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German Pages 337 [340] Year 1999
Erlebnis- und Konsumwelten Herausgegeben von
Univ.-Prof. Dr. Albrecht Steinecke unter Mitarbeit von Anja Brittner, Robert Jan Dogterom, Jochen Franck, Univ.-Prof. Dr. Gerd Hennings, Antoon J. J. J. M. van Hooff, Michael Kreft, Pascal Ledune, Martin Lichtl, Heidrun Liepe, Andreas Macat, Klaus-Michael Machens, Dr. Wolfgang Meighörner, Bianca Meinicke, Ludwig Morasch, Winfried Nesensohn, Prof. Dr. Horst W Opaschowski, Petra Probst, Heinz-Dieter Quack, Ariane Ribbeck, Prof. Dr. Felizitas Romeiß-Stracke, Prof. Dr. Jürgen Schmude, Petra Voßebürger und Andrea Weber
R. Oldenbourg Verlag München Wien
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Erlebnis- und Konsumwelten / hrsg. von Albrecht Steinecke. Unter Mitarb. von Anja Brittner... - München ; Wien : Oldenbourg, 2000 ISBN 3-486-25157-0
© 2000 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Telefon: (089) 45051-0, Internet: http://www.oldenbourg.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säure- und chlorfreiem Papier Druck: MB Verlagsdruck, Schrobenhausen Bindung: R. Oldenbourg Graphische Betriebe Binderei GmbH ISBN 3-486-25157-0
Vorwort Thematische Erlebnis- und Konsumwelten erleben seit einigen Jahren in Deutschland einen außerordentlichen Boom: Ferienparks und Themenhotels, Urban Entertainment Center und Brand Lands, Freizeitparks und Infotainment Center weisen große Besucherzahlen und hohe Wiederholerraten auf. Die aktuelle Krise mehrerer Musical-Produktionen und Themenrestaurant-Ketten macht zugleich deutlich, daß der Markt der Mixed-Use-Center durch eine große Dynamik gekennzeichnet wird. Als zentrale Steuerfaktoren erweisen sich dabei rasche Veränderungen im Konsumentenverhalten und eine wachsende Konkurrenz durch neue Wettbewerber. In der Öffentlichkeit generell wie speziell auch in der Tourismusbranche besteht ein erhebliches Informationsdefizit Uber Erlebnis- und Konsumwelten: Während sich in den Medien häufig eine emotionalisierte und kritische Darstellung dieser multifunktionalen Freizeiteinrichtungen findet, sind die Akteure im öffentlichen Fremdenverkehr zumeist unzureichend informiert Uber die neuen Konkurrenten. Vor diesem Hintergrund ist es das zentrale Ziel der vorliegenden Publikation, eine umfassende und gründliche Information Uber die Marktsituation, das MarketingManagement und die Erfolgsfaktoren von Erlebnis- und Konsumwelten zu vermitteln. Aufgrund der Vielzahl unterschiedlicher Einrichtungen erscheint dabei eine Mischung aus allgemeiner und exemplarischer Vorgehensweise sinnvoll; sie spiegelt sich im zweiteiligen Aufbau des Bandes wider. Im ersten Teil,Typen - Trends - Perspektiven' wird der Markt der Erlebnis- und Konsumwelten in mehreren Überblicksartikeln dargestellt. Dabei werden vor allem folgende Themen bearbeitet: Veränderungen im Konsumverhalten, Typisierung von Mixed-Use-Centern, Analyse der Marktentwicklung, Steuerfaktoren und Akteure, Umgang mit Konflikten bei der Planung, Trends und Prognosen, Konsequenzen für die Stadtentwicklung, Lerneffekte für andere Bereiche von Wirtschaft und Gesellschaft. Der zweite Teil ,Erfahrungen - Modelle - Planungen' enthält exemplarische Fallstudien von Unternehmen und Einrichtungen. Dem Sammelband liegt dabei ein sehr weiter Begriff von Erlebnis- und Konsumwelten zugrunde: Auswahlkriterien für die Beispiele waren Erlebnisorientierung und Multioptionalität des Angebots. Diese Leitbegriffe prägen aber zunehmend auch das Marketing von öffentlichen Einrichtungen wie Museen, Zoologischen Gärten und Parkverwaltungen.
Vorwort
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Innerhalb der Fallstudien werden folgende Aspekte der Unternehmen bzw. Einrichtungen detailliert beschrieben: Geschichte des Unternehmens, Unternehmensleitbild, Marketing-Konzept und -Maßnahmen, Angebotsprofil, Nachfrageentwicklung und Zielgruppen, Partner aus anderen Wirtschaftsbereichen, regionale Effekte, Erweiterungsvorhaben, Trendeinschätzungen zur Zukunft von Erlebnisund Konsumwelten aus Sicht des Unternehmens. Als Autorinnen und Autoren konnten kompetente Expertinnen und Experten aus Forschung, Planung, Beratung und Praxis gewonnen werden. Entsprechend der unterschiedlichen thematischen Spezialisierung von Erlebnis- und Konsumwelten verfügen sie Uber vielfältige Arbeitserfahrungen und nehmen unterschiedliche Funktionen wahr. Unter ihnen sind z. B. vertreten: Tourismus- und Freizeitforscher/-innen, Gewerbeplaner, Raumplanerinnen, Freizeit-Unternehmensberater, Projektentwickler, Berater für Umweltkommunikation, Chefredakteurin einer Fachzeitschrift, Direktor eines Freizeitparks, Direktoren von Zoologischen Gärten, Marketing-Leiter eines Fremdenverkehrsverbandes, Marketing-Leiter einer Parkanlage, Museums-Direktor und leitende Museums-Mitarbeiter/in, Geschäftsführerin einer Urbanen Informationseinrichtung. Ohne die engagierte Mitwirkung der Autorinnen und Autoren hätte dieser Sammelband nicht realisiert werden können: Ihnen gilt also mein besonderer Dank für ihre Bereitschaft zur Mitarbeit und für die ungewöhnlich große Disziplin bei der Abgabe der Texte. Außerdem danke ich Irmgard Saxowski, die mit großer Sorgfalt und Geduld das Korrekturlesen der Beiträge übernommen hat. Schließlich bin ich Heinz-Dieter Quack zu herzlichem Dank verpflichtet, der mir während der Arbeit an dem Band ein wichtiger fachlicher Gesprächspartner war. Paderborn.
Albrecht Steinecke
Inhaltsverzeichnis Vorwort Inhaltsverzeichnis
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Erlebnis- und Konsumwelten: Typen - Trends - Perspektiven
Albrecht Steinecke Tourismus und neue Konsumkultur: Orientierungen Schauplätze - Werthaltungen Jochen Franck Erlebnis- und Konsumwelten: Entertainment Center und kombinierte Freizeit-Einkaufs-Center Horst W. Opaschowshi Kathedralen und Ikonen des 21. Jahrhunderts: Zur Faszination von Erlebniswelten Gerd Hennings Erlebnis- und Konsumwelten: Steuerungsfaktoren Akteure - Planung Felizitas Romeiß-Stracke Erlebnis- und Konsumwelten: Herausforderungen ftlr die Innenstädte Petra Voßebürger & Andrea Weber Vom Umgang mit Konflikten bei der Planung von Erlebnis- und Konsumwelten - ein Plädoyer für Kooperation statt Konfrontation Petra Probst Freizeit- und Erlebniswelten: Entwicklung - Trends Perspektiven Martin Lichtl Ecotainment: Die großen Gefühle für ein besseres Umweltverhalten
Inhaltsverzeichnis
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Erlebnis- und Konsumwelten: Erfahrungen - Modelle - Planungen
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Michael Kreft Europa-Park - von der Unternehmervision zum Marktführer
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Robert Jan Dogterom Die thematische Inszenierung eines touristischen Großprojektes: Der Ferienpark ,Heide-Metropole' Soltau
145
Pascal Ledune Wirtschaftliche Auswirkungen eines Ferienparks: ,Gran Dorado Hochsauerland' - Segen oder Fluch für den Standort?
157
Anja Brittner Die , Hundertwasser-Therme Rogner-Bad Blumau' in der Steiermark (Österreich)
172
Heinz-Dieter Quack Die Inszenierung der Innenstadt: Das CentrO in der Neuen Mitte Oberhausen
186
Bianca Meinicke Audi-Unternehmensauftritt am Standort Ingolstadt
200
Ariana Ribbeck Info Box (Potsdamer Platz, Berlin)
211
Ludwig Morasch PlayCastle: Europas erstes Infotainment Center eine entgrenzte Freizeitwelt
224
Jürgen Schmude Erlebniswelt Musical: Bilanz eines Booms unter besonderer Berücksichtigung des geplanten Musicals ,König Ludwig II. - Sehnsucht nach dem Paradies'
238
WolfgangMuseum Meighörner Zeppelin - ein traditionelles Museum auf neuenFriedrichshafen Wegen
251
Inhaltsverzeichnis
7
Andreas Macat Das Aquarius Wassermuseum der RWW
264
Antoon J. J. M. van Hooff Burgers'J.Zoo
279
Klaus-Michael Machens Zoo Hannover - auf Erfolgskurs mit kundenorientierten Konzepten
289
Winfried- Nesensohn Mainau Die Insel der S Jahreszeiten
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Heidrun Liepe Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg
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1 Erlebnis- und Konsumwelten: Typen - Trends - Perspektiven
Tourismus und neue Konsumkultur: Orientierungen - Schauplätze - Werthaltungen Albrecht
Steinecke
.Traumurlaub',,Inselparadiese' und .kostbarste Tage des Jahres': Die abgenutzten Klischees der Reiseprospekte geben deutliche Hinweise auf die eine Seite des Tourismus - die zahllosen individuellen Hoffnungen und Wünsche der Urlauber, die mit einer Reise verbunden werden. Für die andere Seite des Tourismus - die der Anbieter - geht es vordergründig um Kalkulation und Logistik, zentral aber um das Verständnis der Kundenbedürfiiisse und um die Produktion von emotional geladenen Ereignissen und Orten. Beide Seiten treffen sich in dem Punkt, der den Kern und den Motor des Tourismus ausmacht: im Konsum. Das Konsumverhalten der Urlauber und die Angebote der Tourismuswirtschaft unterliegen seit einigen Jahren einem rapiden Wandel: Eine neue, verwöhnte Generation von Konsumenten ist herangewachsen, reiseerfahren von Kindesbeinen an. Sie stellt deshalb höhere Ansprüche an die touristischen Leistungsträger. Die Reisebranche, aber auch Anbieter aus anderen Wirtschaftsbereichen sind dabei, sich auf die komplexen Urlaubswünsche der Nachfrager einzustellen. Neben innovativen Produkten spielen dabei auch neue Schauplätze des touristischen Konsums eine zunehmend wichtige Rolle. Der folgende Beitrag analysiert diese Dynamik des Tourismusmarktes vor allem vor dem Hintergrund von Veränderungen des generellen Konsumverhaltens und der neuen, freizeitorientierten Angebotstypen im Einzelhandel; zentrale Fragestellungen sind dabei: Wie werden die (Kurz-)Urlauber künftig konsumieren? Wo wird der touristische Konsum künftig stattfinden? Wie sieht die touristische Konsumkultur der Zukunft aus?
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Auf dem Weg zum Hyperkonsumenten? Zentrale Merkmale des Reise- und Konsumverhaltens
In den 90er Jahren hat sich das Urlaubsreiseverhalten der Deutschen grundsätzlich verändert; dieser Wandel ist an anderer Stelle ausfllhrlich dargestellt worden (vgl. STEINECKE/BRYSCH/HAART/HERRMANN 1996). Als zentrale Trends lassen sich danach festhalten: das steigende Anspruchsniveau der Urlauber, der Wunsch nach Zusatznutzen,
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der zunehmende Wunsch nach Individualität, die große Flexibilität und Kurzfristigkeit, die wachsende Preissensibilität, die komplexen Motiv- und Aktivitätsbündel, die ständige Diversifizierung der Zielgruppen. Ergänzend zu diesen bekannten Merkmalen des Urlaubsreiseverhaltens soll hier auf drei neuere Entwicklungen im generellen Konsumverhalten aufmerksam gemacht werden, die gegenwärtig vor allem bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu beobachten sind. Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden sie auch die künftigen Konsumgewohnheiten auf Reisen prägen und zur Herausbildung neuer touristischer Standorte führen: das steigende Markenbewußtsein der Konsumenten, die zunehmende Standardisierung des Konsums, die wachsende Nutzung neuer Erlebnis- und Konsumwelten. Anhand ausgewählter empirischer Daten sollen diese drei Trends im Konsumverhalten im weiteren kurz beschrieben werden.
1.1 Steigendes Markenbewußtsein der Konsumenten Die Konsumgüter- bzw. Dienstleistungsmärkte weisen in Deutschland deutliche Sättigungstendenzen auf: Es besteht ein Überangebot an Produkten und Serviceleistungen, zugleich herrscht unter den Anbietern ein extremer Wettbewerb. Dieser Käufermarkt bringt für die Konsumenten zum einen Vorteile in Form eines niedrigen Preisniveaus, zum anderen aber auch Nachteile durch unübersichtliche Angebotsstrukturen. In dieser Situation entsteht der Wunsch nach Markttransparenz und Produktsicherheit. Er ist einer der Gründe für das steigende Markenbewußtsein der Konsumenten. Dieses basiert jedoch nicht nur auf rational-ökonomischen Überlegungen, sondern vor allem auch auf irrationalen Wünschen und Hoffnungen (vgl. EßELING 1994, S. 47); dazu zählen: Vergangenheitsbezug (z. B. Erinnerung durch Marken), Gestaltung zukünftiger Lebensmöglichkeiten (z. B. Marken als Bündnispartner in künftigen Lebenssituationen), Gruppenbildung (z. B. gemeinsam empfundene Affinitäten gegenüber Marken), Identitätsbezug (z. B. Marken als Elemente der Lebensstil-Gestaltung), praktische Überlegungen (z. B. Zeitersparnis durch bessere Orientierung).
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Speziell die irrationalen Aspekte des Markenbewußtseins - Gruppenbildung und Identitätsbezug - spielen bei Kindern und Jugendlichen eine herausragende Rolle. Diese Zielgruppe ist aber für die Konsumgüterbranche aus mehreren Gründen von besonderem Interesse: Zum einen treten sie als eigenständige Konsumenten auf, zum anderen haben sie Einfluß auf die Markenwahl ihrer Familie und schließlich erweisen sich ihre Markenpräferenzen im frühen Alter als wegweisend für ihr späteres Konsumverhalten (vgl. EßELING 1994, S. 107). Das Markenbewußtsein und die Markendurchsetzungswerte von Kindern und Jugendlichen variieren in Abhängigkeit von den Produktbereichen und Produktgruppen: Im Food-Bereich üben 21,9% der 7-15-jährigen Produktverwender effektiven Einfluß auf die Markenwahl aus. Im Non-Food-Bereich (z. B. Spielzeug, Elektronik, Uhr/Foto/Füller, Kleidung) liegt dieser Wert sogar bei 32,2% (vgl. EßELING 1994, S. 151-152).
Am Beispiel des Kaufs von Sportschuhen soll hier exemplarisch dargestellt werden, daß in einigen Produktgruppen das Markenbewußtsein von Jugendlichen und jungen Erwachsenen deutlich ausgeprägter ist als das älterer Menschen (vgl. Abb. 1).
Während im Durchschnitt 41,6% der Befragten in der VerbraucherAnalyse 99/1 der Axel Springer AG angaben, daß sie beim Kauf von Sportschuhen eher auf die Qualität und die Marke achten, lag dieser Wert bei den Jugendlichen im Alter von 14-19 Jahren bei 63,0%. Mit zunehmendem Alter sinkt die Qualitäts- und Markenorientierung, gleichzeitig steigt die Preisorientierung: Bei den 50-59-Jährigen achten z. B. nur noch 37,3% auf Qualität und Marke, während für 38,8% die Kaufentscheidung wesentlich vom Preis beeinflußt wird. EßELING (1994, S. 157) weist daraufhin, daß Kinder und Jugendliche zwar zum einen immer markenbewußter werden, zum anderen aber auch immer distanzierter und respektloser mit Marken umgehen. Es ist deshalb also zu erwarten, daß sie mit zunehmendem Alter - nicht unbedingt einer Marke treu bleiben, aber ihre grundsätzliche Orientierung auf Marken in das Erwachsenenalter mitnehmen. Da sich das Markenbewußtsein also bereits bei Heranwachsenden zu einer Basisstruktur des Konsumverhaltens entwickelt, sind diese Ergebnisse auch für die Tourismusbranche von Bedeutung: Sie befindet sich - wie die Konsumgüterindustrie - ebenfalls in der Situation des Käufermarktes mit einem Überangebot an Pauschalreisen und Destinationen. Entsprechend groß ist das Bedürfnis der Kunden nach klarer Orientierung und Markttransparenz. Außerdem bieten Urlaubsreisen - aufgrund ihres ,Traumcharakters' - speziell auch Bezugspunkte für die emotionalen Dimensionen des Markenbewußtseins (Gruppenbildung, Identitätsbezug, Vergangenheitsbezug).
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Abb. 1: Bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen spielen die irrationalen Aspekte des Markenbewußtseins - Gruppenbildung und Identitätsbezug - eine zentrale Rolle. Ihr Markenbewußtsein ist deutlich stärker ausgeprägt als das älterer Menschen (Quelle: VerbraucherAnalyse 99/1 der Axel Springer AG; eigene Berechnungen).
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Touristische Großunternehmen wie die Touristik Union International (TUI) verfolgen seit einiger Zeit die Strategie der Markenbildung, um die eigenen Angebote in dem gesättigten Reisemarkt klar zu profilieren: So werden z. B. die unternehmenseigenen Hotelmarken RIU, Grecotel, Iberotel, Dorfhotel, Robinson in Werbung und Vertrieb besonders herausgestellt (vgl. TUI 1998). Auch in der Gastronomie lassen sich vergleichbare Strategien der Profilierung durch Markenbildung beobachten: Der Erfolg von unterschiedlichen Formen der Systemgastronomie - von Schnellgaststätten Uber Steakhäuser und Pizzaketten bis hin zu Themenrestaurants - gibt deutliche Hinweise auf diese Entwicklung.
1.2 Zunehmende Standardisierung des Konsums In engem Zusammenhang mit dem Markenbewußtsein der Konsumenten steht ein weiterer Trend, der auch das Reiseverhalten künftig bestimmen wird: die zunehmende Standardisierung des Konsums. Für die Anbieterseite ist bereits an anderer Stelle auf die rasante Zunahme von systemgastronomischen Betrieben und Hotelketten verwiesen worden (vgl. STEINECKE/BRYSCH/HAART/HERRMANN 1996, S. 96-97). Diese Entwicklung korreliert mit einem entsprechenden Nachfrageverhalten, das hier am Beispiel des Besuchs von Schnellrestaurants (wie McDonald's, Burger King u. a.) erläutert werden soll. Die Daten der Verbraucheranalyse 99/1 der Axel Springer AG belegen eine klare altersabhängige Nutzung von Schnellrestaurants (vgl. Abb. 2). Während die Häufigkeit des Besuchs dieser Restaurants mit zunehmendem Alter rückläufig ist, kann speziell die Gruppe der 14-19-Jährigen als ,Heavy Users' betrachtet werden: Im Durchschnitt gehen nur 1,3% der Deutschen mehrmals pro Woche in ein Schnellrestaurant zum Essen, fllr Jugendliche beläuft sich dieser Wert auf 6,2%. Nahezu jeder dritte Jugendliche (29,3%) gehört zwei bis drei Mal im Monat zu den Gästen von Schnellrestaurants, während sie im Durchschnitt nur von jedem zehnten Deutschen so häufig besucht werden. Mit zunehmendem Alter steigt der Anteil von Befragten, die seltener oder nie zum Essen in ein Schnellrestaurant gehen: Im Durchschnitt suchen 44,3% der Deutschen nie ein Schnellrestaurant auf, bei den Befragten im Alter von 70 Jahren und älter beträgt dieser Wert 89,0%. Wie beim Markenbewußtsein ist davon auszugehen, daß Kinder und Jugendliche die Orientierung auf standardisierte Konsumeinrichtungen als Grundstruktur ihres Konsumverhaltens auch im Erwachsenenalter beibehalten werden. Selbst wenn sie dann nicht mehr zu den treuen McDonald's-Kunden zählen, werden sie andere Betriebe der Systemgastronomie aufsuchen, die ihren altersspezifischen Bedürfnissen entsprechen (z. B. Pizza Hut, Tasceria Maredo, Mövenpick u. a.).
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Abb. 2: Jugendliche und junge Erwachsene zeigen in ihrem Konsumverhalten eine ausgeprägte Standardisierung. Es ist davon auszugehen, daß sie diese Orientierung als Grundstruktur auch mit zunehmendem Alter beibehalten werden (Quelle: Verbraucher Analyse 99/1 der Axel Springer AG; eigene Berechnungen).
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Der Besuch von Schnellrestaurants steht hier also exemplarisch für viele Formen eines standardisierten Konsums. Er hat z. B. im Einzelhandelsbereich bereits zu einem Boom der Filialisten geführt, die zunehmend die Geschäftsstruktur der Innenstädte prägen (ParfÜmerie Douglas, Schlecker, Tchibo, Nordsee, New Yorker, Schlemmermeyer u. a.). Im Tourismus ist dieser Trend seit einigen Jahren bei Kooperationen, Ketten und Franchiseunternehmen im Reisemittlermarkt zu beobachten: Im Zeitraum 19951997 konnten sie ihren Marktanteil von 47,8% auf 63,5% steigern, während die ungebundenen Büros (also nicht-standardisierte Unternehmen) einen Rückgang von 52,2% auf 36,5% verzeichneten. Im Jahr 1997 gingen die Durchschnittsumsätze gegenüber dem Vorjahr in den ungebundenen Reisebüros (je Vertriebsstelle) um 13,5% zurück, während die anderen Vertriebsformen Wachstumsraten zwischen 6 , 0 % und 1 8 , 5 % aufwiesen (vgl. KREILKAMP/REGELE 1 9 9 8 ) . Trotz ihres gegenwärtigen Erfolges werden sich die standardisierten Vertriebsformen in Gastronomie, Einzelhandel und Tourismus aber künftig auch verstärkt mit einer weiteren Konsumorientierung der Nachfrager auseinandersetzen müssen: dem Erlebnishunger.
1.3 Wachsende Nutzung künstlicher Erlebnis- und Konsumwelten Ob Erlebnis-Einkauf oder Urlaubs-Erlebnis, Erlebnis-Kaufhaus oder ErlebnisArkade - der Erlebnis-Begriff hat sich in den 90er Jahren zu einem ubiquitären Schlagwort der Konsumgüter- und Dienstleistungsbranche entwickelt. Dahinter steht der Wunsch der Konsumenten nach Abwechslung, Entertainment, Thrill, Vergnügen, Fun etc. Über den Kernnutzen des Produktes oder der Dienstleistung hinaus erwarten sie einen Zusatznutzen: materieller Art (Gimmicks, Voucher,, Specials' etc.) und/oder emotionaler Art (Staunen, Status, Nähe zu Stars etc.). Dieser Erlebnishunger der Konsumenten hat zu einer regelrechten Mehr-Kultur geführt, die in den Werbeversprechen zahlreicher Unternehmen klar zum Ausdruck kommt: BMW wirbt für seine neue Dreier-Serie mit dem Slogan ,BMW - mehr als ein Auto', beim Vielfliegerprogramm der Lufthansa gibt es für treue Kunden .Miles & More', Österreichs Werbeauftritt besteht in diesem Jahr aus .Alles Walzer und mehr' die Hotelkette Maritim verspricht, ,mehr als ein Hotel' zu bieten, und selbst aus dem Maggi-Kartoffelpulver soll man ,Rösti und mehr' machen können.
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Mehr-Kultur und Erlebnissucht haben im Einzelhandel sowie in der Freizeit- und Tourismusbranche zu neuen, komplexen Angebotsformen geführt, die in den 90er Jahren einen regelrechten Boom verzeichnen konnten: Urban Entertainment Center, Freizeit- und Erlebnisparks, Erlebnisbadelandschaften, Multiplex-Kinozentren, Musical-Theater etc. „Mehr Begeisterung als Kritik" - zu dieser Einschätzung kommt eine aktuelle Studie des BAT-Freizeit-Forschungsinstituts zum Urteil der Bevölkerung über die künstlichen Freizeit- und Erlebniswelten (vgl. OPASCHOWSKI 1998, S. 32; außerdem Beiträge OPASCHOWSKI und QUACK in diesem Band): 47% der Befragten assoziieren ein Vergnügen mit Familie und Freunden, 34% halten diese Einrichtungen für Attraktionen und Sehenswürdigkeiten, 29% loben die anregende Atmosphäre, 25% finden hier Ablenkung vom Alltag und 19% sind von der perfekten Illusion begeistert. In deutlich geringerem Maß wird hingegen Kritik an diesen Einrichtungen geäußert (Geschäftemacherei, anspruchsloses Unterhaltungsangebot, phantasielose Freizeitgestaltung, Kitschinszenierung, sterile Künstlichkeit). Hohe Besucheranteile und überwiegend positive Bewertungen sind Belege dafür, daß die künstlichen Freizeit- und Erlebniswelten offensichtlich in der Lage sind, das Bedürfiiis der Konsumenten nach einer Kombination aus Unterhaltung, Spaß, Vergnügen, Einkauf, Kultur etc. zu befriedigen. Zwischen 19% und 41% der Befragten haben in den letzten Jahren diese Einrichtungen besucht, die Durchschnittsnoten für die Kunstwelten reichen von 1,5 bis 2,2 (jeweils bei Open-AirEvents bzw. bei Erlebniseinkaufscentern).
Erlebniseinkaufscenter Freizeit-/Erlebnispark Erlebnisbadelandschaft Großkino (Multiplex) Musical Open-Air-Event
Besucheranteil (in %) 41 37 34 26 21 19
Durchschnittsnote 2,2 1,9 1,8 1,7 1,6 1,5
Tab. 1: Resonanz und Bewertung künstlicher Freizeit- und Erlebniswelten (n = 3.000; Besucheranteil = von je 100 Befragten haben "in den letzten Jahren besucht"; Durchschnittsnote = Note 1 "bin/war begeistert" bis 5 "bin/war enttäuscht") (Quelle: OPASCHOWSKI 1998, S. 34)
Die künstlichen Freizeit- und Erlebniswelten werden zu den neuen Bühnen des Konsums - weit über die 90er Jahre des 20. Jahrhunderts hinaus.-Wie in einem Brennglas manifestieren sich hier die Konsumwtlnsche der Nachfrager (und vielleicht sogar deren Lebensträume): die Sucht nach Erlebnissen, der Wunsch nach
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Wahlfreiheit, die Hoffnung auf Geselligkeit, das Interesse am Zusatznutzen, das Bedürfiiis nach Markttransparenz - die Suche nach dem Besonderen.
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Die neuen Bühnen des touristischen Konsums: Mixed-Use-Center
Die neuen Orte des touristischen Konsums sind komplexe, multifunktionale Einrichtungen mit vielfältigen und unterschiedlichen Angeboten, aus denen sich die Konsumenten ihre individuelle Mischung (nach aktuellem Bedürfiiis) jeweils selbst zusammenstellen können. Zunächst sollen hier kurz das Angebotsspektrum und die Typen von Einrichtungen erläutert werden. Im weiteren werden die Erfolgsfaktoren der Mixed-Use-Center dargestellt.
2.1 Angebotsspektrum und Typen von Einrichtungen Die Mixed-Use-Center sind nicht mehr eindeutig einem Handels- oder Dienstleistungsbereich zuzuordnen; ihr Angebotsspektrum kann zahlreiche Dimensionen aufweisen (vgl. auch Beitrag FRANCK in diesem Band): Einkaufsmöglichkeiten, Abendunterhaltung, Sportangebote, Serviceleistungen, Freizeit- und Kulturveranstaltungen, Übernachtungskapazitäten und anderes. Zumeist liegt der Schwerpunkt und damit das Profil der Einrichtung auf einem dieser Angebotsbereiche (als ,Anker1), der um zusätzliche - häufig branchenfremde - Leistungen ergänzt wird: Urban Entertainment Center: Shopping Center + Gastronomiebetriebe + Kunstausstellung + Arena + Freizeitpark + Multiplex-Kino (vgl. Beitrag QUACK in diesem Band), Freizeitpark: Freizeiteinrichtungen + Gastronomiebetriebe + Events + Themenhotel (vgl. Beiträge KREFT und DOGTEROM in diesem Band), Ferienpark: Beherbergung + Gastronomie + Freizeiteinrichtungen + Ladengalerie + Events (vgl. Beitrag LEDUNE in diesem Band),
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Albrecht Steinecke Brand Land: Firmenmuseum + Einzelhandelsgeschäft + Kunstgalerie + Events + Besucherinformation (vgl. Beitrag Beitrag MEINICKE in diesem Band), ThemenhotelZ-restaurant: Beherbergung + Gastronomie + spezielle Architektur + Therme + Shop (vgl. Beitrag BRITTNER in diesem Band), Musical-Center: Theater + Hotel + Restaurants + Shop (vgl. Beitrag SCHMUDE in diesem Band), Infotainment Center: Multi-Media-Information + Events + Veranstaltungsräume + Shop (vgl. Beiträge MORASCH und RIBBECK in diesem Band).
Die konsumorientierten Mixed-Use-Center setzen hinsichtlich Multioptionalität und Erlebnisorientierung zunehmend auch die Standards für öffentliche (und private) Einrichtungen im Bereich von Kultur und Freizeit; dazu zählen u. a.: Museen: Dauerausstellungen + Sonderausstellungen + Events + Gastronomie + Shop (vgl. Beiträge MACAT und MEIGHÖRNER in diesem Band),
Zoologische Gärten: thematisch gestaltete Tiergehege + Freizeiteinrichtungen + Gastronomie + Shop + Events (vgl. Beiträge HOOFF und MACHENS in diesem Band), Parks und Gartenanlagen: Standardangebot + Freizeiteinrichtungen + Gastronomie + Shops + Events + Marketing-Konzept (vgl. Beiträge NESENSOHN und LIEPE in diesem Band). Neben dem Grundprinzip der Multifunktionalität weisen diese unterschiedlichen Typen von Mixed-Use-Centem zwei weitere Merkmale auf, die sich teilweise überlagern und auch ergänzen: zum einen der ausgeprägte Freizeit- und Erlebnischarakter der Angebote (speziell bei Freizeitparks, Themenhotels/-restaurants, Brand Lands, Urban Entertainment Center etc.), zum anderen die Convenience - also die bequeme Möglichkeit, unterschiedliche Freizeit- und Versorgungsinteressen an einem Ort befriedigen zu können. Dieses Angebotsmerkmal gilt generell für alle Mixed-Use-Center. Bei Einrichtungen wie Tankstellen, Bahnhöfen, Kombi-Shops, Single-Shops, Shop-
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ping Centern steht die Convenience im Mittelpunkt der Produkt- und Vertriebspolitik. Diese Einrichtungen werden aufgrund ihrer (gegenwärtig noch) geringen Erlebnisorientierung im Rahmen dieses Bandes nicht behandelt. Das Beispiel der Agip-TanksteUen zeigt jedoch, daß selbst eine Basisversorgung wie das Tanken thematisch und erlebnisorientiert gestaltet werden kann: Sie führen in ihren Shops ein Sortiment original italienischer Produkte; außerdem verteilen sie Informationsmaterial über italienische Urlaubsdestinationen. Neue Bühnen des touristischen Konsums
Konsumenten
Kombinations-Konsum/ Mixed-Use-Centers
anspruchsvoll preissensibel markenorientiert erlebnisorientiert Zusatznutzen
Abb. 3: Mixed-Use-Center haben sich in den 90er Jahren zu neuen Bühnen des touristischen Konsums entwickelt. Neben der Multifunkiionalität sind der Erlebnischarakter und die Convenience zentrale Merkmale dieser Einrichtungen. Ihre Entstehung und ihr Erfolg stehen in engem Zusammenhang mit den gestiegenen Ansprüchen der Konsumenten (Quelle: eigene Darstellung).
Große Besucherzahlen sowie hohe Zufriedenheitswerte und Wiederholerquoten sind deutliche Belege dafür, daß es sich bei den Mixed-Use-Centern um marktgerechte Orte des Konsums handelt.
2.2 Erfolgsfaktoren der neuen Orte des Konsums Der Erfolg dieser Einrichtungen, die sich alle an der Schnittstelle von Freizeit, Tourismus und Versorgung positionieren, basiert also auf zahlreichen Faktoren, die hier noch einmal zusammenfassend dargestellt werden sollen (vgl. Abb. 4):
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Marken: In gesättigten Konsumgüter- und Freizeitmärkten gelingt es den Mixed-UseCentern, den Kunden ein klares und attraktives Profil zu signalisieren. Sie entwickeln sich damit zu Marken, die den Konsumenten zum einen Orientierung und Markttransparenz bieten, zum anderen aber auch eine starke emotionale Bindung an die Einrichtungen schaffen.
Illusionen: Nachdem die Phase des ausschließlichen Versorgungskonsums für breite Teile der Bevölkerung abgeschlossen ist, suchen die Kunden - in Verbindung mit der Einkaufssituation - nach neuen Erlebnissen und Erfahrungen. Dabei wollen sie sich für kurze Zeit in Traumwelten bewegen, die ihren Lebensalltag überhöhen.
Normung: Die Vielzahl der Konsum- und Dienstleistungsangebote wirkt beunruhigend und verwirrend auf die Verbraucher: Einerseits wollen sie nichts Wesentliches verpassen, andererseits suchen sie planbare Konsumsituationen mit klaren Standards. Vor diesem Hintergrund erklärt sich der große Erfolg der zahlreichen ,Rankings' und Gütesiegel.
Dramaturgie: In den neuen Konsumsituationen wird das Besondere und das Einmalige gesucht (,Once-in-a-Lifetime-Events'). Diese Gegenwelten zum Alltag müssen von den Anbietern mit theatralischen Mitteln inszeniert werden: mit Kulissen, mit Spezialeffekten und schließlich mit ,Cast Members' - also Mitarbeitern, die ihre jeweilige Rolle spielen.
Stories/Themen: Die neuen Traumwelten des Konsums bestehen aber nicht nur aus Kulissen, sondern sie erzählen mit dramaturgischen Mitteln auch Geschichten: von der Macht der Musik (,Hard Rock Café'), vom Glanz Hollywoods (.Planet Hollywood'), von der Schönheit des Regenwaldes (,Rainforest Café'), vom aufregenden Unterwasser-Leben (,Dive!').
Cocktails: Ein zentraler Bestandteil der ,Mehr-Kultur' am Ende des 20. Jahrhunderts ist der Wunsch, an einem Ort aus zahlreichen Optionen nach eigenem Geschmack auswählen zu können (Multioptionalität). Synonyme für diese Konsumhaltung sind die Buffetts in Hotels und Restaurants sowie die TVFernbedienungen.
Allianzen: Nachdem sich die klassischen Instrumente der Werbung zunehmend als ineffektiv erweisen, suchen die Konsumgüterindustrie, aber auch die Tourismus-
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branche nach neuen Formen der Kommunikation mit den Kunden. Dabei stellen Mixed-Use-Center - als Standorte mit hoher Besucherfrequenz - ideale Partner für strategische Allianzen dar. Erfolgsfaktoren der neuen Orte des Konsums
Marken
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Dramaturgie
Allianzen
Serien/Filialen
Normung
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jj
c*^1*
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Prominente/Stars 1
Emotionen
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Illusionen
Stories/Themen
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Mindscapes
I
Abb. 4: Der Erfolg der Mixed-Use-Center basiert auf dem Zusammenwirken zahlreicher Faktoren - vom Markencharakter der Einrichtungen über die Dramaturgie und die Stories/Themen bis hin zur Standardisierung in Form von Filialen. Durch die Integration dieser Bausteine werden für die Kunden neuartige Mindscapes geschaffen: Traumwelten, Projektionsräume, Bühnen, Treffpunkte und Schauplätze (Quelle: eigene Darstellung). Prominente: Wichtige Motoren der Mediengesellschaft sind die Stars - und der Wunsch der Masse, den Stars einmal nahe zu sein. Speziell die Themenrestaurants mit ihren Videoclips und Memorabilia-Sammlungen basieren auf diesem Prinzip (im .Planet Hollywood' ist man z. B. zu Gast bei Arnold Schwarzenegger, Sylvester Stallone, Demi Moore u. a.). Emotionen: Die Inszenierung von Themen und Stories in den Mixed-Use-Centern haben das zentrale Ziel, bei den Kunden positive Gefühle zu erzeugen. Solche Konsumsituationen stellen zum einen das geeignete Umfeld für HochpreisProdukte dar, zum anderen bieten sie die Möglichkeit, die Nachfrager intensiv an die Einrichtung zu binden. Serien/Filialen: Bei vielen neuen Freizeit-/Konsumangeboten (Musicals, Themenrestaurants, Mega-Shows) läßt sich ein Trend zur Filialisierung beobachten. Die Minimie-
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Albrecht Steinecke rung der unternehmerischen Entwicklungskosten und der Wunsch der Kunden nach Produktsicherheit sind die zentralen Steuerfaktoren dieser Entwicklung.
Der Erfolg der Mixed-Use-Center basiert also auf dem Zusammenwirken zahlreicher Faktoren - vom Markencharakter der Einrichtungen über die Dramaturgie und die Stories/Themen bis hin zur Standardisierung in Form von Filialen. Durch die Integration dieser Bausteine entstehen aus Sicht der Kunden mit diesen Einrichtungen zugleich auch Mindscapes, also Traum- und Gegenwelten zum Alltag, in die man temporär abtauchen kann, Räume, in die man Konsum- (und vielleicht Lebensbäume projizieren kann, Bühnen, auf denen man sich in selbst gewählten Rollen präsentieren kann, Treffpunkte, die man nutzen kann, um andere Menschen zu treffen, Schauplätze, auf denen man etwas Ungewöhnliches erleben kann. Aufgrund ihres Charakters als Mindscapes übernehmen die Mixed-Use-Center über die einfachen Versorgungs- und Freizeitfunktionen hinaus - gesellschaftliche Funktionen, die sich früher in den Innenstädten (speziell auf den Boulevards) entfalteten. Mit der neuen Art von künstlicher Urbanität, die in diesen Einrichtungen inszeniert wird, entwickeln sie sich zu zentralen Bestandteilen einer Konsumkultur der Zukunft, deren Dimensionen sich bereits heute abzeichnen.
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Ausblick auf die Konsumkultur der Zukunft
Die Konsumkultur der Zukunft entfaltet sich in einem Spannungsfeld, das - vereinfachend dargestellt - durch zwei gegensätzliche Entwicklungen charakterisiert wird, nämlich die Standardisierung von Angebot und Nachfrage als dominierenden MainStream-Trend, die Moralisierung und Entschleunigung des Konsums sowie den Konsumboykott als Gegentrends. Der Prozeß der Standardisierung, der im Mittelpunkt dieses Beitrages stand, läuft nach Einschätzung des amerikanischen Soziologen RITZER (1997) auf internationaler Ebene und in immer mehr Bereichen der Gesellschaft ab. Zu den Grundprinzipien dieser zunehmenden Rationalität (nach Max WEBER) zählen Effizienz, Berechenbarkeit, Vorhersagbarkeit und Kontrolle. Da diese Elemente bei den Fast-Food-Restaurants konsequent realisiert werden, spricht Ritzer von der „McDonaldisierung der Gesellschaft". Gemeint ist damit eine umfassende Rationalisierung zahlreicher wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Angebote: Ernährung und Diät, Ladenpassagen, Sportstätten, Katalog- und
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TV-Shopping, Medizin, Zeitungen - und auch Urlaubsreisen (zur ausführlichen Darstellung vgl. STEINECKE/MAIER 1998). Der gesellschaftliche Wandel, der mit der Standardisierung als Main-Stream-Trend verbunden ist, erzeugt jedoch zugleich (bislang allerdings nur schwach ausgeprägte) Gegentrends der Moralisierung und Entschleunigung des Konsums sowie des Konsumboykotts. Einzelne Belege für diese Entwicklungen finden sich z. B. in der Diskussion über die unmenschlichen Arbeitsbedingungen, unter denen das Unternehmen Nike seine Sportschuhe in Südostasien produzieren läßt ( v g l . HONIGSTEIN 1 9 9 8 ) ,
in Kosmetikprodukten, die unter Verzicht auf Tierversuche hergestellt werden (,The Body Shop'), in der Publikation von ,Unternehmenstestern' - Ratgebern, die über die Herstellungsbedingungen der Produkte informieren (Angaben zu Ausbildungsplätzen, Behindertenquote, Situation der Frauen, Umweltschutzmaßnahmen, Verzicht auf Gentechnologie - vgl. OTT 1997), in der wachsenden Popularität von Kurzurlauben in Klöstern (vgl. HOF 1999),
WELLERS-
in touristischen Angeboten, bei denen die Langsamkeit im Mittelpunkt steht (z. B. Postkutschenfahrten der Initiative ,Reisen in die Vergangenheit' in Lüneburg), in dem aktuellen Werbeslogan der Schweiz ,Erholen Sie sich mal vom Tourismus', in den Boykott-Maßnahmen gegen die Firma Shell bei der geplanten Versenkung der Ölplattform ,Brent Spar', in Initiativen gegen die akustische Dauerberieselung in Restaurants (,Pipedown' - vgl. INITIATIVE 1 9 9 8 ) . Es bleibt jedoch fraglich, ob sich derartige moralische und entschleunigte Nachfrage- und Angebotsformen auf Dauer den Grundprinzipien des Marktes entziehen können und sich damit eine "Kreativität der Langsamkeit" (vgl. REHEIS 1998) durchsetzen wird. Wahrscheinlicher ist es, daß die neue Konsumkultur durch den „eisernen Käfig des Rationalen" (RITZER 1997, S. 8) geprägt sein wird, dessen Konstruktionsprinzipien inzwischen deutlich zu erkennen sind.
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Albrecht Steinecke
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Der Autor Albrecht Steinecke Dr., Univ.-Prof.; Studium der Geographie, Soziologie und Literaturwissenschaft an der Universität Kiel und am Trinity College Dublin; wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU Berlin und an der Universität Bielefeld; 1992-1997 Geschäftsführer des Europäischen Tourismus Instituts GmbH an der Universität Trier; seit WS 1997/98 ordentlicher Professor für Wirtschafts- und Fremdenverkehrsgeographie an der Universität Paderborn; zahlreiche wissenschaftliche Publikationen im Bereich der Freizeit- und Tourismusforschung (Trends, Zielgruppen, Kulturtourismus, Destinationsmanagement, Regionalentwicklung).
Erlebnis- und Konsumwelten: Entertainment Center und kombinierte Freizeit-Einkaufs-Center Jochen Franck
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Einleitung
Seit einigen Jahren wird das Thema Urban Entertainment Center auch in Deutschland intensiv diskutiert und zwischenzeitlich konnten die ersten Erfahrungen mit diesem neuen Immobilienprodukt in Deutschland gesammelt werden. Die einzelnen Projekte arbeiten mit unterschiedlichem Erfolg, und der Lernprozeß für die weitere Optimierung von Entertainment Centern sowie kombinierten Freizeit-Einkaufs- und Erlebnis-Centern wird sich weiter fortsetzen. Jedoch ist der Begriff Urban Entertainment Center für viele der umgesetzten und geplanten Projekte hinsichtlich seiner Standortaussage irreführend, da es sich vielfach um periphere Standorte außerhalb der Innenstadt handelt. Es zeigt sich, daß nur wenige Projekte einem Urban Entertainment Center i. e. S. entsprechen. Die sog. Urban Entertainment Center reichen vom Mega Shopping Center mit Multiplex-Kino, Food Court und Spiel-Center bis hin zum Freizeit-Center mit angeschlossenem Fachmarkt-Center. Im Folgenden sprechen wir daher generell von Freizeit-Einkaufs- und ErlebnisCentern bzw. allgemein von Entertainment Centern. Die derzeit am Markt zu beobachtenden Beispiele können wie folgt typisiert werden (von Mega bis Mini).
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2.1
Typisierung von Entertainment Centern und kombinierten Freizeit-Einkaufs- und Erlebnis-Centern Kombinierte Freizeit-Einkaufs-Erlebnis-Center Große Shopping Center mit starker Freizeitkomponente, wie CentrO/Oberhausen (Verkaufsfläche über 50.000 qm; Freizeitflächen über 30.000 qm) (vgl. Beitrag QUACK in diesem Band - Anm. d. Hrsg.). Große Shopping Center mit mittlerer Freizeitkomponente, wie Rhein-RuhrCenter/Mülheim oder Forum Shops/Las Vegas (Verkaufsfläche über 50.000 qm; Freizeitfläche über 15.000 qm - vgl. Abb. 1).
Entertainment Center und kombinierte Freizeit-Einkaufs-Center
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Abb. ].: Die Forum Shops in Las Vegas gehören mit einer Verkaufsfläche von knapp 50.000 qm und vielfaltigen Freizeitangeboten (wie Imax-3-D-Simulationskino, Erlebnisbrunnen, Turbo-Rides) zu den großen Shopping Centern mit mittlerer Freizeitkomponente. Durch spezielle Lichteffekte und Projektionen werden die Tageszeiten in dem Shopping Center ständig simuliert (Photo: Archiv WENZEL & PARTNER, Hamburg).
Große Shopping Center mit ergänzendem Freizeitangebot, zumeist MultiplexKinos, wie Saale-Park (Verkaufsfläche über 50.000 bzw. 100.000 qm; Freizeitfläche unter 15.000 qm) oder Trafford Centre/Manchester, Meadowhall/Sheffield, Bluewater bei London. Mittlere Shopping Center mit ergänzendem Freizeitangebot, wie das Vita Center/Chemnitz (Nachbarschaftscenter) (Verkaufsfläche unter 50.000 qm, Freizeitfläche unter 15.000 qm). Große Fachmarktzentren mit mittlerem oder ergänzendem Freizeitangebot, wie der Weser-Park Bremen. Großflächige Entertainment Center in Verbindung mit Festival Retailing zumeist in attraktiven Freizeit- und Tourismusdestinationen, wie Pier 39 in San Francisco, Baltimore Harbour Place, Hafenareal Kapstadt, Hafen Barcelona (Mare Magna), Hafen City Projekt Hamburg. Großflächige Entertainment Center mit ergänzendem, aber nur geringfügig ausgeprägtem Einzelhandel, wie Universal City Walk, Pleasure Island/Orlando, Trocadero/London, Star City bei Birmingham, Projekte von HERON International
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Jochen Franck
in Barcelona oder Stockholm, Projekte von THI z. B. in Herne, Bad Oeynhausen oder Sheffield. Zum Teil wird weitestgehend auf Einzelhandel verzichtet, wie etwa in der Leisure World von Rank in Hemel Hempstedt. Die Standorte befinden sich dann aber in Frequenzlagen: touristische Destinationen, wie Los Angeles, London oder Orlando, starkes Einzelhandelsangebot im direkten Umfeld, so daß an die vorhandenen Frequenzen angeknüpft werden kann, hohes Arbeitsplatzpotential und hohe Verkehrsfrequenzen der anliegenden Straßen, wie Irvine Spectrum in Irvine (USA) (bei diesem Beispiel erfolgt allerdings auch die Erweiterung um einen großen Shopping-Bereich; rd. 50.000 qm) Mega- oder Multiplex-Kinos mit ergänzenden Entertainment-, Gastronomie- und Einkaufsangeboten, wie Movie Dick/Esslingen, CAP/Kiel oder Othmarschen Park/Hamburg. Der Einzelhandel ist dabei gering ausgeprägt oder auch nicht vorhanden. Im Othmarschen Park beschränkt sich das Einzelhandelsangebot auf einen 5.000 qm großen Unterhaltungselektronikfachmarkt von H.O.T. House of Technic, im CAP/Kiel ist kein Einzelhandel integriert. Mega Mails mit ergänzenden Freizeiteinrichtungen, wie die , West-EdmontonMall'/Edmonton, die ,Mall of America' in Minneapolis oder ,Lotte World' in Seoul (Verkaufsfläche über 100.000 qm; Freizeitflächen über 30.000 qm). Factory Outlet Center und Shopping Center in Kombination mit Entertainmentangeboten (wie das in Bau befindliche FOC und Einkaufs-Center am Disneyland Paris).
2.2
Spezielle kombinierte Freizeit-Einkaufs-Erlebnis-Center Großflächige Center der Unternehmenskommunikation mit starker Entertainment-Komponente, wie das Metreon/San Francisco oder das Sony Center/Berlin. Resorts mit starker Entertainment-Komponente, wie die großen Casinoprojekte .Atlantis'/Bahamas, ,Lost City'/Südafrika, Foxwoods oder Las Vegas (,ResortBased Entertainment Center'). Entertainment Center als Mantelnutzung in Verbindung mit Veranstaltungszentren oder Arenen, wie z. B. in Bolton bei Manchester oder die Stadionprojekte in San Francisco, in Enschede (NL) und am Hamburger Volksparkstadion. Entertainment Center in Verbindung mit Bahnhofsprojekten, wie Stuttgart 21, Lehrter Bahnhof Berlin oder das Multi-Themencenter am Dortmunder Hauptbahnhof, sowie mit Flughäfen, wie etwa in Frankfurt am Main.
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Abb. 2: Das Trqfford Centre in Manchester repräsentiert mit einer Verkaufsfläche von mehr als 50.000 qm und einer Freizeitfläche unter 15.000 qm den Typ der großen Shopping Center mit ergänzendem Freizeitangebot (Photo: ¡an Lawson Photography).
Dieser Überblick faßt die aktuellen Entwicklungen der Entertainment Center zusammen. Die einzelnen Projekte weisen erhebliche Unterschiede hinsichtlich Konzeption und Standortwahl auf. Die überwiegende Zahl von Projekten wird in Kombination mit Einzelhandelsangeboten entwickelt, wobei vielfach die Standortnähe gesucht wird, es sich aber um separate Gebäude und Zugänge handelt. Der .Centergedanke' ist daher nicht durchgängig umgesetzt, vielmehr wird eine Agglomeration aus Freizeitangeboten, Gastronomie und Einzelhandel gebildet. Die Nähe zu großflächigen Einzelhandelsangeboten hat den Vorteil der Gewährleistung von Tagesfrequenzen und damit der Auslastung der Gastronomieangebote auch im ,Mittagsgeschäft' sowie die Mehrfachnutzung von Infrastruktureinrichtungen im Tagesverlauf.
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Urban Entertainment Center sind Bestandteil des stationären Freizeitanlagenmarktes, der sich zur Zeit sehr dynamisch entwickelt. Nachfolgend sollen daher die wesentlichen Trends dieses Marktes, der den Rahmen für die Entwicklung innovativer Entertainment Center bildet, zusammengefaßt werden.
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Die Trends im Freizeitanlagenmarkt
Der Freizeitimmobilienmarkt verkörpert einen der wenigen Immobilienmärkte mit expansiver Entwicklung. Während die klassischen gewerblichen Immobilienmärkte, wie Büro und Einzelhandel, stagnieren oder gar zurückgehende Markttendenzen aufweisen, wird zunehmend in unterschiedliche Freizeitanlagenmärkte investiert. Einige Märkte verzeichnen geradezu einen Planungs- und Entwicklungsboom, wie etwa Multiplex-Kinos (vgl. Beitrag HENNINGS in diesem Band - Anm. d. Hrsg.). Die Investitionsvolumina dieser Immobilienprojekte schwanken zwischen ca. 20 Mio. DM und Dimensionen, die in die Milliarden gehen können (bei Großentwicklungen wie dem,Space Park' oder dem ,Ocean Park' in Bremen bzw. Bremerhaven). Insbesondere englische und internationale Investoren zeigen eine zunehmende Akzeptanz von Freizeitimmobilien. So wird die englische Gruppe 'Marleybone Warwick Balfour (MWB)' nach der erfolgreichen Plazierung zweier Freizeitimmobilienfonds im Jahresverlauf einen europäischen Einzelhandels- und Freizeitfonds mit einem Volumen von 500 Mio. Pfund Sterling auflegen. Aber auch andere internationale Unternehmen, wie HERON International, T H I oder Lend Lease Europe, sind an Freizeitinvestitionen interessiert. Unter den deutschen Investoren hat sich u. a. die DEGI mit ihrem Engagement an einem niederländischen Snowdome sowie dem , Space Park' in Bremen im Freizeitmarkt etabliert. Aufgrund der vielfach mangelnden Zweitverwendung und der unsicheren Lebenszyklen von Freizeitanlagen liegen die zu erreichenden Immobilienrenditen über den klassischen Gewerbeimmobilien. Das Verhältnis von Jahresmiete zum eingesetzten Investitionsvolumen für das vermietbare Objekt sollte mindestens 7% betragen, in einigen Fällen werden auch Renditen über 8% erreicht. Den Hintergrund einer zunehmenden Zahl von Freizeitanlagen bildet die über Jahre positive Entwicklung des Freizeitmarktes. Die Deutsche Gesellschaft für Freizeit ermittelte für das Jahr 1998 ein Marktvolumen von ca. 445 Mrd. DM und rd. 5 Mio. Beschäftigte in diesem Markt. Der Freizeitmarkt macht ca. 12% des Bruttosozialprodukts aus. Nach Hochrechnungen von WENZEL & PARTNER (Hamburg) können für das Jahr 2000 ca. 465 Mrd. DM Marktvolumen erwartet werden. Im Vergleich zum privaten Verbrauch hat sich der Freizeitumsatz zu Beginn der 90er Jahre überproportional entwickelt, in den letzten Jahren konnten jedoch keine überproportionalen Wachstumsraten erreicht werden.
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Der Freizeitanlagenmarkt zeichnet sich durch eine sehr heterogene Struktur aus, so daß die Aussage vom 'boomenden' Freizeitanlagenmarkt nicht generalisiert werden kann, sondern differenziert für die einzelnen Teilmärkte betrachtet werden muß. Die wesentlichen Basistrends des Freizeitanlagenmarktes lassen sich wie folgt zusammenfassen.
