eingeführten Produkte), die als solche auf dem deutschen Markt nicht tätig sind, stärker betreffe als die inländischen; für erstere sei das Internet als Zugang zum deutschen Markt von ungleich größerer Bedeutung als für letztere.57 Insgesamt besteht damit eine Tendenz in der Rechtsprechung, all solche Vermarktungs- und Werberegelungen mit spürbaren Auswirkungen auf den Umsatz der betreffenden Produkte, die unmittelbar oder mittelbar den Bekanntheitsgrad von Produkten beeinflussen, nicht als Verkaufsmodalitäten anzusehen, da sie aufgrund der prinzipiell besseren Markteinführung nationaler Produkte die eingeführten Produkte stärker „belasten".
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Alle Abgrenzungsprobleme58 sind auch mit diesen Anhaltspunkten nicht gelöst, wie etwa das Bsp eines generellen Werbeverbots für ein bestimmtes Produkt (zB Alkohol oder Tabak) zeigt: Die einschlägigen Urteile des EuGH betonen, wie erwähnt, einerseits, es gehe etwa bei Fernsehwerbung um eine Verkaufsmodalität,59 weil offenbar der Zugang zum Markt selbst ja nicht eingeschränkt werde und die Möglichkeit des Verkaufs des entsprechenden Produkts unbeschränkt möglich bleibe; im Übrigen wird eine materielle Diskriminierung zwischen eingeführten und einheimischen Produkten offenbar abgelehnt. Andererseits aber weist der EuGH darauf hin, eine Maßnahme gleicher Wirkung liege immer dann vor, wenn das (vollständige) Verbot einer Form der Absatzförderung eines Erzeugnisses in einem Mitgliedstaat nachteilige Auswirkungen auf Erzeugnisse anderer Mitgliedstaaten entfalte.60 Dies erscheint auch insofern einsichtig, als jedenfalls ein quasi generelles Werbeverbot dazu führen dürfte, dass inbs neu eingeführte Produkte fast nicht lanciert werden können. Da auch neue inländische Produkte wohl nur sehr schwer in den Markt eingeführt werden können, nähert sich eine solche Maßnahme in ihren Wirkungen einer Marktzugangsbeschränkung an. Wo nun genau die Grenze zwischen beiden Fallge-
55 EuGH, Slg 2000, 1-151, Rn 9 - Schutzverband gegen unlauteren Wettbewerb = Schock JK 00, EGV Art 28/1. Sehr krit zu diesem Urteil vor dem Hintergrund der seiner Ans nach zu weiten Auslegung des Begriffs der versteckten Diskriminierung Gundel EuZW 2000, 311 f. 56 EuGH, Slg 2001,1-1795, Rn 20 f - Gourmet International; s auch noch sogleich die Lösung zu Fall 2. 57 EuGH, NJW 2004, 131 - DocMorris. 58 Für die auch in der Literatur verschiedene Wege aufgezeigt wurden; vgl für eine Zusammenstellung der verschiedenen vertretenen Ansätze Epiney in: Calliess/Ruffert Art 28 EGV Rn 35 mwN. 59 EuGH, Slg 1995,1-179, Rn 20 ff - Leclerc; s auch Slg 1993,1-6787, Rn 19 ff - Hünermund. 60 EuGH, Slg 1997,1-3843, Rn 40 - de Agostini; ebenso Slg 2001,1-1795, Rn 20 f - Gourmet International.
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staltungen zu ziehen ist, bleibt nach wie vor offen. Insofern hätten die Urteile des EuGH in Bezug auf die nicht produktbezogene Werbung durchaus auch anders ausfallen können. Der Ansatz des EuGH kann aber auch unabhängig von derartigen Abgrenzungsproblernen hinterfragt werden: Geht man nämlich davon aus, dass der Sinn und Zweck des Art 28 EGV (Art III-153 W E ) in erster Linie darin zu sehen ist, dass die in den verschiedenen Mitgliedstaaten produzierten Waren im Unionsgebiet frei zirkulieren können, liegt es nahe, darauf abzustellen, ob ganz allgemein die Rahmenbedingungen für die Vermarktung oder den Vertrieb von Produkten geregelt werden oder ob es darum geht, bestimmte Produkte in irgendeiner Weise einer besonderen Regelung zu unterwerfen. Letzteres ist aber immer dann der Fall, wenn eine nationale Vorschrift nicht alle Produkte, sondern eine eingrenzbare Produktgruppe - wie zB Säuglingsnahrung, Tabak, Alkoholika usw - betrifft. Dieser Ansatz drängt sich auch vor dem Hintergrund auf, dass - wie das Beispiel der Beschränkung des Verkaufs bestimmter Produkte auf bestimmte spezialisierte Stellen zeigt - zahlreiche an sich den Marktzugang nicht berührende und auch nicht diskriminierende Regelungen für die Wirtschaftsteilnehmer ggf recht weitgehende Markteinbußen zur Folge haben können und insofern in ihren Auswirkungen mit unmittelbar produktbezogenen Regelungen durchaus vergleichbar sind. Im Übrigen ließen sich mit dem hier vertretenen Ansatz auch problemlos die Grenzfalle lösen: So geht es bei dem erwähnten generellen Werbeverbot eben um die Reglementierung eines bestimmten abgrenzbaren Produkts oder einer Produktgruppe, so dass eine Maßnahme gleicher Wirkung zu bejahen ist. Auf eine irgendwie geartete „Spürbarkeit" der Maßnahme oder eine „Nähebeziehung" zwischen der Maßnahme und der beeinträchtigenden Wirkung kommt es darüber hinaus jedenfalls nicht an: 61 Denn letztlich geht es hier um eine Art Abschwächung des Kriteriums der Geeignetheit einer Maßnahme, handelsbeschränkende Wirkungen entfalten zu können, deren Konturen aber denkbar unklar und kaum einer voraussehbaren Konkretisierung zugänglich sind. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die „geringe Intensität" einer Maßnahme jedenfalls auf der Rechtfertigungsebene im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu berücksichtigen ist. Allerdings ist die Rechtsprechung des EuGH hier nicht immer klar: Während der EuGH teilweise eine Art Spürbarkeit oder eine Nähebeziehung von Maßnahme und beschränkender Wirkung als notwendig anzusehen scheint,63 deuten andere Urteile darauf hin, dass dies gerade nicht der Fall ist, so wenn bei der Frage des Vorliegens einer beschränkenden Wirkung einer Regelung - die zweifelhaft war - ausschließlich auf ihren rechtlichen Gehalt, nicht hingegen auf das Erfordernis einer irgendwie gearteten Spürbarkeit abgestellt wird.64
61 Anders offenbar —> § 7 Rn 74; wie hier etwa Füller Grundlagen und inhaltliche Reichweite der Warenverkehrsfreiheiten nach dem EG-Vertrag, 2000, S 111 ff; Leible in: Grabitz/Hilf Art 28 EGV Rn 15; s unter Bezugnahme auf die jüngere Rechtsprechung auch schon Epiney NVwZ 1999, 1076, 1077; ausf zum Problemkreis auch Keßler Das System der Warenverkehrsfreiheit im Gemeinschaftsrecht, 1997, S 21 ff. 62 S die Nachw in Fn 38 ff. 63 Vgl etwa EuGH, Slg 1996,1-2975, Rn 32 f - Semeraro; Slg 1993,1-5009, Rn 8 ff - C M C Motorradcenter; Slg 1994,1-3453, Rn 24 - Peralta; Slg 1999,1-6269, Rn 16 - BASF. 64 EuGH, Slg 2000,1-151, Rn 25 ff - Schutzverband gegen unlauteren Wettbewerb = Schoch JK 00, EGV Art 28/1; s auch Slg 1998, 1-6197, Rn 16ff - Kommission/Frankreich; gegen einen „Spür-
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Lösung Fall 2: Ein Werbeverbot wie das zur Debatte stehende betrifft allgemein Alkohol, also auch eingeführten Alkohol, so dass insofern der Anwendungsbereich der Art 28 ff EGV eröffnet ist (vgl auch Art 23 II EGV). Das ins Auge gefasste Gerichtsurteil stellt eine staatliche Maßnahme dar. Weiterhin handelt es sich um eine Maßnahme gleicher Wirkung im Sinne der Dassonville-Voraie\, da ein Werbeverbot dazu führen kann und sogar soll, dass der Absatz (auch) eingeführter Alkoholika zurückgeht, so dass der innergemeinschaftliche Handel behindert ist. Fraglich könnte aber sein, ob eine Verkaufsmodalität im Sinne der Keck-Fotmel vorliegt. Grundsätzlich geht es bei dem zur Debatte stehenden Verbot nicht um eine produktbezogene, sondern um eine verkaufsbezogene Maßnahme, da die Art und Weise der Vermarktung geregelt wird und die Werbung auch nicht untrennbar mit dem Produkt verbunden wird. Zudem wird der Marktzugang von Alkoholika als solcher nicht berührt; die Vermarktung bleibt nach wie vor ohne Weiteres möglich. Insofern könnte die Annahme naheliegen, es handele sich um eine Verkaufsmodalität. In Anbetracht des Umstandes aber, dass das schwedische Verbot nicht nur eine Form der Förderung des Absatzes eines Erzeugnisses untersagt, sondern die Hersteller und Importeure an nahezu jeder Verbreitung von an die Verbraucher gerichteter Werbung hindert und dass gerade bei Genussmitteln wie dem Alkohol herkömmlichen gesellschaftlichen Gebräuchen bei der Auswahl der Getränke eine wichtige Rolle zukommt, entfaltet das in Frage stehende umfassende Werbeverbot stärkere Auswirkungen auf Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten als auf einheimische Erzeugnisse, so dass ein Hemmnis für den Handelsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten vorliegt und der Anwendungsbereich des Art 28 EGV eröffnet ist. Das Verbot könnte jedoch aus Gründen des Gesundheitsschutzes (Art 30 EGV) gerechtfertigt sein, da es zum Kampf gegen den Alkoholismus beitragen soll. Aus dem Sachverhalt sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass das Verbot nicht den Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes genügen würde; hierfür bedarf es im Übrigen der Untersuchung der rechtlichen und tatsächlichen Umstände, die das vorlegende Gericht durchzuführen hat. 3. Mengenmäßige Ausfuhrbeschränkungen
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und Maßnahmen gleicher Wirkung
Gemäß Art 29 EGV (Art III-153 W E ) sind mengenmäßige Ausfuhrbeschränkungen und Maßnahmen gleicher Wirkung verboten. Der Verbotszweck des Art 29 EGV (Art III-153 W E ) stimmt insofern mit demjenigen des Art 28 EGV (Art III-153 W E ) überein, als verhindert werden soll, dass der freie Warenverkehr dadurch behindert wird, dass die Mitgliedstaaten über eine Beschränkung der Ausfuhr die Nachfrage auf dem innerstaatlichen Markt sättigen. 65 Insofern kann bei der Auslegung des Art 29 EGV (Art III-153 W E ) durchaus an die im Rahmen des Art 28 EGV (Art III-153 W E ) entwickelten Grundsätze angeknüpft werden. 66 Allerdings ist die Dassonville-Formei vor dem Hintergrund über die im Rahmen des Art 28 EGV (Art III-153 W E ) entwickelten Ansätze einzuschränken, als ihre „vollumfängliche" Heranziehung letztlich dazu führte, dass nahezu jede Produktions- oder Vertriebsregelung gegen Art 29 EGV (Art III-153 W E ) verstieße, wird doch hierdurch der innergemeinschaftliche Handel regelmäßig zumindest mittelbar und potenziell betroffen,
barkeitstest" wohl auch EuGH, Slg 1984, 1299, Rn 20 - Prantl; Slg 1993,1-2361, Rn 17 ff - Yves Rocher = Kunig JK 94, EWGV Art 30/4; Slg 1998,1-8033, Rn 22 - Bluhme; Slg 1999,1-3845 ff EDSrl. 65 Vgl zum Normzweck des Art 29 EGV Müller-Graff in: vd Groeben/Schwarze Art 29 EGV Rn 1. 66 Leible in: Grabitz/Hilf Art 29 EGV Rn 2 ff; Müller-Graff in: vd Groeben/Schwarze Art 29 Rn 1 ff.
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da derartige Regelungen die Herstellungskosten negativ beeinflussen. So geht denn auch der EuGH davon aus, dass Art 29 EGV (Art III-153 W E ) nur auf solche Maßnahmen Anwendung finden könne, die „spezifische Beschränkungen der Ausfuhrströme bestwecken oder bewirken und damit unterschiedliche Bedingungen für den Binnenhandel innerhalb eines Mitgliedstaates und seinen Außenhandel schaffen, so dass die nationale Produktion oder der Binnenmarkt des betroffenen Staates zum Nachteil der Produktion oder des Handels anderer Mitgliedstaaten einen besonderen Vorteil erlangt"67. In der Folgerechtsprechung wurde dieser Ansatz bestätigt, wobei allerdings nicht mehr verlangt wurde, dass der Vorteil für den Absatz auf dem Binnenmarkt des jeweiligen Staates mit einem Nachteil der ausländischen Produktion einhergeht. Zu überzeugen vermag dieser Ansatz schon deshalb, weil nur im Falle besonderer VorSchriften für den Export bzw - in der Sprache des EuGH - bei „spezifischen Beschränkungen der Ausfuhrströme" der Absatz auf dem Binnenmarkt bevorzugt wird und damit nur unter dieser Voraussetzung der Handel zwischen den Mitgliedstaaten tatsächlich in Mitleidenschaft gezogen wird.68 Letztlich führt diese einschränkende Auslegung des Begriffs der Maßnahmen gleicher Wirkung im Rahmen des Art 29 EGV (Art III-153 W E ) damit dazu, dass dieser Bestimmung lediglich ein Verbot solcher Maßnahmen zu entnehmen ist, die zwischen den für den inländischen Markt bestimmten Produkten und denjenigen Waren, die ausgeführt werden sollen, unterscheiden. Von vornherein ausgeschlossen vom Anwendungsbereich des Art 29 EGV (Art III-153 W E ) sind damit allgemeine, auf alle Produkte anwendbare Maßnahmen. In diesem Sinn werden also nur diskriminierende Maßnahmen erfasst, wobei die Differenzierung allerdings an die Bestimmung der Waren anknüpfen muss.
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III. Rechtfertigung Ist das Vorliegen einer mengenmäßigen Ein- oder Ausfuhrbeschränkung oder einer Maßnähme gleicher Wirkung zu bejahen und damit der Tatbestand des Art 28 oder 29 EGV (Art III-153 W E ) gegeben, ist die entsprechende Maßnahme grundsätzlich verboten. Allerdings eröffnet das Gemeinschaftsrecht Rechtfertigungsmöglichkeiten, wobei zwischen ausdrücklich im Vertrag geregelten Rechtfertigungsgründen (2.) und ungeschriebenen Rechtfertigungsgründen (sog „zwingenden Erfordernissen") (3.) unterschieden werden kann. Gemeinsam ist beiden Kategorien, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten ist (4.). Im Übrigen stellen sich bei allen Rechtfertigungsgründen eine Reihe gemeinsamer Fragen, die daher bereichsübergreifend erörtert werden sollen (1.). Der Sinn und Zweck dieser Möglichkeit des Abweichens vom grundsätzlichen Verbot der Art 28, 29 EGV (Art III-153 W E ) ist darin zu sehen, dass gewährleistet werden soll, dass die Anwendung dieser Bestimmungen nicht dazu führen soll, dass bestimmten Schutzanliegen nicht mehr Rechnung getragen werden kann. Insofern geht es also nicht um eine allgemeine Schutzklausel (zugunsten der Mitgliedstaaten) oder um ein „Herausschälen" bestimmter gegenständlich definierter Bereiche aus dem Anwendungsbereich der
67 EuGH, Slg 1979, 3409, Rn 7 - Groenveld; aus der jüngeren Rspr EuGH, Slg 1999,1-3845, Rn 10 - EDSrl; Slg 2000, 1-3123, Rn 36 ff - Belgien/Spanien in Bezug auf das Erfordernis, in einer Region hergestellten Wein auch dort abzufüllen, wenn die entsprechende Ursprungsbezeichnung verwendet werden soll. 68 Ausf Epiney, in: Bieber/Epiney/Haag EU § 13 Rn 79 f; aA allerdings Füller (Fn 61) S 244 ff.
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Regelungen über den freien Warenverkehr, sondern ermöglicht wird nur die Verfolgung bestimmter Schutzziele und damit der Schutz bestimmter Rechtsgüter69 unter Beachtung der gemeinschaftsrechtlich determinierten Anforderungen. Aus diesen Grundsätzen folgt dann auch, dass die Schutzgüter - seien sie nun ausdrücklich im Vertrag geregelt oder aber ungeschriebener Natur - als gemeinschaftsrechtliche Begriffe nach gemeinschaftsrechtlichen Grundsätzen auszulegen sind. Allerdings verweisen die verwandten Begriffe teilweise wiederum auf mitgliedstaatliche Konzepte, so insb die Konzepte der öffentlichen Ordnung und der öffentlichen Sittlichkeit. Aber auch hier setzt das Gemeinschaftsrecht insofern Grenzen, als sich die Ausfüllung des Bedeutungsgehalts dieser Begriffe durch die Mitgliedstaaten in einer gewissen Bandbreite bewegen muss.70 1. Bereichsübergreifende Aspekte a) Keine sekundärrechtlichen Regelungen 53
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Eine Rechtfertigung kommt von vornherein nur unter der Voraussetzung in Betracht, dass der entsprechende Bereich nicht durch das Sekundärrecht geregelt ist.71 Diese nur für mitgliedstaatliche Regelungen einschlägige Einschränkung ergibt sich aus dem Sinn und Zweck der den Mitgliedstaaten eröffneten Möglichkeit des Rückgriffs auf die Rechtfertigungsgründe des Art 30 EGV (Art III-154 W E ) sowie die zwingenden Erfordernisse: Denn wenn das entsprechende Rechtsgut (schon) durch gemeinschaftliche Regelungen geschützt wird, fehlt das Bedürfnis nach einem autonomen mitgliedstaatlichen Schutz, würde doch ansonsten die bestehende gemeinschaftliche Harmonisierung unterlaufen werden. Das Gemeinschaftsrecht geht also in diesen Fällen maW davon aus, dass dem Schutz des betreffenden Rechtsguts durch die sekundärrechtliche Regelung Rechnung getragen werden soll. Bestätigt wird diese Sicht durch die Regelungen der Art 95 IVff EGV (Art III-172 ff W E ) , die eben gerade (ausnahmsweise) auch im Rahmen des Anwendungsbereichs gemeinschaftlichen Sekundärrechts den Mitgliedstaaten unter bestimmten (engen) Voraussetzungen das Anlegen eines höheren Schutzstandards erlauben. Allerdings greift diese Einschränkung der Möglichkeit der Berufung auf Art 30 EGV (Art III-154 W E ) sowie die zwingenden Erfordernisse (selbstverständlich) nur insoweit, als tatsächlich eine abschließende Harmonisierung vorliegt,72 wobei der abschließende Charakter 73 einer gemeinschaftlichen Regelung immer dann zu verneinen ist, wenn der Schutz des entsprechenden Rechtsguts nicht umfassend geregelt ist.74
69 Ausdrücklich etwa EuGH, Slg 1979, 2555, Rn 5 - Kommission/Deutschland. 70 Immerhin impliziert dieses „Bandbreitenkonzept", dass die Inhalte etwa der öffentlichen Ordnung in den verschiedenen Mitgliedstaaten variieren (können), wie das Bsp der Lotterien zeigt, die in einigen Mitgliedstaaten (teilweise) verboten sind, in anderen aber nicht; vgl den Sachverhalt in EuGH, Slg 1994,1-1039 ff - Schindler; Slg 1997,1-3689 ff - Familiapress = Erichsen JK 98, EGV Art 30/1. 71 EuGH, Slg 1996,1-253, Rn 18 - Hedley Lomas; Slg 1995,1-1831, Rn 42 f - Decker; § 7 Rn 95. 72 Vgl EuGH, Slg 1998,1-6871, Rn 26 ff - Kommission/Deutschland; Slg 1994,1-5243, Rn 14 - Ortscheit. 73 Die Frage des abschließenden Charakters einer Regelung kann allerdings ggf schwierig zu beantworten sein; vgl hierzu Slot ELR 1996, 378 ff; umfassend Furrer Sperrwirkung des sekundären Gemeinschaftsrechts auf die nationalen Rechtsordnungen, 1994. 74 Vgl die Beispiele aus der Rspr in EuGH, Slg 1991,1-3069, Rn 16ff - Denkavit; Slg 1998,1-1251, Rn 26 ff - Compassion in World Farming; Slg 1994,1-5243, Rn 13 ff - Ortscheit.
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Nach der Rspr des E u G H 7 5 ist das Verbot der Heranziehung der allgemeinen primärrechtlichen Rechtfertigungsgründe im Falle einer abschließenden sekundärrechtlichen Regelung insofern „absolut" zu verstehen, als es auch dann eingreift, wenn die Erreichung des sekundärrechtlich angestrebten Schutzniveaus deshalb nicht möglich ist, weil andere Mitgliedstaaten die gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen nicht einhalten, und dies auch in den Fällen, in denen der einschlägige Gemeinschaftsrechtsakt kein Kontroll- oder Sanktionsverfahren vorsieht. 76 Dieser Ansatz entspricht dem auch sonst vom E u G H angewandten Grundsatz, dass die Nichtbeachtung des Gemeinschaftsrechts durch einen anderen Mitgliedstaat nichts an der eigenen Pflicht zur Beachtung des Gemeinschaftsrechts ändert. Allerdings stellt sich die Frage, ob die Heranziehung dieser grundsätzlich zwingenden Sicht auch bei der hier diskutierten Konstellation zwingend und sachgerecht ist: Sinn und Zweck der Rechtfertigungsmöglichkeiten nach Art 30 E G V (Art III-154 W E ) und durch die zwingenden Erfordernisse ist ja darin zu sehen, dass die entsprechenden Rechtsgüter geschützt werden. Dieses Anliegen kann zwar dann nicht mehr greifen, wenn der Gemeinschaftsgesetzgeber selbst das Schutzniveau festlegt; allerdings lebt es doch immer dann wieder auf, wenn das darin zugrunde gelegte Schutzniveau nicht erreicht wird bzw werden kann. Insofern geht es dann nicht mehr um die „typische" Konstellation, dass ein Mitgliedstaat seine Konzeption oder sein Schutzniveau an die Stelle der gemeinschaftlichen Regelungen stellen möchte oder dass ein Mitgliedstaat unter Berufung auf die Nichteinhaltung der vertraglichen Verpflichtungen durch einen anderen Mitgliedstaat seinen gemeinschaftsrechtlichen Pflichten ebenfalls nicht nachkommen möchte, so dass man jedenfalls bei gravierenden und eindeutigen Verletzungen der sekundärrechtlichen Normen durch andere Mitgliedstaaten das Recht auf einen Rückgriff auf Art 30 E G V (Art III-154 W E ) oder die zwingenden Erfordernisse hätte zulassen können. 77
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b) Verhältnis des Art 30 E G V zu den „zwingenden Erfordernissen", Anwendungsbereich der Rechtfertigungsgründe und dogmatische Einordnung Wie bereits eingangs erwähnt, sind dem Gemeinschaftsrecht sowohl ausdrückliche, im Vertrag geregelte Rechtfertigungsgründe, die in Art 30 EGV (Art III-154 W E ) enthalten sind, als auch ungeschriebene Rechtfertigungsgründe zu entnehmen. Letztere wurden durch den E u G H in seiner Cassis de Dijon-Rspr78 entwickelt. Diese Regelung wirft die Frage nach dem Verhältnis der beiden Kategorien von Rechtfertigungsgründen, ihrem jeweiligen Anwendungsbereich sowie der dogmatischen Einordnung der zwingenden Erfordernisse als tatbestandsausschließende Gründe oder Rechtfertigungsgründe auf. Die Rspr des EuGH zu diesen Fragen lässt sich durch folgende Punkte zusammenfassen: Art 30 EGV sei als Ausnahmevorschrift eng auszulegen, und der Aufzählung der dort genannten Rechtfertigungsgründe komme ein abschließender Charakter zu. 79 Dieser Ansatz schließt es aus, sozusagen analog zu Art 30 E G V (Art III-154 W E ) , weitere Rechtfertigungsgründe zu entwickeln. 75 EuGH, Slg 1996,1-2553, Rn 19 - Hedley Lomas. 76 Diese Problematik stellt sich im Wesentlichen bei der zugegebenermaßen begrenzten Situation der Ausfuhrbeschränkungen.
77 AA Müller-Graff in: G/S Art 30 EGV Rn 14, 32. 78 EuGH, Slg 1979, 649 ff - Cassis de Dijon. 79 EuGH, Slg 1991, 1-1361, Rn 9 - Kommission/Griechenland; Slg 1982, 2187, Rn 27 - Kommission/Italien.
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Gleichwohl wurde relativ bald deutlich, dass die in Art 30 EGV (Art III-154 W E ) aufgeführten Rechtfertigungsgründe nicht ausreichend sind, um dem Anliegen eines effektiven Schutzes wichtiger Rechtsgüter Rechnung zu tragen, stammt die in Art 30 EGV (Art III-154 W E ) enthaltene Liste doch aus dem Jahr 1957, und im Laufe der Zeit zeigte sich die Notwendigkeit, auch andere Schutzziele zu verfolgen, wie etwa solche des Verbraucher- oder Umweltschutzes. Vor diesem Hintergrund betonte der EuGH in dem diesbezüglich grundlegenden Cassis de ZJiyon-Urteil80, dass auf innerstaatlichen Rechtsvorschriften beruhende Handelshemmnisse immer dann hinzunehmen seien, wenn sie „notwendig sind, um zwingenden Erfordernissen gerecht zu werden, insbesondere den Erfordernissen einer wirksamen steuerlichen Kontrolle, des Schutzes der öffentlichen Gesundheit, der Lauterkeit des Handelsverkehrs und des Verbraucherschutzes", mit denen ein „im allgemeinen Interesse liegendes Ziel, das den Erfordernissen des freien Warenverkehrs, der eine der Grundlagen der Gemeinschaft darstellt", gerecht wird, verfolgt wird.81 Während es zunächst noch fraglich war, in welchem Verhältnis die zwingenden Erfordernisse zu den Rechtfertigungsgründen des Art 30 EGV stehen 82 , hat der EuGH inzwischen klargestellt, dass nur solche Interessen als zwingende Erfordernisse in Betracht kommen, die nicht schon durch Art 30 EGV (Art III-154 W E ) erfasst werden.83
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Nicht ganz klar ist die Rspr in Bezug auf die Frage, ob die zwingenden Erfordernisse als tatbestandsausschließende Gründe oder aber als Rechtfertigungstatbestände anzusehen sind. Die vom Gerichtshof verwandten Formulierungen dürften darauf hindeuten, dass dieser von ersterem Ansatz ausgeht.84 Dass der EuGH offenbar einen konzeptionellen Unterschied zwischen beiden Konstellationen macht, ergibt sich auch daraus, dass die Rechtfertigungsgründe des Art 30 EGV (Art III-154 W E ) immer eingreifen könnten, also auch bei offenen Diskriminierungen nach der Warenherkunft, während ein Rückgriff auf die zwingenden Erfordernisse bei offenen Diskriminierungen ausgeschlossen sei;85 allerdings ist darauf hinzuweisen, dass gerade im Bereich des Umweltschutzes verschiedentlich auch unmittelbar diskriminierende
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80 In dieser Rechtssache ging es um eine deutsche Vorschrift, wonach Fruchtsaftliköre als solche nur dann verkehrsfahig sind, wenn sie einen Mindestalkoholgehalt von 25 % aufweisen, was bei dem französischen Likör „Cassis de Dijon" gerade nicht der Fall war. 81 EuGH, Slg 1979, 649, Rn 8, 14 - Cassis de Dijon. 82 Wurde doch der Gesundheitsschutz, der schon in Art 30 EGV enthalten ist, auch als Bsp für ein zwingendes Erfordernis aufgeführt. 83 EuGH, Slg 1991,1-4151, Rn 13 - Aragonesa. 84 Vgl etwa EuGH, Slg 1991, 1-4151, Rn 13 - Aragonesa; Slg 1989, 229, Rn 16 - Kommission/ Deutschland; s aber auch EuGH, Slg 1997,1-3689, Rn 18 - Familiapress = Erichsen JK 98, EGV Art 30/1, wo der EuGH von Rechtfertigung spricht. 85 Vgl etwa EuGH, Slg 1981, 1625, Rn 11 - Kommission/Irland; Slg 1983, 127, Rn 11 - Schutzverband; Slg 1992, 1-4431, Rn 33ff - Kommission/Belgien = Kunig JK 93, EWGV Art 30/3; wohl auch Slg 1998, 1-1831, Rn 45 fF - Decker; bei versteckten Diskriminierungen (und sowieso bei Beschränkungen) hingegen können darüber hinaus auch die zwingenden Erfordernisse eingreifen, vgl EuGH, Slg 2000,1-151, Rn 25 fT - Schutzverband gegen unlauteren Wettbewerb = Schock JK 00, EGV Art 28/1, wo es um eine versteckte Diskriminierung ging, der EuGH aber grundsätzlich den Rückgriff auf das zwingende Erfordernis der Sicherstellung der Nahversorgung zugunsten ortsansässiger Unternehmen nicht ausschloss; ähnlich EuGH, Slg 1997, 1-3843, Rn 44 f - de Agostini; s in diese Richtung auch bereits EuGH, Slg 1981, 1625, Rn 11 ff - Kommission/Irland; die Rspr ist hier allerdings nicht immer ganz klar, vgl etwa EuGH, Slg 1985, 305, Rn 27 ff - Cullet; aus jüngerer Zeit auch EuGH, Slg 1999,1-2517, Rn 14 - Ciola = Ehlers JK 00, EGV Art 49/1.
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Regelungen grundsätzlich einer Rechtfertigung zugänglich erachtet wurden86, so dass die Rspr insoweit nicht ganz konsistent erscheint.87 Diese Rspr führt jedoch zu einigen Unstimmigkeiten - ganz abgesehen davon, dass der EuGH teilweise einen recht großen Argumentationsaufwand betreiben musste, um an sich offen diskriminierende Maßnahmen dann doch als nicht offen diskriminierend einzustufen, so dass die Rechtfertigungsmöglichkeit aus Gründen des Umweltschutzes eröffnet werden konnte:88 So erscheint die dogmatische Einordnung der zwingenden Erfordernisse als tatbestandsausschließende Gründe insofern nicht über alle Zweifel erhaben, als diese letztlich eine parallele Funktion wie Rechtfertigungsgründe haben und sie im Übrigen auch nach den gleichen Grundsätzen geprüft werden. Ferner bleibt auch im Falle des Vorliegens zwingender Erfordernisse die einfuhrbeschränkende Wirkung aufrechterhalten, so dass der Tatbestand der Art 28, 29 EGV (Art III-153 W E ) an sich erfüllt ist; insofern erscheint ihre Qualifizierung als Rechtfertigungsgründe näherliegend. Damit in engem Zusammenhang steht die Überlegung, dass der Ausschluss einer Rechtfertigungsmöglichkeit offener Diskriminierungen durch zwingende Erfordernisse nicht sachgerecht erscheint: Dadurch wird nämlich in gewissen Fällen ein ausreichender Schutz der betroffenen Rechtsgüter verhindert, ist es doch gerade nicht von vornherein ausgeschlossen, dass etwa Erwägungen des Umweltschutzes auch offen diskriminierende Maßnahmen zu rechtfertigen vermögen. Etwaigen „Missbräuchen" kann auf der Ebene der Verhältnismäßigkeit begegnet werden.89 Diese Sicht trüge auch den doch parallel gelagerten Funktionen der durch Art 30 EGV (Art III-154 W E ) und die zwingenden Erfordernisse eröffneten Rechtfertigungsmöglichkeiten sowie ihrer letztlich parallelen Anwendung und Prüfung Rechnung.90 Wenn man diesem Ansatz folgt, entbehrt die Betonung des abschließenden Charakters des Art 30 EGV (Art III-154 W E ) jeden Sinns, werden die dort aufgeführten Rechtfertigungsgründe doch in jedem Fall zumindest funktional durch die zwingenden Erfordernisse ergänzt. Insgesamt dürfte also eine einheitliche Rechtfertigungsdogmatik letztlich am sinnvollsten sein: In einem ersten Schritt wird geprüft, ob der Tatbestand des Art 28 oder 29 EGV (Art III-153 W E ) erfüllt ist, in einem zweiten die Einschlägigkeit eines „öffentlichen Interesses" (entweder ein in Art 30 EGV/Art III-154 W E aufgeführter Grund oder ein „zwingendes Erfordernis") geprüft, und in einem dritten Schritt ist nach der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme zu fragen. IE führt die hier vertretene Sicht aber nur bei der Frage der Anwendbarkeit der zwingenden Erfordernisse auf offene Diskriminierungen zu anderen Resultaten als die Rspr des EuGH. 86 EuGH, Slg 2000, 1-3743, Rn 48 - Sydhavnes; iE auch schon Slg 1992, 4431, Rn 34 f - Kommission/Belgien = Kunig JK 93, EWGV Art 30/3; s auch EuGH, Slg 2001,1-2099 - Preussen Elektra, wo es um eine Differenzierung nach dem Sitz des Stromerzeugers ging, wenn auch der E u G H die Frage des Vorliegens einer offenen Diskriminierung nicht ausdrücklich ansprach. 87 Vgl ausf zu dieser Problematik Heselhaus EuZW 2001, 645 ff. 88 So im Falle des wallonischen Einfuhrverbots für Abfälle, vgl EuGH, Slg 1992,1-4431, Rn 33 ff Kommission/Belgien = Kunig JK 93, EWGV Art 30/3. 89 S in diesem Zusammenhang auch Heselhaus EuZW 2001, 645, 648 f, der bei offenen Diskriminierungen für eine besonders strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung plädiert. 90 - » AA § 7 Rn 90; wie hier etwa Weiss EuZW 1999, 493, 497; Leible in: Grabitz/Hilf Art 28 EGV Rn 20; Hakenberg EUWirtschR S 99 f geht sogar soweit, dass sie die Rspr dahingehend auslegt, dass der E u G H nunmehr von einem einheitlichen Begriff der Beschränkung ausgehe (es also maW nicht mehr auf das Vorliegen einer offenen oder versteckten Diskriminierung ankomme), dann nach dem Vorliegen einer (tatbestandsausschließenden) Verkaufsmodalität frage und schließlich eine einheitliche Rechtfertigungsprüfung durchführe.
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c) Nicht wirtschaftlicher Charakter
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Fall 3: (EuGH, Slg 1995,1-563 ff - Evans Medical) Diacetylmorphin ist ein Opiumderivat. Die Herstellung und Verarbeitung dieses Stoffes in Großbritannien war bislang einzig zwei in Großbritannien ansässigen Pharmaunternehmen gestattet; Dritten war die Einfuhr des Stoffes untersagt. Diese Regelung sollte sicherstellen, dass eine zuverlässige Versorgung mit dem als Schmerzmittel verwendeten Diacetylmorphin gewährleistet und der illegale Handel unterbunden wurde. Teilweise wurde aber auch vermutet, dass die Existenzfähigkeit des einzigen zugelassenen Herstellers durch diese Regelung gesichert werden sollte. Der britische Innenminister änderte diese Praxis nun unter Berufung ua auf ihren Verstoß gegen Art 28 EGV, wogegen die betroffenen Pharmaunternehmen klagen. Das zuständige Gericht legt dem EuGH ua die Frage vor, ob es tatsächlich stimme, dass die Regelung nicht mit Art 28 EGV in Einklang steht. Eine Rechtfertigung der Beschränkung des freien Warenverkehrs kommt nur unter der Voraussetzung in Betracht, dass die geltend gemachten Rechtfertigungsgründe einen nicht wirtschaftlichen Charakter aufweisen.91 Dies bedeutet letztlich eine Einschränkung derjenigen Gründe des öffentlichen Interesses, die im Rahmen des Art 30 EGV (Art III-154 W E ) oder der zwingenden Erfordernisse geltend gemacht werden können: Sobald den verfolgten Zielsetzungen ein wirtschaftlicher Charakter zukommt, kommt eine Heranziehung der zwingenden Erfordernisse oder des Art 30 EGV (Art III-154 W E ) (in dessen Rahmen etwa die öffentliche Ordnung einschlägig sein könnte) nicht in Frage. Ein wirtschaftlicher Charakter ist im Ergebnis dann anzunehmen, wenn es bei den ergriffenen Maßnahmen letztlich um Wirtschaftslenkung, die Erreichung wirtschaftspolitischer Zielsetzungen oder ganz allgemein die Abwendung wirtschaftlicher Nachteile geht. Der Ausschluss solcher Gründe aus dem Anwendungsbereich des Art 30 EGV (Art III154 W E ) sowie der zwingenden Erfordernisse ergibt sich aus Sinn und Zweck der Art 28 ff EGV (Art III-153 ff W E ) : Die „Grundphilosophie" dieser Bestimmungen - wie auch der anderen Grundfreiheiten - geht doch gerade dahin, dass Beschränkungen des freien Verkehrs der Produktionsfaktoren zu beseitigen sind, dies in der Annahme, dass sie wirtschaftlicher Effizienz entgegenstehen. Wenn dies aber so ist, können ja nicht Maßnahmen, die gerade über handelsbeschränkende Mittel wirtschaftliche Zielsetzungen verfolgen, von Art 30 EGV (Art III-154 W E ) oder den zwingenden Erfordernissen gedeckt werden. Ansonsten könnten die durch Art 30 EGV (Art III-154 W E ) und die zwingenden Erfordernisse eröffneten Rechtfertigungsmöglichkeiten dazu „missbraucht" werden, den durch die Anwendung der Art 28 f EGV (Art III-153f W E ) möglicherweise (momentan) entstehenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu begegnen. Das Verbot der Geltendmachung wirtschaftlicher Gründe schließt aber nicht aus, dass das primäre Schutzziel einer bestimmten Regelung über wirtschaftspolitische Maßnahmen verfolgt wird. Es wird also nur die eigenständige Verfolgung wirtschaftlicher Zielsetzungen um derer selbst willen ausgeschlossen; wenn aber wirtschaftspolitische Maßnahmen nur „Mittel zum Zweck" sind und letztlich anderen Zielsetzungen dienen, können sie grundsätzlich von Art 30 EGV (Art III-154 W E ) und den zwingenden Erfordernissen erfasst werden. Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn es um die Versorgung der Bevöl-
91 StRspr, s etwa EuGH, Slg 1995,1-563, Rn 36 - Evans; Slg 1984, 2727, Rn 35 f - Campus Oil; Slg 1985, 305, Rn 30 ff - Cullet; EuGH, Slg 2001,1-7915, Rn 21 - Kommission/Griechenland.
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kerung mit wichtigen Medikamenten aus Gründen des Gesundheitsschutzes geht.92 Allerdings können solche Maßnahmen an der Verhältnismäßigkeit 93 scheitern. Ausgeschlossen ist eine Berufung auf Art 30 EGV (Art III-154 W E ) oder die zwingenden Erfordernisse aber jeweils dann, wenn es um Störungen der öffentlichen Ordnung im Gefolge wirtschaftlicher Schwierigkeiten geht, wie dies etwa im Falle von Boykottmaßnahmen bei Einfuhren aus anderen Mitgliedstaaten der Fall sein kann. Denn es widerspricht der vertraglichen Systematik, das Funktionieren der Grundfreiheiten als Störung der öffentlichen Ordnung zu qualifizieren und somit im Ergebnis unter eine Art Vorbehalt der polizeilichen Generalklausel zu stellen. Lösung Fan 3: Die Vorlagefrage ist zulässig, obwohl die in Frage stehende Praxis bereits geändert worden ist: Denn die Beantwortung der aufgeworfenen Fragen soll es dem nationalen Gericht ermöglichen, sich zu vergewissern, dass die Änderung der nationalen Praxis tatsächlich geboten war, um den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts Rechnung zu tragen. Diacetylmorphin ist eine Ware im Sinne des Art 23 II EGV, da es Gegenstand von Handelsgeschäften sein kann und im Hinblick auf diese grenzüberschreitend verbracht wird. Das Verbot der Einfuhr von Diacetylmorphin stellt eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung im Sinne des Art 28 EGV dar, wird doch die Einfuhr einer Ware dem Wert oder der Menge nach begrenzt bzw in diesem Fall gar verboten. Eine Rechtfertigimg kommt nur für Maßnahmen nicht wirtschaftlicher Art in Betracht, dh für solche, die nicht der Wirtschaftslenkung oder der Erreichung wirtschaftspolitischer Zielsetzungen dienen. Gerade solche stehen aber bei der Sicherung des Überlebens eines Unternehmens zur Debatte, so dass diese Erwägung nicht zur Rechtfertigung der Einfuhrbeschränkung herangezogen werden kann. Hingegen dient die regelmäßige Versorgung des Landes mit einem für wichtige medizinische Zwecke gebrauchten Stoff dem Gesundheitsschutz (Art 30 EGV) und vermag damit grundsätzlich eine Behinderung des innergemeinschaftlichen Handels zu rechtfertigen. Die Maßnahme muss aber dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen. Der Sachverhalt erlaubt hier keine abschließende Feststellung (die im Übrigen dem nationalen Gericht obliegt), ob hier eine mildere Maßnahme denkbar gewesen wäre.
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d) Zur Frage der Notwendigkeit eines territorialen Bezugs In erster Linie sollen Art 30 EGV (Art III-154 W E ) und die Anerkennung der zwingenden Erfordernisse natürlich sicherstellen, dass die verfolgten Schutzziele auf dem Gebiet des jeweiligen Mitgliedstaates 94 verfolgt und verwirklicht werden können. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass ein Mitgliedstaat über nationale Maßnahmen auch Zielsetzungen verfolgt, die letztlich auf dem Gebiet eines anderen Staates „angesiedelt" sind. So kann etwa ein Einfuhrverbot für gefährdete Tierarten (nur) den Schutz der Tiere in einem anderen Staat zum Ziel haben. Fraglich ist nun, ob die Mitgliedstaaten über die Berufung auf Art 30 EGV (Art III-154 W E ) oder die zwingenden Erfordernisse auch solche „extraterritorialen Zielsetzungen" verfolgen dürfen oder ob dies von vornherein ausgeschlossen ist.
92 EuGH, Slg 1995,1-563, Rn 36 f - Evans; s auch Slg 1984, 2727, Rn 34 ff - Campus Oil; Slg 1998, 1-1831, Rn 39 f f - D e c k e r . 93 S u Rn 79 ff. 94 Oder auch der Gemeinschaft. Diese Konstellation soll aber im Folgenden außer Betracht gelassen werden. Sie wirft im Wesentlichen die Frage der Konformität entsprechender einseitiger Maßnahmen mit dem GATTAVTO-Recht auf. Vgl hierzu mwN Epiney DVB12000, 77 ff.
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In Anknüpfung an Sinn und Zweck der Rechtfertigungsmöglichkeiten durch die in Art 30 EGV (Art III-154 W E ) genannten und von den zwingenden Erfordernissen erfassten Rechtsgüter erscheint jedenfalls ein allgemeiner Ausschluss einer solchen Verfolgung „extraterritorialer Schutzinteressen" nicht sachgerecht: Denn diese Bestimmung soll es den Mitgliedstaaten doch gerade ermöglichen, die betreffenden Rechtsgüter zu schützen, wobei die Intensität dieses Schutzes grundsätzlich in ihrem Beurteilungsspielraum steht.95 Dann aber ist kein Grund ersichtlich, warum nationale Maßnahmen nicht auch grundsätzlich den Schutz von Rechtsgütern, die sich außerhalb ihres Territoriums befinden, zum Gegenstand haben können. Allerdings muss diese Möglichkeit immer dort eine Grenze finden, wo der Kompetenzbereich anderer (Mitglied-) Staaten beginnt; es wäre also nicht mit der Konzeption der Rechtfertigungsmöglichkeiten durch Art 30 EGV (Art III-154 W E ) und der zwingenden Erfordernisse vereinbar, wenn ein Staat seine Vorstellungen in einem bestimmten Bereich anderen Staaten aufdrängte. MaW kommt es auf die Kompetenz der Mitgliedstaaten zur Regelung der entsprechenden Belange an. Daher müssen die Mitgliedstaaten auch tatsächlich ein „eigenes" Schutzinteresse darlegen, dessen Vorliegen aber gerade nicht in Anknüpfung an das Territorium zu bestimmen ist. Vielmehr kommt es auf eine (auch) rechtlich begründbare eigene Verantwortung für das Schutzgut an, die sich auch auf Grund internationaler Verflechtungen bzw Interdependenzen ergeben kann.' 6 e) Zur Bedeutung der gemeinschaftlichen Grundrechte
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Mitgliedstaatliche oder gemeinschaftliche Maßnahmen zum Schutz der in Art 30 EGV (Art III-154 W E ) genannten oder durch die zwingenden Erfordernisse erfassten Rechtsgüter können auch grundrechtlich geschützte Positionen berühren, so etwa, wenn die Meinungsäußerungsfreiheit durch Maßnahmen, die die Pressevielfalt erhalten sollen, eingeschränkt wird, aber auch schon immer dann, wenn die Wirtschaftsfreiheit berührt wird. Die gemeinschaftlichen Grundrechte (—» ausf hierzu § 13)97 binden selbstverständlich die Gemeinschaft und ihre Organe selbst. Sie entfalten aber auch insoweit Bindungswirkung für die Mitgliedstaaten, als diese Gemeinschaftsrecht anwenden oder durchführen. 98 Dann aber sind die gemeinschaftlichen Grundrechte auch in den Fällen, in denen es um mitgliedstaatliche Regelungen geht, die in den Anwendungsbereich des Gemeinschafts-
95 Hierzu u Rn 83 ff. 96 Der EuGH musste diese Frage noch nicht entscheiden. In der Literatur gehen die Ansichten von einer grundsätzlichen Unzulässigkeit der Verfolgung „extraterritorialer Rechtsgüter" (GorniglSilagi EuZW 1992, 753, 756; wohl auch Everling NVwZ 1993, 209, 211) über eine ausnahmsweise Zulässigkeit im Falle der Existenz einer „globalen Gesamtverantwortung" der Staaten für bestimmte Interessen (Müller-Graff in: G/S Art 30 EGV Rn 37 ff; ähnlich Weiher Nationaler Umweltschutz und internationaler Warenverkehr, 1997, S 99 ff) bis hin zu einer Anknüpfung an „internationale Schutzinteressen", bei deren Einschlägigkeit eine Rechtfertigungsmöglichkeit eröffnet sei (so Kahl Umweltprinzip und Gemeinschaftsrecht 1993, S 192 f; Middeke Nationaler Umweltschutz im Binnenmarkt, 1994, S 167 0· 97 Vgl zum Grundrechtsschutz in der EU Kokott AöR 121 (1996), 599 ff; vor dem Hintergrund der „Proklamation" der Grundrechts-Charta etwa Besselink MJ 2001, 68 ff; ν Bogdandy JZ 2001, 157 ff; Calliess EuZW 2001, 261 ff; Weber GYIL2000, 101 ff. 98 Vgl ausf zu der Frage der Bindungswirkung der gemeinschaftlichen Grundrechte Epiney (Fn 16) S 125 ff; aus der Rspr insb EuGH, Slg 1991, 1-2925, Rn 43 - ERT; Slg 1992, 1-2575, Rn 23 Kommission/Deutschland = Kunig JK 92, EWGV Art 30/2; Slg 1997, 1-3689, Rn 27 - Familiapress = Erichsen JK 98, EGV Art 30/1; -> § 14 Rn 33 ff.
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rechts fallen und sich im Hinblick auf ihre Zulässigkeit auf gemeinschaftsrechtliche Begriffe - wie die in Art 30 EGV (Art III-154 W E ) oder im Rahmen der zwingenden Erfordernisse relevanten Schutzgüter - berufen, zu beachten. Vor diesem Hintergrund ist wohl die Rspr des EuGH zu sehen, die betont, dass die im Gemeinschaftsrecht vorgesehene Rechtfertigung für die Grundfreiheiten beschränkende Maßnahmen der Mitgliedstaaten „im Lichte der Grundrechte" auszulegen sei." Diese grundsätzliche Anwendbarkeit der gemeinschaftlichen Grundrechte entfaltet im Wesentlichen auf zwei Ebenen Rückwirkungen: Zum einen muss das im Rahmen der Heranziehung des Art 30 EGV (Art III-154 W E ) oder der zwingenden Erfordernisse geltend gemachte Rechtsgut auch Einschränkungen des berührten Grundrechts rechtfertigen können, was in aller Regel der Fall sein wird. Zum anderen und vor allem ist auf der Ebene der Verhältnismäßigkeit der Betroffenheit eines Grundrechts Rechnung zu tragen: Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit ieS müssen auch im Hinblick auf die Grundrechtsbeeinträchtigung geprüft werden. In aller Regel jedoch werden diese Aspekte der Verhältnismäßigkeitsprüfung mit der „normalen" Verhältnismäßigkeitsprüfung zusammenfallen, stellt doch gerade die handelsbeschränkende Maßnahme einen Eingriff in das jeweilige Grundrecht dar.100 2. Geschriebene
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Rechtfertigungsgründe
Art 30 EGV (Art III-154 W E ) erlaubt die Anwendung von gegen Art 28, 29 EGV (Art III-153 W E ) verstoßenden Maßnahmen aus einer Reihe im Einzelnen aufgezählter Gründe. Wie erwähnt 101 geht der EuGH auf der Grundlage einer engen Auslegung der einzelnen Rechtfertigungsgründe davon aus, dass die in Art 30 EGV (Art III-154 W E ) enthaltene Liste abschließend ist. Im Einzelnen können vier Gruppen von Ausnahmetatbeständen unterschieden werden, wobei im Folgenden - auf der Grundlage der einschlägigen Rspr - allerdings nur ein kurzer Überblick über den Aussagegehalt der einzelnen Tatbestände erfolgt.102 Die Schutzgüter öffentliche Sittlichkeit, Ordnung und Sicherheit nehmen Bezug auf verschiedene Aspekte des ordre public: Hier geht es letztlich um die Beachtung der wesentlichen Grundregeln eines Gemeinwesens103, wobei die öffentliche Ordnung eine Art Ober-
99 EuGH, Slg 1992, 1-2575, Rn 23 - Kommission/Deutschland = Kunig JK 92, EWGV Art 30/2; Slg 1997, 1-3689, Rn 24 - Familiapress = Erichsen JK 98, EGV Art 30/1. In der Literatur wird diesem Ansatz des E u G H überwiegend gefolgt. Vgl etwa Holznagel Rundfunkrecht in Europa, 1996, S156; Becker in: Schwarze Art 30 EGV Rn 62; sehr krit aber Kingreen Die Struktur der Grundfreiheiten des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999, S 164; ähnlich Störmer AöR 123 (1998), 541, 567. Ausf zur Problematik Schaller Die EU-Mitgliedstaaten als Verpflichtungsadressaten der Gemeinschaftsgrundrechte, 2003, S 79 ff; Waltrab Die Verpflichteten der Gemeinschaftsgrundrechte, 2004, S 43 ff. 100 -> IE wohl ebenso § 7 Rn 94. 101 Ο Rn 57 ff. 102 Für weiterführende Hinweise insb auf die einschlägige Rspr sei auf die Kommentarliteratur verwiesen. Aus der Monographieliteratur Millarg Die Schranken des freien Warenverkehrs in der EG. Systematik und Zusammenwirken von Cassis-Rechtsprechung und Art 30 EG-Vertrag, 2001, S 139 ff. 103 ZB die Verhinderung von Betrug im Zusammenhang mit der Gewährung von Ausfuhrbeihilfen EuGH, Slg 1994,1-2757, Rn 44 - Deutsche Milchkontor.
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begriff darstellt und die öffentliche Sicherheit104 und Sittlichkeit105 spezifische Aspekte herausgreifen.' 06 Der Schutz der Gesundheit des Lebens von Menschen, Tieren und Pflanzen - dem in der Rspr des EuGH eine sehr große Bedeutung zukommt - erfasst nur solche Maßnahmen, die den Schutz von Menschen, Pflanzen oder Tieren als solchen zum Gegenstand haben; notwendig ist also - immer nach der Rspr des EuGH - ein unmittelbarer Bezug zu den genannten Schutzgütern, während im Hinblick auf die genannten Rechtsgüter nur mittelbar wirkende Maßnahmen bzw Anliegen (zB solche, die in erster Linie dem Verbraucheroder Umweltschutz dienen) von den „zwingenden Erfordernissen" erfasst werden.107 Das Schutzgut des nationalen Kulturguts von künstlerischem, geschichtlichem oder archäologischem Wert nimmt Bezug auf das Interesse der Mitgliedstaaten, dem Land bestimmte künstlerische Werke oder sonstige für die nationale Identität bedeutende Gegenstände zu erhalten. In der Rspr spielte dieses Schutzinteresse bislang keine Rolle.108 Der Schutz des gewerblichen und kommerziellen Eigentums nimmt auf solche rechtlichen Instrumente Bezug, die gewerbliche oder kommerzielle Rechtspositionen schützen sollen. Hierunter fallen nach der Rspr des EuGH in erster Linie das Patentrecht 109 , das Warenzeichen-110 und Urheberrecht 111 , aber auch Ursprungsbezeichnungen und geographische Herkunftsangaben 112 . Im Einzelnen wirft die Auslegung dieser Rechtsgüter allerdings einige Fragen auf, denen hier aber nicht weiter nachgegangen werden kann. 113 3. Ungeschriebene Schranken
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Wie bereits erwähnt 114 , entwickelte der EuGH in seinem Urteil Cassis de Dijon115 den Grundsatz, dass Handelsbeschränkungen auch durch sog zwingende Erfordernisse des Allgemeinwohls gerechtfertigt werden können, wobei der EuGH davon ausgeht, dass
104 Die öffentliche Sicherheit betrifft in der Sache das Schutzsystem des Staates zur Erhaltung seines Gewaltmonopols, aber auch den Schutz der Existenz des Staates sowie seiner zentralen Einrichtungen; vgl etwa EuGH, Slg 1991, 1-4621, Rn22ff - Richardt = Kunig JK 92, EWGV Art 30, 36/1. 105 Die öffentliche Sittlichkeit nimmt Bezug auf Moralvorstellungen, nach denen sich das Zusammenleben der Menschen richten soll; vgl EuGH, Slg 1986, 1007, Rn 14 - Conegate; Slg 1979, 3795 ff - Henn und Darby. 106 Vgl Müller-Graff in: G/S Art 30 EGV Rn 49. In diese Richtung wohl auch EuGH, Slg 1984, 2727, Rn 33 - Campus Oil. 107 Vgl aus der Rspr zB EuGH, Slg 1998,1-8033 ff - Bluhme; Slg 1998,1-5121 ff - van Harpegnies; Slg 1987, 1227 - Kommission/Deutschland (Reinheitsgebot für Bier). 108 Vgl zu den sich stellenden Auslegungsfragen mwN Epiney in: Calliess/Ruffert Art 30 EGV Rn 37. 109 EuGH, Slg 1988, 3585, Rn 14 f - Thetford. 110 EuGH, Slg 1978, 1139, Rn 7 f - Hoffmann-La-Roche. 111 EuGH, Slg 1987, 1747, Rn 11 ff - Basset. 112 EuGH, Slg 1992,1-3669, Rn 10 - Delhaize; Slg 2000,1-3123, Rn 50 - Belgien/Spanien; Slg 1992, 1-5529, Rn 25 - Exportur. 113 Vgl im Einzelnen mit zahlreichen Nachw aus der Rspr Epiney in: Calliess/Ruffert Art 30 EGV Rn 39 ff. 114 S o R n 57 ff.
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diese nur auf versteckte Diskriminierungen und Beschränkungen, nicht hingegen auf offene Diskriminierungen Anwendung finden können. 116 Der E u G H hat die ursprüngliche Cajjw-Formel in zahlreichen Urteilen angewandt und teilweise auch weiterentwickelt" 7 , insb durch die ausdrückliche Anerkennung weiterer zwingender Erfordernisse, wie etwa des Umweltschutzes" 8 , der Sicherstellung des finanziellen Gleichgewichts von sozialen Sicherungssystemen" 9 , kultureller Zwecke 120 oder auch der Sicherung der Nahversorgungsbedingungen in relativ abgelegenen Gebieten 121 . Jedenfalls sind die zwingenden Erfordernisse nicht abschließend formuliert („insbesondere"), so dass a priori alle öffentlichen Interessen hierunter subsumiert werden können, immer unter der Voraussetzung, dass sie aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht als solche anerkannt werden können, so dass sie insb keinen wirtschaftlichen Charakter aufweisen dürfen. 122
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4. Verhältnismäßigkeit Fall 4: (EuGH, Slg 2000,1-3123 ff - Belgien/Spanien) Nach den einschlägigen gesetzlichen Vorgaben in Spanien ist die Zulässigkeit des Führens der Ursprungsbezeichnung „Rioja" für den aus der gleichnamigen Region stammenden Wein ua davon abhängig, dass der Wein in der Anbauregion abgefüllt wird. Belgien hat Spanien wegen dieses Aspekts der Ursprungsregelung vor dem EuGH verklagt. Spanien hält das Erfordernis der Abfüllung in der Region selbst für notwendig, da nur auf diese Weise die Qualität des Weins gewährleistet werden könne, während Belgien hier eine unzulässige Beschränkung des freien Warenverkehrs geltend macht. Liegt ein Rechtfertigungsgrund (entweder einer der in Art 30 EGV genannten oder aber ein zwingendes Erfordernis) vor, muss die jeweilige (nationale oder gemeinschaftliche) Maßnahme noch dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen, dh die betreffende Maßnahme muss zur Verfolgung des angestrebten Ziels geeignet sein, das mildeste Mittel darstellen - m a W dem Grundsatz der Erforderlichkeit entsprechen - sowie angemessen (verhältnismäßig ieS) sein.123 Dieser in stRspr anerkannte Grundsatz beruht letztlich auf
116 S o R n 57 ff. 117 Vgl die Zusammenstellung der Rspr bei Ahlfeld Zwingende Erfordernisse im Sinne der CassisRechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu Art 30 EGV, 1997, S 85 ff; Millarg (Fn 102) S 163 ff. 118 EuGH, Slg 1988, 4607, Rn 8f - Kommission/Dänemark (Pfandflaschen); Slg 1992, 1-4431 Kommission/Belgien. 119 EuGH, Slg 1998,1-1831, Rn 39 - Decker. 120 EuGH, Slg 1985, 2605, Rn 21 fT - Cinetheque; Slg 1991,1-4069, Rn 29 f - Kommission/Niederlande (Mediawet); Slg 1993,1-487, Rn 9 f - Veronica Omröp Organisatie; allerdings ist die Rspr hier auch teilweise recht zurückhaltend, vgl etwa EuGH, 1985, 1, Rn 28 ff - Leclerc, in Bezug auf Art 49 EGV. 121 EuGH, Slg 2000, 1-151, Rn 34 - Schutzverband gegen unlauteren Wettbewerb = Schoch JK 00, EGV Art 28/1. 122 Hierzu ο Rn 61 ff. 123 Wobei der EuGH eine Maßnahme allerdings nur in Ausnahmefallen an der Angemessenheit scheitern lässt. Vgl (allerdings in Bezug auf Art 12 EGV) EuGH, Slg 1997, 1-1, Rn 19ff - Pastoors. Zur Prüfung der Verhältnismäßigkeit im Rahmen des Art 28 EGV etwa EuGH, Slg 1998,
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der Heranziehung allgemeiner Rechtsgrundsätze und ist auch vor dem Hintergrund des Sinns und Zwecks der Art 28, 29 EGV (Art III-153 W E ) sowie der anerkannten Rechtfertigungsmöglichkeiten zwingend, soll doch die Beschränkung des freien Warenverkehrs auf das notwendige Maß eingeschränkt werden und in einem angemessenen Verhältnis zu dem angestrebten Schutzziel stehen. Aus Art 30 S 2 EGV (Art III-154 W E ) , wonach die unter Berufung auf Art 30 EGV (Art III-154 W E ) ergriffenen Maßnahmen weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des Handels darstellen dürfen, können keine weitergehenden Anforderungen abgeleitet werden. Vielmehr decken sich diese Erfordernisse iE mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.124 Es ist denn auch kaum vorstellbar, dass „willkürliche Diskriminierungen" oder „verschleierte Beschränkungen" des Handels geeignet und erforderlich sein können. Eine Rechtfertigung nach Art 30 EGV (Art 111-43 W E ) oder auf der Grundlage der Heranziehung zwingender Erfordernisse kommt allerdings von vornherein nur unter der Voraussetzung in Betracht, dass eine Gefahr für die Schutzgüter besteht. Dies bedeutet allerdings nicht, dass eine solche mit einer (soweit dies überhaupt möglich ist) hundertprozentigen Sicherheit nachgewiesen werden muss. Ein gewisser Unsicherheitsfaktor kann also durchaus bestehen; notwendig ist aber eine substantiierte und nachvollziehbare Darstellung des Bestehens einer Gefährdungslage. So deuten zB Kolibakterien auf pathogene Mikroorganismen hin, die eine wirkliche Gefahr für die Gesundheit darstellen.125 Hingegen konnte nicht substantiiert glaubhaft gemacht werden, dass die in bestimmten Bieren vorhandenen Zusatzstoffe angesichts der Ernährungsgewohnheiten126 der deutschen Bevölkerung eine Gesundheitsgefahr mit sich bringen.127 Ebenso wenig vermag der geringe Nährwert eines Nahrungsmittels eine Gefährdung der Gesundheit zu begründen.128 Weiter hielt der EuGH in einem jüngeren Urteil zur Vereinbarkeit des dänischen Verbots, mit bestimmten Vitaminen und Mineralstoffen angereicherte Lebensmittel in den Verkehr zu bringen, fest, dass es bei wissenschaftlichen Unsicherheiten in Bezug auf die mögliche schädliche Wirkung von Zusatzstoffen in Lebensmitteln den Mitgliedstaaten obliege zu entscheiden, in welchem Umfang sie den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung gewährleisten wollen. Allerdings müsse die Existenz einer Gesundheitsgefahr durch eine eingehende Prüfung des entsprechenden Risikos gestützt werden können; ein Vermarktungsverbot könne nur erlassen werden, wenn die geltend gemachte Gefahr für die öffentliche Gesundheit auf der Grundlage der verfügbaren wissenschaftlichen Informationen als hinreichend nachgewiesen anzusehen ist, wobei die Beurteilung des Wahrscheinlichkeitsgrades der schädlichen Auswirkungen sowie die potenzielle Schwere zu berücksichtigen seien.129
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1-1831, Rn 39ff - Decker; Slg 1997, 1-3689, Rn 19ff - Familiapress = Erichsen JK 98, EGV Art 30/1; Slg 1998, 1-8033 ff - Bluhme; Slg 1988, 4607, Rn 11 ff - Kommission/Dänemark (Pfandflaschen). Wobei die Rspr des EuGH hier allerdings nicht einheitlich ist. Vgl zum Problemkreis m w N aus Literatur und Rspr Epiney in: Calliess/Ruffert Art 30 EGV Rn 47 ff. EuGH, Slg 1984, 2367, Rn 17 - Melkunie. Die durchaus grundsätzlich berücksichtigt werden können. Vgl EuGH, Slg 1984, 3263, Rn 16 Heijn; Slg 1986, 1511, Rn 20 - Muller. EuGH, Slg 1987, 1227, Rn 49 - Kommission/Deutschland (Reinheitsgebot für Bier). EuGH, Slg 1989, 229, Rn 10 - Kommission/Deutschland. EuGH, Slg 2003,1-9693 - Kommission/Dänemark; s auch EuGH, Slg 2000, 1-1129 - Kommission/Frankreich, wo der EuGH betont, dass die Mitgliedstaaten das anzulegende Schutzniveau im Bereich des Gesundheitsschutzes bestimmen können.
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a) Zum Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit130 regelt eine Mittel-Zweck-Relation; die Frage geht maW dahin, ob eine bestimmte Maßnahme zur Erreichung des angestrebten Ziels geeignet, erforderlich und angemessen ist. Das Erfordernis der Verhältnismäßigkeit beantwortet also nicht die Frage nach dem anzulegenden Schutzniveau bzw dem verfolgten Ziel, sondern setzt dessen Festlegung voraus. In Anbetracht des Umstandes, dass Art 30 EGV (Art III-154 W E ) sowie die zwingenden Erfordernisse grundsätzlich nur in denjenigen Fällen zur Anwendung kommen können, in denen gerade keine gemeinschaftliche Festlegung des Schutzniveaus besteht, obliegt es den Mitgliedstaaten zu bestimmen, welches Schutzniveau sie zugrunde legen wollen; sie können also maW entscheiden, wie weit zB der Schutz der Gesundheit oder der Verbraucherschutz reichen soll.131 Diese Kompetenz der Mitgliedstaaten bezieht sich auch auf tatbestandliche Unsicherheiten, zB über die Gefährlichkeit bestimmter Stoffe.132 Fraglich ist aber, ob sich die Befugnis der Mitgliedstaaten133 auch darauf bezieht, die jeweiligen Konzeptionen der verfolgten Schutzpolitiken festzulegen, also etwa zu bestimmen, auf der Basis welcher Grundsätze der Verbraucherschutz zu konzipieren ist. Diese Fragestellung kann durchaus - zumindest bei gewissen Politiken, wie gerade dem Verbraucherschutz - von entscheidender Bedeutung für die Durchführung der Verhältnismäßigkeitsprüfung und ihr Ergebnis sein: So ist zB die Erforderlichkeit einer Maßnahme unterschiedlich zu beurteilen, je nachdem, ob das Bild des „verständigen Verbrauchers" oder dasjenige des „flüchtigen" oder „zerstreuten" Verbrauchers zugrunde gelegt wird. Der EuGH legt hier wenigstens in Teilbereichen das Prinzip zugrunde, dass die Konzeption der jeweiligen Politik und damit die Grundlagen für die Verhältnismäßigkeitsprüfung nach gemeinschaftlichen Maßstäben bestimmt werden müssen. So wird insb im Bereich des Verbraucherschutzes (in Verbindung mit dem Gesundheitsschutz) auf ein gemeinschaftliches Konzept des „mündigen" Verbrauchers zurückgegriffen, das dann auf der Ebene der Erforderlichkeitsprüfung dazu führt, dass grundsätzlich zwingende Regelungen der Produktbeschaffenheit und ein daraus folgendes Vertriebsverbot nicht zulässig sind, da Kennzeichnungspflichten die mildere Regelung darstellen.134 Zu überzeugen vermag dieser Ansatz jedoch nicht: In den Fällen, in denen eine gemeinschaftliche Regelung fehlt (und um diese geht es hier), kommt den Mitgliedstaaten grundsätzlich die Kompetenz zu, die jeweiligen Politiken zu bestimmen und die entsprechenden Maßnahmen zu ergreifen. Diese Kompetenz bezieht sich nicht nur auf das „Ob"
130 Vgl umfassend zu diesem Grundsatz im Gemeinschaftsrecht, wenn auch in Bezug auf die Rechtsetzung Emmerich-Fritsche Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Direktive und Schranke der EG-Rechtsetzung, 2000; s auch Jarass EuR 2000, 705, 721 ff. 131 So iE auch die Rspr. Vgl zB EuGH, Slg 1987, 1227, Rn 41 - Kommission/Deutschland (Reinheitsgebot für Bier); Slg 1984, 2367, Rn 18 - Melkunie; EuGH, Slg 2000,1-1149 - Kommission/ Frankreich. Aus der Literatur Ahlfeld (Fn 117) S 62 ff; s auch schon ausf zum Problemkreis Epiney!Möllers Freier Warenverkehr und nationaler Umweltschutz, 1992, S 70 ff. 132 Vgl E u G H , Slg 1983, 2445, Rn 19 - Sandoz; Slg 1983, 3883, LS 6 - van Bennekom; Slg 1986, 151 l , R n 2 0 - M u l l e r . 133 Für gemeinschaftliche Regelungen stellt sich das Problem in dieser Form nicht. 134 StRspr. Vgl nur EuGH, Slg 1987, 1227, Rn 35 ff - Kommission/Deutschland (Reinheitsgebot für Bier); Slg 1979, 649, Rn 13 - Cassis de Dijon; Slg 1994, 1-3537, Rn 19 - van der Veldt; E u G H , Slg 2003,1-459 - Kommission/Spanien; E u G H , Slg 2003,1-513 - Kommission/Italien.
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der Verfolgung der entsprechenden Zielsetzungen, sondern auch auf das „Wie", das neben der Festlegung des Schutzniveaus eben auch die Definition der der jeweiligen Politik zugrunde liegenden Konzeptionen erfasst. Es ist nicht ersichtlich, warum die Gemeinschaft ihre Konzeption an die Stelle derjenigen der Mitgliedstaaten setzen können soll, geht es hier doch nicht um die Definition gemeinschaftlicher Begriffe, sondern um die Festlegung politischer Akzente. Insofern erscheint die Rspr des EuGH nicht ganz unbedenklich. Immerhin konzentriert sich die einschlägige Rechtsprechung bislang auf den Bereich des Verbraucherschutzes, während in anderen Politikbereichen offenbar großzügiger verfahren wird.135 Im Übrigen nimmt der EuGH in jüngerer Zeit teilweise die Kontrolldichte zurück, so wenn er in Bezug auf das Verbot, eine Creme unter der Bezeichnung „Lifting" zu verkaufen, festhält, dass eine solche Regelung dann gegen den Vertrag verstoße, wenn ein durchschnittlich informierter, aufmerksamer Durchschnittsverbraucher erwarte, dass die Creme eine dem operativen Lifting vergleichbare Wirkung zeigt.136 Die Feststellung, ob dies der Fall ist oder nicht, wird dann dem nationalen Gericht überantwortet.137 b) Die Anforderugen der Verhältnismäßigkeit im Einzelnen 90 91
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Wie eingangs erwähnt, umfasst das Prinzip der Verhältnismäßigkeit die Anforderungen der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit. Geeignet ist eine Maßnahme immer dann, wenn sie das verfolgte Ziel grundsätzlich zu erreichen vermag. Ob diese Voraussetzung (wahrscheinlich138) erfüllt ist, muss ggf mittels entsprechender wissenschaftlicher Untersuchungen festgestellt werden. Die Geeignetheit einer Maßnahme ist zB auch dann nicht gegeben, wenn ein Mitgliedstaat eingeführte Waren einer bestimmten Qualität als Gefahr ansieht und vor dieser schützen möchte, gegenüber vergleichbaren einheimischen Waren aber keine Maßnahmen ergreift.139 Eine Maßnahme ist auch dann geeignet, wenn sie das angestrebte Ziel nicht vollständig zu erreichen vermag, hierfür jedoch einen - wenn auch nur kleinen - Beitrag zu leisten vermag, wie dies zB bei Maßnahmen auf dem Gebiet des Umweltschutzes häufig der Fall ist. Insgesamt wird vor diesem Hintergrund die Geeignetheit der Maßnahme vom EuGH recht selten verneint.140 Die Erforderlichkeit einer Maßnahme ist immer dann gegeben, wenn das angestrebte Schutzziel auch durch den Warenverkehr weniger einschränkende Maßnahmen nicht erreicht werden kann. Auszugehen ist bei der Prüfung der Erforderlichkeit aber immer von dem definierten Schutzziel. Die Erforderlichkeit ist etwa bei sog „Doppelkontrollen" - so zB das Erfordernis technischer Analysen für eingeführte Produkte, die schon im Herkunftsstaat analysiert worden sind und deren Analyseergebnisse zugänglich sind -
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So insb im Gesundheitsschutz, vgl die Nachw in Fn 131. Was natürlich nicht der Fall ist. Vgl EuGH, Slg 2000,1-117 ff - Lauder. Auch hier ist den Mitgliedstaaten bei tatbestandlichen Unsicherheiten ein gewisser Gestaltungsspielraum einzuräumen. Vgl ausf Epiney (Fn 16) S 303 ff. 139 EuGH, Slg 1985, 1007, Rn 15 - Conegate; s auch Slg 1990,1-4285, Rn 6 f - Kommission/Italien. 140 Vgl aber auch EuGH, Slg 1989, 229, Rn 10 - Kommission/Deutschland; Slg 1979, 649, Rn 11 Cassis de Dijon; die Geeignetheit wurde etwa in folgenden Fällen bejaht: EuGH, Slg 1991, 1-3069, Rn 23 - Denkavit; Slg 1991,1-4151, Rn 15 - Aragonesa.
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regelmäßig zu verneinen.141 Auch die mit Einfuhrkontrollen verbundenen Zielsetzungen können häufig auf andere Weise, etwa durch Vermarktungsregelungen oder sonstige Kontrollen, erreicht werden.142 Damit die Erforderlichkeit bejaht werden kann, muss in vertretbarer Weise dargelegt werden, dass das ebenfalls in Betracht kommende mildere Mittel nicht ebenso wirksam gewesen wäre. Allerdings ist den Mitgliedstaaten auch hier bei tatbestandlichen Unsicherheiten ein gewisser Gestaltungsspielraum einzuräumen. So weist der EuGH darauf hin, dass bei Schwierigkeiten in Bezug auf die Frage der Wirksamkeit der Maßnahmen schon dann von der Erforderlichkeit der Maßnahme ausgegangen werden könne, wenn keine Anhaltspunkte ersichtlich seien, dass die nationale Maßnahme über das hinausgehe, was zur Erreichung des Zwecks erforderlich sei.143 Im Übrigen ist daran zu erinnern, dass hier - wie auch bei dem folgenden Schritt der Angemessenheitsprüfung - ggf auch die Beeinträchtigung von Grundrechten zu berücksichtigen ist. Bei der Angemessenheit einer Maßnahme geht es um die Abwägung zwischen der Beeinträchtigung des freien Warenverkehrs und ggf der Einschränkung von Grundrechten einerseits und dem verfolgten Schutzinteresse andererseits. Wie bereits eingangs144 erwähnt, scheitert eine Maßnahme allenfalls in Ausnahmefällen an der Angemessenheit.145 Lösung Fall 3: Die Vertragsverletzungsklage Belgiens ist zulässig (Art 227 EGV). Die fragliche Maßnahme stellt eine Maßnahme gleicher Wirkung wie eine Ausfuhrbeschränkung (Art 29 EGV) dar: Denn zwar ist nach wie vor die Ausfuhr von nicht abgefülltem Wein unbeschränkt möglich; dieser darf aber nicht die Ursprungsbezeichnung Rioja tragen. Letzteres beeinträchtigt aber seine Absatzmöglichkeiten, spielen Ursprungsbezeichnungen doch eine wichtige Rolle bei der Vermarktung von Produkten, insbesondere von Wein. Die Voraussetzungen der Dassonville-TonneX sind also gegeben. Da sich die Maßnahme nur auf ausgeführte Produkte (nicht abgefüllter Wein, der so aus der Region ausgeführt wird) bezieht, liegt auch eine spezifische Beschränkung der Ausfuhrströme vor. Wein, der nämlich nur innerhalb der Region befördert und in zugelassenen Kellereien abgefüllt wird, kann nach wie vor die Ursprungsbezeichnung tragen. Ursprungsbezeichnungen gehören zu den gewerblichen Schutzrechten. Sie sollen den Inhaber davor schützen, dass die Bezeichnungen durch Dritte missbräuchlich benutzt werden
141 EuGH, Slg 1998, 1-5121 - Harpegnies; Slg 1998, 1-6197, Rn 22 ff - Kommission/Frankreich; s im Übrigen die Präzisierungen in Bezug auf ein System vorheriger Genehmigungen in EuGH, Slg 2002,1-607 - Canal Satelite. 142 Vgl zB EuGH, Slg 1994, 1-3303, Rn 25 - Kommission/Deutschland; Slg 1988, 547, Rn 15 ff Kommission/Vereinigtes Königreich. 143 EuGH, Slg 2000,1-5681, Rn 40 ff - Kemikalieinspektionen; Slg 1999, 1-3599, Rn 36 ff - Heinonen; s auch EuGH, Slg 2000,1-3123 - Kommission/Belgien; EuGH, Slg 2003,1-5121 Consorzio del Prosciutto di Parma; EuGH, Slg 2003,1-5053 - Ravil/Bellon. 144 S ο Rn 79 ff. 145 S aber auch EuGH, Slg 2002, 1-607 - Canal Satelite, wo der EuGH im Zusammenhang mit einem System vorheriger Genehmigungen für die Inbetriebnahme bestimmter Geräte für die digitale Übermittlung oder den digitalen Empfang von Fernsehsignalen über Satellit auch auf der Angemessenheit zurechenbare Erwägungen zurückgreift, so wenn er betont, dass selbst ein den Anforderungen der Geeignetheit und Erforderlichkeit entsprechendes Genehmigungsverfahren dann nicht mit Art 28 EV vereinbar sein soll, wenn es die Marktteilnehmer an der Ausübung ihrer Freiheiten hindert.
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und diese dadurch einen Vorteil erlangen. Im Übrigen sollen sie gewährleisten, dass das mit ihnen versehene Erzeugnis aus einem bestimmten geographischen Bereich stammt und bestimmte besondere Eigenschaften aufweist. Damit ist eine Rechtfertigung nach Art 30 EGV grundsätzlich möglich. Fraglich ist jedoch die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme, insb die Erforderlichkeit: Ausgangspunkt der Überlegungen ist der Umstand, dass der Abfüllvorgang schwierig ist und nur von Personen bzw Unternehmen mit großer Sachkenntnis durchgeführt werden sollte, mil man vermeiden, dass der Wein an Qualität einbüßt und damit seine Eigenarten verliert. Gleiches gilt für die Beförderung in nicht abgefülltem Zustand. Vor diesem Hintergrund bejaht der EuGH die Erforderlichkeit: Die erwähnte Sachkenntnis sei am ehesten bei den Unternehmen der betroffenen Region vorzufinden, die eben eine größere Erfahrung im Umgang mit gerade diesem Qualitätswein hätten, so dass eine größere Wahrscheinlichkeit gegeben sei, dass die genannten Vorgänge fachgerecht durchgeführt würden. Auch seien die Kontrollen in anderen Mitgliedstaaten teilweise weniger streng als in Spanien. Schließlich reiche auch eine alleinige Kennzeichnungspflicht nicht aus, da im Falle von Qualitätseinbußen das Ansehen aller unter der Ursprungsbezeichnung „Rioja" vermarkteten Weine geschädigt würde. Zu überzeugen vermag der grundsätzliche Ansatz des EuGH allerdings nicht: So ist nicht ersichtlich, warum die Abfüllung und Beförderung von Rioja schwieriger sein soll als diejenige sonstiger Qualitätsweine, so dass man ja auch auf das Kriterium „Unternehmen aus Regionen mit Qualitätsweinen" hätte abstellen können. Vor allem aber bestehen wohl andere Methoden zur Feststellung der Qualifikation der Unternehmen, die den freien Warenverkehr weniger stark beschränken würden, wie etwa ein Zulassungsverfahren, eine Prüfung des erforderlichen Sachwissens oder regelmäßige Kontrollen.
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§9 Arbeitnehmerfreizügigkeit Ulrich Becker Leitentscheidimgen: EuGH, Slg 1974, 1405 ff - Walrave; Slg 1982, 1935 ff - Levin; Slg 1986, 2121 ff Lawrie-Blum; Slg 1995,1-4921 ff - Bosman. Schrifttum: Hailbronner Ausländerrecht, Loseblattwerk, Abschn D: Recht der EG; Schulz Freizügigkeit für Unionsbürger, 1997.
Die Arbeitnehmerfreizügigkeit ist traditionell gesehen der tragende Pfeiler der Personenfreizügigkeit in der EU, die wichtigste Norm, die es Unionsbürgern (vgl Rn 28) ermöglicht, sich in andere Mitgliedstaaten zu begeben und dort zu leben.1 Ihre Rechtsgrundlage ist Art 39 EGV (Art III-133 W E ) . Die Vorschrift ist ebenso wie die anderen Grundfreiheiten unmittelbar anwendbar.2 Sie gewährt das Recht auf Aufnahme einer Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat und in diesem Zusammenhang zugleich ein Einreiseund Aufenthaltsrecht (Rn 4 ff). Allerdings folgen Freizügigkeitsrechte auch aus anderen Grundfreiheiten: Aus der Niederlassungsfreiheit (Art 43 EGV/Art III-137 W E ) für Personen, die auf Dauer in einem anderen Mitgliedstaat einer selbständigen Tätigkeit nachgehen wollen, und aus der Dienstleistungsfreiheit (Art 49 EGV/Art III-144 W E ) , weil die aktive Dienstleitungsfreiheit einen vorübergehenden Aufenthalt des Leistungserbringers und die passive Dienstleistungsfreiheit einen vorübergehenden Aufenthalt des Leistungsempfängers in einem anderen Mitgliedstaat als dem Herkunftsstaat voraussetzen 3 (vgl zur Abgrenzung Rn 35). Freizügigkeit steht nach allen genannten Normen im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Betätigung und erschien deshalb lange Zeit lediglich als Begleitrecht der Marktfreiheiten. Das hat sich geändert mit dem Mitte der achtziger Jahre verstärkt einsetzenden Bemühen um Herstellung eines Binnenmarktes und vor allem mit der Schaffung der Europäischen Union. 4 Denn im Binnenmarkt sollen sich Personen frei bewegen können, ohne dass es auf den Zweck der Bewegung ankommt. Deshalb wurden durch Sekundärrecht neue Freizügigkeitsrechte geschaffen, und zwar zunächst für Rentner und Studenten, dann auch für alle übrigen Personen.5 Mit dem Maastrichter Vertrag wurde ein neuer Teil über die Unionsbürgerschaft in den EGV eingefügt (Art 17fT EGV/Art 1-10 1 Auch der Schutzbereich der Freizügigkeitsgarantie des Art 11 GG erfasst das Recht, Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen, vgl BVerfGE 2, 266, 273 ff; daneben nach überw Meinung das Recht zur Einreise in das, aber nicht zur Ausreise aus dem Bundesgebiet, vgl BVerfGE 6, 32, 34 ff; näher dazu Gusy in: ν Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg) Bonner Grundgesetz-Kommentar Bd 1, 4. Aufl 1999, Art 11 Rn 36 ff. Zu Art 11 GG und dessen historischem Hintergrund ausf Ziekow Über Freizügigkeit und Aufenthalt, 1997. 2 Vgl nur EuGH, Slg 1974, 1337, Rn 5 ff - Van Duyn; § 7 Rn 7. 3 Grundlegend zur passiven Dienstleistungsfreiheit EuGH, Slg 1984, 377, Rn 16 f - Luisi und Carbone. 4 Vgl zur Entwicklung Becker EuR 1999, 522 ff. 5 Genauer: für die aus dem Erwerbsleben ausgeschiedenen Arbeitnehmer und selbständig Erwerbstätigen, RL 90/365, ABl 1990 Nr L 180/28; für Studenten RL 93/96, ABl 1993 Nr L 317/59 (als Neuerlass der RL 90/366, ABl 1990 Nr L 180/30); für alle übrigen Personen RL 90/364, ABl 1990 Nr L 180/26.
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§9 II
Ulrich Becker
W E ; —> hierzu allgem § 21). Damit erhielt das allgemeine Freizügigkeitsrecht eine (gemeinschafts-)verfassungsrechtliche Grundlage (Art 18 EGV/Art 1-10 W E ) . 6 Dieses Recht ist gegenüber den speziellen wirtschaftsbezogenen Freizügigkeitsrechten und damit auch gegenüber Art 39 EGV (Art III-133 W E ) subsidiär.7 Ob Art 18 EGV (Art 1-10 W E ) unmittelbar anwendbar ist, hat der EuGH bis heute nicht entschieden. 8 Die Frage ist aber zu bejahen, wobei die sekundärrechtlichen Beschränkungen beachtlich bleiben.9 Im Übrigen ist die Entwicklung hin zu einem einheitlichen Freizügigkeitsrecht absehbar.10
I. Schutzbereich 1. 3
Vorbemerkung
Für die Arbeitnehmerfreizügigkeit spielt das sekundäre Gemeinschaftsrecht eine wichtige Rolle. Schon vor Ablauf der im EWGV vorgesehenen Übergangszeit wurden die Gemeinschaftsrechtsakte erlassen, die wegen der verschiedenen ausländerrechtlichen Bestimmungen in den Mitgliedstaaten erforderlich erschienen, um die grenzüberschreitende Inanspruchnahme der Freizügigkeitsrechte zu ermöglichen." Bis heute von Bedeutung sind neben der bereits genannten Freizügigkeitsrichtlinie (RL 2004/38) 12 Verordnungen über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer (VO1612/68) 13 und das Verbleiberecht (VO1251/70) l4 . Diese Einzelrichtlinien werden mit Wirkung vom 30.4.2006 aufgehoben und inhaltlich zusammengefasst durch die RL 2004/38, ABl 2004 Nr L 158/77 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten; vgl dazu Hailbronner ZAR 2004, 259 f t 6 Vgl auch Art 45 GRCh (ABl 2000 Nr c 364/1) (Art 11-105 W E ) , der allerdings im Zusammenhang mit Art 52 II GRCh (Art 11-112 W E ) gelesen werden muss. Vgl zu Art 18 EGV (Art 1-10 W E ) auch Scheuing EuR 2003, 744 ff. 7 Vgl EuGH, Slg 1999,1-llff - Calfa. Hingegen dürfte Art 18 EGV (Art 1-10 W E ) der Ableitung eines Aufenthaltsrechts aus Art 12 EGV (Art III-123 W E ) (vgl EuGH, Slg 1985, 593, Rn 19ff Gravier) vorgehen. 8 In Verbindung mit Art 12 EGV (Art III-123 W E ) verleiht die Unionsbürgerschaft jedenfalls Rechte im Aufenthalt, vgl dazu EuGH, Slg 1998, 1-2691 ff - Martinez Sala; EuGH, Slg 2001, 1-6193 - Grzelczyk = Ehlers JK 02, EGV Art 12/1. Den Charakter des Art 18 EGV (Art 1-10 W E ) als Grundfreiheit betonend EuGH, Slg 2000, 1-9265, Rn 23 f - Yiadom. Zur Rspr auch Castro Oliveira CMLR 2002, 77, 78 ff. 9 Vgl die Bezugnahme auf Durchführungsvorschriften in Art 18 I EGV (Art 1-10 W E ) ; EuGH, Slg 2000,1-2623, Rn 30 ff - Kaba. 10 Vgl RL 2004/38 (Fn 5). 11 Vgl zur Entwicklung nur WölkerlGrill in: vd Groeben/Schwarze Art 40 EGV Rn 3 ff. 12 Vgl Fn 5. Die Richtlinien über die Aufhebung von Aufenthaltsbeschränkungen (insbesondere RL 68/360, ABl 1968 Nr L 257/13, zur Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen für Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten und ihre Familienangehörigen innerhalb der Gemeinschaft, RL 73/148, ABl 1973 Nr L 172/14, zur Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten innerhalb der Gemeinschaft auf dem Gebiet der Niederlassung und des Dienstleistungsverkehrs) und über den ordre public Vorbehalt (RL 64/221, ABl 1964 Nr 56/850, zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigt sind) werden mit Wirkung vom 30.4.2006 durch RL 2004/38 aufgehoben. 13 VO 1612/68, ABl 1968 Nr L 257/2, über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft. 14 VO 1251/70, ABl 1970 Nr L 142/24, der Kommission über das Recht der Arbeitnehmer, nach
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Diese Bestimmungen konkretisieren zum Teil den Schutzbereich und die Schranken des Art 39 EGV (Art III-133 W E ) , zum Teil gehen sie über die Vertragsbestimmung inhaltlich hinaus. Sie sind ihrerseits im Lichte der Grundfreiheit auszulegen, 15 und ihr enger Zusammenhang zur Arbeitnehmerfreizügigkeit legt es nahe, sie im Folgenden bei der Beschreibung von Schutzbereich und Schranken mit zu berücksichtigen. 16 Zu beachten ist allerdings, dass der Anwendungsbereich des Sekundärrechts von jenem des Art 39 EGV (Art III-133 W E ) abweichen kann; das Gemeinschaftsrecht enthält insofern unterschiedliche Arbeitnehmerbegriffe. 17
2. Sachlicher Schutzbereich a) Arbeitnehmereigenschaft Fall 1: (EuGH, Slg 1989,1621 ff - Bettray) Der deutsche Staatsangehörige B, der bereits 1980 in die Niederlande eingereist war, wurde 1983 wegen seiner Drogenabhängigkeit nach dem Gesetz über die soziale Arbeitsbeschaffung für einen unbefristeten Zeitraum in einer gemeindlichen Arbeitsorganisation gegen Entgelt zur Verrichtung bestimmter Dienste eingestellt. Die Tätigkeit diente der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit und sollte Β die Gelegenheit geben, unter Bedingungen zu arbeiten, die soweit wie möglich auf das abgestimmt sind, was für die Ausübung entgeltlicher Arbeit unter normalen Bedingungen üblich ist. Als Β eine Aufenthaltserlaubnis beantragte, wurde dieser Antrag von den niederländischen Behörden abgelehnt. Β sei nicht als Arbeitnehmer anzusehen und könne deshalb aus Art 39 EGV (Art III-133 W E ) kein Aufenthaltsrecht ableiten. Bei seiner Tätigkeit handele es sich um eine Beschäftigung eigenen Typs mit sozialem Charakter, die Produktivität von Β sei gering und die Entlohnung, die Β erhalte, müsse dementsprechend zum großen Teil aus öffentlichen Mitteln gezahlt werden. Für die Bestimmung des sachlichen (und nicht nur des persönlichen) Schutzbereichs von Art 39 EGV (Art III-133 W E ) besitzt der Begriff des Arbeitnehmers zentrale Bedeutung. 18 Nach stRspr des EuGH handelt es sich um einen gemeinschaftsrechtlichen Begriff, der aus sich heraus auszulegen ist. Im Grunde genommen ist das selbstverständlich, wenn man der Grundannahme folgt, dass das Gemeinschaftsrecht eine autonome Rechtsordnung darstellt. Weil aber in den nationalen Rechtsordnungen aller Mitgliedstaaten eben-
Beendigung einer Beschäftigung im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats zu verbleiben; vgl zum Verbleiberecht nach selbständiger Tätigkeit R L 75/34, ABl 1974 Nr L 14/10 - diese RL wird ebenfalls mit Wirkung vom 30.4.2006 durch R L 2004/38 (Fn 5) aufgehoben. Vgl auch E u G H , Slg 2003,1-345 fT - Givane. 15 Vgl bereits EuGH, Slg 1976, 497, Rn 24 fT - Royer. 16 Ohne dass das Sekundärrecht den Anwendungsbereich der Grundfreiheiten beschränken könnte, vgl dazu EuGH, Slg 2000,1-6623, Rn 29 f - Hocsman. Zur konkretisierenden Wirkung auch WeatherilUBeaumont EU Law, 3. Aufl 1999 , S 626 ff. 17 So liegt zB der Sozialrechtskoordinierung durch VO 1408/71, ABl 1971 Nr L 149/2 ein eigener, auf die nationalen Sozialleistungssysteme Bezug nehmender Arbeitnehmerbegriff zugrunde, der zum Teil weiter, zum Teil enger als Art 39 EGV ist; die mittlerweile beschlossene VO 883/2004, ABl 2004 Nr L 166/1, mit der diese VO abgelöst werden soll, wird voraussichtlich 2006 in Kraft treten. Vgl aber auch zur parallelen Auslegung, soweit keine ausdrücklichen Abweichungen bestehen, EuGH, Slg 1995,1-4741, Rn 18 f T - Mengner. 18 Vgl dazu auch Colneric FS Rodriguez Iglesias, 2003, S 385 ff.
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falls der Arbeitnehmerbegriff bekannt und die Versuchung deshalb groß ist, nationale Interpretationsansätze zu übernehmen, sah sich der EuGH immer wieder zu der Feststellung veranlasst, die nationalen Behörden und Gerichte dürften bei der Anwendung des Art 39 EGV (Art III-133 W E ) keine eigenen, zusätzlichen Voraussetzungen verlangen.19 Ein zweiter, nicht nur für den Arbeitnehmerbegriff wichtiger Auslegungsgrandsatz besagt, dass Art 39 EGV (Art III-133 W E ) nicht einschränkend, sondern im Hinblick auf die grundlegende Bedeutung der Grundfreiheit und die Vertragsziele weit auszulegen ist:20 Nach Ansicht des EuGH kommt es darauf an, den Freizügigkeitsbestimmungen zu voller Wirksamkeit zu verhelfen21 (e/jfez-uft'/e-Grundsatz). Arbeitnehmer zeichnen sich dadurch aus, dass sie (1) eine wirtschaftliche Leistung erbringen, (2) unselbständig tätig werden und (3) für ihre Tätigkeit eine Vergütung als Gegenleistung erhalten, ohne dass (4) eine Qualifizierung ihrer Tätigkeit als sittenwidrig den Schutzbereich verschließt. (1) In dem Erfordernis der wirtschaftlichen Leistung kommt der allgemeine Bezug aller Grundfreiheiten zu wirtschaftlichen Tätigkeiten zum Ausdruck. Im Gegensatz dazu stehen rein soziale22, eventuell auch kulturelle und sportliche Tätigkeiten. Allerdings darf diese Begrenzung nicht so verstanden werden, dass bestimmte Sektoren als Ganze von der Anwendung der Grundfreiheiten ausgeschlossen wären. Ausnahmen bestehen vielmehr nur dann, wenn die konkrete Tätigkeit nicht in einem wirtschaftlichen Austauschverhältnis erfolgt.23 So ist etwa die Beschäftigung bei einem Sozialversicherungsträger natürlich eine Arbeitnehmertätigkeit. Der Umstand, dass in bestimmten gesellschaftlichen Bereichen wie dem Sport und der Kultur Besonderheiten bestehen oder dass bestimmte Berufe wegen ihres Gemeinwohlbezugs besonderen Regulierungen unterliegen, grenzt zudem den Schutzbereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit nicht ein, sondern kann höchstens im Rahmen der Rechtfertigung von Eingriffen eine Rolle spielen. Dementsprechend können Profisportler24 und für religiöse oder weltanschauliche Gemeinschaften Tätige25 ebenso Arbeitnehmer sein wie Rechtsanwälte und Ärzte.26 Anderes dürfte für ehrenamtliche Tätigkeiten gelten, selbst wenn eine Aufwandsentschädigung gezahlt wird. Noch offen ist die Abgrenzung bei Amateursportlern.27 Der Status, den ein Erwerbstätiger besitzt (Arbeiter oder Angestellter, Tätigkeit in der Privatwirtschaft oder im öffentlichen Dienst, vgl auch Rn 27) oder der Umfang der Tätigkeit und deren Produktivität (vgl auch Rn 10) spielen keine Rolle. Der EuGH verlangt
19 Vgl nur EuGH, Slg 1982, 1035, Rn 11 ff - Levin; Slg 1988, 3205, Rn 22 ff - Brown. 20 Vgl EuGH, Slg 1986, 1741, Rn 13ff - Kempf; Slg 1986, 2121, Rn 16ff - Lawrie-Blum; EuZW 2004, 117, Rn 23 ff - Ninni-Orasche. 21 EuGH, Slg 1982, 1035, Rn 15 ff - Levin: „volle Wirkungskraft". 22 Wie die Sicherungsfunktion von Sozialleistungsträgern, vgl zuletzt EuGH, Slg 2002, 1-691 INAIL = Ehlers JK 9/02, EGV Art 81/2. 23 Der Schutz ganzer Einrichtungen wie etwa der bestehenden Sozialversicherungssysteme kann nur über eine Eingrenzung der Beschränkungsverbote oder großzügigere Rechtfertigungsanforderungen erfolgen, und selbst die nur auf einzelne Rechtsverhältnisse bezogene Herausnahme sozialer Tätigkeiten aus dem Anwendungsbereich ist nicht unumstritten. 24 Vgl EuGH, Slg 1974, 1405 ff - Walrave; Slg 1995,1-4921 ff - Bosman; Slg 2000,1-2681 ff - Lehtonen. 25 Vgl EuGH, Slg 1988, 6159, Rn 11 ff - Steymann. 26 Vgl sektorale Anerkennungsrichtlinie für Ärzte 93/16/EWG. 27 Vgl, bezogen auf die Dienstleistungsfreiheit, EuGH, Slg 2000,1-2549 ff - Deliege.
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nur, dass es sich um eine „tatsächliche und wirtschaftliche Tätigkeit" handeln muss, die sich nicht als „völlig untergeordnet und unwesentlich" darstellt.28 Dafür genügt unproblematisch eine Teilzeittätigkeit und jede andere fremdnützige Betätigung; Abgrenzungsprobleme hängen in erster Linie mit den weiteren Voraussetzungen der Weisungsgebundenheit und der Entgeltlichkeit zusammen. (2) Die Tätigkeit muss unselbständig ausgeübt werden, was im Sinne einer Weisung»gebundenheit zu verstehen ist. Dieses Merkmal dient zugleich der Abgrenzung zur Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit, die jeweils eine selbständige Erwerbstätigkeit voraussetzen (vgl auch Rn 35).29 Der EuGH hat dazu allgemein ausgeführt, die Beurteilung hänge „von der Gesamtheit der jeweiligen Faktoren und Umstände ab, die die Beziehungen zwischen den Parteien charakterisieren, wie etwa die Beteiligung an den geschäftlichen Risiken des Unternehmens, die freie Gestaltung der Arbeitszeit und der freie Einsatz eigener Hilfskräfte". 30 Das bezieht sich auf die Unterscheidung von unternehmerischem Handeln, das seinerseits insbesondere durch die Übernahme des Unternehmensrisikos geprägt ist. Nach der Rechtsprechung schließt zB eine Entlohnung im Wege einer Ertragsbeteiligung die Arbeitnehmereigenschaft nicht aus,31 während es an der notwendigen „Unterordnung" fehlt, wenn ein Geschäftsführer zugleich alleiniger Gesellschafter ist.32 Auch in anderen Konstellationen bereitet eine gelockerte Weisungsgebundenheit Schwierigkeiten. Vollkommen zu Recht hat der EuGH etwa darauf hingewiesen, bei Familienarbeitsverhältnissen komme es auf die tatsächliche Ausführung an.33 Auf die Klarstellung der entscheidenden Indizien hat er aber verzichtet, wie überhaupt seine Judikatur insgesamt gesehen hinsichtlich der Abgrenzung zwischen unselbständiger und selbständiger Erwerbstätigkeit - verglichen mit der arbeits- und sozialrechtlichen Rechtsprechung in Deutschland - spärlich ist. Da das Kriterium der Weisungsgebundenheit beiden Rechtsordnungen bekannt und für die Qualifizierung einer Tätigkeit als unselbständige von wesentlicher Relevanz ist, lässt sich - bei aller gebotenen Vorsicht (vgl Rn 4 ff) - die nationale Rechtsprechung aber in der Sache weitgehend übertragen. 34 (3) Was die Entlohnung angeht, so wird nicht vorausgesetzt, dass die Gegenleistung der unselbständigen Tätigkeit zur alleinigen Deckung des Lebensunterhalts genügt. Auch muss sie weder den tariflichen Bestimmungen entsprechen noch die Höhe eines vorgesehenen Mindestlohns erreichen; in welcher Form sie gewährt wird, ist unerheblich. Im Zusammenhang mit den großzügig gehandhabten anderen Kriterien kann das aber zu Ergebnissen führen, deren Vereinbarkeit mit der wirtschaftlichen Ausrichtung der Grundfreiheiten auf den ersten Blick zweifelhaft erscheint. Denn für den Arbeitnehmerstatus ge-
28 EuGH, Slg 1982,1035, Rn 17 ff- Levin. 29 Im nationalen Recht existieren entsprechende Notwendigkeiten der Abgrenzung, und zwar im Arbeits-, Sozial- und Steuerrecht, vgl etwa HanaulAdomeit Arbeitsrecht, 12. Auf! 2000, S 150 ff; SchuliniIgl Sozialrecht, 7. Aufl 2002, S 71 ff; TipkelLang Steuerrecht, 17. Aufl 2002, § 9 Rn 552. 30 EuGH, Slg 1989,4459, Rn 36 ff - Agegate. 31 EuGH, Slg 1989,4459, Rn 36 ff - Agegate. 32 EuGH, Slg 1996,1-3089, Rn 26 ff - Asscher. 33 EuGH, Slg 1999,1-3289, Rn 15 ff - Meeusen. 34 Das bestätigen jedenfalls die bis jetzt vom E u G H entschiedenen Fälle, wobei zu beachten ist, dass im Einzelfall auch die gerichtlichen Beurteilungen innerhalb Deutschlands durchaus voneinander abweichen können. Verfolgt man den hier befürworteten Ansatz, bereitet die oft als unklar angesehene Einstufung von leitenden Angestellten keine großen Probleme mehr.
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nügt schon eine geringfügige Tätigkeit von 12 Stunden wöchentlich oder weniger.35 Eine lediglich ganz kurze Beschäftigung gibt jedoch Anlass zu Zweifeln, ob überhaupt eine wirtschaftliche Leistung erbracht wird.36 Die Inanspruchnahme des Art 39 EGV (Art III133 W E ) scheitert allerdings nicht daran, dass öffentliche Mittel zur Existenzsicherung zusätzlich in Anspruch genommen werden müssen;37 bereits untergeordnete Tätigkeiten vermitteln ein Aufenthaltsrecht und einen Anspruch auf Sozialleistungen. Andererseits enthält Art 39 EGV (Art III-133 W E ) keinerlei Einschränkungen, denn sein Anwendungsbereich würde zu sehr verkürzt, wenn der Erwerb eines ohnehin schwer bestimmbaren Existenzminimums gefordert würde. Im Übrigen entspräche dies auch nicht der Entwicklung hin zu einem allgemeinen Freizügigkeitsrecht (vgl Rn 1 ff). Die Beschäftigung zur Berufsausbildung ist eine Arbeitnehmertätigkeit, ein Studium hingegen nicht. Fraglich ist die Situation bei Praktikanten. Sie sind Arbeitnehmer, wenn das Praktikum „unter den Bedingungen einer tatsächlichen und echten Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis durchgeführt wird"; bei der Beurteilung kommt es darauf an, ob die aufgewendete Zeit genügt, um berufliche Fähigkeiten zu entwickeln.38 (4) Grundsätzlich wird die Arbeitnehmereigenschaft nicht durch den Umstand ausgeschlossen, dass eine Tätigkeit als Verstoß gegen die guten Sitten angesehen wird, zumindest, wenn mit dieser Charakterisierung nicht ein vollständiger Ausschluss vom Arbeitsmarkt einhergeht. Daran bestanden im Falle der erwerbsmäßigen Prostitution Zweifel.39 Nachdem der EuGH zunächst lediglich implizit von einem Schutz durch die Grundfreiheiten ausgegangen war,40 hat er jüngst festgestellt, dass es sich bei der Prostitution um eine Erwerbstätigkeit handele, die in den Mitgliedstaaten zwar reglementiert, aber nicht grundsätzlich verboten ist.41 Einschränkungen bedürfen deshalb der Rechtfertigung (vgl Rn 47). Lösung Fall 1: Arbeitnehmer sind in einem Arbeitsverhältnis stehende Personen. Nach st Rspr des EuGH besteht das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses darin, dass jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisimg Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Im vorliegenden Fall hat Β Leistungen erbracht und dafür eine Gegenleistung bekommen, weshalb die Annahme einer Bereichsausnahme ausscheidet. Dass es sich um eine bestimmte, gesetzlich ausgeformte Beschäftigung handelte, ist unerheblich. Allerdings verlangt der EuGH, dass auch die konkret ausgeübte Tätigkeit als „tatsächliche und echte wirtschaftliche Tätigkeit" anzusehen ist. Dagegen sprechen der Zweck der Beschäftigung und deren Durchführung. Denn dieser dient der Wiedereingliederung des B, soll Β also in die Lage versetzen, später eine reguläre Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Die im Rahmen des Gesetzes über die soziale Arbeitsbeschaffung eingesetzten Personen werden nicht nach ihren Fähigkeiten ausgesucht, sondern die von ihnen auszuführenden Verrichtungen vielmehr den vorhandenen Fähigkeiten angepasst. Schließlich wurde die ge-
35 Vgl EuGH, Slg 1986, 1741, Rn 12 ff - Kempf; Slg 1989, 2743, Rn 13 ff - Rinner-Kühn; Slg 1995, 1-4741, Rn 18 ff-Mengner. 36 Zur beschränkten Dauer von Gelegenheitsarbeiten E u G H , Slg 1992,1-1027, Rn 14 ff - Raulin. 37 EuGH, Slg 1986, 1741, Rn 14 ff- Kempf. 38 EuGH, Slg 1992,1-1071, Rn 15 ff-Bernini. 39 Vgl BVerwGE 60, 284,289 ff. 40 EuGH, Slg 1982, 1665, Rn 5 ff - Adoui. 41 EuGH, Slg 2001,1-8615 - Jany = Ehlers JK 7/02, EGV Art 43/2.
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samte gemeindliche Arbeitsorganisation nur zu dem Zweck geschaffen, die Arbeitsfähigkeit der beschäftigten Personen wiederherzustellen. Β ist deshalb kein Arbeitnehmer iSv Art 39 EGV (Art III-133 W E ) . 4 ! b) Zeitliche Erstreckung Arbeitnehmer ist, wer in einem Arbeitsverhältnis steht. Damit erstreckt sich der durch Art 39 EGV (Art III-133 W E ) gewährte Schutz auf die Dauer der unselbständigen Erwerbstätigkeit. Was aber gilt, wenn ein Arbeitsverhältnis erst begründet werden soll (1), oder umgekehrt, wenn das Arbeitsverhältnis beendet worden ist (2)? (1) Art 39 III lit a EGV (Art III-133 III lit a W E ) gewährt den Arbeitnehmern ausdrücklich das Recht, sich um tatsächlich angebotene Stellen zu bewerben. Ganz offensichtlich muss also ein Arbeitsverhältnis noch nicht bestehen, sondern dessen Abschluss nur beabsichtigt sein. Garantiert wird damit der freie Zugang zu einer Beschäftigung. Das umfasst ein Einreise- und Aufenthaltsrecht und das Recht auf Gleichbehandlung bei der Stellenbewerbung 43 (vgl Rn 19 ff), ohne dass die Einreise im Hinblick auf bestimmte, bereits ausgeschriebene Stellenangebote erfolgen müsste. Bis heute ungeregelt ist aber die Frage, für welche Dauer in einem anderen Mitgliedstaat Arbeit gesucht werden darf, ab welcher Zeit umgekehrt davon auszugehen ist, dass eine Arbeitsaufnahme scheitert und deshalb aus Art 39 EGV (Art III-133 W E ) kein Aufenthaltsrecht mehr abgeleitet werden kann. 44 Der EuGH hat die Annahme, dies sei jedenfalls nach einer vergeblichen Stellensuche über sechs Monate hin der Fall, akzeptiert. 45 Auf einen spürbar kürzeren Zeitraum werden sich Stellensuchende nicht verweisen lassen müssen, 46 wobei immer entscheidend bleibt, ob im Einzelfall noch mit Erfolg bei der Stellensuche gerechnet werden kann. (2) Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses haben Arbeitnehmer ein Verbleiberecht gemäß Art 39 III lit d EGV (Art III-133 III lit d W E ) , das durch die VO 1251/70 näher ausgestaltet wird (vgl Rn 3). Der grundlegende Gedanke ist der, dass Beschäftigte auch nach Ausscheiden aus dem Arbeitsleben in ihrem gewohnten Lebensumfeld bleiben können sollen. Dementsprechend knüpft das Verbleiberecht an eine Aufgabe der Beschäftigung wegen Erreichens des Rentenalters oder Eintritts einer Erwerbsunfähigkeit an und
42 Nicht gegen eine Arbeitnehmereigenschaft spricht der Umstand, dass das Entgelt aus öffentlichen Mitteln gezahlt wird, vgl zu Beschäftigungsverhältnissen im Rahmen von § 19 BSHG (im konkreten Fall mit einer vollen wöchentlichen Arbeitszeit und einem Nettoeinkommen, das einer vergleichbaren Beschäftigung auf dem regulären Arbeitsmarkt entsprach) EuGH, Slg 1998, 1-7747, Rn 25 ff - Birden. 43 Vieles spricht dann auch für einen Anspruch auf steuerliche und soziale Gleichbehandlung (dazu nachfolgend Rn 19 ff). Zur Stellensuche auch Art 5 VO 1612/68 (Fn 13). Das bedeutet aber nicht, dass nach erfolgloser Arbeitssuche bedürftigkeitsabhängige Sozialleistungen nicht an ein Wohnsitzerfordernis (als zur Rechtfertigung dienendes Allgemeininteresse) geknüpft werden dürften, sofern dieses die Zugehörigkeit zum Arbeitsmarkt betrifft; damit wird ein Sozialtourismus unter dem Vorwand der Arbeitssuche ausgeschlossen; vgl EuGH, EuZW 2004, 507 - Collins m Anm Becker. 44 Vgl auch Streinz ER Rn 747 f. 45 EuGH, Slg 1991,1-745, Rn 21 ff - Antonissen. 46 AA (drei Monate ausreichend) Magiern DÖV 1987, 221, 223 f. Zumindest automatisch darf nach Ablauf eines 3-Monats-Zeitraums keine Aufenthaltsbeendigung erfolgen, EuGH, Slg 1997,1-1035, Rn 18 ff - Kommission/Belgien.
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setzt eine vorangegangene Beschäftigung von einer bestimmten Dauer voraus.47 Wird ein Wanderarbeitnehmer arbeitslos, so darf er im Hinblick auf seine berufliche Wiedereingliederung nicht anders behandelt werden als inländische Arbeitnehmer in vergleichbarer Lage.48 Seine Einstufung als Arbeitnehmer und insbesondere die Dauer seines weiteren Aufenthaltsrechts hängen von den Umständen ab und sind auch sekundärrechtlich nicht eindeutig geregelt.49 Wenn eine Beschäftigung aus anderen als den vorgenannten Gründen aufgegeben wird, entfällt der Arbeitnehmerstatus, die mit ihm verbundenen Rechte gehen verloren. Von diesem Grundsatz bestehen aber Ausnahmen. 50 Aus dem Umstand, dass ausländische Arbeitnehmer ein Recht auf Zugang zu Berufsschulen und Umschulungseinrichtungen besitzen, 5 ' hat der EuGH geschlossen, auch Studenten könnten ausnahmsweise die Vergünstigungen für Arbeitnehmer in Anspruch nehmen, wenn zwischen dem Studium und einer zuvor ausgeübten Berufstätigkeit ein Zusammenhang besteht.52 Das sichert, grundsätzlich unabhängig von der Dauer der Beschäftigung, 53 ein Aufenthaltsrecht und ein Recht auf Förderung der Hochschulausbildung. Fall 2: (EuGH Slg 1999,1-3289 ff - Meeusen) Die belgische Staatsangehörige Μ lebt in Belgien, übt aber in den Niederlanden eine Erwerbstätigkeit aus, und zwar für eine dort ansässige Gesellschaft, deren Geschäftsführer und einziger Gesellschafter ihr Ehemann ist. Ihre Tochter T, die 18 Jahre alt ist und der Μ Unterhalt gewährt, lebt ebenfalls in Belgien und beginnt dort ein Studium. Sie beantragt bei den zuständigen Behörden eine Förderung durch eine niederländische Studienbeihilfe, die den Grundbedarf von Studierenden abdeckt. Die Förderung wird verweigert mit dem Hinweis darauf, ihre Voraussetzung sei entweder die niederländische Staatsangehörigkeit oder ein Wohnort in den Niederlanden.
c) Geschützte Betätigungen 19
Ganz grundsätzlich erfordert der Schutz des Art 39 EGV (Art III-133 W E ) - wie die Inanspruchnahme aller anderen Grundfreiheiten auch - ein grenzüberschreitendes Element. Auf rein innerstaatliche Sachverhalte ist die Norm nicht anwendbar.54 Daraus folgt 47 Vgl näher Art 2 VO 1251/70 (Fn 14), der ein Verbleiberecht auch unter bestimmten Voraussetzungen für den Fall der Verlagerung der unselbständigen Erwerbstätigkeit in einen anderen Mitgliedstaat vorsieht. Zum Nachweis der Vorausetzungen und zur Zwei-Jahres-Frist für die Ausübung des Verbleiberechts Art 4 und 5 VO 1251/70. 48 Art 7 I VO 1612/68 (Fn 13). 49 Einzelheiten sind umstritten, insbesondere auch, ob zwischen freiwilliger und unfreiwilliger Arbeitslosigkeit zu differenzieren ist; vgl Scheuer in: Lenz Art 39 EGV Rn 63; näher RandelzhoferlForsthoff in: Grabitz/Hilf Art 39 EGV Rn 45 fT. Vgl zur aufenthaltsrechtlichen Stellung bei unfreiwilliger Arbeitslosigkeit Art 7 III RL 2004/38 (Fn 5), bis zum 30.4.2006 ist diesbezüglich noch Art 7 II RL 68/360 (Fn 12) in Kraft. 50 Insbesondere für die Aufrechterhaltung der aus dem Arbeitsverhältnis erworbenen Rechte, vgl EuGH, Slg 1997,1-6689, Rn 40 fT - Meints; Slg 1998,1-5325, Rn 41 ff - Kommission/Frankreich. 51 Art 7 III VO 1612/68 (Fn 13). 52 EuGH, Slg 1988, 3161, Rn 35 ff - Lair; vgl zur Abgrenzung auch Slg 1992,1-1027 ff - Raulin. 53 Allerdings unter dem Vorbehalt, dass Missbräuche ausgeschlossen sind, EuGH, Slg 1988, 3161, Rn 43 ff - Lair; vgl auch Slg 1988, 3205, Rn 22 ff - Brown. 54 Vgl nur EuGH, Slg 1992,1-341 ff - Steen I; Slg 1998,1-4239 ff - Kapasakalis.
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zugleich, dass sie Inländerdiskriminierungen nicht erfasst. 55 Im Rahmen des Art 39 EGV (Art III-133 W E ) liegt die Grenziiberschreitung darin, dass sich eine Person in einen anderen Mitgliedstaat begibt (bzw begeben will), um dort zu arbeiten. Ob dies auf Dauer geschieht, der Beschäftigte also im Beschäftigungsstaat seinen Wohnsitz nimmt, oder ob er in seinem Heimatstaat wohnen bleibt und in den Beschäftigungsstaat pendelt, dh als Grenzarbeitnehmer tätig wird, 56 ist unerheblich. Zudem muss es sich nicht unbedingt um die Beschäftigung bei einem ausländischen Unternehmen handeln; insbesondere genügt auch die Aufnahme einer Tätigkeit bei einer internationalen Organisation. 57 Art 39 EGV (Art III-133 W E ) schützt sowohl vor Maßnahmen eines fremden Mitgliedstaates als auch des eigenen Heimatstaates, der seinerseits die grenzüberschreitende Beschäftigung grundsätzlich nicht behindern darf (vgl Rn 41 ff).58 Auf den ersten Blick scheint die Vorschrift differenzierte Regelungen zu enthalten, die aber zusammenspielen. Ausgehend von der allgemeinen und umfassenden Verbürgung in Abs 1, enthalten ihre Absätze 2 und 3 als Konkretisierungen verschiedene Rechte: das Diskriminierungsverbot in Bezug auf die Beschäftigungsbedingungen (1), das durch einen Anspruch auf steuerliche und soziale Gleichbehandlung ergänzt wird (2), und die begleitenden Rechte auf Einreise und Aufenthalt (3). Vor dem wanderungsbedingten Verlust von Rechten der sozialen Sicherheit soll die auf der Grundlage des Art 42 EGV (Art 1-126 W E ) geschaffene Koordinierung der nationalen Sozialleistungssysteme schützen (4). (1) Bezogen auf die Beschäftigung, Entlohnung und die sonstigen Arbeitsbedingungen müssen die auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlungen abgeschafft werden (Art 39 II EGV/Art III-133 II W E ) . Dieses Diskriminierungsverbot, das sich auch auf Tarif- und Einzelverträge bezieht,59 umfasst jeden Aspekt der Berufstätigkeit. Verboten sind etwa eine Arbeitserlaubnispflicht für Wanderarbeitnehmer 60 und der Vorrang der Arbeitsvermittlung eigener Staatsangehöriger, 61 die Schlechterstellung bei Kündigung und Wiedereingliederung, 62 die Vorenthaltung von Nebenleistungen, 63 die Benachteiligung bei Aufstiegsmöglichkeiten 64 oder durch Befristung von Arbeitsverhältnissen 65 . Das Erfordernis der Gleichbehandlung bezieht sich auch auf die Zugehörigkeit zu Gewerkschaften und die Ausübung gewerkschaftlicher Rechte.66 (2) Art 7 II VO 1612/68 verbürgt Arbeitnehmern, die Unionsbürger sind, ein grundlegendes soziales Recht, nämlich den Anspruch auf „die gleichen sozialen und steuerlichen Vergünstigungen wie die inländischen Arbeitnehmer". 67 Zu den steuerlichen Vergünsti55 Das ist keineswegs unstreitig, muss hier aber nicht vertieft werden; einschränkend Epiney in: BBPS Rn 778 ff; -> näher dazu § 7 Rn 20. 56 Zum Begriff Art 1 lit b VO 1408/71, voraussichtlich ab 2006 Art 1 lit f VO 883/2004 (Fn 17). 57 Vgl EuGH, Slg 2000,1-8081 ff - Ferlini. 58 Vgl nur EuGH, Slg 1994,1-50, Rn 9 ff - Scholz. 59 Zur Nichtigkeit entgegenstehender Absprachen Art 7 IV VO 1612/68 (Fn 13); zur unmittelbaren Anwendbarkeit der günstigeren Bestimmungen EuGH, Slg 1998,1-47 ff - Schöning. 60 Vgl § 284 I SGB III. 61 Vgl zum Zugang zu Stellen näher Art 1 - 6 VO 1612/68 (Fn 13). 62 Vgl Art 7 I VO 1612/68 (Fn 13). 63 Ohne Unterscheidung von vorgeschriebenen und freiwilligen Leistungen, vgl EuGH, Slg 1974, 153 ff - Sotgiu. 64 EuGH, Slg 1998,1-1095 ff - Kommission/Griechenland; Slg 1998,1-47 ff - Schöning. 65 EuGH, Slg 1993,1-4309 ff - Allue II; Slg 1993,1-5185 ff - Spotti. 66 Art 8 VO 1612/68 (Fn 13); dazu etwa EuGH, Slg 1994,1-1891 ff - Kommission/Luxemburg. 67 Ob der Anspruch auch für Arbeitslose und Arbeitsuchende gilt, ist nicht unumstritten, vgl Ran-
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gungen zählen etwa die Abzugsfähigkeit von Ausgaben, 68 die Steuerrückerstattung69 oder das Ehegattensplitting 70 , wobei es eine wichtige Rolle spielt, in welchem Staat die Einkünfte besteuert werden. Keineswegs ist jede Ungleichbehandlung von in- und ausländischen Arbeitnehmern bei der Erhebung direkter Steuern ausgeschlossen; insbesondere können als Folge der beschränkten Steuerpflicht auch die Möglichkeiten zur Berücksichtigung steuermindernder Tatbestände beschränkt werden.71 Die Rechtsprechung des EuGH zu den sozialen Vergünstigungen ist kaum mehr überschaubar.72 Deren Begriff wird vom Gerichtshof weit ausgelegt und erfasst „alle Vergünstigungen, die - ob sie an einen Arbeitsvertrag anknüpfen oder nicht - den inländischen Arbeitnehmern hauptsächlich wegen ihrer objektiven Arbeitnehmereigenschaft oder einfach wegen ihres Wohnortes im Inland gewährt werden und deren Ausdehnung auf die Arbeitnehmer, die Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaats sind, deshalb als geeignet erscheint, deren Mobilität innerhalb der Gemeinschaft zu erleichtern."73 Einbezogen sind damit ua Ausbildungsbeihilfen, 74 Hilfen zum Lebensunterhalt wie die Sozialhilfe oder ein Mindesteinkommen, 75 Familienbeihilfen einschließlich etwa von Fahrpreisermäßigungen 76 etc. Die Vergünstigungen müssen aber keineswegs in einer Geld- oder Sachleistung, sondern können auch in der Einräumung sonstiger Positionen bestehen; so zählen zu ihnen das Recht zur Nutzung der eigenen Sprache vor Gericht 77 und das Aufenthaltsrecht für nichteheliche Partner78. Ausgenommen bleiben aber staatsbürgerliche und an eine besondere Vorgeschichte im Heimatstaat anknüpfende Rechte.79 Gesondert geregelt ist die Teilhabe am Wohnungsmarkt. 80
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delzhoferlForsthoff in: Grabitz/Hilf Art 39 EGV Rn 159; soweit der Arbeitnehmerstatus auf diese Personen erstreckt wird, ist die Geltung aber schon zwingende Konsequenz und für eine Differenzierung kein Platz. Im Übrigen verliert die Diskussion durch das allgemeine Freizügigkeitsrecht (vgl Rn 2 ff) an Bedeutung. Zur Berechtigung der Familienangehörigen unten Rn 28 ff. Vgl ferner Cordewener Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, 2002. Vgl EuGH, Slg 1992,1-249 ff - Bachmann. Vgl EuGH, Slg 1990,1-1779 ff - Biehl; Slg 1995,1-225 ff - Schumacker. Vgl EuGH, Slg 2000,1-3337 ff - Zurstrassen. Dazu und zu den Grenzen dieses Grundsatzes bei fehlenden nennenswerten Einkünften im Wohnsitzstaat EuGH, Slg 1995,1-225 ff - Schumacker; Slg 2002,1-11819 ff - de Groot. Ausf Überblick bei Wölker/Grill in: vd Groeben/Schwarze Art 39 EGV Rn 64 ff. Vgl nur EuGH, Slg 1998,1-2691, Rn 25 ff - Martinez Sala; gegenüber der VO 1408/71 bzw voraussichtlich ab 2006 VO 883/2004 (Fn 17) (vgl nachfolgend im Text) ist keine Abgrenzung mehr erforderlich; vgl aber auch Steinmeyer in: Fuchs (Hrsg) Kommentar zum Europäischen Sozialrecht, Titel IV, 3. Aufl 2002, Art 7 VO 1612/68 Rn 5 ff. Vgl EuGH, Slg 1988, 5589 ff - Matteucci; vgl zu Überbrückungsbeihilfen Urt ν 16.9.2004, Rs C-400/02 - Merida. Vgl EuGH, Slg 1987, 2811 ff - Lebon. EuGH, Slg 1975, 1085 ff - Cristini. EuGH, Slg 1985, 2681 ff - Mutsch. EuGH, Slg 1986, 1283 ff - Reed. Das muss Aufenthaltsrechte für ausländische homosexuelle Lebenspartner ohne weiteres mit einschließen, sofern diese Inländern gewährt werden. Die Mitgliedstaaten bleiben aber berechtigt, bei den Voraussetzungen für einen (auch abgeleiteten) Daueraufenthalt nach Staatsangehörigkeit bzw Aufenthaltsstatus zu differenzieren, vgl EuGH, Slg 2000, 1-2623, Rn 3 0 f f - K a b a . Wie das Wahlrecht und die Kriegsopferfürsorge, vgl Steinmeyer in: Fuchs (Fn 73) Art 7 VO 1612/ 68 Rn llff. Art 9 VO 1612/68 (Fn 13).
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(3) Gemäß Art 39 III lit b und c EGV (Art IIM33 III lit b und c W E ) haben Arbeitnehmer das Recht, sich zur Stellensuche frei in den Mitgliedstaaten zu bewegen und sich dort zur Ausübung der Beschäftigung aufzuhalten. Die Garantie des Zugangs zur Beschäftigung schließt die Ausreise aus dem Heimatstaat und den Zugang zum Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten notwendig mit ein. Näher ausgestaltet werden die Einreiseund Aufenthaltsrechte durch RL 2004/38 (vgl Rn 3); der Durchführung in Deutschland dient das Freizügigkeitsgesetz/EU 81 . Danach darf die Vorlage eines Ausweises oder Passes, nicht aber ein Visum oder eine gleichartige Formalität verlangt werden. 82 Zur Bestätigung des Aufenthaltsrechts wird eine Aufenthaltserlaubnis ausgestellt, die nur deklaratorischen Charakter hat. 83 Welche Nachweise für ihre Ausstellung verlangt werden dürfen, ist sekundärrechtlich geregelt.84 Wird die Einreise oder die Erteilung bzw Verlängerung der Aufenthaltserlaubnisse verweigert, sind besondere verfahrensrechtliche Garantien vorgesehen. 85 (4) Soziale Sicherungssysteme weisen einen engen Bezug zum staatlichen Hoheitsgebiet auf: Die Einbeziehung in die Systeme richtet sich nach einer territorialen Anknüpfung, entweder bezogen auf die Beschäftigung oder den Wohnsitz; 86 Leistungsvoraussetzungen beziehen sich in der Regel auf Vorgänge im Hoheitsgebiet, und ein Leistungsexport ist vielfach eingeschränkt, wobei allerdings die jeweiligen Bezüge von der Struktur der Systeme abhängig sind.87 Für Wanderarbeitnehmer können sich dadurch Gefährdungen ihrer sozialen Sicherheit ergeben: Möglicherweise erwerben sie in verschiedenen Beschäftigungsstaaten nur kurze Anwartschaften für die Alterssicherung, die als solche nicht für eine Leistungsberechtigung genügen; oder es werden etwa die Familienverhältnisse im Heimatstaat nicht berücksichtigt, obwohl diese im Beschäftigungsstaat Einfluss auf die Leistungsgewährung haben etc. Um solche freizügigkeitsbedingten Nachteile zu vermeiden, sieht Art 42 EGV (Art 1-126 W E ) eine Koordinierung der sozialen Sicherungssysteme
81 BGBl I 2004, 1950. Von einer Umsetzung zu sprechen, wäre insofern zu kurz, als das Gesetz auch die unmittelbar aus Art 39 EGV (Art III-l33 W E ) fließenden Rechte betrifft. 82 Art 5 I RL 2004/38 (Fn 5) bzw bis zum 30.4.2006 Art 3 RL 68/360 (Fn 12); sichtvermerkspflichtig können aber Angehörige aus Drittstaaten sein. Die Zulässigkeit von Grenzkontrollen wird nicht durch die Freizügigkeitsbestimmungen an sich in Frage gestellt, sondern erst durch deren Ersetzung durch Außenkontrollen, vgl E u G H , Slg 1999, 1-6207, Rn 39 ff - Wijsenbeek; vgl Art 61, 62 EGV und die gestufte Einbeziehung des Schengener Abkommens in das Gemeinschaftsrecht, dazu Epiney in: Hummer (Hrsg) Die EU nach dem Vertrag von Amsterdam, 1998, S 103 ff. Das FreiziigigkeitsG/EU enthält in § 5 eine Meldepflicht und in § 8 eine allgemeine Verpflichtung zum Identitätsnachweis für Einreise und Aufenthalt. 83 Vgl bereits EuGH, Slg 1976, 497, Rn 30 ff - Royer. Nicht erlaubnispflichtig ist ein nur dreimonatiger Aufenthalt und der Aufenthalt der Grenzgänger und Saisonarbeitnehmer, Art 6 I R L 2004/ 38 (Fn 5) bzw bis zum 30.4.2006 Art 8 R L 68/360 (Fn 12). 84 Art 8 III R L 2004/38 (Fn 5) bzw bis zum 30.4.2006 Art 4 III R L 68/360 (Fn 12). 85 Art 15 RL 2004/38 (Fn 5) bzw bis zum 30.4.2006 Art 8 und 9 RL 64/221 (Fn 12); vgl dazu und zur Verneinung der Frage, ob die Beendigung eines nicht erlaubten, mehrmonatigen Aufenthalts als Einreiseverweigerung anzusehen ist, EuGH, Slg 2000,1-9265, Rn 27 ff - Yiadom. 86 Wichtigste Ausnahme ist die Ausstrahlung bei vorübergehender Auslandstätigkeit, § 4 SGB IV; allerdings sieht Art 14 Nr 1 VO 1408/71 bzw voraussichtlich ab 2006 Art 121 VO 883/2004 (Fn 17) eine zeitliche Grenze für diese Fälle der sog Entsendung vor. 87 Dort, wo Eigentumsrechte erworben werden, gehen diese durch einen Gebietswechsel nicht verloren, vgl zu Art 14 G G BVerfGE 51, Iff; Schutz vermittelt insofern auch die E M R K , vgl E G M R , JZ 1997,405 ff - Gaygusuz; dazu Davy ZIAS 2001, 221 ff.
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vor. Die Zuständigkeit für die soziale Sicherung bleibt bei den Mitgliedstaaten, eine Harmonisierung im Sinne einer Schaffung einheitlicher Voraussetzungen oder Leistungen wird nicht bezweckt. Jedoch sollen die Systeme aufeinander abgestimmt und damit der Verlust von Rechten vermieden werden. Ihrer Bedeutung entsprechend, wurden die ersten Koordinierungsvorschriften schon sehr früh nach völkerrechtlichem Muster geschaffen. 88 Heute ist Rechtsgrundlage der Koordinierung die VO 1408/71 bzw voraussichtlich ab 2006 die VO 883/2004 89 , die auch Selbständige 90 und Beamte 91 erfasst, also im Anwendungsbereich über Art 39 EGV (Art III-l 33 W E ) hinausgeht. Sachlich gesehen bezieht sie sich auf die Leistungen bei Krankheit und Mutterschaft, 92 Invalidität, Alter und Tod, Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten, Arbeitslosigkeit, das Sterbegeld sowie die Familienleistungen und -beihilfen. 93 Ohne auf Einzelheiten einzugehen, 94 bestimmt sie das anwendbare Recht95 und sieht grob gesagt die Zusammenrechnung von Versicherungszeiten, die weitgehende Gleichstellung von Auslandssachverhalten 96 und den Leistungsexport 97 vor. 88 VO Nr 3 und Durchfühnings-VO Nr 4 aus dem Jahre 1958, ABl 1958, 561 und 597, nach dem Vorbild der damaligen Sozialversicherungsabkommen und des Abkommens Nr 102 der IAO über die Mindestnormen der sozialen Sicherung, BGBl II 1957, 1322. 89 S Fn 17 mit der DurchführungsVO 574/72, ABl 1972 Nr L 74/1 m Änd. 90 Einbezogen auf der Rechtsgrundlage des ex-Art 235 EWGV (Art 308 EGV) durch VO 1390/81, ABl 1981 Nr L 143/1. 91 Zu dem Erfordernis der Einbeziehung EuGH, Slg 1995,1-4033 ff - Vougioukas. 92 Einschließlich der Pflegeversicherung; zur Qualifizierung der Leistungen EuGH, Slg 1998,1-843 ff - Molenaar = Kunig JK 98, EGV Art 48 II/l. 93 Ohne dass es darauf ankäme, wie die nationalen Systeme ausgestaltet sind; vgl zur funktionellen Äquivalenz auch EuGH, Slg 1992, 1-3423, Rn 16 fT - Paletta I. Für den Anwendungsbereich haben die Mitgliedstaaten Erklärungen abgegeben (Art 5 VO 1408/71 bzw voraussichtlich ab 2006 Art 9 VO 883/2004 (Fn 17)), die allerdings nur hinsichtlich der positiven Einbeziehung, nicht aber insoweit verbindlich sind, als sie Systeme unerwähnt lassen. Leistungen der sozialen Sicherheit sind solche, die den Begünstigten aufgrund eines gesetzlich umschriebenen Tatbestands gewährt werden, ohne dass im Einzelfall eine in das Ermessen gestellte Prüfung ihres persönlichen Bedarfs erfolgt, und die sich auf die in Art 4 VO 1408/71 bzw voraussichtlich ab 2006 Art 3 VO 883/2004 genannten Risiken beziehen; vgl zur Einbeziehung des deutschen Erziehungsgeldes EuGH, Slg 1996,1-4895, Rn 20 f - Hoever und Zachow. 94 Vgl für einen Überblick Becker in: Schwarze Art 42 EGV Rn 12 fF; näher Fuchs (Fn 73), Titel III; Hervey European Social Law and Policy, 1998; HaverkatelHuster Europäisches Sozialrecht, 1999; Eichenhofer Sozialrecht der Europäischen Union, 2. Aufl 2003. Sehr vielfaltig ist mittlerweile die Rspr des EuGH zu den Koordinierungsvorschriften, was durch eine sachgebietsbezogene Suche unter dem Stichwort „Freizügigkeit" in CELEX oder der Rechtsprechungsdatenbank des EuGH leicht überprüft werden kann. Zu den Schwächen der derzeitigen Regelung Schulte!Barwig (Hrsg) Freizügigkeit und Soziale Sicherheit, 1999. 95 Für Arbeitnehmer grundsätzlich das Recht des Beschäftigungsstaates, Art 13 II VO 1408/71 bzw voraussichtlich ab 2006 Art 11 III VO 883/2004 (Fn 17); nach Aufgabe des Arbeitnehmerstatus' wird an den Wohnsitz angeknüpft, vgl dazu EuGH, Slg 1998,1-3419, Rn 40 ff - Kuusijaervi. Zum Verhältnis zum zwischenstaatlichen Sozialrecht Art 6 und 7 VO 1408/71 bzw voraussichtlich ab 2006 Art 8 VO 883/2004; zur Anwendbarkeit von Sozialversicherungsabkommen EuGH, Slg 1991,1-323 IT - Rönfeldt; Slg 1995,1-3813 fT - Thevenon; Slg 2002,1-1261 - Kaske. 96 In speziellen Vorschriften und grundsätzlich vermittelt durch das Diskriminierungsverbot, vgl dazu Becker VSSR 2000, 221 ff; zur „Entterritorialisierung" näher Willms Soziale Sicherung durch Europäische Integration, 1990, S 49 ff. 97 Vgl Art 10 und 10 a VO 1408/71 bzw voraussichtlich ab 2006 Art 7 VO 883/2004 (Fn 17); der
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d) Bereichsausnahmen Art 39 IV EGV (Art III-133 IV W E ) enthält - insofern ist der Wortlaut eindeutig - eine Bereichsausnahme: Für die „Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung" gilt die Freizügigkeitsgarantie nicht (-» § 7 Rn 51 ff). Bedenkt man, wer in Deutschland, unabhängig von einem bestimmten Status, im öffentlichen Dienst beschäftigt ist, so scheint in weiten Teilen der Arbeitswelt Art 39 EGV (Art III-133 W E ) keine Anwendung zu finden. In diesem Sinne darf die Bereichsausnahme aber nicht verstanden werden. Der EuGH hat schon früh klargestellt, sie sei als Ausnahmevorschrift eng auszulegen. Von ihr seien nur die Stellen erfasst, „die eine unmittelbare oder mittelbare Teilnahme an der Ausübung hoheitlicher Befugnisse und an der Wahrnehmung solcher Aufgaben mit sich bringen, die auf die Wahrung der allgemeinen Belange des Staates oder anderer öffentlicher Körperschaften gerichtet sind."98 Insbesondere kommt es nicht darauf an, ob ein Mitgliedstaat auf bestimmten Stellen nach nationalem Recht Beamte einsetzt" oder der Arbeitgeber eine öffentlich-rechtliche Einrichtung ist ,0°. Dementsprechend gilt die Freizügigkeit etwa im Schul- und Hochschuldienst.101 Anders ist die Situation bei Polizisten, Soldaten und Richtern. Immer muss darauf abgestellt werden, ob mit der konkreten Beschäftigung die Ausübung von Hoheitsrechten zugunsten der Wahrung allgemeiner Belange verbunden ist. So ist etwa nicht allgemein das Gesundheitswesen von der Anwendung des Art 39 EGV (Art III-133 W E ) ausgenommen,102 jedoch möglicherweise die Tätigkeit in der Leistungsverwaltung.103 Auch können bestimmte Leitungsfunktionen in der Verwaltung wegen ihrer Bedeutung einen besonderen Schutz erfordern.104
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Export von Leistungen bei Arbeitslosigkeit ist auf drei Monate beschränkt, Art 69 VO 1408/71 bzw voraussichtlich ab 2006 Art 64 VO 883/2004. Sachleistungen werden nicht exportiert; im Falle der Krankheit gibt es aber eine Sachaushilfe, dh die Leistungen werden auf Rechnung des Beschäftigungsstaats in anderen Mitgliedstaaten nach der Maßgabe der dort geltenden Bestimmungen erbracht, Art 22 VO 1408/71 bzw voraussichtlich ab 2006 Art 17 ff VO 883/2004. Dieser Export ist nicht zu verwechseln mit der Einwirkung der Grundfreiheiten auf das sozialrechtliche Territorialitätsprinzip. EuGH, Slg 1980, 3881, Rn 10 ff - Kommission/Belgien. Beide Voraussetzungen gelten kumulativ, was allerdings streitig ist, vgl näher nur Schneiderl Wunderlich in: Schwarze Art 39 EGV Rn 135 ff; zur Kritik an der Rspr Brechmann in: Calliess/Ruffert Art 39 EGV Rn 104 ff. Vgl § 4 I, II BRRG, wonach heute auch ausländische Unionsbürger grundsätzlich in ein Beamtenverhältnis berufen werden können. Vgl Strauß Funktionsvorbehalt und Berufsbeamtentum, 2000, S 189 ff. Vgl EuGH, Slg 2003,1-10447, Rn 62 f - Anker. EuGH, Slg 1986, 2121 ff - Lawrie-Blum (Studienreferendare); Slg 1991,1-5627 ff - Bleis (höheres Lehramt); Slg 1996,1-3207 ff - Kommission/Luxemburg (Grundschulen). Vgl zum Krankenpflegepersonal EuGH, Slg 1986, 1725 ff - Kommission/Frankreich. Vgl Wölkerl Grill in: vd Groeben/Sch warze Art 39 EGV Rn 161. Allerdings ist diese Ausnahme sehr weit und müsste auch die Sozialversicherungsträger umfassen, obwohl vergleichbare Tätigkeiten auch von privaten Versicherungsunternehmen ausgeübt werden. Vgl EuGH, Slg 1987, 2625ff - Kommission/Italien. Vgl zum Ganzen jetzt auch Jakobs in: Nomos und Ethos, 2002, S 507 ff.
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a) Unionsbürger und ihre Familienangehörigen 28
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Auch wenn Art 39 EGV (Art III-133 W E ) keine entsprechende Festlegung enthält, fallen unter den persönlichen Schutzbereich der Norm, der allgemeinen Konzeption des EGV entsprechend, zunächst nur die Unionsbürger (Art 17 EGV/Art 1-10 W E ) , also die Staatsangehörigen der EU-Mitgliedstaaten. 105 Zu beachten ist, dass sich neben den Arbeitnehmern auch Arbeitgeber gegen Eingriffe in die Arbeitnehmerfreizügigkeit wehren können.106 Ebenfalls weitgehend in den Schutz der Arbeitnehmerfreizügigkeit einbezogen sind die Familienangehörigen von Arbeitnehmern. Grundlage dafür ist auch im Gemeinschaftsrecht der Schutz von Ehe und Familie,107 zumindest die nähere Ausgestaltung ist aber dem Sekundärrecht überlassen. Gegenwärtig (vgl auch Rn 1 f!) führt das zu Differenzierungen. So wird zwar nicht hinsichtlich der allgemeinen Nachzugsvoraussetzungen und der Rechte auf und im Aufenthalt, aber hinsichtlich der Sichtvermerkspflicht danach unterschieden, ob die Angehörigen Unionsbürger sind oder nicht.108 Bezogen auf die den Arbeitnehmern zustehenden Rechte im Aufenthalt ist immer zu klären, ob sie nur für die unmittelbar Freizügigkeitsberechtigten oder auch die Angehörigen gelten. In einem zentralen Punkt, dem Anspruch auf steuerliche und soziale Vergünstigungen (Art 7 II VO 1612/68, vgl Rn 19ff), hat der EuGH die Familienangehörigen als selbst berechtigt angesehen. 109 Kin-
105 Und zwar unabhängig von einer eventuellen Doppelstaatsangehörigkeit; allgM, vgl nur Bleckmann ER Rn 1561 ff; Oppermann ER Rn 1512; Streinz ER Rn 661. Flüchtlinge und Staatenlose sind immerhin in den Schutz durch einige Sekundärvorschriften einbezogen; vgl zur VO 1408/71 bzw voraussichtlich ab 2006 VO 883/2004 (Fn 17) und der Voraussetzung eines grenzüberschreitenden Elements jetzt EuGH, Slg 2001,1-7413 ff - Khalil. Zur Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für die Festlegung der Voraussetzungen für Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit EuGH, Slg 2001,1-1237, Rn 19 ff - Kaur. 106 EuGH, Slg 1998,1-2521, Rn 19 ff - Clean Car, mit dem Hinweis zum einen auf die Wirksamkeit des Art 39 EGV, zum anderen auf den Umstand, dass sich auch Arbeitgeber auf Rechtfertigungsgründe stützen können. Zur Bezeichnung als „Korrelarberechtigte" RandelzhoferlForsthoff in: Grabitz/Hilf vor Art 39-55 EGV Rn 39 ff. 107 Ob aber die Freizügigkeit der Angehörigen damit auch unmittelbar aus Art 39 EGV (Art III-133 W E ) ableitbar ist, erscheint fraglich; richtigerweise müsste für die Begründung eigener Rechte zumindest zusätzlich auf den Schutz durch ein Grundrecht rekurriert werden, vgl aber auch Wölkerl Grill in: vd Groeben/Schwarze vor Art 39-41 EGV Rn 45 ff. Angesichts der relativ großzügigen Rspr des EuGH wird die Frage praktisch kaum relevant. 108 Art 5 II RL 2004/38 (Fn 5). Vgl zu den Voraussetzungen (Unterhaltsgewährung, Nachzugsalter für Kinder unter 21 Jahren) und den Rechten allgemein Art 10 und 11 VO 1612/68 (Fn 13) und Art 4 IV RL 68/360 (Fn 12); zur Sichtvermerkspflicht Art 3 II RL 68/360. Art 10 und 11 VO 1612/68 werden ebenso wie RL 68/360 durch RL 2004/38 mit Wirkung vom 30.4.2006 aufgehoben. Zur Ehegatteneigenschaft trotz Getrenntleben EuGH, Slg 1985, 567 ff - Diatta; zum Erfordernis einer angemessenen Wohnung EuGH, Slg 1989, 1263 ff - Kommission/Deutschland. Zur (zulässigen) Schlechterstellung von drittstaatsangehörigen Familienangehörigen bei der Erteilung einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis EuGH, Slg 2000,1-2623 ff - Kaba; jetzt auch Slg 2003,1-2219 ff-Kaba II. 109 Sofern sie die Voraussetzungen des Art 10 I VO 1612/68 (Fn 13 - nur noch bis zum 30.4.2006 in Kraft) erfüllen, vgl nur EuGH, Slg 1985, 1873, Rn 22 ff - Deak; Slg 1992, 1-1071, Rn 28 ff Bernini. Für eine Anwendung zugunsten der von Art 10 II VO 1612/68 erfassten Verwandten Schneiderl Wunderlich in: Schwarze Art 39 EGV Rn 88. Allerdings ist weiterhin erforderlich, dass
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dem von Arbeitnehmern ist ein Recht auf gleiche Teilnahme am allgemeinen Unterricht und an der Berufsausbildung eingeräumt." 0 Damit sind etwa Zulassungsquoten für ein Studium" 1 oder der Ausschluss von Stipendien" 2 nicht vereinbar. Für die Leistung einer Ausbildungsförderung durch den Aufnahmestaat kommt es nicht darauf an, in welchem Mitgliedstaat die Ausbildung stattfindet." 3 b) Drittstaatsangehörige Abgesehen von den vorstehend genannten abgeleiteten Rechten für Angehörige genießen Drittstaatsangehörige grundsätzlich kein Recht auf Freizügigkeit."4 Durch das EWRAbkommen werden aber die Angehörigen der EWR-Mitgliedstaaten den Unionsbürgern gleichgestellt, so dass die Arbeitnehmerfreizügigkeit im gesamten EWR gilt. Das Freizügigkeitsabkommen mit der Schweiz ist am 1. Juni 2002 in Kraft treten." 5 Anderen Drittstaatsangehörigen können Rechte durch Assoziierungsabkommen eingeräumt werden." 6 An dieser Stelle soll nur kurz auf die Abkommen mit der Türkei (1) und mit den Beitrittskandidaten bei der Osterweiterung (2) hingewiesen werden." 7 In dem Vertrag über den Beitritt von zehn mittel- und osteuropäischen Staaten vom 16.4.2003 ist geregelt, dass für Malta und Zypern die Regelungen über die Arbeitnehmerfreizügigkeit sofort anzuwenden sind, für die acht anderen Beitrittsländer gilt ab dem 1.5.2004 eine Übergangszeit.118 (1) Für die in Deutschland lebenden türkischen Staatsangehörigen ist von großer praktischer Bedeutung, dass der EuGH die auf der Grundlage des Assoziierungsabkommens mit der Türkei ergangenen Beschlüsse des Assoziationsrats (ARB) für Bestandteile des Gemeinschaftsrechts erklärt hat, die unmittelbar anwendbar sind, sofern die allgemeinen Voraussetzungen der hinreichenden Bestimmtheit und Unbedingtheit erfüllt sind.119
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die Vergünstigung vergleichbaren Angehörigen von einheimischen Arbeitnehmern zusteht, vgl E u G H , Slg 1992,1-4401, R n 11 ff - Taghavi. Vgl Art 12 VO 1612/68 (Fn 13); die Vorschrift verzichtet auf die Festlegung eines Nachzugsalters und begründet ein eigenständiges Aufenthaltsrecht, vgl Schulz Freizügigkeit für Unionsbürger, 1997, S 210 ff; vgl auch E u G H , Slg 2002,1-7091 fT - Baumbast. Vgl E u G H , Slg 1988, 5445 fT - Kommission/Belgien. Vgl E u G H , Slg 1974, 773 ff - Casagrande. Unabhängig von dem Wohnorterfordernis in Art 12 VO 1612/68 (Fn 13), vgl E u G H , Slg 1990, 1-4185, Rn 16 f f - D i Leo. Vgl aber auch die Ansätze zu einem europäischen Zuwanderungskonzept, legislative Entschließung des EP zu dem Vorschlag für eine R L über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zur Ausübung einer unselbständigen oder selbständigen Tätigkeit ABl 2004 N r C 43/230; vgl dazu Hailbronner Z A R 2002, 83, 84 fT. Dazu und zum Text: http://www.europa.admin.ch/bayd/index.htm. Dazu auch E u G H , Slg 2003,1-4135 ff - Kolpak; näher Weiß Die Personenverkehrsfreiheiten von Staatsangehörigen assoziierter Staaten in der EU, 1998; LindiglPodlesak JOR 2003, 73 ff. Vgl auch Hailbronner Z A R 2002, 7, 10 fT; Fehrenbacher Z A R 2004, 22 fT. S zB ABl 2003 L 236/40 iVm Nr 2 des Anhangs V: Liste nach Art 24 der Beitrittsakte: Tschechische Republik, ABl 2003 L 236/803 oder ABl 2003 L 236/40 iVm N r 2 des Anhangs XII: Liste nach Art 24 der Beitrittsakte: Polen, ABl 2003 L 236/875 f. Zu der bisherigen Praxis und den Grenzen für Übergangsvorschriften Becker EU-Erweiterung und differenzierte Integration, 1999. Grundlegend E u G H , Slg 1990, 1-3461 fT - Sevince = Kunig J K 91, EWGV Art 177/1. Zu den A R B Hailbronner Ausländerrecht, Loseblatt, Abschn D 5.
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Auf diese Weise wird zwar kein erstmaliger Zugang für Arbeitnehmer, nach ordnungsgemäßer Beschäftigung werden über Art 6 ARB 1/80 aber Aufenthaltsrechte gewährt.120 Ebenfalls unmittelbar anwendbar ist das in Art 3 ARB 3/80 niedergelegte Verbot der Diskriminierung im Bereich der sozialen Sicherheit.121 (2) Die Europaabkommen mit den mittel- und osteuropäischen Ländern 122 enthalten kein Freizügigkeitsrecht für unselbständig Tätige.123 Unmittelbar anwendbar sind aber die in ihnen vorgesehenen Diskriminierungsverbote, die eine Gleichbehandlung hinsichtlich der Arbeitsbedingungen vorsehen.124 Lesung Fall 2: Μ ist Arbeitnehmerin. Dass sie mit dem Alleingesellschafter verheiratet ist, spielt keine Rolle, solange sie tatsächlich weisungsgebunden tätig wird (vgl Rn 6). Τ ist zwar nicht Arbeitnehmerin, kann sich aber als Familienangehörige selbst auf Art 7 II VO 1612/68 berufen, obwohl dort die Angehörigen als Berechtigte nicht ausdrücklich genannt sind (vgl Rn 6). Die Voraussetzungen der Angehörigeneigenschaft erfüllt sie problemlos. Ferner fällt die Studienbeihilfe unter den sehr weitgefaßten Begriff der sozialen Vergünstigung (vgl Rn 19 fl). Fraglich ist nur, ob die Leistungsgewährung deshalb ausgeschlossen ist, weil Μ Grenzarbeitnehmerin ist. Denn in der vorliegenden Konstellation, so wendeten die niederländischen Behörden ein, bestehe keinerlei Zusammenhang zum Zweck des Art 7 II VO 1612/68: Dieser sei es, die Mobilität der Arbeitnehmer und die Integration des Wanderarbeitnehmers und seiner Familie im Aufnahmeland zu erleichtern. Der EuGH ist dem nicht gefolgt: Art 7 II VO 1612/68 gelte ohne Einschränkung auch für Grenzarbeitnehmer. Sinn der Bestimmung sei es, vor Diskriminierungen zu schützen. Die Studienfinanzierung müsse deshalb den Kindern von Wanderarbeitnehmern unter denselben Voraussetzungen gewährt werden, die für Kinder inländischer Arbeitnehmer gelten. Ein zusätzliches Wohnorterfordernis verstößt deshalb gegen Gemeinschaftsrecht. 4.
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Konkurrenzen
Die Abgrenzung der Arbeitnehmerfreizügigkeit gegenüber der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit (—» hierzu auch § 10 Rn 20 ff; § 11 Rn 35) erfolgt nach dem Kriterium der Selbständigkeit bzw Unselbständigkeit der Tätigkeit: Arbeitnehmer sind wei120 Vgl EuGH, Slg 1992, 1-6781 ff - Kus; Slg 1995,1-1475 ff - Bozkurt; Slg 2000,1-957 ff - Nazli; Slg 2002, 1-10691 ff - Kurz; Urt ν 30.9.2004, Rs C-275/02 - Ayaz. Vgl zur Familienzusammenführung Art 7 ARB 1/80; dazu zuletzt EuGH, Slg 2000, 1-487 ff - Ergat; Slg 2000, 1-4747 ff Eyüp. Näher dazu Scheuer in: Lenz Art 39 EGV Rn 19 ff; Hailbronner (Fn 119) Abschn D 5; Renner Ausländerrecht in Deutschland, 1998, S 211 ff; Gutmann Die Assoziationsfreizügigkeit türkischer Staatsangehöriger, 2. Aufl 1999. Art 10 I ARB 1/80 beinhaltet ein Diskriminierungsverbot für Arbeitsbedingungen, EuGH, Slg 2003,1-4301 ff - Wählergruppe. 121 EuGH, Slg 1999,1-2685, Rn 48 ff - Sürül; Urt ν 28.4.2004, Rs C-373/02 - Öztürk. 122 Bulgarien, ABl 1994 Nr L 358/1 und Rumänien, ABl 1994 Nr L 357/1; vgl dazu auch den Überblick bei RandelzhoferlForsthoff in: Grabitz/Hilf vor Art 39-55 EGV Rn 37. 123 Wegen der weitergehenden Bestimmungen über die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit wird insofern die Abgrenzung zwischen selbständiger und unselbständiger Tätigkeit relevant, vgl dazu und zur Verwendung der für den EGV geltenden Kriterien EuGH, Slg 2001,1-8615 - Jany = Ehlers JK 7/02, EGV Art 43/2. 124 Dementsprechend ist auch (vgl Rn 38 ff) die Befristung von Verträgen mit polnischen Fremdsprachenlektoren unzulässig, vgl EuGH, Slg 2002,1-1049 - Pokrzeptowicz-Meyer.
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Arbeitnehmerfreizügigkeit
§9 I I I
sungsgebunden tätig (vgl Rn 4 ff). In Einzelfallen kann die Unterscheidung schwierig sein; wegen der sich stark ähnelnden Gehalte der Grundfreiheiten legt der EuGH darauf kein besonderes Gewicht.125 Eine Rolle spielt daneben durchaus auch die Dauer der Erwerbstätigkeit. Werden Arbeitnehmer vorübergehend für ihre Arbeitgeber in einem anderen Mitgliedstaat tätig, also entsandt, so stellen etwaige Erschwernisse für deren Tätigkeit Eingriffe in die Dienstleistungsfreiheit des Unternehmers dar, die uU auch zum Schutz der Arbeitnehmer gerechtfertigt sein können.126 In diesen Fällen zieht der EuGH die Arbeitnehmerfreizügigkeit als (zusätzlichen) Prüfungsmaßstab nicht heran, obwohl, wie insbesondere der Fall der Grenzarbeitnehmer zeigt, Eingliederung in den Beschäftigungsstaat nicht Voraussetzung der Arbeitnehmereigenschaft ist. Π. Beeinträchtigung Fall 3: (EuGH, Slg 1999,1-345 ff - Terhoeve) Der niederländische Staatsangehörige Τ arbeitete in den ersten zehn Monaten des Jahres 1990 im Vereinigten Königreich, dann in den Niederlanden. Er war während der ganzen Zeit in der niederländischen Sozialversicherung pflichtversichert. Die dafür abzuführenden Beiträge wurden zusammen mit der Einkommenssteuer erhoben, und zwar maximal bis zu einer Höhe von 9 300 Gulden. Da Τ in zwei Ländern gearbeitet hatte, musste er nach den geltenden Vorschriften für 1990 zweimal steuerlich veranlagt werden, wobei die sozialversicherungsrechtliche Bemessungsgrenze jeweils gesondert galt. Auf diese Weise sollte er für die Zeit seiner Berufstätigkeit im Ausland bereits 9 300 Gulden, für die Zeit der Berufstätigkeit im Inland weitere 1400 Gulden an Sozialversicherungsbeiträgen zahlen. Τ fühlt sich durch die Erhebungsmodalitäten in seinem Recht auf Freizügigkeit verletzt. Die niederländischen Behörden entgegnen, Τ könne sich nicht auf das Gemeinschaftsrecht berufen, da er in seinem Heimatstaat wohne, dort sozialversichert sei und dort besteuert werde. Zudem würden die Veranlagungsbestimmungen für alle in den Niederlanden Sozialversicherten gleichermaßen gelten. Im Übrigen falle das Recht der sozialen Sicherheit in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. Diese dürften deshalb auch das Verfahren der Beitragserhebung regeln. 1.
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Diskriminierungen
a) Offene Diskriminierungen knüpfen an die Staatsangehörigkeit an. Sie stellen die stärkste Form des Eingriffs dar und können deshalb nach der überw Μ nur dann zulässig sein, wenn sie durch geschriebene Rechtfertigungsgründe gestattet werden.127 Ihr Verbot wird in Art 39 II EGV (Art III-133 II W E ) ausdrücklich normiert und ergibt sich ansonsten aus Sekundärrecht. Sie kommen mittlerweile relativ selten vor, weil die Mitgliedstaaten staatsangehörigkeitsbezogene Ungleichbehandlungen in ihren Rechtsordnungen weitgehend beseitigt haben. Dass dies eine gewisse Zeit gedauert hat und einzelne formale Diskriminierungen bis heute fortbestehen, ist angesichts der Vielfalt der relevanten Vorschriften, etwa auch des Steuer- und Sozialrechts, sowie der lange Zeit gerade im Hinblick auf
125 Vgl aber zu den Europaabkommen Rn 30 ff; zur Unterscheidung im Bereich der VO 1408/71 bzw voraussichtlich 2006 VO 338/2004 (Fn 17) EuGH, Slg 2000,1-2005 ff - Banks. 126 EuGH, Slg 1990, 1-1417 fT - Rush Portuguesa; Slg 1994, 1-3803 ff - Vander Eist; Slg 1999, 1-8453 ff - Arblade; Slg 2001, 1-7831 ff - Finalarte; Slg 2002, 1-787 - Portugaia Construcöes = Ehlers JK 8/02, EGV Art 49 ff/5. 127 Dazu Rn 49 ff und - > § 7 Rn 22, 79.
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das Ausländerrecht betonten nationalen Souveränität einerseits verständlich, andererseits aber angesichts des Standes der europäischen Integration und der Bemühungen um Schaffung eines Binnenmarktes auch für Personen inakzeptabel. Dass sie überhaupt noch anzutreffen sind, beruht auf verschiedenen Gründen. Zum Teil war die Anwendbarkeit gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben für bestimmte Rechtspositionen nicht hinreichend geklärt 128 oder es wurden bestimmte Tätigkeiten für besonders empfindlich gehalten.129 Zum Teil existieren nach wie vor einige erst auf den zweiten Blick erkennbare Diskriminierungen, die offensichtlich in Randbereichen dem Schutz der dort Tätigen dienen. So betrifft eine der letzten (in einem Vertragsverletzungsverfahren getroffenen) Entscheidungen des EuGH zu einer offenen Diskriminierung im Anwendungsbereich des Art 39 EGV (Art III-133 W E ) eine Vorschrift, nach der die Berufsausübung von Zahnärzten eine Eintragung bei der Zahnärztekammer und diese wiederum den Wohnsitz im Kammerbezirk vorsah.130 Bei Wohnsitzverlagerung in andere Mitgliedstaaten hatten jedoch nur die eigenen Staatsangehörigen einen Anspruch auf Beibehaltung der Kammerzugehörigkeit. 13 ' Im Ergebnis half der Beklagten auch der Einwand wenig, die Rechtslage sei mittlerweile so unklar, dass die diskriminierenden Vorschriften in der Praxis gar keine Anwendung mehr fänden. 132 38
b) Sehr viel häufiger als offene sind versteckte Diskriminierungen in Vorschriften des Berufs-, Arbeits- oder Sozialrechts, weil diese herkömmlicherweise oft durch eine territoriale Ausrichtung geprägt sind. Dass eine Diskriminierung vorliegt, wenn eine Bestimmung zwar nicht formal, aber faktisch „im wesentlichen", „ganz überwiegend" oder „ihrem Wesen nach eher" fremde Staatsangehörige betrifft und damit eigene Staatsangehörige im Ergebnis begünstigt, hat der EuGH zur Arbeitnehmerfreizügigkeit bereits früh festgestellt,133 ohne in seiner Rechtsprechung den genauen Maßstab für das unterschiedliche Betroffensein zu präzisieren134 oder je nach erkennbarer Finalität zu unterscheiden.135 Versteckte Diskriminierungen können, da sie nicht unmittelbar an der Staats-
128 So etwa die Anwendbarkeit der Koordinierungsvorschriften auf das deutsche Erziehungsgeld, vgl dazu Eichenhofer SGb 1997, 449 ff; Becker SGb 1998, 553 ff; Trinkt Die gemeinschaftsrechtliche Koordinierung deutscher Familienleistungen, 2001. Die entsprechende Grundsatzentscheidung des EuGH ist nur sehr zögerlich und erst in jüngster Zeit in das geltende Recht eingearbeitet worden. Ähnlich die Versagung von Studienbeihilfen für das Auslandsstudium, EuGH, Slg 1990,1-4185 f T - D i Leo. 129 Vgl etwa zur Tätigkeit bei privaten Sicherheitsdiensten EuGH, Slg 1998, I-6717ff - Kommission/Spanien; zu Arbeitsplätzen in der Schifffahrt EuGH, Slg 1993,1-6295 ff - Kommission/Belgien; zur Wählbarkeit in Berufskammern EuGH, Slg 1991,1-3507 fT - ASTI. 130 Was bereits eine Verletzung der Arbeitnehmerfreizügigkeit und der Niederlassungsfreiheit darstellt, vgl nachfolgend. 131 EuGH, Slg 2001,1-541 ff - Kommission/Italien; vgl neuerdings auch Urt ν 16.9.2004, Rs C-465/ 01 - Kommission/Osterreich. 132 Weil die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Beachtung des Gemeinschaftsrechts die Schaffung einer klaren Rechtslage fordert. 133 EuGH, Slg 1974, 153, Rn 11 ff - Sotgiu; Slg 1978,1489, Rn 16 ff - Kenny. 134 Vgl zu den oben wiedergegebenen Umschreibungen: EuGH, Slg 1986, 1, Rn 24 ff - Pinna; Slg 1992, 1-5785, Rn 42 ff - Kommission/Vereinigtes Königreich; Slg 1996, 1-2617, Rn 20ff O'Flynn. 135 Insbesondere werden die Begriffe der mittelbaren, verdeckten oder verschleierten Diskriminierung nebeneinander und ohne erkennbares Konzept verwendet. Sinnvollerweise ist die mittelbare Diskriminierung der Oberbegriff, Verstecken oder Verschleiern setzt ein zusätzliches finales Ele-
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angehörigkeit ansetzen, sachliche Gründe haben und deshalb nicht nur durch die geschriebenen, sondern auch die ungeschriebenen Schranken gerechtfertigt werden136 (vgl Rn 41 ff). Im Bereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit beruhen mittelbare Diskriminierungen zumeist auf Vorschriften, die den Nachweis bestimmter beruflicher Qualifikationen137, den Nachweis von Sprachkenntnissen138 oder einen Wohnsitz im Inland139 erfordern. Solche Anforderungen sind nur mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar, wenn sie objektiv schützenswerten Rechtsgütern dienen (vgl Rn 49 ff) und verhältnismäßig sind (s Rn 52 ff). Aber auch andere Ungleichbehandlungen können überwiegend ausländische Arbeitnehmer treffen.140 So sind Belastungen mit Abgaben verboten, die allgemein erhoben werden, aber (nur) für Wanderarbeitnehmer ohne Gegenleistung bleiben.141 Ein weiterer, bereits mehrfach entschiedener Beispielsfall ist die Befristung von Verträgen für Fremdsprachenlektoren, wenn Verträge für andere Universitätsbedienstete nicht ebenfalls regelmäßig nur auf Zeit abgeschlossen werden.142 Für entsprechende Sonderbehandlungen sind zumeist keinerlei Rechtfertigungsgründe ersichtlich. Der EuGH hält ferner auch ein auf soziale Vergünstigungen bezogenes Wohnsitzerfordernis (vgl Rn 19 ff) für mittelbar diskriminierend;143 dieser Ansatz zwingt in den Fällen, in denen sich aus der Funktion der Vergünstigung kein objektiver Grund für eine territoriale Begrenzung ergibt, zu einem Leistungsexport.144 Gemäß der Rspr des EuGH führt ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot dazu, dass zugunsten der benachteiligten Wanderarbeitnehmer die Regelungen gelten, die für die übrigen Betroffenen vorgesehen sind; anders als im deutschen Verfassungsrecht kann die Feststellung einer Ungleichbehandlung damit im Ergebnis unmittelbar zur Gewährung von Vergünstigungen führen.145
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ment voraus. Ob diese Unterscheidung von Bedeutung für die Grundfreiheitsprüfung sein sollte, ist eine andere und eher zu verneinende Frage. Das ergibt sich aus der Rspr mit ausreichender Eindeutigkeit, wenn auch nicht immer ganz klar ist, welche Ausführungen sich auf die Prüfung des Eingriffs und welche sich auf jene der Rechtfertigungsgründe beziehen; -> vgl § 7 Rn 79. Vgl etwa EuGH, Slg 1999,1-4773, Rn 28 ff - Fernandez de Bobadilla; Slg 2001, 837, Rn 23 ff Mac Quen. Vgl nur EuGH, Slg 1989, 3967, Rn 23 ff - Groener. E u G H , Slg 1998,1-47, Rn 21 ff - Schöning; Slg 1998,1-2521, Rn 30 ff- Clean Car. Vgl etwa zur Nichtanrechnung ausländischer Beschäftigungszeiten, Rn 19 ff; zur Erschwerung einer Anrechnung E u G H , Slg 2000,1-10497 ff - ÖGB. Vgl EuGH, Slg 2000, 1-4585 ff - Sehrer; Slg 2000, 1-1049 ff - Kommission/Frankreich; der E u G H greift allerdings ohne nähere Prüfung auf das Beschränkungsverbot zurück; vgl in Bezug auf die steuerliche Behandlung auch Urt ν 16.9.2004, Rs C-400/02, Rn 23 ff - Merida. EuGH, Slg 1989, 1591 ff - Allue I; Slg 1993,1-4309 ff - Allue II; mittelbar diskriminierend sind auch andere arbeitsrechtliche Schlechterstellungen der Lektoren, vgl Slg 2001,1-4923 ff - Kommission/Italien; vgl zu den Europaabkommen Rn 30 ff. EuGH, Slg 1997,1-6689, Rn 43 ff - Meints; vgl auch EuZW 2004, 573 - Barth. Vgl in diesem Zusammenhang zum Bestattungsgeld EuGH, Slg 1996,1-2617 ff - O'Flynn. Vgl EuGH, Slg 1998,1-47, Rn 33 ff - Schöning; Slg 1999,1-345, Rn 57 ff - Terhoeve; -> vgl auch § 7 Rn 29.
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2. Beschränkungen 41
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a) Ob die Arbeitnehmerfreizügigkeit wie die Warenverkehrsfreiheit ebenfalls ein Beschränkungsverbot enthält, dh alle Behinderungen unabhängig von dem Vorliegen einer Diskriminierung als Eingriffe anzusehen sind, war lange Zeit fraglich und ist auch heute nicht ganz unumstritten. Das beruht im Wesentlichen auf zwei Gründen: Zunächst auf der allgemeinen Schwierigkeit, mittelbare Diskriminierungen und Beschränkungen voneinander abzugrenzen.146 Jedoch besteht zwischen beiden Eingriffsformen zumindest theoretisch ein wesentlicher Unterschied, der eine kategoriale Unterscheidung erlaubt: Für Beschränkungen kommt es auf einen Vergleich mit der Behandlung von anderen Personen gerade nicht an. Ein weiterer, spezifisch auf Art 39 EGV (Art III-133 W E ) bezogener Einwand ist der, dass die Vorschrift die geschützten Rechte im Einzelnen umschreibt, es eines allgemeinen Beschränkungsverbots schon deshalb nicht bedürfe. Demgegenüber ist auf die Konkretisierungsfunktion der Abs 2 und 3 und die allgemeine, umfassend zu schützende Freizügigkeitsgarantie in Abs 1 hinzuweisen (vgl Rn 19 ff). Spätestens nach der berühmten fioiwan-Entscheidung ist der Standpunkt des EuGH klar geworden, der Art 39 EGV (Art III-133 W E ) mit allgemeinen Erwägungen als Beschränkungsverbot auslegt. Das kommt in der Formel zum Ausdruck, „dass sämtliche Vertragsbestimmungen über die Freizügigkeit den Gemeinschaftsangehörigen die Ausübung von beruflichen Tätigkeiten aller Art im Gebiet der Gemeinschaft erleichtern sollen und solchen Maßnahmen entgegenstehen, die die Gemeinschaftsangehörigen benachteiligen könnten, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben wollen."147 b) Wie bei anderen Beschränkungsverboten bleibt das Problem, angesichts der Vielfalt möglicher Eingriffe eine Eingrenzung noch oberhalb der Rechtfertigungsebene zu versuchen. Insbesondere wenn bedacht wird, dass auch mittelbar und potentiell wirkende Maßnahmen Eingriffscharakter aufweisen können, erscheint es fraglich, ob auch jede nur entfernt mittelbar wirkende Beeinträchtigung eine Verhältnismäßigkeitsprüfung auslösen soll.148 Einen möglichen Ansatz zur Differenzierung könnte zwar nicht die Forderung einer spürbaren Wirkung, aber eine Übertragung der sog Äecfc-Rechtsprechung149 auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit bieten. Dabei ist allerdings eine formale Unterscheidung zwischen Berufszulassungs- und Berufsausübungsregelungen wenig weiterführend.150 Denn es muss, dem Sinn der A!ec&-Entscheidung entsprechend,151 entscheidend sein, ob die Maßnahme einen Zusammenhang zur grenzüberschreitenden Aufnahme und Ausübung der unselbständigen Erwerbstätigkeit, also dem Zugang zur Beschäftigung, aufweist. Der EuGH hat zwar bis jetzt keinen Versuch zu einer klaren Abgrenzung unternommen, aber 146 Der EuGH selbst unterscheidet - seinem allgemeinen Begründungsstil entsprechend - nicht eindeutig, greift vielmehr auf seine eigenen Ansätze für die Entwicklung eines Beschränkungsverbots des Öfteren auch dann zurück, wenn es um eine mittelbare Diskriminierung geht, vgl nur EuGH, Slg 2000,1-4585, Rn 32, 34 - Sehrer (s Fn 141). 147 EuGH, Slg 1995, 1-4921, Rn 94ff - Bosman; vgl zuvor bereits Slg 1993, 1-1663, Rn 32 ff Kraus; neuerdings auch Slg 2003,1-8219, Rn 95 ff - Burbaud. 148 Das Problem ist aus der Grundrechtsdogmatik wohl bekannt, vgl nur PierothlSchlink Grundrechte, 20. Aufl 2004, Rn 238 ff. 149 EuGH, Slg 1993,1-6097 ff - Keck. 150 Vgl aber auch Wunderlich Das Grundrecht der Berufsfreiheit im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2000, 90 ff. 151 Näher dazu Becker EuR 1994, 162 ff.
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in letzter Zeit in diesem Sinne betont, Beschränkungen seien dann vorbehaltlich einer Rechtfertigung verboten, wenn sie „einen Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats daran hindern oder davon abhalten, sein Herkunftsland zu verlassen, um von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch zu machen". 152 Zudem hat er - auch insoweit in Parallele zur Warenverkehrsfreiheit 153 - festgestellt, dass sehr „ungewiss und indirekt" wirkenden Beeinträchtigungen der Eingriffscharakter fehlt.154 In der Sache ging es um einen Abfertigungsanspruch (= Abfindungsanspruch) für den Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, der Arbeitnehmern dann nicht zustand, wenn sie selbst gekündigt hatten. Nicht nur dem Ergebnis, sondern ebenso dem auf den Zugang abstellenden Begründungsansatz ist zuzustimmen, wenn es auch eines klareren Abgrenzungskriteriums bedürfte, um Rechtssicherheit zu gewährleisten.155 Lösung Fall 3: Dass Τ Arbeitnehmer ist, unterliegt keinen Zweifeln. Fraglich ist die Anwendbarkeit des Art 39 EGV (Art III-133 W E ) nur unter dem Gesichtspunkt des grenzüberschreitenden Sachverhalts. Dafür genügt die Grenzüberschreitung durch T, nicht aber ist erforderlich, dass der Eingriff durch einen anderen Staat als den Heimatstaat erfolgt, und ebensowenig spielt der jetzige Wohnort des Τ eine Rolle. Art 39 EGV (Art III-133 W E ) soll nach der Rspr des EuGH „den Gemeinschaftsangehörigen die Ausübung jeder Art von Berufstätigkeit im Gebiet der Gemeinschaft erleichtern" und steht deshalb Maßnahmen entgegen, „die die Gemeinschaftsangehörigen benachteiligen könnten, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben wollen." Er umfasst auch das Recht, das Herkunftsland zu verlassen, um sich zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaats zu begeben und sich dort aufzuhalten. Der EuGH stellt fest: „Bestimmungen, die einen Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats daran hindern oder davon abhalten, sein Herkunftsland zu verlassen, um von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch zu machen, stellen daher Beeinträchtigungen dieser Freiheit dar, auch wenn sie unabhängig von der Staatsangehörigkeit der betroffenen Arbeitnehmer Anwendung finden". Dementsprechend kommt es nicht darauf an, ob die Erhebung der Sozialversicherungsbeiträge offen oder versteckt diskriminierend geschieht. Auch spielt es keine Rolle, dass die zugrundeliegenden Vorschriften einer Materie angehören, für deren Regelung die Mitgliedstaaten zuständig sind. Denn die Zuständigkeitsverteilung schränkt den Anwendungsbereich des Art 39 EGV (Art III-133 W E ) nicht ein. Da Τ nur wegen der Auslandsbeschäftigung mehr Sozialversicherungsbeiträge zahlen muss, als wenn er im ganzen Jahr im Inland geblieben wäre, dem höheren Beitrag also auch keine höheren Leistungen gegenüberstehen, liegt ein Eingriff in die Arbeitnehmerfreizügigkeit vor. Er lässt sich im übrigen auch nicht durch den Hinweis auf die Praktikabilität der Verwaltung rechtfertigen. Anwendbar sind auch für Τ die für alle anderen, ganzjährig im Inland sozialversicherten Personen geltenden Vorschriften (insofern entspricht das Ergebnis dem eines Gleichheitsverstoßes, vgl Rn 40).
152 E u G H , Slg 2000, 1-493, R n 23 ff - Graf; zu dem Z u s a m m e n h a n g (bezogen auf den Verlust von Vergünstigungen der sozialen Sicherheit) bereits Slg 1991,1-1119, R n 18 ff - Masgio. 153 Vgl nur Becker in: Schwarze Art 28 E G V R n 41 ff. Nicht zutreffend ist die Kritik insofern, als behauptet wird, der Ansatz s t a m m e aus der Zeit „vor Keck", so aber RandelzhoferlForsthoff in: Grabitz/Hilf vor Art 39-55 E G V R n 114 f. 154 E u G H , Slg 2000,1-493, R n 25 ff - Graf. 155 Im Schrifttum überwiegt eher die Kritik, die insofern berechtigt ist, als mit einfachen Formeln eine klare Abgrenzung nicht gelingen kann, vgl nur Randehhoferl Forsthoff in: Grabitz/Hilf vor Art 39-55 E G V R n 112 ff.
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3. Adressaten 45
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Die Frage, wer Adressat der Grundfreiheiten ist, also durch diese gebunden wird, gehört zur allgemeinen Grundfreiheitsdogmatik: Sie lässt sich sinnvollerweise nur für alle Grundfreiheiten einheitlich beantworten, weil das durch sie aufgeworfene Problem die Auslegung aller Freiheitsrechte berührt. Ihre Beantwortung hängt nämlich wesentlich von der Funktion dieser Rechte und deren Bedeutung für die Gestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen Privaten ab. Insofern kann auf die allgemeinen Ausführungen verwiesen werden (-» § 7 Rn 40 ff). Weil aber wichtige Entscheidungen des EuGH zur Drittwirkung von Grundfreiheiten gerade zu Art 39 EGV (Art III-133 W E ) ergangen sind,156 soll daran an dieser Stelle zumindest kurz erinnert werden. Ausgehend von dem Urteil in der Rs Walrave hat der EuGH mehrfach betont, dass auch Eingriffe durch „kollektive Regelungen im Arbeitsund Dienstleistungsbereich" durch Art 39 EGV (Art III-133 W E ) verboten sein können. 1 " Während diese Rechtsprechung wohl noch durch die Einräumung von Regelungsmacht an Verbände und vergleichbare Einrichtungen zur Regelung von Beschäftigungsbedingungen erklärt werden kann, ist der EuGH in der Rs Angonese über diesen Ansatz klar hinausgegangen: Ein italienischer Staatsangehöriger hatte, weil er sein Studium in Österreich abschloss, eine Bescheinigung über seine Zweisprachigkeit nicht beibringen können, die von einer privaten Bank gefordert und nur in der Provinz Bozen ausgestellt wurde. Dazu hat der EuGH unter Bezugnahme auf die allgemeine Formulierung des Art 39 EGV (Art III-133 W E ) , die Bedeutung der Grundfreiheit und die möglichen Behinderungen durch Private ausgeführt, das in Art 39 EGV (Art III-133 W E ) ausgesprochene Verbot der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit gelte auch für Privatpersonen.158 Umgekehrt können sich Private hinsichtlich vertraglich vorgesehener Eingriffe ebenfalls auf die anerkannten Rechtfertigungsgründe stützen.159 ΙΠ. Rechtfertigung 1. Geschriebene Schranken
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Die in Art 39 III EGV (Art III-133 III W E ) genannten Rechte können aus „Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit" beschränkt werden. Ihre Stellung scheint dafür zu sprechen, diese Rechtfertigungsgründe nicht auf das Diskriminierungs-
156 Wobei die Relevanz des Art 39 EGV (Art III-133 W E ) nicht aus einem angeblich gegenüber der Warenverkehrsfreiheit erhöhten Freiheitsbezug folgt: Eine solche Differenzierung nach Freiheitsgehalten ist wenig sinnvoll. Wesentliche Bedeutung haben aber Besonderheiten der von der Norm erfassten Lebenssachverhalte: Arbeitsbedingungen werden wesentlich durch Tarifverträge festgelegt, und Arbeitsverhältnisse spielen nicht zufällig in der Diskussion um die Drittwirkung von Grundrechten, sowohl in Deutschland als auch in anderen Ländern (wie zB in Italien), eine besondere Rolle. Vgl auch Parpart Die unmittelbare Bindung Privater an die Personenverkehrsfreiheiten im europäischen Gemeinschaftsrecht, 2003. 157 EuGH, Slg 1974, 1405, Rn 16 ff - Walrave; Slg 1995,1-4921, Rn 84 ff - Bosman. 158 EuGH, Slg 2000,1-4139, Rn 30 f, 36 f - Angonese. Ob der EuGH die Drittwirkung auf das Diskriminierungsverbot beschränken wollte, bleibt fraglich. Dazu Schweitzer FS Musielak, 2004, S 523 ff. 159 EuGH, Slg 1998,1-2521, Rn 24 ff - Clean Car.
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verbot in Art 39 II EGV (Art III-133 II W E ) zu erstrecken,160 insbesondere wenn berücksichtigt wird, dass nach stRspr des EuGH Ausnahmevorschriften eng auszulegen sind.161 Die besseren Argumente führen jedoch zu dem anderen Ergebnis.162 Die Freizügigkeit ist eine einheitliche Grundfreiheit (vgl Rn 19ff),womit unterschiedliche Rechtfertigungsmöglichkeiten je nach Ausprägung nicht vereinbar sind. Zudem sind die in Art 39 III EGV (Art III-133 III W E ) ausdrücklich genannten Gründe auf alle Grundfreiheiten anwendbar,163 und nach allgemeiner Grundfreiheitsdogmatik ist insofern nicht zwischen Beschränkungen und Diskriminierungen zu unterscheiden. Dementsprechend können Gründe der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit alle Formen von Eingriffen rechtfertigen.164 In der Praxis spielen sie aber vor allem eine Rolle, wenn es um die Beendigung des Aufenthalts, insbesondere die Ausweisung und Abschiebung von Arbeitnehmern und deren Angehörigen geht.165 Wie bereits erwähnt, sind die Rechtfertigungsgründe eng auszulegen. Es handelt sich um autonome Begriffe, für deren Ausfüllung den Mitgliedstaaten wegen des Bezugs auf nationale Interessen ein Einschätzungsspielraum zusteht. Für die öffentliche Ordnung wird „eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt", gefordert.166 Die Bezugnahme auf die äußere oder innere Sicherheit muss dem Schutz des Mitgliedstaates bzw der für erforderlich gehaltenen Einrichtungen und wichtiger öffentlicher Dienste dienen.167 Im Anwendungsbereich der Freizügigkeit ist vor allem wichtig, dass die RL 2004/38 (Fn 5)168 insofern Konkretisierungen enthält,169 die man je nach Auslegung des Primärrechts auch als Schranken-Schranken ansehen könnte. Deren Art 27 1170 bestimmt, dass sich der ordre public- Vorbehalt nicht auf „wirtschaftliche Zwecke" bezieht, und nach Art 27 II171 setzt die Berufung auf die öffentliche Ordnung und Sicherheit ein Anknüpfen an das „persönliche Verhalten" des Betroffenen voraus.172 Die Krankheiten, welche die öffentliche Gesundheit gefährden können, sind Art 29 der Richtlinie173 aufgeführt.174 160 So ua Brechmann in: CalliesslRuffert Art 39 EGV Rn 89; Oppermann ER Rn 1530ff; Wölkerl Grill in: vd Groeben/Schwarze Art 39 EGV Rn 122. 161 Vgl nur EuGH, Slg 1999,1-11, Rn 21 ff - Calfa. 162 So auch Schneider/Wunderlich in: Schwarze Art 39 EGV Rn 120ff; RandelzhoferlForsthoff in: Grabitz/Hilf Art 39 EGV Rn 209 f. 163 Vgl nur Streinz ER Rn 694 ff. 164 Enger, weil die offenen Diskriminierungen für nicht rechtfertigungsfahig haltend, Schneiderl Wunderlich in: Schwarze Art 39 EGV Rn 120 ff. 165 Vgl näher nur Renner Ausländerrecht in Deutschland, 1998, S 199 ff. 166 EuGH, Slg 1977, 1999, Rn 33/35 - Bouchereau; Slg 1982, 1665, Rn 8 ff - Adoui; Slg 2002, 1-10981 ff - Olazabal = Schoch JK 5/03, EGV Art 39/3. 167 Vgl nur EuGH, Slg 1984, 2727, Rn 35 ff - Campus Oil; Slg 1991,1-4621, Rn 22 ff - Richardt = Kunig JK 92, EWGV Art 30, 36/1. 168 Bzw bis zum 30.4.2006 RL 64/221 (Fn 12). 169 Vgl zu den verfahrensrechtlichen Mindestanforderungen oben, Rn 19 ff. 170 Bzw bis zum 30.4.2006 Art 2 II RL 64/221 (Fn 12). 171 Bzw bis zum 30.4.2006 Art 3 I RL 64/221 (Fn 12). 172 Zur unmittelbaren Anwendbarkeit der letztgenannten Bestimmung nur EuGH, Slg 1974, 1337, Rn 13 ff - van Duyn (allerdings äußerte sich der EuGH dort zu der RL 64/221, die aber dieselben Vorschriften enthält (Fn 12)). Danach genügen insbesondere strafrechtliche Verurteilungen für eine Aufenthaltsbeendigung nicht. 173 Bzw bis zum 30.4.2006 im Anhang der RL 64/221 (Fn 12). 174 Allerdings zT unter Verweisung auf andere, änderbare Normen.
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Fall 4: (EuGH Slg 2000,1-2681 ff - Lehtonen) Der finnische Profi-Basketballer L, der in Finnland gespielt hatte, wurde nach Beendigung der finnischen Meisterschaft Anfang April von einem belgischen Verein verpflichtet, um die Mannschaft im Endkampf um die belgische Meisterschaft zu verstärken. Diese Verpflichtung bezog sich nur auf die Meisterschaft-Play-offs (dh die Spiele zur Ermittlung des Meisters unter den in der ersten Phase der Ligaspielen punktbesten Mannschaften) und war erst nach dem vom nationalen belgischen Basketball - Verband festgesetzten Stichtag (28.2.) für einen Transfer ausländischer Spieler aus Europa erfolgt. Für Spieler aus dem übrigen Ausland gilt ein etwas späterer Stichtag (31.3.). Deshalb wurde der Einsatz von L mit Punktabzug bestraft und der Verband drohte zusätzliche Sanktionen für den Fall an, dass L noch weitere Spiele bestreiten sollte. Sowohl der Verein als auch L halten die Bestrafung für unvereinbar mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit, die auch im Sport gelte. Der Verband wendet demgegenüber ein, für den Transfer innerhalb Belgiens bestünden sogar, was sachlich stimmt, strengere Transferregelungen. Zudem sei nicht die Beschäftigung bei dem Verein, sondern nur der Einsatz der zu spät verpflichteten Spieler verboten. Wenn auf Stichtagsregelungen, die auch vom internationalen Basketballverband vorgesehen seien, verzichtet würde, könnte der sportliche Wettkampf unzulässig verzerrt werden. Da Art 39 EGV (Art III-133 W E ) ebenso wie andere Grundfreiheiten vor Beschränkungen und mittelbaren Diskriminierungen schützen kann, die Schwelle für Eingriffe also relativ niedrig ist, bedarf es wegen der Vielfalt der möglicherweise berührten Rechtsgüter einer Vervollständigung der Rechtfertigungsgründe. Eine Rechtfertigung ist dementsprechend durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses möglich.175 Das gilt jedenfalls für Beschränkungen176 und für versteckte Diskriminierungen177, nicht aber nach überw Μ für offene Diskriminierungen.178 Auch wenn die Umschreibung „zwingend" („imperative", „mandatory") anderes vermuten lässt, ist der Kreis der schützenswerten Rechtsgüter weit gefasst. Beispiele aus der Rechtsprechung beziehen sich auf den Schutz vor der missbräuchlichen Führung akademischer Grade179, den Schutz des Sports, insbesondere des sportlichen Wettbewerbs auch unter Berücksichtigung eines Wettbewerbs unter Nationen, was im Ergebnis zu einem speziellen Schutz für Nationalmannschaften führt.180 Allgemeinere Güter sind die Aufrechterhaltung öffentlicher Einrichtungen iwS, etwa funktionierender Steuerrechtsoder Sozialleistungssysteme,181 von kollektiven Verhandlungssystemen oder Universitäten 182, ebenso der Schutz der Arbeitnehmer und der Verbraucher sowie offensichtlich all-
175 —» Vgl auch § 7 Rn 89; die dogmatische Einordnung ist für die Arbeitnehmerfreizügigkeit vollkommen unbestritten. 176 Vgl nur EuGH, Slg 1995,1-4921 ff - Bosman. 177 Vgl nur EuGH, Slg 1996,1-2617 ff - O'Flynn. 178 S dazu auch oben unter Rn 37. Das dürfte immer noch dem Stand der Rspr entsprechen, wenn auch Durchbrechungen feststellbar sind (der Fall Bosman betraf etwa spezielle Ausländerklauseln) und einiges für die Gegenmeinung spricht; vgl nur Becker in: Schwarze Art 30 EGV Rn 43 f. 179 EuGH, Slg 1993,1-1663 fT - Kraus. 180 EuGH, Slg 1995,1-4921 fT - Bosman. 181 Vgl etwa EuGH, Slg 1992,1-249 ff - Bachmann. 182 EuGH, Slg 1993,1-4309 ff - Allue II.
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gemein einer ordnungsgemäßen Berufsausübung 183 . Hingegen ist die Berufung auf rein wirtschaftliche Gründe, praktische Schwierigkeiten184 oder eine Verwaltungsvereinfachung 185 grundsätzlich ausgeschlossen. Eine weitere Aufzählung erübrigt sich an dieser Stelle, weil sich die in Betracht kommenden Rechtfertigungsgründe ohnehin nicht abschließend nennen lassen.186 Zudem handelt es sich bei den zwingenden Allgemeininteressen um für alle Grundfreiheiten relevante Rechtfertigungsgründe, die nach allgemeinen und übergreifenden Kriterien zu bestimmen sind.187 3.
Schranken-Schranken
Eine Berufung auf bestimmte Rechtsgüter als Rechtfertigungsgründe scheidet aus, wenn deren Schutz bereits abschließend gemeinschaftsrechtlich geregelt ist (a). Für alle übrigen Fälle, und das sind wohl nach wie vor die meisten, muss der Eingriff verhältnismäßig sein (b). a) Sieht man von der sekundärrechtlichen Konkretisierung der geschriebenen Schranken ab (vgl Rn 47), finden sich die wichtigsten Schranken für eine mitgliedstaatliche Bestimmung des Schutzes von Rechtsgütern im Bereich der Anerkennung beruflicher Qualifikationen. Hier existieren zum einen berufsbezogene Harmomsierungsvorschriften (sektorale RLen),188 zum anderen horizontale Vorschriften für die Anerkennung von Diplomen und sonstigen Befähigungsnachweisen.189 Sie beziehen sich auch auf unselbständige Tätigkeiten und sind ua auf Art 40 EGV (Art III-134 W E ) gestützt, erfassen aber keineswegs alle Berufe. b) Verhältnismäßig sind Eingriffe nur dann, wenn sie geeignet, erforderlich und angemessen sind; insofern gelten für Art 39 EGV (Art III-133 W E ) keine Besonderheiten (—» § 7 Rn 96). Was die Kontrolldichte angeht, ist allgemein zu berücksichtigen, dass in manchen Materien - wie der direkten Besteuerung oder der sozialen Sicherheit - nach wie vor die Regelungszuständigkeiten in erster Linie bei den Mitgliedstaaten liegen. Diesen obliegt die Bestimmung des Schutzniveaus.190 Das führt zwar nicht zu Bereichsausnahmen, sollte aber den Mitgliedstaaten erlauben, plausible Beschränkungen aufrechtzuerhalten, um die bestehenden nationalen Einrichtungen nicht zu gefährden. An dem Erfordernis der Verhältnismäßigkeit scheitert häufig eine Rechtfertigung von mittelbaren Diskriminierungen (vgl Rn 38), wenn etwa im Ausland erworbene Sprach183 Zumindest in der Sache verfahrt der E u G H hier offensichtlich großzügig, wenn er etwa bei Forderung bestimmter Qualifikationen das geschützte Rechtsgut nicht näher benennt, was allerdings auch daran liegen kann, dass in den entschiedenen Fällen der Eingriff zumeist ohnehin unverhältnismäßig ist, vgl nur Slg 2000,1-4139 ff - Angonese. 184 Vgl E u G H , Slg 1998,1-1095 ff - Kommission/Griechenland. 185 Offengelassen, aber so angedeutet auch für die Erleichterung der Steuererhebung in EuGH, Slg 2000,1-3337, Rn 25 ff - Zurstrassen. 186 Zu fordern ist nur eine gemeinschaftsrechtliche Anerkennung, vgl Becker in: Schwarze Art 30 EGV Rn 37 f. 187 Vgl für die Personenverkehrsfreiheiten nur EuGH, Slg 1992, 1-3351 ff - Ramrath; Slg 1995, 1-4165 ff - Gebhard. 188 Für Arzte, Apotheker, Architekten und Rechtsanwälte, Nachweise bei Schlag in: Schwarze Art 47 EGV Rn 14 ff. 189 RL 89/48, ABl 1989 Nr L 19/16 (Hochschuldiplome); RL 92/51, ABl 1992 Nr L 209/25 (2. HochschuldiplomRL); R L 99/42, ABl 1999 N r L 201/77 (Befähigungsnachweise). 190 Das gilt allgemein, so dass unterschiedlich hohe Anforderungen in den Mitgliedstaaten nicht per se unverhältnismäßig sind, vgl EuGH, Slg 1999,1-7289, Rn 34 ff - Zenatti.
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Ulrich Becker
kenntnisse191 oder berufliche, durch die Harmonisierung nicht erfasste Qualifikationen192 nicht in ausreichendem Maße berücksichtigt werden. Auch Wohnsitzanforderungen sind zumeist zumindest nicht erforderlich.193 Selbst wenn ein Schutz als solcher verhältnismäßig ist, darf er nicht mit unverhältnismäßigen Sanktionen durchgesetzt werden.194 Gerade auch für ausländerrechtliche Maßnahmen wie Ausweisung und Abschiebung gilt, dass sie in angemessenem Verhältnis zu den von den Betroffenen begangenen Verstößen stehen müssen.195
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Lösung Fall 4: Über den Fall L hatte der EuGH im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens zu entscheiden. Das Urteil ist schon deshalb lesenswert, weil es die Prüfung des Art 39 EGV (Art III133 W E ) und die dabei immer wieder auftretenden Standardprobleme beispielhaft nachvollzieht. (1) Zum Schutzbereich ist zunächst noch einmal zu wiederholen, dass für den Sport keine Bereichsausnahme besteht. Entscheidend ist nur, dass L eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, und es sich dabei auch um eine „tatsächliche und echte" Tätigkeit handelt, „die keinen so geringen Umfang hat, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellt". Das ist bei einem Profisportler unzweifelhaft. L ist auch im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses, also weisungsgebunden und gegen Vergütung tätig geworden. Die Freizügigkeit garantiert nicht nur den Abschluss des Arbeitsvertrags, sondern auch die Ausübung der Tätigkeit; selbst wenn das Verbot nur an die Vereine gerichtet ist, betrifft es in der Sache doch die Beschäftigungsmöglichkeiten der Spieler. Der Einwand, verboten sei nur der Einsatz, geht also ins Leere. (2) Adressaten des Art 39 EGV (Art III-133 W E ) sind nicht nur die Mitgliedstaaten, sondern auch die Verbände, die durch kollektive Vereinbarungen die Berufstätigkeit regulieren; weitere Ausführungen zur Drittwirkung erübrigen sich. Was den Eingriff angeht, so liegt eine offene, an die Staatsangehörigkeit anknüpfende Diskriminierung nicht vor. Auch eine versteckte Diskriminierung scheidet angesichts der Besserstellung von Transfers aus dem Ausland aus. Art 39 EGV (Art III-133 W E ) verbietet aber auch nicht gerechtfertigte Beschränkungen der Freizügigkeit. Der EuGH stellte dazu fest: „Gleichwohl kann die fragliche Regelung die Freizügigkeit von Spielern, die ihre Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat ausüben wollen, dadurch einschränken, dass sie es belgischen Vereinen untersagt, Basketballspieler aus anderen Mitgliedstaaten bei Meisterschaftsspielen einzusetzen, wenn diese Spieler erst nach einem bestimmten Zeitpunkt verpflichtet wurden. Diese Regelung bildet damit ein Hindernis für die Freizügigkeit der Arbeitnehmer." (3) Zu prüfen bleibt eine Rechtfertigung. Diese kann sowohl auf die geschriebenen als auch die ungeschriebenen Schranken des Art 39 EGV (Art III-133 W E ) gestützt werden. Für
191 Vgl EuGH, Slg 1989, 3967, Rn 23 f - Groener; Slg 2000,1-4139, Rn 44 ff - Angonese. 192 Vgl EuGH, Slg 1999, 1-4773, Rn 29 fT - Fernandez de Bobadilla; näher zur Vergleichsprüfung, bezogen auf Art 43 EGV, Slg 1991,1-2357 ff - Vlassopoulou. 193 Vgl etwa zu Bewachungsunternehmen im Hinblick auf die Überprüfung des Personals EuGH, Slg 2000, 1-1221, Rn 32 f - Kommission/Belgien; zT ungeeignet, zT nicht erforderlich für die Erfüllung der Verpflichtungen eines Geschäftsführers, Slg 1998, 1-2521, Rn 34 fT - Clean Car. Eine bereits in einem anderen Mitgliedstaat erworbene Zulassung darf eine weitere Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat nicht ausschließen, vgl etwa Slg 1992,1-3351 ff - Ramrath. 194 Vgl etwa E u G H , Slg 1999,1-6207, Rn 44 ff - Wijsenbeek. 195 Es bedarf also einer Einzelfallprüfung, die auch von der R L 64/221 (Fn 12) gefordert wird, vgl dazu EuGH, Slg 1999, I - l l f F - Calfa. An die Missachtung von Förmlichkeiten dürfen keine schwerwiegenden Folgen geknüpft werden, vgl Scheuer in: Lenz Art 39 EGV Rn 65 f.
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eine Beeinträchtigung der ausdrücklich geschützten Rechtsgüter hegen keine Anhaltspunkte vor. Zu den schützenswerten zwingenden Gründen des Allgemeininteresses zählt hingegen auch die Sicherstellung des „geordneten Ablaufs sportlicher Wettkämpfe". Der Eingriff muss aber verhältnismäßig sein. Da späte Transfers den Verlauf der Meisterschaft verzerren und die Vergleichbarkeit der zuvor erzielten Ergebnisse verhindern können, sind sie zur Herstellung gleicher Bedingungen geeignet. Ob die konkreten Transferregelungen auch erforderlich sind, blieb jedoch zweifelhaft. Die Beurteilung hängt wesentlich vom gewählten Zeitpunkt und dessen Bedeutung für den Verlauf der Meisterschaft ab. Im vorliegenden Fall ergab sich, dass der Stichtag 28.2. nur für Spieler aus der europäischen Zone galt, für im übrigen Ausland eingesetzte Spieler aber der 31.3. Diese Differenzierung legt eine Unverhältnismäßigkeit der Beschränkung für die europäische Zone nahe, sofern das nationale Gericht nicht auf sachliche (auf die Gefährdung des sportlichen Wettbewerbs bezogene) Gründe für die unterschiedlichen Stichtage stoßen sollte.
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Niederlassungsfreiheit Christian Tietje Leitentscheidungen: EuGH, Slg 1991, I-2357fF - Vlassopoulou; Slg 1991, I-3956ff - Factortame = Kunig JK 92, EWGV Art 52/2; Slg 1995,1-4165 fT - Gebhard; Slg 1997,1-3143ff - VT4; Slg 1998,I6717ff - Kommission/Spanien; Slg 1999,1-1459ff - Centros; Slg 1999,1-2835ff - Pfeiffer; Slg 1999, 1-3289ff - Meeusen; Slg 1999, I-llff - Calfa; Slg 2002, I-9919fT - Überseering = Ehlers JK 5/03, EGV Art 43/3; Slg 2003,1-10155fT - Inspire Art = Ehlers JK 6/04, EGV Art 43/4; DVB1 2004, 551 Hughes de Lasteyrie du Saillant = Schock JK 9/04, EGV Art 43/5. Schrifttum: Kingreen Die Struktur der Grundfreiheiten des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999; Lackhoff Die Niederlassungsfreiheit des EGV - nur ein Gleichheits- oder auch ein Freiheitsrecht?, 2000; LeibleiHoffmann „Überseering" und das (vermeintliche) Ende der Sitztheorie, RIW 2002, S925ff; MülbertlSchmolke Die Reichweite der Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften - Anwendungsgrenzen der Art 43 ff EGV bei kollisions- und sachrechtlichen Niederlassungshindernissen, ZVglRWiss 100 (2001), S 233ff; Nachbaur Niederlassungsfreiheit: Geltungsbereich und Reichweite des Art 52 EGV im Binnenmarkt, 1999; Pasternacki Zur Abgrenzung von Niederlassungsfreiheit und Dienstleistungsfreiheit bei Niederlassungen mit Teilfunktion, 2000; Schnichels Reichweite der Niederlassungsfreiheit. Dargestellt am Beispiel des deutschen Internationalen Gesellschaftsrechts, 1995; Unzicker Niederlassungsfreiheit der Kapitalgesellschaften in der Europäischen Union nach der Centrosund der Überseering-Entscheidung des EuGH, 2004; von Halen Das Gesellschaftsstatut nach der Centros-Entscheidung des EuGH: kollisionsrechtliche Tragweite, materiellrechtliche Folgen und gesellschaftsrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten, 2001.
I. Einleitung 1. Grundlegende Strukturen und Probleme der im System der Grundfreiheiten 1
Niederlassungsfreiheit
Der Binnenmarkt als zusammen mit dem Gemeinsamen Markt 1 zentrales Integrationsziel und -konzept der EG/EU umfasst nach Art 3 I lit c EG „die Beseitigung der Hindernisse für den freien Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr zwischen den Mitgliedstaaten". Von der Niederlassungsfreiheit ist keine Rede (vgl auch Art 14 II EGV). Allerdings finden sich die Vorschriften über „das Niederlassungsrecht" dann in Titel III des EGV (Titel III Kapitel 1 Abschnitt 2 W E ) („Die Freizügigkeit, der freie Dienstleistungs- und Kapitalverkehr" bzw „Freizügigkeit und freier Dienstleistungsverkehr" nach W E ) . Damit gehört die Niederlassungsfreiheit systematisch als Personenverkehrsfreiheit2 zu den Grundfreiheiten. Entsprechend der Bedeutung der Grundfreiheiten in der Gemeinschaftsrechtsordnung insgesamt wies der EuGH daher wiederholt darauf hin, dass die Niederlassungsfreiheit einen „fundamentalen Grundsatz des Vertrages" bzw „eines der Grundprinzipien des Vertrages" darstellt.3 Die fehlende Erwähnung der Niederlassungsfreiheit in Art 3 I lit c EGV hat schon vor diesem Hintergrund keine weitere Bedeutung.
1 Zum Verhältnis von Binnenmarkt und Gemeinsamem Markt statt vieler ν Bogdandy in: Grabitz/ Hilf Art 14 EGV Rn 6 fT mwN. 2 Zur Einordnung der Niederlassungsfreiheit als Personenverkehrsfreiheit ν Bogdandy in: Grabitz/ Hilf Art 14 EGV Rn 9. 3 EuGH, Slg 1974, 631, Rn 42 f - Reyners; Slg 1976, 1185, Rn 16 - Watson; Slg 1993,1-1663, Rn 29 Kraus; w Nachw b RandelzhoferlForsthoff in: Grabitz/Hilf Art 43 EGV Rn 4.
