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German Pages [132] Year 1966
HYPOMNEMATA H E F T 16
HYPOMNEMATA U N T E R S U C H U N G E N ZUR A N T I K E UND ZU IHREM NACHLEBEN
Herausgegeben von Albrecht Dihle / Hartmut Erbse Wolf-Hartmut Friedrich / Christian Habicht Bruno Snell
Heft 16
V A N D E N H O E C K & R U P R E C H T IN GÖTTINGEN
WILHELM KIERDORF
Erlebnis und Darstellung der Perserkriege Studien zu Simonides, Pindar, Aischylos und den attischen Rednern
V A N D E N H O E C K & R U P R E C H T IN GÖTTINGEN
Library of Congress Catalog Card Number 60—21573
Gedruckt mit Unterstützung der Stiftung Volkswagenwerk © Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen 1966.—Printed in Germany. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf foto- oder akustomechanischem Wege zu vervielfältigen. — Herstellung: Hubert & Co., Göttingen 8457
MEINEN ELTERN
Vorwort Diese Arbeit hat in ihrer ursprünglichen Form der philosophischen Fakultät der Universität Köln im Februar 1963 als Dissertation vorgelegen. Sie ist seitdem nicht unwesentlich überarbeitet worden. Herrn Prof. R. Schröter, der das Entstehen der Arbeit in allen Stadien mit wohlwollender Anteilnahme begleitet und durch seine stets wache und lehrreiche Kritik mitgeprägt hat, möchte ich meinen besonderen Dank aussprechen. Dank schulde ich auch all denen, die bei verschiedenen Gelegenheiten durch ihre kritischen Hinweise die Arbeit gefördert haben: Die Herausgeber der „Hypomnemata" sowie Prof. Α. E. Raubitschek und Dr. D. Korzeniewski haben das Manuskript gelesen und mir ihre Notizen zur Verfügimg gestellt ; Prof. H. Herter und Dr. D. W. Bradeen waren mir mit Auskünften behilflich. Es ist selbstverständlich, daß alle verbleibenden Irrtümer und Unzulänglichkeiten allein mir zur Last fallen. Ein beträchtlicher Druckkostenzuschuß aus den Mitteln der Stiftung Volkswagenwerk hat die Veröffentlichung der Arbeit in dieser Reihe ermöglicht; auch dafür habe ich zu danken. Köln, im Januar 1966
W. K.
Inhaltsübersicht Zielsetzung I. Erlebnis und Zeugnis bei Simonides und Pindar
11 13
a) Direktes und indirektes Zeugnis
13
b) Interpretationen zu Simonides und Pindar 1. Simonides 2. Pindar
16 16 29
c) Vergleich und Auswertung
43
II. Erlebnis und Deutung in Aischylos' „Persern"
48
a) Ort und Zeit
50
b) Erlebnis und Deutung 1. Veränderungen des historischen Sachverhalts a') Rolle des Chors b') Rolle des Dareios c') Rolle der Atossa
57 67 57 60 62
2. Das Eindringen der historischen Fakten a') Botenbericht b') Xerxesbild III. Erlebnis und Propaganda im Tatenkatalog attischer Reden a) Die Anfänge des λόγος έπιτάφιος 1. Die äußeren Zeugnisse 2. Die inneren Kriterien b) Aufbau und Tendenz des Tatenkatalogs 1. Die Athenerrede bei Herodot 2. Die Athenerrede bei Thukydides
64 65 73 83 84 85 89 95 97 100
Rückblick und Ausblick
111
Anhang : Zum Stil des Aischylos
116
Literaturverzeichnis
120
Stellenregister
124
Zielsetzung Die vorliegende Untersuchung hat im weitesten Sinne die P e r s e r k r i e g e zu ihrem Gegenstand, doch geht es ihr nicht um den Entwurf eines umfassenden Bildes des historischen Geschehens selbst \ sondern um die philologische Betrachtung der D a r s t e l l u n g der geschichtlichen Ereignisse in der zeitgenössischen griechischen Literatur. Das Ereignis, das über den Bestand Griechenlands, wenn nicht gar Europas, entschied, ist ja nicht ohne literarisches Echo geblieben; die Kämpfe des kleinen griechischen Aufgebots gegen die gewaltigen Invasionsheere aus dem Osten haben bei verschiedenen Dichtern und Schriftstellern, in verschiedenen literarischen Gattungen ihren Niederschlag gefunden. Jene Gestaltungsversuche werden nicht alle in dieser Untersuchung behandelt, weil vollständige Erfassung der Zeugnisse den Umfang der Arbeit zu sehr vergrößert hätte. Andererseits ging es darum, den Gegenstand in einer von der Sache her begründeten Form einzuschränken: ich behandle nur solche literarischen Zeugnisse, die mit Sicherheit von einem zeitgenössischen E r l e b n i s der Perserkriege ihren Ausgang nehmen. Ausscheiden mußten daher aus der Betrachtung der Nomos Πέρσαι des Timotheos von Milet und das Epos des Samiers Choirilos über den Perserkrieg, von dem uns im übrigen nur einige spärliche Zitate Kenntnis geben. Beiseite bleiben mußte auch die Darstellung der Perserkriege im zweiten Teil des herodoteischen Geschichtswerkes, obwohl gerade deren Untersuchung reizvoll und auch vertretbar gewesen wäre : reizvoll, insofern bei Herodot das Verhältnis von Stoff und Darstellung auf weite Strecken hin noch nicht untersucht ist 2 ; vertretbar, weil Herodot zwar nicht selbst, wohl aber ein großer Teil seiner Gewährsleute das Kriegsgeschehen aus nächster Nähe miterlebt hat. Gerade in dieser Richtung schien mir jedoch eine Beschränkung des Arbeitsfeldes unumgänglich, da die Untersuchung der Frage bei Herodot eine eigene Arbeit rechtfertigt. 1
In dieser Hinsicht vgl. O. B. Grundy, The Great Persian War and its Preliminaries, London 1901 ; neuerdings A. JR. Bum, Persia and the Greeks, London 1962 und G. Hignett, Xerxes' Invasion of Greece, Oxford 1963. 2 Eine solide Grundlage für weitere Arbeiten bietet jetzt G. Gottlieb, Das Verhältnis der außerherodoteischen Überlieferung zu Herodot, untersucht an historischen Stoffen aus der griechischen Geschichte, Bonn 1963.
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Zielsetzung
Wenn ich nur die Werke derjenigen Autoren betrachte, die persönlich die Perserkriege erlebt haben, fasse ich den Begriff „Erlebnis" in diesem Zusammenhang möglichst versachlicht als Erfahrung (expérience), nicht als Gefühlsreaktion (sentiment). Man kann dann ohne Scheu statt nach dem Inhalt des Erlebnisses nach dem historischen Vorgang selbst fragen, indem man diese Phänomene annäherungsweise einander gleichsetzt. Die Gefühlsreaktion braucht deswegen nicht völlig aus dem Bereich unserer Fragen ausgeschlossen zu werden; sie begegnet uns zuweilen bei der Untersuchung zwar nicht des Erlebnisses, aber der Darstellung des Geschehens, wo sie uns dann beschäftigen wird. Die Wahl des Titels rechtfertigt sich freilich nicht nur dadurch, daß die Kategorie „Erlebnis" den Bereich der Untersuchung einschränkt, sondern hat Bedeutung für das Verfahren dieser Arbeit überhaupt. Angelpunkt der Betrachtungen ist immer wieder die fruchtbare Spannung zwischen Erlebnis und literarischer Form. Dieser Gegenstand übt hier besondere Anziehungskraft aus, da es um das Erlebnis einer großen geschichtlichen Stunde geht, die wir durch die Gunst der Überlieferung noch recht gut zu erkennen vermögen. Die Auswirkungen der genannten Spannung sollen vor allem stets von neuem durch Befragung der Texte und besonders durch zusammenhängende, wenn auch im Sinne unserer Fragestellung auswählende Text-Interpretation verfolgt werden, deren Ergebnisse dann in den größeren Zusammenhang eingeordnet werden. Die Untersuchung gliedert sich in drei Teile, deren einer einige Gedichte der Chorlyriker Pindar und Simonides behandelt, deren zweiter sich vornehmlich den „Persern" des Aischylos widmet, deren letzter endlich den Tatenkatalog attischer Reden bis in die Frühzeit seiner Entstehung zurückverfolgt. Diese Teile stehen fast gana unabhängig voneinander; was jeweils gesondert in seiner Eigenart hervorgetreten ist, soll abschließend in einer synkritischen Betrachtung zusammengestellt und verglichen werden. Ich verspreche mir davon vor allem einen Einblick in die Art und Weise, wie das gleiche Erlebnis durch die Unterschiede der Gattungen, aber auch durch die unterschiedliche Veranlagung und Blickweise der Autoren mannigfaltig ausgestaltet wird. Die Namen der Zeitschriften sind entsprechend den Gepflogenheiten des „Gnomon" abgekürzt. Alle mehr als einmal zitierten Titel der Sekundärliteratur sind im Literaturverzeichnis am Schluß der Arbeit nachgewiesen.
I. Erlebnis und Zeugnis bei Simonides und Pindar a) Direktes und indirektes Zeugnis Die Griechen des Mutterlandes hatten sich durch ihre Mitwirkung beim jonischen Aufstand den persischen Herrschern unangenehm in Erinnerung gebracht. Eretria und Athen verdienten nach persischer Überzeugung Strafe für ihre Teilnahme am Angriff auf Sardes, bei dem die Stadt zerstört und unter anderem auch das Heiligtum der Kybele niedergebrannt wurde (Hdt. 5,101—102 und der Rückverweis 6,101, 3). So legten es denn Dareios und nach dessen Tod sein Sohn und Nachfolger Xerxes in mehreren Versuchen darauf an, die Schmach von Sardes wettzumachen. Diese Versuche waren freilich teilweise nicht allein darauf gerichtet, die schuldigen πόλεις Eretria und Athen zu züchtigen, sondern verbanden mit diesem Ziel die Absicht einer Unterwerfung ganz Griechenlands. Nachdem das aufständische Jonien unterworfen war, wurde zunächst im Jahre 492 der junge General Mardonios mit gemeinsam operierenden Land- und Seestreitkräften nach Europa gesandt; er mußte allerdings vorzeitig zurückkehren, da seine Flotte in einem Sturm am Athos schwere Verluste erlitt und dem Landheer thrakische Stämme sehr zu schaffen machten 1 . Im Jahre 490 wurden dann Datis und Artaphrenes damit beauftragt, an der Spitze einer Flotte von Kriegs- und Transportschiffen erneut den Versuch zu unternehmen, die schuldigen Griechenstädte zu züchtigen und die Einwohner in die Sklaverei zu bringen. Obwohl dieser Zug für den modernen Betrachter in allem das Gepräge eines reinen Vergeltungskrieges gegen Eretria und Athen trägt, mutmaßt Herodot (6, 94, 1), daß unter diesem Vorwand gleichzeitig alle jene Griechen unterworfen werden sollten, die den Persern nicht Erde und Wasser gegeben hatten. Mag das auch an der historischen Wahrheit vorbeigehen, so dürfen wir vielleicht doch daraus auf die Befürchtungen der Griechen zu jener Zeit schließen. Diese 1 Hdt. 6,43 ff. Herodot unterscheidet 6,44,1 ausdrücklich zwischen dem πρόσχημα und den anderen Zielen des Zuges. Daß die Expedition über Thrakien hinausgehen sollte, aber mißlang, hat erst jüngst H. U.Instinsky, Herodot und der erste Zug des Mardonios gegen Griechenland, Hermes 84 (1956), S. 477ff., erneut wahrscheinlich gemacht; vgl. jetzt auch K. Kraft, Bemerkungen zu den Perserkriegen, Hermes 92 (1964), S. 144ff., hier S. 151f.; V.Martin, La politique des Achéménides, Mus Helv 22 (1965), S. 38ff., hier S. 43.
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I. Erlebnis und Zeugnis bei Simonides und Pindar
Auffassung wird, wie es scheint, gestützt durch das Gebet an Apollo um Errettung der Stadt Megara vor den Medern (Theogn. 773ff. D.), das Highbarger1 mit einiger Wahrscheinlichkeit ins Jahr 490 datiert hat. Die Perser eroberten und verwüsteten Eretria, mußten sich aber in der Schlacht bei Marathon den Athenern beugen. Danach dauerte es zehn Jahre, bis Xerxes im Jahre 480 in einem wohlvorbereiteten und klug organisierten Reichsfeldzug zu Wasser und zu Land mit riesigen Heeresmassen nach Griechenland kam. Den unmittelbaren Eindruck, der durch dieses über alles Menschenmaß hinausgehende Aufgebot hervorgerufen wurde, gibt recht deutlich das von Herodot (7, 56,2) erwähnte Diktum eines Hellespontiers wieder: Xerxes führt „alle Menschen" mit sich und kann eigentlich nur eine Verkleidung sein, in der sich Zeus selbst verbirgt. Die Vernichtung von Hellas scheint dem naiven Betrachter angesichts einer solchen Bedrohung ganz unvermeidlich. Noch unumgänglicher hätte sie eigentlich denen erscheinen müssen, die die heranrückende Gefahr zunächst nur in der übertreibenden Verzerrung des Gerüchts kennenlernten. Andererseits dürfen wir annehmen, daß auch die Kämpfe in Griechenland, obwohl sie die Vorstellungen über den Gegner in wirklichkeitsnahere Bahnen gelenkt haben werden, in anderer Weise ein überwältigendes Erlebnis für die Teilnehmer gewesen sind. Das gesamte historische Geschehen muß die wachen und schöpferischen Kräfte Griechenlands zur geistigen Verarbeitung, zum Überdenken, Verstehen und Deuten aufgerufen haben. Es ist nicht erstaunlich, daß wir in den Werken der Dichter, die diese Ereignisse als Zeitgenossen miterlebten und miterlitten, Spuren und Zeugnisse dieses Erlebnisses finden können, auch wenn die Werke nicht wie des Aischylos „Perser" Teile des historischen Geschehens direkt und ausschließlich zu ihrem Gegenstand machen. Zeugnisse dieser Art über die Perserkriege können, grundsätzlich gesehen, in zweierlei Form vorhanden sein, einmal so, daß allein der Erlebnisextrakt, die allgemeinen Erfahrungen, die im Erlebnis der bestimmten Situation gewonnen wurden, in das dichterische Schaffen einfließen, zum anderen so, daß die konkrete Situation selbst in die Dichtung eingeht. Da Zeugnisse der ersten Art sich meist nicht mit Gewißheit nachweisen lassen, werde ich mich bei meiner Untersuchung auf die zweite Gruppe beschränken, möchte jedoch zuvor wenigstens zwei Beispiele für die erste Möglichkeit kurz anführen. Aischylos hat in seinem „Agamemnon" den Herold in der zweiten Rhesis ( W . 55 Iff.) ein realistisches Bild der Strapazen des griechi1
E. L. Highbarger, Theognis and the Persian Wars, TAPhA 68 (1937), S. 88ff., hier S. 99ff. — Sicherheit in der Datierung des Textes läßt sich wohl kaum gewinnen. Der Versuch von Burn, Persia and the Greeks, London 1962, S. 170, diese Verse auf die Situation vor 500 zu beziehen, leuchtet mir indessen nicht ein.
Direktes und indirektes Zeugnis
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sehen Heeres vor Troja entwerfen lassen und hat es angesichts dieses unheroischen Gegenstandes auch nicht verschmäht, den Stil dem Charakter anzupassen. Der Kommentar von Denniston und Page1 vermerkt dazu, daß diese Darstellung eine bemerkenswerte Ausnahme von der Regel ist, daß Kriegsbeschreibungen in der griechischen Tragödie und auch sonst recht konventionell zu sein pflegen. Es hat denn auch nicht an Stimmen gefehlt, die diesen ungewöhnlichen Realismus mit dem Kriegserleben des Dichters und seiner Zeitgenossen in Zusammenhang gebracht haben 2 . Das ist zwar einleuchtend, doch läßt es sich keinesfalls nachweisen, daß diese Formimg des Stoffes mit Sicherheit gerade in dem Erlebnis der Perserkriege wurzelt. An einer zweiten Stelle des „Agamemnon" läßt sich größere Gewißheit erlangen. Zwischen den Versen Ag. 527 und Pers. 811 des Aischylos besteht eine so große Ähnlichkeit, daß man nur an ein Selbstzitat des Dichters denken kann 3 . Der Herold berichtet unbekümmert, daß die Griechen bei der Zerstörung Trojas auch die Heiligtümer vernichtet haben, bestätigt damit die Befürchtungen Klytaimnestras ( W . 338ÍF.) und spielt durch das Zitat auf das Geschehen während der Perserkriege an. Für das griechische Urteil über ein solches Sakrileg ist das Themistokles-Wort bei Hdt. 8, 109,3 bezeichnend. Xerxes und die Perser lebten noch lange in der Erinnerung der Griechen als die gottlosen Tempelschänder 4 . Man darf ziemlich sicher sein, daß hier der Dichter das Vergehen und demzufolge die Gefährdimg der Griechen vor Troja in Analogie zu Frevel und Katastrophe der Perser verstanden hat, die er selbst zwei Jahrzehnte zuvor miterlebt hatte. 1 Aeschylus, Agamemnon, ed. by the late J. D. Denniston and D. Page, Oxford 1957, S. XXXIII. 2 Κ. Reinhardt, Aischylos als Regisseur und Theologe, Bern 1949, S. 81, nennt den Herold einen „Heimkehrer mit zeitgenössischem Erleben"; vgl. Aeschylus, Agamemnon, ed. with a commentary by E. Fraenhél, Oxford 1950, vol. II, S. 279 ad V. 555, S. 282 ad V. 559ff„ S. 294. 3 Für eine Tilgung des Verses, wie sie Fraenkel vorschlägt, scheint es mir keine hinreichende Begründung zu geben; vgl. Murray, app. crit. ad Ag. 527; H. D. F. Kitto, Form and Meaning in Drama, London 2 1964, S. 15ff. ; Denniston/ Page, ad V. 527; P.-R. Schulz, Göttliches und menschliches Handeln bei Aischylos, Diss. Kiel 1962, S. 62f. m. Anm. 1. 4 Vgl. Isokr. Paneg. 155; Polyb. 5,10,8; Paus. 1,16,3. Wie mir Herr Prof. Dr. A. E. Raubitschek gütig mitteilt, verdient es in diesem Zusammenhang Erwähnung, daß die Griechen sich in dem Eid, den sie angeblich vor der Schlacht von Platää schworen, verpflichteten, die von den Persern zerstörten Heiligtümer nicht wiederherzustellen, sondern künftigen Generationen als Mahnmal zu hinterlassen (Lyc. c. Leocr. 81; Diod. Sic. 11,29,3; fast wörtlich dasselbe von den Joniern Isokr. Paneg. 156; in der uns inschriftlich überkommenen Fassung des Eides von Platää, GHI II 204,22 ff. Tod, fehlt freilich ein entsprechender Passus ; Kenntnis des angeblichen Beschlusses der Griechen noch bei Cie. derep. 3,15 und Paus. 10,35,2).
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I. Erlebnis und Zeugnis bei Simonides und Pindar
Wir können nach diesem kurzen Seitenblick nun misere Aufmerksamkeit denjenigen Werken widmen, in denen sich das Erlebnis der Perserkriege direkt bezeugt, d.h. in denen konkrete Situationen dieses Ereignisses Gestalt gewinnen. Neben einigen zeitgenössischen Epigrammen von unbekannter Hand, die hier beiseite bleiben sollen, gehören hierher vor allem einige Gedichte und Fragmente der Chorlyriker Simonides und Pindar. Es wird geraten sein, zunächst die auf die Perserkriege sich beziehenden Werke der beiden Dichter gesondert und, soweit es zu erkennen ist, in chronologischer Reihenfolge zu interpretieren, um dann eine vergleichende Betrachtung anzuschließen. Bei der Interpretation wird es unsere vornehmste Frage sein, wie das Erlebnis des historischen Geschehens je im Einzelfall in der vom Genos und von der Eigenart des Dichters bedingten Form Gestalt wird.
b) Interpretationen zu Simonides und Pindar 1. Simonides Als Datis und Artaphrenes ihre Truppen gegen Eretria und Athen führten, lebte in Athen in der Umgebung des Themistokles Simonides von Keos, ein Meister der Chorlyrik, der bereits unter den Tyrannen in Athen gewirkt, aber nach deren Vertreibung sich eine Zeitlang in Thessalien aufgehalten hatte. Während Aischylos nach übereinstimmendem Zeugnis unserer biographischen Quellen 1 als Hoplit in der Schlacht von Marathon mitkämpfte, war Simonides damals schon zu alt (geb. ca. 556) ; als es aber darum ging, ein έλεγεΐον2 auf die in der 1 Marm. Par., ep. 48; Vita Aesch. §4 und das Grabepigramm, ebd. § 11; Suda, θ. ν. Αίσχύλος. 2 Man hat meist ohne Vorbehalte von einer Elegie gesprochen (mit berechtigter Vorsicht jetzt A. Lesley, Geschichte der griechischen Literatur, 2 1963, S. 214 „Gedicht im elegischen Maße"). Während aber Ιλεγος relativ früh die Bedeutung „Klagelied, Threnos"hat (vgl. Eur. Tro. 119; Iph. Taur. 146. 1091; Hei. 185; Aristoph. Av. 218), bezeichnet έλεγεΐον im Singular das Distichon (vgl. z.B. Thuk. 1,132,2—3) oder auch eine Mehrzahl von Distichen, die ein Epigramm bilden (vgl. Diod. Sic. 11,14,4; Plut. Them. 8,5); über den Charakter des Zitats bei Dion. Hal. 1,49,2 ist keine volle Sicherheit zu gewinnen. Da auch der Scholiast, der das hier in Frage stehende Fragment zitiert, das ganze Gedicht als επίγραμμα bezeichnet, müssen wir in Betracht ziehen, ob wir es nicht mit einem einfachen distichischen Epigramm zu tun haben. Für eine „Elegie" (im Sinne unserer literaturwissenschaftlichen Kategorien) spricht freilich die Hervorhebung des συμπαθές in der Vita des Aischylos und der paränetische Ton der erhaltenen Zeile. Wir müßten dann annehmen, daß έλεγεΐον allein die distichische Form des Werkes bezeichnet ohne Rücksicht auf die poetische Gattung und daß auch έπίγραμμα bei dem zitierenden Scholiasten sehr unscharf aufgefaßt ist.
Interpretationen zu Simonidea
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Schlacht gefallenen Athener zu dichten, da soll Simonides Aischylos durch die Zartheit des Mitfühlens übertroffen haben1. Wenn wir uns auf den Scholiasten zu Gregor von Nazianz verlassen dürfen,so ist uns aus diesem Gedicht einHexameter erhalten (fr. 63D.) 2 : „Gott ist es eigen, nichts zu verfehlen und alles richtig zu machen." μηδέν άμαρτεΐν έστι θ-εοΰ και πάντα κατορ&οΰν
Der Zusammenhang kann mit Η. Frankel3 entsprechend dem berühmten fr. 4 D. (542 P.) ergänzt werden : Nur Gott ist das uneingeschränkte Gelingen eigen; der Mensch darf froh sein, wenn ihm überhaupt ein Erfolg zuteil wird, und muß in der Regel einen Preis dafür bezahlen. Der Sieg in der Schlacht ist ein Ausgleich für den Verlust der darin gefallenen Bürger4. Die Trostworte dringen hier ähnlich in die Klage ein wie bei Archilochos (fr. 7D.). Doch während Archilochos sich männlich oder vielleicht richtiger: trotzig aufrafft im Gedanken daran, daß das Leben weitergeht, schlägt Simonides in der Paränese einen weicheren, wehmütigeren Ton an, indem er daran erinnert, wie hoffnungslos schwach und dem Tage ausgeliefert die Menschen sind. Das am besten bezeugte5 unter den zahlreichen Epigrammen, die dem Simonides in der Antike zugesprochen wurden, ist die Grabschrift 1
Noch Dionysios von Halikarnassos hebt an Simonides die Fähigkeit des παθητικώς οίκτίζεσθαι als vorbildlich hervor (de imit. 2,2,6). 2 Wörtlich derselbe findet sich in dem Epigramm auf die Gefallenen von Chaironeia bei Demosth. 18,289, dessen Echtheit umstritten ist; Demosthenes zitiert § 290 den Vers ohne Autoren-Angabe. — Viele haben in dem ersten der sogenannten ,,Marathon"-Epigramme das fragliche Werk des Simonides erkennen wollen (Nachweise bequem in SEG X 404), obwohl der namentlich daraus zitierte Vers (s.o.) nicht mit der Inschrift in Einklang gebracht werden kann; die Hypothese ist, wie mir scheint, völlig unhaltbar geworden, nachdem B. D. Meriti vor wenigen Jahren das Stück einer Kopie der Inschrift veröffentlicht hat, wonach das erste Epigramm höchstwahrscheinlich nicht Marathon, sondern Salamis betrifft (vgl. SEG XVI 22 und zuletzt SEG X I X 38). 3 H. Frankel, Dichtung und Philosophie des frühen Griechentums, München 2 1962, S. 363. 4 Noch zum Schluß der Schlacht, beim Kampf an den Schiffen, kamen bekanntlich viele namhafte Athener, darunter der Polemarch Kallimachos, ums Leben (Hdt. 6,114). — Im Ethos unserer Stelle ganz ähnlich ist ein Kernsatz aus dem paramythetischen Teil der Leichenrede in Piatons Menexenos (247 d 6f.) : πάντα δέ ού ράδιον θνητω άνδρΐ κατά νουν έν τω έαυτοϋ βίω έκβαίνειν. 5 Das Epigramm auf die im Perserkrieg gefallenen Megarer ([Simon.] fr. 96 D. ; G H I I 20 Tod) wird zwar durch eine Inschrift Simonides zugeschrieben, doch entstammt diese Inschrift erst später nachchristlicher Zeit ; die Zuweisung muß daher als ebenso fragwürdig erscheinen wie die Zuschreibungen der Anthologie, zumal sowohl Text als auch Autoren-Angabe wohl aus literarischer Überlieferung in die Inschrift übernommen worden sind; v g l . M . Boas, De epigrammatis Simonideis, Diss. Amsterdam, Groningen 1905, S. 78f.; Η. Τ. Wade-Gery, J H S 53 (1933), S. 96. 2 8457 Kierdorf (Hyp. 16)
I. Erlebnis und Zeugnis bei Simonides und Pindar
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für den Seher Megistias (fr. 83 D.), der im Kampfan den Thermopylen den Tod fand 1 . Μνήμα τόδε κλεινοΐο Μεγιστία, ßv ποτε Μήδοι Σπερχειόν ποταμόν κτεΐναν άμειψάμενοι, μάντιος, δς τότε Κήρας έπερχομένας σάφα ε ιδώ ς ουκ ετλη Σπάρτης ηγεμόνας προλιπεΐν.
Wie Herodot sagt, hat Simonides das Epigramm angefertigt wegen des Gastverhältnisses (ξεινίη), das ihn mit dem Seher verband. Das erste der beiden Distichen könnte ohne weiteres für sich allein stehen ; es ist völlig abgerundet und enthält die für ein Grabepigramm gebräuchlichen Angaben 2 . Als Hinweis auf das Grab ist τόδε μνήμα neben dem überwiegenden τόδε σήμα gebräuchlich (Friedländer, No. 7, 8, 29, 137 ; dazu Peek, 84—86, 95, 96, 98) 3 ; davon hängt wie auch sonst oft der Name in der Genitiv-Form ab, näher charakterisiert durch das Adjektiv κλεινός, das zu betonen scheint, daß Megistias allgemein rühmlich bekannt ist; ein Relativsatz berichtet wie auch sonst mehrmals (Friedländer, No. 2, 64, 70, 82; dazu Peek, 69, 80, 114, 116 4 ) über die näheren Umstände des Todes, ποτέ bei dem Relativpronomen scheint mir nicht so sehr den zeitlichen Abstand zwischen der Errichtung des Grabmals und dem Tod des Bestatteten zu bezeichnen, obwohl er in diesem Fall zweifellos bestanden hat, als vielmehr den Abstand vorsorglich einzurechnen, der den späteren Leser der Inschrift einmal von dem Toten trennen wird 5 . Da der Spercheios durch die malische Ebene 1
Herodot, der uns 7,228,3—4 das Gedicht überliefert und es schon für Simonides in Anspruch nimmt, h a t auch, über Megistias' Verhalten kurz berichtet (7,221). Die Anthologie (Α. P. 7,677) schöpft offenbar aus Herodot. 2 Ich vergleiche: EPIGRAMMATA. Greek Inscriptions in verse, from the beginnings to the Persian wars, by P. Friedländer with the collaboration of Η. B. Hoffleit, Berkeley u. Los Angeles 1948 (kurz: Friedländer) und Griechische Versinschriften, hrsg. v. W. Peek, Bd. I Grabepigramme, Berlin 1955 (kurz: Peek). 3 Zur Semasiologie der Grabbezeichnungen vgl. F. Eichler, Σήμα und μνήμα in älteren griechischen Grabinschriften, AM 39 (1914), S. 138ff., und neuerdings G. Pfohl, Untersuchungen über die attischen Grabinschriften, Diss. Erlangen 1953, S. 96ff. 4 Ganz ähnlich in den dem Grabepigramm nah verwandten Worten II. H 89f. 6 Η. T. Wade-Gery, Classical epigrams and epitaphs, J H S 53 (1933), S. 71ff., hat nachzuweisen versucht, daß ποτέ hier ausnahmsweise in einem Grabepigramm steht, weil zwischen dem Tod der Thermopylenkämpfer und der Aufrichtung der Grabmonumente geraume Zeit vergangen ist. Wade-Gery glaubt annehmen zu dürfen, daß der Epigramm-Dichter stets seine eigene Gegenwart als Fixpunkt ansetzt und nicht die Selbstvorstellung des Steins in die Zukunft projiziert (S. 77 m. Anm. 23 !) ; er liest daher in jedem ποτέ ein „seinerzeit" oder „früher einmal", vom Dichter aus gesehen. Dem ist entgegenzuhalten: a) Das Megistias-Epigramm steht in der genannten Hinsicht nicht so einzig da, wie Wade-Gery zu meinen scheint. Ich verweise nur auf die Steinepigramme bei Friedländer, No. 70 und 82 ; das ist nicht so wenig, wie es auf den ersten Blick
Interpretationen, zu Simonides
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ins Meer fließt (Hdt. 7,198,2), durch die Ebene also, in der sich das persische Heer aufhielt, ehe es den Angriff auf die Thermopylen-Stellung durchführte, wird durch Σπερχεών ποταμον . . . άμειψάμενοι von Simonides hinreichend deutlich gemacht, daß Megistias im Kampf an den Thermopylen fiel1. Das erste Distichon, das man also paraphrasierend wiedergeben könnte: „Dies ist das Grabmal des berühmten Megistias, der bei den Thermopylen von der Hand der Perser fiel", hätte als Grabaufschrift vollauf genügt 2 , Simonides aber genügte es nicht. Er weitete das Epigramm aus, um den notwendigen Angaben, die diese Gebrauchspoesie fordert, eine besondere Aussage hinzuzufügen, μάντιος, das am Anfang des zweiten Distichons Μεγιστία aufnimmt und so die beiden metrischen Einheiten zusammenbindet, erinnert zwar an Berufsangaben wie ίατροΰ (Friedländer, No. 8 ; Peek, 44)3, gibt aber hier vornehmlich seheinen könnte, falls man berücksichtigt, wie wenig Grabepigramme dieses Typs (τόδε σήμα . . .) überhaupt die näheren Umstände des Todes in einem Relativsatz mitteilen, b) Den Hinweis auf II. Η 89 f. hätte Wade-Gery nicht so leicht beiseiteschieben dürfen. Die Verse gleichen aufs Haar dem eben genannten Typ des Grabepigramms, auch wenn sie durch den Kontext einen anderen Sinn bekommen. Jedenfalls zeigen sie genau, wie man sich das Sprechen des Grabmals vorstellen muß : eben in der Zukunft. Wenn einige Epigramm-Dichter ihre Vorstellungskraft nicht auf diesen zukünftigen Moment der Lektüre richten, so ist das nicht Grund genug, allen diese Leistung abzusprechen, c) Wade-Gery berücksichtigt auch nicht die immer wiederkehrenden Formen έπέθηκε, κατέθηκε, έστησε verbunden mit der Bezeichnung desjenigen, der das Grabmal hat errichten lassen (analog άνέθηκε bei den Weihegeschenken). Hier geht es ebenfalls um den Abstand vom Leser der Inschrift. Fälle wie Friedländer, No. 64 (κεκλήσεται) sind dagegen eine Ausnahme. 1 Die abweichende Deutung von W. Peek, Griechische Grabgedichte, Berlin/Darmstadt 1960, S. 20, steht im Widerspruch zum Bericht Herodots und zur letzten Zeile des Epigramms. 2 Ähnlich G. Christ, Simonidesstudien, S. 30. 3 Nach G. Pfohl, a.a.O. S. 79ff., treten Berufsangaben in den attischen Grabepigrammen erst seit etwa 400 v. Chr. in größerer Zahl auf. —• Vielleicht ist jedoch eher an einen anderen Ausgangspunkt für den Zusatz μάντιος zu denken: Herodot zeigt sich z.B. über die μάντεις der an der Schlacht von Platää beteiligten Gruppen ausgezeichnet unterrichtet (vgl. Hdt. 9,33,1 ; 37,1 ; 38,2) ; vielleicht darf man annehmen, daß die μάντεις, die das Heer begleiteten, ebenso wie die hohen Offiziere von Staats wegen je im Einzelfall bestellt wurden. In der attischen Gefallenen-Inschrift IG I a 929 (früheste für uns nachweisbare Inschrift des gleichen Typs ist die auf dem Grab der Marathonkämpfer, vgl. Paus. 1,32,3) ist V. 128 f. μάντις einem Namen zugesetzt, wie sonst nur militärische Dienstgrade (in derselben Inschrift V. 48f. φρούραρχος) beigefügt zu werden pflegen (auf den Sachverhalt führte mich P. Schmid, Staatliche Gefallenenehrung im klassischen Zeitalter Athens, Diss. Tübingen 1944, S. 33). In dem Siegesdenkmal der Spartaner in Delphi waren neben den Göttern und Lysander der Steuermann Hermon und der Seher Agias (codd. : Abas em. Valckenaer) in der ersten Reihe dargestellt (Paus. 10,9,7; dazu D. Lotse, Lysander und der peloponnesische Krieg, Abh. Leipzig 57,1, Berlin 1964, S. 56f. ; freundlicher Hinweis von Herrn Prof. Dr. Chr. Habicht). 2«
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I. Erlebnis und Zeugnis bei Simonides und Pindar
den Auftakt f ü r das im anschließenden Relativsatz entwickelte Amphiaraos-Motiv. Aischylos hat in den „Sieben gegen Theben" Amphiaraos als großen Seher (μάντις, 569 und 588; μέγας προφήτης, 611) und Helden gezeichnet; als Seher sieht er seinen Tod voraus und spornt dennoch zum Kampf an in der Erwartung, nicht unrühmlich zu sterben. D a Pindar (Ol. 6,17) den Amphiaraos άμφότερον μάντιν τ' άγαθον και δουρί μάρνασ&αι nennen läßt hat Christ vermutet, daß Amphiaraos zwar schon im Epos die Eigenschaften des Sehers und Kämpfers vereint habe, daß aber das besondere Ethos der Situation von Simonides in der Anwendung auf Megistias erstmals erkannt worden sei 2 . Christ scheint mir nicht genügend zu berücksichtigen, daß Amphiaraos und Megistias doch in recht verschiedene Situationen gestellt sind. Amphiaraos ist der einzige unter den „Sieben", der — allein auf Grund seiner Eigenschaft als Seher — der Überzeugung ist, daß der ganze Zug fehlschlagen wird und daß er selbst dabei sein Leben lassen muß ; dennoch treibt er zum Kampf, der ihm nun einmal aufgegeben ist. Herodot (7,219) demgegenüber berichtet uns: Megistias verkündete zwar als erster — aus den Opfern — den Griechen an den Thermopylen, daß sie sterben müßten ; dann machten aber noch Überläufer und Späher von der Umgehung der Stellung Meldung; daher wußten alle Kämpfer genau, daß ihnen der Tod drohte, wenn sie blieben. Megistias trieb auch nicht zum Angriff wie Amphiaraos, sondern bekannte sich zu standhafter Abwehr im Angesicht des sicheren Todes. In einer Hinsicht freilich steht Megistias Amphiaraos näher, als Herodot uns glauben läßt. Nach dem Bericht des Historikers stellte Leonidas dem Seher frei heimzukehren, was er wohl auch ohne Schimpf hätte tun können; Megistias soll aber f ü r seine Person das Angebot abgelehnt haben (Hdt. 7,221). — Unglücklicherweise steht dieser Bericht in enger Verbindung mit der Behauptung Herodots, daß Leonidas vor dem Endkampf an den Thermopylen die Bundesgenossen entlassen habe, um sie vor dem Untergang zu retten (7,220,1.4); auch in jüngster Zeit aber ist man dieser Behauptung wieder mit begründetem Zweifel begegnet 3 . Es darf als sicher gelten, daß die Bundesgenossen Leonidas angesichts der drohenden Vernichtung ver1 Der Scholiast ζ. St. teilt mit, daß Asklepiades in den Worten des Adrast bei Pindar ein Zitat aus dem Epos Thebais erkannt habe ; der daktylische Rhythmus wird nur am Schluß gestört; vgl. eine Formel wie II.Γ 179. 2 G. Christ, Simonidesstudien, S. 30f. 3 Ausgezeichnet A. Dascalakis, Problèmes historiques autour de la bataille des Thermopyles, Paris 1962, bes. S. 51 ff., und zuletzt G. Hignett, S. 371 ff., der erneut deutlich macht, daß in Herodots Erzählung noch Spuren einer widersprechenden Version durchschimmern.
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lassen und sich in regelloser Flucht (άκόσμως : was Hdt. 7,220,4 für unwürdig hält und deshalb nicht wahrhaben will) davongemacht haben 1 . Zu einem geordneten Rückzug der gesamten Heeresmacht, der keineswegs gegen den Ehrenkodex der Spartaner verstoßen hätte 2 , blieb keine Zeit mehr, als Leonidas erfuhr, daß die Umgehungsaktion der Perser Erfolg gehabt hatte. Betrachten wir den Text Herodots genauer, so scheint es mit Megistias noch eine besondere Bewandtnis zu haben. Zur Stütze seiner Überzeugung, daß die Bundesgenossen wohl kaum disziplinlos davongelaufen seien, führt Herodot an, daß Leonidas ja auch — ganz offensichtlich (φανερός) ! — den Seher Megistias weggeschickt habe ; dieser sei zwar selbst geblieben, habe aber seinen einzigen Sohn, der mit ihm im Felde lag, heimgeschickt. Wollen wir nicht unterstellen, daß Herodot uns durch einen Trick irreführt und eine ungesicherte Überzeugung durch ein μαρτύριον stützt, das gleichfalls ungesichert und zweifelhaft ist, so müssen wir annehmen, daß er sich hier auf eine Tradition beruft, die weitgehend bekannt und anerkannt war (was soll sonst φανερός?). Quelle dieser Tradition wird der Sohn des Sehers gewesen sein. Seine Aussage, daß Leonidas seinem Vater die Rückkehr nahegelegt habe, konnte Herodot mit Recht unverdächtiger erscheinen als die Ausreden der Peloponnesier, da Megistias von der Möglichkeit der Flucht ja keinen Gebrauch gemacht hatte. Ja, es ist möglich, daß der Sohn des Sehers ohne alle Hintergedanken die Wahrheit berichtete; denn daß Leonidas dem Seher, der dem Heer zur Erfüllung der kultischen Obliegenheiten beigegeben war und in dieser Funktion angesichts des sicheren Todes nichts mehr tun konnte, die Heimkehr freistellte, halte ich keineswegs für unwahrscheinlich. Doch spielt es keine große Rolle, ob wir die letztgenannte Möglichkeit annehmen, — Megistias' Verhalten muß auf jeden Fall im Kontrast zu dem der Peloponnesier gesehen werden. Dieser Vergleich steht auch — unausgesprochen — hinter den letzten Worten im Epigramm des Simonides: Megistias — ungleich den peloponnesischen Bündnern — gewann es nicht über sich, Spartas Feldherrn im Stich zu lassen, sondern bewies, daß er nicht nur Seher, sondern auch Kämpfer war 3 . Besonders hoch müssen wir seine Entscheidung dann anschlagen, wenn Leonidas dem Seher tatsächlich die Heimkehr freigestellt hat ; Megistias tat dann nicht einfach den überkommenen 1 Dascalakis, S. 58; Hignett steht dem „Rätsel" allzu skeptisch gegenüber: er neigt einer Deutung ähnlich der von Beloch und Dascalakis zu (S. 373f.), kann sich aber zu keiner endgültigen Stellungnahme entschließen. 2 Dascalakis, bes. S. 68ff. 3 Herr Dr. D. Korzeniewski macht mich darauf aufmerksam, daß in der Antithese „Seher — Kämpfer" das alte Begriffspaar „Rat und Tat" abgewandell ist; vgl. dazu H. D. Kemper, Rat und Tat, Diss. Bonn 1960.
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Vorstellungen von soldatischer Ehre 1 Genüge, sondern gab in außergewöhnlicher Weise sein Leben für eine aussichtslose Sache hin. Simonides sah offenbar die Gefolgschaftstreue als Megistias' ausschlaggebendes Motiv an ; wir dürfen diese freilich keineswegs als selbstverständlich ansehen, da der Seher nicht Spartaner, sondern Akarnane war (Hdt. 7,221). Der Dichter hebt Megistias also — wenn auch fast unmerklich — von den geflohenen Bundesgenossen Spartas ab; demgegenüber verliert das Amphiaraos-Motiv an Wirksamkeit: ich halte es daher für unwahrscheinlich, daß es an dieser Stelle erstmals in vollem Umfang verwertet wurde 2 . Megistias ging wissend in den Tod, doch die übrigen Thermopylenkämpfer taten dasselbe 3 . Sie alle hatten im Grunde ein Recht darauf, mit Amphiaraos verglichen zu werden; die literarische Tradition legte es jedoch nahe, diesen Umstand bei Megistias als dem Seher besonders hervorzuheben. Das Epigramm auf Megistias versteht die Haltung der griechischen Kämpfer als standhafte Abwehr auch angesichts des sicheren Todes. Aushalten in scheinbar aussichtsloser Lage war wohl das Grundgefühl der griechischen Stämme im Anfang des Xerxeszuges. Die skeptische Frage, ob das beträchtliche Blutopfer an den Thermopylen nicht nur heldenhaft, sondern auch militärisch nützlich und wirksam gewesen sei — hinter Herodots Bemerkung 7,139,3 scheint diese Frage zu stecken —, mag gerade in Athen diskutiert worden sein, nicht zu Unrecht, da die Athener ihre Stadt aufgeben mußten, weil Sparta kein hinreichend starkes Aufgebot an die Thermopylen entsandt hatte 4 . Nichts davon im Epigramm des Simonides. Die Tat der Thermopylenkämpfer steht in ihrem Wert un bezweifelbar fest und erhebt sich durch die Ähnlichkeit mit mythischem Geschehen zu heroischem Rang. Im Falle des Megistias wird uns diese Verklärung der Gegenwart dadurch deutlich, daß sein Verhalten im Grabepigramm mit der heroischen Norm verglichen und somit an ihr gemessen wird 5 . Die ersten Jahre nach Platää brachten Simonides gewiß noch eine große Anzahl von Aufträgen. So teilt uns die Suda, s.v. Σιμωνίδης (Λεωπρέπους) mit, Simonides habe sowohl ein Gedicht ή έπ' Άρτεμισίω ναυμαχία als auch eines ή έν Σαλαμϊνι ναυμαχία geschrieben. Über das 1
Uns kenntlich vor allem aus den Elegien des Tyrtaios; vgl. bes. fr. 7 D . Gegen G. Christ, a.a.O. S. 31. Vgl. bes. Hdt. 7,223,2: ώς τήν έπΐ θανάτω Ιξοδον ποιεύμενοι. 4 Dascalakis, a.a.O. 8. 29ff. — Später setzte sich mehr und mehr die spartanische Version vom heldenhaften Opfertod für die Freiheit Griechenlands durch, und man wird nicht müde zu beteuern, daß die Helden von Thermopylai zwar gefallen, aber nicht besiegt worden seien (Lys. 2,31; Isokr. 4,92; Diod. Sic. 11,11,2; 24,1). 5 M. P. Nilsson, Cults, Myths, Oracles, and Politics in ancient Greece, Lund 1951, S. 92, hält es für durchgehende griechische Praxis, „to exalt historical events by comparing them with mythical deeds". 2
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letztere, das die Suda als melisch kennzeichnet, ist uns gar nichts bekannt, es sei denn, wir beziehen mit Borna1 die Stellen aus Himerios (Or. 12,32; 47,14 Colonna) auf Salamis, die Wilamowitz auf Artemision bezog, und dürfen dann vermuten, daß der Zephyros in dem Lied eine Rolle gespielt hat. Der Suda zufolge handelte es sich bei der „Seeschlacht am Artemision" um eine Elegie; sollen wir jedoch den winzigen Fragmenten trauen, die Heliodor (bei Priscian) aus dem Gedicht unter demselben Titel des Metrums wegen zitiert, so muß es sich um ein lyrisches Gedicht im engeren Sinne, nicht um eine Elegie gehandelt haben. Wilamowitz2 hat über Zeit und Gelegenheit der Aufführung des Liedes ansprechende Vermutungen vorgetragen. Unmittelbar nach der Schlacht hatten die Athener keine Verwendung für festliche Gesänge; wahrscheinlich muß man an die Zeit nach Platää denken 3 . Nun berichtet Herodot (7,189,3), daß die Athener dem Boreas am Iiissos ein Heiligtum 4 weihten zum Dank für die Hilfe, die er ihnen brachte, als er kurz vor der Schlacht am Artemision einen beträchtlichen Teil der persischen Flotte am Kap Sepias im Sturm vernichtete. Damit hat Wilamowitz überzeugend die Nachricht des belesenen Scholiasten zu Apoll. Rhod. l,211ff. verbunden, daß Simonides έν τη ναυμαχία sage, Oreithyia sei die Tochter des Erechtheus, die Boreas aus Attika geraubt und nach Thrakien gebracht habe und von der er die Söhne Zetes und Kaiais habe. An derselben Stelle heißt es kurz vorher, Simonides sage, Oreithyia sei vom Brilessos5 weg geraubt worden, und zu Apoll. Rhod. l,583f. heißt es, auch Simonides habe Skiathos erwähnt. Da Skiathos auch bei Herodot im Zusammenhang mit den Seekämpfen am Artemision genannt wird, ist es recht wahrscheinlich, die Notiz auf das hier besprochene Gedicht zu beziehen. Der Raub vom Brilessos ist zweifellos die ältere Fassung der Sage, zu einer Zeit entstanden, als Oreithyia noch die Windsbraut war; die jüngere Fassung, 1 C.M. Bowra, Greek Lyric Poetry from Alemán to Simonides, Oxford 2 1961, S. 343 f. 2 U. v. Wilamowitz-Moellendorff, Sappho und Simonides. Untersuchungen über griechische Lyriker, Berlin 1913, S. 206ff. 3 Der Wortlaut bei Herodot (7,189,3) ίρόν άπελθόντες Βορέω ίδρύσαντο spricht gegen die Einrichtung des Heiligtums erst erhebliche Zeit nach dem Kriege; vielleicht muß man sogar die Zeit vor Platää in Betracht ziehen; vor Salamis hingegen hat die drängende Evakuierung auf keinen Fall einen solchen Kultakt zugelassen. 4 Plat. Phaedr. 229 c 2f. spricht nur von einem Altar. Das scheint darauf hinzuweisen, daß ιερόν bei Herodot keinen Tempel, sondern ein Temenos mit einer Opferstätte meint. 5 Βριλησσοϋ hat Wendel nach A. F. Naeke, Choerili Samii quae supersunt, Leipzig 1817, S. 153, aus Βριλισσοϋ in L hergestellt; Η bietet dagegen Ίλισσοΰ, wie Wendel vermutet, beeinflußt durch das Scholion d zur Stelle. Βριλησσός ist ein Berg in Attika (vgl. Thuk. 2,23,1).