3.1
Trends der Marktstrukturen der Angebotsseite Trend zur Kommerzialisierung des Freizeitanlagenmarktes Die dominierende Stellung der öffentlichen Hand als größtem Freizeitanlagenbetreiber in Deutschland wird zunehmend ergänzt durch kommerzielle Freizeitangebote privater Betreiber. Trend zur Professionalisierung des Freizeitanlagenmarktes Noch vor Jahren wurde der Markt durch Betreiber einzelner Anlagen oder regional tätige Betreibergesellschaften gekennzeichnet. In zunehmendem Maße bilden sich Betreibergruppen heraus, die über eigene Personalschulungssysteme verfügen und überregional bzw. international tätig sind. Eine anerkannte Ausbildung zum Freizeitkaufmann oder Freizeitmanager, wie es sie z. B. im Ausland gibt, existiert in Deutschland jedoch bislang nicht. Es sind nur freizeitbranchenspezifische Ausbildungsgänge verfügbar. Trend zu diversiflzierenden Freizeitgroßunternehmen Mit der Kommerzialisierung des Freizeitanlagenmarktes einher geht der Trend zu diversiflzierenden Freizeitgroßunternehmen. Als nationale Beispiele können die börsennotierten Unternehmen CinemaxX AG und Deutsche Entertainment AG genannt werden. Internationale Beispiele mit Entertainment-Bezug bilden u. a. Viacom, Warner Bros., Rank, Scottish Newcastle etc. Trend zu einer zunehmenden Zahl von Beteiligungen und Übernahmen Durch die Bildung von Freizeitgroßuntemehmen nimmt auch die Zahl nationaler wie internationaler Beteiligungen, Joint Ventures oder Übernahmen zu. Dies betrifft insbesondere den Kino- und Gastronomiemarkt, ist jedoch auch in anderen Märkten bereits feststellbar, wie etwa im Fitnessmarkt. Trend zur Internationalisierung des Freizeitanlagenmarktes Nicht nur der Investoren- und Projektentwicklungsmarkt zeigt Tendenzen der Internationalisierung, sondern auch die Betreiber sind zunehmend international tätig. So finden sich im deutschen Kinomarkt australische und amerikanische Betreiber. Andererseits betreibt die CinemaxX AG ein Kino in Ankara und wird auch in anderen Ländern als Kinobetreiber aktiv werden. Internationale Betreiberstrukturen können u. a. auch bei Bowling, Fitness (zunehmend) oder Entertainment Centern festgestellt werden.
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3.2
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Freizeitanlagenbezogene Trends Trend zur weiteren Ausdifferenzierung des Freizeitanlagenmarktes Die Zahl an Freizeitanlagenkonzepten hat in der Vergangenheit stark zugenommen. Die Ausdifferenzierung des Freizeitanlagenmarktes basiert zum einen auf der Entwicklung vollkommen neuer Angebotskonzeptionen, wie Simulationskinos, Sonderprojektionskinos, Snowdomes, Skatehallen etc., zum anderen bilden sich Nischenkonzepte innerhalb eines Anlagensegmentes heraus, wie z. B. Fitnessanlagenkonzepte für unterschiedliche Zielgruppen und mit unterschiedlicher konzeptioneller Ausrichtung. Trend zu medialen Erlebniswelten Im Rahmen der technischen Weiterentwicklung sind Wachstumsimpulse des Freizeitanlagenmarktes vor allem durch mediale Erlebniswelten zu erwarten. Dies betrifft Sonderprojektionskinos, Virtual Reality, Simulatoren oder Cyber Space. Dieser Markt zeichnet sich durch eine Verbesserung der Angebotsqualität bei gleichzeitig günstigeren Erstellungskosten durch zunehmenden Wettbewerb und technischen Fortschritt aus. Trend zu Themenwelten und einer Verschmelzung von Freizeit und Einkauf Aktuelle nationale wie internationale Shopping-Center-Projekte zeigen eine zunehmende Verschmelzung von Freizeit und Einkauf. Des weiteren ist sowohl bei Einzelanlagen wie auch Entertainment Centern eine Thematisierung feststellbar. Themenrestaurants (z. T. mit erheblichen wirtschaftlichen Problemen), Themenhotels, Themenparks und auch thematisierte Entertainment Center werden in wachsendem Maße entwickelt. Den ersten durchgängig thematisierten Entertainmentpark verkörpert die sogenannte , Arena Potsdam' in Potsdam-Drewitz, direkt neben dem Stem-Center der ECE (35.000 qm Verkaufsfläche). Die ,Arena Potsdam' beinhaltet eine sportthematisierte Mallgestaltung, den , Walk of Fame' des Sports. Insgesamt hat die Stadt Potsdam 33 Olympiasieger oder Weltmeister hervorgebracht, die teilweise direkt in das Projekt eingebunden sind. Im Mittelpunkt des Layouts befindet sich eine Veranstaltungsfläche mit variabler Zeltdachkonstruktion und dem Einsatz modernster Informations- und Entertainmenttechnologie. Zu den Angebotsbausteinen dieses von der Weber Gruppe (Berlin) im Jahre 1998 übernommenen Projektes zählen u. a. ein Mega-Sportfachmarkt, ein Multiplex-Kino, ein Sunny Place Entertainment Center, eine Großdiscothek, das erste Indoor-Bodyflying (eine Flugschau auf einer mittels Ventilatoren erzeugten Luftdrucksäule in einer 17 Meter hohen, durchsichtigen Rotunde), ein 24-Bahnen-Bowlingcenter, eine Mega-Sportsbar in Kooperation mit einem bekannten Sportler sowie ggf. einem Medienpartner, ein Freizeitbad, ein über 2.000 qm großes Fitness- und Wellnesscenter, eine Eislaufbahn, Aktivsportangebote, ein sportthematisiertes Hotel, ein Indoor-Spielepark, ein Spielwarenfachmarkt sowie viele weitere Gastronomie-, Freizeit- und freizeitrelevante Shopping-Angebote. Die Nutzungen sind verschiedenen Themenblöcken zuge-
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ordnet: Freizeitbad, Sporthotel, Fitness-Wellness, Kinderspielwelt, Sport, Abendunterhaltung und sportliche Familienunterhaltung. Das Projekt beinhaltet 1.100 Stellplätze in einer Tiefgaragenebene sowie ergänzende ebenerdige Stellplätze. Andere thematisierte Entertainmentparks verkörpern der .Space Park' in Bremen, Myrtle Beach oder Irvine Spectrum in Californien sowie die Forum Shops in Las Vegas (vgl. Abb. 1). Trend zur Entwicklung von Indoorkonzepten für klassische Outdooraktivitäten, insbesondere im Sportbereich Kartbahnen, Snowdomes, Tauchturm, Body Flying etc. Trend zu Freizeitgroßanlagen: Big is beautiful Im Markt zeigen sich zunehmende Anforderungen an die Multiiunktionalität und die Vielfalt des Angebotes von Freizeiteinrichtungen. Dabei bewirkt der Trend zu Freizeitgroßanlagen erhebliche Verdrängungseifekte für kleinere Anlagen, wenn es nicht gelingt, eine Marktnische zu besetzen. Beispielhaft für den Trend zu Freizeitgroßanlagen seien genannt: Multiplex-Kinos (das Kinepolis bei Madrid hat über 9.200 Sitzplätze), Freizeitparks (30-80 ha; das kumulierte Investitionsvolumen des ,Heide parks' in Soltau liegt bei rd. 550. Mio. DM), Discotheken (2.000-4.000 qm), Arenen (.KölnArena' mit 18.000 Plätzen und einer Investition von ca. 300 Mio. DM), Snowdomes (150-250 m Pistenlänge; bei mindestens 30 m Breite), Bowlingcenter (Gilde-Bowling im Othmarschen Park Hamburg hat 44 Bahnen und eine Fläche von insgesamt 5.000 qm), Fitness-Wellness (Club Meridian in Hamburg-Wandsbek mit 15.000 qm Indoor-Fläche), multifunktionale Entertainment Center unter einem Management, wie City Limits von Scottish Newcastle, Dave & Busters oder Ranks Leisure World (Flächen über 5.000 qm). Trend zur Nutzung von Freizeitanlagen als Marketinginstrument der Untemehmenskommunikation Von Markenartiklern und Großunternehmen werden Freizeitanlagen in zunehmendem Maße als Forum der Untemehmenskommunikation zur nachhaltigen Zielgruppenansprache genutzt. Dies kann sowohl in Teilbereichen von Freizeitgroßanlagen im Rahmen einzelner Attraktionen geschehen, wie etwa im ,Nivea Kinderland' des,Heide Parks' Soltau (vgl. Beitrag DOGTEROM in diesem Band - Anm. d. Hrsg.), oder auch durch die Inszenierung von Freizeitgroßanlagen, wie dem ,ZDF-Erlebnispark' in Mainz, der ,VW-Autostadt' in Wolfsburg oder dem
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,Legoland' in Billund, Windsor, Carlsbad sowie - geplant - in Gilnzburg (vgl. Beitrag MEINICKE zum Audi-Unternehmensauftritt am Standort Ingolstadt in diesem Band - Anm. d. Hrsg.). Trend zur Bündelung von Freizeitaktivitäten: Center-Gedanke Dieser Trend kommt in einer Vielzahl von Projekten kombinierter FreizeitEinkaufszentren sowie Entertainment Center zum Ausdruck. Die Entwicklung wurde maßgeblich durch die frequenzstarken Multiplex-Kinos initiiert, die im Rahmen dieser Projekte vielfach eine Ankermieterfunktion übernehmen. Die einzelnen Bausteine dieser Entwicklungen werden im folgenden Kapitel vorgestellt.
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Die Bausteine von Entertainment Centern und kombinierten Freizeit-Einkaufs- und Erlebnis-Centern
Die Angebotskonzeption von Entertainment Centern oder kombinierten FreizeitEinkaufs- und Erlebnis-Centern basiert auf folgenden Leitlinien : Die Faszination derartiger Angebotskonzeptionen entsteht aus der Kombination einer Vielzahl von Entertainment-Angeboten in einem räumlichen Kontext. Der gastronomischen Komponente kommt eine besondere Bedeutung zu (starke Präsenz thematisierter Gastronomiekonzepte). Die Angebotspalette der Freizeitanlagen und gastronomischen Einrichtungen wird um Merchandising bzw. erlebnisorientierte Handelskonzeptionen ergänzt (teilweise um Beherbergungseinrichtungen). Der Angebotsschwerpunkt der Freizeiteinrichtungen liegt im Bereich Abendunterhaltung. Die Gesamtkonzeption ist erlebnisorientiert und vielfach thematisiert. Attraktive und häufige Veranstaltungen bzw. Events sind sowohl für die Gewährleistung eines hohen Erlebniswertes als auch für eine hohe Wiederholungsbesucherquote unerläßlich. Die Motivationsstruktur des Besuchs basiert auf der Spaß- und Unterhaltungskomponente. Die Center sind zumeist aus einer Hand geplant und konzipiert und werden von einem zentralen Center Management geleitet.
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Der Angebotskomplex sollte über eine mindestoptimale Betriebsgröße von etwa 15.000 qm verfügen; sofern es zu einer ,Destination' werden soll und sich ein Einzugsgebiet bis zu 100 km erschließt, müssen sogar 25.000 bis 65.000 qm ,Erlebnismasse4 inklusive Themengastronomie und thematisiertem Einzelhandel geschaffen werden (Quelle: URBAN LAND INSTITUTE: Urban Entertainment Center Development). Der Branchenmix des Handelsanteils stellt sich differenziert dar. Die meisten weisen jedoch folgende Abweichungen vom herkömmlichen Shopping-Center-Mix auf: überdurchschnittliche große Bedeutung von Freizeitwaren, überdurchschnittlicher hoher Anteil von Geschenkartikeln und Gimmicks, überdurchschnittlicher hoher Anteil von Concept Stores, weitgehender Verzicht auf Lebensmittelhandel, da dieser mit der Verweildauer im Komplex eher unvereinbar ist, in einigen Centern: Verzicht auf großflächige , Anchor Tenants' im Handelsbereich und Substitution deren Funktion durch das Erlebnisangebot (insbesondere Multiplex-Kinos), überdurchschnittlich hoher Anteil kleinteiliger Shops. Einen Überblick über die Strukturen und Bausteine der meisten zur Zeit bekannten Entwicklungen vermittelt Abb. 3.
Urban Entertainment Center Bausteine und strategische Entwicklung I Urban Entertainment Center
zusatzlich« ^Angebotsogtjoner
Hotel/Übernachtung I
Schlüsselkomponenten
zusatzliche ^J\ngebot&ogboner^
zusätzliche Attraktionen
Entertainment & Kultur
Multiplex-Kino Musical-Theater . Discothek
Erlebnis- und - Themengastronomie
Gimmicks
Bowling
_ Fast Food
•Festival Retail"
Games & Arcades
_ "Food Courts"
"Speciality Stores"
Internet Cafe
'Concept Stores"
_ 'Cirque du Soleir _ CinetropoNs
"Memorabilia* . Variete / Cabaret Special Events ! - Veranstaltungen . Theater
Freizeithandel Unterhaltungsbezoge - ner Handel Interaktives Shopping
Family Entertainment - Center (FEC) Fitness-/ - Wellness-Center Billard/Dart/ - Snooker Museum Kongreßhaus Ausstellungen
IMAX-Kino
© Wenzel & Partner BDU, Hamburg
Abb. 3: Urban Entertainment Center - Bausteine und strategische Entwicklung (Quelle: WENZEL & PARTNER BDU)
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Beispiele für aktuelle Projektentwicklungen
5.1
Metreon
Das Metreon ist ein thematisiertes Urban Entertainment Center von Sony in San Francisco. Die Lage ist innenstadtnah. Die Angebotsbereiche umfassen auf einer Gesamtfläche von rd. 32.500 qm: Sony Theaters Metreon mit 15 Sälen und 3.900 Sitzplätzen, Sony IMAX Theater 2-D und 3-D (600 Sitzplätze), Gastronomie: LongLife Noodle Co., Firewood Café, Buckhorn, Sanraku, Jillian's South of Market, Montage, Malvina's, Entertainment: The Way Things Work - 3-D-Show,, Where the wild things are' und Airtight Garage, Einzelhandel: Metreon Marketplace, Microsoft SF, Discovery Channel Store, Destination San Franciso, Sony Style, Hear Music at Sony Style, The Way Things Work Shop, Moebius Shop, Wild Thing. Die Investition beträgt 85 Mio. US Dollar. Es werden fünf Mio. Besucher pro Jahr erwartet. Es handelt sich um ein integriertes Indoor-Konzept.
5.2
Printworks
Das Printworks wird in einer innerstädtischen Lage in Manchester von Richardson Developments entwickelt. Die Gesamtinvestition beträgt rd. 150 Mio. DM und umfaßt eine Gesamtfläche von mehr als 30.000 qm Bruttogeschoßfläche. Zu den Angeboten zählen: ein Megaplex-Kino von Virgin, Musik-Clubs, ein Family Entertainment Center, thematisierte Restaurants und Bars, Einzelhandel.
5.3 Sony Entertainment Center in Berlin Das Sony Entertainment Center in Berlin liegt am Potsdamer Platz; es wird folgende Angebote rund um einen 4.000 qm großen, mit einer Glas- und Stoff-Konstruktion überdachten öffentlichen Platz beinhalten: Filmhaus und Deutsche Mediathek (18.000 qm),
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Multiplex-Kino mit acht Sälen und 2.100 Plätzen (Cinestar), IMAX 3-D-Kino, Erlebnisgastronomie, Einzelhandel, Büros, Appartements.
Das Grundstück ist 26.500 qm groß, die gesamte Bruttogeschoßfläche beträgt 132.500 qm. Der Büroturm besitzt eine Höhe von 100 m. Das Projekt wird von Sony mit seinen Partnern Tishman Speyer Properties (Developer) und Kajima umgesetzt. Die Eröffnung ist für Ende 1999 geplant. Die Gesamtinvestition des Sony-Centers beträgt 1,5 Mrd. DM.
5.4 Universal City Walk Florida Der Universal City Walk verbindet den Film-Studio-Themenpark .Universal Studios Florida' (8,9 Mio. Besuche pro Jahr) und .Islands of Adventures' mit folgenden Angeboten: Multiplex-Kino (20 Säle, 5.000 Sitzplätze), E! Entertainment Television, Sega Game Works, Jazz Center, Nascar Café, Motown Café, Bob Marley, Pat O'Brien's, Marvel Mania, Emeril's of New Orleans, Shows, Shops und Anbindung an die Parkplätze.
5.5
HeronCity
In der Nähe von Madrid entsteht in Las Rozas die erste Heron City, die im Dezember 1999 eröffnen wird. Weitere Standorte im Jahr 2000 werden Lille, Barcelona und Stockholm sein. Außerdem sind Projekte für Lissabon, Brüssel, Nürnberg, Madrid und Mailand geplant. Zu den Investoren, die hinter der HERON-Gruppe stehen, zählen u. a. Bill Gates von Microsoft, Rupert Murdoch und Time Warner. Die Center weisen eine Gesamtfläche zwischen 25.000 und 37.000 qm auf. Die Gesamtinvestition beträgt rd. 150 DM Mio. Den Ankermieter bildet ein Megaplex-Kino (z. B. in Las Rozas ein Kino von MAC mit 24 Sälen und 5.000 Plätzen). Weitere Angebotsbausteine bilden: thematisierter Einzelhandel, Restaurants,
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ein Family Entertainment Center, ggf. Fitness und Wellness. Folgende Standortvoraussetzungen müssen gegeben sein: mindestens 1 Mio. Einwohner in der 30-Minuten-Isochrone, mindestens 100.000 Einwohner in der 10-Minuten-Isochrone. Die Heron Citys erhalten eine regionaltypische, durchgängig thematisierte Gestaltung.
5.6
Star City Birmingham
Die Star City liegt direkt an einem stark befahrenen Autobahnkreuz (M 6) in peripherer Lage in Birmingham. Die Gesamtfläche beträgt 32.515 qm. Die Gesamtinvestition beläuft sich auf 50 Mio. Pfund Sterling. Zu den Anbietern zählen: 3O-Säle-Megaplex von Warner Village mit 6.200 Sitzplätzen und über 11.000 qm Fläche, First Leisure Family Entertainment Center, Rat & Parrot, Old Orleans, French Café, Huxtors von Scottish Newcastle (Gastronomie), Heroes Sports Bar & Diner, thematisierter Einzelhandel, Superbowl, weitere Bars und Restaurants. Insgesamt stehen 2.750 Stellplätze zur Verfügung. Das Objekt ist im Bau. Die Grundkonfiguration der Projekte ist weltweit ähnlich, so daß auf die Einzeldarstellung und Erwähnung weiterer Beispiele verzichtet werden soll. Abschließend erfolgt die zusammenfassende Einschätzung der internationalen Entwicklungsperspektiven.
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Die internationalen Entwicklungsperspektiven
Die internationalen Märkte weisen hinsichtlich der Entwicklung von Entertainment Centern unterschiedliche Perspektiven auf, die nachfolgend in Kurzform skizziert werden:
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In Nordamerika ist die Entwicklung von Entertainment Centern am weitesten vorangeschritten. Es sind bereits eine Vielzahl von Anlagen am Markt etabliert worden; darüber hinaus befinden sich weitere in der Entwicklung. Insbesondere die Betrachtung der Shopping-Center-Neuentwicklungen in den USA zeigt Uberwiegend eine Kombination von Einkauf und Freizeit. Auch in Südamerika bestehen bereits großflächige Entertainment-Einrichtungen (z. B. Shoppylandia Mall in Buenos Aires). Desweiteren ist eine Reihe von Projektentwicklungen bekannt. Dieser Markt beinhaltet noch erhebliche Zuwachspotentiale. In Europa bestehen ebenfalls noch erhebliche Zuwachspotentiale. Am weitesten ist die Entwicklung in Großbritannien, wo eine Vielzahl von Projekten entstanden sind oder noch geplant werden. Derzeit wird eine Zahl von ca. 100 Projekten in Großbritannien genannt, die bereits eröffnet haben, im Bau oder geplant sind. Zu den bekanntesten zählen Star City bei Birmingham, Battersea Powerstation in London, die Mega-Einkaufscenter Meadowhall in Sheffield, Bluewater an der M 25 bei London, Lake Side in Thurrock oder Trafford Centre in Manchester (vgl. Abb. 4), Trocadero in London, Ranks Leisure World in Hemel Hempstedt und Southampton oder das THI Entertainment Center in Sheffield. Die genannten Beispiele bilden nur einen kleinen Ausschnitt aus einer Vielzahl von Entertainment-Projekten. Zuwachspotentiale sind vor allem in Südeuropa, Nordeuropa und Osteuropa noch vorhanden. Vor allem englische Developer von Entertainment Centern sind zur Zeit europaweit auf Standortakquisition. Zu diesen zählen neben THI HERON International mit dem Plan, in den nächsten fünf Jahren europaweit 20 Heron Cities zu entwickeln. Ebenso die Multiplikation streben Festival Parks Europe an, die in den nächsten fünf Jahren sechs bis zehn Entertainment-Parks in Verbindung mit FOC-Projekten entwickeln wollen. Zu den avisierten Standorten zählen Stockholm, Malmö, Madrid, Valencia, Oslo und Helsinki. Auf dem afrikanischen Kontinent sind insbesondere Südafrika (Kapstadt Waterfront) und die arabischen Länder für Entertainment-Projektierungen bekannt. Auch hier bestehen noch Zuwachspotentiale. In Asien sind ebenfalls eine Vielzahl von Anlagen entstanden, davon zum Teil in sehr großer Dimensionierung, wie Lotte World in Seoul, Canal City auf Fukuoka in Japan oder Central City Bangna in Bangkok. Der asiatische Entwicklungsboom ist im Rahmen der Rezession gebremst worden. Es werden jedoch auch hier weitere Anlagen entstehen.
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Abb. 4: In Europa bestehen noch erhebliche Zuwachspotentiale für Entertainment-Projekte. Am weitesten ist die Entwicklung in Großbritannien, wo eine Vielzahl von Projekten entstanden sind oder noch geplant werden. Zu den bekanntesten Beispielen zählen - neben dem hier abgebildeten Trafford Centre in Manchester - u. a. Star City bei Birmingham, Battersea Powerstation in London, die Mega-Einkaufscenter Meadowhall in Sheffield, Bluewater an der M 25 bei London, Lake Side in Thurrock, Trocadero in London, Ranks Leisure World in Hemel Hempstedt und Southampton oder das THI Entertainment Centre in Sheffield (Photo: Ian Lawson Photography). In Australien sind insbesondere die Hafenentwicklung in Sydney zu nennen sowie einige Einkaufszentren mit integrierten Entertainment-Angeboten, wie etwa Dazzeland im Myer Centre in Adelaide.
Entertainment
Center und kombinierte
Freizeit-Einkaufs-Center
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Der Autor Jochen Franck Dipl.-Kfm.; 1983-1988 Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Universität Hamburg (Fachrichtung: BWL, Schwerpunkt: Marketing); 1989-1990 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Handelsinstitut der Universität des Saarlandes (Prof. Dr. Bruno Tietz) und der Concepta Gesellschaft für Markt- und Strategieberatung (Saarbrücken); seit 1991 Projektleiter für Freizeitgrundlagenforschung, Entertainment- und Mixed-UseImmobilien bei der Freizeit Unternehmensberatung WENZEL & PARTNER BDU (Hamburg); Verfasser diverser Fachveröffentlichungen; Arbeitsschwerpunkte: Urban Entertainment Center, Erlebnishandel und Mixed-Use-Immobilien.
Kathedralen und Ikonen des 21. Jahrhunderts: Zur Faszination von Erlebniswelten Horst W. Opaschowski
„Dies ist das Ende des Zeitalters der Authentizität." Douglas COUPLAND: Microsklaven ( 1 9 9 6 ) Computerwissenschaftler gehen davon aus, daß im späten 21. Jahrhundert die reale Welt „dank nanotechnischer Schwärme" (KURZWEIL 1999, S. 230) viele Eigenschaften der virtuellen Welt annehmen wird. In der virtuellen Realität wird man mit einem Liebhaber oder einer simulierten Partnerin auditiv und visuell Zusammensein können. Der virtuelle Sex soll dann in mancher Hinsicht besser, auf jeden Fall sicherer sein ... Werden die Grenzen zwischen real und virtuell immer fließender?
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Kultur der Simulation
Eine neue Generation wächst heran, die gelernt hat, in virtuellen Welten zu leben: Sie kann „virtuelle Ozeane befahren, virtuelle Rätsel lösen und virtuelle Wolkenkratzer entwerfen" ( T U R K L E 1 9 9 8 , S. 9 ) . Sie kann aber auch virtuelle Partnerschaften und virtuelle Gemeinschaften aufbauen, ohne sie je real zu Gesicht bekommen zu haben. Kommt eine Kultur der Simulation auf uns zu? In der Retortenwelt von Disneyland sehen die Kopien wie die Wirklichkeit aus. Die Kunstwelt ist fast wie das wirkliche Leben und übertrifft es nicht selten. Wer hat schon Zeit und Geld, Lust und Geduld, echte Krokodile in Gambia zu beobachten? Der Krokodilroboter von Disney rollt jederzeit mit den Augen, kriecht auf allen Vieren, verschwindet unter der Wasseroberfläche und taucht wieder auf. Das Disney-Krokodil fesselt unsere Aufmerksamkeit. Das echte Krokodil hingegen döst ständig vor sich hin. Die Imitation ist faszinierender als das Original. Die Psychologin T U R K L E nennt dies den „Artiflcial-Crocodile-Effect" (TURKLE 1998, S. 385). Tiere in freier Wildbahn verhalten sich nicht so bühnengerecht. Droht uns in Zukunft eine Entwertung unmittelbarer Naturerfahrungen? Kann es sein, daß Kinder dann weniger Interesse an den wirklichen, d. h. auch nicht so schnelllebigen Naturerlebnissen zeigen, weil sie mit der .Spannung' der simulierten Natur nicht mithalten können? Die Natur hält wenig von schnellen Schnitten und raschen Szenenwechseln. Am 8. Februar 1972 berichtete die ,Los Angeles Times' über den Beschluß der Stadtverwaltung, auf dem Mittelstreifen einer Hauptverkehrsstraße rund 1.000
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Plastikbäume aufzustellen, da nach dem Ausbau der Kanalisation nur noch eine zentimeterdünne Erdschicht übriggeblieben war. Als nach Beginn der Pflanzaktion unbekannte Täter begannen, die Bäume mutwillig zu zerstören, sah man schließlich von der weiteren Bepflanzung ab. Ein Jahr später erschien im Wissenschaftsjournal SCIENCE unter der Überschrift „What's Wrong with Plastic Trees?" der wissenschaftliche Nachweis, daß das verbreitete Bedürfnis nach einer natürlichen Umwelt „phylo- und ontogenetisch erlernt" sei - also durch bewußt gesteuerte Umlemprogramme auch auf künstliche Umwelten gelenkt werden könnte. Kann es in Zukunft ein ,neues' Bedürfnis nach künstlichen Erlebniswelten geben? Die Zukunft hat längst begonnen. 1923 ließ der US-Produzent und Regisseur Cecil B. de MILLE für seinen monumentalen Bibelfilm ,Die 10 Gebote' die alte ägyptische Stadt Karnak errichten. Diese Filmkulisse weist inzwischen mehr Besucher auf als die echte Tempelstadt in Ägypten. Lösen virtuelle Erlebniswelten immer mehr wirkliche Wirklichkeiten ab? Im Goethe-Jahr 1999 wurde Goethes Gartenhaus im Park an der Ilm wegen der Besucherströme als exakte Kopie nachgebaut: Das Original-Haus wurde zum CopyCenter. Die Kopie zieht mittlerweise mehr Besucher an (und kostet auch mehr), weil sie ,etwas Besonderes' ist... Der amerikanische Kreuzfahrtveranstalter ,Royal Caribic' hat auf der unbewohnten karibischen Insel Coco Cay eine Erlebniswelt geschaffen, die echt und künstlich zugleich ist. Alles, was sich Touristen unter Karibik vorstellen und erträumen, wurde hier arrangiert: Ein weißer Sandstrand wurde gestaltet, Palmen angepflanzt, karibik-typische Holzhäuser errichtet sowie ein .historisches' Schiff und ein Flugzeugwrack für Taucher im Wasser versenkt. Wenn ein Kreuzfahrtschiff andockt, kommen für einen Tag ,echte' Bewohner von den Nachbarinseln herbei... Und in Paris strömten im vergangenen Jahr mehr Besucher zu Mickey Mouse nach Eurodisney als zu den traditionellen Kulturattraktionen der Metropole. In dem Freizeitpark wurden 12 Mio. Besucher gezählt - 600.000 mehr als am bisherigen Touristenmagneten Notre Dame und gar 6,9 Millionen mehr als im Louvre (5,1 Mio).
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Wettlauf der Erlebniswelten
Ein Wettlauf der Erlebniswelten hat begonnen. Der Autokonzern VW errichtet zur Zeit für eine Milliarde Mark eine neue Erlebnisstadt in einer Mischung aus Freizeitpark, Luxushotel (,Ritz Carlton') und Verkaufsshow. Darüber hinaus breiten sich Urban Entertainment Center in den Zentren der großen Städte aus. Und nach dem CentrO in Oberhausen (vgl. Beitrag QUACK in diesem Band - Anm. d. Hrsg.) und der ,Movie World' in Bottrop sind das ,Ufo' in Dortmund, der ,Space Park' in Bremen und der , Ocean Park' in Bremerhaven geplant. Findet in diesen neuen Kathedralen des 21. Jahrhunderts der Himmel bereits auf Erden statt?
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An der Schwelle zum dritten Jahrtausend ,müssen' sich Forschung, Wirtschaft und Politik mit Anspruch, Wirklichkeit und Wirkungen der virtuellen Erlebniswelten auseinandersetzen. Die verständliche Frage ,Was will der Konsument eigentlich? Kultur oder Kulisse? Wirklichkeit oder Illusionen' ist falsch gestellt. Die Erlebniskonsumenten wollen perfekte Illusionen und sind auch mit Scheinwelten zufrieden, wenn sie die Wirklichkeit übertreffen. Dazu werden Erlebniswelten gezaubert und inszeniert. Der Wiener Aktionskünstler André Heller plädierte im Herbst 1989 auf dem 1. Internationalen Forum fur Tourismus für ein sog. Replika-Territorium, das all das beinhaltet, was die Tourismusindustrie als Köder auswirft: Eine Mischung aus Disneyland und Zisterzienserkloster, McDonald's und Club Méditerranée, Kreml und Vatikan - und dazwischen zaghaft aktive Vulkane neben elektronisch gesteuerten Atlantik-Brandungen. Der Einfall touristischer Horden würde dann nicht mehr zur Zerstörung der Natur und Ausrottung des Schönen führen. Nach kurzer Eingewöhnungszeit würden die meisten Touristen damit ihre Vorstellung vom Paradies verwirklicht sehen. Und die Minderheit, der diese Lösung als Hölle erscheint, würde entweder zu Hause bleiben oder neu über den Sinn des Reisens nachdenken. Professionelle Kulturkritiker machen es sich leicht: Das kann nur Fassadenfirlefanz und Kitschinszenierung, Verführungs-Maschinerie und Instant-Tourismus, Hollywood und Walt Disney sein. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus. Viele Kritiker verwechseln Illusion mit Illusionierung. Die Besucher suchen die Illusionierung. Der Massenansturm der Besucher zwischen Faszination, Begeisterung und Happiness zeigt deutlich: Die Abstimmung findet offensichtlich mit den Füßen statt. Die Besucher wollen sich unbeschwert treiben und unterhalten lassen und vor allem unbeschwert genießen. Die Folge: ,Das Böse findet nicht statt'. Als Aldous HUXLEY 1931 seinen Zukunftsroman „Brave New World" schrieb, war er davon überzeugt, daß wir bis zum 6. oder 7. Jahrhundert ,nach FORD' noch viel Zeit hätten: Von der ständigen Ablenkung durch Unterhaltungsangebote des Sports und der Musicals über die Verabreichung einer pharmakologisch hervorgerufenen Glückseligkeit bis zur Abschaffung der Familie reichte der Spannungsbogen seines ebenso phantasievollen wie zynischen Bilds einer neuen Gesellschaft. Doch schon knapp drei Jahrzehnte später (1959) mußte HUXLEY eingestehen: „Die Prophezeiungen von 1931 werden viel früher wahr, als ich dachte". Die Center Parcs International setzen jährlich in ihren 13 Parcs etwa eine Milliarde DM um. Rund drei Millionen Gäste sorgen für Traum-Auslastungsquoten von annähernd 90% (SEITZ 1998, S. 7). Und die Zeichen stehen weiter auf Wachstum. Vor allem die USA und Japan (vgl. HENNIG 1998) setzen Zeichen für die Zukunft:
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In Las Vegas wurde die Verbindung von Hotel-, Glücksspiel- und Erlebnisbzw. Themenangebot am meisten perfektioniert: Seeschlachten im .Treasure Island', Vulkanausbrüche im ,Mirage Hotel' sowie Flanieren im alten Rom unter künstlichem Himmel in ,Caesar's Palace'. Alles ist möglich in der synthetischen Erlebnisstadt. In Japan finden in ,Seagaia Ocean Dome' zehntausend Menschen Platz am größten künstlichen Strand der Welt. Im Skizentrum .Tsudanuma' bei Tokio gehen zweitausend Skifahrer auf einer 490 m langen Piste ihrem Sportvergnügen nach. Die Zukunft gehört außerdem den ,Corporate Lands' bzw.,Brand Parks' (Marken-Parks), die Firmennamen oder bestimmte Produkte (z. B. Legosteine) demonstrativ in den Mittelpunkt der Show stellen. Dazu zählen z. B. das ,Legoland' in Billund oder das ,Ravensburger Spieleland' am Bodensee sowie künftige Hightech-Erlebnisparks (wie z. B. ,Opel Live' in Rüsselsheim oder die ,VW-Erlebnisstadt' in Wolfsburg; vgl. Beitrag MEINICKE in diesem Band - Anm. d. Hrsg.). Allen Erlebniswelt-Konzepten gemeinsam ist die Absicht, einen Kontrast zur Alltagswelt zu bieten. Besucher sollen: vorübergehend ihre Alltagssorgen und Belastungen im Beruf vergessen, sich in eine andere Phantasie- und Traum-Welt versetzt fühlen, die bewußt nicht an die wirkliche Welt erinnert und fast märchenhafte Stunden der Freude, Entspannung und Zerstreuung erleben und genießen.
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Imagination, Attraktion, Perfektion
Erlebnismacher und Erlebnisindustrie machen eine einfache Rechnung auf: ,Happiness is our business'. Sie sind Realisten und verweisen darauf: Vorerst sind wir auf künstliche Traumwelten angewiesen, um die Alltagsmonotonie von Streß, Langeweile und Vereinsamung überhaupt ertragen zu können. Und wir brauchen sie als psychisches Ventil, sonst würden die Aggressionen auch außerhalb des Fußballfeldes freiwerden und die Therapiebranche würde einer expansiven Entwicklung entgegensehen. Wirklich neue Erlebniswelten gibt es doch nur noch in der Phantasie. Die Freizeitund Ferienwelt erscheint fast lückenlos erschlossen. Neues kann man eigentlich nur noch selbst er'träumen' oder er'finden' lassen. Und so schaffen die Macher neue Paradiese, die allen alles bieten: Eine Mischung aus Yachthafen, tropischen Gärten, Shopping Center und griechischem Dorf. Eine perfekte Kunstwelt, die vor allem von drei Faktoren lebt - Imagination, Attraktion, Perfektion:
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Bildingenieure (.imagineers') zaubern Illusionen: Stilisierte Palmen und künstliche Seen. Kulissenzauber - so echt wie möglich. Besondere Attraktionen machen künstliche Freizeitwelten mit natürlichen Welten unvergleichlich. Die Erwartungen sind hoch: ,Wer will schon einen Löwen zweimal gähnen sehen'? Mithalten kann nur, wer ständig neue Attraktionen bietet. Die ,Everything goes'-Devise verlangt Perfektion bis in das kleinste Detail. Alles wird und muß perfekt geplant werden. Das Ergebnis ist ,clean' (,Es darf keine welke Blume geben'): Keine Umweltprobleme und Versorgungsengpässe. Und der Erlebniskonsument kann wählen zwischen Spazierengehen inmitten 100.000 neu gepflanzter Bäume oder Unterhaltenwerden rund um die Uhr. So gesehen will und soll ein Erlebnispark gar kein Abbild der gesellschaftlichen Wirklichkeit sein. Er soll vielmehr das verwirklichen, was sich die Menschen in ihren Phantasien und Träumen vorstellen (Eurodisney: , Wir schaffen Glückseligkeit'). Dabei kann eine künstliche Traumlandschaft faszinierender als die Naturlandschaft sein. Erlebniseinkaufscenter (z. B. , Century City' in Los Angeles) ähneln mehr einem Vergnügungspark für Erwachsene. Geboten werden Fantasy-Abenteuer nach der Devise „Entführt mich in ein anderes Leben - aber holt mich zum Abendessen zurück" (POPCORN 1992, S. 47). Die Entführung findet eigentlich nur in der Phantasie statt. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Hotels in Hawaii verführen mittlerweile die Gäste, die der Strände überdrüssig geworden sind, mit Nachbildungen venezianischer Kanäle. Und Hotels im Mittleren Westen der USA bieten Abenteuernächte in ,FantaSuites' an, wobei man zwischen einem Tropenparadies, einer Dschungelhütte oder einem Beduinenzelt wählen kann ... So unwirklich künstliche Freizeitwelten auch erscheinen mögen, aus psychologischer, ökonomischer und ökologischer Sicht gibt es vernünftige Gründe dafür: Erlebnispsychologisch gesehen treffen die rosaroten Traumwelten vom Fließband offensichtlich den Massengeschmack. Erlebnismarketing bedeutet in Zukunft vor allem: Szenerie und Dramaturgie von Erlebnislandschaften. Erholen kann man sich auch zu Hause. Ökonomisch erweisen sich künstliche Erlebniswelten geradezu als Erfolgsformel Nr. 1. Sie erreichen eine Auslastung, von der andere Branchen nur träumen können. Ökologisch gesehen sind die Kunstwelt-Konzepte mitunter fast ein Segen für die Problematik von Massenmobilität und Umweltbelastung. Die Besucher-
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ströme konzentrieren sich auf die künstlichen Erlebnislandschaften, während die natürlichen Landschaften weitgehend unbehelligt bleiben. Die Frage, ob es wichtig bzw. unverzichtbar ist, .wirklich' in der Karibik zu sein, um sich wie in der Karibik fühlen zu können (,Caribic Feeling'), entspricht nicht dem Denken des Erlebniskonsumenten. Eine Erlebniswelt ,muß' nicht in jedem Fall den Anspruch von Wahrheit und Wirklichkeit entsprechen. Wichtiger ist das ,Original-Gefühl'. Gerade dies macht das eigentliche Dilemma aus: Wieviel wovon? Beide - Original und Kulisse - sind zugleich erwünscht. Der Erlebniskonsument läßt sich in aller Regel auf einen Kompromiß ein: So viel Ursprünglichkeit wie möglich, so viel Kulisse wie nötig. Es bleibt festzuhalten: Die Macher, die Anbieter und Betreiber von künstlichen Erlebniswelten schaffen nach den Grundsätzen der modernen Marketingforschung (vgl. INDEN 1 9 9 3 ; BRUHN 1997; NICKEL 1 9 9 8 ) Erlebniswelten als inszenierte Ereignisse und Veranstaltungen, die multisensitiv, also mit starken emotionalen und physischen Reizen dargeboten werden und den Teilnehmern besondere und nichtalltägliche, vielfach spannende oder gar einmalige Erlebnisse vermitteln. Künstliche Erlebniswelten stehen seit Jahren im Zentrum der Kultur- und Medienkritik. Die Kritiker verwechseln mitunter das Partielle mit dem Ganzen. .Inszenierte Welten' machen doch die ,unberührte Natur' nicht entbehrlich. Und wer sich einmal für ein paar Stunden zerstreuen und vergnügen will, verliert deshalb den Ernst des Lebens nicht aus dem Blick: „Wenn Menschen zwei oder fünf oder vierzehn Tage im Jahr in einer künstlichen Ferienwelt verbringen, braucht man um ihren Realitätssinn keine Angst zu haben" (HENNIG 1998, S. 19). Der Alltag holt jeden schnell genug wieder ein. Neben der sozialen Komponente der Erlebniskultur (soziale Geborgenheit, gemeinsame Freude) ist der sinnliche Charakter fundamental: In der virtuellen Erlebniswelt wollen die Menschen Kultur und Unterhaltung hautnah be'greifen' und als direkte sinnliche Berührung er'leben'. Mit der Musik vibrieren, sich in Trance tanzen, sich beim Pop-Konzert bis zur Erschöpfung verausgaben, Zirkusluft schnuppern, den letzten Kick in der Achterbahn spüren und immer hautnah (d. h. ,live') dabeisein. Erlebniskultur bekommt existentielle Bedeutung - im Gegensatz zur traditionellen Hochkultur, die für viele Menschen schwer greif- und begreifbar ist. Es ist kein Zufall, daß der Kulturkritiker Neil POSTMAN in den Papp-Attrappen von Las Vegas das neue „Sinnbild" unserer Zeit sieht - mit der Gefahr, daß sich die Menschen ganz und gar der Unterhaltung unterwerfen und Erlebniskultur immer mehr die Form des Entertainments annimmt. Selbst Politik und Wirtschaft
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drohen, Anhängsel des Showbusiness zu werden. ,Gott' ist dann nur noch mit denen, die als Politiker oder Unternehmer das Talent des Entertainers haben - also die Fähigkeit, andere zu unterhalten.
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Abstimmung mit den Füßen
An der Schwelle zum 21. Jahrhundert beginnt ein neuer Wettlauf der Erlebniswelten. Die Abstimmung findet mit den Füßen statt: Filmkulissen weisen mehr Besucher auf als echte Ruinen. Dennoch: Nur etwa jeder neunte Jugendliche im Alter von 14 bis 29 Jahren (11%) sieht in den künstlichen Erlebniswelten eine Kitschinszenierung, aber fast fünfmal so vielen (52%) bereitet der Besuch ein echtes Vergnügen. Es wächst offensichtlich eine neue TV- und PC-Generation heran, die ganz selbstverständlich mit künstlichen und virtuellen Welten zu leben weiß. Fast jeder zweite Jugendliche im Alter von 14 bis 29 Jahren (45%) bewundert die künstlichen Attraktionen als ,erlebbare Sehenswürdigkeiten' und fühlt sich in der .anregenden Atmosphäre' ausgesprochen wohl. So unterschiedlich in der öffentlichen Diskussion die Urteile über künstliche Freizeit- und Erlebniswelten auch ausfallen mögen, das Votum der jungen Generation ist relativ eindeutig: Auf einen Kritiker kommen vier begeisterte Besucher. Die Repräsentativumfrage des Freizeit-Forschungsinstituts weist nach: Jeder dritte Jugendliche (32%) lobt die gelungene Ablenkung vom Alltag, die man hier wie sonst kaum irgendwo finden kann. Und jeder vierte Jugendliche (28%) ist von der perfekten Illusion geradezu begeistert: ,Man ist verzaubert und losgelöst'. Die Rechnung der Bild-Ingenieure geht auf: Die gebotene Imagination ist meist beeindruckender als die Wirklichkeit. Die Besucher fühlen sich in eine Traumwelt versetzt, die bewußt nicht an die wirkliche Welt erinnert. Andererseits sind Jugendliche auch Realisten. 22% der jungen Leute entlarven das Angebot als das, was es auch ist: Geschäftemacherei. Ob Konsumtempel oder Vergnügungsstätte, Fassadenfirlefanz, Zeittotschlagmaschine oder Trendimmobilie: Der Streit der Meinungen wirkt sich kaum auf das Urteil und die Entscheidung der Besucher aus: Traumnoten für Traumwelten sind angesagt. Open-Air-Events von Michael Jackson bis zu den Rolling Stones werden mit der Traumnote ,1,4' bewertet, wobei ,1' die Meinung ,Ich bin begeistert' bedeutet. Überdurchschnittlich gute Noten erhalten auch das Musical (1,8), das Großkino/Multiplex (1,6), die Erlebnisbadelandschaft (1,8) sowie der Freizeit- und Erlebnispark (1,9). Mit etwas Abstand folgt die Bewertung der Erlebniseinkaufscenter (2,2) - von der erlebnisorientierten Einkaufspassage bis zum Urban Entertainment Center (UEC), einer Mischung aus Erlebnishandel, Themengastronomie und besonderen Freizeitattraktionen. Eine neue Generation wächst heran, die mit postmodernen Schein- und Erlebniswelten zu leben weiß, wie z. B.:
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FestzUge und Tausendjahrfeiern, Weihnächte- und Krämermärkte, Themenrestaurants und Freizeitparks, Showprogramme und Shopping Mails, Freilichtmuseen und Kunstausstellungen. Die Inszenierung solcher Scheinwelten gehört zum Alltag. Ob nun Arbeitsweltinszenierungen im Museum oder Freizeitweltinszenierungen im PC, im Kino oder im Vergnügungspark: die Grenzen zu Spektakel, Entertainment oder Theater werden immer fließender. Alles wird zum Erlebnisthema gemacht. Wir leben zunehmend in einer ,themed world'. Die Hohe Kultur wandelt sich zur „public culture" (BORMANN 1998, S. 55). Und immer mehr Firmen nennen sich ,Magic'. Schon 1915 äußerte der Amerikaner Van Wyck BROOKS in seinem Buch „America's Coming-Of-Age" (Amerikas Mündigwerden) die Befürchtung, der Puritanismus könne in Zukunft zu „einem vertrockneten alten Yankee" verkommen. Und sechs Jahrzehnte später kam Daniel BELL in seiner Diagnose über die Zukunft der westlichen Welt zu dem Ergebnis, die protestantische Ethik wandle sich zum psychodelischen Basar. Das Herzstück der protestantischen Ethik - Arbeit, Sparsamkeit und Genügsamkeit - ginge verloren. Die neuen Wegweiser würden Film, Fernsehen und Werbung sein und eine Art Pop-Hedonismus verbreiten, bei der es nicht mehr um die Frage gehe, wie man etwas leisten, sondern wie man Spaß haben kann. .Vorankommen' heißt nicht Aufstieg auf der beruflichen Stufenleiter, sondern Übernahme eines bestimmten Konsumstils (z. B. durch exklusive Hobbies oder teure Reisen) - eines Lebensstils also, der einen als Mitglied einer konsumfreudigen Statusgruppe ausweist (BELL 1979). Mit der Preisgabe der protestantischen Ethik bleibt das Individuum letztlich ohne Moral zurück, was für das wachsende Gefühl von Desorientierung und Verhaltensunsicherheit verantwortlich ist. Die westlichen Industriegesellschaften stehen vor ihrer größten Herausforderung seit hundert Jahren: Ihr Arbeitsmodell der Zukunft soll der „Formel 20 zu 80" (MARTIN/SCHUMANN 1996) gleichen, wonach nur mehr 20% der Bevölkerung eine bezahlte Arbeit bekommen. An der Schwelle zum dritten Jahrtausend wird der „Übergang zur Freizeitgesellschaft" (BUND 1996) heraufbeschworen, der den übrigen 80% „Tittytainment" (MARTIN/ SCHUMANN 1996) oder „McDonaldisierung" (RITZER 1995) beschert. Erinnerungen an George ORWELLS Zukunftsroman „1984" werden wach, wonach die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung ihr Leben nur noch mit der Sorge um Heim und Kinder, kleinlichen Streitigkeiten mit Nachbarn, Kino, Fußball, Bier und vor allem Glücksspielen ausfüllen werde ...
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Eine Welt ohne Überraschungen
Früher waren Religion und Kirche für Heilsversprechen zuständig. Heute und in Zukunft sorgt eine mächtige Erlebnisindustrie für Glücksversprechungen. Professionelle Erlebnismacher schaffen und bauen Inseln des Friedens und der Lebensfreude. Problematisch ist nicht die Künstlichkeit dieser Inseln, zumal sich die meisten Besucher auf diesen Inseln ganz wohl fühlen. Problematisch ist vielmehr der weltweit expandierende Anspruch einer Art von Missionierung: „If you can dream ist - you can do it" (Walt DISNEY). Ein vermessener Anspruch, der alles für machbar hält und verwirklichte Träume zur neuen Religion erklärt. Die Hybris besteht in dem Anspruch, eine Welt ohne Überraschungen zu schaffen, eine „Welt der vorhersagbaren und fast surrealen Ordentlichkeit" (RITZER 1995, S. 158). Die Imaginateure (Bild-Ingenieure) erinnern an Gottähnlichkeit (,imago dei'), in dem sie eine perfekte Welt schaffen und als Zubehör die immer gleichen fröhlichen Menschen, die dort arbeiten. In den Freizeit- und Erlebniswelten kündigt sich geradezu eine neue Wiederkehr der Symbole und Funktionen von Religion an, wenn auch - neu verpackt - in einer anderen Form. Die Menschen nehmen oft lange Wege in Kauf, um an den wenigen auserwählten Stätten an dem großartigen Ereignis teilhaben zu können. Die Erlebnisinszenierungen bekommen Kultcharakter und die Reisen zu den Events gleichen Wallfahrten der Moderne (vgl. THOMAS-MORUS-AKADEMIE JOURNAL 6/1998, S. 1). Es ist auch kein Zufall, daß in London z. Zt. mit Milliardenaufwand der .Millennium Dome' errichtet wird, der zur ,Ikone des 21. Jahrhunderts' werden soll. Kurz vor der Jahrtausendwende wird der neue James-BondFilm .Retter des Millennium Domes' in die Kinos kommen, um das neue Symbol und Wahrzeichen in seiner Rolle als Erlöser und Befreier zu pushen und in aller Welt bekannt zu machen. Werden die neuen Kathedralen des 21. Jahrhunderts zum Heiligtum für erlebnishungrige Menschen? Zelebrieren dann die Erlebnismacher hier ,ihre' Art von Gottesdiensten, die Massen von Menschen in Verzückung geraten lassen? Die Besucher werden atmosphärisch von unsichtbaren Chören eingestimmt: Noch mitten im Januar klingt aus den Lautsprechern das fromme Weihnachtslied .Herbei, o ihr Gläubigen' (DIE ZEIT vom 21. Januar 1994, S. 57). Und was Santiago da Compostella für die Menschen des Mittelalters bedeutete, können die künstlichen Freizeitwelten im 21. Jahrhundert sein: Wallfahrtsorte und Vergnügungsstätten. Aus der religiös motivierten Kirchengemeinde wird eine Weltgemeinde der Unterhaltungsbranche. Und was sich in früheren Jahrhunderten nur Kirchen leisten konnten, weil sie keine Rücksicht auf die Kosten nehmen mußten, wird im „Zeitalter der gemanagten Erlebnisse" (GRONEMEYER 1996, S. 109) die Unterhaltungsbranche übernehmen.
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Die 1998 eröffnete .KölnArena' wird bereits als neuer Tempel der Stadt Köln gefeiert, in der sich Götter des Entertainments wie Pavarotti und Ramazotti, Backstreet Boys und Kölner Haie gegenseitig die Klinke in die Hand geben. Und auf der EXPO 2000 präsentiert das Königreich Nepal auf dem Weltausstellungsgelände in Hannover sogar eine echte Tempelanlage in einer Mischung aus Pagode und Himalaya-Pavillon, zu dem bis zu 40 Mio. Besucher pilgern sollen. Der .Millennium Dome' will zur Jahrtausendwende Shows und Ausstellungen, virtuelle Spielereien und echte Shoppingmöglichkeiten bieten sowie per Infotainment Antworten auf die Frage geben, ,wer wir sind, wo wir sind und wohin wir gehen werden'. Ein vermessener Anspruch, der zwischen Lebenssinn und Wahnsinn angesiedelt ist, weil er selbst einen Vergleich mit dem Petersdom in Rom nicht scheut. Der Turmbau zu Babel läßt grüßen, die totale Anbetung des Goldenen Kalbes auch. Der Eindruck entsteht: In den Kathedralen des 21. Jahrhunderts agiert eine professionelle Priesterschaft, die vom Dogma des käuflichen Glücks beseelt ist und mit geradezu messianischem Drang einen schwunghaften Handel mit Lebensfreude betreibt. Problematisch sind nicht in erster Linie die Erlebnisangebote, sondern eher die unerfüllbaren Glücksversprechen, die Anmaßung und die Tendenz zum Größenwahn, die für Bescheidenheit oder gar Demut keinen Platz mehr lassen. Die Gefahr ist groß, daß die Angst vor (Sinn-)Leere die Gier nach Sensationen (.Super' - .Ultra' - ,Mega') weiter steigert und das menschliche Augenmaß, die Mitte und das Mittelmaß verlorengehen. Die Menschen .müssen' dann pausenlos Glück erleben. Für die Zukunft ist absehbar: Die weitere Aufrüstung der Erlebnisindustrie wird die Frage ,Was kommt danach?' unbeantwortet lassen.
Grundlagenliteratur BELL, D.: Die Zukunft der westlichen Welt (The Cultural Contradictions of Capitalism, 1976), Frankfurt/M. 1979 BORMANN, R.: Spaß ohne Grenzen. Kulturtheoretische Reflexionen über einen europäischen Themenpark. - In: Sociología Internationalis, 36 (1998) 1, S. 3360 BROOKS, V. W.: America's Coming-of-Age (1915), Garden City/N.Y. 1958 BRUHN, M.: Kommunikationspolitik, München 1997 BUND/MISEREOR (Hrsg.): Zukunftsfähiges Deutschland, Basel/Boston/Berlin 1996 COUPLAND, D.: Generation X. Geschichten für eine immer schneller werdende Kultur (Generation X. Tales for an Accelerated Culture, 1991), Hamburg 1992 COUPLAND, D.: Microsklaven (Microserfs, 1995), Hamburg 1996 GRONEMEYER, R.: Alle Menschen bleiben Kinder, Düsseldorf/München 1996 HENNIG, Chr.: Inszenierte Freizeitparadiese - Beispiele einer neuen Welt. - In: MESSE MÜNCHEN/CBR (Hrsg.): Erlebnisurlaub ja oder nein? Freizeitwelten pro und contra!, München 1998, S. 16-20
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Schöne neue Welt. Ein Roman der Zukunft (Brave New World, 1932), Frankfurt/M. 1981 INDEN, Th.: Alles Event? Erfolg durch Erlebnismarketing, Landsberg a. L. 1993 KURZWEIL, R.: Homo s@piens. Leben im 21. Jahrhundert - Was bleibt vom Menschen? (The Age of Spiritual Machines, 1999), Köln 1999 MARTIN, H.-P./SCHUMANN, H.: Die Globalisierungsfalle, 3. Aufl., Reinbek bei Hamburg 1996 NICKEL, O . (Hrsg.): Eventmarketing. Grundlagen und Erfolgsbeispiele, München HUXLEY, A . :
1998
H. W.: Erlebniswelt Phantasie. Attraktion und Perfektion künstlicher Freizeitwelten. - In: OPASCHOWSKI, H. W.: Freizeitökonomie. Marketing von Erlebniswelten, 2. Aufl., Opladen 1995, S. 271-276 OPASCHOWSKI, H. W.: Wir schaffen Glückseligkeit! Anspruch und Wirklichkeit künstlicher Freizeit- und Ferienwelten. - In: THOMAS-MORUS-AKADEMIE (Hrsg.): Kathedralen der Freizeitgesellschaft, Bensberg 1995, S. 11-34 OPASCHOWSKI, H. W.: Deutschland 2 0 1 0 . Wie wir morgen leben, Hamburg 1 9 9 7 OPASCHOWSKI, H. W.: Generation Die Medienrevolution entläßt ihre Kinder: Leben im Informationszeitalter, Ostfildern-Hamburg 1999 POPCORN, F.: Der Popcorn Report (The Popcorn Report, 1 9 9 1 ) , München 1 9 9 2 RITZER, G.: Die McDonaldisierung der Gesellschaft, Frankfurt/M. 1995 SEITZ, E.: Trends und Entwicklungen bei inszenierten Ferienwelten. - In: MESSE MÜNCHEN/CBR (Hrsg.): Erlebnisurlaub ja oder nein? Freizeitwelten pro und contra!, München 1998, S. 7-9 TURKLE, Sh.: Leben im Netz. Identität in Zeiten des Internet (Life on the Screen: Identity in the Age of the Internet, 1995), Reinbek bei Hamburg 1998 OPASCHOWSKI,
Der Autor
Dr. phil., Univ.-Prof.; Studium an den Universitäten Köln und Bonn; 1968 Promotion zum Dr. phil; wissenschaftlicher Assistent an der Universität Siegen; 1973 Erarbeitung einer freizeitpolitischen Konzeption für die Bundesregierung; 1988 Autor des Filmexpos6s ,One, two, three - Germany': amtlicher Beitrag Deutschlands zur Weltausstellung in Brisbane (Australien); seit 1975 Professor für Erziehungswissenschaft an der Universität Hamburg; seit 1979 Wissenschaftlicher Leiter des B.A.T. Freizeit-Forschungsinstituts; seit 1992 Vorsitzender der Sachverständigenkommission .Arbeit - Technik - Freizeit' im Bundesministerium für Bildung,.Wissenschaft, Forschung und Technologie; Juryund Kuratoriumsmitglied der Weltausstellung EXPO 2000; Gutachter für das Bundeskanzleramt; Berater des Bundespräsidialamtes;
Erlebnis- und Konsumwelten: Steuerungsfaktoren - Akteure - Planung Gerd Hennings
Die Arbeits-, Konsum- und Freizeitwelten der Menschen in der Bundesrepublik Deutschland haben sich in den letzten Jahrzehnten in vielfältiger Hinsicht verändert. Viele der Veränderungsprozesse haben entscheidende Berührungspunkte mit der Herausbildung neuer Wertorientierungen in der Gesellschaft, die sich sowohl in der Arbeitswelt als auch im Freizeitbereich abbilden lassen. Dieser oft zitierte Wertewandel prägt die Bewertungs-, Denk- und Einstellungsmuster der Bevölkerung neu, verändert das Konsumverhalten der Menschen, ihr Wahlverhalten, ihr Verhalten in der Freizeit, ihre Orientierungen im Arbeitsbereich. Ohne zumindest einige Aspekte des Wertewandels anzusprechen, läßt sich der unbestreitbare Boom und Erfolg der neuen Erlebnis- und Konsumwelten kaum richtig erfassen.