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Das zeigt sich jetzt auch in Art 1-4 I W E , der die Niederlassungsfreiheit explizit als Grundfreiheit nennt. Das materiellrechtliche Anliegen der Garantie der Niederlassungsfreiheit in Art 43 EGV (Art III-137 W E ) erschließt sich, wenn ein Blick auf die Funktion dieser Rechtsgarantie im Integrationskonzept des EGV geworfen wird. Zentrales Anliegen des Gemeinsamen Marktes (Art 2 f EGV) und des Binnenmarktes (Art 14 EGV/Art III-130 II W E ) ist es, den Markt- bzw heute Unionsbürgern (Art 17 EGV 4 /Art 1-10 I W E ) ökonomisch rationale Entscheidungen unter weitgehendem Ausschluss staatlicher Einflussnahme zu ermöglichen.5 Im grenzüberschreitenden, den Gemeinsamen Markt und Binnenmarkt territorial umfassenden Raum (vgl Art 299 EGV/Art IV-440 W E ) , kann diese Zielsetzung nur verwirklicht werden, wenn die - weitgehende - Freiheit der wirtschaftlichen Faktormobilität gesichert ist. Ökonomisch rationale Entscheidungen sollen also darüber bestimmen, wo - im territorialen Sinne - sich die Produktionsfaktoren Arbeit bzw Organisation sowie Kapital ansiedeln. Die Wirtschaftssubjekte sollen dementsprechend nur auf der Grundlage der ihrer Ansicht nach besten Standortbedingungen ihre wirtschaftlich relevanten Marktentscheidungen treffen dürfen.6 Dabei verlangen die Grundfreiheiten im Sinne des Binnenmarktkonzeptes nach Art 14 EGV (Art III-130 II W E ) allerdings nicht eine vollkommene Aufhebung rechtlicher Grenzen in der Gemeinschaft bzw zwischen den Mitgliedstaaten. In dem weiterhin und notwendig rechtlich segmentierten Binnenmarkt soll abgesehen von Rechtsangleichungsmaßnahmen zB nach Art 44 EGV (Art III-138 W E ) und 95 EGV (Art III-172 W E ) - zunächst nur der freie Waren-, Personen-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr gewährleistet sein.7 Ursprünglich erfolgte die Verwirklichung der Grundfreiheiten nur über das Bestimmungslandprinzip. Dieses im Diskriminierungsverbot (Art 12 EGV/Art 1-4 II W E ; —> näher dazu § 13 Rn 2 ff) zum Ausdruck kommende Prinzip gewährleistet „nur", dass Waren, Personen etc im Bestimmungsland nicht gegenüber den vergleichbaren inländischen Waren, Personen etc benachteiligt werden; es handelt sich insofern um eine Inländergleichbehandlungsgarantie, der es nicht um rechtliche Regelungen des Herkunftslandes geht. Dieses ursprüngliche Konzept änderte sich erst mit der Herausbildung des Herkunftslandprinzips.8 Es besagt in seiner durch die Dogmatik zu den Beschränkungsverboten begründeten 9 heutigen Dimension, dass Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital zwar den rechtlichen Anforderungen des Bestimmungslandes entsprechen müssen, um ihre Verkehrsfähigkeit zu begründen, es hierzu aber nicht auf die spezifische Erfüllung der innerstaatlichen Rechtsvorschriften des Bestimmungslandes ankommt. Vielmehr ist seit der Cow/i-Entscheidung des EuGH 10 anerkannt, dass Regelungen der Mitgliedstaaten, die trotz ihrer unterschiedslosen Anwendung den freien Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen oder Kapital beschränken, einer gesonderten Rechtfertigung bedürfen.
4 Zur ursprünglichen Marktbürgerschaft und der heutigen, um das politische Moment erweiterten Unionsbürgerschaft statt vieler Hatje in: Schwarze Art 17 EGV Rn 1. 5 In diesem Sinne auch ν Bogdandy in: Grabitz/Hilf Art 14 EGV Rn 10; Lackhoff Die Niederlassungsfreiheit des EGV - nur ein Gleichheits- oder auch ein Freiheitsrecht?, 2000, S 28. 6 Lackhoff (Fn 5) S 28 f; Oppermann ER Rn 930; KoeniglHaratsch ER Rn 483 f. 7 MülbertISchmolke ZVglRWiss 100 (2001), 233, 238 mwN. 8 Zur Bedeutung des Herkunftslandprinzips für die Verwirklichung des Binnenmarktes bzw der Grundfreiheiten statt vieler Hatje in: Schwarze Art 14 EGV Rn 8. 9 -» § 7 Rn 24 f. 10 EuGH, Slg 1979, 649 ff - Cassis de Dijon.
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Hieraus folgt, dass zunächst die Beschaffenheit etc der genannten ausländischen ökonomischen Faktoren anzuerkennen ist. Es besteht mithin eine widerlegbare Vermutung für die Verkehrsfähigkeit, wenn die diesbezüglichen rechtlichen Voraussetzungen im Herkunftsland gegeben sind." Durch diesen Mechanismus, der dogmatisch, wie bereits hervorgehoben, auf die Lehre von den Beschränkungsverboten zurückzuführen ist, wurde das Bestimmungslandprinzip im Gemeinsamen Markt deutlich weiterentwickelt. Ausgehend von dieser allgemeinen, den freiheitlichen und damit wohlfahrtssteigernden Erkenntnissen und Konsequenzen der Theorie komparativer Kostenvorteile 12 folgenden Ratio der Grundfreiheiten insgesamt, lässt sich in einem weiteren Schritt die Zielsetzung der Niederlassungsfreiheit bestimmen. Zunächst soll die Niederlassungsfreiheit allgemein natürlichen und juristischen Personen die Möglichkeit eröffnen, ohne Benachteiligung (Diskriminierung) gegenüber Inländern eine Niederlassung in jedem Mitgliedstaat zu begründen. Entsprechend der grundsätzlichen Ratio der Grundfreiheiten soll so eine optimale Ressourcenallokation aufgrund freier unternehmerischer Entscheidung erreicht werden. In Abgrenzung zur Dienstleistungsfreiheit bleibt es dabei dem Wirtschaftssubjekt überlassen, ob nur die Erbringung der einzelfallbezogenen Dienstleistung oder die teilweise oder vollständige Verlagerung der Geschäftsaktivitäten im Sinne einer Niederlassung erfolgt.13 Zunächst wurde auch bei der Niederlassungsfreiheit historisch bedingt nur auf das Bestimmungslandprinzip abgestellt, wonach es nur darauf ankommt, dass eine ausländische natürliche oder juristische Person im Rahmen der Niederlassung nicht gegenüber entsprechenden Inländern benachteiligt wird.14 Diese ausschließliche Bezugnahme auf das Bestimmungslandprinzip hat sich aber aufgrund der Fortentwicklung der Grundfreiheiten insgesamt als Beschränkungsverbote zwischenzeitlich relativiert; hierauf ist mit Blick auf die Niederlassungsfreiheit noch zurückzukommen. 15 Das damit auch bei der Niederlassungsfreiheit in den Vordergrund tretende Herkunftslandprinzip ist hier allerdings nicht unproblematisch. Wesentlich intensiver als bei den anderen Grundfreiheiten stellt sich nämlich bei der Niederlassungsfreiheit das Problem, dass die Verwirklichung der Niederlassung untrennbar mit zahlreichen, zB gesellschafts- und steuerrechtlichen Vorgaben des Bestimmungslandes verbunden ist. Die Begründung einer Niederlassung ist nicht nur ein rein ökonomischer Vorgang im Marktgeschehen, sondern regelmäßig ein komplexes rechtliches Geschehen. Die Niederlassung führt insofern zwingend zu einer Teil- oder Vollintegration des Niederlassenden in die Rechtsordnung des Bestimmungslandes. Vor diesem Hintergrund steht die unbesehene Übernahme der grundfreiheitlichen Dogmatik zu umfassenden Beschränkungsverboten vor dem Problem, dass damit eine radikale Liberalisierung der für die Niederlassung relevanten nationalen Rechtsregeln der Mitgliedstaaten verbunden wäre. Dass die Niederlassungsfreiheit gem Art 43 EGV (Art III-137 W E ) nicht diese weitreichenden Wirkungen entfaltet und entfalten kann, wird kaum zu bezwei-
11 Zu diesem Konzept der gegenseitigen Anerkennung als Folge der Gm«-Rechtsprechung statt vieler Rönck Technische Normen als Gestaltungsmittel des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1995, S 81 ff; Dauses in: HdBEUWirtschR C.I. Rn 96 ff. 12 Hierzu statt vieler Tietje Normative Grundstrukturen der Behandlung nichttarifärer Handelshemmnisse in der WTO/GATT-Rechtsordnung, 1998, S 76; Siebert Weltwirtschaft, 1997, S 173ff. 13 Statt vieler Lackhoff (Fn 5) S 29 f. 14 Umfassend zu dieser Dimension der Niederlassungsfreiheit Lackhoff (Fn 5) S 214ff; im Überblick auch Frenz Rn 1848 ff. 15 S u Rn 52.
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fein sein.16 Wo allerdings im Einzelnen die Grenze zwischen Bestimmungsland- und Herkunftslandprinzip verläuft und wie diese dogmatisch einzuordnen ist, stellt Rechtswissenschaft und Rechtsanwendung vor große Probleme. Die wesentlichen rechtlichen Probleme, die sich bei der Auslegung und Anwendung der Art 43 ff EGV (Art III-137 ff W E ) stellen, sind auf diese Grundproblematik zurückzuführen.
2. Das Zusammenspiel von gemeinschafts- und völkerrechtlicher Niederlassungsfreiheit Bevor die dogmatische Struktur der gemeinschaftsrechtlichen Niederlassungsfreiheit näher betrachtet wird, ist es notwendig, einen Blick auf das Zusammenspiel mit entsprechenden Rechtsverbürgungen im Völkerrecht zu werfen. Die Niederlassungsfreiheit hat in Europa bereits frühzeitig verschiedene völkervertragsrechtliche Regelungen erfahren. Das geschah zunächst durch zahlreiche bilaterale Niederlassungsverträge. Diese blieben in ihrer inhaltlichen Reichweite allerdings deutlich hinter den Rechtsverbürgungen des Art 43 EGV (Art III-137 W E ) zurück, da sie regelmäßig mit Vorbehalten im Hinblick auf die Inländergleichbehandlung versehen waren und zudem dem Gegenseitigkeitserfordernis unterlagen.17 Auch das im Rahmen des Europarates geschlossene Europäische Niederlassungsabkommen vom 13. Dezember 195518 ist mit verschiedenen Ausnahmeregelungen versehen, wodurch die Wirksamkeit seiner Rechtsgarantien deutlich beeinträchtigt wird.19 Eine besondere Rechtslage ist mit Blick auf das Assoziationsabkommen der EG mit der Türkei20 und die auf der Grundlage dieses Abkommens ergangenen Beschlüsse des Assoziationsrates gegeben. Das Abkommen, seine Zusatzprotokolle und die Assoziationsratsbeschlüsse sind zwar „integrierender Bestandteil des Gemeinschaftsrechts", 21 allerdings ist damit noch nicht zwingend die Möglichkeit türkischer Staatsangehöriger eröffnet, sich unmittelbar auf die entsprechenden Rechtsnormen zu berufen. Die hierzu erforderliche unmittelbare Anwendbarkeit wird vom EuGH für das Assoziationsabkommen, das ua Regelungen zur Niederlassungsfreiheit enthält (Art 13), abgelehnt. 22 Bejaht wird von ihm die unmittelbare Anwendbarkeit aber für Art 41 I des Zusatzprotokolls zu dem Abkommen, der die Einführung neuer Beschränkung für die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit verbietet. 23 Nach dieser Rechtsprechung des EuGH kann sich für einen türkischen Staatsangehörigen, der sich bereits rechtmäßig in einem Mitgliedstaat zur Ausübung der Niederlassungsfreiheit aufhält, ein Aufenthaltsrecht ergeben.24 Darüber hinausgehende, das Niederlassungsrecht des Assoziationsabkommens konkretisierende Beschlüsse des Assoziationsrates liegen indes noch nicht vor; bislang wurden nur Verhandlungen zu einer fortschreitenden Liberalisierung des Dienstleistungssektors vereinbart. 25
16 Zu dem angesprochenen Spannungsverhältnis statt vieler Miilberl/Schmolke ZVglRWiss 100 (2001), 233, 238 ff. 17 Einzelheiten bei TroberglTiedje in: vd Groeben/Schwarze Vorbem Art 43 bis 48 EGV Rn 28 ff. 18 BGBIII 1959,997. 19 Hierzu statt vieler Schlag in: Schwarze Art 43 EGV Rn 7; Fikentscher Wirtschaftsrecht, Bd I, 1983, S 138. 20 ABl 1964 217/3685; - » § 9 Rn 32. 21 Siehe zB EuGH, Slg 1987, 3719, Rn 7 - Demirel; Slg 1990,1-3461, Rn 9 - Sevince = Kumg JK 91, EWGV Art 177/1. 22 EuGH, Slg 1987, 3719, Rn 25 - Demirel. 23 EuGH, Slg 2000,1-2927, Rn 46 ff - Savas. 24 Einzelheiten hierzu bei RandelzhoferlForsthoff in: Grabitz/Hilf Vor Art 39-55 EGV Rn 33 mwN. 25 Randelzhofer!Forsthoff in: Grabitz/Hilf Vor Art 39-55 EGV Rn 35.
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Über den territorialen Anwendungsbereich des EGV hinausgehend finden sich Rechtsverbürgungen zur Niederlassungsfreiheit auch in den sog Europa-Abkommen mit den mittel- und osteuropäischen Ländern (MOEL). Sie enthalten alle ua ein Verbot diskriminierender Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit, dem unmittelbare Anwendbarkeit zukommt.26 Die entsprechenden Bestimmungen, die auch ein Einreise- und Aufenthaltsrecht begründen,27 bleiben nach dem Beitritt der Staaten zur EU relevant, soweit in der Beitrittsakte für eine Übergangszeit im Freizügigkeitsbereich Abweichungen vom umfassenden Schutzniveau der Grundfreiheiten des EGV zulässig sind.28 Eine weitere Dimension des Niederlassungsrechts hat sich mit dem In-Kraft-Treten des Übereinkommens zur Errichtung der Welthandelsorganisation (WTO) und dem Allgemeinen Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen (GATS) als integralem Bestandteil des WTO-Übereinkommens ergeben. Das GATS liberalisiert Dienstleistungen ua mit Blick auf die „kommerzielle Präsenz" in einem Staat (vgl Art 1:2 lit c GATS). Diese wird in Art XXVIII lit d GATS definiert als „jede Art geschäftlicher oder beruflicher Niederlassung durch - unter anderem - i) die Errichtung, den Erwerb oder die Fortführung einer juristischen Person oder ii) die Errichtung oder Fortführung einer Zweigstelle oder einer Repräsentanz im Hoheitsgebiet eines Mitglieds zum Zwecke der Erbringung einer Dienstleistung". Die damit umfassend geregelte Niederlassungsfreiheit des GATS29 gilt allerdings nur in den Dienstleistungsbereichen, in denen die WTO-Mitglieder ausdrückliche Liberalisierungsverpflichtungen eingegangen sind (vgl Art XVI und XX GATS). Zudem besteht die Möglichkeit, ua Restriktionen im Bereich der rechtlichen Ausgestaltung von Unternehmensformen und der Kapitalbeteiligung vorzusehen (Art XVI:2 lit e und f GATS). Die EG und ihre Mitgliedstaaten haben sich in zahlreichen Dienstleistungsbereichen einer ua das Niederlassungsrecht umfassenden Liberalisierungsverpflichtung im Sinne von Art XVI GATS unterworfen, zugleich aber auch in einzelnen Bereichen Ausnahmen festgeschrieben.30 Das GATS hat damit in einem ersten, sicherlich noch ausbaufähigen Schritt eine mit nahezu universeller Wirkung versehene Liberalisierung im Niederlassungsrecht erwirkt. Die insofern gegebene völkerrechtliche Bindung der EG und ihrer Mitgliedstaaten an das GATS entfaltet allerdings nach der Rechtsprechung des EuGH keine unmittelbare Anwendbarkeit, so dass sich natürliche und juristische Personen hierauf nicht berufen können und auch eine Überprüfung sekundären Gemeinschaftsrechts am Maßstab des GATS
26 EuGH, Slg 2001,1-6369, Rn 30 ff - Gloszczuk; Slg 2001,1-6557 - Barkoci und Malik; Slg 2001, 1-8615, Rn 26 ff - Jany = Ehlers JK 7/02, EGV Art 43/2. 27 Hierzu und zu den Grenzen siehe Schlussanträge GA Maduro, EuGH, Rs C-327/02, Rn 24 ff Panayotova. 28 Zu Einzelheiten siehe die Anhänge Vff Akte über die Bedingungen des Beitritts der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Republik und die Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge, ABl EG Nr L 236 ν 23.9.2003, S 803 ff. 29 Hierzu auch Koehler Das Allgemeine Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen (GATS), 1999, S 93 f mwN. 30 Einzelheiten sind in der entsprechenden Verpflichtungsliste der EG und ihrer Mitgliedstaaten niedergelegt, WTO Dok GATS/SC/31. Im Überblick für die Mitgliedstaaten der EG Senti WTO System und Funktionsweise der Welthandelsorganisation, 2000, Rn 1259 ff; Barth EuZW 1994, 455 ff; umfassend zum GATS auch Koehler (Fn 29).
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ausscheidet.31 Da aber trotz dieser Rechtsprechung die völkerrechtliche Bindung der EG und ihrer Mitgliedstaaten an das GATS umfassend gegeben ist und überdies im Einzelfall eine Verpflichtung zur völkerrechtskonformen Auslegung des Gemeinschaftsrechts und des Rechts der Mitgliedstaaten bestehen kann, 32 ist das Niederlassungsrecht des GATS bei der Analyse der Art 43 ff EGV (Art III-137 W E ) zu beachten, soweit es um Niederlassungen von natürlichen und juristischen Personen aus Drittstaaten geht. Besonders relevant ist dies mit Blick auf die auch für das EG-Recht problematische Frage nach der Vereinbarkeit von Niederlassungsfreiheit und Sitztheorie; hierauf ist noch zurückzukommen.33 Insgesamt zeigt sich damit auch im Niederlassungsrecht eine zunehmende Verschränkung von Gemeinschaftsrecht und Völkerrecht.34
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Π. Schutzbereich Wie bei den anderen Grundfreiheiten des Gemeinschaftsrechts ist auch bei Art 43 I EGV (Art III-137 I W E ) stets zunächst zu prüfen, ob der Schutzbereich der Vorschrift in einer konkreten Sachverhaltskonstellation eröffnet ist (-» § 7 Rn 50 ff). Dabei kann auch mit Blick auf Art 43 I EGV (Art III-137 I W E ) zwischen dem räumlichen, personellen und sachlichen Schutzbereich differenziert werden. 1. Räumlicher
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Der räumliche Schutzbereich des Art 43 I EGV (Art III-137 I W E ) bezieht sich in erster Linie auf den territorialen Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts insgesamt (vgl Art 299 EGV/Art IV-440 W E ) . Darüber hinaus kann allerdings auch dann der Schutzbereich des Art 43 I EGV (Art III-137 I W E ) eröffnet sein, wenn eine Niederlassung außerhalb der EG in Frage steht und die ihr zugrunde liegenden Rechtsbeziehungen oder ihre Auswirkungen einen hinreichend engen Bezug zum Gemeinschaftsgebiet im Sinne von Art 299 EGV (Art IV-440 W E ) aufweisen.35 Angesichts der spezifischen Besonderheiten der Niederlassung nach Art 43 I EGV (Art III-137 I W E ) , die sie insbesondere von der Arbeitnehmerfreizügigkeit und der Dienstleistungsfreiheit unterscheidet und die in der engen Einbindung in die Rechtsordnung eines dritten Staates ihre Wurzeln hat, handelt es sich bei dieser Möglichkeit der Ausweitung des räumlichen Schutzbereiches freilich nur um eine eher theoretische Konstruktion. Größere praktische Bedeutung kann allerdings der Ausdehnung des räumlichen AnWendungsbereiches auf Gebiete außerhalb des Art 299 EGV (Art IV-440 W E ) zukommen, in denen die Mitgliedstaaten der EG bzw die Gemeinschaft selbst nach völkerrecht-
31 EuGH, Slg 1999,1-8395, Rn 47 - Portugal/Rat = Ehlers JK 00, EGV Art 300/1; Slg 2000,1-11307, Rn 43 - Parfüms Christian Dior; zur Kritik an dieser problematischen Rechtsprechung zB BerrischlKaman EWS 2000, 89 ff. 32 Zu den diesbezüglichen Grundsätzen mit Blick auf das WTO-Recht EuGH, Slg 1998, 1-3603, Rn28 - Hermes; EuZW 2001, 117, Rn 47 f - Parfüms Christian Dior; umfassend auch Tietje Internationalisiertes Verwaltungshandeln, 2001, S 577 ff mwN. 33 S u Rn 64 ff. 34 Im Überblick hierzu allgemein HobelMüller-Satori JuS 2002, 8 ff. 35 Zahlreiche Nachweise hierzu insgesamt für die Grundfreiheiten bei RandelzhoferlForsthoff in: Grabitz/Hilf Vor Art 39-55 EGV Rn 8.
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liehen Regelungen besondere Rechte ausüben dürfen. Das gilt insbesondere für die ausschließliche Wirtschaftszone nach Art 55 ff SRÜ 36 , der eine nicht unerhebliche ökonomische Bedeutung zukommt. Insbesondere diese wirtschaftliche Dimension, um deren Effektuierung es den Grundfreiheiten allgemein und damit auch der Niederlassungsfreiheit geht, spricht für die Anerkennung der räumlichen Anwendbarkeit der Niederlassungsfreiheit in der ausschließlichen Wirtschaftszone der betreffenden EG-Mitgliedstaaten.37 2. Personeller 15
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Der personelle Schutzbereich des Art 43 I EGV (Art III-137 I W E ) umfasst zunächst natürliche Personen mit der Staatsangehörigkeit einer der Mitgliedstaaten der EG.38 Das ergibt sich bereits aus dem klaren Wortlaut der Vorschrift. Angehörige von Drittstaaten können sich nicht unmittelbar auf Art 43 I EGV (Art III-137 I W E ) berufen, für Familienangehörige von Unionsbürgern entfaltet die Niederlassungsfreiheit jedoch eine mittelbare Rechtswirkung; 39 überdies gewährt ihnen das einschlägige Sekundärrecht gewisse Rechte.40 Im Übrigen verbleibt es mit Blick auf Drittstaatsangehörige bei den Rechten, die sich aus den genannten völkerrechtlichen Verträgen als integrierendem Bestandteil des Gemeinschaftsrechts ergeben.41 Ein besonders wichtiger Aspekt des personellen Schutzbereiches der Niederlassungsfreiheit betrifft seine Erstreckung auf juristische Personen. Die Anwendbarkeit der Niederlassungsfreiheit für juristische Personen ergibt sich aus Art 48 EGV (Art III-142 W E ) . Da sich mit Blick auf Art 48 EGV (Art III-142 W E ) und die diesbezügliche Reichweite des Niederlassungsrechts komplexe Sonderprobleme ergeben, soll hierauf an späterer Stelle eingegangen werden.42 3. Sachlicher Schutzbereich
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FaD 1: (Vgl EuGH, Slg 1991,1-3956 ff - Factortame = Kunig JK 92, EWGV Art 52/2) Der spanische Betreiber von Fischereischiffen F lässt Anfang der 1980er Jahre eine große Anzahl seiner Schiffe im Vereinigten Königreich registrieren. Dadurch wollte er erreichen, auch die britischen Fischereiquoten in Anspruch nehmen zu können (sog „Quotenspringen"). Um dieser Praxis Einhalt zu gebieten, wird 1988 im Vereinigten Königreich ein Gesetz erlassen, nach dem alle unter britischer Flagge fahrenden Schiffe erneut in das Schiffsregister einzutragen sind. Die Eintragung in das Schiffsregister setzt ua voraus, dass das fragliche Schiff vom Vereinigten Königreich aus operiert und sein Einsatz von dort aus geleitet und überwacht wird. F betreibt seine Schiffe von Spanien aus. Verstößt das neue Schiffsregistergesetz des Vereinigten Königreiches gegen Art 43 I EGV (Art III-1371 W E ) ?
36 Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen, BGBl II 1994, 1799; zur ausschließlichen Wirtschaftzone im Sinne des Seevölkerrechts statt vieler Graf Vitzthum in: Graf Vitzthum VR 5.Abschn Rn 51 ff. 37 Zum Problem und mit Nachweisen zum Streitstand Lackhoff (Fn 5) S 200 f. 38 Ausführlich Frenz, Rn 2021 ff mwN. 39 EuGH, Slg 1992,1-4265, Rn 23 - Singh; Schlag in: Schwarze Art 43 EGV Rn 30 und 50; MüllerGraff in: Streinz Art 43 EGV Rn 28. 40 Nachw b RandelzhoferlForsthoff in: Grabitz/Hilf Vor Art 39-55 EGV Rn 9. 41 S o R n ö f . 42 S u Rn 62 f.
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Fall 2: (Vgl EuGH, Slg 1995,1-4165 ff - Gebhard) Der deutsche Staatsangehörige G ist seit 1977 in Stuttgart als Rechtsanwalt zugelassen. Er ist freier Mitarbeiter in einer Kanzlei; eine eigene Kanzlei unterhält er in Deutschland nicht. Nachdem G schon längere Zeit als Mitarbeiter und Sozius in einer Rechtsanwaltskanzlei in Italien gearbeitet hat, eröffnet er 1989 in Mailand eine eigene Kanzlei. Er betreibt die Kanzlei als „awocato", der Berufsbezeichnung für selbstständige Anwälte in Italien. Eine Genehmigung hierfür durch die zuständige Rechtsanwaltskammer hegt nicht vor. Daher wurde gegen G in Mailand von der Rechtsanwaltskammer ein Disziplinarverfahren eingeleitet, das mit der Sanktion einer zeitweiligen Versagimg der Ausübung der Berufstätigkeit für sechs Monate abgeschlossen wurde. Ist zu Gunsten des G der Schutzbereich des Art 43 I EGV (Art III-137 I W E ) eröffnet? Der sachliche Schutzbereich des Art 43 I EGV (Art III-137 I W E ) wird im Wesentlichen durch die Abgrenzung zur Dienstleistungsfreiheit (Art 49 EGV/Art III-144 W E ) bestimmt. Dass eine Abgrenzung der beiden Grundfreiheiten angezeigt ist, ergibt sich bereits aus der Systematik des EGV. Überdies wurde schon darauf hingewiesen, dass die Niederlassungsfreiheit im System der Grundfreiheiten von einer eigentümlichen Spannungslage im Verhältnis von Herkunftsland- und Bestimmungslandprinzip gekennzeichnet ist. Das dem Grunde nach für die Niederlassungsfreiheit auch im Lichte der Beschränkungsdogmatik des EuGH relevante Bestimmungslandprinzip findet hingegen bei der Dienstleistungsfreiheit kaum noch Anwendung; hier wird nur darüber gestritten, ob und gegebenenfalls inwieweit die Lehre von den Beschränkungsverboten auf Art 49 EGV (Art III-144 W E ) Anwendung findet.43 Bei der Niederlassungsfreiheit wird aber schon im Wortlaut des Art 43 II EGV (Art HI-137 II W E ) davon gesprochen, dass es sich um Erwerbstätigkeiten handelt, die „nach den Bestimmungen des Aufnahmestaates" aufgenommen oder ausgeübt werden. Dieser Verweis auf das Bestimmungslandprinzip ist der Ansatzpunkt für die notwendige aber problematische Abgrenzung zwischen Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit.
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a) Erwerbstätigkeit Der Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit wird in Art 43 II EGV (Art III-l 37 II W E ) umschrieben, allerdings nicht legal definiert. Von der Niederlassungsfreiheit werden danach „die Aufnahme und Ausübung selbstständiger Erwerbstätigkeiten sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen ... nach den Bestimmungen des Aufnahmestaates für seine eigenen Angehörigen" erfasst. Diese Umschreibung lässt sich konkretisieren, wenn zunächst ein allgemeiner 44 Blick auf die Abgrenzung zur Dienstleistungsfreiheit geworfen wird. Nach Art 50 III EGV (Art III-145 III W E ) kommt es für die Dienstleistungserbringung in einem anderen Mitgliedstaat 45 in Abgrenzung zur Niederlassungsfreiheit auf eine vorübergehende Tätigkeitsausübung an. Hieraus folgt in Kombination mit der Umschreibung in Art 43 II EGV (Art III-137 II W E ) , dass als Niederlassung allge-
43 Einzelheiten bei Randekhofer/Forsthoff in: Grabitz/Hilf Art 49/50 EGV Rn 68 ff (speziell zum Herkunftslandprinzip Rn 71); - » § 11 Rn 54. 44 Zu konkreten Einzelheiten der Abgrenzung zwischen Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit s Rn 26. 45 Zu den drei Dimensionen der Dienstleistungsfreiheit statt aller Strein: ER Rn 756.
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mein eine „wirtschaftliche Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung in einem anderen Mitgliedstaat auf unbestimmte Zeit" zu verstehen ist.46 Wie bereits diese Definition andeutet, ist der Begriff der Niederlassung im Interesse der Effektivität der Grundfreiheiten (vgl Art 10 EGV/Art 1-5 II W E ) grundsätzlich weit zu verstehen.47 Gewisse Einschränkungen, die sich aus der Ratio des EGV insgesamt sowie speziell des Art 43 EGV (Art III-137 W E ) ergeben, sind indes zu beachten. Wie bei allen Grundfreiheiten bezieht sich auch der Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit nur auf wirtschaftliche Sachverhalte, und zwar konkret nur auf eine wirtschaftliche Erwerbstätigkeit. Das folgt aus dem Wortlaut des Art 43 II EGV iVm Art 2 EGV (Art III-137 II W E iVm Art 1-3 III WE). 4 8 Der insofern relevante Wirtschaftsbegriff ist aber ausgesprochen konturenlos, so dass strittig ist, inwiefern dieser als Konkretisierungskriterium geeignet ist.49 Deutlich wird dies mit Blick auf die Rechtsprechung des EuGH, nach der auch kulturelle,50 sportliche51 und religiöse52 Tätigkeiten in den Schutzbereich der Grundfreiheiten fallen können. Vor diesem Hintergrund wird vorgeschlagen, den Begriff der Erwerbstätigkeit in Art 43 II EGV (Art III-137 II W E ) auf alle geldwerten Güter und Leistungen, dh jede entgeltliche Tätigkeit zu beziehen.53 Gegen diese Ansicht spricht aber, dass zB private wirtschaftliche Interessenverbände überaus wichtige Aufgaben im Wirtschaftsleben wahrnehmen, ihre Tätigkeit aber nicht zwingend auf eine Entgeltlichkeit gerichtet ist. Daher geht es bei Art 43 II EGV (Art III-137 II W E ) nicht zwingend um die Entgeltlichkeit, sondern um jede Tätigkeit, die dem wirtschaftlichen Fortkommen dient.54 Nur entgeltlose Tätigkeiten, die keinen wirtschaftlichen Bezug aufweisen, da sie zB ausschließlich aus karitativen Gründen erfolgen, unterfallen dementsprechend nicht der Niederlassungsfreiheit.55 Nicht abschließend geklärt ist im Übrigen, inwieweit eine vermeintliche „grobe Sozialschädlichkeit" einer Tätigkeit die Eröffnung des sachlichen Schutzbereiches des Art 43 I EGV (Art III-137 I W E ) verschließt.56 Angesichts der zunehmend deutlicher werdenden freiheitsrechtlichen Dimension der Grundfreiheiten (-» § 7 Rn 24 f) stößt eine Schutz-
46 EuGH, Slg 1991,1-3956, Rn 20 - Factortame = Kunig JK 92, EWGV Art 52/2. 47 EuGH, Slg 1995,1-4165, Rn 25 - Gebhard; Slg 1996,1-6511, Rn 20 - Broede; RandelzhoferlForsthoff in: Grabitz/Hilf Art 43 EGV Rn 13; Geiger EUV/EGV Art 43 EGV Rn 1; Müller-Graff in: Streinz Art 43 Rn 12. 48 Zur zentralen Bedeutung von Art 2 EGV insgesamt sowie speziell für die Interpretation der Vorschriften des EGV ausführlich ν Bogdandy in: Grabitz/Hilf Art 2 EGV Rn 13 ff. 49 Zur Diskussion mit zahlreichen Nachw Lackhoff (Fn 5) S 38 f. 50 Siehe zB EuGH, Slg 1994,1-911, Rn 10 - Kommission/Spanien. 51 Siehe zB EuGH, Slg 1995,1-4921, Rn 73 - Bosman. 52 Siehe zB EuGH, Slg 1988, 6159 ff - Steymann. 53 Lackhoff (Fn 5) S 39 f; ähnlich Schlag in: Schwarze Art 43 EGV Rn 21 f. 54 So überzeugend Randelzhoferl Forsthoff in: Grabitz/Hilf Art 43 EGV Rn 18. 55 Ganz hM Tiedje/Troberg in: vd Groeben/Schwarze Art 43 EGV Rn 59; RandelzhoferlForsthoff in: Grabitz/Hilf Art 43 EGV Rn 20; Müller-Graff in: Streinz Art 43 EGV Rn 13. 56 Dafür insb Randelzhoferl Forsthoff in: Grabitz/Hilf Art 43 EGV Rn 17 und Art 39 EGV Rn 38; hiergegen zB Schlag in: Schwarze Art 43 EGV Rn 22; ausführlich zur Diskussion Schnichels Reichweite der Niederlassungsfreiheit, 1995, S 29 ff; der EuGH sieht keine Probleme, die Prostitution in den Schutzbereich der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit einzubeziehen: EuGH, Slg 2001, 1-8615, Rn 55 ff - Jany = Ehlers JK 7/02, EGV Art 43/2; siehe auch den Vorlagebeschluss des BVerwG ν 18.9.2001, DVB1 2002, 54 f.; siehe in diesem Zusammenhang auch EuGH, DVB12004, 1476 - Omega = Ehlers JK 6/05, EGV Art 49/13.
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bereichsbegrenzung aber auf prinzipielle Bedenken; aus freiheitssichernder Perspektive kommt insofern nur eine Lösung der Problematik auf der Rechtfertigungsebene in Betracht." b) Dauerhafte und stabile Eingliederung in die Volkswirtschaft Soweit eine Erwerbstätigkeit im Sinne von Art 43 II EGV (Art III-137 II W E ) vorliegt, kommt es in einem zweiten Schritt darauf an, diejenigen Kriterien zu bestimmen und zu prüfen, die diese Erwerbstätigkeit in Abgrenzung zur Dienstleistungsfreiheit als Niederlassung qualifizieren bzw sie gegebenenfalls ganz aus dem Schutzbereich der Grundfreiheiten ausschließen. Bei dem zuletzt genannten Punkt des prinzipiellen Schutzbereichsausschlusses handelt es sich um Missbrauchsfälle.58 Nach ständiger, auch auf die Niederlassungsfreiheit bezogener Rechtsprechung des EuGH ist „die mißbräuchliche oder betrügerische Berufung auf Gemeinschaftsrecht... nicht gestattet".59 Für die Niederlassungsfreiheit hat der Gerichtshof deutlich gemacht, dass es zwar in keinem Fall als Missbrauch angesehen werden kann, in dem Mitgliedstaat eine Niederlassung zu begründen, in dem die innerstaatliche Rechtsordnung „die größte Freiheit" lässt.60 Wenn allerdings eine Berufung auf die Niederlassungsfreiheit erfolgt, ohne dass objektiv tatsächlich von einer dauerhaften und stabilen Eingliederung in die entsprechende Volkswirtschaft gesprochen werden kann, ist der Schutzbereich des Art 43 I EGV (Art III-137 I W E ) nicht eröffnet.61 Der EuGH begründete dies zwar mit dem Begriff der Niederlassung; im Ergebnis können entsprechende Fälle aber auch im Sinne des zitierten Missbrauchsausschlusses begründet werden.62 Lösung Fall 1: Ein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit setzt zunächst voraus, dass der Schutzbereich des Art 43 I EGV (Art III-137 I VVE) eröffnet ist. Dann müsste die Registrierung der Fischereischiffe im Vereinigten Königreich eine Niederlassung im Sinne von Art 43 EGV (Art III-137 VVE) sein. Der grundsätzlich weit zu fassende Begriff der Niederlassung umfasst die tatsächliche Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung in einem anderen Mitgliedstaat auf unbestimmte Zeit. Demnach müsste die Registrierung eines SchifTes zunächst im Zusammenhang mit einer wirtschaftlichen Tätigkeit stehen. Bei Fischereischiffen ist das der Fall. Die damit mögliche Eröffnung des Schutzbereiches des Art 43 I EGV (Art III-137 I W E ) wird auch nicht dadurch verschlossen, dass mit der Registrierung eines Schiffes dessen Staatszugehörigkeit begründet wird. Grundsätzlich fällt die Regelung von Staatsangehörigkeits- und Staatszugehörigkeitsfragen zwar in den Kompetenzbereich der Mitgliedstaaten. Da aber hinter einer Registrierung eines Schiffes zwingend eine natürliche oder juristische Person steht, der es nicht um eine für sie neue Staatsangehörigkeit, sondern nur um ihre wirtschaftliche Freiheitsausübung im Sinne von Art 43 EGV (Art III-137 W E ) geht, finden die Grundfreiheiten Anwendung. Allerdings ist zu beachten, dass nicht die zu registrierenden Schiffe selbst von Art 43 EGV (Art III-137
57 Grundlegend hierzu aus rechtstheoretischer und grundrechtsdogmatischer Sicht Alexy Theorie der Grundrechte, 3. Aufl 1996, S 278 ff. 58 Allgemein hierzu Randelzhoferl Forsthoff in: Grabitz/Hilf Vor Art 39-55 EGV Rn 122 ff. 59 EuGH, Slg 1999,1-1459, Rn 24 - Centros, mit zahlreichen Nachw. 60 EuGH, Slg 1999,1-1459, Rn 27 - Centros. 61 Vgl EuGH, Slg 1991,1-3956, Rn 34 - Factortame = Kunig JK 92, EWGV Art 52/2. 62 In diese Richtung auch Randelzhoferl Forsthoff:in: Grabitz/Hilf Art 43 EGV Rn 21.
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W E ) geschützt werden, sondern ihre Betreiber als natürliche oder juristische Personen. Daher ist es weiterhin notwendig, dass die Registrierung von einer Person beantragt wird, die sich selbst niederlassen will. Hieraus folgt, dass von dem Betreiber eines Schiffes, das registriert werden soll, verlangt werden kann, das Schiff vom Ort der - neuen - Niederlassimg aus zumindest zu leiten und zu überwachen. Dass es von dort aus auch operieren muss, lässt sich mit dem andernfalls möglichen Missbrauch der Niederlassungsfreiheit mit Blick auf das sog Quotenspringen begründen. Im Ergebnis ist der Schutzbereich des Art 43 EGV (Art III-137 W E ) damit nicht eröffnet. 26
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Soweit der sachliche Schutzbereich des Art 43 EGV (Art III-137 W E ) nicht bereits aus anderen Gründen, wie zB in der oben dargelegten Fallkonstellation, ausgeschlossen ist, stellt die im Übrigen vorzunehmende Abgrenzung von Niederlassung und Dienstleistungserbringung im Sinne der Art 43 (Art III-137 W E ) und 49, 50 EGV (Art III-144, Art III-145 W E ) den zentralen Punkt im Rahmen der Erörterungen zum sachlichen Schutzbereich des Art 43 EGV (Art III-137 W E ) dar. Dass eine solche Abgrenzung notwendig ist, wurde bereits ausgeführt; wie sie zu erfolgen hat, ist aber unklar. Die insofern bestehenden Schwierigkeiten ergeben sich insbesondere aus der unstrittigen und in Art 50 III EGV (Art III-145 III W E ) zum Ausdruck kommenden Erkenntnis, dass auch die aktive Dienstleistungsfreiheit63 geschützt ist. Da sich damit der Dienstleistende in einem anderen Mitgliedstaat aufhalten darf, um seiner Geschäftstätigkeit nachzugehen, steht die Inanspruchnahme der aktiven Dienstleistungsfreiheit in offensichtlicher Nähe zur Niederlassung. Besonders deutlich wird dies, wenn berücksichtigt wird, dass die Inanspruchnahme der aktiven Dienstleistungsfreiheit auch das Recht gewährt, sich am Ort der Dienstleistungserbringung mit der hierfür notwendigen Infrastruktur (Anmietung eines Büros etc) auszustatten.64 In Rechtsprechung und Lehre besteht weitgehend Einigkeit, dass nur im Rahmen einer Gesamtschau aller in einem konkreten Sachverhalt gegebenen Aspekte eine Abgrenzung von Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit vorgenommen werden kann. Dabei ist insbesondere auf die Dauer und Kontinuität der Tätigkeit im gebietsfremden Mitgliedstaat abzustellen sowie darauf, ob die Geschäftstätigkeit durch eine feste Einrichtung im Aufnahmestaat erfolgt.65 Die Entscheidung der Abgrenzungsfrage obliegt in erster Linie dem nationalen Gericht, das mit Art 43 (Art III-137 W E ) bzw 49, 50 EGV (Art III-144, Art III-145 W E ) im Einzelfall befasst ist.66 Auch wenn die grundsätzliche Anwendung der genannten Kriterien Anhaltspunkte für die Abgrenzung von Niederlassung und Dienstleistung erbringen kann, bleibt es doch immer bei der Notwendigkeit einer Gesamtbewertung. Weder „Dauer und Kontinuität"
63 Hierzu zB Kluth in: Calliess/Ruffert Art 50 EGV Rn 24 ff; KoeniglHaratsch ER Rn 591 f; § 11 Rn 27. 64 EuGH, Slg 1995,1-4165, Rn 27 - Gebhard: „Der vorübergehende Charakter der Leistung schließt nicht die Möglichkeit für den Dienstleistungserbringer im Sinne des Vertrages aus, sich im Aufnahmemitgliedstaat mit einer bestimmten Infrastruktur (einschließlich eines Büros, einer Praxis oder einer Kanzlei) auszustatten, soweit diese Infrastruktur für die Erbringung der fraglichen Leistung erforderlich ist". 65 EuGH, Slg 1995, 1-4165, Rn 27 - Gebhard; Randelzhoferl Forsthoff in: Grabitz/Hilf Art 43 EGV Rn 25; Lackhoff (Fn 5) S 134 (mwN in Fn 591) und S 136 f. 66 EuGH, Slg 1996,1-6511, Rn 22 - Broede; Lackhoff (Fn 5) S 137.
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noch „feste Einrichtung" sind nämliche notwendige oder hinreichende Kriterien. Mit Blick auf die Dauerhaftigkeit zeigt sich dies daran, dass zwar in Art 50 III EGV (Art III145 III W E ) für die Dienstleistung von einer „vorübergehenden" Leistungserbringung die Rede ist, abhängig von der konkreten Leistung sich aber ganz unterschiedliche zeitliche Dimensionen zeigen können. So wird der Bau einer großen Industrieanlage einige Zeit in Anspruch nehmen; eine Niederlassung im Sinne von Art 43 I EGV (Art III-137 I W E ) wird der ausführende Unternehmer damit aber nicht zwingend begründen wollen. Ahnlich zu bewerten ist eine fortlaufende, täglich gegenüber neuen Kunden erbrachte Tätigkeit zB eines Hufschmieds in einem anderen Mitgliedstaat, ohne dass es zu einer Verlegung des Büros oder der Werkstatt kommt. Auch ein solcher Fall ist trotz der Dauerhaftigkeit der Leistungserbringung nicht zwingend als Niederlassung einzuordnen. Vor dem Hintergrund solcher und ähnlicher Fallkonstellationen wird deutlich, dass die Dauerhaftigkeit bzw Kontinuität der Leistungserbringung für sich selbst wenig aussagekräftig und somit nur eines von mehreren zu beachtenden Indizien ist.67 Auch die Begründung einer festen Einrichtung in einem anderen Mitgliedstaat vermag nicht abschließend darüber Auskunft geben, ob eine Niederlassung vorliegt. So sind Tätigkeiten denkbar, die gar keine „feste Einrichtung" voraussetzen, zB der umherreisende Scherenschleifer. Überdies kann, wie bereits dargelegt, die Errichtung einer festen Einrichtung durchaus auch Bestandteil einer Dienstleistungserbringung im Sinne von Art 49, 50 EGV (Art III-144, 145 W E ) sein, wenn es sich insofern um für die Dienstleistung notwendige Infrastruktur handelt. Dauer und Kontinuität der Leistungserbringung und die Begründung einer festen Einrichtung sind also weder notwendige noch hinreichende Abgrenzungskriterien. Vielmehr ist im Kern danach zu fragen, ob eine Eingliederung des Leistungserbringers in die nationale Volkswirtschaft des Aufnahmestaates erfolgt. 68 Dabei kommt es aber nicht darauf an, dass der Leistungserbringer bewusst seine Leistungen in einem anderen Mitgliedstaat erbringt, um sich der Rechtsordnung seines Heimatstaates und Ortes der Niederlassung zu entziehen. Der EuGH hatte in einer solchen Konstellation in früheren Urteilen recht unbedarft die Einschlägigkeit der Niederlassungsfreiheit bejaht. 69 Zwischenzeitlich hat er aber klargestellt, dass die insofern gegebenen Probleme auf der Rechtfertigungsebene zu lösen sind und demnach keinen Einfluss auf die Frage nach der Eröffnung des Schutzbereiches von Dienstleistungs- oder Niederlassungsfreiheit haben. 70 Im Einzelnen lassen sich zur weiteren Konkretisierung der angeführten, im Rahmen einer Gesamtbewertung zu beachtenden Kriterien folgende Fallgruppen zur Abgrenzung von Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit bestimmen: 71 Die Niederlassungsfreiheit ist einschlägig und verdrängt die Dienstleistungsfreiheit, wenn durch eine Niederlassung Dienstleistungen im Aufnahmestaat erbracht werden. 72 Hier ist die Niederlassung condi-
67 Kritisch mit Blick auf die Dauer als Abgrenzungskriterium auch Lackhoff (Fn 5) S 135 f; Randelzhoferl Forsthoff Grabitz/Hilf Art 43 EGV Rn 26 ff. 68 GA Darmon, EuGH, Slg 1988, 5483, Rn 3 - Daily Mail: „Sich niederlassen heißt, sich in eine nationale Wirtschaft integrieren"; ebenso G A Leger, E u G H , Slg 1995,1-4165, Rn 19 - Gebhard. 69 EuGH, Slg 1974, 1299, Rn 13 - van Binsbergen; Slg 1986, 3755, Rn 22 - Kommission/Deutschland. 70 EuGH, Slg 1994, 1-4795, Rn 15 - TV 10; hierzu auch Randelzhoferl Forsthoff in: Grabitz/Hilf Art 43 EGV Rn 36. 71 Hierzu auch ausführlich Randelzhofer IForsthoff in: Grabitz/Hilf Art 43 EGV Rn 37 ff. 72 Vgl EuGH, Slg 1988, 6159, Rn 17 - Steymann; Slg 1997,1-3395, Rn 37 ff - Sodemare.
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tio sine qua non für die wirtschaftliche Tätigkeit. Schwieriger ist die Rechtslage, wenn eine Dienstleistung nicht „durch", sondern nur „über" eine Niederlassung erbracht wird. In dieser Konstellation dient die Niederlassung nicht der Begründung der Dienstleistung, sondern deren Vertrieb. Im Schrifttum wird im Anschluss an ein - allerdings unklares Urteil des EuGH 7 3 vertreten, dass auch in seiner solchen Vertriebssituation stets die Dienstleistungsfreiheit zu Gunsten der Niederlassungsfreiheit verdrängt werde.74 Indes hat der EuGH im Jahre 1997 zu erkennen gegeben, dass die Dienstleistungsfreiheit auch dann einschlägig sein kann, wenn das betreffende Unternehmen in dem dienstleistungsempfangenden Mitgliedstaat ansässig ist, in dieser Konstellation also keine apriorische Vorrangigkeit der Niederlassungsfreiheit vorliegt.75 Vor dem Hintergrund dieser Feststellung wird man zentral darauf abstellen müssen, dass die Begründung der Leistungserbringung in der Hauptniederlassung erfolgt und die Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat nur dem nachrangigen Vertrieb dient.76 Folgt man dieser Ansicht, ergibt sich zwingend auch die Lösung des sog Kumulierungsproblems. Hierbei handelt sich um eine Situation, in der zwar eine Niederlassung in dem Mitgliedstaat besteht, in dem eine Leistung erbracht wird, diese aber nicht in den konkreten Leistungserbringungsvorgang einbezogen ist. Auch in dieser Konstellation bleibt es bei der Anwendung der Dienstleistungsfreiheit; andernfalls würde die Dienstleistungsfreiheit insbesondere für multinationale Konzerne, die über Niederlassungen in mehreren Mitgliedstaaten verfügen, leerlaufen.77 32
Insgesamt bleibt festzuhalten, dass die eindeutige Abgrenzung von Niederlassungsund Dienstleistungsfreiheit nicht definitorisch festgelegt werden kann. Die zutreffende Differenzierung kann nur im Einzelfall anhand der angeführten Kriterien, denen je nach Sachlage ein unterschiedliches Gewicht zukommen kann, erfolgen. Der Ratio des Art 43 EGV (Art III-137 W E ) , die in der besonderen Rechtslage bei einer Integration eines Leistungserbringers in die nationale Volkswirtschaft eines Mitgliedstaates zu sehen ist, kommt dabei eine übergeordnete, zentrale Bedeutung zu. c) Primäre und sekundäre Niederlassung als Erscheinungsformen der sachlichen Schutzbereichsgewährleistung
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Wie bereits der Wortlaut von Art 43 I EGV (Art III-137 I W E ) zeigt, werden zwei Formen der Niederlassung geschützt: die in Art 43 I 1 EGV (Art III-137 I 1 W E ) genannte Niederlassung als solche sowie die in Art 43 I 2 EGV (Art III-137 I 2 W E ) umschriebene „Gründung von Agenturen, Zweigniederlassungen oder Tochtergesellschaften". In den beiden Sätzen des Art 43 I EGV (Art III-137 I W E ) wird diesem Wortlaut entsprechend die Gewährleistung der sog primären (S 1) und der sekundären Niederlassung (S 2) gesehen.78 Als primäre Niederlassung kann der grenzüberschreitende Wechsel der Ansässigkeit von selbstständig erwerbstätigen natürlichen und über Art 48 EGV (Art III-142 W E )
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EuGH, Slg 1986, 3755, Rn 21 - Kommission/Deutschland. So wohl Behrens EuR 1992, 145, 151. EuGH, Slg 1997,1-3143, Rn 20 f - V T 4 . Differenziert, zum Teil mit abweichendem Ergebnis hierzu ausf Pasternacki. Randelzhoferl Forsthoffm: Grabitz/Hilf Art 43 EGV Rn 43 f; ebenso iE EuGH, Slg 1997,1-3143, Rn 20 f - VT4; Lackhoff (Fn 5) S 142 ff; Roth RabelsZ 54 (1990), 63, 108 f. 78 Statt vieler Schlag in: Schwarze Art 43 EGV Rn 19f; Müller-Graff in: Streinz Art 43 EGV Rn21fF.
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juristischen Personen definiert werden.79 In wiederum notwendiger Abgrenzung zur Dienstleistung im Sinne von Art 49, 50 EGV (Art III-144, 145 W E ) handelt es sich hierbei um die grenzüberschreitende Verlegung oder die Neubegründung der Hauptniederlassung des entsprechenden Wirtschaftssubjektes. Um zu ermitteln, wo - in Abgrenzung zur sekundären Niederlassung - der Hauptsitz des Unternehmers bzw des Unternehmens (Art 48 EGV/Art III-142 W E ) liegt, ist in erster Linie auf den wirtschaftlichen Schwerpunkt der Tätigkeit abzustellen.80 Bei juristischen Personen im Sinne von Art 48 EGV 81 (Art III-142 W E ) kommt es dabei allerdings weniger auf die tatsächlichen Umstände als vielmehr auf die gesellschaftsrechtlichen Verhältnisse an; entscheidend für die Niederlassung ist demnach der Sitz der gesellschaftsrechtlich herrschenden Gesellschaft. 82 Die sekundäre Niederlassung zeichnet sich dadurch aus, dass ein Wirtschaftssubjekt, das im „Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats ansässig ist", eine Agentur, Zweigniederlassung oder Tochtergesellschaft gründet, wobei die Wahl der konkreten Form der Niederlassung frei ist.83 Insofern kommt es bei der Prüfung des Art 43 II EGV (Art III-137 II W E ) auch nicht auf eine genaue Bezeichnung der konkreten Form der sekundären Niederlassung an; die in der Vorschrift genannten Formen der sekundären Niederlassung sind nur als Sammelbegriffe für sämtliche unselbstständige betriebliche Teileinheiten zu verstehen.84 Strittig ist nur, ob Art 43 II EGV (Art III-137 II W E ) im Schutzbereich so weit zu verstehen ist, dass auch eine geschäftliche Präsenz erfasst wird, die „nicht die Form einer Zweigniederlassung oder Agentur angenommen hat, sondern lediglich durch ein Büro wahrgenommen wird, die zwar unabhängig, aber beauftragt ist, auf Dauer für dieses Unternehmen wie eine Agentur zu handeln". 85 Der EuGH hat dies in dem zitierten Urteil zu einem Versicherungsvermittler angenommen. Dagegen wird aber eingewandt, dass neben den spezifischen und nicht generalisierbaren Merkmalen der Versicherungsbranche durch eine Ausweitung des Schutzbereiches des Art 43 II EGV (Art III-137 II W E ) auf Vertreter und Vermittler insgesamt ein Wertungswiderspruch im System der Grundfreiheiten auftreten würde. Soweit nämlich, wie bei Vertretern oder Vermittlern regelmäßig der Fall, ein Leistungserbringer rechtlich unabhängig tätig wird, ist die Dienstleistungsfreiheit einschlägig. Diese allgemeine, sich aus der bereits diskutierten Systematik der Art 43 und 49, 50 EGV (Art III-137 und 144, 145 W E ) ergebende Erkenntnis muss dann auch für Vertreter und Vermittler von Dienstleistungen gelten. Andernfalls würde der Dienstleistungsvermittler unter Art 43 II EGV (Art III-137 II W E ) fallen, während für einen Verkäufer von Waren, die in einem anderen Mitgliedstaat produziert werden, die Dienstleistungsfreiheit (Art 49, 50 EGV/Art III-144, 145 W E ) gilt. Eine solche Differenzierung in der rechtlichen Bewertung von, wirtschaftlich betrachtet, vergleichbaren Sachverhalten ist nicht überzeugend zu begründen. 86 79 Roth in HdBEUWirtschR E.I. Rn 35; Schlag in: Schwarze Art 43 EGV Rn 19. 80 Eyles Das Niederlassungsrecht der Kapitalgesellschaften in der Europäischen Gemeinschaft: die Überlagerung des deutschen Gesellschaftsrechts und Unternehmenssteuerrechts durch Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1990, S 41; RandelzhoferlForsthoffm·. Grabitz/Hilf Art 43 EGV Rn49; Schlag in: Schwarze Art 43 EGV Rn 19. 81 Hierzu noch s u Rn 62 ff. 82 Siehe EuGH, Slg 1999,1-1459, Rn 17ff - Centres; RandelzhoferlForsthoffm·. Grabitz/Hilf Art 43 EGV Rn 49. 83 EuGH, Slg 1986, 273, Rn 22 - Kommission/Frankreich; Slg 1999,1-6161, Rn 42 - Saint-Gobain. 84 Lackhoff (Fn 5) S 173 f mwN. 85 EuGH, Slg 1986, 3755, Rn 21 - Kommission/Deutschland. 86 Randelzhofer!Forsthoff in: Grabitz/Hilf Art 43 EGV Rn 59; aA Tiedje/Troberg in: vd Groeben/
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Das weiterhin zu beachtende Merkmal der Ansässigkeit in Art 43 II EGV (Art III-137 II W E ) bezieht sich nicht, wie eine unbefangene Lektüre des Wortlautes vermuten lassen könnte, auf den Mitgliedstaat, in dem die Niederlassung begründet wird. Vielmehr geht es um die Ansässigkeit in irgendeinem Mitgliedstaat der Gemeinschaft. Damit erfolgt eine Ausgrenzung von natürlichen und juristischen Personen, die bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise „nur oder nur vornehmlich in EU-fremden Volkswirtschaften integriert sind".87 Es kommt also bei der sekundären Niederlassung nicht nur allgemein auf die Unionsbürgerschaft im Sinne von Art 17 I EGV (Art 1-10 W E ) an, sondern überdies auf die wirtschaftliche Verankerung in der Gemeinschaft. Hierdurch soll gewährleistet werden, dass Personen, die sich im Rahmen einer - nur - sekundären Niederlassung auf Art 43 EGV(Art III-137 W E ) berufen, mit Blick auf den Hauptsitz ihrer wirtschaftlichen Betätigung innerhalb der Gemeinschaft rechtlich kontrolliert werden können.88 d) Grenzüberschreitender Sachverhalt
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Als weiteres Tatbestandsmerkmal des sachlichen Schutzbereiches ist wie bei allen Grundfreiheiten auch bei Art 43 EGV (Art III-137 W E ) erforderlich, dass ein grenzüberschreitender Bezug des fraglichen Sachverhaltes vorliegt. Wann ein solcher grenzüberschreitender Bezug vorliegt, ist im Wesentlichen anhand der für alle Grundfreiheiten geltenden Kriterien zu bestimmen und insofern ein Thema der allgemeinen Dogmatik der Grundfreiheiten (-> § 7 Rn 20, 25). Zur Verdeutlichung der rechtlichen und tatsächlichen Relevanz der Niederlassungsfreiheit ist nur darauf hinzuweisen, dass sich Art 43 EGV (Art III-137 W E ) auch gegen den Herkunftsstaat richten kann. Das ist namentlich in den sog Wegzugsfallen von großer Relevanz. Es handelt sich hierbei um Fallkonstellationen, in denen die Ausübung der Niederlassungsfreiheit im Empfangsstaat durch Maßnahmen des Herkunftsstaates behindert wird. Diese Situation spielt insbesondere dann eine große Rolle, wenn nationale steuerrechtliche Vorschriften dazu führen, dass eine steuerliche Benachteiligung eines Unternehmens mit Hauptsitz in einem Mitgliedstaat und Zweigniederlassung in einem anderen Mitgliedstaat erfolgt. Der EuGH hat für solche Konstellationen unmissverständlich klargestellt, dass die Vorschriften über die Niederlassungsfreiheit „auch das Verbot für den Herkunftsstaat [enthalten], die Niederlassung seiner Staatsangehörigen oder der nach seinem Recht gegründeten Gesellschaften, die im Übrigen die Voraussetzungen des Art 48 EGV/(Art III-142 W E ) erfüllen, in einem anderen Mitgliedstaat zu behindern".89 Diese Feststellung gilt entsprechend, wenn die Ausübung der Niederlassungsfreiheit im Aufnahmestaat durch eine Beschränkung der Möglichkeit der Rückkehr in den Herkunftsstaat beeinträchtigt wird.90 In diesen sog Rückkehrfallen kann es nach der - umstrittenen - Rechtsprechung des EuGH sogar dazu kommen, dass sich die Rechtsstellung eines Staatsangehörigen, der von der Niederlassungsfreiheit in einem anderen Mitgliedstaat Ge-
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Schwarze Art 43 EGV Rn 44 ff; Roth in: HdBEUWirtschR E.I. Rn 37; differenziert Lackhoff (Fn 5) S 174. Randelzhoferl Forsthoff in: Grabitz/Hilf Art 43 EGV Rn 51. Schlag in: Schwarze Art 43 EGV Rn 29; vgl auch EuGH, Slg 2000,1-11619, Rn 20 - AMID. EuGH, Slg 2000,1-11619, Rn 21 mwN - AMID; DVB1 2004, 551, Rn 42 - de Lasteyrie du Saillant mit Anm Frenz = Schoch JK 9/04, EGV Art 43/5. Randelzhoferl Forsthoff'in: Grabitz/Hilf Art 43 EGV Rn 62.
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brauch gemacht hat, im Verhältnis zu den sonstigen Staatsangehörigen des Herkunftsstaates verbessert." Trotz der angeführten Ausweitungen des Tatbestandsmerkmales des grenzüberschreitenden Sachverhaltes bleibt aber noch zu erörtern, ob überhaupt an diesem Tatbestandsmerkmal festzuhalten ist. Bei dieser Frage geht es konkret um das Problem der sogenannten Inländerdiskruninierung. Soweit man zwingend einen grenzüberschreitenden Bezug verlangt, wird die Schlechterstellung von Inländern gegenüber EG-Ausländern nicht von den Grundfreiheiten erfasst. Dafür scheint mit Blick auf die Niederlassungsfreiheit der Wortlaut von Art 43 I EGV (Art III-137 I W E ) zu sprechen, da in Satz 1 der Vorschrift von „der freien Niederlassung von Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats" die Rede ist. Allerdings ist zu beachten, dass durch den Wortlaut des Art 43 I EGV (Art III-137 I W E ) zwar der grenzüberschreitende Bezug zunächst vorausgesetzt wird, damit aber noch keine Aussage zu einem Verbot möglicher Rechtsfortbildung im Sinne der Einbeziehung interner Sachverhalte statuiert wird.92 Von dieser Erkenntnis ausgehend lässt sich daher mit guten Gründen vertreten, dass im Lichte der grundlegenden, in Art 2 und 3 EGV (Art 1-3 III W E ) niedergelegten Zielsetzung des EGV und der Grundfreiheiten insgesamt die Inländerdiskriminierung dem freiheitlichliberalen Marktkonzept der Gemeinschaftsrechtsordnung (vgl auch Art 4 I EGV/Art 1-3 III W E ) widerspricht. 93 Der EuGH ist den insofern als konsequent erscheinenden Schritt hin zu einer erweiterten, nicht mehr auf den grenzüberschreitenden Bezug abstellenden Interpretation des Art 43 I EGV (Art III-137 I W E ) freilich noch nicht gegangen. Auch im Schrifttum wird die Erfassung der Inländerdiskriminierung zumeist noch abgelehnt.94 Lösung Fall 2: Die Eröffnung des Schutzbereiches des Art 43 I EGV (Art III-137 I W E ) zu Gunsten von G setzt - als hier einzig problematischer Punkt - voraus, dass seine Tätigkeit in Italien als Rechtsanwalt als Niederlassung und in Abgrenzung zu Art 49, 50 EGV (Art III-144, 145 W E ) nicht als Dienstleistung zu qualifizieren ist. Die Tätigkeit von G als Rechtsanwalt kann nur einer dieser beiden Tätigkeitsbereiche unterfallen, da Art 39 EGV (Art III-133 W E ) als weitere Personenverkehrsfreiheit aufgrund der selbstständigen Tätigkeit des G mit Blick auf die dort notwendige Arbeitnehmereigenschaft ausscheidet. Überdies ist zu beachten, dass die Dienstleistungsfreiheit gegenüber der Niederlassungsfreiheit subsidiär ist, wie bereits der Wortlaut des Art 50 I EGV (Art III-145 I W E ) zeigt. Ob die Tätigkeit des G in Italien als Niederlassung zu qualifizieren ist, hängt von der genaueren inhaltlichen Konkretisierung des Niederlassungsbegriffes ab. Dieser ist nach ständiger Rechtsprechung des EuGH weit zu verstehen. Insofern ist Niederlassung die stabile und kontinuierliche Teilnahme am Wirtschaftsleben eines anderen Mitgliedstaates. Wie Art 43 I 2 EGV (Art III-137 I 2 W E ) zeigt, kommt es dabei weder darauf an, ob neben der wirtschaftlichen Tätigkeit im
91 EuGH, Slg 1992, 1-4265, Rn 19fT - Singh; hiergegen zB Randelzhoferl Forsthoff in: Grabitz/Hilf Art 43 EGV Rn 62. 92 Ausf Lackhoff (Fη 5) S 73 ff mwN. 93 Ausf Lackhoff (Fn 5) S 82 ff mwN. 94 Abi aus jüngerer Zeit Randelzhoferl Forsthoff in: Grabitz/Hilf Art 43 EGV Rn 65 und vor Art 3955 EGV Rn 49 ff mwN; Epiney in Calliess/Ruffert Art 12 EGV Rn 33 ff; zur Diskussion ausf Kingreen Die Struktur der Grundfreiheiten des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999, S 84 ff, 115; Lackhoff (Fn 5) S 67 ff; Frenz, Rn 2144 ff jeweils mit umfangreichen Nachw.
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Aufnahmestaat weitere Niederlassungen im Herkunftsstaat bestehen, noch ob die fragliche Niederlassung die Haupt- oder Zweigstelle darstellt. Ausgehend von diesem gemeinschaftsrechtlichen Maßstab zur Bestimmung des sachlichen Schutzbereiches des Art 431EGV (Art III-1371WE) spricht für die Einschlägigkeit der Niederlassungsfreiheit zu Gunsten des G, dass er in Mailand eine eigene Kanzlei unterhält und von dieser Kanzlei aus italienische und andere Mandanten betreut. Die Leistungserbringimg des G erfolgt also vom Ort seiner in Mailand gelegenen Kanzlei aus, und zwar nicht nur vorübergehend, sondern offenbar dauerhaft. Die damit eigentlich gegebene Eröffnung des sachlichen Schutzbereiches des Art 43 EGV (Art III-137 W E ) ließe sich nur noch mit dem Argument verneinen, dass G bei seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt nicht die standesrechtlichen Regelungen beachtet hat. Insofern ist zu überlegen, ob der Begriff der Niederlassung im Sinne von Art 43 EGV (Art III-137 W E ) voraussetzt, dass eine nach dem Recht des Aufnahmestaates legale Eingliederung in das nationale Wirtschaftsleben erfolgt. Hiergegen spricht allerdings die Systematik des Niederlassungsrechts als Grundfreiheit. Ob und gegebenenfalls inwieweit bei der Ausübung der Niederlassungsfreiheit Rechtsvorschriften des Bestimmungslandes zu beachten sind, ist eine Frage der Rechtfertigung der Beeinträchtigung des Schutzbereichs des Art 43 EGV (Art III137 W E ) . Wollte man diese Frage bereits im Schutzbereich beantworten, hätten es die Mitgliedstaaten in der Hand, die sachliche Reichweite der Niederlassungsfreiheit autonom zu bestimmen. Da dies die gemeinschaftsrechtliche Niederlassungsgarantie leer laufen lassen würde, ist die Möglichkeit der Einschränkung der Niederlassungsfreiheit aufgrund nationaler Rechtsvorschriften erst auf der Rechtfertigungsebene zu prüfen.95 Damit bleibt es im Ergebnis dabei, dass der Schutzbereich des Art 43 I EGV (Art III-137 I W E ) zu Gunsten von G eröffnet ist. 4.
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Bereichsausnahmen
Fall 3: (Vgl EuGH, Slg 1998,1-6717 ff - Kommission/Spanien) In Spanien wird ein Gesetz über private Sicherheitsdienste erlassen. Es sieht ua vor, dass nur solche Unternehmen Sicherheitsdienste erbringen dürfen, die die spanische Staatszugehörigkeit haben. Den Sicherheitsunternehmen sind keine Zwangsbefugnisse vom Staat verliehen, die mit denen der Polizei oder anderen staatlichen Sicherheitsorganen vergleichbar sind. Ist der Schutzbereich des Art 43 iVm 48 EGV (Art III-137 iVm III-142 W E ) mit Blick auf die spanische Regelung eröffnet? Ebenso wie die Freizügigkeitsgarantie (Art 39 IV EGV/Art III-133 IV W E ) kennt auch die Niederlassungsfreiheit eine Bereichsausnahme, die im Zusammenhang mit öffentlichen Funktionen im Staat steht (Art 45 EGV/Art III-139 W E ) . Auch für Art 45 EGV (Art III-139 W E ) ist kennzeichnend, dass durch ihn schon der Schutz- bzw Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit ausgeschlossen wird. Das kommt im Wortlaut des Art 45 EGV (Art III-139 W E ) („keine Anwendung") deutlich zum Ausdruck und wird
95 So der EuGH, Slg 1995, 1-4165, Rn 20 ff - Gebhard; differenzierend Randelzhoferl Forsthoff im Grabitz/Hilf Art 43 EGV (Art III-137 W E ) Rn 96 ff, die der Ansicht sind, dass nationale Vorgaben, die den allgemeinen Rechtsrahmen für die Ausübung der Tätigkeit bestimmen, nicht von Art 43 EGV (Art III-137 W E ) erfasst werden. Dies soll aber nicht für Qualifikationsnachweise (wie im Fall Gebhard) gelten; insoweit soll es bei der Einschlägigkeit des Art 43 EGV (Art III-137 W E ) bleiben. Zu diesen Fragen, die systematisch im Beeinträchtigungstatbestand zu diskutieren sind, noch sogleich im Text.
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durch einen systematischen Blick auf Art 46 I EGV (Art III-140 I W E ) , der ausdrücklich auf Rechtfertigungsaspekte verweist („gerechtfertigt sind"), bestätigt. Auch wenn damit die dogmatische Einordnung des Art 45 EGV (Art III-139 W E ) als Bereichsausnahme eindeutig ist, muss gleichwohl beachtet werden, dass der EuGH insofern nicht immer terminologisch klar formuliert. Der in verschiedenen Urteilen anzutreffende Verweis auf eine mögliche Rechtfertigung durch Art 45 EGV 96 (Art III-139 W E ) ändert freilich nichts an der dogmatischen Einordnung der Vorschrift als Bereichsausnahme.97 Inhaltlich ist zu beachten, dass sich Art 45 EGV (Art III-139 W E ) trotz gewisser Ähnlichkeiten doch deutlich von Art 39 IV EGV (Art III-133 IV W E ) unterscheidet. Neben der in Art 45 II EGV (Art III-139 II W E ) vorgesehenen Kompetenz zum sekundärrechtlichen Ausschluss bestimmter Tätigkeiten von den Vorschriften über die Niederlassungsfreiheit 98 zeigt das schon der Wortlaut der beiden Vorschriften: Art 39 IV EGV (Art III133 IV W E ) spricht von der „Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung"; in Art 45 I EGV (Art III-139 I W E ) wird auf die „Ausübung öffentlicher Gewalt" abgestellt. Damit geht es bei Art 39 IV EGV (Art III-133 IV W E ) um Personen, die als Angestellte oder Beamte in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis stehen („Staatsdiener"), während Art 45 I EGV (Art III-139 I W E ) in erster Linie auf Privatpersonen abstellt.99 Allgemeinen Auslegungsgrundsätzen des Gemeinschaftsrechts folgend ist Art 45 EGV (Art III-139 W E ) als Ausnahmevorschrift eng auszulegen. Der EuGH spricht insofern davon, dass die Vorschrift so auszulegen ist, dass „sich seine Tragweite auf das beschränkt, was zur Wahrung der Interessen, die diese Bestimmung den Mitgliedstaaten zu schützen erlaubt, unbedingt erforderlich ist".100 Weiterhin ist ebenso wie im Rahmen von Art 39 IV EGV (Art 133 IV W E ) der Begriff „öffentliche Gewalt" in Art 45 I EGV (Art III-139 I W E ) nach autonomen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts zu bestimmen, da andernfalls die Mitgliedstaaten über die Anwendung des Art 45 EGV (Art III139 W E ) ohne gemeinschaftsrechtliche Kontrolle entscheiden könnten. 10 ' Damit ist allerdings nicht gesagt, dass das Gemeinschaftsrecht eine abschließende Festlegung zur Ausübung öffentlicher Gewalt im Sinne von Art 45 I EGV (Art III-139 I W E ) vornimmt. Es handelt sich hier vielmehr nur um einen gemeinschaftsrechtlichen „Rahmenbegriff", dessen Anwendung im Einzelfall auch von der konkreten Ausgestaltung der nationalen Rechtsordnung eines Mitgliedstaates abhängt.102 Dem Rahmencharakter des Art 45 I EGV (Art III-139 I W E ) entspricht es, dass der EuGH keine abschließende Definition des Tatbestandsmerkmales „Ausübung öffentlicher Gewalt" vorgibt. Um im Zusammenspiel von Gemeinschaftsrechtsordnung und mitgliedstaatlicher Rechtsordnung über die Anwendung des Art 45 EGV (Art III-139 W E ) entscheiden zu können, ist vielmehr nur danach zu fragen, ob es sich um eine Tätigkeit han-
96 Siehe zB EuGH, Slg 1998,1-6717, Rn 32 - Kommission/Spanien. 97 Ganz hM, siehe nur RandelzhoferlForsthoff in: Grabitz/Hilf Art 45 EGV Rn 3; Lackhoff (Fn 5) S153 mwN; § 7 Rn 61; aA aber Jarass EuR 1995, 202, 221 ff. 98 Art 45 II EGV (Art III-139 II W E ) hat freilich bislang noch keine praktische Bedeutung erlangt, statt vieler Geiger EUV/EGV Art 45 EGV Rn 5; Müller-Graff in: Streinz Art 43 EGV Rn 11. 99 RandelzhoferlForsthoff in: Grabitz/Hilf Art 45 EGV Rn 1. 100 EuGH, Slg 1998,1-6717, Rn 34 mwN - Kommission/Spanien. 101 Schlussanträge GA Lenz, EuGH, Slg 1991,1-5863, Rn 30 - Kommission/Griechenland; Roth in: HdBEU WirtschR E.I. Rn 29; Lackhoff (Fn 5) S 154 ff mwN. 102 Lackhoff (Fn 5) S 155 f.
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delt, „die als solche eine unmittelbare und spezifische Teilnahme an der Ausübung öffentlicher Gewalt [darstellt]". 103 Das ist nur der Fall, wenn die Tätigkeit mit der Ausübung von Zwangsbefugnissen verbunden ist104 oder sich sonst wie durch Sonderrechte oder Hoheitsprivilegien auszeichnet. 105 Eine formalistische, abstrakte Trennung zwischen der Befugnis zum Erlass von Verwaltungsakten und dem schlicht-hoheitlichen Handeln wird man dabei allerdings nicht anstellen können. Hiergegen spricht, dass die Effektivität des Art 43 E G V (Art III-137 W E ) (vgl Art 10 EGV/Art 1-5 II W E ) nur gewährleistet werden kann, wenn im Einzelfall und unabhängig von rechtsterminologischen Feinheiten der Mitgliedstaaten eine Prüfung anhand der Ratio des Art 45 E G V (Art III-139 W E ) erfolgt. 106
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Lösung Fall 3: Das Erfordernis der spanischen Staatszugehörigkeit von Unternehmen, die private Sicherheitsdienste erbringen, unterfällt prima facie dem Schutzbereich der Art 43 iVm 48 EGV (Art III-137 iVm III-142 W E ) . Fraglich ist aber, ob der Schutzbereich des Art 43 EGV (Art III-137 W E ) ausnahmsweise gemäß Art 45 I EGV (Art III-139 I W E ) nicht eröffnet ist, da es sich um mitgliedstaatliche Vorschriften zu Sicherheitsunternehmen handelt. Hierfür könnte sprechen, dass private Sicherheitsdienste durch ihre Tätigkeit einen Beitrag zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung insgesamt leisten. Überdies ließe sich argumentieren, dass private Sicherheitsunternehmen einer strengen staatlichen Kontrolle unterliegen müssen und diese nur effektiv wahrgenommen werden könne, wenn das Unternehmen in einer besonderen Nähebeziehung zum Staat stehe, die sich nur durch seine Staatszugehörigkeit sichern lasse.107 Gegen die Einschlägigkeit der den Schutzbereich verschließenden Bereichsausnahme des Art 45 I EGV (Art III-139 I W E ) spricht jedoch schon methodisch der Charakter der Vorschrift als Ausnahmeregelung, deren Anwendung angesichts der grundlegenden freiheitssichernden Bedeutung des Art 43 EGV (Art III-137 W E ) nur restriktiv erfolgen darf. In diesem Sinne ist der Anwendungsbereich des Art 45 I EGV (Art III-139 I W E ) auf Tätigkeiten zu beschränken, die als solche eine unmittelbare und spezifische Teilnahme an der Ausübung öffentlicher Gewalt darstellen. Die von der spanischen Regelung erfassten Sicherheitsunternehmen arbeiten auf der Grundlage privatrechtlicher Beziehungen. Den Sicherheitsunternehmen sind keine Zwangsbefugnisse übertragen, die mit den Zwangsbefugnissen der klassischen staatlichen Sicherheitsorgane (insbesondere der Polizei) vergleichbar sind. Überdies ist ohnehin jedermann verpflichtet, im Rahmen der Rechtsordnung für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit zu sorgen. Die Befugnisse und Aufgaben privater Sicherheitsdienste gehen aus staatlicher Sicht nicht über diese allgemeine bürgerliche Pflicht hinaus. Damit liegt insgesamt keine unmittelbare und spezifische Teilnahme der privaten Sicherheitsdienste an der Ausübung öffentlicher Gewalt in Spanien vor. Mithin scheidet die Anwendbarkeit der Bereichsausnahme des Art 45 I EGV (Art III-139 I W E ) aus,108 so dass es bei der Eröffnung des Schutzbereichs der Art 431,48 EGV (Art III-1371,142 W E ) bleibt.
103 EuGH, Slg 1974, 631, Rn 45 - Reyners; Slg 1993, 1-4047, Rn 8 - Thijssen; Slg 1998, 1-6717, Rn 35 - Kommission/Spanien. 104 EuGH, Slg 1998,1-6717, Rn 37 - Kommission/Spanien. 105 Schlussanträge GA Mayras, EuGH, Slg 1974, 631, 665 - Reyners; Lackhoff (Fn 5) S 156; Randelzhof er!Forsthoff in: Grabitz/Hilf Art 45 EGV Rn 8 mwN. 106 Zur strittigen Frage, ob Art 45 EGV auch schlicht-hoheitliches Handeln erfasst, s Lackhoff (Fn 5) S 157 f; RandelzhoferlForsthoff in: Grabitz/Hilf Art 45 EGV Rn 8. 107 So die Argumentation Spaniens im maßgeblichen Fall, s EuGH, Slg 1998, 1-6717, Rn 26 f Kommission/Spanien.
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ΠΙ. Beeinträchtigung Fall 4: (Vgl EuGH, Slg 1999,I-2835ff - Pfeiffer) Das deutsche Einzelhandelsunternehmen Τ betreibt Tochtergesellschaften in verschiedenen Mitgliedstaaten der EG. Τ wirbt seit einigen Jahren für alle Geschäfte mit dem einheitlichen Logo „TPlus". Unter dem Namen „TPlus Kaufen" werden von einer Tochtergesellschaft von Τ in Österreich mehrere Einzelhandelsgeschäfte betrieben. Das österreichische Unternehmen „TPlus Leben", das sich diesen Firmennamen schon vor langer Zeit beim österreichischen Patentamt als Wort-Bild-Marke hat schützen lassen, sieht sich durch die Aktivitäten von „TPlus Kaufen" in ihren Rechten verletzt. Daher beantragt „TPlus Leben" vor dem zuständigen Gericht in Österreich, dem Tochterunternehmen von Τ zu verbieten, unter dem Namen „TPlus Kaufen" geschäftlich aufzutreten oder zu werben. Der Antrag wird auf § 9 1 des österreichischen UWG gestützt. Danach besteht ein Anspruch auf Unterlassen der Benutzung von Namen, Firmen oder besonderen Bezeichnungen eines Unternehmens in einer Weise, die geeignet ist, Verwechslungen mit Namen, Firmen oder besonderen Bezeichnungen, deren sich ein anderer befugterweise bedient, hervorzurufen. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind mit Blick auf den für „TPlus Leben" wirkenden Markenschutz gegeben. Das zuständige Gericht ist allerdings der Ansicht, dass eine Verurteilung von „TPlus Kaufen" nicht mit der Niederlassungsfreiheit der Art 43, 48 EGV (Art III-137, 142 W E ) vereinbar wäre. Zu Recht?
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Diskriminierungen
Im Einklang mit der zumindest historisch betrachtet herausragenden Ratio der Grundfreiheiten insgesamt zielt auch Art 43 EGV (Art III-137 W E ) zunächst darauf ab, Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit zu verbieten. U m welche Diskriminierungen, die mit Art 43 E G V (Art III-137 W E ) unvereinbar sind, es sich handeln kann, lässt sich beispielhaft dem „Allgemeinefn] Programm zur Aufhebung der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit", das auf der Grundlage von Art 44 E G V (Art III-138 W E ) im Jahre 1962 erlassen wurde, entnehmen. 109 Es zählt verschiedene diskriminierende Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit wie gesonderte Genehmigungs- oder Aufenthaltserfordernisse für Ausländer auf. Der E u G H hat wiederholt darauf hingewiesen, dass das Allgemeine Programm „nützliche Anhaltspunkte" für die Auslegung des Art 43 EGV (Art III-137 W E ) biete.110 Zugleich beschränkt der E u G H das Diskriminierungsverbot des Art 43 EGV (Art III137 W E ) nicht nur auf unmittelbar die Niederlassungshandlung betreffende Sachbereiche, sondern wendet es auch auf sog Umfeldregelungen an. Hierunter fällt zB eine Regelung, nach der eine Studienfmanzierung nicht der Tochter eines Unionsbürgers gewährt wird, der unter Beibehaltung seiner Staatsangehörigkeit und seines Hauptwohnsitzes eine geschäftliche Niederlassung in einem anderen Mitgliedstaat betreibt. Auch in einer solchen diskriminierenden Regelung sieht der Gerichtshof eine „Beeinträchtigung der Ausübung selbstständiger Tätigkeiten durch Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten" im
108 IE ebenso EuGH, Slg 1998,1-6717, Rn 34 ff - Kommission/Spanien; Slg 2000,1-1221, Rn 25 f Kommission/Belgien = Schoch JK 00, EGV Art 49/3. 109 ABl 1962 Nr 2, 36 ff. 110 S zB EuGH, Slg 1985, 1819. Rn 15 - Steinhauser; Slg 1999,1-3289, Rn 27 - Meeusen.
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Sinne der Niederlassungsfreiheit.111 Zu beachten ist indes, dass Umfelddiskriminierungen im hier beispielhaft dargelegten Sinne seit der zunehmenden Anwendung der Art 12 und 17 EGV (Art 1-4 II und 1-10 W E ) durch den EuGH in erster Linie von diesen Vorschriften erfasst werden. Da der Gerichtshof in jüngerer Zeit das allgemeine Diskriminierungsverbot des Art 12 EGV (Art 1-4 II W E ) effektiv zur Anwendung bringt, wenn es um Maßnahmen geht, die nicht unmittelbar von den speziellen Grundfreiheiten erfasst sind,112 besteht kein Bedürfnis mehr, diesbezüglich die spezielle Grundfreiheit zu aktivieren. Um eine sinnvolle Abgrenzung von Art 12 und 43 EGV (Art 1-4 II u Art III-137 W E ) zu gewährleisten, ist dabei auf den freiheitsbeeinträchtigenden Schwerpunkt der angegriffenen diskriminierenden Regelung abzustellen.113 Im Übrigen gilt auch für Art 43 EGV (Art III-137 W E ) , dass offene und versteckte Diskriminierungen eine Beeinträchtigung des Schutzbereichs der Vorschrift darstellen. Wie auch bei den weiteren Grundfreiheiten ist dabei danach zu fragen, ob die fragliche Maßnahme eines Mitgliedstaates ausdrücklich eine Differenzierung zwischen In- und Ausländern vornimmt (offene Diskriminierung), oder ob Ausländer nur typischerweise stärker betroffen sind (versteckte Diskriminierung).114 Versteckte Diskriminierungen im Bereich der Niederlassungsfreiheit haben insbesondere im Steuerrecht eine große Bedeutung. So stellte der EuGH zB ausdrücklich auf eine versteckte Diskriminierung in einem Fall ab, in dem es um eine Regelung ging, nach der eine steuerrechtliche Abzugsfähigkeit für Forschungskosten nur für Unternehmen gilt, die ihren Hauptsitz im steuererhebenden Mitgliedstaat haben. Hierdurch, so der EuGH, würden Unternehmen mit Zweigniederlassungen in dem Mitgliedstaat typischerweise benachteiligt, da Forschungsabteilungen oftmals in der Hauptniederlassung angesiedelt seien.115 Im Sinne dieser Rechtsprechung ist im Übrigen hervorzuheben, dass Art 43 EGV (Art III-137 W E ) nicht nur die Inländergleichbehandlung im engeren Sinne verbietet, sondern auch Diskriminierungen mit Blick auf die von Art 43 EGV (Art III-137 W E ) erfassten unterschiedlichen Niederlassungsformen. Insofern sichert Art 43 EGV (Art III-137 W E ) umfassend die Freiheit der auch kumulativen - Wahl der Niederlassungsform.116 Ob eine versteckte Diskriminierung gemäß Art 43 EGV (Art III-137 W E ) vorliegt, ist der allgemeinen Struktur von Gleichheitssätzen folgend117 anhand der Frage zu entscheiden, ob „unterschiedliche Vorschriften auf vergleichbare Situationen angewandt werden oder [ob] dieselbe Vorschrift auf unterschiedliche Situationen angewandt wird".118 Der 111 EuGH, Slg 1999, 1-3289, Rn 27 - Meeusen; zahlreiche Nachw zu weiteren Urteilen des EuGH zu diskriminierenden Maßnahmen im Umfeld einer Niederlassung bei Randelzhoferl Forsthoff in: Grabitz/Hilf Art 43 EGV Rn 72. 112 S insb EuGH, Slg 2001,1-6193 - Grzelczyk = JK 02, EGV Art 12/1. 113 Zum Abgrenzungsproblem auch Randelzhoferl Forsthoff in: Grabitz/Hilf Art 43 EGV Rn 73. 114 Lackhoff (Fn 5) S 227; -> § 7 Rn 22; s zB EuGH, Slg 1999,1-4809, Rn 10 - Baxter: „Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes ... verbieten die Vorschriften über die Gleichbehandlung nicht nur offensichtliche Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit oder - was Gesellschaften angeht - des Sitzes, sondern auch alle versteckten Formen der Diskriminierung, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zu dem gleichen Ergebnis führen". 115 EuGH, Slg 1999,1-4809, Rn 10 - Baxter. 116 S zB EuGH, Slg 1999,1-2651, Rn 23 - Royal Bank of Scotland pic. 117 Zur Struktur von Gleichheitssätzen statt vieler Schoch DVB1 1988, 863 ff. 118 EuGH, Slg 1995, 1-225, Rn 30 - Schumacker; Slg 1995, 1-2493, Rn 17 - Wielockx; Slg 1996, 1-3089, Rn 40 - Asscher; Slg 1999,1-2651, Rn 26 - Royal Bank of Scotland.
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EuGH nimmt diese Prüfung einstufig, zum Teil aber auch zweitstufig vor." 9 Unabhängig hiervon ist aber wichtig, dass die zentrale Frage nach der Vergleichbarkeit, die regelmäßig ein Werturteil erfordert,120 bereits auf der Tatbestands- (Schutzbereichs-)ebene zu beantworten ist. Der EuGH scheint zwar vereinzelt die Vergleichbarkeitsfrage der Rechtfertigungsebene zuzuordnen,121 dies ist rechtstheoretisch aber nicht überzeugend. Denn erst wenn vergleichbare Sachverhalte vorliegen, lässt sich überhaupt fragen, ob ihre Ungleichbehandlung auf Gesichtspunkten beruht, die rechtlich Bestand haben können. Das ist jedoch ein logisch der Vergleichbarkeitsfrage nachgeordnetes Problem der Rechtfertigung einer vorliegenden Ungleichbehandlung vergleichbarer Sachverhalte.122 2. Beschränkungen Im Sinne der einheitlichen Auslegung der Grundfreiheiten, die auch als Konvergenz der Grundfreiheiten beschrieben wird,123 statuiert Art 43 EGV (Art III-137 W E ) nicht nur ein Diskriminierungsverbot, sondern überdies ein allgemeines Beschränkungsverbot als freiheitsrechtliche Verbürgung des Niederlassungsrechts. Das ist dem Grunde nach zwischenzeitlich in Rechtsprechung124 und Schrifttum anerkannt.125 Der EuGH umschreibt das so in Art 43 EGV (Art III-137 W E ) enthaltene Beschränkungsverbot mit den folgenden Worten: „[Artikel 43 EGV] schreib[t] die Aufhebung der Beschränkungen der freien Niederlassung ... vor. Als solche Beschränkungen sind alle Maßnahmen anzusehen, die die Ausübung dieser Freiheit] unterbinden, behindern oder weniger attraktiv machen".126 Weitgehend unstrittig werden dem Beschränkungsverbot aus Art 43 EGV (Art III-137 W E ) sog spezifische Zugangsbehinderungen zugeordnet. Hierunter sind Maßnahmen von Mitgliedstaaten zu verstehen, die zwar nicht offen oder versteckt zwischen In- und Ausländern differenzieren, in ihrer tatsächlichen Wirkung aber den Zugang zu einer mitgliedstaatlichen Rechtsordnung und zum entsprechenden Markt im ökonomischen Sinne mit dem Ziel der Niederlassung behindern oder sonst wie weniger attraktiv machen. Das gilt zB für ein Verbot bestimmter Tätigkeiten, die Errichtung oder Unterhaltung staatlicher Monopole, ein Verbot der mehrfachen Niederlassung und Bedürfnisregelungen, Wohnsitz-, Genehmigung-, Zulassungs- sowie Qualifikationserfordernisse.127 Weiterhin werden vom Beschränkungsverbot des Art 43 EGV (Art III-137 W E ) auch Maßnahmen des Herkunftsmitgliedstaats erfasst, die die Niederlassung seiner Staatsangehörigen in einem
119 Hierzu Randelzhoferl Forsthoff in: Grabitz/Hilf Art 43 EGV Rn 77 mwN. 120 Allgemein hierzu aus rechtstheoretischer Sicht Alexy (Fn 53) S 363; Schoch DVB1 1988, 863, 873 f. 121 EuGH, Slg 1999,1-6161, Rn 44 ff - Saint-Gobain. 122 AA wohl Randelzhoferl Forsthoff in: Grabitz/Hilf Art 43 EGV Rn 77. 123 Hierzu Behrens EuR 1992, 145 ff; Hobe/Tietje JuS 1996, 486, 489 f; Bröhmer in: Calliess/Ruffert Art 43 EGV Rn 29; Koenig/Haratsch ER Rn 485. 124 S aus der Rspr nur das zentrale Urteil E u G H , Slg 1991, 1-2357, Rn 15 - Vlassopoulou; zuletzt EuGH, Slg 2002,1-305, Rn 22 - Kommission/Italien, sowie EuGH, DVB1 2004, 551, Rn 42 - de Lasteyrie du Saillant = Schoch JK 9/04, EGV Art 43/5; ausführliche Darstellung der Rechtsprechung des E u G H bei Frenz, Rn 2118 ff und Rn 2187 ff. 125 Umfassend zur Entwicklung in Rspr und Schrifttum Lackhoff (Fn 5) S 249 ff mit zahlreichen Nachw. 126 EuGH, Slg 2002,1-305, Rn 22 - Kommission/Italien. 127 Umfangreiche Nachw hierzu bei Randelzhof er!Forsthoff in: Grabitz/Hilf Art 43 EGV Rn 90 ff.
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anderen Mitgliedstaat behindern, und zwar selbst dann, wenn es sich nur um geringfügige oder unbedeutende Beschränkungen handelt.128 Mit Blick auf die angeführten, dem Beschränkungsbegriff nach Art 43 EGV (Art III137 W E ) zugeordneten mitgliedstaatlichen Maßnahmen stellt sich die Frage, ob die Niederlassungsfreiheit letztlich jede hoheitliche Regelung erfasst, die sich unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell auf die Freiheit der Niederlassung auswirkt. Problematisch ist dies namentlich vor dem bereits dargestellten Hintergrund, dass die Ausübung der Niederlassung immer mit einer Eingliederung in die innerstaatliche Gesellschafts- und Rechtsordnung verbunden ist. Daher wird bezweifelt, dass jede innerstaatliche Rechtsvorschrift, die eine Beziehung zur Niederlassung aufweist, eine Beeinträchtigung des Schutzbereichs des Art 43 EGV (Art III-137 W E ) darstellt. Die dogmatischen Konstruktionen, die zur Begründung eines insofern modifizierten bzw begrenzten Beschränkungsbegriffs im Sinne von Art 43 EGV (Art III-137 W E ) vertreten werden, sind zahlreich und sollen hier nicht umfassend dargestellt werden.129 Sie sind alle dem Vorwurf auszusetzen, dass eine sachgegenständliche Begrenzung des BeschränkungsbegrifFes einem sehr engen Marktzugangskriterium verhaftet ist. Nimmt man die Ratio der Grundfreiheiten, die sich heute in ihrer freiheitssichernden Dimension zeigt, ernst, kann es - wenn überhaupt - auf den Marktzugang nur ankommen, wenn einer spezifischen Grundfreiheit ein grenzüberschreitender Sachverhalt inhärent ist.130 Das mag für den Waren- und Dienstleistungsverkehr gelten, so dass sich hier zumindest im Ansatz eine Rechtfertigung für die KeckRechtsprechung des EuGH erblicken lässt.131 Art 43 I EGV (Art III-137 I W E ) ist aber nicht darauf ausgerichtet, dass notwendigerweise ein grenzüberschreitender Sachverhalt vorliegt.132 Vielmehr dient die Vorschrift insgesamt der wirtschaftlichen Tätigkeit durch Niederlassung. Ausgangspunkt dieser Freiheitssicherung ist dabei die in Art 4 I EGV (Art 1-3 III W E ) hervorgehobene Zielsetzung einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb.133 Einer solchen Konzeption entspricht es zwingend, dass der Staat die Notwendigkeit der Steuerung des Marktes darzulegen hat. Würde man insofern einzelne staatliche Maßnahmen aus dem Schutztatbestand des Art 43 EGV (Art III-137 W E ) (Schutzbereich und Beeinträchtigung) ausnehmen, ginge diese prinzipielle Rechtfertigungsnotwendigkeit verloren. Sie lässt sich im Interesse möglichst spontaner - und nicht gesetzter - Marktbildung und damit Freiheitsverwirklichung134 nur erreichen, wenn es bei dem weiten Verständnis von Schutzbereich und Beeinträchtigung des Art 43 I EGV (Art III-137 I W E ) bleibt. Dementsprechend ist der EuGH auch nicht dem Argument gefolgt, dass die weite Auslegung des Art 43 I EGV (Art III-137 I W E ) im Sinne eines Beschränkungsverbots nicht zur Notwendigkeit einer Rechtfertigung jeder staatlichen Maßnahme führen dürfe, die die Niederlassung weniger attraktiv mache.135 Ebensowenig 128 129 130 131 132 133
EuGH, DVB12004, 551, Rn 42 f - de Lasteyrie du Saillant = Schock JK 9/04, EGV Art 43/5. Ausf Lackhoff (Fn 5) S 417 ff mit zahlreichen Nachw. Lackhoff (Fn 5) S 427. EuGH, Slg 1993,1-6097, Rn 12 ff - Keck. Lackhoff (Fn 5) S 427. Zur freilich nicht ganz klaren Bedeutung dieser Formulierung s Bandilla in: Grabitz/Hilf Art 4 EGV Rn 7 f. 134 Hierzu ν Hayek Recht, Gesetzgebung und Freiheit, Bd I, 1980, S 33 f; ders Die Verfassung der Freiheit, 1971, S 194; ders Individualism and the Economic Order, 1948, S 16. 135 So Schlussanträge GA Mische, EuGH, Slg 1999, 1-2835, Rn 58 - Pfeiffer; der EuGH ist hierauf in seinem Urteil in dieser Rechtssache nicht eingegangen und hat die fragliche Maßnahme (Anwendung des österreichischen UWG) als Beeinträchtigung des Schutzbereichs des Art 43
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Gehör gefunden hat vor dem EuGH der Verweis darauf, dass Regelungen sog „integrierter nationaler Ordnungssysteme", 136 wozu insbesondere die mitgliedstaatlichen Systeme der sozialen Sicherheit gehören, nicht vom Beschränkungsbegriff erfasst werden.137 Durch das dargelegte weite Verständnis der Freiheitsfunktion des Art 43 EGV (Art III137 W E ) kommt es im Übrigen auch nicht zu einer „Ablösung der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen durch ein einheitliches supranationales Recht".138 Die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen behalten ihre Funktion als maßgeblicher Ordnungsrahmen für die wirtschaftliche Betätigung im jeweiligen nationalen Markt. Es ändert sich nur der Rechtfertigungsdruck, der den Mitgliedstaaten mit Blick auf die Steuerung dieses Marktes auferlegt wird. Dogmatisch entspricht dies einer Erörterung der Frage nach der Übereinstimmung des mitgliedstaatlichen Rechts mit Art 43 EGV (Art III-137 W E ) auf der Rechtfertigungs-, nicht aber auf der Beeinträchtigungsebene. Nur dieses Konzept wird dem freiheitseffektuierenden System der Grundfreiheiten insgesamt und damit auch des Art 43 EGV (Art III-137 W E ) gerecht.139
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IV. Rechtfertigung Beeinträchtigungen des Schutzbereichs des Art 43 EGV (Art III-137 W E ) lassen sich durch Art 46 I EGV (Art III-140 I W E ) sowie durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses rechtfertigen. Bei offenen Diskriminierungen kommt dabei nur eine Rechtfertigung nach Art 46 I EGV (Art III-140 I W E ) in Betracht. Liegt eine nichtdiskriminierende Beschränkung vor, können Art 46 I EGV (Art III-140 I W E ) und die Lehre von den zwingenden Gründen des Allgemeininteresses herangezogen werden. Wie bei allen Grundfreiheiten ist allerdings strittig, ob der Verweis auf zwingende Gründe des Allgemeininteresses auch dann greifen kann, wenn eine versteckte Diskriminierung vorliegt, oder ob es in diesen Fällen bei der ausschließlichen Anwendbarkeit des Art 461 EGV (Art III-140I W E ) bleibt.140 Art 46 I EGV (Art III-140 I W E ) ist der einzige im Vertrag ausdrücklich für Beeinträchtigungen des Schutzbereichs der Niederlassungsfreiheit vorgesehene Rechtfertigungsgrund. Als Ausnahmevorschrift ist Art 46 I EGV (Art III-140 I W E ) aber eng auszulegen.141 Der damit ohnehin schon nur begrenzte Anwendungsbereich der Vorschrift wird
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EGV gewertet, s EuGH, Slg 1999, 1-2835, Rn 19f - Pfeiffer; GA Mischo hat seine Ansicht nochmals im dargelegten Sinne vertreten in: Schlussanträge, EuGH, Slg 2002, 1-6515, Rn 57 Deutsche Paracelsus Schulen; der EuGH ist auch in dieser Entscheidung nicht weiter auf die Argumente des Generalanwalt eingegangen und hat ohne nähere Ausführungen einen Eingriff in den Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit festgestellt, s EuGH, Slg 2002,1-6515, Rn 38 ff. Randelzhoferl Forsthoff in: Grabitz/Hilf Art 43 EGV Rn 106. EuGH, Slg 2001,1-5473, Rn 51 ff - Geraets-Smits. So aber RandelzhoferlForsthoff m·. Grabitz/Hilf Vor Art 39-55 EGV Rn 92. Die Reichweite der Lehre von den Beschränkungsverboten ist der wohl strittigste Problembereich in der Dogmatik der Grundfreiheiten. Es entspricht nicht dem Konzept dieser primär didaktisch orientierten Darstellung, eine umfassende Diskussion hierzu zu führen. Zahlreiche Nachw sowie eine der hier vertretenen Ans deutlich kritisch-restriktiv entgegengesetzte Sicht der Dinge finden sich zB bei Randelzhoferl Forsthoff in: Grabitz/Hilf Vor Art 39-55 EGV Rn 87 ff; Frenz, Rn 2014 ff. Einzelheiten zu dieser übergreifenden, für alle Grundfreiheiten relevanten Problematik in -» § 7 Rn 90. EuGH, Slg 1999, 1-11, Rn 23 - Calfa; ausführlich zu Art 46 EG (Art III-140 W E ) Frenz Rn 2230 ff.
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nochmals eingeengt, wenn die spezielle Ratio der Norm berücksichtigt wird: Art 46 I EGV (Art III-140 I W E ) verweist auf „Sonderregelungen für Ausländer". Da die grundlegende Zielsetzung der Grundfreiheiten darin besteht, im Gemeinsamen Markt und Binnenmarkt gerade keine Sonderregelungen, die an die Staatsangehörigkeit anknüpfen, zuzulassen (vgl Art 12 I EGV/Art 1-4 II W E ) , kann die Ausländereigenschaft selbst nicht maßgeblicher Anknüpfungspunkt des Art 46 I EGV (Art III-140 I W E ) sein. Es entspricht vielmehr der ständigen Rechtsprechung des EuGH, dass Art 46 I EGV (Art III140 I W E ) den Mitgliedstaaten erlaubt, „gegenüber den Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten ua aus Gründen der öffentlichen Ordnung Maßnahmen zu ergreifen, die sie insofern bei ihren eigenen Staatsangehörigen nicht anwenden könnten, als sie nicht die Befugnis haben, diese auszuweisen oder ihnen die Einreise in das nationale Hoheitsgebiet zu untersagen".142 Diese Aussage des Gerichtshofes ist vor dem verfassungsrechtlichen (Art 16 II GG) und völkerrechtlichen (Art 3 4. ZP EMRK) Verbot der Auslieferung und Ausweisung eigener Staatsangehöriger zu sehen. Aufgrund dieses Verbotes besteht trotz des Art 12 EGV (Art 1-4 II W E ) im Bereich der Ausweisung bzw Auslieferung ein bedeutender Unterschied zwischen In- und Ausländern. Nur auf diesen, auch im Lichte gemeinschaftsrechtlicher Regelungen weiterhin gegebenen Unterschied zielt Art 46 I EGV (Art III-140 I W E ) ab. Daher ist anerkannt, dass die Vorschrift ihren primären Anwendungsbereich im nationalen Ausländerrecht findet.143 58
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Die primär ausländerrechtliche Dimension des Art 46 I EGV (Art III-140 I W E ) schlägt sich auch in dem Erfordernis nieder, dass jeweils auf den Einzelfall bezogen ermittelt werden muss, ob das persönliche Verhalten eines Niederlassungsberechtigten in einer bestimmten Situation eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit darstellt; der isolierte Verstoß gegen eine Ordnungswidrigkeits- oder Strafbarkeitsbestimmung reicht hierfür nicht.144 Die Tatbestandsmerkmale „öffentliche Ordnung, Sicherheit und Gesundheit" sind dabei in Übereinstimmung mit Art 39 III EGV (Art III-133 III W E ) auszulegen.145 Sie wurden früher durch die Richtlinie 64/221146 konkretisiert;147 seit dem 30. April 2004 finden sich die entsprechenden Rechtskonkretisierungen in der neuen Richtlinie 2004/38.148 Als Schranken-Schranke ist zudem der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten.149 Soweit eine Beeinträchtigung des Schutzbereichs des Art 43 EGV (Art III-137 W E ) aufgrund eines Beschränkungsverbotes vorliegt, kommt weiterhin eine Rechtfertigung aufgrund zwingender Allgemeininteressen in Betracht. Die Anwendung und Konkretisierung
142 EuGH, Slg 1999,1-11, Rn 20 - Calfa. 143 Schlag in: Schwarze Art 46 EGV Rn 3; Roth in HdBEU WirtschR E.I. Rn 72; Müller-Graff in: Streinz Art 46 Rn 3 f. 144 EuGH, Slg 1999,1-11, Rn 25 - Calfa. 145 Hierzu ausf Schneiderl Wunderlich in: Schwarze Art 39 EGV Rn 123 ff mwN. 146 ABl 1964, 850. 147 Schlag in: Schwarze Art 46 EGV Rn 5 mwN. 148 Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG, ABl L 158/77 ν 30.4.2004. 149 EuGH, Slg 1996, 1-2691, Rn 26 - Kommission/Italien; RandehhoferlForsthoff m: Grabitz/Hilf Art 46 EGV Rn 21 mwN.
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dieser ungeschriebenen Schrankenregelung folgt dabei den Grundsätzen der allgemeinen Dogmatik der Grundfreiheiten und muss daher an dieser Stelle nicht vertiefend erörtert werden.150 Hinzuweisen ist nur darauf, dass in der Rechtsprechung des EuGH zwischenzeitlich eine große Anzahl von anerkannten Schutzinteressen hinsichtlich der zwingenden Allgemeininteressen herausgearbeitet wurden.151 Überdies entspricht es ständiger Rechtsprechung des EuGH, dass eine Maßnahme aufgrund eines anerkannten zwingenden Allgemeininteresses geeignet sein muss, „die Verwirklichung des verfolgten Zieles zu gewährleisten, und nicht über das [hinausgehen darf], was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist".152 Lösung Fall 4 Da das deutsche Unternehmen Τ in Österreich eine Zweigniederlassung betreibt, ist der Schutzbereich des Art 43 iVm 48 EGV (Art III-137 iVm III-142 W E ) eröffnet. Fraglich ist, ob auch eine Beeinträchtigung des Schutzbereichs der Niederlassungsfreiheit vorliegt. Eine offene Diskriminierung erfolgt durch die Anwendung des österreichischen UWG nicht, da die Regelungen dieses Gesetzes ohne Unterschied auf in- und ausländische Unternehmen angewandt werden. Eine versteckte Diskriminierung läge vor, wenn die Anwendung des § 9 UWG typischerweise zu einer Schlechterstellung von ausländischen Unternehmen wie Τ führt. Auch hierfür sind keine Anhaltspunkte gegeben. Damit ist es nur möglich, eine Beeinträchtigung des Schutzbereichs nach der Lehre von den Beschränkungsverboten zu begründen. Hiernach liegt eine Beeinträchtigung vor, wenn die Anwendung einer mitgliedstaatlichen Vorschrift die Ausübung einer Grundfreiheit wie hier der Niederlassungsfreiheit weniger attraktiv macht. Das Unternehmen Τ wählte das strittige Logo bewusst, um in Europa einheitlich durch eine Werbemaßnahme bekannt zu werden. Die Einheitlichkeit dieses europaweiten Werbeauftritts wird beeinträchtigt, wenn hiervon in einzelnen Mitgliedstaat abgewichen werden muss. Dies wiederum hat zwingend Auswirkungen auf das unternehmerische Interesse an einer geschäftlichen Tätigkeit in dem Mitgliedstaat, der die Anwendung des europaweiten Logos nicht gestattet. Damit liegt eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit vor. Diese ist auch als Beeinträchtigung des Schutzbereichs zu werten, da jedenfalls der Marktzutritt betroffen ist. Auf die strittige Frage, inwieweit auch sonstige Formen von Beschränkungsmaßnahmen von Art 43 EGV (Art III-137 W E ) erfasst werden, kommt es damit nicht an. Die Beeinträchtigung des Schutzbereichs des Art 43 EGV (Art III-137 W E ) könnte aber gerechtfertigt sein. Eine Rechtfertigung nach Art 46 I EGV (Art III-140 I W E ) scheidet aus, da es sich bei der Anwendung des UWG nicht um eine ausländerrechtliche Maßnahme handelt. Damit bleibt es nur bei der Möglichkeit einer Rechtfertigung aufgrund eines zwingenden Allgemeininteresses. Der wettbewerbsrechtliche Schutz von Geschäftsbezeichnungen vor Verwechselungsgefahr stellt ein zwingendes Allgemeininteresse dar. Die Anwendung des § 9 I UWG ist vorliegend auch verhältnismäßig, da nur durch ein Verbot gewährleistet werden kann, dass die berechtigten Interessen eines Markeninhabers geschützt werden.153 Damit ist Art 43 iVm 48 EGV (Art III-137 iVm III-142 W E ) nicht verletzt.
150 Einzelheiten in § 7 Rn 78; RandebhoferlForsthoff in: Grabitz/Hilf Vor Art 39-55 EGV Rn 154ff mwN. 151 Ausf Übersicht bei Randehhoferi Forsthoff in: Grabitz/Hilf Vor Art 39-55 EGV Rn 161. 152 EuGH, Slg 1995, 1-4165, Rn 37 - Gebhard; Slg 1999, 1-2835, Rn 19 - Pfeiffer; DVB1 2004, 551, Rn 49 - de Lasteyrie du Saillant = Schoch JK 9/04, EGV Art 43/5. 153 EuGH, Slg 1999,1-2835, Rn 22 f - Pfeiffer.
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V. Die Anwendung der Niederlassungsfreiheit auf juristische Personen gemäß Art 48 EGV (Art III-142 W E ) 61
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Fall 5: (EuGH, Slg 2002,1-9919 - Überseering) Das Unternehmen BV ist seit 1990 im Handelsregister von Amsterdam eingetragen. In Deutschland ist BV Eigentümerin eines Grundstücks in Düsseldorf. BV schloss mit der NCC GmbH einen Werkvertrag zu Bauarbeiten auf dem Grundstück. Am 1. Januar 1995 erwarben zwei Privatpersonen sämtliche Geschäftsanteile an der BV. Seit diesem Zeitpunkt hat die BV ihren tatsächlichen Geschäftssitz in Düsseldorf. Im Jahre 1996 klagte die BV auf Erstattung von Kosten, die durch eine Mängelbeseitigung, die NCC nicht selbst durchgeführt hatte, entstanden sind. Die Klage wurde vom OLG als unzulässig mit der Begründung abgewiesen, dass BV nicht rechts- und damit parteifähig iSv § 50 ZPO sei. Zur Begründimg wurde ausgeführt, dass sich die Rechtsfähigkeit einer Gesellschaft nach dem Recht des Staates richte, in dem sie ihren Hauptverwaltungssitz habe. Dies sei Deutschland und hier sei BV nicht rechtsfähig. Verletzt die Entscheidung Art 43 iVm 48 EGV (Art III-137 iVm III-142 WE)? Art 48 EGV (Art III-142 W E ) bewirkt die Anwendung der Art 43 ff EGV (Art III-137 ff W E ) auf „nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründete Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Gemeinschaft haben". Der dem Art 48 EGV (Art III-142 W E ) zugrunde liegende Oberbegriff der Gesellschaft bzw juristischen Person154 ist gemeinschaftsrechtlich und nicht im Sinne einer möglicherweise engeren mitgliedstaatlichen Rechtsdogmatik zu verstehen. Wie Art 48 II EGV (Art III-142 II W E ) verdeutlicht, handelt es sich um ein weit auszulegendes Tatbestandsmerkmal. Entscheidend ist insofern, dass „eine Personenvereinigung gegenüber ihren Mitgliedern soweit verselbstständigt ist, dass sie im Rechtsverkehr unter eigenem Namen handeln kann". Damit sind in Deutschland auch die OHG und die GbR „juristische Personen" nach Art 48 EGV (Art III-142 WE). 1 5 5 Das zentrale Problem des Art 48 EGV (Art III-142 W E ) , das auch hier nur interessieren soll, ist die Frage nach der genauen Bestimmung der Voraussetzungen, die eine juristische Person im beschriebenen Sinne ausmachen. Das betrifft konkret die Frage, wann eine Gesellschaft „nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats" gegründet ist. Da bislang noch keine einheitlichen Regelungen der Mitgliedstaaten über die gegenseitige Anerkennung von Gesellschaften nach Art 293 EGV (vgl nun Art III-269 II lit c W E ) ausgearbeitet wurden und Art 48 II EGV (Art III-142 II W E ) auf „die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates gegründeten Gesellschaften" abstellt, ist es zunächst Aufgabe des mitgliedstaatlichen Rechts, darüber zu befinden, ob die Voraussetzungen des Art 48 II EGV (Art III-142 II W E ) vorliegen. Das muss freilich unter Beachtung gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben erfolgen. Bei ausländischen juristischen Personen erfolgt deren gesellschaftsrechtliche Bewertung nach Grundsätzen des internationalen Gesellschaftsrechts der Mitgliedstaaten. In Deutschland wird insofern davon gesprochen, dass das Gesellschafts- oder Personalstatut
154 Wie Art 48 II EGV (Art III-142 II) verdeutlicht, besteht eine Identität der Begriffe „Gesellschaften" und .juristische Personen", s RandelzhoferlForsthoff in: Grabitz/Hilf Art 48 EGV Rn 7. 155 RandelzhoferlForsthoff \in: Grabitz/Hilf Art 48 EGV Rn 7; BGH, ZIP 2001, 330 ff; ausführlich hierzu auch Frenz Rn 2031 ff.
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darüber entscheidet, welches Recht auf eine Gesellschaft Anwendung findet.156 Das Gesellschaftsstatut wird im Wesentlichen durch zwei unterschiedliche Anknüpfungspunkte bestimmt. In einigen Staaten (zB USA, Vereinigtes Königreich) wird nach der Gründungstheorie auf das Recht des Staates abgestellt, in dem die Gesellschaft gegründet wurde. Nach der ua in Deutschland vertretenen Sitztheorie'57 kommt es zur Bestimmung des Gesellschaftsstatuts hingegen auf den effektiven Verwaltungssitz der fraglichen Gesellschaft an. Die Anwendung der Sitztheorie führt im Lichte des Art 48 EGV (Art III-142 W E ) zu der Problematik, dass eine Gesellschaft, die im Mitgliedstaat Α gegründet wurde, zwischenzeitlich aber ihren Verwaltungssitz in den Mitgliedstaat Β verlegt hat, mit Blick auf ihre Rechtsfähigkeit nach dem Recht des Β beurteilt wird. Sofern nun nach dem Recht von Β nicht die Voraussetzungen dafür erfüllt sind, dass die Gesellschaft als eigenständig handlungsfähig betrachtet wird, scheidet die Anwendbarkeit des Art 48 EGV (Art III-142 W E ) aus, obwohl die Gesellschaft ursprünglich in einem Mitgliedstaat wirksam gegründet wurde und damit Handlungsfähigkeit erlangt hatte. Diese Situation hat zu der problematischen Frage geführt, ob bzw inwieweit Art 43 iVm 48 EGV (Art III-137 I iVm 142 W E ) die Anwendung der Sitztheorie einschränken.158 Ohne hier eine umfassende Diskussion zu den angesprochenen Fragen im Verhältnis von internationalem Gesellschaftsrecht und Art 43, 48 EGV (Art III-137, 142 W E ) zu führen, seien zumindest einige Argumente genannt, die zur Lösung der Problematik beitragen: Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass eine unbegrenzte Anwendung mitgliedstaatlichen internationalen Gesellschaftsrechts dazu führen könnte, dass auch eine Gesellschaft aus einem außerhalb der EG liegenden Staates von Art 48 EGV (Art III-142 W E ) erfasst sein könnte. Das wäre der Fall, wenn eine Gesellschaft in einem Drittstaat gegründet wurde und ihren Verwaltungssitz in einem Mitgliedstaat hat, der der Gründungstheorie folgt. Angesichts der bereits aufgezeigten grundlegenden Zielrichtung der Niederlassungsfreiheit, nur Personen aus den Mitgliedstaaten die Rechte des Art 43 EGV (Art III-137 W E ) zu gewähren,159 erscheint diese Konsequenz nicht tragbar.'60 Überdies ist zu bedenken, dass eine vom Gemeinschaftsrecht unbegrenzte Anwendung mitgliedstaatlichen internationalen Gesellschaftsrechts dazu führen würde, dass derselbe Sachverhalt in einem Mitgliedstaat mit Sitztheorie anders beurteilt werden könnte als in einem Mitgliedstaat mit Gründungstheorie. Das ist mit dem Grundsatz der einheitlichen Anwendung des Gemeinschaftsrechts schlechthin nicht vereinbar.161 Schon diese Gesichtspunkte zwingen dazu, eine unbegrenzte Anwendung mitgliedstaatlichen internationalen Gesellschaftsrechts für unvereinbar mit Art 43, 48 EGV
156 Kindler in: Münchener Kommentar zum BGB, 3. Aufl 1999, IntGesR Rn 7; Großfeld in: Staudinger EGBGB/IPR/IntGesR, 13. Auf! 1998, Rn 16 ff. 157 S nur Kindler (Fn 156) Rn 5; Großfeld (Fn 156) Rn 38; Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, 9. Aufl 2004, S 572 ff. 158 Aus dem überaus umfangreichen Schrifttum s nur Behrens IPrax 1999, 323 ff; Ebke JZ 1999, 656ff; Forsthoff EuR 2000, 167ff; Kindler NJW 1999, 1993; Meilicke GmbHR 2000, 693ff; Roth ZGR 2000, 31 Iff; SonnenbergerlGroßerichter RIW 1999, 721 ff; LeiblelHoff mann RIW 2002, 925 ff; Grundmann Europäisches Gesellschaftsrecht, 2004, Rn 760 ff; im Überblick zur einschlägigen Rechtsprechung des EuGH auch Frenz Rn 2077 ff. 159 S Rn 6 f. 160 Randelzhoferl Forsthoff m: Grabitz/Hilf Art 48 EGV Rn 16; Lehmann RIW 2004, 816, 817. 161 Randelzhoferl Forsthoff in: Grabitz/Hilf Art 48 EGV Rn 17.
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(Art III-137, 142 W E ) anzusehen. Es gilt daher auch bei Art 48 EGV (Art III-142 W E ) der dem Gemeinschaftsrecht eigentümliche Grundsatz, dass hier zwar eine Regelungsmaterie vorliegt, die zunächst von den Mitgliedstaaten bestimmt wird, zugleich aber das Gemeinschaftsrecht dabei nicht unberücksichtigt bleiben darf.162 Daraus folgt, dass die grundsätzlich zulässige Anwendung mitgliedstaatlichen internationalen Gesellschaftsrechts keine Verkürzung der freiheitlichen Rechtsgarantien des Art 43 EGV (Art III-137 W E ) bewirken darf. Grundlage der Lösung der angesprochenen Probleme im Spannungsverhältnis von internationalem Gesellschaftsrecht und Art 48 EGV (Art III-142 W E ) ist also die Freiheitsgarantie des Art 43 EGV (Art III-137 W E ) . 1 « Gegen diese Argumentation lässt sich auch nicht einwenden, dass das internationale Gesellschaftsrecht, wie Art 293 EGV zeige, nicht Regelungsgegenstand des EGV sei und überdies das Subsidiaritätsprinzip (Art 5 II EGV/Art 1-11 III W E ) die ausschließliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten in diesem Rechtsbereich gebiete.164 Diese beiden Begründungsstränge gehen fehl, da Art 293 EGV (vgl nun Art III-269 II lit c W E ) - wie der Vergleich zu Art 295 EGV (Art III-425 W E ) zeigt - keinen „Gesetzesvorbehalt" zugunsten der Mitgliedstaaten im internationalen Gesellschaftsrecht statuiert165 und das Subsidiaritätsprinzip bei der Auslegung der primärrechtlich verankerten Grundfreiheiten prinzipiell keine Rolle spielt.166 Insgesamt ergibt sich damit, dass das internationale Gesellschaftsrecht der Mitgliedstaaten, insbesondere mit Blick auf die Bestimmung des Gesellschaftsstatuts, von Art 48 EGV (Art III-142 W E ) dem Grunde nach unberührt bleibt. Wenn ein Mitgliedstaat sein internationales Gesellschaftsrecht anwendet, um über die Frage zu entscheiden, ob eine Gesellschaft gemäß Art 481 EGV (Art III-1421 W E ) „nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats" gegründet wurde bzw weiterhin rechtlich existiert, müssen aber nach allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts die Grundfreiheiten Beachtung finden. Soweit eine Berücksichtigung der Grundfreiheiten, insbesondere Art 43 EGV (Art III-137 W E ) , nicht im Rahmen gemeinschaftsrechtskonformer Auslegung des nationalen Rechts möglich ist, bleibt es nur bei der Möglichkeit, das kollidierende mitgliedstaatliche Recht nach der Lehre von den zwingenden Allgemeininteressen zu rechtfertigen.167 Ergänzend ist noch darauf hinzuweisen, dass sich in konsequenter Fortführung der dargestellten EuGH-Rechtsprechung neben dem EG-Recht aus dem Völkerrecht weit reichende Einschränkungen der innerstaatlichen Anwendbarkeit der Sitztheorie ergeben kön-
162 So überzeugend EuGH, Slg 2002, 1-9919, Rn 52 ff - Überseering = Ehlers JK 5/03, EGV Art 43/3; Schlussanträge GA Colmer, EuGH, Slg 2002,1-9919, Rn 39 - Überseering; ähnlich zB RandelzhoferlForsthoff in: Grabitz/Hilf Art 48 EGV Rn 18. 163 RandelzhoferlForsthoff \In: Grabitz/Hilf Art 48 EGV Rn 2; iE ebenso EuGH, Slg 1999, 1-1459, Rn 14ff - Centres; Slg 2002, 1-9919, Rn 56fT - Überseering = Ehlers JK 5/03, EGV Art 43/3; Slg 2003, 1-10155, Rn 95 ff - Inspire Art = Ehlers JK 6/04, EGV Art 43/4; anders wohl noch EuGH, Slg 1988, 5483, Rn 21 ff - Daily Mail; aA weiterhin zB Kindler NJW 1999, 1993, 1996 ff. 164 So zB Kindler NJW 1999, 1993, 1997 f. 165 EuGH, Slg 2002, 1-9919, Rn 54 - Überseering = Ehlers JK 5/03, EGV Art 43/3; Schlussanträge GA Colmer, EuGH, Slg 2002,1-9919, Rn 42 - Überseering. 166 Randelzhoferl Forsthoff in: Grabitz/Hilf Art 48 EGV Rn 14. 167 EuGH, Slg 2002,1-9919, Rn 78 ff und 83 ff - Überseering = Ehlers JK 5/03, EGV Art 43/3; Slg 2003,1-10155, Rn 95 ff und 106 ff - Inspire Art = Ehlers JK 6/04, EGV Art 43/4; Schlussanträge GA Colmer, EuGH, Slg 2002,1-9919, Rn 43 - Überseering; ebenso iE bereits EuGH, Slg 1999, 1-1459, Rn 14 ff - Centros.
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nen. Das gilt zunächst mit Blick auf Bestimmungen in zahlreichen Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsverträgen, die eine gegenseitige Anerkennung der Rechtsfähigkeit von Gesellschaften verlangen. Der BGH hat diesbezüglich unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Überseering-Entscheidung des EuGH in einem Urteil vom 29. Januar 2003 der entsprechenden Klausel in dem deutsch-amerikanischen Freundschafts-, Handelsund Schifffahrtsvertrag von 1954 unmittelbare Anwendbarkeit zugesprochen mit der Konsequenz, dass das Personalstatut der betroffenen Gesellschaft aus Florida nach USamerikanischem Recht bestimmt werden musste.'68 Dabei traf der BGH in Anlehnung an die dargestellte EuGH-Rechtsprechung die folgende zentrale Aussage: „Wenn Inländerbehandlung, Meistbegünstigung und Niederlassungsfreiheit vereinbart sind und eine Gesellschaft demgemäß sich in einem anderen Land geschäftlich betätigen darf, kann ihr dort nicht die Rechtspersönlichkeit abgesprochen werden, die ihr nach dem Recht des Staates zusteht, in dem sie errichtet worden ist. Insbesondere die Niederlassungsfreiheit hat die volle Anerkennung der Rechts- und Parteifähigkeit mit zum Inhalt".169 Die zitierte Feststellung des BGH hat unmittelbare Konsequenzen für den wohl bedeu- 71 tungsvollsten völkerrechtlichen Vertrag, der die Anwendung der Sitztheorie einschränkt, das GATS. Nach den bereits kurz dargestellten Regelungen des GATS170 besteht in Dienstleistungsbereichen, für die von den WTO-Mitgliedern Liberalisierungsverpflichtungen übernommen wurden, ua das Recht von ausländischen Gesellschaften zur so genannten kommerziellen Präsenz. Kommerzielle Präsenz wird definiert als „jede Art geschäftlicher oder beruflicher Niederlassung durch - unter anderem - die Errichtung oder Fortführung einer juristischen Person" (Art XXVIII lit d i GATS). Als juristische Person gilt dabei „eine nach geltendem Recht ordnungsgemäß gegründete oder anderweitig errichtete rechtsfähige Organisationseinheit" (Art XXVIII lit 1 GATS). Aus diesen Festlegungen, die sich als Niederlassungsrecht (vgl Art XVI GATS) zusammenfassen lassen und die durch die Garantie der Inländergleichbehandlung (Art XVII GATS) und der Meistbegünstigung (Art II GATS) abgesichert werden, folgt im Sinne des zitierten BGHUrteils unmittelbar, dass eine in einem WTO-Mitglied wirksam gegründete Gesellschaft zumindest in Deutschland - und nach WTO-Recht letztlich auch in jedem anderen WTOMitglied - in ihrer Rechtsfähigkeit anzuerkennen ist, soweit es um die Erbringung von Dienstleistungen geht. Für die Anwendung der Sitztheorie verbleibt damit kaum noch Raum.171 Lösung Fall 5: Durch die Anwendung der Sitztheorie zur Bestimmung des Gesellschaftsstatuts der BV kommt es zur Beurteilung ihrer Rechtsfähigkeit nach deutschem Recht. Da nach der Feststellung des OLG die BV nach deutschem Recht nicht rechtsfähig ist, konnte sie nicht parteifähig iSv § 50 ZPO sein. Damit ist für die BV eine Situation entstanden, die sie bei vorheriger Kenntnis der Rechtslage davon abgehalten hätte, ihren Verwaltungssitz nach Deutschland zu verlegen. Insofern führt die Anwendung der Sitztheorie dazu, dass die Ausübung der Niederlassungsfreiheit mit Blick auf die BV deutlich weniger attraktiv ist.
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BGH, DB 2003, 818, 819. BGH, DB 2003, 818, 819. S ο Rn 9 f. Zurückhaltender, allerdings unter Verkennung grundlegender Strukturen der WTO-Rechtsordnung, Lehmann, RIW 2004, 816 ff.
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Vor diesem Hintergrund liegt eine Beeinträchtigung des Schutzbereichs der Art 43, 48 EGV (Art ΠΙ-137, 142 W E ) vor. Dagegen spricht auch nicht, dass nach gegenwärtigem Stand des Gemeinschaftsrechts den Mitgliedstaaten dem Grunde nach die Regelungszuständigkeit für das internationale Gesellschaftsrecht verbleibt. Diese Regelungszuständigkeit entbindet nämlich nicht von der Beachtung der Grundfreiheiten. Fraglich ist damit nur, ob eine Rechtfertigung der Beeinträchtigung des Schutzbereichs der Art 43, 48 EGV (Art III-137, 142 W E ) möglich ist. Die Anwendung der Sitztheorie bezweckt ua einen Gläubiger- und Arbeitnehmerschutz.172 Allerdings ist nicht ersichtlich, warum die der Sitztheorie zugrunde liegenden Interessen dazu führen müssen, dass einer im Ausland wirksam gegründeten Gesellschaft in Deutschland die Rechts- und damit Parteifahigkeit abgesprochen wird. Eine solche Rechtsfolge stellt eine erhebliche Beeinträchtigimg des Schutzbereichs der Niederlassungsfreiheit dar, da die fragliche Gesellschaft plötzlich „ihres rechtlichen Besitzstandes beraubt" wird,173 was einer „Negierung" der Niederlassungsfreiheit gleichkommt.174 Folglich ist die Beeinträchtigung des Schutzbereichs der Niederlassungsfreiheit unverhältnismäßig und nicht zu rechtfertigen.175
172 Zu Einzelheiten s BGH, DB 2000, 1114; Schlussanträge GA Colmer, E u G H , Slg 2002, 1-9919, Rn 50 - Überseering. 173 Schlussanträge GA Colmer, E u G H , Slg 2002,1-9919, R n 57 - Überseering. 174 E u G H , Slg 2002,1-9919, Rn 93 - Überseering = Ehlers J K 5/03, EGV Art 43/3. 175 Zur Möglichkeit der Rechtfertigung in einer vergleichbaren Fallkonstellation ausführlich EuGH, Slg 2003,1-10155, Rn 131 ff - Inspire Art = Ehlers JK 6/04, EGV Art 43/4.
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Dienstleistungsfreiheit Eckhard Pache Leitentscheidungen: EuGH, Slg 1984, 377ff - Luisi und Carbone; Slg 1991, f-682ff, I-718ff, I-735ffFremdenführer; Slg 1994, I-1039fF - Schindler; Slg 1995, 1-1141 ff - Alpine Investments; Slg 1999, 1-2517 ff - Ciola; Slg 2003,1-4509 - Müller-Faure; Slg 2002,1-6279 ff - Carpenter = Ehlers JK 12/02, EGV Art 49/6; EuGH, EuZW 2004,499 - Kommission/Frankreich = Schoch JK 1/05, EGV Art 49/12. Schrifttum: CalliesslRuffert Kommentar zu EU-Vertrag und EG-Vertrag, 2. Aufl 2002; Clausnitzer Die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit in der EG, ZAP Fach 25, 97-114 (2000); Fischer Η G Europarecht. Grundlagen des Europäischen Gemeinschaftsrechts in Verbindung mit deutschem Staats- und Verwaltungsrecht, 3. Aufl 2001; Grabitz!Hilf Das Recht der Europäischen Union; von der GroebenlSchwarze Kommentar zum EU-/EG-Vertrag, 6. Aufl 2003; HailbronnerlKlein!MagieraiMiiller-Graff Handkommentar zum EU-Vertrag; HailbronnerlNachbauer Die Dienstleistungsfreiheit in der Rechtsprechung des EuGH, EuZW 1992, 105 ff; Kort Schranken der Dienstleistungsfreiheit im europäischen Recht, JZ 1996, 132ff; Lenz EG-Vertrag Kommentar, 3. Aufl 2003; Nowak Erweiterte Rechtfertigungsmöglichkeiten für mitgliedstaatliche Beschränkungen der EG-Grundfreiheiten Genereller Rechtsprechungswandel oder Sonderweg im Bereich der sozialen Sicherheit?, EuZW 2000, 627 ff; Schwarze EU-Kommentar, 2000; Streinz EUV/EGV, 2003; Trautwein Der praktische Fall Europarecht mit Völkerrecht: Schwangerschaftsabbruch in Irland, JuS 1995, 908 ff.
I. Einleitung 1. Die allgemeine
Bedeutung
der Dienstleistungsfreiheit
im
Gemeinschaftsrecht
Art 49 E G V (Art III-144 W E ) verbietet nach Maßgabe der nachfolgenden Bestimmungen des EGV Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Gemeinschaft für Angehörige der Mitgliedstaaten, die in einem anderen Staat der Gemeinschaft als demjenigen des Leistungsempfängers ansässig sind. Dienstleistungen sind dabei nach Art 50 EGV (Art III-145 W E ) selbständig und mit grenzüberschreitendem Bezug erbrachte Leistungen, die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden, soweit diese nicht einer anderen Grundfreiheit des EGV unterfallen. Die Dienstleistungsfreiheit zählt angesichts der stark gestiegenen wirtschaftlichen Bedeutung des Dienstleistungssektors in den Volkswirtschaften der Gemeinschaft heute zu den Grundpfeilern des europäischen Binnenmarktes. Die Zusammensetzung der EU-Wirtschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten tief greifend verändert. Mit dem außergewöhnlichen Wachstum des Dienstleistungssektors und seinem inzwischen erheblichen Anteil an der Bruttowertschöpfung in der Gemeinschaft haben die ursprünglich nur als Auffangtatbestand zur Niederlassungsfreiheit vorgesehenen Vorschriften der Art 49ff EGV (Art III-144ff W E ) eine erhebliche selbständige Bedeutung erlangt. 1 In allen EU-Mitgliedstaaten ist der Bereich der marktbestimmten Dienstleistungen, legt man das BIP zugrunde, mittlerweile mindestens doppelt so groß wie der des verarbeitenden Gewerbes, bei Einbeziehung der Dienstleistungen im sozialen und öffentlichen Bereich sogar dreimal so groß. Der europäische Dienstleistungssektor besitzt
1 Vgl zum Bedeutungswandel der Dienstleistungsfreiheit Hakenberg in: Lenz Vor Art 49-55 EGV Rn 3; Holoubek in: Schwarze Art 49 EGV Rn 2-4; TroberglTiedje in: vd Groeben/Schwarze Vor Art 49 bis 55 EGV Rn 2-6.
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also enorme gesamtwirtschaftliche Bedeutung und birgt ein großes Potential für Wachstum, Wettbewerb und Beschäftigung. Seine europarechtliche Öffnung ist eine der zentralen Funktionsbedingungen des europäischen Binnenmarktes. Daher besitzt die Dienstleistungsfreiheit unter den gemeinschaftsrechtlichen Grundfreiheiten eine wichtige Funktion. Sie ist im EGV direkt im Anschluss an die Niederlassungsfreiheit (Art 43 ff EGV/Art III-137 ff W E ) und vor der Kapitalverkehrsfreiheit (Art 56 ff EGV/Art III-156ff W E ) geregelt und weist insbesondere durch Art 55 EGV (Art III-150 W E ) , der einige Bestimmungen über die Niederlassungsfreiheit für anwendbar erklärt, inhaltliche Verflechtungen zur Niederlassungsfreiheit auf. Wie die Niederlassungsfreiheit setzt auch die Dienstleistungsfreiheit eine selbständige berufliche Betätigung in einem anderen Mitgliedstaat voraus und wirft daher ähnliche Probleme auf. Ebenso besitzt die Dienstleistungsfreiheit wegen ihrer produktbezogenen Aspekte wesentliche Anknüpfungspunkte zur Warenverkehrsfreiheit. 2. Struktur der Dienstleistungsfreiheit
im Gemeinschaftsrecht
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Die Art 49 bis 55 EGV (Art III-144 bis 150 W E ) enthalten zum einen die allgemeinen Regelungen für den freien Dienstleistungsverkehr, zum anderen aber auch Sondervorschriften wie zB Art 51 EGV (Art III-146 W E ) . Im Mittelpunkt stehen Art 49 und Art 50 EGV (Art III-144 und Art III-145 W E ) : Art 49 EGV (Art III-144 W E ) als Grundvorschrift, die grundsätzlich Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs für verboten erklärt, und Art 50 EGV (Art III-145 W E ) , der den Begriff der Dienstleistung zu definieren versucht. Art 51 I EGV (Art III-146 I W E ) weist Dienstleistungen im Bereich des Verkehrs der Verkehrspolitik zu und schränkt damit den Anwendungsbereich der Art 49 ff EGV (Art III-144ff W E ) ein. Für die Liberalisierung der Dienstleistungen von Banken und Versicherungen, die mit dem Kapitalverkehr verbunden sind, ordnet Art 51 II EGV (Art III-146 II W E ) eine Abstimmungspflicht mit den sekundärrechtlichen Vorschriften des Kapitalverkehrs an.2 Art 52 EGV (Art III-147 W E ) ermächtigt die Gemeinschaftsorgane zur Sekundärrechtsetzung. 3 Die Vorschrift des Art 53 EGV (Art III-148 W E ) , wonach die Mitgliedstaaten grundsätzlich auch zu weitergehender Liberalisierung bereit sind, hat nach Ablauf der Übergangszeit ihre normative Bedeutung verloren, wobei ihr auch vorher kaum praktische Bedeutung zukam. 4 Art 54 EGV (Art III-149 W E ) verpflichtet die Mitgliedstaaten, bis zur Aufhebung aller Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs alle Erbringer von grenzüberschreitenden Dienstleistungen untereinander gleich zu behandeln und war insofern als Übergangsregelung gedacht. 5 Mit Art 55 EGV (Art III-150 W E ) als Verweisungsnorm auf einige Vorschriften im Bereich der Niederlassungsfreiheit endet der Abschnitt über die Dienstleistungsfreiheit.
5
Die negative Definition der Dienstleistung in Art 50 I EGV (Art III-145 I W E ; „... soweit sie nicht den Vorschriften über den freien Waren- und Kapitalverkehr und über die Freizügigkeit der Personen unterliegen ...") verstärkte zunächst die Auffassung, die Dienstleistungsfreiheit sei lediglich eine „Auffangfreiheit". Obwohl die Dienstleistungs-
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Kluth in: Calliess/Ruffert Art 51 EGV Rn 2. Ausführlicher hierzu Rn 11 ff. Kluth in: Calliess/Ruffert Art 53 EGV; Holoubek in: Schwarze Art 53 EGV Rn 1-2. Streitig ist lediglich, ob diese Vorschrift inzwischen wegen der unmittelbaren Anwendbarkeit von Art 49 EGV (Art III-144 W E ) ihre selbständige Bedeutung verloren hat. Vgl hierzu Holoubek in: Schwarze Art 54 EGV Rn 1-2; Kluth in: Calliess/Ruffert Art 54 EGV Rn 1-2.
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Dienstleistungsfreiheit
freiheit heute gleichrangig neben den anderen Grundfreiheiten steht, halten Rechtsprechung und Literatur an diesem grundsätzlichen Konzept der „AufFangfreiheit" dennoch insofern fest, als im Einzelfall eine Abgrenzung zu den anderen Grundfreiheiten vorzunehmen ist und bei Vorliegen der einschlägigen Voraussetzungen vorrangig die speziellere Warenverkehrsfreiheit oder Niederlassungsfreiheit zur Anwendung kommt. 6 Auffallend ist, dass der Vertrag in den Art 49 fT EGV (Art III-144fr W E ) nicht ausdrücklich von der „Dienstleistungsfreiheit" spricht, sondern ausschließlich vom „freien Dienstleistung^verkehr". Dies könnte zu der Annahme verleiten, dass Art 49 EGV (Art III-144 W E ) möglicherweise nicht unmittelbar anwendbar ist, da er nicht ausdrücklich ein subjektives Recht enthält. Aufgrund der Rechtsprechung des EuGH besteht heute aber kein Zweifel, dass sich der Einzelne gegenüber mitgliedstaatlichen Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs unmittelbar auf Art 49 EGV (Art III-144 W E ) berufen kann. 7 Damit sind auch die mitgliedstaatlichen Gerichte und Verwaltungsbehörden an die durch Art 49 EGV (Art III-144 W E ) verbürgte Berechtigung des Einzelnen gebunden, so dass sie unzulässige mitgliedstaatliche Beschränkungen nicht anwenden dürfen. 8 Die Art 49 ff EGV (Art III-144 ff W E ) vermitteln ein Abwehrrecht, das dem Einzelnen ermöglichen soll, diskriminierende oder sonstige beschränkende mitgliedstaatliche Regelungen außer Anwendung zu setzen; aus ihnen folgt aber nicht automatisch ein individueller Zulassungsanspruch. 9 Mit der unmittelbaren Anwendbarkeit der Dienstleistungsfreiheit einher geht die sog Vorrangwirkung. 10 Dies bedeutet, dass der Dienstleistungsfreiheit als geltendem Gemeinschaftsrecht grundsätzlich keine mitgliedstaatlichen Vorschriften vorgehen können, und beinhaltet zugleich das Verbot für mitgliedstaatliche Gerichte oder Behörden, eine dem EGV entgegenstehende mitgliedstaatliche Vorschrift anzuwenden." 3. Dienstleistungsfreiheit
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außerhalb des EG- Vertrages
Im Vertrag zur Errichtung der Europäischen Atomgemeinschaft (EAG) sind einige Dienstleistungstatbestände besonders geregelt. Hervorzuheben ist hier zB Art 97 EAG, der ein Beschränkungsverbot für natürliche und juristische Personen enthält, die sich am Bau von Atomanlagen wissenschaftlicher oder gewerblicher Art in der Gemeinschaft beteiligen wollen. Ferner sind die Art 75, 98, 10 und 15 EAG zu nennen, die aus dem Anwendungsbereich der Art 49ff EGV (Art III-144ff W E ) herausfallen und gesonderten Regeln unterworfen sind.' 2 Die sog Europaabkommen mit verschiedenen Staaten des ehemaligen Ostblocks, in denen ausdrücklich die Möglichkeit eines Beitritts zur Gemeinschaft aufgeführt war, sahen im Kern die Errichtung einer Freihandelszone vor, die zunächst stufenweise ver-
6 Holoubek in: Schwarze Art 49 EGV Rn 12. 7 EuGH, Slg 1974, 1299, Rn 27 - van Binsbergen; die erste bedeutende Entscheidung des E u G H im Bereich des freien Dienstleistungsverkehrs, in der er die Dienstleistungsfreiheit für unmittelbar anwendbar erklärte. Allgemein zur unmittelbaren Anwendbarkeit der Grundfreiheiten —> § 7 Rn7. 8 Holoubek in: Schwarze Art 49 EGV Rn 5 m w N aus der Rspr; Kluth in: Calliess/Ruffert Art 50 EGV Rn 34. 9 Kluth in: Calliess/Ruffert Art 50 EGV Rn 34. 10 Näheres zur Vorrangwirkung der Grundfreiheiten —> § 7 Rn 9. 11 Grundlegend hierzu EuGH, Slg 1964, 1253fT- Costa. 12 Näher hierzu Troberg/Tiedje in: vd Groeben/Schwarze Vor Art 49-55 EGV Rn 33.
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wirklicht werden sollte. Im Ergebnis sollte diese Entwicklung dann aber zu einer vollständigen Liberalisierung des Handels mit der Gemeinschaft führen.13 Im Bereich der Freizügigkeit statuierten die Abkommen lediglich ein Diskriminierungsverbot mit beschränkten Erleichterungen beim Zugang zum europäischen Arbeitsmarkt.14 Nach dem nun erfolgten Beitritt der zehn ost- und mitteleuropäischen Staaten wurde der freie Dienstleistungsverkehr in vollem Umfang liberalisiert. Übergangsregelungen bestehen nur für das Baugewerbe und Teile des Handwerks, die an die sog 2 plus 3 plus 2 - Regelung der Arbeitnehmerfreizügigkeit gekoppelt sind. Diese Regelung sieht vor, dass die derzeitigen Mitgliedstaaten während einer Übergangszeit von zunächst zwei Jahren Maßnahmen treffen, um den Zugang zum Arbeitsmarkt für Staatsangehörige der mittel- und osteuropäischen Beitrittsländer abweichend von der Richtlinie über die Freizügigkeit von Arbeitnehmern innerhalb der Gemeinschaft zu regeln. Diese Maßnahmen können die Mitgliedstaaten - nach einer Überprüfung auf Basis eines Berichts der Kommission - um weitere drei Jahre, sowie danach im Falle schwerer Störungen des Arbeitsmarktes oder der Gefahr einer solchen Störung noch einmal um zwei Jahre verlängern.15 In ihrem räumlichen Anwendungsbereich über die Regelungen des EGV im Bereich des freien Dienstleistungsverkehrs hinaus gehen die Regelungen und Pflichten des OECDKodex zur „Liberalisierung laufender unsichtbarer Operationen." In diesem Kodex sind diverse Vorgänge des internationalen Handelsaustausches geregelt, die zum Teil dem Dienstleistungsbegriff des EGV unterfallen. Die in diesem Kodex statuierten Liberalisierungspflichten bleiben jedoch inhaltlich deutlich hinter den entsprechenden Vorgaben des EGV zurück.16 Auf völkerrechtlicher Ebene ist ferner das General Agreement on Trade in Services (GATS) zu erwähnen, das seit 1994 einen multilateralen, rechtlich durchsetzbaren Rahmen für den internationalen Dienstleistungshandel etabliert. Zu einer Kollision mit dem Gemeinschaftsrecht kommt es im Bereich des freien Dienstleistungsverkehrs aber insofern nicht, als der Gewährleistungsinhalt des GATS nicht über den der Art 49 ff EGV (Art III144ff W E ) hinausgeht.17 4. Liberalisierung des Dienstleistungsverkehrs durch Sekundärrecht
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Art 521 EGV (Art III-1471 W E ) bildet die zentrale Vorschrift im Bereich der Liberalisierung des Dienstleistungsverkehrs durch Sekundärrecht. Er ist zugleich Ermächtigungsnorm für die zur Liberalisierung erforderlichen Rechtsangleichungsmaßnahmen, normiert inhaltliche Vorgaben für die Rechtsangleichung und regelt schließlich partiell das dabei einzuhaltende Verfahren.18 Damit stellt das Sekundärrecht neben der Gewährleistung eines Mindeststandards im Bereich der Dienstleistungsfreiheit durch seine unmittelbare Anwendbarkeit ein weiteres wesentliches Instrument zur Verwirklichung dieser Grundfreiheit dar. Die Rechtsetzungsermächtigung des Art 52 I EGV (Art III-147 I W E ) , der dem Rat den Erlass einzelner Richtlinien erlaubt, ersetzt den früheren Art 63 I EGV, der den 13 Vgl hierzu insg näher Hermfeld in: Schwarze Art 310 EGV Rn 10. 14 Ausführlicher hierzu und mwN Schmalenbach in: Calliess/Ruffert Art 310 EGV Rn 38. 15 ABl 2003 Nr L 236/803; zu den Problemen aufgrund der Liberalisierung der Dienstleistungsfreiheit insb im Baugewerbe durch die Erweiterung um die MOE-Staaten Pechstein EuZW 2004, 167. 16 Näher hierzu Troberg/Tiedje in: vd Groeben/Schwarze Vor Art 49-55 EGV Rn 35. 17 Eine Auflistung der Pflichten aus diesem Rahmenabkommen bieten Weiß!Hermann Welthandelsrecht, 2003, S 355 ff. 18 Kluth in: Calliess/Ruffert Art 52 EGV Rn 3.
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Dienstleistungsfreiheit
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Rat ermächtigte, ein allgemeines Programm zur Aufhebung der Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs in der Gemeinschaft aufzustellen. 19 Sowohl auf der Grundlage des Art 52 I EGV (Art III-147 I W E ) als auch auf der Grundlage des Art 47 iVm Art 55 EGV (Art III-141 iVm Art III-150 W E ) sind inzwischen zahlreiche Richtlinien für die verschiedenen Gewerbezweige und freien Berufe erlassen worden. 20 Ein Großteil dieser Richtlinien dient gleichzeitig der Aufhebung der Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs. Als exemplarisch wichtiger Bereich sekundärrechtlicher Liberalisierung des freien Dienstleistungsverkehrs hervorzuheben ist zum einen die sog Rechtsanwaltsrichtlinie aus dem Jahr 1977 zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung der Dienstleistungsfreiheit. 21 Sie ermöglichte Anwälten aus anderen Mitgliedstaaten die Erbringung von anwaltlichen Dienstleistungen im Aufnahmestaat, gab aber explizit kein Recht zur Niederlassung dieser Anwälte im Aufnahmestaat. 22 Zum anderen sei an dieser Stelle die sog Fernsehrichtlinie erwähnt, die hinsichtlich der Werbung, des Schutzes von Jugendlichen und der Verwendung in Europa hergestellter Werke Mindestanforderungen aufstellt, die von allen Mitgliedstaaten bei der Ausstrahlung von Fernsehsendungen zu beachten sind.23 Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang auch die Richtlinie über die Entsendung von Arbeitnehmern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen (Entsenderichtlinie). Sie stellt Mindestschutzbestimmungen für Arbeitnehmer auf, die von ihrem Arbeitgeber zur Erbringung von Dienstleistungen in einen anderen Mitgliedstaat entsandt werden, unabhängig davon, welchem Recht ihr Arbeitsverhältnis unterworfen ist.24 Sie hat zum Ziel, einen fairen Wettbewerb im länderübergreifenden Dienstleistungsverkehr zu gewährleisten sowie den Arbeitnehmerschutz zu verbessern und Rechtssicherheit herbeizuführen. 5. Neue Binnenmarktstrategie
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der Kommission vom Januar 2001
Im Januar 2001 hat die Europäische Kommission für den Bereich der Dienstleistungen eine neue Strategie vorgelegt, um die noch verbliebenen Schranken im freien Dienstleistungsverkehr zu beseitigen.25 Diese Strategie sollte insgesamt das Funktionieren des Binnenmarktes innerhalb der EG verbessern und sicherstellen, dass Dienstleistungserbringer in der Gemeinschaft genauso einfach tätig werden können wie in einem einzelnen Mitgliedstaat. Bereits 1999 hat der Europäische Rat in Lissabon gefordert, die EU innerhalb von 10 Jahren zum „wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschafts19 Näher zur historischen Entwicklung im Bereich der Dienstleistungsfreiheit und zum Wandel der Liberalisierungskonzeption Kluth in: Calliess/Ruffert Art 52 EGV Rn 7 ff. 20 Eine Überblick über die wichtigsten Sekundärrechtsakte der letzten Jahre findet sich bei Kluth in: Calliess/Ruffert Art 52 Rn 14ff. Für einen Überblick über den neuesten Stand des Sekundärrechts empfiehlt sich die Datenbank CELEX, zu finden unter www.europa.eu.int/celex. 21 R L 77/249, ABl 1977 Nr L 078/17. 22 Inzwischen hat der Rat aber eine Anwaltsniederlassungsrichtlinie erlassen, die es Rechtsanwälten ermöglicht, den Anwaltsberuf ständig in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Qualifikation erworben wurde, auszuüben; vgl R L 98/5, ABl 1998 Nr L 077/36. Neben diesen beiden Richtlinien ist eine umfangreiche Rechtsprechung des E u G H in diesem Bereich ergangen. Näher hierzu und zur Berücksichtigung der Rechte europäischer Anwälte im Rahmen der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit auch Clausnitzer ZAP Fach 25, 97-114 (2000). 23 R L 89/552, ABl 1989 Nr L 331/51; Kluth in: Calliess/Ruffert Art 52 EGV Rn 32 mwN. 24 R L 96/71, ABl 1997 Nr L 018, 1-6. 25 Vgl KOM (2000) 888 endg ν 29.12.2000 - Eine Binnenmarktstrategie für den Dienstleistungssektor; auch zu finden unter http://www.europa.eu.int/comm/internal_market/de/sevices.htm.
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räum der Welt" zu machen. Internet und andere Elemente der Informationsgesellschaft haben dem Dienstleistungssektor eine neue Dynamik verliehen, weil sie die Kosten für die Beschaffung und Übermittlung von Informationen gesenkt und die Verbreitung von Innovationen über nationale Grenzen hinweg beschleunigt haben. Dadurch hat sich das Potential für die grenzüberschreitende Nachfrage und Erbringung von Dienstleistungen im Binnenmarkt gewaltig erhöht. Nachdem die Dienstleistungen bisher auf einer sektorbezogenen Grundlage behandelt worden sind, die zu einer Überbetonung branchenspezifischer Details geführt hat, ist nun ein neuer Ansatz entwickelt worden: Statt der traditionellen Unterteilung in verschiedene Wirtschaftszweige soll nunmehr ein umfassender und bereichsübergreifender Ansatz verfolgt werden, gezielt Anforderungen zu harmonisieren, die mehrere Sektoren betreffen, also zB Vorschriften über Werbe-, Vertriebs- und Verkaufstätigkeiten sowie Kundendienst. Neben einer umfassenden und systematischen Aufstellung und Untersuchung der noch bestehenden Schranken und der Aufforderung an die Mitgliedstaaten, diese Hemmnisse zu beseitigen, wird die Kommission gezielt harmonisierte Regelungen vorschlagen für Anforderungen, die mehrere Sektoren betreffen. Die neue Strategie soll so einen neuen Rahmen für die Dienstleistungspolitik liefern, der, wo erforderlich, die Einführung gemeinsamer Rechtsvorschriften ermöglicht und gleichzeitig so flexibel ist, dass sich neue, innovative Dienstleistungen im Binnenmarkt uneingeschränkt entwickeln können. Die Strategie führte im Juli 2002 zu einem umfassenden Bericht der Kommission, der insbesondere die in den Mitgliedstaaten noch bestehenden komplexen Regeln für den Dienstleistungssektor behandelt und die Gefahr der Verdopplung von Vorschriften und Anforderungen bemängelt. Der Bericht macht außerdem deutlich, dass der Dienstleistungsverkehr sehr viel stärker von Behinderungen des Binnenmarktes betroffen ist als der Warenhandel, da viele Dienstleistungen komplex und immateriell sind und auf der Qualifikation des Dienstleistungserbringers basieren.26 Auf der Grundlage dieses Berichtes erarbeitete die Kommission einen Richtlinienvorschlag, der im Wesentlichen die allgemeine Geltung des Herkunftslandprinzips fordert, weitere Bereiche wie etwa Fragen des Verbraucherschutzes harmonisieren und die Überwachungsaufgaben zwischen Herkunftund Aufnahmestaat sinnvoll aufteilen will. Des Weiteren soll durch die Ausarbeitung von Qualitätssicherungssystemen die Qualität der Dienstleistungen verbessert werden.27
Π. Schutzbereich 1. Räumlicher
Schutzbereich
Der räumliche Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit umfasst nach Art 299 I EGV (Art IV-440 W E ) , der den räumlichen Geltungsbereich des Gemeinschaftsrechts regelt, grundsätzlich das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten. Gemäß Art 299 II EGV (Art IV-440 II, III W E ) erstreckt sich der Anwendungsbereich auch auf Algerien und die überseeischen Gebiete. Mit gewissen Vorbehalten ist die Dienstleistungsfreiheit nach dem EWR-Vertrag auch im Verhältnis der EWR-Staaten untereinander anwendbar, da sie in den Art 36 bis 39 EWR-Vertrag mit nahezu identischem Inhalt wie im EGV gewährleistet wird.28
26 KOM (2002) 441 endg ν 30.7.2002. 27 KOM (2004) 2 ν 13.01.2004; vgl hierzu nun auch die Klarstellungen der Kommission über Dienstleistungen im Binnenmarkt EuZW 2002,418. 28 Vgl hierzu Holoubek in: Schwarze Art 49 EGV Rn 36.
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Dienstleistungsfreiheit 2. Personeller
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Schutzbereich
Vom personellen Schutzbereich des Art 49 EGV (Art III-144 W E ) umfasst sind zunächst Angehörige der Mitgliedstaaten, wobei der Wortlaut des Art 49 EGV (Art III-144 W E ) ausdrücklich auf die Dienstleistungserbringer abstellt. Erfasst werden ebenso die Dienstleistungsempfänger, die sich zum Zweck der Inanspruchnahme einer Dienstleistung in einen anderen Mitgliedstaat begeben.29 Im Unterschied zur Arbeitnehmerfreizügigkeit und zur Niederlassungsfreiheit ist bei der Dienstleistungsfreiheit im Rahmen des personellen Schutzbereichs nicht allein auf die Staatsangehörigkeit des Dienstleistungserbringers bzw -empfängers abzustellen, sondern zusätzlich auch auf die Ansässigkeit in einem Mitgliedstaat. Dies bedeutet, dass der Schutzbereich nur dann eröffnet ist, wenn beide am Dienstleistungsaustausch beteiligten Personen in einem Mitgliedstaat ansässig sind.30 Dabei ist zu beachten, dass die beteiligten Personen in unterschiedlichen Mitgliedstaaten ansässig sind oder ein grenzüberschreitendes Element in dem Sinne gegeben ist, dass Dienstleistungserbringer und Dienstleistungsempfänger zwar im selben Mitgliedstaat ansässig sind, sich aber zur Dienstleistungserbringung in einem anderen Mitgliedstaat treffen.31 Die Tatsache, dass beide Personen die gleiche Staatsangehörigkeit besitzen, steht der Anwendung der Dienstleistungsfreiheit nicht entgegen. In den Schutzbereich fallen auch die Familienangehörigen desjenigen, der sich auf die Dienstleistungsfreiheit berufen kann. Sie besitzen abgeleitete Rechte auf Einreise und Aufenthalt für die Dauer der Dienstleistung in den Mitgliedstaat, in dem die Dienstleistung erbracht wird. Angesichts des allgemeinen Aufenthaltsrechts für Unionsbürger aus Art 18 EGV (Art 1-10 W E ) und des Sekundärrechts (insbesondere Richtlinien 90/364 EWG; 73/148 EWG) hat diese Tatsache jedoch keine praktische Bedeutung mehr.
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Zwei Drittstaatsangehörige, die in unterschiedlichen Mitgliedstaaten ansässig sind, können sich grundsätzlich nicht auf Art 49 EGV (Art III-144 W E ) berufen, da keiner von ihnen Träger der Dienstleistungsfreiheit sein kann. 32 Gemäß Art 49 II EGV (Art III144 II W E ) hat der Rat aber die Befugnis zu beschließen, dass Art 49 EGV (Art III-144 W E ) auch auf Erbringer von Dienstleistungen Anwendung findet, die die Staatsangehörigkeit eines dritten Landes besitzen und innerhalb der Gemeinschaft ansässig sind. Von dieser Möglichkeit wurde bisher noch nicht Gebrauch gemacht. 33 Problematisch bleibt die Konstellation, bei der an einem Dienstleistungsaustausch ein Unionsbürger und ein Drittstaatsangehöriger beteiligt sind, die beide in unterschiedlichen Mitgliedstaaten ansässig sind. Die Behandlung dieser Fallgruppe ist strittig.34
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29 Vgl Randelzhoferl Forsthoff in·. Grabitz/Hilf Art 49/50 EGV Rn 15; Holoubek in: Schwarze Art 49 EGV Rn 29 ff. 30 Kluth in: Calliess/Ruffert Art 50 EGV Rn 31; RandelzhoferlForsthoff in: Grabitz/Hilf Art 49/50 EGV Rn 16/18. 31 So etwa in den sog Fremdenführerfallen vgl hierzu Fn 78. 32 Randelzhoferl Forsthoff in·. Grabitz/Hilf Art 49/50 EGV Rn 16. 33 Die Kommission hat hierzu einen Richtlinienvorschlag unterbreitet, der die Dienstleistungsfreiheit auf in der Gemeinschaft ansässige Drittstaatsangehörige ausdehnen soll, vgl ABl 1999 C 76/17. 34 Auf diese Fallgruppe wird näher eingegangen im Rahmen der Abgrenzung von aktiver zu passiver Dienstleistungsfreiheit; im Folgenden Rn 25 ff.
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Unionsbürgern gleichgestellt sind gemäß Art 55 iVm Art 48 EGV (Art III-150 iVm ArtIII 142 W E ) Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Gemeinschaft haben, sowie deren Beschäftigte.35 3. Sachlicher Schutzbereich
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Eine präzise Definition der Dienstleistung findet sich weder in Art 49 EGV (Art III-144 W E ) noch in Art 50 EGV (Art III-145 W E ) . Aufgrund der zu diesen Artikeln ergangenen Rechtsprechung des EuGH und der Auslegung der Art 50 EGV (Art III-145 W E ) (insbesondere Leistungsbegriff, Entgeltlichkeit, Unkörperlichkeit und vorübergehender Charakter der Dienstleistung) und Art 49 EGV (Art III-144 W E ) (Grenzüberschreitung der Leistung) lassen sich aber bestimmte Kriterien feststellen, die für die Einordnung eines wirtschaftlichen Vorgangs als Dienstleistung iSd Dienstleistungsfreiheit relevant sind. a) Definition der Dienstleistung gemäß Art 50 EGV (Art III-145 W E )
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Merkmale der Dienstleistungsfreiheit werden in allen drei Absätzen des Art 50 EGV (Art III-145 W E ) genannt. Abs 1 beschreibt die Dienstleistung als entgeltliche Tätigkeit und scheidet negativ all die Leistungen aus dem Dienstleistungsbegriff aus, die den Vorschriften über den freien Waren- und Kapitalverkehr und über die Freizügigkeit der Personen unterliegen.36 Abs 2 zählt als Dienstleistungen gewerbliche Tätigkeiten (zB Baugewerbe, Reiseveranstaltung, Filmwesen), kaufmännische Tätigkeiten (zB Bank- und Börsenwesen, Versicherungen), handwerkliche Tätigkeiten (zB Friseure, sanitäre Dienste) und freiberufliche Tätigkeiten (zB Ärzte, Architekten, Rechtsanwälte) auf, wobei diese Aufzählung nicht abschließend ist. In Abs 3 kommt weiter zum Ausdruck, dass es sich bei der Dienstleistung auch um eine nur vorübergehende Tätigkeit handeln darf. Dieser wenig aussagekräftigen Zusammenstellung kann bereits entnommen werden, dass sich aus dem EGV keine griffige Definition des Begriffes der Dienstleistung ableiten lässt.37 Erstes Charakteristikum einer Dienstleistung ist gemäß Art 50 I EGV (Art III-145 I W E ) ihre Entgeltlichkeit. Diese ist anzunehmen, wenn es sich um eine Leistung handelt, die „in der Regel gegen Entgelt" erbracht wird. Entgelt ist hierbei zu verstehen als eine geldwerte Gegenleistung für die ursprünglich erbrachte Leistung. Nicht erforderlich ist, dass der Leistungsempfänger selbst die Gegenleistung erbringt, allerdings wird ein gewisses Maß an Stoffgleichheit zwischen Dienstleistung und Entgelt bzw ein gewisses Näheverhältnis zwischen Dienstleistungserbringer, -empfänger und demjenigen, der die Gegenleistung erbringt, vorausgesetzt.38 Keine Entgeltlichkeit liegt vor, wenn die Leistung im Wesentlichen aus öffentlichen Mitteln finanziert und ohne geldwerte Gegenleistung erbracht wird.39 Dass Dienstleistungen „in der Regel gegen Entgelt" erbracht werden, be-
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EuGH, Slg 1990,1-1417 ff - Rush Portugesa; Müller-Graff in: Streinz Art 49 Rn 56. Zur Abgrenzung der Dienstleistungsfreiheit von den übrigen Grundfreiheiten siehe Rn 34 ff. So Randelzhoferl Forsthoff im Grabitz/Hilf Art 49/50 EGV Rn 24. EuGH, Slg 1988, 2085, Rn 16 - Bond van Adverteerders, wonach ein Kabelnetzbetreiber ua den Programm-Produzenten Dienste leistet, während sein Entgelt aus den Gebühren der Teilnehmer und aus Werbeeinnahmen besteht; Slg 1998, 1-1931 - Kohll, wonach auch bei Versicherungsleistungen eine Entgeltlichkeit der Leistung für den Versicherungsnehmer vorliegt; vgl auch RandelzhoferlForsthoff in: Grabitz/Hilf Art 49/59 EGV Rn 36; Hakenberg in: Lenz Art 49/50 EGV Rn 13. 39 EuGH, Slg 1988, 5365, Rn 18 - Humbel. Hierzu mwN Holoubek in: Schwarze Art 50 EGV Rn 8.
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deutet, dass die Person oder der Betrieb, der sie erbringt, damit einen Erwerbszweck verfolgt. Dies bedeutet wiederum, dass der angestrebte wirtschaftliche Erfolg ausschlaggebend ist, wobei eine auf Kostendeckung ausgerichtete Tätigkeit ohne Gewinnerzielungsabsicht ausreicht. 40 Zusammenfassend kann man daher sagen, dass Dienstleistungen dann vom Anwendungsbereich des Art 50 EGV (Art III-145 W E ) erfasst sind, wenn man sie dem Wirtschaftsleben, auf das Art 2 EGV (Art 1-2, 1-3 W E ) Bezug nimmt, zurechnen kann. Hierunter können auch Tätigkeiten geringer wirtschaftlicher Bedeutung fallen, wenn gleichwohl der Hauptzweck - der Erwerbszweck - gegeben ist.4' Wenn damit der angestrebte wirtschaftliche Erfolg ausschlaggebend ist, kann der Leistungsinhalt - ob er nun wirtschaftlicher Natur oder sozialer, karitativer oder religiöser Natur ist - unbeachtet bleiben. 42 Zu beachten ist ferner, dass die wirtschaftliche Tätigkeit nicht notwendigerweise den von Art 50 II EGV (Art III-145 II W E ) genannten traditionellen Kategorien der gewerblichen, kaufmännischen, handwerklichen und freiberuflichen Tätigkeit unterfallen muss. Inzwischen können viele moderne Tätigkeiten wie bspw Rundfunk- und Medientätigkeiten, Telekommunikationsdienste und Immobiliengeschäfte als Dienstleistungen eingestuft werden. 43 Auch im Bereich des öffentlichen Auftragswesens ist die Dienstleistungsfreiheit anwendbar, wobei sich der EuGH hier vielfach mit der Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit durch die Bevorzugung nationaler Anbieter befasst hat. 44 Bietet der Staat selbst Leistungen an, ist danach zu differenzieren, ob er unternehmerähnlich am Wirtschaftsleben teilnimmt oder ob er durch öffentliche Abgaben finanzierte Aufgaben der Daseinsvorsorge erfüllt. 45 Zur Definition der Dienstleistung gehört ferner das Kriterium der Selbständigkeit. Die Art 49 ff EGV (Art III-144 ff W E ) erfassen nur jene Leistungen, die selbständig erbracht werden; das Kriterium der Selbständigkeit dient folglich der Abgrenzung gegenüber der Arbeitnehmerfreizügigkeit. 46 Ein weiteres wesentliches Kriterium der Dienstleistungsfreiheit liegt darin, dass es sich um eine nicht-körperliche Leistung handeln muss. Dieses Kriterium dient der Abgrenzung zur Warenverkehrsfreiheit und wird an anderer Stelle ausführlicher behandelt. 47 Schließlich findet sich in Art 50 III EGV (Art III-145 III W E ) der Hinweis darauf, dass sich der Dienstleistungserbringer nur vorübergehend zwecks der Erbringung seiner Leistung in einem anderen Mitgliedstaat aufhalten darf; es darf daher keine wirtschaftliche Integration in diesem Mitgliedstaat erfolgen. Durch dieses Kriterium unterscheiden
40 Müller-Graff'm: Streinz Art 49 Rn 21. 41 EuGH, Slg 1989,4441 ff - Corsica Ferries. 42 Als Bsp für eine Dienstleistung, die ausschließlich aus sozialen bzw politischen Motiven erbracht wird, vgl insb EuGH, Slg 1991, I-4685ff - Grogan, in dem Dritte über die Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen informiert hatten, ohne dass ein wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen dem Informierenden und dem die Tätigkeit durchführenden Dritten bestand. Ausführlich hierzu Trautwein JuS 1995, 908 ff. 43 Ein Überblick über solche von der Rspr als Dienstleistungen qualifizierte Tätigkeiten bietet Hakenberg in: Lenz Art 49/50 EGV Rn 9-11. 44 Im Einzelnen unterfallen dem Dienstleistungssektor in diesem Bereich verschiedene Richtlinien wie bspw die Baukoordinierungsrichtlinie. Einen Überblick hierzu gibt Hakenberg in: Lenz Anh zu Art 43-55 EGV Rn 14. 45 Kluth in: Calliess/Ruffert Art 50 Rn 12. 46 Näher zur Abgrenzung der Dienstleistungsfreiheit zur Arbeitnehmerfreizügigkeit Rn 35. 47 Näher zur Abgrenzung der Dienstleistungsfreiheit zur Warenverkehrsfreiheit Rn 37.
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sich die Dienstleistungs- und die Niederlassungsfreiheit, wobei auch dieses Abgrenzungsproblem an anderer Stelle erörtert wird.48 b) Grenzüberschreitender Vorgang 25
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Fall 1: (EuGH, Slg 1984, 377 ff - Luisi und Carbone) Die italienischen Staatsangehörigen Luisi und Carbone mit Wohnsitz in Italien hatten eine größere Menge nicht-italienischer Devisen erworben, um damit Auslandsreisen innerhalb der EG und medizinische Behandlungen außerhalb Italiens zu bezahlen. Insbesondere Frau Luisi hatte sich mehrfach in Deutschland medizinischen Behandlungen unterzogen. Nach den seinerzeit geltenden italienischen Rechtsvorschriften war die Ausfuhr ausländischer Devisen aber nur bis zu einer bestimmten Höhe erlaubt. Da Luisi und Carbone bei mehreren Banken mehr als die zulässige Summe umgetauscht hatten, wurden ihnen durch Bescheide des Schatzministeriums auf der Grundlage der italienischen Rechtsvorschriften Geldbußen auferlegt. Hiergegen erhoben Luisi und Carbone Klage und machten geltend, dass die betreffenden Vorschriften ua gegen Art 49ff EGV (Art III-144ff W E ) verstießen. Sind die italienischen Rechtsvorschriften mit dem freien Dienstleistungsverkehr vereinbar? Der sachliche Schutzbereich der Dienstleistungsfreiheit nach Art 49ff EGV (Art III-144ff W E ) ist nur dann eröffnet, wenn zusätzlich zu den oben dargestellten Kriterien des Art 50 EGV (Art III-145 W E ) ein grenzüberschreitendes Element hinzukommt. Der grenzüberschreitende Dienstleistungsverkehr kann sich in folgenden drei Konstellationen vollziehen: Art 49 EGV (Art III-144 W E ) erfasst von seinem Wortlaut her zunächst den „klassischen" Fall grenzüberschreitender Dienstleistungserbringung, in dem der Dienstleistungserbringer vorübergehend die Grenze überschreitet, um in einem anderen Mitgliedstaat seine Dienstleistung zu erbringen. Typisches Beispiel ist ein Architekt, der in einem anderen Mitgliedstaat ein Projekt erstellt und hierzu die Grenzen überschreitet. Für diesen Fall enthält Art 50 III EGV (Art III-145 III W E ) die ausdrückliche Gewährleistung, dass der Dienstleister zwecks Erbringung seiner Leistungen seine Tätigkeit unter den Voraussetzungen, die dieser Staat für seine eigenen Angehörigen vorschreibt, in dem Staat ausüben kann, in dem die Leistung erbracht wird. Diese Konstellation der Dienstleistungsfreiheit wird aktive Dienstleistungsfreiheit (Dienstleistungserbringungsfreiheit) genannt. Vom Zweck, nicht aber vom genauen Wortlaut der Art 49 ff EGV (Art III-144 ff W E ) umfasst ist auch der Fall, dass statt des Dienstleistungserbringers der Dienstleistungsempfänger vorübergehend die Grenze überschreitet, um sich in einem anderen Mitgliedstaat die Leistung anbieten oder erbringen zu lassen. Der EuGH hat zu Recht die Dienstleistungsfreiheit rechtsfortbildend um diese passive Dienstleistungsfreiheit (Dienstleistungsempfangsfreiheit) ergänzt.49 Eine typische Fallvariante dieser Dienstleistungsfreiheit sind touristische Aufenthalte, bei denen sich der Dienstleistungsempfänger in einen anderen Mitgliedstaat begibt, um dort touristische Leistungen wie Museumsbesuche uä zu empfangen. Anzumerken ist, dass aus der passiven Dienstleistungsfreiheit kein Recht auf unbegrenzten Aufenthalt im Aufnahmestaat abgeleitet werden kann.50
48 Näher zur Abgrenzung der Dienstleistungsfreiheit zur Niederlassungsfreiheit Rn 34. 49 Vgl mwN und Bsp aus der Rspr Randelzhoferl Forsthoff in: Grabitz/Hilf Art 49/50 EGV Rn 43; Holoubek in: Schwarze Art 49 EGV Rn 50-51. 50 EuGH, Slg 1988, 6159 ff - Steymann.
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Neben diesen zwei Fallkonstellationen, in denen die beteiligten Personen im Vordergrund stehen, gibt es eine dritte Konstellation, bei der lediglich die Dienstleistung als solche die Grenze überschreitet, während die in unterschiedlichen Mitgliedstaaten ansässigen Dienstleistungsempfänger und -erbringer keine Ortsveränderung vornehmen. Diese Variante der Dienstleistungsfreiheit wird Korrespondenzdienstleistungsfreiheit genannt. Ein typisches Beispiel hierfür sind Bank- und Versicherungsdienstleistungen. Gerade diese Korrespondenzdienstleistungen treten in jüngerer Zeit zB im Zuge der Entwicklung der Telekommunikationsmöglichkeiten in den Mittelpunkt der Problematik des freien Dienstleistungsverkehrs.51 Wenn eine der beteiligten Personen Drittstaatsangehöriger ist, ist streitig, ob der Schutzbereich der Dienstleistungsfreiheit eröffnet ist. Teilweise wird vertreten, dass die Dienstleistungsfreiheit auch dann einschlägig ist, wenn eine der an dem Dienstleistungsaustausch beteiligten Personen Angehöriger eines Drittstaates ist.52 Nach der in der Literatur herrschenden Meinung soll dies bei der aktiven Dienstleistungsfreiheit nur der Fall sein, wenn der Dienstleistungserbringer gegenüber einem Drittstaatsangehörigen tätig wird, bei der passiven Dienstleistungsfreiheit nur dann, wenn der Dienstleistungsempfänger zu dem drittstaatsangehörigen Dienstleistungserbringer kommt. 53 In diesem Zusammenhang ist ferner zu erwähnen, dass wegen des grenzüberschreitenden und verkehrsbezogenen Ansatzes der Dienstleistungsfreiheit auch alle Formen der Vertragsanbahnung, Werbung und Verkaufsförderung in den Anwendungsbereich des Art 49 EGV (Art III-144 W E ) fallen. Der E u G H hat darauf hingewiesen, dass der freie Dienstleistungsverkehr illusorisch würde, wenn bspw nationale Regelungen schon das Anbieten von Dienstleistungen nach Belieben behindern könnten. 54 Lösung Fall 1: Fraglich war, ob die italienischen Rechtsvorschriften mit den Art 49 ff EGV (Art III-14 ff W E ) vereinbar sind. Dafür müsste zunächst der Schutzbereich des Art 49 EGV (Art III-144 W E ) eröffnet sein. Sowohl der räumliche als auch der personelle Schutzbereich sind eröffnet, da sich der Sachverhalt in Italien und Deutschland abspielt und Frau Luisi auch in einem Mitgliedstaat, nämlich in Italien, ansässig ist. Bei den von L in Deutschland in Anspruch genommenen medizinischen Leistungen handelt es sich auch um Dienstleistungen, da sie selbständig erbracht werden und entgeltlich sind. Frau Luisi müsste aber auch Berechtigte sein. Sie begibt sich ja nicht zum Zweck der Leistungserbringung nach Deutschland, sondern zum Empfang der Dienstleistung. Obwohl der Wortlaut der Art 49 und 50 EGV (Art III-144 und III-145 W E ) nur die aktive Dienstleistungsfreiheit umfasst, hat der EuGH in diesem Urteil festgestellt, dass der vorliegende Fall (wenn sich der Leistungsempfänger in einen Mitgliedstaat begibt, um dort eine Leistung zu empfangen) die notwendige Ergänzung zur aktiven Dienstleistungsfreiheit darstellt, die dem Ziel entspricht, jede gegen Entgelt geleistete Tätigkeit, die nicht unter den freien Waren- und Kapitalverkehr und unter die Freizügigkeit der Personen fallt, zu liberalisieren. Daraus folge, dass der freie Dienstleistungsverkehr die Freiheit der Leistungsempfänger einschließt, sich zur Inanspruchnahme einer Dienstleistung in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben, ohne durch Beschränkun-
51 Weiterführend hier Holoubek in: Schwarze Art 49 EGV Rn 52-55; Randelzhoferl Forsthoff in: Grabitz/Hilf Art 49/50 EGV Rn 44-48. 52 Randelzhoferl Forsthoff in: Grabitz/Hilf Art 49/50 EGV Rn 16. 53 Holoubek in: Schwarze Art 49 EGV Rn 25 mwN. 54 EuGH, Slg 1995,1-1141, Rn 19 - Alpine Investments.
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gen - auch im Hinblick auf Zahlungen - daran gehindert zu werden und dass Touristen sowie Personen, die eine medizinische Behandlung in Anspruch nehmen, und solche, die Studien- oder Geschäftsreisen unternehmen, als Empfänger von Dienstleistungen anzusehen sind.55 Für Frau Luisi bedeutet dies, dass für sie der Schutzbereich der Dienstleistungsfreiheit in Ausprägung der passiven Dienstleistungsfreiheit eröffnet ist und sie sich daher auf die Art 49 fT EGV (Art III-144 fT W E ) berufen kann. c) Bereichsausnahme 33
Aufgrund der Verweisung des Art 55 EGV auf Art 45 EGV (Art III-150 auf Art III-139 W E ) findet die Dienstleistungsfreiheit auf Tätigkeiten, die in einem Mitgliedstaat dauernd oder zeitweise mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind, in diesem Mitgliedstaat keine Anwendung. Art 45 EGV (Art III-139 W E ) ist kein Rechtfertigungsgrund, sondern eine Bereichsausnahme und daher bereits im Schutzbereich der Dienstleistungsfreiheit zu prüfen. Die Tätigkeiten, die unter diese Ausnahme fallen, müssen eine unmittelbare und spezifische Teilnahme an der Ausübung öffentlicher Gewalt beinhalten.56 Für den Dienstleistungsbereich ist insbesondere von Bedeutung, dass sich dieser Vorbehalt nicht auf Tätigkeiten rein technischer Natur erstreckt, also zB nicht Planungsarbeiten, Softwareerstellung oder die Verwaltung von Datenverarbeitungssystemen für öffentliche Behörden erfasst.57 d) Abgrenzung zu den anderen Grundfreiheiten
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Wie oben bereits kurz erwähnt, ist das Kriterium des vorübergehenden Aufenthalts für die Abgrenzung der Dienstleistungsfreiheit von der Niederlassungsfreiheit (Art 43 ff EGV/ Art III-137 ff W E ) ausschlaggebend. Grundsätzlich ist der vorübergehende Charakter einer Tätigkeit nicht nur unter Berücksichtigung der Dauer der Leistung, sondern auch ihrer Häufigkeit, regelmäßigen Wiederkehr oder Kontinuität zu beurteilen. Wer also seine Tätigkeit in diesem Sinne nicht nur vorübergehend in einem anderen Mitgliedstaat ausübt, sondern in stabiler und kontinuierlicher Weise dort einer Berufstätigkeit nachgeht, unterfallt den Vorschriften über die Niederlassungsfreiheit.58 Wenn sich der Dienstleistungserbringer in dem anderen Mitgliedstaat eine bestimmte Infrastruktur aufgebaut hat (zB die Anmietung von Büroräumen), spricht dies nicht zwingend gegen den vorübergehenden Charakter der Leistung, wenn sie für die Erbringung der Dienstleistung erforderlich ist. Bei der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Erfordernisses der Eintragung einer über mehrere Jahre in Deutschland tätigen portugiesischen Firma in die deutsche Handwerksrolle hatte der EuGH die Vorschriften über die Dienstleistungsfreiheit angewendet, obwohl sich die Tätigkeit über mehrere Jahre erstreckt hat und möglicherweise eine gewisse Infrastruktur vorhanden war.59 Nach der jüngeren Rechtsprechung des EuGH wurde der 55 56 57 58 59
EuGH, Slg 1984, 377, Rn 16 - Luisi und Carbone. EuGH, Slg 1989, 4035, Rn 13 - EDV-Systeme. Vgl Holoubek in: Schwarze Art 55 EGV Rn 2. Holoubek in: Schwarze Art 50 EGV Rn 12 und insb EuGH, Slg 1995,1-4165, Rn 27 - Gebhard. Vgl EuGH, U ν 11.12.2003 - Rs C-215/01 = EuZW 2004, 95, Rn 28. Allerdings sei es Sache des nationalen Gerichts, zu überprüfen, ob das ausländische Unternehmen in Deutschland eine solche Infrastruktur unterhalte, dass es dort als niedergelassen angesehen werden könnte (Rn 33). Insoweit ließ es der EuGH offen, welche Infrastruktur das portugiesische Unternehmen möglicherweise unterhielt.
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Begriff der Dienstleistungsfreiheit auch in zeitlicher Hinsicht noch ausgedehnt, da eine solche nunmehr auch vorliegen könne, wenn die Leistung über einen längeren Zeitraum, bis hin zu mehreren Jahren erbracht wird, zB wenn es sich um Dienstleistungen handelt, die im Rahmen eines Großbauprojektes erbracht werden. 60 Die Abgrenzung ist also trotz des scheinbar klaren Unterscheidungsmerkmals des zeitlichen Momentes nicht immer eindeutig, wie zB im Falle ständig wiederholter, kurzfristiger Tätigkeiten über die Grenze hinweg oder dann, wenn ein Geschäftsbetrieb von vornherein darauf ausgerichtet ist, Leistungen in einem anderen Mitgliedstaat als dem der Niederlassung zu erbringen. 61 Zudem ist bei Beginn einer Tätigkeit im Aufnahmestaat oft nicht absehbar, ob eine kontinuierliche Tätigkeit in dem anderen Mitgliedstaat im ökonomischen Sinne überhaupt möglich ist. Es ist hier daher immer auf die Umstände des konkreten Einzelfalles abzustellen, um zu einem nachvollziehbaren Ergebnis zu kommen. 62 Hinsichtlich der Abgrenzung zur Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art 39 ff EG V/Art III-133 ff W E ) kommt es darauf an, ob die Tätigkeit selbständig oder in abhängiger Beschäftigung erbracht wird. Hier erscheinen Kollisionen zunächst kaum denkbar, da sich die in diesen beiden Grundfreiheiten beteiligten Personenkreise relativ eindeutig aufgrund des Kriteriums der Selbständigkeit voneinander abgrenzen lassen. ZB ist auch eine Prostitutionstätigkeit als Dienstleistung anzusehen, wenn nachgewiesen ist, dass der Dienstleistende sie nicht im Rahmen eines Unterordnungsverhältnisses in Bezug auf die Wahl dieser Tätigkeit, die Arbeitsbedingungen und das Entgelt, sondern in eigener Verantwortung gegen ein Entgelt ausübt, das ihm vollständig und unmittelbar gezahlt wird. 63 Problematisch sind insoweit lediglich die Fälle, in denen sich Arbeitnehmer eines in einem bestimmten Mitgliedstaat ansässigen Unternehmens in einen anderen Mitgliedstaat begeben, um dort für ihren Arbeitgeber Dienstleistungen zu erbringen. Geschieht dies nur vorübergehend, ist der Schutzbereich der Dienstleistungsfreiheit eröffnet. 64 Entscheidendes Abgrenzungskriterium in diesen Fällen ist danach die Dauer der Tätigkeit im Ausland. Abgrenzungsprobleme zur Kapitalverkehrsfreiheit (Art 56ff EGV/Art III-156ff W E ) ergeben sich insbesondere in Bezug auf die mit Kapitalbewegungen verbundenen Bankund Versicherungsdienstleistungen. Dabei fallen die Tätigkeiten der Banken, die nicht an den Kapitalverkehr gekoppelt sind (bspw Vermietung von Schließfächern, Beratung bei Immobilienprojekten), grundsätzlich in den Schutzbereich der Art 49 ff EGV (Art III144 ff W E ) . Umgekehrt gilt für die Tätigkeiten der Banken und Versicherungen, die über den reinen Kapitalverkehr hinausgehen und deshalb den Art 49ff EGV (Art III-144ff W E ) unterfallen können, die Liberalisierungsvorschrift des Art 51 II EGV (Art III-146 II W E ) . 6 5 Betreffen einzelne Etappen eines grenzüberschreitenden Wirtschaftsvorganges sowohl die Dienstleistungs- als auch die Kapitalverkehrsfreiheit, so ist eine Schwerpunkt-
60 Vgl dazu Lottes EuZW 2004, 112. 61 Kritisch hinsichtlich des Kriteriums der Dauer mwN Lackhoff Die Niederlassungsfreiheit des EGV - nur ein Gleichheits- oder auch ein Freiheitsrecht?, 2000, S 135 ff. 62 -> vgl § 10 Rn 1 ff. 63 EuGH, NVwZ 2002, 326 ff. 64 Randelzhoferl Forsthoff in: Grabitz/Hilf Art 49/50 EGV Rn 31-33 mwN. S hierzu insb EuGH, Slg 1990,1-1417 ff - Rush Portugesa. 65 Allerdings hat Art 51 II EGV (Art III-146 II W E ) inzwischen wegen der weitgehenden Liberalisierung des Kapitalverkehrs durch zahlreiche Sekundärrechtsakte praktisch seine Bedeutung verloren.
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bildung vorzunehmen und dann die Grundfreiheit heranzuziehen, die dem Wirtschaftsvorgang seine Prägung gibt.66 Die Abgrenzung zum freien Warenverkehr (Art 23 ff EGV/Art III-151 ff W E ) kann dann notwendig werden, wenn die grenzüberschreitende Lieferung einer Ware mit Dienstleistungen verbunden ist, bzw wenn bei einer gemischten Leistung nicht eindeutig ist, welche Elemente überwiegen.67 In solchen Fällen ist nicht mehr klar, ob Gegenstand des grenzüberschreitenden Verkehrs ein körperlicher Gegenstand (dann Warenverkehrsfreiheit) oder eine unkörperliche Leistung (dann Dienstleistungsfreiheit) ist. Man könnte in solchen Fällen an eine Aufspaltung der beiden Bereiche denken oder an eine Schwerpunktsetzung, bei der es auf den bei der fraglichen Leistung im Vordergrund stehenden Inhalt ankommt. In der bisherigen Rechtsprechung des EuGH zu dieser Abgrenzungsfrage sind beide Wege im Einzelfall schon angewendet worden. In einem Fall, in dem es um die Gesamtheit von Fernsehleistungen ging und die Anwendbarkeit der Warenverkehrsfreiheit oder der Dienstleistungsfreiheit auf diesen Sachverhalt fraglich war, hat der EuGH eine Aufspaltung vorgenommen: In Ermangelung ausdrücklich entgegenstehender Vertragsbestimmungen hat er Fernsehsendungen ihrer Natur nach als Dienstleistungen angesehen; den Handel mit sämtlichen Materialien, Tonträgern, Filmen und sonstigen Erzeugnissen, die für die Ausstrahlung von Fernsehsendungen benutzt werden, hat er aber den Bestimmungen über den freien Warenverkehr untergeordnet.68 Bei Abgrenzungsproblemen, die sich aus der Natur des Handelsgutes ergeben - wie zB bei Strom und Abfällen - , ist inzwischen eine umfangreiche Rechtsprechung des EuGH ergangen, so dass es hier weniger Schwierigkeiten gibt.69
III. Beeinträchtigung des Schutzbereichs
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Fall 2: (EuGH, Slg 1999,1-2517 fF - Erich Ciola) Herr Ciola war Betreiber eines Bootshafens im zu Österreich gehörenden Teil des Bodensees. Nachdem er bei der zuständigen Behörde eine Abänderung bestimmter behördlicher Auflagen beantragt hatte, erließ diese einen Bescheid (individuelle Verwaltungsentscheidung), wonach es ihm verboten wurde, Anlegeplätze über ein bestimmtes Kontingent hinaus an Bootseigner mit Wohnsitz im Ausland zu vermieten. Begründet wurde dieses Verbot mit der Benachteiligung der einheimischen Bootseigner, die grundsätzlich nicht über dieselbe Finanzkraft wie die ausländischen Bootseigner verfügten. Da Herr Ciola dennoch an zwei Bootseigner mit Wohnsitz in Deutschland bzw in Liechtenstein je einen Liegeplatz vermietet hatte, obwohl das zulässige Ausländerkontingent von maximal 60 Liegeplätzen bereits überschritten gewesen war, wurden gegen ihn von der zuständigen Behörde Geldstrafen verhängt. Dagegen erhob Herr Ciola Beschwerde zum Verwaltungsgerichtshof, der sich veranlasst sah, dem EuGH die Frage vorzulegen, ob diese Beschränkung den Bestimmungen des freien Dienstleistungsverkehrs widerspreche.
66 67 68 69
Vgl RandelzhoferlForsthoff in: Grabitz/Hilf Art 49/50 EGV Rn 139. Hakenberg in: Lenz Art 49/50 EGV Rn 8. EuGH, Slg 1974, 409 ff - Sacchi. Ausführlich hierzu und mwN aus der Rspr Randelzhoferl Forsthoff in: Grabitz/Hilf Art 49/50 EGV Rn 26.
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§11 III 1
Fall 3: (EuGH, Slg 1995,1-1141 ff - Alpine Investments) Die Alpine Investments BV (AIBV) ist eine in den Niederlanden ansässige Gesellschaft und auf sog Warentermingeschäfte spezialisiert. Im Rahmen von Warenterminverträgen verpflichten sich die Parteien, eine bestimmte Menge Waren einer bestimmten Qualität zu einem Preis und Zeitpunkt, der bei Vertragsschluss festgelegt wird, zu kaufen oder zu verkaufen. Ziel dieses Geschäfts ist es ausschließlich, von Preisschwankungen zwischen dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses und der Lieferung zu profitieren. Die AIBV hat in mehreren Mitgliedstaaten Kunden. Zu Werbezwecken betrieb die AIBV das sog „cold calling", das darin besteht, dass mit Privatleuten ohne deren vorherige schriftliche Zustimmung telefonisch Kontakt aufgenommen wird, um ihnen verschiedene Finanzdienstleistungen anzubieten. Die niederländische Regierung untersagte mit Hinweis auf die einschlägigen niederländischen Werbebestimmungen für den Wertpapierhandel diese Werbepraxis und dehnte dieses zunächst nur innerstaatlich wirkende Verbot auch auf Dienstleistungen aus, die von AIBV in anderen Mitgliedstaaten angeboten wurden. AIBV machte geltend, dass dieses Verbot gegen die Dienstleistungsfreiheit verstoße, soweit es potentielle Kunden betreffe, die in anderen Mitgliedstaaten als den Niederlanden ansässig seien. Ähnlich wie beim freien Warenverkehr und bei der Niederlassungsfreiheit sind bei der Dienstleistungsfreiheit Diskriminierungen und sonstige Beschränkungen auf verschiedene Art und Weise denkbar. Bevor im Einzelnen auf diese unterschiedlichen Möglichkeiten eingegangen wird, soll zunächst der Blick auf die Adressaten bzw Verpflichteten des Diskriminierungs- und Beschränkungsverbots der Art 49ff EGV (Art III-144ff W E ) gerichtet werden. 1.
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Adressaten
Adressaten des Diskriminierungs- und Beschränkungsverbots sind grundsätzlich die Mitgliedstaaten. Dem Mitgliedstaat zurechenbar sind sämtliche Handlungen von Trägern öffentlicher Gewalt auch Selbstverwaltungskörperschaften mit Hoheitsbefugnissen, wie Handwerkskammern oder Kammern freier Berufe.70 Alle Maßnahmen der Mitgliedstaaten, die es unmöglich machen oder erschweren, dass Angehörige eines Mitgliedstaates in einem anderen Mitgliedstaat (aktiv) Dienstleistungen erbringen oder (passiv) in Anspruch nehmen, fallen unter dieses Verbot.71 Beschränkungen sind daher sowohl durch formelle und materielle Gesetze als auch durch Einzelfallentscheidungen möglich. Die Diskriminierung oder sonstige Beschränkung kann sowohl vom „Aufnahmestaat" als auch vom „Herkunftsstaat" ausgehen. 72 Auch die Gemeinschaftsorgane können Adressaten der Art 49fT EGV (Art III-144ff W E ) sein, wobei der EuGH allerdings mehr als ein Missbrauchsverbot für den Gemeinschaftsgesetzgeber aus den Vertragsbestimmungen über die Dienstleistungsfreiheit nicht abgeleitet hat. So darf der Gemeinschaftsgesetzgeber die Pflichten der Mitgliedstaaten aus den Grundfreiheiten nicht konterkarieren, in dem er zB Rechtsakte erlässt, die im
70 Müller-Graffin: Streinz Art 49 Rn 61. 71 Vgl Η G Fischer ER § 17 Rn 6. 72 Vgl hierzu ausführlich Holoubek in: Schwarze Art 49 EGV Rn 38, der unter Erläuterung des sog „funktionellen Staatsbegriffs" insbesondere darauf eingeht, welche Maßnahmen einem Mitgliedstaat zugerechnet werden können.
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Ergebnis zu einer Verfestigung oder gar Vermehrung mitgliedstaatlicher Handelshemmnisse führen. 7 3 Bei der Frage, ob auch Private an das Diskriminierungs- und Beschränkungsverbot der Art 49 ff E G V (Art III-144 ff W E ) gebunden sind, stellt sich die grundsätzliche Problematik, ob das Gemeinschaftsrecht auch die Rechtsverhältnisse zwischen Privatpersonen untereinander regeln und damit Wirkungen zwischen Privaten entfalten kann. 74 Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass Art 49 E G V (Art III-144 W E ) nur Beschränkungen durch die Mitgliedstaaten, nicht aber auf privatautonomer Basis erfolgende Einschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs verbietet. 75 In weiten Teilen der Literatur wird jedoch dann eine Bindung Privater an die Grundfreiheiten angenommen, wenn Kollektivorganisationen einseitig zwingende Regelungen erlassen haben. 76 Der E u G H hat in einer neueren Entscheidung die Bindung einer Privatbank an die Arbeitnehmerfreizügigkeit angenommen, die eine diskriminierende Regelung in ihren Ausschreibungsbedingungen anwandte. 77 Es darf indes bezweifelt werden, ob diese Entscheidung einen weitereren Schritt in Richtung unbeschränkter Drittwirkung der Grundfreiheiten darstellt 78 . 2.
Diskriminierung
a) Offene Diskriminierung 44
Obwohl Art 49 E G V (Art III-144 W E ) ausdrücklich nur von Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs spricht, fallen unter dieses Beschränkungsverbot zunächst alle innerstaatlichen Regelungen oder Praktiken, die Angehörige anderer Mitgliedstaaten aus Gründen der Staatsangehörigkeit oder wegen des Umstandes, dass sie im Aufnahmestaat nicht dauerhaft ansässig sind, diskriminieren. Es gilt damit das Gebot der Inländergleichbehandlung des Art 50 III E G V (Art III-145 III W E ) , wonach das Merkmal der Staatsangehörigkeit nicht dazu benutzt werden darf, eigene Staatsangehörige und Angehörige aus anderen Mitgliedstaaten offensichtlich ungleich zu behandeln. Eine derartige offene Diskriminierung liegt zum Beispiel vor, wenn eine bestimmte Tätigkeit in einem Mitgliedstaat den eigenen Staatsangehörigen vorbehalten wird. 79
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Unter den Begriff „Diskriminierung" fallen aber nicht nur offene Diskriminierungen, sondern auch sog versteckte Diskriminierungen.80 Dabei geht es um Regelungen, die zwar formal nicht zwischen Inländern und sonstigen Normadressaten unterscheiden, bei denen aber in Anbetracht der sachlichen Umstände zu erwarten ist, dass sie für nicht ortsansäs-
b) Versteckte Diskriminierung
73 Vgl Holoubek in: Schwarze Art 49 EGV Rn 42. 74 Ausführliche Hinweise zu dieser Frage im Bereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit, der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit bei RandelzhoferlForsthoff in: Grabitz/Hilf Vor Art 39-55 EGV Rn 53 ff. 75 Holoubek in: Schwarze Art 49 EGV Rn 40. 76 Vgl EuGH, Slg 1995,1-4921 - Bosman; vgl auch § 7 Rn 42 ff. 77 EuGH, Slg 2000,1-4139 - Angonese. 78 vgl hierzu § 7 Rn 42 ff. 79 EuGH, Slg 1994,1-923 ff - Fremdenführer. 80 Eine beispielhafte Aufzählung versteckter Diskriminierungen findet sich bei Müller-Graff in: Streinz Art 49 Rn 78-83.
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sige Angehörige anderer Mitgliedstaaten mit nachteiligen Auswirkungen bzw Behinderungen verbunden sind.81 So richtete sich zB der Preis für Lotsentätigkeiten an der italienischen Küste gemäß staatlicher Festsetzung danach, ob die gelotsten Schiffe eine besondere Zulassung für regelmäßige Fahrten in italienischen Küstengewässern hatten; war dies der Fall, waren die Tarife niedriger. Diese speziellen Dienste in der Küstenschifffahrt wurden in der Regel nur von Schiffen italienischer Eigner durchgeführt. Das geltende Tarifsystem bevorzugte damit praktisch Schiffe italienischer Eigner und war deswegen eine versteckte Diskriminierung. 82 Grundsätzlich nicht entscheidend für die Beurteilung, ob eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit diskriminierend ist, ist nach der Rechtsprechung des EuGH der Umstand, dass in anderen Mitgliedstaaten die Erbringer gleicher Dienstleistungen weniger strengen Vorschriften unterworfen sind als im Heimatstaat des Dienstleistungserbringers. Das in den verschiedenen Mitgliedstaaten unterschiedliche Regelungsniveau wirkt sich somit nicht per se als Diskriminierung aus.83 c) Ansässigkeitserfordernisse Die Erbringung von Dienstleistungen kann ferner an besondere Ansässigkeitserfordernisse im Empfangsstaat geknüpft sein. Solche sog Präsenzpflichten, die das Erfordernis einer gewerblichen Niederlassung oder des privaten Wohnsitzes im Empfangsstaat für den Dienstleistungserbringer vorschreiben, sind grundsätzlich unzulässige versteckte Diskriminierungen, da Angehörige des Empfangsstaates diese Voraussetzung regelmäßig erfüllen werden.84 Eine versteckte Diskriminierung liegt bspw vor, wenn ein öffentlicher Auftrag nur an Unternehmen vergeben wird, die ihren Sitz in dem Gebiet haben, in dem der Auftrag ausgeführt werden soll.85 Ein Mitgliedstaat darf auch nicht die Erbringung von Dienstleistungen in seinem Hoheitsgebiet von der Einhaltung aller Voraussetzungen abhängig machen, die für eine Niederlassung gelten. Dies würde den Bestimmungen des EGV, deren Ziel es ja gerade ist, die Dienstleistungsfreiheit zu gewährleisten, jede praktische Wirksamkeit nehmen. 86 Lediglich im Rahmen der Rechtfertigung einer Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit kann ein solches Präsenzerfordernis dann ausschlaggebend sein.
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d) Abgrenzung zum allgemeinen Diskriminierungsverbot Fraglich ist, wie das Diskriminierungsverbot der Art 49ff EGV (Art III-144ff W E ) gegenüber dem allgemeinen Diskriminierungsverbot des Art 12 EGV (Art III-123 W E ) abgegrenzt werden kann. Gemäß Art 12 EGV (Art III-123 W E ) ist jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten. Dieses Verbot beansprucht umfassende Geltung im gesamten Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts, der auch den freien Dienstleistungsverkehr umfasst. Der EuGH hat die Dienstleistungsfreiheit gegenüber
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Vgl Kluth in: Calliess/Ruffert Art 50 EGV Rn 37. EuGH, Slg 1994,1-1783 ff - Corsica Ferries. Genauer hierzu Kort JZ 1996, 132, 135. Der E u G H hatte sich schon frühzeitig mit Fällen dieser Art zu befassen und hat solche Ansässigkeitserfordernisse jeweils als ungerechtfertigte Einschränkungen der Dienstleistungsfreiheit beanstandet. Vgl hierzu Trobergl Tiedje in: vd Groeben/Schwarze Art 49 EGV Rn 36. 85 EuGH, Slg 1992,1-3401 ff - Kommission/Italien. 86 Vgl Holoubek in: Schwarze Art 49 EGV Rn 68 mwN zur Rspr des EuGH.
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Art 12 EGV (Art III-123 W E ) grundsätzlich als „lex specialis" eingeordnet, die bei entsprechendem Sachverhalt vorrangig anwendbar ist. Unsicherheiten bestehen nur, wenn Regelungen zur Überprüfung stehen, die dem Randbereich der Dienstleistungsfreiheit zuzuordnen sind. Die größere Übersichtlichkeit spricht in solchen Fällen dafür, Diskriminierungen, die schwerpunktmäßig die Berechtigten der Dienstleistungsfreiheit erleiden, auch der Dienstleistungsfreiheit und nicht Art 12 EGV (Art III-123 W E ) zuzuordnen.87
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Lösung Fall 2: Zunächst müsste für Herrn Ciola der Schutzbereich der Art 49 ff EGV (Art III-144ff W E ) eröffnet sein. Er vermietet die Bootsliegeplätze entgeltlich; eine andere Grundfreiheit wie bspw die Niederlassungsfreiheit wird nicht tangiert. Es handelt sich auch um einen grenzüberschreitenden Vorgang, da Angehörige aus anderen Mitgliedstaaten diese Bootsliegeplätze bei ihm anmieten (passive Dienstleistungsfreiheit). Der Schutzbereich des Art 49 EGV (Art III-144 W E ) ist damit eröffnet. Fraglich ist nun, welche Art von Beeinträchtigung vorliegt. Um eine offene Diskriminierung würde es sich handeln, wenn hier offensichtlich aus Gründen der Staatsangehörigkeit zwischen ortsansässigen und ausländischen Bootseignern differenziert würde. Anknüpfungspunkt in dem Bescheid der Behörde ist aber nicht die Staatsangehörigkeit, sondern der Wohnsitz der Bootseigner. Eine offene Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit scheidet also aus. Es liegt aber eine versteckte Diskriminierung vor. Das Kriterium des Wohnsitzes ist zwar an sich ein neutrales Kriterium, führt aber im vorliegenden Fall zum gleichen Ergebnis: Benachteiligt werden diejenigen, die nicht ortsansässig sind, und Gebietsfremde sind zugleich meist Ausländer. Ausländer werden daher in diesem Fall eher benachteiligt. Der EuGH hat hierzu insbesondere ausgeführt, dass bei einer nationalen Rechtsvorschrift, die eine Unterscheidung aufgrund des Kriteriums des Wohnsitzes trifft, die Gefahr, dass sie sich hauptsächlich zum Nachteil der Angehörigen anderer Mitgliedstaaten auswirkt, besonders groß ist, da Gebietsfremde meist Ausländer sind. Es liegt daher eine versteckte Diskriminierung vor.
Lösung Fall 3: Zunächst müsste für AIBV der Schutzbereich der Art 49ff EGV (Art III-144ff W E ) eröffnet sein. Die Leistungen der Gesellschaft werden gegen Entgelt erbracht und sind keinen anderen Grundfreiheiten zuzuordnen. Dem Anwendungsbereich des Art 49 EGV (Art III-144 W E ) steht auch nicht entgegen, dass es sich bei den fraglichen Dienstleistungen um bloße Angebote handelt, da von Art 49 EGV (Art III-144 W E ) auch alle Formen der Vertragsanbahnung, Werbung, Verkaufsförderung und damit auch des sog „cold calling" erfasst werden. Es handelt sich hier um eine sog Korrespondenzdienstleistung, da die Dienstleistung telefonisch angeboten wird und daher im Falle der Angebotsannahme nur die Dienstleistung die Grenze überschreitet, wohingegen die AIBV die Dienstleistung ohne Ortswechsel von dem Mitgliedstaat erbringt, in dem sie ansässig ist. Der Schutzbereich des Art 49 EGV (Art III-144 W E ) ist damit eröffnet. Es müsste weiter eine Beschränkung entweder in Form einer Diskriminierung oder in Form einer sonstigen Beschränkung vorliegen. Das vorliegende niederländische Verbot der Werbepraxis des „cold callings" unterscheidet nicht zwischen In- und Ausländern; vielmehr ist es auf Inländer wie auf Ausländer gleich anwendbar. Eine Diskriminierung liegt daher nicht vor. Da dieses Verbot jedoch der AIBV ein schnelles
87 Gerade in diesen Randbereichen ist die Rspr des E u G H nicht einheitlich; vgl Randelzhoferl Forsthoff in: Grabitz/Hilf Art 49/50 EGV Rn 50 und 132-133.