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daß das Mädchen am Iiissos geraubt wurde 1 , ist vielleicht erst entstanden, als das Heiligtum des Boreas dort schon bestand. Wir können resümierend feststellen: Nach Beendigung der Perserkriege, frühestens aber nach Salamis, weihten die Athener ihrem „Schwager" (Hdt. 7,189,1—2) Boreas ein Heiligtum am Iiissos zum Dank für die ihnen besonders vor den Seekämpfea am Kap Artemision geschenkte Hilfe. Bei dieser Gelegenheit wurde ein Chorlied des Simonides aufgeführt, das wir als Hymnos auf Boreas bezeichnen dürfen. Daß das Werk in der späteren Antike ή έπ' Άρτεμισίω ναυμαχία genannt wurde, muß darauf zurückgehen, daß eine Schilderung der Seeschlacht einen wesentlichen Teil des Liedes ausmachte; darauf weist auch die Erwähnung der Insel Skiathos. Darüber hinaus wurde — wohl in einer „Mythenerzählung" — vom Raub der Oreithyia durch Boreas gesprochen, wahrscheinlich um die Verwandtschaft der Athener mit Boreas zu begründen (vgl. die Betonung des κηδος bei Hdt. 7,189, 1—2). Die beiden winzigen Fragmente (1 und 2D., 533P.) geben uns keinen näheren Einblick in das Gedicht. An den Schluß der Simonides-Interpretationen will ich das Fragment (5D., 531P.) stellen, das uns Diodor (11,11,6) erhalten hat und das er Enkomion nennt 2 , έγκώμιον bezeichnet in Diodors Terminologie gewiß jeden literarischen Preis (έπαινος); die genaue Zuweisung an eine literarische Gattung ist bei dem fragmentarischen Charakter des Textes müßig. των έν Θερμοπύλαις θανόντων εύκλεής μέν ά τύχα, καλός δ' ó πότμος, βωμός 8' ó τάφος, προ γόων δέ μναστις, ó δ' οίκτος έπαινος. έντάφιον δέ τοιούτον οΰτ' εύρώς ουθ·' ó πανδαμάτωρ άμαυρώσει χρόνος. ανδρών αγαθών ό δέ σηκός οίκέταν εύδοξίαν 'Ελλάδος εϊλετο· μαρτυρεί δέ Λεωνίδας, Σπάρτας βασιλεύς, άρετας μέγαν λελοιπώς κόσμον άέναόν τε κλέος. Die Helden der Perserkriege sind bald als Heroen angesehen und verehrt worden ; sowohl für die Gefallenen von Marathon als auch für 1
Erstmals ausdrücklich bezeugt durch Plat. Phaedr. 229 b 5. Wichtig die Untersuchung von C.M. Bowra, Greek Lyric Poetry, 2 1961, S. 345ff., modifiziert gegenüber seinem Aufsatz : Simonides on the Fallen of Thermopylae, ClPh 28 (1933), S. 277 ff. Einwände vor allem bei W.J.H.F. Kegel, Simonides, Diss. Groningen 1962, S. 28ff. und zuletzt bei S. L. Rodt, Gnomon 36 (1964), S. 739. Sonst vgl. L. Weber, Simonides' έγκώμιον auf die Thermopylenkämpfer, PhW 47 (1927), Spp. 473ff.; G. Christ, Simonidesstudien, S. 31 ff. und S. 47f.; H. Frankel, Dichtung und Philosophie, München 2 1962, S. 366ff. 2
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die von Platää ist uns das bezeugt1. Wir wissen jedoch nichts davon, daß auch die ersten im großen Xerxes-Krieg gefallenen Griechen an ihrer Begräbnisstätte bei den Thermopylen kultische Ehren erhielten. Dagegen berichtet Pausanias (3,12,9), daß es in Sparta ein ιερόν des Maron und Alpheios gab, der Männer also, die nach Herodots Bericht (7,227) nächst Dienekes (Pausanias zufolge nach Leonidas selbst) die trefflichsten Kämpfer des spartanischen Aufgebots an den Thermopylen waren2. Außerdem gibt Pausanias (3,14,1) uns Nachricht von einer Stele, die die Namen aller spartanischen Thermopylenkämpfer verzeichnete 3 und offenbar nicht weit von dem μνήμα des Leonidas entfernt war. Seine Gebeine hatte man 40 Jahre nach der Schlacht nach Sparta gebracht; aber das μνήμα kann natürlich auch schon vor diesem Zeitpunkt als Kenotaph bestanden haben. Leonidas galt wie jeder andere spartanische König (vgl. Xen. Resp. Lac. 15,9) als Heros und genoß kultische Ehren4. Bowra glaubt nun, dasselbe für die Thermopylenkämpfer insgesamt erschließen zu dürfen, und deutet das Lied ganz „konkret" als Kultgesang anläßlich der Einweihung eines entsprechenden ιερόν in Sparta. Dagegen sind Einwände vorgebracht worden, und wir werden das Gedicht erneut einer genauen Prüfung unterwerfen müssen. Die erhaltenen Zeilen stammen aus einem melischen Gedicht, dessen Rhythmen den Daktylo-Epitriten Pindars nahestehen 5 ; der 1
F ü r Marathon vgl. Paus. 1,32,4; I G I I 2 1006,26f.; f ü r P l a t ä ä Thuk. 3,58,4 u n d die ausführliche Schilderung bei Plut. Arist. 21. 2 Dascalakis, a.a.O., h a t nachzuweisen versucht, daß an den Thermopylen 1000 Lakedaimonier, darunter 300 Spartiaten, k ä m p f t e n u n d d a ß Herodot in seinem Bericht über die K ä m p f e die Begriffe Σπαρτιήται u n d Λακεδαιμόνιοι bewußt u n d scharf getrennt h a t (S. 25ff.). E r hält es daher f ü r wahrscheinlich, daß Maron u n d Alpheios keine Spartiaten im engeren Sinne waren (S. 26f.). Während mir der Beweis der ersten Behauptung (trotz Hignett, S. 116f.) geglückt zu sein scheint, wird die These von der exakten Unterscheidung der Bezeichnungen durch den Text Herodots deutlich widerlegt; in unmittelbarer Umgebung des kurzen Abschnitts 7,227 lassen sich zwei sichere Gegenbeispiele aufweisen: denselben Mann, der 7,226,1 Σπαρτιήτης Διηνέκης heißt, nennt Herodot 226,2 ex. Διηνέκεα τον Αακεδαιμόνιον, u n d τοϊσι δέ Σπαρτιήτησι ίδίη (228,2) wird wieder aufgenommen durch Αακεδαιμονίοισι μέν δή τοϋτο (228,3). 3 Man h a t angenommen, daß diese Stele die Quelle war, auf Grund derer Herodot die N a m e n aller 300 Spartiaten k a n n t e (7,224,1); dagegen äußert sich jetzt Hignett, S. 148, Anm. 3: Herodots Ausdrucksweise spreche eher f ü r die Kenntnis durch mündliche Tradition. 4 Zumindest in späterer Zeit wurden zu Ehren des Leonidas in Sparta W e t t kämpfe veranstaltet, die sogenannten Λεωνίδεια (Paus. 3,14,1 u n d inschriftliche Zeugnisse) ; F. Jacoby, J H S 64 (1944), S. 43, Anm. 23, hält die Einrichtung dieser Spiele frühestens in augusteischer Zeit f ü r möglich ; dagegen H. Schaefer, Das Eidolon des Leonidas, in: Charités, Bonn 1957, S. 223ff., hier S. 225f. m. Anm. 10 u. 15 (abgedruckt in: Probleme der Alten Geschichte, Göttingen 1963, S. 323ff.). 6 Zur Metrik des Fragments vgl. A.M. Dale, Cl Qu Ν. S. 1 (1951), S. 119f.
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fragmentarische Charakter des Textes läßt größte Behutsamkeit bei der Interpretation geraten erscheinen, besonders was den Zweck des Liedes angeht. Nach dem Metrum des Liedes zu urteilen kann es sich bei dem erhaltenen Stück um den Anfang des Gedichtes handeln, nach dem Inhalt ist das möglich, wenn auch nicht gesichert. Die Ortsangabe έν Θερμοπύλαις zeigt, wie Boma (S. 346f.) richtig gesehen hat, deutlich, daß das Lied nicht an diesem Ort gesungen wird; das läßt sich beispielsweise durch die attischen Epitaphien zeigen, die ja am Begräbnisplatz vorgetragen wurden und auf diesen regelmäßig mit ένθάδε Bezug nehmen 1 , τύχα und πότμος distrahieren die Vorstellung eines bestimmten und erlangten Schicksals, ohne dadurch einander ausschließende Gegensätze zu sein; so sind denn auch εύκλεής und καλός hier nahezu identisch, wenngleich man im ersteren mehr den äußerlichen (τιμή), im letzteren stärker den inneren und ethischen Aspekt (άρετή) wahrnehmen mag. τύχα schillert bedenklich zwischen εύτυχία und άτυχία2, was an spätere Epitaphien erinnert, die mit rhetorischem Geschick die ατυχείς, als welche die Gefallenen eines Krieges zunächst erscheinen, in ευτυχείς oder εύδαίμονες umzudeuten versuchen (vgl. Lys. 2,70ff.; Demosth. 60,32ff.; Hyper. 6,24.42). Der Gedanke hat seine Wurzeln in Äußerungen kriegerischer Paränese wie Tyrt. fr. 6,1—2D.: Τεθνάμεναι γαρ καλόν ένί προμάχοισι πεσόντα άνδρ' άγαθόν περί f¡ πατρίδι μαρνάμενον ..., wo jedoch eine generelle Umdeutung der άτυχία in εύτυχία sicher fernliegt 3 . Bowra meint, die drei folgenden parallel gestellten Aussagen aus der konkreten Situation erklären zu können; wir müssen aber wohl wie frühere Erklärer darin eine Fortsetzimg der Umdeutungen sehen. Statt der üblichen γόοι gebührt den Toten von Thermopylai μναστις, „Gedenken". Das seltsame πρό hat man, wie mir scheint, vergeblich durch „Parallelen" zu erklären versucht 4 ; Soph. O. C. 1524 zeigt deutlich, daß unsere Stelle zwar dem πρό — „eher, lieber als" nahesteht, andererseits sich doch nicht mehr wie die Sophokles-Stelle mit dieser Deutung zufriedenstellend erklären läßt. Es bleibt dabei, daß πρό hier ein άντί ersetzt. Die Aussagenreihe wird durch έντάφιον δέ τοιούτον aufgenommen. Während Bowra (S. 348) den Singular als das — jährlich wieder1 Vgl. z.B. Lys. 2,1. 20. 54. 60. 64. 75. 76. — Kegels Kritik (S. 32) scheint mir in diesem Punkte verfehlt zu sein. 2 H. Frankel, Dichtung und Philosophie, S. 365 m. Anm. 30. 3 Richtig Christ, Simonidesstudien, S. 31. 4 W. Schroeter, De Simonidis Cei melici sermone quaestiones, Diss. Leipzig 1906, S. 12 ; U.v. Wilamowitz-Moellendorff, Sappho und Simonides, S. 141, Anm.
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kehrende — „Totenopfer" verstanden wissen will (so der Plural Soph. El. 326 m. Schol. zu 324; Eur. Hei. 1404), schließt Kegel (S. 29f.) nach Prüfung zahlreicher Belegstellen, daß „Totengabe", metaphorisch verstanden, am ehesten dem hier vom Zusammenhang geforderten Sinn der Stelle entspricht, da εντάφιον weitgehend seine adjektivische Bedeutung behalten hat und hier in einer sinnvollen Beziehung zu den vorhergehenden Begriffen (eventuell nur zu έπαινος, was mir freilich nicht sicher scheint) stehen muß. Die Vorstellung ist konsequent und passend : der έπαινος, nach Thuk. 2,43,2 άγήρως, ist für die Gefallenen gleichsam eine Totengabe, von solcher Art freilich, daß weder Moder 1 noch die alles bezwingende Zeit sie vernichten. Das ist ein hoher Anspruch, zumal wenn man einen Vers wie χρόνος δ' άμαυροΐ πάντα κάς λήθην άγει (Soph. fr. 954Ρ.) vergleichend dagegenhält. σηκός ist der heilige Bezirk, nach Späteren 2 besonders der für Heroen, was freilich nicht als allgemeingültig hingenommen werden darf. Durch den zugehörigen Genitiv ανδρών αγαθών3 ist hier jedenfalls deutlich, daß es sich nicht um einen einem Gott geweihten Bezirk handelt. Durch Gebrauch der Wendung άνδρών αγαθών tritt Simonides offensichtlich in die vertrauten Bahnen frühgriechischer Wertungen : άνδρες αγαθοί sind diejenigen, die im Kampf Tapferkeit und Einsatzbereitschaft — unter Umständen bis zum Opfer des eigenen Lebens — bewiesen haben 4 . Der Bezirk, der solchen Helden geweiht ist, hat die ruhmvolle Anerkennung seitens ganz Griechenlands als οίκέταν. Borna nimmt mit Recht Anstoß an der Gleichsetzung οίκέτης — „Bewohner", die durch keine einzige Stelle gestützt wird, οίκέτης ist derjenige, der zum Hause oder zum Haushalt gehört, gewöhnlich: der Sklave oder Diener, zuweilen allgemeiner: der Hausgenosse. Borna (S. 349) hat nun, weil οίκέτας in Sparta ein Titel des Apollon war (IG V 1,497 Καρνείου βοικέτα; vgl. Paus. 3,13,4), den Vorschlag gemacht, οίκέτας hier als „Betreuer, Beschützer" zu verstehen. Das scheint mir freilich allzu weit hergeholt zu sein. Der Text von Hyper. 6,42 legt eine einfachere und bessere Lösung nahe. Dort heißt es von den Gefallenen, die kinderlos gestorben sind : oí παρά των ' Ελλήνων έπαινοι παίδες αυτών αθάνατοι έσονται, und in demselben Paragraphen steht, daß die Toten εύδοξίαν άγήρατον gewonnen haben. Es ist demnach doch wohl das 1
Bowra, Greek Lyric Poetry, S. 346, und Frankel, Dichtung und Philosophie, S. 365, übersetzen unzutreffend „Rost"; abgesehen vom lexikalischen Befund p&ßt „Moder" auch besser in die Vorstellungsreihe. s Die Stellen bei Bowra, S. 347, Anm. 1; vgl. Liddell-Scott, s.v. σηκός II. 3 Ich folge der traditionellen Textabteilung ; die Interpunktion hinter άγαθών, die Wilamowitz einführte, scheint mir vom Sinn her nicht erforderlich, vom Stil her sogar bedenklich (Wortfolge!). Für die Schreibimg 6 Sé statt 08ε tritt zuletzt Kegel, S. 31, mit guten Gründen ein. 4 Tyrt. fr. 6,2; 9,20 D. Auch Herodot greift auf diesen Maßstab zurück: άνήρ γενόμενος άριστος (7,224,1).
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Natürlichste, wenn in unserem Gedicht die Helden von Thermopylai den Ruhm als „Hausgenossen" haben; daß unter ευδοξία Ελλάδος nicht der Ruhm Griechenlands in der Außenwelt, sondern das Ansehen der Toten in Griechenland (treffend Borna, S. 348, „Hellenic renown") zu verstehen ist, hat zuletzt Kegel (S. 35) wahrscheinlich gemacht. Als Beispiel f ü r die Gültigkeit des von Simonides ausgesprochenen allgemeinen Satzes 1 dient Leonidas, der immerwährendes κλέος hinterließ, κλέος verstanden als das Rühmen, das von einem Manne in der Mit- und Nachwelt lebt. Man hat in dem Umstand, daß hier Leonidas, der Thermopylenkämpfer, als Zeuge aufgerufen wird f ü r das, was der Thermopylenkämpfer insgesamt harrt, eine gewisse logische Unbedachtheit gesehen und den Aufbau des Passus als archaische Ringkomposition gedeutet 2 . Davon kann jedoch im strengen Sinne keine Rede sein. Kegel (S. 34ff.) hat den nützlichen und einleuchtenden Vorschlag gemacht, daß das Lied insgesamt Leónidas gewidmet ist, daß Simonides aber erst auf diesen seinen Hauptgegenstand zu sprechen kommt, nachdem er in zwei vorbereitenden Schritten (Schicksal der Gemeinschaft, auf deren Hintergrund Leonidas gesehen werden muß,— Schicksal der άνδρες άγαθοί insgesamt als allgemeine Regel) den Rahmen f ü r den Preis des spartanischen Königs und Feldherrn entworfen hat. Der Vorschlag hat den Vorteil, mit den überlieferten Gegebenheiten im Einklang zu stehen und dem Aufbau unseres Textes gerecht zu werden. Leonidas hatte in Sparta ein eigenes μνήμα als heroisierter Spartanerkönig; die Apposition Σπάρτας βασιλεύς in unserem Fragment betont diese Sonderstellung und spricht gegen eine beiläufige Erwähnung, wie sie bisher unterstellt worden ist 3 . Von den Thermopylenkämpfem insgesamt ist uns dagegen nicht überliefert, daß sie kultische Ehren erhielten ; es allein auf Grund dieses Gedichtes zu erschließen, wie Bourra es tut, scheint mir zu gewagt zu sein. Vergleichen wir das vorliegende Fragment mit dem Megistias-Epigramm, so fällt auf, daß hier von der Erhöhung der Helden durch Vergleich mit einem mythischen Vorbild keine Rede ist ; es läßt sich freilich nicht ausschließen, daß Simonides im weiteren Verlauf des Gedichtes, der uns verloren ist, doch noch von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht hat. Aber auch ohne Nennung mythischer Parallelen spricht Simonides den Helden von Thermopylai heroischen Rang zu : die Um1
Daß es sich bei άνδρών άγαθ-ών ó Si σηκός . . . um einen solchen handelt, hat nach Wilamowitz zuletzt Kegel, S. 32, vertreten; εϊλετο hält er für einen gnomischen Aorist (S. 32, Anm. 4). 2 H. Frankel, Eine Stileigenheit der frühgriechischen Literatur, NGG 1924, S. 63ff., hier S. 99 ( = Wege und Formen frühgriechischen Denkens, München 2 1960, S. 40ff., hier S. 72); derselbe, Dichtung und Philosophie, S. 366. 3 Richtig Kegel, S. 34f.
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Wertung τάφος — βωμός und die Verwendung des Wortes σηκός weisen uns — auch wenn sie bildlich verstanden sein wollen — darauf hin, daß die Würde dieser Toten den kultisch verehrten Heroen der Vorzeit nicht nachsteht. Man hat darauf aufmerksam gemacht, daß Simonides hier — gemessen an seinen übrigen Äußerungen — in überraschend konventioneller Weise von άρετή und Ruhm spricht 1 ; άρετή wird hier wie in alter Zeit als Tapferkeit im Kampf verstanden, nichts von der Problematik des berühmten fr. 4 D. (542 P.) vermag die Sicherheit der Aussage zu beeinträchtigen; der aus der άρετή erwachsende Ruhm gilt hier als bleibend und unverweslich, deutlich eine Steigerimg gegenüber der Zurückhaltung von fr. 59 D. (594P.). Es ist wohl nicht abwegig, wenn man daraus geschlossen hat, daß Simonides sich hier der aktuellen Situation angepaßt hat und den Intentionen seiner spartanischen Auftraggeber gefolgt ist 2 , die alles Interesse daran hatten, den Ruhm der Töten von Thermopylai recht hell strahlen zu lassen, um die eigene Schuld an dem mit diesem Opfertod verbundenen militärischen Debakel zu verdecken. Man hat gern auf den rhetorischen Charakter der Gestaltung dieses Fragments hingewiesen und Stücke „sophistischer" Prosa damit verglichen3. Wie die Interpretation gezeigt hat, haben wir es jedoch keineswegs mit einem „Urepitaphios" (Diels) zu tun. Motivähnlichkeiten zur Epitaphios-Literatur bleiben freilich bestehen; wir werden auf den Zusammenhang noch zurückkommen müssen. Im Stil ist hier nicht etwa eine moderne Form durchgedrungen, vielmehr gilt dasselbe, was H.Meyer4 für Hes. Op. 3—8 festgestellt hat: die scheinbar „rhetorischen" Stilmittel sind Reminiszenzen aus der stark stilisierten sakralen Sprache. 2. Pindar Während Simonides zur Zeit der Perserkriege mit Sicherheit in Athen bzw. bei den Athenern weilte, sind wir über den Aufenthaltsort seines jüngeren Berufsgenossen Pindar nicht informiert. Vermutungen, daß er sich während der kritischen Zeit der Jahre 480 und 479 1
Kegel, S. 35f., 50f., 88. Kegel, S. 88; vgl. was Dascalakis, a.a.O. S. 176f., über die propagandistische Absicht der Thermopylen-Epigramme sagt. 3 Das geschah in mannigfachen Graden und Schattierungen; man vgl. z.B. Wilamowitz, Sappho und Simonides, S. 141; P.Maas in R E II 3,1 Sp. 189 u.; G. Christ, a.a.O. S. 31f. und S. 47f. 4 H.Meyer, Hymnische Stilelemente in der frühgriechischen Dichtung, Diss. Köln 1933, S. 39; dort wird weiterverwiesen auf die Untersuchungen Ed. Nordens. 2
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in Aigina aufhielt, stehen auf schwankendem Boden1. Andererseits können wir auch nicht mit Sicherheit behaupten, daß er sich damals in seiner Heimatstadt Theben befand, obwohl das am nächsten liegt2. Jedenfalls hat er die Ereignisse der Zeit wachen Sinnes miterlebt und spricht auch in seinen Gedichten von den Perserkriegen. In den Epinikien freilich, die zwischen 490 und 480 entstanden sind, sucht man vergeblich auch nach der kleinsten Anspielung; nicht einmal Pyth. 7, das Siegeslied für den Alkmeoniden Megakles, hat Pindar veranlaßt, der Schlacht von Marathon zu gedenken3. Polybios (4,31,5—8), der die Haltung der Thebaner im Perserkrieg von 480/479 recht abfällig beurteilt, kritisiert auch Pindar, der den Thebanern beim Herannahen der Perser geraten habe ήσυχίαν άγειν. Noch Wilamowitz4 hat darin Pindars Rat gesehen, in diesem Krieg die Neutralität zu bewahren. Stobaios (ecl. 4,16,6) zitiert aber das Fragment in etwas größerem Umfang, wodurch sich erkennen läßt, daß Polybios den Text falsch gedeutet hat 5 . Das Fragment (109 Sn.) stammt nach Stobaios aus einem Hyporchema ebenso wie fr. 110 Sn. ( = Stob. ecl. 4,9,3), auf das nach Meinung des Scholiasten (POx. VI 853 col. 6,35) schon Thukydides (2,8,1; vgl. aber auch 1,80,1) anspielt und das wir vielleicht demselben Gedicht zuweisen dürfen. Da diese Zuweisung jedoch unsicher ist, werde ich das zweite Fragment nicht in die Interpretation einbeziehen, sondern werde mich auf das erste beschränken. 1 J.-Ch. Even, L'attidude de Pindaro pendant les guerres Médiques, EtCl 26 (1958), S. 41 ff., hier S. 44, verweist zur Stützung dieser Ansieht auf Isthm. 5,21 f.; da er S. 45 offenläßt, ob dieses Gedicht 480 oder 478 abgefaßt ist, hat er sich anscheinend nicht klar gemacht, daß seine These das erste Datum als sicher voraussetzt, was in Wahrheit auf sehr unsicheren Voraussetzungen beruht. 2 Zugunsten dieser Auffassung könnte man immerhin vorbringen, daß Pindar a) noch kurz vor dem Persersturm das Hesychia-Hyporchem (fr. 109 Sn.) in Theben aufführte, b) sich von dem Tantalosstein (Isthm. 8,9f.) offenbar mitbedroht fühlt. 3 Ο. Ν enei, Introduzione alle guerre Persiane e altri saggi di storia antica, Pisa 1958, S. 27ff., hat die frühen Gedichte Pindars geprüft, ohne einen Anhaltspunkt zu finden. —- Daß Pindar in dem Siegeslied für den kurz vorher im gleichen Jahr 486 ostrakisierten Alkmeoniden (vgl. Aristot. Resp. Athen. 22,5) von Marathon schweigt, geschieht wohl mit Rücksicht auf den Adressaten, da er und seine Familie damals eine zumindest sehr umstrittene Rolle gespielt haben (Hdt. 6,121—124); außerdem ist zu berücksichtigen, daß das Lied nicht in Athen, sondern wohl in Delphi vorgetragen wurde. 4 U. v. Wilamowitz, Pindaros, Berlin 1922, S. 193f., und neuerdings J.-Ch. Even, a.a.O. S. 47; ησυχία ist in solchen Verbindungen wie ήσυχίαν άγειν mit ειρήνη identisch. 5 F. W. Walbank, A historical Commentary on Polybios, vol. I (1957), S. 479, vermutet im Anschluß an Wunderer, daß Polybios den Kontext nicht kannte, sondern eine Anthologie benutzte.
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το κοινόν τις άστών έν εύδία τιθείς έρευνασάτω μεγαλάνορος 'Ησυχίας τό φαιδρόν φάος, στάσιν άπο πραπίδος έπίκοτον άνελών, πενίας δότειραν, εχθράν κουροτρόφον. Daß das fr. 109 in die Zeit des Persersturms gehört, genauer: in die Zeit noch vor dem Andringen des persischen Heeres im Jahre 480, dürfen wir wohl von Polybios übernehmen. Damals standen innerhalb der thebanischen Bevölkerung promedische und gegnerische Gruppen in heftigem Zwist. In dieser Situation erhob Pindar warnend seine Stimme: Ziel der Anstrengungen soll es sein, die Gemeinschaft der Bürger in „gutes Wetter" zu setzen und das strahlende Licht der Hesychia aufzusuchen, φαιδρόν φάος ist passend zum Bild der εύδία1 gewählt. 'Ησυχία heißt Pyth. 8,1 ff. Tochter der Rechtsordnung (Δίκα); da das Epitheton μεγιστόπολις dort heißen muß „die die Städte sehr groß macht, gedeihen läßt" 2 , darf man an unserer Stelle das Beiwort μεγαλάνωρ analog erklären „die die Männer groß macht", doch wohl weil sie βούλαν τε καί πολέμων . . . κλαιδας ύπερτάτας hat (Pyth. 8,3f.). Wendet man sich zur ήσυχία, so muß man die grimmige Gesinnung des Aufruhrs (έπίκοτος στάσις) aus seinem Herzen beseitigen. Wieder können wir den Anfang von Pyth. 8 vergleichen, wo es heißt (Y. 8ff.), daß ήσυχία unerbittlich (τραχεία) einschreitet, wenn einer κότος ins Herz treibt, στάσις ist nie der Krieg zwischen Staaten, sondern der Streit, der innerhalb einer durch ethische oder rechtliche Bindungen konsolidierten Gemeinschaft tobt (vgl. bes. στάσις εμφυλος, Sol. fr. 3,19 D.; Hdt. 8,3, l) 3 . In zwei oxymoren Wendungen führt Pindar aus, daß die στάσις „Armut schenke" und eine „feindliche Nährmutter (κουροτρόφος)" der Jünglinge sei; dabei ist zu bedenken, daß Pindars Landsmann Hesiod (Op. 228) der ειρήνη das Epitheton κουροτρόφος zuweist 4 . Nach dem Gesagten ist deutlich, daß ήσυχία hier der στάσις, dem Zwist innerhalb der Stadt, entgegengestellt wird, keineswegs aber Neutralität nach außen bedeutet. Nicht lange vor dem Anrücken der Perser nimmt der Dichter schlichtend Stellung zu den Streitigkeiten innerhalb der Stadt, die das äußere Ereignis ausgelöst hat (in Inhalt und Ausdruck finden sich Anklänge an Solons „Eunomie", fr. 3 D.). In1
Metaphern wie Isthm. 7,38f. εύδίαν δπασσεν έκ χειμώνος, Aisch. Pera. 300f. φάος μέγα καί λευκόν ήμαρ νυκτός έκ μελαγχίμου und Aisch. Ag. 900 κάλλιστον ήμαρ είσιδεϊν έκ χείματος sind untereinander gleichwertig. 2 Vgl. Simon, fr. 4,35 D. (542,35 P.): όνησίπολιν δίκαν. 3 στασιώτης heißt demzufolge der „Parteigänger" einer politischen Gruppe im Innern des Gemeinwesens, vgl. z.B. Hdt. 1,13,1; 59,3; 60,1; 62,1; 173,2 und öfter. 4 Zur inhaltlichen Erklärung darf man wohl Hdt. 1,87,4 heranziehen: im Krieg (auch im Bürgerkrieg) ist es üblich, daß die Väter ihre Söhne bestatten.
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direkt war damit zweifellos eine Stellungnahme zugunsten der Perserfreunde verbunden, denn gegen diese richtete sich die hier erwähnte στάσις (Diod. Sic. 11,4,7); aber wir können nicht sagen, ob Pindar diese Nebenwirkung seiner Äußerung bewußt war oder ob er sie gar beabsichtigte. In der eigentlichen Kriegszeit schwieg Pindars Leier. Doch im Jahre 478 dichtete er für den Aigineten Kleandros, der als Knabe im Pankration gesiegt hatte, Isthm. 8. Die Komposition des Gedichts entspricht ungefähr dem Normal-Typus des Epinikions, den Schadewaldt im Anschluß an Fraustadt herausgearbeitet hat 1 . In das Proömium, eine recht ausführliche Gestaltung des „Sieg-Lied-Motivs" (Schadewaldt), ist das erste Lob des Siegers verwoben. Daran schließt mit einer ziemlich äußerlichen Anapher (15a—16, χρή . . . χρή) eine ausführliche Mythenerzählung über die Heroen von Aigina an, wo der Sieger zu Hause ist. In Analogie zum Lose des Achill, von dem am Schluß des Mythos gesagt wird, daß er Aigina und seine Herkunft aufgewiesen habe (πρόφαινεν, 56) und nach dem Tode von den Musen selbst besungen worden sei, in Analogie dazu also eilt der Musenwagen zum Lobe des Siegers und eines mit ihm verwandten Athleten, die ja auch ihrer Heimat Ehre bringen. Mit dem zweiten Siegerlob endet das Gedicht ohne einen besonderen Epilog. Das Proömium wollen wir einer genaueren Betrachtung unterziehen, da in dieses die persönlichste Äußerung Pindars aus der Zeit der Perserkriege eingeflochten ist 2 . Am Beginn steht die Aufforderung Pindars an die νέοι, dem Kleandros einen κώμος zu beginnen, indem sie zu dessen Vaterhaus ziehen, denn Kleandros hat sowohl bei den Isthmien als auch bei den Nemeen gesiegt. Auffällig an diesem Eingang ist die starke Betonung des Gedankens, daß das Lied das Entgelt für den Sieg und die dafür aufgewandten Mühen ist (λύτρον, 1 ; αποινα, 4); dasselbe Motiv wird in dem prägnanten χρή (15a und 16) noch einmal, ein wenig abgewandelt, aufgegriffen. Gerade Pindar hat diese Verpflichtung zum Preis der bewiesenen άρετή stets empfunden und zum Ausdruck gebracht 3 . Auch jetzt kann er sich nicht der Bitte 1 W. Schadewaldt, Der Aufbau des Pindarischen Epinikion, Halle 1928 ( = Schriften der Königsberger Gelehrten Gesellschaft, geisteswissensch. Klasse, 5. Jahr, Heft 3, S. 259ff.) ; G. Fraustadt, Encomiorum in litteris Graecis usque ad Romanam aetatem historia, Diss. Leipzig 1909, S. 32ff. Das bedeutende Buch von Schadewaldt und die Rezension durch H. Frankel, Gnomon 6 (1930), S. Iff. ( = Wege und Formen frühgriechischen Denkens, München 2 1960, S. 350ff.), waren mir für das Verständnis der pindarischen Lieder sehr wichtig. 2 Interpretation des Abschnitts bei Schadewaldt, a.a.O. S. 277ff. Ich setze die Kenntnis im folgenden voraus. 3 Vgl. außer Schadewaldt, a.a.O. S. 277ff. mit Anmerkungen, H. Gundert, Pindar und sein Dichterberuf, Frankfurt 1935, besonders S. 30ff.
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entziehen 1 , die Muse zu rufen, obwohl er noch betrübt ist. In den folgenden Versen berührt Pindar mehrmals das Leid, das ihn am Singen hindern könnte, und zwingt sich andererseits zu dem Entschluß eines „Dennoch". Wir erfahren, daß er den Sorgen nicht mehr nachhängen will, da er ja aus dem πένθος befreit ist, daß die απρακτα κακά vorüber sind, daß eine Gottheit den Tantalosstein von einem als „wir" angesprochenen Kollektiv abgewandt hat. Wer ist „wir" und was ist der Tantalosstein? Wilamomtz2 hat, wie mir scheint, richtig in ήμεΐς die Gemeinschaft der Thebaner, der Pindar angehört, und in dem Tantalosstein die δεκάτευσις gesehen, die der Griechenbund dem perserfreundlichen Theben angedroht hatte. Herodot (7,132,2) zufolge hatten die Griechen, die den Krieg mit den Persern aufnehmen wollten, geschworen, sie wollten jene Griechen, die sich ohne zwingenden Grund dem Perser unterwarfen, nach Kriegsende für den Gott in Delphi „zehnten" (δεκατεύειν)3. Nach der Schlacht von Platää, in der die Thebaner mit großem Einsatz auf seiten der Perser gekämpft hatten (vgl. z.B. Hdt. 9,67), marschierten die verbündeten Griechen gegen Theben und verlangten die Auslieferung der μηδίζοντες, andernfalls sie Theben mit Gewalt erobern wollten (Hdt. 9,86—88). Theben wird nur dadurch gerettet, daß die Führer der pro-persischen Partei sich für die Stadt opfern ; die Stadt behält ihre Freiheit. Da man auch in neuerer Zeit noch diese Deutung bestritten und in dem Tantalosstein die Bedrohung ganz Griechenlands durch die Perser gesehen hat 4 , müssen wir uns nach Argumenten umsehen, die uns in dieser Frage weiterbringen 5 . Großes Gewicht hat και εγώ (5): 1 Qundert, a.a.O. S. 114, Anm. 65, hat gegen Wilamowitz, Pindaros, S. 195, Domseiffs Übersetzung des αίτέομαι als „ich lasse mich erbitten" verteidigt. 2 U. υ. Wilamowitz-Moellendorff, SB Berlin 1909, S. 806ff., hier S. 810f., und derselbe, Pindaros, S. 198. 3 H. W. Parke, Consecration to Apollo. Δεκατεύειν τω έν Δελφοΐς θεώ, Hermathena 72 (1948), S. 82ff., legt mit Hilfe umfassenden Vergleichsmaterials dar, daß damit nicht das Eintreiben eines Tributs, sondern die völlige Vernichtung der Städte angedroht war; so übrigens schon richtig How ¡Wells in ihrem Kommentar zu Hdt. 7,132,2. 4 S. z.B. H. Qundert, a.a.O. S. 114, Anm. 66; J. Bidez, A propos des „Perses" d'Eschyle, Bull, de la classe des lettres de l'Académie royale de Belgique, Tome X X I I I (1937), S. 206ff., hier S. 215·,J.H. Finley, Jr., Pindar and the Persian invasion, HarvSt 63 (1958), S. 121ff., trifft keine klare Entscheidung zwischen den Möglichkeiten. M. R. Lefkowitz, Τω και έγω. The first Person in Pindar, HarvSt 67 (1963), S. 177ff., hier S. 210ff., legt besonderen Nachdruck auf die Feststellung, daß die Kriegsereignisse Theben und Aigina entfremdet hatten (S. 211f.), und meint, Pindar stelle die Verbindung zwischen beiden wieder her, indem er deutlich werden lasse, daß beide (daher ¿έμμι) durch die Befreiung von der Persergefahr neu zusammengerückt seien (S. 213). 5 Meine Gründe decken sich teilweise mit denen von Q.Méautis, Pindaro le Dorien, Neuchâtel 1962, S. 306ff.; den Verweis auf Isthm. 4,35ff. verdanke ich diesem Werk.
3 8467 Eierdorf (Hyp. 16)
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auch der Dichter — obwohl bekümmert — fühlt die Verpflichtung zu singen, die den — unbekümmerten — Aigineten offenbar selbstverständlich ist; die Beziehung der Sorge allein auf den Dichter (nicht auf den angesprochenen Chor) zeigen weiter έμοί (11), die Selbstanrede μήτε . . θεράπευε (7) und die „unechten" Plural-Formen πέσωμεν (6 a) und δαμωσόμε&α (8). Dazu kommt, daß Pindar seine Aussage über das geschuldete Lied abschließt durch den Hinweis, daß, wer in Theben geboren sei, die Blüte der Chariten Aigina mit Vorrang zuerkennen müsse; diese Äußerung legt zumindest nahe, daß Pindar sich auch in den vorhergehenden Worten schon als Thebaner verstand. Es ist dann nicht abwegig, in αμμι (10) ebenfalls den Dichter im Bunde mit seiner Heimatstadt zu sehen, von denen wenigstens 1 der Stein des Tantalos, also das Schlimmste, abgewendet wurde. Dieses Schlimmste, Thebens Zerstörung, wäre für ganz Hellas eine unerträgliche Last gewesen, ähnlich wie nach Pindars Ansicht (Isthm. 4,35ff.) der Tod des Aias μομφή bringt allen Söhnen der Hellenen, die nach Troja zogen. Hellas hätte sich eine unerträgliche Last aufgebürdet, wenn es Theben zerstört und geknechtet hätte : so müssen wir die Apposition verstehen, die einen irrealen Relativsatz ersetzt. Furcht hat Pindar von dem dichterischen Trachten (μέριμνα, 12) abgebracht; doch nun ruft er sich selbst energisch dazu auf, die Gegenwart lind unmittelbare Zukunft in den Blick zu nehmen. Der δόλιος αιών hängt über den Menschen: das Bild vom Tantalosstein wird durch eine parallele Vorstellung fortgesetzt. Nach dem Aufruf zur άγαθά έλπίς gleitet die Darstellung hinüber in den Mythos. Man könnte davon sprechen, daß uns hier das privateste und persönlichste Zeugnis aus der Zeit der Perserkriege vorliegt, das Zeugnis des Dichters, der um den Bestand seiner Heimat ernstlich bangen mußte ; man hätte mit einer solchen Auffassung gewiß nicht unrecht. Es gilt aber etwas anderes zu beachten, die Weise nämlich, wie das Erlebnis seinen Eingang in die Form des Epinikions gefunden hat. Das Bezeichnende ist, daß bei aller Intensität des Erlebnisses, die man noch in dem harten Ringen des Dichters zwischen Kummer und neuem Aufschwung spüren mag, nur dasjenige Eingang in das Gedicht findet, was mit dem Beruf und der Verpflichtung Pindars und dadurch mit dem Leitgedanken dieses Lied-Eingangs zu tun hat 2 . Daß dieser Eingang so ausführlich geraten ist, wird seinen Grund darin haben, daß der Gedanke der Verpflichtung gerade bei diesem ersten Lied Pin1 γέ ist präzis zu fassen; Theben ist zwar der Vernichtung entgangen, hat aber dennoch hart für seinen politischen Fehler büßen müssen; deshalb auch die Aufforderung zur άγαθά έλπίς (15a); mit Hilfe der έλευθερία, die Theben bewahren konnte, sind die Wunden heilbar (15). 2 So nach W. SchadewaMt, a.a.O. S. 279f., jetzt auch Lefkowitz, a.a.O. S. 210 und bes. S. 215.
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dars nach längerer Zeit des Schweigens durch die historische Situation besondere Aktualität besaß. Pindar hat sich von den Gefühlen des Schmerzes, der Sorge und der Depression frei gemacht. Aus dem Siegeslied für den Aigineten Phylakidas (Isthm. 5) sprechen nicht mehr 1 die düsteren Töne wie vorher. Pindar ist wahrscheinlich selbst nach Aigina gekommen, um die Aufführung des Liedes zu leiten (vgl. W . 21 f.). Das Proömium wendet sich im hymnischen Stil an Theia, die Mutter des Helios (vgl. Hes. Theog. 371), die in Pindars Vorstellung der Grund ist, warum die schönen und wertvollen Dinge angesehen und bewundert sind; sie ist es, die dem Wert den Glanz hinzufügt 2 . Eine Gnomen-Kette leitet hinüber zum ersten Lob des Siegers Phylakidas. Der Sieger verdient Lob für seine Mühen (άντί πόνων), wie ja auch die trefflichen Kämpfer unter den Heroen sich λόγος und κλέος verdient haben für alle Zeit. Damit ist der Übergang zum Mythos gefunden, der hier freilich eine absonderliche Form hat. Selbst wenn man akzeptiert, daß eine mögliche Form des Mythos der Katalog der Ruhmestaten der Ortsheroen ist 3 , so befremdet an unserer Stelle noch immer das völlige Fehlen eines schildernden Teiles und die parallelisierende Aufzählung, die hier der chronologisch reihenden Aufzählung der aiginetischen Ruhmestaten vorangeht. An den KataJog schließt sich recht locker das zweite Siegerlob, mit dem das Lied schließt. Das Ende des Katalogs verdient, wie mir scheint, besondere Aufmerksamkeit. Die Aufzählung der Taten der Aiakiden wird mit der Feststellung abgeschlossen: „Seit alters (πάλαι) ist Aigina durch hochragende Trefflichkeit befestigt als ein Turm, den man nicht ersteigen kann" (44—45)4. Der folgende Hinweis auf die Überfülle des Materials, das dem Dichter zur Verfügung steht, greift durch περί κείνων nochmals auf die aiginetischen Heroen zurück; daran aber schließt Pindar die Feststellung an, daß sich die Trefflichkeit der Aigineten auch in jüngster Vergangenheit (vüv, 48) bei Salamis im viele vernich1
Ich folge für die Datierung — wenigstens was die R e i h e n f o l g e der Gedichte Isthm. 8 und 5 angeht — der Auffassung von U. v. Wilamowitz, Pindaros, S. 195ff. (vgl. auch S. 168f.). Dagegen sind besonders die englischen Interpreten in letzter Zeit nach dem Vorgang von Gaspar und Farnell der Auffassung, daß Isthm. 5 vorangeht und in den Herbst des Jahres 480 zu setzen ist; so z.B. J.H.Finley, HarvSt 63 (1958), S. 121ff. Q.Norwood, Pindar, Berkeley und Los Angeles 2 1956, S. 191 ff., läßt die Frage offen. 2 Zum Theia-Proömium vgl. Schadewaldt, a.a.O. S. 270, Anm. 1; Gundert, a.a.O. S. 11 f.; H. Frankel, Dichtung und Philosophie, S. 554ff. 3 Schadewaldt, a.a.O. S. 309f. und 338f. 4 Wilamowitz, Pindaros, S. 203, Anm. 1, und Schadewaldt, a.a.O. S. 320, Anm. 2, haben πύργος άναβαίνειν doch wohl richtig verstanden; man muß dann ύψηλαϊς άρεταϊς konsequenterweise zu τετείχισται ziehen (Wilamowitz, S. 203, gegen Dornseiffs Übersetzung) ; Subjekt des Satzes ist Aigina, das man aus dem Vorhergehenden ergänzen muß. 3*
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tenden Regen des Zeus bewährt habe. Salamis, die πόλις Αΐαντος1, die durch die Seeleute aufgerichtet wurde, ist Zeuge für diese kriegerische Leistung der Aigineten (48), ähnlich wie das Grab des Iolaos und Eleusis Rechtshelfer (σύνδικος2) für die athletische Leistung des Epharmostos sind (Ol. 9,98f.). Pindar hat durchaus Veranlassung, die Schlacht von Salamis zum Ruhme der Aigineten zu erwähnen, da diese maßgeblichen Anteil an dem griechischen Seesieg von 480 hatten und ihnen die Aristie zugesprochen wurde 3 . Daß der Tod sich wie Hagel auf zahllose Männer stürzte (50), kann uns an das Ende der Schlachtschilderung bei Aischylos gemahnen (Pers. 424ff.). Überwallendem Jubel kommt Pindar zuvor durch eine Formel des „Unberufen" (Schadewaldt): „Benetze das Prahlen mit Schweigen! Zeus gibt bald dieses, bald jenes" (51—52). Aus dieser Äußerung dürfen wir weder folgern, daß Pindar hier vor dem noch ungeschlagenen persischen Landheer warnt, daß das Gedicht also zwischen den Schlachten von Salamis und Platää abgefaßt ist 4 , noch auch daß Pindar des griechischen Sieges nicht froh wurde und den Ruhm von Salamis verkleinern wollte 5 . Norwood, der die letzte Auffassung vorgetragen hat, gibt selbst zu, daß „such warnings occur frequently in his (i.e. Pindar's) panegyrics" (S. 195). Seiner Meinung, eine solche warnende Formel sei hier auffällig, weil das Lob nicht prachtvoll, sondern recht karg gewesen sei, kann ich nicht zustimmen ; daher sehe ich in der Warnung hier nichts anderes als an den übrigen Stellen, die Vorsicht des Dichters, der zwar geziemenden κόμπος in den Sang mischen will als Entgelt für die Mühen (24—25), aber dennoch den Preis nicht zum Prahlen ausarten läßt, um nicht den Unwillen der Götter herauszufordern. Der formalen Gestaltung der Stelle sollen noch ein paar Worte gewidmet werden. Schadewaldt (S. 309) hat hervorgehoben, daß der Katalog der Taten der Aiakiden reine Aufzählung bleibt, ohne sich an einem einzelnen Punkte zur Erzählung zu erweitern (so in Nem. 3 und 4). Wir haben weiter gesehen, daß mit τετείχισται δέ πάλαι die „mythischen" Leistungen resümiert werden, mit νυν έν "Αρει μαρτυ1 Unter πόλις Αϊαντος braucht man keineswegs die S t a d t Salamis zu verstehen; πόλις bedeutet durchaus nicht immer präzis „Stadt" (sicheres Gegenbeispiel bei Pindar ist Ol. 7,34) und scheint hier den ganzen Bereich der Insel zu umfassen, da II. Ξ 230 die Insel Lemnos in einer ganz parallelen Wendung als πόλις Θόαντος bezeichnet wird. 2 Plat. Leg. 929 e 5—6 stellt μάρτυρες und σύνδικοι direkt nebeneinander. — Auch in der römischen Dichtimg werden örtlichkeiten als Zeugen von Kampftaten genannt; vgl. Hör. c. 4,4,38 und den Kommentar von KießlinglHeinze zur Stelle. 3 Hdt. 8,93,1 : έν δέ TJ) ναυμαχίη ταύτη ήκουσαν Ελλήνων δριστα Αίγινήται, . . . 4 So zuletzt J.H.Finley, HarvSt 63 (1958), S. 121f. 5 So G. Norwood, Pindar, S. 194ff. im Anschluß an F.Mezger, Pindars Siegeslieder, Leipzig 1880, S. 346.
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ρήσαι ein Exemplum aus der jüngsten Vergangenheit angefügt wird. Vergleichen darf man Inhalt und Komposition des Katalogs der Großtaten Athens in der panegyrischen Prosa-Rede, wofür uns bei Herodot (9,27) ein — freilich der besonderen Situation angepaßtes — Beispiel vorliegt. Deutlich geschieden werden έργα παλαιά und εργα καινά vorgetragen (vgl. hier πάλαι — νυν); am Ende von Hdt. 9,27,4 stellen die Wortführer den Übergang von der einen zu der anderen BeispielGruppe durch die Überlegung her, daß die Athener ja früher tüchtiger (oder weniger tüchtig: die Alternative ist hier bedeutungslos) als heute hätten sein können; diese Erwägung wird durch die Konstanz der Trefflichkeit auch in jüngster Vergangenheit (Marathon) als falsch erwiesen. Die Kontinuität der αρετή aber will auch Pindar in dem Preis der aiginetischen Vergangenheit hervorheben. Wir greifen hier also einen Gedankengang und eine Kompositionsform, die offenbar die epideiktische Beredsamkeit aus der Tradition der Chorlyrik übernommen hat 1 . Zwei berühmte Dithyramben hat Pindar in späteren Jahren für die Athener geschrieben. Der zweite, von dem uns nur einige Bruchstücke erhalten sind (fr. 76—77 Sn.2), enthält einige Aussagen, die wir auf die Perserkriege beziehen dürfen. Τ
Ω ταί λιπαραί και ίοστέφανοι και άοίδιμοι, Ελλάδος ερεισμα, κλειναί Άθαναι, δαιμόνιον πτολίεθρον. *
δθ-ι παίδες Ά&αναίων έβάλοντο φαεννάν κρηπϊδ' έλευθερίας. Das Werk gehört vermutlich in die zweite Hälfte der 70er Jahre, vielleicht nicht allzu weit vor Pyth. 9, das die Scholien auf 474 datieren 3 . Snell ist der Meinung H.Meyers4 gefolgt und hat fr. 76 an die Spitze des Gedichtes gerückt. Das Gedicht setzte also mit einem hymnischen 1
Wir werden auf diese Zusammenhänge später zurückkommen müssen (a.u. S. 46f. und S. 106). 2 Ob fr. 78 Sn. in dasselbe Gedicht gehört, scheint mir zweifelhaft; schol. ad Aesch. Pers. 50 sagt freilich, es stamme aus einem Dithyrambos ; das Metrum ließe sich in einem Dithyrambos allenfalls mit dem der beiden übrigen Stücke vereinen ( Wilamowitz, Pindaros, S. 273). Es fällt aber schwer, sich die Fragmente 76 und 78 in einem Lied vereinigt zu denken, da beide den Charakter des Liedeingangs tragen. 3 Man hat vermutet, daß die Apologie Pindars in Pyth. 9 auf thebanische Angriffe antwortet, die wegen der Verherrlichung Athens in unserem Dithyrambos gegen den Dichter gerichtet wurden. Die spätere Tradition über eine Bestrafung Pindars in Theben und seine Belohnung in Athen mag damit zusammenhängen. 4 H.Meyer, Hymnische Stilelemente in der frühgriechischen Dichtung, Diss. Köln 1933, S. 58.