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Wertewandel als wichtiger Steuerungsfaktor der neuen Erlebnis- und Konsumwelten
Werte lenken als Führungsgrößen menschliches Verhalten.1 Dabei handelt es sich um grundlegende bewußte oder unbewußte Vorstellungen vom Wünschenswerten, welche die Wahl von Handlungsarten und Handlungszielen beeinflussen. Diese Werte verändern sich in komplexen gesellschaftlichen Prozessen, die - natürlich für die weiter zurückliegende Vergangenheit nicht sehr gut empirisch erforscht und dokumentiert sind. Der Wertewandel der jüngeren Vergangenheit ist dafür um so intensiver Gegenstand von wissenschaftlichen Untersuchungen, Diskussionen und Auseinandersetzungen gewesen. Das wird damit zusammenhängen, daß seit den 60er und 70er Jahren das gesellschaftliche und ökonomische System der westlichen Welt, das lange Zeit in seinen Steuerungs- und Wirkungsmechanismen relativ stabil erschien, in vielfältiger Hinsicht an Grenzen gestoßen ist. Neue Verhaltensweisen brechen sich Bahn bzw. werden erforderlich, um mit den veränderten Fragestellungen fertig zu werden. Das Gefühl, in einer Zeit des Übergangs von einem veralteten zu einem neuen System zu leben, dessen Konturen sich nur langsam klarer herausbilden, schlägt sich in Themen und Begriffen wie ,Postindustrialismus', .Postmaterialismus'2, ,Postmoderne'3, ,Postfordismus'4, .Risikogesellschaft' 5 etc. nieder. In dieser Zeit des Übergangs werden auch die Veränderungen in den Wertorientierungen der Menschen besonders deutlich. Als zentraler Aspekt des Wertewandels in der heutigen Zeit läßt sich festhalten, daß individuelle und gesellschaftliche Pflicht- und Akzeptanzwerte an Bedeutung verlieren und sog. Selbstentfaltungs- und Engagementwerte an Bedeutung gewinnen. Traditionelle Werte wie Disziplin, Gehorsam, Leistung, Ordnung, Pflicht-
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erfüllung, Bescheidenheit, Selbstbeherrschung, Pünktlichkeit etc. sind als Werte nicht mehr so dominant wie in den 50er Jahren und früher. Neue Werthaltungen entstehen, die man in drei Gruppen einteilen kann: Werthaltungen einer idealistischen Gesellschaftskritik, wie Emanzipation, Gleichbehandlung, Partizipation, Autonomie des Einzelnen etc., Werthaltungen des Hedonismus, wie Genuß, Abenteuer, Spannung, Abwechslung, Ausleben emotionaler Bedürfnisse etc. und Werthaltungen des Individualismus, wie Kreativität, Spontaneität, Selbstverwirklichung, Ungebundenheit, Eigenständigkeit etc.6 Insbesondere in den Wertorientierungen des Hedonismus und des Individualismus finden sich Tendenzen zu einer Erlebnisorientierung und zu einem veränderten Konsumverhalten. Im Rahmen dieses Wertewandels findet eine starke Zunahme individueller Wahlmöglichkeiten statt. Die Menschen in der Bundesrepublik müssen viel mehr als früher ihre individuellen Wertekombinationen finden, was von vielen Personen einerseits als befreiend, von anderen aber als verunsichernd erfahren wird. Die Herausbildung von spezifischen Subkulturen und Lebensstilen als Ausdruck gemeinsamer Formen der Alltagsorganisation und der Gestaltung des täglichen Lebens ist unmittelbar hiermit verknüpft. Die Ursachen des Wertewandels sind sehr unterschiedlich. Die Mehrzahl der Wissenschaftler geht heute davon aus, daß die Veränderung der Wertorientierungen nicht mehr hinreichend durch die bisherigen Schicht- und Klassenkonzepte erklärt werden kann.7 Allerdings ist kaum anzunehmen, daß der ökonomische Strukturwandel der jüngeren Vergangenheit, der mit erheblichen Veränderungen der Arbeitswelten einhergegangen ist, nicht ursächlich auch mit dem Wertewandel verbunden ist. Einige Aspekte dieses ökonomisch-gesellschaftlichen Strukturwandels, die mit dem Wertewandel verknüpft werden, lassen sich leicht benennen: Die immer stärker werdende Tertiärisierung der Wirtschaft. Der Anteil der Beschäftigung im warenproduzierenden Gewerbe ist seit 1976 von 53% der Gesamtbeschäftigung auf 40% (1998) gesunken. Der Anteil der im Dienstleistungssektor Beschäftigten stieg von 46% auf 59%. Noch größer ist die Tertiärisierung im Bereich der Tätigkeiten der Beschäftigten. Die im Bereich der Fertigung Tätigen umfassen 1998 nur noch 29% der Beschäftigimg (1976: 39%), die mit Dienstleistungen Beschäftigten erreichen 1998 einen Anteil von 70% gegenüber einem Wert von 60% im Jahr 1976.8 Innerhalb des Produzierenden Gewerbes haben die Tätigkeiten, die mit dem Steuern von Maschinen und Anlagen zu tun haben, die höchsten Anteilsge-
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winne. Ebenso haben im Bereich der Dienstleistungen diejenigen Tätigkeiten, die mit Organisation und Management sowie mit Ausbilden, Beraten und Informieren zu tun haben, die höchsten Anteilszunahmen.9 Eine stetig wachsende Zahl der Beschäftigten ist in kleinen Unternehmen tätig. Die Zahl der Selbständigen ist deutlich gestiegen, genauso wie die Zahl der unterhalb der Sozialversicherungsgrenze Beschäftigten mit mehreren Arbeitsverhältnissen. Der Bildungsstand der Bevölkerung ist in starkem Maße gestiegen. Im Jahre 1960 besuchten noch 70% der 13-Jährigen die Hauptschule. 26% gingen auf Realschule und Gymnasium. Im Jahre 1992 lag der Anteil der HauptschUler nur noch bei 30%; der Anteil der Schüler auf Realschule und Gymnasium stieg hingegen auf rd. 58%.10 Insgesamt nimmt die Zahl der Akademiker weiter zu. Die Bildungssituation der Frauen hat sich innerhalb einer Generation erheblich verbessert." Mit den wirtschaftsstrukturellen Veränderungen ist die Qualifikation der Beschäftigten deutlich gestiegen. Damit hängt zusammen, daß man auch in der Arbeitswelt eine immer stärkere Orientierung an Selbstverwirklichungs- und Mitbestimmungswerten feststellen kann.12 Die Erwerbstätigkeit der Frauen hat in starkem Maße zugenommen. Diese Veränderung hat erheblichen Einfluß auf die Veränderung der Lebensstile und trägt u. a. auch zum allgemein gestiegenen Breitenwohlstand bei. Das verfügbare Einkommen und der private Verbrauch als Indikatoren der einzelhandelsrelevanten Kaufkraft sind stärker gestiegen als die Lebenshaltungskosten. Nach Angaben der GfK ist das monatlich verfügbare Einkommen je Haushalt (nominal) von rd. 1.600 DM (1970) auf rd. 5.200 DM (1994) gestiegen.13 Für den Uberwiegenden Teil der Bevölkerung sind die Grundbedürfnisse (Nahrungsmittel, Bekleidung, Schuhe, Wohnungen etc.) weitestgehend gedeckt. Auch bei den meisten langfristigen Konsumgütern ist beinahe eine Vollversorgung erreicht. Gleichzeitig ist die Freizeit gewachsen und die Arbeitszeit kürzer geworden. Lag die Wochenarbeitszeit 1950 noch bei 48 Stunden, so ist sie bis zum Jahr 1993 auf 38 Stunden gesunken. Genauso ist die Urlaubszeit deutlich gestiegen. In den alten Bundesländern gab es Anfang der 70er Jahre in den meisten Tarifbezirken einen Jahresurlaub von vier Wochen. Im Jahr 1989 lag der Jahresurlaub im Durchschnitt bei sechs Wochen. Durch Verlängerung der Ausbildungszeiten einerseits, durch frühere und längere Ruhestandszeiten andererseits ist zudem der Anteil der Arbeitsjahre an den Lebensjahren deutlich gesunken.14
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Alle diese Aspekte haben etwas mit dem Wertewandel in der bundesrepublikanischen Gesellschaft zu tun. Dieser führt auch zu einem deutlich geänderten Konsumverhalten, in dem Wertorientierungen wie Hedonismus und/oder Individualismus eine wachsende Rolle spielen.
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Wertewandel und die Veränderung des Konsumverhaltens
Allen Konsumforschern gemeinsam ist die Feststellung, daß sich das Konsumverhalten in den letzten 20 Jahren sehr stark geändert hat. Es wird immer mehr von Typen unterschiedlicher Lebensstile geformt und beeinflußt, und die Lebensstile und Konsumententypen werden differenzierter. OPASCHOWSKI ( 1 9 9 1 ) unterscheidet z. B. acht verschiedene Konsumententypen: den den den den den den den den
Normalkonsumenten, Versorgungskonsumenten, Sparkonsumenten, Anpassungskonsumenten, Erlebniskonsumenten, Geltungskonsumenten, Kulturkonsumenten sowie Anspruchskonsumenten.15
Es gibt immer mehr Übergänge zwischen den einzelnen Konsumententypen, so daß die sog. Versorgungskonsumenten morgen ebensogut als Erlebniskonsumenten auftreten können. Identitätswechsel sind für die heutigen Konsumentengenerationen charakteristisch. Zunehmend bestimmen die augenblicklichen Situationen das Konsumentenverhalten mehr als die generelle Festlegung auf einen Verhaltenstypus. Konsumententypen wie „Sparkonsument" und „Normalkonsument" haben zwar immer noch ein großes Gewicht in der bundesrepublikanischen Gesellschaft, aber alle anderen Typen nehmen an Bedeutung zu. Die Versorgungsorientierung des Konsums verliert dagegen an Wichtigkeit. Charakteristisch für wachsende Konsumentenschichten ist, daß der Gebrauchswert der gekauften Ware oder Dienstleistung nicht mehr das entscheidende Konsummotiv ist, sondern daß auf einen lustvollen Zusatznutzen abgestellt wird. Die Konsumenten erwarten einen Produkt- und Dienstleistungsnutzen, der über die funktionale und sachliche Qualität hinausgeht. Die Attraktivitäten von Produkten werden tendentiell weniger in den sachlichen Produkteigenschaften gesehen (die man auf einem hohen Qualitätsniveau als gegeben voraussetzt) als in der Fähigkeit der Produkte und Dienstleistungen, sinnliche und emotionale Erlebnisse zu vermitteln und dadurch zur Erhöhung des Lebensgefühls und zur Steigerung der Lebensqualität beizutragen.16
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Abb. 1: Ein Projekt wie der ,Ocean Park' in Bremerhaven zielt auf eine Erlebnisproduktion für eine Nachfrage, die bewußt Erlebnisse sucht. Diese wachsende Erlebnisnachfrage, die Einrichtungen erfordert, welche die Zutaten für mögliche Erlebnisse liefert, ist Ausdruck des Wertewandels in der bundesrepublikanischen Gesellschaft (Photo: Werbebroschüre der Köllmann GmbH zum .Ocean Park').
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Diese sog. Erlebnisorientierung des Konsums muß als langfristiger und durchgängiger Trend des Konsumverhaltens gesehen werden. Sie berührt in der einen oder anderen Form alle Typen der Konsumenten und ist nicht auf den Typus beschränkt, der bei OPASCHOWSKI „Erlebniskonsument" heißt.
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Implikationen der Erlebnisorientierung des Konsums
In Wirklichkeit durchdringt die wachsende Erlebnisorientierung schon heute die meisten Bereiche unserer Gesellschaft.17 Insbesondere im Bereich der Güter und Dienstleistungen ist ein Erlebnismarkt entstanden, auf dem Erlebnisse bewußt nachgefragt werden und auf dem Anbieter Erlebnisse produzieren bzw. eine Infrastruktur erstellen, die es dem Nachfrager ermöglicht, Erlebnisse zu haben. Dieses ist allerdings nicht so einfach, wie es scheint. Denn Erlebnisse sind ,psychophysische Konstruktionen': Ereignisse, die sich im Innenleben des Menschen abspielen. Sie haben etwas mit Gefühlen zu tun, mit Empfindungen als Reaktionen auf ganz bestimmte Reize, sie sind „innenorientiert"18. Der Mensch auf der Suche nach Erlebnissen sucht das Empfinden z. B. von Schönheit, von Spannung, von Interessantheit, von Anregungen, von Beachtetwerden, von Faszination, von Angst, von Erschrecken, von Liebe, von Eifersucht, von Ekel. Der erlebnisorientierte Mensch sucht vor allem Gefühle, die sich in ihm selbst abspielen. Das Einzige, das er wahrscheinlich nicht sucht, ist Langeweile. Charakteristikum von Erlebnissen, insbesondere jener Erlebnisse, die systematisch von Erlebnisanbietern produziert werden, ist ihre Unsicherheit und Flüchtigkeit. Der Erlebnisnachfrager selbst weiß vorher nie genau, ob das, was ihm angeboten wird, ihm auch gefallen wird. Häufig weiß er selbst gar nicht genau, was er sucht, welche Art von Erlebnissen er überhaupt anstrebt. Insbesondere wenn der Nachfrager versucht, Erlebnisse, die beim ersten Besuch der entsprechenden Einrichtung als positiv empfunden wurden, zu wiederholen, passiert es häufig, daß sich das Gefühl nicht wiederholt, daß Enttäuschung entsteht. Denn das Charakteristische des Erlebnismarktes ist, daß der Nachfrager auf dem Erlebnismarkt nur die Zutaten für ein mögliches Erleben bekommt. Kein Anbieter auf dem Erlebnismarkt kann die subjektive Konstruktion des Erlebnisses als Dienstleistung mitliefern. Für den Nachfrager besteht also eine große Unsicherheit und ein hohes Enttäuschungsrisiko.19 Aber auch für die Anbieter ist die Situation nicht ganz einfach. Sie müssen erreichen, daß ihr Angebot auch tatsächlich nachgefragt wird. Das ist um so eher möglich, je besser es ihnen gelingt, sich auf die Erwartungen der Erlebnisnachfrager einzustellen. Für die Anbieter einer neuen Erlebnisinfrastruktur gibt es - trotz aller Marktforschungen und aller Marketing-Anstrengungen - zunächst nur Vermutun-
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gen über ihre Klientel. Nur durch anschließende genaueste Beobachtungen des Marktes, durch das Gewinnen von Erkenntnissen über Regelmäßigkeiten bei Absatzschwankungen, durch das Akkumulieren von Erfahrungen in ihren Bereichen und die Anpassung und Veränderung ihrer Angebotsstrukturen gelingt es den Erlebnisanbietern, auf Dauer erfolgreich zu sein. Nach einer schwierigen Anfangsphase bilden sich allerdings Routinen einer Rationalität des spezifischen Erlebnisangebotes heraus.20 In den letzten Jahren sind vielfältige Konsumbereiche nach ihren Potentialen filr Erlebnisorientierungen untersucht und umgestaltet worden. Dabei haben sich typische Akteursstrukturen des Angebots von Konsum- und Erlebniswelten herausgebildet. Der folgende knappe Überblick über derartige Akteursstrukturen stellt auf urbane Konsum- und Erlebniswelten ab. Er leitet seine Erkenntnisse im wesentlichen aus den Entwicklungen im Bereich der Multiplex-Kinos, der Shopping Mails, der Arenen, der Musical-Theater sowie der gerade neu entstehenden Urban Entertainment Center ab. Allerdings können die hier gewonnenen Erkenntnisse ohne Bedenken auf andere Konsum- und Erlebniswelten übertragen werden.
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Akteure des Angebots von Konsum- und Erlebniswelten
Im Rahmen des Angebots von Konsum- und Erlebniswelten haben sich Anbieterstrukturen herausgebildet, die im allgemeinen den heute bei großen Immobilienprojekten üblichen Strukturen entsprechen. In ihrem Zusammenwirken gibt es allerdings bei Konsum- und Erlebniswelten Besonderheiten, die zu beachten sind. Als Akteure sind zu unterscheiden: Betreiber, Projektentwickler, Investoren und Kommunen.
4.1
Betreiber
Betreiber sind diejenigen Akteure, die in einer Einrichtung die .Erlebnisangebote' bereitstellen, deretwegen die Erlebnisnachfrager in erster Linie die Einrichtung aufsuchen. Betreiber sind z. B Filmtheaterbetreiber, Betreiber eines MusicalTheaters, einer Arena oder von Teilen eines Urban Entertainment Centers. Sie treten häufig, aber nicht immer als Mieter der Immobilie auf, in der die Erlebnisproduktion stattfindet. Sie können Privatpersonen sein oder Gesellschaften. Häufig - insbesondere bei Shopping Mails - sind die Betreiber sog. Managementgesellschaften, die meistens eher unbekannt bleiben. Derartige Managementgesellschaften, die auch das Management der großen Urban Entertainment Center übernehmen müssen, organisieren das Angebot vieler kleiner oder großer Erlebnisanbieter unter einem Dach. Bei den Urbanen Konsum- und Erlebniswelten kommt es insbesondere auf die Betreiber an. Verfehlt der Betreiber das Ziel, möglichst viele Erlebnisnachfrager
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anzusprechen, deren Aufmerksamkeit zu bekommen und vor allem auch zu behalten, verliert die Einrichtung, die meistens eine Immobilie ist, ihren Sinn und ihren Wert. Die Immobilienszene spricht daher auch von diesen Immobilien als Betreiber- oder Management-Immobilien und meint damit, daß die Möglichkeit, aus einer derartigen Immobilie mittel- bis langfristigen Profit zu ziehen, mit der Qualität des Erlebnisangebotes und ihrer Anbieter, der Betreiber, steht und fällt. Gelingt es einem der großen Musicals auf Dauer nicht, so attraktiv fllr die Zuschauer zu sein, daß eine bestimmte Auslastung des Theaters aufrechterhalten werden kann, wird das Musical-Angebot aufgegeben. Das Musical-Theater aber bleibt. Es ist mehr oder weniger wertlos, bis eine neue Nutzung gefunden werden kann. Daraus kann man sofort eine wichtige Erkenntnis ableiten: BetreiberImmobilien, bei denen es in der Natur der Sache liegt, daß jede Woche ein neues Erlebnisangebot erscheint, haben natürlich ein viel geringeres Wertrisiko als Einrichtungen, die über längere Zeit mit demselben Erlebnisangebot auf den Markt treten. Multiplex-Kinos und Arenen sind im Rahmen einer Investition langfristig damit weniger riskant als Musical-Theater und ähnliche Einrichtungen. Für viele neue Konsum- und Erlebniswelten gilt, daß es in der Bundesrepublik Deutschland einen eklatanten Mangel an erfahrenen Betreibern gibt. Ein guter und zuverlässiger Betreiber eines Erlebnisangebotes benötigt viele Jahre an Erfahrung, um auf dem Erlebnismarkt als etabliert zu gelten. In vielen speziellen Konsum- und Erlebniswelten hat es auch in der Bundesrepublik langsame Entwicklungen gegeben, in denen dieselben Betreiber in bestimmten Phasen der Entwicklung zunächst eine kleine Einrichtung betrieben haben, diese dann immer wieder modernisiert, an neue Trends angepaßt und vergrößert haben, bis man heute von erfahrenen Betreibern sprechen kann. Typisch dafür ist die Freizeitpark-Branche in der Bundesrepublik. Aber bei vielen neuen Einrichtungen gibt es keine Erfahrungen deutscher Betreiber, und darum werden in verstärktem Maße amerikanische und englische Betreiber angeworben und eingesetzt. Oder ausländische Gesellschaften drängen von selbst auf den deutschen Markt mit bestimmten Erlebnisangeboten, wie es zur Zeit im Bereich der ,Sea Life Centers' geschieht.
4.2
Projektentwickler
Projektentwickler sind die Akteure, die verantwortlich sind für die Errichtung der Immobilie, in denen die Betreiber ihre Konsum- und Erlebniswelten anbieten. Der Projektentwicklungs-Markt entwickelt sich allerdings sehr dynamisch, und heute ist es nötig, sehr unterschiedliche Typen von Projektentwicklem zu unterscheiden. Die Unterschiede resultieren vor allem aus dem Ausmaß des Engagements im Hinblick auf das Endprodukt - die Freizeitweltimmobilie. Am geringsten dürfte das Engagement bei Projektentwicklungsbüros und -gesellschaften sein, die Beratungsgesellschaften sind. Diese bieten Dienstleistungen für
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bestimmte Auftraggeber an, sie machen Standortbewertungen für Grundstücke, prüfen Projektideen, entwickeln im Auftrag Projektkonzepte und erarbeiten umfangreiche Machbarkeitsstudien. Sie können im Einzelfall erheblichen Einfluß auf das Angebot für Konsum- und Freizeitimmobilien gewinnen. Aber letzten Endes reicht ihr finanzielles Engagement nicht sehr weit und somit auch nicht ihre Entscheidungsfähigkeit im Hinblick auf das .Erstellen eines bestimmten Angebotes. Ebenfalls nicht sehr weit geht häufig das Engagement der vielen neuen Projektentwicklungsgesellschaften, die als Tochterfirmen von großen Grundstückseigentümern gegründet worden sind. Deren Interesse richtet sich vor allem auf den Verkauf des Grundstücks. Darum werden hier zwar Standortanalysen angefertigt und interessante Projektideen konzipiert, aber dann versuchen diese Firmen häufig, jemanden zu finden, der die Idee aufnimmt, das Grundstück kauft und die weiteren Schritte der Projektentwicklung übernimmt. Erst, wenn dieses Vorgehen nicht zum Ziel führt, werden größere Engagements diskutiert. Ein anderer Typ Projektentwickler ist in den letzten Jahren aus den Bauunternehmungen entstanden. Die meisten großen und auch zahlreiche mittelständische Bauunternehmen haben Tochtergesellschaften und/oder eigene Projektentwicklungsgesellschaften gegründet. Diese erwerben Grundstücke und konzipieren und bauen Projekte. Sie finanzieren ihre Projekte selbst und vermieten sie an Betreibergesellschaften und verkaufen sie am Ende an Investoren. Ihr Ziel ist es in erster Linie, die Wertschöpfungskette des Bauens zu ihren Gunsten zu verlängern. Sie können einerseits ihre eigenen Baukapazitäten besser auslasten, wenn sie selbst die Projektentwicklung übernehmen; sie können aber auch durch die Integration weiterer Aufgabenfelder und Projektstufen zusätzliche Gewinnmargen abschöpfen.21 Dabei ist zu beachten, daß derartige Tochterfirmen von Bauunternehmen zunächst keine Experten für Konsum- und Freizeitwelten sind. Sie betreten mit der Entwicklung einer Konsum- und Freizeitimmobilie in der Regel Neuland, können sich aber durch erfolgreiche erste Erfahrungen durchaus auf diesem Markt etablieren. Der eben erwähnte Typ der Projektentwicklungsfirma betreibt Projektentwicklungen in umfassendem Sinne. Als ähnliche Projektentwicklungsfirmen seien schließlich an dieser Stelle Projektentwicklungsgesellschaften angesprochen, die häufig Einzelpersonen gehören und die schon länger auf dem Projektentwicklungsmarkt tätig sind - allerdings noch nicht auf dem Markt der Erlebnisangebote. Es gibt zur Zeit einige Beispiele von Firmen, die bisher als bekannte Projektentwickler auf den Gewerbeimmobilien-Märkten aufgetreten sind, die aber nun in den Markt für Konsum- und Erlebniswelten drängen. Auch diese betreten in vielfältiger Hinsicht Neuland, da die Nutzungskomponente deutlich anders ist als in den sog. Verwaltungsimmobilien (Büros oder Gewerbeparks). Auch für diese Unternehmen stellen sich besondere Schwierigkeiten durch das Fehlen von erfahrenen Betreibern in vielen Erlebniswelt-Bereichen.
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Zwischen dem Typ ,Projektentwickler als Beratungsfirma' einerseits und dem Typ .Projektentwickler in umfassendem Sinne' andererseits, der - abstrakt formuliert Standort, Investoren (Kapital) und Nutzer (Projektidee) zusammenführt und alle Einzelleistungen koordiniert, um ein fertiges Produkt zu liefern,22 findet man heute noch vielfältige andere Formen. Zusätzlich zu den schon erwähnten Projektentwicklungsgesellschaften treten neue Firmen von Banken, von offenen und geschlossenen Immobilienfonds, von Versicherungen und anderen Kapitalsammelstellen auf, die beginnen, eigene Projektentwicklung vorzunehmen. Da auch die Projektentwickler lernen mußten, daß im Markt für Erlebniswelten in wachsendem Maße schon die Immobilie als Erlebnis-Entree dient, bleibt für diese Gesellschaften kaum etwas anderes übrig, als eng mit möglichen Betreibern zusammenzuarbeiten, wenn sie das Risiko nicht eingehen wollen, etwas zu konzipieren und zu bauen, das dann für die spätere Nutzung nicht optimal geeignet ist. Fehlen derartige Betreibergesellschaften und sind sie auch aus dem Ausland nicht anzuwerben, entsteht für die Projektentwicklungsgesellschaften eine spezielle Problemsituation. Diese kann offenbar in manchen Fällen nur dadurch überwunden werden, daß die Developer eigene Betreibergesellschaften gründen und sie in der Zeit der Implementierung des Immobilienprojektes qualifizieren, so daß sie nach Fertigstellung der Immobilien mit dem Anbieten einer bestimmten Nutzung beginnen können.
4.3
Investoren
Die dritten erwähnenswerten Akteure beim Angebot von Konsum- und Erlebniswelten sind die Investoren. Damit sind die Personen oder Gesellschaften gemeint, die am Ende die Immobilie oder Einrichtung in ihrem Eigentum halten. Dies sind gerade bei künstlichen Erlebniswelten häufig vermögende Einzelpersonen, die auch gleichzeitig Betreiber des Erlebnisangebotes sind. Dies hat etwas damit zu tun, daß in den ersten Phasen der Entstehung und Verbreitung von Erlebniswelten die traditionellen Kapitalsammei- und Anlagegesellschaften wie Banken und Versicherungen aufgrund des erhöhten Risikos nur ungern Kredite für derartige Einrichtungen gaben. Die Betreiber der Erlebniswelten mußten daher selbst das Risiko übernehmen, sie mußten relativ viel Eigenkapital aufbringen, bis die ersten Hypotheken durch die Banken gewährt wurden.23 Je mehr sich aber der Markt der Erlebnis- und Konsumwelten etabliert, desto günstiger stellen sich die Finanzierungsmöglichkeiten dar, und desto mehr Gesellschaften gibt es, die als Investoren auftreten. Neben Banken und Versicherungen sind die geschlossenen Immobilienfonds, die offenen Immobilienfonds, die Pensionskassen, andere Unternehmen, ausländische Investoren etc. zu erwähnen.
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4.4 Städte und Kommunen Von großer Bedeutung auf dem Markt der Erlebnis- und Konsumwelten ist auch die öffentliche Hand, im wesentlichen Städte oder Kommunen. Im Rahmen der Entwicklung von Erlebnis- und Konsumwelten haben die Kommunen eine äußerst wichtige Stellung. Und je nach grundsätzlicher Haltung der Kommunen zu geplanten Erlebnisangeboten stoßen die Betreiber und Projektentwickler auf schwierige oder günstige Situationen. Schwierige Situationen gibt es immer dann, wenn die Mehrheitsfraktion im Rat stillschweigend oder öffentlich einem derartigen Erlebnis- und Konsumweltenprojekt skeptisch gegenübersteht. Häufig wird in derartigen Fällen ein Gegensatz zwischen Trivialkultur und Hochkultur hochgespielt. Mit der angeblichen Trivialität und Massenkultur der neuen Erlebniswelten wollen manche Stadträte nichts zu tun haben, sie reagieren daher eher ablehnend auf neue Ideen in diesem Bereich. Immer mehr Kommunen entdecken jedoch das große Nachfragepotential der neuen Erlebnis- und Konsumwelten, sie denken an zusätzliche Arbeitsplätze, an zusätzliche Steuern, an Vorteile im zwischengemeindlichen Konkurrenzkampf, an Erhöhung der Zentralität der Kommune etc. Sie reagieren sehr offen auf die Vorstellungen von Projektentwicklern, Betreibern und Investoren. Dennoch ist festzuhalten, daß trotz häufig massiver Unterstützung eines Projektes durch die Stadtspitze der Weg eines Erlebnisprojektes durch die Gremien und durch die Bürgerschaft schwierig ist. Das hat viele Ursachen: Eine der wichtigsten Ursachen liegt mit Sicherheit darin, daß die Kommunen den Bereich Freizeitentwicklung nicht in ihrem langfristigen Planungskalkül haben. Der Freizeitbereich ist ein Bereich, der nicht zu den Pflichtaufgaben der Gemeinde gehört. Daher wurde er in der Vergangenheit fast ausnahmslos dem privaten Markt überlassen. Für Kino-Entwicklungen z. B. findet sich unter den städtischen Akteuren in der Regel kein einziger erfahrener Ansprechpartner. Äußerst selten gibt es in Kommunen einen Freizeitentwicklungsplan. Im Ergebnis führt das dazu, daß die kommunalen Akteure wenig oder gar nichts von der Welt der privaten Akteure im Bereich der Erlebnis- und Konsumwelten wissen. Politiker und Verwaltung sind zunächst den Vorstellungen der Projektentwickler und Betreiber recht hilflos ausgeliefert. Andererseits haben Projektentwickler und Betreiber kaum Kenntnisse von der Welt der kommunalen Politik und Planung und ihren Akteursstrukturen. Der einzige Weg für die Projektentwickler ist daher der, sich unmittelbar an die bedeutendsten und ranghöchsten Akteure in der örtlichen Politik und Planung zu wenden, dort Zustimmung zu erlangen und dann gemeinsam mit den Stadtspitzen das Projekt durchzusetzen. Dabei entsteht aber bei den zunächst nicht einbezogenen Bürgern recht schnell eine Widerstandsstimmung gegen derartige Projekte. Bürgerinitiativen formieren sich; sie suchen
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sich Verbündete in den Ratsfraktionen und versuchen, eine Mehrheit gegen das Projekt zustande zu bringen. Zahlreiche Forschungen über Kooperationen zwischen Stadtverwaltungen und privaten Projektentwicklern haben gezeigt, daß eine falsche Informationspolitik der Projektentwickler und der höchsten Stadtspitzen die Konflikte um bestimmte Projekte verstärken. Eine offenere Informationspolitik kann schnell zu anderen Ergebnissen führen, birgt allerdings ebenfalls Risiken (vgl. Beitrag VoßEBÜRGER/WEBER in diesem Band - Anm. d. Hrsg). Die starke Stellung der Kommunen bei der Planung und Entwicklung von Freizeitund Konsumwelten resultiert aus ihrer Aufgabe und Verpflichtung, die bauleitplanerischen Voraussetzungen für derartige Projekte zu schaffen. Das impliziert in der Regel einen Bebauungsplan, der das Baurecht verleiht. Dieser Bebauungsplan muß aus einem Flächennutzungsplan abgeleitet werden - häufig muß der Flächennutzungsplan im Parallelverfahren geändert werden. Die starke Stellung der Kommune resultiert unter anderem daraus, daß sie das Baugenehmigungsverfahren in ihren Händen hat. Die Machtposition der Kommune ergibt sich auch dadurch, daß sehr häufig bei den Großprojekten im Bereich der Erlebnis- und Konsumwelten Erschließungssysteme neu gestaltet werden müssen, daß sich schwierige Fragen der Verkehrslenkung stellen und dergleichen. Ohne erhebliche Leistungen der öffentlichen Hand sind viele der Urbanen Erlebnisund Konsumwelten also nicht zu realisieren. Es muß daher zu einer engen Kooperation zwischen Politik und Planung auf der einen Seite und den privaten Projektentwicklem auf der anderen Seite kommen. In diesem Zusammenhang ergibt sich notwendigerweise der Zwang zu einer ,Public-Private-Partnership'. Auch diese nimmt sehr unterschiedliche Formen an. Sie reicht von lockeren Verabredungen auf der Basis eines grundsätzlichen gegenseitigen Vertrauens über gemeinsame Projektarbeitsgruppen bis zu einer gemeinsamen Projektgesellschaft. Dabei spielen heute städtebauliche Verträge sowie Vorhaben- und Erschließungspläne eine wachsende Rolle. Das Zusammenspiel der verschiedenen Akteure sei mit Hilfe einiger Beispiele aus unterschiedlichen Bereichen von neuen Urbanen Erlebnis- und Konsumwelten erläutert.
Beispiel 1: Das ,Hansa-Carree' in Dortmund Bei diesem Projekt handelt es sich um die Wiederbebauung eines Grundstücks in der Dortmunder Innenstadt. Hier stand bis 1996 die ehemalige Stadt- und Landesbibliothek, deren Abriß aufgrund des Denkmalschutzes sehr umkämpft war. Initiatoren des Projektes ,Hansa-Carree' sind Politik und Verwaltung der Stadt Dortmund. Im Jahre 1997 fand ein Investorenwettbewerb statt, bei dem ein Dortmunder Projektentwickler gewann - eine Personengesellschaft. Der Entwickler
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präsentiert mittlerweile das sog. ,Hansa-Carree' als ein Projekt von 130 Mio. DM für eine 12.000 qm große Immobilie, deren Ankermieter ein Multiplex-Kino mit rd. 1.500 Plätzen sein wird. Die anderen Mieter werden Einzelhandelsfachgeschäfte sein.
Abb. 2: Das Projekt .Hansa-Carree' in Dortmund ist typisch für die Auseinandersetzung um die letzten attraktiven Standorte für Multiplex-Kinos. Eine Mixed-UseNutzung aus Shopping und Großkino soll einem Developer-Projekt zusätzliche Attraktivität verleihen (das Photo wurde freundlicherweise vom Büro ,Friesleben & Partner, Friesleben Geddert Noetzel' zur Verßgung gestellt).
Der Betreiber des Multiplex-Kinos wird die ,Kinopolis GmbH und Co. KG' sein, die der deutsch-australischen Betreiberfirma Theile-Hoyts gehört. Dieser Betreiber wird das Kino mieten. Das ,Hansa-Carree' wird vom Projektentwickler mit Eigenkapital und Hypotheken finanziert. Ein Investor ist noch unbekannt. Das Projekt ist deshalb besonders interessant, weil es ein typisches Produkt der zur Zeit laufenden Endphase des Kampfes um Multiplex-Standorte ist. Erst vor zwei Jahren wurde nördlich des Bahnhofes das erste Multiplex-Kino in Dortmund eröffnet - ein ,Cine-Star' der Kieft-Gruppe, das heute einem Immobilienfonds gehört. Das jetzt geplante zweite Multiplex-Kino wird zwar als sog. ,Art-House' bezeichnet, hat aber mit seinen 1.500 Plätzen genau die optimale Größe eines gut wirtschaftlich zu betreibenden Multiplex-Kinos. Der Konkurrenzkampf mit dem ,Cine-Star' wird hart werden. Zwar meint ein Gutachten, daß Dortmund zwei Multiplex-Kinos vertrage, aber mit Sicherheit wird es für eines der beiden Großkinos finanziell schwer werden.
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Beispiel 2: Die ,KölnArena' Sie wurde als größte und modernste geschlossene Veranstaltungshalle Deutschlands im Oktober 1998 eröffnet. Sie ist die zweite der neuen Arenen und wurde nach der ,Arena Oberhausen' fertiggestellt. Zahlreiche weitere Projekte von Arenen oder Domes sind geplant oder im Gespräch. Das Gesamtprojekt .KölnArena' umfaßt die Veranstaltungshalle und eine Mantelbebauung von 80.000 qm Bruttogeschoßfläche für Büros, Einzelhandel, Hotel und Gastronomie. Die Veranstaltungshalle hat 18.000 Sitzplätze auf zwei Rängen. Die Gesamtinvestitionssumme einschließlich der Erschließungsmaßnahmen belief sich auf ca. 800 Millionen DM. Initiator des Projektes war Ende der 80er Jahre die Stadt Köln. Nach einem Investorenwettbewerb und langwierigen Verhandlungen zwischen Stadt und möglichen Projektentwicklern erhielt die Philipp Holzmann AG als Projektentwickler den Zuschlag zum Kauf des Grundstücks und zum Bau des Gesamtprojektes.
Abb. 3: Die .KölnArena' gilt als die modernste und größte geschlossene Veranstaltungshalle in Deutschland. Sie ist ein Beispiel für eine gelungene Kooperation zwischen einer kompetenten Großstadtverwaltung und einem Projektentwickler, der Tochter einer Baufirma ist. Auffallend ist, daß der Projektentwickler sich dazu entschlossen hat, eine eigene Betreibergesellschaft zu gründen: die ,KölnArena-Management GmbH'. Das wurde wegen des Mangels an kompetenten Betreibergesellschaften in der Bundesrepublik notwendig (Photo: Gerd Hennings).
Bauherr und Investor wurde ein , Immobilienfonds Köln-Deutz-Arena und Mantelbebauung GbR', vertreten durch die ,J. Esch Fonds-Projekt GmbH' und die Pri-
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vatbank ,Sal. Oppenheim & Cie.'. Erwähnenswert im Zusammenhang mit der Frage der Akteure ist die Betreibergesellschaft. Wegen des Fehlens deutscher Betreibergesellschaften war ursprünglich eine amerikanische Gesellschaft vorgesehen - die .Leisure Management International' (LMI). Jedoch kam es zu keiner Einigung, so daß die Philipp Holzmann AG beschloß, eine eigene Betreibergesellschaft zu gründen. Heute liegt die Verantwortung fllr den Betrieb der Halle bei der .KölnArena Management GmbH'. Sie wird rd. 300 Mitarbeiter und bis zu 700 freie Mitarbeiter haben und ist eine lOOprozentige Tochter des Baukonzerns Philipp Holzmann AG, Direktion West. Die Stadt Köln begleitete den Entwicklungsprozeß mit einer verwaltungsinternen Arbeitsgruppe. Sie schloß mehrere städtebauliche Verträge mit dem Projektentwickler und subventionierte das Projekt über den Kaufpreis des Grundstückes, das der Stadt gehörte. Eine vertraglich abgesicherte privat-öffentliche Partnerschaft wurde nicht ins Leben gerufen.
Beispiel 3: Der ,Space Park' in Bremen Der , Space Park' Bremen gehört zum neuen Typ der Erlebnis- und Konsumwelten, die man gemeinhin als Urban Entertainment Center (UEC) bezeichnet. Bei dieser neuen Immobilie geht es um eine Agglomeration verschiedener Freizeit- und Unterhaltungseinrichtungen, die auf einen besonders großen Erlebnischarakter abzielen. Sie schaffen eine Integration von Erlebnishandel, Themengastronomie und speziellen Freizeitattraktionen wie Multiplex-Kinos, Musical-Theater oder Diskotheken. In Deutschland gilt das ,CentrO' in Oberhausen mit seiner Mischung aus Shopping-Mall, Themenrestaurants, Multiplex-Kino, Musical-Theater (Tabaluga: im Bau), Arena und Freizeitpark als erstes der neuen Urban Entertainment Center, und zwar als einzelhandelsorientiertes UEC (vgl. Beitrag QUACK in diesem Band - Anm. d. Hrsg.). Mit dem Freizeit- und Erlebniszentrum Stuttgart International (SI) mit zwei Musical-Theatern, Bade- und Saunalandschaft, Spielcasino, Gastronomie und Geschäften wurde ein Konzept eines abendunterhaltungsorientierten Urban Entertainment Centers realisiert.24 Der „Space Park" Bremen soll ebenfalls ein integriertes Shopping Entertainment Center werden, dessen Thema durch Einrichtungen wie .Space Center Bremen', ,Weltraumakademie', ,Mars Base 5', ,Imax-Theater' und ,Space Camp' bestimmt wird. Weiter sind ein Multiplex-Kino geplant sowie eine ,Star Trek TM'-Show. Frequenzbringer aber wird eine 30.000-40.000 qm große Shopping Mall sein, dazu kommen diverse Restaurants, ein Hotel und zahlreiche weitere Einrichtungen. Die Initiative zu diesem Projekt ging von einem renommierten Projektentwickler aus - der Köllmann GmbH. Nach langen internen Kämpfen hat die Stadt Bremen endlich ihr Placet zur Realisierung des Projektes gegeben. Die Köllmann GmbH hat für die Projektentwicklung eine eigene Projektentwicklungsgesellschaft ge-
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gründet, die ,HPG Hanseatische Projektentwicklungsgesellschaft mbH' mit Sitz in Bremen. Gesellschafter sind zu je 50% das Land Bremen und die Köllmann GmbH. Es handelt sich also um eine vertraglich formalisierte ,Public-PrivatePartnership'. Das hoch subventionierte Projekt wird zum Teil aus Mitteln des Landes Bremen finanziert, zum Teil über einen Investmentfonds, zum Teil mit Darlehen von Banken und zum Teil aus Mitteln einer Aktiengesellschaft, an der sich die Köllmann GmbH beteiligen wird.
Abb. 4: Modell des ,Space Park' in Bremen. Dieses große Vorhaben eines Projektentwicklers machte ebenfalls die Gründung einer eigenen Betreibergesellschaft erforderlich. Der ,Space Park' wird ein Shopping Entertainment Center werden (Photo: Werbebroschüre der ,European Leisure Corporation GmbH').
Auch hier hat sich das Fehlen einer erfahrenen Betreibergesellschaft als ein Grundproblem herausgestellt. Die Köllmann GmbH sah sich daher ebenfalls dazu gezwungen, eine eigene Betreibergesellschaft zu gründen, die .European Leisure Corporation GmbH'. Diese wird den Betrieb des ,Space Park' in der Zukunft übernehmen.25
5
Räumliche Planung bei Erlebnis- und Konsumwelten
Das Auftauchen der ersten Großprojekte der neuen Generation von Erlebnis- und Konsumwelten stellte die Stadt- und Raumplaner vor viele neue Probleme. Zunächst wurden viele Bedenken vorgebracht - begründet wahrscheinlich durch eine
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unterschwellige Ablehnung der auf Massenkonsum und nicht auf Hochkultur abgezielten Erlebnisprojekte. Schnell verstärkte sich die Ablehnungsfront durch allzu durchsetzungsorientiertes Vorgehen der Projektentwickler, die ohne Berücksichtigung der Stadtentwicklungsziele und der vorhandenen städtischen Strukturen versuchten, ihre Projekte über die Spitzen der Mehrheitsfraktionen gegen den Widerstand von Verwaltung und Bevölkerung durchzusetzen. Daß dabei nicht selten versucht wurde, das geltende Planungsrecht zu übersehen oder bis an die Grenzen des Möglichen zu dehnen, hat erst recht manche Bürgerinitiativen mobilisiert und zum Widerstand ermuntert. Mittlerweile ist aber die erste Welle der Aufgeregtheiten abgeklungen. Ein entspannteres und bewußteres Umgehen mit derartigen Projekten wird diskutiert und angegangen. Inzwischen haben sich die Zielvorstellungen der Stadt- und Raumplaner hinsichtlich der Urbanen Erlebnis- und Konsumwelten in vielfacher Hinsicht geklärt. Auch ein größeres Selbstbewußtsein im Hinblick auf den Einsatz des planungsrechtlichen Instrumentariums kann festgestellt werden. Heute gelten als gesicherte Wissensbestände-. Urbane Erlebnis- und Konsumprojekte haben ein großes Potential dafür, die bundesdeutschen Innenstädte zu attraktivieren und neu zu positionieren. Projekte wie Arenen, Stadien und Urban Entertainment Center werden mittlerweile in den Vereinigten Staaten als die großen Hoffnungsträger zur Revitalisierung der dort teilweise schon vollständig zerstörten Innenstädte gesehen und häufig realisiert. Dementsprechend setzt sich in zunehmendem Maße die Auffassung durch, daß derartige Urbane Erlebnis- und Konsumprojekte nur einen richtigen Standort haben - die Innenstadt. Viele deutsche Innenstädte könnten auch das notwendige große Flächenangebot bereitstellen. Aufgegebene innerstädtische Industrieflächen (z. B. ehemalige Brauereistandorte), aufgegebene Güterbahnhofsflächen, aufgegebene Gleisflächen der deutschen Bahn AG etc. bieten interessante Standorte für innerstädtische Erlebnis- und Konsumwelten. Auch Brachflächen am Rande der City kommen für derartige Großprojekte in Frage. Periphere Standorte am Rande der Stadt werden immer unerwünschter. Teilweise werden derartige Projekte im Rahmen schon lange vorhandener großer Shopping Center geplant und errichtet. In diesen Fällen unternimmt die räumliche Planung allerdings nicht sehr viel, die Errichtung von neuen dezentralen Erlebnis- und Konsumwelten zu verhindern. Die Urbanen Projekte der neuen künstlichen Erlebniszentren benötigen sehr große Einzugsbereiche. Daher ist bei ihrer Ansiedlung die von der Landesplanung vorgesehene zentralörtliche Struktur zu beachten. Vornehmlich sollten derartige Einrichtungen in Oberzentren angesiedelt werden, kleinere auch
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in Mittelzentren. In Unterzentren und Nebenzentren von Großstädten sollten keine Standorte entwickelt werden. Je mehr derartige Erlebnis- und Konsumzentren in integrierten Lagen der Innenstädte untergebracht werden, desto größer ist der Anteil der Besucher, der den öffentlichen Personennahverkehr benutzen wird, um die Einrichtung zu erreichen. Dennoch sollte man sich nichts vormachen. Die neuen Erlebnisund Konsumzentren sind in erster Linie autoorientiert - nur der private Pkw ermöglicht den Erlebnis- und Konsumwelten den Umfang des Einzugsbereiches, den sie benötigen. Erforderlich ist daher für die meisten Projekte eine hervorragende Erreichbarkeit für den privaten Pkw-Verkehr und dementsprechende Einrichtungen für den ruhenden Verkehr. Andernfalls ist schnell die Wirtschaftlichkeit der Projekte bedroht. Insofern sind diese großen Erlebnisund Konsumwelten tatsächlich nicht sehr umweltverträglich. Bauökologische Potentiale zur Verbesserung der Umweltbilanz der Projekte werden m. E. noch zu wenig genutzt. Ebenso sollte man sich nicht zu viel im Hinblick auf die Integrationsfähigkeit der Anlagen selbst versprechen. Die großen neuen Erlebnis- und Konsumwelten bedeuten in der Regel einen erheblichen Eingriff in die bestehenden Angebotsstrukturen im Freizeitbereich, die es in einer Stadt gibt. Besonders durch den Versuch der Betreiber und Projektentwickler, verschiedene Freizeitangebote unter einem Dach zu integrieren und damit die Attraktivität und Aufenthaltsdauer der Besucher in den Anlagen zu erhöhen, wird bewirkt, daß die Integration in die bestehenden Nutzungsstrukturen nur unzureichend gelingt. In jedem Fall werden die vorhandenen Nutzungen unter einen erheblichen Anpassungs- und Umstrukturierungsdruck gestellt. Unter den Stadt- und Raumplanern wird das allerdings in zunehmendem Maße akzeptiert. Viele Planer sehen heute, daß es nicht ihre Sache sein kann, bestimmte Nutzungsstrukturen zu konservieren und sie gegen den Wettbewerb zu schützen. Planungsrechtlich ist nur selten die Genehmigungsfähigkeit einer derartigen neuen Erlebnis- und Konsumwelt im Rahmen des § 34 BauGB, d. h. im Rahmen des sog. unbeplanten Innenbereichs, gegeben. Heute gilt, daß nur ein Bebauungsplan mit einer Sondergebiets- oder Kerngebietsausweisung die notwendige planungsrechtliche Sicherheit für die Einrichtungen herstellt.26 Nur die im Prozeß der Bebauungsplanung erforderlichen genauen Bestandsaufnahmen sowie die Bedenken und Anregungen der verschiedensten Beteiligten garantieren einen klugen Abwägungsprozeß, der auf die Eigenarten der Nachbarschaften und näheren Umgebung Rücksicht nehmen kann und dementsprechende Problemlösungen bereithält. Auch und gerade bei Großprojekten kommt es sehr auf eine gelungene städtebauliche und stadtgestalteri-
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sehe Integration an, soll die Immobilie dem Raum langfristig eine eigene Identität verleihen. Es sieht so aus, als ob die Stadt- und Raumplanung von den langwierigen und lange Zeit nicht sehr erfolgreichen Versuchen zur Beschränkung des großflächigen Einzelhandels auf der grünen Wiese gelernt hat. Heute wird - insbesondere vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit den Problemen der Innenstädte in den neuen Bundesländern - die Bedrohung der Cities durch dezentrale Standortentwicklungen sowohl im Shopping-Center-Bereich als auch im Bereich der künstlichen Erlebniswelten ernster gesehen als früher. Es ist auch in vielen Bundesländern die Bereitschaft der übergeordneten Planungsbehörden gewachsen, restriktiv auf die vielen Pläne für dezentrale Projekte einzuwirken. Der Effekt ist spürbar. Die Projektentwickler müssen häufiger als früher erfahren, daß ihre dezentralen Projekte von den Planungsbehörden und sogar von den Gerichten dann abgelehnt werden, wenn die notwendigen planungsrechtlichen Prüfungen ergeben, daß sie sich nicht in die bestehende Raumstruktur einfügen. Es ist auffällig, daß die meisten neuen Projekte, die im Bereich der Urbanen Erlebnisund Konsumwelten erwähnenswert sind, keine dezentralen Projekte sind. Auch Projektentwickler scheinen immer mehr zu akzeptieren, daß ihre Projekte um so eher genehmigungsfähig sind, wenn sie sich auf die bestehenden Raumstrukturen einlassen und sich zumindest um Integration bemühen. Noch ein anderer Effekt ist spürbar, der meines Erachtens ebenfalls positiv zu werten ist. Die Bereitschaft der öffentlichen Träger, sich systematischer als in der Vergangenheit mit Freizeit- und Konsumwelten zu beschäftigen, nimmt spürbar zu. Wie im Einzelhandelsbereich in wachsendem Maße von Einzelhandelskonzepten die Rede ist, die einen gesicherten Rahmen für die langfristige Einzelhandelsentwicklung unter Berücksichtigung von großflächigen Einzelhandelsvorhaben bilden sollen, so wird zunehmend gefordert, daß die Kommunen sich mit Rahmenplänen und Leitkonzepten zum Thema ,Freizeit und Kultur' auseinandersetzen sollen.27 Und dabei soll nicht - wie bisher - nur der Bereich der öffentlichen Kultur und der sog. Hochkultur beachtet werden, sondern genauso der Bereich der privaten Kultur- und Freizeiteinrichtungen. Die Erfahrungen zeigen, daß nur in Kommunen, die derartige Themenkreise schon intensiv erörtert haben und dabei eigene Experten ausgebildet haben, eine kluge Steuerung der Konsum- und Erlebniswelten vorgenommen werden kann (vgl. Beitrag ROMEIß-STRACKE in diesem Band - Anm. d. Hrsg.). Derartige Kommunen sind nicht hilflos den verschiedenen Wünschen der Projektentwickler ausgeliefert, sondern können von vornherein mit eigenen Vorstellungen in den Diskussionsprozeß mit dem Projektentwickler eintreten. Das kann langfristig nur positiv für die Einrichtungen selbst sein, aber auch für die Struktur unserer Städte.
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Anmerkungen 1
KLAGES, H.: Wertorientierungen im Wandel. Rückblick, Gegenwartsanalyse, Prognosen, 2. Aufl., Frankfurt/New York 1985, S. 10 2 INGLEHART, R.: Kultureller Umbruch. Wertewandel in der westlichen Welt, Frankfurt/ New York 1989, S. 90 ff. 3 WELSCH, W.: Unsere postmoderne Moderne, Weinheim 1988, S. 9 ff. 4 HIRSCH, J./ROTH, R.: Das neue Gesicht des Kapitalismus. Vom Fordismus zum PostFordismus, Hamburg 1986 5 BECK, U.: Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, Frankfurt/Main, 1986 6 KLAGES, H.: Wertorientierungen im Wandel, a. a. O., S. 18 7 HEIDENREICH, M.: Die subjektive Modernisierung fortgeschrittener Arbeitsgesellschaften. - In: Soziale Welt, 47 (1996), 1, S. 25, unter Bezug auf HRADIL, S.: Die „objektive" und die „subjektive Modernisierung". Der Wandel der westdeutschen Sozialstruktur und die Wiedervereinigung. - Aus: Politik und Zeitgeschichte, 29-30 (1992), S. 3-14. Deutlich anders argumentiert allerdings BOURDIEU, P.: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, 11. Auflage, Frankfurt/Main 1999, S. 174 ff 8 Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. Die Angaben wurden freundlicherweise von Prof. Dr. F. J. BADE, Universität Dortmund, zur Verfügung gestellt. 9 HEIDENREICH, M.: Die subjektive Modernisierung fortgeschrittener Arbeitsgesellschaften, a. a. O., S. 31 10 STATISTISCHES BUNDESAMT (Hrsg.): Datenreport 1994. Zahlen und Fakten über die Bundesrepublik Deutschland, Bonn 1995, S. 52 11 Ebenda, S. 72 12 HEIDENREICH, M.: Die subjektive Modernisierung fortgeschrittener Arbeitsgesellschaften, a. a. O., S. 39 13 LITZENROTH, H. A.: Dem Verbraucher auf der Spur - Quantitative und qualitative Konsumtrends. - In: GfK (Hrsg.): Jahrbuch der Absatz- und Konsumforschung, Spezialausgabe: Konsumtrends, Nürnberg, 3/95, S. 232ff. 14 MÜLLER, S./HENNINGS, G.: Künstliche Erlebniswelten. Die Kräfte hinter dem Trend. In: HENNINGS, G./MÜLLER, S. (Hrsg.): Kunstwelten, Dortmund 1998, S. 14 (Dortmunder Beiträge zur Raumplanung; 85) 15
OPASCHOWSKI, H. W.: Freizeit, Konsum und Lebensstil. - In: SZALLIES, R./WISWEDE, G.