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und direktes Mittel der Werbung und Kontaktaufnahme mit potentiellen Kunden in anderen Mitgliedstaaten nimmt, kann es als sonstige Beschränkung des grenzüberschreitenden freien Dienstleistungsverkehrs qualifiziert werden. Wenn dieses Verbot aber nun lediglich die Art und Weise beträfe, in der die Dienstleistungen angeboten würden, und gerade nicht bezweckte oder bewirkte, dem nationalen Markt einen Vorteil gegenüber den Dienstleistungserbringern aus anderen Mitgliedstaaten zu verschaffen, könnte es eine Art „Verkaufsmodalität" darstellen. Damit wäre das Verbot möglicherweise in Anlehnung an die KeckRechtsprechung dem Anwendungsbereich des Art 49 EGV (Art III-144 VVE) entzogen. Der EuGH hielt entgegen, dass das Verbot der telefonischen Kundenwerbung mit einer Verkaufsmodalität, wie sie im Rahmen der ÄecAr-Rechtsprechung entwickelt wurde, nicht vergleichbar sei. Der Grund für die Ausnahme von Verkaufsmodalitäten aus dem Anwendungsbereich des Art 28 EGV (Art III-153 VVE) liege nämlich darin, dass die Anwendung derartiger nationaler Regelungen, die im Gebiet des Einfuhrmitgliedstaats bestimmte Verkaufsmodalitäten beschränken oder verbieten, nicht geeignet sei, den Marktzugang für diese Erzeugnisse im Einfuhrmitgliedstaat zu versperren oder stärker zu behindern, als sie dies für inländische Erzeugnisse tue. Das Verbot im vorliegenden Fall, so der EuGH, betrifft aber nicht nur die Angebote, die AIBV den inländischen Leistungsempfängern macht, sondern betrifft auch die Angebote an Leistungsempfänger in einem anderen Mitgliedstaat und beeinflusst daher unmittelbar den Zugang zum Dienstleistungsmarkt in den anderen Mitgliedstaaten. Mangels Vergleichbarkeit kann hier daher die Äedt-Rechtsprechung nicht herangezogen werden. Das Werbeverbot in den niederländischen Regelungen stellt daher eine sonstige Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit dar. 3.
Beschränkungen
a) Umfassendes Beschränkungsverbot Ähnlich der Entwicklung im Bereich der Warenverkehrsfreiheit hat der EuGH schon frühzeitig entschieden, dass neben Diskriminierungen auch sonstige Beschränkungen die Dienstleistungsfreiheit beeinträchtigen können. 88 In einem Fall, in dem ein zur Prozessvertretung beauftragter niederländischer Rechtsanwalt seinen Wohnsitz und Geschäftssitz von den Niederlanden nach Belgien verlegte und daraufhin wegen entgegenstehender Vorschriften der niederländischen Prozessordnung vom Ausgangsstaat nicht mehr als Prozessbevollmächtigter zugelassen wurde, hat sich der EuGH erstmalig mit dieser Frage befasst. 89 Er entschied damals, dass „unter Beschränkungen, deren Beseitigung die Art 49 EGV und Art 50 EGV (Art III-144 und Art III-145 W E ) vorsehen, alle Anforderungen fallen, die an den Leistenden namentlich aus Gründen seiner Staatsangehörigkeit oder wegen des Fehlens eines ständigen Aufenthaltes in dem Staate, in dem die Leistung erbracht wird, gestellt werden und nicht für im Staatsgebiet ansässige Personen gelten oder „in anderer Weise geeignet sind, die Tätigkeiten des Leistenden zu behindern oder zu unterbinden."90 Aufgrund dieser Rechtsprechung verbietet Art 49 EGV (Art III-144 W E ) nicht nur diskriminierende Ungleichbehandlungen, sondern auch sonstige Beschränkungen, die sich aus der unterschiedslosen Behandlung von in- und ausländischen Dienstleistungserbringern ergeben.91
88 Zur Entwicklung der Rspr vgl RandehhoferlForsthoff 89 EuGH, Slg 1974, 1299 ff - van Binsbergen. 90 EuGH, Slg 1974, 1299, 1309 ff - van Binsbergen.
in: Grabitz/Hilf Art 49/50 EGV Rn 89-90.
91 Vgl HG Fischer ER § 17 Rn 5.
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Diese sonstigen Beschränkungen können sowohl vom Staat des Dienstleistungsempfangers als auch vom Staat des Dienstleistungserbringers („Ausgangsbeschränkungen") ausgehen. Im ersten Fall geht es meist um Zugangs- oder Zulassungsbeschränkungen zu einer bestimmten Tätigkeit oder deren Ausübung. Typische Beispiele sind zB das Erfordernis einer bestimmten behördlichen Erlaubnis für eine Dienstleistung, die in einem anderen Mitgliedstaat nicht erlaubnispflichtig ist,92 oder das Erfordernis einer bestimmten beruflichen Qualifikation.93 Auch vom Herkunftsstaat des Dienstleistungserbringers dürfen keine Beschränkungen ausgehen. In jüngerer Zeit hatte der EuGH auch zahlreiche Fälle aus dem Rundfunkbereich zu entscheiden, in denen es meist darum ging, Sendeanstalten, die aus einem Mitgliedstaat in einen anderen ausstrahlen, den dort geltenden Beschränkungen hinsichtlich der Sendezeiten, Werbung etc zu unterwerfen und ihnen damit eine konkurrierende Tätigkeit unmöglich zu machen. Solche Auflagen wurden in der Regel als „sonstige Beschränkungen" iSv Art 49 EGV (Art III-144 W E ) angesehen.94 Zusammenfassend kann man daher festhalten, dass der EuGH den Beschränkungsbegriff der Art 49ff EGV (Art III-144ff W E ) weit gefasst hat und Art 49 EGV (Art III-144 W E ) als ein umfassendes Beschränkungsverbot versteht: Von Art 49 EGV (Art III-144 W E ) sind alle Beschränkungen erfasst, die die Leistung von Diensten zwischen Mitgliedstaaten gegenüber der Leistung von Diensten im Inneren eines Mitgliedstaates im Ergebnis erschweren. Fall 4: (EuGH, Slg 2002,1-6279 - Carpenter = Ehlers JK 12/02, EGV Art 49/6 Die mit einem Briten verheiratete philippinische Staatsanghörige Frau Carpenter lebte ohne Aufenthaltsgenehmigung in Großbritannien und wehrte sich gegen die von britischen Behörden ausgesprochene Ausweisung mit der Begründung, dass sie für die aus der ersten Ehe ihres Mannes stammenden Kinder sorge und damit dessen Berufsausübung erleichtere. Herr Carpenter verkaufte Werbeflächen in Zeitschriften auch in anderen Mitgliedstaaten und musste aus diesem Grunde häufig zu Geschäftszwecken in die anderen Mitgliedstaaten reisen. Liegt in der Ausweisungsverfügung eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit?
b) Modifikation 54
Die Weite des Beschränkungsbegriffs des Art 49 EGV (Art III-144 W E ) , der entsprechend auch für die anderen Grundfreiheiten gilt, ist nicht unproblematisch. Die Möglichkeit einer Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit besteht bei sehr vielen Maßnahmen, die nur einen mittelbaren Bezug zu einer gewerblichen Tätigkeit aufweisen, wie zB Regelungen über den Grundstückserwerb oder die Kreditvergabe.95 Sie schafft zum anderen Raum für vermehrt politische Entscheidungen. Deshalb ist daran zu denken, ähnlich wie im Bereich der Warenverkehrsfreiheit eine Eingrenzung des Verbots sonstiger Beschrän-
92 E u G H , Slg 1991,1-4221 ff - Säger. 93 Einzelfalle zu den Zulassungserfordernissen sind aufgeführt bei Randelzhoferl Forsthoff in: Grabitz/Hilf Art 49/50 EGV Rn 114-116. 94 Vgl Hakenberg in: Lenz Art 49/50 EGV Rn 23 mit zahlreichen Hinweisen auf die Rspr. Inzwischen haben sich diese Probleme aber durch die sog „Fernsehrichtlinie" etwas entschärft, die eine doppelte Kontrolle einer Sendeanstalt durch zwei Mitgliedstaaten verbietet und grundsätzlich den Staat als zuständig bestimmt, dessen Rechtshoheit die Anstalt unterliegt. 95 Vgl im Einzelnen Roth in: HdBEUWirtschR Abschn El R n 107.
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kungen vorzunehmen. 96 Für den Bereich der Warenverkehrsfreiheit hatte der E u G H nichtdiskriminierende Regelungen von Verkaufsmodalitäten nicht als Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit angesehen (Äec/c-Formel).97 Die Folge einer Übertragung dieser Rechtsprechung auf den Bereich der Dienstleistungsfreiheit wäre, dass nur solche mitgliedstaatlichen Vorschriften, die vergleichbar wie „produktbezogene Regelungen" ausschließlich den Marktzugang der Dienstleistung betreffen, als sonstige Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit anzusehen wären. Der EuGH hat sich bisher weder für noch gegen eine Eingrenzung des Beschränkungsverbotes entsprechend der ATecfc-Formel ausgesprochen, so dass im Zweifelsfall von einer solchen Eingrenzung abgesehen werden sollte.98 Fraglich ist auch, ob für diese Eingrenzung überhaupt ein praktisches Bedürfnis besteht, da die weite Fassung des Beschränkungsverbots grundsätzlich durch legitime Interessen der Mitgliedstaaten auf der Rechtfertigungsebene korrigiert werden kann. Lösimg Fall 4: Fraglich ist, ob Frau Carpenter in den Schutzbereich der Dienstleistungsfreiheit fällt. Grundsätzlich können sich Familienangehörige ebenfalls auf die Dienstleistungsfreiheit berufen, sie besitzen abgeleitete Rechte auf Einreise und Aufenthalt für die Dauer der Dienstleistungserbringung (Art 11 lit c RL 73/148 EWG). Ob ein Drittstaatler ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht in dem Herkunftsmitgliedstaat des Ehegatten hat, ist jedoch nicht Gegenstand der Richtlinie. Auch der Schutzbereich der Dienstleistungsfreiheit selbst ist aus dem gleichen Grund nicht eröffnet. Der EuGH prüfte daraufhin, ob die Ausweisungsverfügung eine nicht gerechtfertigte Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit des Ehemannes darstellt. Der Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit ist eröffnet, da Herr Carpenter in anderen Mitgliedstaaten Dienstleistungen erbringt. Es müsste weiterhin eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit vorliegen. Eine solche liegt vor, wenn ein in den Schutzbereich fallendes Verhalten behindert oder erschwert wird. Die Ausweisung der Ehefrau hätte nachteilige Auswirkungen auf die weitere berufliche Tätigkeit des Herrn Carpenter, da er möglicherweise keine ausgedehnten Auslandsreisen mehr unternehmen kann. Gerechtfertigt werden kann eine solche Beschränkung durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses. Als solcher kommt die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung in Betracht, da der Aufenthalt der Frau Carpenter den in Großbritannien geltenden Gesetzen widerspricht. Als Schranken-Schranken sind jedoch die Unionsgrundrechte zu beachten, die allgemeine Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts sind (Art 6 II EUV). Die Ausweisung stellt einen nicht zu rechtfertigenden Eingriff in das Recht des Herrn Carpenter auf Achtung seines Familienlebens nach Art 8 EMRK dar, da sie nicht verhältnismäßig ist. Im Rahmen der Angemessenheitsprüfung ist dieses Recht höher zu bewerten als die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, da Frau Carpenter aufgrund ihres Verhaltens keine über den fehlenden Aufenthaltsstatus hinausgehende Gefahr für diese darstellt.
96 -> vgl § 8 Rn 1 ff. 97 EuGH, Slg 1993,1-6097 ff - Keck. 98 Einen umfangreichen Überblick über diese Problematik geben Randelzhoferl Forsthoff in: Grabitz/Hilf Art 49/50 EGV Rn 91-98; Holoubek in: Schwarze Art 49 EGV Rn 60.
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IV. Rechtfertigung 56
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Fall 5: (EuGH, Slg 1994,1-1039 ff- Schindicr (Lotterielose)) Die Brüder Schindler übten die selbständige Tätigkeit von Bevollmächtigten der Süddeutschen Klassenlotterie aus. Ihre Tätigkeit bestand im Verkauf von Losen für diese Lotterie. In dieser Eigenschaft versandten sie von den Niederlanden aus Briefe an britische Staatsangehörige, die aus Werbematerial und Anmeldeformularen bestanden. Diese Postsendungen wurden von der britischen Zollbehörde mit der Begründung beschlagnahmt, sie seien unter Verstoß gegen das britische gesetzliche Verbot über das Abhalten von Glücksspielen und Lotterien eingeführt worden. In dem anschließenden Rechtsstreit machten die Gebrüder Schindler geltend, dass dieses Vorgehen sowie das britische Lotterieverbot gegen die Dienstleistungsfreiheit gemäß Art 49 EGV (Art III-144 W E ) verstießen. Die britischen Behörden wandten dagegen ein, dass Art 49 EGV (Art III-144 W E ) auf das in den britischen Rechtsvorschriften geregelte Einfuhrverbot keine Anwendung finde, da diese Rechtsvorschriften alle großen Lotterien unabhängig von ihrer Herkunft beträfen. Jedenfalls sei das Einfuhrverbot aus Gründen der britischen Sozialpolitik und der Betrugsbekämpfung, eines grundsätzlichen britischen Anliegens, gerechtfertigt. Fraglich ist damit, ob Art 49 EGV (Art III144 W E ) einschlägig ist und ob gegebenenfalls die Beschränkung gerechtfertigt ist.
Fall 6: (EuGH, Slg 1991,1-682 ff, 1-718 ff, 1-735 ff - Fremdenführer) In Italien, Frankreich und Griechenland existierten Rechtsvorschriften, die von ausländischen Fremdenführern, die mit ihrer eigenen geschlossenen Touristengruppe aus einem anderen Mitgliedstaat in die betroffenen Länder einreisten, eine Erlaubnis zur Berufsausübung bzw den Besitz eines Gewerbescheins verlangten. Ein solcher Gewerbeausweis setzt in der Regel eine durch Bestehen einer Prüfung nachzuweisende besondere Qualifikation voraus. Die Vorschriften galten insbesondere für die ausländischen Fremdenführer, die die Touristen in Museen und bei Geschichtsdenkmälern fuhren. Die Fremdenführer machten geltend, dass diese Vorschriften sie in ihrer Dienstleistungsfreiheit beschränkten und auch nicht durch kulturpolitische Belange dieser Mitgliedstaaten zu rechtfertigen seien. 1. Ausdrückliche (geschriebene)
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Schranke
Gemäß Art 55 EGV iVm Art 46 EGV (Art III-150 iVm Art III-140 W E ) sind Beschränkungen, die eine Sonderregelung für Ausländer vorsehen und aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind, erlaubt. Diese Vorschrift enthält ausdrücklich eine Rechtfertigung für Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit, die grundsätzlich eng auszulegen ist. Die Schranke des Art 46 EGV (Art III-140 W E ) gilt dabei für die Dienstleistungsfreiheit in all ihren Ausgestaltungen, also sowohl für die aktive und passive als auch für die Korrespondenzdienstleistungsfreiheit. Über diese sog Ordre public - Klausel können vor allem ausländerrechtliche Sonderbestimmungen gerechtfertigt werden, die zu einer Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit führen. Art 46 EGV (Art III-140 W E ) kommt allerdings nur dann als Rechtfertigungsnorm in Betracht, wenn die Beschränkung auf staatlichen Regelungen beruht, die nicht unterschiedslos auf alle Dienstleistungen ohne Rücksicht auf deren Herkunft anwendbar sind." Es können daher nur solche Beschränkungen durch Art 46 EGV (Art III-140 W E ) gerechtfertigt sein, die offene Diskriminierungen darstellen, da nur offene Diskriminierungen nicht unterschieds-
99 E u G H , Slg 1992,1-6757 ff - Kommission/Belgien.
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los anwendbar sind. Art 46 EGV (Art III-140 W E ) erlaubt es den Mitgliedstaaten etwa, den freien Dienstleistungsverkehr im Bereich der ärztlichen und klinischen Versorgung aus Gründen der öffentlichen Gesundheit einzuschränken, soweit die Erhaltung eines bestimmten Niveaus der medizinischen und pflegerischen Versorgung erforderlich ist.100 Die Begriffe der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit sind inzwischen zum Teil durch Sekundärrecht konkretisiert und ausgelegt worden.101 Im Allgemeinen versteht der EuGH unter „öffentlicher Sicherheit" grundlegende Interessen des Staates, wie die Aufrechterhaltung wesentlicher öffentlicher Dienstleistungen und das wirksame Funktionieren des Staates,102 unter „öffentliche Ordnung" hoheitlich festgelegte Grundregeln, die wesentliche Interessen des Staates berühren103. Noch nicht abschließend geklärt ist, ob auch für versteckte Diskriminierungen, deren Abgrenzung zu sonstigen Beschränkungen schwierig sein kann, Art 46 EGV (Art III-140 W E ) als Rechtfertigungsgrund herangezogen werden kann oder ob hier eine Rechtfertigung aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses erfolgen kann. 104 Lösung Fall S: Es müsste zunächst der Schutzbereich der Dienstleistungsfreiheit eröffnet sein. Hierfür müssten die Lotterielose als Dienstleistung anzusehen sein. Obwohl es sich bei der Versendung der Briefe mit den Lotterielosen und dem Werbematerial zweifellos um Waren im körperlichen Sinne handelt, genügt dies nicht, um in der Tätigkeit der Gebrüder lediglich eine Ausfuhr oder Einfuhr zu sehen. Die Versendung der Lose kann nicht losgelöst von der Lotterie betrachtet werden, auf die sich die Lose und das Werbematerial ja beziehen. Vielmehr bezieht sich die Versendung des Werbematerials und der Anmeldeformulare nur auf die konkreten Einzelheiten der Veranstaltung bzw des Ablaufs. Die Tätigkeit der Gebrüder Schindler ist daher als Dienstleistungen im Sinne des Art 49 EGV (Art III-144 W E ) anzusehen. Die Leistungen der Gebrüder werden auch gegen Entgelt erbracht, das in dem Preis für das Los besteht. Daraus folgt, dass auch die Werbung für dieses Produkt dem Schutzbereich unterfallen muss. Die fraglichen Leistungen sind auch grenzüberschreitend, da sie hier in England angeboten werden und damit in einem anderen Mitgliedstaat als in dem, in dem der Veranstalter der Lotterie niedergelassen ist. Der Schutzbereich der Art 49 ff EGV (Art III-144 ff W E ) ist damit eröffnet. Fraglich ist nun, ob die britischen Lotterieverbotsvorschriften eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit darstellen. Da sie nicht an das Vorliegen einer bestimmten Staatsangehörigkeit anknüpfen, stellt das Lotterieverbot schon keine Diskriminierung dar. Es hindert aber Lotterieveranstalter aus anderen Mitgliedstaaten ohne Ausnahme daran, in England unmittelbar oder durch selbständige Bevollmächtigte ihre Lotterien zu fördern oder Lose zu verkaufen. Das Lotterieverbot kann daher als eine sonstige Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs qualifiziert werden. Damit liegt auch eine Beeinträchtigung und damit ein Eingriff in den Schutzbereich vor. Dieser Eingriff könnte aber gerechtfertigt sein. Da es sich bei der Beeinträchtigung nicht um eine Diskriminierung handelt, ist der gesetzliche Rechtfertigungsgrund der Art 55 EGV iVm Art 46 EGV (Art III-150 iVm Art III-140 W E ) nicht einschlägig. Der Eingriff könnte aber aus zwingen-
100 Vgl Holoubek in: Schwarze Art 55 EGV Rn 3. 101 Anhaltspunkte zur Auslegung dieser Begriffe finden sich bspw in der RL 64/221/EWG, ABl 1964 Nr 56/850. Ausführlich hierzu Schlag in: Schwarze Art 46 EGV Rn 5-10; Randehhofer!Forsthoff in: Grabitz/Hilf Art 46 EGV Rn 14 ff. 102 Vgl EuGH, Slg 1984, 2727, Rn 37- Campus Oil Ltd. 103 EuGH, Slg 1977, 1999, Rn 33 ff - Bouchereau. 104 Vgl hierzu die allgemeinen Ausführungen bei Ehlers J U R A 2001, 482, 487; -> § 7 Rn 88 ff.
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den Gründen des Allgemeinwohls gerechtfertigt sein, wenn es sich bei dem britischen Anliegen der Sozialpolitik und der Betrugsbekämpfung um einen solchen zwingenden Grund des Allgemeininteresses handeln würde. Die Gründe, auf denen das britische Gesetz zur Einführung der Staatlichen Lotterie beruht (zB Verhinderung von Straftaten, Sicherstellung, dass Spieler fair behandelt werden etc), beziehen sich auf den Schutz der Empfänger der Dienstleistung und der Verbraucher sowie den Schutz der Sozialordnung. Der EuGH betont ausdrücklich, dass diese Gründe zu denjenigen gehören, die Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs grundsätzlich rechtfertigen können. Die Besonderheiten des Lotteriespiels, so der EuGH, rechtfertigten es, dass die staatlichen Stellen über ein ausreichendes Ermessen verfügen, um festzulegen, welche Erfordernisse sich bezüglich der Art und Weise der Veranstaltung von Lotterien aus dem Schutz der Spieler und nach Maßgabe der soziokulturellen Besonderheiten jedes Mitgliedstaats aus dem Schutz der Sozialordnung ergeben. Ein solches Einfuhrverbot für Lotteriedienstleistungen kann dann für den Schutz, den dieser Mitgliedstaat in seinem Gebiet im Lotteriewesen sicherstellen will, erforderlich sein, um ein bestimmtes Schutzniveau zu sichern. Die in den britischen Rechtsvorschriften enthaltenen Anliegen der Sozialpolitik und der Betrugsbekämpfung können daher als den Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit rechtfertigende zwingende Interessen des Allgemeininteresses angesehen werden. Der Eingriff in den Schutzbereich ist daher gerechtfertigt. 2. Ungeschriebene
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Nachdem Diskriminierungen im Bereich der Dienstleistungsfreiheit ausdrücklich nur über Art 55 E G V iVm Art 46 EGV (Art III-150 iVm Art III-140 W E ) gerechtfertigt werden können, stellt sich die Frage, wie es sich mit sonstigen Beschränkungen verhält. Sie können aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein.105 Die Rechtsprechung des E u G H weist hier deutliche Parallelen zur Cams-Rechtsprechung im Bereich der Warenverkehrsfreiheit auf, in der erstmals zwingende Interessen der Allgemeinheit als Rechtfertigungsgründe anerkannt wurden. 106 Der Begriff des Allgemeininteresses unterliegt der gemeinschaftsrechtlichen Überprüfung, wenngleich seine Konkretisierung im Einzelfall durch die jeweiligen nationalen Behörden erfolgt. 107 D a der E u G H in der Vergangenheit eine Reihe von verschiedenen öffentlichen Interessen als zwingende Gründe der Allgemeinheit hat gelten lassen, ist daraus zu schließen, dass dieser Katalog nicht abschließend ist. Für alle zwingenden Gründe muss es sich aber um Allgemeininteressen nicht wirtschaftlicher Art handeln; rein wirtschaftliche Gründe können eine Beschränkung des elementaren Grundsatzes des freien Dienstleistungsverkehrs nicht rechtfertigen. 108
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Zwingende Gründe des AUgemeininteresses im Bereich der Dienstleistungsfreiheit können ua sein: 109 die Lauterkeit des Handelsverkehrs und der Schutz der Verbraucher, 110 die Funktionsfahigkeit der Rechtspflege," 1 das Ansehen der Kapitalmärkte, kulturpolitische 105 EuGH, Slg 1974, 1299 Rn 10/12-van Binsbergen. 106 Zur Entwicklung und Anwendung der Caii«-Rechtsprechung vgl die Ausführungen von —> § 7 Rn 89 ff. 107 HailbronnerlNachbauer EuZW 1992, 105, 110. 108 EuGH, Slg 1998,1-1931, Rn 41 - Kohll; Holoubek in: Schwarze Art 49 EGV Rn 94. 109 Ein Überblick über die vom EuGH anerkannten zwingenden Allgemeininteressen findet sich bei Müller-Graff m: Streinz Art 49 Rn 106-108. 110 EuGH, Slg 1997,1-3843, Rn 53 - de Agostini. 111 EuGH, Slg 1996,1-6511, Rn 31 - Reisebüro Broede.
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Belange wie die Erhaltung des nationalen historischen und künstlerischen Erbes,112 die Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit 113 und Berufs- und Standesregelungen zum Schutz der Dienstleistungsempfänger. 114 Auch Wohnsitz· bzw Niederlassungserfordernisse müssen nicht bereits per se unvereinbar sein mit dem Beschränkungsverbot des Art 49 EGV (Art III-144 W E ) . Die Ansässigkeitspflicht des Dienstleistungserbringers ist dann hinzunehmen, wenn andernfalls durch das Allgemeininteresse gerechtfertigte Berufsregelungen nicht durchsetzbar sind.115
3. Schranken-Schranken Fan 7: (EuGH, Slg 2003,1-4509 - Müller-Faure) Die Niederländerin Müller-Faure unterzog sich während ihres Urlaubs in Deutschland einer Zahnbehandlung. Nach ihrer Rückkehr beantragte sie bei ihrer Krankenkasse die Erstattung der Behandlungskosten. Dies lehnte die Krankenkasse ab, da nach niederländischem Recht die Kostenübernahme der Versorgung durch eine Einrichtung, mit der sie keine vertragliche Vereinbarung getroffen habe, davon abhängig gemacht werde, dass die Krankenkasse vorher ihre Genehmigung erteilt. Die Kostenübernahme beruht in den Niederlanden auf einem Sachleistungssystem, nach dem die Versicherten keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten haben, sondern lediglich auf die kostenlose Vornahme der ärztlichen Leistung. Ist der Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit gerechtfertigt?
Fall 8: (EuGH, EuZW 2004, 499 - Kommission/Frankreich = Schoch JK 1/05, EGV Art 49/12) In Frankreich wurde durch eine Gesetzesänderung die direkte und indirekte Fernsehwerbung für in Frankreich vertriebene alkoholische Getränke verboten, ohne andere Medien, wie etwa Zeitschriften oder den Hörfunk, in dieses Verbot mit einzubeziehen. Eine indirekte Werbung bedeutet dabei eine Werbung zB auf Werbetafeln oder Trikots der Spieler bei Sportveranstaltungen ohne eine dafür eigens ausgestrahlte Werbesendung. Die französischen Sender wurden verpflichtet, ihre Vertragspartner beim Erwerb der Übertragungsrechte von im Ausland stattfindenden Sportereignissen auf die französische Rechtslage hinzuweisen, und die Ausstrahlung der Werbung ganz zu unterlassen oder mit technischen Mitteln zu verhindern. Die Kommission leitete ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Frankreich wegen der Verletzung der Dienstleistungsfreiheit ein. Sie sah es insbesondere als inkonsequent an, das Verbot auf die Fernsehwerbung zu begrenzen. Kann sich Frankreich zur Rechtfertigung dieses Werbeverbotes auf den Gesundheitsschutz berufen?
Sog Schranken-Schranken im Gemeinschaftsrecht bezeichnen grundsätzlich die Beschränkungen, die für die Mitgliedstaaten gelten, wenn sie den freien Dienstleistungsverkehr durch innerstaatliche Regelungen und Vorschriften beeinträchtigen. Als Schranken-Schranken kommen daher grundsätzlich Unionsgrundrechte und Primärrechtsbestimmungen, sekundäres Gemeinschaftsrecht und vor allem der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in
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EuGH, Slg 1991,1-659, Rn 17 - Fremdenführer. EuGH, Slg 1998,1-1931, Rn 41 - Kohll. EuGH, Slg 1979, 35, Rn 38 - van Wesemael. EuGH, Slg 1974, 1299 ff - van Binsbergen, wobei der E u G H dies allerdings im Ergebnis für den Beruf des Rechtsanwalts verneinte.
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Betracht." 6 Von herausragender Bedeutung ist, dass die zur Verfolgung des Allgemeininteresses eingesetzten staatlichen Maßnahmen verhältnismäßig sein müssen, dh die staatliche Regelung muss geeignet sein, die Verwirklichung des mit der Regelung verfolgten Ziels auch tatsächlich zu gewährleisten und darf nicht über das zur Erreichung des Allgemeininteresses Erforderliche hinausgehen. Auffallend ist, dass der EuGH im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ausdrücklich nur auf diese beiden Kriterien (Geeignetheit und Erforderlichkeit) abstellt. Fragen der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne (Angemessenheit) überlässt er des Öfteren im Vorabentscheidungsverfahren der Beurteilung durch das vorlegende Gericht, das die konkreten Umstände beurteilen müsse.117 Da bei Dienstleistungen als vorübergehender wirtschaftlicher Betätigung die Wirtschaft eines anderen Mitgliedstaates eher flüchtig berührt wird, fallen die Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit einer Beschränkung vergleichsweise streng aus, um dem spezifischen Charakter der Dienstleistungsfreiheit Rechnung zu tragen.118 Unverhältnismäßig, weil nicht erforderlich, sind Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit immer dann, wenn dem nationalen Allgemeininteresse bereits durch Rechtsvorschriften Rechnung getragen wird, denen der Dienstleistungserbringer in dem Staat unterliegt, in dem er ansässig ist. Eine im Herkunftsstaat erteilte behördliche Genehmigung ist deshalb im Mitgliedstaat der Dienstleistungserbringung anzuerkennen, soweit sie „unter Voraussetzungen erteilt worden ist, welche mit denen des Staates, in dem die Leistung erbracht wird, vergleichbar sind."119 Unverhältnismäßig sind auch Vorschriften, nach denen Reiseführer im Besitz einer vom Aufnahmestaat erteilten Erlaubnis sein müssen, die eine bestimmte berufliche Qualifikation voraussetzt, wenn sie mit einer Gruppe von Touristen aus einem anderen Mitgliedstaat anreisen.120 Lösung Fall 6: Es müsste zunächst der Schutzbereich der Art 49ff EGV (Art ΙΙΙ-144ΙΓ W E ) eröffnet sein. Es handelt sich bei den Leistungen, die ein Fremdenführer erbringt, grundsätzlich um entgeltliche Leistungen. Da sich in den vorliegenden Fällen die Fremdenführer mit ihrer Reisegruppe in einen anderen Mitgliedstaat begeben als den, in dem das Reisebüro seinen Sitz hat, handelt es sich hier um die ebenfalls unter Art 49 und Art 50 EGV (Art III-144 und Art III-145 W E ) fallende passive Dienstleistungsfreiheit. Ein grenzüberschreitender Bezug liegt vor. Es handelt sich bei der Tätigkeit der Fremdenführer hier daher um eine grenzüberschreitende Dienstleistung, die in den Schutzbereich der Dienstleistungsfreiheit fällt. Eine Beeinträchtigung des Schutzbereichs ist auch gegeben, da die (insb französischen) Regelungen sowohl die ausländischen Reisebüros hindert, die Dienstleistungen durch ihr eigenes Personal zu erbringen, als auch die selbständigen Fremdenführer, die ihre Dienstleistungen diesen Büros während der organisierten Reise anbieten. Sie hindern auch Touristen, die an solchen organisierten Reisen teilnehmen, diese Dienstleistungen je nach Wahl in Anspruch zu nehmen. Eine Diskriminierung liegt nicht vor, da auch die inländischen Fremdenführer einen Gewerbeschein besitzen müssen. Es liegt daher eine sonstige Beschränkung vor. Aus diesem Grund scheidet eine Rechtfertigung nach Art 55 EGV iVm Art 46 EGV (Art III-150
116 Zu den Unionsgrundrechten, sonstigen Primärrechtsbestimmungen und sekundärem Gemeinschaftsrecht als Schranken-Schranken siehe insbesondere - » § 7 Rn 86 ff. 117 ZB EuGH, Slg 1997,1-3843, Rn 54 - de Agostini; Holoubek in: Schwarze Art 49 EGV Rn 95. 118 HG Fischer ER § 17 Rn 20. 119 EuGH, Slg 1979, 35, Rn 54 - van Wesemael; Hailbronner/Nachbauer EuZW 1992, 105, 110. 120 EuGH, Slg 1991,1-72 ff - Fremdenführer.
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iVm Art III-140 W E ) aus. Die Beeinträchtigungen könnten gerechtfertigt sein, wenn zwingende Gründe des Allgemeininteresses vorliegen würden. Das allgemeine Interesse an der Aufwertung historischer Reichtümer und an der bestmöglichen Verbreitung von Kenntnissen über das künstlerische und kulturelle Erbe eines Landes kann ein solcher zwingender Grund sein, der eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs rechtfertigt. Fraglich ist aber, ob die Regelungen auch verhältnismäßig sind oder etwa außer Verhältnis zum angestrebten Zweck stehen. Die fragliche Erlaubnis ist zwar geeignet, kulturpolitische Belange zu schützen, bewirkt hier aber eine Verringerung der Zahl von Fremdenführern, die Touristen in einer geschlossenen Gruppe begleiten können, was einen Reiseveranstalter dann wieder veranlassen kann, eher auf örtliche Führer zurückzugreifen, die in dem betreffenden Mitgliedstaat auch ansässig und angestellt sind. Dies kann für die Touristen den Nachteil haben, dass ihnen kein Fremdenführer zur Verfügung steht, der mit ihrer Sprache sowie mit ihren Interessen und besonderen Erwartungen vertraut ist. Das Erfordernis einer besonderen Erlaubnis bzw eines Gewerbescheins steht angesichts des Umfangs der in ihm enthaltenen Beschränkungen außer Verhältnis zum angestrebten Zweck, nämlich der Aufwertung historischer Reichtümer und der besagten Verbreitung von kulturellen Kenntnissen des Mitgliedstaates, in dem die Reise durchgeführt wird. Der Eingriff in den Schutzbereich der Dienstleistungsfreiheit ist damit nicht gerechtfertigt, da die im Interesse der Allgemeinheit aus zwingenden Gründen erlassenen Vorschriften unverhältnismäßig sind.
Lösung Fall 7: Der Schutzbereich der Art 49ff EGV (Art III-144fF W E ) ist eröfTnet, da Frau MüllerFaure anlässlich ihrer Gesundheitsversorgung von der passiven Dienstleistungsfreiheit Gebrauch macht. Dem steht nicht entgegen, dass die Systeme der sozialen Sicherheit in die Kompetenzen der Mitgliedstaaten fallen. Die Besonderheiten bestimmter Dienstleistungen können nicht dazu fuhren, dass das Gemeinschaftsrecht unanwendbar ist. Das Genehmigungserfordernis ist geeignet, die Dienstleistungsfreiheit zu behindern, da es ohne vorgängige Einholung der Genehmigung keine Kostenerstattung gibt. Neben einer Beschränkung liegt darin eine mittelbare Diskriminierung, da das Genehmigungserfordernis ausschließlich Dienstleistungen aus anderen Mitgliedstaaten betrifft, ohne jedoch explizit an die Staatsangehörigkeit des Dienstleisters anzuknüpfen. Bei der Frage der Rechtfertigung prüfte der EuGH zunächst, ob die Gefahr einer Beeinträchtigung des Schutzes der öffentlichen Gesundheit vorliegt (Art 46 EGV/Art III-140 W E ) . Er räumte zwar ein, dass die Aufrechterhaltung einer qualitativ hochwertigen Versorgung eine Einschränkung rechtfertigen kann, wenn sie verhältnismäßig ist. Es wurde jedoch nicht substantiiert vorgetragen, dass die Qualität der inländischen ärztlichen Leistungen dadurch gemindert würde, dass sich zahlreiche Patienten zur medizinischen Behandlung ins Ausland begeben. Im Anschluss daran prüfte der EuGH, ob das Genehmigungserfordernis durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden kann. Damit weicht er von seiner bisherigen Schrankendogmatik ab, da er bei diskriminierenden Maßnahmen bisher nur die geschriebenen Rechtfertigungsgründe geprüft hat. Es gibt einige Anhaltspunkte dafür, dass auch im Bereich anderer Grundfreiheiten ein Trend zur schrankensystematischen Gleichbehandlung von mittelbaren Diskriminierungen und Beschränkungen auszumachen ist. Als Rechtfertigungsgrund kommt die Gewährleistung des finanziellen Gleichgewichts der Systeme sozialer Sicherheit in Betracht. Jedoch wurde nicht vorgetragen, dass die streitige Regelung wirklich erforderlich war. Auch wenn ein Sachleistungssystem besteht, sind die finanziellen Auswirkungen bei Behandlungen im Ausland nicht derart gravierend, dass die Gefährdung des Versicherungssystems zu befürchten ist. Die Mitgliedstaaten, die ein solches System vorsehen, müssen Mechanismen zur nachträglichen Erstattung der Kosten bei Behandlungen in einem
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anderen Mitgliedstaat einführen. Gerechtfertigt ist ein Genehmigungserfordernis allerdings im Bereich der stationären Gesundheitsversorgung (EuGH, Slg 2001, 1-5473 - Smits und Peerbooms), da hinsichtlich der Anzahl, Ausstattung und Lage von Krankenhäusern eine sorgfältige Planung erforderlich ist.
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Lösung Fall 8: Die französische Fernsehwerberegelung stellt eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs dar, da zum einen die Eigentümer von Werbetafeln jegliche Alkoholwerbung schon dann vorsorglich ablehnen müssen, wenn die Sendung möglicherweise in Frankreich übertragen wird. Zum anderen ist die Ausstrahlung von Fernsehsendungen eine Dienstleistung, die dadurch behindert wird, dass die französischen Sender die Übertragung etwa von Sportereignissen ablehnen müssen, wenn eine Alkoholwerbung stattfindet. Ausländische Veranstalter von Sportereignissen können in diesem Fall zudem die Übertragungsrechte nicht an französische Sender verkaufen. Der freie Dienstleistungsverkehr kann jedoch in Ermangelung gemeinschaftsrechtlicher Harmonisierungsmaßnahmen durch nationale Regelungen beschränkt werden, die aus den in Art 55 iVm 46 EGV (Art III-150 iVm Art III-140 W E ) genannten Gründen oder aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sind. Frankreich kann sich möglicherweise auf den geschriebenen Rechtfertigungsgrund des Gesundheitsschutzes berufen, da das Werbeverbot zur Bekämpfung des Alkoholmissbrauchs beitragen soll. Dabei ist es Sache der Mitgliedstaaten, auf welchem Niveau sie den Gesundheitsschutz sicherstellen wollen und wie dieses Niveau erreicht werden soll. Daher ist es rechtlich nicht relevant, dass sich Frankreich für ein ausschließliches Fernsehwerbeverbot entschlossen hat und nicht andere Medien in dieses Verbot einbezogen hat. Die Mitgliedstaaten müssen jedoch bei der Berufung auf die Rechtfertigungsgründe den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten. Die Maßnahme ist geeignet, den Gesundheitsschutz zu verwirklichen, da durch sie weniger Anreize zum Alkoholkonsum gegeben werden. Sie ist auch erforderlich, da sie nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels notwendig ist. Sie beschränkt sich auf in Frankreich vertriebene Erzeugnisse, wodurch die Beeinträchtigung des Dienstleistungsverkehrs möglichst gering gehalten wird. Angesichts der hohen Kosten für technische Mittel zur Verfremdung der Werbung ist kein milderes Mittel ersichtlich. Auch die Tatsache, dass Fernsehwerbung für Alkohol in manchen Mitgliedstaaten zulässig ist, führt nicht zu ihrer Unverhältnismäßigkeit.
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Freiheit des Kapital- und Zahlungsverkehrs Peter von Wilmowsky Leitentscheidungen: EuGH, Slg 1995, 1-361 ff - Bordessa (Genehmigungspflicht Spaniens für die Ausfuhr von Bargeld und Inhaberschecks); Slg 1999,1-3099 ff - Konle (Beschränkungen des Landes Tirol für den Grundstücksverkehr); Slg 2000, 1-4071 ff - Verkooijen (Besteuerung der Dividenden ausländischer Kapitalgesellschaften in den Niederlanden); Slg 2002, 1-4781 ff - Kommission/Frankreich (Genehmigungserfordernisse für die Beteiligung an einem privatisierten Unternehmen Elf-Aquitaine und für die Veräußerung von Tochtergesellschaften dieses Unternehmens). Schrifttum: Armbrüster „Golden Shares" und die Grundfreiheiten des EG-Vertrags, JuS 2003, 224 ff; Dautzenberg Die Kapitalverkehrsfreiheit des EG-Vertrags und die direkten Steuern, StuB 2000, 720ff; Fischer Die Kapitalverkehrsfreiheit in der Rechtsprechung des EuGH, ZEuS 2000, 391 ff; Glöckner Grundverkehrsbeschränkungen und Europarecht, EuR 2000, 592 ff.
Wie die anderen Grundfreiheiten tragen die Freiheit des Kapitalverkehrs (Art 56 I EGV/ Art III-156 W E ) und die Freiheit des Zahlungsverkehrs (Art 56 II EGV/Art III-156 W E ) dazu bei, den gemeinsamen Binnenmarkt zu errichten (Art 3 I lit c EGV/Art 1-3 II W E ) . Sie verlangen die Beseitigung sämtlicher Beschränkungen, die sich nicht durch höherrangige Belange des Allgemeinwohls rechtfertigen lassen.
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I. Schutzbereich 1.
Kapitalverkehr
Um den Geltungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit abzustecken, muss man klären, was „Kapital" ist. Allgemein werden hierunter Vermögenswerte verstanden.1 Will man dies juristisch präzisieren, so erstreckt sich der Kapitalbegriff auf alle Vermögenswerten Rechte. Als Gegenstände, an denen diese Rechte bestehen können, kommen Sachen, Forderungen und sonstige Rechte in Betracht. Erfasst werden demnach Rechte an Bargeld, Grundstücken, beweglichen Sachen, Zahlungsansprüchen und anderen Leistungsansprüchen, Gesellschaftsanteilen, Wertpapieren, Immaterialgütern (wie Urheberrechten, Patenten, Gebrauchsmustern, Geschmacksmustern, Marken und Geschäftsbezeichnungen) sowie an (handelbaren) Rechten zur Emission von Schadstoffen. Kapitalverkehr ist der Verkehr mit diesen Rechten, dh sowohl deren Begründung als auch deren Übertragung.2 Welche Bandbreite der Kapitalverkehr einnimmt, veranschaulichen die folgenden Transaktionen: die Verbringung oder die Übertragung von Bargeld;3 Devisengeschäfte (dh der Erwerb eines
1 Vgl zB aus der Rechtsprechung: EuGH, Slg 1995, 1-361, Rn 13 - Bordessa. Aus der Gesetzgebung: RL 88/361, Anhang I, vor Rubrik I, ABl 1988 Nr L 178/5. (Zur Bedeutung dieser RL s u Rn 8) Aus dem Schrifttum: Kiemel in: vd Groeben/Schwarze Art 56 EGV Rn 1; Ress/Ukrow in: Grabitz/Hilf Art 56 EGV Rn 13. 2 Der EuGH beschreibt Kapitalverkehr als „Transfer von Vermögenswerten". Siehe etwa Slg 1995, 1-361, Rn 13 - Bordessa. In den Kommentaren und Lehrbüchern wird Kapitalverkehr häufig mit „Wertübertragungen" umschrieben. Siehe etwa ResslUkrow in: Grabitz/Hilf Art 56 EGV Rn 32. 3 Siehe etwa die Rechtssache Bordessa: Herr Bordessa, ein italienischer Staatsbürger, hatte 50 Millionen spanische Peseta (heute ca 300.000 €) an verschiedenen Stellen seines Kraftfahrzeugs ver-
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Geldbetrags einer fremden Währung); die Begebung von Schecks und Wechseln; der Erwerb von Grundstücken; 4 die Übertragung von Gesellschaftsanteilen; Wertpapiergeschäfte (wie etwa die Ausgabe von und der Handel mit Aktien und Schuldverschreibungen); der Erwerb von Anteilen an Investmentfonds; Termingeschäfte; der Erwerb von Unternehmen durch den Erwerb der Vermögensgegenstände („asset deal") oder der Gesellschaftsanteile („share deal");5 die Erbringung einer Kapitaleinlage bei der Gründung einer Gesellschaft; 6 die Gewährung von Darlehen; 7 die Einzahlung von Spareinlagen und andere Formen der Geldanlage; 8 die Versicherung von Risiken; 9 die Begründung von Forderungen; 10 die Abtretung von Forderungen (und damit das Factoring); die Bestellung von Sicherungsrechten;" die Übernahme von Bürgschaften; 12 oder der Beitritt zu fremden Verbindlichkeiten.13 Auch im privaten Bereich finden vielfältige Kapitalbewegungen statt, wie etwa bei Schenkungen, Erbschaften und Vermächtnissen. 14 Der Schutz der EG-Kapitalverkehrsfreiheit erstreckt sich dabei auf sämtliche Handlungen, die erforderlich sind, um die Transaktion durchzuführen. 15 Aus zivilrechtlicher Sicht gehören dazu sowohl die Verpflichtungs- als auch die Verfügungsgeschäfte.
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steckt, um sie von Spanien nach Frankreich zu verbringen. Damit verletzte er die Genehmigungspflicht, die in Spanien für die Ausfuhr von Banknoten damals bestand. Der EuGH erklärte die Genehmigungspflicht für unvereinbar mit der Freiheit des Kapitalverkehrs. EuGH, Slg 1999,1-3099, Rn 22 - Konle; Slg 2000,1-5965, Rn 14 - Albore. RL 88/361, Anhang I, Rubrik I, ABl 1988 Nr L 178/5. Im Fall EuGH, Slg 1993,1-487ff - Veronica, hatte ein niederländisches Rundfunkunternehmen, welches als nichtkommerzielles Unternehmen öffentliche Fördergelder erhielt, mit diesen Mitteln in Luxemburg ein kommerzielles Rundfunkunternehmen gegründet, um dort Sendungen zu produzieren, die per Kabel in den Niederlanden verbreitet werden sollten. Gegen dieses Verhalten verhängte die zuständige Behörde der Niederlande Bußgelder und andere Sanktionen. RL 88/361, Anhang I, Rubriken VII und VIII, ABl 1988 Nr L 178/5; vgl allerdings EuGH, Slg 1997,1-3899, Rn 17 - Parodi (auch Dienstleistung). Roth in: HdBEUWirtschR Kap Ε I Rn 110. Siehe Geiger EUV/EGV Art 51 EGV Rn 5: Die Begründung des Anspruchs aus dem Versicherungsvertrag ist als Kapitalverkehr anzusehen. Die überwiegende Rechtsmeinung schätzt Versicherungen zugleich als Dienstleistungen ein; Nachweise auf die diesbezügliche EuGH-Rechtsprechung bei RandelzhoferlForsthoff in: Grabitz/Hilf Art 49/50 EGV Rn 38. Siehe Müller Kapitalverkehrsfreiheit in der Europäischen Union, 2000, S 156. Anderer Auffassung insoweit Ohler WM 1996, 1801, 1805. EuGH, Slg 1999,1-1661, Rn 19-24 - Trümmer; RL 88/361, Anhang I, Rubrik IX, ABl 1988 Nr L 178/5; ν Wilmowsky Europäisches Kreditsicherungsrecht, 1996, S 77-93. Anderer Auffassung noch Schlussanträge GA La Pergola, EuGH, Slg 1999,1-1661, Rn 10 - Trümmer. OLG Düsseldorf, WM 1995, 1993. Anderer Auffassung Mankowski WuB VII A. § 108 ZPO 1.96 (Dienstleistung). Siehe EuGH, Slg 2000,1-1335 ff - Scientologie: Den Hintergrund dieses Verfahrens bildete ua der Versuch der britischen Scientology-Kirche, die gesamten Schulden der französischen Kirche zu begleichen. Nach dem damaligen französischen Recht benötigte diese ausländische Investition eine Genehmigung, die von der zuständigen französischen Behörde aber verweigert wurde. Siehe Schlussanträge GA Saggio, EuGH, Slg 2000,1-1334, Rn 8 - Scientologie. RL 88/361, Anhang I, Rubrik XI, ABl 1988 Nr L 178/5; zu fremdnützigen Vermögenstransfers als Anwendungsfall der Kapitalverkehrsfreiheit s auch ν Hippel EuZW 2005, 7 ff. RL 88/361, Anhang I, vor Rubrik I, ABl 1988 Nr L 178/5.
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2. Verhältnis zu den anderen Grundfreiheiten Die Anwendbarkeit der Vorschriften über die Kapitalverkehrsfreiheit wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass auch eine andere Grundfreiheit des EGV Platz greift. Umgekehrt schließt die Geltung der Kapitalverkehrsfreiheit die Anwendung einer anderen Grundfreiheit ebenso wenig aus. Eine (einzelne) Transaktion kann den Schutz mehrerer Grundfreiheiten genießen. Diese kommen dann nebeneinander zur Anwendung. 16 Dient ein Kapitaltransfer der Errichtung oder dem Betrieb einer Niederlassung, der Erbringung einer Dienstleistung oder der Ausübung einer unselbständigen Arbeitstätigkeit, greift außer der Kapitalverkehrsfreiheit auch die Gewährleistung der freien Niederlassung, der Dienstleistungsfreiheit bzw der Arbeitnehmerfreizügigkeit ein.17 Diese kumulative Anwendung mehrerer Grundfreiheiten ist allerdings nicht unumstritten. Einige Autoren halten sie für falsch und meinen, dass auf eine Transaktion nur eine einzige Grundfreiheit zur Anwendung kommen könne.18 Um die Exklusivität einer Grundfreiheit herzustellen, plädieren sie dafür, den Grundfreiheitsschutz auf eine Grundfreiheit zu lenken und die anderen angesprochenen Grundfreiheiten zurücktreten zu lassen. Den Vertretern dieser Auffassung bereitet beträchtliche Schwierigkeiten, aus mehreren berührten Grundfreiheiten diejenige auszuwählen, der der Vorrang gebühren soll. Betrachten wir das Zusammentreffen mit der Niederlassungsfreiheit. Zu diesem kommt es dort, wo jemand ein Unternehmen gründet oder erwirbt, eine Zweigstelle errichtet oder eine andere selbständige Erwerbstätigkeit aufnimmt oder ausübt und hierfür Vermögensgegenstände (nämlich Gesellschaftsanteile, die Einfluss auf die Geschäftsleitung vermitteln, oder Produktionsmittel wie Maschinen und Grundstücke) erwirbt. Hält man mehrere Grundfreiheiten für kumulativ anwendbar, steht dieser Vermögenserwerb - man bezeichnet ihn als „Investition", weil er unternehmerischen Zwecken dient - nicht nur unter dem Schutz der Kapitalverkehrsfreiheit, sondern auch unter dem der Niederlassungsfreiheit. 19 Wer dagegen für eine Kanalisierung auf eine einzige Grundfreiheit eintritt, muss sich zwischen der Kapitalverkehrsfreiheit und der Niederlassungsfreiheit entscheiden. Wenig überraschend schlagen die Vertreter der Exklusivitätsthese hierzu unterschiedliche Lösungen vor. Ein Teil von ihnen will der Kapitalverkehrsfreiheit den Vorrang einräumen und den Grundfreiheitsschutz des mit einer Niederlassung einhergehenden Vermögenserwerbs allein auf Art 56 EGV (Art III-156 W E ) stützen.20 Zur Begründung beruft man sich auf den Vorbehalt, den das Niederlassungsrecht zugunsten der Bestimmungen über den Kapitalverkehr ausspricht (Art 43 II EGV/ Art III-137 II W E ) . Ein anderer Teil gibt demgegenüber der Niederlassungsfreiheit den
16 Allgemein zu den Konkurrenzen § 7 Rn 57. 17 So die vorherrschende Auffassung; aus der Rechtsprechung siehe zB EuGH, Slg 1995, 3955, Rn 10f - Svensson (parallele Anwendung sowohl der Kapitalverkehrsfreiheit als auch der Dienstleistungsfreiheit); aus dem Schrifttum siehe etwa Tiedje/Troberg in: vd Groeben/Schwarze Art 43 EGV Rn 8-31; Streinz ER Rn 764 f; R Weber in: Lenz Vorbem zu den Art 56-60 EGV Rn 11 f; Müller (Fn 10) S 190-197; Glaesner in: Schwarze Art 58 EGV Rn 8; S Weber EuZW 1992, 561, 564 f; Glöckner EuR 2000, 592, 592, 594-607; Haferkamp Die Kapitalverkehrsfreiheit im System der Grundfreiheiten des EG-Vertrags, 2003, S 161-206; teilweise auch Ohler Europäische Kapitalund Zahlungsverkehrsfreiheit, 2002, Art 56 Rn 95-197. 18 Freitag EWS 1997, 186, 188; Fischer ZEuS 2000, 391, 400; Ohler W M 1996, 1801, 1802 f; anders inzwischen Ohler (Fn 17) Art 56 Rn 114-117. 19 RandelzhoferlForsthoff in: Grabitz/Hilf Art 43 EGV Rn 114. 20 Kimms Die Kapitalverkehrsfreiheit im Recht der Europäischen Union, 1996, S 141.
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Vorzug; für Kapitalbewegungen, die im Zusammenhang mit einer Niederlassung erfolgen, gelte allein das Kapitel über die Niederlassungsfreiheit. 21 Mit ähnlichen Problemen hat die Exklusivitätslehre in den Fällen zu kämpfen, in denen Kapitalverkehr und Arbeitnehmertätigkeit in einer Handlung zusammenfallen. Man denke zB an den Grundstückserwerb durch einen Wanderarbeitnehmer. Will man den Schutz dieser Transaktion einer einzigen Grandfreiheit exklusiv zuweisen, kommt man nicht umhin, auf die Motive des Wanderarbeitnehmers abzustellen. Nach diesem Ansatz würde die Arbeitnehmerfreizügigkeit die Regelungen des freien Kapitalverkehrs dort verdrängen, wo der Arbeitnehmer die Immobilie als Wohnung zu nutzen plant. Soll sie ihm dagegen als Geldanlage dienen, wären allein die Bestimmungen über den Kapitalverkehr anzuwenden. 22 Diese Differenzierung ist weder sinnvoll noch durchführbar, weil die genannten Erwerbszwecke sich nicht ausschließen, sondern gleichzeitig verfolgt werden können. Man sollte daher anerkennen, dass zB der Erwerb von Grundeigentum durch einen Wanderarbeitnehmer unter dem Schutz sowohl der Kapitalverkehrsfreiheit als auch der Arbeitnehmerfreizügigkeit stehen kann. 23 Die Exklusivitätsthese verdient keine Gefolgschaft. Zuzustimmen ist vielmehr der Auffassung, dass in den Fällen, in denen eine Kapitalbewegung mit einer Niederlassung, einer Dienstleistung oder einer Arbeitsleistung einhergeht, zusätzlich zur Kapitalverkehrsfreiheit auch die jeweils andere berührte Grundfreiheit Anwendung findet.24 Zu den Konsequenzen einer kumulativen Anwendung gehört, dass sich der Schutzumfang der weiter reichenden Grundfreiheit durchsetzt. Verbietet eine Grundfreiheit lediglich Diskriminierungen (wie dies etwa zur Niederlassungsfreiheit und zur Arbeitnehmerfreizügigkeit vertreten wird),25 während die parallel anwendbare Grundfreiheit (wie etwa die Freiheit des Kapitalverkehrs) auch gleichmäßig anwendbare Beschränkungen erfasst, kommt das Beschränkungsverbot zum Tragen. 3. 4
Grenzübertritt
Damit ein Kapitalverkehr den Schutz des Art 56 EGV (Art III-156 W E ) erhält, muss er eine Staatsgrenze kreuzen; innerstaatlicher Kapitalverkehr liegt außerhalb des Schutzbereichs. Der Grenzübertritt kann auf verschiedenen Wegen erfolgen. Erstens kann das Kapital (dh das Vermögensrecht) den Ort seiner Belegenheit ändern und dabei eine Grenze überqueren. Anschaulich sind die Fälle, in denen Bargeld über die Grenze gebracht wird.26 Aber auch andere Kapitalformen können ihren Lageort wechseln. Forderungen zB gelten
21 Fischer ZEuS 2000, 391, 401 f; Freitag EWS 1997, 186, 190f; Ohler WM 1996, 1801, 1804; anders inzwischen Ohler (Fn 17) Art 56 Rn 114-117. Vgl auch die (wenig funktionsgerechte) Differenzierung, die Ress/Ukrow in: Grabitz/Hilf Art 56 EGV Rn 28-31 vorschlagen. 22 So etwa Ohler WM 1996, 1801, 1803f; Freitag EWS 1997, 186, 189. Ähnlich Schlussanträge GA Geelhoed, EuGH, Slg 2002,1-2161, Rn 59-74 - Reisch, für das Zusammentreffen von Kapitalverkehr und Dienstleistungserbringung. 23 Zur Arbeitnehmerfreizügigkeit vgl Art 9 I V O 1612/68 (VO über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft). Dort wird der Art 39 EGV (Art III-133 W E ) dahin konkretisiert, dass ausländische Arbeitnehmer hinsichtlich der Wohnung, einschließlich der Erlangung des Eigentums an ihr, alle Rechte und Vergünstigungen wie inländische Arbeitnehmer genießen. 24 Nachweise oben in Fn 17. 25 -»Hierüber § 9 Rn 41 ff; § 10 Rn 48 ff. 26 Siehe die Sachverhalte der EuGH-Urteile Slg 1995, 1-361, Rn 32-35 - Bordessa, und Slg 1995, 1-4821, Rn 40-48 - Sanz de Lera.
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als dort belegen, wo ihr Schuldner seinen Sitz hat.27 Zieht der Schuldner von Staat Α nach Staat B, bewegt sich der Lageort der Forderung über die Grenze. Entsprechendes gilt für GmbH-Geschäftsanteile, wenn der Sitz der GmbH von Α nach Β verlegt wird. Bei Inhaberpapieren wie etwa Inhaberaktien ist der Ort des Papiers der Lageort. Mithin wird durch ihre grenzüberschreitende Verbringung ein grenzüberschreitender Kapitalverkehr bewirkt. Das Sicherungsrecht (wie zB Sicherungseigentum), das an einer beweglichen Sache besteht, überschreitet die Grenze, wenn die Sache in einen anderen Staat gebracht wird. Die zweite Möglichkeit liegt darin, dass der Inhaber des Kapitals wechselt. Dabei wird eine Staatgrenze gewiss dann überschritten, wenn der Veräußerer das Vermögenswerte Recht einem Erwerber überträgt, der in einem anderen Staat ansässig ist. Man denke etwa an die Übereignung eines Grundstücks zwischen Ansässigen verschiedener Staaten oder an einen grenzüberschreitenden Vermögensübergang durch Erbfolge. Die Übertragung von Kapital kann eine Ländergrenze aber auch in einer weiteren Form überschreiten. Angesprochen sind die Fälle, in denen Veräußerer und Erwerber in demselben Staat sitzen und sich der Auslandsbezug allein daraus ergibt, dass der übertragene Vermögensgegenstand in einem anderen Staat belegen ist. Als Beispiele stelle man sich vor, dass ein in Deutschland lebender Veräußerer sein in Österreich gelegenes Grundstück einem gleichfalls in Deutschland lebenden Erwerber verkauft und übereignet oder dass ein deutscher Darlehensnehmer seiner deutschen Bank anbietet, Wertpapiere, die er in einem Luxemburger Depot verwahrt, als Sicherheit zu übertragen. In dieser Konstellation bleibt der durch die Übertragung ausgelöste Kapitalverkehr insofern auf einen Staat beschränkt, als Kapital von einem Inländer auf einen anderen Inländer übergeht. Gleichwohl sollte die EG-Kapitalverkehrsfreiheit auch hier Schutz gewähren. Dafür spricht ihr Regelungszweck. Sie soll sämtlichen Vermögenswerten die Grenzen öffnen. Dazu gehört auch, dass ein Inländer über einen in einem anderen Staat belegenen Vermögensgegenstand ebenso verfügen können muss wie über einen inländischen Gegenstand. Bei der überschrittenen Grenze muss es sich um eine Grenze zwischen zwei MitgliedStaaten oder zwischen einem Mitgliedstaat und einem Drittstaat handeln (Art 56 EGV/ Art III-156 W E ) . Die Kapitalverkehrsfreiheit ist damit die einzige Grundfreiheit, die nicht nur den innergemeinschaftlichen, sondern auch den Verkehr mit Drittstaaten vor ungerechtfertigten Einschränkungen (durch die Mitgliedstaaten oder die Gemeinschaft) schützt. So könnte sich zB ein Russe, der von einem Amerikaner ein Grundstück in Deutschland erwirbt, gegenüber deutschen oder EG-rechtlichen Regelungen, die diese Transaktion einschränken, auf den Schutz des Art 56 I EGV (Art III-156 W E ) berufen. Kapitalanlegern aus Drittstaaten soll damit die Gewähr gegeben werden, ihre Anlage in der EU jederzeit wieder auflösen und die Erträge rückführen zu können. 4.
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Zahlungsverkehr
Einen besonderen rechtlichen Status besitzen diejenigen Kapitalübertragungen, die zur Bezahlung einer Leistung erfolgen. Der EG-Vertrag gliedert sie aus dem Kapitalverkehr aus und erfasst sie stattdessen als Zahlungsverkehr (Art 56 II EGV/Art III-156 W E ) . Maßgeblich ist der Zweck der Kapitalbewegung. Wird Bargeld übereignet, eine Überweisung durchgeführt, ein Scheck ausgestellt oder ein Wechsel angenommen, um damit eine Leistung (wie etwa die Lieferung einer Sache oder eines Wertpapiers oder die Erbringung
27 Vgl etwa § 23 S 2 ZPO.
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einer Dienstleistung) zu bezahlen, handelt es sich um Zahlungsverkehr.28 Zahlungen erhalten einen speziellen Grundfreiheitsschutz, der über den Schutz des Kapitalverkehrs teilweise hinausgeht. Einige Beschränkungsmöglichkeiten, die beim Kapitalverkehr bestehen, gelten nicht für den Zahlungsverkehr. Der Grund dieser Besserstellung liegt darin, dass grenzüberschreitende Zahlungen nicht selten für Leistungen erfolgen, die ihrerseits unter dem Schutz anderer Grundfreiheiten (etwa des freien Warenverkehrs oder der freien Dienstleistungserbringung) stehen und die daher nicht an Einschränkungen scheitern sollen, die der EGV für den Kapitalverkehr (in den Art 57 EGV/Art III-157 YYE und 59 EGV/Art III-159 W E ) , nicht jedoch bei den anderen Grundfreiheiten erlaubt. Das bedeutet allerdings nicht, dass der Grundfreiheitsschutz des Art 56 II EGV (Art III-156 W E ) auf Zahlungen für solche Leistungen beschränkt wäre, die unter dem Schutz einer Grundfreiheit stehen. Er gilt vielmehr für jede grenzüberschreitende Zahlung.29 Ist zB der Kaufpreis für eine Warenlieferung innerhalb Deutschlands auf das Konto des Verkäufers bei einer Bank in der Schweiz zu zahlen, greift die Gewährleistung des Art 56 II EGV (Art III-156 W E ) ein. Zahlungen, die die Gegenleistung zu einem grenzüberschreitenden Waren-, Dienstleistungs-, Kapital-, Niederlassungs- oder Arbeitsverkehr darstellen, nehmen zum einen am Schutz der für die Hauptleistung bzw Haupttätigkeit geltenden Grundfreiheit (Art 28 f EGV/Art III-153 W E , Art 49 EGV/Art III-144 W E , Art 56 I EGV/Art III-156 W E , Art 43 EGV/Art III-137 W E bzw Art 39 EGV/Art III-133 W E ) teil und werden zum anderen nach Art 56 II EGV (Art III-156 W E ) geschützt.30
II. Beschränkungsverbot 7
Der EGV gewährleistet die Freiheit des Kapitalverkehrs und des Zahlungsverkehrs, indem er alle ungerechtfertigten Beschränkungen verbietet (Art 56 I und II EGV/Art III-156 W E ) . Dieses Verbot erfasst nicht nur diskriminierende Regelungen, die den grenzüberschreitenden Kapital- bzw Zahlungsverkehr (offen oder versteckt) stärker einengen als den innerstaatlichen. Vielmehr erstreckt es sich auf Maßnahmen, die unterschiedslos für grenzüberschreitende wie innerstaatliche Kapitalbewegungen gelten und diese in gleichem Maße einschränken. Das Verbot greift ein, sobald die Maßnahme den (grenzüberschreitenden) Kapital- bzw Zahlungsverkehr „unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell" behindert {Dassonville-Formel).31 Anders als im Recht des Warenverkehrs gibt es bei der Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit keine Regelungen, die von dem Beschränkungsverbot von vornherein befreit und damit per se zulässig wären. Das gilt zum einen für ausfuhrbeschränkende Maßnahmen. Nach der Rechtsprechung des EuGH greifen Maßnahmen, die die Ausfuhr einer Ware einschränken, dann nicht in die Freiheit des Warenverkehrs ein (und bedürfen daher keiner Rechtfertigung), wenn sie gleichmäßig
28 EuGH, Slg 1984, 377, Rn 21 f - Luisi: „Der Transfer von Banknoten kann ... nicht als Kapitalverkehr angesehen werden, wenn diesem Transfer eine Zahlungsverpflichtung entspricht... ."; aus dem Schrifttum siehe ResslUkrow in: Grabitz/Hilf Art 56 EGV Rn 174; Ohler (Fn 17) Art 56 Rn320. 29 BBPS Rn 842; Haferkamp (Fn 17) S 41. 30 Geiger EUV/EGV Art 56 EGV Rn 5. Anderer Auffassung zB ResslUkrow in: Grabitz/Hilf Art 56 EGV Rn 183: Der Art 56 II EGV sei lex specialis. 31 Vgl EuGH, Slg 1974, 837, Rn 6 - Dassonville. Zur Geltung im Recht der Kapitalverkehrsfreiheit siehe Rohde Freier Kapitalverkehr in der Europäischen Gemeinschaft, 1999, S 130 f.
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anwendbar sind, dh ohne Unterschied auch für den Absatz im Inland gelten.32 Schon beim Warenverkehr steht diese Ausnahme auf schwachen Füßen. 33 Es besteht kein Grund, sie auf die Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit zu übertragen. Zum anderen vermag auch die pauschale Ausklammerung von Regelungen sog Verkaufsmodalitäten keine Orientierung für die Reichweite der Kapitalverkehrsfreiheit zu geben. Seit dem KeckUrteil wendet der EuGH das Beschränkungsverbot der Warenverkehrsfreiheit nicht mehr auf mitgliedstaatliche Absatz- und Werbebeschränkungen an, sofern diese nur gleichmäßig gelten. Sie kommen in den Genuss einer Fiktion: Unabhängig von ihren Auswirkungen auf den Warenverkehr gelten sie als nicht geeignet, den Warenverkehr zu behindern.34 Bereits für den Warenverkehr lässt sich diese Bereichsausnahme kaum begründen.35 Sie ist nicht in der Lage, die in sie gesetzte Erwartung zu erfüllen und die von den EG-Freiheiten getragene Kontrolle staatlicher Eingriffe in den Wirtschaftsverkehr zu vereinfachen. Ebenso wenig wie sie Eingang in die Rechtsprechung zu den anderen Grundfreiheiten gefunden hat, sollte man sie zur Auslegung der Kapitalverkehrsfreiheit heranziehen.36 Das Beschränkungsverbot des Art 56 EGV (Art III-156 W E ) gilt unmittelbar: Die Bürger und Unternehmen können sich auf die Freiheit des Kapital- und Zahlungsverkehrs von ungerechtfertigten Beschränkungen berufen, ohne dass Vollzugsakte der Mitgliedstaaten erforderlich wären oder Harmonisierungsmaßnahmen der Gemeinschaft vorauszugehen hätten; die Gerichte und Behörden haben die Kapitalverkehrsfreiheit zu beachten und dürfen entgegenstehendes Recht nicht anwenden. 37 In dieser Hinsicht ist die Kapitalverkehrsfreiheit ein Nachzügler. Während die anderen Grundfreiheiten mit Ablauf der für den EGV vereinbarten Übergangszeit am 1.1.1970 unmittelbar anwendbar wurden, erlangte die Kapitalverkehrsfreiheit diese Wirkung erst viel später, nämlich zum 1.7.1990. Dem Vertragsartikel, der in der ursprünglichen Fassung des EGV die Freiheit des Kapitalverkehrs verbürgte und der Ende 1993 außer Kraft trat und durch Art 56 EGV ersetzt wurde (Art 67 EGV aF), wurde keine unmittelbare Geltung zuerkannt. Anders als der heutige Art 56 EGV (Art III-156 W E ) verbot er (ungerechtfertigte) Beschränkungen nicht bedingungslos, sondern lediglich insoweit, als diese „dem Funktionieren des Gemeinsamen Marktes" zuwiderliefen. Der Gerichtshof interpretierte diesen Vorbehalt dahin, dass das Beschränkungsverbot vom Ausmaß der Integration der nationalen Kapitalverkehrsregelungen abhänge. Da sich dieser Integrationsstand fortlaufend verändere, sei der Vorbehalt zu unbestimmt, um den Umfang der Kapitalverkehrsfreiheit bereits aus dem Primärrecht herleiten zu können. 38 Es war somit zunächst dem sekundären Gemein32 Übersicht bei OliverlJarvis Free Movement of Goods in the European Community, 4th edition 2003, Rn 6.81-6.90; § 8 Rn 33 ff. 33 Zur Kritik siehe ν Wilmowsky EuR 1996, 362, 363-368. 34 EuGH, Slg 1993,1-6097, Rn 16 - Keck. 35 Siehe ν Wilmowsky EuR 1996, 362, 368-371. 36 Vgl EuGH, Slg 2003, 1-4644, Rn 45-47 - Kommission/Vereinigtes Königreich; Slg 2003, 1-4581, Rn 58-62 - Kommission/Spanien; gegen eine Übernahme der A>cA:-Rechtsprechung auch Fischer ZEuS 2000, 391, 404; Kimms (Fn 20) S 183. Anderer Auffassung sind zB Glöckner EuR 2000, 592, 614-620; Rohde (Fn 31) S 131 f. Zur Vertiefung siehe Randelzhoferl Forsthoff in: Grabitz/Hilf Vorbem zu den Art 39-55 EGV Rn 86-121. 37 EuGH, Slg 1995,1-4821, Rn 40-48 - Sanz de Lera (spanische Regelung, die die Ausfuhr von Bargeld und Inhaberschecks einer Genehmigungspflicht unterwarf). 38 EuGH, Slg 1981, 2595, Rn 8-13 - Casati (italienische Genehmigungspflicht für die Ausfuhr von Bargeld).
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schaftsrecht überlassen, über das Ausmaß der Liberalisierung im Kapitalverkehr zu entscheiden. Erst die 1988 verabschiedete RL 88/361 statuierte ein Beschränkungsverbot, welches nicht mehr auf den erreichten Integrationsstand abstellte.39 Dieses Beschränkungsverbot erlangte (mit Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie) am 1.7.1990 unmittelbare Geltung.40 Das Primärrecht zog 1993 nach, indem es den heutigen Art 56 EGV (Art III-156 W E ) schuf. (Da der Art 56 EGV/Art III-156 W E mit Art 1 der RL 88/361 weitgehend übereinstimmt, kann man zu einzelnen Fragen die RL weiterhin heranziehen, insbesondere ihrem Anhang I - der sog Nomenklatur für den Kapitalverkehr - einige der geschützten Tätigkeiten entnehmen. Allerdings ist die RL nicht in der Lage, die Reichweite des Primärrechts festzulegen. Auch besitzt die dort vorgenommene Klassifizierung keine Bedeutung mehr.) Durch Art 56 I EGV (Art III-156 W E ) sind ua grundsätzlich verboten (und damit rechtfertigungsbedürftig): Ein- und Ausfuhrbeschränkungen für Zahlungsmittel; Beschränkungen des Erwerbs von Gesellschaftsanteilen; Behinderungen von Fremdwährungsschulden; Kanalisierung des Handels mit Wertpapieren oder Devisen auf bestimmte Rechtspersonen; Behinderungen der Aufnahme von Darlehen im Ausland (etwa durch eine Bardepotpflicht); Behinderungen der Ausgabe von Schuldverschreibungen; Benachteiligungen von Ausländern beim Erwerb von Grundstücken. Aufgrund der Zahlungsverkehrsfreiheit (Art 56 II EGV/Art III-156 W E ) ist es den Mitgliedstaaten zB verboten, bestimmte Zahlungsarten oder -wege vorzuschreiben.41 Das Beschränkungsverbot des Art 56 EGV (Art III-156 W E ) ist nicht schrankenlos. Maßnahmen der Mitgliedstaaten oder der Gemeinschaft, die den grenzüberschreitenden Verkehr beschränken, werden durch Art 56 EGV (Art III-156 W E ) nicht absolut verboten. Vielmehr unterliegen sie einem Rechtfertigungszwang: Sie müssen geeignet und erforderlich sein, Belange des Allgemeinwohls zu fördern, denen das primäre Gemeinschaftsrecht einen höheren Stellenwert einräumt als dem ungehinderten Kapitalverkehr. Bei den Rechtfertigungsgründen ist zu unterscheiden, ob der Kapitalverkehr innerhalb der Gemeinschaft oder im Verhältnis zu Drittstaaten eingeschränkt wird; für letztgenannte Maßnahmen sieht der EGV zusätzliche Gründe vor. III. Rechtfertigung von Beschränkungen innerhalb der Gemeinschaft: Die Schutzgüter des Art 58 EGV (Art III-158 VVE) und die zwingenden Erfordernisse
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Für Maßnahmen, die den grenzüberschreitenden Kapital- bzw Zahlungsverkehr nicht nur gegenüber Drittstaaten, sondern auch innerhalb der Gemeinschaft einschränken, kommen Rechtfertigungsgründe aus zwei Gruppen in Betracht. Die niedergeschriebenen, dh im EGV kodifizierten, Schutzgüter finden sich in Art 58 EGV (Art III-158 W E ) . Dort sind genannt: die Steuern (auf Kapitaleinkünfte) (Abs 1 lit a), die innerstaatlichen Rechts- und
39 Art 1 I 1 RL 88/361. 40 EuGH, Slg 1995, 1-361, Rn 32-35 - Bordessa (spanische Genehmigungspflicht für die Ausfuhr von Bargeld und Inhaberschecks). 41 Heute nicht mehr zulässig wäre die Regelung der früheren Belgisch-Luxemburgischen Währungsunion, die es den Exporteuren Belgiens und Luxemburgs verbot, Bargeld entgegenzunehmen, sondern von ihnen verlangte, sich die Verkaufspreise überweisen zu lassen; siehe den Sachverhalt zu EuGH, Slg 1988,1-4369 ff - Lambert.
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Verwaltungsvorschriften, die Information über den Kapitalverkehr und die öffentliche Ordnung und Sicherheit (Abs 1 lit b). Dass der EGV die „innerstaatlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften" als eigenen Interventionsgrund nennt, erweckt den Eindruck, die Mitgliedstaaten dürften den grenzüberschreitenden Kapitalverkehr beliebig einschränken, so sie ihre Maßnahmen nur in Rechts- oder Verwaltungsvorschriften gießen.42 Bei diesem Verständnis wäre das Beschränkungsverbot des Art 56 EGV (Art III-156 W E ) aus den Angeln gehoben. Da dies weder der Integrationsfunktion dieser Bestimmung noch den Intentionen der Vertragsverfasser entsprechen würde, ist vorauszusetzen, dass die betreffende mitgliedstaatliche Vorschrift ihrerseits materiell gerechtfertigt ist und einem zwingenden Belang des Allgemeinwohls dient. 43 Die „öffentliche Ordnung" wird durch die grundlegenden Regeln einer Gesellschaft gebildet, zu denen auch die wichtigsten Strafbestimmungen zählen.44 Unter diesem Gesichtspunkt können Einschränkungen des Kapital- oder Zahlungsverkehrs etwa zur Bekämpfung der Geldwäsche oder des Drogenhandels gerechtfertigt sein.45 Um die „öffentliche Sicherheit", einen Teilbereich der öffentlichen Ordnung, gegen innere und äußere Bedrohungen zu verteidigen, kann zB gegen Kapitalbewegungen verfassungsfeindlicher oder terroristischer Gruppen vorgegangen werden. Kapitalbewegungen, die mit der Errichtung einer Niederlassung einhergehen, dürfen - über Art 58 I EGV (Art III-158 I W E ) hinaus - auch aus denjenigen Gründen beschränkt werden, die zu Einschränkungen der freien Niederlassung berechtigen (Art 58 II EGV/Art III-158 II W E ) . Für Transaktionen, die sowohl einen Kapitalverkehr als auch eine Niederlassung darstellen, wird der Katalog der zulässigen Beschränkungen des Kapitalverkehrs damit um die Beschränkungsmöglichkeiten des Niederlassungsrechts ergänzt.46 Schon früh legte sich der Gerichtshof darauf fest, dass die im EGV kodifizierten Ermächtigungen zur Einschränkung von Grundfreiheiten (wie zB die Art 30 EGV/Art III154 W E , Art 39 IV EGV/Art III-133 IV W E , Art 45 EGV/Art III-139 W E , Art 46 EGV/Art III-140 W E , Art 55 EGV/Art III-150 W E und Art 58 EGV/Art III-158 W E ) eng auszulegen sind und die schutzfähigen Rechtsgüter abschließend aufzählen. Um der Vielzahl solcher legitimer Interventionsinteressen Rechnung tragen zu können, die wie zB der Umweltschutz und der Verbraucherschutz in den ausdrücklichen Schranken der Grundfreiheiten keine Erwähnung gefunden haben, musste er daher eine zweite Gruppe 42 Dieser Standpunkt wird vertreten in: Schlussanträge GA Saggio, EuGH, Slg 2000, 1-1335, Rn 18 - Scientologie. Er meint, die Mitgliedstaaten verfügten beim Kapitalverkehr über einen größeren Handlungsspielraum als beim Waren- und Personenverkehr und könnten Einschränkungen des Kapitalverkehrs auf innerstaatliche Vorschriften „gleich welcher Art" stützen. 43 Zur entsprechenden Problematik bei der öffentlichen Ordnung vgl EuGH, Slg 1984, 1299, Rn 32 f Prantl: Eine mitgliedstaatliche Regelung gehört nicht schon deshalb zur „öffentlichen Ordnung", weil sie mit einer Strafsanktion bewehrt ist. 44 EuGH, Slg 1977, 1999, Rn 33-35 - Bouchereau; Slg 1982, 1665, Rn 8 - Adoui; Slg 2000,1-1335, Rn 17 - Scientologie: „Grundinteresse der Gesellschaft"; weitere Nachweise bei Müller-Graff in: vd Groeben/Schwarze Art 30 EGV Rn 49 f. 45 EuGH, Slg 1995,1-361, Rn 21 - Bordessa. 46 Umgekehrt gilt dasselbe: Maßnahmen, die nach den Bestimmungen über den Kapitalverkehr zulässig sind, schränken auch die niederlassungsrechtliche Seite der Transaktion in zulässiger Weise ein (Art 43 II EGV/Art III-137 II W E ) . Die wechselseitigen Vorbehalte der Art 43 II (Art III-137 II W E ) und 58 II (Art III-158 II W E ) EGV erklären damit die Einschränkungsgründe des jeweils anderen Vertragskapitels für anwendbar. Vgl auch Kiemel in: vd Groeben/Schwarze Art 56 EGV Rn 19; S Weber EuZW 1992, 561, 565.
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von Rechtfertigungsgründen schaffen: die „zwingenden Erfordernisse des Allgemeinwohls". Er beschreitet dabei einen induktiven Weg und entscheidet anhand einzelner Fälle, welchem staatlichen Regelungsinteresse Vorrang vor dem freien Wirtschaftsverkehr und damit Anerkennung als „zwingendes Erfordernis des Allgemeinwohls" gebührt. Den Versuchen, aus dieser Rechtsprechung allgemeine Kriterien zu gewinnen, war bislang wenig Erfolg beschieden. An der (verbreiteten) Einschätzung, ausschließlich „nichtwirtschaftliche" Regelungszwecke könnten ein zwingendes Erfordernis sein,47 trifft zu, dass protektionistische Maßnahmen, mit denen die Mitgliedstaaten einheimische Interessengruppen vor ausländischer Konkurrenz in Schutz zu nehmen suchen, nicht gerechtfertigt werden können. Der Gerichtshof umschreibt diesen Befund regelmäßig mit der Formel, dass „einem Mitgliedstaat ... nicht gestattet werden [kann], sich den Wirkungen der im Vertrag vorgesehenen Maßnahmen unter Berufung auf die wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu entziehen, die durch die Beseitigung der Behinderungen des innergemeinschaftlichen Handels entstehen."48 Nicht jedes wirtschaftliche Interesse trifft jedoch der Protektionismusvorwurf. Im Gegenteil ist für eine Reihe „wirtschaftlicher" Regelungsinteressen anerkannt, dass sie zu Einschränkungen der Grundfreiheiten berechtigen. Mit Skepsis sollte man auch der verbreiteten Ansicht begegnen, dass zwingende Erfordernisse - anders als die kodifizierten Rechtfertigungsgründe - allein solche Einschränkungen stützen könnten, die unterschiedslos für in- und ausländische Sachverhalte gelten; unterschiedftcA anwendbare Maßnahmen könnten dagegen nicht durch ein zwingendes Erfordernis gerechtfertigt sein.49 Diese Differenzierung zwängt die Interessenabwägung in ein formales Korsett, das der Komplexität der Konflikte zwischen mitgliedstaatlicher Regelungsgewalt und Wirtschaftsintegration kaum gerecht wird. Es macht wenig Sinn, die Unterscheidung zwischen unterschiedlich und unterschiedslos anwendbaren Maßnahmen aus der Tatbestandsseite zu verbannen (indem man die in den Grundfreiheiten ausgesprochenen Beschränkungsverbote auf gleichmäßig anwendbare Maßnahmen erstreckt), aber ihr auf der Rechtfertigungsseite erkenntnisleitende Funktion zuzumessen. So nimmt es denn nicht wunder, dass man immer wieder auf Urteile stößt, in denen der EuGH Einschränkungen von Grundfreiheiten mit einem zwingenden Erfordernis rechtfertigt, obwohl sie unterschiedlich anwendbar waren und den grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr stärker als den innerstaatlichen belasteten.50 Im Bereich des Kapitalverkehrs kommen als zwingende Erfordernisse ua in Betracht: die Stabilität des Geldwerts, die Funktionsfähigkeit der Kapitalmärkte sowie der Kreditwirtschaft, der Verbraucherschutz, der Umweltschutz sowie Belange der Raumordnung und Stadtplanung. In welchem Ausmaß die Mitgliedstaaten und der einfache Gemeinschaftsgesetzgeber den (grenzüberschreitenden) Kapital- bzw Zahlungsverkehr einschränken dürfen, ohne gegen das Beschränkungsverbot des Art 56 EGV (Art III-156 W E ) zu verstoßen,
47 Nachweise ua bei Müller-Graff in: vd Groeben/Schwarze Art 28 EGV Rn 204; Ress/Ukrow in: Grabitz/Hilf Art 58 EGV Rn 4. 48 Vgl etwa EuGH, Slg 1984, 2727, Rn 35 - Campus Oil. 49 Ständige Rechtsprechung des EuGH; Nachweise ua bei Leible in: Grabitz/Hilf Art 28 EGV Rn20. 50 Siehe zB EuGH, Slg 1992, 1-305, Rn 10-21 - Kommission/Belgien (unterschiedlich anwendbare Steuerregelung). Vgl auch die Kritik von OliverlJarvis (Fn 32) Rn 8.04-8.09; Müller-Graff in: vd Groeben/Schwarze Art 28 EGV Rn 193-197; Leible in: Grabitz/Hilf Art 28 EGV Rn 20; ν Wilmowsky EuR 1992,414,415.
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Freiheit des Kapital- und Zahlungsverkehrs
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erschließt sich, wenn man die einzelnen Regelungsfelder (wie zB Steuerrecht, Unternehmensrecht, Außenwirtschaftsrecht, Währungsrecht, Grundstücksrecht, Kreditsicherungsrecht) betrachtet.
IV. Einzelne Regelungsfelder 1. Steuerrecht: Besteuerung von Kapitalerträgen Die Erhebung von Steuern belastet den Wirtschaftsverkehr. Soweit auch der grenzüberschreitende Wirtschaftsverkehr belastet wird, rücken die Steuerregelungen auf den Prüfstand der Grundfreiheiten des EGV. Welche der Grundfreiheiten heranzuziehen ist, hängt von dem Gegenstand der Besteuerung ab. Die Freiheit des Kapitalverkehrs ist angesprochen, wenn die Übertragung, das Innehaben oder der Ertrag von Kapital einer Steuer unterworfen wird.51 Zu denken ist etwa an die Besteuerung des Erwerbs von Grundstücken, Wertpapieren, Gesellschaftsanteilen oder Devisen, die Besteuerung von Darlehen und die Besteuerung von Erbschaften. Hinsichtlich der Kapitalerträge sind vor allem Steuern auf Darlehenszinsen sowie auf Ausschüttungen an Gesellschafter (Dividenden) zu erwähnen. Die Rechtfertigung von Grundfreiheitseinschränkungen hängt in erster Linie davon ab, ob die Steuerregelung gleichmäßig anwendbar ist oder ob sie unterschiedliche Bedingungen für den mitgliedstaatsinternen und den grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr setzt.
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a) Gleichmäßig wirkende Steuerregelungen Belastet die Steuerregelung den grenzüberschreitenden Kapitalverkehr in demselben Maß wie den innerstaatlichen, bereitet ihre Rechtfertigung keine Probleme. Die Erzielung staatlicher Einnahmen durch Steuern ist als ein im Allgemeinwohl liegendes Regelungsinteresse anerkannt.52 Speziell für die Kapitalverkehrsfreiheit ergibt sich dies aus Art 58 I EGV (Art III-158 I W E ) . Indem dort einzelne Aspekte der Besteuerung, nämlich die Differenzierung von Steuern nach dem Wohnort des Steuerpflichtigen und dem Anlageort des Kapitals (lit a) und die Bekämpfung der Steuerhinterziehung (lit b), als Eingriffsgründe genannt sind, bringt diese Bestimmung zum Ausdruck, dass dann auch die Erhebung von Steuern die Kapitalverkehrsfreiheit in zulässiger Weise einschränkt. (Bei den anderen Grundfreiheiten folgt dies aus dem Cawis-Urteil, welches die wirksame steuerliche Kontrolle beispielhaft als „zwingendes Erfordernis" nennt 53 und damit offensichtlich auch die Erzielung von Einnahmen zu den staatlichen Regelungsinteressen zählt, die Einschränkungen des Wirtschaftsverkehrs rechtfertigen.) Folgerichtig stößt die österreichische Steuer auf Darlehen auf keine grundsätzlichen europarechtlichen Bedenken.54 Sie ist von jedem in Österreich ansässigen Darlehensnehmer (in Höhe von 0,8% des Darlehensbetrags) zu entrichten, wobei gleichgültig ist, ob das Darlehen bei einem inländischen oder einem ausländischen Darlehensgeber aufgenommen wird. Insoweit wird die grenzüberschreitende Darlehensaufnahme in demselben Maße wie das innerstaatliche Dar-
51 52 53 54
Siehe Schön GS Knobbe-Keuk, 1997, S 743, 756 f. Siehe auch Ohler WM 1996, 1801,1807; Müller (Fn 10) S 332 f. EuGH, Slg 1979, 649, Rn 8 und 14 - Rewe. Siehe den ersten Teil des Samfoz-Urteils: EuGH, Slg 1999, 1-7041, Rn 17-27 - Sandoz. (Zum zweiten Teil siehe unten Fn 66).
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lehensgeschäft belastet. Politisch aktuell ist die Frage, ob die Gemeinschaft oder die Mitgliedstaaten den Erwerb ausländischer Währungen mit einer Umsatzsteuer (sog TobinSteuer) belasten dürften, ohne gegen Art 56 I EGV (Art III-156 W E ) zu verstoßen.55 Da die Besteuerung des Umsatzes von Waren und Dienstleistungen (durch die Mehrwertsteuer) und des Umsatzes von Grundstücken (durch die Grunderwerbsteuer) mit den Freiheiten des Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehrs in Einklang steht, sollte dasselbe für die Besteuerung des Umsatzes von Devisen gelten. Stellt die Erzielung staatlicher Einnahmen ein legitimes Regelungsziel dar, können allein diskriminierende Steuerregelungen gegen die Grundfreiheiten verstoßen. b) Unterschiedlich wirkende (dh diskriminierende) Steuerregelungen
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Fall: (EuGH, Slg 2000,1-4071 ff - Verkooijen) Der in den Niederlanden lebende V besaß Aktien der Petrofina NV, einer belgischen Aktiengesellschaft. Auf diese Aktien wurde 1991 eine Dividende in Höhe von 2.337 Gulden (ca 1.060 €) ausgeschüttet. Ordnungsgemäß gab V diese Einkünfte in seiner (niederländischen) Steuererklärung an, wobei er erwartete, dass sie in Höhe des gesetzlichen Freibetrags für Einkünfte aus Kapitalvermögen (2.000 Gulden) steuerfrei bleiben würden. Nach Art 47b des niederländischen Einkommensteuergesetzes galt der Freibetrag jedoch allein für solche Dividendeneinkünfte, die von Kapitalgesellschaften mit Sitz in den Niederlanden stammten. Da die Petrofina NV ihren Sitz in Belgien hat, brachte die niederländische Finanzverwaltung den Freibetrag nicht zum Ansatz und unterwarf die Dividenden vollständig der Einkommensteuer. Hiergegen klagte V. Das höchste niederländische Gericht, der Höge Raad, legte dem EuGH zur Vorabentscheidung ua die Frage vor, ob die Beschränkung des Freibetrags auf Dividenden inländischer Gesellschaften mit den Vorschriften des EGV über den Kapitalverkehr in Einklang stehe. aa) Der Steuervorbehalt des Art 58 I lit a EGV (Art III-158 I lit a W E )
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Steuerregelungen diskriminieren, wenn sie den grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr stärker belasten als den mitgliedstaatsinternen Wirtschaftsverkehr. 56 Für die Fälle, in denen die Steuerregelung in eine andere Grundfreiheit als die hier behandelte Kapitalverkehrsfreiheit eingreift, indem sie den innergemeinschaftlichen Warenverkehr, die Dienstleistungserbringung, die Arbeitnehmerfreizügigkeit oder die Niederlassungstätigkeit belastet, hat sich als Rechtssatz herausgebildet: Diskriminierende Steuerregelungen sind unzulässig, es sei denn, sie sind sachlich gerechtfertigt.57 Beim Kapitalverkehr stellt sich die Frage, ob ungleichmäßig wirkende Steuerregelungen an einem anderen, weniger strengen Maßstab zu messen sind. Das Kapitel des EGV zum Kapitalverkehr enthält eine besondere Bestimmung zu diskriminierenden Steuerregelungen. In Art 58 I lit a EGV (Art III-158 I
55 Zu diesem Vorschlag siehe Tobin 1978 Eastern Economic Journal 153, 155: "The proposal is an internationally uniform tax on all spot conversions of one currency into another, proportional to the size of the transaction." 56 Bei den direkten Steuern bereitet die Beantwortung der Frage, wann Gebietsfremde tatsächlich benachteiligt werden, beträchtliche Schwierigkeiten; siehe hierzu die Analyse der EuGH-Rechtsprechung durch Schön GS Knobbe-Keuk, 1997, S 743, 758-761. 57 Siehe zB EuGH, Slg 1995, 1-225, Rn 39 - Schumacker (Arbeitnehmerfreizügigkeit); Slg 1995, 1-2493, Rn 23-27 - Wielockx (Niederlassungsfreiheit); Überblick bei Voß in: HdBEUWirtschR Kap J R n 18-35.
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lit a W E ) heißt es, dass die Steuerrechte der Mitgliedstaaten nach dem Wohnort des Steuerpflichtigen und nach dem Ort der Kapitalanlage unterscheiden dürfen, ohne dadurch gegen die in Art 56 EGV (Art III-156 W E ) verbürgte Kapitalverkehrsfreiheit zu verstoßen. Dem Wortlaut nach scheint diese Bestimmung steuerrechtliche Ungleichbehandlungen, die auf den Wohnort oder den Anlageort abstellen, auch dann zuzulassen, wenn diese sachlich nicht gerechtfertigt sind. Als dieser sog Steuervorbehalt mit Wirkung ab dem 1.1.1994 in den EGV aufgenommen wurde, hofften seine Initiatoren in der Tat, den Mitgliedstaaten die Beibehaltung einer Reihe diskriminierender Steuerregelungen zu ermöglichen.58 Diese Erwartungen mussten jedoch enttäuscht werden. Im Jahr 2000 entschied der EuGH, dass der Steuervorbehalt des Art 58 I lit a EGV (Art III-158 I W E ) die sachliche Rechtfertigung von Differenzierungen nach dem Wohnort des Steuerpflichtigen oder dem Anlageort des Kapitals nicht entbehrlich macht.59 Der Steuervorbehalt steht nämlich seinerseits unter dem Vorbehalt des Absatzes 3 des Art 58 EGV (Art III-158 III W E ) , der willkürliche, dh sachlich nicht gerechtfertigte, Differenzierungen verbietet. Folglich bedürfen auch die Differenzierungen nach den im Steuervorbehalt genannten Merkmalen (Wohnort und Anlageort) einer sachlichen Rechtfertigung. Für die ungleich wirkende Steuerregelung muss ein sachlicher Grund bestehen, der in geeigneter, erforderlicher und verhältnismäßiger Weise verfolgt wird. Der Gerichtshof schätzt den Steuervorbehalt des Art 58 I lit a EGV (Art III-158 I lit a W E ) somit als eine deklaratorische Regelung ein, die die Anforderungen, die bei den anderen Grundfreiheiten für ungleichmäßig wirkende Einschränkungen gelten, für Belastungen des Kapitalverkehrs durch ungleich wirkende Steuerregelungen nicht verringere.60 Entgegen den Zielen der Initiatoren gestattet der Steuervorbehalt mithin keine zusätzlichen Eingriffe in den Kapitalverkehr, sondern nur solche, die auch nach den allgemeinen Grundsätzen zu den Einschränkungen von EG-Grundfreiheiten zulässig wären.61 bb) Rechtfertigungsgrund Man steht somit vor der Frage, welche „zwingenden Erfordernisse des Allgemeinwohls" in der Lage sind, Steuerregelungen zu rechtfertigen, die den grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr stärker als den innerstaatlichen belasten. Ob es solche Rechtfertigungsgründe überhaupt geben kann, ist alles andere als geklärt. Der EuGH erachtet die „Kohärenz" (dh den „Zusammenhang") des nationalen Steuerrechts als ein zwingendes Erfordernis, welches Diskriminierungen des grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehrs bei der Besteuerung stützen könne.62 Nicht deutlich wird allerdings, was mit „Kohärenz" 58 Zu den Hintergründen siehe Kiemel in: vd Groeben/Schwarze Art 58 EGV Rn 12-14. In der Schlussakte zum Änderungsvertrag von Maastricht erklärte die Regierungskonferenz, dass der Steuervorbehalt allein für solche Regelungen gelten soll, die Ende 1993 in den Mitgliedstaaten bestanden (Erklärung Nr 7). Solche Erklärungen sind bei der Auslegung des EGV zu berücksichtigen. Siehe aber unten Fn 61. 59 EuGH, Slg 2000,1-4071, Rn 43-46 - Verkooijen; ebenso Schlussanträge GA La Pergola in derselben Rechtssache, EuGH, Slg 2000,1-4071, Rn 33 - Verkooijen; seitdem ständige Rspr. 60 Für dieses Verständnis hatten sich auch ausgesprochen: Bachmann RIW 1994, 849, 850 f; Schön GS Knobbe-Keuk, 1997, S 743, 763-768; Dautzenberg RIW 1998, 537, 540-542; ähnlich Ohler WM 1996, 1801, 1807. 61 Daher kann auch die Erklärung Nr 7 (Fn 58) keine juristische Bedeutung entfalten; Schön GS Knobbe-Keuk, 1997, S 743, 768 mit dortiger Fn 113. 62 EuGH, Slg 1992, 1-305, Rn 14-21 - Kommission/Belgien; weitgehend inhaltsgleich mit EuGH,
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genau gemeint ist. Zum Tragen kam dieser Rechtfertigungsgrund bislang nur in einem einzigen Fall, nämlich einem Vertragsverletzungsverfahren gegen Belgien wegen einer Einkommensteuerregelung, die einen inländischen Sachverhalt besser behandelte als einen grenzüberschreitenden.63 Alle anderen Versuche von Mitgliedstaaten, ungleich wirkende Steuerregelungen mit der „Kohärenz" ihres Steuerrechts zu verteidigen, blieben erfolglos.64 Man sollte die Kohärenz daher nicht als Rechtfertigung für steuerliche Schlechterstellungen des grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehrs akzeptieren. Diskriminierende Steuerregelungen lassen sich nicht rechtfertigen.65 cc) Folgerungen Vor der Kapitalverkehrsfreiheit konnten folgende ungleich wirkende Steuerregelungen keinen Bestand haben: die Besteuerung von Darlehen ausländischer Darlehensgeber, nicht jedoch inländischer Darlehensgeber; 66 die günstigere Besteuerung solcher Zinseinkünfte, die Steuerpflichtige von Schuldnern erhalten, die ihren Sitz oder eine Niederlassung im Inland haben;67 die Beschränkung einer steuerlichen Förderung auf die Beteiligung an inländischen Unternehmen; 68 die Beschränkung eines Steuerfreibetrags auf Dividenden inländischer Gesellschaften; 69 die Beschränkung einer Befreiung von der Grunderwerbsteuer auf Grundstücksveräußerungen zwischen den inländischen Gesellschaften eines Konzerns; 70 ungünstigere Besteuerung des Gewinns aus einer Veräußerung von Aktien, wenn der Erwerber eine ausländische juristische Person ist.71 Gegen Art 56 EGV (Art III156 W E ) verstoßen auch die Ungleichbehandlungen, die bei den Anrechnungsverfahren auftreten, die in einigen Mitgliedstaaten für die Besteuerung des Dividendeneinkommens von Gesellschaftern gelten. Diese Verfahren rechnen die von der Gesellschaft gezahlte
Slg 1992,1-249, Rn 21-28 - Bachmann; bestätigt ua in EuGH, Slg 2000,1-4071, Rn 43 - Verkooijen; aus dem Schrifttum siehe Dautzenberg StuB 2000, 720, 725 f. 63 Um die Kosten einer Lebensversicherung von dem zu versteuernden Einkommen abziehen zu können, verlangte die belgische Regelung, dass das Versicherungsunternehmen seinen Sitz oder eine Niederlassung in Belgien hat; siehe Fn 62. 64 Als Belege siehe zB EuGH, Slg 2000, 1-7587, Rn 31 und 33-36 - Kommission/Belgien; sowie Schlussanträge GA Jacobs, EugH, Slg 2000,1-7587, Rn 51-58 - Kommission/Belgien (Verbot Belgiens, Papiere einer Auslandsanleihe zu erwerben); Slg 2001, 1-1727, Rn 67-76 - Metallgesellschaft (Besteuerung von Dividenden); Slg 2002,1-10829, Rn 72 iVm Rn 52-59 - X, Y/Riksskatteverk (Besteuerung des Veräußerungsgewinns von Aktien); EWS 2004, 361 Rn 34-39 - Lenz (Besteuerung von Dividenden); EuZW 2005, 19 Rn 40-48 - Manninen (Besteuerung von Dividenden); EWS 2004, 365 Rn 20-27 - Weidert und Paulus (Steuerfreibetrag für die Beteiligung an Unternehmen); ebenso Slg 2003,1-9409, Rn 29-32 - Bosal Holding BV (Konzernbesteuerung). 65 Siehe Ohler (Fn 17) Art 58 Rn 24. - Zu den Folgen für das deutsche Außensteuerrecht siehe Dautzenberg StuB 2000, 720, 726. 66 Zweiter Teil des Sandoz-Urteils: EuGH, Slg 1999,1-7041, Rn 28-38 - Sandoz. 67 EuGH, EWS 2004,190 ff - Kommission/Frankreich. 68 EuGH, EWS 2004, 365 fT - Weidert und Paulus. Vgl auch EuGH, Slg 2003, 1-9409 - Bosal Holding BV (Unterscheidung zwischen inländischen und ausländischen Tochtergesellschaften bei der Besteuerung der Muttergesellschaft; Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit). 69 EuGH, Slg 2000,1-4071 ff - Verkooijen. 70 Das Urteil EuGH, Slg 1994,1-1137 ff - Halliburton, stützt sich zwar auf die Niederlassungsfreiheit, doch fällt der grenzüberschreitende Grundstücksverkehr auch in den Anwendungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit. 71 EuGH, Slg 2002,1-10829 - X, Y/Riksskatteverk.
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Körperschaftsteuer (anteilig) auf die Einkommensteuer an, die der Gesellschafter für den Erhalt der Dividende zu zahlen hat. Kritisch ist, dass die Anrechnung auf inländische Kapitalgesellschaften beschränkt ist: Wer sich an einer ausländischen Gesellschaft beteiligt und von ihr Dividende bezieht, kann deren im Ausland gezahlte Körperschaftsteuer nicht von seiner (inländischen) Einkommensteuerschuld abziehen. Für dieses Schlechterstellung ausländischer Beteiligungen (in den körperschaftsteuerlichen Anrechnungsverfahren) gibt es keine Rechtfertigung.72 Die Unvereinbarkeit mit den EG-Grundfreiheiten gehörte zu den Gründen, aus denen Deutschland das Anrechnungsverfahren abschaffte und durch das Halbeinkünfteverfahren ersetzte,73 welches die Körperschaftsteuer der Gesellschaft nicht mehr anrechnet, sondern die vom Gesellschafter empfangene Dividende zur Hälfte steuerfrei lässt. Dies gilt auch für Dividenden ausländischer Gesellschaften.74 Auf noch ungelöste Probleme stößt man, wenn man die Einwirkung der EG-Grundfreiheiten auf die Doppelbesteuerung von Einkünften auszuloten versucht. Erzielt zB ein Gebietsansässiger des Staats Α Einkünfte in Staat Β (etwa aus Anteilen, die er an einer Gesellschaft in Β hält, aus der Vermietung eines Grundstücks in Β oder aus einer Arbeitstätigkeit in B), kann es geschehen, dass sowohl Α als auch Β diese Einkünfte besteuern. In den Fällen, in denen kein bilaterales Abkommen zwischen Α und Β besteht, welches eine Doppelbesteuerung vermeiden würde, stellt sich die Frage, ob die EG-Grundfreiheiten eine Doppelbesteuerung verbieten. Es handelt sich um eine faktische Diskriminierung: Indem die Einkünfte ohne Rücksicht auf die Belastung durch den anderen Staat besteuert werden, unterliegen sie einer höheren Belastung als die gleichen inländischen Einkünfte eines Inländers. Für die Diskriminierung sind somit die Maßnahmen zweier Staaten verantwortlich.75 Um sie zu beseitigen, muss einer der beiden Staaten Rücksicht auf die Maßnahme des anderen Staats nehmen und die dort zu entrichtende Steuer anrechnen. Die Schwierigkeit liegt nun darin, die Rollen zu verteilen: Welchem Staat gebührt der primäre Zugriff auf das Besteuerungsgut mit der Folge, dass der andere Staat zur Anrechnung verpflichtet ist?76 Noch schrecken viele Autoren davor zurück, aus den EG-Freiheiten eine derartige Rangfolge mitgliedstaatlicher Besteuerungszuständigkeiten herzuleiten.77 Damit kapitulieren sie vor einer gravierenden Diskriminierung. Für diese Zurückhaltung besteht kein Grund. Die Besteuerungsrangfolge, die der Einsatz des Diskriminierungsverbots durch die Gerichte hervorbringen würde, verdrängt nicht die politischen Entscheidungen, die die Mitgliedstaaten oder der Gemeinschaftsgesetzgeber hierzu fallen können. Diesen steht es frei, in Doppelbesteuerungsabkommen bzw EG-Richtlinien die faktische Diskri-
72 EuGH, EuZW 2005, 19 Rn 25-55 - Manninen; vgl auch F G Köln, Beschluss vom 24.6.2004, G m b H R 2004, 1091. So bereits Knobbe-Keuk FS F Klein, 1994, S 347, 351 f, 358; Rohde (Fn 31) S 168f; vgl auch den (teilweise veralteten) Überblick von Saß DB 1993, 113, 115-117. Anderer Auffassung ist etwa Schön GS Knobbe-Keuk, 1997, S 743, 775 f. 73 Siehe Pezzer StuW 2000, 144, 145 f. 74 Siehe § 3 Nr 40 lit d iVm § 20 I Nr 1 EStG. Vgl auch das in Österreich geltende Halbsairverfahren, welches die Dividende beim Gesellschafter mit dem halben Einkommensteuersatz besteuert. Anders als die deutsche Regelung galt die österreichische nur für Dividenden inländischer Gesellschaften. Insoweit stand sie in Widerspruch zur Gewährleistung des Art 56 EGV; siehe EuGH, EWS 2004, 361 Rn 23-49 - Lenz; vgl auch die Vorlagefrage in EuGH, Slg 2002,1-4573 - Schmid. 75 Schön GS Knobbe-Keuk, 1997, S 743, 761 f. 76 Diese Frage wird als der „endgültige" Testfall des Grundfreiheitsschutzes im Steuerrecht bezeichnet; siehe Vanistendael CMLRev 1996, 255, 265. 77 ZB Schön GS Knobbe-Keuk, 1997, S 743, 773.
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minierung auf einem anderen Weg, dh durch eine andere Zuweisung der Besteuerungsgüter, zu beseitigen. Erst ein Verbot der Doppelbesteuerung durch die Grundfreiheiten wird den Druck zu einer positiven Harmonisierung (durch Verhandlungen nach Art 293 EGV) erzeugen.
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Lösung des Falls: Die Regelung des niederländischen Einkommensteuergesetzes, den Freibetrag für Einkünfte aus Kapitalvermögen auf Dividenden niederländischer Gesellschaften zu beschränken, könnte gegen Art 56 I EGV (Art III-156 W E ) verstoßen. Diese Bestimmung schützt den Kapitalverkehr sowohl zwischen den EU-Staaten als auch im Verhältnis zu Drittstaaten vor ungerechtfertigten Beschränkungen. Empfangen Aktionäre Dividenden, handelt es sich um Kapitalverkehr, weil Geld übertragen wird, ohne dass hiermit eine Leistung des Empfängers (dh des Aktionärs) bezahlt würde. In den Schutzbereich des Art 56 I EGV (Art III-156 W E ) fallen solche Dividendenzahlungen, die eine Staatsgrenze überschreiten. Dass die Niederlande den Bezug von Dividenden auch ausländischer Gesellschaften besteuern, schränkt den grenzüberschreitenden Kapitalverkehr zwar ein, ist aber durch das Interesse des Staats, Einnahmen zu erzielen, gerechtfertigt. Problematisch ist allein die Regelung, den Empfang von Dividenden inländischer Kapitalgesellschaften in einer bestimmten Höhe von der Einkommensteuer zu befreien, diesen Freibetrag Dividenden ausländischer Kapitalgesellschaften aber vorzuenthalten. Ob diese Ungleichbehandlung gerechtfertigt ist, hängt von der Auslegung des Art 58 EGV (Art III-158 W E ) ab. Auf der einen Seite sind die Mitgliedstaaten nach Art 58 I lit a EGV (Art III-158 I lit a W E ) berechtigt, bei der Besteuerung von Kapitaleinkünften nach dem Anlageort des Kapitals zu unterscheiden. Danach scheinen die Mitgliedstaaten das Recht zu haben, Einkünfte aus Dividenden ausländischer Gesellschaften anders zu besteuern als die inländischer Gesellschaften. Andererseits macht Art 58 III EGV (Art III-158 III W E ) deutlich, dass auch im Steuerrecht jede willkürliche Diskriminierung verboten ist. Das Spannungsverhältnis zwischen diesen beiden Aussagen des Art 58 EGV (Art III-158 W E ) wird vom Gerichtshof dahin gelöst, dass der Steuervorbehalt des Abs 1 im Licht des Diskriminierungsverbots des Abs 3 auszulegen ist. Obwohl die niederländische Steuerregelung vom Wortlaut des Art 58 I lit a EGV (Art III-158 I lit a W E ) gedeckt erscheint, ist sie mithin nur dann zulässig, wenn sachliche Gründe bestehen, Dividendenzahlungen ausländischer Gesellschaften den Freibetrag zu verweigern. Derartige Gründe sind nicht ersichtlich.78 Der Ausschluss von Dividenden ausländischer Gesellschaften aus der Freibetragsregelung verstößt daher gegen Art 56 I EGV (Art III-156 W E ) . Er darf von der niederländischen Finanzverwaltung nicht länger angewendet werden.
2.
Unternehmensrecht
a) Privatisierungsrecht 22
Die Privatisierung staatlicher Unternehmen wird häufig von Maßnahmen begleitet, mit denen der Staat versucht, seinen Einfluss auf das Unternehmen zu erhalten. Im Vordergrund stehen die Kontrolle der Eigentümer und die der Geschäftspolitik. Zur ersten Gruppe: Einige Privatisierungsgesetze beschränken den Erwerb von Anteilen an dem Unternehmen. Wer sich zB in Portugal, Frankreich oder Großbritannien an bestimmten privatisierten Unternehmen (wie etwa dem französischen Energieunternehmen Elf-Aquitaine oder dem britischen Flughafenbetreiber BAA plc) beteiligen wollte, benötigte hier-
78 EuGH, Slg 2000,1-4071, Rn 47-62 - Verkooijen.
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für eine Genehmigung, wenn die Beteiligung über eine definierte Höhe (zB 10% bzw. 15%) hinausgehen sollte. Auf Belange des Allgemeinwohls können sich diese Beschränkungen des Kapitalverkehrs (uU auch der Niederlassungsfreiheit) nicht berufen; insbesondere sind sie nicht in der Lage, die öffentliche Ordnung oder Sicherheit (Art 58 II lit b EGV/Art III-158 I lit b W E ) zu erhöhen. 79 Ebenso wenig sind gesetzliche Regelungen zu rechtfertigen, die den Anteilserwerb zwar zulassen, dem Stimmrecht aus Gesellschaftsanteilen jedoch Höchstgrenzen ziehen (wie etwa das Gesetz über die Privatisierung des Volkswagenwerks, welches in seinem § 2 das Stimmrecht aus VW-Aktien auf 2 0 % begrenzt). 80 Eine zweite FaUgruppe bilden diejenigen staatlichen Maßnahmen, die dazu dienen, die Geschäfte des privatisierten Unternehmens zu kontrollieren. So sehen einige Privatisierungsgesetze vor, dass bestimmte Geschäfte des privatisierten Unternehmens (wie der Verkauf wichtiger Anlagen und Tochtergesellschaften) der Genehmigung durch den Staat bedürfen. Gleichfalls zu dieser Gruppe gehören staatliche Regelungen, die dem Staat unabhängig von der H ö h e der noch gehaltenen Gesellschaftsanteile Sitze in den Leitungsorganen der Gesellschaft reservieren. 81 Dass diese Maßnahmen häufig nicht in Gesetzen und Verordnungen, sondern in dem Gesellschaftsvertrag des privatisierten Unternehmens getroffen (und damit privatrechtlich eingekleidet) werden, entzieht sie nicht dem Anwendungsbereich der Grundfreiheiten. Ihrer Wirkung nach handelt es sich um staatliche Genehmigungsvorbehalte. Die mit ihnen einhergehenden Belastungen des Verkehrs mit Anteilen an dieser Gesellschaft lassen sich allenfalls selten rechtfertigen. Eine Rechtfertigung kommt lediglich dort in Betracht, wo das Unternehmen einen Beitrag zur öffentlichen Ordnung oder Sicherheit des Mitgliedstaats leistet (Art 58 I lit b EGV/Art III-158 I lit b W E ) . Denkbar ist dies ua bei Unternehmen der Energieversorgung oder Telekommunikation: In deren Geschäftstätigkeit darf der Staat eingreifen, wenn und soweit dies erforderlich ist, um schwerwiegende Gefährdungen der Versorgung mit dem betreffenden G u t abzuwenden. 82 79 Siehe im Einzelnen: EuGH, Slg 2002, 1-4783, Rn 50 f - Kommission/Frankreich (Privatisierung von Elf-Aquitaine); Slg 2002,1-4731, Rn 43-53 - Kommission/Portugal (privatisierte Gesellschaften) = Ehlers JK 10/02, EGV Art 56/1; Slg 2003, 1-4644, Rn 11, 44-50 - Kommission/Vereinigtes Königreich (Privatisierung der British Airport Authority; Beschränkung des Erwerbs von stimmberechtigten Gesellschaftsanteilen auf 15%). 80 BGBl I 1960, 585; geändert durch BGBl I 1970, 1149. 81 Siehe zB § 4 I des Gesetzes über das Volkswagenwerk (Fn 80): Die Bundesrepublik Deutschland und das Land Niedersachsen stellen, solange ihnen Aktien gehören, je zwei Mitglieder des (zwanzigköpfigen) Aufsichtsrats der Volkswagen AG. Während Niedersachsen Anteile besitzt, hält der Bund derzeit (2004) keine Aktien an der Volkswagen AG. 82 Diesen Anforderungen entspricht zB das Widerspruchsrecht, welches der belgische Staat gegen Geschäftsentscheidungen derjenigen Unternehmen besitzt, die in Belgien die Leitungsnetze für Strom und Erdgas betreiben; siehe EuGH, Slg 2002, 1-4809, Rn 48-55 - Kommission/Belgien. Dagegen war das Widerspruchsrecht, das sich der französische Staat gegen die Veräußerung bestimmter Tochtergesellschaften des Mineralölkonzerns Elf-Aquitaine vorbehalten hatte, nicht auf die Sicherung der Energieversorgung zugeschnitten und daher nicht von Art 58 EGV (Art III-158 W E ) gedeckt; siehe EuGH, Slg 2002, 1-4781, Rn 52f - Kommission/Frankreich. Gleichfalls nicht erforderlich zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit waren die Genehmigungserfordernisse, die in Spanien für Strukturmaßnahmen privatisierter öffentlicher Unternehmen und im Vereinigten Königreich für die Veräußerung von Flughäfen durch die privatisierte britische Flughafenbetreibergesellschaft galten; EuGH, Slg 2003, 1-4581, Rn 71-84 - Kommission/Spanien; Slg 2003,1-4644, Rn 44-50 - Kommission/Vereinigtes Königreich.
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Unerheblich ist, auf welchem Weg der Staat seinen Einfluss ausübt. Seine gesetzliche Regelung kann direkt an den Anteilserwerb oder die Geschäftsführungsmaßnahme anknüpfen. Der Staat kann aber auch indirekt eingreifen, indem er bei der Privatisierung einen Gesellschaftsanteil behält und diesen mit Sonderrechten (Zustimmungsvorbehalten, Vetorechten, Organbesetzungsrechten) ausstattet. Nur auf diesen Einwirkungspfad passt die Bezeichnung „Sonderaktie" (oder „golden share"). Dass der Staat hierbei neben öffentlich-rechtlichen auch privatrechtliche Instrumente (wie bestimmte gesetzlich festgelegte gesellschaftsrechtliche Befugnisse) einsetzt, eröffnet ihm keinen zusätzlichen Handlungsspielraum. Soweit die Maßnahme den (grenzüberschreitenden) Verkehr mit den Anteilen an der privatisierten Gesellschaft beschränkt, muss sie einen höherwertigen Belang des Allgemeinwohls fördern. b) Gesellschaftsrecht
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Satzungen von Aktiengesellschaften enthalten mitunter Regelungen, die den Verkehr mit den Aktien der Gesellschaft einschränken oder belasten. Zu nennen sind ua: das Erfordernis, dass Aktien nur mit Zustimmung der Gesellschaft übertragen werden können (vgl § 68 II AktG); die Beschränkung des Stimmrechts eines Aktionärs, dem mehrere Aktien gehören, auf einen Höchstbetrag (Höchststimmrecht, vgl § 134 I 2 AktG); die Ausstattung einzelner Aktien mit einem erhöhten Stimmrecht (Mehrstimmrecht); die Ermächtigung des Vorstands zu Maßnahmen, die darauf gerichtet sind, den Erfolg eines Angebots, welches ein Bieter zum Erwerb von Aktien an der Gesellschaft öffentlich abgegeben hat (sog Übernahmeangebot), zu verhindern (vgl § 33 II WpÜG). Ob solche Satzungsklauseln der Garantie des EGV für einen freien grenzüberschreitenden Kapitalverkehr (dh Art 56 EGV/Art III-156 W E ) zuwiderlaufen und daher der Rechtfertigung durch überragende Belange des Allgemeinwohls bedürfen, ist bislang nicht geklärt. Anders als die im vorangehenden Abschnitt behandelten Maßnahmen der Privatisierungsgesetzgebung werden die hier betrachteten Regelungen nicht vom Staat angeordnet, sondern von privaten Akteuren, nämlich den Gesellschaftern der Gesellschaft, untereinander vereinbart. Die Beschränkungsverbote und Rechtfertigungserfordernisse der Grundfreiheiten des EGV richten sich jedoch an den Staat. Wenigstens im Grundsatz sind die privaten Wirtschaftsteilnehmer (dh Bürger und Unternehmen) die Begünstigten und nicht die Verpflichteten der Grundfreiheiten. (Privatautonomes Handeln wird nicht durch die Grundfreiheiten, sondern durch die Wettbewerbsregeln der Art 81-85 EGV/Art III-161 bis Art III-164 W E gesteuert.) Orientiert man sich an diesem Grundsatz, sind Satzungen von Kapitalgesellschaften nicht am Beschränkungsverbot des Art 56 EGV (Art III-156 W E ) zu messen. Der EuGH hat den genannten Grundsatz jedoch in einigen Fällen durchbrochen und auch privatautonomes Handeln dem Beschränkungsverbot der Grundfreiheiten unterworfen.83 Inwiefern er eine derartige Drittwirkung der Grundfreiheiten auf Gesellschaftsverträge erstrecken wird, lässt sich kaum abschätzen.84
83 Allgemein zu einer Drittwirkung von Grundfreiheiten § 7 Rn 45 f. 84 Zu eventuellen Konsequenzen GrundmannlMöslein ZGR 2003, 317, 350-364. Vgl auch die Diskussion im amerikanischen Verfassungsrecht zu der Frage, ob dispositives staatliches Gesellschaftsrecht gegen die Interstate Commerce Clause der US-Verfassung, die die Freiheit des grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehrs innerhalb der USA garantiert, verstößt, wenn es die Übertragung von Gesellschaftsanteilen und dadurch Übernahmen der Gesellschaft erschwert; siehe das Urteil des Supreme Court, 481 US (United States Reports) 69 (1987) - CTS/Dynamics;
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Freiheit des Kapital- und Zahlungsverkehrs 3. Außenwirtschaftsrecht:
§12 IV 3
Meldepflichten
Die Außenwirtschaftsrechte der EU-Staaten legen den Teilnehmern am grenzüberschreitenden Kapital- und Zahlungsverkehr umfängliche Meldepflichten auf. Im deutschen Recht ergeben sich diese aus der Außenwirtschaftsverordnung und dem Bundesbankgesetz. Da Meldepflichten den grenzüberschreitenden Kapital- bzw Zahlungsverkehr zwar nicht unterbinden, wohl aber belasten, stellt sich die Frage nach ihrer Vereinbarkeit mit Art 56 EGV (Art III-156 W E ) . Zur Beantwortung ist Art 58 I lit b EGV (Art III-158 I litb W E ) heranzuziehen. Danach sind die Mitgliedstaaten berechtigt, „Meldeverfahren für den Kapitalverkehr zwecks administrativer oder statistischer Information vorzusehen", was nach herrschender Ansicht auch für den Zahlungsverkehr gilt.85 Diese Bestimmung bewirkt jedoch nicht, dass jedwede Meldepflicht zulässig wäre. Es dürfen vielmehr allein solche Informationen erhoben werden, die die öffentliche Hand benötigt, um Allgemeinwohlbelange verfolgen zu können. Der Informationsbedarf muss gerechtfertigt, dh von einem legitimen Regelungsinteresse getragen sein. Diese Voraussetzung erfüllen zB solche Meldepflichten über Zahlungsvorgänge, mit denen sich Straftaten wie Steuerhinterziehung, Drogenhandel und Bildung terroristischer Vereinigungen aufdecken lassen.86 Ob die Meldepflichten, die das deutsche Außenwirtschaftsrecht für grenzüberschreitende Zahlungen und den grenzüberschreitenden Vermögensbestand auferlegt, von Art 58 I lit b EGV (Art III-158 I lit b W E ) gedeckt sind, erscheint zweifelhaft. Sie greifen allein im grenzüberschreitenden Kapital- und Zahlungsverkehr ein. Demgegenüber bezieht sich Art 58 I lit b EGV (Art III-158 I lit b W E ) auf solche Meldeverfahren, die für „den Kapital verkehr", dh in gleicher Weise sowohl für den innerstaatlichen als auch den grenzüberschreitenden Kapitalverkehr gelten.87 Meldepflichten, die ausschließlich grenzüberschreitende Kapitalbewegungen erfassen, können allenfalls dann gerechtfertigt sein, wenn gerade der Grenzübertritt legitime Informationsbedürfnisse des Staats auslöst. Nahezu jedes Land erfasst die wirtschaftlichen Transaktionen zwischen In- und Ausland in der sog Zahlungsbilanz, um Kenntnisse über seine außenwirtschaftliche Verflechtung zu gewinnen.88 In diese Bilanz fließen die Daten ein, die durch die Meldepflichten des Außenwirtschaftsrechts erhoben wurden. Die Prüfung der EG-Vereinbarkeit läuft folglich auf die Frage hinaus, welche Funktionen die Zahlungsbilanzen der einzelnen EU-Staaten in der Währungsunion noch wahrnehmen. Nach dem Eintritt in die dritte (und letzte) Stufe haben die einzelstaatlichen Zahlungsbilanzen erheblich an Bedeutung verloren.89 Da die außenwirtschaftlichen Transaktionen zwischen den Mitgliedstaaten der Währungsunion nicht mehr mit Devisentransaktionen, dh dem Umtausch inländischer in ausländische Zahlungsmittel und umgekehrt, verbunden sind, lassen sich den einzelstaatlichen Zahlungsbilanzen (insbesondere den Devisenbilanzen, dh den Bilanzen der Devisenreserven) keine Aussagen mehr über die Änderung der Geldmenge im Währungsraum entnehmen.
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sowie Buxbaum/Hopt Legal Harmonization and the Business Enterprise, 1988, S 130-154; Buxbaum 75 California Law Review 29 (1987); ν Wilmowsky JZ 1996, 590, 592 f, 595 f. Kiemel in: vd Groeben/Schwarze Art 58 EGV Rn 21; Rohde (Fn 31) S 156 f. Anderer Auffassung: Ress/Ukrow in: Grabitz/Hilf Art 58 EGV Rn 33. Vgl EuGH, Slg 1995,1-361, Rn 27 - Bordessa. Vgl Smits FS Hahn, 1997, S 245, 253. Zur Einführung in die Außenwirtschaftsrechnung siehe Stobbe Volkswirtschaftliches Rechnungswesen, 8. Aufl 1994, S 236-247, und von Arnim Volkswirtschaftspolitik, 6. Aufl 1998, S 112-141. Siehe hierzu RoselSauernheimer Theorie der Außenwirtschaft, 13. Aufl 1999, S 31-37.
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Nationale Zahlungsbilanzen sind in der Europäischen Währungsunion daher nicht mehr in der Lage, die geld- und währungspolitischen Entscheidungen (etwa über Wechselkurse und Währungsreserven) anzuleiten.90 Hierzu ist eine Zahlungsbilanz erforderlich (aber auch ausreichend), die aus der Perspektive der Währungsunion erstellt wird. Ob der beschriebene Funktionsverlust den nationalen Meldepflichten, die sich auf den grenzüberschreitenden Kapital- und Zahlungsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten des Eurogebiets beziehen, die Rechtfertigung entzieht, müsste einmal genau untersucht werden. Diese Untersuchung hätte auch der Frage nachzugehen, ob eventuell verbliebene Funktionen nationaler Zahlungsbilanzen (etwa zur Ermittlung des einzelstaatlichen Inlandsund Sozialprodukts) ausreichen, die mit den Meldepflichten verbundenen Belastungen zu rechtfertigen. Aufschlüsse könnte auch ein Vergleich mit den deutschen Bundesländern ergeben, die für ihre Wirtschaftspolitiken keine Zahlungsbilanzen benötigen. 4.
Währungsrecht
a) Geldpolitik 28
Einige Bereiche des Kapitalverkehrs, wie insbesondere die Kreditvergabe durch die Kreditinstitute, werden durch geldpolitische Maßnahmen beeinflusst. Die EZB steuert die Bargeldmenge mit ihrem Monopol zur Ausgabe von Banknoten (Art 106 EGV/Art III-186 W E ) und die Buchgeldmenge mit den geldpolitischen Instrumenten der Art 18 bis 20 ESZB-Satzung (Offenmarkt- und Kreditgeschäfte, Mindestreserven, sonstige Maßnahmen).91 Ob diese Maßnahmen die Kapitalverkehrsfreiheit des Art 56 EGV (Art III-156 W E ) einschränken, wird kaum erörtert. Jedenfalls sind sie durch Belange des Allgemeinwohls gerechtfertigt: Indem sie die Ausweitung der Geldmenge begrenzen, tragen sie dazu bei, die Inflation zu bekämpfen und den Wert des Geldes zu erhalten (Art 4 II EGV/Art III-177 II W E , Art 105 I EGV/Art III-185 I W E , Art 2 ESZB-Satzung). b) Wechselkurspolitik
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Zur Freiheit des Kapitalverkehrs gehört, dass sich die Wechselkurse zwischen der Gemeinschaftswährung und anderen Währungen frei bilden können. Staatliche Festlegungen und andere Eingriffe in die Wechselkurse schränken den Kapitalverkehr ein und bedürfen daher der Rechtfertigung durch höherrangige Allgemeinwohlbelange.92 Dieser Rechtfertigungszwang gilt sowohl für Vereinbarungen, die die Gemeinschaft mit Drittstaaten (etwa im Rahmen des IWF) über die Wechselkurse gemäß Art 111 EGV (Art III-326 W E ) trifft, als auch für die Währungskäufe und -Verkäufe, mit denen die EZB gemäß Art 105 II EGV (Art III-185 II W E ) und Art 23 ESZB-Satzung in den Devisenmarkt eingreift,
90 Hierüber etwa Rose/Sauernheimer (Fn 89) S 15-21. 91 Überblicke zu den geldpolitischen Instrumenten der EZB: European Central Bank The Single Monetary Policy in Stage Three, 2000, S 4-6, 14-24; Haug in: Schimansky/Bunte/Lwowski (Hrsg) Bankrechts-Handbuch, 2. Aufl 2001, § 123 Rn 68-74; Papathanassiou in: Schimansky/Bunte/Lwowski (Fn 91) § 134 Rn 70-109. 92 Nicht nachvollziehen lässt sich die Einschätzung, dass eine staatlich angeordnete Spaltung des Devisenmarkts (in einen Teil mit festgelegten Wechselkursen und einen freien Teil) keine Einschränkung des Kapitalverkehrs bewirke, sondern lediglich eine „Anomalie" darstelle. So aber RL 88/361, Anhang V zu entsprechenden Maßnahmen der Wirtschaftsunion Belgiens und Luxemburgs (s ο Fn 41); vgl EuGH, Slg 1988,1-4369ff - Lambert.
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Freiheit des Kapital- und Zahlungsverkehrs
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um den Wechselkurs des Euro zu beeinflussen, und schließlich auch f ü r die Wechselkursmaßnahmen derjenigen Mitgliedstaaten, die in der dritten Stufe der Währungsunion einer Ausnahmeregelung unterfallen (Art 124 II EGV/Art III-200 W E ) . Als Rechtfertigungsgrund kommt nur die Gewährleistung der Preisstabilität in Betracht (Art 105 11 EGV/Art III-185 I 1 W E ) . So können zB Interventionskäufe der EZB erforderlich werden, wenn umfangreiche Kapitalexporte den Außenwert des Euro verfallen lassen und dadurch den Inflationsdruck verstärken. 5. Recht des
Grundstücksverkehrs
Der Verkehr mit Grundstücken ist vielfältig reglementiert. Einige Beschränkungen bewirken, dass bestimmte Personengruppen beim Zugang zu Grundstücken bevorzugt sind. Gerade diese Regelungen sollten es schwer haben, dem Rechtfertigungsdruck standzuhalten, den die Gewährleistung eines freien Kapitalverkehrs durch den EGV ausübt. Den Sorgen und Ängsten, die durch eine Gleichberechtigung beim Zugang zu Grundeigentum in der Gesellschaft mitunter ausgelöst werden, konnte sich aber auch der E u G H nicht immer entziehen.
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a) Zweitwohnungen In manchen Mitgliedstaaten ist der Erwerb von Grundeigentum beschränkt oder verboten, wenn das Risiko besteht, dass die Immobilie lediglich als Zweitwohnsitz genutzt werden wird. Darunter werden Häuser und Wohnungen verstanden, die nur wenige Wochen im Jahr bewohnt werden und in der übrigen Zeit leer stehen. Zweitwohnsitze werden dort als Problem empfunden, wo sie sich in großer Zahl bilden, also in touristischen Gebieten. U m dort die Entstehung von Zweitwohnsitzen zu verhindern, werden durchaus unterschiedliche Maßnahmen ergriffen.
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aa) Maßnahmen Das deutsche Städtebaurecht greift in die Entstehung von Eigentumswohnungen ein. Für Gebiete, die vom Fremdenverkehr geprägt sind, kann (durch kommunale Satzung) die Begründung und Teilung von Wohnungseigentum verboten werden (§ 22 BauGB). 93 Unerheblich ist, o b das Gebäude - nach der Schaffung von Wohnungseigentum - tatsächlich als Zweitwohnsitz genutzt werden würde. 94 Auch in Österreich versucht man, die Verbreitung von Zweitwohnsitzen zu verhindern, indem man den Grunderwerb einschränkt. Anders als in Deutschland erfasst man jedoch jede Form des Grunderwerbs (also nicht nur Eigentumswohnungen) und stellt auf die geplante Nutzung ab: Der Übertragung eines Grundstücks wird die erforderliche Genehmigung versagt, wenn nicht sichergestellt ist, dass der Erwerber keinen Zweitwohnsitz schaffen wird. 95 Es stellt sich die Frage, ob diese Beschränkungen des Grunderwerbs (und damit des Kapitalverkehrs) von zwingenden Allgemeininteressen gerechtfertigt sind. N u r dann stünden sie mit Art 56 I EGV (Art
93 Zur Erläuterung siehe zB Krautzberger in: Battis/Krautzberger/Löhr (Hrsg) Baugesetzbuch, 8. Aufl 2002, Kommentierung zu § 22. 94 BVerwG, ZfBR 1996,48, 50. 95 Siehe die Regelungen der Länder Tirol (EuGH, Slg 1999,1-3099 ff - Konle), Vorarlberg (EuGH, Slg 2003,1-4899 - Salzmann) und Salzburg (EuGH, Slg 2002,1-2157 - Reisch).
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III-156 W E ) in Einklang und dürften auf den Granderwerb durch Ausländer (oder genauer: Gebietsansässige anderer Staaten) angewendet werden. bb) Förderung des Wohls der Allgemeinheit 33
Ob die Begrenzung von Zweitwohnungen das Wohl der Allgemeinheit (und nicht nur das einzelner Interessengruppen) fördert, ist noch nicht erschöpfend untersucht worden.96 Der EuGH hält es zum einen für denkbar, dass sich durch diese Maßnahme eine „vom Tourismus unabhängige Wirtschaftstätigkeit" erhalten, dh die Abhängigkeit vom Tourismus verringern lasse.97 Hier irrt der Gerichtshof. Wenn Touristen nicht in Zweitwohnungen Urlauben können, suchen sie sich andere Unterkünfte, etwa in Hotels. Maßnahmen gegen Zweitwohnungen lenken den Tourismus lediglich in andere Kanäle, ohne ihn zu reduzieren. So hebt der deutsche Gesetzgeber ausdrücklich hervor, dass er mit diesen Maßnahmen das Ziel verfolgt, den Tourismus zu fördern·. Sie sollen der „Sicherung der ... Fremdenverkehrsfunktionen" dienen (§ 22 I 1 BauGB); es soll eine Fremdenverkehrsstruktur erhalten werden, die darin besteht, dass „die ansässige Wohnbevölkerung in der Saison Fremdenzimmer bzw Ferienappartements vermietet".98 Das gilt auch in Österreich: Dessen Beschränkungen für Zweitwohnsitze gelten dort nicht, wo Grundstücke kommerziell als Beherbergungsbetriebe genutzt werden sollen. Insofern dienen Begrenzungen von Zweitwohnungen dem Wirtschaftsinteresse einer einzelnen Gruppe, der Hotelbranche, und nicht dem Wohl der Allgemeinheit. Gehaltvoller ist das andere Regelungsinteresse, welches der EuGH gefördert sieht: die Erhaltung „einer dauerhaft ansässigen Bevölkerung" und damit einer intakten Sozialstruktur.99 Je mehr sich Zweitwohnungen verbreiten, desto stärker verödet das betroffene Ortsgebiet außerhalb der Urlaubszeiten. Es entstehen Stadtviertel, welche die längste Zeit im Jahr nicht bewohnt werden und kein soziales Leben ermöglichen.100 Nach überwiegender, hier nicht hinterfragter Ansicht verdient die Erhaltung dauerhaft bewohnter Stadtviertel die Anerkennung als zwingendes Erfordernis.101 Dagegen sind viele weitere Belange, die zur Rechtfertigung von Maßnah-
96 Zum Stand der Diskussion siehe ua: Fischer ZEuS 2000, 391, 411; Glöckner EuR 2000, 592 ff; Bachlechner ZEuS 1998, 519 ff; Knapp EWS 1999,409 ff; Hammerl/ Sippe IR1W 1992, 883 ff. 97 EuGH, Slg 1999, 1-3099, Rn 40 - Konle (Beschränkungen des Eigentumserwerbs für Freizeitwohnsitze nach dem Tiroler Grundverkehrsgesetz); bestätigt ua in EuGH, Slg 2002,1-2157, Rn 34 - Reisch (Salzburger Grundverkehrsgesetz). 98 OVG Lüneburg, ZfBR 1983,238, 240. 99 EuGH, Slg 1999, 1-3099, Rn 40 - Konle. Vgl außerdem die (rechtlich nicht bindende) Gemeinsame Erklärung der Mitgliedstaaten zu Zweitwohnungen, ABl 1994 Nr C 241/382 (Schlussakte zum Beitritt von Österreich, Finnland und Schweden): „Keine Bestimmung des gemeinschaftlichen Besitzstands hindert die einzelnen Mitgliedstaaten, ... Maßnahmen betreffend Zweitwohnungen zu treffen, sofern sie aus Gründen der Raumordnung, der Bodennutzung und des Umweltschutzes erforderlich sind und ohne direkte oder indirekte Diskriminierung von Staatsangehörigen einzelner Mitgliedstaaten in Übereinstimmung mit dem gemeinschaftlichen Besitzstand angewendet werden." 100 Zur Verödungsgefahr siehe auch OVG Lüneburg, ZfBR 1983, 238 (Leitsatz); sowie BVerwG, DVB1 1994, 1149, 1151 (Störung der sozialen Infrastruktur). 101 S ο Fn 99. - Zweifel könnten sich daraus speisen, dass schließlich auch Hotels und andere Beherbergungsbetriebe, zu deren Gunsten das Verbot von Zweitwohnsitzen wirkt, außerhalb der Saison leer stehen.
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men gegen Zweitwohnungen noch vorgebracht werden (wie zB die Reservierung knappen Baulands und Wohnraums für die einheimische Bevölkerung oder die gleichmäßige Auslastung der teuren Verkehrswege),102 kaum solche der Allgemeinheit.103 cc) Verhältnismäßigkeitsprinzip Die Mittel, die zur Eindämmung von Zweitwohnsitzen in touristisch geprägten Gebieten ergriffen werden, müssen dem Gebot der Verhältnismäßigkeit genügen. Als problematisch erweisen sich dabei solche Maßnahmen, die die Eigentumsverhältnisse an den betroffenen Liegenschaften einer präventiven Kontrolle (durch eine Genehmigungspflicht) unterwerfen. Betrachten wir zunächst die österreichischen Landesregelungen, für die Übereignung eines Grundstücks die Genehmigung einer Grundverkehrsbehörde zu verlangen. Die Genehmigung wird nur dann erteilt, wenn die Behörde zu der Einschätzung gelangt, dass der Erwerber das Grundstück als Hauptwohnsitz nutzen wird. Diese Genehmigungspflicht erachtet der EuGH für unverhältnismäßig: Der freie Kapitalverkehr werde stärker als erforderlich belastet.104 Da die Genehmigungsbehörde eine Prognose über die zukünftige Nutzung zu erstellen habe, verfüge sie über einen „weiten Beurteilungsspielraum, der einem freien Ermessen sehr nahe kommt". Die Ausübung von Grundfreiheiten dürfe aber nicht in das Ermessen der Verwaltung gestellt werden. Ob die deutsche Regelung (§ 22 BauGB) einer Überprüfung ihrer Verhältnismäßigkeit standhalten würde, muss gleichfalls bezweifelt werden. Die dort aufgestellte (unwiderlegliche) Vermutung, dass in touristischen Gebieten jede Begründung von Wohnungseigentum der Verbreitung von Zweitwohnungen Vorschub leiste, erscheint gewagt. Schließlich ist es keinesfalls ausgeschlossen, dass Eigentumswohnungen auch in Touristenregionen als Hauptwohnsitz genutzt werden.105
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Als vertragskonforme Alternative empfiehlt der Gerichtshof, auf die tatsächliche Nutzung des Grundstücks abzustellen und Geldbußen sowie Zwangsmaßnahmen für den Fall vorzusehen, dass das Grundstück vorschriftswidrig lediglich als Zweitwohnung genutzt wird. Um solche Nutzungsbeschränkungen durchzusetzen, könnten die Mitgliedstaaten die Eigentümer zu Auskünften verpflichten und außerdem beim Eigentumserwerb die Erklärung verlangen, dass der Erwerber das Grundstück vorschriftsgemäß nutzen wird.106 Aufgrund dieser Rechtsprechung zeichnet sich ab, dass Mitgliedstaaten, die Zweitwohnungen verhindern wollen, entsprechende Nutzungsbeschränkungen verhängen sollten. Eingriffe in die Gestaltung der Eigentumsverhältnisse laufen dagegen Gefahr, mangels Eignung oder mangels Erforderlichkeit gegen Art 56 I EGV (Art III-156 W E ) zu verstoßen. Die Eigentumsverhältnisse an einem Grundstück oder Gebäude stehen mit dessen Nutzung (als Haupt- oder Zweitwohnsitz) in keinem Zusammenhang. Wird ein Grundstück oder eine Wohnung übereignet, können Nutzungsbeschränkungen (die zB in Raum-
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102 Schlussanträge GA La Pergola, EuGH, Slg 1999,1-3099, Rn 16 - Konle; OVG Lüneburg, ZfBR 1983, 238, 240; BVerwG, DVB1 1994, 1149, 1151; vgl auch Bachlechner ZEuS 1998, 519, 520. 103 Kritisch auch Glöckner EuR 2000, 592, 619 f. 104 EuGH, Slg 1999, 1-3099, Rn 40-49 - Konle (Tiroler Grundverkehrsgesetz); EuGH, Slg 2002, 1-2157, Rn 37-39 - Reisch (Salzburger Grundverkehrsgesetz); EuGH, Slg 2003, M899, Rn 45-52 Salzmann (Vorarlberger Grundverkehrsgesetz). 105 Vgl den Sachverhalt zu BVerwG, ZfBR 1996, 48,48, 50. 106 Zum Erfordernis einer vorausgehenden Erklärung des Erwerbers siehe EuGH, Slg 2002, 1-2157, Rn 35 f - Reisch; Slg 1999,1-3099, Rn 44-48 - Konle.
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plänen angeordnet sind) ebenso gut gegen den neuen Eigentümer durchgesetzt werden.107 Umgekehrt lassen sich Zweitwohnsitze nicht nur durch Eigentumserwerb, sondern auch durch Miete schaffen. dd) Dänemark 36
Dänemark ist aller Probleme enthoben. Dieser Mitgliedstaat ist insoweit von der Beachtung des EGV freigestellt. Gemäß einem Protokoll zum EGV darf er seine Rechtsvorschriften, die am 1.11.1993 für den Erwerb von Zweitwohnungen galten, ungeachtet ihrer Vereinbarkeit mit dem EGV auf Dauer beibehalten.108 b) Landwirtschaftliche
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Grundstücke
Für Grundstücke der Land- und Forstwirtschaft gelten in vielen Mitgliedstaaten besondere Verkehrsbeschränkungen. Diese kennzeichnet, dass der Grundstücksverkehr mit Anforderungen an die Struktur des einzelnen landwirtschaftlichen Betriebs oder an die Struktur des gesamten Sektors verknüpft wird. Für den erstgenannten Typ liefert das österreichische Landesrecht Beispiele. Die Grundverkehrsgesetze von Tirol und Vorarlberg beschränken den Erwerb auf landwirtschaftliche Einzelunternehmer: Ein land- oder forstwirtschaftliches Grundstück darf nur erwerben, wer es selbst bewirtschaften wird und über die hierfür erforderlichen fachlichen Kenntnisse verfügt; außerdem muss er seinen ständigen Wohnsitz auf dem Betriebsgelände nehmen; durch den Erwerb darf er schließlich die Grenze eines „mittleren und kleinen" landwirtschaftlichen Grundbesitzes nicht überschreiten.109 Ob diese Regelung das Wohl der Allgemeinheit fördert, ist umstritten. Der EuGH bejaht dies im Grundsatz: „Die Erhaltung der landwirtschaftlichen Bevölkerung, die Wahrung einer [bestimmten] Aufteilung des Grundeigentums und die Förderung einer vernünftigen Nutzung der verfügbaren Flächen" lägen im Allgemeininteresse.110 Allerdings müssten Ausnahmen möglich sein; nicht in jedem Fall dürfe die Eigenbewirtschaftung durch den Erwerber verlangt werden. Zu überzeugen vermag diese Einschätzung kaum. Die Interessen landwirtschaftlicher Einzelunternehmer lassen sich nicht mit dem Interesse der Allgemeinheit gleichsetzen.111 Auf den zweitgenannten Typ stößt man ua in Deutschland. Das deutsche Grundstücksverkehrsgesetz versucht, mit Hilfe einer Genehmigungspflicht auf eine bestimmte (wenn auch nicht näher beschriebene) Struktur des betroffenen landwirtschaftlichen Sektors hinzuwirken. Die Genehmigung zur Ver-
107 Man vergleiche auch die Verbote, Wohnraum in Büroraum umzuwandeln. Sie richten sich an den jeweiligen Eigentümer der Immobilie und werden nicht mit Beschränkungen der Eigentumsübertragung durchzusetzen versucht. 108 Siehe das Protokoll betreffend den Erwerb von Immobilien in Dänemark, ABl 1992 Nr C 191/68 (Vertragsänderungen von Maastricht). Ein Protokoll ist Bestandteil des EGV (Art 311 EGV). Auch Malta forderte in seinen Beitrittsverhandlungen mit der EU, dass seine Beschränkungen des Erwerbs von Zweitwohnungen von der Geltung der Vorschriften über den freien Kapitalverkehr auf Dauer ausgenommen würden; KOM (2001) 553 endgültig, 10. 109 Tirol: §§ 4, 6 I lit b und c Tiroler Grundverkehrsgesetz von 1996, LGB1 1996 Nr 61; Vorarlberg: §§4, 5 I lit a und II lit d Vorarlberger Grundverkehrsgesetz von 1993, LGBI 1993 Nr 61; auch wiedergegeben in EuGH, Slg 2003,1-9743 - Ospelt. 110 EuGH, Slg 2003,1-9743, Rn 38-54 - Ospelt; ebenso ein Teil des Schrifttums, etwa Schneider ZfV 2000, 16,24. 111 Ebenso Bachlechner ZEuS 1998, 519, 532 f.
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äußerung eines land- oder forstwirtschaftlichen Grundstücks darf ua dann verweigert werden, wenn die beabsichtigte Veräußerung den Grund und Boden „ungesund" verteilen würde." 2 Auch bei dieser Regelung bestehen Zweifel, ob sie das Allgemeinwohl erhöht. Es ist nicht ersichtlich, warum staatliche Lenkung eher als der freie Markt in der Lage sein sollte, leistungsfähige Wirtschaftsstrukturen in der Landwirtschaft hervorzubringen. Dementsprechend erscheint auch das Vorkaufsrecht nach dem deutschen Reichssiedlungsgesetz von keinen zwingenden Gemeinwohlbelangen getragen. (Gerechtfertigt sind hingegen Pläne, die bestimmte Nutzungen - etwa zur Landwirtschaft - für die überplanten Flächen festlegen.) c) Grundstücke in Grenzgebieten und Gebieten von militärischer Bedeutung Einige Mitgliedstaaten beschränken den Erwerb von Grundeigentum in Grenzgebieten und Gebieten von militärischer Bedeutung."3 Zu den Gründen, aus denen der (grenzüberschreitende) Kapitalverkehr eingeschränkt werden darf, gehört auch die äußere Sicherheit (Art 58 I lit b EGV/Art III-158 I lit b W E ) . Voraussetzung ist, dass die ergriffene Maßnahme zur Landesverteidigung geeignet und erforderlich ist. Dieser Anforderung werden Regelungen, die nach der Staatsangehörigkeit des Grundstückserwerbers unterscheiden und nur Ausländern den Grunderwerb erschweren oder untersagen, nicht gerecht. Der Übergang des Eigentums an einem Grundstück wirkt sich auf die Fähigkeiten zur Landesverteidigung nicht aus. Den Mitgliedstaaten stehen Möglichkeiten zur Verfügung, zur Landesverteidigung benötigte Grundstücke zu nutzen, unabhängig davon, wer deren Eigentümer ist." 4 6.
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Kreditsicherungsrecht
a) Grundsätze Sicherungsrechte (wie Pfandrechte, Sicherungseigentum, Sicherungsabtretung) sind eine Form von Kapital. Obwohl die Kapitalverkehrsfreiheit (Art 56 I EGV/Art III-156 W E ) sowohl die grenzüberschreitende Bestellung als auch die grenzüberschreitende Mobilität von Sicherungsrechten schützt, ist ein gemeinsamer Markt für Sicherungsrechte bislang nicht Wirklichkeit geworden. Man stelle sich nur vor, dass Sicherungsgut (dh eine mit einem Sicherungsrecht belastete Sache) von einem Mitgliedstaat in einen anderen verbracht wird. Der Grenzübertritt kann wie ein Fallbeil wirken: Das Sicherungsrecht geht entweder völlig unter, oder es wird von der neuen Rechtsordnung in einen eigenen Rechts-
112 § 2 I 1, § 9 I ZifF 1, § 9 II Gesetz über Maßnahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur und zur Sicherung land- und forstwirtschaftlicher Betriebe (Grundstücksverkehrsgesetz). Einen Uberblick zu diesem Gesetz geben BaurlStürner Sachenrecht, 17. Aufl 1999, § 27 II 1. Zum hiermit verbundenen Vorkaufsrecht der Siedlungsunternehmen siehe Stürner in: Soergel (Hrsg) BGB, 13. Aufl, Bd 16, 2001, Vor§ 1094 Rn 22-24. 113 Hinweise finden sich bei Knapp EWS 1999,409 ff 114 Vgl E u G H , Slg 2000, 1-5965, Rn 22 - Albore: „Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn ... dargetan werden könnte, dass eine nichtdiskriminierende Behandlung der Staatsangehörigen aller Mitgliedstaaten reale, konkrete und schwere Gefahren für die militärischen Interessen des betreffenden Mitgliedstaats mit sich brächte, denen nicht auf eine weniger einschneidende Weise begegnet werden könnte." Dass eine Gleichbehandlung von Ausländern Gefahren dieser Art heraufbeschwören wird, erscheint äußerst unwahrscheinlich.
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typ umgewandelt, womit Rechtsverluste oder -gewinne einhergehen können. Hierfür verantwortlich sind zwingende Regelungen, die die nationalen Zivilrechte auf zwei Ebenen treffen.115 Das Sachrecht (dh das sachentscheidende Recht) beschränkt häufig die Zulassung dinglicher Sicherungsrechte. So lassen viele Mitgliedstaaten es zB nicht zu, den Eigentumsvorbehalt eines Warenverkäufers auf die Gegenstände zu verlängern, die nach einer Verarbeitung oder einer Weiterveräußerung an die Stelle der Kaufsache treten werden. Als weitere Zulassungsschranke wird häufig das Erfordernis eingesetzt, dass der Sicherungsgeber das Sicherungsgut nicht in Besitz behalten darf, sondern dem Sicherungsnehmer übergeben muss.116 Schließlich beschränken viele Staaten die Gegenstände, die belastet werden können, die Personen, die Sicherungsgeber oder Sicherungsnehmer sein dürfen, oder die Forderungen, deren Erfüllung gesichert werden kann.117 Auf der Ebene des Kollisionsrechts (dh derjenigen Regeln, welche die in internationalen Sachverhalten anzuwendende nationale Rechtsordnung bestimmen) werden Bestellung und Mobilität von Sicherungsrechten durch die zwingende Anknüpfung an den Lageort (sog Situsdoktrin) eingeschränkt. Danach sind die Rechtsverhältnisse an Sachen nach der Rechtsordnung desjenigen Staats zu beurteilen, in dem sich die Sache physisch befindet. Wird eine Sache über eine Grenze gebracht, wechselt automatisch das anzuwendende Zivilrecht. Außerdem wird den Parteien des Sicherungsgeschäfts dadurch verwehrt, das anzuwendende Recht selbst zu wählen. Die erwähnten hoheitlichen Eingriffe bedürfen der Rechtfertigung durch zwingende Erfordernisse, sollen sie auf Transaktionen angewendet werden, die unter dem Schutz einer EG-Grundfreiheit stehen. Diese Überprüfung legt eine Neuorientierung der mitgliedstaatlichen Kreditsicherungsrechte nahe.118 Nicht zu rechtfertigen sind zwingende Vorgaben für den Kern des Sicherungsrechts, der aus Verteilungsvorrecht und Verwertungsbefugnis besteht. Insoweit sollten im Sachrecht Privatautonomie (Gestaltungsfreiheit) und im Kollisionsrecht Parteiautonomie (Rechtswahlfreiheit) Platz greifen. Dem Allgemeinwohl dienen jedoch einzelne Anforderungen an das Sicherungsrecht. Es sind dies die Herstellung von Publizität, der Schutz bestimmter Gläubigergruppen (nämlich solcher Gläubiger, die dem Wettbewerb um Sicherungsrechte nicht ausgesetzt sein sollten), die Funktionsfahigkeit von Insolvenzverfahren, der Verkehrsschutz durch gutgläubigen Erwerb sowie der Verbraucherschutz.119 Um diesen Kranz legitimer Anliegen zu verfolgen, können Privat- und Parteiautonomie eingeschränkt werden. b) Beispiel: Sicherungsrechte in fremder Währung 40
Den EuGH hat bislang erst eine Frage zum Kreditsicherungsrecht erreicht: Stehen Regelungen, die Sicherungsrechte nur in der inländischen Währung oder in bestimmten, abschließend aufgeführten Währungen zulassen, mit Art 56 I EGV (Art III-156 W E ) in Einklang?120 Solche Anforderungen werden vor allem zu Sicherungsrechten an Grund-
115 Im Einzelnen siehe ν Wilmowsky (Fn 11) S 122-133,94-122. 116 Im deutschen Recht siehe §§ 1205 f BGB. 117 Zu den sachrechtlichen Beschränkungen gehören außerdem Vorgaben zur Währung, in der die Höhe eines Sicherungsrechts festgelegt werden kann; siehe das Beispiel des folgenden Abschnitts. 118 Siehe ν Wilmowsky (Fn 11) S 149-374. 119 Die Publizität von Sicherungsrechten hat der EuGH als zwingendes Erfordernis anerkannt; siehe EuGH, Slg 1999,1-1661, Rn 30 - Trümmer. 120 EuGH, Slg 1999, 1-1661 ff - Trümmer (Klage auf Eintragung einer Hypothek in Deutscher Mark an einem Grundstück in Österreich); Slg 2001,1-173 ff - Westdeutsche Landesbank (Scha-
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stücken gestellt. Soll etwa in Deutschland eine Grundschuld oder eine Hypothek bestellt werden, muss deren Höhe in Euro, in einer anderen Währung eines EU-Staats, in Schweizer Franken oder in US-Dollar festgelegt werden; anderenfalls entsteht kein Grundpfandrecht.121 Ähnliche Vorgaben machen die Zivilrechte anderer Mitgliedstaaten, wobei der Kreis der zugelassenen Währungen zum Teil enger (auf allein die Inlandswährung), zum Teil weiter (auf die Währungen aller OECD- oder IWF-Staaten) gezogen wird. Der dadurch bewirkte Ausschluss anderer Währungen kann den Kapitalverkehr belasten.122 Man denke an den Fall, dass eine Forderung gesichert werden soll, die auf eine andere Währung lautet. Wegen der Begrenzung der zugelassenen Währungen ist es dann nicht möglich, das Grundpfandrecht in derselben Währung wie die der gesicherten Forderung zu bestellen. Eine währungskongruente und damit vollständige Sicherung wird dadurch zumindest erschwert.123 Stimmen Forderung und Sicherungsrecht währungsmäßig nicht überein, trägt der Sicherungsnehmer das Risiko, dass seine Sicherung infolge späterer Wechselkursänderungen hinter die zu sichernde Forderung zurückfällt. Zwingende Gründe des Gemeinwohls, die diese Beschränkung des Kapitalverkehrs rechtfertigen würden, sind nicht ersichtlich.124 Die Kapitalverkehrsfreiheit des EGV steht daher zivilrechtlichen Regelungen entgegen, die die Währungen begrenzen, in denen ein Sicherungsrecht bestellt werden kann. Auf Sicherungsrechtsbestellungen, die unter dem Schutz des Art 56 I EGV (Art III-156 W E ) erfolgen, können solche Regelungen nicht angewendet werden. Insoweit müssen alle Währungen zugelassen werden.125
V. Zusätzliche Beschränkungen gegenüber Drittstaaten Da der Kapital- und Zahlungsverkehr (anders als der sonstige Wirtschaftsverkehr) auch an den AuBengrenzen der EU den Schutz der Grundfreiheit genießt (Art 56 EGV/Art III156 W E ) , darf er nur eingeschränkt werden, wenn der EGV hierfür eine geschriebene oder ungeschriebene Rechtfertigung vorsieht. Die bislang behandelten Rechtfertigungsgründe (Art 58 EGV/Art III-158 W E und die zwingenden Erfordernisse) gelten für Maßnahmen, die den Kapital- bzw Zahlungsverkehr sowohl innerhalb der Gemeinschaft als
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densersatzklage der Westdeutschen Landesbank gegen einen österreichischen Notar, der - noch vor dem EG-Beitritt seines Landes - eine Hypothek in Deutscher Mark in ein österreichisches Grundbuch hatte eintragen lassen; diese Hypothek war unwirksam). § 28 S 2 GBO iVm § 1 Verordnung vom 30.10.1997 über Grundpfandrechte in ausländischer Währung (BGBl I 1997, 2683). Schefold in: Schimansky/Bunte/Lwowski (Fn 91) § 115 Rn 318-333; Grothe Fremdwährungsverbindlichkeiten, 1999, S 437, 445-449. EuGH, Slg 1999,1-1661, Rn 25 f - Trümmer; Schlussanträge GA La Pergola, EuGH, Slg 1999, 1-1661, Rn 12-Trümmer. EuGH, Slg 1999,1-1661, Rn 29-31 - Trümmer; Schlussanträge GA La Pergola, EuGH, Slg 1999, 1-1661, Rn 13-17 - Trümmer; Schlussanträge GA Leger, EuGH, Slg 2001, 1-173, Rn 31-33 Westdeutsche Landesbank; Grothe (Fn 122) S 437, 445-449. Anderer Ansicht zB Rohde (Fn 31) S 172f (Rechtfertigung durch „den Gesetzeszweck, der insbesondere in der Gläubigersicherung durch Grund und Boden liegt" - was immer das heißen soll). Ob der Verbraucherschutz Einschränkungen der Währung des Sicherungsrechts erfordert, ist eine Frage, die sich nur im Verhältnis zu Verbrauchern stellen kann. Schlussanträge GA La Pergola, EuGH, Slg 1999,1-1661, Rn 16 - Trümmer; Schlussanträge GA Leger, EuGH, Slg 2001, 1-173, Rn 30 - Westdeutsche Landesbank; ebenso Fischer ZEuS 2000, 391,414.
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§12 V I
Peter von Wilmowsky
auch im Verhältnis zu Drittländern einschränken. Darüber hinaus räumt der EGV der Gemeinschaft, teilweise auch den Mitgliedstaaten, verschiedene Möglichkeiten ein, den Kapitalverkehr mit Drittländern stärker einzuschränken als den innergemeinschaftlichen Kapital- bzw Zahlungsverkehr. Im Rahmen der Art 57 EGV (Art III-157 W E ) , Art 59 EGV (Art III-159 W E ) und Art 60 EGV können die Außengrenzen der Gemeinschaft ganz oder teilweise geschlossen werden. Diese Beschränkungsmöglichkeiten bestehen nur im Verhältnis zu Drittstaaten, nicht für den Kapital- bzw Zahlungsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten. Außerdem kommt in Betracht, dass die in Art 58 EGV (Art III-158 W E ) genannten Eingriffsgründe und die in Ergänzung hierzu entwickelten zwingenden Erfordernisse im Verhältnis zu Drittstaaten anders ausgelegt werden und auf diese Weise zusätzliche Beschränkungsmöglichkeiten gegenüber Drittstaaten eröffnen. 1. Begründungsfreie Beschränkungen nach Art 57 EGV/Art III-157 VVE 42
Die Tür, die der Art 56 I EGV (Art III-156 W E ) dem Kapitalverkehr mit Drittländern im Grundsatz öffnet, kann nach Maßgabe des Art 57 EGV (Art III-157 W E ) verschlossen gehalten (Abs 1) oder wieder geschlossen werden (Abs 2). Betroffen sind die wesentlichen Bereiche des Kapitalverkehrs: die sog Direktinvestitionen, zu denen langfristige Unternehmensbeteiligungen und Gesellschafterdarlehen zählen,126 die Investitionen in Grundstücke, der Kapitalerwerb für eine Niederlassung oder für die Erbringung von Finanzdienstleistungen und die Ausgabe von Wertpapieren (wie Aktien und Schuldverschreibungen). Die übrigen Formen des Kapitalverkehrs (wie zB die grenzüberschreitende Verbringung von Bargeld) liegen außerhalb des Geltungsbereichs. In den erfassten Bereichen erlaubt der Art 57 EGV (Art III-157 W E ) zum einen, dass die Gemeinschaft und die einzelnen Mitgliedstaaten diejenigen Beschränkungen weiter anwenden, die am 31.12. 1993 im Verhältnis zu Drittstaaten in Kraft waren (Abs 1). Damit wird durchaus fragwürdigen protektionistischen Regelungen, die Bürgern und Unternehmen aus Drittstaaten zB eine maßgebliche Beteiligung an Banken, Versicherungen, Medienhäusern, Fluggesellschaften und Schifffahrtsunternehmen in der EU verwehren, Bestandsschutz verliehen.'27 Zum anderen wird die Gemeinschaft (nicht auch ein einzelner Mitgliedstaat!) ermächtigt, den Kapitalverkehr mit Drittstaaten in den genannten Bereichen nach Belieben einzuschränken (Abs 2). Hierzu muss Einstimmigkeit im Rat erzielt werden (Art 57 II 2 EGV/ Art III-157 III 2 W E ) . Im Gegensatz zu allen anderen Möglichkeiten der Einschränkung von EG-Grundfreiheiten sind die beiden Ermächtigungen des Art 57 EGV (Art III-157 W E ) an keine inhaltlichen Voraussetzungen gebunden. Weder die beibehaltenen noch die neu verhängten Beschränkungen müssen Allgemeinwohlbelange fördern. 128 Dahinter steht
126 Den Ausdruck „Direktinvestitionen" hat der EGV aus dem volkswirtschaftlichen Rechnungswesen übernommen. Die Direktinvestitionen bilden einen Posten der Kapitalbilanz, eines Teils der Zahlungsbilanz eines Landes. Um sie von ihrem Gegenstück, den Portfolioinvestitionen, abzugrenzen, orientiert man sich an den Richtlinien, die der IWF für die Außenwirtschaftsrechnung seiner Mitgliedsländer erstellt; siehe International Monetary Fund Balance of Payments Manual, 5th edition 1993; sowie die „Nomenklatur für den Kapitalverkehr" in RL 88/361, Anhang I; Erläuterungen: Rohde (Fn 31) S 183-190; Stichwort „Kapitalbewegungen, internationale II" in: Albers (Hrsg) HdWW (Handwörterbuch der Wirtschaftswissenschaft), 1988. 127 Zu den beibehaltenen Maßnahmen siehe Kiemel in: vd Greoben/Schwarze Art 57 EGV Rn 9-15; Honrath Umfang und Grenzen der Freiheit des Kapitalverkehrs, 1998, S 131 f. 128 Zu beachten sind jedoch die völkerrechtlichen Verpflichtungen aus OECD-Vereinbarungen, WTO-Regelungen und dem EWR-Abkommen.
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§12 V 2
Freiheit des Kapital- und Zahlungsverkehrs
das Bestreben, der Gemeinschaft für Verhandlungen mit Drittstaaten über den Abbau von Kapitalverkehrsbeschränkungen den Rücken zu stärken: Könnte die Gemeinschaft die durch Art 56 EGV (Art III-156 W E ) bewirkte einseitige Öffnung nicht zurückhalten oder zurücknehmen, fehlte ihr die Verhandlungsmacht, um Drittstaaten zu reziproken Grenzöffnungen zu bewegen.129 2. Befristete Beschränkungen nach Art 59 EGV (Art III-159
VVE)
Zu lediglich befristeten Beschränkungen gegenüber Drittstaaten wird der Gemeinschaftsgesetzgeber durch Art 59 EGV (Art III-159 W E ) ermächtigt. Anders als bei Art 57 EGV (Art III-157 W E ) kann jede Form des Kapitalverkehrs (einschließlich des Zahlungsverkehrs) eingeschränkt werden. Maßnahmen nach Art 59 EGV (Art III-159 W E ) setzen voraus, dass die Wirtschafts- und Währungsunion schwerwiegend gestört ist oder gestört zu werden droht und hierfür außergewöhnlich umfangreiche Kapitalbewegungen nach oder aus Drittstaaten verantwortlich sind. Schutzgut sind sämtliche Komponenten der Wirtschafts- und Währungsunion. Auf der Seite der Wirtschaftsunion, die sich auf eine „enge" Koordinierung der mitgliedstaatlichen Wirtschaftspolitiken beschränkt (Art 4 I EGV/Art III-177 I W E , Art 99 EGV/Art III-179 W E ) , sind etwa die Konjunktur-, Ordnungs- und Strukturpolitik zu nennen. Zur Währungsunion gehören vor allem die Geldpolitik und die Wechselkurspolitik, die - nach Maßgabe der Art 4 II EGV (Art III-177 II W E ) und Art 105 bis 124 E G V - von den Mitgliedstaaten auf die Gemeinschaft übergegangen sind. Die Ziele sowohl der Wirtschafts- als auch der Währungsunion sind stabile Preise, gesunde öffentliche Finanzen, gesunde monetäre Rahmenbedingungen sowie eine dauerhaft finanzierbare Zahlungsbilanz (Art 4 III EGV/Art III-177 III W E ) . Fließt Kapital aus der Gemeinschaft in Drittstaaten oder aus Drittstaaten in die Gemeinschaft, wirkt sich dies auf verschiedene Komponenten der Wirtschafts- und Währungsunion (wie zB den Wechselkurs oder das Zinsniveau) aus. Diese Einflüsse sind erwünscht: Sie spiegeln den Zweck der Kapitalverkehrsfreiheit wieder, für eine optimale Allokation von Kapital nicht nur innerhalb der Gemeinschaft, sondern auch im Verhältnis zu dritten Ländern zu sorgen. Folglich können sie keine Einschränkungen des Kapital- oder Zahlungsverkehrs gegenüber Drittländern rechtfertigen. Erst wenn sie zu einer schwerwiegenden Störung werden, sind Eingriffe zulässig. Dem Art 59 EGV (Art III-159 W E ) liegt die Vorstellung zugrunde, dass die wohlfahrtssteigernden Wirkungen eines auch an den Außengrenzen der Gemeinschaft liberalisierten Kapitalverkehrs in Störungen umschlagen können. Wenig geklärt ist, wann dieser Punkt erreicht wird. Da von der Ermächtigung des Art 59 EGV (Art III-159 W E ) noch kein Gebrauch gemacht wurde, fehlt jedes Anschauungsmaterial. Das juristische Schrifttum sucht Zuflucht in Szenarien, die wie „unerwünschte Zinsentwicklungen", „Währungsturbulenzen", „starke Devisenspekulationen", „extreme Ungleichgewichte der Zahlungsbilanz" und „überhitztes Wachstum" 130 notgedrungen recht diffus sind und die Antwort auf die Frage, wann die Ergebnisse von Marktprozessen nicht mehr hinzunehmen seien, letztlich schuldig bleiben. Als konkrete Störung
129 Man könnte daran denken, die Ermächtigungen des Art 57 EGV an den mit ihnen verfolgten Zweck zu binden und auf solche Maßnahmen zu begrenzen, die geeignet, erforderlich und angemessen sind, Drittstaaten zu weiterer Liberalisierung ihrer Seite des Kapitalverkehrs zu veranlassen. Ansätze hierzu finden sich etwa bei Ress/Ukrow in: Grabitz/Hilf Art 57 EGV Rn 12; und Kiemel in: vd Groeben/Schwarze Art 57 EGV Rn 20; skeptisch jedoch Honrath (Fn 127) S 139. 130 Siehe Honrath (Fn 127) S 224, 227.
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§12 V4
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Peter von Wilmowsky
ist immerhin denkbar, dass sich die Devisenreserven des ESZB erschöpfen.131 Solange sich die Wechselkurse des Euro frei bilden können (und daher keine Interventionspflichten des ESZB bestehen), sind derartige Defizite in der Devisenbilanz aber nicht zu befürchten.132 Sollte die in Art 59 EGV (Art III-159 W E ) beschriebene Situation einmal eintreten, darf der Gemeinschaftsgesetzgeber den Kapital- bzw Zahlungsverkehr mit dem Drittstaat höchstens sechs Monate lang einschränken. Bei einem Devisenmangel kommt zB ein Moratorium in Betracht, das es den Währungsinländern untersagt, Fremdwährungsverbindlichkeiten zu erfüllen.133 Dabei hat die Gemeinschaft die Verpflichtungen zu beachten, die sie in internationalen Abkommen der OECD, der WTO und über den IWF eingegangen ist.134 3. Wirtschaftssanktionen nach Art 60 EGV
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Der Kapital- und Zahlungsverkehr darf ferner eingeschränkt werden, um ein Wirtschaftsembargo gegen einen bestimmten Drittstaat zu bewirken (Art 60 EGV).135 Zuständig ist die Gemeinschaft, für die der Rat (regelmäßig in der Zusammensetzung der Wirtschafts- und Finanzminister) mit qualifizierter Mehrheit entscheidet (Art 301 EGV). Sie muss hierbei mit einer anderen Säule der EU, nämlich der GASP, zusammenarbeiten. Bevor sie ein Kapital- bzw Zahlungsverkehrsembargo nach Art 60 EGV verhängen darf, muss zuvor die GASP (durch den Rat der Außenminister) beschlossen haben, die Wirtschaftsbeziehungen zu dem betreffenden Drittstaat aus politischen Gründen auszusetzen, einzuschränken oder vollständig einzustellen (Art 11 bis 28 EUV). Dies geschieht entweder durch einen (konzeptionellen) „Gemeinsamen Standpunkt" (Art 15 EUV) oder eine (operative) „Gemeinsame Aktion" (Art 14 EUV), die in der Regel Einstimmigkeit erfordern (Art 23 EUV).136 Solange die Union keine Maßnahmen ergriffen hat, darf jeder Mitgliedstaat (bei Dringlichkeit und schwerwiegenden politischen Umständen) autonom gegen den Drittstaat vorgehen (Art 60 II UAbs 1 EGV). Der Gemeinschaft steht es aber frei, die einzelstaatlichen Maßnahmen zu überprüfen und ggf abzuändern oder aufzuheben (Art 60 II UAbs 2 EGV). 4. Weiter reichende Auslegung des Art 58 EGV (Art III-158 und der zwingenden Erfordernisse
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VVE)
Die zwingenden Erfordernisse und die in Art 58 EGV (Art III-158 W E ) kodifizierten Gemeinwohlbelange können Beschränkungen sowohl des innergemeinschaftlichen Kapitalund Zahlungsverkehrs als auch des Kapital- und Zahlungsverkehrs mit Drittstaaten rechtfertigen. Denkbar ist aber, dass die Tragweite eines Rechtfertigungsgrunds davon abhängt, ob das Verhältnis innerhalb der Gemeinschaft oder das Verhältnis zu Drittländern angesprochen ist. Im Außenverhältnis der Gemeinschaft kann die rechtfertigende Kraft eines staatlichen Eingriffsinteresses weiter reichen als im Innenverhältnis zwischen den Mit-
131 132 133 134
Vgl Krämer in: Grabitz/Hilf Art 119 EGV Rn 8. Siehe RoselSauernheimer (Fn 89) S 16, 20 f. Schefold in: Schimansky/Bunte/Lwowski (Fn 91) § 117 Rn 35. Zu diesen Schranken siehe Kiemel in: vd Groeben/Schwarze Art 59 EGV Rn 15 f; Glaesner in: Schwarze Art 59 EGV Rn 6-8. 135 Art 60 EGV ist lex specialis zu Art 301 EGV. 136 Über ergriffene Finanzsanktionen berichtet Schäfer BKR 2002, 1-3.
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Freiheit des Kapital- und Zahlungsverkehrs
§12 VI
gliedstaaten.137 Als Beispiel mögen die Anforderungen dienen, die das deutsche Zivilrecht an eine Bürgschaft stellt, wenn diese als Sicherheitsleistung (zB in einem Zivilprozess, §108 ZPO) dienen soll. Hierfür lässt das BGB allein solche Bürgen zu, die in Deutschland ansässig sind (§§ 232 II, 239 I BGB). Dass diese gesetzliche Voraussetzung gegenüber Bürgen aus anderen EU-Staaten mangels Rechtfertigung nicht mehr angewendet werden darf, ist bereits gerichtlich entschieden worden.138 Die Beschränkung auf inländische Bürgen kann sich nicht auf den Schutz der öffentlichen Ordnung (Art 58 I lit b EGV/Art III-158 I lit b W E ) berufen, weil aufgrund des EuGVÜ in den anderen EU-Staaten wie im Inland vollstreckt werden kann. Im Verhältnis zu Drittländern wird anders zu entscheiden sein, stößt die Vollstreckung des Anspruchs aus der Bürgschaft dort doch auf größere Schwierigkeiten.
VI. Schluss Die Befreiung des Kapitalverkehrs von ungerechtfertigten Beschränkungen (negative Harmonisierung) bildet den ersten Schritt, die Aufteilung in nationale Märkte zu überwinden und EU-weite Kapitalmärkte zu entwickeln. Will man die Integration darüber hinaus vertiefen, muss man die verbleibenden, gerechtfertigten Beschränkungen einander angleichen (positive Harmonisierung). Von integrierten Kapitalmärkten verspricht man sich eine Steigerung der wirtschaftlichen Wohlfahrt: Indem den Anbietern von und den Nachfragern nach Kapital die günstigsten Abschlüsse ermöglicht werden, kann das Kapital die Verwendung finden, welche den größten Nutzen stiftet.139
137 Ähnlich Usher The Law of Money and Financial Services in the European Community, 2nd edition 2000, S 235. 138 OLG Düsseldorf, WM 1995, 1993; vgl auch EuGH, Slg 2002, 1-1425, Rn 3 6 ^ 0 - Kommission/Italien (italienische Vorschrift, dass eine erforderliche Sicherheitsleistung nur durch ein Kreditinstitut mit Sitz oder Niederlassung in Italien erbracht werden dürfe). 139 Über die Maßnahmen zur Vereinheitlichung der für den Kapitalverkehr geltenden Regelungen berichten zB ResslUkrow in: Grabitz/Hilf Art 56 EGV Rn 110-170; und Kieme! in: vd Groeben/ Schwarze Art 56 EGV Rn 59-78.
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§13
Verbot der Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit Thorsten Kingreen Leitentscheidungen: EuGH, Slg 1985, 593 ff - Gravier; Slg 1998,1-2691 ff - Martinez Sala; Slg 1998, 1-7637 ff-Bickel; Slg 2001,1-6193 ff - Grzelczyk = Ehlers JK 02, EGV Art 12/1. Schrifttum: Epiney Umgekehrte Diskriminierungen, 1995; Etil Der praktische Fall - Europarecht: Augen auf im Straßenverkehr, JuS 2003, S 151 ff; Plötscher Der Begriff der Diskriminierung im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2003; Rossi Das Diskriminierungsverbot nach Art 12 EG-Vertrag, EuR 2000, S 197 ff; Schweitzer Art 12 EGV - Auf dem Weg zum „allgemeinen" Gleichheitssatz in: FS Rudolf, 2001, S 189ff; Aktuelle Kommentierungen zu Art 12 EGV: Epiney in: Calliess/Ruffert; Holoubek in: Schwarze; Lenz in: Lenz/Borchardt; Streinz in: Streinz; Zuleeg in: vd Groeben/ Schwarze.
1
Fall (nach EuGH, Slg 1997,1-1711ff- Hayes) Der britische Staatsangehörige Hayes (Η) verklagt die Firma Kronenberger (K) vor dem Landgericht Saarbrücken auf Zahlung des Restkaufpreises aus der Lieferung von Funktionsteilen für Aufbereitungs- und Recyclinganlagen. Κ verlangt, dass Η ihr gemäß § 110 ZPO (aF) Sicherheit zu leisten habe. Nach § 110 ZPO aF haben Ausländer, die als Kläger vor deutschen Gerichten auftreten, wegen der Prozesskosten Sicherheit zu leisten. Das gilt nicht, wenn der Staat, dem der Kläger angehört, von einem Deutschen im gleichen Falle keine Sicherheit verlangt. Diese Voraussetzung sah das Landgericht Saarbrücken als erfüllt an und gab der Klage statt. Das aufgrund der Berufung der Κ befasste Oberlandesgericht Saarbrücken legt dem EuGH die Frage vor, ob § 110 ZPO aF gegen Art 121 EGV verstößt. I. Rechtsquellen und systematische Einordnung
2
Das Unionsrecht enthält in Art 12 I EGV (Art 1-4 II W E ) ein Verbot der Ungleichbehandlung wegen der Staatsangehörigkeit. Es zielt auf die Überwindung des Fremdenstatus 1 und die Behandlung der Unionsbürger in jedem Mitgliedstaat als Inländer. Art 12 I EGV (Art 1-4 II W E ) ist ein besonderer Gleichheitssatz, weil er Ungleichbehandlungen nur aufgrund eines DifTerenzierungskriteriums, nämlich der Staatsangehörigkeit, verbietet und nicht in allen Lebensbereichen, sondern nur im Anwendungsbereich des Vertrages gilt.2 Die tatbestandliche Einschränkung, dass Art 12 I EGV (Art 1-4 II W E ) nur „unbeschadet besonderer Bestimmungen dieses Vertrages" zum Zuge kommt, kennzeichnet seine Nachrangigkeit gegenüber spezielleren Diskriminierungsverboten. Weil „unbeschadet" vorbehaltlich meint,3 darf Art 12 1 EGV (Art 1-4 II W E ) „autonom nur in durch das Gemeinschaftsrecht geregelten Fällen angewendet werden, für die der Vertrag keine besondere Regelung der Nichtdiskriminierung vorsieht".4 Art 12 EGV (Art 1-4 II W E )
1 ν Bogdandy in: Grabitz/Hilf Art 6 EGV Rn 1. 2 Von daher ist die häufig zu lesende Bezeichnung „allgemeines Diskriminierungsverbot" irreführend; zutreffend Rossi EuR 2000, 197. 3 EuGH, Slg 1977, 1495, Rn 11 - Sagulo; Slg 1996,1-161, Rn 11 - Perflli. 4 EuGH, Slg 1996,1-929, Rn 20 - Skanavi.
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Verbot der Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit
§13 II 1
tritt daher gegenüber allen Bestimmungen zurück, die das Kriterium der Staatsangehörigkeit aufgreifen, 5 insbesondere also den Grundfreiheiten (—> §§ 8, 9, 10, 11, 12),6 nicht aber etwa gegenüber Art 141 I EGV (Art III-214 I W E ) , der auf das Geschlecht als verbotenes Differenzierungskriterium abstellt.7 Mit dem Verbot der Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit reagiert Art 12 1 EGV (Art 1-4 II W E ) auf föderale Gefährdungslagen, die daraus resultieren, dass Gliedstaaten in einem föderalen Gemeinwesen tendenziell dazu neigen, ihre Bürger gegenüber Bürgern aus anderen Gliedstaaten zu bevorzugen. Art 12 I EGV (Art 1-4 II W E ) erklärt die Zugehörigkeit zu einem Mitgliedstaat für die Behandlung durch einen anderen Mitgliedstaat für irrelevant; er ist daher transnationale Integrationsnorm (—> § 18 Rn 2). Das unterscheidet ihn funktional von den Gleichheitsgrundrechten, die der (supra-)nationalen Legitimation von Hoheitsgewalt dienen. 8 Insofern ist die nochmalige Erwähnung des Diskriminierungsverbotes im Grundrechtsteil (Art 11-81 II W E ) überflüssig und angesichts unterschiedlicher Adressaten und Schranken auch nicht ganz unproblematisch. 9
3
II. Prüfungsaufbau 1 0 1.
Schutzbereich
a) Persönlicher Schutzbereich Art 12 I EGV (Art 1-4 II W E ) schützt alle natürlichen Personen, die die Unionsbürgerschaft (Art 17 EGV/Art 1-10 W E ) besitzen. Bei juristischen Personen bemisst sich der persönliche Schutzbereich nach Art 48 EGV (Art III-142 WE). 1 1 Unsicher ist, ob und ggf inwieweit Drittstaatsangehörige geschützt sind. Dafür sprechen im Umkehrschluss Art 39 II (Art 111-18 II W E ) und Art 43 I EGV (Art III-137 I W E ) , die ausdrücklich auf Staatsangehörige der Mitgliedstaaten beschränkt sind; eine solche Einschränkung fehlt bei Art 121 EGV (Art 1-4 II WE). 1 2 Gegen eine Berechtigung spricht allerdings die spezifisch auf den Binnenmarkt bezogene Funktion des Art 12 I EGV (Art 1-4 II W E ) . Anders als die - grundsätzlich auch für Drittstaatsangehörige geltenden (-> § 14 Rn 29) - Unionsgrundrechte hat Art 12 I EGV (Art 1-4 II W E ) keine supranationale Integrationsfunktion, soll also nicht an die Stelle der nationalen Grundrechte treten, die, soweit Hoheitsrechte auf die Union übertragen wurden, nicht mehr anwendbar sind.13 Er soll vielmehr, wie alle Binnenmarktvorschriften, die transnationale Integration befördern und den Unionsbürgern in jedem Mitgliedstaat eine gegenüber Drittstaatlern qualifizierte Zugehörigkeit vermitteln. Diese hervorgehobene Stellung, die auch in der Unionsbürgerschaft (Art 17 EGV/Art 1-10 W E ) zum Ausdruck kommt,
5 Epiney in: Calliess/Ruffert Art 12 EGV Rn 11. 6 Vgl EuGH, Slg 1989, 195, Rn 14 - Cowan; Holoubek in: Schwarze Art 12 EGV Rn 9; für Idealkonkurrenz hingegen wohl Schweitzer FS Rudolf, S 189 f. 7 ν Bogdandy in: Grabitz/Hilf Art 6 EGV Rn 58. 8 Zur Unterscheidung zwischen transnationalen Integrations- und supranationalen Legitimationsnormen (-> § 18 Rn 1 fl); vgl ferner Rossi EuR 2000, 197, 209. 9 Vgl Grabenwarter EuGRZ 2004, 563, 567f; Kingreen EuGRZ 2004, 570, 571 ff. 10 Zum Prüfungsaufbau bei Gleichheitsrechten —» § 18 Rn 7 ff. 11 ν Bogdandy in: Grabitz/Hilf Art 6 EGV Rn 32; § 10 Rn 62 ff. 12 ν Bogdandy in: Grabitz/Hilf Art 6 EGV Rn 34. 13 Zur supranationalen Integrationsfunktion Rn 1 f.
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Thorsten Kingreen
würde eingeebnet, wenn Drittstaatler durch den Vertrag die gleichen Rechte eingeräumt bekämen.14 Im Einzelfall kann allerdings anderes gelten, wenn sich aus dem konkreten Sachgebiet, insbesondere aus sekundärrechtlichen Regelungen, ergibt, dass insoweit auch Drittstaatler qualifizierten Schutz vor Ungleichbehandlungen wegen der Staatsangehörigkeit genießen sollen.15 b) Sachlicher Schutzbereich 6
Sachlich ist Art 12 I EGV (Art 1-4 II W E ) auf den „Anwendungsbereich des Vertrages" beschränkt. Die Bedeutung dieser Wendung ist umstritten: Nach Ansicht des EuGH soll es für den sachlichen Anwendungsbereich des Vertrages ausreichen, dass eine „gemeinschaftsrechtlich geregelte Situation" 16 vorliegt bzw der Fall „Berührungspunkte mit irgendeinem der Sachverhalte" aufweist, „auf die das Gemeinschaftsrecht abstellt."17 Das setzt keine positive Kompetenz der Union voraus; ausreichend sind vielmehr auch nur mittelbare Auswirkungen auf den Austausch von Gütern und Dienstleistungen innerhalb der Union.18 Daher ist bereits bei einem Zusammenhang zu einem unter die Grundfreiheiten fallenden Sachverhalt der Anwendungsbereich des Vertrages eröffnet.19 Der EuGH hat dies in frühen Urteilen lediglich durch die Bemerkung eingeschränkt, dass der „gegenwärtige Entwicklungsstand des Gemeinschaftsrechts" 20 zu berücksichtigen sei.
7
Beispiele: In den Anwendungsbereich des Vertrages fallen etwa Vorschriften, die für die Gründung einer Vereinigung eine Mindestzahl von Mitgliedern mit der Staatsangehörigkeit des Mitgliedstaates verlangen21, ferner nationale Verfahrensvorschriften über die Leistung von Prozesskostensicherheiten22. Gleiches gilt für Vorschriften, die den Zugang zum Universitätsstudium regeln (insbesondere Einschreibe- und Studiengebühren23). Hingegen fiel beim damaligen Entwicklungsstand des Unionsrechts die sonstige finanzielle Förderung der Studierenden (BAföG) nicht in den Anwendungsbereich des Vertrages, weil Bildungs- und Sozialpolitik als Sache der Mitgliedstaaten galt;24 diese Rechtsprechung sieht der EuGH allerdings nunmehr durch unionsrechtliche Fortentwicklungen als überholt an25 (-» Rn 10).
8
In der Literatur werden diverse Vorschläge gemacht, um der Wendung „im Anwendungsbereich des Vertrages" schärfere Konturen zu geben.26 Dabei wird insbesondere auf die Kompetenzbestimmungen abgestellt: Sachverhalte, die aufgrund einer Kompetenzbestimmung unionsrechtlicher Regelung zugänglich seien, fielen auch in den Anwendungs-
14 HM, vgl etwa Holoubek in: Schwarze Art 12 EGV Rn 19 ff; Lenz in: Lenz/Borchardt Art 12 Rn 2; Streinz in: Streinz Art 12 Rn 35. 15 Streinz in: Streinz Art 12 Rn 36. 16 EuGH, Slg 1989, 195, Rn 10-Cowan. 17 EuGH, Slg 1982, 3723, Rn 16-Morson. 18 EuGH, Slg 1997,1-1711, Rn 17-Hayes. 19 EuGH, Slg 1999,1-3999, Rn 12 - Kommission/Belgien. 20 EuGH, Slg 1988, 3161, Rn 15 - Lair; Slg 1988, 3205, Rn 18 - Brown. 21 EuGH, Slg 1999,1-3999, Rn 12 - Kommission/Belgien. 22 EuGH, Slg 1997,1-1711, Rn 17 - Hayes; Slg 1997,1-5325, Rn 16 f - Saldanha; dazu Fall 1. 23 EuGH, Slg 1985, 593, Rn 31 - Gravier. 24 EuGH, Slg 1988, 3161, Rn 14 f - Lair; Slg 1988, 3205, Rn 17 f - Brown. 25 EuGH, Slg 2001,1-6193 Rn 35 - Grzelczyk = Ehlers JK 02, EGV Art 12/1. 26 Vgl die Übersicht bei Epiney in: Calliess/Ruffert Art 12 EGV Rn 21.
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Verbot der Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit
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bereich des Vertrages,27 wobei umstritten ist, ob dies auch für die final ausgerichteten Querschnittskompetenzen über den Binnenmarkt gilt.28 Indes ist zweifelhaft, ob den Kompetenzvorschriften aussagekräftige Begrenzungen des sachlichen Schutzbereiches entnommen werden können. Denn Diskriminierungen wegen der Staatsangehörigkeit gehen ja in der Regel von den Mitgliedstaaten aus und sind meist gerade in denjenigen Bereichen anzutreffen, in denen die Union keine Kompetenzen besitzt, so etwa im Zivilprozessrecht 29 oder im Straf(prozess-)recht 30 . Überhaupt gilt, dass Zuständigkeitsvorschriften nicht von der Beachtung der im Falle ihrer Aktivierung geltenden materiellen Maßstäbe befreien können.31 Versuche, den Schutzbereich subjektiver Rechte über die Kompetenzverteilung zu begrenzen, führen daher nicht weiter. Vielmehr dürften alle mitgliedstaatlichen Regelungen in den Anwendungsbereich des Vertrages fallen, wenn sich nicht aus dem Vertrag selbst bzw der vertraglichen Systematik etwas anderes ergibt.32 Das gilt etwa für Wahlen auf regionaler und nationaler Ebene, die - wie der Umkehrschluss aus Art 19 I EGV (Art 1-10 II lit b; 11-100 W E ) ergibt - nicht in den Anwendungsbereich des Vertrages fallen. Das auf die eigenen Staatsangehörigen beschränkte Wahlrecht verstößt daher auch nicht gegen Art 12 I EGV (Art 1-4 II W E ) . Nicht in den Anwendungsbereich des Vertrages fällt aus vertragssystematischen Gründen auch die sog Inländenliskriminierung. Diese entsteht, wenn im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates für vergleichbare Sachverhalte unterschiedliche Regelungen gelten, weil der Mitgliedstaat aufgrund von Vorgaben des Unionsrechts (meist der Grundfreiheiten) für inländische Sachverhalte andere Regelungen erlässt oder aufrechterhält als für Sachverhalte mit Auslandsbezug. 33 Würde man darin einen Anwendungsfall des Art 12 I EGV (Art 1-4 II W E ) sehen, so würde die zutreffende und auch vom EuGH geteilte Beschränkung der Grundfreiheiten auf Sachverhalte mit grenzüberschreitendem Bezug34 überspielt: Was die Grundfreiheiten für den transnationalen Sachverhalt bewirken würden, würde Art 12 I EGV (Art 1-4 II W E ) für den nationalen gleichsam nachvollziehen.35 Dem steht entgegen, dass die Grundfreiheiten leges speciales zu Art 12 I EGV (Art 1-4 II W E ) und daher insoweit abschließend sind. Dem Problem der Inländerdiskriminierung ist daher allenfalls über das nationale Verfassungsrecht (Art 31, 121 GG) beizukommen. 36 Beim „gegenwärtigen Entwicklungsstand des Unionsrechts" wird es darüber hinaus kaum noch Fälle geben, die nicht in den Anwendungsbereich des Vertrages fallen. Dafür
27 ν Bogdandy in: Grabitz/Hilf Art 6 EGV Rn 38; Zuleeg in: vd Groeben/Schwarze Art 12 EG Rn 12. 28 Dafür: ν Bogdandy in: Grabitz/Hilf Art 6 EGV Rn 38; dagegen: Zuleeg in: vd Groeben/Schwarze Art 12 EG Rn 12. 29 Vgl dementsprechend ohne Erörterung der Kompetenzproblematik EuGH, Slg 1997, 1-1711, Rn 17-Hayes. 30 EuGH, Slg 1998,1-7637, Rn 16 - Bickel. 31 Rossi EuR 2000, 197, 204. Vgl etwa für die Grundfreiheiten auch EuGH, Slg 1998,1-1831, Rn 23 - Decker, im Hinblick auf die Sozialpolitik; dazu auch Kingreen NJW 2001, 3382, 3382. 32 Ähnlich auch Holoubek in: Schwarze Art 12 EGV Rn 31. 33 LackhofßRaczinski EWS 1997, 109, 110; ausführlich: Epiney Umgekehrte Diskriminierungen, 1995, S 17 ff. 34 Dazu näher Kingreen Die Struktur der Grundfreiheiten des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999, S 84 ff. 35 Vgl Hammerl Inländerdiskriminierung, 1997, S 151ff;Streinz in: Streinz Art 12 Rn 58 ff. 36 Vgl ÖstVerfGH, EuZW 2001, 219.
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sind insbesondere die teilhaberechtlichen Wirkungen der Unionsbürgerschaft (Art 17 EGV/Art 1-10 W E ) und das Recht auf Freizügigkeit (Art 18 EGV/Art 1-10 II lit a, II-105 I W E ) verantwortlich: So ist aufgrund von Art 17 I EGV (Art 1-10 W E ) für jeden Unionsbürger, der sich rechtmäßig im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates aufhält, der Anwendungsbereich des Vertrages eröffnet. Daraus wird etwa das Recht auf gleichberechtigten Zugang zu sozialen Sicherungssystemen abgeleitet.37 Dieses primärrechtliche Recht ist für diejenigen Personen von Bedeutung, die nicht bereits aufgrund sekundären Unionsrechts (Art 3 VO 1408/71 und Art 7 II VO/EWG 1612/68) Schutz vor sozialrechtlichen Ungleichbehandlungen genießen, etwa Studierende. Art 12 I EGV (Art 1-4 II W E ) ist also, verstärkt durch die Unionsbürgerschaft, vom EuGH zu einem sozialen Teilhaberecht38 fortentwickelt worden, das den insoweit lückenhaften Schutz des sekundären Unionsrechts ergänzt; grundrechtlich ist der Zugang zu den sozialen Sicherungssystemen nunmehr in Art 11-94 II W E niedergelegt (—> § 18 Rn 60). Ferner folgt aus Art 12 iVm Art 18 EGV (Art 1-4 II iVm Art 1-10 II lit a, II-105 I W E ) für alle Personen, die von ihrem Recht, sich in einem anderen Mitgliedstaat aufzuhalten und zu bewegen, Gebrauch machen, ein umfassender Anspruch auf Gleichbehandlung (etwa bei der Verwendung der Sprache im Strafverfahren) 39 . Auch hier tritt der teilhaberechtliche Charakter von Art 12 I EGV (Art 1-4 II W E ) deutlich zutage. 2. 11
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Beeinträchtigung
Beeinträchtigung ist jede Ungleichbehandlung aufgrund der Staatsangehörigkeit, a) Normadressaten Normadressaten sind in jedem Fall die Union und die Mitgliedstaaten.40 Ob Art 121 EGV (Art 1-4 II W E ) Drittwirkung entfaltet, ist hingegen umstritten.41 Der EuGH hat zu dieser Frage noch nicht Stellung bezogen; für die Personenverkehrsfreiheiten nimmt er aber jedenfalls im Bereich der privatautonomen Rechtsetzung eine unmittelbare Drittwirkung an (—> vgl § 7 Rn 42 f). Dagegen spricht, dass so das Recht des Einzelnen auf Nichtdiskriminierung gegenüber der öffentlichen Gewalt zu einer Pflicht gegenüber allen Mitbürgern wird. Näherliegender ist es, die Fälle privaten Machtmissbrauchs entweder über das Kartellrecht (Art 81 ff EGV/Art III-161 ff W E ) oder über Schutzpflichten der Mitgliedstaaten zu verarbeiten.42
37 EuGH, Slg 1998, 1-2691, Rn 57/62 - Martinez Sala; Slg 2001, 1-6193, Rn 32 - Grzelcyk; zum Ganzen auch Borchardt NJW 2000, 2057 ff; Letzner JuS 2003, 118 ff; Rossi JZ 2002, 351 ff. 38 Das gleichheitsrechtlich strukturierte Teilhaberecht enthält lediglich einen Anspruch auf Teilhabe an bereits bestehenden Einrichtungen (hier: soziale Leistungen), nicht aber einen originären Anspruch auf deren Einrichtung; vgl zum Unterschied zwischen dem derivativen Teilhabe- und dem originären Leistungsrecht Pieroth/Schlink Grundrechte Staatsrecht II, 20. Aufl 2004, Rn60ff, 95 ff. 39 EuGH, Slg 1998,1-7637, Rn 14 ff - Bickel. 40 Vgl nur Holoubek in: Schwarze Art 12 EGV Rn 21 ff. 41 Für eine Drittwirkung ν Bogdandy in: Grabitz/Hilf Art 6 EGV Rn 31 und, wenn auch vorsichtig, Rossi EuR 2000, 197, 216f; dagegen Holoubek in: Schwarze Art 12 EGV Rn 26f und Streinz in: Streinz Art 12 Rn 39. 42 Näher Kingreen (Fn 34) S 195 ff.
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Verbot der Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit
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b) Arten der Beeinträchtigung Art 12 I EGV (Art 1-4 II W E ) verbietet „nicht nur offensichtliche [unmittelbare] 43 Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit, sondern auch alle versteckten [mittelbaren] 44 Formen der Diskriminierung, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zu dem gleichen Ergebnis führen." 45 Unmittelbare Diskriminierungen zeichnen sich durch eine tatbestandliche Anknüpfung an das verbotene Unterscheidungskriterium der Staatsangehörigkeit aus.
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Beispiele: Eine unmittelbare Diskriminierung stellt es dar, wenn staatliche Museen den eigenen Staatsangehörigen niedrigere Eintrittspreise abverlangen als anderen Unionsbürgern 46 und wenn Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten an staatlichen Universitäten zusätzliche Einschreibe· und Studiengebühren entrichten müssen. 47
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Die Prüfung, ob eine mittelbare Diskriminierung vorliegt, bereitet wegen der schwierigen Abgrenzung zu sonstigen, nicht diskriminierenden Beschränkungen oftmals Probleme.48 Der EuGH stellt in einer Entscheidung darauf ab, ob „die große Mehrzahl" der von der Norm geregelten Fälle Angehörige anderer Mitgliedstaaten trifft. 49 Das spricht dafür, dass es - wie bei Art 141 EGV (Art III-214 W E ) und bei den Grundfreiheiten 50 primär auf die tatsächlichen Auswirkungen einer Maßnahme ankommt, darauf also, ob eine besonders große Zahl der vor Diskriminierung geschützten Gruppe betroffen ist. Doch können - möglicherweise zufällige - tatsächliche Auswirkungen allein keine Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit begründen. Art 12 I EGV (Art 1-4 II W E ) will nämlich nicht generell Schlechterstellungen von Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten verbieten, sondern nur solche aufgrund der Staatsangehörigkeit. 51 Entscheidend ist daher der materielle Regelungsgehalt der möglicherweise mittelbar diskriminierenden Anforderung: Es kommt darauf an, ob die angegriffene Maßnahme Anforderungen ent-
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hält, die typischerweise nur oder zumindest leichter von In- als von Ausländern erfüllt werden
können, ob sie also spezifisch auf die unterschiedliche Ausgangsposition von In- und Ausländern zugeschnitten ist. Der Normadressat muss maW in der Lage sein, die gestellte Anforderung mit anderen Gründen als mit dem der Staatsangehörigkeit zu begründen. Gelingt diese Begründung, so hat sie vor Art 12 I EGV (Art 1-4 II W E ) selbst dann Bestand, wenn faktisch mehr Aus- als Inländer betroffen sind.52 Beispiele: Mittelbar diskriminierend wirken etwa alle Regelungen, die an den Wohnsitz oder ein Niederlassungserfordernis anknüpfen, weil diese Voraussetzungen für Ausländer regelmäßig schwerer zu erfüllen sind als für Inländer.53 Eine mittelbare Diskriminierung ist etwa auch das
43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53
Anmerkung des Autors. Anmerkung des Autors. EuGH, Slg 1980, 3427, Rn 9 - Boussac; Slg 2002,1-2965, Rn 15 - Kommission/Italien. EuGH, Slg 1994,1-911, Rn 10 - Kommission/Spanien. EuGH, Slg 1994,1-1593, Rn 19 - Kommission/Belgien. Vgl die ausführliche Analyse bei Plötscher Der Begriff der Diskriminierung im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2003, S 114 ff. EuGH, Slg 1994,1-117, Rn 16 - Owens Bank. Vgl etwa EuGH, Slg 1989, 1591, Rn 12 - Allue I. ν Bogdandy in: Grabitz/Hilf Art 6 EGV Rn 18. Zu diesem Verständnis der besonderen Gleichheitssätze als Begründungsverbote Pieroth/Schlink (Fn 38) Rn 447 ff, für die Grundfreiheiten Kingreen (Fn 34) S 143 ff. EuGH, Slg 1974, 153, Rn 11 - Sotgiu; Slg 1993,1-817, Rn 10 - Kommission/Luxemburg.
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Erfordernis eines im Inland zugelassenen Kraftfahrzeuges als Voraussetzung für eine straßenverkehrsrechtliche Bevorzugung.54 Entsprechendes gilt, wenn ein Mitgliedstaat die Gewährung von Sozialleistungen von einer förmlichen Aufenthaltserlaubnis abhängig macht, während Inländer lediglich ihren Wohnsitz oder tatsächlichen Aufenthalt in diesem Mitgliedstaat haben müssen.55 c) Rechtfertigung 18
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Obwohl Art 12 EGV (Art 1-4 II W E ) keine ausdrücklichen Schrankenbestimmungen enthält, ist anerkannt, dass jedenfalls mittelbare Diskriminierungen wegen der Staatsangehörigkeit gerechtfertigt werden können. Dabei wird auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit aktiviert: Zu prüfen ist, ob die mittelbar diskriminierende Maßnahme durch „objektive Umstände gerechtfertigt ist" 56 und in einem angemessenen Verhältnis zu dem Zweck steht, der mit ihr verfolgt wird.57 Ungeklärt ist hingegen, ob auch unmittelbare Diskriminierungen gerechtfertigt werden können. In der Literatur wird Art 121 EGV (Art 1-4 II W E ) insoweit teilweise als absolutes Diskriminierungsverbot verstanden, das einer Rechtfertigung nicht zugänglich sei. Dies ergebe sich aus dem Wortlaut „jede Diskriminierung" und dem systematischen Umstand, dass bei den Grundfreiheiten Rechtfertigungstatbestände vorhanden sind, die bei Art 12 I EGV (Art 1-4 II W E ) fehlen.58 Doch sind dies jeweils Argumente, die auch gegen die Rechtfertigungsmöglichkeiten bei mittelbaren Diskriminierungen sprechen müssten. Denn auch eine mittelbare Diskriminierung ist ja „Diskriminierung" im Sinne von Art 12 I EGV (Art 1-4 II W E ) . Die Rechtsprechung des EuGH ist alles andere als einheitlich,59 scheint aber darauf hinaus zu laufen, dass unmittelbare Diskriminierungen zwar zu rechtfertigen, aber insoweit erhöhten Anforderungen ausgesetzt sind. In einer gewissen Parallelität zu der allerdings ihrerseits inkohärenten Rechtsprechung zu den Grundfreiheiten 60 sollen unmittelbare Diskriminierungen lediglich aufgrund im Verfassungstext kodifizierter Rechtfertigungsgründe zu rechtfertigen sein, während bei mittelbaren Diskriminierungen auch sonstige Allgemeinwohlerwägungen zum Tragen kommen.61 Die Parallelität mit den Grundfreiheiten leuchtet grundsätzlich ein.62 Allerdings ist nicht einsichtig, warum unmittelbare und mittelbare Diskriminierungen unterschiedlich behandelt werden sollten.63 Die Differenzierung des EuGH fördert den versteckten Protektionismus, der Benachteiligungen wegen der Staatsangehörigkeit nur geschickt verschleiert, statt sie offen zu legen. Und für den benachteiligten Ausländer kann es ohnehin keinen Unterschied machen, ob er durch eine unmittelbar an die Staatsangehörigkeit anknüpfende Maßnahme oder durch eine sonstige Maßnahme diskriminiert wird, die im Ergebnis wie eine Ungleichbehand-
54 55 56 57 58 59 60 61 62 63
EuGH, Slg 2002,1-2965, Rn 18 - Kommission/Italien. EuGH, Slg 1998,1-2691, Rn 65 - Martinez Sala. Vgl etwa EuGH, Slg 1994,1-467, Rn 17 - Mund & Fester. EuGH, Slg 1998,1-7637, Rn 28 - Bickel. So etwa ν Bogdandy in: Grabitz/Hilf Art 6 EGV Rn 23; Holoubek in: Schwarze Art 12 EGV Rn55; Thümmel EuZW 1994,242, 243. Vgl Plötscher (Fn 48), S 131 f. Gundel Jura 2001, 79 ff; Kingreen in: ν Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, 2003, S 631, 670 ff. EuGH, Slg 2003,1-721, Rn 19, 21 - Kommission/Italien = Schock JK 8/03, EGV Art 49/7. Rossi EuR 2000, 197,212 f. So auch Epiney in: Calliess/Ruffert Art 12 EGV Rn 42; Rossi EuR 2000, 197,213f.