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Preis auf die Stadt Athen ein; zu vergleichen sind die hymnischen Anrufungen anderer Städte in einigen Epinikien (Ol. 8; Pytb. 2; Pyth. 12), die ebenfalls alle am Eingang der Gedichte stehen und so, mit Pindars Worten gesprochen, ein πρόσωπον τηλαυγές (Ol. 6,3f.) bilden. Die rühmenden Epitheta λιπαρός, ίοστέφανος und κλεινός gehören später zum festen Bestand bei wohlwollender Nennung Athens 1 . Der vielfach vertretenen Auffassung, daß unser Pindar-Fragment (76) den Ausgangspunkt für den Gebrauch dieser Epitheta in bezug auf Athen bildet, kann ich nicht zustimmen. Aristoph. Equ. 1329 halte ich für eine direkte Imitation, im übrigen jedoch ist es nicht wahrscheinlich, daß der Boioter Pindar ein für allemal die Epitheta Athens prägt. Es ist vielmehr einleuchtender, daß der Preis Athens schon in der chorlyrischen Kunst ausgeprägt war und Pindar sich das traditionelle Gut zunutze machte. Dazu paßt es, wenn κλεινός schon Aisch. Pers. 474 so fest mit dem Namen Athens verknüpft zu sein scheint, daß es selbst in einer Situation gebraucht wird, wo es allem εικός widerspricht. Außerdem ist λιπαρός offenbar damals schon so eng mit dem Preis Athens verbunden, daß es auch in einem Lied auf einen Akragantiner wie selbstverständlich zu dem beiläufig erwähnten Namen Athens tritt (Isthm. 2,20; entstanden wahrscheinlich um das Jahr 470). In die Reihe der Epitheta eingeschoben ist Ελλάδος ερεισμα, was wir in dieser Zeit wohl einzig auf Athens Rolle in den Perserkriegen beziehen können, ερεισμα pflegt man als „Schutz, Bollwerk" zu übersetzen. Es entspräche dann ungefähr der Vorstellung der Epitaphien, daß die Athener seit jeher, besonders aber durch die Schlacht von Marathon die πρόμαχοι Griechenlands seien, und der z.B. Aisch. Pers. 233 f. vertretenen Ansicht, daß ganz Hellas dem Großkönig Untertan würde, falls er Athen überwältigte. Doch daran, scheint mir, hat Pindar nicht gedacht, ερεισμα heißt „Stütze, Rückhalt": Ol. 2,6 heißt Theron ερεισμ' 'Ακράγαντος, und Soph. O. C. 58 wird 1 λιπαρός = „glänzend" (eigentlich: ölig, fett; das Epitheton mag ursprünglich Athen als der Heimat des ölbaums zugedacht gewesen sein) steht ζ. B. Pind. Isthm. 2,20; Nem. 4,18f.; Orakel bei Hdt. 8,77; Eur. Ale. 452; Iph. Taur. 1130f.; Troad. 803; Aristoph. Ach. 639; Nub. 300; Equ. 1329; fr. 110Kock. ίοστέφανος = „veilchenbekränzt" steht neben λιπαρός zum Lobe Athens bei Aristoph. Ach. 637; Equ. 1329. Aus Aristoph. Ach. 636ff. geht deutlich hervor, daß die beiden Epitheta die beliebtesten und gebräuchlichsten Ruhmesworte Athens waren und daß auch jeder Auswärtige sie kannte. Von άοίδιμος behaupten zwar die Lexika seit dem „Thesaurus Graecae linguae" des Stephanus, daß es ein ständiges Epitheton Athens seit unserem Pindar-Fragment sei, doch habe ich keine hierhin gehörende Stelle auffinden können (bei Aischylos, Sophokles und Aristophanes kommt das Wort gar nicht, bei Euripides nur einmal in anderem Zusammenhang vor). U m so gebräuchlicher ist κλεινός, das sich z . B . Aisch. Pers. 474; Soph. Ai. 861; Eur. Heraclid. 38; Hipp. 423. 760. 1094. 1459; Ion 30. 262. 590. 1038; Phoen. 1758; Troad. 207f. findet.
Interpretationen zu Pindar
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ein heiliger Platz Attikas als ερεισμ' 'Αθηνών bezeichnet. Demnach wird Athen hier wohl Ελλάδος έρεισμα genannt, weil es das Herz des griechischen Widerstandes gegen die Perser war in d e r Weise, daß es die übrigen griechischen Staaten zum Kampfe aufrief (έπεγείρειν, Hdt. 7,139,5) und durch seine Standhaftigkeit auch die anderen zum beharrlichen Kampfe anspornte. In dasselbe G«dicht gehört nach dem Zeugnis Plutarchs (Mor. 350 A) fr. 77 (vollständigstes Zitat bei Plut. Them. 8,2); Pindar erwähnte die Schlacht am Artemision, „wo die Söhne der Athener den glänzenden Sockel der Freiheit aufstellten". Wie φαεννός beweist, ist κρηπίς nicht das (den Augen entzogene) Fundament, sondern die (sichtbare) Basis eines Gebäudes oder eines Altars. Das Bild stammt offenbar vom Bauen; Pindar hat κρηπΐδα βάλλεσθαι auch sonst im übertragenen Sinn gebraucht (Pyth. 4,138; 7,3; s. a. Schroeders Pythien-Kommentar zu der letzten Stelle). Plutarch deutet im Kontext des Zitats in der Themistokles-Vita die Worte so, daß die Schlacht am Artemision zwar keinen entscheidenden Sieg gebracht, wohl aber die Griechen von der Furcht vor dem Gegner befreit und dadurch den Ausgangspunkt geschaffen habe für die endgültigen Erfolge in den späteren Schlachten, da der Anfang des Siegens das Selbstvertrauen (τό θ-αρρεΐν) sei1. Wir brauchen dem nicht unbedingt zu folgen. Nach athenischer Auffassung endete die Schlacht am Artemision mit einem griechischen, d. h. vornehmlich athenischen Sieg2; dieser wurde dann als Auftakt für die Kette der späteren Siege angesehen : Plut. Mor. 350A/B hat die letzteren in konsequenter Fortführung des von Pindar gewählten Bildes als άδαμάντινοι κίονες bezeichnet. — Da wir uns von dem Dithyrambos, dem die Fragmente entstammen, kein genaueres Bild machen können, ist es uns auch unmöglich, über den formalen Aufbau Sicherheit zu gewinnen und das Werk mit ähnlichen Schöpfungen wie dem Boreas-Lied des Simonides zu vergleichen. Die letzte Äußerung Pindars zu den Perserkriegen finden wir im ersten pythischen Gedicht, das der Dichter für die Gründungsfeierlichkeiten der von Hieron gegründeten Stadt Aitna im Jahre 470 verfaßte. Hieron hatte sich bei seinem pythischen Wagensieg im Jahre 470 als Αίτναΐος ausrufen lassen (32f.). Da Hierons Sohn Deinomenes als Regent in Aitna eingesetzt war, hatte das Gedicht ein sehr reiches „Programm"; dem entspricht ein gegenüber dem Normaltyp komplizierterer Aufbau 3 . 1
Ähnlich die Auffassung Piatons von der moralischen Wirkung der Schlacht von Marathon (Menex. 240 e). a Vgl. Aristoph. Lys. 1251—53; einen athenischen Sieg sieht in der Schlacht z.B. das Epigramm von einer Stele am Artemision bei Plut. Them. 8,5 ( = [Simon.] fr. 109 D.). 3 Zur Interpretation des Gedichtes vgl. außer Schroeders Kommentar zu den Pythien und Wüamoudtz, Pindaros, S. 296ff. noch Schadewaldt, a.a.O. S. 335ff.;
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I. Erlebnis und Zeugnis bei Simonides und Pindar
Den Anfang macht ein hymnischer Preis der goldenen Leier Apolls und der Musen, in dem die ordnende und sänftigende Wirkung der apollinischen Musik verherrlicht wird : die σοφία Apolls und der Musen ist es, wie sich am Ende (12) herausstellt, die auch die strengen und rauhen Kräfte des Himmels zähmt. Die Feinde des Zeus dagegen erschrecken, wenn sie den Klang vernehmen: als Beispiel dient der Titan Typhos, der nach alter Sage unter Sizilien und die naheliegenden Inseln gezwängt ist und die Feuerströme aus den Vulkanen treibt. Im Umschlag des Gedankens schließt sich die Bitte an, Zeus zu gefallen, dem Herrn des Berges Aitna, nach welchem die neugegründete Stadt ihren Namen hat, einen Namen, der mit κϋδος verbunden ist, ebenso wie die Ausrufung des Hieron als Αίτναΐος bei seinem Wagensieg in Delphi der jungen Stadt gewissermaßen günstigen Fahrtwind zum Beginn schenkte. Nach dem Wunsch, daß Ruhm und festliche Freude auch die weitere Entwicklung der Stadt begleiten möge, folgt das Lob Hierons, auf dessen Wagensieg der Dichter im vorherigen ja zu sprechen kam. Die Liedschuld an Hieron (ποινάν, 59) soll auch bei dessen Sohn Deinomenes abgetragen werden, der sich ja mit über den Sieg des Vaters freut. Der Anruf an die Muse (58), dann auch das αγε (60) machen einen neuen Einsatz kenntlich. Das Lied wendet sich wieder der Stadt Aitna und nunmehr erstmals dem jungen König Deinomenes zu. Das Lob Hierons freilich wirkt auch hier noch weiter, ist er es doch, der die Stadt gegründet (οίκιστήρ, 31) und ihr die dorische Verfassung gegeben hat (61 ff.). Wieder richtet sich das Gebet an Zeus; mit seiner Hilfe soll Hieron die Bevölkerung der Stadt zur σύμφωνος ησυχία führen. Während in dieser Fügung das Element σύμφωνος die innere Eintracht der Stadt betrifft und ebenso wie die Anrufung des Zeus auf die Zeichnung der kosmischen Harmonie am Beginn zurückweist, zielt ησυχία auch auf den Frieden von außen, von dem in den folgenden Versen dann die Rede ist. Für Ruhe von außen besteht einigermaßen Gewähr, nachdem in der Schlacht von Himera (480 v.Chr.) die Karthager, in der Seeschlacht bei Kyme (474 v.Chr.) Karthager und Etrusker geschlagen worden sind. Diese Ereignisse werden denn auch in den folgenden Zeilen reflektiert. Das Gebet an Zeus wird fortgesetzt mit der Bitte, daß der Kriegsruf der Phoiniker ( = Karthager) und Tyrsener ( = Etrusker) in zahmem Hause die frevelhafte Kriegsflotte halten solle anH.Fränlcel, Dichtung und Philosophie, S. 516ff.; F. Klingner, Das erste pythische Gedicht Pindars, Antike 11 (1935), S. 49ff. (wieder abgedruckt als Anhang in dem Sammelband „Römische Geisteswelt"); R. W. B. Burton, Pindar's Pythian Odes. Essays in Interpretation, Oxford 1962, S. 91 ff.
Interpretationen zu Pindar
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gesichts der πάθη vor Kyme1. Durch diesen Seesieg zog Hieron nach Pindars Auffassung Hellas aus schwer lastender Knechtschaft, έξέλκειν bezeichnet hier freilich nicht die Befreiung von der (vorhandenen) δουλία ( = δουλεία), was man dem Wortsinn nach eigentlich vermuten müßte, sondern die Bewahrung vor der (drohenden) δουλία, letztere verstanden als Unfreiheit im Gegensatz zur ελευθερία, nicht als Sklaverei im engeren Sinne2. Daß Hellas vor Knechtschaft bewahrt wurde, 1 Ich folge der Deutung der Stelle durch H. Frankel, Dichtung und Philosophie, S. 520f., Anm. 24, dem Snell sich offenbar in der Konstitution des Textes angeschlossen hat (s. bes. die Konjektur τά für τάν, 72). Gegen Frankels Deutung neuerdings Burton, a.a.O. S. 104f. 2 Die Behandlung des Begriffs δουλεία bei O. Nenci, Introduzione alle guerre Persiane, Pisa 1958, S. 36ff., darf hier nicht unwiderlegt bleiben. Nenci stellt richtig fest, daß δουλεία in dieser Zeit der Gegensatz von έλευθερία ist, während αυτονομία erst später in Erscheinung tritt (αυτόνομος zweimal bei Herodot; αυτονομία zuerst bei Thukydides). Die Folgerungen freilich, die Nenci aus diesem Sachverhalt zieht, sind unhaltbar. Nach seiner Meinung haben die Griechen in den Perserkriegen nicht für ihre politische Freiheit im Sinne innen- und außenpolitischer Selbständigkeit gekämpft, sondern entweder für ihre persönliche Freiheit mit dem Willen, nicht in die Sklaverei verschleppt zu werden, oder aber für die Erhaltung der demokratischen Ordnung ihrer πόλεις. Die erste Möglichkeit erhärtet er durch Hinweis auf die Versklavung der Milesier (Hdt. 6,20) und den Auftrag des Dareios an Datis und Artaphrenes, ihm die Athener und Eretrier als Sklaven vorzuführen (Hdt. 6,94,2). Die zweite Möglichkeit wird gar nicht erst ins Auge gefaßt, was ja auch Schwierigkeiten machen würde, da Mardonios nach Herodots Zeugnis (6,43,2) 492 die τυραννίδες in den jonischen Städten durch demokratische Ordnungen ersetzte. Bliebe also die Gefahr, in die Sklaverei verschleppt zu werden. Nachdem Eretria 490 dieses Schicksal erlitten hatte, drohte es 480 nur noch Athen, 479 nicht einmal mehr Athen, nachdem Mardonios den Makedonen Alexander als Unterhändler nach Athen geschickt hatte mit dem Angebot der inneren Selbständigkeit bei äußerem Anschluß an die Perser (Hdt. 8,140; Mardonios nimmt übrigens das αύτόνομος der Xerxesbotschaft durch ελεύθερος wieder auf!). In den Epigrammen der anderen griechischen Staaten steht aber ebenso wie in den athenischen, daß die Gefalienen der Perserkriege die δουλεία von ihrer Stadt oder von Hellas abgewandt haben; dazu paßt es, daß Xerxes in der Rede bei Hdt. 7,8 äff. in Aussicht stellt, daß Schuldige und Unschuldige zwar nicht in die Sklaverei verschleppt werden, aber unter persischer Oberherrschaft (Mardonios will Satrap von Griechenland werden, Hdt. 7,6,1) stehen und somit das „Sklavenjoch" tragen sollen (δούλιον ζυγόν, Hdt. 7,8 γ 3, ist die Adaption einer alten Formel ebenso wie das von Nenci, S. 41 f., mißdeutete δούλιον ήμαρ in dem ersten der sogenannten „Marathon"-Epigramme). I n Mardonios' Worten heißen die Saken, Inder, Äthiopen und Assyrier δοϋλοι (Hdt. 7,9,2), in Xerxes' Rede Aristagoras, der Tyrann von Milet (Hdt. 7,8 β 3), wie überhaupt die dem Großkönig untergebenen Vasallen und Unteranführer δοϋλοι heißen. Die Griechen haben sehr wohl verstanden, daß es in dem Kampf gegen die Perser um ihre politische Unabhängigkeit ging, δουλεία ist nicht nur der Gegensatz zur έλευθερία, sondern auch zu dem speziellen Ausdruck αυτονομία (Isokr. 9,68); vom άνδραποδισμός, mit dem Nenci die δουλεία gleichsetzen will, ist sie z.B. bei Thukydides (5,9,9) ausdrücklich geschieden. Wenn das Wort „Autonomie" erstmals bei Herodot (als Adjektiv) und Thukydides (als Substantiv) erscheint, so dürfen wir dem nicht
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I. Erlebnis und Zeugnis bei Simonides und Pindar
galt im allgemeinen nur von den Siegen, die die Griechen des Mutterlandes über die Perser erfochten hatten; hier wird die Aussage auf die Führer der sizilischen Griechen, besonders auf Hieron, ausgeweitet, die großen Wert darauf legten, daß ihre Erfolge über Karthager und Etrusker den Siegen über die Perser von 480 und 479 gleichgeachtet wurden. Die Sizilier behaupteten ja, sie hätten den Griechen des Mutterlandes nicht gegen die Perser beistehen können, da sie selbst sich gegen einen Angriff der Karthager verteidigen mußten (Hdt. 7,165); man ging sogar so weit in der Parallelisierung der Ereignisse, daß man versicherte, der Sieg des Gelon, Hierons Bruder und Vorgänger als Tyrann von Syrakus, und des Theron von Akragas über die Karthager am Himeras-Fluß sei am gleichen Tage erfochten worden wie der Seesieg der Griechen über die Perser bei Salamis (Hdt. 7,166)1. Pindar spricht zwar nicht direkt von diesem Synchronismus, doch stellt er (75—80) durchaus die Siege von Salamis, Platää und Himera priamelartig nebeneinander. R. A. Brower2 hat geglaubt, aus der Stelle schließen zu dürfen, daß Pindar auch Lieder auf die Schlachten von Salamis und Platää gedichtet habe; Bidez3 hat immerhin ein Angebot Pindars darin gesehen, nach Athen zu kommen und den Sieg von Salamis zu besingen. Obwohl die zweite Auffassung sich zumindest sprachlich vertreten läßt, haben wir keinen Grund, den Text so wörtlich zu nehmen. Pindar will nach der Erwähnung von Kyme auch noch die Schlacht von Himera nennen. In der vorher schon beschriebenen Absicht, die Taten der Ost- und Westgriechen gleich zu werten, schickt er kurz einige Worte über Salamis und Platää voraus ; Salamis gilt ihm als der Sieg der Athener, Platää als derjenige der Spartaner 4 . Der Sieg von Hientnehmen, daß es den Begriff vorher nicht gegeben hat. Ich stehe nicht an zu behaupten, daß έλευθερία vor der Prägung des Wortes αυτονομία dessen speziellen Bedeutungsgehalt mit umfaßt hat und auch nachher noch oft genug mit vertreten mußte (αύτόνομος und seine Ableitungen kommen nur recht selten vor). — Durch die neuerdings erschienene Abhandlung von F. Qschnitzer, Studien zur griechischen Terminologie der Sklaverei. 1. Grundzüge des vorhellenistischen Sprachgebrauchs, Abh. Mainz 1963, 13, Wiesbaden 1964, sehe ich mich in meiner Auffassimg bestätigt (vgl. bes. S. 10 mit Anm. 1). 1 Daß die Schlachten von Salamis und Himera etwa gleichzeitig (κατά τούς αύτούς χρόνους) stattfanden, wird auch von Aristot. Poet. 1459 a 24ff. vorausgesetzt. 2 R. A. Brower, The Theban Eagle in English Plumage, ClPh 43 (1948), S. 25ff., hier S. 25 und S. 27. 3 J. Bidez, A propos des „Perses" d'Eschyle, Bull, de la classe des lettres de l'Acad. royale de Belgique, Tome XXIII (1937), S. 224. 4 Diese Verteilung der Leistungen dürfen wir, glaube ich, schon in Aischylos' „Persern" erkennen. Schon in die erste Klage nach der Meldung der Niederlage mischt sich der Name Athens (Pers. 284ff., bes. 286), während die Niederlage von Platää nach der Prophezeiimg des Dareios Δωρίδος λόγχης δπο (817, mit Broadheads Kommentar) erfolgen wird.
Vergleich und Auswertung
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mera, auf den die Reihe hinführt, wird partizipial angeschlossen (zur Konstruktion vergleiche man Sehroeders Kommentar). Den Schluß des Liedes, auf den wir hier nicht einzugehen brauchen, bilden Mahnungen an den jungen König Deinomenes, die in einer paradigmatischen Gegenüberstellung des Kroisos und des Phalaris enden, bei der das Motiv „Böse Menschen kennen keine Lieder" des Anfangs wieder aufgegriffen wird. Die Schlußgnome ist fast wörtlich aus Isthm. 5,12f. übernommen. c) Vergleich und Auswertung Nach der Interpretation der einzelnen Gedichte dürfen wir fragen : was trennt die beiden Berufsgenossen Simonides und Pindar, was können wir als Gemeinsamkeiten festhalten? Gern hat man die beiden Dichter in d e r Weise kontrastiert, daß man an Simonides die trotz des hohen Alters erwachte Begeisterung für die griechische Sache hervorhob und dagegen den „politischen Irrtum" Pindars stellte 1 . Es scheint mir, daß derartige Auffassungen einseitig sind und im Grunde immer noch auf das unvollständige und mißverstandene Zitat bei Polybios und auf das Urteil des strengen Historikers zurückgehen. Wir konnten aber zeigen, daß hier der Dichter schlichtend in den Parteienstreit seiner Heimatstadt eingriff, daß darin sicher keine neutralistische und nur indirekt eine pro-medische Äußerung Pindars lag. Pindar war ein echter und ganzer Sohn Thebens und liebte seine Heimat, wie man es erwarten darf 2 . So muß man auch seine Erschütterung verstehen, als er seine Vaterstadt in ihrem Bestand bedroht sah; die Nachwirkungen können wir ja noch im Eingang von Isthm. 8 feststellen. Pindar war zweifellos in einer Zwangslage ; selbst wenn er den Sieg der Griechen aus vollem Herzen begrüßte, war ihm in der Drangsal Thebens sicher nicht nach lautem Jubel zumute. Nachdem aber Angst und Bedrohung gewichen waren, hat er nicht gezögert, den siegreichen Griechen die gebührende Anerkennung zu zollen. Athen, den Erzfeind Thebens, hat er vor und nach dem Xerxeszug (Pyth. 7; fr. 76/77) gepriesen, im letzten Fall mit ausdrücklicher Erwähnung der Leistung, die es im Perserkrieg vollbracht hatte. Da1
A. Lesky, Geschichte der griechischen Literatur, Bern 2 1963, S. 214, spricht im Zusammenhang mit fr. 5 D. (531 P.) vom „dichterischen Anteil des Simonides am großen Kampf um die Freiheit" (vgl. auch S. 210); ders., ebd., S. 184: „Beziehungen Pindars zu dem perserfreundlichen Adel seiner Stadt sind nicht zu bezweifeln; . . . In den Jahren nach dem Sieg aber lag sein politischer Irrtum als schwere Last auf ihm." 2 Dieser Aspekt zuletzt gebührend herausgestellt von J.-Ch. Even, a.a.O. S. 41 ff.
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I. Erlebnis und Zeugnis bei Simonides und Pindar
neben verdient das Lob der Aigineten (Isthm. 5,43ff.) genannt zu werden, das keineswegs karg und spärlich ist, wie ich oben gezeigt zu haben glaube. Vergleichen wir die Äußerungen des Simonides, so dürfen wir wohl annehmen, daß seine rühmenden Erwähnungen der Perserkriege zahlreicher und ausführlicher waren als diejenigen Pindars, obwohl das wirklich Überkommene diese Annahme nicht auf den ersten Blick zu rechtfertigen scheint 1 . Doch lassen die erhaltenen Reste und Testimonien noch soviel erkennen, daß in seinen Gedichten ausführliche Schilderungen von Schlachten gegen die Perser enthalten waren. Eine gewisse Möglichkeit zum Vergleich besteht zwischen dem BoreasLied des Simonides und dem athenischen Dithyrambos Pindars. Während im Liede des Simonides anscheinend so ausführlich von der Schlacht die Rede war, daß das ganze Gedicht in späterer Zeit danach ή έπ' Άρτεμοσίω ναυμαχία genannt wurde, scheint Pindar das Ereignis weniger detailliert behandelt, in seiner historischen Bedeutung bestimmt und in die Kette der Geschehnisse eingeordnet zu haben. Wir können hier also eine Parallele zu der Aufzählung in Isthm. 5 feststellen und dürfen gleichzeitig daran erinnern, daß Pindar — wie schon oft bemerkt — auch bei der Erwähnung der aktuellen Sportsiege fast stets von konkreten Einzelheiten des Wettkampfes absieht. Außerdem mag Pindar über Einzelheiten nicht in derselben Weise wie Simonides informiert gewesen sein 2 . Pindar war ja Thebaner. Wir sehen uns bei diesen abschließenden Fragen immer wieder auf dieses fundamentale Faktum zurückgeworfen. Herkunft und Lebensumstände beeinflussen das Schaffen des Dichters Pindar, auch wenn er, wie ich glaube, nicht ein „Mitläufer" des perserfreundlichen Adels seiner Stadt gewesen ist. Wir müssen uns über die Umstände seines künstlerischen Schaffens klar sein. Die chorlyrischen Gedichte sind, wie H.Fränkels unterstrichen hat, in der Regel „Gebrauchspoesie", „bestellte und hochbezahlte Ware"; das gilt für Simonides nicht anders als für Pindar, obwohl es — ebenfalls bei beiden — nicht ausschließt, daß sich mit dem sachlichen Gebrauchszweck eine tiefer greifende, ethisch bestimmte Absicht des Dichters verbindet. 1
Die uns bekannten Erwähnungen halten sich etwa die Waage. Macana Überzeugung (Commentary on Herodotus, 7—9, v o l . I I , S. 11 f.), daß Pindar gewiß öfter auf die uns angehenden Themen zu sprechen kam und nur der Verlust des größten Teils seines Werkes für unser falsches Bild verantwortlich ist, kann ich nicht teilen. Es ist sicher möglich, daß uns das eine oder andere Stück entgangen ist; aber dasselbe müssen wir ja bei Simonides annehmen. 2 Kenntnis der besonderen Wünsche des Adressaten (u. S. 45) ist damit nicht ausgeschlossen; gerade in Hierons Fall lag sie für Pindar nahe, da er längere Zeit in freundschaftlichem Kontakt zu dem Monarchen stand. 3 H. Frankel, Dichtung und Philosophie, S. 369. Für Pindar vgl. jetzt G.M. Bowra, Pindar, Oxford 1964, hier S. 355 ff. (Ich bedaure, daß ich Bowras Buch erst bei der Korrektur heranziehen konnte).
Vergleich und Auswertung
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Es ist jedenfalls einsichtig, daß nach dem Ende des Perserkriegs die Griechen und insbesondere die Athener nicht in erster Linie auf den Thebaner Pindar verfielen, wenn es darum ging, den Kompositionsauftrag f ü r die damals nicht seltenen festlichen Gelegenheiten zu vergeben. Seine Stadt war diskriminiert, er selbst noch keineswegs auf der Höhe seines Ruhms. Zudem lebte in Athen, in unmittelbarer Umgebung des Themistokles \ der Altmeister chorlyrischer Kunst, Simonides, den man damals kaum übergehen mochte. Man kann sich vorstellen, wie Simonides mit seiner jonischen Neigung zur detaillierten Darstellung und seinem feinen sprachlichen Gespür die Zuhörer zu fesseln wußte. Auch einen anderen Gesichtspunkt werden wir nicht außer acht lassen dürfen. Der Auftraggeber bestimmte in erheblichem Umfang die Gestaltung des Gedichtes, nicht so sehr, indem er dem Dichter etwa spezielle Vorschriften machte, als vielmehr dadurch, daß dieser wußte, was er bei ihm und bei dieser Gelegenheit sagen mußte, was man von ihm erwartete. So ordnet Pindar im ersten pythischen Gedicht ganz selbstverständlich den Sieg von Himera neben die entscheidenden ostgriechischen Erfolge von Salamis und Platää, wahrscheinlich weil er über die sizilische Version des Geschehens informiert war. Man wird sich hüten zu bestreiten, daß Simonides, den die anekdotisch-biographische Tradition als geldgierigen Mann zeichnet, ähnlich den Erwartungen des Auftraggebers und oft zugleich denen des Publikums entgegenkam; wir glaubten, bei der Interpretation von fr. 5D. (531P.) einen Anhaltspunkt dafür zu finden. Even2 mag in dieser Hinsicht mit seiner These vom politischen Desinteressement des chorlyrischen Dichters nicht unrecht haben. Nachdem wir einerseits den Vorwurf glaubten abweisen zu müssen, daß Pindar ganz abweichend von Simonides der Sache der Griechen kalt und unbeteiligt gegenübergestanden hat, andererseits die Verschiedenheit ihrer Äußerungen aus den beruflichen Voraussetzungen der chorlyrischen Poesie, aus den verschiedenen Lebensumständen der beiden Dichter und aus ihrer darstellerischen Eigenart meinten ableiten zu können, ist es an der Zeit, in verstärktem Maße der gemeinsamen Züge zu gedenken. Sowohl die Tat der Aigineten vor Salamis als auch die Tat der Thermopylenkämpfer wird von den Dichtern in die heroische Sphäre gehoben. Pindar reiht das Ereignis der Zeitgeschichte in den Katalog der Ruhmestaten Aiginas als jüngstes Beispiel ein; Simonides widmet im Rahmen eines Liedes auf den heroisierten Spartaner-König 1
Soviel dürfen wir wohl der biographischen Tradition (für die Belege s. RE, s.v. Simonides aus Keos, Sp. 188) über seine Beziehung zu Themistokles und seine Fehde mit dem Rhodier Timokreon entnehmen. 2 J.-Ch. Even, a.a.O. S. 48. Vgl. etwa Borna, Pindar, S. U l f .
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I. Erlebnis und Zeugnis bei Simonides und Pindar
Leonidas den Gefallenen von Thermopylai Lob, das ihren Ruhm ins Gewand kultischer Sprache hüllt. Das Megistias-Epigramm weist in dieselbe Richtung, da das Amphiaraos-Motiv eine Verbindung zwischen dem „mythischen" Heros und dem Helden der Gegenwart herstellt. Die Heroisierung ist freilich keineswegs ein primär literarisches Phänomen; die griechische Bevölkerung betrachtete und verehrte diejenigen als Heroen, die in vorbildlicher Weise die Pflichten der άρετή erfüllt hatten; der Anregung durch die Literatur bedurfte es dazu nicht. Wir stehen dieser Tendenz zur Heroisierung ein wenig fremd und unsicher gegenüber, denn alle Vergleiche mit modernen Formen des Heldengedenkens und der Heldenverehrung sind in einer Hinsicht unzulänglich: das eminent religiöse Element in der antiken Heldenverehrung bleibt dabei unberücksichtigt. Die ήρωες (in diesen Kreis werden dann auch die Gefallenen der Perserkriege einbezogen) genießen kultische Ehren, besonders Opfer und Spiele werden ihnen geweiht; nach altem Glauben (vgl. Hes. Op. 121 ff., 140ff. über die Wesen der beiden ersten Zeitalter) haben sie die Macht, auf das Leben der Sterblichen auch nach ihrem Tode Einfluß zu nehmen. Sowohl bei Marathon als auch bei Salamis glaubten die Griechen sich nicht nur von den Göttern, sondern auch von den Heroen unterstützt. Zwei der uns nur umrißhaft kenntlichen Gedichte, das Boreas-Lied des Simonides und Pindars athenischer Dithyrambos, geben uns einen wertvollen Hinweis, der über das übrige Material hinausführt. Sind wir auf Grund des uns Erhaltenen geneigt, die Äußerungen der Dichter Simonides und Pindar vornehmlich als Zeugnisse dafür zu würdigen, wie das Ereignis der Perserkriege auf die Dichter und deren Zeitgenossen wirkte, wie diese ihrerseits sich zu den Geschehnissen stellten, so führen uns die Folgerungen, die wir aus den spärlichen Resten der genannten Gedichte bzw. aus den Nachrichten über sie ziehen konnten, bereits auf einen Weg, den wir im nächsten Kapitel noch genauer kennenlernen werden. H. Patzer1 hat darauf hingewiesen, daß die chorische Hymnik seit dem 7. Jahrhundert an wechselnden Ausschnitten der Heldensage das machtvolle Walten der Götter im Menschengeschehen erwies. Unsere beiden Gedichte zeigen, daß auch Begebenheiten der jüngsten Geschichte die Stelle im Götterhymnos einnehmen konnten, die sonst der Heldensage vorbehalten war. Können wir im Falle von Pindars Dithyrambos nicht sicher nachweisen, daß hier das historische Geschehen als Paradeigma göttlichen Wirkens verwendet war, so ist doch die Zielsetzung des Boreas-Liedes über jeden Zweifel erhaben. An Pindars fünftem isthmischen Gedicht und an fr. 5D. (531P.) des Simonides haben wir die Beziehung der frühen Prosa zur chor1
H. Patzer, Die Anfänge der griechischen Tragödie, Wiesbaden 1962, hier bes. S. 108ff. und S. 139ff.
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lyrischen Poesie deutlicher erkennen können. In Pindars Gedicht haben wir ein Dispositionsschema gefunden, das in erstarrter Form in späteren — panegyrisch orientierten — Reden wieder begegnet; bei Simonides schienen Motive und formale Manieren der gorgianischen Rhetorik vorweggenommen. Der Zusammenhang erklärt sich so, daß die frühe Beredsamkeit (nicht so sehr die Gerichtsrede, als vielmehr die symbuleutischen und epideiktischen Genera) in Inhalt und Aufbau an die Poesie anschloß ; Gorgias ging weiter und versuchte, die Poesie auf ihrem eigenen Felde zu schlagen, indem er die Prosa rhythmisierte und den Rhythmus durch mannigfache Klangwirkungen unterstrich 1 . 1
Die Auffassung ist inzwischen nahezu Allgemeingut geworden; ich verweise nur auf A. Lesky, Geschichte der griechischen Literatur, Bern 2 1963, S. 385ff. Zum letzten Punkt, der Abhängigkeit der gorgianischen Diktion von der Poesie, mannigfaltiges Material bei K. Reich, Der Einfluß der griechischen Poesie auf Gorgias, den Begründer der attischen Kunstprosa. Entwicklungsgeschichtliche Untersuchung, II. Teil, Progr. Gymn. Ludwigshafen 1908/9, Würzburg 1909.
II. Erlebnis und Deutung in Aischylos' „Persern" Keine zehn Jahre waren nach den entscheidenden Schlachten der Perserkriege vergangen, als Aischylos im Frühjahr 472, unter dem Archonten Menon, mit einer Tetralogie bestehend aus „Phineus", „Persern", „Glaukos Potnieus" und „Prometheus Pyrkaeu3" den Sieg im tragischen Agon zu Athen davontrug 1 . Von den vier Stücken, die wahrscheinlich keinen inneren Zusammenhang besaßen, ist uns nur die mittlere Tragödie erhalten, die Πέρσαι. Dieses Drama ist die einzige auf uns gekommene griechische Tragödie, die nicht ein Geschehnis der Sage, sondern eines der Zeitgeschichte zum Gegenstand hat 2 . Man tut freilich nicht gut daran, den Gegensatz in dieser Form oder in der noch mißverständlicheren „Mythos" — „Geschichte" übermäßig zu betonen. Für den Griechen des 5. Jahrhunderts ist die — wie wir sagen würden — „Sage" vom trojanischen Krieg oder vom Zug der Sieben gegen Theben nicht grundsätzlich verschieden von der historischen Tradition, die sich an Solon, Peisistratos oder den großen Perserkrieg anschließt 3 . Aus Herodot können wir eine Reihe von Fällen anführen, in denen die Diplomaten verschiedener Staaten ganz selbstverständlich mit Ereignissen argumentieren, die der sagenhaften Frühzeit angehören 4 . Diese Frühzeit unterscheidet sich für den Historiker Herodot von der Gegenwart und der jüngeren Vergangenheit nur dadurch, daß sich über die erstere wenig Genaues ermitteln läßt (vgl. 1,5,3); daß er sich in seiner Darstellung auf die Zeit beschränkt, über die er exaktes Wissen zu haben meint, darf uns nicht glauben lassen, er habe an der Historizität des Trojanischen 1
Hypothesis und Fasti theatri Athen. IG II 2 2318, v. 9—11. Broadhead, Commentary, S. XVI; vgl. auch Lesley, Geschichte der griechischen Literatur, Bern 2 1963, S. 258, der freilich einschränkend darauf hinweist, daß den Griechen auch der Mythos Geschichte war. 3 Besonders prononciert herausgestellt von V.Martin, Drame historique ou tragédie ? Remarques sur le nouveau fragment tragique relatif à Gygès, MusHelv 9 (1952), S. 3; A. W. Gomme, The Greek attitude to poetry and history, Berkeley und Los Angeles 1954, S. 2f. 4 Hdt. 5,94,2; 7,159. 161. Daß der Topos im rhetorischen System fest verankert worden ist, zeigen Aristot. Rhet. 1375 b 25ff. (Verweis bei V.Martin, a.a.O. S. 3) u. Quint., i.o. 12,4. 2
I I . Erlebnis und Deutung in Aischylos' „Persern"
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Krieges auch nur gezweifelt1. Ähnlich steht auch in der „Archäologie" des Thukydides die Überlieferung der Vorzeit selbstverständlich der rationalen Kritik offen, aber die Thalassokratie des Minos, die Vormachtstellung des Agamemnon in Griechenland und der Zug der Griechen gegen Troja sind auch für den vielberufenen Meister der historischen Kritik feste Punkte in der Frühgeschichte des ägäischen Raumes. Es wird also förderlich sein, die Gegenstände der Tragödie nur danach zu unterscheiden, ob sie der besonders im Epos geschilderten Geschichte der ältesten Zeit oder der Geschichte der jüngeren Vergangenheit angehören. In beiden Fällen haben sie den Vorzug, daß sie in den großen Zügen allen Zuschauern des tragischen Spiels bekannt sind; diesen Vorzug muß man auch zweifelsohne fordern, da die Tragödie eigentlich nie Unbekanntes erzählt, sondern Bekanntes darstellt und deutet. Doch legt der Gegenstand aus der zeitgenössischen Geschichte der tragischen Gestaltung eine Reihe von besonderen Bedingungen auf, die an Hand der übrigen, teilweise nichtpoetischen Überlieferung aufgedeckt werden können und uns helfen, die dramatische Kunst des Dichters zu würdigen. Zum Vergleich mit Aischylos' „Persern" können wir glücklicherweise Herodots historischen Bericht heranziehen, der dieselben Ereignisse wie Aischylos darstellt, ohne der poetischen Gestaltung vor allem anderen verpflichtet zu sein2. Dieser günstige Umstand legt es nahe, am Beispiel von Aischylos' „Persern" einigen grundsätzlichen Fragen nachzugehen, die sich aus der Konstellation von zeitgeschichtlichem Gegenstand und poetischer Form ergeben 3 . Die „Perser" des Aischylos waren freilich nicht die einzige antike Tragödie, die einen Gegenstand der Zeitgeschichte aufgriff. In der älteren Zeit, die uns hier allein interessiert, gab es außerdem wenigstens noch zwei Tragödien des Phrynichos mit historischem Stoff: die Μιλήτου αλωσις (Hdt. 6,21,2) und die Φοίνισσαι. Aus der letzten hat Aischylos, wie die Hypothesis zu den „Persern" sagt, den Vorwurf für sein Stück übernommen 4 . Soweit sie uns aus Angaben der ,,Per1 Der Abschnitt 2,112—120 zeigt deutlich, daß verschiedene Versionen bekannt sind, daß aber an dem historischen Faktum nicht im geringsten gezweifelt wird. 2 Über die in diesem Punkte notwendigen Vorbehalte und Einschränkungen s. z.B. u. S. 57f. mit Anmerkungen! 3 Mit Hilfe von Gomme, The Greek attitude to poetry and history, konnte ich meine Fragestellung präzisieren. — Η. Schmitt, De Graecorum poesi histórica quaestiones selectae, Diss. Gießen 1924, ist wenig ergiebig. 4 Wie weit die Entlehnung ging und was Aischylos aus Eigenem hinzufügte, ist schwerlich mit Sicherheit zu klären; insbesondere erlaubt παραπεποιήσ&αι in der ,,Perser"-Hypothesis keine exakte Deutung. F. Stoeßl, Die Phoinissen des Phrynichos und die Perser des Aischylos, MusHelv 2 (1945), S. 148ff., ver-
4 8457 Kierdorf (Hyp. 16)
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ser"-Hypothesis und aus Fragmenten kenntlich ist und für meine Fragestellung etwas ausgibt, werde ich sie von Fall zu Fall mit in die Untersuchung einbeziehen. a) Ort und Zeit Der Einfall der Perser in Griechenland hatte gewiß alle Griechen tief beeindruckt. Aischylos sah in dem historischen Ereignis ein Gesetz des Handelns und Leidens verwirklicht, dem er allgemeine, geradezu kosmische Geltung zuerkannte 1 ; der sprachlich-dramatischen Darstellung im Rahmen der Tragödie konnte freilich der mangelnde zeitliche Abstand im Wege stehen. Ein Ausweg bot sich an, daß nämlich die räumliche Entfernung den zeitlichen Abstand ersetzte 2 . Der Inhalt legte es ja ohnehin nahe, die Handlung in großer räumlicher Entfernung von Athen (vgl. Pers. 231 f. in umgekehrter Perspektive) zu lokalisieren: die Tragödie des Xerxes und der Perser konnte folgerichtig nur aus der persischen Perspektive dargestellt werden; das konnte aber am besten geschehen, wenn der Ort der Handlung in Persien, am sinnvollsten in der persischen Hauptstadt lag. Aischylos legte also — wie vor ihm schon Phrynichos in den „Phoinissen" — den Schauplatz nach Susa ins Herz des persischen Reiches. In Susa konnten Kenige und Heroen wie Xerxes und Dareios (vgl. bes. Pers. 643 Περσαν Σουσιγενή θεόν) agieren, was im demokratischen Athen nicht ohne Schwierigkeiten abgegangen wäre. Der seit fünfzehn Jahren tote Dareios ist ebensogut ein Heros wie Agamemnon und nimmt wie dieser einen hervorragenden Rang in der unteren Welt ein (Aisch. Pers. 691 ; vgl. Choeph. 355f.). Der königliche Hof von Persien war nach Meinung von V.Martin3 für den durchschnittlichen Athener ebenso fabulös wie der Hof des Priamos. Bezeichnend, wenn auch wohl zufällig darf man es nennen, wenn dem Euripides in der Komödie des Aristophanes der gelbe Roßhahn (ίππαλεκτρυών), der nach Aischylos' Vorstellung ein Schiff schmückte, von persischen Decken oder Teppichen her bekannt ist (Aristoph. Ran. 937f.; vgl. Eur. Ion 1158ff.). sucht, durch Inkongruenzen in der Komposition der „Perser" dem Aufbau der „Phoinissen" auf die Spur zu kommen. Wenn ich auch nicht alle seine Ergebnisse als richtig ansehe, so halte ich den eingeschlagenen Weg doch für berechtigt und sinnvoll. — F. Marx, Der Tragiker Phrynichus, RhM 77 (1928), S. 337ff., der unter Mißachtung der überlieferten Chronologie die „Phoinissen" für jünger als die „Perser" hält, hat mit Recht keinen Anklang gefunden. 1 S. bes. D. Kaufmann-Bühler, Begriff und Funktion der Dike in den Tragödien des Aischylos, Diss. Heidelberg 1951. 2 Nähere Erörterung dieses Punktes im Anhang, S. 116 ff. 3 A.a.O. S. 6.
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Es ist nicht erstaunlich, daß Aischylos das Perser-Drama in der äußeren Gestalt, die dem Zuschauer hörbar und sichtbar wurde, und auch im Inhalt des Gesprochenen, persischen Bräuchen und Vorstellungen folgend, formte. Dabei paßte er sich nicht nur den geläufigen Vorstellungen über das Perserreich an, wozu er gezwungen war, wenn die Zuschauer ihm den Schauplatz Susa abnehmen sollten, sondern fügte darüber hinaus manche Einzelheiten hinzu, von denen der athenische Bürger wohl kaum etwas wußte. Man kannte natürlich allgemein den Reichtum des Orients und betonte besonders die dort angehäuften Goldschätze: Aischylos machte sich gern dieses Detail zunutze (Aisch. Pers. 3.9.45.53.159), zumal der πλούτος ein wichtiges Glied in des Dichters Vorstellung von Schuld und Verhängnis ist und in diesem Sinne eines der Leitmotive der Tragödie bildet (Pers. 163ff. 250ff. 751. 755f. 825f. 842) \ In ähnlicher Weise dürfen wir voraussetzen, daß die Athener von der despotischen Herrschaftsform des Perserkönigs wußten; Aischylos ging darauf um so lieber ein, als er durch Einbeziehung des Hofzeremoniells, zu dem ja auch die Proskynese gehörte, auch szenische Vorteile erreichen konnte ; aber nicht nur das : die Inszenierung selbst wird zur Deutung, wenn der Chor vor Atossa (152), höchstwahrscheinlich auch vor Dareios (694) die Proskynese ausführt, sicher nicht aber vor dem zurückkehrenden Xerxes. Dieser sichtbare Eindruck wirkte gewiß ebenso stark und deutlich wie die Worte in den Versen 157f. und 588f. Ein drittes Beispiel mag folgen: Die Perser sind vornehmlich Bogenschützen (Pers. 26. 30. 55. 239. 926) ; das wird bei Aischylos soweit zu ihrem Charakteristikum, daß der persische Bogen mehrmals der griechischen Lanze gegenübergestellt wird (Pers. 85f. 147ff. 239f.) 2 , Dareios entsprechend dem in Griechenland bekannten Präge-Bild auf dem Dareikos τόξαρχος heißt (556)3, 1 Vgl. 0. Hiltbrunner, Wiederholungs- und Motivtechnik bei Aischylos, Diss. Göttingen 1943, gedr. Bern 1950, hier S. 41ff. —· Zur traditionellen Anschauung vom Goldreichtum der Perser vgl. z.B. [Simon.] fr. 88a D.; weitere Stellen bei H. Haberkorn, Beiträge zur Beurteilung der Perser in der griechischen Literatur, Diss. Greifswald 1940 (s. bes. die Zusammenfassung am Schluß). 2 Α. E. Wardman, Tactics and the Tradition of the Persian Wars, Historia 8 (1959), S. 49 ff., zieht freilich, wie mir scheint, aus dem Gegensatz der Waffen (besonders in den W . 140ff.) zu weitgehende Schlüsse. 3 Plut. Ages. 15,8 bezeichnet das Bild einfach als τοξότης. — Nach A. S.F. Oow, Notes on the „Persae" of Aeschylus, J H S 48 (1928), S. 156f., war für die Perser seit Dareios ihre Lanze die schlacht-entscheidende Waffe; nichtsdestoweniger ist der Bogen noch lange für sie charakteristisch. Neuerdings hat A. Bovon, La représentation des guerriers perses et la notion de Barbare dans la l r e moitié du V e siècle, BCH 87 (1963), 579ff., durch Untersuchung der PerserDarstellungen auf attischen Vasen gezeigt, daß Vorstellung und Bild der Perser Züge der traditionellen Orientalen-Darstellung (dazu gehört die Bewaffnung mit dem Bogen, vgl. S. 587 f.) und aktuelle Eindrücke und Anregungen kombinieren. 4*
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der geschlagene Xerxes endlich als sinnenfälliges Bild den leeren Köcher, den letzten Rest der ganzen Kriegsausrüstung, vorweist (1016ff.). Ähnlich vertraut war den Griechen wohl der weichliche Luxus des Orients, der glanzvolle Prunk des königlichen Auftretens selbst (Atossa, Dareios), die Herrschaftsform des Großkönigs ohne ευ&υνα (Pers. 213; vgl. Hdt. 3,80,3), die orientalische Art der Klage, die Aischylos sicher in Rhythmus und Melodie seiner Lieder nachahmte. So zahlreich die konventionellen Züge aber auch sein mögen, man kann nicht alles auf dieses Konto buchen. Die persische Königsliste (765ff.) zeichnet sich durch eine Ausführlichkeit aus, die nicht so sehr dem Wissen als vielmehr dem Interesse der Zuschauer entgegenkommt; die Aufzählung der von Dareios unterworfenen Städte und Inseln (864ff.) genügt auch anspruchsvolleren geographischen Kennern als dem athenischen Durchschnittspublikum ; wie viele Zuschauer sprachliche Besonderheiten wie Δαριάν (651. 663), βαλλήν (657. 658), βάριδες (553. 1076), όα (117. 122 und öfter) recht zu werten wußten, ist uns nicht bekannt. Wir stellen also fest, daß Aischylos in der Freude an den erst in jüngerer Zeit von den Griechen erforschten ausländischen Lebensverhältnissen die Szene und den Inhalt des Dramas realistischer ausgestaltete, als die Kenntnis der Zuschauer es forderte. Eine Reihe der traditionellen und allen vertrauten Einzelheiten wertete der Dichter auf, indem er sie als Leitmotive und damit als Sinnträger geschickt einsetzte. Versehen sind selten 1 . Das Grab des Dareios, das in Persepolis war, hätte Aischylos wohl aus Gründen der dramatischen Einheit auch dann in Susa lokalisiert, wenn er von Persepolis gewußt hätte 2 . Hält man sich frei von Vorstellungen, die etwa an das realistische oder naturalistische Theater des 19. Jahrhunderts anknüpfen, so kann man noch in anderer Hinsicht von einem geradezu drastischen Realismus in der Inszenierung der „Perser" wie auch der anderen aischyleischen Tragödien sprechen. Ich denke an die großzügige 1 Es scheint mir nicht ratsam, in diesen Zusammenhang die Listen der persischen Krieger und Vornehmen aus den „Persern" hereinzuziehen. W. Kranz, Stasimon, S. 90ff., schließt allzu voreilig aus der mehr oder weniger großen phonetischen Richtigkeit der Namen auf ihre historische Zuverlässigkeit (S. 93: „Ergebnis echter ίστορίη"). Dagegen vor allem R. Lattimore, Aeschylus on the defeat of Xerxes, in: Classical Studies in honour of W. A. Oldfather, Urbana 1943, S. 82 ff. Vgl. jetzt die besonnene Behandlung der Frage in Broadheads Kommentar, S. 318ff. H.H. Bacon, Barbarians in Greek Tragedy, New Haven 1961, S. 23f., nimmt mit Recht die Namen der drei Listen nicht als historisch, sondern rechnet sie konsequent zu den von Aischylos gebrauchten nicht-griechischen Wörtern. 2 Freundlicher Hinweis von Herrn Dr. D. KorzeniewsTci. Es liegt freilich nahe, daß Aischylos ebenso wie Herodot nie von Persepolis gehört hatte.