(Hrsg.): Wertewandel und Konsum. Fakten, Perspektiven und Szenarien für Markt und Marketing. 2. Auflage, Landsberg/Lech, 1991, S. 116 ff. 16 KROEBEL-RIEL, W.: Erlebnisbetontes Marketing. - In: BELZ, Chr.: Realisierung des Marketing. Marketing in unterschiedlichen Situationen von Märkten und Unternehmen, Band 2. Savosa und St. Gallen, o. Z., S. 1139 ff. 17 SCHULZE, G.: Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart, Frankfurt/New York 1996, S. 13 18 Ebenda, S. 256 ff. "Ebenda, S. 431 20 Ebenda, S. 439 21 DIEDERICHS, C. J.: Grundlagen der Projektentwicklung. - In: SCHULTE, K.-W. (Hrsg.) unter Mitarbeit von St. BONE-WINKEL und B. HEUER: Handbuch Immobilien Projektentwicklung, Köln 1996 S. 55 22 HOLSKEN, A.: Aktive kommunale Projektentwicklung, Dortmund 1997, S. 42 (Diplomarbeit an der Fakultät Raumplanung, Unversität Dortmund)
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G.: Künstliche Erlebniswelten. Die Kräfte hinter dem Trend, a. a. O., S. 23 ff. FRANCK, J.: Urban Entertainment Center. Entwicklung nationaler und internationaler Freizeitmärkte. - In: THOMAS-MORUS-AKADEMIE BENSBERG (Hrsg.): Musicals und urbane Entertainmentkonzepte. Markt, Erfolg und Zukunft. Zur Bedeutung multifunktionaler Freizeit- und Erlebniskonzepte, Bergisch-Gladbach 1999, S. 92 (Bensberger Protokolle; 90) SPACE PARK BREMEN. Werbebroschüre der European Leisure Corporation GmbH, Wiesbaden, o. S., o. J. MOLLER, S./HENNINGS,
INSTITUT FÜR LANDES- UND STADTENTWICKLUNGSFORSCHUNG DES LANDES NORDRHEIN-
(ILS) (Hrsg.): Kommerzielle Freizeitgroßeinrichtungen. Planungshilfen und Arbeitshinweise für Städte und Gemeinden. Bearbeiter: Ulrich Hatzfeld. Büro HatzfeldJunker, Stadtforschung, Stadtplanung, Dortmund 1994 BONNY, H. W./EBERT, R . : Multiplexkinos in der kommunalen Bauleitplanung. Beurteilungskriterien und Handlungsmöglichkeiten. Eine Arbeitshilfe. Erarbeitet im Auftrag der Bundesstadt Bonn, des Städtetages NRW und des Ministeriums für Arbeit, Soziales und Stadtentwicklung, Kultur und Sport des Landes NRW. Vorabzug. Dortmund, April 1999, S. 59 WESTFALEN
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Der Autor Gerd Hennings Dr., Univ.-Prof.; Studium der Volkswirtschaftslehre in Heidelberg und Münster; wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Siedlungs- und Wohnungswesen der Universität Münster; seit 1983 Professor für Gewerbeplanung an der Fakultät Raumplanung, Universität Dortmund; zahlreiche wissenschaftliche Publikationen zu den Bereichen kommunale Wirtschaftsförderung, Raumplanung in Entwicklungsländern, Büromarktforschung sowie zum Thema Künstliche Erlebniszentren und Planung.
Erlebnis- und Konsumwelten: Herausforderungen für die Innenstädte Felizitas Romeiß-Stracke
Ohne Zweifel werden die neuen Erlebnis- und Konsumwelten Auswirkungen auf das Stadtgefilge und damit auch auf die Innenstädte haben. Aber die in den Medien häufig sehr einfach dargestellten Wirkungszusammenhänge (,Das Aus für die Stadt') sind doch ein wenig komplizierter. Die Beurteilung der Konsequenzen der Freizeit- und Erlebniswelten für die Stadtund Regionalentwicklung werden durch zwei (deutsche und europäische) Denktraditionen erschwert: 1. 2.
das Verständnis von Freizeit in der kommunalen Planung und das Bild der europäischen Stadt in unseren Köpfen.
Die neuen Freizeit- und Erlebniswelten stellen diese Denktraditionen hinsichtlich ihres Charakters und Vorgehens bei der Standortsuche völlig in Frage. Aus diesem Grund ist die Diskussion vor Ort so aufgeregt und hochemotional - und bei Befürwortern wie Gegnern mit großen Unsicherheiten behaftet.
1
Das bisherige Verständnis von Freizeit in der kommunalen Planung
Ein ausreichendes Freizeitangebot gehört seit den 60er Jahren zwar zur Daseinsvorsorge der Kommune, jedoch beschränkte es sich bislang auf ein Set von Flächen und Gebäuden, die der Erholung, der körperlichen Ertüchtigung, der Kultur und der sozialen Teilhabe dienen: Parks und Grünflächen, Sportplätze und Sporthallen, Bäder, Theater und Kinos, Bürgerhaus und Volkshochschule.1 Außerhalb der Stadt gibt es ,Naherholungsflächen'. Dahinter steht gewöhnlich das sozialpolitische Ziel: .Freizeit und Erholung für alle'. Folglich sollen Freizeitangebote möglichst wenig kommerziell sein. Wo es die Betriebskosten der Einrichtungen nicht zulassen, die Leistungen zu sozialen Preisen abzugeben, wird subventioniert (bei Opern- und Theaterkarten bis zu 200 DM pro Platz und Abend). Auch ein Betriebskostenzuschuß für ein Schwimmbad in Höhe von jährlich 3 Mio. DM aus der Gemeindekasse ist durchaus üblich. Als Freizeitpolitik oder Freizeitplanung wird dieses Vorgehen jedoch in den seltensten Fällen deklariert und entsprechend auch nicht konzeptionell betrieben. Freizeit wird als dezentralisiert und nicht faßbar verstanden, vor allem aber als
Herausforderungen für die Innenstädte
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absolut private Angelegenheit. Freizeit als Privatbereich und Planung als öffentlicher Eingriff schließen sich scheinbar aus. Dagegen darf der Städtetourismus2 absolut kommerziell sein: Er rangiert in der Kommunalverwaltung unter Wirtschaftsförderung, während Freizeit bei Sport und Kultur angesiedelt ist. Daß viele Einrichtungen, die von den Touristen in Anspruch genommen werden, auch von den Bürger in ihrer Freizeit genutzt werden, wird gerne verdrängt. Während faktisch eine zunehmende Konvergenz von Freizeit und Tourismus zu beobachten ist, soll Freizeit nach diesem Verständnis von ,Kommerz' freigehalten werden. Diese Grundhaltung führt zu einer gewissen Hilflosigkeit gegenüber kommerziellen Freizeit- und Erlebniswelten, denn sie brechen ein Tabu. Freizeitangebote sind hier nicht für alle, sondern nur für die, die Geld ausgeben können. Die private Freizeit der Bürger - so die lange herrschende kommunale Doktrin - soll außerdem möglichst im Wohnumfeld verbracht werden, also in kleinen, dezentralen Einrichtungen in der Nachbarschaft. Gelegentliche Theater- oder Opernbesuche sollen - als etwas Besonderes - für Abwechslung sorgen. Die Zentralisierung der Freizeitaktivitäten auf einem einzigen Areal in einer Freizeit- und Erlebniswelt widerspricht diesem Verständnis diametral.
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Das Bild der historischen Stadt in den Köpfen
Für die historischen Innenstädte sind Urban Entertainment Center schon vom Begriff her eine Konkurrenz. Sie stellen Urbanität nach, aber nur in deren Konsumund Unterhaltungskomponenten. Urbanität aber ist der stadtsoziologischen Diskussion nach wesentlich mehr.3 Sie kennzeichnet eine kulturell-gesellschaftliche Lebensform, die geprägt ist von Toleranz und Weltoffenheit - als Gegensatz zur Provinzialität. Urbanität hält Brüche aus, soziale und bauliche, sie ist in der Lage zu integrieren. Hier flanieren die Bürger, hier treffen sich Alt und Jung, Arm und Reich. Die soziale Mischung ist ein wesentliches Kennzeichen von Urbanität. Dieses Verständnis von Urbanität wurde in der europäischen Stadt des späten 18. und 19. Jahrhunderts entwickelt. Ein zentrales Element der Urbanität ist dabei die ,Öffentlichkeit' - der Diskurs der aufgeklärten Bürger, wie ihn HABERMAS beschrieb. In diesem Begriff schwingt noch ein wenig von der Polis mit, die sich in der Agora der antiken Städte artikulierte. ,Stadtluft macht frei' bedeutete: Hier kann sich der Einzelne ohne Repressionen entfalten. Urbanität bildete also die Grundlage des modernen Bürgertums und der Individualisierung. Zugleich prägt das Bild der,alten Stadt', in Merian-Stichen in vielen Treppenhäusern in deutschen Häusern präsent, unser Verständnis von Stadtleben immer noch.4 Obgleich diese ,alte Stadt' heute lediglich die historische Innenstadt zu sein pflegt und von der Fläche her nur noch in wenigen Ausnahmefällen eine Stadt wirklich
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ausmacht, obgleich der historische Stadtkern in den meisten Fällen nur durch eine mehr oder weniger wüste Ansammlung von Gewerbe, Büro- und Wohnungsbauten zu erreichen ist - diese ,alte Stadt' gilt als Stadtkrone und Identitätsstifterin, als das ,Herz'. Es ist in seiner historisch überkommenen Form mit allen Mitteln zu erhalten - ein ideales Betätigungsfeld von Denkmalpflegern und Heimatvereinen. Die Innenstadt ist auch das Zentrum. Hier soll also alles Wesentliche stattfinden und von hier soll alles Wesentliche ausgehen. Der Urbanen sozialen Mischung entspricht die funktionale Mischung von Arbeit, Handel, Wohnen, Kultur usw., wobei im Zentrum eben jeweils die wichtigsten Betriebe und Einrichtungen zu finden sein sollen.5 Wenn man ehrlich ist, so sind die meisten Innenstädte heute bereits eine zentrale , Freizeiteinrichtung' für die Bevölkerung. Shopping ist ein Freizeitvergnügen, Straßenfeste und historische Märkte (bei denen auch konsumiert wird) erfreuen sich großer Beliebtheit, Kinos und Theater haben traditionell ihren Standort in der Innenstadt. Innenstädte jedoch als Freizeiteinrichtungen zu bezeichnen, wäre ein Sakrileg des vorherrschenden Verständnisses von Stadt. Es gibt Abstufungen von Zentren innerhalb des Siedlungsgebietes. Die ZentrenHierarchie von Ober-, Mittel- und Unterzentrum ist in der Raumordnung bis heute Credo.6 In der Großstadtentwicklung will man das Zentrum durch StadtteilZentren entlasten: große, mittlere und kleinere Urbanität, aber doch jeweils Zentrum für einen eigenen Bereich. Daraus ergibt sich ein räumlich relativ klar strukturiertes System von Schwerpunkten für Investitionen in Verkehrsachsen und in Infrastruktur: ,mehr' und ,groß' im Oberzentrum, ,wenig' und ,klein' im Unterzentrum. Ein Urban Entertainment Center (UEC) stellt diese Struktur vollständig auf den Kopf: Die soziale Mischung wird ausgedünnt auf die ökonomisch Potenten, auf die Sauberen und auf die, die Zeit haben. Die funktionale Mischung wird ausgedünnt auf Konsum und Unterhaltung. Das UEC bietet kein ,Herz' und stiftet keine Identität. Es muß auch nicht im Zentrum stehen, es kann sich irgendwo auf einem passenden Grundstück ansiedeln. Damit sprengt es die liebgewordene ZentrenHierarchie. Ein Urban Entertainment Center hat also eigentlich gar nichts mit Urbanität zu tun, im Gegenteil: „Ziel (einer solchen Einrichtung, Anm. d. V.) ist die Kontrolle des ästhetischen Erlebnisses, die Eliminierung alles Zufälligen und damit die gezielte Produktion von Erfahrung. Was in Wirklichkeit komplex und verwirrend ist, eine Großstadt etwa, wird symbolisch verknappt und zum .Thema' kondensiert. Denn das läßt sich in seiner artifiziellen Reduktion anstrengungsloser genießen als die facettenreiche Realität".7 Hier wendet sich der engagierte Stadtplaner und Urbanist mit Grausen ab - leider zu schnell.
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Die Realität
Die beschriebenen Denktraditionen behindern eine realistische Sichtweise der Entwicklungen und neue Konzepte. Keinesfalls sollten nun alle Traditionen der europäischen Stadt über Bord geworfen und die neuen Freizeit- und Erlebniswelten einfach und Uberall angesiedelt werden. Diese Gefahr besteht durchaus, weil in vielen Städten (speziell auch in den Innenstädten) Industriebrachen und Konversionsflächen zur Verfügung stehen und die Begehrlichkeit der Kommunalpolitiker auf Arbeitsplätze und Gewerbesteuereinnahmen groß ist. Gefordert ist jedoch eine intelligente Integration moderner Entwicklungen in das europäische Raum- und Stadtverständnis. Gelingt dies nicht rechtzeitig, besteht in der Tat die Gefahr der ,Disneysierung', die in den kontroversen Diskussionen immer wieder beschworen wird. Dann werden die Innenstädte wirklich gefährdet. Die Realität unserer Städte und Regionen ist doch folgende: Die Raumentwicklung der Nachkriegszeit war in ganz Europa (bis heute) durch Stadterweiterungen und Zersiedelung geprägt. Massenmotorisierung, der Traum vom Wohnen im Grünen und die Bodenpreisentwicklung in den Kernstädten waren Auslöser und Steuerfaktoren dieser Prozesse. Aus den kompakten Siedlungsstrukturen unseres historischen Vorstellungsbildes ist längst die ,Collage City' geworden, eine Mischung aus Stadt-Fragmenten im Raum. Die Innenstädte verloren und verlieren an Gewicht, weil sie viele ihrer einstigen Funktionen an die Randgemeinden abgeben müssen: Unternehmen verlegen ganze Abteilungen in das Umland und behalten nur noch eine repräsentative Adresse in der Innenstadt, soziale Kommunikation findet weniger auf dem zentralen Marktplatz als in Freizeiteinrichtungen und Einkaufszentren an der Peripherie statt, .Öffentlichkeit' wird durch die Medien substituiert, am Wochenende verläßt die Hälfte der Bevölkerung die Stadt, neue ,Zentren' entstehen im Umland (Tennis-Center, Fitness-Center, MöbelCenter, Garten-Center) und einstige Dorfstraßen werden zu Shopping Centern. Die eindeutige Zentren-Hierarchie ist in vielen Räumen Europas einer Band-NetzStruktur oder einem Raster relativ gleichwertiger Siedlungsräume gewichen. Infrastrukturen, einst Kennzeichen von Zentralität und Urbanität, entstehen nun nicht mehr nur in den Zentren, sondern vermehrt zwischen den traditionellen Zentren, an den Knotenpunkten der Netze - und dazu gehören auch die neuen Erlebniswelten. Es entsteht,Zwischenstadt'.* Globales Kapital schielt auf den Markt der Freizeitanlagen, der in Deutschland im internationalen Vergleich noch eher unterentwickelt ist. Dabei degradiert Stadt
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zum .Standort', der nur als Landepunkt globaler Investitions-Trends fungiert. Bei dieser Denkweise kommt es hauptsächlich darauf an, mit welchem ,Einzugsbereich' und mit welcher Kaufkraft innerhalb der Isochronen der Erreichbarkeit hier kalkuliert werden kann. Die Verantwortung für ein lokales Gemeinwesen spielt eine untergeordnete Rolle. Stadt und Land sind Verwertungsräume: Sie werden danach beurteilt, wie schnell Genehmigungsverfahren laufen, wieviel Infrastrukturleistungen von der Kommune für eine Investition versprochen werden, wie die Sicherheit zu organisieren ist etc. Die lokalen Eigenheiten des Raumes (seine Identität) sind nur dann wichtig, wenn sie sich gewinnbringend als inszenierte Originalität' einbauen lassen: Schwarzwaldmädel, Fachwerk, Brezeln und Bier. Diese relative Standortunabhängigkeit und dieser eingebaute Mangel an lokaler Bindung und Verantwortung widersprechen dem in Europa vorherrschenden Verständnis von lokaler Identität. Der Europäer lächelt deshalb über die Naivität, mit der US-amerikanische Investoren in Las Vegas die Pyramiden von Gizeh oder die Rialto-Brücke oder den Eiffelturm - etwas kleiner und etwas gröber - nachbauen lassen. Diese Ubiquität der Inszenierung und diese Loslösung vom autochtonen Raum sind dem Europäer zutiefst suspekt. Sind die neuen Erlebniswelten (insbesondere die Urban Entertainment Center) nun eine ernstzunehmende Konkurrenz für die Innenstädte? Die Antwort lautet j e i n ' . Konkurrenz sind sie insoweit, als es hier gelingt, unter zentralem Management mit klaren Vorgaben für Inszenierung, Programm, Qualität und Service ein Ambiente zu schaffen, das perfekt auf das Freizeit- und Konsumerlebnis ausgerichtet ist. Diese Einrichtungen mit ihrer spezifischen Atmosphäre stellen solange eine Konkurrenz zu den historischen Innenstädten dar, wie diese sich selbst nur als Handels- und Dienstleistungszentrum verstehen, den Freizeit-Erlebnis-Aspekt aber außen vor lassen9 (aus welchen Gründen auch immer). Wenn es viele Innenstädte noch nicht einmal schaffen, eine gemeinsame Qualitäts- und Service-Offensive für Handel, kulturelle Einrichtungen und Dienstleister zu starten, stehen sie schlecht da. Viele Städte praktizieren bereits ein aktives City-Management und unternehmen damit den Versuch, der Innenstadt mehr Profil und Erlebniswert durch Kooperation und inszenierte Highlights zu geben.10 Ursprünglich für die interkommunale Standortkonkurrenz konzipiert, soll das City-Management nun die Innenstadt auch gegen die neuen Freizeitgroßeinrichtungen profilieren. Allerdings hat ein City-Manager es dabei aus mehreren Gründen erheblich schwerer als der Manager eines Urban Entertainment Centers: die Interessenslagen innerhalb der Städte sind vielfältig, eingefahren und kontrovers,
Herausforderungen für die Innenstädte
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die bauliche Struktur und die Verkehrssituation der Innenstädte sind nur sehr schwer umzugestalten, die Denkmalpflege regiert an allen Ecken und Enden, die Bürger, die die Innenstadt besuchen, zahlen keinen Eintritt. So ist der City-Manager über die meiste Zeit hinweg damit beschäftigt, Parteien zusammenzubringen, Interessen auszugleichen und Mittel zu akquirieren. Nur in Ausnahmefällen wird er in der Lage sein, rasch eine abgestimmte und zielgerichtete Innenstadtentwicklung einzuleiten und deren Attraktivität für Bürger und Besucher sichtbar zu steigern. Was das ,Freizeiterlebnis aus einem Guß' angeht, können Urban Entertainment Center also den gewachsenen Innenstädten durchaus Konkurrenz machen. Hier sollte man möglichst schnell zu integrierten Ansätzen von Stadtentwicklung, Bauleitplanung und City-Management kommen, um die Besonderheiten der Innenstadt weiterzuentwickeln. Denn das ist klar: Die europäische historische Stadt hat Qualitäten (ob man sie nun mit Urbanität bezeichnet oder nicht), die sich nicht ohne weiteres auf der grünen Wiese nachbauen lassen. Sie sind nämlich viel besser inszeniert', als die UECs es bislang beherrschen. Stadtbaukunst war immer - über das funktionale Bauen hinaus - die Kunst der Inszenierung: Gebäude, Fassaden, Straßen und Plätze so zu gestalten und im Raum anzuordnen, daß sie ein schönes Erlebnis für die Bewohner und Besucher bieten. Vielleicht wäre es ein Weg, mit den Investoren die Standorte für UECs suchen, über Möglichkeiten nachzudenken, den historischen Stadtkern im Original als solches weiterzuentwickeln und nicht zu kopieren. City-Management und CenterManagement gingen damit nahtlos ineinander über. Das Ergebnis wäre nicht ganz clean und nicht völlig um Zufälligkeiten bereinigt, aber es wäre die spezifisch europäische Variante. Um das zu erreichen, müßte sich das Verständnis des Verhältnisses von Freizeit in der Stadt, Städtetourismus und Urbanität zueinander in den Kommunalverwaltungen schnell modernisieren." Bleibt zu hoffen, daß es gelingt, damit die Kathedralen in den Stadtzentren Anziehungspunkte bleiben und nicht von den „Kathedralen der Freizeitgesellschaft" 12 abgelöst werden.
Anmerkungen 1
2
vgl. DEUTSCHE GESELLSCHAFT FÜR FREIZEIT (Hrsg.): Politische Leitlinien für die kommunale Freizeitentwicklung, Erkrath 1993 vgl. ROMEIB-STRACKE, F./PÜRSCHEL, M. B.: Städtetourismus - eine Planungshilfe für kleine und mittlere Städte, München 1993
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3
Felizitas Romeiß-Stracke
vgl. SIEBEL, W./HÄUBERMANN, H . : N e u e U r b a n i t ä t , F r a n k f u r t a m M a i n 1 9 8 7
4
vgl. SIEVERTS, Th.: Zwischenstadt; Braunschweig/Wiesbaden 1997, S. 30 (Bauwelt Fundamente; 118) 5 Das Merkmal .Dichte' hat Anfang der 70er Jahre im Städtebau zu der Maxime .Urbanität durch Dichte' geführt, was sich als folgenschweres Mißverständnis herausstellen sollte. 6 CHRISTALLER, W.: Die zentralen Orte in Süddeutschland. Eine ökonomisch-geographische Untersuchung über die Gesetzmäßigkeit der Verbreitung und Entwicklung der Siedlungen mit städtischen Funktionen (1933), 2. Auflage Darmstadt 1968 7 aus einem Investoren-Prospekt. - Zitiert nach: cima-direkt 1/April 1999, S. 3 8 SIEVERTS, Th.: Zwischenstadt, Braunschweig/Wiesbaden 1997 (Bauwelt Fundamente; 118) 9 vgl. RÖCK, S.: Freizeitgroßeinrichtungen im Zentrum der Stadt - Potential und Gefahr. In: Informationen zur Raumentwicklung, (1998) 2/3, S. 130 10 In einer Umfrage 1996 wurde ermittelt, daß von 241 befragten deutschen Städten bereits 83% City-Management oder Stadtmarketing betreiben (vgl. KAISER, C.: Stadtmarketing eine Bestandsaufnahme in deutschen Städten. Deutsches Institut für Urbanistik, Aktuelle Informationen Februar 1996; die definitorischen Unterschiede zwischen CityManagement und Stadtmarketing seien an dieser Stelle vernachlässigt). 11 vgl. Thesen zu großflächigen Einzelhandels- und Vergnügungseinrichtungen der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung, DASL Landesgruppe Bayern 1999 12 THOMAS-MORUS-AKADEMIE (Hrsg.): Kathedralen der Freizeitgesellschaft, Bensberg 1995; OPASCHOWSKI, H. W.: Kathedralen des 21. Jahrhunderts, Hamburg 1998
Literatur DEUTSCHE GESELLSCHAFT FÜR FREIZEIT (Hrsg.): Politische Leitlinien für die kommunale Freizeitentwicklung, Erkrath 1993 FRANCK, J.: Urban Entertainment Center: neue Konzeptionen von Freizeit- und Erlebnisanlagen. - In: Amusement Technologie & Management, (1997) 1, S. 3643 HALL, P.: Die europäische Stadt. - In: Die Alte Stadt, (1997) 1 HATZFELD, U.: Reale Planung in Traumwelten - Freizeitgroßanlagen als wachsendes Planungsproblem. - In: SRL-Mitteilungen/Planerln, (1995) 3 HÄUßERMANN, W./SlEBEL, W.: Stadt und Urbanität. - In: Merkur, (1997) 4 INSTITUT FÜR L A N D E S -
UND
STADTENTWICKLUNG
DES LANDES
NORDRHEIN-
WESTFALEN (Hrsg.): Kommerzielle Freizeitgroßeinrichtungen, Bausteine für die Planimgspraxis in Nordrhein-Westfalen, Dortmund 1994 OPASCHOWSKI, H. W.: Kathedralen des 21. Jahrhunderts, Hamburg 1998 o. V.: Urban Entertainment Centers - Viel Spaß dabei. - In: Immobilien-Manager, (1996) 6 RIBBECK, E.: Die posteuropäische Stadt. - In: Die Alte Stadt, (1997) 1 RÖCK, S.: Freizeitgroßeinrichtungen im Zentrum der Stadt - Potential und Gefahr. - In: Informationen zur Raumentwicklung, (1998) 2/3 ROMEIß-STRACKE, F./PÜRSCHEL, M. B.: Städtetourismus - eine Planungshilfe für kleine und mittlere Städte, München 1993
Herausforderungen
für die Innenstädte
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ROMELß-STRACKE, F.: Traumurlaub und Urlaubstraum. - In: ROMEIB-STRACKE, F. (Hrsg.): Tourismus - gegen den Strich gebürstet, München 1998 SCHOLZ, C.: Überall ist Mega Mall. - In: Alternative Kommunalpolitik, (1997) 5 SIEBEL, W./HÄUßERMANN, H.: Neue Urbanität, Frankfurt am Main 1987 SIEVERTS, Th.: Zwischenstadt, Braunschweig/Wiesbaden 1997 (Bauwelt Fundamente; 118) THOMAS MORUS AKADEMIE (Hrsg.): Kathedralen der Freizeitgesellschaft, Bensberg 1995 THOMAS MORUS AKADEMIE (Hrsg.): Musicals und urbane Entertainmentkonzepte, Bensberg 1999
Die Autorin Felizitas Romeiß-Stracke Dr., Prof.; Studium der Soziologie, Psychologie und Volkswirtschaftslehre in München; Postgraduate Studies Civic Design an der University of Liverpool; 1970-77 Stadtverwaltung München (Stadtentwicklung und Stadtsanierung); 1977 Gründung des Büros für Sozial- und Freizeitforschung (Forschung, Planung, Politikberatung im Bereich Freizeit und Tourismus); 1990-1999 Professorin für Tourismus- und Freizeitmanagement im Fachbereich Tourismus der Fachhochschule München; zahlreiche Veröffentlichungen (u. a. Trends, Nachfrageverhalten, Planung und Architektur); Mitglied im Beirat für Tourismus des Bundeswirtschaftsministers und im Beirat der Deutschen Zentrale für Tourismus; Vizepräsidentin der Deutschen Gesellschaft für Tourismuswissenschaft.
Vom Umgang mit Konflikten bei der Planung von Erlebnis- und Konsumwelten ein Plädoyer für Kooperation statt Konfrontation Petra Voßebürger & Andrea Weber
In diesem Beitrag geht es um die planerische Betrachtung von Erlebnis- und Konsumwelten. Oft kommt es im Rahmen der Planungs- und Genehmigungsverfahren zu heftigen und emotional geprägten Auseinandersetzungen zwischen den Beteiligten (z. B. Bürgern, Umweltverbänden, Investoren und Verwaltungen). Konventionelle Wege der Planung stoßen hier an ihre Grenzen. Am Beispiel der .Ferienzentren der zweiten Generation' werden Defizite in der Gestaltung der Planungsprozesse aufgezeigt. Dreh- und Angelpunkt der Konflikte ist die Standortfrage. Es fehlt an Transparenz über die Entscheidungsfindung und an dialogorientierter Kommunikation zwischen Befürwortern und Gegnern der Großprojekte. In der Konsequenz mangelt es an Akzeptanz: Über die Realisierung entscheiden nach zeitintensiven Klageverfahren die Gerichte. Kooperation statt Konfrontation' ist der Weg eines ,Runden Tisches Standortwahl'. Hier arbeiten stellvertretend für die Konfliktparteien ausgewählte Vertreter aller relevanten Interessen an einer tragfähigen Lösung für die Standortwahl und die Projektgestaltung. Im Kern werden hier kooperative Verfahrenselemente und Konfliktmanagementstrategien so angewandt, daß sie die formellen Verfahren sinnvoll ergänzen und zu .besseren' Lösungen führen.
1
Neue Wege in der Planung?
Die Planungsunsicherheit wächst. Erfahrungen zeigen, daß die Planung von Erlebnis- und Konsumwelten selten problemlos zu bewältigen ist. Gegen die Projekte bzw. Standorte formiert sich immer häufiger massiver Widerstand (vgl. 3). Kritik äußert sich nicht nur in Anregungen und Bedenken innerhalb der gesetzlichen Verfahren und in gerichtlichen Streitigkeiten: Konflikte um Freizeitgroßprojekte werden stärker als je zuvor auch in der Öffentlichkeit ausgetragen - emotionale Proteste, persönliche Diffamierungen und Drohungen inklusive. Bei der Mehrheit protestanfälliger Großprojekte, auch über den touristischen Sektor hinaus, fehlt es an Kommunikationsprozessen zwischen Investor, Verwaltung und Öffentlichkeit. Nach wie vor wird nach der wenig bewährten, aber üblichen Methode .intern entscheiden - verkünden - verteidigen' verfahren (vgl. Abb. 1).
Vom Umgang mit Konflikten bei der Planung
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? |—! I—Gl intern
intern
beraten
entscheiden
Erwartungen
beraten
verkünden
verteidigen
entscheiden
umsetzen
sammeln
Abb. 1: Konventioneller versus kooperativer Weg der Planung (Quelle: eigene Darstellung nach STRIEGNITZ 1990)
Oftmals wird jahrelang in planerische Vorleistungen investiert, die bei allen Beteiligten Ressourcen binden. Am Ende aber scheitert das Projekt mangels Akzeptanz. Aus diesen,verfahrenen Verfahren' resultiert der Ruf nach neuen Wegen in der Planung.
1.1 Verändertes Planungsverständnis Die planungswissenschaftliche Diskussion hat in jüngster Zeit die Begriffe kooperative Planung (vgl. A L B E R S 1 9 9 3 ; S E L L E 1 9 9 4 und 1 9 9 5 ) und kooperatives Verwaltungshandeln (vgl. H I L L 1 9 9 3 ) geprägt. Das Besondere daran ist die Integration der Sichtweisen aller betroffenen Akteure zu einem möglichst frühen Zeitpunkt. Das Ziel dieser Vorgehensweise sind Entscheidungen, die ökonomisch, ökologisch und sozial tragfähig sind und von den Betroffenen akzeptiert werden. Bei komplexen raumrelevanten Vorhaben - unabhängig davon, ob es sich um öffentliche oder private Investitionen handelt, geht es nicht mehr nur um ,ja' oder ,nein', sondern um ,wo\ ,was',,wieviel' und ,wie\ Kooperative Planung zeichnet sich durch die Mitwirkung von relevanten Akteuren an Entscheidungsprozessen aus, die in den gesetzlichen Regelungen zwar nicht explizit vorgesehen sind, diese aber in bestimmten Fällen sinnvoll ergänzen. Kooperation ist daher mehr als formelle Beteiligung, sie bedeutet echte Mitwirkung an der Entscheidungsvorbereitung statt bloßer Stellungnahmen in einem relativ weit fortgeschrittenen Planungsstadium und mit wenig Aussicht auf Berücksichtigung. Die Möglichkeiten zur Ausgestaltung partizipativer Prozesse sind vielfältig (vgl. dazu z. B . die Übersichtsarbeit von B I S C H O F F / S E L L E / S I N N I N G 1996). Im
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Petra Voßebiirger & Andrea Weber
Folgenden wird aufgezeigt, wie Planungs- und Genehmigungsverfahren für Freizeitgroßprojekte nach kooperativen Prinzipien optimiert werden könnten (vgl. 4).
1.2
Konfliktmanagementstrategien
In Deutschland gleicht die Anwendung von planungsbegleitenden Konfliktmanagementstrategien noch einem Experimentierfeld. Gleichwohl haben sie sich in verschiedenen Handlungsfeldern bewährt (vgl. CLAUS/VOßEBÜRGER 1998; CLAUS/WIEDEMANN 1994; MEDIATOR GmbH 1996). Mit dem Begriff Konflikt-
management werden Theorien, Verfahren und Fertigkeiten beschrieben, die dazu beitragen, latente oder offenkundige Konflikte konstruktiv zu bearbeiten. Ziel dabei ist es, alle Interessen, vertreten durch bestimmte Akteure (,Stakeholder'), zu einer gemeinsamen Problemlösung zusammenzubringen, damit sie eine tragfähige Lösung ausarbeiten bzw. aushandeln. Häufig erleichtern allparteiliche Dritte die Erarbeitung tragfähiger Kompromisse (,Win-Win-Lösungen'), z. B. in der Rolle von Moderatoren oder Mediatoren. Die Wurzeln des Konfliktmanagements liegen in den USA, bekannt als .Alternative Dispute Resolution', kurz ADR (vgl. FISHER/URY 1984; FIETKAU 1994; ZlLLEßEN 1998). Die besondere Chance alternativer Verhandlungsverfahren (wie z. B. Mediation) liegt darin, über Verhandlungspakete einen Interessenausgleich herbeizuführen. Solche Pakete können z. B. bestimmte Kompensationsmaßnahmen als Auflage enthalten. Der Nutzen ist aus der jeweiligen Perspektive unterschiedlich zu bewerten. Aus Behördensicht mag die Möglichkeit, sachgerechte Lösungen herbeizuführen als größter Nutzen gesehen werden, aus der Sicht des Investors die Akzeptanz und aus Betroffenensicht die Möglichkeit - trotz Verlustes der Nulloption - umweit- und sozialverträglichere Lösungen zu finden, als dies mit konventionellen Mitteln möglich gewesen wäre. So plausibel dieser Ansatz in der Theorie klingt, in der Praxis werden Entscheidungen derzeit nur selten kooperativ und noch seltener konsensual gefällt. Es ist nicht leicht, gemeinwohlfreundliche Lösungen bei egoistischer Orientierung der Beteiligten zu erreichen. Gelingt es aber, im Verlauf des Verfahrens eine konstruktive Streitkultur zu etablieren und eine einvernehmliche Lösung zu erzielen, ist das mit Vorteilen auf mehreren Ebenen verbunden: auf inhaltlicher Ebene, auf der Beziehungsebene und auf gesellschaftlicher Ebene.
2
Konflikte um Standortwahl, Projektgestaltung und Verfahren
Trends auf dem Freizeitanlagenmarkt deuten auf immer größere Projekte hin. Das betrifft die Investitionssumme, die beanspruchte Fläche und nicht zuletzt die Aus-
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Wirkungen. Je stärker sie die natürliche Umwelt und das soziale Gefüge beeinflussen, desto wahrscheinlicher sind Konflikte. Nachfolgend werden am Beispiel der ,Center Parcs' typische Auseinandersetzungen illustriert. Die Darstellungen basieren auf einer Untersuchung mehrerer Planungsprozesse für eine spezifische Form von Erlebnis- und Konsumwelten, den sog. Ferienzentren der zweiten Generation' (vgl. VOßEBÜRGER/WEBER 1998). Die Bezeichnung markiert einen Entwicklungssprung - den Übergang von Ferienhäusem, vorwiegend in traditionellen Fremdenverkehrsregionen, zu Großprojekten mit wetterunabhängigen Aktivitäts- und Konsumangebot (vgl. Beitrag LEDUNE in diesem Band - Anm. d. Hrsg.). Am Beispiel des ,Center Parcs Bispinger Heide' wird deutlich, was sich hinter hinter diesem Produkt verbirgt: ein Großprojekt in einer kleinen Gemeinde mit weniger als 2.000 Einwohnern in der Lüneburger Heide. Es handelt sich um über 600 Bungalows mit mehr als 3.500 Betten, künstlichen Teichen und einem Zentralkomplex mit Erlebnisschwimmbad - insgesamt Investitionen in Höhe von ca. 175 Mio. DM. Das Gelände ist mit einer Fläche von ca. 85 ha noch vergleichsweise klein. Für ein anderes Projekt wurden fast 250 ha Grunderwerb veranschlagt. Nach STRASDAS (1992, S. 3) werden,Ferienzentren der zweiten Generation' wie folgt definiert: „(...) nach einem einheitlichen Plan gestaltete und (meist) von einer Gesellschaft betriebene touristische Großprojekte mit einem kompakten Angebot an Unterkünften (typischerweise in Bungalowform), Freizeitinfrastruktur, Versorgungseinrichtungen und weiteren Dienstleistungen. Angestrebt wird ein vielfältiges und qualitativ hochwertiges Angebot, das diesen Anlagen funktional einen mehr oder weniger starken autarken Charakter verleiht. Kennzeichnend ist ein überdachter Zentralkomplex - mit einem Erlebnisbad als wichtigster Attraktion, - der einen ganzjährigen, wetterunabhängigen Betrieb gewährleistet. Das Angebot richtet sich vor allem an Kurzurlauber. Die Bettenzahlen bewegen sich i. a. zwischen 2.000 und 4.000 Betten".1
2.1
Typische Erfahrungen am Beispiel der «Center Parcs'
Der erste ,Center Parc' in Deutschland wurde im Jahr 1995 in Bispingen (Niedersachsen) eröffnet - acht konfliktreiche Jahre, nachdem das Bauleitplanverfahren eingeleitet worden war. In Dahlem (Nordrhein-Westfalen) ist die seit 1989 geplante Realisierung eines ,Center Parcs' an politischen Unstimmigkeiten und am öffentlichen Widerstand nach sieben Jahren Planungszeit gescheitert. In Köselitz (Sachsen-Anhalt), wo 1991 mit dem Raumordnungsverfahren erste Schritte unternommen wurden, dauerten die nachfolgenden Verfahren bis 1997. Außer der Errichtung eines Zaunes sind noch keine Baumaßnahmen erfolgt (Stand 1999).
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Ein Vergleich der Beispiele zeigt viele Analogien. Der Verlauf der verschiedenen Planungs- und Genehmigungsverfahren, die Akteurskonstellation und die Streitgegenstände weisen wiederkehrende Muster auf (vgl. Abb. 2).
2.1.1 Heftige und emotional geprägte Interessenkonflikte In allen untersuchten Fällen liegt der gewählte Standort gemäß der Standortkriterien des Investors in strukturschwachen und landschaftlich reizvollen Gebieten. Die Planungen erfolgten im Außenbereich auf teilweise ökologisch sensiblen und naturschutzrechtlich geschützten Flächen. Es überrascht daher nicht, daß sich Widerstand vor allem auf Seiten der Umweltverbände formierte.
Abb. 2: Argumentationsfelder am Beispiel des geplanten , Center Parc (Quelle: eigene Darstellung)
Köselitz'
Darüber hinaus gehörten betroffene Anlieger und Pächter sowie engagierte Einzelpersonen zu den Gegnern der Vorhaben. Die Kritiker machten sich dafür stark, das Projekt, wenn überhaupt, an einem umweltverträglicheren Standort zu realisieren. Die Befürworter argumentierten mit positiven wirtschaftlichen Effekten für die Region, vor allem mit neuen Arbeitsplätzen. Den Eingriff in Natur und Landschaft
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beurteilten sie als ausgleichbar. In den politischen Gremien wurden Grundsatzentscheidungen für das Projekt mit deutlichen Mehrheiten gefällt. Bei den .Center Parcs' zeigt sich im wesentlichen der klassische Konflikt zwischen Ökonomie und Ökologie. Initialzündung für den Widerstand war jedoch das Gefühl, zu spät und in wichtigen Punkten überhaupt nicht oder nicht umfassend genug beteiligt worden zu sein. Vorverhandlungen und informelle Übereinkünfte zwischen Investor und Behörden waren zum Zeitpunkt der Bürgerbeteiligung bereits gelaufen und vermittelten den Eindruck, daß alles ,unter Dach und Fach' sei und ,hinter verschlossenen Türen ausgekungelt' wurde. Dies veranlaßte die Gegner, aktiv zu werden.
Abb. 3: Heftige und emotional geprägte Interessenkonflikte sind typische Begleiterscheinungen der Ansiedlungspläne von Erlebnis- und Konsumwelten. Pressearbeit, Kampagnen, Demonstrationen und Unterschriftensammlungen sind gängige Formen des Protestes. Das Bild zeigt aufgebrachte Demonstranten bei der , Waldpressekonferenz' zum geplanten , Center Pare Köselitz' (Photo: Lieselotte Simon).
Zu den ersten Aktivitäten gehörte die Kontaktaufnahme mit Verantwortlichen, darunter dem Investor, hochrangigen (Landes-)Politikem und zuständigen Behördenvertretem. Auf diese Weise wurde die Kritik übermittelt bzw. nach einflußreichen Verbündeten gegen das jeweilige Projekt gesucht. Die Gegner initiierten in Eigenregie (ohne Beteiligung des Investors) Informationsveranstaltungen. Über die mitunter sehr emotional und polarisierend geführten Diskussionen während einer Veranstaltung zum Köselitzer Projekt schrieb eine Lokalzeitung: „Feriendorf brachte das Blut in Wallung. Zwei gespaltene Lager im Saal". Kritische Öffentlichkeits- und Pressearbeit, Kampagnen, Demonstrationen und Unterschriftensammlungen waren weitere Erscheinungsformen des Protests.
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Petra Voßebürger & Andrea Weber
Wenn Gegner und Befürworter persönlich aufeinandertrafen, gewann die Situation an Brisanz. Dazu trug nicht zuletzt auch die (überregionale) Medienberichterstattung bei. Großformatige Zeitungsfotos zeigten aufgebrachte Demonstranten mit Transparenten für und gegen das Vorhaben. Als letztes Mittel oder .Notbremse' fungierten rechtliche Schritte in Form von Nachbarschafts- und Verbandsklagen.
2.1.2 Mangelhafte Verfahrens-und
Entscheidungsstrukturen
Die Standortfrage hat sich in den bisherigen Verfahren als Dreh- und Angelpunkt der Konflikte erwiesen, jedoch bestanden hier kaum Entscheidungsspielräume. In der Regel setzten die Planungs- und Genehmigungsverfahren erst ein, wenn sich der Investor für einen konkreten Standort entschieden hat. Eine Prüfung von Standortalternativen durch die Behörden oder eine diesbezügliche Pflicht des Vorhabenträgers wäre sinnvoll, kann aus dem Raumordnungsrecht aber nicht abgeleitet werden. Soweit Standortvergleiche trotzdem vorgelegt werden, wird ihnen von Seiten der Kritiker eine Alibifunktion unterstellt. Grundsatzentscheidungen in politischen Gremien der Standortgemeinden basierten mitunter auf wenig fundierten Entscheidungsgrundlagen. Gerade kleinen Gemeinden fiel es schwer, die notwendigen Fakten sachgerecht aufzubereiten. Auch die angemessene Beurteilung der Auswirkungen von Ferienzentren dieser Art im Rahmen der Planungs- und Genehmigungsverfahren war ausgesprochen schwierig, da kaum verläßliche Bewertungs- und Entscheidungskriterien existierten. Dies und nicht ausreichend konkrete und zum Teil widersprüchliche landes- und regionalplanerische Vorgaben führten dazu, daß die Prüfung der Raum- und Umweltverträglichkeit relativ leicht angreifbar war. Hier setzte die Kritik der Gegner an: Sie bezeichneten die Umweltverträglichkeitsstudien, vom Vorhabenträger beauftragt und finanziert, als mangelhaft und inkompatibel mit den Zielvorgaben der Landschaftsplanung. Tatsächlich führte diese Kritik in einigen Fällen zu Konzeptveränderungen und Nacharbeiten bzw. zu weiteren Gutachten. In zwei Fällen ersetzten Gerichte die planerische Aufgabe der Konfliktbewältigung. Diese Vorgehensweise hatte einen entscheidenden Nachteil: hier wurden Verfahrens-, nicht aber Sachfragen erörtert.
2.1.3 Mangelhafte Information und Beteiligung der Öffentlichkeit Häufig wurde der Zeitpunkt der ersten Information und der Zeitpunkt der formellen Beteiligungsverfahren kritisiert. Beides setze erst ein, wenn Vorabstimmungen zwischen Investor und Behörde bereits zu faktischen Vorentscheidungen geführt hätten, so lautete ein wiederkehrender Vorwurf. Dies führte schon in einem frühen Stadium der Planungsprozesse zu Blockadehaltungen. Da sowohl der Investor als auch die Behörden Maßnahmen zur Verfahrenstransparenz und Konfliktbewältigung unterließen, war Konfrontation statt Kooperation vorprogrammiert.
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Die gesetzlichen Mindeststandards zur Beteiligung der Öffentlichkeit reichen bei konfliktträchtigen Großprojekten nicht aus. Die Bürger und Träger öffentlicher Belange werden in der Regel getrennt voneinander zu Stellungnahmen aufgefordert (,One-Way-Kommunikation'). Die Behörden wägen unterschiedliche Belange ab, ihrem Auftrag gemäß im Sinne des Gemeinwohls, und bereiten eine Entscheidung für die Politik vor. Ein direkter Abstimmungsprozeß der Interessengruppen untereinander ist dabei nicht vorgesehen. Die formellen Beteiligungsverfahren werden daher von Kritikern als bloßes Ritual oder als lästige Pflichtübung empfunden.
2.2 Ursachen der Auseinandersetzungen Systematische Konflikt- bzw. Interessenanalysen verschiedener Fallstudien aus unterschiedlichen planerischen Handlungsfeldem (Abfall, Verkehr, Stadtentwicklung etc.) zeigen wiederkehrende Muster und ähnliche Konfliktursachen. Hier lassen sich auch die zuvor geschilderten empirischen Erfahrungen mit Ferienparks einordnen. Um die verschiedenen Dimensionen der Konflikte zu erkennen, erleichtert die nachfolgende Kategorisierung in vier Typen die Analyse (vgl. auch HAMACHER 1996, S. 6ff). Sie stellen gleichzeitig eine Art Checkliste dar, um den potentiellen Problemen bei konfliktträchtigen Vorhaben zu begegnen, bevor die Situation eskaliert.
2.2.1 Strukturelle Probleme einer Situation Sie treten bei administrativen Abläufen auf und sind häufig die Folge organisatorischer Strukturen, z. B. hierarchisch verteilter Entscheidungskompetenzen bei Behörden. Je komplexer das Beziehungs-, Abhängigkeits- und Machtgefüge der Akteure ist, desto wahrscheinlicher sind strukturelle Probleme. Beispielhaft sei hier die Organisationsstruktur von Erörterungsterminen im Rahmen eines wasserrechtlichen Planfeststellungsverfahren für die Teiche in den .Center Parcs' genannt. Zwar sind die rechtlichen Vorschriften (Teilnehmer, Sitzungsleitung, Verhandlungsrahmen, Dramaturgie) begrenzt gestaltbar, aber oftmals der Konfliktdimension nicht angemessen. Wie kann hier vermieden werden, daß Anhörungen als ,Farce' empfunden werden?
2.2.2 Daten- und Informationsprobleme Notwendige Informationen zur Entscheidungsfindung fehlen, Personen sind falsch informiert oder aber die Relevanz vorliegender Daten bzw. deren Interpretation ist strittig. Zweifel am Wahrheitsgehalt von Aussagen des Investors oder der Planer über die Auswirkungen des Vorhabens, beispielweise Bilanzierungen des Eingriffs
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Petra Voßebürger & Andrea Weber
in Natur und Landschaft, kommen in der Praxis regelmäßig vor. Sind die Bewertungskriterien dieser Gutachten nachvollziehbar? Ist die Abwägung korrekt? Nicht selten stehen Aussagen von Gutachter und Gegen-Gutachter scheinbar unvereinbar gegenüber.
2.2.3 Probleme auf Beziehungsebene Selbst- und Fremdbild weichen voneinander ab. Oftmals verschärft der Umgang miteinander dabei den Konflikt, gegenseitige Vorwürfe und Provokationen führen zu Reibungspunkten auf der Beziehungsebene. Ist der sachliche Dissens das Problem oder liegt es an schlechten Erfahrungen im persönlichen Umgang miteinander? Typisch filr Beziehungskonflikte, auch bei den ,Center Parcs'-Fallstudien nachvollziehbar, sind Stereotypisierungen: Die Vertreter von Umwelt- und Naturschutzinteressen werden zum Beispiel als , grüne Spinner' betitelt, der Vorhabenträger im Gegenzug als .rücksichtslos nach Gewinnmaximierung strebend' diffamiert.
2.2.4 Interessen- und Wertedivergenzen Interessenkonflikte entstehen im Streit über wahrgenommene oder tatsächlich divergierende Interessen. Wertkonflikte beruhen auf unterschiedlichen Werte- oder Glaubenssystemen, die vom Gegner nicht wahrgenommen werden oder mit einem Exklusivitätsanspruch versehen werden. Die jeweiligen Interessen der Beteiligten müssen differenziert betrachtet werden: Was ist aus der jeweiligen Sicht das Problem: Konzept, Standort, Verfahren oder Projektgestaltung? Handelt es sich um individuelle oder gemeinwohlorientierte Interessen? Konkret bei ,Center Parcs': Ist Naturschutz, Wirtschaftsentwicklung, persönliche Abgeschiedenheit oder eine nachvollziehbare Entscheidungsfindung das primäre Interesse? Ethisch-moralische Grundüberzeugungen (z. B. Position zur Gentechnik) sind bei Freizeitprojekten in der Regel nicht in Gefahr.
3
Tragfähige Entscheidungen durch Konfliktmanagement
Aus dem vorausgegangenen Kapitel leitet sich die Frage ab, wie Planungsprozesse für Erlebnis- und Konsumwelten gestaltet werden können, um eine für alle Beteiligten tragfähige Entscheidung über den Standort und die Projektgestaltung herbeizuführen. Ein ,Runder Tisch Standortwahl', modellhaft vorgestellt am Beispiel der Ferienzentren, bietet Möglichkeiten, um mit Konflikten konstruktiv umzugehen. Er illustriert zugleich, wie Konfliktmanagementstrategien praktisch umgesetzt werden können.
Vom Umgang mit Konflikten bei der Planung
3.1
93
,Runder Tisch Standortwahl' für Erlebnis- und Konsumwelten
Mit der Einrichtung des .Runden Tisches Standortwahl' (RTS) sollen den in Frage kommenden Standortgemeinden in der anvisierten Region, Umweltverbänden, betroffenen Bürgern und der kritischen Öffentlichkeit in einem Dialogprozeß Einflußchancen auf die Entscheidung über einen geeigneten Standort für das Vorhaben eröffnet werden. Das Modell basiert auf zwei wesentlichen Prinzipien: auf der Interessenvertreter-Mitwirkung und der Unterstützung des Verhandlungsprozesses durch eine allparteiliche Instanz. Ziel der Arbeit des RTS ist ein Interessenausgleich, der in eine einvernehmliche Empfehlung zur Standortwahl mündet, die im Idealfall von allen getragen wird (Konsens in der Standortfrage) und im weniger günstigen Fall die unterschiedlichen Positionen (Dissens) dokumentiert. Ein ,Runder Tisch' ist in Anlehnung an BISCHOFF/SELLE SINNING (1996, S . 73) ein demokratisch nicht legitimiertes Gremium zur Beratung aller von einer Planung, einem Konflikt oder Problem betroffenen bzw. mit Kompetenz zur Lösung ausgestatteten Akteuren. Der Begriff bringt bildhaft zum Ausdruck, daß es niemanden gibt, der am Kopfende sitzt und alleinige Entscheidungsmacht besitzt (vgl. SELLE 1994, S . 83). In der Regel beginnen bei überregional raumbedeutsamen Projekten die ersten behördlichen Schritte auf dem Weg zur Baugenehmigung mit einem Raumordnungsverfahren (ROV), häufig mit integrierter Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP). Dieser Zeitpunkt bietet sich auch für die parallele Einrichtung des RTS an, weil hier die ersten Festlegungen erfolgen. Um eine Verzahnung mit den förmlichen Verwaltungsverfahren sicherzustellen, eignet sich zur Konstituierung des RTS eine erweiterte Antragskonferenz bzw. das ,Scoping', wo nach geltendem Recht Vorhabenträger, Bezirksplanungsbehörde und ggf. Dritte Art und Umfang der Antragsunterlagen abstimmen. Wie die weiteren Schritte aussehen und an welchen Stellen planungsbegleitende Öffentlichkeitsarbeit sinnvoll ist, zeigt Abb. 4. Die notwendigen Planungs- und Genehmigungsverfahrensschritte der Behörden (weiß) entsprechen den derzeit geltenden rechtlichen Rahmenbedingungen, nach denen sich die vom Vorhabenträger einzubringenden Planungsunterlagen (hellgrau) zu richten haben. Die herkömmliche Verfahrensweise ist in der Abbildung erweitert und um einige alternative Bausteine ergänzt (dunkelgrau). Durch die enge Verzahnung von formeller Planung und Konfliktmanagement wird Doppelarbeit vermieden und die Entscheidungsgrundlagen der Behörden werden verbessert.