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Verbot der Diskriminierung wegen der Staatsangehörigkeit
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lung wegen der Staatsangehörigkeit wirkt. Der dogmatisch sauberste Weg ist eine einheitliche Ankoppelung der Rechtfertigungsprüfung an die verfassungsrechtlich vorgesehenen Einschränkungsmöglichkeiten, etwa den Tatbestand der „öffentlichen Ordnung" in Art 39 III EGV (Art III-133 III W E ) und Art 46 I EGV (Art III-140 I W E ) . d) Rechtsfolgen eines Verstoßes Bei einem Verstoß gegen Art 12 I EGV (Art 1-4 II W E ) ist es Sache des Mitgliedstaates, ob er die bislang benachteiligte Person so behandelt wie die bislang bevorzugte, die belastende Regelung auch auf Letztere erstreckt oder beide auf eine dritte Art und Weise behandelt. Lösung: § 110 ZPO könnte gegen Art 121 EGV (Art 1-4 Π W E ) verstoßen. (1) Fraglich ist, ob § 110 ZPO aF in den „Anwendungsbereich des Vertrages" im Sinne von Art 12 I EGV (Art 1-4 II W E ) fällt. Zwar ist es mangels einer Zuständigkeit der Union Sache der Mitgliedstaaten, das Zivilprozessrecht zu regeln. Doch besteht diese Zuständigkeit nicht schrankenlos; insbesondere verbietet Art 12 I EGV (Art 1-4 II W E ) Diskriminierungen, die im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Betätigung stehen. Obwohl § 110 ZPO aF als solcher nicht dazu bestimmt ist, eine kaufmännische Tätigkeit zu regeln, bewirkt er, dass ausländische Wirtschaftsteilnehmer weniger leichten Zugang zu den Gerichten dieses Staates haben als dessen eigene Staatsangehörige. Da das Unionsrecht diesen Wirtschaftsteilnehmern den freien Waren- und Dienstleistungsverkehr im Gemeinsamen Markt garantiert, muss ihnen auch der Zugang zu den Gerichten eines Mitgliedstaates bei Rechtsstreitigkeiten, die sich aus ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit ergeben, unter denselben Bedingungen eröffnet sein wie den Staatsangehörigen dieses Staates (EuGH, Slg 1997, 1-1711, Rn 14 - Hayes). Der Schutzbereich ist damit berührt. (2) Der Schutzbereich muss beeinträchtigt sein. Weil Deutschland von Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten eine Sicherheitsleistung fordert, die es von den eigenen Staatsangehörigen nicht verlangt, liegt eine unmittelbare Diskriminierung vor. (3) Fraglich ist, ob die Ungleichbehandlung gerechtfertigt ist. Aus den og Gründen (vgl oben Rn 19) können auch unmittelbare Diskriminierungen gerechtfertigt werden. Voraussetzung ist allerdings, dass § 110 ZPO aF ein billigenswertes Ziel verfolgt und verhältnismäßig ist. Es ist schon zweifelhaft, ob § 110 ZPO aF geeignet ist, weil die Sicherheitsleistung von einem deutschen Kläger, der im Ausland ansässig ist, nicht verlangt wird, obwohl insoweit ebenfalls ein Vollstreckungsrisiko besteht. Im Übrigen steht sie in keinem Verhältnis zu dem angestrebten Ziel, weil sie auch nichtdeutsche Kläger, die in Deutschland ansässig sind, zur Sicherheitsleistung verpflichtet (EuGH, Slg 1997, 1-1711, Rn 24 - Hayes). Die Beeinträchtigung kann daher nicht gerechtfertigt werden. § 110 ZPO aF verstößt gegen Art 12 I EGV (Art 1-4 II W E ) .
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4. Teil: Die Grundrechte der Europäischen Union §14 Allgemeine Lehren Dirk Ehlers Leitentscheidungen: EuGH, Slg 1963, 3 ff - van Gend & Loos; SIg 1964, 1251 ff - Costa; Slg 1969, 419 ff - Stauder; Slg 1970, 1125 ff - Internationale Handelsgesellschaft; Slg 1974, 491 ff - Nold; Slg 1997, 1-3689 ff - Familiapress = Erichsen JK 98, EGV Art 30/1; Slg 2001, 1-161 Iff - Connolly = Ehlers JK 01, EGV Art 220/1; Slg 2003,1-5659 ff - Schmidberger = Schoch JK 11/03, EGV Art 28/3; DVB1 2004, 1476ff - Omega = Ehlers JK 06/05, EGV Art 49/13; BVerfGE 73, 339ff - Solange II; 102, 147 ff - Bananenmarkt. Schrifttum: Beutler in: vd Groeben/Schwarze Art 6 EUV Rn 39 ff; Kingreen in: Calliess/Ruffert Art 6 EUV Rn 16 ff; Kühling in: ν Bogdandy S 583 ff; Meyer Charta der Grundrechte; Pechstein in: Streinz Art 6 EUV Rn 8ff;PernicelMayer in: Grabitz/Hilf nach Art 6 EUV; RengelinglSzczekalla-, Stumpf in: Schwarze Art 6 EUV Rn 16 ff.
I. Eigenart und Stellung der Unionsgrundrechte im Gefüge des internationalen und nationalen Rechts Fall 1: (BVerfGE 102,147 ff) Auf der Grundlage einer Bananenmarkt-VO der EG ist die Einfuhr von Bananen aus DrittStaaten in die Gemeinschaft drastisch reduziert worden. Ein deutscher Importeur von Bananen aus solchen Staaten erhob gegen einen auf der Grundlage dieser VO erlassenen Kontingentierungsbescheid Klage vor einem deutschen VG. Der vom VG im Wege einer Vorabentscheidung angerufene EuGH hat entschieden, dass keine Bedenken gegen die Gültigkeit der VO bestehen (Slg 1995,1-3799 ff - Atlanta). Daraufhin hat das VG dem BVerfG gemäß Art 1001 GG die Frage vorgelegt, ob die VO mit Art 141, 12 I und 3 I GG vereinbar ist.
1. Begriff der
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Grundrechte
Eine allgemein verbindliche oder auch nur gebräuchliche Definition von Grundrechten gibt es nicht. Im Folgenden werden unter Grundrechten Rechte des Individuums (und anderer Privatpersonen) gegen Hoheitsträger verstanden, die kraft des internationalen Rechts gelten oder auf der höchsten innerstaatlichen Normstufe garantiert werden, dem Einzelnen eine grundlegende Rechtsposition gegenüber den Hoheitsträgern einräumen und diesen im Falle der Zulässigkeit einer Beschränkung eine Rechtfertigung abverlangen. Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf die Grundrechte der Europäischen Union. Diese betreffen nicht nur die Europäischen Gemeinschaften (dh die Europäische Gemeinschaft sowie die Europäische Atomgemeinschaft), sondern auch die Europäische Union (also das völkerrechtliche Dach für die beiden europäischen Gemeinschaften) in ihren ergänzenden Politiken sowie in ihren Formen der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedsstaaten. Tritt der Vertrag über eine Verfassung für Europa in Kraft, wird es ohnehin nur noch ein supranationales Rechtssubjekt - nämlich die Europäische Union geben. Daher wird im Folgenden von Unions- statt von Gemeinschaftsgrondrechten ge-
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Dirk Ehlers
sprochen. Die Darstellung orientiert sich am geltenden Recht. Doch kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Vertrag über eine Verfassung für Europa auch eine Charta der Grundrechte der Union enthält. Da die Charta bereits jetzt die Grundrechtsentwicklung beeinflusst und da sie nach Inkrafttreten des Vertrages die maßgebliche Rechtsquelle sein wird, bezieht die Darstellung sie ergänzend zum geltenden Recht mit ein. 2. Notwendigkeit der Gewährleistung von Grundrechten auf Unionsebene 4
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Die Gemeinschaftsverträge kennen bislang keinen geschriebenen Grundrechtskatalog mit Verbindlichkeit, sondern nur einzelne grundrechtliche Garantien. Ein Grundrechtskatalog wurde beim Abschluss der Verträge nicht für notwendig erachtet, weil man die Gemeinschaftsverträge als traditionelle völkerrechtliche Verträge eingestuft hat. Es zeigte sich jedoch alsbald, dass diese Wertung nicht zutraf. Zum einen wenden sich die Gemeinschaftsverträge nicht nur an die Mitgliedstaaten der Gemeinschaften, sondern auch unmittelbar an Privatpersonen. Zum anderen ist den Gemeinschaften in einem sehr weiten Umfang die Kompetenz eingeräumt worden, für und gegen jedermann verbindliches Recht zu setzen. An der Begrenzung der Gemeinschaftsgewalt durch die die Freiheit und Gleichheit des Einzelnen schützenden Grundrechte führt deshalb kein Weg vorbei. Die ersten Grundrechtsanstöße kamen aus den Mitgliedstaaten. Sie zielten darauf ab, das Handeln der Gemeinschaften an den nationalen Grundrechten zu messen. Darauf aufbauend haben der italienische Verfassungsgerichtshof (Corte Costituzionale)1, das BVerfG2 und weitere Verfassungsgerichte der Mitgliedstaaten3 in Grundsatzentscheidungen für sich das Recht in Anspruch genommen, sekundäres Gemeinschaftsrecht im Inland für unanwendbar zu erklären, wenn und soweit es (in qualifizierter Weise) mit den nationalen Grundrechten kollidiert (Rn 15). Der EuGH hat sich dem von Anfang an widersetzt, weil eine Bindung des Gemeinschaftsrechts an nationales (Verfassungs-)Recht nicht mit dem von ihm postulierten und ohne jede Einschränkung vertretenen Vorrang des Gemeinschaftsrechts vereinbar ist.4 Die Lösung konnte daher nur darin liegen, einen umfassenden und effektiven Grundrechtsschutz auf Gemeinschaftsebene zu garantieren. Da es zu diesbezüglichen Vertragsänderungen nicht gekommen ist,5 hat der EuGH gestützt auf seine Kompetenz zur Wahrung des Rechts (Art 220 EGV/Art 1-29 I 2 W E ) grundrechtliche Verbürgungen in Gestalt ungeschriebener Rechtsgrundsätze entwickelt (—> § 1 Rn 19 ff). Nachdem in der Rechtssache van Gend & Loos (1963) herausgearbeitet worden war, dass der Einzelne auch ohne ausdrückliche Anordnung in den Gemeinschaftsrechtsverträgen Inhaber eines Gemeinschaftsrechts sein kann, 6 ist in dem Fall Stauder (1969) erstmals von „Grundrechte(n) der Person" gesprochen worden7. Zum Durchbruch gelangt ist die Anerkennung von Unionsgrundrechten in den Entscheidungen Internationale Handelsgesellschaft8 (1970) und Nold9 (1974). Auf der Basis dieser Rspr 1 Corte Costituzionale, EuR 1974, 255,262. 2 BVerfGE 37, 271, 277 ff - Solange I. 3 Vgl zum heutigen Stand Streinz FS Steinberger, 2002, S 1437, 1456 ff; Grabenwarter in: ν Bogdandy S 283, 286 ff; Französischer Conseil constitutionnel, JZ 2004, 969. 4 Grundlegend EuGH, Slg 1964, 1253, 1270 f - Costa. 5 Vgl aber die Aufnahme von Unionsbürgerrechten in den EGV (-» hierzu Rn 26 und § 20 Rn 11). 6 EuGH, Slg 1963, 3,25 - van Gend & Loos. 7 EuGH, Slg 1969,419, 425 - Stauder. 8 EuGH, Slg 1970, 1125, Rn 4 - Internationale Handelsgesellschaft. 9 EuGH, Slg 1974,491, Rn 13 - Nold.
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Allgemeine Lehren
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sind in der Folgezeit - nicht zuletzt befördert durch die kritische Rspr des BVerfG 10 - die Unionsgrundrechte bereichsspezifisch ausgeformt und gefestigt worden. Gleichwohl spielen die Unionsgrundrechte in der Rspr des EuGH und des EuG eine ungleich geringere Rolle als die Grundfreiheiten (Rn 13). Soweit ersichtlich, sind Maßnahmen des Gemeinschaftsgesetzgebers - anders als Vollzugsakte der EG-Kommission - bislang noch nicht wegen Verstoßes gegen Unionsgrundrechte für ungültig erklärt worden (wohingegen in Deutschland Parlamentsgesetze nicht selten vom BVerfG für nichtig erklärt werden). 3. Geltungsgrund der Unionsgrundrechte Da der Charta der Grundrechte der Union (Rn 17 ff) noch keine Verbindlichkeit zukommt, beruhen die Unionsgrundrechte bislang teils auf geschriebenem Vertragsrecht, teils sind sie als allgemeine Rechtsgrundsätze auf der Grundlage des Art 220 EGV (Art 1-291 2 W E ) vom EuGH im Wege der Rechtsfortbildung entwickelt worden. Die geschriebenen Rechte haben - abgesehen von den Grundfreiheiten (Rn 13) - punktuellen Charakter und betreffen das Gleichheitsgebot sowie die Unionsbürgerrechte (Art 18ff, 255 EGV/I-9f W E ) und Verfahrensrechte. Die geschriebenen Gleichheitsrechte verbürgen nicht allgemein einen Anspruch auf Gleichbehandlung, sondern verbieten in besonderen Fällen (zB Art 31, 72, 90, 294 EGV/Art III-155, 237, 143 W E ) oder allgemein (Art 12 EGV/Art 1-4 II W E ) eine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit. Darüber hinaus wenden sie sich gelegentlich auch gegen andere Ungleichbehandlungen. So garantiert Art 141 EGV (Art III-214 W E ) Männern und Frauen mit unmittelbarer Wirkung" ein gleiches Entgelt bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit. 12 Soweit geschriebene Rechte bestehen, gehen diese den ungeschriebenen vor. Fehlt es an geschriebenen Gewährleistungen, basiert die Anerkennung der Unionsgrundrechte auf dem Richterrecht des EuGH (und des EuG). Der Gerichtshof leitet die Unionsgrundrechte im Wesentlichen aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten 13 sowie aus den völkerrechtlichen Verträgen über den Schutz der Menschenrechte 14 her. In letzterer Hinsicht stützt er sich maßgeblich auf die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) und die zu ihrer Auslegung ergangenen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR).' 5 Zur E M R K sind neben den Gewährleistungen der Art 1 bis 14 E M R K auch die Garantien der Zusatzprotokolle zu rechnen, jedenfalls soweit diese von den Mitgliedstaaten ratifiziert worden sind.16 Die Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten und die EMRK stellen keine Rechtsquellen des Gemeinschaftsrechts dar, sondern fungieren als Rechtserkenntnisquellen, aus denen der EuGH auf der Grundlage einer wertenden Rechtsvergleichung17 die Unionsgrundrechte gewinnt. Dies lässt dem Gerichtshof einen erheblichen Gestaltungsspielraum. So kommt es für die Feststellung gemeinsamer Verfassungsüberlieferungen nicht darauf an, was die Mehrheit der Mitgliedstaaten übereinstimmend anordnet.
10 11 12 13 14 15 16 17
Vgl BVerfG 37, 271 ff - Solange I. EuGH, Slg 1976,455, Rn 4 ff - Defrenne II. Vgl auch Art 34 II 2 EGV. Erstmalig EuGH, Slg 1970, 1125, Rn 4 - Internationale Handelsgesellschaft. Erstmalig EuGH, Slg 1974, 491, Rn 13 - Nold. Vgl etwa die Übersicht bei Stumpf in: Schwarze Art 6 EUV Rn 20 ff. Näher dazu Grabenwarter W D S t R L 60 (2000), 290, 328 f. Vgl Pemice NJW 1990, 2409, 2414; Beutler in: vd Groeben/Schwarze Art 6 EUV Rn 63.
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Auch ist weder der maximale 18 noch gar der minimale Grundrechtsschutz in den Mitgliedstaaten entscheidend. 19 Vielmehr soll gelten, „was sich bei einer kritischen Analyse der Lösungen, die sich nach der rechtsvergleichenden Umschau ergeben, als die beste Lösung darstellt". 20 Im Zweifel orientiert sich der EuGH an der E M R K (auch weil es nicht ganz einfach sein dürfte, die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten zu ermitteln, in Gestalt der E M R K ein einheitlicher Normtext zur Verfügung steht, alle Mitgliedstaaten der E G die E M R K unterzeichnet und ratifiziert haben und an die Rspr des E G M R angeknüpft werden kann). Doch spielt die - die Verzahnung von Unionsgrundrechten und nationalen Grundrechten zum Ausdruck bringende - Rechtserkenntnisquelle der gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen vor allem dann eine Rolle, wenn die E M R K ein bestimmtes Grundrecht - zB die Berufsfreiheit 21 - nicht garantiert. 22 Zu den Vorwirkungen der Charta der Grundrechte vgl Rn 17 ff. Nachdem das Europäische Parlament, der Rat und die Kommission der Gemeinschaft bereits im Jahre 1977 eine Gemeinsame Erklärung über die Geltung von Grundrechten abgegeben haben 23 und von dem Europäischen Parlament in den Jahren 1989 und 1994 Vorschläge für Grundrechtskataloge vorgelegt worden waren 24 , ist in den Vertrag von Maastricht (Art 5 II EUV aF) eine Bestimmung aufgenommen worden, wonach die Union (dh die Europäischen Gemeinschaften, die GASP und die PJZS als die drei Säulen der Union 25 ) die Grundrechte achtet, wie sie in der E M R K gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ergeben. Seit dem Vertrag von Amsterdam findet sich die Normierung - ergänzt um eine Zuständigkeitsregelung zugunsten des EuGH (Art 46 lit d EUV) - in Art 6 II EUV. Damit ist eine Grundrechtsbindung der gesamten Union ausdrücklich fixiert worden. Die Folgen für die E G halten sich indessen in Grenzen. Zunächst ist die Bestimmung des Art 6 II EUV nicht Bestandteil der Gemeinschaftsverträge geworden, wirkt also nur kraft einfachen Völkerrechts.26 Des Weiteren ändert sich nichts an dem Charakter der gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten und der E M R K als bloße Rechtserkenntnisquellen für das Gemeinschaftsrecht. Eine unmittelbare Bindung des Gemeinschaftsrechts an die EMRK scheidet ohnehin aus, weil die E M R K bisher nur für Mitglieder
18 Vgl aber auch EuGH, Slg 1974, 491, Rn 13 - Nold, wonach der Gerichtshof „keine Maßnahmen als Rechtens anerkennen (kann), die unvereinbar sind mit den von den Verfassungen dieser Staaten anerkannten und geschützten Grundrechten". Vgl auch EuGH, Slg 1982, 1575, Rn 18 - AM; Slg 1989, 2859, Rn 19 - Hoechst. 19 Ausf hierzu Tridimas The General Principles of EC Law, 1999, S 213 ff. 20 So bereits Zweigert RabelsZ 28 (1964), 601, 611. Vgl auch Streinz ER Rn 362 ff. 21 Zu einer Teilgewährleistung - Verbot der Zwangsarbeit - vgl Art 4 II EMRK (Art 11-65 II W E ) . 22 Vgl EuGH, Slg 1998,1-1953, Rn 21 - Metronome Musik; Günter Berufsfreiheit und Eigentum in der Europäischen Union, 1998, passim. 23 EG ABl 1977 Nr C 103/1. 24 Vgl EG ABl 1989 Nr C 120/51; EG ABl 1994 Nr C 91/155. Alle genannten Erklärungen haben vorwiegend politischen Charakter. Rechtliche Bedeutung könnte ihnen insofern zukommen, als sie zur Entstehung von Gewohnheitsrecht iSv Art 31 III lit b WVK beizutragen vermögen. Vgl aber auch EuGH, Slg 1979, 3727, Rn 15 - Hauer; Slg 1996,1-1759, Rn 32 - Gutachten 2/94. 25 Vgl Art 1 III, Art 11ff,29 ff EUV. 26 Str AA Cirkel Die Bindungen der Mitgliedstaaten an die Gemeinschaftsgrundrechte, 2000, S 27; PechsteinlKoenig EU Rn 117.
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des Europarats27 (und damit für Staaten28) zur Unterzeichnung aufliegt und den Gemeinschaften (noch) die Zuständigkeit fehlt, der EMRK förmlich beizutreten29. Auch eine einseitige strikte Bindung an die EMRK (und die dazu ergangene Rspr des EGMR) lässt sich der Vorschrift nicht entnehmen (weil sich eine solche nicht mit der Verpflichtung zur bloßen „Achtung" der Menschenrechte sowie der gleichzeitigen Bindung an die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten verträgt; —> § 2 Rn 9). Schließlich sind die Kompetenzen des EuGH in Bezug auf die Grundrechtsbindung der Gemeinschaften nicht verändert worden (wie neben Art 46 lit d auch Art 47 EUV zeigt). Nach wie vor ist die materielle Herleitung der Unionsgrundrechte daher (noch) dem EuGH (und dem EuG) auf der Grundlage des Art 220 EGV (Art 1-291 W E ) aufgetragen.30 4. Verhältnis der Unionsgrundrechte zu anderen grundrechtlichen Gewährleistungen Die Unionsbürger werden nicht nur durch die Unionsgrundrechte, sondern auch durch die Grundfreiheiten des EGV, die Verbürgungen der EMRK und die nationalen Grundrechte geschützt. Es stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis die verschiedenen Garantien zueinander stehen.
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a) Verhältnis zu den Grundfreiheiten Die primärrechtlich garantierten Grundfreiheiten des Gemeinschaftsrechts bestehend aus 13 der Freiheit des Warenverkehrs (Art 28f EGV/Art III-153 W E ; -> § 8), der Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art 39 EGV/Art III-133 W E ; —> § 9) sowie den Freiheiten der Niederlassung (Art 43 EGV/Art III-137 W E ; -» § 10), des Dienstleistungsverkehrs (Art 49 EGV/Art III-144 W E ; —>§11) und der Freiheit des Kapital- und Zahlungsverkehrs (Art 56 EGV/Art III-156 W E ; § 12) stellen nach hM sowohl Diskriminierungs- als auch Beschränkungsverbote dar (—» § 7 Rn 19 ff). Man kann sie daher als besondere Formen des grundrechtlichen Gleichbehandlungsgebots und der grundrechtlichen Freiheitsrechte für den Fall des Vorliegens grenzüberschreitender Sachverhalte ansehen (Unionsgrundrechte iwS). Ob die Kategorie der Grundfreiheiten irgendwann einmal als „eine Art Eierschale der EU-Evolution" abgelegt werden kann,31 bleibt abzuwarten. Auf absehbare Zeit ist damit nicht zu rechnen. Auch bedürfte es dann weiterer Bestimmungen der Grundrechte über deren Anwendungsbereich und Schranken in den Fallgestaltungen, die bisher von den Grundfreiheiten erfasst werden. Keineswegs kann das in den Grundfreiheiten enthaltene Erfordernis eines grenzüberschreitenden Sachverhalts ersatzlos zugunsten einer Bindung aller Maßnahmen der Mitgliedstaaten an die Unionsgrundrechte aufgegeben werden, weil die Unionsgrundrechte ansonsten auch außerhalb des Anwendungsbereichs des Gemeinschafts- bzw Unionsrechts gelten und den nationalen Grundrechtsschutz weitgehend verdrängen würden. Den Wegfall der Grundfreiheiten bei gleichzeitiger Aufnahme
27 Art 59 I 1 EMRK. Vgl aber auch 14. ZP EMRK ν 13.5.2004 (noch nicht ratifiziert), wonach Art 59 EMRK um ein Beitrittsrecht der EU ergänzt wird. 28 Vgl Art 4 der Satzung des Europarates ν 5.5.1949 (BGBl I 1950, 263 ff). 29 Vgl EuGH, Slg 1996,1-1759, Rn 36 - Gutachten 2/94; vgl aber auch Art 1-9 II W E , wonach die Union der EMRK beitritt. 30 Im Ergebnis ebenso Herrnfeld in: Schwarze Art 46 EUV Rn 16. 31 So Dreier in: ders (Hrsg) GG, Bd I, 2. Auf! 2004, Vorb Rn 49. Für eine klare Trennung von Grundfreiheiten und Grundrechten Gebauer Die Grundfreiheiten des EG-Vertrags als Gemeinschaftsgrundrechte, 2004, S 346 ff.
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ihres Regelungsgehalts in die Unionsgrundrechte hätte nur formale, nicht inhaltliche Bedeutung. Die Unionsgrundrechte und die Grundfreiheiten haben als primärrechtliche Verbürgungen gleichen Rang. Soweit die Unionsgrundrechte und die Grundfreiheiten ein gleiches Gut schützen, gehen letztere als speziellere und ausdrücklich in die Verträge aufgenommene Gewährleistungen den Unionsgrundrechten vor.32 Art 11-75 II W E enthält für bestimmte Grundfreiheiten de lege ferenda eine grundrechtliche Doppelung. Doch sind auch insoweit die Grundfreiheiten entscheidend. Insbesondere gelten deren Schranken (Art 11-112 II WE). 3 3 Die Spezialität der Grundfreiheiten schließt nicht aus, dass der Schutzgehalt der verschiedenen Gewährleistungen konkurrierend zur Anwendung gelangt. Dies ist der Fall, wenn ein Verhalten in den Schutzbereich der Grundfreiheiten fallt und sich die an sich zulässige Beschränkung der Grundfreiheiten an den Unionsgrundrechten messen lassen muss, weil die Schranken „im Lichte der (Unions-)Grundrechte auszulegen sind".34 Die Unionsgrundrechte verstärken dann in ihrer Funktion als Schranken-Schranke bzw als Auslegungsregeln für die Interpretation der Schrankenregelungen die durch die Grundfreiheiten selbst gewährten Garantien und entfalten eine den Binnenmarkt fördernde integrationsfreundliche Wirkung (—> § 7 Rn 94). Andererseits können Unionsgrundrechte und Grundfreiheiten auch in ein Spannungsverhältnis (bzw in Kollision) zueinander geraten. Dies ist der Fall, wenn und soweit sie unterschiedliche Rechtsgüter schützen. Eine solche Konstellation ist gegeben, wenn eine durch die Grundfreiheiten geschützte Betätigung im Einzelfall dem Wertgehalt eines Unionsgrundrechts nicht gerecht wird: zB die Freiheit des Warenverkehrs dazu benutzt wird, persönlichkeitsverletzende Schriften über die Grenze zu verbringen. Es bedarf dann einer verhältnismäßigen Zuordnung der freiheitsrechtlich geschützten unterschiedlichen Rechtsgüter im Rahmen einer Interpretation der Schrankenregelungen. Da sich aus den Unionsgrundrechten eine Schutzpflicht ergeben kann (Rn 24), ist ein Mitgliedstaat zur Wahrnehmung dieser Schutzpflicht uU sogar gehalten, die Ausübung einer Grundfreiheit zu beschränken.35 In der Rspr des EuGH ist diese Dimension lange Zeit nicht entfaltet worden. Einer ausgereiften Prüfung der Unionsgrundrechte als Schranken-Schranke der Grundfreiheiten stand eine unterentwickelte Prüfung der Unionsgrundrechte als Schranke der Grundfreiheiten gegenüber.36 So hat der EuGH in seiner .ffewnaw-Entscheidung37, in der es um die Zulässigkeit des europäischen Transfer-Systems im Profi-Fußball ging, der Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art 39 EGV/Art III-133 W E ) unmittelbare Drittwirkung gegenüber den (privaten) Fußball· Verbänden zuerkannt,38 ohne zu einer Abwägung mit der in Art 11 EMRK geschützten Vereinigungsfreiheit vorzudringen. In der neueren Zeit hat der EuGH aber mehrfach anerkannt, dass die Unionsgrundrechte die Grundfreiheiten beschränken können. So wurde in der Sc/wwV#>erger-Entscheidung das staatliche Nichteinschreiten gegen eine
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§ 7 Rn 15; aA Kingreen, der ursprünglich eine Idealkonkurrenz von Grundfreiheiten und Grundrechten angenommen hat (in: Calliess/Ruffert Art 6 EUV Rn 81 m Fn 222), nunmehr aber davon ausgeht, dass Grundfreiheiten und Grundrechte aufgrund der funktionalen Unterschiede keine Schnittmenge haben (EuGRZ 2004, 570, 575). Bernsdorff in: Meyer Charta der Grundrechte Art 15 Rn 20; krit Kingreen EuGRZ 2004, 570, 574. Vgl EuGH, Slg 1991,1-2925, Rn 43 - ERT; Slg 1997,1-3689, Rn 24 - Familiapress = Erichsen JK 98, EGV Art 30/1 = Fall 2 (Rn 31). Vgl EuGH, Slg 1991,1-4007, Rn 23 - Stichting. Schindler Die Kollision von Grundfreiheiten und Gemeinschaftsgrundrechten, 2001, S 125 ff. EuGH, Slg 1995,1-4921, Rn 92 ff - Bosman. -» kritisch zur unmittelbaren Drittwirkung § 7 Rn 46; —> auch § 9 Rn 46.
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Blockade der Brenner-Autobahn trotz der damit verbundenen Einschränkung der Freiheit des Warenverkehrs für zulässig erachtet, weil die Demonstranten von der durch Art 10 und 11 EMRK (sowie durch die österreichische Verfassung39) gewährleisteten Meinungsäußerungs- und Versammlungsfreiheit Gebrauch gemacht haben.40 Ebenso hat der EuGH in seiner Omega-Entscheidung das die Dienstleistungsfreiheit beeinträchtigende Verbot von sog Laserdromes wegen der (von den deutschen Gerichten angenommenen) Verletzung der Menschenwürde als gerechtfertigt eingestuft.41 b) Verhältnis zu den Grundrechten der EMRK Ist die EMRK derzeit noch keine Rechtsquelle des Gemeinschaftsrechts, sondern nur eine Rechtserkenntnisquelle für die Gewinnung von Unionsgrundrechten (Rn 8f), vermag sie keine unmittelbaren Bindungswirkungen im Gemeinschaftsrecht zu erzeugen. Der EuGH scheint gleichwohl bereit zu sein, die Führungsrolle des EGMR in Grundrechtsfragen zu akzeptieren.42 Dennoch lassen sich unterschiedliche Grundrechtsverständnisse nicht ausschließen (zumal dann, wenn noch keine Entscheidung des EGMR vorliegt). Mittelbar kann die EMRK über die Wirkungsweise als Rechtserkenntnisquelle hinaus deshalb das Gemeinschaftsrecht beeinflussen, weil nach der Rspr des EGMR die Mitgliedstaaten der EG in ihrer Eigenschaft als Konventionsstaaten auch dann in vollem Umfange für innerstaatliche Rechtsakte die konventionsrechtliche Verantwortung tragen müssen, wenn diese auf zwingenden Vorgaben des Gemeinschaftsrechts beruhen (—» § 2 Rn 31f)· Indirekt überprüft der EGMR über die Verantwortung der Mitgliedstaaten der EG für die Wahrung der Rechte aus der EMRK damit auch die Akte der Gemeinschaft und nimmt für sich ein Letztentscheidungsrecht in Fragen des Schutzes von Menschenrechten und Grundfreiheiten in Anspruch. Dies hat ua zur Konsequenz, dass den Unionsgrundrechten im Zweifel ein Inhalt beizumessen ist, der mit den in der EMRK eingegangenen (älteren43) Verpflichtungen der Mitgliedstaaten vereinbar ist.44 Umgekehrt vermag das Gemeinschaftsrecht auch auf die EMRK einzuwirken. ZB ist der Ausländerbegriff des Art 16 EMRK wegen der Unionsbürgerschaft bei Ausübung der Rechte nach den Art 10, 11 und 14 EMRK im Zusammenhang mit Wahlen zum Europäischen Parlament (Art 190 EGV/Art 1-10 II lit b W E ) bzw zur kommunalen Volksvertretung (Art 19 EGV/Art 1-10 II lit b W E ) auf Drittstaatsangehörige zu reduzieren.45 Ferner sind die gemeinschaftsrechtlichen Rechtsbehelfe als „innerstaatlich" iSd Art 35 I EMRK anzusehen.46 Anders wird sich die Rechtslage darstellen, wenn die Charta der Grundrechte geltendes Recht wird (Rn 17 ff) oder gar der Beitritt zur EMRK erfolgt (vgl Art 1-9 II W E ) . Soweit die Charta Rechte iSd EMRK enthält, sollen diese die gleiche Bedeutung und Tragweite haben, weitergehender Schutz aber nicht ausgeschlossen sein (Art 11-112 III W E ) . Zum anderen soll keine Bestimmung der Charta als Einschränkung oder Verletzung der durch
39 Zum Verhältnis von Unionsgrundrechten und nationalen Grundrechten in diesem Falle vgl KadelbachlPetersen EuGRZ 2002,213 ff; SchorkopfZaöRV, 2004, 125, 133 ff. 40 EuGH, Slg 2003,1-5694 Rn 77 ff - Schmidberger = Schoch JK 11/03, EGV Art 28/3. 41 Vgl EuGH, DVB12004, 1476 Rn 40 - Omega = Ehlers JK 06/05, EGV Art 49/13. 42 Vgl Tridimas (Fn 19) S 240 f. 43 Vgl Art 307 I EGV (Art IIM35 I W E ) . 44 Vgl Grabenwarter W D S t R L 60 (2000), 290, 331. 45 Grabenwarter W D S t R L 60 (2000), 290, 333. 46 EGMR, Application Nr 13539/88 - Dufay.
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die EMRK gewährleisteten Rechte auszulegen sein (Art 11-113 W E ) . Somit bildet der Standard der EMRK stets die Untergrenze.47 Der Verweis auf die EMRK scheint nicht statisch (EMRK-Recht zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verfassung), sondern dynamisch gemeint zu sein (Einbeziehung auch der künftigen Veränderungen). So spricht Art II-l 12 III W E davon, dass die der EMRK entsprechenden Rechte die gleiche Bedeutung und Tragweite haben, wie sie ihnen in der genannten Konvention „verliehen wird" (nicht verliehen worden sind). Auch im Völkerrecht stoßen dynamische Verweisungen auf Bedenken,48 weil die Bindungswirkungen nicht vorhersehbar sind. Doch dürfte dies hier deshalb in Kauf genommen werden können, weil alle Mitgliedstaaten der EU zugleich Konventionsstaaten der EMRK und damit an der Weiterentwicklung des EMRK-Rechts beteiligt sind. Zu Abgrenzungsproblemen vgl Rn 20. c) Verhältnis zu den Grundrechten des Grundgesetzes 15
Gemeinschaftsrecht kann grundsätzlich nicht am Maßstab des nationalen Rechts gemessen werden. So liegt es nicht im Rahmen der deutschen Gerichtsgewalt, über die Gültigkeit von Handlungen der EG-Organe zu befinden.49 Streitig ist, ob dies auch für die Anwendbarkeit von Gemeinschaftsrecht im nationalen Rechtskreis gilt. Dies hängt davon ab, ob der Vorrang des Gemeinschaftsrechts vor nationalem Recht uneingeschränkt gilt. Der EuGH bejaht dies in stRspr (Rn 5), weil ansonsten die Geltung und Einheitlichkeit der Gemeinschaftsrechtsordnung in Frage gestellt wäre. Gemeinschaftsakte können danach nur an den Unionsgrundrechten, nicht aber an den nationalen Grundrechten gemessen werden. Die Verfassungsgerichte der Mitgliedstaaten sehen dies vielfach anders (Rn 5). So darf die Bundesrepublik Deutschland nach der Solange-Rspr des BVerfG50 nur innerhalb bestimmter Grenzen, die (heute) in Art 23 I GG umschrieben sind, Hoheitsrechte auf die Europäische Union übertragen. Nehmen die Gemeinschaften Kompetenzen wahr, die ihnen nicht übertragen worden sind (Grenze des Nichtübertragenen), oder verletzt das Gemeinschaftsrecht den nach Art 23 I 3 GG iVm Art 79 II und III GG unabdingbaren Standard des Grundgesetzes (Grenze des Nichtübertragbaren), ist das Gemeinschaftsrecht bei Zugrundelegung der Rspr des BVerfG in der Bundesrepublik Deutschland nicht anwendbar. Vielfach wird hierfür das Bild einer Brücke nach Europa bemüht, auf der das BVerfG als Wächter steht, um die Einhaltung der genannten Anforderungen zu garantieren. Zum unabdingbaren, die Identität der geltenden Verfassungsordnung ausmachenden Standard des Grundgesetzes gehört ein ausreichender Grundrechtsschutz. Während das BVerfG in seiner Solange /-Entscheidung einen solchen Grundrechtsschutz auf Gemeinschaftsebene noch vermisst hat, anerkennt es seit seiner Solange //-Entscheidung, dass im Hoheitsbereich der Europäischen Gemeinschaften ein Maß an Grundrechtsschutz erwachsen sei, das nach Konzeption, Inhalt und Wirkungsweise dem Grundrechtsstandard
47 Vgl Grabenwarter EuGRZ 2004, 563, 566. 48 Allg zu dynamischen Verweisungen Schenke NJW 1980, 743 ff. 49 Vgl auch BVerfGE 22, 293, 295, wonach Verfassungsbeschwerden unmittelbar gegen Gemeinschaftsrecht unzulässig sind. Demgegenüber aber BVerfGE 89, 155, 175, BVerfG-K, DVB1 2001, 1130 f, wonach das BVerfG nicht nur gegenüber deutschen Staatsorganen, sondern Grundrechtsschutz in Deutschland zu gewährleisten hat (dh wenn ein Akt Rechtswirkungen in Deutschland entfaltet). Näher zum Ganzen Dörr Der europäische Rechtsschutzauftrag deutscher Gerichte, 2003, S 176 ff; Walter AöR 129 (2004), 39 ff. 50 Vgl BVerfGE 37, 271, 277 ff - Solange I; 73, 339, 375 f - Solange II.
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des Grundgesetzes im Wesentlichen gleich zu achten sei. Deshalb werde das Gericht erst und nur dann im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit wieder tätig werden, wenn der als unabdingbar gebotene Grundrechtsschutz im Gemeinschaftsrecht generell nicht mehr gewährleistet sei.51 Auch Art 23 I 1 GG verlangt nur einen „im Wesentlichen vergleichbaren" Grundrechtsschutz. Diese Hürde ist so hoch angesetzt, dass mit einer Überprüfung des (sekundären oder gar primären) Gemeinschaftsrechts am Maßstab der deutschen Grundrechte kaum noch gerechnet werden kann. Das BVerfG spielt die Rolle eines „Reservisten" ohne ernsthafte Aussicht auf Spieleintritt.52 Dagegen sind die deutschen Umsetzungs- oder Vollzugsakte von Gemeinschaftsrecht an den deutschen Grundrechten zu messen. Dahingestellt bleiben kann in diesem Zusammenhang, ob auch die Unionsgrundrechte gelten (Rn 33 ff). Soweit die Umsetzungs- oder Vollzugsakte auf zwingendes Gemeinschaftsrecht zurückgehen, greift jedenfalls der Vorrang des Gemeinschaftsrechts mit der Folge ein, dass kollidierendes nationales Recht, einschließlich der Grundrechte, nicht angewendet werden darf.53
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5. Charta der Grundrechte der Union Der Umstand, dass es keinen geschriebenen Katalog von Unionsgrundrechten gibt und der EuGH die Grundrechte im Einzelfall54 idR erst ausformen muss, ist weithin auf Kritik gestoßen. Gefordert wurde die Schaffung eines Grundrechtskatalogs. 55 Der Europäische Rat (Art 4 II EUV) hat deshalb im Jahre 1999 einen Konvent aus Repräsentanten der Staats- und Regierungschefs, des Kommissionspräsidenten, des Europäischen Parlaments und der nationalen Parlamente (unter dem Vorsitz des ehemaligen Bundespräsidenten Herzog) damit beauftragt, einen entsprechenden Katalog auszuarbeiten. Auf seinem Treffen in Nizza hat er am 7.12.2000 die vorgelegte Charta der Grundrechte der Europäischen Union56 proklamiert. Rechtliche Verbindlichkeit kam der Proklamation nicht zu. In Laeken wurde mit Erklärung vom 15.12.2001 ein Verfassungskonvent unter dem Vorsitz des ehemaligen französischen Präsidenten Giscard d'Estaing eingesetzt und mit dem Entwurf einer EU-Verfassung beauftragt. Der Entwurf, der die Charta der Grundrechte ohne nähere Diskussion nahezu unverändert übernommen hat, ist am 18.7.2003 der Regierungskonferenz übergeben und am 29.10.2004 nach verschiedenen (nicht die Charta betreffenden) Änderungen unterzeichnet worden. Die Bürger und Parlamente der EUStaaten müssen ihn mittels Volksabstimmung oder Zustimmungsakt (in Deutschland durch Zustimmungsgesetz) ratifizieren. Mit einer Entscheidung aller Mitgliedstaaten ist frühestens im Jahre 2006 zu rechnen, wobei sich die Erfolgsaussichten nicht sicher vorhersagen lassen.57 Erst im Falle der Billigung wird auch die Charta der Grundrechte in Kraft
51 Vgl auch BVerfGE 89, 155, 174f - Maastricht; 102, 147, 161 ff - Bananenmarkt. Die Rspr des BVerfG lässt noch in mancherlei Hinsicht Fragen offen. Näher dazu Nettesheim Jura 2001, 686 ff. 52 So der Bundesverfassungsrichter Steiner FS Maurer, 2001, S 1005, 1013 mit Fn 43. 53 Zur bloßen Nichtanwendbarkeit (statt Ungültigkeit) des mit Gemeinschaftsrecht kollidierenden nationalen Rechts vgl EuGH, Slg 1991,1-297, Rn 19 - Nimz; BVerfGE 75,223, 244; 85, 191, 204. 54 Vgl dazu Borchardt EU Rn 143. 55 Andererseits ist der jetzige Zustand flexibler und zukunftsoffener (Zuleeg E u G R Z 2000, 51 Iff). Auch lässt sich nicht ganz von der Hand weisen, dass ein geschriebener Grundrechtskatalog (ungeachtet von Normen nach Art des Art II-l 11 II W E ) kompetenzerweiternde und unitarisierende Wirkungen haben wird. 56 EG ABl 2001 Nr C 364/1; -> ausf § 20. 57 Zur Frage, wie im Falle von „Schwierigkeiten" zu verfahren ist, vgl Art IV-443 IV W E .
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treten. Bereits vorher dürfte sie aber Vorwirkungen entfalten, weil sie den in den Mitgliedstaaten gewachsenen grundrechtlichen Acquis zusammenfasst und daher als Konzentrat der Verfassungsüberlieferung der Mitgliedstaaten angesehen werden kann.S8 Soweit ersichtlich, hat sich der EuGH anders als das EuG 59 und die Generalanwälte60 bisher allerdings noch nicht ausdrücklich auf die Charta der Grundrechte als Rechtserkenntnisquelle berufen. Inhaltlich gliedert sich die 54 Artikel umfassende Charta in 7 Titel, die mit Würde des Menschen (Art 11-61-65 W E ) , Freiheiten (Art 11-66-79 W E ) , Gleichheit (Art 11-80-86 W E ) , Solidarität (Art 11-87-98 W E ) , Bürgerrechte (Art 11-99-106 W E ) , Justizielle Rechte (Art 11-107-110 W E ) und Allgemeine Bestimmungen (Art 11-111-114 W E ) umschrieben worden sind. Die gewährten Rechtspositionen lehnen sich den Garantien an, wie sie sich vor allem aus den gemeinsamen Verfassungstraditionen und den gemeinsamen internationalen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten, aus der EMRK und den Grundfreiheiten, aus den von der Union und dem Europarat beschlossenen Sozialchartas sowie aus der Rechtsprechung des EuGH und des EGMR ergeben (Präambel der Charta). Stellt man auf die Gesamtheit der Rechtsquellen ab, kreiert die Charta der Grundrechte - von Ausnahmen abgesehen - nicht neue Grundrechte, sondern macht sie nur sichtbar und systematisiert sie. Vergleicht man die Gewährleistungen dagegen mit den Verbürgungen einzelner Rechtsquellen (zB nur der EMRK oder nur des GG), gehen sie zu einem nicht unerheblichen Teil darüber hinaus (zB Verbot des reproduktiven Klonens gem Art 11-63 II lit d W E , Recht auf Zugang zu einem unentgeltlichen Arbeitsvermittlungsdienst gem Art 11-89 W E , Anspruch auf [unbezahlten] Elternurlaub gem Art 11-93 II W E ) . Zugleich wirft die Charta neue Fragen auf (-»§ 20): So wird zwischen Rechten und Freiheiten einerseits und Grundsätzen (Art 11-111 W E sowie Präambel) andererseits unterschieden, ohne dass immer deutlich gemacht wurde, wann das eine, wann das andere anzunehmen ist. Grundsätze begründen keine subjektiven Rechte auf Erlass positiver Maßnahmen, sind aber durch Akte der Gesetzgebung und der Ausführung der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union sowie durch Akte der Mitgliedstaaten zur Durchführung des Rechts der Union in Ausübung ihrer jeweiligen Zuständigkeiten umzusetzen. Sie können vor Gericht nur bei der Auslegung dieser Akte und bei Entscheidungen über deren Rechtmäßigkeit herangezogen werden (Art 11-112 V W E ) . ZB dürfen nationale Gerichte mitgliedstaatliche Normen, die der Verwirklichung der Grundsätze entgegenstehen, aufheben. Zu den Grundsätzen sind etwa der Umweltschutz (Art 11-97 W E ) und der Verbraucherschutz (Art 11-98 W E ) zu rechnen. Gleiches dürfte für die „Rechte" älterer Menschen (Art 11-85 W E ) und die Integration von Behinderten (Art 11-86 W E ) anzunehmen sein. Die Gewährleistungen der Charta können gleichermaßen Rechte vermitteln und Grundsatzcharakter haben. Dies dürfte etwa auf die Gleichheit von Männern und Frauen (Art 11-83 W E ) , das Familien- und Berufsleben (Art 11-93 W E ) sowie die soziale Sicherheit und soziale Unterstützung (Art 11-94 W E ) zutreffen. Soweit die Charta Achtungsklauseln enthält - zB Art 11-82 W E : Achtung der Vielfalt der Kultur und Religionen und Sprachen - , bedeutet dies zumeist, dass dem Rechtsgut in Abwägung mit anderen Zielsetzungen der gebührende Platz einzuräumen ist. 58 Kingreen in: Calliess/Ruffert Art 6 EUV Rn 40b. 59 Vgl EuG, EuZW 2002, 186 Rn 57 - max mobil. 60 Vgl zB Schlussanträge GA Alber, EuGH, Slg 2001, 1-4109, Rn 94 - TNT; Schlussanträge GA Tizzano, Slg 2001,4883, Rn 26 ff - BECTU.
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Die Charta bringt zudem Parallelitäten, Verdoppelungen und Verdreifachungen im Grundrechtsbestand mit sich.61 So wird etwa die Freizügigkeit (Art 1-10 IIa, 11-105 W E ) , der Schutz personenbezogener Daten (Art 1-51,11-68 W E ) , der Zugang zu Dokumenten (Art 1-50 III, 11-102 W E ) oder das aktive und passive Wahlrecht (Art 1-10 IIb, 11-99 W E ) an mehreren Stellen der Verfassung garantiert. Abgrenzungsprobleme können sich nicht nur im Verhältnis zu den Grundfreiheiten (Rn 13) und den EMRK-Garantien (Rn 14) ergeben, sondern auch deshalb, weil nach wie vor die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als Rechtserkenntnisquelle für maßgeblich erachtet werden (Art 1-9 III, 112 IV, 113 W E ) . Wie sich aus dem Passus „in dem jeweiligen Anwendungsbereich" entnehmen lässt, kann aus der Erwähnung der Verfassungen der Mitgliedstaaten in Art 11-113 W E nicht eine Durchbrechung des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts hergeleitet werden.62 Sollte der EuGH aus den Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ein neues Grundrecht herleiten, dürfen jedenfalls die für die bestehenden Gewährleistungen formulierten Schrankenregelungen nicht gleichfalls modifiziert werden.63 Im Übrigen ist stets Art II-l 12 II W E zu beachten, wonach die Ausübung der in der Charta anerkannten Rechte, die in anderen Teilen der Verfassung geregelt sind, im Rahmen der in diesen einschlägigen Teilen festgelegten „Bedingungen und Grenzen" erfolgt. Zudem lassen sich aus der Charta weder neue Zuständigkeiten noch neue Aufgaben der Union herleiten (Art II-l 11 II W E ) . Dies ist deshalb von besonderer Bedeutung, weil die Charta nicht selten Rechtspositionen garantiert, die von der EU mangels Zuständigkeit nicht beeinträchtigt werden können - zB Verbot der Todesstrafe (Art 11-62 II W E ) oder Recht auf Wehrdienstverweigerung (Art 11-70 II W E ) - und die daher als Vorratsgrundrechte derzeit nur Symbolwirkung entfalten. 64 Lösung Fall 1: Tauglicher Gegenstand einer Vorlage nach Art 1001GG können grundsätzlich nur deutsche Gesetze sein. Doch sind Vorlagen zur Prüfung, ob sekundäres Gemeinschaftsrecht in Deutschland angewendet werden darf, dann „entsprechend Art 100 I GG" zulässig, wenn ihre Begründung im Einzelnen darlegt, dass die gegenwärtige Rechtsentwicklung zum Grundrechtsschutz im Gemeinschaftsrecht, insbesondere die Rspr des EuGH, den jeweils als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz generell nicht gewährleistet. Das BVerfG verweist hierbei auf seine Solange //-Entscheidung, an der die Λ/aas/ri'c/ii-Entscheidung nichts geändert habe. Auch Art 23 I 1 GG verlange keinen deckungsgleichen Schutz in den einzelnen Grundrechtsbereichen des GG durch das Gemeinschaftsrecht, sondern begnüge sich mit einem dem GG im Wesentlichen vergleichbaren Grundrechtsschutz. Dem VG sei es nicht gelungen darzulegen, dass die europäische Rechtsentwicklung einschließlich der Rspr des EuGH nach Ergehen der Solange //-Entscheidung generell unter den als unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutz abgesunken sei. Daher ist die Vorlage als unzulässig zurückgewiesen worden.
61 Vgl Grabenwarter E u G R Z 2004, 563, 567. 62 Vgl Borowski in: Meyer Charta der Grundrechte Art 53 Rn 5; Everting EuZW 2003, 225; aA Seidel EuZW 2003, 97. 63 Vgl Grabenwarter E u G R Z 2004, 563, 569. 64 Vgl Borowski in: Meyer Charta der Grundrechte Art 51 Rn 42 f.
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§ 14 II 2
Dirk Ehlers
II. Funktionen der Unionsgrundrechte 1. Gewährleistung von Freiheitsrechten 22
Ebenso wie die Grundrechte der EMRK (-» vgl § 2 Rn 12) sollen die Unionsgrundrechte dem Einzelnen in erster Linie eine bestimmte Freiheitssphäre garantieren und ihm einen Anspruch auf Unterlassung rechtswidriger hoheitlicher Eingriffe und auf Beseitigung bereits vollzogener, aber noch rückgängig zu machender Eingriffe vermitteln. Die vom EuGH anerkannten Freiheitsrechte reichen über diejenigen der EMRK hinaus.65 Die Verbürgungen betreffen etwa die Unversehrtheit von Leben und Gesundheit (—» § 15 Rn 9 ff), die Kommunikationsgrundrechte sowie die Meinungs- und Versammlungsfreiheit (—>§15 RnöOff), die Religionsfreiheit (—» § 15 Rn 47 ff) sowie die wirtschaftlichen Freiheiten der Eigentumsgewährleistung (—> § 17) und der Berufsfreiheit (—» § 16). Darüber hinaus hat der EuGH auch ein Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit (der Sache nach) anerkannt.66 Wie ausgeführt (Rn 18f) enthält die Charta der Grundrechte weitere Gewährleistungen und Präzisierungen: zB das Recht auf Wehrdienstverweigerung (Art 11-70 II W E ) oder Regelungen, welche die Einschränkbarkeit des Rechts auf körperliche und geistige Unversehrtheit im Hinblick auf medizinische und biologische Maßnahmen ausformen (Art 11-63 II W E ) . ZT wird bewusst vom Text der EMRK abgewichen. ZB wird das Recht auf Eingehung einer Ehe und Gründung einer Familie (Art 11-69 W E ) anders als nach Art 12 EMRK nicht nur auf Männer und Frauen bezogen. Neben Garantien zB nach Art der Art 11-68 W E (Schutz personenbezogener Daten) oder 73 W E (Freiheit der Kunst und Wissenschaft) wird über die EMRK hinausgehend auch die Berufsfreiheit (Art 11-75 W E —> § 16) und unternehmerische Freiheit (Art 11-76 W E ) geschützt. Der Kanon der Freiheitsrechte entspricht im Großen und Ganzen demjenigen des Grundgesetzes im nationalen Rechtskreis. Doch gibt es auch insoweit keine vollständige Deckung. Beispielsweise kennt das GG kein ausdrückliches Recht auf Sicherheit (Art 11-66 W E ) . 2. Gewährleistung von Gleichheitsrechten
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Neben den geschriebenen Gleichheitsrechten (Rn 7) und dem Diskriminierungsverbot der Grundfreiheiten lässt sich aus der Gemeinschaftsrechtsordnung auch ein allgemeiner Gleichheitssatz herleiten (-> § 18 Rn 11 ff).67 Der Gleichheitssatz hat nicht nur abwehrrechtliche Bedeutung, sondern gewährt dem Einzelnen auch einen Anspruch darauf, von einer Begünstigung nicht gleichheitswidrig ausgeschlossen zu werden. Insofern kann er ein - abgeleitetes - Recht auf Teilhabe an gewährten Leistungen verbürgen. Die Charta der Grundrechte garantiert im Titel III neben dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art 11-80 W E ) und den besonderen Diskriminierungsverboten (Art 11-81, 83 W E ) - systematisch wenig gelungen - auch soziale Rechte oder Grundsätze (Art 11-84 bis 86 W E ) .
65 Vgl etwa die Auflistung bei Kingreen in: Calliess/Ruffert Art 6 EUV Rn 93 ff; Stumpf in: Schwarze Art 6 EUV Rn 20 ff. 66 Vgl EuGH, Slg 1987, 2289, Rn 15 ff - Rau; siehe auch EuGH, Slg 1989, 2859, Rn 19 - Hoechst; Slg 1989, 3165, R n l 6 - D o w . 67 EuGH, Slg 1977, 1753, Rn 7 - Ruckdeschel; Slg 1982, 2745, Rn 11 - Edeka; Slg 2000, 1-2737, Rn 39 - Karlsson. Vgl auch Art 11-80 ff W E .
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§ 14 II 4
Allgemeine Lehren
3. Gewährleistung von
Leistungsrechten
Aus den Unionsgrundrechten kann sich ferner - ebenso wie aus den deutschen Grundrechten 68 - ein Anspruch auf Gewährung hoheitlichen Schutzes ergeben.69 Eine ausgeformte Rspr des EuGH hierzu gibt es noch nicht. Doch lassen sich einzelne Entscheidungen des EuGH iS einer grandrechtlichen Begründung von (jedenfalls mitgliedstaatlichen) Schutzverpflichtungen deuten.70 Ferner werden auch aus den Grundfreiheiten sowie aus bestimmten Vorschriften der E M R K Schutzpflichten abgeleitet (—» vgl § 2 Rn 15; § 7 Rn 31). Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass eine grundrechtliche Schutzpflicht kein Kompetenztitel ist, sondern einen solchen voraussetzt (Grundsatz der Parallelität von Kompetenzen und Grundrechtsschutz). 71 Eine gemeinschaftsrechtliche Pflicht zu einem hoheitlichen Handeln kann daher nur bestehen, wenn der Gemeinschaft eine entsprechende Kompetenz eingeräumt worden ist oder es den Mitgliedstaaten um die Begrenzung der Grundfreiheiten geht (Rn 13). Grundsätzlich kommt nur eine Pflicht zur Ergreifung effektiver Maßnahmen, nicht aber zur Durchführung bestimmter Handlungen in Betracht.72 Die Charta der Grundrechte enthält eine Reihe von sozialen Grundrechten (etwa Art 11-90, 91 II, 93, 94, 95 W E ) , die auf die Gewährung von Schutz ausgerichtet sind. Hierbei ist der Grundsatz der Parallelität von Kompetenzen und Grundrechtsschutz nicht stets beachtet worden (Rn 20). Kommen Schutzmaßnahmen der Gemeinschaft in Betracht, muss das Subsidiaritätsprinzip (Art 5 II EGV; 1-11 III, 11-111 I W E ) sowie der Grundsatz der kompetenziellen Verhältnismäßigkeit (Art 5 III EGV/Art 1-11 IV W E ) beachtet werden.73
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Klammert man die Verfahrensrechte aus (Rn 27), ließ sich in der Vergangenheit aus den Unionsgrundrechten kaum ein Anspruch auf originäre Leistungen - dh auf Schaffung noch nicht vorhandener Einrichtungen oder erstmaliger Leistungen - herleiten. Doch geht die Charta der Grundrechte auch insoweit zT weiter. ZB garantiert Art 11-89 W E jedem Menschen das Recht auf Zugang zu einem unentgeltlichen Arbeitsvermittlungsdienst. Dies schließt die Berechtigung ein, das Vorhandensein eines solchen Dienstes verlangen zu können.
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4. Gewährleistung von
Unionsbürgerrechten
Unionsbürgerrechte - insbesondere das aktive und passive Wahlrecht bei den Wahlen zum Europäischen Parlament und bei den Kommunalwahlen, das Recht auf Freizügigkeit und Aufenthaltsfreiheit sowie das Petitionsrecht - ergeben sich aus den Art 18 ff EGV (Art 1-9 f, 11-99 ff, III-123 ff W E ) . Gemäß Art 255 EGV (Art 11-102, III-399 W E ) haben die Unionsbürger (und weitere Personen) ein Recht auf Zugang zu den Dokumenten. Ferner
68 Vgl die Rspr-Nachw bei Sachs in: Sachs (Hrsg) Grundgesetz, 3. Aufl 2002, Vor Art 1 Rn 35 mit Fn 69. 69 Krit Ruffert Subjektive Rechte im Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaft, 1996, S 59. 70 Vgl EuGH, Slg 2003, 1-5694 Rn 74 - Schmidberger = Schach JK 11/03, EGV Art 28/3; DVB1 2004, 1476 Rn 35 - Omega = Ehlers JK 06/05, EGV Art 49/13; ausf dazu Szczekalla Die sogenannten grundrechtlichen Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, 2002, S 459 ff. 71 Kingreen in: Calliess/Ruffert Art 6 EUV Rn 46, 48; Lindner DÖV 2000, 543, 549; Pernice DVB1 2000, 847, 852; Schmitz JZ 2001, 833, 840. 72 Kühling in: ν Bogdandy S 583, 603. 73 Vgl dazu das Protokoll (Nr 30) über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit, 1997, Sartorius II Nr 151.
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§ 14 II 6
Dirk Ehlers
hat der EuGH ein Recht auf eine gute Verwaltung entwickelt (heute Art 11-101 WE). 7 4 Der EuGH tendiert dazu, aus der Unionsbürgerschaft eine grundsätzliche Inländergleichbehandlung beim Zugang zu sozialen Leistungen abzuleiten (—» § 21 Rn 43).75 5. Gewährleistung von Verfahrensrechten 27
Verfahrensrechte (—> ausf hierzu § 19) haben in der Gemeinschaftsrechtsordnung eine besonders große Bedeutung. Der EuGH hat in stRspr zahlreiche Verfahrensrechte anerkannt: wie etwa die Grundrechte auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes76 und auf rechtliches Gehör (nicht nur vor Gericht, sondern auch im Verwaltungsverfahren77) oder das Grundrecht, wegen derselben Sache nicht zweimal vor Gericht gestellt oder bestraft zu werden78 (ne bis in idem). Auch aus den materiellen Grundrechten können sich verfahrensrechtliche Konsequenzen ergeben (-> vgl § 7 Rn 34). Teilweise sind die Verfahrensrechte ausdrücklich im Vertrag kodifiziert worden, teilweise überschneiden sie sich mit den staatsbürgerlichen Rechten (zB Art 21, 255 EGV/Art 1-10 II d, 11-102, III-399 W E ) . Des Öfteren gehen die Rechte noch über die (weit verstandenen) Verfahrensrechte der EMRK hinaus. So gilt das Recht auf ein Gerichtsverfahren entgegen Art 6 1 1 EMRK (—» vgl § 2 Rn 18) nicht nur für Streitigkeiten im Zusammenhang mit zivilrechtlichen Ansprüchen und Verpflichtungen79 (vgl auch Art 11-107 ff W E ) . 6. Unionsgrundrechte als Elemente objektiver Ordnung
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Ebenso wie den Grundfreiheiten (-> § 7 Rn 35) kommt den Unionsgrundrechten schließlich eine objektiv-rechtliche Bedeutung zu.80 Insbesondere muss der Gehalt der Unionsgrundrechte bei der Setzung und dem Vollzug von sekundärem Gemeinschaftsrecht beachtet werden. Ferner ist das Gemeinschaftsrecht und nationale Recht unionsgrundrechtskonform auszulegen. Auch insoweit gilt es aber zu berücksichtigen, dass die Unionsgrundrechte die Kompetenzen der Gemeinschaft nicht zu erweitern vermögen (vgl auch Art 11-111 II W E ) .
74 EuGH, Slg 1992, 1-2253, Rn 12 - Burban. Vgl auch EuG, Slg 1995, 11-2589, Rn 89 - Nolle; §20 Rn 11. 75 Krit Hailbronner NJW 2004, 2185 ff. 76 Grundsätzlich EuGH, Slg 1986, 1651, Rn 17ff - Johnston; Slg 1987, 4097, Rn 14 - Heylens. Zu den Konsequenzen für den vorläufigen Rechtsschutz vgl statt vieler Ehlers Die Europäisierung des Verwaltungsprozeßrechts, 1999, S 125 ff. 77 EuGH, Slg 1979, 461, Rn 9 - Hoffmann; Slg 1983, 3461, Rn 17 - Michelin. 78 Vgl zB EuGH, Slg 1966, 154, 178 - Gutmann; EuG, Slg 1999,11-931, Rn 95 f - Limburgse. Siehe auch Art 4 7. ZP EMRK (von der Bundesrepublik Deutschland nicht ratifiziert) und Art 1 des EG - ne bis in idem - Übereinkommens ν 25.5.1987 (BR-Drs 283/97 S 10), welches mangels Ratifikation durch alle Mitgliedstaaten noch nicht in Kraft getreten ist. 79 Vgl EuGH, Slg 1986, 1339, Rn 23 - Les Verts. 80 Vgl auch Rengeling Grundrechtsschutz in der Europäischen Gemeinschaft, 1993, S 205 ff; Gersdorf AöR 119 (1994), 400,402 ff
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Allgemeine Lehren
§ 14 III 2
ΙΠ. Berechtigte der Umonsgrandrechte 1. Natürliche Personen Wie sich aus der Rechtserkenntnisquelle des Art 1 EMRK, den allgemeinen menschenrechtlichen Wurzeln der Grundrechte und der Notwendigkeit ergibt, bei der Übertragung von Hoheitsgewalt auf die Gemeinschaft keine grundrechtsfreien Zonen entstehen zu lassen, sind grundsätzlich nicht nur die Unionsbürger (Art 1712 EGV/Art 1-10 I W E ) , sondern alle Menschen (uU auch der nasciturus sowie ein Verstorbener) Träger der Unionsgrundrechte. 8 ' Die Charta der Grundrechte bringt dies durch Wendungen wie „Jeder Mensch" (Art 11-62 I W E ) oder „Niemand darf" (Art II-62 II W E ) zum Ausdruck. Anderes kann sich aus den Gemeinschaftsverträgen sowie aus den Rechtserkenntnisquellen ergeben. So versteht es sich von selbst, dass die Unionsbürgerrechte (Art 17 ff EGV/ Art 11-99 f, 104ff W E ) nur den Unionsbürgerinnen und -bürgern zugute kommen. Auch beziehen die Grundfreiheiten nur unter bestimmten Voraussetzungen Drittstaatsangehörige in ihren Schutz ein.82 Gewährt die E M R K keinen Grundrechtsschutz (wie dies für die Berufsfreiheit zutrifft) und berechtigen die Mehrzahl der mitgliedstaatlichen Verfassungen nur die eigenen Bürger (für die Berufsfreiheit in Deutschland vgl etwa Art 12 I GG 83 ), heißt dies wegen des Gebotes einer wertenden Rechtsvergleichung (Rn 8 f) noch nicht, dass der Grundrechtsschutz den Unionsbürgern vorbehalten ist.84
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2. Juristische Personen und Personenmehrheiten Ähnlich wie im deutschen Recht (Art 19 III GG) ist eine Grundrechtsberechtigung juristischer Personen und Personenmehrheiten im Gemeinschaftsrecht zu bejahen, wenn die Grundrechte ihrem Wesen nach auf sie anwendbar sind.85 Der Gerichtshof geht kasuistisch vor, hat aber in vielen Entscheidungen eine Grundrechtsberechtigung juristischer Personen anerkannt. 86 Diese ist für private Organisationen und Personengruppen anzunehmen, sofern es sich nicht um höchstpersönliche Verbürgungen (etwa Recht auf Leben oder körperliche Unversehrtheit) handelt. Von den Fällen des Art 48 II EGV (iVm Art 55 EGV) abgesehen (Art III-142 II, 150 W E ) , muss kein Erwerbszweck verfolgt werden. Auch die Charta der Grundrechte erwähnt die juristischen Personen nur gelegentlich (Art 11-102, 103, 104 W E ) . Dies ist der Fall, wenn der Schutz natürlicher und juristischer Personen an unterschiedliche Voraussetzungen geknüpft ist. Hieraus kann indessen gerade nicht gefolgert werden, dass den juristischen Personen in anderen Fällen die Grundrechtsberechtigung abzusprechen ist. Grundsätzlich keinen Schutz genießen staatliche Organisationen und Personengruppen 87 , selbst wenn sich der Staat privatrechtlicher Organisationsoder Handlungsformen bedient (-» § 2 Rn 26). Dagegen können die Grundfreiheiten auch
81 Vgl Borchardt EU Rn 145; RengelinglSzczekalla § 4 Rn 344. 82 § 7 Rn 41. 83 Krit dazu mit Recht Wernsmann Jura 2000, 657 ff mwN. 84 Zum Unionsgrundrecht der Berufsfreiheit und zum Recht zu arbeiten vgl Art 11-75 W E (mit Differenzierungen zwischen allen Personen, Unionsbürgern und Staatsangehörigen dritter Länder). 85 In der Rspr des EuGH findet sich diese Formulierung nicht. Wie hier RengelinglSzczekalla § 5 Rn 390. 86 Vgl etwa EuGH, Slg 1970, 1125, Rn 4ff - Internationale Handelsgesellschaft; Slg 1980, 2033, Rn 17 ff - National Panasonic; Slg 1989, 2237, Rn 15 - Schräder. 87 Ebenso RengelinglSzczekalla Rn 392.
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§ 14 IV 1
Dirk Ehlers
staatlichen Rechtsträgern zugute kommen (wie Art 48 II EGV/Art III-142 II W E zeigt). Ferner dürfen sich die Rechtsträger auf die Verfahrensgrundrechte (Prozessgrundrechte) berufen. 88 Handelt es sich u m gemischt zusammengesetzte Organisationen, tendiert das Gemeinschaftsrecht dazu, auf die Beherrschungsverhältnisse abzustellen. 89 Das spricht f ü r die Annahme, dass staatlich beherrschte Gesellschaften mit privater Beteiligung anders als dies vielfach im deutschen Recht angenommen wird 9 0 - an die Unionsgrundrechte gebunden sind, nicht aber durch diese geschützt werden. Ungeklärt ist, o b staatliche Rechtssubjekte (wie die Universitäten) vereinzelt dem unmittelbar durch die Grundrechte geschützten Lebensbereich zugeordnet werden können. Die Frage dürfte zu bejahen sein.91 Nicht oder nicht primär dem staatlichen Bereich zuzuordnen sind Verbände nach Art der öffentlich-rechtlich korporierten Religionsgemeinschaften 92 oder der Rundfunkanstalten 9 3 . Ihnen kann der Grundrechtsschutz daher nicht vorenthalten werden.
IV. Verpflichtete der Unionsgrundrechte
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FaU 2: (EuGH, Slg 1997,1-3689 ff - Familiapress = Erichsen JK 98, EGV, Art 30/1) Der in Deutschland ansässige Bauer-Verlag gibt eine auch in Österreich vertriebene Zeitschrift heraus, in der Kreuzworträtsel enthalten sind. Die Leser, welche die richtige Lösung einsenden, können an einer Verlosung teilnehmen und Geldpreise gewinnen. Anders als nach deutschem, ist nach österreichischem Wettbewerbsrecht eine solche Praxis verboten, um die Konkurrenzfähigkeit kleinerer Verlage gegenüber den Marktführern sicher zu stellen und die Medienvielfalt aufrecht zu erhalten. Ein kleiner österreichischer Verlag hat gestützt auf die österreichischen Wettbewerbsvorschriften gegen den Bauer-Verlag Klage erhoben, den Verkauf von Zeitschriften, die den Lesern die Möglichkeit der Teilnahme an Gewinnspielen einräumen, zu unterlassen. Das mit der Sache befasste österreichische Gericht hat dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob Art 28 EGV (Art III-153 W E ) dahin auszulegen ist, dass er der Anwendung der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats A entgegensteht, die es einem im Mitgliedstaat Β ansässigen Unternehmen untersagen, eine dort hergestellte periodisch erscheinende Zeitschrift auch im Mitgliedstaat Α zu vertreiben, wenn darin Preisrätsel enthalten sind, die im Mitgliedstaat Β rechtmäßig veranstaltet werden.
1. Europäische 32
Union und Europäische
Gemeinschaften
D a Hauptfunktion der Unionsgrundrechte die Begrenzung der Unions- respektive der Gemeinschaftsgewalt ist, sind die Organe der Europäischen Union sowie der Europäischen Gemeinschaften und ihre Einrichtungen, Amter und Agenturen, auch wenn sie rechtlich 88 Vgl auch EuGH, Slg 1992,1-565, Rn 40 ff - Niederlande/Kommission; Kingreen in: Calliess/Ruffert Art 6 EUV Rn 54. 89 Zum Begriff der öffentlichen Unternehmen vgl Art 2 S 1 der Transparenzrichtlinie 80/723/EWG. 90 Vgl Dreier in: ders (Hrsg) Grundgesetz, Bd I, 2. Aufl 2004, Art 1 III Rn 70; Höfling in: Sachs (Fn 68) Art 1 Rn 96; Ehlers in: Wurzel/Schraml/Becker, Rechtspraxis der kommunalen Unternehmen, 2005, Β 41. AA aber BVerfG-K, NJW 1990, 1783. 91 AA Fink EuGRZ 2001, 193, 199f, unter Hinweis auf die tfoecte-Entscheidung des EuGH, Slg 1989, 2859, Rn 17 - Hoechst (die aber nicht verallgemeinert werden darf). 92 Vgl Ehlers in: Sachs (Fn 68) Art 140 GG/Art 137 WRV Rn 19. 93 Vgl Kiihling in: ν Bogdandy S 583, 612. Zum Grundrechtsschutz in den Mitgliedstaaten vgl Holznagel Rundfunkrecht in Europa, 1996, S 132 ff.
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§14 IV 2
Allgemeine Lehren
verselbstständigt wurden, Verpflichtungsadressaten der Unionsgrundrechte (vgl auch Art II-111 I W E ) . Selbst wenn die Gemeinschaftsverträge ausdrücklich nur eine Bindung der Mitgliedstaaten vorsehen (Rn 33 ff), kann für die Gemeinschaften nichts anderes gelten, weil es widersprüchlich wäre, wenn die Gemeinschaften den Mitgliedstaaten Pflichten auferlegen dürften, die für sie selbst nicht gelten. Tatsächlich wird das Sekundärrecht in Gestalt von Verordnungen oder Richtlinien bisher nur äußerst selten vom EuGH oder EuG an den Unionsgrundrechten gemessen (vgl Rn 5). 2. Mitgliedstaaten
der Europäischen Union
Die meisten geschriebenen Unionsgrundrechte (iwS) - wie etwa das Entgeltgleichheitsgebot des Art 141 I EGV (Art III-214 I W E ) , die Unionsbürgerrechte oder die Grundfreiheiten - wenden sich ausdrücklich oder implizit an die Mitgliedstaaten und nehmen diese verpflichtend in Anspruch. Daneben müssen die Mitgliedstaaten auch bei der Durchführung der gemeinschaftsrechtlichen Regelungen die Erfordernisse des Grundrechtsschutzes in der Gemeinschaftsrechtsordnung beachten. 94 Im Einzelnen gilt Folgendes: Inhaltlich kommt eine Bindung der Mitgliedstaaten an die Unionsgrundrechte (insbesondere) in Betracht, wenn die Staaten Gemeinschaftsrecht in nationales Recht umsetzen, Gemeinschaftsrecht vollziehen oder wenn sie die Grundfreiheiten durch nationale Maßnahmen beschränken. 95 Ist eine Richtlinie oder eine an die Mitgliedstaaten gerichtete Entscheidung in nationales Recht umzusetzen, muss der den Mitgliedstaaten zur Verfügung stehende Spielraum unionsgrundrechtskonform ausgelegt werden. 96 Besteht kein Spielraum, verstößt das sekundäre Gemeinschaftsrecht aber gegen ein Unionsgrundrecht, ist es nichtig. Zur Feststellung der Nichtigkeit ist nur der EuGH berufen, 97 so dass Nichtigkeitsklage (Art 230 EGV/Art III-365 W E ) erhoben werden kann bzw muss. Vollziehen die mitgliedstaatlichen Behörden eine Verordnung oder eine unmittelbar anwendbare Richtlinie bzw Entscheidung, dürfen sie keine Maßnahmen treffen, welche die Gemeinschaften wegen der Bindung an die Unionsgrundrechte nicht selbst vornehmen dürften. So sind sie nach der Rspr des EuGH 9 8 dazu verpflichtet, ihr Ermessen bei der Durchführung einer EG-VO unter Berücksichtigung der Unionsgrundrechte auszuüben. Auch wenn Richtlinien und Entscheidungen nicht unmittelbar anwendbar sind, müssen sich die Vollzugsakte der Mitgliedstaaten im Rahmen des Gemeinschaftsrechts und damit zugleich der Unionsgrundrechte halten. Schließlich binden die Unionsgrundrechte die Mitgliedstaaten bei an sich zulässigen BeschränkungsmaBnahmen gegenüber Grundfreiheiten, weil die Schranken der Grundfreiheiten auch im Lichte der Unionsgrundrechte auszulegen sind.99 94 So die stRspr des EuGH. Vgl Slg 1989, 2609, Rn 19 - Wachauf; Slg 1991, 1-2925, Rn 43 - ERT; Slg 2000,1-2737, Rn 37 - Karlsson. 95 Tridimas (Fn 19) S 225 ff. Zu den beiden zuerst genannten Konstellationen vgl bereits Weiler in: Neuwahl ua (Hrsg), The European Union and Human Rights, 1995, S 51 (67 ff - agency situation). 96 Ebenso Kühling in ν Bogdandy S 580, 608; aA Kingreen in Calliess/Ruffert Art 6 EUV Rn 59. 97 Grundlegend EuGH, Slg 1987,4199, Rn 15 ff- Foto. 98 EuGH, Slg 1994,1-955, Rn 16 - Bostock; Slg 1996,1-569, Rn 29 - Duff. 99 Vgl die Lösung des Falles 2 (Rn 36); § 7 Rn 83. Kritisch Kingreen in: Calliess/Ruffert Art 6 EUV Rn 61 f mwN. Nach EuGH, JZ 2005, 191, Rn 43 ff - Herbert Karner ist sogar die mitgliedstaatliche Regelung einer bloßen Verkaufsmodalität iSd Keck-Rspr (—> § 7 Rn 75) an den Unionsgrundrechten zu messen. Vgl hierzu die zutreffende Kritik von Schaller JZ 2005, 193 ff.
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§ 1 4 IV 3
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Nach der Charta der Grundrechte soll diese für die Mitgliedstaaten ausschließlich „bei der Durchführung des Rechts der Union" (implementing Union law) gelten (Art 11-111 I W E ) . In der Literatur ist die Ansicht vertreten worden, dass die Durchführung nicht nationale Maßnahmen zur Beschränkung der Gnindfreiheiten erfasst.100 Doch deutet die Entstehungsgeschichte eher auf die Notwendigkeit einer weiten Auslegung des Art II-l 11 I W E iSd Anerkennung der EuGH-Rspr hin.101 Auch ist es sprachlich nicht ausgeschlossen, von Durchführung zu sprechen, wenn ein Mitgliedstaat im Anwendungsbereich des Unionsrechts tätig wird. Bei Zugrundelegung dieser Auffassung wird sich an der Reichweite der Bindung der Mitgliedstaaten an die Unionsgrundrechte durch die Charta nichts ändern. 102 Hinsichtlich der Art der mitgliedstaatlichen Bindung an die Unionsgrundrechte wird gelegentlich zwischen mittelbarer und unmittelbarer Bindung unterschieden. 103 Eine mittelbare Bindung würde bedeuten, dass die Mitgliedstaaten nicht selbst Verpflichtungsadressaten der Unionsgrundrechte sind, sich die Gültigkeit und Auslegung des sie verpflichtenden Gemeinschaftsrechts aber (auch) nach den Unionsgrundrechten bestimmt. Wenn und soweit die Mitgliedstaaten die Unionsgrundrechte zu beachten haben, ist die Bindung jedoch stets eine unmittelbare. Es stellt sich nur die Frage, ob die Unionsgrundrechte die Mitgliedstaaten lediglich objektiv-rechtlich als Maßstabsnorm für die inländische öffentliche Gewalt binden oder ob sie den Betroffenen auch ein subjektives Recht gewähren. Die Gewährung von Grundrechten (nicht nur Grundsätzen) schließt das Recht ein, die normengeschützten Interessen vor Gericht durchsetzen zu können. Die Grundrechte vermitteln dem geschützten Personenkreis somit Ansprüche. Veranlassung, die Vereinbarkeit nationaler Maßnahmen mit den Unionsgrundrechten im Anwendungsbereich des Unionsrechts näher zu prüfen, dürfte für die nationalen Gerichte allerdings nur bestehen, wenn der nationale (durch das Grundgesetz, die Landesverfassungen und die E M R K garantierte) Grundrechtsschutz nicht zum Zuge kommt oder möglicherweise hinter dem Grundrechtsschutz der Union zurückbleibt. 104 3.
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Dirk Ehlers
Privatpersonen
Während der EuGH unter bestimmten Voraussetzungen eine Bindung von Privatpersonen an die Grundfreiheiten angenommen hat,105 liegt für die (sonstigen) Unionsgrundrechte bislang keine dementsprechende Rspr vor. Eine unmittelbare Drittwirkung der Unionsgrundrechte (und der Grundfreiheiten; - » § 7 Rn 45) ist vorbehaltlich abweichender Regelung nach Art des Art 141 I EGV (Art III-214 I W E ) abzulehnen. Eine unmittelbare Drittwirkung würde die Rechte des Einzelnen gegenüber der öffentlichen Gewalt zu Pflichten gegenüber allen Mitbürgern verkehren und damit zu einer weit gehenden Beschränkung der Privatautonomie führen. Ist ein Schutz vor rechtswidrigen Eingriffen
100 Cremer NVwZ 2003, 1452 ff; Borowsky in: Meyer Charta der Grundrechte Art 51 Rn 29. 101 Vgl Grabenwarter EuGRZ 2004, 563, 564 f. 102 Ebenso Ranacher ZÖR 2003, 97 ff; Griller in: Duschanek/Griller (Hrsg) Grundrechte für Europa, 2002, S 131, 132 f. 103 Vgl etwa Cirkel (Fn 26) S 237 f. 104 Vgl die Lösung des Falles 2 (Rn 38); ferner EuGH, Slg 2003, 1-5694 Rn 74 - Schmidberger = Schoch JK 11/03, EGV Art 28/3; DVB1 2004, 1476 Rn 35 - Omega = Ehlers JK 06/05, EGV Art 49/13. 105 Vgl insbesondere EuGH, Slg 2000,1-4139, Rn 34 ff - Angonese = Ehlers JK 01, EGV Art 39/1.
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Allgemeine Lehren
§14 V
Privater in die Unionsgrundrechte geboten, muss dem durch Anerkennung eines Anspruchs gegen den Staat oder die EG auf Gewährung von Schutz Rechnung getragen werden. Auch die Charta der Grundrechte erwähnt bei der Bestimmung des Anwendungsbereichs nicht die Privaten (Art I I - l l l W E ) . Allerdings sind einige Normierungen so gefasst, dass eine unmittelbare Drittwirkung beabsichtigt sein könnte (zB Verbot des Menschenhandels, Art 11-65 III W E , oder Verbot der Kinderarbeit, Art 11-92 W E ) . Lösung Fan 2: Gegen die Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens gemäß Art 234 I lit a EGV (Art ΙΠ-369 I lit a W E ) bestehen keine Bedenken. Der grenzüberschreitende Vertrieb der Zeitschrift durch den Bauer-Verlag wird durch Art 28 EGV (Art ΠΙ-153 W E ) geschützt. Bei den unterschiedslos geltenden österreichischen Wettbewerbsvorschriften, die den Verkauf der Zeitschrift untersagen, handelt es sich um produktbezogene Regelungen und nicht um Anforderungen an Verkaufsmodalitäten iSd Keck-Rspr. Die Regelungen stellen daher Maßnahmen gleicher Wirkung gemäß Art 28 EGV dar und beschränken die Warenverkehrsfreiheit. Unterschiedslos geltende nationale Regelungen, welche die Grundfreiheiten beschränken, können durch zwingende Erfordernisse gerechtfertigt werden. Hierzu rechnet der EuGH die Aufrechterhaltung der Medienvielfalt. Andererseits müssen sich Beschränkungen der Grundfreiheiten ihrerseits „im Lichte der allgemeinen Rechtsgrundsätze und insbesondere der Grundrechte" beurteilen lassen. Die Mitgliedstaaten sind nach Auffassung des EuGH folglich bei der Beschränkung der Grundfreiheiten an die Unionsgrundrechte gebunden. Daher müsse der vorliegend durch das Verbot des Zeitschriftenvertriebs gleichzeitig bewirkte Eingriff in das ua in Art 10 EMRK geschützte und von Gemeinschafts wegen anerkannte Grundrecht der freien Meinungsäußerung des Bauer-Verlages ebenfalls gerechtfertigt werden können. Dies im Einzelnen zu entscheiden, sei Sache des nationalen Gerichts. Jedenfalls stelle ein umfassendes Vertriebsverbot einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit dar, weil es zur Aufrechterhaltung der Medienvielfalt mildere, gleich effektive Mittel gebe, wie etwa den Hinweis darauf, dass die Gewinnchance Lesern der Zeitschrift in Österreich nicht offen stehe. Bei Zugrundelegung dieser Ansicht verstößt ein umfassendes Vertriebsverbot sowohl gegen die Freiheit des Warenverkehrs als auch gegen das Unionsgrundrecht der Meinungsfreiheit.
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V. Räumlicher und zeitlicher Geltungsbereich der Unionsgrundrechte In räumlicher und zeitlicher Hinsicht bestimmt sich der Geltungsbereich der Unionsgrundrechte nach den allgemeinen Grundsätzen (vgl auch —> § 7 Rn 48 f)· Wie die Rechte der E M R K (—» § 2 Rn 34) entfalten auch die Unionsgrundrechte extraterritoriale Wirkungen, weil die Grundrechtsadressaten grundrechtlichen Pflichten auch im Ausland nachkommen müssen. Treten neue Staaten der Union bei, gelten die Unionsgrundrechte ab dem Zeitpunkt des Beitritts, falls nichts anderes vereinbart worden ist. Im Zuge der Aufnahme von zehn weiteren Mitgliedstaaten zum 1.5.2004 sind für bestimmte Grundfreiheiten zwar Übergangsfristen vorgesehen worden (—» § 7 Rn 49). Diese betreffen aber nicht die Unionsgrundrechte.
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§ 14 VI 1
Dirk Ehlers
VI. Gewährleistungen und Beeinträchtigungen der Unionsgrundrechte 40
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Fall 3: (EuGH, Slg 1989,2859 ff - Hoechst = Kunig JK 90, EWGV, Art 173/2) Die Hoechst AG hat gemäß Art 230IV EGV (Art III-365 IV W E ) Nichtigkeitsklage gegen eine von der Kommission auf Art 14 III EWG-KartVO (Sartorius II Nr 165) - heute Art 20 KartellverfO - gestützte Nachprüfungsentscheidung erhoben, auf deren Grundlage wegen des Verdachts von Kartellabsprachen die Geschäftsräume der Hoechst AG durchsucht werden sollten. Wie bei den EMRK-Grundrechten (-> § 2 Rn 37) und den Grundfreiheiten (-> § 7 Rn 50) lässt sich auch bei den Unionsgrundrechten idR danach unterscheiden, ob der Schutzbereich (Gewährleistungsgehalt) berührt ist (Rn 42), ob eine Beeinträchtigung vorliegt (Rn 44) und ob die Beeinträchtigung gerechtfertigt ist (Rn 45 ff).106 Geht es um Gleichheits-, Verfahrens- oder Unionsbürgerrechte, kann eine andere Prüfungsreihenfolge zu wählen sein. 1. Schutzbereich der
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Unionsgrundrechte
Soweit sich der EuGH auf ungeschriebene Unionsgrundrechte beruft, fehlt es oftmals an einer genauen Umschreibung des Schutzbereichs (dh des grundrechtlich geschützten Lebensbereichs). Stattdessen wendet sich der EuGH sogleich der Rechtfertigungsprüfung zu.107 Wird dagegen an die E M R K angeknüpft - was heute idR der Fall ist, wenn diese entsprechende Garantien enthält (Rn 8 f) - finden sich zumeist auch Ausführungen zum grundrechtlichen Schutzgut. In personeller Hinsicht schützen und verpflichten die Unionsgrundrechte nur bestimmte Personen (Rn 290· Die Berufung auf die Grundrechte darf nicht missbräuchlich sein (Art 17 EMRK, vgl auch Art 11-114 W E ) . Die Charta der Grundrechte beschreibt den Schutzbereich der Gewährleistungen ausdrücklich. Zudem sind die Erläuterungen, die als Anleitung für die Auslegung der Charta verfasst wurden,108 von den Gerichten der Union und der Mitgliedstaaten gebührend zu berücksichtigen (Art II-l 12 VII WE). 1 0 9 Soweit es um eine Überprüfung von Maßnahmen der Mitgliedstaaten am Maßstab des Unionsrechts geht, bedarf es keiner Heranziehung der Unionsgrundrechte, wenn primärrechtskonformes Sekundärrecht vorliegt. Jedoch ist dieses stets auf seine Vereinbarkeit mit den Grundrechten zu überprüfen. Lösung Fall 3: Bedenken gegen die Zulässigkeit der von der Hoechst AG gemäß Art 230 IV EGV (Art III365 IV W E ) erhobenen Nichtigkeitsklage bestehen nicht. Begründet ist die Nichtigkeitsklage, wenn die Entscheidung der Kommission rechtswidrig (iSv vernichtbar) ist. Das ist der Fall, wenn sie einer wirksamen Rechtsgrundlage entbehrt (1.) oder die wirksame Rechtsgrundlage rechtswidrig angewendet worden ist (2.). 1. Die Entscheidung der Kommission beruht hier auf Art 14 EWG-KartVO, der die Kommission auch zur Durchführung von Durchsuchungen ermächtigt. Eine Überprüfung der VO am Maßstab des Unionsgrund-
106 Ebenso Kühling in: ν Bogdandy S 583, 614 ff; Rengeling/Szczekalla § 7 Rn 506. 107 Kritisch zu Recht Nettesheim EuZW 1995, 106 f; Huber Integration S 103. 108 Vgl die vom Präsidium des Konvents zur Ausarbeitung der Grundrechte-Charta der EU formulierten (aktualisierten) Erläuterungen, CONV 828/1/03 REV 1 ν 18.7.2003. 109 Vgl dazu Dorf JZ 2005, 126,130.
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rechts der Unverletzlichkeit der Wohnung lehnt der EuGH mit der nicht überzeugenden Begründung ab, dass dieses Unionsgrundrecht nicht Geschäftsräume schützt (für einen Schutz der Geschäftsräume durch Art 8 EMRK dagegen die spätere Entscheidung des EGMR, NJW 1993, 718, Rn 29 fT - Niemitz). Jedoch sollen wegen entsprechender mitgliedstaatlicher Verfassungsüberlieferungen Eingriffe der öffentlichen Gewalt in die Sphäre der privaten Betätigung einer gesetzlichen Grundlage bedürfen, die Schutz vor willkürlichen oder unverhältnismäßigen Eingriffen bieten muss. Dies läuft auf die Anerkennimg einer allgemeinen Handlungsfreiheit hinaus. Die EWG-KartVO genüge diesen Anforderungen. 2. Da die Kommission Art 14 EWG-KartVO auch grundrechtskonform angewendet hat, wurde die Nichtigkeitsklage zurückgewiesen.
2. Beeinträchtigungen des Schutzbereichs Ob es einer EingrifTsdogmatik für die Gleichheits-, Verfahrens- und Unionsbürgerrechte bedarf, mag dahinstehen. In Bezug auf grundrechtliche Freiheitsgewährleistungen kann hierauf kaum verzichtet werden. Näheres hierzu findet sich in der Rspr des EuGH aber nicht. Tendenziell scheint der Gerichtshof ähnlich wie der E G M R (—> vgl § 2 Rn 40) von einem weiten Eingriffsverständnis (etwa iSd Gleichsetzung mit Belastung) auszugehen, der auch mittelbare Auswirkungen hoheitlicher Maßnahmen auf die grundrechtlich geschützten Güter erfassen kann." 0 Doch muss ebenso wie bei den Grundfreiheiten (—> vgl § 7 Rn 74) eine gewisse Nähebeziehung zwischen Maßnahme und beeinträchtigender Wirkung gegeben sein. Auch dürften mittelbare Grundrechtseinwirkungen eine gewisse Spürbarkeitsgrenze überschreiten müssen. EingrifTscharakter haben auch Sekundärrechtsakte der Gemeinschaften, die noch der Umsetzung bedürfen, sofern die Umsetzungspflicht die Grundrechte beeinträchtigt (mögen die Berechtigten eine Grundrechtsverletzung auch erst nach Umsetzung oder unmittelbarer Anwendung der sekundärrechtlichen Bestimmungen geltend machen können). Ungeklärt ist bislang, ob ein Grundrechtseingriff auch dann in Frage kommen kann, wenn nur eine von mehreren vorgegebenen Umsetzungsoptionen die Unionsgrundrechte berührt. 111
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3. Rechtfertigung von Beeinträchtigungen der Unionsgrundrechte Es gibt Unionsgrundrechte - wie etwa das Petitionsrecht (Art 21 EGV/Art 1-10 II lit d W E ) - die keiner Beschränkung (sondern höchstens einer Ausgestaltung) zugänglich sind. Grundsätzlich können Unionsgrundrechte nach der Rspr des EuGH aber „keine uneingeschränkte Geltung beanspruchen". 112 Vergleichend kann darauf hingewiesen werden, dass auch die meisten EMRK-Grundrechte einer Beschränkung unterliegen (—> vgl §2 Rn 42), also nicht vorbehaltlos gewährleistet werden. Auch die Charta der Grundrechte gestattet grundsätzlich Einschränkungen. Statt für jedes einzelne Grundrecht Schranken zu formulieren, wurde in Gestalt des Art 11-112 W E eine sog horizontale Schrankenregelung getroffen. Diese lässt eine Beschränkung der Ausübung der von der Charta der Grundrechte anerkannten Rechte und Freiheiten zu, soweit sich aus der E M R K
110 Vgl E u G H , Slg 1996,1-3953, Rn 22 f - Bosphorus. 111 Vgl dazu Kühimg in: ν Bogdandy S 583, 615. 112 E u G H , Slg 1989, 2237, Rn 15 - Schräder; Slg 1989, 2609, Rn 18 - Wachauf; Slg 1992, 1-35, Rn 16 - Kühn; Slg 1994,1-4973, Rn 78 - Deutschland/Rat.
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(Art 11-112 III W E ) " 3 oder aus den Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten (Art 11-112 IV W E ) nichts anderes ergibt.114 Kommt eine Beschränkung der Unionsgrundrechte in Betracht, müssen die formellen (Rn 46) und materiellen (Rn 47) Erfordernisse sowie die Schranken-Schranken (Rn 48 ff) beachtet werden. a) Gesetzesvorbehalt 46
In seiner Hoechst-Entscheidung hat der EuGH davon gesprochen, dass in allen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten Eingriffe der öffentlichen Gewalt in die Sphäre der privaten Betätigung jeder natürlichen oder juristischen Person einer „Rechtsgrundlage" bedürfen und „aus den gesetzlich vorgesehenen Gründen" gerechtfertigt sein müssen. Das Erfordernis eines solchen Schutzes sei als allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechts anzuerkennen.115 Auch eine Beeinträchtigung der Unionsgrundrechte ist somit nur durch oder aufgrund Gesetzes zulässig. Schließlich kann darauf verwiesen werden, dass auch nach der Charta der Grundrechte Grundrechtsbeschränkungen gesetzlich vorgesehen sein müssen (Art 11-112 I W E ) . Welche Anforderungen an den Gesetzes vorbehält zu stellen sind, ist bislang unklar geblieben.116 Greifen die Gemeinschaften selbst in die Unionsgrundrechte ein, dürfte eine Ermächtigungsgrundlage in einer EG-VO, einer Richtlinie117 oder wenn solche Akte nicht erlassen werden können - eine sich unmittelbar aus dem Vertragsrecht selbst ergebende Befugnis zur Einschränkung von Grundrechten zu fordern sein. Mitgliedstaatliche Beschränkungen der Unionsgrundrechte benötigen ebenfalls eine Ermächtigung durch oder aufgrund Gesetzes. Die EMRK überlässt es in einem gewissen Ausmaße den Staaten, darüber zu entscheiden, was unter einem Gesetz zu verstehen ist. So soll in dem Common-Law-Rechtskreis uU ungeschriebenes Recht ausreichen (—> § 2 Rn 45). Ob dies auch für das Gemeinschaftsrecht gilt, ist nicht zweifelsfrei, aber wohl anzunehmen. Verlangt wird nicht ein Gesetz im formellen Sinn (Parlamentsgesetz), sondern im materiellen Sinn (dh regelmäßig eine abstrakt-generelle Regelung). Stets müssen die Schrankenregelungen aus rechtsstaatlichen Gründen aber im innerstaatlichen Rechtskreis als (Außen-)Rechtsnorm angesehen werden,118 allgemein zugänglich und so präzise formuliert sein, dass der Bürger sein Verhalten danach einrichten kann.119 Darüber hinaus 113 Art II-l 12 III W E spricht davon, dass die Rechte der Charta „die gleiche Bedeutung und Tragweite" wie die durch die EMRK garantierten Rechte haben, wenn sich diese entsprechen. Damit wird nicht nur auf den Schutzbereich, sondern auch auf die Schranken des EMRK-Rechts Bezug genommen. Vgl die vom Präsidium des Konvents zur Ausarbeitung der GrundrechteCharta der EU formulierten (aktualisierten) Erläuterungen, CONV 828/1/03 REV 1 ν 18.7.2003, S 49; aA Philippi Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2002, S 43 f. Die Rechte entsprechen sich, wenn ein Recht in seiner Substanz in der EMRK enthalten ist. 114 Ggf kann sich die Nichteinschränkbarkeit aus weiteren Überlegungen ergeben. So dürfte eine Einschränkung der Menschenwürde (Art II-61 W E ) jedenfalls auch die Wesensgehaltsgarantie des Art II-l 1211 W E verletzen. 115 EuGH, Slg 1989, 2859, Rn 19 - Hoechst. 116 Für die Grundfreiheiten gilt entsprechendes (-» § 7 Rn 82). Näher zum Ganzen Weber NJW 2000, 537, 543; Wunderlich Das Grundrecht der Berufsfreiheit und europäisches Gemeinschaftsrecht, 2000, S 187. Siehe auch Müller-Michaels Grundrechtlicher Eigentumsschutz in der Europäischen Union, 1997, S 48. 117 Entfaltet die Richtlinie nicht unmittelbare Wirkung, kommt erst der innerstaatliche Umsetzungsakt als Eingriffsgrundlage in Betracht. 118 Vgl auch EGMR, EuGRZ 1984,147, Rn 86 - Silver. 119 Vgl auch EGMR, EuGRZ 1979, 386, Rn 47 - Sunday Times.
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könnten die im jeweiligen innerstaatlichen Recht für Freiheitsbeschränkungen geltenden Maßstäbe (zB im Hinblick darauf, ob es eines Parlamentsgesetzes bedarf oder ob eine VO oder eine Satzung ausreicht) uU auch auf die Unionsgrundrechte anzuwenden sein. b) Verfolgung zulässiger Ziele Unionsgrundrechte dürfen nur aus Gründen beschränkt werden, welche sich auf die „dem Gemeinwohl dienenden Ziele der Gemeinschaft" 120 bzw der Mitgliedstaaten oder den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer zurückführen lassen (vgl auch Art 11-112 I W E ) . Dazu zählt bei den Wirtschaftsgrundrechten etwa das Interesse an einem wirksamen Verbraucherschutz121 und an einem funktionierenden Wettbewerb.122 Sofern die EMRK-Grundsätze gelten, dürfen die Einschränkungen nur zu den in den Schrankenbestimmungen vorgesehenen Zwecken erfolgen (Art 18 EMRK).
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c) Schranken-Schranken Dürfen die Unionsgrundrechte beschränkt werden, unterliegen die Schranken ihrerseits Gegenschranken. Als solche kommen die Wesensgehaltsgarantie, der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sowie die Grundfreiheiten und sonstigen Primärrechtsbestimmungen in Betracht.
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aa) Wesensgehaltsgarantie Nach der Rspr des EuGH dürfen die Beschränkungen der Unionsgrundrechte diese nicht in ihrem Wesensgehalt antasten.123 Entsprechendes sieht die Charta der Grundrechte vor (Art 11-112 I W E ) . Ob dadurch nur ein generell-absoluter Grundrechtskern geschützt werden soll (im Gegensatz zu einem individuellen - dh auf den einzelnen Grundrechtsinhaber bezogenen - und relativen - im Einzelfall zu ermittelnden), ist unklar geblieben. Überwiegend wird die Rspr aber in diesem Sinne gedeutet.124 Gewahrt ist die Wesensgehaltsgarantie bereits dann, wenn die Grundrechtsnorm allgemein im Wesentlichen erhalten bleibt. Der Wesensgehaltsgarantie kommt in diesem Falle - ähnlich wie im deutschen Recht - nur noch geringe Bedeutung (neben dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz) zu.
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bb) Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Eine Grundrechtsbeeinträchtigung ist nach stRspr des EuGH ferner nur gerechtfertigt, wenn sie verhältnismäßig ist.125 Verhältnismäßig ist ein Grundrechtseingriff, wenn er geeignet, erforderlich und angemessen ist, um den mit ihm zulässigerweise angestrebten Zweck zu verwirklichen. Der EuGH prüft oftmals nicht alle genannten Komponenten. Insbesondere wird zur Angemessenheit vielfach keine Stellung genommen. Auch ist die
120 121 122 123 124 125
Vgl EuGH, Slg 1989, 2609, Rn 18 - Wachauf; Slg 2000,1-2737, Rn 45 - Karlsson. EuGH, Slg 1986, 2897, Rn 14 f - Keller. EuGH, Slg 1989, 2859, Rn 25 - Hoechst. Vgl zB EuGH, Slg 1989, 2609, Rn 18 - Wachauf. Vgl RengelinglSzczekalla § 7 Rn 445 ff. Vgl etwa EuGH, Slg 1989, 2609, Rn 18 - Wachauf; Slg 1994, 1-4973, Rn 90 ff - Deutschland/ Rat. Vgl zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz auch Art 5 III EGV. Zur Entwicklung des Verhältnismäßigkeitsprinzips in der Rspr des EuGH s Tridimas (Fn 19) S 93 f.
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Kontrolldichte im Vergleich zur Verhältnismäßigkeitsprüfung im deutschen Recht gering, weil weite Einschätzungsprärogativen anerkannt werden.126 So begnügt sich der Gerichtshof nicht selten mit der Feststellung der Legitimität des mit dem Grundrechtseingriff verfolgten Ziels und der nicht offensichtlichen Ungeeignetheit der hierzu ergriffenen Maßnahmen.127 Auch auf eine Erforderlichkeits- und Angemessenheitsprüfung darf indessen nicht verzichtet werden. Ferner reicht es nicht aus, nur auf offensichtliche Fehler abzustellen. Andererseits ist es nicht zu beanstanden, wenn im Gemeinschaftsrecht nicht die (zT überaus) strengen Maßstäbe der in Deutschland gängigen Verhältnismäßigkeitsprüfung zugrunde gelegt werden, weil die Gestaltungsspielräume des Gesetzgebers oder staatlichen Verwaltungsträgers nicht über Gebühr verkürzt werden dürfen (vgl auch —» § 7 Rn 96). Besonders zurückhaltend ist die Verhältnismäßigkeitsprüfung des EuGH, wenn es um die Beurteilung von Verordnungen oder Richtlinien der Gemeinschaft geht. Dies lässt sich am Beispiel der ersten Entscheidung des EuGH zur Bananenmarkt-VO verdeutlichen.128 Die Bananenmarkt-VO hat die Einführung von Bananen aus Drittstaaten in die Gemeinschaft drastisch reduziert (vgl Rn 1). Dies könnte die Unionsgrundrechte des Eigentums und der Berufsfreiheit der Einführer von Drittlandbananen verletzen. Einen Eingriff in das Eigentumsrecht verneint der EuGH, weil kein Wirtschaftsteilnehmer ein Eigentumsrecht an einem Marktanteil geltend machen kann.129 Der Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit diene Gemeinwohlzielen130 und sei deshalb verhältnismäßig, weil die Maßnahme zur Erreichung der agrarpolitischen Zielsetzung nicht offensichtlich ungeeignet sei. Zwar lasse sich nicht ausschließen, dass das verfolgte Ziel durch weniger einschneidende Maßnahmen hätte erreicht werden können. Der Gerichtshof könne jedoch nicht die Beurteilung des Rates in der Frage, ob die vom Gemeinschaftsgesetzgeber gewählten Maßnahmen mehr oder weniger angemessen sind, durch eine eigene Beurteilung ersetzen, wenn nicht der Beweis erbracht werde, dass diese Maßnahmen zur Verwirklichung des verfolgten Zieles offensichtlich ungeeignet seien. Der Nachweis einer „offensichtlich irrige(n) Beurteilung" des Gemeinschaftsgesetzgebers sei der Kl nicht gelungen. Daher greife die Rüge einer Verletzung des Rechts auf freie Berufsausübung und der Nichteinhaltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit nicht durch. cc) Grundfreiheiten und sonstige Primärrechtsbestimmungen
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Wegen der Einheitlichkeit der Gemeinschaftsrechtsordnung können die Unionsgrundrechte ferner nur dann wirksam eingeschränkt werden, wenn die Maßnahmen auch mit dem sonstigen primären Gemeinschaftsrecht, insbesondere den Grundfreiheiten, vereinbar sind.
126 Kritisch dazu Nettesheim EuZW 1995, 106 f; Huber EuZW 1997, 517, 521; Stein EuZW 1998, 261, 262; Fache EuR 2001,475,488 f; ν Danwitz EWS 2003, 393, 394 ff. AA ν Bogdandy JZ 2001, 157,161 ff. 127 EuGH, SIg 1989, 2237, Rn 20 ff - Schräder; Slg 1990,1-4023, Rn 13 ff - Fedesa. 128 EuGH, Slg 1994,1-4973, Rn 90 ff - Deutschland/Rat. 129 EuGH, Slg 1994, 1-4973, Rn 79 - Deutschland/Rat; vgl aber auch EuGH, Slg 1996, 1-6065, Rn 43 - Τ Port, wonach Härtefalle zu berücksichtigen sind. 130 Was im Hinblick auf die Nicht Vereinbarkeit der Bananenmarkt-VO mit der WTO fraglich ist, vgl WTO-Panel, EuZW 1999,431 ff.
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Zusammenfassung
Schematisch zusammengefasst sollten die Unionsgrundrechte wie folgt geprüft werden:
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I. Herleitung des Unionsgrundrechts 1. Geschriebenes Gemeinschaftsrecht 2. Art 6 II Ε UV a) EMRK b) Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten 3. Künftig: Charta der Grundrechte der Union II. Schutzbereich des Unionsgrundrechts 1. Sachlicher Schutzbereich a) Kein abschließendes primärrechtskonformes Sekundärrecht im Falle einer Überprüfung von mitgliedstaatlichen Maßnahmen b) Vorliegen eines grundrechtlich geschützten Lebensbereichs c) Vorliegen sonstiger grundrechtlicher Anforderungen im Falle des Vorliegens von Gleichheits-, Verfahrens- oder Unionsbürgerrechten d) Keine missbräuchliche Inanspruchnahme der Grundrechte 2. Persönlicher Schutzbereich Grundrechtsberechtigung und Grundrechtsverpflichtung 3. Räumlicher Schutzbereich Extraterritoriale Wirkung der Unionsgrundrechte 4. Zeitlicher Schutzbereich Fällt zusammen mit der Begründung der Mitgliedschaft in der Union III. Beeinträchtigung des Schutzbereichs 1. Unmittelbare und mittelbare Einwirkungen auf die Grundrechte 2. Hinreichende Nähebeziehung und Spürbarkeit IV. Rechtfertigung der Beeinträchtigung 1. Erfordernis einer Ermächtigungsgrundlage a) Sekundärrecht der Europäischen Gemeinschaft b) Gesetzliche Grundlage im mitgliedstaatlichen Recht 2. Verfolgung zulässiger Ziele nach Maßgabe der EMRK-Vorschriften 3. Verfolgung zulässiger Ziele nach Maßgabe der sonstigen zugelassenen Zielsetzungen 4. Schranken-Schranken a) Beachtung der Wesensgehaltsgarantie b) Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes c) Beachtung der Grundfreiheiten und der sonstigen Primärrechtsbestimmungen
VII. Rechtsschutz
1. Rechtsschutzmöglichkeiten des Einzelnen
Gem Art 46 lit d EUV ist dem EuGH die Kompetenz übertragen worden, die Einhaltung der Grundrechte in Bezug auf die EU zu kontrollieren. Hinsichtlich der Mitgliedstaaten (und der Privaten) ergibt sich die Zuständigkeit aus Art 220 EGV (Art 1-29 I 2 W E ) . Eine Verfassungs- oder Grundrechtsbeschwerde kennt das Unionsrecht nicht. Die Justiziabilität gegenüber den Gemeinschaftsorganen ist daher nur gegeben, wenn das Gemeinschaftsrecht eine Rechtsschutzform zur Verfügung stellt (und die weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen gegeben sind). Rügt der Einzelne, dass eine Maßnahme der Gemeinschaft 407
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die Unionsgrundrechte verletzt, kommt eine Nichtigkeitsklage gemäß Art 230 IV EGV (Art III-365 VI W E ) in Betracht. Voraussetzung ist, dass eine an den Betroffenen gerichtete Entscheidung oder eine Entscheidung vorliegt, die, obwohl sie als VO oder als eine an eine andere Person gerichtete Entscheidung ergangen ist, den Einzelnen unmittelbar und individuell betrifft. Im Falle des unionsgrundrechtswidrigen Untätigbleibens der Gemeinschaft (etwa Missachtung einer grundrechtlichen Schutzpflicht) kann eine Untätigkeitsklage nach Art 232 EGV (Art III-367 W E ) zulässig sein. Dagegen kennt das Gemeinschaftsrecht bisher keinen Individualrechtsschutz gegen Normen 131 (oder auf Erlass von Normen) sowie keine individuellen Leistungs- und Feststellungsklagen. Diese Rechtslage ist defizitär, weil die Unionsgrundrechte zB unmittelbar durch Sekundärrecht verletzt werden können, von einem Grundrecht iS eines subjektiven Rechts aber nur dann gesprochen werden kann, wenn die geschützten Interessen gerichtlich geltend gemacht werden können (-» § 20 Rn 36). Als Ausweg verweist der EuGH auf den Rechtsschutz der mitgliedstaatlichen Gerichte. Zwar ist es den mitgliedstaatlichen Gerichten nicht gestattet, über die Gültigkeit von sekundärem Gemeinschaftsrecht zu befinden. Eine Nichtigkeitsklage vor einem deutschen Gericht wäre bereits mangels Unterworfensein unter die deutsche Gerichtsbarkeit unzulässig. In Betracht kommt aber eine auf Nichtanwendbarkeit des Sekundärrechtsaktes in Deutschland gerichtete venraltungsgerichtliche Feststellungsklage. Hält das Verwaltungsgericht den Sekundärrechtsakt für primärrechtswidrig, kann und muss es gem Art 234 EGV (Art III-369 W E ) den EuGH anrufen. Künftig soll der Rechtsschutz gegen Normen verbessert werden. Art III-365 IV W E sieht vor, dass natürliche oder juristische Personen gegen Rechtsakte mit Verordnungscharakter, die sie unmittelbar betreffen und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen, Klage erheben können. Der Darlegung einer individuellen Betroffenheit bedarf es dann nicht mehr. 55
Beruft sich der Einzelne darauf, dass mitgliedstaatliche Maßnahmen die Unionsgrundrechte verletzen, ist von den nationalen Gerichten Rechtsschutz zu gewähren. Die Unionsgrundrechte dürften als öffentlich-rechtliche Normen iSd § 40 I 1 VwGO anzusehen oder solchen Normen zumindest gleichzustellen sein,132 so dass jedenfalls regelmäßig der Verwaltungsrechtsweg gegeben ist. Da sich die nationalen Verfassungsbeschwerden in Deutschland nur auf deutsche Grundrechte beziehen, kann eine Verfassungsbeschwerde nicht unmittelbar auf die Verletzung von Unionsgrundrechten gestützt werden. Geht man von den Wertungen der Costanzo-Rspr des EuGH 133 aus, kommt nicht nur den Verwaltungsbehörden, sondern auch den Fachgerichten die Befugnis zu, formelle Gesetze des nationalen Rechtskreises wegen Unvereinbarkeit mit den Unionsgrundrechten unangewendet zu lassen, ohne dass das BVerfG gemäß Art 100 I G G angerufen werden muss. Weil die Unionsgrundrechte für die Lösung des nationalen Rechtsstreits bedeutsam sind, muss das letztinstanzliche Gericht gem Art 234 III EGV (Art III-369 III W E ) - grundsätzlich den EuGH anrufen. Ansonsten liegt ein (mit der Verfassungsbeschwerde angreifbarer) Verstoß gegen das Verfassungsgebot des gesetzlichen Richters (Art 10112 GG) vor.134
131 EuGH, Slg 2002, 1-6677 - Union de Pequenos Agricultores = Ehlers JK 1/03, EGV Art 230 IV/2; EuGH, NJW 2004,2006 - Jego-Quere = Schoch JK 12/04, EGV Art 230IV/3. 132 -> zu den Grundfreiheiten vgl § 7 Rn 100. 133 EuGH, Slg 1989,1839, Rn 32 f - Costanzo. 134 Vgl BVerfG-K, DVB1 2001, 720 f; Hoffmann-Riem EuGRZ 2002, 473, 477; Ehlers DVB1 2004, 1444, 1448.
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Allgemeine Lehren
§ 14 VIII
2. Rechtsschutzmöglichkeiten der Gemeinschaftsorgane und Mitgliedstaaten Widerspricht das Gemeinschaftsrecht den Unionsgrundrechten, können die Gemeinschaftsorgane und Mitgliedstaaten nach Maßgabe des Art 230 II EGV (Art III-365 II W E ) Nichtigkeitsklage erheben. Ferner kann die EG-Kommission im Wege des Vertragsverletzungsverfahrens gemäß Art 226 EGV (Art III-360 W E ) die Beachtung der Unionsgrundrechte durch die Mitgliedstaaten durchsetzen. Dieselbe Möglichkeit steht den Mitgliedstaaten gemäß Art 227 EGV (Art III-361 W E ) zu, wenn sie der Auffassung sind, dass andere Mitgliedstaaten gegen Unionsgrundrechte verstoßen haben.
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V m . Weitere Formen des Schutzes von Grundrechten in der Europäischen Union Neben dem Grundrechtsschutz gegenüber den Gemeinschaften und den Mitgliedstaaten 57 bei der Umsetzung, der Vollziehung und der Beschränkung von Gemeinschaftsrecht gibt es in der Europäischen Union weitere Formen und Ebenen des Grundrechtsschutzes.'35 Bereits erwähnt wurde, dass Art 6 II EUV nicht nur die Gemeinschaften, sondern die gesamte Union an die Grundrechte bindet (Rn 10). Künftig soll diese Funktion der Charta der Grundrechte zukommen. Sodann dienen das Homogenitätsgebot des Art 6 I EUV (Art 1-2 W E ) und seine verfahrensrechtliche Absicherung in Art 7 EUV (Art 1-58 f W E ) auch dazu, einen effektiven Grundrechtsschutz in allen Mitgliedstaaten der Union zu garantieren.136 Schließlich entspricht es dem Charakter der Europäischen Union als einer Wertegemeinschaft (Art 1ffEUV/Art 1-1ffW E ) , wenn im Rahmen der EU-Außenpolitik, insbesondere von Assoziierungsabkommen,137 die Zusammenarbeit von der Einhaltung bestimmter grundrechtlicher Mindeststandards abhängig gemacht wird.138
135 Vgl zu den unterschiedlichen Standards ν Bogdandy JZ 2001, 157, 162 ff, 170. 136 Vgl dazu Schorkopf Homogenität in der Europäischen Union - Ausgestaltung und Gewährleistung durch Art 61 und Art 7 EUV, 2000, S 92 f. 137 Vgl dazu Hoffmeister Menschenrechts- und Demokratieklauseln in den vertraglichen Außenbeziehungen der Europäischen Gemeinschaft, 1998. 138 Vgl die Zielbestimmung des Art 11 I 5. Spstr EUV (Art III-2921 W E ) .
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§15
Würde des Menschen, Persönlichkeitsund Kommunikationsgrundrechte Frank Schorkopf 1
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Der Schutz der Würde des Menschen, der Persönlichkeit und der Kommunikation stehen exemplarisch für die Eigentümlichkeiten in der dogmatischen Entwicklung und Differenzierung des gemeinschaftlichen Grundrechtsschutzes. Der Schutz der Menschenwürde, zu dem thematisch auch das Recht auf Unversehrtheit der Person gezählt wird,1 hat als normatives Prinzip erst in neuester Zeit und angestoßen durch die Ausarbeitung der Europäischen Grundrechtecharta Eingang in das Gemeinschaftsrecht gefunden. Den Schutz der Persönlichkeit erfasst der EuGH in mehreren selbständigen Gewährleistungen. Dazu gehören das Recht auf Achtung des Privatlebens, das besonders durch Art 8 EMRK geprägt wird, die Freizügigkeit und die Vereinigungsfreiheit. In der Literatur wird mehrheitlich auch die Religionsfreiheit zu den gemeinschaftsrechtlichen Grundrechten gezählt, die die Persönlichkeit im weiteren Sinn schützen. Der Schutz der Kommunikation wird vom EuGH ausschließlich im Rahmen des klassischen Rechts auf freie Meinungsäußerung und seiner Ausprägungen anerkannt. So wird die Meinungsfreiheit im Zusammenhang mit dem öffentlichen Dienstrecht der Gemeinschaft und der Regulierung von Wirtschaftswerbung erörtert. Die Erhaltung der Medienvielfalt und die Informationsfreiheit haben ihre grundrechtliche Bedeutung auf Grund ihrer Einbeziehung in die Schrankendogmatik der Grundfreiheiten. Die Entwicklung des Grundrechtsschutzes auf Gemeinschaftsebene folgt den Sachverhaltsgestaltungen, die der EuGH zu entscheiden hat. Dementsprechend ist der grundrechtliche Gewährleistungsumfang fallbezogen. Die Fortentwicklung und Ausdifferenzierung des gemeinschaftlichen Grundrechtsschutzes bedarf entsprechender grundrechtsrelevanter Sachverhalte. In den Bereichen des Schutzes der Persönlichkeit und der Kommunikation hatte der Gerichtshof mittlerweile zahlreiche Gelegenheiten, sich zu diesen Gewährleistungen zu äußern. Dabei scheint sich wegen der konkreten Bezugnahmen auf die entsprechenden Vorschriften der EMRK und die Rechtsprechungspraxis des EGMR die These zu bestätigen, dass eine grundsätzliche Konkordanz zwischen dem jeweiligen Schutzbereichsumfang in beiden Grundrechtsordnungen besteht. In einem weiterhin fallorientierten, auf Leitentscheidungen beruhenden System, in dem es auch bewusste Differenzierungen zur Konventionspraxis gibt,2 bleibt es dennoch schwierig, sich bei der Darstellung der geltenden Grundrechtsstandards vom Einzelfall zu lösen. Diese Unsicherheit
1 Des Weiteren sind das Verbot der Folter und der Sklaverei, die in Art 11-64 und Art 11-65 W E aufgenommen wurden, zu diesem Gewährleistungsinhalt zu zählen. Auf Grund fehlender Rechtsprechungspraxis und mangels gemeinschaftsrechtlicher Anknüpfungspunkte werden diese Rechte hier nicht weiter behandelt. 2 Unterschiede im Gewährleistungsumfang der Grundrechte bestehen beim Schutz vor Selbstbelastung, vgl dazu einerseits EuGH, Slg 1989, 3283, Rn 29 ff - Orkem; Slg 2002, 1-8375, Rn 274 f Limburgse Vinyl Maatschappij NV ua, andererseits EGMR Serie A, Vol 256-A - Funke; RJD 1996-VI, 2044 - Saunders; RJD 2001-III - J. Β. ν Schweiz, sowie beim Schutz der Wohnung, vgl dazu Rn 21 ff.
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in Bezug auf den geltenden Gewährleistungsumfang mag durch eine Aufwertung der Grundrechtecharta zu einem rechtsverbindlichen Grundrechtskatalog in Z u k u n f t beseitigt werden. 3 Die nachfolgende Darstellung des grundrechtlichen Schutzes der Menschenwürde und der Persönlichkeit sowie der - in einem umfassenden Sinn verstandenen Kommunikation beruht auf dem bestehenden Fallmaterial und ist auf die klassische Grundrechtsprüfung ausgerichtet. Das Kapitel wird abgeschlossen mit einem unter der Überschrift „Freiheit und Sicherheit" stehenden Ausblick auf möglicherweise entstehende Grundrechtsgewährleistungen in den Bereichen Asyl, Einwanderung und justizielle Zusammenarbeit.
I. Die Würde des Menschen Leitentscheidungen: EuGH, Slg 2001,1-7079 ff - Niederlande/Parlament und Rat; DVB12004,1476 ff Omega = Ehlers JK 06/05, EGV Art 49/13. Schrifttum: Mastronardi Menschenwürde und kulturelle Bedingtheit des Rechts, in: Marauhn (Hrsg) Die Rechtsstellung des Menschen im Völkerrecht, 2003, S 55 ff; RaulSchorkopf Der EuGH und die Menschenwürde, NJW 2002, 2448 f; FrahmIGebauer Patent auf Leben? - Der Luxemburger Gerichtshof und die Biopatent-Richtlinie, EuR 2002, 78 ff.
1. Schutzbereiche a) Die Menschenwürde Fall 1: (EuGH, Slg 2001,1-7079 - Niederlande/Parlament und Rat) Das Europäische Parlament und der Rat erlassen eine Richtlinie, die die Mitgliedstaaten zum Schutz biotechnologischer Erfindungen durch ihr nationales Patentrecht verpflichtet. Die Richtlinie legt insb fest, welche Bestandteile von Erfindungen, deren Gegenstand Pflanzen, Tiere oder der menschliche Körper sein können, patentierbar sind und welche nicht. Sie verpflichtet die Mitgliedstaaten, unter bestimmten Voraussetzungen die Patentierbarkeit von gewerblich anwendbaren Erfindungen zur Herstellung, Bearbeitung oder Verwendung von biologischem Material vorzusehen. Die Niederlande sind der Ansicht, dass diese mitgliedstaatliche Verpflichtung zur Erteilung von Patenten auf Tiere, Pflanzen oder menschliche biologische Materie gegen das Gemeinschaftsrecht verstoße. Sie beantragen deshalb beim EuGH, den Rechtsakt für nichtig zu erklären. In ihrer Klageschrift tragen die Niederlande ua vor, dass die Richtlinie die Menschenwürde und das Grundrecht der Unversehrtheit der Person verletze. Der menschliche Körper sei Vermittler der Menschenwürde. Die Erteilung von Patenten für isolierte lebende Bestandteile des menschlichen Körpers mache diese zum Objekt. Ferner enthalte die Richtlinie keine Bestimmungen, die unbeeinflusste Zustimmung des Spenders und des Empfängers menschlichen Materials sicherzustellen (vgl RL 98/44/EG ν 6.7.1998 über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen).
Der Schutz der Menschenwürde ist der unausgesprochene Bezugspunkt der Rechtsprechung zum Grundrechtsschutz auf Gemeinschaftsebene. Als eigenständiges Schutzgut hat die Menschenwürde jedoch explizit in den Entscheidungen des Gerichtshofs bis in die jüngere Zeit kaum eine Rolle gespielt. Bereits die Entscheidung in der Rechtssache Stauder ist
3 Vgl§ 19Rn6.
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insoweit beispielhaft. Der Kläger hatte im Ausgangsverfahren die Ansicht vertreten, dass die Ausgestaltung des Bezugsrechts für verbilligte Butter für Sozialhilfeempfanger die Menschenwürde verletze.4 Der Gerichtshof legte - ohne jedoch die Menschenwürde in den Gründen ausdrücklich zu erwähnen - die streitige Vorschrift unter Hinweis auf die „Grundrechte der Person" dahingehend aus, dass sie die namentliche Bezeichnung des Berechtigten nicht vorschreibe. In der Folgezeit fand die Menschenwürde in der Judikatur des EuGH fast ausschließlich im Zusammenhang mit der Freizügigkeit der Arbeitnehmer und der VO 1612/68 Erwähnung. Die fünfte Begründungserwägung dieses Rechtsaktes lautet: „Damit das Recht auf Freizügigkeit nach objektiven Maßstäben in Freiheit und Menschenwürde wahrgenommen werden kann, muß sich die Gleichbehandlung tatsächlich und rechtlich auf alles erstrecken, was mit der eigentlichen Ausübung einer Tätigkeit im Lohn - oder Gehaltsverhältnis und mit der Beschaffung einer Wohnung im Zusammenhang steht." 5 Nach stRspr des Gerichtshofs soll die VO 1612/68 die Freizügigkeit der Arbeitnehmer sicherstellen, deren „Ausübung in Freiheit und Menschenwürde" es erfordere, dass die bestmöglichen Bedingungen für die Integration der Familie des EG-Arbeitnehmers im Aufnahmemitgliedstaat geschaffen werden.6 Insoweit müssten alle Hindernisse beseitigt werden, die sich der Mobilität der Arbeitnehmer entgegenstellten, insb in Bezug auf das Recht des Arbeitnehmers, seine Familie nachkommen zu lassen, sowie auf die Bedingungen für die Integration seiner Familie im Aufnahmeland. Dem Arbeitnehmer und seinen Familienangehörigen stünden deshalb die gleichen sozialen Vergünstigungen zu, wie sie der Aufnahmestaat seinen eigenen Staatsangehörigen gewährt. Dass die Menschenwürde in der Vergangenheit auch in gemeinschaftlichen Rechtsakten - ausgenommen in der VO 1612/68 und Art 12 der Fernseh-Richtlinie7 („Die Fernsehwerbung darf nicht die Menschenwürde verletzen") - kaum Erwähnung fand, könnte seine Ursache darin haben, dass die Menschenwürde als Äec/iisprinzip nicht allen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen bekannt ist. Da sie auf Gemeinschaftsebene materiell ihren sichtbaren Ausdruck vor allem in den bereits anerkannten Grundrechten auf Unversehrtheit der Person und Achtung des Privatlebens findet, schien deshalb eine eigenständige Anerkennung als Grundrecht - zumindest aber als Rechtsprinzip - durch den EuGH von nur geringem zusätzlichen Erkenntniswert. Mit der Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Niederlande gegen Parlament und Rat8 hat sich diese Konzeption jedoch grundlegend verändert. In den Gründen der genannten Entscheidung heißt es: „Es obliegt dem Gerichtshof, im Rahmen der Kontrolle der Übereinstimmung der Handlungen der Organe mit den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts die Beachtung der Menschenwürde und des Grundrechts auf Unversehrtheit der Person sicherzustellen." Der EuGH ordnet beide Normen als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ein.9 Sicherlich lässt sich auch eine Verbindungslinie zur Charta ziehen, die in Art 1 4 EuGH, Slg 1969,419 f f - Stauder, insb S 421. 5 VO (EWG) 1612/68 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft, zuletzt geändert durch RL 2004/38/EG. Zur neuen Freizügigkeits-RL siehe unten Rn 53 f. 6 EuGH, Slg 1990,1-4185, Rn 13 - Di Leo; Slg 2000,1-2623, Rn 20 - Kaba. 7 RL 89/552/EWG, berichtigt durch ABl 1989 L 331/51. 8 EuGH, Slg 2001,1-7079, Rn 70 - Niederlande/Parlament und Rat. 9 Mit der Differenzierung zwischen „Beachtung der Menschenwürde" und „Grundrecht auf Unversehrtheit" wird keine rechtsdogmatische Unterscheidung eingeführt. Vielmehr zeigen die anderen
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(Art II-61 W E ) formuliert: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie ist zu achten und zu schützen." Diese Rechtsprechung hat der Gerichtshof in der Rechtssache Omega fortentwickelt. In diesem Vorabentscheidungsverfahren aus Deutschland hatte der Gerichtshof zu klären, inwieweit nationale Gerichte sich auf Wertungen ihres nationalen Verfassungsrechts stützen können, um Maßnahmen zu treffen, die zwar zum Schutze der öffentlichen Ordnung im jeweiligen Mitgliedstaat beitragen, aber zugleich auch Grundfreiheiten beeinträchtigen. Dem Ausgangsverfahren lag eine Verfügung der Stadt Bonn zugrunde, durch welche simulierte Tötungshandlungen im Rahmen eines Spiels mit der Begründung untersagt wurden, das geplante Geschäftsmodell verstoße gegen die öffentliche Ordnung, zu deren Schutzgütern auch die Menschenwürde zähle. Die Generalanwältin Stix-Hackl hat in ihren Schlussanträgen in der Rechtssache Omega vorgeschlagen, zum einen die in Rede stehende nationale Maßnahme anhand des Gemeinschaftsrechts zu beurteilen und zum anderen den vom Mitgliedstaat herangezogenen Rechtfertigungstatbestand der öffentlichen Ordnung entsprechend der Bedeutung und der Tragweite der Menschenwürde in der Gemeinschaftsrechtsordnung auszulegen.10 Der Gerichtshof ist dieser Konzeption in seinem schlanken Urteil gefolgt und sah die Beeinträchtigung des freien Dienstleistungsverkehrs durch die Verbotsverfügung als gerechtfertigt an. Die Reichweite des Begriffes der öffentlichen Ordnung dürfe nicht von jedem Mitgliedstaat einseitig bestimmt werden. Gleichwohl hätten die Mitgliedstaaten einen Beurteilungsspielraum in Bezug auf die konkreten Umstände, unter denen sie sich zulässigerweise auch auf die öffentlichen Ordnung berufen könnten. Die Gemeinschaftsrechtsordnung ziele unbestreitbar auf die Gewährleistung der Achtung der Menschenwürde als eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes ab. Allerdings sei es nicht unerlässlich, dass die nationale Maßnahme einer allen Mitgliedstaaten gemeinsamen Auffassung darüber entspricht, wie das betreffende Grundrecht oder berechtigte Interesse zu schützen sei." b) Unversehrtheit der Person Das Recht auf Unversehrtheit der Person erfasst die körperliche und geistige Integrität.12 Eine Reihe grundrechtsrelevanter Sachverhalte in der Praxis betreffen Verfahren von Bediensteten der Gemeinschaft wegen Ersatzes der Schäden aus Dienstunfällen. 13 Die Rspr hat in diesem Zusammenhang auch den Ersatz immaterieller Schäden, die aus Handlungen der Gemeinschaftsorgane entstanden sind, anerkannt.' 4 Im Bereich der Medizin und der Biologie umfasst der Schutzbereich das Recht eines Spenders oder Empfängers menschlicher Bestandteile auf unbeeinflusste Willensentscheidung in voller Kenntnis der Sachlage.15
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Sprachfassungen des Urteils und insb die niederländische Verfahrenssprache, dass der Gerichtshof die Menschenwürde als Grundrecht einordnet. So ausdrücklich unter Hinweis auf Raul Schorkopf NJW 2002, 2448 und unter Bezugnahme auf die Differenzierung in der deutschen Sprachfassung GA' in Stix-Hackl in ihren Schlussanträgen ν 18.3.2004, Rs C-36/02, Rn 90 Omega. Schlussanträge GA'in Stix-Hackl, ν 18.3.2004, Rs C-36/02, Rn 67 fT - Omega. EuGH, DVB12004, 1476 fT - Omega = Ehlers JK 06/05, EGV Art 49/13. Vgl Art 11-63 W E . Vgl etwa EuGH, Slg 1999, 1-5251 - Lucaccioni; Slg 1996, 1-5501 fT - Royale beige SA; Slg 1987, 4923 fT - Jänsch; EuG, Slg 1992,11-469 fT - Colmant. EuGH, Slg 1990,1-225, Rn 26 - Culin. EuGH, Slg 2001,1-7079, Rn 78 - Niederlande/Parlament und Rat.
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Nicht ausdrücklich genannt wird das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit in der Entscheidung der Rechtssache Cowan,16 Da der EuGH jedoch ein mitgliedstaatliches Verhalten, das dieses Grundrecht verletzt, für unvereinbar mit dem Gemeinschaftsrecht erklärte, ist diese Entscheidung für die behandelte Fragestellung dennoch relevant. Der Fall betraf die Rechtmäßigkeit von Diskriminierungen bei der Gewährung staatlicher Entschädigung für Opfer von Körperverletzungsdelikten. Nach Auffassung des EuGH ist es zwingende Folge der gemeinschaftsrechtlich gewährleisteten Freizügigkeit, dass Leib und Leben einer Person, die sich in einem Mitgliedstaat aufhält, in gleicher Weise geschützt sind, wie dies bei den eigenen Staatsangehörigen und den in diesem Mitgliedstaat wohnhaften Personen der Fall ist. Daraus folge ein Diskriminierungsverbot gegenüber Dienstleistungsempfängern, soweit es um den Schutz vor Gewalttaten und um den im nationalen Recht vorgesehenen Opferentschädigungsanspruch gehe.17 2.
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Beeinträchtigung
Die Menschenwürde und die ihr nahestehenden Gewährleistungen werden sowohl gegenüber Beeinträchtigungen der Gemeinschaftsorgane als auch gegenüber Handlungen der Mitgliedstaaten gewährleistet. „Wie der Gerichtshof [...] entschieden hat, ist, wenn ein Mitgliedstaat sich auf die Vertragsbestimmungen beruft, um eine nationale Regelung zu rechtfertigen, die geeignet ist, die Ausübung einer vom Vertrag garantierten Freiheit zu behindern, diese im Gemeinschaftsrecht vorgesehene Rechtfertigung im Lichte der allgemeinen Rechtsgrundsätze und insbesondere der Grundrechte auszulegen." 18 Der EuGH ist nicht zuständig für die Überprüfung einer grundrechtsrelevanten Handlung, wenn der Prüfungsgegenstand eine nationale Regelung ist, die nicht in den Bereich des Gemeinschaftsrechts fallt. Dieser Grundsatz wird vom Gerichtshof allerdings zuweilen so eng ausgelegt, dass für den Beobachter in Fällen, in denen der EuGH seine Zuständigkeit annimmt, der Bezug eines Sachverhalts zum Gemeinschaftsrecht kaum noch erkennbar ist.19 3.
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Rechtfertigung
Die Menschenwürde kann auch nach der gemeinschaftsrechtlichen Konzeption grundsätzlich nicht eingeschränkt werden, dh etwaige Beeinträchtigungen führen stets zu einer Verletzung dieses Rechts.20 Dieser prinzipielle „Automatismus" führt bei Vorabentscheidungsverfahren zu heiklen Problemen, weil das gemeinschaftsrechtliche Prüfungsprogramm je nach Prüfungsgegen16 EuGH, Slg 1989, 195 ff - Cowan. 17 EuGH, Slg 1989, 195 Rn 17 - Cowan. Vgl dazu das Grünbuch der Kommission: Entschädigung für Opfer von Straftaten, KOM (2001) 536 endgültig. Die Entschädigungsfrage ist auch Gegenstand des Europäischen Ubereinkommens über die Entschädigung von Opfern von Gewalttaten ν 24.11.1983, ETS Nr 116, in Kraft getreten am 1.2.1988. 18 EuGH, Slg 1992,1-2575, Rn 23 - Kommission/Deutschland unter Hinweis auf Slg 1991,1-2925, Rn 43 - ERT. 19 S etwa EuGH, Slg 2002, 1-6279 ff - Carpenter = Ehlers JK 12/02, EGV Art 49/6 und Slg 2003, 1-4989 ff - Österreichischer Rundfunk ua; im einzelnen Rn 39 ff. 20 Obwohl die Schranken-Klausel in Art 11-112 W E sich unterschiedslos auf alle Rechte und Freiheiten - und damit auch auf Art 11-61 W E - erstreckt, wird die konstruktive Hervorhebung der Menschenwürde auch nach einem Inkrafttreten der Charta auf der Grundlage einer entsprechenden Auslegung Bestand haben.
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stand unterscheiden muss und auf diesem Umweg eine Differenzierungsmöglichkeit einführt: Verstößt ein Akt der Gemeinschaftsorgane gegen die Menschenwürde, so folgt daraus die Nichtigkeit der in Rede stehenden Handlung. Wird hingegen ein mitgliedstaatlicher Akt am Maßstab der Menschenwürde gemessen, etwa im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens, so würde eine binäre Lösung nach dem Muster von Bestandskraft/ Nichtigkeit den Gewährleistungsgehalt der Menschenwürde unionsweit unitarisieren. Das gilt nicht für den ethischen Kern des Rechts, sondern für dessen „kleineres Münzgewicht" im Rechtsalltag. Das Problem spiegelt in aller Deutlichkeit die Rechtssache Omega.2' Aus der Perspektive deutscher Behörden und Gerichte verstößt das geplante Geschäftsmodell gegen die Menschenwürde; in Großbritannien war das Tötungsspiel zum Zeitpunkt der Untersagung nicht nur in der Praxis erprobt, sondern über Franchiseverträge und patentierte Technologie sogar exportfähig. Wie kann in dieser Konstellation ein Wertungswiderspruch vermieden werden, wenn das deutsche Verbot am Maßstab des EU-weiten Gemeinschaftsrechts Bestand hat und gleichzeitig dasselbe „menschenwürdefeindliche" Geschäftsmodell in Großbritannien erfolgreich praktiziert wird? Müsste eine gemeinschaftsrechtliche Gewährleistung der Menschenwürde nicht in allen EU-Mitgliedstaaten denselben Schutz gewähren? In der genannten Rechtssache hat die Generalanwältin zur Lösung dieses Problems vorgeschlagen, den Gewährleistungsgehalt der Menschenwürde in die jeweils betroffene Grundfreiheit und den Abwägungsprozess im Rahmen der Verhältnismäßigkeit hineinzulesen. 22 Dadurch wird die Zweck-Mittel-Relation derart zugunsten der Menschenwürde verschoben, dass die beschränkenden Maßnahmen des betroffenen Mitgliedstaats kaum je unverhältnismäßig sein werden. Der unitarisierende Zug dieser rechtsdogmatischen Konstruktion bleibt allerdings ebenso bestehen wie der Umstand, dass ein Geschäftsmodell in einem Mitgliedstaat gegen die Menschenwürde verstoßen kann und in einem anderen am Markt erfolgreich ist. Deshalb wäre es vorzugswürdig, in den seltenen Einzelfallen einer Kollision des Rechts auf Schutz der Menschenwürde und einer Grundfreiheit die gemeinschaftsrechtliche Prüfungskompetenz auf eine Missbrauchskontrolle zu beschränken und den nationalen identitätsstiftenden Merkmalen einer Rechtsordnung (Art 6 III EUV, Art 1-5 I W E ) einen Platz in der Gemeinschaftsrtchtsordmmg einzuräu-
Lösung Fall 1: Im Rahmen der niederländischen Nichtigkeitsklage nach Art 230 EGV (Art III-365 W E ) obliegt es dem EuGH, die Kontrolle der Übereinstimmung der Handlungen der Organe mit den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts wie die Beachtung der Menschenwürde und des Grundrechts der Unversehrtheit der Person sicherzustellen. Die Achtung der Menschenwürde wird grundsätzlich durch die Bestimmung der RL gewährleistet, wonach der menschliche Körper in den einzelnen Phasen seiner Entstehung und Entwicklung keine patentierbare Erfindung darstellen kann (Art 5 I RL). Bestandteile des menschlichen Körpers sind als solche nicht patentierbar und ihre Entdeckung kann nicht geschützt werden. Gegenstand einer Patentanmeldung können nur Erfindungen sein, die einen natürlichen Bestandteil mit einem technischen Verfahren verknüpfen, durch das dieser im Hinblick auf eine gewerbliche Anwendung isoliert oder reproduziert werden kann.
21 S ο Rn 8. 22 Vgl Schlussanträge GA'in Stix-Hackl,
ν 18.3.2004, Rs C-36/02 Rn 103 ff - Omega.
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Das Ergebnis von Arbeiten an Sequenzen oder Teilsequenzen menschlicher Gene kann nur dann zur Erteilung eines Patents führen, wenn die Anmeldung eine Beschreibung zum einen der neuen Methode der Sequenzierung, die zu der Erfindung geführt hat, und zum anderen der gewerblichen Anwendung umfasst, die das Ziel der Arbeiten ist. Ohne eine solche Anwendung hätte man es nicht mit einer Erfindung zu tun, sondern mit der Entdeckung einer DNA-Sequenz, die als solche nicht patentierbar wäre. Die RL schützt somit nur das Ergebnis einer wissenschaftlichen oder technischen erfinderischen Tätigkeit. Beim Menschen natürlich vorkommende biologische Daten werden nur erfasst, soweit sie für die Durchführung und Verwertung einer besonderen gewerblichen Anwendung erforderlich sind. Schließlich werden Verfahren zum Klonen von menschlichen Lebewesen, Verfahren zur Veränderung der genetischen Identität der Keimbahn des menschlichen Lebewesens und die Verwendung von menschlichen Embryonen zu industriellen oder kommerziellen Zwecken als Verstoß gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten von der Patentierbarkeit ausgeschlossen (Art 6 RL). Die RL fasst das Patentrecht in Bezug auf lebende Materie menschlichen Ursprungs demnach so streng, dass der menschliche Körper tatsächlich unverfügbar und unveräußerlich bleibt und somit die Menschenwürde gewahrt wird. Das Grundrecht auf Unversehrtheit der Person kann nicht gegen eine RL angeführt werden, die sich nur mit der Erteilung von Patenten befasst und deren Anwendungsbereich sich daher nicht auf Vorgänge vor und nach dieser Erteilung - sei es die Forschung oder die Verwendung der patentierten Erzeugnisse - erstreckt. Rechtliche Einschränkungen oder Verbote, die für die Entwicklung patentierbarer Erzeugnisse oder die Verwertimg patentierter Erzeugnisse gelten, werden von der Erteilung eines Patents nicht berührt (14. Begründungserwägung). Die RL soll restriktive Bestimmungen nicht ersetzen, die jenseits ihres Anwendungsbereichs die Achtung bestimmter ethischer Normen garantieren sollen. Dazu gehört auch das Recht des Menschen, durch Zustimmung in voller Kenntnis der Sachlage über sich selbst zu verfügen. Die Frage, ob das Recht auf Unversehrtheit der Person, das im Bereich der Medizin und der Biologie die unbeeinflusste Zustimmung des Spenders und des Empfängers von Bestandteilen menschlichen Ursprungs in voller Kenntnis der Sachlage umfasst, stellt sich in der Regel im Zusammenhang mit der Verwendung menschlicher Bestandteile wie zB Transplantaten. Antworten auf die damit einhergehenden Probleme sind deshalb nicht im Patenrecht eines speziellen Sektors zu suchen. II. Schutz der Persönlichkeit Leitentscheidungen: EuGH, Slg 2003, 1-4989 - Österreichischer Rundfunk ua; Slg 1995, 1-4921 ff Bosman; Slg 1994, 1-4737 ff - X/Kommission; Slg 1992, 1-2575 ff - Kommission/Deutschland; Slg 1991,1-2925 ff - Elliniki Radiophonia Tileorassi (ERT); Slg 1989, 2859 ff - Hoechst; Slg 1989, 3137 Dow Chemical; Slg 1989, 195 ff - Cowan; Slg 1980, 2033 ff - National Panasonic; Slg 1982, 1575 ff AM & S; Slg 1989, 1263ff - Kommission/Deutschland; Slg 1976, 1589ff - Prais; Slg 1969, 419ff Stauder. Schrifttum: Ruffert Die künftige Rolle des EuGH im europäischen Grundrechtsschutzsystem, EuGRZ 2004, 466 ff; Siemen Grundrechtsschutz durch Richtlinien / Die Fälle Österreichischer Rundfunk ua und Lindqvist, EuR 2004, 306 ff; Heinig Die Stellung der Kirchen und Religionsgemeinschaften in der europäischen Rechtsordnung, in: Müller-Graff (Hrsg) Kirchen und Religionsgemeinschaften in der Europäischen Union, 2003, 125ff; Wägenbaur Der Zugang zu EU-Dokumenten Transparenz zum Anfassen, EuZW 2001, 680ff; Ress/Ukrow Neue Aspekte des Grundrechtsschutzes in der Europäischen Gemeinschaft, EuZW 1990, 499 ff; Breitenmoser Der Schutz der Privatsphäre gemäß Art 8 EMRK, 1986. Rechtsakte: RL 95/46 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr, ABl 1995 L 281/31; VO 45/2001 zum Schutz natürlicher Perso-
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nen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft und zum freien Datenverkehr, ABl 2001 L 8/1; RL 2002/58 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation), ABl 2002 L 201/37. 1.
Schutzbereiche
a) Achtung des Privatlebens FaD 2: (EuG, Slg 1992,11-2195 und EuGH, Slg 1994,1-4737 ff - X/Kommission) X wurde zu einem Auswahlverfahren für Schieibkräfte der Kommission zugelassen. Obwohl er die schriftliche Prüfung nicht bestanden hatte, forderte ihn die Generaldirektion Personal und Verwaltung auf, sich im Hinblick auf eine mögliche Einstellung als Bediensteter auf Zeit für einen Zeitraum von sechs Monaten gemäß den Beschäftigungsbedingungen einer ärztlichen Untersuchung zu unterziehen. X ließ sich daraufhin von dem Vertrauensarzt der Kommission untersuchen. Es wurden klinische Untersuchungen und Laboruntersuchungen vorgenommen, den Vorschlag des ärztlichen Dienstes einen HIV-Test durchzuführen, lehnte X hingegen ab. Der Vertrauensarzt teilte X kurze Zeit später mit, dass er seine Einstellung aus ärztlicher Sicht nicht befürworten werde. Gleichzeitig forderte er X auf, ihm den Namen seines behandelnden Arztes mitzuteilen, damit er diesem den von ihm festgestellten Befund mitteilen könne. Die Generaldirektion Personal und Verwaltung teilte dem X mit, dass sie aufgrund der fehlenden körperlichen Eignung von seiner Einstellung Abstand nehme. Die Auswertung des medizinischen Befundes durch den behandelnden Arzt des X macht deutlich, dass der Vertrauensarzt der Kommission eine opportunistische Infektion, die das Endstadium von Aids (,full blown Aids') anzeige, bei X diagnostiziert hatte. Die weitere verwaltungsinterne Untersuchung ergab, dass X zwar keinem verdeckten AidsTest, dafür aber einer Laboruntersuchung zur Bestimmung der Lymphozyten T4/T8 unterzogen worden war. Eine solche Untersuchung ist zur Beurteilung des Zustands des Tmmiinsystems des Patienten und nicht speziell zur Auffindung einer viralen oder bakteriellen Erkrankung bestimmt. Gleichwohl lässt sich durch den Test der Verdacht eines Vorliegens des Aids-Virus begründen. Die von X gegen die ablehnende Entscheidung der Kommission und mit dem Antrag auf Ersatz des immateriellen Schadens erhobene Klage vor dem Gericht erster Instanz blieb ohne Erfolg. X legte gegen die Entscheidung Rechtsmittel vor dem EuGH ein. Das Recht auf Achtung des Privatlebens ist das Grundrecht, das im Zusammenhang mit dem Schutz der Persönlichkeit die größte praktische Bedeutung hat. 2 ' Der EuGH leitet das Grundrecht aus den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten her und verweist ausdrücklich auf dessen Verankerung in Art 8 EMRK. Die besondere Prägefunktion von Art 8 EMRK entfaltet sich bei diesem Grundrecht vor allem in der Unterteilung des Schutzbereichs in Teilaspekte des Gewährleistungsgehalts. Der EuGH hat das Recht auf Schutz des Arztgeheimnisses ausdrücklich als einen solchen Teilaspekt der Achtung des Privatlebens benannt. 24 Nach der Systematik des
23 Vgl EuGH, Slg 1992,1-2575, Rn 23 - Kommission/Deutschland = Kunig JK 92, EWGV Art 30/2, unter Hinweis auf EuGH, Slg 1980, 2033 ff - National Panasonic; Slg 1994, 1-4737. Rn 17 X/Kommission; EuG, Slg 1994,11-179 Rn 48 - A/Kommission. 24 EuGH, Slg 1992,1-2575, Rn 23 - Kommission/Deutschland = Kunig JK 92, EWGV Art 30/2.
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gemeineuropäischen Grundrechtsschutzes lassen sich jedoch weitere Teilaspekte identifizieren, die in den umfassenden Schutzbereich des Rechts auf Achtung des Privatlebens fallen. Dazu gehören: die Unverletzlichkeit der Wohnung,25 der Schutz der Vertraulichkeit des anwaltlichen Schriftverkehrs,26 die Achtung des Familienlebens27 und das Recht auf Geheimhaltung des Gesundheitszustandes.28 Bei systematischer Betrachtung ist auch das Recht auf Schutz personenbezogener Daten eine Ausprägung der Achtung des Privatlebens. Der EuGH hat ein selbständiges Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung bislang nicht ausdrücklich anerkannt. Die rechtsetzenden Aktivitäten der Gemeinschaft und Ergänzungen des Primärrechts rechtfertigen es jedoch, dieses Recht hier als eigenständiges Grundrecht zu behandeln.29 Von einem allgemeinen Persönlichkeitsrecht auf Gemeinschaftsebene kann hingegen nicht gesprochen werden. Der EuGH bedient sich in seiner Rspr einer anderen Terminologie, die auf der Dogmatik der EMRK gegründet ist. Die in der Leitscheidung in der Rechtssache Stauder verwendete Formulierung von den „Grundrechten der Person" gibt für einen solchen Rückgriff auf das Begriffssystem des Grundgesetzes keinen Anlass. Der EuGH hat diese Formulierung in seinen nachfolgenden Entscheidungen nicht wieder aufgegriffen und die einzelnen Grundrechte zum Schutz der Persönlichkeit im Wesentlichen unter dem „Dach" des Art 8 EMRK entwickelt. aa) Unverletzlichkeit der Wohnung
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Der EuGH hat in seiner Rechtsprechung ein Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung anerkannt. Der Schutzbereich umfasst Privatwohnungen natürlicher Personen; eine Ausdehnung des Schutzbereichs auf Unternehmen lehnt der Gerichtshof hingegen ausdrücklich ab.30 Diese Einschränkung ist bemerkenswert, weil die Thematik des Schutzes der Geschäftsräume gerade den wirtschaftsrechtlichen Bezug aufweist, dessen häufiges Fehlen im Übrigen die Entwicklung eines umfassenden Grundrechtskanons der Gemeinschaft erschwert.31 Der Gerichtshof begründet seine Auffassung damit, dass die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten in Bezug auf Art und Umfang des Schutzes von Geschäftsräumen nicht unerhebliche Unterschiede aufwiesen. Eine Ausdehnung des Grundrechts auf Geschäftsräume lasse sich auch nicht aus Art 8 EMRK herleiten. Der Schutzbereich dieses Artikels erfasse lediglich den „Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seine Briefverkehrs" und diene lediglich der freien Entfaltung der Persönlichkeit. Zudem liege zu dieser Fragestellung keine einschlägige Rechtsprechung des EGMR vor.32
25 EuGH, Slg 1989, 2859 ff - Hoechst = Küttig JK 90, EWGV § 173/2; Slg 1989, 3137 ff und 3165 ff - D o w Chemical; Slg 2002,1-9011, Rn 27 ff - Roquette Freres. 26 EuGH, Slg 1982, 1575 ff - A M & S. 27 EuGH, Slg 1989, 1263 ff- Kommission/Deutschland. 28 EuGH, Slg 1994,1-4737 ff - X/Kommission. 29 S dazu Rn 39 ff. 30 EuGH, Slg 1989, 2859ff - Hoechst = Kunig JK 92, EWGV Art 30/2; Slg 1989, 3137ff und 3165ff - D o w Chemical. 31 S dazu ο Rn 2. 32 Vgl EuGH, Slg 1989, 3137, Rn 28 f - D o w Chemical und EuGH, Slg 1980, 2033, Rn 19 f - N a tional Panasonic.
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Diese Rspr des EuGH ist deutlicher Kritik ausgesetzt. Methodisch betrachtet macht es der Hinweis auf „nicht unerhebliche Unterschiede" in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen unmöglich, den Gewährleistungsumfang eines Unionsgrundrechts im Wege der wertenden Rechtsvergleichung auszudehnen. Im Ergebnis läuft dieser Ansatz des EuGH prinzipiell darauf hinaus, den gemeinschaftsrechtlichen Gewährleistungsumfang eines Grundrechts an einem Minimalstandard zu orientieren." Darüber hinaus gibt es Entscheidungen des EGMR zu Art 8 EMRK, die Geschäftsräume in den Schutzbereich des Grundrechts einzubeziehen. In dem Fall Chappell, in dem von den Behörden Räumlichkeiten durchsucht worden waren, die dem Beschwerdeführer sowohl als Privatwohnung als auch als Geschäftsraum dienten, hatte die Menschenrechtskommission noch offengelassen, ob die Geschäftsräume unter den Begriff der „Wohnung" fallen.34 Während der EGMR in dem Fall Niemitz die Räumlichkeiten einer Anwaltskanzlei in den Schutzbereich des Art 8 EMRK einbezogen hat,35 stellte er jüngst in seinem Urteil im Fall Stes Cola Est ausdrücklich fest, dass der Schutzbereich von Art 8 E M R K unter bestimmten Umständen auch auf die Geschäftsräume, Niederlassungen und sonstigen Betriebsgrundstücke von Unternehmen zu erstrecken ist.36
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Die Gründe der beiden Leitentscheidungen des EuGH zum Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung enthalten keine ausdrücklichen Aussagen zu den Anforderungen, unter denen ein Eingriff in das Grundrecht gerechtfertigt ist. Da es sich bei den Klägerinnen um Unternehmen handelte, deren Geschäftsräume durchsucht worden waren, war bereits der Schutzbereich des Grundrechts nicht berührt. Der EuGH hat jedoch in einer anderen Entscheidung, in der es um einen Eingriff in den Gewährleistungsumfang des Art 8 E M R K ging, ausdrücklich auf die Schranken des Art 8 II E M R K Bezug genommen.37 Angesichts der Tatsache, dass dieser Rückgriff auf die Beschränkungsmöglichkeiten der Konventionsgrundrechte einer gängigen Praxis des Gerichtshofs entspricht, kann die Entscheidung in der Rechtssache National Panasonic von der Bedeutung für den Einzelfall gelöst und verallgemeinert werden. In dem Verwaltungsverfahren, dessen Rechtmäßigkeit der EuGH überprüfte, hatte die Kommission ihre Entscheidung ebenfalls auf der Grundlage von Art 17 VO 17/62 - der ersten Kartellverordnung - erlassen. Ein Eingriff in das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung ist demnach gerechtfertigt, wenn er zum einen gesetzlich vorgesehen ist und zum anderen eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft notwendig ist. Letztgenannte Voraussetzung wird in Art 8 II E M R K durch die Aufzählung zulässiger Ziele qualifiziert, dh konkret muss der Eingriff in „einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig" sein.
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33 Vgl die Kritik bei Rengeling Grundrechtsschutz S 121 ff; ResslUkrow EuZW 1990, 499, 502 ff; siehe aber auch Everling EuR 1990, 208 f. 34 EGMR, Serie A Vol 152-A, 21 - Chappell, vgl dazu auch den Hinweis von ResslUkrow EuZW 1990, 499, 504 in Anm 51, dass dem EuGH zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung in der Rechtssache Hoechst der Bericht der Menschenrechtskommission vorlag. 35 EGMR, EuGRZ 1993, 65, 66 - Niemitz/Deutschland = Kunig JK 93, EMRK Art 8/1. 36 EGMR, RJD 2002-III, § 41 - Stes Colas Est. 37 EuGH, Slg 1980, 2033, Rn 19 - National Panasonic. 419
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Im Rahmen der Rechtfertigimg des Eingriffs sind folglich die Voraussetzungen des Gesetzesvorbehalts und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu prüfen. Obwohl der EuGH in den genannten Leitentscheidungen zum Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung die Einbeziehung der Geschäftsräume in den Schutzbereich ablehnt, erkennt er einen „Schutz gegen willkürliche und unverhältnismäßige Eingriffe" als allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts an. Im Ergebnis erfolgte somit ebenfalls eine Prüfung, inwieweit die Maßnahmen der Kommission auf gesetzlicher Grundlage erfolgten und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprachen. Wenn somit im Ergebnis für die Klägerinnen ein vergleichbares Schutzniveau gewährleistet wurde, bleibt festzuhalten, dass der Schutz der Geschäftsräume grundrechtlich nicht verankert ist. Die im Jahr 2003 novellierte Kartellverfahrensordnung (VO 1/2003)38 nimmt diesen grundrechtlichen Maßstab auf und versucht ihn zu konkretisieren. Art 20 VO 1/2003 ermächtigt die Kommission zur Erfüllung der Aufgabe, über die Einhaltung der Wettbewerbsregeln des Gemeinsamen Marktes zu wachen und bei Unternehmen und Unternehmensvereinigungen alle erforderlichen Nachprüfungen vorzunehmen. Die Bediensteten der Kommission haben die Befugnis, (i) alle Räumlichkeiten, Grundstücke und Transportmittel zu betreten, (ii) die Bücher und sonstigen Geschäftsunterlagen zu prüfen, (iii) Kopien oder Auszüge aus diesen Büchern und Geschäftsunterlagen anzufertigen, (iv) betriebliche Räumlichkeiten und Bücher oder Unterlagen zu versiegeln und (v) mündliche Erklärungen an Ort und Stelle anzufordern. Die Kommission verfügt demnach über weit reichende Durchsuchungsrechte, um Beweismaterial für Verstöße gegen die gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbsregeln zu sammeln. Die Kartellverfahrensordnung enthält deshalb zahlreiche Vorgaben und Verfahrensregelungen - etwa einen Richtervorbehalt für die Durchsuchung (Art 21 III) und Anhörungsrechte (Art 27) - , um die Rechte der Betroffenen zu gewährleisten. So ist die Kommission zur Angabe von Gegenstand und Zweck der Nachprüfung verpflichtet, damit das betroffene Unternehmen in der Lage ist, den Umfang seiner Mitwirkungspflichten zu erkennen und zugleich seine Verteidigungsrechte zu wahren. Die Bedingungen für die Ausübung der Nachprüfungsbefugnisse der Kommission hängen ferner von dem gewählten Verfahren, der Haltung des betroffenen Unternehmens und der Beteiligung der nationalen Behörden ab. Erfolgt die Nachprüfung unter Mitwirkung der betroffenen Unternehmen, haben die Bediensteten der Kommission ua das Recht, sich die von ihnen angeforderten Unterlagen vorlegen zu lassen, die von ihnen bezeichneten Räume zu betreten und sich den Inhalt der Möbel zeigen zu lassen. Dagegen können sie sich nicht gewaltsam Zugang zu Räumen oder Einrichtungsgegenständen verschaffen oder die Beschäftigten des Unternehmens zwingen, ihnen den Zugang hierzu zu gewähren. Durchsuchungen können auch nicht ohne die Einwilligung der Verantwortlichen des Unternehmens vorgenommen werden. Widersetzt sich das betroffene Unternehmen einer Nachprüfung, können die Bediensteten der Kommission auf der Grundlage von Art 17 VI VO 1/2003 ohne Mitwirkung der Unternehmen nach allen für die Nachprüfung notwendigen Informationsquellen suchen. Zu diesem Zweck sind die nationalen Behörden einzuschalten, die der Kommission die
38 VO (EG) 1/2003 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln. Diese Erraittlungsbefugnisse der Kommission gelten auch im Fusionskontrollverfahren, VO (EG) 139/2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, dazu Staebe/Denze! EWS 2004, 194, 198.
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zur Erfüllung ihrer Aufgabe erforderliche Unterstützung zu gewähren haben. Diese Unterstützung ist für den Fall vorgeschrieben, dass sich das Unternehmen ausdrücklich widersetzt, sie kann jedoch auch vorsorglich angefordert werden. Es ist insoweit Sache des einzelnen Mitgliedstaats, die Bedingungen zu regeln, unter denen die nationalen Stellen den Bediensteten der Kommission Unterstützung gewähren. Die für die Gewährleistung der Rechte der Unternehmen geeigneten Verfahrensmodalitäten bestimmen sich nach den Grenzen des nationalen Rechts, dh die Kommission hat die im nationalen Recht vorgesehenen Verfahrensgarantien zu beachten. Die nationalen Behörden und Gerichte (!) sind allerdings nach der Konzeption des Gemeinschaftsrechts nicht befugt, die Notwendigkeit der angeordneten Nachprüfungen durch die Kommission zu beurteilen und die Übermittlung der in den Kommissionsakten enthaltenen Informationen zu verlangen, um die Ermittlungsprärogative der Kommission nicht zu gefährden und - so ist wohl zu vermuten - ein kollusives Zusammenwirken der nationalen Behörden und Gerichte zu verhindern. Die Sach- und Rechtserwägungen der Kommission unterliegen insoweit nur der Rechtmäßigkeitskontrolle durch den EuGH (Art 20 VIII, Art 21 III UAbs 2 VO 1/2003). Die nationale Stelle ist berechtigt, nach Feststellung der Echtheit der Nachprüfungsentscheidung zu prüfen, ob die beabsichtigten Zwangsmaßnahmen nicht willkürlich oder unverhältnismäßig sind. Die Rechtsgrundlage für Ermittlungsmaßnahmen in anderen Räumlichkeiten als den Geschäftsräumen, dh insb in Privat Wohnungen, modifiziert die Tatbestandsvoraussetzungen - jedenfalls nach dem Wortlaut - dahingehend, dass eine Durchsuchungsanordnung nur mit der vorherigen Genehmigung des einzelstaatlichen Gerichts des betreffenden Mitgliedstaats vollzogen werden kann (Art 21 III VO 1 /2003). Die Grundrechtecharta gewährleistet die Unverletzlichkeit der Wohnung in Art 7 (Art 11-67 W E ) . Die Norm ist Art 8 EMRK nachgebildet, so dass die in Art 7 gewährleisteten Rechte die gleiche Bedeutung und Tragweite wie die Rechte der EMRK haben. 39 Die bestehende Unklarheit in Bezug auf den Umfang des Schutzbereichs wird somit durch die Charta nicht beseitigt.
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bb) Schutz der Vertraulichkeit des anwaltlichen Schriftverkehrs Im Zusammenhang mit einem Verwaltungsverfahren der Kommission nach der KartellVO hat der EuGH den Grundsatz der Vertraulichkeit des Schriftverkehrs zwischen Anwalt und Mandanten entwickelt.40 Der Grundsatz, den der EuGH aus einem Vergleich der mitgliedstaatlichen Rechtsvorschriften herleitet, kann geltend gemacht werden, wenn der Schriftwechsel im Rahmen und im Interesse des Mandantenrechts auf Verteidigung geführt wird und von unabhängigen Rechtsanwälten ausgeht, die nicht durch einen allgemeinen Geschäftsbesorgungsvertrag an ihren Mandanten gebunden sind.41 Weiterhin ungeklärt ist die Frage, ob dieser Schutz auch auf die Korrespondenz zwischen der Unternehmensleitung und der - etwa mit Syndikusanwälten besetzten - Rechtsabteilung zu erstrecken ist. Einen weiterreichenden grundrechtlichen Bezug stellt der EuGH in seiner Entscheidung nicht her. Der Briefverkehr fällt in den Schutzbereich von Art 11-67 W E , der Art 8
39 Vgl Art 11-112 III W E . 40 EuGH, Slg 1982, 1575 ff - AM & S, zur Entstehung und Ratio der Entscheidung siehe Temple Lang in: Hoskins/Robinson (eds), Essays for Judge David Edwards, 2004, 153 ff. 41 EuGH, Slg 1982, 1575, LS 3 und Rn 21; EuG, Slg 1990,11-163, Rn 13 - Hilti.
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E M R K nachgebildet ist. Der dort verwendete Begriff der „Korrespondenz" wurde wegen der technischen Entwicklung durch den der „Kommunikation" ersetzt. cc) Schutz des Arztgeheimnisses 42
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Lösung Fall 2: Ein Bediensteter auf Zeit wird gemäß Art 13 der Beschäftigungsbedingungen vor der Einstellung durch einen Vertrauensarzt des Gemeinschaftsorgans untersucht, damit die Anstellungsbehörde die Gewissheit erhält, dass der Bewerber die Einstellungsvoraussetzungen erfüllt. Die Beschäftigungsbedingungen sehen vor (Art 12 II lit d), dass als Bediensteter auf Zeit nur eingestellt werden kann, wer die für die Ausübimg seines Amtes erforderliche körperliche Eignung besitzt. Die Einstellungsuntersuchung dient einem legitimen Interesse der Gemeinschaftsorgane: Sie müssen in der Lage sein, ihre Aufgaben zu erfüllen. Dieses Interesse rechtfertigt jedoch nicht, dass eine Untersuchung gegen den Willen des Betroffenen vorgenommen wird. Verweigert der Betroffene, nachdem er aufgeklärt worden ist, seine Zustimmung zu einer Untersuchung, die nach Auffassung des Vertrauensarztes erforderlich für die Beurteilung der gesundheitlichen Eignung ist, sind die Gemeinschaftsorgane nicht verpflichtet, das mit seiner Einstellung verbundene Risiko einzugehen. Allerdings erfordert - nach Auffassung des EuGH - das Recht auf Achtung des Privatlebens, dass die Weigerung des Betroffenen umfassend berücksichtigt wird. Da es X ausdrücklich abgelehnt hatte, sich einem Aids-Test zu unterziehen, stand dieses Recht der Vornahme jedes Tests durch die Verwaltung entgegen, der zur Feststellung oder zum Verdacht eines Vorliegens dieser Krankheit - deren Aufdeckung X abgelehnt hatte - führen konnte. Der fragliche Lymphozytentest bot dem Vertrauensarzt jedoch ausreichende Anhaltspunkte, um auf eine mögliche Infektion mit dem Aids-Virus bei X zu schließen. Der EuGH hat das angefochtene Urteil deshalb aufgehoben. Da die Sache entscheidungsreif im Sinne von Art 54 I der Satzung des Gerichtshofs war, wurde die ablehnende Entscheidung, die dem X durch den Generaldirektor für Personal und Verwaltung mitgeteilt wurde, ebenfalls aufgehoben.
dd) Achtung des Familienlebens 36
Der Anspruch auf Achtung des Familienlebens gehört ebenfalls zu den anerkannten Grundrechten des Gemeinschaftsrechts. Der E u G H hat dieses Grundrecht im Zusammenhang mit dem Aufenthaltsrecht der Familienangehörigen im Rahmen der Arbeitnehmerfreizügigkeit aus der entsprechenden Gewährleistung in Art 8 E M R K entwickelt. 43 Der der Leitentscheidung zugrundeliegende Sachverhalt betraf Art 10 III der VO 1612/68 44 , der das Aufenthaltsrecht von Familienangehörigen davon abhängig macht, dass der Arbeitnehmer über eine Wohnung verfügt, die in dem Gebiet, in dem er beschäftigt ist, den für die inländischen Arbeitnehmer geltenden normalen Anforderungen genügt. Dieser Regelung stand eine deutsche Rechtsvorschrift (§ 7 AufenthG/EWG aF) entgegen, die die Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis für Familienangehörige von Wanderarbeitnehmern davon abhängig machte, dass die Familien während der gesamten Dauer ihres Aufenthalts, und
42 S dazu ο Rn 19. 43 EuGH, Slg 1989, 1263 ff - Kommission/Deutschland, dazu die Besprechung von Watson ELRev 1989,417 ff. 44 VO (EWG) 1612/68.
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nicht nur zum Zeitpunkt der Wohnungsnahme, in angemessenen Wohnverhältnissen lebten. Auf Grund dieser Regelung hatte Deutschland nach Ansicht des Gerichtshofs gegen die Verpflichtung aus der Verordnung verstoßen. Das Grundrecht auf Achtung des Familienlebens spielt mittlerweile eine bedeutende Rolle bei der Auslegung der Grundfreiheiten und dem daraus abgeleiteten Recht. Das zeigt exemplarisch - wie die zitierte Leitentscheidung - die Rechtssache Carpenter, in der es um die Vereinbarkeit der Ausweisung der philippinischen Ehefrau eines britischen Staatsangehörigen, der im weiteren Sinn grenzüberschreitende Dienstleistungen erbrachte, mit dem Gemeinschaftsrecht ging.45 Der Gerichtshof kam in dem Vorabentscheidungsverfahren zu dem Ergebnis, dass Art 49 EGV (Art III-144 W E ) im Lichte des Grundrechts auf Achtung des Familienlebens auszulegen sei. Deshalb dürfe der Ehegatte eines Dienstleistungserbringers aus dem Herkunftsmitgliedstaat grundsätzlich nicht ausgewiesen werden. Die Verweigerung der Einreise in das oder die Entfernung einer ausländischen Person aus dem Land, in dem ihre nahe Verwandten lebten, sieht der Gerichtshofs als rechtfertigungsbedürftigen Eingriff in das Recht auf Achtung des Familienlebens.46 In der Literatur zum Grundrechtsschutz wird überwiegend vertreten, dass auch der Schutz der Ehe als gemeinschaftsrechtliches Grundrecht anerkannt sei.47 Die in diesem Zusammenhang zitierte Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Grant48 enthält zwar eine mittelbare Begriffsdefinition der Ehe (Lebensgemeinschaft zwischen zwei Personen verschiedenen Geschlechts). 49 Der EuGH hat jedoch weder die Ehe noch die „festen Beziehungen zwischen zwei Personen des gleichen Geschlechts" oder die „festen Beziehungen zwischen Personen verschiedenen Geschlechts" als Unionsgrundrecht anerkannt. Die Entscheidung in der Rechtssache Eyüp, in dem es um den Status der Lebenspartnerin eines assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen als Familienangehörige ging, ist eine Ausnahme am Maßstab der Billigkeit (ex aequo et bono) geblieben.50 Der Gerichtshof hat mit ihr nicht die Gleichstellung einer festen Beziehung zwischen nicht verheirateten Personen mit einer Ehe anerkannt. 51 Die in diesem Zusammenhang erörterten Problemstellungen fallen auch in den Anwendungsbereich des Verbots der Diskriminierung aus Gründen des Geschlechts.52
45 EuGH, Slg 2002,1-6279, Rn 41 ff - Carpenter = Ehlers JK 12/02, EGV Art 49/6, dazu die Besprechung von Mager JZ 2003, 204 ff. 46 EuGH, verb Rs C-482/01 und C-493/01, Rn 97 - Orfanopoulos und Oliven, Slg 2003, 9607, Rn58f-Akrich. 47 Stumpf in: Schwarze Art 6 EUV Rn 33, Kingreen in: Calliess/Ruffert Art 6 EUV Rn 107 f. 48 EuGH, Slg 1998,1-621 ff - Grant, dazu die Besprechung von Giegerich JZ 1998, 726 ff. 49 EuGH, Slg 1998,1-621, Rn 32 - Grant. 50 EuGH, Slg 2000,1-4747, Rn 36 - Eyüp. 51 Das Urteil des Gerichtshofs ist eine singuläre Entscheidung geblieben und wurde im Hinblick auf seine familienrechtlichen Ausführungen nicht wieder zitiert; ausdrücklich für eine Einordnung als Billigkeitslösung Generalanwalt Colomer in seinen Schlußanträgen ν 10.6.2003, Rs C-l 17/01 Rn 60 - K.B./National Health Service. 52 Vgl Art 13 und Art 141 EGV (Art I I M 2 4 und Art III-214 W E ) sowie 2001/51/EG: Entscheidung 2001/51/EG des Rates ν 20.12.2000 über ein Aktionsprogramm der Gemeinschaft betreffend die Gemeinschaftsstrategie für die Gleichstellung von Frauen und Männern (2001-2005), ABl 2001 L 17/22; R L 76/207/EWG Gleichbehandlung hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen RL 86/378/EWG Gleichbehandlung bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit.
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Die Grundrechtecharta enthält in Art 9 (Art 11-69 W E ) das Recht, eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen sowie in Art 7 (Art 11-67 W E ) das Recht auf Achtung des Familienlebens. Beide Rechte sind den Gewährleistungen in Art 12 und Art 7 E M R K nachgebildet. 53 ee) Schutz personenbezogener Daten
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Fall 3: (EuGH, Slg 2003,1-4989 - Österreichischer Rundfunk ua) Frau Ν und Herr L, zwei leitende Angestellte der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt ORF, wendeten sich an österreichische Gerichte, um ihrem Arbeitgeber die Übermittlung von Daten über ihre Einkommen an den Rechnungshof untersagen zu lassen. Nach österreichischem Recht sind die der Kontrolle des Rechnungshofs unterliegenden Rechtsträger verpflichtet, diesem die gezahlten Bezüge und Ruhebezüge mitzuteilen, soweit sie einen im Jahr 2000 auf etwa 82.400,- Euro festgelegten Betrag überschritten. Zwar ist die Offenlegung der Namen der Betroffenen nach dem österreichischen Gesetz nicht ausdrücklich vorgesehen, jedoch hat sich der Rechnungshof der Lehrmeinung angeschlossen, die diesen Schritt für erforderlich hält. Der Rechnungshof nimmt die Einkommensdaten in seinen Jahresbericht auf, der dem Nationalrat, dem Bundesrat und den Landtagen übermittelt und auch der Allgemeinheit zugänglich gemacht wird. In den unteren Instanzen hatten N. und L. zunächst keinen Erfolg, in der Revisionsverhandlung vor dem Obersten Gerichtshof drangen sie jedoch mit ihrer Argumentation durch, dass die österreichische Verwaltungspraxis gegen die unmittelbar anwendbare Datenschutzrichtlinie RL 95/46 verstoße. Der Oberste Gerichtshof setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH die Fragen vor, ob die österreichische Regelung mit dem Gemeinschaftsrecht, insb der RL 95/46 vereinbar sei und deren Vorschriften in dem Sinne unmittelbar anwendbar seien, dass sich die Parteien auf sie berufen könnten, um die Anwendung zwingender Vorschriften des nationalen Rechts zu verhindern. In der wegweisenden Entscheidung Stauder aus dem Jahr 1969 hat der E u G H die Individualisierung eines sozialhilfeberechtigten Bürgers mit den „Grundrechten der Person" in Verbindung gebracht. 54 In späteren Entscheidungen hat er festgestellt, dass die Gemeinschaftsorgane Informationen, die ihnen freiwillig, aber mit der Bitte um Wahrung ihrer Anonymität gegeben wurden, vertraulich zu behandeln haben. Bei dieser Pflicht handle es sich um einen allgemeinen Grundsatz, der mit einem Teilaspekt in Art 286 EGV (Art 1-51 W E ) primärrechtlich verankert ist.55 Die zwei Beispiele zeigen, dass der Schutz personenbezogener Daten keineswegs ein Gedanke ist, der erst in jüngerer Zeit, im Zuge der technischen Entwicklung und der entsprechenden Nachführung des Grundrechtsschutzes, vom Gemeinschaftsrecht aufgenommen wurde. Dass es sich bei dem Schutz personenbezogener Daten mittlerweile um ein Unionsgrundrecht mit einem spezifischen Gewährleistungsumfang handelt, zeigt die Gesetzgebung auf europäischer Ebene. Nach der RL 95/46/EG 56 haben die Mitgliedstaaten das Recht der natürlichen Personen auf die Wahrung der Privatsphäre bei der Verarbeitung personenbezogener Daten sicherzustellen. Die Richtlinie präzisiert den entsprechenden Gewährleis-
53 S McGlynn ELRev 2001, 582, 585 ff. 54 E u G H , Slg 1969, 419 ff - Stauder, insb Rn 7. 55 EuGH, Slg 1985, 3539 Rn 34 - Adams. 56 Ausführlich die Kommentierung von Brüharm in: Grabitz/Hilf A 30.
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tungsgehalt von Art 8 I E M R K und des Europarats-Übereinkommens zum Schutz des Menschen bei der automatisierten Verarbeitung personenbezogener Daten ν 28. Januar 1981, das von allen EU-Mitgliedstaaten ratifiziert wurde." Die RL 2002/58/EG 58 präzisiert und ergänzt den vorgenannten Rechtsakt im Hinblick auf die Verarbeitung personenbezogener Daten im Bereich der Kommunikation mit elektronischen Medien. Die Gemeinschaft sowie ihre Organe und Einrichtungen werden über Art 286 EGV (Art 1-51 W E ) in die Verpflichtung zum Datenschutz nach Maßgabe der beiden Richtlinien einbezogen. Mit der VO 45/200159 wird als unabhängige Kontrollbehörde ein „Europäischer Datenschutzbeauftragter" geschaffen, der die Einhaltung der datenschutzrechtlichen Bestimmungen in bezug auf die Gemeinschaft überwachen soll.60 In Art 1 VO heißt es: „[Die Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft] gewährleisten nach den Bestimmungen dieser Verordnung den Schutz der Grundrechte und Grundfreiheiten und insbesondere den Schutz der Privatsphäre natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten [...]." Die materiellen Regelungen dieser VO sind teilweise geeignet, den Schutzbereich des Grundrechts zu konkretisieren. Personenbezogene Daten dürfen rechtmäßig nur verarbeitet werden, wenn (i) die Verarbeitung für die Wahrnehmung einer Aufgabe erforderlich ist, die aufgrund des Primär- oder Sekundärrechts im öffentlichen Interesse oder in legitimer Ausübung öffentlicher Gewalt ausgeführt wird, oder (ii) die Verarbeitung für die Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung des Datenverarbeitenden erforderlich ist, oder (iii) die Verarbeitung für die Erfüllung eines Vertrags erforderlich ist, oder (iv) die betroffene Person ohne jeden Zweifel ihre Einwilligung gegeben hat oder schließlich (v) die Verarbeitung für die Wahrung lebenswichtiger Interessen der betroffenen Person erforderlich ist. Generell untersagt ist die Verarbeitung personenbezogener Daten, aus denen die rassische oder ethnische Herkunft, politische Meinungen, religiöse oder philosophische Überzeugungen oder die Gewerkschaftszugehörigkeit hervorgehen sowie die Verarbeitung von Daten über die Gesundheit oder das Sexualleben. Ferner hat die betroffene Person das Recht, nicht einer Entscheidung unterworfen zu werden, die für sie rechtliche Folgen nach sich zieht oder sie erheblich beeinträchtigt und die ausschließlich aufgrund einer automatisierten Verarbeitung von Daten zum Zwecke der Bewertung einzelner Aspekte ihrer Person ergeht. Eine betroffene Person verfügt ua auch über Auskunftsrechte, mit einem Anspruch auf Berichtigung fehlerhafter Daten sowie das Recht, unter bestimmten Bedingungen die Sperrung und Löschung der Daten zu verlangen. Beschränkungen des Schutzbereichs sind gerechtfertigt, wenn sie notwendig sind für: (i) die Verhütung, Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten, (ii) ein wichtiges wirtschaftliches oder finanzielles Interesse eines Mitgliedstaats oder der Gemeinschaft, (iii) den Schutz der betroffenen Person oder der Rechte und Freiheiten anderer Personen,
57 Vgl auch EuGH, Slg 2000, 1-6751, Rn 33 f - Fisher, wonach die RL 95/46/EG auf Gemeinschaftsebene allgemeine Grundsätze übernahm, die in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten bereits anerkannt waren. Zum Anwendungsbereich der RL siehe auch Fall 3; zu der nach Art 29 der RL eingesetzten Datenschutzgruppe siehe Fn 84. 58 RL 2002/58 Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation, mit ausdrücklicher Bezugnahme auf Art 7 und Art 8 GRCh im zweiten Erwägungsgrund. 59 ABl 2001 L8/1. 60 S dazu den Beschluss Nr 1247/2002/EG des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission ν 1.7.2002 über die Regelungen und allgemeinen Bedingungen für die Ausübung der Aufgaben des Europäischen Datenschutzbeauftragten, ABl 2002 L 183/1.
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(iv) die nationale und die öffentliche Sicherheit sowie die Verteidigung der Mitgliedstaaten, (v) Kontroll-, Überwachungs- und Ordnungsaufgaben, die dauernd oder zeitweise mit der Ausübung öffentlicher Gewalt in den Fällen der Strafverfolgung oder der Existenz eines besonderen Interesses verbunden sind. Im Fall einer Beschränkung ist die betroffene Person über die wesentlichen Gründe für diese Einschränkung und ihr Beschwerderecht zum Europäischen Datenschutzbeauftragten zu unterrichten. Die neueste Rechtsprechung des Gerichtshofs legt ferner den symbiotischen Zusammenhang zwischen dem gemeinschaftsrechtlichen Datenschutzrecht und Art 8 Ε MR Κ offen. So sind nach der Leitentscheidung in der Rechtssache Österreichischer Rundfunk die in den Mitgliedstaaten unmittelbar anwendbaren Vorschriften der Datenschutzrichtlinie 95/ 46/EG im Lichte der Grundrechte, insb des Rechts auf Achtung des Privatlebens auszulegen. 61 Eine nationale Regelung über die Verarbeitung personenbezogener Daten ist somit - nach Ansicht des Gerichtshofs - an den grundrechtlich aufgeladenen Vorschriften des Sekundärrechtsaktes zu messen, so dass es im Ergebnis zu einer Art Grundrechtsschutz durch Richtlinien kommt. 62 Lösung Fall 3: Die Aufnahme von Einkommensdaten in Verbindung mit den Namen der Empfänger in einen Jahresbericht erfüllt nach Ansicht des Gerichtshofs den Tatbestand der „Verarbeitung personenbezogener Daten" im Sinne der RL 95/46. Die Weitergabe solcher Daten durch den Arbeitgeber an Dritte stellt einen Eingriff in die Privatsphäre im Sinne von Art 8 E M R K dar, der nur gerechtfertigt werden könne, wenn er gesetzlich vorgesehen sei, eines der in diesem Artikel genannten berechtigten Ziele verfolge und in einer demokratischen Gesellschaft für die Erreichung dieses Zieles notwendig sei. Da die Offenlegung der Namen in dem nationalen Gesetz nicht vorgesehen sei, hätten die österreichischen Gerichte zunächst zu prüfen, ob dieses Vorgehen dem Erfordernis der Vorhersehbarkeit entspreche. Die Voraussetzung eines berechtigten Zwecks sei hingegen klar erfüllt, weil die Offenlegung die sparsame und sachgerechte Verwendung öffentlicher Mittel durch die Verwaltung sicherstellen solle und damit auf das „wirtschaftliche Wohl des Landes" abstelle. Im Hinblick auf die Erforderlichkeit hätten die nationalen Gerichte zu prüfen, ob die Veröffentlichung der Namen in Verbindung mit deren Einkünften notwendig sei und ob es nicht ausreichen würde, die Öffentlichkeit nur über die vertraglich vereinbarten Bezüge und andere geldwerte Vorteile zu unterrichten. Sollte der Oberste Gerichtshof die österreichische Regelung für unvereinbar mit der E M R K (!) halten, so könne auch nicht mit der R L in Einklang stehen. Sollte das Gericht dagegen zu dem Ergebnis gelangen, dass die Regelung im Hinblick auf das mit ihr verfolgte, im Allgemeininteresse liegende Ziel sowohl notwendig als auch angemessen sei, so hätte es weiter zu prüfen, ob das bereits erwähnte Erfordernis der Vorhersehbarkeit erfüllt sei. Zu der Frage nach der unmittelbaren Anwendbarkeit der R L stellte der Gerichtshof fest, dass deren Vorschriften so genau seien, dass sich ein Einzelner vor den nationalen Gerichten auf sie berufen könne, um die Anwendung entgegenstehender Vorschriften des internen Rechts zu verhindern. Die Entwicklung des acquis communautaire im Hinblick auf den Datenschutz wird von der Grundrechtecharta aufgegriffen, die mit Art 8 ein Grundrecht auf den Schutz personenbezogener Daten enthält. Das Grundrecht ist, so die unter der Verantwortung des Prä61 EuGH, Slg 2003,1-4989, Rn 68 - Österreichischer Rundfunk ua. 62 Vgl dazu Siemen EuR 2004, 306, 316, dagegen kritisch Ruffert EuGRZ 2004,466 469 f.
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sidiums des Konvents verfassten Erläuterungen, 63 auf die vorgenannten Bestimmungen des Primär- und Sekundärrechts sowie der völkerrechtlichen Verträge gestützt. Beschränkungen sollen nach Maßgabe des Art 52 GRCh (Art II-l 12 W E ) möglich sein. b) Religionsfreiheit Eine umfassende grundrechtliche Garantie, die die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit umfasst, existiert auf Gemeinschaftsebene bislang nicht. Dieser Befund ist nicht überraschend, weil der Schutzbereich dieses klassischen Grundrechts nur geringe Überschneidungen mit den Kompetenzbereichen der EG aufweist und eine Gemeinschaftsrelevanz deshalb nicht unmittelbar zu Tage tritt. Eine ausdrückliche Kompetenz der E G mit Bezug zur Religion besteht nur im Zusammenhang mit dem Diskriminierungsverbot in Art 13 EGV (Art III-124 W E ) . Eine Entscheidung des EuGH enthält gleichwohl religionsrechtliche Aspekte, die die Annahme rechtfertigen, dass der E u G H bei einem entsprechenden Fall die Religionsfreiheit als gemeinschaftsrechtliches Grundrecht anerkennen würde.64 In der Rechtssache Prais65 hatte der EuGH über die Klage einer Engländerin jüdischen Glaubens zu entscheiden, die zu einem Auswahlverfahren für eine Stelle als Übersetzerin beim Rat eingeladen war, den konkreten Termin der schriftlichen Prüfung jedoch aufgrund religiöser Überzeugungen nicht wahrnehmen konnte. Die Teilnahme an einem späteren Prüfungstermin wurde ihr nicht gestattet. Die Parteien stritten darüber, ob ein neuer Termin für die Prüfung anzuberaumen gewesen wäre. Der EuGH stellte im Hinblick auf das Handeln des Rates fest: „wird ihm [dem Arbeitgeber] das durch die Konfession bedingte Hindernis rechtzeitig mitgeteilt, [so ist er verpflichtet,] alle sachgerechten Maßnahmen zu treffen ..., um zu vermeiden, dass die Prüfungen an einem Tag veranstaltet werden, an dem ein Bewerber wegen seiner religiösen Überzeugungen nicht erscheinen kann [...]." Allerdings sei nicht davon auszugehen, dass das Beamtenstatut oder die erwähnten Grundrechte die Anstellungsbehörde verpflichten, einen Konflikt mit einer religiösen Forderung zu vermeiden, von deren Existenz sie nicht unterrichtet wurde.66 In der Rspr des EuGH lassen sich weitere Fälle nachweisen, die einen Bezug zu „Religion oder einer anderen Form von Weltanschauung" haben. 67 Die entscheidungserheblichen Fragestellungen werden jedoch jeweils im Zusammenhang mit den Regelungen über die Grundfreiheiten und das allgemeine Diskriminierungsverbot beantwortet, so
63 Die Erläuterungen haben keine Rechtswirkung, sondern sollen die Bestimmungen der Charta im Licht der im Rahmen der Verhandlungen über das Ubereinkommen geführten Diskussionen erklären. 64 Als vom E u G H anerkanntes Grundrecht wird die Religionsfreiheit genannt von: Schweitzer!Hummer ER Rn 805; Streinz ER Rn 372, zurückhaltender ders in: Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche (31) 1997, 53, 82; Stumpf in: Schwarze Art 6 EUV Rn 25; nach Kingreen in Calliess/Ruffert Art 6 Rn 114, streift die Entscheidung in der Rechtssache Prais die Religionsfreiheit zumindest. 65 EuGH, Slg 1976, 1589ff - Prais. Dazu die Besprechungen von Pernice JZ 1977, 777ff, Rengeling DÖV 1977, 409 f und Hartley ELRev 1977, 45 ff. 66 EuGH, Slg 1976, 1589, Rn 12/19 - Prais. 67 EuGH, Slg 1974, 1337flF- van Duyn (Einreiseverweigerung einer Anhängerin der ScientologySekte); Slg 1986, 3097 fF - van Roosmalen (Sozialversicherungsschutz eines Missionars); Slg 1988, 6159 ff - Steymann (religiöse Lebensgemeinschaft als wirtschaftliche Betätigung oder Dienstleistung) und Slg 1989, 3851 ff - Torfaen Borough Council (Verkaufsverbot an Sonntagen).
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dass es in keiner der Entscheidungen einen Bezug zu einem Grundrecht auf Religionsfreiheit gibt.68 c) Freizügigkeit 51
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Die Freizügigkeit ist ein Grundrecht der Arbeitnehmer und ihrer Familien. Die Mobilität innerhalb der Gemeinschaft soll für den Arbeitnehmer eines der Mittel zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen und damit zur Erleichterung seines sozialen Aufstiegs sein, gleichzeitig wird der Bedarf der mitgliedstaatlichen Volkswirtschaften nach Arbeitskräften befriedigt. Deshalb sind alle Mitgliedstaaten verpflichtet, allen Arbeitnehmern aus den anderen Mitgliedstaaten das Recht zuzuerkennen, eine von ihnen gewählte Tätigkeit innerhalb der Gemeinschaft auszuüben.69 Die Freizügigkeit verlangt, dass alle Hindernisse beseitigt werden, die sich der Mobilität der Arbeitnehmer entgegenstellen, insb in Bezug auf das Recht des Arbeitnehmers, seine Familie nachkommen zu lassen und auf die Bedingungen für die Integration seiner Familie im Aufnahmeland.70 Das Grundrecht auf Freizügigkeit steht in einem Zusammenhang mit der gleichnamigen Grundfreiheit des Gemeinschaftsrechts (Art 39 ff EGV/Art III-133ff W E ) und dem ausführenden Sekundärrecht, insb der VO 1612/68.71 Aus diesem Zusammenhang ergeben sich auch die Voraussetzungen, unter denen eine Beschränkung des Grundrechts gerechtfertigt ist.72 Diese beruhen auf der Prämisse, dass die Fähigkeit der Grundrechtsberechtigten, den Lebensunterhalt für sich und den Familienverband außerhalb staatlicher Transferleistungen sicherstellen können, nicht gegeben ist. Nach einer neueren Entscheidung des Gerichtshofs werden die Finanzen des Aufnahmestaates dann nicht belastet, wenn die „ausreichenden finanziellen Mittel" nicht unmittelbar von dem berechtigten Unionsbürger aufgebracht werden, sondern etwa durch die Eltern gegenüber ihrem Kind bereit gestellt werden.73 Mit der RL 2002/38 über die Freizügigkeit der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen wird sich diese Rechtslage allerdings grundlegend verändern.74 Denn die RL, die bis zum 30.4.2006 von den Mitgliedstaaten umgesetzt werden muss, wird insb ein Recht auf Daueraufenthalt (Art 16 ff) einführen, das nach einem fünfjährigen ununterbrochenen Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat an keine Aufenthaltsbedingung mehr geknüpft ist. Auch die Rechte der Bürger und ihrer Familienangehörigen gleich welcher Nationalität werden insofern gestärkt, als die Möglichkeit der Mitgliedstaaten, aus Gründen der
68 Vgl ausführlich Heinig Öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften, 2003, S 380 ff und mit Anwendungsbeispielen S 468 ff. 69 Vgl den dritten Erwägungsgrund der VO 1612/68 und EuGH, Slg 1986, 1573, Rn 14 - Gül. 70 Vgl fünfte Begründungserwägung VO 1612/68. 71 Insoweit besteht ein enger Bezug zum Recht auf Achtung des Familienlebens. Vgl noch einmal Rn 36 f. 72 Vgl Rn 36. 73 EuGH, DVB1 2005, 100, Rn 29 ff - Chen ua; sa die Schlussanträge des Ersten GA Tizziano ν 18.5.2004 in dieser Sache (Rs C-200/02), Rn 73 ff - Chen ua. 74 RL 2004/38/EG über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der VO (EWG) 1612/68 und zur Aufhebung der RL 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG.
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öffentlichen Ordnung die Erteilung des Aufenthaltsrechts abzulehnen oder dieses Recht zu widerrufen, eingeschränkt wird (Art 28 f). d) Vereinigungsfreiheit Zu den in der Gemeinschaftsrechtsordnung geschützten Grundrechten gehört auch die Vereinigungsfreiheit. Das hat der Gerichtshof in seiner Entscheidung in der Rechtssache Bosman unter Bezugnahme auf Art 11 EMRK ausdrücklich festgestellt.75 Die in diesem Zusammenhang häufig zitierte Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Gewerkschaftsbund aus dem Jahr 1974 hat zwar einen thematischen Bezug zu diesem Grundrecht.76 Der EuGH spricht in den Gründen davon, dass Beamte nach Art 24a des Beamtenstatuts Vereinigungsfreiheit haben und insb Gewerkschaften oder Berufsverbänden angehören können. Einen Hinweis auf die grundrechtliche Verankerung dieses Rechts enthält die Entscheidung dagegen nicht.77 Die Grundrechtecharta gewährleistet die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit in Art 12 (Art 11-72 W E ) . 2.
Beeinträchtigung
Die Grundrechte zum Schutz der Persönlichkeit werden sowohl gegenüber Beeinträchtigungen der Gemeinschaftsorgane als auch gegenüber Handlungen der Mitgliedstaaten gewährleistet - es gelten die allgemeinen Regeln.78 3.
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Rechtfertigung
Für die Rechtfertigung einer Beeinträchtigung gelten die allgemeinen Lehren (—> § 14 Rn45ff). Wegen der besonderen Bedeutung des Grundrechts auf Achtung des Privatlebens sei ergänzend Folgendes hinzu gefügt: Eine Beeinträchtigung dieses Grundrechts ist unter zwei Voraussetzungen gerechtfertigt: Erstens muss die Beschränkung tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen der Gemeinschaft entsprechen, zweitens darf sie „nicht einen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff darstellen, der die so gewährleisteten Rechte in ihrem Wesensgehalt antastet." 79 Der EuGH unterlässt in den neueren Entscheidungen einen regelmäßigen und generalisierenden Bezug auf die Schranken des Art 8 II EMRK und die dort aufgezählten zulässigen Ziele einer Grundrechtsbeschränkung. Stattdessen wendet er die zitierte allgemeine Rechtfertigungsformel an,80 ohne dabei allerdings die materiellen Schrankenvorbehalte der EMRK aus den Augen zu verlieren. So entschied der EuGH, dass zu den Zielen, die eine Beschränkung des Rechts auf Achtung des Privatlebens rechtfertigen könnten, der Schutz der öffentlichen Gesundheit und des menschlichen Lebens gehören. Aus diesem Grund ist es den zuständigen Behörden eines Mitgliedstaates erlaubt, im Interesse des Schutzes der
75 EuGH, Slg 1995,1-4921, Rn 79 - Bosman; nachfolgend Slg 1999, M539, Rn 137 - Montecatini. 76 EuGH, Slg 1974, 917 ff - Gewerkschaftsbund europäischer öffentlicher Dienst. 77 Vgl aber Art 2 VO 2679/98 des Rates, der eine salvatorische Klausel formuliert, wonach die VO die Ausübung der nationalen Grundrechte - insb der Streikrechte oder -freiheiten - nicht beeinträchtigen darf. 78 S Rn 11 und § 14 Rn 45ff. 79 EuGH, Slg 1989, 2237, Rn 15 - Schräder; EuGH, Slg 1992,1-2575 Rn 23 - Kommission/Deutschland. 80 So auch Kingreen in Calliess/Ruffert Art 6 EUV Rn 142.
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öffentlichen Gesundheit die Einfuhr von Arzneimitteln, die in Einfuhrmitgliedstaat verschreibungspflichtig sind, zu kontrollieren. Diese Kontrollen müssen allerdings so ausgestaltet sein, dass sie den Erfordernissen, die sich aus dem Schutz der Grundrechte ergeben, entsprechen.81 Die Rechtssachen „Europäische Fluggastdaten",82 in denen es um die Rechtmäßigkeit der Ratifikation eines völkerrechtlichen Vertrages83 zwischen der EG und den Vereinigten Staaten von Amerika über die Übermittlung und Verarbeitung von Fluggastdaten geht, zeigen, dass es Konstellationen im Gemeinschaftsrecht gibt, in denen die möglicherweise ungerechtfertige Beeinträchtigung eines Grundrechts 84 nicht beseitigt werden kann, weil sich die Gemeinschaft auf der Ebene des Völkerrechts gegenüber einem anderen Staat zu einem bestimmten Verhalten verpflichtet hat (vgl Art 300 VII EGV).
III. Schutz der Kommunikation Leitentscheidungen: EuGH, Slg 2003, I-12489ff - RTL Television; Slg 2001, 1-1611 - Connolly = Ehlers JK 01, EGV Art 220/1; Slg 1997,1-3689ff - Familiapress = Erichsen JK 98, EGV Art 30/1; Slg 1994, 1-4795 ff - TV 10; Slg 1992, 1-5485fif- Ter Voort; Slg 1991, 1-2925 ff - Elliniki Radiophonia Tileorassi (ERT); Slg 1991, 1-4007 ff - Gouda; Slg 1991, 1-4069 ff Kommission/Niederlande; Slg 1989, 4285ff - Oyowe und Traore; Slg 1985, 2605ff - Cinetheque; Slg 1984, 19ff - VBVB und VBBB. Schrifttum: Mann/Ripke Überlegungen zur Existenz und Reichweite eines Gemeinschaftsgrundrechts der Versammlungsfreiheit, EuGRZ 2004, 125 ff; KoeniglKühling Der Streit um die Tabakproduktrichtlinie, EWS 2002, 12 ff; Hoffmeister Art 10 EMRK in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte 1994-1999, EuGRZ 2000, S 358 fT; Kühling Die Kommunikationsfreiheit als europäisches Gemeinschaftsgrundrecht, 1999, S llOff; SimmalWeilerlZöckler Kompetenzen und Grundrechte: Beschränkungen der Tabakwerbung aus der Sicht des Europarechts, Berlin 1999; Di Fabio Werbeverbote - Bewährungsprobe für europäische Grundfreiheiten und Grundrechte, AfP 1998, 564 ff.
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Das Recht auf freie Meinungsäußerung gehört zu den Grundrechten, deren Wahrung der EuGH in stRspr sichert. Der Gerichtshof charakterisiert die Meinungsäußerungsfreiheit als eines der „wesentlichen Grundrechte einer demokratischen Gesellschaft." Mit dieser Formulierung nimmt der Gerichtshof Bezug auf die einschlägige Gewährleistung der E M R K und die Rechtsprechung des EGMR. Das in Art 10 E M R K gewährleistete Recht auf freie Meinungsäußerung und die einschlägigen Entscheidungen des EGMR haben eine besondere Prägefunktion für die gemeinschaftliche Gewährleistung des Schutzes der Meinungsfreiheit und ihrer Ausformungen: der Presse-, Informations- und Rundfunkfreiheit.85 Die Entscheidungen des Straßburger Gerichtshofs sind deshalb von erheblicher Be-
81 EuGH, Slg 1992,1-2575, Rn 24 - Kommission/Deutschland. 82 EuGH, Rs C-317/04 - Parlament/Rat und Rs C-318/04 - Parlament/Kommission. 83 Beschluss des Rates ν 17.5.2004 über den Abschluss eines Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den Vereinigten Staaten von Amerika über die Verarbeitung von Fluggastdatensätzen und deren Übermittlung durch die Fluggesellschaften an das Bureau of Customs and Border Protection des United States Department of Homeland Security, ABl 2004 L 183/83. 84 Zur Rechtslage in den konkreten Rechtssachen siehe die Stellungnahme 4/2003 der Datenschutzgruppe gemäß Art 29 der RL 95/46/EG ν 13.6.2003, 5 ff und die Stellungnahme 2/2004 ν 29.1. 2004, 6 fT. 85 Vgl ausf Grabenwarter W D S t R L 60 (2001) 292, 325 ff mwN. 430
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deutung, weil die EuGH-Rspr noch immer fragmentarisch ist und wohl auch bleiben wird. Der EuGH ist für die Entwicklung seiner Rspr auf entsprechende grundrechtsrelevante Sachverhalte angewiesen. In nur wenigen Bereichen des Kommunikationssektors hat sich die Rspr zu einem Korpus an Entscheidungen verdichtet, der gesicherte dogmatische Aussagen über den grundrechtlichen Schutz der Kommunikation auf Gemeinschaftsebene erlaubt. Die nachfolgenden Erläuterungen konzentrieren sich deshalb auf die Leitentscheidungen in den relevanten Bereichen, dh dem Dienstrecht der Gemeinschaft, der Presse- und Rundfunkfreiheit sowie der „Wirtschaftswerbung" (kommerzielle Kommunikation). 1.
Schutzbereich
Fall 4: (EuGH, Slg 2001,1-1611 - Connolly = Ehlers JK Ol, EGV Art 220/1)86 Der Kommissionsbeamte C war Leiter eines Referates der Direktion für Währungsangelegenheiten in der Generaldirektion Wirtschaft (GD II) der Kommission. Seit 1991 legte C drei Mal Entwürfe von Aufsätzen über die Anwendung von Währungstheorien, die Entwicklung des europäischen Währungssystems und die Auswirkungen des Weißbuchs über die Zukunft Europas auf das Währungswesen vor, in denen er sich kritisch mit den behandelten Themen auseinander setzte. Der Dienstvorgesetzte verweigerte C die nach Art 17 II des Beamtenstatuts für die Veröffentlichung notwendige Zustimmung. Im April 1995 beantragte C Urlaub aus persönlichen Gründen für drei Monate ab Juli 1995, der ihm von der Kommission bewilligt wurde. Während des Urlaubs veröffentlichte C ein Buch mit dem Titel „The rotten heart of Europe. The dirty war for Europe's money." Die Zustimmung zur Veröffentlichung hatte C nicht beantragt. Anfang September 1995 erschienen in der europäischen und vor allem in der britischen Presse eine Reihe von Artikeln über dieses Buch. Nachdem er im Oktober 1995 seinen Dienst wieder aufgenommen hatte, wurde gegen ihn ein Disziplinarverfahren wegen Verletzung der Verpflichtungen aus dem Beamtenstatut eingeleitet. Ihm wurde vorgeworfen, er habe sein Buch veröffentlicht, ohne dafür zuvor die Zustimmung beantragt zu haben. Der Inhalt des Buches schade der Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion, zu der er durch seine Arbeit habe beitragen müssen, sowie dem Ansehen und dem Ruf der Kommission. Sein gesamtes Verhalten habe ferner das Ansehen seines Amtes beeinträchtigt. Nach der vorgesehenen Stellungnahme des Disziplinarrats wurde C im Januar 1996 ohne Aberkennung seines Anspruchs auf Ruhegehalt aus dem Dienst entfernt. Die 1996 beim Gericht erster Instanz erhobene Klage auf Aufhebung der Stellungnahme des Disziplinarrats und der Entscheidung über seine Entfernung aus dem Dienst wurde durch Urteil des Gerichts erster Instanz im Mai 1999 abgewiesen. Gegen diese Entscheidung hat C im Juli 1999 beim EuGH Rechtsmittel eingelegt. C trägt vor, die Entscheidung der Kommission, ihn aufgrund seiner BuchveröfTentlichung aus dem Dienst zu entfernen, verstoße gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung. Dieses Recht stehe ihm als Beamtem der EG auch auf den Gebieten zu, die von der Tätigkeit der Organe der Gemeinschaft erfasst würden. Das Gericht erster Instanz habe die Bedeutung des Rechts auf freie Meinungsäußerung in seiner Entscheidung verkannt.