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Verwendung bedeutungsvoller Requisiten, sofern man die Waage in den „Phrygern" und in der „Psychostasia" des Aischylos und den purpurroten Teppich des „Agamemnon" noch dazu rechnen darf 1 . Zu diesen Requisiten gehören in den „Persern" der Wagen, auf dem die Königin beim ersten Auftritt erscheint (erwähnt nur V. 607) und die άρμάμαξα des Xerxes (s. V. lOOOf.) ebenso wie der schon zuvor erwähnte leere Köcher (1020ff.). Schadewaldt2 spricht in diesem Zusammenhang von der „Poesie des Dinglichen", die mit der Poesie des Wortes „mitgehe", und betont richtig, daß es eine Fehleinschätzung des Sachverhalts bedeuten würde, wollte man hier von „Symbolik" sprechen. Wir haben es eher mit einer ursprünglichen und radikalen Art von Realismus zu tun: die „Dinge" reden, eigentlich kein unbegreiflicher Vorgang bei einem Theater, das nicht bloße Wortkunst, sondern auch in weitestem Maße Schaukunst ist 3 . Haben wir so in zweierlei Hinsicht in der dramatischen Kunst des Aischylos Realismus von freilich recht verschiedener Art feststellen können, so leuchtet es mir nicht recht ein, daß Aischylos in den „Persern" ohne Bühnenhintergrund oder mit einer ganz unzulänglichen Bühnenausstattung ausgekommen sein soll4. Ein Hintergrund, wahrscheinlich mehr flächig als perspektivisch, ist auf jeden Fall vorauszusetzen; die Ausstattung der Bühne muß allen Ansprüchen gerecht werden, die das Stück stellt, wie man billig forden kann. Einmal muß ein Grabhügel vorhanden sein, auf dessen Spitze Dareios erscheinen kann (vgl. Pers. 659); zum anderen ist eine Anlage vorauszusetzen, auf die der Chor mit τόδε στέγος άρχαϊον weist (140f.). Η. Kenner5 hat die Möglichkeit eines realistischen Bühnenhintergrundes, wie mir scheint, schon für die frühe Tragödie nachgewiesen und auch für die „Perser" vorgeschlagen (S. 108). Sie nimmt freilich 1 Zu diesem Aspekt K. Reinhardt, Aischylos als Regisseur und Theologe, Bern 1949, hier S. 11 f., und neuerdings W. Schadewaldt in der Einleitung seines Aufsatzes: Die Wappnung des Eteokles. Zu Aischylos' „Sieben gegen Theben", in: Eranion (Festschrift für H. Hommel), Tübingen 1961, S. 105ff. ·—• Reiche Materialsammlung bei W. Barton, Bühnenvorgänge bei Aischylos, Wiss. Ztschr. d. Univ. Jena 2 (1952/3), gesellsch.- u. sprachwissensch. R., Η. 1, S. 35ff. 2 A.a.O. S. 106; von „Symbolik" spricht in dieser Hinsicht z.B. Bacon, a.a.O. S. 3. 3 Plut, de glor. Athen., Mor. 348 C nennt die Tragödie ein θαυμαστόν άκρόαμα και θέαμα. Über die Wichtigkeit des όψεως κόσμος bei der Tragödienaufführung vgl. Aristot. Poet. 1449 b 31ff., der freilich 1450 b 16 ff. die Kunst der Inszenierung aus der eigentlichen Poetik herausnimmt und sie dem σκευοποιός zuweist. 4 Für einen „idealen" Schauplatz Kitto, Greek Tragedy, 3 1961, S. 42; ähnlich Q.Murray, Aeschylus, 1940, S. 128. 5 H. Kenner, Das Theater und der Realismus in der griechischen Kunst, Wien 1954.
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irrtümlich an, daß die Handlung sich — zumindest teilweise — vor dem Königspalast abspiele; das widerspricht aber allen Folgerungen, die wir aus dem Gang des Stückes ziehen müssen 1 , denn a) die Königin wäre dann gewiß nicht im Wagen zu den πιστοί gefahren, sondern einfach aus dem Haus getreten, b) die Königin brauchte dann nicht der Befürchtung Ausdruck zu geben (529ff.; vgl. die unbestimmte Ausdrucksweise 849f.), daß ihr Sohn gerade ankommt, während sie für einen Augenblick in den Palast geht, c) der Chor brauchte Xerxes am Schluß nicht zum Palast zu geleiten (1038. 1069. 1077; vgl. 530). Ich halte es freilich auch für sehr bedenklich, wenn man unter στέγος άρχαϊον ein „Rathaus" oder βουλευτήριον versteht 2 ; man müßte dann annehmen, daß Aischylos reichlich sorglos griechische Einrichtungen nach Persien übertragen hätte. Außerdem kann das Grab des Dareios schwerlich in der Stadt vorgestellt werden, was aller Sitte widerspräche. Den besten Vorschlag zur Lösung des Problems machte A.M. Harmon, dessen Untersuchung leider ohne Echo geblieben ist 3 . Es bedarf f ü r den Anfang der „Perser" eines einleuchtenden Versammlungsplatzes der Ältesten, den auch Atossa kennt und ganz selbstverständlich aufsucht. An diesem selben Platz aber befindet sich auch das Grab des Dareios. Wiederum an demselben Platz trifft der Bote ein, schon vorher sichtbar f ü r die Akteure des Stückes, und dort wird auch der heimkehrende Xerxes erwartet. Abgesehen davon, daß die sicheren Fälle von Ortswechsel in der griechischen Tragödie („Eumeniden" und „Aias") durch Auszug und Wiederauftreten des Chores deutlich gekennzeichnet sind, macht Aischylos selbst in den Worten der Atossa (517fF.) die Identität des Schauplatzes im ganzen Ablauf der „Perser" klar: sie hat den Chor getroffen, als dieser gerade das sichtbare (τόδε) στέγος άρχαΐον aufsuchen wollte ; sie will an diesen Ort mit den Gaben f ü r die Erde und die Verstorbenen zurückkehren ; sie befürchtet, daß ihr Sohn früher als sie selbst an diesen Ort (δεϋρο, 529) kommen könne. Harmon schlägt eine Stelle außerhalb der Stadtmauer, nicht weit entfernt von einem Stadttor, als geeignet f ü r alle Ansprüche der Handlung vor. Der Ort ist weit genug vom Palast entfernt, daß Atossa mit dem Wagen dorthin fahren kann. Die Gräber liegen außerhalb der Stadt, oft gleich in der Nähe der Stadt1
Richtig Broadhead, Commentary, S. XLIV, Anm. 3 ; P. Amott, Greek Scenic Conventions in the fifth Century Β. C., Oxford 1962, S. 57 f. 2 U.v.Wilamowitz, Aischylos-Interpretationen, S. 42ff. ; Broadhead, Commentary, S. XLY. 3 A.M. Harmon, The Scene of the Persians of Aeschylus, TAPhA 63 (1932), S. 7ff. ; zu kennen scheint die Arbeit einzig Broadhead, der sie S. XLVf. mit unzureichenden Argumenten ablehnt.
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tore. Der Bote ebenso wie der König müssen zunächst das Stadttor passieren und können nur dort erwartet werden 1 . Die Stadttore sind im ganzen Orient der übliche Versammlungsplatz der alten Männer und ein beliebter Ort für die Audienzen des Königs (z.B. zum Zwecke der Rechtsprechung), wie Harmon für Israel aus dem Alten Testament sowie für Assyrien und Babylonien nachweist. Wie Herodot (1,14; 1,97; 5,12; 3,14; zu 5,12 die Parallele bei Nikolaos von Damaskos, FGrHist 90 F 71 Jacoby) zeigt, war diese Gewohnheit des Orients auch für Persien bezeugt und den Griechen bekannt, so bekannt sogar, daß Herodot 1,14,3 und 1,97,1 ohne irgendwelche näheren Hinweise einfach sagen kann: προκατίζων έδίκαζε. Auf jeden Fall war dort eine Sitzgelegenheit vorgesehen, die wahrscheinlich überdacht und so vor der brennenden Sonne geschützt war. Vielleicht war dieser Platz in die Toranlage einbezogen, die dann unter dem στέγος άρχαΐον zu verstehen wäre (im AT heißt es oftmals, daß die Alten „in den Toren" sitzen). Ein Hinweis auf die Lage des Schauplatzes im Text des Stückes, wie Broadhead ihn verlangt, kann leicht entbehrt werden, da die Zuschauer die wohl mit Zinnen bewehrte und von dem Tor durchbrochene Mauer vor sich sahen. Während man mit großer Gewißheit annehmen darf, daß die Skene schon in dieser frühen Zeit den Hintergrund des Spielplatzes bildete 2 und wohl auch in gewissem Maße dem Bedürfnis des Stückes angepaßt werden konnte, fällt es nicht leicht, auch das Grab des Dareios in diesen Hintergrund einzuordnen; man müßte dann mit einer Verbindung recht ungleichartiger Bestandteile rechnen. Eine gute und einleuchtende Lösung hat Arnott angeboten 3 : auf der Bühne befand sich ein Altar, der je nach den Umständen des aufgeführten Stückes auch in anderer Funktion Verwendung fand. Aus der Parodie in Aristoph. Thesmoph. 886fF. ergibt sich, daß dieser feste Bestandteil der Bühne in manchen Stücken als Grab diente. Es liegt nahe anzunehmen, daß Aischylos bereits in den „Persem" von dieser Möglichkeit Gebrauch machte. — Wir kommen dann mit einer einfachen Szenerie aus. Die Skene, als Stadtmauer drapiert, bildet den Hintergrund; das Stadttor, wohl in der Mitte, gibt den fiktiven Versammlungsplatz für die Alten; der Bühnenaltar davor stellt in der Beschwörungsszene das Grab des Dareios dar. Einen kurzen Blick wollen wir noch auf die „Phoinissen" des Phrynichos werfen. An deren Anfang breitete ein Eunuch Polster auf den 1
Wilamowitz, Aischylos-Interpretationen, Berlin 1914, S. 48, empfand das richtig, als er vermutete, daß Xerxes die Getreuen „irgendwo vor der Stadt . . ., auf der Landstraße" traf. 2 Vgl. T.B.L. Webster, Greek Theatre Production, London 1956, S. 8; P. Arnott, a.a.O. S. 4ff. 3 Arnott, a.a.O. S. 58f.
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Sitzen aus, auf denen die Ältesten dann nachher wohl auch Platz nahmen, da sie ja nicht den Hauptchor bildeten. Daher ist es wahrscheinlich, daß auch dieses Stück am Stadttor spielte mit der Mauer als Hintergrund ; auf den Grabhügel können wir bei Phrynichos verzichten, da die Beschwörungsszene nach allgemeinem Urteil dem Aischylos gehört. Die Wahl von Ort und Zeit unseres Dramas ist mannigfach mit dem Erlebnis des historischen Geschehens verknüpft. Wie das Urteil gegen Phrynichos die zeitgenössischen Dramatiker gelehrt hatte, war es unmöglich, das Publikum im tragischen Spiel mit selbst erlebtem oder teilnahmsvoll miterlebtem Leid zu konfrontieren. Der Kunstgriff, durch den sowohl Phrynichos als auch Aischylos zwar ein zeitgenössisches Geschehen wählten, es aber dennoch — räumlich — von ihren Zuhörern distanzierten, beließ ihnen einen Stoff, der dem Publikum noch erlebnisfrisch im Gedächtnis haftete, sicherte ihnen aber andererseits die Möglichkeit, heroische Gestalten beispielhaft handeln und leiden zu lassen, wie es die Tradition der tragischen Gattung forderte 1 . Wie wir sahen, führte die Wahl des fremdländischen Schauplatzes Aischylos dazu, sich in Sprache, Musik und Inszenierung der Eigenart des fremden Landes anzupassen 2 . Lag das auch allgemein nahe infolge der weltweiten ίστορίη der jonischen Wissenschaft, so ist es doch am wenigsten zu verwundern in einer Umgebung, die im Kampf gegen die Perser mit eigenen Augen und Ohren die Barbaren in ihrer ganzen Fremdheit kennengelernt hatte 3. Da diese Erfahrungen keineswegs angenehm genannt werden können, ist es um so erstaunlicher, daß das Leid der Perser in diesem Drama mit solch rücksichtsvoller Teilnahme, ihr ganzes Wesen mit so viel menschlicher Achtung gezeichnet wird 4 . Wir konnten zeigen, wie Aischylos das fremdländische Detail nicht einfach ornamental verwandte, sondern es einerseits als Leitmotiv 1 Besonders nachdrücklich jetzt herausgestellt von H. Patzer, Die Anfänge der griechischen Tragödie, der die Tragödie aus dem Dithyrambos dadurch entstanden sein läßt, „daß der Heroenmythos als Kernteil des Dithyrambos in die mimetische Form umgesetzt wurde" (S. 121), und ihr deshalb einen ernsten Charakter von Anfang an zuspricht (z.B. S. 124). 2 Wir können hier Racine zum Vergleich heranziehen, der in der ersten Vorrede zum Bajazet (vgl. den Nachtrag zur zweiten Vorrede) beteuert, er habe sich bemüht, Sitten und Bräuche, aber auch die Geschichte der Heimat seines Helden möglichst getreu wiederzugeben. 3 J. Jüthner, Hellenen und Barbaren, Leipzig 1923, S. 12, weist darauf hin, daß das Erlebnis der östlichen Scharen im Perserkrieg erheblich zur Prägung des Begriffs βάρβαρος beitrug. Vgl. jetzt auch H. Diller, Die Hellenen-BarbarenAntithese im Zeitalter der Perserkriege, Fondation Hardt. Entretiens VIII (1962), S. 39ff., bes. S. 39 und S. 44f. 4 Besonders hervorgehoben von O.Murray, Aeschylus, S. 127f.
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nutzte, andererseits es theatralisch-optisch wirksam werden ließ. Es leuchtete uns daher nicht ein, daß er in der Gestaltung der Szene völlig auf alle Unterstützung der Vorstellungskraft verzichtet haben sollte, wie vielfach heute noch angenommen wird. Nach Sichtung des Materials scheint es uns erlaubt, ja sogar ratsam, schon für die Zeit der frühesten uns erhaltenen Tragödien mit einem Bühnenhintergrund zu rechnen, der den Anforderungen des Stücks in gewissem Maße angepaßt werden konnte. Speziell für die „Perser" hat Harmon die Szene im ganzen richtig bestimmt; allerdings glaube ich mit Arnott, daß wir in dem Bühnenaltar das Grab des Dareios wiedererkennen dürfen. b) Erlebnis und Deutung 1. Veränderungen des historischen Sachverhalts Man hat seit langem festgestellt, daß Aischylos in einigen wichtigen Punkten von den historischen Ereignissen abweicht, wie sie uns vor allem Herodot in seinem Geschichtswerk darbietet. Einige dieser Punkte sollen hier nochmals diskutiert werden, da man vielleicht in der einen oder anderen Frage etwas weiter als frühere Interpreten kommen kann. Bedenken wir, welch eindrucksvollem Erlebnis die Darstellung des vorliegenden Stoffes entsprang, so dürfen wir vermuten, daß Aischylos nicht willkürlich den Ablauf der Ereignisse1 „manipuliert" und um bloßer „Effekte" willen den historischen Stoff entstellt, sondern die Fakten nur da ändert, wo die dramatische Form und die in ihr inkarnierte sittliche Idee es gebieterisch fordern. Diese künstlerische Notwendigkeit muß in jedem einzelnen Fall nachgewiesen werden. Da jedoch auch Herodot nicht streng im aristotelischen Sinne darstellt, à έγένετο2, muß eine Klärung des historischen Sachverhalts und eine genaue Angabe des Unterschiedes jeweils der Deutung des künstlerischen Erfordernisses vorausgehen. a') Rolle des Chores In den ersten Versen der „Perser" beteuern die πιστοί, die den Chor bilden, daß der Großkönig Xerxes selbst sie auf Grund ihres Alters 1
Soweit er ihm selbst bekannt war. Herr Prof. Dr. Α. E. Raubitschek macht mich mit Recht darauf aufmerksam, daß damals von einer „Überlieferung" wohl noch keine Rede sein kann. 2 Vgl. z.B. A. W. Gomme, The Greek attitude to poetry and history, S. 73 ff.— Herr Prof. Dr. Raubitschek wendet mir ein, daß Herodot überhaupt nie darstellt, was sich zutrug, sondern was er von seinen Gewährsleuten erfahren hat ; diesen Vorbehalt wird man freilich jeder Geschichtsschreibung gegenüber machen müssen.
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und ihrer Würde (beide Elemente spielen wohl in πρεσβεία eine Rolle, vgl. V. 623, wo Atossa πρέσβος Πέρσαις heißt) erwählt hat, über das Land die Aufsicht zu führen. Dem steht die Schilderung Herodots gegenüber, in der (7,52,2) Xerxes dem Artabanos allein (μούνω έκ πάντων) die Herrschergewalt für die Zeit seiner Abwesenheit anvertraut. Dieser soll οίκος und τυραννίς des Großkönigs bewahren (σφζειν), während bei Aischylos die Getreuen των άφνεών και πολυχρύσων έδράνων φύλακες sind (Pers. 3f.). Welchem dieser Arrangements ist mehr zu trauen? Yon vornherein dem Herodot als der historischen Quelle zu folgen, scheint mir um so weniger ratsam, als die Rolle des „Warners", in der Artabanos Xerxes gegenüber fungiert, mehr dem Geschichtsdeuter als dem Berichterstatter Herodot angehört 1 . Wir müssen also mit einem Umweg vorliebnehmen. Bei den persischen Reichsfeldzügen, die der Großkönig selbst befehligte, ist es nach allgemeiner Auffassung üblich gewesen, daß der mutmaßliche Thronfolger die Aufsicht über das Reich übernahm (Vgl. Hdt. 7,2,1). So überträgt Kyros, ehe er über den Araxes gegen die Massageten zieht, die Königsgewalt seinem Sohn Kambyses (Hdt. 1,208); ob und wem Dareios die Herrschaft während des Krieges gegen die Skythen übertrug, wird von Herodot nicht erwähnt 2 . War ein König aber zu jung, um schon herrschaftsfähige Söhne zu haben, so mußte er auf einen anderen Ausweg sinnen. In dieser Lage befindet sich Kambyses, der (Hdt. 3,61,1) einen der beiden später aufständischen Mager als μελεδωνός των οίκίων zurückläßt, als er nach Ägypten zieht. In diesem Fall wird also ebenfalls ein e i n z e l n e r als Hüter des königlichen Hauses zurückgelassen; der Vorgang ist hier aber ganz unverfänglich, da der Betreffende nicht die Funktion des „Warners" erfüllt oder sonst poetisch wichtig ist. Artabanos spielt im übrigen auch in anderen Überlieferungssträngen eine Rolle in der nächsten Umgebung des Xerxes : bei Ktesias (FGrHist 688 F 13,24 Jacoby) heißt es, ein Artabanos sei mächtig bei Xerxes gewesen wie sein Vater bei dessen Vater; bei Plutarch (de frat. amore 18 = Mor. 488E) ist Artabanos, der Bruder des Dareios, der Schiedsrichter zwischen Xerxes und Ariamenes im Streit um die Thronfolge nach Dareios' Tod. Halten wir zusammen, daß in Persien offenbar regelmäßig ein einzelner, nicht ein Kollektiv mit der Regentschaft über das Land beauftragt wurde, daß andererseits Artabanos auch 1 Zur Frage H. Bischoff, Der Warner bei Herodot, Diss. Marburg Í932; R. Lattimore, The wise adviser in Herodotus, ClPh 34 (1939), S. 24ff., fügt dem nichts für unsere Frage Wichtiges hinzu. 2 In diesem Zusammenhang an Xerxes zu denken, verbietet die Chronologie. Nyberg, Historia Mundi III, S. 98, rechnet damit, daß Xerxes frühestens 498 — etwa zwanzigjährig — Mitregent seines Vaters wurde, datiert dagegen (S. 88) den Skythen-Feldzug auf 513.
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in der neben Herodot bestehenden Tradition als besonders einflußreicher Mann im Zusammenhang mit der Regierung des Xerxes und des Dareios genannt wird, so dürfen wir annehmen, daß die Übergabe der Herrschaft an Artabanos gute Überlieferung ist, daß Herodot in Artabanos dann gerade deswegen den geeigneten Mann sah, auch die Rolle des Warners des Königs Xerxes zu übernehmen 1 . Aischylos ändert. den Sachverhalt ab und läßt einem, wie mir scheint, frei erfundenen Kollegium von πιστοί die Herrschaft anvertraut sein. Es ist richtig, daß es in Persien eine Institution gab, deren Glieder πιστοί hießen: es war dies aber die Schar der Zehntausend, die im Turnus den Dienst als Leibwache des Großkönigs versah. Ihr Führer, der zugleich höchster Beamter des Reiches war, der Hazarapatiâ, hieß bei den Griechen πιστότατος2. Diese Männer zogen natürlich mit Xerxes nach Griechenland, ebenso offenbar die Großen, die im Adelsrat um Xerxes versammelt waren (vgl. Hdt. 7,8 in. und 7,8δ 1). Was hat also Aischylos zu der — freilich nicht besonders gewichtigen — Änderung bewogen ? Broadhead hat richtig gesehen, daß diese Frage nach einer Antwort verlangt, aber die seine: „Aeschylus did well to neglect the vicegerent and to make the πιστοί and the Queen represent the royal interests" 3 ist nicht präzis genug. Der Grund für die „Geschichtsfälschung" ist mehr formaler als inhaltlicher Art. Aischylos war einerseits gezwungen, sich des Chores zu bedienen, der ein traditionelles Formelement des tragischen Genos war; dieser Chor mußte nach Aischylos' Intentionen Persien vertreten können und dazu die entsprechende Dignität mitbringen. Die historische Tradition dagegen bot ihm einen hochgestellten Einzelnen, der im Drama funktionslos bleiben mußte, da es einerseits nichts für ihn zu tun und zu entscheiden gab und er andererseits auch weder Persien noch dessen Monarchen — was die menschliche Seite anging — repräsentieren konnte. Die sinnvolle Folgerung des Aischylos war es, die Aufgaben, die dem Artabanos seine besondere Würde, eine amtliche Würde, verliehen, auf den von der dramatischen Form geforderten Chor zu übertragen. Aischylos vollendete damit einen Weg, den Phrynichos beschritten hatte, aber nicht zu Ende gegangen war, als er persische Ratsherren zwar als Statisten oder Nebenchor auftreten ließ, als Hauptchor aber phönizische Frauen in die Orchestra brachte. 1 Daß Artabanos auch als Warner des Dareios eingeführt wird, scheint sekundär zu sein; die Szene fällt entsprechend knapp und schwach aus. Das zweifache Auftreten desselben Warners (vgl. Kroisos bei Kyros und Kambyses) gewährleistet natürlich rhetorische Vorteile im zweiten Falle (Exemplum!). 2 P. J. Junge, Hazarapatis, Klio 33 (1940), S. 13ff., hier S. 28, unter Verweis auf Hdt. 3,30,3. 3 Broadhead, Commentary, S. 39, ad V. 7.
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Man könnte fragen und hat gefragt, welche griechische Einrichtung Aischylos dazu angeregt hat, die persischen Ratsherren in das Stück aufzunehmen, die mit ihren kritischen Stellungnahmen an die παρρησία griechischer βουλευταί erinnern. Während wir die „Phoinissen" des Phrynichos nicht genügend kennen, um behaupten zu können, es habe sich dort um mehr als eine Übertragung griechischer Vorstellungen von einer βουλή oder γερουσία auf persische Verhältnisse gehandelt, scheint mir diese Auskunft im Falle der „Perser" auf jeden Fall unbefriedigend zu sein. Die nächste Parallele zu den „Getreuen" der „Perser" sehe ich im Chor des aischyleisehen „Agamemnon". Ebenso wie die persischen Greise äußern auch die aJten (vgl. Ag. 72ff. ; 855) Argiver ungescheut ihre Kritik an den Vorgängen, deren Zeuge sie werden (z.B. 1399f.; 1407ff.; 1542ff.; besonders aufschlußreich die ganze Szene 1612 ff.). Sie haben offenbar keine feste politische Funktion mit bestimmten Rechten und Pflichten, aber sie repräsentieren das Volk, dessen Interessen durch das Geschehen betroffen sind. Ihre Aufgabe — dramatisch gesehen — ist nicht so sehr die Aktion als vielmehr die Reaktion und Reflexion; man könnte sie gleichsam „das Publikum auf der Bühne" nennen 1 . Am ehesten scheint die Erklärung dieser seltsamen Zwischenstellung des tragischen Chores zu befriedigen, die (von ganz anderem Ausgangspunkt kommend) H. Patzer2 in seiner jüngst erschienenen Untersuchung gibt : ist die Tragödie Umsetzung des im Dithyrambos enthaltenen Heroenmythos in mimetische Form, so darf man im Tragödienchor den alten Gemeindechor des chorischen Hymnos erkennen, der freilich seine Funktionen nun mit den Schauspielern teilen muß. Unsere Auffassung, daß sich Aischylos an die Notwendigkeit des Chores als eines wesentlichen Bestandteiles der tragischen Form gebunden fühlte, erhält von hier aus eine erfreuliche Bestätigung. b') Rolle des Dareios Auffälliger und seit langem beobachtet ist die Verzeichnung des Dareios. Im allgemeinen wird als Grund dafür angegeben, Aischylos sei es um den Kontrast zwischen den Charakteren Dareios und Xerxes gegangen 3 . Eine solche Begründung kann aber, wie ich glaube, eine derart schwerwiegende Änderung nicht rechtfertigen. Ehe ich selbst eine Erklärung gebe, will ich versuchen, den Grad und die Art der Abweichung von den historischen Fakten genau abzugrenzen. Aischylos durfte mit gutem Recht dem überaus erfolgreichen Dareios 1
Über die Zwischenstellung des Chores zwischen den eigentlichen Handlungsträgern und dem Publikum kurz T. B. L. Webster, Greek Theatre Production, London 1956, S. 2. 2 H. Patzer, Die Anfänge der griechischen Tragödie, bes. S. 124f. und S. 136. 3 So z.B. H. Schmitt, a.a.O. S. 7f.
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Xerxes gegenüberstellen, dem der Erfolg versagt blieb; der Kontrast ist legitim, wie man leicht sieht, wenn man einen Blick in moderne iranistische Darstellungen wirft 1 . Für den modernen Historiker ebenso wie für Piaton (Leg. 695 c) tritt Dareios als Wiederbegründer und hervorragender Organisator dee Perserreiches neben dessen großen Gründer Kyros, der den Persern als ein Vater galt 2 . Xerxes demgegenüber muß sich mit einer recht bescheidenen Rolle zufrieden geben. Worin liegt nun eigentlich die historische Verzeichnung bei Aischylos? Am deutlichsten wird sie in V. 783, wo es mit Beziehung auf den Zug des Xerxes gegen Griechenland heißt: κού μνημονεύει τάς εμάς έπιστολάς. Xerxes soll also den Feldzug nach Griechenland gegen die Intentionen des Dareios unternommen haben. Im strikten Gegensatz dazu berichtet Herodot, daß Dareios bereits die Vorbereitungen zu einem großen Vergeltungskrieg gegen Griechenland getroffen hatte, den er nach Herodots Ansicht (7,2,1 ist deutlich!) und nach dem Urteil der modernen Historiker selbst führen wollte, als er plötzlich starb und die Aufgabe seinem Sohn überlassen mußte (7,8ß 2). Was Aischylos bestreitet, ist nicht einmal der Umstand, daß Dareios überhaupt Kriegspläne gegen Griechenland hatte, sondern einzig, daß er selbst die Grenzen Asiens verlassen und nach Europa ziehen wollte. Die Unternehmung von 490 nämlich wird im Stück zwar nicht ausführlich behandelt, aber doch auch nicht totgeschwiegen 3 ; ein positiver Beweis aber wird uns durch Pers. 865f. gegeben: πόρον ού διαβάς "Αλυος ποταμοΐο, ούδ' άφ' εστίας συθ-είς. Der Halys gilt bis zur Eroberung Lydiens durch Kyros als Grenze zwischen Lydien und Medien bzw. Persien (Hdt. 1,72,2; 103,2), scheint aber auch viel später noch als Grenze des medo-persischen Stammlandes angesehen worden zu sein, wie Hdt. 5,102,1 zeigt. Noch im Kalliasfrieden verzichtete Persien auf jede militärische Intervention westlich des Halys (Isokr. 12,59). Während mm Dareios diese Grenze angeblich nicht verließ, sondern die weitreichenden Feldzüge durch Generäle durchführen ließ 4 , hat Xerxes die Grenze 1 Vgl. nicht nur die etwas überpointierte Monographie von P. J. Junge, Dareios I. König der Perser, Leipzig 1944, sondern auch die Gesamtdarstellungen von H. S. Nyberg, Das Reich der Achämeniden, in : Historia Mundi III, 1954, S. 56ff., und A. T. Olmstead, History of the Persian Empire, Chicago 2 1959. 2 Vgl. Hdt. 7,2,3 und 3,89,3. Daß Dareios ihnen ein κάπηλος hieß, hat die Moderne im Hinblick auf seine Fähigkeiten als Organisator der Wirtschaft und der Finanzen gedeutet. 3 V. 244 mit ausdrücklicher Nennung des Dareios; V. 475; daß Dareios selbst 780f. sich sehr ungenau ausdrückt, ist ja verständlich. 4 Man kommt nicht umhin, hierin den springenden Punkt zu sehen, wenn dem auch das strikte Verbot in V. 790 ει μή στρατεύοισθ' ές τόν Ελλήνων τόπον zu widersprechen scheint. Im einen Fall geht es um rückblickende Deutung,
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II. Erlebnis und Deutung in Aischylos' „Persern"
zwischen Asien und Europa überschritten, ein, wie besonders Dareios mehrfach betont, illegitimes und unmäßiges Verhalten für einen König, dem es bestimmt ist, über Asien zu herrschen (vgl. 762ff.) 1 . Verschwiegen wird aJso nicht nur der Vorsatz des Dareios, selbst nach Griechenland zu ziehen, sondern auch sein nicht etwa nur geplanter, sondern tatsächlich verwirklichter Skythen-Feldzug, bei dem er ja auch nach Europa übersetzte. Warum müssen diese beiden Aktionen, besonders die Absicht eines großangelegten Griechenlandzuges unter persönlicher Leitung des Dareios, eliminiert werden? Der Grund ist diesmal in der moralischen Idee des Aischylos zu suchen. Das Heer des Xerxes mußte untergehen, weil dieser durch seinen Zug nach Hellas die ihm gesetzten Grenzen — g ö t t l i c h e Grenzen — mißachtet hatte, was in der Überschreitung des Hellesponts seinen sinnenfälligen Ausdruck fand. Dareios sieht in diesem Geschehensablauf die Erfüllung gewisser Götter- bzw. Orakelsprüche (Pers. 739f.), eine Erfüllung, die des Xerxes Unbesonnenheit beschleunigt herbeigeführt hat (742). Soll diese Vorstellung über die Verknüpfung von Vergehen und Strafe einleuchtend sein, so darf nicht schon Dareios sich desselben Fehlers in einem Fall schuldig gemacht haben, im anderen Fall haben schuldig machen wollen, da unter diesen Umständen ja auch die Strafe schon auf diesen hätte niederstürzen müssen 2 . Die Veränderung ist also nicht so sehr „effektvoll" als vielmehr von der sittlichen Deutung her innerlich notwendig. c') Rolle der Atossa Κ. Kunst3
macht im Anschluß an Wilamowitz darauf aufmerksam, daß Atossa in den „Persern" namenlos bleibt, und glaubt behaupten zu können, daß Aischylos ihr Bild „völlig frei nach der Phantasie" entworfen habe. Um dazu Stellung nehmen zu können, müssen wir uns zuerst klarmachen, welche Eigenart und welche Stellung die historische Atossa hatte. Ausgehen können wir von einem Diktum im anderen um Folgerungen für die Zukunft. Die letzteren sind nicht theologisch-moraliseh fundiert, sondern ganz politisch-pragmatisch, wie der Kontext zeigt. 1 M. V. Ghezzo, I Persiani di Eschilo, Atti d'istituto Veneto 98 (1938/39), S. 427ff., hier S. 444, hat auf die Wiederholung des Bildes vom Joch (722. 736. 745ff.) und auf die innere Beziehung zum Traum der Atossa (181ff., bes. 191) hingewiesen. Vgl. auch 0. Hiltbrunner, a.a.O. S. 44. H. Diller, Die HellenenBarbaren-Antithese, S. 53, weist darauf hin, daß auch in der Kronratsrede des Xerxes bei Herodot die beiden Joch-Vorstellungen verbunden sind (Hdt. 7,8 β 1. γ 3). 2 Richtig Kitto, Greek Tragedy, 3 1961, S. 38. 3 Κ. Kunst, Die Frauengestalten im attischen Drama, Wien/Leipzig 1922, S. 15.
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Herodots, der im Zusammenhang mit der Thronfolge-Regelung zugunsten des Xerxes sagt: ή γάρ "Ατοσσα εϊχε το παν κράτος (7,3,4). Über das Gewicht dieser Worte mag uns eine andere Herodot-Stelle (7,96,2) nähere Auskunft geben, wo die persischen Feldherra der einzelnen Reichsvölker den jeweils einheimischen Unteranführern gegenübergestellt werden, wobei die einen als το παν έχοντες κράτος bezeichnet werden, die anderen aber im Grunde δοΰλοι sind ebenso wie die einfachen Soldaten. Nach der Meinung Kornemanns1 war Atossa nicht nur die „Palastfrau" des Dareios, sondern auch die „Mitarbeiterin an seinem großen Werk". Er vermutet weiter, daß „die Königin unter Xerxes auch aktiv in die große Politik eingegriffen" habe. Wenn diese politische Aktivität der Atossa mit Sicherheit vorausgesetzt werden dürfte, müßten wir bei Aischylos, der sie W . 230ff. in Neugierde und Unwissenheit fragen läßt, eine historische Verzeichnung annehmen. Doch die Voraussetzung ist in dem umfassenden Sinne, wie oben ausgeführt, nicht erwiesen2. Atossa war als Tochter des Reichsgründers Kyros und als Gattin des Kambyses, sodann des Dareios gewiß eine angesehene Fürstin, und dementsprechend zeichnet Aischylos sie als Gestalt voller Würde, der Hochachtung und Verehrung seitens der Perser sicher. Bisweilen ist ihr Verhalten geradezu in dieser Würde erstarrt, so formell und stilisiert, daß es fast unmenschlich oder besser: unwirklich scheint 3 . Angesichts dieser strengen Grundhaltung müssen diejenigen Eigenschaften um so stärker gewürdigt werden, die die formelle Zurückhaltung überspielen und unmittelbaren Gefühlen zum Durchbruch verhelfen. In erster Linie ist hier das „mütterliche Ethos" zu nennen, von dem Atossa ganz beherrscht wird 4 . Hinter der mütterlichen Sorge um den Sohn muß das Interesse des Perserreiches zurücktreten, und andere in den aischyleischen Tragödien öfter beobachtete frauliche Eigenschaften wie Neugierde und Sinn für das Detail müssen sich bei Atossa von dem Gefühl mütterlicher Sorge überprägen lassen, worauf te Rieleh feinsinnig hingewiesen hat. Diese mütterliche Zu1
E. Kornemann, Große Frauen des Altertums Wiesbaden 1947, S. 47ff., hier S. 56 und S. 60; ähnlich P. J. Junge, Dareios I., z.B. S. 99; es ist mir unklar, auf welches Material sich diese Vermutungen stützen. 2 Hdt. 3,134 ist insofern kein Gegenbeweis, als Atossa hinter dem hochpolitischen Vorschlag ganz private Ambitionen verbirgt. Das Episodenhafte der Szene geht auch deutlich daraus hervor, daß später kein Bezug mehr darauf genommen wird ; vgl. E. Hermes, Die Xerxesgestalt bei Herodot, Diss. Kiel 1951, S. 3. 3 G. J.M. J. te Riele, Les femmes chez Eschyle, Diss. Utrecht, Groningen 1955, S. 14 mit Anm. 2, erinnert an die W . 709ff. 4 K. Deichgräber, NGG 1941, S. 174; außerdem besonders Κ. Kumt, a.a.O., und te Riele, a.a.O. S. 35. 6 A.a.O. S. 29 und S. 35.
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neigung für den Sohn Xerxes darf man nicht eigentlich unhistorisch nennen, da sie auch von Herodot vorausgesetzt wird, wenn er ihrer Intervention zugunsten des Xerxes doch offenbar das größte Gewicht im Thronfolgestreit beimißt (7,3,4). So dürfen wir denn summieren, daß Aischylos Atossa nicht eigentlich historisch falsch dargestellt, sondern vielmehr die mütterlichen Züge an ihr besonders stark akzentuiert und zu einem alles übrige umschlingenden Band ausgestaltet hat. Welche Gründe ihn dazu veranlaßten, werde ich weiter unten (S. 79f.) in größerem Zusammenhang darzulegen haben. 2. Das Eindringen der historischen Fakten Was wir eben am Beispiel des historischen Gegenstandes der aischyleischen „Perser" beobachtet haben, gilt natürlich in ähnlicher Weise auch für den „mythischen" Gegenstand der übrigen Tragödien, der dem Dichter ja ebenfalls als historische Tradition vorliegt. Ein Vergleich der älteren Überlieferung, beispielsweise im Epos, mit der neuen Gestaltung in der Tragödie kann und wird auch hier künstlerische Intentionen in der letzteren deutlicher hervortreten lassen 1 . Ein Stoff konnte sinnvoll von den Tragikern immer wieder aufgegriffen und neu bearbeitet werden, solange sie imstande waren, ihm je und je eine neue Nuance der Deutung abzugewinnen. Die Freiheit des Dichters gegenüber der Tradition dürfen wir in diesem Prozeß nicht unterschätzen; Aristoteles betont in der Poetik (1451b 27f.), δτι τον ποιητή ν μάλλον των μύθων δει είναι ποιητήν ή των μέτρων, und fügt hinzu, daß dies auch für d e n Fall gilt, daß der Dichter Geschehenes (γενόμενα) darstellt (1451b 29ff.). Die einheitliche und innerlich zusammenhängende Handlung ist τέλος (1450 a 22) und gleichsam ψυχή (1450 a 38) der Tragödie und daher vornehmste Aufgabe des Dichters. Aristoteles kennt in diesem Zusammenhang freilich auch eine Einschränkung: man darf die übernommenen μυθ-οι nicht sprengen (λύειν), d.h. Klytaimnestra darf nicht anders als von der Hand des Orest, Eriphyle nicht anders als von der des Alkmeon fallen (1453 b 22ff.). Gomme2 hat mit Recht bemerkt, daß sich Analoges über die Handhabung des zeitgeschichtlichen Stoffes in Aischylos' „Persern" sagen läßt. Der Dichter ist in seiner Freiheit gefesselt in all denjenigen Punkten, in denen er annehmen muß, daß sein Publikum über das Ereignis genaues Wissen hat oder auch nur zu haben glaubt. Ein etwas simples 1 Den Versuch hat für „Prometheus" und „Eumeniden" mit großer Gelehrsamkeit durchgeführt F. Solmsen, Hesiod and Aeschylus, Ithaca (New York) 1949. — Zum Problem grundsätzlich und umfassend W. Bahilas, Tradition und Interpretation. Gedanken zur philologischen Methode, München 1961. 2 A. W. Gomme, Poetry and History, S. 5f. ; vgl. schon Macan, Commentary II, S. 9.
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Beispiel mag es sein, daß Aischylos die Schlacht von Platää derjenigen von Salamis folgen läßt, nicht ganz so simpel jedoch, wenn man bedenkt, daß Ktesias die Ereignisse in umgekehrter Reihenfolge anordnet (FGrHist 688 F 13,28—30 Jacoby). Ein Abgehen von der — richtigen oder nur eingebildeten — Vorstellung, die die Zuschauer von dem Geschehnis haben, führt zwangsläufig zu einer Störung der ästhetischen Lust und muß darum mit allen möglichen Mitteln vermieden werden. Es sollen hier zwei Fälle erörtert werden, in denen das Historische die dichterische Darstellung in den „Persern" beeinflußt hat ; beide Beispiele, Botenbericht und Xerxesdarstellung, zeigen deutlich, wie die Freiheit der poetischen Darstellung je nach der Kenntnis des Publikums von den Ereignissen und je nach der Wichtigkeit für die poetische Grundidee wechselt. a') Botenbericht Seitdem Blakesley1 die „Perser" des Aischylos als historische Quelle zu Ehren gebracht hat, ist des öfteren betont worden, daß der Schlachtbericht bei unserem Tragiker in seinem Quellen wert neben, wenn nicht gar vor dem des Herodot steht 2 . Es soll hier weder diese Behauptung bestritten noch durch eine neue Erörterung des Schlachtverlaufs ihre Richtigkeit gesichert werden, vielmehr will ich den eigentlichen Rapport der Schlacht in den Zusammenhang des gesamten Botenberichtes einordnen und das eigentümliche Spannungsverhältnis zwischen historischer und poetischer Realität besonders hervorheben 3 . 1
J. W. Blalcesley, Herodotus, Excursus on V i l i 76, vol. II (1854), S. 400ff. (mir bekannt durch Macan, Commentary II, S. 299). 2 Vgl. Macan, Commentary II, S. 9ff., bes. S. lOf. : „We may be sure that the description of the battle of Salamis is consistent with Attic topography, and probably consistent with itself, and with the real course of the action; here, if anywhere, should Aischylos and Herodotus be at variance it is not the poet must give way." Dazu Gomme, a.a.O. S. 5f. und S. 95; H. W. Smyth, Aeschylean Tragedy, S. 84; J. A. R.Munro, Some Observations on the Persian Wars. 2. The Campaign of Xerxes, JHS 22 (1902), S. 294ff„ hier S. 326. 3 Ν. G. L. Hammond, The Battle of Salamis, JHS 76 (1956), S. 32ff., hat auf Grund neuer Interpretation der topographischen Angaben und gründlicher Kenntnis des Geländes versucht, eine neue Rekonstruktion des Schlachtverlaufs vorzulegen. Broadhead, Commentary, S. 322 ff., ist geneigt, Hammonds topographische Interpretation zu übernehmen, und äußert nur einige kleinere Vorbehalte gegen Hammonds Rekonstruktion des Schlachtverlaufs. Gewichtige Einwände gegen Hammond, besonders auch gegen seine topographische Interpretation, bei W. K. Pritchett, Toward a Restudy of the Battle of Salamis, AJA 63 (1959), S. 251ff.; vgl. auch Burn, bes. S. 473f., und Hignett, S. 397ff. — Zur philologischen Interpretation des Botenberichts zuletzt J. Keller, Struktur und Funktion des Botenberichtes bei Aischylos und Sophokles, Diss. Tübingen 1959, hier S. 4ff., dessen Arbeit jedoch für meine Fragestellung ganz unergiebig ist. 5 8467 Kierdorf (Hyp. 10)
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Ein wenig davon mag uns bereits die Betrachtung der Verse 266/7 spüren lassen : der Bote beteuert innerhalb des Kommos, daß er von den Katastrophen berichten könne, da er dabeigewesen sei und nicht nur die Reden anderer gehört habe. Diese Zusicherung gehört gewiß zur traditionellen Stilisierung der Botenrolle, wie ein Blick auf Eur. Suppl. 684 (λεύσσων δέ ταΰτα κού κλύων — die Antithese ist aber auch sonst beliebt: Soph. Trach. 746; Eur. I.T. 901; Med. 652) zeigen mag und wie es auch ohnedies einleuchtend genug ist. Es fragt sich jedoch, ob nicht hier besondere Gründe eine solche Aussage nahelegten. Aischylos war nach allgemeiner Auffassung Mitkämpfer bei Salamis 1 und könnte sich hier auf diese Weise in der Maske des Boten selbst für die Authentizität seines Berichtes verbürgt haben, verbürgt haben dann freilich auch, wie wir sehen werden, für die Übertreibungen, Unwahrscheinlichkeiten, Vereinfachungen, die in dem Bericht enthalten sind. Die Aussage träte dann nahe neben die Worte des Thukydides in 1,22,2, wobei man freilich berücksichtigen muß, daß es Thukydides um die exakte historische Wahrheit gehen muß, Aischylos aber um die poetische Wahrheit zu tun ist 2 . Wenden wir uns nun dem eigentlichen Bericht zu! Atossas erste Frage gilt den Überlebenden und den Gefallenen unter den hohen Anführern. Zu ihrer unverhohlenen Freude erfährt sie sofort das knapp ausgedrückte Faktum, daß Xerxes lebt. Dem steht eine lange Liste von άρχοντες3 gegenüber, die in der Schlacht umgekommen sind. Die Darstellung ist lebhaft und teilweise überaus plastisch, ab und zu mit bitterer Ironie durchsetzt. Topographische Details werden mehrmals (vgl. die W . 303. 307. 309) impliziert, dagegen sind Hinweise auf die Stellung der einzelnen Geschehnisse innerhalb des Gesamtverlaufs der Schlacht aufs sorgfältigste vermieden. Es fällt schwer, sich dabei nicht an die Fiktivität der Namen zu erinnern, die oben erörtert wurde. Aischylos war es darum zu tun, einen eindrucksvollen Überblick über die persischen Verluste zu geben, er zog aber — wie man wohl annehmen darf — die Liste der frei erfundenen, wenn auch persisch klingenden Namen der Gefal1 Die Anwesenheit des Aischylos bei der Schlacht von Salamis ist uns ausdrücklich bezeugt durch Ion von Chios (FGrHist 392 F 7 Jacoby = schol. M ad Aesch. Pers. 432). 2 Daß an Historiker und Dichter gerade in diesem Punkt verschiedene Maßstäbe angelegt werden müssen, betont richtig Gomme, a.a.O. S. 17f. 3 Gleichgültig, wie man den korrupten Vers 329 heilt, sollte man keinesfalls αρχόντων (oder ein Synonym) eliminieren (so Murray nach Turnebus ; J. Keller, a.a.O. S. 11, sieht den Fehler nicht), das in der abschließenden Antwort auf Atossa's Frage ( W . 296ff.) erforderlich ist; vgl. W. A. A. van Otterlo, Untersuchungen über Begriff, Anwendung und Entstehung der griechischen Ringkomposition, Mededeel. d. Nederl. Akad. van Wetensch., Afdeel. Letterkunde, N. R. 7,3 (1944), S. 40, Anm.