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Anfrage des Investors bei der Regionalplanungsbehörde
r Konzeptvorlage (Entwurfsfassung)
P/'oi ö a ^ ^ c ^ - ^ - i • ; rt 3 .. - g sinesl TS ¡Standort - 4 Vorauswahl]
1 ri
Informationsbüro Vujv;k:!: l i s c h Stand
U V U ( 1 . i Stufe) für alle ausg swählten Stönac :h ROG
£R!S
Erweiterte ROV-Antragskonfe i k teuren (ca. 6 Sitzungen)
RTS-StO-|
UVU (2. Stufe) für den ausgewählten StO nach UVPG
,
Empfehlung
Abschluß des ROV mit integrierter UVP durch Landesplanerische Beurteilung j
Bürger-
•• ammkmgen
formelle TÖB- und Bürgerbeteiligung
ons-
, ggf. Konftiktam SiO
Bauleitplanverfahren V&E- bzw. Bebauungsplan
Antragsunterlagen zum PFV
Wasserrechtliches Planfeststellungsverfahren
formelle TÖB- und Bürgerbeteiligung
formelle TÖB- und Bürgerbeteiligung
Baugenehmigungen
Abb. 4: Schematischer Ablauf des Planungsprozesses (PFV = Planfeststellungsverfahren, ROG = Raumordnungsgesetz, ROV = Raumordnungsverfahren; StO = Standort, TÖB = Träger öffentlicher Belange, UVPG = Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung, UVU = Umweltverträglichkeitsuntersuchung, V & E-Plan = Vorhabenund Erschließungsplan) (Quelle: eigene Darstellung)
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3.1.1 Voraussetzungen für die Einrichtung eines RTS Ob ein kooperatives Verfahren unter den lokalen Rahmenbedingungen Erfolgsaussichten hat, wird in einer Interessenanalyse geklärt. Die Einrichtung eines RTS ist nur dann sinnvoll, wenn tatsächlich alle relevanten Interessenvertreter bereit sind, an einer gemeinsamen Lösung mitzuarbeiten. Es ist dabei unerläßlich, daß alle Beteiligten grundsätzlich kompromißbereit sind, der Moderator von allen akzeptiert wird, sowie ausreichend erkennbare Verhandlungsmasse für eine Lösung existiert, die alle Beteiligten besser als im Status Quo stellt (,Win-Win-Situation l ). Der letzte Punkt, ausreichende Verhandlungsmasse, ist die Grundlage für eine Paketlösung bzw. das Aushandeln von Kompromissen in Teilaspekten. Als Verhandlungsgegenstände werden strittige Sachfragen identifiziert, nicht grundlegende, unumstößliche Werte.
3.1.2 Prozeßbegleitung Es hat sich als sinnvoll erwiesen, für das Prozeßmanagement eine unabhängige, externe Instanz zu wählen. Besonders geeignet ist ein externer Moderator, wenn Zweifel an der Interessenneutralität der Verwaltung bestehen. Da sich die Verwaltung in Absprache mit dem Investor meist relativ frühzeitig auf eine bestimmte Alternative festzulegen pflegt, bestehen dann bessere Chancen, Lösungsaltemativen zu entwickeln (vgl. HOFFMANN-RIEM 1990, S. 35).
Dem Moderator obliegt zunächst die Vorbereitungsphase (Interessenanalyse) und anschließend die Gestaltung des Verhandlungsprozesses. Seine zentrale Aufgabe besteht darin, eine konstruktive Problemlösung zu fördern sowie ggf. auftretende Turbulenzen, kommunikative Störungen und Konflikte zu bearbeiten. Seine Rolle erlaubt es daher nicht, inhaltlich Position zu beziehen. Der Handlungsauftrag besteht darin, Faimess und Transparenz während der Diskussions- und Verhandlungsphasen zu garantieren. Er vereinbart mit den Teilnehmern des RTS Regeln für den Umgang der Beteiligten untereinander sowie mit der Öffentlichkeit und sorgt für deren Einhaltung.
3.1.3 Prozeßverlauf In der Initiierungs- und Vorbereitungsphase werden in persönlichen Gesprächen mit relevanten Akteuren die Streitgegenstände, die Positionen und Interessen, mögliche Handlungsoptionen sowie die Bereitschaft zur Mitwirkung recherchiert. Wenn Chancen für eine kooperative Verhandlungslösung bestehen, leitet sich daraus ein Vorschlag des Moderators für das Verfahrensdesign und die Zusam-
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mensetzung des RTS ab. In Abhängigkeit von den lokalen Bedingungen sind neben dem Investor und den involvierten Fachbehörden (in der Regel Vertreter der Wirtschafts- bzw. Tourismusförderungsabteilung und der Landesplanungs- bzw. Raumordnungsabteilung sowie der Umweltabteilung der Regionalplanungsbehörde) solche Personen oder Organisationen zu erwarten, die ein berechtigtes Interesse an der Standortentscheidung vertreten (Stellvertreter-Prinzip). Das sind in dem hier zugrundeliegenden Modell z. B. Umweltverbände, Delegierte der in Frage kommenden Standortgemeinden (vom Gemeinderat gewählte Gemeindekoordinatoren 2 ), Bürgerinitiativen und Betroffene. 3 Je nach Abstimmungsmodus kann es hier vorteilhaft sein, auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Befürwortern und Kritikern hinzuwirken. Mit Blick auf die Arbeitsfähigkeit sollte eine Zahl von 12 bis 15 Personen möglichst nicht überschritten werden. In der Verhandlungs- und Vermittlungsphase verständigen sich die Beteiligten zunächst auf eine gemeinsame Aufgabenstellung (bzw. Problemdefinition), Vorgehensweise und Arbeitsprogramm. Im Rahmen der Antragskonferenz gilt es, gemeinsam den Untersuchungsrahmen für die Umweltverträglichkeitsuntersuchung (UVU) abzustecken. Hier kann die Verwaltung Zuarbeit leisten und eine Vorauswahl von potentiell geeigneten Standorten treffen - gemäß der Standortkriterien des Investors und den Zielen der Raumordnung und Landesplanung. Der RTS hat dann die Aufgabe, den Vorschlag der Behörden nachzuvollziehen und ggf. zu modifizieren. Es folgt die formelle Bürgerbeteiligung (Anhörungsverfahren), deren Ergebnisse in die Entscheidungsfindung des RTS einfließen. Die Grundregel für die Arbeitsteilung beim RTS lautet demnach: Die Ermittlung von Fakten und die Abgabe von gutachterlichen Stellungnahmen zur Lösung von Sachproblemen ist Sache von Experten, die Erarbeitung von Bewertungen und die Entwicklung von Problemlösungsvorschlägen ist Sache aller RTS-Teilnehmer. Ein Programm für den möglichen Ablauf der Verhandlungsphase, das einzelfallabhängig erweitert und verändert werden kann, wird in Abb. 5 illustriert. In der Übereinkunfts- und Umsetzungsphase werden die Ergebnisse der Verhandlungs- und Vermittlungsphase in einem Endbericht zusammengefaßt. Den Kern des Berichtes bildet - im Falle einer konsensualen Entscheidung des RTS die begründete Standortempfehlung für den bevorzugten Standort und als Teil des Verhandlungsergebnisses formulierte Auflagen. Hat die Verhandlungsphase nicht zu der gewünschten einvernehmlichen Lösung geführt, dient der Endbericht zur Dokumentation von erzielten Konsensen in Teilfragen und verbliebenen Dissensen. Ein weiterer Bestandteil des Endberichtes sind Vereinbarungen zur Umsetzungskontrolle und ggf. für die Aufnahme von Folgeaktivitäten.
Vom Umgang mit Konflikten bei der Planung
1. S i t z u n g
2. S i t z u n g
3. S i t z u n g
4. S i t z u n g 5. S i t z u n g 6. S i t z u n g
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Einführung zur Aufgabenstellung und Vorgehensweise Verständigung über Problemdefinition, Arbeitsprogramm und Geschäftsordnung Diskussion und Beschluß über Anforderungen an die Antragsunterlagen und über den Untersuchungsrahmen der UVU 1. Stufe ftlr alle in Frage kommenden Standorte Diskussion der UVU-Gutachten und der von der Behörde vorbereiteten Auswertung des ROV-Auslegungsverfahrens und der TÖB-Beteiligung Diskussion der Bewertungs-/Vergleichsmethode, daraus resultierender Vergleichskriterien und deren Gewichtung für die Standortwahl Festlegung der Vergleichskriterien und deren Gewichtung sowie Gutachter-Beauftragung zur Umsetzung der Bewertung Diskussion des Gutachtens zur Altemativenbewertung Verhandlungs-/Mediationsphase: .Paketlösung' Verabschiedung des Endberichtes mit Standortempfehlung (ggf. mit Änderungsaufträgen) und Vereinbarungen zur Umsetzungskontrolle sowie Ausblick auf Folgeaktivitäten
Abb. 5: Programm für den möglichen Ablauf der (Quelle: eigene Zusammenstellung)
Verhandlungsphase
Da Behördenvertreter als Teilnehmer des RTS vorgesehen sind, ist es wahrscheinlich, daß die Regionalplanungsbehörde - nach Prüfung aller relevanten Belange und unter Einhaltung ihrer Planungs- und Ermessensspielräume - die Inhalte des Endberichtes in die landesplanerische Beurteilung aufnimmt. Gleichwohl ist die Entscheidung des RTS nicht bindend, sondern entscheidungsvorbereitend. Letztlich hat die Raumordnungsbehörde eine Entscheidung zu verantworten, die einer Überprüfung durch die Verwaltungsgerichte standhalten muß. Es kann davon ausgegangen werden, daß sich die Erörterungsphasen des RTS positiv auf die Gerichtsfestigkeit auswirken. Sollte der Endbericht bestimmte Vereinbarungen enthalten, die auf gegenseitigen Zugeständnissen und Abmachungen beruhen, ist es ratsam, diese mittels privatrechtlicher und - soweit nach derzeitiger Rechtslage möglich - mittels öffentlich-rechtlicher Verträge langfristig zu sichern.
3.1.4 Planungsbegleitende Öffentlichkeitsarbeit Die planungsbegleitende Öffentlichkeitsarbeit soll dem Anspruch gerecht werden, Sachentscheidungen transparent zu machen. Um Akzeptanz für die Empfehlungen des RTS und die Entscheidungen der Behörden zu erhalten, sollten Informationen über aktuelle Entwicklungen innerhalb des Planungsprozesses einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Dies ist insbesondere für solche Akteu-
98
Petra Voßebürger & Andrea Weber
re entscheidend, die keine Gelegenheit und/oder Ressourcen haben, um am RTS teilzunehmen. Planungsbegleitende Öffentlichkeitsarbeit ist darüber hinaus wichtig, um ein Meinungsbild der Bevölkerung zu erhalten und Chancen indirekter Einflußnahme auf die Entscheidungsvorbereitung zu eröffnen. Der RTS sollte sich auszeichnen durch Bürgernähe und die Bereitschaft, Bedenken und Anregungen der Öffentlichkeit aufzunehmen und in den Verhandlungsprozeß einfließen zu lassen. Auch dafür läßt sich Öffentlichkeitsarbeit instrumentalisieren. Der Fokus planungsbegleitender Öffentlichkeitsarbeit liegt auf dialogorientierter Kommunikation. Geeignete Instrumente sind Bürgerversammlungen, z. B. als Auftakt für das geplante kooperative Verfahren, und Informationsveranstaltungen, z. B. zur Vorstellung der vom RTS erarbeiteten Standortempfehlung in den dann betroffenen Standortgemeinden. Sie dienen dazu, die Ansiedelung eines Freizeitgroßprojektes im Dialog öffentlich zu erörtern. Hilfreich ist es ferner, ein Informationsbüro als Anlaufstelle einzurichten, z. B. bei der Regionalplanungsbehörde. Anregungen und Bedenken, die hier eingehen oder während der Veranstaltungen Gegenstand der Diskussion sind, verbreitern zusätzlich die Informationsbasis des RTS.
3.2
Nutzen kooperativer Planung
Ob sich der Aufwand im Raumordnungsverfahren durch die Einrichtung des RTS gelohnt hat, wird sich in den an die landesplanerische Beurteilung anschließenden Planungs- und Genehmigungsverfahren zeigen. Es ist anzunehmen, daß sie zügiger, konfliktloser und damit effektiver verlaufen als bei der herkömmlichen planerischen Vorgehensweise, weil die zentralen Streitgegenstände bereits im Rahmen des ROV Gegenstand der Verhandlung waren. Ob sich Kooperation und Konfliktmanagement generell lohnen, ist von Fall zu Fall unterschiedlich zu beantworten. Es kommt darauf an, welche Szenarien vor Ort zu erwarten sind. Entweder alles geht gut - dann ist man am Ende froh, auf kostenund zeitrelevante zusätzliche Verfahrenselemente verzichtet zu haben; oder aber die Planungsphase läuft eben nicht glatt - dann sind Investitionen in planerische Vorleistungen, also Geld, Zeit und Nerven, im ungünstigsten Fall umsonst. Der Nutzen von kooperativen Verfahrenselementen wird je nach Zielgruppe unterschiedlich bewertet. Folgende Fragen bedürfen individueller Beantwortung: Mit welchen Chancen und Risiken wäre das Engagement verbunden? Welche Alternativen bestehen? Ist die Wahrscheinlichkeit, die eigenen Ziele und Interessen durch die Teilnahme am , Runden Tisch' besser zu verwirklichen als auf anderen Wegen, hinreichend groß?
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Stärken und Schwächen der kooperativen Vorgehensweise müssen gegeneinander abgewogen werden - in dem Bewußtsein, daß es keine Garantie, aber meistens Chancen für eine, Win-Win-Lösung' gibt.
3.2.1 Stärken und Schwächen, offene Fragen Wenn Planungsprozesse den zuvor dargestellten anspruchsvollen Voraussetzungen kooperativer Verhandlungsverfahren genügen, ist es wahrscheinlich, daß sie zu .besseren' Lösungen führen, d. h. vor allem in der Sache fundierter und im Ergebnis tragfähiger. Die zentralen Streitgegenstände werden frühzeitig zur Sprache gebracht und sind Gegenstand diskursiver Verständigung - nicht gerichtlicher Auseinandersetzung. Nicht zuletzt werden durch die Verfahrenstransparenz auch demokratische Ansprüche an Planung erfüllt. Auf der anderen Seite haben ,Runde Tische' auch Grenzen. Die Ergebnisse sind Empfehlungen an die Entscheidungsträger bzw. Selbstverpflichtungen der Beteiligten. Die Verbindlichkeit ist rechtlich begrenzt, auch wenn sie durch Verträge flankiert werden. Kooperation ist abhängig von den jeweiligen Rahmenbedingungen und dem Willen der Beteiligten, sich konstruktiv an der Lösungsfindung und Umsetzung zu beteiligen. Sie bindet Ressourcen, die insbesondere für ehrenamtlich Tätige eine Hürde darstellen. Die Teilnahmebeschränkung auf ausgewählte Interessenvertreter kann Mißtrauen hervorrufen, daß bestimmte Anliegen nicht berücksichtigt werden. Die wesentlichen Stärken und Schwächen des ,Runden Tisches Standortwahl' werden in Abb. 6 zusammengefaßt (für eine ausführlichere Darstellung vgl. VOßEBÜRGER/WEBER 1 9 9 8 , S. 1 4 6 f f . ) .
Mit Blick auf die bisherigen Erfahrungen in verschiedenen Handlungsfeldern (insbesondere Stadtentwicklung und Verkehr, Abfallwirtschaft, Altlastensanierung, Naturschutz und Freiraumplanung) haben sich kooperativer Verfahrenselemente zwar bewährt, doch sind noch eine Reihe von Fragen offen oder nicht eindeutig zu beantworten. Sie sollen nachfolgend angerissen werden. Wie lassen sich Vorbehalte gegenüber dem Abhängigkeitsverhältnis zwischen Auftraggeber und Moderator (Auftragnehmer) entkräften? Eine der größten Hürden für kooperative Planung und Konfliktmanagement ist die Finanzierung. In Deutschland wurden bisher nahezu alle Verfahren von der öffentlichen Hand getragen. Darüber hinaus werden private Finanzierungen des Investors und Fondsmodelle diskutiert. Nach welchen Kriterien richtet sich die Zusammensetzung eines Gremiums? Es ist eine schwierige Aufgabe, auf der Basis der Interessen- bzw. Konfliktanalyse die relevanten Akteure zu benennen. Auch wenn der RTS nicht auf
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Repräsentativst angelegt ist, ist die Zusammensetzung immer angreifbar in der Frage, ob die .richtigen' Personen teilnehmen. Stärken Optimierung formeller Verfahren Die bisher übliche punktuelle, zumeist spät einsetzende Mitwirkung von Betroffenen an der Entscheidungsvorbereitung wird in eine prozeßhafte und früh einsetzende verwandelt, Verfahrenstransparenz wird hergestellt. Eine auf diese Weise verbreiterte Informationsbasis fördert fundierte Entscheidungen. ,Paket-Lösung' statt EntwederOder-Lösung' Die Anzahl von Konfliktlösungsvarianten und Kompensationsmaßnahmen wird vergrößert. Damit kann die Spaltung in Gewinner und Verlierer zugunsten einer filr alle tragfähigen ,WinWin-Lösung' aufgehoben (Konsens) bzw. gemildert werden (Konsens in Teilfragen). Sekundäreffekte Aus guten Erfahrungen in der Zusammenarbeit entstehen Netzwerke der Kommunikation und Interaktion zwischen Personen und Organisationen, die auch langfristig zu einer Verbesserung der politischen Dialogkultur beitragen können.
Schwächen Ungünstiger rechtlicher Rahmen Es fehlt an rechtlichen ,Öffnungs- oder Experimentierklauseln' für kooperative Formen der Konfliktbewältigung. Außerdem ist ein Standortalternativenvergleich derzeit nicht zwingend vorgeschrieben und das Verbandsklagerecht (noch) nicht bundesweit eingeführt, beides begrenzt die Verhandlungsmasse. Verzicht auf die ,Nulloption' Es gehört zur Verhandlungslogik, daß alle Parteien Zugeständnisse machen, um einen Kompromiß zu erreichen. Die Verhandlungsmasse ist daher trotz Ergebnisoffenheit in diesem Punkt um die .Nulloption' reduziert.
Machtungleichgewichte Das Prinzip der StellvertreterMitwirkung kann als problematisch angesehen werden, wenn die Grundsätze der Verfahrenschancengleichheit vernachlässigt werden. Rhetorische Fähigkeiten sowie zeitliche, personelle und ggf. finanzielle Ressourcen können für die politische Einflußnahme entscheidend sein.
Abb. 6: Stärken und Schwächen des ,Runden Tisches Standortwahl' (Quelle: eigene Darstellung) Wie kann sichergestellt werden, daß die Teilnehmer im Sinne der durch sie vertretenen Organisationen handeln? Beim Stellvertreter-Prinzip muß gewährleistet werden, daß mögliche Zugeständnisse zugunsten eines Kompromisses auch von den Vorgesetzten bzw. ,der Basis' mitgetragen werden. In der Praxis sind entsprechende Rückkopplungsmechanismen, gerade bei Bürgerinitiativen, in der Regel problematisch.
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Fazit
Der Freizeitsektor und die Tourismusindustrie boomen: Überall in Deutschland werden Projekte für künstliche Erlebnis- und Konsumwelten vorangetrieben, die sich weit über das lokale Umfeld hinaus auswirken. Sie reichen von den hier fokussierten Ferienzentren im Freiraum bis hin zu innerstädtischen Großprojekten, wie beispielsweise den Urban Entertainment Centers (vgl. Beitrag Q U A C K in diesem Band - Anm. d. Hrsg.). Die Konflikte um solche Vorhaben sind häufig so groß, daß sie ebenfalls überregionales Interesse finden - das zeigen z. B. polarisierende Berichte in Nachrichtenmagazinen. Sollten sich die Investoren und Planer bei kommenden Vorhaben für einzelne Bausteine kooperativer Verhandlungsverfahren entscheiden, werden sie nicht notwendigerweise mit uneingeschränkter Akzeptanz rechnen können. Aber mit Konzepten, die auch den Kritikern echte Mitwirkungsmöglichkeiten an der Entscheidungsvorbereitung einräumen, können .bessere Lösungen' herbeigeführt werden, die letztlich für alle einen Nutzen bieten: höhere Planungssicherheit und Imagegewinne für den Investor, sachgerechte Beurteilungen durch die Behörden, Gestaltungsmöglichkeiten für Betroffene und Umweltverbände und nicht zuletzt ein Beitrag gegen die Politikerverdrossenheit. Selbst wenn kein Konsens in der Standortfrage erzielt wird, kann mindestens auf eine Problemabschichtung im Sinne der Einkreisung verbleibender Konflikte hingewirkt werden. Der Maßstabssprung der Projekte verlangt nach einer ihrer Komplexität angemessenen Ausgestaltung der förmlichen Planungs- und Genehmigungsverfahren. Sich ergebnisoffenen Erörterungen am .Runden Tisch' zu öffnen, erfordert Mut von allen Beteiligten. Erfahrungen aus anderen Branchen zeigen, daß sich Mut zu ,Kooperation statt Konfrontation' lohnt.
Anmerkungen 1
Weiterführende Darstellungen im planerischen Kontext finden sich z. B. bei BfLR 1994, I L S 1 9 9 4 , MIELKE 1 9 9 4 u n d STRASDAS 1 9 9 2 .
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Aufgrund der Attraktivität von Freizeitgroßprojekten werden die Gemeindekoordinatoren voraussichtlich um die Ansiedlung des Vorhabens konkurrieren. Bürgerinitiativen o. ä. vertreten mitunter individuelle statt allgemeine bzw. gemeinwohlorientierte Interessen. Sie nicht in den Beteiligtenkreis aufzunehmen, könnte jedoch dazu führen, daß sie ihre Interessen auf anderen Wegen durchzusetzen suchen. Das wäre kontraproduktiv.
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Die Autorinnen Petra Voßebürger Dipl.-Ingenieurin; Studium der Raumplanung in Dortmund und Edinburgh (Großbritannien); seit 1997 wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Institut Kommunikation & Umweltplanung GmbH (iku) in Dortmund; Arbeitsschwerpunkte: Umweltkommunikation, Beteiligungsverfahren, kooperative Planungs- und Entscheidungsprozesse.
Andrea Weber Dipl.-Ingenieurin; Studium der Raumplanung in Dortmund, Hamburg und New York (USA); seit 1997 wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Institut für Organisationskommunikation (IFOK) in Bensheim; Arbeitsschwerpunkte: kooperative Projektentwicklung, Moderation, Regionalberatung.
Freizeit- und Erlebniswelten: Entwicklung, Trends und Perspektiven Petra Probst
Bereits bei Hofe verstand man sich zu amüsieren. Rauschende Feste, lukullische Genüsse, Tanz, Gesang und Hofnarren im Scheine der Fackeln - und all das, um für Unterhaltung zu sorgen, ein wenig Abwechslung in den Alltag zu bringen (wenn zu jener Zeit auch nur für die wenigen Auserwählten bei Hofe). Aber auch das Volk wußte immer schon, Feste zu feiern, wenn auch etwas bescheidener, so doch auf seine Art für Abwechslung und Entspannung sorgend. Auch wissen wir heute eine Menge aus Büchern, wie Ritterspiele funktionierten - und auch dies hatte in erster Linie eines zum Ziel: spielerisches Kräftemessen und Vergnügen. Fast möchte man meinen: der Mensch - das ewige Kind - war, ist und bleibt vergnügungssüchtig. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts gibt es sogenannte Fahrgeschäfte. Wurde zunächst das Karussell dank Muskelkraft von menschlicher Hand angetrieben oder durch Pferde und andere Zugtiere in Gang gesetzt, so sorgte gegen Ende des letzten Jahrhunderts der technische Fortschritt für Änderung. Seitdem wurden Karussells durch Dampfmaschinen, sog. Lokomobile, angetrieben. Das Öl in den Lampen wurde durch Petroleum, Karbid und Gas abgelöst. Durch selbständige Stromerzeugung mit Dampfmaschinen und Dynamos wurden weitere effektvolle Elemente in Schaubildern und Attraktionen möglich, die die Festplätze und Jahrmärkte noch anziehender für die Menschen machten. Eine bunte Welt des Vergnügens kannten also auch unsere Groß- und Urgroßeltern am Anfang diesen Jahrhunderts. Jahrmärkte, Volks- und Schützenfeste sind uns auch heute, Ende des 20. Jahrhunderts, bestens bekannt und vertraut, wenn sich auch ihr Erscheinungsbild mehr als gewandelt hat. Und sie sind längst nicht mehr die einzige Form des Vergnügens. Vor nunmehr 30 Jahren - auf dem Höhepunkt des deutschen Wirtschaftswunders - wurde eine neue Erlebnisindustrie geboren: Freizeit- und Erlebnisparks. Und auch diese Form des Amüsements nahm eine rasante Entwicklung. Während der Freizeitmarkt in Deutschland im Jahre 1970 ein Marktvolumen von 50 Milliarden DM hatte, hat sich das Volumen des Freizeitmarktes bis heute mehr als verachtfacht, auf 445 Milliarden DM (1998).' Die Freizeitindustrie der gesamten westlichen Welt ist am Ende des 20. Jahrhunderts zu einem recht Widerstands- und anpassungsfähigen Wirtschaftsfaktor geworden. Und genauso rasant und sprunghaft, wie sich die gesamte menschliche Gesellschaft entwickelt, so entwickelt sich auch ihr Bedürfnis nach Erlebnis und Abenteuer, so entwickelt sich die Branche Freizeitwirtschaft. Bis in die 60er Jahre kam der Spaß zum Volk: Schausteller und Zirkusunternehmen zogen durchs Land,
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um den Menschen Freude zu bringen. Das heißt, die Mobilität lag in der Hauptsache auf Seiten des Unterhalters. Mit wachsender Mobilität für immer größere Teile der Bevölkerung, vergrößerte sich ihr Aktionsradius. Man stellte ein verrücktes Karussell auf die ,grüne Wiese' oder man baute eine Sommerrodelbahn in ein landschaftlich reizvolles Gebiet, und schon kamen die Leute in Scharen. Beispiele: ,Fort Fun' und «Erlebnispark Tripsdrill' Im Frühjahr 1972 machte erstmalig ein Ferien- und Freizeitzentrum im Hochsauerland von sich Reden. Landschaftlich außerordentlich reizvoll gelegen entstand hier neben einigen Ferienhäusem und einem Sessellift eine erste Sommerrodelbahn. Mit einer Länge von 780 Metern war dies zum damaligen Zeitpunkt eine der weltweit längsten Bahnen: Sie lockte so viele Menschen zum Vergnügen an, daß bereits zwei Jahre später eine zweite parallele Bahn gebaut wurde. Dieses Ausflugsziel war der Ursprung des heute unter dem Namen ,Fort Fun' bekannten Freizeitparks, der mit jährlichen Besucherzahlen von mehr als einer halben Million Gästen zu den erfolgreichen Parks mittlerer Größe gezählt werden kann.2 Noch weiter zurück reichen die Wurzeln eines anderen, heute auch sehr erfolgreichen Freizeitparks - des,Erlebnisparks Tripsdrill'. Als um 1900 immer wieder Wanderer nach Tripsdrill kamen und vergeblich nach der Altweibermühle fragten und keine fanden, beschloß Eugen Friedrich Adam FISCHER, den Menschen endlich zu geben, was sie suchten. Im Jahre 1929 baute er eine Altweibermühle, um der Tradition des sagenumwobenen Ortes Tripsdrill zwischen Stuttgart und Heilbronn - gerecht zu werden. So wurde aus einer kleinen, beschaulichen Gartenwirtschaft die weithin bekannte Altweibermühle Tripsdrill. Mit dieser Idee, den Menschen vergnügliche Stunden zu bereiten, beginnt die Geschichte eines mittlerweile allerorten bekannten und beliebten Freizeitparks. In den 60er und 70er Jahren wurde mit einem Tiergehege und dem einen oder anderen Karussell .aufgerüstet', und die Ausflügler kamen in Scharen.3 Alles, was neu war, hatte eine große Anziehungskraft und wurde als dankbare Abwechslung angenommen. Der Mensch war mobil geworden, die Familien strömten immer zahlreicher in die nähere Umgebung, das Angebot an Ausflugszielen wuchs. Zum einen hatte sich der Aktionsradius der Verbraucher drastisch vergrößert. Zum anderen waren die Menschen mit wachsendem Angebot sehr viel wählerischer geworden. Entsprechend wurden ganz andere Fragen bedeutsam. Erstens wurde die Phantasie der Freizeitplaner stärker denn je gefordert; es galt Angebote zu schaffen, die anders waren, sich in irgendeiner Art von anderen abhoben, das Besondere beinhalteten. Zweitens mußten immer stärker frem-
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denverkehrsgeographische Überlegungen und Fragen der Infrastruktur in die Betrachtung und Planung von Freizeitanlagen einbezogen werden. Die Frage, kann ich den Ort, wo ich Spaß haben kann, gut, rasch und bequem erreichen, wurde zu einer zentralen und ist heute in verkehrstechnisch stark belasteten Zeiten wichtiger denn je. Es ist festzustellen, daß die Entwicklung der Freizeitindustrie genauso dynamisch und sprunghaft verläuft wie die gesamte gesellschaftliche und technologische Entwicklung. Auch oder gerade im Freizeitbereich unterliegt das Nachfrageverhalten einem besonders schnellen Wandel. Die Lebenszyklen einzelner Angebotskonzepte werden immer kürzer. Der anspruchsvolle Konsument verlangt nach immer mehr, die Höher-Schneller-Weiter-Spirale beginnt, der Innovationsdruck nimmt permanent zu. War noch in den 70er Jahren jedes Angebot an sich schon interessant für den Verbraucher, gerieten Freizeitanlagen im Zuge des technologischen Fortschritts, der Globalisierung und der zunehmenden Dominanz der Medien und deren gesellschaftlicher Auswirkungen in den 80er und 90er Jahren zunehmend in einen internationalen Erlebniswettbewerb. Erlebnis definiert sich heute so multidimensional und vielgesichtig (ganz zu schweigen von der subjektiven Persönlichkeitsdetermination), daß es mehr denn je erforderlich ist, sämtliche damit im Kontext stehenden Zusammenhänge mit wissenschaftlichen Mitteln zu analysieren und die sich daraus ergebenden Ergebnisse und Perspektiven in die Planungen einzubeziehen.
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Die Differenzierung des Angebots
Früher ging man in ein Museum, um etwas zu lernen, sich zu bilden oder um sich Schönes anzusehen. Man ging ins Kino, um einen Film zu sehen, ging Einkaufen, um bestimmte Grundbedürfiiisse zu erfüllen, besuchte ein Theater, um sich zu unterhalten oder ein Konzert zur persönlichen Erbauung. Mit der Familie oder Freunden unternahm man einen Ausflug (vielleicht in einen Freizeitpark), um sich im Karussell oder auf der Achterbahn zu amüsieren, Spaß zu haben und soziale Kontakte zu pflegen. Heute wollen wir neben dem Alltag in jeder Hinsicht unterhalten werden, und das einmal mehr auf die eine und einmal mehr auf die andere Art. Das heißt, wir setzen einen Schwerpunkt, den wir primär erfüllen oder erleben möchten (z. B. Achterbahn fahren), aber wir erwarten gleichzeitig, mit allerlei anderen Sinnesreizen ,ganz nebenbei' unterhalten, informiert und erbaut zu werden. Wir wollen Entertainment in jeder nur erdenklichen Art. „Entführt mich in ein anderes Leben - aber holt mich zum Abendessen zurück", so beschreibt die amerikanische Trendforscherin Faith POPCORN dieses Phänomen. „Holt mich hier raus! - das scheint der kollektive psychische Aufschrei der 90er Jahre zu sein. Um Entlastung vom Streß zu finden, setzen wir alle Hebel unserer
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Phantasie in Bewegung - physisch flüchten wir in unseren Kokon, in dem wir Behaglichkeit und Geborgenheit suchen, emotional flüchten wir in unsere Phantasien, in denen wir Entlastung suchen. Mag es auch so aussehen, als drückte das Fantasy-Abenteuer die kühnere Seite unseres Wesens aus, so dienen doch beide Bedürfnisse ein und derselben Suche nach Sicherheit. Worin bestehen FantasyAbenteuer nun genau? Sie sind eine Flucht aus zweiter Hand, eine Katharsis, die durch die Konsumwelt geboten wird. Ein vorübergehender Rückzug aus der Welt, ein Sprengen aller Fesseln und ein Eintauchen in eine exotische Atmosphäre, eine 'fremde' Erfahrung, in verwegene Taten, die unsere Phantasie beflügeln (...) eine eskapistische Identifikation mit einem Helden, der draufgängerischer ist als man selbst, der mit allen Schurken fertig wird, und trotzdem dafür sorgt, daß man sein Abendessen nicht verpaßt".4 In Zeiten einer galoppierenden technologischen Entwicklung, in denen es nur noch eine Sache von .Monaten' sein kann, daß wir Urlaub im Hyper-Raum oder auf dem Mond machen5, ist meines Erachtens der Versuch, den teilweise recht harten Alltag mit aller Phantasie aufzupeppen, durchaus legitim: Der Mensch möchte sich selbst auf die ihm subjektiv einzig passend erscheinende Art und Weise erholen, regenerieren, .erfrischen'. Die Freizeitplaner sind hier mehr denn je gefordert. Sie sind diejenigen, die unsere Träume gestalten und erlebbar machen sollen.
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Die Kritik der Einwände
Wie in den Zeiten der aufkommenden Video-Technologie und des anwachsenden Home-Entertainments einige behaupteten, das sei das Ende des Kinos oder mit Video- und Computerspielen würden die Menschen nicht mehr aus dem Hause gehen, so gibt es auch immer wieder die ,Rufer', die behaupten, „wir amüsieren uns zu Tode" (Neil POSTMAN), oder solche, die vor der „McDonaldisierung der Gesellschaft" (Georg RJTZER) warnen und Umkehr anempfehlen. Als die erste Eisenbahnstrecke Deutschlands zwischen Nürnberg und Fürth in Betrieb ging, behaupteten nicht wenige, dies sei das Ende der Welt! Alle, die immer wieder vor der sogenannten .emotionalen Verödung' warnen, seien daran erinnert, daß ähnliche Warnungen auch zu hören waren, als sich eine ganze Generation in Woodstock zu lauter Rockmusik im Schlamm wälzte, „Make love, not war" forderte und auch noch Spaß dabei hatte. Und? Hat uns diese „Liebe" - diese Begeisterung - veröden lassen? Oder haben wir lediglich eine neue emotionale Qualität erklommen? Der bekannte Medienanthropologe Marshall MCLUHAN Z. B. erkannte frühzeitig, „daß die Söhne und Töchter der 'Blumenkinder' die Welt verändern würden, da sie die Worte finden würden, zu übersetzen, was ihren Eltern unsagbar blieb (...). Die gesamte Welt war umfangen von einem riesigen materiellen und psychischen Wechsel von den Werten des linearen Denkens, eines meßbaren Raumes zu den
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Wertesystemen eines vielsinnigen Lebens, der Erfahrung des akustischen Raumes".6 Auch das Erleben ,virtueller Welten' wird uns nicht veröden lassen. „Die Simulation der Wirklichkeit (...) wird begünstigt durch die Dreidimensionalität, die multiple sensorische Ansprache und die Möglichkeit, sich selbst im Raum zu bewegen. In Zukunft wird es möglich sein, verstärkt taktile und auch olfaktorische Reize einzubeziehen (z. B. durch Datenanzüge mit Sensoren und Datenhelme mit steuerbaren Duftpatronen)".7 Wer weiß heute schon, welche Vorteile sich aus all diesen neuen Möglichkeiten für die Menschen ergeben werden? Und allen, die sich davor fürchten, daß eines Tages alles egal und austauschbar wird, möchte ich zu bedenken geben: Solange wir Träume und Phantasie besitzen, solange werden wir immer Neues entwerfen, in immer kürzeren Intervallen - wir selbst bestimmen die Grenzen unseres Denkens! Ich halte es für außerordentlich wichtig, gesellschaftliche Trends und Tendenzen sachlich kritisch zu analysieren und zu beobachten. Eine Umkehr ,in die Höhle' halte ich jedoch für übertrieben, innovationshemmend und überflüssig, wie die Realität auch immer wieder eindrucksvoll beweist. War für einige der Niedergang des Kinos vor einigen Jahren bereits unausweichlich, so haben die Multi- und Cineplex-Theater eindrucksvoll bewiesen, daß das Kino nicht am Ende war, sondern vielmehr nur am Beginn einer neuen Erlebnisqualität stand. Und die Entwicklung im Sektor Kino-Theater dauert an. Auch die in den letzten Monaten immer wieder in die Schlagzeilen geratenen MusicalTheater stehen sicher nicht vor dem totalen Aus, sondern nur am Beginn einer neuen Ära. Angebotserweiterungen, Kundenorientierung, Synergie - das sind die Schlüsselworte der augenblicklichen Entwicklung. Die Freizeitplaner und -experten sind mehr denn je gefordert, sich um die Konsumentenbedürfnisse zu kümmern. Psychologische Aspekte rücken immer stärker in das Zentrum der Betrachtung - die Frage nach dem Warum muß im Mittelpunkt stehen. Was veranlaßt den Menschen, seinen warmen Platz hinterm Ofen zu verlassen? Warum ist es ihm ein Bedürfiiis sich zu amüsieren? Nur wer die Gründe kennt, ist in der Lage, auf den Verbraucher zuzugehen und seine Wünsche und Bedürfnisse kongruent erfüllen zu können, was letztendlich den Servicebegriff definiert. Freizeitangebote sind eine Dienstleistung, und als solche sollten sie die Anbieter auch in erster Linie betrachten, damit es nicht eines Tages heißt: „Stell' dir vor, ganz Deutschland ist ein Freizeitpark - und keiner kommt." Am Ende des 20. Jahrhunderts müssen Freizeitplaner und -manager nicht nur die Entwicklung kennen, sondern vor allem auch die .Zeichen der Zeit' erkennen und flexibel auf die Bedürfhisse der Kunden reagieren können.
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Der Verbraucher kreiert den Trend
Technologisch betrachtet scheint die Vergnügungsindustrie immer mal wieder auf dem Gipfel angekommen zu sein - bis zum nächsten Kick. Beispiele: Las Vegas und ,Six Flags over Texas' Las Vegas, der Ort ein Superlativ an sich, bietet auch hinsichtlich High Thrill ein eindrucksvolles Beispiel: Stratosphere Tower - der Turm, von dem aus ein großartiger Blick über das eindrucksvolle Lichtermeer inmitten der Wüste möglich ist - ist auch zum Inbegriff des Kicks schlechthin geworden. In 300 Metern Höhe wurde hier eine Achterbahn installiert. Die Wagen umrunden mehrmals den Turm, und wer nicht vor Angst die Augen schließt, hat freien Blick auf die Silhouette von Las Vegas oder erhält durch die Panoramafenster ungewöhnliche Einblicke in das Turm-Casino. Wer dann immer noch nicht genug hat, kann sich im Free Fall Tower, der oberhalb der Achterbahn bis in die Spitze des Turms reicht, von ganz oben bis auf Casinohöhe hinabstürzen (lassen). Ein weiteres Beispiel für den Real Thrill ist ,Mister Freeze' im texanischen Freizeitpark ,Six Flags over Texas'. Eine Loopingbahn, deren Zug in vier Sekunden von 0 auf 112 Stundenkilometer beschleunigt, um durch einen DoppelLooping zu donnern und einen Turm senkrecht hoch zu schnellen, dann das volle Programm rückwärts in den ,Bahnhof zurück. Interessanterweise berichten die Gäste nach dem Test dieser Bahn in der Mehrzahl, die Fahrt gar nicht realisiert zu haben, „weil alles viel zu schnell ging". Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb können sie es kaum erwarten, noch einmal einsteigen zu dürfen. Auch wenn es manch einem Zeitgenossen abstrus erscheinen mag, für viele Menschen ist auch das Erleben kontrollierter Gefahr' ein Bedürfnis, das es zu befriedigen gilt. Einerseits in Form der Real Thrill Rides oder durch Virtual Reality Rides: Bewegungssimulatoren, die optische und akustische Reize mit Bewegungsabläufen synchronisieren und so relativ perfekte, dreidimensionale Erlebnisse zu simulieren vermögen. Das Höher-Schneller-Weiter, der Drang nach immer verrückteren, atemberaubenderen Fahrgeschäften scheint jedoch im Augenblick gerade einmal wieder in einer Konsolidierungsphase zu sein: Wir befinden uns am Ende des 20. Jahrhunderts in einer Phase der technologischen und psychologischen Verfeinerung, es werden immer ausgeklügeltere Versionen bekannter Effekte entwickelt. Insgesamt ist ein Trend-Kreislauf bei der Entwicklung von Fahrgeschäften zu beobachten, der sich den Verbraucherbedürfhissen immer wieder in einer technologisch verfeinerten Dimension spiralförmig anpaßt: Einmal verlangt der Kon-
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sument stärker nach Fahrattraktionen im Thrill-Bereich, ein anderes Mal werden Family-Rides stärker nachgefragt. Die Begehrlichkeit des Konsumenten tendiert erfahrungsgemäß immer in die Richtung, die gerade als temporär defizitär erkannt wird. Der Trend entwickelt sich - wie schon gesagt - spiralförmig. Ein weiterer Trend wurde bereits im Abschnitt zur Differenzierung des Angebots' angesprochen. Alles, was nicht unmittelbar zur Arbeit und zum Broterwerb zu rechnen ist, soll Unterhaltung bieten. Die ,Tainments' sind auch hier nur äußere Zeichen der Anpassung an Konsumentenbegehrlichkeiten, die sich aus einer empirischen Bedürfniserforschung ergeben haben sollten. Wir unterscheiden heute folgende ,Tainments' (der Phantasie allerdings sind keine Grenzen gesetzt) mit ihren jeweiligen Primärzielen: Happytainment (z. B. Freizeit-, Erlebnis- und Themenparks): Spaß, Erlebniskitzel, Familienunterhaltung, Entertainment (z. B. Shows und Musicaltheater): Unterhaltung, Kunstgenuß, Edutainment (z. B. Museen, Zoos, Science Center, Planetarien): Vermittlung von Bildungsinhalten, Infotainment (z. B. Sportsendungen, Nachrichten-Shows): unterhaltsame Berichterstattung und Information, Eatertainment (z. B. Erlebnisgastronomie und -hotellerie): gastronomische Versorgung, lukullischer Genuß, Shopotainment (z. B. Shopping Center, Brandlands): Einkaufen, Beschaffung. Die .Tainments' stellen also die Verknüpfung von Primärnutzen mit dem Sekundärnutzen Unterhaltung dar. Wobei im Sinne einer erfolgreichen Umsetzung eines Freizeitprojektes immer klar der Primärnutzen im Zentrum der Planung stehen sollte.8 Das CentrO Oberhausen ist in Deutschland ein gelungenes Beispiel für die Ausgewogenheit von Primär- und Sekundärnutzen. Das Einkaufserlebnis steht hier in der zentralen hellen, lichtdurchfluteten Shopping Mall bei ausgewogenem Angebot und gediegenem Ambiente im Vordergrund. Gastronomie, Spielpark, Show- und Kinoangebote runden den gelungenen familiären Einkaufsbummel ab oder stellen ein hervorragendes .Rahmenprogramm' für genervte Shopping-Muffel oder die gehobenere Version des ,Ikea-Ballbades' dar. Im CentrO kommt sehr wahrscheinlich jeder Teil der Familie oder der Gruppe auf seine Kosten, und trotzdem behält
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das Einkaufserlebnis seine Priorität (vgl. Beitrag QUACK in diesem Band - Anm. d. Hrsg.). Der Trend zur Thematisierung und zum Gestalten ist unübersehbar und notwendig. Der Lebenszyklus von Freizeitanlagen ist immer kürzer geworden und entsprechend härter auch der permanente Wettbewerb, das Angebot unverwechselbar und einmalig zu gestalten, zu .verpacken'. Wir beginnen alles zu stylen und zu formen. Wir verknüpfen nicht mehr nur Primär- und Sekundärnutzen, sondern wir verschmelzen sogar die ,Tainments' miteinander, indem wir sie vielleicht unter ein gemeinsames Thema stellen. Beispiele:,Filmpark Babelsberg' und ,Phantasialand' Gastronomie, Einkaufsmöglichkeiten und Shows gehören bereits zum festen Bestandteil der Freizeit- und Erlebnisparks. Im 1998 eröffneten Restaurant ,Prinz Eisenherz' im,Filmpark Babelsberg' speisen die Gäste z. B. in Originaldekorationen und -requisiten. Die mittelalterliche Burganlage ist konzeptionell an die gleichnamige Babelsberger Filmproduktion angelehnt (vgl. Abb. 1). Einkaufsmöglichkeiten in Freizeitparks eriüllen zumeist einen Merchandisingzweck9 oder unterstützen das Thema (vgl. Abb. 2). So kann man im Erlebnispark Tripsdrill frisch gebackenes Bauernbrot erwerben und mit nach Hause nehmen. Der Duft von frischem Brot liegt über dem Guglhupf-Karussell, das thematisch Einblicke in eine Backstube gibt. Im Europa-Park Rust findet sich in jedem Themenbereich das landestypische Angebot - sowohl gastronomisch wie auch hinsichtlich der Merchandisingangebote. Fast alle Parks bieten heute verschiedene Shows in Variete-Theatern an. Im ,Phantasialand' bei Brühl z. B. laufen in jeder Saison mehrere Shows in verschiedenen Theatern. In der,Arena de Fiesta' z. B. können die Gäste seit 1999 ,Cold Rhythm', eine neue, temperamentvolle Eisrevue mit internationalen Eiskunstläufern, einer spritzigen Choreographie und phantasievollen Kostümen erleben (vgl. Abb. 3). „Die Konkurrenz für thematisierte Freizeitattraktionen lauert nicht nur in vergleichbaren Angeboten. Nein: Die Konkurrenz ist auch in 'seriösen' Museen, in Restaurants, in Zoos, in Einkaufs-, Erlebnis- und Sportstätten zu finden, in Aquarien, Urban Centern, Parks und Kindermuseen. Und wir alle wollen ein Stück von der Freizeit unserer Gäste abhaben. Und sie wiederum sehnen sich, ein Teil des 'Tainments' zu sein"10 - so beschrieb Jack ROUSE, der US-amerikanische Experte für Freizeitanlagenplanung, den Verschmelzungs- und Thematisierungsprozeß in der Freizeitindustrie.
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Abb. 1: Alles wird thematisiert und gestylt. Auch die Gastronomie ist heute längst nicht mehr nur zum Essen da. Im Restaurant,Prinz Eisenherz' im ,Filmpark Babelsberg ' speisen die Gäste in Originaldekorationen (Photo: Archiv Probst).
Abb. 2: Das im Frühjahr 1998 eröffnete ,Ravensburger Spieleland' ist Deutschlands erstes Beispiel für einen ,Brand Park': Hier wird eine Marke (Ravensburger Spiele und Bücher) mittels eines Freizeitangebots kommuniziert, das sich speziell an Kinder unter zwölf Jahren richtet (Photo: Archiv Probst).
Freizeit- und Erlebniswelten: Entwicklung, Trends und Perspektiven
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Abb. 3: Shows und Variete-Vorstellungen gehören heute zum festen Bestandteil aller Freizeitparks. Im .Phantasialand' bei Brühl laufen in jeder Saison mehrere Shows. In der ,Arena de Fiesta' können die Gäste z. B. seit 1999 die neue, temperamentvolle Eisrevue ,Cold Rhythm' mit internationalen Eiskunstläufern, einer spritzigen Choreographie und phantasievollen Kostümen erleben (Photo: Archiv Probst).
Die Thematisierung und die Integration verschiedenster Angebote sind zentrale Trends der Freizeitwirtschaft. Die Schaffung von Themenwelten, von künstlichen Realitäten wird immer wichtiger. Solange wir noch nicht wirklich zum Mars reisen können, dürfen wir doch wenigstens eine Vorstellung davon entwickeln und erleben, oder? Für den in Planung befindlichen .Space Park' in Bremen (vorgesehene Eröffnung im Jahr 2002) wurde ein Themenbereich „Die Reise zum Mars" konzipiert, in dem die Besucher eine Vision von der Reise zum roten Planeten erleben werden.
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Probst
Abb. 4: Kellogg's ,Cereal City' in den USA ist ein weiteres aktuelles Beispiel für einen ,Brand Park': Hier werden die Besucher auf unterhaltsame Weise mit der Produktion ihrer geliebten Frühstücks-Cornßakes vertraut gemacht. Es gibt in dem von Jack ROUSE gestalteten ,Cereal City' einen musealen Teil, Einblicke in die Produktion, Hintergründe der Werbegeschichte, Spiel- und Entertainmentbereiche - und all das in unterhaltsamer Form (Photo: Archiv Probst).
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Der Verbraucher ist der Trend
Aus der Entwicklung der Freizeitindustrie wird meines Erachtens klar deutlich, daß die Freizeit nicht nur ein Wirtschaftsfaktor, sondern ein interdisziplinäres Network geworden ist, in dem neben der Technologie, der Betriebs-, Volks- und Fremdenverkehrswirtschaft die Psychologie eine ganz entscheidende Rolle spielt. Die bisherige Freizeitverhaltensforschung konzentrierte sich größtenteils auf die statistische Untersuchung. Wer bevorzugt z. B. welche Arten von Freizeitbeschäftigung oder -vergnügen, wann, mit wem oder wie häufig? Zweifelsohne interessante, unerläßliche Fakten - Grundlagenforschung. Was Freizeituntemehmer und -planer, aber auch Hersteller von Attraktionen heutzutage allerdings darüber hinaus am meisten interessieren sollte, ist das Warum? Menschen wollen arbeiten, sich verwirklichen. Aber sich verwirklichen heißt auch, sie wollen ihren ganz subjektiven ,Plan' von dieser Welt erleben, schöne Dinge tun, die entspannen und gute Gefühle vermitteln. Emotionen sind das Endprodukt der Freizeitindustrie. In der Vergangenheit war die planerische Ausrichtung beim Bau einer Freizeitanlage primär technologisch orientiert: Es wurde versucht, mit
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High Technology und High Thrill Zufriedenheit herzustellen, den immer neuen Kick zu bieten.
Abb. 5: Straßenkunst und Animation sind feste Bestandteile des Angebots in Freizeitparks. Warte- und Wegezeiten werden so auf unterhaltsame Weise verkürzt. Besonders saisonale Angebote peppen das Parkangebot zusätzlich auf - wie hier während der , Lichterwochen' im ,Phantasialand'. Sie verlängern die Parksaison im Herbst mit langen Abenden, an denen der komplette Park im Glänze tausender Lichter erstrahlt (Photo: Archiv Probst).
Als wesentlich bedeutsamer hat es sich allerdings erwiesen, Glücksgefühle und Frohsinn zu erzeugen - positive Gefühle also. Hier wird es von entscheidender Bedeutung sein, Kundenzufriedenheit (auch langfristig) systematisch zu analysieren. Welches Gefühl entwickelt sich, wie und welche emotionalen Zustände entstehen, die .konservierbar' werden? Konservierbar heißt: erinnerbare, in der
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Vorstellung, der Phantasie, geistig wiedererlebbare Gefühlszustände. Diese sogenannten State of Minds sind für einen Betreiber von Freizeiteinrichtungen das Wichtigste, weil konservierte, erinnerte Gefühle letztendlich darüber entscheiden, ob eine Attraktion gut (State of Excellence) oder schlecht (Stuck State)11 bewertet wird, und ob bzw. wie oft ein Gast wiederkommt oder auch, ob er andere Menschen zum Besuch der Anlage animiert. Beispiele: States of Mind und Emotionales Management Wie entscheidend sich die kleinste Kleinigkeit auf die States of Mind auswirken kann, verdeutlicht die nachfolgend beschriebene Situation: Ein Mensch, der den ganzen Tag in einem Freizeitpark bestens unterhalten wurde, Spaß hatte, die phantastischsten Abenteuer erlebte, etwas müde, aber glücklich seinen Schritt Richtung Parkausgang lenkt, wird auch in den letzten Minuten seines Parkbesuchs von fröhlichen Straßenkünstlern und Animateuren unterhalten. Alles ist perfekt, dann das Ausgangstor: Finster dreinschauendes und genervt mit den Schlüsseln klapperndes Personal lümmelt am Tor, nur mit sich und dem nahenden Feierabend beschäftigt, würdigt es die Besucher keines oder nur eines finsteren Blickes. An diesem Beispiel wird besonders deutlich, daß wenige Sekunden genügen, das mühsam aufgebaute Erlebnis eines ganzen Tages zu zerstören. Man kann nicht nicht fühlen, wie man auch nicht nicht kommunizieren kann (Paul WATZLAWICK). Ein positives Beispiel für Emotionales Management ist seit Saisonstart 1999 im ,Fort Fun Abenteuerland' zu erleben: Sollte es einen Regentag geben, so erhält jeder Besucher, der vor 15.00 Uhr den Park betreten hatte, beim Verlassen des Parks einen sogenannten ,Regen-Scheck', der ihn zum Wiederholungsbesuch, bei freiem Eintritt, an einem (hoffentlich sonnigen) Tag seiner Wahl einlädt - eine tolle Idee, um gute Gefühle zu erzeugen. Auch wenn der Parkbetreiber keinen Einfluß auf die Witterung hat, fühlt er sich für möglichen Verdruß seiner Besucher verantwortlich und möchte sie keinesfalls mit schlechten Gefühlen gehen lassen. Also erzeugt er in letzter Sekunde nochmals gute Gefühle. Darüber wird man sicher mit Freunden sprechen. Der Mensch unterscheidet nicht direkt in positiv oder negativ, sondern er unterscheidet Gefühle verschiedener Intensität und Art - viele derartige Prozesse laufen im Unterbewußtsein ab. Auch das Bedürfiiis nach dem ultimativen Kick und Thrill, das Ausloten der eigenen Grenzen, das Erleben kontrollierter Gefahr kann beim Einzelnen Glücksgefühle hervorrufen. Der Mensch nimmt also ein näher zu analysierendes Spektrum von Gefühlen wahr, wobei es negative Gefühle oder gar Enttäuschungen herauszufiltern und möglichst zu vermeiden gilt. Und all das bezieht sich nicht nur auf die Technologie oder auf das Design, also nicht nur auf die Hardware einer Freizeitanlage, sondern in ganz besonderem Maße auch auf die
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Software, auf den menschlichen Faktor, auf die Human Ressources - auf die kommunikativen Fähigkeiten von Management und Dienstleistungspersonal. Parkmitarbeitern sollten - in unterschiedlich starkem Maße - die Kompetenzen eines ,professionellen Kommunikators' vermittelt werden, um den künftigen Anforderungen gerecht werden zu können; wobei - wie an obigem Negativbeispiel (vgl. Kasten) zu erkennen war - Kommunikation auch immer den non-verbalen Aspekt einschließt.
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Dienstleistung - Freizeit
Konzepte für .Intuitives Management', .Management by Love' (Gerd GERKEN) oder .Emotionale Intelligenz' sind spätestens seit Daniel GOLEMANS Bestseller12 in die Öffentlichkeit gerückt und haben dazu geführt, daß in den Führungsetagen vieler Unternehmen die Bedeutung von Emotionen im Management grundlegend überdacht wurde und wird. Es gibt immer wieder neue Erkenntnisse und Weiterentwicklungen - gerade wurde das Konzept der ,Sinnlichen Intelligenz' entworfen. Die Art und Weise, wie der Mensch sein Gehirn mit sinnlichen Reizen speist, entscheidet maßgeblich darüber, wie er sein Leben gestaltet. Die Qualität der Sinnlichkeit bestimmt letztendlich, wie der Einzelne auf andere Menschen wirkt, wie er sich in der Kommunikation verhält, wie er mit Konflikten umgeht, wie Entscheidungen getroffen werden. Das Konzept der , Sinnlichen Intelligenz' symbolisiert eine neue Verbindung von Lebenslust und Geisteskraft.13 Bezogen auf die Freizeitwirtschaft ergeben sich hier bisher nur erahnte Untersuchungs- und Trainingskontexte. Trainieren wir unsere .Sinnliche Intelligenz', werden wir offen und fähig zu ,Emotionalem Management'. Denn insbesondere im Dienstleistungssektor, dem die Freizeitindustrie zweifelsohne zuzurechnen ist, stellt man bei genauerer Betrachtung fest, daß bisher kaum Konzepte für .Professionelle Kommunikation' und .Emotionales Management'14 existieren. Die Freizeit- und Tourismuswirtschaft hat ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten, die es erforderlich machen, das Produkt,Emotion ' und das Gefühlsmanagement einer besonderen Betrachtung zu unterziehen. Dieses aktuelle Erfordernis wird uns davon bin ich überzeugt - in den nächsten Jahren intensiv beschäftigen.