86 Die Entscheidung des E u G ist veröffentlicht in Slg Ö D 1999, I-A-87 und 11-463, R n 153 - C o n nolly.
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a) Meinungsäußerungsfreiheit 61
Das Recht auf freie Meinungsäußerung in seinem Kerngehalt spielt auf Gemeinschaftsebene zunächst eine erhebliche Rolle im öffentlichen Dienstrecht der Gemeinschaft. Das Beamtenstatut 87 (BS) der Gemeinschaft erlegt den Bediensteten Pflichten auf, die den Schutzbereich dieses Grundrechts beeinträchtigen. Grundlegend für den Regelungsbereich des Dienstrechts vor dem Hintergrund der Meinungsäußerungsfreiheit ist die Entscheidung in der Rechtssache Oyowe und Traore.m Bei den Klägern handelte es sich um Bedienstete einer gemeinnützigen internationalen Vereinigung nach belgischem Recht, die im Auftrag der Kommission die Zusammenarbeit zwischen der Gemeinschaft und den Entwicklungsländern förderte. Die Kläger, die gleichzeitig Redakteure des alle zwei Monate erscheinenden AKP-Kuriers waren, beantragten die Ernennung zu Beamten der Kommission. Die Kommission lehnte diese Anträge mit der Begründung ab, dass die Kläger als Redaktionsmitglieder des Kuriers den besonderen Charakter der AKP-Staaten repräsentierten, was mit der Treuepflicht eines Beamten gegenüber der Gemeinschaft nicht vereinbar sei. Der EuGH verwarf diese Argumentation der Kommission und führte in der entscheidenden Passage der Urteilsgründe aus:„Schließlich darf die den Beamten nach dem Beamtenstatut gegenüber der Gemeinschaft obliegende Treuepflicht jedenfalls nicht so ausgelegt werden, dass sie im Widerspruch zur Freiheit der Meinungsäußerung steht. Diese ist ein Grundrecht, dessen Wahrung der Gerichtshof innerhalb der Gemeinschaftsrechtsordnung zu sichern hat und das besonders wichtig ist, wenn es sich wie im vorliegenden Fall um Journalisten handelt, deren wichtigste Aufgabe es ist, völlig unabhängig von den Standpunkten sowohl der AKP-Staaten als auch der Gemeinschaften zu schreiben."89
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Die allgemeine Treuepflicht der Beamten wird, wie im öffentlichen Dienstrecht üblich, durch spezifische Pflichten konkretisiert. In diesem Zusammenhang hat das in Art 17 II BS enthaltene Verbot, Texte, die sich auf die Tätigkeit der Gemeinschaft beziehen, ohne Zustimmung der Anstellungsbehörde weder allein noch in Zusammenarbeit mit Dritten zu veröffentlichen oder veröffentlichen zu lassen, den Anlass für mehrere richtungsweisende Entscheidungen des EuGH gegeben. In der Rechtssache Connolly legte der EuGH Art 17 II BS grundrechtskonform aus. Die Ermächtigung der Organe, die Zustimmung zu einer Veröffentlichung eines Bediensteten zu versagen, schaffe die Rechtsgrundlage für einen schwerwiegenden Eingriff in die Freiheit der Meinungsäußerung. Da diese eine der wesentlichen Grundlagen einer demokratischen Gesellschaft darstelle, sei die Vorschrift eng auszulegen. Danach dürfe die Zustimmung nur dann versagt werden, wenn die Veröffentlichung geeignet sei, den Interes-
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87 VO (EG, EGKS, Euratom) 2594/98 zur Änderung der VO (EWG, Euratom, EGKS) 259/68 zur Festlegung des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften und der Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten dieser Gemeinschaften. 88 EuGH, Slg 1989, 4285ff - Oyowe und Traore. Einen Bezug zur Meinungsäußerungsfreiheit weisen bereits die Entscheidungen in EuGH, Slg 1960, 1117ff - Fiddelaar und EuGH, Slg 1982, 4625 ff - Cowood auf. In beiden Fällen setzte sich der Gerichtshof jedoch nicht mit dem Grundrecht auseinander; zum Zeitpunkt der Entscheidung in der Rechtssache Fiddelaar war der Grundrechtsschutz durch den EuGH noch nicht anerkannt, in der Rechtssache Cowood wurde der von dem Kläger gerügte Verstoß gegen die Meinungsäußerungsfreiheit nur in den Parteivortrag aufgenommen. 89 EuGH, Slg 1989,4285, Rn 16 - Oyowe und Traore.
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sen der Gemeinschaften einen schweren Schaden zuzufügen.90 Die Anstellungsbehörde ist deshalb verpflichtet, bei der Anwendung der Vorschrift die betroffenen Interessen gegeneinander abzuwägen. Dabei muss sie einerseits die Interessen des Beamten berücksichtigen, mündlich oder schriftlich Meinungen zu äußern, die von denen des Gemeinschaftsorgans abweichen und dort Minderheitsmeinungen darstellen. Andererseits muss sie den Grad der Beeinträchtigung der Gemeinschaftsinteressen, die sich aus der beabsichtigten Meinungsäußerung ergäben, in ihre Abwägung einstellen. Bei dieser Abwägung im Rahmen der Anwendung des Art 17 II BS kann allerdings nur eine anhand „konkreter, objektiver Umstände dargelegte tatsächliche Gefahr einer schweren Beeinträchtigung der Interessen der Gemeinschaften" berücksichtigt werden. Diese Umstände müssen dem Beamten zeitgleich mit der Versagungsentscheidung, spätestens mit der Entscheidung mitgeteilt werden, mit der eine eventuelle Beschwerde zurückgewiesen wird. Dem Gemeinschaftsrichter soll dadurch ermöglicht werden, die Entscheidung, mit der die Zustimmung zu einer Veröffentlichung versagt wird, auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen. Daneben muss auch der betroffene Beamten unterrichtet werden, um selbst die Richtigkeit der Entscheidung beurteilen zu können. Dass diese Kriterien eng ausgelegt werden und den Gemeinschaftsorganen ein nur sehr eingeschränkter BeurteUungsspielraum zugestanden wird, zeigen die Entscheidungen in der Rechtssache Cwik. Das EuG hatte in dem Ausgangsverfahren der Klage des Kommissionsbeamten Cwik stattgegeben und die Entscheidung der Kommission, die Zustimmung zur Veröffentlichung eines Vortrags zu versagen, aufgehoben. Der Kläger hatte zu einem früheren Zeitpunkt die Zustimmung seiner Vorgesetzten erhalten, im Rahmen des 5. Internationalen Kongresses für Wirtschaftskultur einen Vortrag über die „wirtschaftspolitische Feinsteuerung" in der WWU zu halten. Die Zustimmung war lediglich mit einigen Anmerkungen versehen worden, die eine „klassischere Darstellung" anmahnten und auf die Gefahren des „fine-tunings" hinwiesen. Nachdem der Kläger den Vortrag gehalten hatte, beantragte er die Zustimmung zur Veröffentlichung des Manuskripts. Der Dienstvorgesetzte holte mehrere Stellungnahmen qualifizierter Mitarbeiter ein und verweigerte schließlich die Zustimmung mit der Begründung, die geäußerten Auffassungen entsprächen nicht der Kommissionslinie. Das EuG hob diese Entscheidung unter Hinweis auf die Bedeutung der Meinungsfreiheit auf." Der EuGH bestätigte die Auffassung des EuG, dass in dem konkreten Fall weitere Faktoren zu berücksichtigen gewesen seien. Der Kläger habe erstens keine Leitungsverantwortung getragen, sich zweitens mit seinem Manuskript an ein Fachpublikum gerichtet und drittens habe die Kommission sich zu dem in Rede stehenden Zeitpunkt bereits öffentlich auf einen Standpunkt festgelegt.92 Der in den Entscheidungsgründen des EuGH wiedergegebene Vortrag der Kommission zeigt, dass die in der Rechtssache Connolly entwickelten Grundsätze von dem Gemeinschaftsorgan in einem sehr weiten Sinn verstanden und angewendet wurden. Die Entscheidung in der Rechtssache Cwik hat somit eine weitere Präzisierung der grundrechtlich geschützten Meinungsäußerungsfreiheit von Beamten der Gemeinschaft herbeigeführt. Eine weitere Rechtsmittelentscheidung des EuGH betraf die Vereinbarkeit der beamtenrechtlichen Pflicht zur Zurückhaltung mit dem Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit
90 EuGH, Slg 2001,1-1611, Rn 53 - Connolly = Ehlers JK 01, EGV Art 220/1. 91 EuG, Slg Ö D 2000,1-A-155 und 11-713, Rn 66 ff - Cwik. 92 EuGH, Slg 2001,1-10269, Rn 14 ff und 23 ff-Cwik.
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gegenüber dem Vorgesetzen. Der Gerichtshof entschied, dass die in Art 12 und 21 BS konkretisierte Pflicht zur Zurückhaltung nicht eng ausgelegt werden dürfe, wenn ein Beamter das ihm nach Art 43 II BS zustehende Recht ausübe, indem er einer ihm mitgeteilten Beurteilung eigene Bemerkungen hinzufüge. „Ein Verstoß gegen diese Pflicht kann daher nur dann angenommen werden, wenn der Beamte grob beleidigende oder solche Ausdrücke verwendet, die den dem Beurteilenden geschuldeten Respekt in erheblichem M a ß vermissen lassen." 93 Lösung Fall 4: Die Anstellungsbehörde hat in der Entscheidung über die Entfernung aus dem Dienst einen Verstoß des C gegen Art 17 II BS festgestellt. C habe nicht die Zustimmung zur Veröffentlichung für sein Werk beantragt. Er hätte jedoch erkennen müssen, dass ihm diese Zustimmung aus denselben Gründen versagt werden würde, aus denen ihm bereits zuvor die Zustimmung zur Veröffentlichung verschiedener Aufsätze vergleichbaren Inhalts versagt worden war. Schließlich habe C durch sein Verhalten die Interessen der Gemeinschaften schwer beeinträchtigt und das Erscheinungsbild sowie das Ansehen der Kommission geschädigt. Der EuGH wies die Rüge einer Verletzung des Rechts auf freie Meinungsäußerung deshalb zurück, so dass die Klage des C keinen Erfolg hatte. Das Erfordernis einer vorherigen Zustimmung zur Veröffentlichung dient dem berechtigten Zweck, dass ein sich auf die Tätigkeit der Gemeinschaften beziehender Text nicht deren Interessen, insb das Ansehen und das Erscheinungsbild eines Gemeinschaftsorgans, beeinträchtigen darf. Art 17 II BS ist keine Bestimmung, die, gemessen am Ziel des Gemeinwohlschutzes, unverhältnismäßig wäre. Aus der Bestimmung lässt sich nicht herleiten, dass die Regelung der vorherigen Zustimmung dem betroffenen Organ die Ausübung einer unbeschränkten Zensur ermöglicht. Die vorherige Zustimmung zur Veröffentlichung ist nur dann erforderlich, wenn der Text, den der betroffene Beamte veröffentlichen oder veröffentlichen lassen will, sich auf die Tätigkeit der Gemeinschaften bezieht. Darüber hinaus stellt die Bestimmimg kein vollständiges Veröffentlichungsverbot auf, was als solches den Wesensgehalt des Rechts auf freie Meinungsäußerung berühren würde. Vielmehr macht Art 17 II 2 BS eindeutig die Gewährung der Zustimmung zur Veröffentlichung zum Grundsatz. Die Zustimmung darf nämlich nur versagt werden, wenn die geplante Veröffentlichung geeignet ist, die Interessen der Gemeinschaften zu beeinträchtigen. Da eine ablehnende Entscheidung im Übrigen gemäß den Art 90 und 91 BS angefochten werden kann, kann ein betroffener Beamter die Maßnahme des Gemeinschaftsorgans vom Gemeinschaftsrichter überprüfen lassen. Die durch Art 17 II BS vorgeschriebene Förmlichkeit dient zudem der Vorbeugimg. Durch die Bestimmung kann verhindert werde, dass die Interessen der Gemeinschaften gefährdet werden und dass nach der Veröffentlichung eines Textes, der die Interessen der Gemeinschaften zu beeinträchtigen geeignet ist, gegen den Beamten durch das Gemeinschaftsorgan eine Disziplinarstrafe verhängt werden muss. Im Licht sämtlicher vorstehender Argumente betrachtet, lässt sich der Entscheidung über die Entfernung des C aus dem Dienst nicht entnehmen, dass die Zuwiderhandlung gegen Art 17 II BS auch dann festgestellt worden wäre, wenn die Interessen der Gemeinschaften in keiner Weise beeinträchtigt worden wären. Die Tragweite, die die Kommission dieser Bestimmung beigemessen hat, erscheint daher nicht als über den verfolgten Zweck hinausgehend und verstößt somit nicht gegen den Grundsatz der freien Meinungsäußerung.
93 EuGH, Slg 1999,1-8877 ff, Rn 15 - Wirtschafts- und Sozialausschuss/E.
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b) Presse- und Rundfunkfreiheit A m Anfang der Rspr über die Presse- und Rundfunkfreiheit, als Ausformungen des Schutzbereichs der Meinungsäußerungsfreiheit, steht die Entscheidung des E u G H in der Rechtssache „flämische Bücher".94 Anlass für das Verfahren war eine Entscheidung der Kommission auf G r u n d der alten KartellVO N r 17, mit der eine Vereinbarung zwischen dem flämischen und niederländischen Verleger- und Buchhändlervereinigungen als unvereinbar mit Art 81 I EGV/Art III-161 W E (Art 85 I EGV aF) erklärt wurde. Die Vereinbarung sah eine vertikale Preisbindung und Alleinvertriebsrechte vor. Die Klägerinnen waren ua der Ansicht, dass die Kommissionsentscheidung gegen die Meinungsäußerungsfreiheit verstoße, weil das System der vertikalen Preisbindung die Vielfalt der veröffentlichte Titel fördere, die Veröffentlichung schwer verkäuflicher Werke sicherstelle und andernfalls das Verlagswesen von staatlichen Subventionen abhängig würde. Der E u G H wies diese Argumentation im konkreten Fall zurück, da die Klägerinnen keinen tatsächlichen Zusammenhang zwischen der Kommissionsentscheidung und der Meinungsfreiheit substantiiert dargelegt hatten. Gleichwohl ist den Gründen ausdrücklich zu entnehmen, dass der E u G H die Pressefreiheit - in den Entscheidungsgründen wird der Begriff „Veröffentlichungsfreiheit" verwendet - sowohl auf der Ebene des Verlegers als auch auf der der Vertriebsunternehmen gewährleistet sieht. 95
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Die grundrechtlichen Aspekte der Buchpreisbindung haben in jüngerer Zeit wieder größere Aufmerksamkeit erlangt, weil die Kommission ein wettbewerbsrechtliches Untersuchungsverfahren gegen die grenzüberschreitende Preisbindung des Buchhandels in Deutschland und Österreich sowie in der Schweiz eingeleitet hat. 96 Die Bedeutung der Rundfunkfreiheit auf Gemeinschaftsebene spiegelt die sog FernsehRichtlinie wider. 97 Die Richtlinie erkennt in der achten Begründungserwägung ausdrücklich an, dass die Dienstleistungsfreiheit in ihrer Anwendung auf die Ausstrahlung und Verbreitung von Fernsehsendungen eine spezifische gemeinschaftsrechtliche Ausprägung des allgemeineren Prinzips der Freiheit der Meinungsäußerung im Sinne des Art 10 I E M R K ist. Die gemeinschaftliche Dienstleistungsfreiheit sieht den freien Verkehr von Dienstleistungen unbeschadet ihres kulturellen oder sonstigen Inhalts vor. Ferner bestehen keine Beschränkungen für Angehörige der Mitgliedstaaten, die in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen des Leistungsempfängers ansässig sind. Nationale Rechtsakte betreffend die Ausstrahlung und Verbreitung von Fernsehprogrammen müssen deshalb sicherstellen, dass diese Tätigkeit im Lichte des Art 10 E M R K ausgeübt und nur im Rahmen des Art 10 II E M R K und Art 46 I EGV (Art III-140 I W E ) beschränkt werden darf. Der Gerichtshof hat in seiner Entscheidung in der Rechtssache Elliniki Radiophonia Tileorassi (ERT) anerkannt, dass die Beschränkungen aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit unter Beachtung der in Art 10 E M R K verbürgten Mei-
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94 EuGH, Slg 1984, 19 ff - VBVB und VBBB. 95 EuGH, Slg 1984, 19, Rn 34 - VBVB und VBBB. 96 Vgl Ascherfeld Presse-Grosso und Europarecht: eine Untersuchung der kartell- und grundrechtlichen Aspekte des deutschen Presse-Großhandels im Europarecht unter besonderer Berücksichtigung der parallelen Problemlagen bei der Buchpreisbindung, 2. Aufl 2001; Blanke/Kit: JZ 2000, 118 ff; Everling Buchpreisbindung im deutschen Sprachraum und Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1997. 97 RL 89/552/EWG ABl 1989 L 298/23.
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nungsfreiheit zu beurteilen sind.98 In seiner Entscheidung in der Rechtssache RTL Television sah der Gerichtshof den Eingriff in Art 10 I E M R K auf Grund von Maßnahmen gegen übermäßige Werbung als gerechtfertigt an, weil der Schutz der Zuschauer als Verbraucher sowie deren Interesse, Zugang zu Programmen guter Qualität zu haben, ein legitimes Ziel sei.99 Da die Begrenzung der Zahl an Werbeblöcken in Fernsehfilmen nicht auf den Inhalt der Werbebotschaft ziele, alle Veranstalter treffe und sie grundsätzlich den Zeitpunkt der Unterbrechung festlegen könnten, seien die in der Richtlinie vorgesehenen einschränkenden Maßnahmen auch verhältnismäßig. 100 c) Kommerzielle Kommunikation 72
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Ein dritter Bereich des gemeinschaftlich gewährleisteten Rechts auf freie Meinungsäußerung lässt sich unter dem Stichwort kommerzielle Kommunikation zusammenfassen. Darunter sind sämtliche Formen der Kommunikation zu verstehen, „die auf die Förderung des Absatzes von Produkten oder Dienstleistungen bzw des Image eines Unternehmens oder einer Organisation gegenüber den Endverbrauchern und/oder Vertriebsunternehmen abzielen."101 Der Begriff umfasst alle Formen der Werbung, des Direktmarketings, Sponsorings, der Verkaufsförderung und der Öffentlichkeitsarbeit. 102 Der EGMR 103 und der UN-Menschenrechtsausschuss 104 haben anerkannt, dass die Übermittlung und der Empfang von Meinungen, Nachrichten oder Ideen zu kommerziellen Zwecken in den Schutzbereich des Rechts auf freie Meinungsäußerung fallen. Gleichwohl werden diese Ausformungen des Rechts auf freie Meinungsäußerung nicht in demselben Umfang geschützt wie politische oder gesellschaftliche Meinungsäußerungen. Hingegen hat sich der EuGH zu dieser Frage noch nicht explizit geäußert. Eine Gelegenheit, über den Umfang des grundrechtlichen Schutzes der „commercial speech" zu entscheiden, bot das Verfahren über die Rechtmäßigkeit der sog TabakwerbeRichtlinie105. Die Richtlinie verbot generell jede Form von Werbung und Sponsoring für Tabakerzeugnisse in der Gemeinschaft. Das Verbot umfasste sowohl direkte Werbung als auch die indirekte Werbung beispielsweise in Form von Diversifizierungsprodukten. Deutschland hatte gegen den Rechtsakt eine Nichtigkeitsklage erhoben und ua vorgetra-
98 EuGH, Slg 1991, 1-2925, Rn 45 - ERT. Vgl für den Zusammenhang mit der Fernseh-Richtlinie auch die Schlussanträge von GA Lenz in dieser Rechtssache, Rn 49 ff. 99 EuGH, Slg 2003, 1-12489, Rn 70ff - RTL Television. Der Gerichtshof weist in diesem Zusammenhang auf seine Rspr hin, dass der Schutz der Verbraucher gegen ein Übermaß an kommerzieller Werbung und die Erhaltung einer bestimmten Programmqualität im Rahmen der Kulturpolitik Ziele seien, die Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs durch die Mitgliedstaaten rechtfertigen könnten, vgl EuGH, Slg 1991, 1-4007, Rn 27 - Stichting; Slg 1999, 1-7599, Rn 50 - ARD. 100 EuGH, DVB12004, 185, Rn 72 - RTL Television. 101 Vgl das Grünbuch der Kommission, Kommerzielle Kommunikation im Binnenmarkt, KOM (96) 192 endg, S 7 und das Nachfolgedokument KOM (98) 121 endg. 102 Im anglo-amerikanischen Sprachraum wird auch der Begriff „commercial speech" verwendet. 103 S EGMR, EuGRZ 1996, 392 - markt intern Verlag GmbH und Klaus Beerman; Serie A Vol 173 Groppera Radio AG; Series A Vol 258-D - Colman; Serie A, Vol 285, Rn 35 f - Casado Coca; RJD 2001-VI, 243 - VGT Verein gegen Tierfabriken. 104 Communications Nr. 359/1989 und 385/1989 Ballantyne Davidson Mclntyre, Entscheidung ν 31.3.1993, CCPR/C/47/D/359/1989 und 385/1989/Rev 1. 105 RL 98/43 EG.
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gen, dass die RL Art 10 EMRK verletze, weil die betroffenen Unternehmen die Öffentlichkeit nicht mehr über ihre Produkte unterrichten könnten. In seinen Schlussanträgen vertrat GA Fennelly die Ansicht, dass Informationen wirtschaftlicher Natur auch im Gemeinschaftsrecht geschützt sein sollten. Solche Informationen würden zwar nicht in derselben Weise wie politische, journalistische, literarische oder künstlerische Meinungen in einer liberalen demokratischen Gesellschaft zur Erreichung gesellschaftlicher Ziele beitragen. Die Grundrechte würden jedoch nicht nur wegen ihrer instrumentalen, gesellschaftlichen Funktion anerkannt, sondern auch deswegen, weil sie für die Autonomie, die Würde und die Persönlichkeitsentwicklung erforderlich seien.106 Weiter heißt es in den Schlussanträgen: „Die Freiheit der Bürger, ihre wirtschaftliche Betätigung durch Äußerungen zu fördern, fließt daher nicht nur aus ihrem Recht auf wirtschaftliche Betätigung und im Gemeinschaftskontext aus der allgemeinen Verpflichtung auf eine auf den freien Wettbewerb gestützte Marktwirtschaft, sondern auch aus ihrem ursprünglichen Anspruch als Menschen, Ansichten zu jeder Frage einschließlich der Qualität von Waren oder Dienstleistungen, die sie verkaufen oder erzeugen, auszudrücken und zu empfangen." In seiner Entscheidung erklärte der EuGH die Tabakwerbe-Richtlinie bereits wegen einer ungeeigneten Rechtsgrundlage für nichtig. Die weiteren Klagegründe prüfte er deshalb nicht. Die seit Jahren umstrittene Regulierung der Tabakwerbung durch die Gemeinschaft bleibt allerdings auch nach der vielbeachteten Entscheidung zur TabakwerbeRichtlinie von großer Bedeutung für die Meinungsäußerungsfreiheit. Mit dem Inkrafttreten der sog Tabakprodukt-Richtlinie wird insb die Frage der negativen Meinungsfreiheit thematisiert. Die Tabakprodukt-Richtlinie107 hat zwei bestehende Rechtsakte geändert und zusammengefasst. Die Etikettierungs-Richtlinie108 sah in ihrer zuletzt gültigen Fassung vor, dass auf allen Verpackungen von Tabakerzeugnissen der Teer- und Nikotingehalt anzugeben und zusätzlich Warnhinweise aufzudrucken sind („Die EG-Gesundheitsminister warnen:"). Daneben wurde durch die RL 90/239/EWG erstmals ein Grenzwert für den höchstzulässigen Teergehalt von Zigaretten verbindlich festgesetzt. Die TabakproduktRichtlinie verschärft nicht nur die Anforderungen an die Aufklärungs- und Warnhinweise auf den Verpackungen von Tabakerzeugnissen. So sollen die reservierten Flächen auf den Verpackungen vergrößert, neue Hinweise eingeführt und die Möglichkeit zum Aufdruck von Fotos und Darstellungen geschaffen werden. Bemerkenswert ist, dass es nach Art 5 VIII RL nur noch im Ermessen der Mitgliedstaaten steht, ob nach ihren nationalen Vorschriften in den Warnhinweisen die verantwortliche, die Warnung aussprechende Stelle genannt werden muss.109 Auf Grund dieser Regelung liegt die Schlussfolgerung nahe, dass nach dem Gemeinschaftsrecht die Warnhinweise nicht zwingend als Wiedergabe einer erkennbar fremden Meinung gestaltet werden müssen." 0 Geht man davon aus, dass der
106 Schlussanträge GA Fennelly, Slg 2000,1-8423, Rn 153 f unter Hinweis auf EGMR, Serie A, Vol 24 Rn 49 - Handyside. 107 RL 2001/37/EG. 108 RL 89/662/EW, geändert durch RL 92/41/EWG. 109 Art 5 VIII lautet: „Die Mitgliedstaaten können vorschreiben, dass zu den in den Absätzen 2 und 4 aufgeführten Warnhinweisen außerhalb der für diese vorgesehenen Umrandung die Behörde genannt wird, von der der Hinweis stammt". 110 Vgl BVerfGE 95, 173, 181 ff = Erichsen JK 97, GG Art 12 1/45 zum deutschen Umsetzungsakt der Etikettierungs-Richtlinie.
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Gemeinschaftsgesetzgeber stets den Willen zu grundrechtskonformem Handeln hat, erlaubt diese Regelung einen Rückschluss auf den Umfang des Schutzbereichs der negativen Meinungsäußerungsfreiheit. 111 In Zusammenhang mit der Informationsfreiheit ist schließlich auf die Entscheidung in der Rechtssache Grogan hinzuweisen. In dem Vorabentscheidungsverfahren ging es um das irische Verbot, Informationen über Kliniken, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, in anderen Mitgliedstaaten zu verbreiten. Der EuGH lehnte eine Überprüfung der irischen Maßnahme am Maßstab der Unionsgrundrechte ab. Das Verhalten der beklagten Studenten, die entgegen dem irischen Verbot solche Informationen veröffentlicht hatten, und den ärztlichen Dienstleistungen in anderen Mitgliedstaaten seien „zu lose" verbunden, um in den Anwendungsbereich der Dienstleistungsfreiheit zu fallen.112 Hingegen argumentierte Generalanwalt van Gerven in seinen Schlussanträgen, dass aus der Dienstleistungsfreiheit durchaus das Recht folge, sich im eigenen Mitgliedstaat ungehindert Informationen über die in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Erbringer von Dienstleistungen zu beschaffen. Eine solche Auslegung des Gemeinschaftsrechts sah der Generalanwalt in Übereinstimmung mit Art 10 EMRK. 113 d) Informationsfreiheit
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Der Prozess des Sich-Informierens, dh der Zugang, das Empfangen und Weitergeben, Speichern und Verarbeiten von Daten ist die Grundlage für die Ausübung einer weit verstandenen Meinungsäußerungsfreiheit. Die Tendenzen in der Europäischen Union, ein eigenständiges Recht auf Informationsfreiheit zu etablieren,114 können nur eine schwache Resonanz hervorrufen, weil dessen in Aussicht genommener Schutzbereich - soweit er nicht ohnehin von der Meinungsfreiheit erfasst wird - von der gemeinschaftsspezifischen Gewährleistung auf ein Recht auf Dokumentenzugang115 abgedeckt wird. Der weiterreichenden Subjektivierung des rechtsstaatlichen Gedankens der Transparenz sollte im Bereich der Unionsgrundrechte kein Raum gegeben werden. e) Versammlungsfreiheit
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In der Rechtssache Schmidberger, die die rechtliche Würdigung einer mehrstündigen Blockade der Brennerautobahn durch umweltpolitisch motivierte Demonstranten zum Gegenstand hatte, setzte sich der Gerichtshof intensiv mit den Voraussetzungen auseinander, nach denen die Meinungs- und Versammlungsfreiheit rechtmäßig eingeschränkt werden können.116 Der Gerichtshof nahm in seinem Urteil dabei unter Hinweis auf Art 11 E M R K an, dass es sich bei der Versammlungsfreiheit um einen allgemeinen Grundsatz
111 Einen Verstoß der Etikettierungspflicht gegen die negative Meinungsfreiheit prüfen ausführlich KoeniglKühling EWS 2002, 12, 13 ff, vgl auch Schroeder EuZW 2001,489 ff. 112 EuGH, Slg 1991, 1-4685, Rn 24 und 31 - Grogan, vgl dazu die Entscheidung des EGMR, EuGRZ 1992,484 ff - Open Door. 113 Schlussanträge GA van Gerven, Slg 1991,1-4703, Rn 19 - Grogan. 114 Vgl insb Art 11-71 I W H und Kröger Informationsfreiheit im Gemeinschaftsrecht, Datenschutz und Datensicherheit 2003, S 473 ff. 115 S dazu den Bericht der Kommission über die Anwendung der Grundsätze der Verordnung (EG) Nr 1049/2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission, KOM (2004) 45 ν 30.1.2004, S 6 f. 116 EuGH, Slg 2003,1-5659, Rn 77 ff - Schmidberger = Schoch JK 11/03, EGV Art 28/3.
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des Gemeinschaftsrechts handelt. 117 Die Entscheidung betont in besonderer Weise, dass das Recht, sich friedlich zu versammeln eine Form der kollektiv ausgeübten Meinungsäußerungsfreiheit ist. 2.
Beeinträchtigung
Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist gegen Beeinträchtigungen durch die Gemeinschaftsorgane geschützt. Der EuGH beurteilt darüber hinaus auch mitgliedstaatliche Maßnahmen am Maßstab des Unionsgrundrechts, wenn eine nationale Regelung in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts fallt. Wird der Gerichtshof im Vorabentscheidungsverfahren angerufen, dann gibt er dem vorlegenden Gericht alle Auslegungskriterien an die Hand, die es benötigt, um die Vereinbarkeit der streitbefangenen Regelung mit den Unionsgrundrechten zu überprüfen." 8 Dieser Grundsatz gilt ausdrücklich auch für den Fall, dass sich ein Mitgliedstaat auf die Ausnahmetatbestände der Grundfreiheiten 119 beruft, um eine nationale Maßnahme zu rechtfertigen, die eine Grundfreiheit beschränkt. Die Ausnahmetatbestände des EGV gelten daher für die betreffende nationale Regelung nur dann, wenn sie im Einklang mit den Unionsgrundrechten stehen. Eine interessante und wenig beachtete Problematik ist die Beeinträchtigung der Kommunikation in der EU durch die Geheimdienste der Mitgliedstaaten und vor allem ausländischer Staaten. Während die mitgliedstaatliche Aufklärungstätigkeit sich noch in den Kategorien des Gemeinschaftsrechts fassen lässt,120 stößt dieses in Sachen ausländischer Spionagetätigkeit - vorerst - an seine Grenzen. Ein nichtständiger Ausschuss des Europäischen Parlaments befasste sich in der fünften Wahlperiode mit der Existenz eines globalen Abhörsystems für private und wirtschaftliche Kommunikation und kam zu dem Ergebnis, dass ua Art 8 E M R K Eingriffe nur zur Gewährleistung der nationalen Sicherheit zulasse, sofern die Regelungen im innerstaatlichen Recht niedergelegt und allgemein zugänglich seien und festlegten, unter welchen Umständen und Bedingungen die Staatsgewalt sie vornehmen dürfe.121 3.
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Rechtfertigung
Die Rechtfertigung von Beeinträchtigungen des Rechts auf freie Meinungsäußerung folgt prinzipiell den allgemeinen Regeln, insoweit gelten die Ausführungen im Rahmen der allgemeinen Grundrechtslehren. 122 Wie bei der Bestimmung des Schutzbereichs übernimmt der EuGH in erheblichem Umfang den Inhalt der in Art 10 II E M R K normierten Grundrechtsschranke: Das Grundrecht kann Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen
117 Die Existenz der Versammlungsfreiheit als allgemeinen Rechtsgrundsatz hatte der Gerichtshof bereits in der Rechtssache Montecatini festgestellt, EuGH, Slg 1999,1-4539, Rn 137. 118 EuGH, Slg 1991,1-2925, Rn 42 - ERT; Slg 1985,2605, Rn 26 - Cinetheque. 119 Vgl Art 30, 46 und 55 EGV. 120 Informativ zu den koordinierten Uberwachungsmaßnahmen der Mitgliedstaaten das Arbeitsdokument des Berichterstatters Schmid im nichtständigen EP-Ausschuß über das Abhörsystem, Dok-Nr PE 294.997,4 ff. 121 Entschließung des EP zu der Existenz eines globalen Abhörsystems für private und wirtschaftliche Kommunikation (Abhörsystem Echelon) ν 5.9.2001, ABl 2002 C 72 E/221. Dazu der ausf und materialreiche Bericht des Berichterstatters Schmid ν 11.7.2001, A5-0264/2001 endg, zugänglich unter http://www.europarl.eu.int/tempcom/echelon/pdf/rapport_echelon_de.pdf. 122 S -> § 14 Rn 45ff.
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oder Strafdrohungen unterworfen werden. Sie müssen gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein. Die Beeinträchtigungen müssen im Interesse der nationalen Sicherheit, der territorialen Unversehrtheit oder der öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung oder der Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral, zum Schutz des guten Rufes oder der Rechte anderer, zur Verhinderung der Verbreitung vertraulicher Informationen oder zur Wahrung der Autorität und der Unparteilichkeit der Rspr unentbehrlich sein. Der E u G H legt diese Einschränkungen eng aus, da das Eigenschaftswort „unentbehrlich" ein zwingendes gesellschaftliches Bedürfnis bedeute. Die Mitgliedstaaten verfügen über einen gewissen Ermessensspielraum bei der Entscheidung, ob ein derartiges Bedürfnis vorliegt. Der Eingriff muss jedoch im rechten Verhältnis zu dem verfolgten berechtigten Zweck stehen, und die Gründe, auf die sich die nationalen Behörden für seine Rechtfertigung berufen, müssen zutreffend und ausreichend sein.123 84
Über diese aus der E M R K abgeleiteten Grundsätze der Rechtfertigung von Beeinträchtigungen der Meinungsfreiheit hinaus, hat der E u G H die Anforderungen an den legitimen Zweck fortentwickelt, indem er das Recht auf freie Meinungsäußerung seinerseits als Abwägungskriterium in die Prüfung einstellte. Die einschlägigen Entscheidungen befassen sich jeweils mit dem niederländischen Gesetz zur Regelung der Verbreitung von Hörfunk- und Fernsehprogrammen, der Hörfunk- und Fernsehgebühren und der Beihilfen für Presseorgane (Mediawet). Das Gesetz sieht verschiedene Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit vor, insb bei der Werbung und den Programminhalten, die auch auf Hörfunk- und Fernsehbetreiber in den anderen Mitgliedstaaten, die Programme in die Niederlande ausstrahlen, anwendbar sind. Die niederländische Regierung hatte jeweils vorgetragen, dass die Regelungen des Mediawet die Bedürfnisse der verschiedenen gesellschaftlichen, kulturellen, religiösen und geistigen Strömungen in den Niederlanden schützen sollten. Der Gerichtshof hat diese Argumentation im Grundsatz akzeptiert. Die Aufrechterhaltung eines pluralistischen Rundfunkwesens, die diese niederländische Politik gewährleisten soll, steht - nach Ansicht des E u G H - ihrerseits in einem Zusammenhang mit dem Grundrecht auf freie Meinungsäußerung. Eine solche Kulturpolitik kann deshalb einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellen, der eine Beschränkung des Dienstleistungsverkehrs rechtfertigt. 124 Zusammenfassend kann festgehalten werden: Die mitgliedstaatlichen Maßnahmen zum Schutz der Medienvielfalt, die mit der Meinungsäußerungsfreiheit begründet werden, sind geeignet, eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit zu rechtfertigen.
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Diese Rspr hat der EuGH in seiner Entscheidung in der Rechtssache Familiapress ausgedehnt. Die Aufrechterhaltung der Medienvielfalt kann ein zwingendes Erfordernis darstellen, das auch eine Beschränkung des freien Warenverkehrs rechtfertigt. 125 Beruft sich ein Mitgliedstaat allerdings auf ein solches „zwingendes Erfordernis", ist die Rechtfertigung „im übrigen im Lichte der allgemeinen Rechtsgrundsätze und insbesondere der Grundrechte auszulegen." 126 Die letztgenannte Auslegung tritt zu der Prüfung des allgemeinen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit hinzu. Die Notwendigkeit einer solchen 123 EuGH, Slg 2001,1-1611, Rn 40 ff - Connolly = Ehlers JK 01, EGV Art 220/1. 124 EuGH, Slg 1991, 1-4069, Rn 30 - Kommission/Niederlande; Slg 1991, 1-4007, R n 2 2 f Stichting; Slg 1993, 1-487, Rn 9 - Veronica Omröp Organisatie; Slg 1994, 1-4795, Rn 18 f TV 10. 125 EuGH, Slg 1997,1-3689, Rn 18 - Familiapress = Erichsen JK 98, Art 30/1. 126 EuGH, Slg 1997,1-3689, Rn 24 - Familiapress = Erichsen JK 98, Art 30/1.
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Abwägung hat der EuGH bereits in der Rechtssache Ter Voort,nl in der ua die Vereinbarkeit einer Richtlinie mit der Meinungsäußerungsfreiheit zu entscheiden war, hervorgehoben. Die der Ausübung der Meinungsfreiheit immanenten Erfordernisse müssen mit den Erfordernissen abgewogen werden, die sich aus dem mit dem Rechtsakt verfolgten legitimen Ziel ergeben.128 Die nationalen Vorschriften sind nach stRspr des EuGH nur zulässig, „wenn sie in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Zweck stehen und wenn dieser Zweck nicht durch Maßnahmen erreicht werden kann, die den innergemeinschaftlichen Handelsverkehr weniger beschränken."129 IV. Freiheit und Sicherheit - Ausblick Schrifttum: Rat, Haager Programm zur Stärkung von Freiheit, Sicherheit und Recht in der Europäischen Union, ABl 2005 C 53/1; Europäische Kommission Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts: Bilanz des Tampere-Programms und Perspektiven, KOM (2004) 401 endg ν 2.6.2004, Wollenschläger Das Asyl- und Einwanderungsrecht der EU, EuGRZ 2001, 354 ff.
Der Europäische Rat von Tampere hat im Oktober 1999 ein Programm verabschiedet, das politische Leitlinien, konkrete Ziele und einen Zeitplan vorsieht, um den freien Personenverkehr in der Union zu verwirklichen, den Bürgern persönliche Sicherheit zu gewährleisten und einen vereinfachten Zugang zur Justiz zu garantieren, indem die gegenseitige Anerkennung von Gerichtsurteilen im gesamten Gebiet der Union sichergestellt wird. Dieses dynamische Projekt, dessen erste Phase am 1. Mai 2004 abgeschlossen wurde,130 berührt eine Reihe von grundrechtssensiblen Themenbereichen, die sich mit den Stichworten Asyl-, Visa-, Flüchtlings- und Einwanderungspolitik, Abschiebung von Ausländern und Auslieferung von eigenen Staatsangehörigen sowie allgemeine Strafverfolgung und -Vollstreckung skizzieren lassen. Stellt man die Entwicklungen in den Politikbereichen Inneres und Justiz in seine Überlegungen zum Grundrechtsschutz in der Union ein, dann wird verständlich, weshalb die Grandrechtecharta ein Recht auf Freiheit und Sicherheit (Art 11-66 W E ) , ein Asylrecht (Art 78 W E ) sowie Gewährleistungen zum Schutz bei Abschiebung, Ausweisung und Auslieferung (Art 79 W E ) enthält. Diese Garantien greifen jedoch mehr einem möglicherweise eintretenden, zukünftigen Integrationsstand vor, als dass sie im acquis communautaire eine Grundlage hätten. Ein Recht auf Freiheit und Sicherheit knüpft an die habeas cor/)«.s-Garantie an und könnte in Anlehnung an Art 5 EMRK die körperliche Bewegungsfreiheit gewährleisten.13' Da die Gemeinschaft selbst im kartellrechtlichen Ermittlungsverfahren keine Zuständigkeit für die Bewegungsfreiheit einschränkende Maßnahmen hat, ist eine gemeinschaftsrechtliche
127 EuGH, Slg 1992,1-5485 ff - Ter Voort. 128 EuGH, Slg 1992,1-5485 ff, Rn 38 - Ter Voort. 129 EuGH, Slg 1997, 1-3689, Rn 19 - Familiapress = Erichsen JK 98, Art 30/1 unter Hinweis auf EuGH, Slg 1990,1-4827, Rn 12-Fall; Slg 1995,1-1923 Rn 15 - Mars. 130 S ausführlich das Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen (SEK (2004) 693 ν 2.6.2004), Anhang zur Mitteilung der Kommission Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts: Bilanz des Tampere-Programms und Perspektiven (KOM (2004) 401 endg ν 2.6.2004); das justizpolitische Programm der folgenden Jahre ist enthalten im „Haager Programm" des Rates, ABl 2005 C 53/1. 131 Vgl Bernstorffm·. Meyer (Hrsg) Charta der Grundrechte Art 6 Rn 11.
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Bedeutung dieses Rechts vorerst offen. Die Asylpolitik der Gemeinschaft beruht auf dem Grundsatz, dass das jeweilige materielle Asylrecht der Mitgliedstaaten unberührt bleibt, dh ein Asylrecht der Gemeinschaft existiert nicht. Aus diesem Grund konzentrieren sich die Bemühungen der EG darauf, gemeinsame Mindestnormen für ein europäisches koordiniertes - Asylsystem zu schaffen. 132 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch, dass durch ein Protokoll zum Vertrag von Amsterdam die Gewährung von Asyl für Unionsbürger durch einen EU-Mitgliedstaat grundsätzlich ausgeschlossen wurde.133 Im Bereich des Auslieferungsrechts werden die auf der Grundlage des Rahmenbeschlusses zum Europäischen Haftbefehl erlassenen nationalen Maßnahmen zu einer Beschleunigung des Verfahrens führen.134 Die weitere Verrechtlichung der Entscheidung, ob ein Auslieferungsersuchen bewilligt werden soll, darf aber nicht darüber täuschen, dass die Zuständigkeiten weiterhin bei den Mitgliedstaaten liegen. Die auch im Auslieferungsrecht zunehmende (Global)Anerkennung justizieller Akte anderer EU-Mitgliedstaaten kann im Einzelfall für den Betroffenen zu einer spürbaren Reduzierung des Grundrechtsschutzes und damit einem Verlust an Freiheit führen.135 Die Gemeinschaftsorgane lassen in ihren öffentlichen Stellungnahmen erkennen, dass die große Bedeutung der Maßnahmen zum Aufbau eines „Raumes der Freiheit, der Sicherheit und der Justiz" erkannt wurde. Ob allerdings die vom Europäischen Rat auf seiner Tagung im Dezember 2003 beschlossene Einrichtung eines Amtes für Menschenrechte136 sowie die von der Kommission ins Spiel gebrachte verstärkte Anwendung von
132 Bei den Rechtsinstrumenten aus diesem Politikbereich handelt es sich um die RL 2003/9/EG zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten; die VO (EG) 343/2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist, ergänzt durch die VO (EG) 407/2002 zur Festlegung von Durchführungsbestimmungen zur VO (EG) 2725/2000 über die Einrichtung von „Eurodac" für den Vergleich von Fingerabdrücken zum Zwecke der effektiven Anwendung des Dubliner Übereinkommens; RL 2001/55/EG über Mindestnormen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen und Maßnahmen zur Förderung einer ausgewogenen Verteilung der Belastungen, die mit der Aufnahme dieser Personen und den Folgen dieser Aufnahme verbunden sind, auf die Mitgliedstaaten. 133 Nach dem Protokoll zum EG-Vertrag über die Gewährung von Asyl für Staatsangehörige von Mitgliedstaaten der EU entfällt die Vermutung, dass es sich im Verhältnis der EU-Mitgliedstaaten untereinander um sichere Herkunftsstaaten handelt, wenn der Asylbewerber aus einem Mitgliedstaat stammt, der den Notstandsfall nach Art 15 EMRK erklärt hat oder gegen den betreffenden Mitgliedstaat im Rahmen des Sanktionsverfahrens ein Vorschlag nach Art 7 II EUV (Art 1-59 II W E ) unterbreitet wurde; vgl ferner die Protokollerklärung der Mitgliedstaaten. 134 Das zeigt der Bericht der Kommission über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten ν 23.2.2005, KOM (2005) 53 endg, 6. Welche Folgen die Beschleunigung des Auslieferungsverfahrens in der Praxis hat, zeigt der Sachverhalt, der dem Beschluss des Zweiten Senats des BVerfG ν 24.11.2004, EuGRZ 2004, 667 f zugrunde lag. 135 Dies zeigt exemplarisch der Sachverhalt, der dem Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des BVerfG ν 3.3.2004, EuGRZ 2004, 321 ff zugrunde lag. Die Kammer hob den Beschluss des zuständigen OLGs auf, mit dem die Auslieferung eines in Abwesenheit zu acht Jahren Freiheitsstrafe verurteilten Beschwerdeführers zur Strafvollstreckung nach Italien für zulässig erklärt worden war. 136 Das Amt soll durch einen Ausbau der Europäischen Beobachtungsstelle für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit geschaffen werden, s Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Europäischer Rat von Brüssel - 12./13. Dezember 2003, 27: „Im gleichen Zusammenhang haben die im Europä-
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Art 7 EUV' 3 7 (Art 1-59 VVE) die angemessenen Mechanismen zum Schutz der subjektiven Rechte der Bürger in dem für sie maßgebenden Einzelfall sind, darf bezweifelt werden. Die angedachten Schritte der Gemeinschaftsorgane nehmen internationale - politische - Strategien zum Schutz der Menschenrechte auf, anstatt den wirksamen Individualrechtsschutz vor den Gemeinschaftsgerichten zu verbessern.
ischen Rat vereinigten Vertreter der Mitgliedstaaten betont, dass es wichtig ist, Daten zur Achtung der Menschenrechte zu sammeln und auszuwerten, damit die Menschenrechtspolitik der Union auf dieser Grundlage konzipiert werden kann; deshalb haben sie sich darauf verständigt, die vorhandene Europäische Beobachtungsstelle für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit auszubauen und ihr Mandat so auszuweiten, dass sie zu einem Amt für Menschenrechte wird." 137 Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament, KOM (2003) 606 endg ν 15.10.2003; vgl dazu Schorkopf in: Grabitz/Hilf Art 7 EUV Rn 53.
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Grundrecht der Berufsfreiheit Matthias Ruffert Leitentscheidungen: EuGH, Slg 1974, 491 - Nold = Ehlers JK 99, EGV Art 215 II/l; Slg 1994, 1-4973, Rn 64 ff - Deutschland/Rat (Bananen) = Kunig JK 94, EWGV Art 185 186/2. Schrifttum: Borrmann Der Schutz der Berufsfreiheit im deutschen Verfassungsrecht und im europäischen Gemeinschaftsrecht, 2002; Glos Die deutsche Berufsfreiheit und die europäischen Grundfreiheiten, 2003; Günter Berufsfreiheit und Eigentum in der Europäischen Union, 1998; Kingreen in: Calliess/Ruffert (Hrsg) Kommentar zu EU-Vertrag und EG-Vertrag, 2. Aufl 2002, Art 6 EUV Rn 129139; Wunderlich Das Grundrecht der Berufsfreiheit im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2000.
I. Schutzbereich 1. Funktion, Bedeutung und Quellen des Unionsgrundrechts der Berufsfreiheit 1
2
Neben der Gewährleistung des Eigentums (-» § 17) ist das Grundrecht der Berufsfreiheit das zentrale wirtschaftliche Grundrecht. Nach dem vom deutschen Verfassungsrecht genährten Vorverständnis, das sich jedoch durchaus rechtsordnungsübergreifend fassen lässt, gewährleistet das Grundrecht jedem die Freiheit, seinen Lebensunterhalt durch eine dauerhafte Tätigkeit zu verdienen, mithin die wirtschaftliche Seite des „Strebens nach Glückseligkeit" (pursuit of happiness) amerikanischer Herkunft. Indes lassen sich genauer Inhalt und Schranken der Gewährleistung in jeder durch Grundrechte geprägten oder beeinflussten Rechtsordnung nur unter Rückgriff auf ihre historisch gewachsene Wirtschaftsverfassung ermitteln.1 Das Schutzniveau des Grundrechts der Berufsfreiheit hängt von Sach- und Normstrukturen ab, die gleichsam im Vorfeld des Verfassungsrechts entstanden sind, was umso mehr für eine Grundrechtsordnung ohne verbindlichen, geschriebenen Grundrechtskatalog gilt. Im Gemeinschaftsrecht entfaltet sich das Grundrecht der Berufsfreiheit in einem Spannungsfeld verschiedener normativer Grundentscheidungen, die sich bisweilen kaum miteinander vereinbaren lassen und eine effektive Gewährleistung des Grundrechts erschweren. Erster und wichtigster Ausgangspunkt ist das Binnenmarktziel. Grundfreiheiten und Rechtsangleichung bezwecken die Herstellung (binnen-)grenzüberschreitender Privatautonomie im gesamten Gemeinschaftsgebiet, mithin die freie ökonomische Entfaltung der Wirtschaftssubjekte in der Gemeinschaft.2 Die Grundfreiheiten erreichen dies dadurch, dass sie einen grundsätzlichen Rechtfertigungszwang für solche mitgliedstaatlichen Regelungen hervorrufen, die zu einer Beschränkung grenzüberschreitender wirtschaftlicher Aktivität - Warenhandel, unselbständige Tätigkeit, Dienstleistung, Niederlassung, Kapitalfluss - führen. 3 Mit Hilfe der Rechtsangleichung werden Hindernisse minimiert, die
1 Vgl Pitschas Berufsfreiheit und Berufslenkung, 1983, S 249ff, 253ff; Uber Freiheit des Berufs, 1952, S 113 ff; Papier in: Benda/Maihofer/Vogel Handbuch des Verfassungsrechts, 2. Aufl 1994 §18, Rn 5 ff und 34-36; Scholz in: Maunz/Dürig, Grundgesetz Kommentar Bd II, 1981, Art 12 Rn 78-80. 2 Müller-Graffiti: vd Groeben/Schwarze vor Art 30-37 EGV Rn 3. 3 S dazu Feger RdA 1987, 13, 16; Nonhoff RTW 1995, 541, 544 f.
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Grundrecht der Berufsfreiheit
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infolge der legitimen Wahrnehmung von Gemeinwohlbelangen durch mitgliedstaatliche Regelungen entstehen. Darüber hinausgehend soll die Wettbewerbspolitik Störungen der Wirtschaftsfreiheit durch private Übermacht auf dem Markt verhindern. Flankiert wird dieser Schutz grenzüberschreitender ökonomischer Betätigung schließlich durch die Währungsunion. Konsequent ist die Wirtschaftsverfassung der Gemeinschaft seit dem Vertrag von Maastricht ausdrücklich dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb verpflichtet (Art 4 I, 98 S 2 EGV/Art III-178 W E ) . 4 Diese Orientierung verstärkt sich noch durch die Einbindung in die Welthandelsorganisation WTO (Art 11 I WTO-Übereinkommen), deren Ziel ebenfalls im Abbau von Handelsschranken besteht, wenn auch die einzelnen Wirtschaftssubjekte aus dem WTO-Recht (noch) keine Individualberechtigungen ableiten können. Elemente der Berufsfreiheit sind außerdem in wichtigen Menschenrechtsinstrumenten garantiert,5 und vor allem gewährleistet auch die Charta der Grundrechte der Europäischen Union in Art 15 I (Art 11-75 I W E ) das Recht, einen frei gewählten oder angenommenen Beruf auszuüben, sowie in Art 16 (Art 11-76 W E ) die unternehmerische Freiheit - unter Rückgriff auf die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten6. In ihrer Gesamtschau könnten sämtliche beschriebene Grundentscheidungen des Europarechts den idealen Nährboden für eine weitreichende Gewährleistung der Berufsfreiheit bieten. Gerade weil der Boden für die Berufsfreiheit so sicher scheint, musste sich keine der Leitentscheidungen des EuGH zum Grundrecht der Berufsfreiheit mit dem dargestellten Themenkreis befassen, sondern die überwiegende Spruchpraxis der Gemeinschaftsgerichtsbarkeit, die auf die Berufsfreiheit Bezug nimmt, betrifft die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP).7 In ihr liegt der zweite Ausgangspunkt für den sachlich-normativen Rahmen der Gewährleistung eines Grundrechts der Berufsfreiheit im Gemeinschaftsrecht. Kern der GAP sind die europäischen Marktordnungen nach Art 34 I UAbs 2 lit c EGV (Art III-228 I lit c W E ) . Die vollständige hoheitliche Regulierung der Agrarmärkte, wie sie diese Marktordnungen vor allem durch Preisfestsetzungen, Interventionen und die Zuteilung von Referenzmengen bewirken, sind grundsätzlich nicht verträglich mit einer übergreifenden und vorrangigen Gewährleistung privater wirtschaftlicher Betätigung, wie sie im Grundrecht auf Berufsfreiheit enthalten ist.8 Gleiches galt - mit Modifikationen - für die regulierten Kohle- und Stahlmärkte nach dem EGKSV.9 Dieser Systembruch hat dazu
4 S nur Schliesky Öffentliches Wirtschaftsrecht, 2000, S 21 ff; Hatje in: ν Bogdandy, S 683, 692 f. Vgl aber Rengeling Grundrechtsschutz in der Europäischen Gemeinschaft, 1993, S 27. Die Formulierung in Art 1-3 III des Verfassungsentwurfes ist auf den ersten Blick schwächer: „Die Union wirkt auf ... eine in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft, die auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt abzielt,... hin." 5 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (GA Res 217A (III), GAOR, 3rd Sess, Part I, S 71 Sartorius II Nr 19): Art 12 (Abwehrrecht gegen Eingriffe in Beruf), Art 23 Nr 1 (Recht auf Arbeit, freie Berufswahl, befriedigende Arbeitsbedingungen, Schutz vor Arbeitslosigkeit). Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (UNTS 993, 3 - Sartorius II Nr 21): Art 6 I (Recht, Lebensunterhalt durch frei gewählte Arbeit zu verdienen), Art 7 lit c (Möglichkeit beruflichen Aufstiegs). Vgl Stadier Die Berufsfreiheit in der Europäischen Gemeinschaft, 1980, S 100 ff. 6 S Tettinger NJW 2001, 1010, 1014. 7 Vgl Günter Berufsfreiheit und Eigentum in der Europäischen Union, 1998, S 18. 8 Vgl Kluth Jura 2001, 371 ff. 9 Dazu nur die Leitentscheidung EuGH, Slg 1974,491, Rn 14 - Nold.
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geführt, dass der EuGH bislang keine gemeinschaftsrechtliche Regelung im Rahmen der GAP wegen eines Verstoßes gegen das Grundrecht der Berufsfreiheit aufgehoben hat. Namentlich im Rahmen einer gemeinsamen Marktorganisation unterliege die Berufsfreiheit Beschränkungen.10 Die Konzentration auf das gemeinschaftsrechtliche Sonderproblem GAP lenkt zugleich die Aufmerksamkeit von der grundsätzlichen Kollision zwischen Berufsfreiheit einerseits und nichtwirtschaftlichen sowie sozialen Gemeinwohlbelangen andererseits ab. Dies mindert - zu Unrecht - das Gewicht des dritten Ausgangspunktes. Als Wirtschaftsgrundrecht steht die Berufsfreiheit in einem engen Bezug zu den sozialen Gewährleistungen. Das aus der historischen Situation zu erklärende Unvermögen, soziale Fragen in der Formulierung von Menschenrechten und Grundfreiheiten aufzuarbeiten, führte nicht nur dazu, dass die Eigentumsgarantie erst im Zusatzprotokoll von 1952 Eingang in die EMRK fand, sondern auch, dass das Grundrecht der Berufsfreiheit überhaupt nicht in die EMRK aufgenommen wurde11 - sieht man von dem Verbot der Zwangs- oder Pflichtarbeit ab, das nur einen Teilaspekt (ähnlich Art 12 II GG) betrifft,12 nicht jedoch die Berufsfreiheit allgemein schützt. Zu berücksichtigen sind allerdings einzelne Gewährleistungen der Europäischen Sozialcharta (1961), die, obwohl in Art 6 II EUV nicht ausdrücklich erwähnt, zum Gemeingut der europäischen Grundrechtsüberlieferung gezählt werden muss (s auch Art 136 I EGV; Art III-209 I W E ) , freilich unter Beachtung ihrer nur relativen Verbindlichkeit nach Art 20 I Sozialcharta.13 Die damit angesprochenen Gewährleistungsinhalte (Recht auf Arbeit, gerechte, sichere und gesunde Arbeitsbedingungen, Arbeitsentgelt, Bildung von Vereinigungen, Kollektiwereinbarungen, Jugendschutz, Schutz von Arbeitnehmerinnen, Berufsberatung, Ausbildung, soziale Sicherheit im weitesten Sinne) haben einen evidenten Bezug zur Idee sozialer Grundrechte. In dieser Weise ist auch die Charta der Grundrechte der Europäischen Union orientiert. Sie enthält in Art 15 I (Art 11-75 I W E ) nicht nur das Grundrecht der Berufsfreiheit im klassischen Sinne, sondern überdies das „Recht zu arbeiten". Drittstaatsangehörigen wird der Anspruch eingeräumt, unter Bedingungen wie die Unionsbürger zu arbeiten, sofern sie legalen Zugang zu den Arbeitsmärkten der Mitgliedstaaten haben. Eine ganze Reihe sozialer Rechte flankiert diese Gewährleistungen:14 Anhörung von Arbeitnehmern (Art 27; Art 11-87 W E ) , Kollektiwerhandlungen bzw -maßnahmen (Art 28; Art 11-88 W E ) , Arbeitsvermittlung
10 EuGH, Slg 1989, 2237, Rn 15 - Schräder; Slg 1991,1-415, Rn 73 - Zuckerfabrik Süderdithmarschen; Slg 1994, 1-4973, Rn 78 - Deutschland/Rat (Bananen); Slg 1994, 1-5555, Rn 22 - SMW Winzersekt; Slg 1995, 1-3115, Rn 55 - Fishermen's Organisations; Slg 1997, 1-4315, Rn 42 Affish. 11 Golsong in: Mosler/Bernhardt/Hilf Grundrechtsschutz in Europa, 1977, S 7, 9; Bartsch EuR 1979, 105, 109; Bartsch in: Bettermann/Neumann/Nipperdey Die Grundrechte 1/1, 1966, S 235, 351; Frowein in: Isensee/Kirchhof (Hrsg) Handbuch des Staatsrechts Bd VII, 1992, § 18 Rn 24; Borrmann Der Schutz der Berufsfreiheit im deutschen Verfassungsrecht und im europäischen Gemeinschaftsrecht, 2002, S 150 f. 12 Stadler (Fn 5) S 105 f. Die EuKommMR hat es abgelehnt, die Vorschrift im Sinne einer allgemeinen Garantie der Berufsfreiheit auszulegen, vgl EuKommMR, Nr 1468/62, IversenlNorwegen Jahrbuch VI, S 278, 328; kritisch Partsch (Fn 11) S 347 f. 13 Birk in: Richardi/Wlotzke (Hrsg) Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht I, 2. Aufl 2000, § 17 Rn 94; GomienlHarris!Zwaak Law and practice of the European Convention on Human Rights and the European Social Charter, 1996, S 379; Blumenwitz NJW 1989, 621, 624; § 5 Rn 62 ff. 14 Vgl nur Mahlmann ZEuS 2000, 419, 432 f.
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Grundrecht der Berufsfreiheit
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(Art 29; Art 11-89 W E ) , Kündigungsschutz (Art 30; Art 11-90 W E ) , gerechte und angemessene Arbeitsbedingungen (Art 31; Art 11-91 W E ) , Verbot der Kinderarbeit bzw Jugendschutz (Art 32; Art 11-92 W E ) sowie Mutterschutz (Art 33; Art 11-93 W E ) . Auch jenseits sozialpolitischer Vorgaben und Ziele 15 ist an den Ausgleich zwischen Berufsfreiheit und Gemeinwohlbelangen zu denken, etwa im Bereich des Umwelt-, Gesundheits- und Verbraucherschutzes 16 sowie der Koordinierung von Berufszugangsregeln im Binnenmarkt. 17 Vor diesem Hintergrund sind die Gewährleistungen des Grundrechts der Berufsfreiheit in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen als Rechtserkenntnisquellen (—» § 14 Rn 9) einzubeziehen. 18 Nahezu alle geschriebenen Verfassungen der Mitgliedstaaten enthalten das Grundrecht. 19 Auch das common law Englands verbürgt die Berufsfreiheit mit unterschiedlichen Bezeichnungen - right to work, right to earn a living, interest in pursuing a livelihood20 und auch ohne ein geschriebenes Grundrecht ist die Berufsausübung im Interesse der Wirtschaftssubjekte in England weniger dicht reguliert als in Kontinentaleuropa. 21 Ebenso ist die Berufsfreiheit in den Verfassungen wichtiger Beitrittsländer garantiert. 22 In Frankreich wird die Unternehmerfreiheit (liberie d'entreprendre) in Art 4 der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte verortet, dem Recht, alles tun zu dürfen, was anderen nicht schadet. 23 Aus zwei revolutionären Gesetzen von 1791 wurde der heute gültige allgemeine Rechtsgrundsatz der liberte du commerce et de l'industrie abgeleitet. 24 Zu berücksichtigen ist allerdings, dass die effektive Gewährleistung der beiden Freiheiten daran leidet, dass Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit Gesetzgeber und Behörden einen weiten Spielraum gewähren und die Verhältnismäßigkeitskontrolle reduzieren,
15 In diese Richtung etwa EuGH, Slg 1997,1-4475, Rn 73 - SAM Schiffahrt und Stapf. 16 Umweltschutz: EuGH, Slg 1985, 531, Rn 13 - ADBHU; Slg 1990,1-4071, Rn 28 - Marshall; Verbraucherschutz: Slg 1986, 2897, Rn 14 - Keller; Slg 1994, 1-5555, Rn 25 - SMW Winzersekt; Schutz der Volksgesundheit: Slg 1997,1-4315, Rn 43 - Affish. 17 PenskilEisner DÖV 2001, 265, 272, im Anschluss an Bleckmann ER, Rn 590. 18 Allein auf diese zurückgreifend PenskilEisner DÖV 2001, 265, 271. 19 Art 23 III Nr 1 Verfassung Belgiens; § 74 Reichsgrundgesetz Dänemarks; § 18 Verfassung Finnlands; Art 5 I und 22 Verfassung Griechenlands; Art 4 und 41 Verfassung der italienischen Republik; Art 11 V Verfassung des Großherzogtums Luxemburg; Art 19 III Verfassung des Königreiches der Niederlande; Art 6 I Staatsgrundgesetz Österreich 1867 (s Art 149 I B-VG); Art 47 I, 61 I Verfassung der portugiesischen Republik; Art 35 I, 38 spanische Verfassung. Die einzelnen Bestimmungen sind allerdings in Geltungskraft und Tragweite heterogen: Günter (Fn 7) S 223. Zweifelnd - ohne umfassenden Rechtsvergleich - ßesselink CMLRev 35 (1998) 629 (636 f - Fn 9), und - ihm folgend - PenskilEisner DÖV 2001, 265, 270. 20 S Wunderlich Das Grundrecht der Berufsfreiheit im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2000, S46f m Nachw aus der Rechtsprechung. Zur Rechtsnatur der Gewährleistungen Günter (Fn 7) S 52 ff, sowie Stadler (Fn 5) S 323 ff. Ähnlich das ungeschriebene Recht aus Art 40 III Nr 1 und 2 der irischen Verfassung (right to earn a living), vgl Günter (Fn 7) S 70 ff; Stadler (Fn 5) S 282 ff. 21 Ehlermann FS Budde, 1995, S 157, 171; ihm folgend Wunderlich (Fn 20) S 45. 22 Bulgarien: Art 48 III Verf 1991; Polen: Art 65 Verf 1997; Rumänien: Art 38 Verf 1991; Tschechien: Art 26 Grundrechts-Charta 1991. 23 S Wunderlich (Fn 20) S 52 ff. Der Conseil constitutionnel hat in der Entscheidung n° 98-401 DC vom 10.6.1998 die gesetzlich angeordnete Arbeitszeitverkürzung (Loi d'orientation et d'incitation relative a la reduction du temps de travail) für gerechtfertigt erklärt, weil der Gesetzgeber sich am „Recht auf Arbeit" in der Präambel der Verfassung von 1946 orientiert habe. 24 Günter (Fn 7) S 75; Stadler (Fn 5) S 265 ff; Wunderlich (Fn 20) S 54 f.
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wobei in der Tendenz die Kontrolldichte bei der liberti du commerce et de 1'Industrie höher ist als bei der liberti d'entreprendre.25 - Auch in Deutschland ist eine ähnliche Entwicklung zu verzeichnen. Art 12 I GG gewährt allen Deutschen das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen; die Verbote von Arbeitszwang und Zwangsarbeit in Art 12 II, Art 12 III GG haben nur geringe Bedeutung erlangt. Im Rahmen des Regelungsvorbehalts des Art 12 I 2 GG hat das BVerfG dem Gesetzgeber bisweilen einen außerordentlich weiten Spielraum zuerkannt und die Wahl der grundrechtsbeschränkenden Gemeinwohlbelange kaum kritisch hinterfragt.26 In neuerer Zeit entwickelte das BVerfG weitere Dimensionen der Berufsfreiheit aus Art 121 GG. Bedeutsam ist das Teilhaberecht aus Art 121, Art 3 I GG bei der Vergabe von Studienplätzen.27 Was die Schutzfunktion betrifft, so geht das BVerfG in einzelnen Fällen über den rechtsstaatlichen Schutz der Berufsfreiheit hinaus und betreibt - rechtspolitisch motiviert - kompetenzwidrig sozialen Ausgleich zwischen widerstreitenden Rechtspositionen (Arbeitnehmer - Arbeitgeber), ohne dass es eine entsprechende gesetzgeberische Entscheidung, verfassungsrechtliche Grundlage oder methodisch-dogmatische Absicherung gäbe.28 Ist der Normbestand nicht vollständig homogen, wird die Entscheidung für ein bestimmtes Schutzkonzept in der Tendenz zu einer politischen Frage. Das wirtschaftspolitische Vorverständnis bestimmt die konkrete Form des Schutzes der Berufsfreiheit erheblich, sei es bereits bei der inhaltlichen Ausfüllung des Schutzbereichs, sei es auf der Schrankenebene oder bei der Bestimmung der Grundrechtsfunktionen. Diese Entscheidung zu treffen ist nicht Sache des Gemeinschaftsjuristen, wohl aber, ihre normative Grundlage transparent zu machen. Unter dieser Prämisse gehen die folgenden Ausführungen von der Notwendigkeit aus, dem abwehrrechtlichen Inhalt der Berufsfreiheit im Einklang mit den mitgliedstaatlichen Verfassungen sowie mit Art 15 I (Art 11-75 I W E ) und 16 (Art 11-76 W E ) der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ein angemessenes Gewicht zu verschaffen, um ihn auf der Ebene der Rechtfertigung von Beeinträchtigungen mit anderen Gemeinwohlbelangen in Abwägung zu bringen, seien diese sozialer oder anderer Natur. Unmittelbar aus der Berufsfreiheit sollen keine sozialen Grundrechte hergeleitet werden: Ein Recht auf Arbeit ist bewusst nicht in die Grundrechts-Charta (2000) aufgenommen worden29 und in der Europäischen Sozialcharta stark relativiert. Die Beweggründe gegen seine Einführung, namentlich die Gefahr einer Schwächung der Grundrechte bei mangelnder Realisierbarkeit und die zwingende Notwendigkeit eines gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums sind hinreichend bekannt. Soziale Einzelgewährleistungen enthält die Charta im Solidaritätskapitel. Außerdem sind wesentliche Schutzansprüche in den Sozialvorschriften des EGV und vor allem im auf seiner Grundlage ergangenen Sekundärrecht verbrieft: Gleichberechtigung, Arbeitsschutz, angemessene Arbeitsbedingungen, um nur einige Stichworte zu nennen.30 Das „Recht zu arbeiten"
25 Ausführlich Wunderlich (Fn 20) S 152 ff. 26 S zum Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers Manssen in: von Mangoldt/Klein/Starck GG Bd 1,4. Aufl 1999, Art 12 Rn 121. 27 BVerfGE 33, 303 ff. 28 Ruffert Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 2001, S 434 ff, 462 ff. 29 Grabenwarter DVB1 2001, 1, 5; Schmitz JZ 2001, 833, 841; Tettinger NJW 2001, 1010, 1014. Zudem ist nur in einigen Mitgliedstaaten (Belgien, Niederlande, Luxemburg, Italien, Spanien, Portugal, Griechenland, Finnland) die soziale Gewährleistung mit dem Freiheitsrecht verbunden; vgl die Nachweise in Fn 19. 30 Birk (Fn 13) § 19 Rn 86 ff.
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in Art 15 I (Art 11-75 I W E ) der Charta lässt sich so keinesfalls in ein „Recht auf Arbeit" umdeuten.31 Dennoch ist es nicht inhaltsleer. Unbeschadet der allenfalls sehr begrenzten rechtlichen Verbindlichkeit der Charta enthält es das abwehrrechtlich wirkende Verbot hoheitlich veranlasster Behinderungen selbständiger oder unselbständiger Arbeit, verstärkt also den Rechtfertigungsdruck für hoheitliche Regelungen von Berufswahl und Ausübung. Im sozialpolitischen Kontext schreibt die Vorschrift den deutlichen, wenn auch kaum justitiablen Auftrag an die aus der Charta Verpflichteten (Art 51 GRCh; Art II-l 11 W E ) fest, für die realen Möglichkeiten der Berufsausübung zu sorgen, mithin das Ziel der Vollbeschäftigung anzustreben (in diese Richtung auch Art 125 ff EGV; Art III203ff WE 3 2 ). Wählt man den abwehrrechtlichen Inhalt des Grundrechts der Berufsfreiheit als Ausgangspunkt, so erweist sich die planwirtschaftliche Organisation von Märkten nach Art der GAP als der eigentliche Anachronismus. Ob die GAP die zurückliegende Beitrittswelle und die vielleicht noch ausstehenden Beitritte in ihrer gegenwärtigen Gestalt überleben wird, lässt sich zumindest in Frage stellen. Bislang liefern agrarrechtliche Konstellationen das quantitativ wesentliche Fallmaterial für die Analyse des Grundrechts der Berufsfreiheit.
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2. Sachlicher Schutzbereich FaH 1: (EuGH, Slg 1987,2289 ff - Rau) Die Kommission trifft im Rahmen der gemeinsamen Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse die Entscheidung, 900 Tonnen Butter aus Interventionsbeständen in 250g-Packungen kostenlos mit jeweils einer Packung Markenbutter desselben Gewichts zu verteilen. Ziel der Maßnahme ist es, Erkenntnisse über das Verhalten der Verbraucher bei einer Senkung des Butterpreises zu gewinnen. Letztlich soll der „Butterberg" abgebaut werden. Μ ist ein großer Margarineproduzent. Er wendet sich gegen die Entscheidung, weil sie gegen die Grundsätze freier Berufsausübung, die allgemeine Handlungsfreiheit und die Wettbewerbsfreiheit verstoße.
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a) Inhalt und Einzelgewährleistungen Der Inhalt des sachlichen Schutzbereichs des Grundrechts der Berufsfreiheit ist vom EuGH bislang nicht abstrakt definiert worden,33 doch lässt sich eine solche Definition aus der Gesamtschau der bisherigen Rechtsprechung sowie der Grundrechts-Charta als Rechtserkenntnisquelle gewinnen. Danach enthält das Grundrecht der Berufsfreiheit im Gemeinschaftsrecht die umfassende Gewährleistung der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit.34 Dies wird durch die Garantien der Grundrechts-Charta unterstrichen, die nicht nur das Recht enthält zu arbeiten und einen frei gewählten oder angenommenen Beruf auszuüben (Art 15 I GRCh; Art 11-75 I W E ) , sondern auch die unternehmerische Freiheit anerkennt (Art 16 GRCh;
31 So auch Grabenwarter DVB1 2001, 1, 5; Kingreen in: Calliess/Ruffert Art 6 EUV Rn 130, 188; -» § 20 Rn 8. Ebensowenig erscheint es möglich, aus dem Freiheitsrecht des Art 16 (Art 11-76 W E ) ein Recht auf Mittelstandsförderderung abzuleiten; so aber Tettinger NJW 2001, 1010, 1014. 32 Vgl Krebber in: Calliess/Ruffert Art 125 EGV Rn 8 (differenzierend). 33 S Wunderlich (Fn 20) S 105. 34 Ausdrücklich EuGH, Slg 1985, 2857, Rn 23 - Finsider.
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Art 11-76 W E ) . Nicht zuletzt die Charta macht deutlich, dass es um eine eigenständige Gewährleistung und nicht lediglich um eine Ausprägung der allgemeinen Handlungsfreiheit geht.35 Kennzeichnendes Merkmal für die der Garantie zuzuordnenden Tätigkeiten ist die Erwerbsabsicht. Dieses Merkmal findet sich parallel in der Rechtsprechung, die den Anwendungsbereich der allein wirtschaftsbezogenen Grundfreiheiten umschreibt, wobei der EuGH dort keine hohen Anforderungen stellt und eine Tätigkeit, die einen irgendwie gearteten ökonomischen Bezug aufweist, unter die einschlägige Grundfreiheit subsumiert.36 Auf die Dauer der Tätigkeit kommt es nur insoweit an, als der in der Charta gebrauchte Begriff des „Berufs" auch in anderen Sprachen (occupation/profession/profesion/professione/profissäo/beroep/erhverv) ein mehr als nur einmaliges oder kurzfristiges Tätigwerden suggeriert. Unternehmerische Freiheit geht darüber hinaus, so dass insgesamt der Dauerhaftigkeit ein geringeres Gewicht zukommt als bei der Interpretation des Berufsbegriffs nach Art 12 I GG.37 Wiederum parallel zur Arbeitnehmerfreizügigkeit ist eine Bagatellgrenze anzunehmen.38 Auf das Erlaubtsein kann es indes nicht ankommen. Erlaubnis und Verbot beruflicher Tätigkeit sind eine Frage von Beschränkungen und deren Rechtfertigung.39 Dieser umfassenden Gewährleistung der wirtschaftlichen Betätigung lassen sich die in der Rechtsprechung des EuGH bislang formulierten Einzelgewährleistungen zuordnen. Namentlich die Handelsfreiheit sieht der EuGH als geschütztes Grundrecht an.40 Nicht ganz konsequent wird die notwendige Zuordnung der erwerbsbezogenen Vertragsfreiheit zur Berufsfreiheit vorgenommen.41 Hier geht der Gerichtshof vereinzelt noch von einer eigenständigen Verbürgung aus,42 sieht aber zutreffend die freie Wahl des Vertrags- (= Geschäftspartners als Bestandteil der Berufsfreiheit an43. Zum Grundrecht auf Berufsfreiheit gehört auch die Wettbewerbsfreiheit.44 Angesichts der Bedeutung des freien Wettbewerbs im EG-Recht sollten zurückhaltendere Äußerungen des EuGH jedenfalls auf der Schutzbereichsebene nicht überbewertet werden.45 35 Anders noch Schilling EuGRZ 2000, 3, 12. Wunderlich (Fn 20) S 106 f (ähnlich Günter (Fn 7) S 23), weist nach, dass die einzelnen Ausprägungen wirtschaftlicher Betätigungsfreiheit nach der Rspr zur Berufsfreiheit gehören und keine besonderen Gewährleistungen enthalten (deutlich etwa EuG, Slg 1996, 11-1707, 63 - Atlanta). Der Rückgriff auf die Rechtsprechung des BVerfG zur Abgrenzung zwischen Berufs- und Handlungsfreiheit (so Stadler (Fn 5) S 36 ff) sollte im Gemeinschaftsrecht vermieden werden. 36 S Birk (Fn 13) § 19 Rn 11, zum insofern weiten Arbeitnehmerbegriff des EuGH; —> § 9 Rn 5 ff. 37 Hier sind die Anforderungen ohnehin gering, vgl Wieland in: Dreier (Hrsg) Grundgesetz Kommentar Bd I, 1996, Art 12 Rn 49. 38 Vgl dazu Brechmann in: Calliess/Ruffert Art 39 EGV Rn 9. 39 In diesem Sinne auch PenskilElsner DÖV 2001, 265, 271. Differenzierend Wunderlich (Fn 20) S 72 f. Anders in der Tendenz Steindorff NJW 1982, 1902, 1904. 40 EuGH, Slg 1974,491, Rn 14 - Nold; Slg 1985, 531, Rn 9 - ADBHU. Zutreffend stellt GAin StixHackl, Schlussanträge vom 20.1.2004 zu Verb Rs C-37/02 und C-38/02, Zifif 110, fest, dass es hier nur um terminologische Fragen, nicht um unterschiedliche Gewährleistungen geht. 41 Hierzu Ruffert (Fn 28) S 297 f mwN. 42 Sehr andeutungsweise in EuGH, Slg 1979, 1, Rn 20 - Sukkerfabriken Nykobing; Slg 1999,1-6571, Rn 99 - Spanien/Kommission. 43 EuGH, Slg 1991,1-3617, Rn 13 - Neu. 44 EuGH, Slg 1987, 2289, Rn 15 - Rau, sowie auch EuGH, Slg 1998,1-1953, Rn 28 - Metronome Musik. 45 Anders wohl Wunderlich (Fn 20) S 109.
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Zusammengefasst formuliert, schützt das Unionsgrundrecht der Berufsfreiheit die freie wirtschaftliche Betätigung in allen ihren Ausprägungen.
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b) Abgrenzung zu anderen gemeinschaftsrechtlichen Gewährleistungen aa) Eigentumsschutz In seiner Rechtsprechung differenziert der E u G H nicht immer präzise zwischen Eigentumsschutz und Schutz der Berufsfreiheit. 46 Dies überzeugt methodisch angesichts der unterschiedlichen Rechtserkenntnisquellen nicht (Art 1 1. Z P E M R K , Art 295 EGV; Art III-425 W E ) . 4 7 Im Schrifttum wird überwiegend eine Abgrenzung am Maßstab der aus dem deutschen Verfassungsrecht stammenden Faustformel Bestandsschutz - Erwerbsschutz vorgeschlagen. 48 Wenn man die Selbständigkeit der gemeinschaftsrechtlichen Systembildung nicht aus den Augen verliert, ist gegen diese Parallelität nichts einzuwenden. Berufsfreiheit und Eigentumsgewährleistung stehen zueinander in Idealkonkurrenz. Der Schutzbereich der Eigentumsgarantie ist - gegebenenfalls neben dem der Berufsfreiheit eröffnet, wenn es um die Nutzung der Produktionsstätte bzw Produktionsmittel geht. Allein die Berufsfreiheit steht im Raum, wenn Pflichten oder Verbote handlungs-, nicht substanzbezogener Art normiert werden. Abgabenverpflichtungen misst der E u G H nicht am Maßstab der Eigentumsgarantie. 49 Folgt man dieser - im deutschen Verfassungsrecht jenseits von Erdrosselungssteuer und Halbteilungsgrundsatz anerkannten - Prämisse, ist jedenfalls eine Prüfung des Grundrechts der Berufsfreiheit veranlasst. 50
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bb) Andere Grundrechte Abgrenzungsschwierigkeiten im Verhältnis zu den gemeinschaftsrechtlichen Kommunikationsgrundrechten (insbesondere Meinungsäußerungsfreiheit; —> § 15 R n 59 ff) treten im Bereich der Werbung auf. Hier spricht wenig gegen ein differenzierendes Vorgehen, das beide Gewährleistungen im Interesse eines effektiven Grundrechtsschutzes nebeneinander bestehen lässt, wenn die Werbung auch eine wertende Meinungsäußerung enthält. 51 In Deutschland zeigt die 5eweno«-Rechtsprechung, welche Probleme die Ausklammerung der Kommunikationsfreiheiten aus der Wirtschaftswerbung bereitet hätte. 52 Das hier vertretene Konzept entspricht auch der Rechtsprechung des E G M R , der die Werbung unter
46 EuGH, Slg 1996, 1-569, Rn 30 - Duff; Slg 1996, 1-3953, Rn 21 f - Bosphorus; Slg 1997, 1-4475, Rn 72 ff - SAM Schiffahrt und Stapf; Slg 1998,1-1953, Rn 21 - Metronome Musik. Zweifelhaft auch EuGH, Slg 1979, 3727, Rn 32 - Hauer. Vgl Beutler in: vd Groeben/Schwarze Art F Rn 57. 47 PenskilEisner DÖV 2001,265, 267; -> Zum Eigentumsschutz § 17. 48 Kingreen in: Calliess/Ruffert Art 6 EUV Rn 131; ihm folgend Wunderlich (Fn 20) S 127. 49 Kingreen in: Calliess/Ruffert Art 6 EUV Rn 146. 50 Wie hier PenskilEisner DÖV 2001, 265, 271, sowie - für das deutsche Verfassungsrecht - Holtmann DÖV 2000,406 ff. Daher im Ansatz korrekt: EuGH, Slg 1989, 2237, Rn 15 - Schräder. 51 Schlussanträge GA Fennelty NJW 2000, 3701 ff, Rn 152 ff - Tabakwerbung (der EuGH hat den grundrechtlichen Aspekt nicht aufgegriffen) = Ehlers JK 01, EGV Art 95/1; kritisch HilßFrahm RIW 2001, 128, 133; Hatje Wirtschaftswerbung und Meinungsfreiheit, 1993, S 62; Perau Werbeverbote im Gemeinschaftsrecht, 1997, S 269 f; aA Wunderlich (Fn 20) S 129f - Umfassend zur Beurteilung der Wirtschaftswerbung Kiihling Die Kommunikationsfreiheit als europäisches Gemeinschaftsgrundrecht, 1999, S 464 ff. 52 BVerfGE 102, 347, 359 f.
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Art 10 EMRK subsumiert und nicht gänzlich vom Gewährleistungsinhalt der EMRK ausschließt, die kein Grundrecht der Berufsfreiheit kennt.53 Keine schwerwiegenden Probleme treten im Verhältnis zum Unionsgrundrecht der Vereinigungsfreiheit auf, das der EuGH in Orientierung an Art 11 EMRK anerkennt.54 Grundrechtskollisionen zwischen der Berufsfreiheit des einen (zB Arbeitnehmer) und der Vereinigungsfreiheit des anderen (zB Arbeitgeber) sind auf der Rechtfertigungsebene auszutarieren. Bei der in begrenztem Maße zulässigen Ableitung von Schutzpflichten aus dem Grundrecht der Berufsfreiheit ist zu berücksichtigen, dass die mit der Vereinigungsfreiheit verbundene Koalitionsfreiheit einen spezifischen Mechanismus zum Schutz von Arbeitnehmerrechten vorhält.55 Das Grundrecht der Berufsfreiheit ist schließlich als Freiheitsrecht neben gemeinschaftsrechtlich gewährten Gleichheitsrechten anwendbar. Dies gilt für das spezielle Diskriminierungsverbot in Art 34 II EGV 56 (Art III-228 II W E ) ebenso wie für den Gleichheitssatz als allgemeinen Rechtsgrundsatz.57 Das Konkurrenzverhältnis zu Art 12 EGV (Art 1-4 II W E ) richtet sich nach den für die Grundfreiheiten geltenden Grundsätzen (s Rn 21 ff). Zu Art 141 EGV (Art III-214 W E ) und dem in dessen Zusammenhang ergangenen Sekundärrecht besteht kein echtes Konkurrenzverhältnis, weil Art 141 EGV (Art III-214 W E ) und die dazugehörigen Richtlinien keine Grundrechte ieS enthalten, sondern besondere Vorgaben für die Ausgestaltung des mitgliedstaatlichen Rechts normieren, die unter bestimmten Voraussetzungen allerdings unmittelbare Wirkung entfalten. Gleiches gilt für Maßnahmen nach Art 13 EGV (Art III-124 W E ) , die vielmehr umgekehrt gemessen am Grundrecht der Berufsfreiheit verhältnismäßig sein müssen, um Bestand zu haben.58 cc) Vertrauensschutz
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Für den EuGH ist der Vertrauensschutz ein neben den Grundrechten geltender allgemeiner Rechtsgrundsatz.59 Das Vertrauen auf eine bestehende Regelungsstruktur könnte aber auch innerhalb des Grundrechts der Berufsfreiheit bedeutsam sein.60 Insbesondere lehnt der EuGH ab, dass der einzelne Wirtschaftsteilnehmer auf den Fortbestand bestimmter Regelungen einer europäischen Marktordnung im Rahmen der GAP vertrauen kann, dass also einschneidende und verlustbringende Änderungen einer Marktordnung, die durch sie vorher gewährte Vorteile entziehen, als Eingriffe in die Berufsfreiheit zu bewerten sind.61 53 54 55 56
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Wunderlich (Fn 20) S 59 ff; Calliess EuGRZ 1996,293 ff. EuGH, Slg 1995,1-4921, Rn 79 - Bosman. Richardi in: Richardi/Wlotzke (Fn 13) § 10 Rn 31. EuGH, Slg 1989, 1991, Rn 19 - Leukhardt; Slg 1990,1-4071, Rn 19 ff - Marshall; Slg 1991,1-415, Rn 66 ff - Zuckerfabrik Süderdithmarschen; Slg 1992, 1-35, Rn 18 - Kühn; Slg 1994, 1-4973, Rn64ff - Deutschland/Rat (Bananen). EuGH, Slg 1994, 1-5555, Rn 30 ff - SMW Winzersekt; Slg 1995, 1-3115, Rn 44 ff - Fishermen's Organisations ua; Slg 1997,1-4315, Rn 41 ff - Affish; Slg 1997,1-4475, Rn 50ff - SAM Schiffahrt und Stapf; EuG, Slg 1996,11-1707, Rn 41 ff, 59 ff - Atlanta. S bereits Stadler (Fn 5) S 36. Auf dem Prüfstand stehen hier: RL 00/43, ABl 2000, Nr L 180/22 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft; RL 00/78, ABl 2000, Nr L 303/16 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf. Kingreen in: Calliess/Ruffert Art 6 EUV Rn 9 ff. Prüfung von Vertrauensschutz neben Berufsfreiheit: EuGH, Slg 1992,1-35, Rn 13 ff - Kühn. EuGH, Slg 1979,2749, Rn 22 - Eridania; Slg 1987, 2289, Rn 18 - Rau.
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Die Unvereinbarkeit von planwirtschaftlich konzipierten Marktordnungen einerseits und der Gewährleistung der Berufsfreiheit als Abwehrrecht andererseits wurde eingangs aufgezeigt. Sie lässt sich auf der Stufe des Schutzbereichs nur so verarbeiten, dass zur Berufsfreiheit auch berufliche Betätigung gezählt wird, die durch Marktordnungen erheblich beeinflusst oder sogar erst ermöglicht wird. Richten sich Wirtschaftssubjekte auf einem hochgradig regulierten Markt ein, so wird das Maß ihrer Berufsfreiheit auch durch die vorhandene Regelungsstruktur bestimmt.62 Dies ist nicht gleichzusetzen mit einem absoluten Bestandsschutz: Notwendige Reformen in der Agrarpolitik werden immer auch zu Eingriffen in wirtschaftliche Positionen führen, die dann über das hinter der jeweiligen Reform stehende Gemeinwohlziel gerechtfertigt werden müssen.63 Eine gänzlich andere Situation ist gegeben, wenn erhebliche Einbußen durch die Einführung einer europäischen Marktordnung entstehen, wie dies 1993 auf dem Bananenmarkt der Fall war.64 Hier geht es nicht darum, dass Marktteilnehmer auf eine bestimmte Regelungsstruktur vertraut haben, sondern hier wird eine grundsätzlich vorhandene Freiheit wirtschaftlicher Betätigung durch hoheitliche - gemeinschaftsrechtliche - Regelung genommen.65 Eine Minderung der Rechtsposition des Wirtschaftssubjekts ist allenfalls in der Abwägung auf Rechtfertigungsebene anzuerkennen, weil im Agrarsektor wegen Art 32 III mit Anhang I EGV (Art III-226 III mit Anhang I W E ) stets mit einer hohen marktfernen Regulierungsdichte gerechnet werden muss.
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c) Konkurrenzverhältnis zu den Grundfreiheiten Die Grundfreiheiten, die in der Rechtsprechung des EuGH den Charakter von Beschränkungsverboten erhalten haben, wirken in diesem Sinne als besondere Berufsfreiheit der Marktbürger,66 so dass die Frage nach ihrem Verhältnis zum allgemeinen Grundrecht der Berufsfreiheit aufgeworfen wird. Dieses Verhältnis kann sich nicht nach dem Adressaten beurteilen, denn anerkanntermaßen können beim gegenwärtig erreichten Stand des Gemeinschaftsrechts sowohl die Mitgliedstaaten Verpflichtete der Unionsgrundrechte 67 als auch die Gemeinschaft Verpflichtete der Grundfreiheiten sein.68 Die Konkurrenz zwischen beiden Gewährleistungsformen ergibt sich vielmehr aus dem überragenden Gewicht des Binnenmarktziels für das gesamte Gemeinschaftsrecht. Zur Herstellung grenzüberschreitender Privatautonomie sind die Grundfreiheiten lex specialis.69 Dies muss auch
62 Ähnlich Günter (Fn 7) S 19; Kingreen in: Calliess/Ruffert Art 6 EUV Rn 134; Penski/Eisner DÖV 2001, 265, 271 f, 275; in der Tendenz Priebe in: HdBEUWirtschR Rn 290. Für Wirtschaftssubjekte außerhalb einer konkreten Marktordnung HilflWillms EuGRZ 1989, 189, 191. 63 So auch Wunderlich (Fn 20) S 118. 64 So Günter (Fn 7) S 22. Anders im Ausgangspunkt Wunderlich (Fn 20) S 117 f. 65 Daher prüft der EuGH auch einen Verstoß gegen das Grundrecht der Berufsfreiheit: EuGH, Slg 1994,1-4973, Rn 78 ff - Deutschland/Rat (Bananen). 66 S EuGH, Slg 1987, 4097, Rn 14 - Heylens. Explizit Pernice Grundrechtsgehalte im Gemeinschaftsrecht, 1979, S 174 f; Riegel AöR 102 (1977), 410, 430 ff. Zu weitgehend Borrmann (Fn 11) S 229 ff: Identität von Grundfreiheiten und Berufsfreiheit. 67 Für die Berufsfreiheit EuGH, Slg 1996,1-569, Rn 28 ff - Duff. 68 Grundlegend Schwemer Die Bindung des Gemeinschaftsgesetzgebers an die Grundfreiheiten, 1995. Zu Einzelnachweisen in der Rspr des EuGH und in Schlussanträgen der Generalanwälte s Wunderlich (Fn 20) S 93 f; -> § 14 Rn 32 ff. 69 Wunderlich (Fn 20) S 104. AA Stadler (Fn 5) S 66: Grundfreiheiten als Zusatzgarantie zur Freizügigkeit.
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dann gelten, wenn man der im Schrifttum vertretenen Auffassung folgt, die die Grundfreiheiten als Gleichheitsrechte ansieht.70 Das Ziel der Gewährleistung, Hindernisse in den grenzüberschreitenden Wirtschaftsbeziehungen abzubauen, ändert sich durch diesen Perspektivenwechsel im Grundsatz nicht. Der Befund einer Spezialität der Grundfreiheiten vor dem Grundrecht der Berufsfreiheit gibt den gegenwärtigen Stand der europäischen Rechtsordnung wieder. Entsprechend greift Art 15 II der Charta die einschlägigen Grundfreiheiten auf.71 Ohne die Grundfreiheiten und die ihnen durch den EuGH über Anwendungsvorrang und unmittelbare Wirkung verliehene Dynamik wäre die Integration nicht denkbar gewesen. Auf einem höheren Integrationsstand ist es denkbar, die Grundfreiheiten durch eine allgemeine Berufsfreiheit zu substituieren, so dass Eingriffe in grenzüberschreitende wirtschaftliche Tätigkeit nur eine besondere Form von Eingriffen wären. Dann müsste die Berufsfreiheit jedoch ähnlich sicheren Schutz bereithalten wie gegenwärtig die Grundfreiheiten, und auch die Sicht auf den Verbund von gemeinschaftlicher und mitgliedstaatlicher Hoheitsgewalt würde sich grundlegend ändern. Lösung Fall 1: Die Produktion von Margarine ist eine wirtschaftliche Betätigung, so dass der Schutzbereich der Berufsfreiheit in der besonderen Ausprägung der Unternehmensfreiheit eröffnet ist. Der EuGH sieht zwar wirtschaftliche Positionen, die den Wirtschaftssubjekten aus einer Marktorganisation erwachsen, nicht als geschützt an. Zum Schutz der Berufsfreiheit von Unternehmen, die sich auf die GAP einrichten, sollte diese Argumentation jedoch aufgegeben und geprüft werden, ob die Beeinträchtigung des Schutzbereichs durch das Ziel der Maßnahme - hier: Untersuchung der Wirkungen einer bestimmten Vermarktungsform gerechtfertigt ist. 3. Persönlicher Schutzbereich a) Unionsbürger
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Alle Unionsbürger sind Träger des Grundrechts der Berufsfreiheit. Die Charta stellt klar, dass der gemeineuropäische Bestand nicht zwischen selbständiger und unselbständiger Tätigkeit differenziert, auch wenn die Berufsfreiheit in einigen Mitgliedstaaten nur auf Selbständige bezogen ist und der EuGH sich bislang nur zur selbständigen Betätigung geäußert hat.72 Schon die Existenz der Arbeitnehmerfreizügigkeit bringt den grundsätzlichen Schutz nichtselbständiger Tätigkeit im Gemeinschaftsrecht unzweifelhaft zum Ausdruck. Allein Angehörige des Öffentlichen Dienstes, die unter die Bereichsausnahmen der Art 39 IV und 45 (mit 55) EGV (Art III-133 IV, III-139 mit III-150 W E ) fallen, sind in Ermangelung einer Gemeinschaftszuständigkeit aus dem persönlichen Anwendungsbereich des gemeinschaftsrechtlichen Grundrechts der Berufsfreiheit ausgenommen.73 70 Explizit Kingreen Die Struktur der Grundfreiheiten des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999; differenzierend hingegen Hoffmann Die Grundfreiheiten des EG-Vertrags als koordinationsrechtliche und gleichheitsrechtliche Abwehrreche, 2000, S 29 ff. 71 Entgegen Grabenwarter DVB1 2001, 1, 5, sollte aus dem Wortlaut kein Verzicht auf einen grenzüberschreitenden Bezug hergeleitet werden; gemeint sind die Grundfreiheiten des EGV mit den entsprechenden Voraussetzungen, vgl die Erläuterungen des Präsidiums des Konvents, CONVENT 49 vom 11.10.2000, Dok Charte 4473/00, S 17. 72 Wie hier Kingreen in: Calliess/Ruffert Art 6 EUV Rn 132; Wunderlich (Fn 20) S 111. 73 Stadler (Fn 5) S 344; Wunderlich (Fn 20) S 120.
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Grundrecht der Berufsfreiheit
§16 13
b) Juristische Personen Der Blick in die Charta zeigt auch, dass es fernliegend wäre, juristische Personen des Privatrechts aus dem persönlichen Schutzbereich des Grundrechts der Berufsfreiheit herauszunehmen, denn die unternehmerische Freiheit (Art 16 GRCh; Art 11-76 W E ) muss auch Personen- und Kapitalgesellschaften gewährt werden, um sich als sinnvolle Gewährleistung darzustellen. In der Rechtsprechung des EuGH steht diese Erkenntnis außer Frage. Was juristische Personen betrifft, die in engem Bezug zu einem Hoheitsträger - im deutsehen Recht: juristische Personen des öffentlichen Rechts - stehen, so ist die Betrachtung zu differenzieren. Das die Grundrechtsberechtigung ausschließende „Konfusionsargument" (kein Ineinsfallen von Grundrechtsträger und Grundrechtsverpflichtetem) gilt jedenfalls dann eindeutig, wenn es um eine durch die Gemeinschaft konstituierte rechtsfähige Einheit geht (zB eine selbständige Agentur 74 ). Handelt es sich um eine juristische Person, hinter der mitgliedstaatliche Hoheitsgewalt steht, so ist zu beachten, dass durch die Gewährleistung von Grundrechtspositionen das Kompetenzgefüge zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten nicht vertragswidrig verschoben werden darf. Die Grundrechtsberechtigung lässt sich daher kaum begründen. Dies gilt auch für staatliche oder staatlich dominierte gemischt-wirtschaftliche Unternehmen, damit die präzisen primärrechtlichen Vorgaben (Art 16, 81-82, 86, 87-89 EGV; Art III-122, III-161-III-162, III-166, III-167-III-169 W E ) nicht durch ein ungeschriebenes Freiheitsrecht überspielt werden.75
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c) Drittstaatsangehörige (einschließlich juristischer Personen) Im persönlichen Schutzbereich ist schließlich die Zuordnung von Drittstaatsangehörigen fraglich, insbesondere, wenn man aus der Perspektive des deutschen Verfassungsrechts argumentiert, das die Berufsfreiheit nur als Deutschengrundrecht gewährleistet und Ausländer auf die allgemeine Handlungsfreiheit verweist.76 Die Antwort auf diese - in der Praxis der EuGH-Rechtsprechung bislang kaum relevant gewordene - Streitfrage enthält Art 15 III GRCh (Art 11-75 III W E ) : 7 7 Staatsangehörige dritter Länder haben grundsätzlich keinen unbegrenzt freien Zugang zum Binnenmarkt kraft Primärrechts oder einer Regelung der Charta. Dies ist völkerrechtskonform, denn das GATS gewährt Marktzugang gemäß Art XVI nur über ein System sektorspezifischer Positivlisten.78 Wenn Drittstaatsangehörige aber legal „im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten arbeiten dürfen", so haben sie die gleichen Ansprüche wie Unionsbürger. Die Trennungslinie zwischen Grund-
74 Zur Gemeinschaftskompetenz zur Errichtung Calliess in: Calliess/Ruffert Art 7 EGV Rn 25 ff. 75 AA Nonhoff Novellierungsversuche des Energiewirtschaftsrechts vor dem Hintergrund grundrechtlicher Normen, 1994, S 241 ff; Tettinger FS Börner, 1992, S 625, 637 ff; Wunderlich (Fn 20) S 122 f; wohl auch BleckmannlPieper HdbEUWirtschR Bd I, Rn 137 f. Das Argument der Gleichbehandlung im Wettbewerb trägt aufgrund der besonderen öffentlich-rechtlichen Bindungen öffentlicher und gemischt-wirtschaftlicher Unternehmen nicht. 76 Kingreen in: Calliess/Ruffert Art 6 EUV Rn 52 aE, ähnlich Lenz in: Lenz EGV Art 220 Rn 34. AA Bleckmannl Pieper HdbEUWirtschR Bd I, Rn 139 mwN; Beutler in: vd Groeben/Schwarze (ex-) Art F EUV, Rn 79. Penski/Elsner DÖV 2001, 265, 265, verweisen das Problem auf die Schrankenebene. 77 S bereits Art 137 III, 4. Spstr EGV (nach Nizza: Art 137 I lit g EGV); dazu Krebber in: Calliess/ Ruffert Art 137 Rn 15. 78 S Art XVI ff GATS (ABl 1994 Nr L 336/184); dazu Koehler Das Allgemeine Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen (GATS), 1999, S 116 ff.
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§16 II
Matthias Ruffert
rechtsberechtigung und ihrer Abwesenheit verläuft also nicht an der Außengrenze der Gemeinschaft, sondern zeichnet die Legalität der wirtschaftlichen Betätigung im Gemeinschaftsgebiet nach. 79 Dieses Konzept durchbricht möglicherweise entgegenstehende mitgliedstaatliche Traditionen, zumal es allein um das Unionsgrundrecht der Berufsfreiheit geht, das zuvörderst die Gemeinschaft, die Mitgliedstaaten jedoch nur im Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts bindet.
Π. Beeinträchtigung 28
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FaB 2: (EuGH, Slg 1994,1-5555 ff - SMW Winzersekt) Theo Trierweiler (T) ist Moselwinzer und stellt Sekt nach der „methode champenoise" her, dh der Grundwein wird in der Flasche durch manuelles Rütteln versektet. Diese Methode ist aufwendiger als andere (zB die Versektung in Tanks), so dass Τ auf das Etikett den Hinweis „m6thode champenoise" aufdrucken lässt. Eine Ratsverordnung verbietet die Verwendung dieser Bezeichnung für Schaumwein, der nicht aus der Champagne (Frankreich) kommt. Τ sieht hierin einen Eingriff in seine Berufsfreiheit. Beeinträchtigungen der Berufsfreiheit sind zunächst durch normative Regelungen möglich. Dabei sollte darauf verzichtet werden, die für das deutsche Verfassungsrecht entwickelte Drei-Stufen-Theorie auf das Gemeinschaftsrecht zu übertragen. 80 Der EuGH hat den Unterschied zwischen Regelungen der Berufswahl und solchen der Berufsausübung nur angedeutet. 81 Losgelöst von der deutschen Grundrechtsdogmatik kann man unterschiedlich starken Eingriffen in die Berufsfreiheit durch eine differenzierte Verhältnismäßigkeitsprüfung Rechnung tragen, die auch beachtet, inwieweit der Grundrechtsträger von der Ausübung eines bestimmten Berufes gänzlich ausgeschlossen wird. Das Drei-Stufen-Konzept mag auf diese Weise eine heuristische Funktion entfalten, jedoch keine dogmatischen Kategorien zwingend vorgeben. Normative Regelungen können auch mittelbar beeinträchtigend wirken - was für die Aktivierung des Rechtfertigungszwanges hinreichend ist82 - wenn sie beispielsweise die Wettbewerbsposition eines Wirtschaftssubjekts verschlechtern. Auf dieser Grundlage sind auch nicht-normative Eingriffe denkbar, wie zB die Zahlung von Subventionen an Konkurrenten oder von Gemeinschaftsorganen ausgesprochene Warnungen und Empfehlungen. Außerdem könnte durch gemeinschaftsrechtlich veranlasste Konkurrenz öffentlicher Unternehmen (s Art 16 EGV/Art III-122 W E und Art 36 GRCh/Art 11-96 W E : Zugang zu Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse) in die Berufsfreiheit von privaten Wirtschaftssubjekten eingegriffen werden. Solcherlei Eingriffe haben allerdings die Rechtsprechung bislang noch nicht beschäftigt, weil das normativ hochgradig verdichtete Agrarrecht die Problemfälle dominiert. Schließ-
79 Noch weitergehend Wunderlich (Fn 20) S 123 ff. 80 So aber Nonhoff RIW 1995, 541, 543. 81 EuGH, Slg 1979, 3727, Rn 32 - Hauer; Slg 1986, 2519, Rn 27 - Kommission/Deutschland; Slg 1986, 2897, Rn 9 - Keller; Slg 1994, 1-5555, Rn 24 - SMW Winzersekt. Zu weitgehend daher PenskilElsner DÖV 2001, 265, 271; Stadler (Fn 5) 345 ff, und - in der Tendenz - BleckmannlPieper in: HdbEUWirtschR Bd I, Rn 86; wie hier hingegen Kingreen in: Calliess/Ruffert Art 6 EUV Rn 139; Wunderlich (Fn 20) S 112 f. 82 Kingreen in: Calliess/Ruffert Art 6 EUV Rn 136; Wunderlich (Fn 20) S 113 ff.
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Grundrecht der Berufsfreiheit
§ 16 III 1
lieh ist die Unterscheidung von unmittelbaren und mittelbaren Eingriffen so wenig ergiebig, dass sie nicht vertieft werden sollte. Jede Beeinträchtigung, auch die nicht „berufsspezifische", ist rechtfertigungsbedürftig. LtamgFaII2: Die Herstellung und Vermarktung von Sekt ist eine wirtschaftliche Betätigung, die unter das Grundrecht der Berufsfreiheit fällt. Verpflichtungen zur Gestaltung des Etiketts greifen in die Freiheit der Berufsausübung ein, weil sie die Vermarktung des Sekts einschränkend regeln. Die Verpflichtung ist jedoch nicht unverhältnismäßig: Sie dient dem Verbraucherschutz, und es ist nicht ersichtlich, dass der Rat im Rahmen seines Rechtsetzungsermessens ein milderes Mittel zum Verbraucherschutz übersehen hätte. Der Wesensgehalt der Berufsfreiheit ist nicht berührt, da der Bestand der Berufsausübung erhalten bleibt.
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ΙΠ. Rechtfertigung Fall 3: (EuGH, Slg 1998,1-1953 ff - Metronome Musik) Art 11 der RL 92/100 (ABl 1992 Nr L 346/6) verpflichtet die Mitgliedstaaten, zugunsten des Inhabers des Urheberrechts das Recht vorzusehen, die Vermietung und das Verleihen von Originalen und Vervielfältigungsstücken urheberrechtlich geschützter Werke zu verbieten. Die Richtlinie ist in Deutschland ordnungsgemäß umgesetzt. Die „Metronome Musik GmbH" ist Plattenfirma der Gruppe „Die Arzte" und beantragt vor dem zuständigen Landgericht, der „Music Point Hokamp GmbH", die CDs gewerblich vermietet, im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, die CD „Planet Punk" zu vermieten. Die „Music Point Hokamp GmbH" macht im Vorlageverfahren eine Verletzung ihrer Berufsfreiheit geltend.
1. Schranken der
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Berufsfreiheit
Schranken der Berufsfreiheit lassen sich im inhaltlichen Einklang mit der Rechtsprechung des E u G H aus der Gesamtschau der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen, der E M R K sowie der Grundrechts-Charta (Art 52 I GRCh; Art 11-112 I W E ) formulieren. Danach sind Einschränkungen zulässig, wenn sie sich auf eine gesetzliche Regelung stützen können, dem Gemeinwohl (einschließlich der Rechte anderer) entsprechen, verhältnismäßig sind und den Wesensgehalt der Berufsfreiheit nicht beeinträchtigen. 8 '
83 EuGH, Slg 1986, 2897, Rn 8 - Keller; Slg 1989, 2237, Rn 15 - Schräder; Slg 1990,1-4071, Rn 27 Marshall; Slg 1991, 1-415, Rn 73 - Zuckerfabrik Süderdithmarschen; Slg 1992, 1-35, Rn 16 Kühn; Slg 1994, 1-4973, Rn 78 - Deutschland/Rat (Bananen); Slg 1995, 1-3115, Rn 55 - Fishermen's Organisations; Slg 1997,1-4315, Rn 42 - Affish; Slg 1997,1-4475, Rn 72 - SAM Schiffahrt und Stapf; Slg 1998, 1-1953, Rn 21 - Metronome Musik; EuG, Slg 1998,11-125, Rn 74 - Dubois et Fils. S bereits Slg 1974, 491, Rn 14 - Nold.
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§ 16 III 2
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2. Anforderungen an eine gemeinschaftsrechtskonforme Beschränkung der Berufsfreiheit a) Rechtsgrundlage 34
Beschränkungen des Grundrechts der Berufsfreiheit bedürfen einer Rechtsgrundlage.84 Dieses grundrechtsspezifische Erfordernis berührt das kompetenzorientierte Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung.85 Es ist bislang in der Rechtsprechung noch nicht ausdrücklich aufgegriffen worden, weil in keinem Fall Eingriffe ohne Rechtsgrundlage vorgenommen wurden.86 Gemeinschaftsrecht muss generell so ausgelegt werden, dass es die Berufsfreiheit nicht beeinträchtigt.87 b) Verwirklichung des Gemeinwohls
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Das Gemeinwohlerfordernis füllt der EuGH in den überwiegenden Fallgestaltungen mit den Zielen der GAP (Art 33 I EGV; Art III-227 I W E ) aus. Auch im Übrigen ist eine strikte Orientierung an eindeutig normierten Gemeinschaftszielen (Art 2 EGV; Art 1-3 W E ) oder anderen gemeinschaftsrechtlichen Normen angezeigt.88 Dient eine Regelung einem Gemeinschaftsziel nicht, obwohl die Gemeinschaftsorgane dies vorgeben, so verstößt sie deswegen gegen die Berufsfreiheit.89 Hinzu treten völkerrechtliche Verpflichtungen der Gemeinschaft.90 Grundrechte anderer, die als allgemeine Rechtsgrundsätze gewährleistet sind, können nur im Rahmen einer bestehenden Gemeinschaftskompetenz geschützt werden (—> vgl § 14 Rn 47). Gemeinwohlbelange, die sich nur aus der gemeinsamen Verfassungsüberlieferung ergeben, vermögen ein Handeln der Gemeinschaftsorgane nicht zu rechtfertigen und können daher nur im Bereich der Bindung der Mitgliedstaaten Wirkungen entfalten.91 Missverständlich ist die vom EuGH verwendete Formulierung, wonach sich die Beschränkung der Berufsfreiheit aus ihrer gesellschaftlichen Funktion ergebe.92 Daran ist allein richtig, dass kein Grundrecht in seiner Ausübung losgelöst von den Rechten anderer, von der gesamten Rechtsordnung und von der Verfolgung legitimer (gesellschafts-)politischer Ziele gewährleistet werden kann. Unzutreffend wäre es, die Be-
84 85 86 87 88 89 90 91
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EuGH, Slg 1989, 2859, Rn 19 - Hoechst; PenskilElsner DÖV 2001, 265, 272. Wunderlich (Fn 20) S 186. Vgl Wunderlich (Fn 20) S 185 f. EuGH, Slg 1991,1-3617, Rn 12 - Neu. EuGH, Slg 1998, 1-1953, Rn 23 - Metronome Musik: Art 30, 151 EGV (Art III-154, HI-280 W E ) ; Rengeling (Fn 4) 216. Tendenziell enger Wunderlich (Fn 20) S 197. Schlussanträge GA Fennelly, NJW 2000, 3701, Rn 151 - Tabakwerbung = Ehlers JK 01, EGV Art 95/1. EuGH, Slg 1998,1-1953, Rn 25 - Metronome Musik. Zurückhaltend wie hier auch Wunderlich (Fn 20) S 190 f; Günter (Fn 7) S 23 f, differenziert zwischen mitgliedstaatlichen und gemeinschaftlichen Gemeinwohlzielen, geht aber auf den Kompetenzaspekt nicht ein. EuGH, Slg 1989, 2237, Rn 15 - Schräder; Slg 1992,1-35, Rn 16 - Kühn; Slg 1994,1-4973, Rn 78 Deutschland/Rat (Bananen); Slg 1994,1-5555, Rn 22 - SMW Winzersekt; Slg 1997,1-4315, Rn 42 Afflsh; Slg 1997, 1-4475, Rn 72 - SAM Schiffahrt und Stapf; Slg 1998, 1-1953, Rn 21 - Metronome Musik; Verb Rs C-37/02 und C-38/02, Urt ν 15.7.2004, Rn 82 - Di Lenardo; Verb Rs C-184/02 und C-223/02, Urt ν 9.9.2004, Rn 52 - Spanien und Finnland/Parlament und Rat; EuG, Slg 1998,11-125, Rn 74 - Dubois et Fils. S bereits EuGH, Slg 1974, 491, Rn 14 - Nold; Slg 1979, 3727, Rn 32 - Hauer.
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Grundrecht der Berufsfreiheit
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rufsfreiheit in eine „dienende Freiheit" zu verwandeln, die nur im gesellschaftlich erwünschten Sinne ausgeübt werden könnte.93 c) Wesensgehaltsgarantie Äußerste Grenze für Beschränkungen des Grundrechts der Berufsfreiheit ist dessen Wesensgehalt (-» vgl § 14 Rn 49). Diese Schranken-Schranke ergibt sich aus der ständigen Rechtsprechung des EuGH 94 und hat - für alle Grundrechte - Eingang in die Grundrechts-Charta gefunden (Art 52 I 1 GRCh; Art 11-112 I W E ) . Um der Wesensgehaltsgarantie eine eigenständige Bedeutung zu erhalten, wie sie nicht zuletzt in der Charta ihren Ausdruck findet, ist sie vom Verhältnismäßigkeitsgrundsatz getrennt zu prüfen. Die neuere Rechtsprechung des EuGH deutet dies zutreffend an.95 Allerdings ist der absolut geschützte Bereich des Grundrechts der Berufsfreiheit im Rahmen der GAP kaum wahrnehmbar.
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d) Verhältnismäßigkeitsprüfung In der Rechtsprechung des EuGH entfaltet sich das Verhältnismäßigkeitsprinzip sowohl als eigenständiges Prinzip als auch als Grundsatz im Rahmen der Grundrechtsschranken.96 Im Zusammenhang mit der Berufsfreiheit ist auf dieser Ebene eine Verhältnismäßigkeitsprüfung geboten und wird grundsätzlich vom EuGH vorgenommen.97 Maßstäbe sind das Grundrecht der Berufsfreiheit auf der einen und der die Beschränkung rechtfertigende Grundsatz auf der anderen Seite. Die Prüfung folgt dem überkommenen dreigliedrigen Schema Geeignetheit-Erforderlichkeit-Angemessenheit. Innerhalb der Verhältnismäßigkeitsprüfung kann die geringere Eingriffsschwere von Ausübungsregelungen - verglichen mit Berufswahlbeschränkungen - berücksichtigt werden, ohne dass man die deutsche Grundrechtsdogmatik dem Gemeinschaftsrecht überstülpen müsste. In dem Bestreben, Regelungen der GAP aufrechtzuerhalten, die strukturell im Gegensatz zu freier wirtschaftlicher Betätigung und damit zum Grundrecht der Berufsfreiheit stehen (s ο Rn 1ff),hat der EuGH den potentiellen Verstoß gegen das Grundrecht oft nur kursorisch geprüft und das individuelle, hinter dem Grundrechtsschutz stehende Interesse häufig nicht ausreichend berücksichtigt.98 Besonders eklatante Defizite offenbaren sich auf der Ebene der KontroUdichte. Der EuGH erkennt den Gemeinschaftsorganen einen grundsätzlich weiten Ermessens- und Prognosespielraum zu, dessen Weite im Rahmen wirtschaftspolitischer Maßnahmen, insbesondere solchen der GAP, besonders hervorgehoben wird.99 Nach diesem Kontrolldichtemaßstab können nur offensichtlich ungeeig-
93 Zu weitgehend Wunderlich (Fn 20) S 195. Wie hier bereits Meier DVBI 1974, 674 ff. 94 S ο Fn 83. 95 EuGH, Slg 1990,1-4071, Rn 28 - Marshall; Slg 1994, 1-4973, Rn 81 ff - Deutschland/Rat (Bananen); Slg 1994,1-5555, Rn 24 - SMW Winzersekt; vgl Günter (Fn 7) S 29 ff. 96 Miteinander verbunden in EuGH, Slg 1995, 1-3115, Rn 55 ff - Fishermen's Organisations; Slg 1997,1-4315, Rn 29 ff - Affish. Vgl Emmerich-Fritsche Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Direktive und Schranke der EG-Rechtsetzung, 2000, S 399ff; PenskUElsner DÖV 2001, 265, 273. 97 S zB EuGH, Slg 1989, 2237, Rn 18 - Schräder; Slg 1991,1-415, Rn 76 - Zuckerfabrik Süderdithmarschen; Slg 1996,1-3953, Rn 23 ff - Bosphorus. 98 ZB EuGH, Slg 1996, 1-569, Rn 30 - Duff; Günter (Fn 7) S 26 f; Pernice in: Grabitz/Hilf Art 164 EGV Rn 62 b. 99 EuGH, Slg 1989, 1991, Rn 19 - Leukhardt; Slg 1994,1-4973, Rn 89 ff - Deutschland/Rat (Bana-
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nete 100 oder eindeutig nicht erforderliche101 Beschränkungen als gemeinschaftsrechtswidrig gekennzeichnet werden, was bislang noch in keinem Fall aus der Rechtsprechung zur Berufsfreiheit vorgekommen ist. Dieser weite Spielraum soll sogar für mitgliedstaatliche Behörden gelten, wenn diese in den Vollzug des Gemeinschaftsrechts einbezogen sind.102 Die deutliche Kritik an dieser Weite des Ermessens- und Prognosespielraums, wie sie vor allem im Anschluss an das Bananenmarkturteil 103 , aber auch an andere Entscheidungen, formuliert wurde,104 ist nicht unberechtigt. Die Kontrolldichte darf nicht in einer Weise reduziert werden, die dazu führt, dass die Verhältnismäßigkeitsprüfung ins Leere geht. Letztlich nimmt der Gerichtshof hier ein Rechtsschutzkonzept auf, das sich vornehmlich am Erhalt einer funktionsfähigen Verwaltung ohne übermäßige gerichtliche Einmischung orientiert.105 Die Festlegung der Kontrolldichte ist nicht mit Hilfe abstrakter, allgemeingültiger Formeln möglich. Der Evidenzmaßstab ist jedoch durch eine Kontrolle zu ersetzen, die an den Gemeinschaftsgesetzgeber differenzierte Anforderungen der Plausibilität und konsistenten Begründung stellt. In diesen Kontext gehört auch die Einbeziehung von Härtefallregelungen auf der Ebene der Erforderlichkeit, wie sie der Gerichtshof bereits vollzieht.106 Die Gleichwertigkeit des Grundrechtsschutzes auf Gemeinschaftsebene im Verhältnis zum Grundrechtsschutz auf der Ebene des G G ist nur deswegen gewahrt, weil auch das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber im wirtschaftsrechtlichen Bereich einen erheblichen Gestaltungsspielraum gewährt.107 Lösung Fall 3: Die gewerbliche Vermietung von CDs ist eine wirtschaftliche Betätigung im Schutzbereich des Grundrechts der Berufsfreiheit. Wird ihr Verbot kraft Gemeinschaftsrechts angeordnet, so beeinträchtigen die handelnden Gemeinschaftsorgane den Schutzbereich. Dies gilt auch, wenn sich das Verbot aus Richtlinienrecht ergibt, sofern dieses das mitgliedstaatliche Recht - wie im vorliegenden Fall - mit hinreichender Bestimmtheit vorzeichnet, so dass der Verstoß nicht dem Mitgliedstaat allein zugerechnet werden kann. Die Beeinträchtigung lässt sich jedoch unter Rückgriff auf das Gemeinwohlerfordernis des Schutzes geistigen Eigentums rechtfertigen. Dieses Gemeinwohlerfordernis findet seine Verankerung in Art 30 EGV (Art ΠΙ-154 W E ) sowie auch in Art 151 II 4. Spstr EGV (Art III-280 II lit d W E ) , der die
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nen); Slg 1994, 1-5555, Rn 21 - SMW Winzersekt. Streinz in: Streinz GR-Charta Art 15 Rn 5, spricht von einem fast schrankenlosen Ermessen. EuGH, Slg 1994,1-4973, Rn 94 - Deutschland/Rat (Bananen); Slg 1994,1-5555, Rn 22 - SMW Winzersekt. EuGH, Slg 1994,1-5555, Rn 27 - SMW Winzersekt. EuGH, Slg 1995,1-3115, Rn 57 f - Fishermen's Organisations. EuGH, Slg 1994,1-4973 ff - Deutschland/Rat (Bananen). Berrisch EuR 1994, 461, 466ff; Everting CMLR 33 (1996) 401, 419f; ders ZHR 162 (1998) 403, 417 ff; Heitsch EuGRZ 1997, 461, 467; Hohmann EWS 1995, 381ff; Huber EuZW 1997, 517, 521; Kokott AöR 121 (1996) 599, 607f; Nettesheim EuZW 1995, 106ff; Pauly EuR 1998, 242, 256 ff; PenskUElsner DÖV 2001, 265, 273 f; Stein EuZW 1998, 262 ff; Storr Der Staat 36 (1997) 546, 565 ff. Anders in der Beurteilung Dony CDE 1995,461,486,491. Breuer Diskussionsbeitrag, W D S t R L 61 (2002), 430. EuGH, Slg 1996,1-6065, Rn 26 ff - T. Port = Erichsen JK 98, EGV Art 189/2; dazu Wunderlich (Fn 20) S 211 f. Classen JZ 1997, 454, 455; Heitsch EuGRZ 1997, 461, 467 f; Zuleeg NJW 1997, 1201, 1203. Hier handelt es sich um ein gemeineuropäisches Phänomen: s ο Fn 25, sowie Günter (Fn 7) S 227 ff.
Grundrecht der Berufsfreiheit
§ 16 III 2
Förderung künstlerischen Schafifens vorsieht. Auch völkerrechtliche Verpflichtungen der Gemeinschaft aus dem TRIPS stützen die rechtfertigende Argumentation. Angesichts der offensichtlichen Gefahr des unberechtigten Kopierens ist die Regelung nicht unverhältnismäßig, und weil eine Lizenz zum Vermieten mit dem Schutzrechtsinhaber ausgehandelt werden kann, ist auch nicht jede Möglichkeit der Vermietung ausgeschlossen, die Wesensgehaltsgarantie also nicht verletzt.
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Eigentumsgrundrecht Christian Calliess Leitentscheidungen: EuGH, Slg 1979, 3727ff - Hauer; Slg 1994, I-4973ff - Deutschland/Rat; Slg 1998,1-8001 ff - Generics; Slg 1999,1-2603ff - Nitratrichtlinie. Schrifttum: Günter Berufsfreiheit und Eigentum in der EU, 1998; Kingreen in: Calliess/Ruffert 2. Aufl 2003 Art 6 EUV; Müller-Michaels Grundrechtlicher Eigentumsschutz in der EU, 1997; Rengeling Die wirtschaftsbezogenen Grundrechte in der Europäischen Grundrechtscharta, DVB1 2004, 453 ff; Meyer Charta der Grundrechte Art 17.
I. Stellung und Bedeutung des Eigentunisgrundrechts im Gemeinschaftsrecht 1
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Das gemeinschaftsrechtliche Eigentumsgrundrecht hat seine ausdrückliche Formulierung in Art 11-77 W E der zwar paraphierten, aber bislang noch nicht in Kraft getretenen europäischen Verfassung gefunden. Der aus der Charta der Grundrechte der EU (—> vgl §20) übernommene Art 11-77 I VVE lautet: „Jede Person hat das Recht, ihr rechtmäßig erworbenes Eigentum zu besitzen, zu nutzen, darüber zu verfügen und es zu vererben. Niemandem darf sein Eigentum entzogen werden, es sei denn aus Gründen des öffentlichen Interesses in den Fällen und unter den Bedingungen, die in einem Gesetz vorgesehen sind, sowie gegen eine rechtzeitige angemessene Entschädigung für den Verlust des Eigentums. Die Nutzung des Eigentums kann gesetzlich geregelt werden, soweit dies für das Wohl der Allgemeinheit erforderlich ist". Art 11-77 II W E erweitert den Schutzbereich explizit durch die Formulierung: „Geistiges Eigentum wird geschützt". Im europäischen Verfassungsverbund1, der aufgrund seiner Ursprünge in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) nach wie vor eine stark wirtschaftliche Ausrichtung aufweist, zählt das Eigentumsgrundrecht zu den zentralen Grundrechten. Denn ohne die marktwirtschaftliche Vorbedingung eines gesicherten Privateigentums liefe eine Vielzahl der Bestimmungen des europäischen Wirtschaftsverfassungsrechts (vgl. nur Art 4 EGV/Art 1-3 II W E ) in die Leere. Schon im geltenden EGV hat das Schutzgut des Eigentums, so wie es in den Mitgliedstaaten gewährleistet ist, eine gemeinschaftsrechtliche Anerkennung gefunden, da Art 295 EGV (Art III-425 W E ) die Unberührtheit der mitgliedstaatlichen Eigentumsordnungen garantiert und Art 30 EGV (Art III-154 W E ) eine Ausnahme von der Grundfreiheit des freien Warenverkehrs ua zum Schutz des geistigen und kommerziellen Eigentums zulässt.2 Freilich kann diesen Bestimmungen keine Eigentumsgarantie im Sinne eines subjektiven Rechts gegen Eigentumsbeeinträchtigungen durch die Gemeinschaft entnommen werden.3 Im Zusammenspiel zwischen Art III-425 W E , der inhaltsgleich mit der noch geltenden Vorschrift des Art 295 EGV ist, und der Eigentumsgarantie des Art 11-77 W E muss
1 Hierzu Pernice VVDStRL 60 (2001), 148 ff; Huber W D S t R L 60 (2001), 194 ff; zum Verfassungsbegriff in der EU allgemein Calliess in: Calliess/Ruffert Art 1 EGV Rn 17 ff. 2 Vgl Kingreen in: Calliess/Ruffert Art 295 EGV Rn 2 u 5 ff. 3 Ausführlich zur Grundrechtsqualität der Vorgängervorschrift des Art 295 EGV (mit negativem Ergebnis) Thiel JuS 1991, 274 ff; ebenso Kingreen in: Calliess/Ruffert Art 295 EGV Rn 4; MüllerMichaels Grundrechtlicher Eigentumsschutz in der EU, 1997, S 34 f.
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zwischen Eigentumsrecht und Eigentumsordnung unterschieden werden. Während die Bestimmung der Eigentumsordnung gemäß Art III-425 W E Sache der Mitgliedstaaten ist, ist das Eigentumsrecht als Unionsgrundrecht in Art 11-77 W E gemeinschaftsrechtlich konkretisiert. Art III-425 W E beeinflusst daher nicht die Kompetenz des EuGH, Inhalt und Grenzen des gemeinschaftsrechtlichen Eigentumsrechts nach Art II-77 W E zu bestimmen. Wie im deutschen Verfassungsrecht zeichnet sich auch das Eigentumsgrundrecht auf Gemeinschaftsebene durch einen sog normgeprägten Schutzbereich aus. Sein Schutzgegenstand muss - anders als zB im Falle der Meinungsfreiheit - normativ erst durch den Gesetzgeber (innerhalb bestimmter Grenzen, die durch einen mit den Begriffen Privatnützigkeit und Institutsgarantie umschriebenen Kernbereich gezogen sind) geschaffen werden. Eigentum ist also eine Schöpfung der Rechtsordnung(-en). 4 Ganz in diesem Sinne macht auch Art 295 EGV (Art III-425 W E ) deutlich, dass die Inhaltsbestimmung dessen, was eigentlich zum Eigentum zählt, mithin vom Schutzbereich des Eigentumsgrundrechts umfasst ist, im Verfassungsverbund durch die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen und die Normen des Gemeinschaftsrechts gemeinsam bestimmt wird. Das gemeinschaftsrechtliche Schutzgut des Eigentums setzt sich also, wie es Art II-77 I 3 W E nahe legt, aus den Normen des nationalen und europäischen Rechts zusammen. Auch wenn Art 17 der Grundrechtscharta von Nizza (GRCh) 5 , der seinerseits die Basis für Artikel 11-77 W E bildet, in Anlehnung an Art 1 1. ZP E M R K formuliert worden ist, so spielt die E M R K , respektive Art 1 l . Z P E M R K (—» hierzu ausf § 5 Rn 3ff), bei der Bestimmung des Schutzbereichs eine untergeordnete Rolle. Denn mit Blick auf die Normprägung des Schutzbereichs kann die E M R K über den Wortlaut von Art 1 1. ZP E M R K hinaus nichts beisteuern; den Inhalt des Eigentums prägende Rechtsnormen können der E M R K mangels eines eigenen, das Eigentum ausgestaltenden Gesetzgebers nicht entnommen werden.
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II. Die Herleitung und dogmatische Struktur des gemeinschaftsrechtlichen Eigentumsgrundrechts Fall 1: (EuGH, Slg 1979, 3727 - Hauer) Die deutsche Winzerin Liselotte Hauer beantragte im Juni 1975 die Genehmigung zur Anpflanzung von Weinreben auf ihrem Grundstück in Bad Dürkheim. Die Genehmigung wurde ihr vom Land Rheinland-Pfalz ua mit der Begründung verweigert, dass die in der Zwischenzeit erlassene EG-VO 76/1162 über Maßnahmen zur Anpassung des Weinbaupotentials an die Marktbedürfnisse 6 jede Neuanpflanzung von Weinreben für einen längeren Zeitraum untersage. In ihrer Klage vor dem Verwaltungsgericht machte die Winzerin ua geltend, dass ihr die Bestimmungen der EG-VO auch deswegen nicht entgegengehalten werden könnten, weil sie die in den Art 12 und 14 GG normierten Grundrechte der freien Berufsausübung und des Eigentumsschutzes verletzten. Das Verwaltungsgericht bat den EuGH mit Blick auf diese Frage um Vorabentscheidung.
4 Ehlers W D S t R L 51 (1992), 211, 214fT; Huber Politische Studien, Sonderheft 1/2000, S 45, 46f, 49 f mwN. 5 Zum Inhalt des Artikels 17 der Charta Bernsdorff in: Meyer Charta der Grundrechte Art 17; zur Rechtsverbindlichkeit der Charta und zu ihrem Einfluss auf die Rechtsprechung Calliess EuZW 2001, 281 ff, insbes 267 f; ferner Alber E u G R Z 2001, 349 ff mwN. 6 VO 76/1162.
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Lösung Fall 1: Grundlegend für den gemeinschaftsrechtlichen Eigentumsschutz war vor der ausdrücklichen Regelung in Art Π-77 W E das Urteil des EuGH in der Rs Hauer1. Denn hier erhob der EuGH erstmals einen „eigenen Anspruch bei der Formulierung einer gemeinschaftsspezifischen Eigentumsdogmatik".8 Obwohl es sich um eine ältere Entscheidung handelt, ist sie besonders geeignet, die - im Verfassungsverbund auch weiterhin bedeutsame - methodische Vorgehensweise des EuGH bei der Herleitung des Eigentumsrechts und der Bestimmung seiner Schranken zu verdeutlichen. In seinem ersten Prüfungsschritt (unter Rn 14 des Urteils) nimmt der Gerichtshof auf sein Urteil in der Rs Internationale Handelsgesellschaft9 Bezug und betont, dass die Frage einer etwaigen Verletzung der Grundrechte durch eine Handlung der Gemeinschaftsorgane nicht anders als im Rahmen des Gemeinschaftsrechts selbst beurteilt werden könne. Die Aufstellung besonderer, von der Gesetzgebung oder der Verfassungsordnung eines bestimmten Mitgliedstaats abhängiger Beurteilungskriterien würde, so der EuGH, die materielle Einheit und die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts beeinträchtigen und hätte daher unausweichlich die Zerstörung der Einheit des Gemeinsamen Marktes und eine Gefährdung des Zusammenhalts der Gemeinschaft zur Folge. Interessant erscheint, dass der EuGH in seinem ersten Prüfungsschritt maßgeblich auf die Wahrung des gemeinschaftlichen Besitzstandes und nicht auf den Grundrechtsschutz des Einzelnen abstellt. Erst in seinem zweiten Prüfungsschritt (Rn 15 des Urteils) hebt der EuGH unter Bezugnahme auf das erwähnte Urteil in der Rs Internationale Handelsgesellschaft und das Urteil in der Rs Nold10 hervor, dass die Grundrechte zu den allgemeinen Rechtsgrandsätzen gehören, die der Gerichtshof zu wahren habe. Der Gerichtshof „hat" insoweit von den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten „auszugehen". Die in dem Wort „hat" liegende Verpflichtung wird durch das Wort „auszugehen" wieder abgeschwächt. Folglich muss der EuGH sich mit der Verbürgung des in Frage stehenden Eigentumsgrundrechts in den Verfassungen der Mitgliedstaaten auseinandersetzen. Der EuGH hat jedoch nur von diesen „auszugehen" und ist mithin nicht an die konkreten Ausprägungen des Grundrechts in den Verfassungen der Mitgliedstaaten gebunden. Andererseits bieten gerade die Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten einen geeigneten Ansatzpunkt, um den europäischen Gehalt des Eigentumsgrundrechts zu ermitteln. Dies gilt um so mehr, als der (Haupt-) Gesetzgeber der Gemeinschaft, der Ministerrat, sich aus Vertretern der nationalen Regierungen zusammensetzt. Insofern sollte jenen nicht die Möglichkeit gegeben werden, sich über den Ministerrat den durch die nationalen Grundrechte gezogenen Schranken der Gesetzgebung zu entziehen. Welcher Standard an Eigentum aber soll europarechtlich geschützt werden? Insoweit herrscht heute weitgehend Übereinstimmung, dass sich inhaltlich weder ein Minimalstandard noch ein Maximalstandard an Grundrechtsschutz in der Gemeinschaft praktisch realisieren lassen." Einerseits führt das gemeinsame Minimum zu einem zu geringen Schutz, der geeignet ist, auf nationaler Ebene den Vorrang des Gemeinschaftsrechts in Frage zu stellen.12 Andererseits 7 8 9 10 11 12
EuGH, Slg 1979, 3727 ff - Hauer. Beutler EuR 1980, 130, 134. EuGH, Slg 1970, 1125 ff - Internationale Handelsgesellschaft. EuGH, Slg 1974,491 ff - Nold. Vgl Rengeling Grundrechtsschutz in der EG, 1993, S 224 mwN; krit Bleckmann ER S 29 ff. Vgl die Solange-Rspr des BVerfGE 37,271, 285; 73, 339, 387; Ress/Ukrow EuZW 1990,499, 504.
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Eigentumsgrundrecht
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ist ein wünschenswerter Maximalstandard mit Blick auf das jeweils unterschiedliche Grundrechtsverständnis in den einzelnen Mitgliedstaaten nur schwer durchsetzbar. 13 Zur Lösung dieser Problematik wird bei der Gewinnung und Konkretisierung der europäischen Grundrechte ganz überwiegend auf die Methode der wertenden Rechtsvergleichung zurückgegriffen. 14 Auch wenn der EuGH bisher die Methode, mit der er allgemeine Rechtsgrundsätze und damit Grundrechte entwickelt, nicht ausdrücklich benannt hat, so ergibt sich doch aus den Schlussanträgen der Generalanwälte 15 und Stellungnahmen in der Literatur l6 , dass im Wege „wertender Rechtsvergleichung" die „beste Lösung" für das Gemeinschaftsrecht auf Grundlage nationaler und internationaler Grundrechtsverbürgungen gefunden werden muss. Anknüpfungspunkt für den EuGH ist insofern die Feststellung, dass sich die allgemeinen Rechtsgrundsätze in die Ziele und Strukturen des EGRechts einfügen müssen.17 Folglich tendiert der EuGH dahin, dass bei einer Divergenz zwischen den Normen der nationalen Rechtsordnungen diejenige Rechtsordnung heranzuziehen ist, deren Norm sich am besten in die Ziele und Strukturen des EG-Rechts einpasst.18 In einem dritten Schritt (Rn 17-19 des Urteils) prüft der EuGH dann auf dieser dogmatischen Grundlage das europäische Grundrecht auf Eigentum: „Das Eigentumsrecht wird in der Gemeinschaftsrechtsordnung gemäß den gemeinsamen Verfassungskonzeptionen der Mitgliedstaaten gewährleistet, die sich auch im Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention widerspiegeln." Interessanterweise beginnt der EuGH seine Prüfung dann aber nicht mit einer Bezugnahme auf die mitgliedstaatlichen Verfassungsüberlieferungen, sondern mit der Prüfung von Art 1 1. ZP EMRK. Unter Bezugnahme auf Art 1 II 1. ZP E M R K stellt der Gerichtshof abschließend fest, dass das Protokoll Einschränkungen der Benutzung des Eigentums grundsätzlich zulasse, diese aber auf das von den Staaten im Hinblick auf den Schutz des „Allgemeininteresses" für „erforderlich" gehaltene Maß beschränke. Diese Bestimmung erlaube indessen noch keine hinreichend genaue Antwort auf die vom vorlegenden Verwaltungsgericht aufgeworfene Frage. Deutlich wird einerseits, dass sich der EuGH in gewisser (nicht rechtlicher) Weise an die E M R K gebunden fühlt, obwohl die EG ihr (bisher) nicht beigetreten ist (-» hierzu § 2 Rn30; § 14 Rn 11). Andererseits wird - insbesondere durch den abschließenden Satz klargestellt, dass der EuGH die E M R K als bloßen Ausgangspunkt seiner Grundrechtsprüfung in Bezug nimmt. Sie ist nur eine „erste Hürde", die die Gemeinschaftsmaßnahme mit Blick auf den Grundrechtsschutz passieren muss. Die mitgliedstaatlichen Verfassungsüberlieferungen können als „zweite Hürde" jedoch zusätzliche Anforderungen des Grundrechtsschutzes stellen. Spätestens in der Rs „Hoechst" hat der EuGH allerdings unzweideutig die Gleichrangigkeit der beiden Rechtsermittlungsquellen festgestellt," die sich solchermaßen auch im Wortlaut des Art 6 II EUV (Art 1-9 III W E ) wiederfindet. 13 Rengeling (Fn 11) S 224 mwN. 14 Ausführlich dazu Bleckmann ER S 29 ff; -> § 14 Rn 9. 15 Schlussanträge GA Gand, EuGH, Slg 1967, 361, 367 - Firma Kampffmeyer; Schlussanträge GA Roemer, Slg 1971, 987, 990 - Zuckerfabrik Schöppenstedt; ders, Slg 1973, 1254, 1258, 1273 - Werhahn; Schlussanträge GA Warner, Slg 1976, 352 - van de Roy. 16 Vgl nur Bleckmann ER S 29 ff; ResstUkrow EuZW 1990, 499, 500, 502 f; Rengeling (Fn 11) S 228 mwN. 17 Vgl etwa EuGH, Slg 1970, 1125, Rn 4 - Internationale Handelsgesellschaft. 18 Bleckmann ER S 30. 19 EuGH, Slg 1989, 2859, Rn 13ff- Hoechst = Küttig JK 90, EWGV § 173/2; vgl Ress/Ukrow EuZW 1990,499,501.
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In einem vierten Prüfungsschritt (Rn 20-22 des Urteils) nimmt der EuGH nunmehr einen Vergleich der mitgliedstaatlichen Verfassungen mit Blick auf die Ausgestaltung des Eigentumsrechts vor: „Für die Beantwortung dieser Frage müssen auch die Hinweise beachtet werden, die den Verfassungsnormen und der Verfassungspraxis der ... Mitgliedstaaten zu entnehmen sind. Hierzu ist als erstes festzustellen, dass es dem Gesetzgeber nach diesen Normen und der erwähnten Praxis gestattet ist, die Benutzung des Privateigentums im Allgemeininteresse zu regeln." Die Bezugnahme auf alle Mitgliedstaaten und die Praxis verdeutlicht, dass der EuGH auch die britische ungeschriebene Verfassung sowie jene Verfassungen, die sich nicht ausdrücklich mit dem Problem befassen, einbezieht. Nachdem der EuGH auf drei ausdrückliche Verfassungsbestimmungen konkret Bezug genommen hat, stellt er fest, dass in sämtlichen Mitgliedstaaten zahlreiche Gesetzgebungsakte der sozialen Funktion des Eigentumsrechts konkreten Ausdruck verliehen hätten: „So gibt es in allen Mitgliedstaaten Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der Landund Forstwirtschaft, des Wasserrechts, des Umweltschutzes, der Raumordnung und des Städtebaus, die die Benutzung des Grundeigentums - zuweilen erheblich - einschränken. Insbesondere bestehen in allen Weinbauländern der Gemeinschaft zwar unterschiedlich strenge, aber zwingende Rechtsvorschriften in Bezug auf die Anpflanzung von Weinreben. In keinem der betreffenden Länder werden diese Vorschriften grundsätzlich als unvereinbar mit der Wahrung des Eigentumsrechts betrachtet." Das Ergebnis dieser vergleichenden Analyse dient dem EuGH dazu festzustellen, dass der eigentumsbeschränkende Inhalt der VO 76/1162 eine in den Mitgliedstaaten vorkommende und in gleicher oder ähnlicher Form als rechtmäßig anerkannte Einschränkung darstellt.
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In seinem fünften und sechsten Prüfungsschritt (Nr 23-30 des Urteils) untersucht der EuGH schließlich in einer die vorangegangene Prüfung ergänzenden Weise, ob a) „die in der umstrittenen Regelung enthaltenen Einschränkungen tatsächlich dem allgemeinen Wohl dienenden Zielen der Gemeinschaft entsprechen" und b) „ob sie nicht einen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff in die Vorrechte des Eigentümers darstellen, der das Eigentumsrecht in seinem Wesensgehalt antastet." Damit nimmt der EuGH auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip Bezug. Als allgemeiner Rechtsgrundsatz - basierend auf den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten 20 - ist das Verhältnismäßigkeitsprinzip in ständiger Rechtsprechung des EuGH als ungeschriebener Bestandteil des Gemeinschaftsrechts anerkannt. Nunmehr ist das Verhältnismäßigkeitsprinzip auch ausdrücklich in Art 5 III EGV (Art 1-11 IV W E ) verankert.21 Sodann prüft der EuGH mit Blick auf den konkreten Fall zunächst, ob die Maßnahme dem allgemeinen Wohl dient. Hierfür legt er einen europäischen Maßstab zugrunde. Unter Bezugnahme auf die Präambel der Verordnung und die allgemeinen Ziele der jeweiligen Politik, hier der Agrarpolitik, bejaht er dies. Sodann nimmt er hinsichtlich des so gefundenen Gemeinwohlbelangs (Eindämmung von Überschüssen, Förderung der Weinqualität) mit positivem Ergebnis eine sehr knapp gehaltene und dogmatisch unscharfe, Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit nicht klar trennende Verhältnismäßigkeitsprüfung vor.
20 Vgl den ausführlichen Überblick bei Schwarze Europäisches Verwaltungsrecht Bd II, 1988, S 664fr. 21 Ausführlich Calliess Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der EU, 1999, S 116 ff mwN.
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ΙΠ. Das europäische Eigentumsgrundrecht im Einzelnen 1. Schutzbereich des
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Fall 2: (EuGH, Slg 1994,1-4973 if - Deutschland/Rat) Durch die VO 93/404 wurde eine gemeinsame Marktorganisation für Bananen eingeführt. Nach deren Regelungen sollen Bananen aus den mit der EU über die Entwicklungspolitik assoziierten sog AKP-Staaten sowie solche, die innerhalb der EU einschließlich ihrer überseeischen Gebiete produziert wurden, den größten Teil des Bananenmarktes ausmachen; für aus Drittländer eingeführte Bananen werden Gemeinschaftskontingente (Importquoten) eingeführt, die auf die Importeure aufgeteilt werden sollen. Gegen die Bananenmarktordnung erhob Deutschland Nichtigkeitsklage gem Art 230 EGV (Art III-365 W E ) ua mit der Begründung, dass diejenigen Importeure, die bisher Bananen in großem Umfang aus Mittelamerika eingeführt hätten, durch den mit den Importquoten verbundenen Entzug von Marktanteilen in ihrem Eigentumsgrundrecht verletzt seien. Art 11-77 W E schützt das Sacheigentum, 22 aber auch nichtkörperliche Gegenstände, etwa private Forderungsrechte 23 und - wie Art 11-77 II W E deutlich macht - auch geistige Eigentumsrechte (Urheber-, Patent-, Verlags-, Marken- und sonstige Schutzrechte). 24 Angesichts seines normgeprägten Schutzbereichs ist das Eigentum aber im Gemeinschaftsrecht ein „Produkt" der Rechtsordnung, so dass seine Inhaltsbestimmung an das einfache, insbesondere das bürgerliche Recht (zuvorderst der Mitgliedstaaten), anknüpfen muss.25 Die Frage, ob der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb in seiner Gesamtheit (also über den Schutz der in ihm enthaltenen Produktionsmittel hinaus) von der Eigentumsgarantie umfasst ist, bleibt offen. 26 Dies ist nicht weiter problematisch, vergegenwärtigt man sich, dass der Schutz des Gewerbebetriebes im Ergebnis nicht weiter reichen kann als der seiner im Einzelnen ja bereits vom Eigentumsgrundrecht geschützten Grundlagen, mithin in jedem Falle der Bestand des Unternehmens betroffen sein muss.27 Nach der bisherigen Rechtsprechung fällt das Vermögen als solches, etwa in Form von Geldleistungspflichten, nicht unter den Begriff des Eigentums. 28 Hatte der EuGH zu-
22 Rengeling DVB1 2004, 453, 459; zu Art 17 GRCh: vgl Bernsdorff·, in Meyer Charta der Grundrechte Art 17 Rn lf; Streinz in: ders Art 17 GR-Charta Rn 6 ff; schon EuGH, Slg 1979, 3727 Rn 17 ff - Hauer; ausführlich Günter Berufsfreiheit und Eigentum in der EU, 1998, S 33 f. 23 Vgl Müller-Michaels (Fn 3) S 66 zu Art 1 1. ZP E M R K . 24 Schon EuGH, Slg 1998, 1-1953, Rn 21 ff - Metronome Musik; Kingreen in: Calliess/Ruffert Art 295 EGV Rn 6 ff; Epiney in: Calliess/Ruffert Art 30 EGV Rn 33 ff; Günter (Fn 22) S 34 ff; zu Art 1 1. ZP E M R K : Riedel E u G R Z 1988, 333, 334; Grabenwarter in: Bonner Kommentar zum GG, Anh zu Art 14: Europarecht, 2001, S 3. 25 Kingreen in: Calliess/Ruffert Art 6 EUV Rn 142. 26 So Rengeling DVB1 2004, 453, 460; Dafür: Rengeling (Fn 11) S 36, 46 f; Wetter Die GrundrechtsCharta des EuGH, 1998, S 145ff unter Hinweis auf E u G H , Slg 1984, 4057, Rn 21 ff - Biovilac, sowie Thiel JuS 1991, 274, 279; skeptisch mit Blick auf die zitierte Rechtsprechung Kingreen in: Calliess/Ruffert Art 6 EUV Rn 145; Grabenwarter (Fn 24) S 13. 27 Kingreen in: Calliess/Ruffert Art 6 EUV Rn 145; Müller-Michaels (Fn 3) S 39 f; auch EuGH, Slg 1980, 907, Rn 90 - Valsabbia, scheint in diese Richtung zu tendieren. 28 Deutlich EuGH, Slg 1991, 1-415, Rn 74 - Zuckerfabrik Süderdithmarschen; unklar hingegen EuGH, Slg 1989, 2237, Rn 15 ff - Schräder; kritisch Günter (Fn 22) S 40 ff sowie Schilling EuZW 1991, 310 f.
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nächst noch offengelassen, ob Rechtspositionen öffentlich-rechtlicher Natur (zB Sozialleistungen) vom Eigentumsschutz umfasst werden,2' so hat er dies in neuerer Rechtsprechung angenommen, wenn sie jedenfalls zum Teil auch auf Eigenleistungen des Berechtigten beruhen.30 Daran fehlt es bei kommerziellen Vorteilen als Folge von marktsteuernden Maßnahmen, wie der Zuteilung von Referenzmengen im Rahmen einer gemeinsamen Marktorganisation. Auch bloße kaufmännische Interessen oder Aussichten, deren Ungewissheit zum Wesen wirtschaftlicher Tätigkeit gehört,31 wie etwa ein bestimmter Marktanteil,32 sind nach bisheriger Rechtsprechung vom gemeinschaftsrechtlichen Eigentumsschutz nicht umfasst. Freilich macht die Abgrenzung, etwa im Falle von wettbewerbssteuernden Maßnahmen der Gemeinschaft (zB Festlegung von Erzeugerquoten und Vermarktungsregeln) Schwierigkeiten. Zumindest immer dann ist das Eigentumsgrundrecht beeinträchtigt, wenn die Nutzung der Produktionsstätten und -anlagen des Gewerbebetriebes unmittelbar betroffen ist. So liegt es etwa bei Quoten für die Erzeugung von Stahl.33 Anders liegt es wiederum bei Maßnahmen, die (wie zB Mindestpreisregelungen34) nur die Vermarktung des Produktes, nicht aber die Nutzung des Eigentums an den Produktionsstätten und -mittein selbst betreffen.35 Schließlich umfasst das Eigentumsgrundrecht auch den sog Dispositions· und Bestandsschutz, mithin das Vertrauen des Eigentümers auf den Fortbestand der vom Gesetzgeber geschaffenen Rechtslage, die ihm die Nutzung des Eigentums ermöglicht.36 Es handelt sich hierbei um die vom EuGH als „wohlerworbene Rechte"37 bezeichneten Rechtspositionen, die wiederum von den bloßen Erwartungen und Gewinnchancen abzugrenzen sind. Sie setzen einen auf Maßnahmen der Gemeinschaft oder der Mitgliedstaaten gegründeten Vertrauenstatbestand voraus.38 Ein solcher kann nach Auffassung des EuGH freilich dort nicht entstehen, wo Entscheidungen der Gemeinschaftsorgane im Rahmen ihres Ermessens (insbesondere im Anwendungsbereich der Marktordnungen) verändert werden können.39 Die hiermit verbundene Relativierung des Eigentumsschutzes ist allerdings nicht unproblematisch. Denn der Umfang des Schutzes darf nicht davon abhängen, ob das Vertrauen auf die zukünftige Nutzung durch das Handeln der Gemeinschaft oder der Mitgliedstaaten durchbrochen werden kann. Von maßgeblicher Bedeutung muss das Gewicht des dem Eigentum entgegenstehenden Interesses, das im Rahmen der Eingriffsrechtfertigung zu prüfen ist, sein.40
29 EuGH, Slg 1980, 1979, Rn 22 - Testa; Slg 1991,1-323 ff - Rönfeldt; gegen eine Einbeziehung GA M. Darmon im Schlussantrag zu dieser Entscheidung (Ziff 16). 30 EuGH, Slg 1991, 1-5119, Rn 27 - von Deetzen; Slg 1994, 1-955, Rn 19 - Bostock; Slg 1995, 1-3875, Rn 14 - Country Landowners Association; EuG, Slg 1995,11-2071, Rn 99 - O'Dwyer. 31 EuGH, Slg 1974, 491, Rn 14 - Nold; Slg 1980, 907, Rn 89 - Valsabbia. 32 EuGH, Slg 1994,1-4973, Rn 79 - Deutschland/Rat (Bananen). 33 Kingreen in: Calliess/Ruffert Art 6 EUV Rn 149 unter Berufung auf EuGH, Slg 1982,4261, Rn 13 - Metallurgiki Halyps und EuGH, Slg 1985,2831, Rn 29 - Hoogovens Groep. 34 EuGH, Slg 1980,907, Rn 90 - Valsabbia. 35 Günter (Fn 22) S 39. 36 Rengeling (Fn 11) S 46; Kingreen in: Calliess/Ruffert Art 6 EUV Rn 150. 37 EuGH, Slg 1976, 1097, Rn 18, 20 - Elz; Slg 1979,2749, Rn 22 - Eridiana. 38 EuGH, Slg 1992,1-35, Rn 14 f - Kühn. 39 EuGH, Slg 1979, 2749, Rn 22 - Eridiana; Slg 1982, 3745, Rn 27 - Faust; Slg 1992,1-35, Rn 13 Kühn; Slg 1994,1-4973, Rn 79 - Deutschland/Rat (Bananen). 40 Kingreen in: Calliess/Ruffert Art 6 EUV Rn 150; ferner Besse JuS 1996, 396, 400 f; Huber EuZW 1997, 517, 521; Nettesheim EuZW 1995, 106 f.
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Losing Fall 2: In den Regelungen zur Bananenmarktordnung konnte der EuGH schon keine Beeinträchtigung des Schutzbereichs des Eigentumsgrundrechts feststellen. Denn kein Wirtschaftsteilnehmer könne ein Eigentumsrecht an einem Marktanteil geltend machen, den er zu einem Zeitpunkt vor Einführung der gemeinsamen Marktoiganisation besessen habe.41 Marktanteile seien „augenblickliche wirtschaftliche Positionen, die den mit einer Änderung der Umstände verbundenen Risiken ausgesetzt sind."42 Ein Wirtschaftsteilnehmer könne auch kein wohlerworbenes Recht bzw auch nur berechtigtes Vertrauen auf Beibehaltung einer bestehenden Situation geltend machen, solange die Gemeinschaftsorgane im Rahmen ihres rechtmäßigen Ermessens handelten.43
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2. Beeinträchtigung des Schutzbereichs Fall 3: (EuGH, Slg 1984, 3881 - Olivenöl) Durch EG-VO 81/71 wurde der Kauf von Olivenöl, das die italienische Interventionsstelle A im Rahmen der Verpflichtungen aus der Gemeinsamen Agrarpolitik im Zuge von Interventionsmaßnahmen aufgekauft hatte und das von der EG bereits mehrfach erfolglos zum Verkauf auf dem Markt angeboten worden war, zu einem äußerst günstigen Festpreis ermöglicht. Der vorgesehene Festpreis war offenbar so interessant, dass die Käufer unter den vielen Interessenten ausgelost werden mussten. Κ ging aus der Verlosung als Käufer hervor. Nachdem Α und die EG-Kommission sich nunmehr bewusst geworden waren, dass die Käufer infolge der nicht marktgerechten Festpreise für das Olivenöl mit außerordentlich hohen Gewinnen rechnen konnten, verzögerten sie zunächst die Übergabe der Ware. Sodann erließ die Kommission die VO 81/2238, mit der die VO 81/71 - und damit auch die Grundlage des Anspruchs von Κ auf Herausgabe des gekauften Olivenöls - „wegen der veränderten Marktlage und zur Vermeidung von schweren Störungen des Marktes aus übergeordnetem öffentlichen Interesse" rückwirkend aufgehoben wurde. Durch VO 81/2239 wurde das Olivenöl dann erneut angeboten, diesmal aber nicht mehr zu einem Festpreis, sondern an den Meistbietenden unter Festsetzung eines Mindestverkaufspreises. Den ausgelosten Käufern, also auch K, wurde hierbei ein Vorkaufsrecht eingeräumt. Gegen die VO 81/2238 erhob Κ Nichtigkeitsklage. Nach Art 11-77 W E liegt ein Eingriff vor, wenn eine eigentumsfähige Position entzogen oder ihre Nutzung, Verfügung oder Verwertung Beschränkungen unterworfen wird. 44 Diese Definition liegt der bisherigen Rechtsprechung des E u G H zugrunde, wobei der E u G H selbst die im oben dargestellten HauerAJtleA der E M R K zugrundeliegende Konzeption des Eigentumseingriffs (vgl Art 1 1. Z P E M R K ) übernommen hatte. Der schärfstmögliche Eingriff, die Eigentumsentziehung, umfasst - wenn man sich an der E M R K orientiert - sowohl die formelle Enteignung durch Gesetz bzw aufgrund Gesetzes als auch sonstige Eigentumsbeschränkungen, die den Eigentümer faktisch ebenso wie eine formelle Enteignung treffen (de facto-Enteignungen). 45 Davon zu unterscheiden sind Beschränkun41 42 43 44
EuGH, Slg 1994,1-4973, Rn 79 - Deutschland/Rat (Bananen). EuGH, Slg 1994, M973, Rn 79 - Deutschland/Rat (Banenen). EuGH, Slg 1994,1-4973, Rn 80 - Deutschland/Rat (Banenen). Rengeling DVB1 2004, 453, 460; vgl zu Art 17 I 2, 3 GRCh Gmbenwarter (Fn 24) S 15 f; Duppl Grzeszick in: König/Rieger/Schmitt Europa der Bürger, 1998, S 111, 119. 45 EGMR, EuGRZ 1983, 523, Rn 63 - Sporrong und Lönnroth; ausführlich Gelinsky Der Schutz des Eigentums gemäß Art 1 1. ZP EMRK, 1996, S 56 ff.
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gen, die das Eigentum nicht (auch nicht nur teilweise) entziehen, sondern nur seine Nutzung zeitlich, räumlich oder sachlich beschränken.46 Mit Blick auf die Normprägung des Eigentumsgrundrechts ist bei Maßnahmen des Gesetzgebers zwischen eigentumskonstituierenden und eigentumsbeeinträchtigenden Normen zu unterscheiden, so dass nicht schon jede rechtliche Regelung, die das Eigentum betrifft, einen Eingriff darstellt. Wie eingangs bereits erwähnt wurde, kann im europäischen Verfassungsverbund das nationale Eigentum auch durch Gemeinschaftsregeln mitgestaltet, -begrenzt und -erweitert werden47. Dabei ist die generelle und pflichtneutrale Regelung der Nutzung des Eigentums durch den Gemeinschaftsgesetzgeber solange kein Eigentumseingriff, wie sie sich nicht auf durch frühere eigentumskonstituierende Vorschriften entstandene Rechtspositionen erstreckt und die darin enthaltene Befugnis verkürzt.48 Entsprechend der Eigentumsgarantie der EMRK und den mitgliedstaatlichen Ausformungen des Eigentumsgrundrechts ist der Gesetzgeber auch nach Art 11-77 S 3 W E befugt, die Benutzung des Privateigentums im Allgemeininteresse zu regeln. Demgemäß kann auch die gemeinschaftsrechtliche Eigentumsgarantie keine uneingeschränkte Geltung beanspruchen, sondern muss in Hinblick auf ihre gesellschaftliche Funktion gesehen werden.49 Auch im Gemeinschaftsrecht findet die Gewährleistung des Eigentums also eine Ergänzung durch das Prinzip der Sozialpflichtigkeit. Seine gesellschaftliche Funktion ist zugleich Rechtfertigung und Grenze für Nutzungsbeschränkungen des Eigentums. Ein Eigentumseingriff kann zunächst unmittelbar durch eine Einzelfallregelung, also konkretindividuell, grundsätzlich aber auch durch eine Norm, also abstrakt-generell, erfolgen. Wenn die beanstandete Maßnahme den Kläger wie alle anderen betrifft, ihn also nicht in irgendeiner Weise heraushebt, tendiert der Gerichtshof freilich dazu, einen Eingriff abzulehnen.50 Zum Problem wird damit die Beurteilung nur mittelbar belastender Maßnahmen: Veränderungen der äußeren Wettbewerbsbedingungen durch Maßnahmen der Gemeinschaft (etwa Interventionsverkäufe von Magermilchpulver zu Billigpreisen zum Nachteil anderer Marktteilnehmer)51 oder die Abschaffung bisher bereitgehaltener Vermarktungsmöglichkeiten52 sind vom EuGH bislang nicht als Eingriff qualifiziert worden. Auf der anderen Seite hat er aber wiederum die negativen Auswirkungen von Sanktionsmaßnahmen auf die betroffenen Wirtschaftsteilnehmer als Eingriff angesehen.53 Sofern die mittelbaren Wirkungen der staatlichen Maßnahme zu einer unmittelbaren Nutzungs-, Verfügungs- oder Verwertungsbeschränkung führen, lässt sich daher durchaus ein Eingriff annehmen; eine Existenzgefährdung ist insoweit nicht erforderlich.54 Im Übrigen ist ein Eingriff in die Berufsfreiheit zu prüfen.
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Zum Abgrenzungsproblem vgl etwa Müller-Michaels (Fn 3) S 74 f. Vgl bereits Pernice Grundrechtsgehalte im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 1979, S 185. Kingreen in: Calliess/Ruffert Art 6 EUV Rn 153. EuGH, Slg 1989, 2237, Rn 15 - Schräder; Slg 1998,1-7976, Rn 79 - Generics. EuGH, Slg 1994,1-5555, Rn 23 - SMW Winzersekt. EuGH, Slg 1984, 4057, Rn 22 - Biovilac; Slg 1987, 49, Rn 25 ff - Zuckerfabrik Bedburg. EuGH, Slg 1996,1-795, Rn 64 - Frankreich und Irland. EuGH, Slg 1996,1-3953, Rn 22 f - Bosphorus. So aber Grabenwarter (Fn 24) S 17; wie hier Kingreen in: Calliess/Ruffert Art 6 EUV Rn 152; ν Milczewski Der grundrechtliche Eigentumsschutz im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 1994, S 78.
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Eigentumsgrundrecht
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Es gibt bislang keine Rechtsprechung des E u G H zu Eigentumsentziehuiigeii. 55 Ungeklärt ist überdies, welche Intensität ein Eingriff erreichen müsste, um gemeinschaftsrechtlich als Enteignung zu gelten, mit anderen Worten, ob im Rahmen der gemeinschaftsrechtlichen Eigentumsgarantie neben dem Entzug von Eigentum auf Grundlage einer hoheitlichen M a ß n a h m e gegebenenfalls auch sonstige f ü r einzelne Eigentümer unzumutbare Eigentumsbeschränkungen in unmittelbarer Folge einer Gemeinschaftsmaßnahme als sog de facto-Enteignung anzuerkennen wären. Erschwerend wirkt insofern die Tatsache, dass der E u G H Wirkung und Ausmaß eines Eingriffs in der Regel erst im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung untersucht. 56 Jedoch lässt sich aus den Ausführungen des E u G H im Urteil Hauer folgern, dass zumindest solange keine Enteignung vorliegt, wie „es dem Eigentümer unbenommen bleibt, über sein Gut zu verfügen und es jeder anderen, nicht untersagten Nutzung zuzuführen." Das in Frage stehende Anpflanzungsverbot für Weinreben stellte sich vor diesem Hintergrund lediglich als Nutzungsbeschränkung dar, da die Eigentümerin ja weiterhin über ihr Grundstückseigentum verfügen konnte. 57 Entscheidend ist für den E u G H demnach wohl der Zweck der Maßnahme, also ihre Finalität, nicht ihre Wirkung, so dass sie darauf gerichtet sein muss, das Recht des Eigentümers in der Form des Eigentumsgegenstandes selbst, der Verfügungsbefugnis oder sämtlicher Nutzungsmöglichkeiten dauerhaft zu entziehen. Der E u G H scheint damit im Ergebnis einer formalen Betrachtungsweise folgen zu wollen. 58 Lösung Fall 3: Die Nichtigkeitsklage von Κ gem Art 230 IV EGV (Art III-365 IV W E ) ist zulässig, insbesondere ist er durch die von der VO 81/2238 bewirkte Aufhebung der ursprünglichen VO 81/71 unmittelbar und individuell betroffen 59 , da sie seinen Übergabeanspruch auf das gekaufte Olivenöl zum Erlöschen bringt. Im Rahmen der Begründetheit ist zunächst zu prüfen, ob der Κ hier überhaupt eine Verletzung des nach Art 6 II EUV (Art 11-77 I W E ) zur Gemeinschaftsrechtsordnung zählenden Eigentumsgrundrechts geltend machen kann. Insoweit kann dahingestellt bleiben, ob Κ bereits Eigentum an dem Olivenöl erworben hat, da auch bereits Vermögenswerte subjektive Rechte des öffentlichen Rechts als Eigentum anzusehen sind, wenn dadurch Rechtspositionen geschaffen sind, die denjenigen von Eigentümern nahe kommen. Ein solches wohlerworbenes Recht steht dem Κ in Form seines Übergabeanspruchs aus dem öffentlich-rechtlichen Vertrag gegen die Interventionsstelle zu. Der durch die angefochtene Verordnung bewirkte Entzug dieser Rechtsposition bewegt sich nicht mehr im Rahmen der Sozialbindung des Eigentums, sondern ist, weil er dem Κ den erworbenen Anspruch völlig nimmt, als Enteignung anzusehen. Ein solcher Eingriff bedarf aber nach Art 1 1. ZP E M R K und den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten (vgl jetzt Art 11-77 I S 3 W E ) einer gesetzlichen Grundlage, darf nur zum Wohle der Allgemeinheit vorgenommen werden und muss eine Entschädigungsregelung vorsehen. Dem Κ wurde zum Ausgleich zwar ein Vorkaufsrecht eingeräumt, aber zu wesentlich ungünstigeren Konditionen als im Ausgangsvertrag. Dieses kann daher die Enteignung nicht kompensieren bzw eine Entschädigungsregelung ersetzen.60
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Im Ergebnis ebenso: Streinz in; ders Art 17 GR-Charta Rn 10. Müller-Michaels (Fn 3) S 47. EuGH, Slg 1979, 3727, Rn 19 - Hauer. Vgl EuGH, Slg 2003, 1-7411 ff - Booker Aquavulture Ltd; Grabenwarter (Fn 24) S 15 f; Duppl Grzeszick (Fn 44) S 119. 59 Dazu ausführlich Cremer in: Calliess/Ruffert Art 230 EGV Rn 27 ff und 44 ff. 60 Vgl hierzu die Schlussanträge von GA Lenz in EuGH, Slg 1984, 3900, 3911 f - Olivenöl; der
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An dieser Stelle offenbart sich bereits eine entscheidende dogmatische Schwäche des bisherigen gemeinschaftsrechtlichen Eigentumsschutzes: Aufgrund der mangelnden Normierung der Bedingungen für die Begrenzung von Eigentumsrechten verlagert sich die Überprüfung von Eigentumsbeeinträchtigungen in der Regel auf die Ebene der Rechtfertigung der beanstandeten Maßnahme. 61 Es findet also gewissermaßen eine Flucht in die Verhältnismäßigkeitsprüfung statt, die der Entwicklung einer in Schutzbereich, Schranken und Rechtfertigung ausdifferenzierten europäischen Eigentumsdogmatik abträglich ist. Es ist zu hoffen, aber auch davon auszugehen, dass der EuGH seine Eigentumsdogmatik auf der Grundlage des Art 11-77 W E verfeinern und präzisieren wird. 3.
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Rechtfertigung
Fall 4: (EuGH, Slg 1999,1-2603 - Nitratrichtlinie) Bauer Β fährt auf seinen Feldern und Weiden reichlich „Dünger" in Form von GfiUe aus. Diese Form der allgemein üblichen „Düngung" ist mitursächlich für die mitunter hohen, die menschliche Gesundheit belastenden Nitratwerte des Wassers. Dem will die EG-Nitratrichtlinie 91/676 vorbeugen. Ihr zufolge müssen die Mitgliedstaaten Flächen als „gefährdete Gebiete" ausweisen, die in mit Nitrat verunreinigte Gewässer (Maßstab ist insoweit eine Nitratkonzentration von SO mg/1) auswässern und so zur Verunreinigung beitragen. Für diese sind nationale Aktionsprogramme aufzustellen, die ua zeitliche und mengenmäßige Beschränkungen für die Aufbringung von Düngemitteln auf landwirtschaftliche Flächen vorsehen müssen. Gegen diese Aktionsprogramme wendet sich Β vor dem Verwaltungsgericht, zum einen mit dem Argument, dass seine Flächen als gefährdete Gebiete ausgewiesen wurden, obwohl nicht nur die Landwirtschaft, sondern auch andere Emittenten zu der Überschreitung beitrügen. Zum anderen griffen ihre Reglungen unverhältnismäßig in sein Eigentumsgrundrecht ein und verstießen gegen das Verursacherprinzip. Das VG legt dem EuGH diese Fragen zur Vorabentscheidung vor.
Fall 5: (EuGH, Slg 1996,1-3953 - Bosphorus) Die F, eine türkische Flugzeugchartergesellschaft, hatte 1992 von der staatlichen jugoslawischen Flugzeuggesellschaft JAT Flugzeuge geleast. Eines der Luftfahrzeuge wurde von irischen Behörden auf dem Flughafen von Dublin in Anwendung der gemeinschaftlichen Sanktionenverordnung gegen Jugoslawien beschlagnahmt. Hiernach waren die mitgliedstaatlichen Behörden zur Beschlagnahme von Luftfahrzeugen berechtigt, wenn sich diese in jugoslawischem Eigentum befanden. Die F führte demgegenüber ihre Rechte aus dem Leasingvertrag an: Da sie weder einen Sitz in Jugoslawien habe, noch dort tätig sei, verletzte die Sanktion nicht nur ihre Eigentumsrechte, sondern sie sei auch offensichtlich unnötig und unverhältnismäßig, da der Eigentümer des fraglichen Luftfahrzeugs bereits durch das Einfrieren der von der klagenden Flugzeuggesellschaft gezahlten Leasingraten auf Sperrkonten bestraft worden sei. Bei der Prüfung der Rechtfertigung ist nach dem Wortlaut des Art 11-77 I S 2 W E zwischen der Entziehung des Eigentums als schwerstem Eigentumseingriff und Beschränkungen seiner Nutzung zu unterscheiden. 62 EuGH, Slg 1984, 3881, Rn 12 ff - Olivenöl, selbst kommt schon vor Prüfung der Enteignung zur Rechtswidrigkeit der Verordnung. 61 So die Kritik von Schilling EuZW 1991, 311. 62 Ebenso Art 1 1. ZP EMRK; grundlegend: EuGH, Slg 1979, 3727, Rn 19 - Hauer.
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Eigentumsgrundrecht
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Eine Enteignung ist gemeinschaftsrechtlich - auch mit Blick auf Art 11-77 W E und Art 1 II 1. ZP E M R K - zunächst nur dann zulässig, wenn sie gesetzlich vorgesehen ist und im öffentlichen Interesse liegt (—> hierzu ausf § 5 Rn 35 ff). Gesetzlich vorgesehen ist eine Enteignung, wenn sie durch einen der in Art 1-33 W E (vergleichbar dem geltenden Art 249 EGV) genannten Rechtsakte ermöglicht wird. Auch wenn es für Enteignungen auf den ersten Blick an einer Gesetzgebungskompetenz der Gemeinschaft fehlt (vgl insbesondere Art III-425 W E ) 6 3 , so hat die EG doch in manchen Bereichen (zB in der Landwirtschaft) so weitreichende Kompetenzen erhalten, dass diese sich auf individuelle Eigentumspositionen auswirken und im Einzelfall auch den Grad eines (zumindest faktischen) Eigentumsentzuges erreichen können. 64 Der Begriff des öffentlichen Interesses entspricht im Wesentlichen dem Begriff des Allgemeininteresses in Art 1 I 2 1. ZP EMRK. 65 Hierunter soll, mit Blick auf die Judikatur der Mitgliedstaaten, auch der Entzug des Eigentums zugunsten Privater fallen, soweit damit zugleich öffentliche Interessen verwirklicht werden.66 Ob es für die Rechtfertigung einer Eigentumsentziehung auch einer gesetzlichen Entschädigungsregelung bedarf, ist noch nicht abschließend geklärt. Blickt man in Art 11-77 I 2 W E , so ist dies - abweichend vom Wortlaut des Art 1 1. ZP EMRK - der Fall. Der EuGH hat diese Frage in seiner bisherigen Rechtsprechung zum gemeinschaftlichen Eigentumsgrundrecht nicht eindeutig geklärt: Einerseits sollen durch die wirtschaftliche Lage gebotene Produktionsbeschränkungen, die die Rentabilität und Substanz eines Unternehmens beeinträchtigen und somit enteignenden Charakter haben, keinen Verstoß gegen das Eigentumsrecht darstellen,67 andererseits wies der Gerichtshof aber darauf hin, dass es mit den Erfordernissen des Grundrechtsschutzes unvereinbar sei, wenn eine Maßnahme der Gemeinschaft den Betroffenen „entschädigungslos um die Früchte seiner Arbeit und der von ihm ... vorgenommenen Investitionen" 68 bringt. Überdies prüfte der EuGH die Haftung der Gemeinschaft für eine mögliche Eigentumsverletzung in anderen Fällen unter dem Gesichtspunkt der außervertraglichen Haftung nach Art 288 II EGV (Art III-431 WE). 6 9 Auch vom EuG wurde bislang offen gelassen, „ob es einen allgemeinen ... Rechtsgrundsatz gibt, dass die Gemeinschaft denjenigen zu entschädigen hat, gegen den eine enteignende Maßnahme oder eine Maßnahme ergangen ist, durch die seine Freiheit, von seinem Eigentum Gebrauch zu machen, eingeschränkt wird". Freilich hält das Gericht eine Entschädigungspflicht im Hinblick auf enteignende Maßnahmen der Gemeinschaftsorgane selbst für „vorstellbar" Trotz aller offener Fragen, lässt sich aus den Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten sowie der Art 1 1. ZP E M R K konkretisierenden Rechtsprechung (Art 1-7 III W E ) , bestätigt durch Art 11-77 I 2 W E , folgern, dass sich unmittelbar aus der Eigentumsgarantie und dem dabei anzuwendenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine Entschädigungspflicht ergibt. Eigentumsentziehungen in Form von formellen Enteignungen müssten demnach schon beim Fehlen einer Entschädigungsregelung unverhältnismäßig und damit rechtswidrig sein. Hinsichtlich der
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Müller-Michaels (Fn 3) S 46 f. Vgl EuGH, Slg 2003,1-7411 ff - Booker Aquaculture Ltd; ν Milczewski (Fn 54) S 30. Peukert in: Frowein/Peukert Art 1 1. ZP EMRK Rn 51 f; -> § 5 Rn 38. EGMR, EuGRZ 1988, 341, Rn 40 ff - James. EuGH, Slg 1982,4261, Rn 13 - Metallurgiki Halyps; Slg 1985,2831, Rn 29 - Hoogovens Groep. EuGH, Slg 1989, 2609, Rn 19 - Wachauf. EuGH, Slg 1984,4057, Rn 11,21 - Biovilac; Slg 1987,49, Rn 25 ff - Zuckerfabrik Bedburg. EuG, Slg 1998,11-125, Rn 57 - Dubois et fils.
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- mit Blick auf die Kompetenzlage zuvorderst in Betracht kommenden - faktischen Enteignungen ist nach Art 11-77 I 2 W E eine gesetzlich vorgesehene Entschädigung zwar nicht Rechtfertigungsvoraussetzung, jedoch kann aus der Rechtsprechung des EuGH zum Grundsatz des Vertrauensschutzes geschlossen werden, dass insoweit ein Entschädigungsanspruch aus Art 288 II EGV (Art III-431 W E ) in Betracht kommt. 71 Bloße Nutzungsbeschränkungen des Eigentums sind nach ständiger Rechtsprechung des EuGH rechtmäßig, wenn sie „tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen der Gemeinschaft entsprechen und nicht einen im Hinblick auf die verfolgten Ziele unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff darstellen, der die so gewährleisteten Rechte in ihrem Wesensgehalt antastet." 72 Blickt man auf den Wortlaut von Art 11-77 W E und Art 1 II 1. ZP EMRK, so müssen Nutzungsbeschränkungen „nur" zur Wahrung des Allgemeininteresses erforderlich sein. Ergänzend ist jedoch die allgemeine Schrankenregelung des Art 11-112 W E mitzulesen, so dass sich die Formel des EuGH auch hinsichtlich des Wesensgehalts - und damit in vollem Umfang - bestätigt sieht.73 Hinsichtlich der Rechtfertigung von Nutzungsbeschränkungen orientiert sich der EuGH an zwei Eckpunkten, zwischen denen die jeweilige Verhältnismäßigkeitsprüfung vermittelt. Er prüft die Nutzungsbeschränkung zunächst mit Blick auf ihr gemeinnütziges Ziel. Hierfür greift er neben den Regelungen des Rechtsakts auch auf dessen Begründungserwägungen zurück. Ob das so ermittelte, mit der jeweiligen Maßnahme verfolgte Ziel dem Allgemeinwohl dient, ist sodann anhand der Bestimmungen der Verträge zu überprüfen, generell etwa nach Art 2 EGV (Art 1-3 W E ) , ferner gemäß den besonderen Vorschriften über die verschiedenen Politikfelder der Gemeinschaft. Demgemäß hat der EuGH in seiner Rechtsprechung zum Eigentumsschutz als relevante Allgemeininteressen zB den Verbraucherschutz 74 , den Gesundheits- und Umweltschutz 75 sowie die - in der bisherigen Rechtsprechung praktisch bedeutsamen - agrarmarktpolitischen Zielsetzungen der Gemeinschaft gem Art 33 EGV (Art III-227 W E ) 7 6 anerkannt. Ferner hat er im Fall Metronome die Rechtfertigung der aus urheberrechtlichen Erwägungen erfolgten Einführung eines ausschließlichen Verleihrechts für Compact Discs in der Gemeinschaft mit einem Verweis auf Art 30 EGV (Art III-154 W E ) untermauert, der den Schutz des Urheberrechts an Werken der Literatur und Kunst als Bestandteil des gewerblichen und kommerziellen Eigentums schütze.77 Blickt man gem Art 6 II EUV (Art 1-9 III W E ) zusätzlich auf die Rechtsprechung des EGMR, so dienen letztlich alle Maßnahmen, die legitime politische Ziele verfolgen, sei es auf wirtschaftlichem, sozialem oder sonstige öffentliche Belange betreffendem Gebiet, dem Allgemeininteresse.78 Der andere Eckpunkt ist die 71 Kingreen in: Calliess/Ruffert Art 6 EUV Rn 162 ff unter Hinweis auf EuGH, Slg 1975, 533, Rn 44 - CNTA; Slg 1992, 1-3061, Rn 12 ff - Mulder; ausdrücklich offenlassend EuG, Slg 1998, 11-125, Rn 57 - Dubois et fils; dazu Müller-Michaels (Fn 3) S 59. 72 Ständige Rspr, vgl nur EuGH, Slg 1998, 1-1953, Rn 21 - Metronome Musik; Slg 1998, 1-7976, Rn 79 - Generics. 73 Grabenwarter (Fn 24) S 18. 74 EuGH, Slg 1994,1-5555, Rn 20 - SMW Winzersekt. 75 EuGH, Slg 1999, 1-2603, Rn 56 - Nitratrichtlinie; Tomuschat in: Ossenbühl (Hrsg) Eigentumsgarantie und Umweltschutz, 1989, S 47 ff. 76 EuGH, Slg 1989, 1991, Rn 20 - Leukhardt; Slg 1994, 1-4973, Rn 82 - Deutschland/Rat (Bananen); Slg 1994,1-5555, Rn 21 - SMW Winzersekt. 77 Nachweise bei Müller-Michaels (Fn 3) S 49. 78 EGMR, EuGRZ 1988, 341, Rn 45 - James ua, zum insoweit übereinstimmenden Begriff „öffentlichen Interesse" in Art 1 12 1. ZP EMRK.
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Antastung des Wesensgehalts des Eigentums. Der Wesensgehalt ist angetastet, wenn eine eigentumsbeschränkende Gemeinschaftsmaßnahme zu einem Entzug des Eigentums oder dessen freier Nutzung führen würde 79 oder es dem Betroffenen durch die fragliche Beschränkung praktisch unmöglich gemacht würde, seiner wirtschaftlichen Tätigkeit nachzugehen. 80 Unberührt bleibt der Wesensgehalt hingegen, wenn die Maßnahme „nur die Modalitäten der Ausübung (des Eigentumsrechts) betrifft, ohne dessen Bestand selbst zu gefährden" 81 , „wenn es den Wirtschaftsteilnehmern unbenommen bleibt, ihr Eigentum auf andere Weise zu nutzen." 82 Der Wahrung des Wesensgehalts korrespondiert also die Wahrung eines Kernbestands an Eigentum. 83 Ein Eingriff in diesen Kernbestand wird vom E u G H danach bewertet, in welchem Umfang die Rechte des Eigentümers insgesamt beschränkt werden. 84 Diese Beschränkungen dürfen insoweit keinen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff darstellen. In diesem Zusammenhang ist auch die soziale Funktion des Eigentums zu berücksichtigen. 85 Dieses genießt dort besonderen Schutz, wo es der Sicherung der persönlichen Freiheit des Einzelnen dient. Dementsprechend steigt die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers aber in dem Maße, in dem das Eigentum einen sozialen Bezug aufweist 86 , wie dies etwa im Rahmen einer gemeinsamen Marktorganisation der Fall ist.87 Mit Blick auf diese Kriterien wird im Schrifttum zutreffend darauf hingewiesen, dass der EuGH einem relativen Verständnis des Wesengehalts zuneigt, demzufolge nur unverhältnismäßige Eingriffe den Wesensgehalt eines Grundrechts verletzen. Dann aber verliert die Wesensgehaltsgarantie gegenüber dem Verhältnismäßigkeitsprinzip ihre eigenständige Funktion. 88 Lösung Fall 4: Im Kontext der nach Art 234 EGV (Art III-369 W E ) zulässigen Vorlage führt der EuGH, wie so oft, die Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht im Rahmen der konkreten Grundrechtsprüfung (hier des Eigentums), sondern abstrakt vorweg durch. Später, bei der Prüfung des Eigentumsgrundrechts, verweist er nur noch auf deren Ergebnis.89 Da bei dieser Vorgehensweise der Prüfungsmaßstab des Verhältnismäßigkeitsprinzips nicht auf das Verhältnis von Regelungsziel und Regelungseingriff bezogen wird, kann er für den zu entscheidenden Einzelfall keinen konkreten Gehalt gewinnen und seine Steuerungskraft nicht effektiv entfalten. So kann das Ergebnis des EuGH nicht verwundern, wonach die Vorschriften der Nitratrichtlinie den Mitgliedstaaten hinreichende Gestaltungsmöglichkeiten eröffnen, um für eine verhältnismäßige Umsetzung zu sorgen.90 Dogmatisch und im Ergebnis überzeugender
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EuGH, Slg 1984, 4057, Rn 22 - Biovilac. EuGH, Slg 1998,1-7976, Rn 85 - Generics. EuGH, Slg 1994,1-5555, Rn 24 - SMW Winzersekt. EuGH, Slg 1992,1-35, Rn 17 - Kühn. Dazu auch Müller-Michaels (Fn 3) S 52 f. Etwas genauer geprüft wurde das Vorliegen von Eingriffen in den Wesensgehalt zB in den Urteilen des EuGH, Slg 1991,1-5119, Rn 29 - von Deetzen; Slg 1992,1-35, Rn 1 7 - K ü h n . EuGH, Slg 1979, 3727, Rn 20 - Hauer. Kingreen in: Callies/Ruffert Art 6 EUV Rn 155. EuGH, Slg 1979, 3727, Rn 23 - Hauer; Slg 1989, 2237, Rn 15 - Schräder; Slg 1994,1-4973, Rn 78 - Deutschland/Rat (Bananen); Slg 1997,1-1809, Rn 27 - Irish Farmers Association. Pernice in: Grabitz/Hilf Art 164 EUV Rn 62d; Rengeling (Fn 11) S 26; Kingreen in: Calliess/Ruffert Art 6 EUV Rn 76; aA Müller-Michaels (Fn 3) S 53. EuGH, Slg 1999,1-2603, Rn 46-50, 57 - Nitratrichtlinie. EuGH, Slg 1999,1-2603, Rn 50.
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hätte die Prüfung (von Verursacherprinzip, Eigentumsgrundrecht und Rechtfertigung des Eingriffs") wie folgt umgekehrt werden müssen: Zunächst hätte der EuGH den Eingriff in das Grundstückseigentum des Β durch die Düngebeschränkungen prüfen und - wie geschehen - bejahen müssen. Diesen Eingriff hätte er dann im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zum Regelungsziel Umwelt- und Gesundheitsschutz konkret in Bezug setzen müssen. Sodann hätte er Eignimg, Erforderlichkeit und Angemessenheit der Regelung prüfen können. Interessant ist, wie der EuGH den Hinweis des Β auf das Verursacherprinzip behandelt: Es genüge die Feststellung, dass die Landwirte „nach der Richtlinie nicht verpflichtet sind, Belastungen zu tragen, die mit der Beseitigung einer Verunreinigung verbunden sind, zu der sie nicht beigetragen haben". Es obliege den Mitgliedstaaten bei der Durchführung der Richtlinie die anderen Verunreinigungsquellen zu berücksichtigen und den Landwirten keine Kosten für die Beseitigung der Verunreinigung aufzuerlegen, die in Anbetracht der Gegebenheiten nicht erforderlich sind. Entgegen dem herrschenden Verständnis92 betrachtet der EuGH hiermit das umweltrechtliche Verursacherprinzip explizit als Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsprinzips und verweist auf die dazu bereits gemachten Ausführungen.93 Bemerkenswert ist, dass den Zielen der Gemeinschaft im Rahmen der konkreten Verhältnismäßigkeitsprüfung des EuGH ein relativ hohes Gewicht eingeräumt wird. So erfahren zB die eigentumsrelevanten Gemeinschaftsakte im Bereich der Agrarpolitik bei der konkreten Prüfung der Verhältnismäßigkeit eine stark eingeschränkte Kontrolle durch den EuGH, der seine eigenen politischen Erwägungen nicht an die Stelle der durch die Rechtsetzungsorgane getroffenen Entscheidungen setzen will. Als exemplarisch können insoweit die Ausführungen im Bananen-Urteil gelten: „Diese Einschränkung der Kontrolle des Gerichtshofs ist insbesondere dann geboten, wenn sich der Rat veranlasst sieht, bei der Verwirklichung einer gemeinsamen Marktorganisation einen Ausgleich zwischen divergierenden Interessen herbeizuführen und auf diese Weise im Rahmen der in seine eigene Verantwortung fallenden politischen Entscheidung eine Auswahl zu treffen". Zwar, fuhr der Gerichtshof fort, sei nicht auszuschließen, „dass andere Mittel in Betracht kommen konnten, um das angestrebte Ergebnis zu erreichen." Der Gerichtshof hält sich nach eigener Einschätzung aber nicht für befugt, „die Beurteilung des Rates in der Frage, ob die vom Gemeinschaftsgesetzgeber gewählten Maßnahmen mehr oder weniger angemessen sind, durch seine eigene Beurteilung zu ersetzen, wenn der Beweis nicht erbracht ist, dass diese Maßnahmen zur Verwirklichung des verfolgten Zieles offensichtlich ungeeignet waren."94 Das weite Ermessen des Gemeinschaftsgesetzgebers bei der Gestaltung der Gemeinsamen Marktordnungen ist somit für die Durchführung der Verhältnismäßigkeitsprüfung prägend: Eine Erforderlichkeits- und Angemessenheitsprüfung ist nur in einigen Entscheidungen und auch dort höchstens in Ansätzen zu erkennen. In der Regel endet die Verhältnismäßigkeitsprüfung nach der Prüfung der Geeignetheit. Führt der EuGH (ausnahmsweise) unter dem Stichwort „angemessenes Verhältnis" eine Güterabwägung durch, beschränkt sie sich auf die Prüfung der Berechtigung des verfolgten Eingriffsziels und lässt
91 EuGH, Slg 1999,1-2603, Rn 51 ff. 92 Dazu Calliess in: Calliess/Ruffert Art 174 EGV Rn 34 ff und Delfs Z U R 1999, 322, 323: Kostenzurechnungsprinzip, das Grundrechtseinschänkungen rechtfertigen kann. 93 E u G H , Slg 1999,1-2603, Rn 51 f - Nitratrichtlinie. 94 EuGH, Slg 1994,1-4973, Rn 89 f, 91, 94 - Deutschland/Rat (Bananen); Slg 1994,1-5555, Rn 21 SMW Winzersekt; Slg 1989,2237, Rn 21 - Schräder.
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Eigentumsgrundrecht
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eine Auseinandersetzung mit dem Grad und der Intensität der individuellen Betroffenheit vermissen.95 Dies führt zu einer - jedenfalls im Vergleich zur deutschen Rechtsprechung96 - erheblichen Zurücknahme der grundrechtlichen Kontrolldichte97, mit der Folge, dass die Berufung auf das Eigentumsgrundrecht bislang in noch keinem Fall erfolgreich war. Jener, dem Gemeinschaftsgesetzgeber bei der Auswahl der politischen Ziele vom EuGH eingeräumte weite Beurteilungsspielraum, wird ebenso wie die damit verbundene Rücknahme des Kontrollmaßstabs von der überwiegenden Meinung des Schrifttums zum Teil heftig kritisiert.98 Lösung Fall 5: Der Gerichtshof kam zu dem Ergebnis, dass die Sanktionsmaßnahme mittelbar eigentumsbeeinträchtigende Auswirkungen habe und dadurch F schädige, die für die Situation, die zum Erlass der Sanktionen geführt hat, nicht verantwortlich sei. Die Bedeutung der mit der Verordnung verfolgten Ziele könne jedoch selbst erhebliche negative Konsequenzen für bestimmte Wirtschaftsteilnehmer rechtfertigen. Angesichts eines für die internationale Völkergemeinschaft derart grundlegenden, dem Gemeinwohl dienenden Ziels, das dahin geht, den Kriegszustand in der Region und die massiven Verletzungen der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts in der Republik Bosnien-Herzegowina zu beenden, könne die Beschlagnahme des fraglichen Luftfahrzeugs, das Eigentum einer Person mit Sitz oder Tätigkeitsort in Jugoslawien ist, nicht als unangemessen oder unverhältnismäßig angesehen werden.99
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IV. Würdigung Inhalt und Umfang des gemeinschaftlichen Eigentumsgrundrechts haben mit Art 11-77 W E klarere Konturen gewonnen.100 Dennoch lässt sich der Schutzbereich des Grundrechts auch künftig nur schwer konkretisieren. Seine Kontur wird auch weiterhin von der Rechtsprechung geprägt werden. Aufgrund des nun geschriebenen europäischen Grundrechtskataloges ist jedoch zu hoffen, dass der EuGH sich der in der Literatur bemängelten, zu geringen Methodentransparenz101 stellt und seiner Grundrechtsrechtsprechung mehr Schärfe verleiht. Dabei ist jedoch zu bedenken, dass sich mit Blick auf die Konkreti-
95 Vgl nur exemplarisch EuGH, Slg 1979, 3727, Rn 23ff - Hauer; Slg 1994, 1-4973, Rn 64ff Deutschland/Rat (Bananen); Slg 1994,1-5555, Rn 20 ff - SMW Winzersekt. 96 AA Kischel EuR 2000, 380 ff, der sich um den Nachweis bemüht, dass die Kontrolle des EuGH hinter jener durch das Bundesverfassungsgericht nicht zurückstehe. 97 Ausführlich - und differenzierend - hierzu ν Bogdandy JZ 2001, 157, 163 ff; zur Kontrolldichte im Gemeinschaftsrecht allgemein HerdegenlRichter in: Frowein (Hrsg) Die Kontrolldichte bei der gerichtlichen Überprüfung von Handlungen der Verwaltung, 1993, S 209 ff; Schwarze in: Schwarze/Schmidt-Aßmann (Hrsg) Das Ausmaß der gerichtlichen Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrecht, 1992, S 211 ff. 98 Vgl etwa Nettesheim EuZW 1995, 106, 107; Huber EuZW 1997, 517 ff; Stein EuZW 1998, 261 f; differenzierend ν Bogdandy JZ 2001, 157, 163 ff; aA Zuleeg NJW 1997, 1201 ff und Kischel EuR 2000, 380 ff. 99 EuGH, Slg 1996,1-3953, Rn 22 ff - Bosphonis. 100 Vgl etwa mit Blick auf das Eigentumsrecht den Uberblick bei Rengeling (Fn 11) S 32 ff; Thiel JuS 1991,274, 278 f. 101 Streinz Bundesverfassungsgerichtlicher Grundrechtsschutz und Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1989, S 384 ff; aA Nettesheim EuZW 1995, 106, 107.
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§17 IV
Christian Calliess
sierung von Grundrechten die Vorgehensweise des EuGH nicht grundlegend von derjenigen nationaler Verfassungsgerichte unterscheidet.102 So musste zB auch das BVerfG das Eigentumsgrundrecht des Art 14 G G in einer sich entwickelnden Rechtsprechung konkretisieren.'03 Folglich lag das Problem bisher weniger in der Grundrechtskonkretisierung durch den EuGH 104 , sondern vielmehr in der Verhältnismäßigkeitsprüfung, auf die der EuGH bislang - vielleicht wegen des unkonturierten Schutzbereichs - in der Regel zügig zusteuert. Zu Recht wurde auch insoweit immer wieder - zuletzt mit Blick auf das erwähnte Bananen-Urteil und das Schaumwein-Urteil - deutliche Kritik geübt. In beiden Entscheidungen hat der EuGH die Gründe, die der Gemeinschaftsgesetzgeber zur Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs geltend machte, unkritisch und ohne verfassungsrechtliche Gewichtung zugrundegelegt. Nicht jede Überlegung zur politischen Opportunität einer Maßnahme kann aber einen Grundrechtseingriff rechtfertigen. Bevor der EuGH die vom Rat behaupteten Belange des Gemeinwohls in die Abwägung einstellt, müsste er also zunächst ihre sachliche Gültigkeit ebenso wie ihre verfassungsrechtliche Maßgeblichkeit und Gewichtigkeit überprüfen. Der dem Rat bei der Auswahl der politischen Ziele vom EuGH eingeräumte weite Beurteilungsspielraum und die damit verbundene Rücknahme des Kontrollmaßstabs auf „offensichtlich unverhältnismäßige" Grundrechtsbeeinträchtigungen, die die „Grenzen des Ermessens" des Rates überschreiten, sind mit den bisherigen Art 220 EGV (ersetzt durch Art 1-29 I W E ) und Art 6 II EGV (Art 1-9 III W E ) kaum vereinbar.105 Bedenklich ist überdies, dass im Rahmen der Eingriffsprüfung das individuelle Grundrechtsinteresse des Betroffenen keine Bewertung erfahrt. Eine wirkliche Abwägung gegen das Gemeinwohlinteresse findet nicht statt. Vielmehr überlässt der Gerichtshof die Einschätzung, ob ein Ziel dem Gemeinwohl der Gemeinschaft entspricht und die gewählte Maßnahme das mildeste geeignete Mittel darstellt, das noch im Verhältnis zum verfolgten Zweck steht, grundsätzlich dem Gesetzgebungsermessen des zuständigen Gemeinschaftsorgans.106
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Rengeling (Fn 11) S 228 mwN. Dazu Ehlers W D S t R L 51 (1992), 211,214 ff; Wendt Eigentum und Gesetzgebung, 1985. Ebenso Nettesheim EuZW 1995,106, 107. So die zutreffende Kritik von Nettesheim EuZW 1995, 106, 107; ähnlich Huber EuZW 1997, 517ff; Stein EuZW 1998, 261 f; differenzierend ν Bogdandy JZ 2001, 157, 163 ff; aA Zuleeg NJW 1997, 1201 ff und Kischel EuR 2000, 380 ff. 106 Pernice in: Grabitz/Hilf Art 164 EGV Rn 62c.
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§18
Gleichheitsgrundrechte und soziale Rechte Thorsten Kingreen I. Gleichheitsrechte Schrifttum: Kingreen Theorie und Dogmatik der Grundrechte im europäischen Verfassungsrecht, EuGRZ 2004, 570 ff; Kischel Zur Dogmatik des Gleichheitssatzes in der Europäischen Union, EuGRZ 1997, Iff; RengelinglSzczekalla Grundrechte in der Europäischen Union, 2004, Rn 867ff; Sattler Allgemeiner Gleichheitssatz und spezielle Gleichheitssätze in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, FS Rauschning, 2001, S 51 ff. 1. Überblick und
Systematik
Das europäische Gemeinschaftsrecht enthält eine Vielzahl von Gleichheitsrechten. Ihre schon im nationalen Verfassungsrecht nicht einfache Kategorisierung' wird im Unionsrecht durch die verfassungsrechtliche Mehrebenenstruktur von Union und Mitgliedstaaten und die daraus resultierenden Unterschiede hinsichtlich Funktion, Reichweite und Normadressaten zusätzlich erschwert. Einerseits werden die Gleichheitsgarantien als Unionsgrundrechte auf das Handeln der Unionsorgane erstreckt, weil die Mitgliedstaaten als Rechtsstaaten nur grundrechtlich gebundene Hoheitsgewalt auf die Union übertragen können (supranationale Legitimationsfunktion); andererseits enthalten sie mit der an die Mitgliedstaaten gerichteten Forderung, Diskriminierungen wegen der Staatsangehörigkeit zu unterlassen, eine conditio sine qua non für fairen Wettbewerb und die durch Art 2, Art 14 II EGV (Art 1-4 II, III-130 II W E ) vorgegebene Integration der nationalen Teilmärkte (transnationale Integrationsfunktion).2 Das Unionsrecht enthält also zwei Schichten subjektiv-öffentlicher Gleichheitsrechte: 3 transnationale Integrationsnormen und supranationale Legitimationsnormen.
1
a) Transnationale Integrationsnormen Transnationale Integrationsnormen reagieren auf die jedem föderalen System immanente Gefahr, dass ein Gliedstaat den Wettbewerb mit anderen Gliedstaaten durch die Bevorzugung seiner Mitglieder zu beeinflussen sucht; kurz gesagt: Sie reagieren auf föderale Gefährdungslagen. Die Gleichbehandlung aller Unionsbürger erreichen sie dadurch, dass sie die Zugehörigkeit zu einem Mitgliedstaat für die Behandlung durch einen anderen Mitgliedstaat für irrelevant erklären. Damit stehen sie für die historisch primäre Werkidee des europäischen Projekts, den Binnenmarkt und ihr Herzstück, die gegen mitgliedstaatlichen Protektionismus gerichteten Grundfreiheiten (—> vgl § 7 R n 1) sowie das in Art 12 E G V (Art 1-4, III-123 W E ) enthaltene allgemeine Diskriminierungsverbot aufgrund der Staatsangehörigkeit (—> vgl § 13).
1 Vgl etwa für das Grundgesetz Sachs in: Isensee/Kirchhof (Hrsg) Handbuch des Staatsrechts Bd V, 1992, § 126 Rn 7 ff. 2 Vgl Chalmers ELR 19 (1994) 385, 397: „The non-discrimination principle is central to any market philosophy." 3 Kingreen EuGRZ 2004, 570, 573 ff. 479
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b) Supranationale Legitimationsnormen 3
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Supranationale Legitimationsnormen haben hingegen die auch aus dem nationalen Verfassungsrecht bekannte Funktion, die Ausübung von Hoheitsgewalt zu begrenzen: Sie befriedigen den grundrechtlichen Legitimationsbedarf, den die Vorrang vor nationalem Recht und unmittelbare Geltung beanspruchende europäische Rechtsordnung ausgelöst hat (-> vgl § 14 Rn 4 f). Sie allein werden daher im Kontext der Unionsgrundrechte in diesem Kapitel behandelt. Ebenso wie die Verfassungen der Mitgliedstaaten kennt das Unionsrecht einen allgemeinen Gleichheitssatz und besondere Gleichheitssätze: Der allgemeine Gleichheitssatz (Art 11-80 W E ) vermittelt gegenüber Maßnahmen der Gemeinschaft, soweit diese an die Stelle der Mitgliedstaaten getreten ist, in allen Lebensbereichen Schutz gegen jegliche unsachgemäße Differenzierung. Normadressat ist daher primär die Gemeinschaft; die Mitgliedstaaten nach den allgemeinen, für die Unionsgrundrechte geltenden Grundsätzen (—> vgl § 14 Rn 33 ff) hingegen nur, wenn sie Gemeinschaftsrecht durchführen (vgl auch Art II-11111 W E ) . Der allgemeine Gleichheitssatz wird ergänzt durch besondere Gleichheitssätze, die Gleichheit nur in bestimmten Lebensbereichen und/oder nach bestimmten Kriterien gewährleisten. Der historisch älteste besondere Gleichheitssatz ist Art 34 II UAbs 2 EGV (Art III-228 II UAbs 2 W E ) . 4 Danach ist innerhalb einer gemeinsamen Marktorganisation jede Diskriminierung zwischen Erzeugern und Verbrauchern auszuschließen. Besondere Gleichheitssätze finden sich nunmehr aber vor allem in der Grundrechtecharta (Art 11-81, 83-87 WE; Rn 17 ff). Eine gewisse Sonderstellung hat Art 141 I EGV (Art III-214 I W E ) mit dem an die Mitgliedstaaten gerichteten Postulat gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit. Historisch hat er einen Bezug zur transnationalen Integration: Sein Eingang in die Verträge geht maßgeblich auf Bestrebungen Frankreichs zurück, das eine derartige Bestimmung bereits bei der Gründung der Gemeinschaft kannte und Wettbewerbsnachteile gegenüber anderen Mitgliedstaaten befürchtete, in denen das Gebot der Entgeltgleichheit nicht normiert war.5 Art 141 I EGV (Art III-214 I W E ) knüpft allerdings nicht an das verbotene DifTerenzierungskriterium der Staatsangehörigkeit bzw des Grenzübertritts, sondern an das Geschlecht und damit an ein Kriterium an, das keinen spezifischen Bezug zur Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes aufweist. In der Praxis hat sich die Vorschrift daher auch zu einem Grundrecht fortentwickelt, das nicht allein der Verhinderung von Wettbewerbsverfalschungen dient.6 Im Unterschied zu Art II-83 W E ist er aber nicht Maßstab für das Handeln der Union 7 (bzw Gemeinschaftsrecht durchführende Maßnahmen der Mitgliedstaaten), sondern allein an die Mitgliedstaaten adressiert.
4 Vgl EuGH, Slg 1994,1-4973, Rn 62 - Deutschland/Rat = Kunig JK 94, EWGV Art 185,186/2. 5 Vgl Langenfeld Die Gleichbehandlung von Mann und Frau im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 1990, S 30 ff. 6 Ausdrückliche Qualifikation als „Grundrecht" etwa in EuGH, Slg 2000,1-929, Rn 56 - Deutsche Post. 7 Zur Bindung der Gemeinschaft an den Grundsatz der Gleichberechtigung der Geschlechter EuGH, Slg 1984, 1509, Rn 17 - Razzouk.
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2. Normstruktur und Prüfungsaufbau Gleichheitsrechte weisen eine von den Freiheitsrechten abweichende Normstruktur auf. Während die Freiheitsrechte lediglich das vertikale Verhältnis zwischen Bürger und Staat thematisieren, tritt bei den Gleichheitsrechten die horizontale Perspektive hinzu. Das freiheitsrechtliche zweipolige Verhältnis zwischen Bürger und Staat weitet sich beim Gleichheitssatz zu einer drei- bzw mehrpoligen Relation unter Einschluss eines Vergleichstatbestandes: Maßgebend ist nicht die Intensität einer Belastung, sondern die Ungleichheit ihrer Auferlegung. Ungeklärt ist, welche Konsequenzen daraus für den Prfifungsaufbau folgen. Während diese Frage für das Gemeinschaftsrecht bislang kaum thematisiert wird, wird für die Gleichheitssätze des deutschen Verfassungsrechts meist eine zweistufige Prüfung favorisiert: Sie besteht aus der Feststellung einer Ungleichbehandlung vergleichbarer Sachverhalte auf der ersten Stufe und der Frage nach ihrer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung auf der zweiten Stufe. Diese Abweichung von der Prüfung der Freiheitsrechte beruht auf der Prämisse, dass der dort praktizierte Dreischritt „Schutzbereich-Eingriff-Rechtfertigung" (—> vgl § 14 Rn 41) die Normstruktur des Gleichheitssatzes nicht angemessen widerspiegelt: Der dreistufige Aufbau bilde das liberale Verteilungsprinzip ab, das eine dem staatlichen Zugriff grundsätzlich vorausliegende, unbegrenzte Freiheitsgewährleistung die prinzipiell begrenzte staatliche Befugnis zu Eingriffen in diese Sphäre gegenüberstelle.8 Dieses Regel-Ausnahme-Modell lasse sich auf den Gleichheitssatz nicht übertragen, der zudem keinen Schutzbereich und daher auch keinen Eingriff in denselben kenne.9 In dieser Gegenüberstellung liegt wohl eine Überbetonung der - sicherlich vorhandenen10 - Unterschiede: Denn auch das Gleichheitsrecht schützt bestimmte menschliche Verhaltensweisen vor grundloser Beeinträchtigung durch den Staat;" nur dass sich seine Beeinträchtigung nicht aus der Beschränkung allein, sondern aus der Gleich- bzw Ungleichbehandlung gegenüber einem anderen Sachverhalt ergibt. Und auch das Verteilungsprinzip gilt: Denn für die Ungleichbehandlung von (gemeinschafts-) verfassungsrechtlich wesentlich Gleichem (bzw die Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem) muss sich der Hoheitsträger nicht minder rechtfertigen als für den Eingriff in den Schutzbereich eines Freiheitsrechts. Dementsprechend findet auch der ursprünglich auf Freiheitsverkürzungen zugeschnittene Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Prüfung der Rechtfertigung einer Gleich- bzw Ungleichbehandlung zunehmend Verwendung,12 auch bei den gemeinschaftsrechtlichen Gleichheitsrechten.13 Einen Rationalitätsgewinn verspricht das klassische Schema „Schutzbereich-Beeinträchtigung/Eingriff-Rechtfertigung" allerdings primär bei den Gleichheitssätzen, deren Anwendungsbereich in persönlicher oder sachlicher Hinsicht beschränkt ist.14 Hier ist es im Interesse einer Problemabschichtung und zur
8 Vgl dazu etwa Böckenförde NJW 1974, 1529, 1537; Schlink EuGRZ 1984,457,467. 9 Vgl nur BrydelKleindiek Jura 1999, 36, 37 ff; Dreier in: ders (Hrsg) Grundgesetz Kommentar Bd I, 2. Aufl 2004, Vorb Rn 151 ff; PierothlSchlink Grundrechte Staatsrecht II, 20. Aufl 2004, Rn 430, 501. 10 Vgl etwa zur Problematik des Gesetzesvorbehaltes bei Gleichheitsrechten Jarass AöR 1995, 345, 375 ff. 11 Huster Rechte und Ziele, 1993, S 225 ff; Jarass AöR 1995, 345, 361 f, 365 ff. 12 Pierothl Schlink (Fn 9) Rn 438 ff. 13 Vgl RengelinglSzczekalla Rn 878 f. 14 -> unten Rn 17ff für Art 141 EGV (Art III-214 W E ) .