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lenen aus dem eigentlichen Schlachtbericht heraus, um diesen nicht zu diskreditieren. Andererseits ist zu bedenken, daß es ihm sicher auch schwer gefallen wäre, den Tod mehrerer Reiteranführer (302. 315) in den Ablauf der Seeschlacht organisch einzufügen, während die Vorwegnahme der Schilderung ihm größtmögliche Freiheit gewährte. Die Niederlage dünkt Atossa so unglaublich, daß sie sich nach der Stärke der griechischen Flotte erkundigt, eine Frage, die an V. 235 (ebenfalls Atossa) sowie an Hdt. 7,9 a 1 (Mardonios) und 7,48 (Xerxes) erinnert und offenbar von der Voraussetzung ausgeht, daß die stärkere Partei notwendig stets den Sieg erringt. Der Bote ist um eine Antwort nicht verlegen und legt der Königin einen exakten λόγος (343, = „Rechnung") vor: die Gesamtzahl der griechischen Schiffe war 300, davon 1 zehn besonders auserlesen; die Flotte des Xerxes umfaßte 1000 Schiffe, von denen 207 durch Schnelligkeit hervorragten. Die zweite Angabe wird durch και γάρ οίδα (341) unterstrichen, das im Text behalten werden sollte, wenn es auch deutlich den griechischen Standpunkt des Sprechers verrät. Die Überlegenheit der persischen Seemacht ist durch die exakten Zahlen eindrücklich nachgewiesen und wird einleitend (337f.) und abschließend (344) deutlich festgestellt. Ein Dämon hat das persische Heer aber trotzdem vernichtet, indem er ungleiche τύχη in die Waagschalen legte; Götter halfen der Gegenseite und schützten die Stadt der Göttin Pallas 2 . Eine Zusatzfrage, ob Athen zerstört sei, wird ausweichend beantwortet mit Anklang an das ThemistoklesWort bei Hdt. 8,61. Die historisch richtige Aussage über die Übermacht der Perser verwertet der Dichter bereitwillig im Sinne seiner poetischen Wahrheit, daß die Götter leicht Machtvorteile ausgleichen können. Die Genauigkeit der Zahlen ist für ihn im Grunde unerheblich, soll aber ohne schwerwiegende Gegengründe von uns nicht bezweifelt werden. Die nächste Frage der Königin richtet sich darauf, wer die Schlacht begonnen habe. Hier ist der Bote mit der Antwort nicht so schnell 1 Es ist seit langem kontrovers, ob die jeweils als zweite gegebene Ziffer in die erste einzuschließen ist ; die der hier vorgetragenen entgegengesetzte Ansicht vertreten zuletzt Hammond, a.a.O. S. 40f. mit Anm. 34, und Hignett, S. 345. Es ist mir unverständlich, wie man aus ό πας άριθμός etwas wie „Gros" herauslesen will; es heißt nichts anderes als „Gesamtzahl", so daß δεκάς . . τώνδε und χωρίς ίκκριτος jeweils zusammengehören; auch bei πλήθος (V. 342) sollte man in erster Linie erwarten, daß es wie in V. 334 (Gesamt-)Zahl heißt; vgl. Broadhead, Commentary, S. 115, ad W . 339/340. 2 P.-R. Schulz, Göttliches und menschliches Handeln bei Aischylos, Diss. Kiel 1962, S. 12, weist darauf hin, daß der Bote hier erstmals äußert, daß Götter in Salamis zugunsten der Griechen eingriffen, eine Überzeugung, die von nun an seinen ganzen Bericht durchzieht.
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zur Hand: das Geschehen war komplizierter als die Frage. Eine befriedigende Antwort muß die ganze nähere Vorgeschichte der Schlacht einschließen, und das reizt dazu, den Bericht über den Schlachtverlauf gleich anzufügen. Ein Rachegeist machte den Anfang mit dem ganzen Übel; die deutende Aussage wird jedoch sofort 1 historisch präzisiert: ein Grieche brachte Xerxes die Nachricht, daß die griechische Flotte Flucht und Zerstreuung plane, und Xerxes ließ sich durch die List täuschen (361) und befahl, alle Fluchtwege zu sperren. Man hat natürlich bemerkt, daß es hier um die „List des Themistokles" geht (vgl. Hdt. 8,75), daß der Name des Themistokles aber — wohl mit Absicht — verschwiegen wird ebenso wie der Name des Aristeides, der mit der Episode auf Psyttaleia verbunden war (Pers. 447ff.; vgl. Hdt. 8,95). Macan2 meint dazu, Aischylos habe neidische Vergleiche vermeiden wollen. Die Begründung scheint mir nicht stichhaltig zu sein, da die Griechen die Verantwortlichen für die einzelnen Aktionen wohl auch dann wiedererkannten, wenn die Namen nicht genannt wurden. Einleuchtender ist die Erklärung von M. V. Ghezzo 3, die darauf hinweist, daß es poetisch wahrscheinlicher ist, wenn der persische Bote die einzelnen Namen der in weiter Ferne lebenden Griechen (vgl. V. 232) nicht kennt 4 . Kitto hat außerdem geltend gemacht, daß die Perser ihre Niederlage durch die Hand der Götter erleiden, während die Griechen — und zwar als ein kompakter Block ohne genauere Sonderung der Einzelleistungen — als Werkzeug der Götter verstanden werden sollen5. Man kann die letzte Erklärung im ganzen als befriedigend akzeptieren; es scheint mir aber nötig, eine Einzelheit als sichere Ausnahme aufzuweisen: der Grieche, der Xerxes überlistet, kommt, wie Aischylos den Boten genau erzählen läßt, εξ 'Αθηναίων στρατού (355), — eine Kleinigkeit gewiß, aber man kann sie nicht 1
P.-R. Schulz, a.a.O., weist bereits darauf hin, daß in den W . 353—356 die Interpretation des Geschehens als göttliche Fügung und die Schilderung des tatsächlich und offenbar Geschehenen unvermittelt nebeneinander stehen. — Daß der Bericht von der Botschaft des Themistokles an Xerxes völlig unhistorisch ist (Hignett, S. 208, 217, 229f., 242 und breit S. 403ff. nach Beloch), vermag ich nicht anzunehmen; Hignett (S. 407) setzt sich über die frühe und unabweisbare Bezeugung des Ereignisses allzu leicht hinweg. 2 Commentary II, S. 9; H. W. Smyth, a.a.O. S. 73f.; etwas anders Patin, Eschyle, Paris 5 1877, S. 213f. 3 A.a.O. S. 438, Anm. 1. 4 Es ist freilich einzuwenden, daß auch der P e r s e r Mardonios nicht genannt wird, wo man es eigentlich erwarten sollte (Pers. 803ff.). Die Schlacht von Platää geht mit auf das Konto des Xerxes ; neben dem König verschwindet der historische Feldherr, wobei die oben (S. 50) genannten Gründe mitgespielt haben dürften. 5 H. D. F. Kitto, Greek Tragedy, 3 1961, S. 38f.; vgl. H. W.Smyth, a.a.O. S. 89f.
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stark genug hervorheben, wenn man berücksichtigt, daß die Athener noch bei Thukydides (1,74,1) die List des Themistokles als einen ihrer drei besonders gewichtigen Beiträge zur Schlacht von Salamis preisen. Es ist richtig, daß die trügerische Nachricht bei Aischylos nur zum Inhalt hat, daß die Griechen auf Flucht sinnen, während Herodot einige Worte über die Uneinigkeit der Griechen hinzufügt. Wenn daraus jedoch Macan schließt, daß wohl die von Herodot, nicht aber die von Aischylos überlieferte Botschaft Xerxes habe in die Enge locken können, so vergißt er, daß die bloße T a t s a c h e , daß ein Abgesandter einer griechischen Abteilung Xerxes von den Fluchtabsichten der Griechen unterrichtete, dem König die Uneinigkeit im griechischen Lager klarmachen mußte, ohne daß dies besonders in der Mitteilung eingeschlossen war 1 . Auf Xerxes' Geheiß besetzen die persischen Schiffe nach Einbruch der Dunkelheit alle Ausgänge der Straße von Salamis, um die Griechen an der Flucht zu hindern, und patrouillieren die ganze Nacht hindurch zur See. Am Morgen haben die Griechen immer noch keinen Ausbruchsversuch unternommen ; sie stimmen vielmehr den Päan an, wodurch die Perser endlich merken, daß sie auf einen Betrug hereingefallen sind (391—392). Die Reihenfolge der Ereignisse wird schön aus persischer Perspektive gezeigt: der Gesang des Päan ertönt und findet an den Felsen seinen Widerhall, Trompetensignal ist zu vernehmen; dann schlagen die Ruder entsprechend dem laut kommandierten Schlagtakt die See und die Schiffe der Griechen kommen in Sicht. Die Führung hat der spätere rechte Flügel, dann kommt der ganze Zug heraus — offenbar aus der Bucht (Paloúkia-Bay nach Hammond), in der die Schiffe während der Nacht an Land gezogen worden waren. Das alles paßt ausgezeichnet, aber wir vermissen etwas, wovon gerade der persische Bote hätte berichten können, wir vermissen jede auch noch so kleine Bemerkung über das Vorrücken der persischen Flotte aus der Riegelstellung in den Kanal hinein 2 . Nicht erstaunlich ist natürlich, wenn ein griechischer Teilnehmer an der Schlacht nichts von diesen Vorgängen weiß, da sich die Griechen ja gerade zu derselben Zeit einschifften und währenddessen die persische Flotte aus dem Auge lassen mußten. 1 Davon zu trennen ist die Divergenz, daß bei Aischylos der griechische Bote offenbar am Tage zu Xerxes kommt, während Sikinnos bei Herodot wohl nur nach Einbruch der Dunkelheit fahren kann, da er ja von den übrigen Griechen nicht gesehen werden darf. Hammond geht darüber allzu leicht hinweg. 2 Diese Bewegung der Flotte wird von Hammond, a.a.O. S. 47, als sicher angenommen, aber auch von Aischylos an anderer Stelle ( W . 413f.) impliziert.
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Auf den Kampfruf beider Seiten folgt sogleich der Beginn der Schlacht. Während der pathosgeladene griechische Ruf ausführlich zitiert wird, bleibt dem Boten der persische Ruf ein „Gebrause persischer Zunge" (406); wieder einmal wird die Fiktion der persischen Perspektive nicht aufrechterhalten. In die Stimmung der Perser mag sich der Dichter hineinversetzen können, er kann sich jedoch nicht deren Augen und Ohren zu eigen machen. Ein hellenisches Schiff begann den Angriff, indem es ein phönikisches rammte: durch Vergleich mit Herodot (8,85) ergibt sich, daß es ein athenisches Schiff gewesen sein muß. Man könnte hier also allenfalls einen weiteren versteckten Hinweis auf die Rolle der A t h e n e r in der Schlacht vermuten. Die Menge der persischen Schiffe drängt sich mehr und mehr zusammen, die Schiffe behindern und beschädigen sich gegenseitig. Die Enter-Technik der Perser, die deshalb größere Mengen έπιβάται auf die Schiffe genommen hatten, kam in der Enge nicht zur Entfaltung; dagegen bewährten die Griechen ihre Fertigkeit im Rammen der feindlichen Schiffe (vgl. Pers. 410. 418 und schon 279 und 336). Die Schiffe der persischen Flotte ergreifen schließlich völlig ohne Ordnung die Flucht. Der Bericht gibt, wie leicht ersichtlich, einige Etappen im Kampfgeschehen an (ήρξε δ' εμβολής 409; τα πρώτα . . . 412f. ; ώς δέ πλήθος . . . 413ff. ; κύκλω πέριξ εθεινον 418; φυγη δ' άκόσμως . . . 422; έ'παιον, έρράχιζον 426), gibt auch ein wenig an Zustandsschilderung (419ff. ; 426ff.), verzichtet aber auf jegliche Nennung von Namen gleich welcher Art. Auf den Jammer der Königin antwortet der Bote mit dem Hinweis, daß er das Schlimmste noch gar nicht gesagt habe. Gerade diejenigen Perser, die durch blühende Kraft, Mut, edle Abkunft und Treue gegen den König hervorragten, starben einen unrühmlichen Tod auf der kleinen Salamis vorgelagerten Insel Psyttaleia (vgl. Hdt. 8,95 mit 8,7e) 1 . Die Darstellung ähnelt bis in die Einzelheiten derjenigen bei Herodot, nur wird das Unternehmen des Aristeides bei Aischylos viel höher eingeschätzt. Bei Herodot handelt es sich gewissermaßen um einen Anhang zum eigentlichen Schlachtgeschehen (8,95), obwohl er 8,76,1 sagt, daß man πολλούς των Περσέων auf das Eiland schaffte. Nach Plutarchs Worten (Arist. 9,1) war Psyttaleia „voll von Feinden", was aber bei einer kleinen Insel nicht allzu viel zu sagen braucht. Pausanias (1,36,2) berichtet geradezu, es seien nur 1
N. O. L. Hammond, a.a.O., hat Psyttaleia mit der kleinen Insel Hagios Georgios gleichgesetzt; zustimmend Broadhead, Commentary, S. 332f.; demgegenüber verteidigen Pritchett, a.a.O., Burn, S. 453f. und S. 473f., und Hignett, S. 397ff. — wohl mit Recht — die .communis opinio', daß Psyttaleia mit Lipsokoutáli am Eingang zur Straße von Salamis identifiziert werden muß. — Zu W . 448 f. paßt es, wenn noch Pausanias (1,36,2) davon berichtet, daß sich auf der Insel ξόανα des Pan befanden (Hammond, S. 34).
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etwa 400 Perser auf der Insel gewesen. Die Truppen wurden nach übereinstimmendem Zeugnis des Aischylos, Herodot und Pausanias allesamt von den Griechen niedergemacht, während Plutarch (a.a.O.) dafür hält, daß einige persische Vornehme lebend gefangengenommen worden seien. Ganz gleich welcher Bericht im einzelnen als zuverlässig angesehen werden kann, allein schon die bescheidene Größe der Insel und die harmlose Aufgabe, die der Abteilung zugewiesen war, verbieten es, aus dem Geschehnis eine größere Landschlacht zu machen, wie Lattimore richtig betont hat 1 . Aischylos unterstreicht die Bedeutung der Episode aber übermäßig, weil das den Weg bereiten hilft für seine zusammenfassende Formel in V. 728 : ναυτικός στρατός κακω&είς πεζόν ώλεσε στρατόν. Nachdem Lattimore in der früheren Arbeit 2 noch glaubte, vornehmlich patriotische Motive für die Verzeichnung verantwortlich machen zu müssen, hat er neuerdings 3 anerkannt, daß dramatische Gesichtspunkte Aischylos zwingen konnten, die Niederlage des Xerxes auf eine einzige größere Aktion zurückzuführen. Dementsprechend läßt Aischylos in immittelbarer Folge auf das Desaster von Psyttaleia, das die Schlacht von Salamis abschloß (vgl. VV. 454—456), Xerxes mit dem Landheer die Flucht ergreifen, άκόσμω ξύν φυγη (470) ähnlich der regellosen Flucht der Flotte (422 φυγη 8' άκόσμως). Auch das ist historisch nicht ganz richtig (vgl. Hdt. 8,107,1 : ein Tag Aufenthalt für die Flotte 4 ; Hdt. 8,113,1: einige Tage Aufenthalt vor Xerxes' Rückzug nach Böotien), aber hier scheint mir eine echte poetische Raffung des Stoffes vorzuliegen. Beweiskräftig sind, wie ich glaube, zwei Stellen bei Herodot und Thukydides (Hdt. 7,164,2 ; Thuk. 1,73,5), in denen knapp auf die uns interessierenden Ereignisse Bezug genommen wird und in beiden Fällen (besonders deut1 R. Lattimore, a.a.O. S. 88 mit Anm. 16. ·— Zuletzt hat H. 0. Avery, Dramatic Devices in Aeschylus' Persians, AJPh 85 (1964), S. 173ff., gezeigt, daß Aischylos mit allen Mitteln den Eindruck zu erwecken versucht, daß die persische Niederlage v o l l s t ä n d i g war. 2 A.a.O. S. 91 ff.; ihm folgen neuerdings F. W. Schlatter, Salamis and Plataea in the Tradition of the Attic Orators, Diss. Princeton 1960, S. 67f., und W. Κ. Pritchett, Marathon, Berkeley und Los Angeles 1960, hier bes. S. 167 f. Pritchett bezieht das erste der sogenannten ,,Marathon"-Epigramme auf die Schlacht von Salamis und erkennt darin dieselbe Tendenz wie in Aischylos' „Persern". 3 R. Lattimore, The Poetry of Greek Tragedy, Baltimore 1958, S. 30f., Anm. 4. 4 W.Marg, Herodot über die Folgen von Salamis, Hermes 81 (1953), S. 196ff., überzeugt mich nicht, wenn er (S. 199) glaubt, daß die Flotte noch in der ersten Nacht abgefahren sei ; es leuchtet mir nicht ein, daß der Damm-Bau nach Herodot noch am Schlachttag begonnen worden sein soll. •— Auch Burn, S. 467 f., und Hignett, S. 240, die freilich beide Margs Arbeit nicht zu kennen scheinen, sind der Meinung, daß die Flotte nach Herodots Auffassung erst in der zweiten Nacht nach der Schlacht abfuhr.
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lieh bei Thukydides) der Rückzug des Xerxes als unmittelbare Folge der Niederlage von Salamis erscheint. Die letzte Frage der Atossa betrifft das Schicksal der Schiffe, die der Vernichtung in der Seeschlacht durch die Flucht entgangen sind. Der Bote weiß nicht viel zu sagen: Sie sind eilends mit günstigem Wind geflohen, doch daran schließt eine an Unwahrscheinlichkeiten reiche Schilderung des Rückzuges des Landheeres an 1 . Daß die Antwort über das Anliegen der fragenden Königin weit hinausgeht, kann uns nicht sonderlich erstaunen, da wir denselben Vorgang schon oben (S. 68) für die W . 350ff. beobachtet haben. Durch Hunger und Durst in Böotien und Thessalien und durch die Katastrophe am Strymon, dessen Eis unter den Truppen des Xerxes dahinschmilzt (VV. 495—507), ist das persische Heer nach des Aischylos Ansicht bis auf einen kläglichen Rest dahingeschwunden, einen Rest, der sich mit knapper Not nach Asien, ins Heimatland, retten kann (zu 511 έφ' έστιουχον γαΐαν vgl. 866 ούδ' άφ' εστίας συ·9·είς). Zweifellos handelt es sich hier um Übertreibung in beträchtlichem Maße. Daran können auch die Einwände nichts ändern, daß Aischylos manche Begebenheiten vom Rückzug des Heeres des Mardonios auf den des Xerxes übertragen haben mag, bzw. daß die Griechen über den Rückzug kaum etwas Genaues wußten (wozu man Herodots ebenfalls unzuverlässigen Bericht 8,115 vergleicht 2 ). Die Götter selbst vernichten das persische Invasionsheer, diesmal freilich nicht mit Hilfe der griechischen Seemacht, sondern mit Hilfe der elementaren Kräfte Von Land und Wasser. Erleichtert wurde die Deutung des Aischylos allerdings durch den Umstand, daß die Griechen kaum etwas vom Rückzug des Xerxes wußten und daß sich, wie Wecklein annimmt 3 , eine religiöse Deutung des Perserkrieges bald nach dessen Ende allgemein durchsetzte. Wir können rückblickend feststellen, daß Aischylos — wie wir meinen, aus dramatischen Gründen — die Entscheidung des Perserkrieges konzentriert sieht in den Ereignissen und Folgen der Schlacht von Salamis. Darum muß die Bedeutimg der Episode Psyttaleia übersteigert werden, darum auch muß die „Flucht" des Xerxes gleich auf die Schlacht folgen. Die Entscheidimg des Krieges wird nach der Vorstellung des Aischylos durch die Götter herbeigeführt (vgl. auch Hdt. 7,139,5 μετά γε θεούς und Themistokles bei Hdt. 8,109,3!). Dementsprechend wird der Unterschied in der Zahl der Schiffe vom 1
Die Unwahrscheinlichkeiten leugnet natürlich auch J. Dumortier, La retraite de Xerxès après Salamine (Eschyle, Perses, 480—514), REG 76 (1963), 358 ff., nicht, der hinter der Schilderung des Aischylos eine wohlerwogene Rückzugsstrategie der Perser zu erkennen glaubt. 2 Herodot liefert uns 8,126,1 selbst wichtiges Material zu seiner Widerlegung. 3 N. Wecklein, Über die Tradition der Perserkriege, SB München 1876, S. 239ff., hier S. 250ff.
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Boten kommentiert, dementsprechend wird der Bericht vom Rückzug des Xerxes zu einer Serie sich steigernder Unglücksfälle ausgestaltet 1 . Um den zentralen Bericht der Seeschlacht, der nach allem, was wir wissen, sehr zuverlässig ist, legen sich die übrigen Mitteilungen in zwei Ringen. Der innere Ring enthält zwei Abschnitte (Anzahl der Schiffe; Psyttaleia), die anscheinend auf zuverlässigen Tatsachennachrichten beruhen, aber im Sinne der poetischen Ziele des Dichters besonders als Bedeutungsträger ausgeprägt werden. Der äußere Ring (Gefallenenkatalog; Flucht des Xerxes) kann keinen Anspruch auf historische Zuverlässigkeit erheben, ist dagegen poetisch überaus bedeutsam, da einerseits die gewaltigen Verluste aller persischen Truppenteile während und infolge der Schlacht von Salamis betont werden (ich verweise nochmals auf V. 728), andererseits im zweiten Tall das Wirken der Götter allen deutlich vor Augen tritt. b') Xerxesbild Ich will zum Schluß noch einige Gedanken an die Schlußszene zwischen Xerxes und Chor knüpfen, die seit jeher gerade den ästhetischen Betrachtern arges Kopfzerbrechen bereitet hat. Blomfield2 hat geradewegs angenommen, Aischylos habe den Xerxes lächerlich machen wollen, und erklärt die Szene deshalb für einer Tragödie unwürdig. Jüngere Interpreten sind von diesen Vorwürfen abgekommen, können aber nicht umhin festzustellen, daß Xerxes, der in der Schlußszene der „Perser" auftritt, ein schwacher Mann ist, eine rechte Jammergestalt, nicht zu vergleichen mit anderen Heroen der Tragödie 3. Andere Gestalten der Tragödie sind gewiß auch vom Unglück geschlagen, manchmal von der Gewalt und Menge der Schicksalsschläge geradezu niedergeschmettert, aber bei Xerxes glauben wir etwas anderes feststellen zu müssen: er ist einfach schwach und erbärmlich. Die Niederlage des unbesieglich geglaubten Heeres hat die Kleinheit des θούριος άρχων (V. 73) enthüllt (vgl. V. 913), der nun angesichts der Alten, die von ihm, dem ούχ υπεύθυνος (213), dennoch Rechenschaft fordern, wünscht, ihn hätte gemeinsam mit den Gefallenen der Tod getroffen (914ff.). Trotzdem muß man daran festhalten, daß Xerxes die zentrale Gestalt unserer Tragödie ist; er ist der Verantwortliche für die Kata1
Über „Salamis als göttliche Fügung" jetzt ausführlich P.-R. Schulz, a.a.O. S. 12ff. 2 C. J. Blomfield, Aeschyli Persae, Leipzig 1823, praefatio X I / X I I . 3 Vgl. Kitto, Greek Tragedy, 3 1961, S. 42; H. W. Smyth, Aeschylean Tragedy, S. 81; J. T. Sheppard, Aeschylus and Sophocles. Their Work and Influence, Norwood 1927; S. 11; L.J. D. Richardson, The inner conflict in the Persae. Athenian dramatist and Persian characters, Studies G. Norwood, Toronto 1952, S. 55ff., hier S. 60; Broadhead, Commentary, S. X X I I I .
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strophe und er wird uns in der Schlußszene als der Bestrafte vor Augen gestellt. Den Versuch von M. V. Ghezzo, unsere Tragödie als Tragödie aller Perser auszugeben, halte ich für sehr problematisch 1 . Es ist durch nichts gerechtfertigt, wenn man verlangt, daß Xerxes sich seiner ΰβρις bewußt sein müsse, ebenso wie man es bei Eteokles zu sehen glaubt (so Ghezzo). Es geht in diesem Stück um Xerxes, und dieser Xerxes erscheint uns als ein schwacher Mann, auch wenn wir in Rechnung setzen, daß wir von der Schlußszene (mit Musik und Tanz) heute nur noch einen sehr unzulänglichen Eindruck bekommen. Es mag richtig sein, daß wir weder von vornherein annehmen können, daß uns Aischylos einen starken Charakter vorstellen, noch daß er überhaupt einen einzigen Charakter zum Angelpunkt der Handlung machen muß; wenn er aber „die Sünde des Xerxes" (Kitto) zum Gegenstand einer Tragödie macht, dann erwartet man zunächst, daß Xerxes auch die Handlung trägt. Da Xerxes in Griechenland weilt, ist das nicht in der Weise zu verwirklichen, daß Xerxes selbst während des ganzen Dramas vor den Augen der Zuschauer steht 2 . Weil also nur ein relativ kurzer Auftritt am Schluß möglich war, mußte es Aischylos um so mehr darum zu tun sein, Xerxes als einen starken und eindrucksvollen Charakter zu zeichnen. Das hat er allem Anschein nach jedoch n i c h t getan, vielleicht nicht tun können. Wir wollen näher betrachten, was Aischylos denn von Xerxes aussagt. Da wir die Schlußszene dafür zunächst nicht auswerten wollen, bleiben uns nur die Urteile der anderen Charaktere über Xerxes, worunter die Aussagen des Dareios, mit dem Xerxes so scharf kontrastiert wird, die wichtigste Rolle spielen. Xerxes gilt — geschichtlich nicht recht treffend — als der j u n g e Mann, der dementsprechend stürmisch und vom θράσος geleitet ist. θούριος heißt er V. 718 und 1 M. V. Ghezzo, a.a.O. S. 432; S.M. Adams, Salamis Symphony. The Persae of Aeschylus, Studies Q. Norwood, Toronto 1952, S. 46ff., hier S. 47; ähnlich, aber etwas vorsichtiger J. Bidez, A propos des „Perses" d'Eschyle, Bull, de la classe des lettres de l'Académie royale de Belgique, Tome X X I I I (1937), S. 206ff., hier S. 213. — Der Titel Πέρσαι darf in dieser Frage nicht als Argument auftreten. Wie ein kurzer Blick in den Katalog der aischyleischen Dramen der Codices M und V zeigt, wurden die Dramen entweder nach einer zentralen Person oder einem zentralen Thema oder aber nach dem Chor benannt ; manchmal treten beide Arten der Benennung nebeneinander (Κάρες ή Ευρώπη, Σεμέλη ή ύδροφόροι, Φρύγες ή Έκτορος λύτρα). Es gibt zweifellos Stücke, die nach dem Chor benannt sind und in denen dieser Chor auch die Hauptrolle spielt (Ίκετίδες, Αιγύπτιοι). Aber das kann nicht als Regel hingestellt werden; es seien hier nur einige sichere Gegenbeispiele genannt: Κάρες, Νηρεΐδες, Σαλαμίνιοι, Χοηφόροι, Ψυχαγωγοί, Μυρμιδόνες. 2 In Aischylos' „Agamemnon" liegt eine ganz ähnliche Schwierigkeit vor: Agamemnon, zweifellos die Mitte des Stücks, steht auch dort nur in einer einzigen Szene leibhaft vor unseren Augen.
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V. 754, beide Male im Munde der Königin1. Das θράσος ist V. 831 Zeichen widergöttlicher Hybris und wird V. 744 mit der Jugend des Xerxes in unmittelbaren Zusammenhang gebracht (νέω θράσει)2. Xerxes handelt nach Dareios' Worten nicht wohlberaten (749, ούκ ευβουλία), nach den Worten des Chors unverständig (552, δυσφρόνως), und der Bote flicht zweimal in seinen Bericht ein, daß Xerxes bestimmte schwerwiegende Maßnahmen falsch trifft, weil er die Zukunft nicht vorherzusehen vermag (373, ου γάρ το μέλλον έκ θεών ήπίστατο; 454, κακώς το μέλλον ίστορών). Es fällt schwer, sich dabei nicht daran zu erinnern, wie Herodot Xerxes ebenfalls recht deutlich als jungen Mann charakterisiert. Besonders aufschlußreich ist die Selbstäußerung des Xerxes (Hdt. 7, 13,2: . . . φρενών τε γάρ ές τά έμεωυτοϋ πρώτα ουκω άνήκω, και οί παρηγορεόμενοι έκεΐνα ποιέειν ούδένα χρόνον μευ άπέχονται. άκούσαντι μέντοι μοι της Άρταβάνου γνώμης παραυτίκα ή νεότης έπέζεσε . . .; zu έπέζεσε vgl. θυμωθείς 7,11,1; 7,210,1; 9,111,5 und έθυμώθη 7,39,1; 7,238,2). Jugendliches Alter, heftiges Temperament und Mangel an Einsicht (an Erfahrung und darauf beruhendem Weitblick) gehören, wie H. Bischoff3 gezeigt hat, formelhaft zusammen. Ein schönes Beispiel für diese Verbindung bietet schon Homer in der Ilias (Ψ 587ff. mit Ψ 604; vgl. Pind. Pyth. 2,63ff.). Wenn wir also diese Züge im Bilde des Xerxes einfach dem Umstand zugute halten müssen, daß er sowohl von Aischylos als auch von Herodot als junger Majm gesehen und entsprechend dem überkommenen Typos dargestellt wurde, so scheint kaum noch etwas von einer individuellen Charakterisierung des Xerxes übrigzubleiben. Doch in der Schlußszene erscheint Xerxes als schwach, ein wenig weich, ja vielleicht als klein und erbärmlich. Das hängt zweifellos 1 Nicht damit verbinden sollte man θούριος άρχων (V. 73), das ebenso wie θοϋρον εύνατηρ(α) (V. 137f.) stärkeren Anklang an den epischen Sprachgebrauch zeigt, θοϋρος ist ja in der Ilias stehendes Beiwort des Ares (vgl. E 30, 35, 355, 454, 507, 830, 904) und in der femininen Form Beiwort der άλκή (vgl. O 250, 322, 487, 527, 734). An unserer Stelle geht es eher um eine Heftigkeit, die nicht direkt in Verbindung zum Kriegsgeschehen gesehen ist; am nächsten kommt dem vielleicht Aisch. Prom. 354 Τυφώνα θοϋρον. 2 Zur Jugend des Xerxes s. auch V. 13 und besonders V. 782! 3 H. Bischoff, a.a.O. S. 2f. ; vgl. jetzt auch H.D.Kemper, Rat und Tat, Diss. Bonn 1960, z.B. S. 15ff., 27f., 36, 40f., 52, 58ff., 66f., 70, 80. — Man sollte sich davor hüten, das θυμωθήναι voreilig als typischen Wesenszug des Despoten in der griechischen Darstellung anzusprechen, wie das M. Pohlenz, Herodot, Leipzig 1937, S. 93 mit Anm. 3 und S. 94 mit Anm. 1 tut (ihm folgt W. Nauhardt, Das Bild des Herrschers in der griechischen Dichtung, Berlin 1940, S. 60). Kyros wird nicht als aufbrausend beschrieben, und Dareios muß nur als junger Mann zur σωφροσύνη ermahnt werden (Hdt. 3,71). Die Herrscher, die Aischylos (Pers. 767. 772) als verständig kennzeichnet, führten gleichwohl alle ein autoritäres Regime.
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nicht notwendig mit seiner Jugend zusammen; A. Alföldi1 dagegen vertritt mit Entschiedenheit die Auffassung, daß Schwäche und Verweichlichung in den Augen der tragischen Dichter zu den orientalischen Potentaten gehören und dann zum Merkmal der BühnenTyrannen jeglicher Provenienz geworden seien. Alföldi äußert z. B. (S. 31 und S. 33), Agamemnon akzeptiere bei Aischylos das persische Hofzeremoniell, das er selbst als weibisch gekennzeichnet habe (vgl. Ag. 918ff.), vermißt dann freilich im gleichen Atemzuge (S. 31) bei Eurípides (Iph. Aul.; Hec.) etwas „von der würdigen Agamemnonsgestalt des Aischylos". Ist Agamemnon nun bei Aischylos schwach und effeminiert? Dieses Urteil dürfte doch eher auf Aigisth zutreffen, der sogar ein Weib seinen Mordplan ausführen läßt (vgl. Ag. 1224. 1608f. 1625ff. 1633ff. 1643ff. 1665; Choeph. 304f. 630)2. Doch weiter: Ist Dareios ein verweichlichter orientalischer Despot? Bei Aischylos helfen uns die Klischees nicht weiter. In seiner Vorstellung ist weder mit der Stellung des orientalischen Monarchen noch mit dem Bilde des Fürsten, der in Hybris fällt, Schwächlichkeit zwangsläufig verbunden. Wir werden einen anderen Weg beschreiten müssen, um die Eigenart des Verhaltens des Xerxes in der Schlußszene der „Perser" zu erklären. Atossa hat in den Versen 21 Iff. die „normalen" Konsequenzen eines Unternehmens wie des Xerxeszuges dargelegt: bei einem Erfolg ist der König ein θαυμαστός άνήρ, bei einem Mißerfolg ist er keine Rechenschaft schuldig; kehrt er heil zurück, ist er vielmehr Herr des Landes genau wie zuvor. Man darf darin, denke ich, nicht nur ein Wunschbild der besorgten Mutter Atossa sehen, sondern eine zuverlässige Beschreibung dessen, was auf Grund der autoritären Stellung des Königs erwartet werden kann. Diese Erwartung kann sich beispielsweise auf die Erfahrung stützen, daß Dareios nach dem fehlgeschlagenen Skythenzug sehr wohl unangefochten die Zügel des persischen Großreiches in der Hand hielt. Um so erstaunlicher muß es wirken, wenn der Chor der Persergreise bereits gleich nach dem Bekanntwerden der Niederlage des Xerxes damit rechnet, daß die βασιλεία ισχύς dahin ist, daß die Untergebenen der Perser nun das lästige Joch abschütteln werden ( W . 1 A. Alföldi, Gewaltherrscher und Theaterkönig, in: Late Classical and Mediaeval Studies in honor of A.M. Friend, Princeton 1955, S. 15ff. Zu dem von ihm beigebrachten archäologischen Material kann ich nicht Stellung nehmen; Einwände z.B. bei T. B. L. Webster, Greek Theatre Production, London 1956, S. 37, Anm. I; H.H. Bacon, a.a.O. S. 28f., Anm. 13. — Vor Alföldi zur Rolle des Theaterkönigs W. Heim, Die Königsgestalten bei den griechischen Tragikern, Diss. Erlangen 1904; W. Nauhardt, a.a.O. S. 43ff.; B. A. van Groningen, ΒΑΣΙΛΕΥΣ. De alleenheerscher op het tragische tooneel der Grieken, Mededeel. d. Nederl. Akad. v. Wetenschappen, Afdeel. Letterkunde, N. R. 4,12 (1941). 2 Zu Aigisth als Tyrann und Parvenu vgl. W. Heim, a.a.O. S. 37ff. und S. 87.
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584ff.). Dazu kommt, daß sie selbst in der Schlußszene ganz offensichtlich entgegen der Aussage der Atossa doch von ihrem König Rechenschaft fordern, ihn mit aller Deutlichkeit (bes. 922ff.) für die Katastrophe verantwortlich machen. Berücksichtigt man auch, daß die Niederlage bei Salamis eine schwerere Schlappe war als der Rückzug des Dareios aus Skythien, so fragt man sich doch, wie die genannte Reaktion des Chores möglich ist. Ist Xerxes so verschieden von Dareios, daß angesichts s e i n e r Niederlage das traditionelle Ordnungsgefüge zerbrechen kann? Ist Xerxes soviel schwächer, daß er diesen Übergriff der Alten über die ihnen vorgeschriebenen Grenzen ohne Widerrede über sich ergehen läßt? Xerxes steht erfolglos und gedemütigt vor der ganzen Generation der Älteren, im Grunde aber vor seinem Vater (vgl. W . 197—199)1. Dieser nämlich war ihm als Vorbild, als erfolgreicher Eroberer vor Augen gerückt worden ( W . 754ff.) ; dieser ist im ganzen „Perser"Drama das Gegenbild des Xerxes, der Herrscher, der den Persern keinen Schaden (άβλαβής, 555; άκακε, 663; vgl. 652f.) oder jedenfalls nicht so großen wie Xerxes (785f.) zugefügt hat. Der Vorwurf der άνανδρία trieb Xerxes dazu, durch auswärtigen Krieg neuen Besitz dem Reiche zuzuerwerben ( W . 753ff.)2. Das drängendste Anliegen dieses Nachfahren ist es, hinter seinen Vorgängern nicht zurückzustehen, sein alles bestimmender Wunsch, der Rolle als König der Perser und als Sohn des Dareios gerecht zu werden. Dieser Wunsch aber überfordert Xerxes' Kräfte; er ist zu klein und schwach, um im Ernstfälle die Last zu tragen, die mit seiner Stellung verbunden ist (vgl. W . 913ff.). Auch Herodot stellt uns in Xerxes den Mann vor Augen, dem alles daran liegt, den Maßstäben gerecht zu werden, die nach seiner Vorgänger Taten geformt worden sind. Während Mardonios bei Herodot anders als die schlechten Ratgeber aus den „Persern" (753ff.) nicht den Ehrgeiz des Xerxes durch direkten Hinweis auf die Taten der Vorfahren aufreizt, weist Xerxes selbst in seiner Rede im Adelsrat, in der er im übrigen weitgehend die Argumente des Mardonios adaptiert, gleich darauf hin, daß er sich seit seiner Thronbesteigung Gedanken mache (έφρόντιζον), wie er es anstellen könne, daß er nicht hinter seinen Vorgängern zurückbleibe (7,8 α 2). Der Gedanke an die Leistungen der Vorfahren klingt 7,50,3 abermals an; dabei betont Xerxes wieder, daß er es ihnen gleichtun will (όμοιεύμενοι έκείνοισι, 7,50,4). Daß Xer1 Über die Beziehung der Schlußszene zum Traumbericht vgl. Deichgräber, a.a.O. S. 190f. 2 G. Heintzeler, Das Bild des Tyrannen bei Piaton, Stuttgart 1927, S. 20, hat fälschlich gefolgert, Xerxes sei in der Vorstellung des Aischylos ein „Feigling", Dareios ein „Kriegsheld". Einspruch dagegen schon bei W. Nauhardt, a.a.O. S. 56, Anm. 3.
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I I . Erlebnis u n d Deutung in Aischylos' „ P e r s e r n "
xes bei Hdt. 7,11,2 selbst auf seine Genealogie verweist, zeigt deutlich, daß er sich dem Anspruch einer stolzen Vergangenheit gegenübergestellt sieht 1 . K. Reinhardt hat in einer sehr klugen und behutsamen Deutung 2 ein Bild von dem schwankenden Charakter des Xerxes bei Herodot gezeichnet und dieses Schwanken darin begründet gesehen, daß „der Königsornat in einem Mißverhältnis zur Person des Trägers steht, der Purpur um die Majestät zu schlottern anfängt" (S. 165). Wird man Beinhardt zugeben, daß Aischylos noch nicht Xerxes als den Schwankenden vorstellt 3 , so scheint mir doch aus der Darstellung des Dichters klar zu werden, daß auch er in Xerxes den Epigonen gesehen hat, der für seine Stellung nicht geeignet war, weil seine Kräfte im entscheidenden Moment versagten. Nimmt Reinhardt schon für das Bild bei Herodot mit guten Gründen an, daß es dem historischen Erlebnis entstammt, so muß uns diese Überzeugung bei Aischylos noch sicherer werden, wenn wir berücksichtigen, wie unbequem es ihm wurde, wenn er einen schwachen Xerxes als Zentrum des Stückes hatte, den er dazu noch nur in einer einzigen Szene den Zuschauern vor Augen stellen konnte 4 . Es sind also mit hoher Wahr1
E. Hermes, Die Xerxesgestalt bei Herodot, Diss. Kiel 1951, S. 32f., spricht in diesem Zusammenhang von Xerxes' „forciertem Königsbewußtsein". 2 K. Reinhardt, Xerxes, in der Abhandlung über „Herodots Persergeschicht e n " , zuerst in: Geistige Überlieferung, Berlin 1940, jetzt in dem Sammelband: Vermächtnis der Antike, Göttingen 1960, S. 164ff. Von Reinhardt stark beeinflußt ist E. Hermes, Die Xerxesgestalt bei Herodot. Seine Kritik an Reinhardt (z.B. S. 34) ist unberechtigt ; die Polemik gegen die Feststellung eines Zwiespalts zwischen Tiara u n d Mensch ist nicht hinreichend fundiert, besonders ist die psychologische oder richtiger sozialpsychologische Konzeption des Verfassers überaus verschwommen. D a ß er den Begriff „ R o l l e " verwendet (z.B. S. 21) u n d zugleich völlig unbefangen Königtum oder Königsbewußtsein als eine Seite von Xerxes' „Wesen" anspricht (S. 34), verträgt sich nicht miteinander. Das Königt u m (hier genauer das persische autokratische Herrschertum) ist eine soziale Position; an den jeweiligen Inhaber k n ü p f t seine Umwelt bestimmte Rollenerwartungen (hier u . a . Besitzmehrung), die vom Rollenträger als Pflichten oder sozusagen als „Rollen-Gewissen" verinnerlicht werden. Was unter diesen Umständen das Königtum mit Xerxes' „Wesen" zu t u n h a t , leuchtet mir nicht ein. 3 A.a.O. S. 170, Anm. 7; „noch nicht als den Schwankenden k e n n t " scheint mir zu stark zu sein — Aischylos h a t t e gar keine Gelegenheit, ihn als Schwankenden zu zeigen. 4 Von historischer Seite vgl. P. J. Junge, Dareios, der z.B. S. 196, Anm. 27, darauf verweist, daß die Verehrung, die Xerxes seinem Vater entgegenbrachte, deutlich aus den erhaltenen Xerxes-Inschriften hervorgeht. Es ist wohl besonders an die Inschrift Nr. 15 bei E. Herzfeld, Altpersische Inschriften, Berlin 1938, S. 35ff. zu denken. — Hermes, a.a.O., sieht in dem Xerxes-Bild bei Herodot u n d auch bei Aischylos einzig das Ergebnis literarischer Gestaltungskraft (bezeichnend S. 75: „Die Reihe, in der Kyros den von sich selbst überzeugten, von den Göttern sich bevorzugt glaubenden Herrscher, Kambyses den unbeherrschten, rasenden Monarchen, Dareios den überlegenen Täter u n d Xerxes den zwiespältigen Nachfahren darstellte, ist eine Konzeption Herodots."). D a ß
Eindringen der historischen Fakten : Xerxesbild
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scheinlichkeit die Züge des echten Xerxes, des schwachen Nachfolgers eines starken Vaters, die sich in das konventionelle Porträt des unhistorisch verjüngten Monarchen mischen. „Historisch" muß mir freilich gerade in diesem Zusammenhang d e r Xerxes heißen, der in den Vorstellungen des athenischen Publikums des Aischylos lebendig war, Vorstellungen, die Aischylos respektieren mußte. Aischylos mußte sich bemühen, durch geschickte Komposition die Nachteile abzugleichen, die die unumgängliche historische Wirklichkeit f ü r die Ökonomie des Stückes mit sich brachte. Kitto1 hat darauf hingewiesen, daß auch ein schwacher Xerxes dazu getaugt hätte, die Handlung zusammenzuhalten, wenn er den Zuschauern das ganze Stück hindurch vor Augen gestanden hätte. „But Xerxes was in Greece." War es somit aber auch ausgeschlossen, daß Xerxes die ganze Zeit „realiter" anwesend war, so hat doch Broadhead nach anderen richtig konstatiert: „In all the earlier scenes he has been present to our minds . . ." 2 . Während das bisher in dem allgemeinen Sinne verstanden worden ist, daß im Stück immer wieder von Xerxes gesprochen wird, daß er vor allen Dingen die Gemüter der zu Hause Gebliebenen beschäftigt, hat man bisher zu wenig Gewicht darauf gelegt, daß es in besonderem Maße die Königin Atossa ist, die kaum ein Wort sagt, ohne besonders ihres Sohnes Xerxes zu gedenken, den sie mit Vorliebe als παις (έμός) bezeichnet 3 . Das „mütterliche Ethos" (s.o. S. 63) ist an Atossa deshalb so stark vom Dichter betont worden, weil er sie dazu ausersehen hatte, ihren Sohn — nicht als König, sondern vielmehr ganz privat Xerxes' Rückzug gleich nach Salamis, den man oft der Feigheit des Königs zuschreiben wollte, durch die politischen Umstände geboten, also völlig vernünftig war, haben zuletzt Burn, S. 470, und Hignett, S. 89 und bes. S. 264f., wieder betont ; doch ist es wohl kaum zutreffend, wenn Hermes annimmt, daß Herodot und Aischylos Xerxes als schwachen Menschen zeichneten, weil sie sich nur so seinen eiligen Rückzug erklären konnten. Xerxes war nach allem, was wir wissen, tatsächlich keine überragende Königsgestalt, auf keinen Fall ein überlegener Kriegsheld (vorsichtig Burn, S. 314, dem das Xerxes-Bild bei Herodot zwar „a well-conceived literary portrait" ist, der aber gleich hinzufügt, „there may be much truth in it"; auch Hignett, S. 89, hält es für sicher, daß Xerxes „not equal to his high position" war); den Griechen, die die Ereignisse der Zeit erlebten, ist das offenbar nicht verborgen geblieben — daß sie auch unverfängliche Vorgänge in dieser Richtung ausdeuteten, braucht uns nicht zu wundern. 1
H. D. F. Kitto, Greek Tragedy, 3 1961, S. 42 (dort auch das Zitat). Broadhead, Commentary, S. X X I I I (Mitte). 3 W . 177, 189, 197, 211, 227, 233, 352, 473, 476, 529, 609, 847, 850. Während Dareios anwesend ist, gebraucht Atossa den Ausdruck kein einziges Mal (statt dessen zweimal θούριος άρχων, 718 und 754), wohl aber Dareios ( W . 739, 744, 751, 782). 2
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II. Erlebnis und Deutung in Aischylos' „Persern"
und persönlich — während seiner Abwesenheit zu repräsentieren 1 . In dem Augenblick, da Xerxes selbst auftreten soll, bedarf der Dichter ihrer nicht mehr und entfernt sie dementsprechend von der Szene. Atossas vorzeitiger Abgang, der oft den Kritikern seltsam zu sein schien, ist weder dadurch begründet, daß derselbe Schauspieler Atossa und Xerxes hätte darstellen müssen, noch dadurch, daß Aischylos dem Phrynichos folgte, der überhaupt nur einen Schauspieler zur Verfügung hatte 2 , sondern allein darin, daß der Vertreter einer Person natürlicherweise entbehrlich wird, sobald diese Person selbst erscheint. Wir haben die Gewißheit erlangt, daß Aischylos, wie wir aus allgemeinen Erwägungen bereits glaubten folgern zu dürfen, tatsächlich nicht willkürlich die geschichtlichen Tatbestände verfälscht, sondern sie nur dann verändert, wenn sie seiner theologisch-moralischen Deutung zuwiderlaufen. Wir konnten diese Tendenz nicht nur als Motiv für das unrichtige Dareios-Bild nachweisen, sondern konnten auch zeigen, wie die deutende Absicht Teile des Botenberichtes klar erkennbar überprägte. Gewisse geringfügige Veränderungen des historischen Sachverhalts waren dem Dichter auch dann recht, wenn er für Aufbau und Ökonomie des Stückes dadurch Vorteile gewann, besonders wenn er infolgedessen der traditionellen Form der Gattung Genüge tun konnte 3 . Alles Verändern hatte jedoch, wie Gomme schon richtig gesehen hat, seine Grenze an den Erinnerungen und für wahr geltenden Vorstellungen, die das Publikum mit den Ereignissen verband. Ja, man muß berücksichtigen, daß Aischylos selbst seine Eindrücke und Erfahrungen ebenfalls nicht einfach überspringen konnte. Die Kategorie der Erlebnisintensität liefert uns einen geeigneten Maßstab, um zu scheiden, was der Dichter ändern durfte und was nicht. Für die Zuverlässigkeit des zentralen Berichtes über die Schlacht von Salamis bürgt die Erfahrung der Salamis- Kämpfer, die acht Jahre später der Aufführung unseres Stückes im Dionysos-Theater beiwohnten, ebenso wie die des Soldaten Aischylos. Könnte man in diesem Fall aber noch unschlüssig sein, ob Aischylos überhaupt etwas hätte ändern wollen, so müssen wir dieselbe Frage ohne Umschweife bejahen, was das Bild des Xerxes angeht. So wie Xerxes von Aischylos gezeichnet wird, bringt er die dramatische Wirkung der „Perser" in ernste Schwierigkeiten; der überzeugendste Weg zur Erklärung 1
In diese Richtung weist bereits Kitto, a.a.O. S. 43: „But the Queen is prominent obviously because Aeschylus wishes to show two aspects of Xerxes' ύβρις, the purely political, and one more personal." 2 So fälschlich, wie ich glaube, F. Stoeßl, MusHelv 2 (1945), S. 158. Es ist gar nicht gesichert, daß Phrynichos in seinen späten Stücken den zweiten Schauspieler nicht übernommen hat. 3 Ygl. unsere Bemerkungen über die Rolle des Chores, oben S. 57 ff.