Anmerkungen ' Diese Zahl für 1998 basiert auf Schätzungen, die sich aufgrund der kontinuierlichen Untersuchungen von Umsätzen und Haushaltsausgaben der Bevölkerung durch die Deutsche Gesellschaft für Freizeit (DGF) ergaben (Quelle: DGF-Jahrbuch, Erkrath 1998).
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Weitere Informationen zur Entwicklung vgl. Park-Portrait „Just For(t) Fun". - In: AMUSEMENT T e c h n o l o g i e & M a n a g e m e n t , ( 1 9 9 7 ) 3 , S. 33FF.
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Weitere Informationen zur Entwicklung vgl. Park-Portrait „Ein Jungbrunnen für alle". In: AMUSEMENT Technologie & Management, (1998) 3, S. 33ff. 4 POPCORN, Faith: Der Popcorn-Report, München 1992 5 „Die Kataloge sind gedruckt; der Preis - 98.000 $ - ist fixiert und sogar das genaue Datum steht schon fest: Am 1. Dezember 2001 sollen die ersten Touristen ins All fliegen." - In: Welt am Sonntag, 22. Februar 1998 6 POWERS, Bruce R. - In: MCLUHAN, Marshall: The Global Village. Der Weg der Mediengesellschaft in das 21. Jahrhundert, Paderborn 1995 7 KROEBER-RIEL/WEINBERG: Konsumentenverhalten, Vahlens Handbücher der Wirtschaftsund Sozialwissenschaften, 6. Aufl. 1996 8 Interessante Überlegungen und Details zur planerischen Beachtung von Primär- und Sekundärnutzen - speziell im Bereich Shopping Center - bietet der Beitrag „Synergieoder Konfliktpotential? Entertainment- und Freizeitangebote in Shopping Centren". - In: AMUSEMENT Technologie & Management, (1999) 2, S. 41ff. 9 Besonders ausgeprägt in Warner Brothers Movie World (Bottrop-Kirchhellen) oder im Ravensburger Spieleland (Meckenbeuren), das oftmals auch schon als , Brand Park' bezeichnet wird. 10 ROUSE, Jack: Was wird sein, wenn dereinst die ganze Welt thematisiert ist? - In: AMUSEMENT Technologie & Management, (1998) 3, S. 54ff. 11 Diese beiden Begriffe entstammen dem ,NLP' (Neurolinguistisches Programmieren), einem hocheffizienten Kommunikations- und Trainingsmodell, das in der Psychologie entwickelt wurde und heute in den verschiedensten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereichen eingesetzt wird (vgl. ÖTSCH/STAHL: Das Wörterbuch des NLP, Paderborn 1997; BANDLER/LAVALLE: Die Schatzkammer des Erfolgs, Paderborn 1998). 12 GOLEMAN, Daniel: Emotionale Intelligenz, München 1996 13 vgl. RÜCKERL, Thomas: Sinnliche Intelligenz, Paderborn 1999 14 Eine ausführliche Auseinandersetzung mit dieser Entwicklung, dem Begriff und den . Möglichkeiten bietet: GRÖTSCH, Kurt: Emotionales Management. - In: AMUSEMENT Technologie & Management, (1999) 1 (Teil 1) und (1999) 2 (Teil 2).
Die Autorin Petra Probst Studium Kulturwissenschaft/Literaturwissenschaft; Volontariat als Betriebsfunkredakteurin; seit 1989 in verschiedenen Positionen im Junfermann Verlag Paderborn: Pressesprecherin, Projektleiterin und redaktionelle Mitarbeiterin der Fachzeitschrift AMUSEMENT Technologie & Management, seit 1999 Chefredakteurin der Fachzeitschrift AMUSEMENT Technologie & Management.
Ecotainment: Die großen Gefühle für ein besseres Umweltverhalten Martin
Lichtl
Erlebniswelten und die Inszenierung starker Gefühle in den Massenmedien können mehr Ziele verfolgen, als Menschen nur zu unterhalten. Inwieweit durch den strategisch-gezielten Einsatz von Emotionen in der Kommunikation ein Beitrag zur Lösung sozialpolitischer Probleme wie der ökologischen Krise geleistet werden kann, und wo die Grenzen der herkömmlichen sachlich und faktenbetonten Umweltkommunikation liegen, soll im folgenden diskutiert werden. Dabei soll die These erörtert werden, daß bestimmten Zielgruppen mit einer radikal emotionalisierten und erlebnisorientierten Kommunikation auf der Basis gefühlsstarker Bilder, Worte und Musik ökologische Botschaften effektiver vermittelt werden können als mit aufklärerischen, informationslastigen Ansätzen.
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Der Ökoabstinenzler - das Stiefkind der Umweltkommunikation
Idealtypisch richtet sich eine emotionale Umweltkommunikation vor allem an Konsumenten, die kein explizites Interesse an Ökologie haben. Ihr Informationsverhalten ist gekennzeichnet durch eine Ablehnung ökologischer Botschaften und eine relativ hohe Affinität zu Werbung und Markenprodukten. Dieser Typ wird im folgenden ökologisch gering involvierter Konsumententyp genannt. Er steht in krassem Gegensatz zu ökologisch stark involvierten Konsumenten, für die Ökologie ein persönliches Lebensprojekt geworden ist und ökologische Informationen eine zentrale Orientierung bedeuten. Der ökologisch gering involvierte Idealtyp läßt sich auch mit der vom Umweltbundesamt in Auftrag gegebenen Studie ,Umweltbewußtsein und Alltagshandeln' beschreiben. Die Studie arbeitet mit Hilfe eines sozial-kulturellen Ansatzes „eine kulturelle Typologie umweltbezogener Mentalitäten" heraus und identifiziert unter anderem den Typ der „Indifferenz" (vgl. POFERL/SCHILLING/BRAND 1997, S. 209): Dieser Typ nimmt die Umweltproblematik zwar wahr, allerdings als einen normalisierten Bestandteil der gesellschaftlichen Realität, weshalb ihn das Thema .Umwelt' auch weiter nicht tangiert. Trotz seines Umweltwissens verhält er sich nur sehr partiell umweltverträglich. Er grenzt sich von grünem Engagement und den entsprechenden Verhaltensweisen ab. Besserwisser und traditionelle Spießbürger sind für ihn nicht attraktiv. Trotz der ökologischen Krise möchte er sich Spaß und Lebensfreude erhalten. Die Studie faßt seine Einstellung plakativ zusammen mit den Worten: „Das Leben genießen trotz alledem, keine Lust auf Frust". Hinsichtlich seines Informationsverhaltens vermeidet der Typ der Indiffe-
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renz „ein Zuviel an Information. Auf den öffentlichen Diskurs wird so mit einem Gemisch aus Ohnmacht und Trotz reagiert". Zudem lehnt er alles ab, was nach Moralisierung oder Pädagogisierung aussieht. Eine Erörterung der Wirkungen der bisher praktizierten Umweltkommunikation auf ökologisch gering involvierte Konsumenten zeigt, weshalb diese Zielgruppe mit den herkömmlichen Kommunikationsstrategien nur begrenzt erreicht und deren Umweltverhalten entsprechend nicht nachhaltig beeinflußt werden kann. Als analytisches Instrument zur Bewertung der Kommunikationswirkungen wird auf die zentralen Gestaltungsformen der Umweltkommunikation zurückgegriffen. Der Begriff,Gestaltungsform' hat vor allem eine stilistische Komponente. Die Stilistik umfaßt die Art und Weise, wie etwas dargestellt und formuliert wird, und schließt damit die Wirkung auf Einstellungen, Bewertungen und Gefühle der Rezipierten ein. Im folgenden sollen zwei gegensätzliche Gestaltungsformen angewandt werden (vgl. Abb. 1): Die sachlich-argumentative Gestaltungsform basiert primär auf Textargumentation, Begründung, Logik und Rationalität. Sie erwartet vom Rezipienten eine rationale, geistig engagierte Auseinandersetzung mit den Medienangeboten. Demgegenüber stellt die emotional-argumentative Gestaltungsform emotionale Stilmittel in den Vordergrund. Sie benutzt z. B. stark emotionalisierende Bilder oder assoziative Wörter und Headlines, um beim Zuschauer oder Leser Gefühle zu aktivieren. Es geht um ein bewußtes Einwirken des Produzenten auf den Rezipienten mit dem Ziel einer qualitativen und/oder quantitativen Veränderung seines Gemütszustandes. Eingebettet in diese emotionale Anmutung werden die Botschaften dann in einem eher sachlich-argumentativen Stil dargeboten.
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Informationsüberlastung und Widersprüche
Die sachlich-argumentative Gestaltungsform in der Umweltkommunikation führte zu einem beachtlichen Anstieg des Umweltwissens und Umweltbewußtseins in der Bevölkerung. Gleichzeitig beobachten jedoch immer mehr Untersuchungen im Zusammenhang mit Begriffen wie ,Green Overkill' oder Environmental Overfeed' einen Rückgang der Informationsnachfrage im Bereich der ökologischen Kommunikation aufgrund der massiven Vermittlung und Inflation von umweltbezogenen Botschaften: „Ich beobachte zunehmende Tendenzen der Informationsund der Faktenabwehr. Überfordert durch die Fülle des für ihn nicht mehr Bewertbaren, verunsichert durch die sich widersprechenden Experten, schaltet der Einzelne ab. Er will Sicherheit. Es kann also kaum darauf ankommen, noch ein Faktum und noch ein Faktum zu transportieren" (ELITZ 1994, S. 59; vgl. auch die
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Ecotainment
herausgefundenen eklatanten
Orientierungsprobleme
im Umweltbereich
bei
POFERL/SCH1LLING/BRAND 1997, S. 109f.).
und Wirkungsabsichten
Abb. 1: Idealtypische Gestaltungsformen der Umweltkommunikation (Quelle: eigene Darstellung) Die Politisierung und Verwissenschaftlichung der Umweltdiskussion führt bei vielen Konsumenten zudem zu einem hohen Maß an Widersprüchlichkeit, Unverständnis und Irritation. Die Informationsabwehr-These erklärt diese Zusammenhänge damit, daß eine Informationsüberlastung und -konfusion zu Komplikationen bei der Entscheidung führt und zum Zweck der Vermeidung kognitiver Dissonanzen Informationen abgewehrt werden. Zudem können bei der Umweltthematik insgesamt auch , Wear-out'-Effekte und Sättigungserscheinungen auftreten. Kommunikationstechnisch wird es immer schwieriger, nach der vielfältigen Aufbereitung und Vermittlung einer Vielzahl von ökologischen Botschaften in den vergangenen drei Jahrzehnten (entsprechend der umgangssprachlichen Beobachtung ,Alles gesagt, geschrieben, gezeigt'), Umweltthemen weiterhin attraktiv durch einen entsprechenden Neuigkeitswert zu kommunizieren. STERN sieht zudem eher inhaltlich orientiert, „daß die Wahrheit ermüdend geworden ist" (so wissen heute zum Beispiel die meisten Autofahrer, daß Abgase die Natur und letztlich ihn selbst zerstören; vgl. GANGLOFF/TILMANN 1 9 9 4 , S. 5).
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Informationsabwehr-These und Sättigungserscheinungen treffen auf ökologisch gering involvierte Konsumenten stärker zu als auf ökologisch hoch involvierte Konsumenten. Letztere suchen entsprechend der Theorie der kognitiven Dissonanzen nach bestätigenden Informationen der eigenen Einstellungen und des Verhaltens.
1.2
Angstproblematik der emotional negativen Darstellung
Es gibt zwar Emotionalität in der massenmedialen Vermittlung von ökologischen Themen, diese haben aber meist eine negative Richtung. Diese Art der Umweltkommunikation findet sich vor allem im Sensationsjournalismus. Verschiedene empirische Studien thematisieren die Wirkungen von negativen Emotionen: Eine Langzeitstudie der Freien Universität Berlin stellt einen starken Anstieg der Umweltängste bei Kindern und Jugendlichen fest. Das Umweltbundesamt erhob, daß 87% der Bevölkerung im Zusammenhang mit Umwelt Angstpotentiale zeigen, und die Bundesregierung berichtet, daß 64% der Deutschen im Westen und 67% im Osten der Meinung sind, „daß wir - trotz wahrgenommener Verbesserungen in verschiedenen Bereichen des Umweltschutzes - auf eine Umweltkatastrophe zusteuern, wenn wir so weiter machen wie bisher" (BUNDESMINISTERIUM FÜR UMWELT 1996, Ergebnisüberblick). Der SPIEGEL beobachtet, daß von 1975 bis 1995 die Umweltängste parallel zur öffentlichen Debatte über wachsende Umweltprobleme zunahmen und schlußfolgert in bezug auf die Umweltdiskussion: „Da mischen sich Fernsehaufnahmen, eigene Beobachtungen und Zeitungsnotizen zu einer Melange aus fragmentiertem Wissen und diffusen Ängsten" (o. V. 1995, S. 44). Die Studie der Bundesregierung zeigt zudem, wie emotional - und zwar in Verbindung mit den Gefühlen Angst, Wut und Empörung - das Thema Umwelt in der Bevölkerung wahrgenommen wird: 73% der Befragten im Westen (72% im Osten) stimmen der Aussage zu, „es beunruhigt mich, wenn ich daran denke, unter welchen Umweltverhältnissen unsere Kinder und Enkelkinder wahrscheinlich leben müssen", und 63% im Westen (62% im Osten) stimmen der Aussage zu: „Wenn ich Zeitungsberichte über Umweltprobleme lese oder entsprechende Fernsehsendungen sehe, bin ich oft empört und wütend" (BUNDESMINISTERIUM FÜR UMWELT 1996, S. 19). In einer Textexegese des Umweltbundesamtes zur Umweltrezeption und zum Umweltverhalten zählen folgende medienbezogene Aussagen zu den meistgenannten: „Man will keine Meldungen mehr hören, weil man nicht ständig in Angst leben möchte" und „Man gewöhnt sich an Katastrophenm e l d u n g e n " (SCHLUCHTER/DAHM 1 9 9 6 , S. 7 9 ) .
Auf einer emotionalen Ebene der Wahrnehmung werden ökologische Sachverhalte zudem häufig als Gegenstand der politischen Diskussion als ein ernstes sozialpolitisches Problem im negativen Sinn der Übertreibungen und Ideologisierung
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wahrgenommen. Umweltgefährdung hat somit vergleichbare Positionierungselemente wie andere gesellschaftliche Probleme - etwa Arbeitslosigkeit, Rentensicherung u. ä. Die wahrgenommene Ernsthaftigkeit und Schwere - die sozialpolitisch zweifelsohne gerechtfertigt ist - unterstützt die Verankerung von Ökologie im persönlichen Gefühlsbereich des Negativen und ungelöst Problematischen. Angsttheoretische Ergebnisse besagen, daß der häufige Umgang mit Bedrohungen und Gefahren Gewöhnungsprozesse hinsichtlich der Wahrnehmung der Gefahrenstimuli einleiten kann. Dies würde für einen allmählichen Gewöhnungsprozeß sprechen. Andere theoretische Erklärungen bescheinigen Angstkommunikation eine positive kommunikative Wirkung, allerdings in Verbindung mit nachfolgenden Abwehrreaktionen: So erzeugen starke Furchtappelle zwar emotionale Spannungen und sind für die Erhöhung der Aufmerksamkeit nützlich, jedoch werden bei einem sehr hohen Furchtniveau durch selektive Wahrnehmung bedrohliche Reize abgewehrt. Dies wiederum löst ein Vermeidungsverhalten aus und vermindert die Chancen der Beeinflussung der Einstellungen und des Verhaltens. Auch HILGERS ( 1 9 9 4 , S. 3 4 ) sieht in der angstinduzierenden Umweltkommunikation Abwehreffekte-. „Mit Angst und Ohnmacht, Hilflosigkeit und Schreckensszenarien ist auf Dauer kein Mensch zu motivieren. Im Gegenteil führen solche psychischen Zumutungen zu zahlreichen Abwehrphänomenen". In einer umfassenden Untersuchung kam das Umweltbundesamt zu einer ähnlichen Schlußfolgerung: „Gegen diese Ängste, die zu einem beachtlichen Teil durch die Umweltbedingungen konstituiert sind und deshalb diesbezüglich als Umweltängste bezeichnet werden können, werden psychische Abwehrstrategien entwickelt, die, soweit sie nicht Verhaltenslähmung und Fatalismus bewirken, auf Problemverdrängung und Schuldverschiebung hinauslaufen" (SCHLUCHTER/DAHM 1 9 9 6 , S. 1 8 4 ) . Beobachtet wird entsprechend häufig die Leugnung und Verdrängung von Gefahr und das Ignorieren von Informationen. Zudem wurde festgestellt, daß Begriffe wie Umwelt, Umweltschutz, Bio und öko für viele Jugendliche und Erwachsene .längst ein Graus' sind.
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Positive Emotionen in der ökologischen Kommunikation sind umstritten
Nachdem sich seit einigen Jahren immer mehr Konsumenten von der Umweltproblematik abwenden, finden sich mittlerweile sogar auf der Seite der Umweltbewegung erste Anzeichen einer Öffnung für emotionale Gestaltungselemente in der Umweltkommunikation. So wird die Schlußfolgerung gezogen, daß Umweltschutz Spaß machen und etwas Schönes sein soll. ROSZAK (1994, S. 64) argumentiert unter der Überschrift „öko-Vernunft: Besonnen und langweilig" in dieselbe Richtung: „Wenn ökologische Weisheit nicht so aufregend und attraktiv gemacht werden kann wie (...) die Erforschung des Weltraums, wenn sie mit der materiellen Befriedigung, die das industrielle Wachstum bietet, nicht wetteifern kann, wird sie
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bei denen, die auf starke Emotionen ansprechen, immer nur einen armseligen zweiten Platz belegen". Mit MEFFERT soll die Diskussion auf den speziellen Beitrag zurückgeführt werden, den Werbetechniken zur Lösung ökologischer Probleme leisten können. MEFFERT schlägt vor, „über das Trojanische Pferd des Geltungsnutzens den Sozialnutzen Umweltschutz verhaltenswirksam zu verankern" (LOHBECK/DITTMAN 1996, S. 52), und fordert auf der strategisch-instrumentellen Ebene „die Emotionalisierung des Erbauungsnutzens durch Werbekampagnen für die Erhaltung der Schönheit der Natur" (LOHBECK/DITTMAN 1996, S. 53). Das Umweltbundesamt stellt hinsichtlich des möglichen Einflusses der Werbung auf einen umweltverträglichen Lebensstil fest, daß „diese Strategie [zur Stärkung des Symbolwertes umweltverträglicher Produkte und Dienstleistungen - Anm. d. Verf.] (...) eine Herausforderung ftlr die Werbung darstellt, die Symbolwerte jenseits des direkten Gebrauchswertes und demonstrativen Konsums von Produkten zu schaffen versteht" (UMWELTBUNDESAMT 1997, S. 5). Es betont die Fähigkeit der Werbung, „soziale Realität massenmedial zu konstruieren" (UMWELTBUNDESAMT 1997, S. 244). Zudem erfordern generelle gesellschaftliche und massenmediale Entwicklungen zunehmend die Auseinandersetzung mit emotionalen Gestaltungsformen in der ökologischen Kommunikation: So läßt sich - gefördert durch Femsehen, Bildschirmkommunikation und die steigende Informationsüberlastung - ein eindeutiges Vordringen der Bildkommunikation in den Medien feststellen. Auch die textgebundenen Printmedien passen sich der Tendenz zum vermehrten Einsatz von Bildern an, die grundsätzlich emotionsstärker als Text sind. Wenn Bilder zunehmend sprachliche Informationen in der massenmedialen Kommunikation ablösen, muß sich die Umweltkommunikation den veränderten gesellschaftlichen Kommunikationsbedingungen anpassen. Diesen Erfordernissen stehen in der Umweltpraxis, die weniger von marketingorientierten als vielmehr von naturwissenschaftlich-technisch und juristisch ausgebildeten Meinungsführern geprägt wird, starke Vorbehalte entgegen. Die Verbraucherpolitik fordert zum Beispiel häufig, daß Massenkommunikation mit ökologischen Inhalten möglichst wenig Emotionen, dafür aber viele Fakten enthalten soll. So wird gefragt: „Soll man überhaupt dulden, daß auf diesem Gebiet an die Phantasie, die Gefühle oder Träume der Verbraucher appelliert wird - ein Recht, das die Werbewirtschaft sonst im allgemeinen fordert?" (KEßLER 1 9 9 5 , S. 1 4 5 ) . ROSENBERGER argumentiert: „Immerhin stellt die im Vergleich zu den übrigen Anzeigen Uberproportional häufige Verwendung von Farben einen emotionalen Stimulus dar, auf den in dieser Intensität zu verzichten eher naheliegt, wenn man an Umweltanzeigen die Forderung nach starkem und überzeugendem Informationsgehalt stellt" (ROSENBERGER/SEN 1995, S. 14). Manche Kritiker der Umweltwerbung fordern sogar Einschränkungen oder Verbote der (emotionalen) Werbung mit ökologischen Botschaften. In einigen Pro-
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duktgruppen (zum Beispiel für Autos oder Wasch- und Reinigungsmittel) soll die Werbung beschränkt werden - entweder freiwillig oder per Gesetz. „Denkbar wäre auch eine Einschränkung der Werbung hinsichtlich der Unterlegung mit entsprechendem Bild- und Tonmaterial" (KRJSTAND 1995, S. 77). Eine radikale Position gegenüber Umweltwerbung vertritt der Verkehrsclub der Bundesrepublik Deutschland, wenn er - analog zur Zigarettenwerbung - ein Verbot für Autowerbung in den Funkmedien und staatlich angewiesene Warnhinweise in Printmedien fordert (.Autoabgase verursachen Krebs'). Kommunikationstechnisch wird die Problematik von Markenwerbung zur Vermittlung ökologischer Inhalte auf der Basis von Emotionalität folgendermaßen begründet: „Bei der großen Unsicherheit und dem teilweise sehr geringen Wissensstand in ökologischen Fragen ist eine verständliche und glaubwürdige Begründung ökologischer Versprechen in der Werbung unumgänglich; ganz im Gegensatz zu den Werbekampagnen für die Massenmärkte von heute, bei denen die Produkteigenschaften oftmals selbstverständlich sind und eine nähere Begründung des Produktversprechens überflüssig geworden ist" (HOPFENBECK/ ROTH 1994, S. 87). Die sachlich-argumentative Gestaltungsform in der ökologischen Kommunikation findet zudem Unterstützung durch das Wettbewerbsrecht, das wegen einer relativ hohen Zahl irreführender Werbekampagnen mit Umweltaussagen wohl in keinem anderen Bereich der Werbung eine so große Rolle wie in der Umweltwerbung spielt. Der methodische Tragpfeiler höchstrichterlicher Argumentation ist: „Umweltorientierten Werbeaussagen kommt angesichts ihres .emotionalen Gehalts' und ihrer korrespondierenden Entscheidungsrelevanz ein gesteigertes Irreführungspotential zu. Der hohe Rang sowie die ausgeprägte Verhaltensorientierung .ökologischer Fragestellungen' gebieten eine strenge Beurteilung entsprechender Werbeaussagen, entsprechend den normativen Vorgaben hinsichtlich gesundheitsbezogener Werbung" (HOPFENBECK/ROTH 1 9 9 4 , S. 101). So besteht aus juristischer Sicht aufgrund der erheblichen Irreführungsgefahr ein „gesteigertes Aufklärungsbedürfnis der angesprochenen Verkehrskreise hinsichtlich Bedeutung und Inhalt der verwandten Begriffe" (BODENSTEIN/SPILLER 1 9 9 5 , S. 2 2 1 ff.).
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Ecotainment - emotionale Umweltwerbung zur Beeinflussung des Umweltverhaltens
Ein Kommunikationskonzept zur Beeinflussung des Umweltverhaltens (insbesondere von ökologisch gering involvierten Konsumenten) basiert auf der klassischen emotionalen lifestyle-orientierten Werbung. Diese Werbeform verwendet emotionale Gestaltungselemente fast ausschließlich in Form von Bildern und - bei elektronischen Medien zusätzlich - Musik. Häufig finden sich vor allem in der Werbepraxis hierfür auch die Begriffe Lifestyle-Werbung oder Image-Werbung, weil die Werbungtreibenden beabsichtigen, .lebensstiltypische Emotionen bei Verbrau-
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ehern' auszulösen bzw. dem Produkt eine .alltagsästhetisierende Produktwelt' zuzuordnen. Im Extrem ist die Lifestyle-Werbung die reinste Ausprägung der emotionsauslösenden Suggestivwerbung. Suggestivwerbung wird hier als eine Werbemethode verstanden, die auf das gefühlsmäßige Empfinden des Menschen abgestellt ist. Dabei spielt die Information über das Produkt und die Ansprache des menschlichen Verstandes eine untergeordnete Rolle. „Durch die Darbietung eines Markennamens in einem emotionalen Umfeld kann man die Einstellung zu der Marke ändern, ohne eine einzige Information über die sachlichen Eigenschaften der Marke zu vermitteln" (KROEBER-RIEL/WEINBERG 1996, S. 131). Diese Mechanismen lassen sich auf die Umweltkommunikation übertragen, was im folgenden die emotionale Gestaltungsform bildet (vgl. Abb. 2). Diese hat im Gegensatz zur emotional-argumentativen Gestaltungsform keine Intentionen einer umfassenden Informationsvermittlung. « ac •a
• Sachliche Gestaltungselemente und Wirkungsabsichten
Abb. 2: Die emotionale Gestaltungsform (Quelle: eigene Darstellung) Die theoretische Basis für die rein emotionale Umweltwerbung bildet die klassische Konditionierung, die nach folgendem Muster abläuft: Wenn ein neutraler Reiz (Bild, Wort) wiederholt und stets gleichzeitig zusammen mit einem emotionalen Reiz dargeboten wird, so erhält auch der neutrale Reiz nach einiger Zeit die Fähigkeit (wenn er allein dargeboten wird), die emotionale Reaktion hervorzurufen. Der neutrale Reiz wird dadurch zu einem konditionierten Reiz. Als empirische Untermauerung der allgemeinen Konditionierungsmechanismen gelten etwa die Experimente von Arthur und Caroline STAATS, die den Wörtern für Nationalitäten
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emotionale Begriffe zuordneten und die Konditionierungswirkungen untersuchten. Ecotainment schlägt nun vor, eine angepeilte Umwelthandlung - etwa eine geringere Nutzung des Autos - in der Markenwerbung über die gelernte Markenwelt des Autos so stark emotional aufzuladen, daß die Handlung für den Konsumenten, der sich mit der Automarke identifiziert, einen so starken psychischen Nutzen vermittelt, daß er sie durchführt. Es findet letztendlich ein Imagetransfer von der Markenwelt auf die umweltrelevante Alltagshandlung statt. In der Kommunikationspraxis wurde nur ein Werbeauftritt gefunden, der den Prinzipien der rein emotionalen Umweltwerbung nahekommt. Hierbei handelt es sich um den TV-Spot,Fahrradfahrer' der Hamburger Werbeagentur Springer & Jacoby für Mercedes Benz: Untermalt von ruhiger klassischer Musik zeigt der Spot in einer ästhetisch hochwertigen Umsetzung einzelne Detailausschnitte eines Mercedes. Als stärkstes Symbol erscheint der Mercedes-Stern. Ein sportlich-dynamischer Mann geht mit Tennisschläger in die Garage. Die nächste Szene zeigt die Garagenausfahrt neben einer Jugendstilvilla mit der Front des Autos im Anschnitt: Am Ende des Spots fährt der Sportler gemächlich mit dem Fahrrad aus der Garage und läßt sein Auto stehen. Durch die Verbindung der Markenwelt von Mercedes und dem Fahrradfahren können Konsumenten, die eine hohe Affinität zu dieser Automarke besitzen, motiviert werden, ihre Einstellung zum Radfahren zu ändern; es besteht somit eine Chance, das von Umweltverbänden und -behörden geforderte Umweltverhaltensziel zu erreichen, daß man kurze Strecken in der Freizeit oder zum Zweck des Brötchenoder Zigarettenkaufes möglichst nicht mit dem Auto zurücklegen soll, weil hier der Energieverbrauch und der Emissionsausstoß überdurchschnittlich hoch sind. Das Konzept einer Umweltwerbung auf der Basis einer rein emotionalen Gestaltungsform wird als Ecotainment bezeichnet und folgendermaßen definiert: Es ist eine Kommunikationsform, die sich primär auf emotionale Elemente und Wirkungen beschränkt. In ihrer extremen Ausprägung vermittelt sie inhaltlich keine verbalisierten Informationen, wenig Wissen und kaum Fakten zum Thema .Umwelt'. Ihr primäres Ziel ist es nicht, ein Problembewußtsein zu erzeugen und sie orientiert sich nicht an der vorherrschenden Abfolge der bisherigen Umweltkommunikation .Problem, Lösung und schließlich notwendiger Aufwand' und muß entsprechend auch keine Lösungen anbieten. Ihr Wirkungsmechanismus auf den Einstellungs- und Verhaltensebenen bei Konsumenten beruht auf den modernen Theorien der Konditionierung. Definitorisch ist Ecotainment Teil von Umweltkommunikation, weil die Zielsetzung der Kommunikationsveranstalter im Rahmen des nachhaltigen Konsums die Beeinflussung eines umweltschädigenden Verhaltens ist.
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Die Primärzielgruppe sind ökologisch gering involvierte, ausgeprägt sumorientierte Konsumenten.
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Die wesentliche Neuerung von Ecotainment im Rahmen der Umweltwerbung und letztendlich der übergreifenden Umweltkommunikation ist, daß nur geringe, möglichst sogar gar keine Assoziationen mit dem herkömmlichen Verständnis von Ökologie entstehen. Möglich wird dies durch Vorkehrungen auf den Ebenen von Gestaltung und Wirkung. Dadurch sollen insbesondere bei ökologisch gering involvierten Konsumenten Reaktanzen gegenüber ökologisch intendierten Zielen verhindert werden.
Literaturangaben BODENSTEIN, G./SPILLER, A.: Innovationen zwischen Ökonomie und Ökologie. In: FAIX, W./KURZ, R./WLCHERT, F. (Hrsg.): Das Informationsdilemma der umweltorientierten Kommunikationspolitik, Landsberg/Lech 1995 BUNDESMINISTERIUM FÜR UMWELT, NATURSCHUTZ UND REAKTORSICHERHEIT
(Hrsg.): Umweltbewußtsein in Deutschland, Berlin 1996 ELITZ, E.: Umweltschutz und Umweltschmutz - Wie glaubwürdig ist Öko-PR? - In: ROLKE, L./ROSEMA, B./AVENARIUS, H. (Hrsg.): Unternehmen in der ökolo-
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Ecotainment
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ROSZAK, T.: A u f der Suche nach dem Öko-Ich. - In: Psychologie Heute, ( 1 9 9 4 ) 8 SCHLUCHTER, W./DAHM, G.: Analyse der Bedingungen für die Transformation von Umweltbewußtsein in umweltschonendes Verhalten, Berlin 1996 UMWELTBUNDESAMT (Hrsg.): Nachhaltiges Deutschland - W e g e zu einer dauerhaft-umweltgerechten Entwicklung, Berlin 1997
Der Autor Martin Lichtl Studium der Politikwissenschaft und Volkswirtschaftslehre in Marburg, Adelaide/Australien und Hamburg; Public Relations Manager - zuletzt Abteilungsleiter - bei Kraft Jacobs Suchard (Bremen); Senior Berater für Umweltkommunikation bei Burson-Marsteller (Frankfurt am Main); Product Positioning Manager Europa bei Warner-Lambert (Basel); Public Relations Leiter Gemini Consulting (Bad Homburg); seit 1994 selbständiger Berater filr Umweltkommunikation und Inhaber/Geschäftsführer eines Stadthotels in Sopron/Ungarn. (Photo: Sabine Kristan)
Herausgeber und Verlag danken dem Ueberreuter Verlag (Frankfurt a. M./Wien) für die freundliche Genehmigung zum Nachdruck des Textes aus dem Buch ,Ecotainment - Der neue Weg im Umweltmarketing' von Martin Lichtl (1999).
2 Erlebnis- und Konsumwelten: Erfahrungen - Modelle Planungen
Europa-Park - von der Unternehmervision zum Marktführer Michael Kreft
„Der Pleitegeier schwebt über Rust!" und „Was geschieht mit Freizeitruine im badischen Fischerdorf?" - diese beiden nicht gerade euphorischen Schlagzeilen waren eine der ersten Presseresonanzen auf die Idee der Familie MACK im badischen Rust, einen Freizeitpark zu bauen. Mittlerweile ist der ,Europa-Park' der größte deutsche Freizeitpark und braucht auch den europäischen Vergleich nicht zu scheuen. Im Folgenden wird diese Entwicklung kurz nachgezeichnet, einige Details näher betrachtet und ein Ausblick in die Zukunft gewagt.
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Geschichte der Fa. Mack
Genau betrachtet wurde der Grundstein für den Erfolg des ,Europa-Park' bereits 1780 gelegt, denn in diesem Jahr gründete der Wagenmeister Paul MACK in Waldkirch im Schwarzwald eine Werkstatt zum Bau von Kutschen und landwirtschaftlichen Fahrzeugen. Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich Waldkirch zu einem der Zentren des Baus von Groß- und Konzertorgeln u. a. auch für Schausteller. Für den Transport dieser Orgeln wurden von MACK entsprechende Wagen gebaut. Rasch entwickelte sich der Betrieb zu einem gefragten Wagenbauer für Schausteller und Zirkusunternehmen. Seit 1920 hat die Fa. Mack dann auch Fahrattraktionen für Schausteller und ab den 50er Jahren Fahrattraktionen für Freizeitparks gebaut. Heute ist die Fa. Mack ein modernes Unternehmen, das sich auf den Bau von Fahrattraktionen spezialisiert hat. In diesem Markt ist das Unternehmen führender Hersteller in Deutschland und liefert seine Anlagen an Freizeitparks auf der ganzen Welt.
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Bau und Eröffnung des ,Europa-Park'
Im Jahr 1972 hat die Familie MACK den Entschluß zum Bau eines Freizeitparks gefaßt: Er sollte zu einem Schaufenster für Produkte der Fa. Mack werden. Aus dem gleichzeitigen Betrieb des Herstellungsunternehmens und des Freizeitparks versprach man sich zahlreiche Synergieeffekte. Auf der Suche nach einem geeigneten Gelände fand man schließlich den Schloßpark im südbadischen Rust. Dieser Park erfüllte alle wichtigen Grundbedingungen für den Bau des geplanten Freizeitparks. Der alte Baumbestand sowie die reizvolle, von einem Fluß durchzogene Parkanlage mit Erweiterungsmöglichkeiten boten ideale landschaftliche Voraussetzungen. Auch die Lage in Nähe des Werks in Waldkirch sowie die gute
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Michael Kreft
Verkehrslage in relativer Nähe zur Autobahn waren entscheidend für die Standortwahl. Dennoch war bei Baubeginn 1973 die Skepsis groß. Die Zeitungen schrieben: ,Der Pleitegeier schwebt über Rust. Was geschieht mit Freizeitruine im badischen Fischerdorf?'. Trotz dieser Skepsis hatte der ,Europa-Park' am 12. Juli 1975 seinen ersten öffnungstag. Er bot damals auf einer Fläche von 12 ha nur einige wenige Attraktionen. Trotzdem war bereits diese erste Saison ein großer Erfolg: Es konnten mehr als 250.000 Besucher begrüßt werden.
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Ausbau und Entwicklung des ,Europa-Park'
Mit zunehmenden Besucherzahlen folgte in den nächsten Jahren der konsequente Ausbau des ,Europa-Park'. Ein wichtiger Schritt war dabei 1981 die Eröffnung des ersten Themenbereichs - des .Italienischen Stadtteils' - und die damit verbundene Einführung des europäischen Themenkonzeptes.
Abb. 1: ,Italienischer Stadtteil' - erster Themenbereich des (Photo: Europa-Park)
,Europa-Park'
Eine wichtige Rolle spielte dabei der Bühnenbildner und Filmarchitekt Ulrich DAMRAU, der gemeinsam mit der Familie MACK den , Europa-Park' zu dem entwickelt hat, was er heute ist - zu einem Freizeitpark mit europäischer Architektur und kulturellem Anspruch.
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Europa-Park
Abb. 2: , Walliser Dorf
im Schweizer Themenbereich (Photo:
Europa-Park)
Abb. 3: Schweizer Bobbahn - eine Achterbahn ohne Schienen - bei ihrer Fahrt durch den ,Eiskanal' (Photo: Europa-Park)
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Michael Kreft
Heute bietet der Park, der jährlich von Ostern bis Ende Oktober geöffnet ist, auf über 62 ha Fläche mehr als 100 Attraktionen und Shows. In 13 europäischen Themenbereichen erwarten den Besucher hier abwechslungsreiche Fahrattraktionen, farbenprächtige Shows, eine Vielzahl von Shops und ein umfassendes gastronomisches Angebot. Auch die Besucherzahl hat sich rasant entwickelt. Mit den mehr als 2,7 Mio. Besuchern in der Saison 1998 ist der ,Europa-Park' mit deutlichem Abstand die Nr. 1 der deutschen Freizeitparks und - nach Disneyland in Paris - der umsatzstärkste Freizeitpark in Europa. Seit der Eröffnung des Parks sind über 30 Mio. Besucher nach Rust gekommen. Das wachsende Angebot an Attraktionen im Park hat zu einer stetig wachsenden Aufenthaltsdauer von durchschnittlich mehr als acht Stunden geführt. Aber nicht nur die tägliche Aufenthaltsdauer nimmt zu, sondern auch die Anzahl der Gäste, die an zwei aufeinander folgenden Tagen den Park besuchen. Dies ist im Zusammenhang mit dem Ausbau des Angebots an Übemachtungsmöglichkeiten ein wichtiger Aspekt.
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H o t e l ,E1 A n d a l u z '
Aufgrund der steigenden Nachfrage ist 1995 das Hotel ,E1 Andaluz' gebaut worden. Dieses spanisch thematisierte Erlebnishotel hatte bei seiner Eröffnung 512 Betten und konnte bereits in der ersten Saison eine Auslastung von 87% verzeichnen. Schon 1996 erfolgte der Ausbau des Hotels auf 568 Betten und eine Steigerung der Auslastung auf 93,5%. Im Jahr 1997 wurde die Kapazität auf 777 Betten ausgebaut und die Auslastung steigerte sich erneut (auf 95,6%). Auch 1998 lag die Auslastung wieder über 95%. Daher wurde 1999 ein zweites Hotel begonnen, im Stil einer spanischen Burg gebaut. Hier stehen im Hotel ,A1' Cazar' weitere 450 Gästebetten zur Verfügung. Damit verfügt der ,Europa-Park' über mehr als 1.250 Gästebetten. Hier zeigt sich ein wachsendes Interesse an den Kombinationsangeboten des ,Europa-Park'. Der Besuch wird durch die Übernachtung im ebenfalls thematisierten Hotel zu einem noch attraktiveren Erlebnis. Auch die Anreisedauer und damit auch das Einzugsgebiet nehmen durch den Ausbau des Parks, der damit verbundenen steigenden Aufenthaltsdauer sowie dem wachsenden Anteil der Hotelgäste ständig zu: Je umfangreicher das Angebot, um so höher ist auch die Bereitschaft zu einer längeren Anfahrt.
Europa-Park
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Einzugsgebiet
Nun stellt sich die Frage: Woher kommen die Gäste des Parks? Natürlich überwiegt der Anteil der Gäste aus Deutschland (55,9%), aber auch aus Frankreich (22,1%) und der Schweiz (18,5%) kommen zahlreiche Besucher in den ,EuropaPark'. Die übrigen Gäste (3,5%) verteilen sich auf weitere umliegende europäische Länder. Der überwiegende Anteil der deutschen Besucher kommt aus Süddeutschland. Mit der Eröffnung des Hotels dehnt sich aber auch hier das Einzugsgebiet aus.
Abb. 4: Euro-Mir - eine Hochgeschwindigkeitsachterbahn mit drehenden Gondeln -, entwickelt und gebaut von der Fa. Heinrich Mack (Photo: Europa-Park)
Ein weiterer interessanter Aspekt ist die Altersstruktur der Besucher. Das Angebot des , Europa-Park' ist breit gefächert und bietet im Grunde für alle Altersgruppen attraktive Angebote. Wie erwartet, überwiegt hier jedoch der Anteil der jünge-
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ren Altersgruppen. Das Durchschnittsalter liegt bei 27 Jahren. Damit ist der Park gerade für die Urlaubsregion Schwarzwald ein wichtiger Aktivposten. Quelle dieser Zahlen sind die seit 1983 regelmäßig durch Prof. Dr. Fichtner - Freizeitpark-Experte in Freiburg - durchgeführten Untersuchungen zum Besucherprofil des , Europa-Park'. Wichtiges Ziel dieser Untersuchungen ist es vor allem, auch die Zufriedenheit der Gäste zu ermitteln. Das Angebot des Parks findet bei seinen Besuchern eine sehr positive Resonanz. 95,7% der Gäste erklären beim Verlassen des Parks, daß sie wiederkommen wollen. Die Zufriedenheit zeigt sich aber auch an dem hohen Anteil der Wiederholungsbesucher (71%). Aber nicht nur die Gäste des ,Europa-Park', sondern auch die Stiftung Warentest ist vom Angebot des Parks überzeugt. Als einziger deutscher Freizeitpark wurde er bei der Untersuchung im Jahr 1996 mit dem Testurteil,sehr gut' bewertet. Ganz besonders freut uns natürlich, daß wir im Vergleich mit dem Unterhaltungskonzern Disney und seinem Disneyland Paris hier die Nase vorn haben.
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Marketing
Das Marktgebiet des ,Europa-Park' ist sehr heterogen strukturiert. Es umfaßt im Kerngebiet ein Bevölkerungspotential von ca. 22 Mio. Menschen bis zu einer Entfernung von ca. 200 km, somit in Deutschland in erster Linie Baden-Württemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz, Saarland und das südliche Hessen. Wichtige Märkte sind auch die gesamte Schweiz, Ostfrankreich sowie der Westen Österreichs. Um die ausländischen Märkte besser betreuen zu können, hat der ,EuropaPark' in Straßburg und Basel Verkaufsbüros eingerichtet. In allen Marktgebieten setzt der ,Europa-Park' auf einen Media-Mix, dem die jeweiligen Besonderheiten des Marktes zugrunde liegen. Während in Deutschland Hörfunk und Print-Medien stärker im Vordergrund stehen, wird in der Schweiz mehr auf TV-Werbung und in Frankreich auf Außenwerbung gesetzt. Ganz entscheidend für die erfolgreiche Kommunikation ist gerade auch die PR. Hier bieten sich durch ständige Innovationen und Erweiterungen sowie die zahlreichen Events viele Ansätze für die Kommunikation. Besonders die Kooperation mit Medienpartnern bei der Vermarktung von Events hat sich hierbei bewährt. Insgesamt kommt dem Bereich Sponsoring/Kooperationen eine wichtige Bedeutung zu. Der ,Europa-Park' war Ende der 80er Jahre der erste deutsche Freizeitpark, der größere Sponsoring-Vereinbarungen mit Partnern aus der Industrie treffen konnte. Heute hat er mehr als 20 Kooperationspartner, die in verschiedenen Bereichen mit dem Park synergetisch zusammenarbeiten. Bei diesen Kooperatio-
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nen steht weniger das finanzielle Engagement der Partner im Vordergrund, sondern vielmehr die zahlreichen Möglichkeiten im Bereich von Joined Promotions bzw. Cross Promotions (also vorwiegend im Bereich der Kommunikation). Freizeitparks sind für Markenartikler geradezu ideale Orte der Kommunikation, da sie hier ihren potentiellen Kunden in einer entspannten Freizeitatmosphäre ihre Produkte näherbringen können. Aus dieser Grundüberlegung heraus haben sich bereits seit längerem in den USA die sog. .Brand Parks' entwickelt, die seit Ende der 90er Jahre auch in Deutschland entstehen.
Abb. 5: Innenhof des Hotels ,El Andaluz' (Photo: Europa-Park)
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Wirtschaftliche Bedeutung
Neben der Tatsache, daß der Europa-Park eines der attraktivsten Ziele für Tagesausflüge und Kurzreisen in Europa geworden ist, stellt das Unternehmen auch einen wichtigen Wirtschaftsfaktor für die Region dar. Von den insgesamt 1.850 Mitarbeitern sind trotz der Tatsache, daß es sich bei dem Park um einen Saisonbetrieb handelt, 300 Mitarbeiter ganzjährig beschäftigt. Auch werden durch den stetigen Ausbau in jedem Jahr neue Arbeitsplätze geschaffen. Die Investitionen - jährlich in einer Größenordnung von 25-30 Mio. DM fließen zum überwiegenden Anteil an Bauunternehmen und Handwerksbetriebe in der Region. Auch im Bereich der Zulieferbetriebe setzt der ,Europa-Park' auf Betriebe aus der Region. So trägt er zur Sicherung von insgesamt mehr als 8.000 Arbeitsplätzen bei. Untersuchungen holländischer Kollegen haben ergeben, daß in
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der Region um einen Freizeitpark durch dessen Besucher noch einmal ein Umsatz in etwa gleicher Höhe wie der Umsatz des Parks getätigt wird.
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Touristische Bedeutung
Auch im Hinblick auf den Tourismus wirkt sich der ,Europa-Park' sehr positiv aus. Von den insgesamt 2,7 Mio. Gästen kommen ca. 650.000 von ihrem Urlaubsort in den Park. Gab es noch 1975 keine Gästebetten in Rust, sind es heute mittlerweile 2.000 Betten. In der Gemeinde Rust werden jährlich nahezu 300.000 Übernachtungen registriert. Inzwischen verzeichnet das Dorf Rust im Vergleichszeitraum mehr Gästeankünfte als die Stadt Freiburg. Dazu kommen noch einmal ca. 300.000 Übernachtungen von Parkbesuchern im Schwarzwald. Der ,Europa-Park' gibt somit wichtige Impulse für den Tourismus im Schwarzwald - insbesondere bei den Bemühungen, wieder jüngere Zielgruppen für den Schwarzwald zu gewinnen. Das wird mittlerweile auch durch die Tourismusverbände erkannt, und so gibt es hier eine intensive Zusammenarbeit.
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Events und Tagungen
Neben seinem umfangreichen Angebot bietet der ,Europa-Park' in jedem Jahr eine Vielzahl von Events an. So wurden in diesem Jahr zahlreiche Fernsehunterhaltungsshows im Park produziert. Aber auch ein Dixielandfestival, Musicalabende, ein Schloßfest, ein spanisches Herbstfest, ein Heißluftballonfestival sowie zahlreiche weitere Events fanden im Lauf der Saison statt. Neben diesen Events entwickelt sich das Konferenz- und Tagungsangebot des , Europa-Park' zu einem immer gefragteren Bereich. Zahlreiche Firmen entdecken den Park als idealen Veranstaltungsort für Tagungen, Konferenzen, Präsentationen oder Feiern. Neben den entsprechenden Räumlichkeiten, einer vielfältigen Gastronomie sowie einem ansprechenden Hotel bietet der ,Europa-Park' zahlreiche Showprogramme und mit dem Angebot des Freizeitparks ein - im Vergleich zu anderen Tagungsorten - sehr attraktives Rahmenprogramm. Hier werden häufig dann die Familien der Tagungsteilnehmer gleich mit eingeladen.
10 Die Zukunft des ,Europa-Park' Auch zukünftig sind die Zeichen im ,Europa-Park' auf Expansion gestellt. So werden in den nächsten Jahren nicht nur bestehende Anlagen und Themenbereiche optimiert, sondern weitere neue Attraktionen und Themenbereiche realisiert. Nächstes größeres Projekt ist der griechische Themenbereich (2000/2001), in
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dessen Mittelpunkt eine von der Fa. Mack neu entwickelte Wildwasserachterbahn steht. Zahlreiche weitere Projekte befinden sich derzeit in Planung. Langfristig gesehen erscheint trotz vorhandenem Gelände ein über diese Planungen hinausgehender weiterer Ausbau des bestehenden Themenparks nicht als sinnvoll, da dies deutlich den Rahmen eines Tagesausflugsziels sprengen würde. Hier ist eher die Schaffung neuer, ergänzender Angebote vorstellbar.
Abb. 6: Spanische Ritterspiele in der Arena des ,Europa-Park' (Photo: Europa-Park)
Auch im Bereich der Übernachtungsangebote ist - vor dem Hintergrund der dynamischen Entwicklung der vergangenen Jahre - von einer Schaffung weiterer Kapazitäten auszugehen. Hierdurch soll einerseits die vorhandene Nachfrage befriedigt, andererseits neue Marktgebiete erschlossen werden. Derzeit ist beispielsweise eine intensive bundesweite Vermarktung von Pauschalangeboten aufgrund der hierfür zu geringen Hotelkapazität nicht möglich.
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Abb. 7: Spanischer Themenbereich - ein Stück Andalusien im Süden (Photo: Europa-Park)
Deutschlands
Gerade auch durch die verstärkte Nachfrage im Bereich Tagungen und Events werden hier weitere Kapazitäten benötigt. Es ist davon auszugehen, daß diese Bereiche zu immer interessanteren Aktivitäten des ,Europa-Park' werden. Ein weiterer Trend zeichnet sich hinsichtlich der Saisonöffhungszeiten ab. Während sich in der Vergangenheit Freizeitparks ausschließlich an der Ausflugssaison und den Ferienzeiten orientiert haben, wird künftig die Nutzung der vorhandenen Infrastruktur auch in den Wintermonaten an Bedeutung gewinnen. Einige europäische Freizeitparks - wie z. B. Tivoli in Kopenhagen oder de Efteling in Kaatsheuvel - haben ihre Parks bereits für spezielle Weihnachtsmärkte geöffnet. Eine Ganzjahresöffnung (wie bei den großen Parks in Florida) bleibt jedoch in Mitteleuropa aufgrund der klimatischen Bedingungen problematisch.
11 Wie entwickeln sich die Freizeitparks in der Zukunft? Der Tourismus in der Krise, der Event im Trend und der erlebnisorientierte Freizeitpark als Wundermittel beim .Kampf um neue Zielgruppen im Tourismus und als Ideallösung in der Städteplanung: Seit einigen Monaten scheint eine regelrechte Freizeitpark-Euphorie in Europa ausgebrochen zu sein. In Deutschland werden zahllose Projekte diskutiert. Es vergeht kaum eine Woche, in der nicht in den Medien kontrovers über ein neues Projekt berichtet wird.
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Abb. 8: Burghotel ,Al' Cazar' - zweites Hotel des ,Europa-Park' in Form einer spanischen Burg (Photo: Europa-Park)
Einige von diesen Projekten werden in den kommenden Monaten in Betrieb gehen, und mit Interesse wird der Erfolg dieser neuen Konzepte am Markt verfolgt werden. Auch die EXPO 2000 in Hannover wirft in Deutschland ihre langen Schatten voraus. In der Schweiz wird ebenfalls mit Hochdruck an der EXPO 01 gearbeitet. In Spanien gibt es nach dem großen Erfolg von .Port Aventura' einen Boom für Freizeitparks. Amerikanische Konzerne investieren in Großprojekte in Europa und kaufen Freizeitparks gleich im Dutzend auf. Der deutsche ,Freizeitpapst' OPASCHOWSKI spricht in einer Studie von den „Kathedralen des 2 1 . Jahrhunderts" (vgl. auch Beitrag OPASCHOWSKI in diesem Band Anm. d. Hrsg.). Ein regelrechter Wettlauf der Erlebniswelten hat begonnen. Der Autokonzern VW errichtet bis zum Jahr 2000 für eine Milliarde DM eine neue Erlebnisstadt in einer Mischung aus Freizeitpark und Verkaufsshow. In zahlreichen europäischen Städten entwickeln sich .Urban Entertainment Center'. Sind Freizeitparks nun der Jungbrunnen der vielerorts kränkelnden Tourismusbranche oder kommt nach der Euphorie die Ernüchterung wie Ende der 80er Jahre in Frankreich, als dem Boom die Pleitewelle folgte? Diese Frage läßt sich derzeit sicher nicht abschließend beantworten. Es ist jedoch zu erwarten, daß sich der Wettbewerb für die bestehenden Anlagen verschärfen wird. Entscheidend für die Entwicklung der Freizeitparks sind jedoch auch Rahmenbedingungen wie z. B. die Entwicklung des Individualverkehrs oder der Kaufkraft.
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Trotz der zeitweise weniger guten wirtschaftlichen Situation in Deutschland haben sich die Besucherzahlen und die Umsätze im ,Europa-Park' in den letzten Jahren sehr positiv entwickelt. Im Gegensatz zum übrigen touristischen Markt, der in den letzten Jahren zum Teil deutliche Einschnitte hinnehmen mußte, boomen erlebnisorientierte Angebote weiterhin. Dabei wird auch künftig die Qualität ein Schlüssel zum Erfolg sein. Es werden nur die Angebote erfolgreich arbeiten, die konsequent auf ein ausgewogenes PreisLeistungs-Verhältnis setzen und den Gästen einen Mehrwert bieten. Bei allen Besucherbefragungen und Marktanalysen hat sich immer wieder deutlich gezeigt, daß der mit Abstand wichtigste .Erfolgsfaktor' der zufriedene Gast ist.
Der Autor Michael Kreft machte nach dem Abitur eine Offiziersausbildung; anschließend studierte er Sozialpädagogik (mit dem Schweipunkt Freizeit und Tourismus) sowie Betriebswirtschaft in Fulda; er war als wissenschaftlicher Assistent im Würzburger Institut für Fremdenverkehr und Freizeitforschung tätig; seit 1988 arbeitet er im ,Europa-Park' in Rust; nachdem er zunächst in den Bereichen Marketing und PR aktiv war, ist er heute Parkleiter des ,Europa-Park'.