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Klärung von Konkurrenzfragen sinnvoll, vor der Frage der Ungleichbehandlung zunächst den geschützten Lebensbereich/Personenkreis zu thematisieren.15 Beim allgemeinen Gleichheitssatz und bei den besonderen Gleichheitssätzen, bei denen das Besondere nicht aus der Beschränkung auf einen bestimmten Lebensbereich oder Personenkreis, sondern allein aus der Beschränkung auf einzelne Differenzierungskriterien folgt (die systematisch der Beeinträchtigungsebene zuzuordnen sind), liegt hingegen eine zweistufige Prüfung näher. Unterschiede zwischen Freiheits- und Gleichheitsrechten gibt es bei den Rechtsfolgen: Während ein Eingriff in das Freiheitsrecht einfach abgestellt werden muss, kann die Ungleichbehandlung zweier Gruppen unterschiedlich behoben werden: Die eine Gruppe kann ebenso wie die andere, die andere ebenso wie die eine, und beide können auf neue, dritte Weise behandelt werden.16 3. Der allgemeine
Gleichheitssatz
Leitentscheidungen: EuGH, Slg 1977, 1753 ff - Ruckdeschel; Slg 1977, 1795 ff - Moulins Pont-äMousson; Slg 1982,2745 ff - Edeka; Slg 2000,1-2737 ff - Karlsson. Schrifttum: Hölscheidt in: Meyer Charta der Grundrechte Art 20 GrCh; Kingreen in: Calliess/Ruffert Art 6 EUV Rn 174 ff; Mohn Der Gleichheitssatz im Gemeinschaftsrecht, 1990; PernicelMayer in: Grabitz/Hilf nach Art 6 EUV Rn 161 ff; Streinz in: ders Art 20 GrCh.
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Der allgemeine Gleichheitssatz wird vom EuGH seit langem als Unionsgrundrecht anerkannt 17 und findet sich nunmehr auch in Art 11-80 W E . Er wird allerdings nicht, wie die Freiheitsrechte, aus den in Art 6 II EUV genannten Rechterkenntnisquellen abgeleitet (—» vgl hierzu § 14 Rn 9), sondern meist in einen nicht ganz klaren Zusammenhang mit Art 34 II UAbs 2 EGV (Art III-228 II UAbs 2 W E ) gestellt.18 Das dürfte auch damit zusammenhängen, dass eine Vielzahl von Entscheidungen den Bereich gemeinsamer Marktordnungen in der Landwirtschaft betrifft. Dennoch wäre es methodisch konsequenter, auch insoweit auf die klassischen Rechtserkenntnisquellen zurückzugreifen. 19 Inhaltlich verbietet es der allgemeine Gleichheitssatz, dass „vergleichbare Sachverhalte in unterschiedlicher Weise behandelt und dadurch bestimmte Betroffene gegenüber anderen benachteiligt werden, ohne dass dieser Unterschied in der Behandlung durch das Vorliegen objektiver Unterschiede von einigem Gewicht gerechtfertigt wäre." 20 a) Ungleichbehandlung
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Eine Ungleichbehandlung liegt vor, wenn vergleichbare Sachverhalte ungleich oder unterschiedliche Sachverhalte gleich behandelt werden.21 15 Vgl etwa für die Grundfreiheiten § 7 Rn 47 ff sowie Kingreen Die Struktur der Grundfreiheiten des europäischen Gemeinschaftsrechts, 1999, S 75 f. 16 Pieroth/Schlink (Fn 9) Rn 479. 17 Vgl zuerst EuGH, Slg 1977, 1753, Rn 7 - Ruckdeschel; ausführliche Nachweise bei Kingreen in: Calliess/Ruffert Art 6 EUV Rn 170. 18 Vgl die Aufstellung bei Kingreen in: Calliess/Ruffert Art 6 EUV Rn 170 Fn 486. 19 Der allgemeine Gleichheitssatz wird in Art 14 EMRK und allen Verfassungen der Mitgliedstaaten (vgl die Nachw bei Kingreen in: Calliess/Ruffert Art 6 EUV Rn 170 Fn 485) gewährleistet. 20 So bereits EuGH, Slg 1962, 655, 692 f - Klöckner-Werke AG, wenn auch ohne Ableitung aus dem Grundrecht allgemeiner Gleichheitssatz. 21 Vgl etwa EuGH, Slg 1993,1-3923, Rn 37 - Spanien/Kommission; Slg 1994,1-5555, Rn 30 - SMW Winzersekt.
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Die Prüfung der Ungleichbehandlung beginnt mit der Bildung von VergleichsgruppenP Dadurch entsteht der Vergleichsmaßstab, der dem Gleichheitssatz seinen konkreten Inhalt gibt: Er entscheidet, was gleich und was ungleich ist. Der Vergleich setzt zumindest zwei Sachverhalte voraus, die im Hinblick auf bestimmte Gegebenheiten und Eigenschaften gleich sind, bei denen aber Ungleichheiten verbleiben.23 Die Vergleichbarkeit bedarf eines Bezugspunktes (tertium comparationis), der den gemeinsamen Oberbegriff bildet, unter dem die zu vergleichenden Personen und Personengruppen abschließend und vollständig sichtbar werden.24 Für die Vergleichbarkeit von Produkten ist nach Ansicht des EuGH die Austauschbarkeit ein wichtiges Kriterium.25 Diese hängt insbesondere vom Verhalten der Abnehmer des Produkts ab. Eng damit zusammenhängen dürfte der ebenfalls gelegentlich herangezogene Aspekt des Wettbewerbs zwischen den beiden Produkten.26 Liegen vergleichbare Sachverhalte vor, ist zu prüfen, ob eine benachteiligende Ungleichbehandlung vorliegt.27 Die Funktion des grundrechtlichen Gleichheitssatzes als supranationale Legitimationsnorm (—» oben Rn 3 ff) bringt es allerdings mit sich, dass insoweit nicht alle Ungleichbehandlungen relevant sind: Werden spezifisch grenzüberschreitende gegenüber inländischen Sachverhalten benachteiligt (sog föderale Gefährdungslagen), so sind das Diskriminierungsverbot und die Grundfreiheiten zu prüfen. Und die Benachteiligung inländischer gegenüber grenzüberschreitenden Sachverhalten (sog Inländerdiskriminierung) fällt schon gar nicht in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts,28 sondern ist ggf am Maßstab des nationalen Gleichheitssatzes zu messen.29 Schon tatbestandsmäßig keine Ungleichbehandlung liegt schließlich im Verhältnis zu einem anderen Sachverhalt vor, der rechtsfehlerhaft behandelt wurde (keine Gleichheit im Unrecht).30 b) Rechtfertigung Die Rechtfertigungsprüfung des EuGH ist sehr uneinheitlich, übergreifende dogmatische Leitsätze fehlen. Insbesondere die inhaltlichen Anforderungen an Ungleichbehandlungen differieren von Fall zu Fall.3' Während der EuGH insbesondere im Bereich der Agrarpolitik den weiten Beurteilungsspielraum der Gemeinschaftsorgane betont,32 wird in anderen Entscheidungen eine substantiierte Darlegung der die Differenzierung legitimierenden Gründe verlangt.33 Als wichtiger Grund für eine Ungleichbehandlung wird etwa die Wie-
22 Mohn Der Gleichheitssatz im Gemeinschaftsrecht, 1990, S 52 ff; Beispiel aus der Rechtsprechung EuGH, Slg 2000,1-2737, Rn 39 ff - Karlsson. 23 Vgl Kirchhof in: Isensee/Kirchhof (Fn 1) § 124 Rn 6 ff. 24 Heun in: Dreier (Fn 9) Art 3 Rn 23; Pieroth/Schlink (Fn 9) Rn 431 ff. 25 EuGH, Slg 1977, 1753, Rn 7 - Ruckdeschel; Slg 1977, 1795, Rn 14/17 - Moulins Pont-ä-Mousson. 26 Etwa verneint in EuGH, Slg 1978,1991, Rn 28/32 - Koninklijke Scholten-Honig. 27 Mohn (Fn 22) S 103 ff. 28 EuGH, Slg 1984, 2539 Rn 14 ff - Moser. 29 ÖstVerfGH, EuZW 2001, 219. 30 EuGH, Slg 1984, 3465, Rn 15 - Witte; Slg 1993,1-1307, Rn 197 - Ahlström Osakeyhtiö. 31 Vgl dazu Hölscheidt in: Meyer Charta der Grundrechte Art 20 Rn 16 und PernicelMayer in: Grabitz/Hilf nach Art 6 EUV Rn 164. 32 EuGH, Slg 1990,1-435, Rn 13 - WuidArt. 33 Vgl etwa EuGH, Slg 1977, 1753, Rn 7 - Ruckdeschel; Slg 1977, 1795, Rn 14/17 - Moulins Pont-äMousson.
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derherstellung der Wettbewerbsgleichheit zwischen Gruppen von Wirtschaftsteilnehmern anerkannt.34 Unklar ist die Bedeutung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Rahmen der Gleichheitsprüfung.35 In einzelnen Urteilen des EuGH zeigen sich Ansätze für eine VerhältnismäBigkeitsprüfung.36 Im Schrifttum heißt es sogar, dass der EuGH regelmäßig die Verhältnismäßigkeit der Differenzierung prüfe.37 Soweit sich dafür Nachweise finden, beziehen sie sich aber nur auf Entscheidungen zu Art 34 II UAbs 2 EGV (Art III-228 II UAbs 2 W E ) . Zum allgemeinen Gleichheitssatz gibt es hingegen keine verallgemeinerbaren Aussagen,38 die Rückschlüsse darauf zuließen, ob und ggf in welchen Fällen der EuGH einen Einbau des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in die Gleichheitsprüfung befürwortet. c) Rechtsfolgen eines Verstoßes
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Es ist Sache des Mitgliedstaates, ob er die bislang benachteiligte Person so behandelt wie die bislang bevorzugte, die belastende Regelung auch auf Letztere erstreckt oder beide auf eine dritte Art und Weise behandelt. 4. Besondere
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Gleichheitssätze
Besondere Gleichheitssätze finden sich in den Art 11-81, 83-86 W E sowie in Art 141 EGV (Art III-214 W E ) . Kein Grundrecht, sondern einen Grundsatz iSv Art 11-112 V W E enthält Art 11-82 W E . 3 9 Er könnte die Prüfung einzelner Unionsgrundrechte, etwa die Religionsfreiheit (Art 11-70 S 1 W E ) , die Meinungsfreiheit (Art 11-71 W E ) , die Kunstfreiheit (Art 11-73 S 1 W E ) und das Gebot der Nichtdiskriminierung (Art 11-81 W E ) auf der Rechtfertigungsebene dadurch beeinflussen, dass er nur solche Eingriffe zulässt, die das Gebot der Vielfalt wahren. Materiell bewirken die besonderen Gleichheitssätze eine „Anhebung des durch den allgemeinen Gleichheitssatz allein begründeten minimalen Gleichheitsstandards."40 Sie enthalten für bestimmte Lebensbereiche (etwa die arbeitsrechtliche Entgeltgleichheit, Art 141 EGV/Art III-214 W E ) und/oder im Hinblick auf bestimmte verbotene Differenzierungskriterien (insbesondere die in Art 11-81 I W E genannten Kriterien) Spezialbestimmungen im Verhältnis zum allgemeinen Gleichheitssatz und gehen diesem im Umfang ihrer Reichweite vor. a) Nichtdiskriminierung, Art 11-81 W E Schrifttum: Kommentierungen von Art 21 GRCh (Art 11-81 W E ) bei Hölscheidt in: Meyer Charta der Grundrechte; RengelinglSzczekalla Grundrechte in der Europäischen Union, 2004, Rn 890 ff und Streinz in: ders. 34 EuGH, Slg 1998,1-1023, Rn 81 - Τ Port = Erichsen JK 98, EGV Art 189/2. 35 Zur Diskussion um die sog „neue Formel" des Bundesverfassungsgerichts vgl etwa Brüning JZ 2001, 669 ff; eine Anlehnung an diese Rspr befürwortet Kischel EuGRZ 1997, 1, 5 f. 36 EuGH, Slg 1982, 2745, Rn 13 - Edeka. 37 Vgl etwa Huber EuZW 1997, 517, 520; PernicelMayer in: Grabitz/Hilf nach Art 6 EUV Rn 164; Zimmerling in: Lenz/Borchardt Anh zu Art 6 EUV Rn 71. 38 Vgl aber wiederum EuGH, Slg 1982, 2745, Rn 13 - Edeka, wo allerdings der Eindruck erweckt wird, als sei die Verhältnismäßigkeitsprüfung Bestandteil der Willkürkontrolle. 39 Hölscheidt in: Meyer Charta der Grundrechte Art 22 Rn 16. 40 So für das Verhältnis der Gleichheitsrechte im Grundgesetz Sachs (Fn 1) § 126 Rn 16.
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Das Gebot der Nichtdiskriminierung verbietet unmittelbare und mittelbare Ungleichbehandlungen aufgrund der in Art 11-81 W E enthaltenen Merkmale. Diese sind, nach der Prüfung der Ungleichbehandlung, auf der Rechtfertigungsebene zu prüfen. Hier stellt sich nämlich die Frage, ob Ungleichbehandlungen aufgrund der verpönten Merkmale überhaupt einer Rechtfertigung zugänglich sind.4' Einerseits gilt zwar auch insoweit die allgemeine Schrankenregelung in Art 11-112 I W E ; andererseits spricht Art 11-81 W E apodiktisch von einem Verbot. Der EuGH scheint, legt man seine Rechtsprechung zur Diskriminierung wegen des Geschlechts (—» unten Rn 48 ff) und wegen der Staatsangehörigkeit (-» § 12 Rn 18 ff) zugrunde, generell von einer Rechtfertigungsmöglichkeit auszugehen, wenn ein sachlicher Grund geltend gemacht wird. Man wird hier wohl differenzieren müssen: Bei einigen Merkmalen (wie etwa dem Alter) sind sachliche Gründe für Differenzierungen durchaus nahe liegend, bei anderen Merkmalen (etwa Rasse, Hautfarbe) hingegen schlechterdings undenkbar. In allen Fällen kommt jedenfalls eine Rechtfertigung nur in Betracht, wenn die Ungleichbehandlung zum Schutz anderer durch die Verfassung geschützter Güter unvermeidlich ist; dazu bedarf es einer strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung. 42
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Das Grundrecht wird ergänzt durch Art 13 EGV (Art III-124 W E ) . Dieser begründet eine Kompetenz der Union, die erforderlichen Maßnahmen zur Bekämpfung von Diskriminierungen zu ergreifen.43 Die Union hat davon insbesondere durch zwei Antidiskriminierungs-Richtlinien Gebrauch gemacht.44
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b) Gleichheit von Männern und Frauen, Art 1411 EGV (Art III-214 I W E ) , Art 11-83 W E Leitentscheidungen: EuGH, Slg 1976, 455 ff - Defrenne II; Slg 1978, 1365 ff - Defrenne III; Slg 1986, 1607 ff - Bilka; Slg 1990,1-1889 ff - Barber. Schrifttum: Bieback Die mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts, 1997; HaverkatelHuster Europäisches Sozialrecht, 1999, Rn 657 ff; Langenfeld Die Gleichbehandlung von Mann und Frau im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 1990; RengelinglSzczekalla Grundrechte in der Europäischen Union, 2004, Rn 916 ff. Aktuelle Kommentierungen zu Art 141 EGV (Art III-214 W E ) : Coen in: Lenz/Borchardt; Eichenhofer in: Streinz; Krebber in: Calliess/Ruffert; Rebhahn in: Schwarze; Rust in: von der Groeben/Schwarze; Schlachter in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 3. Aufl 2003; Steinmeyer in: Fuchs (Hrsg) Kommentar zum Europäischen Sozialrecht, 3. Aufl 2003. - Zu Art 23 GRCh (Art 11-83 W E ) : Hölscheidt in: Meyer Charta der Grundrechte und Streinz in: ders.
Fan 1: (nach EuGH, Slg 1998,1-621 ff - Grant = Ehlers JK 99, EGV Art 119/1) Die South-West Trains Ltd (SWT), eine englische Eisenbahngesellschaft, gewährt ihren Angestellten und deren Angehörigen Fahrpreisvergünstigungen. Bei Abgabe einer eidesstattlichen Erklärung, dass mit der betreifenden Person seit mindestens zwei Jahren eine „ernsthafte Beziehung" besteht, können auch nichteheliche Lebenspartner in den Genuss dieser Vergünstigung kommen. Allerdings sehen die arbeitsvertraglich fixierten Bestimmungen Vergünstigungen nur für den Partner eines anderen Geschlechts, nicht aber bei gleich-
41 Hölscheidt in: Meyer Charta der Grundrechte Art 21 Rn 29. 42 RengelinglSzczekalla Rn 912; vgl für Art 3 III 1 GG etwa auch Osterloh in: Sachs Grundgesetz Kommentar, 3. Aufl 2003, Art 3 Rn 254. 43 Epiney in: Calliess/Ruffert Art 13 EGV Rn 1. 44 Streinz in: ders Art 13 Rn 21 ff.
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geschlechtlichen Partnerschaften vor. Aus diesem Grunde weigerte sich die SWT, der Lebensgefährtin ihrer Angestellten Lisa Grant (G) Fahrpreisvergünstigungen einzuräumen. Daraufhin verklagte die G die SWT vor dem Industrial Tribunal Southampton. Diese legte dem EuGH die Frage vor, ob das Verhalten der SWT gegen Art 141 I EGV (Art III-214 I W E ) verstößt.
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Fall 2: (nach EuGH, Slg 1996,1-243 ff - Lewark) Die Klägerin, Frau Lewark (L), ist mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 30 Stunden im Pflegebereich des in Deutschland ansässigen Dialysezentrums des Β beschäftigt und gehört dort dem Betriebsrat an, der aus drei Mitgliedern besteht. Ihre Arbeitszeit verteilt sich gleichmäßig auf 4 Tage in der Woche. Im Pflegebereich des Dialysezentrums sind 21 Arbeitnehmer tätig, 7 Männer und 14 Frauen. Während bis auf einen alle Männer vollzeitbeschäftigt sind, sind 10 der 14 Frauen teilzeitbeschäftigt. L ist als einziges Mitglied des Betriebsrates teilzeitbeschäftigt. Vom 11.-15. November 1996 nahm sie aufgrund eines Beschlusses des Betriebsrates und mit Zustimmung des Β an einer für die Betriebsratsarbeit erforderlichen Schulungsveranstaltung teil, und zwar auch am 13. November, an dem sie wegen ihrer Teilzeitbeschäftigung nicht bei Β gearbeitet hätte. Gemäß § 37 II, VII BetrVG haben Mitglieder des Betriebsrates den Anspruch, ohne Minderung des Arbeitsentgeltes an Schulungen teilzunehmen. L verlangt aber darüber hinaus von Β einen Ausgleich für die 7 Stunden, die sie an diesem für sie sonst freien Tag für die Schulung aufgebracht hat. Ihr dürfe gegenüber den vollzeitbeschäftigten Betriebsratsmitgliedern kein besonderes Opfer abverlangt werden. In der Weigerung des Β sieht sie eine durch Art 1411 EGV (Art III-214 I W E ) verbotene Diskriminierung. Nachdem Arbeits- und Landesarbeitsgericht der Klage stattgegeben hatten, legt das Bundesarbeitsgericht dem EuGH die Frage vor, ob Art 141 I EGV (Art III-214 I W E ) den nationalen Gesetzgeber daran hindert, die Betriebsratsmitglieder lediglich vor denjenigen Einkommenseinbußen zu schützen, die sie sonst durch betriebsratsbedingte Versäumung von Arbeitszeit erleiden würden. Ein Verbot der Diskriminierung wegen des Geschlechts findet sich außer in Art 11-81 I W E auch in Art 11-83 W E und in Art 141 I EGV (Art III-214 I W E ) . Während das Verbot in Art 11-81, 83 W E alle Lebensbereiche erfasst, beschränkt sich Art 141 I EGV (Art III-214 I W E ) auf das Postulat des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit. Unterschiede bestehen auch im Hinblick auf die Adressaten: Während Art 11-81, 83 W E die Union umfassend, die Mitgliedstaaten hingegen nur bei der Durchführung des Unionsrechts binden (Art II-l 11 I 1 W E ) , ist Art 1411 EGV (Art III-214 I W E ) allein an die Mitgliedstaaten gerichtet. Die unionsrechtliche Bindung der Mitgliedstaaten beschränkt sich daher, wenn sie nicht Unionsrecht durchführen, auf den Bereich der arbeitsrechtlichen Entgeltgleichheit; die Bindung der Union ist hingegen insoweit unbeschränkt. Dieser Unterschied erklärt sich daraus, dass der historisch ältere Art 141 I EGV (Art III-214 I W E ) transnationale Integrationswurzeln hat (—» oben Rn 6) und im Übrigen durch die mitgliedstaatlichen Gewährleistungen als nationale Legitimationsnormen ergänzt wird, während Art 11-81, 83 W E im Hinblick auf das Handeln der Union supranationale Legitimationsfunktion haben. Die folgende Darstellung beschränkt sich auf den bislang die Rechtsprechungspraxis prägenden Art 141 EGV (Art III-214 W E ) . Dieser enthält in seinem Absatz 1 das Grundrecht auf Nichtsdiskriminierung wegen des Geschlechts. Absatz 2 definiert den Begriff des „Entgelts", Absatz 3 enthält eine Ermächtigungsgrundlage für Maßnahmen zur Gewährleistung der Anwendung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichstellung
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von Männern und Frauen und in Absatz 4 befindet sich eine an die Mitgliedstaaten gerichtete Öffnungsklausel für bestimmte Maßnahmen der „positiven Diskriminierung." aa) Schutzbereich Der Schutzbereich von Art 141 I EGV (Art III-214 I W E ) umfasst das Arbeitnehmern gezahlte Entgelt.
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(1) Persönlicher Schutzbereich Die Beschränkung des persönlichen Schutzbereiches auf Arbeitnehmer folgt aus der Definition des Entgeltes in Absatz 2. Arbeitnehmer ist, in Anlehnung an die Begriffsbestimmung in Art 39 EGV (Art III-133 W E ; -> vgl § 9 Rn 5 ff), jede Person, die „während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisungen Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält." 45 Geschützt sind alle tatsächlich innerhalb des Gemeinschaftsgebietes abhängig Beschäftigten, also nicht nur Unionsbürger, sondern auch Drittstaatsangehörige. 46 Auch öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse sind erfasst, 47 und zwar selbst solche in den hoheitlichen Kernbereichen. Das ergibt ein systematischer Abgleich mit Art 39 EGV (Art III-133 W E ) , der in seinem Absatz 4 solche Tätigkeiten vom Anwendungsbereich der Vorschrift ausnimmt. Das wäre überflüssig, wenn diese nicht unter den Arbeitnehmerbegriff im Sinne von Art 39 I EGV (Art III-133 I W E ) fallen würden. Arbeitnehmer sind daher nach der Rechtsprechung des EuGH etwa auch Polizeibeamte 48 und Angehörige der Streitkräfte 49 . Der Arbeitnehmer muss nicht zwingend zugleich der Leistungsempfänger sein. Vielmehr kann sich auch ein Dritter, der selbst nicht Arbeitnehmer ist, auf Art 141 I EGV (Art III-214 I W E ) berufen, wenn - wie etwa bei der Hinterbliebenenrente - der Entgeltanspruch seinen Ursprung im Arbeitsverhältnis hat. 50
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(2) Sachlicher Schutzbereich In sachlicher Hinsicht gewährleistet Art 141 I EGV (Art III-214 I W E ) Gleichheit im Hinblick auf das dem Arbeitnehmer geleistete Entgelt. Darüber hinausgehende, nicht auf das Entgelt beschränkte Diskriminierungsverbote können sich aus dem Sekundärrecht ergeben. Aus der Legaldefinition des Entgeltes in Art 141 II EGV (Art 214 II W E ) folgt, dass nicht nur die üblichen Grund- und Mindestlöhne und -gehälter, sondern auch alle sonstigen Vergütungen (Überstunden-, Feiertagszuschläge, Schichtzulagen, alle Arten von Gratifikationen), die ein Arbeitsverhältnis voraussetzen und auf der Beziehung zwischen
45 EuGH, Slg 1986, 2121, Rn 17 - Lawrie-Blum; vgl auch die Zusammenfassung der wesentlichen Elemente des EntgeltbegrifFes bei Rust in: vd Groeben/Schwarze Art 141 EG Rn 380 ff. 46 Langenfeld (Fn 5) S 43 ff. 47 EuGH, Slg 1997,1-5253, Rn 17 ff- Gerster. 48 EuGH, Slg 1986, 1651, Rn 26 ff - Johnston, für den übereinstimmenden Arbeitnehmerbegriff in der RL 76/207, ABl 1976 Nr L 39/40. 49 EuGH, Slg 2000,1-69, Rn 18 - Kreil. 50 EuGH, Slg 1993,1-4879, Rn 12 ff - Ten Oever; Rs C-l 17/01 ν 7.1.2004, N J W 2004, 1440 Rn 27 K.B./National Health Service.
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Arbeitnehmer und Arbeitgeber gründen, 51 in den sachlichen Schutzbereich fallen. Entgelt sind damit alle im Zusammenhang mit der erbrachten Arbeit stehenden, dem Arbeitgeber zurechenbaren Gegenleistungen, und zwar ohne Rücksicht auf ihre Rechtsgrundlage.52 Die Gegenleistungen müssen also nicht im Arbeitsvertrag oder in Kollektiwereinbarungen wurzeln, sondern können auch aufgrund rechtlicher Vorschriften 53 oder schlicht freiwillig getätigt worden sein.54 31
Beispiele: Unter den EntgeltbegrifT fallen nach der Rechtsprechung des EuGH etwa das Weihnachtsgeld55, die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall56, das Übergangsgeld57 sowie Abfindungs- und Entschädigungsleistungen bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses58, ferner die Fortzahlung des Entgeltes an Betriebsratsmitglieder während externer Schulungen59 und sogar Fahrpreisermäßigungen für Bahnbedienstete nach Eintritt in den Ruhestand60.
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Art 141 EGV (Art III-214 W E ) setzt einen „engen Zusammenhang zwischen der Art der Arbeitsleistung und der Höhe des Arbeitsentgelts" 61 voraus. Nicht in den sachlichen Schutzbereich fallen daher sonstige Arbeitsbedingungen, die nicht die Gegenleistung für die geleistete Arbeit betreffen, und zwar selbst dann nicht, wenn sie sich tatsächlich finanziell nachteilig auswirken.62 Schutz vor sonstigen arbeitsrechtlichen Ungleichbehandlungen gewährt aber die allgemeine Gleichbehandlungsrichtlinie 76/207,63 die neben abhängigen auch selbständige Beschäftigungen umfasst. 64 Für die im Einzelfall schwierige, insbesondere wegen der fehlenden Drittwirkung von Art 2 I R L 76/20765 aber bedeutsame Abgrenzung zwischen dem von Art 141 I EGV (Art III-214 I W E ) erfassten Entgelt und den sonstigen, unter Art 2 I RL 76/207 fallenden Arbeitsbedingungen differenziert der EuGH wie folgt: Er bejaht den erforderlichen Zusammenhang zur Entgeltzahlung, wenn sich die Gestaltung einer Arbeitsbedingung „quasiautomatisch" auf die Höhe des Entgeltes auswirkt, verneint ihn aber, wenn die Arbeitsbedingung nur die Möglichkeit des Einflusses auf das Entgelt eröffnet. 66
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Beispiele: Eine Bestimmung des Bundesangestelltentarifvertrages (BAT), die bei der Berechnung der Dienstzeit für den Aufstieg in eine höhere Vergütungsgruppe Teil- und Vollzeitbe51 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62 63
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Vgl etwa Rebhahn in: Schwarze Art 141 EGV Rn 11. Vgl Krebber in: Calliess/Ruffert Art 141 EGV Rn 25. Vgl bereits EuGH, Slg 1976,455, Rn 40 - Defrenne II. Vgl zusammenfassend etwa EuGH, Slg 1999, 1-623, Rn 15 - Seymour-Smith; Slg 1999, 1-7243, Rn 19 - Lewen. EuGH, Slg 1999,1-7243, Rn 21 - Lewen. EuGH, Slg 1989, 2743, Rn 7 - Rinner-Kühn. EuGH, Slg 1990,1-2591, Rn 11 - Kowalska. EuGH, Slg 1993, 1-673, Rn 12ff - Kommission/Belgien; Slg 1999, 1-623, Rn 24ff - SeymourSmith. EuGH, Slg 1992,1-3589, Rn 13 f - Bötel; Slg 1996,1-243, Rn 22 f - Lewark. EuGH, Slg 1982, 359, Rn 5 fT - Garland. EuGH, Slg 1999,1-623, Rn 34 - Seymour-Smith. Grundlegend bereits EuGH, Slg 1978, 1365, Rn 21 - Defrenne III. Richtlinie des Rates zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen ν 9. 2. 1976, ABl 1976 Nr L 39/40. EuGH, Slg 1985, 1459, Rn 24 - Kommission/Deutschland. Zur Drittwirkung von Art 1411 EGV (Art III-214 W E ) vgl Rn 50. EuGH, Slg 1991,1-297, Rn 9 - Nimz; Slg 1997,1-5253, Rn 24 ff - Gerster.
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schäftigte mit nachteiligen Wirkungen für die oft nur teilzeitbeschäftigten Frauen ungleich behandelte, fiel unter den Entgeltbegriff des Art 141 II EGV (Art III-214 II W E ) , weil der Aufstieg in die nächste Gruppe automatisch erfolgte.67 Kein Entgelt im Sinne von Art 141 II EGV (Art III-214 II W E ) regelte hingegen eine Bestimmung der bayerischen Laufbahnordnung, die zwar die Dienstzeit für Teil- und Vollzeitbeschäftigte unterschiedlich berechnete, daran aber nur die Folge der Aufnahme in eine Beförderungsliste knüpfte, welche keinen Anspruch, sondern nur die Möglichkeit einer Beförderung eröffnete. 68 Entsprechend differenziert der EuGH bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses: Die Entschädigung wegen ungerechtfertigter Entlassung ist an Art 141 EGV (Art III-214 W E ) , die Voraussetzungen der Wiedereingliederung des Arbeitnehmers an der RL 76/207 zu messen.69 Auch sonstige Maßnahmen im Zusammenhang mit der Begründung eines Arbeitsverhältnisses, wie insbesondere die sog Quotenregelungen bei der Besetzung von Stellen im öffentlichen Dienst zugunsten von Frauen 70 und die Beschränkung des Zugangs von Frauen zum Dienst mit der Waffe in der Bundeswehr71, misst der EuGH an Art 2 I RL 76/207 und nicht an Art 141 I EGV (Art III-214 I W E ) . Art 141 I E G V (Art III-214 I W E ) erfasst ferner nur diejenigen Leistungen, die dem Arbeitgeber zumindest mittelbar zuzurechnen sind. Die Zurechenbarkeit wirft bei der Beurteilung von Altersversorgungssystemen besondere Schwierigkeiten auf. Der E u G H differenziert wie folgt: Während betriebliche Altersversorgungssysteme unter Art 141 EGV (Art III-214 W E ) fallen, soll für die allgemeinen Versorgungssysteme (in Deutschland also insbesondere die soziale Rentenversicherung im SGB VI) nicht Art 141 EGV (Art III-214 W E ) , sondern allein die R L 79/7 72 gelten. Die Abgrenzung hat wegen der fehlenden Drittwirkung des Diskriminierungsverbotes in Art 4 I R L 79/7 73 und den in Art 7 R L 79/7 vorgesehenen Öffnungsklauseln, die den Mitgliedstaaten in Art 141 I E G V (Art III-214 I W E ) nicht vorgesehene Abweichungen vom Gebot der Nichtdiskriminierung gestatten (dabei geht es insbesondere um - mitunter nur vermeintlich - Frauen „begünstigende" Regelungen der Mitgliedstaaten, insbesondere im Zusammenhang mit dem Rentenzugangsalter) 7 4 , große praktische Bedeutung, verursacht aber aufgrund der Verzahnung von betrieblicher und allgemeiner Altersversorgung mitunter erhebliche Friktionen. 75
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Für die Zurechnung kommt es im Rahmen der Altersversorgungssysteme entscheidend auf den betrieblichen Bezug der Versorgungsleistung an. Dieser hängt maßgeblich vom Einfluss des Arbeitgebers auf das Versorgungssystem ab. Der Umstand, dass ein Versorgungssystem auf gesetzlicher, der Vereinbarung der Parteien des Arbeitsvertrages entzogener Verpflichtung beruht, kann daher ein wichtiges Indiz f ü r die Verneinung des betrieblichen Bezuges sein. Allein ausschlaggebend ist es aber nicht, weil der G r u n d der Leistung des Arbeitgebers im Prinzip unerheblich ist, sofern sie nur im Zusammenhang mit dem
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67 EuGH, Slg 1991, 1-297, Rn 9 - Nimz; vgl ferner EuGH, Slg 1986, 1607, Rn 24ff - Bilka; Slg 1990,1-2591, Rn 13 - Kowalska. 68 EuGH, Slg 1997,1-5253, Rn 23 f - Gerster. 69 EuGH, Slg 1999,1-623, Rn 25 ff, 37 ff - Seymour-Smith. 70 EuGH, Slg 1995, 1-3051, Rn 12 ff - Kaianke; Slg 1997, 1-6363, Rn 21 ff - Marshall; Slg 2000, 1-1875, Rn 13 ff - Badeck; Slg 2000,1-5539, Rn 40 ff - Abrahamsson. 71 EuGH, Slg 2000,1-69, Rn 10 ff - Kreil. 72 Richtlinie des Rates zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit ν 19. 12. 1978, ABl 1979 Nr L 6/6/24. 73 Zur Drittwirkung von Art 141 I EGV (Art III-214 W E ) unten Rn 50. 74 Vgl HaverkatelHuster Europäisches Sozialrecht, 1999, Rn 729 ff. 75 Krebber in: Calliess/Ruffert Art 141 EGV Rn 72.
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Beschäftigungsverhältnis erbracht wird.76 Das für den betrieblichen Bezug wesentliche Begrififspaar ist daher nicht „betrieblich-gesetzlich", sondern „betrieblich-allgemein (sozial-) staatlich." 77 Der betriebliche Bezug der Versorgungsleistung ist zu bejahen, wenn der Arbeitgeber die Leistung ganz oder zum Teil, ggf auch zusammen mit Abzügen vom Lohn des Arbeitgebers, selbst finanziert und einen Einfluss auf die Bestimmung von Art und Umfang der zu erbringenden Leistung behält. 78 Je weniger aber die Modalitäten der Beitragsleistung und der zu erbringenden Leistungen durch das konkrete Beschäftigungsverhältnis gestaltet werden und je stärker die finanzielle Beteiligung der öffentlichen Hand und der Einfluss allgemeiner sozialpolitischer Erwägungen ist79 (die sich insbesondere in solidarischer Umverteilung und in der Einbeziehung von Nicht-Arbeitnehmern äußern kann), desto mehr löst sich das System vom konkreten Beschäftigungsverhältnis mit der Folge, dass der betriebliche Bezug der Versorgungsleistung zu verneinen ist;80 so etwa bei Leistungen der gesetzlichen Sozialversicherung.81 Wenn aber die Versorgungsleistung einen betrieblichen Bezug hat, so ist die konkrete Funktion der betrieblichen Alterssicherung im mitgliedstaatlichen Versorgungssystem ohne Belang. Er wird daher auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass das Versorgungssystem die soziale Rentenversicherung ganz oder zum Teil substituiert.82 bb) Beeinträchtigung 36
Beeinträchtigung ist jede entgeltbezogene Ungleichbehandlung für gleiche oder gleichwertige Arbeit aufgrund des Geschlechts durch die Mitgliedstaaten oder private Arbeitgeber. (1) Normadressaten
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Normadressaten des Art 141 I EGV (Art III-214 W E ) sollen neben den Mitgliedstaaten auch - was problematisch ist 83 - Privatpersonen sein; gebunden sind daher insbesondere die Tarifvertragsparteien. 84 Die Gemeinschaft ist hingegen nicht an Art 141 I EGV (Art III-2141 W E ) , sondern an Art 11-83 W E gebunden (-> oben Rn 23). (2) Vergleichsgruppen
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Die Feststellung einer Ungleichbehandlung beginnt mit der Bildung der Vergleichsgruppen.85 Diese setzt einen Bezugspunkt voraus, der den gemeinsamen Oberbegriff bildet, unter den die rechtlich verschieden behandelten Personen fallen. Dieser Bezugspunkt wird in Art 141 EGV (Art III-214 W E ) mit „gleiche oder gleichwertige Arbeit" umschrieben.
76 EuGH, Slg 1994, 1-4471, Rn 24/26 - Beune; SIg 1999, 1-7243, Rn 20 - Lewen; Steinmeyer in: Fuchs (Hrsg) Kommentar zum Europäischen Sozialrecht, 3. Aufl 2003, Art 141 EGV Rn 25 ff; Rebhahn in: Schwarze Art 141 EGV Rn 14. 77 Steinmeyer (Fn 76) Art 141 EGV Rn 27. 78 Grundlegend: EuGH, Slg 1990, 1-1889, Rn 22 ff - Barber; Steinmeyer (Fn 76) Art 141 EGV Rn33. 79 EuGH, Slg 1990,1-1889, Rn 23 - Barber; ferner Coen in: Lenz/Borchardt Art 141 EGV Rn 9. 80 Vgl den Kriterienkatalog bei Steinmeyer (Fn 76) Art 141 EGV Rn 32 ff. 81 EuGH, Slg 1971,445, Rn 7/12 - Defrenne I. 82 EuGH, Slg 1990,1-1889, Rn 28 - Barber; Slg 1994,1-4389, Rn 71 - Coloroll Pension Trustees. 83 - » § 13 Rn 12. 84 EuGH, Slg 1999,1-7243, Rn 26 - Lewen; zuletzt: EuGH, Rs C-284/02 ν 18. 11. 2004, Rn 25 - Sass. 85 Vgl allgemein PierothlSchlink (Fn 9) Rn 431 ff.
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Das Unionsrecht gibt zwar nicht vor, wie die Gleichwertigkeit der Arbeit festzustellen ist; im Interesse der einheitlichen Anwendbarkeit des Art 141 EGV (Art III-214 W E ) muss es aber einheitliche Kriterien geben, zumal das Verständnis in den Mitgliedstaaten insoweit erheblich differiert. 86 Die Kommission hat daher ein ausführliches Klassifikationsschema entwickelt, 87 das zur Definition beitragen kann, jedoch rechtlich unverbindlich ist. Einzelne Aussagen finden sich auch in der EuGH-Rechtssprechung: Die Gleichheit oder Gleichwertigkeit der Arbeit hängt danach weder von der subjektiven Einschätzung des Arbeitnehmers noch derjenigen des Arbeitgebers ab.88 Maßgebend sind vielmehr objektive Umstände wie die Art der Arbeit, die Ausbildungsanforderungen und die Arbeitsbedingungen. 89 Keine gleiche oder gleichwertige Arbeit liegt vor, wenn die gleiche Tätigkeit von Arbeitnehmern mit unterschiedlicher Ausbildung ausgeübt wird. 90 Vergleichbarkeit ist im Übrigen, wie bei jedem Gleichheitssatz, nur gegeben, wenn die beiden Fälle in den Zuständigkeitsbereich der handelnden Stelle fallen. 91 Das bedeutet zwar nicht, dass zwingend nur Arbeitnehmer eines Arbeitgebers miteinander verglichen werden können, weil Ungleichbehandlungen auch in Rechtsnormen oder Kollektiwereinbarungen wurzeln können, die eine Vielzahl von Arbeitnehmern unterschiedlicher Arbeitgeber erfassen können. Allerdings muss die Ungleichbehandlung „auf ein und dieselbe Quelle zurückführen" sein; anderenfalls „fehlt eine Einheit, die für die Ungleichbehandlung verantwortlich ist und die die Gleichbehandlung wiederherstellen könnte." 9 2
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(3) Arten der Beeinträchtigung Art 141 I EGV (Art III-214 I W E ) verbietet unmittelbare und mittelbare Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts.
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(a) Das verbotene Differenzierungskriterium Geschlecht Art 141 EGV (Art III-214 W E ) ist nur auf Ungleichbehandlungen aufgrund des Geschlechtes des Arbeitnehmers anwendbar. Das sind auch solche Umstände, die nur Angehörige eines Geschlechtes erfüllen können, insbesondere die Schwangerschaft und die Geburt eines Kindes. 93 Benachteiligungen wegen der gleichgeschlechtlichen Orientierung werden nicht erfasst. 94
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(b) Unmittelbare Diskriminierungen Eine unmittelbare Benachteiligung liegt vor, wenn eine entgeltbezogene M a ß n a h m e explizit an das Geschlecht anknüpft. 9 5 86 87 88 89 90 91 92 93 94
Vgl Schlachter in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 3. Aufl 2003, Art 141 EGV Rn 9. KOM (1994) 6 endg und KOM (1996) 336 endg. Rebhahn in: Schwarze Art 141 EGV Rn 15. EuGH, Slg 1995,1-1275, Rn 32 f - Royal Copenhagen. EuGH, Slg 1999,1-2865, Rn 20 f - Angestelltenbetriebsrat der Wiener Gebietskrankenkasse. Vgl allgemein Jarass in: Jarass/Pieroth Grundgesetz Kommentar, 7. Aufl 2004, Art 3 Rn 4a. EuGH, Slg 2002,1-7325, Rn 18 - Lawrence. Rebhahn in: Schwarze Art 141 EGV Rn 21. Vgl EuGH, Slg 1998,1-621, Rn 47 - Grant = Ehlers JK 99, EGV Art 119/1; teilweise aA Rebhahn in: Schwarze Art 141 EGV Rn 21; vgl dazu Fall 2. 95 Rebhahn in: Schwarze Art 141 EGV Rn 23; Schlachter in: Erfurter Kommentar (Fn 86) Art 141 EGV Rn 14.
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Beispiele: Eine unmittelbare Diskriminierung liegt etwa vor, wenn Mutterschutzzeiten bei der Gewährung einer Gratifikation nicht als Beschäftigungszeiten berücksichtigt werden 96 und wenn Kindererziehungszeiten bei der Rente nur für Mütter berücksichtigt werden.97 (c) Mittelbare Diskriminierungen
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Der praktisch häufigste und schwierigste Fall sind mittelbare Diskriminierungen. Ihr Vorliegen wird in Anlehnung an Art 2 II R L 97/80 (sog Beweislastrichtlinie) 98 ermittelt. Danach liegt eine mittelbare Diskriminierung vor, wenn dem Anschein nach geschlechtsneutral formulierte Vorschriften, Kriterien und Verfahren prozentual einen wesentlich höheren Anteil eines Geschlechts benachteiligen. 99 Es reicht also aus, dass sich eine geschlechtsneutral formulierte Regelung statistisch überwiegend zum Nachteil eines Geschlechts auswirkt. U m diese tatsächlichen Auswirkungen zu ermitteln, darf nicht auf die absoluten Zahlen der jeweils betroffenen Arbeitnehmer eines Geschlechts abgestellt werden; vielmehr muss die Zahl der Betroffenen eines Geschlechts jeweils in Relation zu der Gesamtheit der Arbeitnehmer dieses Geschlechts gesetzt und innerhalb jeder G r u p p e der prozentuale Anteil der Betroffenen ermittelt werden. 100 Art 4 R L 97/80 verschiebt dabei die Beweislast auf den Beklagten, also den Arbeitgeber oder den Mitgliedstaat. Danach müssen Personen, die sich durch eine Diskriminierung wegen des Geschlechts für beschwert erachten, nur die Tatsachen glaubhaft machen, die das Vorliegen einer Diskriminierung vermuten lassen. Dies kann insbesondere durch amtliche oder nicht-amtliche Statistiken geschehen. D e m Beklagten obliegt dann der Beweis, dass keine Diskriminierung vorgelegen hat.
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Beispiele: Eine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts wird angenommen, wenn Teilzeitbeschäftigte schlechter gestellt werden als Vollzeitbeschäftigte, weil der Anteil der Frauen an den Teilzeitbeschäftigten typischerweise höher ist als bei Männern. 10 ' Als Diskriminierung wurde daher etwa die Bezahlung geringerer Stundensätze für Teilzeitbeschäftigte 102 und der Ausschluss der Teilzeitbeschäftigten vom Zugang zu einem betrieblichen Versorgungssystem103 angesehen. Sehr weitgehend erstreckt der EuGH das Diskriminierungsverbot auch auf die tatsächlichen Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, um in den Genuss des Schutzes einer Norm zu kommen: 104 Eine Diskriminierung soll daher auch vorliegen, wenn das nationale Recht die Gewährung einer Leistung (hier: Hinterbliebenenrente) davon abhängig macht, dass die Betroffenen miteinander verheiratet sind, ihnen aber aufgrund einer Geschlechtsumwandlung die Möglichkeit eines Eingehens der Ehe verweigert wird. Hingegen ist der Arbeitgeber
96 EuGH, Slg 1999,1-7243, Rn 42 - Lewen. 97 EuGH, Slg 2001,1-9383, Rn 67 - Griesmar. 98 Richtlinie des Rates über die Beweislast bei Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts ν 15.12.1997, ABl 1998 Nr L 14/6. 99 Vgl EuGH, Slg 1986, 1607, Rn 29 - Bilka; Slg 1996, 1-243, Rn 28 - Lewark; Slg 1997, 1-5253, Rn 30 - Gerster. 100 EuGH, Slg 1999, 1-623, Rn 58 ff - Seymour-Smith; dazu auch Steinmeyer in: Fuchs (Fn 76) Art 141 EGV Rn 63 ff und Rust in: vd Groeben/Schwarze Art 141 EG Rn 459. 101 Dazu umfassend Biermann Die Gleichbehandlung von Teilzeitbeschäftigten bei entgeltlichen Ansprüchen, 2000, S 162 IT; Saunders Gleiches Entgelt für Teilzeitarbeit, 1997, S 29 ff. 102 EuGH, Slg 1981, 911, Rn 13-Jenkins. 103 EuGH, Slg 1986, 1607, Rn 29 ff - Bilka. 104 EuGH, Rs C-117/01 ν 7.1.2004, NJW 2004, 1440 Rn 30 - K. B./National Health Service; insoweit kritisch Classen JZ 2004, 513 f.
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nicht verpflichtet, alle familienbedingten Unterbrechungen der Erwerbsbiographie auszugleichen.'05 Keine mittelbare Diskriminierung soll auch das Abstellen auf die Anciennität sein.106 Die EuGH-Rechtsprechung ist - ungeachtet ihrer sozialpolitisch meist überzeugenden Ergebnisse - dogmatisch unbefriedigend, weil sie mit der Konzentration auf die tatsächlichen Auswirkungen einer Regelung letztlich die Statistik zur Auslegungsmethode befördert.' 07 Grundrechte sind Individualrechte; die grundrechtliche Betroffenheit kann daher nicht davon abhängen, ob der Einzelne einer bestimmten Gruppe (hier: Frauen) angehört und in dieser Gruppe auch noch andere, möglicherweise sogar besonders viele, betroffen sind, zumal offen bleibt, wo die prozentual relevante Grenze liegen soll.108 Problematisch ist dies insbesondere für Personen, die nicht der mehrheitlich betroffenen Gruppe angehören, aber dennoch von den nachteiligen Folgen betroffen werden, etwa der wegen der Kindererziehung teilzeitbeschäftigte Mann. Er kann die nachteiligen Wirkungen einer unterbrochenen Erwerbsbiographie nicht mit der Benachteiligung aufgrund des Geschlechts begründen, weil die Regelung mehrheitlich Frauen und nicht Männer trifft. Letztlich geht es dem EuGH um das praktische Ergebnis: Arbeits- und beschäftigungspolitische Bedingungen, die zwar nicht am Tatbestand „Geschlecht" sondern an der „Kindererziehung" anknüpfen, realiter aber meistens Frauen treffen, sollen auf ihre sachliche Rechtfertigung hin überprüft werden.
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Im Rahmen der Rechtfertigungsprüfung löst sich der EuGH immerhin von der alleinigen Prüfung der tatsächlichen Auswirkungen und fragt, ob die beanstandete Regelung (die statistisch mehr Frauen als Männer betrifft) durch objektive Faktoren gerechtfertigt ist, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben.' 09 Hier klingt das Verständnis des Art 141 I EGV (Art III-214 I W E ) als Begründungsverbot an, das den Normadressaten verpflichtet, die Differenzierung ohne Rückgriff auf das verbotene Differenzierungskriterium „Geschlecht" zu begründen." 0 Gelingt diese Begründung, hat sie selbst dann Bestand, wenn sie im Ergebnis mehr Personen des einen als des anderen Geschlechts trifft." 1 Das Begründungsverbot verbindet damit Fragen der Ungleichbehandlung bereits mit der Prüfung nach ihrer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung, insbesondere des Zweckes der Ungleichbehandlung.
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cc) Rechtfertigung Art 141 EGV (Art III-214 W E ) enthält keine ausdrücklichen Schrankenbestimmungen. Trotzdem ist anerkannt, dass auch Ungleichbehandlungen wegen des Geschlechts gerechtfertigt werden können. Dabei wird zwischen unmittelbaren und mittelbaren Diskriminierungen unterschieden: Während mittelbare Diskriminierungen grundsätzlich gerechtfertigt werden können, wird die Ansicht vertreten, dass unmittelbare Diskriminierungen
105 EuGH, Slg 1986, 1607, Rn 29 ff - Bilka. 106 EuGH, Slg 1989, 3199, Rn 24f - Danfoss A/S; kritisch Krebber in: Calliess/Ruffert Art 141 EGV Rn 45. 107 Weniger kritisch Schlachter in: Erfurter Kommentar (Fn 86) Art 141 EGV Rn 16, 19, die die Statistik als Methode zur Senkung der Beweisanforderungen für die Geschlechtsabhängigkeit einer Diskriminierung interpretiert. 108 Eher spekulativ daher Rust in: vd Groeben/Schwarze Art 141 Rn 459. 109 Vgl etwa EuGH, Slg 1993,1-6185, Rn 32 - Kirsammer-Hack. 110 Vgl für Art 3 II, Art III GG Pieroth/Schlink (Fn 9) Rn 447 ff. 111 Ebenso für Art 3 II GG Pieroth/Schlink (Fn 9) Rn 453. 493
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entweder gar nicht112 oder nur unter erschwerten Bedingungen113 zu rechtfertigen sind. Diese Differenzierung überzeugt nicht:114 Denn für den Einzelnen ist es gleichgültig, ob er durch ausdrückliche Anknüpfung an die Gruppe, der er angehört oder durch typischerweise diese Gruppe treffende Merkmale belastet wird.115 Die Rechtfertigungsprüfung besteht aus der Feststellung eines legitimen, auch von den Verträgen anerkannten Zieles der Ungleichbehandlung und der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme: So sieht der EuGH Benachteiligungen durch Arbeitgeber als gerechtfertigt an, wenn sie (1) einem „wirklichen unternehmerischen Bedürfnis" entsprechen und (2) für die Erreichung dieses Ziels geeignet und erforderlich sind,116 was insbesondere dann der Fall sein dürfte, wenn substantiiert vorgetragen wird, dass mit der Maßnahme Arbeitsplätze oder gar der Fortbestand des Unternehmens gesichert werden können. Differenzierungen in Gesetzen und Tarifverträgen können durch beschäftigungsund sozialpolitische Ziele gerechtfertigt sein, wenn sie zu deren Erreichung geeignet und erforderlich sind.117 Wegen der weitgehend fehlenden sozialpolitischen Zuständigkeit der Gemeinschaft haben die Mitgliedstaaten insoweit einen weiten Entscheidungsspielraum.118 Beispiele: Das Ziel, geringfügige Beschäftigung (vgl §§ 8, 8a SGB IV) zu erleichtern, kann die Herausnahme aus der Sozialversicherungspflicht rechtfertigen.119 Der auch durch Art 137 II lb) EGV (Art III-210 W E ) anerkannte Schutz kleiner und mittlerer Unternehmen kann Befreiungen von nationalen Kündigungsschutzregelungen rechtfertigen.120 Allgemeine Behauptungen, dass bestimmte Maßnahmen Einstellungen fördern, reichen aber nicht aus.121 dd) Rechtsfolgen eines Verstoßes
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Nach allgemeinen Grundsätzen ist bei einem Verstoß gegen Art 141 I EGV (Art III-214 I W E ) die angegriffene Regelung/Maßnahme nicht anzuwenden. Dabei ist zu unterscheiden für die Zeit vor und nach der Anpassung der nationalen Maßnahme/Regelung an das Urteil des EuGH: Bis zum Inkrafttreten einer neuen nationalen Regelung hat der betroffene Arbeitnehmer einen unmittelbar aus Art 141 EGV (Art III-214 W E ) folgenden Anspruch auf Leistung des dem bevorzugten Geschlechtes gewährten Entgeltes.122 Dieser Anspruch bezieht sich grundsätzlich auch auf in der Vergangenheit liegende Arbeitszeiten, allerdings aus Gründen der Rechtssicherheit und zur Vermeidung unverhältnismäßiger Belastungen nicht auf Zeiten vor dem 8. 4. 1976.123 Für Betriebsrenten ist die zeitliche Wirkung sogar auf die Zeit nach dem 17. 5. 1990 beschränkt, wenn nicht vorher rechtliche Schritte zur Wahrung der Rechte unternommen wurden.124 Das soll aber nur für die Leistungen selbst, 112 113 114 115 116 117 118 119 120 121 122 123 124
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Classen JZ 1996, 621, 624. So Rebhahn in: Schwarze Art 141 EGV Rn 24. vgl § 13 Rn 19. Wie hier Kischel EuGRZ 1997, 1, 4 f. EuGH, Slg 1986,1607, Rn 36 - Bilka. EuGH, Slg 1989, 2743, Rn 14-Rinner-Kühn. EuGH, Slg 1995,1-4625, Rn 33 - Nolte. EuGH, Slg 1995,1-4625, Rn 31 - Nolte. EuGH, Slg 1993,1-6185, Rn 32 ff - Kirsammer-Hack. EuGH, Slg 1999,1-623, Rn 76 - Seymour-Smith. EuGH, Slg 1991,1-297, Rn 21 - Nimz; näher Nicolai ZfA 1996,481,485 ff. EuGH, Slg 1976,1-455, Rn 74 f - Defrenne II. EuGH, Slg 1990,1-1889, Rn 43 f - Barber.
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nicht für die Voraussetzungen für den Anschluss an ein betriebliches Rentensystem gelten.125 Sobald eine neue Regelung/Maßnahme in Kraft ist, die das Urteil des EuGH umsetzt, ist allein diese maßgebend. Gemäß den für die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen Gleichheitssätze geltenden Grundsätzen 126 muss die Neuregelung die bislang dem einen Geschlecht gewährte Vergünstigung nicht auf das andere ausdehnen; zulässig ist vielmehr auch eine Abschaffung der Vergünstigung für das bislang begünstigte Geschlecht.127 Art 141 I EGV (Art III-214 I W E ) verhält sich nur zur Gleichbehandlung, nicht zu dem Niveau, auf dem diese erfolgt. Lösung Fall 1: Die Weigerung der SWT, der Lebensgefährtin der G die Fahrvergünstigung zu gewähren, könnte gegen Art 1411 EGV (Art III-2141WE) verstoßen. (1) Fraglich ist zunächst, ob der persönliche Schutzbereich berührt ist, weil die Vergünstigung nicht der Arbeitnehmerin G, sondern ihrer Lebensgefährtin gewährt werden soll. Doch wird zu Recht davon ausgegangen, dass der Arbeitnehmer nicht zwingend zugleich der Leistungsempfanger sein muss. Vielmehr kann sich auch ein Dritter, der selbst nicht Arbeitnehmer ist, auf Art 141 I EGV (Art III-214 I W E ) berufen, wenn der Entgeltanspruch seinen Ursprung im Arbeitsverhältnis hat (EuGH, Slg 1993, 1-4879, Rn 12 ff - Ten Oever). Da die Fahrpreisvergünstigung aufgrund des Arbeitsvertrages der G mit der SWT geleistet wird, wurzelt sie im Arbeitsverhältnis. Auch der sachliche Schutzbereich ist berührt, denn die Fahrpreisvergünstigung ist eine sonstige Vergütung im Sinne von Art 141 II EGV (Art III-214 II W E ; EuGH, Slg 1998,1-621, Rn 13 - Grant = Ehlers JK 99, EGV Art 119/1). (2) Der Schutzbereich müsste beeinträchtigt sein. Art 141 I EGV (Art III-214 I W E ) verpflichtet auch Privatpersonen. Die SWT ist daher taugliche Normadressatin. Als Beeinträchtigungsform kommt eine unmittelbare Diskriminierung in Betracht. Fraglich ist allerdings, wie die Vergleichsgruppen zu bilden sind. Man könnte den Mann, der mit einer Frau zusammenlebt und die Frau, die, wie die G, mit einer Frau zusammenlebt, miteinander vergleichen. Diese werden ungleich behandelt, weil nur der Mann, der mit einer Frau zusammenlebt, in den Genuss der Vergünstigung kommt. Der Bezugspunkt des Vergleichs wäre das Zusammenleben mit einer Frau. Doch sind dies nicht die richtigen Vergleichsgruppen. Für die Vergleichgruppenbildung kommt es entscheidend auf das mit einer Maßnahme/ Regelung verfolgte Ziel an (vgl allgemein Gubelt in: von Münch/Kunig Grundgesetz-Kommentar Bd I, 5. Aufl 2000, Art 3 Rn 17). Die Regelung über die Fahrpreisvergünstigung soll aber nicht zwischen Männern und Frauen, sondern zwischen verschieden- und gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften differenzieren. Vergleichsgruppen sind daher die mit einem Partner des anderen Geschlechts und die mit dem gleichen Geschlecht zusammenlebenden Arbeitnehmer. Diese werden zwar ungleich behandelt, doch beruht diese Ungleichbehandlung weder auf dem Geschlecht der G noch ihrer Partnerin, sondern auf der geschlechtlichen Orientierung (aA GA Elmer, EuGH, Slg 1998, 1-621, Rn 19 ff). Ob auch Ungleichbehandlungen aufgrund der sexuellen Orientierung unter Art 141 I EGV (Art III214 I W E ) fallen, ist umstritten (vgl dazu die Nachw bei Szczekalla EuZW 1998, 215, 216). Für die Beurteilung dieser Frage kommt es nicht darauf an, dass gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften nicht unter das nunmehr auch in Art 11-69 W E geschützte Grund-
125 Näher Rebhahn in: Schwarze Art 141 EGV Rn 37. 126 Vgl oben Rn 10. 127 EuGH, Slg 1994,1-4389, Rn 30 - Coloroll Pension Trustees.
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recht der Ehe fallen (insoweit problematisch daher EuGH, Slg 1998, 1-621, Rn 32 ff Grant). Denn die Fahrpreisvergünstigung wird ja nicht nur Verheirateten gewährt, knüpft also nicht an den Status, sondern an das Zusammenleben an. Gegen eine Einbeziehung der geschlechtlichen Orientierung spricht aber das systematische Argument, dass der EG-Vertrag in Art 13 I EGV (Art III-124 I W E ) und die Grundrechtecharta in Art 11-81 I W E explizit zwischen „Geschlecht" und der „sexuellen Ausrichtung" unterscheiden. Dies wäre unnötig, fiele die „sexuelle Ausrichtung" bereits unter das „Geschlecht." Die Weigerung der SWT, der Lebenspartnerin der G Fahrvergünstigungen zu gewähren, ist daher keine Ungleichbehandlung aufgrund des Geschlechts und damit kein Verstoß gegen Art 141 I EGV (Art III-2141 W E ) . Gegenüber der Weigerung der SWT kann sich G auch nicht auf Art 13 I EGV (Art III-1241 W E ) berufen. Denn die Vorschrift ist als Ermächtigungsnorm formuliert, die ein Tätigwerden des Rates voraussetzt, aber kein primärrechtliches besonderes Gleichheitsrecht enthält (Epiney in: Calliess/Ruffert Art 13 EGV Rn 1; aA Holoubek in: Schwarze Art 13 EGV Rn 7).
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Lösung Fall 2: § 37 II, VII BetrVG, der die Fortzahlung des Arbeitsentgeltes auf die Zeit beschränkt, in der das Betriebsratsmitglied im Betrieb hätte arbeiten müssen, könnte gegen Art 141 I EGV (Art III-2141 W E ) verstoßen. (1) Der Schutzbereich müsste berührt sein. Problematisch ist, ob der Anspruch auf das Arbeitsentgelt während der Schulung „Entgelt" im Sinne von Art 141 II EGV (Art III-214 II W E ) ist. Denn die Zahlung des Arbeitgebers ist Lohnausgleich, nicht aber Entgelt für das Amt des Betriebsrates, das Ehrenamt ist und für das daher gerade kein Entgelt zu leisten ist. Man kann daher daran zweifeln, ob der Lohnausgleich Arbeitsentgelt ist, das aufgrund arbeitsvertraglich geschuldeter Arbeitsleistung zu zahlen ist (Wiese in: Fabricius/Kraft/ Wiese/Kreutz/Oetker BetrVG, 6. Aufl 1998, § 37 Rn 55; differenzierend Kort RdA 1997, 277, 281 0 Der EuGH betont demgegenüber, dass die rechtlichen Begriffe und Qualifizierungen des nationalen Rechts für die Anwendung des Art 141 I EGV (Art III-214 I W E ) unerheblich seien. Der Lohnausgleich ergebe sich zwar nicht aus dem Arbeitsvertrag, werde aber aufgrund des Vorliegens eines Arbeitsverhältnisses gewährt, weil nur Arbeitnehmer des Betriebes Mitglieder des Betriebsrates sein könnten (EuGH, Slg 1996,1-243, Rn 20 ff - Lewark). (2) Der Schutzbereich müsste beeinträchtigt sein. Adressat ist hier die Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat, der die - möglicherweise - unzureichende Lohnausgleichsvorschrift des § 37 II, VII BetrVG zu verantworten hat. Als Beeinträchtigungsform kommt eine mittelbare Diskriminierung in Betracht. Eine Ungleichbehandlung ist hier zweifelhaft, denn der in absoluten Zahlen geringere Lohnausfall für Teilzeitbeschäftigte gegenüber Vollzeitbeschäftigten ist nur die logische Konsequenz aus den unterschiedlichen Arbeitszeiten. Immerhin wird aber den Teilzeitbeschäftigten durch die Schulungsveranstaltung ein Freizeitopfer abverlangt, das die Vollzeitbeschäftigten nicht tragen müssen (so die Argumentation von GA Jacobs, EuGH, Slg 1996, 1-252, Rn 26 - Lewark). Nur ist dieses Freizeitopfer genaugenommen kein Entgelt. Dennoch bejaht der EuGH - auf der Grundlage seiner Prämisse, dass der Lohnausgleich nach § 37 II, VII BetrVG selbst das Entgelt darstellt - eine Ungleichbehandlung, weil die teilzeitbeschäftigten Betriebsratsmitglieder bei gleicher Zahl geleisteter Stunden ein geringeres Gesamtentgelt bekämen als die vollzeitbeschäftigten Betriebsratsmitglieder (EuGH, Slg 1996,1-243, Rn 25 ff - Lewark). Diese Ungleichbehandlung beruhe auch auf dem Geschlecht, weil sowohl der Anteil der Frauen unter den Teilzeitbeschäftigten insgesamt als auch unter den teilzeitbeschäftigten Betriebsratsmitgliedern prozentual erheblich unter den entsprechenden Zahlen für Männer liege (EuGH, Slg 1996, 1-243, Rn 28 f-Lewark).
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(3) Die Ungleichbehandlung könnte gerechtfertigt sein. Das setzt voraus, dass der Mitgliedstaat ein legitimes Ziel für die Ungleichbehandlung vorweisen kann und diese verhältnismäßig ist. Hier könnten sozialpolitische Ziele die Ungleichbehandlung rechtfertigen. In der ehrenamtlichen Ausgestaltung des Amtes des Betriebsrates kommt nämlich der Wille des deutschen Gesetzgebers zum Ausdruck, die Unabhängigkeit des Betriebsrates höher zu bewerten als wirtschaftliche Anreize für die Ausübung des Betriebsratsamtes. Das zur Prüfung der Verhältnismäßigkeit zuständige (EuGH, Slg 1996,1-243, Rn 38 - Lewark) Bundesarbeitsgericht hält die Regelung auch für verhältnismäßig (BAGE 85, 224, 23Iff): Durch das Prinzip des Ehrenamtes werde die Unabhängigkeit der Betriebsräte gewährleistet. Es werde verhindert, dass das Betriebsratsmitglied durch den Einsatz von Freizeit für die Erledigung der Betriebsratsaufgaben seine Arbeitsvergütung erhöht und damit einen Vorteil erzielt, den andere betriebsangehörige Arbeitnehmer nicht erreichen können. Die Ungleichbehandlung sei auch erforderlich, denn mit der Zuerkennung von Entgeltansprüchen werde das Ehrenamtsprinzip insgesamt und nicht nur für Schulungsveranstaltungen in Frage gestellt. § 37 II, VII BetrVG verstößt daher nicht gegen Art 1411 EGV (Art III-2141WE). c) Rechte des Kindes (Art 11-84 W E ) ; Rechte älterer Menschen (Art 11-85 W E ) ; Integration von Menschen mit Behinderung (Art 11-86 W E ) Schrifttum: Kommentierungen der Art 24-26 GRCh (Art 11-84-86 W E ) bei Hölscheidt in: Meyer Charta der Grundrechte; RengelinglSzczekalla Grundrechte in der Europäischen Union, 2004, Rn 916 ff und Streinz in: ders. Art H-84-86 W E stellen drei Gruppen als besonders schutzbedürftig heraus (Kinder, ältere Menschen und Menschen mit Behinderung). Das ist durchaus innovativ: Während der Schutz behinderter Menschen immerhin in einigen nationalen Grundrechtstexten enthalten ist, werden Kinder meist nur reflexartig über die Rechte ihrer Eltern oder der Familie geschützt und wird die besondere Schutzbedürftigkeit älterer Menschen meist auf die Sicherheit der Rentenversicherungssysteme reduziert. 128 Die praktische Bedeutung der Grundrechte ist bislang noch nicht sehr groß, könnte aber steigen, weil die Union in Art 13 I E G V (Art III-124 W E ) eine eigenständige Kompetenz im Bereich des Diskriminierungsschutzes hat. Auch ihre Kompetenzen im Bereich des Wirtschafts- und Arbeitslebens (etwa in der Beschäftigungspolitik, Art 125 EGV/Art III-203 und in der Industriepolitik, Art 157 EGV/Art III-279 W E ) können insoweit grundrechtliche Reibungsflächen produzieren. Äußerlich sind die Art 11-84-86 W E als Gleichheitsrechte nicht zu erkennen. Kinder, ältere und behinderte Menschen sind bereits über die Merkmale „Alter" (das sich auch auf Kinder bezieht 129 ) und „Behinderung" in Art 11-81 I W E gegen Diskriminierungen geschützt. Die Gewährleistungen in den Art 11-84-86 W E gehen aber, was die G r u n d rechtsfunktionen angeht (—> § 14 Rn 18 ff), offenbar über gleichheitsrechtliche Gewährleistungen hinaus: Sie enthalten teils besondere Freiheitsrechte (z. B. Art 11-84 I 2 und 3 W E als leges speziales zu Art Art 11-71 I W E ) , sind teilweise aber auch als derivative Teilhaberechte (Art 11-85 W E : „Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben"; Art II-86 W E :
128 Vgl die Nachweise bei Hölscheidt in: Meyer Charta der Grundrechte Art 24 Rn 6 ff, Art 25 Rn 3; Art 26 Rn 2 ff. 129 Meyer Das Diskriminierungsverbot des Gemeinschaftsrechts als Grundsatznorm und Gleichheitsrecht, 2002, S 72 f.
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„Teilnahme am Leben der Gemeinschaft") und als originäre Leistungsrechte (Art 11-8411 W E : „Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge") formuliert.130
II. Soziale Rechte Schrifttum: Bernsdorff Soziale Grundrechte in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, VSSR 2001, Iff; Kingreen in: Calliess/Ruffert Art 6 EUV Rn 180ff; Pemice/Mayer in: Grabitz/Hilf nach Art 6 EUV Rn 193 ff; Pitschas Europäische Grundrechte-Charta und soziale Grundrechte, VSSR 2000, 207 ff; Rengeling/Szczekalla Grundrechte in der Europäischen Union, 2004, Rn 990 ff; Riedel in: Meyer Charta der Grundrechte Art 27-38; Streinz in: Streinz Art 27-38.
1. Solidarität und soziale Rechte 56
Kapitel IV der Grundrechtecharta der Europäischen Union trägt den Titel „Solidarität". Das knüpft, nach der Gewährleistung von Freiheit und Gleichheit in Kapitel II und III, an das dritte Losungswort der Französischen Revolution, die Brüderlichkeit, an, zu der ein enger ideengeschichtlicher Zusammenhang besteht.131 Die Sozialphilosophie umschreibt Solidarität als die Notwendigkeit einer qualifizierten und damit auch exklusiven Verbundenheit, die maßgeblich darauf beruht, dass individuelle Interessen und Rechte zugunsten der solidarisch verbundenen Gemeinschaft und des gemeinschaftlich verfolgten Ziels zurücktreten.132 Solidarität ist aber auch ein im Recht gerne verwendeter Begriff, insbesondere im Sozialrecht (vgl § 1 SGB V). Auch im europäischen Recht findet er vielfältige Verwendung und ist dabei keineswegs auf die Sozialpolitik beschränkt.133 Im Bereich des Kapitels IV der Grundrechtecharta finden sich neben Normen mit arbeits- und sozialrechtlichem Bezug (Art 11-87-94 W E ) Bestimmungen, deren Zusammenhang mit der Solidarität sich nicht auf den ersten Blick erschließt, etwa über den Gesundheits-, Umwelt- und Verbraucherschutz (Art 11-95 S 2, 97, 98 W E ) . Offenbar fungiert Solidarität hier als Oberbegriff, um eine gemeinsame Verantwortung für öffentliche Güter zu proklamieren, die sich nicht im freiheitlichen Wettbewerb der Kräfte realisieren lassen; darauf deutet auch die nochmalige Erwähnung der Daseinsvorsorge in Art 11-96 W E hin.134 Der Bezug der Solidarität zu den Grundrechten ist allerdings noch wenig ausgeleuchtet. Hier gibt es zwei mögliche Ansatzpunkte: einen am Begriff Solidarität ansetzenden (vgl Rn 57) und einen rechttheoretischen, der zwischen Grundrechten und Grundsätzen unterscheidet (vgl Rn 58):
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Man kann die Solidarität als Bauprinzip eines freiwilligen Zusammenschlusses vom Solidarprinzip als Rechtsprinzip eines Zwangszusammenschlusses unterscheiden:135 Grundrechtlich geschützt ist die Freiheit zur Solidarität, etwa in der allgemeinen Vereinigungsfreiheit (Art 11-72 W E ) , aber auch durch einige in Kapitel IV gewährleistete Rechte: Das sind die in Art 11-88 W E garantierte Koalitionsfreiheit und der Schutz der Familie in 130 Zur Unterscheidung zwischen derivativen Teilhabe- und originären Leistungsrechten Murswiek in: Isensee/Kirchhof Handbuch des Staatsrechts Bd V, 1992, § 112 Rn 2 sowie unten Rn 59. 131 Wildt Solidarität - Begriffsgeschichte und Definition heute in: Κ Bayertz (Hrsg) Solidarität, 1998, S 202 ff. 132 Vgl für Nachweise Kingreen Das Sozialstaatsprinzip im europäischen Verfassungsverbund. Gemeinschaftsrechtliche Einflüsse auf das deutsche Recht der gesetzlichen Krankenversicherung, 2003, S 244 ff. 133 Vgl etwa die „Solidarität in der Welt" in der Präambel des W E und die „gegenseitige Solidarität" (Art III-294 II W E ) in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. 134 Vgl bereits Art 16 EGV (Art III-122 W E ) . 135 Kingreen (Fn 132) S 253 ff.
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Art 11-93 W E , die jeweils durch das Prinzip der Freiwilligkeit des Zusammenschlusses gekennzeichnete Gemeinschaften schützen. Das Solidarprinzip ist hingegen ein Element eines mit obligatorischen Umverteilungswirkungen verbundenen Zwangszusammenschlusses (etwa einer obligatorischen Sozialversicherung)136 und steht als solches in einem Spannungsverhältnis zur grundrechtlichen Freiheit des Einzelnen, selbst darüber zu entscheiden, mit wem er sich wie solidarisch verbindet (etwa, indem er nicht Mitglied einer sozialen Krankenversicherung wird, sondern sich privat gegen Krankheit versichert). Dieser Zwang zur Solidarität ist Grundrechtseingriff, der der Rechtfertigung bedarf. Auch insoweit bietet das IV. Kapitel durchaus Ansätze: Mit dem Bekenntnis zur Notwendigkeit des Zugangs zu den Systemen der sozialen Sicherheit (Art 11-94 W E ) und zu Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (Daseinsvorsorge, Art 11-96 W E ) benennt es verfassungsrechtliche Positionen, die in der Abwägung ein Gegengewicht zur grundrechtlichen Freiheit bilden, vom Zwang zur Solidarität verschont zu bleiben.137 Aus rechtstheoretischer Perspektive enthält das IV. Kapitel eine Unterscheidung, die sich in den anderen Kapiteln der Grundrechtecharta so nicht findet. Es enthält nämlich neben Grundrechten auch Grundsätze.138 Grundrechte sind subjektiv-öffentliche Rechte, die den Einzelnen in die Lage versetzen, von einem Hoheitsträger zur Verfolgung eigener Interessen ein bestimmtes Verhalten verlangen zu können.139 Grundsätze generieren hingegen keine subjektiven Rechte; im Verständnis des Verfassungsvertrages (Art 11-52 V W E I4°) handelt es sich vielmehr um Handlungsermächtigungen, die die Union und die Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer Zuständigkeiten nutzen können, und zwar ggf auch zur Einschränkung von Freiheitsrechten. Die Unterscheidung zwischen Grundrechten und Grundsätzen hat damit fundamentale Bedeutung für die Reichweite der Bestimmungen des IV. Kapitels. Allerdings ist noch kaum geklärt, was Grundrecht und was Grundsatz ist. Grundlage der Interpretation sind Wortlaut und Genese der Vorschriften:141 - Schon von ihrem Wortlaut („Recht a u f ' , „Anspruch a u f ' , „muss gewährleistet sein", „wird gewährleistet") räumen danach die Art H-87-91, 93, 94 II, 95 S 1 W E subjektivöffentliche Rechte ein, sind also Grundrechte. Art 11-92 W E ist zwar nicht als Recht formuliert, sondern als Schutzpflicht der Mitgliedstaaten. Doch ist mittlerweile auch im Gemeinschaftsrecht anerkannt, dass aus staatlichen Schutzpflichten auch subjektivöffentliche Ansprüche auf Schutzgewähr folgen;142 daher kann der grundrechtliche Charakter des Art 11-92 W E nicht zweifelhaft sein. Nicht ganz klar ist die in einigen Normen (Art 11-94 I, III, 96 W E ) zu findende Wendung „anerkennt und achtet." So formulierte Normen finden sich auch außerhalb des Kapitels IV und sind dort Grundlage subjektiv-öffentliche Rechte.143 Für Art 11-94 I, III W E wird Entsprechendes ver136 Explizit etwa § 1 SGB V: „Krankenversicherung als Solidargemeinschaft". 137 Vgl daher auch EuGH, Slg 1993,1-637 Rn 18 - Poucet und Pistre. 138 Dazu Rengeling/Szczekalla Rn 993 ff. Die Differenzierung zwischen Grundrechten und Grundsätzen dürfte weit gehend der deutschen Unterscheidung zwischen Grundrechten und Staatszielbestimmungen entsprechen, vgl dazu etwa Sommermann Staatsziele und Staatszielbestimmungen, 1997, S 415 ff. 139 Vgl etwa Maurer Allgemeines Verwaltungsrecht, 15. Aufl 2004, § 8 Rn 2. 140 Die Vorschrift ist erst durch den Verfassungskonvent eingefügt worden. 141 Vgl zum Folgenden auch die Kommentierungen der Art 27-36 GRCh (Art 11-87-96 W E ) von Riedel in: Meyer Charta der Grundrechte. 142 Vgl Kingreen in: Calliess/Ruffert Art 6 EUV Rn 47 ff. 143 Vgl zu Art 26 GRCh (Art 11-86 W E ) etwa Hölscheidt in: Meyer Charta der Grundrechte Art 26 GRCh Rn 11 ff.
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treten.144 Hingegen soll durch Art 11-96 W E ausweislich der Erläuterungen des Präsidiums des Grundrechtekonvents (die durch den neuen Art 11-52 VII W E aufgewertet wurden) kein neues Recht begründet werden.145 - Ohne Zweifel Grundsätze enthalten die Art 11-95 S 2, 97, 98 W E . Jeweils verpflichten sie Mitgliedstaaten und Union, im Rahmen ihrer Zuständigkeiten, die dort genannten Ziele zu achten. Da es sich nicht um Grundrechte handelt, werden sie in der folgenden Darstellung zu den sozialen Rechten nicht weiter behandelt. 2. Typologie sozialer Rechte 59
Soweit das IV. Kapitel der Grundrechtecharta Grundrechte enthält (—» Rn 58), kann man in einem sehr allgemeinen Sinne von sozialen Rechten sprechen;146 das knüpft an frühere europäische Proklamationen der Grundrechte an.147 Soziale Grundrechte bedeuten für viele Mitgliedstaaten, neben Großbritannien und den skandinavischen Ländern etwa auch für Deutschland, verfassungsrechtliches Neuland; das erklärt, warum das IV. Kapitel zu den umstrittensten der ganzen Charta gehört.148 Grundrechte sind gemäß dem traditionellen, in den Menschenrechteerklärungen des 18. und 19. Jahrhunderts zum Ausdruck kommenden Verständnis zuvörderst bürgerliche Rechte, die die Freiheit des Einzelnen vor staatlichem Zugriff schützen; hinzu treten politische Teilhaberechte, allen voran das Wahlrecht. Soziale Grundrechte hingegen thematisieren die Frage der faktischen Freiheit, dh der tatsächlichen Voraussetzungen, die der Staat zu schaffen hat, damit grundrechtliche Freiheit überhaupt ausgeübt werden kann; insoweit sind sie der Fortentwicklung des liberalen zum sozialen Rechtsstaat geschuldet. Das verändert den Blick auf den Staat, der nun nicht mehr als Widersacher, sondern als Garant von Freiheit erscheint. Mit sozialen Grundrechten verbindet sich freilich auch die Befürchtung, dass die normative Kraft der Grundrechte durch unrealistische Versprechen in Gestalt von Ansprüchen etwa auf Arbeit und Wohnung gefährdet wird, da diese nur unter dem „Vorbehalt des Möglichen"149 gewährt werden können. Es wird die Gefahr beschworen, dass soziale Grundrechte das Verfassungsrecht zum alleinverbindlichen Maßstab für das sozial Gerechte befördern und dadurch den Diskurs über den sozialen Ausgleich in der Gesellschaft vom Parlament in die Gerichte verlagern.150
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Die berechtigten Bedenken gegen so verstandene soziale Grundrechte treffen die Art 11-87 ff W E allerdings nicht. Das zeigt eine Abschichtung nach Grundrechtsfunktionen, also danach, wie sich Grundrechte auf die Beziehung zwischen dem einzelnen und dem Staat auswirken können. Dabei ist die Erkenntnis entscheidend, dass soziale Grundrechte in ihrer begrifflichen Unschärfe nicht eine bestimmte Grundrechtsfunktion (nämlich die der Leistungsrechte) besetzen, sondern letztlich als Sammelbegriff für alle Grundrechte mit sozialpolitischen Implikationen fungieren; die dogmatische Aussagekraft einer Einordnung als „soziales Grundrecht" ist dementsprechend gering. Lässt man daher die
144 Riedel in: Meyer Charta der Grundrechte Art 34 Rn 21. 145 Vgl auch Riedel in: Meyer Charta der Grundrechte Art 36 Rn 12 f. 146 PernicelMayer in: Grabitz/Hilf nach Art 6 EUV Rn 193 ff; Riedel in: Meyer Charta der Grundrechte Vorbem vor Art 27 ff Rn 31 ff. 147 Vgl etwa Zuleeg EuGRZ 1992, 329 ff. 148 Riedel in: Meyer Charta der Grundrechte Vorbem vor Art 27 ff Rn 1 ff. 149 Formulierung von BVerfGE 33,203 (333). 150 Vgl etwa Murswiek (Fn 130) § 112 Rn 49 ff mwN auf die Diskussion in Deutschland.
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§ 18 II 2
Grundrechte des IV. Kapitels durch einen nach Grundrechtsfunktionen differenzierenden Verteiler laufen, so zeigt sich, dass die formulierte Kritik nicht die sozialen Grundrechte selbst, sondern lediglich eine einzelne Grundrechtsfunktion, nämlich das originäre Leistungsrecht, trifft: 151 - Teilweise schreiben die Art II-87 ff W E einen sozialen Mindeststandard fest, den sie auch gegen staatliche Eingriffe in Stellung bringen. Solche klassischen Abwehr- und Schutzgewährrechte gewährleisten Art 11-88 W E mit der Koalitionsfreiheit, ferner Art 11-87 W E mit der Arbeitnehmermitbestimmung, Art 11-90 W E mit dem Schutz vor ungerechtfertigter Entlassung, Art 11-91 W E mit der Gewährleistung gerechter und angemessener Arbeitsbedingungen und Art 11-92 W E mit dem Schutz von Kindern und Jugendlichen. Jeweils wird hier der in allen Mitgliedstaaten gewährleistete sozialstaatliche Mindeststandard gegen hoheitlichen Zugriff in Schutz genommen bzw aktiver hoheitlicher Schutz zur Sicherung dieses Mindeststandards eingefordert. Dieser soziale Mindeststandard bildet, nicht anders als bei den Freiheitsrechten, den Schutzbereich des Grundrechts, in den der Staat eingreift, wenn er ihn verkürzt oder keine ausreichenden Schutzmaßnahmen zu seiner Sicherung ergreift. Insoweit handelt es sich also um soziale Abwehr- und Schutzgewährrechte, die der üblichen Prüfungstrias „Schutzbereich - Eingriff - Rechtfertigung" folgen. -
Im Übrigen enthalten die Grundrechte des IV. Kapitels gleichheitsrechtlich strukturierte Teilhaberechte. Teilhaberechte gewährleisten gleichberechtigten Zugang zu bereits bestehenden sozialen Systemen, etwa zu einem Arbeitsvermittlungsdienst (Art 11-89 W E ) , zu den Systemen der sozialen Sicherheit (Art II-94 W E ) , zur Gesundheitsversorgung (Art 11-95 S 2 W E ) und zu den Diensten von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (Art 11-96 W E ) . In jeder Verweigerung des Zugangs liegt dann eine rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung, die gemäß den für Gleichheitsrechte empfohlenen Prüfungsaufbau (vgl R n 7 ff) geprüft werden kann. - Von den derivativen Teilhaberechten zu unterscheiden sind originäre Leistungsrechte, die Ansprüche auf Schaffung noch nicht existierender Einrichtungen und Vorkehrungen oder die Leistung bestimmter Lebensgüter enthalten. 152 Sie allein sind es, die sich den geschilderten Bedenken aussetzen. Die Kritik an der Figur der sozialen G r u n d rechte beruht also letztlich auf dem Widerstand gegen originäre Leistungsrechte. Nicht jedes soziale Recht ist aber ein solches Leistungsrecht; im Gegenteil findet sich im IV. Kapitel überhaupt kein solches Recht: Die Art 11-75, 89, 90 W E etwa gewähren kein Recht auf Arbeit, sondern nur ein Recht zu arbeiten, ein Recht auf Zugang zu einem Arbeitsvermittlungsmonopol und Schutz vor ungerechtfertigter Entlassung. Statt eines Rechts auf eine Wohnung garantiert Art II-94 III W E nur „eine Unterstützung für die Wohnung", und das auch nur nach Maßgabe der nationalen Vorschriften. Als soziales Leistungsrecht kann man allenfalls den außerhalb des IV. Kapitels enthaltenen Anspruch auf Prozesskostenhilfe nach Art 11-107 III W E ansehen. Doch wird damit ein Recht gewährt, das zur Wahrnehmung des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz unabdingbar ist 153 und im Übrigen in der Rechtsprechung des E G M R seit langem anerkannt ist. 151 Zur „Notwendigkeit klarer Begriffe" in diesem Kontext auch HaverkatelHuster (Fn 74) Rn645ff. 152 Vgl zur Unterscheidung zwischen Teilhabe- und Leistungsrecht Pieroth/Schlink (Fn 9) Rn 60 ff. 153 Vergleichbarer Fall im Grundgesetz: Art 7 IV GG, denn die Privatschulfreiheit ist ohne einen Anspruch auf finanzielle Förderung eine leere Hülse.
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§19
Justiz- und Verfahrensgrundrechte Jörg Gundel Leitentscheidungen: EuGH, Slg 2002, 1-6677 - Union de Pequenos Agricultores; Slg 1992, 1-6313 Oleificio Borelli; Slg 1991, 1-5469 - TU-München; Slg 1991, 1-415 - Zuckerfabrik Süderdithmarschen; Slg 1990,1-2433 - Factortame. Schrifttum: Schwarze Rechtsstaatliche Grundsätze für das Verwaltungshandeln in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, in: FS Rodriguez Iglesias, 2003, S 147 ff; Lais Das Recht auf eine gute Verwaltung unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, ZEuS 2002, 447 ff; Fache Das europäische Grundrecht auf einen fairen Prozeß, NVwZ 2001, 1342 ff; Haibach Die Rechtsprechung des EuGH zu den Grundsätzen des Verwaltungsverfahrensrechts, NVwZ 1998, 456 ff; Lenaerts Sanktionen der Gemeinschaftsorgane gegenüber natürlichen und juristischen Personen, EuR 1997, 17 ff.
I. Überblick 1. Bedeutung 1
der Justiz- und Verfahrensgrundrechte
im
Gemeinschaftsrecht
Die Justiz- u n d Verfahrensgrundrechte des Gemeinschaftsrechts haben sich in deutlicher Orientierung am Vorbild der EMRK entwickelt, die in diesem Bereich mit den A r t 5 - 7 E M R K 1 - anders als etwa bei den wirtschaftsbezogenen Grundrechten - ein breites Feld von Gewährleistungen bietet. Die dort festgehaltenen Verfahrensgarantien sind freilich f ü r das Gemeinschaftsrecht von unterschiedlichem Gewicht: So spielten die klassischen Justizgrundrechte der A r t 5 (persönliche Freiheit), A r t 6 I I - I I I (strafrechtliche Unschuldsvermutung, Garantien im Strafverfahren) und A r t 7 E M R K (nulla poena sine lege) lange Zeit eine geringe Rolle, weil der Strafrechtsbezug des Gemeinschaftsrechts bisher wenig ausgeprägt war. Dieses Bild wandelt sich derzeit aber mit der raschen Entwicklung der Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres (ZBJI) 2 ; u n d auch in den klassischen Feldern des Gemeinschaftsrechts haben diese Garantien ihre Bedeutung, 3 etwa bei der Frage, o b durch nicht umgesetzte Richtlinien der E G Pflichten des Einzelnen begründet werden, deren Missachtung d a n n auch strafrechtlich sanktioniert werden könnte. 4
1 -» Dazu oben § 6. 2 S stellvertretend den Rahmenbeschluss des Rates ν 13.6.2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten, ABl EG 2002 L 190/1; zu seiner grundrechtlichen Problematik s Vennemann ZaöRV 2003, 103 ff; WouterslNaert 41 CMLRev (2004), 909, 923 ff und nun BVerfG, EuGRZ 2004, 667 (einstweilige Anordnung). 3 So zB durch die Tätigkeit des Europäischen Amts für Betrugsbekämpfung (OLAF), dazu zB Mager ZEuS 2000, 177 ff; Haus EuZW 2000, 745 ff; speziell zu den Verfahrensrechten der Betroffenen GIeßlZeitler 7 ELJ (2001), 219 ff. Zur grundsätzlichen Anerkennung des nulla-poena-Satzes auch im Gemeinschaftsrecht s bereits EuGH, Slg 1984, 2689, Rn 22 - Regina/Kirk: „Das Verbot der Rückwirkung von Strafvorschriften ist ein allen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsamer Rechtsgrundsatz, der in Artikel 7 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten verankert ist und zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen gehört, deren Wahrung der Gerichtshof zu sichern hat." Die Garantie findet sich nun auch in Art 11-109 I W E (zu ihr sogleich Rn 4). 4 Eine solche „umgekehrt vertikale Direktwirkung" von Richtlinien zu Lasten des Einzelnen und
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§19 12
Justiz- und Verfahrensgrundrechte
Im Mittelpunkt stehen im Gemeinschaftsrecht jedoch die Garantien eines fairen Verfahrens und eines effektiven Rechtsschutzes, wie sie die E M R K in Art 6 I (-» § 6 Rn 34 ff) und Art 13 (—> vgl § 6 Rn 68) enthält. Sie finden ihre Ausprägungen in den verschiedenen Einzelgarantien, wie dem Anspruch auf rechtliches Gehör, dem Anspruch der Verfahrensbeteiligten auf Akteneinsicht, auf die Begründung belastender Entscheidungen und eine gerichtliche Entscheidung in angemessener Zeit: Im Vordergrund stehen damit die rechtsstaatliche Ausgestaltung der Verwaltungsverfahren der Gemeinschaftsorgane und der nationalen Behörden beim Vollzug des Gemeinschaftsrechts sowie - daran anschließend die Sicherung einer effektiven gerichtlichen Kontrolle über dieses Verwaltungshandeln durch die Gemeinschaftsgerichtsbarkeit und (soweit die Verfahren von den nationalen Behörden durchgeführt werden) durch die nationalen Gerichte. 2. Quellen der Verfahrensgrundrechte des
Gemeinschaftsrechts
a) Die allgemeinen Rechtsgrundsätze als ursprünglicher Anknüpfungspunkt Formal gelten die Verfahrensgrundrechte des Gemeinschaftsrechts bisher in ihrer Ausformung als allgemeine Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts,5 auch wenn der EuGH immer häufiger unmittelbar die Bestimmungen der EMRK zitiert; angesichts dieser formalen Unabhängigkeit der Gewährleistung stellt sich auch immer wieder die Frage, inwieweit Auslegungsergebnisse des EGMR für die parallel dazu geltenden allgemeinen Rechtsgrundsätze des Gemeinschaftsrechts zu übernehmen sind.6 Zugleich sichert diese Geltung als allgemeine Rechtsgrundsätze aber auch eine Flexibilität, die im Rahmen der EMRK nicht immer gesichert ist. So ist es für die Anwendung der Garantie eines „fairen Verfahrens" als Rechtsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts ohne Belang, ob der in Art 6 I EMRK beschriebene Anwendungsbereich (Zivil- und Strafsachen) betroffen ist: 7 Die Verfahrensgrundrechte des Gemeinschaftsrechts gelten auch in Verwaltungs- 8 und den anschließenden verwaltungsgerichtlichen 9 Verfahren.
5
6 7 8 9
„zugunsten" des strafverfolgenden Staates hat der EuGH zu Recht abgelehnt, s (zu einem strafrechtlichen Fall) EuGH, Slg 1987, 3969 - Kolpinghuis = EuR 1988, 390 m abl Anm Richter. In späteren Entscheidungen hat der EuGH festgehalten, dass auch die grundsätzlich zulässige und gebotene richtlinienkonforme Interpretation des nationalen Rechts nicht zur Verschärfung des Strafrechts führen darf; EuGH, Slg 1996, 1-4705, Rn 42 - Luciano Arcaro; Slg 1996, 1-6609, Rn25 - Ermittlungen gegen X (Bildschirmarbeitsplätze); zuletzt EuGH, 3.5.2005 - verb Rs C-387/02 ua - Berlusconi zur weiteren Entwicklung der EuGH-Rspr zur Wirkung nicht umgesetzter Richtlinien s Gundel EuZW 2001, 143 ff; JarasslBeljin EuR 2004, 714 ff. Hervorgehoben wird diese formale Unabhängigkeit von der EMRK etwa in EuG, Slg 2001, 11-729, Rn 59f - Mannesmannröhren-Werke = EuZW 2001, 345 m Anm Fache; Slg 1998,11-1751, Rn 311 - Mayr-Melnhof. Zum Mechanismus der allgemeinen Rechtsgrundsätze immer noch maßgeblich Lecheler Der Europäische Gerichtshof und die allgemeinen Rechtsgrundsätze, 1971; zuletzt nochmals ders ZEuS 2003, 337 ff. Für Bsp s u Fall 1 (Aussagefreiheit) und Rn 34 (rechtliches Gehör zu den Schlussanträgen der Generalanwälte im Verfahren vor dem EuGH). Dazu unten Rn 17. So bereits EuGH, Slg 1979, 461, Rn 9 - Hoffmann-Laroche; später zB EuG, Slg 1998, 11-1875, Rn 80 - Enso Espafiola. Auch das in Art 47 der Grundrechtscharta (Art 11-107 W E ) festgehaltene Recht auf ein faires gerichtliches Verfahren verzichtet auf die in Art 6 EMRK bestehende Eingrenzung des Anwendungsbereichs, s u Rn 5.
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2
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Trotz des Wortlauts des Art 6 II EUV, der als Quelle der allgemeinen Rechtsgrundsätze neben den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als einzige völkervertragliche Quelle die EMRK benennt, ist das Gemeinschaftsrecht nicht auf die dort vorgefundenen Gewährleistungen beschränkt: Der EuGH hat bereits auch auf die im IPbpR 10 enthaltenen Verfahrensgarantien Bezug genommen; darüber hinaus hat er auch schon Verfahrensgrundrechte anerkannt, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten entstammen - eine solche Anerkennung ist auch dann nicht ausgeschlossen, wenn die Gewährleistung in ihrer konkreten Ausformung in der Rechtsordnung nur eines Mitgliedstaats besteht." b) Die Kodifikation durch die Grundrechtscharta
4
Die Europäische Grundrechtscharta (GRCh; —> vgl hierzu § 20), die bisher den formalen Status einer rechtlich nicht verbindlichen Erklärung hat und erst mit dem Inkrafttreten des Verfassungsvertrages zur unmittelbar maßgeblichen Rechtsquelle aufsteigen wird, wird von der Rechtsprechung bereits jetzt in ähnlicher Weise als „Inspirationsquelle" für die allgemeinen Rechtsgrundsätze herangezogen.12 Sie enthält Verfahrensgarantien zunächst im Kapitel zu den Bürgerrechten (Art 11-99 bis Art 11-106 W E ) : Dort ist als neue übergreifende Garantie das „Recht auf eine gute Verwaltung" enthalten (Art 11-101 I W E ) , das ein faires Verwaltungsverfahren gewährleisten soll;13 einzelne Ausprägungen sind beispielhaft („insbesondere") in Art 11-101 II W E aufgeführt. 14 Daneben finden sich das Recht auf Zugang zu den Dokumenten der Gemeinschaftsorgane (Art II-102 W E ) 1 5 sowie das Recht zur Anrufung des Bürgerbeauftragten (Art 11-103 W E ) 1 6 und das Petitionsrecht zum Europäischen Parlament (Art II-104 W E ) . Weitere Garantien sind im
10 S EuGH, Slg 1989, 3283, Rn 31 - Orkem zu Art 14 (Unschuldsvermutung) und Art 3 g (Aussagefreiheit) des IPbpR. 11 S EuGH, Slg 1982, 1575 - AM = EuR 1983, 40 m Anm Mattfeld mm „legal privilege", der Vertraulichkeit der Korrespondenz zwischen Anwalt und Mandant (dieser Schutz greift danach anders als nach deutschem Recht auch dann ein, wenn sich die Unterlagen im Gewahrsam des Mandanten befinden); zur Reichweite dieser Gewährleistung zB Rethorn FS Söllner, 2000, S 893 ff; Kapp!Roth RIW 2003, 946 ff; dies ZRP 2003,404 ff; Seitz EuZW 2004, 231 ff. 12 S zB EuG, Slg 2002,11-313, Rn 48 - max.mobil = EuZW 2002, 186 m Anm C Nowak; s allerdings auch EuG, Slg 2001, 11-729, Rn 76 - Mannesmannröhren-Werke = EuZW 2001, 345 m Anm Fache: Keine Heranziehung in Bezug auf vor ihrer Proklamation erlassene Rechtsakte; dazu Cavicchi RIDPC 2002, 599 ff. 13 Ausführlich Bauer Das Recht auf eine gute Verwaltung im europäischen Gemeinschaftsrecht, 2002; s auch Bullinger FS Brohm, 2002, S 25 ff; Zito RIDPC 2002, 425 ff; Michelet AJDA 2002, 949 ff; Lais ZEuS 2002, 447 ff; s zum in der Rspr des EuGH bereits seit langem präsenten Vorgängerbegriff „Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung" früh schon Usher 38 Current Legal Problems, 1985, S 269 ff. 14 Dazu unten Rn 9. 15 Dazu unten Rn 20. 16 Die Institution des Bürgerbeauftragten hat auf die Fortentwicklung der Verfahrensgarantien des Gemeinschaftsrechts maßgeblichen Einfluss genommen, zunächst bei der Etablierung des Rechts auf Zugang zu Gemeinschaftsdokumenten (dazu unten Rn 20 f), in der Folge durch die Entwicklung des „Europäischen Kodex für gute Verwaltungspraxis", der das Recht auf eine gute Verwaltung weiter ausdifferenziert, rechtliche Verbindlichkeit bisher allerdings nicht erlangt hat (dazu zB Hill DVB1 2002, 1316, 1318 f; Harden RMUE 2001, 573, 614 ff); zu dieser Rolle des Bürgerbeauftragten zB Yeng-Seng RevMC 2003, 326, 331ff;ders RTDH 2004, 527 ff.
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sich anschließenden Kapitel zu den justiziellen Rechten enthalten (Art 11-107 bis Art II-110 W E ) , das in Anlehnung an Art 6 und 13 E M R K allgemein das Recht auf effektiven Zugang zu einem unparteiischen Gericht gewährleistet (Art 11-107 I, II W E ) und daneben auch die der E M R K bekannten strafverfahrensrechtlichen Garantien wie die Unschuldsvermutung (Art 11-108 W E ) umfasst. Gegenüber der Orientierung an den Verfahrensgewährleistungen der EMRK ist die GRCh mit ihrer systematischen Erfassung der Verfahrensrechte insofern ein Fortschritt, als erstmals deutlich zwischen den Rechten im Verwaltungsverfahren (Art 11-101 W E ) und dem Anspruch auf gerichtliche Kontrolle und ein faires gerichtliches Verfahren (Art 11-107 W E ) getrennt wird; auch die bei Art 6 E M R K problematische Beschränkung der Gewährleistungen auf Zivil- und Strafsachen wird (bei im Übrigen weitgehend übereinstimmendem Text) vermieden.17 Nachteilig ist allerdings, dass die Rechte im Verwaltungsverfahren nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Art 11-101 W E nur gegenüber den Gemeinschaftsorganen eingeräumt werden,18 was durch den Textvergleich mit dem allgemein gefassten Art 11-107 W E besonders deutlich hervortritt; soweit der Verfahrensvollzug des Gemeinschaftsrechts den Mitgliedstaaten obliegt, wird daher weiter auf die allgemeinen Rechtsgrundsätze zurückzugreifen sein." Insgesamt beschränkt sich die GRCh damit unter Verzicht auf inhaltliche Neuerungen auf die verdeutlichende und systematisierende Zusammenführung von Verfahrensgewährleistungen, die entweder bereits an anderer Stelle normiert waren,20 oder aber schon durch die Rechtsprechung entwickelt worden sind.
5
c) Die Bedeutung des Sekundärrechts Verfahrensgewährleistungen oder -rechte sind vielfach auch im Sekundärrecht enthalten; 21 dabei handelt es sich teils um nur deklaratorische Wiedergaben oder Präzisierungen des bereits nach Primärrecht geltenden Standes, teils um eigenständige Ergänzungen. Unter dem Gesichtspunkt der Verfahrensgrundrechte werden hier nur solche Verfahrensregelungen behandelt, die auf den Vertragstext oder die allgemeinen Rechtsgrundsätze zurückgeführt werden können. 22 17 De lege ferenda plädieren zB Flauss AJDA 2001, 1060, 1062; Hottelier SZIER 2001, 175, 193 f für die Aufgabe dieser gegenständlichen Begrenzungen des Art 6 EMRK nach dem Vorbild der GRCh. 18 Dazu V Stelkens ZEuS 2004, 129, 137f; Lais ZEuS 2002, 447, 457f; krit HeringalVerhey 8 MJ (2001), 11,30. 19 S Magiera in: Meyer (Hrsg) Kommentar, Art 41 Rn 9; zur Grundrechtsbindung der Mitgliedstaaten in dieser Konstellation s u Rn 38. Da Art 11-101 W E wiederum die bisherige Rechtsprechung zu den Verfahrensanforderungen an Gemeinschaftsorgane und Mitgliedstaaten „bekräftigt" - so EuG, Slg 2002, 11-313, Rn 48 - max.mobil = EuZW 2002, 186 m Anm C Nowak, dürften sich inhaltlich keine Differenzen ergeben; s a U Stelkens ZEuS 2004, 129, 138. 20 Das gilt zB für das Begründungserfordernis für Rechtsakte der Gemeinschaft (Art 253 EGV), das nun auch in Art 11-101 II W E als Teil des Rechts auf eine gute Verwaltung aufgeführt wird. 21 S zB die VO 95/2988 des Rates ν 18.12.1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften, die einen allgemeinen Rahmen für den Erlass verwaltungsrechtlicher Sanktionen zum Schutz dieser Interessen setzt, und damit auch den Schutz des Einzelnen bewirkt; s dazu zB EuGH, EuZW 2004, 510, Rn 40 fT - Gisela Gerken (zu Art 2 II 2 der VO: Rückwirkung der milderen Sanktion); EuGH, 24.6.2004 - Rs C-278/02 - Herbert Handlbauer GmbH. 22 Einen Grenzfall bildet insoweit das Recht auf Zugang zu den Dokumenten der Gemeinschaft (s u Rn 20), das seit dem Vertrag von Amsterdam zwar in Art 255 EGV (Art III-399 W E ) vorgesehen
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Jörg Gundel
Verpflichtete
Durch die Verfahrensgrundrechte verpflichtet sind zunächst die Gemeinschaftsorgane (unten II., Rn 9 ff): Der Gemeinschaftsgesetzgeber darf keine verfahrensrechtlichen Gestaltungen wählen, die diese Rechte missachten, die Gemeinschaftsexekutive muss bei den von ihr durchgeführten Verwaltungsverfahren die Rechte der Betroffenen beachten, und auch der Zugang zu den Gemeinschaftsgerichten und das gerichtliche Verfahren unterliegen diesen Vorgaben: So müssen Verwaltungsentscheidungen zB in den von der Kommission betriebenen Kartellverfahren in angemessener Frist ergehen,23 und auch die überlange Verfahrensdauer bei einer anschließenden gerichtlichen Überprüfung ist ein Verstoß gegen Verfahrensgrundrechte.24 Daneben sind auch die Mitgliedstaaten durch die Verfahrensgrundrechte des Gemeinschaftsrechts verpflichtet: Die Verfahrensanforderungen binden auch die mitgliedstaatlichen Behörden und Gerichte, wenn diese im Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts tätig werden (unten III., Rn 37 ff); weiter sind beim Vollzug des Gemeinschaftsrechts Kooperationsformen zwischen Gemeinschaftsverwaltung und mitgliedstaatlichen Behörden entstanden, die die Verwirklichung der Verfahrensgrundrechte vor besondere Probleme stellen (unten IV., Rn 52 ff). II. Verfahrensgrundrechte gegenüber den Gemeinschaftsorganen 1. Verfahrensgrundrechte gegenüber den Verwaltungsorganen der Gemeinschaft a) Die einzelnen Rechte
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Die bedeutsamsten Verfahrensrechte im Verwaltungsverfahren werden heute in Art 11-101 II W E beispielhaft („insbesondere") aufgezählt: Das Recht auf Anhörung vor Erlass einer nachteiligen Maßnahme, das Recht auf Einsicht in die betreffenden Akten; darüber hinaus ist auch die dort aufgeführte, schon im Primärrecht (Art 253 EGV/Art III-397 W E ) vorgesehene Pflicht zur Begründung von Rechtsakten den Verfahrensgrundrechten zuzuordnen: Sie gilt zwar für alle Rechtsakte der Gemeinschaft, erfüllt im Fall belastender Entscheidungen der Gemeinschaftsorgane aber den besonderen Zweck, zum einen dem Betroffenen Aufschluss über die Gründe zu geben und zum anderen eine gerichtliche Kontrolle zu ermöglichen.25
ist, seine Ausprägung aber im Sekundärrecht findet. Ob dieses Recht bereits den Status eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes beanspruchen kann, ist umstritten; in der GRCh ist es in Art 11-102 W E enthalten. 23 EuG, Slg 1999, 11-931, Rn 120ff - Limburgse Vinyl; Slg 1997, 11-1739, Rn 56 - SCK u FNK; zuvor bereits EuGH, Slg 1997,1-1503, Rn 37 f - Guerin Automobiles. 24 So zur Dauer eines Verfahrens vor dem EuG erstmals EuGH, Slg 1998,1-8417 - Baustahlgewebe; dazu Schiene EuGRZ 1998, 369 ff; Toner 36 CMLRev (1999), 1345 ff; Pallaro DCSI 2000, 493 ff; weiter EuGH, Slg 2002, 1-8375, Rn 206 ff - Limburgse Vinyl, m Anm Wesseling 41 CMLRev (2004), 1141 ff; zur Rspr des EGMR s ο Grabenwarter § 6 Rn 49 ff. 25 Hervorgehoben wird diese doppelte Funktion der Begründung zB in der Rspr zum Zugang zu Gemeinschaftsdokumenten (s u Rn 20), etwa EuG, Slg 2000, II-3269, Rn 64 - JT's Corporation Ltd, mwN; Slg 1998,11-545, Rn 63 - van der Wal; zur Begründung von Beihilfe-Beanstandungen EuG, Slg 2000, 11-2267, Rn 34 - EPAC; auch bei wettbewerbsrechtlichen Entscheidungen spielt die Begründung eine wesentliche Rolle, s etwa EuG, Slg 1998,11-1875, Rn 109ff - Enso Espanola.
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D i e Rechtsprechung des E u G H 2 6 hatte schon zuvor geklärt, dass rechtliches Gehör vor allen belastenden Verwaltungsentscheidungen auch ohne ausdrückliche sekundärrechtliche Regelung gewährleistet werden muss. 27 Als notwendiges Element dieses Gehörs ist in der Rechtsprechung auch das akzessorische Akteneinsichtsrecht 2 8 des Betroffenen anerkannt: 29 U m effektiv Stellung n e h m e n zu können, muss er die zu seinen Lasten verwendeten Unterlagen kennen. 3 0 D i e Verpflichtung zur Begründung der a m Ende des Verfahrens stehenden Entscheidung sichert die Möglichkeit gerichtlicher Kontrolle.
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Als spezifisch gemeinschaftsrechtliches Verfahrensgrundrecht, das den Bürgern allein gegenüber den Gemeinschaftsorganen eingeräumt ist, 31 ist der Gebrauch der eigenen Sprache im Kontakt mit den Gemeinschaftsorganen zu erwähnen. Dieses Recht ist als Ausprägung der Unionsbürgerschaft durch den Vertrag von A m s t e r d a m in das Primärrecht a u f g e n o m m e n worden u n d findet sich heute in Art 21 III E G V (Art 1-10 II lit d W E ) ( - » vgl § 21 R n 7); auch in Art 41 IV der Grundrechtcharta (Art 11-101 IV W E ) ist es niedergelegt. 32 Es verpflichtet die Gemeinschaftsorgane, mit den Unionsbürgern in der v o n ihnen jeweils gewählten Amtssprache der Gemeinschaft zu kommunizieren; allerdings ist fraglich geworden, wie lange die Gemeinschaft n o c h bereit ist, sich diesen Luxus der „Allsprachigkeit" - der zwar kostspielig ist, zur Legitimation der Gemeinschaft freilich grundsätzlich unverzichtbar erscheint - zu leisten. 33
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26 S auch die Überblicke über die EuGH-Rspr zu den Grundsätzen des Verwaltungsverfahrens bei Haibach NVwZ 1998,456 ff; Gassner DVB11995, 16 ff. 27 So nachdrücklich EuGH, Slg 1994,1-2885, Rn 39 - Fiskano; Slg 1996,1-5373, Rn 21 - Lisrestal; EuG, Slg 1998,11-401, Rn 76 - Eyckeler u Malt; Slg 1998,11-3773, Rn 59 - Primex Produkte. 28 Dazu zB EuG, Slg 2002, 11-1705, Rn 169 fT - LR A F 1998; Slg 1995, 11-1847 - ICI; Slg 1992, 11-2667 - Cimenteries CBR; Slg 1991, 11-1711 - Hercules Chemicals; aus der Literatur etwa Erlandsson, LIEI 1998/1, 139 ff; Louis C D E 1998, 47 fT; de Bronett WuW 1997, 383 fT; Levitt 34 CMLRev (1997), 1413 ff. 29 Die EG-Kommission hat die Grundsätze zur Handhabung dieses Rechts im Gefolge der EuGHRspr in einer im Amtsblatt veröffentlichten Mitteilung zusammengefasst, ABl E G 1997 C 23/3; jetzt ist es explizit in Art 27 II der VO 03/1 (zu dieser noch unten Fn 37) geregelt, s dazu C Nowak DVB12004, 272, 275 f. 30 In einem kartellrechtlichen Verfahren hat EuGH, Slg 1983, 1825, Rn 30 - Musique Diffusion, daraus die Konsequenz gezogen, dass Belastungsmaterial, zu dem der Betroffene nicht Stellung nehmen konnte, durch das Gericht nicht zu seinen Lasten verwertet werden kann. Das Einsichtsrecht gilt allerdings auch nicht uneingeschränkt, sondern ist mit den Rechten anderer Beteiligter in Ausgleich zu bringen; so kann es in Kartellverfahren erforderlich werden, die Geschäftsgeheimnisse der Betroffenen vor der Einsichtnahme durch Dritte (etwa beschwerdeführende Wettbewerber) zu schützen. 31 Dieses Recht gilt nicht gegenüber den mitgliedstaatlichen Behörden, für deren Tätigkeit wie selbstverständlich die Amtssprache des Aufenthaltsstaats gilt. Eine Ausnahme normiert Art 84 IV der VO 71/1408, der für den Bereich der Sozialsysteme bestimmt: „Die Behörden, Träger und Gerichte eines Mitgliedstaates dürfen die bei ihnen eingereichten Anträge und sonstigen Schriftstücke nicht deshalb zurückweisen, weil sie in der Amtssprache eines anderen Mitgliedstaates abgefasst sind." S zu dieser Bestimmung und vereinzelten weiteren Ausnahmeregelungen de Witte in: Dinstein/Tabory (Hrsg) The Protection of Minorities and Human Rights, 1992, S 277, 290 f; für ein Anwendungsbeispiel s EuGH, Slg 1967, 294 - Teresa Guerra (zu einem Klageschriftsatz in italienischer Sprache vor einem belgischen Gericht). 32 Zu den sekundärrechtlichen Grundlagen des Sprachenregimes der Gemeinschaft s Oppermann, ZEuS 2001, 1 fT; ders NJW 2001, 2663 ff; zur künftigen Entwicklung Nabli C D E 2004, 197 fT; Van Der Jeught J T D E 2004, 129 fT; Yvon EuR 2003, 681 fT. 33 Im Verhältnis zu den in Art 21 EGV (Art 1-10 II lit d, Art III-128 W E ) nicht aufgeführten ver-
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Mit der Anerkennung weiterer ungeschriebener Verfahrensgrundrechte ist der Gerichtshof allerdings zu Recht zurückhaltend: So hat er die Anerkennung eines ungeschriebenen Anspruchs auf Rechtsbehelfsbelehrung, der im EGV nicht als Voraussetzung für den Fristlauf der Nichtigkeitsklage (Art 230 V EGV/Art III-365 VI W E : grundsätzlich 2 Monate) erwähnt ist, abgelehnt.34 Ist eines der danach garantierten Rechte durch die Gemeinschaftsorgane im Verwaltungsverfahren missachtet worden, so kann die in diesem Verfahren ergangene Entscheidung wegen Verstoßes gegen eine wesentliche Formvorschrift (Art 230 II, 2. Alt EGV/ Art III-365 II W E ) durch die Gemeinschaftsgerichte für nichtig zu erklären sein. Die Zuordnung zu diesem Klagegrund bedeutet zugleich, dass die (mögliche) Auswirkung des Verstoßes auf den Inhalt der Entscheidung maßgeblich für den Erfolg der Klage ist: Nur solche Fehler, die im konkreten Fall Auswirkungen haben konnten, 35 gelten als Verstoß gegen eine „wesentliche FormVorschrift".36 b) Insbesondere: Verfahrensrechte im Kartellverfahren
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Wichtigster Anwendungsbereich für Verfahrensgrundrechte unmittelbar gegenüber den Gemeinschaftsbehörden ist das EG-Kartellrecht, das bisher vor allem von der Kommission selbst unmittelbar gegenüber den betroffenen Wirtschaftsteilnehmern vollzogen wurde. Auch nach der Dezentralisierung der Kartellaufsicht durch die VO 03/1 37 , mit der diese Aufgabe weitgehend auf die mitgliedstaatlichen Behörden verlagert wird, bleibt der Kommission das Recht des unmittelbaren Zugriffs auf kartellrechtliche Verstöße im Einzelfall. 38
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selbstständigten Behörden der EG (sog Ämtern oder Agenturen der Gemeinschaft als Einheiten mit eigener Rechtspersönlichkeit) soll der Grundsatz der Allsprachigkeit nicht gelten, s EuG, Slg 2001,11-2235 - Christina Kik = EuR 2001, 764 m krit Anm Gundel (zum eingeschränkten Sprachenregime des EG-Markenamts in Alicante, das nur die Sprachen der fünf größten Mitgliedstaaten verwendet; die diese Einschränkung billigende Entscheidung des EuG ist durch EuGH, Slg 2003,1-8283 - Kik, m Anm Shuibne 41 CMLRev (2004), 1093 ff bestätigt worden). EuGH, Slg 1999, 1-1441, Rn 15 - Guerin Automobiles, Bestätigung von EuG, Slg 1998, 11-253, Rn 161 - Guerin Automobiles; krit dazu Martinez Soria EuR 2001, 682, 694 mwN. Der EuGH hat hier festgehalten, dass eine solche Belehrungspflicht zwar in den meisten Mitgliedstaaten bestehe, dort aber nur Gegenstand des einfachen Gesetzesrechts sei. S zuletzt EuG, 8.7.2004 - T-44/00 - Mannesmannröhren-Werke, Rn 55, wonach „Verteidigungsrechte durch einen Verfahrensfehler nur verletzt werden, wenn sich dieser auf die Verteidigungsmöglichkeiten der beschuldigten Unternehmen konkret ausgewirkt hat". Vergleichbar ist im deutschen Recht § 46 VwVfG, s dazu Kahl VerwArch 95 (2004), 1, 22 ff; Verfahrensfehler wirken sich damit vor allem in solchen Bereichen aus, in denen den Gemeinschaftsorganen ein Beurteilungsspielraum eingeräumt ist; s für ein Bsp EuG, Slg 1998,11-3773, Rn 60, 71 - Primex Produkte. Tatsächlich wird der Wortlaut des Art 230 II EGV damit abweichend geordnet: Erforderlich ist nicht die Verletzung einer (bei abstrakter Betrachtung) „wesentlichen Formvorschrift", sondern eine (im konkreten Fall) „wesentliche Verletzung" einer Formvorschrift; so zu Recht Booß in: Grabitz/Hilf (Hrsg) EUV/EGV Rn 103 zu Art 230 EGV (Art III-365 W E ) . Die VO 03/1 des Rates ν 16.12.2002 zur Durchführung der in den Art 81 und 82 des EG-Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln, ersetzt die bisher geltende VO Nr 17 des Rates ν 6.2.1962 (Erste Durchführungsverordnung zu den Art 81 und 82 des Vertrages). S zur Regelung der Zuständigkeiten Art 4 ff der VO 03/1 (Fn 37); zu den Verfahrensrechten nach der Reform zB MeyerlKuhn WuW 2004, 880 ff; auf der Grundlage des früheren Rechts Weiß EWS 1997, 253 ff; Zampini RevMC 1999, 628 ff.
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In diesem zumindest strafrechtsähnlichen Gebiet finden nicht nur die „allgemeinen Verfahrensgarantien" Anwendung; darüber hinaus stellt sich die Frage nach der Existenz weiterer gebietsspezifischer Gewährleistungen, einschließlich des Verbots der Doppelbestrafung. 39 FaD 1: (EuGH, SIg 1989,3283 - Orkem) Im Rahmen von Ermittlungen wegen des Verdachts unzulässiger Preisabsprachen fordert die Kommission die in Deutschland ansässige X-AG zur Erteilung von Auskünften auf; nachdem diese nicht reagiert, erlässt die Kommission eine förmliche Entscheidung, wonach die X-AG (1) Auskunft darüber zu geben hat, welche anderen Unternehmen bei einem Treffen führender Verantwortlicher der X-AG mit verschiedenen, bisher aber noch nicht abschließend ermittelten Konkurrenzunternehmen vertreten waren, (2) mitzuteilen hat, welche Verabredungen oder sonstigen Verstöße gegen Art 81 EGV (Art ΙΠ-161 W E ) bei diesen Treffen oder in der Folgezeit beschlossen worden sind. Die X-AG meint, dass sie die Fragen nicht beantworten müsse; die Anforderung dieser Angaben bedeute einen unzulässigen Zwang zur Selbstbelastung. Zu Recht? Der Grundsatz des fairen Verfahrens, der für die E M R K in Art 6 verkörpert wird, gilt auch in kartellrechtlichen Ermittlungsverfahren der Kommission; dies gilt unabhängig davon, ob dieses Verfahren als Zivil- oder Strafsache im Sinne des Art 6 EMRK 4 0 einzuordnen ist: Die Gemeinschaftsgerichte konnten diese Frage bisher offen lassen,41 weil die Geltung der Verfahrensanforderung als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts davon nicht abhängig ist.42 Lösung Fall 1: Ein absolutes Recht zur Vermeidung von Selbstbelastungen besteht im Gemeinschaftsrecht nicht; der „nemo-tenetur"-Grundsatz gilt danach nur für natürliche Personen in Strafverfahren, nicht aber für juristische Personen, denen ein wettbewerbsrechtliches Bußgeld 39 S Art II-110 W E ; -> zum Verbot der Doppelbestrafung nach Art 4 7. ZP E M R K s Grabenwarter § 6 Rn 60 f; im EG-Kartellrecht s Ameye 25 ECLR (2004), 332, 339 f und EuGH, Slg XV (1969), 1, Rn 10 f - Walt Wilhelm/Bundeskartellamt; EuG, verb Rs T-236/02 ua, Rn 130ff - Tokai Carbon: Eine parallele Sanktionierung nach nationalem und EG-Wettbewerbsrecht ist nach dieser Entscheidung aufgrund der unterschiedlichen Ausrichtung nicht per se unzulässig, doch ist aus Billigkeitsgründen eine bereits verhängte Sanktion bei der folgenden Entscheidung mildernd zu berücksichtigen. 40 —> Zu den Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des Art 6 I E M R K selbst s ο Grabenwarter § 6 Rn 34 ff. 41 So zB EuG, Slg 1997, 11-1739, Rn 56 - SCK u FNK, zum Anspruch auf Erlass einer Kommissionsentscheidung in angemessener Frist: „Daher ist, ohne dass über die Anwendbarkeit des Art 6 I E M R K auf Verwaltungsverfahren vor der Kommission auf dem Gebiet der Wettbewerbspolitik zu entscheiden wäre, zu prüfen, ob die Kommission im vorliegenden Fall gegen diesen allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts verstoßen hat." Wohl zu Recht hat EuG, Slg 1998, 11-1875, Rn 56 - Enso Espanola, daran festgehalten, dass die Kommission bei der Anwendung des Wettbewerbsrechts nicht selbst als gerichtliche Instanz im Sinne des Art 6 I E M R K qualifiziert werden kann, auch wenn die verfahrensrechtlichen Garantien bereits in diesem Stadium gelten; ebenso bereits EuGH, Slg 1983, 1825, Rn 7 - Musique DifTusion; Slg 1980, 3125, Rn 80 - van Landewyck („Fedetab"); für Disziplinarverfahren der Kommission ebenso EuGH, Slg 1998,1-4871, Rn 52 - N. 42 S auch Pache NVwZ 2001, 1342, 1343; ders E u G R Z 2000, 601, 603.
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droht.43 Die Garantie eines fairen Verfahrens, die auch hier anwendbar ist, zwingt jedenfalls in diesem Bereich nicht zur Anerkennung eines absoluten Schweigerechts; dennoch setzt sie dem Fragerecht der Kommission Grenzen. Die tatsächlichen Angaben zu (1) muss die X-AG danach tatsächlich erteilen, auch wenn sie Anhaltspunkte für weitere Ermittlungen liefern, die schließlich zum Beweis eines Wettbewerbsverstoßes und zur Verhängung eines Bußgeldes führen können. Die Beantwortung der Fragen zu (2) würde dagegen nicht nur Indizien liefern, sondern verlangt eine eigene Bewertung des Sachverhalts durch das Unternehmen, die einem Geständnis gleichkommen würde. Die Verpflichtung zur Beantwortung solcher Fragen verstößt auch nach der Rechtsprechung des EuGH gegen das Recht auf ein faires Verfahren.44 19
Die Lösung der Gemeinschaftsgerichte ist insofern nicht unproblematisch, als der EGMR in einem vergleichbaren Fall ein absolutes Recht zur Aussageverweigerung auf der Grundlage des Art 6 EMRK angenommen hat;45 in Kenntnis dieser Rechtsprechung hat das EuG die restriktivere Auslegung im Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts bestätigt.46 c) Ein eigenständiges Verfahrensrecht: Das Recht auf Zugang zu Dokumenten der Gemeinschaftsorgane
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In neuerer Zeit ist ein weiterer verfahrensrechtlicher Spezialbereich entstanden: Das Recht auf Zugang zu Dokumenten der Gemeinschaftsorgane. Eigenständige Informationsansprüche, die von dem aus dem Anspruch auf ein faires Verfahren abzuleitenden Recht auf Akteneinsicht zu unterscheiden sind, hatte zunächst die 1990 erlassene Umweltinformationsrichtlinie 47 gegenüber den Behörden der Mitgliedstaaten begründet.48 Auf Gemein43 EuGH, Slg 1989, 3283, Rn 31 - Orkem. Ebenso für das deutsche Verfassungsrecht BVerfGE 95, 220, 241 f - Radio Dreyecksland; ablehnend dazu freilich Weiß JZ 1998, 289 IT; ders NJW 1999, 2236 f. 44 EuGH, Slg 1989, 3283, Rn 38 ff - Orkem. 45 EGMR, Serie A, Vol 256-A, Rn 41 ff, 44 - Funke (Zollverfahren), dazu Philippi ZEuS 2000, 97, 114 ff; s auch noch EGMR, RJD 1996-VI, Rn 71 - Saunders (Ermittlungen der Börsenaufsicht); zu diesen Entscheidungen des EGMR und ihren Konsequenzen für das Gemeinschaftsrecht s auch Riley 25 ELRev (2000), 264, 270 ff; einschränkend zum Ausschluss einer Pflicht zur Selbstbelastung aber die neuere EGMR-Rspr, s EGMR, RJD 2003-VIII - Allen = ÖJZ 2003, 909; EGMR, ÖJZ 2004, 853, Rn 39 fT - Weh. 46 EuG, Slg 2001, 11-729, Rn 70 ff - Mannesmannröhren-Werke = EuZW 2001, 345 m Anm Fache (rechtskräftig nach Streichung des zunächst eingelegten Rechtsmittels Rs C-190/01, s den Hinweis in EuG, 8.7.2004 - T-44/00 - Mannesmannröhren-Werke, Rn 31 lf); kritisch dazu Schohe NJW 2002, 492 f; die Diskrepanz lässt sich möglicherweise dadurch erklären, dass in den vom EGMR entschiedenen Fällen (Fn 45) natürliche Personen betroffen waren. Die Kläger im Fall Mannesmannröhren haben freilich zu Recht darauf hingewiesen, dass Art 6 EMRK keine Unterscheidung zwischen natürlichen und juristischen Personen trifft, s Rn 45 der Entscheidung; man könnte allerdings daran denken, ein strafrechtliches Verfahren im Sinne des Art 6 I EMRK nur dann zu bejahen, wenn eine natürliche Person betroffen ist. 47 RL 90/313 des Rates ν 7.6.1990 „über den freien Zugang zu Informationen über die Umwelt"; dazu etwa Hatje EuR 1998, 734 ff; Wilsher 1 EPL (2001), 671 ff; inzwischen ersetzt durch die RL 03/4 des EP und des Rates ν 28.1.2003, s zu ihr zB C Nowak DVB1 2004, 272, 273 f. 48 Zur unvollständigen Umsetzung durch das deutsche Umweltinformationsgesetz s EuGH, Slg 1999, 1-5087 = DVB1 2000, 332 (nur LS) Kommission/Deutschland m Anm PitschasILessner = EuR 2000, 218 m Anm Wegener = Erichsen JK 00, EGV Art 226/1.
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schaftsebene wurde der Anspruch auf Einsicht dann im Rahmen der Geschäftsordnungen von Rat 49 und Kommission 50 festgehalten - ohne eine gegenständliche Beschränkung auf den Umweltsektor. Mit dem Beitritt der skandinavischen Mitgliedstaaten Schweden und Finnland, die über eine ausgeprägte Tradition der Transparenz des Verwaltungshandelns verfügen,51 hat sich auch die Diskussion um ein Informationsrecht auf Gemeinschaftsebene intensiviert. Der durch den Vertrag von Amsterdam eingefügte Art 255 EGV (Art III-399 W E ) (-> vgl § 21 Rn 71 ff) 52 und die auf seiner Grundlage erlassene VO 01/1049 53 normieren diese Einsichtsansprüche nun auch gegenüber den Gemeinschaftsorganen; die VO legt zugleich die Grenzen und Verweigerungsgründe (etwa den Schutz der öffentlichen Sicherheit oder der internationalen Beziehungen) fest. Das nun auch primärrechtlich verankerte Informationsrecht hat bereits zu einer umfangreichen Rechtsprechung 54 geführt, die dieses Recht gegenüber einer (entgegen den allgemeinen Beteuerungen) sehr restriktiven Praxis der Gemeinschaftsorgane konsequent durchsetzt:55 Die bestehenden Ablehnungsgründe sind danach grundsätzlich eng auszulegen;56 die Verweigerung der Einsicht muss in einer Weise begründet werden, die den
49 Beschluss des Rates ν 20.12.1993 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Ratsdokumenten, ABl EG 1993 L 340/43. 50 Beschluss der Kommission ν 8.2.1994 über den Zugang der Öffentlichkeit zu den der Kommission vorliegenden Dokumenten, ABl EG 1994 L 46/58. 51 Zu Schweden s Österdahl 23 ELRev (1998), 336 ff; Ragnemalm Scritti in Onore di Mancini, 1998, Vol 2, S 809, 812 ff. 52 Die Bestimmung ist freilich nicht unmittelbar anwendbar und stellt die bereits zuvor geltenden Einschränkungen und Ausnahmen nicht in Frage, s EuG, Slg 2001, 11-3677, Rn 34 ff - David Petrie. Zur Frage, ob nun der Grundsatz der Transparenz als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Gemeinschaftsrechts anzuerkennen ist, s zB Broberg 27 ELRev (2002), 194ff; C Nowak DVB1 2004, 272, 279 f. 53 VO 01/1049 des EP und des Rates ν 30.5.2001 „über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission"; dazu zB Β Wägenbaur EuZW 2001, 680ff; Partsch NJW 2001, 3154ff; Peers 21 YEL (2002), 385ff; Feral Europe 7/2001, 5 ff; Schauss JTDE 2003, Iff; de Leeuw 28 ELRev (2003), 324ff; Alberti RIDPC 2003, 55ff; BarteltIZeitler EuR 2003, 487 ff; Heitsch Die Verordnung über den Zugang zu Dokumenten der Gemeinschaftsorgane im Lichte des Transparenzprinzips, 2003, S 63 ff. 54 S die Übersichten bei Jann FS Adamovich, 2002, S 241ff;Kröger FS Druey, 2002, S 817 ff; Kadelbach 38 CMLRev (2001), 179ff; Davis 25 ELRev (2000), 303ff; Tomkins 19 YEL (1999/2000), 217 ff; Österdahl 36 CMLRev (1999), 1059 ff; Dyrberg 24 ELRev (1999), 157 ff; monographisch Castenholz Informationszugangsfreiheiten im Gemeinschaftsrecht, 2004; Riemann Die Transparenz der Europäischen Union, 2004; Meltzian Das Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten der Gemeinschaftsorgane, 2005. 55 S etwa die Zulassung eines partiellen Zugangs zu Dokumenten durch EuG, Slg 1999, 11-2489 Hautala, bestätigt durch EuGH, Slg 2001, 1-9565 - Hautala m Anm Leino 39 CMLRev (2002), 621 ff u Anm Caranta RIDPC 2003, 870 ff; EuG, Slg 2000, 11-1959 - Kuijer; Slg 2001, 11-2265, Rn 66ff - Mattila (bestätigt durch EuGH, 22.1.2004 C-353/01, Rn 30ff - Mattila), während die Gemeinschaftsorgane eine „alles-oder-nichts"-Lösung vertreten hatten. Zur angemessenen Berücksichtigung des erkennbaren Interesses des Antragstellers an den begehrten Informationen s EuG, Slg 2001,11-2997, Rn 42 ff - BAT; Slg 1995,11-2765, Rn 67 ff - Carvel u Guardian Newspapers Ltd, = EuR 1996, 199 m Anm Kugelmann u Anm Twomey 33 CMLRev (1996), 831 ff. 56 EuG, Slg 2001, 11-2997, Rn 40 - BAT; Slg 2000, 11-3011, Rn 45 - Denkavit; Slg 1999, 11-3217, Rn39 - Bavarian Lager; EuGH, Slg 2000, 1-1, Rn 27 - Niederlande und van der Wal/Kommission.
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Ablehnungsgrund erkennen lässt;57 die Begründung muss grundsätzlich in Bezug auf jedes betroffene Dokument erfolgen.58 Allerdings hat das EuG auch klargestellt, dass dieses Recht nur den Zugang zu bestehenden Dokumenten garantiert, nicht aber einen allgemeinen Auskunftsanspruch gegenüber den Gemeinschaftsorganen begründet. 59 2. Verfahrensgrundrechte vor den
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a) Zugang zu den Gemeinschaftsgerichten aa) Direkter und indirekter Zugang zu den Gemeinschaftsgerichten 22
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Die Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes durch die Judikative der Gemeinschaft betrifft zunächst die Frage der Eröffnung des Zugangs zum Gericht; grundsätzlich gehört eine wirksame gerichtliche Überprüfung von belastenden Entscheidungen der Gemeinschaftsorgane zu den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts: 60 Nach der Konzeption des EGV und der bisherigen Handhabung durch die Rechtsprechung erfolgt der Zugang des Einzelnen zum Gerichtshof regelmäßig „indirekt" auf dem Weg über die nationalen Gerichte und über das Vörabentscheidungsverfahren gemäß Art 234 EGV (Art III-369 W E ) , über dessen Einleitung das vorlegende nationale Gericht entscheidet. Die nationalen Gerichte sind zwar in letzter Instanz gemäß Art 234 III EGV (Art III-369 W E ) zur Vorlage verpflichtet, wenn sich ein ernsthaftes Auslegungsproblem stellt.61 Will das Gericht die Ungültigkeit von Sekundärrecht annehmen, so gilt die Vorlagepflicht sogar unabhängig von seiner Stellung im Instanzenzug. 62 Durch den Einzelnen gemeinschaftsrechtlich erzwingbar ist die Vorlage jedoch nicht: Eine Nichtvorlagebeschwerde zum Gerichtshof ist nicht vorgesehen,63 das Gemeinschaftsrecht vertraut insoweit auf die korrekte Anwendung durch die nationalen Gerichte; 64 als mittelbare Sank-
57 EuG, Slg 1998,11-231, Rn 77 - Interporc; Slg 1997,11-313, Rn 66 - WWF UK, m Anm Chili 35 CMLRev (1998), 189; de Leeuw 3 EPL (1997), 339 ff. 58 EuG, Slg 1998,11-2289, Rn 112 - Svenska Journalistförbundet; Slg 2000, II-3269, Rn 64 f - JT's Corporation Ltd; abschwächend EuG, Slg 2001,11-2265, Rn 87 ff - Mattila. 59 EuG, Slg 1999,11-3273, Rn 35 - KL Meyer. 60 So - wiederum für Wettbewerbsentscheidungen der Kommission - EuG, Slg 1998,11-1875, Rn 60 - Enso Espanola. 61 Zu dieser Einschränkung der Vorlagepflicht durch die sog „acte clair-Doktrin" s EuGH, Slg 1982, 3415 - CILFIT = EuR 1983, 161 m Anm Millarg. 62 Dazu und zur Ausnahme für den vorläufigen Rechtsschutz s u Rn 49 ff. 63 Entsprechende Überlegungen finden sich zB bei Allkemper Der Rechtsschutz des einzelnen nach dem EG-Vertrag, 1995, S 209 ff mwN. 64 In einzelnen Mitgliedstaaten besteht die Möglichkeit, unter Berufung auf das nationale Grundrecht des gesetzlichen Richters Verstöße der letzten fachgerichtlichen Instanz gegen die Vorlagepflicht des Art 234 III EGV (Art III-369 W E ) zu rügen, s für Art 101 12 GG BVerfGE 75, 223 Kloppenburg; später zB BVerfG, JZ 2001, 923 m Anm Voßkuhle = DVB12001, 720 m Anm Füßer S 1574 ff = NJW 2001, 1267 m Anm Sensburg S 1259 f; BVerfG, NJW 2002, 1486; für Österreich ebenso VerfGH Wien, EuGRZ 1996, 529. Gemeinschaftsrechtlich gefordert ist die Eröffnung dieser zusätzlichen Instanz nicht; in Mitgliedstaaten, die diese Möglichkeit nicht kennen, bleibt den Parteien des Ausgangsverfahrens die Möglichkeit der Beschwerde zum EGMR wegen Verletzung der Vorlagepflicht: Die willkürliche Verletzung einer solchen Pflicht kann ebenfalls als Verstoß gegen Art 6 EMRK (faires Verfahren) gerügt werden, s EGMR, 7.9.1999 Req No 38399/97 Dotta; 8.6.1999 Req No 31993/96 - Predil Anstalt; EGMR, RUDH 2001, 420 - Canela Santiago, und dazu Flauss RFDC 2000, 843, 850.
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tion steht unter sehr eingeschränkten Bedingungen nur die Möglichkeit der gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftung für Gerichtsurteile65 zur Verfügung. bb) Zulässige Nichtigkeitsklagen Einzelner gegen die an sie gerichteten Entscheidungen Diese Konzeption des indirekten Zugangs gilt auch, soweit Einzelne die Gültigkeit von Maßnahmen der Gemeinschaftsorgane zur Überprüfung stellen: Den direkten Zugang zu den Gemeinschaftsgerichten eröffnet Art 230 IV EGV (Art III-365 IV W E ) ohne zusätzliche Voraussetzungen nur für diejenigen Kläger, die sich gegen an sie gerichtete Entscheidungen der Gemeinschaftsorgane wenden, also zB für den Adressaten einer Bußgeldentscheidung der Kommission in Wettbewerbssachen. Für diese zulässigen Klagen Einzelner führt dieser Weg heute stets zum EuG als Eingangsgericht, das mit der EEA zur Entlastung des EuGH, aber auch zur Verbesserung des Individualrechtsschutzes durch Schaffung einer eigenen Tatsacheninstanz66 errichtet worden war.67 Die Empfänger einer solchen Entscheidung müssen danach grundsätzlich binnen der in Art 230 V EGV (Art III-365 VI W E ) vorgesehenen Frist von zwei Monaten die Nichtigkeitsklage erheben; unterbleibt diese, so wird die Entscheidung bestandskräftig und damit für den Adressaten verbindlich.68 Eine Rechtsbehelfsbelehrung, die den Betroffenen auf diese Klagemöglichkeit (und -Obliegenheit) hinweist, ist weder im Vertrag noch im Sekundärrecht ausdrücklich vorgesehen; der EuGH hat sie auch nicht als durch die Erfordernisse eines fairen Verfahrens geboten angesehen.69 Allerdings kann in besonderen Ausnahmefallen ein entschuldbarer Irrtum des Klägers angenommen werden, der ein Fristversäumnis ausschließt.™
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cc) Klagen Einzelner gegen allgemein geltende Regelungen des Sekundärrechts Für nicht an den Kläger gerichtete Handlungen der Gemeinschaftsorgane gilt nach Art 230 IV EGV (Art III-365 IV W E ) , dass der Kläger durch den angegriffenen Rechtsakt „unmittelbar und individuell" betroffen sein muss. Nach der von der Rechtsprechung bisher verwendeten engen Auslegung des Erfordernisses der individuellen Betroffenheit danach muss der Kläger durch den Rechtsakt „wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, ihn aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt" werden und damit „in ähnlicher Weise individualisiert" sein wie der Adressat einer Entscheidung" - waren Nichtigkeitsklagen gegen normative Rechtsakte 65 S dazu EuGH, Slg 2003 1-10239 = EuZW 2003, 718 m Anm Obwexer = EWS 2004, 19 m Anm Gundel S 8 ff - Köbler = Schoch JK 4/04, EGV Art 10/02. 66 3. Erwägungsgrund des Beschlusses zur Errichtung eines Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften, ABl EG 1988 L 319/1. 67 S dazu rückblickend Azizi ÖJZ 2002, 41, 44 ff; Lenaerts CDE 2000, 323 ff; aus der Entstehungszeit Müller-Huschke EuGRZ 1989, 213 ff; Cruz VilafalPais Antunes Melanges Boulouis, 1991, S47 ff. 68 S zur Reichweite dieser Bestandskraft zB EuGH, Slg 1999, 1-5363, Rn 57 ff - AssiDomän = Ehlers JK 00, EGV Art 233/1. 69 EuGH, Slg 1999, 1-1441, Rn 15 - Guerin Automobiles, Bestätigung von EuG, Slg 1998, 11-253, Rn 161 - Guerin Automobiles; die Klägerin hat in diesem Fall Beschwerde gegen die 15 EG-Mitgliedstaaten vor dem EGMR erhoben, die als unzulässig zurückgewiesen wurde, s EGMR, RUDH 2000, 119 ff - Guerin. 70 S zB EuG, Slg 2001,11-717, Rn 22 - Pitsiorlas; EuGH, Slg 2003,1-4837, Rn 20 ff - Pitsiorlas. 71 StRspr seit EuGH, Slg IX 1963, 213, 238 - Plaumann.
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der Gemeinschaft regelmäßig unzulässig; Verordnungen oder Richtlinien waren damit einer direkten Kontrolle durch den Einzelnen im Regelfall nicht ausgesetzt.72 In der Literatur wird eine erweiternde Auslegung von Art 230 IV EG (Art III-365 IV W E ) zugunsten der Zulässigkeit von Direktklagen Einzelner gegen EG-Verordnungen unter dem Gesichtspunkt des effektiven Rechtsschutzes allerdings seit langem gefordert. 73 Bisher hat die Rechtsprechung eine solche Auslegung abgelehnt, weil effektiver Rechtsschutz auch durch die nationalen Gerichte auf dem Weg über das Vorabentscheidungsverfahren (Art 234 EGV/Art III-369 W E ) gewährleistet ist.74 Zwar hat der Gerichtshof unter Berufung auf den Charakter der EG als Rechtsgemeinschaft den Grundsatz aufgestellt, dass stets eine Möglichkeit der gerichtlichen Durchsetzung für gemeinschaftsrechtlich begründete Rechtspositionen bestehen muss.75 Zu Erweiterungen des direkten Zugangs zu den GemeinschaftsgcTichten hat der Gesichtspunkt des lückenlosen Rechtsschutzes bisher allerdings nur in Fällen geführt, die nicht den Schutz individueller Rechte, sondern das Verhältnis der Gemeinschaftsorgane zueinander betrafen und die in den Kategorien des deutschen Verfassungsprozessrechts eher dem Organstreitverfahren zuzuordnen wären.76 In den individualbezogenen Fällen ermöglicht der „indirekte Einstieg" über ein Verfahren vor den nationalen Gerichten in Verbindung mit dem Einsatz des Vorabentscheidungsverfahrens regelmäßig die Überprüfung des Sekundärrechts. Allerdings wird diese Lösung in den Fällen, in denen die Herbeiführung dieser inzidenten Uberprüfung sich als schwierig erweist, immer wieder in Frage gestellt. Fall 2: (EuG, Slg 2002,11-2365 - Jego-Quere) Eine neu erlassene Verordnung der EG sieht vor, dass in der Hochseefischerei nur noch Netze mit einer bestimmten Mindest-Maschenbreite verwendet werden dürfen. A, der mehrere von dieser Änderung betroffene Fischkutter betreibt, sieht durch die damit verbundene Verringerung der Fänge seinen Betrieb gefährdet und die Regelung deshalb als unverhältnismäßig an. Er erhebt Klage zum EuG und meint, dass er angesichts der erheblichen Berührung seiner Interessen und des Gebots effektiven Rechtsschutzes als „individuell betrof-
72 Dazu Gundel VerwArch 92 (2001), 81 ff. Dagegen sind die Anforderungen bei an Dritte gerichteten Entscheidungen der Gemeinschaft (wozu auch die Entscheidungen an die Adresse der Mitgliedstaaten gehören) in vielen Fällen erfüllbar, s dazu mwN Mager EuR 2001, 661, 673 ff. 73 Krit zur engen Auslegung zB Bleckmann FS Menger, 1985, S 872, 873 f, 882 ff; ν Danwitz NJW 1993, 1108, l l l l f f ; Allkemper Der Rechtsschutz des einzelnen nach dem EG-Vertrag, 1995, S64ff; Reich in: MicklitzlReich (Hrsg) Public Interest Litigation before European Courts, 1996, S 3ff;Schockweiler JTDE 1996, 1, 8; Jacobs Melanges Schockweiler, 1999, S 197, 203ff;Dutheil de la Rochere RevMC 2000, 223, 224 f. 74 Zum bisherigen Stand Gundel VerwArch 92 (2001), 81ff;zuletzt EuGH, Slg 2002,1-1179, Rn 47 La Conqueste SCEA (Bestätigung von EuG, Slg 2001,11-181 - La Conqueste SCEA). 75 So zB EuGH, Slg 1986, 1339, Rn 23 - Les Verts/Parlament. 76 S die zunächst gegen den Buchstaben des Vertrages erfolgte Anerkennung der Aktivlegitimation des Parlaments zur Verteidigung seiner Rechte durch EuGH, Slg 1990, 1-2041, Rn 23 - Parlament/Rat (Tschernobyl) = EuR 1990, 269 m Anm Hilf= Kunig JK 91, EWGV Art 173/3, die in Art 230 III EGV (Art III-365 III W E ) (Maastricht-Fassung) kodifiziert wurde (der Vertrag von Nizza hat das Parlament dann unter die privilegierten Kläger des Art 230 II EGV (Art III-365 II W E ) eingereiht; ähnlich für die Passivlegitimation EuGH, Slg 1986, 1339, Rn 23 - Les Verts/Parlament (Wahlkampfkostenerstattung); EuG, Slg 2001, 11-2823, Rn 47 ff - Martinez, de Gaulle ua/Parlament (Anerkennung des Fraktionsstatus von Gruppierungen im EP).
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fen" angesehen werden müsse, so dass die Klage zulässig sei. Ihm sei nicht zuzumuten, eine Überprüfung des Verbots vor den nationalen Gerichten dadurch herbeizuführen, dass er gegen die Bestimmung bewusst verstoße und ein strafrechtliches Verfahren auf sich nehme; andere Ausfiihrungsakte, die er vor den nationalen Gerichten angreifen könne, seien nicht ersichtlich. Ist die Nichtigkeitsklage zulässig?
Lösung Fall 2: Nachdem die Klage des Α sich nicht gegen eine an ihn gerichtete Entscheidung richtet, ist sie nur zulässig, wenn er durch die Verordnung unmittelbar und individuell betroffen ist, Art 230IV EGV (Art III-365 IV W E ) . Vorliegend ist zwar die Voraussetzung der unmittelbaren Betroffenheit erfüllt, weil kein weiterer Rechtsakt zur Konkretisierung der Pflichten des Α mehr erforderlich ist. Nach der bisher praktizierten Interpretation des Art 230 IV EGV (Art III-365 IV W E ) ist die individuelle Betroffenheit jedoch nur gegeben, wenn der Kläger sich in einer Situation befindet, die dem Adressaten einer Entscheidung vergleichbar ist: Er müsste aus dem Kreis anderer denkbarer Kläger in besonderer Weise herausgehoben sein. Bei Rechtsakten von allgemeiner Geltung ist diese Voraussetzung regelmäßig nicht erfüllt, Klagen Einzelner gegen solche normativen Rechtsakte sind damit regelmäßig nicht zulässig. Dies würde auch für die Klage des Α gelten: Er ist von der Regelung nicht in anderer Weise betroffen als jeder andere Wirtschaftsteilnehmer, der sich entschließt, in diesem Bereich tätig zu werden.77 Das Gericht erster Instanz 78 hat im vorliegenden Fall diese Interpretation allerdings verworfen und entschieden, dass in Fällen, in denen die Beschreitung des Rechtswegs gegen nationale Ausführungsakte nicht zumutbar sei, das Merkmal zur Sicherung des in Art 6 und 13 E M R K sowie Art 11-107 W E gewährleisteten Gebots effektiven Rechtsschutzes so ausgelegt werden müsse, dass eine wesentliche Berührung der Interessen des Klägers genüge.
Dieser Neuorientierung ist allerdings entgegenzuhalten, dass eine inzidente Uberprüfung auf dem Weg über die nationalen Gerichte nicht nur auf dem Weg über strafgerichtliche Verfahren herbeigeführt werden kann - was tatsächlich unzumutbar wäre sondern auch auf dem Weg der vorbeugenden Feststellungsklage gegenüber der zur Durchsetzung zuständigen nationalen Behörde möglich ist.79 Nachdem auf diese Weise der Rechtsschutz
77 EuG, Slg 2002,11-2365, R n 38 - Jego-Quere = E u Z W 2002, 412 m A n m Lübbig = EWS 2002, 324 m A n m Schohe/Arhold (aufgehoben durch E u G H , 1.4.2004 - Rs C-263/02 P, E W S 2004, 228 Jego-Quere = Schoch J K 12/04, EGV Art 230 IV/3; s auch unten Fn 81); zu dieser Entscheidung auch Cassia RevMC 2002, 547 fT; Jacque A J D A 2002,476 ff. 78 EuG, Slg 2002, 11-2365, R n 45, 49 - Jego-Quere, unter Berufung auf die Schlussanträge von G A Jacobs zu E u G H , Slg 2002,1-6677 - Union de Pequenos Agricultores. 79 S für ein Beispiel E u G H , Slg 1994, 1-5555 - S M W Winzersekt (Vorlagebeschluss des VG Mainz, Z L R 1994, 153 m A n m Koch). Auch die Tabakwerbe-RL wurde auf diesem Weg dem E u G H unterbreitet: Während die Nichtigkeitsklagen der Produzenten als unzulässig abgewiesen wurden (EuG, Slg 2000, 11-2487 - Salamander AG), wurde die gleichzeitige Vorlage eines englischen Gerichts (zu ihr Seidel E u Z W 1999, 369 ff) gemeinsam mit der Nichtigkeitsklage Deutschlands verhandelt und nur durch deren Erfolg schließlich gegenstandslos, s E u G H , Slg 2000, 1-8599 Imperial Tobacco. Auch die Gültigkeit der Tabakprodukt-RL wurde im Wege einer solchen Gültigkeitsvorlage geprüft ( E u G H , Slg 2002, 1-11453 - BAT = E u R 2003, 80 m A n m Gundel), während die Nichtigkeitsklage Deutschlands wegen Fristversäumnis als unzulässig abgewiesen
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durch die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen gesichert werden kann (und diese zur Eröffnung der entsprechenden Möglichkeiten auch verpflichtet sind 80 ), besteht keine Notwendigkeit, Art 230 IV EGV (Art III-365 IV W E ) in einer Weise auszulegen, die die Zulässigkeitsvoraussetzung der individuellen Betroffenheit letztlich eliminiert. Auf diese durch den Wortlaut der Bestimmung gesetzten Grenzen hat schließlich auch der EuGH verwiesen und seine bisherige Rechtsprechung gegen die Kritik des EuG bestätigt 81 . Im Verfassungsentwurf wird der Text des bisherigen Art 230 IV EGV (Art III-365 IV W E ) nun allerdings durch die Regelung einer 3. Alternative ergänzt,82 die - begrenzt auf Durchführungs-Rechtsakte 83 - auf das Erfordernis der individuellen Betroffenheit verzichtet und so die Möglichkeit der Direktklage eröffnet. 31
Eine Erweiterung des direkten Rechtsschutzes, die auf den ersten Blick als bürgerfreundliche Neuerung erscheint, kann im Übrigen auch nachteilige Konsequenzen haben: Wenn der Betroffene die ihm eröffnete Möglichkeit der Nichtigkeitsklage gegen einen ihm bekannten Rechtsakt der Gemeinschaft nicht nutzt, so ist ihm nach der „ Textilwerke Deggendorf '-Rechtsprechung des EuGH eine spätere inzidente Überprüfung - etwa im Verfahren der Vorabentscheidung - versagt.84 Diese Präklusionsregel, mit der der Gerichtshof die Klagefrist des Art 230 V EGV (Art III-365 VI W E ) gegen Umgehungen absichert, hatte bisher nur für individuelle Entscheidungen Bedeutung - etwa für an den Mitgliedstaat gerichtete Kommissionsentscheidungen, mit denen die Rückabwicklung unrechtmäßig gewährter nationaler Beihilfen angeordnet wird.85 Wird die prinzipale Normenkon-
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wurde (EuGH, Slg 2002, 1-4561 - Deutschland/Parlament u Rat = EuZW 2002, 404 m Anm Β Wägenbaur). Dazu zB Temple Lang 28 ELRev (2003), 102 ff; Gundel VerwArch 92 (2001), 81,105 ff. EuGH (Plenum), Slg 2002,1-6677 - Union de Pequenos Agricultores, Rn 44 f = DVB1 2002, 1348 m Anm Götz-, dazu auch Braun/Kettner DÖV 2003, 59 ff; MalferrarilLerche EWS 2003, 254 ff; Rengeling FS Kutscheidt, 2003, S 93 ff; Röhl Jura 2003, 830 ff; Usher 28 ELRev (2003), 575 ff; Gilliaux CDE 2003, 177 ff; Mehdi RTDE 2003, 23 ff. In der Folge ebenso EuGH, 12.12.2003 - Rs C-258/02 Ρ - Bactria Industriehygiene, Rn 58; EuGH, 30.3.2004 - C-167/02 Ρ - Rothley ua, Rn 46 ff = EuR 2004, 765 m Anm Lavranos; EuGH, 1.4.2004 - Rs C-263/02 P, EWS 2004, 228, Rn 29 ff - JegoQuere = Schoch JK 12/04, EGV Art 230IV/3; das EuG hat sich dieser Position gebeugt, s EuG, Slg 2002,11-3239 - W G , Rn 39; EuG, Slg 2003,11-1997 - Vannieuwenhuyze-Morin, Rn 27 ff. Dazu W Cremer EuGRZ 2004, 577 ff; Mayer DVB1 2004, 606 ff; Varju 10 EPL (2004), 43 ff; Schwarze 10 EPL (2004), 285 ff. Der Wortlaut - „Rechtsakte mit Verordnungscharakter" - scheint zunächst darüber hinaus zu reichen, doch ist die Terminologie bereits an den Verfassungsvertrag angepasst, so dass die künftigen „Europäischen Gesetze" (bisher: Verordnungen) und „Europäischen Rahmengesetze" (bisher: Richtlinien) nicht erfasst werden; zu verbleibenden Abgrenzungsfragen Cremer EuGRZ 2004, 577, 579 ff. So erstmals EuGH, Slg 1994, 1-833 - Textilwerke Deggendorf; s dazu Pache EuZW 1994, 615 ff; Hoskins 31 CMLRev (1994), 1399 ff; später EuGH, Slg 1997,1-6315, Rn 26 ff - Eurotunnel; Slg 1996,1-6699, Rn 15 f - Acrington Beef; s auch noch EuGH, Slg 1997,1-585, Rn 15 ff - Wiljo; zur Entwicklung der Rechtsprechung s Jaeger Melanges Schockweiler, 1999,233,235 ff. So der Sachverhalt der Textilwerke Z)egge«for/-Entscheidung. Ein Beihilfeempfänger, der von der zu seinem Nachteil ergangenen Kommissions-Entscheidung Kenntnis erhält, muss - da er die Voraussetzungen der unmittelbaren und individuellen Betroffenheit erfüllt - von der damit in Art 230 IV EGV (Art III-365IV W E ) eröffneten Klagemöglichkeit auch Gebrauch machen. Tut er es nicht, so ist ihm im nachfolgenden nationalen Verfahren um die Rückabwicklung der Einwand der Rechtswidrigkeit der Kommissionsentscheidung versagt; für eine Anwendung dieser Regel s BGH, WM 2004, 693.
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trolle durch eine weite Auslegung des Art 230 V EGV (Art III-365 VI W E ) eröffnet, steht aber zugleich auch die Ausweitung der korrespondierenden „Deggendorf-Regel" auf solche Fälle in Frage.86 b) Garantien im Verfahren vor den Gemeinschaftsgerichten Die Verfahrensgrundrechte spielen aber auch für das „Wie" des Rechtsschutzes vor den Gemeinschaftsgerichten eine erhebliche Rolle; auch hier haben sich in neuerer Zeit Diskussionspunkte ergeben, die zum Teil auf den Vergleich der Praxis des EuGH mit den Anforderungen der EMRK und auch denen des nationalen Verfassungsrechts zurückgehen.
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aa) Gesetzlicher Richter Auch die Garantie des gesetzlichen Richters gilt für die Gemeinschaftsgerichte; 87 hinsiehtlieh der gerichtlichen Zuständigkeiten bestehen hier auch keine Probleme. Diskutiert wurde vor allem die Bestimmung des gesetzlichen Richters bei der Besetzung der Richterbank in „überbesetzten" Kollegien, etwa den Fünf-Richter-Kammern des EuGH, 88 die in einer Besetzung von fünf Richtern entscheiden, denen teils aber bis zu sieben Richter zugewiesen waren. Nachdem das BVerfG 89 hier in Bezug auf die deutsche Gerichtsbarkeit hohe Anforderungen an die abstrakte Festlegung der im konkreten Fall zur Entscheidung berufenen Mitglieder eines Kollegiums gestellt hatte, wurden in der deutschen Literatur entsprechende Forderungen auch an die Besetzungspraxis der Gemeinschaftsgerichte gestellt.90 Der EuGH hat eine entsprechende Rüge zunächst mit der Begründung zurückgewiesen, dass eine Manipulation der Richterbank im konkreten Fall nicht ersichtlich war;91 in der Folgezeit wurde allerdings beschlossen, für jedes Gerichtsjahr eine Reihenfolge festzulegen, in der die Richter der überbesetzten Kammern zum Einsatz kommen. 92
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bb) Rechtliches Gehör Auch vor den Gemeinschaftsgerichten ist das rechtliche Gehör zu gewährleisten: Die Parteien müssen den gesamten Prozessstoff kennen und zu ihm Stellung nehmen können. In neuerer Zeit ist im Anschluss an die EGMR-Rechtsprechung unter diesem Gesichtspunkt die Position der Generalanwälte beim EuGH fraglich geworden, die dem Gerichts86 Dazu Gundel VerwArch 92 (2001), 81, 97 f; Köngeter NJW 2002, 2216, 2218. GA Jacobs meint, dass diese Regel nicht auf Rechtsakte normativen Charakters („allgemeine Handlungen") ausgeweitet werden dürfe, s Rn 65 seiner Schlussanträge zu EuGH, Slg 2002, 1-6677 - Union de Pequenos Agricultores; tatsächlich hat der Gerichtshof sie aber schon auf EG-Verordnungen angewandt, soweit diese ausnahmsweise (im Bereich der Anti-Dumping-Verordnungen) auch schon einer direkten Klage durch Einzelne zugänglich waren, s EuGH, Slg 2001,1-1197, Rn 30 ff - Nachi Europe und dazu Moloney 39 CMLRev (2002), 393 fT. 87 Allgem dazu Grzybek Prozessuale Grundrechte im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 1993, S76ff. 88 Zu den einzelnen Spruchkörpern des EuGH s Middeke in: Rengeling (Hrsg) Handbuch des Rechtsschutzes in der Europäischen Union, 2. Aufl 2003, § 3 Rn 18 ff. 89 S BVerfG (Plenum), BVerfGE 95, 322. 90 Dazu etwa Mößlang EuZW 1996, 69 ff mit Erwiderung Wichard EuZW 1996, 305 f; s auch Stotz EuZW 1995, 749. 91 Dazu EuGH, Slg 1995,1-1031 - Gaal = EuZW 1995, 670 m Anm Szczekalla = EuR 1995, 259 m Anm Wichard. 92 S ABl EG 1998 C 299/1; inzwischen ist das Vorgehen im neu eingefügten Art 11c VerfO EuGH, ABl EU 2003 L 147/17 geregelt.
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hof zum Abschluss der Verhandlungen über eine Rechtssache öffentlich einen zwar nicht verbindlichen, aber doch vielfach richtungweisenden Entscheidungsvorschlag unterbreiten (Art 49 der Satzung des EuGH, Art 59 der VerfO): Der EGMR verlangt in Bezug auf entsprechende Einrichtungen der nationalen Prozessordnungen unter dem Gesichtspunkt des fairen Verfahrens und der Waffengleichheit, dass die Parteien des Verfahrens zu diesen Entscheidungsvorschlägen noch Stellung nehmen können; diese dürfen danach nicht zwingend das „letzte Wort" vor der gerichtlichen Entscheidungsfindung darstellen.93 Ob diese Rechtsprechung auf den EuGH tatsächlich übertragbar ist, wird auch deshalb bezweifelt, weil die Generalanwälte beim EuGH - anders als in den vom EGMR entschiedenen Fällen - selbst Mitglieder des Gerichts sind,94 ihre Anträge also als Beginn der abschließenden gerichtlichen Entscheidungsfindung begriffen werden können, zu der die Parteien keinen Beitrag mehr leisten.95 Der EuGH geht jedenfalls davon aus, dass den Anforderungen eines fairen Verfahrens dadurch Genüge getan werden kann, dass die mündliche Verhandlung erneut eröffnet wird, wenn die Schlussanträge nach Auffassung des Gerichts Gesichtspunkte aufwerfen, die eine Stellungsnahme der Parteien nahe legen.96 cc) Anspruch auf Entscheidung in angemessener Frist 35
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Zum effektiven Rechtsschutz gehört auch die gerichtliche Entscheidung in angemessener Frist; relevant wird hier zB das in Art 6 EMRK gegründete Verbot einer überlangen Verfahrensdauer, das auch der EuGH als verbindliche Vorgabe für seine Tätigkeit anerkennt.97 Für das Rechtsschutzsystem des Gemeinschaftsrechts, das in erheblichem Umfang auf der Zusammenarbeit von Gemeinschafts- und nationalen Gerichten im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens beruht, stellt sich hier das strukturelle Problem, dass die Verfahrensdauer gerade auch durch das Vorabentscheidungsverfahren verlängert werden kann. Allerdings hat auch der EGMR bei der Prüfung des Art 6 EMRK anerkannt, dass die dadurch bedingte Verlängerung im Interesse der Funktionsfahigkeit des VorabentscheidungsVerfahrens hinzunehmen ist.98
93 Aus der Rspr des EGMR s EGMR, RJD 1996-1, 224 - Vermeulen = RTDH 1996, 615 m Anm Lambert = RTDE 1996, 375 m Anm Benoit-Rohmer, EGMR, RJD 1996-1, 195 - Lobo Machado = RTDE 1996, 373 m Anm Benoit-Rohmer, EGMR, RJD 1998-11, 640 - Reinhardt et SlimaneKaid; EGMR, RTDE 2001, 809 - Kress, m Anm Benoit-Rohmer 727 ff. 94 Diesen Unterschied betont Tridimas 34 CMLRev (1997), 1349, 1380 ff. 95 EuGH, Slg 2000, 1-665, Rn 14 - Emesa Sugar: „Die Schlussanträge stehen außerhalb der Verhandlung zwischen den Parteien und eröffnen die Phase der Beratung des Gerichtshofs. Sie sind deshalb keine an die Richter oder die Parteien gerichtete Stellungnahme, die von einer Behörde außerhalb des Gerichtshofs herrührte ..., sondern die individuelle, begründete und öffentlich dargelegte Auffassung eines Mitglieds des Organs selbst." Ähnlich zuletzt Rn 94 ff der Schlussanträge von GA Colomer zu EuGH, Slg 2000,1-2219 - Kaba. 96 So EuGH, Slg 2000, 1-665, Rn 18 - Emesa Sugar, mit verschiedenen Bsp solcher (nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlichten) Beschlüsse in der Vergangenheit; Slg 2000,1-743, Rn 22 ff - Deutsche Telekom; Slg 2000,1-2135, Rn 63 f - VBA; dazu Lawson 37 CMLRev (2000), 983 ff; Schilling ZaöRV 2000, 395 ff; zuvor bereits ders ZEuS 1999, 75, 79 ff. 97 EuGH, Slg 1998, 1-8417 - Baustahlgewebe (zu einer Verfahrensdauer von 5 '/2 Jahren vor dem EuG). 98 EGMR, RDJ 1998-1, 436, Rn 95 - Pafitis (dazu krit Peukert Melanges Ryssdal, 2000, S 1107, 1118 0; ebenso zuletzt EGMR, RUDH 2003,440, Rn 56 - Koua Poirrez.
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Justiz- und Verfahrensgrundrechte
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III. Anforderungen der Verfahrensgrundrechte des Gemeinschaftsrechts an die Mitgliedstaaten 1. Anwendbarkeit der Verfahrensgrundrechte auf das Handeln der Mitgliedstaaten Grundsätzlich haben die Grundrechte des Gemeinschaftsrechts die Funktion, dem Handein der Gemeinschaftsorgane Grenzen zu setzen - während die Grundfreiheiten sich (nicht ausschließlich, aber in erster Linie) an die Mitgliedstaaten richten." Dennoch gelten die Grundrechte des Gemeinschaftsrechts - und damit auch die Verfahrensgrundrechte - nach gefestigter Rechtsprechung des EuGH in bestimmten Konstellationen auch gegenüber den Mitgliedstaaten (—»vgl § 14 Rn 33 ff). Dies gilt einmal in den Konstellationen, in denen die Mitgliedstaaten für den Vollzug des Gemeinschaftsrechts zuständig sind: Für die Geltung des Grundrechtsstandards kann es aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht keinen Unterschied machen, ob dieses Recht von den Gemeinschaftsorganen selbst durchgeführt oder diese Aufgabe - wie in den meisten Bereichen - grundsätzlich den Mitgliedstaaten übertragen wird;' 00 die „verfahrensrechtliche Autonomie" der Mitgliedstaaten 101 beim Vollzug des Gemeinschaftsrechts wird insoweit eingeschränkt. Diese für den Anwendungsbereich der Unionsgrundrechte allgemein gültige Aussage hat für die Verfahrensgrundrechte des Gemeinschaftsrechts besondere Bedeutung: Nachdem das Gemeinschaftsrecht vor allem durch die Mitgliedstaaten vollzogen wird, gelten auch hier die Verfahrensgarantien, wie die Wahrung des rechtlichen Gehörs 102 oder die Gewährleistung eines fairen Verfahrens.103 Zum Teil finden die Garantien überhaupt nur hier ein unmittelbares Anwendungsfeld. 104 Darüber hinaus gelten die Grundrechte des Gemeinschaftsrechts aber nach der Rechtsprechung des EuGH auch in Fällen, in denen die Mitgliedstaaten in Rechtspositionen eingreifen, die dem Einzelnen durch Gemeinschaftsrecht gewährt wurden: Soweit dies der Fall ist - zB mit nationalen Einschränkungen der Grundfreiheiten 105 oder der Gleichbe-
99 Zur unterschiedlichen Struktur und Aufgabe von Grundrechten und Grundfreiheiten des Gemeinschaftsrechts s auch Lecheler ER S 219 ff, 224. 100 S für die Geltung der Gemeinschaftsgrundrechte in diesem Bereich zB E u G H , Slg 1994, 1-955, Rn 16 - Bostock; Slg 1989, 2609 - Wachauf; Slg 1988, 2213, Rn 22 - HZA Hamburg-Jonas: „... die Beachtung der allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts [obliegt] jeder mit der Anwendung dieses Rechts betrauten Behörde." Zum engeren Wortlaut des Art 11-101 W E , den man insoweit nicht als abschließende Regelung wird verstehen dürfen, s ο Rn 5. 101 Zu diesem Grundsatz zB Rodriguez Iglesias E u G R Z 1997, 289 ff; zu den parallelen Grenzen dieser Autonomie aus Art 10 EGV (Art 1-5 II W E ) s u Rn 39 ff. 102 Dazu etwa deutlich EuGH, Slg 2000,1-1935, Rn 26, 42 - Krombach, m Anm Gundel EWS 2000, 442 ff. 103 S zur Herleitung von Beweisverwertungsverboten aus diesem Gesichtspunkt EuGH, Slg 2003, 1-3735, Rn 72 ff - Steffensen = EuZW 2003, 666 m Anm Schaller. 104 Das gilt etwa für den nulla-poena-Satz, solange eine Kompetenz der EG für den Erlass von „Kernstrafrecht" fehlt: Die Verankerung des nulla-poena-Satzes in Art 11-109 W E kann insoweit den ohnehin nicht zuständigen Gemeinschaftsgesetzgeber nicht erreichen, sondern nur die Bedeutung haben, dass Verstöße des Einzelnen gegen Gemeinschaftsrecht durch den nationalen Strafgesetzgeber und die nationalen Strafgerichte nur unter Beachtung dieses Grundsatzes sanktioniert werden dürfen (s bereits oben Fn 3). 105 EuGH, Slg 1987, 4097, Rn 14 - Heylens (Anerkennung von Berufsabschlüssen aus anderen Mitgliedstaaten).
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handlung der Geschlechter im Arbeitsleben 106 - , gelten damit auch die Verfahrensgrundrechte des Gemeinschaftsrechts, insbesondere der Anspruch auf effektive gerichtliche Kontrolle.107 Damit muss zB die Ausweisung eines Unionsbürgers durch einen Mitgliedstaat, die in sein Freizügigkeitsrecht eingreift, sich an den Verfahrensrechten des Gemeinschaftsrechts messen lassen.108 Dieser in der Rechtsprechung erreichte Stand wird zwar in Frage gestellt durch die Formulierung in Art II-l 111 W E , der nur die Durchführung und nicht auch die Beschränkung von Gemeinschaftsrecht durch die Mitgliedstaaten aufführt: die Bestimmung kann damit als Einschränkung der bisherigen Rechtslage verstanden werden.109 Allerdings erscheint es unwahrscheinlich, dass der Gerichtshof diesen Ansatz für eine Einschränkung aufnehmen wird. 40
Damit bleibt das Handeln der Mitgliedstaaten vom Geltungsanspruch der Unionsgrundrechte nur insoweit frei, als sich kein Zusammenhang mit einer gemeinschaftsrechtlich geregelten Position herstellen lässt.110 2. Parallele Gewährleistung
41
von Verfahrensrechten durch die
Grundfreiheiten
In diesem Bereich überschneiden sich die grundrechtlichen Gewährleistungen des Gemeinschaftsrechts mit den Vorgaben der Grundfreiheiten: So kann das allgemeine Verbot einer Diskriminierung nach der Staatsangehörigkeit (Art 12 EG V/Art 1-4 II, Art III-123 W E ) verlangen, dass EU-Bürgern vor Gericht dieselben sprachlichen Sonderrechte eingeräumt werden, die den Angehörigen einer nationalen Minderheit des betroffenen Staates zustehen;111 ebenso gilt, dass die Pflicht zur Leistung einer Prozesskostensicherheit nicht an die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats anknüpfen darf.112 Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten dürfen danach (im 106 EuGH, Slg 1986, 1651, Rn 18 - Johnston (zur Überprüfbarkeit einer Ausnahme von der Regel des gleichberechtigten Zugangs zum Arbeitsplatz durch die nationalen Gerichte). 107 S EuGH, Slg 1987, 4097, Rn 14 - Heylens; Slg 1986, 1651, Rn 18 - Johnston, mit ausdrücklicher Bezugnahme auf Art 6 und 13 EMRK; s auch noch EuGH, Slg 1985, 2301, Rn 17 - Piercarlo Bozzetti: Es ist „Sache der Rechtsordnung jedes Mitgliedstaats, zu bestimmen, welches Gericht für die Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten zuständig ist, in denen es um individuelle, auf dem Gemeinschaftsrecht beruhende Rechte geht, wobei die Mitgliedstaaten jedoch für den wirksamen Schutz dieser Rechte in jedem Einzelfall verantwortlich sind." (Hervorh durch Verf). 108 Dagegen ist Art 6 EMRK nach der Rspr des EGMR auf Ausweisungsverfahren nicht anwendbar, da kein zivil- oder strafrechtliches Verfahren vorliegt, s EGMR, RTDH 2002, 433, Rn 35 ff - Maaouia, m Anm Tigroudja; —> vgl Grabenwarter § 6 Rn 36. 109 „Diese Charta gilt für die Organe und Einrichtungen der Union ... und für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union." (Hervorhebung durch Verf); s zu dieser Frage W Cremer NVwZ 2003,1452 ff; Mager EuR Beih 1/2004,41, 53 f. 110 Für einen solchen Fall EuGH, Slg 1997,1-2629, Rn 16 - Kremzow, für eine Vorlage zu Verfahrensgarantien in einem Mordprozess: Allein die Tatsache, dass der Angeklagte durch den Haftvollzug an der Wahrnehmung der Arbeitnehmerfreizügigkeit gehindert wäre, genügt nicht zur Annahme einer hinreichenden Verbindung; ähnlich EuGH, Slg 1997,1-5531 - Grado u Bashir. I I I S EuGH, Slg 1985, 2681 - Mutsch: Art 39 EGV (Art III-133 W E ) verlangt, dass einem deutschen Arbeitnehmer in einem Strafverfahren vor belgischen Gerichten der Gebrauch der deutschen Sprache gestattet wird, wenn dieses Recht Angehörigen der deutschsprachigen Minderheit in Belgien zusteht. Ebenso zu Art 12 EGV EuGH, Slg 1998,1-7650 - Bickel u Franz = EuZW 1999, 82 m Anm Novak·, dazu auch Hilpoldm 2000, 93 fT; Bultermann 36 CMLRev (1999), 1325 ff. Der Mindeststandard der EMRK gewährleistet insoweit nur die Beiziehung eines Dolmetschers, s Art 6 III e EMRK. 112 S EuGH, Slg 1997,1-1711 - Hayes (zur früheren Fassung des § 110 ZPO) = ZEuP 1999, 964 m
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Justiz- und Verfahrensgrundrechte
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Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts) schon aufgrund der Grundfreiheiten auch in verfahrensrechtlichen Fragen nicht schlechter gestellt werden als die eigenen Staatsangehörigen. Dementsprechend finden sich Verfahrensgarantien auch im Sekundärrecht, das zu den Personenverkehrs-Grundfreiheiten erlassen wurde." 3 Auch im Bereich des freien Warenverkehrs leitet der E u G H konkrete Anforderungen an das mitgliedstaatliche Verwaltungsverfahren unmittelbar aus der Grundfreiheit selbst her.' 14 3. Parallele Gewährleistung von Verfahrensrechten durch das Gebot und effektiven Schutzes (Art 10 EGV/Art 1-5 II VVE)
gleichwertigen
a) Stärkung der Verfahrensrechte durch das Effektivitätsgebot Vor allem im Bereich des mitgliedstaatlichen Vollzugs des Gemeinschaftsrechts decken sich die Verfahrensgrundrechte des Einzelnen vielfach mit den allgemeinen Anforderungen an einen gleichwertigen und effektiven Vollzug des Gemeinschaftsrechts, die der Gerichtshof aus Art 10 E G V (Art 1-5 II W E ) herleitet: Diese beiden Grundsätze verlangen, dass zum einen das Gemeinschaftsrecht nicht zu ungünstigeren Bedingungen umgesetzt wird, als sie für im nationalen Recht begründete Rechtspositionen (Grundsatz der Gleichwertigkeit) bestehen; 115 zum anderen müssen - unabhängig von einem solchen Vergleich - diese Positionen mit einem bestimmten Mindestmaß an Effektivität durchgesetzt werden können (Grundsatz der Effektivität).116
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Anm Kubis: Verstoß gegen Art 12 EGV; ebenso EuGH, Slg 1996, 1-4661 - Data Delecta (dazu StreinzlLeible IPRax 1998, 162 ff); Slg 1997, 1-5325 - Saldanha (dazu Ehricke IPRax 1999, 31 Iff). S etwa die Verfahrensgarantien in Art 8-9 der RL 64/221 in Bezug auf die Ausweisung von Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten; zu den Anforderungen s EuGH, 29.4.2004 Rs C-482/01 ua Orfanopoulos und Oliven, Rn 101 ff; EuGH, Slg 2000,1-9265 - Yiadom; Slg 1997, 1-3343 - Shingara u Radiom, m Anm Connor 23 ELRev (1998), 157 ff; O'Neill 35 CMLRev (1998), 519 ff; Slg 1995, 1-4253 - Gallagher, m Anm O'Leary 33 CMLRev (1996), 777 ff; zu der in Art 6 der RL vorgesehenen Pflicht des Mitgliedstaats, dem Betroffenen die Gründe der Ausweisung mitzuteilen, s bereits EuGH, Slg 1975, 1219, Rn 33 - Rutiii = EuR 1976, 237 m Anm Stein. So zu den aus der Warenverkehrsfreiheit herzuleitenden Anforderungen an mitgliedstaatliche Zulassungsverfahren für Lebensmittelzusatzstoffe EuGH, ZLR 2004, 193 m Anm Streinz u Anm Jarvis 41 CMLRev (2004), 1395 ff - Greenham und Abel, Rn 35 = Schoch JK 11/04, EGV Art 28/5: „Dieses Verfahren muß leicht zugänglich sein und innerhalb eines angemessenen Zeitraums abgeschlossen werden können; wenn es zu einer Ablehnung führt, muß die Ablehnungsentscheidung im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens angefochten werden können." Dieser Aspekt wurde zunächst vielfach als Diskriminierungsverbot bezeichnet; doch kann diese Bezeichnung zu Missverständnissen und Verwechslungen führen - denn gemeint ist hier nicht eine Diskriminierung von Personen nach der Staatsangehörigkeit, sondern nach der „Herkunft" des Anspruchs; der EuGH verwendet daher in neuerer Zeit den Begriff der Gleichwertigkeit, s etwa EuGH, Slg 2000,1-10465, Rn 21 - Roquette freres; in anderen Entscheidungen aus neuerer Zeit findet sich auch die Bezeichnung als „Äquivalenzgrundsatz", s EuGH, Slg 1998, 1-5025, Rn 27, 29 - Ansaldo Energia; Slg 1998,1-4951, Rn 34 - Edis; Slg 1999,1-578, Rn 25 - Dilexport. S dazu zB Schmidt-Aßmann FG 50 Jahre BVerwG, 2003, S 487, 489 ff. Für den Sonderbereich des Schutzes der finanziellen Interessen der Gemeinschaft hat sich die vom EuGH vorgenommene Systematisierung im Text des Vertrages niedergeschlagen: Nach Art 280 IV EGV (Art 1-53 VII W E ) ist die „Gewährleistung eines effektiven und gleichwertigen Schutzes" der Interessen der Gemeinschaft in den Mitgliedstaaten gefordert (Hervorh durch Verf).
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So lässt sich aus dem Gleichwertigkeitsgrundsatz herleiten, dass für gemeinschaftsrechtliche Ansprüche - zB für Anträge auf Rückerstattung gemeinschaftsrechtswidriger Gebühren - nicht kürzere Fristen gelten dürfen, als sie für Ansprüche nach nationalem Recht vorgesehen sind." 7 Aus dem Effektivitätsprinzip ergibt sich, dass in jedem Fall die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes möglich sein muss. Darüber hinaus muss dieser mit zumutbaren Bedingungen ausgestaltet werden, dh die Verfahrensregeln der Mitgliedstaaten dürfen die Rechtsdurchsetzung nicht „praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren":118 So dürfen generell nicht zu enge Verfahrensfristen vorgesehen werden; prozessuale Präklusionsregeln dürfen nicht in einer Weise angewandt werden, die eine wirksame Durchsetzung der betroffenen Positionen vereitelt;119 auch Beweislastregeln, die die Durchsetzung der Ansprüche übermäßig erschweren, sind unzulässig120 unabhängig davon, ob sie auch für Ansprüche aus dem nationalen Recht gelten. Auf den Effektivitätsgrundsatz ist auch das durch den Gerichtshof herausgearbeitete Erfordernis einer mitgliedstaatlichen Haftung für Verstöße gegen Gemeinschaftsrecht zurückzuführen, die gegeben sein muss, wenn auf andere Weise die Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts nicht gesichert werden kann.121 b) Insbesondere: Anspruch auf Rechtsschutz durch die nationalen Gerichte
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Der Effektivitätsgrundsatz verlangt insbesondere - parallel zu Art 6 und 13 EMRK - die Eröffnung des Zugangs zu einem Gericht. Hier hat der Gerichtshof zwar zunächst formuliert, dass das Gemeinschaftsrecht von den Mitgliedstaaten nicht die Eröffnung neuer, unbekannter Rechtsschutzmöglichkeiten verlange, sondern nur Rechtsschutz im Rahmen des nach nationalem Recht Möglichen fordere.122 Doch ist diese Aussage, die allein auf die Gewährleistung gleichwertigen Schutzes abstellte und den Grundsatz der Mindesteffektivität außer Acht ließ, nicht mehr wiederholt worden: Stattdessen hat der EuGH in späteren Entscheidungen ausdrücklich auch die Eröffnung bisher unbekannter Rechtsschutzmöglichkeiten verlangt, wenn dies zur effektiven Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts erforderlich schien.123 Auf den ersten Blick scheinen diese Anforderungen angesichts der 117 Für einen solchen Fall s EuGH, Slg 1988, 3513 - Deville; Slg 1988, 355 - Barra; s auch EuGH, Slg 1998,1-4951, Rn 21 ff - Edis. 118 So zB EuGH, Slg 1999, 1-578, Rn 25 - Dilexport; Slg 1998, 1-5025, Rn 27 - Ansaldo Energia; Slg 1988,4517, Rn 17 - Jeunehomme. 119 S EuGH, Slg 1995,1-4599 - Peterbroeck = RIW 1996, 346 m Anm Weymüller; Slg 1995,1-4705 - van Schijndel; zu beiden Entscheidungen ν Danwitz UPR 1996, 323 ff; Heukels 33 CMLRev (1996), 337 ff; Prechal 35 CMLRev (1998), 681 ff; Cahn ZEuP 1998, 969 ff; zuletzt Mas ÖJZ 2002, 161 ff. 120 S EuGH, Slg 1988, 1099, Rn 12 f - Les Fils de Jules Bianco; Slg 1983, 3595, Rn 14 - San Giorgio; zuletzt EuGH, Slg 2003,1-11365 - Weber's Wine World, Rn 110 ff; s dazu auch Gundel FS Götz, 2005, (im Erscheinen). 121 So der Ausgangspunkt der EuGH-Rechtsprechung zur - aus den Anforderungen des Art 10 EGV (Art 1-5 II W E ) hergeleiteten - Staatshaftung der Mitgliedstaaten gegenüber dem Bürger für Verstöße gegen Gemeinschaftsrecht, EuGH, Slg 1991,1-5357 - Francovich = Erichsen JK 92, EWGV Art 189 III/4. 122 EuGH, Slg 1981, 1805, R n 4 4 - R e w e („Butterfahrten"). 123 S etwa EuGH, Slg 1990,1-2433 - Factortame I zur Pflicht der nationalen Gerichte, vorläufigen Rechtsschutz auch gegenüber gemeinschaftswidrigem Gesetzesrecht zu gewähren; in neuerer Zeit zB EuGH, Slg 2003, 1-8679, Rn 50, 56 - Safalero; EuGH, Slg 2003, 1-5197, Rn 35 - Connect Austria.
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Garantie des Art 19 IV G G für das deutsche Recht ohnehin gesichert; das Beispiel des Rechtsschutzes bei der Vergabe öffentlicher Aufträge, der in Deutschland erst nach längerem Zögern entsprechend den Vorgaben der EG-Rechtsmittel-Richtlinie 124 geregelt wurde' 25 , zeigt aber, dass hier auch in der deutschen Rechtsschutz-Ordnung - nicht anders als in anderen Mitgliedstaaten - Anpassungsbedarf entstehen kann. FaU 3: (Conseü d'Etat [F], 5.3.1999, AJDA 1999,460)126 Die Parlamentsverwaltung des Mitgliedstaats X vergibt einen Auftrag zur Installation der Raumelektronik im Plenarsaal. Nach dem Recht des Mitgliedstaats sind Entscheidungen des Parlaments gerichtlich nicht überprüfbar. Der unterlegene Konkurrent Y, der trotz eines günstigeren Angebots nicht berücksichtigt worden war, ruft dennoch das Verwaltungsgericht an und macht geltend, dass der Auftrag unter Verstoß gegen die RL zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge 127 erteilt worden sei. Ist die Klage zulässig? Parallel zum Effektivitätsgebot gilt dann im Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts auch der gemeinschaftsrechtliche Grundrechtsstandard: Das Gebot der Eröffnung von Rechtsschutz gegen Maßnahmen der nationalen Behörden, die in gemeinschaftsrechtlich gewährte Rechtspositionen eingreifen, gilt also zum einen, weil dies zur effektiven Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts erforderlich ist, zum anderen, weil es sich aus dem Grundrechtsstandard der E M R K (Art 6, Art 13 E M R K ) ergibt; deutlich wird diese doppelte Funktion etwa beim Gebot der Gewährleistung vorläufigen Rechtsschutzes gegen nationales Recht, das gegen Gemeinschaftsrecht verstößt. 128 Ahnliches gilt zB für nationale Verfahrensfristen, die so kurz gehalten sind, dass dem Bürger eine tatsächliche Ausübung seiner durch das Gemeinschaftsrecht gewährten Rechte praktisch unmöglich gemacht oder unzumutbar erschwert wird;' 29 grundsätzlich ist die Limitierung materieller Rechte durch nationale Verfahrensfristen allerdings zulässig. 130 124 RL 89/665 ν 21.12.1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge. 125 Die Aufnahme der Regelung in §§ 97ff GWB erfolgte mit Wirkung zum 1.1.1999; dazu und zu der zuvor erprobten „haushaltsrechtlichen Lösung" zB Martin-Ehlers EuR 1998, 648 ff; Byok NJW 1998, 2774 ff; Pietzcker ZHR 162 (1998), 427 ff 126 Fall nach Conseil d'Etat (F), Assemblee du contentieux 5.3.1999 - President de l'Assemblee Nationale, AJDA 1999, 460 m Anm Raynaud!Fombeur S 401, 409 fT = R D P 1999, 1810 m Anm Thiers S 1785 ff = RFDA 1999, 343 mit Schlussanträgen von Regierungskommissarin Bergeal S 333 ff 127 RL 93/97 zur Koordinierung der Verfahren öffentlicher Bauaufträge, (zwischenzeitlich ersetzt durch die RL 04/18 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleisungsaufträge). 128 EuGH, Slg 1990,1-2433 - Factortame I; unmittelbar zu dieser Entscheidung auch Smith EuZW 1992, 308 ff; Toth 27 CMLRev (1990), 573 ff BaravISimon RevMC 1990, 591 ff Zu den Anforderungen an das nationale Prozessrecht in dieser Frage und den Auswirkungen auf das deutsche Recht s auch Kadelbach KritV 1999, 378 ff; Hauser VB1BW 2000, 377 ff; Sommermann FS Blümel, 1999, S 523 ff; Schoch DVB1 1997, 289 ff. 129 Dies betrifft vor allem die Rückerstattung von nationalen Abgaben und Gebühren, die unter Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht erhoben, bzw die nachträgliche Gewährung von Leistungen, die gemeinschaftsrechtswidrig verweigert wurden; zur ersten Fallgruppe s Gundel FS Götz, 2005, (im Erscheinen). 130 S zuletzt EuGH, EuR 2004, 590 m Anm Potacs = JZ 2004, 619 m Anm Ruffert - Kühne und
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Lösung Fall 3: Die Klage des Y ist in Abweichung vom nationalen Recht zulässig: Der Grundsatz der Mindesteffektivität verlangt parallel zu Art 6,13 EMRK die Möglichkeit einer Geltendmachung der Verletzung gemeinschaftsrechtlicher Positionen vor den nationalen Gerichten. Für das öffentliche Auftragswesen folgt dies zusätzlich aus dem Sekundärrecht.13' Entgegenstehende Grundsätze des nationalen Prozessrechts - wie die gerichtliche Immunität von Handlungen des Parlaments - müssen dem Vorrang des Gemeinschaftsrechts weichen. Dementsprechend hat der französische Conseil d'Etat im zugrunde liegenden Fall den in ständiger Rechtsprechung praktizierten Ausschluss der Gerichtskontrolle über „actes du parlement" nicht angewandt, sondern die Klage als zulässig angesehen.132 c) Konflikte zwischen Verfahrensgarantien und Effektivitätsgebot
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Im Einzelfall kann der Grundsatz der Effektivität des Gemeinschaftsrechts allerdings auch zu Lasten des Gemeinschaftsbürgers gehen und in Konflikt zu dessen Schutzinteressen geraten;133 er ist insoweit ambivalent. So kann der Grundsatz der Effektivität bei zeitnah umzusetzenden Entscheidungen etwa gebieten, dass Rechtsmittel gegen belastende Entscheidungen nicht die im nationalen Recht vorgesehene aufschiebende Wirkung entfalten. 134 Auch soweit solche Konflikte bestehen, ist der EuGH aber zu ausgleichenden Lösungen gelangt. Besonders deutlich wird dies bei der Überprüfung der Gültigkeit von Sekundärrecht: Der Grundsatz, wonach sekundäres Gemeinschaftsrecht nicht durch die mitgliedstaatlichen Gerichte als vertragswidrig verworfen werden kann, sondern diese Gerichte die
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Heitz = Ehlers JK 9/04, EGV Art 10/3. Auch bei der Prüfung des Verwaltungshandelns von Gemeinschaftsorganen betont der EuGH die Rechtssicherheit stiftende Funktion von Ausschlussfristen, etwa der Klagefrist des Art 230 V EGV(Art III-365 VI W E ) , und die mit Fristablauf eintretende Bestandskraft, s etwa EuGH, Slg 1999, 1-5363, Rn 57 ff - AssiDomän = Ehlers JK 00, EGV Art 233/1. Eine besonders weitgehende Ableitung aus dem Effektivitätsprinzip, nach der nationale Fristen nicht zu laufen beginnen, solange die dem Anspruch zugrundeliegenden EG-Richtlinien nicht umgesetzt sind (so EuGH, Slg 1991, 1-4269, Rn 2Iff - Emmott), hat der EuGH allerdings wieder zugunsten einer Einzelfall-Prüfung entschärft, s EuGH, Slg 1997,1-6783 - Fantask und dazu Gundel ~NVwZ 1998, 910 ff; Notaro 35 CMLRev (1998), 1385 IT. Art 1 der RL 89/665 (Fn 124). Die Vergaberichtlinien erfassen auch die öffentlichen Aufträge der nationalen Parlamente, s EuGH, Slg 1998,1-5063 - Kommission/Belgien (Bauauftrag des flämischen Regionalparlaments). In der Entscheidung des Conseil d'Etat wird dieser Zusammenhang - wie häufig - nicht angesprochen. Der gemeinschaftsrechtliche Zwang zur Änderung der Rechtsprechung wird in den Schlussanträgen der Regierungskommissarin deutlich gemacht, RFDA 1999, 333, 338. Etwa im Fall der Rückforderung gemeinschaftsrechtswidrig geleisteter Beihilfen, s EuGH, Slg 1997, 1-1591, Rn 37 - Alcan = EuZW 1997, 276 m Anm Hoenike = Erichsen JK 97, VwVfG §48/16: Derselbe Grundsatz, der bewirkt, dass der Bürger gemeinschaftsrechtswidrig eingeforderte Gebühren entgegen nationaler Ausschlussfristen zurückerhält, führt dazu, dass er auch gemeinschaftsrechtswidrig erzielte Vermögenszuwächse nicht durch Berufung auf die nationale Ausschlussfrist des § 48 IV VwVfG verteidigen kann. Ähnlich zu Lasten des EU-Marktbürgers wirkt die 70/e/we/n-Entscheidung für die Möglichkeit vorläufiger Maßnahmen der Behörden, während die auf demselben Gedanken beruhende Factortame-Entscheidung (EuGH, Slg 1990, 1-2433 - Factortame I) zugunsten des Bürgers wirkte. EuGH, Slg 1990, 1-2879 - Kommission/Deutschland (Tafelwein-Destillation); dazu zB Vedder EWS 1991, 10 ff; v. Stülpnagel DÖV 2001,932 ff.
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Frage der Gültigkeit - über den Wortlaut des Art 234 III EGV (Art III-369 W E ) hinaus unabhängig von ihrer Stellung im Instanzenzug - dem EuGH vorlegen müssen, wenn sie die Ungültigkeit annehmen wollen (Verwerfungsmonopol des EuGH),' 35 ist geprägt vom Gedanken der effizienten Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts. Dem Bedenken, wonach auf diese Weise ein effektiver Rechtsschutz des Bürgers gegen vertragswidriges Sekundärrecht verfehlt werden könnte, weil zunächst der Ausgang des Vorabentscheidungsverfahrens abgewartet werden müsste, ist der Gerichtshof entgegengetreten, indem er den nationalen Gerichten den Erlass von Maßnahmen des vorläufigen Rechtsschutzes zugestanden hat, wenn sie zugleich ihrer Vorlagepflicht nachkommen:136 Eine vorläufige „Aussetzung" des Geltungsanspruchs des Sekundärrechts wird danach unter der Voraussetzung akzeptiert, dass dem EuGH die Gelegenheit eröffnet wird, das abschließende letztverbindliche Wort in der betreffenden Gültigkeitsfrage zu sprechen. Dieser richterrechtlich entwickelte Kompromiss erscheint als gelungener Ausgleich137 zwischen den Erfordernissen einer effektiven Anwendung des Gemeinschaftsrechts und eines effektiven Rechtsschutzes des Einzelnen.138 Eine ähnlich abgewogene Lösung hat der Gerichtshof schließlich in einer anderen Konstellation gefunden, in der sich das Bedürfnis nach Rechtssicherheit einerseits und die Erfordernisse effektiven Rechtsschutzes andererseits gegenüberstanden: Seit Beginn der 80er Jahre nimmt der EuGH die Kompetenz in Anspruch, auch in Vorabentscheidungsverfahren die zeitliche Geltung seiner Entscheidungen zu beschränken;139 macht der Gerichtshof von dieser Möglichkeit Gebrauch, so etwa die Feststellung der Ungültigkeit von Sekundärrecht oder eine bestimmte Auslegung des Gemeinschaftsrechts, die einen Verstoß nationalen Rechts gegen dieses Gemeinschaftsrecht nach sich zieht, erst ab dem Zeitpunkt des Erlasses seiner Entscheidung wirksam werden zu lassen. Grundsätzlich ist diese Einschränkung nicht zu beanstanden, auch wenn eine solche Rechtsfolgenmoderation im Vertrag selbst nur für die Nichtigkeitsklage erwähnt ist (Art 231 II EGV/Art III-366 W E ) : Sie ist eine Konsequenz der verfassungsgerichtlichen Funktion des EuGH.140
135 So erstmals EuGH, Slg 1987,4199 - Foto Frost, m Anm Glaesner EuR 1990, 143 ff. 136 So EuGH, Slg 1991, 1-415 - Zuckerfabrik Süderdithmarschen = EuZW 1991, 313 m Anm Schlemmer-Schulte S 307 ff = JZ 1992, 38 m Anm Gomig; Slg 1995, 1-3799 - Atlanta; Slg 1995, 1-3761 - Atlanta, m Anm Bebr 33 CMLRev (1996), 795 ff; Voss RIW 1996, 417 ff; für spätere Anwendungsfälle EuGH, Slg 1997,1-4517 - Krüger GmbH; Slg 1997,1-4315 - Affish BV. 137 Von einer „salomonischen Lösung" spricht Pietzcker FS 150 Jahre Carl Heymanns Verlag, 1995, S 623, 633. 138 Demgegenüber gesteht die jüngere Rspr des BVerfG den Fachgerichten in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die (vorläufige) Normverwerfungskompetenz gegenüber Gesetzen zu und behandelt Vorlagen nach Art 100 I GG in diesem Stadium als unzulässig, s BVerfGE 86, 382, 389 sowie OVG NW, NVwZ 1992, 1226; OVG Berlin, NVwZ 1992, 1227 (Eine Ausnahme wird man machen müssen, wenn ein Hauptsacheverfahren nicht vorgesehen ist; s für eine Richtervorlage in einem solchen Fall BVerfGE 63, 131 - NDR-Staatsvertrag). Zum Vergleich von EuGHund BVerfG-Rspr in dieser Frage s Pietzcker FS 150 Jahre Carl Heymanns Verlag, 1995, S 623 ff. 139 Zur Entwicklung der Rspr s zB Weiß EuR 1995, 377 ff; Everling FS Β Börner, 1992, S 57 ff. 140 Zur entsprechenden Regelung für Entscheidungen des BVerfG s § 79 BVerfGG; dem entspricht, dass die Kompetenzerweiterung des EuGH in der deutschen Literatur nicht problematisiert wurde, während in Frankreich Literatur und verwaltungsgerichtliche Rspr diese Kompetenz des EuGH zunächst ua unter Hinweis auf eine Überschreitung der richterlichen Funktionen nicht akzeptiert haben: In Frankreich fehlt das Vorbild einer nachträglichen Verfassungskontrolle von Gesetzen, das die Erforderlichkeit einer solchen Regelung einsichtig macht; s Gundel Die Einord-
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Doch musste bei genereller Anwendung dieser Lösung auch auf die Kläger des Ausgangsverfahrens diese Rechtsfolgenbeschränkung dazu führen, dass den Klägern der Prozesssieg im Ergebnis wieder genommen wurde.141 Der Gerichtshof hat diese „Härte" zunächst tatsächlich hingenommen; später hat er für diese Fälle dann den Grundsatz aufgestellt, dass die Kläger des Ausgangsverfahrens und zudem auch alle Betroffenen, die parallel zu ihnen bereits vor Erlass der EuGH-Entscheidung gerichtliche oder außergerichtliche Rechtsmittel eingelegt haben, von der Beschränkung der Rückwirkung auszunehmen sind.142 Andernfalls werde der Kläger des Anspruchs auf wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz143 gegen Verletzungen des Gemeinschaftsrechts beraubt.
IV. Besondere Probleme bei „gestuften" Verfahren und „gemischten" Entscheidungen zwischen nationalen Behörden und EG-Kommission 1. Gestufte Verfahren a) Das Phänomen 52
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Eine spezifische Form des Vollzugs des Gemeinschaftsrechts sind gestufte Verfahren,144 in denen der Bürger zunächst allein in Kontakt mit den „ausführenden" mitgliedstaatlichen Behörden tritt, während im Hintergrund die eigentliche Entscheidung durch die Gemeinschaftsorgane getroffen wird; diese Gestaltung wirft besondere Probleme für die Einhaltung der Verfahrensgarantien, aber auch für den Rechtsschutz gegenüber einmal getroffenen Entscheidungen auf. Bei dieser Ausgestaltung, die zB im EG-Zollrecht anzutreffen ist, nehmen die nationalen Behörden den Antrag des Betroffenen entgegen und sind im „Normalfall" auch zur eigenständigen Entscheidung befugt. Nur in bestimmten Zweifelsfällen sind sie verpflichtet, den Sachverhalt der Kommission zu unterbreiten; diese trifft dann eine verbindliche Entscheidung, die von den nationalen Behörden gegenüber dem Antragsteller umzusetzen ist. Ähnliche Gestaltungen finden sich in der Verwaltung der Beihilfen der Gemeinschaft, etwa des EG-Sozialfonds: Hier sind nationale Stellen für die laufende Verwaltung und die Überwachung der Mittelverwendung zuständig; die verbindliche Entscheidung darüber, ob die Beihilfe endgültig gewährt oder aber stattdessen sogar Mittel zurückgefordert werden müssen, trifft jedoch die Kommission.145 Diese Gestaltung hat für die Gemeinschafts-
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nung des Gemeinschaftsrechts in die französische Rechtsordnung, 1997, S 276 ff; s auch die rechtsvergleichenden Hinweise bei Isaac CDE 1987,444 ff. So der Einwand der ital Corte costituzionale, 21.4.1989 N o 232/89 - Fragd Spa., Riv Dir Int 1989, 103; das italienische Verfassungsgericht hat dabei eine der „SWange-Rechtsprechung" des BVerfG (zu ihr zB Lecheler ER, S 57 f; ders JuS 2001, 120 ff) entsprechende „Letztkontrolle" in Anspruch genommen; zur Kontroverse Azzena Riv Trim Dir Pubbl 1992, 688 ff. So programmatisch EuGH, Slg 1994, 1-1445, Rn 26ff - Roquette freres; allerdings hat der Gerichtshof sich geweigert, diese ausgleichende Lösung rückwirkend auch auf die zuvor bereits abweichend entschiedenen Fälle zu erstrecken, s EuGH, Slg 1989,1553 - Roquette freres. So EuGH, Slg 1994,1-1445, Rn 27 - Roquette freres. Dazu zB Sydow 34 DV (2001), 517 ff; ausführl Nehl Europäisches Verwaltungsverfahren und Gemeinschaftsverfassung, 2002, S 41 ff, 81 ff, 413 ff. Zur Verteilung der Aufgaben zB EuGH, Slg 2001, 1-673 - DAFSE; zuvor zB EuGH, Slg 2000, 1-7183 - Mediocurso (Teilaufhebung von EuG, Slg 1998,11-3477 - Mediocurso).