Zusammenfassung
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seines Vorgehens scheint es mir zu sein, wenn man annimmt, daß Aischylos den wirklichen Xerxes nachzuzeichnen versuchte oder zumindest diejenige Vorstellung von ihm, die in den Köpfen und Herzen seines Publikums lebte. Die Fälle, in denen der Dichter sich der Erfahrung der historischen Gegebenheiten beugen mußte, mögen f ü r den modernen Leser von hohem Interesse sein, wertvoller f ü r die literarische Betrachtung sind die Fälle, in denen poetische Absichten die Überformung und Verformung der Tatsachen bewirkten. Es hat sich mis ergeben, daß hier die Eigenheiten des Genos die grundlegende Erklärung liefern. Gilt dies im engen Sinne auch nur von der Rolle des Chores, einer vornehmlich formalen Qualität der Tragödie, so muß man doch bei gründlicher Untersuchung auch die Tendenz zur theologisch-moralischen Deutung überlieferten oder erlebten Geschehens als Charakteristikum der tragischen Gattung erkennen. In diesem Zusammenhang komme ich noch einmal auf die bereits erwähnte Abhandlung von H. Patzer1 zurück, die trotz ihrer abweichenden Zielsetzung und Methode zu meiner Freude die Ergebnisse stützt, die meine Analyse eines einzelnen Stückes erbracht hat. Patzer entwickelt auf Grund eines reichen Materials, daß schon die chorische Hymnik einschließlich des f ü r die Entstehung der Tragödie so wichtigen Dithyrambos wechselnde Ausschnitte der Heldensage enthielt und dieses Geschehen der heroischen Vergangenheit als „Beispiel göttlichen Wirkens" der Kultgemeinde vortrug 2 . Die Tragödie transponiert den im Dithyrambos angelegten Heroenmythos in die mimetische Form; dabei behält dieser jedoch seine kultische Funktion als theologisches Paradeigma 3 . Wenn Patzer (S. 166) von „der dämonischen Paradoxie des Götterwirkens" bei Aischylos spricht, „die gewöhnlich dadurch entsteht, daß die Gottheit nicht durch eigenes Eingreifen straft, sondern mittelbar und auf Umwegen, indem sie ein Menschengeschehen lenkt, das, n u r (von Patzer gesperrt) als Menschengeschehen betrachtet, paradox werden muß", so ist damit auch der Eindruck, den die „Perser" auf den Betrachter machen, auf eine knappe, aber wirkungsvolle Formel gebracht, wie wir besonders am Beispiel der Verse 337ff., aber auch sonst im Botenbericht verschiedentlich gesehen haben 4 . Vergehen 1
H. Patzer, Die Anfänge der griechischen Tragödie. Ebenda, S. 89ff. und S. 139ff. 3 Ebenda, S. 121 und S. 134 ff. ; die griechische Tragödie als „religiöses Drama" behandelt übrigens schon H. D. F. Kitto, Form and Meaning in Drama, London 2 1964 (1956). 4 P.-R. Schulz, a.a.O., sieht nicht ganz richtig, wenn er äußert, daß das Geschehen auch ohne Rücksicht auf das Götterwirken „natürlich und selbstverständlich" sei (S. 23) und nur dem Boten unlösbare Rätsel aufgebe (S. 14); 2
β 8457 Kierdorf (Hyp. 16)
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II. Erlebnis und Deutung in Aischylos' „Persern"
und Strafe des Xerxes bestimmen Komposition und Rhythmus der Bilder, die an uns vorüberziehen. Das Anfangsbild des ausziehenden Reichsheeres, das der Chor der Alten in seiner von bösen Ahnungen erfüllten Ungewißheit aus der Erinnerung vor unsere Augen zaubert, hat ein Gegenstück im Schlußbild des geschlagenen Heerkönigs, dessen Niederlage jetzt nicht mehr nur gewußt wird, sondern sichtbare Gestalt gewinnt 1 . Wie sonst an den erhabenen Gestalten der Sage, so erweist sich hier an den Ehrfurcht heischenden 2 Gestalten eines fernen und geheimnisvollen Landes die Ordnung stiftende Macht der Gottheit. er verkennt, daß gerade die G r i e c h e n das Geschehen als unverständlich bis zur Widersinnigkeit ansahen und daher glaubten, daß die Götter für sie den Sieg errungen hatten. 1 Daß man den Kontrast der Szenen nur allzu gut verstand, zeigt das böse Omen bei Hdt. 7,57,1 : nach Xerxes' Übergang über den Hellespont gebiert ein Pferd einen Hasen. 2 Racine begründet die Notwendigkeit, die Gestalten zeitlich oder räumlich vom Publikum zu distanzieren, durch ein Zitat aus Tacitus (ann. 1,47,2) : „maior e longinquo reverentia."
III. Erlebnis und Propaganda im Tatenkatalog attischer Reden Aus dem vierten Jahrhundert sind uns einige Reden überliefert, in denen unter anderem auch die Perserkriege mehr oder weniger ausführlich erwähnt werden. Wohlbekannt sind die λόγοι έπιτάφιοι, die uns in der zweiten Rede des Lysias 1 , in der referierten Rede des platonischen Menexenos, in der 60. Rede des Demosthenes 2 und in der — uns freilich nur unvollständig überkommenen — sechsten Rede des Hypereides vorliegen. Nah verwandt sind diesen Reden nach allgemeinem Urteil die vierte und die zwölfte Rede des Isokrates, Panegyrikos und Panathenaikos. Es gehört zum Bestand aller dieser Reden, daß sie einen Katalog der Heldentaten Athens bieten; wo von dieser Regel abgewichen wird, ist die Auslassung des Punktes vom Redner kenntlich gemacht (Hyp. 6,4—6; vgl. die Praeteritio im rein literarischen Epitaphios des Perikles bei Thuk. 2,36,4) 3 . Innerhalb des Katalogs nehmen die Taten Athens in den Perserkriegen einen maßgebenden Platz ein. Nachdem freilich in der Einleitung der Gegenstand dieser Studien dahingehend beschränkt wurde, es sollten nur diejenigen literarischen Zeugnisse behandelt werden, die auf ein d i r e k t e s E r l e b n i s der Perserkriege zurückgingen, muß hier gefragt werden, ob die genannten Reden aus dem vierten Jahrhundert den gesteckten Rahmen nicht sprengen. Die Frage müßte man bejahen, sollten die Reden hier je in ihrer Eigenart untersucht werden; wir dürfen sie jedoch ent1 Zur Begründung der Echtheit ausführlich J. Walz, Der lysianische Epitaphios, Leipzig 1936 (Philol. Suppl. X X I X , 4). Im Ergebnis zustimmend F. Zucker, Gnomon 16 (1940), S. 268ff. ; vgl. neuerdings H. Strasburger, Hermes 86 (1958), S. 21, Anm. 3. Gegen die Echtheit weiter Pohlenz, SOslo 26 (1948), S. 69ff. Gegen Pohlenz vertritt neuerdings J. Klowski, Zur Echtheitsfrage des lysianischen Epitaphios, Diss. Hamburg 1959, mit überzeugenden Gründen die Echtheit. 2 Die Echtheit haben gegenüber allen modernen und antiken Zweiflern J. Sykutris/P.Maas, Der demosthenische Epitaphios, Hermes 63 (1928), S. 241ff., erfolgreich verfochten. Zustimmend u.a. F. Zucker, a.a.O., und M. Pohlenz, SOslo 26 (1948), S. 46ff., bes. S. 54ff. 3 Richtig gesehen von J. Klowski, a.a.O. S. 68ff., der S. 73 darauf hinweist, daß die Verherrlichung der in früheren Kriegen Gefallenen auch Gegenstand des gorgianischen Epitaphios gewesen sein muß.
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III. Erlebnis und Propaganda im Tatenkatalog attischer Reden
schieden verneinen, da es allein darum geht, das Gemeinsame und Typische der darin enthaltenen Kataloge hervorzuheben und die Tradition des Katalogs der athenischen πράξεις bis zu seinen Ursprüngen zuriickzuverfolgen. Vereinfacht und in der gängigen Terminologie gesprochen, bedeutet das zunächst, daß wir emeut die vieldiskutierte Frage nach der Einrichtung des επιτάφιος λόγος in Athen stellen müssen 1 . Führt uns diese Untersuchung bis hinauf in die Zeit der Perserkriege, dann können wir in der Folge Eigenart und formale Gestaltung des Tatenkatalogs und darin besonders der Schilderung der Perserkriege genauer betrachten. a) Die Anfänge des λόγος επιτάφιος Thukydides schildert 2,34 recht ausführlich das Staatsbegräbnis für die im ersten Jahr des peloponnesischen Krieges gefallenen Athener und bezeichnet in diesem Zusammenhang (2,34,1) das δημοσία &άπτειν als einen πάτριος νόμος. Jeder unvoreingenommene Leser des thukydideischen Werkes kann aus dem Gebrauch des Wortes πάτριος wie auch aus der Tatsache, daß das Begräbnis der Marathonomachen am Kampfesort als Ausnahme von der Regel erscheint (2,34,5), nur entnehmen, daß diese Begräbnissitte mindestens auf die Zeit vor den Perserkriegen zurückgeht 2 . Wenn es dann aber am Anfang von 2,35,1 h e i ß t : οί μέν πολλοί των ένθάδε ήδη είρηκότων έπαινοϋσι τον προσ&έντα τω
νόμω τον λόγον τόνδε, . . ., so wird man annehmen, daß Thukydides 1
Zu diesem Thema J. L. Chaillet, De orationibus, quae Athenis in funeribus publicis habebantur, Diss. Leiden 1891, S. U f f . ; A. Hauvette, Les „Eleusiniens" d'Eschyle et l'institution du discours funèbre à Athènes, Mélanges H. Weil, Paris 1898, S. 159ff. ; E. Gossmann, Quaestiones ad Graecorum orationum funebrium formam pertinentes, Diss. J e n a 1908, S. 21 ff. ; H. Schneider, Untersuchungen über die Staatsbegräbnisse und den Aufbau der öffentlichen Leichenreden bei den Athenern in der klassischen Zeit, Diss. Bern 1912, S. 7 ff. ; O. Schroeder, De laudibus Athenarum a poetis tragicis et ab oratoribus epidicticis excultis, Diss. Göttingen 1914, S. 68ff. (m. E. beste Behandlung der Frage) ; L. Weber, Solon und die Schöpfung der attischen Grabrede, F r a n k f u r t 1935; P. Schmid, Staatliche Gefallenenehrung im klassischen Zeitalter Athens, Diss. Tübingen 1944, S. 58ff. ; F.Jacoby, Patrios Nomos. State Burial in Athens and the public cemetery in the Kerameikos, J H S 64 (1944), S. 37 ff. (wieder abgedruckt in: Abhandlungen zur griechischen Geschichtsschreibung von F. Jacoby, Leiden 1956, S. 260ff.); A. W. Gomme, A historical commentary on Thucydides, vol. II, Oxford 1956, S. 94ff. 2 Das gibt sogar Jacoby, a.a.O. S. 39f., zu, der selbst der Meinung ist, daß das Staatsbegräbnis erst 464 in Athen eingeführt wurde. Obwohl ich nicht beabsichtige, die Frage nach der Einrichtimg des Staatsbegräbnisses für die attischen Gefallenen neu durchzuarbeiten, da der P u n k t für mich belanglos ist, werde ich auf den Aufsatz von Jacoby gleich noch eingehen müssen, weil er bei seinem Ansatz zwangsläufig auch die Einrichtung der Leichenrede auf 464 oder sogar in noch spätere Zeit datieren muß.
Anfänge des λόγος επιτάφιος : äußere Zeugnisse
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eine recht präzise Vorstellung von der Entwicklung des Bestattungsbrauchs hatte, und zwar die, daß jemand, den er nicht namentlich zu nennen brauchte, nicht nennen mochte oder konnte, die Grabrede später zu der vorher schon bestehenden Begräbnissitte hinzufügte. Wann ist das geschehen? Es ist für uns von großer Wichtigkeit, den Zeitpunkt festzustellen oder den Zeitraum zu umgrenzen, in dem diese Ergänzung des νόμος vorgenommen wurde; dagegen braucht es in unserem Zusammenhang nicht zu interessieren, wer für die Neuerung verantwortlich ist. Zwei Wege sollen uns unserem Ziel näherführen, einerseits die Datierung durch Prüfung der äußeren Zeugnisse, andererseits die Datierung durch genaue Untersuchung der Reden selbst, richtiger: der in ihnen enthaltenen — historisch orientierten — Tatenkataloge. 1. Die äußeren Zeugnisse In dem namenlosen Jemand, der Thukydides zufolge den Begräbnisbrauch durch die Rede erweitert hat, glaubt der Scholiast zur Stelle Solon, den attischen Gesetzgeber κατ' έξοχήν, zu erkennen 1 ; der Rhetor Anaximenes soll nach Plut. Public. 9,11 ebenfalls in Solon den Begründer der attischen Grabrede gesehen haben, eine Ansicht, die schon Plutarch an der genannten Stelle mit deutlicher Zurückhaltung wiedergibt und die von der modernen Kritik fast einhellig2 verworfen worden ist. Abgesehen davon, daß der Scholiast sein Wissen eventuell aus Anaximenes gezogen haben könnte, liegt der Verdacht nahe, daß beide Angaben auf die Gewohnheit zurückgehen, alle πάτρια unbekannter Herkunft auf d e n Gesetzgeber Athens, Solon, zurückzuführen 3 . Diejenigen freilich, die gegen Solons Urheberschaft Cie. de leg. 2,64f. ins Feld führen wollten, sind einem Irrtum erlegen. Dort wird — wahrscheinlich im Anschluß an ein Werk des Demetrios von Phaleron — berichtet, daß eine beträchtliche Zeit (,aliquanto') nach Solons Gesetzgebung in Athen Gesetze zur Einschränkung des Bestattungs1 Der Wortlaut des Scholions: τόν νομοθέτην δηλονότι τόν Σόλωνα beweist, wie ich glaube, daß die Notiz nicht exakter antiquarischer Kenntnis, sondern oberflächlicher Kombination entsprang. 2 L. Weber, Solon und die Schöpfung der attischen Grabrede, Frankfurt 1935, hat versucht, eine Vorform der uns geläufigen Grabrede bis auf Solon zurückzuführen; die Scholiasten-Mitteilung und das Anaximenes-Zitat bei Plutarch zieht er jedoch absichtlich nicht zum Beweis heran; seine Konstruktion einer Frühform der Leichenrede, die auf sehr unsicherem Boden ruht, braucht uns hier allerdings nicht weiter zu kümmern, da er S. 50 (Mitte) selbst zugibt, daß „die Einführung der öffentlichen Grabrede in der feierlichen Form, wie sie ihre noch erhaltenen literarischen Zeugnisse aus späterer Zeit bieten", in die Zeit nach den Perserkriegen gerückt werden muß. 3 S. schon J.L. Chaillet, a.a.O. S. 13; 0. Schroeder, a.a.O. S. 68.
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III. Erlebnis und Propaganda im Tatenkatalog attischer Reden
aufwandes erlassen wurden, worin unter anderem die Regelung enthalten war, daß „über das Lob des Toten nicht gesprochen werden durfte, ausgenommen bei vom Staat durchgeführten Bestattungen, und zwar von keinem anderen als dem, der öffentlich dazu bestellt worden war". Es ist nicht von der Einrichtung der öffentlichen Grabrede, sondern von einem Verbot aller anderen Grabreden die Rede, so daß die Stelle für unsere Frage gar nichts hergibt 1 . Die älteste athenische Leichenrede, die wir nachweisen können, ist jedenfalls die des Perikles auf die im Krieg gegen Samos Gefallenen aus dem Jahre 439 (Plut. Per. 28,4). Da Perikles nach Plutarchs Angabe (Per. 8,7; dazu Plat. Phaedr. 257d) außer den ψηφίσματα nichts Schriftliches hinterlassen hat, sind uns auch aus seiner Leichenrede nur einige wenige Dikta bekannt, von denen nur das Wort über die Unsterblichkeit (Stesimbrotos bei Plut. Per. 8,9) und dasjenige über den aus dem Jahr geraubten Frühling (Aristot. Rhet. 1365 a 31 ff.; 1411 a 2ff.; vgl. die Reminiszenz bei Hdt. 7,162,1) der samischen Rede sicher zuzusprechen sind 2 . Man braucht, wie mir scheint, freilich nicht H. Schneider3 zu folgen, der die Grabrede für ein Produkt erst der perikleischen Zeit hält und dies zu begründen versucht, indem er auf die Entwicklung einer rhetorischen Technik erst in dieser Zeit hinweist. Schon E.Meyer (Forschungen II 220) hat ja darauf aufmerksam gemacht, daß die Form des επιτάφιος λόγος vor dem Einsetzen der kunstmäßigen Rhetorik bereits als feste Überlieferung vorlag. So braucht es uns nicht zu wundern, daß uns einige Zeugnisse über die Einrichtung der Grabrede erheblich über die erwähnte Perikles-Rede hinausführen. Dion. Hal., Ant. Rom. 5,17,4 όψέ γάρ ποτε 'Αθηναίοι προσέθεσαν τον έπιτάφιον επαινον τω νόμω, εΐτ' άπό των έπ' Άρτεμισίω και περί Σαλαμίνα και έν Πλαταιαΐς ύπερ της πατρίδος άπο&ανόντων άρξάμενοι, εί'τ' άπό των περί Μαραθώνα έ'ργων scheint in den ersten Worten direkt an Thuk. 2,35,1 τον προσ&έντα τω νόμω τον λόγον . . . anzuschließen. Dionys sieht den 1 Richtig F. Eckstein, Die attischen Grabmälergesetze, J d l 73 (1958), S. 25f. Wenn das Gesetz datierbar wäre (nach Eckstein unmöglich), gewännen wir einen zusätzlichen „terminus ante quem" für die Grabrede. 2 Daß das durch Ion bei Plut. Per. 28,7 überlieferte Perikleswort ebenfalls aus der Leichenrede stammt, wird durch den Kontext bei Plutarch nicht zwingend erwiesen. Vollends geht es zu weit, wenn L. Weber, Perikles' Samische Leichenrede, Hermes 57 (1922), S. 375ff., in Anlehnung an eine vorsichtig geäußerte Vermutung E.Meyers (Forschungen II 222) die Argumente der athenischen Reden bei Hdt. 7,161 (bes. § 3) und 9,27 (ab § 2) als Übernahme gerade aus dieser Perikles-Rede betrachtet. 3 A.a.O. S. 8f.; Einspruch dagegen übrigens schon bei P. Schmid, a.a.O. S. 62f. — Neuerdings weist G.Kennedy, The Art of Persuasion in Greece, Princeton 1963, S. 35, darauf hin, daß die beginnende rhetorische Technik „was merely a theorizing of conventional practice", vgl. denselben, S. 26ff. passim.
Anfänge des λόγος έπιτάφιος: äußere Zeugnisse
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Zeitpunkt der Ergänzung in den Jahren der Perserkriege, ist sich aber nicht schlüssig, ob die Rede schon im Anschluß an Marathon oder erst nach dem zweiten Persersturm entstanden ist. Nun sind weder die Gefallenen von Marathon noch die von Platää im Kerameikos beigesetzt worden (Thuk. 2,34,5; Paus. 1,29,4 — Hdt. 9,85, 2); von einer Leichenrede ist uns in beiden Fällen nichts bekannt. Im Anschluß an die Schlacht am Artemision hatte man mit Sicherheit keine Zeit für Begräbniszeremonien; ähnliches gilt wohl für die Zeit nach der Schlacht von Salamis. Nun berichtet Diodor (11,33), daß die Griechen im Anschluß an den Sieg von Platää ein Weihegeschenk in Delphi aufstellten und den Thermopylenkämpfern Epigramme widmeten; dann (§3) heißt es weiter: ομοίως δέ καΐ ό των 'Αθηναίων δήμος έκόσμησε τους τάφους των εν τω Περσικώ πολέμω τελευτησάντων, και τον άγώνα τον έπιτάφιον τότε πρώτον έποίησε, και νόμον εθ-ηκε λέγειν εγκώμια τοις δημοσία θαπτομένοις τούς προαιρεθέντας των ρητόρων. Der Bericht Diodors bzw. seines Gewährsmannes stimmt mit unserer Überzeugung über ein, daß eine solche feierliche Zeremonie erst nach völligem Abschluß der Kämpfe auf griechischem Boden möglich war. Andererseits hat nach Diodors Meinung zwischen der Beendigung der Kämpfe und der Einrichtung der Leichenrede kein allzu großer Zeitraum gelegen; ist ομοίως auch mißverständlich, so fordert τότε πρώτον doch eine annähernde Gleichzeitigkeit mit den zuvor erwähnten Ereignissen, wenn es nicht völlig sinnentleert gebraucht sein soll. Mit großer Wahrscheinlichkeit darf man annehmen, daß Diodor sich den επιτάφιος λόγος noch im Jahre 479 entstanden dachte. Allein nach Musterimg der äußeren Zeugnisse scheint auch uns eine glaubhaftere Datierung nicht möglich. Ehe wir uns aber der Prüfung der inhaltlichen Kriterien zuwenden können, müssen wir uns noch mit einem Zeugnis befassen, das erst vor relativ kurzer Zeit wieder in den Mittelpunkt des Interesses gerückt worden ist, nämlich mit der Beschreibung, die Pausanias (1,29) dem Staatsfriedhof der Athener gewidmet hat. F. Jacoby hat in seinem umfangreichen und gelehrten Aufsatz 1 besonders Paus. 1,29,4 πρώτοι δέ έτάφησαν . . . herangezogen, um nachzuweisen, daß die ganze von Thukydides als πάτριος νόμος bezeichnete Sitte, einschließlich der Grabrede, erst vom Jahre 465/4 (athenische Niederlage am Drabeskos; vgl. Thuk. 1,100,3) datiere. Jacoby wiederholt dabei die Fehlinterpretation der Pausanias-Stelle, die bereits A. Hauvette2 vorgelegt hatte, ohne den Einwänden 0. Sehroeders3 gerecht zu werden. Da die Veröffentlichung Jacobys allgemein stark beachtet worden ist, scheint es mir geraten, meine Auffassung des Pausanias-Abschnittes kurz darzulegen. 1 3
F. Jacoby, Patrios Nomos, a.a.O. 0. Schroeder, a.a.O. S. 70ff.
2
Α. Hauvette, a.a.O. S. 163.
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III. Erlebnis und Propaganda im Tatenkatalog attischer Reden
Wie Schroetter richtig zeigt, beschreibt Pausanias der Reihe nach die Sehenswürdigkeiten, die dem Wanderer auf dem Wege von der Stadt zur Akademie auffallen. Nach einigen Heiligtümern erwähnt er eine Reihe von Einzelgräbern (1,29,3), deren erstes (nicht ältestes!) das des Thrasybulos ist 1 . Dann (1,29,4) kommt er auf das Staatsgrab f ü r die im Krieg gefallenen Athener zu sprechen, das offenbar in einzelne Parzellen längs der Straße aufgeteilt war. Auf jedem einzelnen Begräbnisplatz stehen Stelen mit Namen und Phylen (Pausanias spricht hier irrtümlich von Demen; s. aber Paus. 1,32,3!) der Gefallenen. Weiter heißt es: πρώτοι δέ έτάφησαν ους ένΘράκη ποτέ επικρατούντα? μέχρι Δραβησκοϋ της χώρας Ήδωνοί φονεύουσιν άνέλπιστοι έπιθ-έμενοι. Hauvette und Jacóby weigern sich, das πρώτοι hier topographisch zu verstehen, weil damit der Aorist έτάφησαν nach ihrer Ansicht unvereinbar ist. Ihrer Auffassung widerspricht jedoch der Kontext des Kapitels, in dem κείνται (§§ 7; 11; 14), τέθ-απται (§§ 10; 15) und έτάφησαν (§§4; 8; 13) ohne erkennbaren Unterschied wechselnd gebraucht werden, worauf bereits Schroeder richtig hingewiesen hat. Aber auch wenn man έτάφησαν exakt übersetzt: „sie wurden bestattet", ist nicht erwiesen, daß πρώτοι die Angabe zeitlich präzisiert, sondern die parallele Angabe bei den Einzelgräbern legt auch dann ein Verständnis des Prädikativums als topographische Angabe nahe. Hinzu kommt, daß nicht nur der archäologische Befund ein Grab hat bekannt werden lassen, das älter als die Niederlage am Drabeskos ist 2 , sondern daß auch Pausanias selbst frühere Bestattungen im Staatsgrab voraussetzt. Ausdrücklich erwähnt wird von ihm im § 7 die Grabstätte der Athener, ot πριν ή στρατεΰσαι τον Μηδον έπολέμησαν προς Αίγινήτας — eine Feststellung, mit der Jacoby naturgemäß wenig anzufangen weiß —, außerdem wahrscheinlich das Grab der Eurymedon-Kämpfer (§14 ex.). Der allgemeine Einleitungssatz εστι δε καί πασι μνήμα Ά&ηναίοις . . . πλην δσοι Μαρα&ώνι αύτών ήγωνίσαντο (sicher in Anlehnung an Thuk. 2,34,5) scheint sogar Bestattungen vor 490 anzunehmen, da die einschränkende Bemerkung 1
Daß es das erste in der Reihe ist, wird zweimal betont: πρώτον . . . ., πρώτος μέν έστιν οδτος τάφος, έπΐ δέ αύτω . . . 2 I G I 2 928 aus dem Jahre 465 (vgl. W. Kolbe, Hermes 1937, S. 249ff„ und ATL III, S. 109f.) ; deshalb glaubte Hauvette im Ansehluß an Curtius und WHamowitz, daß Pausanias zwei Niederlagen in Thrakien verwechselt habe. — Daß die Toten von Drabeskos auf demselben Denkmal verzeichnet waren, folgern die Herausgeber von ATL allein auf Grund der Kombination mit der falsch gedeuteten Stelle Paus. 1,29,4 (besonders deutlich S. 110; vgl. dagegen die völlig berechtigte Skepsis ebd., S. 109 und S. 176, Anm. 57); vollends ist die Zuweisung eines nur in einer Kopie Whelers erhaltenen Fragments einer frühen Gefallenen-Liste an I G I 2 928 durch B. D.Meritt, An Athenian Casualty List, Hesperia 25 (1956), S. 375ff.,rein hypothetisch.
Anfänge des λόγος επιτάφιος : innere Kriterien
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sonst wirklich jeden Sinnes entbehrte. Abschließend darf gesagt werden, daß der Pausanias-Abschnitt über den Kerameikos keine Handhabe bietet, Bestattungsbrauch und Leichenrede in Athen auf die Zeit ab 465 zu beschränken ; vielmehr läßt er die Einrichtung der Rede völlig offen, akzeptiert aber die öffentliche Bestattung der Gefallenen als Institut der Zeit vor den Perserkriegen. 2. Die inneren Kriterien Wir wenden uns nun unserem Vorhaben zu, durch Betrachtung des Tatenkatalogs die Entstehung dieses Bestandteiles der Leichenrede und damit zugleich die Entstehung der ganzen Leichenrede in der uns bekannten Form zeitlich ungefähr einzugrenzen. Während die äußeren Zeugnisse wieder und wieder herangezogen und interpretiert worden sind, hat man die Untersuchung der inneren Kriterien im allgemeinen vernachlässigt. Eine rühmliche Ausnahme bildet 0. Schroetter in seiner bereits erwähnten Dissertation, der mehrmals auf Punkte zu sprechen kommt, die auch uns hier angehen, ohne allerdings seine diesbezüglichen Einsichten planmäßig zur Datierung des Ursprungs der Leichenrede zu verwerten. Auffällig und schon oft beobachtet ist folgende Eigenheit des Tatenkatalogs: Nach Aufzählung einiger Heldentaten aus der Zeit vor dem trojanischen Krieg wendet sich die Darstellung mit erheblicher Breite den Perserkriegen zu, um dann sukzessive in mehr oder weniger vollständigem Bericht bis in die Gegenwart des jeweiligen Redners voranzuschreiten. Man hat längst die Lücke in dieser kontinuierlich weitergeführten Ruhmestafel bemerkt und im allgemeinen auch richtig gedeutet. Es kommt nicht so sehr darauf an, daß die letzte größere zusammenhängende Epoche Athens vor den Perserkriegen die Zeit der Peisistratiden-Herrschaft war, deren sich die athenische Demokratie nicht allzu gerne erinnerte, vielmehr zeigt uns das Einsetzen der „historischen" Taten mit den Perserkriegen mit aller wünschenswerten Deutlichkeit, wo der Ansatzpunkt für die Darstellung athenischer Heldentaten im Tatenkatalog der Leichenrede liegt: das Erlebnis der Perserkriege und das Selbstbewußtsein, welches Athen infolge seines maßgeblichen Anteils am griechischen Siege gewann, sind die unabdingbare Voraussetzung für das Entstehen des Tatenkatalogs in der Leichenrede. In den Perserkriegen haben wir einen verläßlichen „terminus post quem" für den uns in späteren Beispielen erhaltenen Typ der attischen Gefallenenrede 1 . 1 Im Grunde richtig gesehen bei H. Schneider, a.a.O. S. 78f., der allerdings den Ursprung der Leichenrede zu spät (um 460) datiert, da er trotz der Äußerung E.Meyers (Forschungen II 219f.) den technisch-rhetorischen Einfluß auf die Entwicklung dieses Redetypus überschätzt.
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Wir können, wie mir scheint, unsere bisherigen Ergebnisse untermauern, ja sogar noch einen Schritt weiterkommen, wenn wir die vor der Lücke stehenden Berichte der „mythischen" Taten analysieren. Drei (bzw. vier) Ereignisse werden immer wieder erwähnt: a) die Athener wehrten die Invasion der Amazonen von Griechenland ab (parallel zum Amazonenzug tritt seit Piatons Menexenos der Ansturm der Thraker und des Eumolpos); b) die Athener unterstützten Adrast bei seiner Forderung, die Thebaner sollten die Leichen seiner Mitstreiter zur Bestattung freigeben; c) die Athener schützten die Herakliden gegen die drohende Macht des Eurystheus. Die Anzahl der Ereignisse der „mythischen" Zeit ist im Rahmen der Grabrede — soweit wir wissen — nie erweitert worden, obwohl in den Tragödien des 5. Jahrhunderts noch mehr gleichartige Begebenheiten (besonders des Hikesie-Typus) gefeiert wurden. Die Ereignisse werden gewöhnlich in chronologisch richtiger Folge angeführt, sind aber ausgesprochene B e i s p i e l e im Gegensatz zu den erwähnten Begebenheiten aus historischer Zeit, beginnend mit den Perserkriegen. Während der „historische" Teil des Katalogs entwicklungsfähig ist, insofern ihm durch den Fortgang der Geschichte stetig neues Material zuwächst, ist der „mythische" Teil völlig starr und unterliegt im Laufe der Zeit keiner wesentlichen Änderung. Die Taten dieses Teils zerfallen deutlich in zwei Gruppen ; das hat z.B. Isokrates empfunden und hat dementsprechend den Tatenkatalog abweichend von der üblichen Reihenfolge angeordnet (4,54fF. : ίκετεΐαι; 66ff. : τά πρός τούς βαρβάρους). Lassen wir die Hikesie-Geschichten zunächst beiseite, so erweist die Erzählung von der Abwehr der Amazonen eindeutig ihre Zugehörigkeit zur Abwehr der Perser. Besonders auffällig ist die Parallelität des Amazonenzuges zum Zug des Datis, wo ebenfalls die Athener a l l e i n (die Platäer werden gern ausgelassen) im Interesse ganz Griechenlands einen von weither anstürmenden Feind vernichtend geschlagen und davongejagt haben. Wie die Parallele, die im strengen Sinne nur zu Marathon besteht, auf den ganzen Perserkrieg ausgedehnt wird, zeigt Demosthenes (60,10), der mit grober Übertreibung behauptet, die Vorfahren hätten „den aus ganz Asien kommenden Heereszug (sc.: der Perser) zweimal a l l e i n zu Wasser und zu Lande abgewehrt". In voller Deutlichkeit geht die beabsichtigte Ähnlichkeit der Vorgänge aus Isokr. 4,68f. hervor 1 : auch hier werden die Amazonen von den Athenern a l l e i n geschlagen; neu kommt hinzu, a) daß die Amazonen angeblich glaubten, sie würden gegen e i n e Stadt kämpfen, aber durch den Sieg über diese gleichzeitig aJle anderen Griechen über1
Die Stelle, soweit ich weiß, erstmals bei O. Schroetter, a.a.O. S. 60.
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wältigen (vgl. Lys. 2,21 und Aisch. Pers. 233f. von den Persern), b) daß die Amazonen zwar alle Griechen haßten, aber gegen Athen besondere Klagepunkte vorbringen konnten (ähnlich Herodot mehrfach über die Zweischichtigkeit der persischen Intentionen und die spezielle Klage gegen Athen). Der Zug der Thraker und des Eumolpos wird unter demselben Aspekt gesehen und steuert keinerlei neue Gesichtspunkte bei. Die Nachrichten vom Amazonen- und Thrakerzug beruhen zweifellos auf alten Traditionen, sie traten jedoch erst durch das Erlebnis der Perserkriege wieder ins athenische Bewußtsein und wurden nach und nach mit Einzelzügen ausgeschmückt, die man den Perserkriegen abgesehen hatte. Eventuelle Zweifel an der Beweiskraft unseres recht späten Materials werden durch das Zeugnis der bildenden Kunst hinfällig. Der Kampf des Theseus und der Athener mit den Amazonen wird nach den Perserkriegen in einer Vielzahl Von Fällen Gegenstand künstlerischer Darstellung in Malerei und Plastik; die Bilder in der Stoa Poikile (Paus. 1,15), in denen Amazonenkampf und Schlacht bei Marathon das eine Paar von Pendants bilden1, zeigen uns, daß man bereits 20 Jahre nach dem Xerxeszug die Ähnlichkeit der Situation künstlerisch herausarbeitete2. Da wir die Beziehung des Amazonenkampfes zur Marathonschlacht so eindeutig nachweisen konnten, liegt es nahe, auch nach dem Gegen1
Vgl. C. Robert, Die Marathonschlacht in der Poikile und weiteres über Polygnot (18. Hallisches Winckelmannsprogramm), Halle 1895, bes. S. 44f. ; M. Pohlenz, Herodot, S. 205, der in der Einnahme Trojas das P e n d a n t zur Marathonschlacht innerhalb des Bildzyklus sieht, befindet sich doch wohl im I r r t u m (richtig ist dagegen, daß der Kampf gegen Troja als Parallele zum auswärtigen Angriffskrieg gegen die Perser verstanden wurde, zuerst in den Eion-Epigrammen). Das Material der Amazonen-Darstellungen bis zumAnfang des 4. J a h r hunderts erfaßt, leider oft ohne die wünschenswerte Auswertung, D. von Bothmer, Amazons in Greek Art, Oxford 1957 ; dazu kritisch F. Brommer, Gnomon 30 (1958), S. 345ff. Weiteres bei H. Walter, Zu den attischen Amazonenbildern des vierten J a h r h u n d e r t s v. Chr., J d l 73 (1958), S. 36ff. — Grundsätzliches über die neue Realisierimg bestimmter Mythen anläßlich des Sieges über die Perser bei A. von Salis, Die K u n s t der Griechen, Leipzig 1919, S. 80f. 2 Impliziert ist die Parallele zwischen Marathon u n d der Amazonenschlacht offenbar schon in der — bei weitem frühesten — Darstellung der attischen Amazonomachie in den Skulpturen von der F r o n t des Athenerschatzhauses in Delphi. Tatsächlich behauptet Paus. 1 0 , 1 1 , 5 , das Athenerschatzhaus sei ein B e u t e a n a t h e m der Schlacht von Marathon; m a n h a t freilich vermutet, der Perieget habe das nur irrtümlich aus der Weihinschrift auf dem Sockel der Spolienweihung („Marathonsockel") erschlossen, u n d h a t die Skulpturen auf Grund stilistischer Kriterien tun 500 oder noch früher datiert. Wie mir scheint, verdient wegen des klaren historischen Bezugs der Bildthemen die Überlieferung bei Pausanias mehr Vertrauen als die keineswegs eindeutigen Ergebnisse des Stilvergleichs (vgl. nach P. de la Coste-Messelière zuletzt W. Gauer, Weihgeschenke aus den Perserkriegen, Diss. Heidelberg [unveröffentlicht], S 41 ff., bes. S. 62f.).
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wartsbezug der Hikesie-Erzählungen zu fragen. Der Aufgabe, die bisher noch gar nicht in Angriff genommen wurde und bei der man auch nicht zu derselben Gewißheit gelangen kann, wollen wir uns nähern in der Hoffnung, auf diesem Wege den Ursprung des Tatenkatalogs genauer als bisher zu bestimmen. Wir können von der Darstellung im Panegyrikos des Isokrates ausgehen, die sich auch bei Untersuchung der Amazonensage als nützlich erwiesen hat. Nach Erwähnung der Hilfegesuche des Adrast und der Herakliden folgert der Redner (4,57), daß sich Athen auch zu jener Zeit schon wie ein ήγεμών verhielt. Der Bittflehende wendet sich nicht an einen schwachen Staat, sondern an einen starken, genauer gesagt : an denjenigen, der Anspruch darauf erhebt, προστάτης der bedrängten Hellenen zu sein. Isokrates betont hier einen Punkt, der in den übrigen Reden nicht deutlich zutage tritt, der aber überaus einsichtig ist. Gewöhnlich scheinen die Hikesie-Erzählungen eher die mythische Parallele zu den Kämpfen zu bieten, die die Athener für Recht und Freiheit bedrohter hellenischer Gemeinden gegen andere hellenische Mächte ausgefochten haben (Gegensatz : die Kämpfe der Athener gegen die in Griechenland eindringenden Barbarenheere). Isokrates legt Wert auf die Feststellung, daß Macht und Bedeutung Athens nicht so sehr daraus hervorgehe, daß es die Interessen seiner Schützlinge mit kriegerischen Mitteln durchsetzen konnte, als vielmehr daraus, daß die Bittsteller sich überhaupt an Athen wandten und so zu erkennen gaben, daß die Stadt nach ihrer Meinung f ä h i g war, sie wirkungsvoll zu vertreten. Wie mir scheint, hat Isokrates hier nicht etwa eine interessante Nuance neu herausgearbeitet (was sein Zeugnis für unsere Frage wertlos werden ließe), sondern hat eine Tendenz der Erzählungen wieder klar hervortreten lassen, die ursprünglich darin angelegt war und dann lange durch einen neugeschaffenen Bezug auf die Zeitereignisse überlagert und verdeckt wurde. Die Beziehung beider Sagen auf Kämpfe, die Athen im Interesse von Griechen-Städten führte, die von anderen Griechen Unrecht erlitten, wurde erst im zweiten, wenn nicht gar dritten Jahrzehnt der Pentekontaetie ernstlich relevant 1 ; dagegen ist die Sage vom Hilfegesuch des Adrast mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits früher, nämlich vor der Aufführimg der „Sieben gegen Theben" (467), von Aischylos in seiner Tragödie 'Ελευσίνιοι dargestellt worden 2 . 1
Plat. Menex. 242 a 6—c 2 sieht in den Kämpfen von Tanagra und Oinophyta (nach traditioneller Anschauung 457 v. Chr.) die ersten Fälle nach dem Perserkrieg, in denen die Athener für die Freiheit von Griechen gegen Griechen kämpften. 2 Übrigens erzwangen die Athener darin die Freigabe der argivischen Gefallenen ohne Anwendung von Waffengewalt, durch Abschluß eines Vertrages (vgl. Plut.Thes. 29,5).
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Rufen wir uns also kurz ins Gedächtnis zurück, was den beiden immer wiederholten Hikesien gemeinsam und was für sie signifikant ist! Die Bittsteller sehen sich beide Male einer Drangsal ausgesetzt, die nicht in jedem Fall ihre Existenz bedroht (Adrast!), wohl aber eine άδικία darstellt. Sie wenden sich an Athen, weil sie überzeugt sind, daß die Stadt stark genug ist, ihnen zu helfen (nach Isokrates: imstande ist, die Rolle des ήγεμών und προστάτης zu übernehmen). Athen reagiert positiv auf die Bittgesuche und führt die Angelegenheiten zum guten Ende, in dem einen Fall nach der ältesten Version sogar auf friedlichem Wege. Welches Ereignis der Zeit nach dem Xerxeszug, die für uns nach den vorangegangenen Überlegungen allein in Frage kommt, hat hinreichend Ähnlichkeit mit den „mythischen" Beispielen, daß es zu ihrer Belebung angeregt haben kann ? — Noch während die Griechen, den Sieg über den Perser nutzend, Gebiete zurückerobern, erregt die Anmaßimg und das herrische Gebaren des spartanischen Bundesfeldherrn Pausanias den Unwillen der Teilnehmer, besonders der gerade von den Persern befreiten Griechen. Diese beschweren sich in Sparta über die άδικία und treten gleichzeitig an Athen heran, es solle die ηγεμονία übernehmen. Die Athener sehen ihre Chance, warten aber zunächst noch ab. Als Pausanias abberufen wird, damit er sich in Sparta verantwortet, unterstellen sich die Bündner mit Ausnahme der Peloponnesier dem athenischen Oberkommando. Als neue spartanische Anführer ausgesandt werden, überlassen die Griechen ihnen nicht mehr den Oberbefehl; sie segeln daraufhin nach Sparta zurück. Thukydides (1,94—96), der uns die ausführlichste Darstellung vom Wechsel der Hegemonie und der Begründung des delisch-attischen Seebundes liefert, sagt ausdrücklich, daß Pausanias' Verhalten als άδικία galt (1,95,3), und betont besonders, daß die Initiative für die Übernahme der Hegemonie durch Athen von den Bundesgenossen ausging (1,95,1 φοιτώντες . . . ήξίουν . . und nochmals rekapitulierend 1,96,1 έκόντων των ξυμμάχων διά το Παυσανίου μίσος). Im letzten Punkt stimmt die ganze spätere Tradition mit ihm überein 1 , die im 1 Vgl. die Athenerrede bei Thuk. 1,75,2; Isokr. 4,72; 12,52. 67; eine komplexere Deutung geben offenbar Aristot. Resp. Ath. 23,4; Diod. Sic. 11,44,6; 46,4—5; Plut. Kim. 6,2f.; Arist. 23. H. D.Meyer, Vorgeschichte und Begründung des delisch-attischen Seebundes, Historia 12 (1963), S. 405ff., hier S. 428ff., weist darauf hin, daß der zweite Traditionsstrang damit rechnet, daß die Athener bei dem Gesuch der Bundesgenossen nach Kräften nachgeholfen haben. Strittig ist die Deutung von Hdt. 8,3,2. E.Meyer, GdA IV l 3 , Stuttgart 1939, S. 458, Anm. 2, vermerkt lakonisch, daß Herodots Bericht mit Thukydides übereinstimme; derselbe Standpunkt wird philologisch ausführlich begründet von M. Pohlenz, Herodot, S. 170ff. Glaubwürdiger ist die gegensätzliche Ansicht von F. Foche, Herodot als Historiker, Stuttgart 1927, S. 33f. (ihm folgen H. Strasburger, Herodot und das perikleische Athen, Historia 4 (1955), S. 20,
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übrigen auch die ύβρις des Pausanias ausführlich würdigt. Wir haben hier, denke ich, in den Grundzügen die gesuchte Situation: Athen rückt durch das Hilfegesuch eines von αδικία bedrohten Bittstellers in die Rolle des ήγεμών und προστάτης. Zu der älteren Version der Adrastgeschichte, die von einer friedlichen Beilegung des Streitfalles weiß, scheint der Umstand zu passen, daß die Spartaner sich ohne Widerrede in den Hegemonie-Wechsel ergaben (Thuk. Ι,θδ,?) 1 . Die spätere unerfreuliche Entwicklung des Verhältnisses zwischen Athen und Sparta könnte der Grund dafür gewesen sein, daß man in der Sage die vertragliche Regelung durch eine kriegerische Auseinandersetzung ersetzte (generell ausgedrückt: die Gegenwartswirklichkeit führt zur Korrektur der paradigmatisch verstandenen Vergangenheit) 2 . Wenn das Ergebnis unserer Überlegungen richtig ist, so müssen wir die bisherige Annahme, daß die Leichenrede gleich nach dem Xerxeszug aufgekommen ist, um ein geringes modifizieren bzw. ergänzen. Die aufgewiesene Beziehung der beiden Hikesie-Berichte zur Übertragung des Oberbefehls zur See an Athen läßt mis in der Begründung des Seebundes (478) einen neuen und präziseren „terminus post quem" für die Einrichtung der öffentlichen Gefallenenrede in der uns geläufigen Form gewinnen; dieses Ergebnis werden unsere weiteren Betrachtungen über den Tatenkatalog noch bestätigen 3 . Es mag interessant erscheinen, von hier aus noch einmal auf Dion. Hal., Ant. Rom. 5,17,4 zurückzublicken. Wir haben bereits vorher vermutet, daß er mit seiner Formulierung όψέ . . . προσέθεσαν . . . τω νόμω an Thuk. 2,35,1 anknüpft. Da Thukydides den Termin der Zufügung nicht genauer angibt und Dionysios den Zeitpunkt vage und und jetzt H.D.Meyer, a.a.O. S. 405 und S. 426f. mit Anm. 46). Trotzdem braucht es uns hier nicht zu kümmern, wenn Herodot diese für Athen weniger schmeichelhafte Version bietet, da die andere Version auf jeden Fall die athenische ist (was hier allein interessiert) und vielleicht sogar den Tatbestand richtig darstellt. 1 In demselben Sinn wie Thuk. 1,75,2 ύμών μέν ουκ έθελησάντων παραμείναν προς τά υπόλοιπα τοΰ βαρβάρου will Gomme (zu Thuk. 1,96,1) Aristot. Resp. Ath. 23,2 άκόντων Λακεδαιμονίων verstanden wissen; die Hypothese muß jedoch im Hinblick auf Diod. Sic. 11,50 und wegen sprachlicher Bedenken (άκόντων ist nicht gleichbedeutend mit ούκ έθελόντων) abgelehnt werden; richtig H. D.Meyer, a.a.O. S. 433ff., bes. S. 435 m. Anm. 61. 2 Die gewaltsame Auseinandersetzung findet sich in den während des Peloponnesischen Krieges aufgeführten „Hiketiden" des Euripides, vielleicht auch schon bei Herodot (9,27,3 στρατευσάμενοι ist nicht ganz eindeutig; 0. Schroeder, a.a.O. S. 42, nimmt an, daß Herodot eine kriegerische Auseinandersetzung meint; G. Zuntz, The political plays of Euripides, Manchester 2 1963, S. 8f., läßt Herodot außer Betracht, rechnet aber offensichtlich damit, daß Euripides eine bekannte Version aufgreift). 3 S.u. S. 106f.
Aufbau und Tendenz des Tatenkatalogs
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unsicher beschreibt, liegt der Schluß nahe, daß er ähnlich wie wir aus der Zusammensetzung der Reden den Zeitpunkt des Ursprungs der Gattung eruiert hat. Daß die Gattung nach dem Perserkrieg entstanden sein muß, hat er richtig herausgefunden, vielleicht schon im Hinblick auf die innere Beziehung zwischen Marathonschlacht und Amazonenkampf 1 . Die weniger offensichtlichen Beziehungen zwischen den beiden anderen mythischen Exempla und der Übertragung der Hegemonie an Athen hat Dionysios dagegen ebenso übersehen wie die Wissenschaftler neuerer Zeit, die sich mit dem Problem der Entstehung der öffentlichen Grabrede befaßten. Nach Prüfung der äußeren und inneren Kriterien läßt sich mit Sicherheit sagen, daß die Leichenrede auf die athenischen Gefallenen in der uns aus späteren Reden kenntlichen Form erst nach dem Perserkrieg entstanden sein kann, ja auf Grund der Bedeutung, die dieser Krieg als Schlüsselposition des Tatenkatalogs spielt, bald nach dessen Ende entstanden sein muß. Unsere Untersuchung der Hikesie-Beispiele ließ uns zu der Annahme gelangen, daß die Rede auf die Gefallenen erst entstanden ist, nachdem die Hegemonie gegen die Perser und damit zugleich die offenkundige Vormachtstellung zur See an die Athener gekommen war, d.h. nach der Begründung des delisch-attischen Seebundes im Jahre 478. Mag die Einrichtung der Gefallenenrede auch nicht noch im gleichen Jahre erfolgt sein, so liegt es uns doch fern, mehr als ein paar Jahre Zwischenraum anzunehmen 2 . Diese Ansicht freilich kann nicht evident gemacht werden, da es uns an einem „terminus ante quem" in früher Zeit fehlt; über die samische Leichenrede des Perikles (439) führt uns leider keine detaillierte Mitteilung hinaus. b) Aufbau und Tendenz des
Tatenkatabgs
Die vorangegangenen Überlegungen haben, abgesehen von ihrer unmittelbaren Zielsetzung, die Datierung der Einrichtung der attischen Leichenrede erneut in Angriff zu nehmen, zugleich deutlich erkennen lassen, daß die machtvolle Erschütterung der Griechenstaaten durch die Perserkriege, der maßgebliche Beitrag, den Athen zur Rettung eines unabhängigen Griechenlands geleistet hatte, endlich die 1
Das Schwanken des Dionysios zwischen Datiszug (Marathon) und Xerxeszug (Artemision, Salamis, Platää) als „terminus post quem" wird sehr verständlich, wenn wir unsere Feststellung berücksichtigen, daß die nächste Entsprechung zum Amazonenkampf die Schlacht von Marathon bietet, deren Eigenheiten von späteren Rednern aber gern auf die übrigen Kämpfe gegen die Perser übertragen wurden. 2 Die oft vermutete Begründung der Rede durch Kimon etwa im Jahre 475 — vgl. zuletzt P. Schmid, a.a.O. S. 64 — scheint also nicht ausgeschlossen. — Vgl. das beiläufig geäußerte Urteil von O. Kennedy, a.a.O. S. 154.