Die thematische Inszenierung eines touristischen Großprojektes: Der Ferienpark,Heide-Metropole' Soltau Robert Jan Dogterom
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Einführung
Die Eigenttlmerfamilie von Norddeutschlands größtem Freizeit- und Familienpark hat die ROBERT J. DOGTEROM & Co. GmbH mit Sitz in Nürburg mit der Konzeptentwicklung und Umsetzung eines geplanten Ferienparkprojekts beauftragt. Das touristische Entwicklungs- und Handlungskonzept der ,Heide-Metropole' beschäftigt sich mit dem Ziel, neue Wege der Erholung mit Übernachtungskapazitäten, angegliedert an den bestehenden Freizeitpark ,Heide-Park' Soltau, aufzuzeichnen und somit die dringend notwendigen Übernachtungsmöglichkeiten für die angestrebte Zielgruppe der Familien mit Kindern zu schaffen. Dies soll aber nicht in Form eines klassischen Ferienparks umgesetzt werden. Vielmehr steht die Leitbildentwicklung und die damit einhergehende Thematisierung des Angebotes im Mittelpunkt der Konzeptentwicklung und der architektonischen Umsetzung. Die von der ROBERT J. DOGTEROM & Co. GmbH entwickelte Konzeption umfaßt Bausteine für die Realisierung einer neuen Tourismusform im Zeitgeist der EXPOPhllosophie, die in Handlungsempfehlungen und Maßnahmenplänen münden. Das Ergebnis dieser Vision ist eine zukunftsfähige, länderübergreifende, ökonomische und ökologische Ferienparkkonzeption, bei der die Bedürfnisse des Standortes, der Bevölkerung, der Gäste und der Eigentümer Berücksichtigung finden. Zunächst einmal sollen aber im Folgenden die Entwicklungen der Ferienparks hin zu dieser neuen Generation der thematisierten Angebote aufgezeigt und um Grundsatztrends ergänzt werden.
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Trends und Entwicklung von Ferienparks
Aufgrund der Dynamik der Reisemärkte lassen sich die zukünftigen Reisetrends immer schwieriger voraussagen. Reiseziele, Reiseformen, Angebots- und Nachfrageseite, spezialisierte Märkte und Kooperationen mit strategischen Allianzen beeinflussen die Entwicklungen am Tourismusmarkt. Festzustellen ist jedoch, daß sich touristische Trends - besonders bei Kurzreisen in ,Szenen der Szenarien' verwandeln werden (vgl. Abb. 1).
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Reisetrends gestern Postkutschenreisen
Reisetrends heute Charterflüge
Dampfschiffahrten Autoreisen
Pauschalreisen Cluburlaub
Globetrotter-/ Rucksackreisen Campingurlaub
All-Iclusive-Tours Ferienparks Event-Tourismus Rad-Tourismus
Reisetrends morgen Intergalaktische Reisen? Cyber-Space-Reisen? Künstliche UrlaubsWelten (Virtual Reality)? Bleibe zu Hause? Alles beim Alten?
Abb. 1: Trends am Tourismusmarkt: Was erwartet uns morgen? Der Trend geht hin zum raumlosen Tourismus. Inszenierungen und künstliche Urlaubswelten erfreuen sich großer Beliebtheit. Die Akzeptanz hierfür ist vor allem bei jungen Menschen hoch und nimmt mit zunehmendem Alter ab. Hier gibt es in der Zukunft große Potentiale (Quelle: ETI 1996). Der vom Touristen besuchte Raum wird immer mehr zu einem Konstrukt menschlichen Handelns. Weil er zum Zwecke des Erlebens errichtet wird, verschwindet er in seinen Eigenheiten und bleibt nur als Platz übrig, an dem sich etwas inszenieren läßt. Jeder Platz kann zu einem Tourismusort werden, er muß nur touristisch genutzt werden. Man spricht vom ,raumlosen Tourismus'. Anbieter sind daher gehalten, diese KundenbedUrfnisse, losgelöst vom konkreten Raum, zu erfüllen. Anbieter müssen daher zum ersten Mal etwas selbst erzeugen, das auch andernorts von jedem erstellt werden kann. Dem Touristen etwas losgelöst vom konkreten Raum anbieten zu können, befreit die Anbieter aus der Abhängigkeit von Unsicherheiten. Auf die fünf meistgestellten Fragen der potentiellen Kunden bzw. Gäste muß zukünftig konkret und detailliert geantwortet werden: wo wo wo wo wo
etwas los ist (wo also viele andere sind), man etwas unternehmen und erleben kann, meine Kinder spielen können und Spaß haben, die Umwelt noch intakt ist, Sonne ist.
Die touristische Infrastruktur in westdeutschen Feriengebteten stammt weithin noch aus den 60er und 70er Jahren. In den meisten Tourismusregionen existiert ein großer Nachholbedarf beim Ausbau oder bei der Modernisierung der touristischen Infrastruktur. Die Tourismusdestinationen werden sich - dem Markttrend folgend stärker spezialisieren und qualifizieren müssen. Ferienparks haben sich in den letzten Jahrzehnten verändert. Insofern spricht man in Deutschland von .Ferienpark-Generationen'. Für den langfristigen Erfolg ist es sehr wichtig, nicht nur reine Übernachtungsmöglichkeiten mit Zentrum und Bade-
Ferienpark,Heide-Metropole ' Soltau
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paradies zu schaffen. Vielmehr sind ganzheitliche, thematisierte Inszenierungen der Ferienanlagen notwendig, um die Gäste zu .fesseln'.
Ferienparks der vierten Generation
ganzheitliche, thematische Inszenierungen der Ferienanlagen inkl integriertem Umweltmanagement • zunehmende Umweltqualität + Thematisierung der Angebote
Ferienparks der dritten Generation
ökologisch orientierte Parks allmähliche Integration der Anlagen in die Umgebung
90er Jahre Ferienparks der zweiten Generation
Fremdkörper in der Landschaft zunehmende Integration von wetterunabhängigen Freizeitangeboten
80er Jahre
50-70er Jahre
Ferienparlu der ersten Generation
Ferienanlagen ohne besondere Freizeitinfrastruktur
Abb. 2: Ferienparks gibt es in verschiedenen Generationen. Mittlerweile kann man sogar von Ferienparks der vierten Generation sprechen. Diese neue Generation thematisiert und inszeniert durchgängig das Angebot und arbeitet mit integriertem Umweltmanagement. Im Mittelpunkt sämtlicher Planungen steht die ökologische und nachhaltige
Verantwortung gegenüber
DOGTEROM GmbH
Mensch und Natur (Quelle: ROBERT J.
1998).
Eine Studie im Auftrag des Bundesministeriums fllr Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit von 1992 untersuchte die ökologischen, sozialen und ökonomischen Auswirkungen der Ferienzentren der zweiten Generation. Die Untersuchung hat deutlich gemacht, daß Ferienzentren der zweiten Generation erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt, die Soziokultur ländlicher Gemeinden sowie die regionale Wirtschafts- und Fremdenverkehrsstruktur haben. Zugleich stellt das neuartige Freizeitangebot jedoch auch eine Chance dar, Freizeitaktivitäten zu kanalisieren und zu bündeln. Der Druck auf besonders schützenswerte Teile der Landschaft wird so vermindert. Aus den gut gemeinten Planungshilfen der Untersuchung und den selbstkritischen Bilanzierungen der Ferienparkbetreiber hat sich in der ,Öko- und Kritiker-SzeneDeutschland' eine starke Antipathie gegenüber Feriengroßprojekten entwickelt. Die Reihe der Vorurteile ist lang - angefangen von minderwertigen Arbeitsplätzen
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Robert Jan Dogterom
über künstliche Welten, in denen Oberflächlichkeiten vorgegaukelt werden, bis hin zu Flächenvergewaltigung und Unseriösität bei den Betreiberfirmen - die lustfeindlichen Aussagen werden nur noch mit ökologischer Moral überhöht. Der Trendforscher GERKEN drückt die Tendenz folgendermaßen aus: „Die Deutschen gehören zu den reisefreudigsten Völkern der Erde, aber wenn es in der Öffentlichkeit um Fragen des Tourismus geht, geben sie sich ausgesprochen miesepetrig. Die Deutschen haben einen .heimlichen Unglückszwang'. Die deutsche Tourismus-Debatte ist geprägt von Vorurteilen, professioneller Bedenkenträgerschaft und intellektueller Larmoyanz bis hin zur Menschenverachtung, nach dem jeder Tourist ein Idiot ist". Mit der Kritik und den verfaßten Studien über Feriengroßprojekte müssen die Betreiber leben, sich aber auch frühzeitig damit auseinandersetzen und zukünftig mit intelligenten Lösungsvorschlägen argumentieren. Die Hauptschwächen der Vergangenheit bei der Realisierung von Feriengroßprojekten sind bilanziert: Bauleitplanung, Erschließung und Architektur weisen aus heutiger Sicht Mängel auf und erschweren eine sensible sowie ökologische Umsetzung der Parkvorhaben. Die geringe Einbindung des Umweltgedankens, mit den entsprechenden Folgekosten, ist nachträglich nur sehr schwer und mit hohem finanziellen Aufwand auszubessern. Das visuelle Bild in den bestehenden Ferienanlagen zeigt oftmals Schwächen. Die Anlagen sind zwar alle sauber, ordentlich und pflegeleicht, bieten jedoch für heutige Ansprüche zu wenig Wohlfühleffekte. Landschaftsbilder in einzelnen Regionen wurden empfindlich beeinträchtigt. Oftmals wurde es versäumt, die Einbettung eines Ferienparks in die vorhandene Landschaft durchzuführen und die sozialen und kulturell gewachsenen Aspekte in der jeweiligen Region zu berücksichtigen. In einigen Ferienparks der ersten und zweiten Generation besteht ein Mißverständnis zwischen der Qualität der neuen Bebauung und dem Entwicklungsstand der natürlichen Vegetation. Die Anlagen der ersten Generation bilden meist botanische Fremdkörper in den natürlich gewachsenen Landschaften. Der Erfolg der ,Heide-Metropole' wird unter anderem davon abhängen, in welchem Umfang es gelingt, die aus den Fehlern der Vergangenheit gewonnenen Erkenntnisse konsequent bei der Konzeption, Planung und Realisierung der .Heide-Metropole' umzusetzen.
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Soltau
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,Heide-Park' Soltau
Auf einer Fläche von 850.000 qm inmitten der Ferienregion ,Lüneburger Heide' präsentiert sich der ,Heide-Park' Soltau, ein in ganz Deutschland und den angrenzenden europäischen Nachbarländern bekanntes riesiges Freizeitvergnügen. Über 2 Mio. Besucher kommen in jeder Saison in den ,Heide-Park', um sich für einen ganzen Tag fernab des alltäglichen Lebens verwöhnen und begeistern zu lassen. 900 Mitarbeiter kümmern sich vor und hinter den Kulissen um das Wohl der Gäste. Seit der Gründung des ,Heide-Parks' im Jahr 1978 hat der Inhaber Hans-Jürgen TlEMANN insgesamt 500 Mio. DM in die Entwicklung des Freizeitparks gesteckt. Allein im Vorfeld für die 99er Saison wurden mit der Installation der neuen Achterbahn .Limit', in der die Gäste mit frei baumelnden Füßen ein neues Fahrgefühl erleben können, eine zweistellige Millionensumme in die Attraktivität des Parks investiert. Was der Besucher zu sehen bekommt, ist die Verwirklichung eines Kindheitstraums. Alles, was Menschen - ob jung oder alt - Spaß, Spannung, Kribbeln und Begeisterung bereitet, begleitet sie bei ihrer Wanderung durch die Anlage: 40 Fahrattraktionen (wie z. B. Big Loop, der Mountain Blitz, die RiesenSchiffschaukeln Bounty und Santa Maria, Mountain-Rafting, Wildwasserbahn, Enterprise, die Riesenkrake, Rainbow) sind zwar die unbestrittenen Trümpfe des ,Heide-Parks', doch auch für das angebotene Unterhaltungsprogramm fmden sich viele Fans. Bei aller Begeisterung für technische Innovationen und Nervenkitzel spielen die Tiere im Park seit Gründung der Anlage im Jahr 1978 eine große Rolle. Im , Heide-Park' haben weit über 200 Tiere (vom Delphin bis zum Kaninchen) ihr Zuhause. Das Delphinarium, die Seelöwen-Arena, die Alligatorenund Papageien-Show sowie das Wildfreigehege begeistern Jung und Alt. Die Firmenphilosophie des ,Heide-Parks' überzeugt nicht nur durch das Freizeitvergnügen, sondern auch durch die gepflegten Seelandschaften, die Grünanlagen und die Einbettung der Anlage in die Natur. Das gastronomische Angebot im ,Heide-Park' ist vielseitig: Fünf Restaurants und 18 Imbißstände, Shops und Stehlokale bieten internationale Speisen und Getränke zu familienfreundlichen Preisen an. Viele zusätzliche Aufmerksamkeiten im , Heide-Park' sorgen dafür, daß der Erlebnistag für die Besucher angenehm gestaltet wird. Vom EC-Geldautomaten über Baby-Wickelraum, Informations- und Fundbüro, Ruheraum, Fernsprechzellen, Schließfächern bis hin zur Sanitätsstation (mit Krankenwagen
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und Hubschrauberlandeplatz) - eine qualifizierte und dienstleistungsorientierte Serviceleistung wird im ,Heide-Park' großgeschrieben. Eine besondere Attraktion stellen außerdem die historischen Fassaden im , Heide-Dorf und im ,Holland-Dorf dar, die stilgerecht und mit den entsprechenden Baustoffen nachgebaut wurden. Mit mehr als 2 Mio. Tagesbesuchern pro Jahr wird der ,Heide-Park' mit seinen bestehenden Angeboten und seiner Dienstleistung täglich aufs Neue bestätigt. Das vorhandene Freizeitvergnügen ist umfangreich und erlebnisorientiert. Der Boom nach dieser Art von Unterhaltung bleibt ungebrochen. Das Unternehmen ist seit Eröffnung im Jahr 1978 stetig gewachsen, hat sich kontinuierlich den Besucherwünschen angepaßt und bietet mehr als 900 direkte Arbeitsplätze für die Region Soltau, inmitten der Lüneburger Heide. Der ,Heide-Park' hat sich nicht nur den Wünschen der Besucher angepaßt, sondern durch visionäre Unternehmerentscheidungen dem Markt bereits vorgegriffen.
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, Heide-Metropole'
Der Ferienpark ,Heide-Metropole' entsteht in direkter Anbindung an den ,HeidePark' und versteht sich als qualitativ hochwertiges Freizeitprodukt aus einer Kombination von Erlebnis, Erholung, Gastronomie, Einzelhandel und Beherbergung. Sämtliche Konzeptbausteine orientieren sich in ihrer Ausgestaltung an dem Grundthema der kontinentbezogenen Darstellung verschiedener Hochkulturen in Afrika, Amerika, Asien und Europa. In der ersten Realisationsphase sind insgesamt 700 Wohneinheiten mit 3.500 Betten angedacht, die sich auf ein Hotel (120 WE) und Bungalows mit Terrasse (580 WE) verteilen. Das Ziel ist eine noch bessere Auslastung des ,Heide-Park'. Bislang ist das Geschäft saisonal und hängt zu sehr vom Wetter ab: Anfang April wird die Anlage geöffnet, Ende Oktober geschlossen. Fast alle Besucher sind Tagesgäste. Mit dem Angebot geeigneter Übernachtungsmöglichkeiten und vielfältiger, wetterunabhängiger Freizeiteinrichtungen ist eine Nutzung des Parks genauso wie bei Disneyland Paris rund um das Jahr möglich. Die neue Herausforderung für den , Heide-Park' wird es sein, trendbezogene Übernachtungs- und Freizeitkapazitäten in Verbindung mit dem bestehenden Angebot zu erreichen. Die ,Heide-Metropole' wird sich für die Bundesrepublik Deutschland als einzigartiges, dezentrales touristisches Exponat aus einer Kombination zwischen Freizeit, Erlebnis, Erholung und Beherbergung darstellen. Ziel des Projektes .HeideMetropole' ist es, eine multikulturelle Erlebniswelt zur nachhaltigen und zeitlich unbegrenzten touristischen Nutzung zu schaffen.
Ferienpark, Heide-Metropole' Soltau
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Abb. 3: Soltau liegt zwischen Hannover und Hamburg im Bundesland Niedersachsen. Jährlich kommen rund 2 Mio. Besucher als Tagesgeiste in den Freizeitpark ,HeidePark' Soltau. Mit der ,Heide-Metropole' kann das Einzugsgebiet erheblich vergrößert werden; außerdem können neue Gästegruppen (Kurzurlauber) akquiriert werden.
Neben den Beherbergungsgebäuden wird ein zentraler Gebäudekomplex mit themenbezogener Gastronomie, Dienstleistungs-, Animations- und Sportangeboten errichtet: ein mehrstöckiges Gebäude mit Souterrain (inkl. Tageslicht) und Hochparterre mit Galerie für die gastronomische Versorgung sowie für Lebensmittel und sonstigen Einzelhandel, ein Erlebnisschwimmbad (ca. 4.000 qm) mit Saunalandschaft (ca. 1.000 qm), eine Hallensportanlage mit zwei Tennishallen bzw. Mehrzweckhallen, Kletterwand, vier Squashplätzen, vier Kegel- und sechs Bowlingbahnen sowie Fitneßräumen (die notwendigen Umkleide- und Sanitärräume sind sinnvollerweise mit denen des Schwimmparadieses zu kombinieren), eine zentral plazierte Bühne für sämtliche kulturellen und musikalischen Veranstaltungen (traditioneller Frühschoppen am Sonntagmorgen, Auftritte von Alleinunterhaltern und Jugendorchestern sowie Tanzgruppen und nicht zuletzt die Abendunterhaltung mit Showbands), eine Mehrzweckhalle mit 1.500 Sitzplätzen, die nicht nur für Aufführungen, Veranstaltungen und Produktpräsentationen, sondern auch als Musical-Standort eingesetzt werden kann, das gesamte Angebot wird um eine nach dem neuesten Stand der Unterhaltungstechnik ausgestattete Spiel- und Automatenhalle ergänzt.
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Die Außenanlagen mit Sport- und Abenteuerspielplätzen werden dem Leitbild entsprechend gestaltet.
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Leitideen
Im Mittelpunkt sämtlicher Planungen der,Heide-Metropole' steht die ökologische und nachhaltige Verantwortung gegenüber Mensch und Natur. Die hochwertige Qualität und die kreative Gestaltung des bestehenden ,HeideParks' gilt es, in dem Ferienpark ,Heide-Metropole' fortzuführen und um neue Trendaspekte zu erweitern. ,Heide-Park' und ,Heide-Metropole' bieten durch die Kombinationsangebote von Freizeit, Gastronomie, Einkauf, Erlebnis, Erholung und Beherbergung ein einzigartiges, multifunktionelles touristisches Exponat. Die offene Konzeption der ,Heide-Metropole' ermöglicht neben Tagungs-, Urlaubs- und Tagesgästen als , Weltenbummlern' auch den Einheimischen den Zutritt zu der neuen, multikulturellen Freizeitwelt. Der Kernzielgruppe, Familien mit Kindern, wird in der gesamten Angebotsausrichtung besondere Bedeutung beigemessen und auch mit entsprechenden Serviceleistungen vermittelt - Betreuung, Einrichtung, Animation, Familienkarte, Dienstleistung usw. Den Besuchern der ,Heide-Metropole' wird eine neue Form der kundenorientierten Dienstleistung präsentiert, die sich durch außergewöhnliche Freundlichkeit und Servicebereitschaft auszeichnet. Durch den Einsatz modernster Kommunikationstechnik wird den Gästen der Zutritt zu der , Heide-Metropole' durch leichte Buchbarkeit vereinfacht. Förderung, Weiterentwicklung und Pflege der Mitarbeiter werden mit außergewöhnlichen, sozialen Untemehmensleistungen, wie z. B. dem ,Heide-College' oder einer familienorientierten Personalpolitik angestrebt. Partnerschaften der ,Heide-Metropole' werden verantwortungsbewußt ausgesucht. Zukünftige Vertragspartner müssen sich mit den sozialen, ökonomischen und ökologischen Leitlinien der ,Heide-Metropole' identifizieren. Partnerschaften im direkten Einzugsgebiet der ,Heide-Metropole' werden so weit wie möglich bei Kooperationen bevorzugt. Innovatives Mitarbeiter- und Partnerschaftsverhalten werden unterstützt und seitens der Unternehmensleitung prämiert.
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Die architektonische Umsetzung
Nach einem Architektenwettbewerb hat sich der Architekt Jürgen LOHMANN vom Architekturbüro HEERWAGEN LOHMANN UND PARTNER (Architekten HLP) aus Rotenburg (Wümme) durchgesetzt. Seine architektonische Gestaltung der .HeideMetropole' basiert auf der Konzeptentwicklung einer multikulturellen Erlebniswelt. Das Architektenbüro hat diese Ideen weiterentwickelt und umgesetzt. Die Ferienanlage soll in einzelne Dörfer nach unterschiedlichen landestypischen Vorbildern unterteilt werden. Es sollten jedoch keine exotischen, fremden Landschaften in die vorhandene Umgebung implantiert werden. Daher wurden Länder ausgewählt, die der vorhandenen klimatischen Situation Soltaus entsprechen. Soltau (bzw. die Heidelandschaft) liegt in der sogenannten gemäßigten Klimazone der nördlichen Halbkugel. Es wurden daher rund um den Erdball nur Länder ausgewählt, die sich in dieser Klimazone befinden. Als Hilfe wurde eine geographische Karte in polständiger Azimutalprojektion verwendet, deren Aufsicht der Nordhalbkugel auf das Plangebiet projiziert wurde. So ergibt sich die Lage der einzelnen Staaten auf dem Plangebiet. Die Mitte des Grundstücks wurde als Nordpol festgelegt, um den sich die ausgewählten Länder exemplarisch als Dörfer gruppieren. Um den ExPO-Gedanken (.Mensch - Natur - Technik') für den MENSCHea erlebbar zu machen, vertreten die Dörfer England, Frankreich, Schweden, Rußland, Japan und Kanada Landestypisches in der NATUR, die hier als Ausstellungsfläche im Freiraum fungiert, während das Innenzentrum als Vertreter des Expo-Standortes Soltau die Möglichkeit der TECHNIK bietet, exotischere Kulturen aus anderen Klimazonen im Innenraum auszustellen. In der tropischen Welt des Zentrums werden ferne Länder in den Restaurants präsentiert. Hier ensteht eine spannende, exotische Erlebnislandschaft. Im Mittelpunkt steht das Innenzentrum symbolisch für den Standort Soltau. Von hier aus werden die europäischen Länder Frankreich (Bretagne), England (Irland, Schottland) und Schweden (Skandinavien) erschlossen. Weiter geht die Reise nach Asien, nach Rußland und Japan und schließlich nach Kanada. Entsprechend der Lage der Länder auf der Erdkugel werden die Dörfer angeordnet. Die städtebauliche Verdichtung richtet sich nach der ländertypischen Bebauung. Im Rahmen des Gesamtkonzeptes der ,Heide-Metropole' stellt das Zentrum den Standort für die Inszenierung exotischer Kulturen aus anderen Klimazonen dar. Als Komposition aus vielen verschiedenen Baukörpern entsteht eine Gebäudelandschaft aus Freizeit- und Erlebniswelten. Dieser Komposition liegt formal die Bilderserie ,Kleine Welten' des russischen Künstlers Wassily Kandinsky zu Grunde, die die Basis für den Grundrißplan des überdachten Zentralbereichs bietet.
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Hearwagen • Lohmann • Uffalmann Architekten BDA/ Schreckenberg + Partner Landschaftsarchitekten
Abb. 4: Die Grundidee der ,Heide-Metropole': Rund um den Erdball wurden Länder ausgewählt, die sich in der dem Standort entsprechenden Klimazone befinden. Als Hilfe wurde eine geographische Karte in polständiger Azimutalprojektion verwendet, deren Aufsicht der Nordhalbkugel auf das Plangebiet projiziert wurde (rechts im Bild der bestehende ,Heide-Park' mit seinen großflächigen Parkplätzen) (Quelle: HEERWAGEN LOHMANN UFFEIMANN ARCHITEKTEN BDA/SCHRECKENBERG
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PARTNER).
Die einzelnen Dörfer repräsentieren Charakteristika ihrer Herkunft und ermöglichen dem Gast schnell die Identifizierung mit dem Land. Dies geschieht über verschiedene Ansätze. Beispielsweise ist das englische Dorf in Kreisform angeordnet. In der Mitte befindet sich ein Steinkreis in Anlehnung an die vorgeschichtlichen Relikte im südenglischen Stonehenge. Frankreich wird mit einer bretonischen Dorfstruktur mit einem zentralen Boule-Platz verkörpert, die kanadischen Blockhütten befinden sich in loser Anordnung an einem Flußlauf. Die Unterschiede der einzelnen Dorfstrukturen ergeben sich aber nicht nur aus der Anordnung der einzelnen Bungalows, sondern natürlich auch Uber charakteristische Fassadengestaltungen und die Verwendung von landesüblichen Materialien (z. B. Holzfassade in Kanada) und Farben.
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lagaplan M 1 2000 " Hwfwaoen Lohmann Uffelmann Architekten BCWSctvocfcenberg • Partrief Abb. 5: Die ,Heide-Metropole' im Grundrißplan: Mit Hilfe der Kartenprojektion ergibt sich die Lage der einzelnen Staaten auf dem Plangebiet. Die Mitte des Grundstücks wurde als Nordpol festgelegt, um den sich die ausgewählten Länder England, Frankreich, Schweden, Rußland, Japan und Kanada exemplarisch als Dörfer gruppieren. Die Unterschiede der Dorfstrukturen ergeben sich aber nicht nur aus der Anordnung der Bungalows, sondern auch über charakteristische Fassadengestaltungen sowie die Verwendung von landesüblichen Materialien und Farben (Quelle: HEER WAGEN LOHMANN UFFELMANN ARCHITEKTEN BDA/SCHRECKENBERG
+ PARTNER).
Die Unterschiedlichkeiten der einzelnen Dörfer, aber auch der jeweiligen Bungalows mit ihren passenden Einrichtungen erhöhen die Wiederkehrbereitschaft der Gäste. Entweder kehrt man zurück in ,sein Dorf oder besucht beim nächsten Aufenthalt ein,anderes Land'. Die ,Heide-Metropole' bietet - in Kombination mit dem ,Heide-Park' - die ideale Möglichkeit, die Saison des Freizeitparks bis hin zur Ganzjahresöffnung zu verlängern und eine bessere Kundenbindung zu erreichen. Überdies erschließen sich auf zwei Wegen neue Gästegruppen für den , Heide-Park': Zum einen kann das Einzugsgebiet der Anlage erheblich vergrößert werden. Mit einer Übernachtungsmöglichkeit wird die Anlage auch ftlr Besucher attraktiv, denen die Entfernung für einen Tagesbesuch zu groß ist.
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Zum anderen kann die Eigentümerfamilie mit dieser Freizeit- und Wohnanlage über Reiseveranstalter und über ein eigenes Call-Center die Zielgruppe der Kurzurlauber erreichen. Das B-Planverfahren für die ,Heide-Metropole' ist in der Endphase. Nach eigenen Aussagen ist die Familie TIEMANN gerade auf der Suche nach einem .erstklassigen Investor' für dieses ca. 180 Mio. DM teure Projekt. Die Kombination Kurzurlaub inklusive Tropenbad und multikulturellem Freizeitpark bietet in Deutschland niemand. Demnächst aber die Lüneburger Heide.
Der Autor Robert Jan Dogterom Gebürtiger Niederländer aus Apeldorn; nach dem Abschluß als Hotelkaufmann an der Höheren Hotelfachschule in Maastricht von 1975 bis 1982 leitende Funktionen in verschiedenen niederländischen Hotels u. a. als Controller, Bankett-Manager und Betriebsleiter; von 1982 bis 1989 Direktor des Ferienparks Heilbachsee; danach bis 1997 Geschäftsführer Deutschland der Gran Dorado Holding GmbH in Gunderath; verantwortlich für die deutschen Gran Dorado Parks sowie die Entwicklung und Planung neuer Anlagen; seit 1997 geschäftsführender Gesellschafter der Robert J. Dogterom & Co. GmbH mit Sitz in Nürburg; Tätigkeitsfeld der GmbH ist die Entwicklung von thematisierten Tourismus- und Gastronomiekonzepten - z. B. Konzeptentwicklung der ,Heide-Metropole' Soltau und des ,Tenderland Windeck' (einer Ferienparkplanung auf einer Industriebrache im Rhein-Sieg-Kreis) sowie Entwicklung eines neuartigen Parkkonzepts rund um das Thema ,Bergbau' auf einer stillzulegenden Zeche im Ruhrgebiet.
Wirtschaftliche Auswirkungen eines Ferienparks: ,Gran Dorado Hochsauerland4 Segen oder Fluch für den Standort? Pascal Ledune
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Einführung in die Thematik
Ferienparks ä la ,Gran Dorado' oder .Center Parcs' üben eine Reihe von ökologischen, ökonomischen und soziokulturellen Effekten auf ihren Standort aus. Vor allem bei den ökonomischen und bei den soziokulturellen Auswirkungen muß zwischen den Betriebskonzepten der Betreiber unterschieden werden. Dies ist zum einen das geschlossene Konzept von .Center Parcs', zum anderen das halboffene, außengerichtete Betriebskonzept des Betreibers .Gran Dorado'. Die fiskalischen und wirtschaftlichen Effekte, die direkt vom Park ausgehen, hängen von der Größe des Parks ab, sind aber ähnlich. Bei geschlossenen Konzepten soll der Gast den Park möglichst nicht verlassen. Jede ausgegebene Mark soll im Park verbleiben, Tagesgäste von außen sind nicht vorgesehen. Bei halboffenen Konzepten wird gezielt ein bereits touristisch erschlossenes, attraktives Gebiet gesucht. Der Park soll die eine Hälfte der Attraktionen bereitstellen, die Region, in der sich der Park befindet, die andere Hälfte. Das Angebot des Parks ist für Tagesgäste offen. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht der Ferienpark ,Gran Dorado Hochsauerland' in Medebach. Um das Verhalten der Gäste in einem außenorientierten Ferienpark1 zu untersuchen, wurden Anfang Oktober 1996 und Mitte Februar 1997 an zwei Wochenenden und einmal in der Wochenmitte ,Face-to-Face'Befragungen durchgeführt. Insgesamt wurden hierbei 477 Gäste des ,Gran Dorado Hochsauerland' in Medebach befragt. Da die Angaben der Befragten größtenteils auch für die mit ihnen angereisten Personen gelten, wurden hierüber indirekt 3.576 ,Gran Dorado'-Gäste angesprochen. Es handelt sich hierbei allerdings nicht um eine repräsentative Befragung im Sinne der Definition. Diese aktualisierte Ergebnissammlung basiert auf der Magisterarbeit des Autors (vgl. LEDUNE 1997) und enthält Teilaspekte sowie Ergebnisse, die von Ferienzentren mit außenorientiertem Betriebskonzept ausgehen bzw. ausgehen können.
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Urlauberpotential für Ferienparks
Aus der Reiseanalyse 1997 geht hervor, daß in den Jahren 1994, 1995 oder 1996 4,6 Mio. Deutsche Urlaub in einem Ferienzentrum verbrachten. Das macht einen Bevölkerungsanteil (Berechnungsgrundlage 1996: 63,12 Mio. Einwohner) von 7,3% aus. Auf die Frage, welche Urlaubsform in den nächsten drei Jahren ,ziem-
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lieh sicher' oder wahrscheinlich' genutzt wird, antworteten in der repräsentativen Umfrage hochgerechnet 9,4 Mio. der Bevölkerung: Urlaub im Ferienzentrum. Das bedeutet, daß 14,9% der Bevölkerung Interesse an einem Urlaub in einem Ferienzentrum bekunden (in den nächsten drei Jahren). Die Realisierung der Interessensbekundung erreicht in den einzelnen Urlaubsarten unterschiedliche Werte. Eine Kreuzfahrt wird beispielsweise nur zu 12% realisiert und bleibt oftmals ein .Traumurlaub'. Ferienzentren erreichen in der Realisierung einer Interessensbekundung mit 4 3 % den vierthöchsten Wert (vgl. KIERCHHOFF/WARNCKE 1 9 9 7 , S. 26-29).
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Das Profil von ,Gran Dorado Hochsauerland'
Im Juli 1994 wurde der Park teileröffhet und im August 1995 in vollen Betrieb genommen. Die Gesamtanlage umfaßt insgesamt 570 Bungalows mit 3.452 Betten sowie ein Hotel mit 121 Zimmern.
Abb. 1: Der ,Gran Dorado Hochsauerland' in Medebach kurz nach seiner Eröffnung im Jahr 1995. Die Gesamtanlage umfaßt insgesamt 570 Bungalows mit 3.452 Betten auf 42 ha Fläche. Außerdem befindet sich vorne links auf dem Luftbild das Parkhotel mit 121 Zimmern. Wichtigste Einrichtung und größte Attraktion des Ferienparks ist der überdachte Zentralbereich ,Gran Place' mit dem großen ,Badeparadies' (Photo: , Gran Dorado').
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Wichtigste Einrichtung und größte Attraktion des Ferienparks ist ohne Zweifel das große ,Badeparadies', dessen Gesamtfläche 4.000 qm beträgt (davon sind 1.300 qm Wasserfläche). Es handelt sich hierbei um ein Spaßbad: Sprungtürme und Schwimmbecken mit Wettkampfbahnen fehlen völlig. Vom Besucheraufkommen her gesehen zählt das Badeparadies im ,Gran Dorado Hochsauerland' zu den Top 10 der deutschen Spaßbäder.
3.1
Die ,Gran Dorado'-Gäste
Im Jahr 1996 stellten noch die niederländischen Gäste mit 47,8% den größten Gästeanteil, dicht gefolgt von deutschen Urlaubern, die mit 45,5% in der Gästestatistik erscheinen (sonstige Nationalitäten: 6,7%). In den folgenden beiden Jahren stellten die Deutschen mit 47,9% zu 41% (1997) bzw. 49,4% zu 40,4% (1998) den größten Gästeanteil. Dies aber bei leicht gesunkenen absoluten Werten. Insgesamt verzeichnete der ,Gran Dorado Hochsauerland' nach 188.334 Gästeankünften im Jahr 1996, ein Jahr später 179.943 und 1998 noch 171.929 Gästeankünfte.2 Betrachtet man die Herkunft der deutschen Gäste, so fällt zunächst auf, daß der Bereich Nordrhein-Westfalen am stärksten vertreten ist (vgl. Abb. 2). Sehr stark sind auch die neuen Bundesländer vertreten, speziell Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt. Für die Bewohner der neuen Bundesländer, vor allem im südlichen Teil, ist der ,Gran Dorado Hochsauerland' räumlich gesehen der nächste Ferienpark. Hinzu kommt, daß es filr diesen bundesdeutschen Bevölkerungsteil offenbar noch immer einen Nachholbedarf im Bereich des Kurzurlaubswesens in überdachten Ferienwelten gibt. Außerdem überrascht ein großer Anteil von Gästen aus dem Großraum Hamburg und aus Schleswig-Holstein. Dies, obwohl filr diesen Raum der , Center Parc Bispinger Heide' (45 km südlich von Hamburg) leichter erreichbar ist. Signifikant ist ein ,bayerisches Loch'-. Befragte Gäste aus dem Freistaat Bayern fehlen fast vollständig. Offensichtlich sind sie, was Kurzurlaubsaktivitäten betrifft, eher nach Süden ausgerichtet. Möglich ist auch, daß sie das Zielgebiet Bayern bevorzugen (mit Bayerischem Wald, Allgäu oder Alpen). Nicht stark vertreten sind Bürger aus den südwestlichen Bundesländern BadenWürttemberg, Rheinland-Pfalz, Saarland und Teilen Hessens (von hier aus sind die Anfahrtswege zum Teil sehr groß). Das große Einzugsgebiet des ,Gran Dorado Hochsauerland' in Medebach mit Gästen aus dem gesamten Bundesgebiet sorgt für einen höheren Bekanntheitsgrad des Sauerlandes. Dies insbesondere auch unter dem Aspekt der bundesweiten Werbung des Unternehmens mit den verschiedensten Medien (z. B. auch TV und Internet).
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Herkunft der Befragten Oktober 1996 und Februar 1997
'Herkunft NU L. n e Gäste vgl hierzu eigene Karte
• 1 Befragte(r) 25 BRD - Postleitzahlbereiche (erste und zweite Ziffer) Datengrundlage: Befragungen im Gran Dorado Park Hochsauerland im Rahmen der Magisterarbeit am Geographischen Institut der RWTH Aachen vorgelegt von Pascal Ledune Kartographische Bearbeitung: Pascal Ledune (1997)
Abb. 2: Die Gäste kommen zumeist aus Nordrhein-Westfalen. Sehr stark vertreten sind auch die neuen Bundesländer, vor allem Thüringen, Sachsen und SachsenAnhalt. Das große Einzugsgebiet des ,Gran Dorado Hochsauerland' mit Gästen aus dem gesamten Bundesgebiet und den Nachbarländern sorgt für einen höheren Bekanntheitsgrad des Sauerlandes (Quelle: eigene Darstellung).
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Die befragten niederländischen Gäste verteilen sich relativ gleichmäßig auf die gesamten Niederlande. Im Gegensatz zum Einzugsgebiet des Sauerlandes vor Parköflhung bei den deutschen Gästen gibt es im niederländischen Fall keine großen Zugewinne. Insgesamt sind die dichtbesiedelten Gebiete Zuid-Holland, NordHolland und Nord-Brabant stark vertreten. Auffällig ist vielleicht noch die hohe Anzahl von Gästen aus der (im niederländischen Vergleich) eher dünn besiedelten Provinz Limburg. Hier spielt aber wohl die relative Nähe zum Park eine Rolle.
3.2
Lebensmittelversorgung der Gäste
84% der Gäste kochen die Hauptmahlzeiten zu einem bestimmten Teil selbst. Nur 16% nehmen durchweg das Essensangebot des Parks bzw. außerhalb des Parks wahr. Der größte Teil der Gäste (30%) versorgt sich in der Hälfte der Fälle selbst. Knapp ein Viertel kocht die Hauptmahlzeiten bis zu 25% im eigenen Bungalow. Nur lediglich 12% kochen in jedem Falle selbst und nehmen so auch nicht das Restaurationsangebot, wo auch immer, wahr (vgl. Abb. 3 und 4).
Abb. 3: Blick in den ,Gran Place' mit seinen verschiedenen Restaurants und Gastronomiebetrieben. 88% der Gäste gehen mindestens einmal Essen (durchschnittlich mehr als zweimal). 70,3% der Restaurantbesuche finden innerhalb des Parks statt, 29,7% in der Umgebung (Photo: Pascal Ledune).
Das heißt allerdings aber auch im Gegenzug, daß 88% der Gäste mindestens einmal Essen gehen. Insgesamt gehen die Gäste öfter als zweimal Essen (genauer Wert: 2,4). Davon entfallen 70,3% der Restaurantbesuche auf die Angebote innerhalb des Parks und 29,7% auf Angebote außerhalb des Parks, also im Sauerland.
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Unter Berücksichtigung der Gästeankünfte (1996 ca. 190.000) ergeben sich interessante Werte ftlr die Gastronomie innerhalb wie außerhalb des Parks: Im Jahr 1996 wurden 279.000 Mahlzeiten innerhalb des Parks eingenommen und 118.000 Mahlzeiten außerhalb des Parks.3
Inwieweit kochen Sie die Hauptmahlzeiten selbst? (Anteile von Deutschen und Niederländern; in %)
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Abb. 4: 84% der Gäste kochen die Hauptmahlzeiten zu einem bestimmten Teil selbst. Der größte Teil der Gäste (im Schnitt 30%) versorgt sich in der Hälfte der Fälle selbst. Die Niederländer versorgen sich weniger selbst (79,5%) als die deutschen Gäste (87,2%); entsprechend häufiger nutzen sie die Restaurantangebote (Quelle: Befragungen im ,Gran Dorado Hochsauerland').
Häufig wird vermutet, daß die Niederländer überwiegend selbst kochen und den größten Teil der Lebensmittel von zu Hause mitbringen. Dieses Vorurteil wird allerdings durch die Untersuchung nicht bestätigt. Die Niederländer kochen mit 79,6% insgesamt weniger selbst als die deutschen Gäste, die zu 87,2% die Küche des Bungalows nutzen. Die zur Selbstverpflegung benötigten Lebensmittel werden überwiegend von zu Hause mitgebracht. Einen hohen Anteil verzeichnet ebenfalls der Supermarkt des ,Gran Dorado Hochsauerland'. Hier versorgen sich viele der
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Gäste mit den nötigen Lebensmitteln. Die Supermärkte außerhalb des Parks im nächsten Ort, also in Medebach, profitieren offenbar nicht so extrem durch die ,Gran Dorado'-Gäste. 70% gaben sogar an, dort nichts einzukaufen. Generell läßt sich feststellen, daß offenbar die haltbaren Lebensmittel von zu Hause mitgebracht werden und frische Lebensmittel dann überwiegend im Supermarkt des Parks zugekauft werden (obwohl die Preise im Supermarkt des Parks ca. 10% höher sind). Offenbar ist es den Gästen zu umständlich, zunächst zum Zentralparkplatz zu gehen, um dann mit dem Pkw zum Lebensmitteleinkauf zu fahren. Differenziert nach deutschen und niederländischen Gästen ergibt sich folgendes Bild. Die Deutschen bringen - häufiger als die Niederländer - ihre Lebensmittel von zu Hause mit. Die Niederländer kaufen vor Ort überwiegend im Supermarkt des Parks ein, fast Uberhaupt nicht im nächsten Ort. Bei den deutschen Gästen ist das anders: Größtenteils bringen sie ihre Lebensmittel von zu Hause mit. Sie kaufen dann zwar auch Uberwiegend im Supermarkt des Parks zu, das Einkaufen im nächsten Ort ist aber beliebter. Im Schnitt haben die 477 Befragten, die insgesamt mit 3.576 Personen im Park sind, 10,34 DM pro Person und pro Tag für Lebensmittel aufgewendet. Interessant ist hierbei, daß die Ausgaben der niederländischen Gäste mit 12,13 DM deutlich über denen der deutschen Gäste (9,72 DM) liegen.
3.3 Einkaufsverhalten der Gäste Viele Gäste nutzen im Urlaub die Möglichkeit zu Einkäufen. Hierzu gehören Geschenke, Souvenirs, Postkarten ebenso wie Kleidung. 35% der befragten Gäste gaben an, Einkäufe innerhalb des Parks (also im ,Gran Place') getätigt zu haben. Im Durchschnitt wurden für Geschenke, Souvenirs und Kleidung innerhalb des Parks 122,00 DM ausgegeben. Nur 16% der befragten Gäste gaben an, außerhalb des Parks, also im Sauerland, Einkäufe gemacht zu haben. Hier allerdings liegt der Durchschnittswert höher als bei den Ausgaben innerhalb des Park. Insgesamt ist hier ein Durchschnittswert von 176,00 DM für Ausgaben außerhalb des Parks zu verzeichnen. Betrachtet man einmal nur die Befragten, die Ausgaben getätigt haben, verteilt sich das wie folgt. 58,1% haben ausschließlich im Park gekauft, 10,8% ausschließlich außerhalb des Parks und 31% tätigten Einkäufe sowohl im Park, als auch außerhalb des Parks. Differenziert nach Deutschen und Niederländern läßt sich auch hier wieder eine höhere Ausgabenbereitschafl bei den Niederländern erkennen. Rechnet man diese Angaben auf das gesamte Jahr 1996 hoch, so haben 66.500 Gäste im Park 8,1 Mio. DM und 30.400 Gäste außerhalb des Parks 5,4 Mio. DM für Geschenke, Souvenirs und Kleidung ausgegeben.4
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Abb. 5: Jeder dritte Gast nutzt den Aufenthalt im ,Gran Dorado Hochsauerland', um in den Boutiquen und Geschäften einzukaufen. Die durchschnittlichen Pro-KopfAusgaben für Geschenke, Souvenirs und Kleidung liegen innerhalb des Parks bei 122,00 DM (Photo: Pascal Ledune).
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Der Ferienpark mit Badeparadies: Ausgangspunkt und Ziel für Ausflüge
Die Attraktivität der Region, die ganz bewußt von ,Gran Dorado' gesucht wird, hat zur Folge, daß ein Teil der Gäste in Tagesausflügen Einzelziele in der Region anfährt. Die dadurch freiwerdenden Kapazitäten innerhalb des Parks stehen somit Einheimischen sowie anders verbleibenden Gästen zur Verfügung. Somit stellt auch der Park an sich ein Tagesausflugsziel für das Sauerland dar. Dies kann man unter anderem an der Nutzung des , Südsee-Badeparadieses' ablesen. Insgesamt wurden von 1996 bis 1998 im Schnitt jährlich 110.000 (die Unterschiede in den einzelnen Jahren sind marginal) Eintrittskarten fllr das ,Badeparadies' an Tagesgäste verkauft. In allen Jahresstatistiken hat sich der Monat Juli mit rund 15.000 Tagesgästen (Juli 1996) am stärksten gezeigt. Im schwächsten Monat September wurden in den vergangenen drei Jahren noch über 5.000 Eintrittskarten an Tagesbesucher verkauft. Offensichtlich ist vor allem in Ferienmonaten das ,Badeparadies' im ,Gran Dorado Hochsauerland' ein beliebtes Ziel von Tagesausflüglem. Bestätigt wird diese These durch die absoluten Werte, die in diesen Zeiträumen ihre Spitzenwerte erreichen.
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Im Jahresmittel dieses Zeitraums ergibt sich ein Tagesgastanteil von 19,1%. Bei einer Tagesgästebefragung 1998 (n = 258) waren 84% Einheimische und 16% Gäste aus anderen Urlaubsorten. An der Rezeption können die Gäste auch Eintrittskarten für Attraktionen des Reisegebietes bekommen (in der Regel 10% günstiger als vor Ort). Beispielsweise wurden in den letzten drei Jahren im Schnitt rund 7.850 Eintrittskarten an der ,Gran Dorado'-Rezeption für den Freizeitpark ,Fort Fun' verkauft.
4.1 Ausflugsverhalten der Gäste Das DWIF hat im Jahr 1993 Richtwerte für Tagesausgaben von Ausflüglern ermittelt. Im Sauerland sind dies insgesamt 31,00 DM. Den größten Anteil dieser Ausgaben machen die Kosten für Restaurant- und Caföbesuche aus. Im Jahr 1993 wurden im Reisegebiet Sauerland 2,8 Mrd. DM durch Tagesausflügler umgesetzt. Insgesamt 74,2% der befragten Gäste gaben an, entweder schon einen Ausflug unternommen oder geplant zu haben. 25,8% der Befragten verlassen den Park während ihres Aufenthaltes überhaupt nicht. Interessant ist, daß dieser Wert zwischen der Sommer- und der Winterbefragung nur marginal differiert. Bei den Befragten ist eine durchschnittliche Ausflugsintensität von 2,1 zu verzeichnen. Im Sommer liegt die Ausflugsintensität bei 2,3 und im Winter bei 1,8. In erster Linie werden Ziele im Sauerland angesteuert. Ein offensichtliches ,Muß' ist hierbei Winterberg. Zählt man die Stadt Winterberg (43,8%), die Bobbahn Winterberg (14,5%) und den Kahlen Asten (11,5%) zusammen, so ist die Destination Winterberg insgesamt zu fast 70% das Ziel erster Wahl. Der hohe Prozentwert für Medebach (45,7%) überrascht aufgrund der räumlichen Nähe nicht. Offensichtlich ist auch die Beliebtheit des Freizeitparks ,Fort Fun' (15,5%), der vor allem Familien mit Kindern anspricht. Neben den genannten Zielen werden von den ,Gran Dorado'-Gästen aber auch weiter entfernte Ausflugsziele angefahren. Viermal wurde in diesem Zusammenhang die Stadt Kassel (72 km) genannt. Noch weiter entfernt sind der Wildwald Voßwinkel (90 km) und das Hermannsdenkmal (150 km). Zu den am weitesten entfernten Ausflugszielen zählen Köln, Düsseldorf und Bottrop: Zweimal gaben Gäste an, zum Musical ,Grease' bis nach Düsseldorf gefahren zu sein. Insgesamt fünf Befragte fuhren zum ,Movie-World'-Freizeitpark in Bottrop-Kirchhellen. Gäste, die eine weite Anreise zum ,Gran Dorado Hochsauerland' hatten, sind also offensichtlich auch bereit, vor Ort weitere Tagesreisen zu unternehmen. Alle Befragten, die entfernte Ausflugsziele ansteuern, haben mehr als vier Stunden Anfahrtzeit vom Wohnort. Geht man einmal von der Zahl der Gästeankünfte 1996 (190.000) aus und legt dieser Zahl die Ausflugsintensität von 2,1 zugrunde, so sind dies absolut 399.000 Ausflüge. Multipliziert man dies mit dem Tagesumsatzwert
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des DWIF, so ergibt das eine Summe von 12,4 Mio. DM Ausgaben, die durch ,Gran Dorado'-Gäste außerhalb des Parks getätigt werden.
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Die ökonomischen Auswirkungen von Ferienparks
Die wirtschaftlichen Auswirkungen, die bei einer Ansiedlung eines Ferienzentrums entstehen, können unter mehreren Aspekten betrachtet werden: Dazu zählen Auswirkungen auf die Umsätze von Handel, Gewerbe und Gastronomie, Auswirkungen auf den bestehenden Fremdenverkehr, Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und Auswirkungen auf die kommunalen Haushalte. Die Betriebe vor Ort können grundsätzlich durch Aufträge beim Bau des Ferienparks, Aufträge für Unterhaltungs- und Reparaturarbeiten, Ausgaben für den Wareneinkauf der Geschäfte und Restaurants des Parks und durch Ausgaben der Feriengäste vom Ferienpark profitieren. Laut einer Statistik der IHK Arnsberg vom September 1996 sind die Umsätze des Medebacher Einzelhandels von 1984-1993 um 86,7% gestiegen. „Dieser überdurchschnittliche Anstieg kann noch nicht einmal auf den Betrieb des Ferienparks zurückzuführen sein, weil dieser erst 1994 öffnete; allerdings könnte sich die Bauphase in den Zahlen durchaus niederschlagen" (STADT MEDEBACH 1997). Neben anfallenden Instandhaltungs- und Reparaturarbeiten, die durch Mitarbeiter des Parks durchgeführt werden können, werden pro Jahr Aufträge in Höhe von 1,8 Mio. DM extern vergeben. Auch beim Wareneinkauf bestehen für die lokalen Anbieter Absatzchancen, obwohl das Gros der Ausgaben in andere Regionen abfließt. Insbesondere bei Frischwaren können aber kleine Anbieter profitieren. Der Wareneinsatz des ,Gran Dorado Hochsauerland' beträgt pro Jahr rund 6,8 Mio. DM. SCHERRIEB (1988) geht davon aus, daß etwa 20% dieser Summe der Region zugute kommen. Dies wären 1,36 Mio. DM pro Jahr (vgl. MlELKE 1993, S.29).
5.1 Auswirkungen auf den bestehenden Fremdenverkehr Parkanbieter mit außenorientiertem Konzept suchen bereits touristisch erschlossene Reisegebiete. Hier besteht keine unmittelbare Konkurrenz zwischen dem Ferienpark und den traditionellen Fremdenverkehrsbetrieben. Für Standorte in Mittelgebirgen gilt generell folgendes: Der bisherige Mittelgebirgstourismus ist vor allem auf Ruhe sowie Landschafts- und Naturbezug ausgerichtet, während die neuen Ferienparks eher aktivitäts- und erlebnisorientiert sind. Die Kernzielgruppe der Ferienparks, Familien mit Kindern, zählt nicht zu den Hauptzielgruppen der traditionellen Betriebe. Die Nachfrage in den Ferienparks wird also teilweise durch das Angebot erzeugt. Nach einer Befragung in den britischen ,Center Parcs' hätten 35% der Besucher keinen Urlaub gemacht, wenn es das Parkangebot nicht gegeben hätte, und weitere 20% wären ins Ausland gefahren. Nur 4% wären auch so in die Region gekommen (vgl. MlELKE 1993, S.29).
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„Bei den deutschen Sauerlandurlaubern handelt es sich zum großen Teil um Gäste aus den mittleren und gehobenen Altersgruppen (...). Im Vergleich zu den deutschen Inlandsurlaubern sind die jungen Altersgruppen (bis 35 Jahre) unter den Sauerlandurlaubern unterrepräsentiert, die Älteren (über 54 Jahre) dagegen überrepräsentiert" (IPK 1993, S.16). Offensichtlich spricht das klassische Urlaubsangebot des Sauerlandes vor allem ältere Urlauber an. Für die Region selbst stellt das Freizeitangebot des Parks eine Erweiterung des touristischen Angebots dar. In der Planungszeit wurde die Befürchtung geäußert, daß der Ferienpark die Gäste von den bisherigen Unterkunftsangeboten abzieht (Aussage LANGEN 1997). Es ist allerdings im Gegenteil zu beobachten, daß der ,Gran Dorado Park Hochsauerland' eine ganz andere Tourismusklientel anspricht. Die Hauptzielgruppe der Ferienparks, Familien mit Kindern, zählt nicht zu den traditionellen Zielgruppen der Betriebe im Sauerland. Neben diesen allgemeinen Merkmalen kann man die Verschiedenheit der Tourismusklientel auch daran erkennen, daß im Durchschnitt insgesamt 61,6% der befragten Gäste zum ersten Mal im Hochsauerland zu einem (Kurz-)Urlaub waren. Für das traditionelle Tourismusziel Sauerland wurde in einer Gästebefragung von 1984/85 ein Erstbesucher-Anteil von 28% erfaßt (vgl. IPK 1993, S. 20). Allein diese Tatsache belegt, daß der ,Gran Dorado Hochsauerland' nicht die bisherigen Gäste des Sauerlandes abschöpft, sondern im Gegenteil neue Gäste in das Sauerland lockt. Rechnet man diesen Wert einmal auf die knapp 190.000 ,Gran Dorado'-Gäste im Jahr 1996 hoch, so kommt man allein in diesem Zeitraum auf insgesamt 114.000 neue Sauerlandurlauber. 69% der Befragten kennen noch andere Bungalowparks, sind also auch nicht zu den klassischen Sauerlandurlaubern zu zählen. Insofern werden hier eher Gäste von anderen Ferienzentren abgezogen als aus dem Sauerland. Im Rahmen der amtlichen Statistik hat sich mit der Eröffnung des Parks eine interessante Besonderheit eingestellt. Demnach verbrachten im Jahr 1996 53,9% aller niederländischen Sauerland-Urlauber ihren Aufenthalt in Medebach (und hier sicher im ,Gran Dorado Hochsauerland'). Somit ist Medebach das ,niederländische Herz' des Sauerlandtourismus. Besonders interessant für das Sauerland ist natürlich die Frage, ob die Gäste des ,Gran Dorado Parks' und vor allem die neuen Gäste an das Sauerland als Reiseziel zu binden sind. Auf die ,Rückkehrfrage', die bewußt für die Region Sauerland und nicht ausschließlich für den Park gestellt wurde, gaben 91,2% der befragten Gäste an, daß sie sich eine Rückkehr in das Sauerland vorstellen können bzw. bereits planen (allerdings fehlen bislang Untersuchungen zum tatsächlichen Wiederbesuchs-Verhalten). Lediglich 8,8% können es sich nicht vorstellen, das Sauerland noch einmal zu besuchen. Das Sauerland gefällt: Hier darf man die Wirkung der ,Mund-zu-Mund-Propaganda' nicht unterschätzen. Ganz offensichtlich eröffnet sich hier für das Sauerland ein neues Kundenpotential.