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organe den Vorteil, dass ihr die Entscheidungssteuerung in zweifelhaften Fällen erhalten bleibt, ohne dass sie mit der Masse der unproblematischen Fälle konfrontiert würde. b) Gefährdung der Rechte im Verwaltungsverfahren Diese Verfahrensgestaltung hat allerdings nicht nur Vorteile: Sie führt auch zu einer Gefährdung der Verfahrensrechte der Betroffenen, weil die nach außen zuständige und die in der Sache entscheidende Stelle auseinander fallen; dadurch kann das rechtliche Gehör beeinträchtigt werden, wenn nicht zusätzliche Vorkehrungen getroffen werden. Der EuGH hat diese Defizite zunächst gebilligt und darauf abgestellt, dass eine unmittelbare Gewährung rechtlichen Gehörs für die Betroffenen im Sekundärrecht nicht vorgesehen sei.146 Seit der maßgeblichen TU-München-Entscheidung von 1991147 verlangt er aber insbesondere die Wahrung des rechtlichen Gehörs: In dieser Entscheidung ist auch klargestellt, dass diese Anforderung nicht von der Ausgestaltung des Sekundärrechts abhängen kann. Daran anschließende Entscheidungen haben mehrfach festgehalten, dass dies dazu führen kann, dass die Kommission sich für ihre Entscheidung nicht allein auf die Kommunikation mit den zwischengeschalteten mitgliedstaatlichen Behörden verlassen darf, sondern dem Betroffenen ggf unmittelbar das Recht zur Stellungnahme gewähren muss, auch wenn ein solcher unmittelbarer Kontakt im Sekundärrecht nicht vorgesehen ist.148 Das ist zB dann geboten, wenn die Kommission von der Bewertung eines Sachverhalts durch die nationalen Behörden zum Nachteil des Betroffenen abweichen will,149 oder wenn ein Gesichtspunkt als maßgeblich für die Entscheidung herangezogen wird, zu dem der Antragsteller nicht Stellung beziehen konnte; 150 auch die Akteneinsicht als Bestandteil des rechtlichen Gehörs muss die Kommission dem Antragsteller des Ausgangsverfahrens in solchen Fällen gewähren.151 Die Kommission hat sich diesen Vorgaben schließlich auch angepasst. 152
146 So zB E u G H , Slg 1986, 2049, Rn 13 ff - Nicolet; Slg 1988, 1557, Rn 13 f - Nicolet. 147 S insb EuGH, Slg 1991,1-5469 - TU-München = Kunig JK 92, EWGV Art 190/1; später EuGH, Slg 1994, 1-2885, Rn 39 - Fiskano; EuG, Slg 1995, 11-2841 - France-Aviation; Slg 1998, 11-401, Rn 74 ff - Eyckeler u Malt; Slg 1998, II-3773, Rn 57 ff - Primex Produkte; dazu LechelerlGundel Übungen S 97 ff. 148 S zuletzt zum Zollrecht EuG, Slg 2001,11-1337 - Kaufring; zu dieser Entscheidung Heselink ZfZ 2001, 321 ff. 149 So im Fall Kaufring (Fn 148): Hier hatten die nationalen Behörden angenommen, dass der Fehler für die Importeure nicht erkennbar war, die Kommission kam zur gegenteiligen Einschätzung; ähnlich der Sachverhalt von EuG, Slg 1998,11-401 - Eyckeler u Malt; Slg 1998, 11-3773 Primex Produkte. 150 So im Fall von EuGH, Slg 1991, 1-5469 - TU-München = Kunig JK 92, EWGV Art 190/1, s Rn 38 der Schlußanträge von G A Jacobs. 151 Nachdrücklich EuG, Slg 1998,11-401, Rn 79 ff - Eyckeler u Malt; Slg 1998, 11-3773, Rn 62 f Primex Produkte. 152 Die Kommission hatte zunächst versucht, die Auswirkungen der EuGH-Rechtsprechung auf ihre Verwaltungspraxis dadurch zu beschränken, dass den von den nationalen Behörden weitergeleiteten Anträgen eine schriftliche Erklärung des Antragstellers beizufügen war, in dem dieser versicherte, zu dem unterbreiteten Sachverhalt vollständig Stellung genommen zu haben (Art 87 1 I DVO-Zollkodex idF der Kommissions-VO 97/12). Das EuG hat in der Folge aber festgehalten, dass diese Ergänzung nur eine Verbesserung in der ersten Verfahrensphase vor den nationalen Behörden bedeutete, nicht aber das geforderte rechtliche Gehör zu den Gesichtspunkten
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Der EuGH hat in diesem Zusammenhang auch den bereits aus dem nationalen Recht bekannten Kompensationsmechanismus auf das Gemeinschaftsrecht angewandt, nach dem in Bereichen, in denen die inhaltliche Kontrolle der Entscheidung durch Beurteilungsspielräume der Verwaltung begrenzt ist, die Kontrolle der Einhaltung der Verfahrensrechte besondere Bedeutung gewinnt.153 c) Problematik des Rechtsschutzes
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Die Stufung der Entscheidungszuständigkeiten führt darüber hinaus aber auch zu Problemen für die Gewährleistung eines lückenlosen Rechtsschutzes: Wenn der Betroffene gegen die abschließende Entscheidung der nationalen Behörde vorgeht, so muss das nationale Gericht stets dem Gerichtshof vorlegen, wenn es zu der Auffassung gelangt, dass die zugrunde liegende Kommissionsentscheidung gegen Gemeinschaftsrecht verstößt.154 Dies führt zwar zu Verzögerungen, eine Prüfung bleibt aber möglich; anders könnte die Lage sein, wenn dem Betroffenen die Zwischenentscheidung der Kommission bereits bekannt war: Dann muss er bereits unmittelbar gegen diese Entscheidung vorgehen, um ihre Bestandskraft zu vermeiden.155 Erfahrt er von der Existenz der Kommissionsentscheidung allerdings erst im Verfahren gegen die abschließende Entscheidung der nationalen Behörde, so wird man ihm die Einleitung eines weiteren Verfahrens kaum zumuten können; auch die Gefahr einer Umgehung der Klagefrist des Art 230 V EGV (Art III-365 VI W E ) ist in diesen Fällen nicht gegeben.156 2. Rechtsschutzprobleme bei „gemischten" Entscheidungen
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Neben den Fällen, in denen die Kommission im Hintergrund die Entscheidungen trifft und diese von den nationalen Verwaltungen nur umgesetzt werden, bestehen auch Gestaltungen, bei denen die Gemeinschaft und die nationale Behörde jeweils eine Entscheidung in eigener Verantwortung treffen. Relevant wird dies bei Gestaltungen, die bei Beihilfen der Gemeinschaft anzutreffen sind.
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sicherstellen konnte, die in der zweiten Phase die Kommission für entscheidend halten würde, s EuG, Slg 1998,11-401, Rn 84 f - Eyckeler u Malt; Slg 2000,11-15, Rn 44 ff - Mehibas Dordtselaan. Erst mit der Kommissions-VO 98/1677 zur Änderung der DVO-Zollkodex, wird dann eine rechtsprechungskonforme Regelung aufgenommen: „In allen Phasen des Verfahrens ... teilt die Kommission, wenn sie eine Entscheidung zu Lasten des antragstellenden Beteiligten treffen will diesem in einem Schreiben alle der Entscheidung zugrunde liegenden Argumente mit und übersendet ihm alle Unterlagen, auf die sie die Entscheidung stützt. Der Beteiligte nimmt innerhalb eines Monats ... schriftlich Stellung." (Art 872 a DVO-Zollkodex, parallel dazu Art 906 a DVOZollkodex). S dazu etwa Schwarze FS Rodriguez Iglesias, 2003, S 147, 160, 162 f; Kahl VerwArch 95 (2004), 1, 9 f; deutlich EuGH, Slg 1991, 1-5469, Rn 14 - TU-München = Kunig JK 92, EWGV Art 190/1; hier hat sich die Rechtsprechung des EuGH unter dem Eindruck mehrfacher Vorlagen des BFH zu einer verschärften Verfahrenskontrolle von Kommissionsentscheidungen gewandelt. Die grundlegende Entscheidung EuGH, Slg 1987, 4199 - Foto Frost, m Anm Glaesner EuR 1990, 143 ff betrifft ein solches Verfahren aus dem Zollbereich. Dazu auch Lecheler! Gundel Übungen S 95 ff. LechelerlGundel Übungen S 96 f; zu diesem Hintergrund der „Textilwerke Deggendorf- Rspr s ο Rn 31; AA allerdings Nehl Europäisches Verwaltungsverfahren und Gemeinschaftsverfassung, 2002, S 429 ff, der stets die Wahrnehmung der Direktklage verlangt (aber auch konstatiert, dass dies nicht der Praxis des EuGH entspricht).
Justiz- und Verfahrensgrundrechte
§19 IV 2
Fall 4: (EuGH, Slg 1992,1-6313 ff - Oleificio BoreUi) X stellt einen Antrag auf Förderung eines landwirtschaftlichen Projekts aus den Regionalfördermitteln der EG. Nach der einschlägigen EG-Verordnung ist der Antrag bei der nationalen Behörde zu stellen und wird von dieser an die Kommission weitergeleitet; die Kommission kann den Antrag nur genehmigen, wenn auch der Mitgliedstaat sich entschieden hat, das Projekt zu fördern (und damit einen Teil der Finanzierung übernimmt). Im Fall des X lehnt der Mitgliedstaat eine solche Förderung ab; daraufhin weist auch die EG-Kommission den Antrag ab, obwohl die Genehmigungsvoraussetzungen im Übrigen vorliegen. Gegen diese Entscheidung der Kommission erhebt X Klage vor dem EuG; er macht geltend, dass die ablehnende Entscheidung der nationalen Behörde gegen Gemeinschaftsrecht verstoßen habe. Die Kommission hätte dies berücksichtigen und deshalb über die Förderung eine eigene positive Entscheidung fällen müssen: Dies sei der einzige Weg, die Einhaltung des Gemeinschaftsrechts sicherzustellen, denn nach nationalem Prozessrecht werde die Entscheidung der nationalen Behörde als gerichtlich nicht selbständig angreifbare Zwischenentscheidung gewertet. Die Besonderheit dieser Fälle liegt darin, dass die von den nationalen Behörden getroffenen (Teil-)Entscheidungen nicht von der Gemeinschaftsgerichtsbarkeit kontrolliert werden können: Der EuGH schließt eine solche Kontrolle über das nationale Verwaltungshandeln im Rahmen einer Nichtigkeitsklage gegen die Konimissionsentscheidung aus, da eine solche Bewertung des mitgliedstaatlichen Verhaltens ausschließlich im Vertragsverletzungsverfahren (Art 226 f EGV/Art III-360 W E ) vorgesehen sei.157 Dennoch verlangt die gemeinschaftsrechtliche Garantie des effektiven und lückenlosen Rechtsschutzes, dass eine gerichtliche Kontrolle der staatlichen Entscheidung am Maßstab des Gemeinschaftsrechts gewährleistet ist: Diese Überprüfung ist die Aufgabe der nationalen Gerichte, denen allgemein die Kontrolle der Behörden bei der Anwendung des Gemeinschaftsrechts obliegt;158 sie können bzw müssen ggf den EuGH mit Fragen der Auslegung des zugrunde liegenden Gemeinschaftsrechts befassen (Art 234 III EGV/Art III-369 W E ) . Lösung Fall 4: Die Klage des X gegen die ablehnende Kommissionsentscheidung ist zulässig. EuG/EuGH werden sie jedoch als unbegründet abweisen, sofern diese Entscheidung keine eigenen Mängel aufweist. Weder die Kommission noch der EuGH werden danach die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Mitgliedstaats überprüfen: Diese Kontrolle obliegt den nationalen Gerichten der Mitgliedstaaten. Dies gilt auch dann, wenn das nationale Verfahrensrecht diese Entscheidungen als unselbständige (und damit nicht eigenständig überprüfbare) Vorbereitungshandlungen versteht; die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen sind gemeinschaftsrechtlich verpflichtet, die Zulässigkeit entsprechender Klagen sicherzustellen. Auch in diesem Fall hat der Gerichtshof die Forderung lückenlosen Rechtsschutzes zwar anerkannt, sie aber als Verpflichtung der Mitgliedstaaten zugeordnet. 157 S bereits EuGH, Slg 1990, 1-1083, Rn 16f - Triveneta Zuccheri m Anm Flynn 28 CMLRev (1991), 444 ff; EuGH, Slg 1993, 1-3873, Rn 55 ff - CT Control BV u JCT Benelux BV: Solche Uberprüfungen sind ausschließlich im Vertragsverletzungsverfahren zulässig. 158 EuGH, Slg 1992, 1-6313, Rn 13 ff - Oleificio Borelli; dazu etwa Garcia de Enterria 13 YEL (1993), 19 ff; Galetta in: Magiera/Sommermann (Hrsg) Verwaltung in der Europäischen Union, 2001, S 63, 76 ff; Nehl Europäisches Verwaltungsverfahren und Gemeinschaftsverfassung, 2002, S 432 ff; ebenso zB EuGH, Slg 2002,1-1179, Rn 47 - La Conqueste SCEA.
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§19 V 64
Jörg Gundel
Während die Rechtmäßigkeit der Entscheidung der nationalen Behörde vor den zuständigen Gerichten geprüft wird, wird allerdings die ablehnende Konimissionsentscheidung durch Zeitablauf bestandskräftig werden, Art 230 V EGV (Art III-365 VI WE). 1 5 9 Hat der nationale Rechtsbehelf schließlich Erfolg, so entsteht damit aber eine neue Sachlage, so dass die Kommission ohne Bindung an ihre vorangehende Entscheidung erneut über die Förderung entscheiden kann. Damit ist zwar auch in diesen Fällen im Ergebnis der Rechtsschutz gegen jeden Teil der Entscheidung gesichert; der Weg dazu ist aber äußerst aufwendig und kompliziert.
V. Zusammenfassung 65
Die Justiz- und Verfahrensgrundrechte des Gemeinschaftsrechts basieren in weiten Bereichen auf den Direktiven der EMRK, die in die Grundrechtscharta übernommen wurden; im Vordergrund stehen die Gewährleistungen eines fairen Verfahrens und des effektiven Rechtsschutzes, aus denen sich zahlreiche Ableitungen (rechtliches Gehör, Rechtsschutz in angemessener Zeit etc) ergeben. Diese Gewährleistungen werden ergänzt und ggf verstärkt durch die Grundsätze der gleichwertigen und effektiven Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts in den Mitgliedstaaten (Art 10 EGV/Art 1-5 II W E ) ; in anderen Konstellationen müssen sie mit dem Grundsatz der Effektivität - der sich auch gegen die Verfahrensposition des Einzelnen kehren kann - in Ausgleich gebracht werden. Anders als andere Grundrechte des Gemeinschaftsrechts, bei denen die Bindung des Gemeinschaftsgesetzgebers im Mittelpunkt steht, wirken die Verfahrensgrundrechte vor allem als Beschränkung der Behörden und Gerichte der Mitgliedstaaten, die das Gemeinschaftsrecht vollziehen.
159 Auch eine vorsorglich parallel erhobene Nichtigkeitsklage gegen die Kommissionsentscheidung könnte dies nicht verhindern: Sie wäre - wie im Fall Borelli - als unbegründet abzuweisen.
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§20
Die Europäische Grundrechts-Charta Christian Calliess Leitentscheidungen: EuG, verb Rs T-67/00, T-68/00 und T-78/00, Urt ν 8.8.2004 - JFE Engineering Corp; EuG, Rs T-177/01 - Jego-Quere, Urt ν 3.5.2002; EuG, Rs T-54/99, Urt ν 20.1.2002 max.mobil; vgl EuGH, Rs C-173/99, Urt ν 26.6.2001 iVm Schlussanträgen von Generalanwalt Tizzano ν 8.2.2001 - BECTU. Schrifttum: Alber Die Selbstbindung der europäischen Organe an die Europäische Charta der Grundrechte, EuGRZ 2001, 349 ff; Calliess Ansätze zur Subjektivierung von Gemeinwohlbelangen im Völkerrecht - Das Beispiel des Umweltschutzes, ZUR 2000, 246; Cremer Der vorprogrammierte Verfassungskonflikt, NVwZ 2003, 1452; Grabenwarter Die Charta der Grundrechte für die Europäische Union, DVB12001, 1 ff; ders Auf dem Weg in die Grundrechtsgemeinschaft?, EuGRZ 2004, 563; Kingreen Theorie und Dogmatik der Grundrechte im europäischen Verfassungsrecht, EuGRZ 2004, 570; Mager Die Bedeutung der Grundrechte für das Binnenmarktziel, EuR 2004, 41; Perttice Eine Grundrechte-Charta für die Europäische Union, DVB1 2000, 847 ff; Schorkopf Nationale Grundrechte in der Dogmatik der Grundfreiheiten, ZaöRV 64 (2004), 125; Stein FS Steinberger, 2002, S 1425 fT; RengelinglSzczekalla Grundrechte in der Europäischen Union, Charta der Grundrechte und Allgemeine Rechtsgrundsätze, 2004.
I. Einführung Mit der Europäischen Grundrechts-Charta (GRCh), die als Teil II in die zwar unterzeichnete, aber noch nicht in K r a f t getretene Europäische Verfassung eingefügt wurde, findet sich im primären Recht der Union erstmals ein geschriebener Grundrechtskatalog. Dieser war erforderlich, um dem in einem rechtsstaatlich organisierten Staaten- und Verfassungsverbund 1 (Art 6 I EUV/Art 1-2 W E ) auf Dauer kaum akzeptablen Zustand eines rein richterrechtlich geprägten Grundrechtsschutzes abzuhelfen 2 . Gestützt auf Art 164 EWGV (heute Art 220 EGV/Art 1-29 I W E ) hatte der E u G H mittels allgemeiner Rechtsgrundsätze, die im Wege wertender Rechtsvergleichung über die gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten und die E M R K ermittelt werden sowie sich in Struktur und Ziele der Gemeinschaft einfügen müssen, insoweit bahnbrechend rechtsfortbildend gewirkt. 1 Wenngleich dieser Ansatz des E u G H heute seine explizite Bestätigung in Art 6 II E U V gefunden hat, 4 blieb es doch dabei, dass Schutzbereich und Schranken der jeweiligen gemeinschaftlichen Grundrechte inhaltlich nur schwer zu konkretisieren waren, da sie immer erst in einem sich ständig weiter vervollkommenden Prozess vom E u G H entwickelt werden mussten. 5 Wohl nicht zuletzt deshalb hat dieser sich im Rahmen der
1 Dazu Calliess in: Calliess/Ruffert Art 1 EUV Rn 17 ff. 2 Stein FS Steinberger, 2002, S 1429 f; ähnlich AlberlWidmaier EuGRZ 2000, 497, 499 f; ν Bogdandy JZ 2001, 157, 166 ff; Sanier in: Heusei Grundrechtecharta und Verfassungsentwicklung in der EU, 13, 14; Merlin in: Heusei Grundrechtecharta und Verfassungsentwicklung in der EU, 2002, 55, 57. 3 Ausführlich dazu Rengeling Grundrechtsschutz in der EG, 1993, S 223 ff; Kingreen in: Calliess/ Ruffert Art 6 EUV Rn 32 ff; Mager EuR 2004, 41,44. 4 Hierzu der Überblick von Kingreen in: Calliess/Ruffert Art 6 EUV Rn 27 ff und 84 ff; Dörr in: Sodan/Ziekow VwGO, Europäischer Verwaltungsrechtsschutz (EVR), Rn 497 ff. 5 Instruktiv dazu ResslUkrow EuZW 1990, 499, 502 ff; Streinz Bundesverfassungsgerichtlicher
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Grundrechtsprüfung bislang zumeist schnellstmöglich der Verhältnismäßigkeitsprüfung zugewandt, wobei er wiederum die funktionell-rechtlichen Grenzen der Rechtsprechung im Verhältnis zum Gemeinschaftsgesetzgeber betonte.6 Dies aber führte zu jener - jedenfalls im Vergleich zur deutschen Rechtsprechung - nicht unerheblichen Zurücknahme der grundrechtlichen Kontrolldichte.7 Häufig endete die Rechtfertigungsprüfung bei der Bestimmung des den Eingriff legitimierenden Ziels und der Feststellung, dass die dazu ergriffenen Maßnahmen nicht offensichtlich ungeeignet waren (Evidenzkontrolle). Eine Erforderlichkeits- und eine Angemessenheitsprüfung hat der EuGH mit Blick auf den Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers eher selten durchgeführt. 8 Vor diesem Hintergrund wies der Grundrechtsschutz im Recht der EG somit in mehrfacher Hinsicht rechtsstaatliche Defizite auf. Ein erstes Defizit bestand mit Blick auf die Art und Weise des Grundrechtsschutzes durch den EuGH: Zum einen unter dem Aspekt der Rechtssicherheit, weil der EuGH das jeweils zu prüfende Grundrecht erst einmal „finden" und ausformen musste. Dies bedeutete zugleich, dass das jeweilige Grundrecht für den Grundrechtsträger - entgegen den in Art 1 II EUV (Art 1-1 I W E ) niedergelegten Grundprinzipien von Transparenz und Bürgernähe9 - aber auch nicht „sichtbar" ist. Zum anderen bestand ein Defizit aber auch unter dem Aspekt eines effektiven Grundrechtsschutzes, der darunter litt, dass der EuGH in der Vergangenheit, seiner Rolle als „Motor der Integration" entsprechend, auf der Basis einer mit geringer Kontrolldichte vorgenommenen Verhältnismäßigkeitsprüfung10 in der Regel der Integration und damit der Aufrechterhaltung des Rechtsaktes den Vorrang vor dem Individualrechtsschutz gegeben hat.11 Ein weiteres Defizit bestand darin, dass die erwähnte Lücke im Grundrechtsschutz rein richterrechtlich geschlossen wurde. Zwar ist „Richterrecht" in allen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen bekannt, aber in aller Regel beschränkt auf jene Ausnahmefälle, in denen der Gesetzgeber eine unbeabsichtigte Lücke im Gesetz gelassen hat.12 Mit Blick
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Grundrechtsschutz und EG-Recht, 1989, S 401 ff; insoweit zustimmend ν Bogdandy JZ 2001, 157, 167 f. Kingreen in: Calliess/Ruffert Art 6 EUV Rn 74 f; instruktiv hierzu, mit Blick auf die vergleichsweise strikte Rechtsprechung des EuGH zu den Grundfreiheiten ν Bogdandy JZ 2001, 157, 165 ff, sowie zweifelnd hinsichtlich der Kompetenz des EuGH eine eigenständige, starke Rolle gegenüber dem politischen Prozess einzunehmen, 166 ff. Ausführlich - und differenzierend - hierzu ν Bogdandy JZ 2001, 157, 163 ff; zur Kontrolldichte im Gemeinschaftsrecht allgemein HerdegenlRichter in: Frowein, Die Kontrolldichte bei der gerichtlichen Überprüfung von Handlungen der Verwaltung, 1993, S 209 ff; Magiern in: Bauer/Huber/ Niewiadomski, 21 ff; Kühling in: ν Bogdandy 583, 586 ff. Vgl exemplarisch EuGH, Slg 1994, 1-4973, Rn 94 ff - Deutschland/Rat (Bananen); kritisch Nettesheim EuZW 1995, 106, 107 f; Huber EuZW 1997, 517 ff; Stein EuZW 1998, 261 f; differenzierend ν Bogdandy JZ 2001, 157, 163 ff; aA Zuleeg NJW 1997, 1201 ff sowie Kischel EuR 2000, 380 ff, der sich um den Nachweis bemüht, dass diese Kontrolle hinter jener durch das Bundesverfassungsgericht nicht zurückstehe. Dazu Calliess in: Calliess/Ruffert Art 1 EUV Rn 27 ff und 34 ff mwN. Gängige Formulierungen sind zB „In Übereinstimmung mit den Zielen der Gemeinschaft", „nicht offensichtlich ungeeignet", „verletzt nicht den Kernbereich des Grundrechts". Stein FS Steinberger, 2002, S 1431ff; ν Bogdandy JZ 2001, 157, 165 f; ausführlich Dehousse The European Court of Justice, 1998, S 36 ff; aA insoweit Zuleeg EuGRZ 2000, 511, 512 f. Siehe dazu Stein in: Richterliche Rechtsfortbildung, Festschrift der Juristischen Fakultät zur 600Jahr-Feier der Universität Heidelberg, 1986, S 619 ff.
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Die Europäische Grundrechts-Charta
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auf den heute erreichten Stand der europäischen Integration und die erreichte „Machtfülle" der europäischen Institutionen ließ sich für einen so wichtigen Bereich wie den Grundrechtsschutz aber kaum noch von einer unbeabsichtigten Lücke sprechen.13 Diese Defizite sind mit dem geschriebenen Grundrechtskatalog beseitigt worden. Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union,14 die zu Beginn des EU-Gipfels von Nizza am 7. Dezember 2000 „feierlich proklamiert"15 wurde, geht auf einen Auftrag des Europäischen Rates im Rahmen des EU-Gipfels in Köln im Juni 1999 zurück.16 Schon dieser legte allerdings fest, den bis zum Dezember 2000 vorzulegenden Entwurf zunächst nur feierlich zu proklamieren und erst im Anschluss zu prüfen, ob die Charta in die Verträge aufgenommen werden und damit Rechtsverbindlichkeit erhalten soll. Dennoch hat sich die GRCh als wichtiger Schritt auf dem Wege zu einer europäischen Verfassung erwiesen, denn obwohl sie selbst nie Rechtsverbindlichkeit erlangt hat, wurde sie im Zuge der Arbeiten des Europäischen Konvents und dessen Entwurf eines Vertrages über eine Verfassung in Europa17 als Teil II weitgehend unverändert in die Europäische Verfassung inkorporiert.
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Π. Grundrechtliche Gewährleistungen und Schranken Fall 1: Die Α wohnt in der spanischen Stadt S. Dort hatte B, ein großer ortsansässiger Batterienherstellet; eine Abfallbehandlungsanlage ohne die nach spanischem und europäischem Recht (TVU-RL 96/61) erforderliche Genehmigung, aber mit konkludenter Duldung der S, in Betrieb genommen. In der nur 30 Meter vom Wohnhaus der Α entfernten Anlage wurden auch bei der Batterieproduktion anfallende Chemikalien behandelt. Bei Α und ihrer Familie traten in der Folgezeit Gesundheitsbeschwerden auf. Diese, so der Verdacht von A, rührten von den Emissionen der Anlage her. Alle Bemühungen der A, Informationen über die Gefährlichkeit der Anlagen-Emissionen von den Behörden zu erlangen bzw die Durchführung des erforderlichen Genehmigungsverfahrens und Vorkehrungen zum Schutz ihrer Gesundheit zu erreichen, blieben erfolglos. Α beruft sich daher vor dem nationalen Gericht auf ihr „Umweltgrundrecht" aus Art 11-97 W E .
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1. Ein Überblick über die von der Grundrechts-Charta gewährleisteten Grundrechte Die Charta in der Fassung des W E ist im Anschluss an die Präambel in mehrere Titel unterteilt. Titel I trägt die Überschrift „Würde des Menschen", Titel II ist mit „Freiheiten", Titel III mit „Gleichheit", Kapitel IV mit „Solidarität", Titel V mit „Bürgerrechte",
13 Stein (Fn 11) S 1430 ff". 14 Text mit Erläuterungen in: EuGRZ 2000, 554 ff, bzw in Sonderbeilagen zu NJW, Heft 49, und EuZW. 15 Zur Entstehungsgeschichte: Geiger in: Heusei Grundrechtecharta und Verfassungsentwicklung in der EU, 2002, 17, 19; zum Verfahren dieser Proklamation und ihrer rechtlichen Bedeutung Alber EuGRZ 2001, 349, 350 f. 16 SN 150/99, Anhang IV; abgedruckt - ebenso wie weitere Dokumente zur Entstehung der GRCh in: Deutscher Bundestag (Hrsg) Die Charta der Grundrechte der EU, Zur Sache 1/2001, Berlin 2001, S 71; zur Entstehungsgeschichte zusammenfassend Meyer/Engels ebd S 7 ff. 17 ABl 2004, Nr C 310, 1.
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Titel VI „Justizielle Rechte" und Titel VII schließlich mit „Allgemeine Bestimmungen über die Auslegung und Anwendung der Charta" überschrieben. Vergleichbar mit dem deutschen Grundgesetz beginnt der Grundrechtskatalog der in den W E inkorporierten Charta mit einer absoluten Garantie der Menschenwürde 18 in Art 11-61 W E . Sie ist zu achten und zu schützen. Hiermit wird bereits auf die zwei entscheidenden Dimensionen des Grundrechtsschutzes, die Abwehrdimension, die auf ein Unterlassen staatlichen Handelns gerichtet ist, und die Schutzdimension, die auf ein staatliches Tun in Form des Schutzes vor Grundrechtsbeeinträchtigungen durch private Dritte gerichtet ist, hingewiesen." Inzwischen hat jene Schutzdimension auch in der Rechtsprechung des EGMR sowie - zumindest ansatzweise - in der Rechtsprechung des EuGH Anerkennung gefunden. 20 Es folgen das Recht auf Leben in Art 11-62 I W E , die allgemeine Gewährleistung der körperlichen und geistigen Unversehrtheit in Art 11-63 I W E , die wiederum durch straf- und polizeirechtlich relevante Verbote wie das der Todesstrafe oder der Folter in Art 11-62 II W E 2 1 und Art 11-64 W E konkretisiert werden. Letztere überraschen ein wenig, weil die EU bislang nur über periphere Kompetenzen in den Bereichen grenzüberschreitender Kriminalitätsbekämpfung und Strafrechtspflege (vgl bisher Art 34 II EUV) verfügt. 22 Art II-63 II W E enthält überdies eine bedeutsame, demonstrative Aufzählung von drei Verboten und einem Gebot für Eingriffe in das Grundrecht im Rahmen von „Medizin und Biologie", die sich an Garantien aus dem Übereinkommen des Europarats über Menschenrechte und Biomedizin23 anlehnen. Hervorzuheben sind insoweit das Verbot des reproduktiven Klonens von Menschen sowie das im Kontext der Biotechnologie gleichfalls relevante Verbot, den menschlichen Körper und Teile davon als solche zur Erzielung von Gewinnen zu nutzen.24 Zwar können diese Aspekte sowohl im nationalen Verfassungsrecht 25 als auch, wie der EuGH mit Blick auf die sog Biopatent-Richtlinie 98/44 bestätigte,26 im Gemeinschaftsrecht aus der Menschenwürde, gegebenenfalls in Verbindung mit der körperlichen Unversehrtheit, abgeleitet werden. Jedoch kommt der ausdrücklichen Regelung in der Charta mit Blick auf die neuen Herausforderungen der Biotechnologie doch Signalwirkung zu. So wird etwa für das Klonen eine für jedermann erkennbare, absolute Grenze beim - ethisch heftig umstrittenen 27 - Klonen von Menschen gezogen. Freilich bedeutet diese Grenze im Umkehrschluss auch, dass das therapeutische Klonen von Menschen unter grundrechtlichen Aspekten zulässig sein kann, 28 gleichwohl aber - insbesondere mit Blick auf die Gefahr einer Grenzüberschreitung zum reproduktiven Klonen - einer strengen staatlichen Kontrolle unterworfen werden kann und muss.
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Dazu Poscher JZ 2004, 756 ff; Schmidt ZEuS 2002, 631 ff. Hierzu ausführlich Calliess Rechtsstaat und Umweltstaat, 2001, S 307 ff und 437 ff. Dazu Calliess ZUR 2000,246, 249 ff mwN; -> vgl auch § 2 Rn 16; § 13 Rn 12. Schmitz JZ 2001, 833, 842. Zu dieser Entwicklung ν Bubnoff ZEuS 2001, 165 ff, 171, hinsichtlich derer die GRCh einen „konsensfahigen Gestaltungsrahmen" und eine „wesentliche Richtschnur" darstellen könne. ILM 36 (1997), 817 ff. Hierzu ν Bubnoff ZEuS 2001, 165, 190 ff. Vgl etwa Benda NJW 2001,2147 f; Herdegen JZ 2001, 773 ff; Frankenberg KJ 2000, 325 ff. EuGH, EuZW 2001, 691, Rn 69 ff - Niederlande/EP und Rat; dazu Calliess!Meiser JuS 2002, 426 ff. Ein Überblick findet sich bei Herdegen JZ 2001, 773 ff; Frankenberg KJ 2000, 325 ff. Dazu Taupitz NJW 2001, 3433 ff.
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Die Europäische Grundrechts-Charta
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Titel II formuliert im Wesentlichen alle aus der EMRK bekannten Freiheitsrechte. Angefangen mit einem Recht auf Freiheit der Person, das, die Schutzdimension der Grundrechte unterstreichend, um ein „Recht auf Sicherheit" ergänzt wird (Art 11-66 W E ) , sind die Achtung des Privat- und Familienlebens in Art 11-67 W E , die Gewissens- und Religionsfreiheit in Art 11-70 EV, die Meinungsfreiheit in Art 11-71 W E , sowie die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit in Art II-72 W E gewährleistet. Das Recht auf Ehe und Familie in Art 11-69 W E weicht insofern von Art 12 E M R K ab, als das Recht der Familiengründung vom Recht, eine Ehe einzugehen, abgekoppelt und der ausdrückliche Bezug auf „Männer und Frauen" aufgegeben wurde. Damit und durch den Verweis auf nationales Recht wird dem nationalen Gesetzgeber ein Raum eröffnet, andere Formen als die Ehe als Rahmen für Familiengründung und Lebensführung, bis hin zur gleichgeschlechtlichen Partnerschaft, anzuerkennen. 29 Neu sind das ausdrückliche - gleichwohl nach der Rechtsprechung des EGMR bereits über Art 8 EMRK geschützte (—» vgl § 3 Rn 3) - Recht auf den Schutz personenbezogener Daten in Art 11-68 W E , das Recht auf Wehrdienstverweigerung in Art 11-70 II W E , die Gewährleistung der Kunst- und Forschungsfreiheit in Art 11-73 W E 3 0 sowie das - im Ergebnis nicht über den bisherigen Art 63 Nr 1 EGV31 hinausgehende und damit nicht als subjektives Recht ausgestaltete - Asylrecht in Art 11-78 WE.32
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In den Art 11-75 bis 11-77 W E finden sich die wirtschaftsverfassungsrechtlichen Garantien der GRCh. 33 In Art 11-75 I W E ist die nicht auf EU-Bürger begrenzte Berufsfreiheit samt dem - eigentlich in das Kapitel der sozialen Rechte gehörenden - ausdrücklichen „Recht zu arbeiten" geschützt. Dieses ist iVm Art 11-89 W E als Alternative zum in einer zwar sozialen, aber freien Marktwirtschaft (vgl Art 1-4 III W E ) zwangsläufig nicht einklagbaren „Recht auf Arbeit" zu verstehen (—> vgl § 16 Rn 6). Art 11-75 II W E ergänzt diese Gewährleistung für die EU-Bürger um die personenbezogenen Grundfreiheiten des EG-Vertrages. Es stellt sich insoweit die Frage, ob mit dieser Verankerung in der Grundrechts(!)-Charta nunmehr auf das den Grundfreiheiten immanente grenzüberschreitende Element verzichtet werden soll34 und ob die Grundfreiheiten hiermit nunmehr allgemein zu grundrechtsgleichen Beschränkungsverboten befördert werden sollen. Oder wird dies durch den Rückverweis des Art II-112 II W E verhindert? In Art 11-76 W E wird explizit die unternehmerische Freiheit, die „nach dem Gemeinschaftsrecht und den einzelstaatlichen Gepflogenheiten anerkannt" wird,35 hervorgehoben, und in Art 11-77 W E wird das Eigentum gewährleistet.
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29 Kritisch mit Blick auf den Inhalt Tettinger NJW 2001, 1010, 1012 f, der Art 9 als „blasse Formel" bezeichnet und bemängelt, dass in einer „wahren Formelkompromiss-Gala bedauerlicher Weise Ehe und Familie nahezu völlig gesetzgeberischer Beliebigkeit in den Mitgliedstaaten überantwortet" werden. 30 Tettinger N J W 2001, 1010, 1012 f; Schmitz JZ 2001, 833, 842. 31 Dazu Brechmann in: Calliess/Ruffert Art 63 EGV Rn 3 ff mwN. 32 Ausführlich zu diesem Asylrecht Mahlmann ZEuS 2000, 419, 428ff; missverständlich insoweit Grabenwarter DVB1 2001, 1, 5, der von einem „Grundrecht auf Asyl" spricht; vgl dazu auch ν Bogdandy JZ 2001, 157, 161 f. 33 Ausführlich hierzu Schwarze EuZW 2001, 517, 518 ff. 34 So Grabenwarter DVB1 2001, 1, 5 f. 35 Tettinger N J W 2001, 1010, 1014 f liest hieraus „zumindest indirekt" eine Mittelstandsförderungskomponente heraus.
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Art 11-80 W E formuliert - mit den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten korrespondierend - einen allgemeinen Gleichheitssatz, der durch in Art 11-81 und 11-83 W E geregelte spezielle Diskriminierungsverbote, die inhaltlich im wesentlichen Art 12, 13 und 141 EGV sowie Art 14 EMRK entsprechen, konkretisiert wird. Als Ergebnis des Ringens um die Verankerung eines spezifischen Schutzes von Minderheiten fand systematisch in Titel III fehlplaziert - Art 11-82 in die Charta Eingang, demzufolge die Union die Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen zu achten hat. Sowohl unter systematischen Gesichtspunkten, als auch mit Blick auf die Zuständigkeiten der EU problematisch ist Art 11-84 W E , der, inspiriert durch das Übereinkommen im Rahmen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes, einen Anspruch auf Schutz und Fürsorge sowie regelmäßige persönliche Beziehungen und direkte Kontakte zu beiden Elternteilen enthält.36 Unter den Unionsbürgerrechten in Titel V finden sich ganz überwiegend Rechte, die bereits ausdrücklich im EG-Vertrag verankert sind, wie etwa das Wahlrecht zum Europäischen Parlament in Art 11-99 W E , das Kommunalwahlrecht im Wohnsitzstaat in Art 11-100 W E , das Recht auf Freizügigkeit und Aufenthaltsfreiheit im Unionsgebiet in Art 11-105 W E , das Recht auf diplomatischen Schutz in Art 11-106 W E oder das Art 255 EGV entsprechende37 allgemeine Recht auf Zugang zu den Dokumenten der Gemeinschaftsorgane in Art 11-102 W E . Neu ist die ausdrückliche Formulierung eines Rechts auf gute Verwaltung in Art 11-101 W E , das bisher im EGV verstreute, zum Teil auch nur richterrechtlich anerkannte rechtsstaatliche Grundsätze wie Unparteilichkeit, Gerechtigkeit, fristgerechte Entscheidungen, Anhörungs- und Begründungspflichten, einen Amtshaftungsanspruch sowie - im Widerspruch zum erwähnten, allgemeinen Recht des Art 11-102 W E - ein Recht auf Zugang zu Akten, die Angelegenheiten des Einsichtsbegehrenden betreffen, umfasst.38 Die in Titel VI geregelten justitiellen Rechte gründen sich überwiegend auf Garantien der Art 6 und 13 EMRK. 39 Von Bedeutung ist insoweit die Erweiterung des Schutzbereichs des Art 6 EMRK, 40 die über die Verfassungstraditionen mancher Mitgliedstaaten hinausgeht: Unter Verzicht auf die dort enthaltene Beschränkung auf Zivil- und Strafverfahren wird in Art 11-107 II W E ein allgemeiner Anspruch auf Zugang zum Gericht und damit eine allgemeine Rechtsweggarantie, vergleichbar derjenigen des Art 19 IV GG, formuliert.41 Der bereits im Vorfeld der GRCh und bis heute umstrittene,42 mit Solidarität überschriebene Titel IV enthält eine bunte Mischung aus wirtschaftlichen und sozialen
36 Positiver Tettinger NJW 2001, 1010, 1013 f. 37 Hierzu ausführlich Wegener in: Calliess/Ruffert Art 255 EGV Rn 6 ff sowie Calliess in: Calliess/ Ruffert Art 1 EUV Rn 34 ff. 38 Martinez Die Kodizes der guten Verwaltungspraxis, EuR 2001, 682; Lais ZEuS 2002,447 ff; Bauer Das Recht auf gute Verwaltung im Europäischen Gemeinschaftsrecht, 2002. 39 Ausführlich Lenz in: Heusei Grundrechtecharta und Verfassungsentwicklung in der EU, 2002, 109. 40 Ausführlich Tonne Effektiver Rechtsschutz durch staatliche Gerichte als Forderung des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1997, S 147 ff. 41 Grabenwarter DVB12001, 1, 8 f; dazu auch Calliess NJW 2002, 3577 ff. 42 Vgl Bernsdorff VSSR 2001, 1, 2ff mwN; Koskinen in: Heusei Grundrechtecharta und Verfassungsentwicklung in der EU, 2002, 83.
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Gewährleistungen,43 die zum Teil im gemeinschaftlichen Primär- und Sekundärrecht, zum Teil im Recht der Mitgliedstaaten geregelt sind. Es finden sich sozialrechtliche Schutzansprüche im Hinblick auf den Arbeitsplatz in Art 11-90 (Schutz vor ungerechtfertigter Entlassung), Art 11-91 (Gerechte und angemessene Arbeitsbedingungen), Art 11-92 (Verbot der Kinderarbeit und Schutz von Jugendlichen am Arbeitsplatz), Art 11-93 II (Schutz vor Entlassung im Zusammenhang mit Mutterschaft) der Charta sowie Leistungs- bzw Teilhaberechte im engeren Sinne in Art 11-89 (Recht auf Zugang zu einem Arbeitsvermittlungsdienst), Art 11-94 (Soziale Sicherheit und soziale Unterstützung), Art II-95 (Gesundheitsschutz) der Charta sowie, systematisch in Titel II fehlplaziert und kompetenzrechtlich sehr problematisch, in Art II-74 W E ein Recht auf Bildung und unentgeltlichen Pflichtschulunterricht.44 In einem Grundrechtskatalog überraschend ist die in Art II-96 geregelte Verpflichtung der EU, den Zugang zu Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse anzuerkennen, mit dem Ziel, den sozialen und territorialen Zusammenhalt der Union zu fördern. Dieser auf Betreiben der französischen Regierung aufgenommene Artikel, der wohl gegen Art 86 EGV und die daran anknüpfenden Bestrebungen der Kommission, staatliche oder staatlich geförderte Leistungen der Daseinvorsorge allein nach dem Kriterium des fairen Wettbewerbs zu beurteilen, gerichtet ist, muss angesichts der Regelung in Art III-122 W E (bisher 16 EGV) nicht nur überflüssig, sondern im systematischen Kontext der Grundrechte auch ein wenig bizarr erscheinen. Hinzu tritt die bloße Wiederholung von - in Art III-278 I W E (bisher 152 EGV), Art III-233 II W E (bisher Art 174 iVm Art 6 EGV) sowie Art III-235 W E (bisher Art 153 EGV) fast wortgleich geregelten - staatszielähnlichen Grundsätzen in Art 11-95 S 2 (Gesundheitsschutz), in Art II-97 (Umweltschutz) und in Art 11-98 (Verbraucherschutz) der Charta, die bestenfalls als überflüssig bezeichnet werden kann. Für (fast) alle hier geregelten „Rechte",45 die im Schrifttum mitunter als Elemente eines Wandels von negativer zu positiver Integration im Sinne einer umfassenden europäischen Grundrechtspolitik eingefordert wurden,44 gilt, dass sie mit Blick auf die Zuständigkeiten der EU eine zum Teil überschießende Tendenz47 aufweisen. 2. Die Schrankenregelungen der Grundrechts-Charta Auffallend ist, dass bei vielen Grundrechten der Charta, anders als etwa in der EMRK (—» vgl § 2 Rn 42 ff) oder im deutschen GG, auf die Normierung von eigenen Schranken verzichtet worden ist. Grund hierfür war offenbar, dass sich der Text der Charta, den man kurz halten wollte, ansonsten verdoppelt hätte.4® In der Folge normiert die Charta in der Fassung des W E in Art II-112 und 11-113 W E eine allgemeine, freilich hochkomplexe 43 Zum gefundenen Ergebnis positiv Tettinger NJW 2001, 1010, 1014 f, der jedoch - zu Recht - noch „dogmatische Strukturierungsarbeit" einfordert. 44 Blank Soziale Grundrechte in der Europäischen Grundrechtscharta, 2002; ferner - zum Teil kritisch - Bernsdorff \SSR 2001, 1, 20 ff mwN. 45 Zu Verständnismöglichkeiten vgl Bernsdorff VSSR 2001, 1, 8 ff; ν Bogdandy, JZ 2001,157, 160 f. 46 AlstonIWeiler in: Aiston (Hrsg) The EU and Human Rights, 1999, S 3 ff mit zum Teil weitreichenden Konsequenzen, vgl S 14 ff, 60; hierzu überwiegend kritisch und im Ergebnis zu Recht differenzierend ν Bogdandy JZ 2001, 157 ff, 159 ff. 47 AA AlstonIWeiler in: Aiston (Fn 46) S 21; zutreffend ν Bogdandy JZ 2001, 157, 161 f. 48 Vgl Kenntner ZRP 2000, 423, 424 f; zu den geringfügigen Änderungen im Rahmen des Verfassungskonvents: Hirsch in: Schwarze, Der Verfassungsentwurf des Europäischen Konvents, 2004,
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Schrankenregelung, die zu Recht als „Achillesferse" für den Grundrechtsschutz bezeichnet worden ist.49 Hochkomplex ist diese Schrankenregelung vor allem deshalb, weil sich auf Grundlage von Art 11-112 und 11-113 W E nicht nur die Eingriffsschranken, sondern auch Fragen des Schutzbereichs sowie mögliche Konfliktlagen im Verhältnis der verschiedenen Rechtsquellen für Grundrechte im Recht der EU klären lassen; mithin also gleichzeitig das Verhältnis der Charta zum Recht der EU, zum Grundrechtsschutz der Mitgliedstaaten sowie zum Menschenrechtsschutz der E M R K geregelt wird.50 In Art 11-112 W E , der die Voraussetzungen und Grenzen von Grundrechtseingriffen generell festlegt, wird zunächst einmal die horizontale Tragweite der in der Charta garantierten Rechte mittels eines allgemeinen Schrankenvorbehalts geregelt. In Art 11-112 I 1 W E wird insoweit zum einen der Vorbehalt des formellen Gesetzes genannt. Der Begriff des Gesetzes wiederum taucht bei den verfassungsrechtlich vorgesehenen Handlungsformen in Art 1-33 W E auf und umfasst das Europäische Gesetz und das Europäische Rahmengesetz, die vergleichbar mit den bisherigen Kategorien Verordnungen und Richtlinie nach Art 249 EGV sind.51 Des Weiteren ist in Art 11-112 I 1 W E als Grenze von Grundrechtseingriffen die Wesensgehaltsgarantie vorgesehen. Art 11-112 I 2 W E formuliert sodann als weitere Eingriffsgrenze den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der auf einen materiellen Gesetzesvorbehalt dergestalt bezogen wird, dass Einschränkungen der Grundrechte nur dann vorgenommen werden dürfen, wenn sie notwendig sind und den von der Union anerkannten, dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen. Diese Formulierung stellt eine Verbindung zwischen den Schranken der Art 8 bis 11 E M R K und der Rechtsprechung des EuGH 5 2 dar. Diese allgemeine Schrankenregelung wird dann aber wiederum durch zwei - in Verbindung mit der Schutzverstärkungsklausel des Art 11-113 W E - als Meistbegünstigungsklausein zu verstehende Regelungen durchbrochen. Nach Art 11-112 II W E gelten für diejenigen Rechte der Charta, die in den Gemeinschaftsverträgen oder im EUV begründet sind, wiederum die dort festgelegten Bedingungen und Grenzen. Hiermit ist freilich die Gefahr verbunden, dass der nationale Grundrechtsbestand sowie derjenige der E M R K unterschritten werden könnte. Insoweit sollen Art 11-112 III und 11-113 W E Abhilfe schaffen: 53 Nach Art 11-112 III 1 W E haben Charta-Rechte, die den EMRK-Rechten entsprechen, die „gleiche Bedeutung und Tragweite" wie die Rechte der EMRK. 54 Mit dieser Bezugnahme werden die Schranken der E M R K und damit, im Falle der Entsprechung, auch der von der E M R K gewährleistete Grundrechtsschutz, vorbehaltlich einer günstigeren Regelung im Gemeinschaftsrecht, zum Grundrechtsstandard im Recht der EU,55 mithin in dieses als Mindeststandard (vgl Art 11-113 W E ) inkorporiert. 56 Im Ein49 So Kenntner ZRP 2000, 423 f. 50 Ausführlich dazu Grabenwarter FS Steinberger, 2002, S 1135 ff. 51 Zur bisherigen Rechtslage ausführlich Ruffert in: Calliess/Ruffert Art 249 EGV Rn 14 f, 38 f und 43 f mwN. 52 Dazu ausführlich Kingreen in: Calliess/Ruffert Art 6 EUV Rn 69 ff. 53 Ausführlich zum Ganzen Grabenwarter (Fn 50) S 1139 ff. 54 Übersicht bei Borowsky in: Meyer Charta der Grundrechte Art 52 Rn 32. 55 Grabenwarter DVB1 2001, 1, 2 f; ausführlich Molthagen Das Verhältnis der EU-Grundrechte zur EMRK, 2003. 56 So die Erläuterungen des Konvents-Präsidiums, CONVENT 49 CHARTE 4473/00, EuGRZ 2000, 559 ff; ebenso Fischbach, RUDH, 7, 8; KrügerlPolakiewicz EuGRZ 2001, 92, 99.
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zelfall wird freilich nicht immer leicht zu beantworten sein, wann von einer Entsprechung gesprochen werden kann und was unter Bedeutung und Tragweite zu verstehen ist.57 Identität im strengen Sinn soll nach den Erläuterungen des Präsidiums nicht gemeint sein, eine ungefähre inhaltliche Überschneidung, die freilich im Wortlaut zum Ausdruck kommen muss (durch die Rechtsprechung darüber hinaus entwickelte Schutzbereiche genügen nicht), ist daher schon hinreichend. Dabei wird man „Entsprechen" so zu verstehen haben, dass der gleiche Lebenssachverhalt von den jeweiligen Garantien erfasst sein muss.58 Nach Art 11-112 III 2 W E geht allerdings - als Ausnahme von Art 11-112 III 1 W E ein günstigerer EU-Grundrechtsschutz einer ungünstigeren EMRK-Garantie vor. Durch Art II-l 13 W E wird schließlich sichergestellt, dass keine Bestimmung der Charta als Einschränkung von Menschenrechten nach dem Unionsrecht, der E M R K und den nationalen Verfassungen ausgelegt werden darf; hierauf wird noch zurückzukommen sein. Mit dem so skizzierten komplizierten Schrankensystem soll im Ergebnis sichergestellt werden, dass lückenlos der jeweils höchste Grundrechtsstandard im Vergleich der drei Grundrechtskreise zum Tragen kommt. 59 Zu diesen allgemeinen, horizontalen Schranken des Art II-112 W E treten in manchen Grundrechten überdies noch spezielle, vertikale (also mit Blick auf die Regelungskompetenz der Mitgliedstaaten formulierte) Schranken hinzu. Dies ist etwa der Fall, wenn in Art 11-112 VI W E die Grundrechtsausübung unter den Vorbehalt „einzelstaatlicher Gesetze" oder gar „Gepflogenheiten" gestellt werden. Hier liegt dann eine doppelte Beschränkung vor, in deren Folge die einheitliche Schranke des Art 11-112 I W E durchlöchert wird. Freilich wird mit diesen am nationalen Recht orientierten vertikalen Schranken eines der Hauptziele der Charta, die Gewährleistung eines einheitlichen Grundrechtsschutzes, im Ergebnis verfehlt. 60 3.
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Insbesondere diese letzteren, vertikalen Schranken machen ein zentrales Grandproblem der Charta deutlich: Sie formuliert zum Teil Grundrechte, die Bereiche betreffen, in denen die Union keine Kompetenz hat. Mit anderen Worten wird der „Grundsatz der Parallelität von Kompetenzen und Grundrechtsschutz" 61 nicht beachtet und damit der Charakter der Grundrechte als negativer Kompetenznormen staatlichen Handelns 62 verkannt. Insoweit war der Grundrechts-Konvent dann doch der Versuchung erlegen,63 so manche „schönen und guten Rechte" in die Charta aufzunehmen, die gar nicht oder in nur geringem Umfang auf Grundrechtsgefährdungen abstellen, die bislang von EU und EG ausgehen (vgl etwa das in Art 11-69 W E geregelte Recht, eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen, konsequenterweise verweist Art 11-69 W E daher auch auf die einzelstaatlichen Gesetze; vgl ferner die Art 11-74, 84 und 89 W E ) . Ganz ähnlich liegt es zum Teil mit manchen Leis-
57 Dazu Grabenwarter DVB1 2001, 1, 2 f. 58 Ausführlich Grabenwarter (Fn 50) S 1139 ff. 59 Skeptisch für mehrpolige Grundrechtsverhältnisse - zu Unrecht - Grabenwarter (Fn 50) S 1140 ff, der wohl übersieht, dass sich das Schrankensystem nicht auf das gesamte mehrpolige Grundrechtsverhältnis, sondern immer nur auf dessen Teile in Form des einzelnen Grundrechts bezieht. 60 Magiera DÖV 2000, 1017, 1026 f. 61 So treffend Pernice DVB12000, 847, 852 f. 62 Ehmke W D S t R L 20 (1963) 53, 89 ff. 63 Warnend schon Pernice DVB1 2000, 847, 852 f.
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tungs- bzw Teilhabeansprüchen der Charta. Hier werden mitunter Rechte formuliert, die die Union mangels entsprechender Gesetzgebungskompetenzen allenfalls begrenzt, etwa über die Grundfreiheiten, einlösen kann (vgl etwa das Recht auf Zugang zur Gesundheitsvorsorge und auf ärztliche Versorgung gem Art 11-85 S 1 W E , das in seinem Gewährleistungsgehalt im Widerspruch zur Regelung in Art III-278 VII W E (ähnlich dem bisherigen 152 EGV) steht,64 erst durch den folgenden Verweis auf die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten wird dieser Widersprach beseitigt).65 Der so skizzierten Missachtung der Parallelität von Kompetenz und Grundrechtsschutz mögen, gerade mit Blick auf das Verfahren bei der Entstehung der Charta, eine breite Einbindung der Öffentlichkeit (zB konnten via Internet von jedermann Vorschläge für aufzunehmende Grundrechte unterbreitet werden) zu gewährleisten, durchaus hehre Motive zugrunde liegen. Dies gilt um so mehr, als sich die Diskussion um die Inhalte der Charta politisch manchmal so verselbstständigte, dass das eigentliche Ziel der Charta, die Union effektiv an die Grundrechte zu binden, aus dem Blickfeld geriet und einer allgemeinen, nicht mehr nur auf die europäische Ebene bezogenen Debatte um die Aktualisierung und Modernisierung von Grundrechtskatalogen Platz machte.66 Mit Blick auf die Rechtsverbindlichkeit der Charta innerhalb des W E wäre es jedoch vorzugswürdig gewesen, zunächst nur auf diejenigen Grundrechte zurückzugreifen, die der EuGH in seiner Rechtsprechung bereits anerkannt hat,67 mithin also auf die unter Berücksichtigung der gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten und die konsentierten Garantien der EMRK entwickelten allgemeinen Rechtsgrundsätze. Hierauf aufbauend hätten dann mit Blick auf die Kompetenzen der Union bestehende Lücken durch weitere Grundrechte gefüllt werden können. Dem dynamischen Zuwachs von europäischen Kompetenzen korrespondierend, etwa im Bereich der inneren und äußeren Sicherheit, muss also auch der Katalog der Grundrechte mitwachsen.68 Der, wie zu hören war, unter Zeitdruck arbeitende Grundrechts-Konvent hat die notwendige Parallelität von Kompetenz und Grundrechtsschutz zu wenig reflektiert und sich in der Folge im Kompetenzgestrüpp verheddert. Das wird besonders deutlich, wenn man die unterschiedlichen Formulierungen in Augenschein nimmt, mit denen die verschiedenen Grundrechte gewährleistet werden (zB „die Union anerkennt und achtet nach dem Gemeinschaftsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten"). Der Unionsbürger aber, dem die Grundrechte mittels der Charta ja eigentlich „sichtbar" gemacht werden sollten, wird - entgegen den Prinzipien von Transparenz und Bürgernähe - nicht zwischen einklagbaren und nicht einklagbaren Rechten unterscheiden können.69 Kritisch zu bewerten ist des Weiteren, dass - insbesondere im Titel „Solidarität" - entgegen den Vorgaben des Europäischen Rates von Köln,70 der mit Blick auf die Sorge vor
64 Kritisch auch Bernsdorff VSSR 2001, 1, 22 f; vgl zur Reichweite der Kompetenz Wichard in: Calliess/Ruffert Art 152 EGV Rn 9 ff. 65 Trotz Kritik im Einzelnen im Ergebnis positiver (keine „systemändernden Vorschläge") Bernsdorff VSSR 2001, 1, 17 ff. 66 Dazu Bernsdorff VSSK 2001, 1 ff; ferner Tettinger NJW 2001, S 1010, 1012, 1013 f. 67 Siehe dazu Kingreen in: Calliess/Ruffert Art 6 EUV Rn 93 ff, wo sich eine Art Katalog der ungeschriebenen, vom EuGH anerkannten Grundrechte findet; ferner Griller in: Duschanek/Griller Grundrechte für Europa, 2002, 131, 132. 68 Pernice DVB12000, 847, 852 f. 69 Stein (Fn 11) S 1426 ff. 70 S Fn 14.
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Kompetenzerweiterungen nur „echte" Grundrechte in die Charta aufgenommen sehen wollte, dennoch im Gewände von Grundrechten daherkommende „Staats-" bzw Unionszielbestimmungen Eingang in die Charta gefunden haben. Besonders solche rein objektivrechtlich wirkenden, allein die Unionsorgane verpflichtenden Gewährleistungen, die dem Einzelnen gerade keine Rechte verleihen,71 haben in einem Grundrechtskatalog weder begrifflich noch systematisch eine Berechtigung. Überdies - und insoweit erweist sich die ursprüngliche Sorge des Europäischen Rates von Köln im Ergebnis ohnehin als unbegründet - sind sie als reine Wiederholung rechtlich verbindlicher Bestimmungen des übrigen europäischen Verfassungsrechts völlig überflüssig.72 Wenn man schon - wie mit Blick auf die heutigen Herausforderungen intendiert - sog moderne Grundrechte in die Charta aufnehmen wollte, wofür einiges spricht,73 dann hätte ein Blick in die umfassende Diskussion um die Möglichkeiten und Grenzen ihrer Formulierung genügt, um eine Grundrechtskonzeption und -formulierung zu finden, die halten kann, was sie verspricht. Statt also zum Beispiel in Art 1-3 II und III-233 W E enthaltene Vorgaben mit ungelenken Formulierungen in Art 11-97 W E 7 4 zu wiederholen, hätte es nahegelegen, ein prozedurales Grundrecht auf Umweltschutz zu formulieren.75 Im Zuge einer sowohl national 76 als auch international 77 geführten Diskussion haben sich drei Bausteine eines prozeduralen Umweltgrundrechts herauskristallisiert: Ein Recht auf Beteiligung des Bürgers an umweltrelevanten Entscheidungen der Verwaltung, ein Recht auf angemessenen Zugang zum Gericht, sowie - als notwendige Voraussetzung zur Wahrnehmung der beiden anderen Rechte - ein Recht auf umweltbezogene Informationen.78 Mit diesem Inhalt spiegelt es sich sowohl im Grundsatz 10 der Rio-Deklaration79 sowie neuerdings auch in der UN-ECE Convention on Access to Information, Public Participation in Decision-Making and Access to Justice in Environmental Matters, die auf der Umweltministerkonferenz vom 23.-25. Juni 1998 im dänischen Arhus beschlossen (sog Arhus-Konvention) und von allen Mitgliedstaaten der EU unterzeichnet wurde, wider.80 Ihr Art 1 71 Grundlegend zum Charakter von Staatszielbestimmungen Sommermann Staatsziele und Staatszielbestimmungen, 1997, S 358 ff. 72 Anders: Grabenwarter E u G R Z 2004, 563, 565, der in den Staatszielbestimmungen „Optimierungsgebote" sieht; dazu ebenfalls Schwarze EuR 2003, 535, 561. 73 Dazu Calliess Z U R 2000, 246 ff. 74 Art 11-37 W E lautet: „Ein hohes Umweltschutzniveau und die Verbesserung der Umweltqualität müssen in die Politiken der Union einbezogen und nach dem Grundsatz der nachhaltigen Entwicklung sichergestellt werden". 75 Für den Grundrechtsgehalt dieser Bestimmung anscheinend: Hirsch in: Schwarze Der Verfassungsentwurf des Europäischen Konvents, 2004, 111, 124; wie hier: Grabenwarter E u G R Z 2004, 563, 565. 76 Vgl etwa Kloepfer Zum Grundrecht auf Umweltschutz, 1978, S 24 f, die dieser als teilhaberechtliche Konzeption begreift. Zutreffender ist insoweit seine Anknüpfung am „status activus processualis". Vgl ferner Brönneke Z U R 1993, 153, 157 f, dessen Ansätze auf die prozedurale Konzeption eines Umweltgrundrechts hinauslaufen. Ausführlich hierzu Calliess (Fn 20) S 463 ff. 77 Vgl hier nur Ruffert Subjektive Rechte im Umweltrecht der EG, 1996, S 18 ff. 78 Ruffert (Fn 77) S 23 f; Krämer E u G R Z 1988, 285, 291 f jeweils mwN. 79 ILM 1992, S 874, 878 f; ausführlich zur - ebenfalls im Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts 1993, UTR Bd 21, S 41 Iff abgedruckten Rio-Deklaration Schröder ArchVR 34 (1996) 251 ff sowie Ruffert Z U R 1993, 208 ff. 80 Abgedruckt auch in ArchVR 38 (2000) 253 ff; vgl dazu Scheyli ArchVR 38 (2000) 217 ff; ferner auch Wegener in: Cremer/Fisahn (Hrsg) Jenseits der marktregulierten Selbststeuerung - Perspektiven des Umweltrechts, 1997, S 83, 192 ff.
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formuliert: „Um zum Schutz des Rechts jeder männlichen/weiblichen Person gegenwärtiger und künftiger Generationen auf ein Leben in einer seiner/ihrer Gesundheit und seinem/ihrem Wohlbefinden zuträglichen Umwelt beizutragen, gewährleistet jede Vertragspartei das Recht auf Zugang zu Informationen, auf Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und auf Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten in Übereinstimmung mit diesem Übereinkommen". Aus einem diesen Vorgaben entsprechenden, prozeduralen Umweltgrundrecht können konkrete Verfahrensrechte abgeleitet werden, die es dem Betroffenen ermöglichen, seine Belange und Interessen im Umweltschutz zur Geltung zu bringen. Für Gesetzgeber und Verwaltung enthalten diese prozeduralen Vorgaben bestimmte Verfahrensstrukturierungsgebote, die die Rechtsposition des Einzelnen zB im Genehmigungsverfahren einer Anlage absichern. Eine mögliche Formulierung des Art 11-97 W E hätte in Übereinstimmung mit der geltenden Rechtslage daher wie folgt lauten können: „Jeder Mensch hat das Recht auf eine saubere und gesunde Umwelt, sowie deren Erhaltung und Schutz. Dieses wird durch Rechte auf Information, Beteiligung im Verwaltungsverfahren und effektiven Zugang zum Gericht gewährleistet". Eine solche Formulierung begegnet den zu Recht gegenüber einem materiellen und als Leistungsrecht ausgestalteten Umweltgrundrecht erhobenen Bedenken,81 trägt aber gleichzeitig den Erfordernissen einer begrenzten Subjektivierung des Gemeinwohlbelangs Umweltschutz in effektiver Weise Rechnung. 82 Auch wenn, wie man hört, ausgerechnet beim Titel „Solidarität" im Grundrechts-Konvent Zeitmangel herrschte, so hätte die mit Blick auf die bisherigen Regelungen im EGV überflüssige, in einem Grundrechtskatalog unsystematische und wohl allein politischen Erwartungen geschuldete leere Huldigung des Umweltschutzes unterbleiben sollen. Hier muss gelten: Ganz oder gar nicht. Diese Kritik gilt sinngemäß ebenso für den in Art 11-98 W E normierten Verbraucherschutz sowie letztlich auch für den in Art 11-95 S 2 W E entsprechend etablierten Gesundheitsschutz. Lösung Fall 1: Zu prüfen ist zunächst, ob sich im W E überhaupt ein Grundrecht findet, auf dessen Schutzbereich sich Α berufen kann. In Betracht kommen die Schutzgüter „Umwelt" und „Gesundheit". Der W E enthält weder ein materielles noch ein prozedurales Umweltgrundrecht. Der in Art 11-97 W E geregelte Umweltschutz ist als „Unionszielbestimmung" ausgestaltet, kann somit keine subjektiven Rechte vermitteln und ist daher kein Grundrecht. Gleiches gilt für Art 11-95 S 2 W E , Art 11-95 S 1 W E , der zwar ein (Leistungs-) Recht beinhaltet, inhaltlich jedoch nicht einschlägig ist. In Betracht kommt aber Art 11-63 I W E (körperliche und geistige Unversehrtheit umfasst die Gesundheit) und zwar in der in Abs 1 angesprochenen grundrechtlichen Schutzdimension. Blickt man auf die Rechtsprechung zur EMRK, so wird deutlich, dass der Umweltschutz als Teilgewährleistung bestimmter anderer Grundrechte geltend gemacht werden kann. Dementsprechend hat der Straßburger Gerichtshof für Menschenrechte im Fall Lopez Ostra überraschenderweise nicht aus dem Recht auf Leben gem Art 2 11 EMRK, sondern aus dem Recht auf Achtung des Privatund Familienlebens in Art 8 EMRK einen Anspruch auf staatlichen Schutz vor Umweltbelastungen Dritter entwickelt, und zwar „selbst wenn die Gesundheit des Betroffenen nicht ernsthaft gefährdet ist."83 Durch die staatliche Duldung der umweltbelastenden Anlage hätten die staatlichen Organe das Gleichgewicht zwischen dem wirtschaftlichen Interesse der Stadt (im Fall: S) und die Rechte der Beschwerdeführer (im Fall: A) aus Art 8 EMRK miss81 Vgl demgegenüber aber Kotulla ΚJ 2000, 22 ff, der wiederum diese Bedenken zu widerlegen sucht. 82 Ausführlich zu alledem Calliess Z U R 2000, 246, 253 ff; ähnlich Müller FAZ vom 7.9.2000, S 16. 83 E G M R , E u G R Z 1995, 530 (Rn 51, 58 des Urteils) - Lopez Ostra.
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achtet. In seiner Entscheidung im Fall GuerraM leitete der EGMR aus Art 8 EMRK sodann einen Anspruch der Beschwerdeführer auf Umweltinformationen ab, da diese sonst nicht die Gefährlichkeit der benachbarten Anlage beurteilen und daraus Konsequenzen ziehen könnten.85 Diese Ansätze des EGMR, die die grundrechtliche Schutzdimension hervorheben, lassen sich - wie die bisherige Rechtsprechung des EuGH zu Art 28 EGV 86 (Art III-153 W E ) belegt - durchaus auch auf Art 11-63 I W E übertragen, auf den sich Α somit berufen kann.
III. Zum Anwendungsbereich der Grundrechts-Charta Der Anwendungsbereich der Charta wird durch Art 11-111 I VVE definiert: „Diese Charta gilt für die Organe, Einrichtungen, Ämter und Agenturen der Union unter Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips und für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union. Dementsprechend achten sie die Rechte, halten sich an die Grundsätze und fördern sie deren Anwendung unter Achtung der Grenzen der Zuständigkeiten, die der Union in anderen Teilen der Verfassung übertragen werden". Unter Organen sind gemäß Art 1-18 II W E das Europäische Parlament, der Europäische Rat, der Ministerrat, die Europäische Kommission und der Gerichtshof zu verstehen. 87 Obwohl sie von der ursprünglichen Fassung der Charta nicht erfasst waren, sind im Rahmen des Verfassungskonvents auch Einrichtungen, Ämter und Agenturen in den Anwendungsbereich des Art 11-111 I W E eingeschlossen worden, um Lücken in der Grundrechtsbindung zu schließen. Es stellt sich allerdings die Frage, welche Bedeutung die Erwähnung des Subsidiaritätsprinzips haben kann. Da das Subsidiaritätsprinzip nach Art 1-9 III W E (bisher Art 5 EGV) nur die Ausübung bestehender, nicht aber die Verteilung neuer Kompetenzen regelt,88 ergibt letztlich nur ein Verständnis dahingehend Sinn,89 dass nur die Aussage in Art 11-111 II W E bekräftigt werden sollte, derzufolge die Charta weder neue Zuständigkeiten noch neue Aufgaben für die Gemeinschaft und für die Union begründet, noch die in den Verträgen festgelegten Zuständigkeiten und Aufgaben ändert. 90
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Die von Art 11-111 I VVE vorgenommene Beschränkung der Geltung der Charta auf „die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union" ist missverständlich. Auf den ersten Blick entspricht die Formulierung zwar der Rechtsprechung des EuGH, wonach die Mitgliedstaaten die Unionsgrundrechte beachten müssen, wenn sie Rechtsbeschränkungen bei der Durchführung des Gemeinschaftsrechts vornehmen. 91 Eindeutig sind damit der indirekte Vollzug92 und die Umsetzung des Gemeinschaftsrechts in
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84 E G M R , NVwZ 1999, 57 fT - Guerra = Ehlers JK 99, E M R K Art 8, 10, 50/3. 85 Ausführlich Schmidt-Radefeldt Ökologische Menschenrechte, 2000, S 116 ff und 148 ff. 86 EuGH, Slg 1997, 1-6959, Rn 32 fT - Kommission/Frankreich (Plünderungen) = Erichsen JK 99, EGV, Art 30/2; hierzu Szczekalla DVB1 1998, 219, 221 f. 87 Zur ursprünglichen Fassung Stein (Fn 11) S 1433 ff; Borowsky in: Meyer Charta der Grundrechte Art 51 Rn 18 fT. 88 Vgl Calliess Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der EU, 2. Aufl 1999, S 62 fT. 89 Zu weiteren Verständnismöglichkeiten Stein (Fn 11) S 1433 ff. 90 Ebenso Borowsky in: Meyer Charta der Grundrechte Art 51 Rn 22 f. 91 EuGH, Slg 1989,2609 ff - Wachauf; Slg 1986, 3477 fT - Klensch. 92 EuGH, Slg 1989, 2609 ff - Wachauf; Slg 1986, 3477 ff - Klensch; Slg 1994,1-955 ff - Bostock; Slg 1996, 1-569, 610, Rn 29 - Duff; Slg 1994, 1-3361, 3379, Rn 17 - Graff; Slg 1998, 1-8153, 8175, Rn 26 - Belgocodex; Urt ν 13.4.2000 - Karlsson.
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nationales Recht gemeint.93 Überdies hat der EuGH erklärt, dass die Mitgliedstaaten zur Beachtung der europäischen Grundrechte verpflichtet seien, wenn sie im Rahmen der Ausnahmeregelungen zu den Grundfreiheiten handeln. 94 Geprägt wird diese erweiterte Reichweite des Unionsrechts durch die Formel vom Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts.95 Die unterschiedliche Auslegung des Begriffs der Durchführung aus Art 11-111 W E und des Begriffs der Anwendung des Gemeinschaftsrechts in der Rechtsprechung des EuGH könnte zu Schwierigkeiten im Bereich des europäischen Grundrechtsschutzes führen. Denn wenn man Art II-l 11 W E , wie manche Stimmen im Schrifttum, nicht im Lichte der geltenden EuGH-Rechtsprechung interpretiert, würden mitgliedstaatliche Rechtsakte grundfreiheitenbeschränkender Art aus dem Zielspektrum herausfallen.96. Obwohl die eindeutige Formulierung des Art 11-111 W E mit dem Wort „ausschließlich" auf eine restriktive Interpretation unter Relativierung der Rechtsprechung des EuGH hindeutet, 97 ist auf der anderen Seite zu bedenken, dass durch die GRCh nicht die Grundrechtsjudikatur des EuGH auf einen Schlag obsolet gemacht werden sollte. Dem trägt vor allen Dingen die Schutzklausel in Art 11-113 W E Rechnung, die zum Zwecke der Gewährleistung des bisherigen Schutzniveaus im Anwendungsbereich des Rechts der Union auf einen Mindeststandard auf Grundlage der Vorschriften der E M R K und der gemeinschaftlichen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten abstellt. Da der EuGH seine Grundrechtsjudikatur genau aus diesen Quellen entwickelt hat,98 muss auch der bisher gemeinschaftsrechtlich garantierte Individualrechtsschutz zu diesem Mindeststandard gezählt werden, der keineswegs angetastet werden soll.99 Legt man Art 11-111 unter Berücksichtigung dieser Vorgaben aus, kommt man zu dem Ergebnis, dass die Grundrechte im Lichte der bisherigen Rechtsprechung des EuGH, aber ohne Beachtung von dessen Begriffswahl anzuwenden sind. Dazu gehört dann aber, dass die Grundrechte im Rahmen der Geltendmachung von Ausnahmen zu den Grundfreiheiten für die Mitgliedstaaten bindend sind.
93 EuGH, Slg 1996,1-6609 - X; JürgensenlSchlünder AöR 121 (1996), 200, 208 ff. 94 EuGH, Slg 1991,1-2925 - ERT; Slg 1997,1-3709 - Familiapress = Erichsen JK 98, EGV Art 30/1; Cirkel Die Bindung der Mitgliedsstaaten an die Gemeinschaftsgrundrechte, S 78 f und 98 f; Chwolik-Lanfermann Grundrechtsschutz in der Europäischen Union, S 78; Kokott AöR 121 (1996), 599 f, 604; zu möglichen Konflikten: Cremer NVwZ 2003, 1452. 95 EuGH, Slg 1991,1-2925, 2964, Rn 42 - ERT; ähnlich Slg 1987, 3719, 3754, Rn 28 - Demirel; Slg 1991,1-4685, 4741, Rn 31 - Grogan. 96 So Cremer NVwZ 2003, 1452, 1453; ähnlich Kingreen, EuGRZ 2004, 570, 573; zur Auslegung des Artikel 51 GRCh: Borowsky in: Meyer Charta der Grundrechte Art 51 Rn 29; Calliess EuZW 2001, 261, 266 f. 97 Ranacher ZöR 58 (2003), 21, 98; zur Entstehungsgeschichte des Artikels 11-51 W E : Hirsch in: Schwarze Der Verfassungsentwurf des Europäischen Konvents, S 111, 116 ff; De Burca ELRev 26 (2001), 126, 136 f; Grabenwarter DVB12001, 1, 3. 98 EuGH, Slg 1979, 3727 ff - Hauer; Slg 1970, 1125 ff - Internationale Handelsgesellschaft; Slg 1974, 491 ff - Nold; Schlussanträge GA Roemer, Slg 1971, 987, 990 - Zuckerfabrik Schöppenstedt; ders, Slg 1973, 1254, 1258, 1273 - Werhahn; Schlussanträge GA Warner, Slg 1976, 352 van de Roy. 99 Ebenso das Präsidium des Grundrechtskonvents: CHARTE 4487/00, Convent 50 ν 11.10.2000; übernehmend das Präsidium des Verfassungskonvents: CONV 828/1/03 REV 1 ν 18.07.2003; ausführlich Grabenwarter EuGRZ 2004, 563; Ranacher ZöR 58 (2003), 21, 99; de Witte MJ (2001), 81, 85; Hummer Der Status der „EU-Grundrechtecharta": politische Erklärung oder Kern einer europäischen Verfassung?, 76 ff; Mahlmann ZEuS 2000, 419, 437 Fn 93; Vranes JB12002, 630, 635.
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Im Rahmen des (sog indirekten) Vollzugs100 des Gemeinschaftsrechts durch die Mitgliedstaaten verdrängen die europäischen Grundrechte die Grundrechtsverbürgungen vollständig. Das gilt auch bei partiell geöffneten Normen, so dass hier keine nationalen Grundrechte zur Interpretation heranzuziehen sind.101 Bei der Umsetzung von Gemeinschaftsrecht in nationales Recht ist ausschließlich der gemeinschaftliche Sekundärrechtsakt an den europäischen Grundrechten zu messen. 102 Hingegen unterliegt der nationale Umsetzungsakt grundsätzlich den Grundrechtsbindungen der Mitgliedsstaaten. 103 Soweit das Gemeinschaftsrecht den Inhalt eines Umsetzungsaktes aber determiniert, werden diese allerdings unanwendbar.104 Wird der Sekundärakt vom EuGH aufgehoben, entfällt dessen determinierende Wirkung. In der Folge kommen die nationalen Grundrechte wieder in vollem Umfang zur Geltung. Soweit schließlich im gültigen Sekundärrecht Auslegungsspielräume bestehen, scheinen die europäischen Grundrechte durch.105 Schaut man auf die Rechtsprechung, ist festzustellen, dass der EuGH eine Bindung an europäische Grundrechte bei der Geltendmachung von Ausnahmen zu den Grundfreiheiten annimmt. 106 In der Folge können europäische Grundrechte im Verbund mit den Grundfreiheiten auf die Rechtsordnungen der Mitgliedsstaaten einwirken. Konkret können die Grundrechte die Auslegung des Tatbestands einer Grundfreiheit 107 oder dessen Schranken-Schranken 108 beeinflussen und werden über die Grundfreiheiten in die Rechts-
100 Zum Begriff: Jarass Innerstaatliche Bedeutung des Rechts, 1994, S 97 f; Magiera DÖV 1998, 173, 176. 101 EuGH, Slg 1994,1-955, 16 - Bostock; ebenso Slg 1987, 3719, Rn 28 - Demirel; anders anscheinend: Pernice NJW 1990, 2409, 2417 „doppelte Grundrechtsloyalität"; Wetter Die Grundrechtscharta des EuGH, S 94 f. 102 EuGH, Slg 1979, 3727 ff - Hauer; Slg 1974,491, 507, Rn 12 ff - Nold. 103 Ruffert EuGRZ 1995, 518, 523 mwN; Ruffert in: Calliess/Ruffert Art 249 Rn 71; Jürgensenl Schlünder AöR 121 (1996), 200, 208, 213 f; Hilf EuR 1988, 1; Kingreen!Störmer EuR 1993, 263, 281; Kingreen in: Calliess/Ruffert Art 6 EUV Rn 59; Störmer AöR 123 (1998), 541, 568; Schilling EuGRZ 2000, 3, 34 f; Rengeling Grundrechtsschutz in der Europäischen Gemeinschaft, 1993, S 190; Anders: Wetter (Fn 101) S 94; Szczekalla in: Rengeling Handbuch des europäischen und deutschen Umweltrechts, § 12 Rn 31; Temple Lang LIEI 1991/1992,23, 28 f. 104 BVerfGE 73, 339 - Solange II; BVerfGE 89, 155 - Maastricht; BVerfGE 102, 147 - Bananenmarktordnung; Ruffert EuGRZ 1995, 518, 523 ff; Sensburg NJW 2001, 1259; Lecheler JuS 2001, 120, 123; Limbach NJW 2001, 2913. 105 EuGH, Slg 1983, 4063, Rn 15 - Kommission/Rat; Slg 1986, 3477, Rn 21 - Klensch; Slg 1991, 1647, Rn 17 - Rauh; Slg 1994,1-223 - Herbrink; Slg 1988, 673, Rn 11 - Murphy. 106 KadelbachlPetersen EuGRZ 2003, 693, 698; Weber DVB1 2003, 220, 223; aA Cremer NVwZ 2003, 1452, 1454; Mager EuR 2004,41, 54. 107 EuGH, Slg 1993, 1-6067 - Keck und Mithouard; Slg 1989, 1105, Rn 11 - Wurmser; Slg 1991, 1-4151, Rn 13 - Aragonesa; Slg 1989, 229, Rn 16 - Kommission/Deutschland; Gellermann DVB1 2000, 509, 516; ausführlich: Feiden Die Bedeutung der „Keck"-Rechtsprechung im System der Grundfreiheiten, S 27 ff. 108 EuGH, Slg 1997, 1-3689, Rn 27 - Familiapress = Erichsen JK 98, EGV Art 30/1; DVB1 2004, 1476 - Omega = Ehlers JK 6/05, EGV Art 49/13; ähnlich Slg 2002,1-6279, Rn 40 ff - Carpenter = Ehlers JK 12/02, EGV Art 49/6; zur Kritik Mager JZ 2003, 204, 206; Kingreen/Störmer EuR 1993, 263, 281 f; Cremer NVwZ 2003, 1452, 1453; Langenfeld/Zimmermann ZaöRV 1992, 259, 303; Kühling EuGRZ 1997, 296, 299 f; Wetter (Fn 101) S 85; zu den Folgen: Ruffert EuGRZ 1995, 518, 528 f; CoppellO'Neill CMLR 29 (1992), 669, 678; Kingreen EuGRZ 2004, 570, 576 Fn 68.
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Ordnungen der Mitgliedsstaaten eingesteuert. Die Folgen einer so verstandenen dreifachen Bindung eines nationalen Gesetzes an nationale und europäische Grundrechte sowie an europäische Grundfreiheiten sind unverkennbar: Die europäischen Grundrechte entfalten eine Ausstrahlungswirkung auf die Grundfreiheiten, die wiederum nationales Recht begrenzen. Durch die entstandene materielle Gemengelage können die europäischen Grundrechte im Tandemverbund mit den Grundfreiheiten weit in den Bereich der Mitgliedsstaaten hineinwirken. Bildlich wird hier von einer zweiten Grundrechtsschicht gesprochen, die sich über die Ebene der Mitgliedsstaaten schiebt.109 Durch die verschiedenen Grundrechtsschichten besteht freilich die Gefahr, dass die sorgfältig austarierte Verzahnung von unionalem und nationalem Grundrechtschutz unterlaufen wird.110 Wenn Grundfreiheiten mit grundrechtlichen Inhalten angereichert werden,111 könnte der EuGH durch ein expansives Verständnis der europäischen Grundfreiheiten unter dem Einfluss der Grundrechte eine dominierende Stellung im Gesamtsystem des Grundrechtsschutzes erhalten.112 Diese Tendenz würde sich verstärken, sofern der EuGH - wie bislang schon in zwei Fällen - staatliche Pflichten zum Schutz von Grundfreiheiten mit Grundrechtsmodifizierungen kombinieren sollte. Da die Mitgliedsstaaten in diesen Fällen zum Handeln bei Beeinträchtigung einer Grundfreiheit verpflichtet sind,113 müssten sie Ausnahmen zu den Grundfreiheiten geltend machen, auch wenn Ausprägungen nationaler Grundrechtsverbürgungen eigentlich ein Einschreiten verbieten.114 Explizit bestünde hier die Gefahr einer Modifikation der mitgliedstaatlichen Verfassungen durch den Einfluss europäischer Grundrechte.115 Ob diese Entwicklungslinie mit der Bestimmung des Artikels II-l 11 Abs 2 W E vereinbar ist, der bestimmt, dass durch die GRCh keine neuen Kompetenzen und Zuständigkeiten erwachsen, erscheint fraglich. IV. Zur rechtlichen Verbindlichkeit der Grundrechts-Charta vor Inkrafttreten der Europäischen Verfassung
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Fall 2: (EuGH, Slg 2001,1-4881 - BECTU) Die BECTU ist eine englische Gewerkschaft mit etwa 30 000 Mitgliedern, die in den Bereichen Rundfunk, Fernsehen, Film, Theater und Unterhaltung tätig sind. Ihre Mitglieder werden überwiegend aufgrund kurzfristiger Verträge - häufig unter dreizehn Wochen bei demselben Arbeitgeber - beschäftigt, so dass eine große Zahl der Mitglieder die im einschlägigen englischen Arbeitszeitgesetzes (AZG) vorgesehene Voraussetzung für einen bezahlten
109 Kingreen EuGRZ 2004, 570, 572. 110 Könitz!Steinberg EuR 2003, 1013, 1025 ff; Kingreen EuGRZ 2004, 570, 573; Cremer NVwZ 2003, 1452, 1454; ders NVwZ 2004, 668, 669; Schorkopf ZaöRV 64 (2004), 125, 138. 111 EuGH, Slg 1997, 1-3689, Rn 27 - Familiapress = Erichsen JK 98, EGV Art 30/1; DVB1 2004, 1476 - Omega = Ehlers JK 6/05, EGV Art 49/13; Slg 2002,1-6279 Rn 40 ff - Carpenter = Ehlers JK 12/02, EGV Art 49/6. 112 Zu entsprechenden Tendenzen: Ruffert EuGRZ 2004, 466, 468; Mager JZ 2003, 202, 204, 207; Schorkopf ZaöRV 64 (2004), 125, 131 f; beispielsweise für den expansiven Ansatz: EuGH, Slg 1999,1-6067, Rn 31, 35 und 36 - Läärä ua; Slg 1999,1-7289, Rn 29, 33 und 34 - Zenatti. 113 EuGH, Slg 1997, 1-6959, Rn 29 - Kommission/Frankreich; Slg 2003, 1-5659 - Schmidberger = Schoch JK 11/03, EGV Art 28/3. 114 Mager EuR 2004, 41, 46. 115 Schorkopf ZaöRV 64 (2004), 125, 138.
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Jahresurlaub nicht erfüllen. Den Betroffenen, so die BECTU, werde daher das Recht auf einen solchen Urlaub ebenso wie auf eine an dessen Stelle tretende Vergütung allein deshalb vorenthalten, weil sie zwar regelmäßig, aber nacheinander für verschiedene Arbeitgeber gearbeitet hätten. Die BECTU ist daher der Auffassung, dass das AZG keine ordnungsgemäße Umsetzung des Artikels 7 der Arbeitszeitrichtlinie 93/104 darstelle, da diese den Anspruch jedem Arbeitnehmer einräume. Die vom AZG geforderte Mindestbeschäftigungszeit stehe überdies im Widerspruch zu Art 11-91 II W E . Das zuständige englische Gericht legt dem EuGH diese Fragen zur Vorabentscheidung vor. Wie wird der Generalanwalt votieren? Weder als bloße feierliche Erklärung noch als inkorporierter Teil der noch nicht in Kraft getretenen Europäischen Verfassung kann die GRCh den EuGH binden. Da die Charta auf dem Gipfel von Nizza auch nicht neben die anderen in dem bisherigen Art 6 II EUV genannten Grundrechtsquellen aufgenommen wurde, war ihre Berücksichtigung im Rahmen der Grundrechtsinterpretation für den EuGH auch rechtlich nicht geboten. Dies hindert den Gerichtshof jedoch nicht daran, die GRCh heranzuziehen, um ein nach dem bisherigen Art 6 II EUV gewonnenes Ergebnis anhand des nunmehr sichtbaren Inhalts, den das betreffende Grundrecht gefunden hat, zu bestätigen bzw zu konkretisieren. 116 Von dieser Möglichkeit machten bislang allerdings nur das E u G " 7 und verschiedene Generalanwälte Gebrauch. 118 Hierfür spricht zunächst, dass die Charta - trotz der vorstehend dargestellten Defizite, insbesondere trotz ihrer zuständigkeitsüberschießenden Gehalte - ganz überwiegend einen Grundrechtskatalog formuliert, der zumindest in seinem Kern, vermittelt über E M R K , EUV und EGV, Rechtsprechung des EuGH sowie weitere europäische Übereinkommen, bereits jetzt zum rechtlich bindenden Standard im europäischen Grundrechtsschutz gehört. Insoweit stellen die in der Charta enthaltenen Rechte „nur" eine ohne Frage bedeutsame - Sichtbarmachung, Bestätigung und Bekräftigung geltenden Rechts dar. Überdies ist die Charta zum ganz überwiegenden Teil auf rechtliche Anwendbarkeit hin angelegt. Dies bestätigen gerade die vorstehend geschilderten Bestimmungen der Art I I - l l l f f W E , die nur im Falle der Verbindlichkeit der Charta Sinn machen. Hinzu kommt, dass der EuGH früher schon ganz ähnlich verfahren ist, als er etwa im Fall Hauer die Grundrechtserklärung der Gemeinschaftsorgane von 1977119 in seine Begründung einfließen ließ.120 Die Schlussanträge verschiedener Generalanwälte aus neuerer Zeit bestätigen diese Überlegungen. Lösung Fall 2: Mit Blick auf die dem EuGH nach Art 234 EGV (Art III-369 W E ) in zulässiger Weise vorgelegte Frage, ob und wann es bezahlten Urlaub nach der Arbeitszeitrichtlinie gibt, könnte der Generalanwalt auf Art 11-91 II W E , der jedem Arbeitnehmer das Recht auf bezahlten Jahresurlaub einräumt, Bezug nehmen. Dies belegt, dass es in der EU ein generelles Recht
116 Ebenso Grabenwarter DVB1 2001, 1, 11 f. 117 Beispielsweise Beschl ν 04.04.2004 - Gonnelli und AIFO/Kommission. 118 Vgl zB Schlussanträge G A Tizzano, NZA 2001, 827, Rn 26 ff; ausführlich dazu der Beitrag von Alber E u G R Z 2001, 349, der auf S 351 ff alle (auch noch unveröffentlichten) Bezugnahmen kommentierend aufführt. 119 ABl 1977, Nr C 103, 1. 120 EuGH, Slg 1979, 3727, Rn 15 - Hauer.
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auf bezahlten Jahresurlaub gibt. Unter Hinweis darauf, dass die Charta neben der feierlichen Erklärung des Europäischen Rates von Nizza auch von Europäischem Parlament, Rat und Kommission gebilligt wurde und zum Teil auf ein ausdrückliches Mandat nationaler Parlamente zurückgeht, müsste der Generalanwalt betonen, dass die Charta in grundrechtsrelevanten Verfahren nicht ignoriert werden kann. Dementsprechend führte Generalanwalt Tizzano aus: „Noch bedeutsamer scheint mir jedoch die Tatsache, dass dieser Anspruch in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union feierlich bestätigt worden ist ... Zwar wurde der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ... keine authentische normative Tragweite zuerkannt, dh, sie ist rein formal ohne eigenständige verbindliche Wirkung. Auch wenn hier nicht auf die bereits begonnene, umfassende Debatte über die Wirkungen, die die Charta in anderen Formen und über andere Wege jedenfalls entfalten könnte, eingegangen werden soll, bleibt jedoch festzuhalten, dass sie Feststellungen enthält, mit denen zum großen Teil bereits an anderer Stelle festgelegte Rechte offensichtlich anerkannt werden. In der Präambel ist übrigens zu lesen: Diese Charta bekräftigt... (diese Rechte). Daher bin ich der Auffassung, dass in einem Rechtsstreit über die Natur und Tragweite eines Grundrechts die entsprechenden Feststellungen in der Charta und erst recht ihre offensichtliche Bestimmung, als wesentlicher Maßstab fur alle in der Gemeinschaft Handelnden - Mitgliedstaaten, Organe, natürliche und juristische Personen - zu dienen, sofern ihre Bestimmungen es erlauben, nicht ignoriert werden können. In diesem Sinn bin ich daher der Auffassung, dass die Charta die qualifizierteste und definitive Bestätigung des Grundrechtscharakters des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub enthält."121 Somit bestätigt und bekräftigt Art 11-91 II W E das zuvor durch Auslegung der Richtlinie gefundene Ergebnis. Diese Bestätigungs- und Bekräftigungswirkung ist also die Brücke zur mittelbaren bzw weichen Verbindlichkeit der GRCh. Allerdings ging der Gerichtshof in seinem diesbezüglichen Urteil122 - ebenso wie in allen anderen bislang ergangenen Urteilen123 - nicht auf die GRCh ein. Im Hinblick auf die Rechtsschutzmöglichkeiten der Bürger, die durch eine verbindliche Charta gewährten Grundrechte durchzusetzen, darf schließlich nicht übersehen werden, dass ein gemeinschaftsrechtliches Äquivalent zur Verfassungsbeschwerde auch durch den Verfassungsvertrag nicht eingeführt wird. Abgesehen von der Nichtigkeitsklage gern Art III-365 IV W E (bisher Art 230 IV EGV) hat der Bürger daher keine Möglichkeit, Rechtsschutz unmittelbar vor dem EuGH zu erlangen. Art III-365 IV W E verlangt aber entweder eine individuell-konkrete Verordnung im Sinne des Art 1-32 I S 4 W E (vergleichbar bislang Entscheidungen gem Art 249 IV EGV) oder aber, dass der Einzelne durch einen generell-abstrakten Rechtsakt unmittelbar und individuell betroffen ist.124 Während das Unmittelbarkeiskriterium in Art III-365 IV unverändert aus Art 230 IV EGV übernommen wurde und lediglich potentiell Betroffene ausschließen soll,125 kann die Individualität nur dort bejaht werden, wo der betreffende Rechtsakt auch gegenüber dem Kläger Entscheidungscharakter aufweist.126 Die hinsichtlich Klagegegenstand und Klage-
121 GA Tizzano, NZA 2001, 827, Rn 26 ff. 122 EuGH, Slg 2001,1-4881 - BECTU. 123 Hierzu und zu den insoweit bestehenden Möglichkeiten des EuGH Alber EuGRZ 2001, 349, 351 ff. 124 Cremer EuGRZ 2004, 577 ff; Mayer DVB12004, 606. 125 Cremer in: Calliess!Ruffert Art 230 Rn 46. 126 Cremer in: Calliess!Ruffert Art 230 Rn 48 ff.
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befugnis uneinheitliche und daher im Ergebnis unklare Judikatur des EuGH legt die Voraussetzungen des bisherigen Art 230 IV EGV überdies bislang tendenziell eng aus.127 Demgemäß kommt den Gerichten der Mitgliedstaaten eine besondere Schutzfunktion zu, indem sie im Anwendungsbereich des vorrangigen Gemeinschaftsrechts als „europäische Richter" fungieren und als solche Mitverantwortung für die grundrechtschartakonforme Anwendung des Gemeinschaftsrechts tragen. Über das Vorlageverfahren gem Art III-369 W E (bisher Art 234 EGV) stellen diese in Kooperation mit dem EuGH den Rechtsschutz des Bürgers sicher. Mit Blick auf die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts und das Verwerfungsmonopol des EuGH müssen zumindest die letztinstanzlich zuständigen nationalen Gerichte dem EuGH gemeinschaftsrechtlich relevante Fragen, wozu auch die Vereinbarkeit einer Norm mit der (verbindlichen) GRCh gehören würde, vorlegen. Die Effizienz des Grundrechtsschutzes ist freilich dann in Frage gestellt, wenn es ein nationales Gericht nicht für nötig hält, dem Gerichtshof eine Gültigkeitsfrage vorzulegen. Vorlagebeschlüsse können nach deutschem Recht allenfalls bei Überschreiten der Willkürschwelle wegen der Verweigerung des Rechts auf den gesetzlichen Richter erzwungen werden.128 Es ist diese Situation, die dazu Anlass gibt, für den Fall der Verletzung eines Grundrechts aus der Charta über einen direkten Zugang zum EuGH nachzudenken, etwa in Form einer Art III-365 IV W E ergänzenden Grundrechtsbeschwerde.129 Dies gilt um so mehr, wenn man sich den engen Effizienz-Zusammenhang zwischen materieller Grundrechtsgewährleistung einerseits und verfügbaren Durchsetzungsformen andererseits, wie sie nur spezielle verfassungsgerichtliche Verfahrensarten bieten, vergegenwärtigt.130 Lösung Fall 1 (Fortsetzung): Angesichts der noch fehlenden Rechtsverbindlichkeit der GRCh kann sich Α jedoch (wie bereits Fall 2 deutlich machte) nur zur Bestätigung bzw Bekräftigung eines nach dem bisherigen Art 6 Π EUV im Gemeinschaftsrecht bereits geltenden Grundrechts auf Art 11-63 I VVE berufen. Insoweit ist zunächst von Bedeutung, dass der EGMR aus Art 8 EMRK eine umweltbezogene Teilgewährleistung samt staatlicher Schutzpflicht abgeleitet hat.131 Schwieriger verhält es sich mit Blick auf das Verfassungsrecht der Mitgliedstaaten. Die insoweit maßgeblichen, primär über die grundrechtlichen Schutzpflichten vermittelten, umweltschützenden Teilgewährleistungen von Grundrechten sind letztlich nur in der Grundrechtsdogmatik von Deutschland,132 Österreich133 und - in ganz ähnlicher Weise, wenngleich verbun-
127 Ausführlich Cremer in: Calliess/Ruffert Art 230 EGV Rn 27 ff und 44 ff; zur neueren Rspr: Calliess NJW 2002, 3577 ff. 128 BVerfGE 75, 223, 233 ff; kritisch auch ν Danwitz NJW 1993, 1111, 1114; ferner de Witte in: Aiston (Fn 46) S 859, 877, 889 ff. 129 Weiterführend insoweit Reich Z R P 2000, 375, 377 f, der - freilich als Alternative zu einer GRCh (vgl S 375, 378) nur für Art 6 EUV - eine Ergänzung von Art 230 EGV durch einen Absatz 6 (mit Formulierungsvorschlag auf S 378) vorschlägt. 130 Pernice DVB1 2000, 847, 858 f; Tettinger NJW 2001, 1010, 1015 f; Mahlmann ZEuS 2000. 419, 440 f jeweils mwN. 131 So bei Lösung Fall 1,1. Teil. 132 Dazu Isensee in: Isensee/Kirchhof (Hrsg) Handbuch des Staatsrechts, Bd V, 1992, § 111. Rn 86 ff; Calliess (Fn 20) 312 ff und 437 ff; Unruh Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten. 1996. 133 Vgl Feik in: Grabenwarter/Thienel (Hrsg), Kontinuität und Wandel der E M R K , 1998, S 205 ff mwN, wo die verfassungsrechtlich bedingte Orientierung an der E M R K und der EGMR-Rechtsprechung sowie an der deutschen Grundrechtsdogmatik deutlich wird; ferner Szczekalla in:
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den mit gewissen Abstrichen - von Frankreich134 nachweisbar. Auch wenn damit nur in drei Mitgliedstaaten entsprechende umweltschützende Teilgewährleistungen der Grundrechte festgestellt werden können, heißt dies noch nicht, dass solche für das Recht der EU ausgeschlossen sind. Denn das Konzept der wertenden Rechtsvergleichung verlangt, dass nach einer für Struktur und Ziele des Gemeinschaftsrechts optimalen Lösung gesucht wird.135 Dass sich umweltschützende Teilgewährleistungen der Grundrechte in ihrer Schutzdimension in Struktur und Ziele des Gemeinschaftsrechts einpassen, belegt nicht nur die Gemeinschaftszielbestimmung Umweltschutz in den bisherigen Art 174 I und II EGV (Art III-233 W E ) , wonach die Umweltpolitik auf einem „hohen Schutzniveau" zum „Schutz der Umwelt" und dem „Schutz der menschlichen Gesundheit" beitragen soll,136 sondern auch die vom EuGH (zunächst einmal für Art 28 EGV/Art III-153 W E ) entwickelte staatliche Schutzpflicht für die Grundfreiheiten.137 Vor diesem Hintergrund kann Art 11-63 I W E als Bestätigung und Bekräftigung eines gem Art 6 II EUV ermittelten Unionsgrundrechts verstanden werden, das der Α Rechte auf staatlichen Schutz vor Emissionen, samt einem diesbezüglichem Recht auf Information verleiht. Des Weiteren müsste der Fall auch im durch Art 11-112 I W E geregelten Anwendungsbereich der GRCh hegen. Dies ist der Fall, da es mit Blick auf die einschlägige IVU-Richtlinie (zumindest auch) um die „Durchführung des Rechts der Union" geht. Somit ist das zuständige spanische Gericht vorliegend an Art 11-63 I W E gebunden. Rechtsschutz kann die Α aber nur im Rahmen des Vorlageverfahrens nach Art 234 EGV (Art III-369 W E ) erlangen. Eine Nichtigkeitsklage gem Art 230 IV EGV (Art III-365 W E ) kommt - ebenso wie eine etwaige Grundrechtsbeschwerde - schon deshalb nicht in Betracht, weil die Grundrechtsverletzung ihren Ausgangspunkt nicht in einer Maßnahme der Gemeinschaftsorgane hat, sondern in einer staatlichen Maßnahme. 38
Sofern die Charta nun als Teil der Europäischen Verfassung verbindlich wird, stellt sich eine weitere grundlegende Problematik, die man polemisch mit dem Schlagwort einer „Inflation des Grundrechtsschutzes"138 belegen könnte.139 Diesem Problem ist durch ihre sinnvolle Integration in das komplexe System europäischen Grundrechtsschutzes bestehend aus nationalen Verfassungsgerichten, Luxemburger Gerichtshof und Straßburger Gerichtshof 140 zu begegnen. Da die Charta mit der Europäischen Verfassung in das europäische Verfassungsrecht eingegliedert werden soll, wird auf EU-Ebene Klarheit geschaffen. In der Folge erhalten EuGH und EuG eine normative Grundlage für ihre Rechtsprechung. Gleichzeitig stellt Art 1-7 II W E klar, dass sich die Union durch einen Beitritt zur EMRK 141 in das Straßburger System des Menschenrechtsschutzes integrieren will. Entgegengesetzt zur früheren Rechtslage, bei der ein Beitritt zur E M R K am Fehlen der Rechts-
134 135 136 137 138 139 140 141
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Rengeling (Hrsg) Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht, 1998, Bd I, § 12, Rn 20 mwN. Classen JöR 1987, 29, 30 ff; Ruffert (Fn 77) S 52 ff. ResslUkrow EuZW 1990,499, 502 f; Ruffert (Fn 77) 29 f, 60 f. Vgl Calliess in: Calliess/Ruffert Art 174 EGV Rn 7 ff. EuGH, Slg 1997,1-6959, Rn 32 ff - Kommission/Frankreich (Plünderungen) = Erichsen JK 99, EGV Art 30/2; hierzu Szczekalla DVB1 1998, 219, 221 f. BegrifT bei Trechsel ZEuS 1998, 371 ff Stein (Fn 11) S 1425 f, 1435 f unter Hinweis auf Weiter ELJ, Vol 6, 2000, 95 f. Hierzu schon Ress FS Winkler, 1997, S 897 mwN. S f e M F n 11) S 1435 f.
Die Europäische Grundrechts-Charta
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persönlichkeit der EU gescheitert ist,142 erklärt Art 1-6 W E ausdrücklich, dass die Union nun eine solche besitzt. Auch die technischen Probleme, die mit einem Beitritt verbunden wären, erscheinen als lösbar. 143 In der Folge stünde der Straßburger Gerichtshof bereit, einzelne „Betriebsunfälle" im Grundrechtsschutz nicht nur für die nationale, sondern auch für die Gemeinschaftsebene zu beheben. Gerade die Maii/jews-Entscheidung 144 belegt, dass der E G M R diesen Weg bereits jetzt eingeschlagen hat.
V. Die europäische Agentur für Grundrechte Zur Sicherung von Kohärenz und Konvergenz des europäischen Grundrechtsschutzes erscheint es vor diesem Hintergrund sinnvoll, die weitere Entwicklung der Grundrechte institutionell durch eine europäische Agentur begleiten und absichern zu lassen. Darum haben die im europäischen Rat in Brüssel versammelten Vertreter der Mitgliedsstaaten am 12. und 13. Dezember 2003 beschlossen, den Auftrag der Europäischen Stelle für die Beobachtung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit auszudehnen und sie in eine Agentur für Grundrechte umzuwandeln. 145 Diese neue Agentur soll, so heißt es etwas nebulös, sowohl den Gemeinschaftsorganen als auch den Mitgliedsstaaten die erforderlichen Mittel an die Hand geben, damit sie bei der Konzeption und Umsetzung von in ihren Zuständigkeitsbereich fallenden Maßnahmen den Verpflichtungen zum Schutz von Grundrechten nachkommen können. Die Agentur soll somit eine Schnittstelle bilden, die den Kontakt zwischen den verschiedenen Akteuren im Bereich der Grundrechte erleichtert, Synergien ermöglicht und den Dialog aller Beteiligten fördert. Mit Blick auf die Kompetenzen anderer europäischer Organe, insbesondere des EuGH und des E G M R , ist nicht vorgesehen, bei der Agentur eine Beschwerde- oder Petitionsmöglichkeit einzurichten. 146
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Bislang ist allerdings noch keine Entscheidung darüber gefallen, ob sich das Handlungsfeld der Grundrechte-Agentur nur auf den Geltungsbereich des EU-Rechts im Sinne des Art II-111 Abs 1 W E erstrecken oder ob sie zusätzlich auch Informationen und Analysen über die Einhaltung der Werte und Staatsfundamentalprinzipien des Art 1-2 W E erstellen soll.147 Aus der Sicht eines kohärenten Systems zum Schutz von Grundrechten brächte die zweite Option zumindest den Vorteil, dass die Agentur schon im Vorfeld von konkreten Grundrechtsverletzungen zum Schutz der in Art 1-2 W E genannten Werte und Prinzipien warnend tätig werden könnte. Ebenfalls ist bisher keine Entscheidung darüber gefallen, ob sich das zukünftige Aufgabenspektrum der Grundrechte-Agentur eng an bestimmten Gemeinschaftsmaßnahmen bzw Politiken der Union ausrichten oder eher erweiternd den Grundrechten der GRCh
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142 EuGH, Slg 1996,1-1759, Gutachten 2/94. 143 Ausführlich hierzu die Überlegungen von Alberl Widmaier E u G R Z 2000, 497, 507 ff; Philippi ZEuS 2000, 97 ff, 124 ff. 144 Vgl dazu Bröhmer ZEuS 1999, 197 ff; Ress ZEuS 1999, 219 ff. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass der E G M R die Beschwerde Nr 56672/00 (Senator Lines) nicht a limine zurückgewiesen, sondern den 15 EU-Mitgliedstaaten zugestellt hat (siehe E u G R Z 2000, 334). 145 Mitteilung der Kommission über die Agentur für Grundrechte vom 25.10.1994, KOM (2004), 693, 3. 146 Mitteilung der Kommission über die Agentur für Grundrechte vom 25.10.1994, KOM (2004), 693,4. 147 Mitteilung der Kommission über die Agentur für Grundrechte vom 25.10.1994, KOM (2004), 693, 6.
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folgen soll.148 In jedem Fall sollte bei der Wahl der Aufgabenbereiche berücksichtigt werden, dass in der GRCh das Prinzip der Parallelität von Gemeinschaftskompetenz und Grundrechtsschutz nicht konsequent durchgehalten wurde. Bei einem weiten Aufgabenbereich wäre demzufolge zu vermeiden, dass die Grundrechte-Agentur außerhalb der Kompetenzen der Union tätig wird. Ein Verordnungsvorschlag ist für das Jahr 2005 vorgesehen.149
VI. Ausblick Nach alledem kann festgehalten werden, dass die GRCh an und für sich nicht überflüssig ist, sondern - über ihre Funktion hinaus, die europäischen Grundrechte dem Bürger im Sinne von Transparenz und Bürgernähe sichtbar zu machen - eine im geltenden Unionsrecht bestehende, mit Blick auf den erreichten Integrationsstand rechtsstaatlich nicht mehr akzeptable Lücke schließt. Wenn die Charta allerdings wie intendiert mit dem Verfassungsvertrag Rechtsverbindlichkeit erlangt, dann könnten die in den vorstehend aufgezeigten Bereichen bestehenden Defizite zu Problemen und Streitigkeiten zwischen EU und Mitgliedstaaten führen.
148 Mitteilung der Kommission über die Agentur für Grundrechte vom 25.10.1994, KOM (2004), 693, 8. 149 Mitteilung der Kommission über die Agentur für Grundrechte vom 25.10.1994, KOM (2004), 693, 4.
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5. Teil: Die europäischen Bürgerrechte §21
Die Unionsbürgerrechte Stefan Kadelbach Leitentscheidungen: EuGH, Slg 1992, I-4239ff - Micheletti; Slg 1998, 1-2691 ff - Martinez Sala; Slg 1998,1-7637ff - Bickel und Franz; Slg 2001,1-6193ff - Grzelczyk = Ehlers JK 02, EGV Art 12/1; Slg 2002, 1-6191 ff - D'Hoop; Slg 2002, 1-7091 ff - Baumbast; NJW 2005, 44 f - Garcia Avello; Urt ν 29.4.2004 Rs (M82/01 und C-493/01 - Orfanopoulos und Olivieri. Schrifttum: Hilf in: Grabitz/Hilf Art 17-22 EGV; Weiler To be a European Citizen in: ders (Hrsg) The Constitution of Europe, 1999, S 324-357.
I. Einleitung In der Unionsbürgerschaft, die im zweiten Teil des EG-Vertrages (Art 17-22 EGV/Art 1-10, III-128, III-129 W E ) an hervorgehobener Stelle geregelt ist, kommen zwei Entwicklungen zum Ausdruck: Z u m einen hat die europäische Integration, die in ausgewählten Sektoren der Wirtschaft ihren Anfang n a h m und bald in einen umfassenden Prozess wirtschaftlicher Integration einmündete, inzwischen ihre rein ökonomische Zielrichtung hinter sich gelassen. Z u m anderen war schon die E W G eine Gemeinschaft nicht nur der Staaten, sondern auch ihrer Bürger. 1 Eine Erweiterung der Grundfreiheiten um Grundrechte war erforderlich geworden, da die Gemeinschaft auch die Befugnisse zu Maßnahmen besitzt, die zu Eingriffen berechtigen, wie dies insbesondere im Agrar-, Zoll- und Wettbewerbsrecht der Fall ist.2 Die Ausübung von Hoheitsgewalt in der Union bedarf indes nicht nur der Gegensicherung durch Grundrechte, sondern auch der Legitimation durch die Unionsbürger. Sollen Interventionen in den Wirtschaftsverkehr im öffentlichen Interesse und die Zuteilung von Gemeinschaftsbeihilfen aller Art nicht eine Angelegenheit der Regierungen bleiben, muss es neben der jeweiligen staatlichen auch eine europäische Aktivbürgerschaft mit eigener Identität geben. Darauf wies schon die Präambel des EWG-Vertrages von 1958 hin, die „einen immer engeren Zusammenschluss der europäischen Völker" als Ziel benennt. Dass dieser Zustand noch nicht erreicht ist, deutet Art 1 II E U V (Art 1-1 W E ) an, dem zufolge in der „immer engeren Union der Völker Europas" Entscheidungen „möglichst bürgernah getroffen werden" sollen. In einem demokratischen Gemeinwesen sollten die Bürger selbst, vermittelt durch Institutionen und Verfahren, hinter den Entscheidungen stehen. In der Union werden die wesentlichen Entscheidungen indes von den Regierungsvertretern getroffen, die ihre demokratische Legitimation durch die jeweiligen staatlichen Parlamente erhalten. Die Befugnisse des Europäischen Parlaments sind denen einer nationalen Volksvertretung nicht vergleichbar. Dieser Zustand mag verfassungsrechtlich zureichend sein, 3 aus staatsbürgerlicher Sicht ist er unbefriedigend. Die Unionsbürgerschaft soll da-
1 Vgl EuGH, Slg 1963, 3, 25 - van Gend & Loos; Slg 1991,1-6079, Rn 21 - EWR. 2 Vgl Oppermann FS Doehring, 1989, S 713, 722; § 14 Rn 4. 3 BVerfGE 89, 155,184 ff - Maastricht = Erichsen JK 94, GG Art 23/1. 553
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her die Kluft, die durch diese Form der Legitimation entsteht, ein Stück weit überbrücken und eine zusätzliche, der Staatsbürgerschaft komplementäre Identität und Loyalität schaffen.4 Art 2, 3. Spstr EUV erklärt daher die „Stärkung des Schutzes der Rechte und Interessen der Angehörigen der Mitgliedstaaten durch Einführung einer Unionsbürgerschaft" zu einem Ziel der Union. Der neue Vertrag über eine Verfassung für Europa wurde ausweislich seiner Präambel „im Namen der Bürgerinnen und Bürger und der Staaten Europas" erarbeitet. Im Folgenden soll zunächst der Weg nachgezeichnet werden, der die EG zur Unionsbürgerschaft geführt hat (II.). Anschließend ist auf das Verhältnis zu ihrer Voraussetzung, der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates (Art 1712 EGV/Art 1-10 I W E ) , und zum Status des Staatsbürgers einzugehen (III.). Die einzelnen Unionsbürgerrechte (IV.) können dann in ihrer Bedeutung besser eingeschätzt werden (V.).
II. Die Unionsbürgerschaft als Angelegenheit der Europäischen Gemeinschaft 1. Vom Marktbürger zum Unionsbürger 4
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Die Unionsbürgerschaft ist das Ergebnis politischer Initiativen, rechtsetzender Tätigkeit und richterlicher Rechtsfortbildung, die von einer auf wirtschaftliche Freiheiten begrenzten Marktgesellschaft ihren Ausgang genommen hat. Soweit der EG-Vertrag in seiner ursprünglichen Form bestimmten Personenkreisen Rechte zugestand, waren die Begünstigten aktive Teilnehmer am Wirtschaftsleben.5 Die verliehenen Rechtspositionen sind an Arbeit, Güter und Kapital gebunden. Einzelne waren als „Marktbürger"6 Inhaber von Rechten, die sich gegen die Mitgliedstaaten richteten. Umfassendere bürgerliche Rechte im traditionellen Sinne begannen sich gegen Ende der 60er Jahre zu entwickeln, als mit Entstehen gemeinschaftsrechtlicher EingrifFsbefugnisse Freiheitsrechte gegen die Gemeinschaft selbst geschaffen wurden.7 Etwa zeitgleich besetzte die Rechtsetzung der Gemeinschaft das Feld sozialer Rechte. Vor allem infolge der Freizügigkeit der Arbeitnehmer entstand auf sekundärrechtlicher Grundlage bald ein umfassendes System von Berechtigungen, das Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten in der Arbeitswelt des Aufnahmelandes eine den Inländern angeglichene Rechtsstellung verschaffen sollte.8 Für diesen Prozess ist das europäische koordinierende Sozialrecht kennzeichnend, das Arbeitnehmern aus EG-Mitgliedstaaten und ihren Angehörigen gleichen Zugang zu den sozialversicherungsrechtlichen Ansprüchen gewährt. Auch das europä-
4 Vgl Oppermann ER Rn 210; Hilf in: Grabitz/Hilf Art 17 EGV Rn 1. 5 Allerdings hat die Kommission schon 1962 die Ansicht vertreten, dass die Einzelnen nicht als „Produktionsfaktoren", sondern als Inhaber von Freiheitsrechten zu betrachten seien, s ABl 1962 S 2118. 6 IpsenlNicolaysen NJW 1964, 339, 340, Fn 2; Η Ρ Ipsen EuGR S 187, 250 ff, 742 f; krit zum Wert der Rechte des „Wirtschaftsbärgers" aus ökonomischer Sicht Nienhaus in: Hrbek (Hrsg) Bürger und Europa, 1994, S 29 ff. 7 Den Anfang machte der EuGH mit Slg 1969, 419 ff - Stauder und Slg 1970, 1125 ff - Internationale Handelsgesellschaft; zum Grundrechtsschutz durch den EuGH Pernice NJW 1990, 2409 ff; zum Verhältnis zwischen Grundrechten und Unionsbürgerschaft O'Leary 32 CMLRev (1995), 519 ff. 8 Evans 45 MLR (1982), 496 ff; Everling EuR Beih 1/1990, 81 ff; O'Leary The Evolving Concept of Community Citizenship, 1996, S 65 ff; Laubach Bürgerrechte für Ausländer und Ausländerinnen in der Europäischen Union, 1998, S 21 ff; Becker EuR 1999, 522 ff; vgl § 9 Rn 19 ff.
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ische Arbeitsrecht wird zu den sozialen Rechten gezählt, ebenso die in mehr oder weniger großer Abhängigkeit von der Freiheit des Warenverkehrs erlassenen gesundheitsschützenden Umweltnormen und Verbraucherrechte. 9 Freizügigkeit, Aufenthalt und soziale Rechte verloren mit der Zeit die enge Bindung an den Austausch von Gütern und Leistungen. Die ursprünglich zur Förderung der Mobilität geschaffenen Pflichten, Wanderarbeitnehmer in die sozialen Leistungssysteme des Aufenthaltsstaates einzubeziehen, lösten sich vom Erfordernis eines Arbeitsvertrages.10 Eine weitere Dimension nicht durch das Ziel des Gemeinsamen Marktes motivierter Rechte eröffnet die Aussicht auf politische Teilhabe, die schon Art 138 III EWGV (jetzt Art 190 IV EGV/Art III-330 I W E ) versprach, indem er den Auftrag erteilte, allgemeine unmittelbare Wahlen zum EP abzuhalten. Nach alldem war die Forderung konsequent, diese Ansätze freiheitlicher, sozialer und politischer Rechte der Bürger Europas zu einem eigenständigen Status zusammenzufassen." Seit dem Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs in Den Haag 1969 wurden Initiativen mit dem Ziel eines identitätsstiftenden „Europa der Bürger" gestartet. Auf dieser Linie liegen Vorschläge der Kommission über die Einführung des aktiven und passiven Wahlrechts auf kommunaler Ebene,12 ein 1975 vorgelegter Bericht des belgischen Premierministers Leo Tindemans mit Vorschlägen über neue individuelle Rechte,13 die vom Europäischen Parlament erarbeitete „Charta der Bürgerrechte", 14 die Einführung des Direktwahlaktes zum Europäischen Parlament 15 und die Schaffung einer Passunion mit einheitlichem Reisepass.16 Neue Impulse gingen von dem unter der Leitung von Altiero Spinelli erarbeiteten Vertragsentwurf zur Gründung der Europäischen Union aus, der 1984 erstmals den Begriff der Unionsbürgerschaft in die Gemeinschaft einführte. 17 Der Europäische Rat von Fontainebleau beschloss daraufhin Maßnahmen der Gemeinschaft vorzubereiten, „durch die ihre Identität gegenüber den europäischen Bürgern und der Welt gestärkt und gefördert wird".18 Eine nach seinem Vorsitzenden Pietro Adonnino benannte Arbeitsgruppe bezog daraufhin 1985 in ihre Berichte die meisten der Rechte ein, die später als Unionsbürgerrechte in den EG-Vertrag aufgenommen wurden.19
9 Reich Bürgerrechte in der Europäischen Union, 1999, S 207 ff, 262 fT, 391 ff; s nunmehr Art 11-87 bis 11-98 W E . 10 Evans 32 AJCL (1984), 679, 689 ff. 11 Grabitz Europäisches Bürgerrecht, 1970; dazu Tomuschat ZaöRV 33 (1973), 379 ff; Randelzhofer GS Grabitz, 1995, S 580ff; s auch Magiern DÖV 1987, 221 ff; den ZRP 1987, 331 ff; Marias in: Marias (Hrsg) European Citizenship, 1994, S 1, 3 ff. 12 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Europa für die Bürger, Bull EG 7/75, S 5, 23 ff. 13 Bull EG Beil 1/76, S 29 ff. 14 ABl 1975 Nr C 179/30; vgl Zuleeg FS Schlochauer, 1981, S 983 ff. 15 ABl 1976 Nr L 278/1; die erste Direktwahl wurde auf dieser Grundlage 1979 durchgeführt. 16 ABl 1981 Nr C 241/1 mit späteren Ergänzungen, zul ABl 1995 Nr C 200/1. 17 ABl 1984 Nr C 77/33, Art 3: „Die Bürger der Mitgliedstaaten sind als solche Bürger der Union. Die Unionsbürgerschaft ist an die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates gebunden; sie kann nicht selbständig erworben oder verloren werden. Die Unionsbürger nehmen am politischen Leben der Union in den durch diesen Vertrag vorgesehenen Formen teil, genießen die ihnen durch die Rechtsordnung der Union zuerkannten Rechte und unterliegen den Normen dieser Rechtsordnung." 18 Schlussfolgerungen des Ratsvorsitzes, Bull EG Beil 7/85, S 5 (Ziff 6). 19 Europa der Bürger, Bericht des Ad-hoc-Ausschusses, Bull EG Beil 7/85, S 9 ff, 19 ff.
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Bald etablierte sich die europäische Bürgerschaft auch über den Bereich politischer Empfehlungen hinaus als eine rechtliche Institution, die das Marktbürgertum ablöste. „Bildungsbürger" kamen nach der Rechtsprechung des EuGH als Touristen in den Genuss der sog passiven Dienstleistungsfreiheit, und als Studierenden stand ihnen allein aufgrund des allgemeinen Diskriminierungsverbotes (heute Art 12 EGV/Art 1-4 II iVm III-123 W E ) das Recht auf Zugang zu Bildungseinrichtungen und auf Ausbildungsförderung zu.20 Der Erasmus-Beschluss des Rates über den Studentenaustausch von 1987 erwähnt als erster Rechtsetzungsakt das „Europa der Bürger".21 Wenig später unterbreitete die Kommission erste Rechtsetzungsvorschläge zum Kommunalwahlrecht.22 Der Rat erließ drei Richtlinien über das Aufenthaltsrecht nicht erwerbstätiger Personen außerhalb ihres Heimatstaates.23 2. Die Regelungen des EG- Vertrages zur Unionsbürgerschaft
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Durch den Vertrag von Maastricht wurde schließlich 1992 die Unionsbürgerschaft auf primärrechtlicher Ebene eingeführt, nicht zufällig zugleich mit der Umbenennung der EWG in die Europäische Gemeinschaft.24 Der Vertrag von Amsterdam 25 fügte diesen Vorschriften (nunmehr Art 17 bis 22 EGV/Art 1-10, III-128, III-129 W E ) das Recht auf Auskunft in der eigenen Sprache (Art 21 III EGV/Art 1-10 II lit d, Art III-128 W E ) hinzu. In der Grundrechte-Charta der Europäischen Union vom 7. Dezember 2000, die als Teil II in den Vertrag über eine Verfassung für Europa eingefügt wurde, ist die Unionsbürgerschaft erneut erweitert worden.26 Auf den ersten Blick wirken die Bestimmungen des EG-Vertrages über die Unionsbürgerschaft wie ein nicht fertig gestelltes Mosaik. Art 1 7 1 2 EGV (Art 1-10 I W E ) macht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates zur einzigen Voraussetzung. Die im Folgenden aufgeführten Einzelrechte scheinen miteinander nicht viel zu tun zu haben und wenig Neues zu gewähren: Freizügigkeit (Art 18 EGV/Art 1-10 II lit a W E ) , Wahlrecht zu den
20 Zum Tourismus EuGH, Slg 1985, 377, Rn 16 - Luisi und Carbone; Slg 1989, 195, Rn 17 Cowan; zum Studium Slg 1985, 593, Rn 19 ff - Gravier; zum „Bildungsbürger" Oppermann in: Nicolaysen/Quaritsch (Hrsg) Lüneburger Symposion für Ipsen, 1988, S 87, 91. 21 ABl 1987 Nr L 166/20; vgl auch EuGH, Slg 1989, 1425, Rn 29 - Kommission/Rat = Erichsen, JK 90, VEWG Art 128/1. 22 Das Wahlrecht der Bürger in den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft bei Kommunalwahlen, Bull EG Beil 7/86; der Richtlinienvorschlag (ABl 1988 Nr C 246/3) wurde wegen der bevorstehenden Einführung der Unionsbürgerschaft zurückgestellt; dazu Magiern EA 1988, 475 ff; de Lobkowicz DÖV 1989, 519 ff. 23 RL 90/364 über das Aufenthaltsrecht von Nichterwerbstätigen; RL 90/365 über das Aufenthaltsrecht von Rentnern; RL 90/365 über das Aufenthaltsrecht von Studenten wurde vom EuGH wegen falscher Wahl der Kompetenzgrundlage für nichtig erklärt (Slg 1992, I-4193ff - Parlament/Rat) und neu erlassen als RL 93/96; die Rechtsakte über den Aufenthalt sind inzwischen zu einer Richtlinie zusammengefasst worden, s RL 04/38 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten. 24 BGBl II 1992, 1245, 1253; am Anfang stand eine Initiative Spaniens, s Ratsdok SN 3940/90 ν 24.9.1990, dazu Selbes Mira RMC 1991, 168 ff; Dokumente zur Vorgeschichte bei LaursenlVanhoonacker (Hrsg) The Intergovernmental Conference on Political Union, 1992; s auch Closa 29 CMLRev (1992), 1137, 1153 ff. 25 BGBl II 1998, 385, 387. 26 Art 11-99 bis Art 11-106 W E ; -» vgl § 20 Rn 11.
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kommunalen Vertretungen und zum Europäischen Parlament am Ort des Wohnsitzes (Art 19 EGV/Art 1-10 II lit b W E ) , diplomatischer und konsularischer Schutz (Art 20 EGV/Art 1-10 II lit c W E ) sowie das Petitions- und Auskunftsrecht (Art 21 EGV/ Art 1-10 II lit d, Art III-128 W E ) . Die Grundrechte-Charta fügt dem in den Art 11-101 und 11-102 W E das von der EuGH-Rechtsprechung entwickelte „Recht auf eine gute Verwaltung" und das Recht auf Zugang zu Dokumenten (Art 255 EGV/Art III-399 W E ) hinzu. Das volle Bild wird allerdings erst mit Blick auf den Zusammenhang sichtbar, in dem die Artikel des EG-Vertrages über die Unionsbürgerschaft stehen. Nach Art 17 II EGV (Art 1-10 II W E ) haben die Unionsbürger „die in diesem Vertrag vorgesehenen Rechte und Pflichten". Die europäischen Bürgerrechte werden also durch die Art 18 bis 21 EGV (Art 1-10 II, Art III-128 W E ) nicht abschließend beschrieben, sondern ergeben sich aus allen zwischen der Gemeinschaft und den Einzelnen auf der Grundlage des Vertrages entstandenen Rechtsbeziehungen.27 Der Europäische Rat hatte bereits 1990 in Rom betont, dass die europäische Bürgerschaft soziale und wirtschaftliche ebenso wie staatsbürgerliche Rechte umfassen müsse.28 Daher gehören nicht nur die Grundfreiheiten, sondern auch die Grundrechte und das allgemeine Diskriminierungsverbot dazu, unabhängig davon, ob sie durch die Staatsangehörigkeit der Mitgliedstaaten vermittelt werden oder nicht.29 Aber auch die sekundärrechtlich vermittelten Rechte und das Recht auf gerichtlichen Rechtsschutz gestalten den Unionsbürgerstatus weiter aus.30 Er setzt sich also aus sehr vielen vertraglich oder sekundärrechtlich garantierten und durch die Rechtsprechung entwickelten Rechten zusammen. Die besondere Bedeutung der Art 17 ff EGV (Art 1-10 W E ) liegt darin, dass in ihnen mit dem Aufenthaltsrecht (Art 18 EGV/Art 1-10 II lit a W E ) , dem Wahlrecht (Art 19 EGV/Art 1-10 II lit b W E ) sowie dem Recht auf diplomatischen und konsularischen Schutz (Art 20 EGV/Art 1-10 II lit c W E ) die Rechte nichtwirtschaftlicher Art aufgeführt sind, die nur Unionsbürgern zustehen können. Die Bestimmungen zur Unionsbürgerschaft, die sich im zweiten Teil des EG-Vertrages finden, geben also lediglich den Rahmen eines umfassend angelegten Systems der Rechte vor. Dass dies im EG-Vertrag und nicht, wie bei den Grundrechten, im Unionsvertrag (Art 6 EUV/Art 1-2,1-5 I W E ) geschehen ist, unterwirft die mit ihr verbundenen Rechte der Zuständigkeit des EuGH, die sich zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des Maastrichter Vertrages noch nicht auf die Materien der zweiten und dritten Säule erstreckte (Art L EUV, anders heute Art 46 EUV). Die Unionsbürgerschaft kann keine intergouvernementale Angelegenheit sein. Ihre hervorgehobene Stellung im EG-Vertrag, ihre Bedeutung für die Identität der Union und ihre auf Stärkung der subjektiven Rechte gerichtete Zielsetzung sprechen dafür, dass die in den Art 18 bis 21 EGV (Art 1-10 II W E ) niedergelegten Rechte auch unmittelbar wirksam sein sollen." Allerdings enthalten einige dieser Bestimmungen Vorbehalte (Art 18 I, Art 19 II 2 EGV/Art 1-10 II lit a iVm Art 1-10 II 3, Art 1-10 II lit b iVm Art 1-10 II 3 W E ) , erteilen dem Rat Rechtsetzungsbefugnisse (Art 18 II, Art 19 I 2, II 2
27 Haag in: vd Groeben/Schwarze Art 17 EGV Rn 10. 28 Bull EG, Beil 2/91. 29 Kommission, Dritter Bericht über die Unionsbürgerschaft ν 7.9.2001, KOM 2001, 506 endg, S 2f, 23 ff. 30 Everting ZfRV 1992, 241, 243 ff, 251 ff; Oppermann ER Rn 212. 31 So GA La Pergola, EuGH, Slg 1998, 1-2691, Rn 20 - Martinez Sala; gegen jede Direktwirkung Geiger EUV/EGV Art 17 EGV Rn 3.
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EGV/Art III-126 W E ) oder sehen weitere Vereinbarungen zwischen den Mitgliedstaaten vor (Art 20 S 2 EGV), so dass geklärt werden muss, ob sie auch inhaltlich unbedingt gewährt worden sind. Die Antwort hängt letztlich von einer Auslegung der einzelnen Gewährleistungen ab.32 Juristische Personen können als solche zwar nicht Träger der Unionsbürgerrechte sein, ebenso wenig wie dies bei staatsbürgerlichen Rechten möglich ist. Einzelne Rechte können aber auf juristische Personen des Privatrechts entsprechend angewendet werden, soweit sie dazu geeignet sind.33 So werden sie beim Petitionsrecht ausdrücklich genannt (Art 21 iVm 194, 195 EGV/Art 1-10, III-128 iVm III-334; III-335 W E ) . Auch das Recht auf konsularischen und diplomatischen Schutz (Art 20 EGV/Art 1-10 II lit c W E ) steht angesichts der dahingehenden völkerrechtlichen Praxis ohne weiteres juristischen Personen des Privatrechts zu.34 Die Unionsbürgerschaft ist also umfassend und zukunftsoffen angelegt.35 Sie ist beweglich und Wandlungen unterworfen, so wie die Integration selbst. Dennoch hat sie einen festen Kern, wie sich aus dem Ausschluss der verstärkten Zusammenarbeit für diesen Bereich ergibt (Art 11 I lit c EGV). Wie Art 19 I, II und Art 20 S 1 EGV (Art 1-10 W E ) zu entnehmen ist, ist die Gleichheit der Unionsbürger ein ihr wesentlicher Grundsatz. Die Vereinbarung vertiefter Zusammenarbeit muss zu Diskriminierungen führen, die hierzu in Widerspruch stehen.36
III. Staatsangehörigkeit, Staatsbürgerschaft und Unionsbiirgerschaft 17
Art 17 EGV (Art 1-10 W E ) verwendet drei verschiedene Begriffe, die die Stellung des Einzelnen gegenüber dem ihm übergeordneten Gemeinwesen kennzeichnen sollen. Nach Art 1712 EGV (Art 1-10 I W E ) ist Unionsbürger, wer die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates besitzt. Die Unionsbürgerschaft soll die Staatsbürgerschaft ergänzen, aber nicht ersetzen (Art 17 1 3 EGV/Art 1-10 I W E ) . Wie verhalten sich nun Unionsbürgerschaft, Staatsangehörigkeit und Staatsbürgerschaft zueinander? 1. Staatsangehörigkeit
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und Staatsbürgerschaft
Die Begriffe „Staatsangehörigkeit" und „Staatsbürgerschaft" hängen zusammen, haben aber einen unterschiedlichen rechtlichen Gehalt.37
32 Kluth in: Calliess/Ruffert Art 17 EGV Rn 12. 33 MonarlBieber Die Unionsbürgerschaft, 1995, S 77; Oppermann ER Rn 212; Hatje in: Schwarze Art 17 EGV Rn 10. 34 Haag in: vd Groeben/Schwarze Art 20 EGV Rn 9; Kaufmann-Bühler in: Lenz Art 20 EGV Rn 4; Kluth in: Calliess/Ruffert Art 20 EGV Rn 20; wohl auch Szczekalla EuR 1999, 325 f; dagegen MonarlBieber (Fn 33) S 36; Fischer FS Winkler, 1997, S 237, 264; Hilf in: Grabitz/Hilf Art 20 EGV Rn 8; zweifelnd auch Hatje in: Schwarze Art 20 EGV Rn 3 f. 35 Über die Entwicklung hat die Kommission gem Art 22 I EGV (Art III-129 W E ) alle drei Jahre zu berichten; s zum Jahr 1993 den Ersten Bericht, COM (93) 702 final; zum Zeitraum 1994-96 den Zweiten Bericht, COM (97) 230 final sowie für die Jahre 1997-2000 den Dritten Bericht (Fn 29). 36 Kaufmann-Bühler in: Lenz Vorbem Art 17-22 EGV Rn 4. 37 Die engl/frz Begriffspaare citizenship/nationality bzw citoyennete/nationalite entsprechen dem nicht ganz, aber weitgehend, s Gosewinkel Geschichte und Gesellschaft 21 (1995), 533, 544 f.
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Die Staatsangehörigkeit wird als ein Rechtsverhältnis beschrieben, das ein Individuum der Personalhoheit eines Staates unterstellt. Ebenso gut lässt sie sich als Eigenschaft oder Status einer Person bezeichnen. 38 Ein Unterschied in der Sache ergibt sich hieraus nicht. Entscheidend ist, dass der Begriff der Staatsangehörigkeit die formale rechtliche Zugehörigkeit eines Menschen zu einem Staatswesen bezeichnet. Er hat eine völkerrechtliche und eine staatsrechtliche Bedeutung. In völkerrechtlicher Hinsicht sind Staatsangehörige die Personen, denen ein Staat ungeachtet ihres Aufenthaltsortes Rechte verleihen und Pflichten auferlegen darf. Darüber hinaus begründet die Staatsangehörigkeit das Recht eines Staates zur Ausübung diplomatischen und konsularischen Schutzes im Ausland und die Pflicht zur Aufnahme im eigenen Territorium. Die Befugnis, die Voraussetzungen für Erwerb und Verlust der Staatsangehörigkeit zu regeln, steht als Ausdruck ihrer Souveränität den Staaten zu, unterliegt aber völkerrechtlichen Grenzen. So dürfen Regelungen über die Staatsangehörigkeit nicht ihrerseits die Personalhoheit anderer Staaten verletzen. Darüber hinaus dürfen andere Staaten der Begründung der Staatsangehörigkeit den daraus sich ergebenden Rechtsfolgen die Anerkennung versagen, wenn sie nicht effektiv ist, also lediglich de iure besteht. 39 Dem rechtlichen Status der Staatsangehörigkeit muss also eine reale soziale Einbindung in ein Gemeinwesen entsprechen. Die Staatsangehörigkeit hat nach alldem die Funktion, Hoheitsbereiche zwischen den Staaten abzugrenzen und ein Ausschließlichkeitsverhältnis zwischen Staat und Individuum kenntlich zu machen. Die staatsrechtliche Bedeutung der Staatsangehörigkeit variiert nach der jeweiligen Verfassung. Mit spezifischen Rechten und Pflichten ist sie aus sich heraus nicht verbunden. 40 Zwar knüpft das Grundgesetz eine ganze Reihe von Rechten und Pflichten an die deutsche Staatsangehörigkeit. Diese ist aber jeweils nur eine von mehreren Voraussetzungen, die vorliegen müssen, damit etwa das Wahlrecht (Art 38 II GG, §§ 12 ff BWahlG) oder die Wehrpflicht (Art 12a GG, §§ 1, 9 ff WPflG) entstehen können. Die Staatsbürgerschaft dagegen ist der Inbegriff der Rechte und Pflichten, die die Zugehörigkeit eines Menschen zu Staat und Gesellschaft ausmachen. 41 Sie geht auf die Aufklärungsidee von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit zurück und impliziert freiheitliche, soziale und politische Rechte. Das Ausschließungskriterium ist der sog Aktivstatus, das Recht zu wählen und gewählt zu werden. Seit jeher ist ein großer Teil der Bevölkerung aufgrund des Alters, Bildungsstandes oder Geschlechts, der sozialen Herkunft oder eben aufgrund der Staatsangehörigkeit von der politischen Mitwirkung ausgeschlossen. In den Gemeinwesen der Antike ebenso wie in der mittelalterlichen Stadt lassen sich die politischen Rechte als das Unterscheidungsmerkmal zwischen Bürgerschaft und minderen Formen der Zugehörigkeit ausmachen. 42 Aufklärung und französische Revolution haben
38 Zum Streit zwischen Status- und Rechtsverhältnistheorie vermittelnd Makarov Allgemeine Lehren des Staatsangehörigkeitsrechts, 2. Aufl 1962, S 21 ff; Kimminich in: Dolzer/Vogel (Hrsg) BK GG, Art 16 Rn 4 fF. 39 ICJ Reports 1955, 4, 23 - Liechtenstein/Guatemala (Nottebohm); s auch EuGH, Slg 1980, 3881, Rn 10 - Kommission/Belgien: Staatsangehörigkeit als „Verhältnis besonderer Verbundenheit ... zum Staat" bei „Gegenseitigkeit von Rechten und Pflichten". 40 Vgl Wengler FS Schätzel, 1960, S 545, 546; Randelzhofer in: Maunz/Dürig (Hrsg) G G Art 16 R n 9 ; Grawert Der Staat 23 (1984), 178, 183. 41 Grawert ebd 182 ff, 197 ff; Preuß 1 ELJ (1995), 267, 269 ff. 42 Eder in: Molho/Raaflaub/Emlen (Hrsg) City-States in Classical Antiquity and Medieval Italy, 1991, S 169 ff; Isenmann Die deutsche Stadt im Spätmittelalter 1250-1500, 1988, S 93 ff.
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daran nichts geändert. 43 Die Bedeutung sozialer Rechte für die rein tatsächliche Möglichkeit der freien Entfaltung des Menschen wird demgegenüber erst im Rückblick auf das beginnende Industriezeitalter deutlich, das neue Probleme sozialer Ungleichheit mit sich brachte. Vor diesem Hintergrund werden außer den politischen auch die sozialen Rechte als essentieller Bestandteil der Staatsbürgerschaft angesehen.44 Nur wer alle Freiheits-, sozialen und politischen Rechte besitzt, ist Staatsbürger. Der Zusammenhang zwischen Staatsangehörigkeit und Staatsbürgerschaft besteht darin, dass der volle Bürgerstatus für Staatsangehörige reserviert bleibt. Im 19. Jh war dies deutlicher erkennbar als heute. In Deutschland waren seit dem Vormärz selbst die Freiheitsrechte an die Staatsangehörigkeit gebunden.45 Vergleichbares gilt für die soziale Fürsorge.46 In zunehmendem Maße lösten sich indes nicht nur die Freiheitsrechte, sondern auch die Teilhabe am System sozialer Sicherungen dem Grunde nach von der Staatsangehörigkeit und wurden vom Ort des Wohnsitzes oder Aufenthaltes abhängig.47 Die Ausnahme bilden die politischen Rechte. Dass sie auch nach dem Grundgesetz das entscheidende Element der Staatsbürgerschaft bilden, zeigen Art 33 III GG, der zwischen bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechten unterscheidet, und Art 33 I GG, der allen Deutschen die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten zuschreibt. In dieser Tradition steht auch das BVerfG, wenn es davon ausgeht, dass das Volk, von dem die Staatsgewalt ausgehen muss (Art 20 II GG), das deutsche Volk sei, das sich aus den deutschen Staatsangehörigen zusammensetzt. 48 Der im EG-Vertrag verwendete Begriff der Unionsbürgerschaft ist mit der Staatsangehörigkeit weder vergleichbar, noch soll er es sein.49 Vielmehr orientiert er sich bewusst an der Idee der Staatsbürgerschaft. Dadurch soll angezeigt werden, dass sie im Gegensatz zur Staatsangehörigkeit keine Personalhoheit begründet, sondern dass die Union den Einzelnen als Träger von Rechten und Pflichten (Art 17 II EGV/Art 1-10 II W E ) versteht. Die . politischen Teilhaberechte gegenüber der Gemeinschaft (Art 19 II, Art 21 EGV/Art 1-10 II lit b, Art 1-10 II lit d, Art III-128 W E ) begründen eine Rechtsposition, der dem staatsbürgerlichen Aktivstatus ähnelt. Wie weit diese Parallele letztlich trägt, muss die Betrachtung der einzelnen Rechte zeigen (dazu u IV.). 2. Staatsangehörigkeit
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als Voraussetzung der Unionsbürgerschaft
Fall 1: (EuGH, Slg 1992,1-4239 ff - Micheletti) Μ wurde in Argentinien als Sohn italienischer Eltern geboren und besitzt sowohl die italienische als auch die argentinische Staatsangehörigkeit. Nach erfolgreichem Studium der
43 Lamoureux in: Colas/Emeri/Zylberberg (Hrsg) Citoyennete et nationalite, 1991, S 55 ff; Brubaker Citizenship and Nationhood in France and Germany, 1992, S 21 ff. 44 Marshall Citizenship and Social Class, 1949, hier nach: ders Bürgerrechte und soziale Klassen, 1992, S 33 ff; Dahrendorf in: van Steenbergen (Hrsg) The Condition of Citizenship, 1994, S 10, 13. 45 Oestreich Geschichte der Menschenrechte und Grundfreiheiten im Umriss, 2. Aufl 1978, S 81 ff; Grawert Staat und Staatsangehörigkeit, 1973, S 195f; noch heute stehen die Grundrechte der Art 8, Art 9 I, Art 11 und Art 12 I GG nur Deutschen zu. 46 Fahrmeir The Historical Journal 40 (1997), 721, 726 ff. 47 Noiriel Le creuset fran?ais, 1988, S 110 ff; Hollifield Immigrants, Markets and States, 1992, S 223 ff. 48 BVerfGE 83, 37, 59. 49 Vgl Hobe Der Staat 32 (1993), 245 ff; Closa 32 CMLRev (1995), 487,488 ff, 515 ff.
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Zahnmedizin in seinem Geburtsland will er sich in Spanien als Zahnarzt niederlassen und legt zu diesem Zweck seinen italienischen Pass vor. Das Diplom wurde auf der Grundlage eines spanisch-argentinischen Abkommens anerkannt. Die spanischen Behörden verweigern jedoch die Niederlassung unter Hinweis auf Art 9 des Codigo Civil. Danach kommt in Fällen doppelter Staatsangehörigkeit, wenn keine der beiden Staatsangehörigkeiten die spanische ist, deijenigen der Vorrang zu, die dem gewöhnlichen Aufenthalt des Betroffenen vor seiner Einreise nach Spanien entspricht, also im Falle des Μ der argentinischen Staatsangehörigkeit. Μ beschreitet den Rechtsweg. Das zuständige Tribunal Superior de Justicia de Cantabria legt dem EuGH die Frage zur Entscheidung vor, ob mit den Bestimmungen des EG-Vertrages, welche auf die Staatsangehörigkeit verweisen, Vorschriften des nationalen Rechts in Einklang stehen, die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten gemeinschaftsrechtlich verliehene Rechte nur deshalb vorenthalten, weil sie außerdem die Staatsangehörigkeit eines Drittstaates besitzen, in dem sie sich bisher aufgehalten haben. Art 17 I 2 EGV (Art 1-10 I W E ) erklärt jeden zum Unionsbürger, der die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates besitzt. Begriffe, die im EG-Vertrag verwendet werden, sind in der Regel in ihrer spezifisch gemeinschaftsrechtlichen Bedeutung, also autonom auszulegen. Dies kann selbst dann gelten, wenn ein Rechtsbegriff auf innerstaatliche Regelungszuständigkeiten verweist, wie dies beim Begriff der „öffentlichen Ordnung" im Sinne der Art 30, Art 39 III, Art 46 EGV (Art III-154, Art III-133 III, Art III-140 W E ) der Fall ist. Demnach könnte auch Art 17 1 2 EGV (Art 1-10 I W E ) ein speziell gemeinschaftsrechtlicher Begriff der Staatsbürgerschaft zugrunde liegen, der vor dem Hintergrund der effektiven Wahrnehmung der Unionsbürgerrechte, insbesondere aber der Grundfreiheiten auszulegen wäre. Gegen diese Lesart spricht aber der historische und systematische Zusammenhang, in dem Art 1 7 1 2 EGV (Art 1-10 I W E ) steht. Bereits vor Inkrafttreten des Maastrichter Vertrages hatten einige Mitgliedstaaten die ausschließliche Befugnis zur Regelung des Staatsangehörigkeitsrechts für sich reklamiert. Die Bundesrepublik hat aus Anlass des Abschlusses der Römischen Verträge erklärt, dass auch für die Zwecke des Gemeinschaftsrechts der Deutschen-Begriff des Art 116 G G gelte.50 Eine Besonderheit gilt auch für Großbritannien, das zwischen Staatsangehörigkeit im engeren Sinne und Zugehörigkeit zum Commonwealth unterscheidet. In einer einseitigen Erklärung anlässlich des Beitritts zur EG 1972 hat Großbritannien den Begriff des britischen Staatsbürgers für die Zwecke des Gemeinschaftsrechts anders definiert als für den innerstaatlichen Bereich und im Völkerrechtsverkehr. Danach ist nun Unionsbürger, wer britischer Bürger ist, ein unbegrenztes Aufenthaltsrecht im Vereinigten Königreich besitzt oder die Staatsbürgerschaft aufgrund einer Verbindung zu Gibraltar erworben hat." In der „Erklärung zur Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates", die der Schlussakte des Maastrichter Vertrages beigefügt wurde, wurde später ausdrücklich festgestellt, dass überall dort, wo der EG-Vertrag die Staatsangehörigkeit anspricht, allein das innerstaatliche Recht maßgeblich sein soll.52 Daher sind nur die Mitgliedstaaten für die Festlegung
50 BGBl II 1957, 753, 764. 51 ABl 1972 Nr L 73/196; 1973 N r C 64/10; 1983 Nr C 23/1; die Erklärung steht mit dem Gemeinschaftsrecht in Einklang, s E u G H , Slg 2001,1-1237 ff - Kaur. 52 Schlussakte zum Vertrag von Maastricht (Fn 24) Teil III 2. Erklärung; s a Schlussfolgerungen des Rates von Edinburgh, Bull E G 12/92, S 26 ff.
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der Voraussetzungen und des Verlustes der Staatsangehörigkeit zuständig.53 Alle Bestimmungen des nationalen Staatsangehörigkeitsrechts definieren zugleich den Kreis der Unionsbürger. Diese Zuständigkeitsverteilung hat zur Folge, dass die Unionsbürgerschaft in manchen Staaten leichter erworben werden kann als in anderen. Sie kann insbesondere dann misslich sein, wenn dadurch zwischen den Mitgliedstaaten ungleiche Pflichten entstehen.54 Die einzelnen staatlichen Modelle und die Praxis der Einbürgerung sind sehr unterschiedlich. Forderungen insbesondere des Europäischen Parlaments, gewisse Bedingungen für den Erwerb oder Verlust der Staatsangehörigkeit zu harmonisieren,55 haben jedoch auf absehbare Zeit politisch keine Erfolgsaussichten. Der Verzicht auf die Befugnis zur autonomen Definition der Staatsangehörigkeit würde die Qualität der Staaten und den Status der Union entscheidend verändern. Allerdings unterliegen die Mitgliedstaaten auch in diesem Bereich der Gemeinschaftstreuepflicht (Art 10 EGV/Art 1-5 II W E ) . Sie verbietet es, die Einbürgerung so zu erleichtern, dass eine gemeinschaftliche Einwanderungspolitik (s Art 63 EGV) praktisch unmöglich oder wesentlich erschwert wird.56 Staatsangehörigkeit und Unionsbürgerschaft sind nach Art 17 I 2 EGV (Art 1-10 I W E ) untrennbar. Drittstaatsangehörige oder Staatenlose können die Unionsbürgerschaft nicht selbstständig erwerben.57 So wird die philosophische Idee, dass Bürger eines Gemeinwesens diejenigen sind, die unter einer gemeinsamen politischen und rechtlichen Ordnung leben wollen,58 vorerst nicht Bestandteil des Konzeptes der Unionsbürgerschaft sein. Auch kann niemand auf die Unionsbürgerschaft verzichten, ohne zugleich seine Staatsangehörigkeit aufzugeben.59 Lösung Fall 1: Das Vorabentscheidungsersuchen des spanischen Gerichts an den EuGH war als Auslegungsvorlage gem Art 2341 lit a EGV (Art III-369 lit a W E ) ohne weiteres zulässig. Nach Art 43 EGV ( Art III-137 W E ) kann sich Μ auf die Niederlassungsfreiheit berufen, wenn er Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates ist. Nach den im Zusammenhang mit Art 17 I 2 EGV (Art 1-10 I W E ) abgegebenen Erklärungen ist hierfür nicht das Gemeinschaftsrecht, sondern das nationale Recht maßgeblich. Somit besitzt Μ die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates, wenn er die italienische Staatsangehörigkeit wirksam erworben hat. Hieran gibt es keinen Zweifel, auch nicht aufgrund des Umstands, dass Μ nach dem Geburtslandprinzip auch die argentinische Staatsangehörigkeit erworben hat, so dass er beide Staatsangehörigkeiten besitzt. Indes könnte Spanien nach allgemeinen völkerrechtlichen Grundsätzen berechtigt sein, die italienische Staatsangehörigkeit als nicht effektiv anzusehen. Nach 53 So EuGH, Slg 1992,1-4239, Rn 10, 14 - Micheletti; dazu O'Leary 12 YEL (1992), 353, 364 ff; Jessurun d'Oliveira 30 CMLRev (1993), 623 ff; Ruzie 97 RGDIP (1993), 107 ff. 54 Zum Fall eines spanisch/argentinischen Doppelstaaters, der sich in Italien niederlassen will de Grool FS Bleckmann, 1993, S 87, 94 f. 55 Europäisches Parlament, Entschließung zur Unionsbürgerschaft, ABl 1991 Nr C 326/205; s auch de Grool Staatsangehörigkeit im Wandel, 1989, S 23 ff; O'Leary 12 YEL (1992), 353, 383 f; Sauerwald Die Unionsbürgerschaft und das Staatsangehörigkeitsrecht in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, 1996, S 120 ff, 156 ff; Hilf in: Grabitz/Hilf Art 17 EGV Rn 43, 68. 56 Hatje in: Schwarze Art 17 EGV Rn 4. 57 Vgl Kommission, Dritter Bericht (Fn 29) S 8 Fn 4. 58 Vgl Meehan Citizenship and the European Community, 1993, S 123 ff; Habermas in: van Steenbergen (Fn 44) S 20, 23; Closa 32 CMLRev (1995), 487,488 ff, 507 ff. 59 BayVGH, NVwZ 1999, 197.
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dem Völkerrecht bedarf es zwischen Staat und Individuum einer genuinen, realen Verbindung, an der man im Verhältnis zwischen Μ und Italien womöglich zweifeln kann, da Μ nie in Italien gelebt hatte. Diese Regeln des Völkergewohnheitsrechts könnten jedoch durch den EG-Vertrag als die speziellere und auf die Union beschränkte Rechtsordnung verdrängt worden sein. Die Protokollerklärung zum Vertrag von Maastricht, der zufolge es allein auf das mitgliedstaatliche Recht ankommen soll, bringt zum Ausdruck, dass die Unionsstaaten ihr Staatsangehörigkeitsrecht untereinander vorbehaltlos anerkennen. Daher durfte Spanien der italienischen Staatsangehörigkeit nicht entgegen italienischem Recht die Anerkennung versagen. Dies wäre nur dann möglich gewesen, wenn das italienische Recht eine geordnete Einwanderungspolitik unmöglich gemacht hätte. Hierfür lagen keine Anhaltspunkte vor. Spanien musste daher dem Μ die Niederlassung als Zahnarzt gestatten.60 Aus dieser Entscheidung ergibt sich für die Behandlung von Personen mit mehrfacher Staatsangehörigkeit eine Reihe von Konsequenzen. 61 Ihre Leitlinien sind auf das deutsche Recht, das in Art 5 I EGBGB eine der spanischen vergleichbare Regelung kennt, übertragbar. Dass Μ auch in Deutschland die Niederlassung und alle an die Unionsbürgerschaft geknüpften Rechte nicht verwehrt werden dürften, bedarf keiner näheren Ausführungen. Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie Doppelstaatler zu behandeln sind, die die Angehörigkeit zweier Unionsstaaten besitzen. Da bei Vorliegen der Staatsbürgerschaft eines Mitgliedstaates alle Rechte des EG-Vertrages entstehen, dürfen sie auch nicht als Inländer behandelt und wie diese etwa gegenüber Nutznießern der Grundfreiheiten schlechter gestellt werden. Die sog Inländerdiskriminierung ist hier also, anders als sonst, nicht zugelassen, und zwar wohl auch dann nicht, wenn die andere EU-Staatsangehörigkeit nicht effektiv ist.62 Doppelstaatler, die die Staatsangehörigkeit eines Unionsstaates und eines Drittstaates besitzen, haben einen ähnlichen Status, soweit ihnen eine völkerrechtliche Vereinbarung der Gemeinschaft mit dem Drittstaat Rechte eröffnet, die den Grundfreiheiten entsprechen. Dies ist im Hinblick auf die Staaten des Europäischen Wirtschaftsraumes und die Türkei der Fall.63
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Was die gemeinschaftsrechtlichen Grenzen für die Verleihung der Staatsbürgerschaft angeht, so verletzt das Optionsmodell der §§ 85, 86 AuslG, dem zufolge in der Bundesrepublik aufgewachsene Kinder ausländischer Eltern unter zeitweiliger Hinnahme mehrfacher Staatsangehörigkeit erleichtert einzubürgern sind, die Gemeinschaftstreuepflicht nicht, da in diesen Fällen bereits eine hinreichend effektive Bindung an die Bundesrepublik besteht. 64
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60 Der Lösung wurde die aktuelle Rechtslage zugrunde gelegt. 61 Vgl im einzelnen Zimmermann EuR 1995, 54, 64 ff. 62 Zum Vorliegen einer EU-Staatsangehörigkeit als wesentliche Voraussetzung EuGH, Slg 1988, 5589 ff - Matteucci; zu einem Fall mit frz/dtsch Staatsangehörigkeit EuGH, Slg 1 9 8 8 , 1 , R n 1 1 ff Gullung = Kunig, JK 89, EWGV Art 52/1; allgemein Wölker in: vd Groeben/Schwarze Vorbem Art 39-41 EGV Rn 46 ff; zur Inländerdiskriminierung noch bei Fn 67, 79, 169. 63 Vgl insb Art 28, 31 und 36 des EWR-Übk, Sartorius II Nr 310; zur Türkei das Assoziationsabkommen BGBl II 1963, 453, 509; Zusatzprotokoll BGBl II 1972, 385; zur Privilegierung bes EuGH, Slg 1999, 1-2685 ff - Sürül; zum Niederlassungsrecht polnischer, bulgarischer und tschechischer Staatsangehöriger aufgrund der Übergangsregelungen vor dem Beitritt s E u G H Slg 2001,1-6369 - Gloszczuk, Slg 2001,1-6427 - Kondova und Slg 2001,1-6557- Barkoci und Malik, jew Rn 30 ff. 64 Zur verfassungsrechtlichen Seite HuberlButzke NJW 1999, 2769 ff; Masing Wandel der Staatsangehörigkeit vor den Herausforderungen moderner Migration, 2001, S 40 ff.
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3. Unionsbürgerschaft als Ergänzung der Staatsbürgerschaft 34
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Die Unionsbürgerschaft ist von der Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Union abhängig und soll im Rahmen der Union eine Funktion übernehmen, der in den Staaten die nationale Staatsbürgerschaft entspricht. Sie tritt zu dieser aber nicht in Konkurrenz, sondern ergänzt sie (Art 1713 EGV/Art 1-10 I 2 W E ) . Die Unionsbürgerschaft soll also eine „Bürgerschaft auf mehreren Ebenen" begründen.65 Damit fragt sich, an wen sich die Rechte der Unionsbürger eigentlich richten. Erster Adressat ist die Union, bisher vor allem soweit sie in ihrer sog ersten Säule, der Gemeinschaft, tätig wird. Das Ziel, insoweit die Rechtsstellung des Einzelnen bewusster zu definieren, wird beim Europawahl-, Petitions-, Informations- und Aktenzugangsrecht (Art 19, 21, 255 EGV/Art 1-10 lit b, Art 1-10 II lit d, Art III-128, III-399 W E ) erkennbar. Im Verhältnis zur Union lässt sich die Unionsbürgerschaft daher ohne weiteres als Rechtsverhältnis oder Rechtsstatus bezeichnen.66 Darüber hinaus sind auch die Mitgliedstaaten Adressaten der meisten sich aus der Unionsbürgerschaft ergebenden Verpflichtungen. Dies gilt für die Freizügigkeit (Art 18 EGV/ Art 1-10 II lit a W E ) , das Kommunalwahlrecht (Art 19 I EGV/Art 1-10 II lit b W E ) sowie den diplomatischen und konsularischen Schutz (Art 20 EGV/Art 1-10 II lit c W E ) , aber auch das Wahlrecht zum Europäischen Parlament (Art 19 II EGV/Art 1-10 II lit b W E ) bedarf staatlicher Mitwirkung. Diese Rechte richten sich ihrem Wortlaut nach an Mitgliedstaaten, deren Staatsangehörigkeit der Unionsbürger nicht besitzt, in denen er aber seinen Wohnsitz genommen hat oder noch begründen will. Darüber hinaus fragt sich, ob auch dem eigenen Staat aus der Unionsbürgerschaft Verpflichtungen erwachsen. Getreu seiner Rechtsprechung zur sog Inländerdiskriminierung hat es der EuGH bisher abgelehnt, die Unionsbürgerrechte auf die eigenen Staatsbürger zu erstrecken und den Mitgliedstaaten gestattet, sie strengeren Regelungen zu unterwerfen.67 Die Frage stellt sich indes nur im Hinblick auf die Freizügigkeit und das allgemeine Diskriminierungsverbot (Art 18 und 12 EGV/Art 1-10 II lit a, Art 1-4 II, III-123 W E ) . Die übrigen Rechte sind nach Wortlaut und Sinn an andere als die Herkunftsstaaten (Art 19 I, II, Art 20 EGV/ Art 1-10 II lit b, Art 1-10 II lit c W E ) bzw allein an die Union (Art 21, 255 EGV/Art 1-10 II lit d, Art III-128, III-399 W E ) gerichtet. Auf das Problem wird daher im Zusammenhang mit den betroffenen Rechten zurückzukommen sein. Die Unionsbürgerschaft begründet somit zugleich einen besonderen, der Staatsbürgerschaft komplementären Status des Einzelnen gegenüber der Union und gegenüber den Mitgliedstaaten. Es soll nun beschrieben werden, worin dieser Status besteht.
65 Kommission, Dritter Bericht (Fn 29) S 8; ein wesentliches Merkmal der Unionsbürgerschaft ist also ihre „Zusätzlichkeit", s Closa 29 CMLRev (1992), 1137 ff; O'Keefe in: O'Keefe/Twomey (Hrsg) Legal Issues of the Maastricht Treaty, 1994, S 87, 102 f; Parallelen zum Indigenat im Deutschland des 19. Jh sehen HailbronnerlRenner Staatsangehörigkeitsrecht, 2. Aufl 1998, Einl Rn 50; Hobe Der Staat 32 (1993), 245,258 f. 66 Kluth in: Calliess/Ruffert Art 17 EGV Rn 6; ähnlich Kaufmann-Bühler in: Lenz Vorbem Art 17-22 EGV Rn 3. 67 EuGH, Slg 1997, 1-3171, Rn 23 - Uecker; s dagegen O'Leary 32 CMLRev (1995), 519, 528 f; Borchardt NJW 2000, 2057, 2059; Toner Maastr 7 JECL (2000), 158, 169 f; s noch ο Fn 62 und u Fn 79, 169.
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IV. Die Unionsbürgerrechte 1.
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a) Rechtliche Tragweite Das Recht der Unionsbürger nach Art 18 EGV (Art 1-10 II lit a W E ) , sich auf dem Gebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, ist für den Status der Unionsbürgerschaft zentral, da es für alle anderen Rechte die Voraussetzung bildet. Die Bedeutung des Art 18 EGV (Art 1-10 II lit a W E ) liegt in einer Erweiterung individueller Rechte mit wirtschaftlicher Zwecksetzung auf eine allgemeine, keiner Begründung bedürftigen Bewegungsfreiheit in Europa. Die Grandfreiheiten sind also gegenüber der Freizügigkeit die spezielleren Garantien, da sie über Art 18 EGV (Art 1-10 II lit a W E ) hinaus auch ein Recht auf Teilnahme am Wirtschaftsverkehr gewähren.68 Demgegenüber tritt das Diskriminlerungsverbot des Art 12 EGV (Art 1-4 II, Art III-123 W E ) als allgemeinere Vorschrift hinter der Freizügigkeit zurück, kann sich aber, wie sich noch zeigen wird, in Verbindung mit ihr zu einem umfassenden Teilhabeanspruch verstärken (-> vgl hierzu auch § 13 Rn 10), ähnlich wie dies von den Grundrechten des Grundgesetzes her aus der Verbindung von Art 12 GG, dem Gleichheitssatz und dem Sozialstaatsprinzip bekannt ist.69 Der Rechtsprechung des EuGH zufolge ist Art 18 EGV (Art 1-10 lit a W E ) unmittelbar anwendbar.70 Dagegen scheint zu sprechen, dass Art 18 EGV (Art 1-10 II lit a W E ) das Freizügigkeitsrecht nur „vorbehaltlich" im EG-Vertrag und im Sekundärrecht vorgesehener Beschränkungen und Bedingungen gewährt. Eine Bestimmung des Primärrechts muss zwar klar gefasst, darf an keine Bedingung geknüpft sein und keiner weiteren Umsetzungsakte bedürfen, wenn sie unmittelbar anwendbar sein soll.71 Der Wortlaut des Art 18 EGV verleiht aber jedem „das Recht" auf Freizügigkeit. Wenn Beschränkungen aus „diesem Vertrag" folgen, lässt dies ohne weiteres den Schluss zu, dass auch das Recht selbst vertraglich zugesichert ist. Im systematischen Vergleich mit anderen Vorschriften ergibt sich ein Unterschied zu Art 19 EGV, der im Gegensatz zu Art 18 II EGV das Wahlrecht vorbehaltlich noch festzulegender Einzelheiten gewährt; nach Art 18 II EGV „kann" hingegen der Rat Vorschriften erlassen, um weitere Erleichterungen einzuführen, muss dies aber nicht, was ohne Direktwirkung nicht sinnvoll wäre. Deshalb waren in der Maastrichter Fassung für die Umsetzung der Rechte aus den heutigen Art 19 I und II sowie Art 20 (Art 8 b I, II, Art 8 c aF) EGV noch Fristen vorgesehen worden, für Art 18 EGV dagegen nicht. Zudem spricht das Vertragsziel der Erweiterung der Bürgerrechte, das auch in dem Auftrag an den Rat, die Ausübung der Freizügigkeitsrechte zu erleichtern (Art 18 II EGV), zum Ausdruck kommt, eher für als gegen eine unmittelbare Wirkung. Die schon seit längerem bestehenden sekundärrechtlichen Rechte sind somit auf die Ebene des EG-Vertrages gehoben und zu einem Grundrecht geworden,72 dessen Ausübung allerdings im Sekundärrecht näher geregelt ist. Diese Regelungstechnik hat vor allem ver-
68 Vgl EuGH, Slg 1996,1-929, Rn 22 - Skanavi. 69 Vgl JarassIPieroth GG Art 12 Rn 59 f, 66 ff. 70 EuGH, Slg 2002,1-7091, Rn 84 - Baumbast; s auch Pernice FS Rodriguez Iglesias, 2003, S 177, 187; Magiern in: Streinz Art 18 Rn 11; gegen Direktwirkung noch PechsteinIBunk EuGRZ 1997, 547ff. 71 StRspr seit EuGH, Slg 1963, 3, 25 f - van Gend & Loos. 72 Siehe auch Art 11-104 W E .
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fassungspolitische Motive. Inhaltlich deckt sich der Schutzbereich des Art 18 EGV (Art 1-10 II lit a W E ) mit den schon vor In-Kraft-Treten des Maastrichter Vertrages 1993 bestehenden Regelungen, die auch weiterhin gelten. So besitzen Studierende, die an einem ausländischen Studienort zum Studium zugelassen wurden, auch so für die Dauer des Studiums ein Aufenthaltsrecht.73 Allerdings müssen die sekundärrechtlichen Regelungen ihrerseits im Lichte der Zwecksetzung des Art 18 EGV (Art 1-10 II lit a W E ) ausgelegt werden, da dieser nun auf einer übergeordneten Stufe steht. b) Schutzbereich 41
Das Grundrecht steht nur Unionsbiirgern zu. Familienangehörige, die Angehörige dritter, nicht durch Abkommen der Gemeinschaft privilegierter Staaten sind, besitzen nach Maßgabe des Sekundärrechts ein Freizügigkeits- und Aufenthaltsrecht.74 Das Freizügigkeitsrecht richtet sich gegen die Mitgliedstaaten, wobei hier die Frage Bedeutung gewinnt, ob auch der eigene Staat Adressat von Ansprüchen der Unionsbürger werden kann.75 Sie ist von Interesse, wenn das nationale Recht die Bewegungsfreiheit von Inländern stärker beschränkt, als dies gegenüber Angehörigen anderer Mitgliedstaaten zulässig wäre.76 Inländer stehen gegenüber dem eigenen Staat nur unter dem Schutz der personenbezogenen Grundfreiheiten, wenn sie an der Ausreise in andere Mitgliedstaaten gehindert werden.77 Inlandsfälle ohne grenzüberschreitenden Bezug unterfallen diesen dagegen nicht.78 Es wäre ein Wertungswiderspruch, wenn Art 18 EGV (Art 1-10 II lit a W E ) als die subsidiäre Gewährleistung mehr Schutz böte. Auch der Grundrechtsgehalt des Art 18 EGV (Art 1-10 II lit a W E ) liefert insoweit keine neuen Anhaltspunkte. Von einem Grundrecht sollte zwar erst die Rede sein, wenn ein Recht allen Unionsbürgern im Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts gleichermaßen zusteht; wie weit Inländer in den Anwendungsbereich des Gemeinschaftsrechts fallen, ist indessen gerade die Frage. Der EuGH hat daher auch nach Einfügung des heutigen Art 18 (Art 1-10 II lit a W E ) in den EGVertrag an seiner Rechtsprechung festgehalten.79 Damit ergibt sich das Freizügigkeitsrecht vollständig erst in Zusammenschau mit dem nationalen Recht.80 Mitgliedstaaten dürfen aber die Freizügigkeit ihrer Staatsangehörigen insofern nicht beschränken, als diese die Staatsgrenzen innerhalb der Union überschreiten wollen.81 73 EuGH, Slg 1992,1-1027 ff - Raulin. 74 Art 11-105 II W E . 75 So Kluth in: Calliess/Ruffert Art 18 EGV Rn 8; Hatje in: Schwarze Art 18 EGV Rn 6; Borchardt NJW 2000,2057, 2059; skeptisch Everting in: Hrbek (Fn 6) S 49, 52, 56. 76 Vgl die Schranken in Art 11 II GG mit Art 39 III EGV; zum österreichischen Habsburg-Problem Fischer FS Winkler, 1997, S 237, 257 ff; zu Reisebeschränkungen für Mitglieder der Sinn Fein in der britischen Rspr Toner Maastr 7 JECL (2000), 158, 161. 77 EuGH, Slg 1992,1-4265, Rn 19 - Singh. 78 Vgl EuGH, Slg 1979, 1129, Rn 11 - Saunders; Slg 1993,1-429, Rn 17 - Werner. 79 EuGH, Slg 1997,1-3171, Rn 23 - Uecker. 80 Verfassungen, die die Freizügigkeit gewähren, behalten sie meist eigenen Staatsangehörigen vor, s Art 11 I GG; Art 5 IV griech, Art 16 ital, Art 44 port und Art 19 span Verf; § 44 II der dän Verfassung macht einen Vorbehalt bzgl des Grunderwerbs durch Ausländer, der primärrechtlich durch ein Protokoll gedeckt ist. In Belgien, Irland, Luxemburg, den Niederlanden und Schweden ist die innerstaatliche Freizügigkeit nicht verfassungsrechtlich verankert. Nur § 7 der finnischen Verfassung stellt ausdrücklich Staatsbürger und rechtmäßig in Finnland lebende Ausländer gleich. 81 EuGH, Slg 2000,1-10409, Rn 34 f - Elsen.
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Der sachliche Schutzbereich umfasst somit die Ausreise aus dem einen und die Einreise in den anderen Mitgliedstaat, ferner dort Bewegung, Wohnsitznahme und Aufenthalt. Insoweit enthält Art 18 EGV (Art 1-10 II lit a W E ) ein Beschränkungsverbot. Dieses Recht darf keinen sachlichen oder zeitlichen Begrenzungen unterworfen werden, zumal solchen nicht, denen Inländer nicht unterliegen. Auch in seinem Gehalt als Diskriminierungsverbot gewährt Art 18 EGV (Art 1-10 II lit a W E ) ein Abwehrrecht. Identitätskontrollen nach nationalem Recht bleiben dagegen erlaubt, damit festgestellt werden kann, ob einer Person das beanspruchte Recht zusteht.82 Die Vorlage der Aufenthaltserlaubnis darf verlangt werden, sofern auch für Inländer eine Pflicht besteht, sich auszuweisen.83 Darüber hinaus begründet das Freizügigkeitsrecht in Verbindung mit Art 12 EGV (Art 1-4 II, Art III-123 W E ) einen weitgehenden Anspruch auf Inländerbehandlung, der auch zu einem derivativen Leistungsanspruch werden kann.84 Die Reichweite lässt sich schwer absehen. Im Schrifttum wird eine sachliche Begrenzung auf einen Zusammenhang mit dem Aufenthaltsrecht verlangt.85 Dem entsprechend dürfen EU-Ausländer etwa beim Erwerb von Grundbesitz nicht diskriminiert werden, unabhängig davon, ob es sich um eine Industrieanlage oder ein Ferienhaus handelt, sofern in den Gründungsverträgen oder Beitrittsakten nichts anderes bestimmt ist. Allerdings wird sich eine klare Grenze zwischen aufenthaltsbedingten und sonstigen Maßnahmen kaum ziehen lassen. Der Schutzbereich ist umfassend angelegt. Er wird nur durch Bedingungen eingegrenzt, auf die Art 18 I EGV (Art 1-10 II lit a W E ) verweist. Zu den tatbestandsimmanenten Grenzen gehört vor allem das sekundärrechtlich zulässige Erfordernis des Nachweises genügender Existenzmittel und eines ausreichenden Krankenversicherungsschutzes.86 Daraus folgt etwa, dass sich die Umstände, unter denen Angehörige anderer EU-Mitgliedstaaten ausgewiesen werden können, die keine Arbeit finden oder arbeitslos geworden sind, weiterhin aus dem Sekundärrecht und der hierzu ergangenen Rechtsprechung ergeben.87 Gleiches gilt etwa für mittellos gewordene Touristen. In beiden Fällen führt Art 18 EGV (Art 1-10 II lit a W E ) nicht zu einer Erweiterung des Rechtsstatus.
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c) Eingriffe und Schranken Gegenüber den personenbezogenen Freiheiten bestehen im Hinblick auf die denkbaren Eingriffe keine Unterschiede. Sie können in Beschränkungen, insbesondere aufenthaltsregelnden oder -beendenden Maßnahmen liegen, aber auch in Ungleichbehandlungen, die sich für Angehörige anderer Mitgliedstaaten oder für Inländer aufgrund eines Grenzübertritts ergeben. In die Aufenthalts- und Bewegungsfreiheit darf nur eingegriffen werden, wenn der EGVertrag oder das Sekundärrecht dies zulassen. Sie wird ebenso wie die Grundfreiheiten vor allem durch den Vorbehalt der öffentlichen Ordnung eingeschränkt. So kann unter denselben Bedingungen, wie sie für die Freizügigkeit der Arbeitnehmer im Bereich der Niederlassungs- oder der Dienstleistungsfreiheit gelten, etwa die Verurteilung wegen einer
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EuGH, Slg 1999,1-6207 ff - Wijsenbeek. EuGH, Slg 1998,1-2133 ff- Kommission/Deutschland. Vgl EuGH, Slg 1998,1-2691, Rn 32 - Martinez Sala sowie dazu Rn 83. Kluth in: Calliess/Ruffert Art 18 EGV Rn 5; dagegen Hilf in: Grabitz/Hilf Art 18 EGV Rn 7. Siehe im einzelnen Art 7 AufenthaltsRL, Fn 23. Zum weitgehend ungeklärten Status der Arbeitssuchenden Randelzhoferl Forsthoff in: Grabitz/Hilf Art 39 EGV Rn 54 ff, 134 ff.
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Straftat zu aufenthaltsbeendenden Maßnahmen führen, doch gelten strenge Voraussetzungen. Wie bei den Grundfreiheiten ist auch hier der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Die Straftaten müssen also von gewisser Schwere sein, und der Eingriff in die Freizügigkeit muss angemessen bleiben.88 Sekundärrechtliche Maßnahmen zur Regelung der Freizügigkeit werden künftig sehr weitgehend auf Art 18 II EGV zu stützen sein. Nach Art 18 II EGV dürfen diese aber nicht zu weiteren, bei In-Kraft-Treten des Maastrichter Vertrages noch nicht bestehenden Beschränkungen führen, sondern nur auf Erleichterungen gerichtet sein.89 2. Politische Rechte a) Wahlrecht aa) Gemeinsame Grundsätze
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Durch Art 19 EGV (Art 1-10 II lit b W E ) wird Unionsbürgern mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen, das aktive und passive Wahlrecht bei Kommunalwahlen (Art 19 I EGV/Art 1-10 II lit b W E ) und bei Wahlen zum Europäischen Parlament (Art 19 II EGV/Art 1-10 II lit b W E ) im Wohnsitzstaat zuerkannt.90 Die beiden Wahlrechtsgarantien weisen unterschiedliche Bezüge zum Unionsrecht auf. Das Kommunalwahlrecht wird als eine Funktion des europäischen Freizügigkeitsrechts aufgefasst. Es soll Nachteile abbauen, die durch die Wahl eines Auslandswohnsitzes innerhalb der Union entstehen und zielt auf Gleichbehandlung im Rahmen des auf staatlicher Ebene bereits bestehenden lokalen Wahlrechts, macht also mit Blick auf Art und Inhalt der Willensbildung selbst keine Vorgaben. Verfassungsrechtlich gesehen wird die enge Bindung der staatsbürgerlichen Rechte der Wahl und des Zugangs zu öffentlichen Ämtern (Art 28 I iVm Art 20 II GG, Art 33 II GG) zugunsten einer der Mitgliedschaft in der Union geöffneten Staatlichkeit (Art 23 I GG) in bestimmten Bereichen durchbrochen. Demgegenüber spiegelt das Europawahlrecht auf der subjektiven Seite die demokratische Dimension des institutionellen Rechts der Union wider. Es nimmt eine gemeinschaftsweite, nicht nach Staatsangehörigkeit differenzierende Wählerschaft in den Blick und soll die gemeinsame politische Identität der Unionsbürgerschaft fördern. Dem versucht der neue Verfassungsvertrag Rechnung zu tragen, dem zufolge sich das Europäische Parlament nicht mehr aus Vertretern der „Völker der in der Gemeinschaft zusammengeschlossenen Staaten" (Art 189 EGV), sondern der „Unionsbürgerinnen und Unionsbürger" zusammensetzen soll (Art 1-20 II, 1-46 II W E ) . Beide Wahlrechtsgarantien des Art 19 EGV (Art 1-10 II lit b W E ) knüpfen am Wohnsitz an. Was unter „Wohnsitz" zu verstehen ist und unter welchen Voraussetzungen er begründet wird, regeln die Mitgliedstaaten.91 Allerdings ist das Wohnsitzprinzip nicht 88 Vgl den Fall einer italienischen Touristin, die wegen Drogenbesitzes mit einem lebenslangem Verbot der Einreise nach Griechenland belegt wurde, EuGH, Slg 1999, 1-11, Rn 15 ff - Calfa; die Urteilsbegründung stützt sich allein auf die künftige Unmöglichkeit, von den Grundfreiheiten Gebrauch zu machen, ohne die Freizügigkeit der Unionsbürger zu erwähnen; zu Recht krit Becker EuR 1999, 522, 532; Reich 7 ELJ (2001), 3, 12; anders nunmehr Urt ν 29.4.2004 Rs C-482/01 und C-493/01 Rn 66 ff - Orfanopoulos und Olivieri. 89 Hatje in: Schwarze Art 18 EGV Rn 13; Nachw zur neuen Aufenthaltsrichtlinie Fn 23. 90 Die Vorgeschichte geht bis in das Jahr 1972 zurück, s Bieber EuGRZ 1978, 203, 204. 91 Haag in: vd Groeben/Schwarze Art 19 EGV Rn 8; Oliver 33 CMLRev (1996), 473, 482f, 493; Degen DÖV 1993, 749, 756 stützt seine aA auf ein Urteil des EuGH zum - hiervon abweichenden -
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streng zu verstehen. So muss auf Wunsch auch im Herkunftsstaat gewählt werden können; eine andere Auslegung des Art 19 EGV (Art 1-10 II lit b W E ) stünde mit dem übergeordneten Ziel der Art 17 ff EGV (Art 1-10 W E ) in Widerspruch, die Rechte der Unionsbürger zu erweitern.92 Das aktive und passive Wahlrecht bei Europawahlen darf allerdings insgesamt nur einmal ausgeübt werden; für das aktive Kommunalwahlrecht können die Mitgliedstaaten etwa für Personen mit mehreren Wohnsitzen entsprechende Regelungen erlassen.93 Soweit eine doppelte Stimmabgabe nicht zugelassen ist, haben die Mitgliedstaaten Vorkehrungen gegen Missbrauch zu treffen.94 Dagegen ist es möglich, in mehreren Mitgliedstaaten gleichzeitig bei Kommunalwahlen zu kandidieren. Zusätzlich können die Mitgliedstaaten weitere Voraussetzungen aufstellen, die mit dem Gleichheitssatz in Einklang stehen, dh entweder aufgrund der anderen Staatsangehörigkeit der Unionsbürger erforderlich sein oder gleichermaßen für die eigenen Staatsangehörigen gelten müssen. Daher kann von Unionsbürgern verlangt werden, sich in ein Wählerverzeichnis eintragen zu lassen.95 Die Eintragung darf aber jedenfalls dann nicht für jede Wahl erneut verlangt werden, wenn die eigenen Staatsangehörigen keine entsprechende Obliegenheit trifft. Darüber hinaus gelten naturgemäß für alle gleichermaßen bestehende Anforderungen an das Mindestalter, die Mindestwohndauer, die Meldepflicht usw fort. Wo eine Wahlpflicht besteht, wie etwa in Belgien, kann diese allen Unionsbürgern auferlegt werden; allerdings besteht dann keine Pflicht, sich in die Wählerverzeichnisse eintragen zu lassen.96 Das zu Art 19 EGV (Art 1-10 II lit b W E ) erlassene Sekundärrecht ermächtigt die Mitgliedstaaten unter bestimmten Voraussetzungen zu Ausnahmeregelungen, wenn deren besondere Schwierigkeiten dies rechtfertigen (Art 19 I 2, II 2 EGV/Art III-126 W E ) . So dürfen Länder, deren wahlberechtigte Wohnbevölkerung zu mehr als 20 % aus Unionsbürgern besteht, unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsprinzips deren Wahlrecht zugunsten ihrer Staatsangehörigen zeitweise einschränken.97 Über das Recht zu wählen und gewählt zu werden hinaus erfasst Art 19 EGV (Art 1-10 II lit b W E ) die politischen Rechte, die mit dem Wahlrecht in Zusammenhang stehen. Der Wählerschaft muss daher ein Informationsrecht und ein Recht auf Teilnahme an den Wahlkampfveranstaltungen zustehen. Für die Kandidaten knüpfen sich an das passive Wahlrecht Annexrechte wie das Recht auf Teilnahme am Wahlkampf, das einen diskriminierungsfreien Zugang zu den in staatlicher Verantwortung stehenden Medien umfasst, sowie im Erfolgsfalle das Recht auf Ausübung des Mandats. Die europäische Grundrechte-Charta bestätigt außerdem in Art 11-71 W E das Recht der freien Meinungsäußerung und auf Information sowie in Art 11-72 W E das Recht auf Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit.
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steuerrechtlichen Wohnsitzbegriff (Slg 1991, 1-1943, Rn 28 - Ryborg zum „gewöhnlichen Wohnsitz"). Kaufmann-Bühler in: Lenz Art 19 EGV Rn 2. Art 4 RL 93/109 (im Folgenden „EuropawahlRL"); Art 3 RL 94/80 (im Folgenden „KommunalwahlRL"). Art 11 und 13 EuropawahlRL; Art 10 KommunalwahlRL. Art 9 EuropawahlRL; Art 7 KommunalwahlRL. Vgl Art 7 II KommunalwahlRL. Vgl Art 14 I EuropawahlRL im Hinblick auf Luxemburg; Art 12 I KommunalwahlRL für Luxemburg und einige Gemeinden Belgiens; zum Fall Luxemburgs Silvestro RMC 1993, 612, 613.
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bb) Das Kommunalwahlrecht (Art 19 I EGV/Art 1-10 II lit b W E ) 54
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Jeder Unionsbürger hat am Ort seines Wohnsitzes außerhalb des Herkunftsstaates das aktive und passive Wahlrecht bei Kommunalwahlen unter denselben Bedingungen wie die Angehörigen des Wohnsitzstaates. Unionsbürgern wird damit die Teilhabe an der internen politischen Willensbildung in den Mitgliedstaaten auf unterster Ebene zugebilligt. Die praktische Bedeutung dieser Regelung erschließt sich bei Betrachtung der Migrationszahlen zu Beginn der 90er Jahre, als diese Regelung vereinbart wurde. Damals hatten von den etwa 325 Mio Bürgern in der Europäischen Gemeinschaft 5 Mio ihren Wohnsitz außerhalb des Herkunftsstaates. In Deutschland lebten und arbeiteten 1,3 Mio Angehörige anderer Mitgliedstaaten, etwa 290000 Bundesbürger waren außerhalb Deutschlands in Ländern der Gemeinschaft ansässig.98 Die Zahlenverhältnisse haben sich seither kaum geändert. 99 Ein Wohnsitzwechsel über die Grenzen hinweg war meist mit dem Verlust des kommunalen Wahlrechts verbunden.' 00 Für die Umsetzung des Kommunalwahlrechts für Unionsbürger musste das Grundgesetz geändert werden.101 Nach der Rechtsprechung des BVerfG und der herrschenden Lehre ist das Volk, das nach Art 28 I 2 GG auf kommunaler Ebene eine Vertretung haben muss, ebenso wie für die Zwecke des Art 20 II G G das deutsche Volk, so dass das Wahlrecht zu den gesetzgebenden Körperschaften an die deutsche Staatsangehörigkeit gebunden ist.102 Soweit es um die Wahlen zu den kommunalen Vertretungskörperschaften geht, gehört dieses Junktim indes nicht zum änderungsfesten Bestand des Grundgesetzes (Art 79 III GG), 103 im Wesentlichen weil diese staatsrechtlich nicht der Legislative, sondern der Exekutive zugerechnet werden.104 Das Kommunalwahlrecht für Unionsbürger konnte so in Art 28 I 3 G G eine ausreichende verfassungsrechtliche Grundlage finden. Das Kommunalwahlrecht für Unionsbürger verletzt daher auch nicht die Rechte deutscher Wähler.10S Einzelheiten sind in der Richtlinie zum Kommunalwahlrecht geregelt,
98 Degen DÖV 1993, 749. 99 Kommission, Dritter Bericht (Fn 29) S 18. 100 In Spanien und Frankreich behielten Bürger, die im Ausland lebten, das kommunale Wahlrecht, ebenso in Griechenland und Italien, doch war die persönliche Anwesenheit bei der Stimmabgabe notwendig. Andererseits hatten nur Dänemark, Irland, die Niederlande und Schweden unter näher festgelegten Voraussetzungen allen Ausländern das kommunale Wahlrecht gewährt, einige andere Mitgliedstaaten sahen dieses Recht auf der Basis der Gegenseitigkeit (so Spanien und Finnland) oder für Angehörige bestimmter anderer Staaten (so Großbritannien und Portugal) vor. 101 Zu den Verfassungsänderungen in Frankreich Kovar/Simon CDE 1993, 285, 304 ff; in Spanien Lopez Castillo!Polakiewicz EuGRZ 1993, 277 ff; in Portugal Lopes Marinho in: Laursen/Vanhoonacker (Hrsg) The Ratification of the Maastricht Treaty, 1994, S 23Iff; im Übrigen zur Umsetzung in den Unionsstaaten Hasselbach ZG 1997, 49, 64 ff. 102 BVerfGE 83, 37 (Ausländerwahlrecht in Schleswig-Holstein); 83, 60 (Hamburg); s insoweit auch Doehring FS Kutscher, 1981, S 109 ff; Quaritsch DÖV 1983, 1 ff; Isensee FS Mikat, 1989, S 705 ff; Scholz FS Dürig, 1990, S 367ff; Huber DÖV 1989, 53Iff; aA Schmidt-Jortzig Kommunalrecht, 1982, S 39 f; Zuleeg in: ders Ausländerrecht und Ausländerpolitik in Europa, 1987, S 153 ff; Bryde JZ 1989, 257 ff. 103 Vgl BVerfGE 83, 37, 59; BVerfG, NVwZ 1998, 52 = Kunig, JK 98, GG Art 3 1/26; ebenso Papier KritV 1987, 309 ff; s auch dens in: Magiera (Hrsg) Das Europa der Bürger in einer Gemeinschaft ohne Binnengrenzen, 1990, S 27 ff; Karpen NJW 1989, 1012, 1016. 104 Vgl BVerfGE 65,283, 289. 105 Vgl BVerfG, NVwZ 1998, 52 = Kunig, JK 98, GG Art 3 1/26.
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ohne die Art 19 I EGV (Art 1-10 II lit b W E ) nicht wirksam werden konnte. 106 Ihre Umsetzung, die inzwischen abgeschlossen ist, fällt in die Zuständigkeit der Länder. 107 Die Kommunalwahlrichtlinie gestaltet den sachlichen Schutzbereich des Art 19 I E G V (Art 1-10 II lit b W E ) aus. Kommunalwahlen sind nach Art 2 I lit b dieser Richtlinie die allgemeinen und unmittelbaren Wahlen, durch die die Mitglieder der Vertretungskörperschaft und der Leiter oder die Mitglieder des Exekutivorgans einer lokalen Gebietskörperschaft der Grundstufe bestimmt werden. Der Anhang zur Kommunalwahlrichtlinie bestimmt, dass unter lokalen Gebietskörperschaften in Deutschland die Gemeinde- und die Kreisebene zu verstehen ist, ferner die Stadt-, Gemeinde- oder Ortsbezirke bzw Ortschaften. Soweit Exekutivorgane wie der Landrat indirekt gewählt werden, sind die in das Wahlgremium gewählten Mitglieder aus anderen Unionsstaaten wahlberechtigt. 108 Besonderheiten gelten für die Stadtstaaten. Die Richtlinie gilt in Hamburg und Berlin f ü r die Bezirke, in Bremen für die Stadtgemeinde Bremen. 109 In Österreich sind die erfassten Körperschaften die Gemeinden sowie für die Stadt Wien die Bezirke. Besonderheiten gelten f ü r das passive Wahlrecht. Für gewählte Kandidaten aus anderen Unionsstaaten verdrängt Art 19 I EGV (Art 1-10 II lit b W E ) insoweit Art 39 IV E G V (Art III-133 IV W E ) , der es den Staaten gestattet, Schlüsselpositionen der öffentlichen Verwaltung allein mit eigenen Staatsangehörigen zu besetzen. Allerdings begrenzt die Kommunalwahlrichtlinie in dieser Hinsicht auch den Schutzbereich. So dürfen die Mitgliedstaaten die Position des unmittelbar gewählten Leiters des Exekutivorgans, dh des Landrats, (Ober-) Bürgermeisters oder seines Vertreters sowie der Mitglieder des leitenden kollegialen Exekutivorgans, also der Beigeordneten, ihren Staatsangehörigen vorbehalten. Frankreich, auf dessen Initiative diese Durchbrechung des Gleichbehandlungsgrundsatzes zurückgeht, hat die Ermächtigung in seiner Verfassung genutzt, da die Kommunalwahlen dort auch über die Zusammensetzung des Senates entscheiden, der an der Ausübung der nationalen Souveränität teilhat." 0 Auch Bayern und Sachsen haben von dieser Befugnis Gebrauch gemacht." 1 Im Hinblick auf die in Art 19 I 2 EGV (Art III-126 W E ) ausformulierte Beschränkung von Ausnahmen auf den Fall besonderer Probleme eines Mitgliedstaates scheint die Vereinbarkeit dieses Vorbehalts mit höherrangigem Gemeinschaftsrecht zweifelhaft." 2 Die Kommission sowie die deutsche und französische Rechtsprechung gehen jedoch von der primärrechtlichen Zulässigkeit dieser Bestimmung aus. 113
106 Fn 93; dazu Fischer NVwZ 1995,455 ff; Schrapper DVB1 1995, 1167 ff. 107 Näher Hasselbach ZG 1997, 49, 62 ff; PierothlSchmülling DVB1 1998, 365 ff; Barley Das Wahlrecht der Ausländer nach der Neuordnung des Art 28 I 3 GG, 1999, S 112 ff. 108 Vgl § 39 bad-württ LKrO; § 51 bdbg LKrO. 109 Zu den Stadtstaaten Sieveking DÖV 1993, 449 ff; Barley (Fn 107) S 90 ff. 110 Vgl Art 88 III 2 iVm Art 24 und Art 3 frz Verf. 111 Art 36 I bay WahlG; § 46 sächs GO. 112 Für gemeinschaftsrechtswidrig halten diese Bestimmung WollenschlägerlSchraml BayVBl 1995, 385, 388; Hasselbach ZG 1997,49, 56 ff; PierothlSchmülling DVB1 1998, 365, 367 f; dagegen Gindel OÖV 1999, 353, 358. 113 Siehe die Vorschlagsbegründung in KOM 1994, 38 endg, S 29; BayVerfGH, BayVBl 1997, 495; die wegen NichtVorlage an den EuGH auf Art 101 I 2 GG gestützte Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen, s BVerfG, NVwZ 1999, 293; nicht problematisiert vom frz Conseil constitutionnel, CC No 92-308 DC, Ree S 55 (Maastricht I), dtsch in EuGRZ 1993, 187 m Anm Walter ebd 183 ff.
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Exkurs: Außerhalb des Schutzbereiches des Art 19 I EGV (Art 1-10 II lit b W E ) liegen andere gemeindeverfassungsrechtlich mögliche Formen der politischen Willensbildung wie Abstimmungen, die sich nicht auf die Wahl von Personen, sondern die Entscheidung von Sachfragen richten, insbesondere also Bürgerbegehren und Bürgerentscheide."4 Der Wortlaut des Art 19 EGV (Art 1-10 II lit b W E ) und der Kommunalwahlrichtlinie umfasst diese Beteiligungsformen jeweils nicht. Viele Länder lassen Unionsbürger zu Abstimmungen zu." 5 Doch stellt sich die Frage, ob Art 28 I 3 GG, der lediglich von „Wahlen" spricht, dies noch erlaubt. Die Homogenitätsklausel des Art 28 I 1 GG verlangt, dass die Grundprinzipien der verfassungsmäßigen Ordnung in Bund und Ländern einander entsprechen. Geht man daher von der Identität des Volksbegriffs in den Art 20 II und Art 28 I 2 GG aus, den die letztere Bestimmung lediglich räumlich begrenzt, scheint Art 28 I 3 GG eine eng auszulegende Ausnahmeklausel zu sein, die, da sie Abstimmungen gerade nicht erwähnt, insoweit Unionsbürgern die Teilnahme versperrt." 6 Zwingend ist diese Argumentation jedoch nicht. Art 28 I 3 GG ist im Zusammenhang mit Art 23 I GG zu sehen und öffnet den deutschen Staatsaufbau für die Zwecke der Unionsbürgerschaft. Der Homogenitätsgrundsatz wird damit für die Gemeinde- und Kreisebene ohnehin durchbrochen, so dass er insoweit keine Argumente zu liefern vermag. Darüber hinaus lassen die Eigenheiten der kommunalen Demokratie eine Erstreckung der Unionsbürgerrechte auf Abstimmungen ohne weiteres zu. Die Gemeindevertretungen gehören in der Gewaltenteilung nicht zur Legislative wie die Parlamente auf Bundes- und Länderebene. Wird deren Rechtsetzungstätigkeit durch Abstimmungen ersetzt, spricht nichts dagegen, wenn auch für diese Zwecke die jeweils ansässigen Unionsbürger gemeinsam mit dem dort wohnhaften Teil des deutschen Volkes das Subjekt der Legitimation bilden. Die Teilnahme der Unionsbürger an Abstimmungen ist daher nicht verfassungswidrig."7
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Eingriff: Da Art 19 I EGV (Art 1-10 II lit b W E ) ein Behinderungs- und ein Diskriminierungsverbot errichtet, wird in dieses Recht immer dann eingegriffen, wenn die Mitgliedstaaten Hindernisse für die Ausübung des Wahlrechts errichten oder Unionsbürger ungünstiger stellen als die eigenen Staatsangehörigen. Schranken: Eine Rechtfertigung für Eingriffe kann sich allein aus der Kommunalwahlrichtlinie ergeben. Folgt man der Ansicht, der zufolge der Vorbehalt der Richtlinie für die Besetzung kommunaler Spitzenämter durch eigene Staatsangehörige gemeinschaftsrechtswidrig sei,118 so läge im Ausschluss aus der Union stammender Bewerber eine Verletzung
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114 Hilf in: Grabitz/Hilf Art 19 EGV Rn 15; Hatje in: Schwarze Art 19 EGV Rn 4. 115 Vgl zB Art 72 bad-württ Verf; § 30 hess GO; §§ 17 a, 13 rh-pf GO; §§ 26, 21 GO, 7 KWahlG NW; §§ 24, 16 sächs GO; §§ 25, 20 sachs-anh GO. 116 So der Bundesminister des Innern in einem Vermerk an die Länder ν 30.1.1995, unv zit bei Engelken NVwZ 1995, 432, 433 Fn 6; ferner Burkholz DÖV 1995, 816ff; Meyer-Teschendorfl Hofmann ZRP 1995, 290ff; Kaufmann ZG 1998, 25, 31 f, 39; Scholz in: Maunz/Dürig (Fn 40) Art 28 Rn41f. 117 So auch Engelken NVwZ 1995, 432 ff; Erichsen Kommunalrecht Nordrhein-Westfalen, 2. Aufl 1997, S 84; HailbronnerlRenner (Fn 65) Einl Rn 62; Laubach (Fn 8) S 78 ff; Barley (Fn 107) S 73 ff; Kluth in: Calliess/Ruffert Art 19 EGV Rn 11; zum selben Ergebnis gelangt, wer das Staatsvolk als durch Art 28 I 3 GG „europäisiert" ansieht, s etwa Hobe JZ 1994, 191, 193 und Engelken DÖV 1996, 737 ff, oder die Wohnsitznahme als Kriterium für die Mitgliedschaft in der lokalen Legitimationsgemeinschaft betrachtet, s Schmidt-Jortzig Kommunalrecht, 1982, S 39 f; Zuleeg KritV 1987, 328. 118 Fn 112.
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des Art 19 I E G V (Art 1-10 II lit b W E ) . Solange sich die Umsetzungsakte im Rahmen der Richtlinie halten, ist diese Verletzung der Europäischen Gemeinschaft zuzurechnen. D a mit dieser Frage die Feststellung der Nichtigkeit eines Rechtsaktes des Rates verbunden ist, kann sie nur durch den Europäischen Gerichtshof geklärt werden (Art 230, Art 2341 lit b EGV/Art III-365, III-369 lit b W E ) . cc) Das Wahlrecht zum Europäischen Parlament (Art 19 II EGV/Art 1-10 II lit b W E ) Es ist eine natürliche Konsequenz der Einrichtung direkter Wahlen zum Europäischen Parlament, dass das aktive und passive Europawahlrecht an die Unionsbürgerschaft geknüpft ist. Bis zu deren Einführung gab es auf primärrechtlicher Ebene lediglich die unvollständige Verfahrensvorschrift des Art 190 (früher 138) EGV (Art 1-20 II, III, Art III-330 I, II W E ) . Ein Wahlrecht zum Europäischen Parlament gibt es zwar schon seit dem Direktwahlakt von 1976, 1,9 seine Ausgestaltung war und ist jedoch sehr weitgehend den Mitgliedstaaten überlassen. Zudem war es bis zum In-Kraft-Treten des Maastrichter Vertrages meist den Staatsangehörigen vorbehalten, nicht weil das Europäische Parlament staatliche Gewalt ausübte, sondern weil es eine einheitliche Regelung des Wahlverfahrens nicht gab.
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Schutzbereich: In personeller Hinsicht begünstigt Art 19 II EGV (Art 1-10 II lit b W E ) seinem Wortlaut nach nur Unionsbürger mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen. Obwohl das Europawahlrecht einen gemeinschaftsunmittelbaren Anspruch auf politische Teilhabe begründet, erfasst der Wortlaut des Art 19 II E G V (Art 1-10 II lit b W E ) Bürger, die in ihrem eigenen Staat leben, nicht. Auch sie müssen jedoch ein subjektives öffentliches Recht auf Teilnahme an der Wahl besitzen, da es nicht in der Absicht des Art 19 II EGV (Art 1-10 II lit b W E ) liegt, Bürger mit Auslandswohnsitz zu privilegieren. Zudem unterfallen die Wahlen zum Europäischen Parlament Art 3 1. Z P EMRK. 1 2 0 Danach sind die Konventionsstaaten verpflichtet, freie und geheime Wahlen unter Bedingungen abzuhalten, die die „freie Äußerung der Meinung des Volkes bei der Wahl der gesetzgebenden Körperschaften gewährleisten". Der Schutzbereich des Art 19 II E G V (Art 1-10 II lit b W E ) , der aus sich heraus nicht unmittelbar anwendbar ist, wird durch die Europawahlrichtlinie ausgestaltet, die in Deutschland durch Änderung des Europawahlgesetzes und der Europawahlordnung umgesetzt wurde. 12 ' Zusammen mit dem Europawahlakt nebst innerstaatlichem Umsetzungsrecht stellt sie die Modalitäten für die Ausübung des Wahlrechts auf. 122 Die Europawahlrichtlinie schafft auch weiterhin kein einheitliches Verfahren, sondern beschränkt sich auf die mit dem subjektiven Wahlrecht verbundenen Fragen wie das Antragsprinzip oder den Ausschluss mehrfacher Wahl und Kandidatur. Art 19 II EGV (Art 1-10 II lit b W E ) und das entsprechende Sekundärrecht sind in Deutschland inzwischen korrekt umgesetzt worden. 123
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119 Entscheidung des Rates 76/787, ABl 1976 Nr L 278/1. 120 Sartorius II Nr 131; s EGMR, HRLJ 1999, 4 Rn 52, dtsch NJW 1999, 3107 - Matthews; dazu Winkler EuGRZ 2001, 18 ff. 121 Drittes Gesetz zur Änderung des EuropawahlG, BGBl I 1994, 405, 419; Zweite VO zur Änderung der Europawahlordnung, BGBl I 1994, 525, 544; dazu Borchmann NJW 1994, 1522 f. 122 Siehe Rn 48. 123 Vgl Kommission, Dritter Bericht (Fn 29) S 17.
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Eingegriffen wird in dieses Recht, wenn Unionsbürger an der Wahl gehindert oder ihnen die Teilnahme durch Bedingungen unangemessen erschwert wird, die für Inländer nicht oder nicht in gleicher Schwere gelten. Schranken: Die Europawahlrichtlinie gestaltet das Wahlrecht nicht nur aus, sie ermächtigt die Mitgliedstaaten auch zu Einschränkungen. Dies gilt etwa für den Ausschluss vom Wahlrecht im Herkunftsland, der durch den Aufenthaltsstaat anzuerkennen ist. Durch die Wahlberechtigung im Wohnsitzstaat wird das Bild des „Volkes" verändert. Die Italienerin, die in Deutschland lebt, gehört für die Zwecke des Europawahlrechts zum deutschen Volk und bestimmt die Besetzung der Sitze mit, die Deutschland im Europäischen Parlament zustehen (Art 190 II EGV). Diese zuweilen als befremdlich empfundene Konsequenz nähert das Prinzip nationaler Stimmkontingente der Mitgliedstaaten der Zielvorstellung einer europäischen Legitimationsgemeinschaft für die Bereiche an, in denen die Union zuständig ist.124 Die Bedeutung des Art 19 II EGV (Art 1-10 II lit b W E ) und seiner Umsetzungsbestimmungen liegt jedoch in der subjektiven Komponente dieser Gewährleistung,125 die auf anderer Ebene Art 38 I GG entspricht. Beide Teilhaberechte sind in ihrem Wert von den Kompetenzen der jeweiligen Parlamente abhängig. Daher sollten sie einander korrespondieren, denn die Unionsbürgerschaft muss um Partizipationsrechte in dem Maße ergänzt werden, in dem die Staatsbürger wegen der Kompetenzverluste nationaler Parlamente in ihren Mitgliedstaaten an Einfluss verloren haben. Der Wert des Wahlrechts der Unionsbürger ist also letztlich von den Befugnissen des Europäischen Parlaments abhängig.126 b) Petitionsrecht (Art 21 iVm 194 bzw 195 EGV/Art 1-10 II lit d, Art III-128 iVm III-334 bzw Art III-335 W E )
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Nach Art 21 I EGV (Art 1-10 II lit d, Art III-128 W E ) besitzt jeder Unionsbürger das Recht, gem Art 194 EGV (Art III-334 W E ) Petitionen an das Europäische Parlament zu richten. Seine Bedeutung für die Unionsbürgerschaft wird deutlich, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass das Petitionsrecht im Verfassungsstaat die Funktion einer Verbindung zwischen Bürger und Volksvertretung erfüllt. Es eröffnet neben dem Wahlrecht eine weitere, wenn auch letztlich marginale Chance auf aktive Teilnahme am politischen Geschehen und soll die Integration fördern.127 Zugleich bietet es die Gelegenheit, Interessen und Rechte außerhalb der Verwaltungs- und gerichtlichen Verfahren zu verfolgen, naturgemäß ohne ein Recht auf einen Bescheid zu gewähren, der sich in der gewünschten
124 Krit etwa Streinz ER Rn 54, 306, 654, der diese Folge in den Zusammenhang des nach Mitgliedstaat variierenden Erfolgswertes rückt (Rn 45, 54, 306); ähnlich Dürig NVwZ 1994, 1180, 1181 f; HailbronnerlRenner (Fn 65) Einl Rn 65; gegen die Gleichheit der Wahl nach dem GG verstößt dies nicht, vgl BVerfG, EuGRZ 1995, 566. 125 Vgl KovarlSimon CDE 1993, 285, 307. Das erklärte Ziel, die Wahlbeteiligung zu steigern, wurde allerdings bisher nicht erreicht. Das Interesse der Unionsbürger an der Europawahl ist vor allem in Deutschland und Frankreich, wo 63% des berechtigten Personenkreises leben, sehr gering. Die Wahlbeteiligung der nicht im Herkunftsland lebenden Wahlberechtigten liegt europaweit bei 9%, mit leicht steigender Tendenz. In Deutschland hatten sich zur Wahl 1999 nur 2,1% der stimmberechtigten Unionsbürger in die Wählerverzeichnisse eintragen lassen, in Frankreich beträgt die Quote 4,9%; s Kommission, Dritter Bericht (Fn 29) S 18 Fn 31. 126 Everting ZfRV 1992, 241, 255 f; Kadelbach in: Drexl (Hrsg) Europäische Demokratie, 1999, S 89, 107 f. 127 Vgl Bauer in: Dreier (Hrsg) GG Art 17 Rn 12.