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Vormachtstellung zur See, die es infolgedessen bald darauf gewann, den Anstoß gaben zur Ausbildung einer literarischen Gattung, die lange Zeit in Geltung blieb (nicht zuletzt weil ihre praktische Bestimmung nicht so bald entfiel) und im Grunde während dieser ganzen Zeit denselben Aufbau beibehielt. Als besonders starr erweist sich der Tatenkatalog, dessen Aufbau und Tendenz wir nun genauer untersuchen wollen. Eine besondere Rolle werden dabei für uns die frühesten Exemplare des Katalogs spielen, die sich freilich nicht in eigentlichen Leichenreden finden, sondern in symbuleutischen Reden, die die Historiker Herodot und Thukydides ihren Werken eingefügt haben (Hdt. 9,27; Thuk. l,73ff. mit 6,82ff.). Vielleicht dürfen wir von vornherein einer verbreiteten Auffassung entgegentreten, die alle rednerischen Produkte, die Bestandteile des Tatenkatalogs enthalten, von dem attischen επιτάφιος λόγος abhängig sein läßt. Zwar ist die Tendenz des Tatenkatalogs auf den ersten Blick panegyrisch, und Piaton läßt Sokrates im Menex. 235d sagen, es bedürfe eines guten Redners erst, wenn es gelte, die Athener unter Peloponnesiern zu loben 1 , doch kann uns das nicht Anlaß genug sein, anzunehmen, der Tatenkatalog oder überhaupt die Ereignisse einer ruhmreichen Vergangenheit (zumal der „mythischen") hätten keinen Platz in den diplomatischen Verhandlungen der realen Politik des 5. und 4. Jahrhunderts gehabt 2 . Noch Sulla muß Friedensunterhändler des athenischen Tyrannen Aristion in die Stadt zurückschicken, weil sie nichts anderes tun, als im Feierton von Theseus, Eumolpos und den Μηδικά zu reden (Plut. Süll. 13,5) 3 ; was damals mit großer Wahrscheinlichkeit als lächerliche Phrase erschien, besaß im 5. Jahrhundert v. Chr. wesentlich mehr Realität und Gewicht. Mit Taten und Ereignissen der Vergangenheit zu argumentieren oder auch mahnend daran zu erinnern, war damals durchaus gute politische Gepflogenheit. Die einzige Besonderheit der athenischen Ver1
Von Aristoteles zweimal (Rhet. 1367 b 8f.; 1415 b 30ff.) dem Sinne nach zitiert. N. Scholl, Der platonische Menexenos, Rom 1959, S. 112, sieht in der Menexenos-Stelle eine beabsichtigte Anspielung auf Thuk. l,73ff. 2 So glaubt z. B. L. Weber, Solon und die Schöpfung der attischen Grabrede, 1935, S. 55 f., den λόγος der Athener bei Hdt. 5,94,2 auf Einfluß einer Grabrede zurückführen zu müssen, was jeder Grundlage entbehrt. Das ist aber nur ein besonders extremer Fall. Im Grunde zeigt E. Büchner, Der Panegyrikos des Isokrates, Wiesbaden 1958 (Historia-Einzelschriften, Heft 2), eine ähnliche Fehleinschätzung der Zusammenhänge, wenn er (z.B. S. 7) den Panegyrikos für ein Konglomerat „aus zwei verschiedenen Teilen" hält, „deren erster eine Umarbeitung eines Epitaphios, deren zweiter eine rein panhellenische Rede ist". Ein Epitaphios besteht nicht nur aus dem έπαινος oder gar nur aus dem Tatenkatalog. Buchner hätte besser daran getan, es bei der Unterscheidung der Teile als „epideiktisch" und „symbuleutisch" zu belassen. 3 Hinweis bei H. Strasburger, Thukydides und die politische Selbstdaxstellung der Athener, Hermes 86 (1958), S. 22, Anm. 2.
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hältnisse sehe ich darin, daß nach den Perserkriegen die athenischen Politiker und Publizisten sich auf ein festes Schema der Argumentation festlegen ließen und immer wieder dieselbe Reihe von Ereignissen übernahmen, ohne ihrer „inventio" weiterhin freies Spiel zu lassen. Ehe wir uns der Interpretation der vorher genannten Reden bei Herodot und Thukydides zuwenden, wollen wir kurz den Hintergrund umreißen, vor dem diese gesehen werden müssen. Hdt. 5,94,2 heißt es, daß sich die Athener im Streit mit den Mytilenäern auf ihre Teilnahme am Zug gegen Troja berufen, um ihren Anspruch auf Sigeion zu begründen. Wir entnehmen dem nicht nur, daß es überhaupt möglich war, sich bei Verhandlung politischer Tagesfragen auf Ereignisse der Vergangenheit (einschließlich der „mythischen") zu stützen, sondern sehen dabei auch, daß Athen vor dem Perserkrieg ebenso wie andere griechische Staaten (für Sparta vgl. Hdt. 7,159, wo impliziert ist, daß Agamemnon ja beim Zug gegen Troja die ήγεμονία gehabt hat 1 ) vorzüglich auf die Teilnahme am Trojanischen Kriege pochte (vgl. Hdt. 7,161,3 των και "Ομηρος . . .). Auf sonstige Beispiele will ich hier verzichten 2 und will mich jetzt der Interpretation der beiden Reden bei Herodot und Thukydides zuwenden. 1. Die Athenerrede bei Herodot Herodot (9,26f.) berichtet, daß vor der Schlacht von Platää ein heftiger Streit zwischen Tegeaten und Athenern entständen sei, wer den linken 3 Flügel des gemeinsamen griechischen Aufgebotes anführen dürfe. Beide Parteien versuchen, ihrem Anspruch auf den Ehrenplatz durch eine Rede Nachdruck zu verleihen, indem sie auf ihre früheren Taten hinweisen. Die Rechtfertigung der Tegeaten ist einfach und geradlinig: Seit der arkadische Anführer Echemos durch Einzelkampf gegen den Herakliden Hyllos eine Schlacht zugunsten der Peloponnesier entschieden hat, haben die Tegeaten bei gemeinsamen Auszügen des peloponnesischen Heerbanns das Recht, einen Flügel zu besetzen ; daran schließt sich der kurze Hinweis, die Arkader 1
Agamemnon als στρατηγός ganz Griechenlands auch bei Isokr. 12,76ff. Vgl. außer M. P. Nilsson, Cults, Myths, Oracles, and Politics in ancient Greece, Lund 1951, S. 49ff., besonders die reiche Materialsammlung bei F. Fischer, Heldensage und Politik in der klassischen Zeit der Griechen, Diss. Tübingen 1957. Zu den Beispielen aus Herodot s. A. Ebner, Der Heroenmythos bei Herodot, Diss. Freiburg 1956, S. 86ff. Über die „mythischen" Paradeigmata bei Isokrates G. Schmitz-Kahlmann, Das Beispiel der Geschichte im politischen Denken des Isokrates, Leipzig 1939 (Philol. Suppl. X X X I , 4), bes. S. 39ff. 3 Daß die Spartaner den rechten Flügel anführen, ist als unbestritten vorausgesetzt; vgl. Plut. Arist. 12,1. 2
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seien den Athenern auch deshalb vorzuziehen, weil sie viele schöne Kämpfe gegen die Lakedaimonier und andere ausgefochten hätten, denen die Athener nichts Gleichwertiges entgegenstellen könnten. Besonders mit den letzten Worten (9,26,7) geben die Tegeaten den Athenern einen Angriffspunkt und das Stichwort für die Disposition ihrer Rede 1 . An den Anfang stellen die Athener den Gemeinplatz, daß sie sich nur durch die Herausforderung seitens der Tegeaten genötigt zu einer Rede verstehen ; doch lassen sie sich den Modus des παλαιά τε και καινά λέγειν (in Wahrheit nur allzu gern) diktieren. Mit den παλαιά sind nach fester Gewohnheit die Taten der „mythischen" Vergangenheit gemeint 2, καινά sind die Ereignisse der Gegenwartsgeschichte. Die Unterscheidung wird hier auffällig stark betont nicht nur durch den kräftigen Einschnitt in 27,5 παλαιών μέν νυν έργων άλις 'έστω, sondern auch durch die beharrlich wiederholte Formel καινά . . . παλαιά (26,1 ; 26,7; 27,1). In der Gruppe der παλαιά εργα erscheinen die Beispiele, die uns durch die Untersuchung der Leichenrede wohlvertraut sind: Kampf gegen die Amazonen, Hilfe für Adrast, Hilfe für die Herakliden, allerdings genau in umgekehrter Reihenfolge. Die Hilfe für die Herakliden steht am Anfang und stellt so den Anschluß zu der Rede der Tegeaten her, die sich in ihrer Argumentation ja auch auf ein Ereignis der Herakliden-Geschichte stützten 3 . Da die bekannte Reihe ganz umgekehrt (nicht etwa nur das letzte Ereignis an den Anfang gestellt) wird, muß es sehr befremden, wenn zum Schluß noch eine Bemerkung über die Teilnahme am trojanischen Krieg angehängt ist. Wie man längst gesehen hat, erscheint der Kampf um Troja im 4. Jahrhundert nicht mehr im Tatenkatalog der Leichenreden, hat aber vorher offenbar darin einen festen Platz gehabt 4 . 1 Vgl. E.Schulz, Die Reden im Herodot, Diss. Greifswald 1933, S. 39; L. Solmsen, Speeches in Herodotus' account of the battle of Plataea, CIPh 39 (1944), S. 241 ff., hier S. 249 (überarbeitete deutsche Fassung in: Herodot. Wege der Forschung XXVI, Darmstadt 1962, S. 645ff., hier S. 660). Zum Redeagon zwischen Tegeaten und Athenern vgl. noch Ebner, a.a.O. S. 116ff. 2 Erst bei Demosthenes (22,13—15), der den „mythischen" Begebenheiten am liebsten ganz aus dem Wege geht, kommt es dahin, daß Ereignisse der älteren athenischen G e s c h i c h t e bis herab zum Peloponnesischen Krieg als παλαιά oder αρχαία bezeichnet werden. 3 Vgl. Schulz, Die Reden im Herodot, S. 40; der Vorgang ist übrigens ganz natürlich, vgl. Xen. Hell. 2,3,35, wo Theramenes sich zuerst gegen den letzten Anklagepunkt des Kritias verteidigt und zu verstehen gibt, daß er selbst sich seiner Methode genau bewußt ist (E. Vorrenhagen, De orationibus quae sunt in Xenophontis Hellenicis, Diss. Münster 1926, S. 27). 4 Vgl. 0. Schroeder, a.a.O. S. 32ff.; noch gegen Ende des 5. Jahrhunderts legte man in Athen Wert darauf, ruhmvoll an den Troïka teilgenommen zu haben, ließ doch der Bildhauer Strongylion aus dem Erzstandbild des Hölzernen Pferdes auf der Akropolis die attischen Heroen heraussteigen (Paus. 1,23,8 mit IG I 2 535; Fischer, a.a.O. S. 18).
Die Athenerrede bei Herodot
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Berücksichtigen wir, daß sich die Athener bei der Gesandtschaft an Gelon ausführlicher auf ihren Beitrag zum Zug gegen Troja berufen (Hdt. 7,161,3; die Verhandlung geht vor sich, als ob noch nie ein Zusammenstoß zwischen Griechen und Persern stattgefunden habe) und ebenfalls nach Herodots Zeugnis (5,94,2) sich schon in peisistratischer Zeit mit denselben Leistungen brüsteten, so möchten wir die Behauptung wagen, daß wir hier ein Relikt athenischer Propaganda aus der Zeit vor dem Perserkrieg entdeckt haben, das sich auch nach diesem Krieg noch für einige Zeit in der Ruhmestafel Athens halten konnte, schließlich aber doch daraus entfernt wurde, zumal da die Athener vielleicht selbst zugeben mußten, wie schwach die Grundlage für ihre Behauptung war. Nach der Erwähnung der Troïka brechen die Redner die Aufzählung der παλαιά ab, da sie nach ihrer Meinung doch nichts nützt. Indem sie diese ihre Ansicht begründen, leiten sie zugleich zu den καινά εργα über. Es heißt, die frühere Trefflichkeit habe ja inzwischen nachlassen können bzw. man könne ja erst neuerdings zu großer Trefflichkeit gelangt sein. Die Athener sprechen daher nicht mehr von den alten Taten, sondern weisen auf die Schlacht von Marathon hin, in der sie in jüngster Vergangenheit ihre Tüchtigkeit bewährt haben. Wir machten in unserer Betrachtung pindarischer Gedichte die Erfahrung, daß auch dort der Tatenkatalog in einem Fall bis in die jüngste Vergangenheit fortgeführt wurde, um die Kontinuität der άρετή der Aigineten nachzuweisen (o. S. 36f.). Dasselbe Denk- und Formschema wurde von der aufblühenden Rede übernommen, erreicht aber gerade in dieser Rede in Herodots Werk neue Aktualität in zweifacher Hinsicht. Einmal begegnet Herodot mit seiner ausführlich begründenden Überleitung dem Einwand, der sicher auf dem Boden der beginnenden Sophistik gewachsen und uns aus der Rede des Spartaners Sthenelaidas bei Thuk. 1,86,1 (vgl. die Rede der Thebaner bei Thuk. 3,67,2) kenntlich ist : Das Lob früherer Leistungen zählt nicht ; man kann sich ja zum Schlechteren entwickelt haben und verdient dann doppelt Strafe. Zum anderen enthält die Überleitungsformel in unserem Falle einen versteckten Angriff gegen die Tegeaten, die aus der jüngeren Vergangenheit keine konkreten Leistungen zur Stützung ihres Anspruches anführen konnten, und stellt das letzte έργον der Athener gebührend heraus, welches ja tatsächlich als sinnvolles Beispiel gelten durfte, da der Kampf ebenfalls zu Lande 1 und gegen denselben Gregner2 durchgestanden worden war. Wie so oft, wird betont, daß die Athener diese Leistung ganz allein vollbracht haben gegen eine Unmenge von Völkerschaften, die die Sonst hätte man ja jetzt auch Salamis nennen können. Dieser Punkt spielt ja auch noch in den Worten des Pausanias bei Hdt. 9,46,2 eine wichtige Rolle. 1
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Perser mit sich führten 1 . Auch dieser Punkt aber ist hier besonders aktualisiert, insofern die μουνομαχίη der Athener (eben die Schlacht von Marathon) dazu dient, die μουνομαχίη des Arkaders Echemos gegen Hyllos zu übertrumpfen. Obwohl die Athener — mit einem gewissen Recht — überzeugt sind, daß sie die besseren Argumente haben und den Ehrenplatz beanspruchen können, halten sie Streit innerhalb der Verbündeten angesichts der gefährlichen Lage für untunlich und versichern, daß sie sich der Entscheidung der Spartaner auf jeden Fall ohne Widerrede beugen würden 2 . Das Ethos dieser Äußerung entspricht bis in Einzelheiten (Ungehörigkeit der στάσις in kritischer Lage) der Mitteilung Herodots (8,3,1), daß die Athener, solange der Kampf um Griechenland tobte, auf die Hegemonie (zur See) verzichteten, um nicht die Einheit der defensiven griechischen Koalition und damit zugleich die Freiheit Griechenlands zu gefährden. Blicken wir zurück, so können wir konstatieren, daß Herodot die Athener in dieser Rede zwar sehr streng dem uns bekannten Schema des Tatenkatalogs folgen läßt, daß er aber andererseits die traditionelle Form durch Einleitung und Epilog sowie durch die „enthüllende" Deutlichkeit der Überleitung geschickt der vorausgesetzten Situation und seiner auch anderwärts geäußerten Vorstellung von der Rolle Athens im Perserkrieg anpaßt. Während das καινόν έργον ganz in den aktuellen Teil einbezogen ist, merkt man den παλαιά nur durch die Umkehrimg der drei ersten Beispiele an, daß sie auf die gegenwärtige Auseinandersetzung bezogen sind. Im Gegensatz zu den Tegeaten, die direkt ihren ererbten Anspruch auf den einen Flügel des Heeres verfechten, behaupten die Athener allgemeiner, daß es ihr ererbtes Recht sei, stets die ersten zu sein 3 . Dem Ansinnen der Athener kommt nicht nur zustatten, daß sie eine Tat aus jüngster Vergangenheit anführen können, die allen noch frisch in der Erinnerung haftet, sondern wohl noch mehr der Umstand, daß sie ihre Rede einleitend als apologetisch und von den anderen provoziert hinstellen und zum Schluß zu verstehen geben, daß sie über den Reden und Debatten nicht vergessen, was die Not der Stunde fordert. 2. Die Athenerrede bei Thukydides Thukydides (1,72) berichtet, daß sich wegen irgendwelcher — nicht näher bezeichneter — Geschäfte zufällig eine athenische Gesandt1 Dieser Punkt wurde später auch auf die Amazonen-Sage übertragen (vgl. Lys. 2,5 ¿ίρχουσοα Sè πολλών έθνών . . . . παραλαβοϋσοα τα μαχιμώτατα των έθνών ¿στράτευσαν επί τήνδε τήν πόλιν). 2 Plut. Arist. 12,2—3 stellt die ganze Rede der Athener einzig auf diesen Gesichtspunkt ab; Hinweis bei Hignett, S. 313, Anm. δ. 3 Die Hikesie-Geschichten scheinen also auch hier den Hegemonie-Anspruch Athens stützen zu sollen.
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schaft in Sparta aufhielt, als die Bundesgenossen der Spartaner und andere Kläger die Spartaner selbst zum Kriege gegen Athen aufriefen. Die Athener wollen dagegen warnend Einspruch erheben, werden auch von den Spartanern zur Versammlung zugelassen und erhalten das Wort. Zu Beginn weisen sie darauf hin, daß eigentlich andere Aufgaben sie nach Sparta geführt haben, doch hätten sie angesichts der gegen Athen erhobenen Klagen nicht ruhig bleiben können. Es ist freilich nicht ihre Aufgabe und Absicht, Athen gegen die aktuellen Vorwürfe zu verteidigen, sie wollen vielmehr die Spartaner zu besonnener Beratung ermahnen, zugleich freilich darlegen, daß Athen seinen Besitz (nämlich die άρχή) nach Recht und Billigkeit hat und ein ernst zu nehmender Gegner 1 ist. Im folgenden wird zunächst der Punkt, „daß Athen nach Recht und Billigkeit seinen Besitz hat", näher ausgeführt, und zwar in der wenn auch leicht veränderten Form des Tatenkatalogs. Die scharfe Scheidung der παλαιά einerseits sowie der Μηδικά und noch späterer Ereignisse andererseits ist hier durchgeführt, obwohl die „mythischen" Taten von Thukydides wegen ihrer geringen Verläßlichkeit 2 übergangen werden. Die zweite Gruppe von Ereignissen glauben die Redner dagegen nicht auslassen zu dürfen, obwohl ihnen bewußt ist, daß es den Zuhörern lästig fällt 3 , wenn ihnen immer wieder dasselbe vorgehalten wird. Daß die Athener von der Tat, die sie zu allgemeinem Nutzen der Griechen vollbracht haben, wenigstens die Ehre genießen wollen, steht ganz ähnlich bei Isokrates (4,99), der es ebenfalls darauf absieht, den Athenern den Anspruch auf eine führende Stellung zu sichern. Im § 3 machen die Athener noch einmal deutlich, daß es ihnen nicht um eine Entschuldigung geht, sondern um den Nachweis, was für eine Polis es ist, gegen die Sparta Krieg führen muß, wenn es sich nicht gut berät. Hier sind also die beiden in der Vorrede (73,1) nur durch άμα nebeneinandergestellten Ziele der Rede in ihrer Funktion als Zweck (symbuleutisch) und Mittel zum Zweck (epainetisch-apolo1 Die von L. Beich, Die Rede der Athener in Sparta, Diss. Hamburg 1956, S. 19 mit Anm. 2, vorgelegte Interpretation von άξία λόγου scheint mir der Tendenz der Rede nicht gerecht zu werden; der Verfasser hat übersehen, daß die Athener Sparta vom Krieg abhalten wollen und daß sie dazu kaum einen besseren Weg beschreiten können, als auf die Bedeutung und Macht Athens zu verweisen. 2 Gegen den Vorwurf, die Kenntnis der παλαιά beruhe nur auf der άκοή, diese aber sei weniger zuverlässig als die οψις, opponiert heftig Isokrates (12, 149f.). Etwa dieselbe Auffassung wie Thukydides dagegen vertritt Demosthenes (bei ihm das von Thukydides wörtlich entlehnte και τί δεϊ τά παλαιά λέγειν; 22,15); über die Verschiebung der Grenze zwischen Altem und Neuem bei ihm s.o. S. 98, Anm. 2. 3 Lästig ist (ένοχλεΐ) den Zuhörern vor allem, wenn der Redner sich selbst lobt (Dem. 18,3f.), was hier eindeutig geschieht (s. den Ärger des Sthenelaidas, Thuk. 1,86,1).
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getisch) 1 genauer charakterisiert. Zweck der Rede ist es, Sparta vom Kriege abzuhalten; die Redner hoffen ihre Absicht zu erreichen, indem sie auf Berechtigung und Größe der athenischen Macht hinweisen. Besonders das erste geschieht im folgenden (zeitgeschichtlichen) Abschnitt des Tatenkatalogs. Die erste Leistung der Athener war es, daß sie bei Marathon allein den Vorkampf mit den Barbaren austrugen 2 . Während dieses Ereignis nur eines knappen Satzes gewürdigt wird, wendet sich die Rede dem zweiten Angriff der Perser mit ausführlicher Argumentation zu : Da eine Abwehr zu Lande den Athenern aussichtslos schien, gingen sie allesamt auf die Schiffe und kämpften mit zur See bei Salamis. Dadurch wurden die Perser gehindert, die Peloponnes Stadt für Stadt zu verwüsten. Daß die Seeschlacht entscheidend war, läßt sich daraus erschließen, daß der größte Teil der Barbaren gleich danach den Rückzug antrat. Betrachtet man die Schlacht von Salamis genauer, so läßt sich feststellen, daß die Athener die drei wichtigsten Faktoren zu deren erfolgreichem Ausgang beigesteuert haben: a) die größte Anzahl Schiffe, b) den verständigsten Feldherrn, c) die unverzagteste Bereitschaft der Mannschaften (προ&υμία = τόλμα, vgl. Thuk. 1,90,1; 1,92; 6,83,1). Die drei Punkte werden danach ausführlicher erläutert. Abschließend scheint die Feststellung unumgänglich, daß die Griechen, wären die Athener nicht gewesen, hilflos dem Perser unterlegen wären. Die Athener halten sich infolgedessen für würdig, daß die übrigen Griechen ihre άρχή neidlos anerkennen; die Athener haben die άρχή ja nicht durch Gewalt an sich gebracht, sondern sie fiel ihnen dadurch zu, daß die Spartaner den Krieg gegen Persien nicht weiterführen wollten, die anderen Staaten aber Athen baten, die Hegemonie zu übernehmen. Man hat seit längerer Zeit bemerkt 3 , daß Thukydides in der Argumentation der Kapitel 1,73 f. bewußt auf Herodots Darstellung der Perserkriege, besonders aber auf seine persönliche Stellungnahme zur Rolle Athens (Hdt. 7,139) zurückgreift. Die von Herodot angewandte Methode der hypothetischen Beweisführung, ursprünglich heimisch in der jonischen Medizin und Physik, hat auf den „exakten Wissenschaftler" Thukydides offenbar großen Eindruck gemacht; sogar die irreale Form der Argumentation ist 1,74,4 von ihm beibehalten worden 4 . Die direkte Abhängigkeit des Thukydides von Herodot läßt 1
Ähnlich ist der Zusammenhang der Teile in Isokrates' Panegyrikos; vgl. E. Büchner, a. a. O. S. 8. 2 προκινδυνεύειν zur Bezeichnung desselben Tatbestandes bei Dem. 18,208. 3 Dazu zuerst ausführlicher M. Pohlenz, Herodot, S. 168f.; dann H. Kleinknecht, Herodot und Athen, Hermes 75 (1940), S. 241 ff., hier S. 247ff., und L. Reich, Die Rede der Athener in Sparta, S. 32ff. 4 Vgl. Pohlenz, S. 169; Kleinknecht, S. 248,; Reich, S. 42.
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sich hier noch durch eine weitere Beobachtung erhärten. Wenn Herodot (7,139) sich überlegt, was geschehen wäre, wenn Athen auf die Seite der Perser getreten wäre, so rechnet er für die Zeit der Schlacht von Salamis mit einem Ereignis, das erst vor der Schlacht von Platää im Bereich des Möglichen lag (vgl. Hdt. 8,140ff.; 9,6; 9,9,2!; 9,11): Erst damals haben die Athener von den Persern ein Angebot bekommen, ihre σύμμαχοι zu werden, und wurden von den Spartanern dermaßen im Stich gelassen, daß sie an ein Abkommen mit dem Landesfeind denken konnten. Während nun beispielsweise Lysias (2,44ff.) das Argument in den richtigen historischen Zusammenhang einordnet, es nämlich vor die Schlacht von Platää stellt, folgt Thukydides der zusammenfassenden Würdigung Herodots (7,139) und drängt den Entschluß Athens zugunsten der griechischen Freiheit mit der großen Leistung Athens bei Salamis aufs engste zusammen. Die ausführliche Begründung freilich der Auffassung, daß die Athener die Schlacht von Salamis entschieden hätten, stammt — zumindest in dieser argumentierenden Form — sicher nicht aus Herodot, wenn dessen Werk vielleicht auch für manche Behauptungen das Material geliefert hat (z.B.: Anzahl der Schiffe, Rolle des Themistokles); wir finden dagegen ganz ähnlich die Aufzählung der drei entscheidenden Faktoren bei Lysias (2,42)2 und der beiden ersten bei Isokrates (12, 50f.). Bestände nicht der Verdacht, Lysias und besonders Isokrates 3 könnten Thukydides benutzt haben, so wäre man geneigt anzunehmen, daß Thukydides in der Form dieser Aufzählung von der Tradition der Redegattung beeinflußt wäre, ja das letztere wäre sogar denkbar, auch wenn die erste Vermutung das Rechte trifft. Man hätte dann zu konstatieren, daß Thukydides innerhalb der Salamis betreffenden A r g u m e n t a t i o n (für den Tatenkatalog als Ganzes ist es auf jeden Fall gesichert) traditionelle Elemente der Redegattung mit herodoteischem Gut kombiniert, um so der Rede ein historisch tragfähigeres Fundament zu geben. Leider können wir freilich in dieser Hinsicht nicht zu völliger Sicherheit gelangen. Wir können also feststellen, daß auch Thukydides das Schema des Tatenkatalogs mit sicherer Hand benutzt. Deutlich tritt wiederum 1 Es ist bezeichnend, daß in der Warnung des Tegeaten Chileos an die Spartaner (Hdt. 9,9,2) vom Wert der Mauer am Isthmos ebenso abschätzig gesprochen wird wie in den Worten Herodots selbst (7,139,3—4). 2 An die Stelle der προθυμία tritt allerdings die έμπειρία. 3 L. Bodin, Isocrate et Thucydide, in: Mélanges θ. Glotz I, Paris 1932, S. 93ff. ; die Gegengründe von H. LI. Hudson-Williams, ClQu 42 (1948), S. 76ff., überzeugen mich nicht. — Für Lysias möchte ich nur auf die erstaunliche Parallelität von Lys. 2,48 ff. zu Thuk. 1,105 f. hinweisen (Benutzung einer gemeinsamen Quelle ist nicht ausgeschlossen, doch vgl. das Urteil von F. W. Schlatter, Salamis and Plataea in the Tradition of the Attic Orators, Diss. Princeton 1960, S. 50, Anm. 1, der übrigens S. 41 ff. nachweist, daß auch Herodot im Epitaphios des Lysias in ungewöhnlich starkem Ausmaß als Quelle verwertet wird).
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die Scheidung in die παλαιά έ'ργα und die Ereignisse seit dem Perserkrieg hervor. Während Thukydides die „mythischen" Begebenheiten als nicht beweiskräftig übergeht, widmet er sich den Μηδικά mit breiter Argumentation, nicht mit bloßer Erzählung. Tritt im ersten Fall die kritische Distanz unseres Historikers gegenüber der älteren Tradition klar in Erscheinung, so beweist sein Vorgehen im zweiten Falle sein sorgfältiges Zurückgehen auf die besten Quellen. Sein Ziel ist es, überzeugend nachzuweisen, daß Athen, weil es den entscheidenden Anteil am Sieg von Salamis und deshalb — im Anschluß an Herodots Ansicht — am Gesamtsieg über die Perser hat, mit Fug und Recht seine άρχή besitzt und deswegen keinerlei Mißgunst verdient. Wir haben zuletzt zwei Reden kennengelernt, die nicht der Epitaphien-Beredsamkeit zuzurechnen sind, wohl aber den Tatenkatalog in der bekannten Gestalt einschließen. Er dient hier als Instrument aktueller politischer Argumentierkunst und hat diesen Dienst gewiß nicht gerade selten erfüllt. Thukydides stellt es so dar, als ob seine Redner selbst damit rechneten, daß die dauernde Wiederholung derselben Phrasen den Zuhörern lästig fielen, und das bei einer Rede vor nichtathenischem Publikum! Daß bei Verhandlungen mit anderen Poleis der Tatenkatalog eine zumindest ebenso große Bedeutung hatte wie in den innerhalb Athens gehaltenen Reden auf die Gefallenen, scheint mir nicht nur aus diesem Zeugnis, sondern auch aus mehreren anderen deutlich hervorzugehen. Daß sowohl die athenischen Teilnehmer am Melier-Dialog (Thuk. 5,89) als auch der athenische Gesandte Euphemos in Kamarina (Thuk. 6,83,2) darauf verzichten, schönrednerisch 1 das attische Machtstreben durch Hinweis auf die Leistung im Perserkrieg zu rechtfertigen, würde völlig der Begrün1 5,89 μετ' όνομάτων καλών; 6,83,2 καλλιεπούμεθα. Dazu paßt auch die Bezeichnung der ausführlichen Darlegung des Tatenkatalogs als μακρηγορεϊν bei Thuk. 2,36,4 oder μακρολογείν bei Hyper. 6,4 (vgl. Thuk. 5,89 λόγων μήκος άπιστον); beide Bezeichnungen verbunden bei Demosth. 19,303, der Aischines mit Bezug auf die Zeit, als er noch nationale Reden hielt, als ó τούς μακρούς καΐ καλούς λόγους έκείνους δημηγορών tituliert. Die Athenerrede (Thuk. l,73fif.) geht der „schönen Langrede" dagegen nicht aus dem Wege; H. Diller, Freiheit bei Thukydides als Schlagwort und als Wirklichkeit, Gymnasium 69 (1962), S. 189ff., hier S. 196ff., scheint mir nicht das Rechte zu treffen, wenn er glaubt, die Athenerrede in dieser Hinsicht von der „Epitaphios-Literatur" scharf trennen zu können. Sein Hinweis auf die Verwendung von άξιοι (1,75,1) statt δίκαιοι (δικαίως 5,89) wird durch eine andere Stelle entwertet: am Ende von 1,73,1 erklären die Athener es ausdrücklich als ihr Ziel, darzulegen, daß sie ihren Besitz ουκ άπεικότως haben (der Besitz aber ist nach 1,75,1 die άρχή); Euphemos dagegen weigert sich, vor den K a m a r i n a i e r n (darauf kommt es an!) mit schönen Worten zu erklären, daß die Athener, da sie den Perser allein ( !) niedergerungen hätten, είκότως herrschten, nachdem er zuvor dieselbe These im allgemeinen durchaus akzeptiert hat.
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dung entbehren, wexrn dieses Verfahren nicht im übrigen durchaus üblich gewesen wäre. Offenbar wurden die Einzelheiten des Tatenkatalogs in anderen Städten sogar so oft vorgetragen, daß deren Politiker sich ihrer gem erinnerten, wenn es galt, das athenische Volk durch eine Rede für eine politische Unternehmung zu gewinnen. Ein gutes Beispiel bietet uns Xenophon (Hell. 6,5,38—48) in der Bede des Prokies von Phleius, durch die die Athener überredet werden sollen, den Spartanern und einigen weiteren peloponnesischen Staaten gegen Theben zu helfen. Der Redner weist in zwei Hauptteilen zuerst (§§ 38—41) auf das συμφέρον und fxfSiov, dann (§§ 42—48) auf das δίκαιον und πρέπον einer solchen Handlungsweise hin; der zweite Punkt ist in zwei Abschnitte geteilt: a) die Spartaner verdienen auf Grund ihrer früheren Taten Hilfe (42—44); b) die Athener sind es ihrem Rufe schuldig, wie früher so auch diesmal Hilfe zu leisten (45—47); der letzte Satz (48) ersetzt gewissermaßen einen Epilog und zieht aus den beiden Überlegungen über das δίκαιον und πρέπον die Folgerung 1 . In den §§45—47 wird Athen als die traditionelle Helferin der unrechtmäßig Verfolgten angesprochen, und der Redner nennt erklärend die beiden beliebten Beispiele attischer Reden, die Geschichte von Adrast und die von den Herakliden. Dieselbe Art der Argumentation finden wir bereits viel früher, wenn auch nicht ganz so klar ausgedrückt, in der Rede der Spartaner bei Hdt. 8,142,3 : Es geht nicht an, daß die Athener mit den Barbaren gemeinsame Sache machen und Griechenland knechten, sie, die doch seit alters her vielen Menschen die Freiheit gebracht haben. Wir haben hier dasselbe Phänomen vor uns, das Aristophanes (Ach. 636ff.) am Beispiel zweier beliebter Epitheta der Stadt Athen anprangert: die auswärtigen Politiker wissen um die Schwäche des athenischen Demos für Lobeshymnen auf seine Stadt und verstehen es ausgezeichnet, sich dementsprechend bei ihm einzuschmeicheln und ihn dadurch günstig für ihre Pläne zu stimmen 2 . Nach alledem ist es offensichtlich, daß der Tatenkatalog nicht nur in den attischen Leichenreden, sondern auch in der allgemeinen politischen Beredsamkeit Athens eine beträchtliche Rolle gespielt hat. Da aber die Produkte dieser Beredsamkeit bis auf einige Gerichtsreden aus politischen Prozessen fast ganz verloren sind, lernen wir 1 Das letzte richtig gesehen bei E. Vorrenhagen, a.a.O. S. 107, Die Verfasserin verkennt freilich die Disposition der Rede, wenn sie die §§ 45—47 als „exornatio" der vorhergehenden „argumentatio" (§§ 38—44) gegenüberstellt (a.a.O. S. 103 und S. 105); die wiederholte Anrede ώ άνδρες 'Αθηναίοι erklärt sich hinreichend aus der subjektiven Art des folgenden Arguments, das man aber trotzdem zweifellos als Argument auffassen soll und muß. 2 P. Wendland, Die Tendenz des platonischen Menexenus, Hermes 25 (1890), S. 171ff., hier S. 175f., hat bereits auf die Ähnlichkeit zwischen Aristoph. Ach. 634ff. und Plat. Menex. 235 a—b hingewiesen.
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ihre Eigenart insbesondere aus den Reflexen in zeitgenössischen Geschichtswerken kennen. Wir konnten auf diesem Wege feststellen, daß es anscheinend seit langem üblich war, aktuelle politische Ansprüche durch Hinweis auf historische Leistungen und Rechte zu begründen. Vor der Zeit der Perserkriege gab vor allem die Teilnahme am trojanischen Krieg willkommene Anhaltspunkte. Nach dem Perserkrieg rückte vornehmlich diese neue panhellenische 1 Unternehmung an dieselbe Stelle. Obwohl dieser Wechsel sich nicht allein auf Athen, sondern auch auf andere griechische Staaten erstreckte 2 , so hat doch die politische Propaganda in Athen damals eine besonders fest geprägte Gestalt erhalten. Diese Gestalt ist, wie wir bei der Untersuchung von Pindars fünftem isthmischen Gedicht feststellen konnten, in Anlehnung an einen Formtypus der Chorpoesie ausgeprägt worden. Die Prosa übernahm schon in ihrer Entstehungszeit einzelne Elemente aus dem Formenbestand der Poesie, deren Funktionen sie weitgehend erbte. Am Beispiel der Thukydidesrede (1,73ff.) können wir uns die Einzelheiten des athenischen Propagandaschemas leicht vergegenwärtigen. Die Athener beweisen hier durch Hinweis auf ihre Leistung in den Perserkriegen die Berechtigung ihrer άρχή, berechtigt insbesondere darum, weil deren Ausgangspunkt und Grundlage, die Hegemonie zur See, ihnen von den Bundesgenossen selbst angetragen und von Sparta gutwillig überlassen wurde. Die bei Thukydides fehlenden mythischen Beispiele dürfen wir aus unserer Kenntnis ähnlicher Reden imbedenklich dem gewonnenen Bilde hinzufügen. Das Ergebnis unseres Rekonstruktionsversuches führt zu wichtigen Folgerungen. In dieser Form des Tatenkatalogs passen historische Ereignisse und mythische Paradeigmata trefflich zusammen; zur Abwehr der Perser und Übernahme der Hegemonie auf Bitten der Bundesgenossen haben wir in der Abwehr der Amazonen und der Hilfe, die Adrast und den Herakliden auf deren Wunsch geleistet wird, eine gewollte Parallele aus der Vorzeit. Die Beziehung zwischen Gegenwart und Vorzeit, die wir aus der Epitaphien-Literatur nur mühsam herauslösen konnten, liegen hier klar zutage. Hier trifft sich, was im Epitaphios nie ganz zur Deckung kommt. Sogar die Einschränkung der mythischen Beispiele auf drei (mit der EumolposSage vier), die nie ergänzt oder verändert werden, hat hier ihren guten Sinn, da der historische Tatbestand, der durch das Beispiel erläutert 1 H. Strasburger, Hermes 86 (1958), S. 24, und nach ihm J.Klowski, a.a.O. S. 35, haben darauf hingewiesen, daß in den Epitaphien eine für innerathenische Reden überraschend starke „panhellenische Tönung" festzustellen ist. 2 Für die Platäer vgl. Thuk. 3,54,3 ; 56,4f. ; 59,4, aber auch schon 2,71,2—3 ; für die Spartaner vgl. die Rede des Prokles von Phleius bei Xen. Hell. 6,5. 42—44.
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werden soll, mit der Übernahme der Hegemonie im wesentlichen abgeschlossen ist ; die Frage, wie Athen diese Stellung jeweils gebraucht oder mißbraucht, betrifft das Heute und nicht die Geschichte. Ich glaube, man darf mit guten Gründen behaupten, daß der genuine Ort des Tatenkatalogs mit seinem festen Bestand mythischer Beispiele und der zentralen Stellung des Perserkrieges die außenpolitische Debatte, nicht aber der epideiktische Epitaphios ist. Die Übernahme in das andere Genos wird freilich sehr bald stattgefunden haben, zumal da nach gesetzlicher Vorschrift nur die jeweils im Staate hervorragenden Redner (diese aber waren ja gerade durch ihre politischen Reden allen bekannt) mit der Aufgabe betraut wurden, die Rede auf die Gefallenen zu halten. Nachdem der genuine Ort des Tatenkatalogs genauer festgelegt werden konnte, wollen wir auch seine Aufgabe und Absicht näher zu bestimmen suchen. Die drei Reden bei den Historikern Herodot und Thukydides (Hdt. 9,27; Thuk. l,73ff. und 6,82ff.), die uns vornehmlich als Material dienten, werden allesamt aus defensiver Position 1 gehalten. Dementsprechend weisen die Redner in allen Fällen am Anfang darauf hin, daß sie sich nur durch das Verhalten der Gegenspieler ihre Argumentationsweise haben aufzwingen lassen. Besondere Beachtung verdient es, daß schon Herodot in dem Kapitel (7,139), an das Thukydides die Athener l,73f. anschließen läßt, deutlich zu erkennen gibt, daß er sich durch die Einsicht in den wahren Sachverhalt gedrängt fühlt, Athens Verdienst gegen Mißgunst und Feindseligkeit der „meisten Menschen" (!) zu verteidigen2. Mißgunst der Rivalen und Unwille der Unterdrückten machten sich schon bald nach der Gründung des Seebundes bemerkbar; ja, es waren nach den Worten der Athener gerade diese Faktoren, die Athen dazu führten, die Zügel der Herrschaft straffer anzuziehen, besonders nachdem die ersten Ausbruchsversuche von Mitgliedsstaaten hatten niedergeschlagen werden müssen. Es ist wohl begreiflich, daß die Maßnahmen Athens von intensiver Propaganda begleitet wurden, die überall die beiden Kernpunkte der athenischen Rechtfertigung verbreitete: a) die Athener verdienen auf Grund ihrer Heldentaten gegen die Perser eine Vormachtstellung; b) die Athener haben die Vormachtstellung, die sie jetzt besitzen, auf völlig legitimem Wege erworben. Die Grundtendenz des Katalogs ist somit eindeutig apologetisch. 1 Das gilt auch für Thuk. l,73ff.; die Redner weigern sich zwar, auf die speziellen Vorwürfe der Peloponnesier einzugehen oder sich gar zu entschuldigen; eine Verteidigung der attischen άρχή ist ihre Rede trotz allem. — Für die Athenerrede bei Herodot wird die defensive Position erst einmal recht künstlich hergestellt. 3 Vgl. H. Kleinknecht, Herodot und Athen, hier S. 248.
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Wir haben eben vom Tatenkatalog als einem Produkt athenischer Propaganda gesprochen; da liegt es nahe, den Wahrheitsgehalt der dort beschworenen „Geschichte" näher zu prüfen. — Die entscheidende Wichtigkeit des Sieges von Salamis und den maßgeblichen Anteil der Athener an diesem Siege, aber auch an dem Gesamtsieg gegen die Barbaren haben Aischylos und Herodot wohl richtig erkannt. Ebenso mag es die Wahrheit treffen, wenn die athenische Tradition berichtet, daß die Bundesgenossen von sich aus Athen die Hegemonie antrugen 1 . An die Berichte über die „mythischen" Taten darf man natürlich nicht denselben Maßstab der historischen Treue anlegen. Abgesehen davon, daß die Herkunft dieser Sagen teils überaus dunkel ist, werden sie zunehmend mit Zügen ausgestattet, die zunächst den in Frage stehenden zeitgeschichtlichen Ereignissen eignen. Die Hikesie-Geschichten müssen sich im Lauf der Zeit sogar noch weitere Umdeutung gefallen lassen, damit sie der jeweils aktuellen Situation angepaßt sind. Müssen wir bis hierher den attischen Propagandisten zugestehen, daß sie sich zumindest nicht grob gegen die geschichtliche Wahrheit versündigt haben, so wandelt sich das Bild erheblich, nachdem die attische Hegemonie der straffen Ordnung einer άρχή über tributzahlende Untertanen hat weichen müssen. Die Apologie wird immer schwieriger, je imperialer der Machtanspruch Athens wird. So enthält denn der stetig wachsende Tatenkatalog der Epitaphien eine Unzahl kleinerer und größerer Geschichtskorrekturen 2 . Im Bericht über die Perserkriege tritt dementsprechend der proathenische Zug mehr und mehr hervor (vgl. z.B. Demosth. 60). Unsere Untersuchungen haben zu einigen wichtigen Korrekturen des geläufigen Bildes geführt. Ist man bisher stets davon ausgegangen, daß der Epitaphios der ursprüngliche Sitz für den Tatenkatalog ist, daß dagegen alle übrigen literarischen Zeugnisse, in denen der Taten1 Ein Teil unserer Quellen scheint allerdings damit zu rechnen, daß die Athener dabei nach Kräften nachgeholfen haben (s.o. S. 93, Anm. 1). 2 Besonders auffällig ist das im Epitaphios des Sokrates, dem platonischen Menexenos; vgl. N. Scholl, Der platonische Menexenos, Rom 1959, passim (z.B. S. 56: „Alles, was der epainetischen Tendenz widerspricht, sucht Sokrates zu beschönigen. Die Mittel, deren er sich dabei bedient, sind durch die Tradition vorgegeben."). Scholl sieht die Besonderheit des platonischen Epitaphios darin, daß Piaton es auf die Paideia seiner Mitbürger abgesehen hat, durch seine „frommen Lügen" auf eine dauerhafte sittliche Besserung der Athener abzielt. Vgl. jetzt auch O. Kennedy, a.a.O. S. 162ff., und die ausgezeichnete Untersuchung von C. H. Kahn, Plato's funeral oration. The motive of the 'Menexenus', CIPh 58 (1963), S. 220ff. — Bemerkenswert ist freilich auch der Hinweis Schölls (S. 86) auf Piatons Äußerung im Phaidros, daß der Redner sich nicht nur von seinem Gegenstand leiten lassen muß, sondern auch von der Rücksicht auf die Zuhörer. Wichtig ist hier aus der antiken literarischen Kritik der Begriff καιρός. Yon der modernen Theorie her ließe sich mit der Vorstellung des „Erwartungshorizontes" weiterkommen.
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katalog als Ganzes oder Teile desselben eine Rolle spielen, von der Epitaphien-Beredsamkeit abhängig sind, so haben wir demgegenüber wahrscheinlich machen können, daß Reden wie Thuk. l,73ff. einen selbständigen Überlieferungsstrang 1 politischer Reden vertreten, in denen der Tatenkatalog notwendig integriert. Diese Reden, die die Rechtfertigung der attischen Herrschaft zum Ziele haben, müssen schon bald nach der Gründung des attischen Seebundes aufgekommen sein und sind die Antwort Athens auf die Klagen der Bundesgenossen, die die athenische Hegemonie bald als drückende Herrschaft empfanden. Die Athenerrede bei Herodot ist insofern ein wenig anachronistisch, als sie die mythischen Parallelen (Hikesie-Geschichten) zu einem Ereignis bietet, das sich zu der angenommenen Zeit noch gar nicht ereignet hat; der Anachronismus ist jedoch nicht schwerwiegend, da die Rede — wie wir dem Hinweis des Schlußparagraphen entnommen haben — in die Situation gehört, als die Athener zwar schon den Anspruch auf die Hegemonie zur See erhoben (s. außer Hdt. 8,3,1 auch 7,161,2), aber auf die Durchsetzung ihres Anspruches verzichteten, solange Griechenland unmittelbar bedroht war. Die „politische Selbstdarstellung" Athens in der uns vertrauten Form hat ihren Ursprung in der allgemeinen politischen Beredsamkeit, die sich nach dem Perserkrieg neugeprägt emporschwang. Da die Leichenrede für die attischen Gefallenen etwa zu derselben Zeit eingerichtet wurde und denselben Rednern als Aufgabe oblag, ist das Wandern der literarischen Form des Tatenkatalogs aus der einen Art der Rede hinüber in die andere 2 nicht erstaunlich, zumal ein έπαινος Athens in beiden Fällen beabsichtigt war. Bedenken wir die Zwecksetzung dieses έπαινος, so können wir auch von Propaganda sprechen, die sich einmal nach außen, zum anderen aber auch nach innen an die eigene Polis wandte. Kennzeichnend für diese Propaganda ist offenbar schon nach kurzer Zeit die rücksichtslose Geschichtskorrektur zur Erreichung aktueller politischer Ziele3. Die 1
Isokrates' Panegyrikos gehört von Rechts wegen in diese Tradition (er beansprucht für Athen einen Teil der Hegemonie im gemeinsamen griechischen Kampf gegen die Barbaren), obwohl er § 74 ausdrücklich seine Kenntnis (und wohl auch Abhängigkeit) von Leichenreden bezeugt. Das mag damit zusammenhängen, daß zwar nicht die gewöhnlichen politischen Reden (vgl. die Überlieferung über Perikles), wohl aber manche επιτάφιοι λόγοι schriftlich publiziert wurden. Diese waren also als Vorlagen verwendbar. 2 Dazu paßt die Beobachtung, daß das Lob der πρόγονοι in der älteren Form des Epitaphios (uns greifbar bei Thuk. 2,35ff. und Lys. 2) noch nicht organisch in den Aufbau der Rede eingefügt ist ; das ist erstmals der Fall im Menexenos Piatons, der nach dem Vorbild des Enkomions die Taten aus γένος und παιδεία hervorgehen läßt. 3 Vgl. P. Wendland, Die Tendenz des platonischen Menexenus, Hermes 25 (1890), S. 189, und derselbe: Beiträge zu athenischer Politik und Publicistik des vierten Jahrhunderts, NGG- 1910, S. 123ff., bes. S. 172ff.