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Pascal Ledune
5.2 Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt Insgesamt sind 285 Mitarbeiter beim Park beschäftigt (Stand Mai 1999). Hiervon sind 103 Aushilfen (inklusive Schüler, Studenten, Rentner). Hinzu kommen noch 25 Auszubildende und 5 Praktikanten. Nicht alle Arbeitsplätze konnten von qualifizierten Arbeitsplatzsuchenden direkt aus der Region besetzt werden. Zuziehende Mitarbeiter mit ihren Familien sorgen aufgrund der Einwohnerumlage für fiskalische Vorteile für die Stadt. Nicht zuletzt profitiert die Region auch von den privaten Ausgaben der Mitarbeiter des Parks. Neben den direkten Arbeitsmarkteffekten spricht man außerdem von indirekten (auch derivierten, abgeleiteten) Arbeitsplätzen. Dem von BECKER ermittelten Multiplikatoreffekt zufolge kommen auf jeden direkten Arbeitsplatz 1,4 derivierte Arbeitsplätze. Es muß allerdings bemerkt werden, daß diese Untersuchung aus den 70er Jahren stammt. Heute ist vermutlich ein höherer Multiplikatoreffekt anzusetzen, weil viele Bereiche aus Technik und Dienstleistung ausgelagert werden. Aufgrund der Wetterunabhängigkeit der Ferienparks wird eine hohe Rate ganzjähriger Beschäftigung gewährleistet; die negativen Begleiterscheinungen einer ausschließlich saisonalen Beschäftigung im Tourismus werden dadurch vermieden.
5.3 Auswirkungen auf die kommunalen Haushalte Die Errichtung des Ferienparks führte eine ganze Reihe an haushaltsrelevanten Veränderungen mit sich. So gibt es 260.000 DM Mehreinnahmen aus der Grundsteuer B. Die zusätzlichen Arbeitsplätze wirken sich auf die Zahlungen vom Land für die Städte und Gemeinden aus, die sich anteilig auf die Einkommenssteuerbeträge errechnen. Der prozentuale Anteil Medebachs ist mit der Parköffhung deutlich gestiegen. Hier wurden Zuwächse von rund 400.000 DM pro Jahr verzeichnet. Durch die höheren Einnahmen bei der Grundsteuer B erhält Medebach weniger Ausgleichszahlungen (Schlüsselzuweisungen) vom Land, die erhöhten Einkommenssteueranteile fließen hier aber nicht ein, „so können wir einen guten Überschuß verzeichnen" (Aussage NOLTE 1999). Die Konzessionsabgaben (Zahlung der Gas- und Stromversorger an die Stadt für die Erlaubnis, als alleiniger Versorger aufzutreten) haben sich aufgrund der hohen Verbrauchsmengen erhöht. So wurde seitens der WFG bei der neuen Tarifierung die Konzessionsabgabe von 20.000 DM auf 55.000 DM erhöht (Aussage NOLTE 1997 u. 1999) Aufgrund des großen Abnehmers ,Gran Dorado' konnten in Medebach die Frischwasserkosten gesenkt und die Abwasserkosten gehalten werden. Die Ansiedlung von ,Gran Dorado' hatte aber auch Auswirkungen auf die Bevölkerungsentwicklung. Vor Eröffnung des Parks hatte die Stadt ca. 7.100 Einwohner. „Jetzt sind wir schon bei 8.400. Die Mitarbeiter des Parks schlagen hier voll in der Statistik durch. Das sehen wir auch am extrem hohen Bedarf an Bauland, was wir in der Form so vorher nicht kannten" (Aussage NOLTE 1999).
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Segen oder Fluch?
Sicher kann man schwer ein pauschales Urteil über Wohl und Wehe des ,Gran Dorado Hochsauerland' sprechen: Insbesondere weil hier nur die wirtschaftlichen, nicht aber die ökologischen Effekte beleuchtet wurden. Für eine Gesamtbeurteilung sind alle Aspekte zu berücksichtigen. Hinsichtlich der wirtschaftlichen Verflechtungen und der ökonomischen Effekte hat dieser Beitrag gezeigt, inwieweit man hier von ,segensreichen' Wirkungen sprechen kann. Diese gilt es langfristig zu sichern. Die Herausforderung besteht darin, die Erstbesucher zu neuen Besuchen im Sauerland zu animieren - dann vielleicht in traditionellen Betrieben. Ganz offensichtlich eröffnet sich hier für das Sauerland ein ausbaufähiges Kundenpotential. Die wirtschaftlichen Verflechtungen beinhalten natürlich auch Risiken, wie sich in der Konkurssituation der Betriebsgesellschaft ,HS Ferienpark GmbH' Ende Juni 1998 sehr eindringlich zeigte. Neben den direkten Arbeitsplätzen wären bei einer Schließung des Parks natürlich auch viele der derivierten Arbeitsplätze und die dargelegten wirtschaftlichen Effekte außerhalb des Parks gefährdet gewesen. Die Situation ist gebannt, da die ,Gran Dorado Group', unter der dieser Park vermarktet und vertrieben wurde, zum 1. Oktober 1998 mit der 100%igen Tochter ,Gran Dorado Bungalowpark Hochsauerland GmbH' einen langfristigen Pachtvertrag eingegangen ist und neben der Übernahme aller Beschäftigten auch Neuinvestitionen in Höhe von 8 Mio. DM angekündigt hat.
Anmerkungen ' Die Begriffe ,Ferienzentrum' und ,Ferienpark' werden synonym verwendet. eigene Bearbeitung nach Daten der Statistikabteilung des ,Gran Dorado Hochsauerland' 3 Gästeankünfte x 88% x 2,4 = 397.762 x 70,3% innerhalb und 29,7 % außerhalb des Parks 4 Gästeankünfte 1996 multipliziert mit dem Prozentsatz der Gäste, die Ausgaben tätigten, multipliziert mit den jeweils durchschnittlichen Ausgaben innerhalb und außerhalb des Parks. 2
Expertengesprfiche Gespräch mit Günter Langen (MdL, Bürgermeister der Stadt Medebach) am 07. Mai 1997 im Landtag in Düsseldorf Gespräch mit Johannes Peters vom Dezernat 432 im Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik am 07. Mai 1997 in Düsseldorf Gespräch Heinrich Nolte (Stadtdirektor der Stadt Medebach) am 28. Mai 1997 in Medebach Telefongespräch mit Heinrich Nolte (Bürgermeister der Stadt Medebach) am 21. April 1999
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Pascal Ledune
Gespräch mit der Emde & Granderath Abteilung im ,Gran Dorado Hochsauerland' am 28. Mai 1997 Eigene Aufzeichnungen während des Vortrags von Heinrich Nolte: Die aktuelle Situation der Stadt Medebach (im Rahmen der Exkursion der öffentlichen Jahrestagung der Geographischen Kommission Westfalen beim Landschaftsverband Westfalen-Lippe am 06. September 1997)
Literaturauswahl GRAN DORADO HOCHSAUERLAND (Hrsg.): Erst nach rechts und dann geradeaus. Informationen über Ausflüge in die Umgebung von Gran Dorado Hochsauerland, o. O. o. J. GRAN DORADO HOCHSAUERLAND (Hrsg.): Gran Dorado Hochsauerland - Kurzportrait, o. O. 1997 HARRER, B. et al.: Tagesreisen der Deutschen. Struktur und wirtschaftliche Bedeutung des Tagesausflugs- und Tagesgeschäftsreiseverkehrs in der Bundesrepublik Deutschland, München 1995 (Schriftenreihe des DWIF; 46) HATZFELD, U./KRUSE, St. et al.: Kommerzielle Freizeitgroßeinrichtungen: Pla-
nungshilfen und Arbeitshinweise für Städte und Gemeinden, Dortmund 1994 (Bausteine für die Planungspraxis in Nordrhein-Westfalen; 17) HERMANN, S. et al.: Feriengroßprojekte unter UVP-Gesichtspunkten! Das Fallbeispiel Center Parcs Bispingen. 4. Projekt am Institut für Landschaftsplanung und Naturschutz, Universität Hannover, Hannover 1990 IPK (INSTITUT FÜR PLANUNGSKYBERNETIK): Statistik aus dem Reisemonitor 1992.
- In: Fremdenverkehrs-Konzeption Sauerland, München 1993 KEMPER, H.: Rechnungen werden überprüft. - In: Westfalenpost (Meschede), (04. November 1994) KEMPER, H.: Ferienpark verändert verträumtes Städtchen. Gran Dorado in Medebach gibt Region neue Impulse. - In: Westfalenpost (Meschede), (15. November 1995) KIERCHHOFF, H. W./WARNCKE, K.: Der Traumurlaub bleibt oft nur Wunschtraum. Ergebnisse der Reiseanalyse für 1996: Urlaubsformen. - In: FVW International, 30(1997) 19, S. 26-29 LEDUNE, P.: Strukturen von Ferienparks und deren räumliche Effekte am Beispiel des Gran Dorado Bungalowpark Medebach, Aachen 1997 (unveröffentlichte Magisterarbeit, Fach Geographie, RWTH Aachen) LÜTHJE, K./LINDSTÄDT, B.: Freizeit- und Ferienzentren - Umfang und regionale Verteilung, Bonn 1994 (Materialien zur Raumentwicklung; 66) MLELKE, B. et al.: Großflächige Freizeiteinrichtungen im Freiraum: Freizeitparks und Ferienzentren, Dortmund 1993 (ILS-Schriften; 75) o. V.: Das Gran Dorado im Sauerland läßt renommierte Hotels hinter sich. - In: FAZ, (22. Mai 1997), S. 22 SANDER, H./KOCH, H.: Großflächige Freizeiteinrichtungen im Freiraum: Freizeitparks und Ferienzentren, Dortmund 1993 (ILS-Schriften; 75)
Gran Dorado Hochsauerland
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SCHERRIEB, H. R.: Ferienpark Medebach. Standortprüfiing für ein Feriendorf, Würzburg 1 9 8 8 STADT MEDEBACH (Hrsg.): Folgewirkungen der Ferienpark-Ansiedlung. Schreiben des Stadtdirektors Heinrich Nolte an die H S Ferienpark GmbH vom 3 0 . Juli 1997 STRASDAS, W . : Ferienzentren der zweiten Generation: ökologische, soziale und ökonomische Auswirkungen. Untersuchung, Berlin 1 9 9 2 (erschienen 1 9 9 3 )
Der Autor Pascal Ledune M. A.; 1991-1997 Studium der Geographie mit den Schwerpunkten Fremdenverkehrsgeographie/Tourismusplanung an der RWTH Aachen; Magisterarbeit über die räumlichen Effekte von Ferienparks am Beispiel des ,Gran Dorado Hochsauerland' in Medebach; 1998-1999 Juniorprojektmanager bei der Robert J. Dogterom & Co. GmbH in Nürburg (Eifel); Mitarbeit u. a. an der Konzeptentwicklung filr die ,Heide-Metropole' Soltau; seit Juni 1999 MarketingReferent beim Landesfremdenverkehrsverband Westfalen e. V. in Dortmund (verantwortlich filr die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Verbandes).
Die,Hundertwasser-Therme Rogner-Bad Blumau' in der Steiermark (Österreich) Anja
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Brittner
Geschichte des Unternehmens
Der österreichische Ingenieur Robert ROGNER, Gründer des international operierenden Unternehmens ROGNER INTERNATIONAL HOTELS & RESORTS G m b H , lei-
tete im Jahr 1993 in der steirischen Großgemeinde Blumau die Baumaßnahmen zu einem Hoteldorf mit Therme ein, fllr dessen Gestaltung er Österreichs populären Künstler Friedensreich HUNDERTWASSER gewinnen konnte (vgl. MÜLLER 1997, S. 7). Die im charakteristischen Architekturstil HUNDERTWASSERS erbaute Anlage wurde am 10. Mai 1997 unter dem Namen ,Rogner-Bad Blumau' eröffnet. Im März 1998 gründete die DORINT HOTELS & RESORTS AG mit ROGNER INTERNATIONAL HOTELS & RESORTS GmbH mit einer Beteiligung von jeweils 50% die g e m e i n s a m e T o c h t e r f i r m a DORINT ROGNER HOTELS & RESORTS ( v g l . GOERLICH 1 9 9 8 , S. 18).
2
Unternehmensleitbild und Konzept
Die Idee zur Entwicklung und Konzeption der Thermenanlage in Blumau beruhte auf der Frage, durch welche Innovationen der touristische Stellenwert in den Alpenländern wiederhergestellt werden kann. Dabei stand bei der Entwicklung neuer Ideen die Absicht im Vordergrund, eine Anlage im Einklang mit der Natur zu konzipieren, die dem Harmoniebedürfnis des Menschen entspricht (vgl. ROGNER 1997, S. 129). Das Unternehmensleitbild der Therme orientiert sich primär am Ziel der Philosophie HUNDERTWASSERS, ein gutes Gewissen gegenüber der Natur zu erreichen. Um den Kreislauf der Natur zu schließen und neuen Lebensraum zu schaffen, wird das aus der Erde gehobene Baumaterial auf dem Dach des Hauses wieder angebracht. Das ,Rogner-Bad Blumau' verkörpert nach HUNDERTWASSER (vgl. 1996, S. 236f.) folgende Absichten: Mehrung der Natur als Antwort auf die Zersiedlung der Landschaft, Leben in Harmonie mit der Natur, Vorhandensein von „Wald- und Wiesenluft anstelle von Betonluft" (HUNDERTWASSER 1996, S. 236), Verwirklichung der Sehnsucht nach Romantik und Kreativität, Begrünung und Begehbarkeit der Häuser und Dächer, Energieeinsparung in den Häusern sowie Schaffung von Lebensqualität für Anrainer und Bewohner.
Rogner-Bad Blumau
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Die Gesamtfläche der Anlage beträgt 37,5 ha, das Investitionsvolumen lag bei 900 Millionen ÖS. Der Bruttorauminhalt beträgt 150.000 qm, die Bruttogrundrißfläche 45.000 qm, die Erdarbeiten 350.000 qm. Die Begrünung der Dächer der Ziegelbauten hat eine Dicke von 60 cm bis 3 m (vgl. ROGNER 1997, S. 132). Die Therme ist für 1.200 Besucher täglich konzipiert. 600 Hotelbetten stehen für Übernachtungsgäste zur Verfügung (vgl. Abb. 1).
3
Marketing-Maßnahmen
3.1
Produktpolitik
Obwohl die Anlage eine anerkannte Heilwassertherme ist, taucht im Marketingvokabular der Begriff ,Kur' nicht mehr auf. In erster Linie sollen Gäste und nicht mehr .Patienten4 angesprochen werden. Im touristischen Marketing wird ein besonderer Stellenwert auf Kinder gelegt: Kinder bis zum 12. Lebensjahr können ohne Zuschlag im Zimmer der Eltern wohnen; Verpflegung und Kinderbetreuung sind kostenlos (vgl. UNGEFUG 1998, S. 79). Zur bargeldlosen Bezahlung von Nebenausgaben erhalten Übernachtungs- als auch Tagesgäste statt eines Zimmerschlüssels einen Datenträger in Form eines Chiparmbandes. Dieses öffiiet elektronisch die Türen und Drehkreuze. Mit dem Chiparmband werden alle Nebenausgaben elektronisch erfaßt und auf die Endabrechnung gesetzt. Indirekt wird versucht, den Gast durch die häufige Nutzung des Wortes ,Dich' persönlich anzusprechen. Hierdurch wird die Nähe zum Gast aufgebaut (Individualisierung). Der Einkaufsshop mit regionalen steirischen Produkten sowie einer Auswahl an Merchandising-Produkten trägt die Bezeichnung ,Bringwasheim'. Das Kaffeehaus hat den Namen ,GönnDirwas', das Restaurant den Titel,FeineSachen', der Beautyturm lockt mit der Aufschrift , Wunderschön' und die Rezeption unterstreicht ihre Dienstleistungsfunktion mit dem Hinweis ,FürDichda'. Verkauft werden Merchandisingprodukte: Das Angebot umfaßt u. a. Postkarten, Kunstdrucke und Bücher des Künstlers, bunte Kacheln aus der Bauphase der Anlage sowie typische landwirtschaftliche Erzeugnisse aus der Region wie Steirisches Kernöl, Apfelsaft und biologische Produkte von regionalen Bauernhöfen.
3.2
Preispolitik
Die Zimmerpreise 1998/99 betragen für ein Doppelzimmer je nach Saison 1.6002.200 ÖS, Doppelzimmer zur Einzelbenutzung 850-1.200 ÖS, HalbpensionZuschlag: 260 ÖS pro Person. Appartements kosten 2.500-3.300 ÖS zuzüglich Halbpension pro Person und Tag in Höhe von 250 ÖS (vgl. http://www.ito.at). In der Hotelklassifizierung ordnet sich das Bad in die Vier-Sterne-Kategorie ein; hoher Qualitätsstandard und gute Serviceleistungen werden garantiert.
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Anja Brittner
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Abb. 1: Der Lageplan der Anlage zeigt aus der Vogelperspektive die Anordnung der Gebäude zueinander. Das Thermalbad bildet das Herzstück der Anlage, die Wohneinheiten sind - bis auf das .Kunsthaus' und die ,Augenschlitzhäuser' - durch unterirdische Passagen mit dem Thermalbad verbunden. Um ein autofreies Erscheinungsbild zu erhalten, parken die Pkw der Hotelgäste in Tiefgaragen. Künstliche Wasserläufe und Teiche geben der Anlage einen parkähnlichen Charakter (Quelle: ROGNER INTERNATIONAL HOTELS & RESORTS GmbH o. J.).
Rogner-Bad Blumau
3.3
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Informationspolitik
Das Unternehmen wird durch die Marketinggemeinschaft , Tourismusregionalverband Sieirisches Thermenland' gemeinsam mit den anderen Kur- und Badeorten in der südöstlichen Steiermark vermarktet. Desweiteren werben sowohl ROGNER INTERNATIONAL HOTELS &
RESORTS als auch DORINT HOTELS
&
RESORTS AG im Internet sowie in Prospekten und Katalogen für die Anlage.
3.4
Distributionspolitik
Der Aufenthalt in der Anlage kann entweder direkt gebucht werden oder über zahlreiche österreichische und ausländische Reiseveranstalter (z. B. TUI).
4
Angebotsprofil
Das ,Rogner-Bad Blumau' bietet neben dem Beherbergungs- und Gastronomieangebot verschiedene medizinische Einrichtungen, eine abwechslungsreiche Infrastruktur für Freizeitaktivitäten sowie Kapazitäten für Tagungen und Seminare.
4.1
Beherbergungsangebot
Die Anlage verfügt derzeit Uber eine Kapazität von 600 Betten in 247 Zimmern und 24 Appartements; davon befinden sich 47 Zimmer im 'Stammhaus'. Die ,Rehrückenhäuser' (.Ziegelhaus' und ,Kunsthaus') verfügen jeweils Uber 100 Zimmer, verteilt auf vier Stockwerke (vgl. Abb. 2). Die Architektur der gesamten Anlage trägt die Handschrift HUNDERTWASSERS. Eines dieser ,RehrUckenhäuser' ist in seiner Fassadengestaltung dem Kunsthaus HUNDERTWASSERS in Wien nachempfunden. Bei der Anbringung der Kacheln und Ziegelsteine konnten die Handwerker ihre eigenen kreativen Ideen verwirklichen und damit nicht nur an der baulichen, sondern auch an der künstlerischen Gestaltung partizipieren. Weitere Übernachtungskapazitäten befinden sich in 24 Appartements, davon 12 in den 'Waldhofhäusem' auf einer Etage und 12 in den 'Augenschlitzhäusern' auf teilweise zwei Etagen verteilt (vgl. ROGNER 1997, S. 132). Die , Waldhofhäuser' sind in die Erde eingelassen; sie beziehen ihr natürliches Licht aus den zum Innenhof hin angebrachten Fenstern. Sie sind über eine Wendeltreppe zugänglich. Die Appartements der beiden ,Augenschlitzhäuser' verfügen jeweils Uber zwei Bäder, davon je eines mit separatem Thermalwasseranschluß.
Anja Brittner
176
Abb. 2: 'Kunsthaus' im , Rogner-Bad Blumau' (Photo: Anja Brittner 1998)
4.2
Gastronomieangebot
Zur Verpflegung der Gäste stehen ein steirisches Spezialitätenrestaurant, eine Pool-Bar (.Obendrauf), ein Buffet-Restaurant (,NimmDirselbst'), ein Café und eine Saunabar (.KühlDichab') zur Verfügung. Allergiker-, Diät- und vegetarische Kost stehen auf dem Speiseplan (vgl. ROGNER INTERNATIONAL HOTELS & RESORTS 1997b, S. 6). Die Küche bereitet hauptsächlich Speisen aus Produkten orts-
ansässiger Landwirtschaftsbetriebe zu.
4.3 Medizinisches Angebot
Das Institut für Physikalische Medizin und Behandlungen nach F. X. MAYR bietet unter anderem Anwendungen in den Bereichen Akupunktur, Neuraitherapie, Autogenes Training und Heilgymnastik. Die Kuranstalt leistet Ernährungsberatung, Heilpackungen und -massagen, Inhalationen und Elektrotherapien. Im Institut für ganzheitliche Behandlungen finden die Gäste Anwendungen alternativer Heilmethoden wie Musik- und Klangtherapie, Bachblütentherapie, kreative Tanz- und Bewegungstherapie, Lichttherapie und fernöstliche Heilweisen wie Qi-Gong, Tai-Chi und Yoga. Sonstige ärztliche Leistungen wie Vorsorgeuntersuchungen, Wundversorgung, Laboruntersuchungen, Rekonvaleszenzinfusionen etc. sind der Praxis für Allgemeinmedizin unterstellt (vgl. ROGNER INTERNATIONAL
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HOTELS & RESORTS 1997a, o. S.; ROGNER 1997, S. 133). D a s , R o g n e r - B a d B l u -
mau' steht ausschließlich für Privatgäste zur Verfügung und arbeitet nicht - wie andere Kureinrichtungen - mit Kranken- oder Rentenversicherungsträgern zusammen (mündl. Mitteilung RAUER 1998).
4.4 Sport- und Freizeitangebot Während des ganzen Jahres besteht die Möglichkeit zum Radfahren, Joggen, Body Styling, Stretching, Besuch des Fitnessraumes, zur Gymnastik, Teilnahme an der Wellness- und Sportanimation sowie an der Kinderbetreuung im Rogner-Abenteuerclub (vgl. ROGNER 1997, S. 133). Reiten, Bogenschießen, Tennis und Beachball sind nur außerhalb der Wintermonate möglich. Möglichkeiten zum Golfen bestehen im neun Kilometer nordöstlich gelegenen ,Rogner Birdie Village' mit angeschlossener Therme in Stegersbach, das ebenfalls von DORINT ROGNER HOTELS & RESORTS geführt wird.
Die Therme bietet ein Innen- und Außenbecken mit Thermal- und Süßwasser. Während der Sommersaison stehen in der Außenanlage ein Wellenbad sowie ein Kinderbecken zur Verfügung. Im Inneren findet sich ein Kneippbad für Kaltwasseranwendungen. Mehrere Whirlpools sind sowohl in den Innen- als auch in den Außenbereich integriert. Eine Saunalandschaft mit römischem Schwitzbad, türkischem Dampfbad, finnischer Innen- und Außensauna, Kräuterkammern und einem Sprudelbecken befinden sich in den Räumen des Thermalbades. Die Gesamtwasserfläche n i m m t 1.500 q m ein (vgl. ROGNER INTERNATIONAL HOTELS & RESORTS
1997b, S. 7; ROGNER 1997, S. 133). Neben den genannten Einrichtungen gibt es eine Beauty Farm sowie das Institut für Ganzheitskosmetik. Außerdem wird die Möglichkeit zum Shopping in einer Einkaufsarkade mit Shops und Boutiquen geboten; zudem steht eine Reise- und Ausflugsvermittlung zur Verfügung (vgl. http://www.rogner.com/Blumau/Blumau. html).
4.5 Konferenz- und Veranstaltungskapazitäten Das ,Rogner-Bad Blumau' stellt Konferenz- und Veranstaltungsräume für Tagungen und Seminare zur Verfügung. Der größte Raum ist für 220 Personen angelegt, vier weitere können 36-80 Personen aufnehmen (vgl. ROGNER INTERNATIONAL HOTELS & RESORTS 1997b, S. 7; DORINT A G 1998, S. 12).
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5
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Brittner
Nachfrageentwicklung
Seit Beginn der Bauarbeiten im Jahr 1993 hatte die Anlage bereits einen Zustrom von mehr als 150.000 Besuchern. Diese Resonanz verdeutlicht das vor ihrer Fertigstellung bereits bestehende große Interesse an der Anlage (vgl. ROGNER 1997, S. 131). Während die Gemeinde Blumau im April 1997 noch 14 Gäste mit 52 Übernachtungen zählte, stieg die Anzahl der Gästeankünfte im Mai 1997 auf 2.243 und der Übernachtungen auf 7.873 sprunghaft an. Die Beherbergungsstruktur der Gemeinde besteht - neben der Thermenanlage - aus 16 Privatzimmer- und AppartementAnbietern sowie einer Gästepension mit 14 Doppelzimmern, 2 Einbettzimmern und einem Appartement (vgl. TOURISMUSVERBAND STEIRISCHES THERMENLAND REGION FÜRSTENFELD O. J . ) .
Insgesamt verzeichnete Blumau im Jahr 1997 (einschließlich 'Rogner-Bad Blumau') 33.553 Gästeankünfte und 106.146 Übernachtungen. Im Jahr 1998 hat sich die Zahl der Gästeankünfte mit 68.790 bereits mehr als verdoppelt, die Zahl der Übernachtungen stieg auf 177.110. Man beachte diesen beachtlichen Zuwachs gegenüber den Zahlen von 1996, die mit 643 Ankünften und 2.623 Übernachtungen erheblich niedriger liegen.
Ankünfte und Übernachtungen in d e r Gemeinde Blumau 1996-1998 24000 20000 16000 12000
:
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-Ankünfte -»-Übernachtungen Abb.
Im Jahr ¡996 registrierte die Gemeinde insgesamt 643 Gästeankünfte und Übernachtungen. Mit Eröffnung des ,Rogner-Bad Blumau' im Mai 1997 sind die Zahlen sprunghaft angestiegen (Quelle: BRITTNER 1999, S. ¡99 nach AMT DER 3:
2.623
STEIERMARKISCHEN
LANDESREGIERUNG
1998).
Rogner-Bad Blumau
179
Hinsichtlich der Gästeankünfte zeigen sich keine auffälligen saisonalen Unterschiede: Im Jahr 1998 haben sich diese - mit Ausnahme der Monate Mai und Juni auf einen durchschnittlichen Wert von 6.000 eingependelt. Im Gegensatz dazu liegen die Höchstwerte der Aufenthaltsdauer deutlich in den Sommermonaten Juli und August. Mit einer Jahresauslastung von mehr als 81% liegt das Projekt - verglichen mit Projekten dieser Größenordnung - im europäischen Spitzenfeld. Auch die Beherbergungsbetriebe der Gemeinde Blumau konnten seit Eröffnung des ,Rogner-Bad Blumau' Zuwachsraten von über 500% erreichen (vgl. ROGNER-BAD BLUMAU 1999, o. S.).
6
Zielgruppen
Über eine detaillierte Zielgruppenstruktur liegen seitens des Unternehmens keine Veröffentlichungen vor. Zur Erforschung der Gästestruktur, der Reisemotive und der Wirkung der Anlage auf die Gäste wurde im Rahmen einer Diplomarbeit an der Universität Trier im Februar 1998 mit Hilfe zweier standardisierter Fragebögen eine Gästebefragung unter Tages- und Übernachtungsgästen durchgeführt (vgl. BRITTNER 1998, S. 87ff.; BRITTNER 1999, S. 200ff.). Der Umfang der Stichprobe betrug 124 Probanden, davon 86 Übernachtungsgäste und 38 Tagesgäste.1
6.1 Soziodemographisches Profil der Gäste Jeweils ca. ein Viertel der Befragten befand sich in der Altersgruppe der 18-30Jährigen (26%) und der 51-65-Jährigen (27%). 23% der Befragten waren in der Altersgruppe der 31-40-Jährigen, und jeder sechste Befragte war zwischen 41 und 50 Jahre alt. Gäste unter 18 Jahre waren an der Stichprobe nur mit einem Anteil von 3% vertreten; Gäste im Alter über 65 Jahre mit einem Anteil von 7%. Die größte Gruppe der interviewten Gäste hat einen Volksschul- bzw. Hauptschulabschluß (38%). Fast jeder dritte Befragte gab Mittlere Reife als Schulabschluß an, rund jeder vierte Besucher hat Abitur bzw. Matura. 6% der Interviewten haben einen Fachhochschul- oder Hochschulabschluß. Über den Familienstand der Gäste können an dieser Stelle keine Angaben gemacht werden. Die Begleitung der Gäste zeigt folgende Struktur: Die Mehrzahl der befragten Gäste (43%) ist mit dem Partner angereist. 27% besuchten die Anlage mit Freunden oder Bekannten, 16% verbrachten ihren Aufenthalt in Begleitung der Familie. Der Anteil der Alleinreisenden betrug 9%. Unter den Übernachtungsgästen reiste ein höherer Anteil mit Freunden und Bekannten als bei den Tagesgästen an; letztere wiesen eine erhöhte Anzahl derjenigen auf, die in Begleitung der Familie die Therme besuchten (vgl. BRITTNER 1998, S. 88ff.).
Anja Brittner
180
6.2
Verhalten
Auf die Frage .Welche Aktivitäten unternehmen Sie hier während Ihres Aufenthaltes in Ihrer Freizeit hauptsächlich?' wurden 250 Nennungen gegeben. Der Besuch des Thermalbades wird als primäre Freizeitaktivität im ,Rogner-Bad Blumau' genannt (sie liegt immer unter den ersten drei Nennungen der Gäste). Besuche der Saunalandschaft bzw. des Solariums, Wandern und Spazierengehen sind weitere vielfach genannte Freizeitaktivitäten. Die Übernachtungsgäste wurden zusätzlich nach ihrem Ausflugsverhalten beiragt. 66% der Hotelgäste haben keinen Ausflug in die Umgebung unternommen und dies für ihren weiteren Aufenthalt auch nicht in Erwägung gezogen (vgl. BRITTNER 1998, S. 95f.). Die geringe Motivation, einen Ausflug in die Umgebung zu unternehmen, liegt sowohl an der Kürze der Aufenthaltsdauer der Gäste als auch in der hohen Attraktivität der Anlage und ihres Angebots (mündl. Mitteilung RAUER 1998).2
6.3
Einzugsbereich und Aufenthaltsdauer
Mit einem Anteil von 39,1% ausländischer Gäste aus über 80 Nationen liegt das ,Rogner-Bad Blumau' auch international über den Erwartungen (vgl. ROGNERBAD BLUMAU 1999, o. S.). Die Mehrheit der Auslandsbesucher stammt aus Deutschland, gefolgt von der Schweiz und Italien. Über ein Drittel der inländischen Gäste stammt aus der Bundeshauptstadt Wien (vgl. AMT DER STEIERMÄRKISCHEN LANDESREGIERUNG 1 9 9 8 ) .
Befragt wurden die Übernachtungsgäste auch nach ihrer Aufenthaltsdauer. Der genannte Minimalwert der Hotelgäste beträgt zwei Tage, der Höchstwert acht Tage. Durch die Berechnung des Mittelwertes ergibt sich eine durchschnittliche Aufenthaltsdauer von 3,4 Tagen.3
6.4
GrUnde für die Wahl des Reiseziels
Mit der Frage ,Aus welchen Gründen sind Sie ausgerechnet ins ,Rogner-Bad Blumau' gereist?' besteht die Absicht, neben den bereits genannten Reisemotiven die Kriterien für die Entscheidung des ,Rogner-Bad Blumau' als Reiseziel hervorzuheben. Das Kriterium der HUNDERTWASSER-Architektur für die Wahl des ,Rogner-Bad Blumau' als Reiseziel nimmt den größten Anteil mit 43% aller Nennungen ein; Übernachtungsgäste geben diesen Grund 40 mal (39%) und Tagesgäste 12 mal (29%) an (vgl. Abb. 4).
Rogner-Bad
Blumau
181
Gründe für die Wahl des Reiseziels (in %)
Hundertwasser-Architektur Neugier Gesamtangebot/Gesamteindruck Geschenk Popularität Besichtigung
I Übernachtungsgäste
• Tagesgäste
Anzahl der Nennungen (n = 143)
Abb. 4: Die befragten Besucher fuhren im Februar 1998 primär wegen der Architektur des Künstlers Friedensreich HUNDERTWASSER in das ,Rogner-Bad Blumau'. Neugier und das Gesamtangebot waren ebenfalls häufig genannte Gründe, sich speziell diese Anlage als Reiseziel oder Tagesausflugsziel auszusuchen (Quelle: BRITTNER 1998, S. 100).
Aus der Befragung ließ sich ableiten, daß sich unter den befragten Gästen fast 15% befanden, welche die HUNDERTWASSER-Therme nur wegen des Zusatznutzens besuchten, der sich durch die Architektur ergibt. Das Gesundheits-, Sport- und Freizeitangebot allein genügte diesen Gästen nicht für die Wahl dieses Reiseziels (vgl. BRITTNER 1998, S. 99ff.).
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Partner aus anderen Wirtschaftsbereichen
Das ,Rogner-Bad Blumau' hat keine Sponsoren, arbeitet aber mit Partnern aus anderen Wirtschaftszweigen zusammen: Im Areal der Anlage wurden bereits zwei Bauernläden realisiert, in denen neben landwirtschaftlichen Produkten aus der Region auch handwerkliche Erzeugnisse der örtlichen Landwirte angeboten werden. Für die Gäste werden spezielle Führungen in die Partnerbetriebe (Bauernhöfe, Brennereien, Winzerbetriebe etc.) organisiert (vgl. ROGNER-BAD BLUMAU 1999,
o. S.).
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Anja Brittner
Regionale Effekte
Der Mitarbeiterstand der Therme ist von Ende Mai 1997 bis Ende Dezember 1998 von 220 auf 323 Mitarbeiter angewachsen (inklusive freien Mitarbeitern und externen Beschäftigten). Mehr als 97% der Mitarbeiter stammen aus dem regionalen Umfeld (bis 25 km). Diese massiven Steigerungen waren aufgrund der Spitzenauslastung der Anlage möglich. In diesem ländlichen Raum konnte einerseits die Arbeitslosenquote verringert werden, außerdem wurde die Abwanderungsbewegung in städtische Gebiete verringert. Die Gesamtumsätze verkaufter Produkte der örtlichen Landwirte beliefen sich im Jahr 1998 im ,Rogner-Bad Blumau' und der benachbarten ,Rogner Birdie-Therme Stegersbach' auf rund 16,7 Millionen ÖS. Die Impulsgebung für die Region wird auch durch die Zahlen des Arbeitsmarktes dokumentiert: So wurden im Jahr 1998 mehr unselbständig Beschäftigte gemeldet a l s i m V o r j a h r (vgl. ROGNER-BAD BLUMAU 1999, o. S.).
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Erweiterungsvorhaben
Ein Ausbau der Anlage um drei weitere .Rehrückenhäuser' sowie drei ,Augenschlitzhäuser' mit einer zusätzlichen Kapazität von 400 Betten ist laut vorliegenden Plänen in den kommenden zwei Jahren vorgesehen. Die Errichtung des als ursprüngliches Wahrzeichen des ,Rogner-Bad Blumau' bestimmten 'Schneckenhauses' wird ebenfalls in dieser zweiten Bauphase erfolgen (mündl. Mitteilung WAGNER 1998 u n d KONRAD 1999). 4
Nach erfolgreicher Einführung des Weltunikates .Rogner-Bad Blumau' bietet die Bauunternehmung ROGNER GmbH in einer weiteren Ausbaustufe die Möglichkeit, ein eigenes Appartement mit Thermalwasser-Anschluß in Blumau zu kaufen. Zum Verkauf stehen Ein-, Zwei- oder Dreizimmerappartements in der Größe zwischen 39 qm bis 110 qm ab 32.000 ÖS/qm (vgl. http://www.rogner.com/Blumau/appverkauf.html).
10 Generelle Trendeinschätzungen zur Zukunft des 'Rogner-Bad Blumau' In der im Februar durchgeführten Gästebefragung wurde ebenfalls die Frage nach einer Wiederbesuchsabsicht gestellt. Insgesamt würden 72% aller Befragten das ,Rogner-Bad Blumau' erneut besuchen, 19% sehen eventuell einem nächsten Aufenthalt entgegen, 8% würden die Therme nicht mehr besuchen. 1% der Gäste enthielt sich einer Aussage (vgl. BRITTNER 1998, S. 107f.).
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Die HUNDERTWASSER-Archtiektur spielt eine SchlUsselrolle für den Erfolg des ,Rogner-Bad Blumau'. Wäre diese nicht vorhanden, so hätten sich ca. 15% der befragten Gäste nicht für einen Aufenthalt in der Anlage entschieden. Als Alternativdestinationen gaben von 88 Gästen 18% an, statt des Besuches der Therme die Zeit zu Hause verbracht zu haben. Für eine völlig andere Urlaubsreise und -form hätten sich 9% entschieden (vgl. BRITTNER 1998, S. 109). Das Alleinstellungsmerkmal der HUNDERTWASSER-Architektur unterstützt den Trend nach Exklusivität und Individualität. Berühmte Persönlichkeiten waren seit jeher die ,Opinion Leader' im Tourismus; daran wird sich auch im zukünftigen Tourismusmarkt wenig ändern. Das ,Rogner-Bad Blumau' ist ein gutes Beispiel für einen erfolgreichen Marktauftritt, dem sicherlich einige folgen werden.
Anmerkungen ' 86 Übernachtungsgäste stellen 14,3% der Grundgesamtheit der Hotelgäste. Zur Grundgesamtheit der Tagesgäste lagen während der Befragungstage keine genauen Angaben vor. Zur Zeit der Befragung betrug die Zimmerauslastung 100% (mündl. Mitteilung KONRAD 1998). 2 ,Rogner-Bad Blumau* hat erreicht, die Bedingungen der Attraktion selbst zu schaffen. Die Angebotskomponenten wurden vor der Kulisse der Naturlandschaft zu einem attraktiven touristischen (Kunst-)Angebot kombiniert (vgl. WÖHLER/SARETZKI 1996, S. 31). 3 Standardabweichung: s = 1,508 4 Nach dem Ausbau der Übernachtungskapazitäten wird bei einer Bettenauslastung von 100% der Einlaß von Tagesgästen von derzeit maximal 600 auf maximal 200 Personen reduziert (mündl. Mitteilung WAGNER 1998).
Expertengespräche Frau KONRAD, Sekretärin ,Rogner-Bad Blumau', verschiedene Telefonate 1998/99 Dipl.-Ing. Johann RAUER, Obmann Tourismusverband Blumau, 18. 02.1998 Frau Karin WAGNER, GästefÜhrerin im ,Rogner-Bad Blumau', 16.02.1998
Literatur AMT DER STEIERMÄRKISCHEN LANDESREGIERUNG: h t t p : / / w w w . s t m k . g v . a t / s k r i p t s /
Verwaltung/Lad-stat/fvs (1998) BOSOLD, J.: G ä s t e b e f r a g u n g e n . - In: HAHN, H./KAGELMANN, H . J. ( H r s g . ) : T o u r i s -
muspsychologie und Tourismussoziologie. Ein Handbuch zur Tourismuswissenschaft, München 1993, S. 539-541
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Anja Brittner
A.: Inszenierung als Mittel zur Angebotsprofilierung im Gesundheitstourismus sowie in Heilbädern und Kurorten - dargestellt am Beispiel des Rogner-Bad Blumau und weiteren rezenten Entwicklungen, Trier 1998 (unveröffentlichte Diplomarbeit Universität Trier) BRITTNER, A.: Inszenierung als Mittel zur Angebotsprofilierung im Gesundheitstourismus - das Rogner-Bad Blumau. - In: BECKER, Chr. (Hrsg.): Kurorte der Zukunft. Neue Ansätze durch Gesundheitstourismus, Internationale Kooperation, Gütesiegel Gesunde Region und Inszenierung im Tourismus, Trier 1999, S. 168-220 (Materialien zur Fremdenverkehrsgeographie; 49) DORINT AG: Dorint Hotels & Resorts, Mönchengladbach 1998 (Broschüre) FREYER, W.: Tourismus. Einführung in die Fremdenverkehrsökonomie, 5. vollständig überarbeitete u. erweiterte Auflage, München/Wien 1995 (Lehr- und Handbücher zu Tourismus, Verkehr und Freizeit) GOERLICH, B.: Dorint expandiert mit Rogner. - In: Touristik Aktuell, (18. März 1998), S. 18 HUNDERTWASSER, F. (Hrsg.): Hundertwasser. Architektur. Für ein natur- und menschengerechteres Bauen, Köln 1996 MÜLLER, C.: Reisen mit Herz und Seele. Oststeiermark mit angrenzendem Burgenland, Passau 1997 ROGNER INTERNATIONAL HOTELS & RESORTS: Preis- und Leistungsverzeichnis: Finde Dich Gesundheitspakete, Blumau 1997a (Folder) ROGNER INTERNATIONAL HOTELS & RESORTS: Die andere Medizin: Suche Dich Finde Dich, Blumau 1997b (Broschüre) ROGNER-BAD BLUMAU: Pressemitteilung April 1999, Blumau 1999 ROGNER, R.: Das Rogner-Thermendorf Bad Blumau - 'Der Garten Eden der grünen Mark'. - In: STEINECKE, A./TREINEN, M. (Hrsg.): Inszenierung im Tourismus. Trends - Modelle - Prognosen, Trier 1997, S. 129-133 (ETI-Studien; 3) TOURISMUSVERBAND STEIRISCHES THERMENLAND - REGION FÜRSTENFELD: Steirisches Thermenland. Region Fürstenfeld. Beherbergungsverzeichnis, Fürstenfeld o. J. UNGEFUG, H.-G.: Touristisches Marketing statt Kuranwendung.- Europäische Heilbäder werben mit neuen Ideen um ihre Kunden. - In: Fremdenverkehrswirtschaft International, (1998) 8, S. 79. WÖHLER, K./SARETZKI, A.: Tourismus ohne Raum - Preise und Plätze als Reiseentscheidungsdeterminanten. - In: STEINECKE, A. (Hrsg.): Der Tourismusmarkt von morgen - zwischen Preispolitik und Kultkonsum. 5. Europäisches Tourismus-Forum auf der Internationalen Tourismusbörse Berlin '96, Trier 1996, S. 26-38 (ETI-Texte; 10) BRITTNER,
http://www.ito.at http://www.rogner.com/Blumau/Blumau.html http://www.rogner.com/Blumau/app-verkauf.html
Rogner-Bad Blumau
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Die Autorin Anja Brittner Dipl.-Geographin; Studium der Fremdenverkehrsgeographie an der Universität Trier; wissenschaftliche Hilfskraft in der Literaturdokumentation Tourismus und Freizeit/Abteilung Fremdenverkehrsgeographie und wissenschaftliche Hilfskraft am Europäischen Tourismus Institut GmbH an der Universität Trier (ETI); seit WS 1998/99 wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Fremdenverkehrsgeographie an der Universität Trier.
DIE INSZENIERUNG DER INNENSTADT: DAS CENTRO IN DER NEUEN MITTE OBERHAUSEN Heinz-Dieter
Quack
Als der einmillionste Besucher im CentrO Oberhausen feierlich begrüßt wurde, lag die Eröffnung gerade neun Tage zurück: Das Projekt hat sich seit seiner Eröffnung am 12. September 1996 aus dem Stand heraus - mit durchschnittlich 70.000 Besuchern pro Tag - zu einem der attraktivsten Freizeitziele in Deutschland entwikk e l t ( v g l . CENTRO MANAGEMENT 1 9 9 8 ; UNTERREINER 1 9 9 8 ) .
Die in der Öffentlichkeit oft emotional geführte Diskussion über die Ausbreitung von Erlebnis- und Konsumwelten in Deutschland, die auch in Beiträgen in diesem Band reflektiert wird, steht offenbar in deutlichem Widerspruch zu den konkreten Wünschen und Bedürfnissen der Konsumenten: Diese zeigen - im Sinne einer Abstimmung mit den Füßen -, daß die neuen Angebotsformen ihren Ansprüchen an eine attraktive Freizeitgestaltung weitaus besser genügen als traditionelle Freizeiteinrichtungen. Der folgende Beitrag analysiert den Erfolg von Freizeit- und Konsumwelten am Beispiel des CentrO Oberhausen. Als zentrale Fragen des Beitrages werden hierbei gesehen: Welche Bestandteile kennzeichnen das CentrO? Welche Zielsetzung verfolgt das Projekt? Wie wird es von den Konsumenten beurteilt? Welche Auswirkungen auf das Versorgungs- und Freizeitverhalten der Bevölkerung lassen sich im Umfeld des CentrO erkennen?
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Hintergrund und Entstehung des Projektes: Die Neue Mitte Oberhausen'
Das im Herbst 1996 auf einer ehemaligen industriellen Brachfläche von 83 ha in der geographischen Mitte der Stadt Oberhausen eröffnete CentrO ist lediglich ein Teil des städtebaulichen Projektes Neue Mitte Oberhausen. Der Strukturwandel im Ruhrgebiet, von dem Oberhausen als eines der früheren Zentren der Kohle- und Stahlindustrie besonders stark betroffen war, hinterließ in der geographischen Mitte der Stadt eine industrielle Brachfläche von über 100 ha.
CentrO Oberhausen
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Nachdem auch weitere Betriebsschließungen im Kohle- und Stahlsektor in der Stadt absehbar waren, bemühte sich die Stadt Oberhausen um die Entwicklung mehrerer Konzepte zur Verbesserung der kommunalen Wirtschaftsstruktur. Die konzeptionellen Ziele waren: zukunftsorientierte wirtschaftliche Nutzung der entstandenen Brachfläche, Beschleunigung des wirtschaftlichen Strukturwandels, Schaffung neuer Arbeitsplätze sowie Förderung des baulichen Zusammenwachsens der bis dahin auch durch die Brachfläche getrennten drei Stadtteile Altoberhausen, Sterkrade und Osterfeld. Das Projekt Neue Mitte Oberhausen war zunächst ein primär politisches Schlagwort, für das jedoch im Rahmen städtebaulicher Ideenwettbewerbe mehrere Nutzungskonzepte entwickelt wurden. Projektreife erreichte schließlich der Vorschlag zweier britischer Unternehmen, die unter dem Begriff CentrO eine Anlage vorschlugen, die sich durch die Mischung unterschiedlicher Nutzungen für Einzelhandel, Dienstleistungen, Gewerbe, Wohnen, Kultur, Freizeit und Tourismus auszeichnete und somit eine neue - künstlich geschaffene - Stadtmitte vorsah.2 Obwohl die Konzeption im Widerspruch zu einigen einschlägigen planerischen Vorgaben der Landesregierung, wie beispielsweise dem Einzelhandelserlaß des Landes Nordrhein-Westfalen, stand, konnte eine Genehmigung unter Auflagen erreicht werden. Neben erheblichen Eigenmitteln der britischen Investoren wurden auch Strukturförderungsmittel der Stadt Oberhausen, des Landes NordrheinWestfalen und der Europäischen Union (Ziel 2-Gebiet) eingesetzt. Insgesamt besteht das Gesamtprojekt Neue Mitte Oberhausen aus zehn räumlich eng konzentrierten Maßnahmen, die sich innerhalb der benannten Brachfläche bzw. unmittelbar angrenzend befinden; dies sind (vgl. STADT OBERHAUSEN 1997 sowie weiterführende Darstellung in 3): der Umbau des Gasometers Oberhausen zu einer Ausstellungshalle mit Aussichtsplattform, die Sanierung und der Umbau des Oberhausener Schlosses zu einer Kunstgalerie, der Umbau des Stadions Niederrhein, die Errichtung und der kontinuierliche Ausbau des Technologiezentrums Umweltschutz, die Einrichtung mehrerer Gewerbe- und Wohnparks (Gesamtfläche 300.000 qm), die erhebliche Ausweitung des ÖPNV-Netzes, der Neubau einer bundesligatauglichen Tennisanlage, der CentrO-Komplex (vgl. ausführlich in 2), die Landesgartenschau Oberhausen (OLGA 99),
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das Unternehmen High Definition Oberhausen (HDO). Das Gesamtinvestitionsvolumen beträgt 2,3 Mrd. D M (vgl. STADT OBERHAUSEN
1997, S. 12f.). Zu den Auflagen, die im Zusammenhang mit der Genehmigung durch das Land Nordrhein-Westfalen von der Stadt zu erfüllen und zu finanzieren waren, gehörten beispielsweise: bauliche Aufwertung der drei bestehenden Stadtteilzentren (z. B. Neueinrichtung bzw. Verlängerung bestehender Fußgängerzonen, Stadtmöblierung), Maßnahmen zur Angebotserweiterung in den Stadtteilzentren (z. B. Einrichtung zusätzlicher Markttage, Gründung einer City-Marketing-Agentur für Altoberhausen, kommunal geförderte Stadtteilfeste und verkaufsoffene Sonntage), erhebliche Ausweitung des ÖPNV-Netzes im Stadtgebiet (z. B. Wiedereinführung der Straßenbahn, Schaffung einer eigenen kreuzungsfreien ÖPNVTrasse, Anbindung der eigens errichteten ÖV-Haltestelle Neue Mitte im 90Sekunden-Takt), Übernahme der Erschließungskosten der Neuen Mitte, Ausbau von Zubringerstraßen, Verbreiterung der nahegelegenen Autobahnausfahrten etc., Sanierung und ständige finanzielle Förderung kultureller Attraktionen (z. B. Gasometer, Schloß Oberhausen, Siedlung und Museum Eisenheim) sowie wissenschaftliche Begleitung des Projektes zur Ermittlung der Veränderung des Versorgungs- und Freizeitverhaltens der Einwohner Oberhausens (gefördert im Rahmen des ExWOST-Forschungsfeldes Zentren) (vgl. hierzu QUACK/WACHOWIAK 1 9 9 7 u n d 1 9 9 9 ) .
Das CentrO ist damit lediglich eines von mehreren Projekten im Rahmen der Entwicklung der Neuen Mitte Oberhausen. Es ist allerdings das erste weitgehend fertiggestellte Vorhaben. Bedeutsam ist die Differenzierung in Bestandteile des CentrO einerseits und weitere Projekte im Rahmen der Neuen Mitte andererseits besonders hinsichtlich der unterschiedlichen Projektträger und der sich damit ergebenden verschiedenen Möglichkeiten und Strategien der einheitlichen Vermarktung, der Vernetzung einzelner Angebotsformen sowie der unterschiedlichen Orientierung an übergeordneten städtebaulichen Zielsetzungen.
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Bestandteile des CentrO
Das CentrO zeichnet sich durch einen umfangreichen Mix verschiedener Freizeitangebote aus. Im einzelnen umfaßt der Komplex folgende Einrichtungen:
CentrO
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eine Shopping Mall mit 200 Einzelhandelsgeschäften und einer Nettoverkaufsfläche von 70.000 qm sowie integriertem Gastronomiebereich, eine außenorientierten ,gastronomischen Meile' (Promenade) mit mehr als 20 themenorientierten Gastronomiebetrieben (z. B. Planet Hollywood) und künstlichen Wasserflächen, ein Multiplex-Kino mit neun Leinwänden, einen Freizeitpark mit familienorientierten Angeboten auf einer Fläche von 80.000 qm, die Arena, eine multifunktionalen Veranstaltungshalle mit 11.500 Sitzplätzen, 10.500 kostenlose Parkplätze mit neugeschaffenen Zubringerstraßen (einschließlich Autobahnausfahrt) und einer eigens geschaffenen ÖPNV-Anbindung, einen Business Park mit 140.000 qm Fläche sowie ein Hotel mit 140 Betten (vgl. http://www.centro.de).
Abb. 1: Der CentrO-Komplex - Blick auf die ,gastronomische Meile' mit Themenrestaurants, Kneipen und Pubs (Quelle: Archiv Probst)
Unmittelbar an das Gelände angrenzend befinden sich (teilweise auf weiteren ehemaligen Brachflächen) die bereits erwähnten, ergänzenden Bestandteile der Neuen Mitte Oberhausen. Darüber hinaus sind auf derzeit noch vorhandenen Reserveflächen des Komplexes selbst in Planung bzw. bereits im Bau:
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eine Marina, bestehend aus einem Sportboothafen mit Anschluß zum RheinHerne-Kanal, einem Wohnkomplex mit 300 Wohneinheiten sowie einem erlebnisorientierten Meerwasseraquarium, eine Fertighausausstellung auf 84.000 qm Fläche, ein Tagungs- und Kongreßhotel und ein Musicaltheater, in dem ab Ende 1999 die Aufführung des Musicals ,Tab a l u g a & L i l i ' v o r g e s e h e n ist (vgl. CENTRO MANAGEMENT 1998).
Ende 1997 sind, angrenzend an das CentrO-Gelände, weitere umfangreiche Flächen brachgefallen, für die derzeit weitere freizeit- und erlebnisorientierte Nutzungskonzepte erarbeitet werden.
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Konzept und Zielsetzung des Projektes
Das von der eigens gegründeten CentrO Management GmbH zentral verwaltete und vermietete Areal basiert auf einem geschlossenen Konzept Ziel ist es, einem Besucher möglichst all das an Einkaufs-, Vergnügungs-, Freizeit- und Kulturangeboten auf dem eigenen Gelände zu bieten, was er im Laufe eines Besuchstages in Anspruch zu nehmen wünscht. Ein Verlassen des Geländes zum Aufsuchen weiterer Freizeiteinrichtungen soll nicht erforderlich sein. Dementsprechend liegt der Schwerpunkt des Managements der Anlage weniger in der Ausgestaltung der übergeordneten städtebaulichen Zielsetzungen der Neuen Mitte Oberhausen (vgl. 1), sondern vielmehr in der einheitlichen Vermarktung durch Vernetzung der Einzelangebote. Das CentrO ermöglicht im vorgesehenen Ausbaustand die räumlich eng konzentrierte Inanspruchnahme sämtlicher Daseinsgrundfunktionen (vgl. Abb. 2). Mit dem CentrO wird also versucht, eine idealtypische Innenstadt nachzubilden mit ihrem umfangreichen Angebot an Versorgungs-, Freizeit- und Kultureinrichtungen sowie an Kommunikations-, Beschäftigungs- und auch Wohnmöglichkeiten. Im Gegensatz zu einem traditionell gewachsenen Innenstadtbereich verfügt das CentrO zudem durch die vollständige Überdachung der Shopping Mall über Wetterunabhängigkeit, die zentrale Vermietung über einen idealtypischen Branchen- und Angebotsmix, über einheitliche Ladenöffnungszeiten sowie den Vorteil einer einheitlichen Vermarktung, den Charakter des Privatgeländes über das Hausrecht: Die hauseigene Sicherheitstruppe bewacht das Areal und behält sich das Hausrecht in jedem Einzelfall vor (Ausschluß von Bettlern und Hausierern).
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