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Weise zur Sache einlässt. Je nachdem, wie sehr dieser Rechtsschutzaspekt betont wird, erkennen staatliche Verfassungen dieses Recht auch anderen Staatsangehörigen zu. Diesem Modell folgt auch Art 194 EGV (Art III-334 W E ) , dem gegenüber Art 21 EGV (Art 1-10 II lit d, Art III-128 W E ) keine selbstständige Bedeutung besitzt, und der das Petitionsrecht nicht nur Unionsbürgern, sondern allen Personen mit Wohnort oder Sitz in einem Mitgliedstaat zugesteht.128 Während das Petitionsrecht zum Parlament eher politischen Charakter hat, steht beim Recht, sich an einen Bürgerbeauftragten zu wenden (Art 21 II iVm Art 195 EGV/Art 1-10 II lit d, Art III-128 iVm III-335 W E ) , die Rechtsschutzfunktion im Vordergrund. Beide Verfahren schließen einander nicht aus. Der Bürgerbeauftragte hat die Aufgabe, behauptete Missstände in der Tätigkeit der in seinen Zuständigkeitsbereich fallenden Stellen zu überprüfen. Damit bildet die Einrichtung des Bürgerbeauftragten, der Untersuchungen führt, Stellungnahmen einholt und Berichte vorlegt, eine Form der Verwaltungskontrolle, die die Transparenz des Verwaltungshandelns der Gemeinschaftsorgane erhöhen soll. Maßstab dieser Kontrolle sind die Grundsätze guter Verwaltungspraxis, auf deren Einhaltung ebenfalls ein subjektives Recht besteht (Art 11-102 WE). 1 2 9 Der sachliche Schutzbereich des Petitionsrechts wird in den Art 194 und 195 EGV (Art III-334, III-335 W E ) beschrieben. Gegenüber dem Parlament, das zu diesem Zweck einen Petitionsausschuss errichtet hat,130 bezieht es sich danach auf alle Angelegenheiten der Gemeinschaft, gegenüber dem Bürgerbeauftragten darüber hinaus auch auf Angelegenheiten der Polizeilichen und Justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen (Art 41 I EUV). Die Praxis des Parlaments dehnt das Petitionsrecht über den Zuständigkeitsbereich der Gemeinschaft auf die Tätigkeit der Union insgesamt aus.131 Der Petent muss in eigenen Angelegenheiten betroffen sein. Zwar verfahrt die Praxis insoweit großzügig, weist aber viele Petitionen als unzulässig zurück.132 Jeder hat ein Recht darauf, dass seine Petition entgegengenommen, geprüft und beantwortet wird. Dagegen kann Abhilfe auch dann nicht verlangt werden, wenn ein Anliegen als berechtigt anerkannt wird. In den Schutzbereich wird also nur eingegriffen, wenn eine Petition nicht angenommen, nicht bearbeitet oder nicht beantwortet wird. In diesem Fall steht dem Petenten die Untätigkeitsklage vor dem EuG ofTen (Art 232 EGV/Art III-367 W E ) . Konkret formulierte Schranken, wie sie Art 17 a I GG entsprechen, kennt das Gemeinschaftsrecht nicht, doch sind Kollisionen mit Grundrechten, etwa dem Persönlichkeitsrecht Dritter, vorstellbar.
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c) Informationsrecht (Art 21 III EGV/Art 1-10 II lit d W E ) Der Anspruch, sich schriftlich in einer der in Art 314 EGV genannten Sprachen an jedes Organ der Gemeinschaft (Art 7 EGV/Art 1-19, 1-30 bis 32 W E ) oder den Bürgerbeauftragten zu wenden und in der gewählten Sprache eine Antwort zu erhalten (Art 21 III EGV/Art 1-10 II lit d, W E ) , ergänzt das Petitionsrecht. Sinn der Regelung ist es vor allem, dass sich jeder Unionsbürger seiner Muttersprache bedienen kann, auch wenn im
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So Art 17 GG, Art 28 belg, Art 10 griech, Art 27 lux, Art 8 niederl Verf. Guckelberger DÖV 2003, 829, 835 f. Anlage VI Ziff XVII GO EP, ABl 1999 Nr L 202/1. Art 174 GO EP. In den Sitzungsperioden 1997-2000 des Europäischen Parlaments waren nur 54% zulässig, vgl Kommission, Dritter Bericht (Fn 29) S 20 f; nach den angeführten Zahlen ist die numerische Bedeutung eher gering (958 in der Sitzungsperiode 1999/2000), bei weiter rückläufiger Tendenz.
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Rahmen des Art 314 EGV (Art IV-448 I W E ) niemand auf diese festgelegt wird. Der sachliche Schutzbereich umfasst jede Art von Anfragen, Auskunftsersuchen, formlose Anträge, Stellungnahmen und Petitionen. Dagegen ist fraglich, wie die Antwort, auf die gleichfalls ein Anspruch besteht, auszufallen hat. Das Unionsziel der Bürgernähe und Transparenz (Abs 12 Präambel und Art 1 II EUV, Art 255 EGV/Art III-399 W E ) spricht dagegen, Art 21 III EGV (Art 1-10 II lit d W E ) als reine Gewährleistung des Sprachengebrauchs zu verstehen. Die Bescheidung muss also der Anfrage Rechnung tragen. Komplexere Fragen können durch Verweis auf die einschlägigen Dokumente beantwortet werden (s Art 255 EGV/Art III-399 W E ) . Mit dieser Maßgabe gewährt Art 21 III EGV (Art 1-10 II lit d, Art III-128 W E ) auch einen Anspruch auf Auskunft.133 Im Einzelnen hängt ihr Inhalt von der Art der Eingabe ab, aber auch von den Interessen Dritter oder anderer Mitgliedstaaten, die die befasste Stelle zu wahren hat. Die Geheimhaltungspflicht (Art 287 EGV/Art III-430 W E ) setzt dem Anspruch auf Antwort Schranken. d) Recht auf Zugang zu Dokumenten (Art 255 EGV/Art 11-102, III-399 W E ) 71
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In engem Zusammenhang mit den Gewährleistungen der Art 19 und 21 EGV (Art 1-10 II lit b und Art 1-10 II lit d W E ) steht der Anspruch auf Zugang zu Dokumenten der Gemeinschaftsorgane (Art 255 EGV/Art 11-102, III-399 W E ) . Das Informationsrecht bildet eine Voraussetzung für die Teilnahme am öffentlichen Meinungsbildungsprozess, stellt aber auch einen Weg zur Kontrolle der Verwaltung durch die Öffentlichkeit zur Verfügung.134 Dieses Recht hatte seinen Sitz zunächst in Selbstverpflichtungen der Organe, nimmt aber inzwischen Verfassungsrang ein und wird in einer auf Art 255 II EGV (Art III-399 W E ) gestützten Verordnung näher ausgestaltet.135 Schutzbereich: Der Kreis der Berechtigten ist ebenso wenig wie bei den Rechten aus Art 21 EGV (Art 1-10 II lit d W E ) auf die Unionsbürger beschränkt. Adressaten dieses Anspruchs sind Parlament, Rat und Kommission sowie die von ihnen eingesetzten oder zu ihrer Unterstützung tätigen Ausschüsse.136 Inhaltlich gewährleistet er ein Recht darauf, dass im Besitz der Gemeinschaftsorgane befindliche Dokumente auf ein entsprechendes Ersuchen hin zugänglich gemacht werden, ohne dass hierfür ein besonderes Interesse nachzuweisen ist. Der Zugang kann durch Hinweis auf die amtliche Fundstelle, Übersendung von Kopien oder auf elektronischem Wege gewährt werden. Schranken: Dem dürfen nur die in der benannten Verordnung aufgeführten Geheimhaltungsinteressen entgegengehalten werden, die nach der ständigen Rechtsprechung des EuG und des EuGH als Ausnahmetatbestände eng auszulegen sind.137 Hierzu zählen zwingend öffentliche Interessen wie die öffentliche Sicherheit, Verteidigung, auswärtige Beziehungen sowie die Finanz-, Währungs- und Wirtschaftspolitik, ferner der Schutz der
133 In diese Richtung Kaufmann-Bühler in: Lenz Art 21 EGV Rn 2; Hatje in: Schwarze Art 21 EGV Rn 4; Hilf im Grabitz/Hilf Art 21 EGV Rn 1; aA Geiger EUV/EGV Art 21 EGV Rn 2. 134 Österdahl 23 ELRev (1998), 336ff; Curtin 37 CMLRev (2000), 7ff; Kadelbach in: SchmidtAßmann/Hoffmann-Riem (Hrsg) Verwaltungskontrolle, 2001, S 205, 220 f; zum Zusammenhang mit der Unionsbürgerschaft EuGH, Slg 2003,1-2125 Rn 39 - Interporc. 135 VO 1049/2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission; dazu Bartsch NJW 2001, 3154 ff; de Leeuw, 40 CMLRev (2003), 324 ff. 136 Zum Komitologie-Verfahren EuG, Slg 1999,11-2463 - Rothmans International. 137 Näher Kadelbach 38 CMLRev (2001), 179 ff.
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Privatsphäre, wie er sich insbesondere aus den gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften über den Datenschutz ergibt.138 Darüber hinaus wird der Zugang verweigert, wenn der Schutz geschäftlicher Interessen, insbesondere das geistige Eigentum, der Schutz eines gerichtlichen Verfahrens oder eines Untersuchungsverfahrens entgegenstehen. Schließlich besteht kein Recht auf Zugang zu vorläufigen Dokumenten oder solchen Informationen, die nur mit Zustimmung eines Mitgliedstaates verbreitet werden dürfen. 3. Recht auf diplomatischen und konsularischen Schutz (Art 20 EGVI Art 1-10 II lit c VVE) a) Normzweck und Wirkung Art 20 EGV (Art 1-10 II lit c W E ) sichert jedem Unionsbürger „diplomatischen und konsularischen Schutz" in Drittstaaten durch andere Mitgliedstaaten der Union zu, wenn der Staat, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, dort nicht vertreten ist. Diese Vorschrift führt keinen Schutzanspruch gegen die Union selbst ein, der es dazu an Ressourcen und Kompetenzen fehlt. Die Kooperation diplomatischer und konsularischer Vertretungen, die schon nach geltendem Völkerrecht möglich ist,139 bildet jedoch einen Bestandteil der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (Art 20 EUV/Art III-306 W E ) . Art 20 EGV (Art 1-10 II lit c W E ) bringt so die gemeinsame Verantwortung der Mitgliedstaaten für alle Unionsbürger zum Ausdruck. In Art 20 S 2 EGV haben die Mitgliedstaaten vereinbart, die notwendigen Völkerrechtliehen Schritte zu unternehmen, Art 20 EGV (Art 1-10 II lit c W E ) ist wegen des hierdurch eröffneten intergouvernementalen Handlungsspielraums aus sich heraus nicht unmittelbar wirksam.140 Die im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten haben daher in verschiedenen Beschlüssen gemeinsame konkretisierende Regelungen getroffen,141 die der Übernahme in innerstaatliches Recht bedürfen. Dies ist bisher noch nicht geschehen.142 Da es sich bei diesen Beschlüssen nicht um Gemeinschaftsrecht handelt, das der Gerichtsbarkeit des EuGH unterliegt, kommt eine Direktwirkung auch
138 Art 41 der VO 01/1049 (Fn 135) iVm der RL 95/46 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr und dem nationalen Umsetzungsrecht; zum europäischen Datenschutz Hatje in: Magiera/Sommermann (Hrsg) Verwaltung in der Europäischen Union, 2001, S 193, 205 ff. 139 Art 8 des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen ν 24.4.1963 (WUK), Sartorius II Nr 326; Art 2 III des Europäischen Konsularübereinkommens ν 11.11.1967, European Treaty Series Nr 61, das zwischen sechs Unionsstaaten gilt. 140 Closa 32 CMLRev (1995), 487, 502 f; Kaufmann-Bühler in: Lenz Art 20 EGV Rn 3; aA Everting in: Hrbek (Fn 6) S 49, 62; Ruffert 35 ArchVR (1997), 459,471 f; Szczekalla EuR 1999, 325, 327 f; Hatje in: Schwarze Art 20 EGV Rn 11. 141 Siehe Beschluss 95/553 über den Schutz der Bürger der Europäischen Union durch die diplomatischen und konsularischen Vertretungen, ABl 1995 Nr L 314/73, i Kr seit 3.5.2002, s Kommission, Gesamtbericht; über die Tätigkeit der EU 2002, Ziff 513; Beschluss über die von den Konsularbeamten anzuwendenden Durchführungsbestimmungen, unv Beschluss 96/409 über die Ausstellung eines Rückkehrausweises, ABl 1996 Nr L 168/4, die wegen ihres restriktiven Gehalts Kritik erfahren haben, s Ruffert 35 ArchVR (1997), 459, 466 ff, der sie für gemeinschaftsrechtswidrig hält; zur Rechtsnatur dieser Handlungsform Oppermann ER Rn 584. 142 Zum 30.9.2004 ist das Gesetz über die Konsularbeamten, ihre Aufgaben und Befugnisse - Konsulargesetz, Sartorius I Nr 570 noch nicht angepasst worden.
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insoweit nicht in Betracht.143 Somit fehlt es nach wie vor an der Rechtsverbindlichkeit der in Art 20 EGV (Art 1-10 II lit c W E ) versprochenen Ansprüche. Zusätzlich zu den unionsinternen Maßnahmen bedarf es jeweils einer Zustimmung der Drittstaaten, denen gegenüber der diplomatische und konsularische Schutz in der vorgesehenen Weise wirksam werden soll. Sie kann auch für den konkreten Fall konkludent erteilt werden.144 Die Wirksamkeit des Schutzanspruchs hängt von ihr hingegen nicht ab. b) Schutzbereich 76
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Konsularischer Schutz besteht üblicherweise in der Unterstützung eigener Staatsangehöriger, Schiffe und Luftfahrzeuge im Ausland durch Verwaltungstätigkeit der Konsulate, etwa das Ausstellen von Ausweispapieren, die Wahrnehmung notarieller und standesamtlicher Aufgaben, die Interessenwahrung in Nachlass-, Vormundschafts- und Pflegschaftssachen, die Vertretung vor Gericht, die Übermittlung von Urkunden und die Erledigung von Rechtshilfeersuchen.145 Unter diplomatischem Schutz versteht man dagegen die Wahrnehmung der Interessen eigener Staatsangehöriger oder staatszugehöriger juristischer Personen nach Verletzungen völkerrechtlicher Verpflichtungen durch einen anderen Staat, insbesondere bei Unterschreitung der gewohnheitsrechtlichen Standards, die bei der Behandlung von Ausländern im Hinblick auf deren Leben und körperliche Unversehrtheit, persönliche Freiheit, Eigentum und gerichtlichen Schutz einzuhalten sind.146 Diplomatischer Schutz im technischen Sinne konnte bisher - von hier nicht interessierenden, eng begrenzten Ausnahmen abgesehen - allein durch die Regierung des Staates ausgeübt werden, dem der Geschädigte angehört. Durch diesen Vorgang wird nach vorherrschendem Verständnis zwischen den Staaten nicht ein individueller, sondern ein staatlicher Anspruch geltend gemacht.147 In diesem völkerrechtlichen Sinne ist Art 20 EGV (Art 1-10 II lit c W E ) jedoch trotz seiner scheinbar eindeutigen Ausdrucksweise schon seinem Wortlaut nach nicht zu verstehen. Denn weder ist für die Ausübung diplomatischen Schutzes eine Vertretung des Heimatstaates des Geschädigten im Schädigerstaat erforderlich, noch muss dies in dessen Hoheitsgebiet (Art 20 S 1 EGV/Art 1-10 II lit c W E ) geschehen. Wie die Fassungen der übrigen Vertragssprachen (Art 314 EGV/Art IV-448 I W E ) belegen, sollte sich Art 20 EGV (Art 1-10 II lit c W E ) vielmehr auf Schutz durch diplomatische und konsularische Vertretungen beziehen (engl „protection by diplomatic or consular authorities", frz „protection de la part des autorites diplomatiques et consulates" usw).148 Dadurch erfasst Art 20 EGV (Art 1-10 II lit c W E ) zwei Schutzfor-
143 Anders Kluth in: Calliess/Ruffert Art 20 EGV Rn 16 f. 144 Zum bisher üblichen Verfahren in derartigen Fällen s Art 8 WÜK (Fn 139), der eine „angemessene Notifikation" und das Ausbleiben eines Einspruchs durch den Empfangsstaat verlangt. 145 Siehe die Aufzählung in Art 5 WÜK (Fn 139), ferner §§ 1-17 KonsG (Fn 142). 146 Im einzelnen Gloria in: Κ Ipsen VR § 24 Rn 32 ff; Hailbronner in: Graf Vitzthum VR S 161, 203 ff. 147 Es sind also drei Anspruchsebenen zu unterscheiden: Der Ersatzanspruch des Geschädigten gegenüber dem verantwortlichen Staat, der sich nach dessen innerstaatlichem Recht bemisst; der völkerrechtliche Entschädigungsanspruch des Herkunftsstaates des Geschädigten gegen den Schädigerstaat; und schließlich ein denkbarer Anspruch des Geschädigten gegen seinen Herkunftsstaat, gegenüber dem Schädigerstaat diplomatischen Schutz auszuüben, der dem innerstaatlichen Recht des Herkunftsstaates unterliegt. 148 So auch die Intention der Staaten, die sich bei den Vertragsverhandlungen durchgesetzt haben, s Jimenez Piernas Revista de las Instituciones Europeas 20, 1993, 9, 18; Weyland in: Marias
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men, die sich in der Praxis nicht immer klar trennen lassen. Zum einen regelt er den konsularischen Schutz. Durch den Hinweis auf diplomatische Vertretungen wird dabei dem Umstand Rechnung getragen, dass diese auch Konsularaufgaben wahrnehmen können.149 Zum anderen geht der Schutz nach Art 20 EGV (Art 1-10 II lit c W E ) aber insoweit über rein konsularische Aufgaben hinaus, als er Maßnahmen einschließt, die mit diplomatischem Schutz im völkerrechtlichen Sinne zusammenhängen und vor Ort erbracht werden müssen oder können wie die Abgabe rechtswahrender Erklärungen, die Ubergabe von Dokumenten, den Einsatz für die Freilassung Inhaftierter, Hilfe bei der Ausschöpfung des Rechtswegs usw. Schutzzweck des Art 20 EGV (Art 1-10 II lit c W E ) ist es also, Angehörigen anderer Unionsstaaten in Drittländern unter denselben Bedingungen Schutz und Hilfe zu verschaffen, die auch für die eigenen Staatsangehörigen gelten. Hierbei wurde vor allem an akute Notlagen gedacht, etwa an die Hilfe nach Verlust von Ausweisen und Reisedokumenten.150 Die praktische Bedeutung ist schon angesichts des Massenphänomens Ferntourismus nicht gering. Bei In-Kraft-Treten des Maastrichter Vertrages gab es nur fünf Staaten, in denen alle Unionsstaaten repräsentiert waren; in 17 Ländern waren sogar nur zwei der 15 Unionsmitglieder vertreten.' 51 Die Relevanz wird in Zukunft weiter zunehmen, da Art 20 EGV (Art 1-10 II lit c W E ) Einsparungen durch den Abbau bestehender Vertretungen ermöglicht. Personell wird der Schutzbereich durch die Unionsbürger und die einem Unionsstaat zugehörigen juristischen Personen des privaten Rechts bestimmt.' 52 Allerdings macht das allgemeine Völkerrecht hier gewisse Einschränkungen. So muss die Staatsangehörigkeit auch effektiv sein. Diplomatischer Schutz von Doppelstaatlern gegen einen Staat, dessen Angehörigkeit der Schutzsuchende besitzt, galt lange als ausgeschlossen und ist jedenfalls dann problematisch, wenn die Staatsangehörigkeit des schädigenden Staates die effektive ist. Der Schutz durch einen anderen als den Herkunftsstaat ist subsidiär. Unterhält dieser eine Vertretung, kommt ihm der Vorrang zu; weder kann ein anderer Unionsstaat ohne dessen Zustimmung tätig werden, noch hat der Schutzsuchende ein Wahlrecht. Allerdings muss bei akuten Gefahren effektiv gehandelt werden können. Unterhält etwa ein Unionsstaat in einer entlegenen Provinz ein Konsulat, andere aber nicht, wird er, soweit möglich im Einvernehmen mit dem Heimatstaat, die erforderliche Hilfe gewähren müssen, wenn Personal des Heimatstaates nicht rechtzeitig erreicht werden kann.
(Fn 11) S 63, 64; zutr daher Ruffert 35 ArchVR (1997), 459, 465,472,476; Kluth in: Calliess/Ruffert Art 20 EGV Rn 7, 11; aA Haag in: vd Groeben/Schwarze Art 20 EGV Rn 6; Geiger EUV/ E G V A r t 20 E G V R n 1; KoeniglHaratsch
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E R R n 467; Hatje in: Schwarze A r t 20 E G V R n 9;
Hilf in: Grabitz/Hilf Art 20 EGV Rn 15; s auch Stein in: Ress/Stein (Hrsg) Der diplomatische Schutz im Völker- und Europarecht, 1996, S 97 ff. Art 3 S 2 WÜK (Fn 139); s auch Art 3 II des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen ν 18.4.1961, Sartorius II Nr 325. Siehe die „Guidelines for the Protection of Unrepresented EC Nationals by EC Missions in Third Countries", veröff als Dok 7142/94, PESC 161, COCON 2 des Generalsekretariats des Rates ν 24.5.1994; Art 5 I Beschluss 95/553 (Fn 141). Kommission, Zweiter Bericht (Fn 35) S 11. Fn 34.
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c) Eingriffe und Schranken 80
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Ansprüche der Unionsbürger richten sich auf Gleichbehandlung, gehen also nicht weiter als die der Angehörigen des schutzpflichtigen Mitgliedstaates. Die unterschiedlichen Schutzstandards bleiben also erhalten. Damit wird in den Schutzbereich eingegriffen, wenn ein Mitgliedstaat Unionsbürger schlechter behandelt als die eigenen Staatsangehörigen. Schranken ergeben sich aus dem allgemeinen Völkerrecht, den in Art 20 S 2 EGV benannten konkretisierenden Bestimmungen und dem innerstaatlichen Recht, auf das Art 20 S 1 EGV (Art 1-10 II lit c W E ) durch das Gebot der Inländerbehandlung verweist. Nach deutschem Recht steht dem Einzelnen lediglich ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensausübung zu, der sich aus den Grundrechten in ihrer Funktion als Schutzpflichten des Staates ergibt.153 Die Schranken liegen in anderen verfassungsrechtlich anerkennenswerten Interessen. Allerdings spielen außenpolitische Belange, die bei der Ausübung diplomatischen Schutzes im technischen Sinne ein weites Ermessen des Auswärtigen Amtes rechtfertigen, in Konsularangelegenheiten eine sehr viel geringere Rolle, so dass sich der Schutzanspruch dann auch auf bestimmte Maßnahmen richten kann. Eine Rechtsverletzung liegt dann vor, wenn diese unterbleiben. d) Rechtsschutz
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Für den gerichtlichen Schutz ergeben sich aus Art 20 EGV (Art 1-10 II lit c W E ) einige Besonderheiten. Solange die Mitgliedstaaten keine Umsetzungsmaßnahmen treffen, kommt Art 20 EGV (Art 1-10 II lit c W E ) kein wirksamer Gewährleistungsgehalt zu. Die Frage nach seiner Klagbarkeit ist daher derzeit weitgehend theoretischer Art. Vertritt man indes die Ansicht, Art 20 EGV (Art 1-10 II lit c W E ) sei unmittelbar wirksam, sind Klagen wegen Verletzung der Schutzpflichten aus Art 20 EGV (Art 1-10 II lit c W E ) vor den nationalen Gerichten in Betracht zu ziehen. Unabhängig von der Frage der Direktwirkung sind vor den mitgliedstaatlichen Gerichten Schadensersatzansprüche nach den Grundsätzen der mitgliedstaatlichen Haftung für die fehlerhafte Nichtumsetzung von Gemeinschaftsrecht denkbar,154 da die Mitgliedstaaten Art 20 EGV (Art 1-10 II lit c W E ) trotz Fristsetzung zum 31.12.1993 in Art 8c EGV aF nicht umgesetzt haben. Zweifelsfragen zu Wirkung und Gewährleistungsgehalt des Art 20 EGV (Art 1-10 II lit c W E ) sind durch Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH nach Art 234 EGV (Art III-369 W E ) zu klären. 4. Unionsbürgerschaft und Diskriminierungsverbot (Art 12 EGV/Art 1-4 II, Art III-123 VVE)
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FaU 2: (vgl EuGH, Slg 1998,1-2691 ff - Martinez Sala) Die 1956 geborene S besitzt die spanische Staatsangehörigkeit und lebt seit 1968 in Deutschland, wo sie verschiedenen abhängigen Berufstätigkeiten nachging. Seit 1989 bezieht sie
153 Vgl BVerfGE 40, 141, 177 f - Ostverträge; 41, 126, 182 - Reparationsschäden; 55, 349, 364 f Heß; NJW 1992, 3222, 3223 - dtsch/poln Grenzvertrag = Küttig, JK 93, G G Art 14 1/31; ferner BVerwGE 62, 11, 14; eingehend Hofmann Grundrechte und grenzübertschreitende Sachverhalte, 1993, S 107 ff. 154 Vgl EuGH, Slg 1996,1-1029 ff - Brasserie du pecheur = Erichsen, J K 96, EGV Art 5/1.
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Sozialhilfe. Bis 1984 erhielt sie Aufenthaltserlaubnisse, seither jedoch lediglich Bescheinigungen, dass eine Verlängerung ihrer Aufenthaltserlaubnis beantragt sei. Im Januar 1993 beantragte sie beim Freistaat Bayern Erziehungsgeld für ihr im selben Monat geborenes Kind. Das BErzGG155 spricht eine solche Leistung jedem zu, der mit einem Kind, für das ihm das Sorgerecht zusteht, in einem Haushalt lebt, dieses Kind selbst erzieht und keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt. Der Freistaat Bayern lehnte diesen Antrag unter Hinweis auf das Fehlen einer Aufenthaltserlaubnis ab. Das BErzGG verlangt für die Bewilligung einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, für Ausländer eine Aufenthaltsberechtigung oder -erlaubnis. Nach der VO 68/1612 genießen alle Arbeitnehmer, die Angehörige der Mitgliedstaaten sind, die gleichen sozialen und steuerlichen Vergünstigungen wie inländische Arbeitnehmer. Nach VO 71/1408 bezieht sich die Gleichstellung auch auf Familienleistungen. Das zuständige Landessozialgericht hat Zweifel, ob diese Regelungen auf die S anwendbar sind. Es will wissen, ob die Verweigerung von Erziehungsgeld mit dem EG-Vertrag in Einklang steht.156 a) Das Verhältnis des Gleichheitssatzes zu den Unionsbürgerrechten Die meisten der Unionsbürgerrechte zielen auf eine Gleichstellung von Angehörigen anderer Unionsstaaten mit den Inländern ab. Das Verbot der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit, das in allgemeiner Form in Art 12 EGV (Art 1-4 II, Art III-123 W E ) aufgestellt worden ist, steht daher mit der Unionsbürgerschaft in direktem Zusammenhang. 157 Auch wenn einsichtig ist, dass den Unionsbürgerrechten und dem allgemeinen Diskriminierungsverbot gemeinsame Rechtsgedanken zugrunde liegen, muss doch das Verhältnis der Art 17 ff EGV (Art 1-10 W E ) zu Art 12 EGV (Art 1-4 II, Art III-123 W E ) genauer betrachtet werden. Nach Art 12 EGV (Art 1-4 II, Art III-123 W E ) ist „unbeschadet besonderer Bestimmungen dieses Vertrages ... in seinem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten". Der Schutzgehalt dieses Diskriminierungsverbotes bezieht sich also auf den Anwendungsbereich des EG-Vertrages, doch bleiben spezielle Gleichheitssätze unberührt. Die Bestimmungen über die Unionsbürgerschaft gehören zum „Anwendungsbereich" des Art 12 EGV (Art 1-4 II, Art III-123 W E ) . Andererseits verweist Art 17 II EGV (Art 1-10 II W E ) auf die „in diesem Vertrag vorgesehenen Rechte und Pflichten", zu denen auch Art 12 EGV (Art 1-4 II, Art III-123 W E )
155 Gesetz über die Gewährung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub (BErzGG. BGBl I 1985, 2154); Erziehungsgeld ist eine betragsunabhängige Leistung, für deren Bezug es auf die persönliche Bedürftigkeit nicht ankommt. 156 Zu Familienleistungen Art 4 I lit h VO 71/1408 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- oder abwandern, Sartorius II Nr 185; darunter fällt auch das Erziehungsgeld, s EuGH, Slg 1996, 1-4895 ff - Hoever und Zachow; zur Zuordnung zum Begriff der sozialen Vergünstigung nach Art 7 II VO 68/1612 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft, Sartorius II Nr 180; EuGH, Slg 1993, 1-817, Rn 21 - Kommission/Luxemburg. 157 Shaw 3 EPL (1997), 413, 425 ff. Die Kommission bezieht daher auch die Initiativen der Union gegen Diskriminierung auch aus anderen Gründen als der Staatsangehörigkeit, zu denen Art 13 EGV ermächtigt, in ihren Bericht über die Unionsbürgerschaft ein, s Dritter Bericht (Fn 29) S 4, 26 ff; zu den bisher erlassenen Rechtsakten Baer Z R P 2001, 500 ff.
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gehört.158 Daraus hat der EuGH die Schlussfolgerung gezogen, dass sich Unionsbürger, die sich rechtmäßig im Gebiet eines Unionsstaates aufhalten, in allen vom sachlichen Anwendungsbereich des EG-Rechts erfassten Fällen auf Art 12 EGV (Art 1-4 II, Art III123 W E ) berufen können.159 Aus diesem Gedanken ergeben sich weitreichende Konsequenzen. b) Reichweite des unionsbürgerlichen Teilhaberechts aus Art 12 (Art 1-4 II, Art III-123 W E ) iVm 18 EGV (Art 1-10 II lit a W E ) 86
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Soziale Rechte waren im Unionsrecht bisher davon abhängig, dass der Empfänger zu einem bestimmten Zeitpunkt in dem betreffenden Mitgliedstaat erwerbstätig oder Angehöriger einer solchen Person war. Vergleichbares gilt für Unionsbürger, die sich in Ausbildung, auf Arbeitssuche oder im Ruhestand befinden. In seiner neuen Rechtsprechung entkoppelt der EuGH die Leistungen im Rahmen der Systeme der sozialen Sicherheit und ähnliche Vergünstigungen von den Aufenthaltstiteln, die mit den Grundfreiheiten in Zusammenhang stehen, und stellt unter Verweis auf die Unionsbürgerschaft nur noch auf den rechtmäßigen Aufenthalt ab.160 Dabei kommt es auf die Frage, ob das Aufenthaltsrecht der Unionsbürger in Art 18 EGV (Art 1-10 II lit a W E ) bereits aus sich heraus ein solches Aufenthaltsrecht vermittelt, nicht an.161 Der Aufenthaltstitel beruhte nach der die Urteilsgründe tragenden Konstruktion nicht auf dem Gemeinschaftsrecht, sondern auf einer Regelung des deutschen Rechts, der zufolge der Antrag auf Aufenthaltsberechtigung für die Dauer des Verwaltungsverfahrens einen besonderen Aufenthaltstitel schafft. Die Vorbehalte des Art 18 EGV (Art 1-10 II lit a W E ) , die dessen Schutzbereich eingrenzen, sind deshalb jedoch nicht gegenstandslos geworden. Wie erwähnt erlaubt es eine Richtlinie, das Aufenthaltsrecht außerhalb des Anwendungsbereichs der Grundfreiheiten vom Vorhandensein zureichender Existenzmittel und dem Bestehen eines Krankenversicherungsschutzes abhängig zu machen. Daher werden die Mitgliedstaaten nicht gehindert, an die Sozialhilfebedürftigkeit aufenthaltsbeendende Maßnahmen zu knüpfen.162 Die unmittelbare Anwendbarkeit des Art 18 EGV (Art 1-10 II lit a W E ) ändert an diesem Ergebnis nichts. Entscheidend ist, dass Unionsbürger, die sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhalten, nicht schlechter gestellt werden dürfen als Inländer. Mit dieser
158 159 160 161
EuGH, Slg 1998,1-2691, Rn 62 - Martinez Sala. EuGH, Slg 1998,1-2691, Rn 63 - Martinez Sala. EuGH, Slg 1998,1-2691, Rn 63 - Martinez Sala. Die Bundesrepublik war Spanien gegenüber aufgrund des Europäischen Fürsorgeabkommens verpflichtet, die Klägerin nach Eintritt der Erwerbslosigkeit nicht auszuweisen, s Art 6 des Europäischen Fürsorgeabkommens ν 11.12.1953 (Sartorius II Nr 113), das im Rahmen des Europarates geschlossen wurde und dem Spanien und Deutschland beigetreten sind. Deutschland hat übrigens den Vorbehalt erklärt, keine Verpflichtung für die Leistung von Sozialhilfe nach dem BSHG an Angehörige anderer Vertragsstaaten auf Inländerniveau zu übernehmen, s Anhang II, ZifF 2. Zur Staatsangehörigkeit als Differenzierungskriterium im deutschen Sozialund Sozialhilferecht StolleislSchlamelcher Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für Öffentliche und Private Fürsorge, 1985, S 309 ff; Zuleeg NJW 1987, 2193, 2197 f; Hailbronner VSSR 1992, 77 ff; Kokott in: Hailbronner (Hrsg) Die allgemeinen Regeln des völkerrechtlichen Fremdenrechts, 1999, S 25 ff. 162 Borchardt NJW 2000, 2057, 2059 f will derartige Maßnahmen nur im Missbrauchsfall zulassen, dh wenn das Aufenthaltsrecht genutzt wird, um höhere Sozialleistungen zu erhalten; enger RandelzhoferlForsthoff in: Grabitz/Hilf Art 39 EGV Rn 193.
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Einschränkung besitzen sie einen Anspruch auf Gleichbehandlung in der sozialen Grandsicherung.163 Dieser Linie ist der EuGH in seiner Grzelczyk-Entscheidung weiter gefolgt. Einem an einer belgischen Hochschule studierenden französischen Studenten, der dort drei Jahre selbst für seinen Unterhalt aufgekommen, hierzu im vierten Studienjahr jedoch wegen seines Examens nicht mehr in der Lage war, sprach er gem Art 12 (Art 1-4 II, Art III-123 W E ) und 17 EGV (Art 1-10 W E ) einen Anspruch auf Gewährleistung des Existenzminimums nach belgischem Recht zu; da in diesem Falle die Bedürftigkeit erst nachträglich eingetreten und auch nur vorübergehender Natur sei, dürfe eine Beendigung des Aufenthaltsrechts nicht automatische Folge der Inanspruchnahme von Sozialhilfe sein.164 In der Rs D'Hoop sprach der EuGH einer Belgierin, die ihren Schulabschluss in Frankreich erworben hatte, im Hinblick auf Überbrückungsgeld für Schulabsolventen ein Recht auf Gleichbehandlung mit inländischen Schulabgängern zu.165 Im Ergebnis verbietet er damit nicht mehr nur die Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit, sondern auch die Ungleichbehandlung wegen eines Wohnsitzwechsels. Auch außerhalb des Sozialrechts ergeben sich aus der Verknüpfung von UnionsbürgerSchaft und Diskriminierungsverbot Konsequenzen. Ein wichtiges Beispiel ist das Recht auf Verfahren in der Muttersprache. In den Rechtssachen Bickel und Franz hatte der EuGH über die Frage zu entscheiden, ob deutsche bzw österreichische Beschuldigte einen Anspruch darauf besitzen, dass ein gegen sie in der italienischen Region Trentino-Südtirol eingeleitetes Strafverfahren auf deutsch geführt wird. Da das italienische Recht in dieser Provinz einen solchen Anspruch Angehörigen der deutschsprachigen Volksgruppe zugesteht, sah der Gerichtshof in dessen Verweigerung gegenüber deutschsprachigen Unionsbürgern ohne italienische Staatsangehörigkeit und Wohnsitz in der Provinz Bozen einen Verstoß gegen Art 12 EGV (Art 1-4 II, Art III-123 WE). 1 6 6 Dass das Strafrecht nicht in den sachlichen Anwendungsbereich des EG-Vertrages fällt (vgl Art 12 EGV/Art 1-4 II, Art III-123 W E ) , war dabei unmaßgeblich. Die nötigen Anknüpfungspunkte im Gemeinschaftsrecht erblickte er außer in der (passiven) Dienstleistungsfreiheit auch im Aufenthaltsrecht nach Art 18 EGV (Art 1-10 II lit a W E ) . War dieser Ansatzpunkt einmal gefunden, bedurfte es für die Ungleichbehandlung italienischer Staatsangehöriger gegenüber anderen Unionsbürgern mit deutscher Muttersprache eines sachlichen Grundes. Dieser konnte jedenfalls nicht in den Minderheitenrechten der Südtiroler liegen, da zu deren Wahrung das Verbot der Erstreckung ihrer Sprachenrechte auf andere weder geeignet noch erforderlich war. Da außerdem nicht vorgetragen worden war, dass die Erweiterung des Personenkreises für ein Recht auf Verfahren in der eigenen Sprache zu besonderen Schwierigkeiten führen würde, war die Ungleichbehandlung nicht gerechtfertigt.167 163 Die Sala-Rspr könnte eine restriktivere Praxis der Mitgliedstaaten gegenüber arbeitslosen Unionsausländern nach sich ziehen, s O'Leary 24 ELR (1999), 68, 78; Toner Maastr JECL 7, 2000, 158, 179 f. 164 EuGH, Slg 2001,1-6193, Rn 34 ff - Grzelczyk = Ehlers JK 02, EGV Art 12/1, in Abkehr von Slg 1988, 3205 ff - Brown, wonach die Gewährleistung von Lebensunterhalt für Studenten nach damaligem Stand des Gemeinschaftsrechts nicht in den Anwendungsbereich des heutigen Art 12 EGV fiel. 165 EuGH, Slg 2002, 1-6191 - D'Hoop; krit KanitzlSteinberg, EuR 2003, 1013, 1016 ff; s aber auch ReichtHarbacevica 40 CMLRev (2003), 615, 627 f. 166 EuGH, Slg 1998,1-7637, Rn 16, 23 ff- Bickel und Franz. 167 Die Folge dieser Rechtsprechung ist nicht, wie Hitpold JB1 2000, 93, 99 annimmt, dass nunmehr die Behörden gehalten wären, jedem Unionsbürger den Gebrauch einer Sprache seiner Wahl zu
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Das Diskriminierungsverbot des Art 12 iVm 18 EGV (Art 1-4 II, Art III-123 iVm 1-10 II lit a W E ) bildet also eine umfassende Generalklausel. Für den EuGH ist die Unionsbürgerschaft „dazu bestimmt, der grundlegende Status der Angehörigen der Mitgliedstaaten zu sein".168 Wie es scheint, gibt es keinen Bereich, den sie nicht erfasst, solange die Anwendung nationalen Rechts nur an der rechtmäßigen Anwesenheit im Territorium eines Mitgliedstaates anknüpft.' 69 Allerdings ist bei Verallgemeinerungen Vorsicht angebracht. Die Verknüpfung des Art 18 EGV (Art 1-10 II lit a W E ) mit dem Gleichheitssatz des Art 12 EGV (Art 1-4 II, Art III-123 W E ) zwingt nicht schlechthin zu einer Gleichstellung sämtlicher Unionsbürger. Insbesondere für die - rechtspolitisch sinnvolle - Beseitigung der Inländerdiskriminierung bringt Art 12 (Art 1-4 II, Art III-123 W E ) iVm 17 ff EGV (Art 1-10 W E ) keine neuen Gesichtspunkte.170 c) Rechtfertigung von Differenzierungen
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Nach dem Gesagten liegt eine in das unionsbürgerliche Teilhaberecht fallende Differenzierung vor, wenn Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten, die sich rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat aufhalten, Rechte vorenthalten werden, die Inländern zustehen, wenn sie ansonsten die Voraussetzungen erfüllen, unter denen diese Rechte gewährt werden. Eine Rechtfertigung derartiger Ungleichbehandlungen ist aber aus sachlichem Grund möglich. Dazu muss sie ein unionsrechtlich anerkanntes Ziel verfolgen und zu diesem Zweck verhältnismäßig sein (—> vgl § 18 Rn 48 f). LSsung Fall 2: I. Zulässigkeit: Das LSG wird gem Art 234 EGV (Art III-369 W E ) ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH richten, das sich auf die Auslegung des EG-Vertrages richtet und ohne weiteres zulässig ist. II. Begründetheit: 1. Art 7 II VO 68/1612 über die Freizügigkeit billigt Arbeitnehmern, die Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten sind, „die gleichen sozialen und steuerlichen Vergünstigungen" zu wie inländischen Arbeitnehmern. Nach Art 2 der VO 71/1408 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit stehen die von ihr geregelten Leistungen Arbeitnehmern, Selbstständigen und Studierenden sowie ihren Familienangehörigen und Hinterbliebenen zu. Die S wäre also jedenfalls dann zum Empfang von Erziehungsgeld berechtigt, wenn sie als Arbeitnehmerin zu qualifizieren wäre. Dabei ist zu beachten, dass das Gemeinschaftsrecht keinen einheitlichen Arbeitnehmerbegriff kennt. a) Für die Zwecke des Art 39 EGV (Art III-133 W E ) iVm der VO 68/1612 ist Arbeitnehmer, wer während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Auch vor Beginn, etwa auf der Arbeitssuche, oder nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses kann eine Person Arbeitneh-
gestatten. Wünscht etwa ein finnischer Unionsbürger, dass in seinem Verfahren vor südtiroler Gerichten auf deutsch verhandelt wird, muss dem von Gemeinschaftsrechts wegen nicht entsprochen werden, solange auch Italiener, deren Muttersprache nicht deutsch ist, die diese Sprache aber besser beherrschen als Italienisch (etwa weil ihre erste Sprache vielleicht Slowenisch ist), nicht das Recht besitzen, auf Wunsch auf Deutsch zu verhandeln. Insoweit bleibt es bei dem Recht auf unentgeltliche Beiziehung eines Dolmetschers nach Art 6 III lit a und e E M R K . 168 E u G H , Slg 2001,1-6193, Rn 31 - Grzelczyk = Ehlers J K 02, EGV Art 12/1 169 Zu einem Fall aus dem Namensrecht EuGH, Urt ν 2.10.2003 Rs C-148/02 - Garcia Avello. 170 Übersicht und weitere Nachw bei Kadelbach Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, 1999, S 263 ff; Streinz ER Rn 682 ff; s auch ο Fn 62, 67, 79.
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mer sein. Um S als Arbeitnehmerin nach diesen Kriterien einordnen zu können, fehlt es aber an näheren Angaben. b) Im Sinne des Art 42 EGV (Art III-136 W E ) iVm der VO 71/1408, der den Zugang zu Sozialleistungen sicherstellen soll, ist Arbeitnehmer, wer gegen ein Risiko in einem System sozialer Sicherheit pflichtversichert oder freiwillig versichert ist; auf das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses kommt es nicht an. Auch insoweit fehlt es an Erkenntnissen über die Klägerin. 2. Somit kommt es darauf an, ob es sonst eine Bestimmung des Gemeinschaftsrechts verbietet, die Gewährung von Erziehungsgeld an Angehörige anderer Mitgliedstaaten von der Vorlage einer förmlichen Aufenthaltsberechtigung abhängig zu machen. Dieses Erfordernis könnte gegen Art 12 EGV (Art 1-4 II, Art III-123 W E ) verstoßen, der Diskriminierungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit im Anwendungsbereich des EG-Vertrages untersagt. Das Diskriminierungsverbot findet Anwendung auf Personen, die sich in einer gemeinschaftsrechtlich geregelten Situation befinden.171 In sachlicher Hinsicht fällt die Zahlung von Erziehungsgeld in den Anwendungsbereich des Sekundärrechts (Art 4 lit h VO 71/1408) und damit des EG-Vertrages. Fraglich ist jedoch, ob dessen persönlicher Anwendungsbereich die S auch dann erfasst, wenn diese keine Arbeitnehmerin iSd Art 39 ff EGV (Art III133 W E ) ist. An dieser Stelle verweist der EuGH auf den heutigen Art 17 II EGV (Art 1-10 II W E ) , der an den Status des Unionsbürgers die im EG-Vertrag vorgesehenen Rechte knüpft, zu denen auch das Diskriminierungsverbot des Art 12 EGV (Art 1-4 II, Art III-123 W E ) zählt (Rn 62). Folglich war nur mehr zu prüfen, ob Inländer und Ausländer aus EUMitgliedstaaten in nicht gerechtfertigter Weise ungleich behandelt werden. Da das Erfordernis eines Aufenthaltstitels nach nationalem Recht nur deklaratorische Bedeutung habe, liege in dem Erfordernis eines ganz bestimmten Titels eine Diskriminierung gegenüber Inländern, für die es keinen sachlichen Grund gebe. Die S durfte daher nicht vom Bezug von Erziehungsgeld ausgeschlossen werden.
V. Bewertung Die Tragweite der Konsequenzen, die sich aus der Unionsbürgerschaft ergeben, wird unterschiedlich bewertet. Während die einen die Kritik äußerten, die Art 17 ff EGV (Art I-10 W E ) hätten eher symbolischen Charakter, würden aber gegenüber dem ohne sie bestehenden Stand des Gemeinschaftsrechts keine substantiellen Veränderungen bewirken,172 nahmen andere die Regelung individueller, nicht wirtschaftsabhängiger Rechte an zentraler Stelle im EG-Vertrag als ersten Schritt zur Konstitutionalisierung eines europäischen Bürgerstatus positiv auf. 171 An diesem geteilten Echo hat sich bis heute nichts geändert. 174 Das Ergebnis variiert mit dem gewählten Bezugspunkt. Eine am positiven Recht und seiner Verwirklichung orientierte Analyse wird zu anderen Ergebnissen gelangen als eine Sicht, die sich an Parallelen zum Status eines Staatsbürgers orientiert. 175
171 EuGH, Slg 1989, 195. Rn 10 - Cowan. 172 Jessurun d'Oliveira in: Dehousse (Hrsg) Europe after Maastricht: An ever closer Union?, 1994, S 126, 135 ff; O'Leary European Union Citizenship. The options for reform. 1996, S 44 ff; Weiler in: Winter ua (Hrsg) Reforming the Treaty on European Union. The Legal Debate, 1996, S 57, 65 ff. 173 O'Keefe (Fn 65) S 107. 174 Siehe de Burea in: Referate für den Ersten Europäischen Juristentag, 2001, S 39, 66 f. 175 Shaw 61 MLR (1998), 295, 297 ff.
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Wer die im EG-Vertrag niedergelegten Regelungen, die zu ihrer Umsetzung ergriffenen Maßnahmen und die Rechtsprechung des Gerichtshofes betrachtet, sieht ein unfertiges Bild: Als nahezu bedeutungslos darf zurzeit das Versprechen eines gemeinschaftsrechtlich gewährleisteten Rechts auf diplomatischen und konsularischen Schutz gelten (Art 20 EGV/ Art 1-10 II lit c W E ) . Die Mitgliedstaaten verstehen es lediglich als Recht auf konsularischen Beistand, das bereits nach geltendem Völkerrecht stellvertretend ausgeübt werden kann, und auch die Umsetzung dieses Minimalprogramms konnte innerhalb eines Jahrzehnts nicht erreicht werden. Für den Gehalt des Freizügigkeitsrechts (Art 18 EGV/Art 1-10 II lit a W E ) hat sich nach der hier vertretenen Ansicht inhaltlich gegenüber dem Zustand vor Einführung der Unionsbürgerschaft nichts geändert. Allerdings besteht nun erstmals eine einheitliche primärrechtliche Basis für die unterschiedlichen Formen der Aufenthaltsberechtigung, die für ein lückenloses Recht auf Mobilität in Europa sorgen wird. Das Recht auf Petition und Auskunft (Art 21 EGV/Art 1-10 II lit d W E ) verweist im Wesentlichen auf andere Bestimmungen des EG-Vertrages und bestätigt damit den ohnehin bestehenden Besitzstand. Das Recht auf Zugang zu Dokumenten (Art 255 EGV/ Art III-399 W E ) bringt weitere Akzente, da es den Rechtsordnungen mancher Mitgliedstaaten bisher unbekannt war. Bei all diesen Ansprüchen handelt es sich zwar um typische Aktivbürgerrechte, doch leisten sie im politischen Willensbildungsprozess nur Hilfsdienste. Einen Ansatz für weiterführende Überlegungen zur Legitimierung von Hoheitsgewalt bietet das Wahlrecht auf lokaler und europäischer Ebene am Wohnsitzort (Art 19 EGV/ Art 1-10 II lit b W E ) . Beide öffnen rechtlich den bisher nach Mitgliedstaaten differenzierenden Begriff der Aktivbürgerschaft mit Richtung auf Legitimationseinheiten, für die es innerhalb der Union auf die Staatsangehörigkeit nicht mehr ankommt. Die reale Bedeutung dieser Bestimmungen ist jedoch zurzeit marginal. Dass man bemüht ist, die politische Partizipation der Unionsbürger zu steigern, zeigt der Verfassungsvertrag, der die Rolle der Zivilgesellschaft betont und plebiszitäre Elemente vorsieht (Art 1-47 W E ) . Von beträchtlicher potentieller Wirkung ist schließlich die durch die Rechtsprechung des EuGH hergestellte Verbindung zwischen Unionsbürgerschaft und dem allgemeinen Diskriminierungsverbot (Art 12 EGV/Art 1-4 II, Art III-123 W E ) , das den Gedanken der Inländerbehandlung, der in den Art 18, 19 und 29 EGV (Art H O II lit a, Art 1-10 II lit b, Art III-153 W E ) zu Tage tritt, auf soziale und kulturelle Rechte über das gesetzte Recht hinaus überträgt. Auch wenn diese Rechte nicht originär, sondern von einem rechtmäßigen Aufenthalt in einem Mitgliedstaat abgeleitet sind,176 zeigen sie ebenso wie die politischen Rechte, dass die rein ökonomische Zweckrichtung der gemeinschaftsrechtlich gewährten Individualrechte überwunden worden ist. Die wichtigste rechtliche Konsequenz der Vertragsbestimmungen zur Unionsbürgerschaft ist also der weitere Abbau von Unterschieden, die auf der Staatsbürgerschaft beruhen. Nachteile, die durch das Verlassen des Heimatstaates entstehen, sollen ausgeglichen werden. Die Mitgliedstaaten werden verpflichtet, in bestimmten Bereichen Rechte, die ihren Staatsangehörigen zustehen, auch anderen Unionsbürgern zu gewähren. Die Unions-
176 Das scheint Closa 32 CMLRev (1995), 487, 508 zu übersehen, der in gemeinschaftsrechtlich gewährleisteten sozialen Rechten eine Abkehr vom freien Markt sehen will; zu sozialpolitischen Interventionen werden die Mitgliedstaaten durch sie indessen nicht veranlasst.
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bürgerschaft definiert einen komplementären Bürgerstatus über die Grenzen hinweg. Daher wird in Art 1713 EGV (Art 1-10 I W E ) deutlich gemacht, dass die Unionsbürgerschaft die nationale Staatsbürgerschaft ergänzt.177 Das der Unionsbürgerschaft zugedachte weitere Potential zeigt sich bei einer Parallel- 101 betrachtung zu den staatsbürgerlichen Rechten. Ebenso wie die Staatsbürgerschaft ist die Unionsbürgerschaft eine Art Sammelbegriff für die Rechte, die in ihrer Summe einen Status ausmachen. Freizügigkeit, politische Rechte und diplomatischer Schutz waren lange den eigenen Staatsangehörigen vorbehalten. Die Art 17 ff EGV (Art 1-10 W E ) enthalten daher aus dieser Sicht besonders symbolträchtige Garantien. Auch soziale Rechte sind zumindest historisch Rechte der Staatsangehörigen,178 so dass deren Erstreckung auf andere Unionsbürger durch die Rechtsprechung der Absicht folgt, die hinter den Art 17 ff EGV (Art 1-10 W E ) steht. Der Komplementärfunktion der Unionsbürgerschaft zur Staatsbürgerschaft entspricht es auch, dass Art 19 II EGV (Art 1-10 II lit b W E ) für das Europäische Parlament die Idee einer Wählerschaft zugrunde legt, die allein durch die Unionszugehörigkeit und den Wohnsitz bestimmt wird.179 Zwar kann die Unionsbürgerschaft trotz dieser Parallelen mit der umfassenden Stel- 102 lung des Staatsbürgers mit allen Rechten und Pflichten qualitativ nicht vergleichbar sein, aber die in ihr zusammengefassten Rechte bringen die zwischen der Union und den Mitgliedstaaten geteilte Verantwortung für den Einzelnen zum Ausdruck.
177 Ähnlich BVerfGE 89, 155, 184: Mit der Unionsbürgerschaft werde „zwischen den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten ein auf Dauer angelegtes rechtliches Band geknüpft, das zwar nicht eine der gemeinsamen Zugehörigkeit zu einem Staat vergleichbare Dichte besitzt, dem bestehenden Maß existentieller Gemeinsamkeit jedoch einen rechtlich verbindlichen Ausdruck verleiht". 178 Fn 46. 179 Zur Verbindung mit der Legitimation der Union Preuß 1 ELJ (1995), 267, 276 ff; Weiler in: ders (Hrsg) The Constitution of Europe, 1999, S 324, 344 ff. Ob hinter diesem gesamteuropäischen Legitimationssubjekt ein „europäisches Volk" steht, ist eine Frage der Perspektive, die mit der rein rechtlich konzipierten Unionsbürgerschaft nicht notwendig etwas zu tun haben muss; zu identitätsstiftenden Faktoren wie Nation, Volk, Sprache, Kultur, Geschichte, Mythos usw Nicolaysen FS Everling, 1994, S 945, 950 ff; Grimm JZ 1995, 581, 587 ff; zu einem durch die Unionsbürgerschaft vermittelten Volksbegriff krit Augustin Das Volk der Europäischen Union, 2000, S 41 ff, 63 ff; vgl auch Hrbek in: dens (Hrsg) (Fn 6) S 119, 130, dem zufolge es eine europäische Teilidentität gibt, die sich neben der europäischen etabliert habe sowie die Kontroverse zwischen Koriolh 62 W D S t R L (2003), 117, 151 f und ν Bogdandy, ebd 156, 168 ff.
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Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte
Name
Fundstelle
Beschwerdenummer
Zitiert in
AGOSI Ahmed Airey Aksoy Albert und Le Compte Allen Allenet de Ribemont Amann Amuur Ankerl Arslan
EuGRZ 1988, 513 RJD 1998-VI EuGRZ 1979, 626 HRLJ 18(1997), 221 EuGRZ 1983, 190 RJD 2003-VIII RUDH 1995, 295 HRLJ 21 (2000), 221 EuGRZ 1996, 577 RJD 1996-V NJW2001, 1995 = RJD 2002-X
9118/80 22954/93 6289/73 21987/93 7299/75; 7496/76 76574/01 15175/89 27798/95 19776/92 17748/91 23462/94
§ 5 Rn 28,31,43 § 2 Rn 42; § 4 Rn 31 §2 Rn 21; § 6 Rn 70 § 6 Rn 27, 70 § 4 Rn 84 § 19 Rn 19 § 6 Rn 48 § 3 Rn 3, 6 § 6 Rn 5 f, 21 § 6 Rn 43 § 4 Rn 32
28389/95 8225/78 71503/01 36533/97 12726/87
§ 6 Rn § 6 Rn § 2 Rn § 6 Rn § 2 Rn 21,54 § 3 Rn § 6 Rn § 3 Rn § 6 Rn § 2 Rn § 2 Rn
Asan Rushiti Ashingdane Assanidze Atlan Autronic
EuGRZ 1986, 8 EuGRZ 2004, 268 EuGRZ 1990,261
Β B/Österreich Baghli Baischer Bankovic Barberä
HRLJ 13(1992), 358 RUDH 1990, 158 NVwZ 2000, 1401 ÖJZ 2002, 394 NJW 2003,413 Serie A, Vol 285-C
Barfod Barthold
Serie A, Vol 149 EuGRZ 1985, 150
Beckles Belchev Belgischer Sprachenfall
EuGRZ 1975, 298
Belilos Beyeler Bizzotto Bladet Tromse Boden Borgers Bouamar Bowman Boyle und Rice
EuGRZ 1989, 21 RJD 2000-1 RJD 1996-V EuGRZ 1999,453 EGRZ 1988,452 EuGRZ 1991, 519 Serie A, Vol 129 RJD 1998-1 Serie A, Vol 131
13343/87 11968/86 34374/97 32381/96 52207/99 10588/83; 10589/83; 10590/83 11508/85 8734/79 44652/98 39270/98 1474/62; 1677/62; 1691/62; 1769/63; 1994/63; 2126/64 10328/83 33202/96 22126/93 21980/93 10930/84 12005/86 9106/80 24839/94 9659/82; 9658/82
48 17, 39 f 68 44 13; § 4 Rn 18, 8 9, 28 7, 12, 25, 30 50 34; § 3 Rn 51 68
§4 Rn 27,49 § 2 Rn 47; § 4 Rn 3, 8,31,46 § 6 Rn 47 § 6 Rn 25 § 2 Rn 14
§ 2 Rn 38 § 5 Rn 32, 37 f, 42 § 6 R n 19 § 4 Rn 50 § 6 Rn 35 § 3 Rn 75; § 6 Rn 43 § 6 Rn 7, 16, 30 § 4 R n 31 § 6 Rn 68, 70
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Fundstelle
Beschwerdenummer
Zitiert in
Bozano Brand Brandstetter
EuGRZ 1987,101 EuGRZ 1992, 190
§ 6 Rn 5, 9 § 6 R n 19 § 6 Rn 44
Brannigan Brogan
HRLJ 14(1993), 184 HRLJ 9 (1988), 293
RUDH 1994, 27 RUDH 2001,420 RJD 1996-V HRLJ 15 (1994), 184
9990/82 49902/99 11170/84; 13468/87 14553/89; 11209/84; 11266/84; 31443/96 20348/92 28298/95 16213/90 60350/00 17862/91 15450/89
Broniowski Buckley Buldan Burghartz Canela Santiago Cantoni Casado Coca
RJD 1996-IV, 1271
12876/87; 14554/89 11234/84; 11386/85
§ 6 Rn 31 § 6 Rn 26 f, 32 § 5 Rn 32, 54 § 2 R n 18 § 6 Rn 71 § 3 Rn 73 § 19 Rn 23 § 2 Rn 32 §4 Rn 8, 31,33,46, 96; § 15 Rn 73 §4 Rn 30,40,45 § 3 R n 3 1 , 32, 67
Castells Chäare Shalom Ve Tsedek Chahal Chassagnou
Serie A, Vol 236 RUDH 2000, 247
11798/85 27417/95
RUDH 1997, 365 RUDH 1999, 17
Ciliz
NVwZ 2001, 547
22414/93 25088/94; 28331/95; 28443/95 29192/95
§ 6 Rn 20,29 §4 Rn 76; § 5 Rn 48, 56 § 3 Rn 9, 18,24, 27, Ofi ΔΟ
Cisse Ciulla Civet Clooth Colman Comingersoll Condron Corigliano Costello-Roberts Cruz Varas Dahlab Dänemark De Cubber De Haes und Gijsels De Jong
RJD 2002-III Serie A, Vol 148 NJW 2001,54 HRLJ 13(1992), 117 Serie A, Vol 258 RJD 2000-V Serie A, Vol 57 Serie A, Vol 247-C EuGRZ 1991, 203 NJW 2001, 2871 EuGRZ 2000, 620 EuGRZ 1985,407 ÖJZ 1997, 912 EuGRZ 1985, 700
§4 Rn 60, 63 § 6 Rn 7,11 § 2 Rn 63 § 6 Rn 28 § 15 Rn 73 § 2 Rn 68 § 6 Rn 47 § 6 Rn 52 §2 Rn 33; § 6 Rn 70 § 2 Rn 55 § 3 Rn 31, 36, 70 §2 Rn 53 § 6 Rn 38 § 4 Rn 49 § 6 R n 13
De Moor De Wilde
RUDH 1994,401 Serie A, Vol 12
Demir
RJD 1998-VI
Desmots Deumeland
NJW 1989, 652
51346/99 11152/84 29340/95 12718/87 16632/90 35382/97 35718/97 8304/78 13134/87 15576/89 42393/98 34382/97 9186/80 19983/92 8805/79; 8806/79; 9242/81 16997/90 2832/66; 2835/66; 2899/66 21380/93; 21381/93; 21383/93 41358/98 9384/81
590
§ 6 Rn 44 § 6 Rn 30 § 6 Rn 27 § 2 Rn 27 § 6 Rn 35, 53
Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte Name
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Beschwerdenummer
Zitiert in
Deweer Dichand Diennet Dombo Beheer Döring Dotta Drozd Dudgeon Dufay Eckle Editions Periscope Ehemaliger König
EuGRZ 1980, 667
6903/75 29271/95 18160/91 14448/88 37595/97 38399/97 12747/87 7525/76 13539/88 8130/78 11760/85 25701/94
§ 6 Rn 37 § 2 Rn 67 § 6 Rn 37, 50 § 6 Rn 43 § 5 R n 11 § 19 Rn 23 § 2 Rn 34; § 3 Rn 51 § 2 Rn 47; § 3 Rn 8 § 14 Rn 14 § 6 Rn 52, 56 § 6 Rn 35, 52 § 5 Rn 8, 32, 37, 39, 43,47 f § 2 Rn 38
Eisenstecken Eisholz Engel
Serie A, Vol 325-A RUDH 1993,426 NJW2001, 1556 Serie A, Vol 240 EuGRZ 1983,488 EuGRZ 1983, 371 HRLJ 13(1992)419 EuGRZ 2001, 397
NJW 2001, 2315 EuGRZ, 1976, 221
Erdagöz Ergi Ezeh und Connors Ezelin
RJD 1997-VI
Fayed Feldek Ferrazzini Fischer Fogarty Fox
HRLJ 15(1994), 344 ÖJZ 2002, 814 Rn 83 NJW 2002, 3453 Serie A, Vol 312-A
Fredin (Nr. 1) Fredin (Nr. 2) Fressoz und Roire Funke
HRLJ 12(1991), 93 RUDH 1994, 25 EuGRZ 1999, 5 RUDH 1993, 232
G K/Polen Garaudy Garcia Alva Gaskin Gaygusuz Girardi Glasenapp Golder Goodwin Goodwin Gorgulu
HRLJ 12(1991), 185
RUDH 1990,418
NJW 2004, 3691 Serie A, Vol 160 JZ 1997,405 EuGRZ 1986,497 EuGRZ 1975, 91 RJD 1996-11 NJW 2004, 289
29477/95 25735/94 5100/71; 5101/71; 5102/71; 5354/72; 5370/72 21890/93 23818/94 39665/98; 40086/98 11800/85 17101/90 29032/95 44759/98 16922/90 37112/97 12244/86; 12245/86; 12383/86 12033/86 18928/91 29183/95 10828/84 38816/97 65831/01 23541/94 10454/83 17371/90 50064/99 9228/80 4451/70 17488/90 28957/95 74969/01
§ 3 Rn 9,24, 28, 29 §4 Rn 33, 70; § 6 Rn 5 f, 9 f, 30 § 6 R n 13 § 3 Rn 52 § 6 Rn 37 § 4 Rn 2, 57,61,63, 67,94 § 6 Rn 40 § 4 Rn 1 § 6 Rn 36 § 6 Rn 50, 63 § 2 Rn 42 § 6 Rn 12ff,23, 32 § 5 R n 11,38 § 6 Rn 50 §4 Rn 50 § 6 Rn 47; § 15 Rn 2; § 19 Rn 19 § 6 Rn 28,31 § 2 Rn 39 § 6 Rn 31 § 4 R n 11,26 § 5 Rn 17; § 9 Rn 25 § 6 Rn 56 §4 Rn 43 §4 Rn 33; § 6 Rn 39 § 4 Rn 50 § 3 Rn 8, 11 § 3 Rn 28
591
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Beschwerdenummer
Zitiert in
Gradinger
15963/90
§ 2 Rn 38; § 6 Rn 63
Grams Grigoriades Groppera Radio AG
Serie A, Vol 328-C = JB1 1995, 577 NJW2001, 1989 RJD 1997-VII EuGRZ 1990, 255
33677/96 24348/94 10890/84
Guerin Guerra
RUDH 2000, 119 NVwZ 1999, 57
25201/94 14967/89
Gustafsson Guzzardi H.L.R. H/Belgien Haase Häkansson und Sturesson Handyside
HRLJ 17(1996), 118 EuGRZ 1983, 633 NVwZ 1998, 163 Serie A, Vol 127-B EuGRZ 1992, 5
15573/89 7367/76 24573/94 8950/80 11057/02 11855/85
§ 3 Rn 66 § 4 Rn 30 § 2 Rn 47, 62; §4 Rn 7,54, 55, 56; §15 Rn 73 § 19 Rn 25 § 3 Rn 7; § 4 Rn 11; § 20 Rn 24 § 4 R n 85, 88, 93 § 6 Rn 5 f, 12, 14,18 § 3 Rn 41 § 6 Rn 44, 50 § 3 Rn 29 § 5 Rn 37; § 6 Rn 50
EuGRZ 1977, 38
5493/72
Hashman und Harrup Hatton
RUDH 1999, 331 ÖJZ 2003, 72
25594/94 36022/97
Heaney Heilige Klöster Hennig Hentrich Herczegfalvy Hertel und Verein gegen Tierfabriken (VGT) Hiro Balani Hirst Hornsby Horvat Hristov Hubner Hutchison Reid latridis Ignaccolo-Zenide Ilowiecki Informationsverein Lentia Irland J G/Polen Jacubowski
RJD 2000-XII HRLJ 16(1995), 30
34720/97 13092/87; 13984/88 41444/98 13616/88 10533/83 24699/94
592
EuGRZ 1988, 350 EuGRZ 1992, 535 RJD 1998-VI
Serie A, Vol 303-B RJD 1997, II RJD 2001-VIII
RJD 2003-IV EuGRZ 1999, 317 RUDH 2000, 93 EuGRZ 1994, 549 EuGRZ 1979, 149 EuGRZ 1996, 306
18064/91 40787/98 18357/91 51585/99 35436/97 34311/96 50272/99 31107/96 31679/96 27504/95 13914/88; 15041/89; 15717/89; 17207/90 5310/71 36258/97 15088/89
§ 2 Rn 47; § 4 Rn 1, 7, 29, 34, 52; § 5 Rn 4,40,43 § 4 R n 9, 25 § 2 Rn 16; § 3 Rn 19, Zö § 6 Rn 47 § 5 Rn 44,47 § 6 Rn 52 § 5 Rn 37,44 § 2 Rn 45; § 6 Rn 17 §4 Rn 17
§ 6 Rn 44 § 6 Rn 31 § 2 Rn 63, 68 § 6 Rn 71 § 6 Rn 31 § 6 Rn 65 § 6 R n 19 § 2 Rn 63; § 5 Rn 37 § 3 Rn 18 § 6 Rn 27 f § 4 Rn 26, 55 § 2 Rn 27,40,43 § 6 Rn 25 § 4 Rn 46
Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte Name
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Beschwerdenummer
Zitiert in
Jahn
EuGRZ 2004, 57 ff.
James
Serie A, Vol 98 = EuGRZ 1988, 341
46720/99; 72203/01; 72552/01 8793/79
Jecius Jersild Kaya Kemmache (No. 3) Kemmache (Nr. 1 & 2) Keus K-F Khan Kjeldsen
R J D 2000-IX, 237 Serie A, Vol 298 R J D 1998-1 Serie A, Vol 296-C HRLJ 1992,42 RUDH 1990,466 NJW 1999, 775 JZ 2000, 993 EuGRZ 1976,478
§ 2 Rn 7; § 5 Rn 23, 37, 53 § 2 Rn 6; § 5 Rn 32, 37 ff, 43,47,49 ff; § 6 Rn 69; § 17 Rn 27, 29 § 2 Rn 58 § 4 Rn 33,45 § 6 Rn 71 § 6 Rn 8, 13 § 6 Rn 27 f § 6 Rn 22, 32 § 2 R n 18 § 3 Rn 13; § 6 Rn 44 § 2 Rn 13; § 4 Rn 4
Klaas
EuGRZ 1979, 278
Klass Klein Knauth König Kormachev Kosiek Koua Poirrez Krastanov Krenz
NJW 1979, 1755 NJW 2001,213 NJW 2003, 3041 EuGRZ 1978,406
Kreps Kress Kreuz Kruslin Kudla Kusmierek Kutzner Labita Laumont Lawless (No. 3) Le Compte, Van Leuven und De Meyere Leander Lehideux und Isorni Letellier Lietzow Lingens Lislawska
34578/97 15890/89 22729/93 17621/91 12325/86; 14992/89 12228/86 25629/94 35394/97 5095/71; 5920/72; 5926/72 5029/71
NJW 2002, 244 RJD 2000-IV RJD 2001-XI Serie A, Vol 3 EuGRZ 1981, 551
5029/71 33379/96 41111/98 6232/73 53084/99 9704/82 40892/98 50222/99 34044/96; 35532/97; 44801/98 34097/96 39594/98 28249/95 11801/85 30210/96 10675/02 46544/99 26772/95 43626/98 332/57 6878/75; 7238/75
Serie A, Vol 116 R J D 1998-VII HRLJ 12 (1991), 302 NJW 2002,2013 EuGRZ 1986,424
9248/81 24662/94 12369/86 24479/94 9815/82
EuGRZ 1986, 509 RUDH 2003,440 NJW 2001, 3035
RTDE 2001, 809 R J D 2001-VI ÖJZ 1990, 564 NJW 2001, 2694
37761/97
§ 3 Rn 6; § 6 Rn 68, 67 § 6 Rn 70 § 6 Rn 52 § 3 Rn 3 § 6 Rn 30, 35, 52 § 6 Rn 54 § 4 Rn 43 § 19 Rn 36 § 6 Rn 54 § 1 Rn 12; § 2 Rn 16, 18; § 6 Rn 60, 62 § 6 Rn 28 § 19 Rn 34 § 6 Rn 40 § 2 Rn 45 § 2 Rn 18; § 6 Rn 71 § 6 Rn 57 § 3 Rn 25 § 6 Rn 25 § 6 Rn 8 § 6 Rn 5, 11 § 4 Rn 73, 84; § 6 Rn 37, 50 § 4 Rn 11; § 6 Rn 70 § 4 Rn 33 § 6 Rn 27 f § 6 Rn 31 § 4 Rn 1, 11,27,30, 45,48 § 6 Rn 55
593
Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte Name
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Beschwerdenummer
Zitiert in
Lithgow
Serie A, Vol 102 = EuGRZ 1988, 350
§ 5 Rn 8, 37,49 ff; § Rn 39 f, 69
Lobo Machado Loizidou Lokanov Lopez Ostra
RJD 1996-1 ZaöRV 56 (1996), 439 = EuGRZ 1997, 555 RJD 1997-11 EuGRZ 1995, 530
9006/80; 9262/81; 9263/81; 9265/81; 9266/81; 9313/81; 9405/81 15764/89 15318/89
Luberti Lüdi Luedicke
EuGRZ 1985, 642 EuGRZ 1992, 300 EuGRZ 1979, 34
Maaouia
RTDH 2002,433
9019/80 12433/86 6210/73; 6877/75; 7132/75 39652/98
Maestri Magee Malone Mansur Manzoni Marckx
RJD 2000-VI EuGRZ 1985, 17 Serie A, Vol 319-B Serie A, Vol 195-B EuGRZ 1979,454
39748/98 28135/95 8691/79 16026/90 11804/85 6833/74
EuGRZ 1996, 302
10572/83
Serie A, Vol 113 NJW 1999,3107
9267/81 24833/94
markt intern Verlag GmbH und Klaus Beermann Mathieu-Mohin Matthews
Matwiejczuk McCann Mehemi Monnell Moosbrugger Morel Morsink Moustaquim Müller Müller Murray Murray N.F. Nationale Belgische Polizeigewerkschaft Neumeister
21915/93 16798/90
§ 19 Rn 34 § 1 Rn 6; § 2 Rn 34; § 3 Rn 51 § 6 Rn 5, 7 § 2 Rn 40; § 3 Rn 7, 19, 27; § 20 Rn 24 § 6 Rn 17, 30 § 3 Rn 6 § 3 Rn 74 § 6 Rn 36; § 19 Rn 39 §4 Rn 78 § 6 Rn 47 § 3 Rn 6 § 6 Rn 27 § 6 Rn 52 § 2 Rn 13, 62; §5 Rn 4, 19 § 4 Rn 8, 17,31,46, 96; § 15 Rn 73
EuGRZ 1993, 552 RJD 1997-11 EuGRZ 1988, 543 HRLJ 15(1994), 331 EuGRZ 1996, 587 RJD 2001-IX EuGRZ 1975, 562
37641/97 18984/91 25017/94 9562/81; 9818/82 44861/98 34130/96 48865/99 12313/86 21802/93 10737/84 18731/91 14310/88 37119/97 4464/70
§ 2 Rn 17,42 § 1 Rn 14; § 2 Rn 22, 30, 32, 63; §21 Rn 63 § 6 Rn 28 § 3 Rn 58 § 3 Rn 7, 12, 30 § 6 Rn 9 § 2 Rn 27 § 6 Rn 38 § 6 R n 19 § 2 Rn 47 § 6 Rn 28 § 4 Rn 34, 53 § 6 R n 11 ff, 23 § 6 Rn 47 § 4 Rn 78 §4 Rn 75, 86
Serie A, Vol 8
1936/63
§ 6 Rn 27
HRLJ 16 (1995), 260 NVwZ 1998, 164 Serie A, Vol 115 RJD 2000-VI
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Zitiert in
Neumeister NEWS Verlags GmbH & Co. KG. Nielsen Niemietz
Serie A, Vol 17 ÖJZ 2000, 394
1936/63 31457/96
§ 2 Rn 68 §4 Rn 18
Serie A, Vol 144 NJW 1993, 718
10929/84 13710/88
§ 6 R n 16 § 1 Rn 25; § 2 Rn 25; § 3 Rn 4, 5, 13,24, 25; § 15 Rn 23 § 6 Rn 64 § 6 Rn 25, 31 § 2 R n 18 § 3 Rn 8 § 6 Rn 71 § 6 Rn 13, 27 § 4 Rn 1,30, 45 § 4 R n 1, 17,24,32,
Nikitin Nikolova Norbert Kind Nortis Nuray Sen (Nr. 2) O'Hara Oberschlick Observer und Guardian
RJF 1999-11 EuGRZ 2003, 228 EuGRZ 1992,477 RJD 2001-X EuGRZ 1991, 216 EuGRZ 1995, 16
50178/99 31195/96 44324/98 10581/83 25354/94 37555/97 11662/85 13585/88
Λ'}
Öcalan Odievre Ogur Olbertz Oliveira Open Door
EuGRZ 2003,472 NJW 2003, 2145 NJW 2001, 1991 NJW 2001, 1558 RJD 1998-V Serie A, Vol 246-A = EuGRZ 1992,484 RJD 1998-VIII, 3159 HRLJ 15(1994), 371 RJD 2000-III EuGRZ 1985, 62 RJD 1998-1 EuGRZ 1997, 310 EuGRZ 1999, 319 Serie A, Vol 330-B RJD 1999-VIII
46221/99 42326/98 21594/93 37592/97 25711/94 14234/88; 14235/88 23452/94 13470/87 23144/93 8544/79 20323/92 17820/91 31423/96 14556/89 23885/94
§ 3 Rn 57; § 6 Rn 6 § 3 Rn 8, 27, 67 § 3 Rn 52, 59, 64 § 5 R n 11 § 6 Rn 63 § 2 Rn 5; § 4 Rn 42; § 15 Rn 78 § 2 R n 16 §4 Rn 15,31,52 §4 Rn 17 § 6 Rn 37 § 19 Rn 36 § 2 R n 18 § 5 Rn 34, 49 § 2 Rn 68 §4 Rn 77
Osman Otto-Preminger-Institut Özgür Gündem Öztürk Pafitis Pammel Papachelas Papamichalopoulos Partei der Freiheit und Demokratie Paskhalidis Pauger Paul und Audrey Edwards Pellegrin Perez Petra Philis
RJD 1997-11 RJD 1997-III RJD 2002-11
20416/92 16717/90 46477/99
§ 6 Rn 35 § 6 Rn 50 § 6 Rn 71
NVwZ 2000, 661 Serie A, Vol 325-C RJD 1998-VII EuGRZ 1991, 355
§ 2 Rn § 6 Rn § 3 Rn § 6 Rn
Philis (Nr. 2) Piermont Pierre-Bloch Pine Valley
RJD 1997-1V Serie A, Vol 314 RUDH 1997, 73 HRLJ 13(1992), 36
28541/95 16462/90 27273/95 12750/87; 13780/88; 14003/88 19773/92 15773/89; 15774/89 24194/94 12742/87
18; § 6 Rn 35 30 15,21 39
§ 6 Rn 57 §2 Rn 43 § 6 Rn 36 § 5 Rn 57
Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes f ü r Menschenrechte Name
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Beschwerdenummer
Zitiert in
Plattform „Ärzte für das Leben" Podbielski Poiss
EuGRZ 1989, 522
10126/82
§ 4 Rn 59, 62
R J D 1998-VIII Serie A, Vol 117 = NJW 1989, 650
27916/95 9816/82
§ 6 Rn 57 § 5 Rn 34; § 6 Rn 56
27824/95 9310/81 31993/96 7984/77 2346/02
§ 3 Rn 69 § 4 Rn 26; § 6 Rn 70 § 19 Rn 23 § 6 Rn 51, 56 §2 Rn 14; § 3 Rn 3, ςπU D § 2 R n 18 § 6 Rn 7 § 6 Rn 57 § 4 R n 55 § 5 Rn 38 f § 6 Rn 47 §2 Rn 21; § 3 Rn 11 § 2 Rn 67; § 1 Rn 12
Posti und Rahko Powell und Rayner Predil Anstalt Pretto Pretty
Serie A, Vol 172 EuGRZ 1985, 548 EuGRZ 2002, 234
Probstmeier Quinn Rachevi Radio ABC Raimondo Randall Rees Refah Partisi
NJW 1997,2809 Serie A, Vol 311
Refah Partisi (Nr. 2)
EuGRZ 2003,206
Reinhardt und Slimane-Kai'd Reinmüller Rekvenyi Remli Ribitsch Ringeisen Rowe und Davis Ruiz-Mateos S W/Vereinigtes Königreich S.A. Jacquers Dange ville Sahin Sakik
R J D 1998-11
20950/92 18580/91 47877/99 19736/92 12954/87 44014/98 9532/81 41340/98; 41343/98; 41340/98; 41343/98; 23043/93;
NVwZ 2000, 421 R J D 1996-11 EuGRZ 1996, 504 Serie, A Vol 13 R J D 2000-11 EuGRZ 1993,453 Serie A, Vol 335-B
69169/01 25390/94 16839/90 18896/91 2614/65 28901/95 12952/87 20166/92
§ 6 Rn 48 §2 Rn 45 §6 Rn 38 § 3 Rn 42 § 6 Rn 7 § 6 Rn 44 § 6 Rn 44 §6 Rn 61
36677/97
§ 2 Rn 27 § 3 Rn 37 §6 Rn 27
Salman Saunders
NJW 2001,2001 R J D 1996-VI
44774/98 23878/94; 23879/94; 23880/94; 23881/94; 23882/94; 23883/94; 21986/93 19187/91
Schenk Schiesser Schmidt
EuGRZ 1988, 390 EuGRZ 1980, 202 NVwZ 1995, 365
10862/84 7710/76 13580/88
596
R J D 1997-VI RUDH 1994, 21 Serie A, Vol 106
R J D 1997-VII
41342/98; 41344/98 41342/98; 41344/98 22921/93
§ 4 Rn 79 § 19 Rn 34
§ 3 Rn 40, 52 f, 59, 64 § 6 Rn 47; § 15 Rn 2; § 19 Rn 19 § 6 Rn 48 § 6 Rn 25 § 2 Rn 6; § 5 Rn 32, 37 if, 43, 47,49 ff;
Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes
r Menschenrechte
Name
Beschwerdenummer
Schmidt und Dahlström Schöpfer Schöps Schouten Schuler-Zgraggen Schwabe Schwedischer Lokomotivführerverband Scollo Scott Sekanina Selmouni Senator Lines GmbH Serves Sibson Sidiropoulos Sigurdur Siguijönsson SUver
Fundstelle
EuGRZ 1976, 68 RJD 1998-III NJW 2002, 2015 Serie A, Vol 304 Serie A, Vol 263 Serie A, Vol 242-B EuGRZ 1976, 62
5589/72 25405/94 25116/94 19005/91; 19006/91 14518/89 13704/88 5614/72
Serie A, Vol 315-C RJD 1996-VI RUDH 1993, 358 NJW 2001, 56 NJW 2004, 3617 RJD 1997-VI Serie A, Vol 258-A RJD 1998-IV Serie A, Vol 264 EuGRZ 1984, 147
Slivenko Smirnova Smith und Grady
NJW 2000, 2089
19133/91 21335/93 13126/87 25803/94 56672/00 20225/92 14327/88 26695/95 16130/90 5947/72; 6205/73; 7052/75; 7061/75; 7107/75; 7113/75; 7136/75 48321/99 46133/99; 48183/99 33985/96; 33986/96
S oenng
EuGRZ 1989, 314
14038/88
Sommerfeld Sommerfeld Sozialistische Partei Sporrong und Lönnroth
EuGRZ 2001, 588 FPR 2004, 344 RJD 1998-III Serie A, Vol 52 = EuGRZ 1983, 523 RJD 2002-IV RJD 2001-IX
31871/96 31871/96 21237/93 7151/75; 7152/75
StafTord Stankov und Vereinigte Mazedonische Organisation Ilinden Steel STES Stögmüller Sunday Times
Serie A, Vol 7 EuGRZ 1979, 386
24838/94 37971/97 1602/62 6538/74
Sunday Times (Nr. 2) Süßmann
HRLJ 13 (1992), 30 RJD 1996-IV
13166/87 20024/92
RJD 1998-VII
46295/99 29221/95; 29225/95
Zitiert in § 6 Rn 69; § 17 Rn 27, 29 § 4 Rn 83 § 4 Rn 46 § 6 Rn 31 § 6 Rn 35 § 6 Rn 50 § 4 Rn 45 § 2 Rn 6; § 4 Rn 83, 86 § 2 Rn 68 § 6 Rn 27 § 6 Rn 48 § 3 Rn 40,42,45 § 2 Rn 32 § 6 Rn 47 § 4 Rn 85 §4 Rn 78 § 4 Rn 75, 88 § 6 Rn 69; § 14 Rn 46
§ 6 Rn 20 § 6 Rn 55 f § 2 Rn 68; § 3 Rn 8, 68 § 2 Rn 34; § 3 Rn 41, 54 § 3 Rn 28 § 3 Rn 28 § 4 Rn 74 § 5 Rn 8, 32, 34; § 6 Rn 70; § 17 Rn 18 § 6 Rn 9 §4 Rn 65
§4 Rn 9, 25; § 6 Rn 8 § 2 Rn 25 § 6 Rn 13, 27 f § 2 Rn 45; § 3 Rn 22; §4 Rn 11, 17, 36; § 14 Rn 46 §4 Rn 17 § 6 Rn 54
597
Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte Name
Fundstelle
Beschwerdenummer
Zitiert in
RJD 2001-V
36812/97; 40104/98 28945/95
§ 3 Rn 28 § 6 Rn 71
41205/98 27699/95 22496/93 19182/91 27244/95 13778/88 11787/85; 11978/86; 12009/86 18139/91 12850/87 42636/98 11894/85 10873/84 19233/91; 19234/91 5856/72
§ 4 Rn 31 § 6 Rn 71 § 2 Rn 42 § 4 R n 55 § 6 Rn 71 § 4 R n 17, 29 f, 40,45 § 6 Rn 32
Sylvester Τ Ρ und Κ Μ/ Vereinigtes Königreich Tammer Tekdag Tekin Telesystem Tirol Tepe Thorgeirson Thynne, Wilson und Gunnel Tolstoy Miloslavsky Tomasi Tome Mota Toth Tre Traktörer AB Tsirlis Tyrer
HRLJ 16 (1995), 295 EuGRZ 1994, 101 NJW 2001, 2692 HRLJ 13(1992), 112 RUDH 1989, 578 RJD 1997-III EuGRZ 1979, 163
Unabhängige Initiative Informationsvielfalt van der Leer van der Tang van Droogenbroeck Van Kück van Marie
RJD 2002-1 (ÖJZ 2002,468) RUDH 1990, 60 Serie A, Vol 321 EuGRZ 1984, 6 NJW 2004, 2505 EuGRZ 1988, 35
Verein gegen Tierfabriken Vereinigte Kommunistische Partei der Türkei Vereinigung demokratische Partei der Türkei Vereniging Weekblad Bluf! Vermeulen Vittorio Vo Vogt Volkmer Von Hannover W W/Schweiz Waite
598
RJD 2001-1 RJD 1998, IV RJD 1997-III HRLJ 1992, 440 Serie A, Vol 190-A
28525/95
§ 4 Rn 43 § 6 Rn 27 f § 2 Rn 63 § 6 Rn 27 f § 5 Rn 8, 11 § 6 Rn 32 § 1 Rn 12; § 2 Rn 21; § 3 Rn 41 § 4 Rn 45,49 § 6 Rn 22 f § 6 Rn 27 f § 6 Rn 30 § 3 Rn 72; § 6 Rn 42 § 5 R n 11
RJD 2001-VI
11509/85 19382/92 7906/77 35968/97 8543/79; 8674/79; 8675/79; 8685/79 24699/94
RJD 1998-1
19392/92
§ 4 Rn 2, 74, 79
Serie A, Vol 302
15153/89
§ 4 Rn 30
Serie A, Vol 306-A
16616/90
§ 4 Rn 50
RJD 1996-1 RJD 2001-IX EuGRZ 1995, 590 NJW 2002, 3087 NJW 2004, 2647
19075/91 44955/98 53924/00 17851/91 39799/98 59320/00
Serie A, Vol 121 EuGRZ 1993, 384 NJW 1999, 1173
9749/82 14379/88 26083/94
§ 19 Rn 34 § 6 Rn 6 § 3 Rn 49 § 4 Rn 43, 77, 79, 90 § 2 R n 18 § 3 Rn 3, 27; § 4 Rn 31 § 3 Rn 28 § 6 Rn 27 f § 1 Rn 14; § 2 Rn 32; § 6 Rn 40
§ 4 Rn 17, § 15 Rn 73
Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte Name
Fundstelle
Beschwerdenummer
Zitiert in
Wassink Weber Weeks Weh WemhofT Wiesinger Wille Wingrove Winterwerp Wohlmeyer Bau GmbH Worm Wynne X und Υ X/Vereinigtes Königreich X/Vereinigtes Königreich Yagci Yankov Yazar, Karataj, Aksoy und Halkin Emegi Partisi Young
RUDH 1990,425 Serie A, Vol 177 EuGRZ 1988, 316 ÖJZ 2004, 853 Serie A, Vol 7 RUDH 1991, 551 RUDH 1999, 182 RJD 1996-V EuGRZ 1979, 650
EuGRZ 1985, 297 EuGRZ 1982, 101
12535/86 11034/84 9787/82 38544/97 2122/64 11796/85 28396/95 17419/90 6301/73 20077/02 22714/93 67385/01 8978/80 7215/75
§ 6 Rn 32 § 4 Rn 17; § 6 Rn 37 § 6 Rn 9,29 § 6 Rn 47; § 19 Rn 19 § 6 Rn 9, 27 § 5 Rn 38, 44 §4 Rn 27 § 4 R n 15, 31,52 § 6 Rn 5, 7, 17, 30 f § 6 Rn 57 § 2 Rn 64; § 4 Rn 36 § 6 Rn 32 § 3 Rn 8,23, 26, 68 § 6 Rn 17, 22 f
EuGRZ 1986, 5
7215/75
§ 6 Rn 5
HRLJ 16 (1995), 286
16419/90; 16426/90 39084/97 22723/93; 22724/93; 22725/93
§ 6 Rn 27 § 6 Rn 25 §4 Rn 79
7601/76; 7806/77
§ 2 Rn 33; § 4 Rn 57, 77, 83, 85 §2 Rn 16; § 6 Rn 71
Ζ ua/Vereinigtes Königreich Zannouti Zumtobel Zypern
RJD 1997-V
RJD 2002-11
Serie A, Vol 44 = EuGRZ 1981, 559 RJD 2001-V
29392/95
RUDH 1993, 399 RJD 2001 -IV
42211/98 12235/86 25781/94
§ 6 Rn 28 §6 Rn 38 § 2 Rn 15, 34, 53; §3 Rn 51, 62
Entscheidungen des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften
Name
Fundstelle
Rechtssache
Zitiert in
Abrahamsson Acrington Beef Adams ADBHU Adoui
Slg Slg Slg Slg Slg
2000,1-5539 1996,1-6699 1985, 3539 1985, 531 1982, 1665
C-407/98 C-241/95 145/83 240/83 115/81
AETR Affish
Slg 1971, 263 Slg 1997,1-4315
22/70 C-18 3/95
Agegate Ahlström Osakeyhitö Albore Alcan Allue I Allue II Almelo Alpine Investments
Slg Slg Slg Slg Slg Slg Slg Slg
3/87 89/85 C-423/98 C-24/95 33/88 C-259/91 C-393/92 C-384/93
AM
Slg 1982, 1575
155/79
AMID Angestelltenrat der Wiener Gebietskrankenkasse Angonese
Slg 2000,1-11619 Slg 1999,1-2865
C-141/99 C-309/97
§ 18 Rn 33 § 19 Rn 31 § 15 Rn 40 § 16 Rn 4, 12 § 9 Rn 12,48; § 12 Rn 11 § 1 Rn 29 § 16 Rn 3 f, 17, 33, 35, 37; § 19 Rn 49 § 9 Rn 9 § 18 Rn 13 § 12 Rn 2, 38 § 19 Rn 48 § 9 Rn 39; § 13 Rn 16 § 9 Rn 21, 39, 51 § 8 Rn 8 § 1 Rn 41; § 8 Rn 41; § 7 Rn 57, 77, 96; §11 Rn 31 § 14 Rn 9; § 15 Rn 19, 33; § 19 Rn 3 § 10 Rn 38 § 18 Rn 38
Slg 2000,1-4139
C-281/98
Anker Annibaldi Ansaldo Energia Antonissen Apple and Pear Development Council Aragonesa
Slg Slg Slg Slg Slg
C-47/02 C-309/96 C-279/96 C-292/89 222/82
Slg 1991,1-4151
C-l/90
Arblade ARD Asscher
Slg 1999,1-8453 Slg 1999,1-7599 Slg 1996,1-3089
C-369/96 C-6/98 C-107/94
AssiDomän ASTI
Slg 1999,1-5363 Slg 1991,1-3507
C-310/97 C-213/90
600
1989, 4459 1993,1-1307 2000,1-5965 1997,1-1591 1989, 1591 1993,1-4309 1994,1-1477 1995,1-1141
2003,1-10447 1997,1-7493 1998,1-5025 1991,1-745 1983,4083
§ 1 Rn 43; § 8 Rn 20; § 9 Rn 46, 51, 55; § 11 Rn 43; § 14 Rn 37 § 9 Rn 27 § 1 Rn 25 § 19 Rn 42 f § 9 R n 15 § 7 Rn 43 § 8 Rn 58 f, 91; §20 Rn 30 § 7 Rn 24; § 9 Rn 35 § 15 Rn 71 § 7 Rn 21; § 9 Rn 9, § 10 Rn 51 § 19 Rn 25,46 § 9 Rn 37
Entscheidungen des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften Name
Fundstelle
Rechtssache
Zitiert in
Atlanta Ayaz B&Q Bachmann
Slg 1995,1-3761
C-465/93 C-275/02 C-169/91 C-204/90
§ 19 Rn 49 § 9 Rn 32 § 7 Rn 73 § 9 Rn 22, 51; § 12 Rn 18 § 19 Rn 30
Slg 1992,1-6635 Slg 1992,1-249
C-258/02
Bactria Industriehygiene Badeck Banks Barber Barkoci und Malik Barra Barth BASF Basset BAT Bauhuis Baumbast
Slg 2000,1-1875 Slg 2000,1-2005 Slg 1990,1-1889 Slg 2001,1-6557 Slg 1988, 355 EuZW 2004, 573 Slg 1999,1-6269 Slg 1987, 1747 Slg 2002,1-11453 Slg 1977, 5 Slg 2002,1-7091
C-158/97 C-178/97 262/88 C-257/99 309/85 C-502/01 C-44/98 402/85 C-491/01 46/76 C-413/99
Baustahlgewebe Baxter Bayer BECTU Beentjes Belgien/Spanien Belgocodex Bernini Beune Bickel und Franz
Slg Slg Slg Slg Slg Slg Slg Slg Slg Slg
1998,1-8417 1999,1-4809 1988, 5249 2001,1-4881 1988,4635 2000,1-3123 1998,1-8153 1992,1-1071 1994,1-4471 1998,1-7637
C-18 5/95 C-254/97 65/86 C-173/99 31/87 C-388/95 C-381/97 C-3/90 C-7/93 C-274/96
Biehl Bilka Biovilac Birden Bleis Blesgen Bluhme Bond van Adverterrders Booker Aquaculture Ltd Bordessa Bosal Holding BV Bosman
Slg 1990,1-1779 Slg 1986, 1607 Slg 1984,4057 Slg 1998,1-7747 Slg 1991,1-5627 Slg 1982, 1211 Slg 1998,1-8033 Slg 1988, 2085 Slg 2003,1-7411 Slg 1995,1-361 Slg 2003,1-9409 Slg 1995,1-4921
175/88 170/84 59/83 C-l/97 C-4/91 75/81 C-67/97 352/85 C-20/00 C-358/93 C-168/01 C-415/93
§ 7 Rn 13; § 18 Rn 33 § 9 Rn 35 § 18 Rn 35,51 § 10 Rn 8; §21 Rn 32 § 19 Rn 43 § 9 Rn 39 § 7 Rn 74; § 8 Rn 45 § 8 Rn 77 § 19 Rn 30 § 7 Rn 85 § 7 Rn 4; § 9 Rn 29; §21 Rn 39 § 19 Rn 7, 35 § 10 Rn 50 § 8 Rn 19 § 20 Rn 35 § 7 Rn 22 § 8 Rn 48, 77 § 20 Rn 26 § 9 Rn 11,29 § 18 Rn 35 § 13 Rn 8, 10, 18; § 19 Rn 41; § 19 Rn 26; §21 Rn 89 § 9 Rn 22 § 18 Rn 33,44 f, 49 § 17 Rn 14,20, 27, 29 § 9 R n 13 § 9 Rn 27 § 8 Rn 36 § 8 Rn 45, 75, 83 § 11 Rn 21 § 17 Rn 27 § 12 Rn 2,4, 8,11,26 § 12 Rn 18, 19 § 1 Rn41; § 7 Rn 1, 24,45 f, 78; § 8 Rn 20; § 9 Rn 7,42, 46, 50, 51; §10 Rn 21;
Entscheidungen des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften Name
Fundstelle
Rechtssache
Bosphorus
Slg 1996,1-3953
C-84/95
Bostock
Slg 1994,1-955
C-2/92
Bötel Bouchereau
Slg 1992,1-3589 Slg 1977, 1999
C-360/90 30/77
Boukhalfa Boussac Bozkurt Brasserie du pecheur Broede
Slg Slg Slg Slg Slg
C-214/94 22/80 C-434/93 C-46/93 C-3/95
Broekmeulen Brown
Slg 1981,2311 Slg 1988, 3205
246/80 197/86
Buchner Burban Burbaud Calfa
Slg Slg Slg Slg
C-104/98 C-255/90 C-285/01 C-348/96
Campus Oil
Slg 1984,2727
72/83
Canal Satelite Carpenter
Slg 2002,1-607 Slg 2002,1-6279
C-390/99 C-60/00
Casagrande Casati Cassis de Dijon
Slg 1974, 773 Slg 1981, 2595 Slg 1979, 649
9/74 203/80 120/78
Centros
Slg 1999,1-1459
C-212/97
Chen CILFIT Cinetheque
DVB12005,100 Slg 1982, 3415 Slg 1985, 2605
C-200/02 283/81 60/84
602
1996,1-2253 1980, 3427 1995,1-1475 1996,1-1029 1996,1-6511
2000,1-3625 1992,1-2253 2003,1-8219 1999, I II
Zitiert in § 11 Rn 43; §14 Rn 13; § 15 Rn 55; § 16 Rn 16 § 14 Rn 44; §16 Rn 14, 37; § 17 Rn 20, 31 § 14 Rn 34; § 17 Rn 14; § 19 Rn 38; § 20 Rn 26, 28 § 18 Rn 31 § 7 Rn 85; § 9 Rn 48; § 11 Rn 58; § 12 Rn 11 § 7 Rn 48 § 13 Rn 13 § 9 Rn 32 §21 Rn 82 § 7 Rn 96; § 10 Rn 21, 27; § 11 Rn 62 § 7 Rn 21 §9 Rn 5, 17; §13 Rn 6 f; § 21 Rn 88 § 7 Rn 49 § 14 Rn 26 § 9 Rn 42 § 9 Rn 2,47, 55; § 10 Rn 57 f; § 21 Rn 46 § 8 Rn 63, 65,74; § 9 Rn 48; § 11 Rn 58; § 12 Rn 12 § 7 Rn 57; § 8 Rn 92 f § 7 Rn 25; § 8 Rn 13; § 15 Rn 12, 36; 20 Rn 30 f § 9 Rn 29 § 1 Rn 35; § 12 Rn 8 § 1 Rn 40; § 7 Rn 7, 74, 78; § 12 Rn 15; § 8 Rn 56, 58, 79, 88, 91; § 10 Rn 3 § 7 Rn 1, 24, 58; §10 Rn 24, 34, 67, 69 § 15 Rn 53 § 19 Rn 23 § 8 Rn 80; § 15 Rn 18
Entscheidungen des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften Name
Fundstelle
Rechtssache
Zitiert in
Ciola
Slg 1999,1-2517
C-224/97
Clean Car
Slg 1998,1-2521
C-350/96
Clinique CMC Motorradcenter CNTA Colim Collins Collins Colorell Pension Trustees Compassion in World Farming Conegate Conforama Connect Austria Connolly Consorzio del Prosciutto di Parma Corsica Ferries Costa
Slg 1994,1-317 Slg 1993,1-5009 Slg 1975, 533 Slg 1999,1-3175 Slg 1993,1-5145 EuZW 2004, 507 Slg 1994,1-4389
C-315/92 C-93/92 74/74 C-33/97 C-92/92 C-138/02 C-200/91
§ 7 Rn 21, 78, 90; § 8 Rn 60 § 7 Rn 4, 21, 39,45; § 9 Rn 28, 39,46, 55 § 8 Rn 39 § 7 Rn 74; § 8 Rn 45 § 17 Rn 27 § 7 Rn 22 § 7 R n 11 § 9 R n 15 § 18 Rn 35, 51
Slg 1998,1-1251
C-l/96
§ 8 Rn 54
Slg Slg Slg Slg Slg
121/85 C-312/89 C-462/99 C-274/99 C-108/01
§ 8 Rn 74, 91 § 7 Rn 73 § 19Rn44 § 15 Rn 60, 63,83 § 8 Rn 92
Slg 1989,4443 Slg 1964, 1251
C-49/89 6/64
Costanzo Country Landowners Association Cowan
Slg 1989, 1839 Slg 1995,1-3875
103/88 C-38/94
§ 11 Rn 21,45 § 2 Rn 32; § 7 Rn 9; § 11 Rn 6; § 14 Rn 5 § 7 Rn 9; § 14 Rn 55 § 17 Rn 14
Slg 1989, 195
186/87
Cowood Cristini CT Control BV und JCT Benelux BV Culin Cullet Cwik D'Hoop DAFSE Daily Mail DaimlerChrysler Danfoss A/S Dansk Supermarked Dassonville
Slg 1982,4625 Slg 1975, 1085 Slg 1993,1-3873
60/82 32/75 C-121/91
Slg Slg Slg Slg Slg Slg Slg Slg Slg Slg
343/87 231/83 C-340/00 C-224/98 C-413/98 81/87 C-324/99 109/88 58/80 8/74
Data Delecta
Slg 1996,1-4661
1986, 1007 1991,1-997 2003,1-5197 2001,1-1611 2003,1-5121
1990,1-225 1985, 305 2001,1-10269 2002,1-6191 2001,1-673 1988, 5483 2001,1-9897 1989, 3199 1981, 181 1974, 837
C-43/95
§ 7 Rn 69; § 13 Rn 2, 6; § 15 Rn 10; §21 Rn 9,92 § 15 Rn 61 § 9 Rn 23 § 19 Rn 61 § 15 Rn 9 § 8 Rn 60, 63 § 15 Rn 66 §1 Rn 42; § 21 Rn 88 § 19 Rn 53 § 7 Rn 21; § 10 Rn 67 § 7 Rn 7 § 18 Rn 45 § 7 Rn 45; § 8 Rn 19 § 1 Rn 40; § 7 Rn 24, 72; § 8 Rn 33; §12 Rn 7 § 19 Rn 41
603
Entscheidungen des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften Name
Fundstelle
Rechtssache
Zitiert in
de Agostini
Slg 1997,1-3843
C-34/95
de Groot De Lasteyrie du Saillant Deak Decker
Slg 2002,1-U819 DVB12004, 551
C-385/00 C-9/02
Slg 1985, 1873 Slg 1998,1-1831
94/84 C-120/95
Defrenne I Defrenne II
Slg 1971,445 Slg 1976,455
80/70 43/75
Defrenne III Delhaize Deliege Demirel
Slg Slg Slg Slg
149/77 C-47/90 C-51/96 12/86
§ 7 Rn 63; § 8 Rn 41, 43, 60; §11 Rn 62, 65 § 9 Rn 22 § 7 Rn 4; § 10 Rn 38, 52 f, 59 § 9 Rn 29 § 1 Rn 38; § 7 Rn 89; § 8 Rn 53, 60, 65, 80, 83; § 13 Rn 8 § 18 Rn 35 § 7 Rn 13; § 14 Rn 7; § 18 Rn 30, 51 § 18 Rn 32 § 8 Rn 77 § 9 Rn 7 § 10 Rn 7; § 20 Rn 26,
Denkavit Denkavit Deutsche Milchkontor Deutsche Paracelsus Schulen Deutsche Post Deutsche Telekom Deutschland/Parlament und Rat Deutschland/Rat (Bananen)
Slg 1984, 2171 Slg 1991,1-3069 Slg 1994,1-2757 Slg 2002,1-6515 Slg 2000,1-929 Slg 2000,1-743 Slg 2002,1-4561
15/83 C-39/90 C-426/92 C-294/00 C-270/97 C-50/96 C-406/01
§ 7 Rn 44 § 8 Rn 54, 91 § 8 Rn 74 § 10 Rn 54 § 18Rn6 § 19 Rn 34 § 19 Rn 30
Slg 1994,1-4973
C-280/93
Deville Di Lenardo Di Leo
Slg 1988, 3513 Slg 1990,1-4185
240/87 C-37/02 C-308/89
Diatta Dilexport DocMorris
Slg 1985, 567 Slg 1999,1-578 NJW2004, 131
267/83 C-343/96 C-322/01
Dona Dow Chemical
Slg 1976, 1333 Slg 1989, 3137 und 3165
13/76 97/87
§ 14 Rn 45, 50 f; § 16 Rn 3, 17, 20, 33, 35 f, 38 f; § 17 Rn 15 f, 29, 31; § 18 Rn 5; §19 Rn 1; § 20 Rn 1 § 19 R n 4 3 § 16 Rn 35 §9 Rn 29, 37; §15 Rn 6 § 9 Rn 29 § 19 Rn 42 f § 7 Rn 7, 22, 77, 85; § 8 Rn 42 § 7 Rn 45 § 14 Rn 22; § 15 Rn 19,21 f § 7 Rn 87 §14 Rn 34; § 16 Rn 14, 21, 38; §20Rn 26 § 14 Rn 23; § 17 Rn 15
1978,1365 1992,1-3669 2000,1-2549 1987, 3719
Zo
Du Pont de Nemours Italiana Slg 1990,1-889 DufT Slg 1996,1-569
21/88 C-63/93
Edeka
245/81
604
Slg 1982, 2745
Entscheidungen des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften Name
Fundstelle
Rechtssache
Zitiert in
Edis EDSrl EDV-Systeme Elsen Elz Emesa Sugar Emmott Ergat Eridiana
Slg Slg Slg Slg Slg Slg Slg Slg Slg
C-231/96 C-412/97 3/88 C-135/99 56/75 C-17/98 C-208/90 C-329/97 230/78
ERT
Slg 1991,1-2925
C-260/89
Eurotunnel Evans Medical EWR Export ur Eyüp Factortame
Slg Slg Slg Slg Slg Slg
1997,1-6315 1995,1-563 1991,1-6079 1992,1-5529 2000,1-4747 1990,1-2433
C-408/95 C-324/93 C-l/91 C-3/91 C-65/98 C-213/89
Familiapress
Slg 1997,1-3689
C-368/95
Fantask Faust Fedesa Ferlini Fernandez de Bobadilla Fiddelaar Finalarte Finsider Fisher Fishermen's Organisations Fiskano Foster Foto Frost
Slg Slg Slg Slg Slg Slg Slg Slg Slg Slg Slg Slg Slg
1997,1-6783 1982, 3745 1990,1-4023 2000,1-8081 1999,1-4773 1960, 1117 2001,1-7831 1985, 2857 2000,1-6751 1995,1-3115 1994,1-2885 1990,1-3313 1987,4199
C-188/95 52/81 331/88 C-411/98 C-234/97 44/59 C-49/98 63/84 C-369/98 C-44/94 C-l 35/92 C-188/89 314/85
Francovich Frankreich und Irland Fremdenführer Gaal
Slg Slg Slg Slg
1991,1-5357 1996,1-795 1994,1-923 1995,1-1931
C-6/90 C-296/93 C-375/92 C-7/94
§ 19 Rn 42 f § 8 Rn 45,48 §11 Rn 33 §21 Rn 41 § 17 Rn 15 § 1 Rn 25; § 19 Rn 34 § 19 Rn 46 § 9 Rn 32 § 16 Rn 18; § 17 Rn 15 § 1 Rn 25, 33; § 7 Rn 94; § 8 Rn 71; § 14 Rn 13, 33; §15 Rn 11, 71, 80; §20 Rn 26 § 19 Rn 31 § 8 Rn 63, 65 § 21 Rn 1 § 8 Rn 77 § 9 Rn 32; § 15 Rn 37 § 7 Rn 9, 34; § 10 Rn 20, 24; § 19 Rn 44,46,48 § 2 Rn 6; § 7 Rn 15, 63, 89, 94; § 8 Rn 39, 52, 59, 71, 83; §14 Rn 13; § 15 Rn 85; §20 Rn 26, 30 f § 19 Rn 46 § 17 Rn 15 § 14 Rn 50 §9 Rn 19 §9 Rn 39, 55 § 15 Rn 61 § 9 Rn 35 § 16 Rn 10 § 15 Rn 41 § 16 Rn 3, 17, 33, 37 f § 19 Rn 10, 55 § 7 Rn 43 § 14 Rn 34; §19 Rn 49, 54 § 19 Rn 43 § 17 Rn 20 § 11 Rn 44, 62, 66 § 19 Rn 33
1998,1-4951 1999,1-3845 1989,4035 2000,1-10409 1976, 1097 2000,1-665 1991,1-4269 2000,1-487 1979, 2749
Entscheidungen des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften Name
Fundstelle
Rechtssache
Zitiert in
Gallagher Garcia Avello Garland Gebhard
Slg Slg Slg Slg
C-175/94 C-148/02 12/81 C-55/94
Geddo Generics Geraets-Smits
Slg 1973, 865 Slg 1998,1-7976 Slg 2001,1-5473
2/73 C-368/96 C-157/99
Gerster
Slg 1997,1-5253
C-l/95
Gewerkschaftsbund europäischer öffentlicher Dienst Gisela Gerken Givane Gloszczuk Gourmet International Grado und Bashir Graf
Slg 1974,917
175/73
§ 19 Rn 41 § 8 Rn 13; §21 Rn 90 § 18 Rn 31 § 1 Rn 41; § 7 Rn 24, 57, 96; § 9 Rn 51; § 10 Rn 21, 26 f, 40, 59; §11 Rn 34 § 8 Rn 22 § 17 Rn 20, 28,29 § 7 Rn 1,91; §10 Rn 54 § 18 Rn 27, 32 f, 44; § 20 Rn 44 § 15 Rn 55
EuZW 2004, 510 Slg 2003,1-345 Slg 2001,1-6369 Slg 2001,1-1795 Slg 1997,1-5531 Slg 2000,1-493
C-295/02 C-257/00 C-63/99 C-405/98 C-291/96 C-190/98
GrafT Graffione Grant
Slg 1994,1-3361 Slg 1996,1-6039 Slg 1998,1-621
C-351/92 C-313/94 C-249/96
Gravier
Slg 1985, 593
293/83
Greenham und Abel Griesmar Groener Groenveld Grogan
ZLR 2004, 193 Slg 2001,1-9383 Slg 1989, 3967 Slg 1979, 3409 Slg 1991,1-4685
C-95/01 C-366/99 379/87 15/79 C-159/90
Grzelczyk
Slg 2001,1-6193
C-184/99
Guerin Automobiles Guerin Automobiles Guiot Gül Gullung Gutachten 2/94 Gutmann
Slg Slg Slg Slg Slg Slg Slg
C-282/95 C-153/98 C-272/94 131/85 227/85 C-2/94 18/65
1995,1-4253 2003,1-11613 1982, 359 1995,1-4165
1997,1-1503 1999,1-1441 1996,1-1905 1986, 1573 1988, 1 1996,1-1759 1966, 154
§ 19 Rn 6 § 9 Rn 3 § 10 Rn 8; §21 Rn 32 § 7 Rn 76; § 8 Rn 41 ff § 19 Rn 40 § 7 Rn 24, 74, 78; § 9 Rn 43 § 20 Rn 26 § 8 Rn 39 § 1 Rn 33; § 3 Rn 10; § 15 Rn 37; §17 Rn 54; § 18 Rn 41 § 9 Rn 2; § 13 Rn 7; §21 R n 9 § 19 Rn 41 § 18 Rn 43 § 9 Rn 39, 55 § 8 Rn 48 § 11 Rn 21; § 15 Rn 78; § 20 Rn 26 § 1 Rn 42; § 7 Rn 11, 49; § 9 Rn 2; § 10 Rn 49; § 13 Rn 7, 10; §21 Rn 88, 90 § 19 Rn 7 § 19 Rn 12, 25 § 7 Rn 24 § 15 Rn 51 §21 Rn 32 § 1 Rn 29 § 14 Rn 27
Entscheidungen des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften Name
Fundstelle
Rechtssache
Zitiert in
Haag II Halliburton Hauer
Slg 1990,1-3711 Slg 1994,1-1137 Slg 1979, 3727
C-10/89 C-l/93 44/79
Hauptzollamt Hamburg-Jonas Hautala Hayes
Slg 1988,2213
316/86
§ 8 Rn 17 § 12 Rn 19 § 14 Rn 10; § 16 Rn 14,29, 35; § 17 Rn 6, 13,21,26,29, 31; § 20 Rn 27, 29, 34 § 19 Rn 38
Slg 2001,1-9565 Slg 1997,1-1711
C-353/99 C-323/95
Hedley Lomas
Slg 1996,1-2553
C-5/94
Heijn Heinonen Henn und Darby Hennen Olie Herbert Handlbauer GmbH Herbert Karner Herbrink Hermes Heylens
Slg Slg Slg Slg
JZ 2005, 191 Slg 1994,1-223 Slg 1998,1-3603 Slg 1987,4097
94/83 C-394/97 34/79 302/88 C-278/02 C-71/02 C-98/91 C-53/96 222/86
Hochstrass Hocsman Hoechst
Slg 1980, 3005 Slg 2000,1-6623 Slg 1989, 2859
147/79 C-238/98 46/87
Hoever und Zachow Hoffmann- La-Roche Hoffmann-La-Roche Hoogovens Groep Houtwipper Humbel Hünermund Ideal Standard Imperial Tobacco INAIL Inspire Art
Slg 1996,1-4895 Slg 1978, 1139 Slg 1979,461 Slg 1985, 2831 Slg 1994,1-4249 Slg 1988, 5365 Slg 1993,1-6787 Slg 1994,1-2789 Slg 2000,1-8599 Slg 2002,1-691 Slg 2003,1-10155
C-245/94 102/77 85/76 172/83 C-293/93 263/86 C-292/92 C-9/93 C-74/99 C-218/00 C-167/01
Internationale Handelsgesellschaft
Slg 1970, 1125
11/70
1984, 3263 1999,1-3599 1979, 3795 1990,1-4625
§ 18 Rn 21 § 13 Rn 6ff;§ 19 Rn 41 § 7 Rn 95; § 8 Rn 53, jςςj § 8 Rn 85 § 8 Rn 92 § 8 Rn 74 § 7 Rn 43 § 19 Rn 6 § 14 Rn 34 § 20 Rn 29 § 10 Rn 10 § 7 Rn 34; § 14 Rn 27; § 16 Rn 21; § 19 Rn 39 § 7 Rn 11 § 9 Rn 3 § 1 Rn 25; § 2 Rn 25; § 3 Rn 13; § 7 Rn 82; § 14 Rn 9, 22, 30,45, 47; § 15 Rn 19,21; § 16 Rn 34; § 17 Rn 9 § 9 R n 26; §21 Rn 83 § 8 Rn 77 § 14 Rn 27; § 19 Rn 2 § 17 Rn 15, 27 § 7 Rn 96 § 11 Rn 21 § 7 Rn 43; § 8 Rn 43 § 8 R n 17 § 19 Rn 30 § 9 Rn 7 § 7 Rn 1,4, 58,96; § 10 Rn 67, 69 § 1 Rn 24; § 2 Rn 9; § 7 Rn 9; § 14 Rn 5,
607
Entscheidungen des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften Name
Fundstelle
Rechtssache
Zitiert in 8, 30; § 17 Rn 7 f; § 21 Rn 5 § 17 Rn 29
Irish Farmers Association Jägerskiöld Jänsch Jany
Slg 1997,1-1809
C-22/94
Slg 1999,1-7319 Slg 1987,4923 Slg 2001,1-8615
C-97/98 277/84 C-268/99
Jego-Quere
NJW 2004,2006
C-263/02
Jenkins Jeunehomme Johnston
Slg 1981, 911 Slg 1988,4517 Slg 1986, 1651
96/80 123/87 222/84
K.B./National Health Service
NJW 2004, 1440
C-l 17/01
Kaba
Slg 2000,1-2623
C-356/98
Kaba II Kaianke Karlsson
Slg 2003,1-2219 Slg 1995,1-3051 Slg 2000,1-2737
C-466/00 C-450/93 C-292/97
Kaske Kaspasakalis Kaur Keck
Slg Slg Slg Slg
C-277/99 C-225/95 C-l 92/99 C-267/91
Keller
Slg 1986, 2897
234/85
Kemikalieinspektion Kempf Kenny Khalil Kieffer Kik Kirsammer-Hack Klensch Klöckner-Werke AG Knoors Köbler
Slg Slg Slg Slg Slg Slg Slg Slg Slg Slg Slg
C-473/98 139/85 1/78 C-95/99 C-l 14/96 C-361/01 C-l 89/91 201/85 17/61 115/78 C-224/01
608
2002,1-1261 1998,1-4239 2001,1-1237 1993,1-6097
2000,1-5681 1986, 1741 1978, 1489 2001,1-7413 1997,1-3629 2003,1-8283 1993,1-6185 1986, 3477 1962, 655 1979, 399 2003,1-10239
§ 8 Rn 8 § 15 Rn 9 § 10 Rn 8, 23; §7 Rn 4; § 9 Rn 12, 33 § 14 Rn 54; §19 Rn 29 f § 18 Rn 45 § 19 Rn 43 § 1 Rn 25; § 7 Rn 34; § 14 Rn 27; §18 Rn 27; § 19 Rn 39 § 3 Rn 11; § 15 Rn 37; § 18 Rn 28, 45 § 9 Rn 2, 23, 29; §15 Rn 6 § 9 Rn 29 § 7 Rn 13; § 18 Rn 33 § 14 Rn 23, 33,47; § 18 Rn 13; § 20 Rn 26 § 9 Rn 26 § 9 Rn 19 § 9 Rn 26; § 21 Rn 27 § 1 Rn 40; § 7 Rn 74f; § 8 Rn 37; § 9 Rn 43; § 10 Rn 54; §11 Rn 54; § 12 Rn 7; § 20 Rn 30 § 14 Rn 47; § 16 Rn 4, 29, 33 § 8 Rn 92 § 9 Rn 5, 10 § 9 Rn 38 § 9 Rn 28 § 7 Rn 44 § 19 Rn 11 § 18 Rn 47, 50 § 20 Rn 26, 29 § 18 Rn 12 § 7 Rn 21 § 19 Rn 23
Entscheidungen des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften Name
Fundstelle
Rechtssache
Zitiert in
Kohll
Slg 1998,1-1931
C-l 58/96
Kolpinghuis Kommission/Belgien
Slg 1987, 3969 Slg 1980, 3881
80/86 149/79
Kommission/Belgien Kommission/Belgien Kommission/Belgien Kommission/Belgien Kommission/Belgien Kommission/Belgien Kommission/Belgien Kommission/Belgien Kommission/Belgien Kommission/Belgien Kommission/Belgien Kommission/Belgien Kommission/Belgien Kommission/Belgien Kommission/Dänemark Kommission/Dänemark Kommission/Deutschland Kommission/Deutschland Kommission/Deutschland Kommission/Deutschland Kommission/Deutschland
Slg Slg Slg Slg Slg Slg Slg Slg Slg Slg Slg Slg Slg Slg Slg Slg Slg Slg Slg Slg Slg
42/87 C-300/90 C-2/90 C-211/91 C-37/93 C-l 73/91 C-47/93 C-344/95 C-323/96 C-l 72/98 C-355/98 C-388/95 C-478/98 C-503/99 302/86 C-l 92/01 153/78 248/83 116/82 205/84 178/84
Kommission/Deutschland
Slg 1989,1263
249/86
Kommission/Deutschland
Slg 1989, 229
274/87
Kommission/Deutschland Kommission/Deutschland Kommission/Deutschland
Slg 1989, 3997 Slg 1990,1-2879 Slg 1992,1-2575
186/88 217/88 C-62/90
Kommission/Deutschland Kommission/Deutschland Kommission/Deutschland Kommission/Deutschland Kommission/Deutschland Kommission/Deutschland Kommission/Deutschland Kommission/Frankreich Kommission/Frankreich Kommission/Frankreich Kommission/Frankreich
Slg 1992,1-3141 Slg 1994,1-2039 Slg 1994,1-3303 Slg 1998,1-2133 Slg 1998,1-6871 Slg 1999,1-5087 Slg 2002,1-9977 EWS 2004, 190 Slg 1986, 1725 Slg 1986, 273 Slg 1996,1-1307
C-l 95/90 C-317/92 C-131/93 C-24/97 C-l 02/96 C-217/97 C-325/00 C-334/02 307/84 270/83 C-334/94
§1 Rn38; § 7Rn 1, 85, 89; § 11 Rn 21, 61 f § 19 Rn 1 § 7 Rn 62; § 9 Rn 27; §21 Rn 20 § 9 Rn 29 § 12 Rn 12, 18 § 8 Rn 8, 60 f, 80 §11 Rn 58 § 9 Rn 37 § 18 Rn 31 § 13 Rn 15 § 9 R n 15 § 19 Rn 47 § 13 Rn 6 f § 9 Rn 55; § 10 Rn 46 § 8 Rn 92 § 12 Rn 18 § 7 Rn 57; § 12 Rn 23 § 8 Rn 80, 83 § 8 Rn 85 § 8 Rn 52 § 18 Rn 31 § 16 Rn 29 § 10 Rn 30 f, 35 § 7 Rn 1; § 8 Rn 75, 85 f, 88 § 9 Rn 29; § 15 Rn 19, 36, 57 § 8 Rn 22, 59, 85,91; § 20 Rn 30 § 8 Rn 28 § 19 Rn 48 § 8 Rn 71; § 15 Rn 11, 18 f, 57 § 7 R n 12 § 7 Rn 95 § 8 Rn 92 § 21 Rn 42 § 8 Rn 54 § 19 Rn 20 § 8 Rn 19 § 12 Rn 19 § 10 Rn 35 § 9 Rn 27 § 7 Rn 57
1988, 5445 1992,1-305 1992,1-4431 1992,1-6757 1993,1-6295 1993,1-673 1994,1-1593 1997,1-1035 1998,1-5063 1999,1-3999 2000,1-1221 2000,1-3123 2000,1-7587 2002,1-4809 1988,4607 2003,1-9693 1979, 2555 1985, 1459 1986, 2519 1986, 3755 1987, 1227
609
Entscheidungen des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften Name
Fundstelle
Rechtssache
Zitiert in
Kommission/Frankreich
Slg 1997,1-6959
C-265/95
§ 1 Rn 44; § 8 Rn 16, 19; § 20 Rn 24, 32,
Kommission/Frankreich Kommission/Frankreich Kommission/Frankreich Kommission/Frankreich Kommission/Frankreich
Slg 1998,1-5325 Slg 1998,1-6197 Slg 2000,1-1049 Slg 2000,1-1149 Slg 2002,1-4783
C-35/97 C-184/96 C-169/98 C-55/99 C-483/99
§ 7 Rn 49; § 9 Rn 17 § 8 Rn 45, 92 § 9 Rn 39 § 8 Rn 86 § 7 Rn 1; § 12 Rn 22, Ol Li
Kommission/Griechenland Kommission/Griechenland Kommission/Griechenland Kommission/Griechenland Kommission/Griechenland Kommission/Griechenland Kommission/Irland
Slg Slg Slg Slg Slg Slg Slg
1988, 1637 1991,1-1361 1995,1-1621 1996,1-3285 1998,1-1095 2001,1-7915 1981, 1625
147/86 C-205/89 C-391/92 C-290/94 C-187/96 C-398/98 113/80
Kommission/Irland Kommission/Irland Kommission/Italien Kommission/Italien Kommission/Italien Kommission/Italien Kommission/Italien Kommission/Italien Kommission/Italien Kommission/Italien Kommission/Italien Kommission/Italien Kommission/Italien Kommission/Italien
Slg 1982,4005 Slg 1997,1-3327 Slg 1982, 2187 Slg 1987, 2625 Slg 1990,1-4285 Slg 1992,1-3401 Slg 1996,1-2691 Slg 2001,1-4923 Slg 2001,1-541 Slg 2002,1-1425 Slg 2002,1-2965 Slg 2002,1-305 Slg 2003,1-513 Slg 2003,1-721
249/81 C-151/96 95/81 225/85 67/88 C-360/89 C-101/94 C-212/99 C-162/99 C-279/00 C-224/00 C-439/99 C-14/00 C-388/01
Kommission/Luxemburg
Slg 1993,1-817
C-l 11/91
Kommission/Luxemburg Kommission/Luxemburg Kommission/Niederlande
Slg 1994,1-1891 Slg 1996,1-3207 Slg 1991,1-4069
C-118/92 C-473/93 C-353/89
Kommission/Österreich Kommission/Portugal Kommission/Rat Kommission/Rat Kommission/Spanien
Slg Slg Slg Slg
2002,1-4731 1983,4063 1989, 1425 1994,1-911
C-465/01 C-367/98 218/82 242/87 C-45/93
Kommission/Spanien
Slg 1998,1-6717
C-l 14/97
§ 7 Rn 61 § 7 Rn 85; § 8 Rn 57 § 8 Rn 40 f § 7 Rn 62 § 9 Rn 21, 51 § 8 Rn 63 § 7 Rn 85, 90; § 8 Rn 17,28,60 § 7 Rn 43; § 8 Rn 19 § 7 Rn 57 § 8 Rn 57 § 9 Rn 27 § 8 Rn 91 § 11 Rn 46 § 7 Rn 34; § 10 Rn 58 § 9 Rn 39 § 9 Rn 37 § 12 Rn 46 § 13 Rn 13,17 § 10 Rn 52 § 8 Rn 88 § 7 Rn 5, 21,90; §13 Rn 19 § 13 Rn 17; § 21 Rn 83 § 9 Rn 21 § 9 Rn 27 § 8 Rn 80; § 14 Rn 125 § 7 Rn 18; § 9 Rn 37 § 7 Rn 1; § 12 Rn 22 § 20 Rn 29 §21 Rn 9 § 7 Rn 21, 78; § 10 Rn 21; § 13 Rn 15 § 9 Rn 37; § 10 Rn 42, 44fT
J1Ί /
610
Entscheidungen des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften Name
Fundstelle
Rechtssache
Zitiert in
Kommission/Spanien
Slg 2003,1-4581
C-463/00
Kommission/Spanien Kommission/ Vereinigtes Königreich Kommission/ Vereinigtes Königreich Kommission/ Vereinigtes Königreich Kommission/ Vereinigtes Königreich Kondova
Slg 2003,1-459 Slg 1983,203
C-12/00 124/81
§ 7 Rn 96; § 12 Rn 7, 23 § 8 Rn 88 § 8 Rn 22
Slg 1988, 547
261/85
§ 8 Rn 92
Slg 1992,1-5785
C-279/89
§ 9 Rn 38
Slg 2003,1-4644
C-98/01
§ 12 Rn 22, 23
Koninklijke Scholten-Honig Konle
Slg 2001,1-6427 Slg 1978, 1991 Slg 1999,1-3099
C-235/99 125/77 C-302/97
Kowalska Kraus
Slg 1990,1-2591 Slg 1993,1-1663
C-33/89 C-19/92
Kreil
Slg 2000,1-69
C-285/98
Kremzow Krombach Krüger GmbH Kühn
Slg Slg Slg Slg
C-299/95 C-7/98 C-334/95 C-177/90
Kühne Kühne und Heitz Kurz Kus Kuusijaervi La Conqueste SCEA Läärä Lair Lambert Lauder Lawrence Lawrie-Blum
Slg 2001,1-9517 EuR 2004, 590 Slg 2002,1-10691 Slg 1992,1-6781 Slg 1998,1-3419 Slg 2002,1-1179 Slg 1999,1-6067 Slg 1988, 3161 Slg 1988,4369 Slg 2000,1-117 Slg 2002,1-7325 Slg 1986, 2121
C-269/99 C-453/00 C-18 8/00 C-237/91 C-275/96 C-151/01 C-124/97 39/86 128/87 C-220/98 C-320/00 66/85
Lebon Leclerc Leclerc Lehtonen
Slg Slg Slg Slg
316/85 229/83 C-412/93 C-176/96
§ 21 Rn 32 § 18 Rn 13 § 12 Rn 2, 32, 33, 34, 35 § 18 Rn 31, 33 § 7 Rn 24; § 9 Rn 42, 51; § 10 Rn 1 § 1 Rn 38; § 7 Rn 13; § 18 Rn 27, 33 § 7 Rn 20; § 19 Rn 40 § 19 Rn 38 § 19 Rn 49 § 14 Rn 45; § 16 Rn 18, 33, 35; §17 Rn 15,29 § 7 Rn 34 § 19 Rn 46 § 9 Rn 32 § 9 Rn 32 § 9 Rn 26 § 19 Rn 27, 62 § 7 Rn 90; § 20 Rn 31 § 9 Rn 17; § 13 Rn 7 § 12 Rn 9,29 § 8 Rn 89 § 18 Rn 39 § 9 Rn 5, 27; § 18 Rn 26 § 9 Rn 23 § 8 Rn 80 § 8 Rn 41, 43 § 7 Rn 24, 45; § 9 Rn 7
Lenz Les Eils de Jules Bianco
EWS 2004, 361 Slg 1988, 1099
1997,1-2629 2000,1-1935 1997,1-4517 1992,1-35
1987,2811 1985, 1 1995,1-179 2000,1-2681
C-315/02 331/85
§ 12 Rn 18, 19 § 19 Rn 43
611
Entscheidungen des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften Name
Fundstelle
Rechtssache
Zitiert in
Les Verts
Slg 1986, 1339
294/83
Leukhardt
Slg 1989, 1991
113/88
Levin Lewark Lewen
Slg 1982, 1035 Slg 1996,1-243 Slg 1999,1-7243
53/81 C-457/93 C-333/97
§ 14 Rn 27; § 19 Rn 27 § 16 Rn 17, 38; §16 Rn 27 § 9 Rn 5, 8 § 18 Rn 31,44 § 18 Rn 30 f, 35, 37, A'X
Limburgese Vinyl Maatschappij Lisrestal Loi Evin Lucaccioni Luciano Arcaro Luisi und Carbone
Slg 2002,1-8375
C-238/99
§ 15Rn2
Slg 1996,1-5373 EuZW 2004,499 Slg 1999,1-5251 Slg 1996,1-4705 Slg 1984, 377
C-32/95 C-262/02 C-257/98 C-168/95 286/82
Lütticke Mac Quen Manghera Manninen Marchandise Mars Marschall Marshall Martinez Sala
Slg 1966, 258 Slg 2001,1-837 Slg 1976, 91 EuZW 2005, 19 Slg 1991,1-1027 Slg 1995,1-1923 Slg 1997,1-6363 Slg 1990,1-4071 Slg 1998,1-2691
57/65 C-108/96 59/75 C-319/02 C-332/89 C-470/93 C-409/95 370/88 C-85/96
Masgio Mathot Matteucci Mattila Maurin Mazzoleni Mediocurso Meeusen Meints Melkunie Mengner Merida Metallgesellschaft Metallurgiki Halyps Metronome Musik
Slg 1991,1-1119 Slg 1987, 809 Slg 1988, 5589
Slg 2001,1-1727 Slg 1982,4261 Slg 1998,1-1953
C-10/90 98/86 235/87 C-353/01 C-144/95 C-165/98 C-462/98 C-337/97 C-57/96 97/83 C-444/93 C-400/02 C-397/98 258/81 C-200/96
Meyhui Micheletti
Slg 1994,1-3879 Slg 1992,1-4239
C-51/93 C-369/90
§ 19 Rn 10 § 7 Rn 96 § 15Rn9 § 19 Rn 1 § 9 Rn 1; § 11 Rn 32; § 12 Rn 6; § 21 Rn 9 § 7 Rn 12 § 7 Rn 96; § 9 Rn 39 § 7 R n 12 § 12 Rn 18, 19 § 7 Rn 73 § 8 Rn 39; § 15 Rn 85 § 7 Rn 13; § 18 Rn 33 § 16 Rn 4, 17, 33, 36 § 9 Rn 2, 23; §13 Rn 10, 17; §21 Rn 14, 43, 83, 85 § 9 Rn 43 § 8 Rn 13 § 9 Rn 23; § 21 Rn 32 § 19 Rn 21 § 19 Rn 26 § 7 Rn 24 § 19 Rn 53 § 9 Rn 9; § 10 Rn 48 f § 9 Rn 17, 39 § 8 Rn 85 f § 9 Rn 3, 10 § 9 Rn 23, 39 § 12 Rn 18 § 17 Rn 15,27 § 14 Rn 9; § 16 Rn 12, 14,33, 35; §17 Rn 13, 28 § 7 Rn 44; § 8 Rn 18 § 7 Rn 37; § 21 Rn 28
612
Slg Slg Slg Slg Slg Slg Slg
1996,1-2909 2001,1-2189 2000,1-7183 1999,1-3289 1997,1-6689 1984, 2367 1995,1-4741
Entscheidungen des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften Name
Fundstelle
Rechtssache
Zitiert in
Michelin Molenaar Montecatini Morson Moser Moulins Pont-ä-Mousson Mulder Müller Müller-Faure Mund und Fester Murphy Musique Diffusion Mutsch
Slg Slg Slg Slg Slg Slg Slg Slg Slg Slg Slg Slg Slg
1983, 3461 1998,1-843 1999,1-4539 1982, 3723 1984, 2539 1977, 1795 1992,1-3061 1986, 1511 2003,1-4509 1994,1-467 1988, 673 1983, 1825 1985, 2681
322/81 C-160/96 C-235/92 35/82 180/83 124/76 C-104/89 304/84 C-385/99 C-398/92 157/86 100/80 137/84
Ν Nachi Europe National Panasonic
Slg 1998,1-4871 Slg 2001,1-1197 Slg 1980, 2033
C-252/97 C-239/99 136/79
Nazli Neu Nicolet Nicolet Niederlande und van der Wal/Kommission Niederlande/Kommission Niederlande/Parlament und Rat Nimz
Slg Slg Slg Slg Slg
2000,1-957 1991,1-3617 1986,2049 1988, 1557 2000,1-1
C-340/97 C-90/90 203/85 43/87 C-174/98
§ 14 Rn 27 § 9 Rn 26 § 15 Rn 55, 80 § 13Rn6 § 7 Rn 20; § 18 Rn 13 § 18 Rn 13 f § 17 Rn 27 § 8 Rn 85 f § 7 Rn 1,89,91 § 13 Rn 18 § 20 Rn 29 § 19 Rn 10, 17 § 9 Rn 23; §19 Rn 41 § 19 Rn 17 § 19 Rn 31 § 14 Rn 30; § 15 Rn 18,22,24 § 9 Rn 32 § 16 Rn 12, 34 § 19 Rn 55 § 19 Rn 55 § 19 Rn 21
Slg 1992,1-565 Slg 2001,1-7079
C-48/90 C-377/98
Slg 1991,1-297
C-184/89
Ninni-Orasche Nitratrichtlinie Nold
EuZW 2004, 117 Slg 1999,1-2603 Slg 1974,491
C-413/01 C-293/97 4/73
Nolte O'Flynn
Slg 1995,1-4625 Slg 1996,1-2617
C-317/93 C-237/94
Oebel ÖGB Olazabal Oleificio Borelli Olivenöl Omega
Slg 1981, 1993 Slg 2000,1-10497 Slg 2002,1-10981 Slg 1992,1-6313 Slg 1984, 3881 DVB12004, 1476
155/80 C-195/98 C-100/01 C-97/91 232/81 C-36/02
§ 14 Rn 30 § 15 Rn 7, 9; §20 Rn 6 § 7 Rn 9; § 14 Rn 16, 29; § 18 Rn 32 f, 51 § 9 Rn 5 § 17 Rn 29,30 § 1 Rn 25; § 2 Rn 9; § 14 Rn 5, 8 f, 13; §16 Rn 3, 12, 33, 35; § 17 Rn 8, 15; § 20 Rn 27, 29 § 18 Rn 49 f § 7 Rn 22, 89; § 9 Rn 38, 39, 50 § 8 Rn 36 § 9 Rn 39 § 9 Rn 48 § 19 Rn 62 § 17 Rn 22 § 3 Rn 39; § 7 Rn 57, 85; § 10 Rn 23; § 14
613
Entscheidungen des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaft Name
Oosthoek Orfanopoulos und Olivieri Orkem
Fundstelle
Rechtssache
Slg 1982, 4575
286/81 C-482/01
Slg 1989, 3283
374/87
Slg Slg Slg Slg Slg
Ortscheit Ospelt Österreichischer Rundfunk Owens Bank Oyowe und Traore Öztürk Paletta I Pali Panayotova Parfüms Christian Dior Parlament/Kommission Parlament/Rat Parlament/Rat Parodi Pastoors Peralta Perfili Peterbroeck PfeifTer
Slg Slg Slg Slg Slg Slg Slg
1990,1-2041 1997,1-3899 1997,1-1 1994,1-3453 1996,1-161 1995,1-4599 1999,1-2835
C-320/93 C-452/01 C-465/00 C-129/92 100/88 C-373/02 C-45/90 C-238/89 C-327/02 C-300/98 C-318/04 C-317/04 70/88 C-222/95 C-143/95 C-379/92 C-177/94 C-312/93 C-255/97
Piercarlo Bozzetti Pinna Pitsiorlas Plaumann Pokrzeptowicz-Meyer Portugaia Construföes Portugal/Rat Poucet und Pistre Prais Prantl
Slg Slg Slg Slg Slg Slg Slg Slg Slg Slg
1985, 2301 1986, 1 2003,1-4837 1963, 213 2002,1-1049 2002,1-787 1999,1-8395 1993,1-637 1976, 1589 1984, 1299
179/84 41/84 C-193/01 25/62 C-162/00 C-164/99 C-149/96 C-159/91 130/75 16/83
PreussenElektra Punta casa Ramrath Rau
Slg Slg Slg Slg
2001,1-2099 1994,1-2355 1992,1-3351 1987,2289
C-379/98 C-69/93 C-106/91 133/85
Rauh Raulin
Slg 1991, 1647 Slg 1992,1-1027
C-314/89 C-357/89
614
1994,1-5243 2003,1-9743 2003,1-4989 1994,1-117 1989,4285
Slg 1992,1-3423 Slg 1990,1-4827 Slg 2000,1-11307
Zitiert in
Rn 13, 24, 36; §15 Rn 8; § 20 Rn 30 f § 7 Rn 73 § 15 Rn 36; § 19 Rn 41; § 21 Rn46 § 15 Rn 2; § 19 Rn 3, 1 Q iö § 7 Rn 95; § 8 Rn 54 § 12 Rn 37 § 15 Rn 12,44 § 13 Rn 16 § 15 Rn 61 § 9 Rn 32 § 9 Rn 26 § 15 Rn 85 § 10 Rn 8 § 10 Rn 10 § 15 Rn 58 § 15 Rn 58 § 19 Rn 27 § 12 Rn 2 § 8 Rn 83 § 7 Rn 74; § 8 Rn 45 § 13 Rn 2 § 19 Rn 43 § 7 Rn 89; § 10 Rn 5< 59 f § 19 Rn 39 § 9 Rn 38 § 19 Rn 25 § 19 Rn 26 § 9 Rn 33 § 7 Rn 78; § 9 Rn 35 § 10 Rn 10 § 18 Rn 57 §15 Rn 48 f § 8 Rn 33,45; § 12 Rn 11 § 7 Rn 90; § 8 Rn 60 § 1 Rn 40 § 9 Rn 51, 55 § 14 Rn 22; § 16 Rn 12, 18 § 20 Rn 29 § 9 Rn 10, 17; §21 Rn 40
Entscheidungen des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften Name
Fundstelle
Rechtssache
Zitiert in
Ravil/Bellon Razzouk Reed Regina/Kirk Reisch Rewe Rewe Reyners
Slg Slg Slg Slg Slg Slg Slg Slg
2003,1-5053 1984, 1509 1986, 1283 1984, 2689 2002,1-2157 1981, 1805 1984, 1229 1974, 631
C-469/00 75/82 59/85 63/83 C-515/99 158/80 37/83 2/74
Richardt Rinner-Kühn
Slg 1991,1-4621 Slg 1989, 2743
C-367/89 171/88
§ 8 Rn 92 § 18 Rn 6 § 9 Rn 23 § 19 Rn 1 § 12 Rn 32 fT § 19Rn44 § 7 Rn 44 § 7 Rn 61 f; § 10 Rn 1,45 § 8 Rn 74; § 9 Rn 48 § 9 Rn 10; § 18 Rn 31,
Roders Rönfeldt Roquette freres Roquette freres Roquette freres Roquette freres Rothley Rousseau Royal Bank of Scotland Royal Copenhagen Royal Pharmaceutical Society Royale beige SA Royer RTL Television Ruckdeschel
Slg Slg Slg Slg Slg Slg
1995,1-2229 1991,1-323 1989, 1553 1994,1-1445 2000,1-10465 2002,1-9011
Slg Slg Slg Slg
1987, 995 1999,1-2651 1995,1-1275 1989, 1295
C-367/93 C-227/89 20/88 C-228/92 C-88/99 C-94/00 C-167/02 168/86 C-311/97 C-400/93 266/87
§ 7 Rn 49 § 9 Rn 26; § 17 Rn 14 § 19 Rn 51 § 19 Rn 51 § 19 Rn 42 § 15 Rn 19 § 19 Rn 30 § 8 Rn 13 § 10 Rn 50 f § 18 Rn 38 § 7 Rn 43
Slg Slg Slg Slg
1996,1-5501 1976, 497 2003,1-12489 1977, 1753
C-76/95 48/75 C-245/01 117/76
Ruhrkohlen-Verkaufsgesellschaft Rush Portuguesa
Slg 1960, 887
36/59
§ 15 Rn 9 § 9 Rn 3,24 § 15 Rn 71 § 14 Rn 23; §18 Rn 11, 13 f § 1 Rn 20
Slg 1990,1-1417
C-113/89
§ 9 Rn 35; § 11 Rn 18,
Rutiii Ryborg Sacchi Safalero Säger
Slg Slg Slg Slg Slg
1975, 1219 1991,1-1943 1974,409 2003,1-8679 1991,1-4221
36/75 C-297/89 155/73 C-13/01 C-76/90
Sagulo Saint-Gobain Saldanha
Slg 1977, 1495 Slg 1999,1-6161 Slg 1997,1-5325
8/77 C-307/97 C-122/96
Salzmann SAM Schiffahrt und Stapf
Slg 2003,1-4922 Slg 1997,1-4475
C-300/01 C-248/95
§ 19 Rn 41 § 20 Rn 50 § 11 Rn 37 § 19Rn44 § 7 Rn 89,96; §11 Rn 51 § 13 Rn 2 § 10 Rn 35,51 § 13 Rn 7; §19 Rn 41 § 12 Rn 32, 34 § 16 Rn 4, 14, 17, 33, 35
j O
615
Entscheidungen des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften Name
Fundstelle
Rechtssache
Zitiert in
San Giorgio Sandoz Sandoz Sanz de Lera Sass Saunders Savas Schindler
Slg Slg Slg Slg
Slg 1979, 1129 Slg 2000,1-2927 Slg 1994,1-1039
199/82 174/82 C-439/97 C-163/94 C-284/02 175/78 C-37/98 C-275/92
Schmid Schmidberger
Slg 2002,1-4573 Slg 2003,1-5659
C-516/99 C-112/00
Scholz Schöning
Slg 1994,1-50 Slg 1998,1-47
C-419/92 C-15/96
Schräder
Slg 1989,2237
265/87
Schumacher Schumacker
Slg 1989, 617 Slg 1995,1-225
215/87 C-279/93
Schutzverband Schutzverband gegen unlauteren Wettbewerb Scientologie
Slg 1983, 127 Slg 2000,1-151
109/82 C-254/98
Slg 2000,1-1335
C-54/99
Sehrer Semeraro Sevince Seymour-Smith Sgarlata Shingara und Radiom Sinunenthal II Singh
Slg 2000,1-4585 Slg 1996,1-2975 Slg 1990,1-3461 Slg 1999,1-623 Slg 1965, 296 Slg 1997,1-3343 Slg 1978,629 Slg 1992,1-4265
C-302/98 C-418/93 C-192/89 C-l 67/97 40/64 C-65/95 106/77 C-370/90
Sirdar Skanavi SMW Winzersekt
Slg 1999,1-7403 Slg 1996,1-929 Slg 1994,1-5555
C-273/97 C-l 93/94 C-306/93
Sodemare
Slg 1997,1-3395
C-70/95
§ 19 Rn 43 § 8 Rn 86 § 12 Rn 15, 19 § 12 Rn 4, 8 § 18 Rn 37 §21 Rn 41 § 10 Rn 7 § 7 Rn 57, 90; § 8 Rn 9, 52 § 12 Rn 19 § 7 Rn 31, 86; § 8 Rn 16; § 14 Rn 13, 24, 36; § 15 Rn 80; § 20 Rn 32 § 9 Rn 20 § 7 Rn 78; § 9 Rn 21, 39,40, § 7 Rn 96; § 14 Rn 30, 45, 50; § 14 Rn 50; § 15 Rn 57; § 16 Rn 3, 14, 33, 35, 37; § 17 Rn 14,20, 29,31 § 7 Rn 95 § 9 Rn 22; § 10 Rn 51; § 12 Rn 17 § 8 Rn 60 § 7 Rn 89; § 8 Rn 42, 45, 60, 80 § 7 Rn 85; § 12 Rn 2, 11 Jl1 § 9 Rn 39,41 § 7 Rn 74; § 8 Rn 45 § 10 Rn 7; § 9 Rn 32 § 18 Rn 31 ff, 44, 50 § 1 Rn 20 § 19 Rn 41 § 7 Rn 7 § 10 Rn 15, 38; §21 Rn 41 § 7 R n 13 § 7 Rn 11; § 21 Rn 38 § 16 Rn 3 f, 29, 35 f, 38; § 17 Rn 20,29, 31; § 18 Rn 13; § 19 Rn 30 § 10 Rn 31
616
1983, 3595 1983, 2445 1999,1-7041 1995,1-4821
Entscheidungen des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften Name
Fundstelle
Rechtssache
Zitiert in
Sotgiu
Slg 1974, 153
152/73
§ 7 Rn 22; § 9 Rn 21, 38; § 13 Rn 17 § 16 Rn 35
C-184/02
Spanien und Finnland/ Parlament und Rat Spanien/Kommission Spanien/Kommission Spotti Stauder
Slg Slg Slg Slg
1993,1-3923 1999,1-6571 1993,1-5185 1969,419
C-217/91 C-240/97 C-272/92 29/69
Steen I Steen II Steffensen Steinhauser Steymann
Slg Slg Slg Slg Slg
1992,1-341 1994,1-2715 2003,1-3735 1985, 1819 1988,6159
C-332/90 C-132/93 C-276/01 197/84 196/87
Stichting
Slg 1991,1-4007
C-288/89
Sukkerfabriken Nykobing Sürül
Slg 1979, 1
151/78
Slg 1999,1-2685
C-262/96
Slg 1995, 1-3955 Slg 2000, 1-3743 Slg 1996, 1-6065 Slg 1998, 1-1023 Slg 1994, 1-2199 Slg 1992, 1-4401 Slg 1993, 1-4879 Slg 1992, 1-5485 Slg 1967, 294 Slg 1999, 1-345 Slg 1980, 1979 Slg 1994, 1-833 Slg 1988, 3585 Slg 1995, 1-3813 Slg 1993, 1-4047 Slg 2001, 1-4109 Slg 1989, 3851
C-484/93 C-209/98 C-68/95 C-364/95 C-401/92 C-243/91 C-109/91 C-219/91 6/67 C-18/95 41/79 C-18 8/92 35/87 C-475/93 C-42/92 C-340/99 145/88
Slg Slg Slg Slg
347/87 C-222/97 C-269/90 C-23/93
Svensson und Gustavsson Syhavnens Τ Port Τ Port t'Heukske Taghavi Ten Oever Ter Voort Teresa Guerra Terhoeve Testa Textilwerke Deggendorf Thetford Thevenon Thijssen TNT Torfaen Borough Council Triveneta Zuccheri Trümmer TU München TV 10
1990,1-1083 1999,1-1661 1991,1-5469 1994,1-4795
§ 18 Rn 13 § 16 Rn 12 § 9 Rn 21 §1 Rn 21, 23; §14 Rn 5; § 15 Rn 4,40; § 21 Rn 5 § 7 Rn 20; § 9 Rn 19 § 7 Rn 20 § 19 Rn 38 § 10 Rn 48 § 9 Rn 7; § 10 Rn 21, 31; §11 Rn28;§ 15 Rn 50 § 14 Rn 13; § 15 Rn 71, 84 § 16 Rn 12 § 9 Rn 32; § 21 Rn 32 § 7 Rn 57; § 12 Rn 3 § 8 Rn 60 § 14 Rn 51; § 16 Rn 39 § 18 Rn 14 § 8 Rn 40 § 9 Rn 29 § 18 Rn 28 § 15 Rn 85 § 19 Rn 11 § 9 Rn 39 § 17 Rn 14 § 19 Rn 31 § 8 Rn 77 § 9 Rn 26 § 10 Rn 45 § 14 Rn 17 § 7 Rn 73; § 8 Rn 36; §15 Rn 50 § 19 Rn 61 § 12 Rn 2, 39,40 § 19 Rn 55 ff § 10 Rn 30; §15 Rn 84
617
Entscheidungen des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften Name
Fundstelle
Rechtssache
Zitiert in
Überseering
Slg 2002,1-9919
C-208/00
Uecker
Slg 1997,1-3171 Slg 2002,1-6677
C-64/96 C-50/00
Slg Slg Slg Slg
154/78 90/76 227/82 33/74
§ 7 Rn 1; § 10 Rn 67 fT, 72 §21 Rn 36,41 § 7 Rn 34; § 14 Rn 54; § 19 Rn 29 ff § 17 Rn 14,15 § 7 Rn 45 § 8 Rn 86
Union de Pequenos Agricultores Valsabbia van Ameyde van Bennekom van Binsbergen
1980, 1977, 1983, 1974,
907 1091 3883 1299
van der Veldt van Duyn
Slg 1994,1-3537 Slg 1974, 1337
C-17/93 41/74
van Gend & Loos
Slg 1963, 3
26/62
van Harpegnies van Ladewyck van Roosmalen van Schaik van Schijndel van Wesemael Vanacker Vander Eist VBA
Slg Slg Slg Slg Slg Slg Slg Slg Slg Slg Slg Slg
1998, 1-5121 1980, 3125 1986, 3097 1994, 1-4837 1995, 1-4705 1979, 35 1993, 1-4947 1994, 1-3803 2000, 1-2135 1984, 19 2000, 1-4071 1993, 1-487
C-400/96 209/78 300/84 C-55/93 C-430/93 110/78 C-37/92 C-43/93 C-266/97 262/80 C-35/98 C-148/91
Slg 1999,1-7641 Slg 1991,1-2357
C-55/98 C-340/89
von Deetzen Vougioukas VT4 Wachauf
Slg Slg Slg Slg
1991,1-5119 1995,1-4033 1997,1-3143 1989,2609
C-44/89 C-443/93 C-56/96 5/88
Wählergruppe Walrave
Slg 2003,1-4301 Slg 1974,1405
C-171/01 36/74
Walt Wilhelm/Bundeskartellamt
Slg 1969, 1
14/68
VBVB und VBBB Verkooijen Veronica Omröp Organisatie Vestergaard Vlassopoulou
618
§1 R n 4 1 ; § 7 R n 2 4 ; § 10 Rn 30; §11 Rn 50, 61 f § 8 Rn 88 § 7 Rn 85; § 9 Rn 1, 48; § 15 Rn 50 § 1 Rn 37; § 7 Rn 7 f, 12; § 14 Rn 5; §21 Rn 1, 39 § 8 Rn 75,92 § 19 Rn 17 § 15 Rn 50 § 7 Rn 57 § 19 Rn 43 § 11 Rn 62, 66 § 7 Rn 7 § 9 Rn 35 § 19 Rn 34 § 15 Rn 69 § 1 2 R n l 7 , 18, 19,21 § 8 Rn 80; § 12 Rn 2; § 15 Rn 84 § 7 Rn 21, 90 § 7 Rn 34, 96; § 9 Rn 55; § 10 Rn 52 § 17 Rn 14, 29 § 9 Rn 26 § 10 Rn 31 § 1 Rn 33; § 14 Rn 33, 45,47,49 f; § 17 Rn 27; § 19 Rn 38; § 20 Rn 26 § 9 Rn 32 § 1 Rn 43; § 7 Rn 45, 48; § 8 Rn 20; § 9 Rn 7,46 § 19 Rn 15
Entscheidungen des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften Name
Fundstelle
Rechtssache
Zitiert in
Watson Weber's Wine World Weidert und Paulus Werner Westdeutsche Landesbank Wielockx
Slg 1976, 1185 Slg 2003,1-11365 EWS 2004, 365 Slg 1993,1-429 Slg 2001,1-173 Slg 1995,1-2493
118/75 C-147/01 C-242/03 C-112/91 C-464/98 C-80/94
Wijsenbeek
Slg 1999,1-6207
C-378/97
Wiljo Wirtschafts- und Sozialausschuß/E Witte Wuidart Wurmser X X,Y/Riksskatteverk X/Kommission Yiadom
Slg 1997,1-585 Slg 1999,1-8877
C-178/95 C-150/98
§ 10 Rn 1 § 19 Rn 43 § 12 Rn 18, 19 §21 Rn 41 § 12 Rn 40 § 10 Rn 51; § 12 Rn 17 § 9 Rn 24, 55; § 21 Rn 42 § 19 Rn 31 § 15 Rn 67
Slg 1984, 3465 Slg 1990,1-435 Slg 1989, 1105 Slg 1996,1-6609 Slg 2002,1-10829 Slg 1994,1-4737 Slg 2000,1-9265
188/83 267/88 25/88 C-74/95 C-436/00 C-404/92 C-357/98
Yves Rocher Zenatti
Slg 1993,1-2361 Slg 1999,1-7289
C-126/91 C-67/98
Zuckerfabrik Bedburg Zuckerfabrik Süderdithmarschen
Slg 1987,49 Slg 1991,1-415
281/84 143/88
Zurstrassen
Slg 2000,1-3337
C-87/99
§ 18 Rn 13 § 18 Rn 14 § 20 Rn 30 § 19 Rn 1; § 20 Rn 26 § 12 Rn 18, 19 § 15 Rn 17 f, 19 § 9 Rn 2,24; § 19 Rn 41; § 20 Rn 38 § 7 Rn 73; § 8 Rn 45 § 7 Rn 96; § 9 Rn 54; § 20 Rn 31 § 17 Rn 20, 27 § 16 Rn 3,17, 33, 37; § 17 Rn 14; §19 Rn 49 § 9 Rn 22, 51
619
Zusammenstellung der besprochenen Fälle I. Entscheidungen des EGMR Name der Entscheidung
Fundstelle
§Rn
AGOSI Amuur Bladet Tromsa Caroline von Hannover D Gaygusuz Guerra Gustafsson Handyside Jahn James Karlheinz Schmidt K-F Matthews Müller Pine Valley Refah Partisi Sporrong und Lönnroth Stankov & Vereinigte Mazedonische Organisation Ilinden Steel W/Deutschland Wille
EuGRZ 1988, 513 EuGRZ 1996, 577 EuGRZ 1999,453 NJW 2004,2648 NVwZ 1998, 161 JZ 1997,405 NVwZ 1999, 57 HRLJ 1996, 118 EuGRZ 1977, 38 EuGRZ 2004, 57 EuGRZ 1988, 341 EuGRZ 1995, 392 NJW 1999, 775 NJW 1999, 3107 EuGRZ 1988, 543 HRLJ 1992, 36 EuGRZ 2003, 206 EuGRZ 1983, 523 RJD 2001-IX, 273 RJD 1998-VII, 2719 NJW 2001, 3042 RUDH 1999, 182
§ 5 Rn 22 § 6 Rn 4 § 4 Rn 47 § 2 Rn 1 § 3 Rn 38 § 5 Rn 7 § 2 Rn 11 §4 Rn 82 § 5 Rn 35 § 5 Rn 26 § 5 Rn 44 § 3 Rn 64 § 2 Rn 49 § 2 Rn 22 § 4 Rn 14 § 5 Rn 52 § 4 Rn 72 § 5 Rn 20 § 4 Rn 58 § 4 Rn 37 § 6 Rn 55 §4 Rn 23
Name der Entscheidung
Fundstelle
§Rn
Alpine Investments Angonese BECTU Belgien/Spanien Bettray Bleis Bosphorus Carpenter Connolly Deutschland/Rat Doc Morris Erich Ciola Evans Medical Factortame
Slg 1995,1-1141 Slg 2000,1-4139 Slg 2001,1-4881 Slg 2000,1-3123 Slg 1989, 1621 Slg 1991,1-5627 Slg 1996,1-3953 Slg 2002,1-6279 Slg 2001,1-1611 Slg 1994,1-4973 ff NJW 2004, 131 Slg 1999,1-2517 Slg 1995,1-563 Slg 1991,1-3956
§11 Rn 39 § 7 Rn 42 § 20 Rn 28 § 8 Rn 82 § 9 Rn 4 § 7 Rn 51 § 17 Rn 25 §11 Rn 53 § 15 Rn 60 § 17 Rn 12 § 7 R n 17 §11 Rn 38 § 8 Rn 62 § 10 Rn 17
II. Entscheidungen des EuGH
620
Zusammenstellung der besprochenen Fälle Name der Entscheidung
Fundstelle
§Rn
Familiapress Fremdenführer
Slg 1997,1-3689 Slg 1991,1-682,1-718, 1-735 Slg 1995,1-4165 Slg 2001,1-1795 Slg 1998,1-621 Slg 1979, 3727 Slg 1997,1-1711 Slg 1989, 2859 Slg 2002,11-2365 Slg 1998,1-1931 EuZW 2004,499 Slg 1997,1-6959 Slg 1998,1-6717 Slg 2000,1-2681 Slg 1996,1-243 Slg 1984, 377 Slg 1995,1-1923 Slg 1998,1-2691 ff Slg 1999,1-3289 Slg 1998,1-1953 Slg 1992,1-4239 ff Slg 2003,1-4509 Slg 2001,1-7079 Slg 1999,1-2603 Slg. 1992,1-6313 ff Slg 1984, 3881 DVB12004,1476 Slg 1989, 3283 Slg 2003,1-4989 Slg 1999,1-2835 Slg 1987, 2289 Slg 1994,1-1039 Slg 2003,1-5659 Slg 1994,1-5555 Slg 1999,1-345 Slg 2002,1-9919 Slg 2000,1-4071 Slg 1994,1-4737
§ 14 Rn 31 § 11 Rn 57
Name der Entscheidung
Fundstelle
§Rn
Bananenmarkt-VO Conseil d'Etat [F] Geltung EMRK und Bindungswirkung Landeserziehungsgeld
BVerfG 102, 147 AJDA 1999,460 NJW 2004, 3407 BVerwGE 91, 327
§ 14 Rn 1 § 19 Rn 42 § 2 Rn 72 § 5 Rn 57
Gebhardt Gourmet International Grant Hauer Hayes Hoechst Jego-Quere Kohll Kommission/Frankreich (Fernsehwerbung) Kommission/Italien Kommission/Spanien Lehtonen Lewark Luisi und Carbone Mars Martinez Sala Meeusen Metronome Musik Micheletti Müller-Fraure Niederlande / Parlament und Rat Nitratrichtlinie Oleificio Borelli Olivenöl Omega Orkem Österreichischer Rundfunk Pfeiffer Rau Schindler (Lotterielose) Schmidberger SMW Winzersekt Terhoeve Überseering Verkooijen X/Kommission
§ 10 Rn 18 § 8 Rn 25 § 18 Rn 21 § 17 Rn 5 § 13 Rn 1 § 14 Rn 40 § 19 Rn 25 § 7 Rn 88 § 11 Rn 64 § 7 Rn 28 § 10 Rn 40 § 9 Rn 49 § 18 Rn 22 § 11 Rn 25 § 7 Rn 66 § 21 Rn 82 § 9 R n 18 § 16 Rn 32 §21 Rn 24 § 11 Rn 63 § 15Rn3 § 17 Rn 24 § 19 Rn 57 § 17 Rn 17 § 7 Rn 92 § 19 Rn 13 § 15 Rn 39 § 10Rn46 § 16 Rn 8 § 11 Rn 56 § 8 R n 15 § 16 Rn 28 § 9 Rn 36 § 10 Rn 60 § 12 Rn 16 § 15 Rn 17
ΙΠ. Entscheidungen anderer Gerichte
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Sachregister Die Angaben beziehen sich auf Paragraphen und Randnummern.
Abstammung, Kenntnis der eigenen § 3 , 8 Agrarpolitik § 16, 3, 18 Marktordnungen § 16, 3, 19 f Akteneinsicht § 19, 1, 10, 56 Aktive Dienstleistungsfreiheit s Dienstleistungsfreiheit Allgemeine Rechtsgrundsätze § 7, 10, 15, 82; §14,6 Anhörung § 19, 9 Ansässigkeitserfordernisse s Dienstleistungsfreiheit Anwendbarkeit, unmittelbare § 7, 7, 9, 49, 100; §11,6 Arbeit, Recht auf § 1 6 , 6 Arbeitnehmerbegriff § 9, 6 Arbeitnehmerfreizügigkeit Verhältnis zur Kapitalverkehrsfreiheit § 12, 3 Arbeitsbedingungen § 9, 21 Arbeitsrecht § 1 6 , 4 Arbeitssuche § 9 , 1 5 Assoziierungsabkommen § 9, 31 f Asyl § 15, 89 f Aufenthaltsbeendende Maßnahmen § 3, 7, 12, 17, 30, 3 3 , 4 1 , 4 4 , 53 Aufenthaltsrecht § 9, 24; § 21, 38 ff Aufrechterhaltung der Medienvielfalt § 15, 73 f Ausfuhrbeschränkungen Kapitalverkehr § 12, 7 mengenmäßige § 8, 47 Auslandseinsätze, militärische § 3, 50, 60 Auslegung autonome § 3, 24 dynamische § 3,41 Aussagefreiheit s nemo tenetur Außenwirtschaftsrecht § 12, 26 f Ausweisung, Verfahrensgarantien bei § 6, 67 Babyklappe § 3, 8 Bachmann-Urteil § 12, 18 Bananenmarkturteil § 16, 39; § 17, 31 Beamtenstatut § 15, 55,61 fT Begründung von Maßnahmen § 1 9 , 1 , 9 , 2 1 Behandlung erniedrigende § 3, 39,41 unmenschliche § 3, 39,41
Beihilfeverbot § 7, 87 Verhältnis zu den Grundfreiheiten § 7, 87 Beitritt zur EMRK s E M R K Bekenntnisfreiheit § 3, 31, 34 Berechtigte s Europäische Menschenrechtskonvention; Unionsgrundrechte; G r u n d freiheiten Bereichsausnahme s Grundfreiheiten Beruf § 1 6 , 1 1 Berufsfreiheit § 3, 5; § 5 , 4 7 Drei-Stufen-Theorie § 16, 29 Eingriffe § 16, 30 Konkurrenz zu den Grundfreiheiten § 16,21 ff Beschränkung s Grundfreiheiten Beschränkungsverbot s Grundfreiheiten Beschwerde, Recht auf wirksame § 6, 68 ff Bestandskraft § 19,25,46, 58, 64 Bestandsschutz § 17, 14 Bestimmtheitsgebot § 3, 22 Strafnormen § 6, 59, 61 Beurteilungsspielraum § 3, 25, 48; § 4, 16, 34, 46, 52-53, 79 Beweise Beweiserhebung § 6 , 4 4 , 4 6 f rechtliches Gehör § 6, 44 Waffengleichheit § 6 , 4 3 f Beweislast § 3 , 4 2 , 4 6 , 52 Binnenmarkt § 7, 1, 19, 25, 39, 44, 90 -ziel § 16, 2 -Strategie, neue s Dienstleistungsfreiheit Kapitalverkehr § 12, 1, 47 Biotechnologie § 20, 6 Buchpreisbindung § 15, 69 f Bürgschaft § 1 2 , 2 , 4 6 Cassis de Dijon-Entscheidung § 7, 63, 74, 78, 89 f; § 8, 37, 56 ff, 79 fT; § 12, 15 Charta der Grundrechte der Europäischen Union § 1, 30 ff; § 14, 3, 17 ff, 22 ff, 30, 35, 37, 42, 53, 57 Anwendungsbereich § 20, 25 Rechtsverbindlichkeit § 1, 31 f; § 14, 17; § 20, 26 Schrankenregelungen § 14, 45 f, 49; § 20, 14 Closed shop § 4, 77, 85 Costa ENEL-Entscheidung § 7, 9; § 14, 5
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Sachregister Dänemark Zweitwohnungen § 12, 36 Daseinsvorsorge §11,21 Dassonville-Entscheidung § 7,24, 27, 72, 74 f, 79; § 8, 33 ff, 48; § 12, 7 Datenschutz § 3, 3; § 15, 39 ff Demonstrationsfreiheit § 4, 60-63, 68-69 Dienstleistungsfreiheit § 15, 71, 78, 85 Abgrenzung - zum allgemeinen Diskriminierungsverbot §11,47 - zur Arbeitnehmerfreizügigkeit §11,35 - zur Kapitalverkehrsfreiheit §11,36 - zur Niederlassungsfreiheit §11,34 - zur Warenverkehrsfreiheit §11,37 Adressaten §11,41 aktive §11,27 Ansässigkeitserfordernisse § 11,46 Bereichsausnahme §11,33 Definition §11,20 Entgeltlichkeit §11,21 Grenzüberschreitender Vorgang § 11, 26 Korrespondenzfreiheit § 11, 29 Liberalisierung durch Sekundärrecht §11, 11 Modifikation des Beschränkungsverbots §11,54 neue Binnenmarktstrategie § 11, 13 offene Diskriminierung § 11, 44 passive §11,28 personeller Schutzbereich §11,15 räumlicher Schutzbereich § 11, 14 sachlicher Schutzbereich § 11, 19 Schranken - geschriebene §11,58 - ungeschriebene §11,61 Schranken-Schranken §11,65 Struktur der Dienstleistungsfreiheit im Gemeinschaftsrecht §11,4 umfassendes Beschränkungsverbot § 11, 50 unmittelbare Anwendbarkeit §11,6 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz § 11, 65 versteckte Diskriminierung § 11,45 Dienstleistungsrichtlinie §11,13 Diplomatischer Schutz, Recht auf § 21, 74 ff Direktinvestitionen § 12,42 Diskriminierung §16,17 s a Grundfreiheiten Diskriminierungsverbot § 1, 39 ff; § 3,64 ff; § 21, 38, 84 ff allgemeines § 7, 11,45 besonderes § 7, 19 fT, 23, 30, 78 wegen der Staatsangehörigkeit § 13; § 14, 7 - Anwendungsbereich des Vertrages § 13, 6 ff
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- Inländerdiskriminierung § 13, 9 - als soziales Teilhaberecht §13,10 - Rechtfertigung mittelbarer Diskriminierungen § 13,16 f - Rechtfertigung unmittelbarer Diskriminierungen § 13, 14 f wegen des Geschlechts § 18,20 ff Entgelt §18, 29 ff, 53 - in Bezug auf Altersversorgungssysteme §18, 34ff - Rechtfertigung mittelbarer Diskriminierungen §18,44 ff - Rechtfertigung unmittelbarer Diskriminierungen § 18,42 f Dividendenbesteuerung § 12, 19 Dohnetscherkosten § 3,72 Doppelbestrafungsverbot s ne bis in idem Drittstaaten Kapitalverkehrsfreiheit § 12, 5, 41-46 Drittstaatsangehörige s Europäische Menschenrechtskonvention; Unionsgrundrechte; Grundfreiheiten/Berechtigte Drittwirkung s Grundfreiheiten ECHELON §15,82 Effektiver Rechtsschutz s Rechtsschutz Effektivitätsgebot § 19,42 ff EG-AuBenbeziehungen, Menschenrechts- und Demokratieklauseln § 1, 34 Ehe §3,9,11 Schutz der Ehe § 15, 37 f Ehrschutz §4,19,30,31,48,51 Eigentum Beeinträchtigung - Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers § 5, 36 ff, 42 - Gerechter Ausgleich der Interessen § 5,43 - Gesetzmäßigkeit § 5, 36 - nationale Besonderheiten § 5, 51 - öffentliches Interesse § 5, 37 - Rechtfertigung § 5, 34 ff - Verhältnismäßigkeit § 5, 40 ff Entziehung §5,24; §17, 21 Erwartungen und Chancen §5,10 Geschäftliche Beziehungen/Goodwill § 5,11 Inhaltsbestimmung § 5, 29 öffentlich-rechtliche Ansprüche § 5, 13 ff Recht zum Erwerb § 5,10 Sozialpflichtigkeit § 17, 20 Eigentumsordnung § 17, 2 Eigentumsrecht Eingriff §5,21 ff; § 17, 18 Diskriminierungsverbot § 5, 53
Sachregister Nutzungsbeschränkungen § 17, 28 Nutzungsregelnde Maßnahmen § 5, 26 ff Schutzbereich § 5, 7 ff sonstige Eingriffe §5, 31 ff soziale Funktion des § 17, 10, 29 Träger des § 5,9 Eigentumswohnungen Kapitalverkehrsfreiheit § 12, 32 Einfuhrbeschränkungen § 8, 22 ff Elemente objektiver Ordnung s Grundfreiheiten Energieversorgung § 12, 23 Enteignungen § 5, 23 ff; § 17, 18, 27 Entschädigung für Enteignungen § 5,29, 32, 45ff;§ 17,27 - von Ausländern § 5,47 - Spielraum bei der Festsetzung § 5,48 - Höhe §5,47 Entschädigung für Fehlurteile § 6, 66 Entscheidung in angemessener Frist § 19, 1, 7, 34 f Entsenderichtlinie §11,12 Erbrecht § 5, 19 Erfordernisse, zwingende s Grundfreiheiten Ermessens-und Prognosespielraum § 16, 38 f Europaabkommen §11,8 Europäische Fluggastdaten § 15, 58 Europäische Grundrechts-Charta s Charta der Grundrechte der Europäischen Union Europäische Menschenrechtskonvention, Grundrechte der EMRK §2, I f f Abgrenzung zu Unionsgrundrechten § 2, 9, 29; § 14, 14 Anwendbarkeit § 2, 37 Art 8 EMRK § 15, 18 ff, 23 f, 34, 36 Art 10 EMRK §15, 59 ff, 71 Auslegung §2,21,41,53,62 Beeinträchtigungen § 2, 39 Beitritt der EG/EU § 1, 28 ff; § 20, 38 Berechtigte §2, 2 I f f - Natürliche Personen § 2, 22 f - Staatsangehörige der Konventionsstaaten § 2 , 22
- Drittstaatsangehörige § 2, 22 - juristische Personen des öffentlichen Rechts § 2, 24 f - juristische Personen des Privatrechts und sonstige Personenvereinigungen § 2, 24 Berücksichtigung bei der Auslegung der Unionsgrundrechte § 1, 25; § 14,9, 14 Bindung s Verpflichtete Bindungswirkung gegenüber internationalen Organisationen § 1, 14 Drittwirkung § 2, 6, 32
Eingriff §2, 39 f Entstehungsgeschichte § 1 , 5 ff Funktionen § 2, 11 ff - Abwehrrechte §2,13 - Leistungsrechte §2, 15 f - Rechtsgleichheit § 2, 14 - staatsbürgerliche Rechte § 2, 17 - Verfahrensrechte § 2, 18 Geltungsbereich § 2, 33 f - persönlicher s Berechtigte - räumlicher § 2, 33 - sachlicher § 2, 56 - zeitlicher § 2, 34 Gesetzesvorbehalt § 2, 3, 37,41,44; § 3, 21 ff, 35,45, 57 Individualbeschwerdeverfahren § 1, 8, 11 f, § 2, 50, 55 f Rechtfertigung § 2,41 ff Rechtsschutz § 2,40 ff - Individualbeschwerde § 2, 50, 55 ff - Beschwerdebefugnis § 2, 62 - Beschwerdefrist § 2, 64 - Beschwerdegegenstand § 2, 65 - Parteifähigkeit §2,58 - Prozessfähigkeit § 2, 58 - Rechtswegerschöpfung § 2,63 - Staatenbeschwerde § 2, 53 Schranken - allgemeine § 2,42 - konventionsimmanente § 3,45 - spezielle § 2, 43 ff Schutzpflichten § 2, 16, 67 Sprache §2,5,56,63,69 Stellung der EMRK im Gefüge des internationalen und nationalen Rechts § 2, 6 ff Stellung in der deutschen Rechtsordnung §1, 13 Verfassungsvertragsentwurf § 2, 9, 21, 26, 29,31,49 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz §2, 14,42,46 Verpflichtete § 2, 26 ff - Europäische Gemeinschaften § 2, 30; §14,11 - Konventionsstaaten des Europarats § 2, 29 f - Privatpersonen § 2, 32 Zusatzprotokolle § 1, 10, § 2, 5, 6, 13 f, 20, 22, 28, 37,46, 57,68,71 - Nr 1 § 2, 5, 7, 13, 15, 17,21, 23, 25, 26, 33, 35,40,44 f - Nr 3 §2, 13 - N r 4 §2,5,13,22,33,44 - Nr 6 §2,5,13,33,37
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Sachregister - Nr 7 § 2, 3, 5, 14 f, 18,22, 32 f, 44; § 6, 67 - Nr 11 §2,49 - N r 12 § 2 , 5 , 1 4 - Nr 13 §2,37 - Nr 14 § 2, 5, 9,14, 29, 50 f, 54, 65 f Europäische Sozialcharta § 1,15; § 5, 57 ff; § 16, 4,6 Europäische Zentralbank § 12, 26, 27 Europäischer Datenschutzbeauftragter § 15,41 f Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte §2, 2, 16, 24, 41 ff, 51 f Europäischer Haftbefehl § 15, 90 Europäisches Übereinkommen zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe §1,16 Europarat § 2, 5 Ministerkommitee §1,11 Parlamentarische Versammlung §1,18 Europawahlrecht § 21, 62 ff EZB § 12, 28 f Factortame-Entscheidung § 10, 17, 25 Faires Verfahren s Verfahren Familienangehörige § 9,29 Familienleben § 3,9 ff Achtung des Familienlebens § 15, 36 ff Ferienwohnungen § 12, 31-36 Fernseh-RL §15,71 Föderale Gefährdungslagen § 13, 3; § 18, 2 Folter §3, 39 ff Formvorschriften, wesentliche § 19,13 Frauenförderung § 3, 68 Freiheit und Sicherheit § 15, 88 ff Freiheit von Rundfunk, Fernsehen und Film § 4, 2, 20, 21, 26, 33,44, 54-56 Freiheitsentziehung § 6, 3 ff Freiheitsrechte § 20, 7 Freizügigkeit im Gemeinschaftsgebiet § 15, 51 ff; § 21, 38ff der Arbeitnehmer § 15, 5 f, 36, 51 ff GASP Sanktionen nach Art 60 EGV § 12,45 GATS §11,10 Gebhard-Entscheidung § 10, 18,40 Gebrauch der eigenen Sprache im Verfahren s Verfahren Geburt, anonyme §3,8 Gedankenfreiheit § 3, 31 ff Gegenleistung § 9, 10 Geistiges Eigentum § 5, 18 Geldpolitik §12,28 Geltung, unmittelbare § 7, 7; § 12, 8
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Gemeinsamer Zolltarif s Zolltarif Gemeinschaftsgrundrechte s Unionsgrundrechte Gemeinschaftsrecht § 7, 1, 7, 9 f, 15,20,25, 30, 34,48, 50, 56, 58, 82, 84 ff, 93 ff, 102, 104 Anwendungsvorrang des Sekundärrechts § 7, 9, 102 Einheitlichkeit § 7, 94 Geltungsvorrang § 7, 7,9 unmittelbare Anwendbarkeit § 7, 7,46 Vollzug §20,26 Vorrang § 7, 9, 95, 102 primäres § 7, 10, 15,44, 87,93 f, sekundäres § 7, 7, 24, 35,44,46, 54, 81, 84 f, 95 f; § 8, 53ff;§ 9, 3 Geschäftsräume §3,13 Geschlecht §3,8-11,68,70 Gesellschaftsanteile § 12, 2, 9, 22 f, 25 Gesellschaftsrecht § 4, 74; § 12, 25 Gesetzesvorbehalt s EMRK; Unionsgrundrechte; Grundfreiheiten Gesetzlicher Richter § 19, 23, 33 Gestaltungsspielraum, mitgliedstaatlicher § 8, 86 ff
Gestufte Verfahren § 19, 52 ff Gewerbebetrieb § 17,14 Gewissensfreiheit § 3, 31 ff Gleichheit von Männern und Frauen s Gleichheitssatz, allgemeiner Gleichheitssatz § 3, 65, 67 f, 71 allgemeiner §18, 11 ff - als supranationales Unionsgrundrecht §14, 23; §18, 3 ff - Bildung von Vergleichsgruppen §18, 13 - N o r m s t r u k t u r §18, 7 ff - Rechtfolgen eines Verstoßes §18,16 - Grundsatz der Verhältnismäßigkeit §18, 15 - Unterschiede zu den Freiheitsrechten §18, 7 ff besonderer §18,17 ff - Gleichheit von Männern von Frauen § 1 8 , 21 ff
- Integration von Menschen mit Behinderung § 18, 54 - Rechte älterer Menschen § 18, 54 - Rechte des Kindes § 18, 54 -Typologie § 18,2 ff - Verhältnis zum allgemeinen Gleichheitssatz § 18,18 Grenzüberschreitender Sachverhalt s Grundfreiheiten
Sachregister Grandfreiheiten Abgrenzung § 7, 10 ff, 57 - Grundfreiheiten untereinander § 7, 57; §11, 34ff;§12, 3 - zum allgemeinen Diskriminierungsverbot §7, 11; § 11,47 - zu besonderen Gleichheitsrechten §7, 12 f - zu Unionsgrundrechten § 7, 15; § 14, 13 Begriff §1,35 Beeinträchtigung § 7, 15, 66 ff, 74, 80 ff Berechtigte § 7, 16, 21, 23, 36 ff - Gesellschaften § 7, 38 f - Juristische Personen des öffentlichen Rechts § 7, 38 des Privatrechts § 7, 38 - Drittstaatsangehörige § 7, 41 - Staatsangehörige der Mitgliedstaaten §7, 37 Bereichsausnahme § 7, 59 ff; § 9, 27; § 11, 33 Beschränkung § 7, 3, 15,19,24,90; § 8, 32 ff - spezifische der Ausfuhrströme § 8, 47 f Beschränkungsverbot § 1, 39 ff; § 7,24, 25, 33 f, 72, 78, 89; § 9,41 - Abgrenzung zum Diskriminierungsverbot §7, 78 - Begriff § 7 , 2 4 f - Kapitalverkehrsfreiheit § 12, 7-10 Diskriminierung § 7, 11, 13, 19 ff, 26, 30, 45,68 ff, 72, 75, 78, 89, 90 f, 96, 98; § 9, 37ff;§ 16, 17 - Abgrenzung zur Beschränkung § 7, 78 - Begriff §7,22,69 - offene § 7, 22,24, 69, 78, 90, 96, 98; § 8, 28; § 11,44 - versteckte § 7, 22,24, 69, 78, 90, 98; § 8, 29 ff; §11,45 - Meldepflichten im Außenwirtschaftsverkehr §12, 26 f - Steuerrecht § 12, 16-21 - Vergleichsmaßstab § 7,20 Diskriminierungsverbot § 1, 39 ff; § 3, 64 ff; §21,38, 84 ff - allgemeines § 7, 11,45 - besonderes § 7, 19 ff, 23 ff, 30,69 Drittwirkung § 1,43 - mittelbare § 7,45 - unmittelbare § 7,45 f, 100 - Gesellschaftsverträge §12,25 Erfordernisse, zwingende § 7, 63, 74, 79, 89 f, 93; § 9, 50 - Agrarstruktur § 12, 37 - Ansässigkeit der Bevölkerung § 12, 33
- Kapital verkehr mit Drittstaaten §12,46 - Kapitalverkehrsfreiheit §12,12,46 - Kohärenz des Steuerrechts § 12, 18 - Kreditsicherungsrecht § 12, 39 -Preisstabilität § 12, 28 f - Sozialstruktur § 12, 33 - Statistik § 12,26 f - Steuereinnahmen § 12, 15 - Tourismusbeschränkungen § 12, 33 - Vollstreckung im Ausland § 12,46 Funktionen - Elemente objektiver Ordnung § 7, 35 - Freiheitsrechte § 7, 24 f - Gleichheitsrechte § 7, 19 ff - Leistungsrechte § 7, 28 ff - subjektiv-öffentliche Rechte § 1, 37 f - Verfahrensrechte § 7, 34 Gesetzesvorbehalt § 7, 82 grenzüberschreitender Sachverhalt § 7, 20ff;§ 8, 13; § 9, 19; § 11, 26; § 12,4, 5, 39 Inländerdiskriminierung § 7,20; § 21, 38 ff, 41, 84ff,90 Konkurrenzen s Abgrenzung Rechtfertigung § 7, 15,46, 58, 61, 63, 74, 78, 80 ff, 88; §8, 51 ff Schutzbereich § 7, 16, 50 ff, 98 Schutzbereich § 7, 16, 50 ff, 98 - persönlicher § 7, 37 ff; § 9, 28 f; § 16, 24 ff -räumlicher §7,48;§11, 14 - sachlicher § 7, 53 ff; § 9, 5; § 11, 19 - zeitlicher § 7, 47 Schlechterstellungsverbot § 7, 12, 24, 69 Schranken § 7, 16, 50, 61, 80, 83 ff, 88 ff, 98 - geschriebene § 7, 83 ff - ungeschriebene § 7, 88 ff Schranken-Schranken § 7, 80,92 ff, 98; § 9, 52ff;§ 11,65 - Unionsgrundrechte §7, 86,94 f, 98 - sonstige Primärrechtsbestimmungen § 7, 94 - Verhältnismäßigkeitsgrundsatz § 7,96 Schutzpflichten §1,44 Grundrechtsdogmatik § 1,43 ff unmittelbare Anwendbarkeit § 7, 7, 9,49, 100 unmittelbare Geltung § 7, 7 Verpflichtete § 7, 7 ff, 16, 42 ff, 67 f, 93,98, 100 - Europäische Gemeinschaften §7,10, 43 f, 67, 104 - Mitgliedstaaten § 7, 7, 37,43,48, 94, 103 - Privatpersonen § 7,45 f Vorrang der Grundfreiheiten § 7, 9
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Sachregister Grundpfandrechte § 12,40 Grundrecht auf Umweltschutz s Umweltschutz europäische Agentur für § 20, 39 ff Grundrechtsbeschwerde § 20, 31 Grundrechts-Charta s Charta der Grundrechte der Europäischen Union Grundrechtskatalog § 20, 1 Grundrechtspolitik §20,13 Grundrechtsschutz § 20, 2 Grundstücke Beschränkungen des Grundstücksverkehrs § 12, 30-38 Kapitalform § 12, 2 Landwirtschaft § 12, 37 militärische Bedeutung § 12, 38 Schutz durch Kapitalverkehrsfreiheit § 12, 4 Städtebaurecht § 12, 32 Vorkaufsrecht § 12, 37 Zweitwohnungen § 12, 31-36 Gute Sitten §9,12 Habeas corpus § 6, 29; § 15, 90 Haft -bedingungen § 6, 6, 19 -gründe § 6, 7 ff -prüfung, Recht auf richterliche § 6,29 ff -entschädigung, Recht auf § 6, 32 -dauer, Untersuchungshaft § 6,27 f bei Minderjährigen § 6, 16 Handelsmonopole, staatliche § 8,4 Harmonisierung Kapitalverkehr § 12, 20,47 Herkunftslandprinzip §11,13 Höchststimmrecht § 12, 22, 25 Human Rights Act (Vereinigtes Königreich) §1,13 Hypothek §12,40 Identität geschlechtliche § 3, 8, 69 nationale §15,15 Informationsfreiheit § 4, 2, 6,10-13, 17, 31, 54; § 15, 79 Informationsrecht § 6, 22 f; § 21, 70 Inländerdiskriminierung s Grundfreiheiten Internationales Privatrecht § 12, 39 Internet § 4, 22 Juristische Personen s Europäische Menschenrechtskonvention; Unionsgrundrechte; Grundfreiheiten/Berechtigte
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Kapital, Begriff §12,2 Kartellverfahrensordnung (VO 1/2003) § 15, 27 fr KarteUverfahren § 19, 7, 14 ff Keck-Entscheidung § 7, 74 fT, 98; § 8, 30, 36 ff; §12,7 Übertragung auf Dienstleistungsfreiheit §11,54 Kindererziehung §3,31 Kindschaft §3,9,12,18,28 Koalitionsfreiheit § 4, 2, 65, 75, 76, 77, 80-92 Kohärenz (des nationalen Steuerrechts) § 12, 18 Kollektivorganisation § 11,43 Kommission/Spanien-Entscheidung § 10,41,46 Kommunalwahlrecht § 21, 54 ff Kommunikation § 3, 6 kommerzielle (commercial speech) § 15, 72 ff Konsularischer Schutz, Recht auf § 21, 74 ff Kontrolldichte, grundrechtliche s Unionsgrundrechte Konvent §1,31 Kopftuch §3,35 Korrespondenz § 3, 5 f, 14 f Kreditsicherungsrecht § 12, 39 f Kulturgut, nationales § 8, 76 Leben §3, 48 ff ungeborenes § 3,48 -sgemeinschaft § 3, 9 ff Leistungsrechte § 7, 18, 28 fT; § 14, 24 f abgeleitete § 7,29 originäre § 7, 33; § 14, 25 Malta Zweitwohnungen § 12, 36 Markt -bürger §21,4 -Zugang § 8,41 Maßnahmen gleicher Wirkung wie Ausfuhrbeschränkungen § 8,47 ff wie Einfuhrbeschränkungen § 8, 22 ff Matthews-Entscheidung § 20, 38 Medien §4,4,9,11,17-22, 26, 29, 56 Meinungsfreiheit § 4, 2, 4, 6-9,16, 26-28, 30, 39, 52, 57; §15, 61fT negative §15, 76 f Meldepflichten im Außen Wirtschaftsverkehr §12, 26 f Menschen -rechtsschutz, international § 1 , 1 -rechts- und Demokratieklauseln s EGAußenbeziehungen -würde § 3, 39,45; § 15, 3 ff; § 20, 6
Sachregister Methode der wertenden Rechtsvergleichung s Rechtsvergleichung Minderheitenschutz § 1,17 Mindestreserven § 12,28 Mittelbare Drittwirkung s Unionsgrundrechte; Grundfreiheiten Moral § 4, 16, 34,44, 52-53, 65 ne bis in idem § 6, 63 f, § 19, 15 nemo tenetur § 6,47; § 19,16 ff Niederlassungsfreiheit § 10 Abgrenzung zur Dienstleistungsfreiheit § 10, 19 f, 26 ff, 31 f, 34 Beschränkungsverbot § 10, 5, 52 ff Bestimmungslandprinzip § 10, 3 ff, 19 Definition § 10, 20 ff Erwerbstätigkeit § 10, 20, 24 Gesellschaftsstatut § 10, 64 Gründungstheorie § 10, 64 ff Herkunftslandprinzip § 10, 3 ff Inländerdiskriminierung § 10, 39 internationales Gesellschaftsrecht § 10, 66 ff juristische Personen § 10, 16, 34 ff, 62 ff offene Diskriminierung § 10, 50 Personalstatut § 10, 64 primäre Niederlassung § 10, 33 f sekundäre Niederlassung § 10, 33, 35 f Sitztheorie § 10, 64 ff u n d G A T S § 1 0 , 9 ff und völkerrechtliche Niederlassungsfreiheit §10,6 versteckte Diskriminierung § 10, 50 f Normgeprägter Schutzbereich s Schutzbereich Notwehr § 3 , 6 2 Nulla poena sine lege § 6, 58 ff; § 19, 1, 38 Nutzungsbeschränkungen des Eigentums s Eigentumsrecht Offene Diskriminierung s Grundfreiheiten Offenmarktgeschäfte § 12, 28 Öffentliche Ordnung § 7, 32, 46, 85 f, 89 Arbeitnehmerfreizügigkeit § 9, 47 f Kapitalverkehrsfreiheit § 12, 11, 22 f Öffentliche Sicherheit § 7, 32,46, 85 f, 89 Arbeitnehmerfreizügigkeit § 9, 47 f Kapitalverkehrsfreiheit § 12, 11, 22 f, 38 Landesverteidigung § 12, 11, 38 Ordnung, öffentliche s öffentliche Ordnung Österreich Beschränkungen des Grunderwerbs § 12, 32, 37 OSZE/KSZE § 1 , 2
Parallelität von Kompetenz und Grundrechtsschutz § 14,24; §20, 20 Personenfreizügigkeit § 9, 1 Persönlichkeitsrecht, allgemeines § 3, 3, 39 Petitionsrecht §21, 67 ff Pfeiffer-Entscheidung § 10,47, 60 Pflichten, positive § 4, 11, 26, 35, 62, 93 Politische Parteien § 4,43, 74, 77, 79 f Polizeigewahrsam § 3,40, 42, 52, 63 Postgeheimnis § 3, 14 Presse- und Rundfunkfreiheit § 4 , 2 , 17-22; §15, 69 ff Presse, Sorgfaltspflichten § 4,17, 47-51 Privatisierung staatlicher Unternehmen § 12, 22-24 Privatleben § 3, 3 ff Achtung des Privatlebens § 15,17 ff Produktbeschaffenheit § 8, 39 Produktbezogene Maßnahmen § 7, 76 Produktvermarktung § 8, 40 Prüfungskompetenz des EGMR § 3, 23, 26, 37 Rassendiskriminierung § 3, 39 Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts § 15, 88 ff Rechte, wohlerworbene § 5, 7 Rechtfertigung s Europäische Menschenrechtskonvention; Unionsgrundrechte; Grundfreiheiten Rechtliches Gehör, Anspruch auf § 6, 44; § 19, 9, 34, 38, 54 ff Rechtsangleichung § 7, 35 Rechtsbehelfsbelehrung § 19, 12 Rechtsgemeinschaft § 20, 2 Rechtsgrundsätze, allgemeine s Unionsgrundrechte Rechtsschutz § 7, 16, 34, 99 ff effektiver § 6, 2, 52 vorläufiger § 19, 44,46,49 Rechtsschutzansprucb § 19, 1, 22 ff, 51 f, 58 ff Rechtsvergleichung, Methode der wertenden § 14, 9; §17, 8 Religion § 4, 31, 34, 52-53, 58, 80 Religionsfreiheit § 3, 31 ff; § 15, 47 ff Richtlinie 88/361 § 1 2 , 8 Sachverhalt, grenzüberschreitender s Grundfreiheiten Sanktionen (Wirtschaftsembargo) Kapitalverkehr § 12, 45 Schächten §3, 31 f Schlechterstellungsverbot s Grundfreiheiten
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Sachregister Schranken s Europäische Menschenrechtskonvention; Unionsgrundrechte; Grundfreiheiten Schranken-Schranken s Unionsgrundrechte; Grundfreiheiten Schutz der Ehe s Ehe der Gesundheit § 8, 75 des Arztgeheimnisses § 15, 35 personenbezogener Daten § 15, 39 ff, 58 Schutzansprüche § 14,24; § 20, 13 Schutzbereich s a Grundfreiheiten normgeprägter § 1 7 , 4 Schutzgewähranspruch § 7, 31 Schutzpflichten § 3,26 f, 33,61 ff; § 7, 94; § 14, 13,24,37,54 Schutzrechte, gewerbliche § 8, 17, 77 Schutzverstärkungsklausel § 20, 16, 26 Schwangerschaftsabbruch § 3,48 Schweigerecht s nemo tenetur Sekundäres Gemeinschaftsrecht s Gemeinschaftsrecht Selbstbestimmung informationelle § 3, 3 sexuelle § 3, 8, 26 Sicherheit, öffentliche s öffentliche Sicherheit Sicherheit, Recht auf Sicherheit § 6, 6 Sicherungsrechte § 12, 39 f Sicherungssysteme, soziale § 9, 25 Solange-Rspr des BVerfG § 14, 5, 15,21 Solidarität § 18, 56 Verhältnis zum Solidarprinzip § 18, 57 Sozialbindung § 5,29 Sozialcharta, Europäische s Europäische Sozialcharta Soziale Funktion des Eigentumsrechts s Eigentumsrecht Soziale Grundrechte § 16,4; § 18, 56 ff als originäre Leistungsrechte § 18, 60 als Teilhaberechte § 18, 60 Soziale Rechte §5,58 fT; §21, 84 ff Soziale Sicherungssysteme s Sicherungssysteme Soziale Vergünstigungen s Vergünstigungen Sozialpflichtigkeit des Eigentums s Eigentum Spürbarkeit § 8,45 Staatsangehörigkeit § 21, 18 ff, 24 ff Staatsbürgerschaft § 21, 22 ff Stellensuche §9,15 Sterbehilfe § 3,49 Steuerrecht Darlehen § 12, 15 Devisenumsatz § 12, 15 Diskriminierungen § 12, 16-21 Dividendenbesteuerung § 12, 19
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Doppelbesteuerung § 12, 20 gleichmäßig wirkende Besteuerung § 12, 15 Kapitalverkehrsfreiheit § 12, 14-21 Kohärenz des nationalen Steuerrechts § 12, 18 Körperschaftsteuer § 12, 19 Rechtfertigung durch zwingendes Erfordernis § 12, 15, 18 Steuervorbehalt des Art 58 EGV § 12,17 Tobin-Steuer § 12, 15 Wohnort § 12, 17, 21 Strafe, Art und Schwere der Sanktion § 6, 37 Strafgefangene § 3 , 1 5 Strafverfahren, besondere Rechte des Angeklagten im § 6,45 ff Subjektiv-öffentliche Rechte Grundfreiheiten § 7, 8, 35 supranationale Legitimationsfunktion § 18, 3fT transnationale Integrationsfunktion § 18, 2 Subsidiaritätsprinzip § 20, 25 System europäischen Grundrechtsschutzes § 20, 32 Tabakprodukt-RL § 15, 76 f Tabakwerbe-RL § 15, 74 fT Tatverdacht, hinreichender § 6, 13 Teilhaberecht § 7, 29 ff abgeleitete Teilhaberechte § 7, 30 originäre § 7, 33 Tobin-Steuer s Steuerrecht Todesschuss, finaler § 3, 56, 58 Todesstrafe §3,41,53, 55 f Treuepflicht der Beamten § 15, 61 f Ubergangsregelungen nach EU-Erweiterung §11,18 Überlange Verfahrensdauer s Entscheidung in angemessener Frist Überseering-Entscheidung §10,61,72 Umweltschutz § 3, 7,19, 26 Grundrecht auf Umweltschutz § 20,23 Unabhängigkeit des Gerichts § 6, 38 Unionsbürgerrechte § 7, 18; § 20,11 Unionsbürgerschaft § 7, 4, 7, 11, 14, 20,41; § 9, 2; § 2 1
Adressaten §21, 34 ff Diskriminierungsverbot § 21, 38, 84 ff Geschichte § 2 1 , 4 ff Minderheitenrechte § 21, 89 ff soziale Rechte §21, 84 ff Staatsangehörigkeit als Voraussetzung § 21, 25 ff
Sachregister Teilhabefunktion § 21, 86 ff Träger §21,15 Umfang §21,10 ff Unionsgrundrechte § 2, 32; § 8, 70 ff; § 14, 1 ff Abgrenzung § 14, 12 ff - zu Grundfreiheiten § 7, 15, 25, 31, 82, 86, 93ff,98; § 14, 13 - zu Grundrechten der EMRK § 14, 14 - zu Grundrechten des GG § 14,15 f Begriff § 14, 2 f Berechtigte § 14, 29 f - juristische Personen § 14, 30 - natürliche Personen § 14, 29 - Drittstaatsangehörige § 14, 29 - Staatsangehörige der Mitgliedstaaten § 14, 29 Bindung s Verpflichtete Charta der Grundrechte der Union § 14, 17 ff Drittwirkung der § 14, 37 Eingriff § 14, 44 EMRK s Rechtserkenntnisquelle Funktionen § 14,22 ff - Elemente objektiver Ordnung § 14, 28 - Freiheitsrechte § 14, 22 - Gleichheitsrechte § 14, 23 - Leistungsrechte § 14, 24 f - Unionsbürgerrechte § 14,26 - Verfahrensrechte § 14, 27 Geltungsbereich § 14, 39 - persönlicher s Berechtigte - räumlicher § 14, 39 - sachlicher § 14,42 - zeitlicher § 14, 39 Geltungsgrund § 14, 6 ff Gemeinsame Verfassungsüberlieferungen s Rechtserkenntnisquelle Gesetzesvorbehalt § 7, 82; § 14,46; § 20, 15 Gleichheitssatz, allgemeiner § 14, 7, 23 Gleichheitssatz, besonderer § 14, 7 Kompetenz § 14, 5 f, 24, 28 Kontrolldichte § 14, 5; § 16, 38 f; § 17, 31; §20, 1 Notwendigkeit der Gewährleistung von Grundrechten auf Gemeinschaftsebene § 14,4 f Prüfungsschema § 14, 53 Rechtfertigung § 14,45 ff Rechtserkenntnisquelle § 14, 9, 11, 14, 17, 20, 29 - E M R K §14, 8 f, 11,14 - Gemeinsame Verfassungsüberlieferungen § 14, 8 f
Rechtsgrundsätze, allgemeine § 7, 10, 15, 94; § 14, 6 Rechtsquelle § 14, 6, 8 f Rechtsschutz § 14, 54 ff Schranken § 14,45 ff Schranken-Schranken § 14,48 ff Unionsgrundrechte als Schranken - Schranken der Grundfreiheiten § 7,93 ff; § 14, 13 Schutzbereich § 14,42 Schutzpflichten § 14,24 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz § 14, 50 f Verpflichtete § 1, 33; § 14, 32 ff - Europäische Union/Europäische Gemeinschaften §1,33; §14, 32 - Mitgliedstaaten § 1, 33; § 14, 33 ff - Privatpersonen § 14, 37 Wesensgehaltsgarantie § 14,49; § 16, 36; § 17, 11, 28; §20, 16 Unmittelbare Anwendbarkeit s Anwendbarkeit Unmittelbare Drittwirkung s Drittwirkung Unmittelbare Geltung s Geltung Unmittelbare Wirkung s Wirkung Unschuldsvermutung § 6, 1,48; § 19,4 Untersuchungshaftdauer s Haft Unverletzlichkeit der Wohnung s Wohnung Unversehrtheit körperliche § 3, 39 der Person §15, 9 f Verbindlichkeit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union s Charta der Grundrechte der Europäischen Union Verbleiberecht §9,16 Vereinigungsfreiheit § 4, 2, 65, 70, 72-81,83, 84 f, 92-94; § 15, 55 Verfahren faires § 2, 18, 26; § 3, 72 f; § 6, 41 ff; § 19, 2, 17, 23,25, 34 Gebrauch der eigenen Sprache im § 19,11,41 Verfahrensdauer, angemessene § 2, 18; § 6, 52 ff, 71 Verfahrensdimension § 3, 28 Verfahrensöffentlichkeit § 6,49 ff Verfahrensrechte § 2, 12, 14 f, 18,22, 36, 67; §7, 18, 34 f Verfassungsbeschwerde § 20, 30 Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten § 14, 8 f; § 17, 8 Vergaberecht (Rechtsschutz im) § 19,44 f Vergünstigungen, soziale § 9, 22 VerhältnismäBigkeit § 3,25, 58, 68; § 7, 96; § 8, 72, 82ff;§ 11, 65; § 12, 34 f; § 14, 50 f; §16, 37; §17, 31
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Sachregister Verkaufsmodalitäten, bestimmte § 8, 37 ff Verkooijen-Entscheidung §12, 16 f, 19,21 Vermögen § 17, 14 Verpflichtete s Europäische Menschenrechtskonvention; Unionsgrundrechte; Grundfreiheiten Verpflichtungsadressaten s Europäische Menschenrechtskonvention; Unionsgrundrechte; Grundfreiheiten/Verpflichtete Versammlungsfreiheit § 4, 2, 57-71, 78, 81, 92, 94; § 15, 80 Versteckte Diskriminierung s Grundfreiheiten Vertrag über eine Verfassung für Europa Auswirkungen auf Grundrechte und Grundfreiheiten § 1,46 Vertrauensschutz § 16,18 Vertrauenstatbestand § 17, 15 Vertraulichkeit des anwaltlichen Schriftverkehrs §15, 33 Vertriebsbezogene Maßnahmen § 7, 76 Verzicht auf Unparteilichkeit § 6, 38 auf öffentliche Verhandlung § 6, 50 Vollzug des Gemeinschaftsrechts s Gemeinschaftsrecht Vorbehalt des formellen Gesetzes s Unionsgrundrechte Vorführung, richterliche § 6,14, 24 ff Vorlagepflicht § 19,23,49, 61 f Vorläufiger Rechtsschutz s Rechtsschutz Vorrang der Grundfreiheiten s Grundfreiheiten Waffengleichheit § 6,43 Währungsrecht § 12, 28 f Ware §8, 8 ff
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Wechselkurspolitik § 12,29 Weisungsgebundenheit § 9, 9 Weltanschauung § 3, 31 Werbeverbote § 11, 64 Wesensgehaltsgarantie s Unionsgrundrechte Wesentliche Formvorschriften s Formvorschriften Wettbewerbsfreiheit § 16,12 Wirkung, unmittelbare § 7, 7, 13,43, 49 Wirkungsweise § 7, 11, 23 f des Beschränkungsverbots § 7,24 des Diskriminierungsverbots § 7, 11, 23 Wirtschaftliche Betätigung, Freiheit der § 16,12 Wirtschaftliche Leistung § 9, 7 Wirtschafts- und Währungsunion Störungen § 12, 43 Zahlungsbilanzen § 12, 27 Wirtschaftssanktionen s Sanktionen Wirtschaftsverfassung § 16,2 Wohlerworbene Rechte s Rechte Wohnung, Schutz der Unverletzlichkeit der § 3, 13; §15,21 ff WTO §16,2 Zahlungsbilanz § 12,27, 43 Zahlungsverkehrsfreiheit § 12, 6 Zolltarif, Gemeinsamer § 8,2 Zollunion § 8, 2 Zugang zu Dokumenten § 21, 71 ff zu Gemeinschaftsdokumenten § 19,4, 20 f zum Gericht § 6, 38 ff; § 20, 12 Zweite Instanz § 6, 65 Zweitwohnungen § 12, 31-36 Zwingende Erfordernisse s Grundfreiheiten