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III. Erlebnis und Propaganda im Tatenkatalog attischer Reden
propagandistische Verzeichnung wird gewöhnlich um so willkürlicher, aber auch um so starrer und erlebnisärmer, je weiter sie zeitlich von den erwähnten Ereignissen entfernt ist 1 . Die Darstellung des großen Erlebnisses wird zum konventionellen Gemeinplatz. 1 In ganz anderem Zusammenhang hat W. Wimmel geäußert: „Der Weg der Stoffe durch die Sprache ist .komparativisch' und endet schließlich in irgendeiner Form des Superlativs, der zugleich das Entlegene der Sachferne kennzeichnet."
Rückblick und Ausblick Wir haben im Laufe unserer Untersuchung eine Reihe von recht verschiedenartigen literarischen Werken durchmustert, deren Entstehung jedoch in allen Fällen mit den Perserkriegen zusammenhing. Das eine historische Ereignis wurde im Spiegel der zeitgenössischen Literatur m a n n i g f a c h reflektiert und gebrochen. Nachdem die fraglichen Texte im Verlauf der Untersuchung je in ihrer Eigenart zu ihrem Rechte kamen, bleibt uns jetzt die Aufgabe, die bislang noch isolierten Ergebnisse unserer Betrachtungen vergleichend in einen gewissen geordneten Zusammenhang zu stellen. Zugleich soll auch versucht werden, die Zeugnisse, die wir von dieser Untersuchung glaubten ausschließen zu müssen, zu dem Gegenstand unserer Arbeit mit wenigen Worten in Beziehung zu setzen und so einen Ausblick darauf zu geben, wie der Perserkrieg als Thema literarischer Bemühungen fortlebte, auch nachdem die Zeitgenossen, die das Ereignis persönlich erlebt hatten, längst gestorben waren. Die Werke der beiden Chorlyriker Pindar und Simonides haben wir an den Anfang unserer Untersuchung gestellt, weil sie — wenn auch zum Teil erst eine beträchtliche Zeit nach 480 verfaßt — die unmittelbare Antwort auf die Vorgänge während der großen Auseinandersetzung zwischen Griechen und Persern darstellen. Der Krieg, der Griechenland für einige Jahre in Atem hielt, der die Völker weit über Griechenland hinaus in Erregung oder gar in Bewegung versetzte, tritt ganz selbstverständlich auch in den Blickkreis der Gedichte, die ihre Einheit in der je einmaligen Situation eines Sieges oder Festes mit aJl seinen Begleitumständen haben. Die Leistung der Griechen im Kampf gegen die Perser, verstanden als Aufweis höchster menschlicher άρετή, wird Gegenstand pindarischer wie auch simonideischer Dichtung. Was Frankel1 grundsätzlich zum pindarischen Epinikion gesagt hat, läßt sich nahezu unverändert auf das MegistiasEpigramm des Simonides übertragen. Die heldenhaften Leistungen der antipersischen Koalition werden als „wert-voll" verstanden und werden insofern mit mythischen Ereignissen zusammengestellt und dadurch in die Sphäre der heroischen Vergangenheit erhoben. Unterscheiden muß man davon die Art der Behandlung, die dem historischen Stoff im Boreas-Lied des Simonides 1
H. Frankel, Gnomon 6 (1930), S. Iff., hier bes. S. 15ff. ( = Wege und Formen frühgriechischen Denkens, 2 1960, S. 350ff., hier bes. S. 365ff.).
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und im athenischen Dithyrambos Pindars zuteil wird. Das einmalige Ereignis wird zum Paradeigma für die allezeit fortwirkende Macht ordnender göttlicher Tätigkeit; der Dichter deutet die nähere — wie sonst die fernere — Vergangenheit im Sinne seines Wissens um das Walten der Gottheit. Hier wird im Chorlied die theologische Durchdringung des Stoffes antizipiert, die unsere Interpretation der aischyleischen „Perser" als die vornehmste Absicht der tragischen Dichtung herausgestellt hat 1 . Der Abschnitt über die „Perser" des Aischylos bildet nicht nur dem Umfange nach das Kernstück dieser Arbeit. Das Verhältnis von historischem Gegenstand und poetischer Gestaltung, von Erlebnis und Darstellung wird an dieser vollständig erhaltenen Tragödie in einzigartiger Weise deutlich. Das Erlebnis des Zeitgenossen einerseits und die Eigenart der Gattung andererseits sind hier, wie wir gezeigt zu haben glauben, die beiden Pole, zwischen die das ganze Werk eingespannt ist. Der tragischen Gattung eigentümlich ist aber vor allem der Wille zur sittlich-religiösen Deutung des Geschehenen. Wohlbekanntes deuten ist der Beruf des tragischen Dichters, gleichgültig ob es um die eben erlebte oder um die nur durch sagenhafte Erzählung vermittelte Vergangenheit geht. Die Deutung des unlängst Geschehenen im tragischen Spiel setzt allerdings das voraus, was wir bei der Würdigung der pindarischen und simonideischen Gedichte feststellen konnten, daß nämlich das Zeitgeschehen als „wert-voll" und vorbildlich, infolgedessen als dem mythischen Geschehen ebenbürtig verstanden wurde. Im letzten Kapitel haben uns literarische Zeugnisse beschäftigt, die zwar nicht von Dichterhand geprägt sind, aber doch manche Verbindung mit den von uns behandelten poetischen Werken aufweisen. Während die Gegenüberstellung der Reden mit den chorlyrischen Gedichten eine gewisse formale Verwandtschaft offenlegt, führt uns ein Vergleich zwischen Rede und Tragödie auf bedeutsame inhaltliche Bezüge, freilich auch Unterschiede. Die Verherrlichung Athens, die die attischen Redner seit den Perserkriegen mit großem Eifer zu ihrer Aufgabe machten, hat auch in der attischen Tragödie ihre Spuren hinterlassen. Gilt das auch für Aischylos' „Perser" nicht in demselben Maße wie für Euripides' „Hiketiden", die schon der Verfasser der antiken Hypothesis 2 treffend charakterisiert: το δε δράμα εγκώμιο" 'Αθηνών, so hat sich uns doch ergeben, daß z.B. der Botenbericht nicht ganz frei ist von der Tendenz zur Verherrlichung der Vater1
Auf die Zusammenhänge braucht hier nicht mehr besonders eingegangen zu werden; vgl. H. Patzer, Die Anfänge der griechischen Tragödie, Wiesbaden 1962. 2 Nach allgemeiner Überzeugung kein geringerer als Aristophanes von Byzanz; vgl. zuletzt G.Zuntz, The political plays of Euripides, S. 131.
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stadt des Dichters. Patriotismus ist gewiß eine der Triebfedern des Stücks 1 , wobei freilich wohl festgehalten werden muß, daß dieser Patriotismus im ganzen eher hellenisch als athenisch orientiert ist. In dieser Hinsicht darf man aleo bereits einen Unterschied zu den von uns untersuchten Reden feststellen, die athenfreundlich in einem strengen und exklusiven Sinne sind. Eine weitere Gemeinsamkeit von Tragödie und Rede ist die Tendenz, das Geschehen zu deuten, die in beiden Gattungen den Aufbau im Großen wie auch die Detail-Behandlung bestimmt. Gerade in diesem Punkte aber werden demjenigen, der das Material einer genauen Prüfung unterzieht, auch die wichtigsten Differenzen deutlich. Dem tragischen Dichter ist die Deutung des Geschehens als eines sittlichen und religiösen Vorganges Selbstzweck: im konkreten Einzelfall verwirklicht sich hier das universale Gesetz von Aufstieg und Niedergang, von Schuld und Sühne. Für den Redner liegt der Zweck seiner Bemühungen erst hinter der Deutung, die ihm nur zur Begründung eines nationalen Prestiges, zur Fundierung bestimmter politischer Ansprüche und Interessen dient; das konkrete Geschehen, mehr und mehr der Willkür verzerrender Publizistik ausgeliefert, wird zum tragenden Pfeiler einer patriotischen Ideologie, die nach innen und außen beliebig eingesetzt werden kann. Die Deutung des Geschehens in der politischen Rede ist natürlich keineswegs theologisch wie die tragische Weltdeutung. Der griechische Sieg wird vielmehr ganz diesseitig verstanden als der Sieg griechischer, vornehmlich athenischer άρετή und τόλμα über πλήθος und πλούτος des Ostens. Heißt es noch bei Herodot (7,139,5), der in der Deutung des Gesamtgeschehens der Tragödie überaus nahesteht 2 , daß die Athener „nächst den Göttern" (μετά γε θεούς) die Verantwortung für die Abwehr der Perser tragen, so ist bei den Rednern demgegenüber die Erklärung völlig immanent geworden, wozu man schon Thuk. 1,74 vergleichen kann. Auch hier ergibt sich also bei näherer Prüfung der Ähnlichkeit die grundlegende Verschiedenheit der Blickweise und der schriftstellerischen Absicht. Man könnte zu der Annahme neigen, all die besprochenen Blickweisen und Verständnisweisen seien rein literarische Erscheinungen; ich bin jedoch der Überzeugung, daß die Literatur in diesem Falle beispielhaft die Reaktionen spiegelt, die auch der „Mann auf der Straße" angesichts des Geschehenen gezeigt haben mag. Die Kämpfer gegen die furchtbar dräuenden Perserscharen, gegen die Völker aus dem geheimnisvollen Osten, erscheinen dem Betrachter überstrahlt vom Glanz mythischer Heroentaten — der Übergriff der Perser nach 1 Vgl. die besonnene Erörterung des Punktes in der Einleitung von Broadheads Kommentar. 2 Vgl. z.B. M. Pohlenz, Herodot, bes. S. 107, 116, 120ff.
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Europa wird verstanden als Frevel gegen die göttliche Weltordnung, ihre Niederlage als Strafgericht der Götter, in deren Hand die Griechen nur als Werkzeug fungieren, — die Athener haben sich durch ihre Leistungen im Perserkrieg ein Anrecht auf politische Vormachtstellung erworben. Alle diese Gedanken sind im Grunde ganz einfach und natürlich und müssen damals jedermann nahegelegen haben; Dichter und Publizisten bemächtigten sich ihrer und gössen sie in die überkommene Form des Chorliedes, der Tragödie, der politischen Rede, schufen ihnen dadurch Dauer und Geltung weit über den Moment erlebter Aktualität hinaus. Abgeschlossen freilich ist die literarische Formimg des Stoffes mit der Abfassung dieser zeitgenössischen Zeugnisse keineswegs. Die Perserkriege leben ja in der Erinnerimg der folgenden Generationen fort als eine Zeit großer Taten. Aus dem schier unerschöpflichen Brunnen mündlicher Überlieferung schöpft Herodot, der die εργα μεγάλα nicht in ruhmloses Vergessen sinken lassen will. Das überreiche Material seiner Forschertätigkeit ordnet sich ihm unter Gesichtspunkten, die vor allem sittlich-religiösem Denken entspringen. Daß er hier von den Ideen der tragischen Dichter beeinflußt ist, daß besonders seine Darstellung des Xerxeszuges vom Geiste der aischyleischen „Perser" durchatmet wird, ja sich sogar in der Wahl der Worte zuweilen an diese Tragödie anlehnt, ist längst gesehen und jedem aufmerksamen Leser ein offenes Geheimnis. Seit Herodot ist die Tradition über die Perserkriege fast ganz festgelegt und jedem historisch Interessierten nach Wunsch zur Hand 1 . Doch bekommt die Erinnerung an die Perserkriege ab und an wieder einmal aktuellen Bezug. Thukydides zeigt uns in der ersten Rede des Perikles (1,144,4), daß im Peloponnesischen Krieg die Kämpfe der Vorfahren gegen die Meder den Athenern als ruhmreiches Vorbild vor Augen gehalten wurden 2 . Da ist es sicher kein Zufall, wenn eben zu dieser Zeit auch die hohe Literatur sich des Stoffes wieder annahm. Choirilos von Samos machte den Perserkrieg zum Gegenstand eines großen Epos Πέρσηις oder Περσικά, von dem uns leider nur recht bescheidene Reste erhalten sind; die Frage, ob das Werk, wie weithin angenommen wird, auf Herodots Darstellung fußte, kann in diesem Zusammenhang nicht erörtert werden. Dagegen läßt sich mit Sicherheit behaupten, daß der Nomos Πέρσαι des Timotheos von Milet, der vielleicht während des Peloponnesischen Krieges in Athen aufgeführt wurde und u.a. eine Schilderung der Schlacht von Salamis enthält, von Aischylos' „Persern" abhängig ist. 1 Vgl. G. Gottlieb, Das Verhältnis der außerherodoteischen Überlieferung zu Herodot, S. 48. 2 In dieselbe Richtung weist der Vorschlag des Sokrates im Gespräch mit dem jüngeren Perikles bei Xen. Mem. 3,5,11.
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Während im Peloponnesischen Krieg das Bild der Perserkriege nur ganz allgemein als Vorbild kriegerischer Leistung zur Verteidigung der Polis von den Rednern heraufbeschworen werden konnte, sieht man etwa seit der Mitte des vierten Jahrhunderts in jenem Kampf gegen die Perser die exakte Parallele zur gegenwärtigen politischen Situation. Wieder droht die Invasion eines mächtigen Gegners auf dem Landweg von Norden her, wieder handelt es sich um einen Feind, den die Griechen gewohnt waren als Barbaren anzusehen. Aus dem Epitaphios des Hypereides geht allenthalben deutlich hervor (besonders bezeichnend ist § 12), daß dieMakedonen ganz mit den typischen Zügen der Perser ausgestattet werden1. Von hier aus erklärt es sich leicht, daß in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts eine Reihe von Dokumenten in der Tagespolitik herangezogen werden, die die Entschlossenheit und Einsatzbereitschaft der Athener zur Zeit der Perserkriege demonstrieren und die Zeitgenossen zur Nachahmung des großen Vorbildes ermuntern sollen2. Die gewiß großartige Tat der Perserkriegs-Generation, die schon von den Miterlebenden als vorbildlich und heroisch angesehen wurde, ist nun gleichberechtigt neben die „Mythen" der Vorzeit getreten; sie ist ideal, aber auch manipulierbar wie jene. 1
Vgl. πλήθος ( = πολύς άριθμός), § 20; έλευθερία — εύδοξία, § 19, dazu s. Thuk. 1,73,2 vom Perserkrieg; εις δεσπότης — απασα οικουμένη, § 20; ή Μακεδόνων ΰπερηφανία, § 20. 2 Das Problem der Echtheit dieser Dokumente müssen wir hier beiseite lassen; gegen C.Habicht, Falsche Urkunden zur Geschichte Athens im Zeitalter der Perserkriege, Hermes 89 (1961), S. Iff., vor a l l e m M . Treu, Zur neuen Themistokles-Inschrift, Historia 12 (1963), S. 47ff., und H. Berve, Zur Themistokles-Inschrift von Troizen, SB München 1961, 3.
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Anhang: Zum Stil des Aischylos Man hat immer wieder im Zusammenhang mit Aischylos' „Persern" von einem künstlerischen Grundsatz gesprochen, den man auf die Formel „räumliche Entfernimg ersetzt zeitlichen Abstand" bringen kann 1 . Warum denn eigentlich ein Abstand der einen oder anderen Art unbedingt verlangt werden muß, hat erst V.Martin ernstlich gefragt ; mit seiner Antwort will ich mich hier auseinandersetzen. Martin sieht die Begründung für die Forderung in einer stilistischen Eigenart der Tragödie2. Unter Berufung auf Aristot. Poet. 1449 b 24ff. und 1458 a 18 glaubt er feststellen zu können, daß der gehobene Stil ein traditionelles Erfordernis der Tragödie sei. Höre aber der Zuschauer Zeitgenossen und Landsleute in dieser dem Genos notwendig verbundenen Art sprechen, so habe das zwangsläufig eine lächerliche Wirkung auf ihn. Man sehe das daran, daß die griechischen Komiker sich den parodistischen Effekt zunutze gemacht hätten, der entstehe, wenn zwischen der Stellung des Sprechenden und der Höhe der Sprache eine Dissonanz bestehe. Über die letzte Beobachtung besteht natürlich kein Zweifel ; sie hat in der Lehre vom πρέπον ihren Niederschlag gefunden, die für die Prosa z.B. Aristot. Rhet. 1408 a lOff. darlegt3. Hoher Stil am falschen Ort wirkt frostig 4 oder aber lächerlich .Martin hat jedoch übersehen, daß 1
Vgl. Macan, Commentary on Herodotus, 7—9, vol.11, S. 9; B.Sneïl, Aischylos und das Handeln im Drama, Leipzig 1928 (Philol. Suppl. X X , 1), S. 66; H. D.F.Kitto, Greek Tragedy, London 3 1961, S. 34; R. Lattimore, The Poetry of Greek Tragedy, Baltimore 1958, S. 29; V.Martin, MuaHelv 9 (1952), S. 6, der dort auch auf Racines zweite Vorrede zum „Bajazet" (aus dem J a h r e 1676) hinweist, in der der Dichter dieses Prinzip entwickelt und a m Beispiel von Aischylos' „Persern" verifiziert (der Hinweis, wie ich jetzt sehe, bereits bei Patin, Eschyle, Paris 6 1877, S. 210ff.). 2 Martin, a . a . O . S. 4ff. 3 Tò δέ πρέπον ϊξει ή λέξις, έάν f¡ παθητική τε καί ήθική καί τοις ΰποκειμένοις πράγμασιν άνάλογον. τό δ' άνάλογόν έστιν έάν μήτε περί εΰόγκων αύτοκαβδάλως λέγηται μήτε περί εύτελών σεμνώς, μηδ' έπΐ τω εύτελεϊ ονόματι έπη κόσμος, εί δέ μή, κωμωδία φαίνεται, οίον ποιεί Κλεοφών" ; ähnlich (ebenfalls zur Prosa) Aristot. Rhet. 1406 a 32f. : διό ποιητικώς λέγοντες τη άπρεπεία τό γελοϊον καί τό ψυχρόν έμποιοϋσι. — Zur antiken Theorie Μ. Pohlenz, Tò πρέπον, NGG 1933, S. 53ff. * Über den Begriff ψυχρόν in der Stilkritik jetzt gut G. Stöhn, Spuren voraristotelischer Poetik in der alten attischen Komödie, Diss. F U Berlin 1955, S. 26ff.; dieMaterialsammlungvonL. vanHook, ClPh 12 (1917), S. 68ff., int Stöhn unbekannt.
Anhang : Zum Stil des Aischylos
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der hohe und feierliche Stil keineswegs von Anfang an der Tragödie eignete, wenn wir den Gewährsleuten in der Antike trauen dürfen. Wenn es Aristot. Poet. 1449 a 20f. vom Stil der Tragödie heißt: όψέ άπεσεμνύν&η, so hat man dieses Ergebnis besonders dem Wirken des Aischylos 1 zugeschrieben, dem der erhabene Stil, der sich oft an die epische Ausdrucksweise anlehnt, sehr am Herzen lag. Schon die sophistische Poetik, deren Spuren wir unter anderem im Agon der „Frösche" des Aristophanes beobachten 2 , hat den Donnerer Aischylos (Ran. 814. 822ff.) dem zungengewandten Euripides (Ran. 815f. 826ff.) gegenübergestellt, ρήματα σεμνά türmte Aischylos nach den Worten des aristophaneischen Chores (Ran. 1004) als e r s t e r unter den Hellenen — es versteht sich: im Bereich der tragischen Kunst —; dazu passen die rühmenden Worte in der Vita des Aischylos3. Dem hohen sprachlichen Prunk entsprach die λαμπρότης und μεγαλοπρέπεια der Ausstattung, die für seine Tragödien-Inszenierungen offenbar charakteristisch war (Vita Aesch., §§ 2. 5. 14). Doch all dies ist kein leeres Geprahle, kein hohles Posaunen, wie die Gegner ihm gern unterstellen; die Gestalten des aischyleischen Theaters sind Könige und Heroen, denen feierlichere Kleidung ansteht als gewöhnlichen Menschen; die vorgetragenen Gedanken sind schwer und gewichtig, und diesem Inhalt entsprechend muß auch die Sprache dem Alltäglichen enthoben werden. So verteidigt sich Aischylos in den „Fröschen" (1058—61) unter Berufung auf das πρέπον gegen die Vorwürfe, die seine Ausdrucksweise überladen (έπαχθ-ές) und geschwollen (οίδοϋν, 940) nennen. 1
Daß Phrynichos den Weg in dieser Richtung bereits anbahnte, legt dessen Auseinandersetzung mit dem Vertreter des Satyrspiels, Pratinas von Phleius, nahe (vgl. A. Lesley, Die tragische Dichtung der Hellenen, Göttingen 2 1964, S. 48, nach Pohlenz, NGG 1926, S. 317f.; dagegen jetzt H.Patzer, Die Anfänge der griechischen Tragödie, Wiesbaden 1962, S. 130, Anm. 2). — Patzer (S. 67) hat wahrscheinlich richtig hervorgehoben, daß sich das άποσεμνύνεσ&αι nur auf die λέξις bezieht; wenn er andererseits (S. 67ff. passim, bes. S. 73ff.) die ganze Aussage über das άποσεμνύνεσθαι als Fehldeutung und Extrapolation des unter Systemzwang arbeitenden Aristoteles abzutun versucht, so berücksichtigt er nicht genügend das Zeugnis des Aristophanes. Die Nachrichten der sophistischen Poetik dürften eher auf konkrete Kenntnisse als auf teleologische Rückprojektionen aufbauen. 2 Über diesen Zusammenhang nach Pohlenz, NGG 1920, S. 142ff., besonders F. Wehrli, Der erhabene und der schlichte Stil in der poetisch-rhetorischen Theorie der Antike, in: Phyllobolia für P. VonderMühll, Basel 1946, S. 9ff., und durch Untersuchung einzelner literarkritischer Termini G. Stöhn, a. a. O. ; anders dagegen neuerdings C.M. J. Sicking, Aristophanes' Ranae, Assen 1962, besonders S. 108ff. — F. R. Earp, The Style of Aeschylus, Cambridge 1948, berücksichtigt in seiner Untersuchung den von mir hier angesprochenen Zusammenhang kaum. 3 Dazu kommt noch das Urteil des Dionysios von Halikarnaß (de imit. 2,2,10 in.): 6 S' οδν Αισχύλος πρώτος υψηλός τε καΐ της μεγαλοπρεπείας έχόμενος.
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Allhang : Zum Stil des Aischylos
Wir greifen hier den entscheidenden Punkt: erhabene Sprache und prachtvolle Inszenierung sind sekundär, erst von Aischylos eingeführt; traditionell ist die Gewohnheit, den Stoff der Tragödie aus der heroischen Sage zu übernehmen, in der Könige und Halbgötter dargestellt werden 1 . Aischylos machte sich diese Gewohnheit zu eigen, da er die erhabenen Gestalten für geeignet hielt, die tiefe und sittlich ernste Weltansicht darzustellen, die er vertrat ; überdies war er auch der Meinung, diese Gestalten seien seinen Zuschauern weit genug entrückt, daß ihr Leiden und Handeln zwar als Geschehen von beispielhafter, allgemeiner Gültigkeit erscheinen konnte, sich aber dennoch nicht als der Zuschauer eigenes, sie direkt angehendes erwies2. Es war nur konsequent, diese Gestalten mit den ihnen eigenen Worten und der ihnen eigenen Tracht auftreten zu lassen. Diese sprachliche Eigenart übernahm Aischylos durch Vermittlung des Dithyrambos 3 aus dem Epos, aus dem auch die Gestalten in die Tragödie übernommen worden waren. Es geht dabei nicht so sehr um eine einfache Rezeption epischer Wörter und Formeln, sondern um eine freiere Adaption. Earp hat besonders hervorgehoben, daß das eigentlich homerische Sprachmaterial bei Aischylos recht gering ist, daß Epitheta, Komposita und Metaphern zunehmend kühner, dafür aber auch signifikanter und weniger ornamental werden 4 . Entsprechend darf man annehmen, daß Aischylos nicht etwa eine altgriechische Tracht nach Einzelangaben des Epos rekonstruierte, wohl aber die Pracht der Gewandung der Würde und Gewichtigkeit seiner Personen anpaßte. Da es sich bei all dem aber gewissermaßen um ein Epiphänomen (vgl. τίκτειν, Aristoph. Ran. 1059) handelt, lautet der Vorwurf des 1 Dazu H. Patzer, a.a.O., bes. S. 121, der gewichtige Gründe dafür anführt, daß die Tragödie den heroischen Stoff aus dem Dithyrambos „ererbt" hat. 2 In diesem Punkt tat Phrynichos mit der Μιλήτου άλωσις einen Fehlgriff; er wurde bestraft, weil er die Athener dadurch an οίκήΐα κακά erinnert hatte (Hdt. 6,21,2; zu οικείος vgl. Isokr. 4,76 έκήδοντο μέν ώς οικείων). — Gegen eine oft vermutete politische Motivation des „Theaterskandals" bin ich ebenso skeptisch wie Q. Freymuth, Zur Μιλήτου άλωσις des Phrynichos, Philologue 99 (1955), S. 51ff., mit dessen allgemeiner Beurteilung (S. 62f.) ich mich ungefähr treffe; ich frage mich freilich, ob man wie Freymuth bei einer Deutung der Darstellung Herodots stehenbleiben muß oder nicht doch daraus auf die echten Gründe für die Ablehnung des Stückes folgern darf (ώς steht ebenso bei der Angabe der Urteilsbegründung Hdt. 9,93,3). — Wenn O. Nenci, Introduzione alle guerre persiane, Pisa 1958, S. 30, Anm. 21, vorschlägt, die Aufführung könne n a c h 490 stattgefunden haben und Herodot habe mit οίκήΐα κακά die Leiden der Athener beim ersten Perser-Einfall gemeint, so geht das völlig am Sinn der Herodot-Stelle vorbei: Herodot will doch gerade nachweisen, daß die Athener das Unglück der Milesier als ihr eigenes betrachteten. 3 Dahin gehören nach Aristot. Poet. 1459 a 8f. die ονόματα διπλά. Vgl. dazu Patzers Ansicht (s.o. Anm. 1). 4 F. R. Earp, a.a.O., passim; s. besonders die Zusammenfassung, S. 167ff.
Anhang : Zum Stil des Aischylos
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Aischylos gegen Euripides in den „Fröschen" auch nicht etwa auf unangemessene sprachliche Formung, obwohl Euripides die σαφήνεια (927) und das φράζειν άνθρωπείως (1058) zu seinem Wahlspruch erhebt 1 , sondern auf unerlaubte Herabziehung der Heroengestalten: πτωχοποιός heißt er V. 842; die guten Bräuche des Aischylos hat er verdorben, indem er den Königen Lumpen umhängte (V. 1062f.); er selbst verteidigt sich, er habe die Tragödie vom Schwulst befreit (941 ff.) und dem Leben angepaßt (959ff.), und das sei nur demokratisch (952). Euripides ging also den umgekehrten Weg wie Aischylos: er holte die Heroen, die auch für ihn entsprechend der Tradition unabdingbar die Gestalten der Tragödie waren, in die Alltäglichkeit und konnte dann auch die (natürlich gereinigte und mit poetischem Ornament „gesüßte") Alltagssprache benutzen. Der aristophaneische Aischylos hat gegen die Ausdrucksweise des Euripides unter den gegebenen Umständen wenig einzuwenden, mißbilligt aber aufs schärfste, daß er die heroische Sphäre verlassen hat. Nicht der erhabene Stil, sondern die erhabenen Gestalten der Heroensage sind für die tragische Dichtung traditionell und dürfen nicht beiseitegeschoben oder herabgezerrt werden. Um sie zur vollen Wirksamkeit zu bringen, war eine zeitliche oder räumliche Distanz wünschenswert. 1
Euripides ist nach Aristot. Rhet. 1404 b 24f. als erster von der είωθυια διάλεκτος abgegangen.
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2
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Außerdem wurden benutzt die kommentierten Ausgaben und Kommentare : zu Aischylos' Agamemnon von E. Fraenlcel (Oxford 1950) und von Denniston/ Page (Oxford 1957); zu Aischylos' Persern von C. J. Blomfield (Leipzig 1823), P. Qroeneboom (Groningen 1930; deutsch: Göttingen 1960), F.M. Pontani (Rom 1951), G.Italie (Leiden 1953) und besonders von H. D. Broadhead (Cambridge 1960); zu Pindar von L. R. Farneil (London 1932; Nachdruck Amsterdam 1961) und zu Pindars Pythien von O. Sehroeder (Leipzig 1922); dazu die Übersetzung mit Anmerkungen von F. Dornseiff (Leipzig 1921); zu Herodot von How und Wells (Oxford 1928) und zu Buch 7—9 von R. W. Macan (London 1908); zu Thukydides von A. W. Gomme (Oxford 1946—1956); zu Isokrates' Panegyrikos von 0. Schneider (Leipzig 3 1886); zu Polybios, Buch 1—6, von F. W. Walbank (Oxford 1957).
Stellenregister Aesehin. 3,184f. Aesch. Ag. 72ff. 338ff. 527 551 ff. 855 900 918ff. 1224 1399f. 1407ff. 1542ff. 1608 f. 1612ff. 1625ff. 1633 ff. 1643 ff. 1665 — Choeph. 304f. 355f. 630 — Pers. Iff. 3 8 ff. 9 13 26 30 45 53 55 73 85 f. 117 122 137 f. 140 ff. 147 ff. 152 157f. 159 163 ff. 177 181ff.
91i 60 15 15, 153 14f. 60 31i 76 76 60 60 60 76 60 76 76 76 76 76 50 76 57 f. 51 82 51 75a 51 51 51 51 51 73, 75i 51 52 52 75i 512, 53 51 51 51 51 51 79s 62i
189 197 197 ff. 211 21 Iff. 213 227 230ÍT. 231 f. 232 233 233 f. 235 239 f. 244 250 ff. 266 f. 279 284ff. 296 ff. 300f. 302 ff. 329 331 ff. 334 336 337 ff. 349 f. 350ff. 352 353 ff. 36 Iff. 373 413f. 424 ff. 433 ff. 447 ff. 448 f. 454 468 ff. 473 474 475 476
79a 79e 77 793 76 52, 73 793 63 50 68 79s 38, 91 67 51 61a 51 66 70 424 66, 663
31i 66 f. 663
67 67i 70 67, 67i, 72f., 81 67 67, 72 79a 67-70, 681 69 f. 88 69Ï 36 70 68, 70f. 70i 75 71 793 38, 38i 6I3
79s
Stellenregister Aesch. Pere. 478ff. 511 517£f. 529 529ff. 552 553 555 556 584ff. 588 f. 607 609 623 643 651 652 f. 657 f. 659 663 691 694 709 ff. 718 722 728 736 739 739ff. 744 745 if. 749 751 753ff. 754 755 f. 762ff. 765 ff. 767 772 780 f. 782 783 785f. 790 803 ff. 811 817 825 f. 831 842 847 849f. 850
72 f. 72 54 54, 793 54 75 52 77 51 76 f. 51 53 793 58 50 52 77 52 53 52, 77 50 51 633 74, 793 62ι 71, 73 62ι 793 62 75, 793 62x 75 51, 79a 77 75, 79a 51 62 52 75a 75a 613 75a, 79s 61 77 61i 68i 15 42« 51 75 51 79a 54 793
864 ff. 865 f. 866 908 ff. 913ff. 922 ff. 926 lOOOf. 1016ff. 1020ff. 1038 1069 1076 1077 — Prom. 354 — Sept. 569 588 611 Anaxim. rh. FGrHist 72F24 Anth. Pal. 7, 677 Archil, fr. 7D. Aristoph. Ach. 634flf. 636ff. — Av. 218 — Equ. 1329 1251ff. — Lys. — Nub. 300 — Ran. 814 815f. 822 ff. 826ff. 842 927 937 f. 940 941 ff. 952 959 ff. 1004 1058 1058ff. 1059 1062f. — Thesm. 886ff. 110 K . — fr. Aristot. Poet. 1449 a 20 f. 1449 b 24ff. 1449 b 31 ff. 1450 a 22 1450 a 38 1450 b 16ff. 1451b 27ff. 1453 b 22ff.
125 52 61 72 73-77, 82 73, 77 77 51 53 52 53 54 54 52 54 75i 20 20 20 85, 85a 18x 17 105a 38i, 105 I62
38, 38i 39a 381 117 117 117 117 119 119 50 117 119 119 119 117 119 117 118 119 55 38i 117, 117i 116 52s 64 64 53s 64 64
126
Stellenregister
Aristot. Poet. 1458 a 18 116 1459 a 8f. 118s 1459 a 24ff. 42! — Resp. Ath. 22, 5 30s 23, 2 94i 23, 4 93i — Rhet. 1365 a 31ff. 86 1367 b 8 f . 96i 1375 b 25 ff. 48i 1404 b 2 4 f . 119i 1406 a 32 f. 1163 1408 a lOff. 116,1163 1411 a 2ff. 86 1415 b 30ff. 96i Choerilus, Persica 11, 114 Cic de leg. 2, 64f. 85 f. de rep. 3, 15 154 Ctesias FGrHist 688 F 13,24 58 688 F 13,28ff. 65 Demosth. 18,3f. IOI3 18, 208 102a 18, 289f. 17a 19, 303 104i 22, 13fif. 98a 22, 15 IOI2 60, 10 90 60, 32ff. 26 Diod. Sic. 11, 4, 7 32 11, 11, 2 224 11,11,6 24 11,14,4 I62 11, 24, 1 224 11, 29, 3 154 11,33 87 11,44,6 93i 11,46,4f. 93i 11, 50 94i Dionys. Hai., A. R . 1, 49, 2 I62 5, 17, 4 8 6 f „ 94f., 95x — de imit. 2, 2, 6 17i 2,2,10 1173 Epigramm. Eion cf. Aeschin. 3, 184f. Epigramm. Marathon cf. Inscriptions ( S E G X I X 38) Eur. Ale. 452 38i — Hei. 185 I62 1404 27 — Heraclid. 38 38x — Hipp. 423 38i 760 38i 1094 38i 1459 38i
— Ion
30 262 590 1038 1158ff. — Iph. T. 146 901 1091 1130f. — Med. 652 — Phoen. 1758 — Suppl. 684 — Troad. 119 207 f. 803 Herodot. 1, 5, 3 1, 13, 1 1, 14 1, 59, 3 1, 60, 1 1, 62, 1 1, 72, 2 1, 87, 4 1, 97 1, 103, 2 1, 173, 2 1, 208 2, 112ff. 3, 14 3, 30, 3 3, 61, 1 3, 71 3, 80, 3 3, 89, 3 3, 134 4, 83 5, 12 5, 94, 2 5, 101 f. 5, 102, 1 6, 20 6, 21, 2 6, 43ff. 6, 43, 2 6, 44, 1 6, 94, 1 6, 94, 2 6, 101, 3 6, 114 6, 121 ff. 7, 2, 1 7, 2 , 3 7, 3 , 4 7, 6, 1
38i 38i 38i 38i 50 16a 66 I62 38i 66 38i 66 16a 38i 38i 48 31s 55 31s 31s 31s 61 314 55 61 31s 58 49i 55 59a 58 753 52 61a 63a 59i 55 484, 96a, 97, 99 13 61 41a 49, 56, 118a 13i 41a 13i 13 41a 13 174 303 58, 61 6I2 63 f. 41a
Stellenregister 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 7 δ 8 8 8 8 8 8
8 in. 8 äff. 8α 2 8ß 1 8ß 2 8ß 3 8γ 3 88 1 9,2 9α 1 11, 1 11,2 13, 2 39, 1 48 50, 3 f. 52, 2 56, 2 57, 1 96, 2 132,2 139 139, 3 139, 3 f. 139, 5 159 161 161, 2 161, 3 162, 1 164, 2 165 f. 189, l f . 189, 3 198, 2 210, 1 219 220, 1 220,4 221 223, 2 224, 1 226, l f . 227 228, 2f. 228, 3 f. 238, 2 3, 1 3,2 61 75 76 77 85
59 412 77 62i 61 41a 41a, 62i 59 41: 67 75 78 75 75 67 77 58 14 82i 63 33 102f., 107 22 103i 39, 72, 113 484, 97 484, 862 109 97, 99 86 71 42 24 23, 23a, 234 19 75 20 20 f. 2O3 I81, 20-22 22s 253, 274 252 25, 252 25s 1 8 , I81
75 31,100, 109 93i 67 68 f. 70 38i 70
Hes. Op.
127 8, 8, 8, 8, 8, 8, 8, 8, 8, 8, 9, 9, 9, 9, 9,
93, 1 95 107, 1 109, 3 113, 1 115 126, 1 140 140 ff. 142, 3 6 9,2 11 26f. 27
9, 9, 9, 9, 9, 9, 9, 9, 9, 9,
27, 3 33, 1 37, 1 38, 2 46, 2 67 85, 2 86ff. 93, 3 111, 5 3 ff.
i2ifr.
140 ff. 228 — Th. 371 Himerius or. 12, 32 47, 14 Horn. II. 3, 179 5, 30 5, 35 5, 355 5, 454 5, 507 5, 830 5, 904 7, 89 f. 14, 230 15, 250 15, 322 15, 487 15, 527 15, 734 23, 587ff. 23, 604 Horat. c. 4, 4, 38 Hyper. 6, 4 6, 4ff. 6, 12
36s 68, 70 f. 71 15, 72 71 72 722 412 103 105 103 103, 103i 103 97-100 37, 862, 96, 107, 107i, 109 942 19a 19s 19s 992 33 87 33 118a 75 29 46 46 31 35 23 23 2O1
75i 75i 75i 75i 75i 75i 75i 184, 19o 36i 75i 75i 75i 75i 75i 75 75 36a 104i 83 115
128 Hyper.
6, i 9 f. 6, 24 6, 42 H y p o t h . ad Aesch. Pere.
Stellenregister 115i 26 26f. 48i, 49 f., 494 112
•— ad E u r . Suppl. Inscriptiones : Epigrammata (Friedländer) 18 2 18 7 18f. 8 18 29 18, 19o 64 18, 18s 70 18, 18s 82 18 137 91a G H I I 14 Tod 17s I 20 15i I I 204, 22ff. 19 GV I 44 Peek 18 69 18 80 18 84-86 18 95-96 18 98 18 114 18 116 984 I G I 2 535 882 928 193 929 25i II 2 1006, 26f. 48i 2318, 9ff. 27 V 1, 497 Marm. P a r . I61 F G r H i s t 239 A 48 17 2 ,4l2,7l2 SEG X I X 38 661 Ion, F G r H i s t 392 F 7 862 F 16 90 Isocr. 4, 54ff. 92 f. 4, 57 90 4, 66ff. 90 f. 4, 68 f. 93i 4, 72 109i 4, 74 4, 76 118a 4, 92 224 101 4, 99 4, 155f. 154 412 9, 68 103 12, 50f. 93i 12, 52 12, 59 61 12, 67 93i
12, 76ff. 97i 12, 149f. IOI2 Lye. c. Leocr. 81 154 Lys. 26i 2, 1 2,5 lOOi 2, 20 2 61 2, 21 91 2, 31 224 2, 42 103 2, 44 ff. 103 2, 48 ff. 1033 2, 54 26i 2, 60 26i 2, 64 26i 2, 70ff. 26 2, 75 f. 26i Marm. P a r . cf. Inscriptiones Nicol. Dam. F G r H i s t 90 F 71 55 Paus. 1, 15 91, 91i 1, 16, 3 154 1, 23, 8 984 1, 29 87-89 1, 32, 3 19a, 88 25i 1, 32, 4 1, 36, 2 70f., 70i 3, 12, 9 25 3, 13, 4 27 25, 253, 254 3, 14, 1 10, 9, 7 19a 10, 11, 5 912 10, 35, 2 154 Phryn., Captiv. Mil. 49, 118a — Phoeniss. 49f., 49i, 55f., 59f., 80 Pind. Isthm. 2, 20 38, 38ι 4, 35 ff. 33s, 34 5 35-37, 44-47, 106 5, 12 f. 43 5, 21 f. 30i 5, 43ff. 44 7, 38 f. 31i 8 32-35, 35i 8, Iff. 43 8, 9f. 30a — Nem. 3 36 4 36 4, 18f. 38i — Ol. 2,6 38 6, 3f. 38 6, 17 20 7, 34 36x
Stellenregister 8, Iff. 38 36 9, 98 ff. 39-43, 45 1 — Pyth. 2, Iff. 38 75 2, 63ff. 39 4,138 30, 30s, 43 7 7,3 39 31 8, Iff. 9 37, 37s 38 12, Iff. 37-39, 43 — fr. 76 Snell 37, 39, 43 77 37z 78 30-32, 302, 43 109 30 110 61 Plat. Leg. 695c 362 929 e 5-6 — Menex. 235a-b 1052 235 d 96, 96i 240e 39i 242a 6-c 2 92i 174 247 d 6 f. 24i — Phaedr.229b 5 229 c 2-3 23i 257 d 86 53a Plut. Moral. 348C 350A/B 39 488E 58 — Vitae: 15, 8 51a Ages. 70 f. Arist. 9, 1 97a 12, 1 12, 2f. IOO2 25i 21 23 93i Cim. 6, 2f. 93i Per. 8,7 86 8, 9 86 28, 4 86 28, 7 862 9, 11 85, 852 Public. Sull. 13, 5 96 8,2 39 Them. 8, 5 I62, 39a 92a 29, 5 Thes. 30, 3O5, 43 Polyb. 4, 31, 5ff. 5, 10, 8 154 Priscian., GL Ι Π 428 23 Quintil, i. o. 12,4 484 Schol. ad Aesch. Pers. 50 372 432 66i — ad Apoll.Rh. 1, 21 Iff. 23, 23¡¡ 1, 583f. 23 Pind. Ol.
129
— ad Greg.Naz. (in Iul.or. II) in Herrn. 6, 489 16a, 17 — ad Pind. Ol. 6, 17 2O1 — ad Soph. El. 324 27 — ad Thuc. 2, 8, 1 30 2, 35, 1 85, 85i, 852 Simon, fr. 1 D. 23 f. 2 23 f. 4 17, 29 4, 35 312 5 24—29, 43i, 45-47 59 29 63 17 83 17-22, 46, 111 [Simon.] fr. 88a D. 51i 96 17s 109 392 Sol. fr. 3 D. 31 Soph. Ai. 861 38i — El. 326 27 — O. C. 58 38 1524 26 — Trach. 746 66 — fr. 954 P. 27 Stesimbrotus FGrHist 107 F 9 86 Stob. eel. 4, 9, 3 30 4, 16, 6 30 Suda s. v. Αισχύλος I61 s. ν. Σιμωνίδης 22 Tac. ann. 1, 47, 2 822 Theogn. 773ff. 14, 14i Thuc. 1,2ff. 49 1, 22, 2 66 1, 72 lOOf. 1, 73ff. 96, 96i, 101-104, 104i, 106f., 107i, 109 115i 1, 73, 2 1, 73, 5 71 1,74 113 69 1, 74, 1 1, 75, 2 93i, 94i 1, 80, 1 30 1, 86, 1 99, 101a 1, 90, 1 102 1, 92 102 1, 94ff. 93f. 1, 100, 3 87 1, 105f. 103a
Stellenregister 1, 1, 2, 2, 2, 2, 2, 2, 2, 2, 2, 3, 3, 3, 3, 3, 5, 5,
132, 2 f. 144, 4 8, 1 23, 1 34 34, 5 35ff. 35, 1 36, 4 43, 2 71, 2 f. 54, 3 56, 4 f. 58, 4 59, 4 67, 2 9, 9 89
I62 114 30 23s 84 87 f. 1092 84-86, 94 83, 104i 27 106z 106a IO62 25i 106a 99 412 104, 104i
6, 82ff. 6, 83, 1 6, 83, 2 Timoth. Persae Tyrt. fr. 6, 1 - 2 D. 6,2 7 9, 20 Vita Aesch., § 2 4 5 11 14 X e n . Hell. 2, 3, 35 6, 5, 38 ff. 6, 5, 42ff. — Mem. 3, 5, 11 — Resp. Lac. 15, 9
96, 107 102 104, 104i 11, 114 26 274 22i 274 117 16i 117 16i 117 983 105, 105i 106a 114a 25
AISCHYLOS' PERSER Erster Teil: Einleitung, Text, kritischer Apparat. Herausgegeben von P. Groeneboom. Zweiter 'Teil: Kommentar von P. Groeneboom · Aus dem Holländischen übertragen von Helga Sönnichsen · Studientexte griechischer und lateinischer Schriftsteller, Band III · 1960. Beide Teile zusammen 283 Seiten, brosch. 19,80 DM „Groeneboom folgt dem Text Zeile für Zeile und geht philologisch-gründlich allen sprachlichen, sachlichen, metrischen Fragen nach; er liefert das wissenschaftliche Material für das richtige Lesen des Textes." Mitteilungen des Deutschen Altphilologenverbandes, Niedersachsen
KARL REINHARDT / VERMÄCHTNIS DER ANTIKE Gesammelte Essays zur Philosophie und Geschichtsschreibung. Herausgegeben von Carl Becker · 2., erweiterte Auflage 1966. 479 Seiten, Leinen etwa 28,— DM Die neue Auflage wurde um folgenden Beitrag erweitert: Poseidonios über Ursprung und Entartung. Interpretationen zweier kulturgeschichtlicher Fragmente. INHALT : Personifikation und Allegorie / Heraklits Lehre vom Feuer / Heraclitea / κοπίδων αρχηγός / Empedokles, Orphiker und Physiker / Hekataios von Abdera und Demokrit / Herodots Persergeschichten / Gyges und sein Ring / Thukydides und Machiavelli / Piatons Mythen / Nietzsche und die Geschichte / Nietzsches Klage der Ariadne / Die Klassische Philologie und das Klassische / Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff / Gedenkworte für Ludwig Curtius / Gedenkworte für Gilbert Murray / Walter F. Otto / Akademisches aus zwei Epochen / Poseidonios über Ursprung und Entartung. Interpretation zweier kulturgeschichtlicher Fragmente / Nachwort / Register
JUTTA KIRCHBERG / DIE FUNKTION DER ORAKEL IM WERKE HERODOTS Hypomnemata 11 · 1964. 126 Seiten, brosch. 18,— DM Herodot steht mit seinem Werk auf der Schwelle zur klassischen Zeit griechischer Historiographie. Schon sind Ansätze kritischer und empirisch bedingter Darstellung ausgeprägt, aber daneben weisen Züge archaisch gebundenen Denkens in die Zeit der vorwiegend religiösen Motivationen des Geschehens. Eine Untersuchung der Orakel im besonderen vermag einen charakteristischen Aspekt dieser eigentümlichen Zwischenstellung Herodots zu erfassen.
HANS SCHAEFER / PROBLEME DER ALTEN GESCHICHTE Gesammelte Abhandlungen und Vorträge • Herausgegeben von Ursula Weidemann und Walter Schmitthenner. 1963. 449 Seiten, Leinen 29,80 DM Aus dem Inhalt: Die attische Symmachie im zweiten Jahrzehnt ihres Bestehens / Monotheismus als politisches Problem / Die Grundlagen des attischen Staates im 5. Jahrhundert / Athen und das Griechentum im 5. Jahrhundert / Zu Heinrich Triepels „Hegemonie" / Besonderheit und Begriff der attischen Demokratie im 5. Jahrhundert / Die Schlacht in den Thermopylen / Das Problem der Entstehung des römischen Reiches / Γνωστήρ και εγγυητής / Alkibiades und Lysander in Ionien / Das Problem der Demokratie im klassischen Griechentum / Die verfassungsgeschichtliche Entwicklung Kyrenes im ersten Jahrhundert nach seiner Begründung / Die Autonomieklausel des Kalliasfriedens / Das Problem der griechischen Nationalität / Politische Ordnung und individuelle Freiheit im Griechentum / Das Eidolon des Leonidas / Der römische Ritterstand u.a. / Buchbesprechungen, Bibliographie V A N D E N H O E C K & R U P R E C H T IN G Ö T T I N G E N U N D Z Ü R I C H